Sie sind auf Seite 1von 164

Plenarprotokoll 16/67

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

67. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 6621 A Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6640 A
Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 6621 B
Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6641 C

Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6643 A

a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6645 C
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6646 A
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 6646 C
2007 (Haushaltsgesetz 2007)
Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6647 C
(Drucksachen 16/2300, 16/2302) . . . . . . . 6622 C
b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6648 C
schusses zu der Unterrichtung durch die Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6648 D
Bundesregierung: Finanzplan des Bun-
des 2006 bis 2010 Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 6649 A
(Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126) 6622 C
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 6649 C
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und So- Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6650
. . . . A, 6652 A
ziales
(Drucksachen 16/3111, 16/3123) . . . . . . . 6622 C
Einzelplan 06
Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 6622 D
Bundesministerium des Innern
Waltraud Lehn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6624 B (Drucksachen 16/3106, 16/3123) . . . . . . . 6654 B
Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6626 C Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6654 D
Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) . . . . . . . . 6628 A Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6656 C
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6659 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6629 D
Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6661 A
Franz Müntefering, Bundesminister BMAS 6631 B
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6634 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6664 C
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 6635 A Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
Ilse Falk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6636 C BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6667 C
Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6638 D Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 6668 D
II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Implementierung der Annexe 1-A und 2
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6670 C der Dayton-Friedensvereinbarung sowie
an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo
Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6671 C und seinen Aufgaben, auf Grundlage
Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6671 D der Resolutionen des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen 1575 (2004)
Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6672 D vom 22. November 2004, 1639 (2005)
Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6674 C vom 21. November 2005 und 1722
(2006) vom 21. November 2006
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6675 C (Drucksache 16/3521) . . . . . . . . . . . . . . . 6680 D
Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6677 D h) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6678 B der SPD: UN-Resolution 1325 – Frauen,
Frieden und Sicherheit – konsequent
umsetzen
Tagesordnungspunkt III: (Drucksache 16/3501) . . . . . . . . . . . . . . . 6681 A
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zusatztagesordnungspunkt 1:
zes zur Änderung des Investitionszula-
gengesetzes 2007 (InvZulG 2007) a) Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
(Drucksache 16/3437) . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 B Gauweiler, Monika Grütters, Eckart von
Klaeden, weiterer Abgeordneter und der
b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- ordneten Monika Griefahn, Petra Hinz
zes zur Änderung arbeitsrechtlicher Vor- (Essen), Lothar Mark, weiterer Abgeord-
schriften in der Wissenschaft neter und der Fraktion der SPD: Stärkung
(Drucksache 16/3438) . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 B des Goethe-Instituts durch neues Kon-
c) Antrag der Abgeordneten Harald zept
Leibrecht, Dr. Karl Addicks, Christian (Drucksache 16/3502) . . . . . . . . . . . . . . . 6681 A
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der b) Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin,
Fraktion der FDP: Für eine zügige Um- Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abge-
stellung auf Budgetierung beim Goethe- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
Institut SES 90/DIE GRÜNEN: Verbraucher
(Drucksache 16/2090) . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 C beim Telemediengesetz nicht übergehen
d) Antrag der Abgeordneten Dr. Werner (Drucksache 16/3499) . . . . . . . . . . . . . . . 6681 B
Hoyer, Jürgen Koppelin, Dr. Karl Addicks, c) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck
weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Bremen), Rainder Steenblock, Volker
der FDP: Den Auswärtigen Dienst für Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und
die Aufgaben der Diplomatie des der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
21. Jahrhunderts stärken DIE GRÜNEN: Eine europäische Per-
(Drucksache 16/3018) . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 C spektive für das Kosovo
e) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Drucksache 16/3520) . . . . . . . . . . . . . . . 6681 B
(Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring, d) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bericht der Bundesregierung über die
der FDP: Beleuchtete Dachwerbeträger Entwicklung der Finanzhilfen des Bun-
auf Taxen zulassen des und der Steuervergünstigungen für
(Drucksache 16/3050) . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 C die Jahre 2003 bis 2006 (20. Subven-
f) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton tionsbericht)
Hofreiter, Winfried Hermann, Anna (Drucksache 16/1020) . . . . . . . . . . . . . . . 6681 C
Lührmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN: Erhaltungsrückstand bei Bundes- Tagesordnungspunkt IV:
fernstraßen beenden
(Drucksache 16/3141) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung
6680 D
des von der Bundesregierung eingebrach-
g) Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über-
der Beteiligung bewaffneter deutscher einkommen Nr. 170 der Internationalen
Streitkräfte an der EU-geführten Ope- Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1990
ration „ALTHEA“ zur weiteren Stabili- über Sicherheit bei der Verwendung
sierung des Friedensprozesses in Bos- chemischer Stoffe bei der Arbeit
nien und Herzegowina im Rahmen der (Drucksachen 16/2227, 16/3347) . . . . . . . 6681 D
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 III

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6710 A


des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Part- Volker Schneider (Saarbrücken)
nerschafts- und Kooperationsabkom- (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6712 A
men vom 11. Oktober 2004 zur Gründung Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6713 C
einer Partnerschaft zwischen den Euro-
päischen Gemeinschaften und ihren Krista Sager (BÜNDNIS 90/
Mitgliedstaaten einerseits und der Re- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6715 D
publik Tadschikistan andererseits Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
(Drucksachen 16/1621, 16/3352) . . . . . . . 6682 A BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6717 C
c) – k) Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6719 D
Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6721 B
schusses: Sammelübersichten 126, 127,
128, 129, 130, 131, 132, 133 und 134 zu Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6723 A
Petitionen
(Drucksachen 16/3331, 16/3332, 16/3333, Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 6724 A
16/3334, 16/3335, 16/3336, 16/3337, Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
16/3338, 16/3339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6682 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6725 D
Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6726 D
Einzelplan 12
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 6728 C
Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
(Drucksachen 16/3112, 16/3123) . . . . . . . 6683 A Einzelplan 16

Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 6683 B Bundesministerium für Umwelt, Natur-


schutz und Reaktorsicherheit
Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6684 D (Drucksachen 16/3115, 16/3123) . . . . . . . 6730 A
Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . 6687 C Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6730 B
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6688 C Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6731 C
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6689 D Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6733 D
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 6735 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6691 C
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 6736 A
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6693 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6737 A
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . 6695 C Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 6738 B
Norbert Königshofen (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6697 C Sigmar Gabriel, Bundesminister
Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . 6698 A BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6739 A

Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6699 D Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6740 B

Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6701 A Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6741 D

Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6703 A Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6743 B

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 6745 B


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6704 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 6705 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6746 C
Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6747 C
Einzelplan 30 Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6748 D
Bundesministerium für Bildung und For- Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 6749 B
schung
(Drucksachen 16/3120, 16/3123) . . . . . . . 6707 D
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 6750 D
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6708 A
Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 6709 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6751 A
IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Einzelplan 10 Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6767 C


Bundesministerium für Ernährung, Land- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
wirtschaft und Verbraucherschutz DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6769 A
(Drucksachen 16/3110, 16/3123) . . . . . . . 6753 A Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 6770 A
Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . 6753 B Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . 6771 C
Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6755 B Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 6771 D
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 6757 B Peter Bleser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 6772 A
Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD) . . . . . . . . . . . . 6759 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 6774 A
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . 6760 A
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6775 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6761 C
Horst Seehofer, Bundesminister BMELV . . . 6762 D Anlage
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . 6766 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6777 A
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6621

(A) (C)

Redetext

67. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Verteidigungsausschuss


Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Die Sitzung ist eröffnet. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur Fortsetzung un- Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
serer Beratungen zum Bundeshaushalt 2007. Union
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir Sie auch, d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Frau Präsidentin!) Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung
Zunächst möchte ich einige Vorbemerkungen machen. der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünsti-
gungen für die Jahre 2003 bis 2006 (20. Subventions-
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene bericht)
Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Zu- – Drucksache 16/1020 –
satzpunktliste aufgeführten Überweisungen im verein- Überweisungsvorschlag:
(B) fachten Verfahren zu erweitern: Haushaltsausschuss (f) (D)
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Finanzausschuss
(Ergänzung zu TOP III) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Gau- Verbraucherschutz
weiler, Monika Grütters, Eckart von Klaeden, weiterer Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Abgeordneten Monika Griefahn, Petra Hinz (Essen), Lo- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
thar Mark, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
Stärkung des Goethe-Instituts durch neues Konzept überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
– Drucksache 16/3502 – merksam:
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f) Der in der 57. Sitzung des Deutschen Bundestages
Ausschuss für Kultur und Medien überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
Haushaltsausschuss lich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humani-
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Bettin, täre Hilfe (17. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und werden.
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung gemein-
Verbraucher beim Telemediengesetz nicht übergehen
samer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichten-
– Drucksache 16/3499 – diensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-
Überweisungsvorschlag: Dateien-Gesetz)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) – Drucksache 16/2950 –
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz überwiesen:
Ausschuss für Kultur und Medien Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck
Verteidigungsausschuss
(Bremen), Rainder Steenblock, Volker Beck (Köln),
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
SES 90/DIE GRÜNEN
Eine europäische Perspektive für das Kosovo Der in der 64. Sitzung des Deutschen Bundestages
– Drucksache 16/3520 – überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
Überweisungsvorschlag: lich dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) gemäß
Auswärtiger Ausschuss (f) § 96 GO überwiesen werden.
6622 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (C)
zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und Verbraucherschutz
des Finanzausgleichsgesetzes Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
– Drucksache 16/3269 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
überwiesen: Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Wi-
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) derspruch. Dann können wir so verfahren.
Innenausschuss
Rechtsausschuss Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
nungspunkt I – fort:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Die in der 57. Sitzung des Deutschen Bundestages Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich Haushaltsjahr 2007 (Haushaltsgesetz 2007)
dem Sportausschuss (5. Ausschuss), dem Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) sowie dem – Drucksachen 16/2300, 16/2302 –
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
(13. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden. haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich-
Antrag der Abgeordneten Christoph Waitz, Hans-Joachim tung durch die Bundesregierung
Otto (Frankfurt), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
Für einen zukunftsfähigen europäischen Rechtsrahmen
audiovisueller Mediendienste – den Beratungsprozess der
– Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126 –
EU-Fernsehrichtlinie aktiv begleiten
Berichterstattung:
– Drucksache 16/2675 – Abgeordnete Steffen Kampeter
überwiesen: Carsten Schneider (Erfurt)
Ausschuss für Kultur und Medien (f) Dr. Gesine Lötzsch
Sportausschuss
Rechtsausschuss Anja Hajduk
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.12 auf:
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Einzelplan 11
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(B) Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Uschi Eid, Ekin – Drucksachen 16/3111, 16/3123 – (D)
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN Berichterstattung:
Für eine verbraucherfreundliche und Qualität sichernde Abgeordnete Waltraud Lehn
EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste Hans-Joachim Fuchtel
– Drucksache 16/2977 – Dr. Claudia Winterstein
überwiesen: Dr. Gesine Lötzsch
Ausschuss für Kultur und Medien (f) Anja Hajduk
Sportausschuss
Rechtsausschuss Zu dem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge der
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Fraktion Die Linke vor, über die wir später namentlich
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz abstimmen werden. Außerdem liegt ein Entschließungs-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor,
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung
Der in der 63. Sitzung des Deutschen Bundestages abstimmen werden.
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
Sportausschuss (5. Ausschuss) zur Mitberatung über- die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
wiesen werden. dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah-
Antrag der Abgeordneten Reinhard Grindel, Wolfgang Börn- ren.
sen (Bönstrup), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Monika Griefahn, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter Dr. Claudia Winterstein das Wort.
und der Fraktion der SPD
Die Schaffung eines kohärenten europäischen Rechtsrah- (Beifall bei der FDP)
mens für audiovisuelle Dienste zu einem Schwerpunkt
deutscher Medien- und Kommunikationspolitik in Europa Dr. Claudia Winterstein (FDP):
machen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
– Drucksache 16/3297 –
Herren! Der Etat des Arbeitsministers ist der größte
überwiesen: Einzeletat und umfasst 124,4 Milliarden Euro. Das sind
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Sportausschuss
5 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2006. Der Haushalt
Rechtsausschuss des Arbeitsministers leistet also keinen Beitrag zur Kon-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie solidierung, im Gegenteil.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6623
Dr. Claudia Winterstein
(A) Dieser Etat ist auch das größte Risiko für den Bun- völlig unvereinbare Konzepte der beiden Koalitionspart- (C)
deshaushalt 2007. ner unter einen Hut zu bringen.
(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Haj-
duk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf
Denn Sie, Herr Minister, wiederholen im Etat 2007 Feh- von der CDU/CSU: Da sind wir ganz gelas-
ler, die Sie schon im Jahr 2006 gemacht haben. Sie ar- sen!)
beiten mit geschönten Zahlen. Sie haben in den Haus-
haltsplanberatungen 2006 immer wieder behauptet, Was dabei herauskommt, kann man bei der so genannten
24,4 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II wür- Gesundheitsreform sehen, nämlich nichts Gutes. Die
den ausreichen. Wir haben Sie damals gewarnt, dass der „Süddeutsche Zeitung“ hat das „die nächste Nicht-Re-
Haushaltsansatz bei weitem nicht reichen wird. Nun stel- form“ genannt.
len wir fest: Wir hatten Recht, die Zahlen waren ge-
Herr Minister, im Zusammenhang mit Ihrem Haushalt
schönt. Die Kosten werden nämlich bei mindestens
haben Sie stolz darauf verwiesen, der Beitrag zur
26,4 Milliarden Euro liegen, das sind 2 Milliarden Euro
Arbeitslosenversicherung würde nun um insgesamt
mehr.
2,3 Prozentpunkte sinken. Der Ordnung halber muss
Jetzt, für 2007, behaupten Sie, 21,4 Milliarden Euro man aber hinzufügen, dass 1,3 Prozentpunkte davon mit
würden für das Arbeitslosengeld II ausreichen. Wir war- Ihrem Etat überhaupt nichts zu tun haben. Diese Sen-
nen Sie: Es wird wieder nicht reichen. Diese Zahlen sind kung wird allein aus den Mitteln der Beitragszahler fi-
ebenfalls geschönt. Es wird erheblich teurer. nanziert, die zu viel gezahlt haben.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk (Beifall bei der FDP)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Übrigen bleibt es trotz dieser Senkung bei dem,
Auch in anderen Bereichen haben die Zahlen 2006 was die „FAZ“ am 8. November 2006 kurz und, wie ich
nicht gestimmt und stimmen 2007 wieder nicht. Was finde, sehr treffend formuliert hat:
mussten wir uns für Beschimpfungen anhören, als wir Der Staat wird … den Bürgern nach dem Jahres-
Ihnen in den Beratungen 2006 erklärten, dass der Titel wechsel
„Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ mit 6,5 Mil-
liarden Euro zu hoch angesetzt ist! Auch Sie hätten – also 2007 –
schon damals erkennen können, dass eine so hohe
… mehr und nicht weniger Geld aus der Tasche zie-
Summe für Fördermaßnahmen bei den Langzeitar-
hen, weil die Steuererhöhungen größer sind als die
beitslosen nicht sinnvoll ausgegeben werden kann.
aufgepeppte Beitragsentlastung.
Stattdessen haben Sie uns vorgeworfen, wir wollten ge-
(B) zielt zulasten der Arbeitslosen sparen. (D)
Herr Minister, auch bei Ihrem Umgang mit den aktu-
ellen Arbeitsmarktdaten kehren Sie unliebsame Zahlen
(Dirk Niebel [FDP]: Pfui!)
unter den Tisch. Es ist nämlich nur die halbe Wahrheit,
Dass diese Vorwürfe nicht zutreffen, beweisen die wenn Sie darauf verweisen, dass die Zahl der Langzeit-
Zahlen. Bis zum 31. Oktober sind 3,3 Milliarden Euro arbeitslosen gegenüber dem Vorjahr gesunken ist. Zur
abgeflossen. Hochgerechnet auf das ganze Jahr werden ganzen Wahrheit gehört, dass die Zahl der Arbeitslo-
es also etwa 4 Milliarden Euro sein. Sie haben aber sengeld-II-Empfänger gegenüber dem Vorjahr gestie-
6,5 Milliarden Euro angesetzt. Beim Haushalt 2007 spie- gen ist; denn man muss all diejenigen hinzuzählen, die
len Sie dennoch das gleiche Spiel und setzen wieder einen 1-Euro-Job haben, die an einer Weiterbildungs-
6,5 Milliarden Euro im Haushalt an. maßnahme teilnehmen, die zum Beispiel wegen Kinder-
betreuung dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen,
(Dirk Niebel [FDP]: Und das, obwohl die Ar- und diejenigen, die zusätzlich zu ihrem Lohn Arbeitslo-
beitslosenzahlen angeblich sinken!) sengeld II erhalten. Insgesamt erhielten in Deutschland
Herr Minister, die Lösung der Probleme besteht nicht im Oktober 2006 über 5 Millionen Menschen Arbeitslo-
darin, beim Eingliederungstitel möglichst viel Geld zu sengeld II. Das sind 187 000 Menschen mehr als im
verteilen; nötig sind vielmehr Reformen am Arbeits- Oktober des letzten Jahres. Das müssen Sie aus Ihrem
markt und eine Straffung der Arbeitsmarktinstrumente. Etat bezahlen. Gesunkene statistische Arbeitslosenzah-
len helfen Ihnen dabei überhaupt nicht weiter.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP)
Der Bundesrechnungshof hat erst gerade wieder auf-
gezeigt, wie viel hier im Argen liegt. Er hat sich den Herr Müntefering, es scheint Ihr Arbeitsstil zu sein,
Vollzug von Hartz IV angeschaut und beispielsweise unangenehme Zahlen erst in allerletzter Minute auf den
festgestellt, dass die Förderungsvoraussetzungen bei ei- Tisch zu legen. Wir wussten doch schon lange, dass der
nem Viertel der 1-Euro-Jobs überhaupt nicht vorliegen Aussteuerungsbetrag nicht in der im Entwurf veran-
und bei weiteren 50 Prozent die Förderfähigkeit zweifel- schlagten Höhe fließen würde. Aber nicht einmal in dem
haft ist. Sie haben zwar viele Expertenrunden tagen las- Berichterstattergespräch sind Sie von Ihrem unseriösen
sen, Konsequenzen daraus sind aber nicht bekannt. Be- Zahlenwerk abgewichen. Erst drei Tage vor der ab-
kannt ist hingegen, dass es erheblichen Streit in der schließenden Sitzung im Haushaltsausschuss haben Sie
Koalition gibt: Die CDU spricht sich gegen Mindest- die Zahlen korrigiert: von den illusorischen 5,1 Milliar-
löhne und für Kombilöhne aus, die SPD macht es um- den Euro auf 4 Milliarden Euro. Das ist wahrscheinlich
gekehrt. Derzeit versucht wieder eine Arbeitsgruppe, immer noch zu hoch; denn wir wissen jetzt, dass dieser
6624 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Claudia Winterstein


(A) Betrag 2006 bei 3,3 Milliarden Euro liegt. Haushalts- zur FDP im Allgemeinen: Sie erinnern mich an meine (C)
wahrheit und Haushaltsklarheit kommen bei Ihnen erst Tante Käthe.
an sehr später Stelle.
(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der SPD:
(Beifall bei der FDP) Nicht die Tante beleidigen!)
Dieser Etat enthält unrealistische Ansätze und ist des- Tante Käthe kam zum ersten Geburtstag meines Sohnes.
halb ein Risiko für die Finanzen des Bundes 2007 insge- Alle dort waren guter Stimmung; es ging auch allen ganz
samt. Das könnte anders aussehen. In dem liberalen ordentlich. Was macht Tante Käthe? Tante Käthe erzählt,
Sparbuch, das die FDP auch in diesem Jahr wieder vor- dass ihre Tochter im Alter von fünf Jahren bei einer Ge-
gelegt hat, haben wir für den Etat des Arbeitsministers burtstagsfeier beinahe ertrunken wäre.
ein Sparvolumen von insgesamt knapp 3,6 Milliarden
Euro ausgewiesen. Unsere Kürzungsvorschläge betref- (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Wir sind hier
fen beispielsweise die Ressortforschung, die Initiative nicht auf einer Geburtstagsfeier!)
„Neue Qualität der Arbeit“, die Verwaltungskosten für
Ein anderes Beispiel: Tante Käthe ist auf einer Familien-
die Umsetzung von Hartz IV und den Eingliederungs-
feier. Die Sonne scheint, allen ist warm und alle sind zu-
titel.
frieden. Was macht Tante Käthe? Tante Käthe erzählt,
Einen Kürzungsvorschlag will ich hier gesondert er- wie schrecklich Gewitter sind.
wähnen. Herr Müntefering, Sie planen 30 neue Stellen,
um die Optionskommunen und die Arbeitsgemeinschaf- (Heiterkeit – Beifall bei der SPD und der
ten stärker kontrollieren zu können. Wir lehnen das ab. CDU/CSU – Dr. Claudia Winterstein [FDP]:
Wir sind der Meinung, dass Neueinstellungen hier nicht Hier geht es um harte Fakten und nicht um
zu vertreten sind, wenn gleichzeitig etwa bei der Tele- Glückwünsche!)
kom Menschen teuer in die Frühpension geschickt wer- Tante Käthe war der Schrecken der Familie, ein Stim-
den. mungskiller und ein Nährer von Angst, obwohl wir alle
Meine Damen und Herren von der Koalition, schon dies nicht wollten. Im Übrigen hat sie überhaupt nichts
bei den Beratungen für den Haushalt 2006 haben Sie un- verändert, auch nichts zum Besseren.
sere Sparvorschläge in Bausch und Bogen abgelehnt. Frau Kollegin Winterstein, ich will Sie nicht mit
(Dirk Niebel [FDP]: Unglaublich!) Tante Käthe gleichsetzen; gleichwohl ist aufgrund Ihres
Verhaltens die Erinnerung an Tante Käthe ausgespro-
Aber wie sieht jetzt die Realität aus? Der Haushaltsvoll- chen präsent.
(B) zug hat uns und unsere Anträge bestätigt. Etliche Etats (D)
werden nach dem aktuellen Stand unseren Kürzungsvor- (Heiterkeit – Beifall bei der SPD sowie bei
schlägen entsprechen oder sogar noch darunter liegen. Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Claudia
Herr Müntefering, in der ersten Lesung zu diesem Etat Winterstein [FDP]: Es geht hier um harte Fak-
haben Sie gesagt: ten!)
Wir wollen den Haushalt konsolidieren. Dazu muss Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, wie man sich
auch dieser Einzelplan seinen Teil beitragen. auf Situationen einstellen kann. Ich könnte hier jetzt sa-
gen: Sie haben völlig Recht, es geht abwärts.
Dieses Versprechen haben Sie nicht erfüllt.
(Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Es geht wirklich abwärts. Es geht abwärts mit der Zahl
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der Arbeitslosen.
Das Wort hat nun die Kollegin Waltraud Lehn für die
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
SPD-Fraktion.
Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Was ist mit der
(Beifall bei der SPD) Zahl der ALG-II-Empfänger? Geht diese Zahl
auch abwärts?)
Waltraud Lehn (SPD): Es geht abwärts mit den Beiträgen zur Sozialversiche-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rung. Es geht abwärts mit der Neuverschuldung.
Die Politik bestimmt sehr weitgehend den Alltag der Erinnern wir uns einmal: Als ich vor wenigen Monaten
Menschen in unserem Land. Der Einzelplan, über den hier stand, konnte ich noch nicht verkünden, dass
wir heute reden, tut das in ganz besonderer Weise, weil 500 000 Menschen mehr in Beschäftigung und weniger
er sich mit der Rente beschäftigt, weil er sich mit der Si- arbeitslos sind. Die Arbeitslosenquote liegt erstmals seit
tuation auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt, weil er sich fünf Jahren wieder unter 10 Prozent.
mit der Kriegsopferfürsorge und dem ganzen sozialen
Feld, das die Lebenswirklichkeit von Menschen aus- Noch erfreulicher ist, dass dieser Rückgang vor allem
macht, auseinander setzt und hier Rahmenbedingungen durch ein starkes Wachstum sozialversicherungs-
setzt. pflichtiger Beschäftigung zustande kommt.
Frau Kollegin Winterstein, manchmal ist die Politik (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Im Niedrig-
sehr alltäglich. Ich sage zu Ihnen persönlich, aber auch lohnsektor!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6625
Waltraud Lehn
(A) Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass dieser Auf- reicht das Ziel nicht. Besser ist es, sich die Kraft auf die (C)
schwung bei den Langzeitarbeitslosen angekommen gesamte Strecke einzuteilen. Dann kommt man dem Ziel
ist. Es sind bald schon 100 000 ehemalige Langzeitar- langsam immer näher.
beitslose, die endlich wieder eine Perspektive bekom-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
men haben.
Nun möchte ich etwas zur Rente sagen. Das Verhält-
Wir können nach einem Jahr großer Koalition mit
nis von Beitragszahlern und Beitragsempfängern, also
Recht sagen: Wir haben den Arbeitsmarkt durch mu-
das Verhältnis von Beschäftigten auf der einen Seite und
tige Schritte vorangebracht.
Rentnerinnen und Rentnern auf der anderen Seite, wird
(Zuruf von der LINKEN: Glauben Sie das uns in Zukunft vor große Herausforderungen stellen.
wirklich?) Wer will das schon bezweifeln? Daran ändert auch das
derzeitige Beschäftigungswachstum nichts Wesentli-
Die Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt hat ge-
ches.
ringere Ausgaben und höhere Einnahmen zur Folge. Das
macht sich natürlich insbesondere bei der Bundesagen- (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Aber das Pro-
tur für Arbeit bemerkbar. Sie wird in diesem Jahr einen duktivitätswachstum!)
Überschuss von mehr als 10 Milliarden Euro erwirt-
Die große Koalition wird angesichts der bergigen
schaften. Deswegen können wir es uns leisten, den Bei-
Landschaft, in der wir uns bewegen, darauf Acht geben,
trag zur Arbeitslosenversicherung stärker als geplant zu
dass wir immer genug Schwung haben, um all die Berge,
senken. Wir geben den Arbeitnehmern und Arbeitneh-
merinnen in diesem Land etwas von ihrem schwer ver- die auf unserem Weg liegen, überwinden zu können.
Deswegen haben wir auch im Hinblick auf die Rente
dienten Geld zurück. Ich finde, das gehört sich so.
wichtige Änderungen vorgenommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU – Widerspruch bei der FDP – Natürlich hätten wir einen Anstieg des Beitrags zur
Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Und die Rentner Rentenversicherung auf nur 19,7 Prozent beschließen
kriegen nichts!) können. Für uns ist aber langfristiges Handeln im Sinne
von Verlässlichkeit und Stabilität über dieses Jahr-
– Da Sie sich noch immer nicht beruhigen können, sage zehnt hinaus wichtig.
ich Ihnen: Wenn Sie darauf hinweisen, dass es abwärts
geht, haben Sie Recht. Es geht abwärts, beispielsweise Durch die beschlossene Erhöhung des Beitrags zur
mit der Neuverschuldung. Rentenversicherung auf 19,9 Prozent gewährleisten wir
diese Stabilität. Dadurch sichern wir die Liquidität der
(Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ Rentenversicherung. Wir sorgen dafür, dass die gesetzli- (D)
(B)
CSU] – Ina Lenke [FDP]: Und was ist mit der che Schwankungsreserve stabil bleibt, und verhindern,
Mehrwertsteuererhöhung? Sagen Sie dazu dass laufende Rentenzahlungen etwa durch Darlehen des
doch auch einmal etwas!) Bundes gestützt werden müssen. Das schafft für die
20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in diesem Land
Noch vor wenigen Monaten sind wir davon ausgegan-
Verlässlichkeit.
gen, dass wir in diesem Jahr eine Neuverschuldung in
Höhe von 36 Milliarden Euro benötigen werden, um die Nun möchte ich noch etwas zum schwierigen Thema
Ausgaben schultern zu können. Nun wissen wir, dass wir Rente mit 67 sagen. Kein Mensch hat Spaß daran, wenn
in diesem Jahr „nur“ 30 Milliarden Euro brauchen. die Lebensarbeitszeit erhöht wird. Kein Mensch findet
es toll, dass die Menschen zukünftig länger arbeiten
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das ist immer
müssen. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die
noch zu viel!)
Zahl derjenigen, die dem Arbeitsmarkt in Zukunft zur
Im nächsten Jahr werden es dann weniger als 20 Mil- Verfügung stehen, immer geringer wird. Die Zahl der
liarden Euro sein. Menschen, die in das Erwerbsleben eintreten, geht im-
mer weiter zurück, während sich die Zahl derjenigen, die
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Auch das ist
aus dem Erwerbsleben ausscheiden und die Gott sei
immer noch zu viel!)
Dank eine immer höhere Lebenserwartung haben – sie
– Natürlich ist das immer noch zu viel. Auch ich würde steigt stetig –, erhöht.
mir wünschen, dass keine Neuverschuldung notwendig
Auch das Leben im Alter muss finanziert werden. Un-
wäre oder wir sogar ein Plus zu verzeichnen hätten, das
ser System ist nicht darauf angelegt, dass man 30 oder
wir zum Abbau der Schulden verwenden könnten. Aber
40 Jahre lang arbeitet und anschließend 30 Jahre lang
ich sage Ihnen: Machen wir doch bitte einen Schritt nach
Rente bezieht. Das kann nicht funktionieren. Wer soll
dem anderen. Man muss den Erfolg, den man nachweis-
das denn bezahlen? Von daher glaube ich, dass es gut
lich hat,
und richtig ist, diese Last gerecht zu verteilen. Deswegen
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: „Erfolg“ nen- müssen wir eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit
nen Sie das? Eine so hohe Neuverschuldung ins Auge fassen.
ist ein Skandal!)
Nun bin ich außerordentlich froh, dass nach dem Ent-
zunächst einmal benennen und sich dann überlegen, wie wurf, der zur Beratung vorliegt, derjenige, der 45 Jahre
man diesen Erfolg ausbauen kann. Wer so schnell läuft, gearbeitet hat, weiter mit 65 Jahren ohne Abschlag in
wie er kann, der wird verdammt schnell müde und er- Rente gehen kann.
6626 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Waltraud Lehn
(A) (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unterschiedlich. Aber ich finde, es kann nicht sein, dass (C)
NEN]: Für die Frauen ist das keine Antwort! die Bereitschaft vor Ort darüber entscheidet, ob jemand
Was ist denn mit den Frauen?) eine Chance bekommt.
– Ich finde, dass auch Frauen ausreichend und gut be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
rücksichtigt sind, weil Kindererziehungszeiten ange- Ich glaube, wir sind als Gesetzgeber aufgerufen, dafür zu
rechnet werden. Frauen sind in ihrer Erwerbsbiografie ja sorgen, dass die Mittel wirtschaftlich und effizient tat-
nicht per se in einer schlechteren Situation, sondern sächlich eingesetzt werden.
dann, wenn sie Kinder bekommen und erzogen haben.
Vielen Dank.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Trotz der Kindererziehungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zeiten kommen die Frauen nicht auf so viele der CDU/CSU)
Beitragsjahre!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das wird im Entwurf berücksichtigt und ich finde es
auch gut, dass das so ist. Nächste Rednerin ist die Kollegin Kornelia Möller für
die Fraktion Die Linke.
Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bleibt aller-
dings theoretisch, wenn die Menschen nicht tatsächlich (Beifall bei der LINKEN)
länger beschäftigt sind. Im Augenblick stehen weniger
als 45 Prozent der Menschen im Alter von 55 plus über- Kornelia Möller (DIE LINKE):
haupt noch im Erwerbsleben. Unser Ziel ist es, dass in Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kom-
absehbarer Zeit, nämlich bis 2010, zumindest 50 Prozent men wir jetzt nach Tante Käthes Märchenstunde wieder
der Menschen im Alter von 55 plus einen Job haben. zu unserem Thema.
Eine ganz wichtige Etappe auf diesem Weg ist die Initia- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie heißt
tive „50 plus“, mit der wir ein ganzes Bündel von Maß- Waltraud, nicht Käthe! – Klaus Brandner
nahmen auf den Weg bringen, um die Beschäftigung Äl- [SPD]: Zum Sandmann kommen wir jetzt!)
terer zu fördern. Mit speziellen Lohnzuschüssen wollen
wir zum Beispiel erreichen, dass ältere Empfänger von – Nein, Herr Brandner, das überlasse ich gerne Ihnen;
Arbeitslosengeld I auch eine Beschäftigung annehmen das können Sie besser als ich.
können, die geringer vergütet wird als ihre letzte. Circa 2,9 Millionen Menschen sind langzeitarbeitslos
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in diesem Land. Statt ihnen eine Perspektive zu geben,
(B) NEN]: Das ist schon gültiges Recht!) lobte Frau Merkel in ihrer gestrigen Rede ausdrücklich (D)
die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung.
Das heißt nicht, dass sie für einen Appel und ein Ei ar-
beiten sollen oder dass wir hier einen Ausbeutungsbe- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)
reich für Arbeitgeber schaffen wollten. Deswegen darf Mein Fraktionskollege Gregor Gysi erklärte ihr und Ih-
man in diesem Zusammenhang die Diskussion über nen gestern, dass die Sozialversicherungsbeiträge in
Mindestlöhne auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Deutschland schon jetzt um 5 Prozent unter dem EU-
Ein Alter über 50 ist derzeit ein deutliches Vermittlungs- Durchschnitt liegen.
hemmnis. Dass dies so ist, das müssen wir erkennen.
(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Er wollte uns
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ein hausge- erklären, dass die Erde eine Scheibe ist!)
machtes Hemmnis!)
– Nein, auch das können Sie besser, Herr Kollege: Sie
Dass dies so bleibt, werden wir jedoch nicht tatenlos hin- erzählen uns ständig, die Erde sei eine Scheibe.
nehmen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)
Auch die Entwicklung bei den unter 25-Jährigen ist
oft ein Problem gewesen. Wir investieren weiter in die- Frau Merkel, ich sage Ihnen: Bei der derzeitigen Situa-
sen Bereich, wir investieren erfolgreich in diesen Be- tion ist es geradezu verantwortungslos, die Beiträge zur
reich, und die Zahl der Betroffenen geht deutlich zurück. Arbeitslosenversicherung weiter zu senken;
Wir stellen über 100 Millionen Euro für die Einstiegs- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie gönnen
qualifizierung von Jugendlichen zur Verfügung. Wir den Leuten das Geld nicht!)
investieren 200 Millionen Euro in den Beschäftigungs-
pakt für arbeitslose Ältere. Wir stellen den Arbeitsge- denn das geht gerade zulasten langzeitarbeitsloser Men-
meinschaften und Optionskommunen insgesamt 10 Mil- schen. Da Sie die Langzeitarbeitslosigkeit augen-
liarden Euro zur Verfügung. scheinlich ausgeblendet haben, wundert es nicht, dass in
Ihrem Haushaltsentwurf ein Konzept zur Bekämpfung
Ich sage eins zum Schluss: Nun ist es an den Städten der Massenarbeitslosigkeit und vor allem der Langzeit-
und Gemeinden, an den Argen genauso wie an den Op- arbeitslosigkeit fehlt. Meine Damen und Herren von der
tionskommunen, dieses Geld sinnvoll einzusetzen. Ich Koalition, Sie kommentieren lediglich die Entwicklung,
finde, es ist ein Hohn für die heute Arbeitslosen, zu wis- dass trotz Ihrer schlechten Arbeitsmarktpolitik in diesem
sen, dass auch in diesem Jahr relativ hohe Summen nicht Jahr allein aus konjunkturellen Gründen und auch nur
verausgabt werden. Das ist im Land insgesamt sicherlich zeitweilig mehr Arbeitsplätze entstanden sind.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6627
Kornelia Möller
(A) In den ostdeutschen Ländern beträgt die Arbeitslo- gegeben haben, für die Sie eigentlich in den Bundestag (C)
sigkeit durchschnittlich 15,7 Prozent. In den westdeut- gewählt wurden –,
schen Ländern beträgt die Arbeitslosigkeit durchschnitt-
lich 8,2 Prozent. Trotzdem ist die Koalition nicht in der (Beifall bei der LINKEN – Elke Ferner [SPD]:
Lage, auf die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ge- Sie haben keine Ahnung und davon eine ganze
sondert einzugehen. Statt guter Konzepte finde ich in Ih- Menge!)
rem Gesetzentwurf, dass Sie die Eingliederungsleistun- muss einen Teil der Überschüsse der BA für folgende
gen mit einem einseitigen Deckungsvermerk versehen Programme einsetzen:
haben. Das bedeutet, dass die Finanzierung der Erwerbs-
losigkeit auch im nächsten Jahr Vorrang vor einer akti- Erstens. Wir schließen uns der Forderung des DGB an
ven Arbeitsmarktpolitik und vor der Finanzierung von und fordern ein Sofortprogramm, mit dem 650 Millio-
Arbeit erhalten soll. So sieht schwarz-rote Politik aus. nen Euro als Anschubfinanzierung bereitgestellt werden,
Sie sind ignorant und beratungsresistent. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Warum nicht
(Beifall bei der LINKEN) gleich Milliarden?)

Reicht es Ihnen nicht, dass die Argen, die eine aktive Ar- um für circa 50 000 Jugendliche Ausbildungsplätze zu
beitsmarktpolitik umsetzen wollten, durch die Haus- schaffen.
haltssperre in diesem Jahr bis in die Handlungsunfähig- (Beifall bei der LINKEN)
keit getrieben wurden? Brauchen Sie wirklich eine
Neuauflage im nächsten Jahr? Zugegeben: Angesichts der aktuellen Situation – unge-
fähr 140 000 Ausbildungsplätze fehlen – ist das ein Not-
Kommen wir jetzt zur christlich-sozialen Rosstäu- programm. Meine Damen und Herren der Koalition, es
scherei der Herren Rüttgers, Stoiber, Söder und Co. Wir, ist aber ein Notprogramm, das nötig ist, weil Sie nach
die Linke, haben Ihnen in unserem Rahmenantrag zur wie vor auf einen erfolglosen Ausbildungspakt setzen.
Überwindung von Hartz IV bereits Anfang dieses Jahres Auch hier zeigt sich Schwarz-Rot beratungsresistent.
ein Konzept vorgelegt, mit dem vorgesehen ist, die
Bezugsdauer des ALG I zu verlängern, ohne andere ar- Wir sagen Ja zur Umlagefinanzierung – ohne Wenn
beitslose Menschen dafür die Zeche zahlen zu lassen, und Aber. Trotzdem darf man junge Menschen nicht im
wie das die christlich-sozialen Linksblinker vorschlagen. Regen stehen lassen. 50 000 Ausbildungsplätze bedeu-
Nach Schätzung des BMAS kostet unser Vorschlag ten eine Perspektive für 50 000 junge Menschen. Wir le-
2,5 Milliarden Euro. Er soll durch eine entsprechende gen einen entsprechenden Antrag vor.
Verringerung des Aussteuerungsbeitrages gegenfinan- Zweitens fordern wir, einen Teil der BA-Überschüsse (D)
(B) ziert werden. Einen gesonderten Antrag werden wir Ih-
für eine Anschubfinanzierung zu verwenden, um unse-
nen vorlegen. ren Antrag auf eine Ausweitung und eine neue Qualität
öffentlich finanzierter Beschäftigung umzusetzen.
Nun zur SPD. Die CDU/CSU schickt sich an, Sie
links zu überholen, und Kurt Beck sagt: Basta, mit uns (Beifall bei der LINKEN)
gibt es keine Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I!
Er begründet das damit – welche Überraschung –, dass 500 000 Menschen bekämen so wieder sozialversiche-
angeblich kein Geld da ist. Wenn Geld dafür ausgegeben rungspflichtige Arbeit – und zwar mindestens zu einem
wird, die Arbeitsplatzvernichtung von Großunterneh- Mindestlohn von 8 Euro – und damit eine Zukunft, eine
men, zum Beispiel von Siemens, zu subventionieren, Zukunft, die sie mit Hartz IV und den 1-Euro-Jobs nicht
dann fehlt das Geld natürlich an anderer Stelle, wie hier, haben. Unser Land braucht öffentlich geförderte Be-
bei arbeitslosen Menschen und beim Kampf gegen die schäftigung. Darin sind sich auch die großen Sozialver-
Armut. bände und der DGB einig, wie aus deren gemeinsamen
Erklärung vom 16. November 2006 hervorgeht.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Ignoranz der Bundesregierung kann man nur so
Die BA freut sich über mehr als 10 Milliarden Euro werten, dass Schwarz-Rot offenbar einen festen Sockel
Überschüsse. Die SPD will das Geld aber nicht dafür an langzeitarbeitslosen Menschen will, um auch künftig
einsetzen, die Situation langzeitarbeitsloser Menschen die Löhne und Gehälter zu drücken.
zu verbessern. Das ist weder sozial noch gerecht. Meine
(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Das ist unver-
Damen und Herren Sozialdemokraten, seien Sie also
schämt!)
konsequent und streichen Sie endlich das „S“ aus Ihrem
Parteikürzel. Den Beginn haben Sie schon gemacht. Sie haben ein
Heer von 1-Euro-Jobbern geschaffen, mit denen Sie
(Beifall bei der LINKEN) auch noch die Statistik verfälschen.
Wer es wie wir ernst mit den Menschen meint Die Zeit reicht leider nicht, um noch auf die Praxis
(Lachen bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Das einzugehen. Deshalb komme ich zum Schluss und gebe
ist etwas ganz Neues!) Herrn Straubinger das zu hören, worauf er immer wartet
– gell, Herr Straubinger, darin sind wir beide uns mittler-
– ganz genau, Sie können es nicht leiden, dass wir das weile einig –: Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz.
immer wieder sagen, weil Sie die Menschen längst auf- Hartz IV muss weg.
6628 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Kornelia Möller
(A) (Beifall bei der LINKEN – Caren Marks scheiden, wie er mit seinen Konsumwünschen und sei- (C)
[SPD]: Das ist ja ein ganz neuer Spruch von nem Konsumverhalten disponiert.
Ihnen!)
Für uns als Union ist klar, dass Überschüsse im Be-
reich der Bundesanstalt zu Beitragsreduzierungen führen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: müssen. Das ist ein wichtiger Hinweis. Das haben wir
Das Wort hat nun der Kollege Hans-Joachim Fuchtel eingehalten und das wollen wir fortführen.
für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU) neten der SPD)
Wichtig ist auch, die Beteiligung von jungen und älte-
Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU):
ren Menschen am Erwerbsleben näher zu beleuchten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Die Erwerbsquote der über 55-Jährigen lag im Jahr
Kollegen! Auch wenn es die Opposition nicht wahrha- 2000 bei 37 Prozent. Im zweiten Halbjahr 2006 liegt sie
ben möchte: In Deutschland geht es bergauf. bei 48,3 Prozent. Das Ziel muss sein, sie im nächsten
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Jahr auf 50 Prozent zu bringen; das wäre hervorragend.
neten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Vor allem Das zeigt – genauso wie unsere Haushaltsansätze –, dass
mit der Mehrwertsteuer!) wir uns um die Gruppen bemühen, die in besonderem
Maße der Unterstützung bedürfen. Wir lassen sie nicht
Das ist nicht allein das Verdienst der Regierung, sondern im Stich; dazu stehen wir. Dafür haben wir entspre-
auch der deutschen Wirtschaft, die sich mehr und mehr chende Programme aufgelegt und stellen wir Steuergel-
als fähig erweist, sich auf die Herausforderungen der der in ausreichendem Maße zur Verfügung, sodass der
Globalisierung einzustellen, und der Tarifpartner, die Minister die notwendigen Umsetzungen vornehmen
den Ernst der Stunde erkannt haben. Dafür möchte ich kann.
mich bei dieser Gelegenheit bedanken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ein Verdienst der Bundesregierung ist es allerdings,
dass wieder mehr Vertrauen in die Politik entstanden ist. Wir wollen weiterhin den Zugang zum ersten Arbeits-
markt erleichtern. Deswegen muss der Kombilohn kom-
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der men, damit der Übergang in diesen Arbeitsmarkt gelingt.
LINKEN: Woran lesen Sie das ab?) Er darf aber nicht mehr kosten, als wir momentan für die
– Woran ich das ablese? Wenn 500 000 Menschen weni- Arbeitslosigkeit ausgeben. Das ist eine wichtige Bedin-
ger arbeitslos sind, dann ist das ein erfreuliches Zeichen. gung. Angesichts der Art und Weise, wie wir das ange-
(B) Das entspricht der Zahl der Menschen, die in Stuttgart hen, bin ich optimistisch, dass wir es schaffen werden. (D)
oder Dresden leben. Das ist doch weitaus mehr, als man Wir wollen vielen Menschen den Sprung in den ersten
dieser Regierung im ersten Jahr zugetraut hätte. Arbeitsmarkt ermöglichen und ihn so weiter beleben;
darauf setzen wir. Das ist besser, als am zweiten Arbeits-
(Widerspruch der Abg. Elke Reinke [DIE markt herumzudoktern.
LINKE])
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist ein positives Zeichen, das gerade Sie anerkennen
sollten. Ein Wort zur Bundesagentur für Arbeit. Ich möchte
ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Spitze der Bun-
(Beifall bei der CDU/CSU) desagentur für Arbeit hervorragende Arbeit geleistet hat,
Dass fast 100 000 Menschen wieder den Weg vom und mich bei Herrn Weise bedanken, der den Mut hatte,
zweiten in den ersten Arbeitsmarkt gefunden haben, ist auch unbequeme Entscheidungen zu treffen.
ein deutliches Zeichen dafür, dass sich etwas zum Guten (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl
bewegt. Wir wollen schließlich den ersten Arbeits- wahr!)
markt stärken. Das gelingt zunehmend. Auch das ist ein
positives Zeichen, das Sie anerkennen sollten, statt alles Wir werden die Bundesagentur für Arbeit unterstützen,
mies zu machen. Sie helfen niemand, wenn Sie immer wenn es darum geht, die Organisationsreform voranzu-
alles negativ darstellen. treiben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
neten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])
CSU]: Die Kollegin hört nicht mal zu! – Ge-
Wir sollten aber darauf achten, dass die künftige Ausge-
genruf der Abg. Waltraud Lehn [SPD]: Auch
staltung dieses Verwaltungskörpers nicht zu einer Kon-
das muss man können!)
zentration in den großen Städten führt. Der ländliche
Wir entlasten die Arbeitnehmer und Arbeitgeber stär- Raum ist genauso geeignet wie die großen Städte. Das
ker, als versprochen wurde. Mit 17 Milliarden Euro ist sage ich ganz deutlich in Richtung Nürnberg. Daran
die Entlastung höher als das Volumen des Landeshaus- sollte sich die Organisationsreform orientieren.
halts von Sachsen. Dass den Arbeitnehmern und Arbeit-
Wir wollen das Dickicht der Förderinstrumente lich-
gebern wieder mehr zur Verfügung steht, wird sich eben-
ten. Weniger wird mehr sein.
falls auf den Konsum und die Konjunktur auswirken.
Dabei hat der Einzelne die Möglichkeit, selber zu ent- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6629
Hans-Joachim Fuchtel
(A) Auch hier kann man entbürokratisieren. (Otto Fricke [FDP]: Deshalb gehört es auch (C)
zum Justizministerium!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir sind dafür, dass dort ein weiterer Senat eingerichtet
Das große Risiko für den Haushalt des Bundesarbeits- wird. Es kann nicht sein, dass der Bürger grundsätzlich
ministers stellt das ALG II dar. Hier handelt es sich um ein Jahr auf sein Recht warten muss. Es darf auch kürzer
einen Schätzansatz. Die Haushaltspolitiker wissen, dass sein. Der Bürger gibt genügend Geld für diesen Staat
Schätzansätze schwieriger zu erfassen sind als Investi- aus. Deshalb muss er wenigstens in absehbarer Zeit zu
tionsansätze. Wir werden daher nie eine punktgenaue seinem Recht kommen. Das wird in diesem Haushalt
Landung schaffen. Aber wir sind fest entschlossen, endlich geregelt.
durch einen harten Kurs darauf hinzuwirken, dass die in
den Haushalt eingestellten Mittel ausreichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es
Herr Minister, Sie haben uns erklärt, dass Sie mehr unter Haushältern eine Mehrheit dafür gibt, dass mehr
Stellen brauchen, um mehr Kontrolle auszuüben. Sie ha- Personal nach Berlin zieht. Der Bundesarbeitsminister
ben mir persönlich erklärt, dass Sie keine Stellen frei ha- hat derzeit 989 Stellen, davon zwei Drittel in Bonn und
ben, um diese Aufgabe wahrzunehmen. Wenn dem so ist ein Drittel in Berlin. Es wird an den Haushältern nicht
– es geht hier um 21,4 Milliarden Euro –, dann bekom- scheitern, wenn man sich hier auf einen neuen Weg be-
men Sie als Vizekanzler und Arbeitsminister der großen gibt. Vielleicht gibt es noch eine Föderalismusreform 1a,
Koalition aus den Reihen der Haushälter die Zusage von in deren Rahmen man so etwas beschließen könnte.
30 Stellen; das ist ganz klar. Aber Sie tragen dann auch
die Verantwortung, (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der
Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Klaus Brandner [SPD]: Die hat er schon! Die NEN] – Dr. Peter Struck [SPD]: Vorsicht!)
nimmt er auch wahr!) Ich möchte noch ein Letztes ansprechen. Ein neuer
mit diesen Stellen darauf hinzuwirken, dass die festge- Gedanke ist der Investivlohn. Ich möchte die Bundes-
stellten Auswüchse beseitigt werden, dass mit dem Geld kanzlerin ausdrücklich auffordern, diesen Gedanken
sparsam umgegangen wird und dass alles getan wird, die weiter zu entwickeln. Es ist an der Zeit, dass man die Ar-
Haushaltsansätze zu erreichen. Wir statten Sie mit den beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland stär-
Instrumenten aus, die notwendig sind, um diese große ker am Produktivkapital beteiligt. Wir sollten uns auf
Aufgabe zu bewältigen. Ich denke, wir sind auf dem den Weg machen und gemeinsam nach Lösungen su-
(B) Weg, dies in den Griff zu bekommen. chen. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
neten der SPD) Das wird ein wichtiger Beitrag sein, um die soziale
Zur Rente. Wir stehen voll zu einer maßvollen Ren- Marktwirtschaft weiterzuführen. Wenn dies gelingt,
tenerhöhung, wenn es gleichzeitig gelingt, eine Schwan- dann haben wir mehr erreicht, als in der Koalitionsver-
kungsreserve aufzubauen. einbarung zu diesem Thema steht. Auch die Gewerk-
schaften haben bereits erklärt, dass sie zu Gesprächen
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bereit sind. Bitte legen Sie Konzepte vor! Wir werden
NEN]: Rentenbeitragserhöhung! Das ist ein gerne in die Gespräche gehen.
kleiner Unterschied!)
In dem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerksam-
Wir müssen darauf hinwirken, dass die Erhöhung der keit.
Beiträge dazu führt, dass eine Schwankungsreserve ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
steht. Damit schaffen wir mehr Sicherheit in dem Sys- neten der SPD)
tem und bringen die Rente endlich aus der Diskussion.
Das muss unbedingt erfolgen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Anja Hajduk
neten der SPD) für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Wir stehen dazu, dass man dann, wenn man 45 Jahre im (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Anja,
Erwerbsleben gestanden hat, eine volle Rente erhalten keine Rechenfehler diesmal!)
soll. Das gebietet der Respekt vor einer langen Erwerbs-
biografie. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das hat nur etwas mit Kombinieren zu tun, Kollege
Binding. – Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen
Ich möchte noch etwas zu einem Thema sagen, zu und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem Etat
dem sonst nichts gesagt wird, zum Bundessozialgericht. des Arbeits- und Sozialministeriums von Minister
Wir haben darauf hingewirkt, dass das Bundessozialge- Müntefering beraten wir den größten Etat, der gut
richt endlich erneuert wird. Auch wenn es sparsam zuge- 124 Milliarden Euro umfasst. Er ist während der Haus-
hen muss, darf die Rechtspflege nicht zu kurz kommen. haltsberatungen etwas angewachsen, weil Risiken abge-
6630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Anja Hajduk
(A) deckt werden mussten, zum Beispiel die Kosten für die Sparbeitrag für den Haushalt erbringen, indem Sie die (C)
Unterkunft. Es gab ein ziemliches politisches Tauziehen Rentenversicherung mit 2 Milliarden Euro belasten, weil
zwischen Bund, Ländern und Kommunen wegen der Sie die Rentenversicherungsbeiträge für die Arbeits-
Frage, wer denn wie viel zu bezahlen habe. Ich will an losengeld-II-Bezieher von 78 auf 45 Euro senken. Man
dieser Stelle für Bündnis 90/Die Grünen sagen: Wir sind kann jetzt sagen: Das ist doch schon alt. – Ja, das stimmt.
bereit, diesen Kompromiss mitzutragen, weil auch wir Wir kennen diese Absicht aus der Koalitionsvereinba-
die finanziellen Nöte der Kommunen kennen. Ich sage rung. Im nächsten Haushalt wird sie als Sparposten
Ihnen aber auch: Da ist wieder ein typisch kompliziertes wirksam, aber das ist ein Verschiebebahnhof zulasten
Machwerk entstanden. Das politische Tauziehen prägt der Rentenversicherung. Es ist offenkundig: Dass der
das Ergebnis; es ist keine rationale und transparente Lö- Rentenbeitragssatz im nächsten Jahr auf 19,9 Prozent
sung. Ich glaube, das ist keine Dauerlösung. Spätestens steigen muss, hat ursächlich mit genau dieser Entschei-
wenn wir die Hartz-IV-Gesetzgebung evaluiert haben, dung zu tun. Auch da haben wir eine grundsätzliche Dif-
wird man das noch einmal untersuchen müssen. ferenz zu Ihrem Politikansatz in diesem Haushalt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und bei der FDP)
Ich komme jetzt auf das heiß diskutierte Thema
Das ist aber keine Kritik an der Höhe des Ansatzes. Ich Arbeitslosengeld und dessen Bezugsdauer. Ich muss
wollte das nur zur Sache bemerkt haben. ganz deutlich sagen: Die Politik, die Herr Rüttgers hier
betreibt, ist unfair und ungerecht, weil sie Menschen, die
Eine Differenz zwischen uns betrifft die Aufwendungen
eine lange Beschäftigung hatten, gegen Jüngere aus-
für das Arbeitslosengeld II. Sie haben dafür 21,4 Mil-
spielt, die mit gebrochenen Erwerbsbiografien kämpfen
liarden Euro vorgesehen. Die Kollegin Winterstein hat
müssen und in ihrem jüngeren Lebensalter gegebenen-
schon sehr plausibel gemacht, dass das weniger als in
falls auch viel Sicherheit brauchen, weil sie beispiels-
diesem Jahr ist. Das könnte man noch akzeptieren. Aber
weise kleine Kinder haben. Diese Staffelung – wer lange
dass es so viel weniger ist, ist unplausibel. Ich habe Sie,
eingezahlt hat, soll auch länger Anspruch auf Arbeitslo-
Herr Müntefering, und die großen Fraktionen so verstan-
sengeld I haben – spielt Gruppen gegeneinander aus.
den, dass Sie davon ausgehen, dass für das Arbeits-
Das ist kein gerechter Vorschlag. Ich finde ihn nicht so-
losengeld II 21,4 Milliarden Euro nicht ausreichen und
zial ausgewogen.
Sie deshalb 1 Milliarde Euro von den Geldern für die
Eingliederungsleistungen dafür zur Verfügung stellen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wollen. sowie bei Abgeordneten der SPD)
(B) Da haben wir eine grundsätzliche Differenz. Denn wir Viel schlimmer daran ist aber, mit welcher Bewusst- (D)
glauben, wenn man letztendlich die Kosten für das heit Herr Rüttgers perfide argumentiert. Ich erinnere, er
Arbeitslosengeld II senken will, dann muss die Vermitt- hat auch schon einmal „Kinder statt Inder“ gesagt, das
lungstätigkeit der Bundesagentur ausgebaut und gestärkt war genauso perfide. Perfide ist, dass er mit den Ängsten
werden. Es ist kein Erfolg, wenn bei den Eingliederungs- von Leuten vor dem sozialen Abstieg spielt und das dann
leistungen weniger ausgegeben wird. Das zu glauben, ist mit einer Gerechtigkeitsphilosophie ummäntelt. Damit
ein grundsätzlicher Irrtum. richtet er etwas an, von dem ich sage: Er fordert etwas,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) was nicht der Sozialstaat der Zukunft sein wird. Viel-
mehr ist das das Sozialstaatsverständnis der Vergangen-
Ich finde, es ist auch eine Täuschung, nur diesen De- heit.
ckungsvermerk stehen zu lassen. Sie hätten stattdessen
ehrlich sagen sollen, auf 5,5 Milliarden Euro abzusenken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bei der Hilfe zur Eingliederung und 1 Milliarde Euro sowie bei Abgeordneten der SPD und der
– wahrscheinlich braucht man sogar 1,5 Milliarden Euro – FDP)
beim Arbeitslosengeld II draufzulegen. Dies findet aller- Dazu sage ich Ihnen eines, Frau Merkel – vielleicht
dings ausdrücklich nicht unsere Unterstützung. Das überraschen Sie uns auch; ich lasse mich gern von Ihnen
möchte ich ganz deutlich sagen. positiv überraschen –: Sie können an dieser Stelle nicht
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber der De- augenzwinkernd hinnehmen, dass am nächsten Wochen-
ckungsverbund ist doch richtig, Frau Kollegin! ende auf Ihrem Parteitag dieser Antrag beschlossen
Was haben Sie denn gegen den Deckungsver- wird. Die deutsche Bevölkerung kann erwarten, dass
bund?) eine Kanzlerin Führung zeigt und nicht sagt: In meiner
Partei, in der ich Vorsitzende bin, wird etwas beschlos-
Unsere Botschaft heißt: Fördern muss endlich in der sen, was ich dann als Kanzlerin nicht umsetzen werde.
gebotenen Intensität und Qualität kommen. Wir sind be- – Sie müssten dann auch den Mumm haben, zu sagen:
reit, von den Menschen etwas zu fordern; daher muss die Das, was Rot-Grün unter der Führung von Gerhard Schrö-
Politik für das Fördern mehr tun. Da setzen Sie leider ei- der entschieden hat, den Bezug von Arbeitslosengeld auf
nen Kontrapunkt. zwölf bzw. 18 Monate zu begrenzen – 18 Monate sind ja
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) immerhin schon eine Entlastung für die 55-Jährigen und
Älteren –, finde ich grundfalsch. – Wenn Sie das nicht
Ich möchte auch eine zweite Differenz benennen. Wir akzeptieren, dann stellen Sie sich hier hin und sagen das.
sind nicht damit einverstanden, dass Sie einen großen Wenn Sie aber im Grunde damit einverstanden sind,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6631
Anja Hajduk
(A) dann müssen Sie auf dem Parteitag Führung zeigen und was die Politik sich für das nächste Jahr vornimmt. Vor (C)
in der CDU dafür werben, dass diese Rüttgers-Perfidie allen Dingen darüber will ich sprechen. Was nehmen wir
nicht weiter gespielt wird. Denn sie weist nicht in den uns für das Jahr 2007 vor? Werden die angestrebten
Sozialstaat der Zukunft, sondern gaukelt den Leuten ver- Ziele durch den von uns vorgelegten Haushalt unter-
meintliche Sicherheiten vor. stützt?
Wir brauchen Aktivierung auch im Alter; wir brau- Wir wollen weiter dafür kämpfen, dass die Arbeits-
chen keine Frühverrentungsmodelle, wie wir sie früher losigkeit in Deutschland sinkt, dass die Menschen Ar-
zugelassen haben. beit haben, dass mehr Menschen in Arbeit sind. Das ist
das Ziel Nummer eins im Bereich der Arbeits- und So-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zialpolitik.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
– Ich freue mich auch über den Beifall aus den Reihen Wir sind da in diesem Jahr ein ganzes Stück vorange-
der SPD. kommen und wir wollen diesen Weg weitergehen. Auch
(Waltraud Lehn [SPD]: Wo du Recht hast, hast wenn es bereits viele Male gesagt worden ist: Das
du Recht!) 25-Milliarden-Euro-Programm, das diese Bundesregie-
rung aufgelegt hat, hilft und es wird im nächsten Jahr
Ich will ganz deutlich sagen: Diese Rüttgers-Politik, fortgeführt. Es ist kein Zufall, dass das Handwerk, die
dieses Werben um ältere Wähler, seine Art von Gerech- kleinen und mittleren Unternehmen gut ausgelastet sind.
tigkeitsphilosophie, die zulasten der Jüngeren geht, passt
nicht zu Ihrer Argumentation für die Rente mit 67; sie Die Zunahme an Beschäftigung im Verlauf des letzten
steht im krassen Widerspruch dazu. Diesen Widerspruch Jahres erklärt sich in etwa so: Bei den ganz großen Fir-
müssen Sie auflösen. Durch das Rüttgers-Gerechtig- men sind – leider – etwa 100 000 Arbeitsplätze verloren
keitsmodell werden Anreize zur Schaffung von Vorruhe- gegangen; das war mit manchen Komplikationen ver-
standsregelungen geschaffen. Von solchen Regelungen bunden. Bei den kleinen Unternehmen sind 550 000 bis
müssen wir aber wegkommen, wenn wir Vertrauen dafür 580 000 neue Arbeitsplätze entstanden. So wird es auch
schaffen wollen, dass auch Ältere aktiv am Arbeitsleben im kommenden Jahr sein. Wir müssen diesen Weg wei-
teilnehmen sollen. tergehen. Wir müssen etwas dafür tun, dass die Wettbe-
werbsfähigkeit und die Investitionsfähigkeit des Hand-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) werks, der kleinen und mittleren Unternehmen in
Deutschland gestützt werden. Auf diese Art und Weise
Nur wenn das geschieht, wird die Rente mit 67 kein
(B) Rentenkürzungsprogramm, sondern ein Programm, kann die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland erhöht (D)
werden. Das heißt, Menschen, die auf der Straße sind,
durch das der Lebensstandard in Zukunft stabilisiert
kommen in Arbeit. Ich wiederhole: Diesen Weg gehen
wird.
wir auch im nächsten Jahr weiter.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Letzter Punkt. Herr Müntefering, Sie waren hinsicht-
lich der Rente mit 67 immer sehr taff. Folglich haben Sie Es gibt 471 000 Arbeitslose weniger als vor einem
keine Kritik von uns erhalten. Als es darum ging, den Jahr. Übrigens sind 101 000 junge Menschen unter 25 we-
Post- und Telekommunikationsnachfolgeunternehmen niger arbeitslos. Die Fortsetzung des Ausbildungspakts
ein Frühverrentungsmodell zu gönnen, haben Sie in die- bleibt ein ganz wichtiger Punkt. Wir werden im Frühjahr
sem Herbst beschlossen: Bis 2010 können die Postnach- ausführlich darüber zu sprechen haben, wie wir dafür
folgeunternehmen 15 000 Mitarbeiterinnen und Mitar- sorgen können, dass die Bugwelle bei den jungen Leuten
beiter in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Das ist weiter reduziert werden kann. Diese Koalition will in
allerdings ein jüngstes Armutszeugnis und ein Wider- dieser Legislaturperiode erreichen – das ist eine Heraus-
spruch in Ihrer Politik. forderung für das Land und für die Politik –, dass diese
Bugwelle deutlich kleiner wird. Wir wollen 2009 so weit
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein, dass kein junger Mann und keine junge Frau von
sowie bei Abgeordneten der FDP) der Schulbank in die Arbeitslosigkeit geht. Auch dieses
Ziel verbinden wir mit diesem Haushalt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für die Bundesregierung hat nun Herr Bundesminis-
ter Franz Müntefering das Wort. Beim Arbeitslosengeld I hat es in diesem Jahr eine
gute Entwicklung gegeben. Anfang des Jahres lautete
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Einschätzung, es werde Überschüsse in Höhe von
der CDU/CSU) 1,8 Milliarden Euro geben. Jetzt zeigt sich, es werden
voraussichtlich 9,5 bis 9,8 Milliarden Euro sein. Wir ha-
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und ben uns über die Entwicklung in den nächsten Jahren
Soziales: sehr genau informiert. Die Bundesanstalt für Arbeit hat
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe seit 1988 in jedem Jahr Zuschüsse des Bundes bekom-
Kolleginnen und Kollegen! Haushalt ist kein Selbst- men; in diesem Jahr hat sie zum ersten Mal keine erhal-
zweck. Durch den Haushalt soll das unterstützt werden, ten. All diejenigen, die sagen: „Man muss das Geld
6632 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Franz Müntefering


(A) zurückgeben“, frage ich: Was ist mit den 40 Milliarden ist, dass sie von Mai bis Oktober dieses Jahres aber um (C)
Euro, die wir dieser Einrichtung in den letzten Jahren 300 000 gesunken ist.
aus dem Haushalt haben zukommen lassen?
Wenn wir beim Arbeitslosengeld II im Augenblick
Nun wissen wir verbindlich: Die Bundesagentur wird mehr auszahlen, hängt das damit zusammen, dass eine
bis zum Jahr 2010 keinen Zuschuss des Bundes und auch immer größere Zahl von Menschen, die vollzeitbeschäf-
kein Darlehen mehr brauchen. Die Bundesagentur hat tigt oder teilzeitbeschäftigt sind, ergänzend Arbeitslo-
den Posten für Eingliederung, also für die aktive Ar- sengeld II bekommt; inzwischen übrigens auch rund
beitsmarktpolitik, erhöht. Ich wiederhole: Wir wissen, 50 000 Selbstständige. Das ist ein Punkt, den ich hier
dass ihr bis 2010 hinreichend Geld für die von ihr zu er- nicht vertiefen will, über den wir im Augenblick aber
füllenden Aufgaben zur Verfügung stehen wird. Sie wird sprechen: Kann das eigentlich so sein? Was kann man da-
kein zusätzliches Geld des Bundes brauchen. gegen tun, dass Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind, in
die Arbeitsagentur, in die Arge kommen und sagen:
Vor diesem Hintergrund haben wir entschieden: Wir „Jetzt brauchen wir ergänzend Arbeitslosengeld II“? Da
senken den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung stimmt doch offensichtlich mit der Höhe der Löhne, mit
auf 4,2 Prozent. Das ist verantwortliche Politik. Den der Höhe der Bezahlung etwas nicht.
Weg werden wir in das nächste Jahr hinein auch so wei-
tergehen und der BA sagen: Macht die Arbeit weiter! (Beifall bei der SPD)

Die BA – das ist eben schon angesprochen worden, Deshalb müssen wir an der Stelle in der Koalition für
ich glaube, von Herrn Fuchtel, von anderen auch – hat ein Stückchen mehr Klarheit sorgen. Wir sind mitten in
sich in den letzten zwei Jahren gut entwickelt. Es war der Debatte. Da spielen der Mindestlohn, der tarifliche
oder der gesetzliche, und der Kombilohn eine Rolle. Wir
eine ganz komplizierte Sache, eine so große Organisa-
müssen uns damit auseinander setzen. Es kann nicht nor-
tion mit solch einer Tradition, mit hunderttausend Leu-
mal sein, dass in einem Land mit einem Wohlstands-
ten stärker auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts einzu-
niveau, wie wir es haben, eine immer größere Zahl von
stellen. Ich sage: Respekt denen, die da die Arbeit zu Menschen von der Arbeit nicht leben kann.
verantworten haben. Das heißt nicht, dass man mit allem
einverstanden ist. Ich bin dafür, dass wir immer hart (Beifall bei der SPD)
messen und kontrollieren: Was läuft da? Das alles kann
auch noch besser werden. Aber ich sage deutlich: Die Wer seine Arbeit macht, wer seine Pflicht tut, wer jeden
BA ist in einer guten Verfasstheit. Wir wollen weiter gut Tag jobben geht, auch wenn er es manchmal vielleicht
zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass wir den Weg nicht gern tut, der muss dafür auch so viel Geld bekom-
weitergehen können. men, dass er in der Regel sich und seine Familie davon
(B) ernähren kann. Das muss das Ziel in einer mitteleuropäi- (D)
Bei den Lohnnebenkosten – das will ich doch noch schen Wohlstandsregion wie Deutschland sein; über-
sagen, weil darüber viel gesprochen wird – erreichen wir haupt keine Frage. Darüber werden wir zu sprechen ha-
im nächsten Jahr, im Jahr 2007, dass der Arbeitgeberan- ben.
teil unter 20 Prozent sinkt. Wir als Koalition haben im- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
mer versprochen: Wir nehmen die 40 Prozent ins
Visier. – Wenn man sich den Teil anschaut, der paritä- Wie viel Geld geben wir aus? Für den Bereich Ar-
tisch finanziert ist, stellt man fest: Man ist unter beitsmarkt sind es etwa 42 Milliarden Euro. Es sind
20 Prozent für die Arbeitgeber. Das war immer mit dem 21,4 Milliarden Euro für das eigentliche Arbeitslosen-
Ziel „40 Prozent“ verbunden. Das erreichen wir. Das ist geld II, 10 Milliarden Euro für die Eingliederung,
sicherlich ein Pluspunkt. Das muss jetzt aber auch dazu 4,3 Milliarden Euro für den Bereich KdU, 6,5 Milliarden
führen, dass das von den Arbeitgebern gewürdigt wird, Euro aus der Mehrwertsteuer. Das ist alles Geld, das aus
dass Reaktionen kommen und zusätzliche Arbeitsplätze der Bundeskasse dahin fließt.
entstehen.
Nun gebe ich gern zu: Man kann sich lange darüber
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) unterhalten, ob bei den 21,4 Milliarden Euro oder an an-
derer Stelle etwas erhöht und dafür an anderer Stelle et-
Zum Bereich Arbeitslosengeld II/Langzeitarbeits- was gesenkt werden müsste. Ich verspreche hier nur: Wir
losigkeit. Das ist sicherlich der komplizierteste Bereich werden mit diesem Geld im Jahr 2007 auskommen. Es
für die Arbeit des kommenden Jahres. Es ist wahr, dass wird darauf ankommen, im Laufe des Jahres die Instru-
mehr Menschen Arbeitslosengeld II erhalten. Es ist aber mente so einzusetzen, dass dies erreicht wird. Es gibt
nicht richtig, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften dazu einige Diskussionen, die wir zu Ergebnissen führen
steigt. werden.
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das habe ich Im Übrigen ist es auch in diesem Jahr schon so gelau-
auch nicht gesagt!) fen. Wir haben einen Teil des Eingliederungstitels ge-
nommen und für die Zahlung von Arbeitslosengeld II
Frau Kollegin Winterstein, Sie haben im Ausschuss eine eingesetzt. Das ist von Ihnen, Frau Hajduk, kritisiert
Information dazu erbeten. Die haben Sie auch bekom- worden. Aber ich sage Ihnen: Auch in diesem Jahr wer-
men; die haben natürlich alle bekommen. Die hätte man den die Argen und die zkTs wieder unter dem Betrag
einfach einmal vorlesen sollen. Danach ist es nämlich so, bleiben, sodass etwas übrig bleiben wird.
dass von Mai bis Oktober des vergangenen Jahres die
Zahl der Bedarfsgemeinschaften um 200 000 gestiegen (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6633
Bundesminister Franz Müntefering
(A) Man muss realistisch sein: Im vergangenen Jahr standen lichster Weise diese Systeme wahr, aber diese Art der (C)
6,5 Milliarden Euro zur Verfügung; davon wurden Vorsorge muss zu einer Selbstverständlichkeit in
3,5 Milliarden Euro ausgegeben. – In diesem Jahr stehen Deutschland werden. Die ganze Debatte über die Beteili-
etwa 5,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich sage Ihnen gung der Arbeitnehmer an Gewinn und Kapital muss auf
voraus: Davon wird etwas übrig bleiben, und zwar in er- die Forderung konzentriert werden: Organisiert eine ver-
heblichem Ausmaß. nünftige Altersvorsorge und fangt damit rechtzeitig an!
(Zuruf der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ Wir haben dafür gesorgt, dass Insolvenzsicherheit ge-
DIE GRÜNEN]) geben ist. Keiner, der in das System einer Betriebsrente
einzahlt, muss Angst haben, dass seine Ansprüche verlo-
Sie können mich natürlich kritisieren; das hat Frau Win-
ren gehen, sollte der Betrieb Pleite gehen. Auch die Por-
terstein ja auch getan. Im Verlauf des Jahres werden wir
tabilität ist gegeben; das heißt, die Ansprüche können
dann sehen, wo wir die Ausgaben zu hoch und wo wir
mitgenommen werden.
sie zu niedrig angesetzt haben. Jedenfalls werden wir das
Geld, das uns in diesem Haushalt dafür zur Verfügung Es muss zu einer Selbstverständlichkeit für die junge
steht, vernünftig einsetzen. Zugleich werden wir die An- Generation in Deutschland werden, dass jemand, sobald
sätze einhalten und an der Stelle nicht mehr ausgeben. er eine Beschäftigung aufnimmt, neben der gesetzlichen
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rente in ein Altersvorsorgesystem einzahlt. Wir unter-
stützen staatlicherseits die Menschen in dem Maße, in
Lassen Sie mich ein paar Worte zum Bereich der Al- dem es uns möglich ist, diesen Weg zu gehen, und ma-
terssicherung sagen: In den nächsten Tagen und Wochen chen da eine ganze Menge. So wollen wir Familien mit
werden wir darüber noch ausführlicher zu diskutieren heranwachsenden Kindern durch Verbesserungen bei der
haben. Wir machen hier drei Maßnahmen parallel: Riesterrente noch stärker unterstützen. Es ist eine gute
Idee für die Altersvorsorge, den Kinderzuschlag für die-
Der Gesetzentwurf zur Rente mit 67 wird jetzt in das jenigen, die in die Riesterrente einzahlen und heran-
Gesetzgebungsverfahren eingebracht. In den nächsten wachsende Kinder haben, noch zu erhöhen. Das ist eine
Wochen und Monaten wird in diesem Hohen Haus über familienpolitisch vernünftige Maßnahme, die zugleich
all die Konsequenzen, die damit verbunden sind, zu auch der Altersvorsorge dient. Außerdem wollen wir die
sprechen sein. Im Jahre 2029 – so weit planen wir – wird Riesterrente um eine Wohneigentums- bzw. Wohnrechts-
das Zeitfenster für den Renteneintritt zwischen 63 und komponente ergänzen. Das heißt, ein Teil des Geldes,
67 Jahren liegen; jetzt liegt es zwischen 60 und 65 Jah- das man ansparen will, soll dafür eingesetzt werden kön-
ren. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in unserer nen, dass man eine Wohnung kauft oder Wohnrecht er-
(B) Gesellschaft, nachdem im Jahre 1960 noch durchschnitt- wirbt, um im Alter günstige Wohnbedingungen zu ha- (D)
lich zehn Jahre lang Rente gezahlt wurde, nun mittler- ben.
weile 17 Jahre lang Rente gezahlt wird und es im Jahre
2030 durchschnittlich 20 Jahre sein würden, kann man, Wer also neben der gesetzlichen Rente auf betriebli-
wie ich glaube, eine schrittweise Anhebung des Renten- che Altersvorsorge, Riester- oder Rüruprente setzt, der
eintrittsalters verantworten. Wir begleiten dies aber kann davon ausgehen, dass er gute Voraussetzungen
durch zwei weitere Maßnahmen. schafft, um auch im Alter finanziell gut ausgestattet zu
sein. Gerade die junge Generation erwartet, dass dafür
Eine dieser Maßnahmen ist die Initiative „50 plus“. gesorgt wird.
Mittlerweile haben wir 80 000 ältere Arbeitslose weni-
ger als noch vor einem Jahr. Das ist kein schlechtes Zwei letzte Punkte zu Europa. Wir werden 2007 die
Resultat. Wir werden mithilfe von Kombilöhnen, Ein- EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr und die G-8-
gliederungszuschüssen und Weiterbildungsangeboten Präsidentschaft für das ganze Jahr haben. Die Erwartun-
versuchen, dafür zu sorgen, dass sich die Situation für äl- gen an Deutschland sind groß. Deshalb dürfen unsere
tere Arbeitslose weiterhin so positiv entwickelt. Die Anforderungen an uns selbst nicht zu schmal bleiben.
Menschen sollen nicht mehr mit 50, 55 oder 58 Jahren Wir werden auch die Idee des Sozialmodells Europa
aus dem Arbeitsleben verdrängt werden, sondern sie sol- forcieren. Das beinhaltet vor allen Dingen die Idee der
len eine echte Chance auf Arbeit haben. So beantworten guten Arbeit. Wir wollen in unserem Land, aber auch in
wir die Frage der Konsequenzen eines höheren Renten- Europa und darüber hinaus für alles werben, was mit Ar-
eintrittsalters für ältere Menschen. Wir wollen, dass beitsschutz, altersgerechter Arbeit, Arbeitsrecht, der
diese ihre Arbeit behalten oder wieder Arbeit finden. Möglichkeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich
als Vertreter ihrer Interessen vernünftig zu treffen und
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
gemeinsam gute Politik zu machen, wie wir das von der
Dafür investieren wir das Geld. Das ist ein vernünftiger Tarifpolitik in Deutschland kennen, sowie mit existenz-
Weg für die Zukunft. sichernden Löhnen zusammenhängt. Das wollen wir
zum Gegenstand der Debatte machen. Das ist in Europa
Ergänzend stoßen wir eine Debatte über die Alters- und auch für uns ein wichtiges Thema. Wir sind weit
vorsorge an. Die gesetzliche Rente bleibt zwar das Kern- hinter dem zurück, was in anderen Ländern Beschluss-
stück der Alterssicherung, aber sie muss ergänzt werden lage zu tariflichen und gesetzlichen Mindestlöhnen ist.
um eine private Vorsorge in Form von betrieblicher
Altersvorsorge, Riesterrente oder Rüruprente. Etwa (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
20 Millionen Menschen nehmen schon in unterschied- der CDU/CSU)
6634 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Franz Müntefering


(A) Wir werden in Europa auch – das ist der letzte Punkt – der Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten in (C)
über Chancengleichheit zu sprechen haben, vor allem der Größenordnung von circa 90 000 enthalten. Viel be-
deshalb, weil Deutschland, was die Chancen der jungen unruhigender finde ich aber, Herr Minister, dass der Zu-
Frauengeneration angeht, weit hinter dem zurückliegt, wachs der sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-
was in anderen Ländern in Europa üblich ist. Wir brau- gung, also der Basis der Finanzierung unserer sozialen
chen die Kreativität und Fähigkeiten dieser Frauengene- Sicherungssysteme, in 2006 jahresdurchschnittlich ge-
ration – auch aus volkswirtschaftlichen Gründen. Aber rade einmal 90 000 beträgt. Ein Zuwachs um 90 000,
vor allem wollen wir im Interesse des Rechts jedes ein- nachdem wir in den Jahren 2003, 2004 und 2005 in der
zelnen Menschen, am Arbeitsmarkt und im Beruf erfolg- Summe 1,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Be-
reich zu sein, handeln. Deshalb bleibt die Idee der Chan- schäftigungsverhältnisse verloren haben! Herr Minister,
cengleichheit im nächsten Jahr in Europa auch unter dem das ist – bei aller Freude über die Trendumkehr – eine
Gesichtspunkt von Arbeit und Sozialpolitik ganz wich- immer noch ausgesprochen magere arbeitsmarktpoliti-
tig. sche Bilanz eines Jahres,
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP)
(Anhaltender Beifall bei der SPD und der
in dem wir rund 2,3 bis 2,5 Prozent Wirtschaftswachs-
CDU/CSU)
tum hatten, also eine unerwartet günstige Entwicklung.
Deswegen gibt es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: und auch keinen Grund, die Hände in den Schoß zu le-
Nächster Redner ist nun der Herr Kollege Heinrich gen.
Kolb für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk
(Beifall bei der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dies gilt umso mehr, als abzusehen ist, dass wir das
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirtschaftswachstum des Jahres 2006 im kommenden
Herr Minister Müntefering hat den Vorschlag gemacht, Jahr nicht erreichen werden. Der Sachverständige Pro-
dass wir uns auf das konzentrieren, was, auch durch den fessor Gustav Horn – er gehörte bis vor kurzem dem
Haushalt unterstützt, im nächsten Jahr geschehen soll. DIW an; er ist dort nicht mehr, weil er anscheinend mit
Ich bin gern bereit, Ihrem Vorschlag zu folgen, will den unliebsamen Kommentaren aufgefallen ist – hat in einer
Blick aber gleichwohl noch einmal auf die Entwicklung Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
(B) in diesem Jahr lenken; denn, Herr Minister Müntefering, Beginn dieser Woche als Einzelsachverständiger der (D)
auch wenn sich die Stimmung am Arbeitsmarkt etwas Koalition darauf hingewiesen, dass der negative Impuls,
aufgehellt hat, warne ich davor, in Euphorie zu verfallen. der sich aus der saldierten Wirkung von Mehrwertsteuer-
Das haben Sie hier nicht getan, aber einige Kollegen von erhöhung und Veränderung der Beitragssätze in der So-
der Koalition neigen dazu. Dazu besteht jedoch wirklich zialversicherung ergibt, zu einem Wachstumsverlust von
kein Anlass. über 1 Prozent des Inlandsproduktes führt. Das Wachs-
tum, das er bei einer ungestörten konjunkturellen Ent-
Ich will das konkret belegen und beziehe mich dabei wicklung auch im nächsten Jahr bei 2,5 Prozent plus x
auf die jahresdurchschnittlichen Zahlen des Sachver- gesehen hätte, landet aber im nächsten Jahr bei 1,5 Pro-
ständigenrates in seinem aktuellen Gutachten. Die be- zent minus x.
sonders Interessierten können das gerne auf Seite 358
nachvollziehen. Professor Horn sagte weiter: Wenn wir im kommen-
den Jahr eine Wachstumsentwicklung von 1,5 Prozent
Nach den Zahlen des Sachverständigenrates ist die minus x haben, heißt das, dass wir unter die Beschäfti-
Zahl der registrierten Arbeitslosen in 2006 um gungsschwelle sinken werden. Er weist weiter darauf
329 000 zurückgegangen. Das ist uneingeschränkt er- hin, dass sich die positive Beschäftigungsentwicklung
freulich; Frau Kollegin Lehn, da stimme ich Ihnen zu. insbesondere bei den sozialversicherungspflichtigen Be-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schäftigungsverhältnissen im Verlauf des nächsten Jah-
res wieder umkehren wird und dass als Folge neue Be-
Nun könnte man denken, der Abbau von Arbeitslosig- lastungen der Sozialversicherungen entstehen würden.
keit und der Aufbau von Beschäftigung seien kommuni- Das, Herr Minister Müntefering, müssen Sie sich für das
zierende Röhren, wenn die Arbeitslosigkeit zurückgehe, nächste Jahr ins Stammbuch schreiben lassen.
müsse sich auch bei der Erwerbstätigkeit, bei der sozial-
versicherungspflichtigen Beschäftigung eine entspre- (Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]
chende Bewegung ergeben. Aber weit gefehlt; dem ist meldet sich zu einer Zwischenfrage)
keineswegs so. Darüber, Herr Minister Müntefering,
sollten Sie zumindest einmal nachdenken. Auch ist es – Eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß lasse ich gerne
lohnend, nach den Ursachen zu forschen. zu, Frau Präsidentin.

Zwar steigt die Zahl der Erwerbstätigen bei einem


Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um 329 000 immer- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
hin noch um 220 000 an; darin ist jedoch die Zunahme Dann Herr Kollege Weiß, bitte sehr.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6635

(A) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP – Waltraud Lehn [SPD]: (C)
Herr Kollege Kolb, bei Ihren Ausführungen, die Sie So ein Quatsch!)
soeben gemacht haben, habe ich mich gefragt, ob die
Es beunruhigt uns schon, dass Sie jetzt dazu neigen, die
von Frau Kollegin Lehn erwähnte Tante Käthe vielleicht
Hände in den Schoß zu legen,
in Ihrer Person gerade am Rednerpult steht.
(Waltraud Lehn [SPD]: So ein Unsinn!)
(Zurufe von der FDP: Oh! – Heiterkeit und
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nach dem Motto, es gebe keinen Handlungsbedarf mehr,
der SPD) alles sei auf einem guten Wege. Ich sehe diese Gefahr;
das will ich gleich anhand von Beispielen erläutern. –
Zahlenspiele hin oder her: Das bemerkenswerte Fak- Die Frage ist damit, denke ich, beantwortet.
tum am deutschen Arbeitsmarkt ist doch, dass in
Deutschland seit dem Jahr 2001 bis in dieses Jahr hinein Zunächst will ich aber auf ein Faktum hinweisen, das
Jahr für Jahr und Monat für Monat ein Verlust an sozial- wir auch nicht vernachlässigen dürfen: Ein genauerer
versicherungspflichtiger Beschäftigung zu beobachten Blick auf die Entwicklung der sozialversicherungs-
war. Aber in diesem Jahr gibt es zum ersten Mal eine pflichtigen Beschäftigung zeigt, Herr Kollege Weiß,
Trendumkehr. Es ist richtig, dass dieser Prozess langsam dass es einen – leider intakten – Trend zum Rückgang
verläuft. Aber es geht mit der Schaffung von sozialversi- der Vollzeitbeschäftigung bei einem gleichzeitigen An-
cherungspflichtigen Arbeitsplätzen stetig aufwärts; mehr stieg der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbe-
Menschen zahlen Steuern und Sozialversicherungsbei- schäftigung gibt. Darin sind die Minijobs nicht einge-
träge. Ich finde, diese bemerkenswerte Trendumkehr ist schlossen.
eine gute Botschaft. Das sollte auch einmal die FDP an-
Man kann es auch deutlicher formulieren: Ein nicht
erkennen.
unwesentlicher Teil des Anstiegs der sozialversiche-
(Beifall bei der CDU/CSU) rungspflichtigen Beschäftigung resultiert daraus, dass
Vollzeitbeschäftigung durch Teilzeitbeschäftigung er-
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): setzt wird. Das Arbeitsvolumen bleibt aber laut Sachver-
Herr Kollege Weiß, ich bedanke mich ausdrücklich ständigenrat, Herr Minister Müntefering, trotz Wirt-
für die Frage nach Tante Käthe. Ich weiß allerdings schaftsaufschwungs in 2006 nahezu unverändert bei
nicht, ob ihr Bruder Heinrich hieß. Vielleicht ist Tante knapp 57 Millionen Arbeitsstunden. Das ist ein entschei-
Käthe in ihren jungen Jahren – das sollte man vielleicht dender Punkt, den wir im Auge behalten müssen.
einmal in Erwägung ziehen, Frau Kollegin Lehn – Seg- Warum sage ich das hier? Weil diese Entwicklung
lerin gewesen. Jeder Segler ist gut beraten, den Himmel dazu führt, dass trotz eines vergleichsweise kräftigen (D)
(B)
auch dann nach heranziehenden Gewitterfronten zu beo- Wachstums in diesem Jahr die Entwicklung der Einnah-
bachten, wenn eitel Sonnenschein herrscht. men der Sozialversicherung, bereinigt um die Wirkung
des Vorziehens der Fälligkeit der Sozialversicherungs-
(Beifall bei der FDP)
beiträge, sehr bescheiden bleibt. Ich will das am Beispiel
Herr Weiß, ich möchte von folgendem Vorkommnis der Rentenversicherung erläutern. Dort sind die Bei-
berichten: Bei einem Sommerfest des HDE vor zwei träge, wenn man die Mehreinnahmen aus dem
oder drei Jahren, das in Berlin in der Straße Am Weiden- 13. Monatsbeitrag in Höhe von 10,5 Milliarden Euro he-
damm stattfand, herrschte drückende Hitze bei strahlend rausrechnet, bei einem Gesamtvolumen von 154 Milliar-
blauem Himmel. Aber von fern zog ein schwarzer Strei- den Euro gerade einmal um 770 Millionen Euro gestie-
fen am Horizont heran. Zunächst passierte nichts; es fiel gen. Das ist ein Plus von 0,5 Prozent bei einem
erst einmal kein Regentropfen. Die Mehrzahl der Gäste Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent. Das ist nicht ge-
blieb gelassen. Aber die Segler unter den Gästen ahnten rade berauschend, wie Sie mir sicherlich zustimmen
schon, was da kommen würde. Die Front zog über den werden. In den anderen Zweigen der Sozialversicherung
Ort des Sommerfestes und dann brach es schlagartig he- sieht es ähnlich aus.
rein. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Spanfer-
Anders ausgedrückt: Die Entspannung in den Kassen
kel durch die Luft fliegen sehen. – Sie müssen sich also
der Sozialversicherung, die Sie glauben feststellen zu
schon den Ratschlag gefallen lassen, dass es, wenn man
können, ist fast gänzlich auf den Effekt des 13. Monats-
Naturgewalten ausgesetzt ist, notwendig ist, Blicke im-
beitrags zurückzuführen. Ihr Plan war, den mittelständi-
mer wieder gen Himmel zu richten.
schen Unternehmen in unserem Lande 20 Milliarden
Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage. Es ist eine Trend- Euro aus den Taschen zu ziehen. Am Ende sind es
umkehr, die allerdings erst im zweiten Quartal eingesetzt 22 Milliarden Euro geworden, 10 Prozent mehr. Das ist
hat. Es ist saisonal durchaus nicht unüblich, dass es in ein Geldsegen, der Sie zwar erfreuen mag, der aber die
den Sommer- und Herbstmonaten eine erfreuliche Ent- Wirtschaft in unserem Lande belastet. Das dürfen Sie
wicklung gibt. Deswegen habe ich bewusst die durch- bitte schön den Menschen in unserem Lande nicht ernst-
schnittlichen Jahreszahlen genannt. Aber angesichts der haft als einen Erfolg Ihrer Arbeit verkaufen.
Tatsache, dass in den letzten drei Jahren, also in den Jah-
(Beifall bei der FDP)
ren 2003, 2004 und 2005, 1,4 Millionen sozialversiche-
rungspflichtige Arbeitsplätze verloren gingen, kann ein Der Sachverständigenrat hat Recht, wenn er aus-
Zuwachs von 90 000 wahrlich kein Anlass sein, Entwar- drücklich ermahnt, die erfreuliche Belebung auf dem
nung zu geben. Arbeitsmarkt dürfe nicht zu einem Erlahmen der
6636 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) Reformanstrengungen führen. Aber genau das zeichnet gibt viel zu tun: beim Kündigungsschutz, beim Tarifver- (C)
sich ab. Änderungen beim Kündigungsschutz bekom- tragsgesetz und bei der Generalrevision des SGB II. Fan-
men Sie nicht zustande. Dabei muss es Sie, Herr Minis- gen Sie endlich an! Der schöne Sommer und der schöne
ter Müntefering, doch nachdenklich stimmen, dass die Herbst 2006 sind vorbei. Es könnte sein – denken Sie an
größte Bewegung auf dem Arbeitsmarkt bei den Mini- Tante Käthe –, dass Sie sich dann sehr warm anziehen
jobs – ich habe es schon gesagt, es ist in 2006 ein Plus müssen.
von 90 000 festzustellen – und der Zeitarbeit – hier ist in
2005 ein Plus von 60 000 und in 2006 ein wohl noch hö- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
heres festzustellen – stattfindet. (Beifall bei der FDP)
Der Mittelstand, den Sie nicht müde werden als Job-
motor zu loben, würde gerne mehr Beschäftigte dauer- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
haft in den eigenen Unternehmen einstellen. Aber Sie Nun hat das Wort die Kollegin Ilse Falk für die CDU/
verhindern das, weil Sie sich hinter ideologischen Kopf- CSU-Fraktion.
brettern verstecken. Insbesondere für die Beschäftigung
(Beifall bei der CDU/CSU)
von Langzeitarbeitslosen ist es wichtig, dass es zu Ver-
änderungen beim Kündigungsschutz kommt. Wann ka-
pieren Sie endlich, dass das, was Arbeitsplatzbesitzern Ilse Falk (CDU/CSU):
nützt, denjenigen schadet, die gerne auf den ersten Ar- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
beitsmarkt zurückkehren würden? Heute ist schon viel zu den Schwerpunkten des Einzel-
plans für Arbeit und Soziales gesagt worden. Zu den
(Beifall bei der FDP) richtigen Ansätzen lässt sich sehr viel sagen; zu den ver-
Ich finde es unsäglich, wenn jetzt der Wirtschafts- meintlich falschen Ansätzen wird versucht, vieles zu sa-
minister nach dem Muster eines türkischen Basars an- gen. Die FDP wird gar nicht müde, immer wieder alle
tritt: Ich stimme beim Mindestlohn zu, wenn ihr beim ihre Bedenken vorzutragen. Ich kann mich aber nicht des
Kündigungsschutzgesetz etwas tut. – Wo leben wir ei- Eindrucks erwehren, dass die FDP, wenn sie an der Ko-
gentlich? Wenn der Kündigungsschutz ein Problem ist alition beteiligt wäre, ganz anders reden würde.
– ich bin davon überzeugt –, dann muss diese Regierung (Klaus Brandner [SPD]: Sie hätte Jubelge-
ohne Kompensationsgeschäfte handeln. Das ist ein Auf- sänge angestimmt!)
trag, den die große Koalition zu erledigen hat.
Ich erinnere mich nämlich, dass sie kleine Erfolge gut
(Beifall bei der FDP) anerkennen und verkaufen konnte.
(B) Zum Schluss möchte ich feststellen, dass Sie, Herr (D)
Ich will die Geschichte, die sich heute offensichtlich
Minister, dabei sind, einen Paradigmenwechsel bei den durch die Debatte zieht – angefangen bei Tante Käthe;
Lohnnebenkosten zu vollziehen. Im Koalitionsvertrag jetzt sind wir bei den Seglern –, gerne erweitern. Herr
las sich das noch recht klar: Kolb, Sie haben Pech gehabt. Es gibt nämlich noch wei-
CDU, CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohn- tere Aspekte beim Segeln. Ich weiß das, da ich selber
zusatzkosten (Sozialversicherungsbeiträge) dauer- segle. Es ist nicht nur so, dass wir den Himmel aufmerk-
haft unter 40 % gesenkt werden. sam danach beobachten, ob Unwetter aufziehen, um
rechtzeitig die Segel einzuziehen und das Unwetter ab-
(Dirk Niebel [FDP]: Wann denn?) zuwettern. Darüber hinaus beobachten wir auch sehr ge-
nau, wann Wind aufkommt. Dann setzen wir die Segel,
Sie werden am Ende dieses Jahres aber immer noch bei
nehmen volle Fahrt auf und nutzen den Wind und jede
42 Prozent und in 2007 bei 40,6 Prozent liegen, weil Sie
Gutwetterlage, um voranzukommen und Strecke zu ma-
bestehende Spielräume zur Absenkung der Gesamtbelas-
chen. Genau das tun auch die Regierung und die Koali-
tung nicht genutzt haben. Jetzt deuten Sie das Ganze um,
tion. Auf diesem Kurs wollen wir mit voller Fahrt wei-
indem Sie sagen, das beziehe sich auf den Arbeitgeber-
tersegeln.
anteil von 20 Prozent. Davon war im Koalitionsvertrag
keine Rede. Wir werden Ihnen nicht durchgehen lassen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
dass Sie hier ähnlich handeln wie bei der Gesundheitsre- neten der SPD)
form, bei der Sie argumentieren: Es wird erstmals nicht
zu einer Belastung der Kranken kommen. – Es mag ja Zurück zum Haushalt des Arbeits- und Sozialministe-
sein, dass Sie die Zuzahlungen nicht erhöhen und die riums. Es handelt sich hierbei um den größten Einzeletat
Leistungen nicht kürzen. Aber am Ende erhöhen Sie die des Bundeshaushalts. Wir geben gewaltige Milliarden-
Beiträge massiv. Das, was Sie hier betreiben, ist eine beträge für die Sozialpolitik aus. Wir wissen, dass die
Form der Volksverdummung. Die Menschen in unserem Beitrags- und Steuerzahler diese Beträge finanzieren;
Lande haben dies längst durchschaut. Dies ist eine Ursa- wir stehen diesen Menschen gegenüber deshalb in be-
che dafür, dass Sie in den Umfragewerten deutlich zu- sonderer Verantwortung.
rückfallen. Es ist erfreulich, dass wir nach einem Jahr großer Ko-
(Beifall bei der FDP) alition unseren Mitbürgern erste sichtbare Erfolge ver-
melden können. Die Konjunktur läuft gut; das kann
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie die rheto- man gar nicht oft genug sagen. Es gibt berechtigte Hoff-
rischen Tricks, machen Sie sich lieber an die Arbeit! Es nungen, dass dieser Trend auch 2007 anhalten wird. Die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6637
Ilse Falk
(A) gute Konjunktur im Zusammenspiel mit den von der ren kann es eigentlich nicht liegen. Sie ermöglichen Si- (C)
großen Koalition in Angriff genommenen Maßnahmen cherheit und materielles Auskommen, nicht üppig, wenn
hat sich positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Ich ich an den allein stehenden ALG-II-Empfänger denke,
verstehe, dass Sie das immer wieder kleinreden wollen, aber gut auskömmlich, zum Beispiel für Familien. Eine
aber die Fakten sprechen nun einmal eine eindeutige Familie mit drei Kindern erhält zum Beispiel 1 660 Euro
Sprache. netto plus Krankenversicherung, ohne Zuschlag und Er-
ziehungs- bzw. Elterngeld. Das will mit einem Vollzeit-
Die Koalition ist die schwierigen Aufgaben im Be- job erst einmal verdient werden.
reich der Arbeits- und Sozialpolitik beherzt angegangen
und hat bereits eine ganze Reihe von in der Koalitions- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
vereinbarung vorgesehenen Maßnahmen umgesetzt. Wir
sind gut im Plan, werden uns aber natürlich nicht auf den Meine Sorge gilt daher weniger einer möglichen Un-
ersten Erfolgen ausruhen, sondern auf dem eingeschla- terversorgung. Ich frage mich vielmehr, wie wir die
genen Weg weiter voranschreiten. Menschen zu mehr Eigeninitiative ermutigen und sie aus
freiwilliger oder unfreiwilliger Isolation herausbringen
Obwohl die Zahl der Arbeitslosen erfreulicherweise können. Menschen wollen arbeiten. Deshalb kann es
abnimmt und die Zahl der sozialversicherungspflichtig nicht darum gehen, Arbeitslose immer besser zu verwal-
Beschäftigten und die der offenen Stellen – das ist ten. Wir sind viel zu lange davon ausgegangen, dass
ebenso erfreulich – zunimmt, erleben wir im direkten mehr Geld, das heißt eine bessere Versorgung, die beste
Gespräch in unseren Wahlkreisen, dass ein Großteil der Antwort ist; damit haben wir den Begriff des Sozialen
Menschen von Zukunftsängsten geplagt wird. Statt Zu- verknüpft. Das verkauft sich natürlich leichter. Ist den
versicht und Optimismus, zu denen die guten Daten An- Menschen aber wirklich geholfen, wenn wir die Versor-
lass gäben, wachsen Ängste vor Arbeitslosigkeit und in gung über das Eigentliche, über die Vermittlung in Ar-
Arbeitslosigkeit. Angst vor Armut, Ausgrenzung, beit, stellen? Jeder hat doch den Wunsch, nützlich zu
Krankheit und schlechter gesundheitlicher Versorgung sein – jedenfalls fast jeder.
werden einerseits in unverantwortlicher Weise geschürt,
andererseits aber auch real empfunden. Die Angst, als Das vorrangige Ziel muss also weiterhin sein, Men-
Versager abgestempelt zu werden – auch von der eige- schen Arbeit zu geben. Wer Arbeit hat, steht mitten in
nen Familie – und die gesellschaftliche Anerkennung zu der Gesellschaft, gehört dazu. Politik kann keine
verlieren, lähmen eigene Kräfte. Arbeitsplätze schaffen; das ist eine Binsenweisheit. Mit
guten Rahmenbedingungen und einer wachstumsorien-
Berichte über diejenigen, die sich jeder Verantwor- tierten Politik kann sie aber sehr wohl die Voraussetzun-
tung entziehen, die keine Bemühungen erkennen lassen, gen dafür schaffen, dass sich Unternehmen erfolgreich
(B) Arbeitsangebote anzunehmen und einzig Aktivitäten am Markt behaupten und Arbeitskräfte einstellen. Wir (D)
entwickeln, wenn es darum geht, den Sozialstaat abzuzo- müssen sicherlich noch eine ganze Menge verbessern,
cken, verstärken die Ängste, weil wir den Druck auf damit das geschieht und damit Unternehmen und Arbeit-
diese erhöhen müssen und das auch tun werden. suchende noch besser zueinander finden. Wir sind dabei.
Trotz gewaltiger finanzieller Anstrengungen wird un- In der Arbeitsmarktpolitik müssen wir aber auch da-
sere Politik von denen, die sie betrifft, immer häufiger für sorgen, dass diejenigen, die es schwerer haben als an-
als unsozial empfunden, während die anderen, die diese dere, eine Chance bekommen. Das gilt zum Beispiel für
Leistungen mit ihren Steuern und Abgaben erst ermögli- ältere Menschen, die nach wie vor viel zu früh aus dem
chen, unter der immer größeren Last stöhnen. Sprüche Erwerbsleben verdrängt werden, sowie für junge Men-
wie „Die Armen werden immer ärmer, die Reichen schen oder für Menschen mit Handicaps, die häufig gar
immer reicher“ oder „Kalter Neokapitalismus gegen so- keine Chance haben, in den Arbeitsmarkt hineinzukom-
ziale Hängematte“ verschärfen die gesellschaftlichen men. Mit der Initiative „50 plus“ oder mit Kombilohn-
Konflikte und befördern soziale Abgrenzungen und Aus- modellen für unter 25-Jährige können wir diejenigen
grenzungen. unterstützen, die bereit sind, sich fortzubilden, neue Auf-
Ich habe die Sorge, dass uns Verallgemeinerungen gaben zu übernehmen, gegebenenfalls auch zu schlech-
und Vorurteile die Menschen, für die wir Politik machen, teren Konditionen zu arbeiten.
immer mehr aus dem Blick geraten lassen. In dem Be- Wir müssen darauf achten, dass das in der Bevölke-
mühen, Entscheidungen nachweisbar zielgenau und da- rung tief verankerte Prinzip, dass sich Leistung lohnen
mit gerecht zu gestalten, stellen wir immer mehr Vor- muss, im Handeln der Politik seinen Ausdruck findet.
schriften und Regelungen auf, die uns den Wald vor Anreize müssen so gesetzt sein, dass die Arbeit vor der
lauter Bäumen bzw. die Menschen vor lauter Bürokratie Transferleistung steht.
nicht mehr sehen lassen. Deswegen will ich diese De-
batte nutzen, um den Blick deutlicher auf diejenigen zu (Beifall bei der CDU/CSU)
richten, die von Arbeitslosigkeit und damit von Arbeits-
marktpolitik betroffen sind. Dieses Prinzip liegt unzweifelhaft dem Leitgedanken
von Hartz IV, dem Fördern und Fordern, zugrunde. Be-
Bis heute ist es uns nicht wirklich gelungen, allen die reits Ludwig Erhard hat vor dem Wahn des Überversor-
Sinnhaftigkeit der Zusammenlegung von Sozial- und gungsstaates gewarnt. Auf Hartz IV übertragen, bedeutet
Arbeitslosenhilfe, die Idee des Förderns und Forderns, das, dass der Staat zwar die Aufgabe hat, das Existenz-
als Chance zu vermitteln. An den geschaffenen Struktu- minimum zu sichern, seine Transferleistungen aber so
6638 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Ilse Falk
(A) ausgestalten muss, dass sie nicht kontraproduktiv wir- raussetzungen. Ich freue mich deshalb, dass sich die Ko- (C)
ken. alition und die Bundesregierung ihrer Verantwortung
bewusst sind und die Menschen in ihren Lebenszusam-
(Beifall bei der CDU/CSU) menhängen in den Blick nehmen.
Unzweifelhaft wirkt Hartz IV individuell sehr ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
schieden. Es gibt Menschen, die nach langen Jahren der
Berufstätigkeit unverschuldet arbeitslos werden und vor Wir fordern den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
der Situation stehen, ihr Vermögen einsetzen zu müssen, Wir stärken die Familien und trauen Menschen etwas zu.
bevor sie staatliche Transferleistungen erhalten. Wir haben Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Die Vermitt-
lung von Lebenskompetenzen und die Eröffnung von
Wenn wir dies zu Recht im Interesse derjenigen er- Bildungschancen für alle Altersgruppen sind uns ebenso
warten, die mit ihren Steuergeldern diese staatlichen wichtig wie die Stärkung des Bewusstseins ethischer
Leistungen finanzieren, dann müssen wir aber auch da- Verantwortung von Führungseliten.
rauf achten, dass keine Situationen eintreten, in denen
der Verbleib in der Transferleistung aus Sicht des Betrof- Unser Ziel muss es sein, die Leistung des Einzelnen
fenen die ökonomisch sinnvollste Lösung ist, weil er auf und die Erfahrung gemeinsamer Leistung als Freude zu
dem Arbeitsmarkt kein vergleichbares Einkommen er- vermitteln. Es ist nicht einzusehen, warum wir die Be-
zielen kann. geisterung und Freude über die Fußballweltmeisterschaft
nicht in eine gemeinsame, fröhliche Kraftanstrengung
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für unser Land verwandeln können. Lassen Sie uns da-
neten der SPD) ran gemeinsam arbeiten. Segeln wir los!
Was ist aber nun mit denjenigen, die sich verzweifelt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
um Arbeit bemühen und keine bekommen? Sind sie Ver- neten der SPD – Kornelia Möller [DIE
sager? Werden sie tatsächlich ausgegrenzt und sind we- LINKE]: Amen!)
niger wert? Ich finde, ihnen muss unsere besondere Auf-
merksamkeit gelten. Ihretwegen müssen wir über die
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
unterschiedlichen Formen von Arbeit reden, um ihnen
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für
– auch in anderen Arbeitsfeldern – Perspektiven zu ge-
ben. die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
An erster Stelle steht natürlich immer die Erwerbsar-
beit, die mit Lohn oder Gehalt entgolten wird und deshalb
(B) einen klar messbaren Gegenwert hat. Es gibt aber auch Katja Kipping (DIE LINKE): (D)
wichtige Aufgaben in der Gesellschaft und für die Ge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wo viel
meinschaft, die ehrenamtlich erfüllt werden, deren Ge- Licht ist, da ist auch Schatten. Wer hier nur über eitel
genwert – zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit – die Grund- Sonnenschein berichtet, der zeigt, dass leider immer
versorgung sein kann, auf jeden Fall aber Anerkennung noch gilt, was Brecht einst schrieb:
und menschliche Nähe. Außerdem denke ich – wie sollte Die im Dunkeln sieht man nicht.
es anders sein – an die Familienarbeit, nicht nur in der
jungen Familie, sondern gerade auch in der Fürsorge für Wie man mit 345 Euro über die Runden kommen
diejenigen, die nicht mehr so gut für sich selber sorgen soll, können sicherlich nur die wenigsten von uns nach-
können. Jede Art von Arbeit ist ein wichtiger Beitrag für empfinden.
unsere Gemeinschaft. Jede Arbeit kann Menschen Le- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Zahl
bensmut, ein besseres Selbstwertgefühl, Selbstbestäti- stimmt nicht! Das wissen Sie doch!)
gung und damit Lebenssinn geben.
Stellen Sie sich vor, Sie müssen zum Zahnarzt und eine
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neue Zahnfüllung ist notwendig. Die gibt es heute nicht
neten der SPD) zum Nulltarif. Für uns wäre eine solche Behandlung si-
Ich denke, wir müssen viel mehr darüber reden, dass cherlich nicht angenehm, aber zumindest finanziell kein
Arbeit in allen Bereichen Freude macht und gegenseitige Problem. Für Arbeitslosengeld-II-Bezieher hingegen ist
Anerkennung verdient, ob bezahlte oder unbezahlte, ob eine solche Zahnbehandlung ein enormes finanzielles
im so genannten 1-Euro-Job oder einem, der der Ergän- Problem. Versuchen Sie einmal, von monatlich 345 Euro
zung durch Transferleistungen bedarf. die entsprechende Summe beiseite zu legen. Die Er-
werbslose Anja F. zum Beispiel konnte sich die notwen-
Vielleicht sollten wir auch einmal kritisch über unsere dige Zahnbehandlung nur leisten, indem sie wochenlang
Wortwahl nachdenken. Wenn wir zum Beispiel von zu- extrem beim Essen sparte und eigentlich nur von Brot
mutbarer Arbeit sprechen, vermittelt das den Eindruck, und Butter lebte.
Arbeit sei eine Zumutung.
Die Probleme, die mit einem Leben in Armut verbun-
Menschen erfahren Anerkennung in der Familie, in den sind, sind vielfältig. Ich nenne ein weiteres Beispiel.
der Nachbarschaft, im Freundeskreis und am Arbeits- Vor mehreren Wochen berichtete mir die 23-jährige
platz genauso wie durch gemeinnützige Arbeit. Eines ist Kati K. aus Chemnitz von folgendem Problem: Nach ih-
allen gemeinsam: Sie erfahren Anerkennung durch Men- rer Ausbildung hat sie sich ein ums andere Mal bewor-
schen. Damit das gelingen kann, bedarf es einiger Vo- ben. Da sie aber keinen Führerschein hat, wollte sie
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6639
Katja Kipping
(A) niemand einstellen. Nun befindet sie sich in einem Teu- Was heißt das? Das bedeutet, dass wir uns in Zukunft je- (C)
felskreis: ohne Führerschein keine Arbeit, ohne Arbeit des Jahr Geschenke an die Unternehmen in einer Grö-
aber kein Geld und ohne Geld kein Führerschein. Sie ßenordnung von 10 Milliarden Euro leisten. An dieser
fragte mich: Wie soll ich aus diesem Teufelskreis heraus- Stelle haben Sie allerdings noch nie die Frage gestellt:
kommen? Meine Damen und Herren, was antwortet man Wie soll man die Unternehmensteuerreform finanzieren?
einer jungen Frau, die in dieser Situation ist? Ich schlage Ihnen vor: Verzichten wir auf die Unterneh-
mensteuerreform – sie führt sowieso nicht zu mehr Ar-
Solche und ähnliche Fälle kennt sicherlich jeder von beitsplätzen – und finanzieren wir mit dem dadurch frei
uns aus dem eigenen Wahlkreis. Ich glaube, der Umgang werdenden Geld die Aufstockung der Regelsätze beim
damit fällt niemandem richtig leicht. Aber ich frage Arbeitslosengeld II.
mich: Wie kompliziert muss diese Situation insbeson-
dere für Sie sein? Denn Sie müssen den Leuten erklären, (Beifall bei der LINKEN)
dass Ihrer Meinung nach 345 Euro im Monat ausrei-
chend sind. Sie müssen den Leuten erklären, warum Sie Vielleicht werden einige von Ihnen gegen unsere For-
immer wieder gegen eine Erhöhung der Regelsätze derung einwenden, man könne die Regelsätze nicht an-
stimmen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Sie heben, weil sich die Leute dann in der Arbeitslosigkeit
sich dabei gut fühlen. Auch kann ich mir nicht vorstel- einrichten.
len, dass Sie die vielen Betroffenen, von denen Sie in Ih- (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: So ist
rem Wahlkreis erfahren, in dem Moment vergessen, in das!)
dem Sie durch die Pforte des Bundestages gehen.
Ich allerdings denke: Solange wir als Bundespolitiker
(Beifall bei der LINKEN) nicht in der Lage sind, die Rahmenbedingungen dafür zu
Deswegen appelliere ich an Sie: Stellen wir heute genug schaffen, dass jeder, der verzweifelt einen Arbeitsplatz
Geld in den Haushalt ein, um eine Erhöhung der Regel- sucht, einen Arbeitsplatz bekommt, dürfen wir nicht mit
sätze auf mindestens 420 Euro zu ermöglichen! dem Finger auf Leute zeigen, die vielleicht resigniert ha-
ben, weil sie sich schon oft erfolglos beworben haben.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Meckel-
Wie Sie wissen, bin ich der Überzeugung: Das, was burg [CDU/CSU]: Dann müssen Sie die Welt
wir eigentlich brauchen, ist eine soziale Grundsiche- verändern!)
rung, die jedem Menschen ein Leben jenseits von Ar-
mut ermöglicht. 420 Euro sind wirklich das Mindeste, Da ich aber glaube, dass Sie tatsächlich der Überzeu-
was ein Mensch im Monat braucht. gung sind, die Leute würden es genießen, den ganzen
Tag Feierabend zu haben, möchte ich Sie mit der Aus-
(B) Einige von Ihnen werden einwenden, unsere Forde- sage einer jungen Erwerbslosen konfrontieren. Sie sagte: (D)
rung sei erstens populistisch und zweitens nicht finan- Das glaubt uns Arbeitslosen zwar niemand, aber keinen
zierbar. Den Vorwurf des Populismus kennen wir; er ist Job zu haben, ist verdammt anstrengend. Man will raus
nicht besonders originell. aus dieser Situation, kann es aber nicht. Man spürt, was
die anderen über einen denken, und das tut weh. Wer ei-
(Klaus Brandner [SPD]: Aber er ist immer nen Job hat, hat wenigstens irgendwann Feierabend. Wer
noch wahr!) aber verzweifelt einen Job sucht, der wird diesen Druck
Interessanter hingegen ist die Frage der Finanzierbar- nie los. In dieser Situation hat man faktisch niemals Fei-
keit. Der Bundesrechnungshof hat erst vor kurzem kriti- erabend.
siert, dass nur 15 Prozent der Einkommensmillionäre
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Da sprach
überhaupt überprüft werden, und das, obwohl jede Über-
Mutter Courage!)
prüfung für den Staat Mehreinnahmen in Höhe von mehr
als 100 000 Euro bringt. So großzügig und nachsichtig Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass Sie
sind wir, wenn es um die wirklich Reichen in diesem Anträgen der Linksfraktion eher selten zustimmen. Aber
Land geht. ich finde, in diesem Fall sollten Sie einmal über Ihren
Schatten springen. Wenn Sie dem Änderungsantrag mei-
(Beifall bei der LINKEN)
ner Fraktion, mehr Geld für das Arbeitslosengeld II in
Können Sie den Leuten angesichts solcher Meldungen den Haushalt einzustellen, heute zustimmen, dann ma-
eigentlich noch in die Augen schauen, wenn Sie behaup- chen Sie das nicht, weil Sie uns einen Gefallen tun wol-
ten, dass eine Erhöhung des Regelsatzes beim Arbeits- len. Wenn wir heute die Voraussetzungen für eine Anhe-
losengeld II nicht finanzierbar ist? bung der Regelsätze beim Arbeitslosengeld II schaffen,
dann tun wir das nur, um die Arbeitslosigkeit und Armut
Wenn wir als Linksfraktion mehr Geld für die Armen für Menschen wie Anja F. und Kati K. etwas erträglicher
fordern, dann sagen Sie immer, das sei nicht finanzier- zu machen. Es geht nicht um Luxus. Es geht nur darum,
bar. Gleichzeitig arbeiten Sie jedoch an einer Unterneh- die Situation für die Betroffenen etwas erträglicher zu
mensteuerreform, die unseren Staat in Zukunft jedes gestalten. Dazu sollten wir alle gemeinsam Ja sagen.
Jahr 10 Milliarden Euro kosten wird.
Besten Dank.
(Klaus Brandner [SPD]: Das stimmt nicht! –
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Können (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Meckel-
Sie mir bitte einmal vorrechnen, wie Sie auf burg [CDU/CSU]: Das war wieder einmal Po-
diese Zahl kommen?) pulismus pur!)
6640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: streitenden Interessen“ beschreibt. Was wird denn kom- (C)
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Thea Dückert für men? Sie, Herr Minister, sprachen vom Mindestlohn.
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Ich kann Sie da nur unterstützen.
(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Warum
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): habt ihr es dann nicht gemacht? – Hans-Joa-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chim Fuchtel [CDU/CSU]: Etwas zu spät!)
Sehr geehrte Frau Lehn, ich will Ihnen zum Anfang mei-
ner Rede mitteilen: Meine Tante heißt nicht Käthe, son- Was wird kommen? Der Mindestlohn von flächende-
dern Gerda. Deswegen kann ich hier ganz neidlos fest- ckend 7,50 Euro, den die Gewerkschaften fordern, oder
stellen: Ja, es ist richtig, dass die Situation in diesem der branchenbezogene Mindestlohn, den wir vernünftig
Jahr besser ist als vor einem Jahr, finden, oder gar keiner, wie es Ihr Koalitionspartner
will? Was wird denn für die Geringqualifizierten mit
(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Ohne niedrigem Einkommen kommen? Ein Kombilohn, flä-
Grüne ist es besser!) chendeckend? Wissen Sie, Herr Müntefering, wovor ich
dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Be- Angst habe? Dass Sie in diesem Konflikt der widerstrei-
schäftigungsverhältnisse zugenommen hat und dass sich tenden Interessen, bei dem die Ansätze der Sozial- und
die Situation bei der Bundesagentur für Arbeit, wie Herr der Arbeitsmarktpolitik nicht zusammenpassen, über
Müntefering zu Recht bemerkt hat, schon seit zwei Jah- diese Arbeitsgruppe letzten Endes so etwas wie ein Ge-
ren zunehmend entspannt hat. Der Abbau der Arbeitslo- sundheitsfondue vorbereiten.
sigkeit ist gut für die Betroffenen. Die Entspannung bei Sie verschleiern die Gefährlichkeit der Problematik,
der Bundesagentur für Arbeit hat aber sicherlich auch et- die man hier zu lösen hat. Mit den Konzepten, die Ihr Ko-
was mit den schwierigen Reformen der letzten Jahre, alitionspartner präsentiert, laufen Sie Gefahr, ein Lohn-
den Hartz-Reformen, zu tun. dumping zu finanzieren. Unser Problem in Deutschland
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist nicht die Lohnhöhe, sondern sind die Lohnnebenkos-
ten.
sowie der Abg. Waltraud Lehn [SPD])
Man sollte aber auch feststellen, dass Sie dazu neigen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
diesen Aufschwung als Alibi fürs Nichtstun zu benut- Deswegen: Nehmen Sie das, was erwirtschaftet ist, zur
zen. Mit der beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung be- Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung!
schwören Sie die große Gefahr einer Delle in der Kon- Konzentrieren Sie es auf die Bezieher kleiner, niedriger
junkturkurve herauf, die Sie zu verantworten haben Einkommen! Setzen Sie das Progressivmodell um, das
(B) werden. Zudem wird dann möglicherweise auch die Be- wir Ihnen vorschlagen. Denn durch die Senkung der Bei- (D)
schäftigungsschwelle wieder sinken, worauf Herr Kolb träge für Bezieher kleiner Einkommen und damit der
zu Recht hingewiesen hat. Das ist eine vertane Chance Lohnnebenkosten erzielt man den größten Beschäfti-
für Deutschland. gungseffekt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und bei der FDP)
Im gesamten Bereich der Arbeitsmarktpolitik bleiben
Ich weiß, dass Sie so etwas nicht gerne hören – das ist Sie Antworten schuldig, obwohl Sie im Moment große
ja klar –, weder die Kritik vom Sachverständigenrat Reformchancen haben. Was machen Sie stattdessen?
noch die Kritik aus der Opposition. Vielleicht sollten Sie Frau Hajduk hat darauf hingewiesen: Sie führen hier
im Nebel des Eigenlobs und vielleicht auch des Hoch- eine unselige Debatte. Sie ist unselig vor dem Hinter-
mutes zumindest darauf hören, was die Wählerinnen und grund, dass wir in Deutschland eine Fortführung der
Wähler sagen: Die große Koalition befindet sich im Sozialreformen brauchen, bei denen der Generationen-
Stimmungstief. Vor einem Jahr haben 60 Prozent der konflikt und die demografische Entwicklung wirklich
Wählerinnen und Wähler gesagt: Eine große Koalition berücksichtigt werden.
ist gut. Heute sagen das gerade einmal 36 Prozent. Das
ist kein Zeugnis von der Zunahme von Vertrauen, son- Sie lassen Robin Rüttgers durch die Lande reiten
dern von dem Verspielen von Vertrauen in diesem Land. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er ist ein sehr
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erfolgreicher Ministerpräsident, aber nicht
sowie bei Abgeordneten der FDP) Mitglied dieses Hauses! Er regiert gemeinsam
mit der FDP!)
Sie reden sich hier vieles schön; doch Sie setzen sich mit
den realen Problemen nicht auseinander. Deshalb ver- und verbreiten hier ein Modell, das letzten Endes nicht
wundert die Enttäuschung der Wählerinnen und Wähler zur Verankerung von mehr Gerechtigkeit, sondern ers-
nicht. tens zur Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme
– ich spreche hiermit die Arbeitslosenversicherung an,
In der Arbeitsmarktpolitik haben wir einen weiteren die eine Risikoversicherung darstellt – und zweitens zu
Geburtstag zu feiern: den Geburtstag einer Arbeits- Regelungen führen wird, die gegen die Jungen, die
gruppe, die sich seit einem Jahr mit der Arbeitsmarktpo- Frauen und die Menschen aus den neuen Bundesländern
litik beschäftigt. Vorgelegt hat sie noch nichts. Ich ver- gerichtet sind.
stehe das auch. Denn diese Arbeitsgruppe hat genau das
zu bewältigen, was der Sachverständigenrat mit „wider- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6641
Dr. Thea Dückert
(A) Das ist das Gegenteil von Gerechtigkeit und einer klugen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
Arbeitsmarktpolitik, mit der Konzepte gegen und nicht Das Wort hat nun der Kollege Max Straubinger für
für die Frühverrentung entwickelt werden müssen. Im die Fraktion der CDU/CSU.
Übrigen empfehle ich Ihnen, die sehr interessante Rede
von Herrn Köhler zum Sozialstaat nachzulesen. Dann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
werden Ihnen vielleicht einige Schuppen von den Augen
fallen. Max Straubinger (CDU/CSU):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass wir heute bei der Beratung des Haus-
Herr Müntefering, zum Abschluss möchte ich noch halts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
zwei Dinge erwähnen, die mich aufgrund Ihrer sozialde- feststellen können, dass die soziale Sicherung der Men-
mokratischen Brille sehr gewundert haben: schen bei dieser Bundesregierung unter Angela Merkel
Erster Punkt. Herr Glos hat gesagt, die Glaubwürdig- und Franz Müntefering in guten Händen liegt.
keit der Regierung werde daran gemessen, ob die Sozial- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
abgaben unter 40 Prozent sinken. Im nächsten Jahr wer-
neten der SPD)
den sie wahrscheinlich bei 40,6 Prozent liegen. Diese
Hürde wird also deutlich gerissen. So viel zur Glaubwür- Der heute zu beratende Einzelplan hat den größten
digkeit. Herr Müntefering, interessant ist aber, dass ein Anteil am Gesamthaushalt. Ich glaube, bei dieser Ge-
sozialdemokratischer Arbeitsminister hier stolz darauf legenheit sollte man durchaus auch vermerken, dass
verweist, dass die Arbeitnehmer den größeren Batzen Sozialpolitik in Deutschland nicht nur mit dem Haushalt
dieser 40,6 Prozent zu tragen haben werden und dass der dieses Ministeriums, sondern auch mit dem Haushalt des
Anteil der Arbeitgeber bei unter 20 Prozent liegen wird. Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Das verwundert mich sehr. und mit dem Haushalt des Ministeriums für Gesundheit
Zweiter Punkt. Sie haben offensichtlich vergessen, betrieben wird. Das bedeutet, dass der sozialen Siche-
wie die Überschrift einer guten Arbeitsmarktreform lau- rung der Menschen in Deutschland auf unterschied-
ten muss. Es muss nämlich einen Gleichklang zwischen lichste Art und Weise über 50 Prozent der 270 Milliar-
Fördern und Fordern geben. Sie haben hier stolz darauf den Euro zugute kommen. Dies ist meines Erachtens
verwiesen, dass im Eingliederungstitel veranschlagte eine großartige und gute Nachricht, die vor allen Dingen
Mittel nicht nur gesperrt, sondern ganz eingespart wer- durch die gute gemeinsame Politik der CDU/CSU und
den, dass also das Fördern zu kurz kommt und diese Mit- der SPD untermauert wird.
tel für die Langzeitarbeitslosen nicht ausgegeben wer-
Wenn wir uns heute über viele gute Zahlen freuen
(B) den. können – was die Oppositionsparteien als Schönreden (D)
Ich möchte insbesondere Sie Sozialdemokraten an bezeichnen, weil sie sich über positive Zahlen offen-
eine Sache erinnern: Es war immer richtig, als Ziel zu sichtlich nicht freuen können;
formulieren,
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Mög- NEN]: Sie sollten mal zuhören! Das hilft im-
lichst viel Geld auszugeben! Dafür stehen mer sehr!)
Sie!)
dabei kann nicht alles in einem Jahr erreicht werden, was
Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren zu wollen. Des- im Regierungsprogramm auf vier Jahre angelegt ist –, so
wegen ist es grottenfalsch, dass Sie den Eingliederungs- bedeutet dies für die Menschen in Deutschland auch,
titel mit diesem Haushalt nicht zum Fördern nutzen, son- dass sie mit Mut und Zuversicht in die Zukunft blicken
dern für passive Leistungen nutzbar machen. Kehren Sie
können, weil es mehr Arbeit geben wird. Die wirt-
an dieser Stelle um und unterstützen Sie unseren Antrag,
schaftliche Lage und die wirtschaftlichen Rahmenbe-
mit dem wir genau den anderen Weg gehen wollen, näm-
dingungen haben sich unter dieser Regierung verbessert
lich das Fördern von Arbeit in den Mittelpunkt zu stel-
len. und werden sich noch weiter verbessern, wozu auch die-
ser Bundeshaushalt und insbesondere der Haushalt für
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Arbeit und Soziales beitragen wird.
Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sieben
Jahre lang habt ihr das falsch gemacht!) Deshalb ist es für mich durchaus bemerkenswert, dass
wir mit den Arbeitsmarktreformen, die wir im vergan-
genen Jahr eingeleitet haben – dazu zählen das SGB-II-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Fortentwicklungsgesetz, die Änderungen der Hartz-IV-
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Gesetze und dergleichen mehr –, positive Wegmarken
für mehr Arbeit und Beschäftigung und bessere Zukunfts-
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chancen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ge-
Ich komme zum Schluss. – Wenn Sie dies beherzigen setzt haben.
und nicht auch noch die Zuverdienstmöglichkeiten strei-
chen, dann werden Sie, Herr Müntefering, mehr Arbeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
schaffen und nicht zum König der Schwarzarbeit wer- neten der SPD)
den.
Das heißt aber nicht – Bundesminister Franz Münte-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fering hat bereits darauf hingewiesen –, dass wir uns auf
6642 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Max Straubinger
(A) den Erfolgen ausruhen sollten; wir müssen vielmehr bietet. Darüber hinaus schaffen wir mit der geplanten (C)
neue Aufgaben angehen. Besonders entscheidend bei Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung
den Arbeitsmarktreformen ist, dass Menschen wieder in auf 19,9 Prozent Planungssicherheit bis 2010 insbeson-
Arbeit kommen. Einen Teil der von den beiden Koaliti- dere für die Betriebe.
onsfraktionen getragenen Regelungen werden wir über-
prüfen und sicherlich ändern müssen, weil viele ALG-II- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Empfänger für sich entschieden haben, dass das ALG II Es ist entscheidend, das Projekt „Rente mit 67“ mit
für ihr persönliches Auskommen ausreichend ist, wenn Fortune anzugehen. Sicherlich sehen die Bürgerinnen
sie noch ein bisschen hinzuverdienen. Es muss aber die und Bürger darin eine Belastung. Aber wir müssen der
umgekehrte Reihenfolge gelten: Zuerst kommt die Ei- demografischen Entwicklung positiv gegenüberstehen.
genverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, selbst Wenn die Lebenserwartung in Deutschland ständig steigt,
für Arbeit und Brot zu sorgen. Erst dann kommt die sozi- dann ist das positiv für die Menschen in unserem Land
ale Unterstützung in unserem Land. Das bedeutet, dass und ein Zeichen für Leistungsfähigkeit. Das beste Bei-
wir im Bereich der Hinzuverdienstregelungen neue spiel dafür ist unser Bundesminister Franz Müntefering,
Wege beschreiten müssen. der nächstes Jahr, wenn er 67 wird, nicht in Rente gehen
(Beifall bei der CDU/CSU) wird, sondern die Bundesregierung weiterhin tatkräftig
unterstützen wird.
Dieser Haushalt ist auch hinsichtlich der Unterstüt-
zung für die Kommunen – darüber freue ich mich be- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
sonders, weil ich auch Kommunalpolitiker bin – etwas der SPD)
Besonderes. Dass der Bund die Kommunen mit 4,3 Mil-
Wenn wir bis 2029 das Renteneintrittsalter schritt-
liarden Euro für Kosten der Unterkunft unterstützt, be-
weise auf 67 Jahre anheben, betreiben wir eine verant-
deutet letztlich, dass die Haushalte in unseren Kommu-
wortungsbewusste Politik gegenüber den Bürgerinnen
nen wieder zukunftsfest gestaltet werden können
und Bürgern. Sie können sich aufgrund dieses langen
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!) Übergangszeitraums mit Zusatzversorgungen wie Ries-
terrente, betrieblicher Altersvorsorge und Rüruprente
– das gilt jedenfalls für die bayerischen Kommunen, lie- darauf einstellen. Eine unserer Aufgaben ist aber auch,
ber Kollege Kampeter – und damit die kommunalen bewusst zu machen, dass die Bürgerinnen und Bürger
Haushalte in die Lage versetzt werden, Zukunftsaufga- mehr für die Absicherung von Berufs- bzw. Erwerbsun-
ben wahrzunehmen und Zukunftsinvestitionen zu täti- fähigkeit aufwenden müssen. Das müssen wir vielleicht
gen, die mehr Arbeit und Beschäftigung für die Men- stärker in das Blickfeld rücken, wenn es darum geht, die
(B) schen in Deutschland bedeuten. privaten Sicherungssysteme zu stärken. (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielfach wurde insbesondere von Ihnen, liebe Kolle-
Unter diesem Gesichtspunkt schätze ich die Unter- ginnen und Kollegen von der Linksfraktion, zum Aus-
stützung des Bundes hoch ein. Ich glaube, das ist ein Er- druck gebracht, dass die sozialen Leistungen für die Bür-
folg für alle Kommunalpolitiker in unserem Lande und gerinnen und Bürger angeblich zu gering seien. Sie
vor allen Dingen auch für die Bundestagsabgeordneten, haben den Änderungsantrag gestellt, das Arbeitslosen-
die sich besonders der Kommunalpolitik annehmen und geld II auf 420 Euro zu erhöhen, nach dem Motto „Wer
ihr verpflichtet fühlen. bietet mehr? Wer ist der Sozialste in unserem Land?“.
Gleichwohl gibt es in diesem Bereich auch eine zu- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE
künftige Verantwortung für den Bund und den Bundes- LINKE])
haushalt. Was die Entwicklung bei der Grundsicherung
angeht – seit 2003 hat die Zahl der Fälle um 43 Prozent Das darf nicht so stehen bleiben. Wir betreiben – das ist
zugenommen; die Unterstützungsleistungen im Bereich das Entscheidende – eine Sozialpolitik nach der Leis-
der Kosten der Unterkunft sind aber seitdem unverändert tungsfähigkeit unserer Bürgerinnen und Bürger, die tag-
geblieben –, ist es aufgrund der getroffenen Vereinbarun- täglich die Beiträge bzw. die Steuermittel zu erarbeiten
gen durchaus auch die Aufgabe der Bundesregierung, haben. Hier dürfen wir die Generationengerechtigkeit
Herr Bundesminister, zusätzliche Unterstützung bei der nicht aus den Augen verlieren.
Wahrnehmung der kommunalen Aufgaben zu leisten. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
Ich bin überzeugt, dass wir zu verantwortungsvollen Lö-
sungen kommen werden. Es ist sicherlich einfach, mehr Leistungen zu verspre-
chen und die Kosten den zukünftigen Generationen auf-
Ein Bereich, der sicherlich auch zukünftig große Be- zubürden. Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-
deutung hat, ist die Rentenpolitik. Eines der großen und tion, Ihre Politik würde letztendlich dazu führen, dass
wichtigen Ziele in der Rentenpolitik dieser großen Ko- die Belastungen in die Zukunft verschoben werden. Un-
alition ist die Verlässlichkeit, damit sich die Bürgerinnen sere Kinder sollen nach Ihren Vorstellungen für die Las-
und Bürger auf die Rentenzahlungen und auch auf die ten zahlen, die wir ihnen heute auferlegen. Das ist keine
Höhe der Renten verlassen können. Wir sorgen dafür, verantwortungsbewusste Politik im Sinne der Generatio-
dass die Renten nicht gekürzt werden. Ich danke dem nengerechtigkeit.
Bundesminister, dass wir heuer das Gesetz verabschiedet
haben, das den Rentnern und Rentnerinnen Sicherheit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6643
Max Straubinger
(A) Sie fordern zudem eine Aussetzung der geplanten weniger Ausgaben, weil weniger für den Bezug von Ar- (C)
Unternehmensteuerreform. Dies ist nichts anderes, als beitslosengeld ausgegeben werden musste. Insgesamt
ob man einem Bauern empfehlen würde, sein Saatgut zu gesehen haben wir also eine überaus positive Situation,
verbrauchen; denn die Unternehmensteuerreform, die die das Ergebnis einer verlässlichen Politik ist und die
der Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland deutlich macht, dass sich die Reformen, die mit Mut an-
dient, ist letztendlich die Saat dafür, dass wir mehr Ar- gegangen worden sind und die in die Zukunft gerichtet
beitsplätze in unserem Land haben und damit den Men- sind, ausgezahlt haben.
schen mehr Zukunftschancen geben und – darauf auf-
bauend – soziale Sicherheit für die Menschen schaffen, (Beifall bei der SPD)
die sich selbst nicht helfen können. In diesem Sinne wer- Das kann uns freuen, weil sich damit Kontinuität aus-
den wir unsere Arbeit fortsetzen. zahlt. Ich bin froh darüber, dass die Verunsicherung in
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. den sozialen Sicherungssystemen endlich beendet ist.
Stabilität und Vertrauen sind die Basis für mehr Sicher-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) heit und das brauchen wir.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sollen wir
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: euch glauben?)
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Brand-
ner für die SPD-Fraktion. Die Sozialabgaben sind – Herr Kolb, da sollten Sie sich
an Ihre eigene Nase fassen – während der Zeit, als Sie
(Beifall bei der SPD) mitregiert haben, deutlich in die Höhe geschossen.

Klaus Brandner (SPD): (Beifall bei der SPD)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Sie haben allen Grund dazu, ganz still zu sein, sich hin-
Damen und Herren! In der heutigen Debatte muss offen- zusetzen und zuzuhören.
bar jeder den Namen seiner Tante mitteilen. Meine Tante
hieß Elli. Sie hätte sich sehr gefreut, wenn sie die Daten, (Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] meldet sich
über die wir heute sprechen, zur Kenntnis genommen zu einer Zwischenfrage)
hätte: – Nein, Herr Kolb, ich möchte den Sachverhalt vortra-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen.
zurückgehende Arbeitslosigkeit, höhere Steuereinnah- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schade!)
(B) men, ein gutes wirtschaftliches Wachstum, Zunahme der – Gar nicht schade, Sie hatten Gelegenheit genug, zu (D)
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Der dem Thema zu sprechen. – Die Senkung der Sozial-
Bundesminister Müntefering und andere haben auf diese abgaben auf 40 Prozent, die wir in unserem Koalitions-
guten Daten und Nachrichten hingewiesen. vertrag angestrebt haben, ist erreicht. Im nächsten Jahr
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: An euch kann es wird der Rentenversicherungsbeitrag bei 19,9 Prozent
ja nicht liegen!) (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
– Herr Kolb, wir haben entsprechende Erfolge aufzuwei- NEN]: Was hat das mit Senkung zu tun?)
sen. Das sollten Sie sich merken. Wir reden heute nichts und der Arbeitslosenversicherungsbeitrag bei 4,2 Prozent
schön, sondern wir sagen ganz deutlich, wie die Verhält- liegen. Selbst dann, wenn eine Erhöhung des Beitrags zur
nisse sind und wo wir noch Bedarf sehen, etwas zu än- gesetzlichen Krankenversicherung um 0,6 Prozentpunkte
dern. einkalkuliert wird, bleiben wir unter 40 Prozent. Ich bei-
Wir ruhen uns nicht aus. Wir freuen uns natürlich, spielsweise bin gesetzlich krankenversichert bei der
dass wir endlich einen Haushalt haben, der nicht auf IKK, einer handwerklichen Krankenversicherung. Ich
Kante genäht ist. Das ist gerade für die Sozialversiche- werde einen Beitrag von 13,9 Prozent zahlen müssen
rung wichtig, die in unserem Haushalt den größten Aus- und zusätzlich 1,7 Prozent für die Pflegeversicherung. In
gabeposten darstellt. Deshalb sage ich ganz deutlich mit der Summe komme ich damit auf 39,7 Prozent. Das ist
Richtung auf die FDP: Der Haushalt ist kein Haushalt weniger als 40 Prozent, was keiner in diesem Hause be-
der Risiken, sondern ein Haushalt der Chancen. Die streiten kann. Insofern sind wir ein entscheidendes Stück
Rentenversicherung hat Mehreinnahmen aufgrund höhe- vorangekommen. Das ist ein wichtiges Signal und das
rer Einkommen. Sie könnten noch höher sein, Herr bedeutet auch, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
Kolb, wenn Leute wie Sie nicht dauernd sagen würden, nehmer in diesem Land mehr Geld in ihren Taschen ha-
die Löhne in diesem Land seien zu hoch. Die Rentenver- ben. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
sicherung hat auch deshalb Mehreinnahmen, weil die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist.
der CDU/CSU)
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass
Kastner)
auch bei einer Senkung des Beitrags zur Arbeitslosen-
Die Arbeitslosenversicherung verzeichnet ebenfalls hö- versicherung um 2,3 Prozentpunkte die Finanzierung
here Einnahmen, weil die Arbeitslosigkeit zurückgegan- der Bundesagentur für Arbeit aus unserer Sicht län-
gen ist und die Löhne gestiegen sind. Wir haben deutlich gerfristig gesichert ist. Die Bundesagentur für Arbeit
6644 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Klaus Brandner
(A) verzeichnet einen Überschuss von über 10 Milliarden zichten, wenn es um eine komplett abgeschlossene Wei- (C)
Euro. Herr Kolb hat gerade gesagt – da sieht man, wie er terbildungsmaßnahme geht. Ich finde, das wäre zeitge-
in der Debatte mit Daten umgeht –, dieser Überschuss mäß und angebracht.
sei nur wegen des gravierenden Vorzieheffekts zustande
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
gekommen.
CDU/CSU)
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 3,4 Milliarden
Die Chancen potenzieller Arbeitsloser auf dem Arbeits-
Euro!)
markt sind natürlich umso besser, je früher sie in eine
3,4 Milliarden Euro gründen sich auf den Vorzieheffekt, gute Ausbildung oder eine gute Qualifizierung kommen.
da hat er Recht. Der Überschuss aber wird mehr als
In diesem Zusammenhang hat Kollegin Falk das
10 Milliarden Euro betragen. Für jeden ist offensicht- Stichwort „Arbeitsmarkt für Leistungsgeminderte“ ge-
lich, was mehr Gewicht hat. Der Überschuss ist so be- bracht; manche sprechen auch vom dritten Arbeits-
deutend, dass auch Herr Kolb wissen sollte: Hier ist ein markt. Ich möchte bewusst nicht vom dritten Arbeits-
guter Weg beschritten worden; die Arbeitslosenversiche- markt sprechen, weil das Bild des dritten Arbeitsmarktes
rung wird langfristig entlastet. Das ist eine Gewähr für diese Personengruppe, die wir auch mit den besten ar-
eine langfristige Beitragssatzsenkung. Das ist ein Erfolg beitsmarktpolitischen Instrumenten zurzeit nicht errei-
für die Bundesagentur für Arbeit. chen, nichts anderes als stigmatisieren würde. Ich sage
An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen, dass deshalb ganz offen: Wir brauchen eine Jobperspektive,
ich dabei nicht nur dem Vorstandsvorsitzenden der Bun- wir brauchen Arbeit für Langzeitarbeitslose ohne Chan-
desagentur danken möchte. Ich glaube, wir haben allen cen auf dem regulären Arbeitsmarkt. Das ist eine Ange-
Grund, für diesen erfolgreichen Umbau der Bundesagen- legenheit, der wir uns jetzt annehmen, weil es ein Her-
tur für Arbeit den Mitarbeitern, dem Vorstand, dem Per- zensanliegen von uns ist.
sonalrat – allen aus diesem Haus, die mitgeholfen haben, Ich habe dieses Thema systematisch angesprochen,
eine fast totgesagte Mammutbehörde zu einer modernen weil ich davon überzeugt bin, dass wir nicht hinnehmen
leistungsfähigen Dienstleistungseinrichtung umzubauen –, dürfen, dass der Personenkreis, der ohne eine gesonderte
einen großen Dank auszusprechen. Nur mit ihrer Mit- Aktivität keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat, ein-
hilfe ist es gelungen, dass die Bundesagentur wieder in fach links liegen gelassen wird. Wir müssen für diesen
einem guten Licht dasteht und auf einem guten Weg ist, Personenkreis Chancen organisieren.
Dienstleistungen für diejenigen zeitnah und qualifiziert
zur Verfügung zu stellen, die dieser Dienstleistung be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
dürfen. der CDU/CSU)
(B)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wer damit begonnen hat – wir haben damit systema- (D)
der CDU/CSU) tisch begonnen,

In dem Zusammenhang möchte ich einen kritischen (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Das ist nicht
Hinweis anbringen: Die Bundesagentur hat ohne Frage wahr, das wissen Sie selbst!)
auch einen sozialpolitischen Auftrag. Dieser zeigt sich andere haben anschließend unsere Anträge abgeschrie-
insbesondere in der Qualifizierung der Langzeitarbeits- ben –,
losen. Ja, wir sind für mehr Effizienz, aber über dem be-
triebswirtschaftlichen Denken darf nicht der sozialpoliti- (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Dann stim-
sche Auftrag der Bundesagentur vernachlässigt werden. men Sie doch unserem Antrag zu!)
Beitragssatzsenkungen dürfen nicht zulasten der Weiter- ist mir völlig wurscht. Wir meinen, es sollte ein Rennen
bildung gehen. Wir sind deshalb ganz deutlich der Mei- um die bessere Perspektive stattfinden. Wichtig ist, dass
nung, dass hier noch ein Stück nachgesteuert werden sich auf diesem Gebiet etwas tut. Der Bundesminister
muss. Als Gesetzgeber können wir durch eine bessere hat das in der entsprechenden Arbeitsgruppe zum Thema
Systematisierung des Aussteuerungsbetrages unseren gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine ange-
Beitrag leisten. Denn die Forderung muss sein: Wir müs- messene Lösung finden werden.
sen mehr Anreize für mehr Weiterbildung setzen.
Meine Damen und Herren, nun zu der Debatte über
Wir jedenfalls wollen den Aussteuerungsbetrag quali- die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Ich meine,
tativ weiterentwickeln. Wir wollen, dass potenzielle wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Ich
Langzeitarbeitslose – ich spreche hier ganz bewusst finde, Frau Falk hat dazu mit eindrucksvollen Worten die
nicht von Betreuungskunden, sondern von potenziellen Thematik noch einmal aus einer anderen Sicht beleuch-
Langzeitarbeitslosen – frühzeitig längerfristige Maßnah- tet. Sie hat davon gesprochen, welche Ängste und Sor-
men erhalten können. gen um den Arbeitsplatz bei vielen Älteren einfach vor-
handen sind. Sie hat auch Recht, dass wir hierfür
Meine Damen und Herren, dieser Vorschlag ist wich- nachhaltige Konzepte brauchen, keine Vorschläge, die
tig, weil er zu einer besseren Vernetzung von Arbeitslo- diese Zukunftsängste der Menschen noch mehr schüren.
senversicherung und Grundsicherung zugunsten der Was wir schon gar nicht brauchen, sind Vorschläge, die
Arbeitsuchenden beiträgt. Ich meine konkret, der Bund die Gesellschaft spalten.
sollte bei den Teilnehmern von Umschulungen im Rah-
men der Förderung beruflicher Weiterbildung auf die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Zahlung des Aussteuerungsbetrages immer dann ver- der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6645
Klaus Brandner
(A) Ein Spalten in Jung und Alt, in gute und schlechte Ar- mitmachen. Deshalb lehnen wir eine solche Regelung (C)
beitslose, in Ost und West, in Menschen mit gebroche- eindeutig ab.
nen Erwerbsbiografien und ohne gebrochene Erwerbs-
Wir bevorzugen eine nachhaltige und verlässliche
biografien, das brauchen wir nicht. Was wir brauchen, ist
Politik anstelle eines einfachen Sozialpopulismus.
ein solidarisches Miteinander und kein Gegeneinander.
Deswegen lehnen wir die Vorschläge nach Aufspaltung
der Arbeitslosenversicherung in eine Ansparversiche- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
rung ab. Herr Kollege Brandner, Ihre Redezeit ist zu Ende.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg.
Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU]) Klaus Brandner (SPD):
Wir müssen erkennen, wie wir mit den Ängsten der
Wenn in diesem Zusammenhang von Verunsicherung Menschen am besten umgehen. Das ist nicht durch ein-
die Rede ist, will ich klar sagen: Diese Verunsicherung zelne Maßnahmen, zum Beispiel mit der Verlängerung
ist durch die Globalisierung – ich verweise auf die ge- der Bezugsdauer um sechs Monate, getan. Was wir drin-
samte bisherige Arbeitsmarktsituation – real vorhanden. gend brauchen, ist mehr Beschäftigung, insbesondere für
Ich glaube nicht, dass wir den Menschen die Angst vor die Älteren.
dieser Verunsicherung dadurch nehmen, dass wir für we-
niger Kündigungsschutz, weniger Betriebsräte, weniger (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Mitbestimmung und mehr betriebliche Bündnisse sor- der CDU/CSU)
gen. Wir nehmen den Menschen die Angst, wenn wir es
schaffen, ihnen eine berufliche Perspektive zu geben. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das muss unser Ziel sein. Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Kolb.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ilse Falk
[CDU/CSU])
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Man darf es wohl als einen ganz besonderen Vorgang Herr Kollege Brandner, ich hatte mich zu einer Zwi-
bezeichnen, wenn sich der Bundespräsident in eine so schenfrage gemeldet – Sie haben sie leider nicht zugelas-
aktuelle Angelegenheit einmischt. Da, wo er Recht hat, sen –, weil ich die Frage nach Ihrer Glaubwürdigkeit
hat er nun einmal Recht. Er hat festgestellt, das Arbeits- stellen wollte. Was die Zukunft der Rentenversiche-
losengeld sei eine Risikoversicherung und damit „ein rungsbeiträge anbelangt, sind Sie ganz eindeutig in der
Bollwerk gegen Notfälle“. Verantwortung. Auch heute haben Sie wieder gesagt:
(B) (Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD]) Der Beitragssatz in der Rentenversicherung steigt auf (D)
19,9 Prozent und das war’s; es werden mittelfristig keine
Der Bundespräsident sagte weiter: weiteren Erhöhungen erforderlich sein. Wer soll Ihnen
Der Vorschlag, die Bezugsdauer des Arbeitslosen- das glauben?
geldes nach Einzahlungszeit zu staffeln, schwächt Sie haben bei der Verabschiedung des Rentenversi-
das Versicherungsprinzip und damit eine zentrale cherungsnachhaltigkeitsgesetzes im Jahre 2004 gesagt:
zivilisatorische und soziale Errungenschaft zur Der Rentenversicherungsbeitrag wird bis zum Jahre
Schaffung von Sicherheit in modernen Gesellschaf- 2010 bei 18,6 Prozent verharren. – Im Sommer 2005, als
ten. es um die Einführung des 13. Monatsbeitrages ging, ha-
Dies ist eine im Kern völlig korrekte Aussage, der wir ben Sie gesagt: Es wird 2006/2007 bei einem Beitrag
uns voll anschließen können. von 19,5 Prozent bleiben können; danach werden es
19,6 Prozent sein.
(Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD])
Jetzt erhöhen Sie trotz guter Kassenlage der Renten-
Er fügt hinzu: versicherung den Beitragssatz auf 19,9 Prozent. Wer soll
Wir müssen uns auf die eigentliche Hauptaufgabe Ihnen glauben, dass es in absehbarer Zeit nicht zu weite-
konzentrieren: Arbeit schaffen, das ist die wich- ren Erhöhungen kommt, zumal im Rentenversicherungs-
tigste Form sozialer Gerechtigkeit. bericht 2006 vier von neun beschriebenen Szenarien für
die Entwicklung bis 2010 von der Notwendigkeit einer
Das kann man, so meine ich, nur unterstreichen. weiteren Beitragserhöhung ausgehen?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der zweite Punkt, den ich Ihnen ins Stammbuch
schreiben muss: Sie bereiten hier einen Paradigmen-
Mir tun diejenigen Leid, die in dieser Situation im
wechsel vor. Sie wollen von der Politik der Senkung der
Geleitzug von einigen, die Sozialspaltung und Populis-
Lohnnebenkosten Abstand nehmen. Klartext: Das war’s.
mus betreiben, ihr Süppchen kochen wollen. Ich bin
Mit weniger als 20 Prozent für die Arbeitgeber soll es
noch nie vor der Verantwortung weggelaufen und sage
sein Bewenden haben, weiterer Handlungsbedarf besteht
ganz deutlich: Wir haben eine Risikoversicherung, die
nicht.
im Falle eines Arbeitsplatzverlustes eine umfassende
Leistung darstellt. Diese Leistung sollten wir den Jünge- Dazu muss man Ihnen sagen: Hier verstoßen Sie klar
ren und denen, die größeren Risiken ausgesetzt sind, gegen Ihren Koalitionsvertrag, in dem es heißt: dauer-
nicht einfach nehmen oder kürzen. Da können wir nicht hafte Senkung der Lohnnebenkosten – in Klammern
6646 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) steht da: Sozialversicherungsbeiträge – unter 40 Prozent! Sie sonst führen würden, nämlich mit dem Ziel, weitere (C)
Zu den Sozialversicherungsbeiträgen muss man alles Sozialleistungen zurückzuschrauben, nicht zulassen
zählen; das ist nicht, wie Sie uns neulich im Ausschuss wollen. Deshalb haben wir auf Sicherheit gebaut. Das ist
erzählen wollten, unter Ausschluss des Pflegeversiche- mit der Festlegung dieses Beitragssatzes geschehen. Bei
rungsbeitrags und unter Vernachlässigung des Zusatzbei- dem, was mittelfristig zu übersehen ist, wird der Bei-
trags, den die Arbeitnehmer zur Krankenversicherung tragssatz bei 19,9 Prozent bleiben.
allein zu zahlen haben, zu verstehen. Das können Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
doch einräumen. Geben Sie hier wenigstens offen zu, der CDU/CSU)
dass Sie diesen Paradigmenwechsel betreiben, und reden
Sie nicht um den heißen Brei herum!
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
(Beifall bei der FDP) Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolf-
gang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege Brandner, bitte.
(Dirk Niebel [FDP]: Sagen Sie einfach: „Kolb Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
hat Recht!“) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als letzter Redner zum Einzelplan 11 – Arbeit und So-
Klaus Brandner (SPD): ziales – und vor einer namentlichen Abstimmung ist es
nicht ganz so einfach, den Sack noch einmal zuzubinden.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Ich möchte zunächst den Verwandtensack zubinden,
legen! Was Herr Kolb gerade gesagt hat, ist ein typisches nachdem Frau Kollegin Lehn die Tante Käthe und der
Beispiel von Tante Käthe. Im Grunde genommen ist es Kollege Brandner die Tante Elli erwähnt haben. Es gibt
so, dass das, was wir erreicht haben – aus unserer Sicht einen Spruch, der da heißt: Eine Tante, die etwas mit-
ist das natürlich eine Freude; Sie macht das eher besorgt –, bringt, ist immer besser als eine Tante, die nur Klavier
Ihnen nicht vergönnt war. spielt. – Diese Bundesregierung spielt nicht Klavier.
Sie haben während Ihrer Mitregierungszeit die So- Nach einem Jahr bringt sie etwas mit.
zialversicherungsbeiträge regelmäßig ganz erheblich er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
höht. Sie haben die Sozialkassen zur Finanzierung der neten der SPD)
deutschen Einheit missbraucht, insbesondere was die
Rentenversicherung betrifft. Schließlich waren Sie bei Der Einzelplan 11 – Arbeit und Soziales – hat eine
(B) einer Quote von über 42 Prozent. Wir sind jetzt dabei, besondere Bedeutung, und zwar vom Volumen her – er (D)
genau das zurückzuentwickeln, und trotzdem nörgeln ist der größte des Gesamtetats mit fast 50 Prozent der
Sie herum. Ausgaben –, aber auch von den Themenfeldern her. Es
sind nämlich die Themen Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit
Über die Höhe des Sozialversicherungsbeitrags wer- und Rente, die die Menschen in diesem Land bewegen.
den wir immer streiten können. Der erste Punkt für So- Deswegen ist dies auch der Platz, wo sich vor allem die
zialdemokraten ist: Welche Leistungen müssen wir zur Opposition tummelt.
Verfügung stellen? Wir wollen die notwendigen Leistun-
Lassen Sie mich zum Schluss drei Schwerpunkte set-
gen zur Verfügung stellen. Es kann durchaus sein, dass zen. Ich möchte Ihnen zunächst einmal sagen, was die
es eine Zeit gibt, in der die Sozialversicherungsbeiträge Bundesregierung statt des Klavierspielens mitbringt, und
verändert werden müssen, weil Aufgabenstellungen auf- danach möchte ich noch zwei Bemerkungen zur Opposi-
treten, die am sinnvollsten darüber finanziert werden. tion machen.
Den Beitragssatz haben wir nie zum Fetisch erklärt.
Aber wir sind jetzt in der Lage, etwas Gutes zu tun. An- Was wir in einem Jahr geschafft haben, ist viel mehr
statt mitzuhelfen und das Erreichen dessen, was Sie sich als das, was die Menschen erwartet haben. Wir sind in
immer vorgenommen, aber nicht erreicht haben, zu be- einem Jahr riesige Schritte vorangekommen.
grüßen, nörgeln Sie herum. Das finden wir nicht in Ord- Erstens. Erstmals seit November 2002, also seit lan-
nung und das sagen wir Ihnen auch so deutlich. ger Zeit, liegt die Arbeitslosenquote wieder unter
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 10 Prozent.
der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Nun zur Rentenversicherung. Die Situation ist mo- neten der SPD)
mentan so günstig – auch Sie wissen das –, dass wir den Zweitens. Bei der Zahl der sozialversicherungs-
Beitragssatz zur Rentenversicherung gar nicht auf pflichtig Beschäftigten verzeichnen wir erstmals seit
19,9 Prozent erhöhen müssten. Sie haben im Ausschuss September 2000, also erstmals seit sechs Jahren, wieder
seitens des Staatssekretärs aufgrund der Berechnungen einen Aufwärtstrend. Statt Monat für Monat weniger
der Deutschen Rentenversicherung dazu klare Aussagen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt es nun
erhalten. eine Trendwende: Es gibt nämlich ein Plus von
250 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Richtig ist aber auch, dass wir auf Sicherheit setzen,
dass wir, wie ich es gesagt habe, die Sozialversicherung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nicht auf Kante nähen wollen und dass wir Debatten, die neten der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6647
Wolfgang Meckelburg
(A) Drittens. Mit dem prognostizierten Wirtschafts- bekommen, kein Interesse mehr haben, eine Arbeit auf- (C)
wachstum erleben wir den stärksten Konjunkturauf- zunehmen. Das ist eine Tatsache. Wenn Sie die bestrei-
schwung seit sechs Jahren und haben mit einer Neuver- ten, leben Sie an der Realität vorbei.
schuldung von 19,5 Milliarden Euro den niedrigsten
Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
der LINKEN)
Viertens senken wir den Beitrag zur Arbeitslosen-
versicherung von 6,5 auf 4,2 Prozent. Indem wir so die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Belastung des Faktors Arbeit senken, führen wir die Be- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
lastung auf ein Niveau zurück, das es zuletzt in den 80er- Kollegin Kipping?
Jahren gab.
Das sind die riesigen Entwicklungen, die diese Bun- Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
desregierung seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr ange- Ja, gerne.
stoßen hat.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
(Beifall bei der CDU/CSU) CSU)
Wir machen aber auch weiter: Es gibt viele Themen, – Das muss sein.
die zurzeit intern intensiv beraten werden. Wir wollen
nämlich keine Schnellschüsse machen. Minister Münte-
fering hat heute Morgen die Themen genannt, an denen Katja Kipping (DIE LINKE):
wir arbeiten. Deswegen erspare ich mir hier eine Auf- Wie erklären Sie, wenn Sie tatsächlich der Überzeu-
zählung. Stattdessen möchte ich ein paar kritische Be- gung sind, dass jemand, der 420 Euro im Monat be-
merkungen zu dem eher populistischen und einfachen kommt, nicht mehr bereit ist, einer Erwerbsarbeit nach-
Auftreten der Oppositionsfraktionen hier im Bundestag zugehen, den Umstand, dass es trotz des derzeit
machen. niedrigen Arbeitslosengeld-II-Satzes schon 900 000 Auf-
stocker gibt, also Leute, die zum Teil sogar Vollzeit ar-
Ich fange mit den Hauptmatadoren der PDS an, die beiten, obwohl ihr Verdienst geringer ist als der Arbeits-
hier ständig auftreten, nämlich Gysi und Lafontaine. losengeld-II-Satz?
Herr Gysi und Herr Lafontaine hatten politische Gestal-
tungsämter inne. Sie hätten also etwas bewegen können,
weil sie in ein politisches Amt gewählt waren. Aber als Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
sie die konkrete Möglichkeit dazu hatten, haben sie kalte Liebe Frau Kipping, mit Ihrer Frage setzen Sie das
(B) Füße bekommen und sind abgehauen. kleine Welttheater der Katja Kipping fort, das Sie eben (D)
schon in Ihrer Rede aufgeführt haben. Sie müssen nur
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einmal ernsthaft über das hinausdenken, was Sie gerade
neten der SPD und der Abg. Dr. Thea Dückert gesagt haben: Wenn der Satz tatsächlich auf 420 Euro
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) angehoben würde, dann würde das dazu führen, dass
Vor diesem Hintergrund stelle ich mir die Frage, warum auch die Zahl der Aufstocker noch einmal deutlich höher
Sie hier Woche für Woche als sozialistisches Doppel- würde. Mit jeder Erhöhung würde sich natürlich auch
packkombinat auftreten und der Menschheit glorreich al- die Zahl derjenigen vermehren, die Anspruch auf Sozial-
les Mögliche versprechen. Sie hatten die Möglichkeit, leistungen hätten.
haben sie aber nicht genutzt. Nun wollen Sie uns zurück- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
führen zu Zuständen, wie sie zum Teil in der DDR be- neten der SPD)
standen, die wir aber nicht wollen. Das sage ich mit aller
Deutlichkeit. Weil Sie das nicht vertreten wollen, machen Sie einen
zweiten Quatsch, indem Sie die Einführung eines gesetz-
(Beifall bei der CDU/CSU) lichen Mindestlohnes von 8 Euro fordern.
Das, was die Opposition hier immer wieder vorträgt, (Beifall bei der LINKEN)
ähnelt stark einer Populismusolympiade: möglichst noch
mehr ausgeben und so viel wie möglich von dem einge- Das ist die Antwort, die die Linken immer geben; völlig
nommenen Geld den Bürgern zurückgeben – besser, klar. Sie belasten die Wirtschaft und sorgen so dafür,
schneller, höher –, anstatt sich zu fragen, wie man die dass durch diese Belastung keiner mehr Arbeitsplätze
Probleme der Menschen lösen kann! schafft und dadurch die Arbeitslosigkeit steigt. Das ist
der völlig falsche Weg. Das können Sie noch so häufig
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erzählen; es ist bewiesen, dass das nicht läuft.
NEN]: Der Gewinner ist Rüttgers!)
Es geht nicht um mehr Sozialleistungen für die Men-
Ich mache es Ihnen einmal an einigen Beispielen schen, sondern die Frage muss lauten: Wie können wir
deutlich, warum Sie das mit Ihren Vorschlägen auch gar Arbeitsplätze schaffen, die dazu führen, dass die Men-
nicht schaffen können. Ihr Vorschlag, den Regelsatz für schen in den ersten Arbeitsmarkt hinein- und aus der
das Arbeitslosengeld II von 345 auf 420 Euro zu erhö- Grundsicherung herauskommen? Das ist die Kernfrage
hen, hört sich zwar sehr schön an, aber mit einem sol- und vor dieser drücken Sie sich.
chen Vorhaben ziehen Sie Mauern um den Arbeitsmarkt
herum, weil nämlich dann viele, die einen so hohen Satz (Beifall bei der CDU/CSU)
6648 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gemerkt haben, dass die SPD längst mit einem neuen (C)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zusatzfrage der Kol- Partner sehr zufrieden ist und neue und gute Politik
legin Kipping? macht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
Wir führen dieses leninistisch-marxistische Seminar Weil das so ist, machen wir auf diesem Weg weiter.
vielleicht besser im Ausschuss weiter. Ich finde, die Kol- Ich hoffe, dass das zweite Jahr ein ebenso erfolgreiches
legen haben einen Anspruch darauf, gleich zur Abstim- wird wie das erste.
mung zu kommen. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Lassen Sie mich zwei, drei kritische Sätze zur FDP
sagen. Auch das muss sein. Was die FDP hier in den
letzten Wochen vorgetragen hat, war Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich zuerst
(Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr gut!) der Kollegin Kipping und anschließend dem Kollegen
die Forderung nach einer möglichst spitzen Abrechnung Dr. Gregor Gysi. – Herr Kollege Meckelburg, ich denke,
bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Sie wollen, dass Sie können dann auf beide antworten.
die Rentenversicherungsbeiträge im nächsten Jahr nicht Bitte schön, Frau Kipping.
auf 19,9 Prozent erhöht werden, sondern, weil wir mehr
nicht brauchen, nur auf 19,7 Prozent. Sie nehmen in
Katja Kipping (DIE LINKE):
Kauf, dass die Beiträge im darauf folgenden Jahr auf
20 und mehr Prozent steigen. Zu den Arbeitslosenver- Ich möchte gerne einen Irrtum von Herrn Meckelburg
sicherungsbeiträgen haben Sie einen Antrag eingebracht, aufklären. Wenn ich ihn hier mit Zahlen aus der Realität
in dem Sie – genau wie in Ihren Beiträgen an diesem konfrontiere, dann hat das relativ wenig mit Marxismus
Pult – eine Senkung über die von uns vorgesehene hi- zu tun – abgesehen davon, dass es vielleicht auch Herrn
naus, von 6,5 auf 4,2 Prozent, gefordert haben. Sie wol- Meckelburg nicht schaden würde, dort nachzulesen. Es
len also auch hier spitz abrechnen, selbst auf die Gefahr stünde uns gut zu Gesicht, wenn wir nicht nur im Fach-
hin, dass das zu gut berechnet ist und im darauf folgen- ausschuss, sondern auch hier neben der betriebswirt-
den Jahr wieder zu einer Erhöhung führt. schaftlichen Brille manchmal auch die volkswirtschaftli-
che Brille aufsetzten.
(B) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das ist (D)
eine Politik, die nichts mit Verlässlichkeit und Bestän- (Beifall bei der LINKEN)
digkeit zu tun hat. Das ist eine liberale Achterbahnfahrt, Zum Zweiten möchte ich mich bei Herrn Meckelburg
mal rauf, mal runter. Was wir brauchen, sind Verlässlich- bedanken; denn je mehr Sie über Menschen berichten,
keit und Beständigkeit. Die Menschen müssen sich da- die, obwohl sie Vollzeit arbeiten, in extremer Armut le-
rauf verlassen können, dass ein Beitrag über einen länge- ben, umso mehr reift in der Bevölkerung das Wissen da-
ren Zeitraum stabil bleibt. Eine solche Politik machen rum, wie notwendig es ist, innerhalb des Lohngefüges
wir. ein letztes Sicherheitsnetz zu schaffen. Ich danke Ihnen
deswegen für dieses vielleicht nicht ganz überzeugende,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
aber immerhin einen Anfang darstellende Plädoyer für
neten der SPD)
einen gesetzlich garantierten Mindestlohn.
Zur Mehrwertsteuer. Inzwischen glaubt kein Mensch
(Beifall bei der LINKEN)
mehr, dass Sie ohne eine Erhöhung der Mehrwert-
steuer auskommen würden, wenn Sie all die Vorschläge,
die Sie machen, realisieren müssten. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Gysi, bitte.
(Jürgen Koppelin [FDP]: Sparen!)
Bei den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen – das ist in Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
der Anhörung am Montag bestätigt worden – kämen Sie Lieber Herr Kollege Oberstudienrat Meckelburg,
ohne die Zuführung des Geldes aus 1 Prozentpunkt
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Mehrwertsteuererhöhung nicht einmal zu der Senkung,
die jetzt vorgesehen ist. Also, bleiben Sie ehrlich und Sie haben mir vorgeworfen, dass ich erstens zurückge-
kehren Sie auf den Pfad der liberalen Tugenden zurück, treten bin und dass ich zweitens zusammen mit Oskar
statt den Weg des Populismus zu gehen! Lafontaine jede Woche hier dasselbe erzähle, wobei Sie
nicht verstünden, warum. Gestatten Sie mir dazu drei
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
kurze Bemerkungen.
Ein letzter Satz zu den Grünen – zu Ihnen fällt mir
Erstens. Die Berliner CDU hat damals meinen Rück-
nicht so viel ein, auch wenn man natürlich auch über Sie
tritt gefordert. Ich entnehme Ihrer Äußerung, dass es
lange sprechen könnte –: Was mich wirklich stört, ist,
falsch ist, auf die CDU zu hören.
dass Ihre Debatten rückwärts gewandt sind. Sie sind die
Verteidiger von Rot-Grün. Ich weiß nicht, ob Sie nicht (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6649
Dr. Gregor Gysi
(A) Zweitens. Dem Beifall der Unionsfraktion, den es bei les, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Ände- (C)
Ihrer Kritik an meinem Rücktritt gab, entnehme ich, dass rungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir
Sie sich wünschen, dass ich immer noch Bürgermeister zuerst namentlich abstimmen.
und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin
wäre. Das nehme ich interessiert zur Kenntnis. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/3467. Die Fraktion Die Linke verlangt nament-
(Beifall bei der LINKEN) liche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Drittens. Ich kann Ihnen erklären, warum Oskar La-
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
fontaine und ich hier jede Woche dasselbe sagen: Sie ha-
Ich eröffne die Abstimmung.
ben es nämlich immer noch nicht verstanden. Wir ma-
chen so lange weiter, bis das der Fall ist. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat?
Danke.
(Beifall bei der LINKEN) (Zurufe: Ja!)
– Dann bitte schnell zu den Urnen. – Ich frage noch ein-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mal: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Herr Kollege Meckelburg, bitte. Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):
lung zu beginnen.
Ich erspare mir, auf den ersten Beitrag von Frau Katja
Kipping zu antworten. Denn auf das, was Tante Katja Wir kommen nun zum Änderungsantrag auf Druck-
mit ihrer rosaroten Brille gesagt hat, muss ich nicht noch sache 16/3468. Auch hier hat die Fraktion Die Linke na-
einmal eingehen. mentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU) Sind die Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne
Zu Ihren Ausführungen, Herr Rechtsanwalt und ich die Abstimmung. – Die Urne vorne am Präsidenten-
Oberlehrer Gysi, pult ist defekt. Ich bitte die Kollegen, an die anderen Ur-
nen zu gehen.
(Jörg Tauss [SPD]: Oberlehrer ist ein
anständiger Beruf!) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme in der zweiten namentlichen Abstimmung noch
(B) will ich Folgendes sagen. Ich weiß seit heute – Sie haben nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich (D)
es gerade gesagt –, dass Sie auf Ratschläge der CDU/ schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
CSU hören. Das finde ich gut. Es schafft die Basis für nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1)
eine inhaltliche Auseinandersetzung. Vielleicht können
wir Sie an manchen Stellen davon überzeugen, dass Sie Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
sich stärker auf die politischen Sachfelder und weniger Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.
auf die ideologischen Felder konzentrieren sollten.
(Unterbrechung von 11.40 bis 11.46 Uhr)
Zu dem, was Sie ansonsten noch zur Begründung Ih-
res Verhaltens gesagt haben: Die Menschen haben schon Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
den Eindruck, dass Lafontaine und Gysi abgehauen sind,
als sie die Möglichkeit hatten, politisch zu gestalten. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Dieser Eindruck bleibt; den können Sie nicht wegkrie- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
gen. führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) mung über den Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/3467 bekannt: Abgegebene
Stimmen 555. Mit Ja haben gestimmt 51, mit Nein ha-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ben gestimmt 504. Der Änderungsantrag ist damit abge-
Ich schließe die Aussprache. lehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 11, Bundesministerium für Arbeit und Sozia- 1) Ergebnis Seite 6652 A
6650 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Endgültiges Ergebnis Nein Manfred Grund Stefan Müller (Erlangen) (C)
Abgegebene Stimmen: 554; Monika Grütters Bernward Müller (Gera)
CDU/CSU Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Gerd Müller
davon
Guttenberg Hildegard Müller
ja: 51 Ulrich Adam
Olav Gutting Bernd Neumann (Bremen)
Ilse Aigner
nein: 503 Holger Haibach Michaela Noll
Peter Albach
Gerda Hasselfeldt Dr. Georg Nüßlein
Peter Altmaier
Ja Ursula Heinen Franz Obermeier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß Uda Carmen Freia Heller Eduard Oswald
DIE LINKE Norbert Barthle Michael Hennrich Henning Otte
Dr. Wolf Bauer Jürgen Herrmann Rita Pawelski
Hüseyin-Kenan Aydin Bernd Heynemann Dr. Peter Paziorek
Günter Baumann
Dr. Dietmar Bartsch Ernst Hinsken Ulrich Petzold
Ernst-Reinhard Beck
Dr. Lothar Bisky (Reutlingen) Robert Hochbaum Dr. Joachim Pfeiffer
Heidrun Bluhm Veronika Bellmann Klaus Hofbauer Sibylle Pfeiffer
Eva Bulling-Schröter Dr. Christoph Bergner Franz-Josef Holzenkamp Beatrix Philipp
Dr. Martina Bunge Otto Bernhardt Joachim Hörster Ruprecht Polenz
Roland Claus Clemens Binninger Anette Hübinger Daniela Raab
Sevim Dagdelen Carl-Eduard von Bismarck Hubert Hüppe Thomas Rachel
Dr. Diether Dehm Renate Blank Susanne Jaffke Dr. Peter Ramsauer
Werner Dreibus Peter Bleser Dr. Peter Jahr Peter Rauen
Dr. Dagmar Enkelmann Antje Blumenthal Dr. Hans-Heinrich Jordan Eckhardt Rehberg
Dr. Maria Böhmer Andreas Jung (Konstanz) Katherina Reiche (Potsdam)
Klaus Ernst
Jochen Borchert Bartholomäus Kalb Klaus Riegert
Wolfgang Gehrcke
Wolfgang Börnsen Hans-Werner Kammer Dr. Heinz Riesenhuber
Diana Golze Steffen Kampeter Franz Romer
Dr. Gregor Gysi (Bönstrup)
Wolfgang Bosbach Alois Karl Johannes Röring
Heike Hänsel Bernhard Kaster Kurt J. Rossmanith
Klaus Brähmig
Lutz Heilmann Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Christian Ruck
Michael Brand
Hans-Kurt Hill Schwenningen) Albert Rupprecht (Weiden)
Helmut Brandt
Cornelia Hirsch Dr. Ralf Brauksiepe Volker Kauder Peter Rzepka
Inge Höger-Neuling Monika Brüning Eckart von Klaeden Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Barbara Höll Georg Brunnhuber Julia Klöckner Hermann-Josef Scharf
Dr. Lukrezia Jochimsen Gitta Connemann Jens Koeppen Dr. Wolfgang Schäuble
(B) Dr. Hakki Keskin Leo Dautzenberg Kristina Köhler (Wiesbaden) Hartmut Schauerte (D)
Katja Kipping Hubert Deittert Manfred Kolbe Dr. Annette Schavan
Monika Knoche Alexander Dobrindt Norbert Königshofen Dr. Andreas Scheuer
Jan Korte Thomas Dörflinger Dr. Rolf Koschorrek Karl Schiewerling
Katrin Kunert Marie-Luise Dött Hartmut Koschyk Norbert Schindler
Oskar Lafontaine Maria Eichhorn Thomas Kossendey Georg Schirmbeck
Michael Leutert Georg Fahrenschon Michael Kretschmer Bernd Schmidbauer
Dr. Gesine Lötzsch Ilse Falk Gunther Krichbaum Andreas Schmidt (Mülheim)
Dr. Hans Georg Faust Dr. Günter Krings Ingo Schmitt (Berlin)
Ulrich Maurer
Enak Ferlemann Dr. Martina Krogmann Dr. Andreas Schockenhoff
Dorothée Menzner
Ingrid Fischbach Johann-Henrich Dr. Ole Schröder
Kornelia Möller Krummacher Bernhard Schulte-Drüggelte
Hartwig Fischer (Göttingen)
Kersten Naumann Dr. Hermann Kues Uwe Schummer
Dirk Fischer (Hamburg)
Wolfgang Nešković Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Wilhelm Josef Sebastian
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Norman Paech Herbert Frankenhauser Andreas G. Lämmel Horst Seehofer
Petra Pau Dr. Hans-Peter Friedrich Katharina Landgraf Kurt Segner
Bodo Ramelow (Hof) Dr. Max Lehmer Bernd Siebert
Elke Reinke Erich G. Fritz Paul Lehrieder Thomas Silberhorn
Paul Schäfer (Köln) Jochen-Konrad Fromme Eduard Lintner Johannes Singhammer
Volker Schneider Dr. Michael Fuchs Dr. Klaus W. Lippold Jens Spahn
(Saarbrücken) Hans-Joachim Fuchtel Patricia Lips Erika Steinbach
Dr. Herbert Schui Dr. Jürgen Gehb Dr. Michael Luther Christian Freiherr von Stetten
Dr. Ilja Seifert Norbert Geis Stephan Mayer (Altötting) Gero Storjohann
Dr. Petra Sitte Eberhard Gienger Wolfgang Meckelburg Andreas Storm
Frank Spieth Michael Glos Dr. Michael Meister Max Straubinger
Dr. Kirsten Tackmann Dr. Reinhard Göhner Dr. Angela Merkel Thomas Strobl (Heilbronn)
Dr. Axel Troost Josef Göppel Friedrich Merz Michael Stübgen
Alexander Ulrich Peter Götz Laurenz Meyer (Hamm) Antje Tillmann
Jörn Wunderlich Dr. Wolfgang Götzer Maria Michalk Dr. Hans-Peter Uhl
Sabine Zimmermann Ute Granold Hans Michelbach Arnold Vaatz
Reinhard Grindel Philipp Mißfelder Volkmar Uwe Vogel
Hermann Gröhe Dr. Eva Möllring Andrea Astrid Voßhoff
fraktionslos
Michael Grosse-Brömer Carsten Müller Gerhard Wächter
Gert Winkelmeier Markus Grübel (Braunschweig) Marco Wanderwitz
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6651
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
(A) Kai Wegner Martin Gerster Michael Müller (Düsseldorf) Gert Weisskirchen (C)
Marcus Weinberg Iris Gleicke Gesine Multhaupt (Wiesloch)
Peter Weiß (Emmendingen) Renate Gradistanac Franz Müntefering Dr. Rainer Wend
Gerald Weiß (Groß-Gerau) Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich Lydia Westrich
Karl-Georg Wellmann Dieter Grasedieck Andrea Nahles Dr. Margrit Wetzel
Anette Widmann-Mauz Monika Griefahn Thomas Oppermann Andrea Wicklein
Klaus-Peter Willsch Kerstin Griese Heinz Paula Heidemarie Wieczorek-Zeul
Willy Wimmer (Neuss) Wolfgang Grotthaus Johannes Pflug Engelbert Wistuba
Elisabeth Winkelmeier- Wolfgang Gunkel Joachim Poß Dr. Wolfgang Wodarg
Becker Hans-Joachim Hacker Christoph Pries Heidi Wright
Matthias Wissmann Bettina Hagedorn Dr. Wilhelm Priesmeier Uta Zapf
Dagmar Wöhrl Klaus Hagemann Dr. Sascha Raabe Manfred Zöllmer
Wolfgang Zöller Alfred Hartenbach Mechthild Rawert Brigitte Zypries
Willi Zylajew Michael Hartmann Steffen Reiche (Cottbus)
(Wackernheim) Maik Reichel FDP
SPD Nina Hauer Gerold Reichenbach Jens Ackermann
Dr. Lale Akgün Hubertus Heil Dr. Carola Reimann Dr. Karl Addicks
Gregor Amann Reinhold Hemker Christel Riemann- Christian Ahrendt
Niels Annen Rolf Hempelmann Hanewinckel Daniel Bahr (Münster)
Ingrid Arndt-Brauer Dr. Barbara Hendricks Walter Riester Uwe Barth
Rainer Arnold Gustav Herzog Sönke Rix Rainer Brüderle
Ernst Bahr (Neuruppin) Petra Heß Dr. Ernst Dieter Rossmann Angelika Brunkhorst
Doris Barnett Gabriele Hiller-Ohm Karin Roth (Esslingen) Ernst Burgbacher
Dr. Hans-Peter Bartels Petra Hinz (Essen) Michael Roth (Heringen) Patrick Döring
Klaus Barthel Iris Hoffmann (Wismar) Ortwin Runde Mechthild Dyckmans
Sören Bartol Frank Hofmann (Volkach) Anton Schaaf Jörg van Essen
Dirk Becker Klaas Hübner Bernd Scheelen Ulrike Flach
Uwe Beckmeyer Christel Humme Dr. Hermann Scheer Otto Fricke
Klaus Uwe Benneter Lothar Ibrügger Marianne Schieder Paul K. Friedhoff
Dr. Axel Berg Brunhilde Irber Ulla Schmidt (Aachen) Horst Friedrich (Bayreuth)
Ute Berg Johannes Jung (Karlsruhe) Dr. Edmund Peter Geisen
Silvia Schmidt (Eisleben)
Petra Bierwirth Josip Juratovic Dr. Wolfgang Gerhardt
Renate Schmidt (Nürnberg)
Lothar Binding (Heidelberg) Johannes Kahrs Hans-Michael Goldmann
Heinz Schmitt (Landau)
Volker Blumentritt Dr. h. c. Susanne Kastner Miriam Gruß
Carsten Schneider (Erfurt)
(B) Kurt Bodewig Ulrich Kelber Joachim Günther (Plauen) (D)
Olaf Scholz
Clemens Bollen Christian Kleiminger Dr. Christel Happach-Kasan
Ottmar Schreiner
Gerd Bollmann Hans-Ulrich Klose Heinz-Peter Haustein
Swen Schulz (Spandau)
Dr. Gerhard Botz Astrid Klug Elke Hoff
Ewald Schurer
Klaus Brandner Dr. Bärbel Kofler Birgit Homburger
Walter Kolbow Frank Schwabe
Willi Brase Dr. Angelica Schwall-Düren Michael Kauch
Bernhard Brinkmann Fritz Rudolf Körper Dr. Heinrich L. Kolb
Rolf Kramer Dr. Martin Schwanholz
(Hildesheim) Rolf Schwanitz Hellmut Königshaus
Edelgard Bulmahn Anette Kramme Jürgen Koppelin
Ernst Kranz Rita Schwarzelühr-Sutter
Marco Bülow Heinz Lanfermann
Nicolette Kressl Dr. Margrit Spielmann
Martin Burkert Sibylle Laurischk
Angelika Krüger-Leißner Jörg-Otto Spiller
Dr. Michael Bürsch Harald Leibrecht
Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Ditmar Staffelt
Christian Carstensen Ina Lenke
Jürgen Kucharczyk Andreas Steppuhn
Marion Caspers-Merk Sabine Leutheusser-
Dr. Peter Danckert Helga Kühn-Mengel Ludwig Stiegler Schnarrenberger
Dr. Herta Däubler-Gmelin Ute Kumpf Rolf Stöckel Michael Link (Heilbronn)
Karl Diller Dr. Uwe Küster Christoph Strässer Markus Löning
Martin Dörmann Christine Lambrecht Dr. Peter Struck Horst Meierhofer
Dr. Carl-Christian Dressel Christian Lange (Backnang) Joachim Stünker Patrick Meinhardt
Elvira Drobinski-Weiß Dr. Karl Lauterbach Dr. Rainer Tabillion Jan Mücke
Garrelt Duin Waltraud Lehn Jörg Tauss Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Dzembritzki Helga Lopez Jella Teuchner Dirk Niebel
Sebastian Edathy Gabriele Lösekrug-Möller Dr. h. c. Wolfgang Thierse Hans-Joachim Otto
Siegmund Ehrmann Dirk Manzewski Jörn Thießen (Frankfurt)
Hans Eichel Lothar Mark Franz Thönnes Detlef Parr
Gernot Erler Caren Marks Hans-Jürgen Uhl Cornelia Pieper
Petra Ernstberger Katja Mast Rüdiger Veit Gisela Piltz
Elke Ferner Hilde Mattheis Simone Violka Jörg Rohde
Gabriele Fograscher Markus Meckel Jörg Vogelsänger Frank Schäffler
Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Dr. Marlies Volkmer Dr. Konrad Schily
Gabriele Frechen Dr. Matthias Miersch Hedi Wegener Dr. Hermann Otto Solms
Dagmar Freitag Ursula Mogg Andreas Weigel Dr. Max Stadler
Peter Friedrich Marko Mühlstein Petra Weis Dr. Rainer Stinner
Sigmar Gabriel Detlef Müller (Chemnitz) Gunter Weißgerber Florian Toncar
6652 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Christoph Waitz Grietje Bettin Ute Koczy Brigitte Pothmer (C)
Dr. Claudia Winterstein Alexander Bonde Sylvia Kotting-Uhl Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Volker Wissing Ekin Deligöz Fritz Kuhn Krista Sager
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Thea Dückert Renate Künast Elisabeth Scharfenberg
Martin Zeil Hans Josef Fell Undine Kurth (Quedlinburg) Christine Scheel
Kai Gehring Markus Kurth Dr. Gerhard Schick
BÜNDNIS 90/DIE Anja Hajduk Monika Lazar Rainder Steenblock
GRÜNEN Britta Haßelmann Dr. Reinhard Loske Silke Stokar von Neuforn
Kerstin Andreae Winfried Hermann Anna Lührmann Hans-Christian Ströbele
Volker Beck (Köln) Priska Hinz (Herborn) Jerzy Montag Jürgen Trittin
Cornelia Behm Ulrike Höfken Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Wieland
Birgitt Bender Dr. Anton Hofreiter Winfried Nachtwei Josef Philip Winkler
Matthias Berninger Bärbel Höhn Omid Nouripour Margareta Wolf (Frankfurt)

Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er- sache 16/3468 lautet: Abgegebene Stimmen 543. Mit Ja
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über haben gestimmt 49, mit Nein haben gestimmt 494. Der
den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- Änderungsantrag ist deshalb ebenfalls abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Dr. Norman Paech Jochen Borchert Manfred Grund


Abgegebene Stimmen: 543; Petra Pau Wolfgang Börnsen Monika Grütters
davon Bodo Ramelow (Bönstrup) Karl-Theodor Freiherr zu
Elke Reinke Wolfgang Bosbach Guttenberg
ja: 49
Paul Schäfer (Köln) Klaus Brähmig Olav Gutting
nein: 494 Volker Schneider Michael Brand Holger Haibach
(Saarbrücken) Helmut Brandt Gerda Hasselfeldt
Ja Dr. Herbert Schui Dr. Ralf Brauksiepe Ursula Heinen
Dr. Ilja Seifert Monika Brüning Uda Carmen Freia Heller
DIE LINKE Dr. Petra Sitte Georg Brunnhuber Michael Hennrich
(B) Hüseyin-Kenan Aydin Frank Spieth Gitta Connemann Jürgen Herrmann (D)
Dr. Kirsten Tackmann Leo Dautzenberg Bernd Heynemann
Dr. Dietmar Bartsch Dr. Axel Troost Hubert Deittert Ernst Hinsken
Dr. Lothar Bisky Alexander Ulrich Alexander Dobrindt Robert Hochbaum
Heidrun Bluhm Jörn Wunderlich Thomas Dörflinger Klaus Hofbauer
Eva Bulling-Schröter Sabine Zimmermann Marie-Luise Dött Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Martina Bunge Maria Eichhorn Joachim Hörster
Roland Claus fraktionslos Georg Fahrenschon Anette Hübinger
Sevim Dagdelen Ilse Falk Hubert Hüppe
Dr. Diether Dehm Gert Winkelmeier
Dr. Hans Georg Faust Susanne Jaffke
Werner Dreibus Enak Ferlemann Dr. Peter Jahr
Dr. Dagmar Enkelmann Nein Ingrid Fischbach Dr. Hans-Heinrich Jordan
Wolfgang Gehrcke Hartwig Fischer (Göttingen) Andreas Jung (Konstanz)
Diana Golze CDU/CSU Dirk Fischer (Hamburg) Bartholomäus Kalb
Heike Hänsel Ulrich Adam Dr. Maria Flachsbarth Hans-Werner Kammer
Lutz Heilmann Ilse Aigner Herbert Frankenhauser Steffen Kampeter
Hans-Kurt Hill Peter Albach Dr. Hans-Peter Friedrich Alois Karl
Cornelia Hirsch Peter Altmaier (Hof) Bernhard Kaster
Inge Höger-Neuling Dorothee Bär Erich G. Fritz Siegfried Kauder (Villingen-
Dr. Barbara Höll Thomas Bareiß Jochen-Konrad Fromme Schwenningen)
Dr. Lukrezia Jochimsen Norbert Barthle Dr. Michael Fuchs Volker Kauder
Dr. Hakki Keskin Dr. Wolf Bauer Hans-Joachim Fuchtel Eckart von Klaeden
Katja Kipping Günter Baumann Dr. Jürgen Gehb Julia Klöckner
Monika Knoche Ernst-Reinhard Beck Norbert Geis Jens Koeppen
Jan Korte (Reutlingen) Eberhard Gienger Kristina Köhler (Wiesbaden)
Katrin Kunert Veronika Bellmann Michael Glos Manfred Kolbe
Oskar Lafontaine Dr. Christoph Bergner Dr. Reinhard Göhner Norbert Königshofen
Michael Leutert Otto Bernhardt Josef Göppel Dr. Rolf Koschorrek
Dr. Gesine Lötzsch Clemens Binninger Dr. Wolfgang Götzer Hartmut Koschyk
Ulrich Maurer Carl-Eduard von Bismarck Ute Granold Thomas Kossendey
Dorothée Menzner Renate Blank Reinhard Grindel Michael Kretschmer
Kornelia Möller Peter Bleser Hermann Gröhe Gunther Krichbaum
Kersten Naumann Antje Blumenthal Michael Grosse-Brömer Dr. Günter Krings
Wolfgang Nešković Dr. Maria Böhmer Markus Grübel Dr. Martina Krogmann
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6653
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
(A) Johann-Henrich Bernhard Schulte-Drüggelte Karl Diller Christian Lange (Backnang) (C)
Krummacher Uwe Schummer Martin Dörmann Dr. Karl Lauterbach
Dr. Hermann Kues Wilhelm Josef Sebastian Dr. Carl-Christian Dressel Waltraud Lehn
Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Horst Seehofer Elvira Drobinski-Weiß Helga Lopez
Andreas G. Lämmel Kurt Segner Garrelt Duin Gabriele Lösekrug-Möller
Katharina Landgraf Bernd Siebert Detlef Dzembritzki Dirk Manzewski
Dr. Max Lehmer Thomas Silberhorn Sebastian Edathy Lothar Mark
Paul Lehrieder Johannes Singhammer Siegmund Ehrmann Caren Marks
Eduard Lintner Jens Spahn Hans Eichel Katja Mast
Dr. Klaus W. Lippold Erika Steinbach Petra Ernstberger Hilde Mattheis
Patricia Lips Gero Storjohann Elke Ferner Markus Meckel
Dr. Michael Luther Andreas Storm Gabriele Fograscher Petra Merkel (Berlin)
Stephan Mayer (Altötting) Max Straubinger Rainer Fornahl Dr. Matthias Miersch
Wolfgang Meckelburg Thomas Strobl (Heilbronn) Gabriele Frechen Ursula Mogg
Dr. Michael Meister Michael Stübgen Dagmar Freitag Marko Mühlstein
Dr. Angela Merkel Antje Tillmann Peter Friedrich Detlef Müller (Chemnitz)
Friedrich Merz Dr. Hans-Peter Uhl Sigmar Gabriel Michael Müller (Düsseldorf)
Laurenz Meyer (Hamm) Arnold Vaatz Martin Gerster Gesine Multhaupt
Maria Michalk Volkmar Uwe Vogel Iris Gleicke Franz Müntefering
Hans Michelbach Andrea Astrid Voßhoff Renate Gradistanac Dr. Rolf Mützenich
Philipp Mißfelder Gerhard Wächter Angelika Graf (Rosenheim) Andrea Nahles
Dr. Eva Möllring Kai Wegner Dieter Grasedieck Thomas Oppermann
Carsten Müller Marcus Weinberg Monika Griefahn Heinz Paula
(Braunschweig) Peter Weiß (Emmendingen) Kerstin Griese Johannes Pflug
Stefan Müller (Erlangen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Wolfgang Grotthaus Joachim Poß
Bernward Müller (Gera) Karl-Georg Wellmann Wolfgang Gunkel Christoph Pries
Dr. Gerd Müller Anette Widmann-Mauz Hans-Joachim Hacker Dr. Wilhelm Priesmeier
Hildegard Müller Klaus-Peter Willsch Bettina Hagedorn Dr. Sascha Raabe
Bernd Neumann (Bremen) Willy Wimmer (Neuss) Klaus Hagemann Mechthild Rawert
Michaela Noll Matthias Wissmann Alfred Hartenbach Steffen Reiche (Cottbus)
Dr. Georg Nüßlein Dagmar Wöhrl Michael Hartmann Maik Reichel
Franz Obermeier Wolfgang Zöller (Wackernheim) Gerold Reichenbach
Eduard Oswald Willi Zylajew Nina Hauer Dr. Carola Reimann
Henning Otte Hubertus Heil Christel Riemann-
Rita Pawelski SPD Reinhold Hemker Hanewinckel
(B) (D)
Dr. Peter Paziorek Dr. Lale Akgün Rolf Hempelmann Walter Riester
Ulrich Petzold Gregor Amann Dr. Barbara Hendricks Sönke Rix
Dr. Joachim Pfeiffer Niels Annen Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann
Sibylle Pfeiffer Ingrid Arndt-Brauer Petra Heß Karin Roth (Esslingen)
Beatrix Philipp Rainer Arnold Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen)
Ruprecht Polenz Doris Barnett Petra Hinz (Essen) Ortwin Runde
Daniela Raab Dr. Hans-Peter Bartels Iris Hoffmann (Wismar) Anton Schaaf
Dr. Peter Ramsauer Klaus Barthel Frank Hofmann (Volkach) Bernd Scheelen
Peter Rauen Sören Bartol Klaas Hübner Dr. Hermann Scheer
Eckhardt Rehberg Dirk Becker Christel Humme Marianne Schieder
Katherina Reiche (Potsdam) Uwe Beckmeyer Lothar Ibrügger Ulla Schmidt (Aachen)
Klaus Riegert Klaus Uwe Benneter Brunhilde Irber Silvia Schmidt (Eisleben)
Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Axel Berg Johannes Jung (Karlsruhe) Renate Schmidt (Nürnberg)
Franz Romer Ute Berg Josip Juratovic Heinz Schmitt (Landau)
Johannes Röring Petra Bierwirth Johannes Kahrs Carsten Schneider (Erfurt)
Kurt J. Rossmanith Lothar Binding (Heidelberg) Dr. h. c. Susanne Kastner Olaf Scholz
Dr. Christian Ruck Volker Blumentritt Ulrich Kelber Ottmar Schreiner
Albert Rupprecht (Weiden) Kurt Bodewig Christian Kleiminger Swen Schulz (Spandau)
Peter Rzepka Clemens Bollen Hans-Ulrich Klose Ewald Schurer
Anita Schäfer (Saalstadt) Gerd Bollmann Astrid Klug Frank Schwabe
Hermann-Josef Scharf Dr. Gerhard Botz Dr. Bärbel Kofler Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Wolfgang Schäuble Klaus Brandner Walter Kolbow Dr. Martin Schwanholz
Hartmut Schauerte Willi Brase Fritz Rudolf Körper Rolf Schwanitz
Dr. Annette Schavan Bernhard Brinkmann Anette Kramme Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Andreas Scheuer (Hildesheim) Ernst Kranz Dr. Margrit Spielmann
Karl Schiewerling Edelgard Bulmahn Nicolette Kressl Jörg-Otto Spiller
Norbert Schindler Marco Bülow Angelika Krüger-Leißner Dr. Ditmar Staffelt
Georg Schirmbeck Martin Burkert Dr. Hans-Ulrich Krüger Andreas Steppuhn
Bernd Schmidbauer Dr. Michael Bürsch Jürgen Kucharczyk Ludwig Stiegler
Andreas Schmidt (Mülheim) Christian Carstensen Helga Kühn-Mengel Rolf Stöckel
Ingo Schmitt (Berlin) Marion Caspers-Merk Ute Kumpf Christoph Strässer
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Peter Danckert Dr. Uwe Küster Dr. Peter Struck
Dr. Ole Schröder Dr. Herta Däubler-Gmelin Christine Lambrecht Joachim Stünker
6654 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Dr. Rainer Tabillion Daniel Bahr (Münster) Patrick Meinhardt Hans Josef Fell (C)
Jörg Tauss Uwe Barth Jan Mücke Kai Gehring
Jella Teuchner Rainer Brüderle Burkhardt Müller-Sönksen Anja Hajduk
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Angelika Brunkhorst Dirk Niebel Britta Haßelmann
Jörn Thießen Ernst Burgbacher Hans-Joachim Otto Winfried Hermann
Franz Thönnes Patrick Döring (Frankfurt) Priska Hinz (Herborn)
Hans-Jürgen Uhl Mechthild Dyckmans Detlef Parr Ulrike Höfken
Rüdiger Veit Jörg van Essen Cornelia Pieper Dr. Anton Hofreiter
Simone Violka Ulrike Flach Gisela Piltz Bärbel Höhn
Jörg Vogelsänger Otto Fricke Jörg Rohde Ute Koczy
Dr. Marlies Volkmer Paul K. Friedhoff Frank Schäffler Sylvia Kotting-Uhl
Hedi Wegener Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Konrad Schily Renate Künast
Andreas Weigel Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Hermann Otto Solms Undine Kurth (Quedlinburg)
Petra Weis Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Max Stadler Markus Kurth
Gunter Weißgerber Hans-Michael Goldmann Dr. Rainer Stinner Monika Lazar
Gert Weisskirchen Miriam Gruß Florian Toncar Dr. Reinhard Loske
(Wiesloch) Joachim Günther (Plauen) Christoph Waitz Anna Lührmann
Dr. Rainer Wend Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Claudia Winterstein Jerzy Montag
Lydia Westrich Heinz-Peter Haustein Dr. Volker Wissing Kerstin Müller (Köln)
Dr. Margrit Wetzel Elke Hoff Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Winfried Nachtwei
Andrea Wicklein Birgit Homburger Martin Zeil Omid Nouripour
Heidemarie Wieczorek-Zeul Michael Kauch Brigitte Pothmer
Engelbert Wistuba Dr. Heinrich L. Kolb BÜNDNIS 90/DIE Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Wolfgang Wodarg Hellmut Königshaus GRÜNEN Krista Sager
Heidi Wright Jürgen Koppelin Elisabeth Scharfenberg
Heinz Lanfermann Kerstin Andreae Christine Scheel
Uta Zapf
Sibylle Laurischk Volker Beck (Köln) Dr. Gerhard Schick
Manfred Zöllmer
Harald Leibrecht Cornelia Behm Rainder Steenblock
Brigitte Zypries
Ina Lenke Birgitt Bender Silke Stokar von Neuforn
Sabine Leutheusser- Matthias Berninger Hans-Christian Ströbele
FDP
Schnarrenberger Grietje Bettin Jürgen Trittin
Jens Ackermann Michael Link (Heilbronn) Alexander Bonde Wolfgang Wieland
Dr. Karl Addicks Markus Löning Ekin Deligöz Josef Philip Winkler
Christian Ahrendt Horst Meierhofer Dr. Thea Dückert Margareta Wolf (Frankfurt)
(B) (D)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
plan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer gin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 11
ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen (Beifall bei der FDP – Fritz Rudolf Körper [SPD]:
der Opposition angenommen. Dass wir das wieder erleben dürfen!)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:


Gisela Piltz (FDP):
Einzelplan 06 Herr Körper, wenn ich Ihnen eine Freude machen
Bundesministerium des Innern darf, immer gerne. – Sehr verehrte Frau Präsidentin!
– Drucksachen 16/3106, 16/3123 – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der letzten
Beratungen des Einzelplans 06 möchte ich etwas Nettes
Berichterstattung: sagen. Ich möchte mich bei den Haushältern, beim Bun-
Abgeordnete Bettina Hagedorn desinnenminister, aber auch bei Ihren Beamten und Ih-
Dr. Michael Luther rem Haus bedanken. Ich weiß, ich habe Sie oft mit mei-
Norbert Barthle nen Fragen herausgefordert.
Jürgen Koppelin
Roland Claus (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Man kann
Alexander Bonde auch sagen: genervt!)

Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Sie haben sich immer alle Mühe gegeben, sie zu beant-
Linke vor. Außerdem liegt je ein Entschließungsantrag worten. Das geschah nicht immer zu meiner Zufrieden-
der Fraktion der FDP sowie der Fraktion Die Linke vor, heit; das liegt aber wahrscheinlich in der Natur der
über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab- Sache. Trotzdem gilt mein herzlicher Dank allen Betei-
stimmen werden. ligten. Sie werden es nicht anders vermuten: Das waren
mehr oder weniger die letzten netten Worte, die ich heute
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für finden kann.
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Heiterkeit bei der FDP)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6655
Gisela Piltz
(A) Im Sommer habe ich mit der mir eigenen Nettigkeit Aber die weiteren Maßnahmen, die sich dahinter ver- (C)
einer Oppositionspolitikerin die Politik im Innenbereich bergen, sind aus unserer Sicht mehr als bedenklich.
der großen Koalition als Dreiklang bezeichnet: mehr An-
kündigungen als Taten, Zerstrittenheit in den meisten (Beifall bei der FDP)
Themen und Fortsetzung des Abbaus der Bürgerrechte. Zum Beispiel soll es mehr Geld für die Entwicklung von
Das kann ich heute immer noch unterstreichen. Es hat Programmen geben, die es ermöglichen, die Bilder von
sich aus meiner Sicht nicht erledigt. Ich habe festgestellt, Überwachungskameras mit biometrischen Daten abzu-
dass ein neuer Dreiklang hinzugekommen ist, Herr In- gleichen. Das sind nicht nur Fahndungsdaten, sondern es
nenminister, der Folgendes beinhaltet: am Haushalt vor- geht – Ihr Staatssekretär Hahlen hat es mir erläutert – um
bei, Personen, die sich auf Bahnhöfen auffällig benehmen.
Ich möchte einmal sehen, wie Sie das genau definieren.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nie im Aus unserer Sicht gibt es dafür keine Rechtsgrundlage.
Leben, Frau Kollegin!) Das ist ein unzulässiger Eingriff in das Recht auf infor-
an den Betroffenen und am Parlament vorbei, allein ge- mationelle Selbstbestimmung. Dies wurde ohne jede
lassen und allein entscheiden. Diskussion hier im Haus geplant.

(Beifall bei der FDP) Das nächste Beispiel: die geplante Kommunika-
tionsinfrastruktur. Warum brauchen wir parallel zum
Zuerst zum Punkt: alleine entscheiden und ein wenig BOS-Digitalfunk, der teuer genug sein wird, eine neue
am Parlament vorbei. Das betrifft das Programm zur Kommunikationsinfrastruktur?
Stärkung der inneren Sicherheit. Ich möchte das Ver-
fahren formal rügen. Es ist sicher richtig, wenn Sie sich (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sehr
darauf beziehen, dass dieses Thema formal in den Haus- richtig!)
haltsausschuss gehört. Herr Innenminister, Sie haben auf diese Frage geantwor-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wollen es tet, dass es sicherer sein muss. Diese Prioritätensetzung
lieber formal unsicher haben!) kann ich nicht verstehen. Entweder ist der BOS-Digital-
funk sicher oder er ist nicht sicher. In dem Fall müssten
Aber Sie haben versucht, an den Kollegen im Innenaus- wir die Ausschreibung verändern. Aber so, wie Sie das
schuss vorbei zu entscheiden, und haben es erst auf hier machen, geht es sicher nicht.
Druck der FDP im Haushaltsausschuss dann doch in den
Innenausschuss geschoben. Ich finde, so kann man mit (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(B) dem Parlament und seinen Fachpolitikern nicht umge- (D)
hen.
Zu diesen Punkten haben wir einen Entschließungs-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt antrag vorgelegt. Denn wir finden, das Parlament muss
so gar nicht, Frau Kollegin!) sich mit diesen Fragen beschäftigen und nicht der Flur-
funk des Bundesinnenministeriums.
Ich muss das kritisieren. Es ist schon bedenklich – ich
bin Innenpolitikerin und zufällig stellvertretendes Mit- (Beifall bei der FDP)
glied im Haushaltsausschuss und darf deshalb dort Fra-
gen stellen –, dass die Fragen, die man zu diesem Thema Zum nächsten Punkt: alleine entscheiden und an den
hat, erst im Haushaltsausschuss beantwortet werden, Betroffenen vorbei. Dazu fallen mir zwei Sachen ein,
aber nicht im zuständigen Innenausschuss. So ist es pas- zum einen der geplante Umzug der Abteilung 6 des
siert. Das ist kein ordentlicher Umgang mit dem Parla- Bundesamtes für Verfassungsschutz. Aus unserer
ment. Sicht ist das weder aus fachlichen noch aus finanziellen
Gründen geboten. Es gibt in Berlin noch keinen Ersatz-
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ standort für diese Abteilung. Die Kommunikation im
DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ Haus wird dadurch sicher nicht verbessert. Es gibt aus
CSU]: Das spricht für den Haushaltsaus- unserer Sicht nur eine logische Erklärung dafür: Sie be-
schuss!) reiten damit den Gesamtumzug vor. Interessant ist hier-
bei übrigens, dass Herr Bosbach Sie kritisiert, während
Mit den Maßnahmen, Herr Innenminister, die Sie in
Herr Wiefelspütz Sie lobt. Interessant ist auch, dass sich
der ersten Lesung angekündigt haben – Sprengstoff-
CDU- und CSU-Abgeordnete, als sie noch in der Oppo-
hunde und Wärmebildkameras für den Schutz von Bahn-
sition waren, gegen eine weitere Zentralisierung ausge-
anlagen –, haben wir überhaupt kein Problem. Man
sprochen haben. Die entsprechende Pressemitteilung
könnte höchstens fragen, warum es erst jetzt mehr Geld
wurde allerdings von der Homepage der Kollegen ge-
dafür gibt. Aber dabei haben Sie unsere Unterstützung.
löscht. Ich weiß jetzt auch, warum. Man kann sicherlich
Genauso haben Sie unsere Unterstützung, wenn es da-
umstrukturieren, wenn man es für nötig hält. Aber ich
rum geht, mehr Personal einzustellen, das sich mit Isla-
finde, die Mitarbeiter haben es verdient, von Ihren Plä-
mismus und islamistischer Bedrohung beschäftigt.
nen nicht erst aus der Zeitung zu erfahren.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wir brauchen Dolmetscher und Personal, das sich aus- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
kennt. Das ist überhaupt keine Frage. GRÜNEN)
6656 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Gisela Piltz
(A) Genauso geht es den Mitarbeitern der Bundespolizei. Sie wissen, dass wir den Beschluss zum Bleiberecht (C)
Veränderungen, die diesen Bereich berühren – dies be- begrüßt haben. Aber im Interesse der Beteiligten hoffen
trifft fast die Hälfte Ihres Etats –, sind sicherlich klug wir, dass nun auch die Frage der Vorrangregelung aufge-
und richtig. Aber wenn sie diejenigen, die für unsere Si- griffen wird und die entsprechenden Rechtsgrundlagen
cherheit sorgen und sie garantieren sollen, in so hohem geschaffen werden, damit die Betroffenen hier bleiben
Maße verunsichern, dann ist das kontraproduktiv für die können. Ansonsten wäre das ein Muster ohne Wert, was
Sicherheit in unserem Land. ich für noch viel schlimmer halten würde als die Tatsa-
che, dass Ihre eigenen Leute Sie ziemlich stark beschä-
(Beifall bei der FDP) digt haben.
Noch eine kurze Bemerkung zur Antiterrordatei. (Beifall bei der FDP)
Die Anhörung, die zu diesem Thema durchgeführt
wurde, hat die meisten Zweifel der Opposition voll be- Dieser Kompromiss ist ohne weitere Änderungen nur
stätigt. eine leere Hülle.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir Liberalen hoffen, dass aus dem Dreiklang „allein
NEN]: Allerdings!) gelassen, allein entscheiden und am Parlament und den
Betroffenen vorbei“ in den nächsten Jahren eine rechts-
Es ist offensichtlich so, dass dann, wenn man versucht, staatliche Innenpolitik wird. Wenn das so ist, dann sind
eine Entscheidung zu treffen und daran Bund und Län- wir an Ihrer Seite.
der, sozusagen eine ganz große Koalition, zu beteiligen,
letztlich nicht mehr viel Kluges übrig bleibt. Herzlichen Dank.
(Jürgen Koppelin [FDP]: So ist es!) (Beifall bei der FDP)
Wir stellen fest: Offensichtlich ist die große Koalition Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
sich selbst gut genug, weil sie Opposition und Regierung
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/
in einem ist.
CSU-Fraktion.
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] – (Beifall bei der CDU/CSU)
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sagt aller-
dings viel über die parlamentarische Opposi-
tion, Frau Kollegin!) Dr. Michael Luther (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Anders können wir es uns nicht erklären, dass es nach Kollegen! Die große Koalition bringt unser Land voran.
(B) dieser Anhörung noch kein Berichterstattergespräch ge- (D)
geben hat. Wenn wir Glück haben, findet ein solches Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
spräch am kommenden Dienstag statt, also einen Tag be- Das wird auch daran deutlich, dass sie nun ein Jahr lang
vor dieses Thema im Ausschuss behandelt wird. Ich erfolgreich im Bereich der Innenpolitik gearbeitet hat.
finde, so sollte man nicht mit der Opposition umgehen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, unserem Innenmi-
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ nister Wolfgang Schäuble für dieses eine Jahr erfolgrei-
DIE GRÜNEN) cher Arbeit zu danken.

Nun komme ich noch einmal darauf zu sprechen, was (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
ich mit „allein gelassen“ meine. In der letzten Woche Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei
konnten wir erleben, dass der Bundesinnenminister und meinen Mitberichterstattern, ganz besonders natürlich
die innenpolitischen Sprecher der Koalition von den bei meiner Koalitionskollegin Bettina Hagedorn, für die
CDU-Innenministern der Länder ganz en passant be- gute Zusammenarbeit. Ich denke, wir sind im Interesse
schädigt worden sind. Es ging um die Frage, wie wir das einer qualifizierten Innenpolitik aus der Sicht der Haus-
Bleiberecht regeln. Dazu haben Sie einen Vorschlag ge- hälter im letzten Jahr ein gutes Team geworden.
macht.
Unsere Politik ist geprägt von Haushaltskonsolidie-
Aufgrund der Bedenken, die wir vorgetragen haben, rung und von Haushaltswahrheit und -klarheit. So haben
dass es doch nicht richtig sein kann, dass die Innen- wir uns zum Beispiel vorgenommen, die globale Min-
minister der Länder hierzu Regelungen im Rahmen der derausgabe in zwei Schritten aufzulösen: Akt eins fand
IMK treffen und wir ihre Entscheidungen nur noch um- in diesem Jahr statt, Akt zwei wird im Jahre 2008 statt-
setzen dürfen, haben Sie sich Mühe gegeben, einmal an- finden. Dabei verlieren wir allerdings nicht aus den Au-
dersherum vorzugehen. Doch was ist passiert? Sie liefen gen, dass das Bundesinnenministerium eine ganz beson-
bei ihren Länderkollegen voll auf. Das sollte für Sie ein dere politische Verantwortung für dieses Land hat.
Alarmzeichen sein. Ich bin mir nicht sicher, wie Sie in
den kommenden Jahren noch ernsthaft Politik für die Si- So kommt es im Jahre 2007 aufgrund der besonderen
cherheit in diesem Lande machen wollen, wenn ihre Aufgaben und trotz aller Konsolidierungsbemühungen
Kollegen aus den Ländern Sie immer wieder zurückpfei- zu einem leichten Aufwuchs des Haushaltsansatzes.
fen. Zurückzuführen ist das unter anderem auf die Sonder-
kosten im Zusammenhang mit der deutschen EU-Rats-
(Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Ein präsidentschaft und der G-8-Präsidentschaft. Auch die
Trauerspiel ist das!) Übernahme der Versorgungstitel in die Einzelpläne kos-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6657
Dr. Michael Luther
(A) tet leider Geld. Eine wesentliche Zusatzausgabe verur- (Jürgen Koppelin [FDP]: Das wart doch nicht (C)
sacht jedoch die reale Gefährdungslage in Deutschland. ihr! – Gisela Piltz [FDP]: Aber nicht freiwil-
Zur Gewährleistung der inneren Sicherheit muss also lig! – Weiterer Zuruf des Abg. Jürgen Koppe-
mehr getan werden. lin [FDP]: Das war doch nicht die Koalition!
Die war doch völlig sprachlos!)
Wie nötig das ist, zeigten die versuchten Kofferbom-
benanschläge auf Regionalzüge in Koblenz und Dort- Es kam lediglich aus Geschäftsordnungsgründen zu kei-
mund im Sommer dieses Jahres. Ich nenne auch den in nem Beschluss im Innenausschuss. Aber die positive
dieser Woche bekannt gewordenen und verhinderten Meinungsbildung des Innenausschusses hat der Haus-
Sprengstoffanschlag, den fünf mutmaßliche Terroristen haltsausschuss sehr wohl zur Kenntnis genommen.
aus dem Rhein-Main-Gebiet auf ein Flugzeug verüben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wollten. Er konnte durch Telefonüberwachung verhin- neten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/
dert werden. Dieser Anschlagsversuch zeigt allerdings CSU]: Sehr gut! Das hat Kollegin Piltz hier
auch den Ernst der Lage. völlig falsch dargestellt!)
(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr Bei diesem Programm geht es beispielsweise um zu-
richtig!) sätzliche Sprengstoffspürhunde und um luftgestützte
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auch wir im Fa- Wärmebildkameras. Es geht aber auch um die Anti-
denkreuz des Terrorismus stehen. Ich zitiere: Und alle, terrordatei, die voraussichtlich noch in diesem Jahr Ge-
die bislang darauf spekulierten, das deutsche Nein zum setzeskraft erlangt und für die wir Vorsorge im Haushalt
Irakfeldzug wäre eine Art Garantieschein für ein Leben treffen müssen. Insoweit sind die Formulierungen im
ohne terroristische Bedrohung, werden ihre Hoffnung Entschließungsantrag der FDP falsch: Es geht um die
jetzt korrigieren müssen. So lautet ein Kommentar in der Onlinedurchsuchung entfernter PCs, nicht um die On-
„FAZ“ aus dieser Woche. – Wir müssen also vorbereitet lineüberwachung, wie Sie in Ihrem Antrag geschrieben
haben, meine Damen und Herren von der FDP.
sein.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Also auch
falsch! Das hätte ich mir denken können! –
Um Brände zu verhindern bzw. deren Folgen einzu- Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Sie
dämmen, sind wir präventiv tätig: Wir bauen zum Bei- wissen gar nicht, was der Unterschied ist!)
spiel Brandmeldeanlagen und Fluchttreppen in Gebäude
Im Übrigen hat das eine rechtliche Grundlage, was in
ein, wir schaffen moderne Feuerwehrautos und Ausrüs-
den Gesprächen auch deutlich geworden ist.
tung für die Feuerwehrleute an. Wir hoffen natürlich,
(B) dass das Material nicht gebraucht wird. Aber wir wissen, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D)
dass es irgendwann einmal brennen kann. Deshalb hal- NEN]: Es wäre gut gewesen, das gleich so zu
ten wir die Vorsorge für absolut wichtig. formulieren!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es geht ferner um die Entwicklung biometrischer Identi-
neten der SPD) fizierungsmethoden, ebenfalls ein wichtiges sicherheits-
politisches Thema. Es handelt sich also um ein ganzes
Genauso notwendig ist die Sicherheitsvorsorge durch Bündel von sicherheitspolitischen Maßnahmen, um der
das Bundesinnenministerium. Wir müssen alles tun, um terroristischen Gefahr wirksamer entgegentreten zu kön-
die terroristischen Gefahren abzuwehren. Wir wissen nen.
zwar, wir werden nicht alles verhindern können. Aber es
wäre fahrlässig, wenn wir nicht alles in unserer Macht Leider muss ich feststellen, dass die FDP mit ihrem
Stehende tun würden. Deshalb und wegen der neuen Er- Entschließungsantrag zeigt, dass sie bei der Sicherheits-
kenntnisse über die Sicherheitslage in Deutschland, die politik für die Bürger in unserem Land auf der Bremse
erst nach der Aufstellung des Haushaltes durch die Bun- steht.
desregierung gewonnen wurden, haben wir im Haus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
haltsausschuss das „Programm zur Stärkung der Inneren neten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/
Sicherheit“ aufgelegt. CSU]: Das musste mal gesagt werden! – Ge-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig! – genruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Dann ha-
Gisela Piltz [FDP]: Wieso Sie? Das war doch ben Sie wenigstens etwas zu sagen! Sonst war
der Innenminister!) die Rede bisher langweilig! – Weiterer Gegen-
ruf des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]: Über
– Frau Piltz, ich will zu dem, was Sie ausgeführt haben, Bürgerrechte müsste auch einmal etwas gesagt
klar sagen: Wir haben unter den Berichterstattern im werden!)
Haushaltsausschuss sehr umfangreich – viele Stunden –
darüber debattiert. An dieser Stelle möchte ich ganz besonders unseren
Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Bundeskrimi-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da wurde es nalamt, der Bundespolizei und dem Bundesamt für Si-
ja auch beantragt! – Norbert Barthle [CDU/ cherheit in der Informationstechnik, Dank sagen für ihre
CSU]: Das ist wohl wahr!) gute Arbeit.
Wir haben auch darum gebeten, dass der Fachausschuss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
darüber diskutiert. neten der SPD)
6658 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Michael Luther


(A) Die Einführung des bundesweiten digitalen Sprech- tigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration (C)
funkdatennetzes für die Behörden und Organisationen ist das Erlernen der deutschen Sprache. Die Koalition
mit Sicherheitsaufgaben war auch in diesen Haushalts- hat den Titel für entsprechende Integrations- und
beratungen ein wichtiges Thema. Sprachkurse für den kommenden Haushalt deshalb be-
darfsgerecht etatisiert.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Und ein
trauriges!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Die Einführung des BOS-Digitalfunks ist überfällig. Wir Durch einen Haushaltsvermerk ist gegebenenfalls entste-
Haushälter haben die nötigen Weichen für den Haus- hender Mehrbedarf gesichert.
halt 2007 und folgende gestellt. Positiv für dieses Jahr ist
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gute Ent-
zu vermerken, dass im Sommer der Bund-Länder-Ver-
scheidung!)
trag über die Errichtung der Bundesanstalt für den Digi-
talfunk der Behörden und Organisationen mit Sicher- Die von der Linken mit ihrem Antrag geforderte Er-
heitsaufgaben unterzeichnet wurde. höhung des Baransatzes ist blanker Populismus, weil sie
letztendlich am momentanen Bedarf vorbeigehen würde.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Unnötige
Behörde!) (Jan Korte [DIE LINKE]: Sehr originell! – Se-
vim Dagdelen [DIE LINKE]: Von Ihnen der
Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern beim Digi-
Vorwurf des Populismus!)
talfunk ist damit für die Zukunft sichergestellt. Den Zu-
schlag für die Systemtechnik haben im Zuge eines Aus- Wir wissen, dass mehr getan werden muss. Deshalb gibt
schreibungsverfahrens EADS und Siemens bekommen. es ja den Integrationsgipfel der Bundesregierung. Seriö-
Das Sorgenkind ist noch der Vertrag über den Aufbau serweise müssen wir dessen Ergebnis aber erst einmal
und Unterhalt der notwendigen Infrastruktur. Die Ver- abwarten – Mitte nächsten Jahres ist es zu erwarten –,
handlungen mit der DB Telematik laufen leider immer bevor der neue Bedarf – insbesondere für den Bundes-
noch, haushalt 2008; es geht also um die neue Haushaltsauf-
stellung – festgestellt werden kann. Daneben müssen wir
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schon wieder
auch über die Mehrbedarfe reden, die 2007 noch not-
die DB AG! Na ja!)
wendig werden, und sie durch entsprechende Umschich-
auch wenn in den letzten Wochen endlich Bewegung in tungen realisieren. Ich denke allerdings, es ist blanke
die Verhandlungen gekommen ist. Dieser Zustand ist ab- Spekulation, jetzt zu sagen, wie viel das ist.
solut unbefriedigend. Ich sage an dieser Stelle ganz klar:
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Bahn muss wissen, dass sich der Bund nicht ewig
(B) (D)
auf der Nase herumtanzen lassen kann. Meine Damen und Herren, der Sporthaushalt, der
2006 noch im Zeichen der Fußball-WM stand, wird im
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Se-
Jahre 2007 durch die Vorbereitung auf die Olympischen
bastian Edathy [SPD])
und die Paralympischen Sommerspiele 2008 in Peking
Ich setze aber darauf, dass wir bis Ende dieses Jahres mit geprägt sein. Deshalb wird die Förderung des deutschen
der Bahn zu Potte kommen. Spitzensports auch 2007 auf hohem Niveau fortgeführt.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein anderes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wichtiges Thema ansprechen, das die Öffentlichkeit be- neten der SPD)
wegt hat und bei dem wir ebenfalls Haushaltsvorsorge
Staat und Sport verstehen sich als Partner, die zusam-
betrieben haben. Wir Berichterstatter des BMI beschäfti-
menarbeiten. In diesem Zusammenhang ist die Fusion
gen uns zurzeit mit der zukünftigen Unterbringung des
des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympi-
Ministeriums. Dabei gibt es drei Möglichkeiten: erstens
schen Komitees zum Deutschen Olympischen Sportbund
der Verbleib in Alt-Moabit, zweitens ein Neubau und
von uns ausdrücklich zu begrüßen.
drittens die Nutzung anderer Standorte. Die Entschei-
dung soll 2007 fallen, und zwar – das will ich an dieser Eine erfolgreiche Dopingbekämpfung ist nur durch
Stelle klar betonen – für die kostengünstigste Variante. eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Sport und den
staatlichen Institutionen zu gewährleisten. Die Bemü-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)
hungen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Do-
Obwohl also noch keine Entscheidung gefallen ist, müs- pings im Sport werden deshalb fortgesetzt. Neben den
sen wir im Haushalt Vorsorge für den Fall treffen, dass bekannten Maßnahmen zur Dopingbekämpfung begrüße
es einen Neubau geben wird. Das verlangt einfach eine ich in diesem Zusammenhang die vorgesehene Kapital-
seriöse Haushaltspolitik. Weil es noch keine Entschei- aufstockung für die NADA durch den Bund in Höhe von
dung gibt, haben wir diesen Ansatz aber gesperrt. 2 Millionen Euro aus Restmitteln der Kulturstiftung für
die Fußball-WM.
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: So
ist es! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
richtig!)
Für mich ist der Umgang mit den Spätaussiedlern in
Zu einem weiteren Thema. Die erfolgreiche Einglie- Deutschland und mit den verbliebenen deutschen Min-
derung und Einbindung von Migranten in unserem derheiten in den Staaten Osteuropas ein wichtiges
Land ist für die Zukunft äußerst wichtig. Eine der wich- Thema. Auch wenn wir etwas weniger Geld als im letz-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6659
Dr. Michael Luther
(A) ten Jahr dafür ausgeben, kann die Bundesregierung mit Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C)
diesen Mitteln die Rückführung, die Erstaufnahme und Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr. Sie reden
die Eingliederung von Spätaussiedlern sowie die Förde- auf Kosten Ihrer Fraktion.
rung der verbliebenen deutschen Minderheiten in den
Staaten Osteuropas fortführen. (Jürgen Koppelin [FDP]: Ich kann ihm noch
lange zuhören!)
(Jürgen Koppelin [FDP]: Herzlichen Glück-
wunsch!) Dr. Michael Luther (CDU/CSU):
Auf diesem Bundeshaushalt lässt sich aufbauen.
Einen Schwerpunkt dabei bildet die Förderung der
Begegnungsstätten und des außerschulischen deutschen Herzlichen Dank.
Sprachangebotes. Die Förderung der deutschen Sprache (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
erfolgt dabei unter zwei Gesichtspunkten: Die außer- neten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/
schulischen Deutschkurse dienen der Stärkung und Wie- CSU]: Einem so sachlichen Beitrag hätte ich
dergewinnung der kulturellen Identität, wodurch den noch stundenlang zuhören können!)
Bleibewilligen geholfen wird. Künftige Spätaussiedler
und ihre Familienangehörigen sind ebenfalls berechtigt,
an den Kursen teilzunehmen. Das Zuwanderungsgesetz Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
verlangt von nicht deutschen Ehegatten und Abkömm- Das Wort hat der Kollege Jan Korte, Fraktion Die
lingen eines Spätaussiedlers für die Einbeziehung in den Linke.
Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers Grundkenntnisse (Beifall bei der LINKEN)
der deutschen Sprache. Dadurch schaffen die Deutsch-
kurse in Russland die Voraussetzung für die Integration
Jan Korte (DIE LINKE):
der Spätaussiedler und ihrer Familienangehörigen in
Deutschland. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich fange mit etwas Gutem an: Ich freue mich,
Lassen Sie mich noch kurz auf das THW zu sprechen dass Herr Bundesminister Schäuble diese Woche noch
kommen. Wir wissen, wie wichtig diese Organisation für keinen Bundeswehreinsatz im Inneren gefordert hat. Das
uns auch im Bereich des Katastrophenschutzes ist. Das ist ein echter Fortschritt und das freut uns.
THW hat in den letzten Jahren mit seinen vielen ehren- (Beifall bei der LINKEN)
amtlichen Mitgliedern in diesem Bereich hervorragende
Arbeit geleistet. Zum Einzelplan 06 muss ich aber feststellen, dass das
(B) „Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit“ ein (D)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- weiterer Schritt zum Demokratieabbau ist.
neten der SPD)
Dieser Haushalt ist durch drei Punkte gekennzeichnet.
Der Haushaltsausschuss hat es geschafft – darüber freue Erstens schreitet die Privatisierung von Sicherheit und
ich mich besonders –, dass wir das THW gerade im Be- Sicherheitsdienstleistungen voran. Zweitens wird das
reich der Jugendarbeit stärken konnten. Trennungsgebot aufgehoben, das Polizei und Geheim-
dienste aus guten Gründen voneinander trennt. Drittens
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) wird die Einschränkung von Grundrechten fortgesetzt.
Wie schon im letzten Jahr lag auch in diesem Jahr der Insgesamt sind in den letzten Jahren – das muss man
Schwerpunkt der Arbeit des Haushaltsausschusses auf sich immer wieder vor Augen führen – weit über
der Konsolidierung des Haushaltes. Gleichzeitig haben 160 Gesetze zur Erhöhung der Sicherheit bzw. des Si-
wir im Haushalt weitere notwendige Schwerpunkte ge- cherheitsgefühls verabschiedet worden. Immer wieder
setzt. Wir haben harte Haushaltsverhandlungen geführt. wurden in den letzten Jahren wie auch in den letzten Ta-
gen Bedrohungsszenarien an die Wand gemalt, die gar
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh ja!) nicht verifizierbar sind. Eine ganze Zeit lang war es die
organisierte Kriminalität, die als besonders bedrohlich
Die Bürger unseres Landes haben nämlich ein Recht da- galt. Dann waren es kriminelle Ausländer und jetzt ist es
rauf, dass wir hart an unserem Haushalt arbeiten. Wir ha- der internationale Terrorismus.
ben dabei eine gute Zusammenarbeit mit den Mitarbei-
tern des Ministeriums erlebt. Es war sicherlich nicht All das dient dazu, bei staatlichen Maßnahmen einsei-
immer einfach mit uns. tig aufzurüsten, ohne zu diskutieren, zu evaluieren und
in sich zu gehen, ob diese Maßnahmen etwas taugen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt
(Beifall bei der LINKEN)
wohl auch! – Jürgen Koppelin [FDP]: Das
stimmt wirklich!) Denn bis dato waren die bisherigen Regelungen doch of-
fensichtlich ausreichend, was die aktuellen Vorfälle auch
Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle für die gute belegt haben.
Zusammenarbeit recht herzlich bedanken.
Zur Antiterrordatei ist viel gesagt und geschrieben
Wir bringen diese Woche den Bundeshaushalt auf den worden. Hier wächst zusammen, was wahrlich nicht zu-
Weg. sammengehört. Man kann es nicht oft genug wiederho-
6660 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Jan Korte
(A) len: Es war eine Lehre aus dem NS-Faschismus in in die geschützte Privatsphäre der Menschen ein. Nichts (C)
Deutschland, dass es diese strikte Trennung geben muss anderes steht in diesem Programm.
und sollte. Ich finde, man darf die Erfahrungen aus die-
Zweitens. Sie sind wahre Sicherheitspopulisten, wenn
ser Zeit nicht vergessen.
es darum geht, auf die Ängste der Bevölkerung zu re-
(Beifall bei der LINKEN) agieren. Sie kennen lediglich eine Antwort: eine weitere
technische Aufrüstung. Das steht auch in diesem Pro-
Das konkrete Problem bei der Antiterrordatei besteht gramm deutlich. Danach soll die Videoüberwachung in-
darin, dass es dabei um Gesinnungsschnüffelei geht. Da- klusive Gesichts- und Mustererkennung drastisch ausge-
für gibt es zwei deutliche Indizien: zum einen das Frei- baut werden. Das wird auf Dauer zu britischen
textfeld und zum anderen, dass auch die Religionszuge- Verhältnissen führen. In britischen Großstädten wird je-
hörigkeit gespeichert wird. Das bedeutet nichts anderes der Mensch mittlerweile 300-mal am Tag gefilmt. Die-
als die Pauschalverurteilung einer bestimmten Gruppe. sen Weg wollen wir nicht gehen.
Wir prophezeien, dass wie beim großen Lauschan- (Beifall bei der LINKEN)
griff, beim Luftsicherheitsgesetz und bei einer exzessi-
ven Rasterfahndung das Bundesverfassungsgericht auch Hinzu kommt, dass mit der neuen Technik Bewegungs-
der Antiterrordatei einen Riegel vorschieben wird. Ich muster erstellt werden, sodass sich niemand mehr im öf-
bin auch sehr froh darüber, dass das Bundesverfassungs- fentlichen Raum unbeobachtet bewegen kann. Wir for-
gericht ein Auge darauf hat. dern eine Diskussion darüber, ob das ein Weg sein kann,
um für mehr Sicherheit in der Bundesrepublik zu sorgen.
(Beifall bei der LINKEN) Wir glauben, dass dem nicht so ist.
Der zweite Punkt, durch den der Haushalt gekenn- (Beifall bei der LINKEN)
zeichnet ist, ist, dass die Dienste, insbesondere die
Geheimdienste, mehr Mittel bekommen sollen. Das Drittens. Die Zusammenarbeit und insbesondere der
muss man sich einmal vorstellen: Ausgerechnet die Datenaustausch zwischen Bundesbehörden und privaten
Dienste, die offensichtlich – der BND-Untersuchungs- Sicherheitsfirmen sollen mit dem Programm forciert
ausschuss tagt gerade – völlig außer Rand und Band ge- werden. Ich finde, es ist äußerst fragwürdig, die Privati-
raten und in keiner Weise mehr zu kontrollieren sind, er- sierung in solchen sensiblen Bereichen voranzutreiben.
halten als Belohnung mehr Mittel. Die Fehlerquoten am Frankfurter Flughafen haben doch
gezeigt – ich zitiere den GdP-Vorsitzenden –: „Von Si-
(Beifall bei der LINKEN) cherheit kann man nicht reden.“ Die Privatisierung von
öffentlicher Sicherheit ist – zu privatisieren ist bei Ihnen
(B) Ich erinnere nur an die Bespitzelung von Journalisten, ein beliebtes Vorgehen auf allen Politikfeldern – grund- (D)
die Einzelschicksale el-Masri, Zammar und Kurnaz so-
sätzlich falsch. Ein erster richtiger Schritt wäre, gut aus-
wie – last, but not least – die ununterbrochene Bespitze-
gebildetes und vor allem gut bezahltes Personal auf dem
lung von linken Bundestagsabgeordneten, wovon die
Frankfurter Flughafen einzusetzen. Wer für 5 Euro
Dienste im Moment reichlich Gebrauch machen. Statt
brutto einen solchen Job macht, von dem kann man nicht
diesen Diensten mehr Geld zu geben, sollte endlich da-
erwarten – das wird jeder Arbeitssoziologe bestätigen –,
für Sorge getragen werden, dass die Dienste wieder ins
dass er sich besonders engagiert.
Lot kommen und einer parlamentarischen Kontrolle un-
terworfen werden. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN) Für unsere Forderung nach einem Mindestlohn spricht
damit auch ein Sicherheitsargument. Das sei aber nur am
Zurzeit führt jeder Euro mehr für die Dienste zu einer Rande bemerkt.
Selbstentmündigung dieses Hauses; das muss man so
deutlich sagen. Was ist also zu tun? Wir sollten aufhören, die Sicher-
heit weiter zu privatisieren, und von flächendeckenden
Der dritte Punkt ist das so genannte „Programm zur Überwachungen Abstand nehmen. Wir sollten außerdem
Stärkung der Inneren Sicherheit“. Das Verfahren ist keine unhaltbaren Sicherheitsversprechen machen; denn
schon – zu Recht – kritisiert worden. Was steht dort ei- wir müssen uns kritisch fragen, ob die Gesetze und Maß-
gentlich? Das Gute an dem Programm ist, dass dort end- nahmen, die mehr Sicherheit versprechen, nicht das zer-
lich einmal Klartext geredet wird. Unter Verzicht auf stören, was sie eigentlich schützen sollen, nämlich die
verschwommene Formulierungen wird dort deutlich ge- Freiheit und die Bürgerrechte. Hier ist eine ehrliche
sagt, was man eigentlich vorhat. Drei Beispiele dafür: Analyse notwendig, aus der hervorgeht, was uns weiter-
Erstens. Dort steht zum weiteren Ausbau der Online- bringt.
durchsuchung – ich zitiere –: Zum Schluss ist festzustellen: Dieser Haushalt ist ein
Ein wichtiger Baustein hierfür ist die technische Fä- Dokument des Misstrauens gegen weite Teile der Bevöl-
higkeit, entfernte PC auf verfahrensrelevante In- kerung. Er bedeutet einen weiteren Schritt in die totale
halte hin durchsuchen zu können, ohne tatsächlich Sicherheit in unserem Land. Unsere Demokratie wird
am Standort des Gerätes zu sein. dadurch jedes Jahr ein bisschen weiter geschwächt, aber
in der Gesamtsumme ist das ein wirklich nicht mehr hin-
Das bedeutet nichts anderes als staatlich sanktioniertes zunehmender Grundrechte- und Demokratieabbau. Ich
Hacking in fremden Computern. Man greift also wieder frage Sie: Wann ist eigentlich Schluss? Wann haben wir
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6661
Jan Korte
(A) nach Ihrer Meinung die größtmögliche Sicherheit er- teuerliche Vertragsabschlüsse in den 90er-Jahren allein (C)
reicht? Diese Frage müssen Sie irgendwann einmal in diesem Jahr Stoff für drei Berichterstattergespräche
beantworten können. Das würde mich wirklich interes- bot. Die Mittel für einen möglichen Neubau sind ge-
sieren. Wann ist der Datenhunger der Dienste und der sperrt. Wir haben uns aber vorgenommen, im ersten
Bundesregierung gesättigt? Ich hoffe, dass es dann nicht Quartal 2007 zu einer Entscheidung über eine dauerhafte
zu spät ist. In diesem Sinne lehnen wir selbstverständlich Unterbringung des Innenministeriums zu kommen.
auch diesen Einzelplan ab. Doch sind nicht nur Neubaupläne für das Bundesinnen-
ministerium in der Diskussion; für insgesamt sechs Mi-
Schönen Dank.
nisterien werden zurzeit Um- und Neubauten geplant
(Beifall bei der LINKEN) und erstellt, von nachgeordneten Behörden ganz zu
schweigen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das ist grundsätzlich gut so. Wir müssen in unserer
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn, SPD- Hauptstadt auf Dauer optimale Arbeitsmöglichkeiten für
Fraktion. die hier anzusiedelnden Ministerien und Behörden
(Beifall bei der SPD) schaffen, damit effektiv gearbeitet werden kann. Richtig
ist es darum auch, dass gerade der Haushaltsausschuss
im Zusammenhang mit solcher Bautätigkeit Fragen nach
Bettina Hagedorn (SPD): einer langfristig sinnvollen Arbeitsstruktur der Ressorts
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- stellt. Dabei geht es um Konzepte, um Aufgaben, Perso-
gen! Als zuständige Hauptberichterstatterin bin ich froh, nalkörper, dazu passende Bauvorhaben und natürlich
heute nach anstrengenden Beratungen den Einzelplan auch um Standorte. Es geht um die langfristig effektive
des Bundesinnenministeriums vorstellen zu können. Zu- Aufgabenerfüllung und den wirtschaftlich vernünftigen
sätzlich zu den üblichen Haushaltsberatungen mit einem Einsatz von Mitarbeitern. Dabei darf es kein Tabu geben,
Gesamtvolumen von 4,48 Milliarden Euro hatten wir auch nicht beim Berlin/Bonn-Gesetz.
Berichterstatter es mit großen und weit über den Einzel-
plan hinaus relevanten Themengebieten von hoher finan- Wie mein Kollege Jochen Fromme von der Union
zieller Brisanz und Aktualität zu tun, die uns Beratungs- schon vorgestern in seinem Redebeitrag darstellte, haben
stoff für viele zusätzliche Berichterstattergespräche wir gemeinsam auf unserer Haushaltsklausur angeregt,
bescherten. Kollegin Piltz, Sie haben vorhin angemahnt das Berlin/Bonn-Gesetz auf den Prüfstand zu stellen.
– das galt für die Innenpolitiker –, sie wünschten sich Das Echo war, wie nicht anders anzunehmen, gespalten.
mehr Berichterstattergespräche. Ich nehme an, Ihr Kol- Doch zunehmend merkten wir gemeinsam, dass die Be-
lege Koppelin kann das für den Haushalt nicht bestäti- reitschaft, parteiübergreifend vernünftig und offen über
(B) (D)
gen. Effizienzgewinne in der Bundesverwaltung zu sprechen,
steigt. Bei der Diskussion geht es letzten Endes um lang-
(Jürgen Koppelin [FDP]: Nein, das kann ich fristige, zukunftsfähige Lösungen, die für den Regie-
nicht!) rungssitz Berlin ebenso zukunftsweisend wie für den
Lassen Sie mich einige dieser heißen Eisen, die uns Bundeshaushalt tragbar sind und die gleichzeitig für den
beschäftigt haben, nennen. Ein Stichwort ist der Digital- Raum Bonn nicht den befürchteten Untergang des
funk. Mein Kollege Herr Dr. Luther hat es schon ge- Abendlandes bedeuten müssen.
nannt. Wir haben seit dem Sommer mit dem Vertragsab- Wir wollen dabei nichts übers Knie brechen. Wir sind
schluss mit EADS und DB Telematik zu tun. Wir hoffen, uns aber als Haushaltsausschussmitglieder in einer gro-
dass die Verhandlungen im Dezember in die entschei- ßen Koalition sehr wohl der Tatsache bewusst, dass es
dende Phase kommen. Die SPD steht uneingeschränkt vermeintliche Tabuthemen gibt, die anzupacken und
zur notwendigen Einführung des Digitalfunks in mehrheitsfähig zu machen wir nur in dieser Konstella-
Deutschland. Sicherheitskräfte in Bund, Ländern und tion in der Lage sind. Und wir haben den Mut, diese
Kommunen warten darauf zur Optimierung ihrer Arbeit. Chance zu nutzen.
Insgesamt stehen 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung.
Man muss allerdings nicht prophetisch begabt sein, um (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
zu prognostizieren, dass das Geld leider nicht ausreichen
Schön ist, dass unser Antrag parteiübergreifend getra-
wird, um den Digitalfunk in Deutschland zu realisieren.
gen wurde. Falsch ist aber, dass die Opposition uns bei
Noch vor Weihnachten, Frau Kollegin Piltz, werden wir
diesem Thema zum Jagen tragen musste.
ein Berichterstattergespräch zu diesem Thema führen.
Das gilt auch für das nächste konfliktträchtige Thema,
(Gisela Piltz [FDP]: Ich bin tief beeindruckt! –
nämlich die bisherige und künftig veränderte Anwen-
Jürgen Koppelin [FDP]: Da bin ich aber sehr
dung des Dienstrechtlichen Begleitgesetzes für Mit-
gespannt!)
arbeiter, die nach Berlin umziehen. Leistungen nach dem
– Da sind Sie wahrscheinlich schon in Urlaub, Herr Kol- Dienstrechtlichen Begleitgesetz und dem Umzugstarif-
lege Koppelin. vertrag gelten ausdrücklich nur für die vom Umzug be-
troffenen Beschäftigten in Bundesbehörden und -ein-
Ein weiteres Stichwort ist der möglicherweise zu pla-
richtungen, die im Berlin/Bonn-Gesetz aufgeführt sind.
nende Neubau für das Bundesinnenministerium, ein
Thema, das auch vor dem Hintergrund sehr ernst zu neh- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
mender Berichte des Bundesrechnungshofes über aben- GRÜNEN]: Was ist mit dem BKA?)
6662 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bettina Hagedorn
(A) Am 9. November 2006 haben wir im Haushaltsaus- dass die oftmals überlegene technische Aufrüstung der (C)
schuss erneut, und zwar auf Initiative der großen Koali- Täter, egal ob aus organisierter Kriminalität oder terro-
tion hin, einen unmissverständlichen Beschluss herbei- ristischer Szene, dann auch eine Nachrüstung der staatli-
geführt, der jedwede anders lautende Auslegung künftig chen Organe notwendig macht, wenn wir wollen, dass
ausschließen und eine offensichtlich gängige Staatspra- diese ihre Arbeit im Sinne der Menschen ordentlich und
xis ab sofort unterbinden soll, um dadurch enorme Sum- erfolgreich erfüllen können. Wir wollen das!
men an Steuergeldern zu sparen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die höchste Priorität bei den Themen, die uns in den
vergangenen Wochen außerhalb der eigentlichen Etatbe- Maßnahmen für mehr innere Sicherheit sind immer eine
ratungen beschäftigt haben, hatte allerdings das 44 Mil- Gratwanderung in dem eben skizzierten Sinn.
lionen Euro schwere Sicherheitspaket, das nach den Wir diskutieren hier das „Programm zur Stärkung der
Kofferbombenfunden in Regionalzügen im Sommer eine Inneren Sicherheit“, das ein Maßnahmenbündel zur lo-
sicherheitspolitische Debatte in Deutschland auslöste, in gistischen und personellen Verstärkung aller Sicherheits-
der es auch an absurden medienwirksamen Vorschlägen organe des Bundes enthält und für das die Bundesregie-
mancher Politiker nicht fehlte. Da wurden so genannte rung von 2007 bis 2009 132 Millionen Euro bereitstellt,
Train Marshals, also Zugbegleiter, ähnlich wie in Flug- das sind 44 Millionen Euro im Jahr. Der Hauptschwer-
zeugen gefordert, ein Vorschlag, der allein 5 000 zusätz- punkt der Maßnahmen liegt mit über 64 Millionen Euro,
liche Kräfte bei der Bundespolizei erforderlich gemacht bezogen auf diesen Dreijahreszeitraum, beim Bundes-
hätte. amt für Verfassungsschutz.
(Gisela Piltz [FDP]: Das war auch eine Initia- Herr Korte, Sie haben den Verfassungsschutz soeben
tive von der großen Koalition!) in besonderer Art und Weise diffamiert. Sie müssten
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema innere schon deutlich machen, was Sie eigentlich wollen. Das,
Sicherheit verdient eine ernsthafte, nachdenkliche und was Sie hier dargestellt haben, entbehrt jeder Grundlage.
unaufgeregte Diskussion statt Aktionismus. Jeder Bürger Sie haben gesagt: Wir brauchen wieder eine parlamenta-
möchte Sicherheit im Inneren. Das ist ein Grundbedürf- rische Kontrolle. Ich verweise auf das Vertrauensgre-
nis. Ein hohes Sicherheitsgefühl für den Einzelnen be- mium. Dort sind neben mir zwei weitere Abgeordnete
deutet Lebensqualität und ist ein Standortfaktor für Wirt- meiner Fraktion Mitglied; Sie nicht, aber eine Kollegin
schaft und Staat. von Ihnen. Sie haben hier alles – Bundesamt für Verfas-
sungsschutz, BND – in einen großen Topf geworfen, das
Aussagen und Kommentare – auch diese Debatte be- Ganze mit dem Untersuchungsausschuss vermengt, ein-
(B) schert uns das – zum letzte Woche veröffentlichten mal kräftig umgerührt, um letzten Endes die Arbeit der (D)
Zweiten Sicherheitsbericht der Bundesregierung spie- Kollegen zu diffamieren.
geln die ganze Widersprüchlichkeit zu diesem Thema in
Deutschland wider. (Jan Korte [DIE LINKE]: Also ist alles in Ord-
nung, oder wie?)
Nun legt die Bundesregierung in dieser Situation ein
neues Sicherheitspaket vor, mit dem gezielt Maßnahmen Herr Korte, das müssen wir wirklich ablehnen. Sie stel-
zur Stärkung der Sicherheitsorgane ergriffen werden sol- len letzten Endes die Arbeit des Verfassungsschutzes in-
len, und reflexartig prangern einige Kritiker dieses als frage. Da machen wir nicht mit.
„Angstpolitik“ an. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Beifall des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Wir, die SPD, sind angesichts der Analyse der Gefähr-
Herr Korte hat uns gerade ein erneutes Beispiel geliefert. dungslage der Auffassung, dass es genau richtig ist, den
Schwerpunkt auf den Verfassungsschutz zu setzen.
Andere wiederum, wie der Vorsitzende der Gewerk-
schaft der Polizei, Konrad Freiberg, versuchen, den Si- Alle weiteren neuen Stellen sind beim Bundeskrimi-
cherheitsbericht als „Wohlfühlbericht“ zu disqualifizie- nalamt angesiedelt. Das ist der zweite Investitions-
ren und werfen denselben Politikern vor, die Situation zu schwerpunkt. Der Etat des BKA für 2007 wird zu
verharmlosen und zu wenig zu tun. – Ja was denn nun? diesem Zweck zielgerichtet um insgesamt 11,24 Millio-
nen Euro aufgestockt. Mein Kollege hat zu diesem Be-
Wie wir zu einem Mehr an innerer Sicherheit kom- reich schon viel gesagt, weswegen ich darauf weniger
men, daran scheiden sich offensichtlich die Geister. Das ausführlich eingehen kann. Der Aufbau der Antiterror-
Sicherheitspaket dient den Kritikern als vermeintliche datei, auf den sich die Innenministerkonferenz im Sep-
Preisgabe liberaler Bürgerrechte; manchen geht es zu tember nach jahrelangem Hickhack und unter dem Ein-
weit und anderen wiederum nicht weit genug. Die einen druck der neuen Bedrohungslage endlich verständigt hat,
sehen den Datenschutz in Gefahr, die anderen kriminelle und der beschlossene Ausbau der Erfassung sowie die
Strukturen angesichts bürokratischer Hemmnisse des Analyse von Massendaten erfordern erhebliche Mittel.
Staates im Vorteil. Da wird das Schreckgespenst des
Überwachungsstaates an die Wand gemalt – Herr Korte Die Bundespolizei erhält kein zusätzliches Personal
hat eben von Gesinnungsschnüffelei gesprochen – und – das braucht sie auch nicht –, weil sie durch die
gleichzeitig wird festgestellt – Sie hören jetzt besser zu –, Antiterrorpakete I und II personell erheblich aufgestockt
worden ist; erst in diesem Jahr sind knapp 1 200 Anwär-
(Jan Korte [DIE LINKE]: Ich höre immer zu!) ter eingestellt worden. Dennoch erhält die Bundespolizei
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6663
Bettina Hagedorn
(A) Spezialausrüstungen, die sie dringend braucht, zum Bei- Ich nutze diese Gelegenheit – aus zeitlichen Gründen (C)
spiel Wärmebildkameras zur Überwachung der Bahn- kann ich das nur ganz kurz tun –, auf den Victor-
gleise, Videokameras zur Überwachung von Bahnhöfen Klemperer-Jugendwettbewerb hinzuweisen, den eben-
oder des Flughafens Frankfurt am Main. Außerdem sol- falls dieses Bündnis zusammen mit dem ZDF und der
len weitere Spürhunde angeschafft werden. Das ist schon Dresdner Bank ausrichtet. Junge Menschen ab 14 Jahren
erwähnt worden. sind aufgerufen, sich bis zum 31. März 2007 mit kreati-
ven Beiträgen zu beteiligen. Über 82 000 Teilnehmer aus
Ich bin zuversichtlich, dass mit diesem Maßnahme-
dem In- und Ausland haben sich in den letzten Jahren
bündel zielgenaue und vernünftige Vorschläge zur Ver-
daran beteiligt.
besserung der inneren Sicherheit in Deutschland umge-
setzt werden. Dass das wichtig ist und zur Stärkung der politischen
Bildung junger Menschen beiträgt, konnten wir gerade
Ich will aber darauf hinweisen, dass die Medaille „in-
jüngst vor anderthalb Wochen in Brandenburg wieder er-
nere Sicherheit“ zwei Seiten hat. Wir sollten die zweite
leben, als Menschenketten und sogar ein Staffellauf von
Seite nicht aus dem Blick verlieren: die Prävention.
200 Grundschülern unter dem Motto „Bunt statt Braun“
Auch sie spielt in diesem Haushalt eine erhebliche Rolle.
mit selbst gemalten Plakaten klare Zeichen gegen die
Die Prävention wird deutlich durch ein Mehr an politi-
Aufmärsche der NPD setzten. Solche Aktionen machen
scher Bildung, durch Projekte gegen Rechtsextremismus
Mut und verdienen unsere Unterstützung und unseren
und durch die Stärkung gesellschaftlicher Initiativen für
Beifall.
mehr Toleranz und Demokratie. Prävention heißt, Perso-
nengruppen verschiedenster Religionen und Kulturen ins (Beifall im ganzen Hause)
öffentliche Leben unserer Gesellschaft einzubinden, sie
Eine gelungene Integrationspolitik ist wirksame
zu beteiligen, statt sie auszugrenzen, gerade den Kindern
Prävention. Sie hängt auch davon ab, ob die Integra-
und Jugendlichen eine faire Chance auf Bildung und
tions- und Sprachkurse erfolgreich und flächendeckend
Ausbildung zu geben.
angeboten werden können und ob dafür genug Geld zur
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!) Verfügung steht. Ich will jetzt nicht noch einmal, wie in
meiner Rede im Sommer, vertieft darauf eingehen,
Prävention meint Integrations- und Sprachkurse, eine
Bleiberechtsregelung mit humanem und christlichem (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist auch
Antlitz und eine Stadtentwicklung, die der Gettoisierung besser so!)
vorbeugt.
aber schon sagen, dass die Mittel nach der Kürzung um
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. 67 Millionen Euro, die im Haushalt 2006 erfolgt ist
(B) Dr. Michael Luther [CDU/CSU]) – auch jetzt ist der Titel nur mit 140 Millionen Euro do- (D)
tiert –, grundsätzlich zu knapp sind, und zwar nicht nur
In diesem Bundeshaushalt gibt es viele Ansätze, die
wegen des Integrationsgipfels und zusätzlicher qualitati-
für die Prävention in Deutschland eine wichtige Rolle
ver Anstrengungen, die wir parteiübergeifend wollen
spielen. Ich freue mich ganz besonders, dass die Pro-
und die ab Sommer 2007 nach der Evaluierung umge-
gramme gegen Rechtsextremismus und Fremden-
setzt werden sollen, sondern auch deswegen, weil die
feindlichkeit im Einzelplan 17, durch die seit 2001
Zahl der Angebote für die schon jetzt Berechtigten nicht
4 000 Projekte in ganz Deutschland mit mehr als
ausreicht. Speziell für Frauen mit Bedarf an Kinderbe-
163 Millionen Euro gefördert worden sind, fortgesetzt
treuung und für Analphabeten bleibt das Angebot weit
werden. Die Mittel dafür werden sogar um 5 Mil-
hinter dem Bedarf zurück. Ich vertraue darauf, da es im
lionen Euro pro Jahr aufgestockt.
Haushalt des BMI einen Deckungsvermerk gibt, der si-
Auch im Haushalt des Innenministeriums haben wir cherstellen soll – mein Kollege Michael Luther hat da-
ein deutliches Signal gesetzt, indem wir die Mittel für das rauf hingewiesen –, dass alle Kursangebote im bisheri-
Bündnis für Demokratie und Toleranz um 300 000 Euro gen Leistungskatalog zielgruppengerecht und in vollem
aufgestockt haben. Das ist ein Plus von 40 Prozent ge- Umfang fortgeführt werden können und dass kein Inte-
genüber 2006. Unter dem Dach dieses Bündnisses arbei- grationswilliger abgewiesen werden muss.
ten 1 300 Gruppen und Initiativen in ganz Deutschland.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es geht aber um
Die Arbeit dieser Gruppen und Initiativen gegen Frem-
qualifizierte Verbesserung, Frau Kollegin!)
denfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus wird
überwiegend ehrenamtlich geleistet. Das Motto lautet: – Das ist wahr. Qualifizierte Verbesserungen werden si-
Hinschauen, handeln, helfen. cherlich nach der Evaluierung beschlossen und dafür
werden gewiss zusätzliche Mittel benötigt werden.
(Beifall bei der SPD)
Unter Prävention im weiteren Sinne ist auch der
Das Bündnis für Demokratie und Toleranz lobt jedes
Sport zu sehen. Im Haushalt des Bundesinnenministeri-
Jahr einen Preis aus, der mit 1 000 bis 5 000 Euro – nicht
ums stehen dafür wieder 108,5 Millionen Euro zur Ver-
üppig – dotiert ist. Dieser Preis wird ausnahmslos Initia-
fügung.
tiven in der ganzen Bundesrepublik verliehen, die sich
diesen Zielen ohne staatliche Unterstützung verschrie- Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland war
ben haben. Auch wenn die Preisgelder nicht hoch sind, nicht nur ein voller Erfolg auf dem Spielfeld, nicht nur
helfen sie insbesondere dabei, das gesellschaftliche En- ein riesiges Sportfest für die junge Generation mit der
gagement zu stärken. Chance auf internationale Freundschaftsbeziehungen
6664 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bettina Hagedorn
(A) und Völkerverständigung, und bei ihr hat die Welt nicht Zusammenarbeit und ich hoffe sehr, dass Sie sich mit (C)
nur erlebt, dass man in Deutschland fast fünf Wochen mir darauf freuen.
schönes Wetter haben kann – das wird die Tourismus-
branche gefreut haben –, sondern die Fußballweltmeis- Vielen Dank.
terschaft war auch ein finanzieller Erfolg. Bei der DFB- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Kulturstiftung sind 5 Millionen Euro nicht ausgegeben
worden. Wir Haushälter und Sportpolitiker der großen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Koalition haben uns gemeinsam darauf verständigt, dass
diese 5 Millionen Euro für spezielle Projekte beim Sport Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Wieland,
verbleiben sollen. Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
des Abg. Detlef Parr [FDP])
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
– Ja, das ist einen Applaus wert. Kollege Luther, Frau Kollegin Hagedorn, das war ja
zweifelsohne sehr interessant, was Sie hier vorgetragen
Mich hat leicht irritiert – das will ich an dieser Stelle
haben.
doch sagen –, dass man sich auf der Homepage des
DOSB mit fremden Federn schmückt. Es ist nicht rich- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
tig, dass es auf Initiative des DOSB zu dieser Mittelver- SES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD
wendung kommt. Es waren die Parlamentarier aus dem sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Sportbereich und aus dem Haushaltsausschuss, die das der FDP)
gemeinsam bewegt haben. Ich würde mir schon wün-
schen, dass sich der DOSB möglichst um die Teile der Eines hat mir aber gefehlt. Darüber bin ich ein wenig
Dopingproblematik intensiv kümmert, die auf seinem ei- enttäuscht.
genen Spielfeld sind. (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Zu wenig
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Redezeit!)
SES 90/DIE GRÜNEN) – Ich habe ausreichend Redezeit. So nett ist meine Frak-
Damit meine ich explizit die Dopingopfer aus der Zeit tion zu mir; alles überhaupt kein Problem.
der ehemaligen DDR. Ich würde mir wünschen, dass er In den vergangenen Tagen waren jeweils die Höhe-
da deutliche Schritte nach vorn geht. punkte der Beiträge von Koalitionspolitikern die politi-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ein ernst zu schen Liebeserklärungen nach dem Motto: Wenn uns die
(B) (D)
nehmender Hinweis!) Bevölkerung schon so wenig mag, dann mögen wir uns
wenigstens selber. Bei der Beratung des Justizetats war
Dass wir das mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt unter- es ganz beeindruckend, wie der Kollege Gehb Herrn
füttern, haben wir schon gesagt. Stünker um den Hals fiel. Letzterer wusste gar nicht, wie
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Es waren nur die ihm geschah; gestern das Gleiche zwischen Volker Kau-
Parlamentarier, nicht der DOSB!) der und Peter Struck.
– So ist es und so habe ich es auch gesagt. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Umgekehrt!)
Ich komme zum Schluss. Meinen Mitberichterstattern Nun war ich darauf eingestellt, dass Herr Uhl oder we-
danke ich für einen fairen und konstruktiven Beratungs- nigstens Herr Grindel Herrn Wiefelspütz umarmt und
marathon sowie dem Minister mit seinen Mitarbeiterin- von der ganz großen politischen Liebe spricht. Nichts
nen und Mitarbeitern für die umfangreiche Zuarbeit und dergleichen ist geschehen.
Information, ganz besonders aber dafür, dass er unsere
(Ute Kumpf [SPD]: Was sind Sie für ein
parlamentarischen Beschlüsse vom letzten Sommer in
Voyeur!)
den Beratungen zum Haushalt 2006 sowohl zu den Spar-
anstrengungen wie auch zu unserer Schwerpunktsetzung Da ich ja immer positiv denke, überwinde ich meine
für die Bundeszentrale für politische Bildung und für das Enttäuschung und interpretiere das so, dass die SPD ei-
THW ohne Wenn und Aber eins zu eins fortgeschrieben nen gewissen Widerstand gegenüber dem Hunger nach
hat. Sicherheitsgesetzen und Daten – Herr Kollege Korte, Sie
haben es geschildert – leistet, der die konservative Seite
Die hier im Schnelldurchlauf diskutierten Themen –
immer wieder befällt. Wie das Krümelmonster nach
Keksen ruft, rufen die Konservativen nach weiteren Ge-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: setzen oder nach Verschärfungen von Gesetzen. Eine
Frau Kollegin, Sie wollten zum Schluss kommen. Sättigungsgrenze – das müssen Sie noch lernen – gibt es
leider nie.
Bettina Hagedorn (SPD):
(Zurufe von der SPD)
– in großer Bandbreite lieferten uns Parlamentariern
in den letzten zwei Monaten Anlass für über 100 Be- – Sie machen Zurufe. Ich interpretiere das so, dass die
richtsanforderungen und intensive Beratungen mit letzt- SPD weiterhin nicht bereit ist, alles mitzumachen. Das
lich guten Beschlüssen. Ich freue mich auf die künftige sollte auch so bleiben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6665
Wolfgang Wieland
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Auf der anderen Seite muss sich Herr Bosbach in der (C)
Jürgen Koppelin [FDP]: Da bin ich mir nicht „FAZ“ von Herrn Wiefelspütz sagen lassen, er solle
so sicher!) nicht immer mit Medienvertretern, sondern mit ihm re-
den, er sei der Zuständige.
– Herr Koppelin, wenn ich sicher wäre, hätte ich mir
nicht so viel Mühe gegeben. Damit haben Sie völlig (Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz
Recht. [SPD])
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) Herr Steinbrück sagte vor zwei Tagen: Bitte etwas fai-
rer mit der großen Koalition sein, was die Management-
Der fehlenden Empathie zwischen den beiden Koali- qualitäten angeht; wir sollten sie mit Großkonzernen in
tionspartnern in der Innenpolitik entsprechen natürlich der Bundesrepublik vergleichen.
auch die mageren Ergebnisse, die in der Innenpolitik er-
zielt wurden. Das muss man ganz klar sagen. – Der Herr (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
Bundesinnenminister lacht; er weiß also, wovon ich GRÜNEN]: Mit Siemens!)
rede.
Selbst wenn ich an die Herren Piëch, Pischetsrieder,
Reden wir doch einmal über das Bleiberecht. Ich habe Ackermann und wie sie alle heißen denke: Mit Ihren
die Rede des Bundesinnenministers dazu beim BKA in Bleiberechtschaostagen haben Sie die getoppt, meine
Wiesbaden gehört. Er war richtig gelöst, denn die Kuh Damen und Herren.
war vom Eis. Er sprach von einer gesetzlichen Regelung,
nach der nach zwei Jahren Aufenthalt Arbeit gesucht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werden könne. Er bekam viel Beifall und es herrschte all- und bei der FDP)
gemeine Zufriedenheit. Ehrlicherweise muss ich sagen, Herr Korte hat den Wunsch nach einer Woche geäu-
dass der Bundesinnenminister einschränkte, er müsse ßert, in der der Bundesinnenminister einmal nicht den
diese Regelung noch in Nürnberg – er müsse ja dauernd Einsatz der Bundeswehr fordert. Die Forderung, eine Wo-
nach Nürnberg – auf der Tagung der Landesinnenminis- che darüber nicht zu reden, ist bescheiden. Wir haben von
ter beraten. Es tagten also die Landesinnenminister und Frau Merkel gehört, dass die Fußballweltmeisterschaft
traten dann ganz happy vor die Fernsehkameras. Herr ein Erfolg dieser großen Koalition war. Das Sicherheits-
Bouffier und Herr Körting sagten, dass nun eine gute Re- konzept ist sicherlich erfolgreich gewesen, insbesondere
gelung gefunden worden sei, die darin bestehe, dass je- wenn man die Ängste zum Beispiel im Zusammenhang
mand, der Arbeit gefunden habe, ein Aufenthaltsrecht mit Public Viewing, die es vorher gab, berücksichtigt. Es
bekomme, während die anderen, die schon seit Jahr und hat funktioniert. Aber der Beitrag des Bundesinnenminis-
(B) Tag nur geduldet seien – und für die wir schon unter Rot- ters war – das ist doch nicht vergessen – eine sinnlose (D)
Grün eine Regelung hätten finden müssen –, weiterhin Debatte über den Bundeswehreinsatz im Inneren als
geduldet würden. Die Landesinnenminister spielten aber Hilfspolizei fast bis zum Anpfiff dieser Fußballweltmeis-
weiter Hauptmann von Köpenick und legten fest: ohne terschaft.
Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung. Für diesen Perso-
nenkreis gilt umgekehrt aber auch die Maßgabe: ohne (Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt!)
Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit. Deswegen sind wir unbescheidener und sagen zur
Damit nicht genug. Am Montag konnte man in der ei- SPD: Erreichen Sie doch wenigstens eine Schweigever-
nen überregionalen Frankfurter Zeitung lesen, es han- pflichtung für den Bundesinnenminister in dieser Legis-
dele sich um einen Quantensprung. So Herr Wiefelspütz, laturperiode, was das Thema Bundeswehreinsatz im In-
neren angeht. Das würde unsere Nerven schonen und das
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Genau!) würde vor allem die Demokratie in der Bundesrepublik
der sich insbesondere bei Herrn Uhl bedankte. In der an- schonen.
deren überregionalen Frankfurter Zeitung konnte man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Aussage von Herrn Bosbach lesen: Ich denke, wir und bei der FDP sowie des Abg. Jan Korte
haben uns gar nicht geeinigt – ein wirklich gehaltvoller [DIE LINKE] und des Abg. Gert Winkelmeier
Satz. Bis heute steht infrage, ob es nun eine Einigung [fraktionslos])
gibt oder nicht.
Auch für uns Grüne steht der internationale Terro-
(Abg. Wolfgang Bosbach [CDU/CSU] betritt rismus natürlich im Zentrum unserer Überlegungen. Es
den Plenarsaal) ist nur ein Zufall, dass heute nicht Köln in einer Reihe
– Sie kommen aufs Stichwort, Herr Bosbach. – Das ist ja mit Madrid und London genannt wird. Wenn es all das,
das Merkwürdige an der Union: Diejenigen, die wir frü- was hier beschlossen werden soll – das Programm „In-
her als Fundamentalisten in der Frage der Zuwanderung nere Sicherheit“, verbesserte Videotechnik, Antiterror-
erlebten, zum Beispiel Herrn Uhl und Herrn Grindel, datei –, damals schon gegeben hätte, hätte das nicht ver-
sind unter dem Druck der Regierungsverantwortung zu hindert, dass die beiden Attentäter in die Züge
so etwas wie Integrationsrealos geworden. einsteigen. Das ist eine bittere Wahrheit, die wehtut, aber
dazu führen muss, dass wir erkennen, dass die Flucht in
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ die Technik, die hier angetreten wird, und Massenüber-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wachung statt gezielter polizeilicher Arbeit der falsche
FDP) Weg sind. Für uns gilt auch im Bereich der Gefahrenab-
6666 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Wolfgang Wieland
(A) wehr das Motto „Klasse statt Masse“. Das ist anzustre- Wir waren die Ersten, die aufgrund der Anhörung Än- (C)
ben; darauf kommt es an. derungsanträge eingereicht haben, und erwarten eigent-
lich, dass darüber geredet wird. Nachdem so lange über
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Antiterrordatei diskutiert wurde, ist doch klar: Wer
Deswegen bedauern wir auch, dass wir seinerzeit mit darin landet, gilt als Terrorist. Wenn der Präsident des
der Forderung nach einer Strukturreformkommission Bundesamtes für Verfassungsschutz beschwichtigend
für innere Sicherheit, Polizei und Geheimdienste ge- sagt, wir werden, was die Anzahl der Einträge angeht,
scheitert sind. Denn uns stellt sich die Frage, ob tatsäch- unterhalb des fünfstelligen Bereichs bleiben, dann muss
lich die Länderämter für Verfassungsschutz in der Lage man feststellen: Auch 9 999 Personen sind sehr viel.
sind, das zu leisten, was sie leisten müssen. Wir wollen Wir fordern Sensibilität und bürgerrechtliches Be-
nun wirklich kein Bundessicherheitsamt. Das dürfen Sie wusstsein ein. Es sollte noch einmal geprüft werden, wer
uns glauben; das wäre die falsche Antwort auf unser aus- in diese Datei aufgenommen werden soll. Es darf keinen
balanciertes föderales System. Aber dass die Alternative Automatismus geben. Außerdem muss es eine klare De-
nun gleich 38 staatliche Organisationen für den Bereich finition geben, wer Kontaktperson ist. Wir wollen errei-
Sicherheit sein sollen, das kann uns niemand weisma- chen, dass diese Datei den geringstmöglichen bürger-
chen. Notwendig sind grundsätzliche Überlegungen und rechtlichen Schaden anrichtet. Es ist vor allen Dingen
insoweit auch eine Evaluierung, um dazu zu kommen, unser Bestreben gewesen, dass diese Datei eine Indexda-
dass wirklich alles getan wird, um dieser Bedrohung zu tei bleibt. Wir wollen diese Diskussion in einem geord-
begegnen. neten Verfahren bis zum Ende führen.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Mit Zentralis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mus, Herr Wieland?) und bei der FDP)
– Nein, im föderalen System. Das Antiterrorzentrum in Noch eine Bemerkung – sie ist notwendig – zur
Berlin-Treptow ist ein gutes Beispiel und wir haben es rechtsextremistischen Gefahr. Wir wissen, dass die
immer verteidigt. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, Zahl der rechtsextremistischen Straftaten ansteigt. Die
Kollege Wiefelspütz: Hätte man nicht in Schleswig-Hol- Täter werden immer frecher. Daher ist es richtig, dass
stein auf diesen einen jungen Mann aufmerksam werden 5 Millionen Euro mehr an Haushaltsmitteln für diesen
müssen und hätte hier nicht präventiv gehandelt werden Bereich eingestellt werden. Es ist aber falsch, dass diese
können? Wenn Sie immer sagen, die Geheimdienste Mittel nicht mehr auf Antrag, wie das bisher der Fall
seien gut kontrolliert und beaufsichtigt, dann muss ich war, direkt an die Projekte fließen. Um nicht missver-
Ihnen leider entgegnen: Das stimmt nicht. An effektiver standen zu werden: Es sollte ruhig evaluiert werden.
(B) parlamentarischer Kontrolle fehlt es nach wie vor. Aber dass man die Kommunen verbindlich dazwischen- (D)
schaltet und dass man damit riskiert, dass gut arbeitende
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Fragen Sie Initiativen vor Ort ihre Arbeit einstellen, ist bedenklich.
den Abgeordneten Ströbele!) Teilweise sind die Mitarbeiter schon zu den Arbeitsagen-
– Sie nennen den Abgeordneten Ströbele. Aber er darf turen gegangen. Es wurde beklagt, dass Kommunen,
mir noch nicht einmal seine Erkenntnisse mitteilen. weil sie entsprechende Vorkommnisse verdrängen bzw.
schönreden, nicht die notwendigen Anträge stellen.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ach Gott!) Diese Gefahr ist erkannt. Wir fordern daher, dass es hier
Korrekturen, die längst überfällig sind, gibt.
Niemand von uns ist in der Lage, selber ein Bild des ge-
samten Bereiches der inneren Sicherheit zusammenzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
setzen. Natürlich muss auch in der Verbotsfrage Klarheit
(Bettina Hagedorn [SPD]: Haben Sie kein herrschen. Meine Fraktion ist mit großer Mehrheit gegen
Vertrauen?) einen erneuten Verbotsantrag.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/
Hier besteht dringender Änderungsbedarf. Die FDP und DIE GRÜNEN]: Ich nicht!)
wir haben Vorschläge vorgelegt, wie man zu einer Kon-
trolle kommen kann, die diesen Namen verdient. – Auch ich nicht. Aber darauf kommt es, Kollegin Sto-
kar, tatsächlich nicht an.
Sie haben sie bisher verworfen.
(Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [SPD] – Fritz Rudolf Körper [SPD]: Auf euch
und bei der FDP) kommt es nicht an?! – Silke Stokar von Neu-
forn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehe
Uns kann ebenfalls nicht glücklich machen, dass das
ich anders!)
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz – das ist nicht
nur ein Wortungeheuer, sondern auch ansonsten ein Ärgerlich ist, dass wir, nachdem der immerhin von
Monstrum – und das Anti-Terror-Datei-Gesetz als Last- drei Verfassungsorganen eingebrachte Verbotsantrag in
Minute-Gesetze offenbar im Schweinsgalopp durchge- Karlsruhe gescheitert ist, nun die nächste Katastrophe
peitscht werden sollen. Wir waren zu einem Bericht- erleben. Denn so bald irgendetwas passiert – dazu zählt
erstattergespräch eingeladen. Aber als wir es gestern auch, dass die in Rede stehende Partei in den Landtag
führen wollten, wurde es kurzfristig abgesagt. gewählt wird –, wird sofort über ein neues Verbotsver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6667
Wolfgang Wieland
(A) fahren diskutiert, ohne dass sich die dafür primär zustän- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C)
digen Innenminister eine Strategie überlegen und zu ei- Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang
ner gemeinsamen Willensbildung – wir machen es oder Schäuble.
wir machen es nicht – kommen, die dann auch verbind-
lich sein muss. Diese braunen Gesellen sind viel zu ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
fährlich, als dass sich die Demokraten an dieser Stelle neten der SPD)
auseinander dividieren lassen sollten.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nern:
SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gisela Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir le-
Piltz [FDP]) ben in einer angespannten Sicherheitslage. Die jüngsten
Abschließend will ich sagen: Terrorismusbekämpfung Fahndungsergebnisse, sowohl die Ermittlungen der Bun-
ist nicht allein eine Frage der Sicherheitsbehörden, son- desanwaltschaft als auch die Fahndungserfolge briti-
dern auch eine politische Frage. Nach 30 Jahren fehlen- scher Kollegen zeigen, dass der Flugverkehr nach wie
der oder falscher Einwanderungspolitik gibt es bei uns vor eines der Hauptangriffsziele von Terroristen sein
eklatante Mängel. Diese Fehler schlagen auch durch auf kann. In Deutschland gab es einen Anschlag mit den
den Bereich Jugendgewalt und auf das, was in dem Si- glücklicherweise nicht zur Explosion gekommenen Kof-
cherheitsbericht – darin sind auch Punkte enthalten, die ferbomben und Vorbereitungen zu einem weiteren An-
nicht in Ordnung sind – aufgeführt ist. Dort heißt es schlag, die die Bundesanwaltschaft zu ihren Ermittlun-
zwar, dass wir insgesamt eines der sichersten Länder der gen veranlasst haben. Deswegen müssen wir alle
Welt sind. Das ist objektiv richtig, aber diese Erkenntnis Anstrengungen unternehmen, um das Menschenmögli-
wird kein Opfer einer Gewalttat trösten. Gemäß dem che an Prävention und Sicherheit zu leisten. Das ist die
Satz „Obwohl der See im Durchschnitt einen Meter tief Hauptaufgabe auf dem Felde der inneren Sicherheit.
ist, ist die Kuh ertrunken“ gibt es Bereiche, die alles in Ich bin froh, dass wir einen funktionierenden und leis-
allem gesehen nicht in Ordnung sind. Der Bereich „Ju- tungsfähigen Sicherheitsverbund zwischen Bund und
gendliche mit Integrationshintergrund“ ist ein solcher, Ländern haben. Bei manchen Debattenbeiträgen hatte
wo es brennt. ich gelegentlich das Gefühl, dass ich daran erinnern
muss, dass sich die föderale Grundstruktur unseres Lan-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: des bewährt hat. Sie ist erfolgreich.
Herr Kollege, Sie haben von der Fraktion ausreichend
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
Redezeit bekommen. Ihre Redezeit ist zu Ende.
FDP)
(B) (D)
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie hat sich entgegen manchen Sorgen nicht zuletzt bei
Ich will hier niemandem die Redezeit nehmen. der Fußballweltmeisterschaft in hervorragender Weise
bewährt. Es steht dem Bund aus Anlass einer Haushalts-
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- debatte zur inneren Sicherheit zu, sich bei den Verant-
NEN, bei der CDU/CSU und der SPD) wortlichen in den Bundesländern, bei allen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern der Länderpolizeien genauso
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wie bei denen der Sicherheitsorgane des Bundes für
Herr Kollege, Sie nehmen niemandem mehr die Re- diese großartige Arbeit zu bedanken.
dezeit, außer dem Parlament. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir brauchen die gesetzlichen Grundlagen für eine
Frau Präsidentin, ein Schlusssatz sei gestattet: Die entsprechende Zusammenarbeit und den Austausch und
Demokratie muss sich zumuten, das Recht gegen ihre die Sammlung von Informationen. Wir wollen die Anti-
Feinde zu verteidigen, zugleich aber auch die Rechte terrordatei einführen, um die Informationen, die die
dieser Feinde zu schützen. Das ist sehr wichtig. Entzie- einzelnen Institutionen sammeln, zu vernetzen. Das ist
hen wir uns dieser Aufgabe, die schwierig ist und immer kein Schnüffelwahn, sondern die richtige Antwort, um
populistischen Anfeindungen unterliegt – die bewährte Arbeitsteilung und Zusammenarbeit im Fö-
deralismus zu optimieren.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Kollege, das waren jetzt drei Schlusssätze. Ihre
Redezeit ist wirklich deutlich überschritten. Herr Kollege Wieland, wir haben beim Terrorabwehr-
zentrum und der Antiterrordatei in der Tat 38 Stellen zu-
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sammenzuführen. Das ist schnell aufgezählt: Wir haben
– danke –, dann laufen wir Gefahr, selber so zu wer- 16 Bundesländer, also 16 Länderpolizeien und 16 Lan-
den wie die Feinde der Demokratie. Das sollten wir nicht desämter für Verfassungsschutz. Dann haben wir das
tun. Bundesamt für Verfassungsschutz, den Zoll, das Bundes-
kriminalamt, die Bundespolizei, den Bundesnachrichten-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dienst und den Militärischen Abschirmdienst. Schon
sowie bei Abgeordneten der FDP) sind wir bei 38. Die müssen zusammengeführt und ent-
6668 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) sprechende Informationen müssen vernetzt werden. Des- wird, ist klar. Die Voraussetzungen dafür müssen inner- (C)
wegen bitte ich darum, dass das Gesetz zur Errichtung halb der Europäischen Union geschaffen werden.
der notwendigen Antiterrordatei zügig im Bundestag
verabschiedet wird. Das dient der inneren Sicherheit un- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto
seres Landes. Solms)
Die organisatorischen Veränderungen innerhalb der
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bundespolizei muss ich auch mit den Ländern bespre-
Ich will gleich eine Bemerkung anschließen. Sie ha- chen. Dazu haben wir in Nürnberg den ersten Schritt ge-
ben gesagt, all das, was wir vorhaben, hätte nichts ge- tan, zeitgleich haben wir die Bundespolizei über die
nützt, um die Kofferbombenanschläge zu verhindern. Grundlinien der Umorganisation unterrichtet. Wir wol-
Natürlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. len bei gegebenen personellen und sachlichen Mitteln
Aber die Konsequenzen, die wir im Hinblick auf das die Effizienz der Bundespolizei weiter stärken und tun
Aufenthaltsrecht aus unseren Erkenntnissen ziehen wol- dies im Sicherheitsverbund mit den Ländern und im
len, hätten, wenn sie schon gesetzliche Grundlage gewe- Bewusstsein dessen, dass wir durch ein verändertes
sen wären, dazu geführt, dass wir den Tatverdächtigen Grenzkontrollsystem im Schengenraum natürlich
erkannt hätten, bevor er die Kofferbombe in den Zug ge- keine Sicherheitsverluste eingehen dürfen, sondern dass
bracht hätte. Deshalb dürfen wir nicht den Verfassungs- wir mit einer veränderten Organisation mindestens ge-
schutz beschimpfen, vielmehr müssen wir ein Gesetz nauso viel, besser noch mehr Sicherheit für die Zukunft
entsprechend gestalten. Daran arbeiten wir vertrauens- gewährleisten. Das ist das Ziel der Organisations-
voll und intensiv in der Koalition. Ein solches Gesetz reform. Es wird jetzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt und
werden wir auf den Weg bringen; und zwar in dem über alle Einzelheiten wird intensiv beraten. Danach
Sinne, dass man aus Erfahrungen Lehren zieht. Denn wird entschieden. So ist der Sachstand.
hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Die notwen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
digen Konsequenzen sind auf dem richtigen Weg. neten der SPD)
Genauso ist es mit dem Sicherheitsprogramm. Frau Frau Piltz, Sie haben gefragt: Brauchen wir denn noch
Kollegin Piltz, wir haben bereits in der ersten Lesung Mittel zur Sicherung der Kommunikationsinfrastruk-
des Haushaltsplans über das Sicherheitsprogramm ge- tur zur Früherkennung terroristischer Straftaten?
sprochen. Damals lag noch nicht die Auswertung aller Ich sage Ihnen: Dort brauchen wir ein ganz anderes Maß
Erkenntnisse vor, dennoch habe ich schon verschiedene an Sicherheit in der Kommunikation als bei der Einfüh-
Maßnahmen angekündigt. Ich bin sehr dankbar, dass das rung des Digitalfunks bei den Behörden, die Ordnungs-
(B) Parlament zu einem guten – dem hier einzig möglichen – und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen. Beim BOS sind (D)
Verfahren gefunden hat. In den Beratungen des von der etwa 500 000 Polizisten der Länder und des Bundes,
Bundesregierung bereits eingebrachten Haushaltsgesetz- Feuerwehrleute, Mitarbeiter und Helfer des Technischen
entwurfs hat der federführende Haushaltsausschuss Hilfswerks zugangsberechtigt. Dort werden nicht die
durch entsprechende Beschlüsse die notwendigen Kon- sensiblen Informationen eingestellt werden, dort geht es
sequenzen gezogen. Demgemäß ist sowohl im Fachaus- um die Bewältigung der Aufgaben im Alltag. Deswegen
schuss als auch im Haushaltsausschuss beraten worden. ersetzt das nicht die Mittel, die wir für den Schutz der
Ich bedanke mich dafür und bin ganz sicher, dass es im Kommunikation in ganz besonders sensiblen Bereichen
Rahmen einer sehr effizienten Verwendung begrenzter der Früherkennung terroristischer Straftaten brauchen.
Mittel der richtige Weg ist. Die entsprechenden Forschungsmittel müssen wir dafür
einsetzen. Deswegen geht Ihr Entschließungsantrag von
Wir werden die Kompetenzen des Verfassungsschut- einer falschen Erkenntnis des Sachverhalts aus.
zes verbessern und das Internet besser beobachten las-
sen; denn dort werden Verabredungen getroffen, Hetzpa-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
rolen verbreitet und Taten vorbereitet. Es ist notwendig,
die Bahnstrecken besser zu sichern. Die entsprechenden Herr Kollege Schäuble, erlauben Sie eine Zwischen-
Mittel dafür sind eingestellt. Das heißt, wir ziehen auch frage des Kollegen Koppelin?
hier die Konsequenzen aus den gemachten Erfahrungen
auf der Grundlage einer konsolidierenden Haushaltsfüh- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
rung. Ich bedanke mich dafür, dass wir das in der richti- nern:
gen Weise und im richtigen Maß und im Rahmen einer Bitte sehr.
guten Zusammenarbeit tun. Dies entspricht allen Formen
der parlamentarischen Beratungen; anderes zu behaup- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ten, ist nicht richtig. Bitte schön, Herr Koppelin.
Dazu gehört angesichts veränderter Aufgabenstellun-
gen auch, dass wir die gute Bundespolizei, die hervor- Jürgen Koppelin (FDP):
ragende Arbeit im Sicherheitsverbund von Bund und Herr Bundesminister, Sie haben eben das angespro-
Ländern leistet, auf veränderte Aufgabenstellungen vor- chen, was meine Kollegin Piltz zuvor schon angespro-
bereiten und entsprechend ausrüsten. Ich kann Ihnen chen hatte, nämlich das, was zurzeit bei der Bundespoli-
nicht sagen, wann der Schengenraum erweitert wird. zei diskutiert wird. Dort, wo ich wohne, gibt es ein
Dass dies jedoch in den nächsten Jahren der Fall sein Präsidium der Bundespolizei. Finden Sie es in Ordnung,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6669
Jürgen Koppelin
(A) dass die Angehörigen der Bundespolizei den Medien kämpfung der Bedrohung durch den internationalen Ter- (C)
entnehmen müssen – in einem Schreiben des Innenmi- rorismus ist natürlich das andere große Schwer-
nisteriums wird das nur angedeutet –, dass irgendetwas punktthema der Innenpolitik dieser Regierung der
auf sie zukommt, sie aber nicht wissen, was? Finden Sie großen Koalition die Verbesserung der Integration der
es in Ordnung, dass anscheinend nur bestimmte Abge- Menschen, die mit uns zusammenleben. Auf diesem Ge-
ordnete der Koalition informiert worden sind? Ich habe biet sind wir in diesem Jahr zwar gut vorangekommen,
gestern mit Ihrem Haus telefoniert. Mir hat man gesagt, wir sind aber noch lange nicht am Ziel.
dass es nicht beabsichtigt sei, die Opposition zu infor-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
mieren. Diese Auskunft habe ich von Ihrem Haus erhal-
ten. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir arbeiten intensiv daran,
mit all den vielen Facetten, die dazugehören.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- Herr Kollege Wieland, Sie haben am Ende Ihrer Rede
nern: ohne jede kritische Einschränkung die terroristische
Das glaube ich nicht, Herr Kollege Koppelin. Bedrohung in einen sachlichen Zusammenhang mit der
(Jürgen Koppelin [FDP]: Glauben heißt nicht Zuwanderung in den letzten Jahrzehnten gestellt. Wenn
wissen, Herr Minister!) Sie das bestreiten wollen, lesen Sie es im Protokoll nach.
Solche Äußerungen können wir überhaupt nicht gebrau-
– Sie haben ja nicht mit mir gesprochen. Ich war bei ei- chen. Wenn wir die Zugewanderten unter einen General-
ner Konferenz der Afrikanischen Union und der Euro- verdacht stellen, machen wir das genaue Gegenteil von
päischen Union in Tripolis; daher haben wir nicht mit- dem, was sinnvoll ist. Wir brauchen die Mitarbeit und
einander gesprochen. Deswegen sage ich Ihnen: Kein die Solidarität der großen Mehrheit unserer Mitbürger
Mitarbeiter meines Hauses gibt solche Auskünfte. mit Migrationshintergrund bei der Bekämpfung des Ter-
rorismus und keinen billigen Generalverdacht.
Das Folgende ist die Wahrheit: Wir haben alle Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei zeitgleich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe
über das unterrichtet, was entschieden ist, nämlich das vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verfahren, das ich gerade beschrieben habe, einzuleiten.
– Sie brauchen sich gar nicht zu erregen.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Im Ausländer- und Aufenthaltsrecht gibt es die
Darüber sind Sie nicht besser oder schlechter informiert Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Bund
als jeder andere auch. Und ein Mitarbeiter meines Hau- und Ländern. Es gibt die Notwendigkeit, im Rahmen
der gesetzlichen Bestimmungen Gesetze zu vollziehen;
(B) ses hätte Ihnen wahrscheinlich richtigerweise gesagt: (D)
Über mehr können wir Sie nicht unterrichten, weil mehr das ist Sache der Länder. Und es gibt die Notwendigkeit,
noch nicht entschieden ist. Es tut mir Leid, das ist so. Es Gesetze zu ändern, zu ergänzen, weiterzuentwickeln; das
ist überhaupt nicht beabsichtigt, irgendjemanden bei der ist Sache der Gesetzgebungsorgane des Bundes, des
Informationserteilung hintanzustellen. Bundestages und des Bundesrates. Deswegen müssen sie
zusammenwirken. Wir stehen vor einer komplexen, vor
Sie erwarten wahrscheinlich Aussagen zu Standorten einer komplizierten und umfassenden Novellierungsar-
von mir. Es gibt aber überhaupt noch keine Überlegun- beit. Wir müssen elf EU-Richtlinien und eine Reihe an-
gen zu Standorten. Wir haben diese Grundlinien zur Um- derer Punkte umsetzen, so auch aus den geplanten Kof-
organisation der Bundespolizei und das von mir be- ferbombenanschlägen Konsequenzen ziehen.
schriebene Verfahren jetzt auf den Weg gebracht, nicht
mehr und nicht weniger. Ich hoffe, dass die Missver- Daran arbeiten wir. In der Koalition herrscht ein gro-
ständnisse damit ausgeräumt sind. Mir liegt nämlich sehr ßes Einvernehmen darüber, dass das, was wir in der ver-
an einer vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit. gangenen Woche verabredet haben, gilt. Nur haben die
Innenminister gesagt: Wir warten mit einer Bleibe-
(Jürgen Koppelin [FDP]: Die Kollegin Hage- rechtsregelung, auf die viele schon so lange warten,
dorn hat Informationen! – Gegenruf der Abg. nicht, bis ein Gesetz in Kraft ist – das würde nämlich
Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt nicht!) mindestens bis zur Mitte des nächsten Jahres dauern –;
– Das stimmt nicht. Frau Kollegin Hagedorn hat genau vielmehr wollen wir sofort eine Regelung in Kraft set-
die Informationen, die ich Ihnen hier nenne. Da bisher zen. Sie gilt schon seit dem vergangenen Montag. Das ist
nicht über mehr entschieden ist, kann sie nicht mehr In- doch eine richtige Ergänzung und nicht das Gegenteil.
formationen haben. (Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir kennen die [SPD])
Taktik!) Die Konsequenzen, die Sie daraus abgeleitet haben, sind
allenfalls unsinnig, um nicht Unfreundlicheres zu sagen.
Das Verfahren, in dem Entscheidungen herbeigeführt
werden können, beginnt ja gerade erst. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
In der gebotenen Kürze möchte ich gerne noch ein Wir arbeiten zusammen und kommen gut voran. Ich
paar Sätze zu einem weiteren Thema sagen. Neben der verteidige den Sicherheitsverbund von Bund und Län-
Gewährleistung von Sicherheit im Verbund von Bund dern, weil ich ein überzeugter Anhänger des Föderalis-
und Ländern, neben der Präventionsarbeit und der Be- mus bin, genauso wie ich den Vorrang ehrenamtlichen
6670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Engagements verteidige. Denn unsere freiheitliche Ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
sellschaft lebt davon und ist darauf angewiesen, dass wir Herr Kollege Schäuble, erlauben Sie eine weitere
nicht glauben, der Staat könne alles regulieren und orga- Zwischenfrage des Kollegen Winkler?
nisieren. Wichtiger ist das freiwillige Engagement der
Bürgerinnen und Bürger, Freiheit und Verantwortung Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
in einer richtigen Weise zu leben und dafür einen Rah- nern:
men zu geben. Ja, aber erst nach Ende dieses Gedankens, Herr Präsi-
dent.
Das ist das Prinzip unserer Sportförderung, die wir
auf hohem Niveau weiterfahren. Auf diesem Sektor gibt Hiermit ist die Notwendigkeit verbunden, dass wir
es ein schwieriges Thema: Wir, insbesondere die Kolle- das Engagement und die Verantwortung der Bürgerinnen
ginnen und Kollegen im Sportausschuss, werden in den und Bürger durch unsere politischen Entscheidungen
nächsten Wochen darüber zu reden haben, wie wir bei und die Art, wie wir diskutieren, einfordern, dass wir
der Dopingbekämpfung das Zusammenwirken der also nicht einfach sagen: Wir machen das für euch, ihr
Selbstverantwortung des Sports und der Verantwortung braucht euch um nichts zu kümmern. Das wäre der fal-
des Gesetzgebers optimieren können. Ich bleibe bei mei- sche Weg.
ner Grundthese – auch wenn ich nicht in jedem Punkt Bitte sehr, Herr Kollege Winkler.
jede Meinung teile –, dass wir das Problem nur gut lösen
können, wenn Gesetzgeber, Strafverfolgungsorgane und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Sport optimal zusammenarbeiten. Wenn der Gesetzgeber Bitte schön.
anstelle der Selbstverantwortung des Sports Doping be-
kämpfen wollte, würden wir Steine statt Brot bekom- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
men. Deswegen versuchen wir, ein Zusammenwirken zu NEN):
organisieren. Herr Minister Schäuble, ich war eben so sprachlos,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass ich mich erst einen Satz später zur Zwischenfrage
neten der SPD und der FDP) gemeldet habe. Dieser Satz war dann sehr lang. Deswe-
gen wundern Sie sich bitte nicht, wenn ich mich jetzt auf
In diesem Zusammenhang mache ich die Bemerkung, das vorherige Thema beziehe, nämlich die Bleiberechts-
dass wir auch bei der Bekämpfung von Rechtsextremis- regelung.
mus, Ausländerfeindlichkeit, neonazistischen Bestre- Meine Frage bezieht sich darauf, dass Sie gesagt ha-
(B) bungen, aber auch von Linksextremismus nicht die allei- ben, dass es keine Widersprüche zwischen dem, was die (D)
nige Verantwortung des Staates erwarten können. So Innenministerkonferenz verabredet hat, und dem, was
können wir das Problem nicht lösen. Sie in der Koalition vereinbart haben, gibt. Das nehme
ich Ihnen gerne ab.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) Für mich als Oppositionspolitiker gibt es manchmal
nur die Zeitung als Informationsquelle. Das kann schon
Wenn die Wahlbeteiligung zurückgeht und radikale Par- einmal vorkommen. Der Presse konnte ich entnehmen,
teien dadurch relativ bessere Ergebnisse bekommen, dass Kollege Bosbach behauptet hat, es gebe gar keine
muss man den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Geht Einigung oder er sich nicht mehr daran erinnern könne.
wählen! Denn eine Demokratie leidet am ehesten dann Ich konnte in der Zeitung auch lesen, dass es Krisentref-
Gefahr, wenn es einen Mangel an Demokraten gibt. fen der Innenpolitiker gab, bei denen noch einmal be-
sprochen wurde, was überhaupt bei dieser Einigung he-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der rausgekommen ist. Hier hätte ich gern etwas mehr
SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Klarheit. Denn so, wie es im Moment aussieht, machen
GRÜNEN) wir bezüglich der Bleiberechtsregelung eher zwei
Schritte vor und drei Schritte zurück.
Deswegen sind unsere Programme zur Bekämpfung
von Extremismus darauf angelegt, die Menschen zum
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
Mitmachen zu gewinnen. Wir überlegen zusammen mit
nern:
den Ländern, wie wir bessere Angebote machen können,
Nein, Herr Kollege Winkler, so ist es nicht.
beispielsweise im Bereich Sport, aber auch zusammen
mit anderen Organisationen, zum Beispiel dem Techni- Erstens. Zwischen dem, was die Innenminister be-
schen Hilfswerk oder Jugendfeuerwehren. All das gehört schlossen haben, und dem, worüber wir hier reden, be-
in ein Gesamtkonzept. steht in der Tat kein Widerspruch, sondern ein Verhältnis
der Komplementarität.
Unsere Bemühungen finden in einer Zeit statt, in der
der Einfluss neuer Informationstechnologien – vom (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
Fernsehen über das Internet bis hin zu Computerspielen – Generall kann man das Problem der Altfallregelung ge-
nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergrund furcht- setzlich oder durch einen Beschluss der Innenminister-
bar problematische Wirkungen hat, wie wir in den letz- konferenz nach § 23 des Aufenthaltsgesetzes, der des
ten Tagen gesehen haben. Einvernehmens des Bundesinnenministers bedarf – das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6671
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) habe ich erklärt –, lösen. Wenn Sie den Beschluss der In- kennen, aber es spiegelt sich in besonderer Weise in vie- (C)
nenminister sehen, erkennen Sie, dass diese sagen, dass len Einzelpositionen dieses Haushalts wider. Deshalb
sie begrüßen, dass sich der Gesetzgeber darum bemüht. bedanke ich mich für die gute Zusammenarbeit und bitte
Aber die Innenminister haben jetzt eine Regelung be- um Ihre Zustimmung zum Einzelplan 06.
schlossen, die seit Montag dieser Woche, das war der Herzlichen Dank.
20. dieses Monats, gilt. Wenn eine gesetzliche Regelung
in Kraft tritt – diese muss der Bundestag beschließen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
dazu muss sie erst einmal eingebracht werden, dann wird
sie beraten und dann muss der Bundesrat zustimmen –, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tritt sie ergänzend oder ersetzend hinzu. Insofern ist das Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
kein Widerspruch. Es muss Ihnen also nicht die Sprache Kollegen Jan Korte.
verschlagen.
Zweitens. Sie haben den Kollegen Bosbach falsch Jan Korte (DIE LINKE):
bzw. verkürzt zitiert. Der Sachverhalt ist ganz einfach: Verehrter Herr Bundesminister Schäuble, das Thema
Wir sind noch nicht fertig. Wir beraten intensiv. Wir Bundeswehr lassen Sie mittlerweile ruhen. Das neue
kommen Schritt für Schritt voran. Wir haben das, was Lieblingsthema, insbesondere der Union, scheint nun da-
wir vergangene Woche beraten haben, mit den Innen- rin zu bestehen, Linksextremismus und Rechtsextremis-
ministern der Länder erörtert. Dabei herrschte von vorn- mus gleichzusetzen;
herein nicht nur Jubelstimmung; das ist wahr. Dann ha- (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)
ben wir zwei Tage lang beraten. Danach waren alle der
Meinung, dass wir gemeinsam ein gutes Ergebnis erzielt denn das tun Sie seit mehreren Wochen immer wieder.
haben. Jetzt arbeiten wir weiter. Heute Mittag treffen wir Diese Gleichsetzung weise ich entschieden zurück. Sie
uns erneut. All das ist nicht geheim. Ich bin zuversicht- ist eine Bagatellisierung dessen, was in diesem Land ge-
lich, dass wir gute Ergebnisse erzielen werden. schieht. Denn seit 1990 sind bereits mehr als 130 Men-
schen von Rechtsextremen ermordet worden.
Warum bin ich zuversichtlich?
(Gisela Piltz [FDP]: Sagen Sie doch auch ein-
Erstens, weil uns in der Koalition trotz unterschiedli- mal etwas dazu, wie viele Leute damals an der
cher Ausgangspunkte unsere gemeinsame Verantwor- Mauer erschossen worden sind!)
tung bewusst ist und wir im Wissen um unsere gemein-
same Verantwortung einen partnerschaftlichen Umgang Ich fordere Sie auf, die Gleichsetzung von Links- und
Rechtsextremismus zu unterlassen.
miteinander pflegen. Dafür bedanke ich mich. Das wol-
(B) len wir fortsetzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (D)
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens, weil diese Verantwortung über die Grenzen
der Koalitionsfraktionen hinausgeht. Alle Abgeordneten
haben diese Verantwortung. Den Herrn Kollegen Korte Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen: Wir wür- Herr Schäuble, möchten Sie erwidern?
den den Rechtsextremismus, insbesondere rechtextre-
mistische Gewalttaten, vielleicht noch erfolgreicher be- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
kämpfen können, wenn sich Linksextremisten nicht nern:
immer mit Rechtsextremisten zu gemeinsamen Gewalt- Nein.
taten verabreden würden. Das wäre hilfreich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
neten der SPD und der FDP) Dann erteile ich als nächstem Redner dem Kollegen
Ernst Burgbacher von der FDP-Fraktion das Wort.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie ich bereits
sagte, habe ich gestern an einer Konferenz teilgenom- (Beifall bei der FDP)
men, auf der es um das Verhältnis zwischen der EU und
der Afrikanischen Union ging. In einem solchen Zusam- Ernst Burgbacher (FDP):
menhang nimmt man die Probleme in ganz anderen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dimensionen wahr, gerade die Probleme der Globalisie- Werter Herr Innenminister Schäuble, es ist die Pflicht
rung. Das Zeitalter, in dem wir leben, ist durch be- des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger und für die
schleunigten Wandel gekennzeichnet. In einer solchen Sicherheit des Landes zu sorgen. Da Sie der Bundes-
Zeit ist die Bewahrung und Sicherung einer freiheit- innenminister sind, ist das natürlich vor allem Ihre
lichen Ordnung mit Sicherheit – man möchte nicht zu Pflicht. Die FDP haben Sie dabei an Ihrer Seite. Wenn es
viele Kontrollen, aber ein hinreichendes Maß an Sicher- um Freiheit und Sicherheit geht, dann gilt – das ist völ-
heit – eine Riesenaufgabe. Es ist eine große Herausfor- lig klar –: Ohne Sicherheit ist Freiheit nicht möglich.
derung, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen in die- Auch deshalb verfolgen wir alle gemeinsam das Inte-
ser Ordnung nicht verloren fühlen, sondern genug Raum resse, die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten.
für Eigenverantwortung und Engagement haben. Auf diesem Gebiet haben Sie unsere Unterstützung.
Dieses Bemühen ist keineswegs nur am Haushalt des (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Vol-
Geschäftsbereichs des Bundesinnenministeriums zu er- ker Kauder [CDU/CSU]: Weiter so!)
6672 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Ernst Burgbacher
(A) Zwischen Freiheit und Sicherheit existiert aber zwei- jemand bei der EU mit den Amerikanern aushandelt, (C)
fellos auch ein Konfliktfeld. Daher müssen wir uns bei treffen Sie auf unseren Widerstand.
allen Maßnahmen, die wir treffen, fragen: Inwiefern füh-
(Beifall bei der FDP)
ren sie zu einer Einschränkung der persönlichen Frei-
heit? Inwiefern greifen wir dadurch in die Persönlich- Diese Daten werden übrigens nicht nur zur Terroris-
keitsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein? Wenn wir musbekämpfung benutzt, sondern auch zur knallharten
diese Fragen beantworten, müssen wir sehr wachsam Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Sie können
sein. Wenn jedesmal nach einem Vorfall Aktionismus Internetseiten finden, auf denen amerikanische Firmen
einsetzt und schnell neue Gesetze auf den Weg gebracht einem anbieten, über seine Konkurrenten Informationen
werden sollen, dann können Sie sich allerdings genauso zu liefern, darüber, wohin die überall liefern. Basis dafür
sicher sein, dass wir kritische Fragen stellen werden. sind die Daten aus der Terrorismusbekämpfung. Da-
durch bekommt das Ganze noch eine ganz andere Di-
(Beifall bei der FDP) mension. Ich bin gespannt, welche Antwort wir auf un-
Ich möchte das in der Kürze der mir zur Verfügung sere entsprechende Anfrage bekommen. Es kann nicht
stehenden Zeit an wenigen Beispielen deutlich machen. sein, dass die Terrorismusbekämpfung dazu missbraucht
Ihr Vorgänger, Herr Minister, hat damals das Luftsicher- wird, unseren Firmen Nachteile zu bescheren. Dagegen
heitsgesetz auf den Weg gebracht, als Antwort auf den wehren wir uns.
11. September, aber vor allem auf den Vorgang von (Beifall bei der FDP)
Frankfurt. Eine Regelung, die damit eingeführt und zu-
nächst kaum beachtet wurde, war die Zuverlässigkeits- Wenn wir schon den Terrorismus bekämpfen wollen,
überprüfung von Piloten – eine völlig überzogene dann sollten wir das dort tun, wo es sinnvoll ist. Es kann
Maßnahme, jetzt noch im jährlichen oder zweijährlichen nicht sein, dass wir fast das einzige Land sind, wo noch
Turnus abzulegen. In einer Empfehlung der Ausschüsse analog gefunkt wird, dass wir es bis heute nicht ge-
des Bundesrates kann man lesen – wörtlich, ich zitiere –: schafft haben, den Digitalfunk einzuführen. Das wären
Maßnahmen, die helfen, die unsere Sicherheit verbes-
Nach einhelliger Expertenmeinung gehen die größ- sern. Das sollte man angehen und da ist die Regierung in
ten Gefahren von den Privatfliegern aus. der Pflicht.
Das ist ein Affront gegen eine ganze Bevölkerungs- Aristoteles sagte einmal:
gruppe und ist durch nichts, aber auch gar nichts ge- Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht
rechtfertigt. ein Sklave.
(B) (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Das Ich nehme das sehr ernst. Ich sage: Hüten wir uns davor, (D)
ist doch Unsinn!) auf dem Altar vermeintlicher Sicherheit immer mehr
Genauso könnten Sie alle PKW-Fahrer nehmen! Das Freiheitsrechte zu opfern! Dort, wo es sinnvoll ist, ver-
stärkte Anstrengungen zu unternehmen – ja, aber unter
wissen wir doch alle.
Wahrung der Rechte des Einzelnen und unter Wahrung
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Burgbacher, Sie des Datenschutzes! Dafür wird die FDP auch künftig
machen einen absoluten Blindflug!) Garant sein.
Deshalb sage ich deutlich: Lassen wir diesen Unsinn (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)
endlich bleiben! Ich weiß, Herr Minister, Sie unterstüt- Herzlichen Dank.
zen mich dabei, wenigstens zu einem fünfjährigen Tur-
nus überzugehen. Ich bitte Sie wirklich: Überprüfen wir (Beifall bei der FDP)
das Ganze noch einmal! Denn das Verrückte daran ist ja:
Alle, die im Ausland ihren Flugschein machen, können Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
fliegen, wie sie wollen, und brauchen überhaupt keine Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher
Überprüfung. Da stimmt doch etwas nicht bei dem Gan- von der SPD-Fraktion.
zen!
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der FDP)
Gabriele Fograscher (SPD):
Zweites Beispiel: Wir erlauben den Amerikanern, re-
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
lativ wahllos auf die Daten der Flugpassagiere zuzu-
Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt, so
greifen; das hat Rot-Grün damals eingeführt. Wir haben
das Fazit des Sicherheitsberichts, den die Bundesregie-
jetzt ein Interimsabkommen, das in keiner Weise den
rung vor kurzem vorgestellt hat. Dafür haben vorange-
deutschen Datenschutzvorschriften und den entspre-
gangene Regierungen und Abgeordnete gearbeitet und
chenden Ansprüchen gerecht wird. Lieber Herr Innen-
dafür arbeitet auch diese Koalition. In einer sich verän-
minister, wir stehen vor der deutschen Ratspräsident-
dernden Welt, Herr Korte, Herr Wieland, wäre es gera-
schaft. Ich bitte Sie: Nutzen Sie jetzt die deutsche
dezu fahrlässig und verantwortungslos, in der Sicher-
Ratspräsidentschaft für ein Abkommen, das unseren Da-
heitspolitik statisch zu bleiben.
tenschutzansprüchen entspricht! Dann unterstützen wir
Sie. Wenn Sie das wie bisher nicht tun, sondern eigent- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lich ohne jeden Widerstand das akzeptieren, was irgend- NEN]: Sind wir nicht!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6673
Gabriele Fograscher
(A) Natürlich müssen wir auf veränderte Sicherheitslagen re- Von der Bedrohung durch den internationalen Ter- (C)
agieren und unsere Instrumente immer wieder überprü- ror ist Deutschland nicht verschont geblieben. Wir ha-
fen und anpassen. ben das heute schon mehrfach angesprochen. Herr
Korte, es war in der Tat nicht nur irgendein Bedrohungs-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr rich- szenario, sondern es war großes Glück, dass die Bom-
tig!) ben, mit denen Kofferbombenattentate verübt werden
Dass es keine konkreten Bedrohungsszenarien gibt, ist sollten, nicht explodiert sind. Es ist richtig, dass das BMI
Ihr Wunschdenken; denn in den letzten Jahren gab es so- das zusätzliche Programm zur Stärkung der inneren Si-
wohl international als auch in Deutschland die Gefahr cherheit aufgelegt hat und dass der Haushaltsausschuss
terroristischer Anschläge. die Mittel hierfür freigibt. Mit diesem Programm werden
das operative und das einsatz- und ermittlungsunterstüt-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wohl wahr!) zende Instrumentarium des Bundeskriminalamtes, der
Darauf muss man reagieren. Das tun wir auch. Frau Bundespolizei, des Bundesverfassungsschutzes und des
Piltz, wir peitschen aber keine Gesetze durch, sondern Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstech-
beraten verantwortungsvoll und kommen dabei zu guten nik ausgebaut.
Ergebnissen. Frau Piltz, wenn auch Sie das für richtig und notwen-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dig halten, dann kann ich Ihre Kritik nur als kleinlich be-
der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND- zeichnen.
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich noch (Gisela Piltz [FDP]: Dass das kleinlich ist,
nicht gemerkt!) kann nur jemand von einer so genannten gro-
Das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bür- ßen Koalition sagen!)
ger wird aber auch durch die Alltagskriminalität ge- Herr Wieland, Klasse statt Masse gilt nicht nur für die
prägt, nämlich durch Diebstahl, Betrug und Gewaltver- Menschen, die in den Sicherheitsbehörden arbeiten, son-
brechen. Besonders besorgt zeigen sich die Menschen dern das muss auch für die Ausrüstung und die techni-
laut Sicherheitsbericht über die Gewalt an Kindern. schen Möglichkeiten gelten, die wir diesen Menschen
Auch hier müssen wir nicht nur wegen der aktuellen zur Verfügung stellen.
Fälle wirksame und vor allen Dingen präventive Maß-
nahmen ergreifen. (Beifall bei der SPD)
Dass Deutschland ein sicheres Land ist, hat auch die Immer bedeutender für die innere Sicherheit ist es und
fantastische Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland wird es auch in Zukunft sein, die Sicherheit in der Infor-
(B) gezeigt. Das nationale Sicherheitskonzept hat sich be- mations- und Kommunikationstechnik zu gewährleis- (D)
währt. Die gute Zusammenarbeit auch mit den Sicher- ten. Im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregie-
heitsbehörden anderer Länder hat dabei eine wichtige rung investiert das BMI jährlich circa 20 Millionen Euro
Rolle gespielt. Deutschland hat international gezeigt, zur Entwicklung von Präventionstechnologien für die
dass wir ein guter Gastgeber sind. Auch die Bundeswehr Abwehr neuartiger Angriffe im Internet und für die Si-
hat auf der Grundlage der geltenden Gesetze ihren Bei- cherung des Datenaustausches. Von diesen Mitteln wer-
trag geleistet. Vor allen Dingen aber haben die Länder- den auch die Länder und vor allen Dingen die Wirtschaft
polizeien und die Bundespolizei in beeindruckender profitieren. Deshalb müssen sie die vom Bund eingesetz-
Weise bewiesen, dass sie auch mit solch komplexen Si- ten Mittel durch eigene Forschungs- und Entwicklungs-
cherheitssituationen in Deutschland fertig werden kön- investitionen ergänzen.
nen.
Die Sicherheit in unserem Land wird nicht nur von
Auch das Technische Hilfswerk hat während der außen durch Terrorismus bedroht, sondern ist auch eine
Fußball-WM eine gute Arbeit geleistet. Bei zahlreichen Sache des Inneren. Damit meine ich jegliche Form von
Unglücks- und Katastrophenfällen im In- und Ausland Extremismus. Frau Merkel hat in ihrer Haushaltsrede
leistet das THW anerkannte und kompetente Hilfe. Des- von null Toleranz für Intolerante gesprochen. Das ist si-
halb ist besonders hervorzuheben, dass es trotz der ange- cherlich zu unterstützen, aber der Rechtsextremismus
spannten Haushaltslage gelungen ist, die Mittel für das bleibt die größte Herausforderung, der sich alle Demo-
THW im Haushalt um über 300 000 Euro aufzustocken. kratinnen und Demokraten stellen müssen. Wir dürfen
Es ist natürlich auch den Berichterstattern im Haushalts- nicht den Fehler begehen, den Rechtsextremismus mit
ausschuss zu verdanken, dass insbesondere die Jugend- dem Linksextremismus oder anderen Formen von Extre-
arbeit und die ehrenamtliche Arbeit, die im THW geleis- mismus gleichzusetzen. Was die Qualität und Quantität
tet werden, verstärkt werden können. angeht, ist der Rechtsextremismus die größte Herausfor-
derung, der wir uns zu stellen haben.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Unser Einsatz für die innere Sicherheit spiegelt sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
im Einzelplan 06 wider. Rund 3 Milliarden Euro bzw.
67 Prozent des gesamten Einzelplans werden für den Zum einen geht es um repressive Maßnahmen, die wir
Sicherheitsbereich ausgegeben. Damit hat die innere schon in der vergangenen Legislaturperiode ergriffen ha-
Sicherheit richtigerweise eine herausragende Bedeutung ben, wie das Verbotsverfahren gegen verfassungsfeindli-
im Haushalt des BMI. che Organisationen, die Verschärfung des Versamm-
6674 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Gabriele Fograscher
(A) lungsrechts oder die Veränderungen im Strafrecht. Auch Parlament und damit die Öffentlichkeit auch regelmäßig (C)
hierbei dürfen wir uns nicht auf dem Status quo ausruhen. über die Auslandseinsätze der Polizeikräfte unterrichtet
Wir müssen immer wieder überprüfen, ob die gesetzli- werden.
chen Möglichkeiten gegen rechtsextremistisch motivierte
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Straftäter konsequent genug sind und auch konsequent
angewendet werden. Ich komme zum Schluss. Der Haushalt des Bundes-
innenministeriums setzt richtigerweise den Schwerpunkt
Zum anderen müssen wir vor allem die präventiven
auf die innere Sicherheit. Er wird den veränderten He-
Maßnahmen verstärken. Auch wenn es nicht zum
rausforderungen gerecht. Trotz aller Bemühungen kann
Haushalt des BMI gehört, ist es zu begrüßen, dass die
es nie hundertprozentige Sicherheit geben. Wir bemühen
Mittel für das Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz
uns aber darum, mit den im Haushalt gesetzten Schwer-
und Demokratie“ um 5 Millionen Euro aufgestockt wor-
punkten dem Spannungsfeld zwischen den bürgerlichen
den sind, sodass die mobilen Beratungsteams und die
Freiheitsrechten und den Sicherheitsbedürfnissen gerecht
Opferberatung ihre Arbeit fortsetzen können.
zu werden.
Auch im Haushalt des BMI gibt es Möglichkeiten, die Herzlichen Dank.
Prävention gegen Extremismus weiter zu verstärken. In
diesem Zusammenhang ist vor allem das Bündnis für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Demokratie und Toleranz zu nennen, das sich gegen Ex- der CDU/CSU)
tremismus und Gewalt engagiert und dem sich seit seiner
Gründung 2001 circa 1 300 Gruppen und Initiativen an- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
geschlossen haben. Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau von der
Mit dem bereits erwähnten Wettbewerb „Aktiv für Fraktion Die Linke.
Demokratie und Toleranz“ werden diese vorbildlichen (Beifall bei der LINKEN)
Projekte gesammelt, ausgezeichnet und – auch das ist
sehr wichtig – zur Nachahmung empfohlen. Darunter Petra Pau (DIE LINKE):
gibt es sehr ermutigende Beiträge. Am Victor-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
Klemperer-Jugendwettbewerb zum Beispiel beteiligen
beginne mit dem Rechtsextremismus. Er nimmt zu, und
sich viele Schulen. Das gilt es zu unterstützen.
zwar nicht nur in seiner organisierten Form, etwa der
Dieses gesellschaftliche und ehrenamtliche Engage- NPD. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis-
ment verdient unsere besondere Wertschätzung und des- mus gibt es vielmehr alltäglich inmitten der Gesell-
(B) halb ist es gut, dass die Mittel für das Bündnis für Demo- schaft, und das in Ost und West. Deshalb war es gera- (D)
kratie und Toleranz auf 1 Million Euro aufgestockt dezu absurd, den Versuch zu unternehmen, die Mittel für
werden. die Initiativen zu kürzen, die sich gegen Rechtsextre-
mismus und für Demokratie und Toleranz engagieren.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Monika Zum Glück wurde das verhindert. Nun wurden für 2007
Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sogar 5 Millionen Euro mehr eingeplant als 2006. Das
Als Mitglied des Beirates dieses Bündnisses bitte ich, hat die Linke immer gefordert. Aber das wäre ohne das
eine bessere personelle Ausstattung der Geschäftsstelle Engagement der SPD nicht möglich gewesen. Das
in Erwägung zu ziehen, damit das Bündnis seine Auf- möchte ich hier ausdrücklich würdigen.
gabe noch besser erfüllen kann und in der Öffentlichkeit (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
künftig deutlicher wahrgenommen wird. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN) Allerdings ist das kein Grund, Entwarnung zu geben;
Öffentliche Sicherheit wird von Menschen gewähr- denn noch immer gibt es bewährte und unverzichtbare
leistet, auch unter Gefährdung des eigenen Lebens. Des- Initiativen der Zivilgesellschaft, die nicht gesichert sind
halb möchte ich an dieser Stelle sowohl der Bundespoli- und die um ihre Zukunft bangen. Es ist unsere Zukunft
zei als auch den Länderpolizeien und den anderen und unsere Demokratie. Deshalb werden wir diese De-
Sicherheitsbehörden für ihren Einsatz danken. batte fortführen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Stark angestiegen ist die Zahl rechtsextremistisch mo-
tivierter Straf- und Gewalttaten. Verglichen mit 2004
Für die Polizei spielen Einsätze im Ausland eine im- gibt es inzwischen 50 Prozent mehr erfasste Fälle. An-
mer größere Rolle. In Krisenregionen wie Afghanistan ders gesagt: Im statistischen Bundesschnitt werden
oder auf dem Balkan unterstützen deutsche Polizeibe- stündlich zweieinhalb Straftaten und jeden Tag zweiein-
amte die Kräfte vor Ort und bilden diese aus. Neben der halb rechtsextrem motivierte Gewalttaten registriert. Die
militärischen Befriedung in den Krisengebieten ist der realen Zahlen sind weit höher. Dementsprechend ist
Aufbau einer funktionierenden Sicherheitsstruktur für auch die Zahl der Opfer rechtsextremistischer Gewalt
eine langfristige Stabilität in diesen Regionen unver- höher. Das heißt, Rechtsextremismus ist hierzulande
zichtbar. Deshalb halte ich es für angezeigt, dass analog längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Darüber
der Unterrichtung des Parlaments durch die Bundesre- kann auch eine bunte Fußballweltmeisterschaft nicht
gierung über die Auslandseinsätze der Bundeswehr das hinwegtäuschen. In aller Ernsthaftigkeit, Herr Bundes-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6675
Petra Pau
(A) innenminister – bitte hören Sie zu! –: Dieses Problem unsoziale große Koalition zwingt mich dazu. Die Zeit (C)
haben wir gemeinsam. Diese Entwicklung bedroht un- verbietet es mir, über die aktuellen Gesetzesvorhaben zu
sere Demokratie sowie Leib und Leben von Menschen in reden. Auch hier haben wir einen ganz großen Debatten-
unserem Land. Aber Sie schaffen dieses Problem nicht bedarf.
mit abstrusen Gleichsetzungen oder der Behauptung,
dass diese Entwicklung aus einer Verabredung verfein- (Beifall bei der LINKEN)
deter Gruppen resultiere, aus der Welt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Se- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
bastian Edathy [SPD] und der Abg. Silke Sto- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl
kar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von der CDU/CSU-Fraktion.
NEN])
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Linke hat den Vorschlag in die Debatte einge-
bracht, eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechts-
extremismus, Rassismus und Antisemitismus nach EU- Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Vorbild einzurichten. Wir haben dazu konkrete Finanzie- Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
rungsvorschläge unterbreitet. Allerdings haben SPD und Kollegen! Auch Deutschland ist im Visier des interna-
Union das abgelehnt. Sie haben stattdessen das Geld den tionalen Terrorismus. In Dortmund und in Koblenz
deutschen Geheimdiensten zugeschlagen. Die Linke hält sind Kofferbombenattentate fehlgeschlagen. Was in
das für falsch und obendrein für sehr kurzsichtig. Frankfurt am Flughafen geplant war, werden die weite-
ren Ermittlungen zeigen. Die Frage ist also nicht mehr,
(Beifall bei der LINKEN) ob sich Attentate auch in Deutschland ereignen werden,
Das meine ich auch mit Blick auf eine aktuelle De- sondern, wann und wo in Deutschland ein solches Atten-
batte. Die SPD bzw. Teile der SPD wollen das Verbots- tat passieren wird. Die Angriffe der Terroristen richten
verfahren gegen die NPD neu auflegen und dafür ei- sich nicht gegen militärische Ziele; sie richten sich ge-
gens die rechtlichen Hürden senken. Vor einer solchen gen die wirtschaftlichen Strukturen und gegen die Psy-
Lex NPD kann ich nur warnen. Man vergreift sich nicht che der Menschen in unseren westlichen Gesellschaften.
ungestraft an rechtlichen Fundamenten. Die Linke wird Sie wollen Angst und Schrecken einjagen. Sie benutzen
etwas anderes beantragen, nämlich dass die V-Leute der das Internet, um die Effekte ihrer Anschläge und ihrer
Polizei und des Verfassungsschutzes zurückgezogen politischen Botschaften zu verstärken. Das heißt, die
werden; denn das erste NPD-Verbotsverfahren ist nicht westlichen Gesellschaften stehen vor der großen Heraus-
(B) am Bundesverfassungsgericht gescheitert, sondern an forderung, wie sie mit dieser asymmetrischen Bedro- (D)
der V-Leute-Praxis der Innenminister. hungslage umgehen, und müssen neue Strukturen im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus entwi-
(Beifall bei der LINKEN) ckeln. Das wird die Aufgabe der nächsten Jahre und
Um nachzuweisen, dass die NPD eine verfassungsfeind- Jahrzehnte sein.
liche Partei ist, braucht man wahrlich keine V-Leute. Sie Das heißt, wir müssen eine neue Sicherheitsarchi-
stören mehr, als sie jemals in einem solchen Verfahren tektur entwickeln. Davon ist keine Sicherheitsbehörde
nutzen könnten. Auch deshalb sage ich: Das Geld wäre ausgenommen. Auf die Bundespolizei ist der Minister
bei einer zivilen, unabhängigen Beobachtungsstelle bes- schon eingegangen. Der Wegfall der östlichen Schen-
ser aufgehoben als bei den Geheimdiensten. gengrenze zu Polen und zu Tschechien steht bevor. An
Nun ein Wort zur Föderalismusreform. Die große die Stelle der Kontrollen an diesen Grenzen werden
Koalition feiert sie als die Reform des Jahrhunderts. Die Kontrollen an weiter östlich gelegenen Grenzen treten.
parteipolitische Blockade zwischen Bundesrat und Bun- Es handelt sich um die Grenze zu Weißrussland und der
destag sei aufgelöst. Die Bürgerinnen und Bürger könn- Ukraine, die 2 400 Kilometer lang ist. Das ist zunächst
ten wieder durchblicken, wer was verantwortet. So weit, einmal kein Sicherheitsgewinn, sondern möglicher-
vielleicht so gut. Tatsächlich ist etwas anderes passiert. weise ein Sicherheitsverlust. Das heißt, die Bundespoli-
Das Solidarprinzip wurde aufgekündigt. Das Bundesver- zei muss ihre verdachtsunabhängigen Kontrollen im In-
fassungsgericht hat das in seinem Urteil zur Berliner land verstärken, sie muss sich neu organisieren und sie
Haushaltsnotlage noch bekräftigt. Es besagt im Kern: muss dorthin gehen, wo die Menschen sind, wo die Ver-
Was interessiert uns fremdes Elend; jeder ist sich selbst kehrsknotenpunkte sind und wo die Drehscheiben des
der Nächste. – Das ist schlimm. Diese gefeierte Födera- internationalen Warenverkehrs sind. Kontrolle muss auf
lismusreform ist ein Rückfall in die Kleinstaaterei im den Autobahnen, an den Flughäfen und den Bahnhöfen
Bildungswesen, im Strafvollzug und im Beamtenrecht. stattfinden.
Auch die erhoffte Transparenz wird wohl nicht fruchten.
Natürlich ist es verständlich, dass die Beamten der
Die Armen in den armen Bundesländern werden noch Bundespolizei und ihre Familien in diesen Veränderun-
ärmer werden. Und nicht nur die Armen: Selbst die Be- gen eine gewisse Bedrohung ihrer privaten Lebens-
amtinnen und Beamten werden zum Spielball landespo- sphäre sehen. Wir müssen versuchen, darauf Rücksicht
litischer Kassenlagen und parteipolitischer Gelüste. Ich zu nehmen, soweit man darauf Rücksicht nehmen kann.
gebe zu, ich hätte mir nie vorgestellt, dass ausgerechnet Letztlich handelt es sich aber um Bundesbeamte, die
ich hier zur Anwältin des Beamtentums werde, aber die versetzungsbereit sein müssen.
6676 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Hans-Peter Uhl


(A) Die Sicherheitsbehörden, aber auch die Nachrichten- Ein weiterer wichtiger Schritt ist das Programm zur (C)
dienste müssen in die Lage versetzt werden, durch opti- Stärkung der inneren Sicherheit. 132 Millionen Euro
male Vernetzung aller verfügbaren Informationen bereits werden im Haushalt des Bundesministeriums des Innern
im Vorfeld Anschläge zu erkennen und vor ihnen zu für die nächsten drei Jahre bereitgestellt. Das ist eine ge-
warnen. Die Antiterrordatei – das ist bereits gesagt waltige Leistung. Eine Vielzahl von kleinen Maßnahmen
worden – dient diesem Zweck. Wir haben eine Anhö- werden damit finanziert, bis hin zur Internetrecherche
rung gehabt. In dieser Anhörung wurde auch das be- und Überwachung von Bahnanlagen.
rühmte Trennungsgebot behandelt. Professor Badura
hatte Recht, als er sagte, dass das Verfassungsrecht kein Ein wesentliches Ziel muss es sein, bestehende Struk-
Trennungsgebot enthält. Es gibt ein verfassungsrechtli- turen lokaler terroristischer Netzwerke auszutrocknen,
ches Trennungsgebot weder für die Organisation der das heißt, wir müssen bei Radikalisierungstendenzen
Zentralstellen noch für den Informationsbestand bei den junger Deutscher und Ausländer frühzeitig einschreiten
Nachrichtendiensten einerseits und bei den Sicherheits- können. Der Integrationsgipfel und die Islamkonferenz
behörden andererseits. waren hoffnungsvolle Schritte in die richtige Richtung.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind
NEN]: Aber es folgt aus dem Rechtsstaatsprin- jetzt parteiübergreifend sehr viel weiter als noch vor we-
zip, sagt das Verfassungsgericht!) nigen Jahren. Wir sind alle zusammen der Auffassung,
dass Integration natürlich zur Voraussetzung hat, die
– Herr Wieland, das Antiterrordateigesetz wird noch in deutsche Sprache in Deutschland zu lernen. Wer zu uns
diesem Jahr vom Bundestag und vom Bundesrat verab- kommt, muss zuvor die deutsche Sprache erlernt haben,
schiedet. Es wäre unverantwortlich, noch längere Zeit weil nur so Integration gelingen kann.
verstreichen zu lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Wie- Deshalb ist es sehr irritierend, wenn uns die Nachricht
land [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erreicht, dass gerade unlängst, vor wenigen Tagen, der
kommt darauf an, wie es aussieht!) Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland,
Kenan Kolat, sich in „Hürriyet“ zu einer ganz unsägli-
Wir brauchen funktionierende Nachrichtendienste, chen Aktion versteigt. Er hat – reagierend auf die Zusage
auch wenn es der PDS nicht gefällt. Nach den Anschlä- Erdogans an die Bundeskanzlerin, dass uns die Türkei
gen des 11. September 2001 haben wir ein Terrorismus- dabei helfen will, dass Türken, die zu uns kommen, vor-
bekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht. Dieses wurde her in der Türkei Deutsch lernen; die türkische Regie-
evaluiert. Es hat sich als maßvoll und richtig erwiesen. rung wollte dieses sogar bezahlen – an Herrn Erdogan
(B) Kleinere Verbesserungen und Ergänzungen sind erfolgt. einen Brief geschrieben, in dem er ihn dringend darum (D)
bittet, dies ja nicht zu tun. Dieses sei eine der größten
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bosheiten gegenüber unseren hier lebenden türkischen
NEN]: Sie wollen es ausweiten auf allgemeine Menschen, sagt er.
Verbrechensbekämpfung!)
Das heißt, wir werden mithilfe dieser Verbesserungen in Das ist eine völlig unverständliche Haltung. Dieses
der Lage sein, alle Formen verfassungsfeindlicher und integrationsfeindliche Verhalten von Herrn Kolat – ich
extremistischer Strömungen zu überwachen. Wir müssen hoffe, dass er nicht für die türkische Bevölkerung in ih-
alles tun, um den islamistischen Hasspredigern das rer Mehrheit spricht – müssen wir in aller Entschieden-
Handwerk zu legen. heit zurückweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wenn Rechtsextremisten zu Gewalt gegen Aus- Wir haben die Einlader- und Warndatei jetzt auf den
länder, gegen Juden, gegen Homosexuelle oder gar ge- Weg zu bringen. Wir wollten seit Jahren, dass die Euro-
gen Behinderte aufrufen, muss der Verfassungsschutz in päische Union das tut. Das war auch geplant, es ist je-
der Lage sein, uns hiervor frühzeitig zu warnen, damit doch an dem derzeitigen Europäischen Parlament ge-
wir die Strukturen dieser Rechtsextremisten erkennen scheitert. Wir müssen also national eine Einlader- und
können. Warndatei zügig auf den Weg bringen.
Zum Umbau unserer Sicherheitsarchitektur gehört Ein Wort noch zum Visa-Untersuchungsausschuss.
aber auch die Antwort auf die Frage, welchen Beitrag Man kann die Meinung vertreten, dass Untersuchungs-
die Bundeswehr in Zukunft im Inneren zu leisten hat. ausschüsse nie etwas gebracht haben. Bei diesem Aus-
(Jan Korte [DIE LINKE]: Aha!) schuss ist das anders.

Wir werden um eine Änderung des Grundgesetzes nicht


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
herumkommen und wir werden sehen, dass dieses Pro-
blem mit erweiterter Amtshilfe nicht zu lösen sein wird. Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage
von der Kollegin Dagdelen von der Fraktion Die Linke?
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Auf die Idee ist ja noch nicht einmal
Schäuble gekommen: gegen rechts mit der Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Bundeswehr!) Bitte nicht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6677

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gibt fast 5 Millionen Arbeitslose – und nach außen im (C)
Sie wollen nicht. Sinne eines Pull-Effektes müssen vermieden werden.
Wir werden das Ergebnis unserer Arbeit hoffentlich bald
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): vorzeigen können.
Danke nein, ich möchte zum Ende kommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Der Visa-Untersuchungsausschuss hat schon Verän- Kommen Sie bitte zum Schluss.
derungen in den „Problembotschaften“ gebracht und es
wird noch weitere Verbesserungen geben. Wir werden Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
das Thema demnächst in den Ausschüssen behandeln.
Ich komme zum Schluss.
Es zeigt sich, dass bei der Visavergabe – sie ist ein sehr
schwieriges Geschäft – eine Verbesserung eingetreten Anlässlich von Haushaltsberatungen ist es ein guter
ist. Es war gut, dass der Visa-Untersuchungsausschuss Brauch, zu danken. Ich danke den Mitarbeitern des Bun-
die Dinge im Detail beleuchtet hat. desministeriums des Innern mit allen nachgeordneten
Behörden. Sie arbeiten außergewöhnlich gut und sehr
Es wird bei uns ab 2007 neue Pässe mit biometri- engagiert. Ich danke aber auch demjenigen, der dieses
schen Daten geben. Damit werden wir ein Höchstmaß Ministerium führt, Herrn Minister Schäuble.
an Fälschungssicherheit erreichen. Das heißt, Pässe kön-
nen nicht mehr so leicht gefälscht werden und es kann Danke schön.
dank der biometrischen Daten viel besser überprüft wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
den, ob ein Passinhaber mit der im Passdokument be- neten der SPD)
schriebenen Person identisch ist.
Mit unserer modernen Technik werden wir Vorreiter Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
sein; Deutschland wird die modernsten und die sichers- Das Wort hat jetzt der Kollege Detlef Parr von der
ten Pässe haben. Biometrische Daten werden wir nicht FDP-Fraktion.
nur bei den Reisepässen verwenden; vielmehr werden
wir auch Personalausweise, Visa und Aufenthaltstitel für Detlef Parr (FDP):
in Deutschland lebende Menschen mit biometrischen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Merkmalen versehen. Damit sind wir an der Spitze des Sie mich gegen Ende der Debatte zwei Appelle an unse-
Fortschritts. Es ist auch für den Industriestandort ren Sportminister richten. Herr Dr. Schäuble, die FDP-
Deutschland sehr wertvoll; denn die weltweite Entwick- Fraktion begrüßt den deutlichen Schulterschluss von
(B) lung geht in diese Richtung. Wir zeigen uns als ein inno- Sport und Staat bei der Dopingbekämpfung. Die Vor- (D)
vatives Land. schläge der Rechtskommission, der Aktionsplan des
Die Innenminister der Länder haben folgendes Pro- DOSB, andere Gutachten und die Anhörungen im Bun-
blem – das ist schon zweimal angesprochen worden –: destag sollten jetzt endlich zu einem Gesetzentwurf füh-
Es gibt rund 200 000 Menschen in Deutschland, die ren. Wir haben genug diskutiert. Jetzt muss politisch ent-
zwar ausreisepflichtig sind, aber nicht ausgewiesen wer- schieden werden.
den konnten. Es ist zum Teil mit Häme kommentiert (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
worden, dass wir diese schwierige Situation noch nicht
haben bewältigen können. Herr Wieland, Sie haben Es muss auch Schluss sein mit dem missionarischen Ei-
selbst gesagt, dass man in den sieben Jahren rot-grüner fer, mit dem diese Fragen teilweise diskutiert werden.
Regierung versucht habe, dieses Problem zu lösen. Das schadet nur der Sache.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In der Zielrichtung sind wir uns fraktionsübergreifend
NEN]: Es lag am Bundesrat!) weitgehend einig. Aber, sehr geehrter Herr Minister,
bitte, bleiben Sie bei Ihrem Grundsatz: Kein Gesetz ge-
Das sei aber nicht gelungen. Ich bin überzeugt: Wir wer- gen die Autonomie des Sports, keine Einschränkung der
den eine vernünftige Lösung für dieses Problem finden. Sportgerichtsbarkeit! Lassen Sie das Strafrecht und die
Das ganze Thema ist ungeheuer schwierig. Wir wol- Besitzstrafbarkeit bei Athleten außen vor! Die Aufsto-
len den Grundsatz aufgeben, dass sich der Aufenthalts- ckung der Mittel für die Dopinganalytik und die Stär-
status von Menschen, die das Land eigentlich verlassen kung der Arbeit der NADA mit verschärften Kontrollen
müssen, durch Arbeit nicht verfestigt. Unsere Botschaft ist, wie im Haushalt nachlesbar, der bessere Weg.
ist, dass Menschen, die seit vielen Jahren hier sind, die (Beifall bei der FDP)
abgeschoben werden müssten, aber nicht abgeschoben
werden können, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen Das schärfste Schwert setzt man nur als Ultima Ratio ein
müssen. Diese Menschen sollen hier nicht jahrelang von und an diesem Punkt sind wir noch lange nicht.
Sozialhilfe leben. Meine zweite Bitte: Herr Minister, machen Sie all Ih-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren Einfluss auf die Ministerpräsidenten geltend! Diese
NEN]: Dagegen haben wir gar nichts!) sind gerade dabei, durch ein voreiliges Festhalten am
staatlichen Monopol der Sportwetten die finanzielle
Es gilt, einen Zielkonflikt zu lösen. Die Ausgangslage Förderung von Gemeinwohlbelangen, insbesondere des
ist schwierig: Schädliche Wirkungen nach innen – es Sports, zu gefährden. Was ich hier zeige, ist nach einer
6678 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Detlef Parr
(A) Ifo-Studie die Umsatzentwicklung von Oddset der letz- (Detlef Parr [FDP]: Das ist doch falsch, Herr (C)
ten sechs Jahre. Die Tendenz ist dramatisch sinkend. Kollege! Das wissen Sie doch besser! Sie wis-
Diesen Trend werden wir auch nach den Auflagen des sen, dass wir das nicht wollen!)
Bundesverfassungsgerichts wohl kaum stoppen können.
Auch dazu kann man klar sagen, werter Detlef Parr: Die
Wir brauchen einen neuen Staatsvertrag, der staatli- FDP hätte ja die Möglichkeit, über die Länder, dort also,
chen und privaten Anbietern gleiche Chancen einräumt, wo sie mit in der Regierungsverantwortung ist, entspre-
aber auch gleiche Pflichten abverlangt, auch was die chende Initiativen zu starten. Bei der letzten Debatte hier
Werbung und die Suchtbekämpfung angeht. Entspre- wurde uns versprochen: Sie werden noch sehen, dass die
chende Steuer- und Konzessionsmodelle liegen mittler- FDP über die Landesregierungen in Nordrhein-Westfa-
weile auf dem Tisch. len, Baden-Württemberg oder auch Niedersachsen ent-
sprechend Druck machen wird. – Nichts ist passiert. In-
Ich möchte Sie bitten, Herr Minister: Nutzen Sie die sofern kann ich eine Bitte an Detlef Parr zurückgeben:
EU-Ratspräsidentschaft, um Vorreiter für eine europa- Zeigen Sie uns doch einmal die Initiativen der FDP über
konforme Neuordnung des Sportwettenmarkts zu sein! die Länderregierungen dazu, dass wir nicht weiter am
Es gibt Vertragsverletzungsverfahren der Kommission Staatsmonopol für Sportwetten festhalten sollen! – Lei-
gegen immerhin zehn europäische Länder. Setzen Sie der ist da nichts vorhanden.
das Thema zum Beispiel auf die Tagesordnung des
Sportdirektorentreffens im Februar in Deutschland und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der informellen Sportministerkonferenz im März 2007! der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Es
Denken Sie gemeinsam mit uns über eine Abkopplung ist schön, dass nichts vorhanden ist!)
der Sportwetten vom Glücksspielmarkt nach, wie wir sie
aus Großbritannien und aus Österreich kennen! Wenn wir heute über den Etat des Bundesinnenminis-
teriums reden, dann kann ich nur sagen: Prima, sehr gut,
Wir müssen die Sportförderung mindestens im heuti- dass wir nicht nur über den sehr wichtigen Themenbe-
gen Ausmaß sichern. Dazu bedarf es eines mutigen reich der inneren Sicherheit sprechen, sondern auch
Schrittes nach vorn. – das wurde in vielen Wortbeiträgen deutlich – über das
wichtige Thema der Integration. Das hat für unsere Ge-
Herzlichen Dank. sellschaft und die Zukunft unseres Landes eine große
Tragweite. Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesam-
(Beifall bei der FDP)
tes belegen dies. Jeder fünfte Einwohner bzw. jede fünfte
Einwohnerin in Deutschland hat einen Migrationshinter-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: grund. Bei den unter 25-Jährigen verfügt sogar jeder (D)
(B)
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich vierte oder jede vierte über einen Migrationshintergrund.
das Wort dem Kollegen Martin Gerster von der SPD-
Aus meiner Sicht muss man attestieren, dass Integra-
Fraktion.
tion bei uns teilweise sehr gut gelingt, dass es aber auch
(Beifall bei der SPD) erhebliche Defizite gibt. Defizite kann man feststellen,
wenn man sich beispielsweise anschaut, wie die Situa-
tion in den Schulen ist. Gerade in unserem gegliederten
Martin Gerster (SPD): Schulsystem stellen wir fest, dass Schülerinnen und
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schüler mit Migrationshintergrund zu einem Drittel in
Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung zum Wortbei- der Hauptschule oder in der Förderschule zu finden sind,
trag vom Kollegen Detlef Parr beginnen. Ich kann für während es bei den Schülerinnen und Schülern ohne Mi-
die SPD-Fraktion hier klar sagen, dass wir nicht dabei grationshintergrund gerade einmal 16 Prozent sind. Wir
mitmachen werden, wenn es darum geht, unter dem Fei- stellen insbesondere fest, dass von Jahr zu Jahr immer
genblatt „Autonomie des Sports“ dopende Sportler zu weniger junge Leute mit Migrationshintergrund Ausbil-
schützen. dungsplätze bekommen. Wir stellen auch fest, dass sich
Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeits-
(Detlef Parr [FDP]: Das ist der missionarische markt besonders schwer tun. – Das sind einige Fakten,
Eifer, den ich vorhin angesprochen habe!) die belegen, dass gerade im Bereich der Integration noch
Es kann nicht sein, dass Sportlerinnen und Sportler so- sehr viel zu tun ist.
wie Trainerinnen und Trainer diejenigen betrügen, die Vorhin wurde vom Kollegen Wieland gesagt, Herr
letztlich fair im Sport aktiv sind, sowie die Zuschauer Grindel und Herr Uhl hätten sich in den letzten Jahren so
betrügen, die Medien betrügen und auch die Wettbewer- stark gewandelt,
ber betrügen. Deswegen sage ich ein klares Nein zu dem,
was Sie an dieser Stelle ausgeführt haben, werter Detlef (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE
Parr. GRÜNEN]: Positiv!)
(Beifall bei der SPD) positiv gewandelt. Es hatte sich bei Ihnen ein wenig
rechthaberisch angehört.
Hier wurde die Bitte an den Herrn Bundesminister
des Innern geäußert, sich für eine völlige Liberalisierung (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE
des Sportwettenmarktes stark zu machen. GRÜNEN]: Quatsch!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6679
Martin Gerster
(A) Seien wir doch froh, dass richtige Entwicklungen er- Ich plädiere dafür, die Ergebnisse der gerade laufenden (C)
kannt werden und auch das Umsteuern einer großen Evaluation abzuwarten, die Anfang 2007 vorgelegt wer-
Volkspartei bei wichtigen Fragen möglich ist. den. Dann sollten wir konkret diskutieren, wie wir im
Bereich der Integrationskurse Verbesserungen erzielen
(Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz können.
[SPD])
Anfang dieser Woche habe ich in der „Stuttgarter Zei-
Überlegen wir uns einmal, welche Entwicklung die tung“ einen Artikel gelesen mit der Überschrift „Viele
Union von der Kampagne gegen die doppelte Staatsbür- Plätze in Deutschkursen bleiben leer“. Das Problem ist
gerschaft und dem anfänglichen Nein zum wichtigen Zu- also nicht, dass der Bund zu wenig Geld bereitstellen
wanderungsgesetz durchgemacht hat. Nun hören wir würde. Das Problem ist vielmehr, dass die Behörden zu
vom Bundesinnenminister Schäuble Äußerungen wie wenig darauf achten, dass die Leute diese Integrations-
beispielsweise folgende, die in der Tageszeitung „Die kurse auch wahrnehmen bzw. sie zu wenig animieren.
Welt“ am 30. Oktober dieses Jahres zu lesen war: Wir sollten also vorrangig darüber sprechen, dass vor-
handene Möglichkeiten nicht genutzt werden, und nicht
Wir haben eben lange nicht gesehen, dass der Islam einfach populistisch den Antrag stellen, mehr Mittel be-
ein Teil von uns ist. Das bedeutet auch, dass die reitzustellen.
Muslime hier heimisch werden müssen, und das
nicht nur als Lippenbekenntnis. Als Grundlage für die Diskussion im Innenausschuss
zu Beginn des Jahres 2007 sollten die Vorschläge der In-
Ich glaube, das ist eine wichtige Einsicht, Herr Minister tegrationsbeauftragten Frau Böhmer dienen. Dabei sollte
Schäuble. Ich hoffe nur, dass alle diejenigen, die bei un- über eine Erhöhung der Unterrichtseinheiten von 600 auf
serem Koalitionspartner in den Ländern oder auch in den 900 gesprochen werden. – Es freut mich, Herr Grindel,
Kommunen Verantwortung tragen, dies so sehen, wie dass Sie schon zustimmend nicken.
Sie es in dem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“
dargestellt haben. Es geht auch um eine Erhöhung der Vergütung der
Honorarkräfte und um eine stärkere Differenzierung bei
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) den Kursteilnehmern. Außerdem geht es – so meine ich,
nach Besuchen vor Ort feststellen zu können – um eine
Das Ziel jeder Integrationspolitik muss, wie ich bessere Abstimmung der Träger untereinander, damit
glaube, die volle gesellschaftliche Teilhabe von Men- nicht der eine Träger gegen den anderen ausgespielt
schen mit Migrationshintergrund sein. Es muss faire wird, nach dem Motto: Wir haben das beste Discountan-
Chancen für alle in unserem Land geben: in den Wohn- gebot; bei uns gibt es denselben Kurs ein bisschen güns-
(B) quartieren, in den Stadtteilen, auf dem Arbeitsmarkt und tiger. – Ich denke, wir sind da auf dem richtigen Weg. (D)
beim Zugang zu Ausbildungsplätzen, aber auch in den Wir sollten uns für das erste Halbjahr 2007 vornehmen,
Kindergärten, Schulen, Seniorenheimen, Vereinen – das das anzupacken und deutliche Verbesserungen zuguns-
THW wurde vorhin schon angesprochen – und bei den ten aller zu erreichen.
Feuerwehren. Ich war kürzlich in Baden-Württemberg
bei einer Veranstaltung der Feuerwehren. Da wurde klar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
bemängelt, dass viel zu wenig Jugendliche mit Migra- der CDU/CSU)
tionshintergrund zu den Hilfsdiensten kommen und sich Gerade bei diesem Thema erhoffe ich mir auch deutli-
daran beteiligen. Ich glaube, hier müssen wir mehr Be- che Signale und gute Vorschläge vom Integrationsgipfel
teiligung einfordern; zugleich müssen wir sie aber auch und aus dem Bereich Sport. Die Bundesregierung un-
mehr fördern. ternimmt einiges, um Integration durch Sport zu ermög-
lichen. Wir haben beispielsweise im Etat des Bundes-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des innenministeriums 5 Millionen Euro für ein Projekt des
Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU] und der DOSB eingestellt. Ich denke, da sind wir auf dem richti-
Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜND- gen Weg. Irgendwann könnte das vielleicht noch mehr
NIS 90/DIE GRÜNEN]) sein; denn aus meiner Sicht hat der Sport die Kraft, Inte-
An der Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft kann gration zu leisten. Angesichts der vielen Menschen, die
man, wie ich glaube, ablesen, wie stark sie letztendlich im Sport engagiert sind, glaube ich, dass hier noch er-
ist. Der Schlüssel für Integration ist die Sprache. Die Be- hebliches Potenzial vorhanden ist, das es abzurufen gilt.
herrschung der Sprache ist Grundlage für das Gelingen Die Sportvereine bitten regelrecht darum, dass man sie
von Integration. Ein wesentlicher Baustein, um das zu bei dieser wichtigen Aufgabe unterstützt.
erreichen, sind die Integrationskurse. Ich habe mich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sehr gewundert, dass von der Fraktion Die Linke kein der CDU/CSU)
einziges Wort zu diesem Thema gesagt wurde, obwohl
sie doch wochen- und monatelang permanent, fast schon Als letzter Redner der Debatte darf ich mich an dieser
notorisch und gebetsmühlenartig, den Finger in die of- Stelle ganz herzlich für die faire Debatte und bei den
fene Wunde, die durch die Kürzung der Mittel entstan- Vertretern des Ministeriums für die gute Zusammenar-
den ist, gelegt hat. beit in der letzten Zeit in Haushaltsfragen, aber auch an-
deren Fachfragen bedanken. Ebenso darf ich mich bei
(Jan Korte [DIE LINKE]: Deswegen haben den Haushälterinnen und Haushältern bedanken, die in
wir ja heute nichts dazu gesagt!) den letzten Tagen und Wochen stark gefordert waren. In-
6680 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Martin Gerster
(A) sofern ganz herzlichen Dank! Ich bitte zum Abschluss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald (C)
der Debatte um einen Beifall für die Damen und Herren Leibrecht, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden für weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
ihre wichtige Arbeit.
Für eine zügige Umstellung auf Budgetierung
Danke schön. beim Goethe-Institut
– Drucksache 16/2090 –
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Gisela Piltz [FDP]: Wir sind doch hier nicht in Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
der Quizshow!) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ausschuss für Kultur und Medien
Ich schließe die Aussprache. Haushaltsausschuss

Wir kommen zur Abstimmung über den d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der Dr. Werner Hoyer, Jürgen Koppelin, Dr. Karl Ad-
Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsan- dicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
träge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zunächst der FDP
abstimmen. Den Auswärtigen Dienst für die Aufgaben der
Diplomatie des 21. Jahrhunderts stärken
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
16/3469? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än- – Drucksache 16/3018 –
derungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Überweisungsvorschlag:
Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Auswärtiger Ausschuss (f)
Innenausschuss
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
16/3470? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än- Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
derungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Haushaltsausschuss
tionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Frak-
tion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Grünen abgelehnt. Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
(B) Wir kommen nun zur Abstimmung über den (D)
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der Aus- Beleuchtete Dachwerbeträger auf Taxen zulas-
schussfassung. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – sen
Enthaltungen? – Der Einzelplan 06 ist mit den Stimmen – Drucksache 16/3050 –
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-
Überweisungsvorschlag:
tionsfraktionen angenommen. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ich rufe die Tagesordnungspunkte III a bis h sowie f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
die Zusatzpunkte 1 a bis 1 d auf: Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Anna
III a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Lührmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
derung des Investitionszulagengesetzes 2007 Erhaltungsrückstand bei Bundesfernstraßen
(InvZulG 2007) beenden
– Drucksache 16/3437 – – Drucksache 16/3141 –
Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
g) Beratung des Antrags der Bundesregierung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
rung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung
Wissenschaft des Friedensprozesses in Bosnien und Herze-
– Drucksache 16/3438 – gowina im Rahmen der Implementierung der
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensverein-
Überweisungsvorschlag: barung sowie an dem NATO-Hauptquartier
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage
Ausschuss für Arbeit und Soziales der Resolutionen des Sicherheitsrates der
Ausschuss für Gesundheit Vereinten Nationen 1575 (2004) vom
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6681
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) 22. November 2004, 1639 (2005) vom 21. No- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (C)
vember 2005 und 1722 (2006) vom 21. Novem- Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ber 2006
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
– Drucksache 16/3521 –
regierung
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f) Bericht der Bundesregierung über die Ent-
Rechtsausschuss wicklung der Finanzhilfen des Bundes und der
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Steuervergünstigungen für die Jahre 2003 bis
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 2006 (20. Subventionsbericht)
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 16/1020 –
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
h) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Finanzausschuss
CSU und der SPD Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Si- Verbraucherschutz
cherheit – konsequent umsetzen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 16/3501 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
Auswärtiger Ausschuss ten Verfahren ohne Debatte.
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/3501 zu
Entwicklung
Tagesordnungspunkt III h mit dem nun lautenden Titel
ZP 1 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter „UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Sicherheit –
Gauweiler, Monika Grütters, Eckart von Klaeden, konsequent umsetzen“ soll zur Federführung an den
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss,
Griefahn, Petra Hinz (Essen), Lothar Mark, wei- den Innenausschuss, den Verteidigungsausschuss, den
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend so-
(B)
Stärkung des Goethe-Instituts durch neues wie den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (D)
Konzept und Entwicklung überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlos-
– Drucksache 16/3502 – sen.
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f) Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV a bis IV k auf.
Ausschuss für Kultur und Medien Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
Haushaltsausschuss zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Tagesordnungspunkt IV a:
Bettin, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
DIE GRÜNEN von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Verbraucher beim Telemediengesetz nicht Nr. 170 der Internationalen Arbeitsorganisa-
übergehen
tion vom 25. Juni 1990 über Sicherheit bei der
– Drucksache 16/3499 – Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
– Drucksache 16/2227 –
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marie- – Drucksache 16/3347 –
luise Beck (Bremen), Rainder Steenblock, Volker Berichterstattung:
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Abgeordneter Wolfgang Grotthaus
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt auf
Eine europäische Perspektive für das Kosovo
Drucksache 16/3347, den Gesetzentwurf anzunehmen.
– Drucksache 16/3520 – Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
Überweisungsvorschlag: wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
Auswärtiger Ausschuss (f) gen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Tagesordnungspunkt IV b:
6682 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke (C)
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs angenommen.
eines Gesetzes zu dem Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen vom 11. Oktober Tagesordnungspunkt IV f:
2004 zur Gründung einer Partnerschaft zwi- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
schen den Europäischen Gemeinschaften und ausschusses (2. Ausschuss)
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Repu-
blik Tadschikistan andererseits Sammelübersicht 129 zu Petitionen

– Drucksache 16/1621 – – Drucksache 16/3334 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen Ausschusses (3. Ausschuss) gen? – Sammelübersicht 129 ist wiederum einstimmig
angenommen.
– Drucksache 16/3352 –
Tagesordnungspunkt IV g:
Berichterstattung:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Abgeordnete Karl-Georg Wellmann
ausschusses (2. Ausschuss)
Johannes Jung (Karlsruhe)
Harald Leibrecht Sammelübersicht 130 zu Petitionen
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck (Bremen) – Drucksache 16/3335 –

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
16/3352, den Gesetzentwurf anzunehmen. Wer dem zu- gen? – Sammelübersicht 130 ist mit den Stimmen aller
stimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. – Gegen- Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit angenommen.
den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Frak- Tagesordnungspunkt IV h:
tion Die Linke angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des ausschusses (2. Ausschuss)
Petitionsausschusses.
Sammelübersicht 131 zu Petitionen
Tagesordnungspunkt IV c:
(B) – Drucksache 16/3336 – (D)
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 131 ist mit den Stimmen aller
Sammelübersicht 126 zu Petitionen Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion ange-
nommen.
– Drucksache 16/3331 –
Tagesordnungspunkt IV i:
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 126 ist einstimmig angenom- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
men. ausschusses (2. Ausschuss)

Tagesordnungspunkt IV d: Sammelübersicht 132 zu Petitionen

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/3337 –


ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
Sammelübersicht 127 zu Petitionen gen? – Sammelübersicht 132 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
– Drucksache 16/3332 – stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 127 ist einstimmig angenom- Tagesordnungspunkt IV j:
men.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Tagesordnungspunkt IV e: ausschusses (2. Ausschuss)
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 133 zu Petitionen
ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/3338 –
Sammelübersicht 128 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
– Drucksache 16/3333 – gen? – Sammelübersicht 133 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Ge-
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- genstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion des
gen? – Sammelübersicht 128 ist mit den Stimmen aller Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6683
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Tagesordnungspunkt IV k: Ihre Unverfrorenheit, Herr Minister, liegt darin, dass Sie (C)
uns und auch die Öffentlichkeit mit Zahlenspielereien in
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- die Irre führen wollen.
ausschusses (2. Ausschuss)
(Zuruf von der SPD: Niemals!)
Sammelübersicht 134 zu Petitionen
Richtig ist vielmehr: Für die drei Verkehrsträger Straße,
– Drucksache 16/3339 – Schiene und Wasserstraße sah der erste schwarz-rote
Haushalt für 2006 schon viel zu geringe 9 Milliarden
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Euro vor. Im Haushalt 2007 sind es letztlich nur noch
gen? – Sammelübersicht 134 ist mit den Stimmen der blamable 8,9 Milliarden Euro.
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Frau Kollegin,
wie war das mit der Tante Käthe?)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.14 auf:
Zur Begründung Ihrer Behauptung, zusätzliche Inves-
Einzelplan 12 titionen vorzunehmen, führen Sie Vergleiche mit der
Bundesministerium für Verkehr, Bau und völlig veralteten mittelfristigen Finanzplanung von 2005
Stadtentwicklung an, die von Rot-Grün nicht einmal mehr beschlossen
worden ist.
– Drucksachen 16/3112, 16/3123 –
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist lei-
Berichterstattung: der wahr!)
Abgeordnete Roland Claus
Bartholomäus Kalb Würden Sie als Vergleich die Finanzplanung von 2006,
Norbert Königshofen für die Sie verantwortlich sind, heranziehen, dann könn-
Klaas Hübner ten Sie nicht mehr von zusätzlichen Investitionen spre-
Dr. Claudia Winterstein chen. Ihre Argumentation, Herr Tiefensee, ist bewusst ir-
Anna Lührmann reführend.
Zu dem Einzelplan liegen drei Änderungsanträge der (Beifall bei der FDP – Horst Friedrich [Bay-
Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen Entschlie- reuth] [FDP]: Das ist ein so genannter Irrläu-
ßungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der fer!)
SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke so- Im Jahr 2007 wird vor allem bei den Bundesfernstra-
(B) wie der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, ßen weniger investiert. Waren es in 2005 noch (D)
über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab- 5,3 Milliarden Euro, so sind es im Haushalt 2006 nur
stimmen werden. 4,9 Milliarden Euro. In dem vorliegenden Haushaltsent-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die wurf werden die Investitionen sogar auf 4,7 Milliarden
Aussprache eine Zeit von zwei Stunden vorgesehen. – Euro gesenkt.
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- An diesen Zahlen wird deutlich: 2007 wiederholt sich
sen. der Skandal um die Maut. Schwarz-Rot setzt den Maut-
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- betrug von Rot-Grün nahtlos und ungebremst fort.
nerin das Wort der Kollegin Dr. Claudia Winterstein von (Beifall bei der FDP)
der FDP-Fraktion.
Hier wiederholt sich das, was wir aus den vergangenen
(Beifall bei der FDP) Jahren kennen; denn es war ja, wie Sie wissen, verein-
bart, die Mittel aus der Maut zusätzlich in den Verkehr
Dr. Claudia Winterstein (FDP): fließen zu lassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Im Sep-
Herren! Herr Minister, ich kann Ihre Zufriedenheit über tember vor einem Jahr hätte das die Union
den Verkehrshaushalt überhaupt nicht teilen. auch noch behauptet!)
(Rainer Fornahl [SPD]: Er hat doch noch über- Das hätte im Jahr 2007 ein Mehr von 3,1 Milliarden
haupt nichts gesagt!) Euro bedeutet. Das hätten wir weiß Gott gut gebrauchen
können. So aber werden diese Mittel letztendlich im
Er bleibt hinter allen Erwartungen zurück, insbesondere Haushalt verfrühstückt.
bei den Investitionen. Die Investitionen liegen niedriger
als im Haushalt 2005 und auch niedriger als im Haushalt Hinzu kommt: Obwohl die Mauteinnahmen im Jahr
2006. 2007 um rund 360 Millionen Euro höher ausfallen als im
Jahr 2006, senken Sie die Investitionen in die Straße
Sie behaupten, Sie würden zusätzliche Investitionen weiter um 251 Millionen Euro. Ihr Mautbetrug ist ein
in die Verkehrsinfrastruktur vornehmen. Das stimmt unglaublicher Skandal; das kann man nicht oft genug
nicht. wiederholen.
(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP)
6684 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Claudia Winterstein


(A) In der mittelfristigen Finanzplanung zeigt die Investi- In einem Entschließungsantrag haben wir Ihnen einen (C)
tionskurve für die Bundesfernstraßen weiter nach unten. Weg für die Finanzierung der Schienenwege aufgezeigt.
2007 sind es 4,6 Milliarden Euro, 2010 nur 4,47 Milliar- Durch die Umstellung der Finanzierung der Schienen-
den Euro. Die einzige Beständigkeit in Ihrer Politik ist: wege im Bestandsnetz von verlorenen Baukostenzuschüs-
Die Investitionen werden weniger. sen auf zinslose Darlehen könnten nach Berechnungen
des Bundesrechnungshofs jährlich 750 Millionen Euro
(Beifall bei der FDP) an zusätzlichen Investitionsmitteln zur Verfügung ste-
Dieser schwarz-rote Haushalt geht vollends am Be- hen.
darf vorbei. Sie liegen mit Ihren Investitionen nicht nur (Beifall bei der FDP)
weit unter den Forderungen der Pällmann-Kommission.
Auch mit der Mittelausstattung für 2006 lassen sich die Mit Blick auf die Privatisierung der Deutschen Bahn AG
laufenden Maßnahmen nur mühsam bedienen. haben Darlehen anstelle von Baukostenzuschüssen den
Vorteil, dass die Mittel nicht anteilig auch das Vermögen
Sehr geehrter Herr Minister, in Ihrer Antrittsrede als der privaten Investoren erhöhen, sondern die Vermö-
Verkehrsminister haben Sie uns die Schaffung von Ar- genssubstanz dieser Investitionshilfen allein beim Staat
beitsplätzen durch Investitionen versprochen. Stattdes- verbleibt. Folgen Sie also den Anregungen des Bundes-
sen kürzen Sie nun die Investitionen immer weiter. Wie rechnungshofs und stimmen Sie unserem Entschlie-
wollen Sie damit eigentlich Arbeitsplätze schaffen? Sie ßungsantrag zu, meine Damen und Herren von der Koa-
stehen vielmehr der Schaffung von Arbeitsplätzen im lition!
Wege.
Zum Thema „Privatisierung der Bahn“. Bei der
(Rainer Fornahl [SPD]: Na, na, na!) Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn gibt es an sich
nichts Neues. Es gibt insofern nichts Neues, als Sie,
Die FDP setzt sich dafür ein, dass die Investitionsmit- meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union,
tel in vertretbarer Weise angehoben und zugleich Kür- mal wieder vor der SPD eingeknickt sind. Was Sie hier
zungen durch mehr Effizienz im Verwaltungsbereich er- als Kompromiss präsentieren, ist nichts weiter als
möglicht werden. Wir haben Ihnen in diesem Jahr ein etwas verbrämtes Eigentumssicherungsmodell à la
wieder ein liberales Sparbuch vorgelegt, das Sparvor- Tiefensee, welches die CDU immer abgelehnt hat. Sie
schläge auch für den Verkehrs- und Baubereich beinhal- versuchen, ähnlich wie bei der Gesundheitsreform, zwei
tet. Sparen ließe sich beispielsweise bei verschiedenen Dinge zu vereinen, die derart gegensätzlich sind, dass Ihr
Programmen, mit denen sich der Verkehrsminister Vorhaben nur misslingen kann. Das mag vielleicht den
schmückt. Das hat schon fast Tradition: Was für Herrn Koalitionsfrieden retten; für das Gemeinwohl ist es aber
(B) Stolpe die Mobilitätsoffensive war, das sind für Herrn der denkbar schlechteste Weg. (D)
Tiefensee Programme wie „Innovative Mobilitätskon-
zepte“ und „Initiative Metaplattform für Verkehrsinfor- (Beifall bei der FDP)
mationen“ sowie der Masterplan „Güterverkehr und Lo- Wir haben uns klar für eine ehrliche Privatisierung
gistik“. Am Ende bleibt nur eines: Es wird viel Geld für ohne die Schiene ausgesprochen. Dadurch entsteht mehr
externe Gutachten ausgegeben, welche meist wirkungs- Wettbewerb und wir verschleudern nicht das über Jahr-
los in der Schublade verschwinden. zehnte aufgebaute Gleisnetz für einen symbolischen Be-
(Beifall bei der FDP) trag.

Seinen Zweck hat das Projekt für den Minister allerdings Als Resümee zu diesem Haushaltsentwurf kann man
erfüllt: die PR, der Minister handele besonders zukunfts- nur feststellen: Sie haben nichts dazugelernt; Sie mar-
orientiert und visionär. In Wirklichkeit geschieht gar schieren weiterhin in die falsche Richtung. Schlagen Sie
nichts: Außer Spesen nichts gewesen. endlich den richtigen Weg ein, um die Standortbedin-
gungen für Deutschland zu verbessern!
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das war ein
Vielen Dank.
harter Schlag!)
(Beifall bei der FDP)
Die Mitarbeiter der Verwaltung sind weitgehend damit
beschäftigt, Sachverständigengutachten zu lesen, anstatt
die bestehenden Probleme selbst zu lösen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der
Nun zum Thema Schiene. Die unzureichenden Inves- SPD-Fraktion.
titionen ziehen schon heute gravierende Probleme nach
sich. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
unlängst erklärt: Wenn die Entwicklung der insgesamt der CDU/CSU)
sinkenden Investitionen anhält, dann laufen wir auf ei-
nen Stau auf der Schiene zu. – Die Auslastung der Klaas Hübner (SPD):
Schiene in Deutschland hat sich seit 1995 um 68 Prozent Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
erhöht. Allein um die Qualität des Bahnverkehrs zu er- ren! Zu Beginn möchte ich den beteiligten Mitbericht-
halten, wären jährliche Investitionen in die Schiene in erstattern im Haushaltsausschuss zu diesem Einzelplan
Höhe von 5 Milliarden Euro notwendig. Tatsächlich in- ganz herzlich für die sehr sachlichen und konstruktiven
vestieren Sie lediglich 3,5 Milliarden Euro. Beratungen danken, die wir seit der Sommerpause
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6685
Klaas Hübner
(A) geführt haben. Mein Dank gilt ebenso dem Ministerium, Wir haben uns überlegt, ein Lückenschlussprogramm (C)
Ihnen, Herr Minister, vor allen Dingen aber Ihren Mit- zu initiieren, weil wir mit den zusätzlichen Investitionen
arbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns in unserer Arbeit einen Impuls geben wollen. Wir wollen die Sicherheit
tatkräftig unterstützt haben. haben, dass das Geld auch im kommenden Jahr volks-
wirtschaftlich nachfragewirksam eingesetzt werden
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kann, und gleichzeitig sicherstellen, damit konkrete Pro-
der CDU/CSU) bleme der Menschen vor Ort zu lösen. Wir haben daher
Sie wissen, dass Peer Steinbrück diesen Haushalt in ein Lückenschluss- und Staubeseitigungsprogramm
einen Dreiklang stellt: Konsolidieren, Reformieren und mit einem Gesamtvolumen von 420 Millionen Euro auf-
Investieren. Bei diesem Einzelplan spielt der letzte gelegt, von denen 165 Millionen Euro für 2007 veran-
Punkt eine herausragende Rolle; denn es ist der größte schlagt sind.
Investitionshaushalt des Bundeshaushalts. Wir haben (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das kenne
die Mittel sogar weiter erhöht. Im Rahmen der Beratun- ich von Bodewig! Der hat auch immer ein
gen im Haushaltsausschuss haben wir in diesem Etat für neues Programm aufgelegt!)
Investitionen 200 Millionen Euro zusätzlich bereitge-
stellt. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele. Bei der A 1 Gerol-
stein–Anschlussstelle Kelberg werden wir einen Lü-
(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) ckenschluss vornehmen. Dieses Teilstück ist Bestandteil
Das zeigt, dass diese Regierung nicht nur fiskalisch han- des Neubaus der A 1 zwischen Blankenheim und dem
delt und blind spart, sondern einen Ausgleich sucht. Wir Autobahndreieck der Vulkaneifel. Der Lückenschluss
brauchen auf der einen Seite die Konsolidierung; die Ab- der A 1 dient der Verbesserung der regionalen Wirt-
senkung der Neuverschuldung ist notwendig. schaftsstruktur der Eifel und bindet die Region an den
Ballungsraum Rhein-Ruhr an. Außerdem werden die
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) A 61 zwischen Köln und Koblenz sowie die Bundes-
Auf der anderen Seite stützen wir im nächsten Jahr die straße 51 zwischen Blankenheim und Trier deutlich ent-
Konjunktur mit entsprechenden Investitionen – nicht mit lastet. Durch das Lückenschlussprogramm sind der Wei-
Konsumtionen –, und zwar überall dort, wo das möglich terbau der Strecke von Gerolstein bis zur Anschlussstelle
und sinnvoll ist. Insofern sind wir, was diesen Einzelplan Kelberg und damit die Gesamtstrecke gesichert.
betrifft, auf einem sehr guten Weg. Ein Beispiel für die Staubeseitigung ist die A 3 im
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Raum Würzburg. Wer öfter auf der A 3 im Raum Würz-
burg unterwegs ist, kennt das Problem wahrscheinlich
(B) Ich komme zu einem anderen Sachverhalt, über den zur Genüge. Zwischen dem Autobahndreieck Würzburg- (D)
wir stark diskutiert haben. Der Finanzminister hat ge- West und der Anschlussstelle Heidingsfeld sind Staus an
meinsam mit der großen Koalition eine Blaupause vor- der Tagesordnung.
gelegt, was die Unternehmensteuerreform anbelangt.
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])
Zwischen der Unternehmensteuerreform und diesem
Etat besteht ein Zusammenhang; vielleicht ist er gar Um dieses Problems Herr zu werden, hat der sechsstrei-
nicht auffällig. Wir haben geplant, mit der Unternehmen- fige Ausbau des rund 8 Kilometer langen Abschnitts ab-
steuerreform den durchschnittlichen Steuersatz für Kapi- soluten Vorrang. Der Haushaltsausschuss hat daher die
talgesellschaften auf knapp unter 30 Prozent zu senken. dafür notwendigen Mittel bereitgestellt und damit Priori-
Momentan sind wir mit knapp 39 Prozent Schlusslicht; tät auf die Staubeseitigung gelegt. – Bei der Auswahl
mit knapp unter 30 Prozent lägen wir im Mittelfeld. Die haben wir solche Projekte bevorzugt, bei denen die bau-
Tatsache, dass wir die Steuern nicht noch weiter absen- rechtliche Genehmigung vorliegt oder in Kürze zu er-
ken müssen, dass wir uns nicht auf einen Wettbewerb warten ist, um sicherzustellen, dass wir diese Investi-
um die niedrigsten Steuern einlassen müssen, hat vor al- tionen auch wirklich in 2007 tätigen können.
len Dingen damit zu tun, dass wir in Deutschland über
eine hervorragende Infrastruktur verfügen. Dieser Etat Frau Winterstein, Sie haben gerade die Höhe der In-
ist Ausdruck dessen, dass wir diese Infrastruktur erhal- vestitionen beklagt. Wir haben im Haushaltsausschuss
ten wollen. Mit der Senkung der Steuersätze für Kapi- vorgeschlagen, die Investitionen im Einzelplan 12 um
talgesellschaften auf knapp unter 30 Prozent gelingt es insgesamt 200 Millionen Euro zu erhöhen, und das mit
uns, ins europäische Mittelfeld aufzurücken; im Wettbe- der Mehrheit der Koalition durchgesetzt.
werb um den attraktivsten Wirtschaftsstandort erlangt (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Mehrwert-
Deutschland aber einen Spitzenplatz. steuererhöhung, oder was?)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie der Erhöhung
von Investitionen im Haushaltsausschuss nicht zuge-
Wie Sie wissen, haben wir die Verkehrsinvestitionen
stimmt haben, hier aber sagen, wir sollten mehr tun. Das
für die Jahre 2006 bis 2009 bereits um 4,3 Milliarden
ist das Gegenteil von einer konsequenten Haushaltspoli-
Euro verstärkt. Wir haben das Investitionsvolumen dies-
tik, meine Damen und Herren von der FDP.
mal noch einmal angehoben. Für die Jahre 2007 bis 2009
stehen für die drei Verkehrsträger Schiene, Straße und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Wasserstraße insgesamt fast 9 Milliarden Euro dauerhaft Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Ausgleich für
sicher zur Verfügung. die Mehrwertsteuererhöhung, sonst gar nichts!)
6686 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Klaas Hübner
(A) Sie haben auch die LKW-Maut angesprochen. Das zugute, egal ob sie in Deutschland angemeldet sind oder (C)
Mautsystem – das sei an dieser Stelle noch einmal gesagt – aus dem Ausland kommen.
arbeitet seit seinem Start im vergangenen Jahr ohne Pro-
bleme. Alle drei Systeme zur Bezahlung – On Board Units, (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist
Internet und Mautterminals – stellen ihre Funktions- und falsch! Das ist keine Harmonisierung, Herr
Leistungsfähigkeit tagtäglich unter Beweis. Die Bean- Kollege!)
standungsquote von weniger als 2 Prozent bestätigt die
Die Bundesregierung hat daher vor kurzem zwei
Effektivität der Kontrolle. Außerdem sind in diesem Jahr
Maßnahmen zur Harmonisierung der Wettbewerbsbe-
die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen wor-
dingungen bei der EU-Kommission zur Notifizierung
den, auch Ausweichstrecken im Bundesstraßennetz
angemeldet.
bemauten zu können. Hiermit ist – ich wiederhole das – ein
zentrales Reformprojekt der Verkehrspolitik erfolgreich (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Eben! Deswe-
umgesetzt worden. gen ist es keine Harmonisierung!)
(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Unter Ein Baustein ist die Senkung der Kfz-Steuer für schwere
Schmerzen geboren!) Nutzfahrzeuge in einem Gesamtvolumen von rund
– Kollege Fischer, Sie sagen zu Recht, dass es unter 150 Millionen Euro. Der zweite Baustein ist ein Innova-
Schmerzen geboren wurde. tionsförderprogramm für umweltfreundliche LKW mit
einem Gesamtvolumen von 100 Millionen Euro. Das ha-
Bei dieser Gelegenheit spreche ich rückblickend ein ben wir so in den Bundeshaushalt eingebracht. Die Fi-
ausdrückliches Lob an die damals Verantwortlichen aus. nanzierung dieser rund 250 Millionen Euro für die Har-
Wie einfach wäre es gewesen, einen kurzfristigen politi- monisierung soll durch eine entsprechende sukzessive
schen Profit daraus zu schlagen, als die Probleme auftra- Anhebung der Mauteinnahmen erfolgen. Uns, der gro-
ten – sie wurden übrigens von der Industrie verursacht ßen Koalition, ist wichtig – das sage ich auch in Rich-
und nicht von der Politik –, tung Regierung –, dass wir die Erhöhung der Mautsätze
nur vornehmen, wenn es für das deutsche Speditionsge-
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Na, na!) werbe eine EU-rechtlich gesicherte Entlastung in ent-
populistischen Forderungen zu folgen und das Projekt sprechender Höhe gibt. Das erwarten wir so von der
sterben zu lassen? Das hat die Regierung damals nicht Bundesregierung.
getan. Sie ist beharrlich geblieben. Sie hat Beständigkeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
bewiesen. Sie hat das langfristige Projekt trotz der
(B) Schwierigkeiten nicht aufgegeben. Darum haben wir Zum Thema Forschung und Entwicklung. Das In- (D)
heute ein sehr erfolgreich arbeitendes System. novationsförderprogramm für umweltfreundliche LKW
ist ein Beispiel von vielen. Aus dem 6-Milliarden-Euro-
An die Adresse nicht nur, aber vor allen Dingen der Sonderprogramm der Bundesregierung für Forschung
Manager, die damals am Desaster zu Beginn dieses Pro- und Entwicklung erhält das Verkehrsministerium in den
jekts beteiligt waren, sage ich: Es ist manchmal ganz gut, Jahren 2006 bis 2010 jährlich je 50 Millionen Euro.
mit seiner Politik nicht nur auf kurzfristige Erfolge abzu-
zielen, nicht nur Quartalsberichte im Auge zu haben, Unter anderem wird daraus das Nationale Innova-
sondern auch das langfristige Wohl einer Maßnahme tionsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellen-
oder einer Unternehmung eines Staates zu berücksichti- technologie finanziert. Unsere Industrie, unsere Mobili-
gen. Hier kann Politik durchaus auch als Vorbild für die tät und unsere Wohnungen brauchen zunehmend eine
Managementetagen in diesem Land dienen. saubere und sichere – das bedeutet im Übrigen auch eine
unabhängige – Energieversorgung. Wir müssen die Ab-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
hängigkeit vom Öl reduzieren. Wasserstoff als Energie-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
träger ist ein Energielieferant der Zukunft. Es ist richtig,
DIE GRÜNEN)
dass wir die Forschungsmittel hierfür in diesem Etat,
Nach erfolgreicher Einführung der LKW-Maut liegt Herr Minister, verstärkt haben.
unser Augenmerk nun auf der Umsetzung von Harmoni-
sierungsmaßnahmen zur Entlastung des deutschen Gü- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
terkraftverkehrgewerbes. der CDU/CSU)

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Oh Gott! Noch ein Wort zur Bahn. Wir haben uns in der großen
Nicht schon wieder! Das arme Gewerbe!) Koalition darauf geeinigt, ein Eckpunktepapier zu be-
schließen und dem Deutschen Bundestag vorzulegen, in
Im Hinblick auf die Wettbewerbsbedingungen im euro- dem das Bundesministerium aufgefordert wird, ein ent-
päischen Güterkraftverkehr hatte der Bund dem Spedi- sprechendes Privatisierungsgesetz vorzulegen. Wir ha-
tionsgewerbe im Mai 2003 ein Harmonisierungsvolu- ben darin festgelegt, dass die Privatisierung noch in
men in Höhe von 600 Millionen Euro zugesagt. Zurzeit dieser Legislaturperiode erfolgen soll. Es gibt ein klares
wird dieses Harmonisierungsvolumen allein durch die Bekenntnis der großen Koalition zur Teilprivatisierung
Absenkung des durchschnittlichen Mautsatzes von 15 der Deutschen Bahn. Das, was wir im Koalitionsvertrag
auf 12,4 Cent pro Kilometer erreicht. Diese Absenkung vereinbart haben, findet hier noch einmal ausdrücklich
kommt wohlgemerkt allen LKWs auf unseren Straßen seinen Niederschlag.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6687
Klaas Hübner
(A) Die Infrastrukturverantwortung des Bundes muss beantwortet, ob das Geld sinnvoll eingesetzt wird oder (C)
umfassend gesichert werden. Private Investoren werden nicht. Wir wollen selbst ein Instrument in die Hand be-
nicht an den Infrastrukturunternehmen beteiligt. Das ist kommen – das muss auch in Ihrem Sinne sein –, um je-
ein Punkt, der uns sehr wichtig ist. Darüber hinaus soll des Jahr prüfen zu können, ob die Bahn die Gelder ent-
die DB AG die Möglichkeit erhalten, die entsprechenden sprechend der Vorgaben eingesetzt hat oder nicht. Dafür
Infrastrukturen bei sich zu bilanzieren. Denn bei der Su- haben wir im Rahmen dieser Haushaltsberatungen ge-
che nach einem privaten Investor ist eine gewisse Konti- sorgt. Das ist ein sehr positiver Aspekt.
nuität beim Trackrecord wichtig.
Dass wir einen unabhängigen Netzzustandsbericht im
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist Hinblick auf die Leistungs- und Finanzierungsvereinba-
doch Unsinn auf hohem Niveau, was Sie da er- rung brauchen, habe ich schon gesagt. Darüber hinaus
zählen!) haben wir aber nicht nur Verbesserungen auf der Strecke
vorgenommen, sondern wir haben auch neben der Stre-
Allein dadurch, dass wir eine Endschaftsregelung
cke etwas getan.
treffen, machen wir klar, dass die Infrastrukturunterneh-
men am Ende der Laufzeit an den Bund fallen und somit
Eigentum des Bundes sind. Ich denke, dass wir ein gutes Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Papier vorgelegt haben. Zentraler Punkt dieses Papiers Herr Kollege Hübner, erlauben Sie eine Zwischen-
ist die so genannte Leistungs- und Finanzierungsverein- frage der Kollegin Menzner von der Fraktion Die Linke?
barung. In der Leistungs- und Finanzierungsvereinba-
rung verpflichtet sich der Bund langfristig zur ausrei- Klaas Hübner (SPD):
chenden Finanzierung und die Bahn verpflichtet sich zur Sehr gerne.
umfassenden Erhaltung der Eisenbahninfrastruktur.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
NEN]: So wie es auch jetzt ist, oder?) Bitte schön.
Um Vereinbarungen über die zukünftige Qualität des
Netzes treffen zu können, muss man den Status quo ge- Dorothée Menzner (DIE LINKE):
nauestens kennen. Herr Kollege Hübner, Sie haben zu Recht auf den
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist das erstmalig gefassten Beschluss hingewiesen, dass die
Problem!) Bahn kapitalprivatisiert werden soll. Stimmen Sie mit
mir darin überein – dazu haben Sie sich nämlich nicht
(B) Deswegen hat der Haushaltsausschuss in eigener Regie geäußert –, dass im Entschließungsantrag festgelegt ist, (D)
einen Leertitel eingerichtet, damit der Bund die Erstel- in welcher Höhe staatliche Mittel auf lange Sicht an die
lung eines Netzzustandsberichts in Auftrag geben Bahn fließen sollen? Diese Zahl müsste doch auch hier
kann. Der bislang vorliegende Netzzustandsbericht ist zur Diskussion gestellt werden. 2,5 Milliarden Euro
lediglich eine inventarmäßige Darstellung des Netzzu- jährlich für eine Dauer von 10 Jahren sind schließlich
standes, die allein auf den Angaben der Deutschen Bahn ein sehr beachtlicher Betrag. Wie bewerten Sie als Mit-
AG beruht. glied des Haushaltsausschusses diese Regelung?
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da sind
wir uns einig!) Klaas Hübner (SPD):
Sehr geehrte Frau Kollegin, das wird nicht im Privati-
Aussagekräftige Informationen über den aktuellen Netz- sierungsgesetz geregelt, sondern in der Leistungs- und
zustand und eine Prognose der Entwicklung sind daher, Finanzierungsvereinbarung. Dort soll dieser Betrag fest-
zumindest für den Eigentümer, nur eingeschränkt mög- geschrieben werden. Die Verhandlungen zwischen den
lich. Vertretern des Ministeriums und denen der Bahn laufen
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Auch so- noch. Es gibt Bestrebungen, diesen Betrag möglicher-
weit einig!) weise degressiv anzusetzen.
Mit der Ausbringung eines neuen Titels im Einzel- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir haben
plan 12 soll ein Datenbank- und Auswertungssystem doch noch gar kein Gesetz!)
beschafft werden, das auf der Grundlage regelmäßiger
Aber durch diese 2,5 Milliarden Euro wird auf der einen
Messfahrten über das Streckennetz seine aktuelle Quali-
Seite im Hinblick auf unseren Haushalt für Planungssi-
tät und die Entwicklung seiner Qualität erfasst und aus-
cherheit gesorgt, dass wir darüber hinaus nicht weiter in
wertet.
Anspruch genommen werden. Auf der anderen Seite be-
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wer liefert kommt dadurch auch die Bahn die Planungssicherheit,
denn die Messdaten?) dieses Geld entsprechend verwenden zu können. Ich
denke, dass dadurch für beide Seiten Planungssicherheit
Dieses Datenbank- und Auswertungssystem wird mo- und Kontinuität gewährleistet werden. Darum bewerte
mentan schon von der Niederländischen Eisenbahn er- ich diese Vereinbarung als sehr positiv, Frau Kollegin.
folgreich eingesetzt. Unser Ziel ist, dafür zu sorgen,
nicht darauf angewiesen zu sein, wie unser Auftragneh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mer – derjenige, der das Netz bewirtschaftet – die Frage der CDU/CSU)
6688 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Klaas Hübner
(A) Ich komme auf die Verbesserungen zurück, die wir Roland Claus (DIE LINKE): (C)
neben der Strecke durchgeführt haben. Zunächst zur Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Lärmsanierung. Sie wissen, dass viele von uns in ihren Herren! Herr Bundesminister, lassen Sie mich nach der
Wahlkreisen immer wieder sehr viel mit dem Thema alten Rednerweisheit verfahren: lobend beginnen, kri-
Lärm zu tun haben. Das ist schon allein deshalb der Fall, tisch ausführen, optimistisch enden. Der Etat enthält
weil es in der Tat, was wir ja wollen, zu einem Zuwachs zweifelsohne den Ansatz eines echten Infrastrukturmi-
des Verkehrs auf der Schiene gekommen ist, vor allem nisteriums. Wenngleich wir inhaltlich vieles anders se-
im Gütertransportbereich. Das ist zum Teil mit Lärmbe- hen, ist er strukturell gut sortiert. Ihr Problem, Herr Mi-
lästigungen für die Anlieger verbunden. nister, ist: Man lässt Sie in Ihrem Kabinett nicht
Deswegen haben wir die Mittel für diesen Bereich be- Infrastrukturminister sein. Ich will auch nicht verhehlen,
reits im Haushalt für das Jahr 2006 um 50 Prozent, von dass wir eine ganze Reihe der Positionen in diesem Etat
50 Millionen Euro auf 75 Millionen Euro, erhöht. Die- unterstützen. Wir haben die Ableitung des Programms
sen Weg wollen wir nun weitergehen. Im Rahmen der „Stadtumbau West“ aus den Erfahrungen des Pro-
Haushaltsberatungen haben wir diesen Titel auf 100 Mil- gramms „Stadtumbau Ost“ und das Gebäudesanierungs-
lionen Euro erhöht. Das ist ein deutliches Signal an die programm mit eigenen Anträgen zum vergangenen und
Bürgerinnen und Bürger, dass wir ihre Ängste sehr ernst zu diesem Haushalt auch etwas forciert. Dennoch trägt
nehmen. Wir haben die für den Titel zur Lärmsanierung er die Handschrift der falschen Logik, die da heißt: Vor
zur Verfügung gestellten Mittel binnen zwei Jahren ver- den Aufschwung haben die Götter den Beton gesetzt.
doppelt. Ich denke, das zeigt, dass die Koalition die Be- (Beifall bei der LINKEN)
dürfnisse und Wünsche der Bürger kennt und etwas
Richtiges und Wichtiges tut. Ich will nun einige kritische Anmerkungen machen,
beginnend mit dem Thema, das mein Vorredner als letz-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
tes behandelt hat: So wenig Osten, Herr Bundesminister,
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen beson- war noch nie.
deren Bereich eingehen, der, wie es scheint, zunächst
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das glauben
einmal gar nichts mit diesem Einzelplan zu tun hat. Im
Sie ja selber nicht! – Zuruf von der SPD: Am-
Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir die Mittel
menmärchen!)
für den Titel GA „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ um 50 Millionen Euro erhöht. Dieser Wir haben gestern eine Bundeskanzlerin gehört, die es in
Titel ist beim Wirtschaftsminister etatisiert. Warum ist es einer ausführlichen Erklärung geschafft hat, nicht ein
trotzdem interessant, das hier zu erwähnen? Sechs Sieb- einziges Mal auf die Belange der neuen Bundesländer
tel dieses Etats sind festgeschrieben für die neuen Bun- einzugehen. Auch bei Ihnen, Herr Minister Tiefensee,
(B) desländer. Da Minister Tiefensee nicht nur der Minister (D)
erkennt man, wenn man etwas genauer hinschaut, wo die
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist, sondern vor Probleme liegen.
allem für den Aufbau Ost,
(Ingo Schmitt [Berlin] [CDU/CSU]: Er hat
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Kein doch noch gar nichts gesagt!)
Ministerauftrag!)
In Ihrer Rede zum Stand der deutschen Einheit haben Sie
ist es wichtig, das hier zu erwähnen. Mit diesem Titel ist sehr wohl und differenziert eine ganze Reihe von Proble-
es möglich, Investitionen gerade von kleinen und mittel- men angesprochen. Doch wenn ich das mit dem verglei-
ständischen Unternehmen zu fördern. Es ist der zielge- che, was Sie hier vor nicht allzu langer Zeit zur Einbrin-
naueste Wirtschaftsfördertitel für die neuen Bundeslän- gung des Haushaltes gesagt haben, muss ich sagen:
der. Dass wir hier eine Aufstockung vorgenommen Fehlanzeige, wenn es um Geld für die neuen Bundeslän-
haben, zeigt sehr deutlich, wie wichtig wir es nehmen, der geht. Die Probleme, Herr Minister, lassen sich halt
dass die neuen Bundesländer in ihrem Aufholprozess nicht weglächeln.
fortschreiten. Wir haben an dieser Stelle unsere Hausauf-
gaben gemacht. Ich glaube, dieser Etat ist ein guter Bau- Mein Vorredner hat hier erklärt, bei der Gemein-
stein zur Steigerung der Attraktivität des Wirtschafts- schaftsaufgabe sei ein Stückchen nachgebessert worden.
standortes Deutschland und Zur Wahrheit gehört jedoch, zu sagen, dass die GA-Mit-
tel vorher in einer Größenordnung von 15 Prozent stark
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja!) abgesenkt worden sind. Das trifft die neuen Bundeslän-
zur Bekräftigung der momentanen positiven wirtschaftli- der in erheblichem Maße.
chen Entwicklung. Daher werden wir diesem Etat zu- (Zurufe von der SPD)
stimmen. Ich kann Ihnen das Gleiche nur anempfehlen.
– Die Relationen, wie sich die GA-Mittel verteilen, sind
Vielen Dank. Ihnen doch gerade mitgeteilt worden; da muss ich doch
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) keine Nachhilfestunde leisten.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wir haben nach wie vor das Problem, dass nur 6 Pro-
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus von der
Fraktion Die Linke. zent der Industrieforschung in den neuen Bundeslän-
dern registriert werden. Wenn die EU-Kommission jetzt
(Beifall bei der LINKEN) meint, die neuen Bundesländer hätten wirtschaftlich auf-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6689
Roland Claus
(A) geholt, protestieren nicht nur wir als Linke gegen eine Sie vom finalen Fehler ab. Wir brauchen eine Bürger- (C)
solche Fehleinschätzung. Allerdings müssen wir Sie da bahn ohne Kollateralschaden.
einmal ein bisschen kritisieren: Sie dürfen die EU-Kom-
missare in den neuen Ländern nicht immer nur zu den (Beifall bei der LINKEN)
Leuchttürmen führen. Denn dann müssen sie an ihrem Jetzt will ich noch ein Wort zu den gestrigen Äuße-
Schreibtisch zu der Fehleinschätzung kommen, die Pro- rungen des Bundesministers über die Bußgelder sagen.
bleme hätten sich erledigt. Sie haben gestern ein sehr ernst zu nehmendes Thema
angesprochen und grobes Vergehen im Straßenverkehr
(Beifall bei der LINKEN) kritisiert. Das finden wir in Ordnung. Das Thema darf
Ich will etwas zur Bahnreform sagen. auch mit Populismus besprochen werden. Für diesen Po-
pulismus muss es aber bitte eine beschränkte Haftung
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lieber geben. Das Problem ist doch: Diesen Verkehrssündern
nicht!) sind nicht in erster Linie die Strafen zu gering, sondern
sie gehen davon aus, nicht erwischt zu werden. Deshalb
Herr Bundesminister, hier stehen Sie vor der Fehlent- brauchen wir effektivere Kontrollen. Setzen Sie sich da-
scheidung Ihrer Karriere. Nach dem, was wir mit Peter für ein, dass diese unsägliche 0,8-Promille-Regelung aus
Hartz hatten, wird die Bahnreform wohl keiner der Welt geschaffen wird und schaffen Sie einen besse-
„Mehdorn-Reform“ nennen wollen. Aber es geht auch ren ÖPNV! Um diese Lösungen geht es hier.
um Ihren Namen, Herr Minister. Wenn man sich den
Entschließungsantrag anschaut, den CDU/CSU und SPD (Beifall bei der LINKEN – Klaas Hübner
morgen zur Abstimmung bringen wollen, ist natürlich [SPD]: Die Regelung gibt es doch gar nicht
eines völlig klar: Hierbei handelt es sich um einen faulen mehr! Das ist doch schon längst erledigt! –
Kompromiss. Sie versuchen eine Quadratur des Kreises; Dr. Uwe Küster [SPD]: Na dann mal prost!)
denn Sie versuchen, völlig verschiedene Dinge irgend-
Ein letzter Punkt. Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
wie zusammenzubringen. Mit diesem Vorschlag werden
haben viel mit der Hauptstadt Berlin zu tun. Ich emp-
Sie kein zukunftsfähiges Bahnkonzept auf die Schiene
finde das Karlsruher Urteil zur Berliner Entschuldung
bringen.
als einen grandiosen Justizirrtum.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN)
neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) Wer das Niveau der Kultur einer Hauptstadt auf das
Niveau in einem durchschnittlichen Landkreis herunter-
Schauen Sie sich doch nur einmal die Umfragen an: sparen will, der hat schlicht nichts von der Zukunftsfä- (D)
(B) 71 Prozent der Bevölkerung wollen eine Bahn in der
higkeit dieser Aufgabe verstanden. Wir wollen auch
Hand des Staates. Nur 25 Prozent sind für eine Privati- nicht vergessen, dass alle zu finanzierenden Einrichtun-
sierung. Der Anteil der ersten Gruppe steigt. Die Leute gen in Berlin gewissermaßen doppelt existieren. Deshalb
haben nämlich begriffen, was es in Großbritannien ge- erinnere ich Sie an dieser Stelle daran, dass wir Ihnen
kostet hat, das privatisierte Netz gewissermaßen wieder vorgeschlagen haben, ein Berlin/Bonn-Beendigungsge-
zurückzuholen. setz einzubringen. Auch das hat sehr viel mit Verkehr,
(Zuruf von der SPD: Das wird doch gar nicht Bau und Stadtentwicklung zu tun.
privatisiert!) Ich hatte Ihnen versprochen, optimistisch zu enden.
Das will ich auch tun. Die Koalition hat im Haushalts-
Deshalb bieten wir Ihnen mit unserem Entschließungs-
ausschuss circa zwanzig Vorschläge unserer Fraktion
antrag eine Bahnreform ohne Privatisierung als die Lö-
übernommen. Natürlich hat sie sie zuerst abgelehnt und
sung für die Zukunft an.
dann mit eigenen Anträgen wieder aufleben lassen. Set-
(Beifall bei der LINKEN – Klaas Hübner zen Sie diesen Weg fort! Das wünschen wir Ihnen. Bei
[SPD]: Zurück zur Staatswirtschaft!) den Abstimmungen hier haben Sie eine ganze Reihe von
Gelegenheiten dazu. Dadurch haben Sie die Möglich-
– Früher sind die Leute Bahn gefahren, die sich kein keit, Ihren Haushalt wenigstens noch ein bisschen nach-
Auto leisten konnten. Heute fahren die Leute Auto, weil zubessern. Bitter nötig hat er es allemal.
sie sich die Bahn nicht mehr leisten können. Auch wir
wollen, dass die Bahn besser wird und es nicht so bleibt, (Beifall bei der LINKEN)
wie es ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Mathematik: fünf! – Das Wort hat jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb
Hans-Joachim Hacker [SPD]: Untergang des von der CDU/CSU-Fraktion.
Abendlandes! – Weiterer Zuruf von der SPD:
Platter geht es nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
– Wir werden uns an entsprechender Stelle auch über das
Thema Mathematik unterhalten können.
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU):
Herr Minister, Sie haben dennoch eine Chance. Alle Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
bisher denkbaren Fehler sind begangen worden. Lassen Herren! In der Koalitionsvereinbarung heißt es:
6690 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bartholomäus Kalb
(A) Wir erhöhen die Verkehrsinvestitionen. Der be- Mit dem Ergänzungsprogramm „Lückenschluss und (C)
darfsgerechte Erhalt und Ausbau von Straßen, Staubeseitigung“ wollen wir zumindest auf dem Gebiet
Schienen und Wasserstraßen wird gewährleistet. der Verkehrspolitik einen ersten, aber nicht unwichtigen
Schritt tun, um Antworten auf künftige Herausforderun-
Weiter heißt es:
gen geben zu können. In diesem Zusammenhang sei es
… werden wir im Zeitraum der 16. Legislatur- mir gestattet, auch den Staatssekretären Karl Diller und
periode die Investitionslinie der Bundesverkehrs- Achim Großmann ganz herzlich für die konstruktive Be-
wege deutlich erhöhen und verstetigen. gleitung unserer Beratungen und Bemühungen auf die-
sem Gebiet zu danken.
Mit dem jetzt zu verabschiedenden Verkehrsetat für
das Jahr 2007 haben wir dieses Ziel zwar noch nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
ganz erreicht, wir sind auf diesem Weg aber ein ganz ge-
Wir müssen die nach wie vor nur begrenzt zur Verfü-
waltiges Stück vorangekommen.
gung stehenden Mittel für Verkehrsinvestitionen ge-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zielt und flexibel einsetzen. Bei den Mitteln aus den
neten der SPD) Mauteinnahmen, die die VIFG verwaltet, steht uns ein
solches Instrument zur Verfügung. Erfreulicherweise
So konnten wir im Beratungsverfahren die Ansätze für konnten im laufenden Haushaltsjahr bereits Mittel zu-
Fernstraßeninvestitionen beachtlich erhöhen und mehr gunsten der Fernstraßeninvestitionen umgeschichtet
Mittel für den Lärmschutz an Schienenwegen bereitstel- werden.
len.
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Von wo?)
(Zuruf von der SPD: Wir haben sie verdop-
pelt!) – Von der Schiene. – Nach meiner Einschätzung müsste
es möglich sein, noch einmal einen beachtlichen Betrag
Kollege Hübner hat bereits darauf hingewiesen. umzuschichten.
Das erstmals aufgelegte Ergänzungsprogramm (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aha!)
„Lückenschluss und Staubeseitigung“ ist, wie er-
wähnt, mit 165 Millionen Euro Barmitteln und Ver- – Lieber Kollege Friedrich, es nützt nichts, wenn die
pflichtungsermächtigungen in Höhe von 255 Millionen Haushaltsansätze nur im Haushaltsplan stehen. Das Geld
Euro ausgestattet. Damit wollen wir sicherstellen, dass muss für Investitionen eingesetzt werden. Wenn das an
durch gezielte Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit bereits einer Stelle schneller möglich ist, dann ist es sinnvoll,
erfolgter Investitionen deutlich verbessert und der volks- diese Mittel dorthin umzuschichten.
(B) wirtschaftliche Nutzen insgesamt verstärkt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D)
Diesem Programm kommt aber eine sehr viel weiter neten der SPD)
reichende Bedeutung zu als die Frage, ob an der einen
Die Möglichkeit der Umschichtung sollte unbedingt
oder anderen Stelle schneller gebaut werden kann. Es
ergriffen werden, um die Mittelknappheit beim Fernstra-
gibt in Deutschland zurzeit etwa 45 Millionen erwerbs-
ßenbau so weit wie möglich zu mindern. Leider müssen
fähige Personen. Ab dem Jahr 2012 wird diese Zahl
immer wieder Baumaßnahmen künstlich verlangsamt
dramatisch sinken und bis 2030 auf 37 Millionen zu-
werden, weil die Mittelbereitstellung mit dem Baufort-
rückgehen. Diese Entwicklung wird unser Land und un-
schritt nicht mithalten kann.
sere Volkswirtschaft vor völlig neue Herausforderungen
stellen. Das gilt insbesondere für die Bereiche Schule, Wir sollten – wie es in der Koalition vereinbart ist –
Bildung und Ausbildung, aber in ganz besonderer Weise das Instrument, das uns die Verkehrsinfrastruktur-
auch für die Frage, wie wir uns unsere wirtschaftliche finanzierungsgesellschaft bietet, weiterentwickeln und
Tätigkeit und unsere Arbeitswelt sinnvoll, effizient und die VIFG mit weiteren Kompetenzen ausstatten und zu
rationell organisieren. einer voll leistungsfähigen Infrastrukturgesellschaft aus-
bauen.
Die Bedeutung von Verkehr und Kommunikation
wird dabei vermutlich noch dramatisch zunehmen. Da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
bei wird es notwendig sein, die verschiedenen Verkehrs- neten der SPD)
träger mit ihrem jeweils spezifischen Nutzen voll zur
Wir sollten einen Weg gehen, den andere Länder bereits
Geltung zu bringen und dem sicherlich weiter steigenden
erfolgreich beschritten haben. Ich denke, wir können auf
Mobilitätsbedürfnis von Mensch und Wirtschaft in einer
diesem Gebiet von unserem Nachbarland Österreich
immer stärker arbeitsteiligen Volkswirtschaft Rechnung
durchaus etwas lernen.
zu tragen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir werden es uns nicht mehr leisten können, flei-
ßige, tüchtige und leistungswillige Menschen unproduk- Lassen Sie mich ein paar Takte zum Thema Transra-
tiv in Staus stehen zu lassen und dabei auch noch erheb- pid sagen. Der Flughafen München verzeichnet ein au-
liche Umweltbelastungen zu verursachen. Unter diesem ßerordentliches Wachstum. Für 2015 werden 46,9 Mil-
Aspekt kommt dem in der Koalitionsvereinbarung for- lionen und für 2020 über 55 Millionen Passagiere
mulierten Satz „Der bedarfsgerechte Erhalt und Ausbau prognostiziert. Mit annähernd 30 Millionen Passagieren
von Straßen, Schienen und Wasserstraßen wird gewähr- und über 27 000 Arbeitsplätzen ist er schon heute der
leistet“ eine besondere Bedeutung zu. siebtgrößte Airport in Europa. Die fehlende Fernbahnan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6691
Bartholomäus Kalb
(A) bindung ist ein entscheidender Mangel, der sich nicht für 2007 gehen wir den Weg der Verstetigung der Inves- (C)
auf herkömmliche Weise beheben lässt. Mit dem Trans- titionen im Verkehrsbereich konsequent weiter. Der
rapid ist es möglich, die fehlende Fernbahnanbindung Einzelplan 12 ist nun einmal der Investitionshaushalt des
praktisch weitgehend zu substituieren. München braucht Bundes schlechthin. Wir konnten die investiven Ausga-
auf jeden Fall eine Non-Stop-Verbindung vom Haupt- benansätze im Beratungsverfahren noch erhöhen.
bahnhof zum Flughafen. Gleichzeitig gelingt es, die Nettokreditaufnahme zurück-
zuführen. Das ist außerordentlich erfreulich. Die Zeit der
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist wahr!)
Desinvestition und des Substanzverzehrs ist vorbei. Aus-
Die Magnetbahntechnologie ist in diesem spezifischen gaben für sinnvolle Investitionen dienen der Zukunfts-
Anwendungsfall das beste Verkehrssystem, das zurzeit sicherung. Der nun zur Verabschiedung anstehende Etat
zur Verfügung steht. bietet in den Bereichen Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung eine gute Grundlage und darüber hinaus viele An-
(Beifall bei der CDU/CSU) reize für privates Engagement.
Zugleich steht damit eine sinnvolle Anwendungsstrecke
Ich darf mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen
in Deutschland zur Verfügung. Eine solche Strecke ist
Berichterstatter für die gute Zusammenarbeit ebenso
unabdingbar notwendig, um der Transrapidtechnologie
herzlich bedanken wie für die gute Begleitung aus Ihrem
als deutscher Technologie zum Durchbruch zu verhel-
Haus, Herr Minister.
fen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wegen der besonderen industrie- und technologiepo- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
litischen Bedeutung – und nur deswegen – sind der Bund Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Hermann von
und wohl auch der Freistaat Bayern bereit und in der der Fraktion der Grünen.
Lage, eine Sonderfinanzierung sicherzustellen. Eine
Sonderfinanzierung für ein herkömmliches Rad-
Schiene-System, ob S-Bahn, Express-S-Bahn oder Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
MAEX genannt, könnte jedenfalls allein mit Mitteln des Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Bundes – Herr Minister, ich interpretiere das hoffentlich Herren! Wir haben jetzt vier Reden gehört, die sehr stark
richtig – nicht sichergestellt werden. Das wurde schon aus der Sicht der Haushälter gehalten wurden und in de-
hinlänglich geprüft. Jedes andere System müsste also nen sehr stark wirtschaftspolitisch argumentiert wurde.
aus der dem Freistaat Bayern zustehenden Quote nach (Otto Fricke [FDP]: Sehr vernünftig!)
dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und den Re-
(B)
gionalisierungsmitteln finanziert werden. – Das ist völlig vernünftig, aber nur ein Teil der Wahr- (D)
heit.
Weil es in München zum Teil anders kommuniziert
wird, sage ich ausdrücklich: Der Transrapid verdrängt (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eck-
keine anderen Nahverkehrsprojekte, wie irreführen- ardt)
derweise von bestimmter Seite behauptet wird. Im Ich möchte gerne eine weitere Dimension in die Betrach-
Gegenteil: Er schafft Spielraum für die Verbesserung des tung einbringen und mit einem Zitat beginnen:
S-Bahn-Systems in München und für andere Projekte in
ganz Bayern. Der Transrapid in München ist sinnvoll Die zweite große Herausforderung …
und notwendig. Das Projekt in München ist verkehrspo- – als die erste wird in diesem Text die Energieversor-
litisch, industriepolitisch und technologiepolitisch wich- gung der Welt beschrieben –
tig. Wir können damit unter Beweis stellen, dass wir
nicht nur Ideen haben und auf dem Gebiet von For- ist die Veränderung unseres Klimas. Ich glaube,
schung und Entwicklung hervorragend sind, sondern viele haben die Dimension dieser Herausforderung
dass wir auch die Ergebnisse im eigenen Land zur An- noch nicht in vollem Umfang verstanden.
wendung bringen können und in der Lage sind, daraus
Sie können klatschen. Das war Bundeskanzlerin Merkel
marktfähige und marktgängige Produkte zu machen.
erst gestern hier im Hause. Ich möchte also über die Di-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mensionen Klimaschutz und Treibhauseffekt in der
neten der SPD) Verkehrs- und Baupolitik sprechen.
Mit dem Transrapid steht und fällt zumindest teilweise In der Tat ist die Klimaveränderung zweifellos die
auch unser Anspruch, auch dann, wenn es darauf an- große Herausforderung, vor der wir stehen. Ich glaube,
kommt, ein innovationsfreudiges Land zu sein, und ob dass gerade dieser Einzelplan und dieses Ministerium
wir zu Recht den Anspruch erheben, ein Hightechland zur Lösung dieses Problems in entscheidendem Maße
zu sein. beitragen können, und zwar entweder dadurch, dass et-
was geschieht, oder dadurch, dass zu wenig geschieht.
Zum Börsengang der Bahn werden andere etwas sa-
gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit Blick auf die Uhr möchte ich abschließend be- Ein anderes Mitglied der Regierung, Umweltminister
merken: Mit dem Haushalt 2006 haben wir eine Trend- Gabriel, wird etwas konkreter. Er sagt, wir müssten es
umkehr eingeleitet. Mit dem nun zu beschließenden Etat zumindest bis 2020 schaffen, die Treibhausgasemissio-
6692 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Winfried Hermann
(A) nen in Deutschland um 40 Prozent zu reduzieren. Das ist sechs Litern Öl pro Quadratmeter zu heizen. Hier ist (C)
ein anspruchsvolles Ziel, das wir unterstützen. Wir ver- dringender Handlungsbedarf angesagt.
missen aber sowohl in diesem Einzelplan als auch insge-
samt bei den Haushaltsberatungen, dass diese Koalition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ein Konzept bzw. eine Strategie vorlegt, wie man die Ein anderes Feld: Verkehr. Im Verkehr werden
wirklich dringend notwendige Klimaschutzpolitik in den 20 Prozent der Treibhausgase ausgestoßen, EU-weit sind
Sektoren Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Ver- es sogar 25 Prozent. Zu Recht sagen die Automobilin-
kehr voranbringt. Die Frage ist also nicht, ob wir etwas dustrie und Teile der Koalition: Aber wir haben in den
tun – natürlich wird etwas getan, es gibt einzelne Pro- letzten Jahren doch auch Erfolge erzielt! – Ja, das haben
jekte; das will ich überhaupt nicht bestreiten –, die Frage wir, auch durch Rot-Grün übrigens. Zwischen 1999 und
ist, ob genügend getan wird und ob das mit dem strate- 2005 sind die Treibhausemissionen im Verkehr zurück-
gisch richtigen Ansatz geschieht. gegangen. Aber das ist immer eine Frage des Maßstabes.
Schaffen wir es, gemessen an den Emissionen von 1990
Ich möchte zunächst den Sektor Bauen und Wohnen
– das ist die Kiotoherausforderung –, ein Minus bei den
in Angriff nehmen. Ein Drittel der in Deutschland insge-
Treibhausgasemissionen von 21 Prozent zu erreichen?
samt verbrauchten Energie – und damit der Treibhaus-
Gemessen daran sind wir im Verkehrssektor weit weg
gasemissionen – geht auf den Bereich Wohnen/Heizen/
von den Zielen. Hier besteht wirklich Handlungsbedarf,
Kühlen zurück. Also ist klar: Wenn man Treibhausgas-
hier brauchen wir Vorschläge.
emissionen reduzieren will, muss man bei diesem Be-
reich anfangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir Grünen schlagen vor, dass wir europaweit Ver-
sowie bei Abgeordneten der SPD) brauchsobergrenzen für PKWs einführen. Es kann
doch nicht wahr sein, dass wir für jeden einzelnen
Ich möchte der Koalition einen Glückwunsch ausspre- Schadstoff europaweit klare, verbindliche Obergrenzen
chen, dass sie dieses Programm fortgesetzt hat. Glück- haben, aber dort, wo es um Klimaschutz geht, alles offen
wunsch an die CDU, dass sie bei der SPD das geschafft lassen. Im Prinzip kann jeder mit seinem Auto beliebig
hat, was wir nie geschafft haben, nämlich den Ansatz für viel Sprit verbrauchen. Es kann doch nicht wahr sein,
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm deutlich zu erhö- dass wir das alles der Freiwilligkeit überlassen. Wenn
hen! Offenbar waren Sie kräftiger als die kleinen Grü- man wirklich ambitionierten Klimaschutz im Verkehrs-
nen. Das erkennen wir wirklich an, auch wenn oftmals bereich will, muss man endlich europaweite Ver-
etwas anderes gesagt wird. brauchsobergrenzen einführen.
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D)
Aber selbst bei diesem erfolgreichen Programm gibt Die EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik
es Probleme. Inzwischen ist die Nachfrage so groß, dass Deutschland böte eine gute Chance, dieses Thema in
die Kreditbedingungen erschwert werden müssen. Der Europa nach vorn zu bringen. Denn eines ist natürlich
Minister hat erst unlängst gesagt, im Rahmen dieses Pro- klar: Das kann man nicht in Deutschland allein machen.
gramms seien insgesamt – wohlgemerkt – fast eine halbe
Million Wohnungen saniert worden. Das ist ein Erfolg. Was man aber in Deutschland machen kann, ist das,
Aber angesichts der Tatsache, dass in Deutschland rund was Sie auch laut Koalitionsvertrag einlösen wollen:
30 Millionen Wohnungen energetisch sanierungsbedürf- Dort haben Sie festgehalten – ein Blick genügt –, dass
tig sind, braucht man 60 Jahre, wenn man in dieser Ge- Sie die Kfz-Steuer reformieren wollen. Sie wollen end-
schwindigkeit weitermacht. Bei dieser Herausforderung lich das machen, was alle als umweltfreundlich preisen,
ist das einfach viel zu langsam! Also muss man neben nämlich die Bemessungsgrundlage von Kubikzentime-
dem Altbausanierungsprogramm noch andere Instru- tern Hubraum auf eine CO2-orientierte Basis umstellen.
mente entwickeln: Zum Beispiel sollten Sie endlich ei- Nichts ist geschehen. Das wäre doch etwas, das Sie end-
nen Energiepass auf den Weg bringen, mit dem vernünf- lich angehen und im Sinne von Klimaschutz vorantrei-
tige Anstöße zur energetischen Sanierung gegeben ben könnten. Hierzu warten wir auf Ihre Vorschläge.
werden. Sie haben lange gebraucht. 2008 kommt endlich
An der Stelle möchte ich etwas zum Dieselrußfilter
etwas, aber eher etwas Diffuses, das, so glaube ich, nicht
sagen. Ich frage mich wirklich, welchen Daimler die
wirklich weiterhilft.
CDU geritten hat, als sie dieses Projekt – das wirklich
Sie hätten die Möglichkeit, noch mehr zu tun. Die nicht sehr ambitioniert war – nach vielen Jahren des Dre-
Energieeinsparverordnung hat bei Neubauten deutlich hens und Wendens beim Aushandeln von Fördermitteln
bessere Standards gesetzt und den Ansatz des Energie- noch einmal aufgehalten und ins nächste Jahr verscho-
sparens bei Neubauten nach vorne gebracht. Wir als rot- ben hat. Sie sind damit quasi zum Schutzpatron des Die-
grüne Koalition haben es damals versäumt – die große sels ohne Filter geworden. Das kann doch nicht im Ernst
Koalition könnte das jetzt aufgreifen –, anspruchsvolle im Jahr 2006 Ihr Politikkonzept in Sachen Umwelt-
Zielwerte für die Altbauten zu entwickeln, damit wir in schutz beim Auto sein.
den nächsten zehn bis 20 Jahren von dem hohen Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
brauch von 20 bis 30 Litern Öl pro Quadratmeter und
Jahr herunterkommen, da wir doch wissen, dass es tech- Ich möchte noch etwas zum Thema Infrastruktur sa-
nisch und praktisch möglich ist, ein Haus mit fünf bis gen, weil die Kollegen das vielfach auch angesprochen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6693
Winfried Hermann
(A) haben. Natürlich ist Infrastrukturpolitik unter Klima- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
schutzgesichtspunkten interessant. Aber auch heute Das Wort hat der Herr Bundesminister Wolfgang Tie-
wurde noch manche alte Rede gehalten, bei der es nur fensee.
darum ging, wie viele Milliarden Euro investiert und wie
viele Projekte gebaut wurden, ohne danach zu fragen, ob (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
die richtigen Projekte realisiert, die richtigen Schwer- der CDU/CSU)
punkte gesetzt wurden.
Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Genau das Bau und Stadtentwicklung:
haben wir versucht zu präzisieren!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Wenn Sie einmal den Investitionsrahmenplan studie- Herren! Ich möchte wie meine Vorredner all denen ganz
ren, stellen Sie fest: Alle Wahlkreise der Direktkandida- herzlich Dank sagen – so viel Zeit muss sein –, die die
ten der großen Koalition sind bedient. Aber was ist das Haushaltsberatungen bis hierher begleitet haben. Wir ha-
für ein Kriterium? Eigentlich müsste man doch ganz ben sehr konstruktiv, zum Teil kontrovers diskutiert. Ich
andere Schwerpunkte setzen: Wenn wir mit dem Schie- bedanke mich für eine sehr inhaltsreiche, tief gehende
nenverkehr weiterkommen wollen, müssen wir die Debatte mit Ihnen.
Hauptachsen – beispielsweise die Rheintrasse – mit al- Worüber haben wir gestritten? Wir haben darüber ge-
lem Nachdruck ausbauen. Wenn ich feststelle, dass im- stritten, wie wir mit dem Einzelplan 12, einem der größ-
mer mehr Transportgüter über die Häfen kommen, muss ten Pläne im Bundeshaushalt, der Anforderung gerecht
der Anschluss an die Seehäfen Priorität haben. werden können, für mehr Wirtschaftskraft, mehr Ar-
beitsplätze, mehr Innovationen, mehr Technologieförde-
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
rung zu sorgen: Wie kann es uns gelingen, etwas für den
Wenn der Ost-West-Verkehr ständig zunimmt, muss eine regionalen und sozialen Zusammenhalt zu tun? Ich be-
entsprechende Maßnahme im Schienenverkehr Priorität haupte, dass der Einzelplan 12 einen sehr guten Beitrag
bekommen. Von nichts davon ist die Rede, stattdessen: zur Erreichung dieser Ziele im Jahr 2007 leistet. Dass
viel Geld für die U-Bahn durch den Thüringer Wald! das so ist, kann man nachweisen.
Wenn die wichtigen Achsen verpasst werden – ich halte (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
das für gravierend falsch –, dann ist das ungeschickt und
auch unter Klimaschutzgesichtspunkten wirklich nicht Wenn wir die Entwicklung in Deutschland insgesamt
zukunftsweisend. betrachten, so ist eines klar: Im Bereich Verkehr, Bauen
und Stadtentwicklung hat mein Ministerium in den letz-
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten Jahren wesentliche Impulse gegeben, auch auf dem (D)
Felde des Aufbaus Ost. So haben wir unseren Beitrag
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
dazu geleistet, dass es aufwärts gegangen ist. Wenn ich
Der Einzelplan 12 könnte eine Chance für mehr Klima-
das sage, vernachlässige ich nicht, festzustellen, dass es
schutz, für mehr zukunftsfähige Investitionen sein. So ist
natürlich auch die Wirtschaft und die Bürger in unserem
er das nicht geworden. Letztendlich ist er die Fortschrei-
Land gewesen sind, die diesen Aufschwung ermöglicht
bung des Bauens nach alten Maßstäben, obwohl biswei-
haben. Professor Rürup hat gestern auf einer Tagung ge-
len, in den besonderen Reden, gesagt wird: Ja, wir müs-
sagt, dass die Bauindustrie zum Teil schon in Kapazitäts-
sen im Sinne der Zukunftsfähigkeit umsteuern. Aber das
engpässe gerät, wenn alle flüssigen Mittel investiert wer-
ist wirklich nicht in genügendem Maße geschehen.
den sollen. Das ist ein Indiz dafür, dass es tatsächlich
Ich möchte noch einmal aus der Rede einer berühm- einen deutlichen Aufschwung gibt.
ten Naturwissenschaftlerin zitieren: Aus den Reihen der Opposition habe ich mit Erstau-
Nun können Sie sagen: Ob die Eiche in der Ucker- nen vernommen: Ein Masterplan „Güterverkehr und Lo-
mark eine Zukunft hat, ist nicht so wichtig. – In gistik“ ist eine Spinnerei des Ministers. Was soll das?
Portugal und Spanien aber stellt sich das Ganze Damit kann man sich nur in Sonntagsreden positionie-
schon anders dar. ren. – Auf der anderen Seite sagte der Herr Abgeordnete
Hermann – das kann ich nur voll unterstützen –, dass es
Dort vertrocknen die Wälder, anderswo wachsen die einer Strategie bedarf,
Wüsten und schmelzen die Eisberge. Das ist schon wich-
tig im Sinne von Klimaschutz. (Rainer Fornahl [SPD]: Richtig!)
mit der wir die Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungs-
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das mit
politik in den nächsten Jahren vorantreiben.
den Eisbergen hat sie aber nicht gesagt!)
Frau Winterstein, ich will es in aller Deutlichkeit sa-
Auch das hat Angela Merkel gesagt. Ich halte Ihnen von gen: Wir brauchen diese strategische Ausrichtung und
der Koalition schon Ihre eigenen wohlfeilen Sonntagsre- nicht nur eine Diskussion darüber, wo 1 Million Euro
den vor. Daran müssen Sie sich messen lassen. Wir er- fehlt. Ich plädiere nachhaltig dafür, dass wir uns – auch
warten, dass Sie Ihre Politik im Alltag umstellen. im Hinblick auf das, was Sie zum Klimaschutz und zum
Vielen Dank. Umweltschutz gesagt haben – in den Haushaltsdebatten
und in den Verkehrsgremien darüber unterhalten, wo wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Akzente setzen.
6694 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Wolfgang Tiefensee


(A) Es geht mir darum, dass wir uns in den europäischen nen in einer Hinsicht zustimmen: Wir brauchen nicht nur (C)
Kontext einbinden. Wir stehen kurz vor der Übernahme Beton, aber auch. Gerade wir, die wir in besonderer
der EU-Ratspräsidentschaft. Ab 1. Januar 2007 nehmen Weise mit den neuen Bundesländern verbunden sind,
wir Verantwortung für ganz Europa wahr. In einem ers- wissen, wie wichtig einerseits die Infrastruktur ist, also
ten Schritt werden wir zum Beispiel etwas dafür tun die neuen Straßen, auch die Schienenwege, wie wichtig
müssen, dass die Schieneninfrastruktur in Europa, also andererseits auch Investitionen in neue Technologien
auch in Deutschland, verbessert wird und dass wir zu ei- sind. Galileo zum Beispiel kommt den neuen Bundes-
ner Harmonisierung in diesem Bereich kommen: ländern genauso zugute wie den alten, momentan sogar
noch in stärkerem Maße; ich denke da etwa an Warne-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
münde oder an den Brandenburger Raum.
der CDU/CSU)
Lokführerschein, Fahrgastrechte, Liberalisierung des in- Wir investieren für den Osten. Ich nenne nur die Ver-
ternationalen Personenverkehrs. kehrsprojekte Deutsche Einheit 8.1/8.2, die Aufstockung
beim Stadtumbau Ost und dergleichen mehr. Um das
Dazu brauchen wir in unserem Haushalt zweierlei: auch an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich zu
sagen: Der Osten hat eine hohe Priorität im Einzel-
Erstens. Wir brauchen eine Verstetigung der Gelder
plan 12 und im Übrigen auch in den Haushalten meiner
für die Schiene. Frau Winterstein, Sie werden mir zu-
Kolleginnen und Kollegen am Kabinettstisch.
stimmen: Die Gelder für die Schiene werden – zwar
marginal, aber immerhin – aufgestockt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Zweitens. Wir brauchen eine starke Deutsche Bahn der CDU/CSU)
AG. Aus diesem Grund appelliere ich an das Hohe Haus
Wir investieren nicht nur in Galileo, wir investieren
und bitte die Damen und Herren Abgeordneten, dass wir
auch in das Wasserstoff- und Brennstoffzellenpro-
im nächsten Jahr, also 2007, zügig zu einer Entschei-
gramm. Das ist Strategie. Herr Hermann, ich denke, dass
dung kommen, durch die die Bahn als ein Wettbewerber
wir uns doch darüber einig sind: Nur dann, wenn wir mit
im nationalen und im europäischen Maßstab so aufge-
neuen Antriebssystemen, mit neuen Kraftstoffen sozusa-
stellt wird, dass sie diesen Wettbewerb gewinnen kann.
gen die Landschaft verändern, können wir die Heraus-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) forderungen in Europa bewältigen und die ehrgeizigen
Ziele einhalten, die wir uns gesteckt haben, zum Beispiel
Wir brauchen ein gutes Dienstleistungsunternehmen für das Ziel, den CO2-Ausstoß im Bereich des Wohnens pro
die Privatkunden und auch für die Unternehmen. Jahr um rund 1 Million Tonnen zu senken und das in
(B) (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Wie sieht es noch höherer Dimension auch im Verkehrsbereich zu (D)
bei der Straße aus?) schaffen. Nur dann, wenn wir neue Technologien einset-
zen, wenn wir intelligent mit den Verkehren umgehen,
– Bei der Straße ist es das Gleiche, Frau Winterstein. Der werden wir diese Ziele erreichen.
Einzelplan 12 steigt, wenn ich das richtig im Kopf habe,
von 23,7 auf 24,6 Milliarden Euro. Können wir das zu- Es geht also um Investitionen in neue Technologien.
nächst einmal festhalten? Die Investitionen im Einzel- Hier kann Deutschland Punkte sammeln.
plan 12 steigen von 12,4 auf 12,7 Milliarden Euro. Kön-
nen wir das festhalten? Wir beschäftigen uns in den nächsten sechs Monaten
unserer Ratspräsidentschaft auch mit der Stadtentwick-
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Nein!) lungspolitik. Dazu haben wir im Einzelplan 12 ebenfalls
Das ist doch ein Anstieg. deutliche Akzente gesetzt. Ich bin ein Stück stolz darauf,
dass wir darauf einen Schwerpunkt gelegt haben. Frau
Jetzt geht es darum, innerhalb dieses Volumens von Winterstein, das können Sie im Haushalt auch ablesen.
12,7 Milliarden Euro eine Akzentsetzung vorzunehmen. Dem Mittelstand kommt nicht nur zugute, wenn wir in
Wir haben beispielsweise beim Verkehrsträger Schiene die Straße oder in die Schiene investieren; dem Mittel-
zugelegt. Ich habe hier darum geworben, dass wir auch stand kommt gleichermaßen zugute, wenn wir die Bau-
bei der Binnenwasserstraße, die in der Vergangenheit industrie voranbringen. Auch in dem Bereich setzen wir
vernachlässigt worden ist, zulegen. So wollen wir von mit dem Einzelplan 12 eine hervorragende Entwicklung
2006 bis 2010 durchschnittlich 150 Millionen Euro mehr der letzten Jahre fort.
dafür ausgeben, weil wir davon überzeugt sind, dass das
gut angelegtes Geld ist. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Das
eine Beispiel ist das schon angesprochene CO2-Gebäu-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten desanierungsprogramm. Natürlich wünschte sich ein
der CDU/CSU – Jan Mücke [FDP]: Geben Sie Bundesbauminister noch mehr Geld, aber wir müssen
nun mehr oder weniger aus?) auch die Balance halten zwischen dem, was im Haushalt
Wir beschäftigen uns mit neuen Technologien. Auch möglich ist, also dem, was wir in den Investitionshaus-
das gehört zur Strategie in Deutschland und in Europa. halt stecken können, und dem, was erforderlich ist.
Wir müssen die Technologieführerschaft beibehalten.
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Herr Claus, wenn Sie diese Investitionen als „Beton“ NEN]: Deswegen habe ich noch andere Maß-
abtun und meinen, das sei nicht nötig, dann kann ich Ih- nahmen vorgeschlagen!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6695
Bundesminister Wolfgang Tiefensee
(A) Ich könnte mir vorstellen, dass wir dann, wenn es uns im Auch wenn wir jetzt also erst einmal nur hoffen können, (C)
Laufe der nächsten fünf oder zehn Jahre noch besser ge- dass sich steigende Steuereinnahmen in Form eines Auf-
hen sollte, in diesen Bereich besonders investieren. wuchses des Verkehrshaushaltes niederschlagen, meine
ich doch, dass wir auch schon mit dem Haushalt, wie er
Wir haben das CO2-Gebäudesanierungsprogramm im jetzt vorliegt, sehr gut auskommen können.
Jahr 2006 aufgestockt und erreichen damit, dass der Mit-
telstand eine Finanzspritze bekommt, die zu neuen Ar- Ich bedanke mich noch einmal für die konstruktive
beitsplätzen führt. Wir senken die Emissionen. Wir erhö- und gute Zusammenarbeit.
hen die Energieeffizienz und tun so auch etwas dafür, Vielen Dank.
hoffe ich, dass beim Mieter etwas davon ankommt, näm-
lich in Form einer Ersparnis bei den Nebenkosten. Das (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
ist ein gutes Programm, das wir fortsetzen wollen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für die FDP-Fraktion hat Horst Friedrich das Wort.
Frau Winterstein, wir haben auch wieder zugelegt bei (Beifall bei der FDP)
solchen Programmen wie „Stadtumbau Ost“, „Stadtum-
bau West“, „Soziale Stadt“ und beim städetebaulichen
Denkmalschutz, den wir, wie Sie wissen, in den nächsten Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP):
Jahren auch auf Westdeutschland übertragen wollen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Minister Tiefensee, trotz all der
Das alles sind Impulse, die sowohl etwas für die Le- Freude, die in der großen Koalition seit gestern ausge-
bensqualität in den Städten bringen, als auch ihre Wir- brochen ist – Blumensträuße im Plenarsaal und Getränke
kungen auf den Mittelstand, insbesondere für die Bau- am Abend –, möchte ich doch am heutigen Tag die Gele-
industrie, entfalten werden. genheit ergreifen, aus verkehrspolitischer Sicht eine Bi-
lanz von einem Jahr Minister Tiefensee zu ziehen. Ich
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme habe Ihnen, Herr Minister, bei meiner ersten Rede zuge-
zurück zum Verkehrsbereich. Die Investitionen in die sagt, dass ich Sie an Ihren Taten und nicht an Ihren Wor-
transeuropäischen Netze bringen große Herausforde- ten messen will. So komme ich zu dem Eindruck, der
rungen für uns mit sich. Nach meinem Dafürhalten gibt es sich immer mehr verfestigt, dass Sie in der Verkehrspoli-
in diesem Bereich insofern ein Defizit, als die Europäi- tik nach dem Motto „Bleiben Sie mir mit Ihren Ratschlä-
sche Union ein ungenügendes Finanzvolumen für die zu- gen vom Hals, ich habe meine Entscheidung bereits ge-
sätzlichen Verkehrsverbindungen, die jetzt zwischen Ost troffen“ handeln.
(B) und West aufgrund der Erweiterung der Europäischen (D)
Union zusätzlich gebraucht werden, vorgesehen hat. Wir (Beifall bei der FDP – Rainer Fornahl [SPD]:
leisten sowohl mit dem Bundeshaushalt als auch mit den Damit hat er doch Recht!)
Länderhaushalten unseren Beitrag für den Ausbau der Ich kann Ihnen das auch im Detail erklären, liebe Kol-
Verkehrskorridore. Ich nenne als Beispiel das TEN- legen von der SPD und von der Union. Das wird Sie
Projekt 17 Paris–Bratislava und das TEN-Projekt 1, den dann sicherlich in gewisser Weise treffen.
Korridor zwischen Berlin und Palermo. Zugleich werden
wir aber darum kämpfen müssen, dass wir einen mög- Lassen Sie mich exemplarisch mit einer Meldung aus
lichst großen Anteil der von der Europäischen Union für dem Hause Tiefensee von gestern beginnen. Die Über-
die transeuropäischen Netze vorgesehenen Mittel für schrift lautete: „Bußgelder für Verkehrsrowdys werden
Deutschland akquirieren, weil Deutschland zunehmend erhöht“.
zur Drehscheibe bzw. zum Durchgangsbahnhof und zur (Zuruf von der SPD: Jawohl! Prima!)
Durchgangsstraße für Europa wird. Aus diesem Grund
fahren wir die Strategie, unsere Investitionen auf die Fla- Der Minister geht in dieser Meldung sogar auf Einzel-
schenhälse der langen Strecken zwischen Ost und West, heiten ein. In einer Meldung von der derzeit stattfinden-
aber auch zwischen Nord und Süd zu konzentrieren. Ich den Verkehrsministerkonferenz heißt es dagegen:
hoffe, dass wir die dafür vorgesehenen Mittel in Zukunft
Einzelne Länder empörten sich nach der Sitzung
weiter verstetigen können.
über Tiefensee, weil er den neuen Bußgeldrahmen
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) öffentlich aus der Tasche gezogen habe. „Über Zah-
len ist in der Konferenz überhaupt nicht gesprochen
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich anemp- worden“ …
fehle Ihnen den Einzelplan 12. Natürlich kann man sich
immer noch mehr Geld wünschen. So hoffe ich, dass Zitiert wird dort nicht ein Vertreter der Opposition, son-
sich die Steuereinnahmen so günstig entwickeln, dass es dern der Verkehrsminister von NRW, Herr Wittke. Diese
auch in den nächsten Jahren möglich sein wird, Herr Haltung wurde auch heute in der Abschlusskonferenz
Hübner, noch etwas draufzulegen. Damit würden wir ja von Frau Junge-Reyer und Herrn Wittke noch einmal be-
auch den Forderungen von Frau Winterstein noch mehr stätigt.
entgegenkommen. (Zuruf von der SPD: Stimmt doch gar nicht!)
(Zuruf von der FDP: Frau Dr. Winterstein! So Ihre Verkehrspolitik krankt genau an dem Problem,
viel Zeit muss sein!) dass Sie alleine entscheiden. So haben Sie auch beim
6696 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Horst Friedrich (Bayreuth)


(A) Thema Bahn tagelange Anhörungen zugelassen, hinter- Jetzt sagt der Herr Minister, wir müssten prüfen, ob (C)
her aber ein Resümee gezogen, das den Verlauf der An- die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft kre-
hörungen gar nicht abbildet und die Aussagen von ditfähig sei. Davon hört man nichts mehr. Das Problem
90 Prozent der Fachleute, die sich in der Anhörung zu ist: Sie kann nur kreditfähig und maastrichtkonform
Wort gemeldet haben, gar nicht berücksichtigt. Das sein, wenn Sie für diese Gesellschaft die Möglichkeit ei-
scheint Sie im Zweifel gar nicht zu interessieren. Sie zie- gener Einnahmen schaffen. Das wird aber wahrschein-
hen ein Modell aus der Tasche, das der Herr Kollege lich nicht funktionieren. Deswegen ist da Schweigen im
Hübner „Eigentumssicherungsmodell“ nennt. Allerdings Walde.
habe ich noch niemanden in Deutschland getroffen, der
das so hätte erklären können, dass es tatsächlich funktio- Das ist das eigentliche Prinzip Ihrer Politik: Sie kün-
niert. digen an, nehmen etwas zurück und hinterlassen das
große Chaos. Bei Rot-Grün war man wenigstens ge-
Ich will aber noch zu einigen anderen Zahlen kom- wohnt, dass sie einen Gesetzentwurf vorgelegt haben,
men. Herr Minister, Sie sagen dauernd, die Verkehrs- der nicht gestimmt hat, woraufhin sie nach dem Prinzip
wegeinvestitionen seien verstetigt worden. Ich habe hier Nachbesserung verfahren sind. Zumindest war ein Ge-
die Istzahlen von Rot-Grün und die Sollzahlen von setzentwurf vorhanden.
Schwarz-Gelb vorliegen.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
(Dirk Niebel [FDP]: Schwarz-Rot!) DIE GRÜNEN]: Sehnen Sie sich nach Rot-
– Rot-Schwarz; Entschuldigung, Herr Generalsekretär. Grün?)

(Dirk Niebel [FDP]: Das wäre ja schön gewe- Sie kündigen Gesetze nur an und im Endeffekt weiß nie-
sen!) mand mehr, wohin es gehen soll.

– Ja, das wäre besser; dann hätten wir weniger Probleme. Die Flugsicherung ist dafür ein weiteres beredtes
Beispiel. Sie schaffen es noch nicht einmal, einen verfas-
(Beifall bei der FDP) sungskonformen Gesetzentwurf vorzulegen, der das be-
Sie sind 2007 bei den Mitteln für den Straßenbau selbst inhaltet, was Sie nach Europarecht umsetzen müssen.
hinter Ihrem eigenen Haushaltsansatz von 2006 um fast Das ignorieren Sie. Wir müssten ein Bundesamt für
300 Millionen Euro zurückgeblieben. Selbst wenn Sie Flugsicherung schaffen. Dafür werden Beamte benötigt.
die 165 Millionen Euro, die Sie mühsam erarbeitet ha- 15 Mitarbeiter sind bereits eingestellt. Ich frage Sie,
ben, hinzurechnen, bleiben Sie unter Ihren Ansätzen von Herr Minister: auf welcher Gesetzesgrundlage? Es gibt
2006. Außerdem, Herr Minister, müssen Sie dazusagen, ja kein Gesetz, denn der Bundespräsident hat es angehal-
(B) dass das Bauen ab nächstem Jahr teurer wird – um ten. Auf welcher Grundlage zahlen Sie eigentlich das (D)
3 Prozentpunkte Mehrwertsteuer. Jede Bauleistung, die Gehalt für diese 15 Mitarbeiter? Es wird doch wohl noch
Sie ausschreiben, kostet mehr Geld. Ich sage Ihnen vo- erlaubt sein, dass die Opposition die Regierung bittet,
raus: Diese 165 Millionen Euro reichen vielleicht gerade sich auf der Gesetzesgrundlage zu bewegen.
dazu aus, die Mehrwertsteuererhöhung auszugleichen; (Beifall bei der FDP und der LINKEN)
aber Sie können nicht einen Meter Verkehrswege zusätz-
lich bauen. Das ist, leider Gottes, die Realität. Das nächste Problem, das auf Sie zuzukommen droht,
ist, dass die Länder am Freitag im Bundesrat Ihr famoses
(Beifall bei der FDP) Planungsvereinfachungsgesetz anhalten, nicht wegen
Nun zum Thema Maut. Der Herr Kollege Hübner der Planungsbestandteile, sondern wegen des enthalte-
war begeistert, wie das System funktioniert. nen Energierechts. Wenn das passiert, Herr Minister, be-
kommen Sie zum Jahresende ein Problem. Bis dahin
(Rainer Fornahl [SPD]: Stimmt doch!) müssten Sie das Gesetz nämlich noch ins Gesetzblatt
Die Frage, die sich stellt, ist doch: Warum, Herr Kollege bringen, damit das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
Fornahl, hat die Bundesregierung dann trotzdem noch gungsgesetz ersetzt werden kann. Auch das ist eine Peti-
nicht die endgültige Betriebserlaubnis erteilt? Woran tesse, die Sie vielleicht nicht interessiert, die aber zumin-
hängt das? Das System ist nach wie vor nicht mit der dest in der Bilanz des ersten Jahres bemerkenswert ist.
Zertifizierung „endgültige Betriebserlaubnis erteilt“ aus- (Beifall bei der FDP)
gestattet. Irgendetwas muss doch an dem System nicht
stimmen, ganz zu schweigen davon, dass es zwar eine Nun kommen wir zu meinem Lieblingsthema, der
Cashcow ist – jeden Monat wird erneut eine Mehrein- Deutschen Bahn.
nahme aus der Maut bejubelt –, aber das Geld im Ver-
(Zurufe von der SPD: Oh!)
kehrsbereich offensichtlich nicht ankommt.
Es ist schon famos: Da tagen Tag und Nacht jede Menge
(Zuruf des Abg. Georg Brunnhuber [CDU/
Koalitionskreise auf Fachebene und auf Ministerebene;
CSU])
es wird zusammengebunden und es gibt dieses und jenes
Der § 11 Mautgesetz, Herr Kollege Brunnhuber, den die Ergebnis. Aber man kann sich nicht einigen. Das, wo-
Union bis zur letzten Bundestagswahl hier immer wieder rüber man sich nicht einigen kann, schreibt man dann
zitiert hat, wird offensichtlich nicht umgesetzt. Kein ein- auf, nennt das Ganze „Eckpunkte“ und fordert den Mi-
ziger zusätzlicher Euro aus den Einnahmen kommt bei nister krampfhaft auf, daraus ein Gesetz zu machen. Das
den Verkehrswegen an. kann nur Murks werden. Denn wenn man sich nicht auf
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6697
Horst Friedrich (Bayreuth)
(A) das, was man will, einigt, dann kann auch der Minister Schiffe oft das Problem, auf Grund zu laufen. Wenn das (C)
nichts machen, es sei denn, er macht das, was er schon passiert, verlässt der Kapitän normalerweise als Letzter
immer wollte, das Schiff. In Ihrem Falle wäre es angebracht umzudre-
hen. Das wäre für die deutsche Verkehrspolitik wahr-
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
scheinlich kein Schaden.
DIE GRÜNEN)
Danke sehr.
nämlich einen Börsengang à la Mehdorn. Dieses Ding
nennt er dann Eigentumssicherungsmodell. (Beifall bei der FDP)
Wenn Sie schon der Opposition und den Experten in
den Anhörungen des Bundestages nicht glauben, Herr Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Minister, sind Sie vielleicht wenigstens geneigt, dem Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat Norbert Kö-
Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung zuzuhören, nigshofen.
der ja nicht unbedingt in dem Geruch steht, der FDP
nahe zu stehen. Ich darf einmal vorlesen, was dieser Norbert Königshofen (CDU/CSU):
Managerkreis zur Zukunft der Bahn veröffentlicht hat: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach-
Der Managerkreis schlägt vor, die Transportgesell- dem nun unser Hauptsprecher Kalb in seiner hervorra-
schaften der Deutschen Bahn AG schnell, sozialver- genden Rede die Grundzüge unserer Politik dargelegt
träglich und vollständig in privates Eigentum zu hat, möchte ich auf zwei Einzelaspekte eingehen, die so-
überführen, den Verkaufserlös einem Sondervermö- wohl verkehrspolitisch als auch haushaltspolitisch von
gen zuzuführen und aus dessen Zinsen für das Schie- großer Bedeutung sind. Zum einen ist das die Teilkapi-
nennetz den verbleibenden Investitionsbedarf … zu talprivatisierung der Deutschen Flugsicherung. Da geht
decken. es immerhin um Einnahmen des Bundes von über
1 Milliarde Euro. Zum anderen ist das die weitere Ent-
Da kann ich nur sagen: Diesem Vorschlag kann sich die wicklung der Deutschen Bahn AG, die der Kollege
FDP nahtlos anschließen. Ich bin einmal gespannt, wie Friedrich auch schon angesprochen hat.
Sie darauf reagieren und ob Sie auch diesen Vorschlag
ignorieren. Nun haben wir am 23. Oktober die Mitteilung des
Bundespräsidenten erhalten, dass er das mit breiter
Ein weiterer Punkt: Mehrheit beschlossene Gesetz zur Neuregelung der
Nicht rechtfertigen kann sie ihre Ansprüche an den Flugsicherung nicht unterschreibt. Er begründet das da-
Staat, wenn sie die Verzinsung des eingesetzten Ka- mit, dass das Gesetz mit Art. 87 d Abs. 1 des Grundge-
(B) pitals im wesentlichen aus noch wirksamen Renditen setzes nicht vereinbar ist. (D)
des Regionalverkehrs und schienenfremden Beteili- Die Entscheidung des Bundespräsidenten verdient
gungen wie Schenker und Bax Global erwirtschaftet. unseren Respekt.
Was ist der neue Weg der Bahn? Herr Mehdorn hat (Beifall bei der LINKEN)
sehr deutlich gemacht, dass er mit frischem Geld zukau-
fen möchte: die Hamburger Hafengesellschaft, den Nah- Aber wir können auch feststellen, dass damit die Teil-
verkehr in Prag und kapitalprivatisierung nur angehalten, aber nicht grund-
sätzlich verhindert worden ist. Denn das Votum des
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundespräsidenten richtet sich nicht gegen die Kapital-
NEN]: Die transsibirische Eisenbahn!) privatisierung an sich. Er spricht vielmehr davon, dass
die Schienen in Riga. Er möchte die Bahn zum weltweit das geltende Grundgesetz eine solche Privatisierung
größten Luft- und Seetransportunternehmen machen. nicht erlaube.
Das kann er alles tun. Die Frage, die sich aber stellt, ist:
(Heidi Wright [SPD]: So ist es!)
Muss der deutsche Steuerzahler dafür haften?
Der Bundespräsident zeigt in der Begründung seiner Ab-
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
lehnung die gangbaren Wege auf. Wir können also seine
DIE GRÜNEN)
Begründung als Richtschnur und seine Einwände als
Das ist aber genau das, was Sie uns vorschlagen. Sie Leitlinie für unser weiteres Vorgehen nehmen.
können um Himmels willen doch nicht erwarten, dass
Es geht einerseits darum, die verfassungsrechtlichen
wir tatenlos zusehen und diesen Weg mitgehen.
Argumente des Bundespräsidenten sorgsam zu prüfen
(Beifall bei der FDP) und Folgerungen daraus zu ziehen, und andererseits da-
rum, wie wir das gesteckte Ziel doch noch erreichen. Die
Außerdem, Herr Minister, haben die Länder heute
Gründe waren ja für die überwältigende Mehrheit des
aufgezeigt, dass sie mit der Grundstückszuordnung bei
Hauses stichhaltig und sie bleiben es. Ich darf sie ganz
der Deutschen Bahn offensichtlich nicht einverstanden
kurz zusammenfassen: Es geht um die Stärkung der
sind. Wenn Sie aber die Länder nicht auf Ihrer Seite ha-
Leistungsfähigkeit und der Effizienz der Flugsicherung.
ben, dann bekommen Sie überhaupt nichts mehr durch.
Es geht um die Befähigung der DFS, die Flugsicherung
Herr Minister, zum Schluss kurz und knapp: Sie ha- über den nationalen Rahmen hinaus zu optimieren, und
ben das Schiff Verkehrspolitik ohne Lotsen leider in ex- um die Stärkung des Luftverkehrstandortes Deutschland,
trem flaches Wasser geführt. In diesen Gefilden haben indem die DFS am erwarteten Konsolidierungsprozess
6698 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Norbert Königshofen
(A) in Europa teilnehmen kann. Es geht um die Erweiterung Dies ist ein Kompromiss mit drei wesentlichen Eck- (C)
der Finanzierungsmöglichkeiten der DFS, ohne den punkten: Die Infrastruktur soll zukünftig im alleinigen
Bundeshaushalt zu belasten, und um die Befreiung der Eigentum des Bundes bleiben.
DFS von Beschränkungen der Bundeshaushaltsord-
(Beifall der Abg. Renate Blank [CDU/CSU])
nung, um im zukünftigen internationalen Wettbewerb
und in der internationalen Zusammenarbeit handlungsfä- Die DB AG soll die Infrastruktur auf eine begrenzte Zeit
hig zu sein. bewirtschaften und die Möglichkeit erhalten, die Infra-
struktur zu bilanzieren.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist der
Herr Kollege Königshofen, würden Sie eine Zwi- Unsinn!)
schenfrage der Kollegin Menzner zulassen? – Ob das Unsinn ist, Herr Friedrich, ist eine andere
Frage.
Norbert Königshofen (CDU/CSU): (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber immer.
Richtig ist aber: Der Teufel steckt im Detail. Es gibt in
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Du bist aber der Tat viele Juristen, die sagen, das sei die Quadratur
großzügig!) des Kreises.
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ja!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wie auch immer, ich will für die Union festhalten, dass
Bitte schön. das Eigentum Vorrang hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND-
Dorothée Menzner (DIE LINKE): NIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Königshofen, verstehe ich Sie richtig, Das heißt, wir wollen über das Eigentum verfügen kön-
dass Sie sagen wollten, dass die große Koalition, da die nen. Wir wollen, dass weiterhin keine Streckenstillle-
Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung in gung ohne Zustimmung des Bundes erfolgt; denn eine
der vorgesehenen Form nicht mit dem Grundgesetz ver- solche Frage landet immer wieder bei den Politikern.
einbar ist, die Überlegung hegt, einfach das Grundgesetz Wir wollen keinen Verkauf von Grundstücken ohne Zu-
zu ändern? stimmung des Bundes. Wenn Erlöse anfallen, wollen
wir, dass diese wieder als Mittel des Bundes in das Netz
(B) Norbert Königshofen (CDU/CSU): fließen. Wir wollen keine Schuldenaufnahme in Bezug (D)
auf das Netz ohne Zustimmung des Bundes. Wir wollen
Frau Menzner, das würde ich so nie sagen. Wir wollen
weiterhin eine Mitsprache des Bundes bei der Verwen-
vielmehr sehr sorgfältig prüfen, welche Wege möglich
dung der Mittel, die der Bund jährlich zahlen soll. Es
sind. Es gibt ja vielleicht auch Möglichkeiten, das Ziel geht also nicht darum, der Bahn global irgendwelche
der Privatisierung ohne eine Grundgesetzänderung zu er- Milliardenbeträge zu geben; 2,5 Milliarden Euro stehen
reichen, indem man sich die Aufgaben genau anschaut ja zur Diskussion. Wir wollen vielmehr, dass sehr wohl
und sie eventuell aufteilt. Das muss geprüft werden, viel- darauf geachtet wird, wo das Geld bleibt, wie das bisher
leicht auch mithilfe eines Gutachtens. Ich würde nie vor- der Fall war.
schnell, aus der Hüfte schießend, das Grundgesetz än-
dern wollen. Das ist immer die Ultima Ratio. Wir wollen – um es deutlich zu sagen – keine wie
auch immer geartete und auf welchen Umwegen auch
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der immer erfolgende Bedienung der Rendite der Privat-
FDP) aktionäre, wie das in manchen Zeitungen befürchtet
wird.
Meine Damen und Herren, es gibt darüber hinaus eu-
roparechtliche Vorgaben, die wir beachten müssen. Da (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Tja!)
gibt es die European-Single-Sky-Verordnung und das Dafür wollen wir keine Bundesmittel bereitstellen.
Open-Sky-Urteil des Europäischen Gerichtshofes.
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das Pro-
Alles in allem ist dies Grund genug, auf diese Heraus- blem ist aber, dass es in der Bilanz der Bahn
forderungen zu reagieren und die Teilkapitalprivatisie- steht!)
rung weiterhin auf die Tagesordnung zu setzen.
Bei einer möglichen Nichtverlängerung des Bewirt-
Das zweite Thema ist von seinen Ausmaßen her noch schaftungsvertrages, Herr Friedrich, wollen wir, dass wir
bedeutender; da geht es in der Tat um viele Milliarden. allenfalls diejenigen Mittel der Bahn ersetzen, die sie für
Ich meine die Teilkapitalprivatisierung der Deutschen die Infrastruktur aufgewendet hat. Richtig ist, dass wir
Bahn AG. Es gibt dazu einen Entschließungsantrag der einen kurzen, überschaubaren Zeitraum der Bewirt-
großen Koalition, der wohl morgen zur Abstimmung schaftung wollen. Es kann nicht sein, dass wir einerseits
vorliegt. eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung von
zehn Jahren und andererseits einen Bewirtschaftungsver-
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist der trag von vielleicht 20 Jahren beschließen. Das muss
eigentliche Skandal!) schon zusammenpassen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6699
Norbert Königshofen
(A) Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch etwas Grund- Es muss weiterhin geklärt werden, wer das Risiko des (C)
sätzliches sagen. Die Bahn AG plant in „Europa und internationalen Engagements trägt. Ein Engagieren in
anderswo“ – so das wörtliche Zitat – Investitionen in der Welt, auf dem Weltmarkt birgt Chancen, aber auch
Milliardenhöhe. Die „Welt“ meldet am 15. November: Risiken. Wir wollen nicht, dass der Bundeshaushalt
„Bahn plant milliardenschwere Expansion“. Die „Süd- diese Risiken trägt.
deutsche Zeitung“ vom 8. November berichtet, Mehdorn
plane Zukäufe in Europa: „Investitionen bis zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
12,5 Milliarden Euro sollen die internationale Expansion bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
vorantreiben“. Dann die „Westfälische Rundschau“, GRÜNEN)
10. November: „Unser Zukunftsmarkt sind die vereinig-
ten Staaten von Europa und die Landbrücke Richtung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Osten.“ Die „FAZ“ von heute berichtet über Pläne der Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Bahn: „Von Köln nach Schanghai oder von Berlin nach
Peking“. Dann noch eine ganz aktuelle kleine Meldung:
Norbert Königshofen (CDU/CSU):
Der ICE-Halt am Bahnhof Düsseldorf-Flughafen wird
gestrichen. Ich komme zum Ende. – Sowohl unseren Verkehrsmi-
nister als auch unseren Finanzminister – beide Häuser
Meine Damen und Herren, so stellen wir uns natürlich haben das Unternehmen Bahn AG bisher immer freudig
die Bahnpolitik der Zukunft nicht vor, unterstützt – möchte ich deswegen zu erhöhter Wach-
samkeit auffordern. Größte Sorgfalt wird geboten sein
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bei dem Privatisierungsgesetz, damit wir hinterher nicht
neten der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/ mit Zitronen gehandelt haben.
DIE GRÜNEN)
dass wir in Europa und anderswo Milliarden ausgeben, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
dass aber beispielsweise wegen fünf Minuten Aufent- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
halts und Abbremsen – der Bahnhof wurde eigentlich
genau dafür gebaut, dass der Flughafen angebunden Norbert Königshofen (CDU/CSU):
wird – das Halten am Bahnhof Düsseldorf-Flughafen Ich komme zum Schluss und sage: Die Bahn soll
ausgeschlossen wird. Immerhin sind im letzten Jahr groß, stark und mächtig werden, natürlich. Sie soll sich
220 000 Fluggäste mit der Bahn nach Düsseldorf ge- behaupten. Aber, meine Damen und Herren, wir haben
kommen. Das ist ein Fünftel aller Fluggäste, die Düssel- dafür zu sorgen, dass das Geld des Steuerzahlers ver-
(B) dorf hatte. Wenn also die „Westfälische Rundschau“ am nünftig ausgegeben wird und vor allen Dingen einem (D)
10. November schreibt, „Bahn baut in Asien und bremst dient, nämlich der Mobilität der Bürger hier in Deutsch-
zu Hause“, dann kann das nicht unsere Politik sein. Das land.
will ich einmal deutlich sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
neten der SPD – Beifall bei der FDP, der LIN-
KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wir haben ja eine große Einkaufsliste: Übernahme Die Kollegin Heidrun Bluhm, Die Linke, hat das
osteuropäischer Staatsbahnen, Übernahme von Stadtver- Wort.
kehren in Prag, Stockholm und Lyon, größter Coup: ge-
meinsam mit russischer Bahn eine Transsibirien-Land- (Beifall bei der LINKEN)
brücke zwischen Asien und Europa – so nachzulesen.
Wäre die DB AG ein privates Unternehmen, dann würde Heidrun Bluhm (DIE LINKE):
ich sagen: Bravo, nur zu! Sie könnte auch 30 Milliarden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Euro oder meinetwegen auch das Dreifache verbauen. Herr Minister, ich erinnere mich gern an Ihre gestrige
Nur, die DB AG ist immer noch ein bundeseigenes Un- Rede auf der Jahrestagung der Wohnungswirtschaft in
ternehmen, manche sagen: ein Staatskonzern. Sie ist ein Berlin, in der Sie den ganzheitlichen städtebaulichen
Staatskonzern, den wir seit 1994 immerhin mit Ansatz Frankreichs gelobt haben, ein Ministerium für
34 Milliarden Euro entschuldet haben, der seitdem – laut Bau und sozialen Zusammenhalt geschaffen zu haben.
„Welt“ vom 8. November – 213 Milliarden Euro Sub- Frankreich hat nach den brennenden Vorstädten in Paris
ventionen erhalten hat, der heute schon wieder unmittelbar, konsequent und richtig reagiert, auch mit ei-
21,2 Milliarden Euro Schulden hat, und das bei einem ner Reform der Ministerien. Ich habe Ihre bewundern-
Eigenkapital von 7,5 Milliarden Euro. Hier wäre also zu- den und leuchtenden Augen gesehen, als Sie darüber
nächst einmal eine Entschuldung angesagt. Jedenfalls sprachen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle die volle
muss eines klar sein: Für die Expansion in den Osten Unterstützung der Fraktion Die Linke zusichern, wenn
gibt es keinen Cent aus Steuermitteln. Sie in der Bundesrepublik Deutschland eine solche oder
ähnliche Reform der Ministerien anstreben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD – Beifall bei der FDP und dem (Beifall bei der LINKEN – Horst Friedrich
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [Bayreuth] [FDP]: Wenn das hilft!)
6700 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Heidrun Bluhm
(A) Bereits in meiner letzten Rede zum Haushalt habe ich nicht zuletzt auf die Gebäude und ihre Eigentümer bezo- (C)
Ihnen Vorschläge der Fraktion Die Linke unterbreitet, gen.
die in diese Richtung zielen. Unsere Vorschläge können
Positiv bewerten wir, dass ab 2007 die Priorität auf
Sie im Protokoll nachlesen. Ich möchte zukünftig lieber der Förderung öffentlicher Bauten liegen soll. Allerdings
Ihre strahlenden Augen genießen als brennende Straßen verstehen wir, Die Linke, die Förderung der öffentlichen
in Berlin sehen. Bauten in erster Linie als Förderung der Wohnungsbe-
Nun aber zum Haushaltsplan des Jahres 2007. Die de- stände der öffentlichen Hände und auch der öffentlichen
mografische und die wirtschaftliche Entwicklung wer- Bauten der Kommunen, der Kreise und der Städte und
den künftig, bis zum Jahr 2030, insbesondere in den nicht – wir vermuten allerdings, dass das so ist – als Ei-
neuen Bundesländern rasante Veränderungen bei der genförderung der Bundesbauten.
Stadtentwicklung mit sich bringen. Deshalb ist die allge- (Beifall bei der LINKEN)
meine Städtebauförderung – das gilt für viele Jahre,
auch über 2009 hinaus – in Ost und West unverzichtbar, 2006 zeigt, dass der Bedarf weitaus größer ist als an-
sie ist aber nicht überall gleich gut umsetzbar. genommen. Deshalb begrüßen wir die überplanmäßige
Ausgabe für dieses Jahr. Wir verstehen diese – Herr
Im Westen werden die Förderung von Konversionsflä- Claus hat es bereits gesagt – als faktische Umsetzung un-
chen und Industriebrachen sowie die Modernisierung eini- seres abgelehnten Antrages. Wenn das immer so funktio-
ger Großwohnsiedlungen erforderlich. Der Schrump- niert, dann wäre das sicher auch ein Weg. Erlauben Sie
fungsprozess wird im Westen nur partiell und erst viel mir die Bemerkung, dass Die Linke in ihrem Antrag
später erfolgen als im Osten. Eine erfolgreiche Städte- nicht ganz falsch gelegen haben kann. Deswegen fordern
bauförderung im Osten kann aber trotzdem Vorbild sein. wir wiederum eine Aufstockung der Mittel für das CO2-
Herr Minister, hier haben Sie in Ihrem Vortrag nicht Gebäudesanierungsprogramm um 200 Millionen Euro
richtig argumentiert. Sie haben in diesem Haushalt eine auf insgesamt 480 Millionen Euro.
Absenkung der Ostförderung um 19 Millionen Euro zu- (Beifall bei der LINKEN)
gunsten des Westens vorgenommen. Sonst hätten wir un-
seren Änderungsantrag auf Rücknahme dieser Absen- Nun zur Altschuldenhilfe. Im Jahresbericht der Bun-
kung nicht einreichen müssen. Wir sind der Auffassung, desregierung 2006 zur Deutschen Einheit wird auf
dass der erhöhte Westansatz im Haushalt gerechtfertigt 325 Wohnungsunternehmen hingewiesen, die mehr als
ist. Wir schlagen aber vor, die ursprünglich vorgesehe- 15 Prozent Leerstand verwalten. Das ist bei 1 060 ost-
nen Ansätze für die Förderung im Osten beizubehalten. deutschen Wohnungsunternehmen im GdW ein Drittel
Somit fordern wir, dass die 19 Millionen Euro Ostförde- der gesamten Mitgliedschaft. Wir waren für die konse-
quente und richtige Lösung, die vorsah, die Altschulden-
(B) rung wieder hinzukommen. befreiung komplett durch die Übernahme der Verbind- (D)
In Ihrem Haushaltsentwurf bleibt leider auch die Ant- lichkeiten durch den Bund zu regeln. Auch der GdW
wort auf die Frage nach der Entwicklung des ländlichen spricht wie wir offen über fiktive Schulden aus der
Raumes auf der Strecke. Wir begrüßen aber die Aufsto- DDR, genauso wie es Altkanzler Kohl tat, und der wird
ckung des Programms „Soziale Stadt“. Das entspricht es schon wissen.
unserem Ziel. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Oh! Das
Ebenfalls hoffnungsfroh stimmt uns Ihre Sichtweise sind ganz neue Töne!)
auf die Wohnungsbaupolitik der öffentlichen Hand, Wenn Sie schon die generelle Altschuldenentlastung
Herr Minister. Ihre Aussagen, dass der Staat die Verant- nicht finanzieren wollen oder können, dann hätten wir
wortung für diejenigen Bürgerinnen und Bürger über- erwartet, dass wenigstens unser Antrag zur Aufstockung
nehmen muss, die aus finanziellen Gründen nicht in der der Mittel akzeptiert würde. Nur so kommen aus unserer
Lage sind, ihre Miete allein zu zahlen, und dass die Sicht der Abriss und der Stadtumbau nicht ins Stocken.
Wohnung für uns ein hohes Sozialgut ist und bleiben Allein in Mecklenburg-Vorpommern haben wir vor, bis
muss – neben Bildung, Arbeit und Gesundheit –, begrü- 2009 30 000 Wohnungen zurückzubauen. Davon wurden
ßen wir. nach vier Jahren erst 10 600 Wohnungen zurückgebaut.
Eine der Ursachen dafür liegt darin, dass die Altschul-
Offenbar ist es Ihnen vorerst gelungen – Sie betonten denhilfe nicht rechtzeitig kommt und dass sie für viele
„vorerst“ –, Ihren Ministerkollegen Steinbrück zu über- Unternehmen gar nicht zur Verfügung steht. Letztlich
zeugen. Nun heißt es, dranzubleiben und aufzupassen, können die städtebaulichen Ziele nicht erreicht werden.
auch auf Ihren Kollegen Steinbrück, damit der Woh-
nungsmarkt nicht für REITs geöffnet wird. Die Fraktion Unsere Forderungen kennen Sie. Wir haben sie mit
Die Linke und selbst große Teile der SPD werden Ihnen entsprechenden Anträgen untersetzt. Aus diesem Grunde
dabei zur Seite stehen; denn wir wissen schon heute, möchte ich Ihnen als Fazit zusammenfassen: Trotz posi-
dass Rendite und Daseinsvorsorge in dieser Frage nie- tiver Ansätze im Einzelplan 12 haben Sie kein Optimum
mals zusammenpassen, es sei denn, es geht um die Er- erreicht und ihre Möglichkeiten nicht ausgenutzt, posi-
zielung einer „Stadtrendite“ im Sinne des Gemeinwohls. tive, nachhaltige, ökologische und soziale Investitions-
politik zu machen. Deshalb werden wir den Einzel-
Wir alle stellen gemeinsam fest, dass das CO2-Ge- plan 12 ablehnen.
bäudesanierungsprogamm eine Erfolgsstory ist, und Danke schön.
zwar sowohl auf die Bauindustrie als auch auf den Ar-
beitsmarkt, das Kiotoprotokoll, die Betriebskosten und (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6701

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: rung Akzente zu setzen. Das ist, wie ich glaube, nicht zu (C)
Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Uwe verkennen.
Beckmeyer.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Die Politik, die wir formuliert haben, spiegelt sich
der CDU/CSU)
auch im Haushalt wider. Wir wollen schadstoffarme Mo-
toren fördern. Wir wollen das Kraftfahrzeuggewerbe
Uwe Beckmeyer (SPD): dazu anhalten, weiterhin solche Motoren zu produzieren.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wir wollen den Güterkraftverkehr anhalten, solche Mo-
Herren! In einer Haushaltsdebatte ist es üblich, dass sich toren und LKW-Züge, die die Euro-5-Norm erfüllen, zu
die Opposition in gewohnter Weise mit dem Haushalt kaufen. Wir wollen im Bereich des Wohnungsbaus durch
auseinander setzt. Dass es zwischen der ersten und der unser CO2-Programm im großen Stil einen Beitrag zur
zweiten und dritten Lesung gewaltige Änderungen im Reduzierung der Treibhausgase in Deutschland leisten.
Haushalt des Verkehrsministeriums gab, haben Sie in Insofern haben wir einen wichtigen Punkt erreicht, der
keiner Weise erwähnt. Das ist bedauerlich, weil ein sol- deutlich werden lässt, dass der Verkehrshaushalt ein
cher Prozess dadurch geprägt ist, dass sich das Parla- Schlüsselhaushalt und damit ein Zukunftshaushalt ist.
ment einbringt und Akzente setzt. Die Akzente, die ge-
setzt worden sind, überhaupt nicht zu erwähnen, sondern Wir geben mit dem Verkehrshaushalt eine Mobilitäts-
einfach auszublenden, ist unparlamentarisch. Das ist ein garantie. Wir leisten mit dem Verkehrshaushalt einen
starkes Stück. wichtigen Infrastrukturbeitrag im Hinblick auf die Stadt-
entwicklung und einen wichtigen Beitrag zur Stärkung
Wir haben in der zweiten und dritten Lesung eine des Standortfaktors Wirtschaft in der Bundesrepublik
Neuakzentuierung vorgenommen. Wir haben bei den Deutschland insgesamt.
Mitteln für Straßenbauinvestitionen deutlich zugelegt.
Insofern sind die Mittel, die wir einsetzen, mit deutli-
Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben bei
chen Signalen besetzt. Durch den Einsatz dieser Mittel
den Mitteln für den aktiven und passiven Lärmschutz
erzielen wir inzwischen Wirkungen sowohl auf dem Ar-
deutlich zugelegt.
beitsmarkt als auch im Hinblick auf die Konjunktur. Das
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CO2-Programm zum Beispiel ist ein Konjunkturpro-
der CDU/CSU) gramm, dessen Wirkung nicht zu unterschätzen ist
Wir haben bei der CO2-Reduzierung eine Stabilisierung (Iris Gleicke [SPD]: Das ist richtig!)
der Mittel erreicht, die wichtig ist. Ich denke, dass solche
(B) Elemente von der Opposition zur Kenntnis genommen und das sich in Deutschland inzwischen in der Fläche (D)
derart entfaltet hat, dass man nur sagen kann: Chapeau,
werden müssen.
das ist toll!
In Ihren Reden heißt es am Ende immer: Skandal, Be-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
trug, fauler Kompromiss oder was auch immer. Das sind
der CDU/CSU)
aber keine Resümees für einen Haushalt, der im Grunde
als Scharnier zwischen der Bundesrepublik Deutschland Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist in diesem Zusammen-
und der privaten Wirtschaft in Deutschland bei der Infra- hang nicht zu unterschätzen.
strukturfinanzierung wirkt. Dieser Haushalt sucht sei-
nesgleichen, erst einmal aufgrund seiner Größe, aber Nun möchte ich noch etwas zur Infrastruktur insge-
auch aufgrund seiner Funktion. Diese Funktion – die Be- samt sagen. Jede Million Euro und jede Milliarde Euro
deutung für die Wirtschaftsförderung, für die Konjunk- zählen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass
tur und die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt – der Verkehrshaushalt auch in den Haushalten der kom-
bitte ich zu berücksichtigen. menden Jahre kräftig gefüllt sein wird. Deshalb sage ich:
Mit den Mitteln des Verkehrshaushalts unterhalten wir
Ich denke, vor diesem Hintergrund muss auch gegen- ein Verkehrsnetz, das in Mitteleuropa seinesgleichen
über der Öffentlichkeit klar gemacht werden, dass die sucht. Dieses Verkehrsnetz ruft danach, unterhalten zu
Weichenstellung des Verkehrshaushalts ganz entschei- werden. Natürlich ist aber auch die eine oder andere Er-
dend ist für wirtschaftliches Wachstum, für die Schaf- gänzung notwendig. Aus Raumerschließungsgründen
fung von Arbeitsplätzen und für die Fortsetzung des müssen Verkehrsinvestitionen in Neubaustrecken in der
konjunkturellen Aufschwungs in der Bundesrepublik, Bundesrepublik Deutschland notwendigerweise ermög-
die wir dringend benötigen. licht werden.
Diesem Haushalt kommt auch an einer anderen Im Hinblick auf die Bundesautobahnen und die Bun-
Schnittstelle große Bedeutung zu – das ist vorhin bereits desstraßen haben wir bereits etwas unternommen. Jetzt
ansatzweise beleuchtet worden –: im Bereich der Um- wenden wir uns den Bundeswasserstraßen zu, ob es sich
weltpolitik. Im Zusammenhang mit der CO2-Reduzie- um Schleusenanlagen handelt, die ergänzt oder ersetzt
rung müssen wir feststellen, dass die zwei größten werden müssen, oder um wichtige Ausbaumaßnahmen,
Emittenten, die es in der Bundesrepublik neben der In- die in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen
dustrie gibt, die Sektoren Verkehr und Wohnen, zu die- wären. Das Gesamtvolumen des Bruttoanlagevermö-
sem Politikbereich gehören. In diesem Haushalt wird gens, um das es geht, beträgt in der Bundesrepublik
sehr viel auf die Beine gestellt, um bei der CO2-Reduzie- Deutschland, aufgeteilt auf die verschiedensten Ver-
6702 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Uwe Beckmeyer
(A) kehrsträger, 1 Billion Euro. Das hat einen Wert an sich, Deshalb sollte die Opposition die vorliegenden Anträge (C)
der unterhalten und gepflegt werden muss. noch einmal fachlich beurteilen. Ich glaube, wenn Sie
das täten, könnten Sie dem Ganzen zustimmen.
Insofern ist festzuhalten, dass das meiste Geld inzwi-
schen gar nicht mehr in Neubauten gesteckt wird, son- Ich möchte zum Schluss noch etwas ansprechen, was
dern dass ein sehr großer Batzen unseres Haushalts in uns umtreibt. Nach den letzten Nachrichten – der Kollege
die Unterhaltung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur Friedrich hat es angesprochen – wird das Infrastruktur-
fließt. Aus diesem Grunde ist darauf hinzuweisen, dass planungsbeschleunigungsgesetz möglicherweise im
konjunkturelle Erwägungen auch hier eine wichtige Bundesrat von einigen Bundesländern kritisiert werden.
Rolle spielen. Von vielen wird ja befürchtet, dass wir in Die nötige Mehrheit ist nicht unbedingt garantiert. Ich
der ersten Hälfte des kommenden Jahres einen konjunk- möchte von dieser Stelle aus die Länder und die Verant-
turellen Abschwung haben werden. Davon abgesehen, wortlichen in den Landesregierungen ausdrücklich auf-
dass ich nicht glaube, dass das eintreten wird: Wir wer- fordern, sich dieser Frage noch einmal ausführlich zuzu-
den im nächsten Jahr in verstärktem Maße in Unterhal- wenden.
tungsmaßnahmen investieren, gerade im Hinblick auf Eine solche Infrastrukturplanungsbeschleunigung ist
Straßen und Brücken. Das wird konjunkturell von Nut- für die Bundesrepublik – im gesamten Land soll die Pla-
zen sein und helfen, negative Effekte auszugleichen. Wir nungsbeschleunigung einheitlich geregelt werden – von
werden dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. elementarer Wichtigkeit. Falls nun einige Bundesländer
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meinten, aus der Finanzierung der Anschlüsse der Wind-
der CDU/CSU) energieanlagen, insbesondere der Windenergiefelder im
Offshore-Bereich, ein Thema machen zu können, das
Ein Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die das ganze Gesetzgebungsverfahren anhält, wäre das eine
DB AG. Wir haben in diesem Zusammenhang morgen ganz schlimme Entwicklung.
einige Abstimmungen durchzuführen. Es gibt einen ge-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
meinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen, mit dem
der CDU/CSU)
die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzent-
wurf für eine Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Erstens – –
Bahn AG vorzubereiten. Ich sage bewusst: Teilkapital-
privatisierung. Weshalb? Weil draußen in den Landen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ankommt, wir würden hier im Parlament über eine Pri-
vatisierung der Deutschen Bahn reden. Fakt Nummer Herr Kollege, ich fürchte, das Zweitens können Sie
schon nicht mehr vortragen.
(B) eins ist: Die Deutsche Bahn wird weiterhin im Besitz des (D)
Bundes bleiben.
Uwe Beckmeyer (SPD):
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dann sind Erstens ist die Sache an sich schlimm, zweitens wäre
wir Eigentümer, aber nicht Besitzer!) dies ein völlig fatales Signal bezüglich der Modernisie-
Wir werden mit 51 oder 50,1 Prozent weiter Mehrheits- rung der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik
Deutschland. Es würde eine Gefährdung von Technolo-
aktionär der Deutschen Bahn AG bleiben. Fakt Nummer
gien bedeuten, die wir weltweit vermarkten können.
zwei ist: Die Koalition ist sich darüber im Klaren, dass
die Gesellschaften, die die Infrastruktur – Netz, Bahn-
höfe und Stationen, Energie – betreiben, 100-prozentiges Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Eigentum der Bundesrepublik Deutschland bleiben sol- Kommen Sie bitte zum Schluss.
len. Auch das muss man deutlich unterstreichen. Was
wir wollen, ist, dass der integrierte Verkehrskonzern Mo- Uwe Beckmeyer (SPD):
bilitätskonzern DB AG auf diesen Infrastrukturnetzen
produzieren kann. Dass auf diesen Netzen auch Gewinne Ja. – Diese Ressource wird gerade auch in den nord-
erwirtschaftet werden können, ist selbstverständlich. deutschen Bundesländern von Schwarz, von Rot und
Dass für privates Kapital, das in die Holding gegeben von Grün befürwortet.
wird, von diesen Gewinnen eine entsprechende Rendite Meine Herren Ministerpräsidenten, ich kann an Sie
gezogen werden kann, ist, denke ich, selbstverständlich. wirklich nur appellieren: Tun Sie dies nicht, sondern
stimmen Sie diesem Gesetz im Bundesrat zu.
Wir, der Deutsche Bundestag, haben nichts anders vor
– das sage ich all denen, die etwas anderes behaupten – Herzlichen Dank.
als eine Teilkapitalprivatisierung, mit dem klaren Prä,
dass wir die Bundesbeteiligung an den Infrastrukturun- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
ternehmen der Deutschen Bahn AG wichtig nehmen.
Wir werden kein Volksvermögen verschleudern und wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
werden die Infrastruktur nicht dem Kapitalmarkt gewis- Ich erteile Enak Ferlemann, CDU/CSU-Fraktion, das
sermaßen zum Fraße vorwerfen; das muss man hier ein- Wort.
mal ganz deutlich festhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) neten der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6703

(A) Enak Ferlemann (CDU/CSU): Kraftanstrengung auf dem Transportmarkt. Für das Sys- (C)
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten tem Schiene und für die Globalisierung wäre es aber si-
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! cherlich sinnvoll, dies offensiv anzugehen.
Wir leben in einer spannenden Zeit, die durch Europäi-
1994 haben wir im Deutschen Bundestag gemeinsam
sierung und Globalisierung gekennzeichnet ist, die die
beschlossen, die Bahn zu reformieren: Erstens wollten
wesentlichen wirtschaftlichen Entwicklungen vorantrei-
wir mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Zweitens
ben.
wollten wir den Bundeshaushalt dadurch nachhaltig ent-
Ein wesentlicher Sektor ist hierbei der Verkehrs- lasten.
sektor. Dort wird eine der zentralen Fragen der Zukunft
beantwortet werden müssen: Wie wollen wir die Mobili- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: So ist es!)
tät in Zukunft organisieren? Steigende Gütermengen und Als Instrument dafür wollten wir mehr Wettbewerb im
steigende Anforderungen an Transport- und Logistik- System Schiene.
leistungen sind Ausdruck von zusammenwachsenden
Märkten. Hierauf muss das in Europa zentral gelegene (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ja!)
Land Deutschland reagieren. Es muss daher Ziel der
Nach dem Grundgesetz trägt der Bund die Verantwor-
Politik sein, alle Chancen, die die Europäisierung und
tung für die Infrastruktur. Dies müssen wir auch weiter-
die Globalisierung mit sich bringen, zu nutzen. Dabei
hin gewährleisten, indem wir Mittel für den Ausbau und
müssen wir die Lissabonstrategie, also die Wachstums-
den Erhalt der Schienenverkehrsinfrastruktur bereitstel-
strategie der Europäischen Union, und die Göteborgstra-
len. Bis zu 4 Milliarden Euro an Bundesmitteln stehen
tegie, also die so genannte Nachhaltigkeitsstrategie der
auch in diesem Haushalt dafür wieder zur Verfügung.
Europäischen Union, beachten.
Wir sind dafür verantwortlich, dass wir ausreichende In der Vorbereitung der Entscheidung über eine Pri-
Kapazitäten an See- und Binnenhäfen bereitstellen, dass vatisierungsvariante – mit oder ohne Netz – haben wir
die Wasserwege entsprechend ausgebaut werden, dass uns sehr viele Gedanken gemacht. Das Thema ist in der
die Kapazitäten der Flughäfen, die Autobahnen und vor Tat sehr komplex. Von einigen Vorrednern ist das in Tei-
allem auch die Schienenwege ausreichend erweitert wer- len auch schon angesprochen worden. Es geht nämlich
den. Um die Chancen dafür optimal nutzen zu können, nicht nur um die Bahnpolitik, sondern hier spielen auch
müssen wir mit dem Haushalt die Grundlagen dafür finanz- und haushaltspolitische, volkswirtschaftliche,
schaffen. Das tun wir auch. europarechtliche, beschäftigungspolitische und ord-
nungspolitische Gesichtspunkte eine erhebliche Rolle.
Für diese weitere Entwicklung sind in dem Bundes- Das ist auch die Antwort darauf, verehrte Kollegen von
(B) haushalt erhebliche Investitionen in das Bundesfernstra- der FDP, warum wir uns intern so viel Zeit genommen (D)
ßennetz, in das Bundeswasserstraßennetz und vor allem haben: Wir müssen nämlich diese verschiedenen einzel-
auch in die Schieneninfrastruktur vorgesehen. Es ist er- nen Gesichtspunkte intensiv abwägen und im Zusam-
gänzend zu erwähnen und sicherlich nicht unwichtig, menhang zu einem vernünftigen Ergebnis führen. Dabei
dass neben diesen Investitionsmitteln auch die erhebli- halfen das PRIMON-Gutachten, die verschiedenen Gut-
chen Regionalisierungsmittel und die Mittel aufgrund achtergespräche, die Anhörungen, Analysen und Abwä-
des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes wieder zur gungen zu vielen Einzelaspekten, die wir vorgenommen
Verfügung gestellt werden. haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das be-
Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: War vorher streite ich ja gar nicht! Nur dass etwas heraus-
auch schon da!) gekommen ist!)
Bezüglich des Schienenverkehrs gibt es im Bei der Bahnreform sind aus unserer Sicht drei
Haushalt 2007 einen bestimmten Punkt, auf den man Grundelemente notwendig. Erstens muss die steuer-
hinweisen muss: Ab dem 1. Januar 2007 werden wir in finanzierte Eisenbahninfrastruktur zwingend weiter im
Europa endlich – meiner Meinung nach ist das viel zu Eigentum des Bundes bleiben.
spät – einen vereinigten europäischen Markt für den
Schienengüterfernverkehr haben. Deutschland braucht (Beifall bei der CDU/CSU)
eine starke und moderne Bahn und ein erfolgreiches Un- Zweitens. Einen integrierten Konzern, das heißt eine
ternehmen Deutsche Bahn AG, um in diesem erweiter- Konzernprivatisierung inklusive Netz, lehnen wir von-
ten Markt seine Marktschancen erfolgreich nutzen zu seiten der Union strikt ab. Die Betriebsführung des Net-
können. zes sollte aber klugerweise integriert erfolgen, und zwar
Wir müssen in der Bundespolitik für unser Unterneh- durch die Deutsche Bahn AG.
men – all diejenigen, die hier sitzen, sind Eigentümer; Drittens muss ein diskriminierungsfreier Wettbewerb
denn die Bahn gehört den Deutschen und wir vertreten im Netz gewährleistet werden. Ich denke, hierfür steht
die Deutschen – die Weichen stellen, damit die DB AG mit der Bundesnetzagentur eine gute Regulierungsbe-
ein europäischer oder sogar ein Global Player werden hörde bereit.
kann. Ich persönlich hätte gar nichts dagegen, wenn man
eine Schienenverbindung über Land zwischen Europa (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das glaubt
und Asien schaffen würde. Das wäre eine gewaltige ihr ja nicht mal selbst!)
6704 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Enak Ferlemann
(A) Vor dem Hintergrund dieser wesentlichen Grundüber- Wir haben mit dem Bundeshaushalt 2007 dafür Sorge (C)
zeugungen haben wir einen Entschließungsantrag zur getragen, die notwendigen Investitionsmittel bereitzu-
Abstimmung gestellt, auf den ich mit einigen Sätzen ein- stellen, um insgesamt den Verkehrssektor in Deutsch-
gehen will. Wir erwarten von der Bundesregierung – un- land weiter voranzubringen, ihn europafähig zu machen
ser Verkehrsminister mit seinen klugen Juristen wird si- und auch im Hinblick auf die Globalisierung nach vorne
cherlich dazu in der Lage sein –, uns bis etwa Ende März zu bringen. Meine Fraktion wird voller Überzeugung so-
nächsten Jahres einen Entwurf des Privatisierungsge- wohl dem Entschließungsantrag zur Bahnreform als
setzes vorzulegen, auch dem Einzelplan 12 zustimmen.
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da wäre Danke schön.
ich nicht so optimistisch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
sodass wir ihn dann ordnungsgemäß im Parlament bera-
ten können. Wir haben für dieses Privatisierungsgesetz Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zielvorgaben erarbeitet und wollen erreichen, dass nach Für das Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kol-
Möglichkeit noch in dieser Legislaturperiode private In- legin Anna Lührmann.
vestoren zu mindestens 24,9 Prozent an der Deutschen
Bahn AG beteiligt werden, damit die DB AG das not- Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
wendige Kapital generieren kann, um im europäischen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Wettbewerb bestehen zu können. Kollegen! Ich möchte etwas zu der Quadratur des Krei-
Als weiteren Punkt haben wir, wie gesagt, vereinbart, ses sagen, wie der Kollege Königshofen das vorhin so
dass die Infrastrukturgesellschaften vor der Kapitalpri- schön genannt hat, nämlich zu dem von der großen Ko-
vatisierung ins Eigentum des Bundes überführt werden alition vorgelegten Entschließungsantrag zum Thema
müssen. Wir haben einen vertraglich vereinbarten Zeit- Bahnbörsengang. Zu der zentralen Frage betreffend den
raum vorgesehen, in dem sich der Bund verpflichtet, den Bahnbörsengang enthält Ihr Entschließungsantrag in der
Betrieb der Infrastruktur auf die DB AG zu übertragen; Tat eine widersprüchliche Aussage.
er kann nach Ablauf dieser Zeit entscheiden, ob er die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
sen Vertrag verlängern will. Das ist mit dem Stichwort Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nur eine?)
„Reversibilität der Entscheidung“ gemeint.
– Ich konzentriere mich auf die wesentlichste Frage. –
Mit dem Privatisierungsgesetz wollen wir auch si- Ich will den interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern
cherstellen, dass wir keine zusätzlichen Schulden und die entsprechenden Stellen einmal vorlesen. Unter
(B) Risiken in den Bundeshaushalt übernehmen müssen; der Punkt I.3 heißt es: (D)
DB AG soll aber ermöglicht werden, Schienennetz und
Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betrei- Die Infrastrukturgesellschaften werden vor der Ka-
ben und gegebenenfalls auch zu bilanzieren. Wir wollen, pitalprivatisierung ins Eigentum des Bundes über-
dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Deswegen führt.
setzen wir die Verkehrsinfrastruktur einem erheblich Ich übersetze das einmal für die Zuhörerinnen und Zuhö-
stärkeren Wettbewerb aus. rer: Das Netz bleibt im Eigentum des Staates.
Zur Bundesnetzagentur, die diesen diskriminierungs- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nein! Es
freien Wettbewerb ermöglichen und sicherstellen soll, wird herausgelöst!)
habe ich schon einiges ausgeführt. Die DB AG wird
auch weiterhin den konzerninternen Arbeitsmarkt fort- Unter Punkt I.5 steht:
führen können, was für die Mitarbeiter sicherlich eine Die DB AG erhält die Möglichkeit, Schienenver-
gute Nachricht ist. Letztlich muss die Bahnreform mit kehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Ein-
dem EU-Recht kompatibel sein, was unseres Erachtens heit zu betreiben und zu bilanzieren.
durch unseren Antrag sichergestellt ist.
Ich übersetze wieder: Das Netz gehört der DB AG.
Ich denke, dass wir mit dem Entschließungsantrag ge-
meinsam mit den vielen neuen Freunden der SPD-Frak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
tion den richtigen Weg gegangen sind, um die Deutsche Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist das
Bahn AG gut für den europäischen Wettbewerb auszu- Problem!)
statten und zu unterstützen. Ich frage mich, wie das zusammengehen soll. Können
Sie mir die zentrale Frage verbindlich beantworten – bis-
Wir werden zusichern, dass der Bund etwa 2,5 Mil-
lang gibt es unterschiedliche Aussagen dazu –, wem das
liarden Euro jährlich für die Bestandsnetzpflege aufbrin-
Schienennetz in der Bundesrepublik Deutschland in Zu-
gen wird. Dies werden wir aber durch eine strenge Leis-
kunft gehören soll? – Niemand traut sich. Die Frage
tungs- und Finanzierungsvereinbarung kontrollieren.
bleibt also offen.
Auch das wird sicherlich ein wichtiges Thema sein, auf
das wir uns im kommenden Frühjahr bei den weiteren (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wir haben
Diskussionen zur Bahnreform, die aufgrund des Privati- hier keine Fragestunde! – Horst Friedrich
sierungsgesetzes des Herrn Ministers auf uns zukommen [Bayreuth] [FDP]: Die Frage kann keiner be-
werden, einstellen müssen. antworten! Die wissen es selber nicht!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6705
Anna Lührmann
(A) Wir, die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, ha- Nun liegt ein Brief von Herrn Mehdorn auf dem (C)
ben eine ganz klare Antwort auf diese Frage. Nach unse- Tisch. Das heißt, er liegt nicht bei mir auf dem Tisch,
rer Erfahrung wird es für den Steuerzahler dort teuer, wo sondern auf dem von Herrn Tiefensee. Ich habe aus dem
es kompliziert wird. Wenn man Heerscharen von Juris- „Spiegel“ davon Kenntnis genommen. Dort steht, dass
ten braucht, um ein Modell zu verstehen und zu interpre- Herr Tiefensee – – Entschuldigung, dass Herr Mehdorn
tieren, dann wird es für den Steuerzahler teuer. Wir brau- – – Jetzt verwechsle ich die beiden schon; das war keine
chen stattdessen ein klares, einfaches Modell, nämlich Absicht.
die Trennung von Netz und Betrieb, wobei das Netz im (Zurufe von der SPD: Oh! – Horst Friedrich
Eigentum des Bundes bleibt. [Bayreuth] [FDP]: Das macht nichts! Das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt aufs Gleiche raus!)
In dem Artikel steht, dass Herr Mehdorn an Sie, Herr
Ich war im letzten halben Jahr zum großen Teil damit Tiefensee, schreibt, dass die DB AG zu keiner Zeit ihren
beschäftigt, Licht ins Dunkel des Geflechts zwischen Geschäftserfolg aus einer Unterbewertung von Immobi-
Verkehrsministerium und Bahn zu bringen. Wir haben lien oder aus dem Heben von stillen Reserven geschöpft
drei sehr komplexe Kleine Anfragen an die Bundesregie- hat und dies auch nicht nach einem Börsengang plant. –
rung gestellt, um vor allen Dingen in der Immobilien- Sie lachen schon, Herr Kollege, und ich glaube, dass Sie
frage einige Antworten zu bekommen. Ein paar Antwor- Recht haben, wenn Sie lachen. Denn erstens – das habe
ten haben mich vor allen Dingen als Haushälterin ich vorhin deutlich gemacht – bestanden stille Reserven,
aufgeregt und schockiert. Wussten Sie, dass seit 2004 zweitens hat sie die DB AG in den letzten Jahren geho-
der DB AG die Bundesmittel für den Ausbau der Schie- ben und drittens wird Mehdorn ganz sicher auch in Zu-
neninfrastruktur quasi geschenkt werden und dass sie kunft versuchen, diese stillen Reserven durch Immobili-
keinen Cent mehr zuzahlen muss? Ich jedenfalls wusste enverkäufe zu heben. Deshalb lassen Sie, meine Damen
das nicht. Das wurde im Haushaltsausschuss nie mitge- und Herren von der großen Koalition, sich nicht weiter
teilt. Erst auf mehrmaliges Nachfragen haben wir das er- von Mehdorn für dumm verkaufen!
fahren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nur zur Erinnerung: 1999 musste die DB AG noch und bei der LINKEN)
1 Milliarde Euro pro Jahr zahlen. Im Jahr 2000 wurde Versuchen Sie nicht die Quadratur des Kreises, die Ihnen
dieser Betrag auf rund 150 Millionen Euro jährlich ge- Mehdorn aufschwatzen will, sondern votieren Sie für ein
senkt, weil die DB AG angeblich keine Eigenmittel klares und einfaches Modell der Trennung von Netz und
mehr hatte. Was sie mit ihren eigenen Mitteln in der Betrieb! Dafür werden wir vom Bündnis 90/Die Grünen
(B) Zwischenzeit gemacht hat, hat der Kollege Königshofen (D)
auf jeden Fall weiter werben.
bereits ausgeführt. Seit 2004 tätigt die DB AG dort keine
Investitionen mehr in das Netz, wo das aus Sicht des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bundes wünschenswert wäre. Das zeigt, wie wenig wert
der Bahn das Netz ist und warum es unbedingt notwen- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
dig ist, das Netz abzutrennen und in staatliche Verant- Für die CDU/CSU-Fraktion bekommt der Kollege
wortung zu überführen. Für diese klare und sinnvolle Dirk Fischer das Wort.
Lösung werbe ich um Ihre Zustimmung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU):
Die Frage ist aufgekommen, ob es stimmt, dass die Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
DB AG keine Eigenmittel für zuwendungsfähige Inves- Das Bauhauptgewerbe rechnet in diesem Jahr mit ei-
titionen – so heißt es korrekt – hatte. Wenn man sich an- nem Umsatzplus von 2 Prozent. Das gab es seit sechs
schaut, was die DB AG aus den Immobilienverkäufen, Jahren nicht. Die Umsätze im öffentlichen Bau werden
das heißt aus dem Heben stiller Reserven, eingenommen im Jahr 2006 um 1 Prozent steigen. Ein Plus gab es dort
hat, dann stellt man fest, dass Geld vorhanden war. Sie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Auch die Um-
hat – das wurde uns von der Bundesregierung mitgeteilt – sätze im Wohnungsbau steigen um 1 Prozent. Das ist eine
seit dem Jahr 2000 rund 760 Millionen Euro aus dem erstmalige Trendwende seit 1997. Die schönste Bot-
Heben stiller Reserven eingenommen. Zur Erinnerung: schaft für die Politik aus der Bauwirtschaft ist: Die Zahl
616 Millionen Euro wurden im gleichen Zeitraum in das der arbeitslosen Bauarbeiter ist allein im August 2006
Netz investiert. Hinzu kommt der Erlös aus dem Verkauf gegenüber dem Vorjahresmonat um 30 Prozent gesun-
von Grundstücken an Aurelis, eine große Immobilien- ken.
verwertungsgesellschaft. Das sind noch einmal über
1 Milliarde Euro. Insgesamt beträgt der Erlös aus Immo- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
bilienverkäufen, das heißt aus dem Heben stiller Reser- Nachdem das Bauhauptgewerbe seit 1995 etwa eine
ven, rund 2 Milliarden Euro. Das ist sehr viel. Ange- Halbierung der Zahl der Arbeitsplätze hinnehmen
sichts dessen kann man sagen, dass die DB AG einen musste, gibt es jetzt erstmals wieder einen Anstieg. Ich
Teil ihres laufenden Geschäfts und ihres – teilweise vor- denke, wir sind dabei, diesen richtigen Weg auch mit
handenen und teilweise nicht vorhandenen – Gewinns dem Haushalt 2007 konsequent zu unterstützen. Gegen-
mithilfe des Hebens stiller Reserven bestritten hat. über der letzten, sehr unbefriedigenden mittelfristigen
6706 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dirk Fischer (Hamburg)


(A) Finanzplanung von Rot-Grün ist es der großen Koalition tief greifenden Strukturwandel unserer Gesellschaft wi- (C)
gelungen, die Mittel nennenswert zu erhöhen. der. Im Rahmen der Städtebauförderung schaffen wir
aber auch Anreize, diesen Strukturwandel für mehr In-
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Was?) vestitionen, vor allem für private Investitionen, zu nut-
Als der Erfolgsköder für mehr private Investitionen hat zen.
sich, wie heute schon mehrfach erwähnt wurde, das CO2- Der dritte Investitionen stärkende Bereich im Einzel-
Gebäudesanierungsprogramm entwickelt. Aus dem plan 12 ist die deutliche Anhebung und Verstetigung der
zarten Pflänzchen der Vorgängerregierung wurde eine der Mittel für die Verkehrsinvestitionen. Die Verkehrsnetze
tragenden Säulen des 25-Milliarden-Euro-Investitions- sind die Lebensadern unseres Landes und unserer Volks-
programms dieser Bundesregierung. wirtschaft. Da kann man auch die Brücke zu dem schla-
(Beifall bei der CDU/CSU) gen, was wir zum Thema Bahn debattiert haben. Die
Lebensadern unserer Volkswirtschaft müssen in öffentli-
Allein bei dem mit diesen Mitteln finanzierten Pro- cher Verantwortung, im öffentlichen Eigentum bleiben.
gramm der KfW wird das Kreditzusagevolumen 2006 Wir kennen heute die Probleme bei den Energieverbund-
gegenüber dem Vorjahr auf circa 3,5 Milliarden Euro netzen. Da tut uns heute manches, was nach unserer Auf-
verdreifacht. Das ist eine Entwicklung, die auch an der fassung nicht gut gelungen ist, eher Leid. Derartige Feh-
FDP-Fraktion nicht spurlos vorübergehen dürfte. Ich ler werden wir bei der Schieneninfrastruktur besser nicht
danke im Übrigen dem Kollegen Hermann für die Kom- wiederholen, damit wir in Zukunft nicht den Einfluss auf
plimente, die er uns dafür gemacht hat. Wettbewerb und andere Dinge in der Volkswirtschaft
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verlieren.
neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Zusammen mit anderen KfW-Programmen, die mit neten der SPD)
den Mitteln des CO2-Gebäudesanierungsprogramms des Ich möchte aber sagen: Wie bereits 2006, so stehen
Bundes finanziert werden, haben wir in diesem Jahr ein auch 2007 rund 1 Milliarde Euro mehr als im rot-grünen
Zusagevolumen von circa 9 Milliarden Euro und ein In- Finanzplan vorgesehen für Verkehrsinvestitionen zur
vestitionsvolumen von über 11 Milliarden Euro erreicht. Verfügung.
Ich erinnere daran: Die Planzahlen der Bundesregierung
am Jahresanfang lagen bei 5 Milliarden Euro Zusagevo- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist
lumen und etwa 7 Milliarden Euro Investitionsvolumen. aber Hypothese!)
Der Start des neuen Programmteils ab 2007, also der In- Damit wird Kontinuität für Planung und den Bau von
(B) vestitionszuschuss für die Ein- und Zweifamilienhausbe- Projekten geschaffen. Gleichzeitig sind wir in der Lage, (D)
sitzer und die verbilligten Darlehen für Einrichtungen den Substanzverzehr, der in den letzten Jahren eingesetzt
der Kommunen, ist die konsequente Weiterentwicklung hat, aufzuhalten.
dieses erfolgreichen Programms. Es wirkt in dreifacher
Hinsicht: Erstens ist es ein Beitrag zum Erreichen des Darüber hinaus ist es erfreulicherweise – das hat der
Klimaschutzziels, zweitens hilft es den Verbrauchern, Kollege Beckmeyer schon gut herausgearbeitet – in den
die Wohnnebenkosten zu senken, und drittens ist es ein laufenden Beratungen gelungen, weitere Mittel bereitzu-
wichtiger Konjunkturimpuls, maßgeblich für die Bau- stellen.
stoffindustrie und das Handwerk. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hier ist das Ergänzungsprogramm „Lückenschluss
Die zweite wichtige Maßnahme der großen Koalition und Staubeseitigung“ zu erwähnen, ein Programm, das
zur Stärkung der Bauinvestitionen in Deutschland ist die insgesamt mit 420 Millionen Euro ausgestattet ist, wo-
Ausweitung der Städtebauförderung. 75 Millionen Euro von schon 2007 165 Millionen Euro bereitstehen. Neun
mehr Bewilligungsvolumen, als von der Vorgängerregie- wichtige Bundesfernstraßenprojekte erhalten damit eine
rung geplant, stehen 2007 zur Verfügung: mehr Mittel bessere Perspektive.
für „Stadtumbau Ost“, für das Programm „Soziale Mit dem neuen Förderprogramm für umweltfreundli-
Stadt“, den „Stadtumbau West“ und hoffentlich, so sage che Motoren bei Binnenschiffen wird die Modernisie-
ich, bald auch für den Einstieg in den städtebaulichen rung der deutschen Binnenschifffahrtsflotte mit emis-
Denkmalschutz in den alten Bundesländern. sionsärmeren Dieselmotoren unterstützt.
(Beifall bei der CDU/CSU) Für die Lärmsanierung an Schienenwegen haben wir
die Mittel erneut um 24 Millionen Euro auf jetzt 100 Mil-
Die Ausrichtung unserer Städte und Gemeinden auf
lionen Euro aufgestockt. Damit setzen wir ein deutliches
die Herausforderungen von Demografie- und Struktur-
Zeichen, dass wir mehr tun wollen, damit der Zuwachs
wandel stellt veränderte Ansprüche an die Stadtentwick-
des Schienenverkehrs, den wir alle wollen, am Ende
lungspolitik. Wachstum und Umbau, Erhalt, Erweite-
nicht zulasten der lärmgeplagten Anwohner geht.
rung, Abriss, Anpassung an eine alternde Bevölkerung,
aber auch eine neue Attraktivität der Innenstädte für Fa- Ich denke, dass wir mit unseren strategischen Ent-
milien mit Kindern, das sind die antagonistisch anmu- scheidungen zur Teilprivatisierung der DB AG wichtige
tenden Schlagworte der aktuellen Ausrichtung unserer Weichenstellungen vorgenommen haben. Vieles ist ge-
Stadtentwicklungspolitik. Sie spiegeln jedoch nur den sagt. Wir haben im Koalitionsarbeitskreis hart verhan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6707
Dirk Fischer (Hamburg)
(A) delt. Ich denke, am Ende haben wir ein akzeptables Er- desregierung muss dem Deutschen Bundestag zu gege- (C)
gebnis gefunden, das wir dem Deutschen Bundestag im bener Zeit die Kapitalmarktreife darlegen. Wir wollen,
Rahmen der Haushaltsberatung zur Beschlussfassung dass diese gegeben ist, damit der Bund am Ende einen
vorlegen. wirklich echten Gegenwert für die Gesellschaftsanteile
erhält, die er veräußern möchte.
(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Mach dir
doch selber nichts vor!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Modellentscheidungen haben wir am Ende nicht mehr Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Schluss kom-
getroffen, sondern wir haben Festlegungen getroffen. men.
Und jetzt wird Bundesminister Tiefensee und sein Haus
einen Entwurf für ein Privatisierungsgesetz ausarbeiten.
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU):
Ich glaube, dass auch den Kollegen in der Opposition,
mit denen wir gemeinsame Grundüberzeugungen haben, Das ist hier entscheidend. Wir schaffen die Vorausset-
zu raten ist, jetzt abzuwarten, was auf den Tisch gelegt zungen. Wenn das geschehen ist, dann muss die Kapital-
werden wird. Wir wissen, dass wir die Grundüberzeu- marktreife nachgewiesen werden.
gung, die wir miteinander teilen, in einem solchen Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
setz auch wiederfinden wollen. Frau Kollegin Lühr-
mann, deshalb werden wir die Debatte auch in dieser
Richtung fortsetzen, wenn der Entwurf vorliegt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir sind gespannt!) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 12, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
Wir haben ein völliges Einvernehmen darüber, dass entwicklung, in der Ausschussfassung. Hierzu gibt es
das Eigentum an der Eisenbahninfrastruktur 100pro- drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke, über die
zentig und vollständig sicher beim Bund verbleiben wir zuerst abstimmen.
muss. Auch wir wollen eine gesicherte Position zur För-
derung des Wettbewerbs auf der Schiene und des diskri- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
minierungsfreien Zugangs anderer Unternehmen zu die- sache 16/3472? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
ser Infrastruktur jederzeit gewährleisten. Wir haben Damit ist der Änderungsantrag bei Zustimmung der Lin-
vereinbart, dass sich private Investoren an Infrastruktur- ken und bei Ablehnung durch den Rest des Hauses abge-
unternehmen nicht beteiligen dürfen. lehnt.
(B) Nach den schlechten Erfahrungen in der Vergangen- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- (D)
heit wollen wir aber auch, dass die Steuerung und Kon- sache 16/3473? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
trolle des Bundes über die Ministerien, über den Auf- Dieser Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Linken,
sichtsrat verstärkt werden. In der Vergangenheit tanzte bei Gegenstimmen der Koalition und der FDP und bei
die Bahn dem Bund viel zu häufig auf der Nase herum. Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen ebenfalls ab-
gelehnt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
NEN) sache 16/3474? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Damit ist dieser Änderungsantrag mit dem gleichen
Wir wollen deswegen, dass es künftig eine in Bezug auf Stimmergebnis wie vorher ebenfalls abgelehnt.
Qualität und Quantität klar definierte Schieneninfra-
struktur gibt. Die Bahn muss, was die Bewirtschaftung Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschuss-
angeht, diese klar definierten Zustände instand halten. fassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
Dafür gibt es Geld. Die Qualitätskontrolle – Stichwort der Einzelplan bei Zustimmung durch die Koalition und
„Einhaltung der Standards“ – obliegt dem Bund. Bei Ablehnung durch die Opposition angenommen.
Vertragsverletzungen soll der Bund das Recht haben, die Ich rufe Tagesordnungspunkt I.15 auf:
Bewirtschaftung der Infrastruktur sofort zu sich zurück-
zuholen. Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, ich möchte Sie bitten, zum Schluss zu – Drucksachen 16/3120, 16/3123 –
kommen.
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hagemann
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Klaus-Peter Willsch
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ulrike Flach
Michael Leutert
Es müssen Pflöcke eingeschlagen werden, an denen Anna Lührmann
sich die Arbeit orientieren muss. Ob ein Börsengang
dann überhaupt möglich ist, hängt von den wichtigen Zu dem Einzelplan liegen vier Änderungsanträge der
Kennzahlen ab, die der Kapitalmarkt verlangt. Die Bun- Fraktion Die Linke vor.
6708 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, ein- Ich habe übrigens noch sehr gut im Ohr, wie Frau (C)
einhalb Stunden zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Schavan uns im Ausschuss sagte, diese Mittel würden
Widerspruch. Dann ist so beschlossen. im Jahr 2006 zu 95 Prozent abfließen. Inzwischen liegen
uns Gott sei dank die Zahlen für den Stand 31. Oktober
Ich erteile das Wort der Kollegin Flach für die FDP- vor. Davon will ich nur einmal folgende anführen.
Fraktion. „Bauen und Wohnen“: Erst 55 Prozent der Mittel sind
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) abgeflossen. „Vernetzte Welt“: 65 Prozent der Mittel
sind abgeflossen. „System Erde“: 65 Prozent der Mittel
sind abgeflossen. „Investitionen in die naturwissen-
Ulrike Flach (FDP):
schaftliche Grundlagenforschung“: 54 Prozent der Mit-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tel sind abgeflossen. Von Ihrem Lieblingsprojekt, Frau
Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Dieser Schavan, den Sozial- und Geisteswissenschaften, will
schöne Satz wird Ihnen, Frau Schavan, bei den Haus- ich an dieser Stelle überhaupt nicht reden. Die schlum-
haltsberatungen 2007 wahrscheinlich öfter in den Sinn mern im Budget Ihres Ministeriums still vor sich hin.
gekommen sein.
Da die Haushälter dies auch für 2007 erwarten – da
(Jörg Tauss [SPD]: Nein! Nie! Noch nicht stimme ich völlig mit Ihnen überein, Herr Hagemann –,
einmal ansatzweise!) haben CDU/CSU und SPD bei mehreren Titeln die De-
– Herrn Tauss ganz bestimmt nicht. ckungsfähigkeit erweitert, sodass die Gelder, die dort
nicht abfließen, anderswo geparkt werden können. Das
Jahrelang haben Forschungspolitiker aller Fraktionen ist ein schöner haushalterischer Kniff. Nur, ein Schwung
Etataufwüchse verlangt. Nun sind sie da. Was wird zum für dieses Land entsteht daraus natürlich nicht.
Schlüsselbegriff der Debatten? Das schöne Wort Sperr-
vermerk. Sie haben viel Geld bekommen, Frau Scha- (Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Flexibili-
van, zusätzliche Mittel, und nun sitzen sie im Flaschen- tät! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
hals der bundesrepublikanischen – Dies alles sind offensichtlich Freundlichkeiten unter
Forschungsförderungspolitik fest. den Koalitionären.
(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Wie Wenn ich einen so mageren Mittelabfluss habe, muss
kommen Sie denn darauf? – Klaus Hagemann ich mir natürlich die Frage stellen: Habe ich eigentlich
[SPD]: Haben Sie zugestimmt?) die richtigen Programme? Sind sie richtig konzipiert? Ist
Die Mittel für Ihr Flaggschiff, die Exzellenzinitiative, das Ganze nicht viel zu bürokratisch? Lohnt sich das
(B) werden um 40 Millionen Euro gesenkt. Die Mittel für Ganze überhaupt? (D)
den Hochschulpakt und die Hightechstrategie sind (Klaus Hagemann [SPD]: Ja!)
gesperrt – mit den Stimmen der FDP; selbstverständlich.
Braucht man diese Programme?
(Lachen bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]:
Selbstverständlich!) (Jörg Tauss [SPD]: Ja, uneingeschränkt! Wir
brauchen sie!)
– Es geht dabei nicht um den Inhalt, sondern entschei-
dend ist, dass wir schon im laufenden Haushalt erken- Ich habe das schreckliche Gefühl, liebe Kolleginnen und
nen: Sie werden diese zusätzlichen Mittel nicht loswer- Kollegen, dass Sie genau diese Frage nicht gestellt ha-
den. Darüber haben wir schon oft genug diskutiert. Sie ben.
mussten haushalterisch so handeln; selbstverständlich. (Jörg Tauss [SPD]: Doch!)
Aber natürlich ist das für die zuständige Fachministerin
ein Debakel sondergleichen. Das finde ich gerade bei jemandem, der so lange im
Bundestag ist wie Sie, Herr Tauss, schon erbärmlich.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der Dies hätten Sie längst tun müssen.
CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei der FDP)
Dies ist übrigens umso erstaunlicher, als die Frau
Kanzlerin in ihrer bemerkenswerten Rede zum einjähri- Wir bewegen uns in einer internationalen Forschungs-
gen Bestehen dieser großen Koalition genau diese Pro- landschaft und sind nicht auf einer einsamen Insel. Des-
gramme schon als Beispiel dafür anführte, wie toll es in halb geht es auch darum, welche Signale von diesem
diesem Land aufwärts geht und welches die Gründe für Haushalt ausgehen. Schauen Sie sich das Beispiel
den Aufschwung sind. Fusionsforschung an! Wir haben gerade in diesen Ta-
gen gehört, wie begeistert Sie den Vertragsabschluss zu
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ITER feiern. Das ist ein wichtiges Leuchtturmprojekt
Das heißt, hier werden Programme benannt, die im Au- der Grundlagenforschung. Völlig d’accord! Die FDP hat
genblick noch in keiner Weise umgesetzt werden. Das ist das immer so gesehen. Gleichzeitig erleben wir in der
reine Rhetorik, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, dass die
hoffe, Sie machen es im nächsten Jahr besser. Koalitionäre eine Sperre auf genau dieses wichtige Pro-
jekt legen – mit dem tollen Argument, es fehle ein ent-
(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Für sprechendes Konzept. Und das, liebe Frau Schavan, bei
wen sprechen Sie hier eigentlich?) einem Projekt, das wir alle seit vielen Jahren unterstüt-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6709
Ulrike Flach
(A) zen. Ich weiß nicht, inwieweit Sie überhaupt auf die Es ist schon erbärmlich, was dabei herauskommt, wenn (C)
Haushälter einwirken können. eine große Koalition regiert.
(Abg. Klaus Hagemann [SPD] meldet sich zu (Jörg Tauss [SPD]: Das ist schon fast
einer Zwischenfrage) unverschämt, Frau Flach!)
– Ich bin gespannt, was Herr Hagemann mich jetzt fragt. – Nein, das ist ganz einfach nur die Wahrheit.
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber der
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Unterschied zwischen fünf und 115 ist Ihnen
Das heißt, Sie möchten die Zwischenfrage des Kol- bekannt?)
lege Hagemann zulassen?
– Ganz bestimmt. Da brauchen Sie keine Angst zu ha-
ben.
Ulrike Flach (FDP):
Selbstverständlich. (Jörg Tauss [SPD]: Machen Sie mal weiter!
Vielleicht wird es besser!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: – Ich folge gerne dieser Aufforderung.
Bitte schön. Ich möchte Sie, Frau Schavan, noch einmal mit der
(Otto Fricke [FDP]: Der ITER-politische Tatsache konfrontieren, dass es Ihnen im Prinzip nicht
Sprecher!) anders geht als Ihrer Vorgängerin, Frau Bulmahn. Sie ha-
ben die gleichen Probleme mit den Ländern, Sie verha-
Klaus Hagemann (SPD): ken sich wie Frau Bulmahn im Gestrüpp der Technolo-
gieskepsis. Man braucht sich nur die Verzögerungen
Vielen Dank, liebe Kollegin Flach. – Ist Ihnen folgen-
beim Gentechnikgesetz, die Blockade beim Transrapid
der Sachverhalt bekannt? Für die Fusionsforschung ste-
hen im Haushalt 115 Millionen Euro zur Verfügung. Au- (Jörg Tauss [SPD]: Transrapidunfall, oder
ßerdem hat das Ministerium beantragt, 11 Millionen was?)
obendrauf zu packen. Von diesen 11 Millionen Euro sind
5,5 Millionen Euro qualifiziert gesperrt, bis das Ministe- und das Thema Stammzellforschung anzuschauen. Bei
rium einen entsprechenden Bericht vorlegt. all diesen Bereichen erkenne ich keine eindeutige Ände-
rung der Gefechtslage, abgesehen davon, dass Sie be-
Ist Ihnen bekannt, dass nicht die Gesamtsumme züglich der Stammzellforschung einen Dissens in der
– 115 Millionen Euro plus 11 Millionen Euro – gesperrt Bundesregierung herbeigeführt haben. Ich halte es schon
(B) ist, sondern nur ganze 5,5 Millionen Euro gesperrt sind? für bemerkenswert, dass Sie für die Bundesregierung er- (D)
Wenn man das berücksichtigt, hört sich das doch schon klären, es gebe im Kabinett Konsens darüber, dass das
ganz anders an. Gesetz nicht verändert wird, gleichzeitig aber die Kanz-
lerin sagt, natürlich sehe sie die Möglichkeit einer Ver-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jörg änderung. Ich bin gespannt, wie in den nächsten Wochen
Tauss [SPD]: Jetzt weiß ich auch, wer hinter mit dieser Sache umgegangen wird.
der Kampagne steckt, Frau Flach!)
Frau Schavan, über eines sollten Sie sich im Klaren
Ulrike Flach (FDP): sein: Bei dem hochemotionalen Thema Stammzellfor-
Lieber Kollege Hagemann, ich war genauso wie Sie schung geht es nicht an, dass uns Parlamentariern die
dabei. Selbstverständlich ist mir die Größenordnung der Forschungsministerin von oben herab erklärt, was wir zu
gesperrten Mittel bekannt. Mein Vorwurf richtet sich ge- denken haben. Über die entsprechenden Fragen wurde
gen Sie, weil Sie, natürlich ideologisch begründet, ein bisher immer im Parlament, und nicht par ordre du mufti
solches Signal in eine Community hineingeben, die seit entschieden.
vielen Jahren tolle Konzepte vorlegt. (Beifall bei der FDP)
(Jörg Tauss [SPD]: Ach ja?) So wird es auch bei der nächsten Debatte über dieses
Thema laufen. Dieser sehe ich übrigens als FDP-Abge-
Ihnen muss man einfach unterstellen: Sie haben den
ordnete mit großem Optimismus entgegen. Ich denke,
Unterschied zwischen Fusion und Vision nicht verstan-
dabei wird es zu einer Änderung des Gesetzes kommen,
den.
weil dies gut für unser Land ist.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Jörg
Unterm Strich, Frau Schavan, kann man sagen: Sie
Tauss [SPD]: Sie sollten nicht die „FAZ“ le-
haben in diesem Jahr wenig Neues erreicht. Schavan ist
sen!)
eigentlich immer noch gleich Bulmahn.
Alles, was ein bisschen mit Kernkraft zu tun hat, wird
(Jörg Tauss [SPD]: Das war ein guter
von Ihnen sofort mit einer Sperre belegt. So ein Verhal-
Vergleich!)
ten erwarte ich von den Grünen, selbstverständlich auch
von gewissen Teilen der SPD, aber eigentlich nicht von Wir haben deutlich mehr von Ihnen erwartet. Ich hoffe,
der CDU/CSU. das zweite Regierungsjahr wird besser.
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Niemals!) (Beifall bei der FDP)
6710 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bildung und Forschung koordinierte, ressortübergrei- (C)
Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch, CDU/ fende Hightechinitiative der Bundesregierung. Nach der
CSU-Fraktion. Bereinigungssitzung und den Einzelberatungen im
Haushaltsausschuss ist klar: Wir als Regierungsfraktio-
(Beifall bei der CDU/CSU) nen halten Wort. Der Haushaltsansatz für Bildung und
Forschung steht. Wir setzen damit die Priorität für Bil-
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): dung und Forschung konsequent weiter um.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Liebe Frau Flach, ich hatte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
schon bei der ersten Lesung gesagt, dass man nicht neten der SPD)
künstlich Dinge streitig stellen sollte. Ich erinnere nur an In Zahlen: Der Einzelplan 30 steigt auf über 8,5 Mil-
Ihre Einleitungsbemerkung: Es bedurfte nur einer kurzen liarden Euro. Das sind rund 500 Millionen Euro oder
Zwischenfrage des Kollegen Hagemann, da fiel Ihre Ar- 6,2 Prozent mehr als im laufenden Haushalt.
gumentation in sich zusammen.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sehr gut!)
(Ulrike Flach [FDP]: Leider nicht!)
Die Projektförderung, entscheidende Kennzahl für die Zu-
Wir sind doch in vielen Bereichen des Einzelplans Bil- kunftsprojekte, steigt um satte 12,8 Prozent auf 2,59 Mil-
dung und Forschung einer Auffassung. liarden Euro.
(Ulrike Flach [FDP]: Dann hätten Sie nicht (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch sehr
sperren dürfen!) gut!)
Wir müssen doch nicht ohne Not hier vor den Leuten ein Die Hightechstrategie ist ein Schlüssel für die Zukunft
Theater aufführen, wo es in der Sache doch nur wenig unseres Landes und spielt im Haushalt 2007 eine ent-
Dissens gibt. scheidende Rolle. In dem entsprechenden Titel im
Einzelplan 30 stellen wir 32,5 Millionen Euro zur Verfü-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
gung; in der Finanzplanung sind weitere deutliche Auf-
Lassen Sie mich die Debatte nutzen, um noch einmal wüchse eingeplant. Das ist eine deutliche Stärkung des
kurz die Gesamtlage, in der sich unser Land derzeit Forschungsstandortes Deutschland mit einer klaren Leit-
haushaltswirtschaftlich gesehen befindet, beleuchten. linie in die Zukunft.
Die Neuverschuldung wächst im nächsten Jahr um
Wir haben die Bereiche Lebenswissenschaften und
19,6 Milliarden Euro. Das ist der geringste Wert seit der
neue Technologien gestärkt. Wo alle anderen Einzel-
Wiedervereinigung. Wer hätte 2005 gedacht, dass wir so
(B) pläne unter dem Konsolidierungszwang schmerzliche (D)
schnell ein solches Ergebnis erreichen? Abseits all der
Einsparungen hinnehmen müssen, wiegt die Verantwor-
Unwägbarkeiten in Politik und Wirtschaft ist die konse-
tung beim Mittelaufwuchs doppelt. Deshalb, Frau Flach,
quent durchgehaltene Haushaltspolitik dieser Regierung
nehmen wir unsere Aufgabe als Haushälter im Haus-
eine wichtige Voraussetzung dafür, dass plötzlich wieder
haltsausschuss und unsere Aufgabe im Parlament ernst.
über ein Ziel geredet wird, über das sich viele schon gar
nicht mehr trauten, zu reden, nämlich über das Ziel, in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
absehbarer Zeit einen ausgeglichenen Haushalt zu errei-
Aus diesem Grund haben wir bei der einen oder anderen
chen. Mich freut es, dass die Journalisten nicht mehr
Position angemerkt, dass wir im Detail wissen wollen,
nach dem Ob, sondern nach dem Wann fragen. Wir sind
wie sich die Regierung deren Umsetzung vorstellt.
haushaltswirtschaftlich also auf einem guten Weg.
(Ulrike Flach [FDP]: Eine Rückfrage hätte
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
vielleicht gereicht! – Gegenruf des Abg. Jörg
neten der SPD)
Tauss [SPD]: Parlamentarisches Verständnis,
Noch immer drücken aber die öffentlichen Haushalte Frau Flach!)
1,5 Billionen Euro Schulden. Das macht die Dimension
Das hat nichts mit Misstrauen oder Ähnlichem zu tun. Es
der Aufgabe, die nach wie vor vor uns liegt, deutlich.
ist die Pflicht und die Aufgabe der Haushälter, dieses
Der Bund hat davon 900 Milliarden Euro zu tragen.
Wächteramt für das Parlament wahrzunehmen, und das
Finanzminister Steinbrück hat dazu in der „Welt am
wollen wir tun.
Sonntag“ vom 19. November 2006 gesagt: „Wir sind
noch nicht über den Berg“. Man könnte es noch ein biss- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ul-
chen drastischer ausdrücken: Wir stehen gerade am Fuß rike Flach [FDP]: Wenn Sie dann zu einem
des Berges, der jetzt nur nicht mehr so schnell wächst solchen Ergebnis kommen, ist das natürlich
wie in früheren Zeiten. In dieser Lage befinden wir uns. schlecht!)
Deshalb ist eine Haushaltspolitik, die auf Konsolidie-
Insgesamt stellen wir als Parlament, wenn wir den
rung bedacht ist, weiterhin notwendig.
Beschlüssen des Haushaltsausschusses folgen, für die
Der Finanzminister hat auch gesagt, dass der Haushalt Hightechstrategie im BMBF 1,334 Milliarden Euro im
stärker der Zukunfts- und weniger der Vergangenheits- engeren Sinne zur Verfügung. Darüber hinaus kann man
finanzierung dienen solle. Da sind wir genau beim sicherlich auch Mittel, die in den Bereichen Hochschul-
Thema. Wir haben deshalb wieder einen eindeutigen pakt und Exzellenzinitiative fließen werden, der High-
Schwerpunkt im Einzelplan 30: die vom Ministerium für techstrategie anteilig zurechnen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6711
Klaus-Peter Willsch
(A) Neben den Aufwüchsen für neue Technologien mit ser Woche das Land Berlin seine Bedenken aufgegeben (C)
dem deutlichen Plus für die Fachhochschulforschung hat, können wir sagen: Der Hochschulpakt steht. In der
und dem neuen Programm „Sicherheitsforschung“ Säule „Lehre“ des Paktes verpflichten sich die Länder
bis zum Jahr 2010 zur Aufnahme von rund 90 000 zu-
(Ulrike Flach [FDP]: Das kennen wir aber sätzlichen Studienanfängern.
noch nicht!)
Unsere Bundesministerin Schavan hat den Ländern
sowie für die Lebenswissenschaften werden die Geistes- angeboten, dass sich der Bund mit 50 Prozent an den
wissenschaften, die Nachwuchsförderung und die beruf- Kosten für die zusätzlichen Studienanfänger beteiligt.
liche Bildung nachhaltig ausgebaut. Die Koalitionsfrak- Bei einem Gesamtbedarf von 1,13 Milliarden Euro be-
tionen setzen auf die Stärke der deutschen Forschung. deutet das für den Bund einen Anteil von rund 565 Mil-
Dass die Versprechen und Zusagen gehalten werden lionen Euro. Bei der Verwendung der Fördermittel, die
können, ist eine wichtige Voraussetzung für die Schaf- die Länder erhalten, wollen sie besondere Schwerpunkte
fung zukunftsfähiger Arbeitsplätze in Deutschland. Wir setzen: Erhöhung der Zahl der Studienplätze an Fach-
sprechen hier nicht von einzelnen Wissenschaftlern im hochschulen, Ausbau des Frauenanteils bei Professuren
Elfenbeinturm, sondern die Bundesregierung rechnet in oder Schaffung von neuen Lehrerkategorien, den so ge-
einer Abschätzung, die sie vorgelegt hat, mit bis zu nannten Lecturers.
1,5 Millionen Arbeitsplätzen, die dadurch generiert und
geschaffen werden können. Trotz dieses immensen Anstiegs der Studentenzahlen
müssen die deutschen Hochschulen internationalen He-
Unsere Ministerin Annette Schavan hat einmal spitz rausforderungen erfolgreich begegnen. Forschungsinten-
formuliert: Wissenschaft und Wirtschaft leben in ge- sität und Exzellenz der Forschung müssen trotzdem und
trennten Welten. Wir zielen mit den eingeleiteten Maß- auf der Basis des neuen Studentenreichtums gesteigert
nahmen auf eine enge Verzahnung von Wirtschaft und werden. Dies geht nicht ohne zusätzliche Mittel. Diese
Forschung, von Wirtschaft und Wissenschaft. Wir ha- Herausforderung wird durch die zweite Säule des Hoch-
ben in Deutschland viele Innovationen, die aber zu sel- schulpaktes im Rahmen der Einführung von Programm-
ten in marktfähige Produkte umgewandelt werden, die pauschalen, der so genannten Overhead-Finanzierung,
international erfolgreich wären. Der MP3-Player ist unterstützt.
wohl das aktuellste Beispiel, das viele kennen.
Mit dieser zweiten Säule des Hochschulpaktes wollen
Unser Ziel ist und bleibt es, bis 2010 den Anteil von wir den schrittweisen Einstieg in die Vollfinanzierung
Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von Forschungsprojekten durch Programmkostenpau-
auf 3 Prozent zu erhöhen. In 17 unterschiedlichen High- schalen erreichen. Die Pauschalen in Höhe von 20 Pro-
(B) techsektoren werden die Hebel dafür angesetzt. zent werden ab 2007 sukzessive für neue und in einer (D)
(Beifall bei der CDU/CSU) zweiten Stufe ab 2008 für sonstige von der DFG geför-
derte Forschungsvorhaben eingeführt. Damit befreien
Ich komme zum Hochschulpakt. Damit die High- wir die erfolgreichen Wissenschaftler, die Drittmittel
techstrategie ein Erfolg wird, ist ein Ausbildungs- und einwerben, aus der Falle, die darin besteht, dass sie in
Qualifikationsniveau erforderlich, das Weltstandards ent- den Gremien ihrer Universität zusätzliche Mittel für Per-
spricht. Wie schon in der Aktuellen Stunde am 26. Okto- sonal, Verwaltung und Geräte akquirieren müssen. Denn
ber 2006 beraten, sichert der Hochschulpakt 2020 die Zu- damit machen sie sich in ihrem Umfeld nicht gerade
kunft unserer jungen Abiturienten. In den Jahren 2007 Freunde.
bis 2010 werden 90 000 zusätzliche Studienanfänger er-
wartet. In der Prognose bis 2020 ist von einem weiteren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Anstieg auszugehen. Das ist ein Ansturm auf das Wissen, neten der SPD – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Sehr
das die Hochschulen anbieten, den wir begrüßen sollten gutes Zeichen!)
und auf den wir uns vorbereiten müssen. Denn das ist für Mit dieser zweiten Säule eine neue Schneise zu schla-
Deutschland eine Chance, den Kampf um die besten gen war den Aufwand wert. Insgesamt erfordert der Ka-
Köpfe gleichsam im Heimspiel zu gewinnen. Wir werden pazitätsausbau, wie ich schon sagte, rund 565 Millio-
die zukünftig Studierenden deshalb nicht im Regen ste- nen Euro. Die universitäre Forschungsförderung bis
hen lassen. 2010 macht seitens des Bundes eine Summe in Höhe
von 703 Millionen Euro erforderlich. Damit ergibt sich
Unbestritten ist, dass nach der föderalen Aufgaben-
die gewaltige Summe in Höhe von rund 1,27 Milliar-
verteilung die Grundverantwortung für die Hochschulen
den Euro. Was wir in diesem Bereich tun, kann sich also
bei den Ländern liegt. Doch ist hier die gesamtstaatliche
sehen lassen.
Verantwortung angesichts einer besonderen nationalen
Herausforderung gefragt. Das ist eine nationale Auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
gabe, die Bund und Länder gemeinsam schultern wer- Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
den.
Deutschland – so stand es vor 14 Tagen unter der
Die Bundesregierung stellt sich mit dem Hochschul- Überschrift „Mittelmäßig innovativ“ in der „Welt“ –
pakt an die Seite der Länder und unterstützt diese subsi-
(Jörg Tauss [SPD]: Merkwürdiges Blatt!)
diär. Länder und Bundesregierung gemeinsam setzen so
mit dem Hochschulpakt ein Zeichen für den Wissen- erreicht im Vergleich der Innovationsfähigkeit unter
schaftsstandort Deutschland. Nachdem am Montag die- 17 Industrienationen nur den siebten Platz. Das hat eine
6712 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Klaus-Peter Willsch
(A) Studie des DIW ergeben. Zwar – so hieß es weiter – habe Entfaltung der Persönlichkeit, also aus Art. 2 des Grund- (C)
sich die Innovationsfähigkeit Deutschlands verbessert, gesetzes. Bildung hat eine ganz wesentliche Funktion im
doch auch alle Mitkonkurrenten hätten zugelegt. An der Hinblick auf das Sozialstaatsgebot in Art. 20 Grundge-
Spitze stehen USA, Finnland und Schweden, gefolgt von setz, jedenfalls soweit das Bundesverfassungsgericht
Schweiz, Dänemark und Japan. den Staat in seinem Urteil vom 18. Juli 1967 verpflich-
tet, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und da-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen.
Kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall bei der LINKEN)
Statt soziale Gegensätze auszugleichen, ist das deut-
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
sche Bildungssystem in hohem Maße sozial selektiv.
Deutschland ist bei forschungsintensiven Spitzen-
Das benachteiligt gerade diejenigen am meisten, für die
technologien wie der Pharmazie oder der Medientechnik
das Sozialstaatsgebot eine Hoffnung sein könnte. Statt
nur noch ein Mitläufer im internationalen Wettbewerb.
eines Ausgleichs stehen Verlierer und Gewinner dieses
Damit können wir nicht zufrieden sein. Es gibt in diesem
Systems in der Regel schon bei Eintritt in dieses System
Bereich viel zu tun. Wir haben durch den Haushalt den
fest.
Rahmen gesetzt. Packen wir es gemeinsam an!
Ich erspare Ihnen, anhand internationaler Vergleichs-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
statistiken aufzuzeigen, welchen Umfang soziale Selek-
neten der SPD)
tivität in unserem Bildungswesen angenommen hat. Die
Fakten sollten Ihnen längst bekannt sein. Ich muss nicht
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zusätzliches Salz in diese Wunde streuen.
Das Wort für die Linke hat Volker Schneider.
Ich will Ihnen stattdessen etwas von einer jungen
(Beifall bei der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: Frau erzählen, die ich im Rahmen meiner Wahlkreisar-
Sprechen Sie einmal wohlwollend die FDP beit in Saarbrücken kennen gelernt habe. Keine Angst,
an!) es ist keiner dieser Fälle, in denen alles Leid dieser Welt
auf einmal zusammenkommt. Es ist vielmehr ein ganz
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): typischer Fall einer jungen Frau. Gerade weil er so ty-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! pisch ist, sagt er vielleicht etwas über die Situation im
Der Haushalt 2007 verzeichnet im Geschäftsbereich des Bildungswesen aus.
Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegen-
Diese junge Frau – ich will sie hier einmal Rita nen-
(B) über 2006 einen Zuwachs von 500 Millionen Euro. Das nen – hat im Mai dieses Jahres ihr Abitur gemacht. (D)
ist ein in absoluten Zahlen vergleichsweise bescheidener
Betrag. Aber es ist immerhin eine Steigerung um (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ist jetzt Märchen-
6,2 Prozent. stunde, oder was?)
Ich will gerne dem Wunsch des Kollegen Willsch aus Dies ist nicht gerade typisch, kommt sie doch aus einfa-
der ersten Haushaltsrunde nachkommen – es wäre gut, chen Verhältnissen. Sie gehört also dem Personenkreis
wenn er jetzt zuhören würde – und ihm bestätigen, dass an, den Sozialwissenschaftler gern als bildungsferne
auch meine Fraktion mit der Regierungskoalition in der Schichten bezeichnen. Ihre fünf und sieben Jahre älteren
Frage übereinstimmt, dass wir für Bildung und For- Brüder haben Gleiches nicht geschafft. Bei ihnen hat es
schung mehr tun müssen. Ich will noch hinzufügen, dass „nur“ zum Realschulabschluss gereicht.
dieser Haushalt in diesem Punkt einen Anfang macht. –
Rita meint, sie habe im Vergleich zu ihren Brüdern
Das hat der Kollege Willsch jetzt leider nicht gehört.
nur Glück gehabt; sie habe beispielsweise den Kinder-
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann garten besuchen können. Bei ihren Brüdern fehlte dafür
[SPD]) das Geld, weil die Eltern zu diesem Zeitpunkt ein kleines
Haus gekauft hatten. Ich denke, Rita schätzt die vor-
Nun ist Quantität ein Aspekt, Qualität aber ein völlig
schulische Erziehung in Deutschland etwas zu hoch
anderer. Es wird Sie nicht überraschen, dass wir in die-
ein. Kein Land in Europa – von Österreich einmal abge-
sem Punkt nicht mehr ganz so positiv über diesen Haus-
sehen – leistet sich auf einem ähnlich niedrigen Niveau
halt urteilen können.
ausgebildete Betreuungspersonen. Bei vorschulischer
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das über- Bildung und kompensatorischen Angeboten wie Sprach-
rascht uns sehr!) förderung für die Kinder von Migranten besteht weitge-
hend Fehlanzeige. Für diese Jahre, in denen Startchan-
– Das ist aber erstaunlich.
cen verteilt werden, gibt dieses Land erschreckend
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Es ist näm- wenig aus. Das gilt nicht nur für Kindertageseinrichtun-
lich ein hervorragender Haushalt!) gen, sondern leider genauso für Grundschulen.
Bildung ist aus der Sicht der Linken nicht nur unter Rita hat es dennoch geschafft. Obwohl ihr Elternhaus
dem Aspekt der ökonomischen Verwertbarkeit und da- sie praktisch nicht fördert und der Stolz ihrer Eltern ihr
mit der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes zu be- bereits dann sicher ist, wenn sie Jahr für Jahr versetzt
trachten. Bildung ist für meine Fraktion ein individuel- wird, entwickelt sie mit 16 plötzlich einen besonderen
les Grundrecht, ableitbar aus dem Recht auf freie Ehrgeiz; denn sie will Tierärztin werden. Sie weiß, in der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6713
Volker Schneider (Saarbrücken)
(A) Tiermedizin kommen auf einen Studienplatz fünf Be- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
werber. Das heißt, es gibt einen Numerus clausus von Herr Kollege, Sie müssen wirklich zum Ende kom-
1,0. Sie macht einen großen Sprung nach vorne und men.
schafft einen Notendurchschnitt von 1,6. Für sie ist dies
sehr viel; aber es ist zu wenig für die Aufnahme eines Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
solchen Studiums. Ja. – Ihre Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen der
großen Koalition, konzentriert sich nur sehr wenig auf
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang
die angerissenen Probleme. Sie haben Exzellenz und
Thierse) Spitze im Auge, nicht die Breite. Insofern können wir Ih-
Das Bundesverfassungsgericht hat aus Art. 12 Grund- rem Haushaltsentwurf nicht zustimmen.
gesetz in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheits- (Beifall bei der LINKEN)
satz und dem Sozialstaatsprinzip ein Recht aller Studienbe-
rechtigten auf Zulassung zum Hochschulstudium ihrer Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wahl abgeleitet. Auch wenn im Rahmen dieses Urteils Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Hagemann,
gleichzeitig die Wirksamkeit dieses Rechts eingeschränkt SPD-Fraktion.
wurde, hat das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber in das
Stammbuch geschrieben, dass Zulassungsbeschränkun- (Beifall bei der SPD)
gen nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßig-
keitsgrundsatzes zulässig sind. Klaus Hagemann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Hat der Gesetzgeber wirklich alles Notwendige getan, Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insbesondere
um Zulassungsbeschränkungen zu vermeiden? Reicht bei Bildung und Forschung kann die große Koalition
der Hochschulpakt aus, um den in den nächsten Jahren auch nach einem Jahr eine Erfolgsbilanz vorlesen – vor-
absehbaren zusätzlichen Bedarf zu decken? Unserem legen.
dazu vorliegenden Änderungsantrag entnehmen Sie, wa-
rum die Linke diese Fragen verneint. (Uwe Barth [FDP]: Vorlesen, ja!)

Rita will jetzt ihre Wartezeit sinnvoll überbrücken. – Vorlesen auch. – Frau Kollegin Flach, dadurch unter-
Sie hat eine Lehre als Tierpflegerin begonnen. Aus ihrer scheiden wir uns schon in unserer Grundaussage.
Sicht ist das ganz sinnvoll; für den Ausbildungsmarkt ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
es verheerend. Rita und andere Abiturienten aus ihrem der CDU/CSU)
Milieu wandern in die Ausbildung ab, nicht nur wegen
Unsere Aussage ist positiv; wir malen nicht nur schwarz. (D)
(B) der Wartezeiten, sondern auch deswegen, weil sie glau-
Wir haben gemeinsam Konzepte für die Sicherung der
ben, sich ein Studium nicht mehr leisten zu können. Das Zukunftsfähigkeit unseres Landes vorgelegt. Diese fin-
BAföG wurde zuletzt 2001 angepasst. Seitdem sinkt die den Niederschlag im Haushalt für das Jahr 2007 und in
Zahl der Anspruchsberechtigten. 70 Prozent der Studie- der mittelfristigen Finanzplanung. Für Forschung und
renden müssen neben ihrem Studium arbeiten. Nur noch Bildung stehen insgesamt 12 Milliarden Euro im nächs-
1 Prozent finanziert sich voll aus BAföG. ten Jahr – wie in diesem Jahr – zur Verfügung. Das sind
Studiengebühren tun ein Übriges. In NRW sank die allein im Einzelplan 30 8,5 Milliarden Euro. Hinzu
Zahl der Studienanfänger nach Einführung der Stu- kommen die Mittel für das Ganztagsschulprogramm und
das, was in den anderen Einzelhaushalten zu finden ist.
diengebühren insgesamt um 5,3 Prozent – da rückt Ihr
40-Prozent-Ziel in weite Ferne –, obwohl an den Hoch- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schulen, die auf eine Einführung der Gebühren verzich- der CDU/CSU)
tet hatten – das ist ja in NRW möglich –, die Zahl der
Wie bereits unter Rot-Grün konnten wir auch in die-
Bewerbungen um bis zu 40 Prozent stieg. sem Jahr wieder eine oder sogar zwei Schippen oben-
Abiturienten drängen stattdessen auf den Lehrstellen- drauf legen: Für das kommende Jahr stehen 5,6 Prozent
markt – Anstieg 4 Prozent, bei Fachabiturienten sogar mehr Mittel zur Verfügung. Der Bund geht, sehr geehrte
satte 20 Prozent. Sie verdrängen andere Jugendliche Frau Flach, erneut in vielen Bereichen in Vorlage – ich
nicht nur aus den Lehrstellen; nein, selbst das Einstiegs- komme darauf noch im Einzelnen zu sprechen –, gibt
qualifizierungsjahr wird leider auch von diesen Personen Anstöße und geht voran. Es ist sicherlich gut, dass wir
in Anspruch genommen. die Länder dabei stark unterstützen können, auch und
insbesondere im Bildungsbereich.
(Jörg Tauss [SPD]: Die Zahlen brauche ich, Ein süddeutscher Ministerpräsident hat kürzlich ge-
ich habe mit Herrn Schauerte gewettet!) sagt, es gehe den Bund nichts an, wie die Länder ihre
– Bekommen Sie gleich von mir. Haushalte finanzieren. Wenn wir die Debatte im Rahmen
der Föderalismusreform beobachten, dann können wir
Leider sehe ich an dem Blinken der Uhr, dass mir sehen, dass in diesen Kreisen sogar über ein Koopera-
keine Zeit mehr bleibt, auf die Weiterbildung einzuge- tionsverbot zwischen Bund und Ländern im Bil-
hen. Da befinde ich mich in guter Gesellschaft; denn in dungsbereich nachgedacht wurde.
der letzten Runde hat keiner aus der großen Koalition, (Ulrike Flach [FDP]: Wir weniger!)
obwohl Sie deutlich mehr Redezeit haben, auch nur ei-
nen Satz zur Weiterbildung gesagt. – Sie nicht.
6714 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Klaus Hagemann
(A) (Jörg Tauss [SPD]: Na, na! Burgbacher und nisterpräsidenten den Vertrag unterschrieben haben und (C)
Co! Keine Legenden bitte!) der Bericht dem Haushaltsausschuss vorliegt, werden
wir die gesperrten Mittel sofort entsperren.
Aber wie würde die Haushaltswirklichkeit aussehen,
wenn diese Forderung erfüllt würde? Gott sei Dank ist es (Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU] –
nicht so gekommen. Ansonsten könnte kein Ganztags- Ulrike Flach [FDP]: Was meinen Sie denn,
schulprogramm durchgeführt werden – 4 Milliarden wann das sein wird?)
Euro bekommen die Länder –, wir könnten keinen
Hochschulpakt durchführen – rund 1,2 Milliarden Euro – Frau Flach, das kann kurzfristig geschehen, damit die
erhalten die Länder –, wir könnten keine Exzellenzinitia- qualifizierten Studienplätze geschaffen werden können.
tive durchführen – hier finanziert der Bund 75 Prozent, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
also 1,5 Milliarden Euro –, wir könnten – jetzt kommen
die kleineren Beträge – kein Fachhochschulprogramm Die Schwarzmalerei der Opposition – ich denke an
finanzieren – hier erhalten die Länder 28 Millionen Euro die Aktuelle Stunde im Oktober – ist verflogen.
für die nächsten Jahre, sogar mit steigender Tendenz – (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Sehr rich-
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) tig! Das muss einmal gesagt werden!)

und wir könnten keine Unterstützung im Hightechbe- Wir sind auf dem richtigen Weg.
reich für die Universitäten organisieren. Dies würde al- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
les wegfallen. Es ist ja anders gekommen, dafür ist zu
danken. Ich hoffe, dass die Ministerpräsidenten – auch Es muss nüchtern festgestellt werden, dass es nicht
Sie, Frau Ministerin Schavan – wenigstens ab und zu im nur einen weltweiten Wettbewerb um Märkte, Produkte
stillen Kämmerlein ein Dankeschön an diejenigen rich- und Rohstoffe gibt, sondern auch einen weltweiten
ten, die durchgesetzt haben, dass es so nicht gekommen Wettbewerb um junge Talente, um hoch qualifizierte
ist. Wissenschaftler und um ebenso hoch begabte Studie-
rende. In diesem Wettbewerb müssen auch wir bestehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Eine Bemerkung, die sich auf den Bereich der Innen-
FDP) politik bezieht. Unsere Passgesetze, unsere Einreise- und
Aufenthaltsbedingungen sind gerade für junge Studie-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der ge- rende und junge, hoch qualifizierte Wissenschaftler
plante Hochschulpakt macht deutlich, dass Bund und mehr als schwierig. Das gilt auch für diejenigen, die
Länder den anstehenden Herausforderungen nur gemein- nach Deutschland kommen und hier bleiben wollen.
(B) sam begegnen und die Zahlen nur gemeinsam feststellen (D)
können; denn in den nächsten Jahren werden mindestens (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
500 000 bis 700 000 Studenten mehr in die Universitä- Ich kann Ihnen ein Beispiel aus meinem Büro erzählen:
ten und Hochschulen drängen. Insgesamt werden es Ein junger Amerikaner, der bei mir arbeiten möchte, hat
dann 2,5 bis 2,7 Millionen Studenten sein. Damit wären enorme Schwierigkeiten, ein Visum zu bekommen.
die Länder überfordert.
Die Koalition hat für den Deutschen Akademischen
Frau Ministerin Schavan, ich möchte Ihnen dafür dan- Austauschdienst und die Alexander von Humboldt-Stif-
ken, tung mehr Mittel zur Verfügung gestellt, damit gerade
(Ulrike Flach [FDP]: Schon wieder Dank!) die hoch qualifizierten Menschen für unser Land gewon-
nen und die bereits bestehenden Netzwerke ausgebaut
dass Sie nach der Änderung des Grundgesetzes die Ini- werden können.
tiative ergriffen und sanften Druck auf die Länder ausge-
übt haben. Bezüglich des Hochschulpakts zeichnet sich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
jetzt eine Einigung ab. Es sieht so aus, als ob diese He- Lassen Sie mich die Exzellenzinitiative ansprechen.
rausforderung gemeistert werden könnte. Wir können Diese Initiative, die in der vergangenen Legislatur-
dann 565 Millionen Euro für die Lehre und, wenn auch periode entwickelt wurde, setzen wir jetzt nach und nach
der zweite Teil der Einigung zustande kommt, um. Mit Bundesmitteln, zum Teil auch mit Landesmit-
700 Millionen für den Forschungsbereich zur Verfügung teln, sollen einige deutsche Universitäten an die Welt-
stellen. spitze gebracht werden. 1,9 Milliarden Euro sollen insbe-
(Beifall bei der CDU/CSU) sondere vom Bund – die Länder bringen 25 Prozent auf –
zur Verfügung gestellt werden. Die erste Runde des
Liebe Ilse Aigner, nebenbei bemerkt, hiervon werden Wettbewerbs ist abgeschlossen. Die Entscheidungen
hauptsächlich die süddeutschen Länder profitieren. Von wurden getroffen. Festgestellt werden kann – das wird
den 700 Millionen Euro werden etwa 200 bis 250 Mil- einem berichtet, wenn man sich mit den Verantwortli-
lionen Euro nach Bayern und Baden-Württemberg flie- chen unterhält –, dass der Wettbewerb an allen beteilig-
ßen. Auch darauf muss – Stichwort: stilles Kämmerlein – ten Universitäten dafür gesorgt hat, dass Strukturen auf-
hingewiesen werden. gebrochen wurden und das Interesse an Forschung in
den Universitäten gestärkt bzw. reaktiviert worden ist.
Die Länder, zumindest die Wissenschaftsminister, ha-
ben sich geeinigt. Nachdem die Kanzlerin und die Mi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6715
Klaus Hagemann
(A) Das allein ist schon ein Erfolg. Einen großen Erfolg ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
ben natürlich die Universitäten errungen, die den Wett- der CDU/CSU)
bewerb gewonnen haben. Hier ist insbesondere die Uni-
Lassen Sie mich zum Schluss noch ganz kurz die
versität in Karlsruhe zu nennen.
Hightechinitiative ansprechen. Hier stehen 6 Milliarden
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Euro zusätzlich zur Verfügung, um das Forschungsziel,
3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu investieren, zu
– Kollege Tauss, da kann man durchaus klatschen. erreichen. Hier hat die Koalition eine große Duftmarke
gesetzt. Es gilt nun, dieses Ziel in den nächsten Jahren
Das entscheidende Plus von Karlsruhe waren die Be- zu erreichen. Es gilt aber auch für die Wirtschaft, die ge-
reiche der Nanotechnologie und der Optoelektronik. wonnenen Erkenntnisse, die gefundenen Patente in die
Diese Förderungen gehen auf Programme des Bundes Tat umzusetzen und neue Produkte zu entwickeln. Da
zurück. Sie wurden – ich sage das in Klammern – unter hat die deutsche Wirtschaft einen erheblichen Nachhol-
Rot-Grün gefordert und gefördert. Ein Bundesprogramm bedarf. Wir waren in der vorigen Woche mit einer Dele-
hat also mit zum Erfolg geführt. gation in der Schweiz. Dort haben wir gehört, dass die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wirtschaft fast ganz allein die Forschungsausgaben be-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zahlt und nicht auf den Staat setzt. Das sollte man hier
einmal erwähnen.
Frau Schavan, ich habe der Presse entnommen, dass
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Sie Aktivitäten unternommen haben, um eine engere Zu-
der CDU/CSU)
sammenarbeit zwischen der Universität Karlsruhe und
Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft in Karlsruhe Wir bitten Sie, Frau Ministerin, den Haushaltsaus-
herbeizuführen. Es ist sicherlich richtig, Spitzen zusam- schuss und uns, das Parlament, weiterhin in diesen Pro-
menzuführen. Aber wir sollten bedenken: Wir, der Bund, zess zu integrieren und uns über den Sachstand zu infor-
haben nicht die Universität Karlsruhe zu finanzieren. mieren, auch darüber, inwieweit die Wirtschaft ihren
Das ist Sache des Landes Baden-Württemberg. Darauf Anteil von 2 Prozent und die Länder ihren Anteil von
sollten wir mit Nachdruck hinweisen. 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erbringen. Wir
haben im Haushaltsausschuss einen entsprechenden An-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trag – ich glaube einstimmig – beschlossen.
der FDP)
Lassen Sie mich zum Ende kommen; am Rednerpult
Frau Flach hat vorhin deutlich gemacht, dass wir aus leuchtet bereits die rote Lampe. Die große Koalition
der Exzellenzinitiative den Mehrbedarf für das BAföG kann im Forschungsbereich, aber auch im Bildungsbe-
finanziert haben, weil die Mittel nicht so abgeflossen reich – dort hat sie weniger Zuständigkeiten – selbstbe- (D)
(B) sind bzw. abfließen, wie wir uns das gedacht haben. Wir
wusst und mit Selbstvertrauen, aber nicht selbstzufrie-
haben 40 Millionen Euro für das BAföG umgeschichtet. den in die nächsten Jahre gehen und in die Zukunft
blicken. Deswegen müssen wir unsere Ansätze gemein-
(Ulrike Flach [FDP]: Mit unserer Unterstüt- sam umsetzen.
zung!)
Lassen sie mich als Hauptberichterstatter Ihnen, Frau
Das ist gut so. Das zeigt, dass mehr Studenten gefördert Ministerin, zum Schluss danken und auch Ihnen, Herr
werden können und dass für die Universitäten kein Staatssekretär Storm, den Mitarbeitern Ihres Hauses –
Nachteil entsteht. Das sollte man erwähnen. Dazu ge-
hört, dass dies in den Jahren 2009 und 2010 nachetati-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
siert wird.
Bitte nicht zu viele Schlussworte! Ihre Redezeit ist
(Ulrike Flach [FDP]: Da sind wir einmal deutlich überschritten.
gespannt!)
Klaus Hagemann (SPD):
Wenn die Rede von Hochqualifizierten und Talenten
– und allen anderen Berichterstattern.
ist, so gilt das nicht nur für die Erstausbildung, sondern
auch für das lebenslange Lernen, Herr Kollege Schnei- Vielen Dank.
der, und für die Weiterbildung. Auch hier haben wir be-
sondere Anstrengungen unternommen und im Haushalt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Mittel zur Verfügung gestellt. Hieran muss weiter gear-
beitet werden. Bei diesem Thema liegen unsere Ansich- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
ten sicherlich nicht weit auseinander. Ich erteile das Wort Kollegin Krista Sager, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Natürlich sind auch die Tarifvertragsparteien gefor-
dert. Sie sind außerdem bei der Facharbeiterausbil- Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
dung gefordert. Denn wir werden in den nächsten Jahren
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses
sicherlich einen Facharbeitermangel haben. Wer heute
Parlament ist in der Tat gut beraten gewesen, dafür zu
nicht ausreichend ausbildet, hat morgen nicht genügend
sorgen, dass der Bund Geld für die Schaffung von Stu-
Facharbeiter. Das sollten wir den Betrieben in Erinne-
dienplätzen ausgibt.
rung rufen. Deswegen ist es gut, dass wir das Jobstarter-
programm und andere Programme zur Förderung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ausbildungsbereichs geschaffen und aufgestockt haben. sowie bei Abgeordneten der SPD)
6716 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Krista Sager
(A) Jetzt ist eindeutig klar geworden: Ohne Bundesgeld Für die Spitzenjahre 2011 bis 2013 wurden überhaupt (C)
hätte es den Hochschulpakt gar nicht erst gegeben. keine Vereinbarung und keine Festlegung getroffen.
Deswegen ist das Label „Hochschulpakt 2020“ offen-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sichtlich zu hoch gegriffen.
und bei der SPD)
Wenn man sich den Hochschulpakt genau ansieht,
Wir wissen heute sogar noch mehr. Wir wissen, dass
stellt man fest, dass die Situation wirklich kritisch ist.
es ohne Bundesgeld, ohne den viel geschmähten golde-
Sie haben eine Vereinbarung getroffen, die bedeutet,
nen Zügel des Bundes, nicht nur keinen Ausbau von Stu-
dass 22,5 Prozent der Bundesmittel nicht in die Schaf-
dienplätzen, sondern in den allermeisten Bundesländern
fung von Studienplätzen, sondern in die Erhaltung beste-
sogar einen Abbau von Studienplätzen gegeben hätte.
hender Studienplätze fließen. Diese Vereinbarung, die
Insofern muss man doch sagen, dass alle Erwartungen,
notwendig war, kritisiere ich nicht. Allerdings muss man
die Länder würden die 90 000 Studienplätze bis zum
jetzt die Konsequenzen tragen, dass man keinen fairen
Jahr 2010 in gegenseitigem Einvernehmen selbst schaf-
Ausgleichsmechanismus zwischen den Ländern, die viel
fen, wirklich ein bisschen weltfremd waren.
ausbilden, und denen, die zu wenig ausbilden, gefunden
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat.
und bei der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Davon haben wir uns jetzt verabschiedet; das ist auch
Das hat Sie im Zusammenhang mit dem Hochschulpakt
gut so.
bitter eingeholt.
Der Hochschulpakt hat viel Mühe gekostet und er ist
nur mit Not zustande gekommen. Im Gegenteil, mit dem Königsteiner Schlüssel wer-
den die alten Ungerechtigkeiten fortgeführt.
(Ulrike Flach [FDP]: Ja! Das kann man wohl
sagen!) (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!)

Dass jetzt alle Beteiligten die Stimmung verbreiten, dass Wirtschaftsstarke Länder, die in der Vergangenheit aus-
alles gut wird, finde ich menschlich verständlich. In der bildungsfaul waren, werden dadurch ganz besonders be-
Sache ist das aber leider nicht gerechtfertigt. lohnt.

(Uwe Barth [FDP]: Genau! Dazu besteht kein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Anlass! Das ist wahr!) Auf diese Fortschleppung alter Ungerechtigkeiten muss
Man kann wirklich erhebliche Zweifel daran haben, ob das man reagieren. Denn jetzt stellt man fest, dass
(B) Ziel, bis zum Jahre 2010 90 000 zusätzliche Studienplätze 22,5 Prozent der Bundesmittel nicht für die Schaffung (D)
zu schaffen, erreicht wird. zusätzlicher Studienplätze verwendet werden. Wenn es
aber beim Ziel der Schaffung von 90 000 zusätzlichen
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das liegt Studienplätzen bleiben soll, bedeutet das, dass weniger
doch wohl auch an uns!) Länder mit weniger Bundesmitteln mehr Studienplätze
Das will ich Ihnen an einigen Punkten deutlich ma- schaffen müssen.
chen: Der Wissenschaftsrat und die Hochschulrektoren- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja! Genau
konferenz haben mit Recht gesagt: Der Pakt ist im Haus- das heißt es!)
halt unterfinanziert und es drohen Studienplätze zu
Dumpingpreisen. – Ja, genau das heißt es.

(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) Ich habe keinen Zweifel daran, dass auch die Kolle-
ginnen und Kollegen in den anderen Fraktionen die
Deswegen haben wir den Antrag gestellt, im Rahmen Grundrechenarten beherrschen
des Hochschulpakts mehr Mittel für die Schaffung von
Studienplätzen zur Verfügung zu stellen. Es wäre richtig (Uwe Barth [FDP]: Ich manchmal schon!)
gewesen, unserem Antrag zu folgen. und sich darüber Gedanken machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) –
sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Da hast du
Da das Ganze erst im Wintersemester 2007/2008 be- Recht!)
ginnt, ist auch die Kritik richtig, dass das zu spät und zu Wenn es dabei bleiben soll, dass der Bund 50 Prozent
langsam ist. Hinzu kommt: Wenn man erst im Jahre der Kosten jedes Studienplatzes übernimmt, dann hat
2009 feststellt, ob man das Ziel, bis zum Jahre 2010 das zur Folge, dass das zur Verfügung stehende Geld für
90 000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen, überhaupt die Schaffung von nur 70 000, nicht aber für die Schaf-
erreicht, kann man nicht davon ausgehen, dass man im fung von 90 000 zusätzlichen Studienplätzen ausreicht.
Jahre 2011 voll durchstarten und pro Jahr 40 000 zusätz-
liche Studienplätze schaffen kann. Auch dafür ist es Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren Kolle-
dann zu spät. ginnen und Kollegen – auch Sie machen sich schließlich
Gedanken –:
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN) (Ulrike Flach [FDP]: Das reicht aber nicht!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6717
Krista Sager
(A) Was sind die Konsequenzen? Wenn Sie unserem An- die Dummen. Wir brauchen eine Umkehrung der Logik. (C)
trag, die Mittel aufzustocken, gefolgt wären oder einen Das muss sich auch im Haushalt niederschlagen.
eigenen Antrag, der in die gleiche Richtung zielt, gestellt
hätten, dann wären Sie jetzt auf der sicheren Seite, da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
diese Lücke dann geschlossen wäre.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Jetzt sehe ich eigentlich nur noch zwei Möglichkei-
Ich erteile das Wort Bundesministerin Annette Scha-
ten: Wenn sich die Fraktionen darauf verständigen, dass van.
es beim Ziel, 90 000 zusätzliche Studienplätze zu schaf-
fen, bleiben soll, müsste man von der zweiten Säule, der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Forschungsförderung, in die erste Säule umschichten; neten der SPD)
das ist die erste Möglichkeit, die es gibt.
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Sie haben Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
doch überhaupt keine Ahnung! Was erzählen dung und Forschung:
Sie denn hier für dumme Sachen? Das ist doch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
unglaublich! – Uwe Barth [FDP]: Das wäre Meine Damen und Herren! Bildung und Ausbildung, Wis-
aber nicht gut!) senschaft und Forschung werden international zuneh-
mend als entscheidende Entwicklungsmotoren moder-
Dann aber hätte die Bundesministerin offensichtlich ein ner Gesellschaften gesehen. Der Einzelplan 30 im
Problem. Frau Flach hat völlig zu Recht darauf hinge- Haushalt 2007 wird diesem Stellenwert gerecht. Der Auf-
wiesen: Zuerst wurde ihr die Forschungsprämie gesperrt, wuchs ist schon benannt: 500 Millionen Euro. Auch mit
dann wurden ihr die Fusionsforschungsmittel gesperrt. den Schwerpunkten unserer Bildungs- und Forschungs-
Sollen im Haushalt der Ministerin, die mit den Niede- politik werden wir dieser Bedeutung gerecht.
rungen der Studienplätze in Deutschland eigentlich gar
nichts mehr zu tun haben wollte, Ich danke deshalb dem Parlament, den Mitgliedern
des Haushaltsausschusses, den Mitgliedern des Fachaus-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was?) schusses, allen, die beteiligt sind, für die Beratungen der
jetzt auch noch Mittel aus der zweiten Säule, der For- letzten Wochen und Monate. Ich finde, wir haben die
schungsförderung, für die Schaffung von Studienplätzen Weichen für das Jahr 2007 gemeinsam richtig gestellt, in
umgeschichtet werden? Das ist keine schöne Vorstel- finanzieller Hinsicht, in konzeptioneller Hinsicht und im
lung. Hinblick auf die richtigen Signale an die Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler und an die Bildungsfach-
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leute in Deutschland. (D)
sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])
Ich will gerne aufgreifen, was einige Vorredner gesagt
Da ich die Forschung nicht gegen die Lehre ausspie- haben: Es gehört doch ganz selbstverständlich zur Poli-
len möchte, tik und zur politischen Verantwortung, dass wir auch an
Entwicklungen der letzten Jahre, ja Jahrzehnte anknüp-
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Sie tun es fen. Niemand beginnt bei null; so ist das.
aber gerade!)
(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])
mache ich Sie auf die zweite Möglichkeit aufmerksam.
Da wir eine echte Ökopartei sind, schlage ich Ihnen vor: Doch wir setzen auch neue Akzente. Einige sind schon
Recyceln Sie unseren Antrag auf Erhöhung der Mittel genannt. Hightech ist ein völlig neuer Ansatz. Ob Ihnen
für die Schaffung von Studienplätzen! Dann sind Sie auf das jetzt passt oder nicht, ob Sie das wahrnehmen wollen
der sicheren Seite. oder nicht, das interessiert die zuständige Öffentlichkeit
überhaupt nicht. Es ist uns gelungen, zu strategischen, zu
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verbindlichen Partnerschaften zwischen Wirtschaft und
Ein Wort noch zur Qualität der Lehre. Wir hätten in Wissenschaft zu kommen. Wir haben einen neuen Weg
diesem Haushalt ein deutliches Signal gebraucht für die gefunden, um mehr Investitionen für F und E in den Un-
Qualität der Lehre. Ein solches Signal wäre gewesen, ternehmen in Deutschland zu generieren. Wir haben uns
auch hinsichtlich der Qualität der Lehre einen Wettbe- auch in die europäischen Prozesse eingebracht, weil da
werb zu eröffnen. Es ist ein ganz schlechtes Signal der das Gleiche gilt.
Exzellenzinitiative, dass man als Uni exzellent sein kann (Jörg Tauss [SPD]: Moment, ich muss klatschen! –
ohne einen Nachweis, dass man auch in der Lehre wirk- Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
lich gut ist. Es ist ein ganz schlechtes Signal, dass die
Länder, die zu wenig ausgebildet haben und das Geld Wir haben neue Anreize geschaffen für diese Partner-
lieber in die Forschung gesteckt haben, mit der Exzel- schaft. Wir haben – das hat es noch nie gegeben – eine
lenzinitiative auch noch dafür belohnt werden, dass sie Forschungsunion, die Stück für Stück die Umsetzung der
ärmeren Ländern das Ausbilden zugemutet haben. Die Hightechstrategie befördert. Zum Stichwort „Anreize“.
Ausbildung der jungen Menschen in dieser Republik ist Ich habe in dieser Woche in irgendeiner Zeitung – ich
für uns alle viel zu wichtig, als dass wir uns das Signal weiß nicht mehr, in welcher – gelesen, wir hätten noch
leisten könnten: Länder, die ausbilden, sind die Dum- kein Konzept für die Forschungsprämie. Ich kann nur
men; Universitäten, die Wert auf die Lehre legen, sind sagen – und das wissen Sie alle –: Das Konzept liegt auf
6718 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) dem Tisch, ist fertig, ist mit den Regierungsfraktionen (Ulrike Flach [FDP]: Aha!) (C)
besprochen.
Meine Damen und Herren, die Hightechstrategie ist
(Uwe Barth [FDP]: Es ist gesperrt!) ein Stichwort. Wir haben hier mehrfach darüber gespro-
chen. Es ist ein neuer Ansatz. Ich nenne Ihnen Beispiele,
Es muss aber in einem ganz entscheidenden Punkt – be- bei denen sich schon jetzt abzeichnet, dass Partnerschaf-
treffend die neuen Bundesländer – mit der EU abge- ten zustande kommen: Ich nenne die OLED-Initiative,
stimmt werden. für die 100 Millionen Euro an Forschungsgeldern und
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) 500 Millionen Euro seitens der Unternehmen bereitge-
stellt werden.
Das passiert in diesen Tagen. Die Forschungsprämie
wird natürlich am 1. Januar 2007 eingeführt und ich bin (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Super!)
sehr zuversichtlich, dass das, was heute gesperrt genannt Ich nenne die Nano-Initiative – Aktionsplan 2010, für
wird, ganz schnell entsperrt ist und die Forschungsprä- die allein im kommenden Jahr Investitionen in Höhe von
mie für KMU in Deutschland eingeführt wird. 135 Millionen Euro aus unseren Fachprogrammen getä-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tigt werden
neten der SPD) (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Frau Flach, ich würde mich mit Ihnen gerne einmal und bei der sich ebenfalls schon heute andeutet, dass es
ernsthaft streiten und mit Ihnen ringen. seitens der Unternehmen ein Mehrfaches an Investitio-
(Ulrike Flach [FDP]: „Ringen“?) nen geben wird. Ich erinnere an die weiße Biotechnolo-
gie, durch die Lösungswege für viele drängende Pro-
– In der Sache. – Aber das, was Sie heute an Vorlagen bleme unserer Zeit angeboten werden. Auch hier liegt
liefern, reicht nicht, um mit der Opposition einmal rich- ein Förderschwerpunkt mit insgesamt 354 Millionen
tig zu streiten. Euro und auch in diesem Bereich ist der Branchendia-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg log ausgezeichnet. Schließlich nenne ich das Sicher-
Tauss [SPD]: Nicht einmal zum Kaffeetrin- heitsforschungsprogramm, für das im Einzelplan 30
ken!) bis 2010 rund 123 Millionen Euro eingeplant sind.
Ich finde, wir sollten mit einer gewissen Ernsthaftigkeit (Ulrike Flach [FDP]: Das kennen wir noch
miteinander umgehen. nicht!)
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Uwe Dies korrespondiert sehr stark mit dem, was im 7. For-
(B) Barth [FDP]: Ausgerechnet Herr Tauss!) schungsrahmenprogramm steht. Daneben gibt es viele (D)
weitere Beispiele.
Sie haben hier behauptet, Geld würde nicht ausgegeben.
Sie sind länger hier im Bundestag als ich. Ich habe mir gestern in meinem Hause noch einmal
einen Bericht darüber geben lassen. Die Branchen-
(Ulrike Flach [FDP]: Deshalb warte ich dialoge laufen gut. Die Unternehmen wissen, dass ihre
darauf, dass es anfängt!) Innovationsfähigkeit über ihre Erfolgsgeschichte und die
Deshalb wissen Sie auch, welche Bedeutung die Zahlen der Branche entscheidet. Hier kommen die Interessen
am 31. Oktober eines Jahres haben. Von daher erhöhe doch wunderbar zusammen.
ich jetzt von 95 Prozent auf 99 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Ulrike Flach [FDP]: Ich bin einmal gespannt!) Zur Exzellenzinitiative. Frau Sager, den Satz, dass
Mit Blick auf den Steuerzahler ist aber auch klar: man in der Lehre schlecht sein und bei der Exzellenzini-
Geld wird dann überwiesen und Programme werden tiative dennoch spitzenmäßig herauskommen kann,
dann finanziert, wenn es soweit ist und wenn alle Vo- muss ich wirklich zurückweisen. Wer sich die Kriterien
raussetzungen erfüllt sind. Wir gehen gewissenhaft mit und das, was die internationalen Kommissionen begut-
den Steuergeldern um. achtet haben, ansieht – eines der wichtigsten Kriterien
war die Nachwuchsförderung und eine der drei Säulen
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) war die Graduiertenschulung –, der muss sagen: Mit die-
Ich glaube, Sie müssen sich überhaupt keine Sorgen ma- ser Exzellenzinitiative wird ein ganz wichtiger Impuls
chen. Das gilt sowohl für die besonderen Akzente als für die Lehre und für den von uns immer wieder beton-
auch mit Verlaub für die zahlreichen Programme. ten Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre ge-
setzt. Deshalb ist das nicht nur ein Forschungspro-
(Ulrike Flach [FDP]: Dann hoffe ich, dass die gramm, sondern ein Programm, mit dem der Blick der
Haushälter das genauso sehen!) beteiligten Hochschulen für den wissenschaftlichen
Nachwuchs geschärft und mehr möglich gemacht wird,
Sie wissen auch besser als ich, dass es in diesem Haus-
als in der Vergangenheit möglich war.
halt eine Reihe von Programmen gibt, die von der Vor-
gängerregierung aufgelegt wurden und die – ursprüng- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Krista
lich war nicht geplant, dass 2005 Bundestagswahlen Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Univer-
durchgeführt wurden – bis Ende 2006 auslaufen und da- sitäre Ausbildung schafft aber nicht nur wissen-
mit beendet sein werden. schaftlichen Nachwuchs!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6719
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) Die Exzellenzinitiative – auch das haben Sie gesagt – schen dem schulischen Bereich und unseren Hochschulen (C)
ist eines von vielen Beispielen für eine gute Zusammen- sowie zwischen Erstausbildung und Weiterbildung – ge-
arbeit zwischen Bund und Ländern. Das gilt auch für den hen. Das werden die zentralen Kriterien für diese Moder-
Hochschulpakt. Teilweise wird gesagt, dies sei ein müh- nisierung sein.
samer Prozess. Sie wissen, dass wir diesen Prozess vor
der Verabschiedung der Föderalismusreform eingeleitet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
haben. Sie wissen auch – das gilt auch für viele, die mit der SPD)
mir verhandelt haben; das waren übrigens SPD und Liebe Frau Flach, Sie haben die Stammzellforschung
Union gleichermaßen –, dass ich schon damals gesagt angesprochen. Ihre Ausführungen zu diesem Thema be-
habe, dass wir einen Hochschulpakt schließen werden, weisen, dass Sie überhaupt nicht mehr zuhören. Ich habe
der ein klares Signal an die Studierenden setzt. nach der Stellungnahme in dem Gutachten der DFG ge-
sagt: Entscheidend ist für die Bundesregierung, dass die
Jetzt ist das gelungen. Er wurde übrigens nicht nur bis
Substanz des Willens des Gesetzgebers auch in Zukunft
2010, sondern aufgrund unserer gemeinsamen Verant-
gewahrt bleibt. Das ist der entscheidende Punkt: die
wortung bis 2020 konkretisiert. Das sehe ich als ein her-
Substanz eines Gesetzes, das in diesem Parlament nach
ausragendes Zeichen an die Hochschulen in Deutschland
ausführlichen und ernsthaften Debatten zustande gekom-
an.
men ist. Das ist mein Maßstab.
(Beifall bei der CDU/CSU)
In diesem Sinne werden die Gespräche mit dem Par-
Er ist vor allen Dingen auch für die neuen Bundesländer lament geführt werden. Dabei geht es nicht um die
bedeutsam: Frau Sager, Sie sprachen von 90 000 zusätz- Frage, ob die Bundesregierung diesem oder jenem Gut-
lichen Studienplätzen in ganz Deutschland. Mit jedem achten folgt; es geht vielmehr darum, dass die Substanz
Studienplatz, der in einem neuen Bundesland abgebaut des Gesetzes dem Willen des Gesetzgebers entsprechend
würde, würde sich zeigen, dass das gar keine relevante auch in Zukunft erhalten wird. Darüber werden wir uns
Zahl gewesen wäre. Was Ihre Kritik angeht, finde ich es verständigen.
deshalb vonseiten des Bundes richtig, zu akzeptieren, Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns in diesem
wie sich die Länder die Finanzierung vorstellen und ob Parlament und im Dialog zwischen Bundesregierung
sie sich selbst zur Finanzierung verpflichten. Ich halte und Parlament gelingen wird, erneut eine ernsthafte De-
das Konzept des Hochschulpaktes bis 2010 und darüber batte in der Sache zu führen, die der Öffentlichkeit zeigt,
hinaus für in hohem Maße tragfähig. dass wir den Lebensschutz und die Substanz des Geset-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zes ernst nehmen und uns ernsthaft mit dem auseinander
(B) neten der SPD) setzen, was uns die Forscherinnen und Forscher mittei- (D)
len.
Wir haben im Bereich der beruflichen Bildung einen
deutlichen Zuwachs zu verzeichnen. Im Bereich Weiter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
bildung haben wir endlich ein sehr wichtiges und inte- neten der SPD)
ressantes Programm zur Grundbildung von Erwachsenen Ich bin der festen Überzeugung, dass in diesem
und zur Unterstützung der Alphabetisierungskampagne. Jahr 2006 wichtige Weichen gestellt worden sind. Mit
Das ist ein sehr wichtiger Baustein in diesem Bereich. dem Haushalt 2007 ist die Grundlage für weitere Maß-
Das Konzept der lernenden Regionen ist vertieft worden. nahmen und Akzente in der Bildungspolitik wie auch bei
Dabei ergeben sich aus Modellprojekten neue Entwick- der Modernisierung des Wissenschaftssystems und für
lungen. eine anhaltende Aufbruchstimmung am Forschungs-
Ich bin zudem davon überzeugt, dass wir vor einer der standort Deutschland geschaffen worden.
größten strukturellen Veränderungen im Bereich der be- Vielen Dank.
ruflichen Bildung stehen. Es geht nicht an, dass jedes
Jahr nach Abschluss der Einstellungen eines Jahrganges (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
mehr junge Leute ohne Stelle sind. Wie mein Kollege neten der SPD)
Müntefering heute Morgen schon angedeutet hat, sind
wir auf einem sehr Erfolg versprechenden Weg, über Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Maßnahmen sowohl des Arbeitsministeriums als auch Ich erteile das Wort Kollegen Uwe Barth, FDP-Frak-
unseres Hauses diese Gruppe der Altbewerber in den tion.
Blick zu nehmen. Dazu kommt noch der europäische
Qualifikationsrahmen, sodass ich sage: Wir stehen vor (Beifall bei der FDP)
einer der tiefstgreifenden Weiterentwicklungen der be-
ruflichen Bildung in Deutschland. Uwe Barth (FDP):
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
neten der SPD) Dass man nach rund 14 Monaten als Abgeordneter des
Deutschen Bundestages noch gelegentlich etwas Neues
Zu der Modernisierung der beruflichen Bildung zählt erlebt, ist nicht weiter verwunderlich. Was sich aber seit
für mich auch, dass wir einen großen Schritt in Richtung Dienstag in dieser Debatte abspielt, ist für mich nicht nur
einer größeren Durchlässigkeit im Bildungssystem – zwi- neu. Diese Debatte und die zeitgleich stattfindenden
schen allgemein bildenden und beruflichen Schulen, zwi- Jubelfeierlichkeiten zum ersten Geburtstag dieser
6720 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Uwe Barth
(A) Koalition offenbaren bei den Koalitionären ein Maß an Hochschulen dramatisch unterfinanziert sind und es (C)
Realitätsverlust und finden in einer Selbstgefälligkeit trotz Hochschulpakt auch bleiben werden.
statt, wie ich es in diesem Hohen Hause nicht erwartet
hätte. (Beifall bei der FDP – Klaus Hagemann [SPD]: Ihr
seid doch in den Ländern dabei!)
(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]:
Selbstgefälligkeit ist doch Westerwelles Spe- Heute Morgen wurde an dieser Stelle über den Haus-
zialität!) halt des Bundesarbeitsministers mit einem Gesamtvolu-
men von 124,4 Milliarden Euro beraten. Das ist fast die
Seit fast drei Tagen loben und beglückwünschen Sie sich Hälfte des Gesamthaushaltes. Wir sprechen über einen
gegenseitig. Der gruslige Auftritt Ihrer Fraktionsvorsit- Etat mit einem Volumen von rund 8,5 Milliarden Euro.
zenden gestern war kein Ausrutscher, sondern nur der Der Bundesarbeitsminister hat allein 5 Milliarden Euro
vorläufige Höhepunkt dieses Schauspiels. Sie klopfen Aufwuchs in diesem Jahr zu verzeichnen, während wir
sich gegenseitig auf die Schultern, dass es nur so kracht, uns darüber streiten, ob der Aufwuchs im Etat für Bil-
und können in dem Staub, den Sie dabei aufwirbeln, die dung und Forschung 500 Millionen oder 230 Millionen
klare Realität offenbar nicht mehr erkennen. Euro beträgt. Das ist das, was aus meiner Sicht zum
(Beifall bei der FDP) Thema Prioritätensetzung in der globalen Politik zu sa-
gen ist.
Sie berauschen sich an Erfolgen, die außer Ihnen nie-
mand wahrnimmt, und halten sich Entwicklungen zu- (Beifall bei der FDP)
gute, an denen Sie maßgeblich unschuldig sind. Die fehlende Prioritätensetzung wird beim Thema
Ich weiß, dass sich die Kollegen von der SPD unfair Forschungsprämie exemplarisch deutlich. Im Septem-
behandelt fühlen, wenn man sie an den Wahlkampf des ber dieses Jahres haben wir, die FDP-Fraktion, dem
letzten Jahres erinnert. Hohen Haus konkrete Vorschläge vorgelegt, die zur Ver-
besserung der Kooperation von Wissenschaft und Wirt-
(Jörg Tauss [SPD]: Warum?) schaft eine Forschungsprämie vorsehen. Im Rahmen der
Aber zumindest bei den Kollegen von der Union müsste, Haushaltsberatungen haben wir auch einen konkreten Fi-
denke ich, ein Funke Erinnerung an den gemeinsamen nanzierungsvorschlag unterbreitet. Nun wird der Ansatz
Wahlkampf da sein. für die Forschungsprämie vom Haushaltsausschuss
– darauf haben die Vorredner schon hingewiesen – zu-
(Jörg Tauss [SPD]: Gemeinsamer Wahlkampf? nächst gesperrt. Frau Ministerin, nach Ihren Worten bin
Lass hören! Jetzt aber! Kirchhof!) ich gespannt, was daraus wird.
(B) – Das ist wahr, auch wenn Sie davon nichts mehr wissen (Jörg Tauss [SPD]: Nun seien Sie einmal opti- (D)
wollen. – In diesem Wahlkampf haben wir gemeinsam mistisch!)
die Schaffung hoch qualifizierter Arbeitsplätze als we-
sentliche Voraussetzung für die Zukunft des Standorts Besonders deutlich zeigt sich das Problem der fehlen-
Deutschland erkannt. Hoch qualifizierte Arbeitsplätze den Prioritätensetzung in Ostdeutschland. Machen wir
brauchen zwei Voraussetzungen: erstens leistungsfähige eine kurze Bestandsaufnahme. Auch nach 16 Jahren
Hochschulen, die entsprechend ausgebildete Absolven- weitgehend ineffektiven Geldverteilens haben die neuen
ten hervorbringen, und zweitens eine starke und anwen- Bundesländer nach wie vor nicht die Wirtschaftskraft
dungsorientierte F-und-E-Landschaft als Transmissions- des alten Bundesgebietes. Warum? Weil die Politik bis
riemen zur Wirtschaft. heute nicht begriffen hat, dass der Schlüssel für mehr
Wachstum in mehr Innovation liegt.
(Beifall bei der FDP)
(Klaus Hagemann [SPD]: Sagen Sie das mal
In Zeiten knapper Kassen ist das natürlich nur durch eine den Unternehmen!)
entsprechende Prioritätensetzung zu erreichen. Eine Prio-
ritätensetzung ist weder im Gesamthaushalt noch im Einen echten Wirtschaftsaufschwung Ost kann es nur
Einzelplan 30 und auch nicht im täglichen Regierungs- geben, wenn Sie eine starke, anwendungsorientierte For-
handeln zu erkennen. schungs- und Entwicklungslandschaft vor Ort schaffen.
(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Michael Kretschmer
[CDU/CSU]: Das kann es nur geben, wenn es
Die Zersplitterung der Forschungslandschaft zu Be- nicht so viele Miesmacher wie Sie gibt!)
ginn der Legislaturperiode war eine Niederlage für die
Forschungspolitik aus einem Guss. Das Ganze setzt sich Nur dies stärkt Unternehmen vor Ort. Nur dies bewegt
in der Tagespolitik dergestalt fort, dass sich die Ministe- Unternehmen, sich im Osten Deutschlands anzusiedeln.
rin in Placeboveranstaltungen flüchten muss, um über- Nur dies schafft letztlich zukunftsfähige Arbeitsplätze.
haupt wahrgenommen zu werden und stattzufinden. Das Eine Bestandsaufnahme fördert auch zutage, dass in
gilt insbesondere auch für den Osten. Frau Ministerin, den ostdeutschen Bundesländern die Exzellenzgrundla-
Innovationswochen, Memoranden und Dialoge, von gen weitgehend fehlen.
Heerscharen von Beamten in Bund und Ländern erarbei-
tet und mit großem Feuerwerk abgebrannt, helfen nicht, Das muss man schonungslos so sagen. Das haben uns
wenn Sie nicht Prioritäten setzen. Diese Showveranstal- die Ergebnisse der Exzellenzinitiative im Übrigen ge-
tungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zeigt. Auch hierfür ist die Hauptursache die chronische
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6721
Uwe Barth
(A) Unterfinanzierung der Hochschulen. Wollten wir auch schung und die Sozial- und Geisteswissenschaften, mit (C)
nur den internationalen Durchschnitt erreichen, müssten denen wir uns gerade im Jahr der Geisteswissenschaften,
wir fast 9 Milliarden Euro mehr pro Jahr für die Hoch- das ansteht, noch besonders beschäftigen wollen. Dazu
schulen ausgeben. Der ganze Einzelplan umfasst gerade spricht nachher noch der Kollege Schulz. Die genannten
einmal 8,5 Milliarden Euro. Die 280 Millionen Euro von Projekte haben übrigens – das will ich an dieser Stelle
Bund und Ländern pro Jahr sind angesichts dieser Di- sagen – auch an das Haus große Anforderungen gestellt.
mension doch eher als bescheiden einzuschätzen. In der Hightechinitiative wurde herausgearbeitet, wo un-
sere Spitzenleistungen und wo unsere Stärken liegen,
(Beifall bei der FDP)
aber auch wo unsere Schwächen liegen und wo es Nach-
Deutschland braucht eine Zukunft als attraktiver For- holbedarf gibt. Darüber brauchen wir gar nicht zu disku-
schungs-, Dienstleistungs- und Industriestandort. Es gilt tieren. Ich will mich deswegen bei den Mitarbeiterinnen
dabei: Je billiger die anderen sind, umso besser müssen und Mitarbeitern des BMBF recht herzlich bedanken.
wir sein. Das geht auf die Dauer aber nur mit exzellenten
und gut ausgestatteten Hochschulen und Arbeitsplätzen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulrike
in innovativen Industrien. Die jungen Menschen, die Flach [FDP]: Nicht schon wieder!)
sich bei uns bilden wollen, die etwas leisten wollen, Sie wissen, ich neige nicht zu übertriebenem Beamten-
brauchen und verdienen ein klares Signal. Dieses Signal lob, aber die gute, vertrauensvolle und sehr kompetente
muss lauten: Ihr seid uns willkommen, wir brauchen Zusammenarbeit mit vielen Abteilungen des Hauses will
euch und wir sind bereit, euch die Hochschulen zu bie- ich hier ausdrücklich hervorheben.
ten, die euch eure Leistungen möglich machen. Ein sol-
ches Signal müsste von der Politik der Bundesregierung (Uwe Barth [FDP]: Zählen Sie sie doch ein-
ausgehen. zeln auf, Herr Tauss!)
(Klaus Hagemann [SPD]: Von den Ländern!) Nach diesem Lob für das Haus will ich mich Ihnen,
Frau Flach, zuwenden. Ich fand Ihre Rede wirklich nicht
Genau das geschieht aber mit diesem Haushalt nicht.
sehr fair.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Ulrike Flach [FDP]: Die passt Ihnen nicht!)
(Beifall bei der FDP)
Sie ging in der Tat – da stimme ich der Ministerin zu –
über das hinaus, was man gemeinhin vortragen sollte,
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
wenn man – ich habe immer an Ihnen geschätzt, dass Sie
Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Frak- seriös waren –
(B) tion. (D)
(Iris Gleicke [SPD]: Waren!)
(Beifall bei der SPD)
seriös bleiben will. So wie man in der Vergangenheit si-
Jörg Tauss (SPD): cher an Rot-Grün herummäkeln konnte, so kann man na-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! türlich auch an der großen Koalition das eine oder an-
Kollege Barth, eines fand ich sehr positiv an Ihren Aus- dere aussetzen. Wenn es allerdings Leistungen gibt, auf
führungen, nämlich das klare Bekenntnis der FDP dazu, die wir nach einem Jahr mit einem neuen Koalitionspart-
dass Bildung als staatliche Aufgabe zur Daseinsvorsorge ner selbstbewusst verweisen können, dann sind es ge-
gehört. Das ist immerhin eine klare Aussage. Sie dürften rade die Leistungen der neuen Bundesregierung auf den
dann aber konsequenterweise nicht ständig Vorschläge Gebieten Bildung, Wissenschaft und Forschung. Das
machen, die dazu führen, dass das staatliche Steuersys- sollte man an dieser Stelle festhalten.
tem erodiert. Die Vorschläge, die Sie machen, müssen
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
wir irgendwie finanzieren. Nur so passt das einigerma-
ßen zusammen. Ich habe die Bundesministerin genannt und nenne
(Beifall bei der SPD) auch den Finanzminister, der trotz des Haushaltsrechts
des Parlaments natürlich ein wichtiger Verbündeter der
Die Bundesministerin hat wie auch die Haushälter zu Haushälter ist. Frau Staatssekretärin Hendricks, ich bin
Recht mit Stolz auf den Etatentwurf hingewiesen. Eine dankbar, dass diese Prioritätensetzung für Bildung, Wis-
Plafonderhöhung um 6,2 Prozent ist ein wichtiges Signal senschaft und Forschung ein einigendes Band zwischen
für den Forschungsstandort Deutschland. Daran lassen unserem Teil des Parlaments und der Bundesregierung
wir, ehrlich gesagt, auch nicht herummäkeln, auch wenn darstellt. Wir wollen an dem Ziel festhalten, 3 Prozent
ich Verständnis dafür habe, dass die Opposition gele- des Bruttoinlandsproduktes für die Bildung auszugeben.
gentlich mäkeln will.
(Zuruf des Abg. Uwe Barth [FDP])
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
– Kollege Barth, ich bin so laut, dass ich Sie gar nicht
Auf die herausragenden Positionen, die wir schwer- hören kann. Ich verstehe Sie nicht. Aber stellen Sie ruhig
punktmäßig fördern, ist verwiesen worden. Ich nenne eine Zwischenfrage.
ebenfalls die Exzellenzinitiative, die Hightechinitiative,
den Hochschulpakt, die Anstrengungen zur beruflichen (Beifall bei der SPD – Uwe Barth [FDP]: Sie
Bildung, die naturwissenschaftliche Grundlagenfor- sind immer laut!)
6722 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Jörg Tauss
(A) Ich bin angesichts der Haushaltszwänge dankbar, dass wir eigentlich 11 Millionen Euro zusätzliche Steuermit- (C)
diese weiteren Steigerungen in der mittelfristigen Fi- tel aufwenden müssen, damit die Industrie geruht, sich
nanzplanung festgeschrieben werden können, damit wir an einem 10-Milliarden-Projekt zu beteiligen. Deshalb
das Ziel erreichen. fragen wir nach, was mit diesem Geld geschehen wird.
(Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP]) (Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]:
Das hat die CDU bisher aber immer anders ge-
Wir haben uns eine große Forschungs- und Entwick-
sehen! Das ist neu für die CDU!)
lungsagenda gegeben. Es gibt ein 6-Milliarden-Pro-
gramm „Hightechstrategie“. Dazu kommen neue Instru- Liebe Kolleginnen und Kollegen, 120 Millionen Euro
mente wie die Forschungsprämie. In der Tat ist es – Frau sind mehr, als wir für die gesamte Begabtenförderung
Ministerin hat es gesagt – doch selbstverständlich: Das ausgeben. Das ist etwas mehr, als wir für die gesamte na-
Geld ist bereitgestellt. Das ist zunächst einmal das Wich- turwissenschaftliche Grundlagenforschung im Etat aus-
tige. gewiesen haben; das ist mehr, als für die Förderung der
Regionen in den neuen Bundesländern bereitgestellt
(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)
wird. Wenn dieses Gemäkel kommt, kann ich nur sagen:
Es ist auch selbstverständlich, dass wir jetzt darüber re- Die Herrschaften sollen anrufen, sie kennen unsere Tele-
den, wie wir das bereitgestellte Geld vernünftig, verant- fonnummer. Ich bin wirklich bereit, darüber einmal ein
wortungsbewusst und mit möglichst hoher Wirkung für bisschen kräftiger zu diskutieren.
diejenigen, die die Empfänger sein sollen, verwenden.
(Uwe Barth [FDP]: Die rufen trotzdem nicht
Der Empfänger soll im Grunde genommen ganz
an! Das sollte Ihnen zu denken geben! – Ulrike
Deutschland sein, indem wir den kleinen und mittleren
Flach [FDP]: So weit ist der Forschungsstand-
Betrieben ermöglichen, durch Zusammenarbeit mit den
ort Deutschland!)
Fachhochschulen ihre forschungsintensiven Arbeiten
voranzubringen. Das ist doch das Ziel. Wir haben mit Steuermitteln ordentlich umzugehen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung –
vieles ist angesprochen worden. Die Hochschulrektoren-
Ich weiß gar nicht, warum man darüber diskutiert. Wir
konferenz hat deutlich gemacht – das finde ich gut –,
reden über den sinnvollen Einsatz von Mitteln.
dass sie im Bereich der Lehre etwas tun wollen. Man
(Ulrike Flach [FDP]: Sie tun so, als ob es kann nur sagen: Endlich! Das ist akzeptabel. Hier sind
schon wirkt!) wichtige Signale für eine bessere Lehre gegeben wor-
den.
(B) Frau Flach, an dieser Stelle möchte ich noch etwas zu (D)
den Interessengruppen sagen Arbeitsforschung, Friedensforschung und viele wei-
tere Aspekte könnten erwähnt werden. Herr Präsident,
(Ulrike Flach [FDP]: Welche denn jetzt?) ich will mit Ihrer Genehmigung noch einen Punkt er-
– zwischenzeitlich vermutete ich, dass Sie dahinter ste- wähnen.
cken –, die in Meldungen in der „FAZ“ und „Die Welt“
platzieren, dass Deutschland sich bei der Fusionsfor- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
schung blamiere und blockiere. Ganz kurz.
(Uwe Barth [FDP]: Das mit dem Blamieren,
das kriegen Sie allein hin!) Jörg Tauss (SPD):
Ja, ganz kurz. Die Zeit war leider mit dem weg, was
– Lieber Kollege Barth, nun hören Sie einmal aufmerk-
Frau Flach erzählte. Das ist eigentlich schade.
sam zu! – Ich möchte eines deutlich sagen: Wir wenden
für die Fusionsforschung – es ist eigentlich schade, dass (Heiterkeit)
ich dafür so viel Zeit verwenden muss,
Es kommt eine klare Aufgabe hinzu, die über unseren
(Ulrike Flach [FDP]: Ja, aber es ist gut so!) Haushalt hinausgeht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht,
aber mich bedrückt es – ich glaube, es sollte uns alle be-
aber das muss einmal klargestellt werden –, die übrigens
drücken –, dass 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen
weit von jeder Markteinführung entfernt ist, Jahr für Jahr
in unserem Land die Schule ohne Abschluss verlassen.
für Jahr 115 bis 120 Millionen Euro auf – jedes Jahr und
Das bedrückt mich im wahrsten Sinne des Wortes.
ohne einen Nachweis.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Ulrike Flach [FDP]: Sehen Sie, jetzt kommt
es raus!) Aus diesem Grund halte ich es auch für richtig, dass
wir neben unserem Etat einen bei Herrn Müntefering an-
Wir werden in Frankreich, in Cadarache, mit dem dorti-
gesiedelten Etat haben, mit dem man sich unter anderem
gen Fusionsreaktor das teuerste Experiment der Mensch-
um diese Dinge kümmert, mit dem dafür gesorgt wird,
heitsgeschichte mit 10 Milliarden Euro mit finanzieren.
dass die Betreffenden eine neue Chance bekommen.
Wenn dann hier im Parlament eine Anforderung über
weitere 11 Millionen Euro dafür kommt, dass sich die Herr Barth, wenn Sie hier schon so populistisch Bil-
deutsche Industrie an diesem 10-Milliarden-Projekt be- dung, Wissenschaft und Forschung gegen Sozialleistun-
teiligen können soll, frage ich zunächst einmal, warum gen ausspielen, sollten Sie den Rentnerinnen und Rent-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6723
Jörg Tauss
(A) nern, den Jugendlichen oder wem auch immer in diesem Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion rich- (C)
Land deutlich sagen, wem Sie etwas wegnehmen wollen. ten, die sich heute und gestern für das Verhalten auf die
Ich halte es in dieser Form für verantwortungslos, So- Schultern geklopft haben – Herr Kollege Hagemann hat
zialleistungen gegen Bildung, Wissenschaft und For- sich eben dazu geäußert –, das sie an den Tag gelegt ha-
schung auszuspielen. ben.
(Uwe Barth [FDP]: Das war jetzt nicht popu- Ich möchte Sie daran erinnern, wie die ganze Diskus-
listisch, Herr Tauss! Nein!) sion, die wir hier zur Föderalismusreform geführt haben,
aussah. Erst haben Sie über Monate hinweg gesagt, dass
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Sie diese Reform bildungspolitisch für grundlegend ver-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kehrt halten, dass sie abgelehnt werden muss und dass
der CDU/CSU) Sie bei diesem Projekt nicht mitmachen. Dann hat die
Unionsfraktion ein vollkommen unzureichendes Kom-
promissangebot gemacht: Das war das Zugeständnis der
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Aufweichung des Kooperationsverbotes für die Hoch-
Ich erteile der Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die schulen – es handelt sich um einen winzigen Teil dieser
Linke, das Wort. Reform
(Beifall bei der LINKEN) (Jörg Tauss [SPD]: Die Länder, inklusive Ber-
lin und Meck-Pomm und wie sie alle heißen,
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): waren alle mit dabei!)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Herr Tauss, jetzt hören Sie erst einmal zu –, und auch
Werte Frau Ministerin, Sie haben sich vorhin hier hinge- das nur unter der Maßgabe, dass alle 16 Bundesländer
stellt und gesagt , dass Sie die Weichen für Bildung, For- zustimmen. Als dieses Zugeständnis gemacht wurde,
schung und Wissenschaft in Ihrer bisherigen Regie- sind Sie sofort eingeknickt und haben der Reform zuge-
rungstätigkeit richtig gestellt haben. – Nun, die Linke ist stimmt. Ich finde, dass so ein Einknicken eigentlich kei-
hier grundlegend anderer Auffassung. nen Applaus verdient. So ein Einknicken ist verkehrt.
Wenn Sie damals nicht zugestimmt hätten, dann wäre
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist keine
diese Reform uns allen erspart geblieben.
Überraschung!)
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sagen: Sie haben die Weichen falsch gestellt. Ich
möchte Ihnen auch begründen, warum wir diese Auffas- Die dritte falsche Weichenstellung – sie wurde nicht
sung haben. von der großen Koalition vorgenommen, sondern bereits
(B) von Rot-Grün – ist die Gestaltung der Steuerpolitik in (D)
Erstens. In der Bildungsfinanzierung sind Sie aus diesem Land. Schon mit der Steuerreform von 2001 ha-
unserer Sicht vollkommen auf dem Holzweg. In Ihrer ben Sie rund 100 Milliarden Euro an Vermögende und
schriftlichen Bilanz, die Sie in der letzten Woche vorge- Großkonzerne verschenkt; diese Entwicklung hält bis
legt haben, loben Sie sich unter anderem dafür, dass es heute an. Diese 100 Milliarden Euro fehlen uns für eine
seit April Studienkredite gibt, dass Sie die Begabtenför- bessere Bildung in diesem Land.
derung ausbauen und dass Sie neue Modelle zum Bil-
dungssparen entwickeln. Diese Maßnahmen – so schrei- (Klaus Hagemann [SPD]: Wir haben das Exis-
ben Sie weiter – seien sozial und gerecht. Mit Verlaub, tenzminimum angehoben!)
werte Frau Ministerin, diese Behauptung ist wirklich Herr Hagemann, mich interessiert, wie Sie solch eine
grober Unfug. Politik unter anderem in Ihrem Wahlkreis begründen.
(Beifall bei der LINKEN) Auch zu Ihnen kommen doch sicher zahlreiche Men-
schen aus Ihrem Wahlkreis, die Ihnen erläutern, dass sie
Es ist eben nicht sozial und gerecht, dass diejenigen, die Busfahrt ihrer Kinder zur Schule kaum noch finan-
die von Haus aus wenig Geld haben, am Ende ihres Stu- zieren können, dass es an Geld für die immer teureren
diums vor einem großen Schuldenberg stehen und dieje- Schulbücher fehlt, dass es an öffentlichem Förderunter-
nigen, die reiche Eltern und Verwandte haben, vollkom- richt fehlt und dass die private Nachhilfe eben auch viel
men unbelastet in ihre Zukunft starten können. Wir zu teuer ist. Was erzählen Sie diesen Menschen?
werden solchen Vorhaben deshalb nicht zustimmen. An-
stelle dieser Studienkredite fordern wir mehr und besse- (Beifall bei der LINKEN)
res BAföG. Dazu liegt Ihnen heute ein Antrag der Frak- Sagen Sie ihnen die Wahrheit, dass Sie nämlich gerade
tion Die Linke vor. Wir können nicht erkennen, dass das dabei sind, die nächste Reform vorzubereiten, mit der
BAföG in der großen Koalition die Priorität hat, die es Sie die öffentlichen Kassen noch weiter schröpfen wer-
eigentlich verdient. den und mit der Sie noch weiter von unten nach oben
umverteilen werden?
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin der festen Überzeugung: Wenn Sie den Men-
Die zweite vollkommen falsche Weichenstellung schen diese Wahrheit klar und offen ins Gesicht sagen
– das hat hier heute Abend schon eine Rolle gespielt – werden, dann wird die große Mehrheit der Menschen in
war die Föderalismusreform. Sie wurde vor der Som- Ihrem Wahlkreis diesem Vorhaben nicht zustimmen.
merpause im Hauruckverfahren durch Bundestag und
Bundesrat gepeitscht. Ich möchte einige Worte an die (Beifall bei der LINKEN)
6724 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Cornelia Hirsch
(A) Sie betreiben neoliberale Schönrednerei. Sie streuen den besser! – Uwe Barth [FDP]: Ich fürchte ja, Sie (C)
Menschen Sand in die Augen und Sie machen eben nicht glauben selber daran!)
deutlich, worum es sich hier eigentlich handelt.
Freuen Sie sich doch einfach einmal mit! Das ist die
Wir finden, dass Sie die Voten aus Ihren Wahlkreisen Frucht langer, harter Arbeit der Fachpolitiker in Parla-
ernst nehmen müssen, dass Sie grundlegend umsteuern ment und Regierung.
müssen und dass Sie gerade in der Steuerpolitik von ei-
nem Verfahren wegkommen müssen, das Bildungsarmut (Beifall bei der SPD – Volker Schneider [Saar-
produziert. Wenn Sie das täten, dann wären Sie auf dem brücken] [DIE LINKE]: Da müssen Sie ja sel-
richtigen Weg: hin zu einem besseren Bildungssystem ber lachen! – Uwe Barth [FDP]: Sie müssen
und auch zu einer gerechteren Gesellschaft. Frau Minis- sich auch noch bedanken, Herr Schulz! – Ge-
terin, liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei hätten Sie org Schirmbeck [CDU/CSU]: Ich muss wider-
sicherlich auch die Unterstützung meiner Fraktion, der sprechen! Das ist die Arbeit der Haushälter!)
Linken. Natürlich steht diese Koalition auf den Schultern von
Danke schön. Giganten, nämlich von Gerhard Schröder und Edelgard
Bulmahn aus der rot-grünen Regierungszeit.
(Beifall bei der LINKEN – Klaus Hagemann
[SPD]: Wie viel Prozent haben Sie denn in Ih- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
rem Wahlkreis gewonnen?) Dieser Haushalt wäre aber nicht möglich gewesen, wenn
nicht die gesamte Regierungskoalition – inklusive Haus-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hälter, Finanzminister und Bundeskanzlerin – dahinter
Ich erteile das Wort Kollegen Swen Schulz, SPD- stehen
Fraktion.
(Ulrike Flach [FDP]: Ach nein?)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und Bildung und Forschung Priorität einräumen würde.
Swen Schulz (Spandau) (SPD): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Mit diesem Haushalt kommen wir einen großen
Herren! Erst einmal vielleicht wieder ein bisschen sach- Schritt voran, aber wir sind damit natürlich noch nicht
licher! am Ziel. Im Forschungsbereich legen wir sehr viel drauf:
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dorothee bei der Projektförderung, für die Fachhochschulen, in
(B) Bär [CDU/CSU]) der Hightechstrategie. Dabei fördern wir nicht einfach (D)
nur blind alles technisch Machbare; nein, wir machen
Die Regierungskoalition legt einen wirklich guten das mit Sinn und Verstand.
Haushalt vor; das ist anhand der Zahlen schon aufgezeigt
worden. Gesellschaftliche Innovationen sind von zentraler Be-
deutung für uns. Darum legen wir einen deutlichen
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das Schwerpunkt auf die Geistes- und Sozialwissenschaften.
stimmt! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Darum beschließen wir nicht nur ein Programm für die
Das musste gesagt werden!) Sicherheitsforschung, sondern wir stärken zusätzlich die
Nun ist es nicht besonders ungewöhnlich, dass die Mehr- Friedensforschung.
heit den eigenen Vorschlag lobt. Darum können die Bür- Ein zentrales Thema ist die Finanzierung der Hoch-
gerinnen und Bürger die Qualität des Haushalts am bes- schulen. Das hat in der Debatte hier schon eine Rolle ge-
ten daran erkennen, dass der Opposition nicht wirklich spielt. Der Hochschulpakt wurde durch die Föderalis-
so wahnsinnig viel Kritik einfällt. musreform erst möglich. Die SPD hat für die
(Uwe Barth [FDP]: Sie wollten doch sachlich Zusammenarbeit von Bund und Ländern hart gekämpft
bleiben! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss und wir sehen jetzt den Erfolg, Frau Hirsch.
[SPD]: Das war auch so! – Ulrike Flach
Aber so, wie wir von der Föderalismusreform I spre-
[FDP]: Sehr substanziell!)
chen, muss natürlich auch vom Hochschulpakt I die
Man spürt richtig, wie hier teilweise verzweifelt nach Rede sein.
dem Haar in der Suppe gesucht wird
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es ist deutlich mehr nötig, um bis 2020 ausreichend Stu-
oder die Flucht in die große rhetorische Pose angetreten dienplätze zur Verfügung stellen zu können. Wir benöti-
wird. Ich finde, dass es der Opposition ganz gut an- gen also einen Hochschulpakt II, und zwar möglichst
stünde, einfach einmal ehrlich zu sagen, dass dieser bald, damit die Hochschulen Planungssicherheit erhal-
Haushalt ein toller Erfolg ist: für die Bildung und For- ten.
schung, für die Menschen, für Deutschland.
Außerdem ist ein Kernproblem nicht gelöst. Wir
(Beifall bei der SPD – Volker Schneider [Saar- brauchen ein System, das erstklassige Lehre belohnt, das
brücken] [DIE LINKE): Das können Sie noch attraktive Studienplätze finanziert. Die Exzellenzinitia-
zehnmal wiederholen; das wird nicht tive ist das eine, doch darüber hinaus müssen wir einen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6725
Swen Schulz (Spandau)
(A) Wettbewerb für Lehre entfachen; denn ohne Bildung Übrigens finde ich auch, dass wir Bildungspolitiker (C)
bringt alle Forschungspolitik nichts. im Deutschen Bundestag etwas zum Thema der vor-
schulischen Bildung sagen sollten. Es ist zum Teil auch
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Ulrike Flach [FDP]: Und für Fachhochschu- eine Gebührendebatte, allerdings nicht nur. Es ist völlig
len!) richtig, dass der Bund einen Beitrag zu mehr hochwerti-
gen Plätzen in der Kinderbetreuung leisten sollte.
Das sollte in den Hochschulpakt II und in die Beratun-
gen zur Föderalismusreform II hinein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Schaffung von vielen hochwertigen Studienplät-
zen ist die eine Herausforderung, wir müssen aber auch Wie das geschehen soll, darüber müssen wir reden und
die finanziellen Rahmenbedingungen für die Studieren- diskutieren. Aber klar ist: Kindertagesstätten müssen
den im Blick haben. Sie müssen sich das Studium leisten Bildungseinrichtungen sein. Im Vorschulalter werden
können. Darum sage ich für die SPD ganz klar: Wir ga- Grundlagen für den Spracherwerb, für soziales Verhalten
rantieren das BAföG. usw. gelegt. Schon hier gilt: Bildung in Deutschland
muss erstklassig sein und die Menschen dürfen nicht
(Beifall bei der SPD – Volker Schneider [Saar- durch Gebühren davon abgehalten werden.
brücken] [DIE LINKE]: Aber auf welchem
Niveau?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es gibt aber das Problem mit den Studiengebühren, Ich ziehe das Resümee: Die Bildungs- und For-
die von einigen Ländern eingeführt werden. Dadurch schungspolitik der großen Koalition ist gut. Wir haben
werden viele junge Menschen vom Studium abge- über das Jahr 2007 hinaus noch viel vor. Vor allem soll-
schreckt. Wir sehen schon heute, etwa in Nordrhein- ten wir gemeinsam mit den Bundesländern dafür sorgen,
Westfalen, dass eine ganz fatale Kettenreaktion in Gang dass noch mehr in die Zukunft investiert wird. Das Bun-
kommt. Diejenigen, die sich das Studium dann nicht desverfassungsgericht hat in seinem Berlin-Urteil Spa-
leisten können, die davor zurückschrecken, bewerben ren an der Zukunft verlangt. Ich halte fest: Unsere Poli-
sich um Ausbildungsplätze und verdrängen dort wie- tik schlägt einen anderen Weg ein.
derum die Schwächeren. Das ist wirklich eine ganz
schlechte, kurzsichtige Politik. Vielen Dank.
(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Sie schadet der Volkswirtschaft, sie ist unsozial und ge-
sellschaftspolitisch ein schwerer Fehler.
(B) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (D)
(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Vor Ich erteile das Wort Kollegin Priska Hinz,
allem stimmt es einfach nicht! – Jörg Tauss Bündnis 90/Die Grünen.
[SPD], zur FDP gewandt: Überall da, wo ihr
regiert, gibt es Studiengebühren!)
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Besonders ärgert mich immer das Argument, es sei NEN):
doch sozial ungerecht, wenn die Krankenschwester das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Wo-
Studium für den Sohn des Chefarztes finanziert. che wird ja nicht nur über den Haushalt gesprochen, son-
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das ist dern auch Bilanz über ein Jahr große Koalition gezogen.
auch ungerecht!) Damit geht es natürlich auch um die Bilanz der Bil-
dungs- und Forschungsministerin, die nun ein Jahr im
Als Sozialdemokrat stehe ich Überlegungen für mehr
Amt ist. Am liebsten wollte Frau Schavan Forschungs-
Gerechtigkeit natürlich sehr aufgeschlossen gegenüber.
ministerin sein. Sie hatte nun ein Jahr Zeit und Muße,
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Konkret!) um etwas in ihrer Einjahresbilanz vorzuweisen. Aus un-
serer Sicht muss ich sagen: Besonders erfolgreich sind
Doch wie will man bitte schön mehr Gerechtigkeit
schaffen, wenn man diejenigen, die wenig Geld haben, Sie bislang nicht gewesen.
von Bildung ausschließt? Das funktioniert doch nicht. (Zuruf von der CDU/CSU: Ihnen fehlt der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten klare Blick!)
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich will das an einigen Punkten belegen.
GRÜNEN – Zuruf des Abg. Uwe Barth
[FDP]) Wir nehmen uns heraus, Frau Schavan, die von Ihnen
vorgelegte Hightechstrategie inhaltlich und bezüglich
Gerechtigkeit – Herr Barth, lassen Sie mich das sagen – der Zielsetzung zu kritisieren. Wir haben in der Debatte
schafft man nicht durch Bildungssteuern; um die Hightechstrategie deutlich gemacht, mit welchen
(Ulrike Flach [FDP]: Aber es ist doch klar, Punkten wir nicht einverstanden sind. Sie selber haben
dass BAföG-Empfänger keine Gebühren be- hier Ihre erste Bauchlandung hingelegt, da die Koali-
zahlen! Ein bisschen mehr Wahrheit!) tionsfraktionen Ihrem Konzept einer Forschungs-
prämie nicht näher treten wollen. Herr Hagemann hat in
Gerechtigkeit braucht bessere Bildung für alle.
der ersten Haushaltsrunde bessere Fragen zur For-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) schungsprämie gestellt, als sie mir eingefallen sind. Wir
6726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Priska Hinz (Herborn)


(A) haben schon im Bildungsausschuss beantragt, die Mittel Setzen Sie die Mittel für regenerative Energien ein und (C)
für die Forschungsprämie zu sperren, weil erst einmal für andere Forschungsprojekte! So kommen wir viel
ein Konzept vorgelegt werden muss. schneller ans Ziel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bauchlandung Nummer drei der Forschungsministe-
rin: der Ethikrat. Wir haben schon in den letzten Haus-
Dabei sind uns die Koalitionsfraktionen leider nicht ge- haltsberatungen moniert, dass Geld für den Ethikrat in
folgt. den Haushalt eingestellt worden ist. Das ist auch jetzt
(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Werden wieder der Fall. Die Ministerin hat hier einen Gesetzent-
wir auch nicht machen! – Jörg Tauss [SPD]: wurf eingebracht, der aus allen Fraktionen heraus kriti-
Wir folgen Tag und Nacht!) siert wurde. Sie haben vonseiten der CDU/CSU in der
letzten Wahlperiode mehr als einmal die so genannte
Das ist jetzt im Haushaltsausschuss erfolgt. Kommissionitis von Rot-Grün beklagt. Jetzt gibt es bei
Ihnen Räte, Unionen, Stuhlkreise und was auch immer,
Erstaunlicherweise hat auf dem Wirtschaftskongress
der Grünen ein Vertreter der BASF (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein, Stuhlkreise
machen die Grünen!)
(Jörg Tauss [SPD]: Pfui, die verändern die
Gene!) die nicht an das Parlament angebunden sind. Auch hier
muss ich Ihnen sagen: Sie müssen akzeptieren, dass das
erläutert, wie Sie, Frau Ministerin, in einem Ihrer Stuhl- Parlament gerade in solchen wichtigen Fragen das Letzt-
kreise, der Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft, entscheidungsrecht hat und bestimmt, wie ethische De-
das Konzept entwickelt haben, und gesagt, dass er uns ge- batten vorbereitet werden und wie entschieden wird.
nau darstellen könne, wie das mit der Forschungsprämie
gehen soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Es ist gut, Da können Sie nicht mit einem solchen Gesetzentwurf
wenn die Wirtschaft weiß, wie das geht! Wenn kommen. Hier haben Sie ebenfalls eine Niederlage erlit-
Sie sich mehr informieren würden, würden Sie ten.
es auch wissen!) Wir haben von meiner Kollegin Krista Sager gehört,
dass bei dem Hochschulpakt noch so viele Fragen un-
Vielleicht sollten die Koalitionsfraktionen künftig Ver-
gelöst sind, dass Sie eventuell Ihre zweite Säule, die For-
treter der Wirtschaft in ihre Runden einladen; dann wür-
schung, irgendwann angreifen müssen. Das könnte Ihre
den sie erfahren, was die Forschungsministerin eigent-
vierte Bauchlandung werden.
(B) lich vorhat. (D)
Als Forschungsministerin haben Sie in diesem einen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jahr nicht viel unternommen. Aber als Bildungsministe-
Ich komme zur zweiten Bauchlandung, zur Fusions- rin, zuständig auch für den Bereich Ausbildung, haben
forschung. Auch hier folgen Ihnen die Abgeordneten Sie es noch nicht einmal geschafft, für die 15 000 neuen
aus den Koalitionsfraktionen nicht. Sie fordern, dass bis Stellen über EQJ, die Herr Müntefering bereitstellt, ein
Ende des Jahres zusätzliche Argumente vorgelegt wer- Zertifizierungsverfahren auf den Weg zu bringen, da-
den, warum für die Fusionsforschung Mittel in dieser mit diese Zeit grundsätzlich auf die Ausbildung ange-
Größenordnung ausgegeben werden müssen. Zu Recht! rechnet wird. Sie haben es nicht geschafft, wenigstens
Die Koalition ist da fast auf Oppositionskurs. Sie, Frau das versprochene kleinste Mosaiksteinchen der Weiter-
Ministerin, werden aber wahrscheinlich auch bis Ende bildung, ein Konzept zum Bildungssparen, dem Parla-
des Jahres nicht so richtig fündig werden. Wir hatten ja ment vorzulegen.
beantragt, den vorgesehenen Ansatz in Höhe von (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE
11 Millionen Euro gänzlich zu streichen. So weit werden LINKE]: Gott sei Dank!)
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wahrscheinlich nicht gehen können. Es ist doch erstaun- Auch hier ist Fehlanzeige auf der ganzen Linie.
lich – Herr Tauss hat das wunderbar deutlich gemacht –, Meine Damen und Herren, dieses erste Jahr war aus
(Jörg Tauss [SPD]: „Wunderbar“ ist ein gutes unserer Sicht ein verlorenes Jahr für Bildung und For-
Wort!) schung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
wie viel Geld schon in die Fusionsforschung geflossen
ist, ohne dass bisher der Nachweis geführt werden
konnte, dass die Fusionsforschung zukünftig etwas zur Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Energieerzeugung beitragen kann. Es reicht nicht, erst in Ich erteile das Wort Kollegin Dorothee Bär, CDU/
30 Jahren festzustellen, ob die Fusionsforschung irgend- CSU-Fraktion.
etwas bringt. Dann ist es nämlich zu spät. Wir müssen (Beifall bei der CDU/CSU)
jetzt Erfolge erzielen, um eine Klimawende herbeizufüh-
ren.
Dorothee Bär (CDU/CSU):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ren! Herr Präsident, ich möchte Sie bitten, etwas Nach-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6727
Dorothee Bär
(A) sicht walten zu lassen, weil man in sieben Minuten Re- (Jörg Tauss [SPD]: Sie sind Bundespolitiker! (C)
dezeit mit dem ganzen Mist, den man sich heute hier hat Sie sind nicht im Bayerischen Landtag!)
anhören müssen, gar nicht aufräumen kann.
– Ja, aber ich bin insbesondere Interessenvertreterin für
(Beifall bei der CDU/CSU) Bayern; als solche sehe ich mich. Deswegen freue ich
mich natürlich besonders über unser gutes Abschneiden.
Besonders bei Ihnen, Frau Kollegin Hirsch, hat man
nach jeder Rede das Gefühl, Schmerzensgeld beantragen Die Förderung brauchen wir, damit Deutschland für
zu müssen, weil das, was da jedes Mal von Ihrer Seite die Zukunft bestens aufgestellt ist. Die deutsche For-
kommt, unter aller Kanone ist. schung ist hervorragend. Wir müssen allerdings unseren
dritten Platz bei den Forschungsergebnissen halten bzw.
(Ulrike Flach [FDP]: Meinen Sie Herrn verbessern; denn nur so sind wir fähig, im Wettbewerb
Tauss?) mit anderen Staaten zu bestehen.
Ein Jahr große Koalition, ein Jahr Bundesbildungs- Die Fähigkeiten, die wir an dieser Stelle haben, müs-
und Bundesforschungsministerin Annette Schavan – ein sen wir aber auch in Markterfolge umsetzen. Die
gutes Jahr für Deutschland. Bundesregierung tut dies beispielsweise mit der High-
(Beifall bei der CDU/CSU – Cornelia Hirsch techstrategie. Kernelement dieser Strategie ist die For-
[DIE LINKE]: Dafür gibt es auch Schmer- schungsprämie, die in dieser Debatte schon mehrfach
zensgeld!) erwähnt wurde. Mit dieser Forschungsprämie wird die
Wissenschaft mobilisiert, auf den Mittelstand zuzuge-
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte Ihnen auch im hen. Schließlich ist der Mittelstand das Kernelement un-
Namen der CDU/CSU-Fraktion ganz herzlich für das serer Wirtschaft.
bisher Erreichte danken, insbesondere für die Exzellenz-
initiative. Ich danke auch den Mitgliedern des Haus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
haltsausschusses und des Bildungsausschusses Uwe Barth [FDP] – Georg Schirmbeck [CDU/
CSU]: Wir haben die FDP überzeugt!)
(Uwe Barth [FDP]: Danke!)
So setzt unsere exzellente Wissenschaft zusammen mit
für diesen großartigen Bildungsetat. dem kompetenten Mittelstand die Forschungsergebnisse
(Beifall bei der CDU/CSU – Georg Schirmbeck um.
[CDU/CSU]: So muss man eine Rede begin- Durch die Forschungsprämie der Bundesregierung
nen!) wird die Hochschule mit einem 25-prozentigen Auf-
Im Bildungsetat 2007 werden die Investitionen in Bil- schlag auf das Auftragsvolumen eines Unternehmens (D)
(B)
dung und Forschung weiter aufgestockt. Ich danke Ihnen unterstützt. Unter einer zukunftsweisenden Bildungs-
deswegen ganz besonders für die Exzellenzinitiative, und Forschungspolitik verstehen wir, mit innovativen
die die Spitzenforschung fördert, weil ich mich natürlich Finanzierungsmitteln Innovation zu fördern. Darunter
freue, dass die bayerischen Hochschulen ihre herausra- verstehen wir aber auch die Sicherung des Standortes
gende Stellung bestätigen konnten. Deutschland und die Sicherung von Arbeitsplätzen, Herr
Barth.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Uwe Barth [FDP]: Da sind wir uns im Grund-
Wir freuen uns sehr, dass zwei der bundesweit insgesamt satz einig!)
drei Eliteuniversitäten in Bayern sind. Eine persönliche
Anmerkung: Auch die Würzburger Julius-Maximilian- Zukunftsweisende Politik besteht auch darin, den Ju-
Universität konnte sich mit einer Graduiertenschule gendlichen in unserem Land Möglichkeiten zu bieten.
durchsetzen. Auch dazu meinen herzlichen Glück- Deshalb sind die Mittel für die Strukturprogramme der
wunsch! beruflichen Bildung um ein Viertel erhöht worden und
deshalb bleibt die Förderung überbetrieblicher Berufs-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bildungsstellen auf dem hohen Niveau von 2006.
Insgesamt gehen elf von 38 bewilligten Anträgen in Hier spielt auch die Begabtenförderung eine große
allen drei Förderlinien nach Bayern. Das entspricht einer Rolle. In der beruflichen Bildung und auch in der stu-
Fördersumme von knapp 70 Millionen Euro. Damit dentischen Begabtenförderung wird es daher einen Auf-
fließt über ein Drittel der gesamten Bewilligungssumme wuchs der Mittel um 10 Prozent geben. Eine ideologi-
an bayerische Hochschulen. Da zeigt sich, dass Leistung sche Gleichmacherei wie in den von Ihnen regierten
belohnt wird. Selbstverständlich haben auch viele andere Ländern ist mit uns nicht zu machen. Nur eine exzellente
Hochschulen in Deutschland in diesem Wettbewerb gut Spitze bringt Arbeitsplätze nach Deutschland und hält
abgeschnitten. sie hier. Hervorragenden Beschäftigten in der Wirtschaft
oder in der Wissenschaft müssen wir hier ansprechende
(Jörg Tauss [SPD]: Erwähnen Sie mal Karls-
Rahmenbedingungen und eine Perspektive bieten. Sie zu
ruhe!)
fördern bedeutet, in die Zukunft zu investieren und
Deshalb werden die Mittel für die Exzellenzinitiative gleichzeitig Arbeitsplätze zu sichern. Aber jeden, wie
von knapp 2 Milliarden Euro wie zugesagt fließen. – Sie es wollen, nur ein bisschen und dann auch nur tröpf-
Herr Tauss, Karlsruhe hätten Sie besser erwähnen kön- chenweise zu fördern, bringt am Ende niemandem etwas
nen; das ist nicht meine Aufgabe. und ist keine zielgerichtete Politik.
6728 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dorothee Bär
(A) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Dieter Rossmann,
LINKE]) SPD-Fraktion.
Wir müssen aber auch für Wissenschaftler aus dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Ausland attraktiver sein. Deshalb ist ein Austausch von der CDU/CSU)
Studenten und Wissenschaftlern für unser Land ein
großer Gewinn. Dieser Austausch muss selbstverständ-
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
lich in beide Richtungen stattfinden. Dazu haben wir den
Etat für die Austauschprogramme um 5 Millionen Euro Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-
erhöht; denn nur mithilfe des Austausches wird Deutsch- sere Ministerin hat das Zwischenresümee mit „Mehr
land weltweit als Standort für Forschung, Wissenschaft Wachstum durch Innovation“ überschrieben. Dies kann
und Qualifizierung noch bekannter. Unser Ziel muss es in der Bildung und Forschung nur gelingen, wenn es
sein, die weltweit besten Nachwuchswissenschaftler für eine dynamische Finanzierung gibt. Nachdem anstelle
Deutschland zu gewinnen. von mancher Blockade, die man noch aus vergangener
Zeit kennt, Gemeinsamkeit getreten ist, kann niemand in
Mit diesem Etat ist Deutschland gut auf die Zukunft diesem Hause behaupten, in der großen Koalition gebe
vorbereitet. Er garantiert Austausch und Förderung es hinsichtlich der Frage der dynamischen Finanzierung
– insbesondere Elitenförderung – sowie vor allem Per- keine Bewegung. Die Zusammenarbeit von Bildung und
spektiven für Jugendliche. Forschung für Wachstum durch Dynamik gelingt dann,
wenn das Zusammenwirken zwischen den politischen
(Beifall bei der CDU/CSU) Ebenen kooperativ ist. Dies ist bei Bund und Ländern
Gerade der letzte Punkt, die Zukunftsperspektive von jetzt der Fall. Dies ergibt sich auch durch den neuen
jungen Menschen, sollte uns allen wichtig sein. Um ih- Art. 91 b des Grundgesetzes.
nen einen guten Start ins zukünftige Berufsleben zu er- Frau Hirsch, ich schätze Sie zwar; aber ich finde es
möglichen, ist es entscheidend, dass die Förderung der nicht gut, wenn Sie Ihren politischen Verstand an der
überbetrieblichen Berufsausbildung auf dem hohen Ni- Garderobe des Verbalradikalismus abgeben.
veau bleibt, das die Union für den jetzigen Haushalt
durchgesetzt hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Klaus Hagemann [SPD]: Was?)
Besteht bei Ihnen jetzt die Order, über diese Fragen so zu
Die Erhöhungen im Bildungs- und Forschungsetat diskutieren? Da ist doch zusammen etwas entwickelt (D)
(B) – trotz angespannter Haushaltslage – zeigen die Weit-
worden, was Sie nicht ignorieren sollten.
sicht unserer Regierung.
(Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Aber das
Ich denke, dass das gesamte Haus gar nicht anders reicht bei weitem nicht!)
kann, als dem Bildungsetat zuzustimmen.
Im Übrigen ist das Zusammenwirken von Bildung und
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es! – Uwe Forschung dann dynamisch, wenn deren Inhalt ganzheit-
Barth [FDP]: Zu feiern!) lich ist. Das müssen wir in diesem Parlament in den ge-
– Meinetwegen auch zu feiern, Herr Barth. Ich finde es meinsamen Haushaltsanträgen und Initiativen immer
schon interessant, dass Sie sich am Schulterklopfen stö- wieder neu beweisen.
ren. Wir hätten nichts dagegen, wenn Sie endlich über Ich will versuchen, dies an zwei Beispielen zu ver-
Ihren Schatten sprängen und uns ebenfalls auf die Schul- deutlichen. Frau Schavan bzw. die große Koalition hat
ter klopfen würden. Das wäre angemessen. Recht, wenn sie die Hightechinitiative in den Vorder-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- grund stellt. Diese gewinnt an Qualität dadurch, dass wir
neten der SPD) die Hightechinitiative und eine Stärkung der Reflek-
tionswissenschaften – so möchte ich sie beschreiben –
Wir sind uns sicherlich alle darin einig, dass noch zusammenführen. Dabei geht es um die Geisteswissen-
mehr für den Bildungsetat getan werden muss. Unsere schaften, die Sozialwissenschaften und die Philosophie.
Ministerin und wir haben diesbezüglich vorgelegt. Jetzt Genau dies tun wir in dieser großen Koalition. Die High-
liegt es an Ihnen – bitte überzeugen Sie auch Frau Flach techinitiative wird mit viel Geld ausgestattet. Das ist ei-
davon –, mit uns gemeinsam auf diesem Weg voranzu- gentlich eine klassische Angebotspolitik der Linken.
schreiten. Wenn Sie die Historie kennen würden, dann wüssten Sie,
dass manche das folgendermaßen zugespitzt haben: Dik-
Ich möchte mit einem Zitat Hegels enden: tatur des Proletariats plus Elektrizität plus Forschung. –
Der Mensch ist, was er als Mensch sein soll, erst Das ist die Verheißung. Nun buchstabiert eine konserva-
durch Bildung. tiv-sozialdemokratische Regierung Innovation so durch.
Aber Ihnen fällt dazu nichts Positives ein. Das ist zu we-
Vielen Dank. nig, Kollegen von der Linken. Da nehmen wir Sie gerne
voll an.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD) (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6729
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) In Bezug auf die Geisteswissenschaften – wir haben verpflichtung der alten Bundesländer beinhaltet, (C)
nicht nur das Jahr der Geisteswissenschaften – passiert 90 000 zusätzliche Studienplätze in ihrem Kontingent zu
doch einiges: 5 Millionen Euro werden draufgepackt. erwirtschaften – und das so schnell, dass das in 2009
Auch wird 1 Million Euro mehr für Friedenswissen- nachgezeichnet werden kann. Die Qualität dieses Hoch-
schaften ausgegeben, für die wir jetzt gemeinsam strei- schulpaktes hat schon etwas für sich.
ten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
In diesem Zusammenwirken entsteht eine weitere Auf diese Qualität des Paktes kann man angesichts des-
Diskussion. Natürlich sollen jetzt die Kapazitäten der sen aufbauen, dass bis zum Jahr 2020 noch einiges ge-
großen Fächer an den Hochschulen erweitert werden. schaffen werden muss.
Wir brauchen das für den Ingenieurnachwuchs, den me-
dizinischen Nachwuchs und den Lehrernachwuchs, in Spielraum besteht unter anderem darin, dass die
der Betriebswirtschaft, in den Rechtswissenschaften und Overheadfinanzierung, also die zusätzlichen 20 Prozent,
in vielen anderen Bereichen mehr. Aber wenn jetzt die bezogen auf die Fördersumme, bzw. die dafür im Hoch-
Hochschulrektorenkonferenz durchbuchstabiert, dass schulpakt vorgesehenen 700 Millionen Euro, an die
es keine rote Liste seltener Fächer geben darf, dann soll- Länder bzw. die Hochschulen fließt und daraus neue Stu-
ten zumindest wir von der Bundesseite an dieser Stelle dienplätze generiert werden müssen. Das ist die Philoso-
phie. Wir finden, da ist eine Menge Musik drin.
klar machen, dass die Hochschulrektorenkonferenz, da
es ja jetzt eine fundamentale Entlastung und Unterstüt- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael
zung der Hochschulen gibt, den Spielraum hat, auch die Kretschmer [CDU/CSU])
seltenen Fächer weiter koordiniert in Deutschland blü-
Wir erwarten von den Ländern – hier will ich gerne
hen zu lassen. Diese Gemeinsamkeit gehört dazu.
noch einmal auf die Linksfraktion eingehen –, dass sie
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) wirklich alle finanziellen Möglichkeiten nutzen, um die
Hochschulkapazitäten auszubauen. Ich mache keinen
Eine weitere wichtige Balance besteht zwischen Ex- Hehl daraus, dass ich mich manchmal wundere, wie we-
zellenzinitiative und Hochschulpakt. Sie von der FDP nige Länder darauf achten, ob sie die Leistungskraft auf-
sprachen eher abschätzig davon, dass es dabei angeblich grund der Steuereinnahmeseite – wenn es um die Erb-
nur um 250 Millionen Euro geht. Wenn man das alles schaftsteuer, die Vermögensteuer oder wenn es um
zusammennimmt – beides, die Exzellenzinitiative und der Körperschaftsteueranteile geht – auch wirklich für Inno-
Hochschulpakt, ist auf die Hochschulen ausgerichtet –, vation und für Wachstum durch Bildung und Forschung
dann reden wir tatsächlich über 3,8 Milliarden Euro. einsetzen. Man darf die Länder doch wohl fragen, ob sie
im Auge haben, dass dies nachhaltig gesichert ist.
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D)
der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD)
Dies ist eine ganz gewaltige Summe. Mein Schlussgedanke. Frau Ministerin, Sie können
mit Recht sagen, dass Sie hier in der Kontinuität von
Frau Schavan sprach an, dass es nach der Föderalis- Rot-Grün und Schwarz-Rot vier Asse in der Hand ha-
musreform lange klare Signale in Bezug auf das Koope- ben: Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung, Hightech-
rationsgebot gegeben habe. Das war ein glasklares Si- strategie und Hochschulpakt. Dazu muss aber noch eine
gnal. Darauf können wir zusammen stolz sein. Sozialinitiative treten, damit das Ganze über das
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BAföG, über den Ausbau der Studentenwerke – die mit
den wachsenden Studentenzahlen umgehen können müs-
der CDU/CSU)
sen – und über den Wohnbereich rund wird, und zwar so
Ich will eine kritische Anmerkung machen. Was die rund, dass alle an dieser Exzellenz teilhaben können.
Exzellenzinitiative angeht, soll sie sich an Exzellenz Deshalb vielleicht eine kleine Nuance: Sie haben Ihr
orientieren. Aber wenn es richtig ist, dass Wachstum Zwischenresümee überschrieben mit „Exzellenz in Bil-
durch Innovationen gefördert wird, dann muss es doch dung und Forschung – Mehr Wachstum durch Innova-
auch eine Strategie dahin gehend geben, dieses Wachs- tion“. Wir sagen das etwas anders: „Mehr Qualität und
tum durch Innovationen über Exzellenz in ganz Deutsch- Kapazität in Bildung, mehr Qualität und Kapazität in
land entstehen zu lassen – und nicht nur in süddeutschen Forschung“. Wenn wir das zusammen hinbekommen,
Bundesländern. Darauf werden wir Sozialdemokraten dann wäre das richtig exzellente Politik.
immer wieder mit Recht bestehen müssen, weil am Danke.
Wachstum durch Innovationen alle in Deutschland teil-
haben müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Eine weitere Anmerkung möchte ich zum Hoch-
schulpakt machen. Frau Sager, Sie sprachen an, dass Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
das vielleicht eine sehr anspruchsvolle, aber noch nicht Ich schließe die Aussprache.
bis ins Letzte ausgereifte Initiative ist. Eines haben Sie
in seiner Tragweite noch nicht erkannt, nämlich dass Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
sich dieser Hochschulpakt dadurch auszeichnet, dass er plan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung,
die Besonderheit von Berlin sowie die der beiden Stadt- in der Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungs-
staaten Hamburg und Bremen und die besondere Situa- anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst
tion in den neuen Bundesländern erfasst und die Selbst- abstimmen.
6730 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- Gesamthaushaltes wirkt der Einzelplan 16 allerdings be- (C)
sache 16/3475? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – scheiden.
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses
Trotzdem ist er Ausdruck dessen, wie die Bundesre-
gegen die Stimmen der Linken abgelehnt.
gierung alte Pfründe sichert und eine nachhaltige Konso-
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache lidierung und Ausgabensenkung verzögert.
16/3476? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
(Beifall bei der FDP)
Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmverhältnis
wie zuvor abgelehnt. Ein Beleg hierfür ist die mittelfristige Finanzplanung
des BMU im Jahr 2006. Der Mittelansatz des vorliegen-
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
den Haushalts 2007 ist nicht nur um 77 Millionen Euro
16/3477? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
höher, als noch vor einem halben Jahr prognostiziert; er
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
enthält auch keine globale Minderausgabe. Herr Gabriel,
SPD und FDP bei Enthaltung der Grünen und Zustim-
wie schon im letzten Jahr verweigern Sie sich der Haus-
mung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
haltskonsolidierung im Vollzug. Angesichts des finan-
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache ziellen Aufwuchses ist das Ziel Ihrer mittelfristigen
16/3498? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Finanzplanung, das Gesamtbudget pro Jahr um 1 Pro-
Änderungsantrag ist mit dem gleichen Ergebnis wie zu- zent zu reduzieren, reine Makulatur.
vor abgelehnt.
Das passt in das mediale Bild, das Herr Gabriel erzeu-
Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschuss- gen will. Hier wird ein neues Schwergewicht der SPD
fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der aufgebaut, und zwar offensichtlich ganz bewusst als Ge-
Einzelplan 30 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und genpol zu Bundeswirtschaftsminister Glos. Vor und hin-
SPD gegen die Stimmen der drei anderen Fraktionen an- ter den Kulissen findet eine Aufrüstung für den Graben-
genommen. kampf statt: Spiegelreferate werden eingerichtet und es
wird mit Lust im Bereich des jeweils anderen gewildert.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt I.16 auf: Das betrifft in besonderem Maße die Energiepolitik. Es
Einzelplan 16 lässt sich beinahe täglich erkennen, dass CDU und SPD
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz in diesem Bereich Lichtjahre auseinander liegen.
und Reaktorsicherheit (Beifall bei der FDP)
– Drucksachen 16/3115, 16/3123 – Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die atomaren
Berichterstattung: Endlager Schacht Konrad und Gorleben auf Kosten der
(B) (D)
Abgeordnete Michael Leutert Steuerzahler offen gehalten werden. Trotz gegenläufiger
Bernhard Schulte-Drüggelte Gutachten gehen sie nicht in Betrieb und auch die Er-
Petra Hinz (Essen) kundung wird nicht fortgeführt. Herr Minister, was Sie
Ulrike Flach hier aufführen, ist eine Farce, aber mit Sicherheit keine
Anna Lührmann glaubwürdige, langfristige Politik.
Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die (Beifall bei der FDP)
Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen Der niedersächsische Umweltminister Sander schrieb
vor. Über den letztgenannten Änderungsantrag werden an Ministerpräsident Wulff am 9. Oktober 2006:
wir später namentlich abstimmen. Außerdem liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/ Bundesminister Gabriel hat öffentlich erklärt, die
Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der Einrichtung des Endlagers im ehemaligen Erzberg-
Schlussabstimmung abstimmen werden. werk Schacht Konrad sei sehr wahrscheinlich ge-
worden. Dennoch enthält der Haushaltsplan … le-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diglich einen Kostenansatz von 24,9 Millionen
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich Euro.
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das reicht noch nicht einmal für die Basiskosten der Of-
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin fenhaltung und erst recht nicht für eine für die Inbetrieb-
Ulrike Flach, FDP-Fraktion, das Wort. nahme notwendige Umrüstung. Wir haben Ihnen aus
(Beifall bei der FDP) diesem Grunde Anträge vorgelegt, in denen wir die Be-
reitstellung der nötigen Mittel fordern.
Ulrike Flach (FDP): (Beifall bei der FDP)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Jetzt kommt der Minister mit einem geradezu aben-
Haushalt des Bundesumweltministers ist nach wie vor
teuerlichen Vorschlag, nämlich bis 2010 erst einmal wie-
ein relativ kleiner Haushalt. Dennoch hat sich das, was
der nach neuen Standorten zu suchen, diese bis 2020 zu
ich in der ersten Lesung gesagt habe, noch verstärkt.
erkunden und dann bis 2025 ein Endlagergesetz zu be-
Durch die zusätzlichen 53,7 Millionen Euro aus der Be-
schließen.
reinigungssitzung steigt Ihr Haushalt zwar auf 844 Mil-
lionen Euro und ist derjenige mit dem prozentual höchs- (Uwe Barth [FDP]: Der Wahnsinn hat
ten Aufwuchs. Im Vergleich zum Wachstum des Methode!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6731
Ulrike Flach
(A) Was gilt denn nun? Wird Schacht Konrad bald ein End- das genauso sieht und es im nächsten Jahr deutlich bes- (C)
lager sein oder ist nun alles wieder offen? Sie sind die- ser machen wird.
sem Hause Rede und Antwort schuldig. Auch wenn es
gerade im Umweltbereich „langfristig denken“ heißt, ist (Beifall bei der FDP)
es schon eine Form von Hilflosigkeit, ein solches Gesetz
für das Jahr 2025 zu fordern; denn dann werden Sie – da Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
können wir ziemlich sicher sein – nicht mehr im Amt Ich erteile das Wort Kollegin Petra Hinz, SPD-Frak-
des Bundesumweltministers und die allermeisten von tion.
uns nicht mehr in diesem Hause sein. Wollen Sie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Schacht Konrad und Gorleben noch 20 Jahre auf Kosten
der CDU/CSU)
der Steuerzahler offen halten? Diese Frage müssen Sie
beantworten.
Petra Hinz (Essen) (SPD):
Herr Minister, Sie haben einen Haushalt vorgelegt, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
der vor allem der Befriedigung der Interessen Ihrer Kli- Frau Flach, Sie haben tatsächlich nichts anderes vorge-
entel dient. Der strategische Auftrag lautet, die Wähler tragen als das, was Sie bereits in der ersten Lesung zum
der Grünen zurückzugewinnen. Das ist zwar nicht die ei- Haushalt 2007 vorgetragen haben.
gentliche Aufgabe eines Umweltministers; offensicht-
lich haben Sie diese aber gerne angenommen. Gleichzei- (Ulrike Flach [FDP]: Es hat sich nichts verbes-
tig sind Sie mit Herrn Glos in einen Wettbewerb darüber sert!)
getreten: Wer verteilt die meisten Subventionen in die-
Ich kann verstehen, dass Sie als Mitglied einer kleinen
sem Lande?
Fraktion sehr viele Berichterstattungen zu leisten haben,
(Beifall bei der FDP) aber Sie müssen doch nicht immer die Reden komplett
wiederholen. Das war ein bisschen wenig.
Hier stimmt die Grundphilosophie der großen Koali-
tion nicht; darüber werden wir auch morgen beim (Ulrike Flach [FDP]: Ist es denn besser gewor-
Einzelplan 09 diskutieren. Schauen wir uns doch einmal den?)
die umweltrelevanten Leitmärkte an: Die deutschen – Nein, Ihre Rede ist weiß Gott nicht besser geworden.
Kraftwerksbauer haben 2005 Aufträge mit einem Volu-
men von über 10 Milliarden Euro erhalten. Moderne, (Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]:
saubere Kohletechnologie, die klimaschädliches CO2 Aha!)
auffängt, ist ein boomender Markt. Das DIW schätzt das
(B) Marktvolumen derzeit auf 400 Milliarden Euro. Ebenso Der Bereich Umwelt ist im Wandel. Ich bin sehr froh, (D)
hohe Wachstumspotenziale werden den erneuerbaren dass gerade unser Umweltminister bzw. unser Umwelt-
Energien vorausgesagt. Bereits im Jahr 2005 wird mit ministerium – Sie haben von einem Schwergewicht ge-
einem Investitionsanteil deutscher Unternehmen von sprochen; das würde ich natürlich nie sagen – ein sehr
8,7 Milliarden Euro gerechnet. Diese Zahlen, zu denen gewichtiges Ministerium ist.
jeder in diesem Lande fragt, was das eigentlich soll, hin- (Heiterkeit bei der SPD – Georg Schirmbeck
dern Sie, Herr Gabriel, nicht daran, weiter mit der Sub- [CDU/CSU]: So kann man hier nicht über
ventionsgießkanne durchs Land zu ziehen und so zu tun, Männer sprechen!)
als ob wir es hier mit Not leidenden Industrien zu tun
hätten, die das Steuerzahlergeld zusätzlich brauchen. Auch im Bewusstsein der öffentlichen Meinung ist Um-
weltpolitik mittlerweile Motor für die Schaffung moder-
(Beifall bei der FDP) ner Arbeitsplätze und für Innovationen und führt zu
mehr Beschäftigung. Das ist gut so.
Allein 213 Millionen Euro geben Sie für Einzelmaß-
nahmen zur Nutzung der erneuerbaren Energien aus, Zielorientierte Umweltpolitik ist eine Querschnitts-
39 Millionen Euro mehr als 2006. Sie pumpen Geld in aufgabe. Sie betrifft nicht nur ein kleines Ministerium.
die Subvention von Investitionen, verzerren den Markt Wir haben heute im Rahmen der Haushaltsberatungen
und – das ist noch viel schlimmer – wirken preistrei- intensiv vernommen, dass in den Bereichen Verkehr,
bend. Sie stimulieren mithilfe der Kollegen von der Wohnen, Gesundheit und anderen der Aspekt Umwelt
CDU/CSU einen boomenden Markt zulasten der Steuer- immer wieder eine erhebliche Rolle spielt.
zahler und übrigens auch der neuen Technologien, die
uns den Sprung in das nächste Hightechsegment bringen Die Beratungen zum Haushalt 2007 waren von vier
könnten. Schwerpunkten geprägt. Der erste Schwerpunkt lautet
Programmhaushalt. Hier werde ich gleich exemplarisch
Ihr Haushalt wird immer mehr von einem Vorsorge- das Marktanreizprogramm ansprechen. Der zweite Schwer-
haushalt für Natur- und Umweltschutz zu einem Versor- punkt betrifft zukünftige Projekte und Vorhaben. Der
gungshaushalt für die erneuerbaren Energien. dritte Schwerpunkt ist Kostentransparenz – hier werde
ich das Beispiel UN-Campus nennen – und der vierte
(Beifall bei der FDP)
Schwerpunkt ist die Personalentwicklung.
Ein Bundesumweltministerium, Herr Gabriel, ist kein in- Erstens. Es waren sich fast alle Fraktionen einig,
dustriepolitisches Ersatzministerium. Ich kann nur hof-
fen, dass zumindest der CDU/CSU-Teil dieses Hauses (Ulrike Flach [FDP]: Aber nur fast!)
6732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Petra Hinz (Essen)


(A) im Einzelplan 16 die Mittel für das Marktanreizpro- richtung von Lärmschutzzonen. Darüber hinaus sollen (C)
gramm aufzustocken. Wer nicht dafür war, können Sie Bauvorhaben in Lärmschutzzonen genauer definiert
sich nach der Rede von gerade sicherlich denken. werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Angesichts der Tatsache, dass familiengerechte Woh-
der CDU/CSU) nungen und kleine Einfamilienhäuser auch heutzutage
noch immer in Einflugschneisen geplant werden, ist es
Es ist ein Herzstück des Einzelplans. Wir alle, ob Mit- wichtig und richtig, diesen Gesetzentwurf in seiner jetzi-
glieder des Umweltausschusses oder des Haushaltsaus- gen Form zu verabschieden.
schusses, haben zahlreiche Anschreiben erhalten. Inhalt
und Anliegen kennen wir. Die Mittel für das Marktan- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
reizprogramm sollen erhöht werden, weil zahlreiche An- Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Quatsch!
träge bisher abgelehnt wurden. Ich muss sagen: Wer den Ich brauche bloß ein Bauverbot!)
20. Subventionsbericht kennt, hat gelesen, dass es sich
Auch wenn wir alle sicherlich sehr viel fliegen, dürfen
um eine Subvention handelt. Aber es ist noch mehr. Es
wir uns nichts vormachen: Lärm macht krank. Zwei Gut-
ist auch eine Investition. Man muss bei der Beurteilung
achten bzw. Stellungnahmen stehen noch aus. Nun zu
von Subventionen entsprechende Abwägungen treffen.
Ihrem Lieblingsthema, dem Konzept zur Lösung der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Endlagerfrage. Auch, aber nicht nur in den Bericht-
der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Nein! erstattergesprächen hat der Minister den Fahrplan ganz
Leider nicht!) klar aufgezeigt. Das Konzept zur Endlagerfrage wird in
den zuständigen Gremien vorgetragen und beraten. Dann
Folgendes ist im Subventionsbericht nachzulesen: wird darüber entschieden. Die Hetze, die Sie an den Tag
Die wirtschaftlichen, sozialen und umweltpoliti- legen, ist unnötig und Ihre unwahren Tatsachenbehaup-
schen Zielsetzungen sind stets gegeneinander abzu- tungen in diesem Zusammenhang sind schon sehr inte-
wägen. ressant.
Wenn es eine Subvention gibt, die tatsächlich notwen- (Ulrike Flach [FDP]: Ich habe nur zitiert, was
dig, zielgerichtet und richtig ist, dann ist es das Marktan- heute in den Medien geschrieben steht! Viel-
reizprogramm. Genau das ist dort nachzulesen. leicht sollten Sie häufiger Zeitung lesen!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Die Stellungnahme zum Bericht des Wissenschaftsra-
CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Aber doch tes zum Strahlenschutz steht noch aus. Im Rahmen der
nicht in einem boomenden Markt! Frau Hinz, Berichterstattergespräche ist angekündigt worden, dass
(B) wo leben Sie denn?) wir die Stellungnahme des Ministeriums rechtzeitig be- (D)
kommen, um die darin genannten Argumente abwägen
Richtig ist: Durch diese Gelder werden eine ökologisch und beraten zu können.
sinnvolle Bauweise sowie Know-how und Arbeitsplätze
vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen Drittens. Zur Frage der Kostentransparenz. Hier
der Bauwirtschaft gefördert. möchte ich den UN-Campus in Bonn erwähnen. Wir ha-
ben es geschafft, dass der Etat des UN-Campus in Bonn
Als Haushälterin gestehe ich gerne ein: Es sind Sub- nur noch durchlaufend im Einzelplan zu finden ist und
ventionen, aber auch Investitionen. Wir haben gerade das Budget des Ministeriums nicht länger fremd genutzt
eine ganze Menge dazu gehört. Diese 213 Millio- bzw. benutzt wird. Der Rechnungshof schlägt vor, dass
nen Euro – wir haben in diesem Jahr 39 Millionen Euro eine endgültige Lösung am Kabinettstisch gefunden
draufgesattelt – ziehen – hören Sie bitte gut zu, Frau werden soll. Ich bin davon überzeugt, dass dies bis zur
Flach – nächsten Haushaltsberatung geschehen wird.
(Ulrike Flach [FDP]: Tu ich doch!) Zu den internationalen Beziehungen. Die Erfah-
private Investitionen in Höhe von circa 1,5 bis 2 Mil- rung, das Know-how und die Verantwortung deutscher
liarden Euro nach sich. Sollen wir dazu Nein sagen? Umweltpolitik wachsen auf allen Ebenen, national und
international. Unsere Konzepte sind gefragter denn je.
(Ulrike Flach [FDP]: Ja, natürlich!) Auf der Nairobikonferenz hat sich gezeigt: Nicht nur un-
ser Know-how, unsere Erfahrung und unsere Konzepte
Ganz im Gegenteil. Hier einen Anreiz zu schaffen, geht
sind gefragter denn je. Beispielhaft sind auch unsere
in die richtige Richtung.
Moderation sowie die Art und Weise, in der wir unsere
Zweitens. Zukünftige Projekte und Vorhaben. Ma- Politik und unsere Themen einbringen, und wie der Mi-
chen wir uns nichts vor: Lärm macht krank. In diesem nister dies koordiniert. Die Gespräche, die im Rahmen
Zusammenhang möchte ich auf den Entwurf zur Ände- der Klimakonferenz von Nairobi geführt wurden, haben
rung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm zu spre- deutlich gemacht, dass der Weg, den wir eingeschlagen
chen kommen, der dem Haushaltsausschuss in seiner haben, richtig ist.
nächsten Sitzung zur Beratung vorliegen wird. Auch hier
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
geben wir das richtige Signal in die richtige Richtung.
der CDU/CSU)
Ich nenne nur einige der geplanten Änderungen im Flug-
lärmschutzgesetz: Geplant ist die Senkung der Pegel und Zu den Anträgen, die heute von den Grünen einge-
die stärkere Differenzierung der Grenzwerte für die Er- bracht wurden, muss ich sagen: Wer will nicht, dass ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6733
Petra Hinz (Essen)
(A) rade in den Klimaschutz mehr investiert wird? Aber Hätten die Vertreter des Bundesrechnungshofs auf der (C)
musste dieses Thema heute wirklich ganz spontan auf Bereinigungssitzung, die gerade einmal fünf Tage zuvor
die Tagesordnung gesetzt werden? stattgefunden hat, nicht schon Hinweise geben können?
Mein Appell an den Bundesrechnungshof lautet, uns
(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
früh genug Informationen zu geben, sodass beide Seiten
NEN]: Wie lange wollen Sie denn noch war-
– sowohl das Ministerium als auch wir Fachpolitiker und
ten? Wann, wenn nicht heute? – Michael
Haushaltspolitiker – entsprechende Maßnahmen einlei-
Kauch [FDP]: Da merkt man wieder einmal,
ten können.
dass Sie keine Ahnung von diesem Thema ha-
ben! – Zurufe von der LINKEN) Ich komme zum Schluss und sage deutlich: Die He-
rausforderung anzunehmen, eine nachhaltige und inno-
Haben wir nicht erst vor kurzem über den Klimaschutz,
vative Umweltpolitik zu machen, hat sich bewährt. Wir
das Ergebnis der Nairobikonferenz und die Zusagen, die
haben den Haushalt zielgerichtet dort erhöht, wo es für
wir der Weltgemeinschaft gegeben haben, diskutiert?
Innovationen für die Zukunft notwendig ist. Allerdings
Diese Themen hätten wir im Rahmen der Haushaltsbera-
sollten Ausgaben für internationale Verpflichtungen
tungen erörtern können.
– das muss ich hier einflechten – künftig bereits im Ent-
(Michael Kauch [FDP]: 24 Millionen Euro in wurf Berücksichtigung finden. Ich bin mir natürlich da-
fünf Jahren!) rüber im Klaren, dass dies nicht grundsätzlich und im-
mer geht.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nairobikonferenz bereits
stattgefunden. Auch auf diesem Gebiet sind wir nämlich Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Präsi-
ein verlässlicher Partner. dent – oder sehr geehrter Herr Präsident –,
Wir müssen die deutsche EU-Präsidentschaft nutzen, (Heiterkeit)
um offene Fragen im Bereich des Klimaschutzes zu klä-
ren. Ich weise noch einmal auf Folgendes hin, insbeson- der Haushalt 2007 setzt Impulse für Wachstum und
dere in Richtung der Fraktion des Bündnisses 90/ Beschäftigung. Ich möchte mich ganz herzlich bei den
Die Grünen: Klimaschutz und Kiotoprotokoll gibt es Kolleginnen und Kollegen und bei allen, die dazu beige-
nicht erst seit gestern. Mit diesen Themen beschäftigen tragen haben, dass wir informative und gute Haushalts-
sich die Sozialdemokraten schon seit vielen Jahren. Dass beratungen durchgeführt haben, bedanken. Herzlichen
dem so ist, findet auch im Haushalt seinen Niederschlag. Dank!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
der CDU/CSU – Michael Kauch [FDP]: Nein!
(B) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (D)
Damit hat die CDU/CSU-FDP-Regierung an-
gefangen!) Sie merken, ich zucke nicht zusammen, wenn jemand
zu mir sagt: Lieber Herr Präsident!
Viertens. Zur Personalentwicklung und zum Stellen-
plan. Durch die Föderalismusreform wurde der Weg frei (Heiterkeit)
gemacht, um noch in dieser Legislaturperiode ein Um-
Das ertrage ich mit Fassung.
weltgesetzbuch beraten und auf den Weg bringen zu
können. Wir haben beschlossen, zwei neue Planstellen Ich erteile nun das Wort Kollegen Lutz Heilmann,
zu schaffen. Fraktion Die Linke.
Die Themen Personalentwicklung und Stellenplan (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN!)
waren in der Tat immer wieder Bestandteil der Haus-
haltsberatungen. Es macht auf jeden Fall Sinn, dafür zu Lutz Heilmann (DIE LINKE):
sorgen, dass wir über objektive Informationen verfügen, Sehr geehrter Herr Präsident!
um abwägen zu können, in welchen Bereichen neue
Stellen geschaffen werden können. Denn es reicht in der (Heiterkeit)
Tat nicht aus, kw-Stellen oder Teilzeitstellen vorzuhal-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesamthaushalt
ten. Da das Ministerium immer umfangreichere und
Umwelt ist mit 790 Millionen Euro angesetzt. Meine
schwierigere Aufgaben zu bewältigen hat, muss genug
Zahl weicht etwas ab von der, die Sie, Frau Kollegin
Personal zur Verfügung stehen, allerdings an der richti-
Flach, vorhin genannt haben. Vielleicht sollten Sie noch
gen Stelle.
einmal nachschauen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Ulrike Flach [FDP]: Vielleicht haben Sie
der CDU/CSU)
nicht die aktuellen Zahlen!)
Verwundert habe ich nach der Bereinigungssitzung
Der Etat ist gerade einmal 0,9 Prozent höher als der für
am Dienstag letzter Woche über die Medien den Bericht
das Jahr 2006. Bis 2010 soll er sogar um 3 Prozent abge-
des Bundesrechnungshofes zur Kenntnis genommen.
senkt werden. Eine Frage bewegt mich: Werden wir mit
Auch dem BMU sind einige Einsparvorschläge gemacht
diesem Haushalt den an uns gestellten Herausforderun-
worden. Da frage ich mich: Inwieweit ist so ein Bericht
gen gerecht? Ich meine, kaum; ich habe das schon da-
über den Zeitraum von 2002 bis 2005 zielführend?
zwischengerufen, als die Kollegin Hinz vom Klimawan-
(Otto Fricke [FDP]: Das ist immer so!) del sprach.
6734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Lutz Heilmann
(A) Derzeit berichtet Nicholas Stern im von der vorigen (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: (C)
Bundesregierung eingerichteten Rat für Nachhaltige Sie müssen das zusammenrechnen!)
Entwicklung über seine Studie über die wirtschaftlichen
– Wir haben das zusammengerechnet und es kommt
Auswirkungen des Klimawandels. Diese Studie sollten
nicht viel dabei heraus.
Sie sich alle – Sie können ja leider nicht dabei sein – zu-
mindest besorgen und lesen. Oder Sie nutzen morgen Das EU-Parlament schätzt den Bedarf in den nächs-
früh um 10 Uhr in der Britischen Botschaft die Möglich- ten Jahren auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. Die
keit, ihm zuzuhören und zu hören, welche Auswirkun- 23 Millionen Euro, die wir in der Bundesrepublik auf-
gen zu befürchten sind. Die wichtigsten möchte ich Ih- wenden, sind daher wahrlich nicht sehr viel.
nen aufzählen. Herr Stern sagt: Der Klimawandel hat (Ulrich Kelber [SPD]: Wie viel sind die
Auswirkungen auf die elementaren Lebensbedingungen Flächen wert?)
auf der ganzen Welt – somit auch in der Bundesrepublik
Deutschland –: auf den Zugang zu Wasser, auf die Pro- – Nicht die Flächen. Ich habe davon gesprochen, was wir
duktion von Nahrungsmitteln, auf die Gesundheit und hier jährlich aufwenden. Das sind momentan 23 Millionen
auf die Umwelt. Für Hunderte Millionen Menschen Euro. Schauen Sie nach! Sie können das nachlesen. Es
könnte die Erwärmung der Erde zu Hunger, Wasserman- steht im Haushaltsentwurf. Das ist ein bisschen wenig.
gel sowie Überschwemmungen führen. Ich meine, das Mit drei weiteren Änderungsanträgen haben wir uns
wird nicht auf Afrika, Lateinamerika beschränkt bleiben, auf die erneuerbaren Energien bezogen. Fast alle hier
sondern auch in Deutschland Auswirkungen haben. Er im Hause sind sich darin einig – nur bei der FDP bin ich
prognostiziert eine Weltwirtschaftskrise, die ihresglei- mir nicht mehr ganz sicher; bei ihr ist wohl eher noch
chen sucht, eine, wie wir sie im vergangenen Jahrhun- das Atomzeitalter angesagt –, dass wir langfristig nur
dert erlebt haben. mit erneuerbaren Energien wirklich zukunftsfähig sein
Deshalb sollten wir Grundlagen dafür legen, dass sich werden. Ich habe es schon erwähnt: Um das Klima zu
etwas ändert. Wir können nicht so weiterwirtschaften. schützen, müssen wir hier kräftig zulegen. Nebenbei be-
Die Linke hat in den Beratungen über den Umwelthaus- merkt: Wenn Sie das nicht glauben, dann haben Sie mor-
halt einige Änderungsanträge eingebracht und Vor- gen die Möglichkeit, sich das von Herrn Stern noch ein-
schläge gemacht, an der Zahl waren es acht. Leider sind mal anzuhören.
alle im Ausschuss von Ihnen abgelehnt worden. Drei be- (Ulrich Kelber [SPD]: Dann sitzen wir im Ple-
zogen sich auf den Naturschutz, für den Sie die Mittel num!)
leider seit Jahren kürzen, was ich in meiner Rede anläss-
lich der ersten Lesung bereits deutlich gemacht habe. Deswegen haben wir eine Verdopplung der Mittel für
die drei Titel, also eine Erhöhung um über 200 (D)
(B) Herr Minister, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Millionen Euro, gefordert, die Sie ebenfalls abgelehnt
dass ich von Ihren Reden immer begeistert bin. haben. Dass Sie das Marktanreizprogramm für erneuer-
bare Energien um gerade einmal 39 Milliarden Euro auf-
(Beifall bei der SPD)
gestockt haben, ist angesichts des Bedarfs nur ein Tropfen
Lassen Sie Ihren Reden aber doch ganz einfach auch ein- auf den heißen Stein. Interessant ist in diesem Zusammen-
mal Taten folgen. Halten Sie nicht nur Sonntagsreden, hang, dass die Grünen mit ihrer Forderung noch unter dem
sondern nehmen Sie mehr Geld in die Hand. lagen, was die Koalition beschlossen hat.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sonntags gibt es über- (Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
haupt kein Plenum!) NEN]: Das stimmt gar nicht!)
– Herr Kelber, zu Ihnen komme ich auch gleich. – Indem Um Ihnen noch eine Möglichkeit zu geben, dies zu revi-
Sie immer nur schöne Reden halten, werden Sie die Aus- dieren, bringen wir nun in zweiter Lesung diesen Ände-
wirkungen des Klimawandels auf die Natur nämlich rungsantrag noch einmal ein. Ich hoffe auf Ihre Zustim-
nicht beeinflussen. mung. Hier können Sie jetzt Flagge zeigen und
verdeutlichen, was Sie genau wollen.
Lieber Herr Kelber, nun zu Ihnen. Während meiner
letzten Rede zu diesem Thema haben Sie mich darauf (Beifall bei der LINKEN – Kurt J. Rossmanith
hingewiesen, dass Sie das nationale Naturerbe unentgelt- [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück!)
lich übertragen haben. Des Weiteren wollten wir die Bemühungen der
(Ulrich Kelber [SPD]: Naturschutzerbe!) Umweltverbände honorieren und die Fördermittel für
Projekte um 3 Millionen Euro aufstocken. Das haben Sie
– Oder „Naturschutzerbe“; das ist ja egal. – Ich begrüße leider auch abgelehnt. Was Ihnen die Arbeit der Umwelt-
das natürlich. Mit dieser einmaligen Aktion können Sie verbände wert ist, haben Sie bereits in den vergangenen
den Naturschutz in Deutschland aber doch nicht auf Wochen gezeigt. Ich erwähne nur das Infrastrukturpla-
Jahre hin als gesichert ansehen. Um die gemeldeten Na- nungsbeschleunigungsgesetz, das Öffentlichkeitsbeteili-
tura-2000-Gebiete endlich wirksam zu schützen, muss gungsgesetz und das Umweltrechtsbehelfsgesetz. Damit
ganz einfach Geld in die Hand genommen werden. haben Sie gezeigt, was Sie von der Arbeit der Verbände
und von den Bürgerinnen und Bürgern halten.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie müssen das einmal
auf das Haushaltsvolumen beziehen!) Danke schön.
Es muss viel Geld sein. So geht es nicht weiter. (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6735

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: sprächen war es möglich, diese Titelgruppe umfänglich (C)
Ich erteile Bernhard Schulte-Drüggelte, CDU/CSU- zu verändern. Es ist gelungen, Einnahmen und Ausgaben
Fraktion, das Wort. im Haushalt 2007 darzustellen. Ich denke, das war nötig;
es geht immerhin um 100 Stellen beim Umweltbundes-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- amt mit einem Gesamtvolumen von 11 Millionen Euro.
neten der SPD) Das war ein gutes Ergebnis.

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir neten der SPD)
beraten heute den Einzelplan 16 des Ministeriums für Ähnlich verhält es sich mit dem Campus der Verein-
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wochen ten Nationen in Bonn, den Frau Hinz schon angespro-
der Verhandlungen und Gespräche liegen hinter uns. Ich chen hat. In der ursprünglichen Fassung waren keine
möchte an dieser Stelle auch einmal das gute und kon- Mittel für die Bewirtschaftung vorgesehen. Dabei entste-
struktive Gesprächsklima in der Arbeitsgruppe mit Petra hen alleine für den Langen Eugen Kosten von 1,7 Mil-
Hinz und den anderen Berichterstattern und auch in der lionen Euro jährlich. Auch an dieser Stelle ist eine völlig
Arbeitsgruppe der Koalition erwähnen. neue Titelgruppe entstanden, in der jetzt 9,1 Millionen
(Ulrike Flach [FDP]: Selbst mit uns, Herr Euro für die Bewirtschaftung veranschlagt werden.
Schulte-Drüggelte!) Wir gehen noch weiter. Über 2007 hinaus ist eine um-
– Selbst mit der FDP. fangreiche Verpflichtungsermächtigung in den Einzel-
plan aufgenommen worden.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt einen weiteren neuen Titel „Ansiedlung VN-
Herr Gabriel, Ihr Haus war für uns jederzeit erreich-
Organisationen“, den ich sehr wichtig finde. Damit
bar. Ich muss sagen, dass alle Fragen schnell und kompe-
wird deutlich, dass wir weitere VN-Einheiten und quali-
tent beantwortet wurden. Ich darf mich auch bei Ihren
fizierte VN-Mitarbeiter möchten, damit wir in Bonn
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich bedan-
schnell eine Standortsicherheit erreichen.
ken. Das sage ich nicht nur, weil wir in einer Koalition
sind. Ich finde, der Ton und der Stil haben sich geändert. (Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD])
Wir sind jetzt seit einem Jahr in der großen Koalition
und es hat Veränderungen gegeben. Ich kann Ihnen ehr- Wir sagen Ja zu den Vereinten Nationen und auch zu
lich sagen, dass ich vor einem Jahr nicht im Traum daran dem Campus in Bonn. Das ist eine wichtige Verbesse-
gedacht habe, dass ich einmal einen SPD-Minister loben rung.
(B) würde. Da die Lage aber nun einmal so ist: Bitte schön. (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wie des Abg. Ulrich Kelber [SPD])
der SPD) Ich bin aber auch weiterhin der Meinung, dass die VN-
Anfang November wurden die Ergebnisse der Steuer- bedingten Kosten nicht beim Bundesumweltministerium
schätzung bekannt gegeben. Sie alle haben die erfreuli- veranschlagt werden sollten. Ich wiederhole, dass es bes-
chen Meldungen gehört: Die Steuereinnahmen von ser wäre, dem Beispiel von Österreich und der Schweiz
Bund, Ländern und Gemeinden fallen 2006 und 2007 folgend, die viel Erfahrung mit den Vereinten Nationen
um circa 39 Milliarden Euro höher aus als erwartet. Das haben, diese Ausgaben beim Auswärtigen Amt anzusie-
erleichtert unsere Bemühungen zur Haushaltskonsolidie- deln. Vielleicht kann man das in den Beratungen des
rung. kommenden Haushaltes durchsetzen.
Wir haben uns aber bei den Beratungen nicht auf un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
seren Lorbeeren ausgeruht. Wo es sinnvoll war, sind der SPD)
weitere Einsparungen vorgenommen worden. Im inves-
tiven Bereich haben wir Akzente gesetzt. Die internationale Zusammenarbeit beim Klima-
schutz ist schon angesprochen worden. Nationale Al-
Insgesamt haben sich die Ansätze des Einzelplans 16 leingänge machen wenig Sinn. Daher freuen wir uns auf
– Umwelt – von 790 Millionen Euro auf 844 Millionen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und den G-8-Vor-
Euro erhöht. An die PDS gewandt darf ich feststellen, sitz. Es ist richtig, dass dafür in diesem Haushalt 3 Mil-
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die lionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
Linke!) Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen,
dass das durchaus mehr als 0,1 Prozent ist; das kann man nämlich das Marktanreizprogramm, das offenbar un-
auch nachrechnen. terschiedlich bewertet wird.

Ein Großteil der Erhöhungen ist allerdings auf die (Zuruf von der SPD: Eigentlich nicht!)
Einhaltung der Grundsätze der Haushaltsklarheit und Ich finde es sehr positiv, dass dafür 39 Millionen Euro
Haushaltswahrheit zurückzuführen. Dies haben wir in zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.
den Beratungen auch konsequent umgesetzt. Ich nenne
an erster Stelle den Emissionshandel. Hier existierte zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Beginn nur eine Leerstellenstruktur. Nach vielen Ge- neten der SPD)
6736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bernhard Schulte-Drüggelte
(A) Das hilft gerade den Handwerksbetrieben, Aufträge zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C)
bekommen. Das sollte auch die FDP anerkennen.
Eine Koalition bedeutet natürlich immer, dass Kom-
Des Weiteren wird ein deutliches Signal zur Förde- promisse gefunden werden müssen. In einer großen Ko-
rung der erneuerbaren Energien im Wärmebereich alition ist das manchmal aufwendig und schwierig. Das
gegeben. Dadurch wird das Programm auch über 2007 haben wir auch bei den Haushaltsberatungen festgestellt.
hinaus verstetigt. Ich halte die damit verbundene Pla- Es ist klar, dass ich nun zur Endlagerung radioaktiver
nungssicherheit in zweifacher Hinsicht für angebracht: Stoffe komme. Hier konnten wir uns nicht einigen.
zum einen für diejenigen, die die Anträge stellen und in-
vestieren wollen, und für die Unternehmen, die diese (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])
Aufträge ausführen; zum anderen deshalb, weil dadurch Aber ich vermute, dass in den nächsten Monaten Rechts-
im Umweltministerium und im Bundesamt für Wirt- klarheit darüber geschaffen wird, ob in Schacht Konrad
schaft und Ausfuhrkontrolle möglichst effektiv gearbei- schwach radioaktive Stoffe eingelagert werden können.
tet werden kann. Für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht grünes
Licht für die Umrüstung zum Endlager gibt, ist nach
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
meiner Meinung im Haushalt 2007 nicht ausreichend
Natürlich werden wir uns auch 2007 mit diesem Pro- vorgesorgt.
gramm beschäftigen.
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es! Eine mutige
Rede!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich finde, das ist bedauerlich. Leider hat sich unser Ko-
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
alitionspartner nicht bewegt. Das verwundert mich ein
Kollegen Kauch?
bisschen. Ich erkenne durchaus eine pragmatische Hal-
tung und respektiere sie. Wenn man sich aber klar zum
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Atomausstieg bekennt und den Abbau kerntechnischer
Ja, selbstverständlich. Anlagen mit Vehemenz betreibt, dann muss man ge-
nauso deutlich sagen, wo die radioaktiven Abfälle blei-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ben sollen; das ist logisch. Darüber sollten Sie noch ein-
mal nachdenken.
Bitte, Herr Kauch.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Michael Kauch (FDP): der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Ma-
(B) chen wir auch!) (D)
Herr Kollege, da Sie schon der zweite Kollege aus der
Koalition sind, der anpreist, dass der Ansatz für das Frau Petra Hinz hat zu Recht vorgeschlagen, zu gegebe-
Marktanreizprogramm um einige Millionen Euro ange- ner Zeit darüber noch einmal im Haushaltsausschuss zu
hoben wird, möchte ich gerne wissen, ob Ihnen, der Sie beraten.
nicht dem Umweltausschuss angehören, eigentlich be-
kannt ist, wie es zu dieser Erhöhung gekommen ist. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)
Dazu ist es doch nur deshalb gekommen, weil der Bun- Ich möchte noch anmerken, dass wir als Mitglieder
desumweltminister das ursprünglich von der Koalition des Haushaltsausschusses nicht alles überprüfen und
angekündigte Gesetz über regenerative Wärme heimlich, jede Fehlentwicklung sofort erkennen können. Deshalb
still und leise beerdigt hat und dadurch in der Lage ist, ist zusätzliche Information besonders wichtig. Der ge-
weiße Salbe zu verteilen und die Branche ein bisschen rade veröffentlichte Bericht des Bundesrechnungshofes
mehr zu subventionieren. Sind Sie mit mir einer Mei- über den VN-Campus hat deutlich gemacht, wie wichtig
nung, dass ein Programm zur regenerativen Wärme ins- der Bundesrechnungshof für uns ist. Ich möchte mich
besondere dann, wenn man es mit dem Emissionshandel ganz herzlich bei den Prüferinnen und Prüfern für die ge-
verbindet, eine planbarere Grundlage für die Branche leistete Arbeit und ausdrücklich für die von uns dringend
wäre als eine Subvention, die jedes Jahr aufs Neue be- benötigte Unterstützung bedanken. Danke sehr.
schlossen wird?
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU):
Was der Bundesumweltminister beerdigt oder in die Die Beratungen über den Bundeshaushalt 2007 ma-
Welt setzt, kann ich nicht beurteilen. Aber wie gesagt, chen unseren Willen zur nachhaltigen Finanzpolitik
dieses Programm ist sehr sinnvoll, wobei nur 10 Prozent deutlich. Ich meine, wir haben mit den Beratungen über
der Investitionssumme gefördert wird. Das durchschnitt- den Einzelplan Umwelt für das Haushaltsjahr 2007 einen
liche Fördervolumen liegt bei 800 Euro. Sie sehen daran, guten Beitrag geleistet.
um welche Maßnahmen es geht. Es sind in erster Linie
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
mittelständische Unternehmen, die in diesem Zusam-
menhang Aufträge ausführen. Ich hatte bereits deutlich
gesagt, dass dies zu einer Verstetigung führen kann. Da- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
rüber sollten Sie sich freuen, wenn Sie für den Mittel- Das Wort hat jetzt die Kollegin Anna Lührmann vom
stand eintreten. Bündnis 90/Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6737

(A) Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Chefökonom der Weltbank sagt, dass die Marktmecha- (C)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nismen versagt haben? Ich finde, hier ist staatliches Han-
Kollegen! Ich habe bekanntermaßen schon relativ früh deln gefordert, und zwar jetzt und heute.
angefangen, mich politisch zu engagieren, und zwar
schon in der Grundschule. Dort habe ich unter anderem Liebe Frau Kollegin Hinz, Sie haben mich eben vor-
Unterschriften gegen die Jagd auf Eisbären gesammelt. wurfsvoll gefragt, warum wir denn jetzt Anträge für ei-
Heute, etwa zehn bis zwölf Jahre später, geht die Wis- nen Klimaschutzfonds stellen würden. Frau Hinz, wann
senschaft davon aus, dass die Eisbären aussterben, aber denn, wenn nicht jetzt? Wann, wenn nicht zu diesem
nicht wegen der Jagd auf die Eisbären, sondern wegen Bundeshaushalt? Deshalb haben wir die konkreten An-
des von Menschen verursachten Klimawandels. Das träge gestellt und konkrete Vorschläge gemacht, wie wir
heißt, der Klimawandel ist nicht mehr nur ein Szenario, den Klimawandel stoppen können. Ich fordere Sie auf,
über das man abstrakt reden kann, sondern der Klima- nachher bei der namentlichen Abstimmung unseren An-
wandel ist Realität. trägen zuzustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können sich jetzt fragen: Was interessieren mich Wir haben zwei konkrete Anträge gestellt. Herr Gab-
die Eisbären, was stört mich der Klimawandel? – Es ist riel, vielleicht schauen Sie sich diese einmal genauer an.
aber einfach Fakt: Wenn das arktische Eis schmilzt, dann Wenn Sie jetzt nicht zustimmen, so stimmen Sie viel-
schwindet der Lebensraum der Eisbären, dann steigen leicht im Laufe des nächsten Jahres zu. Sie können un-
die Meeresspiegel, wodurch auch unser Lebensraum be- sere Anträge dann als eigene Ideen einbringen. Auch da-
troffen wird, dann nehmen gleichzeitig Stürme, Hurri- gegen habe ich nichts. Sie haben schon häufiger das
kans, Dürren, Hitzewellen und andere extreme Witte- grüne Original kopiert. Wenn es der Sache dient, dann
rungsbedingungen zu, womit unser Leben hier ganz finde ich es gut. Sie könnten aber auch sofort zustim-
konkret beeinträchtigt wird. Millionen Menschen kom- men.
men in Gefahr und werden ums Leben kommen; zumin- Es geht uns zum einen um einen Klimaschutzfonds,
dest aber werden ihre Lebensbedingungen massiv einge- der für die nächsten zehn Jahre mit 5 Milliarden Euro
schränkt. Sie wundern sich vielleicht, warum ich als ausgestattet werden soll. Er soll vor allem zur Energieef-
Mitglied des Haushaltausschusses – wir sind eigentlich fizienz beitragen. Wissenschaftler haben herausgefun-
dafür bekannt, eher abstrakt und nüchtern zu argumen- den, dass man bis zum Jahr 2015 fünf bis sechs Groß-
tieren – einen etwas emotionaleren Einstieg in meine kraftwerke einsparen könnte, wenn man diesen
Rede gewählt habe. Nun, für mich ist der Bundeshaus- Klimaschutzfonds auflegen würde. Das ist eine ganze
(B) halt nichts anderes als die in Zahlen gegossene Priorität Menge. Das könnte man durch praktische Anleitungen, (D)
einer Regierung. konkrete Informationen und durch finanzielle Anreize
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Deshalb ge- schaffen. Frau Flach, das ist auch gut für die Wirtschaft.
ben wir auch mehr für Umwelt aus!) Man kann davon ausgehen, dass durch den Klimaschutz-
fonds in Höhe von 5 Milliarden Euro Investitionen von
Meine Priorität in diesem Jahr ist ganz eindeutig: Weil weiteren 15 Milliarden Euro mit den entsprechenden Ar-
sich der Klimawandel verschärft hat, müssen wir mehr beitsplatzeffekten ausgelöst werden würden und gleich-
in den Stopp des Klimawandels investieren. Deshalb ist zeitig Energiekosten in einem enormen Umfang einge-
der Einzelplan 16 auch nicht irgendein trockenes Zah- spart werden könnten. Deshalb macht dieser
lenwerk, sondern verdient unsere besondere Aufmerk- Klimaschutzfonds nicht nur Sinn für das Klima und für
samkeit. die Umwelt, sondern eben auch für die Wirtschaft und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Arbeitsplätze in Deutschland.
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Man kann sich dem Thema Klimaschutz und Umwelt Er ist damit im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig.
auch etwas nüchterner nähern. Der Kollege Heilmann Wir wollen ihn nachhaltig dadurch finanzieren, dass CO2
von der Partei Die Linke hat gerade Sir Nicholas Stern endlich einen angemessenen Preis bekommen soll, näm-
zitiert, auf den auch ich mich jetzt beziehen möchte. Wie lich indem die Zertifikate für den Emissionshandel ver-
Sie alle wissen, ist der Herr weder Mitglied der Links- steigert werden. Das soll schon ab 2008 passieren. Sie,
fraktion noch der Grünen, sondern ehemaliger Cheföko- Herr Gabriel, gehen immer noch davon aus, dass Sie der
nom der Weltbank. Er hat jetzt einen sehr viel beachteten Wirtschaft die Zertifikate einfach schenken. Dadurch er-
Bericht zum Klimawandel vorgelegt. Dieser Bericht hat geben sich für sie enorme zusätzliche Profite. Viele an-
zwei wesentliche Ergebnisse. Das eine Ergebnis ist, dass dere Länder machen vor, wie man es richtig macht. Sie
der Klimawandel uns in die schlimmste Rezession stür- versteigern die Zertifikate ab dem Jahr 2008. Ich weiß,
zen wird, die wir seit den beiden Weltkriegen erlebt ha- dass viele in der SPD-Bundestagsfraktion das auch wol-
ben, wenn wir nichts dagegen tun. Das halte ich für sehr len. Ich möchte, dass Deutschland in der Umweltpolitik
dramatisch. Das zweite Ergebnis dieser Studie ist, dass Vorreiter statt Schlusslicht ist. Deshalb wollen wir
Marktmechanismen bei der Bekämpfung des Klimawan- 10 Prozent der Zertifikate versteigern.
dels eindeutig versagt haben. Da spreche ich Sie, Frau
Flach, an. Wo sollte denn der Staat Ihrer Meinung nach (Ulrich Kelber [SPD]: Welches Land verstei-
eingreifen, wenn nicht an einer Stelle, von der selbst der gert 10 Prozent?)
6738 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Anna Lührmann
(A) Dadurch könnten wir mindestens 500 Millionen Euro Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
im Jahr einnehmen und damit den Klimaschutzfonds Frau Hinz, ich gebe Ihnen insoweit Recht, als ich ver-
komplett gegenfinanzieren. Damit ist der Klimaschutz- stehe, dass Sie versuchen, jetzt mit Nebelkerzen um sich
fonds für uns ein Symbol grüner, nachhaltiger Haus- zu werfen und allerhand andere Sachen hineinzubringen.
haltspolitik. Denn wahrscheinlich sind Sie selber etwas sauer darü-
ber, dass es mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz nicht
(Michael Kauch [FDP]: Symbolpolitik!)
geklappt hat. Wenn man in diesem Haushaltsjahr ein Er-
Denn wir wollen nachhaltig grün investieren. neuerbare-Wärme-Gesetz verabschiedet hätte, hätte man
ab dem nächsten Jahr einen enormen Schub für Ökohei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zungen und all die anderen Programme gehabt, die unter
Ulrich Kelber [SPD]: Welches Land verstei- dem Marktanreizprogramm laufen. Sie haben sich aber
gert 10 Prozent?) nicht getraut; Sie haben sich mit der CDU nicht über ein
Ich komme noch kurz auf den zweiten Vorschlag zu Erneuerbare-Wärme-Gesetz geeinigt.
sprechen, mit dem wir den Klimaschutz in diesem Land Im Vergleich dazu ist alles, was im Rahmen des
voranbringen wollen; er betrifft das Thema erneuerbare Marktanreizprogrammes in diesem Jahr gelaufen ist, ein
Energien. Frau Hinz, Sie haben vorhin erwähnt, dass Placebo. Das Programm ist zwar ganz gut – wir haben
Sie viele Briefe zum Marktanreizprogramm bekommen ihm ja auch zugestimmt –, aber reicht bei weitem nicht
haben. Diese Briefe haben wir natürlich auch bekom- aus. Deshalb verstehe ich Ihren Ärger an dieser Stelle.
men. Wenn ich mich richtig erinnere, bezogen sich diese
Briefe bereits auf das Haushaltsjahr 2006: Weil für das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
laufende Haushaltsjahr viel zu wenig Geld eingestellt Ulrich Kelber [SPD]: Für welche Variante des
war, musste schon Mitte des Jahres ein Förderstopp ver- Wärmegesetzes sind Sie? – Ulrike Flach
hängt werden. Deshalb konnten die Handwerksbetriebe [FDP]: So doll war das jetzt nicht!)
in diesem Jahr ihre Aufträge nicht in der Art und Weise Ich führe dann noch weiter aus, was wir zum Thema – –
erfüllen, wie es eigentlich möglich gewesen wäre. Ich glaube, vorhin war da noch ein wenig mehr Zeit.
Wir Grüne haben im Haushaltsausschuss schon recht-
zeitig einen Antrag vorgelegt, mit dem wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
40 Millionen Euro mehr für das Jahr 2006 beantragt ha- Die Redezeit war während Frage und Beantwortung
ben. Haushaltstechnisch war das möglich; das haben Sie gestoppt, jetzt ist sie abgelaufen.
an anderer Stelle auch schon gemacht. In einem zweiten
Schritt haben wir dann natürlich beantragt, die Mittel für (Heiterkeit)
(B) das Jahr 2007 weiter aufzustocken. (D)
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich bin mir ganz sicher, davor war noch eine Minute
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hinz? da.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:


Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Das tut
Bitte.
mir Leid.

Petra Hinz (Essen) (SPD): Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Danke, Herr Präsident, danke, Frau Lührmann. – Sie Gut, dann komme ich jetzt zum Schluss.
stimmen mir ja wohl zu, dass der Haushalt 2006 noch
ein gemeinsamer Haushalt von Rot und Grün war. Nachdem wir festgestellt haben, dass Sie es nicht
schaffen, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz auf den Weg
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu bringen, haben wir gesagt: Na gut, dann muss man
über den Weg des Marktanreizprogrammes mehr ma-
Der wurde so aber nicht verabschiedet.
chen. Deshalb beantragen wir in der Schlussrunde des
Haushalts weitere 100 Millionen Euro. Damit haben wir
Petra Hinz (Essen) (SPD): in diesem Jahr, also für das Haushaltsjahr 2006 und
Wir haben ihn aber gemeinsam erstellt; genau diese 2007, insgesamt 165 Millionen Euro zusätzlich für das
Schwerpunktsetzung ist in dem Haushalt auch zum Tra- Marktanreizprogramm beantragt. Damit haben wir Ihnen
gen gekommen. konkrete Vorschläge gemacht, sehr geehrte Damen und
Herren von der großen Koalition, sehr geehrter Herr
Geben Sie mir Recht, Frau Lührmann, wenn ich sage,
Gabriel, wie man in Bezug auf Klimaschutz nicht nur re-
dass wir beim letzten Haushaltsentwurf die gegenseitige
den, sondern auch handeln kann. Wir haben mit dem
Deckungsfähigkeit in diesem Bereich herausgenommen
Klimaschutzfonds und mit dem Marktanreizprogramm
haben und der vorherige Minister Trittin genau diesen
Möglichkeiten der Gegenfinanzierung im Bundeshaus-
Titel dazu genutzt hat, um zum Beispiel in den Bereich
halt aufgezeigt. Wir wünschen uns, dass Sie uns bald
Forschung zu investieren, sodass erst jetzt in diesem Be-
Ähnliches vorlegen.
reich volle 100 Prozent und damit 36 Millionen Euro
mehr zur Verfügung stehen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6739

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: raussetzungen für eine zukünftige Auktionierung ge- (C)
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gab- schaffen werden und wir sichergehen können, dass die
riel. Verbraucherinnen und -verbraucher und die Unterneh-
men das nicht werden bezahlen müssen. Diese Position
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nimmt die ganze Bundesregierung ein.
der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur- CDU/CSU)
schutz und Reaktorsicherheit: Zur großen Überraschung der Kollegin Lührmann
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau gibt es einen Klimaschutzfonds – er ist weit größer als
Lührmann, ich sage es gleich am Anfang – der Kollege der, den Sie fordern –, und zwar im Bundeshaushalt. Die
Kauch und vermutlich auch Frau Höhn werden auf das entsprechenden Mittel sind kein Bestandteil des Einzel-
schöne Thema Auktionierung zu sprechen kommen –, plans für das Bundesumweltministerium, auch wenn
damit nicht die Gefahr besteht, dass ich vergesse, darauf sich das diejenigen, die den umweltpolitischen Teil der
einzugehen: Nicht nur in den Koalitionsfraktionen, son- Koalitionsvereinbarung ausgehandelt haben, sicherlich
dern auch im Bundesumweltministerium und in der Bun- gewünscht hätten. Der Bundeshaushalt stellt viermal
desregierung hat niemand etwas gegen eine Auktionie- mehr Mittel für die CO2-Gebäudesanierung zur Verfü-
rung, wenn wir das sicherstellen können, von dem Sie gung, als es vorher – auch als Sie mitregiert haben – der
immer behaupten, es könne sichergestellt werden, näm- Fall war.
lich dass bei der Auktionierung Windfall-Profits der En-
ergieunternehmen, die aus unserer Sicht zu Unrecht an- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
gefallen sind, tatsächlich dazu genutzt werden können,
Dafür stehen im Bundeshaushalt 5,6 Milliarden Euro
all das zu tun, was Sie hier vorschlagen.
zur Verfügung – die von Ihnen geforderten
Solange das nicht der Fall ist, solange die Gefahr be- 5 Milliarden Euro sind also vergleichsweise preiswert –:
steht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu- Das ist ein Klimaschutzprogramm; das ist der größte
sätzlich 5 Milliarden Euro zahlen müssen, weil wir keine Klimaschutzfonds, den es gibt. Er setzt dort an, wo wir
Handhabe gegen eine erneute Einpreisung haben – über Energie am schnellsten, am effektivsten einsparen und
das hinaus, was sowieso schon getan worden ist –, so den Verbrauchern helfen können. Damit wird ein sehr
lange legen wir keinen Vorschlag vor. Schließlich sind wichtiger Beitrag zur Senkung unnötiger CO2-Belastun-
wir dagegen, mehr Haushaltsgelder auszugeben und als gen, nämlich im Bereich energetischer Gebäudesanie-
Folge dessen die Verbraucherinnen und Verbraucher ab- rungen, geleistet.
(B) zuzocken. (D)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU) Reden Sie diese Sache also nicht klein! Wir können
mehr machen, keine Frage. Aber tun Sie nicht so, als
Das ist der einzige Grund, warum wir so vorgehen. hätten wir hier nichts getan. Es ist mittlerweile beliebt,
zu sagen, wir redeten immer nur über Klimaschutz, täten
Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Monaten
aber nichts. Wir machen mehr, als Sie sich in Ihren
ein Urteil des Kartellamts dazu bekommen. Dann wer-
kühnsten Träumen hier im Deutschen Bundestag zu be-
den wir sehen, ob wir eine Handhabe haben oder nicht.
antragen getraut hätten. Das ist doch die Realität der Kli-
Eines können Sie dieser Bundesregierung doch wahr- maschutzpolitik der jetzigen Bundesregierung.
lich nicht vorwerfen: dass sie nicht den Mut habe, sich
gegen die mächtigen Stromanbieter dieses Landes (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
durchzusetzen und eine Menge Vorschläge zu machen, CDU/CSU)
die man vielleicht schon früher hätte machen sollen. Ich will vorab den Mitgliedern des Haushaltausschus-
Wenn das geschehen wäre, dann wären wir vielleicht in ses danken für sagen wir einmal: eine Menge Geduld bei
einer anderen Lage. der Behandlung des Umwelthaushalts 2007. Das war
Selbst da, wo Sie, Frau Kauch – – Entschuldigung, sicherlich nicht ganz einfach, so mitten in der Nacht; das
Frau Flach! will ich offen sagen. Ich fand, es war hochkollegial, wie
Sie am Ende in der Sache damit umgegangen sind. Ich
(Heiterkeit) danke ausdrücklich dafür, dass der relativ kleine Haus-
halt des BMU unter den notwendigen Konsolidierungs-
Verheiratet sind Sie ja noch nicht! Ich weiß nicht, ob es
maßnahmen nicht so stark hat leiden müssen, wie man
dafür eine Chance gibt?
das vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung
(Ulrike Flach [FDP]: Ich fürchte, nein! – durchaus hätte erwarten können. Also, ich danke aus-
Heiterkeit) drücklich für die partnerschaftliche Debatte und die Ent-
scheidungen.
Frau Flach, Sie behaupten, es gebe immer wieder
Streit zwischen dem Kollegen Glos und mir. Ich sage Ih- Dazu zählt unter anderem, dass der Bereich der erneu-
nen: Wir sind beide absolut der Überzeugung, dass wir erbaren Energien ein Plus von 38 Millionen Euro be-
für mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt in kommt. Mit rund 88,4 Millionen Euro geben wir für die
Deutschland sorgen müssen, damit überhaupt die Vo- Forschung im Bereich erneuerbarer Energien das
6740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) Doppelte dessen aus – das sind Investitionen! –, was wir (Ulrike Flach [FDP]: Das können wir gern (C)
in der Vergangenheit dafür ausgegeben haben. tun!)
Frau Kollegin Flach, Sie müssen sich jetzt einmal Dann werden wir feststellen, wer von uns beiden Recht
entscheiden. Entweder stellen Sie sich im Rahmen der hat. Wer Unrecht hat, zahlt den Kaffee. Okay?
Bildungsdebatte hier hin
(Ulrike Flach [FDP]: So wird es gemacht!)
(Ulrike Flach [FDP]: Das ist ein ganz anderer
– In Ordnung.
Haushaltstitel!)
Kommen wir zum Marktanreizprogramm. Wir hat-
und sagen: „Mehr Investitionen für Forschung, weil das
ten im Jahr 2005 131 Millionen Euro für das Markt-
die Zukunftsinvestitionen sind, die bei uns Beschäfti-
anreizprogramm verausgabt. Diese Summe haben wir
gung schaffen“ oder Sie kritisieren, dass bei uns Haus-
bereits im letzten Haushalt auf 180 Millionen Euro stei-
haltsmittel für Forschung und Entwicklung im Bereich
gern können. Das waren 50 Millionen Euro mehr. Jetzt
erneuerbarer Energien ausgegeben werden. Beides zu-
steigt der Betrag gegenüber dem Regierungsentwurf um
sammen geht nicht.
weitere 39 Millionen Euro. Das heißt, wir haben inzwi-
(Ulrike Flach [FDP]: Das habe ich doch gar schen einen Anstieg um fast 90 Millionen Euro.
nicht gesagt!)
Es ist absolut richtig, was der Kollege Kauch gesagt
– Natürlich. Ich habe bei Ihrer Rede zugehört. Das war hat: Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zum 1. Ja-
schon relativ deutlich. nuar 2007 die Mehrwertsteuer erhöht wird, die Kraft-
fahrer den Abbau der Pendlerpauschale zu verkraften
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: haben und Energie insgesamt immer teurer wird, haben
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischen- sich die Koalitionsfraktionen darauf verständigt, auf eine
frage der Kollegin Flach? weitere Erhöhung – und sei sie noch so moderat – der
Kosten im Bereich der erneuerbaren Wärmeenergien für
die Verbraucher zu verzichten. Weil wir aber trotzdem
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
wollen, dass sich dieser Wirtschaftszweig weiterentwi-
schutz und Reaktorsicherheit:
ckelt, weil wir die Arbeitsplätze in dem Bereich wollen,
Außerordentlich gern. weil wir wollen, dass neue Techniken im Bereich der er-
neuerbaren Wärme entstehen, und eine Situation wie in
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: diesem Jahr vermeiden wollen – da war der Topf schon
Bitte schön, Frau Flach. im August leer; die Zahl der Anträge, die eine Bezuschus-
(B) sung erhalten haben, hatte sich gegenüber dem Jahr 2005 (D)
Ulrike Flach (FDP): verdoppelt –, sind noch einmal 39 Millionen Euro drauf-
Herr Minister, da wir beide immer einen freundlichen gesattelt worden, damit wir nicht ständig zu einem Ab-
Ton pflegen, bruch der Förderung kommen. Wir sehen ja, wie viel
neue Arbeitsplätze dort entstanden sind. Der Kollege
(Zurufe von der SPD: Oh!) Schulte-Drüggelte hat zu Recht darauf hingewiesen: Das
will ich Sie auch ganz freundlich etwas fragen. Viel- ist ein richtiges Handwerkerprogramm, ein Gewerbepro-
leicht erinnern Sie sich doch daran, dass ich vom Markt- gramm, ein Programm für Jobs. Wenn Sie das in Ihrer
anreizprogramm und nicht von Forschung gesprochen Begrifflichkeit „Subvention“ nennen,
habe. Als ehemalige Forschungspolitikerin weiß ich, (Ulrike Flach [FDP]: Das ist eine! Herr Stein-
was Forschung für dieses Land heißt. Ich glaube nicht, brück tut das auch!)
dass Sie mir unterstellen können – ich frage Sie einfach,
ob Sie mir das unterstellen wollen –, dass ich etwas dann müssen Sie einmal sagen, was Ihnen eigentlich
gegen Forschung habe. lieber ist: wenn wir die Leute dann, wenn sie arbeitslos
sind, mit Arbeitslosengeld subventionieren, oder wenn
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
wir ihnen Arbeit geben, vernünftige, zukunftsorientierte
schutz und Reaktorsicherheit: Ausbildungsplätze schaffen und dafür einen neuen Tech-
nologiezweig entwickeln? Das ist doch die entschei-
Frau Kollegin Flach, ich würde Ihnen niemals etwas
dende Frage, um die es geht.
unterstellen. Ich höre nur dem zu, was Sie sagen. Sie
haben beklagt, dass wir erneuerbare Energien subven- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
tionieren, bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach
(Ulrike Flach [FDP]: Ein anderer Titel!)
[FDP]: Aber es steht im Subventionsbericht!)
und Sie haben dann auch noch über das Marktanreiz-
Angesichts Ihrer Position zum Erneuerbare-Energien-
programm gesprochen.
Gesetz – da sagen Sie immer: eine Subvention über den
Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Wir beide treffen Strompreis lehnen wir ab – finde ich es einigermaßen
uns bei einer Tasse Kaffee und lesen Ihre Rede nach, und bemerkenswert, Herr Kauch, dass Sie uns jetzt dafür
zwar bevor Sie sie korrigiert haben, also so, wie der Ste- kritisieren, dass wir nicht schnell genug mit dem Erneu-
nografische Dienst sie vorgelegt hat. – Das ist mein Vor- erbare-Wärme-Gesetz kommen. Da müssen Sie sich ein-
schlag. mal entscheiden, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6741
Bundesminister Sigmar Gabriel
(A) es ablehnen oder wollen Sie es einfordern? Sie können fortsetzt, und tun Sie in dieser Debatte nicht so, als seien (C)
im Deutschen Bundestag nicht zeitgleich beides vertreten. Sie die Größten. Unterstützen Sie uns vielmehr dabei,
diese Position in Europa durchzusetzen. Das wäre ein
(Zuruf von der CDU/CSU: Die FDP kann
vernünftiges Entgegenkommen.
das!)
– Mag sein, dass die FDP das kann; uns fällt das ein biss- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
chen schwer. Deswegen glauben wir, dass dieses Geld Wir haben eine schwierige Situation zu bewältigen.
vernünftig angelegt ist. Das gilt auch für die Wir wissen, dass der Nationale Allokationsplan I für
1,4 Milliarden Euro im Bereich der Gebäudesanierung, die erste Periode mit 2 Millionen Tonnen pro Jahr eine
bei denen wir ja zuvor noch 350 Millionen Euro aus dem viel zu geringe CO2-Reduktion vorgesehen hatte und
Folgejahr vorgezogen haben. auch die für die zweite Periode von Rot-Grün beschlos-
Wir haben das Biokraftstoffquotengesetz geschaffen senen 10 Millionen Tonnen Reduktion zu gering waren.
und schaffen jetzt die Voraussetzungen dafür – wenn wir Wir haben nun für die nächste Handelsperiode eine
das im Bundesrat durchsetzen können, wovon ich aus- Reduktion um 15 Millionen Tonnen vorgeschlagen, was
gehe –, dass die Energieerzeugung aus Offshore-Wind- deutlich besser ist. Vor diesem Hintergrund weise ich
energieparks in Gang kommt. Das geht nämlich nur, darauf hin, dass die Bundesregierung am 30. Juni dieses
wenn wir die Kosten für die Anbindung dieser Parks an Jahres erklärt hat, dass alle Maßnahmen zum Emissions-
das Stromnetz im Binnenland aus den Investitionskosten handel unter dem Vorbehalt der Überprüfung der Daten
der Anlagen herausnehmen. Wenn wir das hinbekom- aus den Jahren 2002 bis 2004 und der Notifizierung
men, machen wir einen riesigen Sprung nach vorne. durch die EU-Kommission stehen. Ich sage noch einmal:
Sie haben nicht genug gemacht; Ihre Prognosen waren
Ich verstehe, dass die Opposition mehr fordert. Ich zu niedrig angesetzt. Mit dem Nationalen
verstehe aber nicht, dass sie öffentlich erklärt, wir Allokationsplan II, den wir vorgelegt haben, machen wir
würden nichts tun. Wir machen mehr als andere Regie- mehr, aber auch nicht genug, wie wir bei der Über-
rungen zuvor, natürlich auch deshalb, weil die Lage prüfung der Daten festgestellt haben.
bedrohlicher geworden ist. Vor diesem Hintergrund mö-
gen Sie sich darauf konzentrieren, mehr zu fordern, aber Wir sind nun bereit, gemeinsam mit dem Deutschen
nicht so tun, als sei hier nichts passiert. Bundestag – wir werden das sicherlich nächste Woche im
Umweltausschuss vortragen – im NAP II deutlich stärkere
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Emissionsminderungen als bisher vorzusehen. Wir tun
Zum Schluss will ich noch auf ein paar Bemerkungen dies, weil wir bei der Überprüfung der Daten festgestellt
eingehen, die bisher im Rahmen der Haushaltsdebatte haben, dass die niedrigen, im ersten Allokationsplan
(B)
zum Thema Klimaschutz gefallen sind. vorgesehenen Reduktionsmengen selbst zusammen mit (D)
den im zweiten Allokationsplan vorgesehenen höheren
Die Kollegin Künast hat gestern gesagt – schade, dass Mengen wohl nicht ausreichen, um das 21-Prozent-Ziel zu
sie jetzt nicht hier ist –, es sei doch unerhört, wenn der erreichen. Weil die Bundesregierung aber das 21-Prozent-
Bundesumweltminister ständig konditionierte Zusagen mit Ziel halten will, hat sie Vorstellungen entwickelt, wie
vielen Wenn und Aber zum 40-Prozent-Ziel Deutsch- durch eine Ergänzung und Ausweitung des NAP II
lands beim Klimaschutz bis 2020 macht. Sie erinnern an dieses dennoch erreicht werden kann. Ich biete dem
sich die Position des Deutschen Bundestages vor dem Ausschuss an, ihn darüber bei seiner nächsten Sitzung
Gipfel in Nairobi. Wir haben gesagt: Wenn Europa sich – das dürfte in der nächsten Woche sein – ausführlich zu
auf eine 30-prozentige Reduktion bis 2020 einigt, dann informieren.
will Deutschland sich verpflichten, die CO2-Emissionen
um 40 Prozent zu reduzieren. Frau Künast hat gestern Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
massiv kritisiert, wie wir so etwas in Nairobi sagen könn- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
ten. Ich lese Ihnen einmal etwas sehr Interessantes vor:
Wir werden vorschlagen, dass die EU sich im Rah- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
men der internationalen Klimaschutzverhandlungen Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von
für die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto- der FDP-Fraktion.
Protokolls bereit erklärt, ihre Treibhausgase bis
zum Jahr 2020 um 30 % (gegenüber dem Basisjahr (Beifall bei der FDP)
1990) zu reduzieren.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Ich lese einmal weiter: Michael Kauch (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gab-
Unter dieser Voraussetzung wird Deutschland einen
riel hat mich gefragt, wie die FDP ihre Haltung zum Er-
Beitrag von minus 40 % anstreben.
neuerbare-Wärme-Gesetz begründet. Ich möchte es Ih-
Das Dokument, in dem das steht, trägt auch die Unter- nen erklären: Die FDP hat bei den letzten und auch bei
schrift von Frau Künast. Es handelt sich nämlich um den diesen Haushaltsberatungen den bisherigen Mittelansatz
Koalitionsvertrag von 2002, dem auch sie zugestimmt für das Marktanreizprogramm nicht angegriffen. Wir
hat. Beschweren Sie sich also nicht darüber, dass der kritisieren, dass Sie in einer wirtschaftlichen Situation,
Deutsche Bundestag die Vorhaben, die von der letzten in der die Kosten für die Technologie sinken, das Pro-
Regierung richtigerweise in Angriff genommen wurden, gramm aufstocken, statt es, wenn technischer Fortschritt
6742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Michael Kauch
(A) es ermöglicht, irgendwann einmal degressiv zurück- (Ulrich Kelber [SPD]: Das haben wir auch (C)
zufahren. gemacht!)
(Beifall bei der FDP) Aber langer Rede kurzer Sinn: Hier haben wir es mit
einem absoluten Politikversagen dieser Regierung zu
Ich denke, das ist der wesentliche Unterschied zwischen tun. Sie in der Koalition wissen nicht, was Sie wollen.
Anschubfinanzierung und Dauersubvention. Insbesondere das, was die CDU/CSU in diesem Bereich
Ihre Begründung überzeugt mich nicht. Denn für macht, ist aus meiner Sicht völlig unprofessionell. Ein
mich hat dieses Marktanreizprogramm immer ein solches Chaos und so unprofessionelles Verhalten wie
umweltpolitisches Ziel gehabt, nämlich zur Senkung von im Umweltausschuss – ich sage nur: Öffentlichkeits-
Treibhausgasemissionen beizutragen. Jetzt sagen Sie, beteiligungsgesetz, Zeitungsverleger; alle, die im Umwelt-
das umweltpolitische Ziel sei ja ganz schön, aber eigent- ausschuss sind, haben das erlebt – aufseiten der Unions-
lich gehe es darum, Arbeitsplätze zu subventionieren. fraktion hätte ich nicht erwartet.
Das ist eine Begründung, die ich als Liberaler nicht (Beifall bei der FDP sowie des Abg.
akzeptieren kann. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
(Beifall bei der FDP – Ingbert Liebing [CDU/CSU]:
Ist doch schön, wenn man beides kann!) Deshalb hoffen wir, dass der stotternde Motor bei der
Rußpartikelfilterförderung nicht zu einem Kolbenfresser
Meine Damen und Herren, die FDP hat Ihnen bereits
für die Autofahrer und damit für den Umweltschutz
in der letzten Wahlperiode einen Antrag vorgelegt, in
wird.
dem wir aufzeigen, wie wir ein Erneuerbare-Wärme-
Gesetz ausgestalten würden. Wir würden es mit dem Meine Damen und Herren, der Klimaschutz ist wieder
Emissionshandel verknüpfen, weil wir es für effizient in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Das ist auch
halten, dieses Instrument dauerhaft auch auf den Wärme- richtig so. Aber ein erklärtes politisches Ziel muss man
markt auszudehnen. So wird der anscheinende Wider- auch mit Leben füllen. Es ist Chefsache der Kanzlerin, in
spruch aufgelöst. Die Frage ist nicht, ob wir etwas in den nächsten Monaten im Rahmen der deutschen Rats-
dem Bereich machen, sondern, ob wir ein besseres präsidentschaft in der EU und bei der G 8 hier eine
Modell machen, als es beispielsweise die Grünen vor- Führungsrolle zu übernehmen. Kofi Annan hat völlig
schlagen. Recht: Es fehlt an Leadership in dieser Frage, leider
auch in Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel hat sich
(Beifall bei der FDP)
von Tony Blair viel zu lange die Butter vom Brot nehmen
(B) Frau Hinz ist gerade, aus meiner Sicht relativ frech, lassen. Während Tony Blair sich mit Schwarzenegger (D)
auf das Thema Fluglärmgesetz eingegangen. Dazu getroffen und den Report über die wirtschaftlichen Folgen
muss ich sagen: Wenn Sie das als Haushaltspolitikerin des Klimawandels in Auftrag gegeben hat, hat die deut-
tun, ist das schon abenteuerlich. Denn mit dem Flug- sche Regierung es versäumt, sich hier an die Spitze zu
lärmgesetz, das Sie in der nächsten Woche verab- setzen. Ich finde das sehr schade in Anbetracht dessen,
schieden wollen, wird der Bundeshaushalt viel weniger dass wir im nächsten Jahr die Führungsrolle bei der G 8
belastet als beispielsweise die Betreiber von Verkehrs- und in der EU haben werden.
flughäfen, weil der Bund nicht bereit ist, den gleichen
(Beifall bei der FDP)
Schutz, den er bei Anwohnern von Verkehrsflughäfen
für richtig hält, auch den Anwohnern von Militärflug- Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zur Reali-
häfen zu gewähren, da er das selbst bezahlen müsste. tät in Deutschland. Die Opposition mahnt seit Wochen,
Das sind Anspruch und Wirklichkeit Ihrer Politik beim dass das CO2-Budget zu hoch sei. Noch vor zwei Wochen
Fluglärmgesetz. Damit sollten Sie sich bei dieser Haus- hieß es auf die Anwürfe von Grünen und FDP, 2005
haltsdebatte nicht brüsten. seien die Emissionen sehr niedrig gewesen, 2003 und
2004 aber gestiegen, und deshalb müsse man der Richt-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten linie der Europäischen Union folgen und das Emissions-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) budget höher ansetzen. Jetzt haben Sie eine Daten-
Meine Damen und Herren, ich möchte auf ein anderes erhebung durchführen lassen, deren Ergebnis war, dass
Thema eingehen, das Sie hier ganz still zu umschiffen die Emissionen weiter gestiegen sind. Und was ist die
versuchen, nämlich die Förderung von Rußpartikel- Schlussfolgerung des BMU? Die Schlussfolgerung ist,
filtern bei Diesel-PKW. Da gibt es eine Bund-Länder- dass das Budget gesenkt werden muss. Also vor zwei
Einigung. Das BMU feiert den Erfolg. Dann sagt die Wochen so und jetzt so. Die Erklärung für Ihr Verhalten
CDU/CSU-Fraktion, das müsse aber noch viel länger ist, dass Sie Angst haben, dass Ihr Nationaler Alloka-
beraten werden; deshalb könne es zum 1. Januar nicht in tionsplan von der EU-Kommission zurückgewiesen
Kraft treten. Daraufhin schickt das BMU eine Presse- wird. Deshalb wollen Sie jetzt ein wenig zurückrudern.
erklärung gegen die CDU/CSU-Fraktion. Das ist der Grund für Ihre Politik.

(Zurufe von der CDU/CSU: Was?) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ul-
Ich finde es sehr bemerkenswert, dass das nicht wenigstens rich Kelber [SPD]: Fehlende Sachkenntnis,
die Koalitionsfraktion macht, sondern das Ministerium. Herr Kauch!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6743
Michael Kauch
(A) Ihre Politik gefährdet größere Erfolge bei der CO2- Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders auf (C)
Einsparung. Sie lassen die 18 Millionen Tonnen CO2, die die Aufstockung der Haushaltsmittel für das Markt-
als Kompensation für den Atomausstieg bis 2012 erfor- anreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien
derlich sind, völlig unter den Tisch fallen. Nach Ihren hinweisen. Herr Kauch, eigentlich müssten Sie es doch
Vorstellungen sollen Neuanlagen 14 Jahre lang von jeg- besser wissen. Wir wollen Umweltschutz und gleichzei-
lichen Minderungsverpflichtungen ausgenommen tig Wirtschaftsförderung. Deswegen müssen wir neue
werden. Hinzu kommt eine generelle Bevorzugung der Technologien fördern. Ich kann daher Ihre Argumenta-
Kohle gegenüber dem Gas. Was ist der umweltpolitische tion, dass das ein Mittelstandsförderungsprogramm sei
Effekt? Dieser Effekt ist, dass Sie die Kohletechnologie – das werfen Sie dem Minister vor –, überhaupt nicht
von 2012 auf Jahrzehnte festschreiben. Das ist kein Kli- nachvollziehen. Diese Argumentation würde umgekehrt
maschutz, sondern reine Lobbypolitik für bestimmte In- zu der Schlussfolgerung führen, dass wir gegen den Um-
teressengruppen in der Energiewirtschaft. weltschutz sind, wenn wir ein Mittelstandsförderungs-
programm auflegen, und dass ein Programm für Um-
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
weltschutz gegen Arbeitsplätze gerichtet ist. So kann
DIE GRÜNEN)
man nicht argumentieren.
Auch haushaltsrechtlich ist die Ausnahmeregelung
über 14 Jahre sehr bedenklich. Denn Sie binden damit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
das Parlament für die nächsten vier Legislaturperioden. Der mit der Aufstockung der Mittel für dieses Pro-
Ob das, was Sie jetzt im Nationalen Allokationsplan auf- gramm verbundene erneute Schub für die erneuerbaren
nehmen wollen, einer Versteigerung nach 2013 nicht Energien ist sehr zu begrüßen. Ich danke dem Bun-
entgegensteht und ob die Regelungen juristisch ausrei- desumweltminister und vor allen Dingen den Kollegin-
chen, um Schadensersatzforderungen für die Zukunft nen und Kollegen von CDU/CSU und SPD im Haus-
auszuschließen, muss eine Anhörung von Juristen erst halts- und im Umweltschutzausschuss ausdrücklich für
noch ergeben. ihr besonderes Engagement. Es war unser aller Erfolg,
Wir erleben einen Umweltminister, der sich auf inter- dass wir auf diesem schwierigen Weg vorangekommen
nationalen Konferenzen große Ziele setzt. Aber die Kli- sind.
maschutzpolitik der Bundesregierung erschöpft sich in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Subventionen. Wo es um Marktanreize für Unternehmen
geht, überlässt sie den Interessengruppen das Feld. Noch vor wenigen Wochen rangierte die Umweltpoli-
tik in Umfragen in puncto Wichtigkeit der verschiedenen
Vielen Dank. Politikfelder unter „ferner liefen“. Die Shell-Jugendstu-
(B) (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: die hat klar analysiert, dass rund ein Drittel der Jugendli- (D)
Da ist die FDP ja ganz unverdächtig!) chen weniger als noch vor vier Jahren Handlungsbedarf
im Bereich Umweltschutz sieht. Umweltschutz rangiert
hinter Arbeitsmarkt, Kinder und Familie, Bildung, Al-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tersvorsorge, Gesundheitssystem und Wirtschaftspolitik
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von
auf Rang sieben. Ich denke, dass sich dies infolge der
der CDU/CSU-Fraktion.
Klimakonferenz in Nairobi und des diese Konferenz be-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gleitenden Medienwirbels in Deutschland geändert hat.
neten der SPD)
Dennoch bleibt festzuhalten: Die Notwendigkeit ver-
stärkter Anstrengungen hin zu einer nachhaltigen Gesell-
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): schaft ist keineswegs allgemeines Gedankengut. Es
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich reicht nicht, wenn wir uns hier im Plenum oder innerhalb
möchte zunächst einmal in aller Deutlichkeit festhalten, der Bundesregierung in Bezug auf den Stellenwert der
dass uns, also der Bundesregierung und den sie tragen- Nachhaltigkeit einig sind. Nachhaltigkeitspolitik ist und
den Koalitionsfraktionen, mit dem Haushalt 2007 insge- bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
samt und mit dem Haushalt des Bundesumweltministe-
riums im Besonderen ein gutes Stück Arbeit gelungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ist. Ich möchte weiter in aller Deutlichkeit noch einmal neten der SPD)
festhalten, dass trotz aller unbestrittenen Sparnotwendig-
Angesichts immer knapper werdender Ressourcen für
keiten der Haushalt des Bundesumweltministeriums ge-
immer mehr Menschen auf diesem Planeten ist Nachhal-
wachsen ist.
tigkeit eine Frage der Vernunft. Angesichts wachsender
Wenn der Haushalt eines Politikbereiches in finanziell Konkurrenz um diese schwindenden Ressourcen ist
schwierigen Zeiten wächst, dann spiegelt das sehr deut- Nachhaltigkeit auch eine Frage des Friedens. Angesichts
lich den Stellenwert wider, den dieser Politikbereich auf unserer Pflichten für die uns anvertraute Schöpfung ist
der politischen Agenda hat. Nachhaltigkeit eine Frage der Demut vor allem Höheren.
Angesichts der Verantwortung, die wir für die kommen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den Generationen und ihre Entwicklungschancen haben,
Umweltpolitik und Politik für mehr Nachhaltigkeit ste- ist Nachhaltigkeit eine Frage der Rücksichtnahme.
hen bei dieser Bundesregierung ganz oben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig so!) neten der SPD)
6744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Marie-Luise Dött
(A) Nachhaltigkeit ist schlicht eine Frage der Moral. Nicht daher seine Einrichtung und ich begrüße ausdrücklich (C)
nachhaltiges Handeln ist unmoralisch. die Zusage des Bundesumweltministers, dass Deutsch-
land den Fonds weiter aufstocken wird.
Man ist geneigt, dies dem einen oder anderen
Verhandler auf der Kioto-Vertragsstaatenkonferenz in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Nairobi ins Stammbuch zu schreiben. neten der SPD)
(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Der großen Dieser Fonds schafft auch Vertrauen. Er ist ein deutli-
Koalition aber auch!) ches Zeichen gegen das oft gehörte Argument, die In-
Die Ergebnisse der Konferenz sind aus unserer Sicht in dustriestaaten wollten den Entwicklungsländern mit
der Tat enttäuschend. Viele Staaten und Staatenlenker Umweltforderungen ihre Entwicklungschancen ab-
haben offensichtlich die Zeichen der Zeit noch nicht er- schneiden. Im Gegenteil: Wir haben ein vitales Interesse
kannt. Aber Politik ist bekanntlich das beharrliche Boh- an einer nachhaltigen Entwicklung in allen Teilen der
ren dicker Bretter und in der internationalen Politik sind Welt. Wenn Entwicklungs- und Schwellenländer zu
die Bretter besonders dick. Hier hilft nur eines: Wir müs- wichtigen Handelspartnern werden, dann sichert das
sen mit viel Ausdauer und Geschick weiter für unsere auch unsere Zukunft.
Haltung werben.
Diese Aussage gilt allgemein; aber sie gilt ganz be-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sonders für das in Deutschland vorhandene Know-how
der SPD) und die Technologien zum Schutz der Umwelt. Um es
auf den Punkt zu bringen: Hier eröffnen sich Märkte und
Im kommenden Jahr werden wir mit den beiden Prä- Zukunftschancen. Wir tun gut daran, diese Chancen zu
sidentschaften in der Europäischen Union und in der G 8 unserem Vorteil, zum Vorteil unserer Handelspartner und
ausreichend Gelegenheit haben, diese Ausdauer und die- zum Vorteil der Umwelt zu nutzen.
ses Geschick unter Beweis zu stellen. Ich begrüße daher
ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, in beiden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Präsidentschaften die Klimapolitik zu zentralen Anlie- neten der SPD)
gen zu machen.
In internationalen Prozessen mit seiner Haltung er-
Im internationalen Umweltschutz insgesamt und folgreich zu sein, setzt nicht nur Ausdauer, Geduld, di-
damit auch beim Klimaschutz wären größere Fortschritte plomatisches Geschick und Beharrlichkeit voraus, son-
zu erreichen, wenn sich wichtige Staaten – allen voran dern auch Glaubwürdigkeit. Mit unseren Forderungen
die USA – konstruktiver an den Prozessen beteiligen können wir im internationalen Klimaschutz nur durch-
(B) würden. Mit großer Sorge beobachte ich die Tendenz bei dringen, wenn wir selbst Vorbild sind. Nun kann man es (D)
einigen großen und politisch einflussreichen Staaten, mit der Vorbildfunktion natürlich auch übertreiben, wie
sich von den international vereinbarten Klimazielen zu mit allen anderen Dingen des Lebens. Es macht keinen
entfernen. Ich fordere deshalb alle diejenigen, die drau- Sinn, mit wehenden Fahnen vorneweg zu laufen und
ßen stehen oder sich in ihrem Engagement zurückhalten, dann festzustellen, dass keiner gefolgt ist, weil die ande-
auf, sich aktiver und konstruktiver einzubringen. ren nicht so schnell wollen oder können, weil sie andere
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lutz Wege für sinnvoller halten oder weil sie das Vorbild
Heilmann [DIE LINKE]: Sie müssen auch ein- gerne vorschicken, um sich selbst nicht so anstrengen zu
mal Frau Merkel sagen, das sie das Bush sagt!) müssen – das nennt man „jemanden ausnutzen“.

Jedoch macht es keinen Sinn – dies ist im Grunde un- Bei der Diskussion der letzten Tage über den Emis-
politisch –, bei jeder Gelegenheit die USA an den Kli- sionshandel habe ich zunehmend den Verdacht, dass ge-
mapranger zu stellen. Wir dürfen die vielen guten An- nau das mit uns versucht wird. Um es ganz deutlich zu
sätze, die es in den USA beim Umweltschutz und sagen: Eine Taktik, mit der von Deutschland noch
besonders beim Klimaschutz ohne Zweifel gibt, nicht schnell einige Millionen Tonnen CO2 abgepresst, andere
einfach negieren. Wir müssen auf allen staatlichen und Länder aber zu deren wirtschaftlichem Vorteil geschont
nicht staatlichen Ebenen Kooperation suchen, mit unse- werden, wird auf unseren energischen Widerstand sto-
ren Mitteln positive Ansätze stärken und damit Chancen ßen.
für Verbesserungen eröffnen. So geht man unter Freun-
den miteinander um. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der CDU/CSU) Ein ganz elementarer Bestandteil unseres Weges zu
einer nachhaltigen Gesellschaft ist der Einsatz erneuer-
Wir alle sind uns darin einig, dass die Entwicklungs- barer Energien, den wir mit dem bereits erwähnten
und Schwellenländer näher an den Klimaschutz heran- Marktanreizprogramm verstärkt fördern. Aber wir müs-
geführt werden müssen. Zum Klimawandel haben diese sen uns auch der Tatsache bewusst sein, dass erneuer-
Länder am wenigsten beigetragen. Es ist an uns Indus- bare Energien nicht die Lösung allen Übels sein können;
triestaaten als Hauptverursacher des Klimawandels, ih- denn der Wind weht nicht immer und die Sonne scheint
nen dabei zu helfen, den Weg einer nachhaltigen Ent- auch nicht immer – das ist Kinderwissen.
wicklung bei der Energieversorgung zu gehen. Der von
der Europäischen Union in Nairobi angekündigte Fonds (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Schritt. Ich begrüße Irgendwas gibt es immer!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6745
Marie-Luise Dött
(A) Dass nicht alle Standorte für Erdwärme und Geothermie ert wurde, wie es hierzulande geschieht. Viele auf der (C)
geeignet sind, muss aber offenbar in manche Köpfe erst Konferenz waren skeptisch, ob tatsächlich in großem
noch vordringen. Dass die Anbaufläche für Biomasse Umfang Kraftwerksemissionen abgeschieden und an-
begrenzt ist und dass hier Nutzungskonkurrenzen be- schließend unterirdisch sicher gelagert werden können.
stehen, müssen viele erst noch lernen. Auch wir in Deutschland sollten aufpassen, dass mit
Clean Coal nicht vor allem ein kaum einzulösendes
(Jörg Tauss [SPD]: Fangen wir einmal an!)
Technologieversprechen der Lobby fossiler Energie ge-
Die potenzielle Anbaufläche für Biomasse dient zualler- fördert wird.
erst der Ernährung der Bevölkerung. Erst wenn die Er-
(Beifall bei der LINKEN)
nährung qualitativ und quantitativ vollständig gesichert
ist, kann überhaupt über andere Flächennutzungen dis- Dieses Versprechen fungiert politisch als Freifahrt-
kutiert werden. schein. Man darf neue Kohlemeiler in die Landschaft
setzen und neue Tagebaue auf den Weg bringen.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ist das hier eine Klippschule, oder was?) Umweltminister Gabriel war in Nairobi mit dem
Tempo der Verhandlungen in Richtung Kioto II genauso
Auf den restlichen Anbauflächen nachwachsende Res-
unzufrieden wie wir. Seine Ungeduld macht ihn für viele
sourcen können auch sinnvollen Zwecken in anderen
Verhandler und NGOs anderer Staaten sympathisch. Im
Bereichen dienen und nicht nur der Gewinnung von
Übrigen: Herr Minister, Sie haben eine sehr gute Rede
Energie, zum Beispiel als Rohstoffbasis für die Indus-
gehalten. Das sollte vielleicht auch einmal jemand sa-
trie. In dieser Hinsicht ist Anbaufläche wie Geld: Geld
gen.
kann man auch nur einmal ausgeben.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD)
Mit Sorge und Skepsis verfolge ich den wachsenden
Anteil von Importen an der Nutzung der Biomasse in Die im internationalen Vergleich hohen Einsparziele
Deutschland. Raubbau an Wäldern oder Mooren für die Deutschlands haben eine positive Wirkung. Aber auch
Energiegewinnung in Deutschland darf es niemals ge- im Ausland wird inzwischen bemerkt, dass wir dabei
ben. Dieses Problem ist aus meiner Sicht nur durch ein sind, unsere Vorreiterrolle zu verlieren. Das habe ich
globales Zertifizierungssystem zu lösen. Solche Sys- zum Beispiel Gesprächen mit EU-Abgeordneten ent-
teme gibt es zum Beispiel bereits mit dem FSC-Siegel nommen. Zwar sind die CO2-Emissionen in Deutschland
für Holz und dem MSC-Siegel für Meeresprodukte. Mir im letzten Jahr endlich einmal wieder leicht gesunken,
sind die Schwierigkeiten, solche globalen Zertifizie- doch drei Viertel aller Einsparungen, für die sich die
rungssysteme einzuführen und zu kontrollieren, sehr Bundesrepublik international feiern lässt, fanden in den
(B) wohl bewusst. Aber meines Erachtens gibt es dazu keine ersten drei Jahren nach der Wende statt. Der Osten lässt (D)
sinnvolle Alternative, wenn wir nicht Gefahr laufen wol- grüßen; diesen Hinweis kann ich Ihnen nicht ersparen.
len, den Teufel hoher CO2-Emissionen mit dem Beelze-
bub des Raubbaus auszutreiben. Dieser Bundeshaushalt verkündet unter anderem, dass
Klimaschutz auch künftig mit angezogener Handbremse
Ich habe anfangs klargestellt, dass Nachhaltigkeit betrieben wird. Da wäre beispielsweise die Verkehrs-
eine Frage der Moral ist. Bei diesem Bundeshaushalt ha- politik: Nach wie vor werden in Autobahnen und unnüt-
ben wir unsere moralische Pflicht ernst genommen. Wir zen Prestigeprodukten wie dem Transrapid Milliarden
werden diesen Weg hin zu einer nachhaltigen Gesell- Euro versenkt, anstatt die Bahn und den ÖPNV zu pu-
schaft weiter gehen. shen.
Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dagegen streicht Verkehrsminister Tiefensee die Regio-
nalisierungsmittel für die Bahn. Die Bundesregierung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zieht also keinerlei Konsequenzen daraus, dass die ver-
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter kehrsbedingten CO2-Emissionen mittlerweile um 6 Pro-
von der Fraktion Die Linke. zent über denen von 1990 liegen.
(Beifall bei der LINKEN) Die Koalition verzichtet weiterhin auf eine Besteue-
rung des Flugbenzins, obwohl Experten sagen, dass dies
auch im Alleingang rechtlich möglich und sinnvoll wäre.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Allein die nationale Fliegerei hat seit 1990 um mehr als
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
die Hälfte zugenommen. Wir alle wissen, dass sie weiter
Klimakonferenz in Nairobi ist nur ein paar Tage her und
zunehmen wird. Das scheint aber niemanden zu stören,
die Bilanz ist zwiespältig. Die gegenseitige Blockade der
außer vielleicht die Anwohner. Die letzte Demonstration
verschiedenen Lager konnte leider nicht aufgelöst wer-
gegen die dritte Startbahn in München mit 20 000 Betei-
den. Nur der Anpassungsfonds für die armen vom Kli-
ligten spricht für sich. Meine Damen und Herren von der
mawandel betroffenen Staaten ist ein greifbares Ergeb-
CSU, ich kann Ihnen nur sagen: Hören Sie auf die Leute!
nis. Aber selbst der ist zu klein. Wir müssen darüber
reden, wie er noch erhöht werden kann. (Beifall bei der LINKEN)
Vielleicht können wir als Erfolg werten, dass Clean Zu den wenigen zumindest im Ansatz positiven
Coal auf der Konferenz nicht ganz so euphorisch gefei- Nachrichten zählt das Programm für die energetische
6746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Eva Bulling-Schröter
(A) Gebäudesanierung, auch wenn es angesichts des Sanie- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): (C)
rungsbedarfs dürftig ausgestattet ist. Wir hätten gerne Ich fordere uns auf, hier noch einmal darüber zu bera-
mehr. ten. Wenn es in die richtige Richtung geht, dann finden
Sie uns an Ihrer Seite.
Dass sich der Haushaltsausschuss durchgerungen hat,
das Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerba- Danke.
rer Energien um 39 Millionen Euro aufzustocken, ent- (Beifall bei der LINKEN)
springt einem bitteren Deal: Die Koalition hat im Gegen-
zug das Wärme-EEG auf Eis gelegt. Das finden wir
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
schade. Gerade dieses Gesetz hat eine Menge zusätzli-
chen Klimaschutz zu niedrigen Kosten versprochen. Wir Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von
hätten die Mittel für dieses Programm gerne verdoppelt. Bündnis 90/Die Grünen.
Vielleicht wird es ja im nächsten Jahr etwas damit.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fand diese Debatte sehr erhellend, weil die SPD sich die
Jetzt zur FDP und zum Markanreizprogramm. Wir Grünen als Angriffspunkt ausgesucht hat. Dazu muss
bewerten das Programm ganz anders als Sie. Wir sehen man sagen: Es geht um das Klima und eigentlich haben
darin die Möglichkeit, dass neue, zukunftsfähige Ar- wir gemeinsam für den Klimaschutz zu streiten.
beitsplätze geschaffen werden. Über dieses Programm
wird der CO2-Ausstoß gesenkt. Ich kann mir natürlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gut vorstellen, dass Sie das Geld gerne für Forschungs- Wir haben heute wieder eine flotte Rede des Ministers
projekte, zum Beispiel für Clean Coal, eingesetzt hätten. erlebt. Aber man merkt, dass Sie nervös werden. Warum
Dann wäre mit ein paar Leuten geforscht worden. Jetzt werden Sie nervös? Man muss sich einfach die Zeitun-
werden Arbeitsplätze geschaffen. Das macht Sinn. Da- gen der letzten Tage ansehen, dann weiß man, sehr ge-
rum unterstützen wir diesen Ansatz. ehrter Herr Bundesminister, dass flotte Sprüche nicht
nachhaltig sind. Denn flotte Sprüche werden überprüft,
Zu einer anderen verpassten Chance. Wenn holländi-
und wenn sie mit dem Handeln nicht übereinstimmen,
sche Kraftwerksbetreiber überlegen, neue Kohlekraft-
dann werden sie auch kritisiert. Das wurde gemacht.
werke in Deutschland zu bauen, weil ihnen hierzulande
im Rahmen des Emissionshandels weniger Klimaschutz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
abverlangt wird als zu Hause, dann sollte Ihnen das zu
(B) denken geben. Die Kommission wird den deutschen Zu- Schauen wir uns einmal die Zeitungen an. Dort steht (D)
zum Beispiel: „Auf dem Weg zum Ankündigungsminis-
teilungsplan schließlich nicht ohne Grund zurückweisen.
ter“. Das hört der Minister nicht gerne. In einer anderen
Das ist eine Ohrfeige für den angeblichen Weltmeister Zeitung sieht man „das Gesamtkunstwerk des Umwelt-
im Klimaschutz. ministers auf wackligem praktischen Unterbau“. Auch
Jeder weiß, dass der NAP II letztlich ein Förderpro- das hört der Minister nicht gerne. Man merkt, dass diese
gramm für neue Kohlekraftwerke ist. 19 geplante Kohle- Ankündigungen sich in der Tat nicht rechnen. Sie fallen
kraftwerke sprechen eine deutliche Sprache. Sollten sie Ihnen früher oder später auf die Füße.
tatsächlich gebaut werden, wäre das das Aus für einen Herr Minister Gabriel, ich möchte noch ein paar
ernsthaften und langfristigen Klimaschutz. Besonders Punkte ansprechen. Der erste ist, dass Sie sagen: „Eu-
absurd sind die Regelungen im Entwurf des Zuteilungs- ropa und Deutschland müssen beim Klimaschutz voran-
gesetzes, nach denen die Bundesregierung den Kraft- gehen.“ Ja, das ist richtig. Jetzt kritisieren Sie aber die
werksanlagen in Neurath und Boxberg noch zusätzlich Fraktionsvorsitzende der Grünen, die in der Koalitions-
zu allen Sonderregelungen Zertifikate zuschanzt. Ich verhandlung 2002 eine Position festgelegt hat. Sie sel-
meine, das ist eine Lobbypolitik zugunsten von RWE ber sagen, dass man 2006 mehr machen muss, und kriti-
und Vattenfall, die wir uns längst nicht mehr leisten kön- sieren gleichzeitig, dass die Fraktionsvorsitzende der
nen. Grünen von Ihnen in 2006 mehr verlangt, als sie 2002
festgeschrieben hat. Aber wir müssen mehr machen.
(Beifall bei der LINKEN) Denn der Klimawandel ist eklatant und sichtbar.
Wir wollen den Deckel nach unten verschieben. Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gabriel hat gesagt, dass nächste Woche Mittwoch im Sie sagen: „Klimaschutz ist einer der zentralen
Umweltausschuss darüber gesprochen wird. Dort sollten Schwerpunkte der Politik der Bundesregierung.“ Was
Sie sich das noch einmal überlegen. Die Obergrenzen machen Sie? Einen Nationalen Allokationsplan, in des-
müssen auf alle Fälle gesenkt werden. Wir brauchen ein sen Rahmen Sie Kohlekraftwerken im Verhältnis zu
Zuteilungsgesetz, das auf eine Senkung der Emissionen Gaskraftwerken doppelt so viele CO2-Zertifikate zuwei-
unter 465 Millionen Tonnen zielt. sen. Dazu schreibt die „Financial Times Deutschland“ zu
Recht: Das ist das Gegenteil von Klimaschutz. Meine
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Damen und Herren, das ist eine schlechte Klimapolitik.
Kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6747
Bärbel Höhn
(A) Sie haben in Ihrem Memorandum „Ökologische In- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
dustriepolitik“ geschrieben, dass wir bei den nachhalti- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, in Ih-
gen Mobilitätstechnologien vorankommen müssen. Was rem eigenen Interesse noch den beiden vor der namentli-
machen Sie? Sie knicken vor der Automobilindustrie chen Abstimmung verbleibenden Rednern Gehör zu
beim Dieselrußfilter ein. Daimler-Chrysler braucht nur schenken.
zu Ihnen zu kommen und ein Gespräch mit Ihnen zu füh-
ren, schon knikken Sie ein, wie wir heute in der „taz“ le- (Beifall bei der SPD)
sen können. Das ist keine nachhaltige Politik. Denn das
geht zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das Wort hat der Kollege Marco Bülow von der SPD-
Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD)
Sie kündigen in Ihrem Memorandum „Ökologische
Industriepolitik“ an, dass Sie etwas für eine nachhaltige,
innovative Chemiepolitik tun wollen. Was machen Sie? Marco Bülow (SPD):
Bei REACH streitet Deutschland für die Chemiepolitik Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
und gegen die Verbraucherpolitik. Für diese Politik ste- Erst einmal herzlichen Dank an den Minister für seinen
hen Sie. Einsatz in Nairobi und dafür, dass Deutschland auf die-
ser Konferenz eine Führungsrolle hatte, da Sie in Nai-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
robi das vorgetragen haben, was Sie vorgetragen haben,
Sie sagen zum Beispiel, dass der Energieausweis be- und da Deutschland den Vorschlag gemacht hat: Wenn
darfsorientiert sein soll. Was kommt dabei heraus? die EU ihren CO2-Ausstoß um 30 Prozent senkt, dann
Murks, etwas, was Sie selber als ziemlich blödsinnig be- senkt Deutschland seinen CO2-Ausstoß um 40 Prozent.
zeichnet haben. Das gestehen Sie jetzt Ihrem Kollegen Das ist in der Welt gut angekommen. Nun müssen wir
Glos zu. Das ist Ihre Politik. daran arbeiten, diese Vorgabe und diesen Auftrag an uns
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zu erfüllen.
SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Gerade deshalb kritisieren wir das. Das müssen wir der CDU/CSU)
deutlich sagen. Herr Kelber fragt gerne, wie das unter Frau Höhn, ich kann verstehen, dass Sie mit Blick auf
Rot-Grün war. Das macht jetzt auch Herr Gabriel. Ich uns von Nervosität sprechen. Das kann man allerdings
sage Ihnen: Unter Rot-Grün gab es folgende Rollenver-
auch auf Sie beziehen: Vielleicht ist es ja so, dass auch
teilung: Jürgen Trittin machte die moderne Umweltpoli-
die Grünen etwas nervös werden, weil die Koalition so
(B) tik und Wolfgang Clement war der Vertreter der großen (D)
viel für die erneuerbaren Energien tut, dass Sie bei die-
Konzerne. Das war das Problem.
sem Thema nicht mehr so viel Spielraum haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eines müssen Sie mir aber erklären: Die Zahlen zum
Herr Minister Gabriel, Sie versuchen jetzt, Jürgen Trittin Klimaschutz und zur CO2-Einsparung für die Jahre
und Wolfgang Clement in einer Person zu sein. Damit 2003 und 2004 sind nicht veröffentlicht worden. Warum
fallen Sie aber auf die Nase. Denn so groß wie Jürgen sind sie nicht veröffentlicht worden? Weil Ihr bzw. unser
Trittin sind Sie nicht. Ministerium damals nicht unbedingt wollte, dass diese
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Zahlen der Öffentlichkeit zugänglich sind. Wenn diese
DIE GRÜNEN und bei der FDP – Renate Zahlen schon früher veröffentlicht gewesen wären, wäre
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge- die Diskussion über das Zuteilungsgesetz vielleicht ganz
nau! Dafür ist er zu klein!) anders. Das müssen Sie eingestehen.
Sie scheitern an Ihrer eigenen Politik und daran, dass Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
zu viele Ankündigungen machen.
Beim Haushalt dreht sich alles um das Geld. Geld ist
Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt anspre- natürlich wichtig; das wissen wir alle. Aber es kommt
chen, der bisher nur wenig beachtet wurde: die Natur- vor allen Dingen darauf an, wofür man es einsetzt. Am
schutzpolitik bzw. die Biodiversität. Sie haben groß besten setzt man Geld in Bereichen ein, in denen es ei-
angekündigt, dass Deutschland Gastgeber der Biodiver- nen dreifachen Nutzen hat: dass CO2 eingespart wird,
sitätskonferenz 2008 sein wird, und darauf hingewiesen, dass durch ein Investitionsprogramm Arbeitsplätze ent-
dass wir den Artenschutz ernst nehmen müssen. Ich sage stehen und dass dadurch vielleicht privates Geld akqui-
Ihnen, Herr Gabriel: Sie nehmen den Artenschutz nicht riert wird. Deswegen ist Ihr Subventionsbegriff schon
ernst, wenn die 2,6 Millionen Euro für diese Konferenz etwas abenteuerlich. Wenn der Staat 1 Euro investiert
im Haushalt zulasten des Naturschutzes gehen. Das heißt und dies eine Investition privater Investoren in Höhe von
nämlich nichts anderes, als dass Sie am realen Arten- 10 Euro nach sich zieht, ist das, wie ich finde, nicht nur
schutz sparen, um wieder einmal auf einer Konferenz einen Applaus wert, sondern dann sollte sich auch die
Ihre flotten Sprüche zu machen. Das geht zulasten des FDP einmal dazu herablassen, uns ein wenig zu loben
Inhalts. Deshalb werden wir das weiterhin kritisieren. und zu unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU)
6748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Marco Bülow
(A) Herr Kauch, auch das mit der Dauersubvention ha- vor der Zeit sind – denn in diese Berechnung fließen (C)
ben Sie nicht richtig verstanden. Es ist so: Im Rahmen auch die Länder ein, die nicht so viel verbrauchen wie
des Marktanreizprogramms wird Geld investiert. Wenn wir –, wissen wir, was unser Auftrag ist, was wir zu tun
die Zahl der Anträge steigt und wir mehr Leuten Geld haben und was sich in unserer Politik und in unserem
zur Verfügung stellen, dann ist der Betrag, den der Ein- Haushalt niederschlagen sollte.
zelne bekommt, geringer als der Betrag, den er noch ein
Wir leben – das muss man sagen – über unsere Ver-
paar Jahre zuvor bekommen hat.
hältnisse, nicht weil wir luxuriös leben und man uns un-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ser Leben nicht gönnt, sondern weil wir teilweise noch
Ulrike Flach [FDP]: Ja! Das ist doch ganz in die falschen Dinge investieren.
klar!)
(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])
Trotzdem gibt es genug, ja sogar immer mehr Menschen,
Beispielsweise müssen wir uns noch immer anhören,
die dieses Geld haben möchten. Das führt uns auf den
dass die erneuerbaren Energien als Murks bezeichnet
richtigen Pfad.
werden.
Ich glaube, wir müssen von der immer wieder ange-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike
stellten betriebswirtschaftlichen Rechnung wegkommen,
Flach [FDP]: Das hat keiner gesagt!)
dass das Kosten sind. Das kann man nicht am Haushalt
und auch nicht an einzelnen Investitionen festmachen. Insgesamt heißt das, das Geld gezielt einzusetzen. Das
Vielmehr muss man genau überprüfen, insbesondere haben wir mit diesem Haushalt bewiesen. Das gilt natür-
wenn man auf das Wachstum schielt, was wächst, wel- lich nicht nur im Umweltbereich: Wir müssen überall
che Kosten entstehen und wo wir Kosten sparen. schauen, was die Folgekosten sind und was uns wie er-
spart bleiben kann.
Wenn wir in erneuerbare Energien, in die Effizienz-
technologie und in das Gebäudesanierungsprogramm in- Ich schließe mit einem Zitat von Guillaume Paoli, der
vestieren, dann wissen wir, dass jeder Euro, den wir in der „FAZ“ von gestern einen sehr lesenswerten Arti-
heute einsetzen, dazu führen wird, dass wir eine Menge kel über den Klimawandel und den Verbrauch der Res-
Euros einsparen. Das gilt sogar schon für unsere und sourcen geschrieben hat:
nicht erst für die nachfolgende Generation. Das muss
Doch wir, die heute am Leben sind, besitzen das
man immer wieder erwähnen.
schwindelerregende Privileg, an die Spitze der mo-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ralischen Verantwortung gelangt zu sein. Die Gene-
der CDU/CSU) rationen vor uns wußten nicht, was sie taten. Die
(B) Nachkommenden werden wahrscheinlich gegen die (D)
Bei der Betrachtung des Haushalts müssen auch die Folgen unserer Handlungen nichts mehr tun kön-
externen Kosten berücksichtigt werden. Das möchte ich nen. Wir allein wissen und können zugleich.
im Hinblick auf den Dieselruß erklären. Dieselruß, das
sind Kleinstpartikel in der Luft, die den Menschen ge- Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist unser Arbeits-
sundheitlich belasten. Wenn wir Geld dafür bereitstellen auftrag. Wir sollten ihn annehmen und entsprechende
und etwas dagegen tun, ist das nicht einfach eine Sub- Politik machen – beim Haushalt, aber auch sonst.
vention, sondern eine Investition in unsere Gesundheit
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
und die unserer Kinder. Deswegen appelliere ich noch
einmal eindringlich an die Union, mit uns zusammen ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
entsprechendes Gesetz zu machen. Ich glaube, das ist der der CDU/CSU)
richtige Schritt. Ich hoffe, dass wir da noch zusammen-
kommen werden – zum Schutz der Gesundheit. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall bei der SPD) Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
das Wort dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein von der
In den USA gibt es ein Team von Wissenschaftlern, CDU/CSU-Fraktion. Ich verbinde das mit der Bitte, ihm
die jedes Jahr feststellen, wie viel an Umweltgütern und ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken und die Privat-
überhaupt an Lebensgütern wie schnell erschöpft sind, gespräche zu reduzieren.
wie groß die Kapazität der Erde ist. Viele, so auch der
WWF, nennen das den „ökologischen Fußabdruck“. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Team in den USA berechnet einen „World Overshoot Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Mehr Auf-
Day“: Das ist der Tag des Jahres, an dem die Menschen merksamkeit für Nüßlein!)
alles verbraucht haben, was ihnen eine sich selbst erhal-
tende Natur erst bis zum Ende des Jahres liefern kann: Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Fische, Holz, Getreide, Wasser usw. Dieser Tag war die- Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine lieben Kolle-
ses Jahr bereits am 9. Oktober; dankenswerterweise hat ginnen und Kollegen! Lassen Sie mich etwas zur Ein-
Herr Vorholz in der „Zeit“ daran erinnert. preisung von Zertifikaten sagen, weniger als Politiker
(Unruhe – Glocke des Präsidenten) als vielmehr als Ökonom. Zunächst einmal wundert
mich die Irritation über die Windfall-Profits. Jedem, der
Wir sind also drei Monate vor der Zeit. Wenn man jetzt etwas von der Materie versteht, muss klar sein, dass,
noch bedenkt, dass die Industrieländer noch viel weiter wenn man externe Kosten einbeziehen will und man dies
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6749
Dr. Georg Nüßlein
(A) am Markt durchsetzen kann, sich dies in den Preisen wi- heißt für mich, dass wir uns diesem Thema politisch nä- (C)
derspiegelt, sodass in der Konsequenz Strom teurer wird. hern können.
Deshalb verstehe ich das Lamento nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
Die Frage, die man damit verbinden muss, ist, wie SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/
man damit letztendlich umgeht. Da sind wir an dem DIE GRÜNEN)
Punkt, wo ich sage: Wenn man Zertifikate versteigern
will – auch ein großer Teil der CDU/CSU will das –, Damit sind wir mitten beim Thema Energiepolitik.
dann ist das nicht heilbar, das heißt, es wird nicht billi- Ich bin der festen Überzeugung, dass Energietechnolo-
ger. Aber das Geld kommt an einer anderen Stelle an. gie die Schlüsseltechnologie dieses Jahrhunderts sein
Daher ist es eine ganz besondere Dreistigkeit, wenn die wird. Wenn wir unseren Wohlstand sichern und bewah-
Energieversorger argumentieren, dann würde Strom ren wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir bei
noch teurer. Denn wenn man diese Kosten einmal einge- dieser Schlüsseltechnologie vorne dabei sind. Deutsch-
preist hat, kann man doch nicht dann, wenn aus den kal- land ist an dieser Stelle dank der großen Koalition auf ei-
kulatorischen, aus den Opportunitätskosten tatsächliche nem guten Weg.
Kosten geworden sind, diese noch einmal oben drauf-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
schlagen. Wo gibt’s denn so was?!
neten der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Nun könnte der eine oder andere leichtfertig sagen:
DIE GRÜNEN) Deutschland hat einen Anteil von 3,19 Prozent an dem
weltweiten CO2-Ausstoß und deswegen fragen wir, was
Ich glaube, wer so etwas vorträgt, der unterschätzt den wir dort bewegen wollen. Ich glaube, wir haben eine
wirtschaftlichen Sachverstand dieses Hauses ganz ge- doppelte Vorbildfunktion: Zum einen denke ich an die
waltig. Anforderungen an unsere Industrie. Dabei sind die Ent-
wicklungspolitik, die Wirtschaftspolitik und natürlich
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: auch die Außenpolitik wichtige Bereiche. Zum anderen
Herr Nüßlein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des kommt es auch auf die Technologie an, die in unserem
Kollegen Michael Kauch? Land entwickelt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Gerne. Ich sage Ihnen: Wir müssen mit einem gewissen Stolz
betonen – Nationalstolz ist mittlerweile ja wieder salon-
(B) fähig –, dass die Industrie- und die Ingenieurleistungen (D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
made in Germany einen guten Ruf in der Welt haben.
Bitte schön, Herr Kauch. Diesen guten Ruf wollen wir auch im Bereich der Ener-
(Anhaltende Unruhe) gietechnik ohne Scheuklappen ausbauen. Es geht von
CO2-freien Kohlekraftwerken über die Sicherheitstech-
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): nik in Kernkraftwerken und den erneuerbaren Energien
Ich hoffe, ich kann Sie verstehen, Herr Kauch. bis hin zur Energieeffizienz. Wir alle wissen, dass auch
nach unserem Ausstieg weltweit Kernkraftwerke gebaut
werden. Hier kommt es darauf an, dass wir mit unserem
Michael Kauch (FDP): Know-how dabei sind, weil mir wohler ist, wenn diese
Herr Nüßlein, ich schätze es außerordentlich, dass in mit deutscher Technik gebaut werden.
der Koalition offensichtlich ein gewisser volkswirt-
schaftlicher Sachverstand vorhanden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gerade die erneuerbaren Energien sind aus Sicht
der SPD) der Union ganz entscheidend. Meine Damen und Herren
von der FDP, ich sage ganz ausdrücklich an Ihre
Habe ich Sie aber richtig verstanden und den Applaus
Adresse: Eine Schrittmachertechnologie wie die erneu-
der Fraktionen von CDU/CSU und SPD richtig interpre-
erbaren Energien braucht natürlich Förderung und einen
tiert, dass Sie sich damit in Widerspruch zum Bun-
Anstoß. Sie rufen an dieser Stelle die ganze Zeit: Markt,
desumweltminister setzen? Wenn ja, dann würde ich
Markt, Markt! Ich frage Sie: Welchen Markt meinen
gerne wissen, wann Sie sich gegen Herrn Gabriel und
Sie? Meinen Sie den der Energieoligopolisten oder den
Herrn Glos durchsetzen.
der Mineralölkonzerne? Welchen Markt meinen Sie
(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) denn letztendlich?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Aus meiner Sicht hat der Herr Minister heute ganz NEN)
deutlich gesagt, man werde sich dem Thema Versteige-
rung dann nähern, wenn keine Gefahr bestehe, dass die Beim Thema Strom bitte ich zur Kenntnis zu neh-
Strompreise dadurch wieder steigen. Ich sage: Aus Sicht men, dass wir mit dem Stromeinspeisungsgesetz und in
des Ökonomen kann diese Gefahr nicht bestehen. Das der Nachfolge mit dem EEG eine gute Grundlage bzw.
6750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Georg Nüßlein


(A) einen Exportschlager haben. Das gilt auch für die auf billiger ist als der fossile Brennstoff. Dann werden wir (C)
diesem Gebiet entwickelte Technologie. erleben, wie wichtig es ist, intensiv über die Instrumente
nachzudenken, die wir an dieser Stelle einsetzen wollen.
Wir haben heute auch viel über das Thema Markt- Wir, die große Koalition, tun dies im Sinne von Klima
anreizprogramm gesprochen. Es geht doch nicht da- und Wirtschaft. Hierbei besteht die große Chance, Öko-
rum, Investitionen erst einmal in Gang zu setzen, son- logie und Ökonomie sinnvoll zu verbinden.
dern darum, die Menschen, die ohnehin Investitionen
tätigen, weil sie ihre Heizungen erneuern müssen, zum Herzlichen Dank.
Nachdenken darüber anzuregen, wie sie das Thema er- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
neuerbare Energien dabei sinnvoll einbeziehen können. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Das ist im letzten Jahr gut gelaufen – mit der Ein- DIE GRÜNEN)
schränkung, dass ab Mitte des Jahres kein Geld mehr da-
für zur Verfügung stand. 150 000 Menschen konnten wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
bei ihren Vorhaben unterstützen, 50 000 Menschen ha- Ich schließe die Aussprache.
ben wir enttäuscht. Diese haben bei der BaFin angeru-
fen. Ihre Gespräche sind auf dem Anrufbeantworter ge- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
landet, der ihnen gesagt hat, dass der Anruf zwecklos ist plan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und dass es vollständig sinnlos ist, sich bei der deutschen und Reaktorsicherheit, in der Ausschussfassung. Hierzu
Bürokratie zu melden. Wenn wir das Programm durch- liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst
führen und das Thema verstetigen wollen, müssen wir abstimmen.
deshalb an dieser Stelle die Mittel aufstocken. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die Linke auf Drucksache 16/3478? – Wer stimmt dage-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-
DIE GRÜNEN) lehnt mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung
der Fraktion Die Linke.
Diese Dinge hängen auch immer davon ab, wie sich
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion des
die Märkte bzw. die Preise für fossile Brennstoffe entwi-
ckeln. Darin sind wir uns einig. Wenn es zu dem von der Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3512. Die
Internationalen Energieagentur prophezeiten kurzfristi- Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen verlangt na-
gen Rückgang des Ölpreises kommt, dann müssen wir mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
uns über das Marktanreizprogramm hinaus Gedanken und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. Ich darf fragen, ob alle Urnen besetzt sind. – Das
(B) machen, wie wir politisch motiviert verstetigen können, ist offenkundig der Fall. Dann eröffne ich die Abstim- (D)
dass Investitionen in diesem Bereich erfolgen, und wie
wir im Interesse des Klimas, aber auch der Wirtschaft mung.
Kontinuität erreichen können. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich schließe den
Dabei kommt es auf die Technologieführerschaft an,
Wahlgang und bitte, auszuzählen.
die man nicht erlangt, indem man wartet, bis der Markt
einen zu technologischen Neuerungen drängt. Man er- Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
reicht sie nur dadurch, dass man sich frühzeitig darum Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
bemüht.
(Unterbrechung von 20.16 bis 20.22 Uhr)
Insofern kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir
ein Wärmegesetz angehen, das jedem, der heute eine Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Heizung neu einbaut, einen bestimmten Anteil regenera- Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich
tiver Energie vorschreibt. bitte, Platz zu nehmen, damit wir die Sitzung fortsetzen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – können.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
DIE GRÜNEN) führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
Wir machen den Bürgerinnen und Bürgern viele Vor- mung über den Änderungsantrag der Abgeordneten
schriften, beispielsweise mit Emissionskategorien. Das Anna Lührmann, Anja Hajduk, Alexander Bonde und
sollten wir auch in diesem Bereich offensiv tun; denn der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zu der zwei-
wie wir wissen, ist dies notwendig und zeitlich geboten. ten Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des
Beim Thema Biodiesel werden wir schmerzlich erle- Bundeshaushaltplans für das Haushaltsjahr 2007, hier:
ben, was passiert, wenn plötzlich der Ölpreis einbricht Einzelplan 16, bekannt. Abgegebene Stimmen 533. Mit
und wir nicht schnell genug in der Lage sind, instrumen- Ja haben gestimmt 81, mit Nein haben gestimmt 452,
tell zu reagieren und sicherzustellen, dass der Biodiesel Enthaltungen keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6751
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Endgültiges Ergebnis Ulrike Höfken Thomas Dörflinger Dr. Rolf Koschorrek (C)
Abgegebene Stimmen: 532; Dr. Anton Hofreiter Marie-Luise Dött Hartmut Koschyk
davon Bärbel Höhn Maria Eichhorn Michael Kretschmer
Ute Koczy Georg Fahrenschon Gunther Krichbaum
ja: 81
Fritz Kuhn Ilse Falk Dr. Günter Krings
nein: 451 Renate Künast Dr. Hans Georg Faust Dr. Martina Krogmann
Undine Kurth (Quedlinburg) Enak Ferlemann Johann-Henrich
Ja Markus Kurth Ingrid Fischbach Krummacher
Monika Lazar Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Hermann Kues
DIE LINKE Dr. Reinhard Loske Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Karl Lamers (Heidelberg)
Anna Lührmann Dr. Maria Flachsbarth Andreas G. Lämmel
Hüseyin-Kenan Aydin Jerzy Montag Dr. Norbert Lammert
Klaus-Peter Flosbach
Eva Bulling-Schröter Kerstin Müller (Köln) Herbert Frankenhauser Katharina Landgraf
Dr. Martina Bunge Winfried Nachtwei Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Max Lehmer
Roland Claus Omid Nouripour (Hof) Paul Lehrieder
Sevim Dagdelen Brigitte Pothmer Erich G. Fritz Ingbert Liebing
Dr. Diether Dehm Krista Sager Jochen-Konrad Fromme Eduard Lintner
Werner Dreibus Elisabeth Scharfenberg Hans-Joachim Fuchtel Dr. Klaus W. Lippold
Klaus Ernst Christine Scheel Dr. Peter Gauweiler Patricia Lips
Wolfgang Gehrcke Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Jürgen Gehb Dr. Michael Luther
Heike Hänsel Dr. Gerhard Schick Norbert Geis Stephan Mayer (Altötting)
Lutz Heilmann Rainder Steenblock Eberhard Gienger Wolfgang Meckelburg
Hans-Kurt Hill Silke Stokar von Neuforn Ralf Göbel Dr. Michael Meister
Cornelia Hirsch Hans-Christian Ströbele Dr. Reinhard Göhner Laurenz Meyer (Hamm)
Inge Höger-Neuling Jürgen Trittin Josef Göppel Maria Michalk
Dr. Barbara Höll Wolfgang Wieland Peter Götz Hans Michelbach
Dr. Lukrezia Jochimsen Josef Philip Winkler Dr. Wolfgang Götzer Philipp Mißfelder
Dr. Hakki Keskin
Ute Granold Dr. Eva Möllring
Katja Kipping fraktionslos Reinhard Grindel Carsten Müller
Monika Knoche (Braunschweig)
Gert Winkelmeier Hermann Gröhe
Oskar Lafontaine Stefan Müller (Erlangen)
Michael Grosse-Brömer
Dr. Gesine Lötzsch Bernward Müller (Gera)
Markus Grübel
Ulrich Maurer Nein Dr. Gerd Müller
Manfred Grund
Dorothée Menzner Hildegard Müller
Monika Grütters
Kornelia Möller CDU/CSU Michaela Noll
(B) Karl-Theodor Freiherr zu (D)
Kersten Naumann Dr. Georg Nüßlein
Ulrich Adam Guttenberg
Wolfgang Nešković Franz Obermeier
Ilse Aigner Olav Gutting
Dr. Norman Paech Eduard Oswald
Peter Albach Holger Haibach
Petra Pau Rita Pawelski
Peter Altmaier Gerda Hasselfeldt
Bodo Ramelow Dr. Peter Paziorek
Dorothee Bär Ursula Heinen
Elke Reinke Ulrich Petzold
Thomas Bareiß Uda Carmen Freia Heller
Volker Schneider Dr. Joachim Pfeiffer
Norbert Barthle Michael Hennrich
(Saarbrücken)
Dr. Wolf Bauer Jürgen Herrmann Sibylle Pfeiffer
Dr. Herbert Schui
Günter Baumann Bernd Heynemann Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ilja Seifert
Ernst-Reinhard Beck Ernst Hinsken Beatrix Philipp
Dr. Petra Sitte
(Reutlingen) Peter Hintze Ronald Pofalla
Dr. Kirsten Tackmann
Veronika Bellmann Robert Hochbaum Ruprecht Polenz
Jörn Wunderlich
Dr. Christoph Bergner Klaus Hofbauer Daniela Raab
Sabine Zimmermann
Otto Bernhardt Franz-Josef Holzenkamp Thomas Rachel
Clemens Binninger Joachim Hörster Hans Raidel
BÜNDNIS 90/DIE
Carl-Eduard von Bismarck Anette Hübinger Dr. Peter Ramsauer
GRÜNEN
Renate Blank Hubert Hüppe Peter Rauen
Kerstin Andreae Peter Bleser Susanne Jaffke Eckhardt Rehberg
Volker Beck (Köln) Antje Blumenthal Dr. Peter Jahr Klaus Riegert
Cornelia Behm Jochen Borchert Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Heinz Riesenhuber
Birgitt Bender Wolfgang Börnsen Andreas Jung (Konstanz) Franz Romer
Matthias Berninger (Bönstrup) Bartholomäus Kalb Johannes Röring
Grietje Bettin Wolfgang Bosbach Steffen Kampeter Kurt J. Rossmanith
Alexander Bonde Klaus Brähmig Alois Karl Dr. Christian Ruck
Ekin Deligöz Michael Brand Bernhard Kaster Albert Rupprecht (Weiden)
Dr. Thea Dückert Helmut Brandt Siegfried Kauder (Villingen- Peter Rzepka
Dr. Uschi Eid Dr. Ralf Brauksiepe Schwenningen) Anita Schäfer (Saalstadt)
Hans Josef Fell Monika Brüning Eckart von Klaeden Hermann-Josef Scharf
Kai Gehring Georg Brunnhuber Jürgen Klimke Dr. Wolfgang Schäuble
Anja Hajduk Gitta Connemann Julia Klöckner Hartmut Schauerte
Britta Haßelmann Leo Dautzenberg Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Andreas Scheuer
Winfried Hermann Hubert Deittert Manfred Kolbe Karl Schiewerling
Priska Hinz (Herborn) Alexander Dobrindt Norbert Königshofen Norbert Schindler
6752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Georg Schirmbeck Dr. Gerhard Botz Walter Kolbow Dr. Angelica Schwall-Düren (C)
Bernd Schmidbauer Klaus Brandner Karin Kortmann Rolf Schwanitz
Christian Schmidt (Fürth) Willi Brase Rolf Kramer Rita Schwarzelühr-Sutter
Andreas Schmidt (Mülheim) Bernhard Brinkmann Anette Kramme Dr. Margrit Spielmann
Ingo Schmitt (Berlin) (Hildesheim) Ernst Kranz Jörg-Otto Spiller
Dr. Andreas Schockenhoff Marco Bülow Nicolette Kressl Dr. Ditmar Staffelt
Dr. Ole Schröder Ulla Burchardt Volker Kröning Andreas Steppuhn
Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Burkert Angelika Krüger-Leißner Ludwig Stiegler
Uwe Schummer Dr. Michael Bürsch Dr. Hans-Ulrich Krüger Rolf Stöckel
Wilhelm Josef Sebastian Christian Carstensen Jürgen Kucharczyk Christoph Strässer
Horst Seehofer Marion Caspers-Merk Ute Kumpf Dr. Peter Struck
Kurt Segner Dr. Peter Danckert Dr. Uwe Küster Joachim Stünker
Bernd Siebert Karl Diller Christine Lambrecht Dr. Rainer Tabillion
Thomas Silberhorn Martin Dörmann Christian Lange (Backnang) Jörg Tauss
Johannes Singhammer Dr. Carl-Christian Dressel Dr. Karl Lauterbach Jella Teuchner
Jens Spahn Elvira Drobinski-Weiß Waltraud Lehn Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Erika Steinbach Garrelt Duin Helga Lopez Jörn Thießen
Gero Storjohann Sebastian Edathy Gabriele Lösekrug-Möller Franz Thönnes
Andreas Storm Siegmund Ehrmann Dirk Manzewski Hans-Jürgen Uhl
Max Straubinger Hans Eichel Lothar Mark Rüdiger Veit
Thomas Strobl (Heilbronn) Gernot Erler Caren Marks Simone Violka
Lena Strothmann Petra Ernstberger Katja Mast Jörg Vogelsänger
Michael Stübgen Elke Ferner Hilde Mattheis Dr. Marlies Volkmer
Antje Tillmann Gabriele Fograscher Markus Meckel Hedi Wegener
Dr. Hans-Peter Uhl Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Andreas Weigel
Arnold Vaatz Gabriele Frechen Dr. Matthias Miersch Petra Weis
Volkmar Uwe Vogel Dagmar Freitag Ursula Mogg Gunter Weißgerber
Andrea Astrid Voßhoff Peter Friedrich Marko Mühlstein Gert Weisskirchen
Gerhard Wächter Sigmar Gabriel Detlef Müller (Chemnitz) (Wiesloch)
Marco Wanderwitz Martin Gerster Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Rainer Wend
Kai Wegner Iris Gleicke Gesine Multhaupt Lydia Westrich
Marcus Weinberg Renate Gradistanac Franz Müntefering Dr. Margrit Wetzel
Peter Weiß (Emmendingen) Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich Andrea Wicklein
Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dieter Grasedieck Andrea Nahles Heidemarie Wieczorek-Zeul
Karl-Georg Wellmann Monika Griefahn Heinz Paula Dr. Dieter Wiefelspütz
(B) Anette Widmann-Mauz Engelbert Wistuba (D)
Kerstin Griese Joachim Poß
Klaus-Peter Willsch Wolfgang Grotthaus Christoph Pries Dr. Wolfgang Wodarg
Willy Wimmer (Neuss) Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier Heidi Wright
Elisabeth Winkelmeier- Hans-Joachim Hacker Florian Pronold Uta Zapf
Becker Bettina Hagedorn Dr. Sascha Raabe Manfred Zöllmer
Matthias Wissmann Klaus Hagemann Mechthild Rawert Brigitte Zypries
Dagmar Wöhrl Alfred Hartenbach Maik Reichel
Wolfgang Zöller Michael Hartmann Gerold Reichenbach FDP
Willi Zylajew (Wackernheim) Dr. Carola Reimann Jens Ackermann
Nina Hauer Christel Riemann- Dr. Karl Addicks
SPD Hubertus Heil Hanewinckel Christian Ahrendt
Dr. Lale Akgün Reinhold Hemker Walter Riester Daniel Bahr (Münster)
Gregor Amann Rolf Hempelmann Sönke Rix Uwe Barth
Gerd Andres Dr. Barbara Hendricks Dr. Ernst Dieter Rossmann Rainer Brüderle
Niels Annen Gustav Herzog Karin Roth (Esslingen) Angelika Brunkhorst
Ingrid Arndt-Brauer Petra Heß Michael Roth (Heringen) Ernst Burgbacher
Rainer Arnold Gabriele Hiller-Ohm Ortwin Runde Patrick Döring
Ernst Bahr (Neuruppin) Petra Hinz (Essen) Anton Schaaf Mechthild Dyckmans
Doris Barnett Gerd Höfer Axel Schäfer (Bochum) Jörg van Essen
Dr. Hans-Peter Bartels Iris Hoffmann (Wismar) Bernd Scheelen Ulrike Flach
Klaus Barthel Frank Hofmann (Volkach) Marianne Schieder Otto Fricke
Sören Bartol Klaas Hübner Otto Schily Paul K. Friedhoff
Dirk Becker Christel Humme Ulla Schmidt (Aachen) Horst Friedrich (Bayreuth)
Uwe Beckmeyer Lothar Ibrügger Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Edmund Peter Geisen
Klaus Uwe Benneter Brunhilde Irber Heinz Schmitt (Landau) Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Axel Berg Johannes Jung (Karlsruhe) Carsten Schneider (Erfurt) Hans-Michael Goldmann
Ute Berg Josip Juratovic Olaf Scholz Miriam Gruß
Petra Bierwirth Johannes Kahrs Ottmar Schreiner Joachim Günther (Plauen)
Lothar Binding (Heidelberg) Dr. h. c. Susanne Kastner Reinhard Schultz Dr. Christel Happach-Kasan
Volker Blumentritt Ulrich Kelber (Everswinkel) Heinz-Peter Haustein
Kurt Bodewig Christian Kleiminger Swen Schulz (Spandau) Elke Hoff
Clemens Bollen Astrid Klug Ewald Schurer Birgit Homburger
Gerd Bollmann Dr. Bärbel Kofler Frank Schwabe Dr. Werner Hoyer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6753
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Michael Kauch Sabine Leutheusser- Detlef Parr Dr. Max Stadler (C)
Dr. Heinrich L. Kolb Schnarrenberger Cornelia Pieper Carl-Ludwig Thiele
Hellmut Königshaus Horst Meierhofer Gisela Piltz Florian Toncar
Jürgen Koppelin Patrick Meinhardt Jörg Rohde Dr. Claudia Winterstein
Heinz Lanfermann Jan Mücke Frank Schäffler Dr. Volker Wissing
Sibylle Laurischk Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Konrad Schily Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Harald Leibrecht Dirk Niebel Dr. Hermann Otto Solms Martin Zeil

Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus- (Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/
schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- CSU und der SPD: Oh!)
gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 16 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Diese Entwicklung hat vielmehr damit zu tun, dass
men der Oppositionsfraktionen angenommen. sich die Marktchancen ganz generell verbessert haben.
Die Menschen verbrauchen wieder mehr, die Bevölke-
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.17 auf: rung insgesamt wächst. In bestimmten Bereichen gibt es
Einzelplan 10 Konkurrenzsituationen. Das wirkt sich auf die Preise aus
Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- und führt in diesem Bereich zu einer Entwicklung, die
schaft und Verbraucherschutz wir als einzige schon vor Jahren immer wieder ange-
mahnt haben: Unternehmerische Landwirtschaft, markt-
– Drucksachen 16/3110, 16/3123 – orientierte Landwirtschaft, global orientierte Landwirt-
Berichterstattung: schaft, das ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn es
Abgeordnete Georg Schirmbeck zusätzlich zu diesem Sachverhalt auch noch eine gute
Ernst Bahr (Neuruppin) Regierung gäbe, dann wären die Marktchancen unserer
Jürgen Koppelin landwirtschaftlichen Betriebe viel, viel besser.
Roland Claus
(Beifall bei der FDP)
Alexander Bonde
Es liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der Ich will das an Beispielen belegen. Sehr geehrter Herr
FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion des Minister Seehofer, ich sage es immer wieder, aber es
(B) Bündnisses 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag stimmt leider: Ihre Arbeit ist von Ankündigungen, von (D)
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Aktionsprogrammen und von wirkungslosen Sofortpro-
grammen bestimmt. Und Ihre Arbeit ist leider auch von
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für mangelnder fachlicher Durchdringung bestimmt.
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
schlossen. der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/
CSU)
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Hans-Michael Goldmann von der Eine solche Konzeptionslosigkeit, sehr geehrter Herr
FDP-Fraktion das Wort. Minister, führt dann auch dazu, dass Sie zwangsläufig
(Beifall bei der FDP) den Bruch von Wahlversprechen begehen müssen, wie
Sie das im Bereich der Grünen Gentechnologie, der
Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie und im Be-
Hans-Michael Goldmann (FDP):
reich der biogenen Kraftstoffe gemacht haben. Ich erin-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nere mich noch gut: Auf der Grünen Woche haben Sie
Kollegen! Jeder, der sich durch das Land bewegt, der bei gesagt – das liegt knapp ein Jahr zurück –: Jetzt kommt
landwirtschaftlichen Betrieben reinschaut und reinhört, ein Handwerker, die Zeit der „Mundwerkerin“ ist been-
wer auf der Fachmesse Euro-Tier war, der stellt fest: Die det. – Die Realität sieht deutlich anders aus. Sie sind den
Situation im Bereich der Landwirtschaft, insbesondere
Beweis von handwerklichem Können in diesem einen
der Ernährungswirtschaft, hat sich deutlich verbessert.
Jahr an jeder einzelnen Stelle schuldig geblieben.
Es wird investiert, es entstehen Arbeitsplätze und es
werden Marktchancen genutzt. (Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ge- GRÜNEN und der LINKEN)
org Schirmbeck [CDU/CSU]: Mein Gott, das
Mit dem Gammelfleischskandal fingen die Pro-
hast du letztes Mal auch schon gesagt!
bleme für Sie im Grunde genommen an. Natürlich be-
– Lieber Georg Schirmbeck, bis jetzt war ich der Mei- gegneten Sie den ersten Herausforderungen mit einem
nung, dass du ein Fachmann bist. Weil ich noch immer Sofortprogramm, das nicht griff. Weil es dann noch ein
glaube, dass du einer bist, weißt du auch genau, dass neues Signal geben musste, nahmen Sie eine Umetiket-
diese Entwicklung mit der Agrarpolitik der großen Ko- tierung mit einem 13-Punkte-Programm vor. Aber auch
alition überhaupt nichts zu tun hat. das zeigte keinen Effekt.
6754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Hans-Michael Goldmann
(A) Dann setzten Sie die EU-Richtlinie entgegen dem, – Kollege Zöllmer, Sie haben es nicht mitbekommen. (C)
was Sie immer versprochen hatten, eben nicht eins zu Vielleicht haben Sie im Ausschuss wieder nicht aufge-
eins um. Sie wissen ganz genau, dass das ein schwerer passt.
Schlag für die Schweine- und Geflügelwirtschaft war.
Auch das hätten Sie zum Beispiel auf der Fachmesse (Gustav Herzog [SPD]: Herr Oberlehrer!)
Euro-Tier hören können, wenn Sie da gewesen wären. In unserem Antrag wurde gefordert, dass die Mittel
Nein, Herr Minister Seehofer, Sie sind wirklich ein für die Verbraucherzentralen erhöht werden. Sie wer-
Minister der Ankündigungen geblieben, denen wenige den sich daran erinnern, dass Sie dagegen gestimmt ha-
Taten folgen. ben. Es ist schon ganz spannend, zu sehen: Selbst wenn
ein vernünftiger, ein kluger Antrag auf den Weg ge-
(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan bracht wird, stimmen Sie mit Ihren Partnern von der
[FDP]) CDU/CSU dagegen. Das ist im Grunde genommen ein
deutlicher Widerspruch zu Ihren anderen Äußerungen,
Sie neigen dazu, Sprechblasen von sich zu geben und die Sie ständig machen.
Luftballons aufsteigen zu lassen.
(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]:
Wahrscheinlich weil Sie aus Bayern kommen, fiel Ih- Die FDP hat doch die Mittel für die Verbrau-
nen ein: Man müsste eigentlich einmal ein Reinheitsge- cherzentralen im Bundesrat reduziert!)
bot für Wein auf den Weg bringen. – Die Branche ist er-
schüttert, Fachleute aus Ihrer eigenen Fraktion sagen – Ganz friedlich, Herr Kelber.
Ihnen: Da sind Sie völlig auf dem Holzweg, das ist eine Kommen wir einmal auf die biogenen Kraftstoffe zu
Schnapsidee. – Und dann passiert auch nichts. sprechen. Sind Sie stolz auf das, was diesbezüglich pas-
Auf einmal fällt Ihnen ein: So ein nationaler Allergie- siert ist? Glauben Sie, dass diese mittelstandsfeindliche
plan, das wäre doch etwas; denn die Menschen haben Quotenlösung wirklich dazu beiträgt, diesen Bereich
doch Angst vor Allergien. – Sie legen nichts vor. nach vorne zu bringen? Wenn Sie ein bisschen ehrlich zu
sich selber sind, sind Sie dann nicht auch der Meinung,
Sie machen ein Verbraucherinformationsgesetz – da- dass die Lösung, die Sie gefunden haben, eigentlich eine
rauf sind Sie wahrscheinlich auch noch stolz –, aber schlechte Lösung ist?
überzeugend ist das nun wirklich nicht.
(Beifall bei der FDP – Manfred Zöllmer
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) [SPD]: Wir sind vorne!)
Die Verbraucherrechte werden nicht wesentlich gestärkt – Herr Zöllmer, ich sage noch einmal ganz klar – bei Ih- (D)
(B) und die Rechtssicherheit für die Unternehmen wird im
nen dauert es immer ein bisschen länger –: Die Bauern
Grunde genommen auch nicht gestärkt, sondern sogar sind vorne, die Politik nicht.
geschwächt.
(Manfred Zöllmer [SPD]: Na also, das habe
Aber Sie geben nicht auf, sondern Sie setzen sich da- ich doch gesagt!)
für ein, dass ein umfassendes Tabakwerbeverbot auf den
Weg gebracht wird. Mit der Mehrwertsteuererhöhung ist es genau das-
selbe. Sie ist für Ihr Anliegen, den ländlichen Raum zu
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Sehr gut!) stärken, besonders schädlich. Die Einkommen im ländli-
chen Raum sind nämlich im Allgemeinen nicht sehr
– Da nicken Sie auch noch. Das ist genau die Politik, die hoch. Dort leben viele Familien mit Kindern. Gerade für
Sie, liebe Kollegin Heinen – das meine ich sogar wirk- sie ist die Mehrwertsteuererhöhung schädlich. Jeder von
lich ganz wörtlich, liebe Kollegin Heinen –, und Ihre Ihnen, der Ahnung hat – das sind einige –, weiß genau,
Kolleginnen und Kollegen massiv bekämpft haben, dass die vor kurzem erhöhte Pauschalierung nicht den
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Niemals!) Schaden abdeckt, der den Landwirten durch die Mehr-
wertsteuererhöhung zugefügt wird.
als Frau Künast solche Vorstellungen von Gut und Böse,
also im Grunde genommen von Grün für gut und Rot für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
böse, hatte. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg
Schirmbeck [CDU/CSU]: Das behaupten Sie!)
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]) Nennen Sie mir ein Beispiel für qualifizierten Büro-
kratieabbau! Prüfen Sie doch einmal, was sich der Deut-
Ich befürchte, dass Ihre Werbeverbotsambitionen sche Bauernverband von Ihnen als 100-Tage-Programm
dazu führen werden, dass es demnächst ein Verbot von gewünscht hat! Kein einziger Punkt ist erfüllt worden.
Süßigkeiten, von Alkohol, von Fast Food oder wovon
auch immer geben wird. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Der Gesundheitsfonds ist ein tolles
Wir, die FDP, setzen auf den mündigen Bürger. Selbst Beispiel!)
da habt ihr Schwächen.
Ich sehe mit großer Sorge einer möglichen erneuten Vo-
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: gelgrippegefahr bei uns entgegen, weil auch in diesem
Oh! – Ach!) Bereich viel zu geringe Anstrengungen unternommen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6755
Hans-Michael Goldmann
(A) worden sind, die Dinge wirklich in die richtige Richtung Ich möchte einen Satz zu dem sagen, was hier eben (C)
zu bringen. im Rahmen der Diskussion über den Umwelthaushalt
geäußert worden ist. Wenn ich an Ingolstadt denke, habe
Ich könnte das fortsetzen. Wissen Sie eigentlich, wel-
ich eigentlich immer sehr positive Erinnerungen. Ich
chen Schaden Sie den Bauern zufügen, wenn Sie die
fahre nämlich seit 1992 ein Auto aus Ingolstadt. Dieses
Erbschaftsteuer so regeln, wie Sie es bis jetzt beabsichti-
Auto wird nicht ganz normal, sondern mit RME, mit
gen?
Rapsölmethylester, betrieben. Ich fahre damit ohne Pro-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihre Redezeit ist bleme.
schon lange abgelaufen!)
Nach allem, was vorhin gesagt wurde, will ich nur
Wissen Sie, welchen Schaden Sie den Bauern zufügen, darauf hinweisen: Das hat mir damals niemand verord-
wenn das Vieh- und Fleischgesetz so ausgestaltet wird, net. Dazu gab es kein Gesetz und keine Verordnung. Das
wie Sie es bis jetzt vorhaben? ging. Das war auch erlaubt. Es war gut für die Umwelt.
All denen, die so viel über Umwelt reden oder dieses
Liebe Kollegen, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen:
und jenes fordern, kann ich nur sagen: Kameradinnen
Jeder, dessen Herz für den ländlichen Raum, für die
und Kameraden, fangt an, macht es!
Agrarpolitik, für die Ernährungspolitik und für die Er-
nährungswirtschaft schlägt und der auch den Verbrau- Das gilt für viele andere Bereiche auch. Eigentlich ist
cherschutz im Auge hat, es doch so: Am besten funktioniert etwas, wenn sich der
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nun ist aber gut!) Staat heraushält und die Bürger mit Verstand etwas ma-
chen.
der muss sagen: Nein danke, wir haben im ersten Jahr
unter der neuen, großen Koalition schlechte Politik er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
lebt. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und das von
dir!)
Herzlichen Dank.
– Ich habe ein christliches, aber auch liberales Funda-
(Beifall bei der FDP) ment. Das bekenne ich durchaus.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 5,17 Milliarden Euro umfasst der Agrarhaushalt.
Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von 4 Milliarden Euro – das haben wir hier wiederholt fest-
der CDU/CSU-Fraktion. gestellt – sind für Soziales. Wenn man in bestehende Ge-
setze nicht eingreifen will – ich habe noch von nieman-
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) dem gehört, dass er das will –, ist wenig zu beraten oder (D)
zu verändern. Wir dürfen hier feststellen, dass wir für
Georg Schirmbeck (CDU/CSU): alle, die auf diese sozialen Verpflichtungen, die wir ha-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ben, bauen, ein verlässlicher Partner sind und auch in der
ren! Kollege Goldmann, das war eine vergleichsweise Zukunft sein wollen.
humane Rede. Ich habe den Anfang Ihrer Rede sehr Ein Thema, das wir auch hier schon wiederholt ange-
gerne zur Kenntnis genommen. Sie haben dabei eigent- sprochen haben, ist die Unfallversicherung. In dem Be-
lich das zitiert, was ich in meiner Rede in der ersten Be- reich müssen in den nächsten Wochen konkrete Taten
ratung des Haushaltsgesetzes ausgeführt habe. Dass die folgen; denn mit jedem Monat, der weiter verstreicht,
Opposition überall ein bisschen mehr fordert, das ist ak- ehe wir handeln, wird es schwieriger, die 200 Millionen
zeptiert. Wir müssen natürlich an der einen oder anderen Euro, die wir als staatliche Unterstützung auch jetzt wie-
Stelle einen Anstoß bekommen, damit wir uns noch der zur Verfügung stellen wollen, aufzubringen.
mehr anstrengen. Das wollen wir auch; schließlich wol-
len wir marktwirtschaftlich denken und handeln. Neh- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann macht
men wir das also einmal so hin. Ich wiederhole: Das war doch mal was!)
sehr human.
Wir haben uns das als Aufgabe vorgenommen. Ich gehe
Ich möchte mich bei Minister Seehofer, bei den davon aus, dass das Ministerium für uns entsprechende
Staatssekretären, bei den Mitarbeitern und bei den ande- Vorlagen erarbeiten wird.
ren Berichterstattern für das sehr angenehme Klima bei
der Erarbeitung des Zahlenwerks, das wir morgen bei Aber es reicht nicht aus, das einfach zu fordern. Da
der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes zu beschlie- wird die eine oder andere Maßnahme notwendig sein,
ßen haben, bedanken. Ich möchte mich ganz besonders die auch an der einen oder anderen Stelle wehtut. Es ist
bei Herrn Johannes und Herrn Dr. Kuhlmann bedanken. ganz einfach, weiter so zu sagen oder auch nichts zu tun.
Entsprechend ihrer verbalen Ankündigung waren sie so- Das ist aber keine Politik.
gar nachts bereit, auf die eine oder andere Frage oder
Wir machen eine berechenbare Politik, was die GAK
den einen oder anderen Hinweis einzugehen oder sogar
angeht. Wir haben da mittelfristig 615 Millionen Euro
ein neues Deckblatt zu schreiben. Das ist mehr als das,
zur Verfügung. Es war sehr interessant, dass gerade ganz
was man von Beamten eigentlich erwarten kann.
aktuell noch ein Antrag der Grünen verteilt worden ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Da kann man sehen, wie der eine oder andere aus der
neten der SPD) Opposition so Politik macht.
6756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Georg Schirmbeck
(A) Bei der Beratung im Fachausschuss ist von den Spre- Insbesondere auf Veranlassung des Kollegen Bahr (C)
chern der Grünen, unter anderem von Frau Höhn, gesagt wird es eine Abteilung 7 für die Risikobewertung von
worden: 200 Millionen Euro sollen zusätzlich für die verbrauchernahen Produkten geben. Hier geht es in bes-
GAK zur Verfügung gestellt werden. Ich habe dann ganz tem Sinne um Verbraucherschutz. Das zeigt, dass wir
vorsichtig gefragt, ob das mit den Haushältern, etwa mit nicht nur sparen, sondern umbauen und Ressortfor-
Frau Hajduk, abgesprochen sei. Das wurde bestätigt. Ich schung da, wo es sachgerecht ist, auch aufbauen. Das tun
war nicht allein; da waren auch andere. wir natürlich auch, um an der einen oder anderen Stelle
Haushaltsmittel freizusetzen, die wir dann an anderer
Nachmittags war Haushaltsausschusssitzung, in der Stelle ausgeben können.
wir den Einzelplan beraten haben. Da habe ich gefragt:
Wie ist es eigentlich mit den 200 Millionen Euro? Da (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
waren es nur noch 50 Millionen Euro, die die Haushälter neten der SPD – Hans-Michael Goldmann
haben wollten. Da war man vielleicht ein bisschen rea- [FDP]: Schickst du uns das Papier auch ein-
listischer bei dem, was man machen kann. mal? Ich hätte es gerne!)
Jetzt kommt hier wieder die Forderung nach 200 Mil- Schließlich ist es uns auch gelungen, einen Titel für
lionen Euro. Wer so mit Zahlen jongliert, ist ganz ein- den Wald einzurichten, der ja ein Drittel der Fläche in
fach nicht ernst zu nehmen. Deshalb braucht man auch Deutschland ausmacht. Der Ansatz hierfür beläuft sich
nicht weiter darauf einzugehen. zunächst einmal auf 1 Million Euro. Manches, was zum
deutschen Wald gesagt wird, geht ja völlig an der Wirk-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lichkeit vorbei. Es geht nicht darum, immer nur neue Er-
Ich habe mich hier schon wiederholt vergleichsweise kenntnisse zu gewinnen oder etwas dreifach oder vier-
kritisch zur GAK geäußert. fach zu erforschen. Wir müssen vielmehr dafür sorgen,
dass da, wo Handlungsbedarf besteht, auch gehandelt
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr wird. Von daher ist es, wie ich meine, gut, dass hierfür
richtig!) ein neuer Titel mit einem Ansatz von 1 Million Euro
vorgesehen wird.
Bei dem Verordnungswerk, das auch jetzt wieder auf den
Weg gebracht worden ist, kann man schon allein am Meine Damen und Herren, von den Umweltpolitikern
Umfang erkennen, dass es vergleichsweise bürokratisch wurde eben schon einiges zu nachwachsenden Roh-
ist. Ich sage hier ganz deutlich: Ich habe es satt, mich stoffen gesagt. Wir können natürlich darauf hinweisen,
abends für etwas zu entschuldigen, auf das ich tagsüber was wir in diesem Bereich bewegen und erreichen. Aber
(B) überhaupt keinen Einfluss gehabt habe und das ich auch wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, (D)
am nächsten Tag kaum ändern kann. Deshalb werde ich dass wir die Veränderungen auf den Märkten für nach-
als Hauptberichterstatter demnächst zu einem Bericht- wachsende Rohstoffe nur bedingt beeinflussen können.
erstattergespräch einladen. Dann werden wir einmal in In Wirklichkeit hängen diese mit den globalen Verände-
allen Kleinigkeiten durchzugehen haben, was da auf rungen der Weltwirtschaft zusammen. Wenn Rohstoffe
PLANAK-Ebene an bürokratischen Regelungen heraus- knapp werden, steigen die Preise. Das führt meist dazu,
kommt. Damit werden wir im Wahlkreis und darüber hi- dass sich auch das Verhalten der Konsumenten ändert.
naus ganz konkret konfrontiert. Das kann es nicht sein. Wenn es sich dann auch noch um eine umweltgerechte
Darüber ist kritisch nachzudenken. Verhaltensänderung handelt, ist das doch etwas Positi-
ves. Das zeigt, dass marktwirtschaftliche Elemente grei-
Konkret ist auf den Weg gebracht worden – darauf fen. Das kann man nur unterstützen. Wenn es dann noch
sind Sie nicht eingegangen, Herr Kollege Goldmann –, dazu führt, dass die Produzenten von nachwachsenden
dass die Ressortforschung überprüft wird und institu- Rohstoffen, also Land- und Forstwirte, etwas mehr als in
tionell so verändert wird, dass sie zukunftsgerecht wird. der Vergangenheit verdienen, ist das ein schönes Ergeb-
Wenn über die Bedeutung eines Instituts nachgedacht nis, das wir gerne mitnehmen. Die Entwicklung geht je-
wird, wird nicht jeder Hurra schreien. Aber auch hier denfalls in die richtige Richtung.
muss man sagen: Wer glaubt, es müsse alles so bleiben,
wie es ist, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
das Ministerium hier vorgelegt hat, muss jetzt hinterfragt neten der SPD)
werden. Dazu kann jeder seine Ideen und Hinweise ein-
bringen. Da muss an der einen oder anderen Stelle viel- Schließlich und endlich wurde ja in den letzten Tagen
leicht noch gegengesteuert werden, muss das eine oder hier – das wird sicherlich auch morgen noch geschehen –
andere noch verändert werden, aber das, was das Minis- darüber gestritten, welchen Anteil die Bundesregierung
terium hierzu auf den Weg gebracht hat, ist, glaube ich, und die einzelnen Minister an der insgesamt positiven
sachgerecht. Entwicklung unserer Volkswirtschaft haben. Gerne wird
ja einiges anderen Zauberkünstlern zugeschrieben. Be-
Wenn hier gesagt wird, das sei ein Abbruchunterneh- ziehen wir das einmal auf Herrn Seehofer: Wenn zu häu-
men, geht das an der Wirklichkeit völlig vorbei. In der fig die Sonne scheint, sagt man, Seehofer ist schuld.
Tat ist es so, dass zukünftig mehr Mittel für die Ressort- Wenn es zu häufig regnet, sagt man, Seehofer ist schuld.
forschung zur Verfügung gestellt werden als je zuvor. Wenn aber etwas positiv läuft, kommt man nicht auf die
Das kann man an den einzelnen Haushaltstiteln sehen. Idee – um das einmal vorsichtig zu sagen –, dass er da-
Ich kann das auch an einem Beispiel deutlich machen. mit etwas zu tun hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6757
Georg Schirmbeck
(A) Die Gelehrten seit Ludwig Erhard sagen uns zu die- den Starken schützt und nicht umgekehrt. Das Sozial- (C)
sem Verhalten: 50 Prozent der volkswirtschaftlichen staatsprinzip ist im Grundgesetz festgeschrieben. Dort
Entwicklung beruht auf Vertrauen und Psychologie. steht ergänzend: Das Eigentum muss zum Gemeinwohl
verwendet werden. Tatsächlich erleben wir aber, dass
(Lachen der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/
sich der Staat durch Steuersenkungen bei den Reichen
DIE GRÜNEN])
und Reichsten selbst arm macht, um uns dann zu erklä-
Wenn das akzeptiert wird, dann ist es doch wohl so, dass ren, dass er sparen muss, vor allem bei den Menschen,
diejenigen, die in unserer Volkswirtschaft etwas bewe- die ohnehin wenig haben. Das ist eine sehr merkwürdige
gen, mehr Vertrauen in diese Regierung und die Koali- Logik.
tionsfraktionen haben, als es in der öffentlichen Mei- Nehmen wir das Beispiel der landwirtschaftlichen
nung manchmal dargestellt wird. Man kann das auch in Unfallversicherung. Dass wir bei der LUV über einiges
Bezug zur Fußballweltmeisterschaft setzen, auf die ja neu nachdenken müssen, ist unbestritten. Die Bemes-
Herr Westerwelle hier eingegangen ist, indem er sagte: sungsgrundlage könnte sich stärker am tatsächlichen Un-
Die glauben sogar an das, was sie sagen. Auch wir glau- fallrisiko orientieren. Wir brauchen sicherlich auch mehr
ben in der Tat an das, was wir sagen. Wir wissen aber Transparenz und Gerechtigkeit bei den Beitragsbemes-
auch, dass dann, wenn die Fußballweltmeisterschaft sungen und effektivere Trägerstrukturen. Aber die Ko-
nicht solch ein Erfolg gewesen wäre, man Frau Merkel alition streicht erst einmal 100 Millionen Euro Bundes-
dafür die Schuld gegeben hätte. Nachdem es jetzt aber so zuschüsse. Das kann kaum ohne Folgen für die Beiträge
positiv gelaufen ist, darf die Regierung doch auch dieses bleiben. Die Streichung soll zwar 2007 aus mehreren
Positive mitnehmen. Quellen kompensiert werden; aber das Ziel ist doch klar.
Ich kann zum Schluss nur sagen: Die Zusammenar- Begründung ist die Kassenlage, und das, obwohl die
beit mit dir, Ernst Bahr, war sehr gut. Wir werden sie Beitragszahlungen gerade denen am schwersten fallen,
fortsetzen und zusammen mit dem Ministerium unseren die auf die Versicherungsleistungen im Ernstfall am
Bereich weiterhin positiv entwickeln. Es geht aufwärts. meisten angewiesen sind.
Lassen Sie uns so weitermachen! (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Genau!)
Herzlichen Dank. Um nicht falsch verstanden zu werden: Bestehendes
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zu prüfen, ist absolut richtig. Aber das Ziel der Überle-
gungen muss aus meiner Sicht eine landwirtschaftliche
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Unfallversicherung sein, die erstens leistungsfähig und
zweitens bezahlbar ist.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von
(B) (D)
der Fraktion Die Linke. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)
(Beifall bei der LINKEN) Eine Privatisierung wird das nicht leisten, zumal Zwangs-
beiträge nur in einer gesetzlichen Unfallversicherung
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): europarechtskonform und verfassungsgemäß sind. Bei
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Privatisierungen müsste vermutlich die Versicherungs-
Verehrte Gäste! Lassen Sie mich gleich zu Anfang die pflicht für die Betriebe abgeschafft werden. Aus Sicht des
zwei größten Sünden des Einzelplans 10 im Haushalt Einzelnen mag das vielleicht sogar sinnvoll sein – so-
2007 nennen: erstens die Senkung des Zuschusses an die lange nichts passiert. Aber wie dringend erforderlich die
landwirtschaftliche Unfallversicherung – das wurde Unfallversicherung ist, zeigt ein Blick auf die so genann-
schon angesprochen – und zweitens die aus meiner Sicht ten Altfälle, also Verunfallte, für die Rentenzahlungen er-
viel zu geringen Bundesmittel für die Gemeinschaftsauf- folgen. Circa 400 Millionen Euro werden dafür pro Jahr
gabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. gebraucht. Wer will angesichts einer solchen Summe
noch behaupten, dass die Unfallversicherung nicht benö-
(Manfred Zöllmer [SPD]: Das stimmt doch gar tigt wird?
nicht!)
(Beifall bei der LINKEN)
– Ich habe nicht davon gesprochen, dass sie gesenkt
wurden, sondern davon, dass sie zu gering sind. Außerdem ist eine bezahlbare landwirtschaftliche Un-
fallversicherung auch im gesamtgesellschaftlichen Inte-
Wie ein schwarz-rosa Faden zieht sich folgender resse. Wer durch eine fehlende Unfallversicherung zum
Grundsatz durch die Koalitionspolitik: Mittel- und lang- Sozialfall wird, muss letzten Endes doch wieder vom
fristig werden vor allem Menschen benachteiligt, die oh- Staat bezahlt werden.
nehin schon benachteiligt sind.
Es gibt Beispiele dafür, dass ein solidarisches Versi-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach Gott!) cherungssystem auch in der Landwirtschaft zukunftsfä-
hig gemacht werden kann. Die Versicherungen im Gar-
Dabei müssen die Umfrageergebnisse doch die
tenbaubereich zeigen, dass man durch Zentralisierung
Alarmglocken läuten lassen. Eine deutliche Mehrheit
der Datenverwaltung und branchenspezifische Anpas-
sieht ein Gerechtigkeits- und Demokratiedefizit in dieser
sungen Einsparungen realisieren kann. Vielleicht kann
Gesellschaft. Das hat, liebe Kolleginnen und Kollegen,
man sich das ja einmal ansehen und davon lernen.
auch mit Regierungspolitik zu tun. Die Menschen erwar-
ten zu Recht, dass der Gesetzgeber die Schwachen vor (Beifall bei der LINKEN)
6758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Kirsten Tackmann


(A) Kommen wir zur zweiten Sünde, der Gemeinschafts- (Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜND- (C)
aufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. Ich NIS 90/DIE GRÜNEN] – Georg Schirmbeck
hoffe, Sie erwarten keine lobende Erwähnung dafür, dass [CDU/CSU]: In Neuruppin entstehen 70 neue
Sie die Bundesmittel für 2007 nicht noch einmal gekürzt Arbeitsplätze!)
haben. Das ist nämlich angesichts der dramatischen so-
zialen Situation in ländlichen Räumen viel zu wenig. Kommen wir nun zum Verbraucherschutz. Hier ver-
hält es sich wie mit einer umetikettierten Packung Gam-
(Beifall bei der LINKEN) melfleisch. Von außen betrachtet könnte man zufrieden
sein; immerhin ist der Etatposten erhöht worden. Was für
Minister Seehofer hat am 6. November 2006 in der eine schöne Verpackung! Aber beim Öffnen riecht es
„Passauer Neuen Presse“ einen Marshallplan für den dann doch ranzig. Dieser Haushaltsplan wird weder den
ländlichen Raum angekündigt. Das würde aus meiner bestehenden noch den erkennbaren Problemen der Zu-
Sicht eine glatte Kehrtwende in der bisherigen Regie- kunft gerecht.
rungspolitik erfordern. Aber mir fehlt der Glaube daran.
Wir wissen, dass wir ein Problem bei der Durchset-
Im Moment sind die Dörfer die großen Verlierer. Sie zung des Verbraucherschutzes haben. Wir brauchen ein
verlieren Kaufkraft, Bus und Bahn, Banken, Schulen, bundeseinheitliches Handeln; das kollidiert allerdings
Einkaufsmöglichkeiten und dadurch die Zukunft, Fami- mit Länderzuständigkeiten. Die Fraktion Die Linke hat
lien und Kinder. einen Bund-Länder-Staatsvertrag vorgeschlagen, um eine
Sie haben nicht nur weniger Bundesmittel im verbindliche Zusammenarbeit zwischen Bund und Län-
Einzelplan 10 als noch vor Jahren, sondern es fehlen dern zu organisieren. Das Problem ist erkannt, aber unser
gleichzeitig die Kofinanzierungsmittel der Länder und Lösungsvorschlag wurde abgelehnt.
EU-Mittel aus der zweiten Säule. Die Konsequenzen aus In einem anderen Fall haben Sie genau diese Lösung
den fehlenden Bundesmitteln sind in den Länderförder- angewendet. Oh Wunder, der Anstoß kam durch die
programmen abzusehen: Die Mittel für Agrarumwelt- Pflicht, eine EU-Verordnung auf nationaler Ebene umzu-
programme werden massiv gekürzt, obwohl sie gerade
setzen. Ohne das übliche Kompetenzgerangel wurde das
in Regionen mit kleinbäuerlicher Struktur ein sozial sta-
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-
bilisierender Faktor mit zunehmender Bedeutung sind.
mittelsicherheit, obwohl Bundesbehörde, als zentrale
(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE Verbindungsstelle zu den europäischen Mitgliedsländern
LINKE]) installiert. Es soll künftig alle ausländischen Rechtshil-
feersuchen entgegennehmen und bundesweit die Kom-
(B) Die Förderung des ökologischen Landbaus wird redu- petenz zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes ge- (D)
ziert, zum Teil sogar komplett gestrichen, obwohl die genüber deutschen Firmen haben. Es geht doch!
Nachfrage gerade in diesem Sektor durch inländische
Produkte gar nicht mehr abgedeckt werden kann. Hier (Zuruf von der SPD: Das ist etwas anderes!)
werden einer Zukunftsbranche die Chancen genommen.
Auch die Ausgleichszulage wird nicht mehr vollständig Das Merkwürdige ist: Im Ausschuss wurde mir ge-
gezahlt. sagt, dass für diese Aufgabe keine zusätzlichen Mittel
notwendig sind, was mich ein bisschen gewundert hat.
Gerade mit den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Im Haushaltsplan steht jetzt, dass im BVL zum 1. Juni
aber könnten soziale, ökologische und ökonomische In- 2006 rund 46 Stellen unbesetzt waren; gleichzeitig wird
teressen gemeinsam gedacht werden, was wir für drin- aber der Personaletat um 2,18 Millionen Euro erhöht.
gend erforderlich halten. Mit ihnen könnte der benötigte Ich habe schon in der ersten Lesung des Haushaltes
strukturpolitische Handlungsspielraum in den ländlichen nachgefragt, wie denn die Erhöhung der Mittel beim
Räumen zurückgewonnen werden. Dabei geht es auch BVL und beim BfR sachlich begründet wird. Das bleibt
um den Erhalt von Kulturlandschaften, die mit der lan- für mich auch nach den Haushaltsverhandlungen sehr
gen Tradition landwirtschaftlicher Nutzung verbunden nebulös.
sind. Europa hat die vielfältigsten agrarischen Kultur-
landschaften. Das ist ein kulturelles Erbe, das es zu er- Aber kommen wir noch einmal auf die ländlichen
halten gilt. Das geht nicht ohne Arbeit. Diese muss ver- Räume zurück. Auch hinsichtlich der Verbraucherbe-
nünftig bezahlt werden. Dafür werden nicht gleich ratung werden sie abgehängt. Die Bundesregierung för-
bleibend wenig, sondern mehr finanzielle Mittel ge- dert – das ist gut – die Angebotsseite der Verbraucherbe-
braucht. ratung wie zum Beispiel den Verbraucherzentrale
Bundesverband. Wie aber die Verbraucherinnen und
(Beifall bei der LINKEN) Verbraucher an die Informationen kommen, bleibt ihnen
selbst überlassen. Wer kein Internet hat, hat halt Pech.
Auch beim jetzt diskutierten Konzept zur Agrarres- Dabei wissen wir doch, dass immer mehr ältere Men-
sortforschung – Herr Schirmbeck ist schon darauf einge- schen in den strukturschwachen ländlichen Räumen le-
gangen – werden vor allen Dingen wissenschaftliche Ar- ben. Es ist also heute umso wichtiger, Informationszu-
beitsplätze abgebaut. Dabei handelt es sich oft um die gänge barrierefrei und in möglichst geringer räumlicher
letzten Arbeitsplätze dieser Art in den ländlichen Räu- Distanz zu ermöglichen.
men. Nach einem Marshallplan für den ländlichen Raum
sieht das nun wirklich nicht aus. (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist Länderaufgabe!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6759
Dr. Kirsten Tackmann
(A) Die Sicherung von Beratungsleistungen ist außerdem be- Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): (C)
sonders wichtig für sozial Benachteiligte, die sich Inter- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
net und Fax nicht leisten können. Auch Bürgerinnen und gen! Ich muss zunächst ein paar Vorbemerkungen ma-
Bürger mit eingeschränkter Mobilität haben ein Recht chen, bevor ich zu dem komme, was ich eigentlich an-
auf erreichbare Informationsangebote. sprechen möchte.

Wir brauchen Antworten auf die Ausdünnung der Be- Herr Goldmann tat in den letzten Tagen – auch ges-
ratungsnetze und die steigenden Mobilitätskosten. Die tern auf unserem parlamentarischen Abend – wiederholt
Linke hatte dazu für den Haushaltsplan 2007 ein Modell- so, als sei all das, was gut sei, ein Selbstläufer, als
projekt vorgeschlagen. In den strukturschwachen Räumen komme es von allein. Für all das, was schlecht sei, sei je-
doch die Regierung verantwortlich. Herr Goldmann hat
sollten die Kommunalstrukturen für die Verbraucherbera-
in den letzten Jahren in dieser Hinsicht keinen Wandel
tung genutzt werden. Beispielsweise Gemeindeverwal-
und keinen Erkenntnisgewinn gezeigt. Das finde ich ein
tungen oder fahrende Bibliotheken könnten den Bera- bisschen bedauerlich. Ich muss mich aber freudig da-
tungswunsch von Verbraucherinnen und Verbrauchern rüber äußern, dass Sie heute relativ milde waren. Inso-
entgegennehmen und im Internet die zuständige Verbrau- fern kann ich Ihnen ein richtiges Lob für Ihre etwas ge-
cherzentrale heraussuchen. Die relevanten Dokumente milderte Kritik aussprechen.
könnten dort auch gleich eingescannt und an die zustän-
dige Verbraucherzentrale übermittelt werden. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]:
Damit uns nicht wieder der Vorwurf gemacht wird, Ich war etwas feiner, meinen Sie! Ich glaube,
wir könnten nur Geld ausgeben, haben wir sogar vorge- Herr Seehofer hat das nicht so empfunden!)
schlagen, die 142 000 Euro durch Umschichtungen ge-
Eine weitere Vorbemerkung. Was die Vertreter der
genzufinanzieren. Aber leider ist auch hier der Ableh- Partei Die Linke mit großem Selbstverständnis hier auf
nungsreflex der Koalition offensichtlich schneller als der den Tisch legen, ist für mich als Ostdeutschen wirklich
Prozess des Nachdenkens. erschütternd. Ich muss hinzufügen: Frau Tackmann und
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Na ja!) ich kommen aus demselben Wahlkreis; wir sind in der
gleichen Gegend zu Hause. Das Katastrophenszenario,
Denn das Problem bleibt doch: Im Verbraucherschutzin- das Frau Tackmann hier beschrieben hat, kann ich so
dex 2006 des vzbv wird bereits für sechs Bundesländer überhaupt nicht bestätigen. Denn gerade in der Land-
die Erreichbarkeit der Beratungsstellen als nicht ausrei- wirtschaft im Nordwesten Brandenburgs hat sich eine
chend oder ungenügend ausgewiesen. gute Entwicklung ergeben. Die dortigen Landwirte aller
Wirtschaftsformen befinden sich in einer sehr guten Si-
(B) (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Skan- tuation. (D)
dal!) (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Vielleicht leben dort mehr als nur
Dass der Haushaltsausschuss angesichts eines Etats von
Landwirte!)
5,2 Milliarden Euro für den Einzelplan 10 diesen
142 000 Euro nicht zugestimmt hat, zeigt, welchen Stel- Natürlich gibt es Probleme; natürlich gibt es Aufgaben.
lenwert die Probleme der Menschen im ländlichen Raum Wo wären wir denn, wenn das nicht so wäre? Aber die
bei Ihnen haben. landwirtschaftlichen Strukturen haben sich stabilisiert.
Die Landwirte haben eine solide Grundlage für ihre Ar-
(Beifall bei der LINKEN – Eva Bulling-Schrö- beit. Das ist der eine Punkt.
ter [DIE LINKE]: Ignorant!)
Der andere Punkt ist: Die Gesamtsituation in diesem
Fazit: Dieser Haushaltsplan ist aus unserer Sicht eine Wahlkreis kann sich sehen lassen. Wer die Situation
Mogelpackung; die Zukunftsfähigkeit wird vorge- schlechtredet, der redet über die Leistungen der Men-
täuscht. Deswegen werden wir den Einzelplan 10 ableh- schen vor Ort schlecht.
nen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Recht herzlichen Dank. Die Leistungen, die diese Menschen in 16 Jahren voll-
bracht haben, muss man lobend erwähnen. Natürlich gibt
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- es auch in diesem Bereich noch einige Probleme. Das
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Leben ist nun einmal so. Es gilt, Aufgaben zu erfüllen.
Ulrich Kelber [SPD]: Kürzungen in Bayern So haben auch wir in unserem Bereich besonders viele
und Hessen soll jetzt der Bund ausgleichen? – und besonders schwierige Aufgaben; aber diesen stellt
Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann man sich anständigerweise.
[FDP]: So schlecht war der Vorschlag nicht,
Herr Kelber! Denken Sie noch einmal darüber Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
nach!) Herr Kollege Bahr, ich kann Ihre Sätze kaum unter-
brechen. Die Frau Kollegin Tackmann würde Ihnen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gerne eine Zwischenfrage stellen.
Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr von der SPD- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Ich hatte noch kein
Fraktion. Abendessen!)
6760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

(A) Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): Ich sage es noch einmal kurz gefasst: Die Probleme (C)
Ja, gern. und Schwierigkeiten, die auch in unserer Region vorhan-
den sind, muss man akzeptieren, aufnehmen und dage-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen angehen. Dafür tun wir eine ganze Menge. Aber das,
Bitte schön. was die Menschen in Ostdeutschland geleistet haben, als
Katastrophe darzustellen, lasse ich nicht zu.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Kollege Bahr, Sie haben unseren gemeinsamen
Wahlkreis angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass der Wir haben glücklicherweise nicht nur die Kriterien
Landkreis Ostprignitz-Ruppin beim Pro-Kopf-Einkom- des Grundgesetzes und die der EU, nämlich die Stabili-
men aller Landkreise in der Bundesrepublik – wir haben tätskriterien, erfüllt, sondern wir haben im Einzelplan 10
insgesamt 439 – auf Platz 419 steht und dass mit einem wieder erreicht, uns konkret den Aufgaben zu stellen.
Durchschnittseinkommen von 11 000 Euro pro Jahr ein Das bedeutet nicht, dass wir bei den Titeln inhaltlich et-
Erwerbsniveau besteht, das man jedenfalls aus meiner was verändern mussten. Die Titel sind im Wesentlichen
Sicht nicht so beschreiben kann, wie Sie das hier getan über Jahre gleich geblieben. Wir haben die Beträge, die
haben, nämlich dass alles in Ordnung ist? in den einzelnen Titeln veranschlagt wurden, auch in
diesem Haushaltsjahr im Wesentlichen beibehalten. Wir
haben allerdings die Mittel in den Bereichen, in denen zu
Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): erwarten ist, dass die Abrufung der Mittel nicht besser
Frau Dr. Tackmann, diese statistische Auswertung ist wird, etwas gekürzt. Bei der landwirtschaftlichen
aus meiner Sicht sehr zu hinterfragen. Ich will nicht sa- Unfallversicherung haben wir sichergestellt, dass die
gen, wer sie gemacht hat; das ist mir fast egal. Es stehen notwendigen Zuschüsse fließen.
in der Tat einige Zahlen darin, die die Realität beschrei-
ben. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Durchge-
trickst habt ihr euch!)
Eines steht aber fest: Das, was Sie jetzt beschreiben,
ist keine Katastrophe. Wenn Sie von Schwierigkeiten re- Es ist uns bewusst, dass das in Zukunft nicht mehr so
den würden, dann würde ich Ihnen zustimmen. Wenn Sie sein kann. Deswegen ist es notwendig – das habe auch
von Aufgaben oder Veränderungserfordernissen spre- ich persönlich hier mehrfach gefordert –, dass wir nicht
chen würden, dann wären wir uns einig. Aber dann sollte nur die landwirtschaftliche Unfallversicherung, sondern
man die Menschen motivieren, ihre Probleme zu behe- die gesamte agrarsoziale Absicherung neu gestalten. Ich
ben, und nicht das Ganze schwarz malen. hoffe, wünsche und fordere, dass das in der Folge der
(B) Gesundheitsreform auch geschieht. (D)
Ich will diese Gelegenheit noch für Folgendes nutzen:
Was von Vertretern Ihrer Partei, aber teilweise leider (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann ma-
auch von anderen in diesem Zusammenhang immer vor- chen Sie mal einen Vorschlag!)
gebracht wird! Es wird gesagt, dass es kein Wunder ist,
dass wir in dieser Region Rechtsextremismus haben; – Das werden wir, Herr Goldmann, darauf können Sie
denn die Menschen haben keine Ausbildung und keine sich verlassen. Wir werden zeigen, dass wir uns der Auf-
Arbeitsplätze. Wer so argumentiert, vertritt eine gefährli- gabe bewusst sind und uns dieser Aufgabe stellen.
che Linie, weil er unterstellt: Wer keine Arbeit hat, muss (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein, das macht
rechtsradikales Gedankengut haben. ihr nicht! Da gehe ich jede Wette ein!)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben den Verbraucherschutz weitgehend gesi-
Wo sind wir eigentlich, dass wir eine solche Argumenta- chert und so stabilisiert, dass er wie in den vergangenen
tion verwenden? Jahren durchaus erfolgreiche Arbeit leisten kann. Es ist
eine Leistung, dass man die Ansätze stabil halten
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hat nie
konnte; das sehe ich persönlich jedenfalls so. Das gilt
jemand behauptet! – Weitere Zurufe von Der
genauso für die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur
Linken)
und Küstenschutz“. Man kann es sich nicht so leicht ma-
– Gehen Sie einmal zu den Diskussionsrunden! Es sind chen und einfach sagen: Da müsste mehr sein. Da wer-
hauptsächlich Ihre Anhänger, die den Menschen sagen, den irgendwelche Showfinanzierungen genannt, die man
wie schlecht es ihnen geht und dass man sich nicht zu nicht realisieren kann. Wer ernsthaft Politik betreibt, der
wundern braucht, dass es da Rechtsradikalismus gibt. muss sagen, wo das Geld herkommen soll. Ich halte es
Das ist die Realität. für eine gute Leistung, die Ausstattung bei allen Spar-
maßnahmen stabil zu halten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben in den Bereichen, wo es notwendig ist, so-
Ich sage Ihnen: Wer auf diese Weise eine Begründung
gar eine Aufstockung vorgenommen. Einer dieser Berei-
für Rechtsradikalismus liefern will, macht eine wirklich
che ist der Forschungsbereich. Wir haben die Mittel für
gefährliche Argumentation auf. Deswegen warne ich da-
diesen Bereich aufgestockt und im Rahmen des Innova-
vor, das zu machen.
tionsprogramms der Bundesregierung noch einmal zu-
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang sätzliche 20 Millionen Euro aufgelegt. Das heißt, insge-
Thierse) samt stehen dann 50 Millionen Euro mehr für Forschung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6761
Ernst Bahr (Neuruppin)
(A) zur Verfügung. Das ist ein Betrag, der sich gerade unter Bundesregierung einen entsprechenden Bericht vorlegt, (C)
Einsparzwängen sehen lassen kann. sodass weitere Kürzungen sachgemäßer und spezifischer
vorgenommen werden können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben in vielen Bereichen Änderungen vorge-
Ich möchte noch den Bereich der nachwachsenden nommen, die aber nicht im Sinne der Beträge gravierend
Rohstoffe ansprechen. Hierzu gehört nicht nur die För- sind, sondern die Schwerpunkte setzen. Ich verspreche
derung, die wir weiterhin leisten. Hier sind wir auch da- mir davon, dass wir sehr wohl in der Lage sind, im Jahr
bei, die Forschungseinrichtungen umzustrukturieren. 2007 erfolgreiche Politik für den ländlichen Raum zu ge-
Minister Seehofer hat uns eine Konzeption vorgelegt, stalten.
die jetzt diskutiert und dann beschlossen werden muss.
Herzlichen Dank.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Uns nicht,
schade! Warum haben wir die nicht?) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
– Sicher, es ist klar, dass sich zunächst einmal die Regie-
rungsparteien damit beschäftigen. Das ist doch ganz nor- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
mal, das sehe ich nicht als Problem an. Ich erteile das Wort der Kollegin Ulrike Höfken,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Hör auf!
Die Institute haben sie, jeder hat sie!)
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– Sobald wir gemeinsam beraten, bekommen Sie alle Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
ganz sicher die Unterlagen und können damit genauso nen und Kollegen! Die Koalition hat ihren ersten Ge-
arbeiten wie wir. burtstag und weil die Gratulationen ausbleiben, beweih-
räuchert sie sich selbst. Die Regierung spricht mit der
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Besser!)
Regierung. Die eine Seite des Hauses spricht mit der an-
Ich gehe davon aus, dass wir eine anständige Diskussion deren Seite des Hauses. Es werden – das kann man
dazu führen werden, die alle Abwägungen trifft, die not- schon so sagen – Geisterhausdebatten geführt. Was
wendig sind. bleibt, ist das Prinzip – Wie haben Sie es ausgedrückt? –
„Psychologie und Hoffnung“.
Dass die Ressortforschung umstrukturiert werden
muss, ist unumgänglich. Die Frage ist hierbei nicht, wie (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Zuversicht!
viele Standorte umstrukturiert werden müssen oder wie Christlich heißt das Zuversicht!)
viele Arbeitsplätze davon betroffen sind, sondern wie
(B) die Aufgaben, über die die Bundesregierung beraten Die positiven Entwicklungen in der Landwirt- (D)
schaft, die ich mit Begeisterung beobachte und mit
muss, wahrgenommen werden können. Ich denke, das
Nachdruck unterstütze, haben mit Ihrem ersten Regie-
wird in diesem Konzept sehr ordentlich berücksichtigt.
rungsjahr wenig zu tun. Für die Gewinnzuwächse kann
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich die Branche weitgehend bei Rot-Grün bedanken.
NEN]: Wenn es denn so wäre, wäre es ja in
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Ordnung! Es ist leider nicht so!)
Zuruf von der CDU/CSU: Die Dankesschrei-
Wir haben aber noch Gestaltungsmöglichkeiten. ben möchte ich gern einmal sehen!)
Für die Gemeinschaftsaufgabe – das sagte ich schon – Das Problem ist, dass die positiven Weichenstellungen
steht ein Betrag von 615 Millionen Euro zur Verfügung. an allen möglichen Stellen von Schwarz-Rot eingerissen
Das geht bis 2010 so weiter. Dass wir nicht absenken werden und gerade die innovativen Bereiche der Land-
mussten, ist für mich schon erfreulich. Das unterstreicht wirtschaft und des Verbraucherschutzes wieder ins Ab-
auch, dass durch die Gemeinschaftsaufgabe ein wichti- seits geraten.
ger Beitrag für die Koordination der Landwirtschafts-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Welche?)
politik geleistet wird.
Die Rahmenbedingungen für die positive Entwick-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vor allen
lung haben die Grünen wesentlich geprägt:
Dingen für den Küstenschutz!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben das Problem der Stellenkürzungen. Es ist
schwierig, mit diesem Problem umzugehen; das ist wohl die Ausgestaltung der Agrarreform und die Unterstützung
in allen Bundeseinrichtungen, nicht nur in den Ministe- der gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft im
rien, zu spüren. Die pauschalen Kürzungen, die wir in Tier- und Umweltschutz sowie in der Qualitätsentwick-
den vergangenen Jahren vorgenommen haben, führen zu lung, der Schub bei den erneuerbaren Energien und den
Schwierigkeiten in der Fach- und Altersstruktur. Wir nachwachsenden Rohstoffen, die aus der Nische heraus-
müssen überlegen, wie wir da weiterkommen. Eine Re- getreten sind, der Boom der Biobranche, die zweistellige
duzierung der Stellenkürzungen von 1,5 auf 1 Prozent Zuwachsraten zu verzeichnen hat, neue, erfolgreiche
war eigentlich vorgesehen. Wir haben die Kürzungen Wege bei der ländlichen Entwicklung, zum Beispiel „Re-
jetzt auf 1,2 Prozent festgesetzt. Ich denke, das ist ange- gionen Aktiv“; die Fortschritte im Verbraucherschutz und
messen. Schließlich müssen wir die Arbeitsfähigkeit der die erfolgreichen Ansätze zur Verbesserung der Ernäh-
Bundesbehörden sicherstellen. Wir erwarten, dass die rungssituation, zum Beispiel von Kindern durch die PEB,
6762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Ulrike Höfken
(A) die noch heute Morgen von Wirtschaft und Verbänden bifördersätzen angeboten. Das ist doch wohl reichlich (C)
hoch gelobt wurde. absurd.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit der Mehrwertsteuererhöhung, der Versicherung-
steuererhöhung, der Erhöhung der Beiträge zur Renten-
Bauernverbandspräsident Sonnleitner hatte die Bau- und Krankenkassenversicherung sowie der Senkung der
ernbefreiung ausgerufen und das Landvolk damit an die Entfernungspauschale werden die Verbraucherinnen und
Urnen gelockt. Die bayerischen Betriebe erfahren ge- Verbraucher netto massiv belastet.
rade, was es bedeutet, dass von ihnen zwar weiterhin die
Pflege der Kulturlandschaft und die Reinhaltung der Ge- (Ulrich Kelber [SPD]: Entfernungspauschale?
wässer verlangt werden – das steht ja im Gesetz –, die Sind Sie dagegen?)
gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft aber Das trifft vor allem die Armen. Das ist übrigens gerade
nicht mehr unterstützt werden. Seehofer und Merkel ha- in Rheinland-Pfalz nachzuforschen. Der Ausgleich
ben hinter verschlossenen Türen in der EU die Strei- durch die kleine Absenkung der Beiträge zur Arbeitslo-
chung von mindestens 700 Millionen Euro – mit den na- senversicherung ist lächerlich. Damit werden auch die
tionalen Kofinanzierungsmitteln für die Förderung der Spielräume für die Konjunkturerholung im Lebensmit-
ländlichen Räume – einstecken müssen. Unsere Nach- telhandel gefährdet und der Dumpingdruck auf die Bau-
barländer, zum Beispiel Österreich und Luxemburg, ern massiv erhöht. Dagegen würde auch kein zahnloses
konnten demgegenüber in diesen förderungsfähigen, üb- Antidumpinggesetz helfen.
rigens auch WTO-kompatiblen Bereichen deutliche fi-
nanzielle Zuwächse verzeichnen. In der Grenzregion er- Herr Kelber, Steuererhöhungsparteien waren Rot-
fahre ich deren schmerzliche Auswirkungen. Umwelt- Grün nun wirklich nicht. Das alles ist nur weiße Salbe,
und Tierschutz werden platt gemacht, indem ihnen die ebenso wie die Erhöhung der Vorsteuerpauschale. In die-
Förderung entzogen wird. Minister Gabriel – er ist nicht sem Haushalt gibt es keine Anstrengungen, die positiven
mehr anwesend – hätte im Kabinett vielleicht ein Wört- Entwicklungen der Landwirtschaft und der Verbraucher-
chen dazu sagen können. Zu diesem riesigen umwelt- politik zu stärken. Stattdessen ist es ein Scheinhaushalt,
relevanten Bereich sagt er aber kein Wort. der die von Frau Merkel herbeigeführten drastischen
Einbrüche bei den Mitteln aus der Brüsseler Kasse nur
Ganz drastisch ist die Ökobranche betroffen. Die Bio- verdeckt und nicht einmal ansatzweise kompensiert. Ge-
bauern müssen ab dem 1. Januar 2007 – dann kommt die nau das aber haben wir in unseren Anträgen gefordert,
Stunde der Wahrheit – auf rund 40 Prozent ihrer Förder- lieber Kollege.
mittel verzichten, und das, obwohl aufgrund der starken
Verbrauchernachfrage dringend neue Betriebe gebraucht (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jawohl!)
(B) (D)
würden. Die Betriebe können die kostspielige Umstel- Wir haben gefordert, die drastischen Verluste in diesem
lung auf die ökologische Bewirtschaftung aber nicht al- Bereich zu kompensieren.
lein bewältigen.
Ich danke Ihnen.
Frau Dött hat in der Umweltdebatte Tränen verdrückt.
Sie hat ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass die Situa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
tion von Importen nachwachsender Rohstoffe bestimmt
werden könnte. Genau das Gleiche gilt für die Ökopro- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
dukte: Die Bauern im Ausland können von der deut- Ich erteile das Wort dem Bundesminister Horst See-
schen Verbrauchernachfrage profitieren. Das kann doch hofer.
wohl nicht der Sinn deutscher Agrarpolitik sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Der Markt ist nicht wieder zurückzuho- Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,
len!) Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Genauso ist es bei der Biokraftstofferzeugung. Mit Herren! Was soll ich jetzt noch sagen?
der Besteuerung des Biokraftstoffs wurde dieser neue
Weg von Schwarz-Rot stillgelegt. Der Bundesverband (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
der Agrargewerblichen Wirtschaft hat gestern ganz deut- Die Lage in der Landwirtschaft ist gut. Ich bin zufrieden.
lich gesagt: Neue Produktionsanlagen konnten nicht Der Standort beim Verbraucherschutz ist hervorragend.
mehr in Betrieb gehen. In Zukunft unterliegt die ganze Ich bin zufrieden. Die Zusammenarbeit in den Koali-
Branche aufgrund des Beimischzwangs dem Monopol tionsfraktionen ist gut. Ich bin zufrieden.
der Ölkonzerne und liegt nicht mehr in den Händen des
ländlichen Mittelstands. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Leider glaubt das Ihnen keiner mehr!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Die Zusammenarbeit mit den Haushaltspolitikern und
der Haushalt selbst sind gut. Herr Bahr, lieber Herr
Viele Förderprogramme für den ländlichen Raum Schirmbeck, ich danke Ihnen. Ich bin zufrieden. Auch
werden ganz gestrichen oder nur noch mit gekürzten Ali- mit Ihnen, Herr Goldmann, bin ich zufrieden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6763
Bundesminister Horst Seehofer
(A) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Sie haben dreimal das Gleiche gesagt. Uns fällt ja auch (C)
wie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Mi- nicht jeden Tag etwas Neues ein, aber ein bisschen vari-
chael Goldmann [FDP]: Das wundert mich ieren sollte man schon.
aber! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt ist seine
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihnen fällt
Karriere beendet!)
gar nichts ein! Das ist das Problem!)
Der ganze Streit scheint nur darum zu gehen, dass die Jetzt komme ich dazu, warum ich mit der Lage der
Lage gut ist, wir eine zutreffende Analyse haben und Bauern, der Landwirtschaft zufrieden bin. Heute titelt
man sich fragt, wer für diese gute Lage verantwortlich die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“: Die Bauern er-
ist. warten steigende Gewinne. Betriebe in Niedersachsen
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Mit der haben wollen kräftig investieren. – Das gilt für die ganze Bun-
Sie nichts zu tun! Das wissen Sie auch!) desrepublik Deutschland. Aber wir dürfen uns in
Deutschland nicht freuen. Denn der Kommentar dazu
Dazu muss ich Ihnen sagen: Eine so komfortable Situa- lautet: Landwirte im Glück. Man kann sich in Deutsch-
tion habe ich in 25 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen land gar nicht mehr vorstellen, dass auch der Fleiß und
Bundestag noch nicht erlebt. das Können eines Berufstandes dazu führen, dass inves-
tiert wird und Gewinne geschrieben werden. Deshalb ist
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
der Kommentar falsch.
Die Lage ist gut. Das kann bis zum Ende der Legisla- (Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])
turperiode so bleiben.
– Nein, mir ist völlig egal, ob Sie das auf die Politik zu-
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rückführen. Wichtig ist, dass es stattfindet,
Aber nur, wenn Sie nicht weitermachen!)
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Der Kom-
– Ihr Kommentar ist schlecht. Doch so ist es mir lieber. mentar ist falsch!)
Denn wenn Ihr Kommentar gut wäre und die Lage
schlecht, dann müssten wir das ändern. weil die Bäuerinnen und Bauern eine ordentliche Leis-
tung erbracht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Ich sage Ihnen, Herr Goldmann, warum ich mit Ihnen Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann sind
zufrieden bin. Sie überflüssig!)
(B) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich freue mich Sie sprechen immer den Verbraucherschutz an. Ich (D)
immer, wenn Sie mich ernst nehmen!) kann Ihnen sagen: Wenn ich in Europa unterwegs bin,
stelle ich fest, dass uns meine Kollegen aus allen ande-
– Ich meine das gar nicht ironisch. ren Ländern um den Standort beneiden, den wir in allen
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Sektoren – vom Umweltschutz bis zum Tierschutz, vom
Hans-Michael Goldmann [FDP]: Glaube ich Bodenschutz bis zum Gewässerschutz – in Deutschland
nicht!) erreicht haben.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber nicht
Ihre Rede hatte jetzt zum dritten Mal hintereinander den durch Ihre Politik!)
gleichen Inhalt. Ich habe mir das vorher aufgeschrieben.
Sie haben gesagt: Gammelfleisch, Schweinehaltung, Wir freuen uns darüber, dass dazu bereits unsere Vorgän-
Wein, VIG, Tabakwerbeverbot und die Mehrwertsteuer- gerregierungen, aber auch wir selbst unter Helmut Kohl
erhöhung. Das habe ich jetzt schon dreimal gehört. beigetragen haben und dass wir auch jetzt wieder daran
mitwirken.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die Pro-
bleme haben Sie alle nicht gelöst!) (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Na ja! Aber nicht gerade viel!)
Deshalb glaube ich, dass ich keine parlamentarische Ver-
pflichtung habe, noch einmal darauf einzugehen. Sie be- Das ist ein Anlass zur Freude. Deshalb bin ich mit dem
kommen von mir die Antworten aus meiner letzten Rede Verbraucherschutz sehr zufrieden.
zu den Punkten, die Sie angeführt haben. Das ist auch (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
das Gleiche. NEN]: Sie sind aber schon mit sehr wenig zu-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie können frieden! – Zuruf von der FDP: Und was war
nicht einmal zuhören! Erbschaftsteuer haben mit dem Gammelfleisch?)
Sie vergessen!) – Zum Thema Gammelfleisch kann ich Ihnen nur sagen:
– Sie müssten einmal eine neue Rede halten, dann würde Das ist inzwischen wirklich ein abgenagter Knochen.
ich auch wieder zuhören. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sieht Ihr
Kollege in Bayern das auch so?)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD – Hans-Michael Goldmann Ich habe mich in der Vergangenheit oft genug kritisch zu
[FDP]: Dann wären Sie nicht zufrieden!) diesem Thema geäußert.
6764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Horst Seehofer


(A) Der zuletzt bekannt gewordene Fall wurde in Bayern – Ich lade Sie schon heute zur nächsten Internationalen (C)
aufgedeckt. Grünen Woche ein. Dann werden Sie die Reaktion der
dort versammelten 5 000 Bauern erleben.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, genau!
Aus Bayern! Es ist fast immer Bayern! Ist Ih- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
nen das denn noch nie aufgefallen?)
Nun zum Bürokratieabbau. Wir haben zwölf Bun-
– Nein, Herr Goldmann. Wir sollten fair bleiben. Wenn desgesetze und exakt 53 Rechtsverordnungen abge-
die Ursache für einen solchen Vorfall meiner Meinung schafft.
nach in falschen Strukturen oder in Fehlverhalten liegen
würde, dann würde ich das sagen, egal ob er im Norden (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nennen Sie
oder im Süden des Landes geschehen ist. doch mal eine!)

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo ist es – Das mache ich gleich. – Zum Beispiel haben wir einen
denn diesmal wieder passiert?) BSE-Test
In diesem Fall hat jemand die Behörden mit großer Ener- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, genau!
gie getäuscht Den haben Sie abgeschafft! Ich lache mich
tot!)
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Mit kriminel-
ler Energie!) – nein –, der in Deutschland viele Jahre lang angewandt
wurde und weit über das EU-Recht hinausging, eins zu
und auf eindeutige Fragen falsche Antworten gegeben. eins an das europäische Recht angeglichen.
Er wurde ausdrücklich gefragt: Haben Sie weitere Kühl-
häuser, in denen sich Fleisch befindet? Seine Antwort (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
lautete Nein. Das von ihm verschwiegene Kühlhaus war neten der SPD – Hans-Michael Goldmann
sogar mit Möbeln und Gerätschaften zugestellt. Es war [FDP]: Ja! Weil wir das immer wieder von Ih-
eine große Anstrengung erforderlich, um die Behörden nen gefordert haben!)
so zu täuschen.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu den Cross-Compliance-
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja! Und kri- Kontrollen, den Kontrollen der Landwirte im Hinblick
minelle Energie!) auf die Einhaltung von EU-Standards. Der Präsident des
Deutschen Bauernverbandes hat sich bei mir für die Ent-
Trotz aller parlamentarischer Auseinandersetzungen lastungen und die Entbürokratisierung bedankt,
dürfen wir eines allerdings nicht tun: die Schuld dafür,
(B) dass jemand solche Energie aufbringt, um die Behörden (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh! Das ist (D)
zu betrügen und zu täuschen, auf den Schultern der Poli- ja ein Ding!)
tik abladen und sie dafür verantwortlich machen.
für die wir in den letzten Monaten gesorgt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habe ich (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Komisch!
auch nicht getan!) Das hat er uns vorgestern nicht gesagt!)

Ich weise Sie darauf hin: Das, was wir im Hinblick Zum Beispiel haben wir die Regelungen geschaffen,
auf die deutsche Weinwirtschaft unternommen haben dass niemand wegen einer Bagatelle bestraft, sondern
– die Stichworte lauten: Reinheitsgebot; „Kodex für dass er beraten wird, dass die Kontrollen angekündigt
Wein“ und Prädikatswein –, werden

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eine Bauch- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das war so-
landung!) wieso falsch!)
wird auch auf europäischer Ebene zur Grundlage ge- und dass Flaschenhalskontrollen durchgeführt werden
macht. dürfen. Es reicht nämlich aus, wenn Milch in der Molke-
rei überprüft wird. Wenn sie in der Molkerei in Ordnung
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach, hören ist, dann war sie nämlich auch im Stall in Ordnung.
Sie doch auf! Es wird doch kein Reinheitsge- Denn das biblische Wunder, dass die Milch im Stall
bot für Wein geben!) nicht in Ordnung ist, dass sie aber in der Molkerei in
Gestern habe ich mit meiner irischen Kollegin über die- Ordnung ist, ist noch nicht beschrieben worden. Dafür
ses Thema gesprochen. 20 Prozent des gesamten Markt- hat sich der Präsident des Bauernverbandes bedankt.
anteils werden Prädikats- bzw. Qualitätsweine sein, die (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tut er
unter das Reinheitsgebot oder unter den „Kodex für dauernd! Er ist ja auch ein Bayer!)
Wein“ fallen. Wir haben unsere Ankündigungen also
eingehalten. Herr Goldmann, die Entbürokratisierung im Bereich der
Cross-Compliance-Kontrollen wird ein Schwerpunkt un-
(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael serer EU-Ratspräsidentschaft sein.
Goldmann [FDP]: Ein Reinheitsgebot für
Wein? Das glauben Sie doch wohl selbst Ich möchte nicht, wie Sie es immer tun, nur in den
nicht!) Rückspiegel schauen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6765
Bundesminister Horst Seehofer
(A) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das haben Wir haben 50 Millionen Euro für die nachwachsenden (C)
Sie jetzt schon zehn Mal gesagt!) Rohstoffe vorgesehen.
Wer beim Autofahren in den Rückspiegel schaut, fährt (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nämlich gegen die Wand. Ich beschäftigte mich lieber NEN]: Warum machen Sie die Öko-Forschung
mit der Gegenwart und der Zukunft. Daher sage ich Ih- kaputt?)
nen: Dieser Haushalt hat ein Volumen von mehr als
80 Millionen Euro – dafür bedanke ich mich – und er – Ich mache nichts kaputt, ich kümmere mich um die
verfügt über eine gesunde Struktur. Die Zuschüsse an die Forschung. Das habe ich schon einmal so gemacht: mit
Landwirtschaftliche Sozialversicherung betragen dem Bundesgesundheitsamt.
3,7 Milliarden Euro. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist Ihr
Wissen Sie, was die Bauern dazu sagen? Sie bedan- Problem: Sie sind geistig immer noch im Bun-
ken sich dafür, dass die Koalition bei der Bezuschussung desgesundheitsamt!)
ihrer Sozialversicherung wieder für Stabilität und Ver- Ich möchte, dass wir schlagkräftige Forschungseinrich-
lässlichkeit gesorgt hat. tungen bekommen, die in Deutschland und weltweit Re-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Seeho- putation haben. Das wird das Ergebnis sein.
fer, das ist falsch, was Sie da sagen! Das wis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sen Sie doch!) neten der SPD)
Das ist die Reaktion der Landwirte. Deshalb sage ich: Ich bin mit dem Haushalt zufrieden.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Auch das Wir werden auf diesem Weg weitergehen. Wir haben,
haben Sie schon mehrfach gesagt!) Peter Bleser und lieber Herr Kelber, in diesen zwölf Mo-
naten alles erfüllt, was wir uns vorgenommen hatten.
Liebe Frau Höfken, als ich mein Amt antrat, habe ich
erfahren, dass den Bauern 200 Millionen Euro zugesagt Wir haben noch einige große Werkstücke auf der
worden sind. Tatsächlich standen für ihre Unfallversi- Werkbank. Das eine ist die Gentechnik; ich spreche sie
cherung allerdings nur 100 Millionen Euro zur Verfü- von mir aus an. Wir werden die Gentechnikgesetzge-
gung. Diesen Zustand haben wir sofort bereinigt und da- bung so reformieren, dass wir insbesondere in der For-
für gesorgt, dass für diesen Bereich, wie zugesagt, schung die Chancen ergreifen können, die sich auf die-
200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. sem Feld längerfristig ergeben können.

(B) (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist Verläss- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und in der (D)
lichkeit!) Anwendung?)

Es sind heuer 200 Millionen Euro und es werden auch Ich sage noch einmal: Es stellen sich viele Fragen bei
im nächsten Jahr 200 Millionen Euro sein. Das ist Ver- der Sicherheit und bei der Entwicklung.
lässlichkeit. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Auf ein-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mal!)
neten der SPD) Aber wir können diese Fragen nicht dadurch beantwor-
Die Mittel für die Verbraucherpolitik steigen auf ten, dass wir die Forschung in Deutschland nicht durch-
84 Millionen Euro. Das entspricht einer Erhöhung um führen. Wir werden morgen den Versuchsanbau in
6 Prozent. Gatersleben genehmigen. Denn wenn sich ein hoch ent-
wickeltes Volk in Fragen der Sicherheit und Entwick-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat lung künstlich unwissend hielte, das würde ich für eine
Herr Bleser auch schon gesagt!) unverantwortliche Politik halten.
Es ist heute schon darauf hingewiesen worden, dass Zah- (Beifall bei der CDU/CSU)
len der Ausdruck von Politik sind. Die Mittel für die
Verbraucherpolitik werden also nicht zurückgefahren, Deshalb hoffe ich, dass wir uns in der Koalition auf sau-
sondern aufgestockt: 6 Prozent Steigerung trotz der bere Regeln, wie die Forschung voranschreiten soll, ver-
schwierigen Gesamtlage des Haushaltes. Wir reformie- ständigen. Bei der ökonomischen Anwendung ist es, was
ren unsere Forschungsanstalten und machen sie schlag- die Haftung und was die Feldabstände betrifft, ein gan-
kräftig: 54 Millionen Euro, das sind knapp 50 Prozent zes Stück schwieriger. Aber auch darüber werden wir in
mehr für die Forschung als zuvor. Forschung, sagt die der Koalition in den nächsten Wochen vernünftige Ge-
FDP doch immer, ist Zukunft. spräche führen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da bin ich Wir werden einen Entwicklungsschub der ländli-
dafür!) chen Räume auslösen, indem wir den Dialog über die
Zukunft der ländlichen Räume fortführen.
Also ist in diesem Haushalt eine ganze Menge Zukunft.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habe
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Insgesamt ich gesehen, wie Sie den Dialog mit den Bay-
kürzen Sie!) ern geführt haben!)
6766 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Bundesminister Horst Seehofer


(A) Wir nehmen uns dafür einige Monate Zeit, weil wir erst Das Schlimmste, was man Minister Seehofer vorwerfen (C)
die Ziele formulieren und dann die Mittel bereitstellen muss, ist der andauernde Zickzackkurs seiner Politik,
wollen für den ländlichen Raum. Aber wichtig ist, dass und das auch noch in den berühmten Trippelschritten;
wir unser Land nicht mit Metropolregionen alleine in die das müssen Sie sich vorstellen! Wenn der Herr Minister
Zukunft führen wollen, sondern auch mit den ländlichen zufrieden ist, sind das die Landwirte noch lange nicht.
Regionen. Alle aktuellen Probleme wurden langwierig debattiert:
Vogelgrippe, Gammelfleisch, alles das, was eben ge-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nannt wurde. Für einen Großteil sind, wie von Kollege
neten der SPD) Goldmann angesprochen, klare Lösungen nicht gefun-
Wir sind relativ weit bei der Reform der Landwirt- den und wirksame Entscheidungen nicht getroffen wor-
schaftlichen Sozialversicherung. den.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sind Sie (Beifall bei der FDP)


nicht!) Von der großen Koalition hatten die Landwirte und Ver-
Ein Kernproblem ist allerdings noch zu lösen – das ist braucher erwartet, dass endlich die wichtigsten Weichen
der Grund für die Verzögerung, nicht die Reform der auf nachhaltig sicheren Schwellen in die richtige Rich-
Strukturen oder der Ausgaben –: Wie es gelingt, dieses tung gestellt werden. Nichts Derartiges ist geschehen.
System von der Umlagefinanzierung zur Kapitaldeckung Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu-
zu überführen. Das ist eine rein versicherungsmathema- nächst etwas zu der berühmten Eckpunkteregelung für
tische Frage. Ich kann heute hier nicht versprechen, ob Erntehelfer sagen.
es gelingt. Aber diese große Aufgabe verdient es, dass
man sich ernsthaft mit ihr auseinander setzt. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Tja!)
Die Regelung war ein Flop. Sie hat den deutschen Ar-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: beitslosen nichts gebracht und den landwirtschaftlichen
Herr Minister, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Betrieben geschadet.
(Beifall bei der FDP)
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Die FDP-Fraktion hat die Regelung von Beginn des Jah-
Wir werden die nachwachsenden Rohstoffe und alles, res an für falsch gehalten. Ich selbst habe dies vor fünf
was damit zusammenhängt, massiv weiter befördern: Bio- Wochen hier wiederholt. Dafür wurde ich von den Red-
nerinnen und Rednern aller anderen Fraktionen ange-
(B) kraftstoffe, Biomasse und Bioenergie. (D)
prangert. Nur zwei Wochen später bestätigte Staatssekre-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tär Müller im Agrarausschuss meine Analyse voll und
NEN]: Darum haben Sie sie besteuert!) ganz. Herzlichen Dank.
Wir werden bei der EU-Ratspräsidentschaft, die wir am (Beifall bei der FDP – Hans-Michael Gold-
1. Januar übernehmen, auf diese Ziele hinarbeiten. mann [FDP]: Die CDU/CSU-Leute auch! – Ge-
genruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Nein,
Ich kann nur sagen: Herr Goldmann, das war ein rela- das war nur der Müller!)
tiv angenehmer Abend heute. Ich hoffe, dass es das
nächste Mal wieder unterhaltsamer wird. Das ist Ihre Zickzackpolitik. Daraus ableitend sage
ich Ihnen: Genau in den Bereichen, in denen Sie von An-
Herzlichen Dank. fang an auf die FDP gehört haben, lagen Sie richtig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP)
Die FDP-Fraktion hat heute nicht ohne Grund einen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Entschließungsantrag zum Einzelplan 10 vorgelegt,
Ich erteile das Wort Kollegen Edmund Geisen, FDP- durch den die soziale Sicherung der landwirtschaftlichen
Fraktion. Bevölkerung langfristig auf gesunde Beine gestellt
(Beifall bei der FDP) würde. Nach intensiven Gesprächen mit allen Beteilig-
ten plädieren wir übrigens schon lange für das Kapital-
deckungsverfahren.
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Seeho-
Herren! Lassen Sie mich zunächst feststellen, dass im fer jetzt ja auch!)
ersten Regierungsjahr der großen Koalition mit Minister Wir von der FDP setzen uns für einen nachhaltigen Um-
Seehofer im Ressort Ernährung, Landwirtschaft und gang mit Steuergeldern ein
Verbraucherschutz nichts Zukunftsweisendes passiert
ist. Alles erfüllt, sagte eben der Herr Minister. Ich sage: (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)
Niemand hat’s gemerkt.
und wir wollen weg von den stetigen und alljährlichen
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Gustav Verunsicherungen der Landwirte durch die Haushaltsde-
Herzog [SPD]: Wo leben Sie denn?) batte. Wir erwarten langfristige Zukunftsperspektiven.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6767
Dr. Edmund Peter Geisen
(A) Herr Minister, ich gebe es zu: Das Schwierigste an (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ulrike (C)
unserer Arbeit ist, dass wir nach einem Jahr Opposition Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ul-
noch immer nicht wissen, was Sie eigentlich wollen. rich Kelber [SPD]: Landesaufgabe! – Gustav
Herzog [SPD]: Informieren Sie sich in
(Beifall bei der FDP) Mainz!)
Bekennen Sie Farbe! Leiten Sie jetzt den Umstieg der
Landwirtschaftlichen Unfallversicherung in ein kapital- Abschließend darf ich Sie noch bitten, während der
gedecktes Verfahren ein. Ich hoffe, Sie bekommen die kommenden EU-Ratspräsidentschaft dafür zu sorgen,
Koalitionspartner an einen Tisch. Der Zeitpunkt ist übri- dass innerhalb der EU gleiche Wettbewerbsbedingungen
gens ideal. für Landwirte herrschen. Ergreifen Sie die Initiative, um
Ungleichheit bei der Besteuerung von Dieselkraftstoff
Voraussetzung ist die Übernahme der Altrenten durch zu beseitigen! Setzen Sie sich endlich für die Eins-zu-
den Bund. Diese Altbestände können noch mit den bis- eins-Umsetzung der EU-Richtlinien und – zu guter Letzt –
lang benötigten Bundesmitteln und den verfügbaren Fi- auch für eine EU- bzw. weltweit vergleichbare Qualitäts-
nanzreserven – wie zum Beispiel Forderungsverzichte sicherung im Sinne unserer Verbraucher ein!
und Veräußerungserlöse – finanziert werden. Da keine
neuen Renten zu dem Altrentenbestand hinzukommen, Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.
erfolgt ein zügiger Abbau. Der Bundeshaushalt – und (Beifall bei der FDP)
damit der Steuerzahler – wird mittelfristig entlastet.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Hört! Hört!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Damit wäre der Einstieg in den Ausstieg des Bundes Ich erteile das Wort Kollegen Manfred Zöllmer, SPD-
endlich geschafft. Fraktion.
(Beifall bei der FDP) (Ulrich Kelber [SPD]: Er hat uns etwas mitzutei-
len! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Gib’s ihm!)
Die Alternative kennen Sie: Spätestens ab 2008 wür-
den den Landwirten drastische Beitragserhöhungen dro-
hen. Herr Minister, Sie haben ja schon durchblicken las- Manfred Zöllmer (SPD):
sen, dass Sie die für 2007 schon halbierten Bundesmittel Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
von 100 Millionen Euro 2008 eventuell ganz streichen Kollegen! Ich würde es der Opposition gerne geben. Ich
wollen. hatte einen Zettel vor mir liegen, um mir Notizen zu ma-
Noch etwas zum Thema Sozialversicherung. Von ei- chen. Dieser Zettel ist immer noch leer. Ich habe keinen
(B) einzigen neuen, originellen Gedanken gehört. (D)
nem profilierten Gesundheitspolitiker wie Minister See-
hofer hätten wir erwartet, dass er sich wenigstens bei der (Beifall bei der SPD – Peter Bleser [CDU/CSU]:
Gesundheitsreform für seine Klientel, die Landwirte, Ich habe auch nichts aufgeschrieben!)
einsetzen würde.
Ein Jahr große Koalition bedeutet auch ein Jahr ge-
(Ulrich Kelber [SPD]: Wir machen keine Kli- meinsame Verbraucherpolitik.
entelpolitik!)
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist die
Doch auch hier Fehlanzeige. Wenn die Landwirtschaftli-
Arroganz der Macht, die auch in den Beratun-
che Krankenkasse ab 2009 wie geplant nicht an versi-
gen im Ausschuss immer wieder deutlich
cherungsfremden Leistungen partizipieren darf,
wird!)
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das interes-
siert ihn doch nicht!) Vieles von dem, was in der vergangenen Legislatur-
periode nicht zu vereinbaren war und bei dem es in Bun-
dann heißt das nichts anderes, als dass die Kinder von destag und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten und
Landwirten im Gegensatz zu den Kindern von anderen damit eine Blockade gab, konnte nunmehr auf den Weg
gesetzlich Versicherten nicht mehr beitragsfrei mitversi- gebracht werden, sei es das Verbraucherinformationsge-
chert werden. Das nennen Sie zukunftsorientierte Agrar- setz oder die Novellierung des Telekommunikationsge-
politik? setzes. Ein Jahr große Koalition bedeutet damit neuen
Schwung in der Verbraucherpolitik und dies ist gut für
(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]:
die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land.
Das stimmt doch überhaupt nicht! – Gustav
Herzog [SPD]: Das ist doch Quatsch!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Sehr geehrter Herr Minister, meine Damen und Her- der CDU/CSU)
ren, eines noch zur Ressortforschung. Sie wollen für die Der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung,
Ressortforschung wesentlich mehr Mittel einsetzen. Ich Landwirtschaft und Verbraucherschutz unterstreicht die
sage Ihnen: Zukunftspolitik liegt nicht darin, dass Sie Bedeutung der Verbraucherpolitik für diese Bundesre-
ohne weiteres bewährte Forschungsstandorte wegratio- gierung.
nalisieren. Ich bitte Sie hier eindringlich: Lassen Sie die
bewährte Weinbauforschung an dem geeigneten Standort (Beifall des Abg. Ernst Bahr [Neuruppin]
in Bernkastel-Kues. [SPD])
6768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Manfred Zöllmer
(A) Trotz aller weiteren Konsolidierungsanstrengungen im Wir wissen, dass wir als Verbraucherpolitiker in vie- (C)
Bundeshaushalt kann das bisherige Niveau noch erhöht len Bereichen nicht federführend sind. Aber wir erwar-
werden. ten, dass verbraucherpolitische Fragestellungen bei allen
relevanten Gesetzgebungsmaßnahmen Berücksichtigung
Die Verbraucherpolitik gehört zu den zentralen finden.
Politikbereichen, und zwar zu Recht, weil Verbraucher-
politik die gesamte Bevölkerung in unserem Land be- Das klassische Spamming – also die unverlangten
trifft. Ob es um die Strompreise, die Telekommunikation E-Mails – werden wir im neuen Telemediengesetz buß-
oder die Lebensmittelsicherheit geht: Verbraucherpolitik geldbewehren. Natürlich wissen wir, dass es sich hier
ist vielfältig. Sie ist eine aktive und konkrete Politik für nicht allein um ein nationales Problem handelt. Aber mit
die Menschen. der neuen gesetzlichen Regelung machen wir deutlich:
Spamming belästigt die Verbraucherinnen und Verbrau-
Im ersten Halbjahr 2007 übernimmt Deutschland für cher und schädigt nachhaltig die Wirtschaft. Das werden
sechs Monate die Ratspräsidentschaft in der EU. Damit wir nicht hinnehmen.
liegen große Herausforderungen vor uns.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Möglichkeiten, die der europäische Binnenmarkt
bietet, müssen für die Verbraucherinnen und Verbrau- Wir beraten im Moment über den Entwurf eines
cher attraktiv sein. Wir brauchen transparente und ver- Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in
ständliche Regelungen. Die notwendige Harmonisierung der Informationsgesellschaft. Dieses Gesetz muss einen
muss von einem gleichmäßigen und hohen Verbraucher- fairen Interessenausgleich zwischen den Urhebern und
schutzniveau ausgehen. Bessere nationale Standards den Nutzern bewirken. Auch Nutzer haben Rechte. Sie
müssen dabei erhalten bleiben. müssen die Möglichkeit haben, sich gegen kundenfeind-
liche Praktiken der Anbieter zu wehren. Dies gilt zum
Wir begrüßen daher die Initiative von Minister Seeho- Beispiel für die Durchsetzbarkeit des Rechts auf eine
fer, die deutsche Ratspräsidentschaft im Sinne der euro- Privatkopie. Kopierschutzsysteme, die Sicherheits- und
päischen Verbraucher zu nutzen. Ich halte es für richtig, Datenschutzrisiken verursachen, können wir nicht ak-
wenn hierbei die besondere Aufmerksamkeit des Minis- zeptieren. Auch die Wiedereinführung einer Bagatell-
ters dem digitalen Verbraucherschutz gilt. klausel wäre meines Erachtens sinnvoll. Sie würde die
Nicht zuletzt durch das Internet mit seinen weltweiten Akzeptanz des Urheberrechts deutlich erhöhen. Die
Einkaufsmöglichkeiten stehen wir vor neuen Herausfor- Schulhöfe sollten nicht kriminalisiert werden, hieß es ur-
derungen. Fragen wie die Sicherheit im Netz und die sprünglich in der Begründung des Referentenentwurfs.
Harmonisierung von Vorschriften müssen im deutschen Diese Begründung ist nach wie vor richtig.
(B) Interesse auf europäischer Ebene angegangen werden. (D)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ein Jahr ist vergangen und einige Hausaufgaben im Noch ein Wort zu den hohen Strom- und Gasprei-
Bereich Verbraucherpolitik haben wir erledigt. Vieles sen, über die sich die Verbraucherinnen und Verbraucher
liegt jedoch noch vor uns. Einiges will ich kurz anspre- in Deutschland berechtigterweise erregen. Wir werden
chen. sinkende Preise in diesen Bereichen nur über einen funk-
Diese Woche haben sich die Regierungsfraktionen auf tionierenden Wettbewerb erreichen.
das neue Telekommunikationsgesetz geeinigt. Darin fin- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
det sich eine Reihe von Regelungen, die für mehr Trans-
parenz, die Möglichkeit der Kostenkontrolle, aber auch Dies gilt für die Anbieter, aber auch für die Nachfrage-
besseren Jugendschutz sorgen. Dies bedeutet erhebliche seite. Deshalb wurden neben der Umsetzung der Reform
Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbrau- des Energiewirtschaftsrechts eine Netzanschlussverord-
cher in diesem wichtigen Bereich. nung sowie ein neues Gasnetzzugangsmodell verab-
schiedet. Der Wettbewerb bei der Energieerzeugung
Trotz dieser Fortschritte sind wir im Bereich Tele- wird mit der Netzanschlussverordnung verbessert, genau
kommunikation derzeit leider erneut mit einem sehr un- wie die Effizienz der kartellrechtlichen Missbrauchsauf-
erfreulichen Phänomen konfrontiert: den unverlangten sicht. Wir begrüßen besonders, dass bei der Bundesnetz-
und belästigenden Werbeanrufen. Diese sind bereits agentur die Stelle eines Verbraucheranwalts – auf Eng-
jetzt durch das UWG verboten. Ich will, dass wir das Te- lisch: consumer watchdog – eingerichtet werden soll, der
lefonspamming energisch bekämpfen. die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wahrnehmen wird. Bei allen Diskussionen über die
Preise dürfen wir die Versorgungssicherheit nicht aus
Das Verbot darf kein zahnloser Tiger bleiben. Der Tiger den Augen verlieren. Wir brauchen politische Rahmen-
muss ein funktionsfähiges Gebiss bekommen. Mir ist bedingungen, die beides sicherstellen. Es gibt bereits Er-
egal, in welchem Gesetz wir das regeln. Dafür kommt folge: Die Energiepreise beginnen in bestimmten Berei-
das Telemediengesetz genauso infrage wie das UWG. chen zu sinken.
Außerhalb einer Kundenbeziehung sind derartige Wer-
beanrufe nicht hinnehmbar. Die Verbraucherrechte werden ausgebaut. Verbrau-
cherpolitik als Querschnittsaufgabe bleibt eine dauernde
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aufgabe. Dies gilt für das Versicherungsvertragsrecht
der CDU/CSU) und das Wohnungseigentumsgesetz genauso wie für das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6769
Manfred Zöllmer
(A) TKG, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Eine was nicht sein darf. Wenn Sie so weitermachen, werden (C)
aktiv betriebene Verbraucherpolitik ist Politik für die Sie am Ende mit dem Landwirtschaftsabbau in Deutsch-
Menschen in diesem Land. Die große Koalition macht land sogar Erfolg haben. Ihrer Regierungspolitik haben
dies zu ihrer Aufgabe und hat damit Erfolg. wir es zu verdanken, dass die Förderung von Ökobetrie-
ben ab 2007 durch EU-, Bundes- und Landeshaushalte
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. um circa 40 Prozent gekürzt wird.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vielleicht würde es mir leichter fallen, die Zerschla-
gung weiter Teile der Ressortforschung zu verstehen,
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wenn Sie diese im Dienste der Haushaltskonsolidierung
Nun hat Kollegin Cornelia Behm, Bündnis 90/Die betreiben müssten. Aber dem ist nicht so. Von Einspar-
Grünen, das Wort. verpflichtungen steht in Ihrem Konzept überhaupt
nichts. Tatsächlich gibt es im Jahr 2007 für die Förde-
rung von Innovationen im Bereich Ernährung, Landwirt-
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
schaft und Verbraucherschutz und bei den Forschungs-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und anstalten einen bemerkenswerten Aufwuchs von
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich muss Sie in immerhin gut 40 Millionen Euro. Es fällt aber schwer,
Ihrer Zufriedenheit noch einmal stören, so Leid es mir diesen Aufwuchs zu bejubeln; denn es kommt entschei-
tut. Die Union setzt bei der Ressortforschung nahtlos dend darauf an, was man mit diesem Geld macht. Für die
dort wieder an, wo sie 1998 aufgehört hat: Stellen strei- FNR gibt es beispielsweise keinen Zuschlag.
chen sowie Institute und Standorte schließen. Bereits
1996 beschloss der damalige Landwirtschaftsminister, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
mehr als ein Viertel der 3 500 Stellen abzubauen und die NEN]: Aha!)
Hälfte der Ressortforschungseinrichtungen zu schließen. Während Sie das Institut für ökologischen Landbau
Nun setzen Sie, Herr Minister, zu einem neuen Wurf an. schließen, wollen Sie mit den zusätzlichen Mitteln vor
Weitere 450 Stellen sollen gestrichen und die Anzahl der allem die Agrogentechnik fördern.
Institute und Standorte soll erneut halbiert werden. Die
Kahlschlagpolitik, die Sie mit Ihrer Regierungsüber- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nahme bei den ländlichen Räumen begonnen haben NEN]: Da schau her!)
– Stichwort „GAK“ –, setzen Sie nun bei der Agrarfor-
Dabei geht es Ihnen nicht um Sicherheitsforschung, die
schung fort.
wir Grüne für richtig und vor allen Dingen nötig halten,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ sondern um – ich zitiere – die Verbesserung der Eigen-
(B) DIE GRÜNEN und der FDP) schaften der Kulturpflanzen und damit um die Entwick- (D)
lung transgener Pflanzen selbst.
Diese Politik ist hochgradig innovationsfeindlich; denn
wir werden angesichts des Klimawandels nichts so sehr (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
brauchen wie die Agrarforschung. Die die Verbraucher nicht wollen!)
Was Sie mit Ihrem Haushalt und der Umstrukturie- Das ist nicht Aufgabe des Bundes. Nein, das ist Vernich-
rung der Ressortforschung betreiben, ist zudem zutiefst tung von Geldmitteln, da die Agrogentechnik bekannt-
ideologisch: der Ausstieg aus der Agrarwende wider lich in Deutschland keine Akzeptanz findet und daher
besseres Wissen. Denn der vor wenigen Wochen an die- hier kaum zur Anwendung kommen wird. Die Wirt-
ser Stelle diskutierte Agrarpolitische Bericht 2006 der schaft leidet sogar unter der Agrogentechnik. Denken
Bundesregierung zeigt, wie erfolgreich die rot-grüne Sie beispielsweise – das haben wir uns gerade sagen las-
Agrarpolitik tatsächlich war. Ich erspare Ihnen die Zah- sen – an die 10 Millionen Euro für den Genreis.
len. Das ist heute mehrfach besprochen worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genauso wenig wie ich einen Sparzwang als Hinter-
Aber zurück zur Ressortforschung. Exemplarisch grund erkennen kann, kann ich einen wissenschaftlichen
möchte ich auf die geplanten Schließungen der Institute Mehrwert bei Ihrem so genannten Konzept für eine zu-
für ökologischen Landbau in Trenthorst und für Pflan- kunftsfähige Ressortforschung erkennen. Infolge des ra-
zenschutz im Weinbau in Bernkastel-Kues zu sprechen dikalen Umbaus, der kaum einen Stein auf dem anderen
kommen. Diese fachlich in keiner Weise begründeten lässt, wird in vielen Einrichtungen in den nächsten Jah-
Schließungen ignorieren die gestiegene Bedeutung des ren wenig geforscht, aber dafür umso mehr geplant, or-
ökologischen Landbaus, den daraus erwachsenden For- ganisiert und protestiert werden. Dadurch werden viel
schungsbedarf und die weltweit hohe Reputation, die Kraft und Arbeitszeit für die Forschung verloren gehen.
sich die Wissenschaftler dort erarbeitet haben. Das negative Urteil der nächsten Evaluation der Ressort-
forschung durch den Wissenschaftsrat ist damit de facto
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vorgezeichnet. Das wiederum wird dann – soviel lässt
sich bereits heute vorhersagen – der nächste amtierende
Herr Minister, wollen Sie es denn aus purer Ideologie Unionsagrarminister zum Anlass nehmen, die Axt erneut
immer noch nicht wahrhaben, dass der ökologische An- an die Ressortforschung zu legen.
bau einer der wenigen großen Wachstumszweige der
deutschen Landwirtschaft ist? Der Biomarkt boomt. Sie (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Also sind Sie si-
aber handeln nach dem Prinzip, dass nicht sein kann, cher, dass wir das Ressort behalten!)
6770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Cornelia Behm
(A) Herr Minister, ich bitte Sie, durchbrechen Sie diese Tra- Das ist die Zielausrichtung des gesamten Konzeptes. Ich (C)
ditionslinie! Werden Sie nicht zum Totengräber der glaube, auch in dem Zusammenhang werden wir erfolg-
Agrarforschung, sondern gehen Sie auf die Bremse. reich sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eines kann ich Ihnen sagen: Auch für uns als SPD in-
Noch ist es Zeit, ein wirklich zukunftsfähiges Ressort- nerhalb der Koalition ist der Bereich der Forschung im
forschungskonzept zu erarbeiten. Ökolandbau ein besonderes Anliegen. Das vorgestellte
Konzept ist in der Diskussion gestaltbar. Niemand hat
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesagt, dass es endgültige Festlegungen gibt. Ich glaube,
dass es auch dort gelingen wird, eine vernünftige, tragfä-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hige Lösung zu finden.
Ich erteile das Wort Kollegen Wilhelm Priesmeier, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
SPD-Fraktion.
Aber jetzt zum Haushalt. Dieser Haushalt macht ge-
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): nau 1,93 Prozent des Gesamthaushaltes aus. Da könnte
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte man meinen, Agrarpolitik sei nicht mehr ganz so wich-
Kollegin Behm, ich hatte den Eindruck, Sie hätten den tig. Ich glaube aber, das Gegenteil ist der Fall. Das be-
Kranz für den Sarg für die Leiche Ressortforschung trifft auch den Verbraucherschutz. Wir leisten eine große
gleich mitgebracht. Aber ich sehe ihn nicht. Aufgabe im Bereich der agrarsozialen Sicherung. Die
Zahlen sind heute schon dargestellt worden. Der Bereich
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Unfallversicherung bereitet uns zunehmend Sorgen
Das will ich nicht!) und Kopfzerbrechen.
Ich glaube, Ihre Befürchtungen werden sich nicht be- In diesem Zusammenhang legt die FDP-Fraktion ei-
wahrheiten. Zumindest kann ich Ihnen für den Standort nen etwas wirren, meiner Einschätzung nach sehr unprä-
Bernkastel-Kues mitteilen, dass es gelingen wird – da- zisen Entschließungsantrag vor, dem ich kaum etwas ab-
von bin ich fest überzeugt –, gemeinsam mit dem Land gewinnen und dem man auch kaum zustimmen kann. In
Rheinland-Pfalz der Analyse sind einige Fakten richtig dargestellt, aber
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Alter Trick, eines fehlt natürlich: Wenn es darum geht, die alten Las-
was! – Weitere Zurufe des Abg. Hans-Michael ten zu beziffern, macht der Antrag überhaupt keine Aus-
Goldmann [FDP]) sage. Die alten Lasten betragen im Jahr 2006 exakt
410 Millionen Euro. Wenn man davon ausgeht, dass
(B) auch für diesen Standort im Sinne aller Beteiligten eine diese alten Lasten zügig abgebaut werden können: Herr (D)
tragfähige Lösung zu finden. Das Horrorszenario, das Geisen, wissen Sie, wie lange es dauert, bis wir auf die
Sie in Bezug auf die Agrarforschung vortragen, wird Größenordnung von 200 Millionen Euro kommen? Ha-
sich bei der nächsten Evaluierung der Agrarforschung in ben Sie eine Vorstellung? – Haben Sie nicht. Genauso
das Gegenteil verkehren. Ich glaube, das, was an Ansät- wenig hätten Sie den Antrag schreiben müssen. Das dau-
zen in diesem Konzept steckt, wird dazu führen, dass ert in etwa bis 2025.
sich die Qualität von Agrarforschung in Deutschland
wesentlich verbessern wird. Wer dann als Gegenfinanzierung für eine vermeintli-
che Umstrukturierung auf verfügbare Finanzreserven
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für
der CDU/CSU – Cornelia Behm [BÜND- Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ver-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ganz zarter An- weist, der muss das gefälligst auch präzisieren.
satz!)
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie wollt
Es ist an der Zeit, alte Strukturen zu hinterfragen und ihr das denn machen?)
unter Umständen neu auszurichten, um neue Impulse in
den Forschungsbereich zu bekommen. Wir müssen klar Sie haben eben zwei Worte gebraucht: Veräußerungs-
definieren, wohin wir uns im Bereich der Forschung be- erlöse und Forderungsverzicht. Was verstehen Sie darun-
wegen wollen. ter? Erläutern Sie mir bitte doch einmal, welche Ver-
kaufserlöse wir dort Ihrer Einschätzung nach einbringen
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sollten. Wir bringen bereits jetzt Veräußerungserlöse ein,
Davon ist da drin nichts zu lesen!) die sich aus Rückforderungen von Siedlungsdarlehen er-
Da ist zunächst einmal die Voraussetzung, eine Zielbe- geben. Die werden wir veräußern, wenn es notwendig
stimmung vorzunehmen. Denn es kann nicht sein, dass ist. Wenn der Betrag anderweitig erbracht werden kann,
man Forschung nicht den Gegebenheiten und Entwick- wird das natürlich nicht erforderlich sein.
lungen anpasst, vor denen wir stehen. Dabei ist das Kon-
Ich glaube aber, Ihre Vorstellungen sind bei der Grö-
zept so auszugestalten, dass die einzelnen Bereiche mehr
ßenordnung der Beträge, die zur Diskussion stehen,
Verantwortung haben, mehr Eigeninitiative einbringen
nicht tauglich. Das geringste Gebot war das vom Deut-
und damit auch zu besseren Ergebnissen kommen kön-
schen Bauernverband mit 785 Millionen Euro. Das
nen.
Gebot aus dem Bereich der privaten Versicherungswirt-
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schaft lag jenseits von 2,2 Milliarden Euro. Die Wahr-
Das wird nicht passieren!) heit dürfte sich irgendwo dazwischen bewegen, Herr
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6771
Dr. Wilhelm Priesmeier
(A) Geisen. Sie müssen in dem Antrag zunächst einmal klar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
darstellen, mit welchen Finanzreserven Sie diesen Be- der CDU/CSU)
reich gestalten wollen.
Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung bzw. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
die Koalition in absehbarer Zeit ein Konzept vorlegen Der Kollege Geisen hat um eine Kürzestintervention
wird, das mit Sicherheit auch eine Beteiligung des Be- gebeten.
rufsstandes vorsehen wird. Das wird erforderlich sein,
wenn man dort zu vernünftigen Lösungen kommen will. (Ulrich Kelber [SPD]: Aber nicht wieder be-
haupten, dass die Kinder nicht beitragsfrei ver-
Man kann sich aus der Veranstaltung nicht dauerhaft sichert sind! Das ist nämlich Quatsch!)
davonstehlen; vielmehr muss man seine Verantwortung
entsprechend wahrnehmen. Durch die Veränderung der Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Struktur gibt es unter Umständen die Möglichkeit, zu
gleichen Grundlagen für die Beitragsbemessung in Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich staune
Deutschland zu kommen und bestehende Ungleichge- eigentlich schon, dass einerseits Minister Seehofer und
wichte zu beseitigen. andererseits Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU
der Meinung sind, dass die Möglichkeit der Umstellung
(Beifall bei der SPD) auf das Kapitaldeckungsverfahren besteht. Herr
So viel zu diesem Bereich. Dr. Priesmeier, Sie sprechen sich nun eindeutig dagegen
aus; Sie geben dem keine Chance. Ich bin ferner über-
Was Sie machen – das gilt auch für die FDP, die zu rascht darüber, dass Sie der Meinung sind, dass schon in
diesem Haushaltsgesetz 18 Änderungsanträge einge- diesem Bereich des Umlageverfahrens Forderungsver-
bracht hat –, ist zum Teil Augenwischerei. Sie wollen zichte auf Siedlungsmittel eingesetzt werden. So jeden-
zum Beispiel, dass der Ansatz „Tiergerechte Haltungs- falls habe ich Sie eben verstanden. Können Sie mir das
verfahren“ gestrichen wird, obwohl die Mittel dafür be- etwas näher erläutern?
reits gekürzt worden sind. Wenn Sie diesen Ansatz strei-
chen wollen, frage ich Sie: Welche Bedeutung hat für Ich gebe Ihnen Recht: Es wird im Detail festzustellen
Sie der Tierschutz? Außerdem wollen Sie, dass von den sein, welches Volumen an Forderungsverzichten auf die
16 Millionen Euro für das Ökolandbauprogramm 14 Mil- alten Siedlungsmittel gerade aus dem Bereich der Land-
lionen Euro gestrichen werden. Ich verweise auf die wirtschaft noch zur Verfügung steht. Danach werde ich
Wichtigkeit dieses Bereichs. Gerade im Augenblick ist in zunehmendem Maße fragen.
der Ökolandbau in Deutschland profitabel; die Nach- Außerdem werde ich danach fragen, welche Möglich-
(B) frage nach Ökoprodukten entwickelt sich. Ich wäre Ih- keiten wir haben, Kapitalveräußerungen vorzunehmen, (D)
nen dankbar, wenn Sie die Richtigkeit Ihrer Forderung um das System umzustellen, ohne den Haushalt weiter
belegen könnten. zu belasten. Mittelfristig – in einem Zeitraum von
Die Mittel für die GAK möchten Sie um 50 Millionen 20 Jahren – nimmt der Finanzbedarf ab. Gefordert wird,
Euro kürzen. Ich würde von Ihnen hier gern erfahren, auf das System der Kapitaldeckung umzustellen. Ich
wie Ihr Verhältnis zur zweiten Säule ist. Ich wäre Ihnen sehe in einer solchen Umstellung eine ganz große
dankbar, wenn Sie dazu in Ihrer Kurzintervention gleich Chance. Ich möchte gerne wissen, warum Sie darin
Stellung beziehen würden. Wer die Umgestaltung der keine Chance sehen.
Gemeinsamen Agrarpolitik – sie war richtig; das wird (Beifall bei der FDP)
mittlerweile von allen anerkannt, auch von denen, die
am Anfang recht zögerlich waren – unterstützt, der er-
kennt, dass Agrarpolitik mit dem bloßen Verteilen von Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Prämien aus der ersten Säule dauerhaft nicht zu machen Kollege Priesmeier, bitte.
ist.
Um dauerhaft Agrarpolitik zu betreiben, bedarf es der Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
zweiten Säule. Aus diesem Grunde spreche ich mich da- Herr Kollege Geisen, dazu kann ich Ihnen zunächst
für aus, die zweite Säule durch die Stärkung zusätzlicher einmal sagen: Wenn Sie meinen Äußerungen entnom-
Haushaltsansätze weiterzuentwickeln, men haben, dass ich diese Option nicht ernsthaft in Er-
wägung ziehe, dann haben Sie mich missverstanden.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das musst Gerade im Ministerium gibt es, auch dank eines entspre-
du Frau Merkel sagen!) chenden Gutachtens, allergrößte Anstrengungen, erneut
ein neues Gesamtkonzept der Politik für den ländlichen zu prüfen, ob diese Möglichkeit besteht. Wenn wir die
Raum zu schaffen – so ist es geplant – und der GAK eine Zahlen auf dem Tisch haben – ich glaube, das Gutachten
neue Inhaltsbestimmung zu geben, damit auch der länd- ist fertig;
liche Raum zukunftsfähig bleibt. (Horst Seehofer, Bundesminister: Ja!)
Glauben Sie mir: Mit diesem Haushalt sind wir auf
dann wird es uns in den nächsten Tagen oder Wochen zu-
dem richtigen Wege und wir werden uns den Herausfor-
gehen –, können wir auf dieser dann neuen Grundlage
derungen der Zukunft auch haushaltspolitisch stellen.
– die alten Gutachten taugen ja nicht mehr – überlegen,
Ich danke Ihnen. welche Möglichkeiten der Gestaltung es gibt.
6772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) Wenn Sie hier einen solch unpräzisen Antrag auf den so hat es sich jetzt mehr als verdreifacht, nämlich auf (C)
Tisch legen, noch nicht einmal eine Größenordnung oder 14,4 Punkte. Auf der „Euro-Tier“ in Hannover meldete
Ross und Reiter nennen und nur von anonymen Finan- die DLG, dass bei 58 Prozent der Tierhalter Investitions-
zierungsquellen reden, die durch nichts belegt sind, dann absichten bestehen.
kann ich dem natürlich nicht folgen. Das war Inhalt mei-
ner Kritik. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir erleben eine Investitions-
welle in der Landwirtschaft und ich frage Sie: Ist das
nicht der beste Beweis dafür, dass die Politik dieser Bun-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: desregierung und dieses Bundesministers Seehofer ein
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Bleser, CDU/ großer Erfolg ist?
CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Peter Bleser (CDU/CSU): Eigenlob ist mir unangenehm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich
vor einem Jahr die jetzt folgenden Zahlen vorgetragen (Heiterkeit im ganzen Hause)
hätte, hätten Sie an meinem Verstand gezweifelt. Da die Opposition die Erfolge der letzten zwölf Monate
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht aufzählt, bleibt mir aber nichts anderes übrig, als
Dazu sagen wir jetzt besser nichts!) dies selbst zu tun. Allerdings ist meine Redezeit nur sehr
kurz.
Wir hatten im Oktober vor einem Jahr 471 000 Arbeits-
lose mehr. Wir haben heute 278 000 sozialversiche- (Heiterkeit)
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr. Wir
Herr Goldmann, wenn ich jetzt sehr schnell vortrage,
haben im laufenden Jahr 10 Milliarden Euro Schulden
bitte ich um Nachsicht. Ich gebe Ihnen nachher die Liste;
weniger und wir werden im nächsten Jahr
dann brauchen Sie es nicht mitzuschreiben.
18 Milliarden Euro Schulden weniger haben.
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit)
NEN]: Wir hätten doch besser jetzt wählen Zur Erinnerung also Folgendes: Gleich nach Regie-
sollen! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir rungsantritt haben wir die Zuckermarktordnung geregelt,
hatten auch eine höhere Entfernungspau-
schale!) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau! Ihr
(B) hättet uns fast gesteinigt, als wir den gleichen (D)
Meine Damen und Herren, endlich stimmen die Progno- Vorschlag gemacht haben!)
sen wieder, die aufgestellt werden; sie werden sogar
noch positiv übertroffen. danach den Gammelfleischskandal bestanden, ein Zehn-
Punkte-Programm aufgelegt, anschließend die Vogel-
(Beifall bei der CDU/CSU) grippe nach streng wissenschaftlichen Empfehlungen
Zwischen Ankündigung und Eintritt eines Ereignisses ist beherrscht,
wieder eine klare Linie erkennbar. Auch das ist etwas, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: In der
was wir mit großer Freude feststellen können. Gegend rumgetappst!)
Dies ist keine Folge von irgendwelchen Zufällen. Wir danach die Tierhaltungsverordnung für Hennen und
haben in diesem Haus in der Koalition in den letzten Schweine auf den Weg gebracht
Monaten eine Menge unangenehmer Entscheidungen
treffen müssen, wofür wir auch gescholten worden sind. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau!)
Deswegen haben wir einen Anspruch darauf, diesen Er-
folg für uns zu reklamieren. Es ist ein Erfolg der Bun- und Investitionssicherheit hergestellt, bei BSE das Test-
deskanzlerin Merkel und ein Erfolg dieser Koalition. alter auf EU-Standard angehoben, die Vorsteuerpau-
Darauf dürfen wir mit Recht Stolz sein. schale gerettet – mit 10,7 Prozent und 0,2 Prozentpunk-
ten Bonus als nachholende Entschädigung –,
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jetzt spricht
er von der zweiten Säule! – Ulrike Höfken (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mal die Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Koalition klatscht! – Gegenruf des Abg. Ulrich NEN]: Und dafür die Mehrwertsteuer erhöht!
Kelber [SPD]: Bei Selbstverständlichkeiten Das ist ein super Deal!)
klatschen wir nicht!) das Hufbeschlagsgesetz und ein Statistikbereinigungsge-
In der Agrarwirtschaft hat ein Stimmungsum- setz verabschiedet,
schwung stattgefunden, der seinesgleichen sucht. Stand (Zurufe von der FDP und der LINKEN: Oh!)
das Agrarkonjunkturbarometer noch im Dezember 2005
bei nur 4,2 Punkten, die Biotreibstoffbesteuerung
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und wie waren (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
eure Umfragewerte vor einem Jahr?) NEN]: Versaut!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6773
Peter Bleser
(A) so gestaltet, dass auch die reinen Biotreibstoffe eine wegen nehmen wir Maßnahmen zur Entbürokratisierung (C)
Chance haben. auf europäischer Ebene vor und wollen dafür sorgen,
dass das Instrument der Flächenstilllegungen abge-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und die
schafft wird. Deswegen wollen wir auch in der Milch-
Mittelständler aus dem Markt gejagt! Jawohl!
wirtschaft für mehr Marktwirtschaft sorgen
Wunderbar!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Michael
Ich sage auch hier: Wir müssen darauf achten, dass wir
Goldmann [FDP]: Endlich!)
die Überkompensationsprüfung rechtzeitig durchführen,
damit das nicht wegbricht. Aber auch da sind wir einer und unsere Betriebe auf die Abschaffung der Quotenre-
Meinung. Wir haben ein Verbot des Verkaufs von Le- gelung im Jahr 2015 vorbereiten. All das sind gute Maß-
bensmitteln unter Einstandspreis in den Eckpunkten fer- nahmen.
tig.
Deswegen müssen wir auch die Grüne Gentechnolo-
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh, das gie befördern. Dass wir in diesem Punkt noch nicht wei-
hilft!) ter sind, kann man bejammern. Aber bei einem so kom-
Wir haben ein Verbraucherinformationsgesetz verab- plexen Thema muss man solide vorgehen. Ich hoffe, es
schiedet und haben den Verbraucherschutz auch für den gelingt uns, in den nächsten Wochen eine entsprechende
grenzüberschreitenden Warenverkehr durchgesetzt. Wir Festlegung vorzunehmen. Eines möchte ich aber in die-
haben uns dafür eingesetzt, dass die Roaminggebühren sem Hause nicht mehr hören: das Wort „Nachbesse-
auf europäischer Ebene gesenkt werden. Wir werden in rung“. Auf dieses Instrument musste diese Koalition bis-
der nächsten Woche – der Kollege Zöllmer hat es schon her noch nicht zurückgreifen; so soll es auch bleiben.
angesprochen – beim Telekommunikationsgesetz einen (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Höfken
weiteren Durchbruch feststellen können. Zum Reinheits- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das
gebot des Weines haben wir eine Eilverordnung erlassen, mit der Gesundheitsreform?)
gemäß der das Versetzen von Prädikatsweinen mit Holz-
chips verboten ist. Das ist konkret angewandtes Rein- Wir müssen also die Sorgen, die diese Technologie aus-
heitsgebot. löst, ernst nehmen, aber auch die Chancen, die sich hier-
durch in der Zukunft bieten, wahrnehmen und im Inte-
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: resse der Beschäftigten umsetzen. Damit befördern wir
Genau!) insgesamt den Wohlstand.
All das haben wir gemacht. – Wenn Sie jetzt glauben, Wir müssen in den nächsten Monaten aber auch die
uns würde die Puste ausgehen, dann täuschen Sie sich. Nutzung von Industriegetreide zu Heizzwecken ermögli- (D)
(B)
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen
NEN]: Bei dir sieht das aber schon so aus! – (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann wer-
Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das war eine den die Preise noch mehr steigen! Da hast du
Drohung!) Recht!)
Wir haben uns gerade erst warm gelaufen. und die entsprechenden Entscheidungen treffen, wie im
Wir werden die Landwirtschaft in den nächsten Mo- Bundes-Immissionsschutzgesetz die Genehmigungsver-
naten zukunftsfest machen müssen. Dabei hilft uns – das fahren für Kälber- und Rinderställe ausgestaltet werden.
ist in der Tat wahr – die Marktsituation. Für die derzeit Aber auch da sind wir auf einem guten Weg. Ich bin sehr
gute Marktsituation gibt es aber auch eine Ursache: hoffnungsvoll, dass uns auch dies gelingen wird.
Weltweit bemühen sich derzeit Gott sei Dank viele Staa- Auf die Sozialversicherungen wurde hier schon mehr-
ten um eine Reduktion der CO2-Emissionen und legen fach eingegangen. Es ist, wie ich glaube, gut, dass wir
Anreizprogramme auf, die die Verwendung von Bio- hier wissenschaftlich vorgehen, die gewonnenen Zahlen
treibstoffen oder Energie aus nachwachsenden Rohstof- analysieren und dann entscheiden, ob eine Kapitalde-
fen fördern. Wir haben es erstmals in der Geschichte ckung möglich ist oder nicht. Es wäre in der Tat – da sind
erreicht, dass Energie- und Nahrungsmittelpreise an- wir uns, wie ich glaube, in diesem Hause alle einig – sehr
einander gekoppelt sind. Das ist eine Botschaft, die wünschenswert, wenn es darstellbar wäre,
junge Leute hoffnungsvoller stimmt als alle staatlichen
Hilfsprogramme zusammen. Das ist eine gute Entwick- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist al-
lung. Darauf sollten wir aufbauen. ternativlos!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – in diesem Bereich eine kapitalgedeckte Unfallversiche-
Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das musst du rung umzusetzen, die auch langfristig Planungssicher-
mir mal erklären! Es ist doch wohl nicht dein heit für die betroffenen Unternehmen und Familien bie-
Ernst, dass Energie- und Nahrungsmittel- tet.
preise aneinander gekoppelt werden sollen!)
Das erste Regierungsjahr war auch durch Fragen des
Wir müssen auch weiterhin daran arbeiten, die Wett- Verbraucherschutzes geprägt. Ich sage es an dieser Stelle
bewerbsfähigkeit der deutschen Agrarwirtschaft zu ver- noch einmal: Beim vorsorgenden Verbraucherschutz
bessern. Deswegen haben wir im Bundesministerium sind wir kompromisslos. In den letzten Monaten haben
eine Stabsstelle zur Exportförderung eingerichtet. Des- wir, sobald Zweifel an der Unschädlichkeit von Zusatz-
6774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006

Peter Bleser
(A) stoffen oder anderen Bestandteilen von Lebensmitteln auswählen, was sie essen, kaufen, welche Dienstleistun- (C)
laut wurden, im Ausschuss Berichte beantragt und sind gen sie in Anspruch nehmen oder welche Verträge sie
bestrebt gewesen, entsprechende Maßnahmen einzulei- abschließen wollen. Aber nur wer informiert ist, kann
ten. Es wurde uns deswegen der Vorwurf gemacht, dass Qualität bewusst nachfragen. Unser Leitbild ist der auf-
wir über jedes Stöckchen springen, das man uns hinhält. geklärte Verbraucher, der auf gleicher Augenhöhe mit
Diesen Vorwurf kann man so stehen lassen. Andererseits der Wirtschaft den Markt aktiv mitgestaltet. Deshalb hat
haben wir die Themen aufgegriffen, nichts verheimlicht diese Bundesregierung mit dem Verbraucherinforma-
und nichts verharmlost. Deshalb ist es auch gelungen, tionsgesetz das Recht der Verbraucherinnen und Ver-
Lösungsansätze für die von Vogelgrippe, Gammelfleisch braucher auf Information über die auf dem Markt befind-
oder Cumarin ausgehenden Gefahren zu finden. lichen Produkte erstmals – ich betone: erstmals – in
einem eigenen Gesetz geregelt.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, der Start der
großen Koalition ist gelungen. Wir haben insbesondere (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
im Bereich von Landwirtschaft und Verbraucherschutz
für mehr Zukunftssicherheit und mehr Hoffnung gesorgt. Auch wenn wir das Recht auf Information an einigen
Deswegen dürfen wir ein Jahr schwarz-rote Regierung Punkten noch ausbauen wollen und müssen, ist das ein
als großen Erfolg feiern. Ich hoffe, das wird im An- Erfolg.
schluss an diese Debatte auch noch ausgiebig geschehen.
Aber auch die Wirtschaft muss ihre Verantwortung
Herzlichen Dank. wahrnehmen und für einwandfreie Ware auf dem Markt
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und für Information sorgen. Leider ist das nicht immer
der Fall. Gammelfleisch mit illegalem Gentechnikreis an
pestizidbelasteten Beeren: Aus der Liste der ungenießba-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ren Nahrungsmittel, die in der letzten Zeit die Schlagzei-
Als letzter Rednerin erteile ich Elvira Drobinski- len beherrschten, lassen sich mühelos ganze Menüs zu-
Weiß, SPD-Fraktion, das Wort. sammenstellen. – Dass sich auf dem Lebensmittelmarkt
(Beifall bei der SPD) etwas tun muss, ist, denke ich, unbestritten. Neben Le-
bensmittelkontrollen und harten Sanktionen bei Verstö-
ßen ist Transparenz das wichtigste Instrument gegen
Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Lebensmittelskandale. Deshalb muss auch die Wirt-
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- schaft dafür sorgen, dass Lebensmittel lückenlos rück-
gen! Im Jahr 2007 werden die zentralen finanzpoliti- verfolgbar sind, damit mangelhafte Produkte schnell
schen Eckpfeiler erstmals seit 2001 wieder eingehalten. identifiziert und vom Markt genommen werden können (D)
(B) Die Ausgaben für Investitionen übersteigen die Neuver-
und damit sich die Wirtschaftsbeteiligten gegenseitig
schuldung. Die insgesamt positiven Rahmenbedingun- kontrollieren.
gen bewahrten jeden einzelnen Haushalt vor weiteren
gravierenden Kürzungen und ermöglichen die konse- Hochwertige Nahrungsmittel allein reichen aber nicht
quente Verfolgung der im Koalitionsvertrag definierten aus, um sich gesund zu ernähren. Die Menschen müssen
politischen Ziele. auch wissen, wie man mit dem vielfältigen und reichli-
Im Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, chen Angebot umgeht, wie man was zubereitet und was
Landwirtschaft und Verbraucherschutz geht es um ver- der Körper braucht, um gesund zu bleiben. Verbraucher-
lässliche Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft politik ist nämlich auch Gesundheitspolitik. Ernäh-
und um den Schutz und die Rechte der Verbraucherinnen rungsbedingte Krankheiten nehmen dramatisch zu. Im-
und Verbraucher. mer mehr Kinder und Jugendliche sind zu dick und haben
deshalb psychische und körperliche Probleme. Falsche
Die großen Themen, die hier zur besten Redezeit, Ernährung macht krank. Das hat enorme Auswirkungen
nämlich zur Sendezeit, behandelt werden, sind leider sel- auch auf die Kosten für unser Gesundheitssystem. Aber
ten verbraucherpolitische Themen, es sei denn, es gibt auch für den Einzelnen ist Gesundheit entscheidend für
gerade einen großen Lebensmittelskandal. Dann kom- die Lebensqualität und seine Leistungsfähigkeit. Wir
men auch wir Verbraucherpolitikerinnen und Verbrau- brauchen Ernährungsaufklärung. Wir müssen das Be-
cherpolitiker in den Genuss erhöhter Aufmerksamkeit. wusstsein der Menschen für Wert und Wirkung der Le-
Die großen Themen kommen zum Beispiel aus dem Be- bensmittel als Mittel zum Leben ebenso stärken wie das
reich Wirtschaft, Arbeit oder Gesundheit. Aber Verbrau- Wissen über die Art der Lebensmittelerzeugung.
cherpolitik ist Wirtschaftspolitik, Gesundheitspolitik und
noch vieles mehr; denn Verbraucherpolitik ist das, was (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
wirklich bei den Menschen ankommt.
Die Art der Lebensmittelerzeugung bringt mich zum
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Stichwort Grüne Gentechnik. Im Zusammenhang mit
dem Einsatz der Gentechnik in der Lebensmittelproduk-
Jeder Mensch ist Verbraucher. Hier wird Politik erfahr-
bar und greifbar. tion ist Verbraucherpolitik gleichzeitig Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik und auch Umweltpolitik. Die Ver-
Einige Beispiele dazu. Verbraucherpolitik ist Wirt- braucher lehnen Grüne Gentechnik mit großer Mehrheit
schaftspolitik. Was wäre die Wirtschaft ohne Nachfrage? ab. Deshalb müssen bei diesem sensiblen Thema drei
Aus einem übergroßen Angebot können die Menschen Leitsätze gelten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6775
Elvira Drobinski-Weiß
(A) Erster Leitsatz. Der Schutz von Mensch und Umwelt Rauchen ist das größte vermeidbare Risiko. Es war (C)
hat Priorität. Dabei gilt der Vorsorgegrundsatz. Alle an- höchste Zeit, die Werbung, die den Rauchkonsum för-
deren Interessen, zum Beispiel wirtschaftlicher Art, sind dert, zu verbieten. Diesen Weg wollen wir konsequent
diesem Leitsatz unterzuordnen. weitergehen und fordern die Regierung auf, einen Ge-
setzentwurf zum Nichtraucherschutz zu erarbeiten.
Zweiter Leitsatz. Der Anbau von gentechnisch verän-
derten Pflanzen darf nicht zulasten der gentechnikfreien (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Landwirtschaft gehen. Deshalb müssen auch für Schäden DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ursula Heinen
durch GVO-Verunreinigungen unterhalb des Schwellen- [CDU/CSU])
wertes von 0,9 Prozent Ausgleichsansprüche geltend ge- Zur Stärkung der Kundenrechte im öffentlichen
macht werden können. Personenverkehr. Es ist bereits in der letzten Legisla-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem turperiode diskutiert worden, ob es ausreicht, über frei-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) willige Selbstverpflichtungen der Anbieter Minderungs-
bzw. Schadenersatzansprüche der Kunden gegenüber
Wenn Abnehmer von den Landwirten die Einhaltung den Anbietern im Fall von Verspätungen oder Ausfall zu
niedrigerer Schwellenwerte oder gar Gentechnikfreiheit regeln und damit auch mehr Kundenfreundlichkeit zu er-
verlangen, dann dürfen Landwirte, die unverschuldet auf reichen. Das kann der Kunde nicht alleine durchsetzen.
ihrer Ernte sitzen bleiben, nicht ohne Anspruch auf Aus- Hier wurde die erfolgreiche Schlichtungsstelle Mobilität
gleich sein. Alles andere wäre eine Existenzbedrohung eingerichtet. Diese Projektförderung läuft aber nur über
für die Bauern. drei Jahre und eine dauerhafte Trägerschaft des Bundes
ist hier nicht angestrebt. Deshalb wollen wir darauf hin-
Wer die gentechnikfreie Lebensmittelproduktion nicht wirken, dass die Verkehrsunternehmen selbst diese Auf-
vor gentechnischen Verunreinigungen schützt, riskiert gabe als Imagepflege verstehen und die Kosten der
nicht nur das Vertrauen der Verbraucher, sondern würgt Schlichtungsstelle tragen.
auch einen boomenden Wirtschaftssektor samt Arbeits-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
plätzen ab, nämlich die ökologische Lebensmittelbran-
che, die uns heute schon einige Male beschäftigt hat. Bei Der Bundeshaushalt 2007 ist solide. Auch wenn uns
stetig steigender Nachfrage hat sich hier die Anzahl der die Gesamtlage der öffentlichen Haushalte dazu ver-
Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren auf über 150 000 pflichtet, die Konsolidierungspolitik weiterhin verant-
verdoppelt. wortungsvoll und zielgerichtet fortzusetzen: Wir haben
Schwerpunkte gesetzt, indem wir zum Beispiel die Zu-
(B) Dritter Leitsatz. Die Wahlfreiheit für Verbraucherin- schüsse an die Vertretung der Verbraucher sowie an die (D)
nen und Verbraucher sowie Landwirte muss gewährleis- Stiftung Warentest konstant hielten und keineswegs ge-
tet bleiben. kürzt haben. Denn wir müssen für einen Ausgleich der
Kräfteverhältnisse auf dem Markt sorgen und die Rechte
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem der Verbraucher stärken.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank.
Zur Wahlfreiheit gehört Transparenz. Wissen, was drin
ist – das muss auch für die Landwirte gelten. Damit sie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
sich bewusst für oder eben gegen Gentechnik entschei-
den können, brauchen wir auf EU-Ebene eine Kenn- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
zeichnungspflicht für GVO-haltiges Saatgut, die sich an
der Nachweisgrenze orientiert. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
plan 10 – Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
DIE GRÜNEN)
schaft und Verbraucherschutz – in der Ausschussfas-
Noch ein Beispiel für das Zusammenspiel zwischen sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
Verbraucherpolitik und Gesundheitspolitik ist der Schutz haltungen? – Der Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der
vor Passivrauchen. Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.
(Beifall der Abg. Ursula Heinen [CDU/CSU])
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Einen großen Schritt in diese Richtung haben wir bereits ordnung.
dieses Jahr vollzogen, als wir die EU-Richtlinie zur Ta-
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
bakwerbung in nationales Recht umgesetzt haben. Auch
destages auf morgen, Freitag, den 24. November 2006,
wenn die Droge Tabak legal ist: Rauchen ist eine Sucht, 9 Uhr, ein.
die massiv die Raucher selbst, aber auch die Menschen
in ihrer Umwelt schädigt. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allseits eine
gute Nacht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Schluss: 22.15 Uhr)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. November 2006 6777

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bätzing, Sabine SPD 23.11.2006 Kasparick, Ulrich SPD 23.11.2006

Binder, Karin DIE LINKE 23.11.2006 Kopp, Gudrun FDP 23.11.2006

Dagdelen, Sevim DIE LINKE 23.11.2006 Lötzer, Ulla DIE LINKE 23.11.2006

Evers-Meyer, Karin SPD 23.11.2006 Merten, Ulrike SPD 23.11.2006

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 23.11.2006 Mortler, Marlene CDU/CSU 23.11.2006

Faße, Annette SPD 23.11.2006 Nitzsche, Henry CDU/CSU 23.11.2006

Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 23.11.2006* Ortel, Holger SPD 23.11.2006


Land), Axel E.
Röspel, René SPD 23.11.2006
Gloser, Günter SPD 23.11.2006
Rupprecht SPD 23.11.2006
Großmann, Achim SPD 23.11.2006 (Tuchenbach),
Marlene
Hettlich, Peter BÜNDNIS 90/ 23.11.2006
DIE GRÜNEN Dr. Schmidt, Frank SPD 23.11.2006
(B) Hilsberg, Stephan SPD 23.11.2006 Spanier, Wolfgang SPD 23.11.2006 (D)

Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 23.11.2006 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 23.11.2006
DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN

Hovermann, Eike SPD 23.11.2006 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 23.11.2006

Dr. Hoyer, Werner FDP 23.11.2006 Wolff (Wolmirstedt), SPD 23.11.2006


Waltraud
Jelpke, Ulla DIE LINKE 23.11.2006

Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 23.11.2006 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

Das könnte Ihnen auch gefallen