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86.

Kongress
1. Sitzung } AUSSCHUSSDRUCK

DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND,


1944–1959

HINTERGRUNDDOKUMENTE ÜBER
DEUTSCHLAND, 1944–1959, UND EINE CHRONOLOGIE
DER BERLIN BETREFFENDEN POLITISCHEN
ENTWICKLUNGEN, 1945–1956

8. MAI 1959

Zur Verwendung durch den Senatsausschuss für auswärtige Beziehungen gedruckt

VERBREITET VON SENATOR ALEXANDER WILEY


Raum 427 BÜROGEBÄUDE DES SENATS
WASHINGTON 25, D. C.
86. Kongress
1. Sitzung } AUSSCHUSSDRUCK

DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND,


1944–1959

HINTERGRUNDDOKUMENTE ÜBER
DEUTSCHLAND, 1944–1959, UND EINE CHRONOLOGIE
DER BERLIN BETREFFENDEN POLITISCHEN
ENTWICKLUNGEN, 1945–1956

8. MAI 1959

Zur Verwendung durch den Senatsausschuss für auswärtige Beziehungen gedruckt

REGIERUNGSDRUCKEREI
DER VEREINIGTEN STAATEN

401 09 WASHINGTON : 1959


AUSSCHUSS FÜR AUSWÄRTIGE BEZIEHUNGEN

J. W. FULBRIGHT, Arkansas, Vorsitzender


THEODORE FRANCIS GREEN , Rhode Island 1 ALEXANDER WILEY, Wisconsin
JOHN SPARKMAN , Alabama BOURKE B. HICKENLOOPER , Iowa
HUBERT H. HUMPHREY, Minnesota WILLIAM LANGER , North Dakota
MIKE MANSFIELD, Montana GEORGE D. AIKEN , Vermont
WAYNE MORSE, Oregon HOMER E. CAPEHART , Indiana
RUSSELL B. LONG , Louisiana FRANK CARLSON , Kansas
JOHN F. KENNEDY, Massachusetts.
ALBERT GORE, Tennessee
FRANK J. LAUSCHE , Ohio
FRANK CHURCH, Idaho
C ARL M ARCY , Stabschef
D ARRELL S T. C L AIRE , Sachbearbeiter

1 Emeritierter Vorsitzender.
II
VORWORT

In den bevorstehenden Monaten ist damit zu rechnen, daß das Thema Deutschland oft
in den Nachrichten sein wird. Verhandlungen in Bezug auf Berlin und die
Wiedervereinigung von Deutschland beruhen auf einer Vielzahl von Erklärungen,
Meinungsaustauschen und Vereinbarungen, die seit dem Krieg stattgefunden haben.
Mit dem Gedanken, daß es hilfreich wäre, die wichtigsten deutschen Dokumente in
einem Band zusammenzutragen, stimmte das Außenministerium meiner Bitte zu, die
wichtigsten Dokumente über Deutschland zusammenzustellen, damit sie zum Nutzen
der Mitglieder des Kongresses, der Öffentlichkeit und der Presse veröffentlicht werden
können. Diese Dokumente wurden unter der Leitung von G. Bernard Noble, Leiter der
Historischen Abteilung im Büro für Öffentliche Angelegenheiten des Außen-
ministeriums, und mit der Unterstützung von Edwin S. Costrell, Fredrick Aandahl,
Robert W. Lambert, Harold D. Langley, and Frau Helene L. De Long zusammen-
getragen. Fräulein Mary Ann Sames aus dem Stab des Ausschusses für auswärtige
Beziehungen war für die redaktionellen Arbeiten, die vor dem endgültigen Druck
notwendig waren, verantwortlich.
J. W. FULBRIGHT, Vorsitzender.
8. Mai 1959.
III
I N H A LT

Seite
Vorwort .................................................................................................................................................. III
Bibliografische Anmerkungen ............................................................................................................... XI
Protokoll über die Besatzungszonen und die Verwaltung des Gebiets „Groß-Berlin“, 12. September
1944 ....................................................................................................................................................... 1
Änderungsabkommen über die Besatzungszonen und die Verwaltung des Gebiets „Groß-Berlin“, 14.
November 1944 ...................................................................................................................................... 3
Abkommen über den Kontrollapparat in Deutschland, 14. November 1944 ......................................... 5
Protokoll der Verhandlungen der Krim-Konferenz (Jalta), 11. Februar 1945 [Auszüge] ..................... 8
Änderungsabkommen über den Kontrollapparat in Deutschland, 1. Mai 1945 .................................... 10
Deutsche Kapitulationserklärung, 8. Mai 1945 ..................................................................................... 12
Erklärung bezüglich der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt
durch die alliierten Mächte, 5. Juni 1945 .............................................................................................. 13
Erklärung der Alliierten zu den Besatzungszonen in Deutschland, 5. Juni 1945 ................................ 18
Alliierte Erklärung zum Kontrollapparat in Deutschland, 5. Juni 1945 .............................................. 18
Änderungsabkommen über die Besatzungszonen und die Verwaltung des Gebiets „Groß-Berlin“, 26.
Juli 1945................................................................................................................................................. 21
Protokoll der Konferenz von Berlin (Potsdam), 1. August 1945 [Auszüge] ........................................... 24
Stuttgarter Rede des Außenministers Byrnes, 6. September 1946 ....................................................... 35
Bericht von Außenminister Marshall über die vierte Tagung des Rates der Außenminister, 28. April
1947 ....................................................................................................................................................... 43
Bericht von Außenminister Marshall über die Fünfte Tagung des Rates der Außenminister, 19.
Dezember 1947 ....................................................................................................................................... 51
Londoner Kommuniqué über Deutschland, von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich,
Frankreich und den Benelux-Staaten, 6. März 1948 ............................................................................. 56
Erklärung des Außenministeriums zu den Malik-Jessup-Gesprächen, 26. April 1949 ........................ 57
Vier-Mächte-Kommuniqué zum Abkommen über die Aufhebung der Berlin-Blockade, New York, 4.
Mai 1949 ................................................................................................................................................ 59
Grundsatzerklärung der Alliierten ( West- ) Kommandantur für Berlin, 14. Mai 1949 ....................... 60
Abkommen über ein revidiertes internes Verfahren für die Alliierte ( West- ) Kommandantur, 7. Juni
1949 ....................................................................................................................................................... 62
Kommuniqué zur Sechsten Tagung des Rates der Außenminister, 20. Juni 1949 [Auszug] ................ 63
Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu freien Wahlen, 22. März 1950 ................................... 65
Erklärung der westlichen Außenminister, zu den Rechten der Alliierten in Berlin, 13. Mai 1950 ...... 66
Erklärung der westlichen Außenminister zu freien Wahlen, 14. Mai 1950 .......................................... 66
Note des amerikanischen Botschafters in Moskau an den sowjetischen Außenminister, über die
Remilitarisierung Ostdeutschlands, 23. Mai 1950 ................................................................................ 67
Schreiben des Kommandanten der Vereinigten Staaten in Berlin an den Vorsitzenden der sowjetischen
Kontrollkommission über freie Wahlen, 25. Mai 1950 .......................................................................... 69
Schreiben des amerikanischen Hohen Kommissars (McCloy) an den Vorsitzenden der sowjetischen
Kontrollkommission (Tschuikow), über freie Wahlen, 10. Oktober 1950 .............................................. 70
Entwurf des Wahlgesetzes der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, 9. Januar 1952
............................................................................................................................................................... 71
Anmerkungen zum Entwurf des Volkskammerwahlgesetzes der DDR, vom Bonner Ministerium für
gesamtdeutsche Angelegenheiten, 11. Januar 1952 .............................................................................. 80
Entwurf eines Wahlgesetzes des Bundestags der Bundesrepublik Deutschland, 6. Februar 1952 ...... 82
Note des Sowjetischen Außenministeriums an die amerikanische Botschaft, Beilage des Entwurfs für
einen deutschen Friedensvertrag, 10. März 1952 .................................................................................. 85

V
VI INHALT

Note der amerikanischen Botschaft in Moskau an das sowjetische Außen-ministerium, betreffend den Seite
Sowjetischen Entwurf eines Deutschen Friedensvertrages, 25. März 1952 .......................................... 87
Erster Bericht der Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Bedingungen für freie
Wahlen in Deutschland, 30. April 1952 [Auszug] .................................................................................. 89
Schreiben der amerikanischen, britischen und französischen Hohen Kommissare an Bundeskanzler
Adenauer, über die Hilfe für Berlin, 26. Mai 1952 ................................................................................ 98
Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Hilfe für Berlin, 26. Mai 1952 .................................. 99
Erklärung der Alliierten (West-) Kommandantur über Berlin, 26. Mai 1952 ....................................... 100
Westliche Erklärung über Deutschland, die Europäische Verteidigungs-gemeinschaft und Berlin, 27.
Mai 1952 ................................................................................................................................................ 102
Zweiter Bericht der Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Bedingungen für freie
Wahlen in Deutschland, 5. August 1952 ............................................................................................... 103
Kommuniqué von Präsident Eisenhower und Bundeskanzler Adenauer über Deutschland und die
europäische Sicherheit, 9. April 1953 .................................................................................................... 107
Schreiben von Präsident Eisenhower an Bundeskanzler Adenauer über den ostdeutschen Aufstand,
23. Juli 1953 ........................................................................................................................................... 110
Gemeinsames Kommuniqué der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik, 22.
August 1953 ........................................................................................................................................... 112
Britischer (Eden) Plan zur Deutschen Wiedervereinigung in Freiheit, 29. Januar 1954 ..................... 115
Entwurf des sowjetischen Friedensvertrags mit Deutschland, 1. Februar 1954 .................................. 117
Sowjetischer Vorschlag zur Gewährleistung der europäischen Sicherheit, 10. Februar, 1954 ............. 120
Sowjetischer Vorschlag für einen allgemeinen europäischen Vertrag über kollektive Sicherheit in
Europa, 10. Februar 1954 ...................................................................................................................... 120
Erklärung der westlichen Außenminister, zur Berliner Konferenz, 19. Februar 1954 [Auszüge] ........ 122
Gemeinsame Erklärung der Alliierten Hohen Kommission zum Status von Ostdeutschland, 8. April
1954 ....................................................................................................................................................... 123
Erklärung der westlichen Außenminister zu Berlin, 22. Oktober 1954 ................................................ 123
Pariser Protokolle zur Änderung des Brüsseler Vertrags und zur Gründung der Westeuropäischen
Union, 23. Oktober 1954 ........................................................................................................................ 124
Westliches Abkommen über die Anwendung der Vorbehaltsrechte in Deutschland, 23. Oktober
1954 ........................................................................................................................................................ 141
Protokoll zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland, 23. Oktober
1954 ........................................................................................................................................................ 142
Warschauer Sicherheitspakt, 14. Mai 1955 ........................................................................................... 144
Erklärung von Premierminister Eden in Genf über europäische Sicherheit, deutsche
Wiedervereinigung und eine entmilitarisierte Zone, 18. Juli 1955 ....................................................... 147
Sowjetischer Entwurf eines Vertrags über kollektive Sicherheit in Europa, 20. Juli 1955 .................. 150
Sowjetischer Vorschlag : Grundprinzipien des Vertrags zwischen den bestehenden Staatengruppen in
Europa, 21. Juli 1955 ............................................................................................................................. 152
Genfer Richtlinie der Regierungsoberhäupter der vier Mächte an die Außenminister, 23. Juli
1955 ........................................................................................................................................................ 153
Kommuniqué über die Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik
Deutschland, 13. September 1955 ......................................................................................................... 154
Schreiben von Premierminister Bulganin an Kanzler Adenauer, 13. September 1955 ........................ 155
Schreiben von Kanzler Adenauer an Premierminister Bulganin, in dem er bestimmte Vorbehalte zum
Zeitpunkt der Aufnahme diplomatischer Beziehungen äußert, 13. September 1955 ........................... 156
Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik, 20. September
1955 ........................................................................................................................................................ 156
Schreiben des Außenministers der Deutschen Demokratischen Republik ( Bolz ) an den
stellvertretenden Außenminister der Sowjetunion ( Zorin ), 20. September 1955 ................................ 158
Erklärung der amerikanischen, britischen und französischen Außenminister zu den Abkommen
zwischen der Sowjetunion und der DDR, 28. September 1955 .............................................................. 158
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium zu den Abkommen zwischen
der Sowjetunion und der DDR, 3. Oktober 1955 ................................................................................... 159
Note des sowjetischen Außenministeriums an die amerikanische Botschaft über die Abkommen
zwischen der Sowjetunion und der DDR, 18. Oktober 1955 .................................................................. 159
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium zu den Vereinbarungen
zwischen der Sowjetunion und der DDR, 27. Oktober 1955 .................................................................. 161
INHALT VII

Westlicher Vorschlag zur deutschen Wiedervereinigung und zur europäischen Sicherheit, 27. Oktober Seite
1955 ........................................................................................................................................................ 161
Westlicher Entwurf der Bedingungen des Zusicherungsvertrags über die Wiedervereinigung
Deutschlands, 27. Oktober 1955 ............................................................................................................ 162
Sowjetischer Entwurf eines Vertrags über kollektive Sicherheit in Europa, 28. Oktober 1955 ........... 164
Erklärung des Außenministers Dulles in Genf über Deutschland und die europäische Sicherheit, 28.
Oktober 1955 .......................................................................................................................................... 166
Erklärung des Außenministers Dulles in Genf über Deutschland und die europäische Sicherheit, 29.
Oktober 1955 .......................................................................................................................................... 170
Erklärung von Außenminister Molotow in Genf und überarbeiteter sowjetischer Vertragsentwurf zur
Sicherheit in Europa, 31. Oktober 1955 ................................................................................................ 171
Sowjetischer Vorschlag zur Einrichtung eines Gesamtdeutschen Rates, 2. November 1955 ............... 176
Westlicher Vorschlag zur Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen, 4. November
1955 ........................................................................................................................................................ 177
Sowjetischer Vorschlag zu den Grundprinzipien des Vertrags zwischen den bestehenden Gruppen von
Staaten in Europa, 9. November 1955 ................................................................................................... 177
Bericht von Außenminister Dulles über das Außenministertreffen in Genf, 18. November 1955 ........ 178
Note des amerikanischen Botschafters in Bonn (Conant) an den Sowjetischen Botschafter in Berlin
(Puschkin), Protest gegen die paramilitärischen Einheiten (Kampfgruppen) in Ost-Berlin, 10. Februar
1956 ........................................................................................................................................................ 185
Schreiben von Premier Bulganin an Präsident Eisenhower über die Reduzierung der ausländischen
Streitkräfte in Deutschland, 6. Juni 1956 [Auszug] .............................................................................. 186
Gemeinsames Kommuniqué zur deutschen Frage von Kanzler Adenauer und Außenminister Dulles,
13. Juni 1956 .......................................................................................................................................... 186
Botschaft von Präsident Eisenhower an Präsident Heuss, anlässlich des dritten Jahrestags des
ostdeutschen Aufstandes, 16. Juni 1956 ................................................................................................ 188
Schreiben von Präsident Eisenhower an Premierminister Bulganin, über die Reduzierung der
ausländischen Streitkräfte in Deutschland, 4. August 1956 [Auszug] .................................................. 189
Note des deutschen Botschafters an den Außenminister, Übermittlung eines Memorandums der
Bundesrepublik Deutschland an die Sowjetunion, 2. September 1956 ................................................. 189
Memorandum der Bundesrepublik Deutschland an die Sowjetunion, über die deutsche
Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, 2. September 1956 .............................................. 191
Note des Außenministeriums an die deutsche Botschaft, über die deutsche Wiedervereinigung und die
europäische Sicherheit, 9. Oktober 1956 ............................................................................................... 200
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, über die deutsche
Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, 10. Oktober 1956 ................................................. 201
Kommuniqué zu Gesprächen zwischen Außenminister von Brentano und Außenminister Dulles über
die deutsche Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, 5. März 1957 .................................. 202
Bemerkungen auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zur deutschen Wiedervereinigung
und einer entmilitarisierten Zone, 14. Mai 1957 [Auszüge] .................................................................. 203
Note des Außenministers der Bundesrepublik Deutschland (von Brentano) an den sowjetischen
Botschafter (Smirnow), betreffend Atomwaffen in Deutschland, 23. Mai 1957 [Auszüge] ................... 205
Memorandum der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland an das Sowjetische Außenministerium,
zur deutschen Wiedervereinigung, 27. Mai 1957 [Zusammenfassung] ................................................. 207
Kommuniqué und gemeinsame Erklärung von Präsident Eisenhower und Bundeskanzler Adenauer
zur deutschen Wiedervereinigung und Abrüstung, 28. Mai 1957 ......................................................... 210
Berliner Erklärung des Außenministers der Bundesrepublik Deutschland und des amerikanischen,
britischen und französischen Botschafters zu Deutschland, europäischer Sicherheit und Abrüstung,
29. Juli 1957 ........................................................................................................................................... 212
Rede des polnischen Außenministers (Rapacki) über Abrüstung, 2. Oktober 1957 .............................. 214
Schreiben von Premier Bulganin an Präsident Eisenhower über europäische Sicherheit, den Rapacki-
Plan und Abrüstung, 10. Dezember 1957 .............................................................................................. 220
Erklärung von Präsident Eisenhower, zur deutschen Wiedervereinigung und Berlin, 16. Dezember
1957 [Auszug]......................................................................................................................................... 226
Äußerungen auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zur deutschen Wiedervereinigung, 10.
Januar 1958 [Auszüge] .......................................................................................................................... 227
Schreiben von Präsident Eisenhower an Premierminister Bulganin, über Deutschland, die europäische
Sicherheit und Abrüstung, 12. Januar 1958 .......................................................................................... 228
VIII INHALT

Schreiben von Kanzler Adenauer an Ministerpräsident Bulganin, zur Deutschen Wiedervereinigung, Seite
21. Januar 1958 [Auszüge] .................................................................................................................... 236
Kommuniqué zu den Gesprächen zwischen Außenminister Dulles und dem Regierenden
Bürgermeister Berlins Brandt, 10. Februar 1958 ................................................................................. 238
Note des polnischen Außenministers (Rapacki) an den amerikanischen Botschafter (Beam), über die
Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone, 14. Februar 1958 ............................................................... 239
Aide-Memoire des sowjetischen Außenministers (Gromyko) an den amerikanischen Botschafter
(Thompson), Vorschlag für ein Gipfeltreffen, 28. Februar 1958 ............................................................ 242
Schreiben von Premierminister Bulganin an Präsident Eisenhower, betreffend ein Gipfeltreffen, 3.
März 1958 .............................................................................................................................................. 245
Stellungnahme auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zur deutschen Wiedervereinigung
und einem Gipfeltreffen, 4. März 1958 [Auszug] ................................................................................... 253
Aide-Memoire des Außenministeriums an den sowjetischen Botschafter (Menshikov), betreffend ein
Gipfeltreffen, 6. März 1958 .................................................................................................................... 253
Schreiben des amerikanischen Botschafters in Bonn (Bruce) an den sowjetischen Geschäftsträger in
Berlin, betreffend die sowjetische Bitte, in Westdeutschland Flüge mit Strahlflugzeugen
durchzuführen, 12. März 1958 ............................................................................................................... 257
Aide-Mémoire des sowjetischen Außenministers (Gromyko) an den amerikanischen Botschafter
(Thompson), betreffend ein Gipfeltreffen, 24. März 1958 ...................................................................... 258
Äußerungen des Außenministers Dulles auf einer Pressekonferenz zur Frage eines Gipfeltreffens, 25.
März 1958 [Auszüge] ............................................................................................................................. 263
Erklärung des britischen, französischen und amerikanischen Botschafters bei der sowjetischen
Regierung zu den Vorbereitungen für ein Gipfeltreffen, 31. März 1958 ............................................... 265
Note des amerikanischen Botschafters (Beam) an den stellvertretenden polnischen Außenminister
(Winiewicz), zum Rapacki-Plan, 3. Mai 1958 ........................................................................................ 266
Memorandum von Außenminister Gromyko an die westlichen Botschafter, zur Tagesordnung eines
möglichen Gipfeltreffens, 8. Mai 1958 [Auszüge] .................................................................................. 268
Rede von Außenminister Dulles in Berlin, 8. Mai 1958 ........................................................................ 273
Memorandum der Westmächte an die Sowjetunion zur Tagesordnung für ein Gipfeltreffen, 28. Mai
1958 [Auszüge] ....................................................................................................................................... 277
Westliche Liste allgemeiner Überschriften zur Durchsicht spezifischer Vorschläge für die
Gipfelagenda, 31. Mai 1958 ................................................................................................................... 280
Erklärung von Außenminister Dulles auf einer Pressekonferenz zur deutschen Wiedervereinigung, 10.
Juni 1958 [Auszug] ................................................................................................................................ 281
Schreiben des Vorsitzenden des Ministerrates Chruschtschow an Präsident Eisenhower über die Frage
eines Gipfeltreffens, 11. Juni 1958 ........................................................................................................ 281
Schreiben von Präsident Eisenhower an Premierminister Chruschtschow, betreffend die Frage eines
Gipfeltreffens, 2. Juli 1958..................................................................................................................... 290
Note des stellvertretenden sowjetischen Außenministers (Kusnezow) an den amerikanischen
Botschafter (Thompson), über die europäische Sicherheit, 15. Juli 1958 .............................................. 292
Sowjetischer Entwurf eines Vertrags über Freundschaft und Zusammenarbeit, 15. Juli 1958 .......... 297
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, betreffend die europäische
Sicherheit, 22. August 1958 ................................................................................................................... 300
Aide-Mémoire des Außenministeriums der Bundesrepublik Deutschland an die amerikanische
Botschaft, Vorschlag für internationale Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung, 9.
September 1958 ..................................................................................................................................... 301
Note des sowjetischen Außenministeriums an die amerikanische Botschaft, Vorschlag für deutsche
Friedensverhandlungen, 18. September 1958 ....................................................................................... 301
Aide-Mémoire der amerikanischen Botschaft an das Außenministerium der Bundesrepublik
Deutschland, betreffend die deutsche Wiedervereinigung, 30. September 1958 .................................. 303
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, betreffend die deutsche
Wiedervereinigung, 30. September 1958 ............................................................................................... 305
Äußerungen von Außenminister Dulles auf einer Pressekonferenz zur deutschen Wiedervereinigung
und zu Berlin, 7. November 1958 [Auszüge].......................................................................................... 307
Ansprache von Premier Chruschtschow auf einem sowjetisch-polnischen Treffen über Deutschland
und Berlin, 10. November 1958. [Auszug] ............................................................................................. 308
Bemerkungen auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zu Berlin, 26. November 1958
[Auszüge] ............................................................................................................................................... 312
INHALT IX

Note des sowjetischen Außenministeriums an den amerikanischen Botschafter in Moskau (Thompson), Seite
betreffend Berlin, 27. November 1958 ................................................................................................... 317
Erklärung des Außenministeriums zur sowjetischen Note betreffend Berlin, 27. November 1958 ...... 332
Erklärung des Außenministers Dulles zur sowjetischen Note betreffend Berlin, 30. November 1958
[Auszug] ................................................................................................................................................. 332
Vier-Mächte-Kommuniqué über Berlin, 14. Dezember 1958 ................................................................. 333
NATO-Erklärung über Berlin, 16. Dezember 1958 ............................................................................... 333
Abschlusskommuniqué der NATO, 18. Dezember 1958 ........................................................................ 334
Erklärung des Außenministeriums zu den rechtlichen Aspekten der Berliner Situation, 20. Dezember
1958 ........................................................................................................................................................ 336
Note der Vereinigten Staaten an die Sowjetunion, zu Berlin, 31. Dezember 1958 ............................... 347
Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten, Übermittlung eines Entwurfs eines
Friedensvertrags für Deutschland, 10. Januar 1959 ............................................................................. 350
Bemerkungen von Außenminister Dulles über Deutschland auf einer Pressekonferenz, 13. Januar
1959 [Auszüge] ....................................................................................................................................... 370
Bemerkungen von Außenminister Dulles über Deutschland auf einer Pressekonferenz, 27. Januar
1959 [Auszüge] ....................................................................................................................................... 375
Stellungnahme von Außenminister Dulles vor dem Außenpolitischen Ausschuss des
Repräsentantenhauses, 28. Januar 1959 [Auszug] ............................................................................... 378
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, in der gegen die Verhaftung
eines Konvois der US-Armee protestiert wird, 4. Februar 1959 .......................................................... 380
Stellungnahme von Außenminister Dulles nach seiner Rückkehr aus Europa, 9. Februar 1959 ........ 381
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, über Deutschland, 16.
Februar 1959 ......................................................................................................................................... 382
Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten über einen Deutschen Friedensvertrag, 2. März
1959 ....................................................................................................................................................... 383
Rede von Ministerpräsident Chruschtschow auf der Neunten Gesamt-deutschen Arbeiterkonferenz in
Leipzig, 7. März 1959 [Auszug] .............................................................................................................. 389
Ansprache von Ministerpräsident Chruschtschow auf einer Kundgebung in Ost-Berlin, 9. März
1959 ........................................................................................................................................................ 399
Bericht von Präsident Eisenhower an das amerikanische Volk, über die Sicherheit in der freien Welt,
16. März 1959 [Auszug] ......................................................................................................................... 405
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, in der ein
Außenministertreffen in Genf vorgeschlagen wird, 26. März 1959 ....................................................... 409
Vier-Mächte-Kommuniqué über die Treffen in Washington, 1. April 1959........................................... 410
Ansprache von Präsident Eisenhower, 4. April 1959 [Auszug] ............................................................. 411
Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten, Protest gegen Flüge in großen Flughöhen im
Luftkorridor Frankfurt-Berlin, 4. April 1959 ........................................................................................ 412
Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, Ablehnung sowjetischer
Bemühungen zur Begrenzung der Höhe für Flüge im Luftkorridor Frankfurt-Berlin, 13. April
1959 ........................................................................................................................................................ 413
Anhänge :
I. Analyse des Außenministeriums der sowjetischen Note zu Berlin, 7. Januar 1959 .................... 415
II. Chronologie der politischen Entwicklungen mit Auswirkungen auf Berlin, 1945–1956 ............. 440
III. Index zur Chronologie .................................................................................................................. 488
BIBLIOGRAFISCHE ANMERKUNGEN

Nur ein kleiner Prozentsatz der kompletten signifikanten Dokumentation über


Deutschland für den Zeitraum seit 1944 kann in einem einzelnen Band dieser Größe
präsentiert werden. Andere offizielle Veröffentlichungen, die für eine zusätzliche
Dokumentation herangezogen werden könnten, sind allerdings leicht verfügbar. Das
wichtigste von ihnen ist das wöchentliche „Department of State Bulletin“ (Bulletin des
Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten), wo Dokumente zu allen Aspekten der
amerikanischen Außenpolitik gefunden werden können. In Buchform wird die gesamte
Bandbreite der amerikanischen Nachkriegspolitik bis 1955 in zwei allgemeinen
Dokumentensammlungen behandelt ; ( 1 ) Senatsdokument Nr. 123, 81. Kongress, 1.
Sitzung, „Ein Jahrzehnt der amerikanischen Außenpolitik : Grundlegende Dokumente,
1941–49“ (Washington, 1950) und ( 2 ) „Amerikanische Außenpolitik, 1950–1955 :
Grundlegende Dokumente“ (Publikation des Außenministeriums 6446 ; zwei Bände,
1957).
Für eine detaillierte Dokumentation der Jalta-Entscheidungen über Deutschland sollte
der Leser „Auswärtige Angelegenheiten der Vereinigten Staaten : Die Konferenzen von
Malta und Jalta, 1945“ (Publikation des Auswärtigen Amts 6199 ; 1955) 1 einsehen, was
ergänzt werden kann durch die Sowjetische Ausgabe von Stalins Kriegszeiten-
Korrespondenzen mit den Führern der Regierungen der Vereinigten Staaten und des
Vereinigten Königreichs––herausgegeben in englischer Übersetzung unter dem Titel
„Stalins Korrespondenz mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman, 1941–1945“ (zwei
Bände in einem ; New York, 1958).
Es kann auch Bezug genommen werden zu James F. Byrnes, „Offen sprechen“ (New York,
1947) ; Winston S. Churchill, „Triumph und Tragödie“ (Boston, 1953) ; Lucius D. Clay,
„Entscheidung in Deutschland“ (New York, 1950) ; John Foster Dulles, „Krieg oder
Frieden“ (New York, 1950) ; Dwight D. Eisenhower, „Kreuzzug in Europa“ (Garden City,
1948) ; Edward R. Stettinius, Jr., „Roosevelt und die Russen: Die Jalta-Konferenz“ (New
York, 1949) ; und Harry S. Truman, „Memoiren“ (zwei Bände; Garden City, 1955–56).
Eine besonders wertvolle Sammlung von Dokumenten über das deutsche Problem in der
Zeit von 1945–53 wurde vom Büro des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten für
Deutschland unter dem Titel „Dokumente zur deutschen Einheit“ (vier Bände ; Frankfurt,
1951–1953) veröffentlicht. Dokumente für einige dieser Jahre erschienen auch in
folgenden Publikationen des Außenministeriums : „Die Achse in der Niederlage“
(Publikation des Außenministeriums 2423 ; 1945) ; „Okkupation von Deutschland : Politik
und Fortschritt“ (Publikation 2783 ; 1947) ; und „Deutschland, 1947–49 : Die Geschichte
in Dokumenten“ (Publikation 3556 ; 1950). Unterlagen über die Berliner Blockade
erschienen in „Die Berlin-Krise : Ein Bericht zu den Moskauer Diskussionen“ (Publikation
des Außenministeriums 3298 ; 1948). Das sowjetische Außenministerium hat auch eine
Dokumentationssammlung zu Berlin, mit dem Titel „Die Sowjetunion und die Berlin-
Frage (Dokumente)“ (Moskau, 1948), herausgegeben.

1Ähnliche Bände werden vom Außenministerium bezüglich der Teheran-, Potsdam- und anderer Kriegszeit-
Konferenzen erstellt.
XI
XII BIBLIOGRAFISCHE ANMERKUNGEN

Die Texte der Bonner Konventionen vom 26. Mai 1952, der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft (EDC) vom 27. Mai 1952 und andere Vereinbarungen, die in
dieser Zeit bezüglich der Europäischen Verteidigung und Wiederherstellung der
Deutschen Souveränität unterzeichnet wurden, sind in den Senats-Exekutiven Q und R,
82. Kongress, 2. Sitzung, abgedruckt. Der EDC-Vertrag und zugehörige Verteidigungs-
vereinbarungen sind ebenfalls in „Amerikanische Auslandspolitik“ enthalten. Diese
Vereinbarungen traten nie in Kraft und wurden später durch die Vereinbarungen von
London und Paris aus September/Oktober 1954 ersetzt. Die letztgenannten Dokumente
sind in den Senats-Exekutiven L und M, 83. Kongress, 2. Sitzung ; „Amerikanische
Außen-politik“ und „London– und Paris–Abkommen, September–Oktober 1954“
(Publikation des Außenministeriums 5659 ; 1954) publiziert. Die speziellen
Vereinbarungen in dieser Gruppe, bei denen die USA als eine Partei auftritt, sind ebenso
in „Verträge der Vereinigten Staaten und andere internationale Vereinbarungen“, eine
jährliche Publikation des Außenministeriums, abgedruckt.
Über die Berliner Konferenz von 1954 und die zwei Genfer Konferenzen des Folgejahres,
bei allen dreien wurden die Probleme der Deutschen und Europäischen Sicherheit
ausführlich diskutiert, hat das Außenministerium folgende dokumentarische
Publikationen herausgegeben : „Treffen der Außenminister : Berliner Diskussionen, 25.
Januar–18. Februar 1954“ (Publikation des Außenministeriums 5399 ; 1954) ; „Die Genfer
Konferenz der Regierungschefs, 18.–23. Juli 1955“ (Publikation 6046 ; 1955) und „Das
Genfer Treffen der Außenminister, 17. Oktober–16. November 1955“ (Veröffentlichung
6156 ; 1955). Viele der Dokumente zu diesen Konferenzen erscheinen auch in
„Amerikanische Außenpolitik“.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND
1944–1959

Protokoll über die Besatzungszonen und die Verwaltung des Gebiets „Groß-
Berlin“, 12. September 1944 1
PROTOKOLL ZWISCHEN DEN REGIERUNGEN DER VEREINIGTEN
STAATEN VON AMERIKA, DES VEREINIGTEN KÖNIGREICHS UND
DER UNION DER SOZIALISTISCHEN SOWJETREPUBLIKEN ÜBER DIE
BESATZUNGSZONEN IN DEUTSCHLAND UND DIE VERWALTUNG
VON „GROß-BERLIN“.
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs
Großbritannien und Nordirland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
sind hinsichtlich der Durchführung des Artikels 11 der Urkunde über die
bedingungslose Kapitulation Deutschlands zu folgender Vereinbarung gelangt : 2––
1. Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937
bestanden, zum Zwecke der Besetzung in drei Zonen eingeteilt, von denen jede der
drei Mächte eine erhält, sowie in ein besonderes Berliner Gebiet, das von den drei
Mächten gemeinsam besetzt wird.
2. Die Grenzen der drei Zonen und des Berliner Gebiets sowie die Aufteilung der
drei Zonen zwischen den USA, dem Vereinigten Königreich und der UdSSR werden
wie folgt sein :––
Ostzone (wie auf der beigefügten Karte „A“ dargestellt)
Das Gebiet Deutschlands (einschließlich der Provinz Ostpreußen), das
östlich einer Linie liegt, die von dem Punkt an der Lübecker Bucht, an dem
die Grenzen Schleswig-Holsteins und Mecklenburgs zusammentreffen,
entlang der Westgrenze Mecklenburgs bis zur Grenze der Provinz Hannover,
von dort entlang der Ostgrenze Hannovers bis zur Grenze Braunschweigs und
von dort entlang der Westgrenze der preußischen Provinz Sachsen bis zur
Westgrenze Anhalts gezogen wird ;

1 Verträge und andere internationale Rechtsakte, Reihe 3071. Das Protokoll wurde von den Vereinigten
Staaten am 2. Februar 1945 ; vom Vereinigte Königreich am 5. Dezember 1944 ; und von der Sowjetunion am
6. Februar 1945 genehmigt. Die Änderung vom 14. November 1944 ( unten) wies die nordwestlichen Teile
Deutschlands und Groß-Berlins dem Vereinigten Königreich zu, richtete die Enklave Bremen für die
Vereinigten Staaten ein und wies den südwestlichen Teil Deutschlands und den südlichen Teil Berlins den
Vereinigten Staaten zu. In Übereinstimmung mit dem Abkommen von Jalta ( unten) wurde dieses Protokoll am
20. Juli 1945 weiter geändert, um französische Besatzungszonen sowohl in Deutschland als auch in Groß-Berlin
vorzusehen (unten).
2 D.h. der Entwurf der Kapitulationsbedingungen, auf den sich die Europäische Beratungskommission am 25.

Juli 1944 geeinigt hat. Der Text dieses Entwurfs erscheint in Auswärtige Angelegenheiten der Vereinigten
Staaten: Die Konferenzen von Malta und Jalta, 1945, S. 113–117. Artikel 11 lautete wie folgt: „Die Alliierten
Vertreter werden nach eigenem Ermessen Streitkräfte und zivile Einrichtungen in allen Teilen Deutschlands
stationieren.“ Der Entwurf der Übereinkunft (der am 1. Mai 1945 geändert wurde, um Frankreich
einzubeziehen) wurde nicht verwendet, als Deutschland tatsächlich kapitulierte, sondern wurde zu großen
Teilen in die Erklärung über die Niederlage Deutschlands und die Übernahme der Obersten Gewalt durch die
Alliierten Mächte vom 5. Juni 1945 aufgenommen (unten).

1
2 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

von dort entlang der Westgrenze Anhalts ; von dort entlang der Westgrenze
der preußischen Provinz Sachsen und der Westgrenze Thüringens bis zum
Zusammentreffen mit der bayerischen Grenze; von dort ostwärts entlang der
Nordgrenze Bayerns bis zur tschechoslowakischen Grenze von 1937, wird
von den Streitkräften der UdSSR besetzt, mit Ausnahme des Berliner
Gebietes, für das nachstehend eine besondere Besatzungsregelung
vorgesehen ist.
Nordwestliche Zone (wie auf der beigefügten Karte „A“ dargestellt)
Das Gebiet Deutschlands, das westlich der oben definierten Linie liegt und
im Süden durch eine Linie begrenzt wird, die von dem Punkt, an dem die
Westgrenze Thüringens auf die Grenze Bayerns trifft, nach Westen entlang
der Südgrenzen der preußischen Provinzen Hessen-Nassau und
Rheinprovinz bis zu dem Punkt verläuft, an dem letztere auf die Grenze
Frankreichs trifft, wird von den Streitkräften * * * besetzt werden.
Südwestliche Zone (wie auf der beigefügten Karte „A“ dargestellt)
Das gesamte übrige Gebiet Westdeutschlands, das südlich der in der
Beschreibung der Nordwestlichen Zone festgelegten Linie liegt, wird von den
Streitkräften * * * besetzt werden.
Die Grenzen der Länder und Provinzen innerhalb Deutschlands, auf die
in den vorstehenden Beschreibungen zu den Zonen Bezug genommen wird,
sind diejenigen, die nach dem Inkrafttreten des Erlasses vom 25. Juni 1941
(veröffentlicht im Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 72, 3. Juli 1941) bestanden.
Berliner Gebiet (wie auf den beigefügten 4 Blättern der Karte „B“
dargestellt)
Das Berliner Gebiet (darunter ist das Gebiet von „Groß-Berlin“ zu
verstehen, wie es das Gesetz vom 27. April 1920 definiert) wird von den
Streitkräften der U.S.A., Großbritanniens und der UdSSR, die von den
jeweiligen Oberbefehlshabern eingesetzt werden, gemeinsam besetzt. Zu
diesem Zweck wird das Gebiet von „Groß-Berlin“ in die folgenden drei Teile
aufgeteilt :––
Der nordöstliche Teil von „Groß-Berlin“ (Bezirke Pankow, Prenzlauer
Berg, Mitte, Weißensee, Friedrichshain, Lichtenberg, Treptow,
Köpenick) wird von den Streitkräften der UdSSR besetzt :
Der nordwestliche Teil von „Groß-Berlin“ (Bezirke Reinickendorf,
Wedding, Tiergarten, Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf) wird von
den Streitkräften * * * besetzt.
Der südliche Teil von „Groß-Berlin“ (Bezirke Zehlendorf, Steglitz,
Schöneberg, Kreuzberg, Tempelhof, Neukölln) wird von den
Streitkräften * * * besetzt.
Die Grenzen der Bezirke in „Groß-Berlin“, auf die in den vorstehenden
Beschreibungen Bezug genommen wird, sind diejenigen, die nach
Inkrafttreten der Verordnung vom 27. März 1938 (Amtsblatt der
Reichshauptstadt Berlin Nr. 13 vom 27. März 1938, Seite 215) bestanden.
3. Die Besatzungstruppen in jeder der drei Zonen, in die Deutschland aufgeteilt
ist, werden einem Oberbefehlshaber unterstehen, der von der Regierung des
Landes bestimmt wird, dessen Truppen diese Zone besetzen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 3
4. Jede der drei Mächte kann nach eigenem Ermessen unter dem Befehl ihres
Oberbefehlshabers Hilfskontingente der Streitkräfte jeder anderen alliierten
Macht, die an militärischen Operationen gegen Deutschland teilgenommen hat, in
die für Besatzungsaufgaben eingesetzten Streitkräfte aufnehmen.
5. Es wird eine Interalliierte Regierungsbehörde (Kommandantur), bestehend
aus drei Kommandanten, die von ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ernannt
werden, um die Verwaltung des Großraums Berlin gemeinsam zu leiten.
6. Dieses Protokoll wurde in dreifacher Ausfertigung in englischer und
russischer Sprache verfasst. Beide Texte sind bindend. Das Protokoll tritt mit der
Unterschrift Deutschlands auf der Urkunde der Bedingungslosen Kapitulation in
Kraft.
——–—
Der obige Text des Protokolls zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten von
Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von
„Groß-Berlin“, wurde von der Europäischen Beratungskommission auf einer am 12.
September 1944 abgehaltenen Sitzung erarbeitet und einstimmig angenommen, mit
Ausnahme der Zuordnung der Nordwestlichen und Südwestlichen Besatzungszonen in
Deutschland und des Nordwestlichen und des Südlichen Teils von „Groß-Berlin“, welche
weiterer Überlegungen und gemeinsamer Vereinbarungen der Regierungen, der USA,
von UK und der UdSSR bedarf.
Repräsentant der Regierung Repräsentant der Regierung Repräsentant der Regierung
der USA in der Euro- von UK in der Euro- der UdSSR in der Euro-
päischen Beratungs- päischen Beratungs- päischen Beratungs-
kommission : kommission : kommission :
J. G. Winant W. Strang F. T. Gousev
JOHN G. WINANT WILLIAM STRANG F T GOUSEV

LANCASTER HOUSE,
LONDON, S.W. 1.
12. September 1944.
——————
Änderungsabkommen über die Besatzungszonen und die Verwaltung des
Gebiets „Groß-Berlin“, 14. November 1944 1
ABKOMMEN ÜBER ÄNDERUNGEN ZUM PROTOKOLL VOM 12.
SEPTEMBER 1944, ZWISCHEN DEN REGIERUNGEN DER
VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA, DES VEREINIGTEN
KÖNIGREICHS UND DER UNION DER SOZIALISTISCHEN
SOWJETREPUBLIKEN ÜBER DIE BESATZUNGSZONEN IN
DEUTSCHLAND UND DIE VERWALTUNG VON „GROß-BERLIN“.
1. Anstelle der Beschreibung der Nordwestlichen Zone in Nummer 2 des oben
genannten Protokolls, lautet die Beschreibung der Nordwestlichen Zone nun wie
folgt :–

1Verträge und andere internationale Gesetze Serie 3071. Dieses Abkommen, welches das Protokoll vom 12.
September 1944 (oben) änderte, wurde am 5. Dezember 1944 vom Vereinigten Königreich, am 2. Februar 1945
von den Vereinigten Staaten und am 6. Februar 1945 von der Sowjetunion gebilligt. In Übereinstimmung mit
dem Jalta-Abkommen (unten) wurde das Protokoll am 26. Juli 1945 weiter geändert, um Französische
Besatzungszonen sowohl in Deutschland als auch in Groß-Berlin vorzusehen (unten).
4 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

„Nordwestliche Zone (wie auf der beigefügten Karte „C“ dargestellt)


Das Territorium von Deutschland, welches sich westlich der in der
Beschreibung der Östlichen Zone definierten Linie befindet und im Süden von
einer Linie, gezogen von dem Punkt, an dem die Grenze zwischen der Preußischen
Provinz Hannover und Hessen-Nassau auf die westliche Grenze der Preußischen
Provinz Sachsen trifft, begrenzt wird ; von dort entlang der südlichen Grenze von
Hannover ; von dort entlang der nordwestlichen, westlichen und südlichen
Grenze von Hessen-Nassau bis zu dem Punkt, an dem der Rhein letzteres verlässt
; von dort entlang der Mitte der Schifffahrtsrinne des Rheins bis zu dem Punkt,
an dem sie Hessen-Darmstadt verlässt ; von dort entlang der westlichen Grenze
von Baden bis zu dem Punkt, an dem diese Grenze zur französisch-deutschen
Grenze wird, wird von den Streitkräften des Vereinigten Königreichs besetzt.“
2. Anstelle der Beschreibung der südwestlichen Zone in Nummer 2 des oben
genannten Protokolls, lautet die Beschreibung der südwestlichen Zone nun wie folgt :–
"Südwestliche Zone (wie auf der beigefügten Karte „C“ dargestellt)
Das Territorium von Deutschland, welches sich südlich einer Linie befindet, die
an der Kreuzung der Grenzen von Sachsen, Bayern und der Tschechoslowakei
beginnt und nach Westen entlang der nördlichen Grenze von Bayern bis zur
Kreuzung der Grenzen von Hessen-Nassau, Thüringen und Bayern verläuft ; von
dort nach Norden, Westen und Süden entlang der östlichen, nördlichen,
westlichen und südlichen Grenzen von Hessen-Nassau bis zu dem Punkt, an dem
der Rhein die südliche Grenze von Hessen-Nassau verlässt ; von dort südwärts
entlang der Mitte der Schifffahrtsrinne des Rheins bis zu dem Punkt, an dem sie
Hessen-Darmstadt verlässt ; von dort entlang der westlichen Grenze von Baden
bis zu dem Punkt, an dem diese Grenze zur französisch-deutschen Grenze wird,
wird von den Streitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika besetzt.“
3. Der folgende zusätzliche Abschnitt wird nach der Beschreibung der südwestlichen
Zone eingefügt :––
„Zum Zwecke der Erleichterung der Verbindungen zwischen der südwestlichen
Zone und der See wird der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinigten
Staaten in der südwestlichen Zone
(a) die Kontrolle über die Häfen Bremen und Bremerhaven und die
erforderlichen Bereitstellungsräume in deren Umgebung so ausüben, wie
dies nachstehend von den Militärbehörden des Vereinigten Königreichs und
der Vereinigten Staaten als zur Erfüllung seiner Anforderungen erforderlich
vereinbart wird ;
(b) in den Genuß jener Transiteinrichtungen durch die nordwestliche
Zone kommen, die nachstehend von den Militärbehörden des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten als zur Erfüllung seiner
Anforderungen erforderlich vereinbart werden.“
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 5
4. Am Ende der Beschreibung des nordwestlichen Teils von „Groß-Berlin“ in
Nummer 2 des vorgenannten Protokolls werden folgende Wörter eingefügt :––
„des Vereinigten Königreichs“
5. Am Ende der Beschreibung des südlichen Teils von „Groß-Berlin“ in Nummer 2
des vorgenannten Protokolls werden folgende Wörter eingefügt :––
„der Vereinigten Staaten von Amerika“
6. In dem Unterabschnitt der Nummer 2 im englischen Text des vorgenannten
Protokolls, der mit den Worten „Die Grenzen der Länder und Provinzen“ beginnt,
werden die Wörter „Beschreibungen zu den Zonen“ durch die Wörter „Beschreibungen
der Zonen“ ersetzt.
———
Der obige Text des Abkommens bezüglich Änderungen des Protokolls vom 12.
September 1944, zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des
Vereinigten Königreichs und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die
Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von „Groß-Berlin“, wurde von
der Europäischen Beratungskommission auf einer am 14. November 1944
abgehaltenen Sitzung erarbeitet und einstimmig angenommen.

Für den Repräsentant der Repräsentant der Regierung Repräsentant der Regierung
Regierung der Vereinig- des Vereinigten König- der Union der Sozialis-
ten Staaten von Amerika reichs in der Euro- tischen Sowjetrepubliken
in der Europäischen päischen Beratungs- in der Europäischen
Beratungskommission : kommission : Beratungskommission :
PHILIP E. MOSELY WILLIAM STRANG H T GOUSEV

LANCASTER HOUSE,
LONDON, S.W. 1.
14. November 1944.
——————

Abkommen über den Kontrollapparat in Deutschland, 14. November 1944 1


Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs
Großbritannien und Nordirland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
sind hinsichtlich der Organisation des alliierten Kontrollapparats in Deutschland
während des Zeitraums, in dem Deutschland die grundlegenden Forderungen der
bedingungslosen Kapitulation erfüllen wird, zu folgender Übereinkunft gelangt :––

ARTIKEL 1.

Die oberste Befehlsgewalt in Deutschland wird auf Weisung ihrer jeweiligen


Regierungen von den Oberbefehlshabern der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von
Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Union der Sozialistischen Sowjet-

1 Verträge und andere internationale Rechtsakte Serie 3070. Genehmigt von den Vereinigten Staaten am
24. Januar 1945 ; von der Sowjetunion am 6. Februar 1945 ; und vom Vereinigten Königreich am 5.
Dezember 1944. Dieses Abkommen wurde am 1. Mai 1945 geändert, um die Beteiligung von Frankreich
vorzusehen (siehe unten).
6 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

republiken ausgeübt, und zwar jeder in seiner eigenen Besatzungszone und auch
gemeinsam in Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betreffen, in ihrer
Eigenschaft als Mitglieder des durch dieses Abkommen gebildeten obersten
Kontrollorgans.
ARTIKEL 2.

Jedem Oberbefehlshaber werden in seiner Besatzungszone Vertreter der


Streitkräfte, der Seestreitkräfte und der Luftstreitkräfte der beiden anderen
Oberbefehlshaber zur Wahrnehmung von Verbindungsaufgaben unterstellt.

ARTIKEL 3.

(a) Die drei gemeinsam handelnden Oberbefehlshaber werden ein oberstes


Kontrollorgan, den Kontrollrat, bilden.
(b) Der Kontrollrat hat folgende Aufgaben :––
(i) Gewährleistung einer angemessenen Einheitlichkeit des Vorgehens der
Oberbefehlshaber in ihren jeweiligen Besatzungszonen ;
(ii) Initiierung von Plänen und Fassen von einvernehmlichen Beschlüssen auf
der Grundlage von Weisungen, die jeder Oberbefehlshaber von seiner Regierung
erhält, über die wichtigsten militärischen, politischen, wirtschaftlichen und
sonstigen Fragen, die Deutschland als Ganzes betreffen ;
(iii) Kontrolle der deutschen Zentralverwaltung, die unter der Leitung des
Kontrollrats arbeitet und ihm gegenüber für die Erfüllung seiner Forderungen
verantwortlich ist ;
(iv) Leitung der Verwaltung von „Groß-Berlin“ durch geeignete Organe.
(c) Der Kontrollrat tritt mindestens einmal in zehn Tagen zusammen ; er kann
jederzeit auf Antrag eines seiner Mitglieder zusammentreten. Die Beschlüsse des
Kontrollrats müssen einstimmig gefasst werden. Der Vorsitz des Kontrollrats wird
abwechselnd von jedem seiner drei Mitglieder wahrgenommen.
(d) Jedes Mitglied des Kontrollrats wird von einem politischen Berater
unterstützt, der bei Bedarf an den Sitzungen des Kontrollrats teilnimmt. Jedes
Mitglied des Kontrollrats kann sich bei Bedarf in den Sitzungen des Kontrollrats auch
von Beratern der Seestreitkräfte oder der Luftstreitkräfte unterstützen lassen.

ARTIKEL 4.

Beim Kontrollrat wird ein ständiger Koordinierungsausschuss eingerichtet, der sich


aus je einem Vertreter der drei Oberbefehlshaber zusammensetzt, der den Rang eines
Generalstabsoffiziers oder den entsprechenden Rang bei den See- oder
Luftstreitkräften nicht unterschreiten darf. Die Mitglieder des Koordinierungs-
ausschusses werden bei Bedarf an den Sitzungen des Kontrollrats teilnehmen.

ARTIKEL 5.

Zu den Aufgaben des Koordinierungsausschusses, der im Namen des Kontrollrats


und über das Kontrollpersonal handelt, gehören :––
(a) die Ausführung der Beschlüsse des Kontrollrats ;
(b) die tägliche Überwachung und Kontrolle der Tätigkeit der deutschen
Zentralverwaltung und Institutionen ;
(c) die Koordinierung von aktuellen Problemen, die ein einheitliches
Vorgehen in allen drei Zonen erfordern ;
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 7
(d) die Vorprüfung und Vorbereitung aller von den einzelnen Oberbefehls-
habern vorgelegten Fragen für den Kontrollrat.

ARTIKEL 6.

(a) Die Mitglieder des Kontrollstabs, die von ihren jeweiligen nationalen Behörden
ernannt werden, sind in folgende Abteilungen eingeteilt :––
Heer ; Marine ; Luftwaffe ; Transportwesen ; Politik ; Wirtschaft ; Finanzen ;
Reparationen, Leistungen sowie Restitutionen ; Innere Angelegenheiten und
Nachrichtenwesen ; Rechtswesen ; Kriegsgefangene und vertriebene Personen ;
Arbeitskräfte.
Anzahl und Funktionen der Abteilungen können im Rahmen der gewonnenen
Erfahrungen angepasst werden.
(b) An der Spitze jeder Abteilung stehen drei hochrangige Beamte, einer von jeder
Teilmacht. Zu den Aufgaben der drei Leiter jeder Abteilung, die gemeinsam handeln,
gehören :––
(i) die Ausübung der Kontrolle über die entsprechenden deutschen
Ministerien und zentralen deutschen Einrichtungen ;
(ii) das Handeln als Berater des Kontrollrats und, falls erforderlich, die
Teilnahme an dessen Sitzungen ;
(iii) die Übermittlung der über den Koordinierungsausschuß mitgeteilten
Beschlüsse des Kontrollrats an die deutsche Zentralverwaltung.
(c) Die drei Leiter einer Abteilung nehmen an den Sitzungen des
Koordinierungsausschusses teil, in denen Angelegenheiten auf der Tagesordnung
stehen, die die Arbeit ihrer Abteilung betreffen.
(d) In den Abteilungen kann sowohl ziviles als auch militärisches Personal
eingesetzt werden. In besonderen Fällen können auch Staatsangehörige anderer
Vereinten Nationen eingesetzt werden, die in ihrer persönlichen Funktion ernannt
werden.
ARTIKEL 7.

(a) Eine interalliierte Regierungsbehörde (Kommandantur), bestehend aus drei


Kommandanten, einem aus jeder Teilmacht, die von ihren jeweiligen Oberbefehls-
habern ernannt werden, wird in direkter gemeinsamer Verwaltung des Gebiets „Groß-
Berlin“ eingerichtet. Jeder der Kommandanten wird abwechselnd in der Position des
Oberkommandanten als Leiter der interalliierten Regierungsbehörde fungieren.
(b) Ein Technischer Stab, der sich aus Personal jeder der drei Mächte
zusammensetzt, wird unter der Interalliierten Regierungsbehörde eingerichtet und so
organisiert, daß er die Tätigkeit der lokalen Organe von „Groß-Berlin“, die für die
kommunalen Dienstleistungen verantwortlich sind, beaufsichtigen und kontrollieren
kann.
(c) Die interalliierte Regierungsbehörde arbeitet unter der allgemeinen Leitung
des Kontrollrats und erhält ihre Anweisungen durch den Koordinierungsausschuss.

ARTIKEL 8.

Die notwendige Verbindung mit den Regierungen der anderen Vereinten Nationen,
die ein Hauptinteresse haben, wird dadurch sichergestellt, daß diese Regierungen
militärische Missionen (zu denen auch zivile Mitglieder gehören können) in den
8 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Kontrollrat entsenden, die über geeignete Kanäle Zugang zu den Kontrollorganen


haben.
ARTIKEL 9.

Organisationen der Vereinten Nationen, die vom Kontrollrat zur Tätigkeit in


Deutschland zugelassen werden, werden in Bezug auf ihre Tätigkeit in Deutschland
dem alliierten Kontrollapparat untergeordnet und ihm verantwortlich sein.

ARTIKEL 10.

Die oben umrissenen Organe der Alliierten zur Kontrolle und Verwaltung
Deutschlands werden während der Anfangszeit der Besetzung Deutschlands
unmittelbar nach der Kapitulation tätig sein, das heißt während der Zeit, in der
Deutschland die grundlegenden Erfordernisse einer bedingungslosen Kapitulation
erfüllt.
ARTIKEL 11.

Die Frage der alliierten Organe, die zur Wahrnehmung der Kontroll- und
Verwaltungsfunktionen in Deutschland zu einem späteren Zeitraum erforderlich sind,
wird Gegenstand eines gesonderten Abkommens zwischen den Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken sein.
———
Der obige Wortlaut des Abkommens über den Kontrollapparat in Deutschland
zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten
Königreichs und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken wurde von der
Europäischen Beratungskommission auf einer am 14. November 1944 abgehaltenen
Sitzung von den Vertretern der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten
Königreichs und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken erarbeitet und
einstimmig angenommen und wird nun ihren jeweiligen Regierungen zur
Genehmigung vorgelegt.
Für den Repräsentant der Repräsentant der Regierung Repräsentant der Regierung
Regierung der Vereinig- des Vereinigten König- der Union der Sozialis-
ten Staaten von Amerika reichs in der Euro- tischen Sowjetrepubliken
in der Europäischen päischen Beratungs- in der Europäischen
Beratungskommission : kommission : Beratungskommission :
PHILIP E. MOSELY WILLIAM STRANG H T GOUSEV

LANCASTER HOUSE,
LONDON, S.W. 1.
14. November 1944.
——————
Protokoll der Verhandlungen der Krim-Konferenz (Jalta), 11. Februar 1945 1
[Auszüge]
III. ZERSTÜCKELUNG DEUTSCHLANDS
Es wurde vereinbart, daß Artikel 12 (a) der Übergabebedingungen für Deutschland
wie folgt geändert werden sollte :
„Das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und die
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken besitzen die höchste Autorität in
1 Pressemitteilung 239 des Außenministeriums, 24. März 1947.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 9
Bezug auf Deutschland. In Ausübung dieser Befugnisse werden sie solche
Schritte unternehmen, einschließlich der vollständigen Abrüstung,
Entmilitarisierung und Zerstückelung Deutschlands, die sie für den zukünftigen
Frieden und die Sicherheit für erforderlich halten.“
Die Untersuchung des Verfahrens zur Zerstückelung Deutschlands wurde einem
Komitee übertragen, das aus Herrn Eden (Vorsitzender) , Herrn Winant und Herrn
Gousev bestand. Dieses Gremium würde es für wünschenswert halten, einen
französischen Vertreter hinzuzuziehen.

IV. BESATZUNGSZONE FÜR DIE FRANZOSEN UND KONTROLLRAT FÜR DEUTSCHLAND

Es wurde vereinbart, Frankreich eine von den französischen Streitkräften zu


besetzende Zone in Deutschland zuzuweisen. Diese Zone würde aus der britischen und
der amerikanischen Zone gebildet und ihr Umfang würde von den Briten und
Amerikanern in Absprache mit der französischen Provisorischen Regierung festgelegt.
Es wurde auch vereinbart, die französische Provisorischen Regierung einzuladen,
Mitglied des Alliierten Kontrollrates für Deutschland zu werden.

V. VORBEREITUNG

Das folgende Protokoll wurde genehmigt :

PROTOKOLL ÜBER DIE GESPRÄCHE ZWISCHEN DEN DREI


REGIERUNGSCHEFS BEI DER KRIMKONFERENZ ZUR FRAGE
DER DEUTSCHEN REPARATURLEISTUNGEN IN NATURALIEN

1. Deutschland muß die von ihm den alliierten Nationen im Laufe des Krieges
verursachten Verluste in Naturalien bezahlen. Reparationen sollen in erster
Linie diejenigen Länder erhalten, die die Hauptlast des Krieges getragen, die
schwersten Verluste erlitten und den Sieg über den Feind organisiert haben.
2. Naturalreparationen sind von Deutschland in drei folgenden Formen zu
verlangen :
a) Innerhalb von 2 Jahren nach der Kapitulation Deutschlands oder der
Beendigung des organisierten Widerstandes Entnahmen aus dem auf
deutschem Hoheitsgebiet und außerhalb seines Hoheitsgebiets befindlichen
Volksvermögen Deutschlands (Ausrüstung, Werkzeugmaschinen, Schiffe,
Rollmaterial, Deutschlandinvestitionen im Ausland, Beteiligungen an
Industrie-, Verkehrs- und sonstigen Unternehmen in Deutschland usw.) ,
diese Entnahmen sind hauptsächlich zum Zwecke der Vernichtung des
Kriegspotentials Deutschlands durchzuführen.
b) Jährliche Warenlieferungen aus laufender Produktion für einen zu
bestimmenden Zeitraum.
c) Einsatz deutscher Arbeitskräfte.
3. Für die Ausarbeitung eines detaillierten Plans für die Erhebung von
Reparationen von Deutschland nach den oben genannten Grundsätzen wird eine
Alliierte Reparationskommission in Moskau eingesetzt werden. Sie wird aus drei
Vertretern bestehen––einem aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,
10 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

einem aus dem Vereinigten Königreich und einem aus den Vereinigten Staaten
von Amerika.
4. Hinsichtlich der Festsetzung der Gesamtsumme an Reparationen sowie
deren Aufteilung auf die Länder, die unter der deutschen Aggression gelitten
haben, einigten sich die sowjetische und die amerikanische Delegation wie folgt :
„Die Moskauer Reparationskommission sollte in ihren ersten
Überlegungen den Vorschlag der Sowjetregierung als Diskussionsgrundlage
heranziehen, daß die Gesamtsumme der Reparationen gemäß den
Buchstaben (a) und (b) des Absatzes 2 20 Milliarden Dollar betragen sollte
und daß 50 % davon an die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
gehen sollten.“
Die britische Delegation vertrat die Auffassung, daß bis zur Beratung der
Reparationsfrage durch die Moskauer Reparationskommission keine Zahlen für
die Reparationen genannt werden sollten.
Der oben genannte sowjetisch-amerikanische Vorschlag wurde der Moskauer
Reparationskommission als einer der Vorschläge übermittelt, die von der
Kommission geprüft werden sollen.

VI. HAUPTKRIEGSVERBRECHER

Die Konferenz kam überein, daß die Frage der Hauptkriegsverbrecher Gegenstand
einer Untersuchung durch die drei Außenminister sein soll, über die zu gegebener Zeit
nach Abschluß der Konferenz Bericht erstattet wird.
* * * * * * *
Das vorstehende Protokoll wurde von den drei Außenministern auf der Krim-
Konferenz am 11. Februar 1945 genehmigt und unterzeichnet.
E. R. STETTINIUS, Jr.
M. MOLOTOV.
ANTHONY EDEN.
————

Änderungsabkommen über den Kontrollapparat in Deutschland, 1. Mai


1945 1
ABKOMMEN ZWISCHEN DEN REGIERUNGEN DER VEREINIGTEN
STAATEN VON AMERKIA, DER UNION DER SOZIALISTISCHEN
SOWJETREPUBLIKEN UND DES VEREINIGTEN KÖNIGREICHS UND
DER PROVISORISCHEN REGIERUNG DER FRANZÖSISCHEN
REPUBLIK BEZÜGLICH DER ÄNDERUNG DES ABKOMMENS VOM 14.
NOVEM-BER 1944 ÜBER DEN KONTROLLAPPARAT IN
DEUTSCHLAND.
I.

In der Präambel wird „die Provisorische Regierung der Französischen Republik“ zu


den Namen der drei Regierungen ergänzt.

1 Verträge und andere internationale Rechtsakte Serie 3070. Dieses Abkommen änderte das Abkommen vom
14. November 1944 (oben) um eine Beteiligung Frankreichs vorzusehen. Es wurde am 14. Mai 1945 von den
Vereinigten Staaten, am 17. Mai 1945 vom Vereinigten Königreich, am 18. Mai 1945 von Frankreich und am
25. Mai 1945 von der Sowjetunion genehmigt.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 11
II.

In Artikel 1 wird „die Französische Republik“ zu den Namen der drei Mächte
ergänzt.
III.

In Artikel 2 wird vor dem Wort „Oberbefehlshaber“ „beiden“ durch „drei“ ersetzt.

IV.

In Artikel 3 (a) wird vor dem Wort „Oberbefehlshaber“ „drei“ durch „vier“ ersetzt.

V.

Im letzten Satz des Artikel 3 (c) wird vor dem Wort „Mitglieder“ „drei“ durch „vier“
ersetzt.
VI.

Im ersten Satz des Artikel 4 wird vor dem Wort „Oberbefehlshaber“ „drei“ durch
„vier“ ersetzt.
VII.

In Artikel 5 (c) wird vor dem Wort „Zonen“ „drei“ durch „vier“ ersetzt.

VIII.

In Artikel 6 (b) wird vor den Wörtern „hochrangige Beamte“ sowie vor den Wörtern
„Leiter jeder Abteilung“ „drei“ durch „vier“ ersetzt.

IX.

In Artikel 6 (c) wird vor den Wörtern „Leiter einer Abteilung“ „drei“ durch „vier“
ersetzt.
X.

Im ersten Satz des Artikel 7 (a) wird vor dem Wort „Kommandanten“ „drei“ durch
„vier“ ersetzt.
XI.

In Artikel 7 (b) wird vor dem Wort „Mächte“ „drei“ durch „vier“ ersetzt.

XII.

In Artikel 11 wird „die Provisorische Regierung der Französischen Republik“ zu den


Namen der drei Regierungen ergänzt.
_______
Obenstehender Text des Abkommens zwischen den Regierungen der Vereinigten
Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und des
Vereinigten Königreichs und der Provisorischen Regierung der Französischen
Republik bezüglich Änderung des Abkommens vom 14. November 1944 über den
12 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Kontrollapparat in Deutschland wurde von der Europäischen Beratungskommission


vorbereitet und auf ihrer Sitzung am 1. Mai 1945 einstimmig beschlossen.
Vertreter der Regierung Vertreter der Regierung Vertreter der Regierung Vertreter der Proviso-
der Vereinigten der Union der des Vereinigten rischen Regierung der
Staaten von Sozialistischen Königreichs in der Französischen
Amerika in der Sowjetrepubliken in Europäischen Republik in der
Europäischen der Europäischen Beratungs- Europäischen
Beratungs- Beratungs- kommission: Beratungs-
kommission: kommission: kommission
JOHN G. WINANT. F T GOUSEV WILLIAM STRANG MASSIGLI

LANCASTER HOUSE, LONDON, S.W. 1.


1. Mai 1945.
——————
Deutsche Kapitulationserklärung, 8. Mai 1945 1
1. Wir, die Unterzeichneten, handelnd im Auftrag des deutschen Oberkommandos,
übergeben hiermit alle Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft, die sich zu
diesem Zeitpunkt unter deutscher Kontrolle befinden, bedingungslos dem Obersten
Befehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte und gleichzeitig dem Obersten
Oberkommando der Roten Armee.
2. Das deutsche Oberkommando wird unverzüglich allen deutschen Militär-, Marine-
und Luftstreitkräften sowie allen unter deutscher Kontrolle stehenden Streitkräften
den Befehl erteilen, am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr mitteleuropäischer Zeit die aktiven
Operationen einzustellen, in den zu diesem Zeitpunkt eingenommenen Stellungen zu
verbleiben, sich vollständig zu entwaffnen und ihre Waffen und Ausrüstungen den
örtlichen alliierten Befehlshabern oder den von den Vertretern der Alliierten
Oberkommandos bestimmten Offizieren zu übergeben. Kein Schiff, Boot oder Flugzeug
darf versenkt oder an seinem Rumpf, seiner Maschine oder Ausrüstung beschädigt
werden, ebenso wenig wie an Maschinen aller Art, Waffen, Apparaturen und allen
technischen Mitteln zur Kriegsführung im Allgemeinen.
3. Das deutsche Oberkommando wird unverzüglich die entsprechenden Befehle an die
zuständigen Befehlshaber erteilen und die Ausführung aller weiteren Befehle, die vom
Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte sowie dem Obersten
Oberkommando der Roten Armee erteilt werden, sicherstellen.
4. Diese militärische Kapitulationsurkunde ist ohne Präjudiz für jegliche allgemeine
Kapitulationserklärung, die von den Vereinten Nationen oder in deren Namen auferlegt
wird und für DEUTSCHLAND und die deutschen Streitkräfte als Ganzes gilt, und wird
durch diese ersetzt.
5. Für den Fall, daß das deutsche Oberkommando oder eine der ihm unterstellten
Streitkräfte nicht in Übereinstimmung mit dieser Kapitulationserklärung handelt,
werden der Oberste Befehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte und das
Oberste Oberkommando der Roten Armee die ihnen angemessen erscheinenden Straf-
oder sonstigen Maßnahmen ergreifen.
6. Diese Erklärung ist in englischer, russischer und deutscher Sprache aufgesetzt. Der
englische und der russische Text sind die einzigen verbindlichen Texte.
Unterzeichnet zu Berlin, am 8. Tag des Mai 1945
FRIEDEBURG KEITEL STUMPF
Im Namen des deutschen Oberkommandos

1 Ein Jahrzent Amerikanischer Außenpolitik, S. 505-506.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 13
In Gegenwart von:
Im Namen des Im Namen des
Obersten Befehlshabers Kommandos des obersten
der Alliierten Expeditionsstreitkräfte Befehlshabers der Roten Armee
A W TEDDER G ZHUKOV
Bei der Unterzeichnung waren als Zeugen auch zugegen:
F. DE LATTRE-TASSIGNY CARL SPAATZ
Oberstkommandierender General Kommandierender General der Strategischen
der Ersten Französischen Armee Luftstreitkräfte der Vereinigten Staaten
___________

Erklärung bezüglich der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der


obersten Regierungsgewalt durch die alliierten Mächte, 5. Juni 1945 1
Die deutschen Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft sind vollständig
geschlagen worden und haben bedingungslos kapituliert, und Deutschland, das die
Verantwortung für den Krieg trägt, ist nicht mehr fähig, sich dem Willen der
siegreichen Mächte zu widersetzen. Dadurch ist die bedingungslose Kapitulation
Deutschlands bewirkt worden, und Deutschland hat sich den Anforderungen
unterworfen, die ihm jetzt oder in Zukunft auferlegt werden können.
Es gibt in Deutschland keine zentrale Regierung oder Behörde, die in der Lage wäre,
die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verwaltung des
Landes und die Erfüllung der Anforderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen.
Unter diesen Umständen ist es notwendig, unbeschadet etwaiger späterer
Beschlüsse, die in bezug auf Deutschland gefaßt werden, Vorkehrungen für die
Einstellung jeglicher weiterer Feindseligkeiten seitens der deutschen Streitkräfte, für
die Aufrechterhaltung der Ordnung in Deutschland und für die Verwaltung des
Landes zu treffen und die sofortigen Anforderungen bekannt zu geben, denen
Deutschland nachzukommen hat.
Die Vertreter der Oberkommandos der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union
der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs und der
Französischen Republik, im Folgenden „Alliierte Vertreter“ genannt, im Auftrag ihrer
jeweiligen Regierung und im Interesse der Vereinten Nationen handelnd, geben die
folgende Erklärung ab :—
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs sowie die
Provisorische Regierung der Französischen Republik übernehmen hiermit die oberste
Regierungsgewalt in bezug auf Deutschland, einschließlich aller der deutschen
Regierung, dem Oberkommando und jeder staatlichen, kommunalen oder örtlichen
Regierung oder Behörde obliegenden Befugnisse. Die Übernahme der besagten
Regierungsgewalt und Befugnisse zu den oben genannten Zwecken bewirkt nicht die
Annexion Deutschlands.
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs sowie die
Provisorische Regierung der Französischen Republik werden später die Grenzen

1 Senatsdokument Nr. 123, 81. Kongress, 1. Sitzung. Ein Jahrzehnt der amerikanischen Außenpolitik:
Grundlegende Dokumente (Washington, 1950), S. 506–511
14 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Deutschlands oder eines Teils davon und den Status Deutschlands oder eines Gebiets,
das gegenwärtig Teil des deutschen Hoheitsgebiets ist, festlegen.
Aufgrund der von den vier Regierungen übernommenen obersten Regierungsgewalt
und Befugnisse verkünden die Alliierten Vertreter die folgenden Anforderungen, die
sich aus der vollständigen Niederlage und bedingungslosen Kapitulation Deutschlands
ergeben und denen Deutschland nachzukommen hat :—
ARTIKEL 1.
Deutschland und alle deutschen Behörden des Heeres, der Marine und der Luftwaffe
und alle Streitkräfte unter deutscher Kontrolle stellen unverzüglich auf allen
Kriegsschauplätzen die Feindseligkeiten gegen die Streitkräfte der Vereinten
Nationen zu Lande, zu Wasser und in der Luft ein.
ARTIKEL 2.
(a) Alle Streitkräfte Deutschlands oder unter deutscher Kontrolle, einschließlich
Land-, Luft-, Luftabwehr- und Seestreitkräfte, die S.S., S.A. und Gestapo, und alle
anderen mit Waffen ausgerüsteten Hilfsorganisationen, wo auch immer sie sich
befinden mögen, werden vollständig entwaffnet und ihre Waffen und Ausrüstung den
örtlichen alliierten Befehlshabern oder den von den alliierten Vertretern benannten
Offizieren übergeben.
(b) Das Personal der Verbände und Einheiten aller in Absatz (a) genannten
Streitkräfte wird nach Ermessen des Oberbefehlshabers der Streitkräfte des
betreffenden alliierten Staates, bis weitere Entscheidungen getroffen werden, zu
Kriegsgefangenen erklärt und unterliegt den Bedingungen und Anweisungen, die von
den jeweiligen alliierten Vertretern vorgeschrieben werden.
(c) Alle oben in Absatz (a) genannten Streitkräfte werden, wo auch immer sie sich
befinden, in ihren gegenwärtigen Positionen verbleiben, bis sie Anweisungen von den
alliierten Vertretern erhalten.
(d) Die Räumung aller Gebiete außerhalb der Grenzen Deutschlands, wie sie am
31. Dezember 1937 bestanden, durch die genannten Streitkräfte wird gemäß den von
den alliierten Vertretern zu erteilenden Anweisungen erfolgen.
(e) Zivile Polizeikommandos, die nur mit Handfeuerwaffen bewaffnet sind und der
Aufrechterhaltung der Ordnung und der Bewachung dienen, werden von den Alliierten
Vertretern bestimmt.
ARTIKEL 3.
(a) Alle Luftfahrzeuge jeglicher Art und Nationalität in Deutschland oder in den
von Deutschland besetzten oder kontrollierten Gebieten oder Gewässern, ob
militärisch, maritim oder zivil, verbleiben mit Ausnahme der Luftfahrzeuge, die im
Dienst der Alliierten stehen, bis zum Erhalt weiterer Anweisungen am Boden, auf dem
Wasser oder an Bord von Schiffen.
(b) Alle deutschen oder von Deutschland kontrollierten Luftfahrzeuge, die sich in
oder über nicht von Deutschland besetzten oder kontrollierten Gebieten oder
Gewässern befinden, werden nach Deutschland oder an einen anderen Ort oder andere
Orte, die von den alliierten Vertretern bestimmt werden, weitergeführt.
ARTIKEL 4.
(a) Alle deutschen oder von Deutschland kontrollierten Marineschiffe, Über- und
Unterseeboote, Marinehilfsschiffe, Handelsschiffe und andere Schiffe, wo auch immer
sie sich zum Zeitpunkt dieser Erklärung befinden, sowie alle anderen Handelsschiffe,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 15

gleich welcher Nationalität, die sich in deutschen Häfen befinden, werden in den von
den Alliierten Vertretern angegebenen Häfen und Stützpunkten verbleiben oder
unverzüglich dorthin fahren. Die Besatzungen dieser Seefahrzeuge werden bis zum
Erhalt weiterer Anweisungen an Bord bleiben.
(b) Alle Schiffe und Boote der Vereinten Nationen, die sich zum Zeitpunkt dieser
Erklärung zur Verfügung Deutschlands oder unter deutscher Kontrolle befinden,
werden unabhängig davon, ob das Eigentumsrecht aufgrund eines gerichtlichen oder
sonstigen Verfahrens übertragen wurde oder nicht, zu den von den Vertretern der
Alliierten festgelegten Terminen und in die von ihnen angegebenen Häfen und
Stützpunkte fahren.
ARTIKEL 5.
(a) Alle oder einzelne der folgenden Gegenstände, die sich im Besitz der deutschen
Streitkräfte befinden oder unter deutscher Kontrolle oder in deutscher Verfügung
stehen, werden unversehrt und in gutem Zustand zur Verfügung der alliierten
Vertreter gehalten, und zwar für die Zwecke und zu den Zeiten und an den Orten, die
sie vorschreiben werden :—
(i) alle Waffen, Munition, Sprengstoffe, militärischen Ausrüstungen, Lager
und Vorräte sowie sonstige Kriegsgeräte aller Art und alle sonstigen
Kriegsmaterialien ;
(ii) alle Marineschiffe aller Klassen, sowohl Über- als auch Unterwasser-
Hilfsboote der Marine und alle Handelsschiffe, gleichgültig, ob sie schwimmend,
in Reparatur oder im Bau sind, ob sie gebaut sind oder gebaut werden ;
(iii) alle Luftfahrzeuge aller Art, Luft- und Flugabwehrausrüstung und -
geräte ;
(iv) alle Transport- und Kommunikationseinrichtungen und -ausrüstungen
auf dem Land-, Wasser- oder Luftweg ;
(v) alle militärischen Anlagen und Einrichtungen, einschließlich Flugplätzen,
Wasserflugplätzen, Häfen und Marinestützpunkten, Lagerdepots, ständigen und
vorübergehenden Land- und Küstenbefestigungen, Festungen und anderen
befestigten Gebieten, zusammen mit Plänen und Zeichnungen aller dieser
Befestigungen, Anlagen und Einrichtungen ;
(vi) alle Fabriken, Anlagen, Läden, Forschungseinrichtungen, Labors, Prüf-
stationen, technischen Daten, Patente, Pläne, Zeichnungen und Erfindungen, die
zur Herstellung oder zur Erleichterung der Herstellung oder Verwendung der
unter den vorstehenden Buchstaben (i) , (ii) , (iii) , (iv) und (v) genannten
Gegenstände, Materialien und Einrichtungen oder anderweitig zur Förderung der
Kriegsführung entworfen oder bestimmt sind.
(b) Auf Verlangen der alliierten Vertreter wird Folgendes vorgelegt :—
(i) die Arbeitskräfte, Dienstleistungen und Anlagen, die für die Wartung oder
den Betrieb einer der sechs unter Buchstabe (a) genannten Kategorien
erforderlich sind ; und
(ii) alle Informationen oder Aufzeichnungen, die von den alliierten Vertretern
in Zusammenhang mit denselben verlangt werden.
(c) Auf Verlangen der alliierten Vertreter werden alle Erleichterungen für die
Verlegung der alliierten Truppen und Dienststellen, ihrer Ausrüstung und ihres
Nachschubs auf den Eisenbahnstrecken, Straßen und anderen Landverbindungen
oder auf dem See-, Fluss- oder Luftweg bereitgestellt. Alle Transportmittel werden in
einwandfreiem Zustand und instandgehalten, und die dafür erforderlichen
Arbeitskräfte, Dienste und Anlagen werden bereitgestellt.
16 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 6.
(a) Die deutschen Behörden werden den alliierten Vertretern in Übereinstimmung
mit dem von letzteren festzulegenden Verfahren alle gegenwärtig in ihrer Gewalt
befindlichen Kriegsgefangenen, die den Streitkräften der Vereinten Nationen ange-
hören, freilassen und vollständige Listen dieser Personen mit Angabe der Orte ihrer
Inhaftierung in Deutschland oder in den von Deutschland besetzten Gebieten vorlegen.
Bis zur Entlassung dieser Kriegsgefangenen werden die deutschen Behörden und das
deutsche Volk sie in ihrer Person und in ihrem Eigentum schützen und ihnen eine
ihrem Rang oder ihrer amtlichen Stellung entsprechende angemessene Verpflegung,
Kleidung, Unterkunft, medizinische Versorgung und Geld zur Verfügung stellen.
(b) Die deutschen Behörden und das deutsche Volk werden in gleicher Weise für
alle anderen Staatsangehörigen der Vereinten Nationen sorgen und sie freilassen, die
inhaftiert, interniert oder anderweitig zurückgehalten werden, sowie für alle anderen
Personen, die aus politischen Gründen oder als Folge von nationalsozialistischen
Maßnahmen, Gesetzen oder Vorschriften, die eine Diskriminierung aufgrund von
Rasse, Hautfarbe, Glauben oder politischer Überzeugung darstellen, inhaftiert,
interniert oder anderweitig zurückgehalten werden.
(c) Die deutschen Behörden werden auf Verlangen der Alliierten Vertreter die
Kontrolle über die Haftstätten an die von den Alliierten Vertretern zu diesem Zweck
benannten Beamten übergeben.
ARTIKEL 7.
Die betreffenden deutschen Behörden werden den Vertretern der Alliierten :—
(a) vollständige Auskünfte über die in Artikel 2 (a) genannten Streitkräfte und
insbesondere unverzüglich alle von den Vertretern der Alliierten verlangten
Auskünfte hinsichtlich der Anzahl, der Standorte und der Dispositionen dieser
Streitkräfte, ungeachtet dessen, ob sie sich innerhalb oder außerhalb
Deutschlands befinden, erteilen;
(b) vollständige und detaillierte Informationen über Minen, Minenfelder und
andere Hindernisse für die Fortbewegung zu Lande, zu Wasser oder in der Luft
sowie die damit verbundenen Sicherheitsstreifen zur Verfügung stellen. Alle diese
Sicherheitsstreifen werden offengehalten und deutlich gekennzeichnet; alle
Minen, Minenfelder und andere gefährliche Hindernisse werden so weit wie
möglich unschädlich gemacht, und alle Navigationshilfen werden
wiederhergestellt. Unbewaffnetes deutsches militärisches und ziviles Personal
mit der erforderlichen Ausrüstung wird für die oben genannten Zwecke und für
die Beseitigung von Minen, Minenfeldern und anderen Hindernissen auf
Anweisung der Alliierten Vertreter zur Verfügung gestellt und eingesetzt.
ARTIKEL 8.
Es dürfen keine militärischen, Marine-, Luft-, Schifffahrts-, Hafen-, Industrie- und
vergleichbaren Anlagen und Einrichtungen sowie alle Aufzeichnungen und Archive,
wo auch immer sie sich befinden, zerstört, entfernt, versteckt, verlagert, versenkt oder
beschädigt werden, es sei denn, dies wird von den Alliierten Vertretern angeordnet.
ARTIKEL 9.
Bis zur Übernahme der Kontrolle der alliierten Vertreter über alle
Kommunikationsmittel werden alle Funk- und Fernmeldeanlagen sowie alle anderen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 17

Formen der drahtgebundenen oder drahtlosen Kommunikation, ob an Land oder auf


See, die unter deutscher Kontrolle stehen, die Übertragung einstellen, es sei denn, die
Alliierten Vertreter erteilen entsprechende Anweisungen.
ARTIKEL 10.
Die Streitkräfte, Schiffe, Luftfahrzeuge, militärischen Ausrüstungsgegenstände
und sonstiges Eigentum, die sich in Deutschland befinden, unter deutscher Kontrolle
oder in deutschem Dienst sind oder sich in deutscher Verfügung befinden, und die
Streitkräfte, Schiffe, Luftfahrzeuge, militärischen Ausrüstungsgegenstände und
sonstiges Eigentum jedes anderen Landes, das sich mit einem der Alliierten im Krieg
befindet, werden den Bestimmungen dieser Erklärung und allen auf ihrer Grundlage
erlassenen Proklamationen, Befehlen, Verordnungen oder Anweisungen unterworfen
sein.
ARTIKEL 11.
(a) Die bedeutendsten von den Alliierten Vertretern bestimmten Naziführer und
alle Personen, die von den Alliierten Vertretern gelegentlich namentlich oder aufgrund
ihres Ranges, ihres Amtes oder ihrer Beschäftigung als Personen bezeichnet werden,
die im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen oder ähnliche Straftaten begangen,
angeordnet oder angestiftet zu haben, werden festgenommen und den Alliierten
Vertretern überstellt.
(b) Dasselbe gilt für jeden Staatsangehörigen einer der Vereinten Nationen, der
beschuldigt wird, eine Straftat gegen sein nationales Recht begangen zu haben, und
der zu irgendeinem Zeitpunkt von den Alliierten Vertretern namentlich oder nach
Rang, Amt oder Beschäftigung benannt wird.
(c) Die deutschen Behörden und das deutsche Volk werden allen Anweisungen der
Alliierten Vertreter zur Festnahme und Auslieferung dieser Personen Folge leisten.
ARTIKEL 12.
Die Alliierten Vertreter werden nach eigenem Ermessen Streitkräfte und zivile
Dienststellen in einigen oder allen Teilen Deutschlands stationieren.
ARTIKEL 13.
(a) In Ausübung der von den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika,
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs sowie
der Provisorischen Regierung der Französischen Republik gegenüber Deutschland
übernommenen obersten Regierungsgewalt werden die vier alliierten Regierungen
diejenigen Maßnahmen, einschließlich der vollständigen Abrüstung und
Entmilitarisierung Deutschlands, ergreifen, die sie für den künftigen Frieden und die
Sicherheit für erforderlich halten.
(b) Die Alliierten Vertreter werden Deutschland zusätzliche politische,
administrative, wirtschaftliche, finanzielle, militärische und andere Anforderungen
auferlegen, die sich aus der vollständigen Niederlage Deutschlands ergeben. Die
Alliierten Vertreter, Personen oder Behörden, die ordnungsgemäß dazu bestimmt sind,
in ihrem Auftrag zu handeln, werden Proklamationen, Befehle, Anordnungen und
Anweisungen herausgeben, um diese zusätzlichen Anforderungen festzulegen und die
anderen Bestimmungen dieser Erklärung in Kraft zu setzen. Alle deutschen Behörden
und das deutsche Volk haben die Forderungen der Alliierten Vertreter bedingungslos
zu erfüllen und allen derartigen Proklamationen, Befehlen, Anordnungen und
Anweisungen vollständig Folge zu leisten.
18 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 14.
Diese Erklärung tritt mit dem nachstehenden Datum und der nachstehenden Uhr-
zeit in Kraft und wird wirksam. Im Falle des Versäumnisses seitens der deutschen
Behörden oder des deutschen Volkes, ihren hiermit oder später auferlegten
Verpflichtungen unverzüglich und in vollem Umfang nachzukommen, werden die
Alliierten Vertreter alle Maßnahmen, die sie unter den Umständen für angemessen
halten, ergreifen.
ARTIKEL 15.
Diese Erklärung ist in englischer, russischer, französischer und deutscher Sprache
abgefasst. Der englische, der russische und der französische Text sind die einzigen
verbindlichen Texte.
BERLIN, DEUTSCHLAND
5. Juni 1945 1
——————

Erklärung der Alliierten zu den Besatzungszonen in Deutschland, 5. Juni


1945 2
1. Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937
bestanden, zum Zwecke der Besetzung in vier Zonen aufgeteilt, von denen jeder Macht
eine wie folgt zugeteilt wird :
eine östliche Zone der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ;
eine nordwestliche Zone dem Vereinigten Königreich ;
eine südwestliche Zone den Vereinigten Staaten von Amerika ;
eine westliche Zone an Frankreich.
Die Besatzungstruppen jeder Zone werden einem von der verantwortlichen Macht
ernannten Oberbefehlshaber unterstellt. Jede der vier Mächte kann nach eigenem
Ermessen in die Streitkräfte, die unter dem Befehl ihres Oberbefehlshabers für
Besatzungsaufgaben eingesetzt werden, Hilfskontingente der Streitkräfte jeder
anderen alliierten Macht aufnehmen, die aktiv an militärischen Operationen gegen
Deutschland teilgenommen hat.
2. Das Gebiet von "Groß-Berlin" wird von den Streitkräften jeder der vier Mächte
besetzt werden. Es wird eine interalliierte Regierungsbehörde (russisch:
Komendatura) eingerichtet, die aus vier Kommandanten besteht, die von ihren je-
weiligen Oberbefehlshabern ernannt werden, um die Verwaltung gemeinsam zu leiten.

—————————

Alliierte Erklärung zum Kontrollapparat in Deutschland, 5. Juni 1945 3


1. In der Zeit, in der Deutschland die grundlegenden Erfordernisse der
bedingungslosen Kapitulation erfüllt, wird die oberste Regierungsgewalt in
Deutschland auf Weisung ihrer Regierungen von den Oberbefehlshabern der
Sowjetunion, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs ausgeübt,
und zwar jeder in seiner eigenen Besatzungszone und auch gemeinsam in
Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betreffen. Die vier Oberbefehlshaber
werden zusammen den Kontrollrat bilden. Jeder Oberbefehlshaber wird von einem
politischen Berater unterstützt.
1 Unterzeichnet um 1800 Uhr, Berliner Zeit, von Dwight D. Eisenhower, General der Armee, USA ; Schukow,
Marschall der Sowjetunion ; B. L. Montgomery, Feldmarschall, Großbritannien ; De Lattre de Tassigny,
General der Armee, Französische Provisorische Regierung. [Fußnote im Original.]
2 Senatsdokument Nr. 123, 81. Kongress, 1. Sitzung, Ein Jahrzehnt der amerikanischen Außenpolitik :

Grundlegende Dokumente (Washington, 1950), S. 512.


3 Ebenda, S. 512-513.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 19
20 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

2. Der Kontrollrat, dessen Beschlüsse einstimmig zu fassen sind, sorgt für eine
angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens der Oberbefehlshaber in ihren jeweiligen
Besatzungszonen und trifft einvernehmliche Beschlüsse über die wichtigsten Fragen,
die Deutschland als Ganzes betreffen.
3. Dem Kontrollrat untersteht ein ständiger Koordinierungsausschuß, der sich
aus je einem Vertreter der vier Oberbefehlshaber zusammensetzt, sowie ein
Kontrollstab, der sich in folgende Abteilungen gliedert (die im Lichte der Erfahrung
angepaßt werden können) :
Heer ; Marine ; Luftwaffe ; Transportwesen ; Politik ; Wirtschaft ; Finanzen ;
Reparationen, Leistungen sowie Restitutionen ; Innere Angelegenheiten und
Nachrichtenwesen ; Rechtswesen ; Kriegsgefangene und vertriebene Personen ;
Arbeitskräfte.
Jede Abteilung wird von vier Leitern geführt, von denen jede Macht einen benennt.
Die Abteilungen können sowohl mit zivilem als auch mit militärischem Personal
besetzt werden, und in besonderen Fällen können auch Staatsangehörige anderer
Vereinten Nationen eingesetzt werden, die in persönlicher Eigenschaft ernannt
werden.
4. Die Aufgaben des Koordinierungsausschusses und des Kontrollstabs bestehen
darin, den Kontrollrat zu beraten, die Beschlüsse des Kontrollrates auszuführen und
sie an die zuständigen deutschen Organe weiterzuleiten sowie die laufenden Geschäfte
letzterer zu überwachen und zu kontrollieren.
5. Die Verbindung zu den anderen hauptsächlich interessierten Regierungen der
Vereinten Nationen wird dadurch hergestellt, daß diese Regierungen militärische
Missionen (zu denen auch zivile Mitglieder gehören können) in den Kontrollrat
entsenden. Diese Missionen werden über die geeigneten Kanäle Zugang zu den
Kontrollorganen haben.
6. Die Organisationen der Vereinten Nationen werden, wenn sie vom Kontrollrat
zur Tätigkeit in Deutschland zugelassen werden, dem alliierten Kontrollapparat
untergeordnet und ihm gegenüber verantwortlich sein.
7. Die Verwaltung des Gebiets "Groß-Berlin" wird von einer interalliierten
Regierungsbehörde geleitet, die unter der allgemeinen Leitung des Kontrollrats
arbeitet und aus vier Kommandanten besteht, von denen jeder abwechselnd als
Oberkommandant dient. Sie werden von einem technischen Stab unterstützt, der die
Tätigkeit der örtlichen deutschen Organe beaufsichtigt und kontrolliert.
8. Die oben dargelegten Regelungen gelten für den auf die deutsche Kapitulation
folgenden Besatzungszeitraum, in dem Deutschland die grundlegenden
Anforderungen der bedingungslosen Kapitulation erfüllt. Die Regelungen für die
darauffolgende Zeit werden Gegenstand eines gesonderten Abkommens sein.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 21

Änderungsabkommen über die Besatzungszonen und die Verwaltung des


Gebiets „Groß-Berlin“, 26. Juli 1945 1
ABKOMMEN ZWISCHEN DEN REGIERUNGEN DER VEREINIGTEN
STAATEN VON AMERIKA, DER UNION DER SOZIALISTISCHEN
SOWJETREPUBLIKEN UND DES VEREINIGTEN KÖNIGREICHS
SOWIE DER PROVISORISCHEN REGIERUNG DER FRANZÖSISCHEN
REPUBLIK BEZÜGLICH ÄNDERUNGEN DES PROTOKOLLS VOM 12.
SEPTEMBER 1944 ÜBER DIE BESATZUNGSZONEN IN
DEUTSCHLAND UND DIE VERWALTUNG VON „GROß-BERLIN“.
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs haben gemäß des
am 12. Februar 1945 verkündeten Beschlusses der Krim-Konferenz die Provisorische
Regierung der Französischen Republik eingeladen, sich an der Besetzung
Deutschlands zu beteiligen,
die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs sowie die
Provisorische Regierung der Französischen Republik sind übereingekommen, das
Protokoll vom 12. September 1944 zwischen den Regierungen der Vereinigten
Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und des
Vereinigten Königreichs über die Besatzungszonen in Deutschland und die
Verwaltung von „Groß-Berlin“ zu ändern und zu ergänzen,
und haben die folgende Vereinbarung getroffen :
1. In der Präambel des Protokolls vom 12. September 1944 werden bei der
Aufzählung der teilnehmenden Regierungen die Wörter „und der Provisorischen
Regierung der Französischen Republik“ eingefügt.
2. In Nummer 1 des vorgenannten Protokolls werden in den Wörtern „drei
Zonen“, „drei Mächte“ und „drei Mächten“ jeweils das Wort „drei“ durch das Wort
„vier“ ersetzt.
3. Im ersten Absatz der Nummer 2 des vorgenannten Protokolls werden in
der Aufzählung der teilnehmenden Mächte die Wörter „und der Französischen
Republik“ eingefügt sowie jeweils in den Wörtern „drei Zonen“ das Wort „drei“
durch das Wort „vier“ ersetzt.
4. Die Beschreibung der Nordwestlichen Zone in Nummer 2 des
vorgenannten Protokolls wird wie folgt gefaßt ;
„Nordwestliche Zone (Vereinigtes Königreich) (wie auf der beigefügten
Karte „D“ dargestellt).
Das Gebiet Deutschlands westlich der in der Beschreibung der Ost-
(Sowjet-) zone festgelegten Linie, das im Süden durch eine Linie begrenzt
wird, die an dem Punkt beginnt, an dem die Grenze zwischen den
preußischen Provinzen Hannover und Hessen-Naussau auf die Westgrenze
der preußischen Provinz Sachsen trifft ; von dort entlang der Südgrenze

1 Verträge und andere internationale Rechtsakte Reihe 3071. Dieses Abkommen wurde von den Vereinigten
Staaten am 29. Juli 1945, vom Vereinigten Königreich am 2. August 1945, von Frankreich am 7. August 1945
und von der Sowjetunion am 13. August 1945 gebilligt. Siehe auch das Protokoll vom 12. September 1944
(oben) und die Änderung vom 14. November 1944 (oben).
22 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Hannovers ; von dort entlang der südöstlichen und südwestlichen Grenzen


der preußischen Provinz Westfalen und entlang der südlichen Grenzen der
preußischen Regierungsbezirke Köln und Aachen bis zu dem Punkt, an dem
diese Grenze auf die belgisch-deutsche Grenze trifft, wird von den
Streitkräften des Vereinigten Königreichs besetzt.“
5. Die Beschreibung der Südwestlichen Zone in Nummer 2 des vorgenannten
Protokolls wird wie folgt gefasst:
„Südwestliche (Vereinigte Staaten) Zone (wie auf der beigefügten Karte
„D“ dargestellt)
Das Gebiet Deutschlands südlich und östlich einer Linie, die am
Schnittpunkt der Grenzen Sachsens, Bayerns und der Tschechoslowakei
beginnt und sich in westlicher Richtung entlang der nördlichen Grenze
Bayerns bis zum Schnittpunkt der Grenzen Hessen-Nassau, Thüringen und
Bayern erstreckt ; von dort in nördlicher und westlicher Richtung entlang
der östlichen und nördlichen Grenze von Hessen-Nassau bis zu dem Punkt,
an dem die Grenze des Dillkreises auf die Grenze des Oberwester-
waldkreises trifft ; von dort entlang der westlichen Grenze des Dillkreises,
der nordwestlichen Grenze des Oberlahnkreises, der nördlichen und
westlichen Grenze des Landkreises Limburg-an-der-Lahn, der
nordwestlichen Grenze des Untertaunuskreises und der nördlichen Grenze
des Rheingaukreises ; von dort in südlicher und östlicher Richtung entlang
der westlichen und südlichen Grenzen von Hessen-Nassau bis zu dem
Punkt, an dem der Rhein die südliche Grenze von Hessen-Nassau verlässt ;
von dort in südlicher Richtung entlang der Mitte der Fahrrinne des Rheins
bis zu dem Punkt, an dem der Rhein Hessen-Darmstadt verlässt ; von dort
entlang der westlichen Grenze Badens bis zu dem Punkt, an dem die Grenze
des Landkreises Karlsruhe auf die Grenze des Landkreises Rastatt trifft ;
von dort in südöstlicher Richtung entlang der südlichen Grenze des
Landkreises Karlsruhe ; von dort in nordöstlicher und südöstlicher
Richtung entlang der östlichen Grenze Badens bis zu dem Punkt, an dem
die Grenze Badens auf die Grenze zwischen den Landkreisen Calw und
Leonberg trifft ; von dort in südlicher und östlicher Richtung entlang der
westlichen Grenze des Landkreises Leonberg, der westlichen und südlichen
Grenze des Landkreises Böblingen, der südlichen Grenze des Landkreises
Nürtingen und der südlichen Grenze des Landkreises Göppingen bis zu
dem Punkt, an dem letztere auf die Reichsautobahn zwischen Stuttgart und
Ulm trifft ; von dort entlang der südlichen Grenze der Reichsautobahn bis
zu dem Punkt, an dem diese auf die westliche Grenze des Bezirks Ulm
trifft ; von dort südlich entlang der westlichen Grenze des Bezirks Ulm bis
zu dem Punkt, an dem diese auf die westliche Grenze des Freistaats Bayern
trifft ; von dort südlich entlang der westlichen Grenze Bayerns bis zu dem
Punkt, an dem die Grenze des Landkreises Kempten auf die Grenze des
Landkreises Lindau trifft ; von dort südwestlich entlang der westlichen
Grenze des Landkreises Kempten und der westlichen Grenze des
Landkreises Sonthofen bis zu dem Punkt, an dem letztere auf die
österreichisch-deutsche Grenze trifft, wird von den Streitkräften der
Vereinigten Staaten von Amerika besetzt.“
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 23

6. In Nummer 2 des vorgenannten Protokolls wird nach der Beschreibung


der Südwestlichen Zone folgender zusätzlicher Absatz eingefügt:
„Westliche (französische) Zone (wie auf der beigefügten Karte „D“
dargestellt)
Das Gebiet Deutschlands südlich und westlich einer Linie, die am
Schnittpunkt der Grenzen Belgiens und der preußischen
Regierungsbezirke Trier und Aachen beginnt und sich in östlicher Richtung
entlang der nördlichen Grenze des preußischen Regierungsbezirks Trier
erstreckt ; von dort in nördlicher, östlicher und südlicher Richtung entlang
der westlichen, nördlichen und östlichen Grenze des preußischen
Regierungsbezirks Koblenz bis zu dem Punkt, an dem die Grenze von
Koblenz auf die Grenze des Bezirks Oberwesterwald trifft ; von dort in
östlicher, südlicher und westlicher Richtung entlang der nördlichen,
östlichen und südlichen Grenze des Bezirks Oberwesterwald sowie entlang
der östlichen Grenzen der Bezirke Unterwesterwald, Unterlahn und Sankt
Goarshausen bis zu dem Punkt, an dem die Grenze des Bezirks Sankt
Goarshausen auf die Grenze des Regierungsbezirks Koblenz trifft : von dort
südlich und östlich entlang der Ostgrenze von Koblenz ; und der nördlichen
Grenze von Hessen-Darmstadt bis zu dem Punkt, an dem der Rhein die
südliche Grenze von Hessen-Nassau verlässt ; von dort in südlicher
Richtung entlang der Mitte der Fahrrinne des Rheins bis zu dem Punkt, an
dem dieser Hessen-Darmstadt verlässt ; von dort entlang der westlichen
Grenze von Baden bis zu dem Punkt, an dem die Grenze des
Regierungsbezirks Karlsruhe auf die Grenze des Regierungsbezirks Rastatt
trifft ; von dort in südöstlicher Richtung entlang der nördlichen Grenze des
Regierungsbezirks Rastatt ; von dort in nördlicher, östlicher und südlicher
Richtung entlang der westlichen, nördlichen und östlichen Grenze des
Regierungsbezirks Calw ; von dort in östlicher Richtung entlang der
nördlichen Grenzen der Kreise Horb, Tübingen, Reutlingen und Münsingen
bis zu dem Punkt, an dem die nördlichen Grenze des Kreises Münsingen
auf die Reichsautobahn zwischen Stuttgart und Ulm trifft ; von dort in
südöstlicher Richtung entlang der südlichen Grenze der Reichsautobahn
bis zu dem Punkt, an dem diese auf die östliche Grenze des Kreises
Münsingen trifft ; von dort in südöstlicher Richtung entlang der
nordöstlichen Grenzen der Kreise Münsingen, Ehingen und Biberach ; von
dort in südlicher Richtung entlang der östlichen Grenzen der Kreise
Biberach, Wangen und Lindau bis zu dem Punkt, an dem die östliche
Grenze des Kreises Lindau auf die österreichisch-deutsche Grenze trifft,
wird von den Streitkräften der Französischen Republik besetzt“.
7. In dem Absatz in Nummer 2 des vorgenannten Protokolls, der sich auf die
gemeinsame Besetzung von „Groß-Berlin“ bezieht, werden in der Aufzählung der
teilnehmenden Mächte die Wörter „und der Französischen Republik“ eingefügt
sowie die Wörter „die folgenden drei“ durch das Wort „vier“ ersetzt.
8. In Nummer 3 des vorgenannten Protokolls wird vor dem Wort „Zonen“ das
Wort „drei“ durch das Wort „vier“ ersetzt.
9. In Nummer 4 des vorgenannten Protokolls wird vor dem Wort „Mächte“
das Wort „drei“ durch das Wort „vier“ ersetzt.
10. In Nummer 5 des vorgenannten Protokolls wird vor dem Wort
„Kommandanten“ das Wort „drei“ durch das Wort „vier“ ersetzt.
24 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

11. In Nummer 6 des vorgenannten Protokolls wird das Wort „dreifacher“


durch das Wort „vierfacher“ ersetzt sowie in der Aufzählung der Sprachen
„französisch“ hinzugefügt und die Wörter „Beide Texte“ werden durch die Wörter
„Die drei Texte“ ersetzt.
————
Der vorstehende Wortlaut des Abkommens zwischen den Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und
des Vereinigten Königreichs sowie der Provisorischen Regierung der Französischen
Republik bezüglich Änderungen des Protokolls vom 12. September 1944 über die
Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von „Groß-Berlin“ wurde von der
Europäischen Beratungskommission auf ihrer Sitzung am 26. Juli 1945 ausgearbeitet
und einstimmig angenommen.
Repräsentant der Regie- Repräsentant der Regie- Repräsentant der Regie- Repräsentant der Proviso-
rung der Vereinigten rung der Union der rung des Vereinigten rischen Regierung der
Staaten von Amerika Sozialistischen Königreichs in der Französischen
in der Europäischen Sowjetrepubliken in Europäischen Republik in der
Beratungs- der Europäischen Beratungs- Europäischen
kommission: Beratungs- kommission: Beratungs-
kommission: kommission
JOHN G. WINANT. G. SAKSIN RONALD I . CAMPBELL R. MASSIGLI

LANCASTER HOUSE,
LONDON, S.W. 1.

26. Juli 1945.


———————

Protokoll der Konferenz von Berlin (Potsdam), 1. August 1945 1


[Auszüge]
BERLIN, 1. August 1945.
In der Anlage ist das vereinbarte Protokoll der Berliner Konferenz beigefügt.
JOSEPH V. STALIN
HARRY TRUMAN
C. R. ATTLEE
INHALTSVERZEICHNIS
I Einsetzung eines Rates der Außenminister.
II Die Grundsätze für die Behandlung Deutschlands in der ersten Kontrollperiode.
III Reparationszahlungen an Deutschland.
IV Die Beseitigung der deutschen Marine und Handelsmarine.
V Die Stadt Königsberg und das angrenzende Gebiet.
VI Kriegsverbrecher.
VII Österreich.
VIII Polen.
IX Abschluss von Friedensverträgen und Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen.
X Territoriale Treuhänderschaft.
XI Überarbeitetes Verfahren der Alliierten Kontrollkommission in Rumänien, Bulgarien und
Ungarn.
XII Geordneter Transfer der deutschen Bevölkerung.
XIII Ölausrüstung in Rumänien.
XIV Iran.
XV Die internationale Zone von Tanger.

1 Pressemitteilung 238 des Außenministeriums, 24. März 1947


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 25
XVI Die Meerengen des Schwarzen Meeres.
XVII Internationale Binnenschifffahrt.
XVIII Europäische Binnenschifffahrtskonferenz.
XIX Richtlinien für die militärischen Befehlshaber über den Alliierten Kontrollrat für
Deutschland.
XX Verwendung von alliiertem Eigentum für Satellitenreparationen oder „Kriegstrophäen“.
XXI Militärische Besprechungen.
Anhang I––Text des am 12. Juli übermittelten Schreibens an die Vertreter der Amerikanischen und
Britischen Regierung zur Alliierten Kontrollkommission in Ungarn.
Anhang II––Verwendung von alliiertem Eigentum für Satellitenreparationen oder „Kriegs-
trophäen“.

PROTOKOLL DES VERLAUFS DER BERLINER KONFERENZ

Die Berliner Konferenz der drei Regierungschefs der UdSSR, der USA und des
Vereinigten Königreichs, die vom 17. Juli bis 2. August 1945 stattfand, kam zu
folgenden Schlussfolgerungen:

I. EINSETZUNG EINES RATES DER AUßENMINISTER

A. Die Konferenz erzielte folgende Einigung über die Einsetzung eines Rates der
Außenminister, der die notwendigen Vorarbeiten für die Friedensvereinbarungen
leisten soll :
„(1) Es wird ein Rat eingerichtet, der sich aus den Außenministern des
Vereinigten Königreichs, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Chinas,
Frankreichs und der Vereinigten Staaten zusammensetzt.
„(2) (i) Der Rat tritt in der Regel in London zusammen, das der ständige
Sitz des gemeinsamen Sekretariats ist, das der Rat bilden wird. Jeder
Außenminister wird von einem hochrangigen Stellvertreter begleitet, der
ordnungsgemäß ermächtigt ist, die Arbeiten des Rates in Abwesenheit seines
Außenministers fortzuführen, sowie von einem kleinen Stab technischer
Berater,
„(ii) Die erste Sitzung des Rates findet spätestens am 1. September 1945
in London statt. Sitzungen können im gegenseitigen Einvernehmen in
anderen Hauptstädten abgehalten werden, wie von Zeit zu Zeit vereinbart
werden kann.
„(3) (i) Als seine wichtigste unmittelbare Aufgabe wird der Rat ermächtigt,
Friedensverträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland
auszuarbeiten, damit sie den Vereinten Nationen vorgelegt werden können
und Vorschläge für die Regelung der bei Beendigung des Krieges in Europa
noch offenen Gebietsfragen zu unterbreiten. Der Rat wird zur Vorbereitung
einer Friedensregelung für Deutschland herangezogen, die von der Deutschen
Regierung anzunehmen ist, sobald eine für diesen Zweck geeignete Regierung
gebildet ist.
„(ii) Zur Erfüllung jeder dieser Aufgaben setzt sich der Rat aus den
Mitgliedern zusammen, die diejenigen Staaten vertreten, welche die
Kapitulationsbedingungen, die dem betreffenden feindlichen Staat auferlegt
wurden, unterzeichnet haben. Für die Zwecke der Friedensregelung für
Italien wird Frankreich als Unterzeichner der Kapitulationsbedingungen für
Italien betrachtet. Die anderen Mitglieder werden zur Teilnahme eingeladen,
wenn Fragen erörtert werden, die sie unmittelbar betreffen.
26 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

„(iii) Andere Angelegenheiten können von Zeit zu Zeit durch


Vereinbarung zwischen den Mitgliedsregierungen an den Rat verwiesen
werden.
„(4) (i) Wenn der Rat eine Frage prüft, die für einen nicht im Rat
vertretenen Staat von unmittelbarem Interesse ist, sollte dieser Staat
eingeladen werden, Vertreter zu entsenden, um an der Erörterung und
Untersuchung dieser Frage teilzunehmen.
„(ii) Der Rat kann sein Verfahren an die zu prüfenden besonderen
Probleme anpassen. In einigen Fällen kann er seine eigenen Vorgespräche
führen, bevor er andere interessierte Staaten einlädt. In anderen Fällen kann
der Rat eine förmliche Konferenz der Staaten einberufen, die am meisten an
der Lösung des betreffenden Problems interessiert sind.
B. Es wurde vereinbart, daß die drei Regierungen jeweils eine gleichlautende
Einladung an die Regierungen Chinas und Frankreichs richten sollten, diesen Text
anzunehmen und sich an der Gründung des Rates zu beteiligen. Der Text der
genehmigten Einladung lautet wie folgt :
* * * * * * *
C. Es wurde davon ausgegangen, daß die Einsetzung des Rates der Außenminister
für die im Text genannten besonderen Zwecke die Vereinbarung der Krim-Konferenz
über regelmäßige Konsultationen zwischen den Außenministern der Vereinigten
Staaten, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten
Königreichs unberührt läßt.
D. Die Konferenz befaßte sich auch mit der Stellung der Europäischen
Beratungskommission im Lichte des Abkommens zur Einsetzung des Rates der
Außenminister. Es wurde mit Genugtuung festgestellt, daß die Kommission ihre
Hauptaufgaben durch die Empfehlungen, die sie für die Kapitulationsbedingungen für
Deutschland, für die Besatzungszonen in Deutschland und Österreich und für die
interalliierten Kontrollmechanismen in diesen Ländern abgegeben hat, mit Bravour
erfüllt hat. Es wurde die Auffassung vertreten, daß weitere detaillierte Arbeiten zur
Koordinierung der alliierten Politik zur Kontrolle Deutschlands und Österreichs in
Zukunft in die Zuständigkeit des Kontrollrats in Berlin und der Alliierten Kommission
in Wien fallen sollten. Es wurde daher vereinbart, die Auflösung der Europäischen
Beratungskommission zu empfehlen.

II. DIE GRUNDSÄTZE FÜR DIE BEHANDLUNG DEUTSCHLANDS IN DER ERSTEN


KONTROLLPERIODE
A. POLITISCHE PRINZIPIEN

1. Nach dem Abkommen über den Kontrollmechanismus in Deutschland wird die


oberste Befehlsgewalt in Deutschland auf Weisung ihrer jeweiligen Regierungen von
den Oberbefehlshabern der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika, des
Vereinigten Königreichs, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der
Französischen Republik ausgeübt, und zwar jeder in seiner eigenen Besatzungszone
und auch gemeinsam in Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betreffen, in
ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Kontrollrats.
2. Soweit dies möglich ist, wird die deutsche Bevölkerung in ganz Deutschland
einheitlich behandelt.
3. Die Ziele der Besetzung Deutschlands, von denen sich der Kontrollrat leiten
lassen soll, sind :
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 27

(i) Die vollständige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands und die


Beseitigung oder Kontrolle der gesamten deutschen Industrie, die für die
militärische Produktion verwendet werden könnte. Zu diesen Zwecken :
(a) Alle deutschen Land-, See- und Luftstreitkräfte, die SS, die SA, die SG
und die Gestapo mit allen ihren Organisationen, Stäben und Einrichtungen,
einschließlich des Generalstabs, der Offizierskorps, der Reservekorps, der
Militärschulen, der Kriegsveteranenorganisationen und aller anderen
militärischen und halbmilitärischen Organisationen sowie aller Vereine und
Verbände, die der Aufrechterhaltung der militärischen Tradition in
Deutschland dienen, sind vollständig und endgültig in einer Weise aufzulösen,
die ein Wiederaufleben oder eine Neuorganisation des deutschen Militarismus
und Nazismus auf Dauer verhindert ;
(b) Alle Waffen, Munition und Kriegsgeräte sowie alle
Spezialeinrichtungen zu ihrer Herstellung sind den Alliierten zur Verfügung
zu stellen oder zu vernichten. Die Instandhaltung und Herstellung aller
Flugzeuge und aller Waffen, Munition und Kriegsgeräte ist zu verhindern.
(ii) Das deutsche Volk davon zu überzeugen, daß es eine totale militärische
Niederlage erlitten hat und daß es sich der Verantwortung für das, was es selbst
verursacht hat, nicht entziehen kann, da seine eigene rücksichtslose
Kriegsführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft
zerstört und Chaos und Leid unvermeidlich gemacht haben.
(iii) Vernichtung der Nationalsozialistischen Partei und der ihr
angeschlossenen und unterstellten Organisationen, Auflösung aller
nationalsozialistischen Einrichtungen, Sicherstellung, daß sie in keiner Form
wiederbelebt werden, und Unterbindung aller nationalsozialistischen und
militaristischen Aktivitäten oder Propaganda.
(iv) Vorbereitung auf den künftigen Wiederaufbau des deutschen politischen
Lebens auf demokratischer Grundlage und auf eine mögliche friedliche
Zusammenarbeit Deutschlands im internationalen Leben vorzubereiten.
4. Alle nationalsozialistischen Gesetze, die die Grundlage des Hitler-Regimes
bildeten oder Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der
politischen Überzeugung begründeten, werden abgeschafft. Derartige
Diskriminierungen, ob rechtlich, verwaltungstechnisch oder anderweitig, werden
nicht geduldet.
5. Kriegsverbrecher und Personen, die an der Planung oder Durchführung von
Nazi-Unternehmungen beteiligt waren, die Gräueltaten oder Kriegsverbrechen
beinhalten oder zur Folge hatten, sind zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Nazi-
Führer, einflussreiche Nazi-Unterstützer und hohe Funktionäre von Nazi-
Organisationen und -Institutionen sowie alle anderen Personen, die für die Besatzung
oder ihre Ziele gefährlich sind, sind zu verhaften und zu internieren.
6. Alle Mitglieder der Nazipartei, die mehr als nur nominell an deren Aktivitäten
teilgenommen haben und alle anderen Personen, die den Zielen der Alliierten feindlich
gegenüberstehen, sind aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern sowie aus
verantwortlichen Positionen in wichtigen privaten Unternehmen zu entfernen. An ihre
Stelle sind Personen zu setzen, die aufgrund ihrer politischen und moralischen
Qualitäten geeignet sind, an der Entwicklung echter demokratischer Institutionen in
Deutschland mitzuwirken.
7. Das deutsche Bildungswesen soll so gelenkt werden, daß nationalsozialistische
und militaristische Lehren vollständig beseitigt und die erfolgreiche Entwicklung
demokratischer Ideen ermöglicht werden.
8. Das Justizwesen wird nach den Grundsätzen der Demokratie, der
Rechtsprechung und der Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Rasse,
der Nationalität oder der Religion umgestaltet.
28 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

9. Die Verwaltung in Deutschland sollte auf die Dezentralisierung der politischen


Struktur und die Entwicklung von lokaler Verantwortung ausgerichtet sein. Zu diesem
Zweck :
(i) die kommunale Selbstverwaltung wird in ganz Deutschland nach
demokratischen Grundsätzen und insbesondere durch gewählte Räte so schnell
wiederhergestellt, wie es mit der militärischen Sicherheit und den Zielen der
militärischen Besetzung vereinbar ist ;
(ii) alle demokratischen politischen Parteien mit dem Recht, sich zu
versammeln und öffentlich zu diskutieren, sind in ganz Deutschland zuzulassen
und zu fördern ;
(iii) die Grundsätze der Repräsentativität und des Wahlrechts werden in die
Verwaltung der Regionen, Provinzen und Bundesländer so schnell eingeführt, wie
es die erfolgreiche Anwendung dieser Grundsätze in der kommunalen
Selbstverwaltung rechtfertigt ;
(iv) bis auf weiteres wird keine deutsche Zentralregierung gebildet. Dessen
ungeachtet werden jedoch bestimmte wesentliche deutsche
Zentralverwaltungsabteilungen unter der Leitung von Staatssekretären
eingerichtet, insbesondere in den Bereichen Finanzen, Verkehr,
Nachrichtenwesen, Außenhandel und Industrie. Diese Abteilungen werden unter
der Leitung des Kontrollrats tätig.
10. Vorbehaltlich der Notwendigkeit, die militärische Sicherheit
aufrechtzuerhalten, sind Rede-, Presse- und Religionsfreiheit zuzulassen und die
religiösen Einrichtungen zu respektieren. Ebenfalls unter dem Vorbehalt der
Aufrechterhaltung der militärischen Sicherheit ist die Bildung freier Gewerkschaften
zulässig.

B ÖKONOMISCHE PRINZIPIEN

11. Zur Beseitigung des deutschen Kriegspotentials ist die Herstellung von Waffen,
Munition und Kriegsgerät sowie von Flugzeugen und Seeschiffen aller Art zu verbieten
und zu verhindern. Die Produktion von Metallen, Chemikalien, Maschinen und
anderen Gegenständen, die für eine Kriegswirtschaft unmittelbar erforderlich sind, ist
streng zu kontrollieren und auf den genehmigten deutschen Nachkriegs-
Friedensbedarf zu beschränken, um die in Absatz 15 genannten Ziele zu erreichen.
Produktionskapazitäten, die für die zulässige Produktion nicht benötigt werden, sind
gemäß dem von der Alliierten Reparationskommission empfohlenen und von den
betreffenden Regierungen genehmigten Reparationsplan zu entfernen oder, falls sie
nicht entfernt werden, zu vernichten.
12. Die deutsche Wirtschaft ist zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu
dezentralisieren, um die gegenwärtige übermäßige Konzentration wirtschaftlicher
Macht, wie sie insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere
monopolistische Vereinbarungen zum Ausdruck kommt, zu beseitigen.
13. Bei der Organisation der deutschen Wirtschaft ist das Hauptgewicht auf die
Entwicklung von Landwirtschaft und friedlicher einheimischer Industrie zu legen.
14. Während der Besatzungszeit wird Deutschland als eine einzige wirtschaftliche
Einheit behandelt. Zu diesem Zweck werden gemeinsame Richtlinien festgelegt in
bezug auf
(a) die Bergbau- und Industrieproduktion und deren Aufteilung ;
(b) die Land- und Forstwirtschaft und die Fischerei ;
(c) Löhne, Preise und Rationierung ;
(d) Einfuhr- und Ausfuhrprogramme für Deutschland als Ganzes ;
(e) das Währungs- und Bankwesen, die zentrale Besteuerung und den Zoll ;
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 29

(f) Reparation und Beseitigung des industriellen Kriegspotentials ;


(g) Transport und Kommunikation.
Bei der Anwendung dieser Politik sind gegebenenfalls die unterschiedlichen
örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen.
15. Die alliierten Kontrollen werden der deutschen Wirtschaft nur insoweit
auferlegt, als dies erforderlich ist :
(a) zur Durchführung von Programmen der industriellen Abrüstung, der
Entmilitarisierung oder der Reparationen und von genehmigten Exporten und
Importen.
(b) um die Herstellung und Aufrechterhaltung von Gütern und
Dienstleistungen zu gewährleisten, die zur Deckung des Bedarfs der
Besatzungstruppen und der Vertriebenen in Deutschland erforderlich sind und
die wesentlich sind, um in Deutschland einen durchschnittlichen Lebensstandard
aufrechtzuerhalten, der den Durchschnitt des Lebensstandards der europäischen
Länder nicht übersteigt. (Unter europäischen Ländern sind alle europäischen
Länder mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und der UdSSR zu verstehen)
(c) in der vom Kontrollrat festgelegten Weise für eine gerechte Verteilung der
lebenswichtigen Güter auf die verschiedenen Zonen zu sorgen, um eine
ausgeglichene Wirtschaft in ganz Deutschland herzustellen und den Bedarf an
Einfuhren zu verringern.
(d) die deutsche Industrie und alle wirtschaftlichen und finanziellen
internationalen Transaktionen, einschließlich der Aus- und Einfuhren, zu
kontrollieren, um zu verhindern, daß Deutschland ein Kriegspotential entwickelt,
und um die anderen hier genannten Ziele zu erreichen.
(e) die Kontrolle aller deutschen öffentlichen oder privaten
wissenschaftlichen Einrichtungen, Forschungs- und Versuchsanstalten,
Laboratorien usw., die mit wirtschaftlichen Tätigkeiten verbunden sind.
16. Bei der Durchsetzung und Aufrechterhaltung der vom Kontrollrat festgelegten
Wirtschaftskontrollen wird ein deutscher Verwaltungsapparat geschaffen, und die
deutschen Behörden werden verpflichtet, diese Kontrollen so weit wie möglich zu
verkünden und ihre Verwaltung zu übernehmen. Auf diese Weise soll dem deutschen
Volk klargemacht werden, daß es die Verantwortung für die Verwaltung dieser
Kontrollen und für jeden Zusammenbruch dieser Kontrollen selbst trägt. Jede
deutsche Kontrolle, die den Zielen der Besatzung zuwiderläuft, wird verboten.
17. Es sind unverzüglich Maßnahmen zu treffen:
(a) zur wesentlichen Instandsetzung des Verkehrs ;
(b) zur Ausweitung der Kohleförderung ;
(c) zur Maximierung der landwirtschaftlichen Produktion und
(d) um Notinstandsetzungen an Wohnungen und wesentlichen
Versorgungseinrichtungen durchzuführen.
18. Der Kontrollrat wird geeignete Schritte unternehmen, um die Kontrolle und
die Verfügungsgewalt über das in deutschem Besitz befindliche Auslandsvermögen
auszuüben, das nicht bereits unter der Kontrolle der Vereinten Nationen steht, die am
Krieg gegen Deutschland teilgenommen haben.
19. Die Zahlung der Reparationen soll dem deutschen Volk genügend Mittel
belassen, um es in die Lage zu versetzen, ohne fremde Hilfe zu leben. Bei der
Ermittlung des wirtschaftlichen Gleichgewichts Deutschlands müssen die
erforderlichen Mittel zur Bezahlung der vom Kontrollrat in Deutschland genehmigten
Einfuhren vorgesehen werden. Die Ausfuhrerlöse aus der laufenden Produktion und
den Lagerbeständen müssen in erster Linie für die Bezahlung dieser Importe zur
Verfügung stehen.
Die vorstehende Klausel gilt nicht für die in Absatz 4 Buchstaben (a) und (b) des
Wiedergutmachungsabkommens genannten Ausrüstungen und Erzeugnisse.
30 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

III. REPARATIONEN VON DEUTSCHLAND

1. Die Reparationsansprüche der UdSSR sind durch Entnahmen aus der von der
UdSSR besetzten Zone Deutschlands und aus dem entsprechenden deutschen
Auslandsvermögen zu erfüllen.
2. Die UdSSR verpflichtet sich, die Reparationsansprüche Polens aus ihrem
eigenen Anteil an den Reparationen zu befriedigen.
3. Die Reparationsansprüche der Vereinigten Staaten, des Vereinigten
Königreichs und anderer Länder, die Anspruch auf Reparationen haben, werden aus
den Westzonen und aus dem entsprechenden deutschen Auslandsvermögen erfüllt.
4. Zusätzlich zu den von der UdSSR aus ihrer eigenen Besatzungszone zu
entnehmenden Reparationen erhält die UdSSR weitere Reparationen aus den
Westzonen :
(a) 15 Prozent derjenigen brauchbaren und vollständigen industriellen
Investitionsgüter, in erster Linie aus der metallurgischen, chemischen und
maschinellen Industrie, die für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig sind und
aus den westlichen Zonen Deutschlands entfernt werden sollten, im Austausch
gegen einen Gegenwert von Nahrungsmitteln, Kohle, Pottasche, Zink, Holz,
Tonprodukten, Erdölprodukten und solchen anderen Waren, über die man sich
einigen kann.
(b) 10 Prozent der industriellen Investitionsgüter, die für die deutsche
Friedenswirtschaft nicht notwendig sind und aus den westlichen Zonen entfernt
werden sollten, um sie der sowjetischen Regierung als Reparationen ohne
Zahlung oder Gegenleistung irgendeiner Art zu übergeben.
Die unter den Buchstaben (a) und (b) genannten Ausrüstungsgegenstände sind
gleichzeitig zu entfernen.
5. Der Umfang der aus den Westzonen zu verlagernden Ausrüstungen aufgrund
von Reparationsleistungen ist spätestens innerhalb von sechs Monaten zu bestimmen.
6. Der Abtransport von industriellen Investitionsgütern beginnt so bald wie
möglich und wird innerhalb von zwei Jahren nach der in Absatz 5 genannten
Feststellung abgeschlossen. Die Lieferung der unter Absatz 4 Buchstabe (a) fallenden
Erzeugnisse beginnt so bald wie möglich und wird von der UdSSR in vereinbarten
Teilmengen innerhalb von fünf Jahren ab dem Datum dieser Vereinbarung
durchgeführt. Die Bestimmung des Umfangs und der Art der industriellen
Investitionsgüter, die für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig sind und daher für
die Reparationen zur Verfügung stehen, erfolgt durch den Kontrollrat nach den von
der Alliierten Reparationskommission unter Beteiligung Frankreichs festgelegten
Richtlinien, vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung des Zonenkommandanten in
der Zone, aus der die Güter entfernt werden sollen.
7. Vor der Festsetzung der Gesamtmenge der zu entfernenden
Ausrüstungsgegenstände werden Vorablieferungen derjenigen
Ausrüstungsgegenstände vorgenommen, die nach dem Verfahren des Absatzes 6
letzter Satz für eine Lieferung in Betracht kommen.
8. Die Sowjetregierung verzichtet auf alle Reparationsansprüche auf Anteile an
deutschen Unternehmen, die sich in den Westzonen Deutschlands befinden, sowie auf
deutsches Auslandsvermögen in allen Ländern mit Ausnahme der in Absatz 9
genannten.
9. Die Regierungen Großbritanniens und der USA verzichten auf alle
Reparationsansprüche an Aktien deutscher Unternehmen, die sich in der deutschen
Ostzone befinden, sowie an deutschem Auslandsvermögen in Bulgarien, Finnland,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 31

Ungarn, Rumänien und Ostösterreich.


10. Die sowjetische Regierung erhebt keinen Anspruch auf das von den alliierten
Truppen in Deutschland erbeutete Gold.

IV. BESEITIGUNG DER DEUTSCHEN MARINE UND HANDELSFLOTTE

A. Es wurden folgende Grundsätze für die Aufteilung der Deutschen Marine


vereinbart :
(1) Die Gesamtstärke der deutschen Überwasserflotte, ohne die versenkten
und von alliierten Nationen übernommenen Schiffe, aber einschließlich der im
Bau oder in der Reparatur befindlichen Schiffe, wird zu gleichen Teilen auf die
UdSSR, Großbritannien und die USA aufgeteilt.
(2) Im Bau oder in der Reparatur befindliche Schiffe sind solche Schiffe, deren
Bau oder Reparatur je nach Schiffstyp innerhalb von drei bis sechs Monaten
abgeschlossen werden kann. Ob solche im Bau oder in der Reparatur befindlichen
Schiffe fertiggestellt oder repariert werden, wird von dem von den Drei Mächten
eingesetzten und nachstehend genannten technischen Ausschuß bestimmt, wobei
der Grundsatz gilt, daß ihre Fertigstellung oder Reparatur innerhalb der oben
genannten Fristen erfolgen muß, ohne daß die Zahl der qualifizierten
Arbeitsplätze in den deutschen Werften erhöht wird und ohne daß die
Wiederaufnahme des deutschen Schiffbaus oder damit verbundener Industrien
zugelassen wird. Unter Fertigstellungstermin ist der Zeitpunkt zu verstehen, an
dem ein Schiff zu seiner ersten Fahrt auslaufen kann, oder, in Friedenszeiten, der
übliche Zeitpunkt der Ablieferung durch die Werft an die Regierung.
(3) Der größte Teil der deutschen U-Boot-Flotte soll versenkt werden.
Höchstens dreißig Unterseeboote bleiben erhalten und werden zu gleichen Teilen
auf die UdSSR, Großbritannien und die USA für experimentelle und technische
Zwecke aufgeteilt.
(4) Alle Bestände an Bewaffnung, Munition und Vorräten der deutschen
Marine, die zu den gemäß den Absätzen (1) und (3) übergebenen Schiffen gehören,
sind den jeweiligen Mächten zu übergeben, die diese Schiffe erhalten.
(5) Die Drei Regierungen kommen überein, eine dreiseitige
Marinekommission zu bilden, die aus je zwei Vertretern jeder Regierung besteht
und von dem erforderlichen Personal begleitet wird, um den Drei Regierungen
abgestimmte Empfehlungen für die Zuteilung bestimmter deutscher
Kriegsschiffe zu unterbreiten und andere Detailfragen zu behandeln, die sich aus
der Vereinbarung zwischen den Drei Regierungen über die deutsche Flotte
ergeben. Die Kommission wird ihre erste Sitzung spätestens am 15. August 1945
in Berlin abhalten, das ihr Sitz sein wird. Jede Delegation der Kommission hat
das Recht, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit deutsche Kriegsschiffe zu
inspizieren, wo immer sie sich befinden.
(6) Die drei Regierungen sind übereingekommen, daß die Überführungen,
einschließlich der Überführung von im Bau und in der Reparatur befindlichen
Schiffen, so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 15. Februar 1946,
abgeschlossen sein sollen. Die Kommission wird vierzehntägige Berichte
vorlegen, die auch Vorschläge für die schrittweise Zuteilung der Schiffe enthalten,
wenn die Kommission zustimmt.
B. Es wurden folgende Grundsätze für die Verteilung der deutschen
Handelsmarine vereinbart :
32 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

(1) Die an die Drei Mächte überlassene deutsche Handelsmarine, wo immer


sie sich befindet, wird zu gleichen Teilen auf die UdSSR, Großbritannien und die
USA aufgeteilt. Die tatsächliche Übergabe der Schiffe an die jeweiligen Länder
soll so bald wie möglich nach Beendigung des Krieges gegen Japan erfolgen. Das
Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten werden aus ihren Anteilen an
den überlassenen deutschen Handelsschiffen angemessene Mengen für andere
alliierte Staaten bereitstellen, deren Handelsmarine in der gemeinsamen Sache
gegen Deutschland schwere Verluste erlitten hat, mit der Ausnahme, daß die
Sowjetunion aus ihrem Anteil für Polen sorgen wird.
(2) Die Zuteilung, die Besetzung und der Betrieb dieser Schiffe während der
Zeit des japanischen Krieges fallen unter die Zuständigkeit und Autorität des
Combined Shipping Adjustment Board (Gemeinsamer Ausschuss für die
Regulierungen die Schiffe betreffend) und der Vereinten Schifffahrtsbehörde.
(3) Während die tatsächliche Übergabe der Schiffe bis nach dem Ende des
Krieges mit Japan verschoben wird, wird eine dreigliedrige
Schifffahrtskommission alle verfügbaren Schiffe erfassen und bewerten und eine
spezifische Verteilung gemäß Absatz (1) empfehlen.
(4) Deutsche Binnen- und Küstenschiffe, die vom Alliierten Kontrollrat
Deutschlands als notwendig für die Aufrechterhaltung der grundlegenden
deutschen Friedenswirtschaft eingestuft werden, werden nicht in den so unter
den Drei Mächten aufgeteilten Schiffspool einbezogen.
(5) Die drei Regierungen kommen überein, eine dreiseitige
Handelsmarinekommission zu bilden, die aus je zwei Vertretern jeder Regierung
besteht und von dem erforderlichen Personal begleitet wird, um den drei
Regierungen abgestimmte Empfehlungen für die Zuteilung bestimmter deutscher
Handelsschiffe zu unterbreiten und andere Detailfragen zu behandeln, die sich
aus der Vereinbarung zwischen den drei Regierungen über die deutschen
Handelsschiffe ergeben. Die Kommission wird ihre erste Sitzung spätestens am
1. September 1945 in Berlin abhalten, das ihr Sitz sein wird. Jede Delegation der
Kommission hat das Recht, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit die deutschen
Handelsschiffe zu inspizieren, wo immer sie sich befinden.

V. DIE STADT KÖNIGSBERG UND DAS ANGRENZENDE GEBIET

Die Konferenz prüfte einen Vorschlag der Sowjetregierung, wonach bis zur
endgültigen Regelung der territorialen Fragen bei der Friedenslösung der an die
Ostsee grenzende Abschnitt der Westgrenze der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken von einem Punkt am Ostufer der Danziger Bucht nach Osten,
nördlich von Braunsberg Goldap, bis zum Zusammentreffen der Grenzen Litauens, der
Polnischen Republik und Ostpreußens verlaufen soll.
Die Konferenz hat dem Vorschlag der sowjetischen Regierung im Grundsatz
zugestimmt betreffend die endgültige Abtretung der Stadt Königsberg und des an sie
angrenzenden Gebietes an die Sowjetunion, wie oben beschrieben, vorbehaltlich der
Prüfung des tatsächlichen Grenzverlaufs durch Experten.
Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Britische Premierminister haben
erklärt, daß sie den Vorschlag der Konferenz bei der bevorstehenden Friedensregelung
unterstützen werden.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 33

VI. KRIEGSVERBRECHER

Die drei Regierungen haben die Gespräche zur Kenntnis genommen, die in den
letzten Wochen in London zwischen Vertretern Großbritanniens, der Vereinigten
Staaten, der Sowjetunion und Frankreichs stattgefunden haben, um zu einer Einigung
über die Methoden zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher zu gelangen, deren
Verbrechen gemäß der Moskauer Erklärung vom Oktober 1943 keine besondere
geografische Lokalisierung aufweisen. Die Drei Regierungen bekräftigen ihre Absicht,
diese Verbrecher rasch und sicher vor Gericht zu stellen. Sie hoffen, daß die
Verhandlungen in London zu einer raschen Einigung in diesem Sinne führen werden,
und sie halten es für sehr wichtig, daß der Prozeß gegen diese Hauptverbrecher zum
frühestmöglichen Zeitpunkt beginnt. Die erste Liste der Angeklagten wird vor dem 1.
September veröffentlicht werden.
* * * * * * *
VIII. POLEN
B. WESTGRENZE VON POLEN

In Übereinstimmung mit der auf der Krim-Konferenz erzielten Übereinkunft über


Polen haben die drei Regierungschefs die Meinung der Polnischen Provisorischen
Regierung der Nationalen Einheit in bezug auf den Beitritt von Gebieten im Norden
und Westen, die Polen erhalten soll, eingeholt.
Der Präsident des polnischen Nationalrates und die Mitglieder der Polnischen
Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit sind auf der Konferenz empfangen
worden und haben ihre Ansichten ausführlich dargelegt. Die drei Regierungschefs
bekräftigen ihre Auffassung, daß die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis
zur Friedensregelung warten sollte.
Die drei Regierungschefs kommen überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der
Westgrenze Polens die ehemaligen deutschen Gebiete östlich einer Linie, die von der
Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort entlang der Oder bis zur
Einmündung der westlichen Neiße und entlang der westlichen Neiße bis zur
Tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teils Ostpreußens, der nicht
gemäß der auf dieser Konferenz erzielten Verständigung unter die Verwaltung der
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gestellt wird, und einschließlich des
Gebiets der ehemaligen freien Stadt Danzig, unter der Verwaltung des polnischen
Staates stehen soll und sollte für diese Zwecke nicht als Teil der Sowjetischen
Besatzungszone in Deutschland angesehen werden.
* * * * * * *
XII. GEORDNETE ÜBERFÜHRUNG VON DEUTSCHEN BEVÖLKERUNGSGRUPPEN
Die drei Regierungen haben die Frage in all ihren Aspekten geprüft und erkennen
an, daß die Überführung der in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn verbliebenen
deutschen Bevölkerung oder von Teilen davon nach Deutschland durchgeführt werden
muß. Sie stimmen darin überein, daß jeder Transfer, der stattfindet, in geordneter und
humaner Weise durchgeführt werden sollte. Da der Zustrom einer großen Zahl von
Deutschen nach Deutschland die bereits auf den Besatzungsbehörden ruhende Last
noch vergrößern würde, sind sie der Auffassung, daß der Kontrollrat in Deutschland
das Problem in erster Linie unter besonderer Berücksichtigung der Frage der
gerechten Verteilung dieser Deutschen auf die verschiedenen Besatzungszonen prüfen
sollte. Sie beauftragen daher ihre jeweiligen Vertreter im Kontrollrat, ihren
34 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Regierungen so bald wie möglich mitzuteilen, in welchem Umfang diese Personen


bereits aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn nach Deutschland eingereist
sind, und eine Schätzung des Zeitraums und der Geschwindigkeit vorzulegen, in der
weitere Überstellungen in Anbetracht der derzeitigen Lage in Deutschland
durchgeführt werden könnten.
Die Tschechoslowakische Regierung, die Polnische Provisorische Regierung und der
Kontrollrat in Ungarn werden gleichzeitig davon unterrichtet und aufgefordert,
weitere Ausweisungen auszusetzen, bis die betreffenden Regierungen den Bericht
ihrer Vertreter im Kontrollrat geprüft haben.
* * * * * * *
XIX. RICHTLINIEN FÜR DIE MILITÄRISCHEN BEFEHLSHABER IM ALLIIERTEN
KONTROLLRAT FÜR DEUTSCHLAND
Die drei Regierungen kamen überein, ihrem Vertreter im Kontrollrat für
Deutschland eine Mitteilung zukommen zu lassen, in der sie ihn über alle Beschlüsse
der Konferenz, die seinen Aufgabenbereich betreffen, informieren.

XX. VERWENDUNG VON ALLIIERTEM EIGENTUM FÜR SATELLITENREPARATIONEN


ODER „KRIEGSTROPHÄEN“

Der von der Delegation der Vereinigten Staaten unterbreitete Vorschlag (Anhang
II) wurde von der Konferenz im Grundsatz angenommen, die Ausarbeitung eines
entsprechenden Abkommens sollte auf diplomatischem Wege erfolgen.
* * * * * * *
––––––

ANHANG II

VERWENDUNG VON ALLIIERTEM EIGENTUM FÜR SATELLITENREPARATIONEN


ODER „KRIEGSTROPHÄEN“

1. Die Last der Wiedergutmachung und der „Kriegstrophäen“ sollte nicht den
alliierten Staatsangehörigen aufgebürdet werden.
2. Investitionsgüter. Wir lehnen den Abtransport solchen alliierten Eigentums als
Reparationen, „Kriegstrophäen“ oder unter irgendeinem anderen Deckmantel ab.
Durch die Zerstörung von Anlagen und den damit verbundenen Verlust von Märkten
und Handelsverbindungen würden den alliierten Staatsangehörigen Verluste
entstehen; die Beschlagnahme von alliiertem Eigentum macht es dem Satellitenstaat
unmöglich, seiner Verpflichtung aus dem Waffenstillstand nachzukommen, die Rechte
und Interessen der alliierten Nationen und ihrer Staatsangehörigen
wiederherzustellen.
Die Vereinigten Staaten erwarten von den anderen Besatzungsmächten die
Rückgabe aller bereits entfernten Ausrüstungsgegenstände und die Beendigung der
Entfernung. Wenn diese Ausrüstungen nicht zurückgegeben werden oder nicht
zurückgegeben werden können, werden die Vereinigten Staaten vom Satellitenstaat
eine angemessene, wirksame und unverzügliche Entschädigung der amerikanischen
Staatsangehörigen verlangen, wobei diese Entschädigung den gleichen Vorrang wie
die Reparationszahlungen haben soll.
Diese Grundsätze gelten für alle Immobilien, die sich ganz oder zu einem
wesentlichen Teil im Besitz von Staatsangehörigen der Alliierten befinden. Im Falle
der Wegnahme von Eigentum, an dem sowohl das amerikanische als auch das gesamte
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 35

alliierte Interesse weniger als erheblich ist, erwarten die Vereinigten Staaten eine
angemessene, wirksame und unverzügliche Entschädigung.
3. Laufende Produktion. Die USA lehnen eine Entschädigung aus der laufenden
Produktion der alliierten Investitionen nicht ab, doch muss der Satellitenstaat den
alliierten Staatsangehörigen eine sofortige und angemessene Entschädigung
gewähren, einschließlich ausreichender Devisen oder Erzeugnisse, damit sie ihre
angemessenen Devisenausgaben decken und eine angemessene Rendite auf ihre
Investitionen übertragen können. Eine solche Entschädigung muss auch gleichrangig
mit Reparationen sein.
Wir halten es für unerläßlich, daß die Satellitenstaaten keine Verträge, Abkommen
oder Vereinbarungen schließen, die den alliierten Staatsangehörigen den Zugang zu
ihrem Handel, ihren Rohstoffen und ihrer Industrie zu gleichen Bedingungen
verwehren, und daß sie alle bestehenden Vereinbarungen, die eine solche Wirkung
haben könnten, entsprechend ändern.

–––––––––

Stuttgarter Rede des Außenministers Byrnes, 6. September 1946 1


NEUFORMULIERUNG DER US-POLITIK GEGENÜBER DEUTSCHLAND
Ich bin nach Deutschland gekommen, um aus erster Hand zu erfahren, welche
Probleme der Wiederaufbau Deutschlands mit sich bringt, und um mit unseren
Vertretern die Ansichten der Regierung der Vereinigten Staaten über einige der
Probleme zu erörtern, mit denen wir konfrontiert sind.
Wir in den Vereinigten Staaten haben diesen Problemen viel Zeit und
Aufmerksamkeit gewidmet, weil von ihrer richtigen Lösung nicht nur das künftige
Wohlergehen Deutschlands, sondern auch das künftige Wohlergehen Europas
abhängt.
Wir haben gelernt, ob es uns gefällt oder nicht, daß wir in einer Welt leben, von der
wir uns nicht isolieren können. Wir haben gelernt, daß Frieden und Wohlergehen
unteilbar sind und daß unser Frieden und Wohlergehen nicht um den Preis des
Friedens oder des Wohlergehens eines anderen Landes erkauft werden kann.
Ich hoffe, daß das deutsche Volk nie wieder den Fehler begehen wird, zu glauben,
daß das amerikanische Volk, weil es friedliebend ist, sich zurücklehnt und auf Frieden
hofft, wenn eine Nation Gewalt oder die Androhung von Gewalt anwendet, um die
Herrschaft über andere Völker und andere Regierungen zu erlangen.
Im Jahr 1917 wurden die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg gezwungen.
Nach diesem Krieg weigerten wir uns, dem Völkerbund beizutreten. Wir dachten, wir
könnten uns aus den Kriegen in Europa heraushalten, und wir verloren das Interesse
an den Angelegenheiten Europas. Das hat uns nicht davor bewahrt, in einen zweiten
Weltkrieg gezwungen zu werden.
Diesen Fehler werden wir nicht noch einmal begehen. Wir haben die Absicht, uns
weiterhin für die Angelegenheiten Europas und der Welt zu interessieren. Wir haben
geholfen, die Vereinten Nationen zu organisieren. Wir glauben, daß sie Aggressor-
Nationen davon abhalten werden, Kriege zu beginnen. Weil wir das glauben,
beabsichtigen wir, die Organisation der Vereinten Nationen mit allen Kräften und
Mitteln, die wir besitzen, zu unterstützen.
Das amerikanische Volk will Frieden. Es redet schon lange nicht mehr von einem
harten oder weichen Frieden für Deutschland. Das war nie das eigentliche Thema.

1 Deutschland, 1947-1949 : Die Geschichte in Dokumenten (Veröffentlichung des Außenministeriums 3556 :


1950), S. 3–8.
36 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Was wir wollen, ist ein dauerhafter Frieden. Wir werden uns weichen Maßnahmen
widersetzen, die zum Bruch des Friedens einladen.
Als die Vereinigten Staaten in Potsdam zustimmten, daß Deutschland abgerüstet
und entmilitarisiert werden sollte, und als sie vorschlugen, daß die vier Großmächte
sich vertraglich gemeinsam verpflichten sollten, dafür zu sorgen, daß Deutschland eine
Generation lang abgerüstet und entmilitarisiert bleibt, waren sie sich der
Verantwortung bewusst, die auf ihnen und ihren wichtigsten Verbündeten ruht, den
Frieden nach dem Gesetz zu erhalten und durchzusetzen.
Die Befreiung vom Militarismus wird dem deutschen Volk die Möglichkeit geben,
wenn es sie nur ergreift, seine großen Energien und Fähigkeiten für die Arbeit des
Friedens einzusetzen. Es wird ihm die Gelegenheit geben, sich des Respekts und der
Freundschaft der friedliebenden Nationen würdig zu erweisen und mit der Zeit einen
ehrenvollen Platz unter den Mitgliedern der Vereinten Nationen einzunehmen.
Es liegt weder im Interesse des deutschen Volkes noch im Interesse des
Weltfriedens, daß Deutschland zum Spielball oder Partner in einem militärischen
Machtkampf zwischen Ost und West wird.
Der deutsche Militarismus und der Nationalsozialismus haben in unserer
Generation zweimal das Land der deutschen Nachbarn verwüstet. Es ist fair und
gerecht, daß Deutschland seinen Teil dazu beiträgt, diese Verwüstungen zu beheben.
Die meisten Opfer der Nazi-Aggression waren vor dem Krieg weniger wohlhabend als
Deutschland. Deutschland sollte nicht von ihnen erwarten, daß sie die Hauptkosten
der Nazi-Aggression allein tragen müssen.
Die Vereinigten Staaten sind daher bereit, die Grundsätze des Potsdamer
Abkommens über Entmilitarisierung und Reparationen in vollem Umfang zu
verwirklichen. Allerdings sollten die von der Alliierten Kontrollkommission
vereinbarten Ebenen der Industrie geändert werden, wenn Deutschland nicht als
wirtschaftliche Einheit verwaltet werden soll, wie es das Potsdamer Abkommen
vorsieht und verlangt.
Die Grundlage des Potsdamer Abkommens war, daß im Rahmen eines kombinierten
Demilitarisierungs- und Reparationsprogramms das deutsche Kriegspotential durch
die Beseitigung der Kriegsindustrien und die Reduzierung und Beseitigung von
Schwerindustrieanlagen reduziert werden sollte. Dies sollte so weit gehen, daß in
Deutschland ein Industrieniveau verbleibt, das es ermöglicht, den durchschnittlichen
europäischen Lebensstandard in Deutschland ohne Hilfe anderer Länder
aufrechtzuerhalten. Die zu entfernenden Anlagen sollten als Reparationsleistungen an
die Alliierten geliefert werden. Die aus der sowjetischen Zone zu entfernenden Anlagen
sollten an die Sowjetunion und Polen gehen, die aus den westlichen Zonen zu
entfernenden Anlagen sollten zum Teil an die Sowjetunion, hauptsächlich aber an die
westlichen Alliierten gehen. Außerdem wurde Vorsorge getroffen für die Aufteilung
des deutschen Auslandsvermögens unter den Alliierten.
Nach eingehenden Diskussionen einigten sich die Alliierten auf ein Niveau, auf das
die wichtigsten deutschen Industrien reduziert werden sollten, um das Potsdamer
Abkommen zu verwirklichen. Diese Niveaus wurden unter der Annahme vereinbart,
daß die einheimischen Ressourcen Deutschlands für eine gerechte Verteilung an alle
Deutschen in Deutschland zur Verfügung stehen sollten und daß Produkte, die nicht
für den Gebrauch in Deutschland benötigt werden, für den Export zur Verfügung
stehen würden, um die notwendigen Importe zu bezahlen.
Bei der Festsetzung des Umfangs der Industrie wurden die Reparationen aus der
laufenden Produktion nicht berücksichtigt. Reparationen aus der laufenden
Produktion wären mit dem jetzt im Potsdamer Abkommen festgelegten
Industrieniveau völlig unvereinbar.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 37

Es liegt auf der Hand, daß ein höheres Industrieniveau hätte festgelegt werden
müssen, wenn Reparationen aus der laufenden Produktion in Betracht gezogen
worden wären. Das festgelegte Industrieniveau reicht nur aus, um das deutsche Volk
in die Lage zu versetzen, sich selbst zu versorgen und einen Lebensstandard
aufrechtzuerhalten, der sich den durchschnittlichen europäischen Lebensbedingungen
annähert.
Dieser Grundsatz bedeutet für das deutsche Volk große Härten, aber er verlangt
nur, daß es die Härten teilt, die die nationalsozialistische Aggression dem
Durchschnittseuropäer auferlegt.
Dem deutschen Volk wurde jedoch nicht die Möglichkeit verwehrt, sein Los durch
harte Arbeit im Laufe der Jahre zu verbessern. Industrielles Wachstum und
Fortschritt wurden ihm nicht verwehrt. Da das deutsche Volk gezwungen war, wie die
Menschen in anderen zerstörten Ländern mit einer Wirtschaft in Friedenszeiten neu
anzufangen, die ihm nicht mehr als den durchschnittlichen europäischen Standard
bieten konnte, sollte ihm nicht das Recht verwehrt werden, die Ersparnisse, die es
durch harte Arbeit und einen sparsamen Lebenswandel anhäufen konnte, für den
Aufbau seiner Industrie zu friedlichen Zwecken zu verwenden.
Dies war das Prinzip der Wiedergutmachung, dem Präsident Truman in Potsdam
zustimmte. Und die Vereinigten Staaten werden nicht damit einverstanden sein, von
Deutschland höhere Reparationen zu verlangen, als im Potsdamer Abkommen
vorgesehen sind.
Die Durchführung des Potsdamer Abkommens wurde jedoch dadurch behindert, daß
der Alliierte Kontrollrat nicht die erforderlichen Schritte unternommen hat, um die
deutsche Wirtschaft in die Lage zu versetzen, als wirtschaftliche Einheit zu
funktionieren. Wesentliche zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen sind nicht
eingerichtet worden, obwohl sie im Potsdamer Abkommen ausdrücklich gefordert
werden.
Die gerechte Verteilung der lebenswichtigen Güter auf die verschiedenen Zonen, um
eine ausgeglichene Wirtschaft in ganz Deutschland zu schaffen und den Bedarf an
Einfuhren zu verringern, ist nicht geregelt worden, obwohl auch dies im Potsdamer
Abkommen ausdrücklich gefordert wird.
Die Erarbeitung einer ausgeglichenen Wirtschaft in ganz Deutschland, um die
notwendigen Mittel zur Bezahlung der genehmigten Importe bereitzustellen, ist nicht
durchgeführt worden, obwohl auch dies im Potsdamer Abkommen ausdrücklich
gefordert wird.
Die Vereinigten Staaten sind der festen Überzeugung, daß Deutschland als eine
wirtschaftliche Einheit verwaltet werden sollte und daß die zonalen Schranken
vollständig beseitigt werden sollten, soweit das Wirtschaftsleben und die
Wirtschaftstätigkeit in Deutschland betroffen sind.
Die Bedingungen, die jetzt in Deutschland herrschen, machen es unmöglich, daß die
Industrieproduktion das Niveau erreicht, das die Besatzungsmächte als wesentlich für
eine minimale deutsche Friedenswirtschaft vereinbart haben. Es liegt auf der Hand,
daß wir, wenn das vereinbarte Industrieniveau erreicht werden soll, den freien
Austausch von Waren, Personen und Ideen in ganz Deutschland nicht weiter
einschränken können. Die Schranken zwischen den vier Zonen Deutschlands sind
weitaus schwieriger zu überwinden als die zwischen normalen unabhängigen Staaten.
Die Zeit ist gekommen, in der die Zonengrenzen nur noch als Abgrenzung der von den
Streitkräften der Besatzungsmächte zu Sicherheitszwecken durch bewaffnete Kräfte
besetzten Gebiete und nicht mehr als in sich geschlossene wirtschaftliche oder
politische Einheiten betrachtet werden sollten.
Das war der Kurs der Entwicklung, den das Potsdamer Abkommen vorsah, und das
ist der Kurs der Entwicklung, den die amerikanische Regierung bis an die Grenzen
38 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ihrer Befugnisse zu verfolgen gedenkt. Sie hat förmlich angekündigt, daß sie
beabsichtigt, die Wirtschaft ihrer eigenen Zone mit der anderer oder aller anderen
Zonen zu vereinigen, die bereit sind, sich an der Vereinigung zu beteiligen.
Bislang hat nur die britische Regierung zugestimmt, ihre Zone teilzunehmen zu
lassen. Wir wissen ihre Zusammenarbeit sehr zu schätzen. Natürlich soll diese
Vereinigungspolitik nicht die Regierungen ausschließen, die jetzt nicht bereit sind,
sich anzuschließen. Die Vereinigung wird ihnen jederzeit offenstehen, wenn sie sich
anschließen wollen.
Wir befürworten die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands. Wenn die
vollständige Vereinigung nicht erreicht werden kann, werden wir alles in unserer
Macht Stehende tun, um die größtmögliche Vereinigung zu erreichen.
So wichtig die wirtschaftliche Vereinigung für die Gesundung Deutschlands und
Europas ist, so sehr muss das deutsche Volk erkennen, daß die Hauptursache für sein
Leid und seine Not der Krieg ist, den die Nazidiktatur über die Welt gebracht hat.
Aber nur weil Leid und Not in Deutschland unvermeidlich sind, ist die
amerikanische Regierung nicht bereit, die Verantwortung zu übernehmen für
die unnötige Verschlimmerung der wirtschaftlichen Not zu übernehmen, die
dadurch verursacht wird, daß der Alliierte Kontrollrat sich nicht bereit erklärt hat,
dem deutschen Volk die Möglichkeit zu geben, einige seiner dringendsten
wirtschaftlichen Probleme zu lösen.
In vielen lebenswichtigen Fragen regiert der Kontrollrat weder Deutschland noch
erlaubt er Deutschland, sich selbst zu regieren.
Eine gemeinsame Finanzpolitik ist für den erfolgreichen Wiederaufbau
Deutschlands unerlässlich. Eine galoppierende Inflation, die mit einer
wirtschaftlichen Lähmung einhergeht, ist fast sicher, wenn es keine gemeinsame
Finanzpolitik gibt, die auf die Kontrolle der Inflation ausgerichtet ist. Ein Programm
drastischer fiskalischer Reformen zur Verringerung der Währungs- und
Währungsforderungen, zur Überarbeitung der Schuldenstruktur und zur Schaffung
einer soliden finanziellen Grundlage für Deutschland ist dringend erforderlich. Die
Vereinigten Staaten haben hart daran gearbeitet, ein solches Programm zu
entwickeln, aber vollständig koordinierte Maßnahmen müssen akzeptiert und
einheitlich auf alle Zonen angewandt werden, wenn eine ruinöse Inflation verhindert
werden soll. Zur wirksamen Durchführung eines solchen Programms ist natürlich eine
zentrale Finanzagentur erforderlich.
Es ist auch unerlässlich, daß die Verkehrs-, Kommunikations- und Postdienste
und Postwesen in ganz Deutschland ohne Rücksicht auf zonale Schranken
organisiert werden. Die flächendeckende Organisation dieser öffentlichen Dienste war
im Potsdamer Abkommen vorgesehen. Zwölf Monate sind vergangen und nichts ist
geschehen.
Deutschland braucht alle Lebensmittel, die es produzieren kann. Vor dem Krieg
konnte es nicht genug Lebensmittel für seine Bevölkerung produzieren. Die Fläche
Deutschlands hat sich verkleinert. Die Bevölkerung in Schlesien zum Beispiel ist in
ein eingeschränktes Deutschland zurückgedrängt worden. Besatzungsarmeen und
Vertriebene erhöhen den Bedarf, während der Mangel an Landmaschinen und
Düngemitteln die Versorgung verringert. Um die größtmögliche Produktion von
Nahrungsmitteln und die effektivste Verwendung und Verteilung der erzeugten
Nahrungsmittel zu sichern, sollte eine zentrale Verwaltungsstelle für die
Landwirtschaft eingerichtet werden, die unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen kann.
Ebenso ist die Einrichtung einer zentralen deutschen Verwaltungsstelle für
Industrie und Außenhandel dringend erforderlich. Während Deutschland bereit sein
muss, seine Kohle und seinen Stahl mit den befreiten Ländern Europas zu teilen, die
von diesen Lieferungen abhängig sind, muss Deutschland in die Lage versetzt werden,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 39

seine Fähigkeiten und seine Energien zu nutzen, um seine industrielle Produktion zu


steigern und die effektivste Nutzung seiner Rohstoffe zu organisieren.
Deutschland muss die Möglichkeit erhalten, Waren zu exportieren, um genug zu
importieren, damit seine Wirtschaft sich selbst tragen kann. Deutschland ist ein Teil
Europas, und der Aufschwung in Europa und insbesondere in den Anrainerstaaten
wird sich nur langsam vollziehen, wenn Deutschland mit seinen großen
Ressourcen an Eisen und Kohle in ein Armenhaus verwandelt wird.
Als die rücksichtslose Nazi-Diktatur zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen
wurde, gab es keine deutsche Regierung, mit der die Alliierten verhandeln konnten.
Die Alliierten mussten vorübergehend die Verantwortung für den zerrütteten
deutschen Staat übernehmen, den die Nazi-Diktatur von jeder echten
Rechenschaftspflicht gegenüber dem deutschen Volk abgeschnitten hatte. Die
Alliierten konnten die Führer oder Lakaien des Nationalsozialismus nicht in
Schlüsselpositionen belassen, damit sie bei der ersten Gelegenheit ihren bösen
Einfluss wieder geltend machen konnten. Sie mussten verschwinden.
Aber es war nie die Absicht der amerikanischen Regierung, dem deutschen Volk das
Recht zu verweigern, seine inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, sobald es dazu
auf demokratische Weise und unter echter Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten in der Lage war.
Das nur wenige Monate nach der Kapitulation geschlossene Potsdamer Abkommen
verpflichtete die Besatzungsmächte, die kommunale Selbstverwaltung
wiederherzustellen und das Wahl- und Repräsentationsprinzip in der Regional-,
Landes- und Bundesverwaltung so schnell einzuführen, wie es mit der militärischen
Sicherheit und den Zielen der militärischen Besatzung vereinbar war.
Die Hauptziele der militärischen Besatzung waren und sind die Entmilitarisierung
und Entnazifizierung Deutschlands, nicht aber die Errichtung künstlicher
Hindernisse für die Bemühungen des deutschen Volkes, sein Wirtschaftsleben in
Friedenszeiten wieder aufzunehmen.
Die Nazi-Kriegsverbrecher sollten für das Leid, das sie über die Welt gebracht
haben, bestraft werden. Die im Potsdamer Abkommen festgelegte Politik der
Reparationen und der industriellen Aufrüstung sollte durchgeführt werden. Aber der
Zweck der Besatzung sah weder eine längere ausländische Diktatur der deutschen
Wirtschaft in Friedenszeiten noch eine längere ausländische Diktatur des politischen
Lebens in Deutschland vor. Das Potsdamer Abkommen verpflichtete die
Besatzungsmächte ausdrücklich dazu, mit dem Aufbau einer politischen Demokratie
von Grund auf zu beginnen.
Das Potsdamer Abkommen sah nicht vor, daß es niemals eine deutsche
Zentralregierung geben sollte; es sah lediglich vor, daß es bis auf weiteres keine
deutsche Zentralregierung geben sollte. Dies bedeutete natürlich nur, daß keine
Zentralregierung eingesetzt werden sollte, bis eine Art von Demokratie in Deutschland
verwurzelt war und sich ein gewisses Maß an lokaler Verantwortung entwickelt hatte.
Das Potsdamer Abkommen sah klugerweise vor, daß die Verwaltung der deutschen
Angelegenheiten auf eine Dezentralisierung der politischen Struktur und die
Entwicklung lokaler Verantwortung ausgerichtet sein sollte. Dies sollte nicht den
Fortschritt hin zu einer Zentralregierung verhindern, die über die notwendigen
Befugnisse verfügt, um Angelegenheiten zu regeln, die auf nationaler Ebene behandelt
werden sollten. Aber es sollte verhindert werden, daß eine starke Zentralregierung
entsteht, die das deutsche Volk beherrscht, anstatt seinem demokratischen Willen
verantwortlich zu sein.
40 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die amerikanische Regierung ist der Ansicht, daß dem deutschen Volk in ganz
Deutschland unter angemessenen Sicherheitsvorkehrungen nunmehr die
Hauptverantwortung für die Regelung seiner eigenen Angelegenheiten übertragen
werden sollte.
Seit der Beendigung der Feindseligkeiten ist mehr als ein Jahr vergangen. Die
Millionen von Deutschen sollten nicht gezwungen sein, im Zweifel über ihr Schicksal
zu leben. Die amerikanische Regierung ist der Ansicht, daß die Alliierten dem
deutschen Volk unverzüglich die wesentlichen Bedingungen der Friedensregelung
mitteilen sollten, von denen sie erwarten, daß das deutsche Volk sie akzeptiert und
einhält. Wir sind der Auffassung, daß dem deutschen Volk jetzt gestattet und geholfen
werden sollte, die notwendigen Vorbereitungen für die Einsetzung einer
demokratischen deutschen Regierung zu treffen, die diese Bedingungen akzeptieren
und einhalten kann.
Von nun an wird die aufmerksame Weltbevölkerung das Vorgehen der Alliierten in
Deutschland nicht nach den Versprechungen der Alliierten, sondern nach ihren
Leistungen beurteilen. Die amerikanische Regierung hat die notwendigen
Maßnahmen zur Entnazifizierung und Entmilitarisierung Deutschlands unterstützt
und wird dies auch weiterhin tun, denn sie glaubt nicht, daß große Armeen
ausländischer Soldaten oder ausländische Bürokraten, wie gut motiviert und
diszipliniert sie auch sein mögen, auf Dauer die zuverlässigsten Wächter der
Demokratie eines anderen Landes sind.
Alles, was die alliierten Regierungen tun können und sollten, ist, die Regeln
festzulegen, nach denen sich die deutsche Demokratie selbst regieren kann. Die
alliierten Besatzungstruppen sollten auf die Zahl beschränkt werden, die ausreicht,
um die Einhaltung dieser Regeln zu gewährleisten.
Aber die Frage für uns wird natürlich lauten: Welche Kraft ist erforderlich, um
sicherzustellen, daß Deutschland nicht wieder aufrüstet wie nach dem Ersten
Weltkrieg? Unser Vorschlag für einen Vertrag mit den Großmächten zur Durchsetzung
des schließlich im Friedensabkommen vereinbarten Entmilitarisierungsplans für 25
oder sogar 40 Jahre hätte einen kleineren Besatzungsarm ermöglicht. Zur
Durchsetzung könnten wir uns mehr auf eine Truppe ausgebildeter Inspektoren und
weniger auf Infanterie verlassen.
Wenn zum Beispiel eine Automobilfabrik unter Verletzung des Vertrages ihre
Maschinen auf die Produktion von Kriegswaffen umstellt, würden Inspektoren dies
dem Alliierten Kontrollrat melden. Sie würden die deutsche Regierung auffordern, die
Produktion zu stoppen und den Übeltäter zu bestrafen. Wenn die deutsche Regierung
dem nicht nachkäme, würden die alliierten Staaten Schritte unternehmen, um die
Einhaltung der Bestimmungen durch die deutsche Regierung zu erzwingen. Leider
wurde unserem Vorschlag für einen Vertrag nicht zugestimmt.
Sicherheitskräfte werden wahrscheinlich für eine lange Zeit in Deutschland bleiben
müssen. Ich möchte keine Missverständnisse aufkommen lassen. Wir werden uns
nicht vor unserer Pflicht drücken. Wir ziehen uns nicht zurück. Wir bleiben hier.
Solange es eine Besatzungsarmee in Deutschland gibt, werden die amerikanischen
Streitkräfte Teil dieser Besatzungsarmee sein.
Die Vereinigten Staaten befürworten die baldige Einsetzung einer provisorischen
deutschen Regierung für Deutschland. In der amerikanischen Zone sind Fortschritte
bei der Entwicklung der kommunalen und staatlichen Selbstverwaltung in
Deutschland gemacht worden, und die amerikanische Regierung hält ähnliche
Fortschritte in allen Zonen für möglich.
Die amerikanische Regierung ist der Ansicht, daß die provisorische Regierung nicht
von anderen Regierungen ausgewählt werden sollte. Sie sollte ein deutscher
Nationalrat sein, der sich aus den demokratisch verantwortlichen Ministerpräsidenten
oder anderen leitenden Beamten der verschiedenen Staaten oder Provinzen
zusammensetzt, die in jeder der vier Zonen gebildet wurden.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 41

Den vorbehaltenen Befugnissen des Alliierten Kontrollrats unterworfen, sollte der


Deutsche Nationalrat für das ordnungsgemäße Funktionieren der zentralen
Verwaltungsstellen verantwortlich sein. Diese sollten mit ausreichenden Befugnissen
ausgestattet sein, um die Verwaltung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit zu
gewährleisten, wie es im Potsdamer Abkommen vorgesehen war.
Der Deutsche Nationalrat sollte auch mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für eine
Bundesverfassung für Deutschland beauftragt werden, die unter anderem
den demokratischen Charakter des neuen Deutschlands und die Menschenrechte
und Grundfreiheiten aller seiner Bewohner sichern sollte.
Nach der grundsätzlichen Billigung durch den Alliierten Kontrollrat sollte der
Verfassungsentwurf einem gewählten Konvent zur endgültigen Ausarbeitung
vorgelegt und dann dem deutschen Volk zur Ratifizierung unterbreitet werden.
Während wir darauf bestehen werden, daß Deutschland die Grundsätze des
Friedens, der guten Nachbarschaft und der Menschlichkeit beachtet, wollen wir nicht,
daß Deutschland der Gefolgsmann irgendeiner Macht oder Mächte wird oder unter
einer Diktatur lebt, sei es im In- oder Ausland. Das amerikanische Volk hofft, daß
friedliche, demokratische Deutsche frei und abhängig werden und bleiben.
Österreich ist bereits als ein freies und unabhängiges Land anerkannt worden. Die
zeitweilige und erzwungene Vereinigung mit Deutschland war für keines der beiden
Länder ein glückliches Ereignis, und die Vereinigten Staaten sind überzeugt, daß es
im Interesse beider Länder und des Friedens in Europa liegt, daß sie getrennte Wege
gehen sollten.
In Potsdam wurden bestimmte Gebiete, die zu Deutschland gehörten, der
Sowjetunion und Polen zugewiesen, vorbehaltlich der endgültigen Entscheidungen der
Friedenskonferenz. Zu diesem Zeitpunkt wurden diese Gebiete von den sowjetischen
und polnischen Armeen gehalten. Es wurde uns gesagt, daß die Deutschen in großer
Zahl aus diesen Gebieten flüchteten und daß es wegen der durch den Krieg
hervorgerufenen Gefühle in der Tat schwierig wäre, das Wirtschaftsleben dieser
Gebiete neu zu organisieren, wenn sie nicht als integrale Bestandteile von der
Sowjetunion auf der einen Seite und von Polen auf der anderen verwaltet würden.
Die Regierungschefs kamen überein, bei der Friedensregelung den Vorschlag der
sowjetischen Regierung zu unterstützen, der die endgültige Übertragung der Stadt
Königsberg und des angrenzenden Gebiets an die Sowjetunion vorsieht. Solange die
sowjetische Regierung ihre Meinung zu diesem Thema nicht ändert, werden wir auf
jeden Fall an unserer Vereinbarung festhalten.
Was Schlesien und andere ostdeutsche Gebiete anbelangt, so hat die Abtretung
dieser Gebiete an Polen durch Russland zu Verwaltungszwecken bereits vor dem
Potsdamer Treffen stattgefunden. Die Regierungschefs kamen überein, daß
Schlesien und andere ostdeutsche Gebiete bis zur endgültigen Festlegung der
polnischen Westgrenze unter der Verwaltung des polnischen Staates stehen und für
diese Zwecke nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland
angesehen werden sollten. Wie aus dem Protokoll der Potsdamer Konferenz
hervorgeht, kamen die Regierungschefs jedoch nicht überein, im Rahmen des
Friedensschlusses die Abtretung dieses besonderen Gebiets zu unterstützen.
Die Sowjets und die Polen hatten unter Hitlers Invasionsarmeen schwer zu leiden.
Infolge des Abkommens von Jalta trat Polen das Gebiet östlich der Curzon-Linie an
die Sowjetunion ab. Daraufhin forderte Polen eine Revision seiner Nord- und
Westgrenzen.
42 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Vereinigten Staaten werden eine Revision dieser Grenzen zu Gunsten Polens
unterstützen. Der Umfang des an Polen abzutretenden Gebiets muß jedoch festgelegt
werden, wenn die endgültige Regelung vereinbart wurde.
Die Vereinigten Staaten glauben nicht, daß sie Frankreich, das in 70 Jahren dreimal
von Deutschland überfallen wurde, seinen Anspruch auf das Saargebiet absprechen
können, dessen Wirtschaft seit langem eng mit Frankreich verbunden ist. Wenn das
Saargebiet an Frankreich angegliedert wird, sollte Frankreich natürlich seine
Reparationsansprüche gegenüber Deutschland anpassen.
Abgesehen von den hier erwähnten Ausnahmen werden die Vereinigten Staaten
weder einen Eingriff in ein Gebiet, das unbestritten deutsch ist, noch eine Teilung
Deutschlands unterstützen, die von der betroffenen Bevölkerung nicht ernsthaft
gewünscht wird. Soweit den Vereinigten Staaten bekannt ist, wünschen die Menschen
im Ruhrgebiet und im Rheinland, mit dem übrigen Deutschland vereint zu bleiben.
Und die Vereinigten Staaten werden sich ihrem Wunsch nicht widersetzen.
Die Menschen im Ruhrgebiet waren zwar die letzten, die dem Nationalsozialismus
zum Opfer fielen, aber ohne die Ressourcen des Ruhrgebiets hätte der
Nationalsozialismus die Welt nie bedrohen können. Nie wieder dürfen diese
Ressourcen für zerstörerische Zwecke eingesetzt werden. Sie müssen genutzt werden,
um ein freies, friedliches Deutschland und ein freies, friedliches Europa
wiederaufzubauen.
Die Vereinigten Staaten werden eine solche Regelung, wie sie für Sicherheitszwecke
erforderlich ist, über ganz Deutschland, einschließlich des Ruhrgebiets und des
Rheinlands, bevorzugen. Sie werden helfen, diese Kontrollen durchzusetzen. Sie
werden jedoch keine Regelungen bevorzugen, die das Ruhrgebiet und das Rheinland
einer politischen Beherrschung oder Manipulation durch äußere Mächte unterwerfen
würden.
Das deutsche Volk spürt jetzt die verheerenden Auswirkungen des Krieges, den
Hitler und seine Schergen über die Welt gebracht haben. Andere Völker spürten diese
verheerenden Auswirkungen, lange bevor sie dem deutschen Volk bewusst wurden.
Das deutsche Volk muss erkennen, daß es Hitler und seine Schergen waren, die
unschuldige Männer, Frauen und Kinder folterten und ausrotteten und danach
strebten, mit deutschen Waffen die Welt zu beherrschen und zu erniedrigen. Es waren
die geballten, wütenden Kräfte der Menschheit, die sich ihren Weg nach Deutschland
erkämpfen mussten, um der Welt die Hoffnung auf Freiheit und Frieden zu geben.
Das amerikanische Volk, das für die Freiheit gekämpft hat, hat nicht den Wunsch,
das deutsche Volk zu versklaven. Die Freiheit, an die die Amerikaner glauben und für
die sie gekämpft haben, ist eine Freiheit, die mit allen geteilt werden muss, die bereit
sind, die Freiheit der anderen zu respektieren.
Die Vereinigten Staaten haben praktisch alle Kriegsgefangenen, die sich in den
Vereinigten Staaten befanden, an Deutschland zurückgegeben. Wir unternehmen
unverzüglich Schritte, um deutsche Kriegsgefangene, die sich in anderen Teilen der
Welt in unserem Gewahrsam befinden, zurückzugeben.
Die Vereinigten Staaten können Deutschland nicht von den Härten befreien, die ihm
durch den von seinen Führern begonnenen Krieg auferlegt wurden. Aber die
Vereinigten Staaten haben nicht den Wunsch, diese Härten zu vergrößern oder dem
deutschen Volk die Möglichkeit zu verwehren, sich aus diesen Härten
herauszuarbeiten, solange es die menschliche Freiheit respektiert und den Weg des
Friedens geht.
Das amerikanische Volk will die Regierung Deutschlands an das deutsche Volk
zurückgeben. Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg
zurück zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der
Welt zu gewinnen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 43

Bericht von Außenminister Marshall über die vierte Tagung des Rates der
Außenminister, 28. April 1947 1
RAT DER AUßENMINISTER
Ich hoffe, daß ich heute Abend den grundlegenden Charakter der auf der Moskauer
Außenministerkonferenz erörterten Fragen klar verständlich machen kann.
Diese Konferenz befasste sich mit dem Kern des Friedens, um den wir kämpfen. Sie
befasste sich mit dem wesentlichen Zentrum Europas––Deutschland und Österreich–
–ein Gebiet mit einer anzahlmäßig großen und qualifizierten Bevölkerung, mit
großartigen Ressourcen und Industrieanlagen, ein Gebiet, das die Welt in jüngster Zeit
zweimal an den Rand einer Katastrophe gebracht hat. In den Moskauer
Verhandlungen sind alle Meinungsverschiedenheiten, die bei den Konferenzen über
den Italien- und den Balkanvertrag zutage getreten sind, in den Fokus gerückt und
konnten nicht ausgeräumt werden.
Probleme, die sich direkt auf die Zukunft unserer Zivilisation auswirken, können
nicht durch allgemeines Gerede oder vage Formulierungen - durch das, was Lincoln
"verhängnisvolle Abstraktion" nannte, beseitigt werden. Sie erfordern konkrete
Lösungen für eindeutige und äußerst komplizierte Fragen - Fragen, bei denen es um
Grenzen, um Macht zur Verhinderung militärischer Aggression, um Menschen, die
schmerzliche Erinnerungen plagen, um die Produktion und Kontrolle von
lebenswichtigen Dingen für Millionen von Menschen geht. Sie wurden von der Presse
und über das Rundfunkgerät gut über die täglichen Aktivitäten des Rates auf dem
Laufenden gehalten, sodaß Ihnen vieles, von dem was ich sagen werde, als
Wiederholung vorkommen wird. Aber die extrem komplizierte Natur der drei größten,
von uns betrachteten Themen, lässt es mir erstrebenswert erscheinen, über die
Probleme, wie ich sie in meinen Sitzungen am Konferenztisch verstanden habe, etwas
detaillierter zu berichten.
Es bestand eine begründete Möglichkeit, wir hatten gehofft, eine
Wahrscheinlichkeit, in Moskau einen Friedensvertrag für Österreich und einen
Viermächtepakt abzuschließen, um unsere vier Regierungen zu binden und die
Entmilitarisierung Deutschlands zu gewährleisten. Was den deutschen
Friedensvertrag und die damit zusammenhängenden, aber aktuelleren deutschen
Probleme anbelangt, so hatten wir gehofft, eine Einigung über eine Richtlinie zu
erzielen, die unsere Abgeordneten bei ihrer Arbeit zur Vorbereitung der nächsten
Konferenz leiten sollte.
In einer Erklärung, wie dieser, ist es nicht zweckmäßig über die zahlreichen
Themen, über die auf der Konferenz weiterhin Uneinigkeit herrschte, zu diskutieren.
Ich denke, es reicht aus, auf die grundlegenden Probleme hinzuweisen, deren Lösung
wahrscheinlich zu einer raschen Bereinigung vieler anderer
Meinungsverschiedenheiten führen würde.
Kohle
Für das Verständnis der Konferenz ist es wichtig, den komplexen Charakter der
Probleme und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Menschen in Europa in den
kommenden Monaten zu verstehen. In ganz Europa wird dringend mehr Kohle für
Fabriken, für Energieversorger, für Eisenbahnen und für die Menschen in ihren
Häusern benötigt, um nur ein einziges Beispiel anzuführen. Solange die beschädigten
Bergwerke, Bergbaumaschinen, Eisenbahnverbindungen und ähnliche Einrichtungen
nicht wiederhergestellt sind, kann keine weitere Kohle für die alliierten Länder
gefördert und geliefert werden. Für diese Wiederherstellung wird jedoch mehr Stahl

1 Ebenda, S. 57–63. Die vierte Sitzung des Rates wurde vom 10. März bis zum 24. April 1947 in Moskau
abgehalten.
44 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

benötigt und mehr Stahl hängt wiederum von mehr Kohle ab, die für die
Stahlproduktion gebraucht wird. Der Punkt, der bedacht werden sollte ist daher, daß
in unmittelbarer Zukunft für die angrenzenden alliierten Staaten weniger Kohle zur
Verfügung stehen würde, während die notwendige Wiederherstellung im Gange ist.
Weniger Kohle bedeutet jedoch weniger Beschäftigung für Arbeitskräfte und eine
daraus folgende Verzögerung bei der Produktion von Exportgütern, die Geld für den
Kauf von Lebensmitteln und anderen notwendigen Gütern bringen. Die Verzögerung,
die notwendig ist, um die Wiederherstellung der Minen zu ermöglichen, wirkt sich so
grundlegend auf Frankreich aus, daß eine Einigung in dieser Angelegenheit für sie ein
wesentliches Thema geworden ist. Alle Nachbarstaaten sowie Großbritannien und die
Sowjetunion sind auf verschiedene Weise direkt betroffen, da die Kohle für die
deutsche Produktion von Exportgütern benötigt wird, die ausreichen müssen, um dem
Land den Einkauf der notwendigen Lebensmittelimporte usw. zu ermöglichen, wofür
die Vereinigten Staaten jetzt einen Großteil der Mittel bereitstellen.
Darüber hinaus gibt es im Hintergrund dieser Kohleproblematik, die direkten
Einfluss auf die Stahlproduktion hat, die wichtigste Überlegung des Aufbaus der
Schwerindustrie in Deutschland, die später wieder zu einer Gefahr für den Weltfrieden
werden könnte. Ich nenne dieses Beispiel, um die Erschwerungen zu verdeutlichen,
die diese Verhandlungen mit sich bringen.
Deutschland
Der Alliierte Kontrollrat in Berlin hat einen detaillierten Bericht über die vielen
Probleme im Zusammenhang mit der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und
finanziellen Situation unter der derzeitigen Militärregierung Deutschlands
vorgestellt. In Zusammenhang mit diesen Angelegenheiten haben sich die Minister mit
der Form und dem Umfang der vorläufigen politischen Organisation für Deutschland
und mit dem zu befolgenden Verfahren bei der Vorbereitung des Deutschen
Friedensvertrag befasst.
Die Deutschen Verhandlungen beinhalteten nicht nur die Sicherheit Europas und
der Welt, sondern auch den Wohlstand ganz Europas. Während unser Auftrag darin
bestand, die Bedingungen für einen Vertrag zu prüfen, der über mehrere Jahre laufen
sollte, sahen wir uns mit unmittelbaren Themen konfrontiert, die die verarmten und
leidenden Menschen in Europa wesentlich betrafen, die um Hilfe, Kohle,
Nahrungsmittel und die meisten lebensnotwendigen Güter schreien und von denen die
meisten dem Deutschland, das diese katastrophale Situation herbeigeführt hat, bitter
gesonnen sind. Die Themen betreffen ebenso wesentlich die Menschen
Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, die nicht länger Hunderte von Millionen
Dollar für Deutschland ausschütten können, weil die derzeitigen Maßnahmen nicht
ergriffen wurden, um die Notwendigkeit solcher Mittel zügig zu beenden.
Die kritischen und grundlegenden deutschen Probleme, auf die ich mich
beschränken möchte, sind: ( a ) die Grenzen der Befugnisse der zentralen
Regierung; ( b ) die Beschaffenheit des Wirtschaftssystems und seiner Beziehung zu
ganz Europa; ( c ) die Beschaffenheit und der Umfang der Reparationen; ( d ) die
Grenzen für den Deutschen Staat; und ( e ) die Art und Weise, in der alle Alliierten
Staaten, die sich im Krieg mit Deutschland befinden, bei der Ausarbeitung und
Bestätigung des Vertrages vertreten sind.
Alle Mitglieder des Rates der Außenminister sind sich offensichtlich einig über die
Errichtung eines deutschen Staates auf selbständiger, demokratischer Grundlage,
welchem Beschränkungen auferlegt werden, die die Wiedererrichtung einer
militärischen Macht verhindern.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 45

Zentralregierung
Das Thema des Zentralisierungsgrades des zukünftigen Deutschen Staates ist von
größter Bedeutung. Eine übermäßige Machtkonzentration ist besonders gefährlich in
einem Land wie Deutschland, in dem es keine starken Traditionen in Bezug auf die
Rechte des Einzelnen und die Rechte der Gemeinschaft zur Kontrolle der Ausübung
der Regierungsgewalt gibt. Die Sowjetunion scheint eine starke Zentralregierung zu
bevorzugen. Die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich sind gegen eine
solche Regierung, weil sie der Meinung sind, daß sie zu leicht in ein Regime ähnlich
dem der Nazis übergehen könnte. Sie befürworten eine Zentralregierung mit sorgfältig
begrenzten Befugnissen, wobei alle anderen Befugnisse den Bundesstaaten oder
Ländern, wie sie in Deutschland genannt werden, vorbehalten sind. Die Franzosen
sind bereit, nur sehr begrenzte Zuständigkeiten für die Zentralregierung zu
akzeptieren. Sie befürchten eine Wiederholung der Machtergreifung in ganz
Deutschland, wie die des Hitler-Regimes von 1933.
Unter normalen Umständen gibt es immer starke und unterschiedliche
Standpunkte bezüglich der Beschaffenheit einer Regierungsumstrukturierung. In
diesem Fall gibt es bedeutende und gerechtfertigte Ängste in Bezug auf die
Wiedererrichtung der deutschen, militärischen Macht und Bedenken gegenüber
geäußerten oder verborgenen Wünschen aus ganz anderen Gründen.
Deutsche Wirtschaft
In Bezug auf die Beschaffenheit des Deutschen Wirtschaftssystems und seiner
Beziehung nach ganz Europa sind die Meinungsverschiedenheiten noch ernster und
schwerer auszugleichen. Die deutsche Wirtschaft ist derzeit durch die Tatsache
gelähmt, daß es kein einheitliches Vorgehen gibt; der Wiederaufbau Deutschlands bis
zu dem Punkt, an dem es sich selbst versorgen kann, bedarf der unverzüglichen
Entscheidung.
Der Wunsch nach wirtschaftlicher Einheit in Deutschland ist erklärtermaßen
Konsens, aber wenn es um die konkrete Ausgestaltung dieser Einheit geht, gibt es
große und wesentliche Unterschiede. Eine der größten Schwierigkeiten bei den
Bemühungen um die wirtschaftliche Einheit war die Tatsache, daß die sowjetisch
besetzte Zone praktisch ohne Rücksicht auf die anderen Zonen arbeitete und nur
wenige oder gar keine Berichte über die Vorgänge in dieser Zone abgab. Die
Bereitschaft, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit vorzugehen, war gering oder gar
nicht vorhanden und man weigerte sich, die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und
den Umfang oder die Art der aus dieser Zone entnommenen Reparationen
offenzulegen.
Diese mangelnde Bereitschaft der sowjetischen Behörden, an der Schaffung einer
ausgewogenen Wirtschaft für Deutschland mitzuwirken, wie sie in Potsdam vereinbart
worden war, war das schwerwiegendste Hindernis für die Entwicklung eines sich
selbst versorgenden Deutschlands und eines Deutschlands, das in der Lage ist, Kohle
und andere lebensnotwendige Güter für die Nachbarstaaten zu liefern, die in Bezug
auf diese Waren immer von Deutschland abhängig waren. Nach langen und
vergeblichen Bemühungen um ein funktionierendes Abkommen in dieser
Angelegenheit wurden die britische und die amerikanische Zone zur Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage zusammengelegt, was bedeutet, daß die in einer Zone
vorhandenen Überschüsse oder Erzeugnisse in eine andere Zone, in der ein Mangel
herrscht, verbracht werden können. Unsere anhaltende Einladung an die Franzosen
und die Sowjets, sich an der Vereinbarung zu beteiligen, besteht weiterhin. Dieser
Zusammenschluss wird von den sowjetischen Behörden als Bruch des Potsdamer
Abkommens und als erster Schritt zur Zerstückelung Deutschlands scharf angegriffen,
wobei die Tatsache ignoriert wird, daß ihre Weigerung, das Abkommen zu erfüllen, der
einzige Grund für den Zusammenschluss war. Es ist schwierig, ihre Angriffe als
46 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

etwas anderes als Propaganda zu betrachten, die dazu dient, die Aufmerksamkeit von
dem sowjetischen Versagen abzulenken, die in Potsdam vereinbarte wirtschaftliche
Einheit umzusetzen. Ein gewisser Fortschritt auf dem Weg zur wirtschaftlichen
Einheit in Deutschland ist sicherlich besser als keiner.
Die Gestaltung der Kontrolle über das Industriezentrum Ruhrgebiet, die größte
Konzentration von Kohle und Schwerindustrie in Europa, ist weiterhin umstritten. Sie
kann nicht nur um eine Vereinbarung zur erzielen, entschieden werden. Es geht dabei
um lebenswichtige Überlegungen und zukünftige Konsequenzen.
Reparationen
Die Frage der Reparationen ist von entscheidender Bedeutung, da sie fast alle
anderen zur Diskussion stehenden Fragen berührt. Dieses Thema findet natürlich
großen Anklang bei den Menschen in den alliierten Staaten, die unter den Schrecken
der deutschen, militärischen Besetzung und der Zerstörung ihrer Städte und Dörfer
zu leiden hatten.
Die Ergebnisse des Versailler Vertrags von 1919 hinsichtlich der
Reparationszahlung auf Dollarbasis, und die Schwierigkeiten, auf die die nach Jalta
eingesetzte Reparationskommission stieß, als sie sich auf die Dollar-Bewertung der
Reparationen in Form von Sachleistungen einigte, überzeugten Präsident Truman und
seine Berater, die sich in Potsdam mit dieser Frage befassten, daß eine andere
Grundlage für die Festlegung der Reparationen gewählt werden sollte, wenn endlose
Reibereien und Verbitterung in den kommenden Jahren vermieden werden sollten. Es
gelang ihnen, die Zustimmung zum Prinzip der Reparationsleistungen aus
Kapitalvermögen zu erreichen––d.h. die Übergabe deutscher Anlagen, Maschinen usw.
an die betroffenen alliierten Mächte.
Auf der Moskauer Konferenz stellte sich heraus, daß die sowjetischen Beamten der
Auffassung von Präsident Truman und Herrn Byrnes über die schriftlichen
Bedingungen dieses Abkommens entschieden widersprachen. Die Briten vertreten in
dieser Angelegenheit weitgehend die gleiche Auffassung wie die Vereinigten Staaten.
Wir glauben, daß das Potsdamer Abkommen keine Reparationen aus der laufenden
Produktion vorsieht. Die Sowjets lehnen diese Auffassung entschieden ab. Sie sind der
Meinung, daß die früheren Gespräche und Vereinbarungen von Jalta die Entnahme
von Reparationszahlungen in Milliardenhöhe aus der laufenden Produktion zulassen.
Dies würde bedeuten, daß ein beträchtlicher Teil der täglichen Produktion der
deutschen Fabriken für Reparationszahlungen herangezogen würde, was wiederum
bedeuten würde, daß sich die Erholung Deutschlands bis zur Selbstständigkeit lange
verzögern würde. Es würde auch bedeuten, daß der Plan und die Hoffnung unserer
Regierung, daß die wirtschaftliche Erholung Deutschlands bis zum Ende von drei
Jahren die Einstellung der amerikanischen Mittel für die Unterstützung der
deutschen Einwohner unserer Zone erlauben würde, nicht verwirklicht werden könnte.
Dies ist ein sehr kompliziertes Thema, bei dem eine Einigung erzielt werden muss,
um Deutschland als wirtschaftliches Ganzes zu verwalten, wie es die vier Mächte
behaupten.
Die Alliierten sind sich jedoch einig, daß die Frage inwiefern Fabriken und
Ausrüstungen als Reparationsleistungen aus Deutschland abzuziehen sind, erneut
geprüft werden sollte. Sie sind sich der Tatsache bewusst, daß eine zu drastische
Reduzierung der deutschen Industrie nicht nur die Selbstversorgung Deutschlands
erschweren, sondern auch den wirtschaftlichen Aufschwung in Europa verzögern wird.
Die Vereinigten Staaten haben angedeutet, daß sie bereit wären, die Möglichkeit eines
begrenzten Betrages an Reparationen aus der laufenden Produktion zu prüfen, um
Anlagen zu kompensieren, die zuvor als Reparationsleistungen an verschiedene
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 47

alliierte Länder abtransportiert werden sollten und die nun in Deutschland verbleiben
sollten, wobei davon ausgegangen wird, daß die Lieferungen aus der laufenden
Produktion weder die finanzielle Belastung der Besatzungsmächte erhöhen noch die
Rückzahlung der Vorschüsse verzögern sollen, die sie geleistet haben, um die deutsche
Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Die sowjetische Regierung hat auf
diesen Vorschlag nicht reagiert.
Grenzen
Die Frage der für Deutschland festzulegenden Grenzen stellt eine ernsthafte
Meinungsverschiedenheit dar und ist ein weiteres Beispiel für die völlige Uneinigkeit
über die Bedeutung der diesbezüglichen Äußerung der Obersten der drei Mächte. Mit
dem raschen Vormarsch der sowjetischen Armeen in der Endphase des Krieges flohen
Millionen von Deutschen aus dem Osten Deutschlands in Gebiete westlich der Oder.
Die sowjetischen Armeen hatten vor der Potsdamer Konferenz Polen die
Verantwortung für dieses von der deutschen Bevölkerung weitgehend evakuierte
Gebiet übertragen. Das war die Situation, mit der Präsident Truman in Potsdam
konfrontiert wurde. Unter den gegebenen Umständen akzeptierte der Präsident die
Situation vorerst mit der vereinbarten Dreimächteerklärung: „Die drei
Regierungsoberhäupter bekräftigen ihre Auffassung, daß die endgültige Abgrenzung
der Westgrenze Polens bis zur Friedensregelung abgewartet werden sollte.“
Der sowjetische Außenminister erklärt nun, daß in Potsdam eine endgültige
Einigung über die Grenze zwischen Deutschland und Polen erzielt worden sei, und daß
sich der von mir zitierte Ausdruck lediglich auf die formale Bestätigung der bereits
vereinbarten Grenze bei der Friedensregelung beziehe, so daß nur noch die technische
Abgrenzung zu prüfen sei.
Die Regierung der Vereinigten Staaten erkannte die in Jalta eingegangene
Verpflichtung an, Polen im Westen einen gerechten Ausgleich für das Gebiet östlich
der Curzon-Linie zu gewähren, das der Sowjetunion einverleibt wurde. Die
Aufrechterhaltung der gegenwärtigen provisorischen Grenze zwischen Deutschland
und Polen würde Deutschland jedoch eines Gebiets berauben, das vor dem Krieg mehr
als ein Fünftel der Nahrungsmittel lieferte, auf die die deutsche Bevölkerung
angewiesen war. Es ist klar, daß Deutschland in jedem Fall gezwungen sein wird, nicht
nur seine Vorkriegsbevölkerung, sondern auch eine beträchtliche Anzahl von
Deutschen aus Osteuropa in einem sehr begrenzten Rahmen zu unterstützen. Bis zu
einem gewissen Grad ist diese Situation unvermeidlich, aber wir dürfen ihre
Verschärfung nicht hinnehmen. Wir wollen nicht, daß Polen mit weniger Ressourcen
dasteht als vor dem Krieg. Es hat ein Recht auf mehr, aber es wird Polen nicht helfen,
ihm Grenzen zu geben, die ihm in Zukunft wahrscheinlich Schwierigkeiten bereiten
werden. Wo auch immer die Grenzen gezogen werden, sie dürfen keine Schranken für
Handel und Gewerbe darstellen, von denen das Wohlergehen Europas abhängt. Wir
müssen auf eine Zukunft blicken, in der ein demokratisches Polen und ein
demokratisches Deutschland gute Nachbarn sein werden.
Friedensvertragsverfahren
Es besteht Uneinigkeit über die Art und Weise, in der die alliierten Mächte, die sich
im Krieg mit Deutschland befinden, an der Ausarbeitung und Bestätigung des
deutschen Friedensvertrags beteiligt werden sollen. 51 Staaten sind daran beteiligt.
Von diesen waren neben den vier alliierten Hauptmächten 18 direkt in die Kämpfe
verwickelt, einige natürlich in viel größerem Umfang als andere. Die Vereinigten
Staaten vertreten den Standpunkt, daß allen alliierten Staaten, die sich im Krieg mit
Deutschland befinden, die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich in gewissem Maße
an der Ausarbeitung und dem Abschluß des Friedensvertrags zu beteiligen, aber wir
48 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

sind uns bewußt, daß der Versuch, einen Vertrag zu entwerfen, an dem 51 Nationen
in allen Phasen gleichberechtigt beteiligt sind, praktisch große Schwierigkeiten, wenn
nicht gar Unmöglichkeiten mit sich bringen würde. Die Regierung der Vereinigten
Staaten hat sich daher um eine Einigung auf eine Methode bemüht, die zwei
unterschiedliche Verfahren vorsieht, je nachdem, ob der betreffende Staat tatsächlich
an den Kampfhandlungen beteiligt war oder nicht. Aber alle würden die Möglichkeit
haben, ihre Ansichten darzulegen und andere Ansichten zu widerlegen, und alle
würden an der Friedenskonferenz teilnehmen, um einen Vertrag zu verabschieden.
Es ist schwierig, die Zustimmung der Länder, die unter den Schrecken der
deutschen Besatzung gelitten und schwere Verluste in harten Kämpfen erlitten haben,
für eine Beteiligung an der Festlegung der Vertragsbedingungen durch Länder zu
gewinnen, die keine Verluste an Menschen oder Material erlitten haben und die fern
der Kämpfe waren. Die Vereinigten Staaten halten es jedoch für unerlässlich, daß alle
Staaten, die sich mit Deutschland im Krieg befanden, ein Mitspracherecht bei der
Deutschland auferlegten Regelung haben sollten.
Vier Mächte Pakt
Der Vorschlag für den Vier-Mächte-Pakt wurde von der Regierung der Vereinigten
Staaten vor einem Jahr unterbreitet. Wir hatten gehofft, daß die rasche Annahme
dieses einfachen Paktes, der im Vorfeld der detaillierten, deutschen Friedensregelung
sicherstellt, daß die Vereinigten Staaten aktiv daran mitwirken werden, die
Wiederbewaffnung Deutschlands zu verhindern, Zukunftsängste beseitigen und den
Abschluss eines Friedens erleichtern wird, der den gegenwärtigen und künftigen
Bedürfnissen Europas entspricht. Wir hatten gehofft, daß eine solche Verpflichtung
der Vereinigten Staaten die Befürchtung der anderen europäischen Mächte zerstreuen
würde, daß die Vereinigten Staaten ihr Vorgehen nach dem Ersten Weltkrieg
wiederholen würden, indem sie auf verschiedenen Bedingungen für die
Friedensregelung bestanden und sich dann aus der Verantwortung für deren
Durchsetzung zurückzogen. Man war der Meinung, daß der Pakt der vier Mächte, die
fortgesetzte Entmilitarisierung Deutschlands zu garantieren, der Welt die Gewissheit
geben würde, daß wir in unserer Absicht, den Frieden in Europa zu sichern, völlig
übereinstimmen.
Die sowjetische Regierung begegnete unserem Vorschlag jedoch mit einer Reihe von
Änderungsanträgen, die den Charakter des Paktes völlig verändert und ihn faktisch
zu einem komplizierten Friedensvertrag gemacht hätten und welche die meisten
Punkte bezüglich des Deutschland-Problems einschlossen, über die, wie ich bereits
sagte, ernsthafte Meinungsverschiedenheiten bestanden. Dieses Vorgehen zwang
mich zu dem Schluß, daß die sowjetische Regierung einen solchen Pakt entweder nicht
wünschte oder einen Kurs verfolgte, der darauf abzielte, jede unmittelbare Aussicht
auf seine Annahme zu verzögern. Ob letztendlich eine Einigung erzielt werden kann,
bleibt abzuwarten, aber die Vereinigten Staaten sollten meines Erachtens an ihrer
derzeitigen Position festhalten und darauf bestehen, daß der Pakt einfach gehalten
und auf seinen einen grundlegenden Zweck beschränkt wird––Deutschland
kriegsunfähig zu halten.
Österreichischer Staatsvertrag
Bei den Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag konnte bis auf
wenige Punkte, die jedoch von grundlegender Bedeutung waren, eine Einigung erzielt
werden. Die Sowjetunion befürwortet, die anderen Regierungen lehnen die Zahlung
von Reparationen und die Abtretung Kärntens an Jugoslawien ab.
Die sowjetische Regierung legte jedoch viel mehr Wert auf ihre Forderung, daß zu
dem deutschen Besitz in Österreich, der nach den Bestimmungen des Potsdamer
Abkommens Österreich gehören soll, auch jener Besitz gehören sollte, der nach Ansicht
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 49
der anderen drei Mächte Österreich und den Bürgern der Vereinten Nationen nach der
militärischen Übernahme Österreichs im März 1938 durch Hitler und seine
nationalsozialistische Regierung mit Gewalt oder unter Zwang entzogen worden sind.
Die sowjetische Regierung weigerte sich, das Wort Zwang in Betracht zu ziehen, das
nach Ansicht der anderen drei Mächte die entscheidende Grundlage für die
Feststellung wäre, welches Eigentum, d.h. Unternehmen, Fabriken, Grundstücke,
Wälder usw., wirklich deutsches Eigentum und nicht das Ergebnis von
Beschlagnahmungen durch terroristische Maßnahmen, Einschüchterung, fingierten
Geschäftserwerb usw. war. Die Sowjetunion weigerte sich auch, ein
Vermittlungsverfahren zur Beilegung der unter solchen Umständen zwangsläufig
entstehenden Streitigkeiten in Betracht zu ziehen, und war auch nicht damit
einverstanden, daß das Eigentum, das sie als deutsches Vermögen erhält, dem
österreichischen Recht in der gleichen Weise unterworfen wird, wie andere
ausländische Investitionen dem österreichischen Recht unterliegen.
Die Annahme der sowjetischen Position würde bedeuten, daß ein so großer Teil der
österreichischen Wirtschaft der rechtlichen Kontrolle entzogen würde, daß die
Chancen Österreichs, als unabhängiger, selbsttragender Staat zu überleben,
zweifelhaft wären. Sie wäre faktisch nur ein Marionettenstaat.
Alle Bemühungen eine Kompromisslösung zu finden, blieben erfolglos. Die
Vereinigten Staaten können sich meiner Meinung nach nicht auf einen Vertrag
einlassen, der so offensichtliche Ungerechtigkeiten mit sich bringt und, was ebenso
wichtig ist, ein Österreich schafft, das so schwach und hilflos ist, daß es in Zukunft
eine große Gefahr darstellt. In der Schlußsitzung der Konferenz wurde vereinbart, zum
einen eine Kommission zu ernennen, die am 12. Mai in Wien zusammentreten soll, um
unsere Meinungsverschiedenheiten erneut zu prüfen und zum anderen einen
Expertenausschuß die Frage des deutschen Vermögens in Österreich untersuchen zu
lassen. Sicherlich ist ein rasches Handeln in bezug auf den österreichischen Vertrag
notwendig, um unsere Verpflichtung zu erfüllen, Österreich als freien und
unabhängigen Staat anzuerkennen und es von den Lasten der Besatzung zu befreien.
Zusammenfassung
So kompliziert diese Fragen auch sind, es gibt einen roten Faden, was den Charakter
und die Kontrolle Mitteleuropas angeht, die es festzulegen gilt. Die Außenminister
waren sich einig, daß es ihre Aufgabe sei, die Grundlagen für eine Zentralregierung
für Deutschland zu schaffen, die für die eigene Existenz und den europäischen
Aufschwung notwendige wirtschaftliche Einheit Deutschlands herbeizuführen,
tragfähige Grenzen festzulegen und eine garantierte Kontrolle durch einen Vier-
Mächte-Vertrag einzurichten. Österreich sollte umgehend von den Besatzungslasten
befreit und wie ein befreites und unabhängiges Land behandelt werden.
Eine Einigung in Moskau war nicht möglich, weil die Sowjetunion unserer Ansicht
nach auf Vorschlägen beharrte, die in Deutschland eine Zentralregierung errichtet
hätte, die geeignet gewesen wäre, die absolute Kontrolle über ein Land zu erlangen,
das aufgrund seiner unzureichenden Fläche und seiner übermäßigen Bevölkerung
wirtschaftlich zum Scheitern verurteilt wäre und das verpflichtet wäre, einen großen
Teil seiner Produktion als Reparationsleistungen hauptsächlich an die Sowjetunion zu
übergeben. In anderer Form wurde die gleiche Hypothek auf Österreich von der
sowjetischen Delegation geltend gemacht.
Nach Ansicht der Delegation der Vereinigten Staaten würde ein solcher Plan nicht
nur eine unbefristete Subventionierung durch die USA bedeuten, sondern auch zu
einer Verschlechterung des wirtschaftlichen Lebens in Deutschland und Europa und
zum unvermeidlichen Entstehen von Diktatur und Unruhen führen.
Die Informationsfreiheit, für die sich unsere Regierung einsetzt, ist zwangsläufig
mit Appellen an die öffentliche Meinung verbunden. Doch in Moskau schien die
Propaganda anstelle an Vernunft und Verstand stattdessen an Leidenschaft und
50 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Vorurteile zu appellieren. Die sowjetische Delegation erhob Anschuldigungen und


legte das Potsdamer Abkommen und andere Abkommen völlig anders aus, als es die
amerikanische Delegation verstand oder als sie es faktisch wusste.
Es herrschte natürlich große Unklarheit über die tatsächlichen Absichten oder
Motive der verschiedenen eingereichten Vorschläge oder über die Einwände gegen die
Vorschläge. Dies ist bei allen internationalen Verhandlungen unvermeidlich.
Trotz der erwähnten Meinungsverschiedenheiten und der aufgetretenen
Schwierigkeiten wurden jedoch möglicherweise größere Fortschritte auf dem Weg zu
einer endgültigen Einigung erzielt, als man glaubt.
Die kritischen Differenzen wurden zum ersten Mal ans Licht gebracht und sind nun
klar definiert, sodaß künftige Verhandlungen mit dem Wissen beginnen können,
welche Fragen genau geklärt werden müssen. Die Abgeordneten kennen nun die
genauen Standpunkte der einzelnen Regierungen zu den verschiedenen diskutierten
Themen. Damit können sie möglicherweise einige Differenzen ausräumen und
sicherlich die Probleme durch eine fundierte Darstellung des Standes der
Übereinstimmung und Uneinigkeit weiter klären. Das ist das Bestmögliche, was man
sich für die nächsten Monate erhoffen kann. Das ist ein gewisser, wenn auch
schmerzlich langsamer Fortschritt. Diese Fragen sind von enormer Bedeutung für das
Leben der Menschen in Europa und für den künftigen Kurs der Weltgeschichte. Wir
dürfen keine Kompromisse bei wichtigen Grundsätzen eingehen, um eine Einigung um
der Einigung willen zu erzielen. Außerdem müssen wir ernsthaft versuchen, den
Standpunkt derer zu verstehen, mit denen wir nicht einer Meinung sind.
In diesem Zusammenhang halte ich es für angebracht, auf einen Teil einer
Erklärung zu verweisen, die Oberbefehlshaber Stalin mir gegenüber abgegeben hat.
Er sagte unter Bezugnahme auf die Konferenz, daß dies nur die ersten Scharmützel
und Pinselstriche von Aufklärungskräften in dieser Frage waren. In der
Vergangenheit hatte es in anderen Fragen Differenzen gegeben und in der Regel
erkannten die Menschen, nachdem sie sich im Streit erschöpft hatten, die
Notwendigkeit eines Kompromisses. Es war möglich, daß auf dieser Sitzung kein
großer Erfolg erzielt werden würde, aber er hielt Kompromisse in allen wichtigen
Fragen, einschließlich der Entmilitarisierung, der politischen Struktur Deutschlands,
der Reparationen und der wirtschaftlichen Einheit, für möglich. Es war notwendig,
geduldig zu sein und nicht pessimistisch zu werden.
Ich hoffe aufrichtig, daß der Herr Oberbefehlshaber mit seiner Ansicht richtig liegt
und daß dies eine stärkere Bereitschaft zur Zusammenarbeit seitens der sowjetischen
Delegation bei künftigen Konferenzen bedeutet. Aber wir dürfen den Zeitfaktor, der
hier eine Rolle spielt, nicht außer Acht lassen. Der Aufschwung in Europa verläuft viel
langsamer als erwartet. Zersetzende Kräfte werden deutlich. Der Patient geht unter,
während sich die Ärzte beraten. Ich glaube also, daß man nicht warten kann, bis ein
Kompromiss durch Erschöpfung zustande kommt. Täglich treten neue Probleme auf.
Es müssen unverzüglich alle Maßnahmen ergriffen werden, die möglich sind, um diese
dringenden Probleme zu lösen.
In finanzieller Hinsicht möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, der für alle unsere
Bürger von entscheidender Bedeutung ist. Zwar konnte ich nicht wie Herr Byrnes auf
die Anwesenheit der beiden führenden Mitglieder des Senatsausschusses für
auswärtige Beziehungen zurückgreifen, doch hatte ich die unschätzbare
Unterstützung von Herrn Dulles, einem angesehenen Vertreter der republikanischen
Partei und anerkannten Fachmann für auswärtige Beziehungen und für die Abläufe
bei internationalen Verhandlungen und Vertragsabschlüssen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 51

Tatsächlich wurde der überparteiliche Charakter der amerikanischen Haltung in der


gegenwärtigen Außenpolitik durch die starke und erfolgreiche Führungsrolle deutlich,
welche die Senatoren Vandenberg und Connally im Zeitraum dieser Konferenz in der
Senatsdebatte über eine Entwicklung unserer Außenpolitik, die von großer Bedeutung
für das amerikanische Volk ist, darstellten. Die Tatsache, daß in Washington eine so
offensichtliche Einigkeit herrschte, war für mich in Moskau eine unschätzbare Hilfe.
Der heutige Zustand der Welt und die Position der Vereinigten Staaten machen meiner
Meinung nach ein geschlossenes Vorgehen seitens des amerikanischen Volkes
erforderlich. Aus diesem Grund habe ich meine Ansichten über die Konferenz so
ausführlich dargelegt.
____________

Bericht von Außenminister Marshall über die Fünfte Tagung des Rates der
Außenminister, 19. Dezember 1947 1
BERICHT DES MINISTERS MARSHALL
Das Ergebnis der jüngsten Tagung des Rates der Außenminister in London war
enttäuschend. Ich bin mir bewußt, daß die vielen langatmigen Erklärungen und die
häufigen und grundlegenden Meinungsverschiedenheiten für die Öffentlichkeit sehr
verwirrend waren. Auch die ständigen Anschuldigungen gegen den guten Glauben, die
Integrität und die Ziele der Regierungen der Westmächte, insbesondere der
Vereinigten Staaten, trugen zwangsläufig erheblich zur Verwirrung bei. Dies war in
der Tat einer der Gründe für diese Angriffe.
Ich rechnete mit großen Schwierigkeiten bei der Erzielung eines umfassenden
Abkommens, aber ich hatte die Hoffnung, daß wir drei oder vier grundlegende
Entscheidungen treffen könnten, die ein sofortiges Handeln der Vier Mächte
ermöglichen würden, um die Lage in Deutschland in diesem Winter zu erleichtern und
die Aussichten für ganz Europa erheblich zu verbessern. Daß es uns nicht gelungen
ist, solche Vereinbarungen zu treffen, ist die größte Enttäuschung.
Die Delegation der Vereinigten Staaten ging mit offenem Geist nach London, wie
ich es in Chicago angekündigt hatte, aber wir gingen mit der festen Entschlossenheit,
die seit der deutschen Kapitulation bestehende Teilung Deutschlands zu beenden. Wir
waren auch fest entschlossen, daß jede in London erzielte Vereinbarung eine wirklich
praktikable Vereinbarung sein sollte und nicht eine, die sofort zu Behinderung und
Frustration im Alliierten Kontrollrat führen würde, wenn sie in Deutschland in Kraft
gesetzt werden sollte.
Ich möchte nur kurz auf die endlosen Diskussionen während der wochenlangen
Debatten in London eingehen. Für uns war es nur eine langweilige Wiederholung
dessen, was auf der Moskauer Konferenz gesagt und wieder gesagt worden war. Ich
werde mich jedoch bemühen, die wichtigsten Punkte aufzuzeigen, bei denen die
Konferenz in eine Sackgasse geraten ist, und Ihnen meine Einschätzung der Gründe
dafür darzulegen.
Das Hauptproblem, das wir vor der Eröffnung der Londoner Konferenz sahen, war
die Frage, ob sich die Alliierten untereinander auf die Wiedervereinigung
Deutschlands einigen konnten oder nicht.
Die Frage des österreichischen Vertrages war noch einfacher und hatte sich bereits
auf der Moskauer Konferenz klar herauskristallisiert.

1 Ebenda, S. 63–67. Die Fünfte Tagung des Rates fand vom 25. November bis 16. Dezember 1947 in London
statt.
52 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Da die beiden von mir dargelegten Hauptthemen die beherrschenden Faktoren


unserer Beratungen sein würden, waren drei der Delegationen übereingekommen, daß
der Österreich-Vertrag zuerst behandelt werden sollte und die wirtschaftlichen
Grundsätze für die Behandlung Deutschlands als wirtschaftliches Ganzes an zweiter
Stelle stehen sollten. Wir hielten diese Reihenfolge für logisch und notwendig, wenn
wir die übrigen Punkte unserer Tagesordnung mit Aussicht auf Erfolg erörtern
wollten. Die sowjetische Delegation vertrat eine andere Auffassung und bestand
darauf, daß die Fragen zur Vorbereitung eines Friedensvertrags für Deutschland
Vorrang vor den Fragen zur unmittelbaren wirtschaftlichen Einheit Deutschlands
haben sollten.
Um die Konferenz in Gang zu bringen, einigte man sich schließlich darauf, dem
sowjetischen Antrag zuzustimmen, die Vorbereitung eines deutschen Friedensvertrags
als zweiten Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Mit Ausnahme eines Tages, an dem
Österreich und der österreichische Vertrag erörtert wurden, gelangte die Konferenz
daher erst nach zehn Sitzungstagen wirklich zum Kern der deutschen Frage. In diesen
ersten zehn Sitzungen wurden die Mechanismen für die Vorbereitung eines künftigen
deutschen Friedensvertrags ergebnislos und etwas wirklichkeitsfremd erörtert, bevor
die Frage, ob es ein vereinigtes Deutschland geben sollte oder nicht, überhaupt erörtert
worden war. In dieser Phase der Diskussion gab es jedoch eine Frage von echter
Bedeutung, die nicht nur für einen deutschen Friedensvertrag, sondern auch für die
unmittelbare Situation in Deutschland von Bedeutung war. Es handelte sich um die
Frage nach den gegenwärtigen und künftigen Grenzen des Deutschen Staates. Keine
ernsthaften Überlegungen zu einem Friedensvertrag könnten angestellt werden, ohne
sich zuvor Gedanken über das Gebiet des künftigen Deutschen Staates zu machen.
Drei Delegationen hatten sich bereits dafür ausgesprochen, daß das Saargebiet von
Deutschland abgetrennt und in die französische Wirtschaft integriert werden sollte.
Herr Molotow lehnte es ab, seine Regierung in diesem Punkt zu verpflichten.
In dieser wichtigen Frage der Grenzen stimmten drei Delegationen der Einsetzung
einer oder mehrerer Grenzkommissionen zu, die eine Expertenstudie über die
vorgeschlagenen Änderungen der Vorkriegsgrenzen erstellen sollten. Herr Molotow
weigerte sich, zuzustimmen. Es war für mich unmöglich, sein nachdrückliches
Beharren auf der Notwendigkeit, die Vorbereitung eines deutschen Friedensvertrags
zu beschleunigen, mit seiner kategorischen Weigerung in Einklang zu bringen, der
Einsetzung von Grenzkommissionen zuzustimmen, welche drei Delegationen als einen
absolut unerlässlichen ersten Schritt in jeder ernsthaften Vorbereitung einer
künftigen Deutschen Friedensregelung betrachteten.
Viele andere Fragen, die die eigentliche Vorbereitung eines Friedensvertrags
betreffen, wurden ohne Einigung erörtert.
In dieser Phase der Debatte bestand Molotow darauf, daß sich die vier Mächte auf
die sofortige Einsetzung einer deutschen Zentralregierung einigen sollten. Obwohl die
Vereinigten Staaten, wie ich glaube, das erste der vier Besatzungsländer waren, das
in Moskau vorschlug, so bald wie möglich eine provisorische deutsche Zentralregierung
einzusetzen, war es offensichtlich, daß jede Zentralregierung nur ein Schein und keine
Realität sein würde, solange die Teilung Deutschlands nicht überwunden und die
Bedingungen für eine politische und wirtschaftliche Einheit Deutschlands nicht
geschaffen worden waren. Diese Ansicht wurde von den anderen westlichen
Delegationen geteilt, war aber für Molotow völlig inakzeptabel. Dies war der erste
eindeutige Beweis für seine Absicht, das Treffen als Gelegenheit für
Propagandaerklärungen zu nutzen, die für deutsche Ohren angenehm sein würden.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 53

Nach mehrtägigen Beratungen durch die Abgeordneten wurde der österreichische


Vertrag am 4. Dezember erneut auf den Konferenztisch gebracht. Die einzige Frage,
die erörtert wurde, war die Bestimmung der tatsächlichen deutschen Vermögenswerte
in Ostösterreich, auf die die Sowjetunion aufgrund des Potsdamer Abkommens einen
vollen Anspruch hatte. Dies war der Stolperstein bei der Erzielung einer endgültigen
Einigung über den Vertragsentwurf gewesen, und es war eine Frage, die darüber
entscheiden würde, ob Österreich unter so vollständiger wirtschaftlicher
Beherrschung durch die Sowjetunion stehen würde, daß es praktisch ein Vasallenstaat
wäre oder nicht.
Die Franzosen hatten versucht, mit einem Kompromissvorschlag aus der Sackgasse
herauszukommen, was der sowjetische Delegierte jedoch kategorisch ablehnte. In der
letzten Stunde der Schlusssitzung der Konferenz zeigte sich Herr Molotow bereit, eine
prozentuale Kürzung der sowjetischen Forderungen zu akzeptieren, ohne jedoch den
tatsächlichen Betrag seines Vorschlags zu nennen. Die Angelegenheit wurde sofort an
die Abgeordneten verwiesen, und kurz vor meiner Abreise aus England wurde mir
mitgeteilt, daß die sowjetische Regierung später einen detaillierten Vorschlag vorlegen
würde.
Erst auf der zehnten Sitzung kam die Konferenz schließlich zum Kern des
Problems––zu einer Betrachtung der harten Realitäten der bestehenden Situation in
Deutschland.
Es sollten jedoch noch einige Tage vergehen, bis sich der Rat wirklich mit diesen
Tatsachen auseinandersetzte. Diskussionen über das Verfahren––welches Dokument
zu erörtern sei––verzögerten unsere Arbeit erneut. Am Montag, dem 8. Dezember,
waren die Verfahrensfragen jedoch geklärt und der Rat begann mit der Erörterung der
grundlegenden Fragen, die schließlich dazu führten, daß die Tagung ohne Einigung
vertagt wurde.
Ich werde mich bemühen, kurz darzulegen, worum es dabei ging, ohne die
komplizierten und langwierigen Diskussionen über die einzelnen Punkte
wiederzugeben. Die allgemeine Frage war einfach. Es ging darum, ob Deutschland
weiterhin geteilt bleiben sollte oder ob die Alliierten sich auf die Wiederherstellung
eines vereinigten Deutschlands einigen konnten. Solange dies nicht gelänge, blieben
alle anderen Deutschland betreffenden Fragen akademisch.
Welches waren nun die besonderen Hindernisse für die Verwirklichung der
wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands ?
Die Delegation der Vereinigten Staaten vertrat die Auffassung, daß die vier
Besatzungsmächte bestimmte grundlegende Entscheidungen treffen sollten, wenn die
Einheit Deutschlands erreicht werden sollte. Diese waren:
1. Die Beseitigung der künstlichen zonalen Schranken, um den freien
Verkehr von Personen, Ideen und Waren auf dem gesamten Gebiet
Deutschlands zu ermöglichen.
2. Der Verzicht der Besatzungsmächte auf das Eigentum an den unter dem
Deckmantel der Reparationen ohne Zustimmung der Vier Mächte
beschlagnahmten Gütern in Deutschland.
3. Eine Währungsreform, die die Einführung einer neuen und gesunden
Währung für ganz Deutschland beinhaltet.
4. Eine endgültige Festlegung der wirtschaftlichen Lasten, die Deutschland
in Zukunft zu tragen hat, d.h. der Besatzungskosten, der Rückzahlung der von
den Besatzungsmächten vorgestreckten Beträge und der Reparationen.
5. Ein umfassender Export-Import-Plan für ganz Deutschland.
54 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wenn diese grundlegenden Maßnahmen von den Besatzungsmächten in die Tat


umgesetzt worden sind, sollte die Einsetzung einer provisorischen Regierung für ganz
Deutschland unter angemessenen Sicherheitsvorkehrungen in Angriff genommen
werden.
Die Frage der Reparationen wurde bald zu einer Schlüsselfrage. Für diejenigen, die
mit den bisherigen Verhandlungen zu diesem Thema nicht ganz vertraut sind, möchte
ich erklären, daß vor zwei Jahren in Potsdam eine endgültige Vereinbarung getroffen
wurde, daß die Reparationszahlungen durch den Transfer von überschüssigem
Kapitalvermögen, d.h. von Fabriken, Maschinen und Vermögenswerten im Ausland,
erfolgen sollten und nicht durch Zahlungen, die von Zeit zu Zeit aus der täglichen
Produktion Deutschlands geleistet werden. Ein Grund für diese Entscheidung war die
Vermeidung einer jahrelangen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und den
Alliierten sowie zwischen den Alliierten selbst über die Zahlungsfähigkeit
Deutschlands und den tatsächlichen Wert der geleisteten Zahlungen in Waren.
Außerdem war klar, daß Deutschland viele Jahre lang verzweifelt darum kämpfen
würde, einen ausreichenden Außenhandel aufzubauen, um die Lebensmittel und
andere Güter zu bezahlen, auf die es von außen angewiesen sein würde. Das beste
Beispiel für diese Phase der Situation, das ich geben kann, ist die gegenwärtige
Notwendigkeit für Großbritannien und die Vereinigten Staaten, etwa 700 Millionen
pro Jahr auszugeben, um Lebensmittel und andere Dinge zu beschaffen, die eine
Hungersnot und einen ziemlich vollständigen Zerfall des von unseren Streitkräften
besetzten Teils Deutschlands verhindern.
Mit anderen Worten: Reparationen aus laufender Produktion––d.h. Exporte der
deutschen Tagesproduktion ohne Gegenleistung––könnten nur dann erfolgen, wenn
die Länder, die Deutschland derzeit beliefern––insbesondere die Vereinigten Staaten–
–die Rechnung bezahlen. Wir geben etwas, die Russen nehmen etwas. Diese
wirtschaftliche Wahrheit ist jedoch nur ein Aspekt der sowjetischen
Reparationsforderungen. In der Ostzone Deutschlands hat die Sowjetunion
Reparationen aus der laufenden Produktion entnommen und außerdem unter dem
Deckmantel der Reparationen riesige Besitztümer beschlagnahmt und zu einem
gigantischen Treuhandvermögen gemacht, das einen wesentlichen Teil der Industrie
dieser Zone umfasst. Dies hat zu einer Art monopolistischem Würgegriff über das
wirtschaftliche und politische Leben Ostdeutschlands geführt, der diese Region kaum
mehr als eine abhängige Provinz der Sowjetunion macht. Ein sehr wichtiger Grund für
das Scheitern der Einigung in London war meiner Meinung nach die Entschlossenheit
der Sowjetunion, ihren Einfluss auf Ostdeutschland in keiner Weise zu lockern. Die
Anerkennung ihrer Forderungen nach Reparationen aus der laufenden Produktion der
Westzonen würde diesen Würgegriff auf das künftige Wirtschaftsleben ganz
Deutschlands ausweiten.
Die sowjetische Position wurde nirgends deutlicher als durch die kategorische
Weigerung von Herrn Molotow, dem Rat der Außenminister Informationen über die
bereits aus der Ostzone entnommenen Reparationen oder überhaupt Informationen
über die dortige Lage zu übermitteln, solange keine vollständigen Vereinbarungen
getroffen worden waren. Wir sollten ihnen also mitteilen, was in den Westzonen
geschehen ist, was wir bereits getan haben und sie sagen uns nichts. Diese
Verweigerung von Informationen, die für Entscheidungen über die Organisation der
deutschen Einheit unbedingt erforderlich sind, hätte an sich schon jede Vereinbarung
unmöglich gemacht. Ein bemerkenswertes Beispiel für die Haltung der Sowjets in
dieser Angelegenheit war ihre nörgelnde Kritik an den wirtschaftlichen Vorgängen in
unseren Zonen, die wir freimütig für die Weltöffentlichkeit veröffentlichen, während
sie sich praktisch im gleichen Atemzug glatt weigern, überhaupt irgendwelche Daten
über ihre Zone zu liefern.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 55

Schließlich wurde klar, daß wir zu diesem Zeitpunkt keine Fortschritte machen
konnten––es gab keinen offensichtlichen Willen, eine Einigung zu erzielen, sondern
nur das Interesse, immer mehr Reden für ein anderes Publikum zu halten. Also schlug
ich vor, die Sitzung zu vertagen. Auf dem Treffen wurde weder etwas gewonnen noch
verloren, außer daß die Probleme und Hindernisse nun viel klarer umrissen sind. Wir
können derzeit nicht auf ein vereinigtes Deutschland hoffen. Wir müssen unser Bestes
in dem Bereich tun, in dem unser Einfluss spürbar ist.
Alle müssen erkennen, daß die zu überwindenden Schwierigkeiten immens sind. Die
Probleme im Zusammenhang mit den vertraglichen Regelungen für Italien und die
Satellitenländer waren im Vergleich dazu einfach, da keines dieser Länder in
Besatzungszonen aufgeteilt war und alle eine bestehende Regierungsform hatten.
Deutschland hingegen ist in vier Teile––vier Zonen––unterteilt. Von einer nationalen
Regierung bleibt keine Spur.
Es gibt noch einen anderen, meines Erachtens noch grundlegenderen Grund für die
Frustration, auf die wir in unserem Bemühen um eine realistische Vereinbarung für
eine Friedensregelung gestoßen sind. In den Kriegskämpfen wurde Europa weitgehend
zerrüttet. Infolgedessen entstand ein politisches Vakuum, und solange dieses Vakuum
nicht durch die Wiederherstellung einer gesunden europäischen Gemeinschaft gefüllt
ist, scheint es nicht möglich, daß Vereinbarungen auf dem Papier einen dauerhaften
Frieden gewährleisten können. Abkommen zwischen souveränen Staaten sind in der
Regel der Ausdruck und nicht die Ursache echter Lösungen.
Ich denke, daß wir genau aus diesem Grund auf so viel Widerstand gegen fast jeden
Vorschlag gestoßen sind, auf den sich die Westmächte geeinigt haben. Die Sowjetunion
hat die Situation erkannt, indem sie offen ihre Feindseligkeit und ihren Widerstand
gegen das European Recovery Program erklärt hat. Der Erfolg eines solchen
Programms würde notwendigerweise die Herstellung eines Gleichgewichts bedeuten,
in dem die 16 westlichen Nationen, die ihre Hoffnungen und Anstrengungen
miteinander verbunden haben, rehabilitiert würden, gestärkt durch
Regierungsformen, die wahre Freiheit, Chancen für den Einzelnen und Schutz vor dem
Terror der staatlichen Tyrannei garantieren.
Die Angelegenheit ist wirklich eindeutig, und ich fürchte, es kann keine Lösung
geben, bevor die kommenden Monate nicht zeigen, ob die Zivilisation Westeuropas sich
als stark genug erweisen wird, um die zerstörerischen Auswirkungen des Krieges zu
überwinden und eine gesunde Gesellschaft wiederherzustellen. Offizielle Vertreter der
Sowjetunion und Führer der kommunistischen Parteien sagen offen voraus, daß diese
Wiederherstellung nicht stattfinden wird. Wir hingegen sind zuversichtlich, daß die
westeuropäische Zivilisation mit ihren Freiheiten wiederhergestellt werden kann.
Solange das Ergebnis dieses Kampfes nicht klar ersichtlich ist, wird es weiterhin
sehr schwierig sein, auch nur auf dem Papier zu einem Friedensvertrag zu kommen.
Die Lage muss stabilisiert werden. Die westlichen Nationen müssen zumindest auf
einer Regierungs- und Freiheitsgrundlage fest verankert werden, die alles bewahrt,
was diese Nationen in den vergangenen Jahrhunderten erreicht haben, und alles, was
ihre Zusammenarbeit für die Zukunft verspricht.
56 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Londoner Kommuniqué über Deutschland, von den Vereinigten Staaten, dem


Vereinigten Königreich, Frankreich und den Benelux-Staaten, 6. März
1948 1
LONDONER SECHS-MÄCHTE-KONFERENZ
Die informellen Gespräche über die deutschen Probleme, die am 23. Februar in
London zwischen den Vertretern der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs
und Frankreichs und ab dem 26. Februar mit den Vertretern der Benelux-Länder
begonnen hatten, wurden heute unterbrochen.
Auf Antrag der anderen Delegationen fanden die Sitzungen unter dem Vorsitz des
Vertreters des Vereinigten Königreichs, Sir William Strang, statt. Die amerikanische
und die französische Delegation wurden von Herrn Douglas und Herrn Massigli, dem
amerikanischen und dem französischen Botschafter in London, geleitet. Auf der ersten
Sitzung wurde vereinbart, die Benelux-Länder einzuladen, gleichberechtigt an der
Erörterung aller Tagesordnungspunkte teilzunehmen, mit Ausnahme derjenigen, die
sich mit Verwaltungsfragen befassen, für die die Besatzungsmächte, die die drei
besetzten Gebiete kontrollieren, unmittelbar zuständig sind. Die Hauptvertreter der
Benelux-Delegation waren der niederländische Botschafter Jonkheer Michiels van
Verduynen, der belgische Botschafter Vicomte Obert de Thiesieus und der
luxemburgische Minister M. Claessen.
Es wurden wichtige Fortschritte erzielt, und es wurde beschlossen, diese
Diskussionen im April wieder aufzunehmen, um Schlussfolgerungen zu den
verbleibenden Fragen zu ziehen, so daß die Delegationen in der Lage sind, ihren
Regierungen am Ende der nächsten Tagung ihre Empfehlungen für den gesamten
Bereich vorzulegen. In der Zwischenzeit werden verschiedene Aspekte einiger dieser
Probleme eingehender untersucht werden.
Das ständige Scheitern des Rates der Außenminister, eine vierseitige Einigung zu
erzielen, hat in Deutschland eine Situation geschaffen, die, wenn man sie andauern
ließe, zunehmend negative Folgen für Westeuropa haben würde. Es war daher
notwendig, daß die dringenden politischen und wirtschaftlichen Probleme, die sich aus
dieser Situation in Deutschland ergeben, gelöst werden. Die teilnehmenden Mächte
hatten die Notwendigkeit vor Augen, den wirtschaftlichen Wiederaufbau Westeuropas
einschließlich Deutschlands sicherzustellen und eine Grundlage für die Teilnahme
eines demokratischen Deutschlands an der Gemeinschaft freier Völker zu schaffen.
Auch wenn eine Verzögerung bei der Erreichung dieser Ziele nicht mehr hingenommen
werden kann, ist eine endgültige Einigung der Vier Mächte keineswegs unmöglich.
Die verschiedenen Tagesordnungspunkte waren Gegenstand einer eingehenden
Prüfung, mit Ausnahme der Sicherheitsfragen, die vorab geprüft wurden und bei der
Wiederaufnahme der Beratungen eingehend behandelt werden sollen. Auch die
Erörterung der territorialen Fragen wird auf die nächste Sitzung verschoben.
Die Delegationen der USA, Großbritanniens und Frankreichs erörterten bestimmte
begrenzte Aspekte der Frage der Reparationen Deutschlands im Zusammenhang mit
der Innenpolitik in den Zonen, für die sie als Besatzungsmächte verantwortlich sind.
Das Verhältnis Westdeutschlands unter den Besatzungsmächten zum Europäischen
Wiederaufbauprogramm wurde ebenfalls von den Delegationen der USA,

1 Die Londoner Sechs-Mächte Konferenz wurde vom 23. Februar bis 2. Juni 1948 abgehalten. Text des
Kommuniqués vom 6. März aus ebd., S. 75–76. Siehe auch die Erklärungen von Marschall Sokolowski vor
dem Alliierten Kontrollrat am 20. März 1948 (Die Sowjetunion und die Berliner Frage (Dokumente) (Moskau,
1948), S. 18–20).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 57

Großbritanniens und Frankreichs erörtert. Man war sich einig, daß für das politische
und wirtschaftliche Wohlergehen der Länder Westeuropas und eines demokratischen
Deutschlands eine enge Verbindung ihres Wirtschaftslebens erforderlich ist. Da es sich
als nicht möglich erwiesen hat, die wirtschaftliche Einheit Deutschlands zu erreichen
und da die Ostzone daran gehindert wurde, ihre Rolle im Europäischen
Wiederaufbauprogramm zu spielen, sind die drei Westmächte übereingekommen, daß
eine enge Zusammenarbeit untereinander und zwischen den Besatzungsbehörden in
Westdeutschland in allen Fragen, die sich aus dem Europäischen
Wiederaufbauprogramm in Bezug auf Westdeutschland ergeben, hergestellt werden
sollte. Eine solche Zusammenarbeit ist unerlässlich, wenn Westdeutschland seinen
vollen und angemessenen Beitrag zum europäischen Wiederaufbau leisten soll. Es
wurde auch vereinbart, den drei Regierungen zu empfehlen, daß die kombinierte Zone
und die französische Zone voll in das Europäische Wiederaufbauprogramm einbezogen
werden und in jeder weiterführenden Organisation angemessen vertreten sein sollten.
Entsprechende Vorschläge werden auf der nächsten Sitzung des C.E.E.C. unterbreitet
werden.
Über die Empfehlungen für die Assoziierung der Benelux-Länder in der
Deutschlandpolitik wurde grundsätzliches Einvernehmen erzielt. Alle Delegationen
haben die Einrichtung einer internationalen Kontrolle des Ruhrgebiets in Erwägung
gezogen, in der Deutschland vertreten sein soll. Zweck dieser internationalen
Kontrolle wäre es, sicherzustellen, daß die wirtschaftlichen Ressourcen dieses Gebiets
nicht erneut für Aggressionszwecke genutzt werden und daß ein angemessener Zugang
zu Kohle, Koks und Stahl des Ruhrgebiets zum Nutzen weiter Teile der europäischen
Gemeinschaft einschließlich Deutschlands besteht. Den betroffenen Regierungen
werden diesbezüglich abgestimmte Empfehlungen über Umfang und Form dieser
Kontrolle unterbreitet.
Zwischen allen Delegationen fand eine konstruktive Diskussion über die
gegenwärtige Lage und die mögliche Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen
Organisation Deutschlands in der kombinierten Zone USA/Großbritannien und der
französischen Zone statt. In einer Reihe von umstrittenen Punkten wurde ein
weitgehendes Einvernehmen erzielt. Insbesondere war man sich einig, daß eine
föderale Regierungsform, die die Rechte der einzelnen Länder angemessen schützt,
aber auch ausreichende Kontrollbefugnisse vorsieht, am besten geeignet ist, die
gegenwärtig gestörte deutsche Einheit wiederherzustellen. Um die Assoziierung
Westdeutschlands an das Europäische Wiederaufbauprogramm zu erleichtern, kamen
die drei Delegationen ferner überein, daß unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden
sollten, um die Wirtschaftspolitik der drei Zonen so weit wie möglich zu koordinieren,
z.B. in Fragen des Außenhandels und des Handels zwischen den Zonen, des Zolls und
des freien Personen- und Warenverkehrs.
_________

Erklärung des Außenministeriums zu den Malik-Jessup-Gesprächen, 26.


April 1949 1
INFORMELLE GESPRÄCHE ZUR BERLIN-BLOCKADE
Seit der Verhängung der Blockade der Stadt Berlin durch die Sowjetische Regierung
haben sich die drei westlichen Regierungen stets bemüht, die Aufhebung dieser
Blockade zu Bedingungen herbeizuführen, die mit ihren Rechten, Pflichten und Ver-

1 Bulletin des Außenministeriums, 8. Mai 1949, S. 590–591.


58 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

pflichtungen als Besatzungsmächte in Deutschland vereinbar sind. Im Einklang mit


dieser Politik haben die westlichen Regierungen im vergangenen Sommer Gespräche
in Moskau aufgenommen. Nachdem diese gescheitert waren, wurde die Angelegenheit
im September 1918 an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verwiesen.
Alle diese Bemühungen blieben erfolglos, und die drei westlichen Regierungen
machten deutlich, daß sie angesichts der sowjetischen Haltung nicht bereit waren, die
Gespräche fortzusetzen.
Seitdem haben die westlichen Regierungen ständig nach Anzeichen für eine
Änderung der Haltung der sowjetischen Regierung Ausschau gehalten und waren
bestrebt, durch Kontakte mit sowjetischen Beamten jede vernünftige Möglichkeit in
dieser Richtung auszuloten.
In diesem Zusammenhang nahm das Außenministerium mit besonderem Interesse
zur Kenntnis, daß Premier Stalin am 30. Januar 1949 in seiner Antwort auf die Fragen
eines amerikanischen Journalisten die Währungsfrage in Berlin mit keinem Wort
erwähnte. Da die Währungsfrage bis dahin der angekündigte Grund für die Blockade
gewesen war, schien das Ausbleiben jeglicher Erwähnung durch Premier Stalin für
das Ministerium ein Hinweis auf eine Entwicklung zu sein, die untersucht werden
sollte.
Vor diesem Hintergrund nahm der damalige stellvertretende US-Vertreter im
Sicherheitsrat, Herr Jessup, am 15. Februar in einem Gespräch mit dem sowjetischen
Vertreter im Sicherheitsrat, Herrn Malik, die Gelegenheit wahr, sich zu der Tatsache
zu äußern, daß Premier Stalin die Währungsfrage nicht erwähnt hatte. Da diese Frage
im Sicherheitsrat und in dem unter der Schirmherrschaft des Rates eingesetzten
Sachverständigenausschuss ausführlich erörtert worden war, erkundigte sich Herr
Jessup, ob die Auslassung eine besondere Bedeutung habe.
Einen Monat später, am 15. März, teilte Herr Malik Herrn Jessup mit, daß Premier
Stalins Auslassung jeglicher Erwähnung des Währungsproblems in Bezug auf Berlin
„nicht zufällig“ sei, daß die sowjetische Regierung die Währungsfrage als wichtig
ansehe, aber der Meinung sei, daß sie auf einer Sitzung des Außenministerrates
erörtert werden könne, wenn eine Sitzung dieses Gremiums zur Überprüfung des
gesamten deutschen Problems arrangiert werden könne. Herr Jessup erkundigte sich,
ob dies bedeute, daß die sowjetische Regierung an ein Treffen der Außenminister
denke, während die Blockade Berlins andauere oder ob es darauf hindeute, daß die
Blockade aufgehoben werde, damit das Treffen stattfinden könne.
Die Informationen über die Haltung der sowjetischen Regierung, die sich aus diesen
informellen Kontakten ergaben, wurden unverzüglich an die britische und
französische Regierung weitergeleitet.
Am 21. März bat Herr Malik erneut Herrn Jessup, ihn zu besuchen, um ihm
mitzuteilen, daß, wenn ein definitiver Termin für die Sitzung des Außenministerrats
festgelegt werden könnte, die Beschränkungen für Handel und Verkehr in Berlin im
Gegenzug aufgehoben werden könnten und daß die Aufhebung der Blockade vor der
Sitzung erfolgen könnte.
Die Anwesenheit der Außenminister Großbritanniens und Frankreichs in
Washington wurde genutzt, um mit ihnen die jüngsten Entwicklungen in Bezug auf
die sowjetische Haltung zu erörtern.
Die drei Westmächte einigten sich auf eine gemeinsame Position. Damit es bei der
Sowjetischen Regierung keine Missverständnisse hinsichtlich dieser Position gibt,
wurde Herrn Malik am 5. April von Herrn Jessup eine Erklärung vorgelesen. Mit
dieser Erklärung, die den gemeinsamen Standpunkt der drei Westmächte darstellte,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 59

sollte deutlich gemacht werden, daß es sich um folgende Punkte handelte:


1. Gegenseitige und gleichzeitige Aufhebung der von der Sowjetunion seit
dem 1. März 1948 verhängten Beschränkungen des Nachrichtenverkehrs, des
Transports und des Handels zwischen Berlin und den Westzonen Deutschlands
sowie der von den Drei Mächten verhängten Beschränkungen des
Nachrichtenverkehrs, des Transports und des Handels von und nach der
Ostzone Deutschlands.
2. Die Festsetzung eines noch zu bestimmenden Termins für eine Tagung
des Rates der Außenminister.
Die Westmächte wollten sich vergewissern, daß diese beiden Punkte nach dem
Verständnis der sowjetischen Regierung nicht von einem der anderen Punkte
abhängig gemacht werden, die in der Vergangenheit eine Einigung über die Aufhebung
der Blockade verhindert hatten.
Die Erklärung faßt zusammen, wie die drei Regierungen den Standpunkt der
Sowjetregierung zum Vorschlag der Aufhebung der Blockade und zur Tagung des
Rates der Außenminister verstanden haben. Damit sollte unmissverständlich
klargestellt werden, daß die sowjetische Regierung den Standpunkt vertritt, der jetzt
in der Mitteilung der Agentur Tass dargelegt wurde.
Am 10. April bat Herr Malik erneut Herrn Jessup, ihn zu diesem Zeitpunkt
aufzusuchen, und legte erneut den Standpunkt der sowjetischen Regierung dar. Aus
dieser Erklärung ging hervor, daß es noch einige Punkte gab, die einer Klärung
bedurften.
Als Ergebnis dieses Treffens fanden weitere Gespräche zwischen den drei
Regierungen statt, die zu einer detaillierteren Formulierung ihrer Position führten,
die von Herrn Jessup an Herrn Malik weitergeleitet werden wird.
Wenn die derzeitige Position der sowjetischen Regierung der in der amerikanischen
Presse veröffentlichten Mitteilung der Agentur Tass entspricht, scheint der Weg frei
für eine Aufhebung der Blockade und ein Treffen des Außenministerrats. Eine
endgültige Entscheidung darüber kann erst nach einem weiteren Gespräch mit Herrn
Malik getroffen werden.
__________

Vier-Mächte-Kommuniqué zum Abkommen über die Aufhebung der Berlin-


Blockade, New York, 4. Mai 1949 1
Die Regierungen Frankreichs, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des
Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten haben folgende Vereinbarung
getroffen:
1. Alle seit dem 1. März 1948 von der Regierung der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken verhängten Beschränkungen der Kommunikation, des Verkehrs und
des Handels zwischen Berlin und den Westzonen Deutschlands sowie zwischen der
Ostzone und den Westzonen werden am 12. Mai 1949 aufgehoben.
2. Alle seit dem 1. März 1948 von den Regierungen Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten oder einer von ihnen verhängten
Beschränkungen des Nachrichtenverkehrs, des Transports und des Handels zwischen
Berlin und der Ostzone sowie zwischen der West- und Ostzone Deutschlands werden
ebenfalls am 12. Mai 1949 aufgehoben.

1 Deutschland, 1947–1949 : Die Geschichte in Dokumenten, S. 274.


60 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

3. Elf Tage nach der Aufhebung der in den Nummern 1 und 2 genannten
Beschränkungen, d.h. am 23. Mai 1949, wird in Paris eine Tagung des Rates der
Außenminister einberufen, um die Deutschland betreffenden Fragen und die sich aus
der Lage in Berlin ergebenden Probleme zu erörtern, darunter auch die Frage der
Währung in Berlin.
__________

Grundsatzerklärung der Alliierten ( West- ) Kommandantur für Berlin, 14.


Mai 1949 1
GRUNDSÄTZE FÜR DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN DER ALLIIERTEN
KOMMANDANTUR UND GROß-BERLIN
1. ( a ) Groß-Berlin hat, nur vorbehaltlich der in dieser Erklärung dargelegten
Beschränkungen, die volle gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt gemäß
der Vorläufigen Verfassung von 1946 oder einer späteren Verfassung, die von der
Stadtverordnetenversammlung angenommen und von der Alliierten Kommandantur
gemäß den Bestimmungen dieser Erklärung genehmigt wird;
( b ) Artikel 36 der Vorläufigen Verfassung von Berlin wird ausgesetzt und
BK/0 ( 47 ) 34 und BK/O ( 47 ) 56, die in Anwendung dieses Artikels erlassen wurden,
werden aufgehoben.
2. Um die Erfüllung des grundlegenden Zwecks der Besatzung zu gewährleisten,
sind in den folgenden Bereichen Befugnisse ausdrücklich der Alliierten
Kommandantur vorbehalten, einschließlich des Rechts, die von den
Besatzungsbehörden benötigten Informationen und Statistiken anzufordern und zu
überprüfen.
( a ) Abrüstung und Entmilitarisierung, einschließlich der damit
zusammenhängenden Bereiche der wissenschaftlichen Forschung, Verbote und
Beschränkungen der Industrie und der zivilen Luftfahrt ;
( b ) Restitution, Reparationen, Entflechtung, Dekonzentration, Nicht-
Diskriminierung in Handelsangelegenheiten, ausländische Interessen in Berlin
und Ansprüche gegen Berlin oder seine Einwohner ;
( c ) Beziehungen zu ausländischen Behörden ;
( d ) Vertriebene und die Aufnahme von Flüchtlingen ;
( e ) Schutz, Ansehen und Sicherheit der alliierten Streitkräfte, ihrer
Angehörigen, ihres Personals und ihrer Repräsentanten, ihre Immunität und die
Befriedigung der Besatzungskosten sowie ihrer sonstigen Bedürfnisse ;
( f ) Achtung der Vorläufigen Verfassung von Berlin von 1946 oder einer
Verfassung, die von der Alliierten Kommandantur anstelle der Vorläufigen
Verfassung genehmigt werden kann ;
( g ) Kontrolle des Außenhandels und des Devisenverkehrs ;
( h ) Kontrolle über die internen Maßnahmen, jedoch nur in dem Umfang, der
erforderlich ist, um die Verwendung von Geldern, Nahrungsmitteln und anderen
Vorräten in einer Weise zu gewährleisten, die den Bedarf an externer Hilfe für
Berlin auf ein Minimum reduziert ;
( i ) Kontrolle der Betreuung und Behandlung von Personen, die von Gerichten
der Besatzungsmächte oder Besatzungsbehörden angeklagt oder verurteilt
worden sind, in deutschen Gefängnissen; Kontrolle der Vollstreckung der gegen

1 Berlin: Die Entwicklung von Regierung und Verwaltung : (Monographie Nr. 16, HICOG [Anm.: ameri-
kanischer Hoher Kommissar für Deutschland] Historical Division), S. 192–195.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 61

sie verhängten Strafen und sonstiger Fragen der Amnestie, Begnadigung oder
Freilassung in Bezug auf sie ;
( j ) Aufsicht über die Berliner Polizei in Anbetracht der in Berlin
herrschenden besonderen Umstände in einer Weise, die in einem von der
Alliierten Kommandantur zu diesem Thema zu erlassenden Zusatzdokument
festzulegen ist ;
( k ) Gesetze oder Maßnahmen, die darauf abzielen, die Rede-, Presse-,
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu beschneiden, solange diese vier
Grundrechte nicht durch die Berliner Verfassung garantiert sind ;
( l ) die Kontrollen, die von der Alliierten Kommandantur angeordnet worden
sind oder angeordnet werden können, um sicherzustellen, daß die Maßnahmen
zur Bekämpfung der Blockade, einschließlich der Maßnahmen im
Zusammenhang mit der Luftbrücke und der Beschränkung der Ausfuhr, während
der Dauer der Blockade wirksam bleiben ;
( m ) Kontrolle der Banken-, Währungs- und Kreditpolitik, so daß diese
vollständig mit der Banken- und Kreditpolitik größerer Gebiete Deutschlands
unter alliierter Aufsicht koordiniert werden kann.
3. ( a ) Die Kommandanten hoffen und erwarten, daß die Besatzungsbehörden
keinen Anlaß haben werden, in anderen als den oben ausdrücklich vorbehaltenen
Bereichen tätig zu werden. Die Besatzungsbehörden behalten sich jedoch das Recht
vor, die Ausübung der vollen Autorität ganz oder teilweise wieder aufzunehmen, wenn
sie der Auffassung sind, daß dies für die Sicherheit oder die Aufrechterhaltung einer
demokratischen Regierung oder in Erfüllung der internationalen Verpflichtungen
ihrer Regierungen unerläßlich ist. Bevor sie dies tun, unterrichten sie die zuständigen
Berliner Behörden förmlich über ihre Entscheidung und die Gründe dafür ;
( b ) Darüber hinaus behalten sich die Besatzungsbehörden angesichts der
besonderen Umstände in Berlin das Recht vor, in Notfällen einzugreifen und
Anordnungen zu treffen, um die Sicherheit, die gute Ordnung und die finanzielle und
wirtschaftliche Stabilität der Stadt zu gewährleisten.
4. Groß-Berlin hat die Befugnis, nach ordnungsgemäßer Unterrichtung der
Alliierten Kommandantur in den der Alliierten Kommandantur vorbehaltenen
Bereichen Gesetze zu erlassen und Maßnahmen zu ergreifen, es sei denn, die Alliierte
Kommandantur selbst ordnet etwas anderes an oder solche Gesetze oder Maßnahmen
stehen im Widerspruch zu Entscheidungen oder Maßnahmen der Besatzungsbehörden
selbst.
5. Jede Änderung der Vorläufigen Verfassung, jede von der
Stadtverordnetenversammlung gebilligte neue Verfassung, die die Vorläufige
Verfassung ersetzen soll, jede Änderung einer solchen neuen Verfassung oder jede
Gesetzgebung in den oben vorbehaltenen Bereichen bedarf vor ihrem Inkrafttreten der
ausdrücklichen Zustimmung der Alliierten Kommandantur. Alle anderen Gesetze
treten 21 Tage nach dem offiziellen Eingang bei der Alliierten Kommandantur in
Kraft, sofern sie nicht zuvor von dieser vorläufig oder endgültig abgelehnt wurden. Die
Alliierte Kommandantur wird solche Gesetze nur dann ablehnen, wenn sie ihrer
Ansicht nach mit der geltenden Verfassung, mit Gesetzen oder anderen Richtlinien der
Besatzungsbehörden selbst oder mit den Bestimmungen dieser Erklärung unvereinbar
sind oder wenn sie eine ernsthafte Bedrohung für die grundlegenden Ziele der
Besatzung darstellen.
6. Vorbehaltlich der Erfordernisse ihrer Sicherheit garantieren die
Besatzungsbehörden, daß alle Besatzungsorgane die bürgerlichen Rechte jeder Person
auf Schutz vor willkürlicher Verhaftung, Durchsuchung oder Beschlagnahme, auf
Vertretung durch einen Rechtsbeistand, auf Zulassung eines Rechtsbehelfs, wenn
62 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

die Umstände dies rechtfertigen, auf Kontakt mit Angehörigen und auf ein faires,
zügiges Verfahren achten werden.
7. Befehle und Anweisungen der Alliierten Kommandantur oder der Sektor-
Militärregierungen, die vor dem Datum dieser Erklärung erlassen wurden, bleiben in
Kraft, bis sie von der Alliierten Kommandantur oder den Sektor-Militärregierungen
nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen aufgehoben oder geändert werden :
( a ) Die Befehle oder Anweisungen der Alliierten Kommandantur und der
Sektor-Militärregierung, die sich auf vorbehaltene Themen beziehen, bleiben
weiterhin in Kraft und werden kodifiziert ;
( b ) Die Alliierte Kommandantur und die Sektor-Militärregierungen heben so
bald wie möglich alle Befehle und Weisungen auf, die mit dieser Erklärung
unvereinbar sind. Es kann erforderlich sein, daß bestimmte dieser Befehle und
Anweisungen in Kraft bleiben, bis sie durch städtische Rechtsvorschriften ersetzt
werden. In solchen Fällen hebt die Alliierte Kommandantur bzw. die Sektor-
Militärregierung diese Befehle und Anweisungen auf Ersuchen der
Stadtregierung auf.
___________

Abkommen über ein revidiertes internes Verfahren für die Alliierte


( West- ) Kommandantur, 7. Juni 1949 1
1. Die Alliierte Kommandantur, die sich aus den Kommandanten der Sektoren der
Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens, ihren Stellvertretern und den
erforderlichen technischen Komitees und Stäben zusammensetzt, bleibt das
ausführende Organ für die alliierte Kontrolle von Berlin.
2. Art und Umfang der von der Alliierten Kommandantur ausgeübten Kontrolle
stehen sowohl im Einklang mit dem dem Oberbürgermeister zugeleiteten Vermerk in
dem die Grundsätze, die die Beziehungen zwischen der Alliierten Kommandantur und
Groß-Berlin regeln, aufgeführt sind, als auch mit den einschlägigen internationalen
Vereinbarungen der jeweiligen Regierungen.
3. Um Groß-Berlin die Möglichkeit zu geben, mehr Verantwortung für die inneren
Angelegenheiten zu übernehmen und die Besatzungskosten zu senken, wird das
Personal auf ein Minimum beschränkt.
4. Die Beschlüsse der Alliierten Kommandantur bei der Ausübung der ihr
vorbehaltenen Befugnisse zur Genehmigung von Änderungen der Vorläufigen
Verfassung Berlins von 1946 oder zur Genehmigung einer von der
Stadtverordnetenversammlung ausgearbeiteten neuen Verfassung, die die Vorläufige
Verfassung ersetzen soll, oder zur Genehmigung von Änderungen einer solchen neuen
Verfassung, bedürfen der Einstimmigkeit.
5. In allen anderen Angelegenheiten entscheidet die Mehrheit der abgegebenen
Stimmen.
6. ( a ) Die Alliierte Kommandantur darf ein zwischenstaatliches Abkommen oder
einen Beschluss der Alliierten Hohen Kommission nicht ändern, ohne daß die Alliierte
Hohe Kommission dies genehmigt.
( b ) Ist ein Kommandant der Auffassung, daß ein Mehrheitsbeschluß im
Widerspruch zu einem zwischenstaatlichen Abkommen oder einem Beschluß der
Alliierten Hohen Kommission oder zu den Grundprinzipien für die Gestaltung der
auswärtigen Beziehungen Deutschlands oder zu Angelegenheiten steht, die für die

1 Ebenda, S. 200–201.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 63

Sicherheit, das Ansehen und die Erfordernisse der Besatzungstruppen wesentlich


sind, so kann er die Alliierte Hohe Kommission anrufen. Eine solche Anrufung dient
der Aussetzung des Verfahrens für 30 Tage und darüber hinaus, es sei denn, zwei der
Hohen Kommissare erklären, daß die Gründe eine weitere Aussetzung nicht
rechtfertigen.
( c ) Richtet sich eine solche Anrufung gegen eine Handlung der Alliierten
Kommandantur, mit der die Ablehnung oder die Nichtanerkennung deutscher
Rechtsvorschriften beschlossen wurde, so werden diese Rechtsvorschriften für die
Dauer der Anrufungsfrist vorläufig abgelehnt.
7. Ein Kommandant, der der Auffassung ist, daß ein nicht einstimmig gefasster
Beschluss, der eine andere durch den „Grundsatzkatalog für die Beziehungen zwischen
der Alliierten Kommandantur und Groß-Berlin“ vorbehaltene Angelegenheit betrifft,
nicht mit der grundlegenden, dreiseitigen Politik in Bezug auf Deutschland in
Einklang steht, kann die Alliierte Hohe Kommission anrufen. In diesem Fall bewirkt
die Anrufung eine Aussetzung des Verfahrens für einen Zeitraum von höchstens 21
Tagen ab dem Datum der Entscheidung, sofern die Alliierte Hohe Kommission nicht
anders entscheidet. Richtet sich eine solche Anrufung gegen eine Handlung der
Alliierten Kommandantur, mit der die Ablehnung oder die Nichtanerkennung
deutscher Rechtsvorschriften beschlossen wurde, so werden diese Rechtsvorschriften
für die Dauer der Anrufungsfrist vorläufig abgelehnt.
8. Alle Befugnisse der Alliierten Kommandantur werden in allen Sektoren Berlins,
die der Alliierten Kommandantur unterstellt sind, einheitlich und in
Übereinstimmung mit den dreiseitigen Richtlinien ausgeübt.
9. ( a ) Der Vorsitz der Alliierten Kommandantur wechselt im monatlichen
Rhythmus.
( b ) Die Zahl der Ausschüsse wird im Interesse der Effizienz auf ein Minimum
beschränkt.
10. Dieses Abkommen wird von den Kommandanten mit Beendigung der
derzeitigen, außergewöhnlichen Umstände in Berlin oder immer dann überprüft, wenn
eine solche Überprüfung nach Ansicht eines Kommandanten aus anderen Gründen für
wünschenswert erachtet wird.
____________

Kommuniqué zur Sechsten Tagung des Rates der Außenminister, 20. Juni
1949 1
[Auszug]
Die sechste Tagung des Rates der Außenminister, an der die Außenminister
Frankreichs, Robert Schuman, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, A. Y.
Wyschinski, des Vereinigten Königreichs, Ernest Bevin, und der Vereinigten Staaten
von Amerika, Dean Acheson, teilnahmen, fand vom 23. Mai bis 20. Juni 1949 in Paris
statt. Bei diesem Treffen wurden die deutsche Frage und der österreichische
Staatsvertrag erörtert. Der Rat der Außenminister fasste die folgenden Beschlüsse.

I. DIE DEUTSCHE FRAGE

Obwohl es auf dieser Tagung des Rates der Außenminister nicht gelungen ist, eine
Einigung über die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und politischen Einheit
Deutschlands zu erzielen, werden die Außenminister Frankreichs, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten

1 Deutschland, 1947–1949 : Die Geschichte in Dokumenten, S. 69–70


64 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Staaten ihre Bemühungen zur Erreichung dieses Ergebnisses fortsetzen und


insbesondere Folgendes vereinbaren:
1. Im Verlauf der vierten Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen,
die im September nächsten Jahres stattfinden soll, werden die vier Regierungen durch
ihre Vertreter in der Versammlung einen Meinungsaustausch über den Termin und
die sonstigen Modalitäten der nächsten Tagung des Rates der Außenminister über die
Deutsche Frage führen.
2. Die Besatzungsbehörden werden sich in Anbetracht der Absicht der Minister, ihre
Bemühungen um die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und politischen Einheit
Deutschlands fortzusetzen, in Berlin auf vierseitiger Basis beraten.
3. Diese Konsultationen werden unter anderem zum Ziel haben, die Auswirkungen
der gegenwärtigen administrativen Teilung Deutschlands und Berlins abzumildern,
insbesondere in den nachstehend aufgeführten Bereichen:
( A ) Ausweitung des Handels und der Entwicklung der finanziellen und
wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Westzonen und der Ostzone sowie
zwischen Berlin und den Zonen.
( B ) Erleichterung des Personen- und Warenverkehrs und des
Informationsaustausches zwischen den Westzonen und der Ostzone sowie
zwischen Berlin und den Zonen
( C ) Prüfung von Fragen von gemeinsamem Interesse im Zusammenhang mit
der Verwaltung der vier Sektoren in Berlin mit dem Ziel, das Leben in der Stadt
so weit wie möglich zu normalisieren.
4. Zur Unterstützung der in Absatz 3 vorgesehenen Arbeiten können die jeweiligen
Besatzungsbehörden deutsche Sachverständige und geeignete deutsche
Organisationen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich um Hilfe ersuchen. Die
hinzugezogenen Deutschen sollen sachdienliche Daten austauschen, Berichte erstellen
und, wenn sie sich einig sind, den Besatzungsbehörden Vorschläge unterbreiten.
5. Die Regierungen Frankreichs, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,
des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten kommen überein, daß das
New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949 aufrechterhalten werden soll. Zur weiteren
Förderung der in den vorstehenden Absätzen genannten Ziele und zur Verbesserung
und Ergänzung dieser und anderer Vereinbarungen und Abkommen hinsichtlich des
Personen- und Güterverkehrs und der Nachrichtenübermittlung zwischen der Ost-
und der Westzone sowie zwischen den Zonen und Berlin und auch hinsichtlich des
Transits sind die Besatzungsbehörden in ihrer jeweiligen Zone verpflichtet, die
erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das normale Funktionieren und die
normale Nutzung des Schienen-, Wasser- und Straßentransports für diesen Personen-
und Güterverkehr und die Nachrichtenübermittlung durch Post, Telefon und Telegraf
sicherzustellen.
6. Die Besatzungsbehörden werden den führenden deutschen Wirtschaftsgremien
der Ost- und Westzonen empfehlen, die Herstellung engerer Wirtschaftsbeziehungen
zwischen den Zonen und eine wirksamere Umsetzung von Handels- und anderen
Wirtschaftsabkommen zu erleichtern.
* * * * * * *
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 65

Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu freien Wahlen, 22. März


1950 1
Die Bundesrepublik Deutschland hat seit ihrer Gründung keine verbindlichere
Aufgabe als die Wiederherstellung der deutschen Einheit anerkannt. Sie ist sich
bewußt, daß die gewünschte, ganz Deutschland umfassende Regierungsform aus der
freien Entscheidung des gesamten Deutschen Volkes hervorgehen muß.
Die Bundesregierung hat den Vorschlag des amerikanischen Hohen Kommissars
McCloy, alle deutschen Wahlen abzuhalten, mit Befriedigung zur Kenntnis
genommen. Auch der britische Hohe Kommissar hat sich in diesem Sinne geäußert.
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß auch der französische Hohe Kommissar diese
Auffassung teilt. Mitglieder der sowjetischen Regierung haben auf den
Außenministerkonferenzen und in offiziellen Verlautbarungen deutlich gemacht, daß
die Sowjetunion ebenso ein vereinigtes Deutschland wünscht.
Nach Auffassung der Bundesregierung kann dieses Ziel auf folgende Weise erreicht
werden :
1. Alle deutschen Wahlen zu einer Nationalen Konstituierenden.
Versammlung werden nach Erlass eines Wahlgesetzes durch die vier
Besatzungsmächte ausgerufen.
2. Die Wahlen zur Nationalversammlung sollen in allen Teilen Deutschlands
unter die Kontrolle von Kommissionen fallen, die aus Vertretern der vier
Besatzungsmächte oder aus Vertretern der Vereinten Nationen bestehen.
3. Die einzige Aufgabe der Nationalversammlung ist die Ausarbeitung einer
deutschen Verfassung. Der Verfassungsentwurf wird dem deutschen Volke zur
Ratifizierung vorgelegt.
Die Bewegungsfreiheit und Freiheit der politischen Betätigung muss in allen Zonen
als Voraussetzung für die Durchführung aller deutschen Wahlen gewährleistet sein.
Die föderale Regierung hält es für besonders wünschenswert:
1. daß in ganz Deutschland für alle Parteien Betätigungsfreiheit besteht und
daß alle Besatzungsmächte von einer Beeinflussung der Bildung und Tätigkeit
politischer Parteien Abstand nehmen,
2. daß die persönliche Sicherheit und der Schutz vor wirtschaftlicher
Benachteiligung vor und nach den Wahlen für alle Personen, die für politische
Parteien tätig sind, von allen Besatzungsmächten und von den Deutschen
Behörden gewährleistet werden muss,
3. daß alle Zeitungen in ganz Deutschland ungehindert zugelassen und
verbreitet werden,
4. daß in ganz Deutschland Bewegungsfreiheit besteht und daß die
interzonalen Pässe abgeschafft werden.
Die Schaffung und Gewährleistung dieser Freiheiten liegt bei den vier
Besatzungsmächten. Die Deutschen müssen die Möglichkeit haben, sich zum Schutz
dieser Rechte jederzeit an Vierer-Machtorgane wenden zu können.
In der Verantwortung, die ihr die Präambel und der letzte Artikel ihres
Grundgesetzes auferlegen, richtet die Bundesregierung einen Appell an alle
Deutschen, an die verschiedenen Besatzungsmächte und darüber hinaus an die
gesamte Weltöffentlichkeit, dem Deutschen Volk zur Wiedervereinigung in Frieden
und Freiheit zu verhelfen.

1 Bulletin des Außenministeriums, 5. Juni 1950, S. 885. Eine Kopie dieser Erklärung wurde dem
Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission am 25. Mai 1950 übermittelt ( siehe unten).
66 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Erklärung der westlichen Außenminister, zu den Rechten der Alliierten in


Berlin, 13. Mai 1950 1
TRILATERALE ERKLÄRUNG ZU BERLIN
Die drei westlichen Besatzungsmächte werden ihre Rechte in Berlin weiterhin
aufrechterhalten. Sie sind entschlossen, jetzt wie in der Vergangenheit die
demokratischen Rechte der Einwohner zu schützen und werden mit den deutschen
Behörden zusammenarbeiten, um die wirtschaftliche Lage der drei westlichen
Sektoren so weit wie möglich zu verbessern. In der Zwischenzeit werden die drei
Regierungen weiterhin die Wiedervereinigung der Stadt in freien Wahlen anstreben,
damit Berlin den ihm gebührenden Platz in einem freien und geeinten Deutschland
einnehmen kann.
___________

Erklärung der westlichen Außenminister zu freien Wahlen, 14. Mai 1950 2


Die drei Außenminister bekräftigten die Entschlossenheit ihrer Regierungen, in
Zusammenarbeit mit der deutschen Bundesregierung und allen gleichgesinnten
Mächten auf die Einigung Deutschlands hinzuwirken, und kamen überein, daß die
Deutsche Einheit auf der Grundlage der folgenden Grundsätze erreicht werden soll :
( a ) Eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung.
( b ) Individuelle Freizügigkeit, Freiheit von willkürlicher Verhaftung und
Inhaftierung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Rede-, Presse- und
Rundfunkfreiheit in ganz Deutschland.
( c ) Aktionsfreiheit in ganz Deutschland für alle demokratischen politischen
Parteien.
( d ) Unabhängigkeit der Justiz.
( e ) Bundesweites Verbot von politischer Geheimpolizei und von
Polizeiformationen, die eine militärische Gewalt darstellen.
( f ) Sicherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands durch
Maßnahmen einer Deutschen Regierung in Fragen wie einheitliche Währung und
einheitliche Zölle und durch vierseitige Übereinkunft in Fragen wie Einstellung
der Reparationen aus der laufenden Produktion und verbotene und beschränkte
Industrien.
( g ) Rückgabe und Veräußerung von Industriebetrieben in Deutschland, deren
Eigentum oder Kontrolle nach dem 8. Mai 1945 von einer ausländischen Macht
oder im Namen einer ausländischen Macht erworben wurde, in Übereinstimmung
mit den einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften, es sei denn, dieser Erwerb
wurde von vier Seiten genehmigt und die so genehmigte Beteiligung unterliegt
dem deutschen Recht.
( h ) Einrichtung einer vierseitigen Aufsicht durch eine
Viermächtekommission, die ihre Vorbehaltsbefugnisse so ausübt, daß die
deutsche Regierung effizient arbeiten kann.
Die Außenminister waren sich ferner darin einig, daß der erste Schritt zur
Wiederherstellung der deutschen Einheit die Abhaltung freier Wahlen zu einer
verfassungsgebenden Versammlung in ganz Deutschland sein sollte. Sie begrüßen und
unterstützen daher die Entschließung der Bundesrepublik Deutschland vom 22. März
1950, in der zu freien gesamtdeutschen Wahlen für eine nationale Versammlung auf-

1Freigegeben in London. Ebenda, 26. Juni 1950, S. 1039.


2Ebenda, 5. Juni 1950. S. 885. Eine Kopie dieser Erklärung wurde dem Vorsitzenden der Sowjetischen
Kontrollkommission am 25. Mai 1950 übermittelt ( siehe unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 67

gerufen wird, die zur Ausarbeitung einer gesamtdeutschen Verfassung befugt ist.
Diese Wahlen sollten unter internationaler Aufsicht und auf der Grundlage eines
zwischen den vier Besatzungsmächten zu vereinbarenden Wahlgesetzes durchgeführt
werden, das den oben dargelegten Grundsätzen Rechnung trägt. Die
verfassungsgebende Versammlung sollte nach ihrer Wahl die alleinige Aufgabe haben,
eine Verfassung auszuarbeiten, die dem Deutschen Volk zur Ratifizierung vorgelegt
wird.
Schließlich kamen die Minister überein, daß die Vier Mächte mit der Bildung einer
gesamtdeutschen Regierung auf der Grundlage der vorgenannten Grundsätze
unverzüglich eine Friedensregelung anstreben sollten.
___________

Note des amerikanischen Botschafters in Moskau an den sowjetischen


Außenminister, über die Remilitarisierung Ostdeutschlands, 23. Mai
1950 1
Ich habe die Ehre, Ihnen die ernste Besorgnis der Regierung der Vereinigten
Staaten über eine Entwicklung in Ostdeutschland zum Ausdruck zu bringen, die der
Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken bereits bekannt ist.
In dem der sowjetischen Kontrolle unterworfenen Teil Deutschlands ist eine
Polizeieinheit geschaffen worden, die auf Grund ihrer militärischen Ausbildung und
Ausrüstung den Charakter einer Armee hat. Diese Organisation wird
Hauptverwaltung Für Ausbildung genannt und umfasst etwa 50.000 Männer. Dies ist
keine gewöhnliche Polizeieinheit und hat auch keine gewöhnlichen Polizeiaufgaben.
Sie erhält eine Infanterie-, Artillerie- und Panzergrundausbildung und ist mit
Militärwaffen, wie Maschinengewehren, Haubitzen, Flugabwehrgeschützen, Mörsern
und Panzern ausgestattet. Sie ist daher als eine militärische Streitmacht zu
betrachten.
Die Sowjetunion hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß sie an dem Grundsatz
der vollständigen Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands festhält. Sie
werden sich vor allem an die folgenden internationalen Abkommen erinnern, an denen
die sowjetische Regierung beteiligt war :
A. Gemeinsamer Bericht vom 11. Februar 1945 im Anschluss an die anglo-
sowjetisch-amerikanische Konferenz auf der Krim :
Es ist unser unnachgiebiges Ziel, den deutschen Militarismus und den
Nationalsozialismus zu vernichten und dafür zu sorgen, daß Deutschland nie
wieder in der Lage sein wird, den Frieden in der Welt zu stören. Wir sind
entschlossen, alle deutschen Streitkräfte zu entwaffnen und aufzulösen; den
deutschen Generalstab, der immer wieder das Wiederaufleben des deutschen
Militarismus ersonnen hat, für immer zu zerschlagen; alle deutschen
Rüstungsgüter zu entfernen oder zu zerstören ; * * *
B. Erklärung über die Niederlage Deutschlands und die Übernahme der
Oberhoheit durch die alliierten Mächte, unterzeichnet am 5. Juni 1945 von General
Eisenhower, Marschall Zhukov, Feldmarschall Montgomery und General Tassigny im
Namen ihrer jeweiligen Regierungen :
Die vier alliierten Regierungen werden die Maßnahmen ergreifen, die sie für
den künftigen Frieden und die Sicherheit als notwendig erachten, einschließlich
der vollständigen Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands.

1 Ebenda, 5. Juni 1950. S. 918–919. Die Entscheidung zu diesem Protest war das Ergebnis der Londoner
Außenministerkonferenz der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs, die anfang
des Monats stattfand.
68 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

C. Gemeinsamer Bericht vom 2. August 1945 im Anschluss an die anglo-sowjetisch-


amerikanische Konferenz in Berlin ( Potsdam ) :
3. Die Ziele der Besetzung Deutschlands, von denen sich der Kontrollrat leiten
lassen soll, sind :
( i ) die vollständige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands.
* * * Zu diesen Zwecken : ( a ) Alle deutschen Land-, See- und
Luftstreitkräfte * * *sowie alle anderen militärischen und militär-
ähnlichen Organisationen * * * sind vollständig und endgültig in einer
Weise aufzulösen, die ein Wiederaufleben oder eine Reorganisation der
deutschen Militarisierung und des Nationalsozialismus dauerhaft
verhindert.
D. Abkommen zwischen den Regierungen des Vereinigten Königreichs, der
Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
und der Provisorischen Regierung der Französischen Republik über bestimmte,
Deutschland aufzuerlegende zusätzliche Bedingungen vom 20. September 1945 :
1. Alle deutschen Land-, See- und Luftstreitkräfte * * * sowie alle anderen
militärischen und militärähnlichen Organisationen * * * werden nach den von
den Alliierten Vertretern festzulegenden Methoden und Verfahren vollständig
und endgültig aufgelöst.
2. Jede Form der militärischen Ausbildung, der militärischen Propaganda
und der militärischen Betätigung des deutschen Volkes, gleichgültig welcher Art,
ist verboten, ebenso die Bildung von Organisationen, die dazu bestimmt sind,
irgendeinen Aspekt der Militärausbildung zu unterstützen, sowie die Bildung von
Kriegsveteranenorganisationen oder anderen Gruppen, die militärische
Eigenschaften entwickeln könnten oder die dazu bestimmt sind, die deutsche
militärische Tradition fortzusetzen, gleichgültig, ob solche Organisationen oder
Gruppen behaupten politischer, erzieherischer, religiöser, sozialer, sportlicher,
freizeitlicher oder anderer Art zu sein.
E. Kontrollratsgesetz Nr. 34. mit dem Titel „Auflösung der Wehrmacht“ vom 20.
August 1946:
ARTIKEL I. * * * alle deutschen Land-, See- und Luftstreitkräfte mit all ihren
Organisationen, Stäben und Einrichtungen * * * sowie alle anderen mili-
tärischen und militärähnlichen Organisationen, zusammen mit allen Vereinen
und Verbänden, die der Aufrechterhaltung der militärischen Tradition in
Deutschland dienen, werden hiermit als aufgelöst und vollständig zerschlagen
betrachtet und für illegal erklärt.
ARTIKEL II. Die Erhaltung, Bildung und Wiedererrichtung einer der in Artikel I
aufgeführten Stellen oder Organisationen, gleich unter welchem Namen oder in
welcher Form, sowie die zukünftige vollständige oder teilweise Übernahme der
Aufgaben dieser Stellen oder Organisationen durch andere Stellen, ist verboten
und wird für rechtswidrig erklärt.
Aus diesen Abkommen geht eindeutig hervor, daß die Regierung der Sowjetunion
unmissverständlich dem Grundsatz verpflichtet ist, daß Deutschland entmilitarisiert
wird, daß seine Streitkräfte vollständig und endgültig abgeschafft werden und daß
kein Wiederaufleben deutscher militärischer Aktivitäten zugelassen wird. Die
britische, die französische und die amerikanische Regierung waren ebenfalls
Vertragsparteien dieser Abkommen und sind demselben Grundsatz verpflichtet. Sie
haben daher wirksame Maßnahmen ergriffen, um jede Form der Wiederaufrüstung
oder Remilitarisierung in ihren Besatzungszonen zu verhindern. Die Sowjetunion
hingegen hat gegen alle diese Abkommen direkt verstoßen. Der Aufbau einer
militärischen Truppe oder einer militarisierten Polizei in Ostdeutschland hätte ohne
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 69

die bewußte Zustimmung der sowjetischen Regierung nicht durchgeführt werden


können und steht in krassem Gegensatz zu den Bemühungen der Vereinigten Staaten
und anderer Nationen, einen stabilen und dauerhaften Frieden zu schaffen.
Vertreter der sowjetischen Regierung haben bei zahlreichen Gelegenheiten den
Wunsch der sowjetischen Regierung nach Frieden geäußert. Man kann jedoch kaum
erwarten, daß die freien Völker der Welt solchen verbalen Beteuerungen Glauben
schenken, wenn die sowjetische Regierung gleichzeitig unter Verletzung ihrer
feierlichen, internationalen Verpflichtungen eine Militärmacht von beträchtlicher
Größe und Stärke in Deutschland aufbaut. Durch diese und ähnliche Aktionen hat die
Sowjetregierung das Vertrauen der Welt in die Aufrichtigkeit ihrer Versprechen
zerstört und in der ganzen Welt Zweifel an ihren friedlichen Absichten geweckt. Wenn
die sowjetische Regierung das internationale Vertrauen in ihr angebliches
Engagement für den Frieden einigermaßen wiederherstellen will, muß sie die
militarisierten Einheiten, die sie in Ostdeutschland errichtet hat, sofort auflösen.
___________

Schreiben des Kommandanten der Vereinigten Staaten in Berlin an den


Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission über freie Wahlen, 25.
Mai 1950 1
US-NOTE AN DIE SOWJETUNION
SEHR GEEHRTER GENERAL TSCHUIKOW : In den fünf Jahren, in denen sich unsere
beiden Regierungen an der Besetzung Deutschlands beteiligt haben, wurden
wiederholt Anstrengungen unternommen, um die politische und wirtschaftliche
Einheit des Landes herbeizuführen. Die Angelegenheit wurde kürzlich von den
Außenministern des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Vereinigten
Staaten in London erneut geprüft. Ihre Schlussfolgerungen zur Frage der deutschen
Wiedervereinigung und der Art und Weise, wie sie erreicht werden könnte, sind
beigefügt. ( Siehe Anhang A. ) Dieses Dokument wurde dem Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland übermittelt.
Sie werden feststellen, daß sich die Minister darüber einig waren, daß die Bildung
einer gesamtdeutschen Regierung auf der Grundlage der in ihrer Erklärung
dargelegten Grundsätze den Weg für eine Friedensregelung mit Deutschland bereiten
würde. Sie werden in diesem Zusammenhang auch bemerkt haben, daß in dem von
den Ministern am 14 Die Formulierung dieser Schlussfolgerung war, daß die
Westmächte glauben, daß ein separater Friedensvertrag mit einer oder mehreren
Besatzungszonen die Annahme eines Konzepts einer dauerhafteren Teilung
Deutschlands bedeutet. Die Westmächte wollen sich keinem solchen Konzept
anschließen.
Sie werden auch feststellen, daß die Minister den Beschluss der Bundesrepublik
vom 22. März unterstützt haben, der gesamtdeutsche Wahlen zu einer
verfassungsgebenden Nationalversammlung unter für meine Regierung annehmbaren
Bedingungen einlud. Eine Kopie des Textes dieser Resolution ist beigefügt ( siehe

1 Ebenda. 5. Juni 1950, S. 884–885. Das Schreiben wurde von Generalmajor Maxwell D. Taylor im Auftrag
des amerikanischen Hohen Kommissars verschickt : Die britischen und französischen Hohen Kommissare
schickten ähnliche Briefe. Für die mit diesem Schreiben beigefügten Texte der Erklärung der Bundesrepublik
Deutschland vom 22. März 1950 und der Erklärung der westlichen Außenminister vom 14. Mai 1950, siehe
oben. General Tschuikow antwortete nicht auf das Schreiben.
70 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Anhang B ) , und ich lenke Ihre Aufmerksamkeit besonders auf Absatz 1 davon, der
vorschlägt, daß die vier Besatzungsmächte die Verantwortung übernehmen sollten, ein
Wahlgesetz zu erarbeiten, unter dem gesamtdeutsche Wahlen stattfinden
durchgeführt werden könnte.
Meine Regierung wäre bereit, mich an der Verantwortung für die Ausarbeitung
eines Wahlgesetzes zu beteiligen, das gesamtdeutsche Wahlen vorsieht und auf die
Bildung einer gesamtdeutschen Regierung in Übereinstimmung mit den in der
beigefügten Erklärung des Auswärtigen niedergelegten Grundsätzen hindeutet
Minister, abgehalten werden könnten.
Sollte Ihre Regierung ihre Annahme dieser Grundsätze erklären und bereit sein,
diese Verantwortung zu teilen, so ist dies die Überzeugung meiner Regierung. daß alle
Diskussionen zu diesem Thema nach den folgenden Grundsätzen geführt werden
sollten:
1. Gespräche würden zunächst auf Ebene der vier Kommissare geführt, um
befristet ein Wahlgesetz zur Umsetzung des Vorschlags der Bundesrepublik für
freie gesamtdeutsche Wahlen zu einer verfassungsgebenden
Nationalversammlung auszuarbeiten. Der Vorschlag, Diskussionen auf die
Ausarbeitung eines Wahlgesetzes zu beschränken, geht von der Überzeugung
aus, daß es unrealistisch ist, die gewünschte Friedensregelung bis dahin zu
diskutieren oder zu arrangieren. festgestellt, daß eine frei gewählte einheitliche
deutsche Regierung zustande kommen kann.
2. Kommt es zu einer Einigung über ein Wahlgesetz, so wäre der Weg frei für
die Ausarbeitung einer Verfassung für ganz Deutschland durch die gewählten
Vertreter des deutschen Volkes im Rahmen der in der beigefügten Erklärung der
Außenminister dargelegten Grundsätze, und für die Not einer gesamtdeutschen
Regierung.
3. Damit wäre die Grundlage für die Einrichtung einer Vier-Mächte-
Kommission gelegt, die ihre vorbehaltenen Befugnisse so ausüben sollte, daß die
deutsche Regierung effektiv arbeiten kann.
Ich würde mich über Ihre Meinung zu diesem Thema freuen.
Angesichts des vitalen Interesses des deutschen Volkes an der Einigung seines
Landes halte ich es für angebracht, eine Kopie dieses Schreibens der Presse zur
Verfügung zu stellen und werde es tun, nachdem es Ihnen zugegangen ist.
______

Schreiben des amerikanischen Hohen Kommissars (McCloy) an den


Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission (Tschuikow), über freie
Wahlen, 10. Oktober 1950 1
1. In meinem Schreiben vom 25. Mai 1950 bat ich Sie, Ihrer Regierung die von den
Außenministern der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs
vereinbarten Vorschläge für ein Verfahren zu übermitteln, das die Abhaltung freier,
demokratischer und geheimer Wahlen in ganz Deutschland ermöglichen und zur
Bildung einer frei gewählten und demokratischen Regierung für ganz Deutschland
führen würde. Auf dieses Schreiben habe ich noch keine Antwort erhalten.
2. Ich füge den Wortlaut eines Schreibens des Bundeskanzlers an die Alliierte Hohe
Kommission bei, in dem er um eine Entschließung bittet, die am 14. September im

1 Büro des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten für Deutschland, Dokumente über die deutsche
Einheit, Band. I, S. 157. Der sowjetische Vorsitzende hat auf dieses Schreiben nie geantwortet.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 71

Bundestag angenommen und nun von der Bundesregierung gebilligt wurde. Diese
Resolution fordert die Besatzungsmächte auf, in allen vier Besatzungszonen Wahlen
zu einem gesamtdeutschen Parlament zu veranlassen.
3. Die Entschließung ist im Zusammenhang mit der Erklärung zu sehen, die der
Kanzler im Namen der Bundesregierung am selben Tag im Bundestag abgegeben hat
und deren Wortlaut ich ebenfalls beifüge. Sie werden feststellen, daß der
Bundeskanzler dort den ursprünglich von ihm am 22. März gemachten Vorschlag für
die Abhaltung freier gesamtdeutscher Wahlen auf demokratischer Grundlage
wiederholt.
4. Die Bundesregierung ist eine vom Volk frei gewählte Regierung und wird von
meiner Regierung als sprechberechtigt für Deutschland anerkannt. Die Ihnen mit
diesem Schreiben übermittelten Dokumente geben den überwiegenden Willen des
deutschen Volkes wieder. Ich empfehle sie daher Ihrer Aufmerksamkeit und Ihrer
Regierung als Erklärungen des deutschen Volkes in Bezug auf schwerwiegende
Angelegenheiten, die seine Zukunft und die seines Landes betreffen.
5. Hinsichtlich der am 15. Oktober in der Sowjetzone abzuhaltenden Wahlen zeigt
das am 19. September 1950 in New York von den drei Außenministern der Vereinigten
Staaten, Großbritanniens und Frankreichs veröffentlichte Kommuniqué, daß meine
Regierung diese Meinung teilt der Bundesregierung. Die Einheitslistenwahlen
verweigern Ostdeutschland eine demokratische, parlamentarische Regierung und jene
demokratischen Prozesse, unter denen die deutsche Einheit Wirklichkeit werden
kann. Die Sowjetunion hat sich im Rahmen der Potsdamer und anderer
internationaler Abkommen zur Errichtung einer demokratischen Regierung in
Deutschland und zur deutschen Vereinigung verpflichtet und muss die volle
Verantwortung dafür tragen, daß die Verwirklichung dieser Ziele behindert wird. Die
Verfahren, nach denen diese „Wahlen“ abgehalten werden, stehen in direktem
Gegensatz zu den traditionellen Erfordernissen freier demokratischer Wahlen. Aus
diesem Grund können weder meine Regierung noch die Bundesrepublik noch das
deutsche Volk ihnen zuerkennen, daß sie dem ostdeutschen Regime Legitimität oder
einen Anspruch auf Vertretung des jetzt in Ostdeutschland lebenden deutschen Volkes
verleihen könnten.
6. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses an dem Gegenstand dieser
Mitteilung werde ich nach Eingang bei Ihnen ein Exemplar davon der Presse zur
Verfügung stellen.
_______

Entwurf des Wahlgesetzes der Volkskammer der Deutschen


Demokratischen Republik, 9. Januar 1952 1
PRÄAMBEL
Entsprechend dem Wunsch aller patriotischen Deutschen, die verhängnisvolle
Teilung Deutschlands zu überwinden, ist es notwendig, eine Verständigung zwischen
den Vertretern Ost- und Westdeutschlands herbeizuführen. Wir müssen gemeinsam
die große Aufgabe lösen, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen, unserem Volk
ein ruhiges, friedliches Leben zu garantieren und anderen Völkern die Gewissheit zu
geben, daß ihre friedliche Arbeit nie wieder durch einen deutschen Angriff gefährdet

1 Ebenda, Bd. II, S. 31–37.


72 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

wird. Die Leitprinzipien unseres Staates müssen lauten :


Alles durch das Volk!
Alles für die Menschen!
Alles zusammen mit den Menschen!
Die Lösung dieser rein deutschen Aufgabe können und dürfen wir nicht anderen
überlassen. Deshalb müssen die Vertreter Ost- und Westdeutschlands unverzüglich zu
einer Gesamtdeutschen Konferenz zusammenkommen, um der bundesweiten
Forderung nach freien demokratischen Wahlen zu einer verfassungsgebenden
deutschen Nationalversammlung nachzukommen, die die Schaffung eines geeinten,
demokratischen und friedliebenden Deutschlands vorbereitet. Als Grundlage für das
Wahlverfahren wird das Reichswahlgesetz vom 6. März 1924 vorgeschlagen. Die
Gesamtdeutsche Konferenz hat die Aufgabe, sich über die Vorbereitung und
Durchführung der Wahlen zu verständigen So behält sich unser Volk die Verwaltung
seines eigenen Landes und die Wahl der Regierungsform, die es will, selbst. Die Frage
der internationalen Kontrolle der Wahlen soll auf der Gesamtdeutschen Konferenz
erörtert werden.
Zur Vorbereitung und Durchführung freier, allgemeiner, gleicher, unmittelbarer
und geheimer Wahlen zur deutschen Nationalversammlung soll bei der
Gesamtdeutschen Konferenz ein aus ost- und westdeutschen Vertretern bestehender
Zentralwahlausschuss gebildet werden.
Von solchen Überlegungen geleitet, legt die Regierung der Deutschen
Demokratischen Republik den folgenden Entwurf eines Wahlgesetzes als Grundlage
für die gesamtdeutschen Gespräche zwischen den Vertretern Ost- und
Westdeutschlands vor:

TEIL I

Grundprinzipien
ARTIKEL 1

( 1 ) Die Freiheit der politischen Betätigung bei der Vorbereitung und


Durchführung der Wahlen ist allen Bürgern zu gewährleisten.
( 2 ) Alle demokratischen politischen Parteien, Organisationen und Vereinigungen
genießen in ihrer Tätigkeit gleiche Freiheit. Sie haben das Recht, Kandidaten für die
Nationalversammlung zu nominieren, und völlige Freiheit, Wahlpropaganda zu
betreiben.

ARTIKEL 2

Das Recht auf freie Meinungsäußerung in Wort, Schrift, Druck, Bild oder auf andere
Weise wird bundesweit gewährleistet.

ARTIKEL 3

Niemand darf wegen seiner politischen Überzeugung verhaftet oder verfolgt werden
oder Nachteile in seiner Arbeit oder Beschäftigung erleiden. Bei der Ausübung dieses
Rechts dürfen ihm keine Nachteile entstehen.

ARTIKEL 4

Jedem Kandidaten für die Nationalversammlung wird die Freiheit der politischen
Betätigung und die persönliche Freiheit garantiert. Er ist für die Wahlperiode zu beur-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 73

lauben. Kein Kandidat darf festgenommen, vorläufig inhaftiert, gerichtlich oder


verwaltungsrechtlich verfolgt, seines Amtes oder Arbeitsplatzes enthoben oder auf
andere Weise zur Rede gestellt werden.

ARTIKEL 5

Jedem Kandidaten zur Nationalversammlung ist in allen deutschen Ländern und


in Groß-Berlin uneingeschränkte Bewegungsfreiheit zu gewährleisten.

ARTIKEL 6

Spätestens drei Monate vor der Wahl werden alle Beschränkungen des
Individualverkehrs innerhalb Deutschlands, einschließlich des Großraums Berlin,
aufgehoben.

ARTIKEL 7

( 1 ) Öffentliche Versammlungen von Parteien, Organisationen oder Vereinigungen,


die einen satzungsgemäßen Wahlvorschlag eingereicht haben, sowie von den
Kandidaten zur Nationalversammlung einberufene Versammlungen sind ungehindert
zuzulassen. Sie brauchen nicht gemeldet und unter öffentlichen Schutz gestellt
werden.
( 2 ) Die Teilnahme an den auf den Versammlungen stattfindenden Diskussionen
und Demonstrationen durch Reden oder auf andere Weise ist zu gewährleisten.

ARTIKEL 8

Den politischen Parteien, Organisationen und Vereinigungen, die ordnungsgemäße


Wahlvorschläge eingereicht haben, sowie ihren Bewerbern wird das Recht
gewährleistet, ihre Meinung in Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise in
ganz Deutschland frei zu äußern und zu verbreiten.

TEIL II

Wahlrecht und Teilnahmeberechtigung


ARTIKEL 9

( 1 ) Die Mitglieder der Deutschen Nationalversammlung werden in freier,


allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach dem Grundsatz der
Verhältniswahl von allen deutschen Männern und Frauen gewählt, die das 18.
Lebensjahr vollendet haben.
( 2 ) Jeder Wähler hat eine Stimme.

ARTIKEL 1 0

Wahlberechtigt ist, wer auf oder vor dem Wahltag seinen achtzehnten Geburtstag
hat. Wählbar ist jede wahlberechtigte Person, deren einundzwanzigster Geburtstag
auf oder vor den Wahltag fällt.1

1 Diese Mindestalter, 18 um zu wählen und 21 um sich als Kandidat aufstellen zu lassen, wurden auf
„Forderung“ von Erich Honecker, Vorsitzender der „Freien Deutsche Jugend“ (FDJ) der Sowjetzone, wie in
einem Schreiben vom 4. Dezember 1951 an den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Sowjetzone Walter
Ulbricht dargelegt, in das Wahlgesetz aufgenommen.
74 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 1 1

Nicht stimmberechtigt ist, wer


1. für unzurechnungsfähig erklärt oder unter vorläufiger Vormundschaft
steht oder wegen Geisteskrankheit unter Vormundschaft gestellt worden ist;
2. durch gerichtliche Entscheidung von Rechtswegen seine Bürgerrechte
verloren hat. Das Wahlrecht ruht für Personen, die wegen einer
Geisteskrankheit oder eines Gebrechens in einer Heil- oder Heilanstalt
untergebracht sind oder eine Freiheitsstrafe verbüßen, sich in
Untersuchungshaft befinden, oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung in
Gewahrsam gehalten werden.

ARTIKEL 1 2

Wählen darf nur, wer in einer Wählerliste oder einem Wählerverzeichnis


namentlich aufgeführt ist oder Inhaber eines Wahlscheins ist.

ARTIKEL 1 3

Ein Vertreter verliert sein Mandat :


1. durch Verzicht ;
2. durch nachträglichen Verlust der Berechtigung ;
3. durch die Ungültigkeitserklärung der Wahl oder eine sonstige Aufhebung
im Wahlprüfungsverfahren ( Artikel 42 ) ;
4. durch eine nachträgliche Berichtigung des Wahlergebnisses.
Der Verzicht ist dem Zentralen Wahlausschuss anzuzeigen ; diese bedarf der
Schriftform und darf nicht widerrufen werden.

TEIL III

Vorbereitung der Wahl


ARTIKEL 1 4

( 1 ) Der Tag der Wahl zur Nationalversammlung wird von der Gesamtdeutschen
Konferenz bestimmt. Es muss ein Sonn- oder Feiertag sein.
( 2 ) Der Beschluss der Gesamtdeutschen Konferenz ist von den ost- und
westdeutschen Behörden mindestens drei Monate vor dem Wahltag in Form eines
Gesetzes zu verkünden.

ARTIKEL 1 5

( 1 ) Zur Vorbereitung und Durchführung der Wahlen sowie zur Vorprüfung und
Feststellung der Wahlergebnisse in ganz Deutschland errichtet die Gesamtdeutsche
Konferenz einen Zentralen Wahlausschuss.
( 2 ) Der Zentrale Wahlausschuss wählt die zur Erfüllung der ihm obliegenden
Aufgaben erforderlichen Amtsträger.

ARTIKEL 1 6

Der Zentrale Wahlausschuss setzt sich aus den Vertretern der zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens dieses Wahlgesetzes in Deutschland bestehenden politischen Parteien,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 75

Organisationen und Verbände zusammen. Der Ausschuß wird ergänzt durch die
Vertreter der politischen Parteien, Organisationen und Vereinigungen, die nach
Verkündung dieses Gesetzes zur Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung
berechtigt sind.

ARTIKEL 1 7

Jedes Land bildet einen Wahlbezirk. Groß-Berlin bildet einen einheitlichen


Wahlbezirk. Jeder Wahlbezirk ist in Wahlbezirke zu unterteilen, deren Grenzen
möglichst mit denen der Gemeinden übereinstimmen sollen. Größere Gemeinden
können in mehrere Wahlbezirke unterteilt werden; kleine Gemeinden oder Teile von
Gemeinden können mit benachbarten Gemeinden oder Teilen davon zusammengelegt
werden.

ARTIKEL 1 8

Für jeden Wahlbezirk und Wahlbezirk ist ein Wahlausschuss zu bilden. Er besteht
aus Vertretern der politischen Parteien, Organisationen und Vereinigungen, die zur
Teilnahme an den Wahlen berechtigt sind.
Der Wahlausschuss wählt den Wahlaufsichtsrat,1 bestehend aus dem Wahlleiter,
seinem Stellvertreter und dem Protokollführer.

ARTIKEL 1 9

In jedem Wahlbezirk ist für die dort ansässigen Wähler eine Liste oder ein
Wählerverzeichnis zu führen.

ARTIKEL 2 0

Auf Verlangen wird eine Wahlbescheinigung ausgestellt.


I. einem Wähler, der in einer Wählerliste oder einem Wählerverzeichnis
eingetragen ist,
1. wenn er sich am Wahltag aus dringenden Gründen während der
Wahlzeit außerhalb seines Wahlbezirks aufhält ;
2. wenn er nach Ablauf der Widerspruchsfrist ( Artikel 21 ) seinen
Wohnsitz verlegt und in einen anderen Wahlbezirk umzieht ;
3. wenn er aufgrund einer körperlichen Behinderung oder Krankheit in
seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist und durch Ausstellung eines
Wahlscheins in die Lage versetzt würde, in einem günstiger gelegenen
Wahllokal zu wählen ;
II. an einen Wähler, dessen Name in der Liste oder im Wählerverzeichnis nicht
eingetragen oder gelöscht ist,
1. wenn er nachweist, daß er die Widerspruchsfrist (Artikel 21)
unverschuldet versäumt hat ;
2. wenn sein Name nicht eingetragen oder gestrichen wurde, weil sein
Wahlrecht aus einem Grund ruht, der nach Ablauf der Widerspruchsfrist
weggefallen ist ;

1Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Wahlausschüsse sind nicht zu verwechseln mit den im
Entwurf des Wahlverfahrens der Bundesregierung vom 30.Oktober 1951 ( VI.A.( 44 ), S. 243–245 vom ersten
Band ), die den Wahlvorstände des vorliegenden Gesetzentwurfs entsprechen.
76 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

3. wenn er seinen Wohnsitz im Ausland hat, aber nach Ablauf der


Widerspruchsfrist seinen Wohnsitz im Inland genommen hat.

ARTIKEL 2 1

Die Listen oder Verzeichnisse der Wähler sind öffentlich einsehbar. Die
Gemeindebehörden geben Ort und Zeit der Einsichtnahme, die Widerspruchsfrist und
die Stelle bekannt, bei der Einsprüche gegen die Wählerliste oder das
Wählerverzeichnis eingereicht werden können.

ARTIKEL 2 2

Wahlberechtigte Personen können nur in dem Wahlbezirk wählen, in dem sie in die
Wählerliste oder das Wählerverzeichnis eingetragen sind. Inhaber von Wahlscheinen
können in jedem beliebigen Wahlbezirk wählen.

ARTIKEL 2 3

Politische Parteien, Organisationen und Wählervereinigungen können


Wahlvorschläge einreichen. Sie haben das Recht, gemeinsame Wahlvorschläge zu
unterbreiten. Mehrere Wahlvorschläge können miteinander verbunden werden.

ARTIKEL 2 4

Die Wahlvorschläge für den Wahlkreis sowie die Bekanntmachungen über die
Zusammenlegung von Wahlvorschlägen müssen spätestens am siebzehnten Tag vor
dem Wahltag beim Kreiswahlausschuss eingereicht werden.

ARTIKEL 2 5

( 1 ) Die Wahlvorschläge müssen von mindestens 500 Wahlberechtigten des


Wahlbezirks unterzeichnet sein. Die Namen der Kandidaten müssen in einer
eindeutigen Rangfolge aufgeführt werden. Auf einem Wahlvorschlag darf ein Kandidat
nur aufgeführt werden, wenn er damit einverstanden ist. Die Einverständniserklärung
des Bewerbers kann zusammen mit dem Wahlvorschlag beim Kreiswahlausschuss
eingereicht werden.
( 2 ) Bei Wahlvorschlägen von im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes
bereits im Inland bestehenden Parteien, Organisationen und Vereinigungen genügen
die Unterschriften von 20 Wahlberechtigten ( statt 500 ).

ARTIKEL 2 6

Die zur Teilnahme an der Wahl berechtigten politischen Parteien, Organisationen


und Vereinigungen können erklären, daß die für ihre Kreiswahlvorschläge
abgegebenen Reststimmen ihrem zentralen 1 Wahlvorschlag hinzuzurechnen sind
( Sammelerklärung ).

ARTIKEL 2 7

( 1 ) Zentrale 1 Wahlvorschläge können bis zum vierzehnten Tag vor dem Wahltag

1 Deutschlandweit.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 77

beim Zentralen Wahlausschuss eingereicht werden. Sie müssen von mindestens 500
Wählern unterzeichnet werden. Bei Wahlvorschlägen von Parteien, Organisationen
und Verbänden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits in
Deutschland bestehen, genügen die Unterschriften von 20 Wählern ( statt 500 ).
( 2 ) Die Namen der Kandidaten müssen in einer eindeutigen Rangfolge aufgeführt
werden. Auf einem Wahlvorschlag darf ein Kandidat nur aufgeführt werden, wenn er
damit einverstanden ist. Die Einverständniserklärung des Kandidaten kann
zusammen mit dem Wahlvorschlag beim Zentralen Wahlausschuss eingereicht
werden.
( 3 ) Der Wahlvorschlag auf einen zentralen 1 Wahlvorschlag steht dem
Wahlvorschlag auf einen Bezirkswahlvorschlag nicht entgegen, wenn der Bewerber für
dieselbe politische Partei, Organisation oder Vereinigung kandidiert oder wenn eine
Zusammenlegung von Wahlvorschlägen angekündigt wurde.

ARTIKEL 2 8

Der Zentrale Wahlausschuss veröffentlicht die zentralen 1 Wahlvorschläge mit


fortlaufender Nummerierung in der Reihenfolge ihrer Zustimmung. Die
Veröffentlichung erfolgt am oder vor dem elften Tag vor dem Wahltag.

ARTIKEL 2 9

Der Bezirkswahlausschuss veröffentlicht die Bezirkswahlvorschläge, die


Mitteilungen zur Bekanntmachung von Kombinationswahlvorschlägen sowie die
zentralen 1 Wahlvorschläge, denen Wahlvorschläge des Bezirks beigefügt sind.

ARTIKEL 3 0

( 1 ) Die Stimmzettel und ihre Umschläge sind für alle Wähler gleich und dürfen
kein den Wähler kennzeichnendes Kennzeichen tragen.
( 2 ) Die Stimmzettel für den Wahlbezirk werden von der Landesregierung amtlich
bereitgestellt; sie müssen alle Bezirkswahlvorschläge unter Angabe der politischen
Partei, Organisation oder Vereinigung und der Namen der Kandidaten aufführen.
Für Groß-Berlin erfolgt die Bereitstellung der Stimmzettel in gleicher Weise wie
oben beschrieben durch den Wahlausschuss von Groß-Berlin.

TEIL IV

Die Umfrage und die Ermittlung der Wahlergebnisse

ARTIKEL 3 1

Das Wahlgeheimnis ist zu gewährleisten.

ARTIKEL 3 2

Die Abstimmung und die Feststellung des Wahlergebnisses sind öffentlich.

1 Deutschlandweit.
78 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 3 3

Die Stimmabgabe erfolgt durch Stimmzettel, die in einem amtlich abgestempelten


Umschlag enthalten sind. Abwesende können weder durch einen Bevollmächtigten
abstimmen noch sonst an der Abstimmung teilnehmen.

ARTIKEL 3 4

Die Kennzeichnung des Stimmzettels durch den Wähler erfolgt in einem für andere
Personen uneinsehbaren Bereich des Wahllokals. Der Wähler legt den im Umschlag
enthaltenen Stimmzettel vor den Augen des Wahlausschusses in die Wahlurne.

ARTIKEL 3 5

Ein Verzicht auf eine dieser Vorschriften ist nicht zulässig. Bei Nichtbeachtung wird
die gesamte Abstimmung des Wahlbezirks, in dem der Verstoß gegen diese
Vorschriften stattfand, ungültig.

ARTIKEL 3 6

Die Auszählung der Stimmen erfolgt öffentlich durch den Wahlausschuss, der sich
aus den Vertretern der politischen Parteien, Organisationen und Verbände
zusammensetzt.

ARTIKEL 3 7

Der Wahlausschuss stellt zur Feststellung des Wahlergebnisses fest, wie viele
gültige Stimmen insgesamt abgegeben wurden und wie viele davon für jeden
Kreiswahlvorschlag abgegeben wurden.

ARTIKEL 3 8

( 1 ) Auf je 60.000 abgegebene Stimmen für einen Kreiswahlvorschlag in einem


Wahlkreis ist dem Kreiswahlvorschlag ein Sitz zuzuteilen.
( 2 ) Stimmen, deren Zahl nicht ausreicht, um einen Sitz oder einen weiteren Sitz
auf einen Kreiswahlvorschlag zu verteilen ( Reststimmen ), sind dem Zentralen
Wahlausschuss zur Verteilung zuzuleiten.

ARTIKEL 3 9

Der Zentrale Wahlausschuss zählt die für die einzelnen Kreiswahlvorschläge


innerhalb der einzelnen Wahlkreise abgegebenen Reststimmen zusammen. Je 60.000
der so erhaltenen Reststimmen wird ein Sitz oder ein zusätzlicher Sitz vergeben.
Verbleibt nach einer solchen Zuteilung ein Rest von mindestens 30.000 Stimmen, so
gilt der Rest als 60.000 Stimmen.

ARTIKEL 4 0

Die Sitze werden unter den Kandidaten in der Rangfolge verteilt, in der ihre Namen
auf den Wahlvorschlägen aufgeführt sind.

ARTIKEL 4 1

( 1 ) Ist die Zahl der Bewerber auf einem Kreiswahlvorschlag kleiner als die Zahl
der dem Wahlvorschlag zugeteilten Sitze, so fordert der Kreiswahlausschuss die Be-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 79

nennung einer entsprechenden Zahl von Kandidaten durch die betreffende politische
Partei, Organisation oder Vereinigung. Die Namen müssen spätestens drei Tage nach
Eingang des Antrags beim Bezirkswahlausschuss eingereicht werden.
( 2 ) Für die zentralen 1 Wahlvorschläge gelten die gleichen Bestimmungen.

ARTIKEL 4 2

( 1 ) An die Stelle eines Abgeordneten, der die Wahl verweigert oder abbricht, tritt
der Bewerber, dessen Name auf dem Wahlvorschlag als nächster steht.
( 2 ) In Ermangelung einer anderen Kandidatin oder eines anderen Kandidaten
gelten die Bestimmungen des Artikel 41 entsprechend.

ARTIKEL 4 3

( 1 ) Werden die in einem Wahlbezirk durchgeführten Wahlen vom Zentralen


Wahlausschuss für nichtig erklärt, so verteilt dieser die Reststimmen nach Maßgabe
des Ergebnisses einer neuen Nachwahl neu.
( 2 ) Ergibt sich, daß ein zentraler 1 Wahlvorschlag oder Sammelwahlvorschläge
mehr Sitze als bisher erhalten, so ist die entsprechende Zahl neuer Sitze nach den
Vorschriften der Artikel 38 bis 40 zu besetzen. Erhält ein Wahlvorschlag weniger Sitze
als bisher, so wird eine entsprechende Anzahl von Sitzen vom Zentralen
Wahlausschuss gestrichen.

ARTIKEL 4 4

( 1 ) Sind die Wahlen nur in einzelnen Wahlbezirken nicht ordnungsgemäß


durchgeführt worden, so kann der Bezirkswahlausschuss beschließen, daß die Wahlen
dort wiederholt werden ( Bezirksnachwahlen ). Die Bezirksnachwahl findet am dritten
Sonn- oder Feiertag nach dem Tag der Entscheidung des Bezirkswahlausschusses
statt.
( 2 ) Die Bezirksnachwahl wird auf der Grundlage der bei der allgemeinen Wahl
verwendeten Kreiswahlvorschläge und Listen oder Wählerverzeichnisse durchgeführt.

TEIL V

Schlussbestimmungen

ARTIKEL 4 5

( 1 ) Die Nationalversammlung ist spätestens 30 Tage nach der Wahl in Berlin


einzuberufen.
( 2 ) Den Mitgliedern der Nationalversammlung sind persönliche Freiheit und
Schutz vor Verfolgung zu gewährleisten.

ARTIKEL 4 6

Das von der Gesamtdeutschen Konferenz beschlossene Wahlgesetz ist von den ost-
und westdeutschen Behörden spätestens drei Monate vor dem Wahltag in Form eines
Gesetzes zu verkünden.

1 Deutschlandweit.
80 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 4 7

Der Zentrale Wahlausschuss gibt die Wahlergebnisse bekannt. Sie sind in den ost-
und westdeutschen Gesetzblättern zu veröffentlichen.

ARTIKEL 4 8

Die Nationalversammlung wird von der Zentralen Wahlkommission einberufen.


Zeit und Ort des Treffens sind von den ost- und westdeutschen Behörden unverzüglich
bekannt zu geben. Der zentrale Wahlausschuss unterrichtet die Mitglieder der
Nationalversammlung auf dem schnellsten Wege über ihre Wahl sowie über Ort und
Zeit der Sitzung der Nationalversammlung.
__________

Anmerkungen zum Entwurf des Volkskammerwahlgesetzes der DDR, vom


Bonner Ministerium für gesamtdeutsche Angelegenheiten, 11. Januar
1952 1
[Auszüge]

* * * Die Herren der Sowjetzone, die nie wirklich demokratische Wahlen gewollt
haben, wollen sie auch heute nicht. Alles, was sie jemals wollten, waren
„gesamtdeutsche Konsultationen“. In dem Gesetzentwurf, den die Sowjetzone jetzt
verabschiedet hat, ist der Vorschlag „gesamtdeutscher Konsultationen“ auch als
Voraussetzung für die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen enthalten. Nicht
deutschlandweite Wahlen wollen die Machthaber der Sowjetzone mit diesem Gesetz
erreichen, sondern „gesamtdeutsche Konsultationen“; Sie wollen die Frage der
deutschen Wiedervereinigung als Verhandlungspunkt für den „Kuhhandel“ nutzen,
den sie im Interesse sowjetischer Pläne betreiben.
Mit den üblichen, für die volksdemokratische Praxis so typischen Betrugsmaschen
haben sie ein Wahlgesetz ausgearbeitet und verabschiedet, das, wie sie behaupten, auf
dem Wahlgesetz von 1924 der Weimarer Republik aufbaut. Tatsächlich mag das
Gesetz vielleicht auf den ersten Blick akzeptabel erscheinen. Doch wer es genauer
studiert, wird unweigerlich erkennen, daß dieses Gesetz einen listigen Versuch
darstellt, den kommunistischen Einfluss bereits vor den geplanten Wahlen auf ganz
Deutschland auszudehnen. Die augenfälligsten Instrumente dieses verräterischen
Plans sind die Bestimmungen, das Wahlgebiet in siebzehn oder mehr Wahlbezirke zu
unterteilen und allen in Deutschland bestehenden Parteien, Organisationen und
Verbänden die Möglichkeit zu geben, Wahlvorschläge einreichen zu können, sofern sie
die Unterschrift tragen von zwanzig Personen. Damit werden auch die mehr als fünfzig
kommunistischen Frontorganisationen in der Bundesrepublik und die sehr große Zahl
kommunistisch kontrollierter Massenorganisationen in der Sowjetzone einbezogen.
Damit soll Verwirrung gestiftet und eine Zersplitterung der politischen Bemühungen
erreicht werden. Die Bezirkswahlausschüsse werden von den Kommunisten und der
SED dominiert. Die zentrale Wahlkommission wird sich zum größten Teil zu gleichen
Teilen aus Kommunisten und ihren Anhängern zusammensetzen. Internationale
Garantien für die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahlen
werden ausgeschlossen. * * *
* * * * * * *

1
Dokumente über die deutsche Einheit, Bd. II, S. 41–42.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 81

Als die Bundesregierung ihren Vorschlag für ein Wahlgesetz veröffentlichte,


erklärte sie, daß angesichts der gegenwärtigen politischen Lage in Deutschland nur
die Schaffung eines einzigen Wahlkreises für das gesamte Gebiet sicherstellen kann,
daß alle Parteien in allen Teilen Deutschlands die gleichen Chancen bei den Wahlen
haben werden. Die Schaffung eines einheitlichen Wahlkreises bedeutet, daß in Köln
ebenso wie in Leipzig, Stuttgart, Eisenach und Schwerin die gleiche Liste gewählt
werden kann. Aber genau das wollen die Machthaber der Sowjetzone nicht. Sie
befürchten, daß 80 Prozent und mehr der Wähler in der Sowjetzone ihre Stimme den
demokratischen Parteien in der Bundesrepublik geben werden, Parteien, in die sie ihre
Hoffnung auf Befreiung von der kommunistischen Herrschaft gesetzt haben. Deshalb
sieht Artikel 17 des Wahlgesetzes für die Sowjetzone vor, daß jedes Bundesland und
Groß-Berlin jeweils einen eigenen Wahlkreis bilden. * * *
Das bedeutet, daß die demokratischen Parteien in der Bundesrepublik bei der
Aufstellung ihres Wahlvorschlages in der Sowjetzone auf weitaus größere––wenn nicht
unüberwindliche––Schwierigkeiten stoßen werden, als es die Parteien und
Organisationen der Sowjetzone in der Bundesrepublik je tun werden. Jeder
Wahlvorschlag in jedem der fünf Länder der Sowjetzone muß nämlich zunächst von
zwanzig in der Sowjetzone ansässigen Wahlberechtigten gebilligt werden, die bereit
sind, diesen Wahlvorschlag mit ihrer Unterschrift zu versehen und einzureichen.
Selbst wenn sich tatsächlich zwanzig Personen finden würden, die bereit wären, einen
solchen für die Kommunisten unliebsamen Wahlvorschlag einzureichen, wäre ihr
Wahlvorschlag den Wahlausschüssen ausgeliefert, die aufgrund der Bestimmungen
dieses Gesetzes zwangsläufig von der SED und ihren Satelliten dominiert werden.
Denn jede Partei, Vereinigung und Organisation hat in den Wahlvorständen einen
Vertreter mit einer Stimme. Angesichts der unendlich vielen kommunistischen
Massen- und Frontorganisationen besteht kein Zweifel, daß die
Bezirkswahlausschüsse, jedenfalls in der Sowjetzone––wenn nicht sogar in der
Bundesrepublik––, direkt oder indirekt von den Kommunisten beeinflußt werden
würden. Dies würde sie in die Lage versetzen, noch vor der Durchführung der Wahlen
auf die eine oder andere Weise diejenigen Kandidaten zu eliminieren, die nicht ihre
Zustimmung finden.
Was würde die Umsetzung eines solchen Gesetzes bedeuten ? Es würde bedeuten,
daß von wirklich demokratischen Wahlen, bei denen es jedem Wahlberechtigten
freisteht, seine Stimme für den Kandidaten abzugeben, der ihm am meisten zusagt,
keine Rede mehr sein kann. * * *
Dieses Wahlgesetz der Sowjetzone lässt sogar die Tür für die Wiedereinführung der
berüchtigten „Einheitsliste“ offen, indem gemäß Artikel 23 gemeinsame
Wahlvorschläge eingereicht und mehrere Wahlvorschläge zusammengefasst werden
können. * * *
Das Wahlgesetz der Sowjetzone sieht keine internationalen oder sonstigen
Garantien für die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahlen vor.
Solche Garantien werden nur als Köder für die Herbeiführung „gesamtdeutscher
Konsultationen“ erwähnt. Das Gesetz geht von der Annahme aus, daß Deutschland
überhaupt kein besetztes Land mehr ist und daß folglich für die Besatzungsmächte
keine Notwendigkeit mehr besteht, sich untereinander auf eine gemeinsame Politik in
bezug auf die Durchführung von Wahlen in ganz Deutschland zu einigen. Auch dies ist
ein sorgfältig geplantes Propagandamittel, das den Deutschen in Ost- und West-
82 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

deutschland vorgaukeln soll, sie brauchten sich nur an einen Konferenztisch zu setzen.
***
Solange Herr Ulbricht und seine Freunde keine ernsthaften Anstrengungen
unternehmen, um überzeugende Beweise dafür zu erbringen, daß der
Sowjetzonenstaat endgültig eine rechtsstaatliche Regierungsform angenommen hat,
die auf Recht und Ordnung beruht, kann die Bundesregierung in Übereinstimmung
mit der Mehrheit unseres Volkes nicht umhin, an ihrer Forderung nach redlichen
Garantien für die wirklich ungehinderte Durchführung freier Wahlen in ganz
Deutschland festzuhalten. Der Vorschlag, eine Kommission der Vereinten Nationen
einzurichten, die nicht nur die Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen prüfen,
sondern auch Vorschläge erarbeiten soll, auf deren Grundlage die Wiedervereinigung
Deutschlands erfolgen könnte, ist abgelehnt worden ; dies ist nur ein Beispiel dafür,
daß die SED nicht bereit ist, solche Garantien zu geben.
__________

Entwurf eines Wahlgesetzes des Bundestags der Bundesrepublik


Deutschland, 6. Februar 1952 1
ENTWURF EINES BUNDESGESETZES ÜBER DIE GRUNDSÄTZE ZUR
DURCHFÜHRUNG FREIER WAHLEN EINER VERFASSUNGS-
GEBENDEN DEUTSCHEN NATIONALVERSAMMLUNG, VERAB-
SCHIEDET VOM BUNDESTAG AM 6. FEBRUAR 1952
ARTIKEL I
( I ) In den vier deutschen Besatzungszonen und in Berlin werden am * * * freie,
geheime, allgemeine, gleiche und unmittelbare Wahlen für eine Verfassungsgebende
deutsche Nationalversammlung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl
abgehalten. * * *
( II ) Die Wahl wird nach einem Wahlverfahren durchgeführt, das die folgenden
Bestimmungen enthält:

ABSCHNITT 1

( 1 ) Wahlberechtigt sind alle Deutschen, sofern sie am Wahltag das 20. Lebensjahr
vollendet haben und nicht geistig beeinträchtigt oder auf andere Art rechtlich nicht
verantwortlich sind. Für die Kandidaten der Sitze gelten dieselben Bedingungen, mit
der Ausnahme, daß sie zum Zeitpunkt der Wahl das 25. Lebensjahr vollendet haben
müssen.
( 2 ) Im Sinne dieses Gesetzes gelten diejenigen als Deutsche, die die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen, oder diejenigen Volksdeutschen, die Flüchtlinge oder
Vertriebene mit ständigem Wohnsitz im Wahlgebiet sind, oder deren Ehepartner oder
Nachkommen.

1 Ebenda, S. 44–46. Diese geänderte Fassung des von der Bundesregierung am 30. Oktober 1951
vorgeschlagenen Gesetzes für ein gesamtdeutsches Wahlverfahren wurde am 6. Februar vom Bundestag mit
292 gegen 29 Stimmen bei 25 Enthaltungen angenommen. Bei der Vorstellung des überarbeiteten
Gesetzentwurfs im Bundestag bezeichnete der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser,
diesen als „Grundlage für eine quasi-diplomatische Vorgehensweise gegenüber den Besatzungsmächten und
den Vereinten Nationen“ und nicht als „Gesetz im formalen Sinne“. Am 18. Februar 1952 wurde der geänderte
Gesetzesentwurf dem Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission mit der Bitte übergeben, ihn an die
Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs sowie an den Generalsekretär der Vereinten
Nationen weiterzuleiten. Die Alliierte Hohe Kommission wurde außerdem gebeten, dem Leiter der
sowjetischen Kontrollkommission, General Wassili I. Tschuikow, zwei Exemplare des Gesetzes, eines davon
für die Regierung der sowjetischen Zone, zu übermitteln.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 83
ABSCHNITT 2

( 1 ) Das Wahlgebiet bildet einen einzigen Wahlkreis. Jede Partei reicht einen
einzigen Wahlvorschlag für den gesamten Wahlkreis ein.
( 2 ) Jeder Wahlvorschlag muss von mindestens 10.000 Wahlberechtigten
unterzeichnet werden. Für Wahlvorschläge von Parteien, die zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits bestehen und die in der Wahlordnung
aufgeführt werden sollen, werden die Unterschriften von nur 10 Personen benötigt.

ABSCHNITT 3

( 1 ) Auf je 75.000 Stimmen entfällt ein Sitz für einen Vertreter. Bei einem Rest von
mehr als 37.500 Stimmen werden diese als 75.000 gewertet.
( 2 ) Ein Wahlvorschlag, der in mindestens einem Bundesland nicht fünf Prozent
der dort abgegebenen Stimmen erhält, wird nicht berücksichtigt.

ABSCHNITT 4

( 1 ) Bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen wird die Freiheit der
politischen Betätigung gewährleistet.
( 2 ) Alle Beschränkungen des persönlichen Reiseverkehrs zwischen den
verschiedenen Besatzungszonen, einschließlich Berlins, werden mindestens drei
Monate vor der Wahl aufgehoben.
( 3 ) Jedem ordnungsgemäß eingetragenen Kandidaten für einen Sitz in der
Nationalversammlung wird die volle persönliche Freiheit im gesamten Wahlbereich
garantiert. Ohne die Genehmigung eines internationalen Kontrollorgans ( Artikel II )
darf er nicht festgenommen, vorübergehend inhaftiert, gerichtlich oder
verwaltungsmäßig verfolgt, aus seinem Amt oder Arbeitsplatz entlassen oder in
anderer Weise zur Verantwortung gezogen oder in seiner Bewegungsfreiheit behindert
werden. Außerdem soll er während des Wahlkampfes angemessen beurlaubt werden.
(4) Niemand darf wegen seiner politischen Einstellung vor und während der Wahl
festgenommen, vorübergehend inhaftiert, gerichtlich oder verwaltungsmäßig verfolgt,
aus seinem Amt oder Arbeitsplatz entlassen oder in anderer Weise zur Verantwortung
gezogen oder benachteiligt werden.

ABSCHNITT 5

(1) Öffentliche Versammlungen von Parteien, die einen ordnungsgemäßen


Wahlvorschlag eingereicht haben, sowie Versammlungen ihrer Einzelbewerber sind
ohne Hinderung zuzulassen und unter öffentlichen Schutz zu stellen.
(2) Die Verbreitung von Zeitungen, Zeitschriften und anderen Druckerzeugnissen
sowie der Empfang von Rundfunksendungen, die in einem Bundesland erlaubt sind,
sind im gesamten Wahlgebiet frei zu gestatten.

ABSCHNITT 6

(1) Das Wahlgeheimnis ist zu wahren.


(2) Wahlzettel und Wahlumschlag müssen für alle Wähler gleich sein und dürfen
keine Kennzeichnung zur Identifizierung des Wählers tragen. Die Kennzeichnung des
Stimmzettels durch den Wähler erfolgt in einem Bereich des Wahllokals, der nicht von
anderen Personen eingesehen werden kann. Der Wähler wirft den in dem Wahl-
84 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

umschlag befindlichen Stimmzettel vor den Augen des Wahlvorstands 1 in die


Wahlurne.
( 3 ) Die Auszählung der Stimmen durch den Wahlvorstand findet öffentlich statt.
Der Wahlvorstand ist aus den Wahlberechtigten jedes Stimmbezirks 2 nach gerechter
Berücksichtigung der verschiedenen Parteien zu bilden.
( 4 ) Der Verzicht auf die Bestimmungen der vorstehenden Absätze 1 bis 3 ist nicht
zulässig. Die internationalen Kontrollorgane können die gesamte Abstimmung
desjenigen Stimmbezirks 3, in dem der Verstoß gegen diese Bestimmungen
stattgefunden hat, für ungültig erklären und eine Wahlwiederholung anordnen.

ARTIKEL II

( I ) Die Vorbereitung und Durchführung der Wahl findet unter internationalem


Schutz und internationaler Kontrolle statt.
( II ) Der Schutz wird internationalen Kontrollorganen anvertraut und muss in
allen Teilen des Wahlgebiets einheitlich sein. Die deutschen Behörden müssen die
Anordnungen dieser Kontrollorgane ausführen.
( III ) Die Kontrollorgane gewährleisten die Rechte und Freiheiten der
Bevölkerung, die aus diesem Gesetz entstehen. Jeder Deutsche hat das Recht, die
Kontrollorgane anzurufen.
( IV ) Das höchste internationale Kontrollorgan erlässt, soweit erforderlich,
nähere Bestimmungen über den Schutz und die Kontrolle der Wahl.

ARTIKEL III

( I ) Die Nationalversammlung wird 30 Tage nach der Wahl in Berlin einberufen.


( II ) Das älteste Mitglied eröffnet die Nationalversammlungssitzung und führt
unverzüglich die Wahl des Präsidenten durch. Gewählt ist die Person, die die meisten
Stimmen erhält.
( III ) Die Wahlprüfung obliegt einem Wahlgericht, das von der
Nationalversammlung gewählt wird.
( IV ) Die persönliche Freiheit und der Schutz vor Verfolgung werden den
Abgeordneten der Nationalversammlung in der Folge garantiert, bis die
Nationalversammlung die entsprechenden Schlussbestimmungen erlässt.

ARTIKEL IV

( I ) Die Nationalversammlung wird eine Verfassung verabschieden.


( II ) Die Nationalversammlung hat die erforderlichen Befugnisse, um bis zum
Inkrafttreten der gesamtdeutschen Verfassung die freiheitliche demokratische
Grundordnung eines Bundeslandes, basierend auf der Achtung vor dem Gesetz sowie
den Rechten der Bundesländer, zu verwirklichen und zu sichern.

1 „polling supervisory board“, in der Übersetzung des ursprünglichen Gesetzesentwurfs vom 30. Oktober
1951 mit „election committee“ wiedergegeben.
2 „election precinct“, in der Übersetzung des ursprünglichen Gesetzesentwurfs mit „administrative district“

wiedergegeben.
3 Ebenfalls „election precinct“, vorher mit „voting district“ wiedergegeben.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 85

Note des Sowjetischen Außenministeriums an die amerikanische Botschaft,


Beilage des Entwurfs für einen deutschen Friedensvertrag, 10. März 1952 1
[Inoffizielle Übersetzung]
Die Sowjetregierung hält es für notwendig, die Aufmerksamkeit der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika auf die Tatsache zu lenken, daß, obwohl seit dem
Ende des Krieges in Europa etwa sieben Jahre vergangen sind, noch kein
Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen worden ist.
Mit dem Ziel, diese anormale Situation zu beseitigen, wendet sich die
Sowjetregierung, die die Mitteilung der Regierung der Deutschen Demokratischen
Republik an die vier Mächte unterstützt, in der sie darum bittet, den Abschluss eines
Friedensvertrags mit Deutschland zu beschleunigen, ihrerseits an die Regierung der
Vereinigten Staaten und auch an die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs
mit dem Vorschlag, die Frage eines Friedensvertrags mit Deutschland dringend zu
erörtern, um in naher Zukunft einen vereinbarten Entwurf eines Friedensvertrags
auszuarbeiten und ihn einer geeigneten internationalen Konferenz unter Beteiligung
aller interessierten Regierungen zur Prüfung vorzulegen. Es versteht sich, daß ein
solcher Friedensvertrag unter direkter Beteiligung Deutschlands in Form einer
gesamtdeutschen Regierung ausgearbeitet werden muss. Daraus folgt, daß die UdSSR,
die USA, England und Frankreich, die in Deutschland eine Kontrollfunktion ausüben,
auch die Frage der Bedingungen für die baldige Bildung einer gesamtdeutschen
Regierung, die den Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck bringt, prüfen müssen.
Mit dem Ziel, die Ausarbeitung eines Friedensvertragsentwurfs zu erleichtern,
schlägt die Sowjetregierung ihrerseits den Regierungen der USA, Großbritanniens und
Frankreichs den beigefügten Entwurf als Grundlage für einen Friedensvertrag mit
Deutschland zur Prüfung vor.
Indem sie die Prüfung dieses Entwurfs vorschlägt, bringt die Sowjetregierung
gleichzeitig ihre Bereitschaft zum Ausdruck, auch andere mögliche Vorschläge zu
dieser Frage zu prüfen.
Die Regierung der UdSSR erwartet die Antwort der Regierung der U.S.A. auf den
genannten Vorschlag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erhalten.
Ähnliche Noten hat die sowjetische Regierung auch an die Regierungen
Großbritanniens und Frankreichs gesandt.

[Anlage]

ENTWURF DER SOWJETISCHEN REGIERUNG EINES FRIEDENS-


VERTRAGS MIT DEUTSCHLAND

Seit dem Ende des Krieges mit Deutschland sind fast sieben Jahre vergangen, aber
Deutschland hat immer noch keinen Friedensvertrag, ist geteilt und befindet sich
weiterhin in einer ungleichen Situation gegenüber anderen Regierungen. Es ist
notwendig, diese anormale Situation zu beenden. Dies entspricht den Bestrebungen
aller friedliebenden Völker. Es ist unmöglich, den rechtlichen nationalen Interessen
des Deutschen Volkes einen gerechten Status zu sichern, ohne den baldigen Abschluss
eines Friedensvertrages mit Deutschland.

1 Bulletin des Außenministeriums, 7. April 1952, S. 531–532. Für den Text der amerikanischen Antwort vom
25. März siehe unten.
86 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Der Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland hat eine wichtige Bedeutung
für die Stärkung des Friedens in Europa. Ein Friedensvertrag mit Deutschland wird die
endgültige Entscheidung von Fragen ermöglichen, die sich als Folge des Zweiten
Weltkrieges ergeben haben. Die europäischen Staaten, die unter der deutschen
Aggression gelitten haben, insbesondere die Nachbarstaaten Deutschlands, haben ein
vitales Interesse an der Lösung dieser Fragen. Der Abschluß eines Friedensvertrages
mit Deutschland wird zur Verbesserung der internationalen Lage insgesamt und
gleichzeitig zur Schaffung eines dauerhaften Friedens beitragen.
Die Notwendigkeit, den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland zu
beschleunigen, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Gefahr der Wiedererrichtung des
deutschen Militarismus, der bereits zweimal Weltkriege ausgelöst hat, insofern nicht
beseitigt ist, als entsprechende Bestimmungen der Potsdamer Konferenz noch immer
nicht erfüllt sind. Ein Friedensvertrag mit Deutschland muss die Beseitigung der
Möglichkeit einer Wiedergeburt des deutschen Militarismus und der deutschen
Aggression garantieren.
Der Abschluß des Friedensvertrages mit Deutschland wird für das deutsche Volk
dauerhafte Friedensbedingungen schaffen, die Entwicklung Deutschlands zu einer
einheitlichen demokratischen und friedliebenden Regierung in Übereinstimmung mit
den Potsdamer Bestimmungen fördern und dem deutschen Volk die Möglichkeit einer
friedlichen Zusammenarbeit mit anderen Völkern sichern.
Infolgedessen haben die Regierungen der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von
Amerika, Großbritanniens und Frankreichs beschlossen, die Ausarbeitung eines
Friedensvertrages mit Deutschland dringend in Angriff zu nehmen.
Die Regierungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Vereinigten
Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs sind der Auffassung, daß die
Vorbereitungen für den Friedensvertrag unter Beteiligung Deutschlands in Form einer
gesamtdeutschen Regierung durchgeführt werden sollten und daß der Friedensvertrag
mit Deutschland auf folgender Grundlage geschlossen werden sollte :

GRUNDLAGE DES FRIEDENSVERTRAGES MIT DEUTSCHLAND

Teilnehmer
Großbritannien, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich,
Polen, die Tschechoslowakei, Belgien, Holland und andere Regierungen, die sich mit
ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland beteiligt haben.
Politische Bestimmungen
( 1 ) Deutschland wird als einheitlicher Staat wiederhergestellt, dadurch wird die
Teilung Deutschlands beendet und das vereinigte Deutschland erhält die Möglichkeit,
sich als unabhängiger demokratischer, friedliebender Staat zu entwickeln.
( 2 ) Spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Friedensvertrages müssen alle
Streitkräfte der Besatzungsmächte aus Deutschland abgezogen sein. Gleichzeitig
müssen alle ausländischen Militärstützpunkte auf dem Gebiet Deutschlands aufgelöst
werden.
( 3 ) Dem deutschen Volke sind demokratische Rechte zu gewährleisten, damit alle
der Deutschen Gerichtsbarkeit unterstehenden Personen ohne Unterschied der Rasse,
des Geschlechts, der Sprache oder der Religion die Menschenrechte und
Grundfreiheiten einschließlich der Rede-, Presse-, Glaubens-, politischen
Überzeugungs- und Versammlungsfreiheit genießen.
( 4 ) Die freie Betätigung demokratischer Parteien und Organisationen muss in
Deutschland mit dem Recht auf freie Entscheidung über ihre inneren Angelegenheiten,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 87

auf Versammlungen und Zusammenkünfte, sowie auf Presse- und Publikationsfreiheit


gewährleistet sein.
( 5 ) Die Existenz von Organisationen, die der Demokratie und der Erhaltung des
Friedens abträglich sind, darf auf dem Gebiet Deutschlands nicht zugelassen werden.
( 6 ) Allen ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee, einschließlich der Offiziere
und Generäle, allen ehemaligen Nationalsozialisten, mit Ausnahme derjenigen, die
wegen der Begehung von Verbrechen gerichtlich verurteilt sind, müssen die gleichen
bürgerlichen und politischen Rechte wie allen anderen deutschen Staatsbürgern zur
Teilnahme am Aufbau eines friedliebenden demokratischen Deutschlands zugestanden
werden.
( 7 ) Deutschland verpflichtet sich, keiner Koalition oder militärischen Allianz
beizutreten, die sich gegen eine Macht richtet, die sich mit ihren Streitkräften am Krieg
gegen Deutschland beteiligt hat.
Territorium
Das Gebiet Deutschlands wird durch die Grenzen definiert, die durch die
Bestimmungen der Potsdamer Konferenz der Großmächte festgelegt wurden.
Wirtschaftliche Bestimmungen
Deutschland werden keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der Entwicklung seiner
friedlichen Wirtschaft auferlegt, die zum Wachstum der Volkswirtschaft in Deutschland
beitragen muss.
Ebenso wird es für Deutschland keinerlei Beschränkungen hinsichtlich des Handels
mit anderen Ländern, der Schifffahrt und des Zugangs zu den Weltmärkten geben.
Militärische Bestimmungen
( 1 ) Deutschland wird erlaubt, seine eigenen nationalen Streitkräfte (Land-, Luft-
und Seestreitkräfte) zu haben, die für die Verteidigung des Landes notwendig sind.
( 2 ) Deutschland ist es gestattet, Kriegsmaterial und Ausrüstung zu produzieren,
deren Menge und Art die für die durch den Friedensvertrag für Deutschland
aufgestellten Streitkräfte erforderlichen Grenzen nicht überschreiten darf.
Deutschland und die Organisation der Vereinten Nationen
Die Regierungen, die einen Friedensvertrag mit Deutschland abschließen, werden
den Antrag Deutschlands auf Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen
unterstützen.
__________

Note der amerikanischen Botschaft in Moskau an das sowjetische Außen-


ministerium, betreffend den Sowjetischen Entwurf eines Deutschen
Friedensvertrages, 25. März 1952 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat in Absprache mit den Regierungen des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs die Note der sowjetischen Regierung vom 10.
März 1952, in der der Abschluss eines Friedensvertrags mit Deutschland vorgeschlagen
wird, sorgfältigst geprüft. Sie haben auch die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und die Vertreter von Berlin konsultiert.
Der Abschluß eines gerechten und dauerhaften Friedensvertrages, der die Teilung
Deutschlands beenden würde, war und bleibt ein wesentliches Ziel der Regierung der

1 Amerikanische Außenpolitik, 1950–1955 : Grundlegende Dokumente (Publikation des Außenministeriums

6446), Bd. II, S. 1797–1798. Die Britische und die Französische Botschaft übermittelten am selben Tag ähnliche
Noten.
88 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Vereinigten Staaten. Wie die Sowjetregierung selbst einräumt, erfordert der Abschluß eines
solchen Vertrages die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, die den Willen des
deutschen Volkes zum Ausdruck bringt. Eine solche Regierung kann nur auf der Grundlage
freier Wahlen in der Bundesrepublik, in der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin
gebildet werden. Solche Wahlen können nur unter Bedingungen stattfinden, die die
nationalen und individuellen Freiheiten des Deutschen Volkes schützen. Um festzustellen, ob
diese erste wesentliche Bedingung gegeben ist, hat die Generalversammlung der Vereinten
Nationen eine Kommission eingesetzt, die eine gleichzeitige Untersuchung in der
Bundesrepublik, der Sowjetzone und in Berlin durchführen soll. Der
Untersuchungskommission sind in der Bundesrepublik und in West-Berlin die erforderlichen
Einrichtungen zugesichert worden. Die Regierung der Vereinigten Staaten würde es begrüßen
zu erfahren, daß derartige Einrichtungen auch in der Sowjetzone und in Ost-Berlin zur
Verfügung stehen werden, damit die Kommission ihre Aufgabe erfüllen kann.
Aus den Vorschlägen der sowjetischen Regierung geht nicht hervor, wie die internationale
Stellung einer gesamtdeutschen Regierung vor Abschluss eines Friedensvertrags aussehen
würde. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist der Auffassung, daß es der
gesamtdeutschen Regierung sowohl vor als auch nach dem Abschluss eines Friedensvertrags
freistehen sollte, Vereinigungen einzugehen, die mit den Grundsätzen und Zielen der
Vereinten Nationen vereinbar sind.
Bei der Vorlage ihres Vorschlags für einen deutschen Friedensvertrag brachte die
Sowjetregierung ihre Bereitschaft zum Ausdruck, auch andere Vorschläge zu erörtern. Die
Regierung der Vereinigten Staaten hat diese Erklärung gebührend zur Kenntnis genommen.
Sie ist der Auffassung, daß eine eingehende Erörterung eines Friedensvertrags erst dann
möglich ist, wenn die Voraussetzungen für freie Wahlen geschaffen sind und eine freie
gesamtdeutsche Regierung gebildet wurde, die an einer solchen Erörterung teilnehmen
könnte. Es gäbe einige grundsätzliche Fragen, die ebenfalls geklärt werden müßten.
So stellt die Regierung der Vereinigten Staaten fest, daß die Sowjetregierung die
Behauptung aufstellt, das Gebiet Deutschlands werde durch die in den Beschlüssen der
Potsdamer Konferenz festgelegten Grenzen bestimmt. Die Regierung der Vereinigten Staaten
erinnert daran, daß in den Potsdamer Beschlüssen keine endgültigen deutschen Grenzen
festgelegt wurden, da diese eindeutig vorsahen, daß die endgültige Festlegung der
territorialen Fragen bis zur Friedensregelung warten muss.
Die Regierung der Vereinigten Staaten stellt ferner fest, daß die sowjetische Regierung
nunmehr die Auffassung vertritt, der Friedensvertrag solle die Bildung nationaler deutscher
Land-, Luft- und Seestreitkräfte vorsehen und gleichzeitig die Freiheit Deutschlands, sich mit
anderen Ländern zu verbünden, einschränken. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist der
Auffassung, daß solche Bestimmungen einen Rückschritt bedeuten würden und den Beginn
einer neuen Ära in Europa gefährden könnten, in der die internationalen Beziehungen auf
Zusammenarbeit und nicht auf Rivalität und Misstrauen beruhen würden. Da die Regierung
der Vereinigten Staaten von der Notwendigkeit einer Politik der europäischen Einheit
überzeugt ist, unterstützt sie voll und ganz die Pläne, die darauf abzielen, die Beteiligung
Deutschlands an einer rein defensiven europäischen Gemeinschaft zu sichern, die die Freiheit
bewahren, Aggressionen verhindern und das Wiederaufleben des Militarismus ausschließen
wird. Da die Regierung der Vereinigten Staaten von der Notwendigkeit einer Politik der
europäischen Einheit überzeugt ist, unterstützt sie voll und ganz die Pläne, die darauf
abzielen, die Beteiligung Deutschlands an einer rein defensiven europäischen Gemeinschaft
zu sichern, die die Freiheit bewahren, Aggressionen verhindern und das Wiederaufleben des
Militarismus ausschließen wird. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist der Auffassung,
daß der Vorschlag der sowjetischen Regierung zur Bildung nationaler deutscher Streitkräfte
mit der Erreichung dieses Ziels unvereinbar ist. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist
nach wie vor davon überzeugt, daß die Politik der europäischen Einheit die Interessen eines
jeden Landes nicht gefährdet und den wahren Weg des Friedens darstellt.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 89

Erster Bericht der Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung


der Bedingungen für freie Wahlen in Deutschland, 30. April 1952 1
[Auszug]
Abschnitt 1. Vorbereitende Arbeiten in Paris und Genf

27. Die Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Bedingungen
für freie Wahlen in Deutschland * * * hielt ihre erste Sitzung am 11. Februar 1952 im
Palais de Chaillot in Paris ab. Vor ihrem Umzug nach Genf hielt die Kommission zwei
weitere Sitzungen in Paris ab, eine informelle und eine formelle. In diesen Sitzungen
beschloss die Kommission ihren Namen, das Verfahren zur Regelung ihres Vorsitzes
und ihren Sitz. Ferner beschloss sie in Paris, daß ihre erste Aufgabe nach ihrer
Wiederaufnahme in Genf darin bestehen würde, sich an die zuständigen deutschen
Behörden zu wenden, um die von der Kommission als notwendig erachteten
Vorkehrungen zu treffen, damit sie ihre Arbeit im Einklang mit der Resolution 510
(VI) der Generalversammlung durchführen kann. Es wurden die Entwürfe der
Schreiben, die an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland
und an den Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission für Deutschland
gerichtet werden sollten, vorläufig geprüft und es wurde beschlossen, das weitere
Vorgehen auf eine spätere Sitzung in Genf zu verschieben.
28. Auf ihren Sitzungen in Genf am 21. und 22. Februar genehmigte die
Kommission den Wortlaut ihrer Schreiben an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen
Kommission für Deutschland und an den Vorsitzenden der Sowjetischen
Kontrollkommission für Deutschland. Sie beschloss, die Schreiben sowohl per
Telegramm als auch per Luftpost zu versenden und die Texte achtundvierzig Stunden
nach ihrer telegrafischen Versendung der Presse zur Verfügung zu stellen.
29. In ihrem Schreiben vom 22. Februar 1952 an den Vorsitzenden der Alliierten
Hohen Kommission ersuchte die Kommission diesen, den zuständigen Behörden in der
Bundesrepublik Deutschland und in den westlichen Sektoren Berlins den Wunsch der
Kommission zu übermitteln, mit diesen Behörden die Vorkehrungen zu erörtern, die
sie für notwendig erachtet, um ihre Arbeit durchführen zu können. Die Kommission
erklärte ferner, daß sie es begrüßen würde, wenn Vorkehrungen getroffen werden
könnten, um am 17. März ein Treffen mit den Behörden der Bundesrepublik und am
21. März ein weiteres Treffen mit den Behörden der westlichen Sektoren Berlins
abzuhalten. In ihrem Schreiben vom 22. Februar 1952 an den Vorsitzenden der
sowjetischen Kontrollkommission ersuchte die Kommission diesen gleichermaßen, den
zuständigen Behörden in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im
östlichen Sektor Berlins den Wunsch der Kommission zu übermitteln, mit diesen
Behörden die Vorkehrungen zu erörtern, die sie für notwendig erachtet, um ihre Arbeit
durchführen zu können. Die Kommission erklärte ferner, daß sie es begrüßen würde,
wenn Vorkehrungen getroffen werden könnten, um am 17. März ein Treffen mit den
Behörden der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und am 21. März ein
weiteres mit den Behörden des östlichen Sektors von Berlin abzuhalten. Die
Kommission bat darum, ihr mitzuteilen, welche Örtlichkeiten von den betreffenden
Behörden für die von ihr vorgeschlagenen Treffen bestimmt wurden. Sie stellte fest,
daß sowohl einerseits die Kommission, als auch andererseits alle Behörden in Deutsch-

1 Ebenda, S. 1798-1809. Der vollständige Text des ersten Berichts ist in UN-Dok. A/2122 vom 5. Mai 1952

erschienen. Zum zweiten Bericht (5. August 1952) siehe unten. Die Kommission wurde durch die Resolution
510 (VI) der Generalversammlung vom 20. Dezember 1951 eingesetzt ( Amerikanische Außenpolitik, 1950-
1955, Bd II, S. 1795-1797).
90 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

land als auch das deutsche Volk gemeinsame Ziele und viele Gemeinsamkeiten haben,
auf deren Grundlage sie zusammenarbeiten können, um ein freies, geeintes und
demokratisches Deutschland zu errichten.
30. Die Kommission war bestrebt, sich möglichst zum gleichen Zeitpunkt mit den
Behörden in der Bundesrepublik und in der sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands und ebenso zum gleichen Zeitpunkt mit den Behörden in den
Westsektoren und im Ostsektor Berlins zu treffen. Aus diesem Grund hatte die
Kommission in ihren Schreiben an die Alliierte Hohe Kommission und die Sowjetische
Kontrollkommission Treffen mit den Behörden in West- und Ostdeutschland zu
denselben Terminen vorgeschlagen. Für den Fall, daß die von ihr vorgeschlagenen
Treffen zustande kämen, beabsichtigte die Kommission, sich in zwei Gruppen
aufzuteilen, um sich gleichzeitig mit diesen Behörden treffen zu können.
31. Die Kommission hat sich nach der Prüfung ihrer Vorschriften über die
Beschlussfähigkeit ihrer Sitzungen und das Abstimmungsverfahren auf den 10. März
vertagt. Es wurde beschlossen, während der Vertagung einen Entwurf für ein
Memorandum über die von der Kommission als notwendig erachteten Vorkehrungen
für die Durchführung ihrer Arbeiten auszuarbeiten, das als Grundlage für die
Diskussionen bei den geplanten Sitzungen der Kommission mit den deutschen
Behörden dienen soll. Man hoffte, bis zum 10. März Antworten von der Alliierten
Hohen Kommission und der Sowjetischen Kontrollkommission zu erhalten.
32. Die Kommission traf das nächste Mal vom 10. bis 15. März zusammen, um sich
mit der Situation zu befassen. Auf ihr Schreiben vom 22. Februar 1952 an den
Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission hatte die Kommission eine Antwort
mit Datum vom 1. März 1952 erhalten, aus der hervorging, daß der Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland und einige seiner Kollegen im Bundeskabinett gerne mit
der Kommission am 17. März in Bonn zusammentreffen würden und daß die
Bundesregierung darüber hinaus bereit sei, "den Mitgliedern der Kommission jede nur
mögliche Unterstützung bei der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgabe zu gewähren". Die
Kommission wurde ferner darüber informiert, daß Vertreter des (West-)Berliner
Senats vorgeschlagen hatten, am 21. März 1952 in Berlin mit der Kommission
zusammenzutreffen.
33. Da die Kommission bis zum 10. März keine Antwort von der Sowjetischen
Kontrollkommission erhalten hatte, beschloss sie, den Vorsitzenden der Sowjetischen
Kontrollkommission für Deutschland, General Tschuikow, erneut anzuschreiben. In
ihrem zweiten Schreiben an General Tschuikow vom 10. März hat die Kommission
erneut ihren Wunsch geäußert, mit den zuständigen Behörden der sowjetischen
Besatzungszone Deutschlands und des Ostsektors von Berlin zusammenzutreffen, um
mit ihnen die Maßnahmen zu erörtern, die sie für notwendig erachtet, um ihre Arbeit
durchführen zu können, und hat darum gebeten, daß dies den genannten Behörden
mitgeteilt wird. Die Kommission wies erneut darauf hin, daß sie es begrüßen würde,
wenn Vorkehrungen getroffen würden, damit sie am 17. bzw. 21. März mit diesen
Behörden zusammenkommen kann. Die Kommission teilte General Tschuikow mit,
daß sie die Vorkehrungen für ein Treffen mit den Behörden in der Bundesrepublik
Deutschland und in den westlichen Sektoren Berlins am 17. bzw. 21. März bstätigt.
Sie bat General Tschuikow um eine Antwort bis zum 14. März, 12 Uhr, da sie ihre
Reisevorbereitungen bis Freitag, den 14. März, abschließen musste. Dieser Brief
wurde sowohl per Telegramm als auch per Luftpost verschickt und später an die Presse
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 91

weitergegeben. Die Kommission hat keine Antwort auf dieses Schreiben erhalten.
34. Die Kommission beschloss, während ihres bevorstehenden Besuchs in
Deutschland auch mit der Alliierten Hohen Kommission zusammenzutreffen, um ihr
das Memorandum der Kommission über die von ihr als notwendig erachteten
Maßnahmen zu unterbreiten, die es ihr ermöglichen, ihre Arbeit zu erledigen. Die
Kommission vereinbarte daher für den 17. März 1952 ein Treffen mit der Alliierten
Hohen Kommission in Bonn.
35. In der Zeit vom 11. bis 14. März prüfte die Kommission die Entwürfe der
Memoranden, die sie den deutschen Behörden, die ihre Bereitschaft zum Empfang der
Kommission erklärt hatten, vorlegen wollte. Am 14. März hat die Kommission den
Text einstimmig angenommen. Die Memoranden waren, abgesehen von den
Änderungen, die aufgrund der Tatsache, daß sie an verschiedene Behörden in
Deutschland gerichtet waren, notwendig waren, inhaltlich identisch. Darin wurde
unter anderem festgelegt, daß für die Dauer der Kommissionsarbeit
( a ) die Kommission und ihr Sekretariat von den betreffenden Behörden
sowohl das Recht, sich in ihrem jeweiligen Gebiet frei zu bewegen als auch die
üblichen und anerkannten diplomatischen Privilegien und Immunitäten
erhalten;
( b ) die Kommission und ihr Sekretariat von den betreffenden Behörden das
Recht auf freien Zugang zu Personen, Orten und einschlägigen Unterlagen, die
die Kommission für erforderlich hält, sowie das Recht, alle Zeugen vorzuladen,
die sie vernehmen oder deren Zeugenaussagen sie einholen möchte; erhalten;
darüber hinaus der Kommission von den betreffenden Behörden ausdrücklich
zugesichert wird, daß diese Zeugen nicht daran gehindert werden, sich mit der
Kommission zu treffen, daß diese Personen oder ihre Angehörigen vor jeder Art
von Strafe, für ihr Treffen mit und ihre Aussagen vor der Kommission, geschützt
sind und daß die Zeugen nicht gezwungen werden, den Inhalt ihrer Aussagen
preiszugeben;
( c ) die Kommission und ihr Sekretariat von den betreffenden Behörden das
Recht erhalten, frei und ungehindert mit der Bevölkerung in ihren Gebieten zu
kommunizieren; die Kommission von den betreffenden Behörden die Zusicherung
erhält, daß die Kommunikation mit der Kommission und ihrem Sekretariat nicht
zensiert, verzögert oder unterdrückt wird; und daß die Kommission die
Zusicherung erhält, daß Personen, die mit ihr kommunizieren oder von ihr
Nachrichten erhalten, in keiner Weise für diesen Kontakt bestraft werden.
36. Am 14. März genehmigte die Kommission sowohl den Wortlaut einer
Erklärung, die ihr Vorsitzender in ihrem Namen auf der bevorstehenden Sitzung der
Kommission mit den Behörden der Bundesrepublik Deutschland abgeben soll, als auch
den Wortlaut einer Ansprache an das deutsche Volk, die Herr Kohnstamm im Namen
der Kommission aus Bonn übertragen wird.

Abschnitt 2. Arbeit der Kommission in Deutschland

37. Die Kommission verließ Genf am Abend des 15. März 1952 per Eisenbahn und
traf am folgenden Morgen in Bonn ein. Herr Abbasi, der Vertreter Pakistans, konnte
wegen seiner Erkrankung nicht an dem Besuch der Kommission in Deutschland teil-
92 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

nehmen, sodaß die pakistanische Regierung Herrn Omar Hayat Malik, ihren
Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, ernannte, um Herrn Abbasi bis zu
dessen Rückkehr in die Kommission zu vertreten. Die Kommission möchte zu Protokoll
geben, daß sie die Dienste von Herrn Malik, der sehr kurzfristig zur Unterstützung
der Kommission einberufen wurde, zu schätzen weiß.
38. Am 17. März traf die Kommission mit der Alliierten Hohen Kommission
zusammen und legte ihr das bereits erwähnte Memorandum vor. Bei der Übermittlung
erklärte der Vorsitzende, daß das Memorandum allgemein gehalten sei, da es nach
Ansicht der Kommission zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht notwendig sei, sich mit
zahlreichen Einzelheiten zu befassen. Wenn eine Einigung über die Bedingungen des
Memorandums erzielt werden kann, könnten nach Ansicht der Kommission innerhalb
des weiten Rahmens dieses Memorandums alle später für notwendig erachteten
Detailregelungen mit den betreffenden Behörden getroffen werden. Er fügte hinzu, daß
er und seine Kollegen der Meinung sind, daß die Zusicherungen, die sie von den
zuständigen deutschen Behörden einzuholen ersuchen, von sehr großer und
grundlegender Bedeutung für die Erfüllung der Aufgabe sind, die der Kommission von
den Vereinten Nationen übertragen wurde. Die Kommission konnte nur dann hoffen,
ihren Auftrag gewissenhaft und erfolgreich zu erfüllen, wenn das deutsche Volk
aufgrund der von ihr geforderten Zusicherungen und Garantien die Gewissheit hatte,
daß es ohne Angst und in völliger Freiheit mit der Kommission zusammenarbeiten
konnte. Sie war daher zu dem Schluss gekommen, daß es notwendig sei, mit allen
zuständigen Behörden in Deutschland eine schriftliche Vereinbarung über den
Regelungsgegenstand des Memorandums abzuschließen. Die Kommission hoffte, mit
all diesen Behörden einheitliche Vereinbarungen treffen und einheitliche
Zusicherungen erhalten zu können. Sie hielt es für unerlässlich, daß alle Menschen in
allen Teilen Deutschlands die gleichen Sicherheiten haben sollten und daß die
Kommission der Vereinten Nationen in allen Teilen Deutschlands die gleichen
Einrichtungen erhalten sollte. Der Vorsitzende erklärte abschließend, daß er und seine
Kollegen mit der Alliierten Hohen Kommission auch die Frage erörtern möchten, ob es
angesichts der Tatsache, daß die von der Alliierten Hohen Kommission vertretenen
Regierungen die oberste Verantwortung in Deutschland ausüben, nicht notwendig
wäre, daß die beiden Kommissionen eine Vereinbarung, zumindest in Bezug auf die in
dem Memorandum angesprochenen Fragen, die möglicherweise in den Machtbereich
fallen, den sich die Alliierte Hohe Kommission vorbehalten hat, treffen. Die Alliierte
Hohe Kommission möchte der Kommission der Vereinten Nationen zudem förmlich
mitteilen, daß sie bereit ist, ihr die erforderlichen Zugeständnisse und Zusicherungen
zu machen.
39. Der Vorsitzende des Rates der Alliierten Hohen Kommission, Herr Francois-
Poncet, erklärte in seiner Antwort im Namen seiner Kollegen, daß das Memorandum
in keiner Weise einen Vorbehalt oder eine ablehnende Antwort seitens der Alliierten
Hohen Kommission erfordere und daß er der Kommission unverzüglich die förmliche
Zusicherung geben könne, daß die Alliierte Hohe Kommission sie in jeder möglichen
Weise unterstützen werde. Soweit es im Rahmen ihrer Zuständigkeit möglich ist, wird
die Alliierte Hohe Kommission der Kommission der Vereinten Nationen die Garantien
und Zugeständnisse, die sie in ihrem Memorandum aufgeführt hat, machen. Die
Alliierte Hohe Kommission übermittelte noch am selben Tag eine förmliche Antwort
in diesem Sinne. In einer Sitzung am 19. März nahm die Kommission die Antwort zur
Kenntnis und zeigte sich damit zufrieden.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 93

40. Unmittelbar nach ihrem Treffen mit der Alliierten Hohen Kommission traf die
Kommission mit dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und einigen
seiner Kollegen im Bundeskabinett im Haus Schaumburg in Bonn zusammen. Der
Bundeskanzler erklärte, daß die Vereinten Nationen mit der Einsetzung dieser
Kommission ihre Bereitschaft, die Bedingungen für die Durchführung freier Wahlen
in ganz Deutschland zu untersuchen, gezeigt hätten und daß sie die Zusicherung
gegeben hätten, daß eine objektive und gewissenhafte Untersuchung dieses für das
deutsche Volk wesentlichen Problems durchgeführt werden würde. Er versicherte, daß
die Bundesregierung die Kommission bei der Durchführung dieser Untersuchungen
nach Kräften unterstützen werde, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die
Kommission zu einem vollen Erfolg gelangen und etwaige auftretende Verzögerungen
sie nicht dazu veranlassen werde, die Verfolgung ihres Zieles aufzugeben, welches das
Ziel der Vereinten Nationen, der Bundesregierung und des deutschen Volkes sei,
nämlich die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit.
41. Nachdem er die Ereignisse geschildert hatte, die zur Einsetzung der
Kommission durch die Vereinten Nationen führten, erklärte der Vorsitzende der
Kommission in seiner Antwort auf die Erklärung des Bundeskanzlers, daß das
deutsche Volk, die verschiedenen deutschen Behörden und die vier Besatzungsmächte
erklärt hatten, daß die Schaffung eines freien, geeinten, demokratischen und
friedlichen Deutschlands, vor allem durch wirklich freie und geheime Wahlen ihr
gemeinsames Ziel sei. Dies sei auch der Zweck, den die Kommission, soweit sie durch
ihren Aufgabenbereich dazu ermächtigt sei, erfüllen wolle. Bei der Erfüllung ihrer
Aufgabe war sie sehr darauf bedacht, das gesamte deutsche Volk und alle deutschen
Behörden von ihrer völligen Objektivität und Unparteilichkeit zu überzeugen. Gemäß
ihres Aufgabenbereichs war die Kommission verpflichtet, ihre Untersuchung
gleichzeitig in allen Besatzungszonen Deutschlands durchzuführen. Die Kommission
könne ihre Aufgabe daher nur erfüllen, wenn sie die Möglichkeit habe, in alle Gebiete
Deutschlands einzureisen und sich dort frei zu bewegen, und wenn ihr von allen
betroffenen Behörden die von ihr für erforderlich erachteten Zugeständnisse gewährt
würden. Der Zweck ihres jetzigen Besuchs in Deutschland bestand jedoch darin, mit
denjenigen Behörden, die ihre Bereitschaft dazu erklärt hatten, zusammenzutreffen,
um mit ihnen die Vorkehrungen, die die Kommission für notwendig erachtete, um ihre
Arbeit durchführen zu können, zu erörtern und nach Möglichkeit zu treffen. Dies war
eine wesentliche Vorarbeit, die geleistet werden musste, bevor die Kommission den
nächsten Schritt unternehmen konnte.
42. Nachdem der Vorsitzende der Kommission dem Bundeskanzler das
Memorandum der Kommission über die von ihr als notwendig erachteten Regelungen,
die ihr die Durchführung ihrer Arbeit ermöglichen, vorgelegt hatte, erklärte er, daß es
notwendig sei, zu gegebener Zeit das von der Kommission angestrebte Abkommen mit
der Bundesregierung zu veröffentlichen, um den Bürgern der Bundesrepublik die
Gewissheit zu geben, daß sie mit der Kommission ohne Angst und in völliger Freiheit
zusammenarbeiten können.
43. Nachdem er seine Überzeugung, daß seine Regierung der Kommission alle von
ihr geforderten Zugeständnisse und Garantien gewähren werde, zum Ausdruck
gebracht hatte, antwortete der Bundeskanzler, daß er, nachdem seine Regierung die
Gelegenheit hatte, das Memorandum zu prüfen, schnellstmöglich eine offizielle
Antwort erteilen werde.
94 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

44. Darüber hinaus traf die Kommission am 18. März mit den Behörden der
Bundesrepublik zusammen, um den Inhalt ihres Memorandums zu erörtern. Im
Anschluss an die von der Kommission angebotenen Klarstellungen erklärten die
Vertreter der Bundesrepublik, daß der Kommission am 19. März eine förmliche
Antwort im Sinne der in den Sitzungen getroffenen Vereinbarungen erteilt werde und
daß die Bundesregierung unverzüglich die gesetzgeberischen Maßnahmen einleiten
werde, die erforderlich seien, um einige der von der Kommission geforderten
Zugeständnisse und Zusicherungen zu machen.
45. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat der Kommission ihre
Antwort auf das Memorandum in einer Sitzung am 19. März vorgelegt. Der
Vorsitzende der Kommission nahm den Bericht anerkennend zur Kenntnis und
erklärte, daß die Kommission damit vollkommen zufrieden sei.
46. Während ihres Aufenthalts in Bonn hielt die Kommission eine
Pressekonferenz, bei der über hundert Korrespondenten anwesend waren, ab, um das
Ziel ihres Besuchs in Deutschland zu erläutern.
47. Am 20. März verließ die Kommission Bonn und reiste mit einer kommerziellen
Fluggesellschaft nach Berlin. In einer Sitzung am Abend ihrer Ankunft in Berlin
beschloss die Kommission, den Vertretern der interalliierten Kommandantur, mit
denen sie für den nächsten Tag bereits ein Treffen vereinbart hatte, ein ähnliches
Memorandum vorzulegen, wie sie es bereits der Alliierten Hohen Kommission und der
Bundesrepublik vorgelegt hatte, um zu versuchen, auch von ihnen eine Vereinbarung
über die von ihr in Berlin benötigten Einrichtungen zu erhalten. Auf der gleichen
Sitzung billigte die Kommission den Text einer Rundfunkansprache an das deutsche
Volk, die von Herrn Kohnstamm im Namen der Kommission übermittelt werden soll.
48. Die Kommission traf sich am 21. März mit Vertretern der interalliierten
Kommandantur und legte das bereits erwähnte Memorandum vor. General Carolet
(französischer Militärgouverneur von Berlin), Vorsitzender der interalliierten
Kommandantur, erklärte, daß er, der britische und der amerikanische Befehlshaber in
Berlin der Kommission versichern können, daß sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten
und Mittel bereit sind, alles zu tun, um der Kommission die erforderlichen Garantien
und Einrichtungen zu gewähren. General Carolet bestätigte seine Aussage in einer
offiziellen Antwort, die er der Kommission am selben Tag übermittelte. Die
Kommission nahm diese Antwort zur Kenntnis und äußerte ihre Zufriedenheit damit.
49. Nach ihrem Treffen mit der interalliierten Kommandantur traf die
Kommission mit dem Regierenden Bürgermeister West-Berlins, Herrn Reuter, und
anderen Vertretern des Berliner Senats zusammen, um ein Memorandum vorzulegen,
das dem Memorandum ähnelt, welches sie zuvor der interalliierten Kommandantur,
der Alliierten Hohen Kommission und der Bundesrepublik vorgelegt hatte. Herr
Reuter begrüßte die Kommission und erklärte, daß die Berliner Bevölkerung den
ernsthaften Wunsch habe, mit ihren Landsleuten in dem von den sowjetischen
Behörden besetzten Teil Deutschlands durch wirklich freie Wahlen unter einer
einzigen Regierung wiedervereinigt zu werden und sicherte der Kommission die
Zusammenarbeit seiner Regierung bei ihrer Arbeit zu. Er teilte mit, daß die Vertreter
seiner Regierung das Memorandum der Kommission bei einem weiteren Treffen mit
ihr erörtern wollten und er hoffte, der Kommission am darauffolgenden Tag die
offizielle Antwort seiner Regierung vorlegen zu können.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 95

50. Bei der Vorlage des Memorandums dankte der Kommissionsvorsitzende Herrn
Reuter für seine Zusicherungen der Zusammenarbeit. Danach erklärte er in deutscher
Sprache, daß die unmögliche Situation, in der die Bürger Berlins leben mussten, eine
tägliche Erinnerung an die Welt sei, daß eine solche Teilung nicht ewig andauern
könne und dürfe. Er übermittelte der Berliner Bevölkerung, die durch die Teilung der
Stadt Härten erleiden muss, das Mitgefühl der Kommission.
51. Am gleichen Nachmittag fand ein zweites Treffen der Kommission mit den
Vertretern des (West-) Berliner Senats statt. Nach einem Meinungsaustausch teilte
Herr Reuter der Kommission mit, daß die Antwort seiner Regierung auf das
Memorandum genau die gleiche sei wie die der Regierung der Bundesrepublik, und
daß die Antwort der Kommission am folgenden Tag zugestellt werde.
52. Am 22. März übergab Herr Reuter der Kommission die Antwort seiner
Regierung auf das Memorandum der Kommission. Der Vorsitzende der Kommission
nahm die Antwort mit Anerkennung zur Kenntnis und erklärte, daß die Kommission
mit der Antwort vollkommen zufrieden sei.
53. Die Kommission hielt am selben Tag eine Pressekonferenz ab, an der etwa
zweihundert Pressekorrespondenten teilnahmen, um den Zweck ihres Besuchs in
Deutschland zu erläutern und über die Ergebnisse ihrer Bemühungen, mit den
betreffenden Behörden die von ihr für notwendig erachteten Vereinbarungen zu
treffen, um ihre Arbeit durchführen zu können, zu berichten.
54. In den sieben Tagen, die die Kommission in Bonn und Berlin verbracht hat,
konnte sie die Arbeit, die sie sich vorgenommen hatte, abschließen. Sie hatte mit der
Alliierten Hohen Kommission für Deutschland, der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland, der interalliierten Kommandantur (soweit sich dessen Befugnisse auf
die Gebiete Berlins, für die der französische, der britische und der US-amerikanische
Befehlshaber in Berlin die Kontrolle ausübten, erstrecken) und mit der Regierung von
West-Berlin Vereinbarungen getroffen, die sie für zufriedenstellend hielt.
55. Vor ihrer Rückkehr nach Genf kam die Kommission jedoch am 23. März in
Berlin zusammen, um über ihr weiteres Vorgehen zu entscheiden. Sie verständigte
sich darauf, daß kurz nach der Rückkehr der Kommission in Genf eine weitere Bitte
an General Tschuikow gerichtet werden sollte, und beauftragte ihren Vorsitzenden,
diese spätestens am 26. März zu übermitteln. Anschließend verließ die Kommission
Berlin am 23. und 24. März und schlug vor, am 8. April oder erforderlichenfalls früher
wieder zusammenzutreten, um sich mit der Lage zu befassen.

Abschnitt 3. Arbeit der Kommission nach ihrer Rückkehr aus Deutschland

56. In ihrem dritten Schreiben an den Vorsitzenden der sowjetischen


Kontrollkommission für Deutschland vom 26. März 1952 machte die Kommission
General Tschuikow auf ihre beiden früheren Schreiben an ihn vom 22. Februar bzw.
10. März aufmerksam und wies darauf hin, daß sie von ihm keine Antwort auf diese
Schreiben erhalten habe. Die Kommission teilte General Tschuikow ferner mit, daß sie
mit den zuständigen Behörden in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin
zufriedenstellende Vereinbarungen getroffen habe und daß ihre Fähigkeit, „die ihr von
den Vereinten Nationen übertragenen Aufgaben zu erfüllen, nun vollständig von der
Bereitschaft der zuständigen Behörden in der sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands und im Ostsektor Berlins, ähnlich zufriedenstellende Vereinbarungen
mit der Kommission zu treffen, abhänge“. Die Kommission ersuchte General
Tschuikow erneut um die Vermittlung eines Treffens zwischen ihr und den
zuständigen Behörden in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Ost-
96 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

sektor Berlins, damit die Kommission mit diesen Behörden die für die Durchführung
ihrer Arbeit erforderlichen Vereinbarungen treffen kann. Sie übermittelte General
Tschuikow informationshalber den Wortlaut der Memoranden, die sie den Behörden
in der Bundesrepublik und in West-Berlin vorgelegt hatte, sowie die von diesen
erhaltenen Antworten. Dieser Brief wurde sowohl per Telegramm als auch per
Luftpost verschickt und später an die Presse weitergegeben. Die Kommission hat keine
Antwort auf dieses Schreiben erhalten.
57. In den Sitzungen vom 8. und 9. April kam die Kommission zu dem Schluss, daß
sie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen in Kürze über die Ergebnisse ihrer
bisherigen Bemühungen, die sie mit allen Beteiligten unternommen hat, um die
erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit sie ihre Arbeit aufnehmen kann,
Bericht erstatten muss und sie war der Ansicht, daß dieser Bericht möglichst bis Ende
April vorgelegt werden sollte. Die Kommission beschloss ferner, eine weitere Bitte an
General Tschuikow zu richten und ihn zu bitten, sie bei der Erfüllung ihrer Pflichten
zu unterstützen.
58. In ihrem vierten und letzten Schreiben an den Vorsitzenden der sowjetischen
Kontrollkommission für Deutschland vom 9. April 1952 machte die Kommission
General Tschuikow auf ihre drei früheren, an ihn gerichteten Schreiben vom 22.
Februar, 10. März und 26. März aufmerksam und wies darauf hin, daß sie von ihm
keine Antwort auf diese Schreiben erhalten hatte. Die Kommission wies erneut darauf
hin, daß die Fähigkeit der Kommission, ihre Arbeit zu verrichten, vollständig von der
Bereitschaft der zuständigen Behörden der sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands und des Ostsektors von Berlin abhängt, mit der Kommission ähnliche
Vereinbarungen zu treffen, wie sie bereits von den Behörden in Westdeutschland mit
der Kommission getroffen wurden, und bat General Tschuikow erneut, sie bei der
Erfüllung ihrer Pflichten zu unterstützen. Sie teilte ihm ferner mit, daß sie sich
aufgrund ihres Auftrags verpflichtet fühle, dem Generalsekretär in Kürze über die
Ergebnisse ihrer bisherigen Tätigkeit zu berichten, und daß sie beabsichtige, bis Ende
April 1952 einen Bericht vorzulegen. In Anbetracht dieser Feststellung ersuchte sie
um eine Antwort vor dem 27. April 1952. Am Ende ihres Schreibens erklärte die
Kommission: „Sollte die Kommission innerhalb der angegebenen Frist keine Antwort
von Ihnen erhalten, sieht sie sich zu ihrem Bedauern gezwungen, die Schlussfolgerung
zu ziehen, daß gegenwärtig wenig Aussicht auf eine Fortsetzung ihrer
Untersuchungsarbeit besteht“. Dieser Brief wurde sowohl per Telegramm als auch per
Luftpost verschickt und später an die Presse weitergegeben. Bis zum Zeitpunkt der
Unterzeichnung dieses Berichts hat die Kommission von General Tschuikow keine
Antwort auf irgendeines ihrer vier Schreiben an ihn erhalten.
59. Die Kommission trat vom 28. bis 30. April zusammen, um den vorliegenden
Bericht zu prüfen. Auf ihrer einundzwanzigsten Sitzung am 30. April 1952 hat die
Kommission den Bericht einstimmig angenommen und unterzeichnet.

TEIL III
ZUSAMMENFASSUNG DER KOMMISSIONSARBEIT UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

60. Die durch Resolution 510 (VI) der Generalversammlung eingesetzte


Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Bedingungen für freie
Wahlen in Deutschland legt die folgende Zusammenfassung ihrer Arbeit und ihre
Schlussfolgerungen vor.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 97

61. Die Kommission, die sich aus den Vertretern Brasiliens, Islands, der
Niederlande und Pakistans zusammensetzte (Polen lehnte eine Teilnahme an den
Arbeiten ab), wurde zu ihrer ersten Sitzung am 11. Februar 1952 in Paris einberufen.
Kurz darauf verlegte sie ihren Sitz nach Genf, von wo aus sie am 21. Februar ihre
eigentliche Arbeit aufnahm. Sie beschloss, daß ihre erste Aufgabe gemäß ihres
Auftrags darin besteht, mit allen betroffenen Parteien die Vereinbarungen zu treffen,
die sie zur Durchführung ihrer Arbeit für erforderlich hält.
62. In ihren Bemühungen um die Erfüllung ihrer vorläufigen Aufgabe richtete die
Kommission am 22. Februar ein Schreiben an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen
Kommission für Deutschland, in dem sie ihn bat, Treffen zwischen der Kommission
und den zuständigen Behörden in der Bundesrepublik Deutschland und in den
Westsektoren Berlins zu arrangieren, und schlug vor, diese Treffen am 17. bzw. 21.
März stattfinden zu lassen. Am 22. Februar richtete die Kommission ein ähnliches
Schreiben an den Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission für Deutschland,
in dem sie ihn bat, Treffen zwischen der Kommission und den zuständigen Behörden
in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Ostsektor Berlins zu
arrangieren, und schlug vor, diese Treffen am 17. bzw. 21. März stattfinden zu lassen.
63. Am 1. März 1952 erhielt die Kommission eine Antwort der Alliierten Hohen
Kommission, in der sie mitteilte, daß die gewünschten Treffen vereinbart worden
seien. Da bis zum 10. März keine Antwort von der Sowjetischen Kontrollkommission
für Deutschland eingegangen war, richtete die Kommission am 10. März 1952 ein
zweites Schreiben an den Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission, in dem
sie ihre Forderung aus dem ersten Schreiben wiederholte. Die Kommission hat keine
Antwort auf ihr zweites Schreiben erhalten.
64. Nachdem die Kommission eine Reihe identischer Memoranden über die von ihr
als notwendig erachteten Vorkehrungen, die ihr die Durchführung ihrer Arbeit
ermöglichen, ausgearbeitet und beschlossen hatte, diese den deutschen Behörden, die
sich zu einem Treffen mit ihr bereit erklärten, vorzulegen, verließ die Kommission am
15. März 1952 Genf in Richtung Deutschland. Die Kommission hielt sich vom 16. bis
23. März in Deutschland auf. In diesem Zeitraum konnte sie mit den folgenden
Behörden zufriedenstellende Vereinbarungen über die für ihre Arbeit erforderlichen
Vereinbarungen treffen: ( a ) der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland ; ( b )
der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ; ( c ) der interalliierten Komman-
dantur in Berlin (soweit sich die Befugnisse dieses Gremiums auf die Gebiete Berlins
erstrecken, über die der französische, der britische und der amerikanische Befehls-
haber in Berlin die Kontrolle ausüben) ; und ( d ) der Regierung der Westsektoren
Berlins.
65. Nach ihrer Rückkehr nach Genf richtete die Kommission am 26. März 1952 ein
drittes Schreiben und am 9. April ein viertes Schreiben an den Vorsitzenden der
sowjetischen Kontrollkommission für Deutschland. In ihrem letzten Schreiben
erklärte die Kommission, daß sie es begrüßen würde, wenn sie schnellstmöglich, auf
jeden Fall aber vor dem 27. April, eine Antwort erhalten würde.
66. Die Kommission beschloss am 9. April 1952, unter Berücksichtigung der ihr in
Absatz 4 Buchstabe ( a ) der Resolution 510 (VI) der Generalversammlung erteilten
Weisung, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen in Kürze über die Ergebnisse
ihrer Bemühungen zu berichten, die sie unternommen hat, um mit allen betroffenen
Parteien die von ihr zur Durchführung ihrer Arbeit als notwendig erachteten
Vereinbarungen zu treffen. Sie war der Ansicht, daß ihr Bericht möglichst bis Ende
April vorgelegt werden sollte. Da die Kommission bis zum 27. April auf keines ihrer
98 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

vier Schreiben an die Sowjetische Kontrollkommission eine Antwort erhalten hatte,


beschloss sie am 28. April mit der Ausarbeitung und Vorlage des vorliegenden Berichts
fortzufahren.
67. Während die Kommission ihre vorläufige Arbeit in der Bundesrepublik
Deutschland und in den Westsektoren Berlins erfolgreich durchführen konnte, ist es
ihr bisher nicht gelungen, mit den Behörden in der Sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands und im Ostsektor Berlins nicht einmal auf dem Korrespondenzweg
wechselseitige Kontakte herzustellen. Die Kommission war daher bisher nicht in der
Lage, mit den betreffenden Behörden in der sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands und im Ostsektor Berlins die Vereinbarungen zu treffen, die sie für
notwendig erachtet, um sie in die Lage zu versetzen, ihre Arbeit in Übereinstimmung
mit ihrem Auftrag durchzuführen. In Anbetracht der vier vergeblichen Versuche die
sowjetische Kontrollkommission für Deutschland zu ersuchen, sie bei der Erfüllung
ihrer Aufgaben zu unterstützen, muss die Kommission zu ihrem Bedauern feststellen,
daß derzeit kaum Aussichten bestehen, daß sie ihre Aufgabe erfüllen kann.
68. In Anbetracht der Tatsache, daß Absatz 4 Buchstabe ( c ) der Resolution
510 (VI) der Generalversammlung „die Kommission, sofern sie nicht in der Lage ist,
diese Vorkehrungen sofort zu treffen, anweist, einen weiteren Versuch zu
unternehmen, ihre Aufgabe zu einem Zeitpunkt zu erfüllen, zu dem sie sich
vergewissert hat, daß die deutschen Behörden in der Bundesrepublik, in Berlin und in
der sowjetischen Besatzungszone die Kommission anerkennen werden, da es
wünschenswert ist, die Tür für die Kommission offen zu lassen, damit sie ihre Aufgabe
erfüllen kann“, steht die Kommission den Vereinten Nationen und den betroffenen
Parteien weiterhin zur Verfügung und wird einen weiteren Versuch unternehmen, ihr
Mandat zu dem Zeitpunkt zu erfüllen, zu dem es der Kommission wahrscheinlich
erscheint, daß neue Schritte zu positiven Ergebnissen führen könnten.
69. Die folgenden vier Vertreter der Kommission, deren Unterschriften unten
angefügt sind, haben den Bericht auf der einundzwanzigsten Sitzung der Kommission
am 30. April 1952 im Palais des Nations in Genf einstimmig angenommen.

(Unterzeichnet) Brasilien A. MENDES VIANNA


Island K. ALBERTSON
Niederlande M. KOHNSTAMM
Pakistan A. H. ABBASI
__________

Schreiben der amerikanischen, britischen und französischen Hohen


Kommissare an Bundeskanzler Adenauer, über die Hilfe für Berlin, 26. Mai
1952 1
Wie wir Ihnen bereits bei unseren Beratungen über die heute unterzeichneten
Abkommen zwischen den Drei Mächten und der Bundesrepublik mitgeteilt haben,
wird der am 12. Mai 1949 von den Militärgouverneuren gemachte Vorbehalt zu den
Artikeln 23 und 144 Absatz 2 des Grundgesetzes aufgrund der internationalen Lage
von den Drei Mächten bei der Ausübung ihres Rechts in bezug auf Berlin nach
Inkrafttreten dieser Abkommen formell aufrechterhalten.
Die Drei Mächte möchten in diesem Zusammenhang erklären, daß sie sich
gleichwohl der Notwendigkeit einer Hilfeleistung der Bundesrepublik für Berlin und

1 Senatsausschüsse Q und R, 82. Kongress, 2. Sitzung, S. 154.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 99

der Vorteile bewußt sind, die sich aus einer ähnlichen Politik Berlins wie der des
Bundes ergeben.
Aus diesem Grunde haben sie beschlossen, ihr Recht in bezug auf Berlin in einer
Weise auszuüben, die es der Bundesrepublik erleichtert, ihre dem Abkommen über die
Beziehungen zwischen den drei Mächten und der Bundesrepublik beigefügte
Erklärung zu erfüllen, und die es den Bundesbehörden ermöglicht, die Vertretung
Berlins und der Berliner Bevölkerung außerhalb Berlins sicherzustellen.
Ebenso werden sie keine Einwände haben, wenn Berlin nach einem geeigneten, von
der Alliierten Kommandantur genehmigten Verfahren dieselbe Gesetzgebung wie die
Bundesrepublik erlässt, insbesondere in den Bereichen Währung, Kredit und Devisen,
Staatsangehörigkeit, Pässe, Auswanderung und Einwanderung, Auslieferung,
Vereinheitlichung des Zoll- und Handelsgebietes, Handels- und Schifffahrts-
abkommen, freier Warenverkehr sowie Außenhandels- und Zahlungsregelung.
Im Hinblick auf die Erklärung der Bundesrepublik über die materielle Hilfe für
Berlin und die Belastung des Bundeshaushalts mit den Besatzungskosten der Drei
Mächte in Berlin gemäß den Bestimmungen der bestehenden Gesetzgebung werden
die Drei Mächte bereit sein, sich mit der Bundesregierung zu beraten, bevor sie ihre
Budgets für die Besatzungskosten Berlins aufstellen. Es ist ihre Absicht, diese Kosten
auf dem niedrigstmöglichen Niveau festzusetzen, das mit der Aufrechterhaltung der
Sicherheit Berlins und der dort befindlichen alliierten Streitkräfte vereinbar ist.
__________

Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Hilfe für Berlin, 26. Mai
1952 1
In Anbetracht der besonderen Rolle, die Berlin für die Selbsterhaltung der freien
Welt gespielt hat und in Zukunft spielen wird, im Bewußtsein der Beziehungen, die
die Bundesrepublik mit Berlin verbinden, und motiviert durch den Wunsch, die
Stellung Berlins auf allen Gebieten zu stärken und zu festigen, insbesondere eine
Verbesserung der Wirtschafts- und Finanzlage Berlins einschließlich seiner
Produktionskapazität und seines Beschäftigungsniveaus im Rahmen des Möglichen
herbeizuführen, verpflichtet sich die Bundesrepublik :
( a ) ihrerseits alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die
Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Haushalts in Berlin durch geeignete
Unterstützung zu gewährleisten ;
( b ) geeignete Maßnahmen zur gerechten Behandlung Berlins bei der
Kontrolle und Zuteilung von Mangelwaren zu treffen ;
( c ) geeignete Maßnahmen zu treffen, um Berlin in angemessenem Verhältnis
zu den in Berlin vorhandenen unausgeschöpften industriellen Ressourcen an
den Hilfen, die die Bundesrepublik von außen erhält, zu beteiligen ;
( d ) die Entwicklung des Außenhandels Berlins zu fördern, Berlin in allen
handelspolitischen Fragen nach Möglichkeit zu bevorzugen und Berlin im
Rahmen der Möglichkeiten und mit Rücksicht auf die Beteiligung Berlins an der
Devisenbewirtschaftung der Bundesrepublik mit den erforderlichen Devisen zu
versorgen ;

1 Ebenda, S. 14–15.
100 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

( e ) ihrerseits alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Stadt im


Währungsgebiet der Deutschen Mark West verbleibt und eine ausreichende
Geldversorgung in der Stadt aufrechterhalten wird ;
( f ) dazu beizutragen, daß in Berlin ein ausreichender Bestand an Vorräten
für Notfälle aufrechterhalten wird ;
( g ) sich nach besten Kräften für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des
Handels und der Kommunikations- und Verkehrseinrichtungen zwischen Berlin
und dem Bundesgebiet einzusetzen und nach Maßgabe der ihr zur Verfügung
stehenden Mittel an deren Sicherung oder Wiederherstellung mitzuwirken ;
( h ) die Einbeziehung Berlins in die von der Bundesrepublik abgeschlossenen
internationalen Abkommen zu erleichtern, soweit die Art der betreffenden
Abkommen dem nicht entgegensteht.
__________

Erklärung der Alliierten (West-) Kommandantur über Berlin, 26. Mai 1952 1
In Anbetracht der neuen Beziehungen zwischen Frankreich, dem Vereinigten
Königreich von Großbritannien und Nordirland, den Vereinigten Staaten von Amerika
und der Bundesrepublik Deutschland und in dem Wunsch, den Berliner Behörden ein
Höchstmaß an Freiheit zu gewähren, das mit der besonderen Lage Berlins vereinbar
ist,
gibt die Alliierte Kommandantur diese Erklärung ab :
I
Berlin übt alle Rechte, Befugnisse und Verantwortlichkeiten aus, die in seiner 1950
angenommenen Verfassung festgelegt sind, vorbehaltlich der von der Alliierten
Kommandantur am 29. August 1950 gemachten Einschränkungen und der
nachstehenden Bestimmungen.
II.
Die alliierten Behörden behalten sich das Recht vor, wenn sie es für notwendig
erachten, die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erfüllung ihrer internationalen
Verpflichtungen, zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und zur
Aufrechterhaltung des Status und der Sicherheit Berlins sowie seiner Wirtschaft,
seines Handels und seiner Kommunikation erforderlich sind.
III
Die alliierten Behörden werden in der Regel nur in den folgenden Bereichen
Befugnisse ausüben:
( a ) Sicherheit, Interessen und Immunitäten der alliierten Streitkräfte,
einschließlich ihrer Vertreter, Angehörigen und nichtdeutschen Bediensteten.
Deutsche Bedienstete der Alliierten Streitkräfte genießen Immunität von der
deutschen Gerichtsbarkeit nur in Angelegenheiten, die sich aus der Erfüllung
von Aufgaben oder Diensten bei den Alliierten Streitkräften ergeben oder damit
zusammenhängen ;
( b ) Abrüstung und Entmilitarisierung, einschließlich der damit
zusammenhängenden Bereiche der wissenschaftlichen Forschung, der
Zivilluftfahrt und der damit zusammenhängenden Verbote und
Beschränkungen für die Industrie ;
( c ) Beziehungen Berlins zu ausländischen Behörden. Die Alliierte
Kommandantur wird jedoch den Berliner Behörden gestatten, die Vertretung

1 Amerikanische Außenpolitik, 1950–1955, Bd. II, S. 1740–1742.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 101

der Interessen Berlins und seiner Einwohner im Ausland durch geeignete


Vorkehrungen zu gewährleisten ;
( d ) Befriedigung der Besatzungskosten. Diese Kosten werden nach
Rücksprache mit den zuständigen deutschen Behörden und auf dem niedrigsten
Niveau festgelegt, das mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit Berlins und der
dort stationierten alliierten Streitkräfte vereinbar ist ;
( e ) Befugnis über die Berliner Polizei, soweit dies zur Gewährleistung der
Sicherheit Berlins erforderlich ist.
IV
Die Alliierte Kommandantur wird vorbehaltlich der Artikel I und II dieser
Erklärung keine Einwände dagegen erheben, daß Berlin im Rahmen eines geeigneten,
von der Alliierten Kommandantur genehmigten Verfahrens die gleichen
Rechtsvorschriften wie die Bundesrepublik erläßt, insbesondere in den Bereichen
Währung, Kredit und Devisen, Staatsangehörigkeit, Pässe, Auswanderung und
Einwanderung, Auslieferung, Vereinheitlichung des Zoll- und Handelsgebiets,
Handels- und Schiffahrtsabkommen, freier Warenverkehr sowie
Außenwirtschaftsverkehr und Zahlungsausgleich.
V
In den folgenden Bereichen :
( a ) Restitution, Wiedergutmachung, Entflechtung, Dekonzentration,
ausländische Interessen in Berlin, Ansprüche gegen Berlin oder seine Bewohner,
( b ) Vertriebene und die Aufnahme von Flüchtlingen,
( c ) die Kontrolle über die Betreuung und Behandlung der von alliierten
Gerichten und Tribunalen angeklagten oder verurteilten Personen in deutschen
Gefängnissen, über die Vollstreckung der gegen sie verhängten Strafen und über
Fragen der Amnestie, Begnadigung oder Freilassung in Bezug auf diese
Personen,
werden die alliierten Behörden in Zukunft nur insoweit eingreifen, als dies mit den
Grundsätzen, die die Grundlage der neuen Beziehungen zwischen Frankreich, dem
Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten einerseits und der
Bundesrepublik Deutschland andererseits bilden, oder mit der in Berlin geltenden
alliierten Gesetzgebung vereinbar ist, oder wenn die Berliner Behörden in
Widerspruch dazu handeln.
VI
Alle Rechtsvorschriften der alliierten Behörden bleiben in Kraft, bis sie aufgehoben,
geändert oder ihrer Rechtswirkung beraubt werden.
Die alliierten Behörden werden alle Rechtsvorschriften aufheben, ändern oder ihrer
Rechtswirkung berauben, die sie im Lichte dieser Erklärung für nicht mehr
angemessen halten.
Die Rechtsvorschriften der alliierten Behörden können auch durch Berliner
Rechtsvorschriften aufgehoben oder geändert werden; diese Aufhebung oder Änderung
bedarf jedoch bedarf jedoch vor ihrem Inkrafttreten der Zustimmung der alliierten
Behörden.
VII
Die Berliner Gesetzgebung tritt in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der
Berliner Verfassung in Kraft. Im Falle der Unvereinbarkeit mit der alliierten
Gesetzgebung, mit anderen Maßnahmen der alliierten Behörden oder mit den Rechten
102 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

der alliierten Behörden aus dieser Erklärung wird die Berliner Gesetzgebung von der
Alliierten Kommandantur aufgehoben oder für nichtig erklärt.
VIII
Um ihren Verpflichtungen aus dieser Erklärung nachkommen zu können, haben die
alliierten Behörden das Recht, die von ihnen für notwendig erachteten Informationen
und Statistiken anzufordern und einzuholen.
IX
Die Alliierte Kommandantur wird die Bestimmungen dieser Erklärung ändern,
wenn es die Lage in Berlin erlaubt.
X
Mit dem Inkrafttreten dieser Erklärung wird die Grundsatzerklärung über die
Beziehungen zwischen der Alliierten Kommandantur und Groß-Berlin vom 14. Mai
1949, geändert durch die Erste Revisionsurkunde vom 7. März 1951, aufgehoben.
__________

Westliche Erklärung über Deutschland, die Europäische Verteidigungs-


gemeinschaft und Berlin, 27. Mai 1952 1
Die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika haben mit der Bundesrepublik
Deutschland Abkommen unterzeichnet, die ein neues Verhältnis zu diesem Land
begründen werden. Diese Übereinkommen sowie die Verträge über die Europäische
Verteidigungsgemeinschaft und die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl,
die Frankreich unterzeichnet hat, bilden eine neue Grundlage für die Einigung
Europas und für die Verwirklichung der Partnerschaft Deutschlands in der
Europäischen Gemeinschaft. Sie sollen das Wiederaufleben früherer Spannungen und
Konflikte zwischen den freien Nationen Europas und ein künftiges Wiederaufleben
eines aggressiven Militarismus verhindern. Sie ermöglichen die Aufhebung der
besonderen Beschränkungen, die der Bundesrepublik Deutschland bisher auferlegt
waren, und erlauben ihre Beteiligung als gleichberechtigter Partner an der westlichen
Verteidigung.
Diese Konventionen und Verträge entsprechen dem Wunsch, mit vereinten Kräften
für den Wohlstand und die Sicherheit Westeuropas zu sorgen. Die Regierungen des
Vereinigten Koenigreichs und der Vereinigten Staaten sind der Auffassung, daß die
Errichtung und Entwicklung dieser Institutionen der Europäischen Gemeinschaft
ihren eigenen grundlegenden Interessen entspricht, und werden ihnen daher jede
mögliche Zusammenarbeit und Unterstützung zukommen lassen.
Darüber hinaus ist die Westliche Verteidigung ein gemeinsames Unternehmen, bei
dem die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten durch
ihre Mitgliedschaft in der Organisation des Nordatlantikvertrags bereits Partner sind.
Diese Bindungen werden heute durch das System gegenseitiger Garantien
verstärkt, das zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft, zwischen diesen Mitgliedstaaten und dem Vereinigten
Königreich sowie zwischen diesen Mitgliedstaaten und den Mitgliedstaaten der
Organisation des Nordatlantikvertrags vereinbart wurde.

1 Ebenda, Bd. I, S. 1197–1198.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 103

Aus diesen verschiedenen Gründen, einschließlich der Tatsache, daß diese neuen
Garantien für die betreffenden Staaten nur als Mitglieder der einen oder anderen
Organisation gelten werden, haben die Regierungen des Vereinigten Königreichs und
der Vereinigten Staaten ebenso wie die Regierung Frankreichs ein bleibendes
Interesse an der Wirksamkeit des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft und an der Stärke und Integrität dieser Gemeinschaft.
Daher werden die beiden Regierungen jede Maßnahme, die die Integrität oder Einheit
der Gemeinschaft bedroht, als eine Bedrohung ihrer eigenen Sicherheit betrachten. Sie
werden im Einklang mit Artikel 4 des Nordatlantikvertrags handeln. Darüber hinaus
haben beide Regierungen ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, unter
Berücksichtigung ihrer Verpflichtungen aus dem Nordatlantikvertrag, ihres
Interesses an der Integrität der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und ihrer
besonderen Verantwortung in Deutschland jene Streitkräfte auf dem europäischen
Kontinent, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, zu stationieren, die sie als
notwendig und angemessen erachten, um zur gemeinsamen Verteidigung des
Nordatlantikvertragsgebiets beizutragen.
Die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins und die Aufrechterhaltung der Stellung
der drei Mächte dort werden von den drei Mächten als wesentliche Elemente des
Friedens der freien Welt in der gegenwärtigen internationalen Lage angesehen.
Dementsprechend werden sie bewaffnete Kräfte auf dem Territorium Berlins
aufrechterhalten, solange ihre Verantwortung dies erfordert. Sie bekräftigen daher,
daß sie jeden Angriff auf Berlin, von welcher Seite auch immer, als Angriff auf ihre
Streitkräfte und sich selbst betrachten werden.
Diese neuen Sicherheitsgarantien ersetzen die Zusicherungen, die in der Erklärung
der Außenminister Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten
Staaten vom 19. September 1950 in New York enthalten sind.
__________

Zweiter Bericht der Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung


der Bedingungen für freie Wahlen in Deutschland, 5. August 1952 1
1. Gemäß dem Auftrag der Generalversammlung der Vereinten Nationen legt die
Kommission der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Bedingungen für freie
Wahlen in Deutschland dem Generalsekretär den vorliegenden Bericht über ihre
Arbeit im Zeitraum von Mai bis August 1952 vor.
2. Gemäß der ihr in Absatz 4 Buchstabe ( a ) der Resolution der
Generalversammlung vom 20. Dezember 1951 (Resolution 510 (VI) ) zum
Tagesordnungspunkt „Einsetzung einer unparteiischen internationalen Kommission
unter Aufsicht der Vereinten Nationen, die eine zeitgleiche Untersuchung in der
Bundesrepublik Deutschland, in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone in
Deutschland durchführt, um festzustellen, ob die dort herrschenden Bedingungen die
Abhaltung wirklich freier Wahlen in diesen Gebieten ermöglichen“ erteilten Weisung,
legte die Kommission am 1. Mai 1952 [30. April] ihren Bericht über die Ergebnisse
ihrer Bemühungen vor, mit allen betroffenen Parteien die erforderlichen
Vereinbarungen zu treffen, damit sie ihre Arbeit im Sinne der genannten Resolution
durchführen kann.

1 Ebenda, Band II, S. 1814-1819. Auszüge des ersten Berichts (30. April 1952) sind oben abgedruckt.
104 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

3. Dieser erste Bericht der Kommission enthielt eine Darstellung ihrer Tätigkeit
ab dem 11. Februar 1952, dem Tag, an dem die Kommission zum ersten Mal
zusammentrat und sich selbst organisierte, bis zum 30. April 1952, dem Tag, an dem
die Kommission sich verpflichtet sah, ihren ersten Bericht vorzulegen, nachdem sie in
dieser Zeit alle angemessenen Anstrengungen unternommen hatte, um mit allen
Beteiligten die zur Durchführung ihrer Arbeit erforderlichen Vorkehrungen zu treffen.
4. Der vorliegende Bericht, der den ersten Bericht ergänzt und gewissermaßen ein
Postskriptum zu diesem darstellt, enthält einen kurzen Bericht über die Arbeit der
Kommission in den drei Monaten nach der Vorlage des ersten Berichts, einschließlich
einer kurzen Zusammenfassung der Ansichten der Kommission in Bezug auf die
Entwicklung der Lage in Deutschland, soweit sie für die spezifische Aufgabe, die die
Kommission zu erfüllen hatte, als relevant angesehen wurde.
5. Der Bericht wird gemäß der an die Kommission gerichteten Weisung in Absatz
4 Buchstabe ( d ) der Resolution 510 (VI) der Generalversammlung vorgelegt, der „die
Kommission in jedem Fall anweist, dem Generalsekretär spätestens am 1. September
1952 über die Ergebnisse ihrer Tätigkeit, zur Prüfung durch die vier Mächte und zur
Unterrichtung der anderen Mitglieder der Vereinten Nationen, Bericht zu erstatten“.
6. Auf ihrer 24. Sitzung am 31. Juli 1952 in Genf beschloss die Kommission, daß
der Abschlussbericht, den sie gemäß Absatz 4 Buchstabe ( d ) der oben genannten
Resolution vorzulegen hatte, nicht weiter aufgeschoben werden sollte, da ihrer Ansicht
nach zu diesem Zeitpunkt kaum noch die Möglichkeit bestand, daß sie ihre Aufgabe
der zeitgleichen Untersuchung der Bedingungen für freie Wahlen in ganz Deutschland
wahrnehmen konnte. Während der drei Monate in denen die Kommission, unter nicht
geringen Opfern für die betroffenen Mitgliedsregierungen, in ständiger Sitzung und
bereit, jederzeit tätig zu werden, wenn dies möglich oder durchführbar erschien, in
Genf bleiben musste, wurde immer deutlicher, daß die auf der sechsten Tagung der
Generalversammlung von den Vertretern der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken und der deutschen Behörden in der Sowjetzone Deutschlands
gezeigte mangelnde Bereitschaft, mit der Kommission zusammenzuarbeiten und sie
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, unvermindert anhält.
7. Es sei daran erinnert, daß die Kommission in ihrem ersten Bericht den
damaligen Standpunkt in den Ziffern 67 und 68 dargelegt hat, die der Einfachheit
halber im Folgenden wiedergegeben werden :
„Während die Kommission ihre vorläufige Arbeit in der Bundesrepublik
Deutschland und in den Westsektoren Berlins erfolgreich durchführen konnte,
ist es ihr bisher nicht gelungen, mit den Behörden in der Sowjetischen
Besatzungszone Deutschlands und im Ostsektor Berlins nicht einmal auf dem
Korrespondenzweg wechselseitige Kontakte herzustellen. Die Kommission war
daher bisher nicht in der Lage, mit den betreffenden Behörden in der
sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Ostsektor Berlins die
Vereinbarungen zu treffen, die sie für notwendig erachtet, um sie in die Lage zu
versetzen, ihre Arbeit in Übereinstimmung mit ihrem Auftrag durchzuführen.
In Anbetracht der vier vergeblichen Versuche die sowjetische
Kontrollkommission für Deutschland zu ersuchen, sie bei der Erfüllung ihrer
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 105

Aufgaben zu unterstützen, muss die Kommission zu ihrem Bedauern feststellen,


daß derzeit kaum Aussichten bestehen, daß sie ihre Aufgabe erfüllen kann.
„In Anbetracht der Tatsache, daß Absatz 4 Buchstabe ( c ) der Resolution
510 (VI) der Generalversammlung „die Kommission, sofern sie nicht in der Lage
ist, diese Vorkehrungen sofort zu treffen, anweist, einen weiteren Versuch zu
unternehmen, ihre Aufgabe zu einem Zeitpunkt zu erfüllen, zu dem sie sich
vergewissert hat, daß die deutschen Behörden in der Bundesrepublik, in Berlin
und in der sowjetischen Besatzungszone die Kommission anerkennen werden,
da es wünschenswert ist, die Tür für die Kommission offen zu lassen, damit sie
ihre Aufgabe erfüllen kann“, steht die Kommission den Vereinten Nationen und
den betroffenen Parteien weiterhin zur Verfügung und wird einen weiteren
Versuch unternehmen, ihr Mandat zu dem Zeitpunkt zu erfüllen, zu dem es der
Kommission wahrscheinlich erscheint, daß neue Schritte zu positiven
Ergebnissen führen könnten.“
8. Die Kommission hatte, während des gesamten Zeitraums, in dem sie nach
Vorlage ihres ersten Berichts in Genf tagen musste, um sich um die Umsetzung der
ihr in den Abschnitten 4 ( c ) und 4 ( b ) der Resolution 510 (VI) der General-
versammlung erteilten Weisungen, sofern machbar, zu bemühen, gehofft, daß sowohl
die Behörden der UdSSR als auch die deutschen Behörden in der Sowjetischen
Besatzungszone Deutschlands schließlich den Weg zur Zusammenarbeit mit der
Kommission, einem unparteiischen, internationalen, von den Vereinten Nationen mit
der positiven Unterstützung von fünfundvierzig ihrer sechzig Mitglieder
eingerichteten Gremium, das bereits von den Behörden, die den weitaus größten Teil
des deutschen Volkes vertreten, jede Zusicherung der Zusammenarbeit erhalten hatte,
ebnen würden. Die Kommission hegte diese Hoffnung, weil sie der Auffassung war,
daß die Behörden der UdSSR sowie die deutschen Behörden in der Sowjetischen
Besatzungszone Deutschlands ebenso an einer friedlichen Lösung der deutschen Frage
durch die Bildung einer frei gewählten gesamtdeutschen Regierung, mit der die vier
Besatzungsmächte über einen Friedensvertrag verhandeln konnten, interessiert
waren, wie die drei Westmächte und die Behörden in der Bundesrepublik Deutschland
und den Westsektoren Berlins. Es schien der Kommission klar zu sein, daß die vier
Besatzungsmächte darin übereinstimmten, daß eine wesentliche Vorbedingung für die
Bildung einer gesamtdeutschen Regierung darin bestand, daß diese auf der Grundlage
freier Wahlen gebildet werden sollte, und daß ferner vor der Bildung einer solchen
Regierung eine Untersuchung durch eine unparteiische Stelle erforderlich war, um
festzustellen, inwieweit die vorhandenen Bedingungen die Möglichkeit wirklich freier
Wahlen in ganz Deutschland zuließen. Die Kommission, die eine rasche und gerechte
Lösung der deutschen Frage anstrebte, hoffte, daß die Regierung der UdSSR
letztendlich überzeugt werden würde, einem Gremium zu vertrauen, das von einer
überwältigenden Mehrheit ihrer Kollegen in den Vereinten Nationen eingesetzt
worden war.
9. In der Zeit zwischen der Vorlage ihres ersten Berichts und dem Zeitpunkt, zu
dem sie einen weiteren Versuch zur Erfüllung ihrer Aufgabe unternehmen konnte, war
die Kommission der Ansicht, daß sie sich hinreichend sicher sein musste, daß ein
weiterer Versuch, egal wann er unternommen wird, Aussicht auf Erfolg haben würde.
Die Kommission war daher zwangsläufig darauf bedacht, die Entwicklungen in
Deutschland, die sich aus dem Austausch von Mitteilungen zwischen der UdSSR auf
der einen Seite und Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten
106 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Staaten von Amerika auf der anderen Seite ergaben, sowie die bedeutenden
Entwicklungen in Deutschland selbst genau zu betrachten.
10. Die Reihe der zwischen der UdSSR und den drei Westmächten ausgetauschten
Mitteilungen über die deutsche Frage begann bekanntlich mit einer Mitteilung der
UdSSR vom 10. März 1952, als die Kommission bereits einen Monat lang bestand und
ihre Arbeit aufgenommen hatte. Als die Kommission am 1. Mai 1952 ihren ersten
Bericht vorlegte, hatte die UdSSR zwei Mitteilungen an die drei Westmächte gerichtet
(am 10. März bzw. 9. April), und die drei Westmächte hatten am 25. März auf die erste
sowjetische Mitteilung geantwortet. Zwischen dem 1. Mai und dem 5. August 1952,
dem Datum, an dem der vorliegende Bericht von der Kommission angenommen wurde,
wurden drei weitere Mitteilungen zwischen den vier Besatzungsmächten
ausgetauscht. In keiner der sechs Mitteilungen konnte die Kommission eine wie auch
immer geartete Vereinbarung zwischen der UdSSR und den drei Westmächten
bezüglich der Inanspruchnahme der Kommission zur Durchführung einer
Untersuchung in ganz Deutschland, um festzustellen, ob die dort herrschenden
Bedingungen die Abhaltung wirklich freier Wahlen in diesem Land ermöglichen,
erkennen. Durch den Austausch der Reihe an Mitteilungen wurde Folgendes noch
deutlicher : ( 1 ) daß die drei Westmächte zwar weiterhin mehr oder weniger
nachdrücklich an ihrer Bevorzugung der gegenwärtigen Kommission der Vereinten
Nationen festhalten, jedoch gleichzeitig bereit sind, „jeden anderen praktischen und
präzisen Vorschlag für eine unparteiische Untersuchungskommission zu prüfen, den
die sowjetische Regierung vorlegen möchte, unter der einen Bedingung, daß er
geeignet ist, die baldige Abhaltung von freien Wahlen in ganz Deutschland zu fördern“
und ( 2 ) daß die UdSSR, die weiterhin an ihrer Ablehnung der Zuständigkeit der
Vereinten Nationen für die Behandlung der deutschen Frage festhält, eine
Untersuchung durch die derzeitige Kommission ablehnt, während sie mit einer
Untersuchung durch eine andere unparteiische Kommission, die von den vier
Besatzungsmächten Deutschlands gebildet wird, einverstanden ist.
11. Die Kommission möchte an dieser Stelle einige Bemerkungen machen.
Einerseits leitet die Kommission ihr Mandat ausschließlich von der
Generalversammlung der Vereinten Nationen ab, andererseits ist sie bei der
Ausführung ihres Mandats vollständig von der Bereitschaft aller betroffenen Parteien
zur uneingeschränkten Zusammenarbeit abhängig. Sie war bisher nicht in der Lage,
diese Zusammenarbeit mit den Behörden in der sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands zu erreichen, und sie sah zum Zeitpunkt der Annahme des vorliegenden
Berichts wenig Aussichten dies in naher Zukunft zu schaffen. Die Kommission ist als
Organ der Vereinten Nationen vor allem an einer baldigen, gerechten und friedlichen
Lösung der deutschen Frage interessiert, unabhängig davon, ob die Schritte, die zu
einer solchen Lösung beitragen, unter der Federführung der Vereinten Nationen
ausgearbeitet werden oder nicht. Die Kommission ist zuversichtlich, daß die Vereinten
Nationen jederzeit bereit sein werden, jedes Ersuchen um ihre Unterstützung bei der
Suche nach einer friedlichen Lösung dieser Frage zu beachten. Die Kommission
möchte, da sie dies so sieht, nicht begehren zu behaupten, daß sie allein das einzige
unparteiische Mittel zur Untersuchung der bestehenden Bedingungen in ganz
Deutschland darstellt. Die Kommission würde ihre Existenz und ihre bisherige Arbeit
als gerechtfertigt und ihren Auftrag im Wesentlichen als erfüllt betrachten, wenn
durch Vereinbarung zwischen den vier Besatzungsmächten ein anderes, ebenso
unparteiisches Gremium geschaffen würde, das die wesentlichen Teile des Mandats
der gegenwärtigen Kommission der Vereinten Nationen ausführen könnte und würde.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 107

12. Abgesehen von der Beurteilung der sich aus dem Austausch der Mitteilungen
zwischen der UdSSR und den drei Westmächten ergebenden Lage, hat die Kommission
auch mit Besorgnis die Berichte über die innere Entwicklung in Deutschland verfolgt.
Diese lassen die Kommission nicht darauf hoffen, daß die deutschen Behörden in der
Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands bei der Erfüllung ihrer Aufgabe mit ihr
zusammenarbeiten werden.
13. Auf ihrer 23. Sitzung am 11. Juli hielt es die Kommission für angebracht, die
Antwort der UdSSR auf die Mitteilung der drei Westmächte vom 10. Juli abzuwarten,
bevor sie eine Entscheidung über die Vorlage des vorliegenden Berichts trifft und ihre
Sitzung auf unbestimmte Zeit vertagt. Nach längerem Überlegen kam sie jedoch zu
dem Schluss, daß, wenn die Ereignisse der Vergangenheit einen Hinweis auf die
Zukunft geben, es kaum Aussicht darauf gibt, daß sie in der Lage sein wird, ihre
Aufgabe über das hinaus zu erfüllen, was sie in der Anfangsphase ihrer Tätigkeit tun
konnte. Auf ihrer 24. Sitzung am 31. Juli beschloss die Kommission daher, ihren
Abschlussbericht vorzulegen und ihre Sitzung auf unbestimmte Zeit zu vertagen,
wobei sie jedoch ihren Sitz und ihr Sekretariat im Palais des Nations in Genf bis zum
Ablauf ihres Mandats beibehalten wolle. Mit der Vertagung ihrer Sitzung auf
unbestimmte Zeit hat die Kommission ihren Vertretern die Möglichkeit gegeben, ihren
Dienst bei ihren jeweiligen Regierungen wieder aufzunehmen. Die Kommission, als
Gremium, möchte jedoch erneut betonen, daß sie, unter Einhaltung der Resolution,
der Generalversammlung, den Vereinten Nationen und allen betroffenen Parteien
weiterhin zur Verfügung stehen wird, um ihre Aufgabe zu erfüllen, solange das ihr
erteilte Mandat in Kraft ist und sobald es der Kommission wahrscheinlich erscheint,
daß sie dies mit Aussicht auf positive Ergebnisse tun kann.
14. Die folgenden vier Vertreter der Kommission, deren Unterschriften unten
angefügt sind, haben den Bericht auf der fünfundzwanzigsten Sitzung der Kommission
am 5. August 1952 im Palais des Nations in Genf einstimmig angenommen.
Unterzeichnet : Brasilien A. MENDES VIANNA
Island KRISTJÁN ALBERTSON
Niederlande M. KOHNSTAMM
Pakistan A. H. ABBASI
__________

Kommuniqué von Präsident Eisenhower und Bundeskanzler Adenauer über


Deutschland und die europäische Sicherheit, 9. April 1953 1
Der Präsident der Vereinigten Staaten, der Außenminister und andere Mitglieder
des Kabinetts sind in den vergangenen drei Tagen mit dem Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland zusammengetroffen und haben einen umfassenden und
offenen Meinungsaustausch über die Weltlage im Allgemeinen und die Amerikanisch-
Deutschen Beziehungen im Besonderen geführt. Die Gespräche fanden im Geiste der
Freundschaft und Zusammenarbeit statt und offenbarten eine weitgehende
Übereinstimmung der Ansichten und Ziele.
Der Bundespräsident und der Bundeskanzler erörterten die Auswirkungen, die die
jüngsten Entwicklungen in der sowjetischen Sphäre auf den Ost-West-Konflikt haben
könnten. Sie waren sich darin einig, daß die freien Nationen des Westens weder in
ihrer Wachsamkeit noch in ihren Bemühungen um mehr Einheit und gemeinsame
Stärke nachlassen dürfen, auch wenn keine Gelegenheit ausgelassen werden sollte,

1 Ebenda, S. 1729–1732.
108 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

eine allgemeine Entspannung herbeizuführen. Sie waren sich ferner darin einig, daß
die sowjetischen Machthaber, wenn sie wirklich Frieden und Zusammenarbeit
zwischen allen Nationen anstreben, keinen besseren Beweis ihres guten Willens
erbringen könnten als durch die Zulassung wirklich freier Wahlen in der sowjetisch
besetzten Zone Deutschlands und durch die Freilassung der Hunderttausenden von
deutschen deportierten Zivilisten und Kriegsgefangenen, die sich noch in sowjetischer
Hand befinden. Sie erklärten ferner ihre gemeinsame Überzeugung, daß es keine
dauerhafte Lösung des deutschen Problems ohne eine Wiedervereinigung
Deutschlands mit friedlichen Mitteln und auf einer freien und demokratischen
Grundlage geben kann. Die Erreichung dieses Ziels erfordert anhaltende gemeinsame
Anstrengungen der Unterzeichner der im vergangenen Jahr in Bonn getroffenen
vertraglichen Vereinbarungen.
Es herrschte Einmütigkeit in der Überzeugung, daß alle Beteiligten durch eine
baldige Ratifizierung des Vertrages zur Gründung einer Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft unbeirrt auf die Europäische Einigung hinarbeiten sollten.
Die Verwirklichung dieses Ziels wird mit der Herstellung der Deutschen
Unabhängigkeit und Souveränität im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen
einhergehen. Der Bundeskanzler erklärte, die Bundesrepublik Deutschland sei bereit
und willens, auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Partnerschaft mit allen
freien Nationen des Westens bei der Stärkung der Verteidigung der freien Welt
zusammenzuarbeiten. Dem Bundeskanzler wurde zugesichert, daß die Vereinigten
Staaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft militärische Ausrüstung liefern
werden, um die Ausrüstung der deutschen Kontingente zu unterstützen, sobald der
Vertrag ratifiziert ist.
Das Saarproblem wurde erörtert, und man kam überein, daß im gemeinsamen
Interesse eine baldige Einigung angestrebt werden sollte.
Die besondere Lage Berlins wurde erörtert und es wurde Bewunderung für die
politische Entschlossenheit und den Mut der Berliner Bevölkerung zum Ausdruck
gebracht. Man war sich einig, daß die moralische und materielle Unterstützung, die
notwendig ist, um die Stadt stark zu halten, eine Angelegenheit von höchster
Bedeutung ist. Der Bundeskanzler wies darauf hin, daß ihm weitere Maßnahmen zur
Steigerung der Produktion und zum Abbau der Arbeitslosigkeit vorschwebten. Der
Sekretär erklärte, daß die US-Regierung jetzt die Unterstützung von Investitions- und
anderen Programmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen in Berlin
in Erwägung ziehe.
Der Bundeskanzler wies auf die großen Schwierigkeiten hin, denen sich die
Bundesrepublik gegenübersieht, weil sie nicht nur die Millionen von Vertriebenen, die
früher aus den Ostgebieten kamen, sondern auch den erneuten Flüchtlingsstrom aus
der Sowjetzone und darüber hinaus aufnehmen muß. Der Präsident und der
Staatssekretär würdigten die großen Anstrengungen, die die Bundesrepublik
unternommen hat, um diese Heimatlosen zu versorgen und die wirtschaftliche und
soziale Stabilität zu erhalten. In der Diskussion wurde die Möglichkeit in Betracht
gezogen, daß die Bundesrepublik und Berlin nicht in der Lage sein könnten, diese Last
allein zu tragen. Der Direktor für Gegenseitige Sicherheit erklärte, daß diese Frage
bei der Ausarbeitung des Programms für gegenseitige Sicherheit für das am 1. Juli
1953 beginnende Jahr sorgfältig geprüft werden wird.
Der Bundeskanzler sprach das Problem der Kriegsverbrecher an. Die Zukunft der
Kriegsverbrecher, die sich derzeit in amerikanischem Gewahrsam befinden, wurde
diskutiert. Der US-Vertreter erklärte, daß seine Regierung den Status dieser
Gefangenen erneut prüfen werde und auch der möglichen Annahme neuer
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 109

Überprüfungsverfahren mit Deutscher Beteiligung entgegensehe, sobald die Deutsche


Ratifizierung der Verträge abgeschlossen sei.
Die Vertreter beider Regierungen führten einen Meinungsaustausch über die
Fortschritte bei der Liberalisierung und Ausweitung des Welthandels und der
Verwirklichung der Währungskonvertibilität. Die Deutschen Vertreter bekundeten
besonderes Interesse am Abbau von Zöllen und administrativen Zollschranken. Die
Vertreter der USA verwiesen ihrerseits auf die Erklärung von Präsident Eisenhower
vom 7. April, wonach „die Welt einen expandierenden Handel erreichen muss, der auf
einem hohen Niveau ausgeglichen ist, das es jeder Nation ermöglicht, ihren vollen
Beitrag zum Fortschritt der freien Weltwirtschaft zu leisten und die Vorteile dieses
Fortschritts voll zu nutzen.“
Die Vertreter der beiden Regierungen erörterten eine Reihe spezifischer Probleme
im Zusammenhang mit der Normalisierung der Handelsbeziehungen zwischen den
Vereinigten Staaten und Deutschland, einschließlich der Aussichten für Deutsche
Exporteure auf eine verstärkte Nutzung von Marken, die vor dem Zweiten Weltkrieg
Deutschen Staatsangehörigen gehörten. Es wurde festgestellt, daß bereits
beträchtliche Fortschritte bei der Bereitstellung solcher Warenzeichen für frühere
deutsche Eigentümer erzielt worden sind und daß künftige Fortschritte in dieser
Richtung von den Vereinigten Staaten wohlwollend geprüft werden.
Der Bundeskanzler und der Außenminister sind übereingekommen, daß der
Abschluß eines neuen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen
den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik für beide Länder von Vorteil wäre
und daß die Verhandlungen über einen solchen Vertrag sehr bald aufgenommen
werden sollten. In der Zwischenzeit verhandeln die beiden Regierungen über ein
Abkommen, mit dem der Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag von 1923 in
der Fassung von vor dem Krieg wieder in Kraft gesetzt werden soll, wobei die
Erfordernisse der gegenwärtigen Situation berücksichtigt werden. Dieses
Interimsabkommen würde, wenn es in beiden Ländern ratifiziert ist, unter anderem
eine Grundlage wiederherstellen, auf der Geschäftsleute beider Länder in der Lage
wären, sich im jeweils anderen Land aufzuhalten und Geschäfte zu tätigen.
Die deutschen Vertreter bekundeten ihr Interesse an der Vergabe von Off-Shore-
Beschaffungsaufträgen in Deutschland. Sie wurden darüber informiert, daß nach
Inkrafttreten der vertraglichen Vereinbarungen und des Vertrages über die
Europäische Verteidigungsgemeinschaft bei der Vergabe solcher Aufträge in
Deutschland im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft dieselben
Kriterien angewandt werden, die auch für die Vergabe von Aufträgen in anderen
europäischen Ländern gelten.
Um die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Vereinigten
Staaten zu vertiefen und das gegenseitige Verständnis zwischen den beiden Völkern
zu fördern, findet ein Informationsaustausch statt.
Die beiden Regierungen bekräftigten ihr gemeinsames Interesse an der Kontrolle
Die beiden Regierungen bekräftigten ihr gemeinsames Interesse daran, zusammen mit
anderen Nationen der freien Welt den Verkehr von strategischem Material mit
Nationen zu kontrollieren, deren Politik den Frieden und die Sicherheit der freien Welt
gefährdet. Beide Regierungen verpflichteten sich, ihre Maßnahmen zu diesem Zweck
fortzusetzen und insbesondere die Liste der Güter, die von Zeit zu Zeit einem Embargo
gegen das kommunistische China unterliegen könnten, ständig zu überprüfen. Die
Vertreter der Bundesrepublik brachten auch die Absicht ihrer Regierung zum
Ausdruck, in Zusammenarbeit mit anderen Handels- und Seestaaten ergänzende
Maßnahmen, wie z.B. Umschlagskontrollen, gegen Verstöße oder Umgehungen
bestehender strategischer Kontrollen anzuwenden.
110 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

In beiden Hauptstädten wird gleichzeitig die Rückgabe von etwa 350 Schiffen, die
früher in deutschem Besitz waren, an die Bundesrepublik angekündigt. Die
Vorkehrungen für ihre Übergabe an die deutschen Behörden werden vom
amerikanischen Hochkommissar in Deutschland abgeschlossen.
Der Präsident und der Bundeskanzler sind überzeugt, daß die soeben
abgeschlossenen Gespräche einen soliden Beitrag zur Verwirklichung gemeinsamer
Ziele beider Länder, zur Festigung der nun erfreulicherweise wiederhergestellten
Freundschaftsbande und zur Konsolidierung der Ziele und der Stärke der freien Welt
geleistet haben.
__________

Schreiben von Präsident Eisenhower an Bundeskanzler Adenauer über den


ostdeutschen Aufstand, 23. Juli 1953 1
Während der Entwicklung der Gespräche zwischen dem US-Außenminister und den
Außenministern Großbritanniens und Frankreichs kam mir der Gedanke, daß es
hilfreich sein könnte, Ihnen einen Brief zu schreiben, in dem ich die im
Schlußkommuniqué so eng zusammengefaßten Gedanken erläutere.
Ich habe den Eindruck, daß sich aus der Situation in Ostdeutschland und den
osteuropäischen Satellitenländern bestimmte Muster abzeichnen, die zweifellos
tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft haben werden, auch auf das geplante
Treffen der Außenminister der vier Mächte.
Ich denke daher, daß es sinnvoll ist, wenn ich Ihnen meine Gedanken zu diesem
Zeitpunkt etwas ausführlicher mitteile.
Große historische Entwicklungen, wie die jüngsten antikommunistischen
Demonstrationen in Berlin und Ostdeutschland, haben selten nur eine einzige
Ursache. Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, daß künftige Historiker in ihrer Analyse
der Ursachen, die zum Zerfall des kommunistischen Reiches geführt haben, jene
mutigen Ostdeutschen, die es wagten, sich mit nichts als ihren bloßen Händen und
ihrem festen Herzen gegen die Kanonen der Tyrannei zu erheben, als eine der
Hauptursachen herausstellen werden. Ich denke auch, daß dieselben Historiker Ihre
außergewöhnliche Standhaftigkeit für die Sache des europäischen Friedens und der
Freiheit über viele, viele Jahre hinweg festhalten werden.
Bei der Analyse dieser jüngsten Entwicklungen scheinen fünf Punkte von größter
Bedeutung zu sein.
Erstens: Dieser Ausbruch gegen die kommunistische Unterdrückung war spontan.
Ich weiß, daß ich die phantastische Erklärung Moskaus, der Aufstand sei von
amerikanischen Provokateuren ausgelöst worden, nicht weiter zu widerlegen brauche.
Kein Provokateur, gleich welcher Nationalität, kann Menschen dazu bringen, sich mit
Stöcken und Steinen vor dröhnende Panzer zu stellen. Eine solche Aktion kommt aus
dem Herzen und nicht aus einem ausländischen Geldbeutel.
Zweitens war dieser Aufstand nicht nur ein kurzes Aufflackern von Verzweiflung.
Die anhaltenden Nachrichten über die Unruhen in Ostdeutschland deuten auf eine
grundlegende und dauerhafte Entschlossenheit hin, trotz der langen Jahre der
strengen Sowjetisierung vollständig und endgültig frei zu sein.

1Bulletin des Außenministeriums, 3. August 1953, S. 147–149. Siehe auch Kommuniqué der westlichen
Außenminister vom 14. Juli 1953 (Amerikanische Außenpolitik, 1950–1955, Bd. I, S. 1463–1487).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 111

Drittens waren die Krawallmacher keineswegs „bürgerliche Reaktionäre“ oder


„kapitalistische Kriegstreiber“. Es waren Arbeiter. Daher waren die Märtyrer, die vor
den Kanonen der russischen Kommunisten fielen, genau die gleichen Arbeiter, in
deren Namen der Kreml trügerisch und zynisch sein Imperium der Unterdrückung,
sein weit hergeholtes „Arbeiterparadies“ errichtet hat.
Viertens: Die Tatsache des Aufstandes, das Verhalten der deutschen
kommunistischen Führer während des Ereignisses und ihre Handlungen seit dem
Ereignis zeigen den vollständigen politischen Bankrott der SED [Sozialistische
Einheitspartei Deutschlands].
Fünftens, und das ist für mich von größter Bedeutung, als sich die Unruhen im
russischen Sektor Berlins entwickelten, lautete der Ruf der Arbeiter: „Wir wollen freie
Wahlen“. In diesem Satz fassten die Menschen klar und einfach ihre Sehnsucht nach
der Linderung ihrer Missstände und Leiden zusammen. Die Kombination dieser fünf
Tatsachen bildet den Hintergrund für den Teil des Kommuniqués der Außenminister
vom 15. Juli [ 14 ], der sich mit der deutschen Vereinigung und freien Wahlen befasst.
Und das Kommuniqué selbst ist, wie Sie wissen, die diplomatische Bestätigung Ihrer
eigenen früheren Erklärungen, meines Telegramms vom 26. Juni an Sie und vor allem
des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 10. Juni.
In den vergangenen Monaten gab es auf beiden Seiten des Atlantiks endlose
Auseinandersetzungen und Debatten über die jeweiligen Prioritäten von Begriffen wie
„Wiedervereinigung“, „Friedensvertrag“, „freie Wahlen“, „Abzug der Besatzungs-
truppen“ usw.
Ich habe immer den Eindruck gehabt––und die jüngsten Ereignisse bestätigen
diesen Gedanken zumindest für mich deutlich––daß es keine Lösung ohne freie
Wahlen und die Bildung einer freien gesamtdeutschen Regierung geben kann, die zur
Wiedervereinigung führt. Von diesem Punkt aus kann eine logische, geordnete Abfolge
von Ereignissen einsetzen, die in einem würdigen Friedensvertrag und der
Wiedererstehung einer neuen, vereinigten Deutschen Republik gipfeln, die sich dem
Wohlergehen ihres eigenen Volkes widmet und ein freundliches und friedliches
Mitglied der europäischen Familie der Nationen ist.
Diesem ersten Schritt freier Wahlen wird die Regierung der Vereinigten Staaten
auch weiterhin die volle Kraft ihrer politischen, diplomatischen und moralischen
Unterstützung zukommen lassen.
Es gibt aufrichtige Menschen in Deutschland, in den westeuropäischen Ländern und
sogar in meinem eigenen Land, die zu der Überzeugung gelangt sind, daß freie Wahlen
und damit die Wiedervereinigung Deutschlands dem Konzept der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft, das von Ihren beiden Kammern des Parlaments ratifiziert
wurde und jetzt vor Ihrem Verfassungsgericht liegt, widersprechen und es
möglicherweise unmöglich machen. Ich habe diese Theorie, daß die EVG und die
Wiedervereinigung Deutschlands sich gegenseitig ausschließen, nie akzeptiert und
werde es auch nicht tun. Ganz im Gegenteil.
Wie die drei Außenminister zum Abschluss ihres jüngsten Treffens in Washington
feststellten, wird die europäische Gemeinschaft, da sie den dauerhaften Bedürfnissen
ihrer Mitglieder und ihrer Völker nach Frieden, Sicherheit und Wohlstand entspricht,
als in sich selbst notwendig und nicht mit den bestehenden internationalen
Spannungen verbunden angesehen.
Ich bin seit langem der Überzeugung, daß die Stärkung der Bundesrepublik durch
die Verabschiedung der EVG, die vertraglichen Vereinbarungen und weitere
Fortschritte bei der Integration Westeuropas die Aussichten auf eine friedliche
Wiedervereinigung Deutschlands nur dadurch verbessern kann, daß die
Anziehungskraft dieses wohlhabenden Westdeutschlands gegenüber der Sowjetzone
erhöht wird, eine Anziehungskraft, die bereits durch den anhaltenden
112 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Flüchtlingsstrom in den letzten Monaten sowie durch die Demonstrationen, die am 17.
Juni begannen, deutlich geworden ist. Dieser zunehmende Kontrast zwischen West-
und Ostdeutschland, letzteres mit seinem bankrotten Regime und seiner verarmten
Wirtschaft, wird auf lange Sicht Bedingungen schaffen, die die Auflösung der
gegenwärtigen kommunistischen Diktatur und/oder der sowjetischen Besatzung
ermöglichen sollten.
Eine künftige gesamtdeutsche Regierung muss natürlich frei entscheiden können,
inwieweit sie Verteidigungs- und andere Vereinbarungen treffen will, die mit den
Grundsätzen der Vereinten Nationen vereinbar sind, aber ich kann mir kaum
vorstellen, daß sie den Weg einer vollständigen und verfrühten Abrüstung in
Gegenwart anderer Nationen, die noch schwer bewaffnet sind, einschlagen würde. Ich
glaube, daß dies eine Angelegenheit ist, die ernsthafte Aufmerksamkeit verdient.
Diejenigen, die in Deutschland glauben, eine einfache, sichere Lösung durch wehrlose
Neutralisierung vorschlagen zu können, sollten sorgfältig über die wahre Weisheit und
Sicherheit eines solchen Kurses nachdenken.
Im Namen Amerikas, und ich glaube, der Rest der freien Welt teilt diese Ansicht,
kann ich sagen, daß es in den letzten 50 Jahren genug Blutvergießen, genug Elend und
genug Zerstörung gegeben hat, um jedes Volk oder jede Regierung des Westens von
der Idee einer militärischen Aggression abzubringen. Aber der Frieden, den wir alle so
sehr anstreben, kann nicht durch Schwäche erhalten werden. Die EVG wird die
einfachste, unmissverständlichste und offensichtlichste Demonstration von Stärke für
den Frieden sein.
Niemand kann vorhersagen, was die nächsten Monate bringen werden, aber man
kann mit Sicherheit sagen, daß die Arbeiter des Sowjetischen Sektors in Berlin und
die Arbeiter in Ostdeutschland zusammen mit den Arbeitern der Tschechoslowakei
etwas in Gang gesetzt haben, das einen wichtigen Platz in der Geschichte einnehmen
wird. Möge das letzte Kapitel dieser Geschichte das Wiederaufleben der Freiheit, des
Friedens und des Glücks verzeichnen.
__________

Gemeinsames Kommuniqué der Sowjetunion und der Deutschen


Demokratischen Republik, 22. August 1953 1
Vom 20. bis 22. August fanden in Moskau Verhandlungen zwischen der
Sowjetischen Regierung und der Regierungsdelegation der Deutschen Demokratischen
Republik statt.
Auf sowjetischer Seite nahmen folgende Personen an den Verhandlungen teil : Der
Vorsitzende des Ministerrats der UdSSR, G. M. Malenkow ; der Erste Stellvertretende
Vorsitzende des Ministerrats und Außenminister der UdSSR, W. M. Molotow ; der
Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, N. S.
Chruschtschow ; der Erste Stellvertretende Vorsitzende des Ministerrats und
Verteidigungsminister der UdSSR, N. A. Bulganin ; der Erste Stellvertretende
Vorsitzende des Ministerrats der UdSSR, L. M. Kaganowitsch ; der Stellvertretende
Vorsitzende des Ministerrats und Minister für Inneres und Außenhandel der UdSSR,
A. I. Mikojan ; der Vorsitzende des Staatlichen Planungskomitees der UdSSR, M. S.
Saburow ; der Finanzminister der UdSSR, A. G. Zverev ; der Hohe Kommissar der
UdSSR in Deutschland, Botschafter W. S. Semenow.
Auf der Seite der Deutschen Demokratischen Republik nahmen an den
Verhandlungen teil: der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik,

1 Dokumente zur deutschen Einheit, Bd. IV, S. 89–90.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 113

Otto Grotewohl ; der stellvertretende Ministerpräsident Walter Ulbricht ; der


stellvertretende Ministerpräsident Otto Nuschke ; der stellvertretende
Ministerpräsident und Minister für Wiederaufbau, Dr. Lothar Bolz ; der
stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Dr. Hans Loch ; der Minister
für Land- und Forstwirtschaft, Hans Reichelt ; der Minister für Außen- und
Binnenhandel, Kurt Gregor ; der Minister für Stahl und Erzbergbau, Fritz Selbmann ;
der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Bruno Leuschner ; der Leiter der
diplomatischen Vertretung der DDR in Moskau, Botschafter Rudolf Appelt ; der
Vorsitzende des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herbert Warnke ; der
Präsident des Nationalrates der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland,
Prof. Dr. Correns ; der Vorsitzende des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend,
Erich Honecker ; die Vertreterin des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands,
Ilse Thiele ; das Mitglied des Außenministeriums der DDR, Peter Florin.
Im Verlauf der Verhandlungen wurden wichtige Fragen der Entwicklung der
Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik
sowie aktuelle Fragen des Deutschen Problems insgesamt erörtert.
Die Verhandlungen fanden in einer herzlichen Atmosphäre des gegenseitigen
Verständnisses statt.
Es bestand völlige Übereinstimmung darüber, daß die anomale Situation, daß
Deutschland acht Jahre nach Kriegsende in Europa keinen Friedensvertrag hat,
immer noch in einen westlichen und einen östlichen Teil gespalten ist und keine
Gleichberechtigung gegenüber anderen Ländern besitzt, beseitigt werden muß. Um
dieses Ziel zu erreichen, muss in naher Zukunft eine Friedenskonferenz einberufen
werden und die Teilnahme deutscher Vertreter muss auf allen Stufen der Vorbereitung
des Friedensvertrages sowie auf der Friedenskonferenz sichergestellt werden. Im
Hinblick auf die Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands auf
friedlicher und demokratischer Grundlage muss durch direkte Vereinbarung zwischen
Ost- und Westdeutschland eine provisorische gesamtdeutsche Regierung gebildet
werden. Ihre Hauptaufgabe wird es sein, freie gesamtdeutsche Wahlen vorzubereiten
und durchzuführen, in deren Ergebnis das deutsche Volk selbst, ohne ausländische
Einmischung, die Frage des sozialen und politischen Wiederaufbaus eines geeinten,
demokratischen und friedliebenden Deutschlands lösen wird.
Die Regierungsdelegation der Deutschen Demokratischen Republik hat mit
Genugtuung und Dankbarkeit die Erklärung der Sowjetischen Regierung über die
Minderung der finanziellen und wirtschaftlichen Verpflichtungen Deutschlands im
Zusammenhang mit den Folgen des Krieges angenommen.
Im Laufe der Verhandlungen sind beide Seiten übereingekommen, eine Reihe
politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen durchzuführen, die darauf abzielen, Hilfe
bei der weiteren Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen
Republik sowie bei der Verbesserung des materiellen Wohlstands ihrer Bevölkerung
zu leisten. Es wurde berücksichtigt, daß die Deutsche Demokratische Republik in den
letzten Jahren ihre Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion gewissenhaft erfüllt
hat und daß die Deutsche Demokratische Republik dank der Bemühungen der
deutschen demokratischen Kräfte ein wichtiger Faktor im Kampf um den Frieden in
Europa ist.
114 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Entscheidung der sowjetischen Regierung sieht vor :


Die Beendigung der Reparationsabfuhren aus der Deutschen Demokratischen
Republik ab 1. Januar 1954 ;
die entschädigungslose Überführung der Betriebe der sowjetischen
Aktiengesellschaften in Deutschland in das Eigentum der DDR ;
die Reduzierung der Zahlungsverpflichtungen der DDR im Zusammenhang mit
der Präsenz der Sowjetischen Streitkräfte auf dem Territorium der Deutschen
Demokratischen Republik, so daß die jährliche Gesamtsumme fünf Prozent der
Einnahmen des Staatshaushalts der DDR nicht übersteigt ;
die Befreiung der DDR von der Zahlung derjenigen Schulden in fremder
Währung, die als Besatzungskosten seit 1945 entstanden sind ;
die Befreiung Deutschlands von der Zahlung der Nachkriegs-Staatsschulden
an die Sowjetunion.
Über die in diesem Zusammenhang erzielte Vereinbarung haben die beiden Parteien
ein Protokoll unterzeichnet, dessen Wortlaut nachstehend veröffentlicht ist.1
Im Laufe der Verhandlungen wurde auch in einigen anderen Fragen der Festigung
und Entwicklung der wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlich-technischen
Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen
Republik eine Einigung erzielt.
Unter anderem wurde vereinbart, daß die Sowjetunion der Deutschen
Demokratischen Republik im Laufe des Jahres 1953 über den Wert des bestehenden
Handelsabkommens hinaus Waren im Wert von etwa 590 Millionen Rubel liefern wird,
darunter Lebensmittel, Steinkohle, Walzwerkserzeugnisse, Kupfer, Blei, Aluminium,
Baumwolle und andere Waren.
Die Sowjetunion gewährt der Deutschen Demokratischen Republik einen Kredit in
Höhe von 485 Mio. Rubel, davon 135 Mio. Rubel in frei konvertierbarer Währung. Der
Kredit wird zu einem Zinssatz von zwei Prozent pro Jahr gewährt und muss innerhalb
von zwei Jahren ab 1955 zurückgezahlt werden.
Auf Ersuchen der Regierungsdelegation der DDR wurde folgendes vereinbart :
Nach festgelegten Verfahren werden Maßnahmen getroffen, um die deutschen
Kriegsgefangenen von der Verbüßung der Reststrafe zu befreien, zu der sie wegen
der während des Krieges begangenen Verbrechen verurteilt worden sind, mit
Ausnahme derjenigen, die sich besonders schwerer Verbrechen gegen den Frieden
und die Menschlichkeit schuldig gemacht haben.
In dem Wunsch, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Sowjetunion
und der Deutschen Demokratischen Republik, dem Bollwerk des Kampfes des
deutschen Volkes für ein geeintes, friedliebendes, demokratisches Deutschland,
zu stärken und weiterzuentwickeln, sind die beiden Parteien übereingekommen,
den Status der diplomatischen Mission der UdSSR in Berlin und der
diplomatischen Mission der Deutschen Demokratischen Republik in Moskau in
den Rang von Botschaften zu erheben und Botschafter auszutauschen.

1 Hier nicht abgedruckt.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 115

Britischer (Eden) Plan zur Deutschen Wiedervereinigung in Freiheit, 29.


Januar 1954 1
WIEDERVEREINIGUNGSVERFAHREN
Die deutsche Wiedervereinigung und der Abschluss eines frei ausgehandelten
Friedensvertrages mit einem vereinten Deutschland sollten in folgenden Schritten
erreicht werden:
I. Freie Wahlen in ganz Deutschland.
II. Die Einberufung einer aus diesen Wahlen hervorgehenden
Nationalversammlung.
III. Die Ausarbeitung einer Verfassung und die Vorbereitung von
Friedensvertragsverhandlungen.
IV. Die Verabschiedung der Verfassung und die Bildung einer
gesamtdeutschen Regierung, die mit der Aushandlung des
Friedensvertrages beauftragt wird.
V. Die Unterzeichnung und das Inkrafttreten des Friedensvertrags.

I. FREIE WAHLEN IN GANZ DEUTSCHLAND

In ganz Deutschland, einschließlich Berlin, sollten zum frühestmöglichen Zeitpunkt


freie und geheime Wahlen abgehalten werden. Diese Wahlen müssen unter wirklich
freien Bedingungen durchgeführt werden. Um diese Freiheit vor, nach und während
der Wahlen zu gewährleisten, müssen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.
Außerdem müssen die Wahlen so beaufsichtigt werden, daß die Einhaltung dieser
Garantien und die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen gewährleistet sind.

(1) VORBEREITUNG DER WAHLEN

( a) Das Wahlgesetz
Das Wahlgesetz sollte von den Vier Besatzungsmächten unter
Berücksichtigung der bereits zu diesem Zweck vom Bundestag 2 und der Volks-
kammer der Sowjetischen Zone entworfenen Wahlgesetze ausgearbeitet werden. 3
Nach seiner Verabschiedung sollte es von den Vier Mächten in ganz Deutschland
verkündet werden. Die Wahlen sollten so bald wie möglich stattfinden.
(b) Garantien für freie Wahlen
Der Entwurf des Wahlgesetzes muss Bestimmungen enthalten, die die
tatsächliche Freiheit der Wahlen garantieren. Dazu gehören unter anderem :
Bewegungsfreiheit in ganz Deutschland.
Freiheit der Präsentation der Kandidaten.
Immunität der Kandidaten.
Freiheit von willkürlicher Verhaftung oder Schikanierung.
Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit.
Freiheit der Meinungsäußerung für jedermann.
Presse-, Rundfunk- und Fernsehfreiheit sowie freier Vertrieb von Zeitungen,
Zeitschriften usw.
Vertraulichkeit der Stimmabgabe.
Sicherheit der Wahllokale und Wahlurnen.

1 Treffen der Außenminister: Berliner Gespräche, 25. Januar bis 18. Februar 1954 (Publikation des
Außenministeriums 5399), S. 223–225. Der Eden-Plan wurde von den Westmächten auch dem Genfer
Außenministertreffen am 27. Oktober 1955 vorgelegt ( siehe unten).
2 Gesetzesentwurf vom 6. Februar 1952 ; siehe oben.
3 Gesetzentwurf vom 9. Januar 1952 ; siehe oben.
116 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

(c) Überwachung der Wahlen


Die Aufsicht sollte von einer Aufsichtskommission für ganz Deutschland
wahrgenommen werden. Es sollte ein zentrales Gremium mit nachgeordneten
Gremien auf Landes- und Ortsebene geben. Die Auszählung und Überprüfung
aller Stimmen sollte in Anwesenheit der Aufsichtskommission in örtlichen
Zentralen erfolgen.
(i) Zusammensetzung der Überwachungskommission
Die Kommission sollte sich aus Vertretern der vier Mächte
zusammensetzen, mit oder ohne Beteiligung von Unparteiischen.
(ii) Organisation der Kommission
Die Kommission sollte auf der Grundlage eines Ausschusses
arbeiten. Ihre Beschlüsse sollten mit Mehrheit gefasst werden.
(iii) Aufgaben und Befugnisse der Kommission
Die Hauptaufgabe der Kommission besteht darin, dafür zu sorgen,
daß die Wahlen in echter Freiheit und in völliger Übereinstimmung
mit den Bestimmungen des Wahlgesetzes durchgeführt werden.

(2) VERFAHREN ZUR DURCHFÜHRUNG DER OBEN GENANNTEN VORBEREITUNGEN

Die Außenminister müssen sich zunächst über die in diesem Plan enthaltenen
Grundsätze einigen. Sie werden dann eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den Hohen
Kommissaren der Vier Mächte in Deutschland oder ihren Vertretern beauftragen, die
notwendigen Einzelheiten auszuarbeiten und einen Bericht vorzulegen.
Dieser Bericht soll insbesondere enthalten :
( 1 ) den Entwurf des gesamtdeutschen Wahlgesetzes ;
( 2 ) detaillierte Empfehlungen für die Überwachung der Wahlen.
Die Arbeitsgruppe sollte ihre Arbeit spätestens 2 Wochen nach Abschluß der
Berliner Konferenz aufnehmen. Sie sollte ihren Bericht den vier Regierungen
spätestens 1 Monat nach Beginn ihrer Arbeit vorlegen.

II. DIE NATIONALVERSAMMLUNG

Durch die gesamtdeutschen Wahlen wird eine gesamtdeutsche


Nationalversammlung eingesetzt. Die erste Aufgabe dieser Versammlung wird die
Ausarbeitung einer Verfassung sein.
In der Zeit zwischen dem Ende der Wahlen und der vollständigen Übernahme der
Kontrolle durch die gesamtdeutsche Regierung wird es wünschenswert sein, daß ein
Teil des Überwachungsapparates in Betrieb bleibt, um zu verhindern, daß nach den
Wahlen Maßnahmen ergriffen werden, die die Bedingungen echter Freiheit, unter
denen die Wahlen stattgefunden haben, beeinträchtigen würden. Entsprechende
Empfehlungen sollten in den Bericht der Arbeitsgruppe aufgenommen werden.

III. AUSARBEITUNG DER VERFASSUNG UND EINSETZUNG EINER VORLÄUFIGEN


GESAMTDEUTSCHEN VERWALTUNG

Die Nationalversammlung wird so bald wie möglich nach ihrer Sitzung mit der
Ausarbeitung der Verfassung beginnen. In der Zwischenzeit kann sie eine vorläufige
gesamtdeutsche Verwaltung bilden, die den Auftrag hat, die Versammlung bei der
Ausarbeitung der Verfassung zu unterstützen und den Grundstock der künftigen
gesamtdeutschen Ministerien vorzubereiten. Wenn die Versammlung dies beschließt,
kann die Behörde auch vorläufig Verhandlungen mit den Vier Mächten über den
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 117

Friedensvertrag aufnehmen.

IV. VERABSCHIEDUNG DER VERFASSUNG UND BILDUNG EINER GESAMTDEUTSCHEN


REGIERUNG, DIE FÜR DIE VERHANDLUNGEN ÜBER DEN FRIEDENSVERTRAG
ZUSTÄNDIG IST

Die Verfassung wird der Versammlung so bald wie möglich nach der
Verabschiedung des endgültigen Entwurfs vorgelegt werden. Unmittelbar nach ihrer
Verabschiedung wird eine gesamtdeutsche Regierung gebildet. Diese Regierung wird
dann für die Verhandlungen und den Abschluß des Friedensvertrages verantwortlich
sein. Gleichzeitig werden die anderen in der Verfassung vorgesehenen Einrichtungen
geschaffen.
Sobald die gesamtdeutsche Regierung gebildet ist, wird die Nationalversammlung
bestimmen, wie die Befugnisse der Bundesregierung und der deutschen Behörden in
der Sowjetzone auf die gesamtdeutsche Regierung übergehen und wie die beiden
erstgenannten aufgelöst werden sollen.
Die gesamtdeutsche Regierung hat die Befugnis, die internationalen Rechte und
Pflichten der Bundesrepublik und der Sowjetzone Deutschlands zu übernehmen und
andere internationale Abkommen zu schließen, die sie wünscht.
Bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrages übt jede der vier Mächte gegenüber der
Nationalversammlung und der gesamtdeutschen Regierung nur diejenigen ihrer
Rechte aus, die sich auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den
Schutz ihrer Sicherheit, auf Berlin, auf die Wiedervereinigung Deutschlands und auf
einen Friedensvertrag beziehen.
Die Beschlüsse der Nationalversammlung und der gesamtdeutschen Regierung bei
der Durchführung dieses Plans bedürfen nicht der Zustimmung der Vier Mächte.
Solche Beschlüsse können nur durch Mehrheitsbeschluß der Vier Mächte abgelehnt
werden.

V. UNTERZEICHNUNG UND INKRAFTTRETEN DES FRIEDENSVERTRAGS

Zu den Unterzeichnern des Vertrages sollten alle Staaten oder deren


Rechtsnachfolger gehören, die sich mit Deutschland im Krieg befanden. Der Vertrag
sollte in Kraft treten, wenn er von den Vier Mächten und von Deutschland ratifiziert
ist.
__________

Entwurf des sowjetischen Friedensvertrags mit Deutschland, 1. Februar


1954 1
Seit dem Ende des Krieges mit Deutschland sind fast 9 Jahre vergangen, und
Deutschland hat immer noch keinen Friedensvertrag ; es ist immer noch geteilt und
befindet sich weiterhin in einer Position der Ungleichheit gegenüber anderen Staaten.
Es ist notwendig, diese anormale Situation zu beenden.
Dies entspricht den Bestrebungen aller friedliebenden Völker. Ohne den raschen
Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland ist eine gerechte Behandlung der
berechtigten nationalen Interessen des deutschen Volkes nicht möglich.
Der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland ist für die Festigung des
Friedens in Europa unerläßlich. Ein Friedensvertrag mit Deutschland würde eine end-

1 Treffen der Außenminister: Berliner Gespräche, 25. Januar bis 18. Februar 1954, S. 225–227.
118 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

gültige Lösung der aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Probleme ermöglichen.
Die Staaten Europas, die unter der Aggression Hitlers gelitten haben, und
insbesondere die Nachbarn Deutschlands sind an einer Lösung dieser Probleme sehr
interessiert. Der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland würde zur
Verbesserung der internationalen Lage insgesamt beitragen und damit die
Herstellung eines dauerhaften Friedens erleichtern.
Die Notwendigkeit, den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland zu
beschleunigen, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Gefahr der Wiederherstellung des
deutschen Militarismus, der zweimal einen Weltkrieg ausgelöst hat, noch nicht
beseitigt ist, weil einige Bestimmungen der Potsdamer Konferenz noch nicht erfüllt
wurden. Ein Friedensvertrag mit Deutschland sollte sicherstellen, daß die Möglichkeit
einer Wiedergeburt des deutschen Militarismus und der deutschen Aggression
beseitigt wird.
Der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland wird dauerhafte
Friedensbedingungen für das deutsche Volk schaffen, die Entwicklung Deutschlands
als einheitlicher, unabhängiger, demokratischer und friedliebender Staat in
Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Potsdamer Konferenz fördern und dem
deutschen Volk die Möglichkeit einer friedlichen Zusammenarbeit mit anderen
Völkern geben.
Dementsprechend haben die Regierungen der Sowjetunion, der U.S.A.,
Großbritanniens und Frankreichs beschlossen, unverzüglich mit dem Problem der
Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit Deutschland zu beginnen.
Die Regierungen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs sind der
Auffassung, daß Deutschland, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung, an der
Ausarbeitung eines Friedensvertrages teilnehmen sollte und daß ein Friedensvertrag
mit Deutschland auf den folgenden Grundsätzen beruhen sollte:

I. GRUNDLEGENDE PUNKTE EINES FRIEDENSVERTRAGS MIT DEUTSCHLAND

Teilnehmer
Großbritannien, die UdSSR, die USA, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei,
Belgien, Holland und die anderen Staaten, deren Streitkräfte am Krieg gegen
Deutschland teilgenommen haben.

II. POLITISCHE BESTIMMUNGEN

1. Deutschland wird als einheitlicher Staat wiederhergestellt. Damit wird die


Teilung Deutschlands beendet und das vereinigte Deutschland erhält die Möglichkeit,
sich als unabhängiger, demokratischer und friedliebender Staat zu entwickeln.
2. Alle Streitkräfte der Besatzungsmächte werden aus Deutschland abgezogen,
und zwar spätestens 1 Jahr nach Inkrafttreten eines Friedensvertrages. Alle
ausländischen Militärstützpunkte auf dem Gebiet Deutschlands sind gleichzeitig
aufzulösen.
3. Dem deutschen Volk sind demokratische Rechte zu garantieren, so daß alle der
deutschen Gerichtsbarkeit unterstehenden Personen ohne Unterschied der Rasse, des
Geschlechts, der Sprache oder der Religion in den Genuß der Menschenrechte und
Grundfreiheiten kommen, einschließlich der Rede-, Presse-, Glaubens-, politischen
Gesinnungs- und Versammlungsfreiheit.
4. Die ungehinderte Tätigkeit demokratischer Parteien und Organisationen ist zu
gewährleisten, und ihnen ist das Recht zu gewähren, über ihre inneren
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 119

Angelegenheiten frei zu entscheiden, Zusammenkünfte und Versammlungen


abzuhalten sowie Presse- und Veröffentlichungsfreiheit zu genießen.
5. Die Existenz von Organisationen, die der Demokratie und der Erhaltung des
Friedens feindlich gesinnt sind, darf auf deutschem Gebiet nicht zugelassen werden.
6. Allen ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee, einschließlich der Offiziere
und Generäle, allen ehemaligen Nationalsozialisten, mit Ausnahme derjenigen, die
wegen der von ihnen begangenen Verbrechen gerichtlich verurteilt sind, sind die
gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie allen anderen deutschen
Staatsbürgern zu gewähren, damit sie am Wiederaufbau eines friedliebenden
demokratischen Deutschlands teilnehmen können.
7. Deutschland verpflichtet sich, keiner Koalition oder militärischen Allianz
beizutreten, die gegen eine Macht gerichtet ist, deren Streitkräfte am Krieg gegen
Deutschland teilgenommen haben.
8. Deutschland wird nicht verpflichtet sein, Verpflichtungen politischer oder
militärischer Art zu übernehmen, die sich aus Verträgen oder Vereinbarungen
ergeben, die von den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik vor dem Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland
und der Wiederherstellung Deutschlands als einheitlichem Staat geschlossen wurden.

III.TERRITORIUM

Die Grenzen des deutschen Staatsgebiets entsprechen den auf der Potsdamer
Konferenz der Großmächte beschlossenen Grenzen.

IV. WIRTSCHAFTLICHE BESTIMMUNGEN

1. Deutschland darf in der Entwicklung seiner friedlichen, dem Wohle des


deutschen Volkes dienenden Wirtschaft keinen Beschränkungen unterworfen werden.
Deutschland unterliegt auch keinen Beschränkungen des Handels mit anderen
Ländern, der Schifffahrt oder des Zugangs zu den Weltmärkten.
2. Deutschland wird von der Zahlung seiner Nachkriegs-Staatsschulden an die
USA, an Großbritannien, an Frankreich und an die UdSSR mit Ausnahme seiner
Handelsschulden vollständig befreit.

V. MILITÄRISCHE KLAUSELN

1. Deutschland ist es gestattet, über eigene nationale Streitkräfte (Land-, Luft- und
Seestreitkräfte) zu verfügen, die für die Verteidigung des Landes erforderlich sind. Die
Stärke dieser Streitkräfte ist nach Maßgabe der Erfordernisse der inneren Sicherheit,
der örtlichen Verteidigung der Grenzen und der Fliegerabwehr zu begrenzen.
2. Deutschland ist es gestattet, militärische Güter und Ausrüstungen zu
produzieren, deren Anzahl und Art den durch den Friedensvertrag festgelegten Bedarf
seiner Streitkräfte nicht übersteigen darf.

VI. DEUTSCHLAND UND DIE VEREINTEN NATIONEN

Die Staaten, die mit Deutschland einen Friedensvertrag schließen, werden den
Antrag Deutschlands auf Mitgliedschaft in der Organisation der Vereinten Nationen
unterstützen.
120 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Sowjetischer Vorschlag zur Gewährleistung der europäischen Sicherheit,


10. Februar, 1954 1
1. Die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, der USA und der
UdSSR verpflichten sich, ihre Bemühungen um eine befriedigende Lösung der
Deutschen Frage in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der nationalen Freiheit
und der Erhaltung des Friedens fortzusetzen und auch die Rechte aller anderen
europäischen Staaten anzuerkennen, die Schutz gegen die Verletzung ihrer nationalen
Interessen und ihrer Sicherheit durch einen anderen Staat suchen.
2. Bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und der
Wiedervereinigung Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage
werden die folgenden Maßnahmen durchgeführt:
( a ) Innerhalb von sechs Monaten werden die Besatzungstruppen gleichzeitig
aus dem Gebiet sowohl Ost- als auch Westdeutschlands abgezogen, mit
Ausnahme der begrenzten Kontingente, die für die Wahrnehmung von
Schutzfunktionen im Zusammenhang mit der Kontrollverantwortung der vier
Mächte erforderlich sind: der UdSSR in bezug auf Ostdeutschland; der
Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs in bezug auf
Westdeutschland.
Der Umfang dieser Kontingente unterliegt der Vereinbarung zwischen den
Regierungen der Vier Mächte.
( b ) Im Falle einer Bedrohung der Sicherheit in einem der beiden Teile
Deutschlands haben die Mächte, die gegenwärtig in Deutschland
Besatzungsaufgaben wahrnehmen, das Recht, ihre Truppen heranzuziehen: die
UdSSR in Ostdeutschland und die USA, Großbritannien und Frankreich in
Westdeutschland.
( c ) Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und der Grenzverteidigung
werden die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik
Deutschland über Polizeieinheiten verfügen, deren Stärke und Bewaffnung im
Einvernehmen zwischen den Vier Mächten festgelegt werden.
Um die Einhaltung dieser Vereinbarung in Ost- und Westdeutschland zu
gewährleisten, werden Inspektionsteams gebildet, die sich aus Vertretern der Vier
Mächte zusammensetzen.
3. In Übereinstimmung mit den vorstehenden Bestimmungen, deren
Durchführung die Neutralisierung Deutschlands und die Schaffung günstiger
Bedingungen für eine Lösung des Deutschen Problems im Interesse der Stabilisierung
des Friedens in Europa gewährleisten wird, werden die Vier Mächte unverzüglich
Schritte unternehmen, um den Abschluß eines Vertrages über kollektive Sicherheit
zwischen den europäischen Staaten zu erleichtern, der angemessene Garantien gegen
Aggression und Verletzung des Friedens in Europa bietet. Zu diesem Zweck kommen
die Vier Mächte überein, die Initiative zur Einberufung einer entsprechenden
Konferenz der europäischen Staaten zu ergreifen.
__________

Sowjetischer Vorschlag für einen allgemeinen europäischen Vertrag über


kollektive Sicherheit in Europa, 10. Februar 1954 2
Mit dem Ziel der Sicherung des Friedens und der Sicherheit und zur Verhinderung
von Aggressionen gegenüber den Staaten in Europa,

1 Ebenda, S. 230–231.
2 Ebenda, S. 231–232.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 121

mit dem Ziel, die internationale Zusammenarbeit, im Einklang mit den Grundsätzen
der Achtung vor der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten und der
Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten, zu stärken,
danach strebend, die Bildung von Gruppierungen einiger europäischer Staaten zu
verhindern, die sich gegen andere europäische Staaten richten, was zu Reibungen und
angespannten Beziehungen zwischen den Nationen führt, und konzertierte
Anstrengungen aller europäischen Staaten zur Gewährleistung der kollektiven
Sicherheit in Europa zu erreichen,
schließen die europäischen Staaten, die sich von den Zielen und Grundsätzen der
Charta der Vereinten Nationen leiten lassen, einen allgemeinen europäischen Vertrag
über kollektive Sicherheit in Europa, dessen grundlegende Bestimmungen wie folgt
lauten :
1. Alle europäischen Staaten können unabhängig von ihrem Gesellschaftssystem
dem Vertrag beitreten, sofern sie die Ziele des Vertrags anerkennen und die darin
festgelegten Verpflichtungen wahrnehmen.
Bis zur Bildung eines vereinigten, friedliebenden, demokratischen deutschen Staates
können die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland
Vertragsparteien sein und die gleichen Rechte wie die anderen Vertragsparteien
genießen. Es versteht sich, daß der vereinigte deutsche Staat, nach der Einigung
Deutschlands, gleichberechtigt mit jedem anderen europäischen Staat, dem Vertrag
beitreten kann.
Der Abschluß des Vertrages über kollektive Sicherheit in Europa berührt nicht die
Zuständigkeit der Vier Mächte––der UdSSR, der USA, des Vereinigten Königreichs und
Frankreichs––bezüglich der Behandlung des deutschen Problems, welches im Einklang
mit den von den Vier Mächten im Vorfeld gefassten Beschlüssen zu regeln ist.
2. Die Vertragsparteien verpflichten sich, Aggressionen gegeneinander und, in ihren
internationalen Beziehungen, sowohl Drohungen als auch die Anwendung von Gewalt
zu unterlassen und, in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen alle
Streitigkeiten, die sich zwischen ihnen ergeben, mit friedlichen Mitteln und in einer
Weise beizulegen, die den Weltfrieden und die Sicherheit in Europa nicht gefährdet.
3. Besteht nach Auffassung einer Vertragspartei die Gefahr eines bewaffneten
Angriffs gegen eine oder mehrere der Vertragsparteien in Europa, so konsultieren diese
einander, um wirksame Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr und zur
Aufrechterhaltung der Sicherheit in Europa zu treffen.
4. Ein bewaffneter Angriff, in Europa, gegen eine oder mehrere der Vertragsparteien
durch einen Staat oder eine Gruppe von Staaten wird als Angriff gegen alle
Vertragsparteien angesehen. Im Falle eines solchen Angriffs unterstützt jede der
Parteien, in Ausübung des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung,
den angegriffenen Staat oder die angegriffenen Staaten mit allen ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln, einschließlich des Einsatzes von Waffengewalt, um den
internationalen Frieden und die internationale Sicherheit in Europa wiederherzustellen
und zu wahren.
5. Die Vertragsparteien verpflichten sich gemeinsam, schnellstmöglich das
Verfahren zu erörtern und festzulegen, nach welchem die Unterstützung, einschließlich
militärischer Unterstützung, von den Vertragsparteien, für den Fall, daß in Europa eine
Situation eintritt, die eine kollektive Anstrengung zur Wiederherstellung und
Erhaltung des Friedens in Europa erfordert, bereitgestellt werden soll.
6. Die Vertragsparteien unterrichten den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in
Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen,
unverzüglich über alle Maßnahmen, die sie zur Ausübung des Rechts auf
Selbstverteidigung oder zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit in Europa
getroffen haben oder zu treffen beabsichtigen.
122 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

7. Die Vertragsparteien verpflichten sich, weder an einer Koalition oder einem


Bündnis teilzunehmen noch Vereinbarungen zu treffen, deren Ziele den Zielen des
Vertrages über kollektive Sicherheit in Europa entgegenstehen.
8. Um die Bestimmungen des Vertrages, in bezug auf die Konsultationen zwischen
seinen Vertragsparteien, umzusetzen und Fragen, die sich im Zusammenhang mit der
Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit in Europa ergeben, zu berücksichtigen, wird
folgendes vorgesehen:
( a ) regelmäßige Konferenzen oder, falls erforderlich, Sonderkonferenzen, auf
denen jeder Staat durch ein Mitglied seiner Regierung oder durch einen anderen
speziell benannten Repräsentanten vertreten sein soll;
( b ) die Einsetzung eines ständigen, beratenden, politischen Ausschusses,
dessen Aufgabe es ist, geeignete Empfehlungen an die Regierungen der
Vertragsstaaten auszuarbeiten.
( c ) die Einsetzung eines beratenden Militärorgans, dessen Aufgabenbereich
zu gegebener Zeit festgelegt wird.
9. In Anerkennung der besonderen Verantwortung der ständigen Mitglieder des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit, werden die Vertragsparteien die Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China einladen,
Repräsentanten als Beobachter in die gemäß des Vertrags eingerichteten Organe zu
entsenden.
10. Dieser Vertrag beeinträchtigt in keiner Weise die Verpflichtungen der
europäischen Staaten gegenüber internationalen Verträgen und Vereinbarungen, deren
Vertragspartei sie sind, sofern die Grundsätze und Ziele dieser Vereinbarungen mit
denen dieses Vertrags übereinstimmen.
11. Die Laufzeit des Vertrages beträgt 50 Jahre.
__________

Erklärung der westlichen Außenminister, zur Berliner Konferenz, 19.


Februar 1954 1
[Auszüge]
Das Hauptproblem der Berliner Konferenz war das Deutschlands. Die drei
westlichen Delegationen drängten darauf, die Wiedervereinigung Deutschlands durch
freie Wahlen zu erreichen, die zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung führen
sollte, mit der ein Friedensvertrag geschlossen werden könne. Dazu haben sie einen
konkreten Plan vorgelegt. Ihre Vorschläge wurden von der sowjetischen Delegation
nicht einmal als Diskussionsgrundlage akzeptiert und sie sahen sich zu der
Schlußfolgerung gezwungen, daß die sowjetische Regierung derzeit weder bereit ist,
freie, gesamtdeutsche Wahlen zuzulassen noch ihre Kontrolle über Ostdeutschland
aufzugeben.
Die drei westlichen Regierungen werden ihre Bemühungen, in Freiheit und mit
friedlichen Mitteln, die deutsche Wiedervereinigung zu erreichen, fortsetzen. In der
Zwischenzeit haben sie einige Maßnahmen vorgeschlagen, die die Auswirkungen der
gegenwärtigen Teilung Deutschlands und ihre Folgen für Berlin verringern könnten.
Sie haben vorgeschlagen, daß die drei Hohen Kommissare diese Fragen gemeinsam
mit dem sowjetischen Hohen Kommissar prüfen sollten. Was Berlin betrifft, so
bekräftigen die drei Regierungen ihr fortwährendes Interesse an der Sicherheit der
Stadt, wie es im Dreierabkommen vom 27. Mai 1952 zum Ausdruck kommt. Sie werden

1 Ebenda, S. 218–219
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 123

alles in ihrer Macht stehende tun, um die Bedingungen in Berlin zu verbessern und
das wirtschaftliche Wohlergehen der Stadt zu fördern.
* * * * * * *
Die drei Regierungen sind weiterhin bereit, jede weitere Gelegenheit, die sich
ergeben könnte, zu nutzen, um, durch Wiederaufnahme der in Berlin etablierten
Kontakte oder durch andere Mittel, eine Lösung der deutschen und österreichischen
Probleme voranzubringen.
Die drei Minister erläuterten und bekräftigten den rein defensiven Charakter der
westlichen Sicherheitsvereinbarungen.
Es wurde angeboten zu erörtern, wie die Verpflichtungen, die die Sowjetunion
bereits vor Aggressionen schützen, noch verstärkt werden könnten. Die sowjetische
Delegation ging nicht auf diese Angebote ein. Ihre eigenen Vorschläge hätten die
Auflösung des westlichen Sicherheitssystems zur Folge gehabt, während die
militärische Macht des Sowjetblocks in Europa intakt bleiben würde. Die drei Mächte
haben nicht die Absicht, sich in ihren Bemühungen um die Entwicklung des
Verteidigungssystems, von dem ihr Überleben abhängt, ablenken zu lassen.
______________

Gemeinsame Erklärung der Alliierten Hohen Kommission zum Status von


Ostdeutschland, 8. April 1954 1
Die Alliierte Hohe Kommission möchte die Haltung der von ihr vertretenen
Regierungen zu der von der Sowjetischen Regierung am 25. März abgegebenen
Erklärung klarstellen, in der angeblich eine Änderung ihrer Beziehungen zur
Regierung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik beschrieben wird.
Diese Erklärung scheint den Eindruck erwecken zu wollen, daß der Deutschen
Demokratischen Republik die Souveränität zuerkannt wurde. An der tatsächlichen
Situation in der SBZ ändert sie nichts. Die Sowjetregierung behält dort weiterhin die
tatsächliche Kontrolle.
Die drei in der Alliierten Hohen Kommission vertretenen Regierungen werden die
Sowjetunion weiterhin als die verantwortliche Macht für die Sowjetzone Deutschlands
betrachten. Diese Regierungen erkennen die Souveränität des ostdeutschen Regimes,
das nicht auf freien Wahlen beruht, nicht an und beabsichtigen nicht, mit ihm als
Regierung zu verkehren. Sie gehen davon aus, daß diese Haltung von anderen Staaten
geteilt wird, die ebenso wie sie die Regierung der Bundesrepublik weiterhin als die
einzige frei gewählte und rechtmäßig konstituierte Regierung in Deutschland
anerkennen werden. Das Alliierte Hochkommissariat bringt bei dieser Gelegenheit
auch die Entschlossenheit seiner Regierungen zum Ausdruck, sich durch das
sowjetische Vorgehen nicht von ihrer Entschlossenheit abbringen zu lassen, auf die
Wiedervereinigung Deutschlands als freie und souveräne Nation hinzuwirken.
______________

Erklärung der westlichen Außenminister zu Berlin, 22. Oktober 1954 2


DREIMÄCHTEERKLÄRUNG ZU BERLIN
Was Berlin betrifft, so haben die Außenminister Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten zusätzlich zu den Sicherheitsgarantien der

1 Bulletin des Außenministeriums, 19. April 1954, S. 588.


2 Senatsausschüsse L und M. 83. Kongress, 2. Sitzung, S. 171.
124 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Alliierten für die Stadt im Londoner Kommuniqué vom 3. Oktober 1954 mit großer
Genugtuung die enge und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Alliierten
und den Berliner Behörden festgestellt. Die drei Mächte sind entschlossen, in Berlin
das größtmögliche Maß an Selbstverwaltung zu gewährleisten, das mit der besonderen
Lage Berlins vereinbar ist. Dementsprechend haben die drei Regierungen ihre
Vertreter in Berlin angewiesen, sich mit den Behörden dieser Stadt zu beraten, um die
vorstehenden Grundsätze gemeinsam und in größtmöglichem Umfang umzusetzen.
______________

Pariser Protokolle zur Änderung des Brüsseler Vertrags und zur Gründung
der Westeuropäischen Union, 23. Oktober 1954 1
PROTOKOLL ZUR ÄNDERUNG UND ERGÄNZUNG DES VERTRAGS
VON BRÜSSEL
Paris, 23. Oktober 1954

Seine Majestät, der König der Belgier, der Präsident der Französischen Republik,
der Präsident der Französischen Union, Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von
Luxemburg, Ihre Majestät die Königin der Niederlande und Ihre Majestät die Königin
des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Reiche
und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth, Vertragsparteien des am 17. März
1948 in Brüssel unterzeichneten Vertrags über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Zusammenarbeit und kollektive Selbstverteidigung, im folgenden als Vertrag
bezeichnet, einerseits,
und der Präsident der Bundesrepublik Deutschland und der Präsident der
Italienischen Republik auf der anderen Seite,
Beseelt von dem gemeinsamen Willen, Frieden und Sicherheit zu stärken ;
In dem Wunsch, zu diesem Zweck die Einheit und die fortschreitende Integration
Europas zu fördern ;
In der Überzeugung, daß der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und der
Italienischen Republik zum Vertrag einen neuen und wesentlichen Fortschritt auf dem
Weg zu diesen Zielen darstellen wird ;
In Anbetracht der Beschlüsse der Londoner Konferenzen, wie sie in der Schlußakte
vom 3. Oktober 1954 und ihren Anhängen niedergelegt sind
haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt :––
Seine Majestät der König der Belgier
Seine Exzellenz M. Paul-Henri Spaak, Minister für Auswärtige
Angelegenheiten.
Der Präsident der Französischen Republik, Präsident der Französischen Union
Seine Exzellenz M. Pierre Mendes-France, Premierminister, Minister für
auswärtige Angelegenheiten.
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland
Seine Exzellenz Dr. Konrad Adenauer, Bundeskanzler, Bundesminister für
Auswärtige Angelegenheiten.

1 Ebenda, S. 63–80. Die Protokolle traten am 6. Mai 1955 in Kraft. Zum Wortlaut des Brüsseler Vertrags
vom 17. März 1948 zwischen Großbritannien, Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden siehe
ebenda, S. 82–86.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 125

Der Präsident der Italienischen Republik


Seine Exzellenz M. Gaetano Martino, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von Luxemburg
Seine Exzellenz M. Joseph Bech, Premierminister, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin der Niederlande
Seine Exzellenz M. John Willem Beyen, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland und ihrer anderen Reiche und Territorien, Oberhaupt des
Commonwealth
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland
Der ehrenwerte Sir Anthony Eden, K.G., M.C., Mitglied des Parlaments,
Erster Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten.
Die, nachdem sie ihre in guter und gehöriger Form vorgefundenen Vollmachten
dargelegt haben, wie folgt übereingekommen sind :––

ARTIKEL I

Die Bundesrepublik Deutschland und die Italienische Republik treten hiermit dem
Vertrag in der durch dieses Protokoll geänderten und ergänzten Fassung bei.
Die Hohen Vertragsparteien dieses Protokolls betrachten das Protokoll über die
Streitkräfte der Westeuropäischen Union (im folgenden als Protokoll Nr. II
bezeichnet), das Protokoll über Rüstungskontrolle und seine Anhänge (im folgenden
als Protokoll Nr. III bezeichnet) und das Protokoll über die Agentur der
Westeuropäischen Union für Rüstungskontrolle (im folgenden als Protokoll Nr. IV
bezeichnet) als Bestandteil dieses Protokolls.

ARTIKEL II

Der Unterabsatz in der Präambel des Vertrages : „die Maßnahmen zu ergreifen, die
im Falle einer erneuten Aggressionspolitik Deutschlands für erforderlich gehalten
werden“, erhält folgenden Wortlaut „die Einheit Europas zu fördern und die
fortschreitende Integration Europas zu unterstützen“.
Die einleitenden Worte des zweiten Absatzes von Artikel I lauten: „Die im
vorstehenden Absatz vorgesehene Zusammenarbeit, die durch den in Artikel VIII
genannten Rat * * * erfolgt.“

ARTIKEL III

Der folgende neue Artikel wird als Artikel IV in den Vertrag eingefügt :
„Bei der Durchführung des Vertrags arbeiten die Hohen Vertragsparteien
und die von ihnen im Rahmen des Vertrags geschaffenen Organe eng mit der
Nordatlantikpakt zusammenarbeiten.
In der Erkenntnis, daß eine Verdoppelung der militärischen Stäbe der NATO
nicht wünschenswert ist, werden sich der Rat und die von ihm eingesetzten Organe
auf die entsprechenden militärischen Stellen der NATO stützen, um Informationen
und Ratschläge in militärischen Angelegenheiten zu erhalten.“
126 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Artikel IV, V, VI und VII des Vertrags werden zu den Artikeln V, VI, VII bzw.
VIII.

ARTIKEL IV

Artikel VIII des Vertrags (vormals Artikel VII) wird wie folgt geändert :––
„1. Zur Stärkung des Friedens und der Sicherheit und zur Förderung der
Einheit sowie der fortschreitenden Integration Europas und einer engeren
Zusammenarbeit zwischen ihnen und mit anderen europäischen Organisationen
setzen die Hohen Vertragsparteien des Brüsseler Vertrags einen Rat ein, der sich
mit Fragen der Durchführung dieses Vertrags, seiner Protokolle und ihrer
Anhänge befaßt.
„2. Dieser Rat erhält die Bezeichnung „Rat der Westeuropäischen Union“; er
wird so organisiert, daß er seine Aufgaben ständig wahrnehmen kann; er schafft
die für notwendig erachteten Nebenorgane : insbesondere errichtet er
unverzüglich eine Agentur für Rüstungskontrolle, deren Aufgaben in Protokoll
Nr. IV festgelegt sind.
„3. Auf Ersuchen einer der Hohen Vertragsparteien wird der Rat unverzüglich
einberufen, damit er sich mit jeder Situation befassen kann, die eine Bedrohung
des Friedens, in welchem Bereich auch immer oder eine Gefahr für die
wirtschaftliche Stabilität darstellen kann.
„4. Der Rat beschließt einstimmig über Fragen, für die kein anderes
Abstimmungsverfahren vereinbart worden ist oder vereinbart werden kann. In
den, in den Protokollen II, III und IV vorgesehenen Fällen, wendet er die in diesen
Protokollen festgelegten Abstimmungsverfahren - Einstimmigkeit, Zweidrittel-
mehrheit, einfache Mehrheit - an. Er wird mit einfacher Mehrheit über die ihm
von der Agentur für Rüstungskontrolle vorgelegten Fragen entscheiden.“

ARTIKEL V

Ein neuer Artikel wird als Artikel IX in den Vertrag eingefügt : „Der Rat der
Westeuropäischen Union erstattet einer Versammlung, die sich aus Vertretern der
Brüsseler Vertragsmächte zusammensetzt, der Beratenden Versammlung des
Europarats einen Jahresbericht über seine Tätigkeit, insbesondere über die Kontrolle
der Rüstung.“
Die Artikel VIII, IX und X des Vertrags werden zu den Artikeln X, XI bzw. XII.

ARTIKEL VI

Dieses Protokoll und die anderen in Artikel I aufgeführten Protokolle bedürfen der
Ratifikation; die Ratifikationsurkunden sind so bald wie möglich bei der Belgischen
Regierung zu hinterlegen.
Sie treten in Kraft, wenn alle Ratifikationsurkunden zu diesem Protokoll bei der
Belgischen Regierung hinterlegt worden sind und die Urkunde über den Beitritt der
Bundesrepublik Deutschland zum Nordatlantikpakt bei der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika hinterlegt worden ist.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 127

Die belgische Regierung wird die Regierungen der anderen Hohen Vertragsparteien
und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika von der Hinterlegung jeder
Ratifikationsurkunde unterrichten.
ZU URKUND DESSEN haben die vorgenannten Bevollmächtigten das vorliegende
Protokoll unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
Geschehen zu Paris an diesem 23ten Tag des Oktobers 1954 in zwei Fassungen in
englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich
ist, in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv der belgischen Regierung hinterlegt
wird und von der diese Regierung jedem der anderen Unterzeichner eine beglaubigte
Abschrift übermittelt.
Für Belgien :
[L.S.] P.-H. SPAAK.
Für Frankreich :
[L.S.] MENDÈS-FRANCE.
Für die Bundesrepublik Deutschland :
[L.S.] ADENAUER.
Für Italien :
[L.S.] G. MARTINO.
Für Luxemburg :
[L.S.] JOS. BECH.
Für die Niederlande :
[L.S.] J. W. BEYEN.
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland :
[L.S.] ANTHONY EDEN.

PROTOKOLL NR. II ÜBER DIE KRÄFTE DER WESTEUROPÄISCHEN


UNION

Paris, 23. Oktober 1954

Seine Majestät der König der Belgier, der Präsident der Französischen Republik,
der Präsident der Französischen Union, der Präsident der Bundesrepublik
Deutschland, der Präsident der Italienischen Republik, Ihre Königliche Hoheit die
Großherzogin von Luxemburg, Ihre Majestät die Königin der Niederlande und Ihre
Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und
ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth,
Unterzeichner des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrags,
haben nach Anhörung des Nordatlantikrats,
zu ihren Bevollmächtigten ernannt :––
Seine Majestät der König der Belgier
Seine Exzellenz M. Paul-Henri Spaak, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Der Präsident der Französischen Republik, Präsident der Französischen Union.
Seine Exzellenz M. Pierre Mendes-France, Premierminister, Minister für
auswärtige Angelegenheiten.
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland.
Seine Exzellenz Dr. Konrad Adenauer, Bundeskanzler, Bundesaußenminister
128 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Der Präsident der Italienischen Republik


Seine Exzellenz M. Gaetano Martino, Minister für Auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von Luxemburg
Seine Exzellenz M. Joseph Bech, Premierminister, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin der Niederlande
Seine Exzellenz M. Johan Willem Beyen, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des
Commonwealth,
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland
Der ehrenwerte Sir Anthony Eden, K. G., M.C., Mitglied des Parlaments,
Erster Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten.
sind wie folgt übereingekommen :––

ARTIKEL 1

1. Die Land- und Luftstreitkräfte, die jede der Hohen Vertragsparteien dieses
Protokolls in Friedenszeiten auf dem europäischen Festland dem Obersten Alliierten
Befehlshaber Europa unterstellt, dürfen hinsichtlich der Gesamtstärke und der
Anzahl der Truppenteile folgende Werte nicht überschreiten
( a ) für Belgien, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien und
die Niederlande die Höchststärken, die für Friedenszeiten in dem
Sonderabkommen im Anhang zu dem am 27. Mai 1952 in Paris unterzeichneten
Vertrag über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft
festgelegt sind, und
( b ) für das Vereinigte Königreich: vier Divisionen und die Zweite Taktische
Luftwaffe;
( c ) für Luxemburg eine Regimentskampfgruppe.
2. Die in Absatz 1 genannte Anzahl von Truppenteilen kann aktualisiert und
erforderlichenfalls angepasst werden, um sie für den Nordatlantikpakt geeignet zu
machen, sofern die gleichwertige Kampfkraft und die Gesamtstärke nicht
überschritten werden.
3. Die Angabe dieser Höchststärken verpflichtet keine der Hohen
Vertragsparteien, Streitkräfte in diesem Umfang aufzustellen oder
aufrechtzuerhalten; behält ihnen jedoch das Recht vor, dies bei Bedarf zu tun.

ARTIKEL 2

Was die Seestreitkräfte anbelangt, so wird der Beitrag zu den NATO-Kommandos


jeder der Hohen Vertragsparteien dieses Protokolls jedes Jahr im Rahmen der
jährlichen Überprüfung (bei der die Empfehlungen der militärischen Behörden der
NATO berücksichtigt werden) festgelegt. Die Seestreitkräfte der Bundesrepublik
Deutschland bestehen aus den Schiffen und Verbänden, die für die ihr vom
Nordatlantikpakt zugewiesenen Verteidigungsaufgaben innerhalb der in dem in
Artikel I genannten Sonderabkommen festgelegten Grenzen erforderlich sind, oder aus
gleichwertiger Kampfkraft.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 129
ARTIKEL 3

Werden zu irgendeinem Zeitpunkt während der jährlichen Überprüfung


Empfehlungen vorgelegt, die eine Erhöhung des Streitkräfteumfangs über die in den
Artikeln 1 und 2 genannten Grenzen hinaus zur Folge hätten, so unterliegt die
Annahme solcher empfohlenen Erhöhungen durch das betreffende Land der
einstimmigen Billigung durch die Hohen Vertragsparteien dieses Protokolls, die
entweder im Rat der Westeuropäischen Union oder im Nordatlantikpakt zum
Ausdruck gebracht wird.

ARTIKEL 4

Um sich von der Einhaltung der in den Artikeln 1 und 2 genannten Grenzen zu
überzeugen, wird der Rat der Westeuropäischen Union regelmäßig Informationen
erhalten, die im Rahmen der vom Obersten Alliierten Befehlshaber Europa
durchgeführten Inspektionen gesammelt wurden. Diese Informationen werden von
einem hochrangigen Offizier übermittelt, der vom Obersten Alliierten Befehlshaber
Europa zu diesem Zweck bestimmt wird.

ARTIKEL 5

Die Stärke und Bewaffnung der inneren Verteidigungs- und Polizeikräfte auf dem
europäischen Festland der Hohen Vertragsparteien dieses Protokolls werden durch
Vereinbarungen im Rahmen der Organisation der Westeuropäischen Union unter
Berücksichtigung ihrer eigenen Aufgaben und Erfordernisse sowie ihres derzeitigen
Umfangs festgelegt.

ARTIKEL 6

Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und


Nordirland wird auf dem europäischen Festland, einschließlich Deutschlands,
weiterhin die effektive Stärke der Streitkräfte des Vereinigten Königreichs
aufrechterhalten, die derzeit dem Obersten Alliierten Befehlshaber Europa unterstellt
sind, d.h. vier Divisionen und die Zweite Taktische Luftwaffe oder andere Streitkräfte,
die nach Ansicht des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa über eine gleichwertige
Kampfkraft verfügen. Ihre Majestät verpflichtet sich, diese Kräfte nicht gegen den
Willen der Mehrheit der Hohen Vertragsparteien abzuziehen, die ihre Entscheidung
in Kenntnis der Auffassungen des Obersten Alliierten Befehlshabers, Europa, treffen
sollten. Diese Zusage bindet Ihre Majestät jedoch nicht im Falle eines akuten
überseeischen Notstandes. Sollte die Aufrechterhaltung der Streitkräfte des
Vereinigten Königreichs auf dem europäischen Festland zu irgendeinem Zeitpunkt
eine zu große Belastung für die Außenfinanzen des Vereinigten Königreichs darstellen,
so wird Ihre Majestät über ihre Regierung im Vereinigten Königreich Großbritannien
und Nordirland den Nordatlantikrat ersuchen, die finanziellen Bedingungen für die
Aufrechterhaltung der britischen Truppenformationen zu überprüfen.

ZU URKUND DESSEN haben die obengenannten Bevollmächtigten das vorliegende


Protokoll, das eines der in Artikel 1 des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des
Vertrags aufgeführten Protokolle ist, unterzeichnet und ihre Siegel daraufgesetzt.

Geschehen zu Paris am 23ten Tag des Oktobers 1954 in zwei Fassungen in eng-
lischer und französischer Sprache, wobei jede Fassung gleichermaßen verbindlich ist,
130 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv der belgischen Regierung hinterlegt wird
und von der diese Regierung allen anderen Unterzeichnern eine beglaubigte Abschrift
übermittelt.

Für Belgien :
[L.S.] P.-H. SPAAK.
Für Frankreich :
[L.S.] MENDÈS-FRANCE.
Für die Bundesrepublik Deutschland :
[L.S.] ADENAUER.
Für Italien :
[L.S.] G. MARTINO.
Für Luxemburg :
[L.S.] JOS. BECH.
Für die Niederlande :
[L.S.] J. W. BEYEN.
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland :
[L.S.] ANTHONY EDEN.

PROTOKOLL NR. III ÜBER DIE RÜSTUNGSKONTROLLE

Seine Majestät, der König der Belgier, der Präsident der Französischen Republik,
der Präsident der Französischen Union, der Präsident der Bundesrepublik
Deutschland, der Präsident der Italienischen Republik, Ihre Königliche Hoheit die
Großherzogin von Luxemburg, Ihre Majestät die Königin der Niederlande, Ihre
Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und
ihrer anderen Reiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth, Unterzeichner
des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrags.
haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt :––
Seine Majestät der König der Belgier
Seine Exzellenz M. Paul-Henri Spaak, Minister der Auswärtigen
Angelegenheiten.
Der Präsident der Französischen Republik, Präsident der Französischen Union
Seine Exzellenz M. Pierre Mendes-France, Premierminister, Minister für
auswärtige Angelegenheiten.
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland
Seine Exzellenz Dr. Konrad Adenauer, Bundeskanzler,
Bundesaußenminister.
Der Präsident der Italienischen Republik
Seine Exzellenz M. Gaetano Martino, Minister für Auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von Luxemburg
Seine Exzellenz M. Joseph Bech, Premierminister, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin der Niederlande
Seine Exzellenz M. Johan Willem Beyen, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland und ihrer anderen Reiche und Territorien, Oberhaupt des
Commonwealth,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 131

Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland


Der ehrenwerte Sir Anthony Eden, K. G., M.C., Mitglied des Parlaments,
Erster Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten.
sind wie folgt übereingekommen :––

TEIL 1.––RÜSTUNGSGÜTER, DIE NICHT HERGESTELLT WERDEN DÜRFEN

ARTIKEL 1

Die Hohen Vertragsparteien, die Mitglieder der Westeuropäischen Union sind,


nehmen die (am 3. Oktober 1954 in London abgegebene und als Anhang I beigefügte)
Erklärung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, in der sich die
Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, in ihrem Hoheitsgebiet keine atomaren,
biologischen und chemischen Waffen herzustellen, zustimmend zur Kenntnis. Die in
diesem Artikel genannten Rüstungsarten sind in Anhang II definiert. Diese
Rüstungsgüter sollen vom Rat der Westeuropäischen Union genauer definiert und die
Definitionen auf den neuesten Stand gebracht werden.

ARTIKEL 2

Die Hohen Vertragsparteien, die Mitglieder der Westeuropäischen Union sind,


nehmen ferner zustimmend zur Kenntnis, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland in derselben Erklärung zugesagt hat, daß bestimmte weitere Arten von
Rüstungsgütern im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht hergestellt
werden, es sei denn, daß entsprechend den Erfordernissen der Streitkräfte eine
Empfehlung für eine Änderung oder Streichung des Inhalts dieser Rüstungsgüter vom
zuständigen Oberbefehlshaber des Nordatlantikpakts abgegeben wird und die
Regierung der Bundesrepublik Deutschland einen entsprechenden Antrag stellt oder
Streichung des Inhalts der Liste dieser Rüstungsgüter durch den zuständigen
Oberbefehlshaber des Nordatlantikpakts empfohlen wird und die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland einen entsprechenden Antrag stellt, kann eine solche
Änderung oder Streichung durch einen mit Zweidrittelmehrheit gefaßten Beschluß des
Rates der Westeuropäischen Union erfolgen. Die in diesem Artikel genannten
Waffengattungen sind in Anlage III aufgeführt.

TEIL II.––ZU KONTROLLIERENDE BEWAFFNUNG


ARTIKEL 3

Wenn die Entwicklung atomarer, biologischer und chemischer Waffen im Gebiet der
Hohen Vertragsparteien auf dem europäischen Festland, die nicht auf das Recht zur
Herstellung dieser Waffen verzichtet haben, das Versuchsstadium überschritten hat
und dort mit der tatsächlichen Herstellung begonnen wurde, wird der Umfang der
Vorräte, die die betreffenden Hohen Vertragsparteien auf dem europäischen Festland
halten dürfen, durch Mehrheitsbeschluss des Rates der Westeuropäischen Union
festgelegt.

ARTIKEL 4

Unbeschadet der vorstehenden Artikel werden die in Anlage IV aufgeführten


Rüstungsgüter in dem Umfang und in der Weise kontrolliert, wie dies im Protokoll Nr.
IV festgelegt ist.
132 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 5

Der Rat der Westeuropäischen Union kann die Liste in Anhang IV durch
einstimmigen Beschluß ändern.
ZU URKUND DESSEN haben die obengenannten Bevollmächtigten das vorliegende
Protokoll, das eines der in Artikel I des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des
Vertrags aufgeführten Protokolle ist, unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
Geschehen zu Paris am 23. Oktober 1954 in zwei Texten in englischer und
französischer Sprache, wobei jeder Text gleichermaßen verbindlich ist, in einer
einzigen Ausfertigung, die im Archiv der Belgischen Regierung hinterlegt wird und
von der diese Regierung jedem der anderen Unterzeichner eine beglaubigte Abschrift
übermittelt.
Für Belgien :
[L.S.] P.-H. SPAAK.
Für Frankreich :
[L.S.] MENDÈS-FRANCE.
Für die Bundesrepublik Deutschland :
[L.S.] ADENAUER.
Für Italien :
[L.S.] G. MARTINO.
Für Luxemburg :
[L.S.] JOS. BECH.
Für die Niederlande :
[L.S.] J. W. BEYEN.
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland :
[L.S.] ANTHONY EDEN.

ANHANG I

Der Bundeskanzler erklärt :


daß die Bundesrepublik sich verpflichtet, in ihrem Hoheitsgebiet keine
Atomwaffen, chemischen Waffen oder biologischen Waffen herzustellen, wie sie
in den Ziffern I, II und III der beigefügten Liste aufgeführt sind ; 1
daß sie sich ferner verpflichtet, in ihrem Hoheitsgebiet keine Waffen
herzustellen, wie sie in den Nummern IV, V und VI der beigefügten Liste
aufgeführt sind. 2 Eine Änderung oder Aufhebung des Inhalts der Absätze IV, V
und VI kann auf Antrag der Bundesrepublik durch einen Beschluß des Brüsseler
Ministerrates mit Zweidrittelmehrheit erfolgen, wenn der zuständige
Oberbefehlshaber des Nordatlantikpakts entsprechend den Bedürfnissen der
Streitkräfte darum ersucht ;
daß die Bundesrepublik sich mit der Überwachung der Einhaltung dieser
Verpflichtungen durch die zuständige Behörde der Brüsseler
Vertragsorganisation einverstanden erklärt.

ANHANG II

Diese Liste umfasst die in den Abschnitten I bis III definierten Waffen und die
ausschließlich für ihre Herstellung vorgesehenen Fabriken. Alle Geräte, Teile, Aus-

1 Wiedergegeben in Anhang II.


2 Wiedergegeben in Anhang III.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 133

rüstungen, Anlagen, Stoffe und Organismen, die für zivile Zwecke oder für die
wissenschaftliche, medizinische und industrielle Forschung auf dem Gebiet der reinen
und angewandten Wissenschaft verwendet werden, sind von dieser Definition
ausgeschlossen.
I.––Atomwaffen
( a ) Als Atomwaffe gilt jede Waffe, die Kernbrennstoff oder radioaktive Isotope
enthält oder dazu bestimmt ist, diese zu enthalten oder zu verwenden und die durch
Explosion oder eine andere unkontrollierte nukleare Umwandlung des
Kernbrennstoffs oder durch die Radioaktivität des Kernbrennstoffs oder der
radioaktiven Isotope eine Massenvernichtung, Massenschädigung oder
Massenvergiftung herbeiführen kann.
( b ) Als Atomwaffe gilt ferner jedes Teil, Gerät, jede Baugruppe oder jedes Material,
das speziell für eine der unter Buchstabe ( a ) genannten Waffen konstruiert ist oder
in erster Linie dazu dient.
( c ) Kernbrennstoff im Sinne der vorstehenden Begriffsbestimmung umfaßt
Plutonium, Uran 233, Uran 235 (einschließlich Uran 235, das in Uran enthalten ist,
das auf über 2,1 Gewichtsprozent Uran 235 angereichert ist) und jedes andere
Material, das durch Kernspaltung oder -fusion oder eine andere Kernreaktion des
Materials wesentliche Mengen an Atomenergie freisetzen kann. Die vorgenannten
Stoffe werden unabhängig von der chemischen oder physikalischen Form, in der sie
vorliegen, als Kernbrennstoff betrachtet.
II.––Chemische Waffen
( a ) Als chemische Waffe gilt jede Ausrüstung oder jeder Apparat, der ausdrücklich
dazu bestimmt ist, die erstickenden, giftigen, reizenden, lähmenden,
wachstumsregulierenden, schmierhemmenden oder katalysierenden Eigenschaften
eines chemischen Stoffes für militärische Zwecke zu verwenden.
( b ) Vorbehaltlich des Buchstabens ( c ) gelten chemische Stoffe, die solche
Eigenschaften aufweisen und in den unter Buchstabe ( a ) genannten Ausrüstungen
oder Geräten verwendet werden können, als unter diese Begriffsbestimmung fallend.
( c ) Die unter den Buchstaben ( a ) und ( b ) genannten Geräte und Mengen
chemischer Stoffe, die nicht über den zivilen Bedarf hinausgehen, gelten als von dieser
Begriffsbestimmung ausgenommen.
III.––Biologische Waffen
( a ) Als biologische Waffen gelten alle Ausrüstungen oder Geräte, die ausdrücklich
dazu bestimmt sind, schädliche Insekten oder andere lebende oder tote Organismen
oder deren toxische Produkte für militärische Zwecke zu verwenden.
( b ) Vorbehaltlich der Bestimmungen des Buchstabens ( c ) gelten Insekten,
Organismen und ihre toxischen Produkte von solcher Art und in solchen Mengen, daß
sie in den unter (a) genannten Ausrüstungen oder Geräten verwendet werden können,
als unter diese Definition fallend.
( c ) Die unter den Buchstaben ( a ) und ( b ) genannten Ausrüstungen oder Geräte
und die dort genannten Mengen an Insekten, Organismen und ihren toxischen
Produkten, die nicht über den friedlichen zivilen Bedarf hinausgehen, gelten als von
der Definition der biologischen Waffen ausgenommen.

ANHANG III

Diese Liste umfasst die in den Abschnitten IV und VI definierten Waffen und die
ausschließlich für ihre Herstellung vorgesehenen Fabriken. Alle Geräte, Teile,
134 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Ausrüstungen, Anlagen, Stoffe und Organismen, die für zivile Zwecke oder für die
wissenschaftliche, medizinische und industrielle Forschung auf dem Gebiet der reinen
und angewandten Wissenschaft verwendet werden, sind von dieser Definition
ausgenommen.
IV.––Langstreckenraketen, gelenkte Raketen und Einflussminen
( a ) Vorbehaltlich der Bestimmungen des Absatzes ( d ) werden Langstreckenflug-
körper und Lenkflugkörper als Flugkörper definiert, deren Geschwindigkeit oder
Bewegungsrichtung nach dem Zeitpunkt des Abschusses durch eine Vorrichtung oder
einen Mechanismus innerhalb oder außerhalb des Flugkörpers beeinflusst werden
kann, einschließlich der im jüngsten Krieg entwickelten V-Waffen und ihrer späteren
Modifikationen. Die Verbrennung wird als ein Mechanismus betrachtet, der die
Geschwindigkeit beeinflussen kann.
( b ) Vorbehaltlich der Bestimmungen des Absatzes ( d ) werden Einflussminen als
Seeminen definiert, die durch Einflüsse, die ausschließlich von außen kommen,
selbsttätig zur Explosion gebracht werden können, einschließlich der im letzten Krieg
entwickelten Einflussminen und ihrer späteren Modifikationen.
( c ) Teile, Vorrichtungen oder Baugruppen, die speziell zur Verwendung in oder mit
den unter den Buchstaben ( a ) und ( b ) genannten Waffen konstruiert sind, gelten als
von dieser Begriffsbestimmung erfaßt.
( d ) Annäherungszünder und Kurzstrecken-Lenkflugkörper für die Flugabwehr
mit den folgenden maximalen Eigenschaften gelten als von dieser Definition
ausgeschlossen
Länge, 2 Meter ;
Durchmesser, 30 Zentimeter ;
Geschwindigkeit, 660 Meter pro Sekunde ;
Bodenreichweite, 32 Kilometer ;
Gewicht des Gefechtskopfes, 22,5 Kilogramm.
V.––Kriegsschiffe, mit Ausnahme kleinerer Schiffe für Verteidigungszwecke
„Kriegsschiffe, mit Ausnahme kleinerer Schiffe für Verteidigungszwecke,
sind :––
( a ) Kriegsschiffe mit einer Wasserverdrängung von mehr als 3.000 Tonnen ;
( b ) Unterseeboote mit einer Verdrängung von mehr als 350 Tonnen ;
( c ) alle Kriegsschiffe, die durch andere Mittel als Dampf-, Diesel- oder
Benzinmotoren oder durch Gasturbinen oder Strahltriebwerke angetrieben
werden.“
VI.––Bombenflugzeuge für strategische Zwecke

ANHANG IV
LISTE DER ZU KONTROLLIERENDEN WAFFENTYPEN

1.–– ( a ) Atomare,
( b ) biologische und
( c ) chemische Waffen.
In Übereinstimmung mit den vom Rat der Westeuropäischen Union zu
genehmigenden Definitionen, wie in Artikel I dieses Protokolls angegeben.
2. Alle Geschütze, Haubitzen und Mörser aller Typen und Funktionen mit einem
Kaliber von mehr als 90mm, einschließlich der Bestandteile dieser Waffen, d.h. der
Hebemasse.
3. Alle Lenkflugkörper.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 135

Definition.––Gelenkte Flugkörper sind so beschaffen, daß die


Geschwindigkeit oder Richtung oder Bewegung nach dem Abschuss durch eine
Vorrichtung oder einen Mechanismus innerhalb oder außerhalb des Flugkörpers
beeinflusst werden kann; dazu gehören die im letzten Krieg entwickelten V–
Waffen und deren Modifikationen. Die Verbrennung wird als ein Mechanismus
betrachtet, der die Geschwindigkeit beeinflussen kann.
4. Andere selbstgetriebene Flugkörper mit einem Gewicht von mehr als 15
Kilogramm in betriebsbereitem Zustand.
5. Minen aller Art mit Ausnahme von Panzerabwehr- und Antipersonenminen.
6. Panzer, einschließlich der folgenden Bestandteile für diese Panzer, nämlich :––
( a ) die Hubmasse ;
( b ) Turmgussteile und/oder Plattenbaugruppen.
7. Andere gepanzerte Kampffahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von mehr als 10
Tonnen.
8.–– ( a ) Kriegsschiffe über 1.500 Tonnen Verdrängung ;
( b ) Unterseeboote ;
( c ) alle Kriegsschiffe, die mit anderen Antrieben als Dampf-, Diesel- oder
Benzinmotoren oder Gasturbinen angetrieben werden ;
( d ) kleine Wasserfahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von mehr als 30
Knoten, die mit Angriffsbewaffnung ausgerüstet sind.
9. Flugzeugbomben von mehr als 1.000 Kilogramm.
10. Munition für die in Absatz 2 beschriebenen Waffen.
11.–– ( a ) Vollständige militärische Luftfahrzeuge mit Ausnahme von––
( i ) alle Schulflugzeuge mit Ausnahme der für Schulungszwecke
verwendeten einsatzfähigen Typen ;
( ii ) militärische Transport- und Kommunikationsflugzeuge ;
( iii ) Hubschraubern,
( b ) Flugzeugzellen, die speziell und ausschließlich für militärische
Luftfahrzeuge konstruiert sind, ausgenommen die vorstehend unter
( i ), ( ii ) und ( iii ) genannten;
( c ) Strahltriebwerke, Turbopropellertriebwerke und Raketenmotoren, wenn
diese die Hauptantriebskraft darstellen.

PROTOKOLL NR. IV ÜBER DIE AGENTUR DER WESTEUROPÄISCHEN


UNION FÜR RÜSTUNGSKONTROLLE

Paris, 23. Oktober 1954

Seine Majestät der König der Belgier, der Präsident der Französischen Republik,
der Präsident der Französischen Union, der Präsident der Bundesrepublik
Deutschland, der Präsident der Italienischen Republik, Ihre Königliche Hoheit die
Großherzogin von Luxemburg, Ihre Majestät die Königin der Niederlande, Ihre
Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland
und ihrer anderen Reiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth,
Unterzeichner des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrags,
Sind nach Artikel IV des Protokolls über die Änderung und Ergänzung des Vertrags
übereingekommen, ein Amt für Rüstungskontrolle zu errichten,
136 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt :––


Seine Majestät der König der Belgier
Seine Exzellenz M. Paul-Henri Spaak, Minister des Auswärtigen
Angelegenheiten.
Der Präsident der Französischen Republik, Präsident der Französischen Union
Seine Exzellenz M. Pierre Mendes-France, Premierminister, Minister für
Auswärtige Angelegenheiten.
Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland
Seine Exzellenz Dr. Konrad Adenauer, Bundeskanzler,
Bundesaußenminister.
Der Präsident der Italienischen Republik
Seine Exzellenz M. Gaetano Martino, Minister für Auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von Luxemburg
Seine Exzellenz M. Joseph Bech, Premierminister, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin der Niederlande
Seine Exzellenz M. Johan Willem Beyen, Minister für auswärtige
Angelegenheiten.
Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des
Commonwealth,
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland
Der ehrenwerte Sir Anthony Eden, K. G., M.C., Mitglied des Parlaments,
Erster Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten.
Sind wie folgt übereingekommen :––

TEIL I––VERFASSUNG

ARTIKEL 1

Das Amt für Rüstungskontrolle (im folgenden als „das Amt“ bezeichnet) ist dem Rat
der Westeuropäischen Union (im folgenden als „der Rat“ bezeichnet) verantwortlich.
Sie besteht aus einem Direktor, dem ein stellvertretender Direktor zur Seite steht, und
wird von einem Personal unterstützt, das zu gleichen Teilen aus Staatsangehörigen
der Hohen Vertragsparteien, die Mitglieder der Westeuropäischen Union sind, besteht.

ARTIKEL 2

Der Direktor und sein Personal, einschließlich der Beamten, die der Agentur von
den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden, unterstehen der allgemeinen
Verwaltungskontrolle des Generalsekretärs der Westeuropäischen Union.

ARTIKEL 3

Der Direktor wird durch einstimmigen Beschluß des Rates für einen Zeitraum von
fünf Jahren ernannt ; eine Wiederernennung ist nicht zulässig. Er ist für die Auswahl
seines Personals nach dem in Artikel 1 genannten Grundsatz und im Einvernehmen
mit den einzelnen betroffenen Mitgliedstaaten verantwortlich. Vor der Besetzung der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 137

Stellen des stellvertretenden Direktors und der Leiter der Abteilungen der Agentur
holt der Direktor die Zustimmung des Rates zu den zu ernennenden Personen ein.

ARTIKEL 4

1. Der Direktor unterbreitet dem Rat über den Generalsekretär einen Plan für die
Organisation der Agentur. Der Organisationsplan soll Abteilungen vorsehen, die sich
mit folgenden Aufgaben befassen––
( a ) die Prüfung der von den Mitgliedern der Westeuropäischen Union und den
zuständigen Stellen der NATO einzuholenden statistischen und
haushaltstechnischen Informationen;
( b ) Inspektionen, Testkontrollen und Besuche,
( c ) die Verwaltung.
2. Die Organisation kann durch Beschluß des Rates geändert werden.

ARTIKEL 5

Die Kosten für den Unterhalt der Agentur werden im Haushalt der
Westeuropäischen Union ausgewiesen. Der Direktor legt dem Rat über den
Generalsekretär einen jährlichen Voranschlag dieser Kosten vor.

ARTIKEL 6

Die Beamten der Agentur sind an den vollständigen NATO-Sicherheitskodex


gebunden. Sie sind verpflichtet, unter keinen Umständen Informationen preiszugeben,
von denen sie im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben
Kenntnis erhalten haben, es sei denn, dies geschieht in Ausübung ihres Amtes
gegenüber der Agentur.

TEIL II––AUFGABEN

ARTIKEL 7

1. Die Aufgaben der Agentur sind––


( a ) sich zu vergewissern, daß die im Protokoll Nr. Ill eingegangenen
Verpflichtungen, bestimmte, in den Anlagen II und III des Protokolls genannte
Waffenarten nicht herzustellen, eingehalten werden;
( b ) nach Maßgabe des Teils III dieses Protokolls den Umfang der Bestände
jedes Mitglieds der Westeuropäischen Union an Waffen der in Anlage IV des
Protokolls Nr. III genannten Typen auf dem europäischen Festland zu
kontrollieren. Diese Kontrolle erstreckt sich auf die Produktion und die Einfuhren
in dem Umfang, der für eine wirksame Kontrolle der Bestände erforderlich ist.
2. Für die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Zwecke wird die Agentur––
( a ) die von den Mitgliedern der Westeuropäischen Union und den NATO-
Behörden übermittelten statistischen und haushaltstechnischen Informationen
überprüfen;
( b ) auf dem europäischen Festland Kontrollen, Besuche und Inspektionen in
Produktionsstätten, Depots und Streitkräften durchführen (mit Ausnahme von
Depots oder Streitkräften, die der NATO unterstehen);
( c ) dem Rat Bericht erstatten.
138 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 8

Bei Streitkräften und Depots, die der NATO unterstellt sind, werden Kontrollen,
Besuche und Inspektionen von den zuständigen Stellen des Nordatlantikpakts
durchgeführt. Bei den Streitkräften und Depots, die dem Obersten Alliierten
Befehlshaber Europa unterstehen, wird die Agentur durch den von ihm zu
benennenden hochrangigen Offizier über die dem Rat übermittelten Informationen
unterrichtet.

ARTIKEL 9

Die Tätigkeit der Agentur beschränkt sich auf das europäische Festland.

ARTIKEL 10

Die Agentur richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Herstellung von Endprodukten
und Bestandteilen, die in den Anhängen II, III und IV des Protokolls Nr. Ill aufgeführt
sind, und nicht auf Verfahren. Sie stellt sicher, daß die für zivile Zwecke bestimmten
Materialien und Erzeugnisse von ihrer Tätigkeit ausgeschlossen sind.

ARTIKEL 11

Die Inspektionen der Agentur sind keine Routinekontrollen, sondern haben den
Charakter von in regelmäßigen Abständen durchgeführten Prüfungen. Diese
Inspektionen werden im Geiste der Harmonie und Zusammenarbeit durchgeführt. Der
Direktor schlägt dem Rat eine detaillierte Regelung für die Durchführung der
Inspektionen vor, die unter anderem ein ordnungsgemäßes Verfahren zur Wahrung
der privaten Interessen vorsieht.

ARTIKEL 12

Den Mitgliedern der Agentur ist für ihre Prüfungen, Besuche und Inspektionen auf
Verlangen freier Zugang zu den Betrieben und Lagern zu gewähren und die
einschlägigen Bücher und Unterlagen sind ihnen zur Verfügung zu stellen. Die
Agentur und die nationalen Behörden arbeiten bei diesen Überprüfungen und
Inspektionen zusammen; insbesondere können die nationalen Behörden auf eigenen
Wunsch an ihnen teilnehmen.

TEIL III––BESTÄNDE AN RÜSTUNGSGÜTERN

ARTIKEL 13

1. Jedes Mitglied der Westeuropäischen Union übermittelt der Agentur in bezug


auf seine der NATO unterstellten Streitkräfte, die auf dem europäischen Festland
stationiert sind, jährlich Aufstellungen über
( a ) die Gesamtmengen an Rüstungsgütern der in Anhang IV des Protokolls
Nr. Ill aufgeführten Typen, die in bezug auf seine Streitkräfte benötigt werden,
( b ) die Mengen dieser Rüstungsgüter, über die sie zu Beginn der
Kontrolljahre verfügen,
( c ) die Programme zur Erreichung der in Buchstabe ( a ) genannten
Gesamtmengen durch :––
( i ) Herstellung im eigenen Land ;
( ii ) Kauf von einem anderen Land ;
( iii ) Endverbraucherhilfe aus einem anderen Land.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 139

2. Diese Erklärungen werden auch von jedem Mitglied der Westeuropäischen


Union in Bezug auf seine internen Verteidigungs- und Polizeikräfte und seine anderen
Streitkräfte unter nationaler Kontrolle, die auf dem europäischen Festland stationiert
sind, vorgelegt, einschließlich einer Erklärung über die dort vorhandenen Bestände für
seine in Übersee stationierten Streitkräfte.
3. Die Erklärungen werden mit den entsprechenden Übermittlungen an den
Nordatlantikpakt in Beziehung gesetzt.

ARTIKEL 14

In bezug auf die der NATO unterstellten Streitkräfte überprüft die Agentur in
Absprache mit den zuständigen NATO-Behörden, ob die nach Artikel 13 angegebenen
Gesamtmengen mit den Mengen, die von den der NATO unterstellten Truppenteilen
der betreffenden Mitglieder als erforderlich anerkannt werden, sowie mit den
Schlußfolgerungen und Daten übereinstimmen, die in den vom Nordatlantikrat im
Zusammenhang mit der jährlichen Überprüfung der NATO gebilligten Dokumenten
enthalten sind.

ARTIKEL 15

Was die internen Verteidigungs- und Polizeikräfte anbelangt, so sind die von den
Mitgliedern übermittelten Gesamtmengen ihrer Bewaffnung von der Agentur als
angemessen zu akzeptieren, sofern sie innerhalb der Grenzen bleiben, die in den von
den Mitgliedern der Westeuropäischen Union zu schließenden weiteren
Vereinbarungen über die Stärke und Bewaffnung der internen Verteidigungs- und
Polizeikräfte auf dem europäischen Festland festgelegt sind.

ARTIKEL 16

Was die anderen Streitkräfte anbelangt, die unter nationaler Kontrolle verbleiben,
so sind die Gesamtmengen ihrer Rüstungsgüter, die von der Agentur als angemessen
zu akzeptieren sind, diejenigen, die der Agentur von den Mitgliedern mitgeteilt
werden.

ARTIKEL 17

Die von den Mitgliedern nach den Artikeln 15 und 16 angegebenen Zahlen für die
Gesamtmenge der Rüstungsgüter müssen dem Umfang und dem Auftrag der
betreffenden Streitkräfte entsprechen.

ARTIKEL 18

Die Bestimmungen der Artikel 14 und 17 gelten nicht für die Hohen
Vertragsparteien und die in Artikel 3 des Protokolls Nr. III genannten
Waffenkategorien. Die Bestände der betreffenden Waffen werden nach dem Verfahren
des genannten Artikels festgelegt und der Agentur durch den Rat der
Westeuropäischen Union mitgeteilt.

ARTIKEL 19

Die von der Agentur gemäß den Artikeln 14, 15, 16 und 18 ermittelten Zahlen
werden dem Rat als angemessene Mengen für das laufende Kontrolljahr für die
Mitglieder der Westeuropäischen Union mitgeteilt. Etwaige Abweichungen zwischen
den gemäß Artikel 13 Absatz 1 angegebenen Zahlen und den gemäß Artikel 14
anerkannten Mengen werden ebenfalls mitgeteilt.
140 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 20

1. Die Agentur erstattet dem Rat unverzüglich Bericht, wenn sich bei einer
Inspektion oder durch Informationen aus anderen Quellen herausstellt, daß :––
(а) die Herstellung von Rüstungsgütern einer Art, zu deren
Nichtherstellung sich das betreffende Mitglied verpflichtet hat :
(b) das Vorhandensein von Rüstungsbeständen, die über die nach den
Artikeln 19 und 22 festgestellten Zahlen und Mengen hinausgehen.
2. Ist der Rat davon überzeugt, daß der von der Agentur gemeldete Verstoß nicht
von größerer Bedeutung ist und durch rasche örtliche Maßnahmen behoben werden
kann, so unterrichtet er die Agentur und das betreffende Mitglied, die die
erforderlichen Maßnahmen ergreifen werden.
3. Bei anderen Verstößen fordert der Rat das betreffende Mitglied auf, innerhalb
einer vom Rat festzusetzenden Frist die erforderlichen Erklärungen abzugeben; wird
diese Erklärung als nicht zufriedenstellend angesehen, so ergreift der Rat die von ihm
für erforderlich gehaltenen Maßnahmen nach einem noch festzulegenden Verfahren.
4. Die Beschlüsse des Rates nach diesem Artikel werden mit Mehrheit gefaßt.

ARTIKEL 21

Jedes Mitglied unterrichtet die Agentur über die Namen und Standorte der Depots
auf dem europäischen Festland, in denen sich der Kontrolle unterliegende
Rüstungsgüter befinden, sowie über die Anlagen auf dem europäischen Festland, die
solche Rüstungsgüter herstellen oder, auch wenn sie nicht in Betrieb sind, speziell für
die Herstellung solcher Rüstungsgüter bestimmt sind.

ARTIKEL 22

Jedes Mitglied der Westeuropäischen Union unterrichtet die Agentur über die
Mengen von Rüstungsgütern der in Anhang IV des Protokolls Nr. Ill aufgeführten
Typen, die aus seinem Hoheitsgebiet auf dem europäischen Kontinent ausgeführt
werden sollen. Die Agentur ist berechtigt, sich davon zu überzeugen, daß die
betreffenden Rüstungsgüter tatsächlich ausgeführt werden. Erscheint der Umfang der
Bestände eines der Kontrolle unterliegenden Postens ungewöhnlich, so ist die Agentur
ferner berechtigt, die Ausfuhraufträge zu prüfen.

ARTIKEL 23

Der Rat übermittelt der Agentur die von den Regierungen der Vereinigten Staaten
von Amerika und Kanadas erhaltenen Informationen über die militärische Hilfe, die
den Streitkräften der Mitglieder der Westeuropäischen Union auf dem europäischen
Festland geleistet werden soll.

ZU URKUND DESSEN haben die obengenannten Bevollmächtigten das vorliegende


Protokoll, das eines der in Artikel I des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des
Vertrags aufgeführten Protokolle ist, unterzeichnet und ihre Siegel darauf gesetzt.

Geschehen zu Paris am 23ten Tag des Oktober 1954 in zwei Wortlauten in


englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich
ist, in einem einzigen Exemplar, das im Archiv der belgischen Regierung hinterlegt
wird und von dem diese Regierung jedem der anderen Unterzeichner eine beglaubigte
Abschrift übermittelt.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 141

Für Belgien :
[L.S.] P.-H. SPAAK.
Für Frankreich :
[L.S.] MENDÈS-FRANCE.
Für die Bundesrepublik Deutschland :
[L.S.] ADENAUER.
Für Italien :
[L.S.] G. MARTINO.
Für Luxemburg :
[L.S.] JOS. BECH.
Für die Niederlande :
[L.S.] J. W. BEYEN.
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland :
[L.S.] ANTHONY EDEN.
__________

Westliches Abkommen über die Anwendung der Vorbehaltsrechte in


Deutschland, 23. Oktober 1954 1
TRILATERALES ABKOMMEN ÜBER DIE ANWENDUNG VON
VORBEHALTSRECHTEN IN DEUTSCHLAND
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs
von Großbritannien und Nordirland und der Französischen Republik vereinbaren
folgendes :
1. Die Rechte, die sich die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte
Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Französische Republik
nach dem Inkrafttreten des Protokolls über die Beendigung des
Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland vorbehalten haben und
auf die in dem Abkommen über die Beziehungen zwischen den Drei Mächten und
der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung des genannten Protokolls Bezug
genommen wird, werden von ihren jeweiligen, der Bundesrepublik Deutschland
zugewiesenen Missionsleitern ausgeübt.
2. Die Missionsleiter werden bei der Ausübung dieser Rechte in der
Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten, die nach Auffassung der Drei
Mächte von gemeinsamem Interesse sind, im Rahmen des genannten Protokolls
und der in Artikel 1 desselben genannten Instrumente, gemeinsam handeln.
3. Die sich auf Berlin beziehenden Rechte werden, vorbehaltlich etwaiger,
künftiger Änderungen, die vereinbart werden könnten, in Berlin weiterhin nach
den bestehenden Verfahren ausgeübt.
4. Dieses Abkommen tritt mit dem Inkrafttreten des genannten Protokolls in
Kraft.
Beschlossen zu Paris am dreiundzwanzigsten Tag des Oktober Neunzehnhundert-
vierundfünfzig in zwei Wortlauten, in englischer und französischer Sprache, wobei
jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.
Für die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika :
/s/ JOHN FOSTER DULLES
Für die Regierung des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und
Nordirland :
/s/ ANTHONY EDEN
Für die Regierung der Französischen Republik :
/s/ P. MENDÈS-FRANCE
1 Ebenda, S. 91.
142 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Protokoll zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Bundesrepublik


Deutschland, 23. Oktober 1954 1
Die Vertragsparteien des Nordatlantikvertrags, der am 4. April 1949 in Washington
unterzeichneten wurde, vereinbaren,
In der Überzeugung, daß die Sicherheit des nordatlantischen Raums durch den
Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Vertrag erhöht wird, und
In Anbetracht der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland durch eine
Erklärung vom 3. Oktober 1954 die in Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen
niedergelegten Verpflichtungen anerkannt und sich bei ihrem Beitritt zum
Nordatlantikvertrag verpflichtet hat, jede Handlung zu unterlassen, die mit dem rein
defensiven Charakter dieses Vertrags unvereinbar ist, und
Ferner mit der Feststellung, daß sich alle Mitgliedsregierungen der Erklärung
angeschlossen haben, die ebenfalls am 3. Oktober 1954 von den Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien
und Nordirland und der Französischen Republik im Zusammenhang mit der
vorgenannten Erklärung der Bundesrepublik Deutschland abgegeben wurde,
folgendes:

ARTIKEL I

Bei Inkrafttreten dieses Protokolls wird die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika der Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Namen aller
Vertragsparteien eine Einladung zum Beitritt zum Nordatlantikvertrag übermitteln.
Danach wird die Bundesrepublik Deutschland zu dem Zeitpunkt Vertragspartei, zu
dem sie ihre Beitrittsurkunden nach Artikel 10 des Vertrags bei der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika hinterlegt.

ARTIKEL II

Dieses Protokoll tritt in Kraft, wenn ( a ) jede der Vertragsparteien des


Nordatlantikvertrags die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über ihre
Annahme des Protokolls unterrichtet hat, ( b ) alle Ratifikationsurkunden des
Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrags bei der belgischen
Regierung hinterlegt worden sind und ( c ) alle Ratifikations- oder
Genehmigungsurkunden des Abkommens über die Präsenz ausländischer Streitkräfte
in der Bundesrepublik Deutschland bei der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland hinterlegt worden sind. Die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika wird die anderen Vertragsparteien des Nordatlantikvertrags über den
Zeitpunkt des Eingangs jeder Notifikation, über die Annahme dieses Protokolls und
über den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls unterrichten.

1Ebenda, S. 37–38. Das Protokoll trat am 5. Mai 1955 in Kraft. Zum Wortlaut des Nordatlantikvertrags (4.
April 1949) siehe Amerikanische Außenpolitik, 1950–1955, Bd. I, S. 812–815. Das Protokoll über den Beitritt
Griechenlands und der Türkei (17. Oktober 1951) ist ebenda abgedruckt, S. 853–854.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 143

PROTOKOLLE ÜBER DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND


ARTIKEL III

Dieses Protokoll, dessen englischer und französischer Wortlaut gleichermaßen


verbindlich ist, wird im Archiv der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
hinterlegt. Ordnungsgemäß beglaubigte Abschriften davon werden von dieser
Regierung den Regierungen der anderen Vertragsparteien des Nordatlantikvertrags
übermittelt.
ZU URKUND DESSEN haben die unterzeichneten Repräsentanten, die von ihren
jeweiligen Regierungen hierzu ordnungsgemäß ermächtigt worden sind, dieses
Protokoll unterschrieben.
Unterzeichnet in Paris am dreiundzwanzigsten Tag des Oktober Neunzehnhundert-
vierundfünfzig.

Für Belgien :
P. H. SPAAK
Für Kanada :
L B PEARSON
Für Dänemark :
H. C. HANSEN
Für Frankreich :
P. MENDÈS-FRANCE
Für Griechenland :
S STEPHANOPOULOS
Für Island :
KRISTINN GUDMUNDSON
Für Italien :
G. MARTINO
Für das Großherzogtum Luxemburg :
JOS BECH
Für die Niederlande :
J W BEYEN
Für Norwegen :
HALVARD LANGE
Für Portugal :
PAULO CUNHA
Für die Türkei :
F. KÖPRÜLÜ
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland :
ANTHONY EDEN
Für die Vereinigten Staaten von Amerika :
JOHN FOSTER DULLES
144 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Warschauer Sicherheitspakt, 14. Mai 1955 1


VERTRAG ÜBER FREUNDSCHAFT, ZUSAMMENARBEIT UND
GEGENSEITIGE UNTERSTÜTZUNG ZWISCHEN DER
VOLKSREPUBLIK ALBANIEN, DER VOLKSREPUBLIK BULGARIEN,
DER UNGARISCHEN VOLKSREPUBLIK, DER DEUTSCHEN
DEMOKRATISCHEN REPUBLIK, DER POLNISCHEN
VOLKSREPUBLIK, DER RUMÄNISCHEN VOLKSREPUBLIK, DER
UNION DER SOZIALISTISCHEN SOWJETREPUBLIKEN UND DER
TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK, 14. MAI 1955
Die Vertragsparteien,
ihren Wunsch nach einem europäischen System der kollektiven Sicherheit
bekräftigend, welches sich auf die Beteiligung aller europäischen Staaten, ungeachtet
ihrer sozialen und politischen Systeme, stützt und es ermöglicht, ihre Anstrengungen
zur Wahrung des Friedens in Europa zu vereinen ;
in dem Bewusstsein, daß die Situation, die in Europa durch die Ratifizierung der
Pariser Abkommen, welche die Bildung eines neuen militärischen Bündnisses in Form
einer "Westeuropäischen Union" unter Beteiligung eines remilitarisierten
Westdeutschlands und dessen Integration in den nordatlantischen Block vorsieht,
geschaffen wurde, die Gefahr eines weiteren Krieges erhöht und eine Bedrohung für
die nationale Sicherheit der friedliebenden Staaten darstellt ;
der Überzeugung seiend, daß die friedliebenden europäischen Staaten unter diesen
Umständen die notwendigen Maßnahmen zur Wahrung ihrer Sicherheit und im
Interesse der Erhaltung des Friedens in Europa ergreifen müssen;
geleitet von den Zielen und Grundsätzen der Charta der Organisation der Vereinten
Nationen ;
den Wunsch hegend, Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige
Unterstützung, im Einklang mit den Grundsätzen der Achtung der Unabhängigkeit
und Souveränität der Staaten und der Nichteinmischung in ihre inneren
Angelegenheiten, weiter zu fördern und zu entwickeln,
haben beschlossen, den vorliegenden Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit
und gegenseitige Unterstützung zu schließen, und zu diesem Zweck ihre
Bevollmächtigten ernannt :
* * * * * * *
sind, nach Vorlage ihrer Vollmachten, die für gut und angemessen befunden
wurden, wie folgt übereingekommen :

ARTIKEL 1

Die Vertragsparteien verpflichten sich in Übereinstimmung mit der Charta der


Organisation der Vereinten Nationen, in ihren internationalen Beziehungen auf die
Androhung oder Anwendung von Gewalt zu verzichten und ihre internationalen
Streitigkeiten friedlich und in einer Weise beizulegen, die den Weltfrieden und die
internationale Sicherheit nicht gefährdet.

1 Amerikanische Außenpolitik, 1950–1955, Bd. I, S. 1239–1242.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 145
ARTIKEL 2

Die Vertragsparteien erklären sich bereit, im Geiste aufrichtiger Zusammenarbeit


an allen internationalen Handlungen zur Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit mitzuwirken und werden ihre Kräfte voll und ganz für die
Verwirklichung dieses Ziels einsetzen.
Die Vertragsparteien werden sich ferner, im Einvernehmen mit anderen Staaten,
die an einer Zusammenarbeit interessiert sein könnten, um die Annahme wirksamer
Maßnahmen zur weltweiten Rüstungsreduzierung und zum Verbot von Atom-,
Wasserstoff- und anderen Massenvernichtungswaffen bemühen.

ARTIKEL 3

Die Vertragsparteien werden sich, geleitet von dem Wunsch, den internationalen
Frieden und die internationale Sicherheit zu stärken, in allen wichtigen
internationalen Fragen, die ihre gemeinsamen Interessen berühren, miteinander
beraten.
Sie werden sich, um die gemeinsame Verteidigung und die Aufrechterhaltung des
Friedens und der Sicherheit zu gewährleisten, unverzüglich miteinander beraten,
wenn nach Auffassung einer von ihnen die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf eine
oder mehrere Vertragsparteien besteht.

ARTIKEL 4

Im Falle eines bewaffneten Angriffs in Europa auf eine oder mehrere


Vertragsparteien durch einen Staat oder eine Gruppe von Staaten, wird jede
Vertragspartei, in Ausübung ihres Rechts auf individuelle oder kollektive
Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Organisation der Vereinten
Nationen, dem angegriffenen Staat oder den angegriffenen Staaten unverzüglich,
entweder allein oder im Einvernehmen mit anderen Vertragsparteien, mit allen
Mitteln, die sie für erforderlich hält, einschließlich Waffengewalt, zu Hilfe kommen.
Die Vertragsparteien beraten sich unverzüglich über die erforderlichen Maßnahmen,
die von ihnen gemeinsam zu ergreifen sind, um den Weltfrieden und die internationale
Sicherheit wiederherzustellen und zu wahren.
Die auf der Grundlage dieses Artikels getroffenen Maßnahmen werden dem
Sicherheitsrat, im Einklang mit der Charta der Organisation der Vereinten Nationen,
mitgeteilt. Diese Maßnahmen werden, sobald der Sicherheitsrat die erforderlichen
Maßnahmen zur Wiederherstellung und Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit beschließt, unverzüglich eingestellt.

ARTIKEL 5

Die Vertragsparteien sind übereingekommen, ein gemeinsames Kommando der


Streitkräfte einzurichten, das im Einvernehmen zwischen den Parteien dem
Kommando unterstellt wird und nach gemeinsam festgelegten Grundsätzen arbeitet.
Sie werden außerdem andere vereinbarte Maßnahmen treffen, die zur Stärkung ihrer
Verteidigungskraft erforderlich sind, um die friedliche Arbeit ihrer Völker zu schützen,
die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen und Gebiete zu gewährleisten und sich gegen
mögliche Angriffe zu verteidigen.

ARTIKEL 6

Für die in diesem Vertrag vorgesehenen Beratungen zwischen den Vertragsparteien


sowie für die Prüfung von Fragen, die sich bei der Durchführung des Vertrags ergeben
könnten, wird ein Politischer Beratungsausschuss eingesetzt, in dem jede Vertrags-
146 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

partei durch ein Mitglied ihrer Regierung oder einen anderen eigens dazu ernannten
Repräsentanten vertreten ist.
Der Ausschuss kann Hilfsorgane einsetzen, wenn sich dies als notwendig erweist.

ARTIKEL 7

Die Vertragsparteien verpflichten sich dazu, sich an keiner Koalition oder Allianz
zu beteiligen und keine Vereinbarungen abzuschließen, deren Ziele im Widerspruch
zu den Zielen dieses Vertrags stehen.
Die Vertragsparteien erklären, daß ihre Verpflichtungen aus bestehenden
internationalen Verträgen nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen dieses
Vertrags stehen.

ARTIKEL 8

Die Vertragsparteien erklären, daß sie im Geiste der Freundschaft und der
Zusammenarbeit, in der Absicht, den wirtschaftlichen und kulturellen Umgang
miteinander weiterzuentwickeln und zu fördern, handeln werden, wobei jede den
Grundsatz der Achtung der Unabhängigkeit und Souveränität der anderen und der
Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten beachtet.

ARTIKEL 9

Dieser Vertrag ist offen für den Beitritt anderer Staaten, ungeachtet ihrer sozialen
und politischen Systeme, die durch ihre Beteiligung an diesem Vertrag ihre
Bereitschaft zum Ausdruck bringen, an der Vereinigung der Bemühungen der
friedliebenden Staaten zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit der Völker
mitzuwirken. Ein solcher Beitritt tritt mit Zustimmung der Vertragsparteien in Kraft,
nachdem die Beitrittserklärung bei der Regierung der Volksrepublik Polen hinterlegt
worden ist.

ARTIKEL 10

Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation; die Ratifikationsurkunden sind bei der
Regierung der Volksrepublik Polen zu hinterlegen.
Der Vertrag tritt am Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde in
Kraft. Die Regierung der Volksrepublik Polen wird die anderen Vertragsparteien
unterrichten, sobald die einzelnen Ratifikationsurkunden hinterlegt sind.

ARTIKEL 11

Dieser Vertrag wird zwanzig Jahre lang in Kraft bleiben. Für diejenigen
Vertragsparteien, die der Regierung der Volksrepublik Polen nicht mindestens ein
Jahr vor Ablauf dieses Zeitraums eine Erklärung über die Kündigung des Vertrags
vorlegen, bleibt er für die nächsten zehn Jahre in Kraft.
Sollte in Europa ein System kollektiver Sicherheit geschaffen und zu diesem Zweck
ein allgemeiner europäischer Vertrag über kollektive Sicherheit geschlossen werden,
nach dem die Vertragsparteien unablässig streben werden, so tritt der vorliegende
Vertrag mit dem Tag des Inkrafttretens des allgemeinen europäischen Vertrags außer
Kraft.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 147
GESCHEHEN in Warschau am 14. Mai 1955, in je einem Exemplar in russischer,
polnischer, tschechischer und deutscher Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen
verbindlich ist. Beglaubigte Abschriften dieses Vertrags werden allen
Vertragsparteien von der Regierung der Volksrepublik Polen übersandt.

ZU URKUND DESSEN haben die Bevollmächtigten den vorliegenden Vertrag


unterzeichnet und ihre Siegel angebracht.
_____________

Erklärung von Premierminister Eden in Genf über europäische Sicherheit,


deutsche Wiedervereinigung und eine entmilitarisierte Zone, 18. Juli 1955 1
Diese Konferenz ist einzigartig in der Geschichte, weil die Bedingungen, unter
denen wir zusammenkommen, in der Geschichte der Menschheit einmalig sind. Wir
alle wissen, welche unvergleichlichen Ressourcen die wissenschaftlichen und
technischen Entdeckungen unserer Zeit uns zur Verfügung gestellt haben. Wir
brauchen nur die Hand auszustrecken und die Menschheit kann in ein Zeitalter des
Wohlstands eintreten, wie es noch nie dagewesen ist. Es ist ebenso klar, wie
zerstörerisch die Bedingungen eines jeden Konflikts sein müssen, in den die
Großmächte verwickelt sind.
Es gab eine Zeit, in der der Aggressor im Krieg hoffen konnte, einen Vorteil zu
erlangen und durch militärische Aktionen politische Vorteile für sein Land zu erzielen.
Je überwältigender die militärische Macht, desto verlockender war der Preis und desto
weniger konnte der Angreifer erwarten, zahlen zu müssen. Wir können uns alle an
Beispiele dieser Art in der Geschichte erinnern. Nichts dergleichen ist heute möglich.
Kein Krieg kann dem Sieger Beute bringen; er kann ihm und seinem Opfer nur die
völlige Vernichtung bringen. Die Neutralen würden genauso leiden wie die
Kombattanten.
Das sind harte Fakten, aus denen wir vielleicht endlich einen dauerhaften Frieden
gewinnen können. Die Abschreckung gegen kriegerische Handlungen hält eine
warnende Hand hoch. Aber die Abschreckung allein kann nicht die internationalen
Probleme lösen oder die zwischen uns bestehenden Differenzen beseitigen. Es ist der
Versuch, mit diesen Problemen und Differenzen voranzukommen, der uns heute hier
zusammenführt. Und auf dieser Konferenz müssen wir uns vor allem im europäischen
Kontext mit ihnen befassen.
Welches ist das Wichtigste von ihnen ? Es besteht sicher kein Zweifel an der
Antwort. Die Einheit Deutschlands. Solange Deutschland geteilt ist, wird Europa
geteilt sein. Solange die Einheit Deutschlands nicht gesichert ist, kann es auf diesem
Kontinent weder Frieden noch Sicherheit geben. Innerhalb der Grenzen unserer
Westzone haben wir das Mögliche getan, um Deutschland zu vereinen. Wir haben die
Barrieren zwischen unseren Zonen niedergerissen. Wir haben die drei Westzonen als
eine wirtschaftliche Einheit behandelt und ihnen eine föderale Regierung gegeben. Wir
haben die Besatzung beendet.
Ganz abgesehen von den größeren Fragen der deutschen Wiedervereinigung wäre
es ein echter Fortschritt, wenn sich die sowjetische Regierung, bis unsere
Verhandlungen über die deutsche Einheit abgeschlossen sind, in der Lage sähe, die
physischen Beschränkungen zu lockern, die jetzt die Teilung Deutschlands
verschärfen und Kontakte zwischen Deutschen in Ost und West verhindern.
Nun muss ich mich den umfassenderen Fragen der deutschen Wiedervereinigung
zuwenden. Aus welchem Grund ist die Berliner Konferenz vor einem Jahr gescheitert ?
Wir müssen das so leidenschaftslos wie möglich untersuchen, um erkennen zu können,
welche Fortschritte wir jetzt von den scheinbar festen Positionen machen können, zu

1 Die Genfer Konferenz der Regierungschefs, 18. bis 23. Juli 1955 (Veröffentlichung des Außenministeriums
6046), S. 31-34.
148 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

denen sich die Großmächte auf beiden Seiten damals verpflichtet fühlten. Auf der
Berliner Konferenz schlug der Westen Deutschland die Wiedervereinigung mit freien
Wahlen und dem freien Recht Deutschlands, seine Außenpolitik selbst zu bestimmen,
vor. Im Rahmen des so genannten Eden-Plans hätte Deutschland zwischen einer
Assoziierung mit dem Westen, einer Assoziierung mit dem Osten oder der Neutralität
wählen können. Aber die sowjetische Regierung war nicht in der Lage, diesen Plan zu
akzeptieren. Wir wissen jedoch alle in unserem Herzen, daß Deutschland vereint
werden muß und daß ein großes Land nicht dauerhaft daran gehindert werden kann,
seine eigene Außenpolitik frei zu wählen.
Die Berliner Konferenz scheiterte, weil eine der dort vertretenen Mächte der Ansicht
war, daß ein vereintes, wiederbewaffnetes Deutschland, das von seiner Entscheidung,
dem NATO-Bündnis beizutreten, Gebrauch macht, eine zunehmende Bedrohung für
ihre Sicherheit darstellen würde. Ich werde jetzt nicht darüber streiten, ob diese
Ängste berechtigt sind. In den letzten zehn Jahren gab es zahlreiche Anlässe für
Verdächtigungen und Warnungen. Diese haben ihren Ausdruck in umfangreichen
Aufrüstungsprogrammen gefunden. Um zu versuchen, diese Themen in ihrer
Gesamtheit zu behandeln, sind wir alle übereingekommen, über die
Abrüstungskommission der Vereinten Nationen zu arbeiten. Wir begrüßen den
beträchtlichen Fortschritt, der in letzter Zeit dort erzielt wurde, und das wichtige Maß
an Gemeinsamkeit, das sich jetzt zwischen den verschiedenen Vorschlägen der
Westmächte und denen, die uns kürzlich von der Sowjetregierung vorgelegt wurden,
herausgebildet hat. Alle diese Gespräche werden weitergehen, aber wie wir wissen,
besteht die unmittelbare Notwendigkeit darin, einen praktischen Anfang zu machen.
Das dringende Problem besteht darin, wie der Prozess des Spannungsabbaus und
der Beseitigung von Misstrauen und Angst eingeleitet werden kann. Es stellt sich auch
die praktische Frage, wie wir gemeinsam eine wirksame Kontrolle von Ausrüstung
und Streitkräften ausarbeiten und betreiben können.
Deutschland wieder zu vereinigen, wird an sich jede Bedrohung, die für die
europäische Sicherheit bestehen könnte, weder erhöhen noch verringern. Alles wird
von den Bedingungen abhängen, unter denen die Wiedervereinigung stattfindet. Ich
möchte deshalb jetzt vorschlagen, daß wir über eine Reihe miteinander
zusammenhängender Vorschläge nachdenken, die zweierlei bezwecken sollen. Erstens
sind sie darauf ausgerichtet, der Befürchtung einer erhöhten Gefahr zu begegnen, die
nach Ansicht einiger in Berlin auf die Annahme unseres Plans folgen könnte. Zweitens
zielen sie darauf ab, ein praktisches Experiment in der operativen Kontrolle von
Ausrüstungen durchzuführen. Wenn dies lokal in Europa erfolgreich ist, könnte es sich
sozusagen vom Zentrum auf die Peripherie ausdehnen. Wenn es uns einmal gelingt,
ein Gefühl der Sicherheit auf dem europäischen Kontinent zu schaffen––wenn wir ein
wirksames System zum Abbau von Spannungen auf diesem Kontinent schaffen
können––, können wir dann nicht hoffen, daß dieser erste Erfolg die Vorstufe zu einem
umfassenderen und weitreichenderen Verständnis sein wird? Wir haben uns daher
einige Gedanken gemacht, von denen wir glauben, daß sie für dieses Ziel hilfreich sein
könnten.
Wie ich bereits sagte, ist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, daß die Vereinigung
Deutschlands und seine Freiheit, sich mit Ländern seiner Wahl
zusammenzuschließen, für niemanden eine Bedrohung darstellt. Es gibt zweifellos
viele Möglichkeiten, dies zu erreichen. Zur Veranschaulichung dessen, was mir
vorschwebt, möchte ich einige Beispiele anführen. Diese werden zum Teil aus
Maßnahmen und zum Teil aus Zusicherungen bestehen. Fangen wir mit letzteren an.
Wir wären bereit, Parteien eines Sicherheitspaktes zu sein, dem die Länder an diesem
[Tisch] und ein vereinigtes Deutschland angehören könnten. Durch diesen Pakt könnte
sich jedes Land bereit erklären, dem Opfer einer Aggression, wer auch immer es sein
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 149
mag, zur Hilfe zu kommen. Es gibt viele Formen, die ein solcher Pakt annehmen kann.
Wir wären bereit, sie zu prüfen und unsere Ansichten dazu darzulegen. Wir würden
vorschlagen, ein solches Abkommen unter die Autorität der Vereinten Nationen zu
stellen. Es wäre auch unsere Absicht, daß für den Fall, daß ein Mitgliedsland den
Frieden bricht, dieses Land damit alle Rechte verliert, die es gegenwärtig aufgrund
bestehender Abkommen genießt.
Zweitens wären wir bereit, über die Gesamtzahl der Streitkräfte und Ausrüstungen
auf beiden Seiten Deutschlands und der Nachbarländer Deutschlands zu diskutieren
und zu versuchen, eine Einigung zu erzielen. Dazu wäre es notwendig, sich einem
System der gegenseitigen Kontrolle anzuschließen, um die Vereinbarung wirksam zu
überwachen. Alle hier vertretenen Länder wären, so hoffen wir, zusammen mit einem
vereinigten Deutschland Partner in diesem System. Es versteht sich von selbst, daß
alle Vorschläge auf diesem Gebiet die Arbeit der Abrüstungskommission der Vereinten
Nationen, der wir große Bedeutung beimessen, nicht ausschließen oder verzögern.
Gibt es noch weitere Zusicherungen, die wir uns gegenseitig geben können ? Es gibt
eine, die meiner Meinung nach auf jeden Fall in Betracht gezogen werden sollte. Wir
sollten bereit sein, die Möglichkeit einer entmilitarisierten Zone zwischen Ost und
West zu prüfen.
Es stimmt, daß diese Ideen in erster Linie auf den europäischen Raum beschränkt
sind, aber ich bin sicher, daß sie uns hier in der Praxis und vielleicht als Beispiel helfen
könnten. Ich werde sie zusammenfassen. Es gibt die Anregung eines gemeinsamen
Sicherheitspaktes. Es gibt die Aussicht auf ein Abkommen über die Gesamtzahl der
Streitkräfte und Ausrüstungen der beiden Gruppen sowohl in Deutschland als auch in
den Nachbarländern Deutschlands. Dies würde unter gegenseitiger Aufsicht stehen.
Es gibt das Konzept einer entmilitarisierten Zone.
Wenn wir die Arbeit in diesem Sinne aufnehmen könnten, sollten wir die Chance
haben, einen konstruktiven und ermutigenden Plan zur Sicherung des Friedens in
Europa vorzulegen. Diese Ideen würden wirkliche Sicherheit schaffen; und es ist der
Mangel an dieser Sicherheit, der Deutschland heute geteilt hält. Ich schlage vor, daß
sie weiter untersucht werden sollten. Ich habe hier nur eine Zusammenfassung
gegeben.
Es gibt noch weitere Aspekte unserer Zusammenarbeit, die ich hätte erwähnen
können. So würden wir zum Beispiel jeden Vorschlag ausdrücklich begrüßen, der zu
einer größeren Freizügigkeit und einem besseren Austausch von Kontakten zwischen
unseren Völkern führen würde.
Aber ich denke, daß diese Konferenz daran gemessen werden wird, ob es uns gelingt,
einige praktische Ergebnisse für die Zukunft Deutschlands und die europäische
Sicherheit zu erzielen. Wir wollen uns auf zwei Dinge verständigen: auf die dringende
Notwendigkeit der Wiedervereinigung Deutschlands und auf den groben Umriss der
Mittel, mit denen sie erreicht werden kann. Ich behaupte nicht, daß unsere
Vorstellungen den Charakter eines vollständigen Plans haben, aber sie sind eine grobe
Skizze, die, wenn man sich darauf geeinigt hat, sicherlich noch ergänzt werden kann.
Wenn wir so etwas ausarbeiten können, bevor wir Genf am Ende dieser Konferenz
verlassen, werden die Völker der Welt nicht enttäuscht sein.
150 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Sowjetischer Entwurf eines Vertrags über kollektive Sicherheit in Europa,


20. Juli 1955 1
ALLGEMEINER EUROPÄISCHER VERTRAG ÜBER KOLLEKTIVE
SICHERHEIT IN EUROPA

(GRUNDLEGENDE PRINZIPIEN)

I.

Zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit und zur Verhinderung einer
Aggression gegen jedweden Staat in Europa,
Zum Zwecke der Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Einklang mit
den Grundsätzen der Achtung der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten und
der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten,
In dem Bestreben, konzertierte Anstrengungen aller europäischen Staaten zur
Gewährleistung der kollektiven Sicherheit in Europa zu erreichen, anstatt
Gruppierungen einiger europäischer Staaten zu bilden, die gegen andere europäische
Staaten gerichtet sind, was zu Reibungen und angespannten Beziehungen zwischen
den Nationen führt und das gegenseitige Mißtrauen verschärft,
in der Erwägung, daß die Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa
die frühestmögliche Lösung des Deutschen Problems durch die Einigung Deutschlands
auf friedlicher und demokratischer Grundlage erleichtern würde,
Die europäischen Staaten, die sich von den Zielen und Grundsätzen der Charta der
Vereinten Nationen leiten lassen[,] schließen einen Allgemeinen Europäischen Vertrag
über kollektive Sicherheit in Europa, dessen grundlegende Bestimmungen wie folgt
lauten :
1. Alle europäischen Staaten, ungeachtet ihres Gesellschaftssystems, und auch die
Vereinigten Staaten von Amerika können Vertragsparteien werden, sofern sie die Ziele
des Vertrages anerkennen und die darin festgelegten Verpflichtungen übernehmen.
Bis zur Bildung eines vereinigten, friedliebenden, demokratischen deutschen
Staates können die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik
Deutschland Vertragsparteien sein und die gleichen Rechte wie die anderen
Vertragsparteien genießen. Es besteht Einvernehmen darüber, daß nach der
Vereinigung Deutschlands der vereinigte deutsche Staat nach den allgemeinen
Bestimmungen dieses Vertrages Vertragspartei sein kann.
Der Abschluß des Vertrags über kollektive Sicherheit in Europa berührt nicht die
Zuständigkeit der vier Mächte––der UdSSR, der USA, des Vereinigten Königreichs
und Frankreichs––für die Behandlung des Deutschen Problems, das in
Übereinstimmung mit den zuvor von den Vier Mächten gefaßten Beschlüssen geregelt
werden soll.
2. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sich gegenseitiger Aggressionen zu
enthalten und in ihren internationalen Beziehungen weder Gewalt anzudrohen noch
anzuwenden und in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen jede
zwischen ihnen entstehende Streitigkeit mit friedlichen Mitteln und in einer Weise
beizulegen, die den Weltfrieden und die Sicherheit in Europa nicht gefährdet.
3. Besteht nach Auffassung eines Vertragsstaats die Gefahr eines bewaffneten
Angriffs in Europa gegen einen oder mehrere Vertragsstaaten, so konsultieren sie
einander, um wirksame Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr und zur Aufrechter-

1 Ebenda, S. 48–51.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 151

haltung der Sicherheit in Europa zu treffen.


4. Ein bewaffneter Angriff in Europa gegen einen oder mehrere Vertragsstaaten
durch einen Staat oder eine Gruppe von Staaten gilt als Angriff gegen alle
Vertragsparteien. Im Falle eines solchen Angriffs unterstützt jede Vertragspartei in
Ausübung des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung den
angegriffenen Staat oder die angegriffenen Staaten mit allen ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, um den
Weltfrieden und die internationale Sicherheit in Europa wiederherzustellen und zu
wahren.
5. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, so bald wie möglich gemeinsam das
Verfahren zu erörtern und festzulegen, nach dem die Vertragsstaaten im Falle einer
Lage in Europa, die eine gemeinsame Anstrengung zur Wiederherstellung und
Wahrung des Friedens in Europa erfordert, Hilfe, einschließlich militärischer Hilfe,
leisten.
6. Die Vertragsstaaten unterrichten den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in
Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen unverzüglich über alle
Maßnahmen, die sie zur Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung oder zur
Wahrung des Friedens und der Sicherheit in Europa getroffen haben oder zu treffen
beabsichtigen.
7. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sich an keiner Koalition oder Allianz zu
beteiligen und keine Vereinbarungen zu treffen, deren Ziele den Zielen des Vertrags
über kollektive Sicherheit in Europa zuwiderlaufen.
8. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, eine umfassende wirtschaftliche und
kulturelle Zusammenarbeit untereinander sowie mit anderen Staaten zu fördern, und
zwar durch die Entwicklung des Handels und anderer wirtschaftlicher Beziehungen
sowie durch die Ausweitung der kulturellen Beziehungen auf einer Grundlage, die jede
Diskriminierung oder Beschränkung ausschließt, die diese Zusammenarbeit
behindert.
9. Zur Durchführung der Bestimmungen des Vertrags über Konsultationen
zwischen seinen Vertragsparteien und zur Prüfung von Fragen, die sich im
Zusammenhang mit der Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit in Europa
ergeben, ist folgendes vorzusehen:
( a ) Regelmäßige Konferenzen oder, falls erforderlich, Sonderkonferenzen,
auf denen jeder Staat durch ein Mitglied seiner Regierung oder einen anderen
besonders bezeichneten Vertreter vertreten sein muß,
( b ) die Einsetzung eines ständigen beratenden politischen Ausschusses,
dessen Aufgabe es ist, geeignete Empfehlungen an die Regierungen der
Vertragsstaaten auszuarbeiten,
( c ) die Einsetzung eines beratenden militärischen Organs, dessen
Aufgabenbereich zu gegebener Zeit festgelegt wird.
10. In Anerkennung der besonderen Verantwortung der ständigen Mitglieder des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit, laden die Vertragsstaaten die Regierung der Volksrepublik
China ein, Vertreter für die nach dem Vertrag eingesetzten Organe in der Eigenschaft
von Beobachtern zu benennen.
11. Dieser Vertrag beeinträchtigt in keiner Weise die Verpflichtungen der
europäischen Staaten aus internationalen Verträgen und Übereinkünften, bei denen
sie Vertragspartei sind, sofern die Grundsätze und Ziele dieser Übereinkünfte mit
denen dieses Vertrags in Einklang stehen.
152 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

II.

12. Die Vertragsstaaten kommen überein, daß sie während des ersten Zeitraums
(zwei oder drei Jahre) der Durchführung von Maßnahmen zur Errichtung des Systems
der kollektiven Sicherheit in Europa nach diesem Vertrag nicht von den
Verpflichtungen entbunden werden, die sie aufgrund bestehender Verträge und
Vereinbarungen übernommen haben.
Gleichzeitig verzichten die Vertragsstaaten der bestehenden Verträge und
Abkommen, die militärische Verpflichtungen vorsehen, auf die Anwendung von
Waffengewalt und legen alle Streitigkeiten, die zwischen ihnen entstehen können, mit
friedlichen Mitteln bei. Konsultationen finden auch zwischen den Parteien der
entsprechenden Verträge und Abkommen statt, falls zwischen ihnen Differenzen oder
Streitigkeiten auftreten, die eine Bedrohung für die Erhaltung des Friedens in Europa
darstellen könnten.
13. Bis zum Abschluß von Abkommen über die Verringerung der Rüstung und das
Verbot von Atomwaffen sowie über den Abzug ausländischer Truppen aus dem
Hoheitsgebiet der europäischen Länder verpflichten sich die Vertragsstaaten, keine
weiteren Schritte zur Verstärkung ihrer Streitkräfte auf dem Hoheitsgebiet anderer
europäischer Staaten im Rahmen von Verträgen und Abkommen zu unternehmen, die
sie zuvor geschlossen haben.
14. Die Vertragsstaaten kommen überein, daß nach Ablauf einer vereinbarten Frist
ab Inkrafttreten dieses Vertrages der Warschauer Vertrag vom 14. Mai 1955, die
Pariser Abkommen vom 23. Oktober 1954 und der Nordatlantikvertrag vom 4. April
1949 unwirksam werden.
15. Die Geltungsdauer des Vertrages beträgt 50 Jahre.
_____________

Sowjetischer Vorschlag : Grundprinzipien des Vertrags zwischen den


bestehenden Staatengruppen in Europa, 21. Juli 1955 1
GRUNDPRINZIPIEN DES VERTRAGS ZWISCHEN DEN BESTEHENDEN
STAATENGRUPPEN IN EUROPA
Geleitet von dem Wunsch, den Frieden zu stärken und in Anerkennung der
Notwendigkeit, auf jede erdenkliche Weise zum Abbau internationaler Spannungen
und zur Herstellung von Vertrauen in die Beziehungen zwischen den Staaten
beizutragen,
Die Regierungen der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika,
Frankreichs und des Vereinigten Königreichs sind übereingekommen, daß der
Abschluß eines Vertrages zwischen den Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts und
der Westeuropäischen Union einerseits und den Vertragsparteien des Warschauer
Vertrages andererseits im Interesse der Erhaltung des Friedens in Europa liegen
würde. Ein solcher Vertrag könnte auf den folgenden Grundsätzen beruhen :
1. Die Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts und der Pariser Abkommen
einerseits und die Vertragsparteien des Warschauer Vertrags andererseits
verpflichten sich, sich gegeneinander der Anwendung von Waffengewalt zu enthalten.
Diese Verpflichtung berührt nicht das Recht der Staaten auf individuelle oder
kollektive Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs, wie es in Artikel 51
der Charta vorgesehen ist.

1 Ebenda, S. 54.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 153

2. Die Vertragsparteien verpflichten sich, einander bei Differenzen und


Streitigkeiten zu konsultieren, die eine Gefahr für die Erhaltung des Friedens in
Europa darstellen könnten.
3. Dieser Vertrag hat vorläufigen Charakter und bleibt so lange in Kraft, bis er
durch einen Vertrag über die Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit in
Europa ersetzt wird.
____________

Genfer Richtlinie der Regierungsoberhäupter der vier Mächte an die


Außenminister, 23. Juli 1955 1
Die Regierungsoberhäupter Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, der U.S.S.R.
und der U.S.A., geleitet von dem Wunsche, zur Entspannung der internationalen Lage
und zur Festigung des Vertrauens zwischen den Staaten beizutragen, beauftragen ihre
Außenminister, die Prüfung der folgenden Fragen, über die auf der Genfer Konferenz
ein Meinungsaustausch stattgefunden hat, fortzusetzen und wirksame Mittel zu ihrer
Lösung vorzuschlagen, wobei sie den engen Zusammenhang zwischen der
Wiedervereinigung Deutschlands und den Problemen der europäischen Sicherheit
sowie die Tatsache berücksichtigen, daß die erfolgreiche Lösung jedes dieser Probleme
den Interessen der Festigung des Friedens dienen würde.
1. Europäische Sicherheit und Deutschland.
Um die europäische Sicherheit unter Berücksichtigung der legitimen Interessen
aller Nationen und des ihnen innewohnenden Rechts auf individuelle und kollektive
Selbstverteidigung herzustellen, werden die Minister beauftragt, verschiedene
Vorschläge zu diesem Zweck zu prüfen, darunter die folgenden: Ein Sicherheitspakt
für Europa oder für einen Teil Europas, einschließlich Bestimmungen über die
Übernahme der Verpflichtung durch die Mitgliedsländer, keine Gewalt anzuwenden
und einem Aggressor Hilfe zu verweigern ; Begrenzung, Kontrolle und Inspektion in
bezug auf Streitkräfte und Rüstung; Einrichtung einer Zone zwischen Ost und West,
in der die Disposition der Streitkräfte dem gegenseitigen Einvernehmen unterliegt;
sowie die Prüfung anderer möglicher Vorschläge zur Lösung dieses Problems.
Die Regierungsoberhäupter sind in Anerkennung ihrer gemeinsamen
Verantwortung für die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung
Deutschlands übereingekommen, daß die Regelung der deutschen Frage und die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen in Übereinstimmung mit den
nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen
Sicherheit durchgeführt werden sollen. Die Außenminister werden die von ihnen für
wünschenswert erachteten Vorkehrungen für die Teilnahme anderer interessierter
Parteien oder für Konsultationen mit diesen treffen.
2. Abrüstung.
Die vier Regierungsoberhäupter,
In dem Wunsche, die Kriegsgefahr zu beseitigen und die Last der Rüstung zu
verringern,
In der Überzeugung, daß es für die Sicherung des Friedens und für das Wohlergehen
der Menschheit notwendig ist, ein System zur Kontrolle und Verringerung aller
Rüstungen und Streitkräfte unter wirksamen Schutzvorkehrungen zu schaffen,
In der Erkenntnis, daß Erfolge auf diesem Gebiet gewaltige materielle Mittel
freisetzen würden, die für die friedliche wirtschaftliche Entwicklung der Nationen, für

1 Ebenda, S. 67–68.
154 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

die Hebung ihres Wohlstandes sowie für die Unterstützung der unterentwickelten
Länder eingesetzt werden könnten,
Vereinbaren :
( 1 ) für die Zwecke der Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines
annehmbaren Abrüstungssystems durch den Unterausschuss der
Abrüstungskommission der Vereinten Nationen;
( 2 ) ihre Vertreter im Unterausschuß anzuweisen, bei der Erfüllung ihres
Mandats bei den Vereinten Nationen die von den Regierungsoberhäuptern auf
dieser Konferenz vorgebrachten Ansichten und Vorschläge zu berücksichtigen;
( 3 ) vorzuschlagen, die nächste Sitzung des Unterausschusses am 29. August
1955 in New York abzuhalten;
( 4 ) die Außenminister zu beauftragen, die Arbeiten der
Abrüstungskommission zur Kenntnis zu nehmen, die von den
Regierungsoberhäuptern auf dieser Konferenz vorgetragenen Ansichten und
Vorschläge zu berücksichtigen und zu prüfen, ob die vier Regierungen weitere
nützliche Initiativen auf dem Gebiet der Abrüstung ergreifen können.
3. Entwicklung der Kontakte zwischen Ost und West.
Die Außenminister sollten mit Hilfe von Sachverständigen Maßnahmen prüfen,
einschließlich derjenigen, die in den Organen und Einrichtungen der Vereinten
Nationen möglich sind, die ( a ) eine schrittweise Beseitigung der Schranken bewirken
könnten, die die freie Kommunikation und den friedlichen Handel zwischen den
Völkern behindern, und ( b ) freiere Kontakte und einen freieren Austausch
herbeiführen könnten, die zum beiderseitigen Vorteil der betreffenden Länder und
Völker sind.
4. Die Außenminister der vier Mächte werden im Oktober in Genf zusammentreffen,
um ihre Überlegungen zu diesen Fragen einzuleiten und die Organisation ihrer Arbeit
festzulegen.
___________

Kommuniqué über die Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und der


Bundesrepublik Deutschland, 13. September 1955 1
Vom 9. bis 13. September fanden in Moskau Verhandlungen zwischen der
Regierungsdelegation der Sowjetunion und der Regierungsdelegation der
Bundesrepublik Deutschland statt.
Auf sowjetischer Seite nahmen teil: der Vorsitzende des Ministerrates der
Sowjetunion, Marschall ( Nikolai A. ) Bulganin, Leiter der Delegation ; ( Nikita S. )
Chruschtschow, Mitglied des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion ;
( Wjatscheslaw M. ) Molotow, Erster Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates
der Sowjetunion und Außenminister der Sowjetunion ; ( Michael G. ) Perwuchin,
Erster Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der Sowjetunion; ( Iwan G. )
Kabanow, Minister für Außenhandel ; ( Wladimir S. ) Smynow, Stellvertretender
Außenminister der Sowjetunion.
Auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland nahmen folgende Personen an den
Gesprächen teil : Bundeskanzler Dr. ( Konrad ) Adenauer, Leiter der Delegation ;
Außenminister der Bundesrepublik Deutschland Dr. (Heinrich) von Brentano ;
Staatssekretär des Auswärtigen ( Professor Walter ) Hallstein ; Staatssekretär des
Bundeskanzleramtes Dr. ( Hans ) Glebke ; Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses

1 Akten des Außenministeriums.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 155

des Bundestages und Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, ( Karl )


Arnold ; Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ( Georg )
Kiesinger ; Stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des
Bundestages ( Dr. Carl ) Schmid ; Botschafter ( Dr. Herbert ) Blankenhorn ;
Botschafter ( Felix ) von Eckardt ; Ministerialdirektor Dr. Growe.
Während der Gespräche, die in einer Atmosphäre des gegenseitigen Verständnisses
stattfanden, kam es zu einem breiten und offenen Meinungsaustausch über die Frage
der gegenseitigen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik
Deutschland. Bei den Gesprächen wurde auch die Frage der Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland erörtert.
Es wurde eine Vereinbarung getroffen, die in einem Schriftwechsel zwischen den
Parteien zum Ausdruck kam, um die Zustimmung der Bundesregierung und des
Bundestages sowie des Präsidiums des Obersten Sowjets zur Aufnahme
diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu erhalten und zu diesem
Zweck Botschaften in Bonn bzw. in Moskau einzurichten sowie diplomatische
Vertreter im Rang von außerordentlichen und bevollmächtigten Botschaftern
auszutauschen.
Beide Delegationen waren sich darin einig, daß die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zur Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses und der
Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland im
Interesse des Friedens und der Sicherheit in Europa beitragen würde.
Die Parteien gehen davon aus, daß die Aufnahme und Entwicklung normaler
Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland die
Lösung der anstehenden gesamtdeutschen Probleme fördern und damit zur Lösung
des wichtigsten nationalen Problems des deutschen Volkes, der Wiederherstellung der
Einheit des demokratischen Staates Deutschland, beitragen muss.
Zur Bestätigung der erzielten Vereinbarung führten der Vorsitzende des
Ministerrats der Sowjetunion und der Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland einen Schriftwechsel, dessen Wortlaut in der Anlage wiedergegeben ist.
Die Parteien kamen ferner überein, daß in Kürze Verhandlungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion über die Probleme der Entwicklung
des Handels geführt werden sollen.
___________

Schreiben von Premierminister Bulganin an Kanzler Adenauer, 13.


September 1955 1
Im Zusammenhang mit der in den Verhandlungen zwischen den
Regierungsdelegationen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland
erzielten Vereinbarung habe ich die Ehre zu bestätigen, daß die Sowjetische Regierung
den Beschluß gefaßt hat, diplomatische Beziehungen mit der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen und einen Austausch von diplomatischen
Vertretern im Rang eines bevollmächtigten und außerordentlichen Botschafters
vorzunehmen.
Die sowjetische Regierung bringt ihre Zuversicht zum Ausdruck, daß die Aufnahme
diplomatischer Beziehungen zur Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses und
der Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland

1 Akten des Außenministeriums. Ein ähnliches Schreiben wurde von Bundeskanzler Adenauer an

Premierminister Bulganin gesandt.


156 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

im Interesse des Friedens und der Sicherheit in Europa beitragen wird.


Die sowjetische Regierung läßt sich von der Tatsache leiten, daß die Aufnahme und
Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der
Bundesrepublik Deutschland zur Lösung der noch offenen gesamtdeutschen Probleme
und damit auch zur Lösung der wichtigsten gemeinsamen nationalen Probleme des
deutschen Volkes––der Errichtung eines vereinigten demokratischen deutschen
Staates––beitragen wird.
Ich halte es für notwendig festzustellen, daß das Abkommen über die Aufnahme
diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik
Deutschland mit der Bestätigung durch das Präsidium des Obersten Sowjets der
UdSSR in Kraft treten wird.
Ich bitte Sie, meine Grüße und die Versicherung meiner hohen Wertschätzung
entgegenzunehmen.
____________

Schreiben von Kanzler Adenauer an Premierminister Bulganin, in dem er


bestimmte Vorbehalte zum Zeitpunkt der Aufnahme diplomatischer
Beziehungen äußert, 13. September 1955 1
Herr Präsident, anläßlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der UdSSR erkläre
ich :
1. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der UdSSR bedeutet keine
Anerkennung des gegenwärtigen territorialen Status auf beiden Seiten. Die
endgültige Abgrenzung der deutschen Grenzen bleibt dem Friedensvertrag
vorbehalten.
2. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Regierung der
Sowjetunion bedeutet keine Änderung des Rechtsstandpunktes der
Bundesregierung in bezug auf ihre Befugnisse zur Vertretung des deutschen
Volkes in internationalen Angelegenheiten und in bezug auf die politischen
Verhältnisse in den deutschen Gebieten, die sich gegenwärtig außerhalb ihrer
tatsächlichen Souveränität befinden.
___________

Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen


Republik, 20. September 1955 2
Der Präsident der DDR und das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR,
geleitet von dem Wunsch nach der Entwicklung einer engen Zusammenarbeit und der
weiteren Festigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der
UdSSR auf der Grundlage der Gleichberechtigung, der gegenseitigen Achtung der
Souveränität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, angesichts der
neuen Lage, die durch das Inkrafttreten der Pariser Abkommen von 1954 entstanden
ist, überzeugt, daß die gemeinsamen Bemühungen der DDR und der Sowjetunion, bei
der Erhaltung und Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa
zusammenzuarbeiten, und die Einheit Deutschlands als eines friedliebenden und
demokratischen Staates wiederherzustellen und eine Friedensregelung mit
Deutschland in Form eines Vertrages herbeizuführen, dem Interesse des deutschen

1 Akten des Außenministeriums. Für den deutschen Text siehe Bulletin des Presse- und Informationsamtes
der Bundesregierung, Sonderausgabe, Bonn, 20. September 1955.
2 New York Times, 21. September 1955. Der Vertrag trat am 6. Oktober 1955 in Kraft.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 157

Volkes und des sowjetischen Volkes und ebenso den Interessen der anderen
europäischen Völker entsprechen, haben unter Berücksichtigung der Verpflichtungen
der DDR und der Sowjetunion aus den internationalen Abkommen, die Deutschland
als Ganzes betreffen, beschlossen, diesen Vertrag zu schließen, und haben zu ihren
Bevollmächtigten ernannt: der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik,
der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl; das Präsidium des Obersten Sowjets
der UdSSR, der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, N. A. Bulganin, die nach
Austausch ihrer vollen Befugnisse, die sie in guter und ordnungsgemäßer Form
vorgefunden haben, die folgenden Bedingungen vereinbart haben :
Die Vertragsparteien bestätigen feierlich, daß die Beziehungen zwischen ihnen auf
völliger Rechtsgleichheit, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der
Nichteinmischung in innere Angelegenheiten beruhen.
Demgemäß ist die Deutsche Demokratische Republik frei in ihren Entscheidungen
über Fragen der Innen- und Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen zur
Bundesrepublik Deutschland, sowie über die Entwicklung der Beziehungen zu
anderen Staaten.
Die Vertragsparteien erklären ihre Bereitschaft, im Geiste aufrichtiger
Zusammenarbeit an allen internationalen Aktionen teilzunehmen, deren Ziel die
Wahrung des Friedens und der Sicherheit in Europa und in der ganzen Welt ist und
die mit den Statuten der Organisation der Vereinten Nationen übereinstimmen.
Zu diesem Zweck konsultieren sie sich gegenseitig über alle wichtigen
internationalen Fragen, die die Interessen beider Staaten berühren. Sie werden alle
ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen mit dem Ziel, eine Verletzung
des Friedens nicht zuzulassen.
In Übereinstimmung mit den Interessen beider Länder und nach den Grundsätzen
der Freundschaft kommen die Vertragsparteien überein, die zwischen der Deutschen
Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
bestehenden wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen
Beziehungen weiter zu entwickeln und zu verstärken, jede mögliche gegenseitige Hilfe
zu gewähren und die notwendige wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische
Zusammenarbeit zu gestalten.
Die derzeit auf dem Gebiet der östlichen Deutschen Demokratischen Republik
stationierten sowjetischen Truppen verbleiben gemäß den bestehenden
zwischenstaatlichen Vereinbarungen mit Zustimmung der Regierungen der Deutschen
Demokratischen Republik vorübergehend in der Deutschen Demokratischen Republik
zu Bedingungen, die in einem Zusatzabkommen zwischen der Regierung der
Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion geregelt werden.
Die vorübergehend auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik
stationierten sowjetischen Truppen werden sich nicht in die inneren Angelegenheiten
der Deutschen Demokratischen Republik und in das sozialpolitische Leben des Landes
einmischen.
Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß es ihr Hauptziel ist, auf dem Wege
geeigneter Verhandlungen eine friedliche Regelung für ganz Deutschland
herbeizuführen.
Dementsprechend werden sie die notwendigen Anstrengungen für eine Regelung
durch einen Friedensvertrag und für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands
auf friedlicher und demokratischer Grundlage unternehmen.
158 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Schreiben des Außenministers der Deutschen Demokratischen Republik


( Bolz ) an den stellvertretenden Außenminister der Sowjetunion ( Zorin ),
20. September 1955 1
Die Regierung der DDR hat mich ermächtigt, zu bestätigen, daß im Ergebnis der
zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR in Moskau vom 17.
bis 20. September 1955 geführten Verhandlungen in den folgenden Punkten
Übereinstimmung erzielt worden ist :
( 1 ) Die DDR kontrolliert und bewacht die Grenzen der DDR, die
Demarkationslinie zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, am
Außenring von Groß-Berlin, innerhalb Berlins und an den auf dem Gebiet der DDR
liegenden Verbindungslinien zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-
Berlin, die sich auf dem Gebiet der DDR befinden.
Bei der Kontrolle und Bewachung der auf dem Gebiet der DDR gelegenen
Verbindungslinien zwischen der Deutschen Bundesrepublik und West-Berlin wird die
DDR mit den zuständigen Stellen der Deutschen Bundesrepublik die Regelung aller
mit dem Eisenbahn- und Straßenverkehr und der Durchfahrt der Schifffahrt der
Deutschen Bundesrepublik und West-Berlins, ihrer Staatsangehörigen oder
Einwohner und ausländischer Staaten und deren Staatsangehörigen
zusammenhängenden Fragen sicherstellen, mit Ausnahme des Personals und
Materials der Truppen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs in
West-Berlin, das nachfolgend in Absatz 2 erwähnt wird.
Die Aufgaben der Ausstellung und Ausfüllung von Schiffspapieren für die
Schifffahrt auf den Binnenwasserstraßen der DDR und anderen werden danach
ausschließlich von den Behörden der DDR wahrgenommen.
( 2 ) Die Kontrolle des Verkehrs von Truppen und Material der Garnisonen von
Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten, die in West-Berlin stationiert
sind, wird bis zum Abschluß eines entsprechenden Abkommens vorübergehend durch
das Kommando der sowjetischen Truppen in Deutschland ausgeübt. Zu diesem Zweck
wird die Beförderung von militärischem Personal oder von Garnisonsmaterial der
Truppen der drei Westmächte in West-Berlin auf der Grundlage der bestehenden Vier-
Mächte-Beschlüsse gestattet werden :
( A ) Auf der Autobahn Berlin-Marienborn,
( B ) Auf der Eisenbahnlinie Berlin-Helmstedt, wobei leeres Rollmaterial auf
der Eisenbahnlinie Berlin-Ebensfeld zurückgeleitet wird.
( C ) In den Luftkorridoren Berlin-Hamburg, Berlin-Bückeburg und Berlin-
Frankfurt-Main
___________

Erklärung der amerikanischen, britischen und französischen


Außenminister zu den Abkommen zwischen der Sowjetunion und der DDR,
28. September 1955 2
Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und
Frankreichs möchten ihren Standpunkt zu bestimmten Punkten darlegen im
Zusammenhang mit den Vereinbarungen zwischen der Sowjetunion und dem Regime
in der Sowjetzone Deutschlands vom 20. September 1955, über die in der Presse
berichtet wurde.

1 Sowjetische Rundfunksendung. Herr Zorin richtete ein analoges Schreiben an Dr. Bolz.
2 Bulletin des Außenministeriums, 10. Oktober 1955, S. 559–560. Herausgegeben in New York.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 159
Sie möchten in erster Linie betonen, daß diese Abkommen die Verpflichtungen oder
Verantwortlichkeiten der Sowjetunion im Rahmen von Abkommen und
Vereinbarungen zwischen den Drei Mächten und der Sowjetunion in Bezug auf
Deutschland und Berlin nicht berühren können. Die Sowjetunion bleibt für die
Erfüllung dieser Verpflichtungen verantwortlich.
Zweitens bekräftigen die drei Außenminister, daß die Bundesrepublik Deutschland
die einzige deutsche Regierung ist, die sich frei und rechtmäßig konstituiert hat und
daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes in
internationalen Angelegenheiten zu sprechen. Diese drei Regierungen erkennen weder
das ostdeutsche Regime noch die Existenz eines Staates in der Sowjetzone an.
Letztendlich, in Bezug auf die Aussage, die kürzlich in der Sowjetischen Presse über
die Grenzen Deutschlands erschienen ist, bekräftigen die drei Außenminister den
wiederholt zum Ausdruck gebrachten Standpunkt ihrer Regierungen, daß die
endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer Friedensregelung für
ganz Deutschland erfolgen muß.
___________

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium zu


den Abkommen zwischen der Sowjetunion und der DDR, 3. Oktober 1955 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika möchte im Einvernehmen mit
den Regierungen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs ihren Standpunkt zu
den am 20. September 1955 in Moskau zwischen Marschall Bulganin und Herrn
Grotewohl geschlossenen Vereinbarungen, wie sie in der Presse veröffentlicht wurden,
bekanntgeben.
Die drei Regierungen erklären, daß diese Vereinbarungen in keiner Weise die
Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten der UdSSR im Rahmen von Abkommen
und Vereinbarungen über Deutschland, einschließlich Berlin, die zuvor zwischen
Frankreich, den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und der UdSSR
geschlossen wurden, berühren können.
Die drei Regierungen sind der Auffassung, daß die UdSSR weiterhin an die
Verpflichtungen gebunden ist, die sie gegenüber den Drei Mächten in Bezug auf
Deutschland eingegangen ist, und daß insbesondere der Briefwechsel zwischen Herrn
Zorin und Herrn Bolz vom 20. September 1955 nicht dazu führen kann, daß die UdSSR
von den Verpflichtungen entbunden wird, die sie in Fragen des Verkehrs und der
Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilen Deutschlands, einschließlich
Berlins, übernommen hat.
___________

Note des sowjetischen Außenministeriums an die amerikanische Botschaft


über die Abkommen zwischen der Sowjetunion und der DDR, 18. Oktober
1955 2
Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken sendet der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika seine
Grüße und beehrt sich, im Zusammenhang mit deren Note vom 3. Oktober das
Folgende mitzuteilen:
Am 20. September dieses Jahres schlossen die Regierung der Sowjetunion und die
Regierung der Deutschen Demokratischen Republik einen „Vertrag über die
Beziehungen zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der

1 Ebenda, 17. Oktober 1955, S. 616. Die britische und die französische Botschaft übermittelten am selben
Tag ähnliche Noten. Zum Wortlaut der sowjetischen Antwort vom 18. Oktober siehe unten.
2 Ebenda, 7. November 1955, S. 734–735. Zum Wortlaut der amerikanischen Antwort vom 27. Oktober, siehe

unten.
160 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Deutschen Demokratischen Republik“, der nach der Ratifizierung durch die


Parlamente beider Länder in Kraft getreten ist. Gemäß des Vertrags werden die
Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik
auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung, der gegenseitigen Achtung der
Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten geregelt. Der
Vertrag sieht die Zusammenarbeit der Sowjetunion und der Deutschen
Demokratischen Republik im Interesse der Gewährleistung des Friedens und der
Sicherheit in Europa und der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf einer
friedliebenden und demokratischen Grundlage vor.
Mit dem Abschluß des Vertrages mit der Deutschen Demokratischen Republik traf
die Sowjetregierung gleichzeitig die Entscheidung über die Abschaffung der Funktion
des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland sowie über die Beendigung der
Gültigkeit der von den Besatzungsmächten im Zuge der Ausübung der
Besatzungsrechte in Deutschland erlassenen Gesetze, Direktiven und Dekrete des
ehemaligen Kontrollrates in Deutschland auf dem Gebiet der Deutschen
Demokratischen Republik.
Gleichzeitig hat die Sowjetunion in Anbetracht der gegenwärtigen Situation, in der
auf dem Territorium Deutschlands zwei unabhängige souveräne Staaten existieren,
diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen.
Somit unterhält die Sowjetunion gegenwärtig diplomatische Beziehungen zu beiden
Staaten, die auf dem Territorium Deutschlands existieren.
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika unterhält diplomatische
Beziehungen zu einem deutschen Staat––der Bundesrepublik Deutschland––, mit dem
sie in Verletzung der Verpflichtungen, die sie im Rahmen der Vier-Mächte-Beschlüsse
in bezug auf Deutschland übernommen hat, bekannte Verträge geschlossen hat. Das
Fehlen normaler Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu dem anderen
Teil Deutschlands––der Deutschen Demokratischen Republik––kann natürlich nicht
als Hindernis für eine ordnungsgemäße Regelung der Beziehungen zwischen der
Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik dienen.
Mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Beziehungen zwischen der UdSSR
und der Deutschen Demokratischen Republik gingen die Parteien von der Prämisse
aus, daß die Deutsche Demokratische Republik ihre Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet
ihrer Souveränität ausübt, was natürlich auch für die Kommunikation auf diesem
Gebiet gilt.
Was die Kontrolle der Bewegungen des militärischen Personals und von
Frachtgütern der in West-Berlin stationierten Garnisonen der USA, Großbritanniens
und Frankreichs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin
anbelangt, so wurde in den Verhandlungen zwischen den Regierungen der UdSSR und
der Deutschen Demokratischen Republik vereinbart, daß diese Kontrolle bis zum
Abschluß eines entsprechenden Abkommens vorübergehend vom Kommando der
sowjetischen Streitkräfte in Deutschland ausgeübt wird.
Es versteht sich von selbst, daß die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen
Demokratischen Republik beim Abschluß des obengenannten Vertrages die
Verpflichtungen berücksichtigten, die beide aufgrund bestehender internationaler
Abkommen in bezug auf Deutschland als Ganzes haben.
In diesem Zusammenhang beehrt sich das Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten der UdSSR, der Botschaft den Wortlaut des „Vertrags über die
Beziehungen zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der
Deutschen Demokratischen Republik“ und die damit zusammenhängenden
Dokumente zur Kenntnisnahme zu übermitteln.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 161

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium


zu den Vereinbarungen zwischen der Sowjetunion und der DDR, 27.
Oktober 1955 1
Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika legt dem Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten ihre Stellungnahme vor und beehrt sich, unter
Bezugnahme auf die Note des Ministeriums vom 18. Oktober 1955 zu den am 20.
September 1955 zwischen Marschall Bulganin und Herrn Grotewohl getroffenen
Vereinbarungen, die folgenden Ansichten der Regierung der Vereinigten Staaten
mitzuteilen.
Wie die Regierung der Vereinigten Staaten bereits in ihrer Note vom 3. Oktober
1955 klargestellt hat, entbinden diese Vereinbarungen die sowjetische Regierung in
keiner Weise von ihren Verpflichtungen aus den bestehenden Vier-Mächte-Abkommen
und insbesondere von ihrer Verantwortung, das normale Funktionieren der
Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilen Deutschlands, einschließlich
Berlins, sicherzustellen.
Die Regierung der Vereinigten Staaten kann ihrerseits die in der Mitteilung des
Ministeriums enthaltene Behauptung nicht akzeptieren, daß sie in den Verträgen, die
sie mit der deutschen Bundesregierung geschlossen hat, die Verpflichtungen verletzt
hat, die sie im Rahmen der Viermächteabkommen übernommen hatte.
___________

Westlicher Vorschlag zur deutschen Wiedervereinigung und zur


europäischen Sicherheit, 27. Oktober 1955 2
WIEDERVEREINIGUNG DEUTSCHLANDS UND SICHERHEIT
Auf der Genfer Konferenz haben die Regierungschefs in ihrer Richtlinie an die
Außenminister die gemeinsame Verantwortung der vier Mächte für die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit den nationalen
Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit
anerkannt.
Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika
haben sich unablässig für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit eingesetzt,
um echte Stabilität in Europa zu fördern. Im vergangenen Jahr haben sie mit dem
Eden-Plan Vorschläge unterbreitet, die dem deutschen Volk die Möglichkeit bieten,
seine Einheit im Einklang mit den Rechten der Völker und der Freiheit des Einzelnen
wiederherzustellen. Sie erneuern diese Vorschläge in dem beiliegenden Papier.
Freie Wahlen, die zur Bildung einer einheitlichen Regierung für ganz Deutschland
führen, sind der richtige Weg, um die volle Beteiligung des deutschen Volkes an der
Lösung des deutschen Problems zu gewährleisten, was es auch wünscht, so die
Sowjetische Regierung. Wenn auf dieser Konferenz eine grundsätzliche Einigung
erzielt wird, sollte es möglich sein, die Fragen des Wahlrechts und der Überwachung
der Wahlen, die bereits 1956 stattfinden könnten, ohne Verzögerung zu regeln.
Ohne die deutsche Einheit wäre jedes System der europäischen Sicherheit eine
Illusion. Die Teilung Deutschlands kann nur zu Reibungen und Unsicherheit sowie zu
schwerem Unrecht führen. Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten

1 Ebenda, 7. November 1955, S. 734.


2 Das Genfer Treffen der Außenminister, 27. Oktober bis 16. November 1955 (Publikation des
Außenministeriums 6156), S. 27–28. Der Vorschlag wurde am 27. Oktober von Außenminister Pinay im
Namen der amerikanischen, britischen und französischen Delegationen unterbreitet, aber die Diskussion
darüber begann am 28. Oktober, als der Vorschlag von Außenminister Macmillan verlesen wurde. Dem
Vorschlag waren der Entwurf des Zusicherungsvertrags (unten) und der Eden-Plan vom 29. Januar 1954
(oben) beigefügt.
162 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Staaten von Amerika sind nicht bereit, sich auf ein System der europäischen Sicherheit
einzulassen, das, wie in den sowjetischen Vorschlägen von Genf weitergegeben, die
Teilung Deutschlands nicht beendet.
Auf der Genfer Konferenz äußerte die sowjetische Regierung ihre Besorgnis über die
Politik und den Zusammenschluß einer wiedervereinten deutschen Regierung. Die
Sowjetunion scheint zu befürchten, daß ein vereintes Deutschland, das aus freien
Wahlen hervorgeht und seine Partner für die kollektive Verteidigung frei wählen
kann, eine Bedrohung für die Sicherheit der Sowjetunion und Osteuropas darstellen
würde. Tatsache ist, daß die Nordatlantikpakt-Organisation und die Westeuropäische
Union reine Verteidigungsorganisationen sind. Sie stellen keineswegs eine Bedrohung
des Friedens dar, sondern tragen zur Sicherheit nicht nur ihrer Mitglieder, sondern
aller Staaten bei. Dies geht aus den verschiedenen Beschränkungen und Auflagen
hervor, die die Mitglieder der Westeuropäischen Union übernommen haben, sowie aus
der Beschränkung des individuellen Handelns, die das NATO-System seinen
Mitgliedern auferlegt. Wenn ein wiedervereintes Deutschland sich diesen
Organisationen anschließen würde, würden die damit verbundenen Verpflichtungen
zur Zurückhaltung und Kontrolle die sowjetische Sicherheit eher erhöhen als
beeinträchtigen.
Um der sowjetischen Weigerung, die Wiedervereinigung Deutschlands rasch zu
vollziehen, den Boden zu entziehen, sind Frankreich, das Vereinigte Königreich und
die Vereinigten Staaten von Amerika bereit, weitere Schritte zu unternehmen, um den
von der sowjetischen Regierung geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen. Sie
schlagen daher den Abschluss eines Vertrages mit dem nachstehenden Wortlaut vor,
und zwar gleichzeitig mit dem Abschluss eines Abkommens über die
Wiedervereinigung Deutschlands nach dem Eden-Plan. Dieser Vertrag würde
Verpflichtungen zum Verzicht auf Gewaltanwendung und zur Zurückhaltung von
Hilfe gegenüber einem Aggressor, Bestimmungen über die Begrenzung und Kontrolle
von Streitkräften und Rüstungsgütern sowie die Verpflichtung zur Reaktion auf eine
Aggression enthalten. Der Vertrag würde erst in Verbindung mit der
Wiedervereinigung Deutschlands in Kraft treten. Er soll in mehreren Schritten
umgesetzt werden. Seine Unterzeichnung würde gleichzeitig mit der Unterzeichnung
des Abkommens über den Eden-Plan erfolgen. Die letzte Stufe würde in Kraft treten,
wenn ein wiedervereintes Deutschland beschließt, der NATO und der
Westeuropäischen Union beizutreten.
Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika
sind überzeugt, daß diese Vorschläge zu einem für beide Seiten zufriedenstellenden
Abkommen führen könnten. Wenn die Besorgnis der Sowjetunion über die sofortige
Wiedervereinigung Deutschlands in erster Linie auf die Sicherheit zurückzuführen ist,
dürften diese Vorschläge eine annehmbare Verhandlungsgrundlage darstellen, da sie
ein System von Kontrollen vorsehen, an dem die Sowjetunion unmittelbar beteiligt
wäre, sowie gegenseitige Zusicherungen, von denen die Sowjetunion unmittelbar
profitieren würde. Eine solche Regelung würde durch die Schaffung von Vertrauen in
einem für die Weltsicherheit wichtigen Bereich die Lösung noch umfassenderer
Probleme erleichtern.
___________

Westlicher Entwurf der Bedingungen des Zusicherungsvertrags über die


Wiedervereinigung Deutschlands, 27. Oktober 1955 1
Der Vertrag, der gleichzeitig mit einem Abkommen über die Wiedervereinigung
Deutschlands im Rahmen des Eden-Plans geschlossen werden soll, würde folgende
Themen abdecken :

1 Ebenda, S. 29–30.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 163

1.––Verzicht auf die Anwendung von Gewalt––


Jede Partei würde sich verpflichten, sämtliche internationalen Streitigkeiten, in die
sie verwickelt sein könnte, mit friedlichen Mitteln beizulegen und auf die Anwendung
von Gewalt, die mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist, zu verzichten.
2.––Vorenthaltung der Unterstützung für Aggressoren––
Jede Partei würde sich bereit erklären, jedem Aggressor militärische und
wirtschaftliche Unterstützung zu verweigern, und jede Partei könnte die Vereinten
Nationen auf die Aggression aufmerksam machen und um die Maßnahmen ersuchen,
die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit erforderlich sind.
3.––Begrenzung von Streitkräften und Rüstungsgütern––
In einer Zone, die Gebiete von vergleichbarer Größe, Tiefe und Bedeutung
beiderseits der Demarkationslinie zwischen dem wiedervereinigten Deutschland und
den osteuropäischen Ländern umfasst, würde der Umfang der Streitkräfte so
festgelegt, daß ein militärisches Gleichgewicht hergestellt wird, welches zur
europäischen Sicherheit beiträgt und hilft, die Last der Rüstung zu verringern. Für
die Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichts gäbe es geeignete Bestimmungen. In den
Teilen des Gebiets, die der Demarkationslinie am nächsten liegen, könnten besondere
Maßnahmen hinsichtlich der Disposition der Streitkräfte und der militärischen
Einrichtungen getroffen werden.
4.––Kontrolle und Überwachung––
Die Parteien würden auf einer vereinbarten schrittweisen Basis Informationen über
ihre Streitkräfte in der Zone zur Verfügung stellen. Es würden schrittweise Verfahren
der gegenseitigen Kontrolle vereinbart, um diese Daten zu überprüfen und vor der
Vorbereitung eines Überraschungsangriffs zu warnen.
5.––Spezielles Warnsystem––
Um das Überwachungssystem auf beiden Seiten zu vertiefen und damit einen
zusätzlichen Schutz gegen Überraschungsangriffe zu bieten, könnte vorgesehen
werden, daß
a) im westlichen Teil des in Absatz 3 genannten Gebietes ein
Radarwarnsystem, das von der Sowjetunion und den anderen östlichen
Vertragsstaaten betrieben wird, und
b) ein ähnliches System im östlichen Teil dieser Zone, das von den NATO-
Mitgliedern des Vertrags betrieben wird.
6.––Beratung––
Für die Umsetzung des Vertrages wäre eine angemessene Beratung zwischen den
Vertragsparteien vorgesehen.
7.––Individuelle und kollektive Selbstverteidigung––
Es würde vorgesehen, daß nichts in diesem Vertrag das Recht auf individuelle und
kollektive Selbstverteidigung, das durch die Charta der Vereinten Nationen und die
ihr zugrunde liegenden Verträge anerkannt wird, beeinträchtigt oder ihm
zuwiderläuft. Keine Vertragspartei würde weiterhin Streitkräfte im Hoheitsgebiet
einer anderen Vertragspartei ohne deren Zustimmung stationieren, und auf Ersuchen
der betreffenden Vertragspartei würde jede Vertragspartei ihre Streitkräfte innerhalb
einer bestimmten Frist abziehen, es sei denn, diese Streitkräfte befinden sich im
Rahmen kollektiver Verteidigungsvereinbarungen in dem betreffenden Gebiet.
8.––Verpflichtung zur Reaktion auf Aggression––
Jede Partei würde darin übereinstimmen, daß ein bewaffneter Angriff in Europa
durch eine Partei, die auch Mitglied der NATO ist, gegen eine Partei, die nicht Mitglied
164 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

der NATO ist, oder umgekehrt, den Frieden und die Sicherheit, die Gegenstand dieses
Vertrages sind, gefährden würde, und daß alle Parteien dann geeignete Maßnahmen
ergreifen würden, um dieser gemeinsamen Gefahr zu begegnen.
9.––Stufenweises Inkrafttreten––
Die Bestimmungen würden schrittweise in noch zu vereinbarenden Stufen in Kraft
treten.
___________

Sowjetischer Entwurf eines Vertrags über kollektive Sicherheit in Europa,


28. Oktober 1955 1
ALLGEMEINER EUROPÄISCHER VERTRAG ÜBER KOLLEKTIVE
SICHERHEIT IN EUROPA

(GRUNDPRINZIPIEN)

I.

Zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit und zur Verhinderung einer
Aggression gegen einen Staat in Europa,
Zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit in Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Achtung der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten und der
Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten,
In dem Bestreben, konzertierte Anstrengungen aller europäischen Staaten zur
Gewährleistung der kollektiven Sicherheit in Europa zu erreichen, anstatt
Gruppierungen einiger europäischer Staaten zu bilden, die gegen andere europäische
Staaten gerichtet sind, was zu Reibungen und angespannten Beziehungen zwischen
den Nationen führt und das gegenseitige Mißtrauen verschärft,
In der Erwägung, daß die Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa
die frühestmögliche Lösung der Deutschen Frage durch die Einigung Deutschlands auf
friedlicher und demokratischer Grundlage erleichtern würde,
Schließen die europäischen Staaten, geleitet von den Zielen und Grundsätzen der
Charta der Vereinten Nationen, einen Allgemeinen Europäischen Vertrag über
kollektive Sicherheit in Europa, dessen grundlegende Bestimmungen wie folgt
lauten :
1. Alle europäischen Staaten, unabhängig von ihrem Gesellschaftssystem, sowie
die Vereinigten Staaten von Amerika können dem Vertrag beitreten, sofern sie die
Ziele des Vertrags anerkennen und die darin festgelegten Verpflichtungen
übernehmen.
Bis zur Bildung eines geeinten, friedliebenden, demokratischen deutschen Staates
können die Deutsche Demokratische Republik und die Deutsche Bundesrepublik
Vertragsparteien sein und die gleichen Rechte wie die anderen Vertragsparteien
genießen. Es besteht Einigkeit darüber, daß nach der Vereinigung Deutschlands der
vereinigte deutsche Staat nach den allgemeinen Bestimmungen dieses Vertrages
Vertragspartei sein kann.
Der Abschluß des Vertrags über kollektive Sicherheit in Europa berührt nicht die
Zuständigkeit im Hinblick auf den Umgang der vier Mächte––die UdSSR, die USA,
das Vereinigte Königreich und Frankreich––mit dem deutschen Problem, das in
Übereinstimmung mit den zuvor von den vier Mächten gefaßten Beschlüssen geregelt
werden soll.

1 Ebenda, S. 45–48.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 165

2. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sich gegenseitiger Aggressionen zu


enthalten und in ihren internationalen Beziehungen nicht auf die Androhung oder
Anwendung von Gewalt zurückzugreifen und in Übereinstimmung mit der Charta der
Vereinten Nationen jede zwischen ihnen entstehende Streitigkeit mit friedlichen
Mitteln und in einer Weise beizulegen, die den Weltfrieden und die Sicherheit in
Europa nicht gefährdet.
3. Droht nach Auffassung eines Vertragsstaats ein bewaffneter Angriff in Europa
gegen einen oder mehrere Vertragsstaaten, so konsultieren sie einander, um wirksame
Schritte zur Beseitigung dieser Bedrohung und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit
in Europa zu unternehmen.
4. Ein bewaffneter Angriff in Europa gegen einen oder mehrere Vertragsstaaten
durch einen Staat oder eine Gruppe von Staaten gilt als Angriff gegen alle
Vertragsparteien. Im Falle eines solchen Angriffs unterstützt jede Vertragspartei in
Ausübung des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung den oder die
angegriffenen Staaten mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, einschließlich
der Anwendung von Waffengewalt, um den internationalen Frieden und die
internationale Sicherheit in Europa wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten.
5. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, so bald wie möglich gemeinsam das
Verfahren zu erörtern und festzulegen, nach dem die Vertragsstaaten im Falle einer
Lage in Europa, die eine gemeinsame Anstrengung zur Wiederherstellung und
Wahrung des Friedens in Europa erfordert, Hilfe, einschließlich militärischer Hilfe,
leisten werden.
6. Die Vertragsstaaten unterrichten den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in
Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen unverzüglich über alle
Maßnahmen, die sie zur Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung oder zur
Wahrung des Friedens und der Sicherheit in Europa getroffen haben oder zu treffen
beabsichtigen.
7. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sich an keiner Koalition oder Allianz zu
beteiligen und keine Vereinbarungen zu treffen, deren Ziele den Zielen des Vertrags
über kollektive Sicherheit in Europa zuwiderlaufen.
8. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, eine umfassende wirtschaftliche und
kulturelle Zusammenarbeit untereinander sowie mit anderen Staaten durch die
Entwicklung des Handels und anderer wirtschaftlicher Beziehungen sowie durch die
Stärkung kultureller Bindungen auf einer Grundlage zu fördern, die jede
Diskriminierung oder Beschränkung ausschließt, die eine solche Zusammenarbeit
behindert.
9. Zur Durchführung der Bestimmungen des Vertrags, die sich auf Konsultationen
zwischen seinen Vertragsparteien beziehen, und zur Prüfung von Fragen, die sich im
Zusammenhang mit der Aufgabe, die Sicherheit in Europa zu gewährleisten, ergeben,
ist folgendes vorzusehen:
( a ) Regelmäßige Konferenzen oder, falls erforderlich, Sonderkonferenzen, auf
denen jeder Staat durch ein Mitglied seiner Regierung oder einen anderen
besonders bezeichneten Vertreter vertreten sein wird;
( b ) die Einsetzung eines ständigen beratenden politischen Ausschusses,
dessen Aufgabe es ist, geeignete Empfehlungen an die Regierungen der
Vertragsstaaten auszuarbeiten;
( c ) die Einsetzung eines beratenden militärischen Organs, dessen
Aufgabenbereich zu gegebener Zeit festgelegt wird.
166 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

10. In Anerkennung der besonderen Verantwortung der ständigen Mitglieder des


Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit laden die Vertragsstaaten die Regierung der Volksrepublik
China ein, Vertreter als Beobachter in die nach dem Vertrag geschaffenen Organe zu
entsenden.
11. Dieser Vertrag beeinträchtigt in keiner Weise die Verpflichtungen der
europäischen Staaten aus internationalen Verträgen und Übereinkünften, bei denen
sie Vertragspartei sind, sofern die Grundsätze und Ziele dieser Übereinkünfte mit
denen dieses Vertrags übereinstimmen.

II.

12. Die Vertragsstaaten kommen überein, daß sie während des ersten Zeitraums
(zwei oder drei Jahre) der Durchführung von Maßnahmen zur Errichtung des Systems
der kollektiven Sicherheit in Europa nach diesem Vertrag nicht von den
Verpflichtungen entbunden werden, die sie aufgrund bestehender Verträge und
Vereinbarungen übernommen haben.
Gleichzeitig verzichten die Vertragsstaaten der bestehenden Verträge und
Abkommen, die militärische Verpflichtungen vorsehen, auf die Anwendung von
Waffengewalt und legen alle Streitigkeiten, die zwischen ihnen entstehen können, mit
friedlichen Mitteln bei. Außerdem finden Konsultationen zwischen den Parteien der
entsprechenden Verträge und Abkommen statt, falls zwischen ihnen Differenzen oder
Streitigkeiten auftreten, die eine Gefahr für die Aufrechterhaltung des Friedens in
Europa darstellen könnten.
13. Bis zum Abschluß von Abkommen über die Verringerung der Rüstung und das
Verbot von Atomwaffen sowie über den Abzug ausländischer Truppen aus dem
Hoheitsgebiet europäischer Länder verpflichten sich die Vertragsstaaten, keine
weiteren Schritte zur Verstärkung ihrer Streitkräfte auf dem Hoheitsgebiet anderer
europäischer Staaten im Rahmen von Verträgen und Abkommen zu unternehmen, die
sie zuvor geschlossen haben.
14. Die Vertragsstaaten kommen überein, daß nach Ablauf einer vereinbarten Frist
ab Inkrafttreten dieses Vertrages der Warschauer Vertrag vom 14. Mai 1955, die
Pariser Abkommen vom 23. Oktober 1954 und der Nordatlantikvertrag vom 4. April
1949 unwirksam werden.
15. Die Geltungsdauer des Vertrages beträgt 50 Jahre.
___________

Erklärung des Außenministers Dulles in Genf über Deutschland und die


europäische Sicherheit, 28. Oktober 1955 1
Herr Vorsitzender, ich möchte zunächst die Unterstützung der Vereinigten Staaten
für das Dokument und die Vorschläge, die Sie verlesen haben, bestätigen. Diese
gemeinsamen Vorschläge––der Vorschlag für die Zusicherung der Sicherheit gekoppelt
mit dem Eden-Plan für die Wiedervereinigung Deutschlands––werden von den
Vereinigten Staaten zusammen mit dem Vereinigten Königreich und Frankreich
geteilt.
Zuallererst möchte ich diese Tatsache nur bestätigen und sagen, daß wir uns dem
anschließen, was Sie, Herr Vorsitzender, in der Darstellung dieser gemeinsamen
Vorschläge gesagt haben.

1 Ebenda, S. 48–52.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 167

Ich möchte nun auf einige der Beobachtungen von Herrn Molotow eingehen, und
zwar in erster Linie auf die Verurteilung dessen, was Herr Molotow als „Militärblöcke“
bezeichnete, die in Wirklichkeit aber gemeinschaftliche Sicherheitsvereinigungen
sind.
Mir ist bewusst, daß es zwischen unseren Regierungen Meinungsverschiedenheiten
in diesen Fragen gibt, und wahrscheinlich wird es nicht möglich sein, alle diese
Differenzen zu diesem Zeitpunkt zu lösen, aber ich konnte die Verurteilung dieser
gemeinschaftlichen Verteidigungsorganisationen nicht unkommentiert lassen.
Warum sollten sich Nationen in der Tat nicht zusammentun, um sich gegenseitig
gegen das zu helfen, was sie als gemeinsame Gefahr ansehen, oder in Verfolgung
dessen, was sie als gemeinsames Schicksal betrachten. Einzelpersonen tun dies. Es
wird als der geeignete Weg angesehen, um Sicherheit zu erlangen. Und die Charta der
Vereinten Nationen, die wir alle unterzeichnet haben, definiert dies als ein
angeborenes Recht der Nationen.
Wie kommt es, daß etwas, mit dem wir uns alle einverstanden erklärt haben, ein
inhärentes Recht der Nationen ist––das heißt, nicht nur das Recht des Einzelnen,
sondern das Recht der gemeinschaftlichen Selbstverteidigung––jetzt so scharf
verurteilt wird, wo es doch etwas ist, von dem ich sage, daß wir uns alle einig sind, daß
es ein inhärentes Recht ist.
Es wird angedeutet, daß diese gemeinschaftlichen Verteidigungsvereinigungen eine
Ursache für den Anstieg der Militärausgaben sind und zur Untermauerung dieser
Behauptung werden Zahlen präsentiert, die zeigen, daß im Falle einiger unserer
Länder unsere Militärbudgets zwischen dem Jahr 1948 und dem Jahr 1954 sehr stark
angestiegen sind. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß in diesem Zeitraum
neben der Bildung der gemeinschaftlichen Sicherheitsvereinigungen noch andere
Dinge geschehen sind. Da gab es die Ereignisse in der Tschechoslowakei, da gab es die
Blockade von Berlin, da gab es den Angriff auf die Republik Korea. Jeder, der die
Geschichte realistisch betrachtet, muss erkennen, daß es Ereignisse wie diese waren,
die zum Anstieg der Militärbudgets führten, und nicht die Schaffung
gemeinschaftlicher Sicherheitsvereinigungen.
Ich denke, es ist in der Tat nachweisbar, daß die Militärbudgets der einzelnen
Westmächte viel stärker angestiegen wären, wenn wir nicht aufgrund der
gemeinschaftlichen Sicherheit geglaubt hätten, daß wir uns gegenseitig helfen
könnten und daher in jeder einzelnen Nation nicht so große Militärbudgets benötigten,
wie es notwendig gewesen wäre, wenn wir allein dagestanden hätten.
Herr Molotow hat zu Recht gesagt, daß Sicherheitspakte an sich nicht unbedingt
angemessene Sicherheit bieten, und ich glaube, er hat die Frage gestellt: Wie können
wir Sicherheit erreichen? Nun, ich denke, der Weg um Sicherheit zu erlangen, besteht
darin, zu versuchen, einige der Ungerechtigkeiten zu beenden, die in der Welt
herrschen und die die Menschen manchmal zu Gewalttaten treiben, die sie sonst nicht
begehen würden. Eine der Ungerechtigkeiten und eine, mit der wir hier beauftragt
sind, ist die andauernde Teilung Deutschlands. Weil man erkannt hat, daß das eine
gefährliche Situation ist, eine falsche Situation, eine Situation, die Unsicherheit
schafft, wurden wir hier beauftragt, uns mit den beiden Problemen zu befassen, die
untrennbar oder eng miteinander verbunden sind, d.h. mit dem Problem der
Wiedervereinigung Deutschlands und der europäischen Sicherheit. In dieser
Reihenfolge steht es in der Weisung.
Und weiter heißt es in der Weisung, daß die erfolgreiche Lösung jedes dieser
Probleme der Festigung des Friedens dienen würde; mit anderen Worten, daß die
168 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wiedervereinigung Deutschlands eines der Probleme ist, dessen Lösung der Festigung
des Friedens dient.
Wir sind mit Vorschlägen hierher gekommen, um jedes dieser beiden Probleme zu
behandeln, deren Lösung den Interessen der Festigung des Friedens dienen würde.
Wir haben gestern durch Präsident Pinay den Vorschlag für die Einigung
Deutschlands, der im Wesentlichen den Eden-Plan, der auf unserer Berliner Konferenz
vorgelegt wurde, widerspiegelt sowie die neuen Vorschläge zur Gewährleistung der
Sicherheit im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands auf den Tisch
gelegt.
Der Eden-Plan ist, wie gesagt, uns allen bekannt; und er wird jetzt im Wesentlichen
in seiner ursprünglichen Form wieder eingeführt, weil er auf grundlegenden und
soliden Prinzipien beruht, die die Weisung widerspiegeln, daß wir eine „Regelung der
deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen
anstreben sollten, die in Übereinstimmung mit den nationalen Interessen des
deutschen Volkes durchgeführt werden“.
Der vorgeschlagene Vertrag über die Zusicherung der Wiedervereinigung
Deutschlands ist neu und stellt ein ehrliches, aufrichtiges und sorgfältiges Bemühen
dar, die Weisung in dieser Hinsicht zu verwirklichen und dem nachzukommen, was
wir als die legitime Sorge der Sowjetunion und, in der Tat, von uns allen im Gegenteil
zu der Möglichkeit betrachten, daß Deutschland erneut ein militaristischer Staat
werden könnte. Die Vorschläge enthalten alle Merkmale, zu deren Berücksichtigung
wir angewiesen wurden; Bestimmungen über die Verpflichtung zur Nichtanwendung
von Gewalt, das ist eines; Bestimmungen über die Verweigerung von Unterstützung
für einen Aggressor, das ist ein anderes; Begrenzung, Kontrolle und Inspektion in
Bezug auf Streitkräfte und Ausrüstung, das ist noch ein anderes; die Einrichtung einer
Zone zwischen Ost und West, in der die Disposition der Streitkräfte der gegenseitigen
Vereinbarung unterliegt. Alle diese Aspekte, zu deren Berücksichtigung wir
angewiesen wurden, sind realistischerweise in dem von den drei Westmächten
vorgelegten Vertragsentwurf enthalten.
Zusätzlich zu den Merkmalen, die wir zu berücksichtigen hatten, enthält der
Vorschlag unter Absatz 8 eine vorgeschlagene Vereinbarung über die Reaktion auf eine
Aggression, welche Verpflichtungen von äußerster Schwere beinhaltet und für die
Vereinigten Staaten, in Anbetracht unserer traditionellen Haltung in diesen Fragen
und unserer geographischen Trennung vom europäischen Kontinent, eine
außerordentlich ernste und weitreichende Verpflichtung darstellen würde. Ich glaube
jedoch, daß die Vereinigten Staaten bereit wären, im Rahmen eines Beitrags zur
Erhöhung der Sicherheit für alle, die mit der Wiedervereinigung Deutschlands
einhergehen würde, einen Beitrag zu leisten.
Ich war sehr froh, als ich Herrn Molotow sagen hörte, daß er diese Vorschläge
sorgfältiger prüfen werde, denn es ist ganz offensichtlich, daß seine anfängliche
Reaktion auf einem unzureichenden Verständnis des Dokuments beruhte. So wie ich
Herrn Molotow verstanden habe, bestanden seine grundlegenden Einwände gegen den
Vorschlag, so wie er ihn verstand, im Wesentlichen aus zwei Punkten: Der eine bestand
darin, daß der Vorschlag von Deutschland verlangte, der NATO beizutreten, und der
andere darin, daß die Sanktionen des Vertrages lediglich „Konsultationen“ seien.
Lassen Sie mich zum ersten Punkt sagen, daß der Vertragsvorschlag in keiner Weise
mit den Bestimmungen des Eden-Plans kollidiert, wonach die gesamtdeutsche
Regierung befugt sein soll, die internationalen Rechte und Pflichten der
Bundesrepublik und der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands zu übernehmen
oder abzulehnen. Lassen Sie mich das ganz klar und deutlich sagen: Der Vertrags-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 169

Vorschlag sieht in keiner Weise vor, daß Deutschland Mitglied der NATO werden muß.
Es wird anerkannt, daß ein wiedervereintes Deutschland die Möglichkeit haben wird,
bestehende Verpflichtungen gegenüber der NATO, Brüssel oder Warschau
anzunehmen oder abzulehnen. Das ist eine völlige Freiheit, und nichts in unseren
Vorschlägen steht in irgendeiner Weise im Widerspruch dazu.
Was die Sanktionen im Vertrag betrifft, so sind diese weitreichender als alle, die
jemals zuvor in internationalen Beziehungen bekannt waren und decken praktisch
jeden Aspekt ab, der der Kontrolle unterliegt, nicht nur in Form von Verpflichtungen,
Zusagen, die sehr schwerwiegend sind, sondern auch durch physische Vorkehrungen
in Form von Untersuchungen, Kontrollen, Zusicherungen bezüglich des Umfangs der
Streitkräfte und dergleichen. Wie ich schon sagte, sie gehen weit über alles hinaus,
was die Geschichte je gekannt hat und man kann sicher nicht sagen, daß dieser
Vorschlag nichts als bloße „Konsultationen“ enthält.
Ich hoffe daher sehr, daß dieser Vorschlag, der so ernsthaft und gewissenhaft
versucht, unserer Weisung echten Inhalt zu verleihen, die sorgfältige Prüfung erfährt,
die er, wie ich weiß, verdient. Und ich bin zuversichtlich, daß bei dieser Prüfung die
vorläufigen und oberflächlichen Ansichten, die hier geäußert wurden, revidiert
werden. Natürlich steht dieser Vorschlag unter dem Vorbehalt der Wiedervereinigung
Deutschlands und mindestens eine der Bestimmungen des Vertrags gilt nach Ansicht
der Vereinigten Staaten und der anderen Mächte nur dann, wenn das wiedervereinigte
Deutschland der NATO beitritt; es handelt sich um Artikel 8, denn in Artikel 8 geht es
im Grunde um die Garantie der NATO-Mitglieder, daß keiner ihrer eigenen Mitglieder
eine Aggression begehen wird.
Wir werden den Vorschlag der sowjetischen Delegation selbstverständlich sorgfältig
prüfen. Bei der Durchsicht in den wenigen Minuten, die uns zur Verfügung standen,
werden wir meiner Meinung nach feststellen, daß zumindest einige der Bestimmungen
unseres Vorschlags mit den Vorschlägen der sowjetischen Delegation übereinstimmen.
Es gibt jedoch einen grundlegenden Unterschied im Ansatz, nämlich den, daß wir
gemeinsam Vorschläge vorgelegt haben, die sich mit den beiden eng miteinander
verbundenen Problemen befassen, wie es in unserer Weisung heißt, nämlich mit dem
Problem der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Problem der europäischen
Sicherheit.
Der Vorschlag der sowjetischen Delegation steht, soweit ich sehe, in keinem
Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands, und deshalb wäre es für
uns schwierig, ihn zu berücksichtigen, bevor wir nicht den Vorschlag gesehen haben,
den die sowjetische Delegation nach eigenen Angaben für die Wiedervereinigung
Deutschlands vorzulegen gedenkt. Wenn wir beide zusammen sehen, können wir sie
besser einschätzen, als wenn wir nur den ersten Vorschlag ohne die andere Hälfte,
nämlich die Wiedervereinigung Deutschlands, sehen.
Abschließend möchte ich die sowjetische Delegation bitten, mir zu glauben, daß der
hier unterbreitete Vertragsvorschlag einen ernsthaften und, wie ich sagen möchte,
einen bedeutsamen und historischen Vorschlag darstellt, der darauf abzielt, das
Problem der Wiedervereinigung Deutschlands so umfassend zu lösen, wie es der
menschliche Einfallsreichtum vermag, und zwar unter Bedingungen, die sicherstellen,
daß unabhängig von der Wahl, die Deutschland in bezug auf seine künftigen
Zusammenschlüsse oder Nichtzusammenschlüsse trifft, für uns alle eine Sicherheit
gegen etwas besteht, das wir alle zu Recht scheuen und fürchten, nämlich die
Möglichkeit, daß Deutschland wieder zu einem militaristischen Staat werden könnte.
170 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Erklärung des Außenministers Dulles in Genf über Deutschland und die


europäische Sicherheit, 29. Oktober 1955 1
Herr Vorsitzender, ich bin der Meinung, daß wir in den zwei Konferenztagen, die
wir bisher hatten––zwei Tage, in denen wir unsere Vorschläge erörtert haben––
beträchtliche Fortschritte erzielt haben, und daß die letzte Erklärung von Herrn
Molotow die Frage aufwirft, die in diesem Stadium sehr berechtigt ist, nämlich wie wir
von jetzt an wirklich vorankommen.
Wir sind nicht hier, um uns in Polemik zu ergehen und zu zeigen, wie schlau wir
sind, weder als Juristen noch als Diplomaten. Wir sind hier wegen einer sehr ernsten
Aufgabe. Und in diesem Sinne möchte ich Folgendes sagen: Ich denke, daß die drei
Westmächte in ihren Vorschlägen den Standpunkt ihrer Regierungen, sowohl in der
Frage der Wiedervereinigung Deutschlands als auch in der Frage der Sicherheit, sehr
weit dargelegt haben und wenn ich auch nicht behaupte, daß diese Vorschläge in
irgendeiner Weise vollständig sind, so stellen sie doch meines Erachtens eine sehr
umfassende Darstellung des Standpunkts unserer drei Regierungen dar.
Ich denke, daß die meisten Fragen, die Herr Molotow gestern oder heute gestellt
hat, so angemessen beantwortet wurden, wie es in der gegenwärtigen Phase unserer
Debatte zweckdienlich ist, sie zu beantworten. Wenn wir dazu übergehen, die
detaillierte Ausarbeitung eines Sicherheitsvertrages, eines Vertrages über die
Zusicherung, entsprechend den von uns vorgeschlagenen Leitlinien zu erörtern, dann
wird es natürlich angebracht sein, weitere detailliertere Meinungsaustausche darüber
zu führen, wie bestimmte Artikel formuliert werden sollten.
Mir scheint, daß es zum jetzigen Zeitpunkt wichtig ist, den Standpunkt der
Sowjetunion zur Wiedervereinigung Deutschlands zu kennen. Es ist richtig, daß
unsere Vorschläge von der Voraussetzung ausgehen, daß Deutschland wiedervereinigt
wird und die von uns vorgeschlagenen Zusicherungen im Grunde nicht vom Beitritt
Deutschlands zur NATO abhängen, sondern von der Wiedervereinigung Deutschlands.
Bislang kennen wir die Haltung der Sowjetunion in der Frage der
Wiedervereinigung Deutschlands nicht: wir wissen zwar, daß der sowjetische
Regierungschef in der Weisung übereinstimmte, daß Deutschland durch freie Wahlen
wiedervereinigt werden soll, aber wir wissen nicht, welche Vorschläge die Sowjetunion
jetzt machen wird, um diese Bestimmung der Weisung umzusetzen.
Herr Molotow sagt, er habe in dieser Hinsicht einen Vorschlag zu machen und es
scheint mir unter dem Gesichtspunkt des Fortschritts sehr nützlich zu sein, wenn Herr
Molotow uns mitteilen könnte, wie dieser Vorschlag lautet.
Ich weiß, daß wir unterschiedliche Auffassungen über die relative Bedeutung der
europäischen Sicherheit und der Wiedervereinigung Deutschlands haben, aber es
kann keinen Unterschied zwischen uns in der Auffassung geben, daß es eine enge
Verbindung zwischen beiden gibt, denn das haben unsere Vorgesetzten bereits für uns
entschieden.
Es gibt sozusagen zwei Seiten einer Medaille, die eine Seite ist die europäische
Sicherheit, die andere Seite die deutsche Wiedervereinigung. Wir haben versucht,
unsere Sicht auf das Bild der beiden Seiten der Medaille darzustellen, das Bild der
europäischen Sicherheit und das Bild der deutschen Wiedervereinigung. Was die
Sowjetunion anbelangt, so ist bisher nur eine Seite der Medaille sichtbar, nämlich die
der europäischen Sicherheit. Damit wir wirklich sachlich vorgehen können, wovon ich

1 Ebenda, S. 73–74.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 171

weiß, daß wir es alle wollen, wäre es meines Erachtens äußerst hilfreich, wenn die
Sowjetunion uns die andere Seite ihrer Medaille zeigen würde, nämlich die, die das
Bild der deutschen Wiedervereinigung zeigt. Dann können wir erkennen, ob es dort
eine Basis der Übereinstimmung gibt. Denn in unserem Fall, das ist klargestellt
worden, ist die deutsche Wiedervereinigung die Prämisse unseres vorgeschlagenen
Sicherheitsvertrages.
Wenn wir keine Einigung über die Wiedervereinigung Deutschlands erzielen
können, dann sind unsere Sicherheitsvorschläge natürlich irrelevant, weil sie von der
Wiedervereinigung Deutschlands abhängen und es ist in diesem Fall theoretisch,
Vorschläge auszuarbeiten, weil die Grundlage möglicherweise nicht existiert. Wenn
aber, wie ich hoffe, eine Grundlage darin besteht, daß wir in der Lage sind, eine
Einigung über die Wiedervereinigung Deutschlands zu erzielen, dann können die
gestellten hypothetischen Fragen weiterentwickelt werden, weil wir dann wissen,
unter welcher Prämisse wir fortfahren dürfen.
____________

Erklärung von Außenminister Molotow in Genf und überarbeiteter


sowjetischer Vertragsentwurf zur Sicherheit in Europa, 31. Oktober 1955 1
Herr Vorsitzender, wir hatten einen Meinungsaustausch über den Vorschlag der
Sowjetunion zur Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa sowie
über den entsprechenden Vorschlag Frankreichs, Großbritanniens und der USA.
Dieser Meinungsaustausch hat gezeigt, daß die notwendige Übereinstimmung
zwischen den Mitgliedern des Treffens über ein so wichtiges Problem wie die
Gewährleistung der Sicherheit in Europa noch immer nicht gegeben ist. Obwohl alle
Mitglieder des Treffens ihren Willen bekundet haben, nach einvernehmlichen Wegen
zur Lösung dieses Problems zu suchen, sind die Unterschiede in der Herangehensweise
an seine Lösung dennoch deutlich geworden.
Die Sowjetregierung ist nach wie vor der Meinung, daß die Interessen der
Verbesserung des Friedens in Europa am besten durch die Errichtung eines solchen
Systems der Sicherheit in Europa befriedigt werden, an dem alle europäischen
Staaten, die daran teilnehmen wollen, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen und
staatlichen Ordnung, einschließlich der Vereinigten Staaten von Amerika, teilnehmen
würden.
Die Regierung der UdSSR ist davon überzeugt, daß dieser Weg, der Weg
gemeinsamer Anstrengungen der europäischen Staaten anstelle der
Aufrechterhaltung militärischer Gruppierungen, geeignet ist, stabile Garantien für die
friedliche Entwicklung der europäischen Nationen zu gewährleisten.
Obwohl wir in diesem Punkt noch nicht die notwendige Einigung erzielt haben, ist
die sowjetische Delegation der Auffassung, daß die Möglichkeiten, auf unserem Treffen
positive Ergebnisse in Bezug auf die europäische Sicherheit zu erzielen, noch nicht
ausgeschöpft sind.
Die sowjetische Delegation schlägt vor, die Möglichkeit des Abschlusses eines
Sicherheitsvertrages für Europa zu erörtern, an dem zunächst eine begrenztere
Gruppe der betroffenen Staaten teilnehmen soll. Es ist bekannt, daß die von den
Regierungschefs beschlossenen Richtlinien uns beauftragen, verschiedene Vorschläge
zur Verwirklichung der europäischen Sicherheit zu prüfen, darunter auch einen
Sicherheitspakt sowohl für Europa als auch „für einen Teil von Europa“. Mit dieser
Frage trägt die sowjetische Regierung den konstruktiven Vorschlägen Rechnung, die
auf der Genfer Konferenz der Regierungschefs, insbesondere von Sir Anthony Eden,

1 Ebenda, S. 76–82.
172 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

dem Premierminister Großbritanniens, gemacht wurden. Wir berücksichtigen auch die


Vorschläge der drei Mächte, die auf diesem Treffen vorgelegt wurden.
Was die Gruppe der Vertragsstaaten eines solchen Vertrages über die Sicherheit in
Europa betrifft, so schlagen wir vor, daß sie aus den vier Mächten––der UdSSR, den
USA, Frankreich und Großbritannien––sowie allen anderen Vertragsparteien der
Westeuropäischen Union und des Warschauer Vertrages, einschließlich der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, besteht.
Die sowjetische Regierung ist auch damit einverstanden, daß andere europäische
Staaten, die dem Abkommen beitreten wollen, wie Jugoslawien und Dänemark, als
Teilnehmer in das Abkommen aufgenommen werden.
Es stellt sich natürlich die Frage nach der Art der Verpflichtungen, die von den
Staaten, die dem Vertrag über die Sicherheit in Europa beitreten, übernommen
werden könnten. Unserer Meinung nach sollten diese Staaten vor allem die folgenden
Verpflichtungen übernehmen:
a ) sich zu verpflichten, keine Waffengewalt gegeneinander anzuwenden und
jede Streitigkeit, die zwischen ihnen entstehen könnte, mit friedlichen Mitteln
beizulegen ;
b ) einander Beistand zu leisten, einschließlich militärischer Hilfe, falls eine
der Vertragsparteien in Europa angegriffen wird ;
c ) gegenseitige Konsultationen der Vertragsparteien sowohl in bezug auf die
in Buchstabe a) vorgesehenen Verpflichtungen als auch auf die in Buchstabe b )
vorgesehenen Verpflichtungen abzuhalten.
d ) durch besondere Vereinbarung der Vertragsparteien ein Organ ( oder
Organe ) zu schaffen, das die oben erwähnten Konsultationen abhält und auch
alle anderen Schritte unternimmt, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der
Verpflichtungen der Staaten aus diesem Vertrag für notwendig erachtet werden.
Die sowjetische Regierung geht bei diesem Vorschlag selbstverständlich davon aus,
daß danach die bestehenden Verträge und Vereinbarungen (Nordatlantikblock,
Westeuropäische Union, Warschauer Vertrag) unwirksam werden und die darauf
beruhenden militärischen Zusammenschlüsse aufgelöst werden sollen. Dennoch
schlägt die Sowjetische Regierung derzeit im Zusammenhang mit dem vorliegenden
Vorschlag zum Vertrag über die Sicherheit in Europa keine konkrete zeitliche
Begrenzung für diesen Vertrag und seine Ablösung durch den gesamteuropäischen
Vertrag vor. Wir halten es für möglich, uns auf die Bestimmung zu beschränken, daß
der Vertrag in Kraft bleibt, bis er durch einen anderen, umfassenderen Vertrag über
die europäische Sicherheit ersetzt wird, der die Ablösung der bestehenden Verträge
und Vereinbarungen vorsieht.
Die sowjetische Regierung geht auch davon aus, daß der Abschluss des Vertrages
die Verpflichtungen der Vertragsstaaten, die sie im Rahmen der bestehenden Verträge
und Vereinbarungen eingegangen sind, nicht berühren sollte, was direkt im
Vertragstext festgelegt werden sollte.
Das Gleiche gilt für das in Artikel 51 der UN-Charta vorgesehene Recht der Staaten
auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs.
Dieses Recht darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß die Staaten die
Verpflichtungen aus dem Vertrag über die europäische Sicherheit übernehmen.
Wenn die Sowjetunion über die europäische Sicherheit nachdenkt, stellt sich nicht
nur die Frage nach ihrer eigenen Sicherheit und nicht nur nach der Sicherheit der auf
dieser Tagung vertretenen Staaten. Wenn die Sowjetunion ihre legitime Sorge um die
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 173

Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit zum Ausdruck bringt, kann sie nicht umhin,
diese Frage im Zusammenhang mit dem Problem der Sicherheit derjenigen
europäischen Staaten zu betrachten, die unter der deutschen Aggression sehr stark
gelitten haben. Diese Länder zeigen sich natürlich besorgt über ihre Sicherheit im
Zusammenhang mit den Plänen zur Wiederbelebung des deutschen Militarismus und
im Zusammenhang mit der Existenz von militärischen Zusammenschlüssen, an denen
Westdeutschland und später ein vereinigtes Deutschland beteiligt sind. Wenn wir über
die Frage der europäischen Sicherheit nachdenken, können wir nicht umhin, an die
Sicherheit von Staaten wie Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Griechenland
und anderen europäischen Staaten zu denken, deren Bevölkerung durch die
Hitlerinvasion so viel Leid erfahren hat.
Es fällt auf, daß der Vertragsentwurf über „Besondere Garantien im
Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands“ nichts darüber aussagt, ob
dieser Vertrag etwa die Sicherheit der an Deutschland angrenzenden Staaten vorsieht.
Dieses Problem kann jedoch nicht ignoriert werden, wenn wir von europäischer
Sicherheit sprechen. Es ist wünschenswert, die notwendige Klarheit in diesem Punkt
zu haben.
In Übereinstimmung mit dem Gesagten legt die sowjetische Delegation der Tagung
den Entwurf eines Vertrages über die europäische Sicherheit zur Prüfung vor, der
folgenden Wortlaut hat :

„ENTWURF EINES VERTRAGS ÜBER DIE SICHERHEIT IN EUROPA

„Inspiriert von dem Wunsch, den Frieden zu stärken, und in der Erkenntnis, daß es
notwendig ist, auf jede erdenkliche Weise zum Abbau internationaler Spannungen und
zur Schaffung von Vertrauen in die Beziehungen zwischen den Staaten beizutragen,
„Geleitet von den friedlichen Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen,
„sind die Regierungen _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
___________________________________________________
übereingekommen, den vorliegenden Vertrag zu schließen.
„Die Vertragsstaaten erklären feierlich, daß sie die folgenden Verpflichtungen
übernehmen :

Artikel 1

„Die Vertragsparteien verpflichten sich, keine Waffengewalt gegeneinander


anzuwenden und in ihren Beziehungen zueinander auf die Androhung von Gewalt zu
verzichten und alle Streitigkeiten, die sich zwischen ihnen ergeben könnten, mit
friedlichen Mitteln beizulegen.

Artikel 2

„Für den Fall, daß ein oder mehrere Vertragsstaaten in Europa von einem Staat
oder einer Staatengruppe einem bewaffneten Angriff ausgesetzt werden, leisten die
anderen Vertragsstaaten dem angegriffenen Staat oder den angegriffenen Staaten
unverzüglich jede Hilfe, einschließlich militärischer Hilfe, die zur Wiederherstellung
und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in Europa für
notwendig erachtet wird.

Artikel 3

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem angreifenden Staat in Europa unter


keinem Vorwand direkte oder indirekte Hilfe zu leisten.
174 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Artikel 4

„Die Vertragsstaaten konsultieren einander, wenn nach Ansicht eines von ihnen die
Gefahr eines bewaffneten Angriffs in Europa gegen einen oder mehrere der
Vertragsstaaten besteht, um wirksame Schritte zur Beseitigung einer solchen Gefahr
zu unternehmen. Sie führen unverzüglich die erforderlichen Konsultationen durch,
wenn im Falle eines Angriffs auf einen der Vertragsstaaten vereinbarte Schritte zur
Wiederherstellung des Friedens erforderlich sind.

Artikel 5

„Die Unterzeichnerstaaten setzen im gegenseitigen Einvernehmen ein besonderes


Gremium (oder mehrere Gremien) ein, um die obengenannten Konsultationen
abzuhalten und auch alle anderen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit zu
treffen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Verpflichtungen der Staaten aus
diesem Vertrag für notwendig erachtet werden.

Artikel 6

„Die Vertragsstaaten sind sich darüber einig, daß die Verpflichtungen aus diesem
Vertrag die von ihnen im Rahmen bestehender Verträge und Übereinkünfte
übernommenen Verpflichtungen nicht beeinträchtigen dürfen.

Artikel 7

„Die Übernahme von Verpflichtungen aus diesem Vertrag durch Staaten berührt
nicht das Recht der Vertragsstaaten auf individuelle oder kollektive
Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs, wie es in Artikel 51 der Charta
der Vereinten Nationen vorgesehen ist.

Artikel 8

„Der Vertrag hat vorläufigen Charakter und bleibt in Kraft, bis er durch einen
anderen, umfassenderen Vertrag über die europäische Sicherheit ersetzt wird, der an
die Stelle der bestehenden Verträge und Vereinbarungen tritt.“
Gleichzeitig möchte die Sowjetische Delegation eine weitere Frage ansprechen, die
unmittelbar mit dem Problem der Gewährleistung der europäischen Sicherheit
zusammenhängt.
Es ist bekannt, daß auf der Genfer Konferenz der Regierungschefs, insbesondere von
Premierminister Eden aus dem Vereinigten Königreich, Erwägungen über die
Zweckmäßigkeit der Schaffung einer Sonderzone in Europa zur Begrenzung und
Kontrolle der Rüstung geäußert wurden. Es ist auch bekannt, daß der Präsident des
Ministerrats der UdSSR, N. A. Bulganin, von den Überlegungen Edens positiv
beeindruckt war.
Wir alle erinnern uns, daß in den Richtlinien der Regierungschefs auch von der
„Schaffung einer Zone zwischen Ost und West, in der die Disposition der Streitkräfte
in gegenseitigem Einvernehmen geregelt werden soll“ die Rede war. Diese
Formulierung über „die Schaffung einer Zone zwischen Ost und West“ entspricht dem
Vorschlag von Herrn Eden. Wenn wir aber von der Schaffung einer Zone „zwischen Ost
und West“ sprechen, dann müssen wir uns natürlich vor Augen halten, daß die Linie
zwischen Ost und West genau dort verläuft, wo sie verläuft. Im Entwurf der drei
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 175

Minister steht unterdessen etwas ganz anderes über die Zone. In diesem Entwurf ist
von einer Zone „allein beiderseits der Demarkationslinie zwischen einem
wiedervereinigten Deutschland und Osteuropa“ die Rede. Ein solcher Vorschlag
entspricht nicht den Richtlinien der Regierungschefs über die Zone „zwischen Ost und
West“ und entspricht nicht dem, was alle wissen, der tatsächliche Stand der Dinge ist.
Es liegt auf der Hand, daß wir dies nicht ignorieren können.
Die Sowjetische Regierung hat alle Vorschläge und Erwägungen in bezug auf die
Zone sorgfältig geprüft und ist zu dem Schluß gekommen, daß diese Frage ernsthafte
Aufmerksamkeit verdient und daß wir versuchen müssen, unsere Standpunkte in
bezug auf dieses Problem miteinander in Einklang zu bringen, umso mehr, als sie in
einer Reihe von Punkten viele Gemeinsamkeiten aufweisen.
In dem Wunsch, den Vorschlag von Herrn Eden in Übereinstimmung mit den
Richtlinien der Regierungschefs der vier Mächte wohlwollend zu behandeln, schlagen
wir vor, uns über folgendes zu einigen :
1. Die Zone der Rüstungsbeschränkung und -inspektion in Europa muß das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen
Republik und der an sie angrenzenden Staaten oder zumindest bestimmter von
ihnen umfassen.
2. Das Abkommen über die Zone sieht Höchstgrenzen für die Anzahl der
Truppen der USA, der UdSSR, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs
vor, die auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten in dieser Zone stationiert sind.
Die Frage einer solchen Begrenzung muss Gegenstand weiterer Überlegungen
sein.
3. Die von den Staaten im Rahmen des jeweiligen Abkommens
übernommenen Verpflichtungen zur Begrenzung von Rüstungsgütern und
deren Kontrolle unterliegen dem Einvernehmen mit diesen Staaten, die in ihren
Entscheidungen auf diesem Gebiet im Einklang mit ihren souveränen Rechten
frei sind.
4. Es werden gemeinsame Inspektionen der Streitkräfte und Waffen der
Vertragsstaaten der Abkommen über die Erfüllung der Verpflichtungen zur
Begrenzung der Rüstung auf dem Gebiet der Zone durchgeführt. Wenn eine
Verständigung in dieser Frage zwischen uns und später mit anderen Staaten
zustande kommt, wäre dies von großer Bedeutung für die Festigung des
Friedens und würde zum Abbau der Spannungen in Europa beitragen. Darüber
hinaus würde das Zustandekommen eines solchen Abkommens die Möglichkeit
erleichtern, das Problem der Abrüstung zu lösen, da das Beispiel einer
bestimmten Region in Europa die Möglichkeit aufzeigen würde, solche
Abrüstungsmaßnahmen anzuwenden, die in Zukunft in größerem Maßstab
durchgeführt werden könnten.
Die Delegation der UdSSR möchte die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß diese
neuen Vorschläge der sowjetischen Regierung, die, wie wir bereits angedeutet haben,
unter Berücksichtigung der entsprechenden Vorschläge der anderen Teilnehmer
dieser Tagung ausgearbeitet wurden, als geeignete Grundlage für die Annäherung
unserer Standpunkte dienen und das Zustandekommen der notwendigen Einigung
zwischen den vier Mächten über das wichtige Problem der Gewährleistung der
europäischen Sicherheit erleichtern werden.
176 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Sowjetischer Vorschlag zur Einrichtung eines Gesamtdeutschen Rates, 2.


November 1955 1
EINRICHTUNG EINES GESAMTDEUTSCHEN RATES
Geleitet von dem Wunsch, die Entwicklung einer uneingeschränkten
Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der
Bundesrepublik Deutschland zu fördern und die Voraussetzungen für die Lösung der
Deutschen Frage und für die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im
Einklang mit den nationalen Interessen des Deutschen Volkes und den Interessen der
europäischen Sicherheit zu schaffen, erklären die Außenminister der UdSSR, der USA
sowie des Vereinigten Königreichs und Frankreichs folgendes :
Unter den gegenwärtigen Bedingungen, unter denen das Deutsche Volk der
Möglichkeit beraubt ist, in einem vereinigten Staat zu leben, wird die Notwendigkeit,
eine Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BRD herbeizuführen, die die Lösung
des Problems der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands erleichtern würde,
immer dringender. Diesem Zweck dient die einvernehmliche Schaffung eines
gesamtdeutschen Gremiums zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und
der Bundesrepublik Deutschland zur Koordinierung ihrer Bemühungen im
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Deutschen Volkes sowie zur
Zusammenarbeit mit anderen Staaten bei der Festigung des Friedens.
Ein solches Vertretungsorgan des Deutschen Volkes könnte ein Gesamtdeutscher
Rat sein, der auf der Grundlage der folgenden Grundsätze eingerichtet wird:
1. Es wird ein Gesamtdeutscher Rat gebildet, der sich aus den Vertretern der
Parlamente der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen
Bundesrepublik zusammensetzt und als beratendes Gremium zur Erörterung
von Fragen dient, an deren Lösung die Deutsche Demokratische Republik und
die Deutsche Bundesrepublik interessiert sind.
2. Im Rahmen des Gesamtdeutschen Rates werden gemischte Ausschüsse
aus Vertretern der Regierungen der Deutschen Demokratischen Republik und
der Bundesrepublik Deutschland für Fragen der wirtschaftlichen und
kulturellen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, der deutschen
Währung und des innerdeutschen Zahlungsverkehrs, des Zolls, des Post- und
Telegrafenwesens, des Nachrichtenwesens usw. gebildet.
3. Der Gesamtdeutsche Rat sorgt für eine Verständigung über die
zahlenmäßige Stärke, die Bewaffnung und die Disposition der Einheiten, die zur
Verteidigung der Grenzen und Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik
und der Deutschen Bundesrepublik erforderlich sind.
4. Der Gesamtdeutsche Rat wirkt auf eine Verständigung über Fragen der
Beteiligung der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik
Deutschland an Maßnahmen zur Festigung der europäischen Sicherheit hin und
prüft einvernehmlich Fragen der Schaffung von Voraussetzungen für die
Vereinigung Deutschlands als friedlicher und demokratischer Staat.
Die Außenminister der UdSSR, der USA, des Vereinigten Königreichs und
Frankreichs bringen die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Deutsche Demokratische
Republik und die Bundesrepublik Deutschland die erforderlichen Anstrengungen
unternehmen werden, um eine Einigung über die Einrichtung des Gesamtdeutschen
Rates zu erzielen.

1 Ebenda, S. 98–99.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 177

Westlicher Vorschlag zur Wiedervereinigung Deutschlands durch freie


Wahlen, 4. November 1955 1
WIEDERVEREINIGUNG DEUTSCHLANDS DURCH FREIE WAHLEN
Auf gemeinsame Initiative der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs, der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland
unterbreiten die Außenminister Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der
Vereinigten Staaten den folgenden Vorschlag als den ersten Schritt zur
Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, gemäß dem von den
Drei Mächten am 28. Oktober vorgelegten Plan :

ENTWURF DES BESCHLUSSES DER KONFERENZ

In Übereinstimmung mit der gemeinsamen Verantwortung ihrer Regierungen für


die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands und in
Erfüllung der Weisung ihrer Staatsoberhäupter, daß die Regelung der deutschen
Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit
den nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen
Sicherheit erfolgen soll, haben die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der
Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika folgendes vereinbart :
1. Im September 1956 werden in ganz Deutschland freie und geheime
Wahlen durchgeführt, um Vertreter für eine gesamtdeutsche
Nationalversammlung zu wählen, die eine Verfassung erarbeiten und auf deren
Grundlage eine Regierung für ein wiedervereinigtes Deutschland bilden wird.
2. Jede der vier Mächte wird einen Vertreter in eine Kommission entsenden,
die in Absprache mit deutschen Sachverständigen das Wahlgesetz für diese
Wahlen, einschließlich wirksamer Schutz- und Überwachungsmaßnahmen zur
Gewährleistung der Freiheit ebendieser, ausarbeitet.
3. Die Kommission wird ihre Aufgaben unverzüglich wahrnehmen und den
Vier Mächten bis Januar 1956 ihren Bericht vorlegen.
______________

Sowjetischer Vorschlag zu den Grundprinzipien des Vertrags zwischen den


bestehenden Gruppen von Staaten in Europa, 9. November 1955 2
GRUNDPRINZIPIEN DES VERTRAGES ZWISCHEN DEN
BESTEHENDEN GRUPPEN VON STAATEN IN EUROPA
Geleitet von dem Wunsch, den Frieden zu stärken und die Notwendigkeit
erkennend, auf jede Weise zum Abbau internationaler Spannungen und zur Schaffung
von Vertrauen in den Beziehungen zwischen den Staaten beizutragen,
Sind die Regierungen der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika,
Frankreichs und des Vereinigten Königreichs übereingekommen, daß der Abschluß
eines Vertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Nordatlantikvertrags-Organisation
und der Westeuropäischen Union auf der einen und den Vertragsparteien des
Warschauer Vertrages auf der anderen Seite, im Interesse der Erhaltung des Friedens

1 Ebenda, S. 136–137. Von den Vereinigten Staaten vorgelegter trilateraler Vorschlag.


2 Ebenda, S. 168.
178 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

in Europa liegen würde. Ein solcher Vertrag könnte auf den folgenden Grundsätzen
beruhen :
1. Die Mitgliedstaaten der Nordatlantikvertrags-Organisation und der
Pariser Verträge einerseits und die Vertragsparteien des Warschauer Vertrags
andererseits verpflichten sich, keine Waffengewalt gegeneinander anzuwenden.
Diese Verpflichtung berührt nicht das Recht der Staaten auf individuelle oder
kollektive Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs, wie es in
Artikel 51 der UN-Charta vorgesehen ist.
2. Die Vertragsparteien verpflichten sich, einander bei
Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten, die eine Gefahr für die
Erhaltung des Friedens in Europa darstellen könnten, zu konsultieren.
3. Dieser Vertrag hat vorläufigen Charakter und wird so lange in Kraft
bleiben, bis er durch einen anderen Vertrag über die Schaffung eines Systems
der kollektiven Sicherheit in Europa ersetzt wird.
______________

Bericht von Außenminister Dulles über das Außenministertreffen in Genf,


18. November 1955 1
In den letzten drei Wochen haben die Briten, die Franzosen und wir selbst in Genf
mit den Russen verhandelt. Ich bin gestern zurückgekommen und habe dem
Präsidenten in einem Gespräch, das gestern Abend begann und heute Morgen
fortgesetzt wurde, vollständig Bericht erstattet. Jetzt erstatte ich Ihnen, dem
amerikanischen Volk, Bericht.
Wie die meisten von Ihnen sicher wissen, wurden bei diesem Genfer Treffen keine
Vereinbarungen getroffen. Infolgedessen stehen viele Fragen im Raum.
Bedeutet dies, daß der sogenannte "Geist von Genf" tot ist ?
Bedeutet dies, daß die Kriegsgefahr zugenommen hat ?
Wird der sogenannte "kalte Krieg" mit voller Kraft wiederaufgenommen werden ?
Müssen die Vereinigten Staaten jetzt ihre militärischen und gegenseitigen
Sicherheitsprogramme grundlegend ändern ?
Bedeutet dies ein Ende der Verhandlungen mit der Sowjetunion ?
Ich werde versuchen, alle diese Fragen zu beantworten.
Zunächst möchte ich jedoch daran erinnern, wie diese letzte Genfer Konferenz
zustande gekommen ist.
Ich gehe zurück zum letzten Frühjahr. Bis dahin hatte Sowjetrussland eine
bedrohliche Politik betrieben. Das war die Linie Stalins. Er glaubte, daß es möglich
sei, die freien Nationen mit Füßen zu treten.
Nach Stalins Tod wurden diese Bemühungen eine Zeit lang fortgesetzt. Die Sowjets
bemühten sich intensiv und lautstark, Westdeutschland von den westeuropäischen
Staaten fernzuhalten. Trotzdem trat die Bundesrepublik Deutschland im vergangenen
Mai der NATO und dem Brüsseler Vertrag bei, mit dem die Westeuropäische Union
gegründet wurde.
Auf diesen sowjetischen Misserfolg folgte eine Änderung der sowjetischen Haltung.
Stalins Nachfolger erklärten, zumindest vordergründig, daß sie kooperative
Beziehungen zu den freien Nationen anstrebten. Und sie machten zu diesem Zweck
wichtige Zugeständnisse.
Beispielsweise hatten sie sich acht Jahre lang geweigert, den Vertrag zu
unterzeichnen, der Österreich seine Freiheit geben sollte. Aber im vergangenen Mai
haben sie diesen Vertrag unterzeichnet und die Rote Armee aus Österreich abgezogen.

1 Ebenda, S. 1–9. Ausgestrahlt über Radio und Fernsehen.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 179

Sie schlossen ihren Frieden mit Tito, der sieben Jahre lang Gegenstand ihrer
erbittertsten Angriffe gewesen war, weil er Jugoslawien aus dem sowjetischen Block
herausgeführt hatte.
Sie haben ihre Propaganda und ihre Umgangsformen gemäßigt.
Sie haben deutlich gemacht, daß Sie sich gerne mit den westlichen Nationen
zusammensetzen und reden würden.
Die Vereinigten Staaten reagierten, wie sie immer auf jede noch so geringe Aussicht
auf einen gerechteren und dauerhaften Frieden reagieren werden. Diese Antwort
wurde praktisch einstimmig und auf parteiübergreifender Basis unterstützt. So luden
die Vereinigten Staaten gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich die
sowjetische Führung zur „Gipfelkonferenz“ nach Genf ein. Dort traf Präsident
Eisenhower sechs Tage lang mit den Staats- und Regierungschefs der anderen drei
Länder zusammen, um eine bessere Atmosphäre und einen neuen Impuls für die
Lösung der Probleme zu schaffen, die uns voneinander trennen.
Bei diesem Treffen wurde auf allen Seiten der Wunsch geäußert, die Bitterkeit und
Härte zu beenden, die zu einem Krieg führen könnten. Ein Krieg, so erkannten alle,
wäre eine gemeinsame Katastrophe.
Darüber hinaus vereinbarten die Regierungschefs, daß ihre Außenminister im
Oktober zusammenkommen sollten, um über die europäische Sicherheit und das
Deutschlandproblem, über die Rüstungsbegrenzung und über den Abbau der
Schranken zwischen dem Sowjetblock und der freien Welt zu verhandeln.
Die drei westlichen Staats- und Regierungschefs erkannten, daß der Wert der
„Gipfelkonferenz“ weitgehend von den späteren Ergebnissen abhängen würde. So
sagte Präsident Eisenhower in der Abschlussrede der Konferenz: „Nur die Geschichte
wird den wahren Wert und die wirklichen Werte unserer gemeinsamen Sitzung zeigen.
Entscheidend für den Erfolg dieser Konferenz wird sein, was unsere Regierungen von
diesem Beginn an tun werden.“
Im Anschluss an die Gipfelkonferenz haben sich die Vereinigten Staaten in
Zusammenarbeit mit Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik
Deutschland gründlich auf die bevorstehende Außenministerkonferenz vorbereitet.
Wir waren uns der Komplexität der Probleme, mit denen wir konfrontiert waren,
durchaus bewusst. Die Gipfelkonferenz hat gezeigt, daß in den Fragen der deutschen
Einheit und der europäischen Sicherheit, der Abrüstung und der freieren Kontakte
tiefe Unterschiede bestehen. Um annehmbar zu sein, müssen die Lösungen dieser
Probleme den legitimen Interessen beider Seiten Rechnung tragen––insbesondere was
die Sicherheit betrifft.
Bei der Vorbereitung des Treffens haben wir diese grundlegende Tatsache
berücksichtigt. Die westlichen Vorschläge bildeten die Grundlage für echte
Verhandlungen mit der Sowjetunion.
In meiner ersten Erklärung vor der Konferenz habe ich den soeben dargelegten
Standpunkt vertreten. „Die Vereinigten Staaten“, so sagte ich, „sind zu diesem Treffen
gekommen, um geduldig und aufrichtig alle möglichen Ansätze für realistische
Lösungen dieser Probleme zu erkunden“.
Trotz dieser Bemühungen wurden keine konkreten Vereinbarungen getroffen.
Die Erklärung ist meines Erachtens folgende: Die Sowjetunion scheint bestimmte
Ergebnisse in Bezug auf die Sicherheit Europas, die Abrüstung und eine Art von
Kontakten zu wollen. Aber sie ist noch nicht bereit, den Preis zu zahlen, der notwendig
ist, um diese Ergebnisse zu erzielen. Und wenn ich sage, den Preis zu zahlen, dann
meine ich nicht die Verhandlungsbedingungen. Ich meine den Preis im Sinne dessen,
was notwendig ist, um die Ergebnisse zu erreichen, die wir alle wollen.
Lassen Sie mich veranschaulichen, was ich meine, indem ich Ihnen erzähle, was auf
der Konferenz geschah.
180 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Zunächst einmal haben wir über die europäische Sicherheit und Deutschland
gesprochen. Die Sowjetunion wollte Sicherheit gegen ein mögliches Wiederaufleben
des deutschen Militarismus. Das war nicht unangemessen angesichts dessen, was die
Russen während des Zweiten Weltkriegs durch die deutschen Armeen erlitten hatten.
Die Westmächte waren in der Tat bereit, der Sowjetunion in dieser Frage
entgegenzukommen.
Wir haben ernsthafte und weitreichende Sicherheitsvorschläge gemacht. Der
vielleicht beste Beweis für ihren Wert ist die Tatsache, daß sich die sowjetische
Delegation später Sicherheitsvorschläge ausdachte, die viele Merkmale unserer
Vorschläge abbildeten.
Aber es gab einen grundlegenden und entscheidenden Unterschied. Unsere
Vorschläge basierten auf der Wiedervereinigung Deutschlands. Wir glauben nicht, daß
ein solider Frieden in Europa auf der Ungerechtigkeit eines geteilten Deutschlands
beruhen kann. Die sowjetischen Vorschläge basierten auf der Aufrechterhaltung des
sowjetischen Marionettenregimes in Ostdeutschland und der unbegrenzten Teilung
Deutschlands, zumindest solange die sowjetische Kontrolle nicht auf ganz Deutschland
ausgedehnt werden kann.
Die Sowjetunion hatte auf der Gipfelkonferenz ausdrücklich zugesagt, die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen zu erwägen, und sie hatte
ausdrücklich den engen Zusammenhang zwischen der Wiedervereinigung
Deutschlands und der europäischen Sicherheit anerkannt.
Wir haben uns vergeblich bemüht, die sowjetische Delegation dazu zu bewegen, das
Problem der Wiedervereinigung Deutschlands ernsthaft zu erörtern.
Als der Sowjetunion klar wurde, was das bedeutet, hat sie sich geweigert. Es liegt
auf der Hand, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen das Ende
des Marionettenregimes bedeuten würde, das die Sowjetunion in Ostdeutschland
errichtet hat. Dies wiederum hätte mit ziemlicher Sicherheit schwerwiegende
Auswirkungen auf die anderen Satellitenländer Osteuropas. Dort stehen die von der
Sowjetunion kontrollierten Regierungen unter wachsendem Druck. Viele in den
Satellitenländern glauben, daß der "Geist von Genf" bedeutet, daß sie Anspruch auf
mehr Toleranz und auf Regierungen haben, die mehr auf die Bedürfnisse und
Bestrebungen ihrer eigenen Nation(en) eingehen.
Die Sowjetunion vertrat also den Standpunkt, daß sie zwar sehr an einem Vertrag
über europäische Sicherheit interessiert sei, aber nicht dazu bereit ihr ostdeutsches
Regime zu opfern, um diesen zu erhalten. Ungeachtet der auf der Gipfelkonferenz
getroffenen Vereinbarungen erklärte sie, daß sie ihr Regime in Ostdeutschland
bewahren wolle, und zwar in klarer Missachtung der leidenschaftlichen Wünsche der
Ostdeutschen selbst.
Einige hatten gedacht, daß die Sowjetunion bereit sein könnte, die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen zuzulassen, wenn das
wiedervereinigte Deutschland nicht der Nordatlantikvertragsorganisation beitreten
würde. Doch die sowjetische Delegation machte unmissverständlich klar, daß sie eine
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen auch unter solchen Bedingungen
nicht zulassen würde.
Wir sehen also, daß die Sowjetunion zwar zweifellos ein europäisches
Sicherheitssystem, an dem sie beteiligt ist, will, daß sie jedoch nicht bereit ist, eine
wesentliche Voraussetzung zu schaffen, nämlich die Wiedervereinigung Deutschlands
in Freiheit.

II

Das zweite Problem, das wir zu erörtern hatten, war die Rüstungbegrenzung. Die
Hauptverantwortung in diesem Bereich liegt jetzt beim Unterausschuss für Abrüstung
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 181
der Vereinten Nationen. Aber die Außenminister wurden angewiesen, zu helfen, wenn
sie können.
Beide Seiten waren bestrebt, eine Rüstungbegrenzung herbeizuführen. Wir wollen
dies sowohl als Hilfe für den Frieden als auch, damit die wirtschaftlichen Ressourcen
in größerem Umfang zum Nutzen der Menschheit eingesetzt werden können. Aber die
westlichen Nationen sind nicht bereit, einer Abrüstung zuzustimmen, wenn wir nicht
sicher sein können, daß beide Seiten die Vereinbarung einhalten. Deshalb bestehen
wir darauf, daß die Abrüstung wirksam beaufsichtigt und kontrolliert wird.
Dreimal in diesem Jahrhundert haben die Vereinigten Staaten die Erfahrung
gemacht, daß einseitige Schwäche bei der Abrüstung den Frieden nicht wirklich
bewahrt. Die Vereinigten Staaten haben nicht die Absicht, jetzt ihre Existenz für
Versprechen zu riskieren, die möglicherweise nicht eingehalten werden.
Die Vereinigten Staaten sind jedoch unübertroffen in ihrem Wunsch nach einer
gesicherten Rüstungsreduzierung. Um dies zu ermöglichen, schlug Präsident
Eisenhower der Sowjetunion auf der Gipfelkonferenz einen Austausch von Plänen
militärischer Einrichtungen und eine anschließende Inspektion aus der Luft vor, um
die Pläne zu überprüfen und so die Atmosphäre zu verbessern, indem die Angst vor
aggressiven Absichten auf beiden Seiten zerstreut wird. Dieses Konzept von Präsident
Eisenhower wurde von den Sowjets abgelehnt, obwohl sie zum ersten Mal
anerkannten, daß die Inspektion aus der Luft einen angemessenen Platz in einem
Kontrollsystem hat.
Aber die Sowjetunion misst der Inspektion und Kontrolle nicht die Bedeutung bei,
wie wir es tun. Sie drängte weiterhin auf Vereinbarungen, obwohl es keine Möglichkeit
gab, die Einhaltung dieser Vereinbarungen ausreichend zu überprüfen.
Unsere Diskussion über Abrüstung war also ergebnislos. Wir haben die weitere
Entwicklung dieses Themas dem Unterausschuss für Abrüstung der Vereinten
Nationen überlassen.
Offenbar fühlt sich die sowjetische Regierung noch nicht in der Lage, eine Inspektion
und Kontrolle zuzulassen, die, wenn sie angemessen ist, ihre Gesellschaft, die immer
noch weitgehend auf Geheimhaltung beruht, öffnen würde. Die Sowjetunion will zwar
die immensen Vorteile nutzen, die sich aus der Rüstungsreduzierung ergeben könnten,
ist aber nicht bereit, sich den Sicherheitsvorkehrungen zu unterwerfen, die dies
möglich machen würden.

III

Der dritte und letzte Punkt unserer Agenda war die Entwicklung der Kontakte
zwischen Ost und West. Die Westmächte legten 17 konkrete Vorschläge vor. Viele
davon wären mit einem freieren Austausch von Ideen, Informationen und Nachrichten
verbunden gewesen. Alle diese Vorschläge wurden von der sowjetischen Delegation
abgelehnt. Sie war bereit, Kontakte zu knüpfen, die es ihr ermöglichen würden,
technisches Know-how aus anderen Ländern zu erhalten. Sie war bereit, Personen
unter Bedingungen zu entsenden und zu empfangen, die sie genau kontrollieren
konnte. Aber sie reagierte heftig auf alles, was den Beigeschmack der Beseitigung von
Hindernissen für einen freieren Austausch von Ideen hatte. Sie verabscheut die
Einführung von Gedanken in den Sowjetblock, die der offiziellen Doktrin der
Kommunistischen Partei der Sowjetunion zuwiderlaufen könnten.
Wir haben also keine Einigung in dieser Frage erzielt.
Auch hier ist der Grund klar. Wir glauben, daß menschliche Kontakte nicht dazu da
sind, um Regierungszwecken zu dienen, sondern um den Mitgliedern der
Menschheitsfamilie das Verständnis und die Kenntnis voneinander, die eine
182 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Grundlage für dauerhaften Frieden sind, zu ermöglichen. Aber nach einer Generation
fanatischer Indoktrination können sich die sowjetischen Machthaber kaum dazu
durchringen, ihre bestehenden Gedankenkontrollen zu lockern, um freiere Kontakte
mit der freien Welt zu ermöglichen.

IV

In all diesen Fragen, die in Genf behandelt wurden, haben wir versucht, ernsthaft
mit der Sowjetunion zu verhandeln. Wir wollten zu konstruktiven Vereinbarungen
kommen, wenn dies möglich war. Aber wir waren nicht bereit, Vereinbarungen auf
Kosten der Bestrebungen oder der Sicherheit der Vereinigten Staaten oder ihrer
Partner zu treffen. Wir waren auch nicht bereit, sogenannte „Vereinbarungen“ zu
treffen, die in Wirklichkeit bedeutungslos waren. Als die Sowjetunion sich also nicht
bereit zeigte, auf dieser Grundlage ernsthaft zu verhandeln, sind wir ohne Einigung
auseinandergegangen.
Es wäre ein Leichtes gewesen, einige scheinbare Vereinbarungen mit der
Sowjetunion zu treffen, doch wären sie ohne wirklichen Inhalt gewesen. Sie hätten die
Illusion einer Willenseinigung erweckt, die es in Wirklichkeit nicht gab. Die drei
Westmächte wehrten sich standhaft gegen eine solche Vorstellung. Sie haben damit
ihr Vertrauen in die eigene Stärke und in die Standhaftigkeit der eigenen Bevölkerung
bewiesen. Damit dürfte diese Konferenz die Aussichten auf echte Vereinbarungen in
der Zukunft verbessert haben.

Ich komme nun zu den Antworten auf die Fragen, die ich eingangs gestellt habe :
( 1 ) Beendet diese zweite Genfer Konferenz den sogenannten „Geist von Genf“ ?
Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, was man unter dem „Geist von Genf“
versteht. Einige meinten, der Geist von Genf sei ein magisches Elixier, das von sich
aus alle großen Probleme der Welt lösen würde. Offensichtlich war er das nicht. Jede
derartige Auffassung war zur Desillusionierung verurteilt.
Das war weder die Auffassung des Präsidenten noch meine eigene. Wir haben
ständig vor dieser Auffassung gewarnt. Bevor er nach Genf fuhr, sagte Präsident
Eisenhower, daß diese Konferenz ein Anfang und kein Ende sein würde. In Genf sagte
er, der Wert der Konferenz könne nur danach beurteilt werden, was danach geschehe.
Und nach ihrer Rückkehr sagte er dem amerikanischen Volk, daß die Feuerprobe der
Gipfelkonferenz mit dem Treffen der Außenminister beginnen würde.
Dieser Test hat gezeigt, daß die sowjetischen Führer zumindest den Anschein
kooperativer Beziehungen zu den westlichen Nationen haben möchten. Sie hat aber
auch gezeigt, daß sie noch nicht bereit sind, die unabdingbaren Voraussetzungen für
einen sicheren Frieden zu schaffen. Auch haben sie das Anwachsen jeglichen
Vertrauens, das die freie Welt berechtigterweise in sowjetische Versprechungen setzen
kann, ernsthaft zurückgeworfen. Sie taten dies, indem sie sich weigerten, über die
Wiedervereinigung Deutschlands zu verhandeln, der sie im Juli zugestimmt hatten.
Sie scheinen jedoch nicht zu den früheren Drohungen und Beschimpfungen
zurückkehren zu wollen. In dieser Hinsicht hat der Geist von Genf noch immer
überlebt.
( 2 ) Hat das Ergebnis der zweiten Genfer Konferenz die Gefahr eines allgemeinen
Krieges erhöht ?
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 183

Präsident Eisenhower sagte, er glaube, daß die Gipfelkonferenz die


Wahrscheinlichkeit eines offenen Krieges zwischen unseren Ländern verringert habe.
Nichts, was auf der Außenministerkonferenz geschah, erfordert eine Änderung dieser
Einschätzung. Auch dieser Aspekt des Genfer Geistes bleibt also bestehen.
( 3 ) Bedeuten die Ereignisse der letzten drei Wochen, daß der kalte Krieg mit voller
Wucht wiederaufgenommen wird ?
Der Begriff „kalter Krieg“ ist sehr unbestimmt.
Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den Zielen der sowjetischen
Regierung und unseren eigenen. Wir glauben an die Gerechtigkeit für alle und an das
Recht der Nationen, frei zu sein, und an das Recht des Einzelnen, seine gottgegebene
Fähigkeit auszuüben, in Übereinstimmung mit den Geboten seines Verstandes und
Gewissens, zu denken und zu glauben. Wir werden nicht aufhören, diese Ziele zu
verfolgen und niemals einen sogenannten Frieden anstreben, der diese Ziele gefährdet.
Diese großen Ziele, die unsere Nation seit ihren Anfängen kennzeichnen, können
und werden von uns jedoch ohne Gewaltanwendung und ohne die für den Krieg
charakteristische Anwendung von Hass und Verdrehung der Wahrheit verfolgt
werden. Unser Ziel ist es, weiterhin Freundschaft und Verständnis mit dem gesamten
russischen Volk zu suchen und die Wahrheit als Instrument unserer nationalen Politik
einzusetzen.
Der „kalte Krieg“ wird im Sinne eines friedlichen Wettbewerbs unweigerlich
weitergehen. Daran konnte und kann auch der Geist von Genf nichts ändern.
Außerdem müssen wir davon ausgehen, daß die Sowjetunion ihre Bemühungen um die
Vorherrschaft ihres Systems mit anderen Mitteln als dem Krieg fortsetzen wird, wie
sie es in der Vergangenheit getan hat. Wir können jedoch hoffen, daß dieser
Wettbewerb nicht dieselbe Feindseligkeit und Animosität mit sich bringt, die die
Beziehungen zwischen uns in der Vergangenheit so belastet hat.
( 4 ) Müssen die Vereinigten Staaten nun ihre Programme für Verteidigung und
gegenseitige Sicherheit radikal überarbeiten ?
Die Antwort auf diese Frage lautet „Nein“. Wir haben unsere Deckung nicht
aufgrund sowjetischer Versprechungen verringert und haben dies auch nicht wegen
der Gipfelkonferenz getan. Unsere Sicherheitsprogramme, die überparteilich sind,
sind darauf ausgerichtet, der Gefahr zu begegnen, solange sie andauert. Wir sind auf
einer, wie wir es nennen, „Langstreckenbasis“ unterwegs. Unsere militärische Stärke
muss sich an der Fähigkeit des Sowjetblocks orientieren und kann nicht mit dessen
Lächeln oder Stirnrunzeln schwanken. Wir werden unsere eigene militärische Stärke
nur in dem Maße verringern, wie die Sowjets nachweislich ihre eigene verringern. Das
Ergebnis der Genfer Konferenz zwingt uns daher nicht, den allgemeinen Umfang
unserer Programme zu ändern. Ihre allgemeine Größenordnung kann wie geplant
bleiben.
Unsere konsequente Politik hat sich bewährt. Wir glauben daran, das, was sich
bewährt hat, beizubehalten und zu verstärken.
( 5 ) Bedeutet diese letzte Genfer Konferenz das Ende künftiger Verhandlungen mit
der Sowjetunion ?
Es muss kein Ende sein und weder der Präsident noch ich glauben, daß es ein Ende
sein wird. Es wäre natürlich töricht, neue Verhandlungen anzustreben, wenn alles so
bleibt, wie es war, als diese letzte Konferenz zu Ende ging.
Wir wissen jedoch, daß sich die Bedingungen ändern werden, denn der Wandel ist
das Gesetz des Lebens.
184 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Auf dieser Genfer Konferenz mußte die Sowjetunion die Kosten für die Erreichung
der von ihr angestrebten größeren Ergebnisse in Bezug auf die europäische Sicherheit,
die Abrüstung und die Intensivierung der Kontakte zwischen Ost und West konkret
ins Auge fassen.
Auf dieser Konferenz konnten keine positiven Ergebnisse erzielt werden. Aber ich
erinnere mich, daß Präsident Eisenhower nach seiner Rückkehr aus Genf sagte, er sei
„zutiefst beeindruckt von der Notwendigkeit für uns alle, Entmutigung zu vermeiden,
nur weil unsere eigenen Vorschläge, unsere eigenen Ansätze und unsere eigenen
Überzeugungen nicht immer sofort von der anderen Seite akzeptiert werden“. Und er
wies auf die Schwierigkeit hin, die breite und tiefe Kluft zwischen individueller
Freiheit und Reglementierung und zwischen dem Konzept des Menschen als Ebenbild
Gottes und dem Konzept des Menschen als bloßes Instrument des Staates, zu
überbrücken.
Diese Kluft hat so große Hindernisse geschaffen, daß sie auf dieser jüngsten Genfer
Konferenz nicht überwunden werden konnten.
Das bedeutet nicht, daß unsere Bemühungen auf dieser Konferenz umsonst waren.
Die von uns unterbreiteten Vorschläge waren grundsätzlich vernünftig und
berücksichtigten die legitimen Interessen aller. Wenn es zu Lösungen kommt, müssen
diese den Grundsätzen Rechnung tragen, nach deren Anwendung wir gestrebt haben.
Die Sowjets rühmen sich, Realisten zu sein. Sie haben in der Vergangenheit gezeigt,
daß sie ihre Politik den Tatsachen und Realitäten anpassen werden, sobald sie diese
erkennen. Wir glauben, daß die freien Nationen, indem sie ihre Einheit
aufrechterhalten und stärken, der Sowjetunion deutlich machen können, daß
Lösungen, wie wir sie vorgeschlagen haben, in ihrem wirklichen Interesse liegen und
ihnen mehr nützen werden als die lokalen und vorübergehenden Vorteile, denen sie
jetzt eine überragende Bedeutung beizumessen scheinen.
Natürlich werden die Sowjets ihre Politik nicht ändern, wenn sie glauben, daß die
freie Welt untergehen wird. Deshalb ist die Fortsetzung der gegenwärtigen
Partnerschaft der unabhängigen Nationen für eine friedliche Lösung der
gegenwärtigen Probleme unerlässlich.
Es ist von entscheidender Bedeutung, daß alle freien Nationen, einschließlich uns
selbst, diese grundlegende Wahrheit klar verstehen.
Ich freue mich, daß ich eine gute Bilanz über diese Partnerschaft ziehen kann.
Vor der Genfer Konferenz hatten wir in Paris eine wertvolle Sitzung des NATO-
Rates. An ihr nahmen praktisch alle Außenminister der 15 Mitgliedsländer teil. Sie
diente der weiteren Festigung der vom Rat vertretenen Einheit.
Während meines Aufenthalts in Europa habe ich mich auch mit führenden
Vertretern der Bewegung beraten, um die Einheit Europas weiter voranzutreiben.
Diese Bewegung erstarkt wieder. In meinen Gesprächen habe ich deutlich gemacht,
daß die Initiative für weitere Schritte zur europäischen Integration von den Europäern
selbst ausgehen muß, daß die Vereinigten Staaten jedoch bereit und willens sind, bei
der Verwirklichung dieser großen Idee zu helfen.
Ich bin nach Spanien, Italien und Jugoslawien gereist. An jedem Ort hatte ich eine
umfassende und hilfreiche Diskussion über die internationale Szene. Das Ergebnis
war, so denke ich, ein besseres Verständnis und festere Bande der Freundschaft zu
erschaffen.
Eine wichtige Tatsache ist schließlich, daß auf der Genfer Konferenz zwischen dem
britischen Außenminister Herrn Macmillan[,] und dem französischen Außenminister
Herrn Pinay und mir engste persönliche und Arbeitsbeziehungen bestanden. Auch mit
den Vertretern der Bundesrepublik Deutschland haben wir in den sie betreffenden
Fragen eng zusammengearbeitet.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 185

Dieser Geist der Kameradschaft, der unsere gemeinsamen Anstrengungen für eine
gemeinsame Sache gestärkt hat, ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Genfer
Konferenz.
Die Erklärung, die ich Ihnen heute Abend gebe, folgt auf eine ausführliche
Konferenz mit Präsident Eisenhower. Er ermächtigt mich zu sagen, daß er die von mir
vorgenommene Bewertung der Genfer Konferenz und ihrer Auswirkungen auf unsere
nationale Politik voll und ganz teilt. Diese Bewertung ergibt sich aus der Entscheidung
und dem Lebensziel des Präsidenten, einen gerechten, angemessenen und dauerhaften
Frieden für die Welt zu schaffen, ein Ziel, das ich teile und für dessen Verwirklichung
ich mich zusammen mit ihm einsetze.
Lassen Sie mich nun abschließend aus meinen wortwörtlichen Noten von unserer
Konferenz in Gettysburg heute Morgen vorlesen. Als ich gehen wollte, drehte sich der
Präsident zu mir um und sagte :
„Ich weiß, daß kein Rückschlag, kein Hindernis für den Fortschritt diese Regierung
und unser Volk jemals von der großen Anstrengung abhalten wird, einen gerechten
und dauerhaften Frieden zu schaffen. Der Erfolg mag lange auf sich warten lassen,
aber es gibt keine weltliche Kraft, die so sehr dazu beitragen kann, ihn zu erreichen,
wie die Stärke, die Macht, der Geist von 165 Millionen freien Amerikanern. In seinem
Streben nach diesem strahlenden Ziel wird dieses Land niemals eine Niederlage
zugeben.“
_____________

Note des amerikanischen Botschafters in Bonn (Conant) an den Sowjetischen


Botschafter in Berlin (Puschkin), Protest gegen die paramilitärischen
Einheiten (Kampfgruppen) in Ost-Berlin, 10. Februar 1956 1
Ich bin beauftragt, Sie über die wachsende Besorgnis meiner Regierung über die
Entwicklung paramilitärischer Aktivitäten im sowjetischen Sektor Berlins in den
letzten Monaten zu informieren. Diese Aktivitäten nahmen eine bedrohliche Form an,
als am 15. Januar einige Tausend Zivilisten, die mit Maschinenpistolen und anderen
Waffen bewaffnet waren, in einer Demonstration durch Ost-Berlin zogen. Wir stellen
fest, daß an dieser Demonstration sogar Jungen und Mädchen teilnahmen, die
Schusswaffen trugen.
Die Bildung paramilitärischer Gruppen und ihr Einsatz in provokativen Aktionen
haben ernste Konsequenzen, die meine Regierung nicht ignorieren kann. Ihre
fortgesetzte Tätigkeit kann nur zu Unruhe in der Bevölkerung und zu einer
Verschärfung der internationalen Spannungen im Berliner Raum führen.
Ein solches Vorgehen könnte schwerwiegende Folgen haben. Wie Ihrer Regierung
bekannt ist, haben sich die Vereinigten Staaten gemeinsam mit dem Vereinigten
Königreich und Frankreich förmlich verpflichtet, die Sicherheit und das Wohlergehen
der Bevölkerungen in ihren Sektoren gegen Angriffe aus allen Richtungen zu
verteidigen. Die Vereinigten Staaten können keinen Verzicht der Sowjetischen
Regierung auf ihre Verantwortung für Handlungen anerkennen, die zu einem solchen
Angriff führen könnten.
Wie Sie wissen, ist das Tragen von Waffen durch Mitglieder der Öffentlichkeit durch
eine Vier-Parteien-Gesetzgebung verboten, auf die die britischen, französischen und
amerikanischen Kommandanten großen Wert legen und die sie in ihren Sektoren
sorgfältig beachtet haben. Meine Regierung hofft, daß die Sowjetische Regierung als
verantwortliche Behörde die örtlichen Behörden im Sowjetischen Sektor daran
hindern wird, den Frieden in Berlin durch die Unterstützung von Aktivitäten

1 Pressemitteilung 77 des Außenministeriums, 10. Februar 1956. Der britische und der französische

Botschafter gaben ähnliche Erklärungen ab.


186 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

bewaffneter ziviler Gruppen oder durch andere gegen die westlichen Sektoren
gerichtete Drohungen zu gefährden.
____________

Schreiben von Premier Bulganin an Präsident Eisenhower über die


Reduzierung der ausländischen Streitkräfte in Deutschland, 6. Juni 1956 1
[Auszug]
* * * * * * *
Geleitet von dem hohen Ziel, den Frieden zwischen den Völkern zu stärken, hat die
Sowjetische Regierung beschlossen, die Initiative zu ergreifen und, ohne ein
Abrüstungsabkommen abzuwarten, eine große Reduzierung der Streitkräfte der
Sowjetunion vorzunehmen, die sich auf 1.200.000 Mann beläuft, dies zusätzlich zu der
Reduzierung von 640.000 Mann im Jahr 1955. Die Bewaffnung und das
Kampfmaterial der Streitkräfte der UdSSR sowie die Militärausgaben der
Sowjetunion im Staatshaushalt der UdSSR werden entsprechend gekürzt werden.
In Übereinstimmung mit diesem Beschluß werden 63 Divisionen und einzelne
Brigaden demobilisiert, darunter drei Luftdivisionen und andere Kampfeinheiten mit
über 30.000 Mann, die auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik
stationiert sind. Wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß der Abzug der
genannten Anzahl sowjetischer Truppen aus Deutschland die Frage nicht vollständig
löst. Diese Maßnahme der Sowjetregierung ist nur der erste Schritt. Wir gehen jedoch
davon aus, daß, wenn die Regierungen der Vereinigten Staaten, Englands und
Frankreichs, die ihre Truppen auf deutschem Gebiet haben, ihrerseits ebenfalls
Schritte zur Verringerung ihrer Streitkräfte in Deutschland unternehmen würden,
dies zweifellos den Boden für entschiedenere Schritte in dieser Angelegenheit bereiten
würde. Dabei haben wir im Auge, daß solche Maßnahmen der Regierungen der vier
Mächte später zu einer Vereinbarung über eine starke Reduzierung der ausländischen
Streitkräfte in Deutschland oder den Abzug ausländischer Streitkräfte von deutschem
Gebiet führen könnten.
* * * * * * *
____________

Gemeinsames Kommuniqué zur deutschen Frage von Kanzler Adenauer


und Außenminister Dulles, 13. Juni 1956 2
Der Besuch von Kanzler Adenauer in Washington hat die Gelegenheit zu einem
umfassenden Meinungsaustausch zwischen ihm und Außenminister Dulles geboten.
Dies ermöglichte dem Kanzler und dem Außenminister eine umfassende Überprüfung
der Weltlage und der Probleme, mit denen ihre Regierungen im internationalen
Bereich konfrontiert sind. Der Kanzler wurde von Staatssekretär Hallstein begleitet.
Im Vordergrund der Gespräche standen die Frage der deutschen
Wiedervereinigung, die jüngsten Ereignisse in der Sowjetunion sowie die weitere
Entwicklung und Stärkung der atlantischen Gemeinschaft.

1 Bulletin des Außenministeriums, 20. August 1956, S. 301. Der Präsident antwortete am 4. August 1956
auf dieses Schreiben (siehe unten). Premier Bulganin legte eine Kopie der sowjetischen Erklärung vom 14.
Mai 1956 über die Reduzierung der Streitkräfte bei ( ebenda, S. 301–305).
2 Pressemitteilung 322 des Außenministeriums, 13. Juni 1956.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 187

Außenminister Dulles und Kanzler Adenauer unterstrichen die deutsche


Wiedervereinigung als ein Hauptziel des Westens und die Überzeugung, daß die
Haltung des Westens gegenüber der Sowjetunion von dem Bestreben bestimmt sein
sollte, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu fördern.
Im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Sowjetunion führten sie einen
Meinungsaustausch über die kürzlich vom Vorsitzenden Bulganin an ihre
Regierungen gerichteten Schreiben, in denen die Erklärung der sowjetischen
Regierung vom 14. Mai zu ihren Streitkräften übermittelt wurde. Sie stellten fest, daß
andere nordatlantische Regierungen ähnliche Mitteilungen erhalten haben und waren
sich darin einig, daß es wünschenswert ist, sich mit ihren NATO-Partnern über diese
Entwicklung zu beraten.
Sie stellten fest, daß die Sowjetische Regierung den Wunsch geäußert hat, eine
Grundlage für eine friedliche Koexistenz mit den Nationen der freien Welt zu finden.
Sie waren sich darin einig, daß ein Test für die Aufrichtigkeit dieses Bekenntnisses die
Bereitschaft der Sowjetischen Regierung sein wird, ihre internationalen
Verpflichtungen zu respektieren und von dem Versuch Abstand zu nehmen, anderen
Völkern ihr System aufzuzwingen. Sie erinnerten daran, daß die Regierungschefs
Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, der UdSSR und der Vereinigten Staaten vor
fast einem Jahr in Genf ihre gemeinsame Verantwortung für die Lösung der Deutschen
Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands anerkannt haben und
übereingekommen sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen
erfolgen und im Einklang mit dem nationalen Interesse des Deutschen Volkes und dem
Interesse der europäischen Sicherheit verwirklicht werden sollte. Der Bundeskanzler
und der Außenminister vertraten die Auffassung, daß es schwierig sein wird, den
Versprechungen und Zusagen der Sowjetischen Regierung Glauben zu schenken,
solange die Sowjetische Regierung nicht Maßnahmen ergriffen hat, um dieser
Verantwortung gerecht zu werden und der brutalen und unnatürlichen Teilung, die
sie Deutschland aufgezwungen hat, ein Ende zu setzen.
Der Kanzler und der Außenminister bekräftigten den Willen ihrer Regierungen, mit
der Sowjetunion und den Staaten des nordatlantischen Raumes Vereinbarungen zu
treffen, die die europäische Sicherheit im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung
Deutschlands in Freiheit gewährleisten.
Der Kanzler und der Außenminister waren sich einig über die Bedeutung des
Nordatlantikvertrags, der einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der freien Welt
darstellt. Sie stimmten darin überein, daß die Beziehungen zwischen den Mitgliedern
des Nordatlantikvertrags gestärkt und weiterentwickelt und daß ihre Politik und ihr
Handeln in Bezug auf wichtige Probleme, die die Ziele des Vertrags berühren,
harmonisiert werden müssen. Sie sagten die Unterstützung ihrer Regierungen für die
diesbezüglichen Arbeiten zu, die auf der jüngsten Tagung des Nordatlantikrats in
Paris beschlossen wurden.
Der Außenminister teilte dem Kanzler mit, daß die Regierung der Vereinigten
Staaten mit Genugtuung von der jüngsten deutsch-französischen Vereinbarung über
die Saar erfahren habe. Er brachte auch das Interesse der Vereinigten Staaten an den
Ergebnissen des Treffens von Venedig in Bezug auf neue Schritte zur europäischen
Integration und insbesondere an den Aussichten für die baldige Aushandlung und
Einrichtung einer europäischen Organisation mit gemeinsamer Autorität und
Verantwortung auf dem Gebiet der Kernenergie zum Ausdruck. Er wies darauf hin,
daß die Schaffung einer solchen gemeinsamen Organisation eine besonders enge
Beziehung zu den Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet ermöglichen würde. Der
Minister brachte auch das Interesse der Vereinigten Staaten an der Schaffung eines
188 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

gemeinsamen europäischen Marktes und die Aussichten zum Ausdruck, die ein solcher
Markt für die künftige wirtschaftliche Entwicklung Europas bieten würde.
Der Kanzler und der Außenminister nahmen mit Befriedigung die weitere
Entwicklung der engen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten
Staaten zur Kenntnis. Der Kanzler sprach die Frage des deutschen Kriegsvermögens
in den Vereinigten Staaten an. Der Außenminister drückte die Hoffnung aus, daß die
Vereinigten Staaten in dieser Frage bald gesetzgeberisch tätig würden.
Der Minister brachte die Genugtuung der Regierung der Vereinigten Staaten über
die soeben von der Bundesrepublik Deutschland ergriffenen Maßnahmen zur
Aufhebung der Quotenbeschränkungen für Einfuhren aus dem Dollarraum in
Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handels-
abkommens zum Ausdruck. Der Kanzler und der Minister stimmten darin überein,
daß es wichtig ist, daß die freie Welt weiterhin bei Maßnahmen zur Ausweitung der
Handelsströme auf einer für beide Seiten vorteilhaften Grundlage zusammenarbeitet.
____________

Botschaft von Präsident Eisenhower an Präsident Heuss, anlässlich des


dritten Jahrestags des ostdeutschen Aufstandes, 16. Juni 1956 1
An diesem Tag [17. Juni], der an die vor drei Jahren erhobene spontane Forderung
nach Freiheit des siebzehn Millionen zählenden Deutschen Volkes in der Sowjetzone
erinnert, möchte ich die unerschütterliche Überzeugung meines Landes bekräftigen,
daß die ungerechte Teilung Deutschlands mit Sicherheit ein Ende finden wird. Die
Regierung und das Volk der Vereinigten Staaten sind der Sache der Freiheit und des
Friedens zutiefst verpflichtet. Wir wissen, daß es keine dauerhafte Sicherheit in
Europa geben kann, solange dem deutschen Volk die Einheit in Freiheit von Jenen
vorenthalten wird, die einem Teil Ihrer Nation ein fremdes und totalitäres System
aufzwingen wollen. Wir wissen auch, daß diese Ansichten von unseren Partnern im
Nordatlantikvertrag geteilt werden.
Die Beendigung der Teilung Deutschlands ist von wesentlicher Bedeutung für die
Entwicklung freundschaftlicher und kooperativer Beziehungen zwischen den
westlichen Nationen und der Sowjetunion. Soweit es die Regierung der Vereinigten
Staaten betrifft, steht der Weg offen, daß die Sowjetische Regierung beweist, daß ihr
erklärtes Interesse an der Entwicklung solcher Beziehungen echt ist. Ich bin
überzeugt, daß die Sowjetunion erkennen wird, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt,
eine Regelung auszuhandeln, die das Recht des Deutschen Volkes auf Freiheit und die
Interessen sowohl des Ostens als auch des Westens respektiert, und daß sie sich uns
anschließen wird, um eine Lösung des Deutschen Problems zu finden.
Dieser Tag, den Sie feiern, ist, wie ich weiß, ein Tag der Hingabe. Ich grüße Sie und
freue mich zusammen mit meinen amerikanischen Landsleuten auf die Zeit, in der
ganz Deutschland endlich vereint und frei sein wird.

1 Pressemitteilung des Weißen Hauses, 16. Juni 1956.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 189

Schreiben von Präsident Eisenhower an Premierminister Bulganin, über die


Reduzierung der ausländischen Streitkräfte in Deutschland, 4. August
1956 1
[Auszug]
* * * * * * *
Sie sprechen in Ihrem Schreiben [vom 6. Juni 1956] von einer möglichen
Reduzierung unserer jeweiligen Streitkräfte in Deutschland. Es liegt auf der Hand,
daß das Problem der Streitkräfte in Deutschland nicht isoliert betrachtet werden kann.
In dieser Hinsicht muß ich gestehen, daß ich über die Entwicklungen, die seit unserem
Treffen in Genf im letzten Jahr eingetreten sind, sehr beunruhigt bin. Wir waren uns
dort einig, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in der gemeinsamen
Verantwortung der vier Regierungen in Genf liegt, und wir waren uns auch einig, daß
die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen erfolgen sollte, die im
Einklang mit den nationalen Interessen des Deutschen Volkes und den Interessen der
europäischen Sicherheit durchgeführt werden.2 Nicht nur, daß dies nicht geschehen
ist, ich höre auch von Ihrer Seite Erklärungen, die den Eindruck erwecken, daß Ihre
Regierung entschlossen ist, die Teilung Deutschlands auf unbestimmte Zeit
aufrechtzuerhalten.
Ich muss gestehen, daß ich ratlos bin, wie wir konstruktiv zusammenarbeiten
können, wenn Vereinbarungen, die auf höchster Ebene nach gründlichster Prüfung
ausgehandelt werden, nicht verlässlich erscheinen.
* * * * * * *
____________

Note des deutschen Botschafters an den Außenminister, Übermittlung eines


Memorandums der Bundesrepublik Deutschland an die Sowjetunion, 2.
September 1956 3
Die Regierungschefs der Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreichs, des
Vereinigten Königreichs und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben
sich auf der ersten Genfer Konferenz im Juli 1955 darauf geeinigt, daß die Regelung
der Deutschen Frage und der Frage der Wiedervereinigung durch freie Wahlen
erfolgen soll, „die in Übereinstimmung mit den nationalen Interessen des Deutschen
Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit durchgeführt werden“. Auf der
zweiten Genfer Konferenz im Oktober und November 1955 war es leider nicht möglich,
sich über Mittel und Wege zur Umsetzung dieser Resolution zu einigen. Nun ist mehr
als die Hälfte des Jahres 1956 verstrichen, ohne daß in dieser Frage ein Fortschritt
erzielt wurde.
Die Deutsche Bundesregierung sieht sich gezwungen, die Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika auf die Schwere dieser Tatsache aufmerksam zu machen.
Alle vier Mächte haben zu allen Zeiten die ihnen obliegende Verantwortung für die
Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als eines Staates anerkannt. Diese
Verantwortung wird durch eine bloße Zustimmung zum Grundsatz der
Wiedervereinigung, ohne daß Vereinbarungen über die praktischen Mittel und Wege
zu ihrer Verwirklichung getroffen werden, nicht hinreichend erfüllt.

1 Pressemitteilung des Weißen Hauses, 7. August 1956. Siehe auch das Schreiben von Premier Bulganin

vom 6. Juni 1956 (siehe oben).


2 Siehe Genfer Richtlinie vom 23. Juli 1955 (siehe oben).
3 Bulletin des Außenministeriums, 24. September 1956, S. 485–486. Botschafter Krekeler übergab die Note

am 7. September 1956 an Außenminister Dulles ; am selben Tag wurden ähnliche Noten an die britische und
die französische Regierung sowie das Memorandum (siehe unten) an die Sowjetregierung übermittelt. Siehe
auch die amerikanischen Noten vom 9. Oktober an die deutsche Bundesregierung und vom 10. Oktober an die
sowjetische Regierung (siehe unten).
190 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Erst kürzlich bezeichnete der Außenminister der Vereinigten Staaten in seiner


vorbereiteten Erklärung vom 13. Juni dieses Jahres die deutsche Wiedervereinigung
als „ein Hauptziel des Westens“ und betonte die Überzeugung, „daß die Haltung des
Westens gegenüber der Sowjetunion von dem Bestreben bestimmt sein sollte, die
Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu fördern“. Am 17. Juni 1956 sagte der
Präsident der Vereinigten Staaten in seinem Grußwort an den Bundespräsidenten der
Bundesrepublik Deutschland : „Die Beendigung der Teilung Deutschlands ist für die
Entwicklung freundschaftlicher und kooperativer Beziehungen zwischen den
westlichen Nationen und der Sowjetunion von wesentlicher Bedeutung“. Schließlich
erinnerte der Präsident der Vereinigten Staaten in seinem Schreiben vom 4. August
dieses Jahres an den Sowjetischen Ministerpräsidenten, Marschall Bulganin, an die
Genfer Vereinbarung der Regierungschefs über die Wiedervereinigung Deutschlands
und äußerte seine Besorgnis darüber, daß keine Maßnahmen ergriffen worden seien.
Die Bundesregierung hat diese Äußerungen mit großer Genugtuung zur Kenntnis
genommen. Sie stimmt ihnen voll und ganz zu, insbesondere in der Erwägung, daß die
deutsche Wiedervereinigung nicht nur eine Frage deutscher nationaler Interessen ist,
sondern eine Frage von umfassender und entscheidender Bedeutung für die künftigen
Beziehungen zwischen West und Ost und damit für die Erhaltung des Weltfriedens.
Die Bundesregierung sieht in diesen Erklärungen einen Hinweis auf den ernsthaften
Willen der Vereinigten Staaten, praktische und wirksame Schritte zur
Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu unternehmen.
Da mehrere Versuche gescheitert sind, in dieser Frage durch große Konferenzen
eine Einigung zu erzielen, hält die Bundesregierung es nicht für zweckmäßig, zum
jetzigen Zeitpunkt die Einberufung einer weiteren Konferenz vorzuschlagen. Sie ist
der Auffassung, daß eine neue Konferenz erst dann einberufen werden sollte, wenn auf
dem normalen diplomatischen Weg eine begründete Aussicht besteht, daß eine solche
Konferenz zu einem Erfolg führen kann.
Die Bundesregierung appelliert eindringlich an die Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika, ihre Bemühungen in diesem Sinne energisch fortzusetzen.
Die Bundesregierung erlaubt sich, ihren eigenen Beitrag zu diesen Bemühungen in
Form eines Memorandums an die Regierung der UdSSR zu leisten. Sie hält dieses
Vorgehen für sinnvoll, da sie bereits seit einiger Zeit mit den Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs in
einem Meinungsaustausch steht und mit diesen Regierungen erfreulicherweise eine
Einigung erzielt hat. Hingegen hatte sie bisher keine Gelegenheit, mit der Regierung
der UdSSR eingehende Gespräche über die Frage der Wiedervereinigung zu führen.
In Anbetracht der Tatsache, daß die Frage der Wiedervereinigung zwar im Rahmen
eines bilateralen Meinungsaustausches in gewissem Umfang behandelt werden kann,
daß sie aber aufgrund ihrer Rechtsnatur nur gemeinsam mit allen vier Regierungen
gelöst werden kann, erlaubt sich die Bundesregierung, der Regierung der Vereinigten
Staaten den Wortlaut des von ihr an die Regierung der UdSSR gerichteten
Memorandums zu übermitteln.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 191

Memorandum der Bundesrepublik Deutschland an die Sowjetunion, über die


deutsche Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, 2. September
1956 1
[Inoffizielle Übersetzung]

1 ) Im September 1955 wurde in Moskau zwischen den Regierungsdelegationen der


Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion einstimmig die Wiederaufnahme
der diplomatischen Beziehungen beschlossen. Nachdem diese Vereinbarung in Kraft
getreten ist und die Botschaften in Bonn und Moskau ihre Tätigkeit aufgenommen und
sich mit ihren Aufgaben vertraut gemacht haben, hält es die Bundesregierung für an
der Zeit, auf eine weitere in diesem Zusammenhang getroffene Vereinbarung
hinzuweisen. Diese Vereinbarung ist in einem Schreiben des sowjetischen
Ministerpräsidenten, Marschall Bulganin, an die Regierungsdelegation der
Bundesrepublik Deutschland vom 13. September 1955 enthalten und hat folgenden
Wortlaut :
Die Regierung der Sowjetunion bringt ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß
die jetzt wiederaufgenommenen diplomatischen Beziehungen zur Entwicklung
des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit zwischen der
Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland im Interesse des Friedens
und der Sicherheit in Europa beitragen werden.
Die Sowjetregierung stützt sich dabei auf die Überzeugung, daß die Aufnahme
und Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der
Bundesrepublik Deutschland zur Lösung offener Fragen, die ganz Deutschland
betreffen, und damit zur Lösung des wichtigsten nationalen Problems des
gesamten deutschen Volkes––der Wiederherstellung der Einheit des deutschen
demokratischen Staates––beitragen wird.
In ihrer Antwort vom selben Tag bestätigte die Bundesregierung diese
Vereinbarung und drückte sie mit denselben Worten aus.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß es der ernste Wille beider Seiten war und
ist, diese Vereinbarung zu verwirklichen und ihre Politik danach auszurichten.
Im Geiste dieser Vereinbarung erlaubt sich die Bundesregierung, der Regierung der
UdSSR ihre Vorstellungen darzulegen, wie die Wiedervereinigung des deutschen
Volkes am besten und am schnellsten in einer für die Hauptbetroffenen und zugleich
für alle Völker befriedigenden Weise vollzogen werden kann.
2 ) Die Regierung der UdSSR hat in letzter Zeit bei verschiedenen Gelegenheiten
die Meinung geäußert, daß die Existenz zweier deutscher Staaten eine Realität ist, der
Rechnung getragen werden muss und daß es daher diesen beiden Staaten überlassen
werden muss, die Wiedervereinigung herbeizuführen. Sie hat wiederholt angedeutet,
daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands derzeit nicht für dringlich hält.
Dementsprechend hat sie wiederholt vorgeschlagen, ein europäisches
Sicherheitssystem zu schaffen, an dem zunächst zwei deutsche Staaten als Mitglieder
teilnehmen sollten.
Andererseits war es die Sowjetische Regierung selbst, die noch vor wenigen Jahren
die Lösung des deutschen Problems als eine Aufgabe bezeichnete, die keinen Aufschub
duldet (Note der Sowjetischen Regierung an die Regierungen Frankreichs, des
Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten vom 28. September 1953). Die
sowjetische Regierung drückte ihre Auffassung damals mit den Worten aus––

1 Bulletin des Außenministeriums, 24. September 1956. S. 486-493. Das Memorandum wurde am 7.
September 1956 übermittelt.
192 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

daß die Frage der Wiederherstellung der nationalen Einheit eines


demokratischen Deutschlands die Hauptfrage sei und bleibe, mit der das
deutsche Volk konfrontiert sei, eine Frage, an deren Lösung jedes friedliebende
Volk in ganz Europa interessiert sei.
In ihrer Note vom 15. August 1953 an die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten, in der sie dieselbe Überzeugung zum
Ausdruck brachte, erklärte die sowjetische Regierung darüber hinaus folgendes :
Keinerlei Entschuldigungen können eine weitere Verzögerung in dieser
Angelegenheit rechtfertigen, denn unter den gegenwärtigen Umständen tragen
die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der
UdSSR die Hauptverantwortung für die Herbeiführung einer Lösung. Auf
keinen Fall dürfen Maßnahmen aufgeschoben werden, die––und seien sie auch
nur auf eine schrittweise Lösung des Problems der Wiedervereinigung
Deutschlands gerichtet––die Bildung einer gesamtdeutschen demokratischen
Regierung fördern können.
Die Bundesregierung vermag keinen Grund zu erkennen, der die Sowjetregierung
veranlassen könnte, ihre Auffassung von der Dringlichkeit des Problems der
Wiedervereinigung zu ändern. Die Bundesregierung ist ihrerseits der Auffassung, daß
jeder der Gründe, die seinerzeit die Sowjetregierung von der Dringlichkeit der Frage
überzeugt haben, auch heute noch besteht––und zwar in verstärktem Maße. In ihrer
Note vom 10. März 1952 an die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs
und der Vereinigten Staaten bezeichnete die Sowjetische Regierung es selbst als
anormal, daß seit der Einstellung der Feindseligkeiten bereits sieben Jahre
verstrichen sind, ohne daß ein Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen worden
ist. Inzwischen dauert diese Anomalie schon elf Jahre an. In ihrer Note vom 9. April
1952 an die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der
Vereinigten Staaten hat die Sowjetische Regierung sogar die Gefahr eines Ausbruchs
von Feindseligkeiten in Europa durch die Fortsetzung der deutschen Teilung erwähnt.
Die Bundesregierung teilt die damals von der Sowjetischen Regierung geäußerte
Auffassung, daß jede Fortsetzung der Teilung Deutschlands eine ernste internationale
Gefahr darstellt. Auch wenn sich die Lage gegenüber der 1952 noch akuten
internationalen Spannung erfreulicherweise etwas gebessert hat, kann kein Zweifel
daran bestehen, daß eine Befriedung Europas die Lösung des Problems der deutschen
Wiedervereinigung und damit die Beseitigung der mit der Teilung Deutschlands
verbundenen Gefahren voraussetzt. Die Sowjetunion hat wiederholt erklärt, daß es die
ehrliche Absicht der sowjetischen Außenpolitik ist, den Weltfrieden zu sichern und
eine dauerhafte Ordnung in Europa herbeizuführen, die allen Nationen Sicherheit,
Freiheit und Wohlstand bietet. Die unnötige Verlängerung der Teilung Deutschlands
durch die Sowjetische Regierung, indem sie entgegen der Auffassung einer
überwältigenden Mehrheit der anderen Länder der Welt die Existenz zweier deutscher
Staaten behauptet, erscheint der Bundesrepublik dagegen unvereinbar mit diesen
Absichten.
3 ) Die Bundesregierung stellt mit Genugtuung fest, daß hinsichtlich der
Rechtslage Einigkeit besteht : als die Vier Mächte bei der Einstellung der
Feindseligkeiten die Regierungsgewalt übernahmen, verpflichteten sie sich,
Deutschland als Ganzes zu erhalten. In der Folgezeit haben sie sich immer wieder zu
dieser rechtlichen Verpflichtung und zu ihrer moralischen Verantwortung für die
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 193

Wiederherstellung der Einheit Deutschlands bekannt. So wurde z.B. in ausdrücklicher


Anerkennung dieser „gemeinsamen Verantwortung für die Regelung der Deutschen
Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands“ die Richtlinie der vier
Regierungschefs an ihre Außenminister vom 23. Juli 1955 verfasst.
4 ) Nach Auffassung der Bundesregierung kann die internationale Entwicklung der
letzten Jahre keinesfalls einen so tiefgreifenden Meinungsumschwung rechtfertigen,
wie er aus jüngeren Äußerungen der Sowjetischen Regierung hervorgeht. Die
Bundesregierung ist sich bewußt, daß die sowjetische Regierung ihre gegenwärtige
Auffassung zur Frage der Wiedervereinigung Deutschlands damit begründet, daß die
Bundesrepublik beschlossen hat, eigene nationale Streitkräfte aufzustellen und sich
dem Verteidigungssystem der NATO und der Westeuropäischen Union anzuschließen.
Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß die sowjetische Bewertung dieser
Politik auf falschen Voraussetzungen und Annahmen beruht und kann die Hoffnung
nicht aufgeben, die Sowjetische Regierung und das Sowjetische Volk von der
Falschheit dieser Annahmen und Voraussetzungen zu überzeugen.
5 ) Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Aufstellung eigener
nationaler Streitkräfte durch die Bundesrepublik die Sowjetregierung um ihre eigene
Sicherheit oder um die Sicherheit der östlichen Nachbarn Deutschlands besorgt macht.
Es gehört zu den unumstößlichen Vorrechten eines jeden souveränen Staates, das
Recht der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung auszuüben, ein Recht, das
jedem Staat in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, deren Mitglied die
Sowjetunion ist, zugestanden wird. Darüber hinaus schlug die Sowjetische Regierung
selbst in ihrem Entwurf für einen Friedensvertrag für Deutschland vom 10. März 1952
vor, daß ein wiedervereinigtes Deutschland über eigene nationale Streitkräfte (Land-,
See- und Luftstreitkräfte) verfügen sollte, die für die Verteidigung des Landes
erforderlich sind. Die Stärke der Streitkräfte, die die Bundesrepublik aufstellen will,
liegt im Vergleich zur Bevölkerungszahl der Bundesrepublik weit unter der
Rüstungsstärke der meisten anderen Staaten in Europa und insbesondere in
Osteuropa. Bei der von der Bundesrepublik eingeführten allgemeinen Wehrpflicht
handelt es sich um die gleiche Form des Wehrdienstes, wie sie in der Sowjetunion
üblich ist. Die Bundesrepublik ist das einzige Land der Welt, das feierlich auf die
Produktion nicht nur aller Massenvernichtungswaffen (Atomwaffen, biologische und
chemische Waffen), sondern auch zahlreicher schwerer Rüstungsgüter verzichtet.
Allein diese Tatsache zeigt deutlich den defensiven Charakter ihrer militärischen
Maßnahmen.
6 ) Zugleich wird die Haltung der Bundesregierung zur Abrüstungsfrage deutlich.
Sie hat ein aktives Interesse an einem allgemeinen Abrüstungsabkommen.
Dieses Interesse ergibt sich in erster Linie aus allgemeinen Gründen der
Friedenssicherung. Der deutsche Bundeskanzler, Dr. Adenauer, sagte am 9.
September 1955 in Moskau:
Das kostbarste Gut, das jeder Deutsche zu bewahren sucht, ist der Frieden. Wir wissen
nur zu gut, wie sehr insbesondere das Sowjetische und das Deutsche Volk im letzten Krieg
gelitten haben und ich glaube daher, daß ich Ihr Verständnis finden werde, wenn ich sage,
daß der Schrecken der Zerstörungen, die ein moderner Krieg mit sich bringen würde, die
Millionen von Menschenopfern, die Zerstörung von Häusern und Fabriken, die Verwüstung
von Stadt und Land, bei jedem von uns unauslöschliche Spuren hinterlassen hat.
194 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wir wissen auch in Deutschland, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt seit


dem letzten Krieg auf dem Gebiet der Kernspaltung und anderer verwandter Gebiete dem
Menschen Möglichkeiten der Zerstörung in die Hand gegeben hat, bei deren bloßem
Gedanken man erschaudern muss. Schließlich weiß Jeder in Deutschland, daß die
geographische Lage unseres Landes uns im Falle eines bewaffneten Konflikts in höchstem
Maße gefährden würde. Sie werden daher in Deutschland niemanden finden––nicht nur
unter den verantwortlichen Politikern, sondern auch in der gesamten Bevölkerung––der
auch nur im Entferntesten mit dem Gedanken spielt, daß irgendeines der großen
politischen Probleme, die zur Lösung anstehen, durch einen Krieg gelöst werden könnte.
Die Sehnsucht, die die Menschheit erfasst hat, der Krieg möge sich durch seine eigene
Schrecklichkeit überlebt haben––diese Sehnsucht ist tief und stark im Herzen eines jeden
Deutschen verwurzelt.
Das gilt auch heute noch in unvermindertem Maße.
Es wäre auch ein Missverständnis, anzunehmen, die Bundesregierung sei gegen
eine allgemeine Abrüstung, weil sie diese mit der gleichzeitigen Regelung der Frage
der deutschen Wiedervereinigung verknüpft und weil sie weiterhin eigene Streitkräfte
aufstellt.
Der Zusammenhang zwischen dem Problem der Abrüstung und dem der
Wiedervereinigung ist unausweichlich. Man würde der Sache der Abrüstung in der Tat
einen schlechten Dienst erweisen, wenn man sie, wie manch wohlmeinender
Weltreformer, von allen politischen Aspekten loslösen und sozusagen im luftleeren
Raum argumentieren würde. In der harten Realität dieser Welt kann eine allgemeine
Abrüstung nur zustande kommen, wenn die politischen Voraussetzungen dafür
gegeben sind. Denn die Staaten werden––das hat die Erfahrung oft genug gezeigt––
einfach nicht bereit sein, Abrüstung ehrlich zu betreiben, solange es schwelende
Konflikte gibt, die jeden Tag gewaltsam aufflammen können. Deshalb kommt es darauf
an, die Ursachen der heute bestehenden Spannungen zu beseitigen, die zu dem
heutigen hohen Rüstungsniveau in der Welt geführt haben. Die Bundesregierung hat
jedoch immer wieder betont, daß sie es für durchaus möglich hält, das Problem der
Abrüstung zusammen mit dem der Wiedervereinigung zu lösen. Sie ist daher
keineswegs der Auffassung, daß ein Abrüstungsabkommen bis zur Wiedervereinigung
aufgeschoben werden muss.
Es ist völlig klar, daß der Aufbau eigener Streitkräfte nicht im Widerspruch zu den
Abrüstungswünschen der Bundesregierung steht. Ein Abrüstungsabkommen kann
nicht auf der Grundlage geschlossen werden, daß ein Staat mit gar keinen Soldaten
auf diesem Niveau bleibt, während ein anderer mit über hundert Divisionen diese Zahl
um zwanzig, vierzig oder sechzig reduziert. Vielmehr muss man von einem
vergleichbaren Rüstungsniveau ausgehen––ein Prinzip, das im Übrigen auch in den
langwierigen, aber leider erfolglosen Abrüstungsbemühungen zu Beginn der dreißiger
Jahre erkannt wurde. Die Aufstellung eigener Streitkräfte schließt also keineswegs
unermüdliche und aktive Bemühungen der Bundesregierung um ein allgemeines
Abrüstungsabkommen aus.
7 ) Auch die Tatsache, daß die Kräfte im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft der
Bundesrepublik in der NATO und der Westeuropäischen Union aufgebracht werden,
ändert an dieser Einschätzung nichts. Wenn dies der Grund für die Befürchtungen der
Sowjetunion ist, so ist zunächst festzustellen, daß alle von sowjetischer Seite
geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in
diesen Organisationen auf falschen Voraussetzungen beruhen, was
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 195

deren Charakter betrifft. Sowohl die NATO als auch die Westeuropäische Union sind
Bündnisse, die ausschließlich dem Zweck der individuellen und kollektiven
Selbstverteidigung dienen. Sie sind ein Beispiel dafür, was auf dem Gebiet der
Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle erreicht werden kann, wenn die Völker
zum Zwecke der Versöhnung und Entspannung zusammenarbeiten.
Die Mitglieder der atlantischen und westeuropäischen Verteidigungsorganisationen
sind sich hinsichtlich ihrer Verteidigungsziele völlig einig. Jeder von ihnen hat das
größte Interesse daran, daß kein Mitgliedsland bei der Verfolgung seiner nationalen
politischen Ziele irgendwelche Schritte unternimmt, die zu Feindseligkeiten führen
könnten. Die Mitgliedschaft in diesen Organisationen muss daher eine mäßigende
Wirkung auf die Politik eines jeden Mitgliedstaates haben. Ein Mitgliedsland kann
nur dann auf die Hilfe seiner Verbündeten zählen, wenn es Opfer einer Aggression ist.
An dieser Stelle muß noch einmal gesagt werden, daß nach den Kriegen und
Katastrophen der letzten Jahrzehnte die Sehnsucht aller Völker und insbesondere der
beiden in zwei Weltkriegen so schwer gebeutelten Völker Deutschlands und der
Sowjetunion nach einer internationalen Ordnung, die Sicherheit und Frieden für alle
bietet, sehr verständlich ist. Die Bundesregierung ist entschlossen, die
Wiedervereinigung der beiden getrennten Teile Deutschlands ausschließlich mit
friedlichen Mitteln zu erreichen. Sie ist jederzeit bereit, diesen Gewaltverzicht, den sie
bereits gegenüber den westlichen Völkern erklärt hat und der für ihr Verhältnis zu
allen Völkern gilt, gegenüber der Sowjetunion und den östlichen Nachbarländern in
verbindlicher Form zu wiederholen.
8 ) Darüber hinaus ist es ein bedauerliches Mißverständnis, wenn die Sowjetische
Regierung annimmt, daß die Westmächte verlangen werden, daß ganz Deutschland
nach der Wiedervereinigung zur NATO und zur Westeuropäischen Union gehört. Die
Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten
haben niemals eine solche Bedingung gestellt. Im Gegenteil, schon auf der Berliner
Viermächtekonferenz 1954 wurde klar zum Ausdruck gebracht, daß die Politik der drei
Westmächte darin besteht, dem wiedervereinigten Deutschland die absolute Freiheit
zuzugestehen, seine Außenpolitik selbst zu bestimmen. Die Bundesregierung hat sich
auch stets für den Grundsatz eingesetzt, daß eine künftige gesamtdeutsche Regierung
frei entscheiden können muss, ob sie ihre Sicherheit in einem Bündnis mit dem
Westen, mit dem Osten oder ganz ohne Bündnis suchen will. Die Bundesregierung hat
diesen Grundsatz der Entscheidungsfreiheit für ein wiedervereinigtes Deutschland zu
einem Eckpfeiler ihrer Politik gemacht.
Diese Haltung wird durch die Tatsache bestätigt, daß die Regierungen Frankreichs,
des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten in ihrem Genfer Vorschlag
vom 28. Oktober 1955 über die „Wiedervereinigung Deutschlands und die
[europäische] Sicherheit“ der Sowjetunion für den Fall der Verwirklichung der
deutschen Wiedervereinigung eine beträchtliche Anzahl von Sicherheitsgarantien
angeboten haben, die auch dann wirksam werden sollten, wenn die gesamtdeutsche
Regierung die Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungssystem ablehnt. Zusätzliche
Sicherheitsgarantien sollten nach diesem Vorschlag auch für den Fall vorgesehen
werden, daß sich ein vereinigtes Deutschland für eine Mitgliedschaft in der NATO
entscheiden sollte. Dazu gehörte der gegenseitige Beistand, den sich beide Seiten für
den Fall eines bewaffneten Angriffs eines NATO-Mitglieds auf einen Nicht-NATO-
Staat in Europa und umgekehrt vertraglich zusichern sollten.
196 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Diese Situation wurde vom britischen Premierminister, Sir Anthony Eden, in seiner
Erklärung vor dem Unterhaus am 23. Juli 1956 ebenfalls sehr treffend beschrieben.
9 ) Sollte sich die Sowjetische Regierung weiterhin außerstande sehen, der
Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen, weil die Streitkräfte und
militärischen Einrichtungen der NATO im Falle eines Beitritts des vereinigten
Deutschlands zur NATO einige hundert Kilometer nach Osten vorrücken würden, so
könnte diese Besorgnis durch entsprechende Vereinbarungen ausgeräumt werden.
Nachdem der britische Premierminister Eden aufgrund solcher Erwägungen bereits
am 18. Juli 1955 in Genf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone zwischen Ost und
West zur Diskussion gestellt hatte, wurde aus den gleichen Erwägungen heraus in
Punkt 3 des gemeinsamen Vorschlagsentwurfs Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten vom 28. Oktober 1955 ein Vertrag mit
besonderen Garantien für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands festgelegt :
In den Teilen der Zone, die der Demarkationslinie am nächsten liegen, können besondere
Maßnahmen in Bezug auf die Stationierung von Streitkräften und Einrichtungen ergriffen
werden.
Die Bundesregierung bedauert zutiefst, daß es bisher keine ausführliche Diskussion
über diesen bedeutenden Vorschlag gegeben hat, der von der allgemeinen Vorstellung
ausgeht, daß er nicht darauf abzielt, durch die Wiedervereinigung Deutschlands die
militärische Lage einer bestimmten Gruppe von Mächten zu verbessern.
10 ) In jedem Fall ist die Bundesregierung ernsthaft bestrebt, die
Sicherheitserwägungen der Sowjetunion im Rahmen des Menschenmöglichen zu
berücksichtigen, auch wenn sie nicht zugeben kann, daß die Sicherheit der
Sowjetunion bei objektiver Betrachtung in irgendeiner Weise durch die Politik der
Bundesrepublik beeinträchtigt werden könnte. Die Bundesregierung hat es daher
begrüßt, daß auf den beiden Genfer Konferenzen 1955 das Problem der
Wiedervereinigung Deutschlands eng mit dem Problem eines europäischen
Sicherheitssystems verknüpft wurde. Trotz des für das seutsche Volk enttäuschenden
Endergebnisses der Genfer Verhandlungen ist sie der Auffassung, daß die Erörterung
des Sicherheits- und des Wiedervereinigungsproblems zu gewissen Fortschritten
geführt hat und daß eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet wurde, deren weitere
Erörterung fruchtbar sein würde.
Die Bundesregierung befürwortet ein europäisches Sicherheitssystem, das auf
einem feierlichen Verzicht aller Mitglieder auf die Anwendung von Gewalt zur Lösung
politischer Streitigkeiten in ihren gegenseitigen Beziehungen beruht. In einem solchen
Sicherheitssystem sollte sich jeder Mitgliedsstaat verpflichten, einem Aggressor
jegliche Unterstützung zu verweigern. Die Bundesregierung steht diesen
Vorstellungen grundsätzlich positiv gegenüber. Sie schließt auch andere geeignete
Vorschläge für Elemente eines Sicherheitssystems nicht aus. So befürwortet sie auch
eine gegenseitige Beistandsverpflichtung aller Mitglieder eines europäischen
Sicherheitsvertrages für den Fall eines bewaffneten Angriffs in Europa durch ein
NATO-Mitglied gegen einen nicht der NATO angehörenden Staat und umgekehrt.
Soweit die Sowjetunion aus Furcht um ihre eigene Sicherheit ihre Zustimmung zur
Wiedervereinigung Deutschlands verweigert, spricht nichts dagegen, die bisher
geäußerten Erwägungen noch einmal auf ihre Anwendbarkeit hin zu überprüfen.
11 ) Die Sowjetische Regierung hat ihrerseits der Genfer Konferenz am 28. Oktober
1955 den Entwurf eines allgemeinen Vertrages über kollektive Sicherheit vorgelegt,
der eine Reihe ähnlicher Vorschläge enthält. Ein grundlegender Unterschied zwischen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 197

dem sowjetischen Vorschlag und dem des Westens bestand jedoch darin, daß ersterer
die Mitgliedschaft von zwei deutschen Staaten in diesem Vertragssystem vorsah.
Die Bundesregierung ist ebenso wie die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten der Auffassung, daß ein europäisches
Sicherheitssystem, an dem zwei deutsche Staaten beteiligt sind, in sich
widersprüchlich und zum Scheitern verurteilt ist. Dieser Gedanke steht auch im
Einklang mit der Richtlinie der vier Regierungschefs vom 23. Juli 1955, in der
ausdrücklich auf den engen Zusammenhang zwischen der Wiedervereinigung
Deutschlands und dem Problem der europäischen Sicherheit hingewiesen wird und die
deshalb eine gleichzeitige Behandlung beider Fragen vorsieht. Die Gründe für diesen
Zusammenhang sind schon oft erläutert worden : Die Teilung Deutschlands stellt eine
anormale Situation dar. Ein Sicherheitssystem, das auf dieser Situation aufbaut,
würde sie sozusagen versteinern, während das Ziel eines Sicherheitssystems doch sein
sollte, normale Verhältnisse zu schaffen und gleichzeitig die vermeintlichen oder
tatsächlichen Sicherheitsbedürfnisse der direkt oder indirekt Beteiligten zu
befriedigen.
Die Bundesregierung hält es daher für unerlässlich, die Lösung beider Fragen so
miteinander zu verknüpfen, daß von Anfang an nur ein deutscher Staat, nämlich das
wiedervereinigte Deutschland, dem europäischen Sicherheitssystem beitritt.
12 ) Diese Forderung führt zu der Frage, wie die Wiedervereinigung Deutschlands
erreicht werden kann.
Noch am 23. Juli 1955 hatte der Vorsitzende des Ministerrats der UdSSR, Marschall
Bulganin, mit den Regierungschefs Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der
Vereinigten Staaten vereinbart, daß „die Regelung der Deutschen Frage und die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit den nationalen
Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit
erfolgen sollen“. Als dieses Abkommen am 23. Juli 1955 unterzeichnet wurde, waren
die Pariser Vereinbarungen vom 23. Oktober 1954 bereits seit längerem in Kraft und
die Bundesrepublik war Mitglied der NATO und der WEU. Dennoch lehnte der
sowjetische Außenminister Molotow am 8. November 1955 den Vorschlag der drei
Westmächte in Genf ab, bis Ende September 1956 in ganz Deutschland freie und
geheime Wahlen abzuhalten, und begründete seine Ablehnung damit, daß sich die seit
der Berliner Konferenz von 1954 herrschende Situation durch die Pariser Abkommen
gravierend verändert habe. Entgegen der Genfer Direktive der vier Regierungschefs
vom 23. Juli 1955 vertrat Molotow die Auffassung, daß die Frage der Durchführung
freier gesamtdeutscher Wahlen noch nicht spruchreif sei und daß zunächst eine––
seiner Meinung nach bereits bestehende––„Annäherung und Zusammenarbeit“
zwischen den beiden deutschen Staaten notwendig sei.
So stellte der sowjetische Außenminister eine neue Bedingung für die
Wiedervereinigung Deutschlands, die faktisch darauf hinauslief, die
Wiedervereinigung Deutschlands auf lange Zeit unmöglich zu machen.
Die Sowjetregierung sollte nicht die Augen davor verschließen, daß es dem Regime
der so genannten „Deutschen Demokratischen Republik“ auch im Laufe mehrerer
Jahre nicht gelungen ist, das Vertrauen und die Zustimmung der Bevölkerung zu
gewinnen. Dieses Regime nimmt für sich in Anspruch, einen Staat der Werktätigen,
insbesondere der Arbeiter und Bauern, zu vertreten, und gerade die Arbeiter und
198 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Bauern Mitteldeutschlands sind es, deren überwältigende Mehrheit dieses Regime


zutiefst verabscheut. Die Bundesregierung bezweifelt nicht, daß die Sowjetische
Regierung selbst nach dem 17. Juni 1953 einige Überlegungen zu diesem Thema
angestellt hat. Leider hat sich die Lage in Mitteldeutschland seit diesen Ereignissen
in keiner Weise verbessert. Im Gegenteil, ein ununterbrochener Strom von
Flüchtlingen ergießt sich weiterhin, Monat für Monat, aus der Zone in die
Bundesrepublik.
Im Gegensatz zu diesem Bild, das die tatsächliche Lage in der Zone beschreibt,
erklärte der sowjetische Außenminister Molotow am 8. November 1955 in Genf, daß
eine „mechanische Verschmelzung der beiden getrennten Teile Deutschlands durch so
genannte freie Wahlen zu einer Verletzung der vitalen Interessen der Arbeiter in der
DDR führen würde“. Sie würde die Herrschaft der großen Monopole, der Junker und
der Militaristen in ganz Deutschland wiederherstellen. Die Arbeiter Deutschlands, so
Molotow, hätten mit der DDR zum ersten Mal ihr wirkliches Vaterland gefunden,
einen deutschen Staat, in dem nicht die großen Monopoleigentümer und Junker,
sondern die Werktätigen selbst die Herren seien.
Diese Äußerungen zeigen, wie wenig der sowjetische Außenminister mit den
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in Deutschland vertraut ist. Jedes
Gespräch, das er mit deutschen Arbeitern und Bauern führen könnte, würde ihm
beweisen, daß er eine völlig falsche Vorstellung von den sozialen Verhältnissen hat.
Andererseits ist der Begriff des Funktionärs jedem Arbeiter in Mitteldeutschland
geläufig, und jeder weiß, daß kein privater Unternehmer in der Bundesrepublik es
wagen würde, „Arbeitsquoten“ vorzuschreiben, wie sie von den Funktionären der
Sozialistischen Einheitspartei und des „Freien“ Gewerkschaftsbundes diktiert werden.
Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn sich die Sowjetische Regierung
durch die Einrichtung einer Sowjetischen Botschaft in Bonn ein zutreffendes Bild von
den politischen und sozialen Verhältnissen in der Bundesrepublik machen würde. Die
Sowjetische Regierung müßte dann zweifellos die Einwände gegen die Abhaltung freier
Wahlen fallen lassen, die sie jetzt in Anbetracht der politischen und sozialen
Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands erhebt.
13 ) Seit ihrem großen Friedenserlaß vom November 1917 hat sich die
Sowjetregierung stets für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker eingesetzt. Dieser
Grundsatz, der auch von der Bundesregierung als grundlegend für das friedliche
Zusammenleben der Völker angesehen wird und der in der Charta der Vereinten
Nationen, in der Atlantik-Charta und in vielen anderen Dokumenten von
entscheidender Bedeutung seinen Ausdruck gefunden hat, lautet: Jedes Volk hat das
Recht, frei über sein Schicksal zu bestimmen. Sie soll selbst entscheiden, in welcher
Staatengemeinschaft und unter welcher Staatsform sie leben will, welche
Gesellschaftsordnung sie bevorzugt, welche Außenpolitik sie verfolgt und mit welchen
Staaten sie eine enge Zusammenarbeit wünscht.
Die Bundesregierung appelliert an die Regierung der UdSSR, diesem von ihr stets
vertretenen Grundsatz treu zu bleiben. Würde dem deutschen Volk die Möglichkeit
eingeräumt, über sein Schicksal selbst zu entscheiden, so würde es zweifellos in seiner
Gesamtheit gegen die Bildung zweier deutscher Staaten und für deren sofortige
Wiedervereinigung in einem deutschen Staat stimmen. Die Tatsache, daß es zwischen
verschiedenen Staatsformen und verschiedenen Wirtschafts- und Sozialsystemen zu
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 199

wählen hat, darf nicht verhindern, daß ihm die Möglichkeit einer Wahl mit freier
Entscheidung eingeräumt wird.
Vor einem Jahr erklärte der sowjetische Außenminister Molotow in San Francisco:
Was unsere Vorschläge, die Vorschläge der Sowjetunion, zur
Wiedervereinigung Deutschlands betrifft, so vertreten wir folgende Auffassung:
Das Regime, das gegenwärtig in Ostdeutschland herrscht, sollte natürlich
ebenso wenig auf ein vereinigtes Deutschland ausgedehnt werden wie das
Regime, das in Westdeutschland besteht. Welches Regime in einem
wiedervereinigten Deutschland bestehen soll und wird––das ist eine Frage, die
das deutsche Volk in gesamtdeutschen freien Wahlen selbst zu entscheiden
haben wird. (TASS, 27. Juni 1955.)
Die Bundesregierung schließt sich dieser Erklärung voll und ganz an. Sie ist sich
natürlich bewußt, daß die langjährige Teilung Deutschlands zu erheblichen
Unterschieden in der sozialen Struktur innerhalb Deutschlands geführt hat. Aber nur
eine vom gesamten deutschen Volk gewählte Volksvertretung hat das Recht, eine
Ordnung zu schaffen, die die beiden Teile Deutschlands wieder einander annähert und
solche sozialen Errungenschaften sichert, die vom gesamten deutschen Volk als
fortschrittlich angesehen werden. Eine andere Lösung ist schon deshalb unmöglich,
weil die Arbeitnehmer der Bundesrepublik das Recht haben, darauf zu bestehen, daß
die Wiedervereinigung Deutschlands nicht zu einer Gefährdung ihrer politischen und
sozialen Errungenschaften führt.
In dieser Auffassung sah sich die Bundesregierung in Übereinstimmung mit
mehreren früheren Erklärungen der Sowjetischen Regierung. Diese hatte in ihrer Note
vom 15. August 1953 z.B. erklärt, daß infolge gesamtdeutscher freier Wahlen „das
deutsche Volk selbst, ohne Einmischung des Auslandes, die Frage der sozialen und
nationalen Struktur eines demokratischen Deutschlands lösen wird“.
Infolge neuerer sowjetischer Äußerungen ist sich die Bundesregierung dieser
Zustimmung leider nicht mehr sicher. In seiner Rede vor der Genfer
Außenministerkonferenz am 2. November 1955 erklärte der sowjetische
Außenminister, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nicht auf Kosten
der sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der Arbeiter in der DDR erreicht
werden könne. Es ist die Überzeugung der Bundesregierung, daß eine vom gesamten
deutschen Volk gewählte Nationalversammlung der beste Hüter der
Errungenschaften wäre, die von der Gesamtheit der Arbeiter als solche angesehen
werden. Allerdings, so Molotow weiter, müsse die Erklärung der Regierung der DDR
berücksichtigt werden, wonach die DDR nicht zulassen werde, daß ihre
demokratischen und sozialen Reformen angetastet werden.
Es ist allgemein bekannt, welche Merkmale in der DDR zu den sogenannten
„demokratischen Reformen“ gezählt werden: die Unterdrückung der
Sozialdemokratischen Partei, die Gleichschaltung der Christlich-Demokratischen und
der Liberalen Parteien, die Verhinderung freier Volkskammerwahlen, die
Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit, die Abschaffung der
Koalitionsfreiheit und des Streikrechts, die systematische Beseitigung des beruflichen
Mittelstandes, die Unterdrückung der Religionsfreiheit und die Ausübung einer
despotischen und politisch kontrollierten Gerichtsbarkeit. Soll sich ein künftiges
gesamtdeutsches Parlament für die Fortführung dieser Politik einsetzen ?
200 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn die Regierung der UdSSR klar zum
Ausdruck brächte, daß sie nicht beabsichtigt, die Entscheidungsfreiheit einer frei
gewählten gesamtdeutschen Volksvertretung in grundlegenden Fragen der inneren
Ordnung des deutschen Volkes einzuschränken.
14 ) Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß freie Wahlen in ganz
Deutschland, gleichgültig wie sie ausgehen, nur ein Ziel haben dürfen, nämlich das
deutsche Volk zu einen und nicht zu spalten. Die Bildung eines neuen
Regierungssystems darf daher nicht dazu führen, daß die Anhänger des alten Systems
in irgendeinem Teil Deutschlands politisch verfolgt werden. Die Bundesregierung ist
deshalb der Auffassung, daß Maßnahmen getroffen werden sollten, die sicherstellen,
daß nach der Wiedervereinigung Deutschlands niemand allein wegen seiner früheren
Tätigkeit für die Behörden oder eine politische Organisation in einem der beiden Teile
Deutschlands rechtlich verfolgt oder in sonstiger Weise diskriminiert werden darf.
15 ) Die Bundesregierung bittet um eine Antwort der Regierung der UdSSR auf die
im Vorfeld aufgeworfenen Fragen. Sie würde es für nützlich halten, wenn auf diese
Weise ein Meinungsaustausch eingeleitet würde, der die Zustimmung der Vier Mächte
zur Wiedervereinigung fördern würde.
Wer die Lösung des Problems der deutschen Wiedervereinigung auf unbestimmte
Zeit verschiebt, übernimmt eine schwere Verantwortung nicht nur gegenüber dem
deutschen Volk, das auf die Vorenthaltung des anerkannten Rechts auf
Wiedervereinigung nur mit bitterer Enttäuschung reagiert; vielmehr betrifft dieses
Problem den Frieden, die Entspannung und die Sicherheit in ganz Europa, ja in der
Welt. Nicht zuletzt liegt seine Lösung auch im ureigensten Interesse des russischen
Volkes selbst. Es kann auch für die Sowjetunion auf Dauer nicht wünschenswert sein,
daß das gesamte deutsche Volk die sowjetische Politik gegenüber Deutschland als
ständige Einmischung in die inneren deutschen Angelegenheiten betrachtet. Die
Herstellung normaler nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen dem deutschen und
dem russischen Volk wird von den Interessen beider Völker diktiert. Solange fast
siebzig Millionen Menschen im Herzen des europäischen Kontinents das Gefühl haben,
die Sowjetunion verweigere willkürlich und gegen jedes Völkerrecht die
Wiedervereinigung und die freie Selbstbestimmung in einer nationalen Ordnung ihrer
Wahl, wird die Herstellung wirklich normaler Beziehungen zwischen beiden Völkern
unmöglich sein.
____________

Note des Außenministeriums an die deutsche Botschaft, über die deutsche


Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, 9. Oktober 1956 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika entbietet der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland ihre Grüße und beehrt sich, den Empfang der Note der
Bundesregierung vom 2. September 1956 2 zu bestätigen, die eine Abschrift des an die
Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gerichteten Memorandums
über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands enthielt.3

1 Pressemitteilung 531 des Außenministeriums vom 10. Oktober 1956. Eine Kopie dieser Note wurde der
sowjetischen Regierung am 10. Oktober 1956 übermittelt (siehe unten).
2 Siehe oben.
3 Siehe oben.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 201

Die Regierung der Vereinigten Staaten teilt voll und ganz die Auffassung der
Bundesregierung, daß es den vier Mächten obliegt, die von ihnen in der von den
Regierungschefs im Juli 1955 in Genf erlassenen Weisung übernommene Aufgabe zu
erfüllen, die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen in
Übereinstimmung mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und den
Interessen der europäischen Sicherheit herbeizuführen. Dies ist eine Aufgabe, die, wie
es in der Mitteilung der Bundesregierung heißt, „durch ein bloßes Bekenntnis zum
Grundsatz der Wiedervereinigung, ohne daß Vereinbarungen über praktische Wege
und Mittel zu ihrer Verwirklichung getroffen werden“, nicht hinreichend erfüllt
werden kann.
Die Verwirklichung der deutschen Wiedervereinigung in Freiheit ist ein
grundlegendes Ziel der Politik der Vereinigten Staaten. Gemeinsam mit den
Regierungen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs hat die Regierung der
Vereinigten Staaten auf dem Genfer Treffen der Außenminister im Jahr 1955
Vorschläge für die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen und für einen
Zusicherungsvertrag unterbreitet, der der Sowjetunion weitreichende
Sicherheitsgarantien für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands bietet. Bisher
hat sich die sowjetische Regierung jedoch geweigert, diese Vorschläge zu erörtern. Die
Regierung der Vereinigten Staaten hofft jedoch weiterhin, daß die sowjetische
Regierung ihrer Verantwortung im Einklang mit der von den Staatsoberhäuptern
getroffenen Vereinbarung nachkommen wird. Die Regierung der Vereinigten Staaten
wird ihrerseits nicht nachlassen, ihre Bemühungen um die Wiedervereinigung
Deutschlands fortzusetzen, dessen fortdauernde Teilung eine schwere Ungerechtigkeit
gegenüber dem deutschen Volk darstellt und die Schaffung einer Grundlage für
dauerhaften Frieden und Sicherheit in Europa unmöglich macht.
In diesem Sinne begrüßt die Regierung der Vereinigten Staaten die von der
Bundesregierung ergriffene Initiative und teilt den in ihrem Memorandum geäußerten
Wunsch, daß es zu einem Meinungsaustausch kommen möge, der eine Einigung der
Vier Mächte über die Wiedervereinigung sowie über ein solides System der
europäischen Sicherheit fördert, das nur durch die Wiedervereinigung Deutschlands
erreicht werden kann.
Mit der Übermittlung einer Abschrift ihrer Antwort, auf die Mitteilung der
Bundesregierung, an die sowjetische Regierung verbindet die Regierung der
Vereinigten Staaten die Hoffnung, daß die sowjetische Regierung auf die Initiative der
Bundesregierung in einer Weise reagieren wird, die es den vier Mächten ermöglicht,
die in Genf getroffene Vereinbarung, die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie
Wahlen zu erreichen, in die Tat umzusetzen.
____________

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium,


über die deutsche Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, 10.
Oktober 1956 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika entbietet der Regierung der
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ihre Grüße und beehrt sich, auf das
Memorandum hinzuweisen, das am zweiten September von der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland an die Sowjetregierung gerichtet wurde und von dem die
Regierung der Vereinigten Staaten eine Kopie erhalten hat. Die Regierung der
Vereinigten Staaten beehrt sich nun, der sowjetischen Regierung eine Abschrift der

1 Pressemitteilung 531 des Außenministeriums vom 10. Oktober 1956. Das Vereinigte Königreich und

Frankreich übermittelten am selben Tag gleichlautende Mitteilungen.


202 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Antwort zu übermitteln, die sie der Regierung der Bundesrepublik Deutschland


übermittelt hat.
Die Regierung der Vereinigten Staaten misst der Wiedervereinigung Deutschlands
große Bedeutung bei; sie ist ein grundlegendes Ziel ihrer Politik. Sie ist davon
überzeugt, daß die fortdauernde Teilung Deutschlands nicht nur im Interesse der
Deutschen selbst, sondern auch im Interesse aller Nationen, denen an der Wahrung
des Friedens in Europa gelegen ist, beendet werden muß. Die Regierungen
Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken und der Vereinigten Staaten haben sich bei verschiedenen
Gelegenheiten zu ihrer Verantwortung für die Herbeiführung der Wiedervereinigung
Deutschlands bekannt und in der Weisung der Regierungschefs der vier Mächte an
ihre Außenminister vom Juli 1955 vereinbart, diese Verantwortung wahrzunehmen.
Seitdem sind keine Fortschritte erzielt worden. Die von den Westmächten auf der
anschließenden Außenministerkonferenz unterbreiteten detaillierten Vorschläge, die
sowohl auf die Beendigung der Teilung Deutschlands als auch auf die Schaffung eines
festen Systems der europäischen Sicherheit abzielten, sind von der Sowjetunion nicht
aufgegriffen worden.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hofft daher, daß die sowjetische Regierung
das deutsche Memorandum sorgfältig erwägen und in Beantwortung der von der
Bundesregierung ergriffenen Initiative ihre Auffassung darlegen wird, wie die von den
vier Regierungschefs in Genf getroffene Vereinbarung, die deutsche Einheit durch freie
Wahlen wiederherzustellen, in die Tat umgesetzt werden kann.
___________

Kommuniqué zu Gesprächen zwischen Außenminister von Brentano und


Außenminister Dulles über die deutsche Wiedervereinigung und die
europäische Sicherheit, 5. März 1957 1
Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Heinrich von Brentano, und
Außenminister Dulles haben heute die offiziellen Gespräche abgeschlossen, die sie
während des gegenwärtigen Besuchs von Außenminister von Brentano in Washington
geführt haben.
In diesen Gesprächen wurde ein breites Spektrum aktueller weltpolitischer
Probleme behandelt, die für beide Regierungen von gemeinsamem Interesse sind und
es bot sich die Gelegenheit zu einem umfassenden und offenen Meinungsaustausch.
Besondere Aufmerksamkeit wurde einer Bewertung der allgemeinen politischen Lage
im Lichte der jüngsten Entwicklungen in Osteuropa und im Nahen Osten gewidmet.
Die Gespräche haben dazu gedient, die Interessengemeinschaft und die
Übereinstimmung der Auffassungen, die zwischen den beiden Regierungen in bezug
auf die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, hervorzuheben und zu bekräftigen.
Die beiden Außenminister bekräftigten, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in
Freiheit ein grundlegendes Ziel der Politik ihrer Regierungen bleibt. Sie waren sich
einig, daß die jüngsten Entwicklungen in Osteuropa die dringende Notwendigkeit
einer Lösung des Problems der deutschen Wiedervereinigung verdeutlicht haben, ohne
die es keine dauerhafte Regelung in Europa und keine anhaltende Stabilität geben
kann. Sie brachten die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Sowjetunion zu der Einsicht
gelangt, daß eine gerechte Lösung dieses Problems in ihrem eigenen Interesse liegt.
Sie teilten mit, daß eine Studie über das Problem der deutschen Wiedervereinigung
und ihre Beziehung zur europäischen Sicherheit in Washington von Experten der Ver-

1 Pressemitteilung 114 des Außenministeriums, 5. März 1957.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 203

einigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik durchgeführt


wird. Diese Studie sollte eine gemeinsame Grundlage für die Behandlung aller neuen
Entwicklungen bilden, die sich auf diese Fragen auswirken könnten.
Die beiden Außenminister waren sich auch darin einig, daß die jüngsten
Entwicklungen in der Sowjetunion und in Osteuropa dem Westen keinen Anlaß geben,
in seiner Wachsamkeit nachzulassen.
Sie teilten die Auffassung, daß die Erhaltung der Stärke der NATO nach wie vor
wichtig ist. Außenminister von Brentano betonte in diesem Zusammenhang die
Entschlossenheit der Bundesregierung, den Aufbau der eigenen militärischen Stärke
so schnell wie möglich voranzutreiben, um den vereinbarten Beitrag zum westlichen
kollektiven Verteidigungssystem leisten zu können.
Außenminister von Brentano unterrichtete Außenminister Dulles über die
Fortschritte bei der Unterzeichnung der Verträge zur Schaffung eines gemeinsamen
europäischen Marktes und zur Errichtung einer europäischen Organisation mit
gemeinsamer Zuständigkeit und Verantwortung im Bereich der Atomenergie
(Euratom). Die Außenminister waren sich darin einig, daß eine baldige Annahme und
Umsetzung dieser Verträge wesentlich zur Stärkung der engen Verbindung zwischen
Europa und den Vereinigten Staaten beitragen würde.
Beide Außenminister erörterten die aktuellen Probleme im Nahen Osten. Sie waren
sich darin einig, daß eine friedliche Lösung dieser Probleme im Einklang mit den
Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts dringend erforderlich ist.
Außenminister Dulles begrüßte den Hinweis des Außenministers von Brentano über
den Wunsch der deutschen Bundesregierung, in geeigneter Weise zur Erreichung einer
gerechten und dauerhaften Lösung der Probleme in der Region beizutragen.
Außenminister von Brentano wird am Donnerstagmorgen, den 7. März, Präsident
Eisenhower im Weißen Haus treffen.
___________

Bemerkungen auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zur


deutschen Wiedervereinigung und einer entmilitarisierten Zone, 14. Mai
1957 1
[Auszüge]
* * * * * * *
F. Herr Minister, welche Politik verfolgen die Vereinigten Staaten hinsichtlich der
Schaffung einer neutralisierten oder entmilitarisierten Zone in Europa basierend auf
der Teilung durch den Eisernen Vorhang innerhalb Deutschlands ?
A. Die Politik der Vereinigten Staaten besteht darin, kein Verfahren in der von
Ihnen beschriebenen Art zu akzeptieren. Erstens akzeptieren wir keine Vereinbarung,
die auf der derzeitigen Teilung Deutschlands beruht. Und es scheint vielleicht ein
Mißverständnis über die sogenannte Eden-Formel zu geben, die, wie auf der
Gipfelkonferenz vorgelegt, überhaupt keine entmilitarisierte Zone vorsah. Es handelte
sich dabei um einen Plan zur gegenseitigen Kontrolle von vermutlich militarisierten
Gebieten. Wären die Gebiete entmilitarisiert, dann würde Ihre Kontrolle nichts
beweisen, was die Fähigkeit betrifft, Ihre Kontrolle zu überprüfen und zu verifizieren.
Und das, worüber wir in erster Linie sprechen, beinhaltete weder die Akzeptanz der
Teilung Deutschlands oder irgendeines Gebietes, das die Akzeptanz dieser Teilung

1 Pressemitteilung 288 des Außenministeriums, 14. Mai 1957.


204 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

implizieren würde, noch impliziert es irgendein entmilitarisiertes Gebiet für


Deutschland.
Und lassen Sie mich dies hinzufügen: Daß wir in allen Belangen, die Deutschland
und seine Aussichten auf Wiedervereinigung direkt oder indirekt berühren, nur in
engster Abstimmung mit Kanzler Adenauer handeln werden.
F. Herr Minister, worüber denken wir bei dieser Rüstungsdiskussion in Bezug auf
Europa nach ?
A. Nun, wir haben noch überhaupt keine klaren Vorstellungen, was Europa
betrifft. Was wir in Erwägung ziehen, ist die Möglichkeit, Zonen zu entwickeln, die
einer Luftüberwachung ausgesetzt werden. Dabei denken wir nicht nur an Europa,
sondern eher an die Arktis, Alaska, Sibirien und dergleichen. Das schließt die
Möglichkeit nicht aus, daß in Europa ein Gebiet erschlossen wird. Aber die
Schwierigkeiten, die einer Ausdehnung der Luftüberwachung auf Europa zum jetzigen
Zeitpunkt im Wege stehen, sind vielleicht wesentlich größer als im Falle anderer
Gebiete, sowohl wegen der politischen Auswirkungen als auch wegen der größeren
Zahl der betroffenen Länder.
F. Ist es nicht möglich, eine vereinbarte Kontrollzone in Europa zu haben, ohne daß
dies mit politischen Problemen verbunden ist ?
A. Ja, das ist eine Möglichkeit, die ich nicht ausschließe. Ich sage nur, daß in einem
Bereich, in dem Fortschritte bestenfalls schwierig sind, die Schwierigkeiten, eine
Regelung zu finden, die Europa abdeckt, meines Erachtens größer sind als die
Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit den weniger bevölkerten Gebieten,
in denen es nicht so viele politische Schwierigkeiten gibt wie in Europa.
F. Herr Minister, es wurde berichtet, daß Gouverneur Stassen ermächtigt wurde,
spezifische Vorschläge zu den von Ihnen erwähnten Themen zu unterbreiten. Wurde
er dazu ermächtigt ?
A. Nein.
F. Herr Minister, sind wir als Politik für oder gegen die Schaffung neutralisierter
Zonen als Teil eines Abrüstungsprogramms ?
A. Nun, ich glaube nicht, daß wir irgendeinen Plan für eine neutralisierte Zone
bevorzugen, soweit bisher Vorschläge oder Überlegungen zu diesem Thema entwickelt
worden sind. Ich glaube, daß Kanzler Adenauer vorgeschlagen hat, daß er im Falle
eines wiedervereinigten Deutschlands bereit wäre zuzustimmen, daß militärische
Kräfte der NATO nicht in die Ostzone des wiedervereinigten Deutschlands verlegt
würden. Und natürlich würden wir alles, was Kanzler Adenauer in dieser Hinsicht
wünschte, sehr sorgfältig und wohlwollend prüfen. Es wäre nicht zweckmäßig, ohne
die Zustimmung der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands militärische
Kräfte in dieses Gebiet zu entsenden. Dies ist der einzige Vorschlag dieser Art, der mir
bekannt ist. Er verdient, wie ich meine, wohlwollende Prüfung.
* * * * * * *
F. Herr Minister, nur zur Klarstellung: Wollen Sie damit sagen, daß die
Wiedervereinigung für Deutschland immer noch eine Hauptbedingung für die
Erwägung einer Sicherheitsvereinbarung in Europa ist ?
A. Ich sagte, daß wir uns nicht mit der Abrüstung in Europa in irgendeiner Weise
befassen würden, die sich auf die Wiedervereinigung Deutschlands auswirken könnte,
es sei denn, wir würden in dieser Hinsicht eng mit Kanzler Adenauer und der
Bundesrepublik zusammenarbeiten.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 205

F. Schließt das das Pilotgebiet in Mitteleuropa aus, das als Test für Kontrollen und
andere Sicherheitsvorkehrungen diskutiert wurde ?
A. Nun, wie ich in der Antwort auf eine frühere Frage sagte, schließen wir die
Möglichkeit einer solchen Zone in Europa nicht aus. Wenn es eine solche Zone in
Europa gibt, müßte sie in Zusammenarbeit mit der NATO, mit der Bundesrepublik
ausgearbeitet werden. Dies ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sodaß im
Einklang mit der Politik, die ich in meiner New Yorker Rede vor etwa einem Monat
dargelegt habe, in der ich sagte, daß Fortschritte wahrscheinlich schrittweise,
sorgfältig bemessen und sorgfältig unternommen werden müssen, es sein könnte, daß
dies wegen der Schwierigkeiten nicht der beste Ausgangspunkt ist.
F. Herr Minister, sind Ihrer Meinung nach die deutsche Wiedervereinigung und
eine erzielte Abrüstung in Europa, nach wie vor die beiden Faktoren, die gleichzeitig
gelöst werden müssen, ziemlich eng miteinander verbunden ?
A. Ich glaube, daß es sehr schwierig ist, eine wirksame und verläßliche Begrenzung
der Rüstungsregelungen für Deutschland auszuarbeiten, die nicht irgendwie mit der
Wiedervereinigung Deutschlands zusammenhängt. Wie ich bereits angedeutet habe,
würden unsere Ansichten in dieser Hinsicht sehr stark von den Ansichten der
deutschen Behörden selbst, insbesondere von Bundeskanzler Adenauer, beeinflusst
werden. Ich sage nicht, daß es unmöglich ist, aber ich würde denken, daß ihr Urteil in
dieser Angelegenheit sehr viel Gewicht haben würde.
F. Ich habe eher an eine allgemeine Abrüstung in Europa gedacht. Ist das Ihrer
Meinung nach mit dem Problem der deutschen Wiedervereinigung verbunden? Mit
anderen Worten: Würden wir ein begrenztes Abrüstungsabkommen mit den Russen
erreichen, ohne gleichzeitig darauf zu bestehen, daß bei den deutschen Problemen
gewisse Fortschritte gemacht werden ?
A. Nun, auch diese Frage möchte ich nicht ohne Rücksprache mit den Deutschen
beantworten. Ich denke, ihren Ansichten steht ein hohes Maß an Gewicht zu.
* * * * * * *
_____________

Note des Außenministers der Bundesrepublik Deutschland (von Brentano)


an den sowjetischen Botschafter (Smirnow), betreffend Atomwaffen in
Deutschland, 23. Mai 1957 1
[Auszüge]

Die furchtbaren Gefahren des Atomkrieges sind nicht von der Bundesrepublik
Deutschland heraufbeschworen worden, die bekanntlich nicht zu den Mächten gehört,
die Atom- und Wasserstoffwaffen besitzen oder herstellen oder testen. * * *
Die Behauptungen der Sowjetischen Regierung, daß es entweder jetzt oder zu einem
späteren Zeitpunkt eine Konzentration von Atomwaffen auf dem Gebiet der
Bundesrepublik oder eine Umwandlung der Bundesrepublik in den wichtigsten
europäischen Sammelplatz und die Hauptschlagkraft der NATO für die atomare
Kriegsführung in Europa geben könnte, sind völlig unzutreffend. Dafür gibt es nicht
den geringsten Beweis.
1 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesrepublik Deutschland, 28. Mai 1957.
206 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

VERBINDLICHE ERKLÄRUNGEN

Die Note der Sowjetischen Regierung geht von der Annahme aus, daß die
Bundesregierung beabsichtigt, die deutschen Streitkräfte mit Atomwaffen
auszurüsten. Hierzu verweist die Bundesregierung auf die verbindlichen Erklärungen,
mit denen der Bundeskanzler in seinem Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter
Smirnow am 25. April 1957 deutlich gemacht hat, daß die Bundesrepublik weder über
irgendeine Art von Atomwaffen verfügt noch die Lieferung solcher Waffen beantragt
hat. * * *

NATO-WAFFEN BEDROHEN NIEMANDEN

Sowohl in der sowjetischen Note vom 27. April als auch in dem Schreiben von
Botschafter Smirnow vom 4. Mai wird auf die Gefahren hingewiesen, die die
Aufstellung von Kernwaffen der Westmächte auf dem Gebiet der Bundesrepublik mit
sich bringen würde. Diese Befürchtungen sind unbegründet. Es ist allgemein bekannt,
daß die im Rahmen des Nordatlantikvertrages, eines reinen Verteidigungspaktes, auf
dem Gebiet der Bundesrepublik stationierten westlichen Streitkräfte lediglich der
Verteidigung dienen. Die Atlantische Gemeinschaft ist auf dem Prinzip der
gegenseitigen Hilfe aufgebaut, falls die Gemeinschaft oder eines ihrer Mitglieder
angegriffen werden sollte. Nur Diejenigen, die in unverantwortlicher Weise einen
Angriff auf die Gemeinschaft riskieren würden, haben einen Grund, sie oder die in
ihrem Besitz befindlichen Waffen zu fürchten. Es ist daher ein Irrtum, in der
Stationierung von Atomwaffen in einem Gebiet, das unter den Nordatlantikvertrag
fällt, eine Gefahr für andere Völker zu sehen. * * *

ÜBERRASCHENDE ANSCHULDIGUNGEN

Der in der sowjetischen Note erhobene Vorwurf, die Bundesregierung werde durch
ihre Politik einen atomaren Rüstungswettlauf entfesseln, muss von der
Bundesregierung entschieden zurückgewiesen werden. Ihre Rolle in dem leider schon
stattfindenden atomaren Rüstungswettlauf ist die eines besorgten und gefährdeten
Beobachters. Die Bundesrepublik ist das einzige Land der Welt, das freiwillig auf die
Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen verzichtet und damit
bereits einen wirksamen Beitrag zur atomaren Abrüstung geleistet hat. Wenn also
diese Regierung von einer der stärksten Atommächte der Welt beschuldigt wird, sich
einem atomaren Rüstungswettlauf hinzugeben, kann sie nur ihre große
Verwunderung zum Ausdruck bringen. * * *
Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Sowjetischen Regierung, daß alles
getan werden muss, um internationale Spannungen abzubauen. Die Bundesregierung
ist aber auch der Auffassung, daß die Sowjetunion selbst die Möglichkeit hat, durch
ihre Zustimmung zu einem umfassenden Abrüstungsabkommen, das eine wirksame
Kontrolle gewährleistet, einen entscheidenden Beitrag zur Friedenssicherung zu
leisten. Die Bundesregierung ist ihrerseits entschlossen, alle ihr zur Verfügung
stehende Energie darauf zu verwenden, Vereinbarungen herbeizuführen, die geeignet
sind, die Menschheit so schnell und wirksam wie möglich von der Furcht vor der
Bedrohung durch Gewalt und insbesondere von der Furcht vor einem Atomkrieg zu
befreien.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 207

Memorandum der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland an das


Sowjetische Außenministerium, zur deutschen Wiedervereinigung, 27. Mai
1957 1
[Zusammenfassung]

Die Bundesregierung hält im Einvernehmen mit der Sowjetischen Regierung „einen


fortgesetzten Meinungsaustausch * * * über die Fragen der Beziehungen zwischen
beiden Ländern für wünschenswert“.
Natürlich kann man sich aber nicht darauf beschränken, nur über Fragen zu
verhandeln, die die sowjetische Regierung interessieren––wie die Entwicklung des
Handels zwischen beiden Ländern––, sondern man muss auch die Fragen erörtern, an
denen die Bundesregierung besonders interessiert ist, insbesondere das Grundproblem
der deutsch-russischen Beziehungen: die Wiedervereinigung Deutschlands.

VERWEIGERUNG VON VERHANDLUNGEN MIT DER SOGENANNTEN DEUTSCHEN


DEMOKRATISCHEN REPUBLIK

Die Bundesregierung kann nicht verstehen, daß die Sowjetische Regierung sich
einerseits als „konsequenter Befürworter der Wiederherstellung der nationalen
Einheit Deutschlands als eines friedliebenden und demokratischen Staates“
bezeichnet, andererseits aber nicht bereit ist, die Wiedervereinigung zu sanktionieren,
es sei denn auf dem Wege von Verhandlungen zwischen den Regierungen der beiden
angeblich bestehenden deutschen Staaten. Es ist leichter, die Einheit eines nur
vorübergehend gestörten, aber völkerrechtlich und im Bewußtsein seines Volkes
bestehenden Staates durch nationale Wahlen wiederherzustellen, als die fraglichen
Teile des Staates zunächst vollständig zu trennen und dann durch diplomatische
Verhandlungen wieder zu vereinigen––ein Verfahren, das jeder Seite ein Vetorecht
einräumt.
Die Bundesregierung hält es nicht für sinnvoll, mit der Sowjetregierung über den
Charakter des Regimes in der Sowjetzone zu streiten. Die Bundesregierung ist nicht
in der Lage, dieses Regime anzuerkennen und mit ihm zu verhandeln, und sei es auch
nur, weil sie damit den entscheidenden Schritt zur Teilung Deutschlands tun würde.

DIE BUNDESREPUBLIK ALS FRIEDLIEBENDER UND DEMOKRATISCHER STAAT

Der Widerspruch in der Haltung der Sowjetischen Regierung ist dadurch zu


erklären, daß diese Regierung den Begriffen „friedliebend“ und „demokratisch“ eine
andere Bedeutung gibt, als sie im normalen Sprachgebrauch üblich ist. Wenn die
Sowjetregierung die Bundesrepublik beschuldigt, den Militarismus wiederzubeleben
und die elementaren Rechte und Freiheiten der Bevölkerung zu verletzen, so stehen
ihre Anschuldigungen in völligem Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen.
Die Mitgliedschaft der Bundesrepublik im Nordatlantikpakt––einem reinen
Verteidigungsbündnis im Sinne der Charta der Vereinten Nationen––ist vor allem eine
Folge von Ereignissen wie dem Korea-Krieg und der Berlin-Blockade. Von feindseligen
Gefühlen oder Rachegedanken gegenüber der Sowjetunion kann keine Rede sein.
Nichts von alledem, was während des letzten Krieges und danach geschehen ist, darf
sich jemals wiederholen.
1Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesrepublik Deutschland, 28. Mai 1957. Das
Memorandum wurde am 24. Mai zugestellt.
208 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Bundesregierung bekräftigt ihre Erklärung vom 2. September 1956, daß sie die
sicherheitspolitischen Wünsche der Sowjetunion so weit wie möglich zu
berücksichtigen wünscht, obwohl die Bundesregierung keine sachliche Rechtfertigung
für solche sicherheitspolitischen Wünsche erkennen kann.

VIER-MÄCHTE-VERANTWORTUNG UND DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT

Die Teilung Deutschlands ist nicht darauf zurückzuführen, daß die Regierungen der
drei Westmächte das Viermächteabkommen über die Entwicklung Deutschlands
verletzt hätten ; sie hat ihren Ursprung darin, daß die Sowjetregierung nicht bereit
war, ihre Besatzungszone in Deutschland mit den anderen Besatzungszonen zu
vereinigen. Die in dieser Zone bis heute errichtete kommunistische Gegenregierung
stützt sich nicht auf den in freien Wahlen zum Ausdruck gebrachten Willen der
Bevölkerung.
Bei der Begründung der Souveränität der Bundesrepublik haben sich die
Regierungen der drei Westmächte solche Rechte vorbehalten, die es ihnen
ermöglichen, ihre Verantwortung für Berlin und für Deutschland als Ganzes,
einschließlich der Wiedervereinigung, wahrzunehmen. Diese Vorbehalte liegen im
Interesse der Bundesrepublik selbst; sie stehen selbstverständlich nicht im
Widerspruch zum Recht auf Selbstbestimmung. Das einzige Hindernis für die
Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des gesamten deutschen Volkes ist das Veto
der Sowjetischen Regierung; würde die Sowjetische Regierung der Wiedervereinigung
zustimmen, wären die in den Pariser Verträgen gemachten Vorbehalte überflüssig.

DIE SOWJETUNION STELLT WEITERHIN NEUE BEDINGUNGEN AUF, DIE NICHT


ERFÜLLT WERDEN KÖNNEN

Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Genfer Vorschläge der drei
westlichen Außenminister, an deren Ausarbeitung sie mitgewirkt hat, ein
konstruktives Konzept zur Lösung der miteinander verflochtenen Probleme der
deutschen Wiedervereinigung und der europäischen Sicherheit enthalten und daß sie
alle legitimen Interessen der Sowjetunion berücksichtigen. Die Bundesregierung hat
bereits betont, daß sie sich auch anderen Vorschlägen zu den Elementen eines
Sicherheitssystems nicht verschließen wird.
Die Sowjetregierung hingegen erfindet seit Jahren immer wieder Gründe, um die
Wiedervereinigung zu behindern :
Zunächst wurde der Beitritt der Bundesrepublik zu den Pariser Verträgen
angeführt; dann hieß es, die „sozialen Errungenschaften“ der sogenannten „Deutschen
Demokratischen Republik“ müßten zunächst gesichert werden; dann wurde die
Auflösung der verfassungsfeindlichen Kommunistischen Partei Deutschlands als
Hindernis genannt. In ihrer Note vom 22. Oktober 1956 erklärte die Sowjetregierung,
die Frage der Wiedervereinigung hänge heute in erster Linie von einer Änderung des
gegenwärtigen politischen Kurses der Regierung der Bundesrepublik ab. In ihrer
jüngsten Note erklärt die Sowjetregierung nun, daß die Bewaffnung der
bundesdeutschen Streitkräfte mit Atomwaffen der Sache der nationalen
Wiedervereinigung des deutschen Volkes einen irreparablen Schlag versetzen würde.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 209

Aus all diesen Äußerungen lässt sich kaum ein anderer Schluss ziehen als der, daß
die Sowjetische Regierung gegenwärtig die Wiedervereinigung Deutschlands
verhindern will.

ULBRICHT'S PROGRAMM ZUR VERHINDERUNG DER WIEDERVEREINIGUNG

Das von Parteisekretär Ulbricht am 3. Februar 1957 vorgelegte Programm sieht


eine unbestimmte Zeit vor, in der Deutschland lediglich ein „Staatenbund“ sein soll,
d.h. ein loser Zusammenschluss von Staaten, dem eine Phase „gleichberechtigter
Verhandlungen über Maßnahmen zur Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen
zu einer Nationalversammlung“ vorausgehen soll.
Der Eintritt in diese Phase der „Konföderation“ und der Übergang zur zweiten
Phase––den Verhandlungen über die tatsächliche Wiedervereinigung––wird von so
vielen Bedingungen abhängig gemacht, von denen die meisten einseitig und im Voraus
von der Bundesrepublik zu erfüllen sind, daß das gesamte Programm nur als ein Plan
zur Verhinderung der Wiedervereinigung Deutschlands und zur Aufrechterhaltung
und Ausweitung der Herrschaft der kommunistischen Funktionäre angesehen werden
kann.

DIE SOWJETUNION IST AN DER REIHE, KONSTRUKTIVE VORSCHLÄGE ZU MACHEN

Die Bundesregierung hat unermüdlich konstruktive Vorschläge gemacht oder


unterstützt––den 1951 vom Bundestag verabschiedeten Entwurf eines
gesamtdeutschen Wahlgesetzes, den „Eden-Plan“ (Berliner Konferenz) von 1954 zur
Durchführung freier Wahlen in ganz Deutschland und den 1955 überarbeiteten „Eden-
Plan“ (Genfer Außenministerkonferenz), der mit weitreichenden Sicherheitsgarantien
für die Sowjetunion für den Fall der Wiedervereinigung verbunden war.
Die Sowjetische Regierung lehnte es ab, auch nur einen dieser Vorschläge als
Grundlage für Verhandlungen zu akzeptieren. Sie hat aber selbst nie einen
konstruktiven Vorschlag unterbreitet, in dem sie klar zum Ausdruck gebracht hätte,
daß sie der Wiedervereinigung wirklich zustimmen würde, wenn bestimmte
Bedingungen erfüllt wären.
Die Bundesregierung weiß, daß die Einheit Deutschlands nur durch Verhandlungen
zustande kommen kann, bei denen alle Beteiligten die Vor- und Nachteile einer Lösung
abwägen und gegenseitig solche Opfer bringen, die im Interesse des Friedens und der
Sicherheit notwendig sind. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn sich auch
die Sowjetische Regierung in der Frage der Wiedervereinigung von demselben Geist
leiten ließe.

BEREITSCHAFT ZUR DISKUSSION ÜBER DIE ELEMENTE EINES EUROPÄISCHEN


SICHERHEITSPAKTS

Die Bundesregierung ist jederzeit bereit, die Diskussion über ein Sicherheitssystem,
das allen Staaten Europas, einschließlich des wiedervereinigten Deutschlands,
Frieden und Freiheit garantieren kann, im Rahmen der Vorschläge der Westmächte
auf der Genfer Außenministerkonferenz vom 28. Oktober 1955 fortzusetzen. Die
Bundesregierung hat keine Bedenken, eine Vereinbarung über die Wiedervereinigung
Deutschlands mit vertraglichen Verpflichtungen zu verknüpfen, die den
Gewaltverzicht bekräftigen. Darüber hinaus ist sie bereit, jeden anderen konkreten
Vorschlag zu prüfen, den die Sowjetische Regierung im Zusammenhang mit der
Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit unterbreiten möchte.
210 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wenn die Sowjetische Regierung ihre Haltung in der Frage der Wiedervereinigung
ändern würde, bestünde die Möglichkeit, eine umfassende Klärung und Verbesserung
der gegenseitigen Beziehungen zu erreichen. Es ist der aufrichtige Wunsch der
Bundesregierung, von dieser Möglichkeit bald Gebrauch machen zu können.
___________

Kommuniqué und gemeinsame Erklärung von Präsident Eisenhower und


Bundeskanzler Adenauer zur deutschen Wiedervereinigung und
Abrüstung, 28. Mai 1957 1
KOMMUNIQUÉ
Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland haben heute die herzlichen Gespräche abgeschlossen, die sie in den
letzten Tagen mit Unterstützung des amerikanischen Außenministers, des deutschen
Außenministers und anderer Berater geführt haben.
Diese Gespräche ermöglichten einen umfassenden Meinungsaustausch über die
Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, die Lage in Europa
und die Weltlage. Sie haben dazu gedient, das bereits bestehende enge Verständnis
und die Harmonie der Ansichten zwischen den beiden Regierungen noch weiter zu
stärken.
Als Ergebnis ihrer Gespräche haben der Bundespräsident und der Bundeskanzler
eine gemeinsame Erklärung zu Fragen von gemeinsamem Interesse abgegeben.

GEMEINSAME ERKLÄRUNG

I.

Der Präsident und der Bundeskanzler stimmten darin überein, daß das
grundlegende Ziel der Politik ihrer beiden Länder die Erhaltung des Friedens in
Freiheit ist. Zu diesem Zweck ist es die gemeinsame Politik ihrer Regierungen, auf die
Schaffung von Bedingungen hinzuwirken, unter denen alle Nationen in Frieden und
Freiheit leben können, und ihre Energien und Mittel zur Förderung des Wohlergehens
ihrer Völker einzusetzen.
Sie waren sich einig, daß die Verwirklichung dieser Bedingungen von der
Beseitigung der Ursachen der Spannungen zwischen der Sowjetunion und der Freien
Welt abhängt. Diese Spannungen sind hauptsächlich auf die Handlungen und die
Politik der Sowjetunion zurückzuführen, unter anderem auf die Unterdrückung
anderer Völker in ihrer Freiheit.
Der Präsident und der Bundeskanzler nahmen mit großer Sorge die Folgen der
brutalen sowjetischen Intervention in Ungarn zur Kenntnis. Die fortgesetzte
Unterdrückung der Rechte des ungarischen Volkes macht es anderen Nationen
schwer, die erklärten sowjetischen Bestrebungen nach friedlicher Koexistenz als
aufrichtig zu akzeptieren.
Der Präsident und der Bundeskanzler bekräftigten, daß die Überwindung der
unnatürlichen und ungerechten Teilung Deutschlands ein wichtiges Ziel der
Außenpolitik beider Regierungen ist. Deutschland muss mit friedlichen Mitteln auf
einer freien und demokratischen Grundlage wiedervereinigt werden. Wenn die
sowjetischen Machthaber wirklich den Frieden und die Entspannung der
internationalen Lage wollen, können sie keinen besseren Beweis erbringen, als die

1 Pressemitteilung des Weißen Hauses, 28. Mai 1957.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 211
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen zu ermöglichen.
Der Präsident und der Bundeskanzler betonten, daß die Wiederherstellung der
nationalen Einheit Deutschlands für die Sowjetunion keinen Anlaß zu Befürchtungen
hinsichtlich ihrer eigenen Sicherheit geben müsse. Es ist nicht das Ziel ihrer
Regierungen, aus der Wiedervereinigung Deutschlands einen einseitigen militärischen
Vorteil zu ziehen. Im Zusammenhang mit einer solchen Wiedervereinigung sind sie
bereit, wie auf den beiden Genfer Konferenzen von 1955 erklärt, europäische
Sicherheitsvereinbarungen zu treffen, die der Sowjetunion weitreichende Sicherheiten
bieten würden.

II.

Der Präsident und der Bundeskanzler waren sich einig, daß die NATO für den
Schutz der Sicherheit der gesamten freien Welt unverzichtbar ist. Sie waren sich einig,
daß die Verteidigungsstärke der NATO angesichts der anhaltenden sowjetischen
Bedrohung und des Fehlens einer verlässlichen Vereinbarung über größere
Rüstungsreduzierungen weiter verbessert werden muss. Die Bundesregierung wird
ihren vereinbarten Beitrag zum westlichen kollektiven Verteidigungssystem so schnell
wie möglich aufbauen.
Um einen angemessenen Beitrag zur Verteidigung des nordatlantischen Raums zu
leisten, beabsichtigen die Vereinigten Staaten, Streitkräfte in Europa, einschließlich
Deutschlands, aufrechtzuerhalten, solange die Bedrohung für diesen Raum besteht.
Wie der Nordatlantikrat auf seiner jüngsten Tagung in Bonn vereinbart hat, muß das
Atlantische Bündnis in der Lage sein, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um jedem
Angriff zu begegnen, der gegen es gerichtet werden könnte. Die Verfügbarkeit der
modernsten Verteidigungsmittel wird dazu dienen, jeden Versuch eines solchen
Angriffs zu unterbinden.

III.
Der Präsident und der Bundeskanzler brachten ihre Genugtuung über die
bedeutenden Fortschritte zum Ausdruck, die in den letzten Monaten auf dem Weg zu
einer engeren wirtschaftlichen Integration in Europa erzielt wurden. Der
Bundeskanzler brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, daß die am 25. März dieses
Jahres in Rom unterzeichneten Verträge zur Errichtung von EURATOM und des
Gemeinsamen Europäischen Marktes einen weiteren Schritt von historischer
Bedeutung auf dem Weg zur europäischen Einheit darstellen. Der Präsident brachte
das große Interesse der Regierung der Vereinigten Staaten und des amerikanischen
Volkes an diesen Verträgen zum Ausdruck und äußerte seine Überzeugung, daß ihr
Inkrafttreten nicht nur den Menschen in Europa, sondern in der ganzen Welt zugute
kommen wird.

IV.

Die beiden Regierungen sind sich darin einig, daß die Bemühungen in den Vereinten
Nationen vorangetrieben werden müssen, um eine Einigung über
Abrüstungsmaßnahmen sowohl für konventionelle als auch für Kernwaffen im
Rahmen eines wirksamen internationalen Kontrollsystems zu erzielen.
Der Präsident und der Bundeskanzler waren sich einig, daß, wenn ein Anfang für
wirksame Abrüstungsmaßnahmen gemacht werden könnte, dies ein Maß an
Vertrauen schaffen würde, das weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung und
bei der Lösung noch offener großer politischer Probleme, wie der Wiedervereinigung
Deutschlands, erleichtern würde.
212 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Sie stimmten darin überein, daß, wenn solche ersten Schritte erfolgreich sind, ihnen
innerhalb einer angemessenen Zeit ein umfassendes Abrüstungsabkommen folgen
sollte, das notwendigerweise eine vorherige Lösung des Problems der deutschen
Wiedervereinigung voraussetzen muss. Dementsprechend hat der Bundeskanzler dem
Präsidenten ebenso wie der französischen und der britischen Regierung mitgeteilt, daß
die Bundesrepublik den Abschluß eines ersten Abrüstungsabkommens als geeigneten
Zeitpunkt für eine Konferenz der Außenminister der vier verantwortlichen Mächte
über die Wiedervereinigung Deutschlands ansehen würde. Die Vereinigten Staaten
werden sich in dieser Angelegenheit mit der französischen und der britischen
Regierung beraten.
Der Präsident betonte, daß die Vereinigten Staaten etwaige
Abrüstungsmaßnahmen für Europa nur mit Zustimmung der NATO-Verbündeten, von
denen er hofft, daß sie in dieser Hinsicht eine führende Rolle übernehmen, und unter
Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen europäischer Sicherheit und
deutscher Wiedervereinigung akzeptieren würden. Er versicherte dem Bundeskanzler,
daß die Vereinigten Staaten nicht beabsichtigten, im Bereich der Abrüstung
Maßnahmen zu ergreifen, die die Wiedervereinigung Deutschlands beeinträchtigen
würden. Er erklärte, daß die Vereinigten Staaten die deutsche Bundesregierung in
allen Deutschland betreffenden Fragen, die sich bei den Abrüstungsverhandlungen
ergeben, intensiv konsultieren werden.
WASHINGTON, D.C., 28. Mai 1957.
____________

Berliner Erklärung des Außenministers der Bundesrepublik Deutschland


und des amerikanischen, britischen und französischen Botschafters zu
Deutschland, europäischer Sicherheit und Abrüstung, 29. Juli 1957 1
DIE BERLINER ERKLÄRUNG

Zwölf Jahre sind seit der Beendigung des Krieges in Europa verstrichen. Die
Hoffnungen der Völker der Welt auf die Schaffung einer Grundlage für einen gerechten
und dauerhaften Frieden haben sich jedoch nicht erfüllt. Einer der Hauptgründe für
das Scheitern einer Regelung ist die fortgesetzte Teilung Deutschlands, die eine große
Ungerechtigkeit gegenüber dem deutschen Volk und die Hauptquelle der
internationalen Spannungen in Europa darstellt.
Die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten
Staaten, die gemeinsam mit der Sowjetunion die Verantwortung für die
Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluss eines Friedensvertrags tragen,
sowie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als einzige Regierung, die befugt
ist, für das gesamte deutsche Volk zu sprechen, möchten ihre Auffassungen zu diesen
Fragen, einschließlich der Frage der europäischen Sicherheit, und die Grundsätze, die
ihre Politik in dieser Hinsicht bestimmen, darlegen.
1. Eine europäische Einigung muss auf Freiheit und Gerechtigkeit beruhen. Jedes
Volk hat das Recht, seine Lebensweise in Freiheit selbst zu bestimmen, seine
politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung selbst zu bestimmen und für seine
Sicherheit unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen anderer Völker zu
sorgen. Die Gerechtigkeit gebietet es, dem Deutschen Volk die Möglichkeit zu geben,
auf der Grundlage dieses Grundrechts seine nationale Einheit wiederherzustellen.

1 Pressemitteilung 435 des Außenministeriums, 29. Juli 1957.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 213

2. Die Wiedervereinigung Deutschlands bleibt die gemeinsame Verantwortung der


vier Mächte, die 1945 die oberste Gewalt in Deutschland übernommen haben, eine
Verantwortung, die in der von den vier Regierungschefs im Juli 1955 in Genf
erlassenen Richtlinie bekräftigt wurde. Gleichzeitig erfordert die Verwirklichung der
deutschen Wiedervereinigung die aktive Mitarbeit des gesamten deutschen Volkes
unter Bedingungen, die die freie Äußerung seines Willens gewährleisten.
3. Die unnatürliche Teilung Deutschlands und seiner Hauptstadt Berlin ist eine
ständige Quelle internationaler Spannungen. Solange Deutschland geteilt bleibt, kann
es keinen deutschen Friedensvertrag und keine Sicherung der Stabilität in Europa
geben. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ist nicht nur ein elementares
Gebot der Gerechtigkeit für das deutsche Volk, sondern die einzige tragfähige
Grundlage für eine dauerhafte Regelung in Europa.
4. Nur eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung kann im Namen des
wiedervereinigten Deutschlands Verpflichtungen eingehen, die bei anderen Ländern
Vertrauen erwecken und von den Menschen in Deutschland selbst als gerecht und
verbindlich für die Zukunft angesehen werden.
5. Eine solche Regierung kann nur durch freie Wahlen in ganz Deutschland zu
einer gesamtdeutschen Nationalversammlung gebildet werden.
6. Es sollte keine Diskriminierung eines wiedervereinigten Deutschlands geben.
Seine Freiheit und Sicherheit sollten nicht durch einen aufgezwungenen Status der
Neutralisierung oder Entmilitarisierung beeinträchtigt werden. Seine Regierung
sollte frei sein, ihre Außenpolitik zu bestimmen und über ihre internationalen
Verbindungen zu entscheiden. Das in der Charta der Vereinten Nationen anerkannte
Recht aller Nationen, sich an kollektiven Maßnahmen der Selbstverteidigung zu
beteiligen, sollte ihm nicht vorenthalten werden.
7. Die Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands in
Übereinstimmung mit dem frei geäußerten Willen des deutschen Volkes würde an sich
keine Bedrohung für die Nachbarländer Deutschlands darstellen und ihre Sicherheit
nicht beeinträchtigen. Um jedoch etwaigen diesbezüglichen Befürchtungen anderer
Regierungen zu begegnen, sollten im Zusammenhang mit der deutschen
Wiedervereinigung geeignete Regelungen getroffen werden, die den legitimen
Sicherheitsinteressen aller betroffenen Länder Rechnung tragen. Aus diesem Grund
haben die Westmächte auf der Genfer Außenministerkonferenz Vorschläge für einen
Sicherungsvertrag über die Wiedervereinigung Deutschlands unterbreitet.
8. Die Westmächte haben niemals als Bedingung für die deutsche
Wiedervereinigung verlangt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland dem
Nordatlantikpakt beitreten sollte. Das Volk eines wiedervereinigten Deutschlands
wird durch seine frei gewählte Regierung selbst entscheiden, ob es an den Vorteilen
und Verpflichtungen des Vertrages teilhaben will.
9. Sollte sich die gesamtdeutsche Regierung in Ausübung ihrer freien
Entscheidung für den Beitritt zur NATO entscheiden, so sind die Westmächte nach
Konsultationen mit anderen NATO-Mitgliedern bereit, der Regierung der Sowjetunion
und den Regierungen anderer osteuropäischer Länder, die Vertragsparteien einer
europäischen Sicherheitsvereinbarung werden würden, auf der Grundlage der
Gegenseitigkeit Zusicherungen von bedeutendem und weitreichendem Charakter
anzubieten. Die Westmächte sind auch bereit, im Rahmen einer für beide Seiten
annehmbaren europäischen Sicherheitsvereinbarung die Zusicherung zu geben, daß
sie im Falle eines Beitritts des wiedervereinigten Deutschlands zur NATO keinen
militärischen Vorteil aus dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte ziehen würden.
214 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

10. Die Westmächte konnten jedoch nicht in Betracht ziehen, daß die Existenz der
NATO selbst Gegenstand von Verhandlungen sein sollte.
11. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Verbindung mit dem Abschluss von
europäischen Sicherheitsvereinbarungen würde das Zustandekommen eines
umfassenden Abrüstungsabkommens erleichtern. Umgekehrt würde der Beginn
wirksamer Maßnahmen zur teilweisen Abrüstung zur Lösung der noch offenen großen
politischen Probleme wie der Wiedervereinigung Deutschlands beitragen. Erste
Schritte auf dem Gebiet der Abrüstung sollten zu einem umfassenden
Abrüstungsabkommen führen, das eine vorherige Lösung des Problems der deutschen
Wiedervereinigung voraussetzt. Die Westmächte beabsichtigen nicht, ein
Abrüstungsabkommen zu schließen, das die Wiedervereinigung Deutschlands
beeinträchtigen würde.
12. Alle auf Europa anwendbaren Abrüstungsmaßnahmen müssen die Zustimmung
der betroffenen europäischen Nationen haben und den Zusammenhang zwischen
europäischer Sicherheit und deutscher Wiedervereinigung berücksichtigen. Die vier
Regierungen hoffen weiterhin, daß die Sowjetische Regierung zu der Einsicht gelangt,
daß es nicht in ihrem eigenen Interesse liegt, die gegenwärtige Teilung Deutschlands
aufrechtzuerhalten. Die Westmächte sind bereit, alle diese Fragen mit der
Sowjetunion jederzeit zu erörtern, wenn eine begründete Aussicht auf Fortschritte
besteht. Zu diesem Zeitpunkt wird es viele Punkte geben, die sich auf das Verfahren
für die Wiedervereinigung Deutschlands und die Bedingungen eines Vertrages über
die Zusicherung beziehen, die durch detaillierte Verhandlungen ausgearbeitet werden.
Im Vorfeld ernsthafter Verhandlungen können die Westmächte ihre Haltung in
allen Punkten nicht endgültig festlegen. Sie können auch nicht von vornherein
Zugeständnisse in Erwägung ziehen, auf die die sowjetische Seite wahrscheinlich nicht
reagieren wird. Wenn die Verhandlungen fruchtbar sein sollen, müssen beide Seiten
in einem Geist des Entgegenkommens und der Flexibilität an sie herangehen. Mit
dieser Erklärung wollen die Westmächte in vollem Einvernehmen mit der
Bundesrepublik erneut ihren aufrichtigen Wunsch bekunden, mit der Sowjetunion in
Verhandlungen einzutreten, um zu einer europäischen Regelung zu gelangen, und zum
Ausdruck bringen, daß das Erreichen eines gerechten und dauerhaften Friedens das
vorrangige Ziel ihrer Politik ist.
____________

Rede des polnischen Außenministers (Rapacki) über Abrüstung, 2. Oktober


1957 1
119. Das polnische Volk hofft vor allem, daß die Atmosphäre der gegenwärtigen
Tagung der Generalversammlung, der Verlauf der Debatte und die erzielten
Ergebnisse zu einer weiteren Entspannung des Kalten Krieges beitragen und eine
konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Nationen, ungeachtet ihrer sozialen und
politischen Systeme, fördern werden. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß in dieser
Hinsicht die wesentlichen Interessen des polnischen Volkes mit den Interessen aller
anderen Mitglieder der Vereinten Nationen identisch sind; und ich kann dem
Präsidenten und allen in diesem Saal anwesenden Delegationen versichern, daß die
polnische Delegation in diesem Geiste ihr Bestes tun wird, um einen positiven Beitrag
zu den Beratungen der zwölften Tagung und insbesondere zur Prüfung der Probleme
zu leisten, die uns am unmittelbarsten betreffen und mit denen wir am besten vertraut
sind.

1 Aus dem französischen übersetzt. UN-Dok. A/PV.697, 2. Oktober 1957. Die Rede wurde auf der 697.
Plenarsitzung der Generalversammlung gehalten.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 215

120. Wir sind der Auffassung, daß die besondere Verantwortung, die den
Großmächten durch die Charta übertragen wurde, die Verantwortung und die Rolle
der kleineren Länder in keiner Weise einschränkt; jede Nation hat ihre besonderen
Möglichkeiten, ihre Beziehungen zu anderen Nationen zu entwickeln und wir sind der
Meinung, daß jede Nation diese Möglichkeiten so nutzen sollte, daß sie in
größtmöglichem Umfang zur Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit, zur
Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens und zur Annäherung aller Völker
beitragen.
121. Polen ist ein sozialistischer Staat ; und nur weil wir den Weg des Sozialismus
eingeschlagen haben, konnten wir die Widersprüche lösen, die den wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Fortschritt in unserem Land aufgehalten haben; nur weil wir
diesen Weg eingeschlagen haben, konnten wir die Auswirkungen der Rückständigkeit,
die wir von der Vergangenheit geerbt haben, überwinden und den Fortschritt Polens
in allen Bereichen herbeiführen. Wir glauben auch, daß Polen als sozialistischer Staat
ein positiver Faktor für die Entwicklung friedlicher Beziehungen zwischen den
Nationen sein kann. Starke und dauerhafte Bande der Solidarität verbinden uns mit
den anderen sozialistischen Ländern, Bande, die durch gemeinsame Bedürfnisse,
durch die gemeinsamen Grundprobleme der sozialistischen Entwicklung und durch
die wesentlichen Interessen des polnischen Volkes geschmiedet wurden.
122. Gleichzeitig ist es unser Ziel, die bestmöglichen Beziehungen zu anderen
Ländern zu unterhalten. Wir sind daher erfreut die jüngste Verbesserung unserer
Beziehungen zu vielen westlichen Ländern sowie die kontinuierliche Verstärkung
unserer freundschaftlichen Zusammenarbeit mit vielen Ländern Asiens und Afrikas
zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt und darf keinen Widerspruch zwischen unserer
Verbundenheit und Solidarität mit den sozialistischen Ländern und der Verbesserung
und Ausweitung unserer Beziehungen zu anderen Ländern geben. Für die positive
Entwicklung unserer gegenseitigen, freundschaftlichen Beziehungen ist es
unerlässlich, daß die betreffenden Länder dies erkennen. Ich denke, es ist auch
nützlich für das Verständnis der Bedeutung des Konzepts der konstruktiven
friedlichen Koexistenz selbst.
123. Wie Sie wissen, haben wir ein umfangreiches Programm zur Umgestaltung
der Regierungsformen und -methoden sowie der Wirtschaftsverwaltung in Polen
eingeleitet. Wir sind davon überzeugt, daß diese sorgfältig durchdachten
Veränderungen uns in die Lage versetzen werden, das Beste aus den bisher
verzeichneten großen Errungenschaften und aus den noch größeren
Zukunftsaussichten der sozialistischen Entwicklung unseres Landes zu machen, um
unserem Volk ein besseres und erfüllteres Leben zu ermöglichen. Der Erfolg dieses
Programms hängt jedoch in hohem Maße von der Entwicklung der internationalen
Lage ab.
124. Wir sind uns der Schwierigkeiten voll bewußt, die einer Lösung der Probleme,
vor denen die zwölfte Tagung der Generalversammlung steht, im Wege stehen, denn
wir wissen, wie tief sie verwurzelt sind. Natürlich glaubt niemand, daß die
grundlegenden Widersprüche unserer Zeit durch eine Art Zauberformel beseitigt
werden können. Ihre Lösung ist ein wesentlicher Bestandteil des historischen
Prozesses, der sich jetzt vollzieht. Unser Handeln sollte daher von den Realitäten des
Lebens und den Gesetzen der Geschichte bestimmt sein. Wir sollten versuchen, durch
eine gemeinsame Anstrengung aller Völker diesen historischen Prozess im besten
Interesse der Menschheit zu gestalten; vor allem müssen wir eine Katastrophe
verhindern, deren Ausmaß und Folgen nicht vorhersehbar sind. Wo unsere Differenzen
nicht in angemessener Zeit gelöst werden können, müssen wir zumindest
Teilvereinbarungen treffen, und genau hier können die Vereinten Nationen eine sehr
wichtige Rolle spielen.
216 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

125. Das zentrale Thema der zwölften Tagung dieser Versammlung ist die
Abrüstung. Es ist nicht das erste Mal, daß sich die Vereinten Nationen mit diesem
Thema befassen müssen. Gegen Ende der letzten Tagung äußerten sich die meisten
der hier vertretenen Delegationen optimistisch in Bezug auf die Möglichkeit, daß die
in diesem Jahr geführten Diskussionen zumindest zu einer vorläufigen Einigung
führen könnten. Leider haben die Ergebnisse der Arbeit des Unterausschusses der
Abrüstungskommission diese Erwartung nicht erfüllt.
126. Wie aus der Entwicklung der Diskussionen im Unterausschuß in London
ersichtlich ist, war das Haupthindernis für Fortschritte das Konzept der sogenannten
„globalen Strategie“ der Westmächte, welches Atomwaffen eine entscheidende Rolle
zuweist. Wir haben in diesem Saal ein beredtes Beispiel dafür erlebt, wohin solche
Überlegungen führen können. Es hat keinen Sinn, den Standpunkt des
Außenministers der Vereinigten Staaten zu den humanitären Vorteilen in Frage zu
stellen, die, wie angeführt wird, aus der Entwicklung von Kernwaffen erwachsen
können. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es die Völker der Welt vorziehen,
daß ihre Sicherheit durch ein wirksames Verbot und die Vernichtung von Kernwaffen
gewährleistet wird und nicht durch noch so subtile moralische und religiöse Skrupel
einer bestimmten Regierung.
127. Das zweite Hindernis für den Fortschritt des Unterausschusses war das
Beharren der Westmächte, daß konkrete Abrüstungsmaßnahmen von der
gleichzeitigen Lösung anderer kontroverser internationaler Probleme abhängig
gemacht werden sollten.
128. Das dritte Hindernis schließlich ergab sich aus dem Widerstand der
Bundesrepublik Deutschland und aus Überlegungen zur Remilitarisierung
Westdeutschlands.
129. Aufgrund dieser verschiedenen Faktoren wurden die Abrüstungsgespräche in
die Länge gezogen und es war unmöglich, auch nur eine teilweise Einigung zu erzielen.
Inzwischen läuft die Zeit ab. Jeder Monat, in dem der Rüstungswettlauf weitergeht,
wird für die Völker der Welt in jeder Hinsicht viel zu kostspielig.
130. Wir erleben derzeit einen Wandel in den Streitkräften der Großmächte.
Konventionelle Rüstungsgüter werden durch Atomwaffen ersetzt. Es wächst die
Gefahr, daß auch andere Länder über Atomwaffen verfügen werden. Wenn sich mit
taktischen Atomwaffen ausgerüstete Armeen gegenüberstehen, wächst die Gefahr,
daß selbst in lokalen Konflikten Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden.
131. Auch aus diesem Grund glauben wir, daß der Vorschlag der Sowjetunion,
wonach sich die Großmächte verpflichten sollten, für einen Zeitraum von mindestens
fünf Jahren vorläufig auf den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten, ein Schritt in die
richtige Richtung ist, auch wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Einigung über das
dauerhafte und absolute Verbot des Einsatzes aller Atomwaffen erzielen können. Die
polnische Delegation wird jeden Schritt unterstützen, der uns der grundsätzlichen
Lösung dieses Problems näher bringt.
132. Wir werden auch jeden Schritt unterstützen, der in Richtung einer
schnellstmöglichen Einstellung der Atomwaffentests unternommen wird. Das ist es,
was die Menschen überall wollen; das ist die Schlussfolgerung, die man aus den
Warnungen der bedeutendsten Wissenschaftler ziehen muss. Es darf keine
Entschuldigung für ein weiteres Zögern geben. Unserer Ansicht nach ist die
Einstellung der Atomwaffentests nicht nur ein erster Schritt zu deren Verbot, sondern
auch ein sehr wichtiges Element zur Entspannung der internationalen Lage, das alle
mit Erleichterung begrüßen werden.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 217

133. Die polnische Delegation wird ihre Ansichten zur Abrüstungsfrage natürlich
im Ersten Ausschuß ausführlicher darlegen. In meinen Ausführungen hier möchte ich
vor allem die Bedeutung der Frage für die wesentlichsten Interessen Polens
hervorheben. Für uns hängt die Rüstungsfrage in erster Linie mit der Situation in
Europa, auf dem Gebiet Deutschlands an Polens Grenzen zusammen. Die
Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland und die Konzentration von Waffen
und Truppen auf ihrem Territorium stellen eine Politik dar, die für den Frieden in
Europa und in der Welt sehr gefährlich ist. Sie ist um so gefährlicher, als wir es mit
einem Staat zu tun haben, in dem militaristische und "revanchistische" Tendenzen
keineswegs verschwunden sind und einen erheblichen Einfluß ausüben.
Westdeutschland darf nicht zu einem atomaren Pulverfass mitten in Europa werden.
134. Wir verstehen die legitimen Bestrebungen des deutschen Volkes nach
Wiedervereinigung und unterstützen sie im besten Interesse ganz Europas. Das
Beispiel unserer Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik zeigt, daß das
polnische Volk in der Lage ist, gutnachbarschaftliche Beziehungen zum deutschen
Volk zu unterhalten. Wir wissen, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland ein
großer Teil der öffentlichen Meinung gute Beziehungen zu Polen befürwortet. Der
Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat
kann sich aber nur in einer Atmosphäre entspannter internationaler Spannungen, der
Abrüstung, des wachsenden Sicherheitsgefühls der deutschen Nachbarn und der
Annäherung und Verständigung zwischen den beiden deutschen Staaten entwickeln.
Er kann nicht in einer Atmosphäre der Spannungen, der „revanchistischen“
Forderungen nach Aufrüstung und schon gar nicht im Geiste gewisser Äußerungen
gedeihen, die praktisch für eine Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik
in die Bundesrepublik und die Nordatlantikvertragsorganisation (NATO) eintreten.
135. Bestehende Spannungen werden durch revisionistische Behauptungen über
unsere Westgrenze noch verschärft. Diese Grenze ist endgültig, unantastbar und kann
nicht verhandelt werden. Jeder Staatsmann mit einem Sinn für Realitäten ist sich
dessen gewiss bewusst. Es wäre gut, wenn die Diplomaten der Länder, die
freundschaftliche Beziehungen zu Polen aufrechterhalten wollen, daraus die richtigen
Schlüsse zögen.
136. Wir sind gegen die Aufteilung Europas in gegnerische Militärblöcke. Unsere
Ansichten zum Nordatlantikvertrag sind wohlbekannt. Jeder polnische Bürger
beurteilt die NATO in erster Linie im Hinblick auf ihre Politik in der deutschen Frage.
Angesichts der Gefahr, die die Aufrüstung Westdeutschlands im Rahmen der NATO
für unser Land und für andere europäische Länder darstellt, sahen sich Polen und
seine Verbündeten gezwungen, den Warschauer Vertrag abzuschließen, der die
Sicherheit unseres Landes so lange gewährleistet, bis anstelle der gegenwärtigen
Teilung Europas ein wirksames System der kollektiven Sicherheit geschaffen ist. Wir
wollen ein solches System und werden nach besten Kräften dazu beitragen, es zu
verwirklichen. Bis ein System der kollektiven Sicherheit in Europa geschaffen ist,
werden wir auch Teillösungen unterstützen, die auf das gleiche oberste Ziel
ausgerichtet sind. Wir werden sie unterstützen, unabhängig davon, ob sie Teil eines
größeren Plans oder Gegenstand separater Vereinbarungen sind. So hielten und halten
wir es für sinnvoll, begrenzte und kontrollierte Rüstungszonen in Europa einzurichten.
Bislang sind in dieser Richtung keine Fortschritte erzielt worden. Im Gegenteil, es gibt
Pläne, die westdeutsche Armee mit Atomwaffen auszustatten. Wenn diese Pläne
verwirklicht werden, werden sie unweigerlich zu mehr internationalen Spannungen
218 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

führen und die Staaten, die sich bedroht fühlen, zwingen, ihre eigenen Schlüsse zur
Stärkung ihrer Sicherheit zu ziehen. Wir sollten nicht zulassen, daß diese Situation
anhält. Wir wollen helfen, eine solche Situation zu verhindern. Daher möchte ich im
Namen meiner Regierung die folgende Erklärung abgeben: Im Interesse der Sicherheit
Polens und der Lockerung der Spannungen in Europa erklärt die Regierung der
Volksrepublik Polen nach Konsultationen mit den anderen Vertragsparteien des
Warschauer Vertrages, daß die Volksrepublik Polen, falls die beiden deutschen
Staaten sich bereit erklären sollten, das Verbot der Herstellung und Lagerung von
Atomwaffen auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet durchzusetzen, gleichzeitig bereit ist,
das gleiche Verbot auf ihrem Hoheitsgebiet zu erlassen.
137. Ich bin davon überzeugt, daß wir, wenn dies erreicht werden könnte,
zumindest den ersten Schritt zur Lösung eines Problems getan hätten, das nicht nur
für das polnische und das deutsche Volk und ihre gegenseitigen Beziehungen, sondern
für ganz Europa und alle Völker der Welt von entscheidender Bedeutung ist.
138. Einer der großen historischen Prozesse unserer Zeit ist die Befreiung der
abhängigen und kolonialen Völker, ihre Organisation und Entwicklung zu
unabhängigen Staaten. Das ist ein Phänomen, das weder aufgehalten noch rückgängig
gemacht werden kann. Jeder solche Versuch würde nur neue Gefahrenherde und neue
Konflikte schaffen. Mit einer solchen gefährlichen Situation sind wir jetzt im Nahen
Osten konfrontiert. Die Drohungen und der Druck, der auf Syrien ausgeübt wird,
geben Anlass zu besonderer Sorge. Der einzige Weg zur Lösung dieses und ähnlicher
Konflikte besteht darin, am Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker festzuhalten,
das Recht unabhängiger Staaten auf die Gestaltung ihrer inneren und äußeren
Beziehungen uneingeschränkt anzuerkennen und eine Einigung auf der Grundlage
dieser Grundsätze anzustreben.
139. Die Beseitigung von Gefahrenherden und Bedrohungen des Weltfriedens ist
ein Aspekt des Problems. Der andere ist das Erreichen einer konstruktiven
Zusammenarbeit zwischen den Nationen, ungeachtet ihrer Struktur und ihres
wirtschaftlichen Entwicklungsstandes. Polen ist sehr bestrebt, seine
Wirtschaftsbeziehungen mit allen Ländern voll auszubauen. Wir wollen uns so aktiv
wie möglich an der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit beteiligen.
Deshalb sind wir an der Entwicklung der Weltwirtschaftslage und an der Tätigkeit der
internationalen Wirtschaftsorganisationen stark interessiert. In jüngster Zeit gab es
einige Entwicklungen, die den Weltwirtschaftsbeziehungen hauptsächlich in Form des
Handels zwischen bestimmten kapitalistischen Ländern und bestimmten
sozialistischen Ländern Europas und Asiens zugute kamen, aber die erzielten
Fortschritte sind immer noch zu gering und es werden immer noch diskriminierende
Handelspraktiken gegenüber sozialistischen Ländern angewandt. Gleichzeitig nimmt
die Ungleichheit in den kapitalistischen Ländern zwischen den reichen, wirtschaftlich
entwickelten Ländern und den zahlreichen unterentwickelten Ländern und Gebieten
von Jahr zu Jahr zu, anstatt zu verschwinden. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung,
die in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern lebt, hat immer noch keine Aussicht
auf einen schnelleren Anstieg ihres Lebensstandards.
140. Eine Gruppe der reichsten und wirtschaftlich am weitesten entwickelten
westlichen Länder war bisher in der Lage, ein relativ hohes Produktions- und
Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten; sie haben sich jedoch geweigert, sich an
einem umfassenderen internationalen Programm zu beteiligen, das die gesamte
Weltwirtschaft betreffen würde. Sie isolieren sich in einer Reihe von exklusiven
Organisationen und Institutionen, die oft das Gegenstück zu den von ihnen selbst
geschaffenen Blöcken sind.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 219
141. Das Wettrüsten führt zu immer mehr Schwierigkeiten, zu ernsthaften
Schwierigkeiten. Schon heute werden in vielen kapitalistischen Ländern des Westens
die Regierungen gewarnt, daß es zunehmend schwieriger wird, Produktion und
Beschäftigung mit den derzeitigen Methoden aufrechtzuerhalten. Wir haben solche
Warnungen im Laufe dieser Debatte gehört. Wir brauchen nur einen Blick in die
Tagespresse zu werfen, um zu erkennen, welche Beunruhigung der jüngste Anstieg
der Inflationstendenz ausgelöst hat. Es werden Stimmen laut, die behaupten, daß eine
Beendigung des Rüstungswettlaufs und eine produktive Nutzung der wirtschaftlichen
Ressourcen bestimmter Länder––insbesondere der wirtschaftlich unterentwickelten
Länder––dazu beitragen würden, viele der derzeitigen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten wirksamer und dauerhafter zu überwinden als jeder vorübergehende
Aufschwung, der durch einen Rüstungswettlauf entsteht.
142. In einigen kapitalistischen Ländern gibt es eine wachsende Tendenz zur
Ausweitung des Handels mit den sozialistischen Ländern.
143. Wir sind der Meinung, daß die Vereinten Nationen energischer handeln
sollten, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ländern mit
unterschiedlichen politischen Systemen und unterschiedlichem wirtschaftlichen
Entwicklungsstand zu stärken.
144. Es sollten ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, um ein
entschlosseneres praktisches Handeln des Wirtschafts- und Sozialrates zu fördern. Im
Rahmen der Vereinten Nationen und nicht außerhalb der Vereinten Nationen sollten
wir ein System internationaler Konsultationen und später internationaler
Maßnahmen ausarbeiten. Die Konsultationen würden das Hauptproblem der
Weltwirtschaft und ihrer harmonischen Entwicklung umfassen. Ein solches
Programm unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen würde den
wirtschaftlich unterentwickelten Ländern in ihrem Kampf um wirtschaftlichen und
sozialen Fortschritt wesentlich helfen.
145. Der vorgeschlagene Sonderfonds der Vereinten Nationen für wirtschaftliche
Entwicklung wird unter anderem genau diesen Einwänden gerecht.
146. Wir sind der Meinung, daß die Arbeit der regionalen
Wirtschaftskommissionen, die wie keine anderen mit den spezifischen Bedürfnissen
und Problemen ihrer jeweiligen Region vertraut sind, intensiviert werden sollte.
147. Abgesehen von den Problemen, die große Regionen betreffen, haben
bestimmte Gruppen von Staaten ihre eigenen Probleme mit der nachbarschaftlichen
Zusammenarbeit. Polen ist besonders an der baltischen Region interessiert. Ein oder
mehrere Abkommen, die von den Ländern des Baltikums in wirtschaftlichen,
kulturellen und wissenschaftlichen Fragen abgeschlossen wurden, könnten als Modell
für ein System regionaler Vereinbarungen dienen, die auf wesentlichen gemeinsamen
Bedürfnissen beruhen und eine konkrete Veranschaulichung der friedlichen
konstruktiven Koexistenz werden.
148. Die friedliche Koexistenz im weitesten Sinne sollte der Kern der gesamten
Arbeit der Vereinten Nationen sein. Der Begriff drückt die Art und Weise aus, in der
die Völker in diesem Zeitalter zusammenleben müssen, wenn es ein Zeitalter
beispiellosen Fortschritts und nicht ein Zeitalter der Katastrophe sein soll.
149. Die Grundsätze der friedlichen Koexistenz, die in den Erklärungen Chinas
und Indiens sowie in anderen bilateralen Erklärungen enthalten waren und dann auf
der historischen Konferenz von Bandung verkündet wurden, haben sich allgemein in
Empfehlungen zur gegenseitigen Achtung der territorialen Integrität, der nationalen
Souveränität, des Nichtangriffs, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
der Staaten, der Gleichheit und der friedlichen Koexistenz herauskristallisiert. Sie
werden heute von siebenunddreißig Ländern in Europa, Asien und Afrika akzeptiert.
Ihre Bedeutung für ordnungsgemäße internationale Beziehungen wurde auch von
Polen in einer Reihe von bilateralen Rechtsakten anerkannt. Polen ist daher erfreut,
daß dieser Punkt auf die Tagesordnung der gegenwärtigen Tagung gesetzt worden ist.
220 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

150. Es fällt schwer, sich die bittere Bemerkung zu verkneifen, daß auf dieser
Tagung der Vorschlag Indiens, eines der Mitverfasser der historischen Grundsätze der
friedlichen Koexistenz, abgelehnt wurde, daß die Vereinten Nationen die legitimen
Rechte der Volksrepublik China, des anderen Mitverfassers dieser Grundsätze,
anerkennen sollten.
151. Ich habe die Ansichten Polens zu den Problemen der internationalen Politik
dargelegt, die für Polen am wichtigsten sind. Das polnische Volk verfolgt die
Beratungen der gegenwärtigen Tagung der Generalversammlung mit großer
Aufmerksamkeit. Ich glaube, daß alle Völker die Ergebnisse unserer Arbeit nach
demselben Maßstab beurteilen werden: ob diese Tagung zumindest einen kleinen, aber
bestimmten Schritt zur Stärkung und Stabilisierung des Friedens darstellt oder nicht.
Es ist der Wunsch und die Hoffnung meiner Delegation, daß ihre Bemühungen zur
Erreichung dieses Ziels denen der anderen Delegationen vorauseilen mögen.
____________

Schreiben von Premier Bulganin an Präsident Eisenhower über europäische


Sicherheit, den Rapacki-Plan und Abrüstung, 10. Dezember 1957 1
Ich wende mich mit diesem Schreiben an Sie, um Ihnen einige Gedanken über die
internationale Lage mitzuteilen, die sich gegenwärtig entwickelt. Die Sowjetische
Regierung hat vor kurzem die internationale Lage in all ihren Aspekten geprüft. Dabei
konnten wir natürlich nicht übersehen, daß auf Initiative der Vereinigten Staaten von
Amerika und Großbritanniens jetzt Maßnahmen entwickelt werden, die eine starke
Intensivierung der militärischen Vorbereitungen der NATO-Mitglieder zum Ziel
haben, und daß im Zusammenhang mit der bevorstehenden Tagung des NATO-Rates
konkrete Pläne erwogen werden.
Es ist bereits offensichtlich, daß diese Maßnahmen im Wesentlichen auf die
Mobilisierung aller Ressourcen der NATO-Mitgliedsstaaten zum Zwecke der
Intensivierung der Rüstungsproduktion und der allgemeinen Kriegsvorbereitung
hinauslaufen. Die NATO-Führer erklären offen, daß auf der bevorstehenden Tagung
militärische und strategische Pläne, die einen umfassenden Einsatz von Atom- und
Wasserstoffwaffen vorsehen, erwogen werden.
Es ist auch sehr offensichtlich, daß all diese Aktivitäten in einer Atmosphäre
künstlich erzeugter Nervosität und Angst vor der imaginären „Bedrohung“ durch die
UdSSR stattfinden und in dem Bemühen, eine solche Atmosphäre zu schaffen, wird
besonders häufig auf die neuesten wissenschaftlichen und technischen
Errungenschaften der Sowjetunion Bezug genommen.
Unserer Ansicht nach besteht die ernste Gefahr, daß die internationale Entwicklung
infolge solcher Maßnahmen eine andere Richtung einschlägt, als dies im Interesse der
Stärkung des Friedens erforderlich ist.
Auf der anderen Seite gibt es in allen Staaten der Welt eine wachsende und sich
ausbreitende Bewegung für eine Beendigung des Rüstungswettlaufs und für die
Abwendung der Gefahr eines neuen Kriegsausbruchs. Die Völker fordern eine Politik,
die es den Staaten ermöglicht, in Frieden zu leben, die gegenseitigen Rechte und
Interessen zu achten und aus der Zusammenarbeit miteinander Vorteile zu ziehen,

1 Bulletin des Außenministeriums, 27. Januar 1958, S. 127–130. Der Präsident antwortete am 12. Januar
1958 (siehe unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 221

anstatt die Messer gegeneinander zu wetzen.


All dies führt uns zu der Überzeugung, daß in der Entwicklung der internationalen
Lage ein Moment großer Verantwortung eingetreten ist.
Wir sind der Meinung, daß in dieser Situation die Verantwortung, die auf der
Regierung eines jeden Staates bei der Festlegung seiner künftigen Außenpolitik ruht,
größer ist als je zuvor. Besonders groß ist die Verantwortung der Regierungen der
Großmächte.
Ich muß Ihnen offen sagen, Herr Präsident, daß die Reaktion gewisser Kreise in
Ihrem Land und in einigen anderen NATO-Ländern auf die jüngsten Leistungen der
UdSSR auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet und insbesondere auf den
Start der sowjetischen künstlichen Erdsatelliten im Zusammenhang mit dem
Programm des Internationalen Geophysikalischen Jahres uns als großer Fehler
erscheint.
Natürlich zeugt der Start von künstlichen Erdsatelliten von den großen
Errungenschaften der UdSSR, sowohl auf dem Gebiet der friedlichen
wissenschaftlichen Forschung als auch auf dem Gebiet der Militärtechnik. Es ist
jedoch bekannt, daß die UdSSR darauf bestanden hat und immer noch darauf besteht,
daß weder ballistische Raketen noch Wasserstoff- und Atombomben jemals zu
Zerstörungszwecken eingesetzt werden dürfen und daß eine so große Errungenschaft
des menschlichen Geistes wie die Entdeckung der Atomenergie ausschließlich für die
friedliche Entwicklung der Gesellschaft genutzt werden sollte. Die Sowjetunion hat
nicht die Absicht, die Vereinigten Staaten oder ein anderes Land anzugreifen. Sie ruft
zur Einigung und zur friedlichen Koexistenz auf. Dieselbe Position wird von vielen
Staaten vertreten, darunter die Chinesische Volksrepublik und andere sozialistische
Länder.
Andererseits beschließen die Regierungen der Westmächte in der gegenwärtigen
Situation, den Rüstungswettlauf noch weiter zu verschärfen, und verfolgen die Linie,
den „Kalten Krieg“ zu intensivieren. Wir sind der tiefen Überzeugung, daß nichts
gefährlicher für den Weltfrieden sein könnte.
Erstens : Wer kann garantieren, daß, wenn der gegenwärtige Wettbewerb in der
Produktion immer neuer Waffentypen fortgesetzt wird und noch größere Ausmaße
annimmt, die NATO-Mitglieder die Gewinner eines solchen Wettbewerbs sind ? Ganz
zu schweigen von der Tatsache, daß der Rüstungswettlauf an sich nicht nur eine immer
schwerere Last auf den Schultern der Völker wird, sondern auch die Gefahr eines
Kriegsausbruchs noch weiter vergrößert.
Nehmen wir an, daß die amerikanische Militärführung mit der Forderung nach
einer Weiterentwicklung der militärischen Vorbereitungen mit besonderem
Schwerpunkt auf der Schaffung neuer Typen von Massenvernichtungswaffen einen
gewissen Erfolg zu erzielen hofft. Aber nichts kann etwas an der Tatsache ändern, daß
selbst beim gegenwärtigen Stand der Militärtechnologie zum ersten Mal in der
Geschichte eine Situation entstanden ist, in der sich das Territorium keiner der
Großmächte im Kriegsfall in einer privilegierten Position befindet, die es davor
bewahrt, von Beginn des Konflikts an zu einem der Kriegsschauplätze zu werden.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die USA über ein Netz von weit
fortgeschrittenen Militärbasen verfügen, und auch nicht die Pläne zur Nutzung der
Territorien und des militärischen Potenzials der westeuropäischen Verbündeten.
Gegenwärtig wird in den Vereinigten Staaten von Amerika die These von der
„gegenseitigen Abhängigkeit“ der Länder, die der NATO angehören, verkündet. Von
ihnen wird ein neuer und verstärkter Beitrag zu den militärischen Vorbereitungen
222 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

dieses Bündnisses erwartet. Es wird nicht wenig Druck auf sie ausgeübt, um die
Zustimmung zur Stationierung von Atom- und Raketenwaffen in ihrem Gebiet zu
erhalten.
Offenbar um die verständlichen Gefahren, die in diesen Ländern durch die Aussicht
auf die Stationierung von Atomwaffen auf ihrem Territorium entstehen, zu verringern,
versuchen militärische Kreise im Westen die Vorstellung zu vermitteln, daß die so
genannten „taktischen“ Atomwaffen sich nicht sehr von konventionellen Waffentypen
unterscheiden und daß ihr Einsatz nicht so zerstörerische Folgen hätte wie der Einsatz
von Atom- und Wasserstoffbomben. Es ist nicht zu übersehen, daß eine solche
Argumentation, mit der die öffentliche Meinung in die Irre geführt werden soll, einen
gefährlichen Versuch darstellt, die Vorbereitung auf einen Atomkrieg zu rechtfertigen.
Wohin kann das alles führen ?
Die militärische Lage der USA selbst wird sich dadurch unseres Erachtens
keineswegs verbessern, die USA werden nicht weniger verwundbar, die Kriegsgefahr
wird weiter zunehmen.
Es ist zweifelhaft, ob eine solche Politik überhaupt zu einer Stärkung der
Beziehungen zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten führen würde.
Das Gegenteil könnte der Fall sein, denn letztlich kann sich kein Land mit einer
Situation zufrieden geben, in der es gezwungen ist, seine Unabhängigkeit zugunsten
von strategischen Plänen zu opfern, die seinen nationalen Interessen fremd sind und
einen Schlag zu riskieren, weil sich ausländische Militärstützpunkte auf seinem
Territorium befinden.
Was die Pläne zur Weitergabe von Atomwaffen an Verbündete der USA in Europa
betrifft, so kann ein solcher Schritt die ohnehin schon komplizierte Situation auf
diesem Kontinent nur noch weiter verschärfen und einen atomaren Rüstungswettlauf
zwischen den europäischen Staaten auslösen.
Man darf auch nicht außer Acht lassen, daß z.B. die Stationierung von Atomwaffen
in der Bundesrepublik Deutschland solche Kräfte in Europa in Bewegung setzen und
Folgen nach sich ziehen kann, die selbst die NATO-Mitglieder nicht absehen können.
Eines der Argumente, die in militärischen Kreisen des Westens vorgebracht werden,
um die Forderung nach einer Ausweitung der militärischen Vorbereitungen zu
rechtfertigen, ist die so genannte Theorie der „lokalen Kriege“. Es muss mit allem
Nachdruck betont werden, daß diese „Theorie“ nicht nur militärisch absolut ungültig,
sondern auch politisch äußerst gefährlich ist. Auch in der Vergangenheit wurden, wie
wir alle wissen, globale Kriege durch „lokale“ Kriege ausgelöst. Kann man ernsthaft
mit der Möglichkeit „lokalisierter“ Kriege in unserer Zeit rechnen, in der es
militärische Gruppierungen gibt, die sich in der Welt gegenüberstehen und Dutzende
von Staaten in verschiedenen Teilen der Welt umfassen, und in der die Reichweite
moderner Waffentypen keine geographischen Grenzen kennt?
Aufmerksamkeit erregen auch Berichte über die Existenz von Plänen, die darauf
abzielen, die von den westlichen Mächten in verschiedenen Teilen der Welt
geschaffenen Militärblöcke––NATO, SEATO und Bagdad-Pakt––in irgendeiner Form
zusammenzuführen. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Präsident, daß wir die
Entwicklung solcher Pläne als eine Tendenz bewerten, die den Grundsätzen einer
gemeinsamen Stärkung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, in deren
Namen die UNO unter aktiver Beteiligung unserer beiden Länder geschaffen wurde,
direkt entgegensteht. Wenn schon jetzt die Existenz sogenannter Militärblöcke einen
schädlichen Einfluß auf die gesamte internationale Lage ausübt, dann ist es ganz
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 223

offensichtlich, daß der Versuch, Staaten zusammenzubringen, die Staaten mehrerer


Kontinente in ein Programm einzubeziehen, das im wesentlichen auf die gemeinsame
Vorbereitung eines neuen Krieges hinausläuft, eine Unterminierung der UNO
bedeuten und ihr irreparablen Schaden zufügen würde.
Wir sind uns natürlich bewußt, daß die Pläne zur weiteren Intensivierung der
militärischen Vorbereitungen als Pläne dargestellt werden, die auf die Gewährleistung
der Sicherheit der Westmächte und auf die Stärkung des Friedens gerichtet sind. Aber
die Führer von Ländern wie den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion tragen eine
zu große Verantwortung, als daß sie nicht versuchen sollten, die Bewertung dieses oder
jenes außenpolitischen Kurses unvoreingenommen, objektiv und unter
Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen Tatsachen und der historischen
Erfahrung anzugehen. Denn zeigt nicht die gesamte Erfahrung der Entwicklung der
internationalen Beziehungen im letzten Jahrzehnt, daß die These, der Frieden und die
Sicherheit der Völker könne durch verstärkte Aufrüstung und „kalten Krieg“ oder
durch eine Politik „am Rande des Krieges“ gesichert werden, absolut keine Grundlage
hat ?
Die letzten zehn Jahre waren geprägt von der Politik der „Position der Stärke“ und
des „Kalten Krieges“, die von bestimmten Kreisen im Westen verkündet wurde.
Während all dieser Jahre wurden die Gemüter der Menschen im Westen durch eine
intensive Propaganda vergiftet, die Tag für Tag den Gedanken an die
Unvermeidlichkeit eines neuen Krieges und die Notwendigkeit verstärkter
Kriegsvorbereitungen einpflanzte. Diese Kriegspropaganda, die nicht wenig zur
Verschärfung der internationalen Lage und zur Untergrabung des Vertrauens in die
Beziehungen zwischen den Staaten beigetragen hat, ist eines der Hauptelemente der
Politik der „Position der Stärke“.
Heute ist die ganze Welt Zeuge der Tatsache, daß diese Politik keine positiven
Ergebnisse gebracht hat, auch nicht für die Mächte, die sie so lange und so beharrlich
verfolgt haben und die die Menschheit mit der Gefahr eines neuen Krieges konfrontiert
haben, dessen schreckliche Folgen alles übersteigen würden, was sich die menschliche
Vorstellungskraft ausmalen kann.
Es ist kein Zufall, daß die Stimmen in der Welt immer lauter werden, die ein Ende
der Kriegspropaganda, ein Ende des „Kalten Krieges“, ein Ende des hemmungslosen
Rüstungswettlaufs und den Eintritt in den Weg der friedlichen Koexistenz aller
Staaten fordern. Der Gedanke der friedlichen Koexistenz wird mehr und mehr zu einer
zwingenden Forderung des historischen Augenblicks, den wir gerade durchleben.
Es ist bekannt, daß die fanatischsten Verfechter des „Kalten Krieges“ versuchen,
diese Forderung als „kommunistische Propaganda“ darzustellen. Wir Kommunisten
leugnen natürlich nicht, daß wir mit ganzem Herzen für ein Programm der friedlichen
Koexistenz, für ein Programm der friedlichen und freundschaftlichen Zusammenarbeit
unter allen Ländern stehen, und wir sind stolz darauf. Aber sind wir die einzigen, die
ein solches Programm haben ? Sind all jene Staatsmänner und Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens Indiens, Indonesiens, Großbritanniens, Frankreichs und anderer
Länder, die beharrlich und leidenschaftlich die Abkehr von der „Politik der Stärke“
zugunsten einer friedlichen Koexistenz fordern, auch Kommunisten ? Und drücken
ihre Stimmen nicht die Haltung und den Willen von Millionen und Abermillionen von
Menschen aus ?
Wir haben den Eindruck, daß die internationale Lage derzeit so geworden ist, daß
die Maßnahmen, die die Staaten und vor allem die Großmächte in naher Zukunft
224 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ergreifen werden, in erheblichem Maße die Antwort auf die Hauptfrage bestimmen
werden, die die gesamte Menschheit so sehr beschäftigt, nämlich :
Wird sich die Bewegung in Richtung einer Kriegskatastrophe fortsetzen, und zwar
mit immer größerer Geschwindigkeit oder werden die Verantwortlichen für die Politik
der Staaten den einzig sinnvollen Weg der friedlichen Koexistenz und Kooperation
aller Staaten einschlagen ?
Denn dazu ist es nur notwendig, die gegenwärtige Situation nüchtern zu betrachten,
anzuerkennen, daß jedes Land das Recht hat, seine eigene Regierungsform und sein
eigenes Wirtschaftssystem zu wählen, auf jeden Versuch zu verzichten, internationale
Fragen mit Gewalt zu regeln, ein für alle Mal auf Krieg als Mittel zur Lösung
internationaler Streitigkeiten zu verzichten und die Beziehungen zwischen den
Staaten auf der Grundlage der Gleichheit, der Achtung der Unabhängigkeit jedes
Staates und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen auf
der Basis des gegenseitigen Nutzens aufzubauen.
Wenn man von der Prämisse der Sicherung des Weltfriedens ausgeht, ist es unserer
Meinung nach notwendig, die Situation, die sich in der Welt, in der kapitalistische und
sozialistische Staaten existieren, entwickelt hat, ganz klar zu erkennen. Niemand von
uns kann die Tatsache außer Acht lassen, daß jeder Versuch, diese Situation mit
äußerer Gewalt zu verändern und den Status quo zu stören, oder jeder Versuch,
irgendwelche territorialen Veränderungen durchzusetzen, zu katastrophalen Folgen
führen würde.
Ich weiß sehr wohl, Herr Präsident, daß Sie in Ihren Erklärungen wiederholt den
Gedanken geäußert haben, daß kein dauerhafter Frieden auf einem Rüstungswettlauf
beruhen kann und daß Sie unbedingt Frieden und Zusammenarbeit mit anderen
Ländern, einschließlich der Sowjetunion, wünschen. Dies haben Sie auch in Ihrem
Gespräch mit N. S. Chruschtschow und mir während der Genfer Konferenz der
Regierungschefs der vier Mächte im Sommer 1955 zum Ausdruck gebracht. Leider
muss jedoch festgestellt werden, daß alle von der Sowjetischen Regierung
unternommenen Schritte zur Verbesserung der Beziehungen zu den Vereinigten
Staaten in der Praxis bisher nicht auf eine positive Reaktion seitens der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika gestoßen sind.
Unterdessen kann der gegenwärtige Stand der sowjetisch-amerikanischen
Beziehungen weder das sowjetische Volk noch, wie uns scheint, das amerikanische
Volk zufriedenstellen. Der angespannte, ja fast feindliche Charakter, den diese
Beziehungen sehr oft annehmen, ist weder politisch noch wirtschaftlich noch moralisch
zu rechtfertigen. Es ist eine an sich absurde Situation, wenn zwei riesige Länder, die
über alles verfügen, was für ihre wirtschaftliche Entwicklung notwendig ist, die in der
Vergangenheit wiederholt und erfolgreich zusammengearbeitet haben und die nach
unserer Überzeugung auch jetzt keine unüberbrückbaren Interessenkonflikte haben,
ihre gegenseitigen Beziehungen noch nicht normalisieren konnten.
Dieses Problem ist um so bedeutsamer, als daß das Schicksal des Weltfriedens in
hohem––vielleicht sogar entscheidendem––Maße vom Zustand der Beziehungen
zwischen unseren Ländern unter den gegenwärtigen Bedingungen abhängt. Gerade
deshalb ist es besonders wichtig, daß unsere beiden Länder die Initiative ergreifen und
den Schritt tun, auf den die Völker schon seit langem warten, nämlich das Eis des
„Kalten Krieges“ zu brechen.
Dafür sind die notwendigen Voraussetzungen gegeben. Ich habe keinen Zweifel
daran, daß das amerikanische Volk ebenso wenig wie das sowjetische Volk einen neuen
Krieg will. Unsere Länder haben in enger Zusammenarbeit den Sieg im Kampf gegen
die Hitler-Aggression errungen. Ist es möglich, daß wir jetzt, wo die Verhinderung des
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 225

allgemeinen Unheils eines neuen Krieges in so hohem Maße von unseren Ländern
abhängt, nicht den Mut finden, den Tatsachen klar ins Auge zu sehen und unsere
Anstrengungen im Interesse des Friedens zu vereinen ?
Im Bewußtsein des Ernstes der gegenwärtigen Lage und in tiefer Sorge um die
Erhaltung des Friedens wenden wir uns an Sie, Herr Präsident, mit dem Appell,
gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um den "kalten Krieg" zu stoppen, das
Wettrüsten zu beenden und entschlossen den Weg des friedlichen Zusammenlebens zu
beschreiten.
Gestatten Sie mir, Ihnen darzulegen, was unserer Meinung nach in dieser Hinsicht
getan werden könnte.
Wir bedauern, daß die Abrüstungsverhandlungen aufgrund der Haltung der
Westmächte nicht zu einem erfolgreichen Ergebnis geführt haben. Die Sowjetunion ist
nach wie vor bereit, eine Vereinbarung über wirksame Abrüstungsmaßnahmen zu
treffen. Es hängt von den Westmächten ab, ob die Abrüstungsverhandlungen in die
richtigen Bahnen gelenkt werden oder ob dieses Problem in einer Sackgasse stecken
bleibt.
Wir müssen erkennen, daß das Zustandekommen eines Abrüstungsabkommens
dadurch erschwert wird, daß den Verhandlungspartnern das notwendige Vertrauen
ineinander fehlt. Ist es möglich, etwas zu tun, um dieses Vertrauen zu schaffen ?
Natürlich ist das möglich.
Wir schlagen folgende Dinge vor. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Regierung
Großbritanniens vorerst nur die Verpflichtung eingehen, keine Kernwaffen
einzusetzen, und lassen Sie uns die Einstellung von Testexplosionen aller Typen
solcher Waffen ab dem 1. Januar 1958 ankündigen, zunächst zumindest für zwei oder
drei Jahre.
Lassen Sie uns gemeinsam mit der Regierung Großbritanniens vereinbaren, auf die
Stationierung von Atomwaffen gleich welcher Art auf dem Gebiet Deutschlands––
Westdeutschland wie Ostdeutschland––zu verzichten. Wenn dieses Abkommen durch
ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik über den Verzicht auf die Herstellung von Kernwaffen und
die Nichtstationierung solcher Waffen in Deutschland ergänzt wird, dann werden, wie
bereits von den Regierungen Polens und der Tschechoslowakei offiziell erklärt, auch
diese Staaten keine Kernwaffen auf ihrem Territorium herstellen oder stationieren.
Auf diese Weise würde in Mitteleuropa eine ausgedehnte Zone mit einer Bevölkerung
von über hundert Millionen Menschen entstehen, die aus der Sphäre der atomaren
Rüstung ausgeschlossen wäre––eine Zone, in der die Gefahr eines Atomkrieges auf ein
Minimum reduziert wäre. Lassen Sie uns einen gemeinsamen Vorschlag für den
Abschluß eines Nichtangriffsabkommens zwischen den Mitgliedstaaten der NATO und
des Warschauer Paktes ausarbeiten und den Staaten zur Prüfung vorlegen.
Um die Lage im Nahen und Mittleren Osten zu normalisieren, sollten wir
übereinkommen, keine Schritte zu unternehmen, die die Unabhängigkeit der Länder
dieser Region verletzen, und auf die Anwendung von Gewalt bei der Regelung von
Fragen im Zusammenhang mit dem Nahen und Mittleren Osten verzichten.
Lassen Sie uns ein Abkommen schließen, das den festen Willen unserer beiden
Staaten zum Ausdruck bringt, zwischen ihnen Beziehungen der Freundschaft und der
friedlichen Zusammenarbeit zu entwickeln. Es ist an der Zeit, Maßnahmen zu
ergreifen, um der gegenwärtigen Propaganda in Presse und Rundfunk Einhalt zu
gebieten, die Gefühle des gegenseitigen Mißtrauens, Argwohns und bösen Willens
erzeugt.
Es ist auch notwendig, die Bedingungen für eine normale Entwicklung der
Handelsbeziehungen zwischen unseren Ländern wiederherzustellen, da ein für beide
226 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Seiten vorteilhafter Handel die beste Grundlage für die Entwicklung der Beziehungen
zwischen Staaten und die Schaffung von Vertrauen zwischen ihnen ist.
Lassen Sie uns alles tun, um die wissenschaftlichen, kulturellen und sportlichen
Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu vertiefen. Man kann sich
vorstellen, welche fruchtbaren Ergebnisse zum Beispiel aus der Zusammenarbeit
zwischen sowjetischen und amerikanischen Wissenschaftlern in der Frage der
weiteren Nutzbarmachung der elementaren Kräfte der Natur im Interesse des
Menschen resultieren könnten.
Es besteht kein Zweifel daran, daß die Durchführung der oben genannten
Maßnahmen, die weder die Sicherheit noch die sonstigen Interessen irgendeines
Staates verletzen würden, von enormer Bedeutung für die Förderung einer gesunden
Atmosphäre in der gesamten internationalen Situation und für die Schaffung eines
Klimas des Vertrauens zwischen den Staaten wäre, ohne daß man nicht einmal von
der Sicherung eines dauerhaften Friedens zwischen den Völkern sprechen kann.
Die Schaffung des notwendigen Vertrauens in den Beziehungen zwischen den
Staaten würde es dann ermöglichen, mit der Umsetzung solch radikaler Maßnahmen
wie einer substanziellen Reduzierung der Streitkräfte und der Rüstung, dem
vollständigen Verbot von Atomwaffen, der Einstellung ihrer Produktion und der
Vernichtung der Lagerbestände, dem Abzug ausländischer Streitkräfte aus dem
Hoheitsgebiet aller Staaten, einschließlich der Mitgliedstaaten der NATO und des
Warschauer Pakts, und der Ersetzung der bestehenden militärischen
Zusammenschlüsse von Staaten durch ein kollektives Sicherheitssystem fortzufahren.
Die kritische Periode in der Entwicklung der internationalen Beziehungen, in der
wir jetzt leben, macht es vielleicht wie nie zuvor notwendig, realistische
Entscheidungen zu treffen, die mit den vitalen Interessen und dem Willen der Völker
übereinstimmen. Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt uns, wie viel zum Wohle der
Völker von Staatsmännern getan werden kann, die die Erfordernisse des historischen
Augenblicks richtig verstehen und in Übereinstimmung mit diesen Erfordernissen
handeln.
Da ich Sie, Herr Präsident, als einen Mann mit großem Weitblick und friedliebenden
Überzeugungen kenne, hoffe ich, daß Sie diese Botschaft richtig verstehen und im
Bewußtsein der Verantwortung, die den Führern der Vereinigten Staaten von Amerika
und der Sowjetunion in der gegenwärtigen Situation obliegt, die Bereitschaft
bekunden werden, die Anstrengungen unserer beiden Länder zu dem edlen Zweck zu
vereinen, den Lauf der Dinge in Richtung eines dauerhaften Friedens und einer
freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Nationen zu wenden.
Da wir persönlichen Kontakten zwischen Staatsmännern, die es erleichtern, einen
gemeinsamen Standpunkt zu wichtigen internationalen Problemen zu finden, große
Bedeutung beimessen, wären wir unsererseits bereit, uns auf ein persönliches Treffen
der Staatsoberhäupter zu einigen, um sowohl die in diesem Schreiben genannten als
auch andere Probleme zu erörtern. Die Teilnehmer des Treffens könnten sich auf diese
anderen Themen einigen, die möglicherweise erörtert werden müssen.
_____________

Erklärung von Präsident Eisenhower, zur deutschen Wiedervereinigung


und Berlin, 16. Dezember 1957 1
[AUSZUG]

Auch wenn wir auf Fortschritte hoffen können und unsere Londoner
Abrüstungsvorschläge für den ersten Schritt ohne politische Bedingungen angeboten

1 Ebenda, 6. Januar 1958, S. 6–7. Die Erklärung wurde auf der ersten Plenarsitzung des Treffens der NATO-

Regierungschefs abgegeben.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 227

wurden, können wir die Tatsache nicht ignorieren, daß eine Rüstungsreduzierung
angesichts akuter politischer Spannungen und schwerer internationaler
Ungerechtigkeiten nur selten stattgefunden hat.
Eine solche Ungerechtigkeit betrifft zutiefst eines unserer NATO-Mitglieder, die
Bundesrepublik Deutschland. Ich möchte noch einmal feierlich unsere feste
Entschlossenheit bekräftigen, daß Deutschland in Freiheit und friedlich
wiedervereinigt werden soll. Auf der Gipfelkonferenz vor über 2 Jahren wurde uns dies
von Herrn Chruschtschow und Herrn Bulganin formell und feierlich versprochen.
Leider wurde dieses Versprechen auf Kosten des internationalen Vertrauens, das die
sowjetischen Machthaber zu verteidigen vorgeben, gebrochen. Ebenso kann ich diese
Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne an unsere gemeinsame Besorgnis über den
Status von Berlin zu erinnern. Die eindeutigen Rechte der Westmächte in Berlin
müssen aufrechterhalten werden. Jedes Zeichen westlicher Schwäche an dieser
vorgeschobenen Stelle könnte missverstanden werden und schwerwiegende Folgen
haben.
_____________

Äußerungen auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zur


deutschen Wiedervereinigung, 10. Januar 1958 1
[AUSZÜGE]

* * * * * * *
F: Herr Minister, Sie und der Präsident haben bei einer Reihe von Gelegenheiten
die Notwendigkeit eines Akts des guten Willens seitens der Russen als Vorbedingung
für NATO-Verhandlungen, ein Gipfeltreffen oder etwas in dieser Art betont. Könnten
Sie uns Ihre realistischste Definition dessen geben, was Sie als einen Akt des guten
Willens seitens der Russen ansehen würden ?
A: Die realistischste und ermutigendste Maßnahme wäre die Umsetzung einiger
der zuvor getroffenen Vereinbarungen und insbesondere die Vereinbarung, die auf
dem letzten Gipfeltreffen mit den Sowjets getroffen wurde. Dort wurde festgestellt, daß
die vier Mächte ihre gemeinsame Verantwortung für das deutsche Problem und die
Wiedervereinigung Deutschlands anerkennen und darin übereinstimmen, daß die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen erfolgen soll. Diese
Vereinbarung war das wichtigste Ergebnis des Genfer Gipfeltreffens. Seitdem hat die
Sowjetunion den Standpunkt eingenommen, daß sie keine weitere Verantwortung für
die Wiedervereinigung Deutschlands habe und daß die Wiedervereinigung durch freie
Wahlen auf jeden Fall keine akzeptable Methode sei. Das stellt die Sinnhaftigkeit
dieser Treffen natürlich in Frage. Sie erinnern sich vielleicht, daß diesem Gipfeltreffen
der Abschluss des Österreichischen Staatsvertrags vorausging, bei dem die
Sowjetunion ernsthaft in Verzug war. Als Ergebnis zahlreicher Treffen, die wir zu
diesem Thema hatten, stimmte sie schließlich dem Staatsvertrag zu, und dieser wurde
am 15. Mai 1955 vollzogen. Damit war eine Voraussetzung geschaffen, die ein
Gipfeltreffen sinnvoll erscheinen ließ. In diesem Umfeld fand dann das Juli-Treffen
statt. Aber dieses Juli-Treffen hat wiederum zu einer Vereinbarung geführt, die bisher
von den Sowjets mit Bestimmtheit abgelehnt wurde, und ich würde denken, daß
zumindest ein möglicher Akt des guten Willens darin bestünde, die Bereitschaft zu
zeigen, die vorherige Vereinbarung einzuhalten. Ich möchte nicht behaupten, daß dies
eine absolute Voraussetzung ist. Aber Sie haben mich gefragt, was eine Handlung sein
könnte, die ein weiteres Gipfeltreffen lohnenswert erscheinen lassen würde. Das wäre
mit Sicherheit ein solcher Akt.

1 Pressemitteilung 7 des Außenministeriums, 10. Januar 1958.


228 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

F: Wenn ich nur einen Punkt weiterverfolgen dürfte, Sir, ist es der offizielle
Standpunkt dieser Regierung, daß Russland, wie Sie soeben angedeutet haben, die
Genfer Gipfelkonferenz im Hinblick auf eine Vereinbarung über Deutschland
abgelehnt hat ? Ich frage das aus dem besonderen Grund, weil es anscheinend keine
einheitliche Auffassung darüber gibt, ob die vier Mächte in Genf tatsächlich einer
praktikablen Wiedervereinigung Deutschlands zugestimmt haben.
A: Nun, die vier Mächte stimmten dem zu––ich glaube, ich habe es fast wörtlich
zitiert––sie stimmten zu, daß „die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie
Wahlen in Übereinstimmung mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und
den Interessen der europäischen Sicherheit durchgeführt werden soll“. Das ist ein
Zitat aus der Vereinbarung. Im Anschluss daran und auch in jüngster Zeit, nicht nur
auf dem Außenministertreffen, das kurz nach der Gipfelkonferenz stattfand, sondern
auch in einer Pressekonferenz, die Herr Gromyko in Moskau abhielt, bevor er zu den
Vereinten Nationen kam, erklärte die Sowjetunion, daß sie keine Verantwortung für
die Wiedervereinigung Deutschlands trage, und sie hatte zuvor gesagt, daß die
Wiedervereinigung durch freie Wahlen ein künstlicher, mechanistischer Weg sei, der
die in Ostdeutschland erreichten „sozialen Errungenschaften“ nicht bewahren würde
und daher inakzeptabel sei.
* * * * * * *
F: Herr Minister, was die Deutsche Frage betrifft, so wurden Sie vor einiger Zeit
nach dem Vorschlag gefragt, Deutschland zu neutralisieren, und Ihre Antwort lautete,
wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß dies ein Thema ist, das derzeit auf der
NATO-Konferenz diskutiert wird. Könnten Sie das näher erläutern ? Beziehen Sie sich
auf den sogenannten Polnischen Plan für eine atomwaffenfreie Zone oder auf eine
andere Maßnahme, oder halten Sie den Polnischen Plan selbst für eine
Neutralisierung ?
A: Ich nehme an, die Frage bezog sich, wie auch meine Antwort, in erster Linie auf
den polnischen Vorschlag, der mehr oder weniger im Bulganin-Brief wiederholt wurde.
Wie Sie anmerken, war das kein Vorschlag für eine totale Neutralisierung, sondern
für eine teilweise Neutralisierung, wenn Sie so wollen, im Sinne der Beseitigung von
Kernwaffen, Raketen und dergleichen aus dem Gebiet. Ich möchte jedoch hinzufügen,
daß zumindest einige unserer Verbündeten der Meinung zu sein scheinen, daß ein
solcher Schritt in der Praxis nicht von einer fast vollständigen Neutralisierung des
Gebietes zu unterscheiden wäre, denn wenn es nicht möglich ist, in dem Gebiet
moderne Waffen zu haben, dann könnte es unklug sein, überhaupt irgendwelche
Streitkräfte in dem Gebiet zu halten, da sie sich in einer sehr exponierten Lage
befinden würden.
* * * * * * *
__________

Schreiben von Präsident Eisenhower an Premierminister Bulganin, über


Deutschland, die europäische Sicherheit und Abrüstung, 12. Januar 1958 1
Als ich am 10. Dezember Ihre Mitteilung erhielt, bestätigte ich sie umgehend mit
dem Versprechen, Ihnen zu gegebener Zeit eine überlegte Antwort zu geben. Dies tue
ich nun.
Ihre Mitteilung scheint sich in drei Teile zu gliedern: die Notwendigkeit des
Friedens; Ihre Behauptung, daß der Frieden durch die kollektiven Selbstver-

1 Bulletin des Außenministeriums, 27. Januar 1958, S. 122–127.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 229

teidigungsbemühungen der Nationen der freien Welt gefährdet ist ; und Ihre
konkreten Vorschläge. Ich werde in der gleichen Reihenfolge antworten und meine
eigenen Vorschläge unterbreiten.

I.

Frieden und guter Wille unter den Menschen sind seit jeher der innige Wunsch der
Völker. Aber Friedensbekundungen von Regierungsführern waren nicht immer ein
zuverlässiger Hinweis auf ihre tatsächlichen Absichten. Außerdem scheint es mir
müßig zu sein, darüber zu diskutieren, welche unserer beiden Regierungen den
Frieden mehr will. Wir haben beide behauptet, daß unsere jeweiligen Völker sich den
Frieden sehnlichst wünschen, und vielleicht spüren Sie und ich diesen Drang
gleichermaßen. Der Kern der Sache ist die Festlegung der Bedingungen, unter denen
die Aufrechterhaltung des Friedens gewährleistet werden kann, und das Vertrauen,
das jeder von uns mit Recht darauf setzen kann, daß diese Bedingungen eingehalten
werden.
In den Vereinigten Staaten wünschen das Volk und seine Regierung Frieden und in
diesem Land übt das Volk eine solche verfassungsmäßige Kontrolle über die Regierung
aus, daß keine Regierung einen Angriffskrieg anzetteln könnte. Aufgrund der bereits
vom Kongress erteilten Befugnisse können und würden die Vereinigten Staaten sofort
reagieren, wenn wir oder einer unserer Verbündeten angegriffen würden. Aber die
Vereinigten Staaten können keinen Krieg ohne die vorherige Zustimmung der
Vertreter des Volkes im Kongress beginnen. Dieser Prozess erfordert Zeit und eine
öffentliche Debatte. Nicht nur würde unser Volk jeden Versuch, einen Angriff zu
starten, ablehnen, sondern es würde auch das Überraschungsmoment, das bei jedem
aggressiven Schritt so wichtig ist, völlig fehlen. Ein Angriffskrieg unsererseits ist nicht
nur verabscheuungswürdig, sondern auch unpraktikabel und unmöglich.
Die vergangenen vierzig Jahre bieten die Gelegenheit, die Friedensbilanz unserer
beiden Systeme im Vergleich zu beurteilen. Wir unterwerfen unsere nationale
Friedensbilanz gerne dem unparteiischen Urteil der Menschheit. Ich kann Ihnen
versichern, Herr Vorsitzender, daß in den Vereinigten Staaten die Friedenssicherung
in jedem Aspekt und jedem Element unseres nationalen Lebens Vorrang hat.

II.

Sie argumentieren, daß die Kriegsgefahr zunimmt, weil die Vereinigten Staaten und
andere Nationen der freien Welt ihre Sicherheit auf einer kollektiven Basis und auf
der Grundlage militärischer Bereitschaft suchen. Dreimal in diesem Jahrhundert
haben sich Kriege unter Umständen ereignet, die stark darauf hindeuten, wenn auch
nicht beweisen, daß es nicht zum Krieg gekommen wäre, wenn die Vereinigten Staaten
militärisch stark gewesen wären und sich im Voraus für die Verteidigung der
angegriffenen Nationen eingesetzt hätten.
Bei jeder dieser drei Gelegenheiten, als es zum Krieg kam, waren die Vereinigten
Staaten militärisch unvorbereitet oder schlecht vorbereitet, und es war nicht bekannt,
daß die Vereinigten Staaten denjenigen, die einer bewaffneten Aggression ausgesetzt
waren, zu Hilfe kommen würden. Doch nun scheinen Sie, Herr Vorsitzender, zu
behaupten, daß Schwäche und Uneinigkeit einen Krieg weniger wahrscheinlich
machen würden.
Ich darf vielleicht daran erinnern, daß die Sowjetunion im März 1939, als sie sich
relativ schwach und durch die faschistische Aggression bedroht fühlte, behauptete,
daß die Aggression grassierte, weil „die Mehrheit der nicht aggressiven Länder,
insbesondere England und Frankreich, die Politik der kollektiven Sicherheit abgelehnt
haben“, und Stalin fuhr fort: „Jedes Land soll sich so verteidigen, wie es will und kann
230 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

* * * bedeutet, der Aggression Vorschub zu leisten und dem Krieg freien Lauf zu
lassen“.
Jetzt ist die Sowjetunion nicht mehr schwach und sieht sich nicht mehr mit
mächtigen aggressiven Kräften konfrontiert. Der riesige chinesisch-sowjetische Block
umfasst fast eine Milliarde Menschen und große Ressourcen. Ein solcher Block würde
natürlich in der Welt dominieren, wenn die Nationen der freien Welt uneins wären.
Es ist nur natürlich, daß diejenigen, die der Welt ihr System aufzwingen wollen, es
vorziehen, daß diejenigen, die außerhalb dieses Systems stehen, schwach und
gespalten sind. Aber diese expansionistische Politik kann nicht durch Beteuerungen
des Friedens geheiligt werden.
Natürlich würden es die Vereinigten Staaten sehr bevorzugen, wenn die kollektive
Sicherheit auf einer universellen Basis durch die Vereinten Nationen erreicht werden
könnte.
Dies war die Hoffnung, als unsere beiden Regierungen und andere 1945 die Charta
der Vereinten Nationen unterzeichneten, mit der dem Sicherheitsrat die
Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit übertragen wurde. Mit dieser Charta erklärten wir uns
auch bereit, dem Sicherheitsrat Streitkräfte, Unterstützung und Einrichtungen zur
Verfügung zu stellen, damit der Rat den Weltfrieden und die internationale Sicherheit
aufrechterhalten und wiederherstellen kann.
Die Sowjetunion hat die Schaffung eines solchen universellen kollektiven
Sicherheitssystems beharrlich verhindert und den Sicherheitsrat durch ihr Vetorecht
––inzwischen 82 Mal––als Hüter des Friedens unzuverlässig gemacht.
Die Möglichkeit, daß der Sicherheitsrat unzuverlässig werden könnte, wurde auf
der Konferenz über die Weltorganisation in San Francisco befürchtet, und
dementsprechend wurde in der Charta anerkannt, daß die Nationen neben dem
Sicherheitsrat ein inhärentes Recht auf kollektive Selbstverteidigung besitzen und
ausüben können. Es wurde daher nicht nur für wünschenswert, sondern auch für
notwendig erachtet, daß die freien Nationen ihre Verteidigungsmaßnahmen
aufeinander abstimmen, wenn sie sicher und geschützt sein wollen.
Ich kann und will Ihnen, Herr Vorsitzender, zwei feierliche und kategorische
Zusicherungen geben.
( 1 ) Niemals werden die Vereinigten Staaten eine aggressive Aktion einer
kollektiven Verteidigungsorganisation oder eines ihrer Mitglieder unterstützen;
( 2 ) Stets werden die Vereinigten Staaten bereit sein, auf die Entwicklung
wirksamer kollektiver Sicherheitsmaßnahmen der Vereinten Nationen
hinzuwirken, die an die Stelle regionaler kollektiver Verteidigungsmaßnahmen
treten.
Ich komme nun zur Prüfung Ihrer konkreten Vorschläge.

III.

Nach sorgfältiger Prüfung Ihrer Vorschläge sehe ich mich gezwungen, zu dem
Schluss zu kommen, daß sie leider ungenau oder unvollständig in ihrer Bedeutung und
als Programm für produktive Friedensverhandlungen ungeeignet zu sein scheinen.
Sie scheinen zunächst davon auszugehen, daß die Verpflichtungen der Charta nicht
existieren und daß die Stimme der Vereinten Nationen nichts ist, was wir zu beachten
hätten.
Sie schlagen vor, daß wir uns darauf einigen sollten, die Unabhängigkeit der Länder
des Nahen und Mittleren Ostens zu respektieren und auf die Anwendung von Gewalt
bei der Regelung von Fragen im Zusammenhang mit dem Nahen und Mittleren Osten
zu verzichten. Aber durch die Charta der Vereinten Nationen sind wir bereits genau
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 231

diese Verpflichtungen gegenüber allen Ländern eingegangen, auch gegenüber denen


des Nahen und Mittleren Ostens. Wir hoffen zutiefst, daß die Sowjets sich an die
Bestimmungen der Charta ebenso gebunden fühlen wie wir, was ich Ihnen versichern
kann.
Sie schlagen auch vor, den Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Paktes
eine Art Nichtangriffsabkommen zu unterbreiten. Aber alle Mitglieder der NATO sind
bereits an die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen gegen Aggression
gebunden.
Sie schlagen vor, daß die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und die
Sowjetunion sich verpflichten sollten, keine Atomwaffen einzusetzen. Aber unsere drei
Nationen und andere haben sich bereits durch die Charta verpflichtet, keine Waffen
gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit irgendeines
Staates einzusetzen. Wir hoffen zutiefst, daß in keinem Land Waffen für einen solchen
unvertretbaren Zweck eingesetzt werden und daß die Sowjetunion eine ähnliche
Abneigung gegen jede Art von Aggression verspürt.
Sie schlagen vor, daß wir unsere Absicht verkünden sollten, zwischen uns
Beziehungen der Freundschaft und der friedlichen Zusammenarbeit zu entwickeln.
Eine solche Absicht wird von uns in der Tat bereits durch die Charta der Vereinten
Nationen, die wir unterzeichnet haben, zwischen uns und anderen proklamiert. Es
geht nicht darum, zu wiederholen, was wir bereits verkündet haben, sondern, Herr
Vorsitzender, im Rahmen der gegenwärtigen Charta konkrete Schritte zu
unternehmen, die diese Beziehungen der Freundschaft und der friedlichen
Zusammenarbeit herbeiführen werden. Erst im November letzten Jahres hat die
Kommunistische Partei der Sowjetunion eine Erklärung unterzeichnet und der Welt
verkündet, die darauf abzielt, den Triumph des Kommunismus in der ganzen Welt mit
allen Mitteln, die Gewalt nicht ausschließen, zu fördern, und die zahlreiche
verleumderische Hinweise auf die Vereinigten Staaten enthält. Ich muss darauf
hinweisen, daß eine solche Erklärung nur schwer mit dem Bekenntnis zur
Freundschaft oder gar zur friedlichen Koexistenz in Einklang zu bringen ist. Diese
Erklärung macht deutlich, wo die Verantwortung für den „Kalten Krieg“ liegt.
Sie schlagen vor, die Beziehungen zwischen uns auf „wissenschaftlicher, kultureller
und sportlicher Ebene“ zu vertiefen. Aber schon jetzt verhandeln unsere beiden Länder
über friedliche Kontakte, die noch weiter reichen als "wissenschaftlich, kulturell und
sportlich". Wir hoffen auf ein positives Ergebnis, auch wenn 1955, nach der
Gipfelkonferenz, als die Verhandlungen über solche Kontakte von unseren
Außenministern in Genf vorangetrieben wurden, die Ergebnisse gleich Null waren. Es
ist vor allem wichtig, daß unsere Völker die wahren Fakten übereinander erfahren.
Eine informierte öffentliche Meinung in unseren beiden Ländern ist für das richtige
Verständnis unserer Gespräche unerlässlich.
Sie schlagen vor, daß wir „normale“ Handelsbeziehungen als Teil der „friedlichen
Zusammenarbeit“, von der Sie sprechen, entwickeln. Wir begrüßen Handel, der keine
politischen oder kriegerischen Implikationen hat. Wir haben zwar Beschränkungen für
den Handel mit kriegswichtigen Gütern, aber wir errichten keine Hindernisse für den
friedlichen Handel.
Ihre übrigen Vorschläge beziehen sich auf die Rüstung. In diesem Zusammenhang
stelle ich mit großer Genugtuung fest, daß Sie sich gegen den „Wettbewerb bei der
Herstellung immer neuer Waffentypen“ aussprechen. Als ich diese Aussage las,
erwartete ich, Vorschläge zu lesen, die darauf abzielen, diese Produktion zu stoppen.
Aber ich wurde enttäuscht.
232 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Sie erneuern den oft wiederholten sowjetischen Vorschlag, daß die Vereinigten
Staaten, das Vereinigte Königreich und die Sowjetunion zwei oder drei Jahre lang
keine Kernwaffentests mehr durchführen sollten und Sie schlagen vor, daß in
Deutschland keine Kernwaffen stationiert oder hergestellt werden sollten. Sie fügen
die Möglichkeit hinzu, daß Polen und die Tschechoslowakei zu diesem Nicht-
Kernwaffengebiet hinzugefügt werden könnten.
Diese Vorschläge sind nicht geeignet, das eigentliche Problem der Aufrüstung zu
lösen. Der Kern dieses Problems ist, wie Sie sagen, die zunehmende Produktion neuer
Waffentypen, vor allem durch die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten.
Ihr Vorschlag zu Mitteleuropa wird natürlich von der NATO und den unmittelbar
betroffenen NATO-Ländern unter dem Gesichtspunkt seiner militärischen und
politischen Auswirkungen geprüft werden. Aber es kann nicht von großer Bedeutung
sein, ein kleines Gebiet zu entnuklearisieren, wenn, wie Sie sagen, „die Reichweite
moderner Waffentypen keine geographische Grenze kennt“ und wenn Sie jegliche
Maßnahmen zur Einstellung der Produktion solcher Waffen in die unbestimmte
Zukunft verschieben.
Ich stelle außerdem fest, daß Ihr Vorschlag zu Deutschland in keiner Weise mit der
Beendigung der Teilung dieses Landes zusammenhängt, sondern diese Teilung eher
noch verstärken würde. Es ist daher unrealistisch, den grundlegenden Zusammenhang
zwischen politischen Lösungen und Sicherheitsvereinbarungen zu ignorieren.
Sicherlich, Herr Vorsitzender, können und müssen wir in einer Zeit, in der wir eine
große Verantwortung für die Entwicklung der internationalen Lage tragen, mehr tun
als das, was Sie vorschlagen.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen einige eigene Vorschläge unterbreiten.

IV.

( 1 ) Ich schlage vor, daß wir die Vereinten Nationen stärken.


Diese Organisation und die in der Charta verankerten Zusagen ihrer Mitglieder sind
die beste Hoffnung der Menschheit auf Frieden und Gerechtigkeit. Die Vereinigten
Staaten fühlen sich durch ihre feierliche Verpflichtung gebunden, im Einklang mit den
Grundsätzen der Charta zu handeln. Wird die Sowjetunion nicht den Zweifel
ausräumen, daß sie sich ebenfalls an ihre Verpflichtungen aus der Charta gebunden
fühlt? Und können wir nicht vielleicht noch weiter gehen und die Autorität der
Vereinten Nationen stärken ?
Zu oft werden ihre Empfehlungen nicht beachtet.
Ich schlage vor, Herr Vorsitzender, daß wir uns wieder den Vereinten Nationen,
ihren Grundsätzen und Zielen und unseren Verpflichtungen aus der Charta widmen.
Aber ich würde noch mehr tun.
Zu oft wird der Sicherheitsrat durch ein Veto daran gehindert, die ihm von uns
übertragene Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit wahrzunehmen. Diese Verhinderung erstreckt sich sogar
auf das Vorschlagen von Verfahren für die friedliche Beilegung von Streitigkeiten.
Ich schlage vor, daß wir es zur Politik unserer beiden Regierungen machen, den
Sicherheitsrat zumindest nicht durch ein Veto daran zu hindern, Verfahren für die
friedliche Beilegung von Streitigkeiten gemäß Kapitel VI vorzuschlagen.
Nichts, davon bin ich überzeugt, würde der Welt mehr berechtigte Hoffnung geben
als die Überzeugung, daß unsere beiden Regierungen wirklich entschlossen sind, die
Vereinten Nationen zu dem wirksamen Instrument des Friedens und der
Gerechtigkeit zu machen, das sie ursprünglich sein sollten.
( 2 ) Wenn das Vertrauen wiederhergestellt werden soll, muss vor allem das
Vertrauen in das zugesagte Wort vorhanden sein. Wir haben den Eindruck, daß dieses
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 233

Vertrauen in beklagenswerter Weise nicht vorhanden ist. Das gilt besonders für zwei
Bereiche, in denen die Situation international Anlass zu großer Sorge gibt.
Ich beziehe mich in erster Linie auf Deutschland. Dies war das Hauptthema unseres
Treffens vom Juli 1955, und die einzige inhaltliche Vereinbarung, die in unserer
vereinbarten Richtlinie festgehalten wurde, war folgende :
Die Regierungschefs sind in Anerkennung ihrer gemeinsamen Verantwortung
für die Regelung der Deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands
übereingekommen, daß die Regelung der Deutschen Frage und die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit den
nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der
europäischen Sicherheit durchgeführt werden sollen.
Trotz unseres Drängens hat Ihre Regierung seit nunmehr zweieinhalb Jahren keine
Schritte unternommen, um diese Vereinbarung zu erfüllen oder dieser anerkannten
Verantwortung gerecht zu werden. Deutschland bleibt zwangsweise geteilt.
Dies ist ein großer Fehler, der mit der europäischen Sicherheit unvereinbar ist. Es
untergräbt auch das Vertrauen in die Unantastbarkeit unserer internationalen
Vereinbarungen.
Ich fordere daher, daß wir jetzt energisch vorgehen, um die Wiedervereinigung
Deutschlands durch freie Wahlen herbeizuführen, wie wir es vereinbart haben und wie
es die Lage dringend erfordert.
Ich versichere Ihnen, daß dieser Akt der einfachen Gerechtigkeit und des guten
Willens nicht zu einer erhöhten Gefährdung Ihres Landes führen muss. Die Folgen
wären genau das Gegenteil und würden sicherlich zu mehr Sicherheit führen. Im
Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Vereinigten
Staaten bereit, zusammen mit anderen spezifische Vereinbarungen über die Stärke
und den Einsatz von Streitkräften sowie weitreichende vertragliche Verpflichtungen
auszuhandeln, die sich nicht nur gegen eine Aggression richten, sondern auch eine
positive Reaktion im Falle einer Aggression in Europa gewährleisten.
Die zweite Situation, auf die ich mich beziehe, ist die der osteuropäischen Länder.
Die Chefs unserer beiden Regierungen und der Premierminister des Vereinigten
Königreichs waren sich 1945 einig, daß die Völker dieser Länder das Recht haben
sollten, die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen und daß unsere drei
Länder in dieser Hinsicht eine Verantwortung tragen. Wir drei vereinbarten, die
Bedingungen zu fördern, unter denen diese Völker ihr Recht auf freie Wahl ausüben
können.
Diese Vereinbarung ist bis heute nicht erfüllt worden.
Ich weiß, daß Ihre Regierung nicht bereit ist, diese Fragen zu diskutieren oder sie
als eine Angelegenheit von internationalem Interesse zu behandeln. Aber die
Regierungschefs haben sich 1945 in Jalta darauf geeinigt, daß diese Fragen von
internationalem Interesse sind, und wir haben ausdrücklich vereinbart, daß es
diesbezüglich internationale Konsultationen geben kann.
Dies war ein weiteres Thema, das auf unserem Treffen in Genf 1955 aufgegriffen
wurde. Sie haben damals den Standpunkt vertreten, daß es keinen Grund gäbe, diese
Frage auf unserer Konferenz zu erörtern und daß dies eine Einmischung in die inneren
Angelegenheiten der osteuropäischen Staaten bedeuten würde.
Aber hat die spätere Entwicklung nicht gezeigt, daß ich mit meinem Appell an Sie,
diese Fragen zu prüfen, Recht hatte? Die Entwicklungen in Ungarn und das nahezu
einstimmige Vorgehen der Generalversammlung der Vereinten Nationen in diesem
Zusammenhang zeigen doch, daß die Verhältnisse in Osteuropa in der ganzen Welt als
weit mehr als eine rein innerstaatliche Angelegenheit angesehen werden.
234 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Ich schlage vor, daß wir diese Angelegenheit jetzt diskutieren sollten. Dies scheint
mir im Interesse des Friedens und der Gerechtigkeit zwingend erforderlich zu sein.
( 3 ) Ich mache nun, Herr Vorsitzender, einen Vorschlag zur Lösung des meines
Erachtens wichtigsten Problems, dem die Welt heute gegenübersteht.
( a ) Ich schlage vor, daß wir uns darauf einigen, daß der Weltraum nur für
friedliche Zwecke genutzt wird. Wir stehen in dieser Angelegenheit vor einem
entscheidenden Moment in der Geschichte. Sowohl die Sowjetunion als auch die
Vereinigten Staaten nutzen derzeit den Weltraum für die Erprobung von Raketen für
militärische Zwecke. Es ist jetzt an der Zeit, damit aufzuhören.
Ich erinnere Sie daran, daß wir vor einem Jahrzehnt, als die Vereinigten Staaten
das Monopol auf Atomwaffen und atomare Erfahrung hatten, angeboten haben, auf
die Herstellung von Atomwaffen zu verzichten und die Nutzung der Atomenergie zu
einem internationalen Gut zu machen, das ausschließlich friedlichen Zwecken dient.
Wäre dieses Angebot von der Sowjetunion angenommen worden, gäbe es heute nicht
die von Ihnen beschriebene Gefahr durch Atomwaffen.
Die Nationen der Welt stehen heute vor einer anderen Entscheidung, die vielleicht
noch folgenschwerer ist als die von 1948. Sie betrifft die Nutzung des Weltraums.
Lassen Sie uns dieses Mal, und zwar rechtzeitig, die richtige Wahl treffen, die
friedliche Wahl.
Es werden demnächst mächtige neue Waffen entwickelt und produziert, die unter
Nutzung des Weltraums die Fähigkeit der Menschheit, sich selbst zu vernichten,
erheblich steigern werden. Wenn die Sowjetunion der Ansicht ist, daß wir nicht immer
neue Waffentypen produzieren sollten, können wir dann nicht die Produktion solcher
Waffen stoppen, die den Weltraum, der sich jetzt zum ersten Mal als Feld für die
Erforschung durch den Menschen öffnet, nutzen oder besser gesagt missbrauchen
würden? Sollte der Weltraum nicht der friedlichen Nutzung durch die Menschheit
gewidmet und nicht für Kriegszwecke genutzt werden ? Das ist mein Vorschlag.
( b ) Lassen Sie uns auch die jetzt ungehemmte Produktion von Atomwaffen
beenden. Auch dies wäre eine Antwort auf Ihr Drängen gegen „die Produktion immer
neuer Waffentypen“. Es kann sichergestellt werden, daß neu produziertes spaltbares
Material nicht für Waffenzwecke verwendet werden darf. Auch die vorhandenen
Waffenbestände können durch nachweisbare Transfers zu friedlichen Zwecken stetig
reduziert werden. Da unsere vorhandenen Waffenbestände zweifellos größer sind als
Ihre, würden wir erwarten, daß wir einen größeren Transfer zu friedlichen Zwecken
vornehmen als Sie. Ich würde mich freuen, von Ihnen einen Vorschlag zu erhalten, was
Sie in dieser Hinsicht für ein gerechtes Verhältnis halten.
( c ) Ich schlage vor, daß wir im Rahmen eines solchen Programms, das die
Anhäufung von Atomwaffen zuverlässig eindämmen und rückgängig machen wird, die
Erprobung von Atomwaffen einstellen, und zwar nicht nur für zwei oder drei Jahre,
sondern auf unbestimmte Zeit. Solange die Anhäufung dieser Waffen unkontrolliert
fortgesetzt wird, ist es besser, wenn wir in der Lage sind, Waffen zu entwickeln, die in
erster Linie militärisch und defensiv bedeutsam sind, und nach und nach die Waffen
zu beseitigen, die durch radioaktive Niederschläge große Teile des menschlichen
Lebens vernichten könnten. Aber wenn die Produktion gestoppt und der Trend
umgekehrt werden soll, wie ich vorschlage, dann sind Tests nicht mehr so notwendig.
( d ) Lassen Sie uns gleichzeitig Schritte unternehmen, um mit dem kontrollierten
und schrittweisen Abbau von konventionellen Waffen und militärischem Personal zu
beginnen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 235

( e ) Ich erneuere auch meinen Vorschlag, daß wir schrittweise Maßnahmen


ergreifen, um die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs zu verhindern. Ich erinnere
daran, Herr Vorsitzender, daß wir vor zweieinhalb Jahren bei unserem persönlichen
Treffen damit begonnen haben, darüber zu sprechen, aber nichts ist geschehen, obwohl
es eine breite Palette von Möglichkeiten gibt, wo man beginnen könnte.
Die Fähigkeit, die Erfüllung von Verpflichtungen zu überprüfen, ist in all diesen
Fragen, einschließlich des Abbaus konventioneller Streitkräfte und Waffen, von
entscheidender Bedeutung, und es wäre sicherlich nützlich, wenn wir gemeinsam in
technischen Gruppen untersuchen würden, welche Möglichkeiten es in dieser Hinsicht
gibt, auf denen wir aufbauen könnten, wenn wir uns dazu entschließen. Diese
technischen Studien könnten, wenn Sie es wünschen, ohne Verpflichtung zur
endgültigen Akzeptanz oder zur gegenseitigen Abhängigkeit der betreffenden
Vorschläge durchgeführt werden. Die Vereinten Nationen haben solche technischen
Studien oder die Möglichkeiten der Überprüfung und Überwachung als ersten Schritt
vorgeschlagen. Ich glaube, daß dies ein erster Schritt ist, der die Hoffnung in unseren
beiden Ländern und in der Welt fördern würde. Deshalb fordere ich dringend dazu auf,
diesen ersten Schritt zu tun.

V.

Ich habe Ihre Schlußfolgerung aufgegriffen, Herr Vorsitzender, daß Sie dem
persönlichen Kontakt zwischen Staatsmännern große Bedeutung beimessen und daß
Sie Ihrerseits bereit wären, sich auf ein persönliches Treffen der Staatsoberhäupter zu
einigen, um sowohl die in Ihrem Schreiben genannten als auch andere Probleme zu
erörtern.
Auch ich glaube, daß solche persönlichen Kontakte von Wert sein können. Das habe
ich mit meinem Besuch in Genf im Sommer 1955 bewiesen. Ich habe wiederholt
erklärt, daß es nichts gibt, was ich nicht tun würde, um die Sache eines gerechten und
dauerhaften Friedens zu fördern.
Aber Begegnungen zwischen uns führen nicht automatisch zu guten Ergebnissen.
Vorarbeit mit gutem Willen auf beiden Seiten ist eine Voraussetzung für den Erfolg.
Hochrangige Treffen, an denen wir Beide teilnehmen, wecken große Erwartungen und
bergen deshalb die Gefahr der Ernüchterung, der Enttäuschung und des verstärkten
Misstrauens, wenn die Treffen tatsächlich schlecht vorbereitet sind, wenn sie an den
eigentlichen Gefahrenursachen vorbeigehen, wenn sie in erster Linie der Propaganda
dienen oder wenn getroffene Vereinbarungen nicht eingehalten werden.
Daher, Herr Vorsitzender, ist dies mein Vorschlag :
Ich bin bereit, mit den sowjetischen Führern zusammenzutreffen, um die in Ihrem
Schreiben erwähnten und die von mir unterbreiteten Vorschläge zu erörtern,
gegebenenfalls in Anwesenheit von Führern anderer Staaten, die in bezug auf das eine
oder andere Thema, das wir erörtern wollen, Verantwortung übernommen haben. Es
wäre unerläßlich, daß diese komplexen Fragen vor einem solchen Treffen auf
diplomatischem Wege und von unseren Außenministern bearbeitet werden, damit die
Fragen in einer für unsere Entscheidungen geeigneten Form dargelegt werden können
und damit sichergestellt werden kann, daß ein solches Spitzentreffen tatsächlich gute
Aussichten bietet, die Sache des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt
voranzubringen. Es sollten auch Vorkehrungen getroffen werden, um andere
Regierungen, auf die ich bereits hingewiesen habe, angemessen in die
Vorbereitungsarbeiten einzubeziehen.
Ich habe Vorschläge gemacht, die mir unserer Aufmerksamkeit würdig erscheinen
und die dem Ernst unserer Zeit entsprechen. Sie befassen sich mit den grundlegenden
Problemen, die sich uns aufdrängen und die, wenn sie nicht gelöst werden, die
Erhaltung des Friedens immer schwieriger machen würden. Die sowjetische Führung
236 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

kann, indem sie den aufrichtigen Willen zur Lösung dieser grundlegenden Probleme
bekundet, einen unverzichtbaren Beitrag dazu leisten, die Hindernisse für die
freundschaftlichen Beziehungen und die friedlichen Bestrebungen, die die Völker der
ganzen Welt fordern, aus dem Weg zu räumen.
___________

Schreiben von Kanzler Adenauer an Ministerpräsident Bulganin, zur


Deutschen Wiedervereinigung, 21. Januar 1958 1
[Auszüge]

Mit Genugtuung habe ich Ihren beiden Briefen entnommen, daß die Regierung der
Sowjetunion bereit ist, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um jede
Möglichkeit einer Annäherung und einer Verständigung zwischen unseren beiden
Regierungen auszuloten. * * *
Sie können versichert sein, Herr Vorsitzender, daß es der ernsthafte Wunsch der
Bundesregierung ist, an der Verwirklichung dieser Ziele mitzuwirken. Alle
verantwortlichen Staatsmänner der Welt haben heute die Pflicht, zur Erhaltung des
Friedens beizutragen. * * *

UNGERECHTFERTIGTE VORWÜRFE

Vor diesem Hintergrund bedauere ich doppelt, daß Sie, Herr Vorsitzender, in Ihren
beiden letzten Schreiben schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und die
Regierungen ihrer Verbündeten erhoben haben, die völlig unberechtigt sind. * * *
Sie sagen zum Beispiel, Herr Vorsitzender, die Nordatlantische Gemeinschaft und
ihre Mitgliedstaaten würden eine aggressive Politik betreiben. Lassen Sie mich in aller
Ernsthaftigkeit und mit allem Nachdruck sagen, daß diese Behauptung falsch ist.
Die Nordatlantische Gemeinschaft wurde gegründet, um die Freiheit und Sicherheit
ihrer Mitglieder zu gewährleisten. Ihr einziges Ziel ist es, den Frieden in Europa und
in der Welt zu erhalten. * * * Wir haben wiederholt bekräftigt, daß der Vertrag
zwischen den 15 Nationen geschlossen wurde, um das Recht unserer Völker auf ein
Leben unter Regierungen ihrer Wahl in Frieden und Freiheit zu schützen. Die
Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, die jeden Angriffskrieg verbieten, sind
die Grundsätze, an denen wir in der Atlantischen Gemeinschaft ohne Einschränkung
oder Vorbehalt festhalten. * * *
Ich bedaure auch, daß Sie die Behauptung, die Bundesregierung behindere die
Abrüstung, immer wieder aufgreifen und wiederholen. Vier der fünf Mitglieder der
Unterkommission der Vereinten Nationen haben im vergangenen Jahr einen
Abrüstungsvorschlag vorgelegt, der die volle und uneingeschränkte Zustimmung der
Bundesregierung gefunden hat. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat
diese Vorschläge mit einer beeindruckenden Mehrheit angenommen. Es war die
Sowjetunion, die sie ablehnte. * * *
Sie behaupten außerdem, daß es immer offensichtlicher wird, daß die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland bereit ist, zur atomaren Bewaffnung überzugehen. Sie
wissen, Herr Vorsitzender, daß die Bundesregierung tatsächlich die einzige Regierung
eines souveränen Staates ist, die freiwillig auf die Produktion von Atom- und Kern-

1 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesrepublik Deutschland, 21. Januar 1958 ;
Übersetzung des deutschen Außenministeriums. Der Brief wurde von der deutschen Botschaft in Moskau am
21. Januar 1958 zugestellt.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 237

waffen verzichtet hat. Sie wissen, Herr Vorsitzender, daß dieser Verzicht darüber
hinaus einer vereinbarten Kontrolle innerhalb der Westeuropäischen Union
unterliegt.

EISENHOWER-VORSCHLÄGE WERDEN UNTERSTÜTZT

Der Präsident der Vereinigten Staaten hat in seiner Antwort klare Vorschläge
unterbreitet. Der Gegenstand dieser Vorschläge ist :
1 ) ein friedliches Abkommen über die Nutzung des kosmischen Raums zu
ausschließlich friedlichen Zwecken ;
2 ) ein Abkommen über die Einstellung der unbegrenzten Produktion von
Atomwaffen, den Verzicht auf die Produktion von spaltbarem Material für
kriegerische Zwecke und die Reduzierung der vorhandenen
Atomwaffenbestände ;
3 ) die Einstellung von Kernwaffentests ;
4 ) die Untersuchung von Möglichkeiten einer wirksamen Kontrolle der
Durchführung dieser Maßnahmen und gleichzeitig einer schrittweisen
Reduzierung der konventionellen Waffen und Streitkräfte.
Die Bundesregierung schließt sich diesen Vorschlägen in vollem Umfang an. Sie ist
bereit, jederzeit an deren Umsetzung mitzuwirken und sich ebenso wie alle anderen
Vertragspartner einer wirksamen und umfassenden Kontrolle zu unterwerfen * * *.
Ihre neuen Abrüstungsvorschläge haben mich enttäuscht. Sie plädieren u.a. für die
Einrichtung eines atomwaffenfreien Raumes in Europa, der das Deutsche Staatsgebiet
umfassen soll. Es scheint mir von entscheidender Bedeutung zu sein, sich nicht mit
der Nebenfrage zu beschäftigen, wo heute oder morgen Atomwaffen gelagert werden,
sondern mit der grundsätzlichen Frage des Verzichts auf die Produktion dieser Waffen.
Sie selbst, Herr Vorsitzender, haben in Ihrem ersten Brief an mich darauf
hingewiesen, daß der Einsatz solcher Vernichtungsmittel keine geographischen
Grenzen kennt. Diese Aussage scheint mir––und ich sage das mit Bedauern––leider
zutreffender zu sein, als der Hinweis in Ihrem zweiten Brief auf die Möglichkeit, daß
ein nichtatomares Gebiet vielleicht durch eine Garantie vor den Auswirkungen eines
Atomkrieges geschützt werden könnte * * *.

„DEUTSCHER BUND“ ABGELEHNT

Eine der größten Enttäuschungen war für mich, daß die Sowjetunion sich bis heute
der Verwirklichung eines auch von ihr anerkannten Zieles widersetzt und sich weigert,
eine auch von ihr anerkannte Verpflichtung zu erfüllen. [Die deutsche
Wiedervereinigung durch gesamtdeutsche Wahlen]. Aber meine Enttäuschung ist
besonders groß––und ich weiß, daß ich damit die Gefühle des ganzen deutschen Volkes
beiderseits dieser unglücklichen Trennungslinie ausdrücke––seit ich Ihren letzten
Brief gelesen habe. Der Weg, den Sie als Lösung der nationalen Aufgabe des ganzen
deutschen Volkes vorschlagen, nämlich ein Abkommen zwischen den beiden deutschen
Staaten auf der Grundlage der Anerkennung und allseitigen Wahrung ihrer
Interessen und die Errichtung eines––wie Sie es ausdrücken––„Deutschen Bundes“ ist
unmöglich.
Sie selbst, Herr Vorsitzender, sagen, daß die vitalen Interessen der Nationen
verlangen, daß alle Staaten die Grundsätze der friedlichen Koexistenz, der gegen-
seitigen Achtung, der territorialen Unverletzlichkeit und Souveränität, des Nicht-
angriffs, der völligen Gleichberechtigung und der Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten anderer Staaten anerkennen. Warum weigert sich die Sowjetunion
238 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

beharrlich, diese Grundsätze auch auf das deutsche Volk anzuwenden? * * *

DIPLOMATISCHE VERHANDLUNGEN STATT BRIEFE SCHREIBEN

Ich möchte mich heute auf diese Bemerkungen beschränken, die meines Erachtens
zur Klärung unserer jeweiligen Standpunkte beitragen können. Ich möchte den
Wunsch und die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß wir uns alle dazu entschließen
können, den öffentlichen Briefwechsel zu beenden, der mir nicht als geeignetes Mittel
zur Klärung grundlegender Meinungsverschiedenheiten erscheint.
Wir haben in den letzten Jahren leider die Erfahrung gemacht, daß auf diese Weise
keine Fortschritte erzielt werden können * * *.
Gerade deshalb * * * schlage ich vor, daß wir mehr als bisher von den bewährten
Möglichkeiten diplomatischer Verhandlungen Gebrauch machen, um unsere
Standpunkte zu erläutern und auf diese Weise eine Beseitigung der bestehenden
Schwierigkeiten vorzubereiten. Die Bundesregierung hält es daher im Einvernehmen
mit ihren Verbündeten für sinnvoll, die Möglichkeiten diplomatischer Kontakte in
vollem Umfang auszuschöpfen. Zwischenstaatliche Konferenzen, deren Notwendigkeit
außer Frage steht, haben vergleichsweise größere Erfolgsaussichten, wenn sie auf
diplomatischem Wege sorgfältig vorbereitet werden, als wenn ihnen ein polemischer
Briefwechsel vorausgeht, der nur dazu dienen kann, aufkeimendes Vertrauen zu
ersticken * * *.
Ich würde es daher aufrichtig begrüßen, wenn Sie meinem Vorschlag zustimmen
würden, diplomatische Gespräche aufzunehmen, die vielleicht auf einer
Außenministerkonferenz zu dem Punkt gebracht werden könnten, an dem die
Regierungschefs vor klaren Entscheidungen stehen, vielleicht zwischen Alternativen.
Die Lage ist so ernst, daß wir jedes geeignete Mittel ergreifen sollten, das uns eine
Chance bietet, konstruktive Lösungen zu finden. Wir sind es unseren Völkern und
künftigen Generationen schuldig, nichts unversucht zu lassen, einen dauerhaften
Frieden herbeizuführen.
____________

Kommuniqué zu den Gesprächen zwischen Außenminister Dulles und dem


Regierenden Bürgermeister Berlins Brandt, 10. Februar 1958 1
Der Außenminister empfing den Regierenden Bürgermeister von Berlin am 10.
Februar um 15.00 Uhr. Der Bürgermeister dankte ihm im Namen des Berliner Volkes
für die amerikanische Hilfe, die einen so wesentlichen Beitrag zur Stärkung des
kulturellen und wirtschaftlichen Lebens des freien Berlins geleistet habe.
Bürgermeister Brandt wies darauf hin, daß Berlin auch weiterhin wirtschaftliche
und finanzielle Hilfe benötige, damit dieser Vorposten der Freiheit weiterhin seine
wichtige Rolle spielen könne.
Der Außenminister versicherte dem Bürgermeister, daß Berlin angesichts der
einzigartigen Lage der Stadt und ihrer Bedeutung für den Rest der Welt für die
Vereinigten Staaten von großem Interesse sei. Darüber hinaus sind die Sicherheit und
das Wohlergehen der Stadt und ihr kontinuierlicher Fortschritt von unmittelbarem
Interesse für diese Regierung, wie bei vielen Gelegenheiten in der Vergangenheit
erklärt wurde.
Der Außenminister betonte insbesondere die Politik dieser Regierung, den
ungehinderten Zugang für Personen und Güter von und nach Berlin zu gewährleisten,

1 Pressemitteilung 61 des Außenministeriums, 10. Februar 1958.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 239

wie er in den Vier-Mächte-Abkommen von New York und Paris garantiert ist.
Abschließend drückte der Sekretär seine Freude über die anhaltende
Standhaftigkeit der Berliner Bevölkerung aus. Er begrüßte die Zusicherung des
Regierenden Bürgermeisters, daß die Stadt unter seiner Führung weiterhin ihre
einzigartige Aufgabe erfüllen werde, sowohl als Ausdruck der Werte und kulturellen
Errungenschaften der freien Welt als auch als Bindeglied zwischen den freien Völkern
und denjenigen, die derzeit nicht in der Lage sind, ihre grundlegenden
Menschenrechte wahrzunehmen.
____________

Note des polnischen Außenministers (Rapacki) an den amerikanischen


Botschafter (Beam), über die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone, 14.
Februar 1958 1
Ich möchte mich auf das Gespräch beziehen, das ich am 9. Dezember 1957 mit dem
Charge d'Affaires der Botschaft der Vereinigten Staaten in Warschau geführt habe. In
diesem Gespräch habe ich den Standpunkt der polnischen Regierung zu den
Tendenzen, die nukleare Aufrüstung in Europa zu vereinheitlichen, und insbesondere
zur Beschleunigung der Aufrüstung in Westdeutschland dargelegt. Die Gefahr
weiterer Komplikationen, vor allem in Mitteleuropa, wo die gegnerischen militärischen
Gruppierungen in direkten Kontakt kommen, und die offensichtliche Gefahr einer
Zunahme der internationalen Spannungen haben die polnische Regierung damals
veranlasst, auf diplomatischem Wege direkte Gespräche über den polnischen
Vorschlag einzuleiten, der der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2.
Oktober 1957 vorgelegt wurde und die Einrichtung einer kernwaffenfreien Zone in
Mitteleuropa betrifft.
Dieser Vorschlag hat in Regierungs- und politischen Kreisen sowie in breiten
Schichten der öffentlichen Meinung in vielen Ländern ein breites Interesse
hervorgerufen.
Unter Berücksichtigung einer Reihe von Meinungen, die in Erklärungen im
Zusammenhang mit dem polnischen Vorschlag geäußert wurden, und im Hinblick auf
die Erleichterung der Verhandlungen hat die polnische Regierung beschlossen, eine
ausführlichere Ausarbeitung ihres Vorschlags vorzulegen. Dies kommt in dem
beigefügten Memorandum zum Ausdruck, das gleichzeitig von der polnischen
Regierung an die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken sowie an die Regierungen anderer interessierter
Länder übermittelt wird.
Die polnische Regierung ist sich der Tatsache bewußt, daß die Lösung des Problems
der Abrüstung auf weltweiter Ebene in erster Linie Verhandlungen zwischen den
Großmächten und anderen betroffenen Ländern erfordert. Deshalb unterstützt die
polnische Regierung den Vorschlag der Regierung der UdSSR, ein Treffen führender
Staatsmänner auf höchster Ebene unter Beteiligung der Regierungschefs
einzuberufen. Ein solches Treffen könnte auch zu einer Einigung in der Frage der
Einrichtung einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa führen, falls in der
Zwischenzeit keine Einigung zwischen den betroffenen Ländern zustande kommt. In
jedem Fall würde die derzeitige Aufnahme von Gesprächen über die Frage einer

1 Bulletin des Außenministeriums, 19. Mai 1958, S. 822–823. Die Vereinigten Staaten antworteten auf diese
Note am 3. Mai 1958 (siehe unten). Siehe auch die Ansprache von Außenminister Rapacki vom 2. Oktober
1957, das Schreiben von Premier Bulganin vom 10. Dezember 1957 und das Schreiben von Präsident
Eisenhower vom 12. Januar 1958 (siehe oben).
240 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa zu einem erfolgreichen Verlauf des


obengenannten Treffens beitragen.
Die polnische Regierung bringt die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Regierung der
Vereinigten Staaten das beigefügte Memorandum prüfen wird und daß die darin
enthaltenen Vorschläge auf das Verständnis der Regierung der Vereinigten Staaten
stoßen werden. Die polnische Regierung wäre ihrerseits bereit, den
Meinungsaustausch über dieses Problem mit der Regierung der Vereinigten Staaten
fortzusetzen.

MEMORANDUM

Am 2. Oktober 1957 legte die Regierung der Volksrepublik Polen der


Generalversammlung der Vereinten Nationen einen Vorschlag über die Einrichtung
einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa vor. Die Regierungen der
Tschechoslowakei und der Deutschen Demokratischen Republik erklärten ihre
Bereitschaft, dieser Zone beizutreten.
Die Regierung der Volksrepublik Polen ging von der Überzeugung aus, daß die
Einrichtung der vorgeschlagenen kernwaffenfreien Zone zu einer Verbesserung der
internationalen Atmosphäre führen könnte und eine breitere Diskussion über die
Abrüstung sowie die Lösung anderer kontroverser interner Fragen erleichtern könnte,
während die Fortführung der nuklearen Rüstung und ihre allgemeine Verbreitung nur
zu einer weiteren Verfestigung der Spaltung Europas in gegensätzliche Blöcke und zu
einer weiteren Verkomplizierung der Lage, insbesondere in Mitteleuropa, führen
könnte.
Im Dezember 1957 erneuerte die Regierung der Volksrepublik Polen ihren
Vorschlag auf diplomatischem Wege.
In Anbetracht der weitreichenden Resonanz, die die polnische Initiative
hervorgerufen hat und unter Berücksichtigung der Vorschläge, die sich aus der
Diskussion über diesen Vorschlag ergeben haben, legt die Regierung der Volksrepublik
Polen hiermit eine ausführlichere Ausführung ihres Vorschlags vor, die die Aufnahme
von Verhandlungen und das Zustandekommen einer Vereinbarung zu diesem Thema
erleichtern kann.
I. Die vorgeschlagenen Zonen sollten das Gebiet von : Polen, der Tschechoslowakei,
der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland
beinhalten. In diesem Gebiet würden weder Kernwaffen hergestellt noch gelagert
werden, die für ihre Wartung bestimmten Ausrüstungen und Anlagen würden sich
dort nicht befinden; der Einsatz von Kernwaffen gegen das Gebiet dieser Zone wäre
verboten.
II. Der Inhalt der Verpflichtungen, die sich aus der Einrichtung der
kernwaffenfreien Zone entstehenden Verpflichtungen würde auf den folgenden
Prämissen beruhen :
1. Die Staaten, die zu dieser Zone gehören, würden sich verpflichten, keine
Kernwaffen jeglicher Art für den eigenen Gebrauch herzustellen, zu unterhalten oder
einzuführen und nicht zuzulassen, daß sich in ihrem Hoheitsgebiet Kernwaffen
befinden, sowie keine Anlagen und Ausrüstungen für die Wartung von Kernwaffen,
einschließlich Abschussvorrichtungen für Raketen, zu installieren oder in ihr
Hoheitsgebiet einzulassen.
2. Die vier Mächte (Frankreich, Vereinigte Staaten, Großbritannien und UdSSR)
würden die folgenden Verpflichtungen eingehen :
( A ) Keine Kernwaffen in der Bewaffnung ihrer Streitkräfte zu unterhalten,
die auf dem Territorium von Staaten stationiert sind, die zu dieser Zone
gehören ; auf dem Territorium dieser Staaten keine Anlagen oder Ausrüstungen
zu unterhalten oder zu installieren, die für die Wartung von Kernwaffen
bestimmt sind, einschließlich Abschussvorrichtungen für Raketen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 241

( B ) weder Kernwaffen noch Anlagen und Ausrüstungen, die für die Wartung
von Kernwaffen bestimmt sind, in irgendeiner Weise und aus welchem Grund
auch immer an Regierungen oder andere Organe in diesem Gebiet
weiterzugeben.
3. Die Mächte, die über Kernwaffen verfügen, sollten sich verpflichten, diese
Waffen nicht gegen das Gebiet der Zone oder gegen Ziele in dieser Zone einzusetzen.
Die Mächte würden sich somit verpflichten, den Status der Zone als ein Gebiet zu
respektieren, in dem es keine Kernwaffen geben darf und gegen das keine Kernwaffen
eingesetzt werden dürfen.
4. Andere Staaten, deren Streitkräfte auf dem Territorium eines Staates der Zone
stationiert sind, würden sich ebenfalls verpflichten, keine Kernwaffen in der
Ausrüstung dieser Streitkräfte zu halten und solche Waffen nicht an Regierungen oder
andere Organe in diesem Gebiet weiterzugeben. Sie werden auch keine Ausrüstungen
oder Anlagen für die Wartung von Kernwaffen, einschließlich Abschussvorrichtungen
für Raketen, auf dem Hoheitsgebiet von Staaten in der Zone installieren oder sie an
Regierungen oder andere Organe in diesem Gebiet weitergeben.
Die Modalitäten und das Verfahren für die Umsetzung dieser Verpflichtungen
könnten Gegenstand detaillierter gegenseitiger Vereinbarungen sein.
III. Um die Wirksamkeit und Durchführung der in Teil II Absätze 1-2 und 4
enthaltenen Verpflichtungen zu gewährleisten, verpflichten sich die betreffenden
Staaten, ein System umfassender und wirksamer Kontrollen im Gebiet der
vorgeschlagenen Zone zu schaffen und sich dessen Funktionieren zu unterwerfen.
1. Dieses System könnte sowohl die Kontrolle vom Boden als auch aus der Luft
umfassen. Es könnten auch geeignete Kontrollstellen eingerichtet werden, die mit
Rechten und Handlungsmöglichkeiten ausgestattet sind, die die Wirksamkeit der
Kontrolle gewährleisten. Die Einzelheiten und Formen der Durchführung der
Kontrolle können auf der Grundlage der bisher auf diesem Gebiet gesammelten
Erfahrungen sowie auf der Grundlage der von verschiedenen Staaten im Verlauf der
Abrüstungsverhandlungen unterbreiteten Vorschläge vereinbart werden und zwar in
der Form und in dem Umfang, in dem sie an das Gebiet der Zone angepaßt werden
können.
Das für die kernwaffenfreie Zone eingerichtete Kontrollsystem könnte nützliche
Erfahrungen für die Umsetzung eines umfassenderen Abrüstungsabkommens liefern.
2. Für die Überwachung der Erfüllung der vorgeschlagenen Verpflichtungen sollte
ein angemessener Kontrollmechanismus eingerichtet werden. Daran könnten zum
Beispiel Vertreter teilnehmen, die von den Organen des Nordatlantikpakts und des
Warschauer Vertrags ernannt werden (zusätzliche persönliche Ernennungen nicht
ausgeschlossen). Auch Staatsangehörige oder Vertreter von Staaten, die keiner
militärischen Gruppierung in Europa angehören, könnten daran teilnehmen.
Das Verfahren der Einrichtung, Arbeitsweise und Berichterstattung der
Kontrollorgane kann Gegenstand weiterer gegenseitiger Vereinbarungen sein.
IV. Die einfachste Form, die Verpflichtungen der in die Zone einbezogenen Staaten
festzuschreiben, wäre der Abschluss eines entsprechenden internationalen
Übereinkommens. Um jedoch Verwicklungen zu vermeiden, die einige Staaten in einer
solchen Lösung sehen könnten, kann vereinbart werden, daß :
1. Diese Verpflichtungen werden in Form von vier einseitigen Erklärungen
festgehalten, die den Charakter einer internationalen Verpflichtung haben, die
bei einem einvernehmlich vereinbarten Depositarstaat hinterlegt wird.
242 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

2. Die Verpflichtungen der Großmächte sind in Form eines gegenseitigen


Dokuments oder einer einseitigen Erklärung/wie oben in Absatz 1/ erwähnt,
festzulegen ;
3. Die Verpflichtungen anderer Staaten, deren Streitkräfte im Gebiet der
Zone stationiert sind, werden in Form von einseitigen Erklärungen /wie oben in
Nummer 1/ erwähnt, festgelegt.
Auf der Grundlage der obengenannten Vorschläge schlägt die Regierung der
Volksrepublik Polen vor, Verhandlungen zur weiteren detaillierten Ausarbeitung des
Plans für die Errichtung der kernwaffenfreien Zone, der damit verbundenen
Dokumente und Garantien sowie der Instrumente zur Erfüllung der eingegangenen
Verpflichtungen einzuleiten.
Die Regierung der Volksrepublik Polen hat Grund zu der Feststellung, daß die
Annahme des Vorschlags über die Errichtung einer kernwaffenfreien Zone in
Mitteleuropa das Zustandekommen einer Vereinbarung über die angemessene
Reduzierung der konventionellen Rüstung und der auf dem Territorium der in der
Zone eingeschlossenen Staaten stationierten ausländischen Streitkräfte erleichtern
wird.
____________

Aide-Memoire des sowjetischen Außenministers (Gromyko) an den


amerikanischen Botschafter (Thompson), Vorschlag für ein Gipfeltreffen,
28. Februar 1958 1
[Inoffizielle Übersetzung]

Die sowjetische Regierung misst der baldigen Abhaltung einer Konferenz auf
höchster Ebene unter Beteiligung der Regierungschefs zur Erörterung einer Reihe
dringender internationaler Fragen große Bedeutung bei.
Man kann schon jetzt mit Bestimmtheit sagen, daß der Vorschlag zur Einberufung
einer solchen Konferenz, der in den letzten Monaten Gegenstand eines
Meinungsaustausches zwischen den Regierungen einer Reihe von Staaten war, bei den
Regierungen und den breitesten Kreisen der Öffentlichkeit vieler Länder auf
Zustimmung und Unterstützung gestoßen ist.
Die Völker fordern, daß wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um den drohenden
Ausbruch eines Krieges unter Einsatz von Atom- und Wasserstoffwaffen zu
verhindern, daß ein scharfer Schnitt in Richtung auf die Verbesserung der gesamten
internationalen Situation, auf die Schaffung von Bedingungen für die friedliche
Zusammenarbeit aller Staaten gemacht wird. Die Völker erwarten von der
bevorstehenden Gipfelkonferenz die Lösung eben dieser historischen Aufgabe.
Der Schriftwechsel zwischen dem Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR und
dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der vor kurzem stattgefunden
hat, hat gezeigt, daß die Regierungen beider Länder für ein Treffen der führenden
Persönlichkeiten der Staaten auf höchster Ebene eintreten.
Es gibt jedoch noch eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit der Vorbereitung
einer Gipfelkonferenz, über die unbedingt unverzüglich eine Einigung erzielt werden
muss, um die Einberufung der Konferenz zu beschleunigen.
Nach Ansicht der Sowjetischen Regierung ist es zur Herbeiführung einer solchen
Einigung notwendig, alle Mittel und Wege auszuschöpfen, die zu einer möglichst
raschen Verständigung beitragen.

1 Bulletin des Außenministeriums. 24. März 1958, S. 459–461. Für den Text der amerikanischen Antwort
(6. März 1958), siehe unten.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 243

Zahlreiche Fragen der Vorbereitung der Konferenz können unverzüglich auf


diplomatischem Wege geprüft und entschieden werden. Andererseits haben die
Regierungen einer Reihe von Staaten, darunter die Vereinigten Staaten von Amerika,
die Meinung geäußert, daß die Durchführung der Vorbereitungen nicht nur auf
diplomatischem Wege erfolgen sollte und daß es ab einem bestimmten Stadium
zweckmäßig wäre, eine Konferenz der Außenminister einzuberufen.
Unter Berücksichtigung dieser Wünsche erklärt sich die Sowjetische Regierung
damit einverstanden, eine Konferenz der Außenminister abzuhalten, um die
Vorbereitung eines Gipfeltreffens unter Beteiligung der Regierungschefs zu
beschleunigen. Die Sowjetische Regierung schlägt vor, im April 1958 eine Konferenz
der Außenminister abzuhalten.
Da das Ziel einer solchen Ministerkonferenz darin bestehen muß, die
Vorbereitungszeit für das Gipfeltreffen unter Beteiligung der Regierungschefs auf ein
Minimum zu verkürzen, sollte der Umfang der Fragen, die den Ministern zur
Erörterung vorgelegt werden, nach Ansicht der Sowjetischen Regierung strikt auf
Fragen beschränkt werden, die die organisatorische Seite der Vorbereitung eines
Gipfeltreffens betreffen.
Die sowjetische Regierung ist der Ansicht, daß die Außenminister beauftragt werden
sollten, die Tagesordnung der Konferenz auf dem Gipfel auszuarbeiten, die
Zusammensetzung der Teilnehmer, den Zeitpunkt und den Ort der Durchführung
festzulegen.
Was die Zusammensetzung der Teilnehmer der Außenministerkonferenz anbelangt,
so sollten nach Ansicht der sowjetischen Regierung etwa die gleichen Länder vertreten
sein, die an dem Treffen auf höchster Ebene teilnehmen werden. Die Sowjetische
Regierung hat ihrerseits bereits Vorstellungen über die Zusammensetzung einer
solchen Konferenz geäußert. An ihr könnten Vertreter aller Staaten des
Nordatlantischen Bündnisses und der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages
sowie Vertreter einer Reihe von Staaten teilnehmen, die nicht an Militärblöcken
beteiligt sind, wie z.B. Indien, Afghanistan, Ägypten, Jugoslawien, Schweden,
Österreich. Sollte es aus dem einen oder anderen Grund für wünschenswert erachtet
werden, die Außenministerkonferenz in einer engeren Zusammensetzung abzuhalten,
so könnten nach Ansicht der Sowjetischen Regierung folgende Staaten daran
teilnehmen : Vereinigte Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien,
UdSSR, Polen, Tschechoslowakei, Rumänien, Indien, Jugoslawien, Schweden. In
dieser Hinsicht sollte eine solche mögliche Begrenzung der Zusammensetzung der
Teilnehmer der Außenministerkonferenz in keiner Weise die Frage der
Zusammensetzung der bevorstehenden Gipfelkonferenz vorwegnehmen.
Die sowjetische Regierung ist mit der Einberufung der Außenministerkonferenz an
einem Ort einverstanden, der für die anderen Teilnehmer einer solchen Konferenz
akzeptabel sein wird.
Die Vorstellungen der sowjetischen Regierung über die Tagesordnung der Konferenz
auf höchster Ebene unter Beteiligung der Regierungschefs sind der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika bereits bekannt. Die Sowjetische Regierung schlägt
vor, auf dieser Konferenz die folgenden dringenden internationalen Fragen zu
erörtern :
––die sofortige Einstellung der Atom- und Wasserstoffwaffentests ;
––der Verzicht der UdSSR, der Vereinigten Staaten von Amerika und
Großbritanniens auf den Einsatz von Atomwaffen ;
244 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

––die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa ;


––den Abschluß eines Nichtangriffsabkommens zwischen den Staaten des
Nordatlantischen Bündnisses und den Teilnehmerstaaten des Warschauer
Vertrages ;
––die Verringerung der Zahl ausländischer Truppen auf dem Gebiet
Deutschlands und innerhalb der Grenzen anderer europäischer Staaten;
die Ausarbeitung eines Abkommens über Fragen im Zusammenhang mit der
Verhinderung plötzlicher Angriffe ;
––Maßnahmen zum Ausbau der internationalen Handelsbeziehungen; die
Beendigung der Kriegspropaganda ;
––Wege zum Abbau der Spannungen im Gebiet des Nahen und Mittleren
Ostens.
Außerdem ist die sowjetische Regierung, wie sie bereits mehrfach betont hat, bereit,
auf der Konferenz auch andere konstruktive Vorschläge zur Beendigung des „Kalten
Krieges“, die von anderen Konferenzteilnehmern eingebracht werden könnten, mit
allgemeiner Zustimmung zu diskutieren.
Nach sorgfältiger Prüfung der in den Botschaften des Präsidenten der Vereinigten
Staaten von Amerika, D. Eisenhower, an den Vorsitzenden des Ministerrats der
UdSSR, N. A. Bulganin, enthaltenen Gedanken bringt die Sowjetische Regierung ihre
Bereitschaft zum Ausdruck, auf der Gipfelkonferenz auch die folgenden Fragen zu
erörtern :
––Verbot der Nutzung des kosmischen Raums für militärische Zwecke und
Auflösung ausländischer Militärstützpunkte auf fremden Territorien. Eine
Einigung in dieser wichtigen Frage würde die Gefahr eines plötzlichen
Kriegsausbruchs erheblich verringern und wäre ein großer Schritt zur
Gewährleistung der Bedingungen für ein ruhiges und friedliches Leben der
Völker ;
––Abschluss eines deutschen Friedensvertrages. Zur Erörterung dieser Frage
schlägt die Sowjetische Regierung vor, Vertreter der Deutschen Demokratischen
Republik und der Bundesrepublik Deutschland hinzuzuziehen.
Selbstverständlich kann die Frage der Vereinigung der Deutschen
Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu einem Staat,
die ausschließlich in die Zuständigkeit dieser beiden deutschen Staaten fällt,
nicht Gegenstand der Erörterung auf einer bevorstehenden Gipfelkonferenz
sein ;
––die Entwicklung von Bindungen und Kontakten zwischen den Ländern. Die
Sowjetische Regierung hat sich unverrückbar für die Entwicklung solcher
Kontakte in jeder möglichen Weise eingesetzt. Sie teilt die in der Botschaft von
Präsident Eisenhower vom 15. Februar dieses Jahres zum Ausdruck gebrachte
Auffassung von der Bedeutung dieser Art von Kontakten. Die Sowjetische
Regierung misst ihrerseits der Unterstützung systematischer persönlicher
Kontakte zwischen führenden Persönlichkeiten der Staaten zum
Meinungsaustausch über aktuelle internationale Fragen im Interesse der
Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und der Festigung des allgemeinen
Friedens große Bedeutung bei.
Gleichzeitig hält die Sowjetische Regierung, wie sie bereits mehrfach betont hat, die
Erörterung solcher Fragen, die den Bereich der inneren Angelegenheiten dieses oder
jenes Staates betreffen, auf einer Gipfelkonferenz und überhaupt auf jeder
internationalen Konferenz für völlig unmöglich. Die von der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika aufgeworfene Frage bezüglich der Lage in den Ländern
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 245

Osteuropas gehört genau in diese Kategorie. Die Erörterung dieser Art von Fragen
würde eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner
Staaten bedeuten, ein Weg, den die Sowjetunion unter keinen Umständen beschreiten
wird. Die sowjetische Regierung kann im allgemeinen nicht verstehen, warum sie mit
Vorschlägen zur Erörterung der inneren Angelegenheiten von Drittländern
konfrontiert wird, die souveräne Staaten sind und mit denen sowohl die Regierung der
UdSSR als auch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika normale
diplomatische Beziehungen unterhalten. Nach Ansicht der sowjetischen Regierung
bedeutet das Aufwerfen von Fragen dieser Art, daß man bewusst eine Verschärfung
der Beziehungen zwischen den Staaten herbeiführt, daß man bewusst die Erzielung
einer Verständigung über dringende Fragen der Beendigung des „Kalten Krieges“ und
des Abbaus internationaler Spannungen gefährdet.
Die sowjetische Regierung ist der Auffassung, daß es für den Erfolg der Konferenz
auf höchster Ebene unerläßlich ist, daß sich die Aufmerksamkeit der
Konferenzteilnehmer auf solche Fragen konzentriert, deren Lösung tatsächlich zur
Verringerung der internationalen Spannungen, zur Stärkung des Vertrauens
zwischen den Staaten und zur Festigung des Friedens beitragen wird.
Die sowjetische Regierung gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika die oben dargelegten Erwägungen in einem
positiven Sinne betrachten wird.
_____________

Schreiben von Premierminister Bulganin an Präsident Eisenhower,


betreffend ein Gipfeltreffen, 3. März 1958 1
[Offizielle Übersetzung]

Ich habe Ihre Botschaft vom 15. Februar erhalten und halte es für notwendig, zu
den in Ihrer Botschaft angesprochenen Fragen Stellung zu nehmen.
Es ist fast drei Monate her, daß die Sowjetische Regierung, besorgt über die für den
Frieden gefährliche Entwicklung der internationalen Lage, den Vorschlag
unterbreitete, eine Konferenz der höchsten Regierungsbeamten einzuberufen, um eine
Reihe dringender Probleme zu lösen und durch gemeinsame Anstrengungen wirksame
Methoden zur Entspannung der internationalen Lage und zur Beendigung des „Kalten
Krieges“ zu bestimmen.
Schon jetzt ist offensichtlich, daß der Gedanke, Verhandlungen auf höchster Ebene
zu führen, bei den Regierungen und weiten Kreisen der Öffentlichkeit in vielen
Ländern auf Zustimmung und Unterstützung stößt. Dies ist umso verständlicher, als
das höchste Interesse aller Völker––das Interesse an der Erhaltung und Festigung des
Friedens––es unablässig gebietet, dem weiteren Abdriften in den Krieg ein Ende zu
bereiten, die Atmosphäre des Mißtrauens, der Drohungen und der militärischen
Vorbereitungen zu zerstreuen und den Weg des friedlichen Zusammenlebens und des
geschäftsmäßigen Zusammenwirkens aller Staaten einzuschlagen.
In unseren gegenseitigen Briefen der letzten Monate haben wir unsere Ansichten
über die Abhaltung einer Gipfelkonferenz ausgetauscht, und ich bin der Meinung, daß
dieser Meinungsaustausch eine positive Bedeutung hatte und bei der Vorbereitung
eines solchen Treffens eine konkrete Rolle gespielt hat. Unsere Korrespondenz hat vor

1 Bulletin des Außenministeriums, 21. April 1858, S. 648–652. Siehe auch die trilaterale Erklärung vom 31.
März 1958 (siehe unten).
246 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

allem gezeigt, daß die Regierungen unserer beiden Länder allgemein der Meinung
sind, daß eine Konferenz der höchsten Regierungsbeamten wünschenswert ist und daß
ihr erfolgreicher Ausgang die gesamte internationale Lage günstig beeinflussen kann.
Darüber hinaus hatten wir Gelegenheit, unsere Ansichten zu einer Reihe spezifischer
Probleme vorläufig darzulegen, was an sich schon nützlich ist, da es die Suche nach
einer für beide Seiten annehmbaren Verhandlungsgrundlage erleichtert.
In Ihrer Botschaft vom 15. Februar behaupten Sie, Herr Präsident, die Sowjetische
Regierung bestehe darauf, daß nur ihre eigenen Vorschläge von den
Konferenzteilnehmern erörtert werden und weigere sich, die von der Regierung der
Vereinigten Staaten zur Diskussion gestellten Fragen zu prüfen. Dies ist jedoch eine
völlig falsche Interpretation der Position der Sowjetischen Regierung. Die von uns zur
Erörterung auf einem Gipfeltreffen vorgeschlagenen Probleme sind nämlich
keineswegs von besonderen Interessen der Sowjetunion diktiert worden. Es handelt
sich um internationale Probleme, die nicht erst heute entstanden sind, Probleme,
deren Lösung von den Völkern seit langem erwartet und gefordert wird.
Sind die Amerikaner weniger daran interessiert als die Bevölkerung der
Sowjetunion oder anderer Länder, daß z.B. die Staaten auf den Einsatz von Atom- und
Wasserstoffbomben verzichten, daß die Atomwaffentests endlich eingestellt werden
oder daß die Staaten koordinierte Maßnahmen zur Verhinderung eines
Überraschungsangriffs ergreifen ? Sind die Briten und Franzosen, die Bewohner
Westdeutschlands oder die Belgier weniger daran interessiert als die Russen, Polen,
Tschechen oder die Bewohner Ostdeutschlands, daß ein Nichtangriffspakt zwischen
den NATO-Staaten und den Vertragsparteien des Warschauer Vertrages geschlossen
wird, daß beide Seiten im gegenseitigen Einvernehmen eine Verringerung der Zahl
ausländischer Truppen in Deutschland einleiten oder daß in der Mitte Europas eine
weite Zone geschaffen wird, die frei von Atomwaffen ist und aus der Sphäre des
Einsatzes von Atom-, Wasserstoff- und Raketenwaffen ausgeschlossen wird? Kann
man glauben, daß von allen Staaten nur die Sowjetunion an der Schaffung einer
gesünderen internationalen politischen Atmosphäre interessiert ist, wozu es
notwendig ist, die Kriegspropaganda zu stoppen, die die Gedanken der Menschen in
einer Reihe von Ländern vergiftet ? Es liegt auch auf der Hand, daß es im Interesse
aller Staaten wäre, eine freie Entwicklung des internationalen Handels auf der
Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Vorteilsnahme ohne künstliche Schranken
zu erreichen und die Lage im Nahen und Mittleren Osten zu stabilisieren, indem die
Großmächte auf jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Länder in
diesem Gebiet verzichten, das schon mehr als einmal ein Nährboden für gefährliche
Konflikte war.
Wir halten es für die Pflicht aller Staatsmänner, denen das Schicksal der Welt
wirklich am Herzen liegt, auf jede erdenkliche Weise dazu beizutragen, daß eine
Einigung über diese drängenden Probleme erzielt wird. Es gibt keine
unüberwindlichen Hindernisse für die Lösung all dieser Probleme. Es bedarf nur
eines––der Bereitschaft der Verhandlungsteilnehmer zu Realismus und dem Willen,
die unter den gegenwärtigen Verhältnissen so notwendige Entspannung der
internationalen Lage tatsächlich zu erreichen.
Der einzige Faktor, der die Sowjetische Regierung zu ihrem Vorschlag, diese
Probleme zu behandeln, veranlasst, ist die Überzeugung, daß es unter den
gegenwärtigen Bedingungen am besten wäre, eine allgemeine Verringerung der inter-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 247

nationalen Spannungen durch die Lösung der unmittelbarsten Probleme einzuleiten,


die bereits jetzt vollständig gelöst werden könnten, ohne den Interessen eines
einzelnen Staates zu schaden. Eine Bestätigung für die Richtigkeit dieses
Standpunktes sehen wir in der Tatsache, daß die Vorschläge der Sowjetunion in vielen
Ländern, sowohl im Osten als auch im Westen, bei den Regierungen und in weiten
Kreisen der Öffentlichkeit auf Wohlwollen und Unterstützung gestoßen sind.
Außerdem sind wir keineswegs der Meinung und haben auch nie behauptet, daß auf
einem Gipfeltreffen nur die von der Sowjetunion zur Diskussion gestellten Themen
behandelt werden können. Ich möchte Sie daran erinnern, daß in unseren Vorschlägen
vom 8. Januar die Bereitschaft der Sowjetischen Regierung direkt zum Ausdruck
gebracht wurde, im gegenseitigen Einvernehmen auch solche zusätzlichen
konstruktiven Vorschläge zu erörtern, die zur Beendigung des „Kalten Krieges“
beitragen und von den anderen Teilnehmern des Treffens vorgelegt werden könnten.
Das bedeutet aber nicht, daß wir uns darauf verständigen können, Fragen zu
erörtern, die in den Bereich der inneren Angelegenheiten anderer Staaten fallen und
deren Erörterung zu nichts anderem führen könnte als zu einer weiteren Verschärfung
der Beziehungen zwischen den Staaten. Gerade in diese Kategorie gehören solche
Fragen wie die Lage in den Ländern Osteuropas und die Vereinigung der Deutschen
Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu einem Staat. Sie,
Herr Präsident, kennen den Standpunkt der Sowjetischen Regierung in dieser
Hinsicht, und es ist kaum notwendig, hierauf noch einmal im einzelnen einzugehen.
Eine Erörterung solcher Fragen würde eine unzulässige Einmischung in die inneren
Angelegenheiten souveräner Staaten bedeuten, der die Sowjetunion auf keinen Fall
zustimmen wird. Es stellt sich die berechtigte Frage, warum Vorschläge an die
Sowjetische Regierung gerichtet werden, um die inneren Angelegenheiten von
Drittländern zu erörtern, die souveräne Staaten sind und mit denen sowohl die
Vereinigten Staaten von Amerika als auch die Sowjetunion normale diplomatische
Beziehungen unterhalten. Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
Unklarheiten über die innere Struktur dieses oder jenes osteuropäischen Landes hat,
gibt es, wie Sie wissen, eine über Jahrhunderte gewachsene Praxis, solche Fragen
nicht durch Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, sondern auf
dem normalen diplomatischen Weg zu klären. Wir halten es nicht für möglich, die Rolle
eines Richters zu übernehmen und über Fragen zu entscheiden, die die innere Struktur
anderer Länder betreffen. Wir sind auch nicht in der Lage, einem anderen Staat ein
solches Recht zuzugestehen, und wir halten nicht nur die Erörterung, sondern sogar
die bloße Darlegung solcher Fragen für unzulässig.
Wir zweifeln nicht daran, daß, wenn jemand eine internationale Konferenz zur
Erörterung der innenpolitischen Lage z.B. in Frankreich, Italien, der Türkei, Kanada
oder in den Vereinigten Staaten selbst vorschlagen würde, ein solcher Vorschlag bei
Ihnen auf den entschiedensten Widerspruch stoßen würde. Solche Fragen auf die
Tagesordnung einer Gipfelkonferenz zu setzen, hieße ja, das Scheitern dieser
Konferenz vorwegzunehmen, und das wollen wir auf keinen Fall.
Ich möchte hinzufügen, daß wir zwar unsererseits eine Reihe von Fragen
vorgebracht haben, die nach Ansicht der Sowjetischen Regierung auf der Konferenz
behandelt werden sollten, daß wir aber die Liste dieser Fragen keineswegs als
abschließend betrachten. Wie ich Ihnen, Herr Präsident, bereits mitgeteilt habe, war
die Sowjetische Regierung stets bereit, auf einer Gipfelkonferenz im gegenseitigen
248 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Einvernehmen auch alle anderen konstruktiven Vorschläge zur Beendigung des


„Kalten Krieges“ zu erörtern, die von anderen Konferenzteilnehmern vorgelegt werden
könnten.
Meine Kollegen und ich haben die in Ihren Botschaften enthaltenen Überlegungen
eingehend geprüft. Die Sowjetische Regierung ist bereit, auch die folgenden Fragen
auf einer Gipfelkonferenz zu erörtern :
Wir sind bereit, die Fragen des Verbots der Nutzung des Weltraums für militärische
Zwecke und der Auflösung ausländischer Militärstützpunkte auf fremdem Territorium
zu erörtern. Ich denke, Sie werden mir zustimmen, daß das Zustandekommen einer
Übereinkunft in dieser wichtigen Frage die Gefahr eines plötzlichen Kriegsausbruchs
erheblich verringern würde und ein wichtiger Schritt zur Gewährleistung der
Bedingungen für ein ruhiges und friedliches Leben zwischen den Nationen wäre.
Die sowjetische Regierung hält es auch für möglich, die Frage des Abschlusses eines
deutschen Friedensvertrages zu erörtern. Wir schlagen vor, die Regierungen der
Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland
einzuladen, sich an der Erörterung dieses Problems zu beteiligen. Natürlich ist das
Problem der Vereinigung der DDR und der BRD in einem einzigen Staat, das
vollständig in die Zuständigkeit dieser beiden deutschen Staaten fällt, kann natürlich,
wie die Sowjetische Regierung bereits wiederholt erklärt hat, nicht Gegenstand der
Diskussion auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz sein.
Wir sind uns darin einig, daß auf einer Gipfelkonferenz auch die Fragen der
Entwicklung von Verbindungen und Kontakten zwischen den Ländern erörtert werden
sollten. Die Sowjetische Regierung hat sich stets für jede mögliche Entwicklung solcher
Kontakte ausgesprochen. Sie teilt die in Ihrer Botschaft vom 15. Februar zum
Ausdruck gebrachte Auffassung über die Bedeutung solcher Kontakte. Ich möchte
betonen, daß die Sowjetische Regierung ihrerseits der Aufrechterhaltung
systematischer persönlicher Kontakte zwischen hohen Regierungsbeamten zum
Meinungsaustausch über aktuelle internationale Probleme im Interesse der
Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten und der Stärkung des
gegenseitigen Vertrauens sowie der Festigung des Weltfriedens große Bedeutung
beimißt.
Wir sind auch nicht gegen einen Meinungsaustausch über Möglichkeiten zur
Stärkung der UNO ; wir haben lediglich einige grundsätzliche Überlegungen zum
Ausdruck gebracht, die wir in dieser Hinsicht anstellen.
Ich hatte bereits Gelegenheit zu erläutern, warum wir den Vorschlag, daß unsere
beiden Regierungen auf das Prinzip der Einstimmigkeit der ständigen Mitglieder des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen bei der Entscheidung bestimmter Fragen in
diesem Gremium verzichten, für unannehmbar halten. Wir können keineswegs der
Behauptung zustimmen, daß es nur um den verfahrenstechnischen Aspekt der
Angelegenheit geht, obwohl dieser Aspekt bekanntlich auch für die Lösung großer
politischer Probleme von erheblicher Bedeutung ist. Wir sind der festen Überzeugung,
daß die Umsetzung der von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen in der Praxis dazu
führen würde, daß der Sicherheitsrat im Interesse einer oder mehrerer Mächte und
zum Nachteil der Interessen anderer Staaten eingesetzt würde, daß die verschiedenen
Prinzipien der Einstimmigkeit der Großmächte, die die grundlegende Verantwortung
für die Erhaltung des Weltfriedens tragen, untergraben würden, dieses Prinzip, auf
dem die UNO beruht und das die grundlegende Garantie für die normale Tätigkeit und
die Existenz der UNO selbst darstellt. Es ist bekannt, daß die Regierung der USA
selbst eine aktive Rolle bei der Entwicklung dieses Grundsatzes gespielt hat. Es ist
nicht zu übersehen, daß die Wahrung dieses Grundsatzes heute noch notwendiger ist
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 249

als vor dreizehn Jahren, als die UNO gegründet wurde.


Die sowjetische Regierung hat ihren Standpunkt dargelegt, nicht nur in Bezug auf
die zu erörternden Probleme, sondern auch in Bezug auf die Teilnehmer, den Zeitpunkt
der Einberufung und bestimmte andere Probleme. Leider kennen wir noch nicht den
Standpunkt der Regierung der USA zu diesen Fragen; auch in Ihrer Botschaft vom 15.
Februar wird dies nicht erwähnt.
Was die Art und Weise der Vorbereitung der Konferenz anbelangt, deren
Notwendigkeit jetzt von den Regierungschefs aller großen Staaten zum Ausdruck
gebracht wurde, so ist die Sowjetische Regierung der Ansicht, daß alle Mittel und Wege
genutzt werden sollten, die eine solche Vorbereitung beschleunigen könnten. Wir
haben den Eindruck, daß auf diplomatischem Wege eine Einigung über bestimmte
Fragen in diesem Zusammenhang erzielt werden kann, und diese Möglichkeiten
sollten natürlich auch genutzt werden. Gleichzeitig berücksichtigen wir die Tatsache,
daß die Regierung der Vereinigten Staaten und einige andere Regierungen sich für die
Einberufung einer Außenministerkonferenz als eine der vorbereitenden Maßnahmen
für eine Gipfelkonferenz ausgesprochen haben. Wenn Sie der Auffassung sind, daß
eine Außenministerkonferenz dazu dient und dazu beiträgt, die Einberufung einer
Konferenz der Spitzenbeamten unter Beteiligung der Regierungschefs zu
beschleunigen, dann sind wir bereit, einem solchen Wunsch zu entsprechen. Wir gehen
davon aus, daß die Einberufung einer Gipfelkonferenz so bald wie möglich die
Hoffnungen aller Völker erfüllt.
Da sich die Parteien darin einig sind, daß die Vorbereitung einer Gipfelkonferenz
beschleunigt werden sollte, schlagen wir vor, im April eine Außenministertagung
einzuberufen, auf der die Tagesordnung für eine Gipfelkonferenz ausgearbeitet, die
Teilnehmer bestimmt und der Zeitpunkt und der Ort der Konferenz festgelegt werden
sollen. Es wäre ratsam, alle diese Fragen so bald wie möglich zu entscheiden.
Ich muß sagen, Herr Präsident, daß der gegenwärtige Stand der Vorbereitung der
Gipfelkonferenz uns mit großer Sorge erfüllt. Das Ausbleiben einer Antwort der
Regierung der Vereinigten Staaten auf eine Reihe konkreter Vorschläge der
Sowjetischen Regierung zur Vorbereitung der Konferenz und auch die Tatsache, daß
die Regierung der Vereinigten Staaten weiterhin wissentlich unannehmbare Fragen
stellt, all dies verzögert natürlich die Einberufung der Konferenz.
Wir sind umso mehr beunruhigt, als die Regierungen der Vereinigten Staaten und
einiger anderer NATO-Mitgliedstaaten nicht nur die Entscheidung über die
Einberufung der Konferenz hinauszögern, sondern auch das Tempo der praktischen
Maßnahmen im Bereich der militärischen Vorbereitungen erhöhen, was die
internationalen Spannungen nur noch verschärfen kann. Ich denke dabei insbesondere
an ein kürzlich unterzeichnetes Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und
Großbritannien über die Einrichtung von Stützpunkten auf dem Gebiet
Großbritanniens für den Start amerikanischer Mittelstreckenraketen sowie an die
Ankündigung, im April dieses Jahres in Paris eine Konferenz der
Verteidigungsminister der NATO-Staaten einzuberufen, um Fragen wie die
Einrichtung von Raketenstützpunkten auf dem Gebiet der NATO-Mitgliedsländer, die
Lagerung von Atomwaffen in diesen Ländern und die Weitergabe von Atomwaffen an
NATO-Mitglieder zu prüfen.
Wir stellen fest, daß die Presse einiger westlicher Mächte kürzlich offen erklärt hat,
daß die Vereinigten Staaten einer Gipfelkonferenz nicht zustimmen werden, solange
250 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

keine Vereinbarungen über die Einrichtung amerikanischer Raketenbasen auf dem


Gebiet der westeuropäischen NATO-Mitgliedstaaten getroffen wurden.
All dies führt zu einer sehr merkwürdigen Situation: Einerseits wird die
Bereitschaft erklärt, Anstrengungen zur Entspannung der internationalen Lage und
zur Verringerung der Kriegsgefahr zu unternehmen, andererseits werden mit
fieberhafter Eile militärische Vorbereitungen getroffen, die die internationalen
Spannungen und die Kriegsgefahr nur noch erhöhen können.
Wie sollen wir, Herr Präsident, unter diesen Bedingungen die entstandene Situation
bewerten ? Sollen wir die wahren Absichten der Regierung der Vereinigten Staaten
und einiger anderer NATO-Staaten nach ihren Worten oder nach ihren Taten
beurteilen ? Wenn wir uns alle einig sind, daß eine Gipfelkonferenz zur Prüfung
dringender internationaler Fragen notwendig ist, dann sollten wir zumindest keine
Maßnahmen ergreifen, die die Einberufung einer solchen Konferenz nur behindern
und die Lösung der anstehenden Probleme erschweren könnten.
Herr Präsident, ich kann bestimmte Aussagen in Ihrer Mitteilung vom 15. Februar,
die vor allem Fragen der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen betreffen, nicht
übersehen. Ich möchte nicht auf den Ton eingehen, in dem bestimmte Passagen dieser
Mitteilung verfasst wurden, da ein Streit mit scharfen Worten nicht dazu beitragen
kann, Wege zur Entspannung der internationalen Lage zu finden.
Zunächst muß ich sagen, daß die in Ihrer Mitteilung enthaltenen Aussagen über die
sozialistische Gesellschaftsordnung, die Innen- und Außenpolitik der sozialistischen
Staaten und die gegenseitigen Beziehungen zwischen ihnen nicht der Wirklichkeit
entsprechen.
Wir sind uns natürlich bewusst, daß Sie gegen die Ideen des Kommunismus und die
Grundsätze des Gesellschaftssystems in der Sowjetunion und anderen sozialistischen
Ländern sind. Wir gehen nicht davon aus, daß unsere Ansichten in Fragen der
gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmen werden. Während Sie jedoch
behaupten, daß die Verfechter der Ideologie, die auch Sie unterstützen, das Recht
haben, das sozialistische System in jeder Hinsicht zu kritisieren, deuten Sie die Kritik
der Kommunisten in der Sowjetunion an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung als
Beweis dafür, daß die Sowjetische Regierung sich nicht um eine Verbesserung der
Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika bemüht.
Diese Frage verdient eine besondere Betrachtung. Wir haben mehr als einmal
betont, wie gefährlich es für die Sache des Friedens wäre, ideologische
Meinungsverschiedenheiten in den Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen zu
bringen. Wir können in der ideologischen Sphäre nicht übereinstimmen. Sie
bevorzugen das kapitalistische System, während wir aus unserer ablehnenden
Haltung gegenüber dem Kapitalismus nie einen Hehl gemacht haben und wir sind fest
davon überzeugt, daß nur der Sozialismus die wahre Freiheit und Gleichheit aller
Menschen und die vollständigste Entwicklung der Gesellschaft sowohl in materieller
als auch in moralischer Hinsicht gewährleisten kann. Die Polemik zwischen den
Anhängern der beiden Ideologien ist ganz natürlich. Heißt das aber, daß zwischen der
Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika keine normalen oder gar guten
und freundschaftlichen Beziehungen bestehen können ? Nein, natürlich nicht.
Andernfalls wären die Aussichten, den Frieden zu erhalten, in der Tat düster. Die
Erfahrung der Sowjetunion, die mit vielen Staaten, die eine andere
Gesellschaftsordnung haben als die Sowjetunion, gute Beziehungen unterhält, die auf
gegenseitigem Respekt und Vertrauen beruhen, ist ein ausreichender Beweis dafür,
daß ein Unterschied in den Gesellschaftssystemen in solchen Fragen kein Hindernis
darstellt.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 251

Was die Sowjetunion betrifft, so halten wir eine Verbesserung unserer Beziehungen
zu den USA trotz der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme unserer beiden Länder
nicht nur für möglich und wünschenswert, sondern haben bei mehr als einer
Gelegenheit konkrete Vorschläge zu diesem Zweck unterbreitet. Wir teilen voll und
ganz Ihre Auffassung, daß es wünschenswert ist, Schritte zu unternehmen, die ein
besseres Kennenlernen unserer Völker ermöglichen.
Wir können Ihren Vorschlag nur begrüßen, daß einflussreiche Bürger der
Sowjetunion die Vereinigten Staaten von Amerika besuchen, um sich mit dem Leben
des amerikanischen Volkes vertraut zu machen. Wir unsererseits werden uns freuen,
wenn prominente Amerikaner in die Sowjetunion kommen, um zu sehen, wie das
sowjetische Volk lebt. Dies kann nur als nützlich angesehen werden. Es ist zum
Beispiel bekannt, daß viele Amerikaner, darunter auch prominente Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens der USA, nach einem Besuch in der Sowjetunion öffentlich
zugegeben haben, wie falsch ihre frühere Meinung über das Leben des sowjetischen
Volkes war.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß der Oberste Sowjet der
UdSSR dem Kongress der USA vor zwei Jahren einen Austausch ihrer
parlamentarischen Delegationen vorgeschlagen hat. Es lässt sich kaum bestreiten, daß
ein solcher Austausch zum gegenseitigen Verständnis des Lebens in unseren beiden
Ländern beitragen würde. Leider, Herr Präsident, hat dieser Vorschlag bisher keine
Antwort erhalten. Es stellt sich die Frage, wie dies mit den in Ihrer Botschaft
geäußerten Wünschen nach einem Ausbau der gegenseitigen Kontakte in Einklang
gebracht werden kann. Wenn sich die Haltung der amerikanischen Seite in dieser
Frage nun geändert hat, kann eine solche Änderung nur begrüßt werden.
Wir begrüßen auch Ihre Erklärung, daß das kürzlich geschlossene sowjetisch-
amerikanische Abkommen über den Austausch in den Bereichen Kultur, Technologie
und Bildung voll zur Verbesserung der Beziehungen zwischen unseren Ländern
genutzt werden sollte. Wie Sie wissen, sind wir unsererseits bereit, in dieser Hinsicht
noch weiter zu gehen; genau dieser Wunsch hat unseren Vorschlag zum Abschluss
eines Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und den
USA diktiert.
Es besteht kein Zweifel, daß die Entwicklung sowjetisch-amerikanischer Kontakte
und Bindungen eine Stärkung des gegenseitigen Verständnisses zwischen unseren
beiden Ländern im Interesse des Friedens und der internationalen Zusammenarbeit
erleichtern wird. Andererseits liegt es auf der Hand, daß jeder Versuch, absichtlich
Misstrauen zu säen und Feindseligkeit zwischen den Völkern der USA und der UdSSR
zu schüren, sowie jedes Bestreben, die historischen Traditionen der Freundschaft
zwischen unseren Völkern in Vergessenheit geraten zu lassen, zu gefährlichen
Konsequenzen führen kann, und zwar nicht nur für unsere beiden Länder. Gerade
deshalb müssen wir reagieren, wenn in den Vereinigten Staaten Stimmen laut werden,
die einen „Präventivkrieg“, einen bewaffneten Angriff auf die Sowjetunion,
propagieren. Sie schreiben, daß Sie niemanden in den Vereinigten Staaten kennen, der
solche Appelle ausspricht. Leider gibt es solche Leute und solche Appelle sind in den
USA zu hören.
So wird in der amerikanischen Presse seit einigen Wochen die Idee eines
„Präventivkrieges“ gegen die UdSSR diskutiert, die, wie so bekannte amerikanische
Kommentatoren wie Hanson Baldwin, Arthur Krock und Drew Pearson bezeugen, in
einem geheimen Bericht des sogenannten „Gaither-Komitees“ an den Nationalen
Sicherheitsrat der USA enthalten ist. In einem Kommentar zu diesem Bericht schreibt
Baldwin, Militärkommentator der „New York Times“, daß „seit dem Abschuss der
252 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

sowjetischen Sputniks in Washington wieder das alte Gerede über einen


Präventivkrieg zu hören ist, wenn auch in gedämpften Tönen, das durch den neuen
Begriff der „präventiven Vergeltung“ leichter zu schlucken ist, d.h. die Sowjetunion
zuerst anzugreifen“.
Wie ist das alles zu bewerten, Herr Präsident ? Wir wissen nicht, welche genauen
Empfehlungen der Bericht des „Gaither-Komitees“ enthält, aber eines ist klar : Dieser
Bericht hat in den USA eine öffentliche Diskussion über die Idee eines
„Präventivkrieges“ ausgelöst. Personen wie Lawrence, Herausgeber der weit
verbreiteten Zeitschrift "United States News and World Report", und Puleston,
ehemaliger Direktor des amerikanischen Marine-Nachrichtendienstes der USA, und
andere warben offen für eine Aggression gegen die Sowjetunion.
Natürlich verwechseln wir die Äußerungen solcher Personen nicht mit der offiziellen
Politik der USA. Aber die Sicherheit der Sowjetunion erlaubt es uns nicht, Äußerungen
dieser Art völlig zu ignorieren, zumal die Regierung der USA die fraglichen
Äußerungen nicht verurteilt hat. Unserer Meinung nach liegt eine Gefahr und ein
Schaden allein schon in der Tatsache, daß solche Ideen dem amerikanischen Volk in
der gedruckten Ausgabe, die von Millionen von Amerikanern gelesen wird, nahegelegt
werden. Es ist kaum nötig zu betonen, daß eine solche Propaganda jeder Verbesserung
der Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR zuwiderläuft.
Schließlich kann ich nicht umhin, die in Ihrer Botschaft vom 15. Februar
enthaltenen unbegründeten Behauptungen zurückzuweisen, wonach die Sowjetunion
dafür verantwortlich sei, daß die Kernenergie derzeit in erster Linie zu militärischen
und nicht zu friedlichen Zwecken genutzt wird. In Wirklichkeit war es nicht die
Sowjetunion, die als erste mit der Produktion von Atomwaffen begonnen hat und es
war nicht die Sowjetunion, die diese Massenvernichtungswaffe eingesetzt hat. Die
Sowjetunion hat von Anfang an gefordert, daß die Herstellung und der Einsatz von
Atomwaffen verboten und die vorhandenen Bestände vernichtet werden. Bereits am
19. Juni 1946 legte die Sowjetische Regierung der UNO einen Entwurf für ein
internationales Übereinkommen zur Prüfung vor, der diese Maßnahmen vorsah. Wir
haben 12 Jahre lang auf dieser Forderung bestanden. Die Regierung der Vereinigten
Staaten weigert sich jedoch bis zum heutigen Tag, dem Verbot von Kernwaffen
zuzustimmen.
Ich erkläre feierlich, Herr Präsident, daß die Sowjetunion bereit ist, noch morgen
ein Abkommen über das vollständige Verbot aller Arten von Kernwaffen, über die
Einstellung ihrer Herstellung, ihre Beseitigung aus der Rüstung und die Vernichtung
aller verfügbaren Bestände solcher Waffen unter angemessener internationaler
Kontrolle zu unterzeichnen.
Die Völker erwarten von ihren Führern, die für das Schicksal ihrer Länder
verantwortlich sind, konkrete Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr eines
Atomkrieges und zur Stärkung des Friedens. Millionen von Menschen hoffen
inständig, daß unsere beiden Länder einen konkreten Beitrag zur Schaffung einer
gesünderen internationalen Lage leisten und daß sie sich entschieden vom „Kalten
Krieg“ und dem Wettrüsten abwenden und zu einer friedlichen Zusammenarbeit aller
Staaten übergehen. Wir sind der Auffassung, daß eine Konferenz der Spitzenbeamten
unter Beteiligung der Regierungschefs ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein
kann und muß. Jetzt, wo zwischen den Staaten grundsätzliches Einvernehmen über
ein solches Treffen besteht, ist es besonders notwendig, unsere gemeinsamen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 253

Anstrengungen auf die praktischen Vorbereitungen zu konzentrieren, um ein solches


Treffen in sehr naher Zukunft zu ermöglichen.
Wir hoffen, Herr Präsident, daß die Überlegungen der sowjetischen Regierung zur
Vorbereitung und Durchführung eines Gipfeltreffens bei der Regierung der USA auf
eine positive Haltung stoßen werden.
____________

Stellungnahme auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zur


deutschen Wiedervereinigung und einem Gipfeltreffen, 4. März 1958 1
[Auszug]

* * * * * * *
F: Herr Minister, halten Sie in diesem Zusammenhang die Erörterung der
deutschen Wiedervereinigung für eine absolute Voraussetzung auf der Tagesordnung
des Gipfeltreffens ?
A: Nun, ich möchte nicht von mir aussagen, daß irgendetwas eine absolute
Voraussetzung ist. Wir haben Ansichten von Verbündeten, die wir berücksichtigen,
und was die Vereinigten Staaten anbelangt, so hat natürlich der Präsident das letzte
Wort. Aber ich möchte Folgendes sagen: Auf dem letzten Gipfeltreffen wurden drei
oder vier recht wichtige Erklärungen zur deutschen Wiedervereinigung abgegeben. Es
wurde zum Beispiel gesagt, daß es eine „enge Verbindung“ zwischen der deutschen
Wiedervereinigung und der Sicherheit in Europa gibt. Es wurde gesagt, daß die vier
Mächte die Verantwortung für die Wiedervereinigung Deutschlands anerkennen, und
es wurde weiter gesagt, daß die vier Mächte darin übereinstimmen, daß Deutschland
durch freie Wahlen im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes
und der europäischen Sicherheit wiedervereinigt werden sollte.
Es erscheint zumindest fragwürdig, ein zweites Gipfeltreffen abzuhalten, bei dem
die Ergebnisse des ersten Gipfeltreffens faktisch begraben werden und das nicht
vielmehr auf dem ersten Treffen aufbaut, um voranzukommen. Der diesbezügliche
Standpunkt der NATO-Länder wurde auf dem NATO-Gipfel im Dezember letzten
Jahres sehr deutlich und einstimmig dargelegt. Ich bin der Meinung, daß, wenn man
wirklich will, daß diese Treffen mit den Russen etwas bringen, sie auf der Grundlage
des gegenseitigen Aufbaus vorankommen sollten und nicht auf der Grundlage des
gegenseitigen Begrabens.
* * * * * * *

Aide-Memoire des Außenministeriums an den sowjetischen Botschafter


(Menshikov), betreffend ein Gipfeltreffen, 6. März 1958 2
I.

Die Regierung der Vereinigten Staaten bestätigt den Empfang des Memorandums,
das der sowjetische Außenminister Gromyko dem Botschafter der Vereinigten Staaten
in Moskau am 28. Februar 1958 übergeben hat. Die Regierung der Vereinigten Staaten
hat dieses Memorandum aufmerksam studiert.

1Pressemitteilung 104 des Außenministeriums, 4. März 1958.


2Pressemitteilung 113 des Außenministeriums, 6. März 1958. Die Sowjetunion antwortete in einem Aide-
Memoire vom 24. März 1958 (siehe unten).
254 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

II.

Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, daß
die Sowjetunion nunmehr bereit ist, „alle Mittel und Wege“, einschließlich eines
Treffens der Außenminister, auszuschöpfen, um eine Einigung auf ein Treffen auf
höchster Regierungsebene herbeizuführen. Andererseits stellt die Regierung der
Vereinigten Staaten mit Bedauern fest, daß die von der Sowjetischen Regierung ins
Auge gefaßte Vorbereitung nicht dem entspricht, was nach Ansicht der Regierung der
Vereinigten Staaten erforderlich wäre, um zu gewährleisten, daß ein solches Treffen
tatsächlich zum Abbau der internationalen Spannungen beitragen würde.

III.

Das Memorandum der sowjetischen Regierung und die vorangegangenen Briefe des
Vorsitzenden Bulganin an Präsident Eisenhower vom Dezember und Januar werfen
eine grundlegende Frage in Bezug auf ein „Gipfeltreffen“ auf :
Zu welchem Zweck würde ein „Gipfeltreffen“ abgehalten werden? Geht es lediglich
darum, ein Spektakel zu veranstalten? Oder ist es der Zweck, sinnvolle
Entscheidungen zu treffen ?
Die Vereinigten Staaten wollen, daß ein Treffen der Regierungschefs sinnvolle
Beschlüsse fasst, die zumindest einige wichtige politische Fragen ernsthaft zu lösen
beginnen, einige wichtige Schritte zur Begrenzung der Rüstung einleiten und durch
solche Beschlüsse eine Atmosphäre schaffen, die weiteren Einigungen förderlich ist.
Alles andere entspräche nicht den Hoffnungen oder gar den berechtigten Forderungen
der Menschheit.

IV.

Wenn ein Treffen der Regierungschefs sinnvolle Beschlüsse fassen soll, dann
müssen die Grundlagen für diese Beschlüsse im Voraus vorbereitet werden.
In dem Schreiben des Vorsitzenden Bulganin an Präsident Eisenhower vom 1.
Februar 1958, auf das im Memorandum der Sowjets vom 28. Februar Bezug genommen
wird, heißt es zur Tagesordnung, sie solle sich auf „die dringendsten Probleme
konzentrieren, bei denen die bekannten Standpunkte der Staaten ein gewisses Maß an
Sicherheit hinsichtlich ihrer positiven Lösung zum gegenwärtigen Zeitpunkt bieten“.
Die Regierung der Vereinigten Staaten ist nicht der Ansicht, daß sich die
Tagesordnung unbedingt auf Fragen beschränken sollte, deren Lösung jetzt gesichert
erscheint. Eine umfassendere Diskussion kann wünschenswert sein. Die Regierung
der Vereinigten Staaten stimmt jedoch mit der Regierung der Sowjetunion darin
überein, daß die Tagesordnung sicherlich einige wichtige und dringende Themen
enthalten sollte, bei denen eine Einigung wahrscheinlich erscheint.
Um welche Fragen handelt es sich ? Die gegenwärtig erklärten Standpunkte der
Sowjetunion und der Vereinigten Staaten lassen noch nicht auf eine Einigung in
wichtigen Fragen schließen, die von einer unserer beiden Regierungen im Laufe des
umfangreichen Briefwechsels zwischen dem Vorsitzenden Bulganin und Präsident
Eisenhower vorgeschlagen wurden.
Wie sollen Bereiche möglicher Übereinstimmung gefunden, entwickelt und definiert
werden ?
In dem sowjetischen Memorandum heißt es, daß sich die Vorbereitungsarbeiten der
Außenminister „strikt auf Fragen der organisatorischen Vorbereitung eines
Gipfeltreffens“ beschränken sollten.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 255

Die Regierung der Vereinigten Staaten drängt nicht darauf, die gesamte
Vorbereitungsarbeit auf eine Tagung der Außenminister zu verlagern, sofern es ein
anderes akzeptables Verfahren gibt. Die Vereinigten Staaten sind jedoch davon
überzeugt, daß im Falle eines Treffens der Regierungschefs in irgendeiner Weise
substanzielle Vorbereitungsarbeiten stattfinden müssen, um festzustellen, ob ein
solches Treffen die von beiden Regierungen akzeptierten Kriterien erfüllen würde. Die
Vereinigten Staaten schlagen als Alternative oder Ergänzung die Nutzung der
diplomatischen Kanäle vor.

V.

Was die sowjetischen Erklärungen über eine wünschenswerte Zusammensetzung


der Tagesordnung betrifft, so vertritt die Regierung der Vereinigten Staaten in bezug
auf einige spezifische Punkte den folgenden Standpunkt :
( 1 ) Die Vereinigten Staaten sind der Auffassung, daß jede neue Tagung der
Regierungschefs die vorangegangene Tagung nicht ignorieren, sondern vorzugsweise
dort beginnen sollte, wo diese Tagung aufgehört hat. Die Treffen der Regierungschefs
werden schnell die besondere Bedeutung und Autorität verlieren, die ihnen heute
beigemessen wird, wenn bei einem zweiten Treffen die Absprachen und
Vereinbarungen des ersten Treffens in Vergessenheit geraten.
( 2 ) Das Genfer „Gipfeltreffen“ von 1955 befasste sich mit drei Hauptthemen : ( 1 )
Europäische Sicherheit und Deutschland ; ( 2 ) Abrüstung und ( 3 ) Entwicklung der
Kontakte zwischen Ost und West.
Was den dritten Punkt anbelangt, so haben die beharrlichen Bemühungen der
letzten zweieinhalb Jahre zu einem Abkommen geführt, das durch diplomatische
Verhandlungen in Washington erreicht wurde. Dieses Abkommen wurde am 27.
Januar 1958 geschlossen. Auch wenn dieses Abkommen bei weitem nicht alles ist, was
wir uns wünschen, so stellt es doch einen, wie wir hoffen, konkreten Fortschritt in
Bezug auf den dritten Punkt der Tagesordnung von 1955 dar.
Bei den beiden anderen Punkten––europäische Sicherheit und Deutschland und
Abrüstung––sind keine Fortschritte erzielt worden.
( 3 ) Auf der Genfer Konferenz von 1955 war man sich einig, daß es einen „engen
Zusammenhang zwischen der Wiedervereinigung Deutschlands und den Problemen
der europäischen Sicherheit“ gibt. Die Regierungschefs der vier Staaten erkannten
„ihre gemeinsame Verantwortung für die Lösung der deutschen Frage und die
Wiedervereinigung Deutschlands“ an. Außerdem sind sich die vier Regierungschefs
„einig, daß die Regelung der Deutschen Frage und die Wiedervereinigung
Deutschlands durch freie Wahlen in Übereinstimmung mit den nationalen
Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen
Sicherheit erfolgen soll“.
Das sowjetische Memorandum vom 28. Februar betont jedoch, daß die
Wiedervereinigung Deutschlands „nicht Gegenstand der Beratungen auf einer der
nächsten Gipfelkonferenzen sein kann“.
( 4 ) Auf dem Genfer Treffen der Regierungschefs wurde vereinbart, daß wir „im
Rahmen des Unterausschusses der Abrüstungskommission der Vereinten Nationen
zusammenarbeiten werden, um ein annehmbares Abrüstungssystem zu entwickeln“.
Die Sowjetunion lehnt es jedoch ab, mit dem Unterausschuss der
Abrüstungskommission der Vereinten Nationen oder gar mit der
Abrüstungskommission selbst zusammenzuarbeiten.
( 5 ) In bezug auf die Tagesordnung scheint die sowjetische Regierung im
allgemeinen ein Vetorecht zu beanspruchen, ohne in dieser Hinsicht Gegenseitigkeit
256 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

zu gewähren. Die Regierung der Vereinigten Staaten vertritt die Auffassung, daß bei
der Auswahl der zu erörternden Punkte ein vernünftiges „Geben und Nehmen“
herrschen muss. Auf jeden Fall wäre es für die Vereinigten Staaten nicht möglich, an
einer Konferenz teilzunehmen, bei der einem anderen Staat im voraus besondere
Privilegien und Befugnisse eingeräumt würden.

VI.

In dem sowjetischen Memorandum heißt es, das „Gipfeltreffen“ solle eine „scharfe
Zäsur“ in Richtung auf eine Verbesserung der gesamten internationalen Lage, auf die
„Schaffung von Bedingungen für die friedliche Zusammenarbeit aller Staaten“
darstellen. Dieses angestrebte Ergebnis kann jedoch nach Ansicht der Vereinigten
Staaten nicht erreicht werden, wenn die Hauptursachen der internationalen
Spannungen nicht berücksichtigt werden.
Eine Hauptursache, vielleicht die Hauptursache der Spannungen ist die
Unterstützung der weltweiten Bestrebungen des internationalen Kommunismus
durch den Sowjetstaat. Andere wichtige Ursachen für die Spannungen, die vielleicht
Ausdruck der oben genannten Hauptursache sind, sind die erzwungene Teilung
Deutschlands und die Einmischung von außen in die osteuropäischen Länder, die dazu
führt, daß den Völkern das Recht verweigert wird, ihre eigene Regierung frei zu
wählen. Die Vereinigten Staaten streben nicht, wie die Sowjetische Regierung
behauptet, eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen an,
sondern vielmehr die Beseitigung dieser Einmischung.
Die Vereinigten Staaten sind ferner der Auffassung, daß es wirksame
Abrüstungsmaßnahmen geben muss, die auch Schritte zur Eindämmung der
Produktion von Kernwaffen und ihrer Trägersysteme umfassen. Der Vorsitzende
Bulganin beklagte in seiner Mitteilung an den Präsidenten vom 10. Dezember den
„Wettbewerb bei der Herstellung immer neuer Waffentypen“. In dem sowjetischen
Memorandum wird nicht vorgeschlagen, dieses Problem zu behandeln. Es scheint
davon auszugehen, daß die Produktion immer neuer Waffentypen ungebremst und
unkontrolliert weitergehen wird.

VII.

Unserer Ansicht nach ist es nicht notwendig, daß alle Probleme, mit denen wir
konfrontiert sind und die uns trennen, auf einmal gelöst werden. Aber wir sind der
Meinung, daß ein Treffen der Regierungschefs, wenn es denn stattfinden sollte, sich
besser als das letzte Treffen mit den wesentlichen Fragen befassen sollte, ohne die
Behandlung der anderen auszuschließen. Ein rein zeremonielles oder geselliges
Treffen der Regierungschefs, bei dem lediglich bereits gegebene Versprechen oder
bereits geäußerte Hoffnungen wiederholt würden, wäre nach Ansicht der Regierung
der Vereinigten Staaten nicht angebracht.

VIII.

In dem sowjetischen Memorandum wird noch eine Reihe anderer Fragen aufgeworfen,
wie zum Beispiel die Zusammensetzung der Konferenzen der Außenminister und
Regierungschefs, zu denen die Vereinigten Staaten ihren Standpunkt zurückhalten,
bis die Ansichten der Sowjetunion zu den obengenannten Punkten weiter geklärt sind.
Bevor diese anderen Fragen zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll erörtert werden können,
scheint ein abgestimmtes Konzept für Art und Zweck eines Treffens der
Regierungschefs erforderlich zu sein.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 257

IX.

Die Vereinigten Staaten bekräftigen ihren Wunsch, daß das Treffen der Staats- und
Regierungschefs nicht als Spektakel, nicht zur Bekräftigung von Allgemeinheiten,
sondern zur Fassung ernsthafter Entscheidungen stattfindet, die zu einer
internationalen Atmosphäre der Zusammenarbeit und des guten Willens führen.
AUßENMINISTERIUM,
Washington, 6. März 1958.
________

Schreiben des amerikanischen Botschafters in Bonn (Bruce) an den


sowjetischen Geschäftsträger in Berlin, betreffend die sowjetische Bitte, in
Westdeutschland Flüge mit Strahlflugzeugen durchzuführen, 12. März
1958 1
Ich möchte Sie auf eine Nachricht aufmerksam machen, die der sowjetische
Fluglotse am 24. Februar dem amerikanischen Fluglotsen in der
Luftsicherheitszentrale Berlin (BASC) übermittelte und die am selben Abend von der
Nachrichtenagentur der Sowjetischen Zone, ADN, veröffentlicht wurde. In der
Nachricht hieß es : „Da die sowjetische Botschaft in Bonn die erforderliche
Genehmigung des Auswärtigen Amtes für den Überflug des Territoriums der
Bundesrepublik Deutschland durch eine sowjetische Tupolew TU-104A am 14.
Februar erhalten hatte, war das Vorgehen des amerikanischen Vertreters bei der
Verweigerung der Überflugfreigabe unbegründet und kann nur als Versuch gewertet
werden, den normalen Luftverkehr von Zivilflugzeugen über dem Territorium der
Bundesrepublik Deutschland zu stören und stellte eine Verletzung völkerrechtlicher
Verfahren dar.“
Diese Aussage entspricht nicht den Tatsachen. Der Vorwurf der „Verletzung
völkerrechtlicher Verfahren“ ist unbegründet. Wie ich Ihnen in meinem Schreiben vom
16. Januar 1958 mitgeteilt habe, üben die Drei Mächte im Rahmen ihrer vierseitigen
Verantwortung für Deutschland als Ganzes weiterhin eine Kontrolle über die Nutzung
des Luftraums über der Bundesrepublik durch Flugzeuge der UdSSR aus. Dies ist in
Artikel 6 Kapitel XII des am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Abkommens
zur Regelung von Kriegs- und Besatzungsfragen festgelegt.
In diesem Zusammenhang darf ich Sie auf die beigefügte Presseerklärung des
Bundespresseamtes vom 25. Februar hinweisen. Darin wird nicht nur der Grundsatz
der Verantwortung der Drei Mächte für solche Überflüge erneut bekräftigt, sondern
auch der Behauptung des sowjetischen Fluglotsen in der BASC widersprochen, das
Auswärtige Amt habe für den Flug der sowjetischen Tupolew TU-104A am 14. Februar
„die erforderliche Freigabe“ erteilt. Der relevante Teil der Erklärung des Presseamtes
lautet wie folgt: „* * * Der erste Fall stammte aus der Erklärung der ADN der
sowjetischen Besatzungszone, wonach die sowjetische Botschaft in Bonn vom
Auswärtigen Amt die erforderliche Genehmigung für den Überflug des Territoriums
der Bundesrepublik Deutschland am 14. Februar durch die sowjetische Tupolew TU-
104A erhalten hatte. Das Auswärtige Amt teilte hierzu mit, daß es keine solche
Genehmigung erteilt habe, da die Drei Mächte in Übereinstimmung mit den
gesamtdeutschen Zuständigkeiten weiterhin über die Luftsicherheitszentrale Berlin

1 Bulletin des Außenministeriums, 7. April 1958, S. 553. Der britische und der französische Botschafter
sandten ähnliche Schreiben.
258 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

die Kontrolle über die Flugzeuge der Sowjetunion ausüben, die den Luftraum der
Bundesrepublik benutzen“.
Da die amerikanische, die britische und die französische Botschaft den Flugantrag
noch prüften, als das betreffende sowjetische Flugzeug eine alternative Strecke flog,
ist die Behauptung, der amerikanische Vertreter habe die Genehmigung für den Flug
verweigert, nicht richtig.
Ich möchte Sie daran erinnern, daß die Drei Mächte in der Vergangenheit immer
wieder einzelne sowjetische Überflüge über die Bundesrepublik genehmigt haben,
wenn die sowjetischen Behörden dies beantragten. Diese Genehmigungen beruhten
auf der Erwartung, daß die sowjetischen Behörden ihrerseits weiterhin ihrer
vierseitigen Verantwortung nachkommen und auf Antrag Flüge von Flugzeugen der
drei Mächte im Luftraum über der sowjetischen Besatzungszone außerhalb der
vierseitig festgelegten Luftkorridore genehmigen würden.
Da frühere Mitteilungen zu diesem Thema von den sowjetischen Behörden an die
Presse weitergegeben wurden, gebe ich auch dieses Schreiben an die Presse weiter.
___________

Aide-Mémoire des sowjetischen Außenministers (Gromyko) an den


amerikanischen Botschafter (Thompson), betreffend ein Gipfeltreffen, 24.
März 1958 1
Die Sowjetregierung hat die Erwägungen der amerikanischen Regierung, die sie in
ihrem Aide-Mémoire vom 6. März 1958, einer Antwort auf das Aide-Mémoire der
sowjetischen Regierung vom 28. Februar zur Frage der Vorbereitung eines Treffens
auf höchster Ebene, dargelegt hat, aufmerksam geprüft.
Bekanntlich schlug die Sowjetregierung, besorgt über die internationale
Entwicklung, die eine für den Frieden gefährliche Wendung genommen hat, Ende 1957
vor, ein Treffen führender Staatsmänner einzuberufen, um eine Reihe dringender
Probleme zu lösen und durch gemeinsame Anstrengungen wirksame Mittel zum
Abbau der internationalen Spannungen und zur Beendigung des „Kalten Krieges“ zu
bestimmen.
Die Sowjetregierung nimmt zur Kenntnis, daß die US-Regierung in ihrem Aide-
Mémoire auf den Zweck eines Gipfeltreffens hinweist und erklärt, daß sie wünscht,
daß auf diesem Treffen bedeutsame Entscheidungen getroffen werden, die die Lösung
zumindest einiger wichtiger politischer Probleme einleiten und zur Schaffung eines
internationalen Klimas der Zusammenarbeit und des guten Willens führen würden.
Allerdings muss man zugeben, daß die Sowjetregierung, nachdem sie vorgeschlagen
hatte, ein Treffen führender Staatsmänner einzuberufen, mehrere konkrete Schritte
unternommen hat, um den Wünschen der US-Regierung und anderer westlicher
Mächte entgegenzukommen und zwar sowohl hinsichtlich der Fragen, die auf einem
Gipfeltreffen geprüft werden sollten, als auch hinsichtlich des Verfahrens zur
Vorbereitung dieses Treffens, während die US-Regierung, wie aus ihrem Aide memoire
hervorgeht, faktisch versucht, die gesamte Frage eines Gipfeltreffens auf die
Ausgangsposition zurückzusetzen.
Die Sowjetregierung hat vorgeschlagen, auf dem Gipfeltreffen solche dringenden
internationalen Probleme zu erörtern, bei denen eine Einigung auf diesem Treffen
möglich erscheint und deren Lösung die Grundlage für ein besseres gegenseitiges

1 Bulletin des Außenministeriums, 21. April 1958, S. 652–655. Für den nächsten Vorgang in der „Gipfel“-

Korrespondenz siehe die trilaterale Erklärung vom 31. März 1958 (unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 259

Verständnis zwischen den Staaten und für die Lösung anderer internationaler
Probleme bilden könnte.
Es ist die tiefe Überzeugung der Sowjetregierung, daß die folgenden Fragen von
großer internationaler Bedeutung sind, denen Vorrang eingeräumt werden muß:
sofortige Beendigung der Atom- und Wasserstoffwaffentests ; Verzicht auf den Einsatz
von Atomwaffen durch die UdSSR, der Vereinigten Staaten und Großbritanniens ;
Schaffung einer atom- und raketenwaffenfreien Zone in Mitteleuropa ;
Unterzeichnung eines Nichtangriffsabkommens zwischen den Staaten des
Nordatlantikbündnisses und den Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages ;
Verringerung der zahlenmäßigen Stärke der auf dem Gebiet Deutschlands und
anderer europäischer Staaten stationierten ausländischen Truppen ; Ausarbeitung
eines Abkommens über Fragen im Zusammenhang mit der Verhinderung von
Überraschungsangriffen ; Maßnahmen zur Ausweitung des internationalen Handels ;
Beendigung der Kriegspropaganda ; Möglichkeiten zum Abbau der Spannungen im
Gebiet des Nahen und Mittleren Ostens.
Gibt es irgendwelche Gründe für die Behauptung, daß nur die Sowjetunion an einer
guten Lösung der oben genannten Fragen interessiert ist und daß diese Fragen für die
Völker anderer Länder, einschließlich der Vereinigten Staaten, von geringerer
Bedeutung sind ? Die oben genannten Fragen wurden vom Leben selbst aufgeworfen,
von der gesamten Entwicklung der internationalen Beziehungen in den letzten
Jahren. Wenn wir uns von den Interessen der Festigung des Friedens leiten lassen,
kann es keine andere Meinung geben, als daß es für die UdSSR, die Vereinigten
Staaten, Großbritannien, Frankreich und andere Länder gleichermaßen von Vorteil
wäre, wenn vereinbarte Maßnahmen ergriffen würden, um die Gefahr eines Raketen-
Nuklearkrieges zu vermindern, den Rüstungswettlauf zu beenden, die durch den
"Kalten Krieg" verursachten Spannungen in den internationalen Beziehungen zu
beseitigen und die Gefahr von Konflikten in denjenigen Gebieten der Welt zu
vermindern, in denen angesichts der dort bestehenden Spannungen solche Konflikte
besonders leicht ausbrechen können.
Die Sowjetregierung hat die Wünsche der US-Regierung und der Regierungen
anderer westlicher Mächte hinsichtlich der Fragen, die sie auf einem Gipfeltreffen zur
Diskussion stellen wollen, voll berücksichtigt.
In dem Bestreben, den Weg für ein Treffen auf höchster Ebene zu ebnen und in
Kenntnis der Überlegungen der Westmächte, kündigte die Sowjetregierung ihr
Einverständnis an, auf einem Gipfeltreffen die Problematik des Verbots der Nutzung
des Weltraums für kriegerische Zwecke und die der Abschaffung ausländischer
Militärstützpunkte auf dem Hoheitsgebiet anderer Länder zu diskutieren. Darüber
hinaus erklärte die Sowjetregierung ihre Bereitschaft, die Problematik des
Abschlusses eines deutschen Friedensvertrages und der Entwicklung der Beziehungen
und Kontakte zwischen den Ländern zu erörtern.
Die Problematiken, die die Sowjetregierung zur Erörterung auf dem Gipfeltreffen
vorschlägt, berücksichtigen also auch die Vorschläge der US-Regierung, über die
wertvolle Verhandlungen zum Zwecke des Abbaus der Spannungen im internationalen
Klima geführt werden könnten. Daher kann man der Behauptung im Aide-Mémoire
der US-Regierung nicht zustimmen, die Sowjetregierung beanspruche ein Vetorecht
bei der Festlegung der auf dem Gipfeltreffen zu behandelnden Probleme oder
besondere Privilegien und Befugnisse auf der Konferenz selbst. Eine solche
willkürliche Interpretation der Position der Sowjetunion im Hinblick auf die
Vorbereitung des internationalen Treffens hat nichts mit dem tatsächlichen Sachstand
zu tun.
260 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

In ihrem Aide-Mémoire erklärt die US-Regierung, daß sie sich bei der Prüfung von
Fragen im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Gipfeltreffens von ernsthaften
Absichten leiten läßt. Es versteht sich von selbst, daß eine solche Absicht nur
lobenswert ist.
Es ist jedoch erstaunlich, daß die US-Regierung die Möglichkeit einräumt, daß das
Gipfeltreffen zu einer Art Theatershow, einem Spektakel, wird. Es sollte angemerkt
werden, daß derartige Äußerungen über eine Gipfelkonferenz, in die die Völker so viele
Hoffnungen setzen, gelinde gesagt seltsam sind. Auch wenn einige westliche Kreise die
Absicht haben, die Idee eines Treffens auf höchster Ebene zu verleumden, so ist doch
zu hoffen, daß dies nicht die Haltung der US-Regierung widerspiegelt.
Was die Sowjetregierung betrifft, so hat sie mehr als einmal erklärt, daß sie der
heilbringenden Wirkung auf das gesamte internationale Klima und dem wichtigen
Beitrag für den Frieden, den ein Treffen unter Beteiligung der Regierungsoberhäupter
leisten würde, außerordentlich große Bedeutung beimißt.
Darüber hinaus kann von einem konstruktiven Ansatz der US-Regierung für ein
Gipfeltreffen nicht die Rede sein, wenn sie weiterhin auf der Erörterung des
sogenannten Problems der Lage in den osteuropäischen Ländern besteht. Es fällt
schwer zu glauben, daß die US- Regierung nicht begreift, daß ein solcher Vorschlag
von der Sowjetunion und den Ländern, deren Lage sie auf einer internationalen
Konferenz zum Thema machen will, nur entschieden verurteilt werden kann. Allein
die Tatsache, daß diese Frage aufgeworfen wird, ist eine Beleidigung für diese Staaten
und in den internationalen Beziehungen unerlaubt.
Niemand hat den Vereinigten Staaten oder irgendeinem anderen Land die Befugnis
gegeben, als Richter aufzutreten, die darüber entscheiden, ob ein bestimmtes Land
sein Gesellschafts- und Staatssystem von seinem Volk wählen lassen sollte oder nicht.
Wer heute, geleitet von seiner Feindseligkeit gegenüber dem Sozialismus, die Frage
nach einer Änderung des Gesellschaftssystems in den osteuropäischen Ländern stellt,
der treibt die Welt auf den Weg entfachender Feindschaft zwischen den Völkern, auf
den Weg des Krieges. Aber dann ist es angemessen zu fragen: Was haben
internationale Verhandlungen und ein Gipfeltreffen zum Abbau internationaler
Spannungen damit zu tun ?
Die Sowjetregierung hat bereits mehr als einmal darauf hingewiesen, wie gefährlich
es für den Frieden wäre, ideologische Differenzen in den Bereich der internationalen
Beziehungen zu tragen. Dieser Standpunkt findet international immer breitere
Anerkennung und schlug sich insbesondere in dem einstimmigen Beschluss der 12.
Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Problematik der
friedlichen Koexistenz der Staaten nieder. Das Aide-Mémoire der US-Regierung betont
jedoch die ideologischen Unterschiede und behauptet gleichzeitig, daß der
„internationale Kommunismus“ die Hauptursache für die Spannungen ist.
Wenn wir über die unüberwindbaren fundamentalen Unterschiede zwischen den
Gesellschaftssystemen, die Unterschiede zwischen Kapitalismus und Sozialismus,
diskutieren würden, wohin würde uns das führen und wie groß wären die Chancen
einer Wiederannäherung zwischen den Staaten ? In diesem Fall würde die Kluft
zwischen den Staaten in Ost und West zweifelsohne noch tiefer werden und die
Gewinner wären diejenigen, die in den internationalen Beziehungen Feindseligkeit
und Zwietracht säen.
Was die eigentliche Ursache der Spannungen in den heutigen internationalen
Beziehungen betrifft, so ist es ein offenes Geheimnis, daß diese Ursache in der von den
Westmächten betriebenen Politik des „Kalten Krieges“, der Bildung aggressiver
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 261

militärischer Bündnisse und dem ständig zunehmenden Rüstungswettlauf liegt, der


täglich zu einer immer stärkeren Aufrüstung der Staaten führt und bereits eine
gewaltige Vernichtungsmaschinerie geschaffen hat. Wer würde heute noch leugnen,
daß diese Maschinerie, wenn sie in Gang gesetzt würde, unsägliches Unheil für die
Menschheit bedeuten würde.
Auch das Thema der Vereinigung der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu
einem einzigen Staat kann nicht Gegenstand eines Gipfeltreffens sein, da diese
Angelegenheit ausschließlich in die Zuständigkeit der beiden deutschen Staaten selbst
fällt. Wäre eine Verschärfung der zwischenstaatlichen Beziehungen das Ziel, wäre der
Vorschlag, die Frage durch eine internationale Konferenz zu erörtern, verständlich.
Die Sowjetregierung ist jedoch der Auffassung, daß die Teilnehmer der Konferenz von
den Interessen ihres Erfolges ausgehen und davon Abstand nehmen sollten, Fragen
vorzuschlagen, die die Einberufung einer solchen Konferenz gefährden würden.
Die Sowjetregierung hält es für sehr wichtig, daß in nächster Zukunft eine
Vereinbarung über praktische Fragen der Vorbereitung einer Gipfelkonferenz
getroffen wird. In seiner Mitteilung vom 12. Januar 1958 erklärte Präsident
Eisenhower, er sei auch bereit, mit den sowjetischen Führern zusammenzutreffen, um
Vorschläge zu erörtern, die von der Sowjetregierung zur Gipfelbesprechung
eingebracht wurden. Wie bereits oben erwähnt, hat die Sowjetregierung auch ihre
Bereitschaft bekundet, eine Reihe von Fragen, die von der amerikanischen Regierung
vorgebracht wurden, auf einer Konferenz auf höchster Ebene zu erörtern.
Leider geht das amerikanische Aide-Mémoire nicht auf den Vorschlag der
Sowjetregierung vom 28. Februar zur Tagesordnung des Gipfels ein. Die
amerikanische Regierung beschränkt sich auf die Aussage, daß eine neue Konferenz
der Regierungsoberhäupter die vorangegangene Konferenz nicht ignorieren dürfe und
zwar, daß eine neue Gipfelkonferenz dort beginnen müsse, wo die Genfer Konferenz
der Regierungsoberhäupter aufgehört habe.
Es ist jedoch offensichtlich, daß ein solcher Ansatz die Tatsache völlig außer acht
läßt, daß seit der Genfer Konferenz beträchtliche Zeit verstrichen ist und sich die
internationale Lage erheblich verändert hat. Deshalb hat die Sowjetregierung
vorgeschlagen, entsprechend der aktuellen Weltlage einen neuen Ansatz zur Lösung
der drängenden internationalen Probleme zu finden.
Die Sowjetregierung berücksichtigt, daß es unter den gegenwärtigen Umständen für
eine Gipfelkonferenz schwierig wäre, eine Einigung über alle dringenden
internationalen Probleme zu erzielen. Wir haben vorgeschlagen, daß die Konferenz
ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die dringendsten Probleme richtet, deren
Lösung eine Verbesserung der internationalen Lage insgesamt einleiten würde. Die
Prüfung anderer Probleme könnte auf eine spätere Phase der Gespräche zwischen den
Staaten verschoben werden. Unter Berücksichtigung der Lehren aus der
Vergangenheit und in dem Wunsch zu verhindern, daß das wichtige Anliegen der
Entspannung der internationalen Spannungen vereitelt wird, schlugen wir daher vor,
einen neuen Ansatz zur Lösung der ungeklärten internationalen Probleme zu finden
und die Methode der schrittweisen Lösung dieser Probleme als die realistischste und
gerechtfertigtste anzunehmen.
Die Sowjetregierung ist der Auffassung, daß die Lösung der von ihr zur Erörterung
auf dem Gipfeltreffen vorgeschlagenen Frage in völligem Einklang mit den Wünschen
der Völker stünde und einen wichtigen Anfang für eine grundlegende Veränderung der
262 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

internationalen Lage und die Beendigung des Kalten Krieges darstellen würde.
Da es dem Aide-Mémoire der US-Regierung nicht gelingt, den Stand der Dinge im
Zusammenhang mit der Erörterung des Abrüstungsproblems in den Vereinten
Nationen unvoreingenommen darzustellen, muss daran erinnert werden, daß es die
Westmächte waren, die auf der 12. Tagung der Generalversammlung der Vereinten
Nationen den Vorschlag für eine solche Zusammensetzung der UN-
Abrüstungskommission ablehnten, die eine gebührende Berücksichtigung der
Ansichten der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen ermöglichen würde.
Anstatt geduldig nach für alle Seiten akzeptablen Entscheidungen zu suchen,
verabschiedete die Sitzung unter offenkundigem Druck eine Resolution, die eine
Zusammensetzung der Abrüstungskommission vorsieht, in der die absolute Mehrheit
den Befürwortern der militärischen Ausrichtung der Westmächte gehört.
So haben die Westmächte ihre Mehrheit für offensichtlich unangemessene Zwecke
ausgenutzt und tatsächlich Abrüstungsgespräche mit ihrem Veto verhindert und das
Erreichen von fruchtbaren Ergebnissen unmöglich gemacht.
Ist es tatsächlich möglich, in der Abrüstungsfrage Fortschritte zu erzielen, indem
man Entscheidungen durchsetzt, die für eine der Seiten, für eine Mächtekonstellation,
vorteilhaft sind und die rechtmäßigen Interessen der anderen Seite verletzen ? Es ist
klar, daß kein Staat die Verletzung seiner nationalen Interessen erlauben kann,
unabhängig von der Anzahl inakzeptabler Entscheidungen, die die Teilnehmer des
westlichen militärischen Bündnisses mit Hilfe ihrer Mehrheit durchsetzen wollen.
Angesichts der Existenz zweier Gesellschaftssysteme darf es heute keine andere
Politik geben als eine vernünftige Politik der Suche nach gegenseitig annehmbaren
Entscheidungen, die weder jemandem einen Vorteil verschaffen noch die
Sicherheitsinteressen der anderen verletzen. Es erübrigt sich in diesem Fall, auf das
Abrüstungsproblem näher einzugehen, denn die Sowjetregierung hat ihren
Standpunkt in ihren Mitteilungen an die US-Regierung bereits hinreichend deutlich
dargelegt.
Wer in den Gipfelgesprächen ein zuverlässiges Mittel zum Abbau der
internationalen Spannungen und zur Beendigung des Kalten Krieges sieht, den die
Völker zu hassen begonnen haben, kann von der Aide-Mémoire der US-Regierung nur
enttäuscht werden. Die Sowjetregierung, die aus dem Bedürfnis nach einem möglichst
raschen Abschluss der Vorbereitungen für eine Gipfelkonferenz heraus handelt,
möchte, daß die US-Regierung ihre Ansichten zu den Fragen darlegt, die die
Sowjetunion zur Erörterung auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz vorgeschlagen
hat, so wie es die Sowjetregierung in Bezug auf die amerikanischen Vorschläge getan
hat.
Die Sowjetregierung hält es ebenfalls für notwendig, daß die Frage der
Zusammensetzung der Gipfelkonferenz, ihres Termins und ihres Ortes in nächster
Zukunft geklärt wird.
Geleitet von dem Wunsch, die Vorbereitungen für eine Gipfelkonferenz zu
beschleunigen und ausgehend von der Tatsache, daß zu diesem Zweck alle Mittel und
Wege genutzt werden sollten, um eine möglichst rasche Einigung herbeizuführen, hat
die Sowjetregierung einer Außenministerkonferenz zur Vorbereitung eines
Spitzentreffens der Regierungsoberhäupter zugestimmt und vorgeschlagen, die
Ministerkonferenz im April 1958 abzuhalten.
Gleichzeitig ist sie von der Tatsache ausgegangen, daß sich der Umfang der von den
Ministern zu erörternden Fragen auf Probleme beschränken sollte, die mit der
organisatorischen Vorbereitung eines Gipfeltreffens zusammenhängen––
Tagesordnung, Zusammensetzung des Gipfeltreffens, Zeitpunkt und Ort.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 263

Eine inhaltliche Erörterung der vorgebrachten Fragen sollte, nach Ansicht der
Sowjetregierung, dem Gipfeltreffen unter Beteiligung der Regierungsoberhäupter
vorbehalten bleiben. Es kann kaum bezweifelt werden, daß ein Treffen der
Regierungsoberhäupter, das mit den weitreichendsten Befugnissen ausgestattet ist
und weit weniger durch die in solchen Fällen üblichen Anweisungen beeinträchtigt
wird, bessere Erfolgsaussichten hat, insbesondere wenn es darauf abzielt, die
allgemeine Tendenz in den internationalen Beziehungen zu ändern und sie in
Richtung auf die Beseitigung der bestehenden Spannungen zu lenken.
Wird dagegen die Außenministerkonferenz mit der inhaltlichen Prüfung der Fragen
betraut, so ist zu befürchten, daß dies die Einberufung eines Gipfeltreffens keineswegs
begünstigen, sondern im Gegenteil verzögern und das Erzielen einer Einigung über die
erörterten Fragen erschweren könnte. Es widerspricht der Logik, die Notwendigkeit
und Nützlichkeit einer Gipfelkonferenz anzuerkennen und gleichzeitig alles zu tun,
um eine solche Konferenz immer weiter zu verzögern oder ihre Einberufung mit dem
Vorwand in Frage zu stellen, daß die Außenministerkonferenz im Vorfeld auf kaum
überwindbare Gegensätze gestoßen sei.
Die Sowjetregierung hofft, daß die US-Regierung die oben dargelegten Erwägungen
über die Notwendigkeit, ohne weiteren Aufschub eine konkrete Diskussion über
Fragen der Vorbereitung und Einberufung sowohl einer Ministerkonferenz als auch
einer Gipfelkonferenz einzuleiten, mit gebührender Aufmerksamkeit prüfen wird.
_________

Äußerungen des Außenministers Dulles auf einer Pressekonferenz zur


Frage eines Gipfeltreffens, 25. März 1958 1
[Auszüge]
* * * * * * *
F. Herr Minister, wenn man den Austausch von Mitteilungen zum Thema
Gipfelkonferenz in der letzten Woche liest, fällt es schwer, in dieser ganzen Situation
etwas ausdrücklich Neues zu finden. Wie schätzen Sie den Stand der Dinge in der
Frage der Gipfelkonferenz ein ?
A. Es war mir noch nicht möglich, die sowjetische Mitteilung, die ich erst gestern
Abend erhalten habe, gründlich und detailliert zu studieren. Aber es scheint, als
strebten die Sowjets danach, einen furchtbar hohen politischen Preis als Bedingung
für ein Gipfeltreffen zu fordern. Wie Sie wissen, hat Präsident Eisenhower
unmissverständlich klargestellt, daß er ein Gipfeltreffen anstrebt, wenn auch nur die
geringste Chance besteht, wesentliche Vereinbarungen zu erzielen, die die
internationale Lage entspannen und den Frieden wahrscheinlicher machen. Aber was
immer offensichtlicher wird und ich glaube durch diesen Briefwechsel offengelegt
wurde, ist, daß die Sowjets einen sehr hohen politischen Preis als Bedingung für ein
solches Treffen verlangen und die Frage ist, ob es genug Hoffnung für ein solches
Treffen gibt, um die Zahlung des politischen Preises zu rechtfertigen, den die Sowjets
zu verlangen scheinen.
Ich habe hier in aller Eile einige der Preisschilder notiert, die sie anscheinend
anbringen und ich möchte Ihnen diese vorlesen, wenn Sie gestatten, um meinen
Standpunkt zu veranschaulichen :

1 Pressemitteilung 150 des Außenministeriums, 25. März 1958.


264 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

1 ) Die Gleichsetzung bestimmter osteuropäischer Regierungen, wie die der


Tschechoslowakei und Rumäniens, mit westlichen Regierungen wie die des
Vereinigten Königreichs, Frankreichs und Italiens ;
2 ) Akzeptanz der Legitimität des ostdeutschen Marionettenregimes und
Duldung der weiteren Teilung Deutschlands ;
3 ) Beendigung der vereinbarten gemeinsamen Verantwortung der vier
ehemaligen Besatzungsmächte Deutschlands für die Wiedervereinigung
Deutschlands, eine Verantwortung, die 1955 in Genf bekräftigt wurde ;
4 ) Akzeptanz der sowjetischen Forderung nach zahlenmäßiger Parität in
Gremien, die sich mit Angelegenheiten wie Abrüstung befassen, die in die
Zuständigkeit der Generalversammlung der Vereinten Nationen fallen––eine
„Parität“, die, wenn sie zugestanden wird, den Sowjets ein Vetorecht in vielen
Aufgabenbereichen der Generalversammlung einräumen würde––was es ihnen
ermöglichen würde, sich dem Willen der großen Mehrheit zu entziehen und
somit die Vereinten Nationen weiter zu schwächen, indem sie in wichtigen
Gesichtspunkten dieselben Schwächen in die Generalversammlung einbringen
würden, die den Sicherheitsrat gelähmt haben ;
5 ) Die Annahme einer Agenda, die so formuliert ist, daß nahezu jeder Punkt–
–neun von elf––die Annahme einer grundlegenden sowjetischen These
impliziert, die die Westmächte ablehnen.
Ich möchte mit der Verdeutlichung dieses Preisschildes nicht andeuten, daß ich
glaube, daß es keine Gipfelkonferenz geben wird.
* * * * * * *
F. Herr Minister, in der gestrigen Mitteilung der sowjetischen Regierung wurde
auf die Möglichkeit hingewiesen, einen deutschen Friedensvertrag sowie einen Pakt
zwischen den Warschauer Mächten und den NATO-Mächten zu erörtern. Eröffnen
diese beiden Punkte als Tagesordnungspunkte nicht die gesamte Frage der
Wiedervereinigung Deutschlands und auch die Stellung Osteuropas, die Sie
diskutieren wollen ?
A. Ich habe eher das Gefühl, daß sie dazu neigen, die Tür für die Dinge, die wir
diskutieren wollen, ziemlich zu verschließen. Zumindest die Sowjets würden einen
solchen Tagesordnungspunkt so interpretieren, daß die Diskussion auf bestimmte
Themen beschränkt wird, nämlich auf einen Friedensvertrag, der beide deutsche
Staaten einschließt und auf die Gleichsetzung des Warschauer Paktes mit der NATO-
Gruppe. Ich wäre äußerst besorgt, wenn die Tagesordnung in dieser Form
angenommen würde, ohne zumindest klarzustellen, daß wir die Tagesordnung so
auslegen, daß sie die Möglichkeit eröffnet, diese anderen Punkte zu erörtern. Sie
werden sich erinnern, daß es auf der letzten Gipfelkonferenz in Genf einen sehr
ausgedehnten und ziemlich scharfen Meinungsaustausch in der nichtöffentlichen
Sitzung über die Bezeichnung und den Titel, der diesen Themen gegeben werden sollte,
gab. Schließlich haben wir uns auf den Titel „Europäische Sicherheit und Deutschland“
geeinigt, der unseres Erachtens weit genug gefasst ist, um die von Ihnen
angesprochenen Themen zu behandeln.
Wenn wir nun eine Einschränkung dieses Tagesordnungspunktes akzeptieren
würden, wie es die Sowjets vorschlagen, würden sie sicherlich argumentieren, daß wir
zugestimmt hätten, zu diesem Zeitpunkt auf jede Diskussion über die
Wiedervereinigung Deutschlands zu verzichten. In der Tat sind sie ganz kategorisch
und waren dies in einer ganzen Reihe von Mitteilungen, die sie veröffentlicht haben,
daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands nicht für diskutierbar halten. Wenn wir
einen solchen Tagesordnungspunkt in der von ihnen vertretenen Auslegung
akzeptieren, würde ich denken, daß––obwohl es natürlich niemanden gibt, der die
westlichen Regierungsoberhäupter physisch daran hindern würde, die Worte
„Wiedervereinigung Deutschlands“ auszusprechen und wir könnten diese Wörter
wahrscheinlich verwenden––bin ich mir ziemlich sicher, daß von der anderen Seite be-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 265
hauptet würde, daß die Bedingungen der Konferenz dies implizit oder sogar explizit
ausgeschlossen haben.
* * * * * * *
F. Herr Minister, würden die Vereinigten Staaten einen Tagesordnungspunkt
akzeptieren, bei dem dieselbe Sprache verwendet wird, wie beim letzten Gipfeltreffen
über europäische Sicherheit und Deutschland, und ist es korrekt, daß es „Deutschland“
oder „deutsche Wiedervereinigung“ heißt ?
A. Die Überschrift des Tagesordnungspunktes lautete „Europäische Sicherheit und
Deutschland“. Unter dieser Überschrift fand sich eine recht ausführliche Diskussion
über die deutsche Wiedervereinigung. Es ist also ziemlich offensichtlich, daß dieser
Titel das Konzept der deutschen Wiedervereinigung in sich trägt. Und zudem, das wird
in dem vorangehenden Satz deutlich, den Auftakt, der dazu führt, daß die Mächte, wie
es heißt, den engen Zusammenhang zwischen europäischer Sicherheit und der
Wiedervereinigung Deutschlands erkennen.
F. Würden wir dann einen solchen Punkt für die Tagesordnung akzeptieren ?
A. Ich möchte in keiner dieser Fragen absolut kategorisch sein. Ich denke, daß, als
ich sagte, daß wir der Meinung sind, daß ein zweites Gipfeltreffen dort beginnen sollte,
wo das letzte aufgehört hat, unsere Ansicht klar ist. Aber all diese Fragen müssen mit
unseren Verbündeten diskutiert werden. Ich glaube, morgen findet eine weitere
Sitzung des NATO-Rates zu diesem allgemeinen Thema statt. Ich möchte nicht im
Alleingang Positionen einnehmen, die zunächst einmal mit unseren Verbündeten
erörtert werden sollten.
* * * * * * *
____________

Erklärung des britischen, französischen und amerikanischen Botschafters


bei der sowjetischen Regierung zu den Vorbereitungen für ein
Gipfeltreffen, 31. März 1958 1
Die gegenwärtige internationale Lage erfordert einen ernsthaften Versuch, eine
Einigung über die wichtigsten Probleme zu erzielen, die die Verwirklichung von
Frieden und Stabilität in der Welt betreffen. Unter diesen Umständen ist ein
Gipfeltreffen wünschenswert, wenn es die Möglichkeit bietet, ernsthafte Diskussionen
über wichtige Probleme zu führen, und wenn es ein wirksames Mittel ist, um eine
Einigung über wichtige Themen zu erzielen.
Bevor ein Gipfeltreffen unter diesen Bedingungen stattfinden kann, sind natürlich
Vorbereitungsarbeiten erforderlich.
Diese Vorbereitungsarbeit könnte am besten durch einen Austausch auf
diplomatischem Wege erfolgen, der zu einem Treffen der Außenminister führt.
Der Hauptzweck dieser vorbereitenden Arbeiten sollte darin bestehen, den
Standpunkt der verschiedenen Regierungen zu den wichtigsten zwischen ihnen
strittigen Fragen zu prüfen und festzulegen, welche Themen den Regierungschefs zur
Prüfung vorgelegt werden sollten. Ziel dieser vorbereitenden Gespräche wäre es nicht,
Beschlüsse zu fassen, sondern in einer allgemeinen Diskussion die Möglichkeiten einer
Einigung aufzuzeigen.
Wenn die Außenminister die vorbereitenden Arbeiten zu ihrer Zufriedenheit
abgeschlossen haben, werden sie sich über Ort und Zeitpunkt des Gipfeltreffens
einigen und über dessen Zusammensetzung entscheiden.

1 Pressemitteilung 159 des Außenministeriums, 31. März 1958. Die Erklärung war zuvor vom NATO-Rat

gebilligt worden.
266 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wenn dieses Verfahren für die Sowjetische Regierung annehmbar ist, wird
vorgeschlagen, daß der diplomatische Austausch in Moskau in der zweiten Aprilhälfte
beginnen soll.
___________

Note des amerikanischen Botschafters (Beam) an den stellvertretenden


polnischen Außenminister (Winiewicz), zum Rapacki-Plan, 3. Mai 1958 1
Ich habe die Ehre, den Empfang der Nachricht von Herrn Rapacki vom 14. Februar
1958, die ein Memorandum über die Vorschläge der polnischen Regierung zur
Einrichtung einer kernwaffenfreien Zone in Mitteleuropa enthält, bestätigen zu
dürfen.
In der Überzeugung, daß die Initiative der polnischen Regierung dem Wunsch
entspringt, einen Beitrag zur Erreichung eines stabilen und dauerhaften Friedens zu
leisten, hat meine Regierung diese Vorschläge ernsthaft und sorgfältig geprüft. Auf
der Grundlage dieser Prüfung ist sie zu dem Schluß gekommen, daß sie in ihrer
Tragweite zu begrenzt sind, um die Gefahr eines Atomkrieges zu verringern oder eine
zuverlässige Grundlage für die Sicherheit Europas zu schaffen. Sie befassen sich weder
mit der wesentlichen Frage der fortgesetzten Produktion von Kernwaffen durch die
derzeitigen Atommächte noch berücksichtigen sie die Tatsache, daß die derzeitigen
wissenschaftlichen Techniken nicht ausreichen, um vorhandene Kernwaffen
aufzuspüren. Der vorgeschlagene Plan berührt nicht die zentralen Machtquellen, die
in der Lage sind, einen nuklearen Angriff auszuführen, so daß seine Wirksamkeit von
den guten Absichten der Länder außerhalb des Gebiets abhängen würde. Die
Vorschläge gehen an den zentralen Problemen der europäischen Sicherheit vorbei, weil
sie keine Methode für eine ausgewogene und gerechte Begrenzung der militärischen
Fähigkeiten vorsehen und die grundlegende Ursache der Spannungen in Europa durch
die Hinnahme der Fortsetzung der deutschen Teilung aufrechterhalten würden.
Ein Abkommen, das sich auf den Ausschluss von Kernwaffen aus dem von Ihrer
Regierung angegebenen Gebiet beschränkt, ohne andere Arten der Begrenzung würde,
selbst wenn sie kontrollierbar wäre, die Sicherheit der westeuropäischen Länder in
Anbetracht der großen und weit verbreiteten Streitkräfte der Sowjetunion gefährden.
Wenn die westlichen Streitkräfte in Deutschland nicht mit Kernwaffen ausgerüstet
sind, wären sie unter den gegenwärtigen Umständen gegenüber der zahlenmäßig
größeren Masse der in unmittelbarer Nähe Westeuropas stationierten sowjetischen
Truppen, die, wie die sowjetische Führung deutlich gemacht hat, mit den modernsten
und zerstörerischsten Waffen, einschließlich Raketen aller Art, ausgerüstet sind, sehr
im Nachteil.
Die oben dargelegten Überlegungen haben die Vereinigten Staaten veranlasst,
gemeinsam mit anderen westlichen Mächten vorzuschlagen, daß die Staaten die
Produktion von Material für Kernwaffen einstellen, die Tests solcher Waffen beenden
und mit dem Abbau der vorhandenen Bestände beginnen. Die Vereinigten Staaten
haben ferner vorgeschlagen, die Inspektionsgebiete gegen Überraschungsangriffe
auszuweiten, einschließlich eines Gebiets in Europa, das ungefähr vom Vereinigten
Königreich bis zum Uralgebirge reicht. Wir sind weiterhin bereit, dies zu tun. Sie
werden sich im übrigen daran erinnern, daß die westlichen Staaten bei den
Abrüstungsverhandlungen in London angeboten haben, über eine begrenztere Zone in
Europa zu diskutieren. Was die Raketen betrifft, so werden Sie sich daran erinnern,
daß die Vereinigten Staaten vor mehr als anderthalb Jahren vorgeschlagen haben, mit
der Analyse der Inspektion und Kontrolle zu beginnen, die erforderlich sind, um die

1 Pressemitteilung 242 des Außenministeriums, 4. Mai 1958.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 267

ausschließliche friedliche Nutzung des Weltraums zu gewährleisten, die jetzt durch


die Entwicklung von Interkontinentalraketen und ballistischen Mittelstreckenraketen
bedroht ist.
Die Vereinigten Staaten haben zusammen mit anderen Westmächten auch
vorgeschlagen, daß in Verbindung mit der Wiedervereinigung Deutschlands eine
umfassende und wirksame europäische Sicherheitsvereinbarung getroffen wird. Die
vorgeschlagenen Vereinbarungen würden Begrenzungen sowohl der Streitkräfte als
auch der Rüstung, Maßnahmen zur Verhinderung von Überraschungsangriffen in dem
Gebiet und Reaktionsgarantien für den Fall einer Aggression vorsehen.
In Ihrer Note ist die Rede von der Existenz gegnerischer militärischer
Gruppierungen in Mitteleuropa, die für die Spannungen in diesem Gebiet
verantwortlich sind. Ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, daß die gegenwärtige
Teilung Europas in erster Linie auf die Entscheidung der Sowjetunion zurückzuführen
ist, den osteuropäischen Nationen die Teilnahme am Europäischen Wiederaufbauplan
zu verweigern. Ich brauche auch nicht die vielen Zusicherungen hinsichtlich des
defensiven Charakters der Nordatlantikpakts zu wiederholen, der sich in seinem
gesamten Organisations- und Kommandostruktur widerspiegelt. Die gesamte
Geschichte ihrer Entstehung und Entwicklung zeugt davon, auch wenn in einigen
Kreisen hartnäckig versucht wird, das Gegenteil darzustellen.
In Ermangelung wirksamer allgemeiner oder regionaler Vereinbarungen, die eine
wirkliche Sicherheit fördern würden und in Anbetracht der gegenwärtigen Politik und
Rüstung der Sowjetunion haben die westeuropäischen Länder sowie Kanada und wir
selbst, die wir uns mit ihnen verbündet haben, keine andere Wahl, als das erforderliche
Muster einer integrierten militärischen Stärke der NATO zu entwickeln und für
Verteidigungszwecke die modernen Entwicklungen bei Waffen und Techniken zu
nutzen.
Die Ansichten, die ich oben im Namen meiner Regierung dargelegt habe, zeigen die
grundlegenden Gründe auf, warum die Vereinigten Staaten der Ansicht sind, daß die
Vorschläge der polnischen Regierung zur Einrichtung einer kernwaffenfreien Zone in
Mitteleuropa nicht dazu dienen würden, ihre erklärten Ziele zu erreichen. Dennoch
würdigen die Vereinigten Staaten die Initiative der polnischen Regierung, eine Lösung
für diese Probleme zu suchen. Sie hoffen, daß dieser Briefwechsel die polnische
Regierung in die Lage versetzen wird, die amerikanischen Vorschläge auf dem Gebiet
der europäischen Sicherheit und Abrüstung besser zu verstehen. Ich vertraue darauf,
daß die verbesserten Beziehungen zwischen Polen und den Vereinigten Staaten als
Grundlage für eine bessere Verständigung zwischen unseren beiden Ländern in diesen
wie auch in anderen Fragen dienen werden.
268 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Memorandum von Außenminister Gromyko an die westlichen Botschafter,


zur Tagesordnung eines möglichen Gipfeltreffens, 8. Mai 1958 1
[Auszüge]

[Offizielle Übersetzung]

VORSCHLÄGE DER REGIERUNG DER SOWJETUNION ZU DEN


FRAGEN, DIE AUF DER KONFERENZ UNTER TEILNAHME DER
REGIERUNGSCHEFS ZU BEHANDELN SIND

Am 8. Januar 1958 legte die Sowjetische Regierung den anderen Regierungen ihre
konkreten Vorschläge zu Problemen des Abbaus internationaler Spannungen zur
Prüfung vor. Diese Vorschläge sehen eine Konferenz hochrangiger Regierungsbeamter
unter Beteiligung der Regierungschefs vor, auf der Fragen erörtert werden sollen,
deren Lösung den Abbau der internationalen Spannungen und die Schaffung von
Vertrauen in den Beziehungen zwischen den Staaten fördern würde.
Nach wie vor ist die Sowjetische Regierung der Ansicht, daß eine Reihe dringender
internationaler Probleme auch in der jetzigen Zeit gelöst werden kann. Sie vertritt den
Standpunkt, daß es notwendig und möglich ist, eine Einigung zwischen den Staaten
über offene Fragen in den internationalen Beziehungen zu erzielen. Die Sowjetunion
hat ihrerseits eine Reihe solcher Fragen aufgelistet und ist bereit, sich an der
Erörterung anderer Probleme zu beteiligen, die von den Teilnehmern der Konferenz
auf dem Gipfel vorgeschlagen werden könnten, vorausgesetzt natürlich, daß diese
Fragen in die Zuständigkeit des internationalen Treffens fallen und auf die Stärkung
des Friedens gerichtet sind.
Die sowjetische Regierung ist der festen Überzeugung, daß, wenn die
Regierungschefs fest entschlossen sind, ihre Anstrengungen der Suche nach
beiderseitig annehmbaren Lösungen für die drängenden internationalen Probleme zu
widmen, man mit Sicherheit sagen kann, daß die bevorstehende Gipfelkonferenz die
notwendige Wende in der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Staaten in
Richtung auf eine Verbesserung der gesamten internationalen Lage und die
Beendigung des „Kalten Krieges“ bringen wird.
In Anbetracht des Meinungsaustauschs, der über die Frage der Einberufung einer
Gipfelkonferenz stattgefunden hat, und in dem Bestreben, den Abschluss der
Vorbereitungsarbeiten für diese Konferenz in möglichst kurzer Zeit zu erleichtern, legt
die sowjetische Regierung ihrerseits der Konferenz die folgenden Fragen zur Prüfung
vor und legt gleichzeitig einige Ansichten zu diesen Fragen dar:
* * * * * * *
3. Schaffung einer atom-, wasserstoff- und raketenwaffenfreien Zone in
Mitteleuropa
Gegenwärtig stehen sich in Mitteleuropa zwei Staatengruppen gegenüber, in denen
Streitkräfte und Waffensysteme verschiedener Art in für Friedenszeiten
ungewöhnlichen Mengen konzentriert sind. Allein dieser Umstand stellt eine ernste
Bedrohung für den Frieden dar, und es ist unmöglich, die Tatsache zu ignorieren, daß
in einer solchen Situation durch böse Absicht oder durch Zufall das Feuer eines neuen

1 Bulletin des Außenministeriums, 7. Juli 1958, S. 17–22. Für den nächsten Schritt in den „Gipfel“-
Verhandlungen siehe Memorandum des Westens vom 28. Mai 1958 (siehe unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 269

Krieges unter Einsatz der modernsten Vernichtungsmittel, das heißt der Atom- und
Raketenwaffen, ausbrechen kann.
Um der Gefahr einer solchen Entwicklung vorzubeugen, hält es die Sowjetregierung
für zweckmäßig, auf der Konferenz den Vorschlag der Regierung der Volksrepublik
Polen zu prüfen, in Europa eine atom-, wasserstoff- und raketenwaffenfreie Zone zu
schaffen, die die Gebiete der Volksrepublik Polen, der Tschechoslowakischen Republik,
der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland
umfassen würde. Die Verpflichtung dieser Staaten, auf ihrem Territorium keine
Kernwaffen aller möglichen Typen herzustellen oder deren Stationierung zuzulassen,
sowie die Errichtung von Abschussrampen für Raketen, die nukleare Sprengköpfe
tragen können, würde zweifellos dazu beitragen, die Möglichkeit des Ausbruchs
militärischer Konflikte in der Mitte Europas zu verhindern. Da die Regierungen der
Polnischen Volksrepublik, der Tschechoslowakischen Republik und der Deutschen
Demokratischen Republik bereits ihr Einverständnis erklärt haben, in eine
atomwaffenfreie Zone einbezogen zu werden, hängt die Schaffung einer solchen Zone
nur noch von der Zustimmung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ab.
Eine Einigung zwischen den Regierungen der UdSSR, der USA, des Vereinigten
Königreichs und Frankreichs über die Zweckmäßigkeit der Schaffung einer
atomwaffenfreien Zone in diesem Teil Europas würde es zweifellos erleichtern, mit der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland eine Vereinbarung über den Beitritt der
Bundesrepublik Deutschland zu dieser Zone zu treffen.
Die Vereinbarung über die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Europa wird
wirksam sein, wenn die Mächte, die Atom- und Raketenwaffen zu den Rüstungsgütern
ihrer Streitkräfte zählen, neben den entsprechenden Verpflichtungen der zu dieser
Zone gehörenden Staaten ihrerseits die Verpflichtung übernehmen, den Status dieser
Zone zu respektieren und das Territorium der zu ihr gehörenden Staaten als aus dem
Anwendungsbereich von Atom-, Wasserstoff- und Raketenwaffen ausgeschlossen zu
betrachten. Die Sowjetunion hat bereits ihre Bereitschaft erklärt, die oben genannten
Verpflichtungen zu übernehmen, wenn die Regierungen der USA, des Vereinigten
Königreichs und Frankreichs dasselbe tun.
Die Verpflichtungen der in die Zone einbezogenen Staaten und die Verpflichtungen
der Großmächte könnten sowohl in Form eines entsprechenden internationalen
Vertrages als auch in Form von entsprechenden einseitigen Erklärungen geregelt
werden.
Um die Wirksamkeit der Verpflichtungen und ihre Erfüllung zu gewährleisten,
wären die betreffenden Staaten verpflichtet, auf dem Gebiet der atomwaffenfreien
Zone ein System umfassender und wirksamer Kontrollen sowohl zu Lande als auch in
der Luft einzurichten, wobei die Kontrollpunkte im Einvernehmen der betreffenden
Staaten festgelegt werden. Die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Zentrum
Europas wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Beendigung des gefährlichen
Wettrüstens und zur Beseitigung der Gefahr eines Atomkrieges.
4. Nichtangriffspakt
In dem Bestreben, den Abbau der internationalen Spannungen voranzutreiben, ist
die Sowjetische Regierung der Auffassung, daß es im Interesse der Beendigung des
„Kalten Krieges“ und des Wettrüstens wäre, in der einen oder anderen Form einen
Nichtangriffspakt (oder ein Abkommen) zwischen den Mitgliedstaaten der NATO und
270 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

den am Warschauer Pakt beteiligten Staaten zu schließen. Der Abschluss eines


solchen Paktes wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines
gesamteuropäischen Sicherheitssystems und zur Stärkung des gegenseitigen
Vertrauens und der Zusammenarbeit zwischen den Staaten.
Wenn die Westmächte den Wunsch äußern, einen solchen Pakt oder ein solches
Abkommen zu schließen, dann wäre es nach Ansicht der Sowjetischen Regierung nicht
schwierig, sich auf der Grundlage eines multilateralen Abkommens zwischen allen
Ländern, die der Organisation des Warschauer Paktes und der Nordatlantischen
Allianz angehören, oder zwischen bestimmten Ländern, die diesen Gruppen
angehören, oder schließlich in Form von Nichtangriffsabkommen auf bilateraler Basis
zwischen einzelnen Mitgliedern dieser Gruppen zu einigen.
Die Sowjetregierung ist der Auffassung, daß die Grundlage eines solchen
Abkommens der gegenseitige Verzicht der Vertragsparteien auf die Anwendung von
Gewalt oder die Androhung von Gewalt sowie die Verpflichtung sein muss,
Streitigkeiten, die zwischen den Vertragsparteien entstehen können, ausschließlich
mit friedlichen Mitteln beizulegen. Ferner sollte die Möglichkeit gegenseitiger
Konsultationen zwischen den Vertragsparteien im Zusammenhang mit der Erfüllung
der von ihnen im Rahmen des Abkommens eingegangenen Verpflichtungen ins Auge
gefasst werden.
Ein solcher Pakt könnte allen anderen europäischen Staaten zum Beitritt offen
stehen, um zu einem späteren Zeitpunkt die Schaffung eines gesamteuropäischen
Sicherheitssystems und die schrittweise Auflösung der bestehenden militärisch-
politischen Gruppierungen zu erleichtern.
Der von der sowjetischen Regierung vorgeschlagene Abschluss eines
Nichtangriffspaktes ist der erste Schritt zu einer radikalen Verbesserung der
Beziehungen zwischen den Staaten des Nordatlantischen Bündnisses und des
Warschauer Paktes und eine Voraussetzung für den späteren Abschluss eines
umfassenderen Vertrages über die europäische Sicherheit.
5. Verbot der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke; Auflösung auslän-
discher Militärstützpunkte in fremden Territorien; internationale Zusammen-
arbeit bei der Erforschung des Weltraums
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt im Bereich der Raketentechnik hat die
Frage aufgeworfen, in welche Richtung die Nutzung der neuesten wissenschaftlichen
Errungenschaften gehen wird : Dienen sie friedlichen Zwecken oder werden sie zur
Förderung des Rüstungswettlaufs eingesetzt, wodurch die Gefahr des Ausbruchs eines
Atomkriegs steigt ?
Eine wirksame Maßnahme, die die Möglichkeit der Nutzung des Weltraums für
militärische Zwecke völlig ausschließen und die Anwendung der gewaltigen
Errungenschaften bei der Schaffung von Raketen und künstlichen Erdsatelliten
ausschließlich für friedliche Zwecke gewährleisten würde, wäre ein vollständiges und
bedingungsloses Verbot von Atom- und Wasserstoffwaffen, verbunden mit deren
Ausschluss von der Rüstung und der Vernichtung der Lagerbestände. Da dies zum
gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund der Haltung der Westmächte schwierig ist und
offensichtlich zu einem späteren Zeitpunkt verwirklicht werden muss, schlägt die
Sowjetregierung vor, zum jetzigen Zeitpunkt eine Einigung über ein Verbot der
Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke zu erzielen und gleichzeitig die
Militärstützpunkte auf fremden Gebieten, vor allem auf dem Gebiet der Länder
Europas, des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas, aufzulösen. Eine solche
Maßnahme läge im Interesse der Sicherheit aller Staaten. Für die Staaten, in deren
Hoheitsgebiet sich solche Militärstützpunkte befinden, wäre eine solche Entscheidung
nur von Vorteil, da die Auflösung der Militärstützpunkte die Bedrohung beseitigen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 271

würde, der sie sich aussetzen, indem sie ihr Hoheitsgebiet für die Errichtung
ausländischer Militärstützpunkte zur Verfügung stellen.
Von diesen Überlegungen geleitet, schlägt die Sowjetische Regierung vor, die Frage
des Abschlusses eines internationalen Abkommens über die Nutzung des Weltraums
zu friedlichen Zwecken zu erörtern, das die folgenden grundlegenden Bestimmungen
enthalten würde :
Ein Verbot der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke und eine
Verpflichtung der Staaten, Raketen nur im Rahmen eines vereinbarten
internationalen Programms in den Weltraum zu schießen.
Auflösung ausländischer Militärbasen auf dem Territorium anderer Staaten, vor
allem in Europa, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika.
Einrichtung einer angemessenen internationalen Kontrolle der Erfüllung der oben
genannten Verpflichtungen im Rahmen der UNO.
Schaffung einer UN-Agentur für internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet
der Erforschung des Weltraums.
Der Abschluss eines solchen Abkommens würde zu einer umfassenden
internationalen Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung des Weltraums führen
und die gemeinsame Forschung von Wissenschaftlern aller Länder an Problemen im
Zusammenhang mit dem Kosmos in Gang setzen.
6. Verringerung der Zahl der auf dem Gebiet Deutschlands und in den Grenzen
anderer europäischer Staaten stationierten ausländischen Truppen
Die Sowjetunion hat in dem Bestreben, das notwendige Einvernehmen mit den
anderen Mächten herzustellen, mehr als einmal konkrete Abrüstungsvorschläge
unterbreitet und auch eine Reihe einseitiger Maßnahmen zur Verringerung ihrer
eigenen Streitkräfte und Rüstungen durchgeführt, wobei sie davon ausging, daß die
anderen Großmächte ihrerseits diesem Beispiel folgen würden. Die Sowjetunion tritt
für eine radikale Lösung des Abrüstungsproblems ein, für eine wesentliche
Verringerung der Streitkräfte und der Rüstung der Staaten, für den vollständigen
Abzug der ausländischen Streitkräfte vom Hoheitsgebiet der europäischen Staaten,
die beiden Militärgruppen angehören, einschließlich Deutschlands und für die
Auflösung aller ausländischen Militärstützpunkte auf fremdem Hoheitsgebiet.
Da jedoch die Westmächte bisher nicht ihre Bereitschaft gezeigt haben, in all diesen
Fragen zu einer Einigung zu kommen, schlägt die Sowjetunion vor, in diesem Stadium
mit der Lösung derjenigen Fragen zu beginnen, in denen bereits eine vollständige
Möglichkeit zur Einigung besteht. Die Sowjetregierung schlägt eine schrittweise
Verringerung der ausländischen Truppen auf fremden Territorien vor und unterbreitet
den Vorschlag, in einem ersten Schritt die Streitkräfte der UdSSR, der USA, des
Vereinigten Königreichs, Frankreichs und anderer Staaten, die Truppen auf
deutschem Territorium haben, im Laufe des Jahres 1958 um ein Drittel oder in einem
anderen vereinbarten Umfang zu verringern. Die reduzierten Kontingente dieser
Truppen müssen aus dem Hoheitsgebiet Deutschlands innerhalb ihrer eigenen
Staatsgrenzen abgezogen werden.
Die Frage einer substanziellen Reduzierung der Streitkräfte und der Rüstung von
Staaten und der Abschluss eines entsprechenden internationalen Abkommens mit
diesem Ziel sowie der vollständige Rückzug ausländischer Streitkräfte aus dem
Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten der NATO und des Warschauer Vertrags könnten
in der nächsten Verhandlungsphase erörtert werden.
272 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

7. Abschluss eines deutschen Friedensvertrags


Alle Völker Europas, die auf der Seite Hitlerdeutschlands in den Krieg
hineingezogen wurden, genießen seit langem die Früchte einer friedlichen Situation
und bauen ihr Leben selbständig auf, während dem deutschen Volk noch immer die
Bedingungen für eine friedliche Entwicklung seines Landes und eine gleichberechtigte
Existenz mit anderen Völkern vorenthalten werden. Das Fehlen eines
Friedensvertrages wirkt sich auch negativ auf die Lösung seiner nationalen Aufgabe
der Einigung des Landes aus. Darüber hinaus wird das Fehlen einer Lösung für die
mit einer friedlichen Regelung in Deutschland verbundenen Fragen von denjenigen,
denen das Schicksal des Friedens in Europa nicht am Herzen liegt, dazu benutzt, den
westlichen Teil Deutschlands in die Vorbereitung eines Atomkrieges hineinzuziehen.
Unter diesen Bedingungen ist die Sowjetregierung der Auffassung, daß die für die
friedliche Entwicklung Deutschlands verantwortlichen Mächte sich bemühen sollten,
so bald wie möglich eine friedliche Regelung mit Deutschland herbeizuführen. Als
Befürworterin einer solchen Regelung bekräftigt die Sowjetregierung ihren Vorschlag,
die Frage der Vorbereitung und des Abschlusses eines deutschen Friedensvertrages
auf einer Gipfelkonferenz zu erörtern.
In Anbetracht der Haltung der Regierungen der USA und anderer westlicher
Mächte zu diesem Vorschlag wäre die Sowjetische Regierung jedoch bereit, sich auf
der bevorstehenden Tagung zumindest über die ersten Schritte zur Lösung dieser
Frage zu verständigen, d.h. zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Grundprinzipien eines
deutschen Friedensvertrages und die Art seiner Vorbereitung zu vereinbaren. Dabei
geht die Sowjetregierung davon aus, daß die Vorarbeiten zum Abschluß eines
deutschen Friedensvertrages unter Beteiligung deutscher Vertreter aus der DDR und
der BRD der Vereinigung der Bemühungen der Deutschen Demokratischen Republik
und der Bundesrepublik Deutschland um ihre Annäherung und die Wiederherstellung
der Einheit des deutschen Volkes Auftrieb geben würden.
8. Verhinderung eines Überraschungsangriffs gegen einen Staat durch einen
anderen
Da es gegenwärtig noch nicht möglich erscheint, das Problem der Abrüstung
vollständig zu lösen, und von einer Einigung über partielle Abrüstungsmaßnahmen
die Rede ist, schlägt die Sowjetregierung vor, die Frage der Verhinderung von
Überraschungsangriffen je nach der Art der Maßnahmen auf dem Gebiet der
Abrüstung in einer ersten Phase schrittweise zu lösen. Es wäre notwendig, sich über
die Einrichtung von Kontrollposten an Eisenbahnknotenpunkten, in großen Häfen und
auf den Hauptverkehrsstraßen sowie über die Anfertigung von Luftaufnahmen in den
Abgrenzungszonen der Hauptstreitkräfte der militärischen Gruppen in Europa zu
verständigen, und zwar vorläufig in bestimmten begrenzten Gebieten, die unter dem
Gesichtspunkt der Beseitigung der Gefahr eines Überraschungsangriffs als die
wichtigsten angesehen werden.
Bei ihrem Vorschlag zur Lösung dieses Problems geht die Sowjetische Regierung
davon aus, daß die Westmächte den praktischen Wert des sowjetischen Vorschlags zur
Einrichtung von Kontrollposten als Mittel zur Verhinderung von
Überraschungsangriffen erkannt haben. Dies gibt Anlaß zur Hoffnung, daß die
Konferenz in dieser Frage zu einer Einigung kommen kann.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 273

Die sowjetische Regierung wiederholt ihren Vorschlag, in Europa eine Zone der
Luftinspektion in einem Abstand von 800 Kilometern östlich und westlich der
Demarkationslinie der Streitkräfte der militärischen Gruppen der NATO und des
Warschauer Paktes einzurichten.
Was den Vorschlag anbelangt, Luftaufnahmen von weiten Gebieten oder vom
gesamten Territorium der UdSSR und der USA zu machen, so kann diese Frage nicht
losgelöst von Maßnahmen zum Abbau der internationalen Spannungen und zur
Stärkung des Vertrauens zwischen den Staaten, insbesondere zwischen den
Großmächten, betrachtet werden. In der gegenwärtigen internationalen Lage, in der
der Rüstungswettlauf anhält, der internationale Spannungen sowie Misstrauen und
Argwohn in den Beziehungen zwischen den Staaten hervorruft, in der der „Kalte
Krieg“ seinen schwarzen Schatten auf die gesamte internationale Situation wirft, ist
der Vorschlag von gegenseitigen Flügen über das gesamte Territorium beider Länder
unrealistisch. Die Sowjetregierung ist jedoch der Auffassung, daß dieser Schritt in der
abschließenden Phase des Abrüstungsproblems vollzogen werden kann, d.h. wenn die
Frage des vollständigen Verbots von Atom- und Wasserstoffwaffen mit ihrer
Beseitigung aus der Rüstung, die Frage der wesentlichen Verringerung der
Streitkräfte und der Rüstungen der Staaten und die Frage der Auflösung der
Militärstützpunkte auf fremden Territorien geklärt ist, das heißt wenn die
Vertrauensbeziehungen zwischen den Staaten tatsächlich hergestellt sind.
* * * * * * *

Rede von Außenminister Dulles in Berlin, 8. Mai 1958 1


Es ist eine Inspiration wieder in Berlin zu sein, zu meinem vierten Besuch seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs.
Ich war einige Monate nach dem Ende der Feindseligkeiten hier. Damals sah ich
Berlin als ein Trümmerfeld. Es schien, daß die Stadt jenseits der Möglichkeit eines
Wiederaufbaus war. Ich hatte damals das Gefühl, daß das Elend Berlins eine
Herausforderung darstellte, die von Menschen nicht zu bewältigen war. Aber diese fast
unglaubliche Herausforderung wurde tatsächlich durch den Einsatz menschlicher
Tatkraft und menschlichem Glauben gemeistert, der in der Geschichte nur wenige
Parallelen hat.
Im Jahr 1948 benutzte ich dann die Luftbrücke nach Berlin. Die Sowjetunion
verhängte damals eine Wirtschaftsblockade, die die Stadt scheinbar zum Erliegen
bringen würde. Doch der Mut und der Einfallsreichtum der Berliner Bevölkerung und
der freien Nationen, die die Luftbrücke organisierten und aufrechterhielten, bewiesen,
daß die Freiheit über eine Kraft des Einfallsreichtums und der Widerstandsfähigkeit
verfügte, die die Despoten grob unterschätzt hatten. Berlin war nicht isoliert. Die
versuchte Blockade wurde aufgegeben und Berlin fuhr stolz fort, in der gefangenen
Welt die guten Früchte der Freiheit zu demonstrieren.
Das nächste Mal war ich im Januar 1954 hier, um an der Viermächtekonferenz
teilzunehmen, von der man sich die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und
die Befreiung Österreichs erhoffte. Wir wurden in unseren Bemühungen durch die
tragischen Ereignisse der vorausgegangenen Monate Juni und Juli angespornt, als
sich die Arbeiter in Ost-Berlin und der sowjetischen Besatzungszone in einer Rebellion
erhoben, die gemeinhin als „17. Juni“ bekannt ist. Diese spontane, mutige und brutal
unterdrückte Forderung der Arbeiter nach angemessenen Zuständen machte es umso
dringlicher, die fremde Besatzung zu beenden und die Befreiung Deutschlands zu
vollenden.

1 Pressemitteilung 253 des Außenministeriums, 8. Mai 1958.


274 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die westlichen Vertreter bemühten sich tapfer, aber vergeblich. Die Konferenz
konnte ihre konkreten Ziele nicht erreichen. Aber die Konferenz selbst war nicht
umsonst. Die ganze Welt hat die Fragen beurteilt und, wie ich bei meiner Rückkehr
von dieser Konferenz sagte, hat die Konferenz „den Weg für andere Dinge frei gemacht.
Die Vereinigung und Stärkung Westeuropas kann nun weitergehen“. Es ging in der
Tat weiter. Die Bundesrepublik Deutschland erhielt ihre Souveränität zurück, wurde
Vollmitglied der Nordatlantikvertragsorganisation und trat dem Vertrag über die
Westeuropäische Einheit bei. Und heute trägt die Bundesrepublik nicht nur zum
Aufbau der Institutionen bei, die Westeuropa militärisch und wirtschaftlich vereinen
werden, sondern spielt unter ihrem großen Kanzler Adenauer auch eine wichtige Rolle
in den Räten der freien Welt.
Heute bin ich zum vierten Mal in Berlin, um die Leistungen Ihres Volkes, das trotz
beispielloser Schwierigkeiten Berlin zu einem Zentrum des kulturellen und geistigen
Lebens und der Industrie gemacht hat, zu sehen und zu bestaunen.
Im Namen des Präsidenten und des Volkes der Vereinigten Staaten spreche ich den
Menschen im Freien Berlin meine volle Anerkennung aus. Es war für uns ein Ehre
und eine Inspiration, mit Ihnen verbunden zu sein.
Basierend auf meiner Erfahrung sollte Berlin ein Pflichtbesuch sein, oder, wenn das
nicht möglich ist, sollte die Geschichte des Nachkriegsberlins eine Pflichtlektüre für
alle sein, die die Bedeutung des weltweiten Kampfes verstehen wollen, der jetzt einen
Großteil der Menschheit beschäftigt.

II.

Eine erste Lehre Berlins wird Ihnen von Ihrer Umgebung erteilt. Sie leben hier,
umgeben von einem Ring kommunistischer Herrschaft. Ihre Position ist in dieser
Hinsicht selbst ein tragisches Symbol der Missachtung des gegebenen Versprechens.
Das Potsdamer Abkommen von 1945 machte unmissverständlich klar, daß der Zweck
der militärischen Besatzung nicht darin bestand, Deutschland zu zersplittern oder es
dauerhaft zu teilen. Und in der Tat hat die Sowjetunion bis vor Kurzem die
Verantwortung der vier Mächte anerkannt, die Wiedervereinigung Deutschlands
herbeizuführen. Auf dem Genfer Gipfeltreffen im Juli 1955 erhielt Präsident
Eisenhower zusammen mit den Premierministern Frankreichs und des Vereinigten
Königreichs von den sowjetischen Regierungschefs, einschließlich Herrn
Chruschtschow, die förmliche Bestätigung, daß die vier Mächte „eine gemeinsame
Verantwortung für die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung
Deutschlands“ hätten und daß sie „darin übereinstimmten, daß die Regelung der
deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands im Wege freier Wahlen
erfolgen sollten“. Diesen Verpflichtungen, so scheint es, entzieht sich die Sowjetunion
nun.
Dies verdeutlicht die großen Schwierigkeiten im Umgang mit der Sowjetunion.
Die meisten Regierungen glauben, daß ihren Verpflichtungen eine moralische
Sanktion anhaftet. Sie gehen keine förmlichen und präzisen internationalen
Verpflichtungen ein, es sei denn, sie haben die Absicht, sie auch einzuhalten. Ihr
Leistungsnachweis ist nicht immer perfekt. Zumindest aber betrachten sie das
Eingehen und Brechen von Vereinbarungen nicht als legitimes Mittel, um ihre
Interessen voranzubringen.
Im Falle der Sowjetunion ist das anders. Ihre Machthaber sind atheistische
Materialisten. Soweit es sie betrifft, tragen ihre Vereinbarungen keine moralische
Sanktion. Es hat oft den Anschein, als ob sie das Eingehen und Brechen von
Vereinbarungen als eine legitime internationale Technik betrachten und daß ihre
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 275

Versprechen, wie Lenin sagte, „wie die Kruste eines Kuchens, dazu gemacht,
gebrochen zu werden“ sind.
Deshalb fällt es uns so schwer, bei der Lösung der politischen Probleme und der
Rüstungsbegrenzung Fortschritte zu erzielen. Die Haltung der Sowjetunion gegenüber
ihren Vereinbarungen stellt ein schwerwiegendes Hindernis dar.
Sie selbst hier in Berlin, Sie, die Sie die Verletzungen internationaler
Vereinbarungen durch die Sowjetunion am eigenen Leib erfahren, verstehen das
sicherlich. Und Ihre Not sollte die Welt lehren, daß es leichtsinnig ist, im Vertrauen
auf sowjetische Versprechen Zugeständnisse zu machen, nur weil diese Versprechen
verlockend sind.
Auch erleben Sie hier die tragischen Ergebnisse der Anwendung der
kommunistischen These, wonach die Menschen keine geistigen Wesen sind, sondern
lediglich materielle Teilchen, die zur Verherrlichung des sowjetisch-kommunistischen
Staates und zur Ausdehnung seiner Vorherrschaft in der ganzen Welt benutzt werden.
Der ständige Strom von Flüchtlingen aus Ostdeutschland, der auf einem hohen Niveau
von etwa 20.000 pro Monat anhält, ist ein unbestreitbarer Beweis dafür, welche
unserer Gesellschaften am meisten menschliche Möglichkeiten bietet, sowohl im
Hinblick auf den ökonomischen Lebensunterhalt als auch im Hinblick auf die geistige
und kulturelle Zufriedenheit. Diese ständige Flucht aus dem Osten in den Westen ist
umso bedeutsamer, als es sich bei denjenigen, die in den Westen gehen, größtenteils
um junge Menschen handelt, die den größten Teil ihres Erwachsenenlebens der
intensiven Anwendung kommunistischer Doktrin und Praxis ausgesetzt waren.

III.

Eine zweite Lektion, die Berlin lehrt, ist die unermessliche Fähigkeit von Menschen,
die mit dem Glauben beschenkt sind.
Für mich ist einer der inspirierendsten Abschnitte der Heiligen Schrift im Brief des
Paulus an die Hebräer zu finden, wo er von den großen Glaubenstaten berichtet, die
die Geschichte des hebräischen Volkes geprägt haben. Er schließt mit den Worten :
„Da auch wir von einer so großen Wolke von Zeugen umgeben sind, laßt uns den Lauf,
der vor uns liegt, mit Ausdauer laufen“.
Sicherlich schreiben die Berliner ein neues, sagenhaftes Kapitel in der Geschichte
des unerschütterlichen Glaubens und der beharrlichen Arbeit. Im Angesicht von
Entmutigungen und Hindernissen, wie sie nur wenige je erlebt haben, haben Sie Ihre
Stadt aus ihren Trümmern wieder aufgebaut. Sie haben hier Ihre freie Universität
gegründet. Sie haben die Aula der Technischen Universität in den Trümmern ihres
einstigen imposanten Baus wieder aufgebaut. Sie haben das Hansaviertel als eine der
eindrucksvollsten städtebaulichen Entwicklungen in Europa wieder aufgebaut. Sie
haben Ihre Kirchen wiederaufgebaut. Und es hat eine Wiederbelebung des Theaters,
der Musik und des religiösen und intellektuellen Lebens gegeben, die zeigt, daß die
physischen Fesseln, denen Sie unterworfen waren, durch den Glauben an Ihr großes
Schicksal und durch die Hoffnung und Erwartung eines reicheren und freieren Lebens
in der Zukunft könnten gesprengt worden sein - und das wurden sie auch.
Niemand kann das heutige West-Berlin betrachten, ohne den außergewöhnlichen
Mut und die Inspiration zu erkennen, die Berlin zu einer der großen Städte Europas
machen.
Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich glaube, daß Ihr Glaube und Ihre Hoffnung in
die Zukunft nicht unangebracht sind und belohnt werden.
Ich erinnere mich an das bedrückende Treffen hier im Jahre 1954, als die
sowjetische Delegation sowohl die Befreiung Österreichs als auch die
276 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wiedervereinigung Deutschlands hartnäckig ablehnte.


Doch 1955 beschloss die Sowjetunion plötzlich, Österreich zu befreien. Diese
Entscheidung kam überraschend und war eine Umkehrung der hartnäckigen Haltung,
die die sowjetische Regierung nahezu ein Jahrzehnt lang eingenommen hatte.
Sie zeigt, daß wir für Deutschland und für Berlin nicht zu verzweifeln brauchen. Es
wird der Tag kommen, an dem, wahrscheinlich unerwartet und unvorhersehbar, die
Genfer Versprechen von 1955 erfüllt werden und Deutschland wieder in Freiheit
vereint sein wird.

IV.

Eine dritte Lektion ist, daß dies ein enormes Potential an geistiger Einheit und
praktischer Zusammenarbeit derjenigen überall ist, die die Freiheit lieben. Das freie
Berlin und das freie Deutschland hätten ihre gegenwärtigen Fortschritte niemals ohne
den Glauben und die Werke ihrer eigenen Bevölkerung erreicht. Aber ebenso
unentbehrlich war die Unterstützung durch andere freie Völker.
Die Amerikaner sind stolz auf die Rolle, die sie in diesem Zusammenhang spielen
durften. Die erste Räumung der Stadt und die Wiederherstellung der
Grundausstattung––Licht, Wärme, Strom, Kanalisation und Verkehr––wurden alle
mit deutscher Arbeit und Planung sowie mit finanziellen Beiträgen aus den
Vereinigten Staaten durchgeführt.
Die Luftbrücke, die die sowjetische Blockade überwunden hat, wurde von den
Westmächten betrieben.
Nach dem Ende der Blockade hat es eine gut geplante Entwicklung im Bereich des
industriellen und kulturellen Aufbaus gegeben, bei der die Vereinigten Staaten gerne
geholfen haben. Hier in Berlin ist die Zusammenarbeit in Stein und Mörtel, in
Bildungseinrichtungen, in Arbeits- und Konferenzstätten, in der Arbeit und in der
Erholung Wirklichkeit geworden.
Am wichtigsten ist wohl der Schutzschild der Macht, hinter dem diese
Friedensaufgaben vorangebracht werden.
Ich erinnere hier an die Erklärung, die die Außenminister des Vereinigten
Königreichs und Frankreichs und ich am 3. Oktober 1954 abgegeben haben. Wir
sagten :
„Die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins und die Aufrechterhaltung der
dortigen Stellung der Drei Mächte werden von den Drei Mächten als wesentliche
Elemente des Friedens der freien Welt in der gegenwärtigen internationalen
Lage betrachtet. Dementsprechend werden sie bewaffnete Kräfte auf dem
Territorium Berlins aufrechterhalten, solange ihre Verantwortung dies
erfordert. Sie bekräftigen daher, daß sie jeden Angriff auf Berlin aus jeglicher
Richtung als einen Angriff auf ihre Streitkräfte und auf sich selbst behandeln
werden.“
Ich freue mich, im Namen meiner Regierung und mit der ausdrücklichen Vollmacht
von Präsident Eisenhower diese Erklärung heute hier erneut zu bekräftigen.
Ich weiß, daß die Menschen in Berlin sich bewußt sind, wie wichtig für sie die
militärische Abschreckung war, die einen Schutzschild darstellte, hinter dem ihre
Friedensarbeit vorankam. Ich hoffe, daß Sie und andere erkennen werden, daß der
Frieden und die Sicherheit der gesamten freien Welt gleichermaßen von einem solchen
Schutzschild abhängen.
Die Sowjetregierung versucht mit allen Mitteln der Propaganda, den Verzicht auf
diesen Schutz zu erzwingen. Sie behauptet, daß sich diejenigen, die diesen Schild
errichten, durch diese Tatsache als böse Militaristen beweisen. Sie behauptet, daß
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 277
diejenigen, die sich zusammenschließen, um Schutz vor diesem Schild zu erhalten,
„aggressive Gruppierungen“ sind. Sie behauptet, daß diejenigen, die sich nur
verteidigen wollen, dies beweisen sollten, indem sie auf alle Waffen außer den
minderwertigen verzichten, wodurch moderne Waffen zu einem Monopol derjenigen
werden, die eine tragisch lange Geschichte der Expansion durch den Einsatz von
Gewalt haben.
Sie behauptet, daß bestimmte Vorkehrungen unserer Luftverteidigung gefährlich
und beängstigend sind. Aber wenn wir versuchen, diese auf der Grundlage einer
gegenseitigen internationalen Kontrolle, die ein hohes Maß an Sicherheit gegen
Überraschungsangriffe bieten würde, zu überprüfen, sagen die Sowjets „njet“. Sie
haben dies letzte Woche im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut getan.
Die Sowjetunion beteuert, keine Atomwaffen einsetzen zu wollen, besteht aber
darauf, diese Waffen in ihren eigenen Arsenalen fieberhaft weiter zu vervielfachen. Sie
fordert die freie Welt auf, sich auf die sowjetischen Versprechen, ihre Atomwaffen im
Falle eines Krieges nicht einzusetzen, zu verlassen––trotz der langen Liste
gebrochener Versprechen, auf die ich bereits hingewiesen habe.
Diese kommunistische Propagandalinie zielt auf die Schaffung einer Welt ab, die
von der militärischen Macht des chinesisch-sowjetischen Blocks beherrscht wird. Die
Freiheit hätte keine angemessene Verteidigung. Es besteht die Pflicht, hinter
verlockend klingende Worte zu blicken und das dahinter stehende Komplott gegen die
Freiheit zu erkennen und zurückzuweisen.
Ich hoffe, daß die Lehren aus Berlin––die Lehren, die durch seine Umgebung, die
Lehren, die durch seinen Glauben und die Lehren, die durch das kooperative Handeln
der freien Menschen vermittelt wurden––auf den größeren Kontext des
Weltgeschehens übertragen werden.
Alle Völker der Welt, auch die Völker der Sowjetunion, blicken mit Schrecken auf
die Aussicht auf einen neuen Krieg. Alle würden jegliche zuverlässige Maßnahme
ergreifen, um diese Aussicht zu verringern und vor allem die neuen Waffen zu
beseitigen, die die Menschheit praktisch auszulöschen drohen. Aber Berlin lehrt, daß
es kein Vertrauen in bloße sowjetkommunistische Versprechungen geben kann, daß es
keine Sicherheit in der Schwäche geben kann. Es lehrt auch, daß der Mensch ein
geistiges Wesen ist, das durch den Glauben Wunder vollbringen kann. Und daß
gläubige Menschen nicht bereit sind, sich, in der bloßen Hoffnung, auf diese Weise ihre
Existenz zu sichern, einer atheistischen und militaristischen Herrschaft zu
unterwerfen.
Und die Menschen, die frei sind––und alle, die die Freiheit verloren haben und sie
wiedergewinnen wollen - können Berlin ehren und die Lektionen, die es lehrt, lernen
und anwenden.
_____________

Memorandum der Westmächte an die Sowjetunion zur Tagesordnung für


ein Gipfeltreffen, 28. Mai 1958 1
[Auszüge]

Die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und


Frankreichs sind der Auffassung, daß die gegenwärtige internationale Lage einen
ernsthaften Versuch erfordert, um eine Einigung über die Hauptprobleme zu erzielen,
die die Verwirklichung von Frieden und Stabilität in der Welt betreffen. Sie sind der
Auffassung, daß unter den Umständen ein Gipfeltreffen wünschenswert wäre, wenn
es Gelegenheit zu ernsthaften Diskussionen über große Probleme bieten und ein wirk-

1 Pressemitteilung 330 des Außenministeriums, 16. Juni 1958. Das Memorandum wurde Außenminister

Gromyko vom britischen Botschafter im Namen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und
Frankreichs überreicht. Siehe auch das westliche Papier vom 31. Mai 1958 und das Schreiben von
Premierminister Chruschtschow vom 11. Juni 1958 ( unten).
278 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

sames Mittel zur Erzielung einer Vereinbarung über wichtige Themen sein würde.
Sie betrachten solche Regelungen, die zu einer Zusammenarbeit zwischen den
Völkern im Streben nach einem gerechten und dauerhaften Frieden führen könnten,
als wirksame Mittel zur Entwicklung eines Geistes des Vertrauens in ihren
Beziehungen zur Sowjetunion.
Solche Regelungen müssen, wenn sie diesem Zweck dienen sollen, die legitimen
Interessen aller betroffenen Parteien berücksichtigen und die notwendigen Elemente
umfassen, um ihre Durchführung zu gewährleisten.
In seinem Schreiben vom 12. Januar 1958 unterbreitete Präsident Eisenhower
Ministerpräsident Bulganin eine Reihe von Vorschlägen. Die Regierungen der USA,
des Vereinigten Königreichs und Frankreichs sind der Ansicht, daß sie die Grundlage
für eine für beide Seiten vorteilhafte Einigung auf einem Treffen der
Regierungsoberhäupter bilden. Einige der Überlegungen, die dieser Auffassung
zugrunde liegen, werden im Folgenden dargelegt. Bei ihren Vorschlägen im Bereich
der Abrüstung erinnern die drei Regierungen an ihre in der UN-Charta eingegangenen
Verpflichtungen, keine Waffen gegen die territoriale Unversehrtheit und politische
Unabhängigkeit eines Staates einzusetzen. Obwohl eine umfassende Abrüstung ihr
oberstes Ziel bleibt, schlagen sie bestimmte praktische, ausgewogene und voneinander
abhängige Maßnahmen vor, die einen bedeutenden Fortschritt bei der Beherrschung
des Wettrüstens und damit bei der Verringerung der Kriegsgefahr darstellen würden.
Ein solcher Fortschritt würde auch eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, die die
Beilegung der politischen Auseinandersetzungen, welche die Beziehungen zwischen
den Westmächten und der Sowjetunion stören, erleichtern könnte. Eine Reduzierung
sowohl der Atomwaffen als auch der konventionellen Streitkräfte und Ausrüstungen
ist für diese Zwecke unerlässlich. Die drei Regierungen halten es daher für
wünschenswert, noch einmal deutlich zu machen, welche Gründe sie dazu veranlasst
haben, 1957 weitreichende Vorschläge für eine Teilabrüstung zu unterbreiten.
* * * * * * *
6. Wiedervereinigung Deutschlands gemäß der Richtlinie der vier Regierungs-
oberhäupter an die Außenminister von 1955.
Die fortbestehende Teilung Deutschlands ist ein erhebliches Hindernis für die
Wiederherstellung des Vertrauens und die Schaffung von Bedingungen für echten
Frieden und Stabilität in Europa. Dreizehn Jahre sind seit dem Ende des Krieges in
Europa vergangen und noch immer ist keine Friedensregelung mit Deutschland
getroffen worden. Eine notwendige Voraussetzung für eine solche Regelung ist die
Bildung einer Regierung, die wahrhaftig den Willen des deutschen Volkes
widerspiegelt. Nur eine auf dieser Grundlage geschaffene Regierung kann
Verpflichtungen eingehen, die bei den anderen Ländern Vertrauen erwecken und vom
deutschen Volk selbst als gerecht und verbindlich angesehen werden.
Die Regierungsoberhäupter erkannten in Genf die gemeinsame Verantwortung der
vier Mächte für die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung
Deutschlands an. Sie waren sich darin einig, daß die Regelung der deutschen Frage
und die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit den
nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen
Sicherheit durchgeführt werden sollten. Die Westmächte schlagen der Sowjetunion
vor, gemeinsam mit ihnen unverzüglich Schritte zu unternehmen, um ihrer
Verantwortung gerecht zu werden, indem sie sich bereit erklären, die Bildung einer
gesamtdeutschen Regierung durch freie Wahlen zuzulassen und sie in die Lage zu
versetzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Ein solches Abkommen würde konkrete
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 279
Beweise eines gemeinsamen Willens der vier Regierungen liefern, die
Vertrauensbedingungen zu schaffen, auf die sich ein dauerhafter Frieden gründen
kann.
7. Europäische Sicherheitsvorkehrungen.
Die Westmächte sind sich der Tatsache bewußt, daß die Sowjetunion ihre Besorgnis
darüber zum Ausdruck gebracht hat, daß die Bildung einer frei gewählten
gesamtdeutschen Regierung mit allen Attributen der Souveränität Veränderungen in
der gegenwärtigen Lage in Europa herbeiführen würde, die die Sowjetunion als ihren
Sicherheitsinteressen zuwiderlaufend ansehen würde.
Die drei Regierungen sind bereit, Vereinbarungen hinsichtlich der europäischen
Sicherheit zu treffen, die der Sowjetunion diesbezügliche Zusicherungen bieten
würden. Die Vereinbarungen, die sie ins Auge fassen, würden Begrenzungen der
Streitkräfte und der Ausrüstung beinhalten. Sie würden auch Zusicherungen
beinhalten, die darauf abzielen, eine Aggression in Europa, durch den Austausch von
Zusagen, im Falle einer solchen Aggression geeignete Maßnahmen zu ergreifen, zu
verhindern.
Die drei Regierungen streben in solchen Vereinbarungen keinen einseitigen Vorteil
an und haben auch nicht die Absicht, Vereinbarungen zu treffen, die der Sowjetunion
einen einseitigen Vorteil zum Nachteil ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen
verschaffen würden. Vertrauen kann durch internationale Vereinbarungen nur dann
geschaffen werden, wenn diese Vereinbarungen die legitimen Sicherheitsinteressen
aller betroffenen Parteien gleichermaßen berücksichtigen.
Die Westmächte fordern die Sowjetunion auf, in diesem Sinne Verhandlungen über
die europäische Sicherheit aufzunehmen, um einen Vertrag zu schließen, der in
Verbindung mit einem Abkommen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Kraft
treten würde. Damit würde der engen Verbindung Rechnung getragen, die nach dem
Willen der beteiligten Mächte zwischen den beiden Themen besteht. Die damit
verbundene Regelung dieser beiden Fragen und das dadurch geschaffene Vertrauen
würden es auch ermöglichen, weitere Fortschritte bei der Begrenzung der Ausrüstung
im Allgemeinen zu erzielen.
* * * * * * *
10. Wege zum Abbau von Spannungen in Osteuropa.
Die Schaffung stabiler Verhältnisse in Osteuropa auf der Grundlage unabhängiger
und freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Ländern dieser Region wäre ein
wichtiger Beitrag zur Förderung eines gerechten und dauerhaften Weltfriedens. Die
Verwirklichung dieses Ziels ist also nicht allein ein Anliegen des benachbarten
Westeuropas, sondern der ganzen Welt. Dieses internationale Interesse fand seinen
Ausdruck in den internationalen Vereinbarungen über das Recht der Völker der
Region, ihre Regierungen selbst zu wählen, in den Friedensverträgen mit ihren
Bestimmungen zur Wahrung der Menschenrechte, in den Bemühungen vieler Länder,
das wirtschaftliche Wohlergehen der Menschen zu verbessern und in den
Bemühungen, Einmischungen in ihre inneren Angelegenheiten zu unterbinden.
Die Westmächte sind der Auffassung, daß eine ernsthafte Diskussion über das durch
die Spannungen in Osteuropa aufgeworfene Problem mit dem Ziel geführt werden
sollte, die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Länder dieser Region und
die Anwendung von Gewalt bei der Beilegung der dortigen Streitigkeiten zu
unterbinden.
Die westlichen Regierungen sind der Ansicht, daß die oben dargelegten Vorschläge
umsetzbar sind und bereits jetzt verwirklicht werden könnten. Sie glauben, daß ihre
Umsetzung kontrollierbar ist. Die Vorschläge tragen den legitimen Interessen und
Sicherheitsbedürfnissen der betroffenen Länder Rechnung. Ihre Annahme könnte eine
280 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Grundlage für die Entwicklung einer Atmosphäre der Zuversicht und des Vertrauens
schaffen, die die Entwicklung von lebhafteren Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen
zwischen unseren Völkern und Regierungen begünstigen würde.
___________

Westliche Liste allgemeiner Überschriften zur Durchsicht spezifischer


Vorschläge für die Gipfelagenda, 31. Mai 1958 1
(Mit Ausschließlich Westlichen Themen, Die Als Beispiele Aufgeführt Sind)
31. Mai 1958
Abrüstung
a ) Maßnahmen, um die Herstellung von spaltbarem Material für Atomwaffen und
zum Abbau der vorhandenen militärischen Bestände an solchem Material zu
kontrollieren ;
b ) die Aussetzung der Atomtests ;
c ) die Reduzierung und Begrenzung konventioneller Waffen und der Streitkräfte ;
d ) Maßnahmen zum Schutz vor Überraschungsangriffen ;
e ) die Nutzung des Weltraums für friedliche Zwecke.
Europäische Sicherheit und Deutschland
a ) Wiedervereinigung Deutschlands gemäß der Richtlinie der vier
Regierungsoberhäupter an die Außenminister von 1955 ;
b ) Europäische Sicherheitsvereinbarungen.
Internationale Vermittlungen
a ) Beendigung der Störung ausländischer Sendungen ;
b ) Zensur ;
c ) kostenlose Verteilung und Verkauf von Büchern und Veröffentlichungen an die
Öffentlichkeit ;
d ) kostenlose Verteilung und Verkauf von ausländischen Zeitungen und
Magazinen ;
e ) Reisefreiheit.
Methoden zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit
Maßnahmen zur Stärkung der Vereinten Nationen
Andere Themen
Möglichkeiten der Entspannung in Osteuropa.

1Pressemitteilung 330 des Außenministeriums, 16. Juni 1958. Für den nächsten Schritt in den „Gipfel“-
Verhandlungen siehe das Schreiben von Ministerpräsident Chruschtschow vom 11. Juni 1958 (unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 281

Erklärung von Außenminister Dulles auf einer Pressekonferenz zur


deutschen Wiedervereinigung, 10. Juni 1958 1
[Auszug]
* * * * * * *
F. Herr Minister, in der letzten Ausgabe von Newsweek hieß es, Sie hätten zu
Mitarbeitern gesagt : „Ich scheine viel stärker für die Vereinigung zu sein als er“,
womit Adenauer gemeint war. Ich frage mich, ob Sie das bestätigen können.
A. Ich glaube nicht, daß ich stärker für die deutsche Vereinigung bin als Kanzler
Adenauer. Ich glaube, es gibt einen geringfügigen Unterschied in unseren jeweiligen
Positionen. Ich kann verstehen, daß die Regierung der Bundesrepublik nicht den
Anschein erwecken will, die Abrüstung zu blockieren, indem sie sagt, daß nichts in
irgendeinem Bereich getan werden kann, wenn es nicht zuerst zu einer
Wiedervereinigung Deutschlands kommt. Niemand von uns möchte diese Position
einnehmen.
Andererseits sind die Vereinigten Staaten ein Land, das bei der letzten „Gipfel“-
Konferenz dabei war, die Bundesrepublik hingegen nicht.
Wir sind, im Gegensatz zur Bundesrepublik, an bestimmten Vereinbarungen mit
der sowjetischen Delegation beteiligt.
Unabhängig von allen anderen Erwägungen sind wir der Meinung, daß die
Integrität im Umgang mit den Sowjets und die Fähigkeit, mit ihnen in anderer
Hinsicht umzugehen, in Frage gestellt würde, wenn wir wieder zum „Gipfel“-Treffen
zurückgingen und sagten : „Nun, Herr Chruschtschow, das erste, was wir tun, ist, die
zuletzt vereinbarten Dinge aus den Büchern zu streichen.“ Das gilt nicht nur für die
Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Es geht um die Frage der Integrität
unserer Vereinbarungen. Es ist nur so, daß sich diese Vereinbarungen auf die
Wiedervereinigung Deutschlands beziehen. Aber wir haben einen gewissen Anspruch
darauf, daß die Vereinbarungen der letzten „Gipfel“-Konferenz, was auch immer sie
waren, nicht zu Beginn einer zweiten „Gipfel“-Konferenz, wenn wir sie denn beginnen
sollten, aus den Büchern gestrichen werden sollten.
Sehen Sie, das ist ein Stück weit losgelöst von den besonderen Verdiensten um die
Wiedervereinigung Deutschlands. Es geht um die Frage, ob Vereinbarungen, die auf
der letzten „Gipfel“-Konferenz getroffen wurden, worum es auch immer geht, noch ein
Diskussionsthema sein sollen, oder ob wir bereit sind, sie aufzuheben. Wir sind nicht
bereit, das zu tun.
* * * * * * *
_____________

Schreiben des Vorsitzenden des Ministerrates Chruschtschow an Präsident


Eisenhower über die Frage eines Gipfeltreffens, 11. Juni 1958 2
Die gegenwärtige Situation der Verhandlungen über die Vorbereitung einer
Gipfelkonferenz zwingt mich, diese Botschaft an Sie zu richten.
Es sind bereits fast zwei Monate vergangen, seit die von den Westmächten
vorgeschlagenen Vorverhandlungen über die Vorbereitung der genannten Konferenz
auf diplomatischem Wege eingeleitet wurden. Als die Westmächte vor einiger Zeit die
Frage der Vorverhandlungen auf diplomatischem Wege zur Sprache brachten, äußerte

1 Pressemitteilung 319 des Außenministeriums, 10. Juni 1958.


2 Der Präsident antwortete am 2. Juli 1958 (siehe unten).
282 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

die sowjetische Regierung ernsthafte Zweifel daran, ob ein solches Verfahren die
Einberufung einer Gipfelkonferenz begünstigen würde. Wir haben unsere Bedenken
darüber, daß wir uns mit der Aufnahme solcher Verhandlungen auf einen glatten Weg
begeben könnten, der zu einer Verzögerung der gesamten Angelegenheit und einer
Verschiebung des Treffens der Regierungsoberhäupter führen würde, nicht
verheimlicht. Dennoch stimmte die Sowjetregierung diesen Verhandlungen zu, da die
Westmächte auf einer solchen Methode zur Vorbereitung der Konferenz bestanden.
Leider beginnen sich unsere Bedenken in Bezug auf die Vorverhandlungen zu
bestätigen. Was die Vorbereitung der Konferenz anbelangt, so treten wir nach wie vor
auf der Stelle und bei einer Reihe von Fragen bewegen wir uns sogar rückwärts. In
einer solchen Situation beginnen sich viele, nicht nur in der Sowjetunion, die Frage zu
stellen, ob der Vorschlag, solche Vorverhandlungen zu führen, nicht darauf abzielte,
der Einberufung einer Gipfelkonferenz zusätzliche Steine in den Weg zu legen. Als sich
die Sowjetregierung vor einem halben Jahr mit dem Appell an die Regierung der USA
und die Regierungen anderer Länder wandte, eine breit angelegte internationale
Konferenz hochrangiger Regierungsvertreter einzuberufen, ließen wir uns von dem
Wunsch leiten, durch gemeinsame Anstrengungen einen Weg zu einer radikalen
Veränderung der Situation, die sich in den internationalen Beziehungen entwickelt
hat, zu finden. Wir glaubten und glauben immer noch, daß auf dieser Konferenz eine
Einigung erzielt werden sollte, um die Beziehungen zwischen den Staaten zu
entspannen, den „kalten Krieg“ zu beenden, die Bedingungen für eine friedliche
Koexistenz der Staaten zu gewährleisten und nicht auf Krieg als Mittel zur Lösung
offener Fragen zurückzugreifen. Man sollte sich nicht mit der gefährlichen Richtung
abfinden, die die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Staaten, insbesondere
zwischen den Großmächten, jetzt genommen hat. In der heutigen Zeit, in der die
Zerstörungskraft der Waffen, über die die Staaten verfügen, keine Grenzen kennt,
wäre Untätigkeit ein Verbrechen. Die Zeit ist reif für ein energisches gemeinsames
Eingreifen der verantwortlichen Regierungsvertreter, um eine schreckliche Gefahr
abzuwenden, die Menschheit von der erdrückenden Bedrohung durch einen Atomkrieg
zu befreien und den Menschen das zu geben, was sie am meisten brauchen––
dauerhaften Frieden und Vertrauen in ein Morgen.
Im Januar dieses Jahres haben Sie, Herr Präsident, auf den Vorschlag, eine
Gipfelkonferenz einzuberufen, geantwortet und mitgeteilt, daß Sie bereit seien, mit
den Führern der Sowjetunion und anderer Staaten zusammenzutreffen. Die Regierung
des Vereinigten Königreichs und Frankreichs haben ebenfalls auf diesen Vorschlag
reagiert. All dies hat unsere Hoffnung auf eine baldige Einberufung einer solchen
Konferenz gestärkt und wurde von den anderen Regierungen und den Völkern aller
Länder positiv aufgenommen.
Unter diesen Bedingungen war es natürlich zu erwarten, daß die Beteiligten in den
Vorverhandlungen bestrebt sein würden, der Konferenz diejenigen drängenden
internationalen Probleme zur Beratung vorzulegen, bei denen es mit dem guten Willen
der Verhandlungsteilnehmer tatsächlich möglich wäre, schon jetzt positive Ergebnisse
zu erzielen und die internationale Lage auf ein gesünderes Fundament zu stellen. An
dieser Auffassung halten wir nach wie vor fest, insbesondere im Zusammenhang mit
der Vorbereitung der Tagesordnung für eine Gipfelkonferenz.
Ich nehme mir die Freiheit, noch einmal die Probleme aufzulisten, die nach Ansicht
der Sowjetregierung auf dieser Konferenz behandelt werden sollten. Diese Probleme
sind die folgenden :
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 283

Sofortige Einstellung der Atom- und Wasserstoffwaffentest s;


Verzicht auf den Einsatz aller Arten von Atom-, Wasserstoff- und
Raketenwaffen ;
Schaffung einer atom-, wasserstoff- und raketenwaffenfreien Zone in Mittel-
europa ;
Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen den Staaten ;
Verbot der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke, Auflösung
ausländischer Militärbasen auf fremden Territorien und internationale
Zusammenarbeit bei der Erforschung des Weltraums ;
Verringerung der Anzahl ausländischer Truppen, die auf dem Gebiet Deutschlands
und innerhalb der Grenzen anderer europäischer Staaten stationiert sind ;
Abschluss eines deutschen Friedensvertrags ;
Verhinderung eines Überraschungsangriffs gegen einen Staat durch einen anderen;
Maßnahmen zum Ausbau der internationalen Handelsbeziehungen ;
Entwicklung von Bindungen und Kontakten zwischen Staaten ;
Beendigung der Kriegspropaganda, der Feindschaft und des Hasses zwischen den
Völkern ;
Wege zum Abbau der Spannungen im Nahen und Mittleren Osten.
Wir stellen die Frage der weltweiten Beendigung von Atom- und
Wasserstoffwaffentests in den Vordergrund. Warum tun wir das? Aus dem einfachen
Grund, daß solche Tests selbst jetzt, in Friedenszeiten, die Atmosphäre und den Boden
vergiften, jedes Lebewesen auf der Erde verseuchen, einen schädlichen Einfluß auf die
Gesundheit der Menschen haben und das Leben künftiger Generationen bedrohen,
ganz zu schweigen davon, daß diese Tests zur Schaffung neuer und noch
zerstörerischerer Waffentypen führen, deren Einsatz im Falle eines Kriegsausbruchs
die schlimmsten Folgen für die Menschheit haben würde.
Eine Vereinbarung über die Einstellung der Atomtests, die bereits jetzt möglich ist,
würde das Vertrauen zwischen den Staaten stärken, zur Schaffung einer friedlichen
Atmosphäre, nach der die Völker aller Länder so sehr verlangen, beitragen und wäre
ein guter Anfang, der den Weg zur Lösung aller großen internationalen Probleme
ebnen würde. In unserem Bemühen um die Einstellung von Atomwaffentests haben
wir die Tests einseitig eingestellt, obwohl uns dies im Vergleich zu den NATO-
Mitgliedsländern in eine ungünstige Position bringt. Schließlich ist bekannt, daß die
USA und das Vereinigte Königreich wesentlich mehr experimentelle
Atomwaffenexplosionen durchgeführt haben als die Sowjetunion und daher würde eine
Vereinbarung über die Einstellung dieser Tests die Lage zum Vorteil der NATO-
Länder stabilisieren. Wir sind jedoch bereit, dies zu akzeptieren, geleitet von den
höheren Interessen der Menschheit opfern wir unsere Interessen und wir sind der
Ansicht, daß eine Einstellung der Atomwaffentests durch alle Staaten nicht zu
Mißtrauen führen würde, sondern vielmehr dazu beitragen würde, das Hauptziel zu
erreichen––einen Krieg zu vermeiden.
Als wir die besagte Entscheidung zur Einstellung der Tests trafen, appellierten wir
an die USA und das Vereinigte Königreich, unserem Beispiel zu folgen. Zu unserem
großen Bedauern haben die Regierungen der USA und des Vereinigten Königreichs
dem jedoch nicht zugestimmt und setzen die Atomwaffenexplosionen fort. Unter diesen
Umständen halten wir es für besonders wichtig, daß diese Frage dringend auf einer
Gipfelkonferenz erörtert wird.
284 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Und wer kann leugnen, daß eine Einigung über Fragen wie den Verzicht auf den
Einsatz aller Arten von Atomwaffen, den Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen
den Parteien des Warschauer Vertrages und der Nordatlantischen Allianz sowie die
Schaffung einer atom- und raketenwaffenfreien Zone in Mitteleuropa zu einer
Entspannung der internationalen Lage führen und einen wichtigen Schritt zur Lösung
des Abrüstungsproblems insgesamt darstellen würde ?
Liegt es nicht im Interesse aller Länder, daß die Kriegspropaganda, die in einigen
Staaten tagtäglich betrieben wird und so die Beziehungen zwischen den Staaten
vergiftet, aufhört ?
Und wäre es nicht vernünftig, eine solche Frage wie die freie Entwicklung des
Handels und anderer wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten und für
beide Seiten vorteilhafte Möglichkeiten zu erörtern, diese Beziehungen erheblich
auszuweiten ? Ich glaube, daß die Wirtschaftskreise in vielen Ländern, einschließlich
der Vereinigten Staaten von Amerika, darin übereinstimmen würden, daß es äußerst
nützlich wäre, dieses Problem zu lösen. Meine Ansichten zu diesem Thema habe ich in
meinem Schreiben an Sie vom 2. Juni ausführlicher dargelegt.
Ich glaube, ich liege nicht falsch, wenn ich behaupte, daß es inzwischen nur noch
wenige Menschen gibt, die die Dreistigkeit besitzen, zu bestreiten, daß eine Einigung
über die von uns zur Beratung auf einer Gipfelkonferenz vorgeschlagenen Fragen den
grundlegenden Interessen eines jeden Landes und eines jeden Volkes entsprechen
würde.
Wie Sie wissen, Herr Präsident, hat die Sowjetregierung in den Vorschlägen, die
Ihrem Botschafter in Moskau am 5. Mai übergeben wurden, ihre Ansichten zu der
Frage dargelegt, die auf der besagten Konferenz erörtert werden könnte. Wir taten
dies, um das Zustandekommen einer Einigung über die Einberufung der Konferenz zu
erleichtern. Dabei haben wir auch die von den Regierungen der Westmächte,
hauptsächlich von der Regierung der USA, im Laufe des Meinungsaustausches über
die Vorbereitung der Konferenz geäußerten Ansichten berücksichtigt. Ich füge dieser
Mitteilung den Wortlaut 1 dieser Vorschläge der Sowjetregierung bei.
Bei der Vorstellung ihrer Vorschläge für die Tagesordnung eines Treffens der
Regierungsoberhäupter hat die Sowjetunion von Anfang an erklärt, daß sie bereit ist,
im gemeinsamen Einverständnis auch andere Vorschläge zu prüfen, die zur
Beendigung des "Kalten Krieges" und des Wettrüstens beitragen würden. Andererseits
möchte ich mit Nachdruck betonen, daß, wenn die Westmächte gegenwärtig nicht
bereit sind, eine Lösung für alle von der Sowjetunion zur Erörterung auf der Konferenz
vorgeschlagenen Fragen anzustreben, dann könnten einige von ihnen ausgewählt und
eine Einigung darüber erzielt werden, was unsere weiteren Fortschritte bei der
Stärkung des Friedens erleichtern würde.
Wir hatten erwartet, daß die Regierungen der USA, des Vereinigten Königreichs
und Frankreichs die Vorschläge der Sowjetunion mit der gebotenen Aufmerksamkeit
prüfen und ihre Haltung dazu festlegen würden und daß sie ihrerseits darauf bedacht
sein würden, die Kluft zwischen den Positionen der Parteien in größtmöglichem
Umfang zu verringern und die Vorbereitung der Konferenz zu erleichtern. Nach
Durchsicht der Dokumente, die wir kürzlich von den drei Mächten als Antwort auf die
Vorschläge der Sowjetregierung vom 5. Mai erhalten haben, haben wir jedoch zu
unserem tiefen Bedauern festgestellt, daß in diesen Dokumenten erneut Fragen
aufgeworfen werden, die die Möglichkeit einer Einigung nicht näher bringen, sondern
eher in die Ferne rücken und die wir wiederholt und deutlich als für uns unannehmbar
bezeichnet haben. Wir fragen uns : Warum verhalten sich die Regierungen der West-

1 Hier nicht abgedruckt.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 285

mächte so––ist dies möglicherweise Ausdruck des Wunsches, uns auf irgendeine Weise
zu beleidigen ?
In den übermittelten Vorschlägen der Westmächte wird tatsächlich erneut die
sogenannte Frage der Lage in Osteuropa aufgeworfen. Damit wird ein neuer Versuch
unternommen, zu einem Zustand zurückzukehren, den wir bereits hinter uns haben
und eine Diskussion über eine Angelegenheit zu erzwingen, zu der die Positionen der
Parteien längst erschöpfend geklärt worden sind. Die Regierung der USA weiß sehr
wohl, daß dies kein Diskussionsgegenstand ist. Wir haben immer wieder erklärt, daß
wir es für unzulässig halten, eine solche Frage auf einer internationalen Konferenz
aufzuwerfen. Die Sowjetunion hat nicht die Absicht, sich in die inneren
Angelegenheiten anderer souveräner Staaten einzumischen und ist der Meinung, daß
niemand das Recht auf eine solche Einmischung beanspruchen kann.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, in welch absurder Situation sich die Welt
befinden würde, wenn wir auf internationalen Konferenzen anfangen würden,
Probleme im Zusammenhang mit den internen Systemen von Staaten, die bestimmten
Leuten in anderen Ländern irgendwie nicht gefallen, zur Sprache zu bringen. Eine
Annäherung zwischen den Staaten ist ausgeschlossen, wenn wir uns auf Diskussionen
über die grundlegenden Unterschiede zwischen den Gesellschaftssystemen einlassen.
Ist das der Weg zum Abbau der internationalen Spannungen ? Auf der Einmischung
in die Angelegenheiten anderer Staaten, auf der Diskussion ihrer inneren
Angelegenheiten durch Drittländer, die dazu keinerlei Befugnis haben, zu bestehen,
bedeutet einen Kurs einzuschlagen, der einen groben Verstoß gegen die UN-Charta
darstellt, die eine solche Einmischung verbietet ; es bedeutet, die Grundsätze der
Vereinten Nationen zu verhöhnen.
Der absolut fiktive Charakter des Geredes über die sogenannten „Spannungen in
Osteuropa“, mit dem sie die Forderung nach Aufnahme dieser Frage in die
Tagesordnung der Konferenz zu rechtfertigen versuchen, ist ebenfalls offensichtlich.
Die Sowjetunion unterhält diplomatische Beziehungen zu allen osteuropäischen
Ländern und unterhält die aktivsten Beziehungen zu ihnen. Und ich muss sagen, daß
uns keine Anzeichen für irgendeine Art von "Spannung" in diesem Bereich bekannt
sind. Wenn die Regierung der USA irgendwelche Unklarheiten über die Lage in diesen
Ländern hat, dann hat sie auch Botschafter in fast allen diesen Ländern und nichts
hindert sie daran, Angelegenheiten, die sie interessieren, auf dem normalen
diplomatischen Weg zu klären. Und wenn wir ehrlich sind, weiß jeder, der auch nur
die geringste Kenntnis der gegenwärtigen internationalen Lage hat, ganz genau, daß
die den Frieden gefährdende Spannung in ganz anderen Richtungen zu suchen ist.
Wenn die Regierungen der Westmächte, die den Standpunkt der Sowjetunion und
der Volksdemokratien selbst zu dieser Frage genau kennen, es immer noch für möglich
halten, sie der Konferenz erneut zur Beratung vorzuschlagen, kann dies als etwas
anderes verstanden werden als ein Beweis für die Absicht, die Konferenz mit
Beteiligung der Regierungsoberhäupter bereits im Keim zu ersticken ?
Es ist ebenso unmöglich hinsichtlich des Wunsches der drei Westmächte, die
Behandlung des Problems der Vereinigung Deutschlands auf der Konferenz unter
Beteiligung der Regierungsoberhäupter zu erzwingen, eine andere Bewertung
vorzunehmen. Und in diesem Fall handelt es sich, wie von der Sowjetregierung bereits
mehrfach gegenüber der Regierung der USA zum Ausdruck gebracht, um eine
Problematik, die nicht in die Zuständigkeit einer internationalen Konferenz fällt.
286 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Unseres Erachtens hätte man schon vor langer Zeit als unbestreitbare Wahrheit
anerkennen müssen, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen die Vereinigung
Deutschlands allein durch die Bemühungen der beiden souveränen Staaten, die jetzt
auf deutschem Gebiet bestehen, herbeigeführt werden kann. Die DDR und die BRD
können sich, wenn der Wille auf beiden Seiten vorhanden ist, viel leichter ohne die
Einmischung von Drittstaaten einigen. Schließlich sprechen die Deutschen im Osten
und im Westen Deutschlands ein und dieselbe Sprache; sie werden für ihre
Verhandlungen nicht einmal Dolmetscher benötigen, ganz zu schweigen von
ausländischen Vormündern, die für die Deutschen über Fragen des Schicksals des
deutschen Volkes entscheiden würden.
Bekanntlich hat selbst die Regierung der BRD erklärt, daß die Erörterung des
Problems der deutschen Einheit nicht als Voraussetzung für die Einberufung einer
Gipfelkonferenz angesehen werden sollte. Offensichtlich ist sie nicht geneigt, die
schwere Verantwortung zu übernehmen, eine Konferenz zu verhindern, deren
Einberufung von den Völkern der Welt seit langem erwartet wird. Sollte die Haltung
der drei Westmächte so verstanden werden, daß sie bereit sind, eine solche
Verantwortung zu übernehmen und benutzen sie die Frage der Einigung Deutschlands
nicht als Mittel, um zusätzliche Schwierigkeiten für eine Einigung über die
Einberufung einer Gipfelkonferenz zu schaffen ?
In den Vorschlägen der Westmächte sind Überlegungen zur Frage der europäischen
Sicherheit dargelegt worden. Die Bedeutung dieses Problems zum gegenwärtigen
Zeitpunkt ist natürlich unbestreitbar. Es muss und kann viel getan werden, um den
Frieden in Europa zu stärken und die Gefahr eines Kriegsausbruchs auf dem
europäischen Kontinent zu verringern. Aber welche Vorschläge werden uns in dieser
Frage gemacht ?
Wenn wir offen sprechen––und ich denke, daß unser Meinungsaustausch nur unter
den Bedingungen völliger Offenheit wirklich nützlich sein kann––so läuft die
Bedeutung dieser Vorschläge, die als Plan zur Stärkung der europäischen Sicherheit
präsentiert werden, auf folgendes hinaus : Die Westmächte wollen ganz Deutschland
in ihre militärische Gruppierung einbeziehen und wollen die Völker Europas durch
Erklärungen über die Gewährung von „Garantien“ beruhigen.
Bereits bei unserem Treffen in Genf haben wir auf die Tatsache aufmerksam
gemacht, daß der Vorschlag, der eine Art von Garantien für die Sowjetunion vorsieht,
gelinde gesagt merkwürdig ist. Es ist bekannt, daß Garantien in der Regel von einem
starken Staat (oder mehreren Staaten) an einen schwachen Staat gegeben werden. In
diesem Zusammenhang ist die Ungleichheit in der Stärke die Grundvoraussetzung
und ein starker Staat bestimmt die Bedingungen gegenüber dem schwachen Staat. Ein
Staat, dem Garantien gegeben werden, wird von dem Staat abhängig gemacht, der
diese Garantien gibt. Die Geschichte enthält viele Beispiele, in denen ein Staat, der
Garantien gegeben hatte, seine Verpflichtungen verletzte und damit eine Situation
schuf, in der es für den Staat, dem die Garantien gegeben worden waren, keinen
Ausweg mehr gab. Sie werden mir zustimmen, Herr Präsident, daß die Sowjetunion
kein schwacher Staat ist und folglich keine Garantien benötigt, da sie in der Lage ist,
ihre Interessen selbst zu verteidigen. Die Voraussetzungen, die es rechtfertigen
würden, die Frage der Garantien überhaupt zu stellen, sind also in diesem Fall nicht
gegeben. Hinter dem Aufwerfen der Frage der Garantien in Bezug auf die UdSSR steht
offensichtlich der Wunsch, unseren Staat in eine Position zu bringen, die gegenüber
anderen Staaten ungleich ist, was an sich schon zeigt, wie unbegründet dieser Wunsch
ist.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 287

Es wäre etwas anderes, wenn die Großmächte, einschließlich der UdSSR,


gegenseitige Garantien übernehmen und folglich eine Lösung des Problems
akzeptieren sollten, die keine der Mächte in eine ungleiche oder gar demütigende Lage
bringen würde. Der Abschluß eines Nichtangriffspaktes, dessen enorme Bedeutung bei
objektiver Betrachtung der Lage nicht zu leugnen ist, würde jedoch dieser Forderung
nach gegenseitigen Garantien genügen.
Die Künstlichkeit dieses gesamten Vorschlags für „Garantien“ gegenüber der
Sowjetunion wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, daß die Mächte, die die
Führungsposition in der nordatlantischen Militärgruppierung innehaben, deren
gesamte Tätigkeit von militärischen Vorbereitungen gegen die Sowjetunion und die
mit ihr verbündeten Länder beherrscht wird, diejenigen sind, die vorschlagen, daß sie
die Rolle der Garantiegeber übernehmen. Auf diese Weise werden uns
„Sicherheitsgarantien“ seitens eines Zusammenschlusses von Ländern vorgeschlagen,
die unablässig Kriegsinstrumente schmieden, deren militärische Führer fast täglich
zum Atomkrieg gegen die Sowjetunion aufrufen und deren Propagandamaschinerie
unablässig die Kriegshysterie anheizt. Vielleicht gibt es Menschen, die dazu neigen,
ihre Augen vor der Realität zu verschließen und sich auf beruhigende Worte zu
verlassen; wir gehören jedoch nicht zu dieser Kategorie. Ich zweifle nicht eine Minute
daran, daß die Regierung der USA unter ähnlichen Umständen die gleiche Position
einnehmen würde.
Wir sind der festen Überzeugung, daß die Aufgabe in der Frage der europäischen
Sicherheit nicht darin besteht, irgendwelche „Garantien“ für die Sowjetunion
vorzuschlagen, Garantien, die sie nicht braucht, sondern vielmehr darin, die Sicherheit
aller europäischen Nationen zu gewährleisten und eine Situation zu schaffen, in der
Europa nicht erneut zum Schauplatz eines neuen Krieges werden kann.
Die Verwirklichung dieses Ziels würde durch die von der Regierung der
Volksrepublik Polen vorgeschlagene Schaffung einer atom- und raketenwaffenfreien
Zone in Mitteleuropa sowie durch eine Verringerung der Anzahl ausländischer
Truppen, die auf dem Territorium europäischer Staaten, vor allem in Deutschland,
stationiert sind, und durch die Einführung einer angemessenen gegenseitigen
Kontrolle gefördert. Die Umsetzung dieser Maßnahmen würde die Interessen keines
Staates verletzen. Im Gegenteil, sie würde die Möglichkeit des Ausbruchs eines
Atomkrieges in einem Gebiet, in dem heute riesige Massen von Streitkräften und
Rüstungsgütern der gegnerischen Staatengruppierungen in unmittelbarer Nähe
zueinander konzentriert sind, stark verringern. Die Schaffung der besagten Zone in
einem Gebiet könnte allmählich dazu führen, daß solche Zonen auch an anderen Orten
entstehen und ein immer größer werdender Anteil des Weltterritoriums aus dem
Bereich der Atomkriegsvorbereitungen ausgeschlossen wird. Die Gefahr, daß Völker
in einen solchen Krieg verwickelt werden, würde dadurch vermindert werden.
Wir sind der Meinung, daß eine solche Frage wie der Abschluß eines
Nichtangriffspaktes zwischen Staaten, die dem Warschauer Vertrag, und Staaten, die
der Nordatlantischen Allianz angehören, längst entscheidungsreif ist. Der Abschluß
eines solchen Paktes, dessen Bedeutung auch von Herrn Macmillan, dem
Premierminister des Vereinigten Königreichs, hervorgehoben wurde, würde das
bestehende Kräfteverhältnis zwischen den beiden Gruppen in keiner Weise verletzen
und wäre gleichzeitig von ungeheurem Nutzen. Das so notwendige Element der
Stabilität und der Zusicherung würde in die gesamte internationale Situation
eingebracht werden. Die Nationen würden sehen, daß die aus militärischer Sicht
288 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

mächtigsten Staaten untereinander Einigkeit erzielt haben und keinen Krieg wollen.
Es bedarf keiner Erwähnung, daß die Kriegsgefahr sofort verringert würde, denn es
ist völlig klar, daß, unter den gegenwärtigen Bedingungen, ein neuer militärischer
Flächenbrand in Europa, und nicht nur in Europa, nur infolge eines Konflikts zwischen
den beiden großen Mächtegruppen entstehen kann.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß seit der Übermittlung
der Vorschläge der Sowjetregierung am 5. Mai die Frage des Abschlusses eines
Nichtangriffspaktes auf einer Konferenz der Vertragsparteien des Warschauer
Vertrages erörtert wurde, die einen Entwurf eines solchen Paktes ausarbeitete und
sich mit einem gemeinsamen Vorschlag an die Mitgliedsländer der NATO wandte. Die
Sowjetregierung gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Regierung der USA den
genannten Entwurf prüft und ihre Meinung dazu mitteilt.
Im Vorschlag der Regierungen der USA, des Vereinigten Königreichs und
Frankreichs sowie in den Vorschlägen der Sowjetregierung werden weitere Fragen der
Abrüstung angesprochen. Wir glauben, daß diese Fragen ernsthafte Aufmerksamkeit
verdienen. In Anbetracht der Erfahrungen aus den langen Verhandlungen im
Unterausschuss der UN-Abrüstungskommission, bezüglich derer wir bereits
Gelegenheit hatten, unseren Standpunkt darzulegen, bezweifeln wir jedoch, daß diese
Fragen in der Form, in der sie in den vorliegenden Vorschlägen der Westmächte
dargelegt werden, tatsächlich mit dem Ziel vorgelegt werden, eine abgestimmte
Lösung herbeizuführen oder eine Vereinbarung über eine vollständige Abrüstung zu
erzielen oder sogar die einleitenden Maßnahmen wie die Einstellung der
Atomwaffentests usw. durchzuführen.
Warum äußern wir solche Zweifel und einen Mangel an Vertrauen ? Es liegt daran,
daß die Westmächte, dieselben Mächte, die am UN-Unterausschuß für Abrüstung
teilgenommen haben und dort in der Tat die NATO vertraten, uns, nachdem sie unsere
konkreten Vorschläge für dringende Abrüstungsmaßnahmen erhalten hatten,
tatsächlich keine Antwort auf diese Vorschläge gegeben haben. Sie wiederholen ihre
wertvollen Vorschläge mit dem Argument, daß das Abrüstungsproblem sozusagen nur
als Ganzes gelöst werden kann. Auf diese Weise versuchen sie, das Thema auf den
alten, nicht zielführenden Weg zurückzudrängen und die Diskussion über das
Abrüstungsproblem „als Ganzes“ erneut vergeblich zu führen.
Eine solche Diskussion, korrekter gesagt ein Disput, über das Problem der
Abrüstung wird seit über 13 Jahren hinter verschlossenen Türen geführt. In
Wirklichkeit wurden keine Verhandlungen geführt, es handelte sich lediglich um eine
Täuschung der öffentlichen Meinung, bei der Illusionen geschaffen wurden, als ob die
Abrüstungsfrage vorankäme, aber in Wirklichkeit wurde kein einziges praktisches
Abrüstungsproblem geregelt. Außerdem begannen die Westmächte unter dem
Deckmantel dieser Abrüstungsverhandlungen ein beispielloses Wettrüsten. Deshalb
hat sich die Sowjetunion geweigert, an den Arbeiten der Abrüstungskommission
teilzunehmen und wir werden uns nicht daran beteiligen, solange die NATO-Länder
auf ihren Forderungen beharren, die in Bezug auf das Herangehen an das
Abrüstungsproblem vollkommen unannehmbare Grundsätze darstellen.
Die Regierung der USA weiß sehr wohl, daß die Sowjetunion ein Verfechter einer
radikalen Lösung des Abrüstungsproblems war und ist. Sie hat den Westmächten
wiederholt vorgeschlagen, sich auf ein umfassendes Abrüstungsprogramm zu einigen,
das eine beträchtliche Verringerung der Streitkräfte und der Ausrüstung, das Verbot
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 289

von Atom- und Wasserstoffwaffen und geeignete Maßnahmen der internationalen


Kontrolle einschließt. Die Westmächte haben allerdings nicht den Wunsch geäußert,
eine Einigung über solche umfassenden Abrüstungsmaßnahmen zu erzielen.
Wenn wir im Laufe von 13 Jahren nicht erfolgreich waren, eine Einigung über das
Abrüstungsproblem „als Ganzes“ zu erzielen, wobei die Lösung bestimmter Probleme
mit der Lösung anderer verbunden ist, kann man dann erwarten, daß dieses Problem
mit einem solchen Ansatz im Laufe weniger Tage auf einer Konferenz der
Regierungsoberhäupter gelöst werden kann ? Liegt es nicht auf der Hand, daß die
einzig realistische Methode darin besteht, zunächst die Probleme herauszugreifen und
zu lösen, die bereits reif für eine Lösung sind und dann zur Lösung der
kompliziertesten Probleme überzugehen ? Dies ist der Vorschlag der Sowjetunion.
Die Sowjetregierung sah und sieht es als ihre Pflicht an, alles zu tun, um die
schnellstmögliche Lösung des Abrüstungsproblems zu fördern. Wir haben uns von
diesem Ziel leiten lassen, als wir vor kurzem die Beschlüsse fassten, unsere
Streitkräfte erheblich zu reduzieren und einseitig die Erprobung aller Arten von Atom-
und Wasserstoffwaffen in der Sowjetunion einzustellen. In dem Bestreben, das
Zustandekommen einer Vereinbarung über die weltweite Einstellung solcher Tests zu
beschleunigen, entsprach die Sowjetregierung dem Wunsch der Regierungen der USA
und des Vereinigten Königreichs, Experten zu benennen, die die Methoden zur
Aufdeckung möglicher Verstöße gegen eine Vereinbarung über die Einstellung von
Atomtests untersuchen sollten.
Wir hoffen, daß dieser neue Schritt der Sowjetunion von den Westmächten
gebührend gewürdigt wird und daß infolgedessen eine förderlichere Atmosphäre
geschaffen wird, die die Einberufung einer Gipfelkonferenz zum frühestmöglichen
Zeitpunkt begünstigen würde.
Herr Präsident, ich glaube, daß die Zeit gekommen ist, die Hauptfrage sorgfältig zu
klären: Wünschen wirklich alle Parteien die Einberufung einer Gipfelkonferenz ? Ich
muss sagen, daß die Dokumente, die uns von den Westmächten übermittelt wurden,
bei uns in diesem Zusammenhang ernsthafte Zweifel hervorgerufen haben. Man kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Verfasser der in diesen Dokumenten
enthaltenen Vorschläge sich nicht von dem Wunsch leiten ließen, eine für alle Parteien
möglichst annehmbare Lösung zu finden, sondern vielmehr nach Fragen suchten, für
deren Lösung die Zeit noch nicht reif ist, um später sagen zu können, daß sie mit ihrer
Vorhersage des Scheiterns einer Konferenz der Regierungsoberhäupter Recht hatten.
All dies hat uns veranlasst, uns mit diesem Brief an Sie zu wenden. Wir wünschen
endgültig zu erfahren, ob die Regierungen der Westmächte ernsthafte Absichten
haben, eine Gipfelkonferenz zu organisieren und Verhandlungen zu führen, deren
Ergebnisse buchstäblich von der ganzen Menschheit erwartet werden, oder ob der
Wunsch besteht, die Aufmerksamkeit der Völker abzulenken, den Eindruck zu
erwecken, daß Verträge geschlossen wurden und Verhandlungen geführt werden und
in Wirklichkeit Fragen aufzuwerfen, die nicht nur dazu führen, daß die
Vorbereitungen für das Treffen scheitern, sondern auch, daß keine Gipfelkonferenz als
solche stattfindet, um unser Land später der „Hartnäckigkeit“ zu beschuldigen. Eine
solche Taktik ist uns aus den Erfahrungen einiger früherer Verhandlungen sehr gut
bekannt.
290 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Sowjetregierung hat die in Ihren Mitteilungen dargelegten Ansichten über die
mögliche Tagesordnung einer Gipfelkonferenz genauestens geprüft, Herr Präsident.
Wir haben unsere Meinung zu diesen Vorschlägen ausführlich dargelegt und erklärt,
daß wir eine Reihe von Fragen unter den von den Westmächten vorgeschlagenen für
eine Diskussion für geeignet halten.
Wir sind auch bereit, die Frage der Methoden zur Stärkung der Vereinten Nationen,
die in der Korrespondenz zwischen unseren beiden Regierungen angesprochen wurde,
zu erörtern, denn auch wir haben in diesem Zusammenhang etwas zu sagen.
Herr Präsident, ich habe Ihnen in aller Aufrichtigkeit meine Ansichten über die
gegenwärtige Situation hinsichtlich der Vorbereitungen für eine Gipfelkonferenz
dargelegt. In dieser Situation ist die Verantwortung, die auf die Regierungen der
Großmächte übergeht, besonders groß. Um die ganze Tiefe dieser Verantwortung zu
verstehen, genügt es, sich vorzustellen, wie groß die Sorge aller Völker wäre, wenn es
uns nicht gelingen würde, eine gemeinsame Sprache zu finden. Niemand würde solche
Regierungsvertreter verstehen und rechtfertigen können, die sich nicht einmal darauf
einigen können, wie sie die Verhandlungen untereinander beginnen sollen, während
die Welt vom Fieber eines sich ständig verschärfenden Wettrüstens ergriffen wird und
in einer Zeit, in der es keinen Winkel mehr gibt, in dem die Menschen frei sind von der
bedrückenden Furcht vor der Bedrohung durch einen neuen militärischen Ausbruch.
Wir sind davon überzeugt, daß es durch gemeinsame Anstrengungen der Staaten,
vor allem durch gemeinsame Anstrengungen der Vereinigten Staaten von Amerika
und der Sowjetunion, durchaus möglich ist, eine grundlegende Verbesserung der
internationalen Lage zu erreichen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung könnte ein
Treffen der höchsten Regierungsbeamten unter Beteiligung der
Regierungsoberhäupter sein. Wir bringen die Hoffnung zum Ausdruck, daß die
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika diese Mitteilung mit gebührender
Aufmerksamkeit zur Kenntnis nimmt und ihrerseits alle erforderlichen Schritte
unternimmt, um die Vereitelung einer hochrangigen Konferenz nicht zuzulassen und
die Hindernisse für eine solche Konferenz, die künstlich geschaffen werden, aus dem
Weg zu räumen.
Ich werde gleichzeitig Mitteilungen zu dieser Frage an den Premierminister des
Vereinigten Königreichs und an den Präsidenten des Ministerrats von Frankreich
senden.
______________

Schreiben von Präsident Eisenhower an Premierminister Chruschtschow,


betreffend die Frage eines Gipfeltreffens, 2. Juli 1958 1
Ihr Schreiben vom 11. Juni hat mich ehrlich gesagt überrascht. Sie beklagen sich
über Verzögerungen bei den Vorbereitungen für ein Gipfeltreffen genau zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Westmächte einen Vorschlag für ein ernsthaftes und wirksames
Verfahren zur Durchführung dieser Vorbereitungen vorgelegt haben. Dies widerlegt
die in Ihrem Schreiben enthaltene Behauptung, daß die drei Westmächte Hindernisse
schaffen und Fortschritte auf dem Weg zu einem Gipfeltreffen behindern.
Der Standpunkt der Westmächte zur Abhaltung eines Treffens der Regierungschefs
war von Anfang an klar. Sie halten ein solches Treffen für wünschenswert, wenn es
Gelegenheit zu einer ernsthaften Erörterung wichtiger Probleme bieten und ein
wirksames Mittel zur Erzielung einer Einigung über wichtige Themen sein würde.

1 Pressemitteilung des Weißen Hauses, 2. Juli 1958.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 291

Nach den bekannten Positionen der Sowjetischen Regierung gibt es bisher keine
Anzeichen dafür, daß dies der Fall ist. Deshalb bestehen die Westmächte auf
angemessenen Vorbereitungsmaßnahmen und haben ihren Vorschlag unterbreitet,
um einen zufriedenstellenden Abschluss dieser Arbeiten zu erleichtern.
Die Sowjetische Regierung hat stattdessen die Diskussionen in Moskau gestört,
indem sie es vorzog, die zwischen ihr und den Westmächten ausgetauschten
Dokumente, einschließlich der von den Westmächten stammenden diplomatischen
Dokumente, ohne Vorwarnung und ohne den Versuch einer Konsultation zu
veröffentlichen. Dieses Vorgehen entspricht kaum dem Geist einer ernsthaften
Vorbereitung, mit dem die Westmächte in diesen diplomatischen Austausch
eingetreten sind. Es kann nur Zweifel an den Absichten der Sowjetischen Regierung
bezüglich der ordnungsgemäßen Vorbereitung eines Gipfeltreffens aufkommen lassen.
Nach Erhalt der sowjetischen Themenvorschläge am 5. Mai legten die drei
Botschafter in Gesprächen am 28. Mai, 31. Mai und 2. Juni im Gegenzug die westlichen
Themenvorschläge vor. Sie erläuterten Herrn Gromyko auch ein vorgeschlagenes
Verfahren zur Überwindung der Schwierigkeiten, die sich aus der Tatsache ergaben,
daß die beiden Vorschläge stark voneinander abwichen. Die westlichen Botschafter
sind durchaus bereit, Kommentare zu den sowjetischen Vorschlägen für die
Tagesordnung abzugeben und bestimmte Punkte in ihren eigenen Vorschlägen zu
klären, bei denen die Sowjetische Regierung anscheinend falsche Vorstellungen hat.
Die westlichen Regierungen können jedoch nicht damit einverstanden sein, daß sich
die Gespräche zwischen ihren Botschaftern und Herrn Gromyko ausschließlich auf die
sowjetische Liste stützen, ebenso wenig wie sie von der Sowjetischen Regierung
erwarten würden, daß sie sich ausschließlich auf die westliche Liste stützt. Da die
Themen beider Listen unter bestimmte allgemeine Überschriften fallen, war der
westliche Vorschlag, daß die vorbereitenden Gespräche über die von beiden Seiten
vorgeschlagenen Einzelthemen im Rahmen dieser allgemeinen Überschriften
stattfinden sollten. Wäre dies von der sowjetischen Regierung akzeptiert worden,
hätten der sowjetische Außenminister und die Botschafter die Standpunkte der
verschiedenen Regierungen zu den Themen der beiden Listen prüfen und festlegen
können, welche Themen den Regierungschefs zur Prüfung vorgelegt werden sollten.
Keine Seite hätte in der Vorbereitungsphase ein Veto gegen die Aufnahme eines
Themas in die Diskussion einlegen können, und es hätte sich die Gelegenheit geboten,
eine gemeinsame Grundlage für eine spätere Prüfung durch die Regierungschefs zu
finden.
Herr Gromyko versprach eine offizielle Antwort auf den obigen Vorschlag.
Stattdessen hat die Sowjetische Regierung nun Mitteilungen an die Regierungschefs
der drei Westmächte gerichtet und zwar in Form Ihrer Schreiben vom 11. Juni, in
denen die Argumente für die sowjetischen Vorschläge vom 5. Mai wiederholt und
einige der westlichen Vorschläge kritisiert werden, die ihr nicht gefallen. Der von den
Botschaftern unterbreitete Verfahrensvorschlag wurde gänzlich ignoriert.
Sie behaupten in Ihren Briefen, daß die Westmächte versuchen, die Abhaltung eines
Gipfeltreffens zu verhindern, indem sie einige der großen politischen Fragen, die zu
großen Spannungen führen, als mögliche Gesprächsthemen für ein Treffen der
Regierungschefs vorsehen. Für diese Behauptung gibt es keinen Grund. Ein Treffen
der Staats- und Regierungschefs würde den Hoffnungen und Sehnsüchten der
Menschheit nicht gerecht werden, wenn sie mit einer Verfügung zusammenkämen, die
ihre Lippen versiegelt, sodaß sie die großen politischen Fragen, die ihre Beziehungen
292 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

schwer belasten und den Weltfrieden gefährden, nicht einmal erwähnen dürften.
Trotz des willkürlichen Vorgehens der Sowjetischen Regierung und ihrer
offensichtlichen mangelnden Bereitschaft, ernsthaft über konkrete Streitpunkte zu
verhandeln, beabsichtigen die Westmächte nicht, die Hoffnung aufzugeben oder in
ihren Bemühungen um eine Lösung der wichtigsten noch offenen Probleme
nachzulassen. Wenn die Sowjetregierung dieses Ziel ebenso ernsthaft verfolgt, wird sie
den von den Westmächten unterbreiteten Verfahrensvorschlag akzeptieren oder eine
ebenso wirksame und praktikable Alternative vorschlagen.
___________

Note des stellvertretenden sowjetischen Außenministers (Kusnezow) an den


amerikanischen Botschafter (Thompson), über die europäische Sicherheit,
15. Juli 1958 1
[Inoffizielle Übersetzung]

Die sowjetische Regierung hält es für notwendig, sich in folgender Frage an die
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zu wenden.
Die Regierung der UdSSR ist der Auffassung, daß die Lage, die sich auf dem
europäischen Kontinent entwickelt, die Regierungen aller interessierten Staaten
verpflichtet, sich um die Ausarbeitung gemeinsamer Maßnahmen zu bemühen, die das
Abgleiten Europas in den Krieg aufhalten und Wege zur Festigung des Friedens auf
der Grundlage eines wachsenden gegenseitigen Vertrauens und der Ausweitung der
multilateralen Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten finden würden.
Die beiden Weltkriege, die die Menschheit erlebt hat, sind in erster Linie über die
Köpfe der europäischen Nationen hereingebrochen. Niemand kann leugnen, daß die
größten menschlichen Opfer und materiellen Verluste in diesen Kriegen von den
europäischen Ländern selbst getragen wurden. Zig Millionen Europäer wurden auf
dem Schlachtfeld getötet, kamen durch die Bombardierung friedlicher Städte ums
Leben, starben an Wunden und Krankheiten, wurden in faschistischen
Konzentrationslagern gefoltert. Im Zuge der Militäroperationen wurden viele einst
wohlhabende Städte und Dörfer vom Erdboden getilgt, unersetzliche Kulturdenkmäler
zerstört. Um den Preis derer, die nicht zurückkehren werden, um den Preis der
Verluste und der unvorstellbaren körperlichen und seelischen Strapazen für jede
Familie verdienen die Völker Europas das Recht auf ein lebenswertes Dasein ohne
Angst vor dem Morgen, für sich selbst und für das Schicksal der kommenden
Generationen.
Heute sind die Völker der europäischen Länder wieder gezwungen, unter den
Bedingungen fieberhafter militärischer Vorbereitungen zu leben, unter der Drohung
einer noch schrecklicheren militärischen Katastrophe. Der Grundsatz der
unparteiischen Zusammenarbeit in internationalen Angelegenheiten, von dem in der
Zeit des Kampfes gegen den gemeinsamen Feind nicht wenig gesprochen wurde, wird
bei weitem nicht von allen respektiert.
Es ist unmöglich, nicht zu erkennen, daß solche Maßnahmen wie das ständige
Anheizen des Rüstungswettlaufs, insbesondere der Atom- und Wasserstoffwaffen, das
Anwachsen der Armeen und der Militärausgaben, die Errichtung von Atom- und
Raketenbasen auf fremden Territorien, die Übergabe dieser Rüstung in die Hände

1 Bulletin des Außenministeriums, 22. September 1958, S. 462–465. Der. sowjetische Entwurf eines
Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit (siehe unten) war dieser Note beigefügt. Die Vereinigten
Staaten antworteten am 22. August 1958 (siehe unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 293

neuer Staaten, vor allem in die der Bundesrepublik Deutschland, in Wirklichkeit


nichts anderes als Kriegsvorbereitung bedeuten. Diesem Ziel dient und fördert in
einigen Ländern eine Propaganda, die von mangelndem Glauben an die Möglichkeit
der Erhaltung des Friedens durchdrungen ist und Gefühle der Feindschaft,
Entfremdung und regelrechten Feindseligkeit gegenüber Staaten und Völkern nährt,
die sich außerhalb ihrer militärischen Gruppierungen befinden, andere politische und
soziale Systeme gewählt haben und ihr eigenes Leben nach ihren Idealen aufbauen.
Die Bildung gegensätzlicher militärischer Gruppierungen von Staaten hat auf dem
europäischen Kontinent zu tiefem Misstrauen und gefährlichen Spannungen geführt.
Es wird von Jahr zu Jahr deutlicher, daß ein Krieg in Europa, wenn er
unglücklicherweise ausbrechen sollte und wenn nicht gleichzeitig besondere Verbots-
oder zumindest Begrenzungsmaßnahmen ergriffen wurden, ein Krieg mit atomaren
und ballistischen Vernichtungsmitteln sein wird. Trotz der einseitigen Einstellung der
Tests aller Arten von Atom- und Wasserstoffwaffen durch die Sowjetunion führen die
USA und England weiterhin solche Tests durch, lehnen den Abschluss eines
Abkommens über den Verzicht auf deren Einsatz ab und ziehen gleichzeitig ihre
Verbündeten im Nordatlantikpakt immer mehr in die Vorbereitungen für einen
ballistisch-atomaren Krieg hinein.
Die Behauptung, daß sich die Menschheit durch die Schaffung und Anhäufung der
tödlichsten und zerstörerischsten Vernichtungsmittel angeblich vor der Gefahr eines
Krieges mit diesen Mitteln schützt, erscheint als eine Herausforderung an die
Vernunft. Je mehr Atom- und Wasserstoffbomben sich in den Arsenalen der Staaten
befinden, je größer der Kreis der Staaten ist, die über Atom- und Raketenwaffen
verfügen, je näher die Streitkräfte und Stützpunkte dieser Mächte beieinander liegen,
desto wahrscheinlicher ist das Auftreten einer militärischen Explosion. Eine solche
Situation aufrechtzuerhalten ist so, als würde man eine Fackel in ein
Schießpulverlager halten.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn die
Teilnehmerländer des Warschauer Paktes anstelle der Maßnahmen, die sie zum
Abbau der Spannungen in Europa ergreifen, anfangen würden, in der gleichen
Richtung wie die Länder der NATO zu handeln. Es ist verständlich, daß die Gefahr
einer militärischen Explosion um das Hundertfache zunehmen würde, wenn sie nach
dem Vorbild der NATO ihrerseits begännen, anderen Staaten einen Rüstungswettlauf
aufzuzwingen, ihre Militärbasen auf fremden Territorien näher an die lebenswichtigen
Zentren der Staaten, die an der gegenüberliegenden militärischen Gruppierung
teilnehmen, zu verlegen, in den Luftraum Europas, um den amerikanischen
Flugzeugen, die ständig in der Luft sind und mit Atom- und Wasserstoffbomben
bewaffnet sind, ihre eigenen solchen Militärflugzeuge entgegenzuschicken.
Als größter Staat in Europa, der im Laufe einer Generation zweimal über seine
Westgrenzen hinweg einer Invasion ausgesetzt war, kann die Sowjetunion natürlich
nicht umhin, sich unablässig um die Sicherheit in Europa zu sorgen, die untrennbar
mit ihrer eigenen Sicherheit verbunden ist. Millionen von Sowjetbürgern haben im
Zweiten Weltkrieg nicht ihr Leben auf dem Schlachtfeld gelassen, damit das
sowjetische Volk nun gleichgültig zusehen kann, wie in Europa Zündstoff für einen
neuen Krieg angehäuft wird.
Wie die anderen friedliebenden Staaten tat und tut die Sowjetunion alles, was von
ihr abhängt, um die Kriegsgefahr zu beseitigen und eine friedliche und vertrauensvolle
Zusammenarbeit zwischen allen europäischen Staaten unabhängig von ihrer sozialen
294 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Struktur und ihrer Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Mächtegruppe zu


erreichen.
Die Sowjetunion hat ihre Militärbasen auf dem Gebiet anderer Staaten aufgelöst.
Außerhalb ihrer eigenen Grenzen unterhält die Sowjetunion keine Atom- und
Wasserstoffwaffenlager oder Raketenabschussrampen. In den letzten drei Jahren
wurde die Stärke der sowjetischen Streitkräfte einseitig um insgesamt zwei Millionen
einhundertvierzigtausend Personen verringert. In diesem Zusammenhang wurden die
Streitkräfte der UdSSR in der Deutschen Demokratischen Republik um mehr als
neunzigtausend Personen reduziert. Die Militärausgaben und die Bewaffnung wurden
entsprechend reduziert. Auf der letzten Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR
wurde eine Resolution zur einseitigen Einstellung von Tests aller Arten von Atom- und
Wasserstoffwaffen durch die Sowjetunion angenommen.
Auf der Sitzung des politischen Konsultativkomitees der Teilnehmerstaaten des
Warschauer Vertrages, die Ende Mai in Moskau stattfand, wurde ein Beschluß über
den baldigen Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus der Rumänischen Volksrepublik,
die sich dort in Übereinstimmung mit diesem Vertrag befanden, sowie über eine
zusätzliche Reduzierung der auf dem Gebiet der Ungarischen Volksrepublik
stationierten sowjetischen Streitkräfte gefaßt.
In dem Bestreben, die sich abzeichnende Spaltung zwischen den beiden
grundlegenden Mächtegruppen in Europa, die sich in einem militärischen Konflikt
befinden, abzuschwächen und die Gefahr wachsender Widersprüche zwischen ihnen
auszuschließen, schlugen die Teilnehmer des Treffens den Abschluss eines
Nichtangriffspaktes zwischen den Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages und den
Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Allianz vor. Die Sowjetische Regierung ist
überzeugt, daß der Abschluss eines solchen Nichtangriffspaktes eine zuverlässige
Präventivmaßnahme wäre, die den Frieden in Europa stärken würde.
Trotz der ungeheuer positiven Rolle eines solchen Nichtangriffspaktes darf jedoch
nicht außer Acht gelassen werden, daß diese Maßnahme nur einen ersten Schritt, das
Minimum, darstellt, das unter den gegenwärtigen Bedingungen unternommen werden
muss, um in Europa eine Atmosphäre des gebührenden Vertrauens zwischen den
Staaten zu schaffen. Es wäre ein unverzeihliches Versäumnis, wenn daneben keine
Anstrengungen unternommen würden, um zusätzliche Übergangsschritte von der
gegenwärtigen gefährlichen Situation zur Schaffung der Bedingungen für einen festen
Frieden in Europa festzulegen.
Die Sowjetregierung geht davon aus, daß der Frieden und die Sicherheit in Europa
nicht gesichert werden können, wenn nicht alle europäischen Staaten ihre
Anstrengungen vereinen und untereinander eine breite, allumfassende
Zusammenarbeit aufbauen. Die bisherigen Erfahrungen bei der Regelung wichtiger
internationaler Fragen bezeugen, daß bei gutem Willen auf allen Seiten immer
Möglichkeiten und Reserven für gegenseitig annehmbare Entscheidungen zugunsten
des Friedens gefunden werden können. So wurden in den ersten Nachkriegsjahren
Friedensverträge mit Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Italien und Finnland
geschlossen, die in erheblichem Maße zur Normalisierung der Lage in Europa
beitrugen. Ein noch überzeugenderes Zeugnis dafür ist die Unterzeichnung des
österreichischen Staatsvertrags durch die Staaten im Jahr 1955, selbst unter den
Bedingungen des „Kalten Krieges“ und des verschärften Misstrauens, der die
politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Österreichs als neutraler Staat
wiederherstellte.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 295

Die Regierung der UdSSR weiß natürlich, daß die Regierungen vieler
westeuropäischer Staaten und auch der USA zu den Gründen, die zu den
gegenwärtigen Spannungen in Europa geführt haben, sowie zu den geeigneten
Maßnahmen zum Abbau dieser Spannungen in den Beziehungen zwischen den
europäischen Staaten andere Ansichten vertreten als sie selbst.
Dennoch ist es unbestreitbar, daß die Situation in Europa es erfordert, daß die
Regierungen der europäischen Länder über die gegenwärtigen
Meinungsverschiedenheiten hinwegkommen. Polemik, die nicht mit echten
konstruktiven Schritten untermauert wird, kann weder die fallenden Bomben
aufhalten noch die Wucht ihrer Explosionen mindern. Es darf nicht zugelassen
werden, daß Meinungsverschiedenheiten die nüchterne Betrachtung der Tatsachen
stören, die die Europäer heute mit dem Gefühl tiefer Beunruhigung erfüllen, und das
Wichtigste verdecken––die Notwendigkeit, ernsthaft und geduldig nach einer
Einigung über konkrete Schritte zu suchen, die zur Schaffung eines dauerhaften
Friedens in Europa führen.
Bekanntlich sind in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen die Pläne zur
Gewährleistung der Sicherheit in Europa und zur Organisation der allgemeinen
europäischen Zusammenarbeit vor allem deshalb gescheitert, weil es nicht gelungen
ist, eine Einigung zwischen den führenden Staaten zu erzielen, die über die stärksten
Streitkräfte verfügten und deren vereinte Anstrengungen eine Aggression unmöglich
gemacht hätten. Nach Auffassung der Sowjetregierung ist es notwendig, diese Periode
der Geschichte zu studieren und die schweren Fehler der Vergangenheit nicht zu
wiederholen.
Es ist jetzt nicht mehr nötig zu beweisen, daß die Versuche, die Lösung der
Aufgaben, vor denen Europa als Ganzes steht, durch die Praxis zu ersetzen, auf einer
engen, geschlossenen Basis verschiedene Zusammenschlüsse einzelner europäischer
Staaten zu gründen, wie die Montanunion, den Gemeinsamen Markt, EURATOM
usw., nur dazu führen, daß sich diese Staaten immer mehr gegen die anderen Staaten
Europas stellen und den Graben, der heute den westlichen Teil Europas vom östlichen
trennt, immer tiefer ziehen.
Der Gedanke der Zusammenarbeit aller europäischen Staaten, ihres
Zusammenschlusses im Interesse der Erhaltung des Friedens, der Sicherung des
Wohlergehens und des Gedeihens Europas hat tiefe Wurzeln in der Geschichte und im
heutigen Leben der europäischen Völker. Sowohl im Osten als auch im Westen unseres
Kontinents wird das Streben nach der Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses
und des allseitigen Umgangs der europäischen Staaten untereinander immer stärker.
Insbesondere die Tatsache, daß auf der XII. Sitzung der UNO alle europäischen
Staaten und die USA für die Resolution über friedliche und gutnachbarliche
Beziehungen zwischen den Staaten stimmten, zeugt insbesondere davon.
Die Sowjetregierung ist der Ansicht, daß die Regierungen der europäischen Staaten
und die Regierung der Vereinigten Staaten, wenn sie alle die gefährliche Entwicklung
der Ereignisse in Europa aufhalten wollen, sich bemühen sollten, auf regionaler Basis
allgemeine europäische Beschlüsse auszuarbeiten, die in der Praxis in der
gegenwärtigen Phase verwirklicht werden könnten und die für alle Regierungen
annehmbar wären. In diesem Zusammenhang legt sie einen Vorschlag zum Abschluss
eines Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den europäischen
Staaten und den Vereinigten Staaten vor.
Nach Ansicht der Sowjetischen Regierung wäre es ratsam, in einen solchen Vertrag
Bestimmungen aufzunehmen, die auf die Warnung und Abwehr von Aggressionen in
296 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Europa und auf die Stärkung der Sicherheit aller europäischen Länder gerichtet sind.
Dabei wäre es wichtig, die Verpflichtung der europäischen Staaten und auch der USA
zum Ausdruck zu bringen, keinem Staat, der den Frieden in Europa stört, militärisch
oder wirtschaftlich beizustehen oder ihn moralisch zu unterstützen, unabhängig
davon, ob sie im Rahmen bestehender Militärpakte und Verträge Partner des
Aggressorstaates sind oder nicht. Es ist bekannt, daß die Idee eines solchen
Abkommens in den letzten Jahren mehrfach geäußert wurde, unter anderem von den
Regierungen der USA, Englands und Frankreichs.
In Anbetracht der Tatsache, daß das Zustandekommen eines
Abrüstungsabkommens mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist und daß die
jahrelangen Bemühungen in dieser Richtung zu keinerlei Fortschritten geführt haben,
schlägt die Sowjetregierung vor, im Vertrag Maßnahmen zu erwägen, die die
Beseitigung des Wettrüstens und die Durchführung von Maßnahmen zur Begrenzung
der Armeen der Organisationen des Warschauer Paktes und des Nordatlantischen
Bündnisses in Europa ermöglichen würden. Die Initiative der europäischen Staaten
bei der Suche nach solchen Teillösungen könnte die Perspektive auch für
umfassendere Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Abrüstungsproblem
eröffnen.
Von großer Bedeutung für die Verhütung bewaffneter Konflikte in Europa wäre die
Einrichtung einer Zone in direkter Anlehnung an die Trennlinie zwischen den in
Europa bestehenden militärischen Gruppierungen, in der weder die Herstellung noch
die Stationierung von atomaren Wasserstoff- und Raketenwaffen erlaubt wäre. In
diesem Fall würden die Vertragsparteien die Verpflichtung übernehmen, den Status
der besagten Zone zu respektieren und das Territorium der Staaten, die ihr beitreten,
als vom Einsatzbereich der besagten Waffenart ausgeschlossen zu betrachten.
Es wäre wünschenswert, in dem Vertrag auch vorzusehen, daß in den nächsten ein
bis zwei Jahren die Reduzierung der Anzahl ausländischer Streitkräfte auf dem Gebiet
Deutschlands auf 1/3 oder auf eine anderweitig vereinbarte Grenze begonnen werden
sollte. Mit der Durchführung einer solchen Reduzierung wäre es möglich, die
Einrichtung eines zuverlässigen Systems der Kontrolle und Inspektion der Erfüllung
dieser Verpflichtung durch die Vertragsparteien zu vereinbaren.
Die Sowjetregierung spricht sich für die Erstellung von Luftaufnahmen innerhalb
einer bestimmten Zone beiderseits der Trennlinie zwischen den Streitkräften der
Vertragsstaaten des Warschauer Vertrages und der Nordatlantischen Allianz aus, um
Überraschungsangriffe zu verhindern.
Die Entwicklung der Wirtschaft der Vertragsstaaten, die Regulierung des
friedlichen Geschäftsverkehrs und die gegenseitige Verständigung unter ihnen
würden zweifellos durch die Ausweitung einer für beide Seiten vorteilhaften und
gerechten wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf einer Grundlage, die jede
Diskriminierung oder künstliche Beschränkung jeglicher Art ausschließt, erleichtert
werden. Die Aufnahme der obigen Bestimmungen in den Vertrag wäre umso
nützlicher, als die Förderung des freien Welthandels einer Reihe von Staaten, in deren
Wirtschaft sich besonders in letzter Zeit ungesunde Erscheinungen bemerkbar
machen, gute Dienste leisten würde.
Die Sowjetregierung ist ein Befürworter der Entwicklung der Zusammenarbeit der
europäischen Staaten und auch der USA zur Lösung der großen Aufgabe der
friedlichen Nutzung der Atomenergie. Sie hält es für wünschenswert, in dem Vertrag
die Bereitschaft der Teilnehmer zum Austausch von Erfahrungen in der
wissenschaftlichen Forschung und der industriellen Anwendung der Atomenergie
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 297

sowie von Rohstoffen, Materialien und Ausrüstungen zum Ausdruck zu bringen. Die
Bündelung der Anstrengungen der Vertragsteilnehmer auf diesem Gebiet würde dazu
beitragen, das Wohlergehen der Menschen zu steigern, Wissenschaft und Kultur
weiterzuentwickeln und die Grenzen der Erkenntnis der Naturgesetze und ihrer
Nutzung zum Wohle des Menschen immer weiter voranzutreiben.
Nach Ansicht der sowjetischen Regierung könnten die Teilnehmer des Vertrages die
Entwicklung von Beziehungen und Kontakten zueinander auf eine solidere Grundlage
stellen, insbesondere auf dem Gebiet der Wissenschaft, Technik und Kultur mit dem
Ziel, sich gegenseitig mit den nationalen Errungenschaften der Völker vertraut zu
machen.
Der Vertrag würde auch andere Maßnahmen vorsehen, deren Verwirklichung die
Verringerung der Gefahr eines Kriegsausbruchs in Europa erleichtern würde. Die
Sowjetische Regierung lässt sich von der Überzeugung leiten, daß die vorgeschlagenen
Maßnahmen in ihrer Gesamtheit zur Umwandlung Europas in eine Zone dauerhaften
Friedens und wirklicher Sicherheit führen werden.
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Erwägungen legt die Sowjetregierung
der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und auch den Regierungen der
europäischen Staaten den Entwurf eines „Vertrags über Freundschaft und
Zusammenarbeit der europäischen Staaten“ zur Prüfung vor und gibt der Hoffnung
Ausdruck, daß die Regierung der Vereinigten Staaten diesen Vorschlag wohlwollend
prüfen wird.
_____________

Sowjetischer Entwurf eines Vertrags über Freundschaft und


Zusammenarbeit, 15. Juli 1958 1
Die Unterzeichner
Entschlossen, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen und der
Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten in jeder Weise zu fördern und
alle zwischen ihnen auftretenden Fragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu
lösen : in der Erkenntnis, daß die Schaffung eines Klimas des Vertrauens zwischen
ihnen die wichtigste Aufgabe der Völker der europäischen Staaten ist, um die
Möglichkeit des Ausbruchs eines neuen Krieges auf dem europäischen Kontinent
auszuschließen ;
Angeregt durch den Wunsch, die hohen Prinzipien der UNO zu verwirklichen und
die Situation im Einklang mit der Resolution über friedliche und gutnachbarliche
Beziehungen zwischen den Staaten, angenommen auf der XII. Tagung der
Generalversammlung der UNO, zu entwickeln.
Haben sie beschlossen, den vorliegenden Vertrag über die Freundschaft und
Zusammenarbeit der europäischen Staaten zu schließen und sind zu diesem Zweck wie
folgt übereingekommen :

ARTIKEL 1

Unterzeichner des Vertrages können alle europäischen Staaten und die Vereinigten
Staaten von Amerika sein, die die Ziele dieses Vertrages anerkennen und für sich die
darin enthaltenen Verpflichtungen übernehmen.

ARTIKEL 2

Die Unterzeichner werden im Geiste echter Zusammenarbeit und gegenseitigen


Verständnisses gutnachbarliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen ihren

1 Bulletin des Außenministeriums, 22. September 1958, S. 465–466. Der Vertragsentwurf war der

sowjetischen Note vom 15. Juli 1958 beigefügt (siehe oben).


298 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Völkern auf der Grundlage der Prinzipien der gegenseitigen Achtung der territorialen
Integrität und Souveränität, der Nicht-Aggression, der Nichteinmischung in die
inneren Angelegenheiten der jeweils anderen Seite, der Gleichheit und des
gegenseitigen Vorteils entwickeln und stärken.

ARTIKEL 3

Die Unterzeichner verpflichten sich, alle Streitigkeiten, die zwischen ihnen


entstehen können, ausschließlich mit friedlichen Mitteln und in Übereinstimmung mit
den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zu lösen.
Tritt eine Situation ein, die zu einer Verschlechterung der freundschaftlichen
Beziehungen zwischen den Staaten führen oder eine Bedrohung des Friedens in
Europa schaffen könnte, so werden die Unterzeichner sich unverzüglich miteinander
beraten, um die notwendigen gegenseitigen Maßnahmen zu ergreifen, die zur
Beseitigung der entstandenen Situation für geeignet gehalten werden.

ARTIKEL 4

Wird einer oder mehrere der Unterzeichnerstaaten von einem Staat angegriffen, so
verpflichten sich die anderen Unterzeichner dieses Vertrages, dem Angreifer keine
militärische und wirtschaftliche Hilfe oder moralische Unterstützung zu gewähren,
unabhängig davon, ob sie als Verbündete oder durch andere Verpflichtungen mit dem
Angreiferstaat verbunden sind oder nicht.

ARTIKEL 5

Bis zum Abschluss eines allgemeinen Abkommens über die Begrenzung von Waffen
und Streitkräften und das Verbot von Atomwaffen sind die Unterzeichner verpflichtet :
a ) ihre im Hoheitsgebiet Deutschlands stationierten Streitkräfte und
Rüstungen im Laufe von 1 bis 2 Jahren um 1/3 oder um einen anderen
vereinbarten Betrag zu reduzieren, wobei die reduzierten
Streitkräftekontingente aus dem Hoheitsgebiet Deutschlands in den Bereich
ihrer eigenen Landesgrenzen zurückzuziehen sind.
Nach der vorgenannten Reduzierung von Streitkräften und Rüstungsgütern
die Frage der weiteren Reduzierung von ausländischen Streitkräften, die auf
dem Gebiet Deutschlands stationiert sind, sowie die Reduzierung von
ausländischen Streitkräften, die auf dem Gebiet anderer europäischer Staaten
stationiert sind, zu prüfen, wobei in beiden Fällen die reduzierten Kontingente
der Streitkräfte an die Grenzen ihrer eigenen Staatsgrenzen zurückzuziehen
sind.
Regelmäßig, mindestens zweimal jährlich, Informationen über die Stärke der
Streitkräfte und die Menge der Bewaffnung der Unterzeichner auszutauschen,
die sich auf dem Territorium anderer Staaten in Europa befinden ;
b ) zur Verhinderung eines möglichen Überraschungsangriffs die
Durchführung von Luftaufnahmen in einer Zone vorzusehen, die sich über 800
Kilometer von der Grenzlinie zwischen den Streitkräften der Mitgliedsländer
des Nordatlantikvertrags und der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrags
erstreckt. Eine solche Zone wird im Einvernehmen mit den Staaten eingerichtet,
deren Hoheitsgebiet in dieser Zone liegt.
Die Vertreter der Unterzeichnerstaaten werden im Laufe von nicht mehr als 6
Monaten nach der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrags die Grenzen der in
Buchstabe b ) genannten Zonen festlegen und auch ein geeignetes Kontroll- und
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 299

Inspektionssystem für die Erfüllung der in diesem Artikel genannten Verpflichtungen


einrichten.

ARTIKEL 6

Die Unterzeichner sprechen sich einstimmig für die Schaffung einer Zone in
Mitteleuropa aus, die frei ist von der Herstellung und dem Vorhandensein von Atom-,
Wasserstoff- und Raketenwaffen sowie von der Ausrüstung und Bemannung mit den
oben genannten Waffentypen. Diese Zone soll im Einvernehmen mit den
entsprechenden Regierungen das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, der
Bundesrepublik Deutschland, der Volksrepublik Polen und der Tschechoslowakischen
Republik umfassen.
Die Unterzeichner verpflichten sich, den Status dieser Zone zu respektieren und das
Territorium der Regierungen, die sie umfassen, nicht als eine Sphäre für den Einsatz
von Atom-, Wasserstoff- und Raketenwaffen zu betrachten. Sie erkennen die
Einrichtung eines geeigneten Kontroll- und Inspektionssystems als unerlässlich für
die Erfüllung der Vereinbarung über die Schaffung einer solchen Zone an.

ARTIKEL 7

Ausgehend von der Überzeugung, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die
Kontakte zwischen den Staaten die natürliche und stabile Grundlage für die Stärkung
der friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen sind, verpflichten
sich die Unterzeichner:
( a ) die wirtschaftliche Zusammenarbeit und einen Erfahrungsaustausches
zu entwickeln; die erforderliche Zusammenarbeit bei der Lösung der
dringendsten wirtschaftlichen Probleme, die für die Sicherung der
Vollbeschäftigung der Bevölkerung und die Verbesserung ihres Wohlergehens
von größter Bedeutung sind, auszuweiten ;
die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Handels zwischen den an dem
Abkommen beteiligten Ländern nach den Grundsätzen der vollen
Gleichberechtigung und des gegenseitigen Nutzens in jeder Weise zu entwickeln.
( b ) Maßnahmen zur schrittweisen Beseitigung der noch bestehenden
Hindernisse und Beschränkungen im Bereich der Entwicklung der
Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Staaten auf der Grundlage bilateraler
und multilateraler Abkommen sowie im Rahmen und mit Hilfe der
Europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen zu treffen ;
( c ) die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Nutzung der Atomenergie für
friedliche Zwecke, einschließlich des Austauschs von Erfahrungen beim Aufbau
der Atomenergie und des Austauschs von Fachleuten, Rohstoffen und anderen
Materialien sowie von Ausrüstung zu entwickeln.

ARTIKEL 8

Um die internationalen Beziehungen und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der
Wissenschaft und der Kultur zu erweitern und das gegenseitige Verständnis zwischen
den Völkern zu fördern, verpflichten sich die Unterzeichner, die gegenseitigen
Beziehungen auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Kultur, der Technologie und der
Bildung zu entwickeln und zu stärken. Zu diesem Zweck erklären sie sich bereit, in
naher Zukunft konkrete Fragen der kulturellen und wissenschaftlichen
Zusammenarbeit zu erörtern, wobei der Abschluß eines bilateralen oder multilateralen
Abkommens über diese Fragen angestrebt wird.
300 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

ARTIKEL 9

Der vorliegende Vertrag gilt für einen Zeitraum von 10 Jahren.


Der Vertrag bedarf der Ratifizierung im Rahmen der Gesetzgebungsbefugnisse der
Unterzeichnerstaaten des Vertrags.

ARTIKEL 10

Der Vertrag ist offen für den Beitritt aller europäischen Staaten.

ARTIKEL 11

Dieser Vertrag, dessen russischer, englischer, französischer und deutscher Wortlaut


verbindlich ist, wird dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Aufbewahrung
übergeben.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den vorliegenden Vertrag
unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
AUFGESETZT IN DER STADT _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 1958.
______________

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium,


betreffend die europäische Sicherheit, 22. August 1958 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat die Note der Sowjetischen Regierung
vom 15. Juli und den ihr beigefügten Vertragsentwurf geprüft. Sie beabsichtigt derzeit
nicht, zum Inhalt der beiden Dokumente Stellung zu nehmen. Der Grund dafür ist
nicht, daß sie mit dem Inhalt oder mit der Prämisse, auf die die Sowjetische Regierung
ihre Argumente stützt, übereinstimmt. Der Grund dafür ist einfach, daß die Regierung
der Vereinigten Staaten feststellt, daß die in dem Vertragsentwurf enthaltenen
Vorschläge weitgehend die Vorschläge widerspiegeln, die bereits in dem sowjetischen
Memorandum vom 5. Mai über eine Tagesordnung für ein Treffen der Regierungschefs
enthalten sind, obwohl ein solches Treffen überraschenderweise in der sowjetischen
Note vom 15. Juli nicht erwähnt wird. Die Westmächte haben ihre eigenen Vorschläge
für Themen gemacht, die von den Regierungschefs geprüft werden sollen. Sie sind
bereit, ihre Meinung zu den sowjetischen Vorschlägen zu äußern und die sowjetische
Meinung zu ihren eigenen zu erfahren. Zu diesem Zweck haben die Westmächte bereits
am 31. Mai ein praktisches Verfahren für die Erörterung der Tagesordnung
vorgeschlagen, das beiden Parteien gerecht wird. Sie warten noch immer auf eine
Antwort darauf und auch auf ihr Schreiben vom 1. Juli. In der Zwischenzeit sind die
vorbereitenden Gespräche in Moskau zu ihrem Bedauern zum Stillstand gekommen.
Die Regierung der Vereinigten Staaten ist der Auffassung, daß diese Frage als erstes
geklärt werden muss, bevor die Vorschläge der beiden Parteien diskutiert werden.

1 Pressemitteilung 490 des Außenministeriums, 23. August 1958. Die britische und die französische
Botschaft übermittelten identische Noten.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 301

Aide-Mémoire des Außenministeriums der Bundesrepublik Deutschland an


die amerikanische Botschaft, Vorschlag für internationale Verhandlungen
über die deutsche Wiedervereinigung, 9. September 1958 1
Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 2. Juli 1958 einstimmig die
folgende Entschließung verabschiedet, die vom Bundesrat in seiner Sitzung vom 18.
Juli 1958 gebilligt wurde :
Um die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu fördern, wird die
Bundesregierung hiermit aufgefordert, die vier Mächte Frankreich, Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten zu
ersuchen, entweder auf einer künftigen internationalen Konferenz (Gipfelkonferenz)
oder unabhängig davon eine Viermächtegruppe (zumindest auf der Ebene einer
Botschafterkonferenz) mit dem Auftrag einzusetzen, gemeinsame Vorschläge zur
Lösung der Deutschen Frage auszuarbeiten.
Die Bundesregierung teilt den in der Entschließung des Bundestages geäußerten
Wunsch, daß entweder im Rahmen einer künftigen internationalen Konferenz
(Gipfelkonferenz) oder unabhängig davon eine Gruppe der Vier Mächte, die für die
Lösung der Deutschen Frage zuständig sind, eingesetzt wird. Sie wünscht, daß diese
Gruppe die Vorschläge zur Wiederherstellung der deutschen Einheit prüft und die
notwendigen Vorarbeiten für spätere abschließende Verhandlungen leistet.
In Erfüllung des ihr von Bundestag und Bundesrat erteilten Mandats und im
Hinblick auf die in Moskau stattfindenden Gespräche zur Vorbereitung einer
internationalen Konferenz zwischen Vertretern der vier für die Wiedervereinigung
Deutschlands verantwortlichen Mächte bittet die Bundesregierung, die Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika auf den in der vorstehenden Entschließung zum
Ausdruck gebrachten Wunsch aufmerksam zu machen.
___________

Note des sowjetischen Außenministeriums an die amerikanische Botschaft,


Vorschlag für deutsche Friedensverhandlungen, 18. September 1958 2
[Inoffizielle Übersetzung]

Die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken entbietet der


Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ihre Grüße und hält es für notwendig,
ihr Folgendes zur Kenntnisnahme zu übermitteln.
Am 5. September dieses Jahres erhielt die Sowjetregierung die Note der Regierung
der Deutschen Demokratischen Republik, in der die Besorgnis über die unzulässig
verzögerte Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit Deutschland zum Ausdruck
gebracht wird. In der Note wird ein Vorschlag über die dringende Einsetzung einer
Kommission von Vertretern der vier Großmächte unterbreitet, deren Aufgabe die
Durchführung von Konsultationen über die Vorbereitung eines Friedensvertrages mit
Deutschland wäre. Wie die Regierung der DDR mitteilte, wurden gleichlautende Noten
1 Bulletin des Außenministeriums, 20. Oktober 1958. Identische Aide-Mémoire wurden am 9. September

1958 an die britische, französische und sowjetische Botschaft in Bonn übermittelt. Die Vereinigten Staaten
antworteten am 30. September 1958 (siehe unten).
2 Bulletin des Außenministeriums, 20. Oktober 1958, S. 618–617. Identische Noten wurden am 18.

September 1958 an die britische und französische Botschaft übermittelt. Die Vereinigten Staaten antworteten
am 30. September (siehe unten).
302 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

auch an die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und
der Französischen Republik gerichtet. Darüber hinaus teilte die Regierung der DDR
mit, daß sie der Regierung der BRD gleichzeitig vorschlägt, eine Kommission aus
Vertretern beider deutscher Staaten einzusetzen, die alle Fragen im Zusammenhang
mit der Vorbereitung eines Friedensvertrages mit Deutschland aus deutscher Sicht
prüfen soll. Nach dem Vorschlag der Regierung der DDR wird sich diese Kommission
auch mit Fragen befassen, die in die Zuständigkeit der beiden deutschen Staaten fallen
und mit der Schaffung eines vereinigten, friedliebenden, demokratischen
Deutschlands zusammenhängen.
In Anbetracht der Tatsache, daß die Frage der Vorbereitung eines
Friedensvertrages der Teil des Deutschen Problems ist, für dessen Entscheidung alle
Staaten, die am Krieg teilgenommen haben und in erster Linie die vier Großmächte,
die Verantwortung tragen, möchte die Sowjetische Regierung der Regierung der USA
ihre Überlegungen zu den von der Regierung der DDR unterbreiteten Vorschlägen zum
Ausdruck bringen, damit es in nächster Zukunft möglich ist, gemeinsame Schritte im
Interesse einer friedlichen Regelung mit Deutschland zu unternehmen. Die Erklärung
der Regierung der DDR zeigt, wie sehr das deutsche Volk die anormale Situation
empfindet, die bereits seit 13 Jahren in Deutschland durch das Fehlen eines
Friedensvertrages mit diesem Land aufrechterhalten wird. Es ist eine neue Mahnung
an die Großmächte, auf denen die Hauptverantwortung für eine friedliche Regelung
mit Deutschland liegt, daß sie wenigstens ihrer Pflicht gegenüber dem Deutschen Volk
nachkommen müssen. Der Vorschlag der Regierung der DDR zur Bildung einer
Kommission aus Vertretern der vier Mächte und einer entsprechenden deutschen
Kommission zur Vorbereitung eines Friedensvertrages mit Deutschland trägt den
konkreten Bedingungen Rechnung, die sich bis heute ergeben haben, und eröffnet den
Weg zu einer praktischen Lösung dieses längst gereiften Problems.
Die Sowjetregierung als Befürworterin einer grundsätzlichen Lösung der Deutschen
Frage hat in der Vergangenheit wiederholt Vorschläge unterbreitet, die auf den
dringenden Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland gerichtet waren, die
damals leider nicht auf die Unterstützung der Westmächte gestoßen sind. Kürzlich hat
sie diese Frage im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Einberufung eines
Gipfeltreffens erneut vorgebracht und es für notwendig erachtet, dies als eines der
wichtigen Probleme auf der Tagesordnung eines solchen Treffens zu behandeln.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß das Fehlen eines Friedensvertrages mit
Deutschland viele Fragen offen lässt, die das gesamte Deutsche Volk zutiefst
beunruhigen und wichtige Interessen der anderen europäischen Völker, die am Krieg
mit Deutschland teilgenommen haben, berühren, einschließlich der Interessen ihrer
Sicherheit. Niemand hat das Recht, dem Deutschen Volk nach so langer Zeit die
Möglichkeit zu nehmen, in den Genuß aller Vorteile einer friedlichen Ordnung zu
kommen, umso mehr, als die Lösung ähnlicher Fragen im Zusammenhang mit allen
Ländern, die auf der Seite Hitlerdeutschlands in den Krieg hineingezogen wurden,
längst abgeschlossen ist.
Der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland würde endlich einen
Schlußstrich unter den vergangenen Krieg und seine schweren Folgen für die
europäischen Völker ziehen und hätte zweifellos eine wichtige Bedeutung für den
Abbau von Spannungen und die Gewährleistung der Sicherheit in Europa. Zugleich
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 303

würde er es ermöglichen, die innere Entwicklung Deutschlands vor jeder Einmischung


von außen zu schützen und seine Souveränität und Unabhängigkeit in vollem Umfang
wiederherzustellen. Deutschland würde in allen Beziehungen in eine gleichberechtigte
Position mit anderen Staaten gestellt und würde Zugang zur UNO erhalten. Die
Ausarbeitung des Entwurfs eines Friedensvertrags, der die politischen und
wirtschaftlichen Bedingungen für die Entwicklung Deutschlands und seinen
militärischen Status festlegen würde, wird auch von der realen Notwendigkeit diktiert,
dem deutschen Volk klare Perspektiven für die Entwicklung Deutschlands in der
Zukunft zu geben.
Bei der Unterstützung der Initiative der Regierung der Deutschen Demokratischen
Republik hat die Sowjetregierung auch im Auge, daß die Vorbereitungsarbeiten zum
Abschluß eines Friedensvertrages unter Beteiligung der Regierungen beider deutscher
Staaten eine Annäherung zwischen ihnen und die Vereinigung ihrer Bemühungen um
die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands erleichtern würden.
Die Sowjetregierung teilt der Regierung der USA mit, daß sie die Regierung der
DDR über ihre Zustimmung zu ihrem Vorschlag unterrichtet hat, eine Kommission
aus Vertretern der vier Mächte einzusetzen, die Konsultationen über die Vorbereitung
eines Friedensvertrages mit Deutschland führen soll.
Sie unterstützt auch den Gedanken der Bildung einer Kommission von Vertretern
beider deutscher Staaten und erklärt sich bereit, jede Hilfe für die Tätigkeit einer
solchen Kommission zu leisten. Die Sowjetregierung erwartet, daß die Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen, die
ihr im Zusammenhang mit der friedlichen Beilegung des Konflikts mit Deutschland
obliegen, die genannten Vorschläge der Regierung der DDR ebenfalls unterstützt und
die für ihre Verwirklichung erforderlichen Schritte unternimmt. Die Sowjetregierung
wäre der Regierung der USA dankbar, wenn sie in kurzer Zeit deren Überlegungen zu
der angesprochenen Frage erhalten würde.
Noten gleichen Inhalts hat die Sowjetregierung auch an die Regierungen
Großbritanniens und Frankreichs gerichtet.
____________

Aide-Mémoire der amerikanischen Botschaft an das Außenministerium der


Bundesrepublik Deutschland, betreffend die deutsche Wiedervereinigung,
30. September 1958 1
Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wurde beauftragt, das
Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten wie folgt zu unterrichten :
Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt Bezug auf das Aide Memoire der
Bundesregierung vom 9. September 1958, in dem auf eine vom Deutschen Bundestag
verabschiedete und vom Deutschen Bundesrat gebilligte Resolution hingewiesen wird.
In dieser Entschließung wird die Einsetzung einer Vier-Mächte-Gruppe gefordert, die
sich aus Vertretern der für die Lösung des deutschen Problems zuständigen Mächte
zusammensetzt und den Auftrag hat, gemeinsame Vorschläge für die Lösung des
Deutschen Problems auszuarbeiten. Sie schlägt ferner vor, daß die vorgesehene
Gruppe entweder im Rahmen einer künftigen internationalen Konferenz der
Regierungschefs oder unabhängig davon eingesetzt werden soll.

1 Pressemitteilung 572 des Außenministeriums, 30. September 1958. Die britische und die französische

Botschaft übermittelten am selben Tag identische Noten.


304 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt zur Kenntnis, daß die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland den in der Entschließung des deutschen Gesetzgebers
zum Ausdruck gebrachten Wunsch teilt und hofft, daß diese Gruppe die Vorschläge
zur Wiederherstellung der Deutschen Einheit prüft und die erforderlichen Vorarbeiten
für spätere endgültige Verhandlungen leistet.
Die Regierung der Vereinigten Staaten begrüßt die Initiative der Bundesregierung.
Wie ihr bekannt ist, ist das Deutsche Problem ein wichtiges Element in den
Vorschlägen, die die Westmächte der Sowjetregierung am 28. Mai für eine
Tagesordnung für ein Treffen der Regierungschefs unterbreitet haben. Die im Aide
Memoire der Bundesrepublik erwähnten Vorbereitungsgespräche in Moskau für ein
solches Treffen sind seit Ende Mai in der Schwebe, weil die Sowjetregierung auf den
westlichen Vorschlag vom 31. Mai zur Überwindung der durch die Divergenz der
sowjetischen und westlichen Tagesordnungsvorschläge verursachten
Verfahrensschwierigkeiten nicht geantwortet hat. Auch die weiteren Versuche der
Westmächte vom 1. Juli und 22. August, eine Antwort zu erhalten, blieben bisher
erfolglos.
Die Westmächte sind nach wie vor der Ansicht, daß ein Gipfeltreffen wünschenswert
wäre, wenn es Gelegenheit zu ernsthaften Diskussionen über wichtige Probleme böte
und ein wirksames Mittel zur Erzielung einer Einigung über wichtige Themen wäre.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hofft, daß die Sowjetische Regierung jetzt auf
den Vorschlag des Westens antwortet, damit die vorbereitenden Gespräche, die die
wichtige Deutschlandfrage beinhalten, fortgesetzt werden können. Gleichzeitig ist die
Regierung der Vereinigten Staaten in Anbetracht der entscheidenden Bedeutung der
Regelung des Deutschen Problems für die Entspannung der Weltlage auch bereit, das
Deutsche Problem in einer gesonderten Vier-Mächte-Gruppe zu erörtern, die
entsprechend dem in ihrem Aide Memoire vom 9. September geäußerten Wunsch der
Bundesregierung eingerichtet werden soll.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat sich stets bemüht, die Bildung einer frei
gewählten gesamtdeutschen Regierung herbeizuführen, die das deutsche Volk
wirklich repräsentiert und die einen Friedensvertrag abschließen würde. Solange eine
solche Regierung nicht gebildet ist, wird durch die fortgesetzte Teilung Deutschlands
eine Situation aufrechterhalten, in der ein Teil des Deutschen Volkes gezwungen ist,
die Unterdrückung durch ein ihm von außen auferlegtes Regime zu ertragen.
Die Bemühungen um eine Lösung deutscher Fragen sind lange Zeit durch die
Weigerung der Sowjetischen Regierung vereitelt worden, einem Plan zuzustimmen,
der die Wiedervereinigung in einer Weise ermöglichen würde, die die Freiheit des
gesamten Deutschen Volkes sicherstellt. Sobald eine frei gewählte gesamtdeutsche
Regierung gebildet ist, die das Deutsche Volk wirklich repräsentiert, wäre es möglich,
mit einer solchen Regierung zum Abschluss eines Friedensvertrages überzugehen. Die
Regierung der Vereinigten Staaten unterrichtet die Sowjetische Regierung von ihrer
Unterstützung für die Initiative der Bundesrepublik und bittet die Sowjetische
Regierung eindringlich, sie wohlwollend zu prüfen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 305

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium,


betreffend die deutsche Wiedervereinigung, 30. September 1958 1
Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika übermittelt dem Ministerium
für Auswärtige Angelegenheiten der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ihre
Grüße und erlaubt sich, im Auftrag ihrer Regierung folgendes zu erklären :
Die Regierung der Vereinigten Staaten möchte auf die Note der Sowjetischen
Regierung vom 18. September hinweisen. Sie bedauert, daß die sowjetische Note die
Vorschläge der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ignoriert, die in einem an
die Regierungen Frankreichs, der Sowjetunion, des Vereinigten Königreichs und der
Vereinigten Staaten gerichteten Aide Mémoire vom 9. September enthalten waren. In
diesen Vorschlägen, die sich auf eine einstimmige Entschließung des Deutschen
Bundestages stützen, die vom Deutschen Bundesrat gebilligt wurde, wird auch die
Einsetzung einer Vier-Mächte-Gruppe zur Erörterung des deutschen Problems
gefordert. Die Regierung der Vereinigten Staaten stellt fest, daß sich die sowjetische
Note stattdessen auf Vorschläge der sogenannten „Regierung der Deutschen
Demokratischen Republik“ stützt.
Die Regierung der Vereinigten Staaten teilt voll und ganz die in der Note der
Sowjetischen Regierung zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß „niemand das Recht
hat, dem deutschen Volk für eine so lange Zeit die Möglichkeit zu nehmen, alle Vorteile
eines Friedenszustandes zu genießen“.
Sie nimmt ferner mit Befriedigung die Feststellung zur Kenntnis, daß die
Sowjetische Regierung „für eine grundsätzliche Regelung der Deutschen Frage
eintritt“. Der Sowjetischen Regierung ist wohl bekannt, daß dies seit langem das Ziel
der Regierung der Vereinigten Staaten ist. Es genügt, an die einleitenden Worte der
Berliner Erklärung zu erinnern, die von den Regierungen Frankreichs, der
Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten
Staaten am 29. Juli 1957 abgegeben wurde :
„Zwölf Jahre sind seit der Beendigung des Krieges in Europa verstrichen. Die
Hoffnungen der Völker der Welt auf die Schaffung einer Grundlage für einen gerechten
und dauerhaften Frieden haben sich jedoch nicht erfüllt. Einer der Hauptgründe für
das Scheitern einer Regelung ist die fortbestehende Teilung Deutschlands, die eine
schwere Ungerechtigkeit gegenüber dem deutschen Volk und eine Hauptquelle
internationaler Spannungen in Europa darstellt“.
Die Regierung der Vereinigten Staaten stimmt darin überein, daß, wie es in der
sowjetischen Note heißt, „der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland
endgültig den Schlußstrich unter den letzten Krieg ziehen würde“, und daß das
deutsche Volk selbst an der Vorbereitung eines solchen Vertrages teilnehmen sollte.
Eine wesentliche Voraussetzung für die Aushandlung eines Friedensvertrages ist
jedoch die Bildung einer Regierung, die wirklich den Willen des Deutschen Volkes
widerspiegelt. Nur eine auf dieser Grundlage gebildete Regierung kann
Verpflichtungen eingehen, die das Vertrauen der anderen Länder erwecken und vom
deutschen Volk selbst als gerecht und verbindlich angesehen werden. Darüber hinaus
hätten die deutschen Vertreter bei allen Gesprächen über einen Friedensvertrag, die
vor der Wiedervereinigung Deutschlands geführt würden, keine Befugnis, eine
künftige gesamtdeutsche Regierung an die erzielten Ergebnisse zu binden, wie der
Sowjetischen Regierung bewusst sein muss. Aus diesen Gründen ist die Regierung der
Vereinigten Staaten der Auffassung, daß die erste Aufgabe bei jeder Erörterung des

1 Pressemitteilung 573 des Außenministeriums, 30. September 1958. Die britische und die französische

Botschaft übermittelten am selben Tag identische Noten.


306 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

deutschen Problems die Wiedervereinigung Deutschlands und die Bildung einer


gesamtdeutschen Regierung durch freie Wahlen sein muss.
Hinsichtlich der Art und Weise, wie eine solche Regierung gebildet werden sollte,
hält die Regierung der Vereinigten Staaten die Vorschläge in der Note der
Sowjetischen Regierung für unrealistisch und unbefriedigend. Nach diesen
Vorschlägen soll die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands einer Kommission
überlassen werden, die sich aus Vertretern der Bundesrepublik und der Sowjetzone
zusammensetzt. Das in der Sowjetzone Deutschlands errichtete Regime repräsentiert
nicht den Willen des ostdeutschen Volkes. Es wird von den Menschen in allen Teilen
Deutschlands zu Recht als ein Regime betrachtet, das von einer ausländischen Macht
aufgezwungen und von ausländischen Kräften an der Macht gehalten wird. Da dieses
Regime kein Mandat des Volkes hat, für das es zu sprechen vorgibt, würde es gegen
jede aufrichtige Sorge um die Interessen des Deutschen Volkes verstoßen, einem
solchen Regime zu gestatten, an allen Diskussionen teilzunehmen, die seine künftige
Regierung betreffen.
In der von den vier Regierungschefs 1955 in Genf erlassenen Richtlinie erkannte die
Sowjetische Regierung ihre Verantwortung für die Wiedervereinigung Deutschlands
an. In der Richtlinie heißt es unter anderem :
„Die Regierungschefs sind in Anerkennung ihrer gemeinsamen Verantwortung für die
Regelung der Deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands
übereingekommen, daß die Regelung der Deutschen Frage und die Wiedervereinigung
Deutschlands durch freie Wahlen in Übereinstimmung mit den nationalen Interessen
des Deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit erfolgen soll.“
Die Regierung der Vereinigten Staaten kann nicht akzeptieren, daß die Sowjetische
Regierung das Recht hat, sich einseitig dieser Verantwortung oder dieser
Vereinbarung zu entziehen. Im Einklang mit dieser Verantwortung hat die Regierung
der Vereinigten Staaten zusammen mit den Regierungen Frankreichs und des
Vereinigten Königreichs bei vielen Gelegenheiten Vorschläge zur Wiederherstellung
der Deutschen Einheit unterbreitet. Diese westlichen Vorschläge erkennen das Recht
des Deutschen Volkes an, seine Lebensweise in Freiheit selbst zu bestimmen, sein
politisches, wirtschaftliches und soziales System selbst zu bestimmen und für seine
Sicherheit unter gebührender Berücksichtigung der legitimen Interessen anderer
Nationen zu sorgen. Sie sehen die Ausübung dieses Rechts durch die Abhaltung freier
Wahlen in ganz Deutschland, die Einsetzung einer gesamtdeutschen Regierung und
die Aushandlung der Bedingungen für einen Friedensvertrag mit dieser Regierung vor.
Die Regierung der Vereinigten Staaten ist jederzeit bereit, mit der Sowjetischen
Regierung auf der Grundlage dieser Vorschläge oder anderer Vorschläge, die wirklich
darauf abzielen, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu gewährleisten, in
jedem geeigneten Forum Gespräche aufzunehmen. Sie betrachtet die Lösung der
deutschen Frage als wesentlich, wenn eine dauerhafte Regelung in Europa erreicht
werden soll. Dieses Problem gehört zu den Themen, die die Westmächte am 28. Mai
zur Erörterung auf einer Konferenz der Regierungschefs vorgeschlagen haben. Obwohl
die Sowjetische Regierung zugestimmt hat, daß die Vorbereitungen für eine solche
Konferenz zwischen den Vertretern der vier Mächte in Moskau getroffen werden
sollten, sind diese Vorbereitungen seit Ende Mai in der Schwebe, da die Sowjetische
Regierung auf die westlichen Vorschläge vom 31. Mai zur Überwindung der
Verfahrensschwierigkeiten, die durch die Divergenzen zwischen den sowjetischen und
westlichen Tagesordnungsvorschlägen verursacht wurden, nicht geantwortet hat.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 307

Auch die weiteren westlichen Mitteilungen vom 1. Juli und 22. August sind bisher
unbeantwortet geblieben. Da die Sowjetische Regierung in ihrer Note angedeutet hat,
daß auch sie der Lösung des deutschen Problems Bedeutung beimißt, hofft die
Regierung der Vereinigten Staaten, daß die Sowjetische Regierung nun auf den
westlichen Vorschlag antworten wird, damit die vorbereitenden Gespräche fortgesetzt
werden können.
Im Interesse von Fortschritten in dieser Frage ist die Regierung der Vereinigten
Staaten jedoch bereit, das deutsche Problem in einer gesonderten Vier-Mächte-Gruppe
zu erörtern, die entsprechend dem in ihrem Aide Memoire vom 9. September zum
Ausdruck gebrachten Wunsch der Bundesregierung eingerichtet werden soll. Zweck
dieser Gruppe wäre es, Vorschläge im Zusammenhang mit dem deutschen Problem zu
erörtern und die erforderlichen Vorarbeiten für endgültige Verhandlungen zu leisten,
die zu einem späteren Zeitpunkt entweder auf einer Konferenz der Regierungschefs,
sofern eine solche arrangiert werden kann, oder auf andere Weise geführt werden
sollen.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hofft, daß die Sowjetische Regierung in
Anbetracht der Bedeutung, die die Regelung der deutschen Frage nicht nur für das
Deutsche Volk, sondern auch als Beitrag zur Entspannung in Europa hat, dem oben
dargelegten Verfahren zustimmen wird.
Eine Kopie der Antwort der Regierung der Vereinigten Staaten auf das Aide-
Mémoire der Bundesregierung vom 9. September ist beigefügt. Die Regierung der
Vereinigten Staaten unterrichtet die Bundesregierung auch über den Inhalt dieser
Note.
____________

Äußerungen von Außenminister Dulles auf einer Pressekonferenz zur


deutschen Wiedervereinigung und zu Berlin, 7. November 1958 1
[Auszüge]
* * * * * * *
F: Herr Minister, in den letzten Tagen sind Sie in einigen westdeutschen Zeitungen
kritisiert worden, weil Sie angeblich eine zu starre Position in Bezug auf mögliche
Gespräche mit Russland über das deutsche Problem einnehmen. Könnten Sie Ihre
Position zum jetzigen Zeitpunkt noch einmal überprüfen, Sir ?
A: Die Position der Vereinigten Staaten bleibt bis jetzt so, wie sie in den letzten
Jahren historisch gesehen war und wie sie insbesondere in dem gemeinsamen
Kommuniqué zum Ausdruck kam, das als Ergebnis der Genfer Gipfelkonferenz von
1955 veröffentlicht wurde. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Vier Mächte, die
ehemaligen Besatzungsmächte, die Verantwortung haben, die Wiedervereinigung
Deutschlands herbeizuführen. Dem hat die Sowjetunion damals zugestimmt. Es wurde
auch vereinbart, daß Deutschland in freien Wahlen wiedervereinigt werden soll. Daran
halten wir fest. Was nun den Zeitpunkt und die genaue Art der Schritte angeht, die
unternommen werden, so berücksichtigen wir natürlich sehr stark die Vorstellungen
der Bundesrepublik, wie diese Dinge gehandhabt werden sollen. Auch wenn rechtlich
gesehen die Vier Mächte die Hauptverantwortung für die Wiedervereinigung
Deutschlands tragen, so ist es doch eine Tatsache, daß die Bundesrepublik sehr stark
involviert ist, daß wir sehr enge und freundschaftliche Beziehungen zu ihr haben und
daß wir natürlich sehr stark von ihren Ansichten über den Zeitplan und die Form der
Schritte beeinflusst werden, die unternommen werden, um diese Wiedervereinigung
zu erreichen.
* * * * * * *

1 Pressemitteilung 676 des Außenministeriums, 7. November 1958.


308 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

F: Herr Minister, ostdeutsche Kommunisten haben wiederholt gesagt, daß West-


Berlin zu Ostdeutschland gehört und haben begonnen, es mit Quemoy zu vergleichen.
Sehen Sie in dieser Art von Propagandakampagne eine mögliche Gefahr ?
A: Nein. Ich sehe darin keine Gefahr, denn wie ich schon sagte, haben wir uns
feierlichst verpflichtet, West-Berlin zu halten, notfalls auch mit militärischer Gewalt.
Das ist eine sehr feierliche und formelle Drei-Mächte-Verpflichtung, an die die
Vereinigten Staaten gebunden sind. Ich denke, solange wir dort standhaft bleiben und
die Kommunisten wissen, daß wir standhaft bleiben werden, besteht für West-Berlin
keine Gefahr.
* * * * * * *
____________

Ansprache von Premier Chruschtschow auf einem sowjetisch-polnischen


Treffen über Deutschland und Berlin, 10. November 1958. 1
[Auszug]

Die Imperialisten haben die deutsche Frage zu einer ständigen Quelle


internationaler Spannungen gemacht. Die herrschenden Kreise Westdeutschlands tun
alles, um militärische Leidenschaften gegen die Deutsche Demokratische Republik,
gegen die Polnische Volksrepublik, gegen alle sozialistischen Länder zu schüren.
Reden von Bundeskanzler Adenauer und Verteidigungsminister Strauß, die atomare
Bewaffnung der Bundeswehr und verschiedene militärische Übungen sprechen für
eine eindeutige Tendenz in der Politik der herrschenden Kreise Westdeutschlands.
Wir wollen die Verantwortlichen in der Bundesrepublik Deutschland warnen : Der
Weg, den Westdeutschland heute geht, ist ein Weg, der für den Frieden in Europa
gefährlich und für Westdeutschland selbst tödlich ist. Denn können realistisch
denkende Politiker heute auf den Erfolg eines neuen „Marsches nach Osten“ hoffen ?
Auch Hitler hat seinerzeit alles getan, um die Kriegshysterie zu schüren, um den
Boden für einen Angriff auf die Sowjetunion zu bereiten. Es ist jedoch bekannt, wie
das Ganze endete. Es ist nicht schwer, sich das Schicksal derjenigen vorzustellen, die
versuchen würden, eine neue Aggression gegen die sozialistischen Staaten zu
entfesseln. Keine Rede von Bundeskanzler Adenauer oder seinem Minister Strauß
kann das Kräfteverhältnis zugunsten des Imperialismus ändern. Gegen den Osten zu
marschieren, hieße für Westdeutschland in den Tod zu marschieren.
Es ist höchste Zeit zu begreifen, daß die Zeiten, in denen die Imperialisten
ungestraft aus „Positionen der Stärke“ agieren konnten, vorbei sind und die
Imperialisten das Kräfteverhältnis nicht zu ihren Gunsten ändern können, so sehr sie
es auch versuchen. Sie sollten auch nicht die geografische Lage Westdeutschlands
vergessen, das––mit der heutigen Militärtechnik––keinen einzigen Tag moderner
Kriegsführung überleben würde. Wir wollen keinen weiteren militärischen Konflikt.
Er wäre fatal für Westdeutschland und würde den Völkern anderer Länder unsagbares
Unheil bringen. Die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder tun alles, um
die Abenteurer, die von neuen Kriegen träumen, davon abzuhalten, diesen fatalen
Schritt zu tun. Die westdeutschen Politiker täten gut daran, die bestehende Situation
nüchterner zu betrachten und militärische Leidenschaften nicht weiter zu schüren.
In der westlichen Presse ist heute oft zu lesen, daß die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland plant, sich an die Sowjetunion zu wenden, an die Verei-

1 Sowjetische Botschaft in London, Sowjetische Nachrichten, 11. November 1958.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 309

nigten Staaten von Amerika, an Großbritannien und Frankreich mit dem Vorschlag,
ein neues Vier-Mächte-Treffen einzuberufen, um für die Deutschen, und ohne die
Deutschen, die Frage der Vereinigung ihres Landes zu regeln. Dies ist jedoch nichts
anderes als eine Fortsetzung der alten, unrealistischen Politik, die dem gesunden
Menschenverstand widerspricht und keine rechtliche Rechtfertigung hat. Keine Macht
hat das Recht, sich in die inneren Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen
Republik einzumischen und ihr ihren Willen zu diktieren.
Wir verstehen die natürliche Sehnsucht des deutschen Volkes nach der
Wiederherstellung seiner nationalen Einheit sehr gut. Aber die deutschen Militaristen
und ihre amerikanischen Gönner benutzen diese tief empfundenen nationalen Gefühle
für Zwecke, die weder mit der Wiedervereinigung Deutschlands noch mit der
Sicherung eines dauerhaften Friedens in Europa etwas zu tun haben. Die
militaristischen Kreise Westdeutschlands verfolgen in Wirklichkeit den Weg, die
Spaltung des Landes zu vertiefen und militärische Einsätze vorzubereiten. Wenn die
westdeutsche Regierung die Wiedervereinigung wirklich gewollt hätte, wäre sie den
einzigen Weg gegangen, der dazu führt, den Weg der Kontaktaufnahme mit der
Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, den Weg der Einigung, der
sowohl der Deutschen Demokratischen Republik als auch der Bundesrepublik
Deutschland gerecht wird.
Die deutsche Frage im Sinne der Wiedervereinigung der beiden bestehenden
deutschen Staaten kann nur vom deutschen Volk selbst auf dem Wege der Annäherung
zwischen diesen Staaten gelöst werden. Der Abschluss eines Friedensvertrages mit
Deutschland ist eine ganz andere Frage, die in der Tat in erster Linie von den vier
Mächten, die die Anti-Hitler-Koalition gebildet haben, in Zusammenarbeit mit
Vertretern Deutschlands geregelt werden sollte. Die Unterzeichnung eines
Friedensvertrags mit Deutschland würde dazu beitragen, die gesamte Situation in
Deutschland und in Europa im Allgemeinen zu normalisieren. Die Sowjetunion hat
vorgeschlagen und schlägt vor, daß diese Maßnahme unverzüglich in Angriff
genommen werden sollte.
Wenn man von den Verpflichtungen der vier Mächte in Bezug auf Deutschland
sprechen will, muß man von den Verpflichtungen sprechen, die sich aus dem
Potsdamer Abkommen ergeben.
Erinnern wir uns daran, was die Hauptverpflichtungen waren, die die Parteien des
Potsdamer Abkommens im Hinblick auf ihre Politik in Deutschland eingegangen sind,
was der Weg war, den Potsdam für die Entwicklung Deutschlands vorgab.
Damals gingen die Mitglieder der Anti-Hitler-Koalition klare und eindeutige
Zusagen ein : Den deutschen Militarismus auszurotten, seinen Wiederaufstieg ein für
allemal zu verhindern, alles zu tun, um zu verhindern, daß Deutschland jemals wieder
seine Nachbarn oder den Weltfrieden bedroht.
Die Parteien des Potsdamer Abkommens hielten es auch für notwendig, dem
deutschen Faschismus ein Ende zu setzen, sein Wiederaufleben in Deutschland zu
verhindern, alle faschistischen Aktivitäten und die Propaganda zu unterbinden.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Potsdamer Abkommens war die
Verpflichtung, die Herrschaft von Kartellen, Syndikaten und anderen Monopolen in
der deutschen Wirtschaft zu beseitigen, d.h. von Kräften, die Hitler an die Macht
gebracht und seine militärischen Spielchen gefördert und finanziert hatten. Das war
der Inhalt der Vereinbarungen, die 1945 in Potsdam getroffen wurden.
Und was haben wir heute, mehr als 13 Jahre nach der Potsdamer Konferenz ?
Niemand kann leugnen, daß die Sowjetunion ihrerseits diese Vereinbarungen
gewissenhaft eingehalten hat und daß sie im östlichen Teil Deutschlands, der
310 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Deutschen Demokratischen Republik, in vollem Umfang umgesetzt worden sind.


Sehen wir uns an, wie das Potsdamer Abkommen im westlichen Teil Deutschlands, in
der Bundesrepublik Deutschland, umgesetzt wird, für deren Entwicklung die drei
Westmächte verantwortlich sind––die Vereinigten Staaten, Großbritannien und
Frankreich.
Es muss offen gesagt werden, daß der Militarismus in Westdeutschland noch lange
nicht ausgerottet ist, sondern sich immer weiter ausbreitet. Die Mächte, die das
Wiederaufleben des deutschen Militarismus hätten bekämpfen müssen, haben
Westdeutschland in den von ihnen geschaffenen aggressiven Militärblock, die
N.A.T.O., hineingezogen. Sie tun alles, um das Anwachsen des deutschen Militarismus
und den Aufbau einer Massenarmee in Westdeutschland zu fördern, die mit der
neuesten militärischen Ausrüstung ausgestattet ist.
Auf Beschluss der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und natürlich mit
der Zustimmung der N.A.T.O.-Mächte baut Westdeutschland eine Armee auf, die nach
den Vorstellungen der deutschen Militaristen stärker sein soll als die Armeen
Großbritanniens und Frankreichs. Sie ist vielleicht schon stärker als die französische
Armee, wenn man bedenkt, daß ein erheblicher Teil der französischen Armee
außerhalb des Landes, in den Kolonien, stationiert ist, wo die Befreiungsbewegung
gegen die französischen Kolonialisten auf dem Siedepunkt ist.
Die Streitkräfte, die in Westdeutschland wieder aufgebaut werden, werden wieder
von Nazi-Generälen und Admirälen geführt. Die westdeutsche Armee wird im Geiste
der räuberischen Bestrebungen der nationalsozialistischen Wehrmacht, im Geiste der
Rache und des Hasses auf die Sowjetunion und andere friedliche Staaten ausgebildet.
Außerdem erhalten die deutschen Militaristen––mit dem Segen der Westmächte,
und vor allem der Vereinigten Staaten––Atomwaffen. Die Bundesrepublik verfügt
bereits über amerikanische Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden
können.
Wirtschaftlich hat Westdeutschland seine westeuropäischen Verbündeten
buchstäblich an der Gurgel. Zum Vergleich sei nur angemerkt, daß die Bundesrepublik
1957 beispielsweise 24.500.000 Tonnen Stahl produzierte, während es in
Großbritannien 22 Millionen und in Frankreich nur wenig mehr als 14 Millionen
waren.
Auch in finanzieller Hinsicht ist Westdeutschland heute stärker als Großbritannien
oder Frankreich. Man betrachte zum Beispiel die Gold- und Währungsreserven. Nach
offiziellen Angaben beliefen sich die Reserven Westdeutschlands Ende 1957 auf über
5.600 Millionen Dollar, verglichen mit 2.370 Millionen in Großbritannien und 775
Millionen in Frankreich. Alle diese wirtschaftlichen Ressourcen Westdeutschlands
werden in den Dienst der Wiederbelebung des deutschen Militarismus gestellt.
Welche grundlegenden Bestimmungen des Potsdamer Abkommens über die
Entmilitarisierung Deutschlands und die Verhinderung des Wiederauflebens des
Faschismus wir auch betrachten mögen, wir müssen zu dem Schluß kommen, daß diese
Bestimmungen, die die Unterschriften der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und
Frankreichs tragen, von ihnen verletzt worden sind. Was bleibt also vom Potsdamer
Abkommen übrig ? Im Grunde genommen nur eines : Der sogenannte Vier-Mächte-
Status Berlins, das heißt, eine Position, in der die drei Westmächte––die Vereinigten
Staaten, Großbritannien und Frankreich––die Möglichkeit haben, in West-Berlin zu
herrschen, diesen Teil der Stadt, der die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen
Republik ist, in eine Art Staat im Staat zu verwandeln und, davon profitierend, von
West-Berlin aus subversive Aktivitäten gegen die Deutsche Demokratische Republik,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 311

gegen die Sowjetunion und die anderen Länder des Warschauer Vertrages
durchzuführen. Obendrein haben sie das Recht auf uneingeschränkte Kommunikation
zwischen Berlin und Westdeutschland durch den Luftraum, die Eisenbahnen,
Autobahnen und Wasserstraßen der Deutschen Demokratischen Republik, eines
Staates, den sie nicht einmal anerkennen wollen.
Es stellt sich die Frage : Wer profitiert von dieser Situation und warum haben die
Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien diesen Teil des
Viermächteabkommens nicht ebenfalls verletzt? Die Antwort ist klar: Sie haben nicht
die Absicht, diesen Teil des Potsdamer-Abkommens zu verletzen. Im Gegenteil, sie
halten daran fest, denn die Vereinbarung über Berlin ist für die Westmächte und nur
für sie von Vorteil. Die Westmächte sind natürlich nicht abgeneigt, solche Privilegien
von "Verbündeten" auf ewig aufrechtzuerhalten, auch wenn sie die Rechtsgrundlage
für ihre Präsenz in Berlin längst zerstört haben.
Ist es nicht an der Zeit, die richtigen Schlüsse aus der Tatsache zu ziehen, daß die
Kernpunkte des Potsdamer Abkommens zur Wahrung des Friedens in Europa und
damit in der ganzen Welt verletzt wurden und daß bestimmte Kräfte den deutschen
Militarismus weiter pflegen und ihn in die Richtung treiben, in die er vor dem Zweiten
Weltkrieg getrieben wurde, nämlich gegen den Osten? Ist es nicht an der Zeit, daß wir
unsere Haltung zu diesem Teil des Potsdamer Abkommens überdenken und ihn
anprangern ? Es ist offensichtlich an der Zeit, daß die Unterzeichner des Potsdamer
Abkommens auf die Reste des Besatzungsregimes in Berlin verzichten und damit die
Schaffung einer normalen Situation in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen
Republik ermöglichen. Die Sowjetunion würde ihrerseits der souveränen Deutschen
Demokratischen Republik die Funktionen in Berlin übergeben, die noch von
sowjetischen Stellen wahrgenommen werden. Das wäre meines Erachtens das richtige
Vorgehen.
Lassen Sie die Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien selbst ihre
Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik aufbauen, lassen Sie sie selbst
zu einer Einigung mit ihr kommen, wenn sie an Fragen interessiert sind, die Berlin
betreffen. Was die Sowjetunion betrifft, so werden wir unsere Verpflichtungen als
Verbündeter der Deutschen Demokratischen Republik heilig halten––
Verpflichtungen, die sich aus dem Warschauer Vertrag ergeben und die wir der
Deutschen Demokratischen Republik gegenüber wiederholt bekräftigt haben. Wenn
irgendwelche Angriffskräfte die Deutsche Demokratische Republik angreifen, die ein
vollwertiges Mitglied des Warschauer Vertrages ist, werden wir dies als einen Angriff
auf die Sowjetunion, auf alle Länder des Warschauer Vertrages betrachten. Wir
werden dann zur Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik aufstehen,
und das wird die Verteidigung der vitalen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion, des
gesamten sozialistischen Lagers und des Weltfriedens bedeuten.
Die Westmächte, die seinerzeit das Potsdamer Abkommen unterzeichnet haben,
arbeiten heute daran, die internationale Lage zu verschlechtern, den wachsenden
militaristischen Tendenzen deutscher Rachegelüste Vorschub zu leisten, das heißt, sie
unterstützen all das, was das Potsdamer Abkommen anprangert. Sie orientieren sich
längst nicht mehr am Potsdamer Abkommen, sondern am aggressiven
Nordatlantikvertrag.
Sie haben das Potsdamer Abkommen wiederholt und ungestraft verletzt, während
wir dem Abkommen treu bleiben, als hätte sich nichts geändert. Wir haben allen
312 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Grund, uns von den Verpflichtungen des Potsdamer Abkommens zu befreien.


Verpflichtungen, die sich überlebt haben und an die sich die Westmächte klammern,
aufzugeben und gegenüber Berlin eine Politik zu verfolgen, die sich aus den Interessen
des Warschauer Vertrages ergibt.
Die Führer Westdeutschlands sagen, daß gute Beziehungen zwischen der
Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland nur dann hergestellt werden
können, wenn die Sowjetunion aufhört, die Deutsche Demokratische Republik zu
unterstützen, und wenn sie in einer für den Westen notwendigen Weise Druck auf sie
ausübt. Bonn will offensichtlich keine guten Beziehungen zur Sowjetunion, wenn es
solche absurden Hoffnungen hegt. Wenn die Regierung der Bundesrepublik wirklich
gute Beziehungen zur Sowjetunion haben will, sollte sie ein für allemal die Hoffnung
aufgeben, daß wir die Unterstützung der Deutschen Demokratischen Republik
einstellen werden.
Die Regierung der Volksrepublik Polen hat mit ihrem Vorschlag, in Mitteleuropa
eine Zone einzurichten, in der keine Atom-, Wasserstoff- und Raketenwaffen
hergestellt oder aufbewahrt werden sollen, eine wertvolle Initiative gezeigt. Dieser
konstruktive Vorschlag wurde von den Regierungen der Sowjetunion, der
Tschechoslowakei, der Deutschen Demokratischen Republik und anderer
sozialistischer und nichtsozialistischer Länder, die fest für die Erhaltung des Friedens
eintreten, unterstützt. Die herrschenden Kreise Westdeutschlands haben den
polnischen Vorschlag jedoch abgelehnt und sind den Weg gegangen, die Bundeswehr
mit Atom- und Raketenwaffen auszurüsten. Der deutsche Militarismus ist heute
gefährlicher für die Welt als früher. Die deutschen Militaristen hoffen, die Deutsche
Demokratische Republik zu schlucken und Polen seine alten westlichen Gebiete
wegzunehmen. Sie erheben Anspruch auf das Gebiet der Tschechoslowakei und
anderer sozialistischer Länder.
Doch sie spielen mit dem Feuer. Die Oder-Neiße-Grenze ist eine Grenze des
Friedens. Jeder Übergriff deutscher Rachsüchtiger auf die Deutsche Demokratische
Republik wäre ein Übergriff auf die Oder-Neiße-Grenze, eine Bedrohung der
Sicherheit unserer Völker.
Das polnische Volk kann sicher sein, daß es in der Sowjetunion einen zuverlässigen
Freund und Verbündeten im Kampf gegen den deutschen Militarismus und die
imperialistische Aggression hat.
_____________

Bemerkungen auf der Pressekonferenz von Außenminister Dulles zu Berlin,


26. November 1958 1
[Auszüge]
* * * * * * *
F: Herr Minister, haben sich die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich
und Westdeutschland auf Pläne geeinigt, um allen Eventualitäten zu begegnen, die in
Ostdeutschland und Berlin auftreten könnten ?
A: Die grundsätzliche Position der drei Westmächte und auch der NATO-Mächte
ist durch frühere Beschlüsse und Erklärungen ziemlich genau festgelegt.
Sie fragen, ob wir Pläne haben, um auf jede Eventualität zu reagieren. Ja, natürlich
kann ich nicht alle Eventualitäten vorhersehen, die es gibt, aber ich denke, daß man

1 Pressemitteilung 721 des Außenministeriums, 26. November 1958.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 313

mit Fug und Recht sagen kann, daß eine grundsätzliche Übereinstimmung besteht,
und ich sehe kein Ereignis voraus, das Anlass zu Meinungsverschiedenheiten geben
könnte.
F: Herr Minister, welche Position vertreten die Vereinigten Staaten und die
anderen Mächte in der Frage des Umgangs mit einem ostdeutschen Beamten, der eine
Position bekleidet, die zuvor von einem sowjetischen Beamten ausgeübt wurde ?
A: Der Standpunkt der Vereinigten Staaten, und ich glaube, ich kann mit Fug und
Recht sagen, auch der des Vereinigten Königreichs und Frankreichs, ist, daß die
Sowjetunion explizit verpflichtet ist, den Vereinigten Staaten und den anderen
alliierten Mächten, ja der ganzen Welt, einen normalen Zugang zu und Ausgang aus
Berlin zu gewährleisten. Und das ist die Verantwortung der Sowjetunion. Sie wurde
ausdrücklich auf der Tagung des Rates der Außenminister in Paris im Juni 1949 zum
Ausdruck gebracht, nachdem, wie Sie sich erinnern werden, die Berlin-Blockade und
die darauffolgende Luftbrücke beendet worden waren. Damals änderten die vier
Mächte die formell als „Verpflichtungen“ bezeichneten Bestimmungen, um diese
Rechte zu gewährleisten. Wir akzeptieren den Standpunkt nicht, daß sich die
Sowjetunion aus dieser Verantwortung herausnehmen kann. Und in der Tat wurde
diese Verantwortung auf dem Gipfeltreffen vom Juli 1955 im Wesentlichen bekräftigt,
als die Vier Mächte ihre „Verantwortung“ für die deutsche Frage anerkannten. Diese
Formulierung „die deutsche Frage“ wurde immer so verstanden, daß sie die Frage von
Berlin einschließt. Und so hat die Sowjetunion erneut ihre Verantwortung in dieser
Frage bekräftigt. Wir akzeptieren in dieser Situation keine Ersatzverantwortung für
die Sowjetunion.
F: Herr Minister, was wäre, wenn die Sowjets trotz dieser Verantwortung den
ostdeutschen Behörden die Kontrollpunkte auf der Autobahn und die Kontrolle über
die Land-, See- und Luftwege überlassen würden? Nun würde sich die Frage stellen:
Würden wir mit den ostdeutschen Beamten, die die Kontrollpunkte besetzen würden,
zum Beispiel auch dann umgehen, wenn––
A: Nun, wir würden sicherlich nicht mit ihnen in einer Weise verhandeln, die
unsere Akzeptanz des ostdeutschen Regimes als Ersatz für die Sowjetunion bei der
Erfüllung der Verpflichtung der Sowjetunion und der Verantwortung der Sowjetunion
beinhaltet.
F: Heißt das, daß wir mit ihnen als Agenten der Sowjetunion verhandeln könnten ?
A: Das könnten wir, ja. Es gibt bestimmte Aspekte, in denen kleinere Funktionäre
der sogenannten DDR jetzt sowohl von den Westmächten, den drei alliierten Mächten,
als auch von der Bundesrepublik Deutschland behandelt werden. Es kommt auf die
Details an, wie sie sich verhalten und wie sie funktionieren. Das kann man nicht in
geringem Maße ausschließen, denn das geschah und geschieht auch in der Gegenwart.
Andererseits, wenn der Charakter der Aktivitäten darauf hindeutet, daß die Annahme
dieser Aktivitäten bedeuten würde, daß wir akzeptieren würden, daß die DDR an die
Stelle der gegenwärtigen Verpflichtung und Verantwortung der Sowjetunion tritt,
dann, so nehme ich an, würden wir das nicht tun.
F: Herr Minister, können Sie mit ihnen so umgehen, daß Sie einen Unterschied
machen zwischen dem Umgang mit ihnen als Agenten der Sowjetunion und dem
Umgang mit ihnen in einer Weise, die eine Art faktische Anerkennung ihrer Existenz
impliziert ?
A: Ich denke, daß das durchaus möglich wäre. Wir haben oft mit Leuten zu tun, die
wir diplomatisch nicht anerkennen, mit denen wir aber auf einer praktischen Basis zu
tun haben. Das tun wir natürlich auch mit den chinesischen Kommunisten in vielerlei
Hinsicht. Und wie ich schon sagte, haben sowohl die Bundesrepublik Deutschland als
314 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

auch wir in bestimmten praktischen Angelegenheiten seit vielen Monaten mit


kleineren Funktionären der DDR zu tun, wenn es um sozusagen oberflächliche
Routineangelegenheiten geht.
F: Herr Minister, Sie sagen, wir könnten mit den Ostdeutschen als Agenten der
Sowjetunion verkehren. Ist das eine Angelegenheit, die zwischen den drei
Westmächten und der Bundesrepublik vereinbart wurde, oder nur etwas, das
unmöglich ist ?
A: Ich denke, wir sind uns einig, daß wir das tun könnten. Aber, wie gesagt, die
Frage, ob wir es tun würden oder nicht, würde von den genauen Umständen abhängen,
die die Aktion umgeben, und das kann man nicht vorhersehen, bevor man weiß, was
die Sowjetunion tun wird, wenn überhaupt.
F: Herr Minister, in den letzten Tagen haben vermeintlich maßgebliche Berichte
aus Bonn die Besorgnis der Regierung von Bundeskanzler Adenauer zum Ausdruck
gebracht, daß die westlichen Großen Drei in Berlin sozusagen nicht „durchhalten“
würden. Auf der anderen Seite wurde in den Berichten weithin spekuliert, daß viele
westliche Beamte eine stärkere faktische Anerkennung des ostdeutschen Regimes
wünschen, und als Beweis dafür wurde die Erneuerung des Handelsabkommens
angeführt, das diese Woche unterzeichnet wurde. Können Sie diese Situation ein wenig
klären ?
A. Ich bezweifle, daß ich das sehr gut klären kann. Es gab, wie Sie sagen, de facto
Geschäfte, vor allem auf wirtschaftlicher Basis, gegen den Transit hin und her
zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt ein
erhebliches Maß an De-facto-Geschäften mit der DDR, und es gibt dieses
Handelsabkommen, bei dem die Bundesrepublik vor allem Braunkohle und
dergleichen aus dem östlichen Teil Deutschlands im Tausch gegen bestimmte
Industriegüter erhält. Was die Differenzen innerhalb der Bundesrepublik angeht, so
kann ich das nicht beurteilen. Mir sind keine Differenzen bekannt, die so groß sind,
daß sie mir bekannt geworden sind.
F. Herr Minister, können Sie uns sagen, warum die Berlin-Krise zu diesem
Zeitpunkt reaktiviert wurde? Ich meine die Situation in Berlin zwischen dem Osten
und dem Westen. Haben Sie eine Vorstellung davon, was die Kommunisten vorhatten ?
A: Ich war davon überhaupt nicht überrascht. Ich denke, daß die Sowjetunion und
die chinesischen Kommunisten––was Chruschtschow „die internationale
kommunistische Bewegung“ nennt––bereit sind, in regelmäßigen Abständen zu
versuchen, in verschiedenen Gebieten der Welt zu sondieren, um, wenn möglich,
Schwachpunkte zu entwickeln; um, wenn möglich, Unterschiede zu entwickeln. Ich
denke, daß die Sondierung im Gebiet von Taiwan ein solcher Versuch war. Jetzt geht
es in Berlin weiter und könnte auch an anderen Orten stattfinden. Ich denke, es geht
darum, in regelmäßigen Abständen herauszufinden, ob man es mit Entschlossenheit,
Stärke und Einheit zu tun hat. Wenn das der Fall ist, werden die Sondierungen meiner
Meinung nach aufhören. Aber wir müssen damit rechnen, daß diese Sondierungen von
Zeit zu Zeit stattfinden.
Wie ich schon sagte, war ich nicht überrascht, daß diese Berlin-Sondierung
stattgefunden hat. Ich habe sogar damit gerechnet, daß sie wahrscheinlich stattfinden
würde.
F: Herr Minister, Sie scheinen eine Grenze zu ziehen, über die wir im Umgang mit
den Ostdeutschen nicht hinausgehen würden, auch nicht als Agenten der Sowjetunion.
Darf ich fragen, ob wir uns z.B. weigern würden, eine ostdeutsche Forderung zu
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 315

akzeptieren, wonach vom Auswärtigen Amt der DDR besondere Beglaubigungen


verlangt werden, um den Verkehr fortzusetzen ?
A: Ich denke, es wäre unklug, wenn ich versuchen würde, kategorische Antworten
auf ganz bestimmte Beispiele zu geben, da es sich hier offensichtlich um eine Situation
handelt, die auf einer Drei- oder Vier-Parteien-Basis zu behandeln ist. Ich glaube, es
ist besser, wenn ich mich auf die Aussage beschränke, daß wir alle vier gemeinsam der
Meinung sind, daß nichts unternommen werden sollte, was der DDR die Befugnis und
die Verantwortung zu geben scheint, sich mit den Angelegenheiten zu befassen, in
denen die Sowjetunion ausdrücklich uns gegenüber eine Verpflichtung und uns
gegenüber eine Verantwortung übernommen hat.
F: Herr Minister, der Bürgermeister von West-Berlin hat heute gesagt, daß diese
Krise die Gelegenheit für eine neue Diskussion mit den Sowjets über deutsche und
europäische Sicherheitsfragen bieten könnte. Sir, sehen Sie eine Möglichkeit, diese
Diskussion angesichts des vergangenen Stillstands zu erneuern, und gibt es hier neue
Überlegungen, die russische Idee, einen Friedensvertrag auszuhandeln, mit der
deutschen Vereinigung zu verbinden ?
A: Ich glaube kaum, daß die derzeitige Stimmung in der Sowjetunion einen
günstigen Zeitpunkt für solche Verhandlungen darstellt. Eigentlich, natürlich würden
wir uns in diesen Fragen weitgehend von den Ansichten der Bundesrepublik
Deutschland leiten lassen, die in erster Linie betroffen ist und eine Regierung hat, zu
der wir die engsten Beziehungen unterhalten und zu der wir das größte Vertrauen
haben. Ihre Ansichten in diesen Fragen würden bei uns Gewicht haben. Von der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland habe ich keine Andeutung dieser Art
erhalten.
* * * * * * *
F: Herr Minister, in der letzten Woche deutete vieles darauf hin, daß die
sowjetische Regierung am Samstag ihre versprochenen Vorschläge über den Status in
Berlin und vielleicht in Ostdeutschland machen würde. Die sowjetische Regierung hat
dies nicht getan. Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, wie schnell sie in
dieser Angelegenheit handeln könnte oder warum sie am Samstag nicht gehandelt
hat ?
A: Nun, jemand hat mir gegenüber angedeutet, daß Herr Chruschtschow seine
Ideen vielleicht seinen Rechtsberatern vorgelegt hat und daß diese einige Fragen
aufgeworfen haben, die eine Pause verursacht haben. Denn Tatsache ist, daß es so
aussah, als ob Herr Chruschtschow anfangs ohne Rechtsbeistand gesprochen hatte,
was natürlich eine sehr schlechte Sache ist [Gelächter], daß er seinen Fall auf
angebliche Verstöße gegen das Potsdamer Abkommen gestützt hatte.
Nun, die Rechte und der Status der Alliierten in Berlin und die
Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen der Sowjetunion leiten sich in keiner Weise
aus dem Potsdamer Abkommen ab. Tatsächlich wird dieses Thema, wie mir mein
eigener Rechtsberater sagte, im Potsdamer Abkommen nicht einmal erwähnt. Die
Behauptung, daß die Sowjetunion aufgrund der Verletzung des Potsdamer
Abkommens von Verpflichtungen entbunden ist, die sie vier Jahre später ausdrücklich
übernommen hat, scheint daher, um es milde auszudrücken, unlogisch zu sein.
Vielleicht wird die Angelegenheit überprüft, um eine bessere Argumentation
vorzulegen, ja um zu sehen, ob sie überhaupt eine Argumentation hatte.
* * * * * * *
Frage: Herr Minister, um kurz auf die Berlin-Frage zurückzukommen : Während
Ihrer Abwesenheit gab es eine Reihe von Berichten, daß die Vereinigten Staaten und
die Verbündeten, anstatt sich mit den Ostdeutschen zu befassen, möglicherweise auf
eine andere Luftbrücke zurückgreifen würden, um die Stadt zu versorgen. Wird dies
316 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

in Betracht gezogen, oder besteht unsere Politik im wesentlichen darin, die


Bodenverbindungen offen zu halten, komme was wolle ?
A: Nun, wir haben zur Zeit Flüge und Einrichtungen, die wir nutzen, die
verschiedene Medien beinhalten. Wir nutzen die Luft, wir nutzen die Autobahn, wir
nutzen die Eisenbahn, wir nutzen bis zu einem gewissen Grad auch die Kanäle. Wir
haben nicht die Absicht, unsere Rechte in Bezug auf einen dieser besonderen Wege
aufzugeben. In welchem Ausmaß sie genutzt werden, kann ich nicht sagen. In der Tat
weiß ich heute nicht, in welchem Verhältnis die vier verschiedenen Wege genutzt
werden. Aber ich denke, Sie können sagen, daß wir de facto keines der Rechte aufgeben
würden, die in der Vereinbarung vom Juni 1949 ausdrücklich bekräftigt wurden.
F: Herr Minister, anfangs identifizierte sich Polen mit der Position der Sowjetunion
in dieser Berlin-Frage. Polen möchte jedoch mehr Hilfe von uns und hat ein großes
Interesse an seinen westlichen Grenzen. Halten Sie es für möglich, daß Warschau diese
Position noch einmal überdacht hat, und wenn ja, ist es auch nur im Entferntesten
möglich, daß dies eine teilweise Erklärung für Moskaus Verzögerung bei der
Ausführung des Abkommens sein könnte ?
A: Ja, das ist möglich, denn wenn die Sowjetunion den Standpunkt vertritt, daß das
Potsdamer Abkommen nicht existiert, dann würde das nicht dazu führen, daß unsere
Rechte in Berlin zerstört würden, weil sie sich überhaupt nicht auf das Potsdamer
Abkommen stützen, aber es könnte die territorialen Ansprüche Polens stark
beeinträchtigen, die sich in erster Linie auf das Potsdamer Abkommen stützen.
* * * * * * *
F: Herr Minister, ist es richtig, aus dem, was Sie zu Herrn Roberts sagten, daß Sie
keines dieser Mittel aufgeben würden, um nach Berlin zu gelangen, zu schließen, daß
wir diese Mittel, alle, auch dann einsetzen würden, wenn die Ostdeutschen oder die
Russen versuchen würden, uns zu blockieren ?
A: Ja, ich denke, wir würden alle diese Mittel einsetzen. Lassen Sie mich jedoch
sagen, daß nichts von dem, was in letzter Zeit gesagt wurde, darauf hindeutet, daß die
Sowjetunion selbst oder das Marionettenregime der DDR die Absicht oder den Wunsch
hat, den Zugang nach und von Berlin zu verhindern. Die einzige Frage, die
aufgeworfen worden zu sein scheint, ist die, ob die Sowjetunion selbst ihre
Verantwortung in dieser Angelegenheit abgeben und sie der DDR überlassen kann
oder nicht. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, daß das Ergebnis zu einer
Unterbrechung führen würde. Es wäre eine Verlagerung von Verantwortung und
Befugnissen.
Sie werden sich daran erinnern, daß wir uns bei der Anerkennung der
Bundesrepublik die Rechte, die wir in Bezug auf Deutschland insgesamt und in Bezug
auf Berlin hatten, aus der Souveränität, die der Bundesrepublik zurückgegeben
wurde, vorbehalten haben, um unsere Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion in
Bezug auf den Zugang zu erfüllen, so daß wir uns nicht daran gehindert sahen, die in
der Vereinbarung vom Juni 1949 eingegangene Verpflichtung zu erfüllen. Und als die
Sowjetunion die DDR anerkannte, machte sie einen vergleichbaren Vorbehalt, um sich
selbst in die Lage zu versetzen, ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen vom Juni
1949 zu erfüllen.
Die Frage ist nun, ob die Sowjetunion sich selbst durch die Wiederherstellung all
dieser Rechte für die von ihr anerkannte Regierung Ostdeutschlands von der Erfüllung
ihrer Verpflichtungen uns gegenüber entbinden kann. Und ich denke, daß, zumindest
soweit es offenkundig ist, die Motivation zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Absicht ist,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 317

uns aus Berlin zu vertreiben oder den Zugang zu Berlin zu behindern, sondern zu
versuchen, der DDR eine erhöhte Anerkennung und einen erhöhten Stellenwert zu
verschaffen.
F: Herr Minister, das letzte Mal, als dieses Thema zur Sprache kam, haben wir
uns, ohne unsere Rechte aufzugeben, mit einem Vorstoß auf dem Boden
zurückgehalten, obwohl General Clay damals eine solche Politik befürwortete.
Verstehe ich Sie richtig, daß Sie jetzt sagen, daß wir vor Ort vorgehen würden, wenn
wir blockiert würden ?
A: Ich würde es eher so ausdrücken, daß nichts, was gesagt oder angedeutet wurde,
darauf hindeutet, daß sich diese Frage stellen wird. Wir haben nicht die Absicht, auf
eines der uns zustehenden Rechte zu verzichten, weder faktisch noch rechtlich. Aber
ich ziehe es vor, nicht von einer militärischen Bedrohung zu sprechen, sozusagen in
Bezug auf eine Situation, von der wir keinen Grund zur Annahme haben, daß sie
eintreten wird.
F: Herr Minister, angenommen, die Frage einer Blockade würde sich nicht stellen,
aber die Ostdeutschen würden darauf bestehen, als unabhängige Nation und nicht als
Agenten der Sowjetunion behandelt zu werden, würden wir dann immer noch darauf
bestehen, die drei Routen zu nutzen ?
A: Ich glaube wirklich, daß ich unsere Position zu diesen Fragen soweit geklärt
habe, wie es für mich zu diesem Zeitpunkt sinnvoll ist, wenn man bedenkt, daß es sich
um eine drei- oder vierseitige Angelegenheit handelt. Ich kann zwar die gemeinsamen
Grundsätze, die wir vertreten und auf die wir uns berufen, darlegen und habe dies
auch getan, aber ich glaube nicht, daß es klug ist, wenn ich versuche, nur im Namen
eines der vier beteiligten Länder genauer zu werden.
F: Darf ich die Frage stellen, Herr Minister, ob wir die Möglichkeit ausgeschlossen
haben, unsere Rechte auf ungehinderten Zugang zu Berlin mit Gewalt zu sichern, falls
die Ostdeutschen versuchen sollten, uns aufzuhalten ?
A: Wir haben keines unserer Rechte ausgeschlossen. Ich habe lediglich gesagt, daß
nichts von dem, was Chruschtschow oder irgendjemand anderes in den letzten Wochen
gesagt hat, darauf hindeutet, daß die Sowjetunion oder die DDR die Absicht haben,
unseren Zugang zu Berlin über die verschiedenen Medien, die uns zur Verfügung
stehen, zu behindern oder zu vereiteln. Daher scheint mir die Frage, ob wir in einem
solchen Fall Gewalt anwenden würden, eine akademische Frage zu sein, da, wie ich
schon sagte, nichts geschehen ist, was darauf hindeutet, daß sie derzeit die Absicht
haben, dies zu tun.
* * * * * * *
____________

Note des sowjetischen Außenministeriums an den amerikanischen


Botschafter in Moskau (Thompson), betreffend Berlin, 27. November 1958 1
[Offizielle Übersetzung]

Die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken wendet sich in der
dringenden Frage des Status von Berlin an die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika als eine der Unterzeichnermächte des Potsdamer Abkommens.
Das Problem Berlins, das im Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik
liegt, dessen westlicher Teil jedoch infolge der fremden Besatzung von der DDR
abgeschnitten ist, berührt nicht nur die nationalen Interessen des deutschen Volkes,

1 Bulletin des Außenministeriums, 19. Januar 1959, S. 81–89. Ähnliche Noten wurden den Botschaftern des

Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland übermittelt. Die Vereinigten
Staaten antworteten am 31. Dezember (siehe unten).
318 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

sondern auch die Interessen aller Nationen, die einen dauerhaften Frieden in Europa
anstreben. Hier in der historischen Hauptstadt Deutschlands stehen zwei Welten in
direktem Kontakt und auf Schritt und Tritt ragen die Barrikaden des „Kalten Krieges“
auf. Seit vielen Jahren herrscht in dieser zweigeteilten Stadt eine Situation ständiger
Reibung und Spannung. Berlin, das Zeuge des größten Triumphes des gemeinsamen
Kampfes unserer Länder gegen die faschistische Aggression war, ist nun zu einem
gefährlichen Zentrum der Gegensätze zwischen den Großmächten, den Verbündeten
des letzten Krieges, geworden. Seine Rolle in den Beziehungen zwischen den Mächten
kann mit einer schwelenden Lunte verglichen werden, die mit einem Pulverfass
verbunden wurde. Vorfälle, die sich hier ereignen, auch wenn sie nur von lokaler
Bedeutung zu sein scheinen, können in einer Atmosphäre aufgeheizter
Leidenschaften, des Misstrauens und der gegenseitigen Befürchtungen einen schwer
zu löschenden Flächenbrand verursachen. Dies ist der traurige Punkt, an dem die einst
gemeinsame und konzertierte Politik der vier Mächte––UdSSR, USA, Großbritannien
und Frankreich––nach 13 Nachkriegsjahren in Bezug auf Deutschland angelangt ist.
Um die tatsächliche Bedeutung des Berlin-Problems, mit dem wir heute konfrontiert
sind, richtig einzuschätzen und die bestehenden Möglichkeiten zur Normalisierung der
Situation in Berlin zu bestimmen, ist es notwendig, sich die Entwicklung der Politik
der Mächte, die der Anti-Hitler-Koalition angehörten, in Bezug auf Deutschland in
Erinnerung zu rufen.
Es ist hinlänglich bekannt, daß sowohl die USA als auch Großbritannien und
Frankreich keineswegs sofort zu dem Schluß kamen, daß eine Zusammenarbeit mit
der Sowjetunion zur Abwehr der Hitlerschen Aggression unerläßlich sei, obwohl die
Sowjetregierung ständig ihre Bereitschaft dazu signalisierte. In den Hauptstädten der
westlichen Staaten herrschten lange Zeit gegensätzliche Tendenzen, die in der Zeit des
Münchner Abkommens mit Hitler besonders deutlich wurden. In der Hoffnung, den
deutschen Militarismus zu kontrollieren und nach Osten zurückzudrängen, duldeten
und förderten die Regierungen der Westmächte die Erpressungs- und Drohungspolitik
Hitlers und die direkten Aggressionen Hitlerdeutschlands und seines Verbündeten,
des faschistischen Italiens, gegen eine Reihe von friedliebenden Staaten.
Erst als sich das faschistische Deutschland gegen die Westmächte wandte, als
Hitlers Armee nach Westen vorrückte, Dänemark, Norwegen, Belgien und die
Niederlande zerschlug und Frankreich stürzte und damit die kurzsichtigen
Kalkulationen der Inspiratoren von München durchkreuzte, blieb den Regierungen der
USA und Großbritanniens nichts anderes übrig, als ihre Fehlkalkulationen
einzugestehen und einen Weg einzuschlagen um gemeinsam mit der Sowjetunion den
Widerstand gegen das faschistische Deutschland, Italien und Japan zu organisieren.
Hätten die Westmächte eine weitsichtigere Politik verfolgt, hätte eine solche
Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich
schon viel früher, in den ersten Jahren nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland,
zustande kommen können und dann hätte es keine Besetzung Frankreichs, kein
Dünkirchen, kein Pearl Harbor gegeben. Dann wäre es möglich gewesen, Millionen von
Menschenleben zu retten, die von den Völkern der Sowjetunion, Polens, Jugoslawiens,
Frankreichs, Großbritanniens, der Tschechoslowakei, der USA, Griechenlands,
Norwegens und anderer Länder geopfert wurden, um die Aggressoren zu bändigen.
Die Bildung der Anti-Hitler-Koalition ist eine Tatsache, die in der modernen
Geschichte ihresgleichen sucht und sei es nur, weil sich Staaten mit unterschiedlichen
Gesellschaftssystemen in einem gerechten Verteidigungskrieg gegen den
gemeinsamen Feind zusammenschlossen. Die Sowjetregierung ehrt die Eintracht der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 319

Nationen, die im Kampf gegen den Faschismus Gestalt annahm und durch das Blut
der freiheitsliebenden Völker besiegelt wurde, in hohem Maße. Das sowjetische Volk
möchte die Gefühle des Vertrauens und der Freundschaft, die seine Beziehungen zu
den Völkern der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der anderen Länder der
Antihitlerkoalition in den finsteren Jahren des letzten Krieges geprägt haben,
bewahren und entwickeln.
Als die Völker den Sieg über Hitlerdeutschland feierten, fand in Potsdam eine
Konferenz der Regierungsoberhäupter der Sowjetunion, der USA und Großbritanniens
statt, um eine gemeinsame Politik gegenüber dem Nachkriegsdeutschland
auszuarbeiten. Das Potsdamer Abkommen, dem Frankreich kurz nach seiner
Unterzeichnung beitrat, verallgemeinerte die historische Erfahrung des von den
Völkern geführten Kampfes zur Verhinderung einer Aggression durch den deutschen
Militarismus. Der gesamte Inhalt dieses Abkommens war darauf ausgerichtet,
Bedingungen zu schaffen, die die Möglichkeit eines weiteren Angriffs Deutschlands
auf friedliebende Staaten ausschließen und die deutschen Militaristen daran zu
hindern, einen weiteren Weltkrieg zu entfesseln, damit Deutschland, nachdem es die
Illusion einer Eroberungspolitik für immer aufgegeben hat, den Weg zu einer
friedlichen Entwicklung einschlagen kann.
Als Ausdruck des Willens der Völker, die unsagbare Opfer für die Zerschlagung der
Hitler-Aggressoren gebracht haben, verpflichteten sich die Regierungen der vier
Mächte feierlich, den deutschen Militarismus und den Nationalsozialismus
auszurotten, ihr Wiederaufleben für immer zu verhindern und alle Maßnahmen zu
ergreifen, damit Deutschland nie wieder seine Nachbarn oder die Erhaltung des
Weltfriedens bedrohen kann. Die Teilnehmer der Potsdamer Konferenz brachten ihre
Entschlossenheit zum Ausdruck, jegliche faschistische und militaristische Aktivität
oder Propaganda zu verhindern. Sie verpflichteten sich auch, alle demokratischen
politischen Parteien in Deutschland zuzulassen und zu fördern.
Um die wirtschaftliche Grundlage des deutschen Militarismus zu zerstören, wurde
beschlossen, die übermäßige Konzentration in der deutschen Wirtschaft in Form von
Kartellen, Verbänden, Treuhandgesellschaften und anderen Monopolen, die die
Machtübernahme durch den Faschismus und die Vorbereitung und Durchführung der
Hitler-Aggression ermöglichten, zu beseitigen.
Das Potsdamer Abkommen enthielt wichtige Bestimmungen, wonach Deutschland
auch während der Besatzungszeit als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten ist.
Das Abkommen sah auch die Schaffung zentraler deutscher Verwaltungsabteilungen
vor. Der durch eine Entscheidung der Potsdamer Konferenz eingesetzte
Außenministerrat wurde beauftragt, eine Friedensregelung für Deutschland
vorzubereiten.
Die Umsetzung all dieser Maßnahmen sollte es dem deutschen Volk ermöglichen,
sein Leben grundlegend umzugestalten und die Schaffung eines geeinten,
friedliebenden, demokratischen deutschen Staates zu gewährleisten.
Dies sind die wichtigsten Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, das eine
angemessene Kombination der Interessen sowohl der Nationen, die gegen Deutschland
gekämpft hatten, als auch der grundlegenden Interessen des deutschen Volkes selbst
sicherstellte und gleichzeitig eine solide Grundlage für die Durchführung einer
gemeinsamen Politik der vier Mächte in der deutschen Frage und damit für eine
umfassende und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ihnen in europäischen
Angelegenheiten im Allgemeinen schuf. Die weitere Entwicklung wich jedoch stark
von der in Potsdam vorgezeichneten Richtung ab. Die Beziehungen zwischen der
UdSSR und den drei Westmächten verschlechterten sich weiter. Das gegenseitige
320 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Mißtrauen und der Argwohn wuchsen weiter an und haben sich inzwischen zu
unfreundlichen Beziehungen entwickelt.
Die Sowjetregierung hoffte aufrichtig, daß es nach dem siegreichen Ende des Krieges
trotz aller unvermeidlichen ideologischen Differenzen durchaus möglich sein würde,
die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Großmächten, die an der Spitze der
Anti-Hitler-Koalition standen, auf der Grundlage einer nüchternen Anerkennung der
durch den Krieg entstandenen Situation fortzusetzen.
Die Politik der Westmächte wurde jedoch zunehmend von Kräften beeinflusst, die
vom Hass auf sozialistisches und kommunistisches Gedankengut besessen waren, die
aber während des Krieges ihre feindlichen Absichten gegen die Sowjetunion verbargen.
Infolgedessen wurden im Westen die Weichen für eine größtmögliche Verschärfung des
ideologischen Kampfes gestellt, der von aggressiven Führern, Gegnern der friedlichen
Koexistenz von Staaten, angeführt wurde. Das Signal dazu wurde den Vereinigten
Staaten und anderen westlichen Ländern von W. Churchill in seiner berüchtigten
Fulton-Rede im März 1946 gegeben.
Der Konflikt zwischen den beiden Ideologien––ein Kampf der Köpfe und der
Überzeugungen––hätte an sich den Beziehungen zwischen den Staaten nicht
besonders schaden können. Der ideologische Kampf hat nie nachgelassen und er wird
weitergehen, solange es unterschiedliche Auffassungen über die Struktur der
Gesellschaft gibt. Doch leider beeinflussten die Äußerungen von W. Churchill und
derjenigen, die seine Ansichten teilen, das Denken anderer westlicher Staatsmänner,
was höchst bedauerliche Folgen hatte. Staatliche Stellen und die Streitkräfte schlossen
sich dem ideologischen Kampf an, der nun entbrannte. Die Ergebnisse sind allseits
bekannt. Anstatt eine Zusammenarbeit zwischen den Großmächten zu entwickeln,
wurde die Welt in gegensätzliche militärische Richtungen gespalten und es begann ein
Wettstreit bei der Herstellung und Bevorratung von Atom- und Wasserstoffwaffen. Mit
anderen Worten: Es begannen die Kriegsvorbereitungen. Die Sowjetregierung
bedauert zutiefst, daß die Ereignisse eine solche Wendung genommen haben, da dies
den Frieden gefährdet und dem natürlichen Wunsch der Völker nach friedlicher
Koexistenz und freundschaftlicher Zusammenarbeit zuwiderläuft. Es gab eine Zeit, als
die Führer der USA und Großbritanniens, insbesondere Franklin D. Roosevelt, der
herausragende amerikanische Staatsmann, die Gefühle der Masse des Volkes
widerspiegelten und die Notwendigkeit verkündeten, ein solches System gegenseitiger
Beziehungen zwischen den Staaten zu schaffen, unter dem sich die Nationen sicher
fühlen würden und die Menschen überall ihr ganzes Leben ohne Angst leben könnten.
Eine besonders drastische Veränderung in den Beziehungen der USA sowie
Großbritanniens und Frankreichs zur Sowjetunion trat ein, als diese Mächte dazu
übergingen, in Deutschland eine Politik zu verfolgen, die dem Potsdamer Abkommen
zuwiderlief. Die erste Verletzung des Potsdamer Abkommens war die Weigerung der
Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, ihren Verpflichtungen aus
dem genannten Abkommen über den Transfer der vereinbarten Menge an industrieller
Ausrüstung aus Westdeutschland an die Sowjetunion, als Teilkompensation für die
Zerstörung und den Schaden, der der Volkswirtschaft der UdSSR durch die Aggression
Hitlerdeutschlands zugefügt worden war, nachzukommen.
Doch damit war die Angelegenheit noch nicht erledigt. Mit jedem Jahr, das verging,
entfernten sich die Regierungen der USA und Großbritanniens mehr und mehr von
den dem Potsdamer Abkommen zugrunde liegenden Prinzipien. Denselben Weg schlug
Frankreich ein, das, obwohl es dem Potsdamer Abkommen erst später beitrat, seinen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 321

Teil der Verantwortung für die Umsetzung dieses Abkommens natürlich nicht von sich
weisen kann.
Nachdem die Westmächte die Wiederherstellung des militärischen und
wirtschaftlichen Potentials Westdeutschlands in Angriff genommen hatten, belebten
und stärkten sie genau die Kräfte, die Hitlers Kriegsmaschine geschmiedet hatten.
Hätten die Westmächte das Potsdamer Abkommen anerkannt, so hätten sie die
deutschen Militaristen daran gehindert, ihre Positionen wiederzuerlangen, sie hätten
Revanchebestrebungen eingedämmt und Deutschland nicht erlaubt, eine Armee und
eine Industrie zur Herstellung von Vernichtungsmitteln aufzubauen. Es ist jedoch eine
bekannte Tatsache, daß die Regierungen der drei Mächte es nicht nur versäumt haben,
dies zu tun, sondern im Gegenteil die Schaffung einer westdeutschen Armee gebilligt
haben und die Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland unter Mißachtung der in
Potsdam eingegangenen Verpflichtungen fördern. Darüber hinaus haben sie
Westdeutschland in den Nordatlantikblock, der hinter dem Rücken der Sowjetunion
und, wie jeder weiß, gegen sie geschaffen wurde, einbezogen und rüsten
Westdeutschland nun mit Atom- und Raketenwaffen auf.
Es ist offensichtlich, daß bestimmte westliche Staatsmänner die bitteren Lehren aus
dem mörderischen Krieg vergessen haben und die berüchtigte Münchner Politik der
Aufwiegelung des deutschen Militarismus gegen die Sowjetunion, ihren jüngsten
Waffengefährten, wieder aufleben lassen.
Es stellt sich die berechtigte Frage, ob gerade die Verfechter der gegenwärtigen
westlichen Politik im Hinblick auf Deutschland garantieren können, daß der von ihnen
genährte deutsche Militarismus sich nicht erneut gegen seine jetzigen Partner wendet
und daß das amerikanische, britische und französische Volk die Verletzung der
alliierten Vereinbarungen über die friedliche und demokratische Entwicklung
Deutschlands durch die Regierungen der drei Westmächte nicht mit seinem Blut
bezahlen muß. Es ist zweifelhaft, ob überhaupt jemand solche Garantien geben kann.
Die Politik der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegenüber Westdeutschland
hat zur Verletzung jener Bestimmungen des Potsdamer Abkommens geführt, die die
Einheit Deutschlands als friedliebenden und demokratischen Staat gewährleisten
sollten. Und als in dem von den Truppen der Drei Mächte besetzten Westdeutschland
unabhängig [von der Sowjetunion] ein eigener Staat, die Bundesrepublik Deutschland,
gegründet wurde, hatte Ostdeutschland, wo Kräfte, die entschlossen waren, nicht
zuzulassen, daß das deutsche Volk noch einmal in eine Katastrophe gestürzt wird, die
Führung übernommen hatten, keine andere Wahl, als seinerseits einen unabhängigen
Staat zu schaffen.
So sind in Deutschland zwei Staaten entstanden. Während in Westdeutschland,
dessen Entwicklung von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich
gelenkt wurde, eine Regierung ins Amt kam, deren Vertreter ihren Hass auf die
Sowjetunion nicht verbergen und oft offen mit der Ähnlichkeit ihrer Bestrebungen mit
den Plänen der hitleristischen Aggressoren werben, wurde in Ostdeutschland eine
Regierung gebildet, die unwiderruflich mit der aggressiven Vergangenheit
Deutschlands gebrochen hat. Die staatlichen und öffentlichen Angelegenheiten in der
Deutschen Demokratischen Republik werden durch eine Verfassung geregelt, die den
Grundsätzen des Potsdamer Abkommens und den besten fortschrittlichen Traditionen
der deutschen Nation voll entspricht. Die Herrschaft der Monopole und Junker wurde
in der DDR für immer abgeschafft. Der Nationalsozialismus wurde ausgerottet und
eine Reihe weiterer sozialer und wirtschaftlicher Reformen durchgeführt, die dem
Wiederaufleben des Militarismus die Grundlage entzogen und die Deutsche
322 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Demokratische Republik zu einem wichtigen Friedensfaktor in Europa gemacht


haben. Die Regierung der DDR hat feierlich erklärt, daß sie ihre Verpflichtungen aus
dem Potsdamer Abkommen buchstabengetreu erfüllen wird, denen sich die Regierung
der BRD im Übrigen hartnäckig entzieht.
Die Aufnahme der BRD in den Nordatlantikblock zwang die Sowjetunion dazu,
Gegenmaßnahmen zu ergreifen, da die Verpflichtungen, die die Sowjetunion, die
Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich verbanden, von den drei
Westmächten gebrochen wurden, die sich mit Westdeutschland und zuvor mit Italien
gegen die Sowjetunion, die die Hauptlast des Kampfes gegen die faschistischen
Aggressoren getragen hatte, verbündeten. Diese geschlossene militärische
Ausrichtung stellte auch für andere Länder eine Bedrohung dar. Diese Situation
zwang die Sowjetunion sowie eine Reihe anderer europäischer Länder, die Opfer der
Aggression des deutschen und italienischen Faschismus geworden waren, eine eigene
Verteidigungsorganisation aufzubauen und zu diesem Zweck den Warschauer Vertrag
zu schließen, dem auch die DDR beitrat.
Daraus lässt sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Das Potsdamer Abkommen
wurde von den Westmächten in grober Weise verletzt. Es ist wie der Stamm eines
Baumes, der einst mächtig und fruchtbar war, nun aber gefällt und sein Herz
herausgenommen wurde. Von den hochgesteckten Zielen, für die das Potsdamer
Abkommen geschlossen wurde, haben sich die Westmächte längst losgesagt und das,
was sie derzeit in Deutschland tun, steht in diametralem Gegensatz zu dem, was das
Potsdamer Abkommen vorsah. Der springende Punkt ist natürlich nicht, daß die
sozialen und politischen Systeme der DDR und der BRD grundsätzlich verschieden
sind. Die Sowjetregierung ist der Auffassung, daß die Lösung der Frage nach der
sozialen Struktur beider deutscher Staaten die Angelegenheit der Deutschen selbst ist.
Die Sowjetunion tritt für eine völlige Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten des deutschen Volkes oder irgendeines anderen Volkes ein. Aber die
Bewegung der DDR hin zum Sozialismus hat die Feindschaft und tiefe Feindseligkeit
der Bundesregierung ihr gegenüber hervorgerufen––und sie findet die volle
Unterstützung und Ermutigung durch die NATO-Mitglieder und vor allem durch die
Vereinigten Staaten.
Die Regierung der BRD schürt, ermutigt durch die Westmächte, systematisch den
„kalten Krieg“ und ihre Führer haben wiederholt erklärt, daß die BRD die Politik „aus
einer Position der Stärke“ betreiben würde, d.h. eine Politik der Bevormundung des
anderen deutschen Staates. Die Regierung der BRD will somit keine friedliche
Vereinigung des deutschen Volkes, das in zwei Staaten mit unterschiedlichen
Gesellschaftssystemen lebt, sondern sie hegt Pläne zur Abschaffung der DDR und zur
Stärkung ihres eigenen militaristischen Staates auf Kosten der DDR.
Die Sowjetregierung hat volles Verständnis für die Haltung der Deutschen
Demokratischen Republik, die nicht will, daß die demokratischen und sozialen
Errungenschaften des deutschen werktätigen Volkes zerstört, das Eigentum der
Kapitalisten und Großgrundbesitzer wiederhergestellt, das Land, die Betriebe und
Fabriken dem Volk entzogen und die DDR einem militaristischen Regime unterworfen
werden. Die jüngsten Wahlen zur Volkskammer und zu den kommunalen Gremien der
Deutschen Demokratischen Republik sind ein weiterer eindrucksvoller Beweis dafür,
daß die Bevölkerung der DDR die Politik ihrer Regierung, die auf die Erhaltung des
Friedens und die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer
Grundlage abzielt, einhellig unterstützt und fest entschlossen ist, ihre sozialistischen
Errungenschaften zu verteidigen. Die Sowjetunion bekundet ihre uneingeschränkte
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 323

Solidarität mit der DDR, die ihre legitimen Rechte entschlossen verteidigt.
Wenn man der Wahrheit ins Auge sehen will, sollte man erkennen, daß auch andere
Länder nicht allzu erpicht darauf sind, die Pläne der Regierung der BRD zur
gewaltsamen Wiedervereinigung Deutschlands zu unterstützen. Und das ist
verständlich, denn die Völker, einschließlich Frankreichs und Großbritanniens, leiden
noch immer unter den Wunden, die ihnen Hitlerdeutschland zugefügt hat.
Die Spuren des letzten Krieges sind in den französischen Städten und Dörfern noch
lange nicht verschwunden. Die Ruinen, die in der Hauptstadt und in vielen Städten
Großbritanniens nach den Bombenangriffen durch Nazi-Flugzeuge hinterlassen
wurden, sind noch nicht beseitigt, und Millionen von Briten können das tragische
Schicksal von Coventry nicht vergessen. Die Völker, die der Besatzung durch die
Hitlerarmee ausgesetzt waren, verstehen diese Gefühle voll und ganz. Sie haben
Millionen von Männern und Frauen verloren, die getötet oder zu Tode gefoltert
wurden, und mussten mit ansehen, wie Tausende von Städten zerstört und Dörfer auf
ihrem Boden niedergebrannt wurden. Das sowjetische Volk wird nie vergessen, was in
Stalingrad geschah, ebenso wenig wie die Polen das Schicksal von Warschau oder das
tschechoslowakische Volk das von Lidice vergessen werden. Auch amerikanische
Familien lernten den Schmerz über den Verlust ihrer Freunde und Verwandten
kennen. Deutschland hat zwei Weltkriege entfesselt und in beiden Fällen die
Vereinigten Staaten von Amerika, deren Söhne gezwungen waren, ihr Blut in Ländern
zu vergießen, die Tausende von Kilometern von den amerikanischen Küsten entfernt
waren, in diese Kriege hineingezogen.
In Anbetracht all dessen können und wollen die Völker die Einigung Deutschlands
auf militaristischer Grundlage nicht zulassen.
Es gibt ein anderes Programm für die Einigung Deutschlands, das von der
Deutschen Demokratischen Republik vertreten wird. Es ist ein Programm für die
Vereinigung Deutschlands als friedliebender und demokratischer Staat und dieses
Programm kann von den Völkern nur begrüßt werden. Es gibt nur einen Weg, es zu
verwirklichen, nämlich durch Einigung und Kontakte zwischen den beiden deutschen
Staaten und durch die Gründung eines Deutschen Bundes. Die Verwirklichung dieses
Vorschlages würde, ohne die sozialen Strukturen der DDR und der BRD zu
beeinträchtigen, die Bemühungen ihrer Regierungen und Parlamente in eine einzige
Richtung einer friedlichen Politik lenken und eine schrittweise Annäherung und
Vereinigung der beiden deutschen Staaten gewährleisten.
Die Sowjetunion sowie andere Staaten, die an der Stärkung des Friedens in Europa
interessiert sind, unterstützen die Vorschläge der Deutschen Demokratischen
Republik zur friedlichen Vereinigung Deutschlands. Die Regierung der UdSSR
bedauert, daß keine der in dieser Richtung unternommenen Anstrengungen bisher zu
positiven Ergebnissen geführt hat, da die Regierungen der Vereinigten Staaten und
der anderen NATO-Mitglieder, vor allem aber die Regierung der BRD, in der Tat weder
für den Abschluß eines Friedensvertrages noch für die Vereinigung Deutschlands ein
Interesse zeigen.
Die Politik der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs, die auf die
Militarisierung Westdeutschlands und seine Einbindung in den Militärblock der
Westmächte abzielt, hat folglich auch die Durchsetzung derjenigen Bestimmungen des
Potsdamer Abkommens verhindert, die die Einheit Deutschlands betreffen.
Von all den Vereinbarungen der Alliierten über Deutschland wird heute nur noch
eine einzige umgesetzt. Es ist das Abkommen über den so genannten Viermächtestatus
von Berlin. Auf der Grundlage dieses Status haben die drei Westmächte in West-Berlin
das Sagen, machen es zu einer Art Staat im Staat und nutzen es als Zentrum, von dem
aus staatsfeindliche Aktivitäten gegen die DDR, die Sowjetunion und die anderen
324 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Parteien des Warschauer Vertrages betrieben werden. Die Vereinigten Staaten,


Großbritannien und Frankreich kommunizieren ungehindert mit West-Berlin über
Kommunikationslinien, die durch das Gebiet und den Luftraum der Deutschen
Demokratischen Republik verlaufen, die sie nicht einmal anerkennen wollen.
Die Regierungen der drei Mächte versuchen, den längst überholten Teil der
Kriegsvereinbarungen, die die Besetzung Deutschlands regelten und sie in der
Vergangenheit zum Aufenthalt in Berlin berechtigten, in Kraft zu halten. Gleichzeitig
haben die Westmächte, wie bereits erwähnt, die Viermächteabkommen, einschließlich
des Potsdamer Abkommens, das die Verpflichtungen der Mächte gegenüber
Deutschland in konzentriertester Form zum Ausdruck bringt, in grober Weise verletzt.
Darüber hinaus wurden die Vier-Mächte-Vereinbarungen über die Besetzung
Deutschlands, auf die sich die Regierungen der USA, Großbritanniens und
Frankreichs berufen, um ihre Rechte in West-Berlin zu stützen, durch das Potsdamer
Abkommen gebilligt oder zu dessen Durchführung angenommen. Mit anderen Worten:
Die Drei Mächte fordern für sich selbst die Aufrechterhaltung der
Besatzungsprivilegien, die auf diesen Vier-Mächte-Abkommen beruhen, die sie selbst
verletzt haben.
Wenn die USA, Großbritannien und Frankreich aufgrund des Rechts, das sich aus
den genannten internationalen Abkommen und vor allem aus dem Potsdamer
Abkommen ergibt, tatsächlich in Berlin bleiben, so impliziert dies ihre Pflicht, sich an
diese Abkommen zu halten. Diejenigen, die diese Vereinbarungen grob verletzt haben,
haben das Recht verloren, ihr Besatzungsregime in Berlin oder einem anderen Teil
Deutschlands aufrechtzuerhalten. Ist es darüber hinaus möglich, darauf zu bestehen,
daß das Besatzungsregime in Deutschland oder in irgendeinem Teil davon mehr als 13
Jahre nach Kriegsende aufrechterhalten wird ? Denn jede Besetzung ist ein zeitlich
begrenztes Ereignis und ist im Vier-Mächte-Abkommen über Deutschland
ausdrücklich festgelegt.
Es ist bekannt, daß der konventionelle Weg zur Beendigung einer Besatzung darin
besteht, daß die Kriegsparteien einen Friedensvertrag schließen, der dem besiegten
Land die notwendigen Bedingungen für die Wiederherstellung eines normalen Lebens
bietet.
Die Tatsache, daß Deutschland immer noch keinen Friedensvertrag hat, ist in erster
Linie die Schuld der Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die nie
mit der Idee, einen solchen Vertrag auszuarbeiten, sympathisiert haben. Es ist
bekannt, daß die Regierungen der drei Mächte auf jede Annäherung, die die
Sowjetregierung an sie bezüglich der Vorbereitung eines Friedensvertrages mit
Deutschland gemacht hat, negativ reagiert haben.
Gegenwärtig lehnen die USA, Großbritannien und Frankreich, wie aus ihren
Mitteilungen vom 30. September dieses Jahres hervorgeht, die jüngsten Vorschläge
der Sowjetunion und der DDR für eine friedliche Einigung mit Deutschland ab,
machen jedoch keine eigenen Vorschläge in dieser Frage, so wie sie auch während der
gesamten Nachkriegszeit keine gemacht haben. In der Tat ist die letzte Mitteilung der
US-Regierung eine Wiederholung der Position, die sich als völlig unrealistisch
erwiesen hat, wonach die nationale Einheit Deutschlands durch die UdSSR, die USA,
Großbritannien und Frankreich und nicht durch die zu vereinigenden deutschen
Staaten wiederhergestellt werden soll. Aus der Mitteilung der US-Regierung geht auch
hervor, daß sie sich wieder einmal den Verhandlungen mit der Sowjetunion und den
anderen interessierten Staaten zur Vorbereitung eines Friedensvertrages mit
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 325

Deutschland entzieht. Das Ergebnis ist ein wahrer Teufelskreis : Die US-Regierung
lehnt die Ausarbeitung eines deutschen Friedensvertrags mit dem Hinweis auf das
Fehlen eines vereinigten deutschen Staates ab und verhindert gleichzeitig die
Wiedervereinigung Deutschlands, indem sie die einzige reale Möglichkeit, dieses
Problem durch eine Einigung zwischen den beiden deutschen Staaten zu lösen,
ablehnt.
Ist es nicht so, daß die Westmächte ihre Privilegien in Westdeutschland und das
Besatzungsregime in West-Berlin auf unbestimmte Zeit verlängern wollen, daß sie
diese Position in der Frage der Ausarbeitung eines Friedensvertrages einnehmen ? Es
wird immer deutlicher, daß dies der tatsächliche Stand der Dinge ist.
Die sowjetische Regierung bekräftigt ihre Bereitschaft, jederzeit an Verhandlungen
zur Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit Deutschland teilzunehmen. Das Fehlen
eines Friedensvertrages kann jedoch keinesfalls als Entschuldigung für den Versuch
dienen, das Besatzungsregime irgendwo in Deutschland aufrechtzuerhalten.
Die Besatzungszeit in Deutschland gehört längst der Vergangenheit an, und jeder
Versuch, das Verschwinden von Sonderrechten ausländischer Mächte in Deutschland
zu verhindern, wird zu einem gefährlichen Anachronismus. Das Besatzungsregime in
Deutschland war nie ein Selbstzweck. Es wurde errichtet, um den gesunden Kräften
der deutschen Nation zu helfen, auf den Trümmern eines militaristischen
Deutschlands ihren eigenen neuen friedliebenden und demokratischen Staat
aufzubauen.
In dem Wunsch, mit dem gesamten deutschen Volk in Frieden und Freundschaft zu
leben, hat die Sowjetunion normale diplomatische Beziehungen zu beiden deutschen
Staaten aufgenommen und unterhält diese. Enge freundschaftliche Beziehungen
verbinden die Sowjetunion mit der Deutschen Demokratischen Republik. Diese
Beziehungen wurden in dem am 20. September 1955 zwischen der Sowjetunion und
der Deutschen Demokratischen Republik geschlossenen Vertrag festgeschrieben.
Gemäß diesem Vertrag beruhen die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf
völliger Gleichberechtigung, der Achtung der gegenseitigen Souveränität und der
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des jeweils anderen. Die
Sowjetische Regierung geht in ihren Beziehungen zu dem anderen deutschen Staat––
der Bundesrepublik Deutschland––von denselben Grundsätzen aus.
Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs verkündeten ihrerseits
das Ende des Besatzungsregimes auf dem Gebiet der BRD, das zum Zeitpunkt der
Unterzeichnung der Pariser Verträge unter ihrer Kontrolle und Verwaltung gestanden
hatte. Der Vier-Mächte-Status Berlins kam zustande, weil Berlin als Hauptstadt
Deutschlands zum Sitz des Kontrollrats bestimmt wurde, der für die Verwaltung
Deutschlands während der anfänglichen Besatzungszeit eingerichtet worden war.
Dieser Status wird von der Sowjetunion bis heute peinlich genau eingehalten, obwohl
der Kontrollrat bereits vor zehn Jahren aufgelöst wurde und es in Deutschland seit
langem zwei Hauptstädte gibt. Die USA, Großbritannien und Frankreich haben ihre
Besatzungsrechte in Berlin in eklatanter Weise mißbraucht und den Vier-Mächte-
Status der Stadt zum Schaden der Sowjetunion, der Deutschen Demokratischen
Republik und der anderen sozialistischen Länder für ihre Zwecke ausgenutzt.
Das Viermächteabkommen von Berlin war einst ein Abkommen, das die
Gleichberechtigung der vier Mächte vorsah und zu friedlichen demokratischen
Zwecken geschlossen wurde, die später als Potsdamer Prinzipien bekannt wurden.
Dieses Abkommen entsprach damals den Erfordernissen der Zeit und den Interessen
326 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

aller Unterzeichner––der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Jetzt,


da die Westmächte begonnen haben, Westdeutschland aufzurüsten und es zu einem
Instrument ihrer gegen die Sowjetunion gerichteten Politik zu machen, ist der
eigentliche Kern dieser einstigen alliierten Vereinbarung über Berlin verschwunden.
Es wurde von drei seiner Unterzeichner verletzt, die es gegen den vierten
Unterzeichner, d.h. gegen die Sowjetunion, einzusetzen begannen. Es wäre lächerlich
zu erwarten, daß in einer solchen Situation die Sowjetunion oder ein anderer Staat,
der an ihrer Stelle etwas auf sich hält, so tun würde, als würden sie die eingetretenen
Veränderungen nicht bemerken.
So ist eine offensichtlich absurde Situation entstanden, in der die Sowjetunion die
Westmächte in ihrem Vorgehen gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten im
Rahmen des Warschauer Vertrages zu unterstützen und zu begünstigen scheint.
Es liegt auf der Hand, daß die Sowjetunion ebenso wie die anderen Vertragsparteien
des Warschauer Vertrages eine solche Situation nicht länger hinnehmen können. Die
Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in West-Berlin wäre gleichbedeutend mit
der Anerkennung von so etwas wie einer privilegierten Stellung der NATO-Staaten,
für die es natürlich überhaupt keinen Grund gibt.
Es ist kaum möglich, ernsthaft zu glauben, daß die Sowjetunion den
Aggressionskräften helfen wird, subversive Aktivitäten zu entwickeln, geschweige
denn einen Angriff auf sozialistische Länder vorzubereiten. Jedem mit gesundem
Menschenverstand sollte klar sein, daß die Sowjetunion in West-Berlin keine Situation
aufrechterhalten kann, die ihren rechtmäßigen Interessen, ihrer Sicherheit und der
Sicherheit anderer sozialistischer Länder abträglich ist. Man sollte sich vor Augen
halten, daß die Sowjetunion kein Jordanien oder Iran ist und niemals Druck auf sie
ausüben wird, um dem gegnerischen NATO-Militärblock vorteilhafte Bedingungen
aufzuerlegen. Aber genau das ist es, was die Westmächte versuchen, die Sowjetunion
dazu zu bringen, ihre Besatzungsrechte in West-Berlin aufrechtzuerhalten.
Kann die Sowjetunion all diese Tatsachen außer Acht lassen, die die lebenswichtige
Sicherheitsinteressen der Sowjetunion, ihres Verbündeten––der Deutschen
Demokratischen Republik––und aller Mitgliedsstaaten des Warschauer
Verteidigungsabkommens betreffen ? Nein, natürlich nicht ! Die Sowjetregierung
kann sich nicht länger an den Teil der alliierten Vereinbarungen über Deutschland
gebunden fühlen, der einen ungerechten Charakter angenommen hat und zum Zweck
der Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in West-Berlin und der Einmischung in
die inneren Angelegenheiten der DDR benutzt wird.
In diesem Zusammenhang teilt die Regierung der UdSSR der Regierung der
Vereinigten Staaten mit, daß die Sowjetunion das „Protokoll zum Abkommen zwischen
den Regierungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Vereinigten
Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs über die Besatzungszonen in
Deutschland und über die Verwaltung von Groß-Berlin“ vom 12. September 1944 und
die damit zusammenhängenden Zusatzabkommen, einschließlich des Abkommens
über den Kontrollmechanismus in Deutschland, das zwischen den Regierungen der
UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs am 1. Mai 1945 geschlossen
wurde, d.h.., die Vereinbarungen, die in den ersten Jahren nach der Kapitulation
Deutschlands in Kraft treten sollten, für nichtig erachtet.
Es ist unschwer zu erkennen, daß die Sowjetregierung mit dieser Aussage lediglich
die tatsächliche Lage anerkennt, die darin besteht, daß die USA, Großbritannien und
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 327

Frankreich die während des Krieges gegen Hitlerdeutschland und nach dessen
Niederlage geschlossenen Verträge und Vereinbarungen in ihren Grundzügen längst
aufgekündigt haben. Die Sowjetische Regierung zieht lediglich die Konsequenzen, die
sich für die Sowjetunion aus dieser Sachlage zwangsläufig ergeben.
Ausgehend vom Grundsatz der Achtung der Souveränität der Deutschen
Demokratischen Republik wird die Sowjetregierung zu gegebener Zeit Verhandlungen
mit der Regierung der DDR aufnehmen, um der Deutschen Demokratischen Republik
die Funktionen zu übertragen, die von den sowjetischen Behörden aufgrund der
obengenannten alliierten Vereinbarungen und des Abkommens zwischen der UdSSR
und der DDR vom 20. September 1955 vorübergehend wahrgenommen werden. Der
beste Weg zur Lösung des Berlin-Problems wäre zweifellos eine Entscheidung, die auf
der Durchsetzung des Potsdamer Abkommens über Deutschland beruht. Dies ist
jedoch nur dann möglich, wenn die drei Westmächte zu einer Politik in deutschen
Angelegenheiten zurückkehren, die gemeinsam mit der UdSSR und in
Übereinstimmung mit dem Geist und den Grundsätzen des Potsdamer Abkommens
verfolgt wird. Unter den gegenwärtigen Umständen würde dies den Austritt der
Bundesrepublik Deutschland aus der NATO bei gleichzeitigem Austritt der Deutschen
Demokratischen Republik aus dem Warschauer Vertrag [Organisation] und eine
Vereinbarung bedeuten, wonach keiner der beiden deutschen Staaten in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Potsdamer Abkommens über Streitkräfte
verfügen würde, die nicht zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung im Innern
und zum Schutz der Grenzen erforderlich sind.
Sollte die Regierung der Vereinigten Staaten nicht bereit sein, auf diese Weise zur
Verwirklichung der politischen Grundsätze der alliierten Vereinbarungen über
Deutschland beizutragen, so hat sie weder rechtlich noch moralisch einen Grund, auf
der Beibehaltung des Vier-Mächte-Status von Berlin zu bestehen. Einige Feinde der
Sowjetunion könnten natürlich versuchen, die Haltung der Sowjetischen Regierung in
der Frage des Besatzungsregimes in Berlin als das Streben nach einer Art von
Annexion zu interpretieren. Es versteht sich von selbst, daß eine solche Interpretation
nichts mit der Realität zu tun hat. Die Sowjetunion erhebt, ebenso wie die anderen
sozialistischen Staaten, keine territorialen Ansprüche. Sie lässt sich in ihrer Politik
von dem Grundsatz leiten, daß sie die Annexion, d.h. die Inbesitznahme fremder
Gebiete und die gewaltsame Einverleibung fremder Völker verurteilt. Dieser
Grundsatz wurde von Lenin, dem Gründer des Sowjetstaates, bereits in den ersten
Tagen der Sowjetmacht in Russland verkündet.
Die UdSSR strebt keine Eroberungen an. Sie will nur die anormale und gefährliche
Situation beenden, die sich in Berlin durch die fortgesetzte Besetzung der
Westsektoren durch die USA, Großbritannien und Frankreich entwickelt hat.
Eine eigenständige Lösung des Berlin-Problems muß in allernächster Zukunft
gefunden werden, da die Westmächte sich weigern, an der Vorbereitung eines
Friedensvertrages mit Deutschland mitzuwirken, und die Regierung der BRD,
unterstützt von denselben Mächten, eine Politik betreibt, die die Vereinigung
Deutschlands behindert. Es muss verhindert werden, daß West-Berlin weiterhin als
Sprungbrett für intensive Spionage-, Sabotage- und andere subversive Aktivitäten
gegen die sozialistischen Länder, die DDR und die UdSSR genutzt wird, oder, um es
mit den Worten der führenden Politiker der US-Regierung zu sagen, daß es für eine
„indirekte Aggression“ gegen die Länder des sozialistischen Lagers genutzt wird.
328 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Im Grunde genommen besteht das einzige Interesse der USA, Großbritanniens und
Frankreichs an West-Berlin darin, diese „Frontstadt“, wie sie im Westen lautstark
genannt wird, als Ausgangspunkt für ihre feindlichen Aktivitäten gegen die
sozialistischen Länder zu nutzen. Die Westmächte ziehen keinen anderen Nutzen aus
ihrem Aufenthalt in Berlin als Besatzer. Die Beendigung der illegalen Besetzung West-
Berlins würde weder den Vereinigten Staaten noch Großbritannien oder Frankreich
irgendeinen Schaden zufügen. Dagegen würde es die internationale Atmosphäre in
Europa wesentlich verbessern und die Gemüter in allen Ländern beruhigen.
Das Beharren der Westmächte auf der Fortsetzung der Besetzung West-Berlins
lässt im Gegenteil den Schluss zu, daß es sich nicht nur um eine „indirekte Aggression“
gegen die DDR und die Sowjetunion handelt, sondern daß offenbar auch andere Pläne
für eine noch gefährlichere Nutzung West-Berlins im Raum stehen.
Die Sowjetische Regierung wendet sich an die Regierung der USA mit dem Wunsch,
die internationalen Spannungen abzubauen, den Zustand des „Kalten Krieges“ zu
beenden und den Weg für die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen der
Sowjetunion und den Vereinigten Staaten sowie Großbritannien und Frankreich zu
ebnen, alles zu beseitigen, was zu Zusammenstößen und Streitigkeiten zwischen
unseren Ländern führt, und die Zahl der Konfliktursachen zu verringern. In der Tat
kann man sich der Tatsache nicht entziehen, daß West-Berlin in seinem derzeitigen
Zustand eine solche Quelle der Zwietracht und des Mißtrauens zwischen unseren
Ländern ist.
Die richtigste und natürlichste Lösung des Problems wäre natürlich die
Wiedervereinigung des westlichen Teils Berlins, der jetzt faktisch von der DDR
abgetrennt ist, mit seinem östlichen Teil und die Wiederherstellung Berlins als
einheitliche Stadt innerhalb des Staates, auf dessen Territorium es liegt.
Die Sowjetische Regierung kann jedoch in Anbetracht der gegenwärtigen
unrealistischen Politik der USA sowie Großbritanniens und Frankreichs gegenüber
der Deutschen Demokratischen Republik nur voraussehen, welche Schwierigkeiten die
Westmächte haben, zu einer solchen Lösung des Berlin-Problems beizutragen.
Gleichzeitig wird sie von der Sorge geleitet, daß der Prozeß der Liquidierung des
Besatzungsregimes keinen schmerzhaften Einschnitt in die gewohnte Lebensweise der
Westberliner Bevölkerung bedeuten darf.
Man kann natürlich nicht außer Acht lassen, daß die politische und wirtschaftliche
Entwicklung West-Berlins während der Zeit der Besetzung durch die drei Westmächte
in eine andere Richtung gegangen ist als die Entwicklung Ost-Berlins und der DDR,
was dazu geführt hat, daß die Lebensformen in den beiden Teilen Berlins heute völlig
unterschiedlich sind. Die Sowjetische Regierung ist der Auffassung, daß nach
Beendigung der ausländischen Besatzung der Bevölkerung West-Berlins das Recht
zugestanden werden muss, die von ihr gewünschte Lebensweise zu führen. Wenn die
Einwohner West-Berlins die gegenwärtige, auf kapitalistischem Privateigentum
beruhende Lebensweise beibehalten wollen, so ist das ihre Sache. Die UdSSR würde
ihrerseits jede Entscheidung der Westberliner in dieser Angelegenheit respektieren.
In Anbetracht all dieser Erwägungen würde die Sowjetische Regierung ihrerseits es
für möglich halten, die West-Berlin-Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch die
Umwandlung West-Berlins in eine unabhängige politische Einheit zu lösen - eine freie
Stadt, ohne daß irgendein Staat, einschließlich der beiden bestehenden deutschen
Staaten, sich in ihr Leben einmischt. Insbesondere könnte man sich darauf einigen,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 329

daß das Gebiet der freien Stadt entmilitarisiert wird und keine Streitkräfte darin
stationiert werden. Die freie Stadt, West-Berlin, könnte ihre eigene Regierung haben
und ihre eigenen wirtschaftlichen, administrativen und sonstigen Angelegenheiten
regeln.
Die vier Mächte, die nach dem Krieg an der Verwaltung Berlins beteiligt waren,
könnten sich ebenso wie die beiden deutschen Staaten verpflichten, den Status West-
Berlins als freie Stadt zu respektieren, so wie es beispielsweise die vier Mächte in
Bezug auf den neutralen Status der Republik Österreich getan haben.
Die Sowjetregierung hätte ihrerseits nichts dagegen, wenn sich auch die Vereinten
Nationen in der einen oder anderen Weise an der Wahrung des Freistadtstatus von
West-Berlin beteiligen würden.
Es liegt auf der Hand, daß sich in Anbetracht der besonderen Position West-Berlins,
das auf dem Gebiet der DDR liegt und von der Außenwelt abgeschnitten ist, die Frage
nach einer Art Vereinbarung mit der Deutschen Demokratischen Republik über die
Gewährleistung ungehinderter Verkehrsverbindungen zwischen der freien Stadt und
der Außenwelt––sowohl nach Osten als auch nach Westen––mit dem Ziel des freien
Personen- und Güterverkehrs stellen würde. West-Berlin würde sich seinerseits
verpflichten, auf seinem Territorium keine feindlichen, gegen die DDR oder einen
anderen Staat gerichteten subversiven Aktivitäten zuzulassen.
Die oben erwähnte Lösung des Problems des Status von West-Berlin wäre ein
wichtiger Schritt zur Normalisierung der Lage in Berlin, das anstelle eines
Brennpunkts der Unruhe und der Spannungen zu einem Zentrum der Kontakte und
der Zusammenarbeit zwischen beiden Teilen Deutschlands im Interesse seiner
friedlichen Zukunft und der Einheit der deutschen Nation werden könnte.
Die Schaffung des Status einer freien Stadt für West-Berlin würde die Entwicklung
der Wirtschaft West-Berlins aufgrund seiner allseitigen Kontakte mit den Staaten des
Ostens und des Westens fest gewährleisten und der Bevölkerung der Stadt einen
angemessenen Lebensstandard sichern. Die Sowjetunion erklärt ihrerseits, daß sie in
jeder Weise zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen würde, insbesondere durch die
Bestellung von Industriegütern und Mengen, die die Stabilität und das Gedeihen der
Wirtschaft der freien Stadt in vollem Umfang gewährleisten würden, sowie durch
regelmäßige Lieferungen auf kommerzieller Basis der erforderlichen Mengen von
Rohstoffen und Nahrungsmitteln nach West-Berlin. Auf diese Weise würden die mehr
als zwei Millionen Menschen in West-Berlin durch die Auflösung des
Besatzungsregimes nicht nur nicht geschädigt, sondern hätten im Gegenteil alle
Möglichkeiten, ihren Lebensstandard zu erhöhen.
Für den Fall, daß die Regierung der Vereinigten Staaten und die Regierungen
Großbritanniens und Frankreichs ihre Bereitschaft bekunden, die Frage der Auflösung
des gegenwärtigen Besatzungsregimes in West-Berlin durch die Errichtung einer
freien Stadt auf ihrem Territorium in Erwägung zu ziehen, wäre die Sowjetregierung
bereit, im Namen der Vier Mächte mit der Regierung der Deutschen Demokratischen
Republik, mit der sie bereits vor der Übersendung dieser Note erste Konsultationen
geführt hat, in dieser Angelegenheit offiziell Kontakt aufzunehmen.
Natürlich würde man auch erkennen, daß die Zustimmung der DDR, auf ihrem
Territorium einen solchen unabhängigen politischen Organismus als freie Stadt West-
Berlin zu errichten, ein Zugeständnis, ein definitives Opfer der DDR für die Stärkung
des Friedens in Europa und für das nationale Interesse des deutschen Volkes
insgesamt wäre.
330 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Sowjetregierung, geleitet von dem Wunsch, die Lage in Berlin im Interesse des
europäischen Friedens und im Interesse einer friedlichen und unabhängigen
Entwicklung Deutschlands zu normalisieren, hat sich entschlossen, ihrerseits
Maßnahmen zur Beseitigung des Besatzungsregimes in Berlin durchzuführen. Sie
hofft, daß die Regierung der USA diese Beweggründe richtig einschätzt und die Berlin-
Frage realistisch angeht.
Gleichzeitig ist die sowjetische Regierung bereit, mit den Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika und der anderen betroffenen Staaten
Verhandlungen über die Gewährung des Status einer entmilitarisierten freien Stadt
für West-Berlin aufzunehmen. Sollte dieser Vorschlag für die Regierung der USA nicht
annehmbar sein, bleibt kein Thema mehr für Verhandlungen zwischen den
ehemaligen Besatzungsmächten über die Berlin-Frage.
Die Sowjetische Regierung ist bestrebt, die notwendige Veränderung der Lage
Berlins in einer kühlen Atmosphäre, ohne Eile und unnötige Reibungen, unter
größtmöglicher Rücksichtnahme auf die Interessen der betroffenen Parteien
herbeizuführen. Es liegt auf der Hand, daß die Mächte, die Deutschland nach der
Niederlage der Hitler-Wehrmacht besetzt haben, eine gewisse Zeit brauchen werden,
um sich darauf zu einigen, West-Berlin zu einer freien Stadt zu erklären, vorausgesetzt
natürlich, daß die Westmächte ein entsprechendes Interesse an diesem Vorschlag
zeigen.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß sich die Notwendigkeit von Gesprächen
zwischen den Stadtverwaltungen beider Teile Berlins und auch zwischen der DDR und
der BRD ergeben kann, um eventuell auftretende Fragen zu klären. Die Sowjetische
Regierung schlägt deshalb vor, das bisherige Verfahren für den militärischen Verkehr
der USA, Großbritanniens und Frankreichs von West-Berlin in die BRD für ein halbes
Jahr nicht zu ändern. Sie hält diesen Zeitraum für völlig ausreichend, um eine solide
Grundlage für die Lösung der mit der veränderten Lage Berlins verbundenen Fragen
zu schaffen und mögliche Komplikationen zu vermeiden, vorausgesetzt natürlich, daß
die Regierungen der Westmächte solche Komplikationen nicht bewußt anstreben.
Während des genannten Zeitraums werden die Parteien Gelegenheit haben, in der
Praxis zu beweisen, daß sie gewillt sind, die internationalen Spannungen durch die
Regelung der Berlin-Frage abzubauen.
Wird die oben genannte Frist nicht genutzt, um eine angemessene Vereinbarung zu
treffen, wird die Sowjetunion die geplanten Maßnahmen durch ein Abkommen mit der
DDR durchführen. Es ist vorgesehen, daß die Deutsche Demokratische Republik wie
jeder andere unabhängige Staat die Fragen, die ihren Raum betreffen, in vollem
Umfang regeln muß, d.h. ihre Souveränität zu Lande, zu Wasser und in der Luft
ausüben muß. Gleichzeitig werden alle noch bestehenden Kontakte zwischen
Vertretern der Streitkräfte und anderen Funktionären der Sowjetunion in
Deutschland und entsprechenden Vertretern der Streitkräfte und anderen
Funktionären der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu Berlin betreffenden
Fragen beendet.
In den Hauptstädten einiger Westmächte werden Stimmen laut, daß diese Mächte
die Entscheidung der Sowjetunion, auf ihren Anteil an der Aufrechterhaltung des
Besatzungsstatus in Berlin zu verzichten, nicht anerkennen. Aber wie kann man die
Frage auf eine solche Ebene stellen ? Wer heute von der Nichtanerkennung der von
der Sowjetunion geplanten Schritte spricht, möchte offensichtlich mit dieser nicht in
der Sprache der Vernunft und der fundierten Argumente, sondern in der Sprache der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 331

rohen Gewalt reden und vergisst dabei, daß sich das sowjetische Volk nicht durch
Drohungen und Einschüchterungen beeindrucken lässt. Wenn sich hinter den Worten
von der „Nichtanerkennung“ wirklich die Absicht verbirgt, die Welt in einen Krieg um
Berlin zu verwickeln und zu zwingen, sollten sich die Verfechter einer solchen Politik
darüber im Klaren sein, daß sie vor allen Völkern und vor der Geschichte eine sehr
ernste Verantwortung für alle ihre Folgen übernehmen. Diejenigen, die sich im
Zusammenhang mit der Lage in Berlin dem Säbelrasseln hingeben, verraten einmal
mehr ihre Interessen an der Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in Berlin zu
aggressiven Zwecken.
Die Regierung der Sowjetunion möchte hoffen, daß das Problem der Normalisierung
der Lage in Berlin, das das Leben selbst als eine natürliche Notwendigkeit vor unsere
Staaten stellt, auf jeden Fall in Übereinstimmung mit den Erwägungen der
Staatskunst, den Interessen des Friedens zwischen den Völkern, ohne unnötige
nervliche Anspannung und Verschärfung eines „kalten Krieges“ gelöst werden wird.
Erpressungsmethoden und rücksichtslose Gewaltandrohungen sind am
allerwenigsten geeignet, ein Problem wie die Berlin-Frage zu lösen. Solche Methoden
werden nicht dazu beitragen, auch nur eine einzige Frage zu lösen, sondern können
die Situation nur an den Rand der Gefahr bringen. Aber nur Verrückte können so weit
gehen, wegen der Erhaltung der Privilegien der Besatzer in West-Berlin einen neuen
Weltkrieg zu entfesseln. Sollten solche Verrückten wirklich auftauchen, so ließen sich
zweifellos Zwangsjacken für sie finden. Wenn die Staatsmänner, die für die Politik der
Westmächte verantwortlich sind, sich in der Berliner Frage wie auch in anderen
internationalen Problemen von Hassgefühlen gegenüber dem Kommunismus und den
sozialistischen Ländern leiten lassen, wird nichts Gutes dabei herauskommen. Weder
die Sowjetunion noch irgendein anderer kleiner sozialistischer Staat kann oder will
seine Existenz als sozialistischer Staat verleugnen. Deshalb verteidigen sie, in einem
unverbrüchlichen brüderlichen Bündnis vereint, entschlossen ihre Rechte und ihre
Staatsgrenzen nach dem Motto––Einer für alle und alle für einen. Jede Verletzung der
Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, Polens oder der Tschechoslowakei,
jede aggressive Handlung gegen einen Mitgliedsstaat des Warschauer Vertrages wird
von allen Teilnehmern als ein Akt der Aggression gegen sie alle betrachtet und wird
sofort angemessene Vergeltung hervorrufen.
Die Sowjetregierung ist der Meinung, daß es vernünftig wäre, die in der Welt
herrschende Situation anzuerkennen und normale Beziehungen für das
Zusammenleben aller Staaten zu schaffen, den internationalen Handel zu entwickeln,
die Beziehungen zwischen unseren Ländern auf der Grundlage der wohlbekannten
Prinzipien der gegenseitigen Achtung der Souveränität und der territorialen
Integrität, des Nichtangriffs, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten
der anderen, der Gleichheit und des gegenseitigen Nutzens aufzubauen.
Die Sowjetunion, ihr Volk und ihre Regierung streben aufrichtig die
Wiederherstellung guter Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika an,
Beziehungen, die auf Vertrauen beruhen, die, wie die Erfahrung im gemeinsamen
Kampf gegen die Hitler-Aggressoren gezeigt hat, durchaus möglich sind und die in
Friedenszeiten für unsere Länder nichts anderes als die Vorteile einer gegenseitig
bereichernden geistigen und materiellen Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern
und für alle anderen Völker die Segnungen eines ruhigen Lebens unter den
Bedingungen eines dauerhaften Friedens bereithalten würden.
332 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Erklärung des Außenministeriums zur sowjetischen Note betreffend Berlin,


27. November 1958 1
Die Sowjetregierung hat heute dem Botschafter der Vereinigten Staaten in Moskau
eine Mitteilung über Berlin übergeben. Offensichtlich haben die Botschafter
Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Bundesrepublik Deutschland
ähnliche Noten erhalten. Die Mitteilung ist sehr umfangreich und wird natürlich
sorgfältig geprüft werden.
Die Sowjets scheinen vorzuschlagen, daß die drei westlichen Verbündeten ihre
Rechte in West-Berlin aufgeben und sich zugunsten einer so genannten „freien Stadt“
zurückziehen, während sie Ost-Berlin weiterhin unter ihrer Kontrolle behalten. Der
Vorschlag der „freien Stadt“ ist auf West-Berlin beschränkt. Die Sowjetregierung weist
darauf hin, daß sich die Sowjetunion von ihren Verpflichtungen gegenüber den drei
westlichen Verbündeten in bezug auf Berlin befreien wird, wenn sie diesen
sowjetischen Vorschlag nicht innerhalb von sechs Monaten annehmen.
Es ist klar, daß eine Reihe grundlegender Erwägungen aufgeworfen werden, die bei
der Untersuchung der sowjetischen Note berücksichtigt werden müssen.
Eine davon ist, daß sich die Vereinigten Staaten zusammen mit Großbritannien und
Frankreich feierlich für die Sicherheit der westlichen Sektoren Berlins einsetzen.
Zweieinviertel Millionen Westberliner, die sich darauf verlassen, haben die positiven
Früchte der Freiheit überzeugend und mutig unter Beweis gestellt.
Eine weitere Überlegung ist, daß die Vereinigten Staaten nicht hinnehmen werden,
daß die Sowjetunion einseitig ihre mit Großbritannien, Frankreich und den
Vereinigten Staaten formell vereinbarten Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten
in bezug auf Berlin aufkündigt. Sie werden auch keine Vereinbarung mit der
Sowjetunion treffen, die, in welcher Form auch immer, dazu führen würde, daß die
Bevölkerung West-Berlins einer feindlichen Herrschaft ausgeliefert wird.
Die westlichen Verbündeten bemühen sich seit Jahren, mit den Sowjets über die
Freiheit ganz Deutschlands, zu dem auch Berlin gehört, auf der Grundlage freier
Wahlen durch das deutsche Volk selbst zu verhandeln. Tatsächlich warten die drei
Westmächte noch immer auf eine Antwort auf ihre letzten Vorschläge, die sie der
Sowjetischen Regierung am 30. September 1958 unterbreitet haben.
Die Regierung der Vereinigten Staaten wird sich mit der britischen und
französischen Regierung sowie mit der Bundesrepublik Deutschland und der NATO
über die neue sowjetische Note beraten.
____________

Erklärung des Außenministers Dulles zur sowjetischen Note betreffend


Berlin, 30. November 1958 2
[Auszug]
* * * * * * *
Während meines Aufenthaltes in Augusta berichtete ich dem Präsidenten über die
Entwicklung der Lage nach dem Eingang der Noten der Sowjetunion zu Berlin am 27.
November. Wir haben den Meinungsaustausch zur Kenntnis genommen, der bereits
zwischen den am stärksten betroffenen Westalliierten, einschließlich der

1 Die sowjetische Note betreffend Berlin : Eine Analyse (Publikation des Außenministeriums 6757), S. 49.
2 Pressemitteilung des Weißen Hauses, 30. November 1958. Die Erklärung wurde in Augusta, Georgia,
veröffentlicht.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 333

Bundesrepublik Deutschland, stattgefunden hat, sowie die allgemeine Harmonie der


Ansichten, die sich im Westen bereits abzeichnet. Die Konsultationen werden
natürlich fortgesetzt.
Der Präsident bekräftigte die feste Absicht unserer Regierung, daß die Vereinigten
Staaten keine Vereinbarungen treffen oder Handlungen vornehmen werden, die zur
Folge hätten, daß die Verantwortung, die die Vereinigten Staaten zusammen mit
Großbritannien und Frankreich für die Freiheit und Sicherheit der Bevölkerung West-
Berlins formell übernommen haben, aufgegeben würde.
* * * * * * *
_____________

Vier-Mächte-Kommuniqué über Berlin, 14. Dezember 1958 1


Die Außenminister Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten kamen am 14. Dezember 1958 in Paris
zusammen, um die Entwicklung der Lage in Berlin während des vergangenen Monats
zu erörtern, einschließlich der Noten, die die Sowjetunion am 27. November an ihre
Regierungen gerichtet hatte. Die vier Außenminister hörten eine mündliche Erklärung
des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Herrn Brandt, über die Lage in Berlin.
Die Außenminister Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten
Staaten bekräftigten erneut die Entschlossenheit ihrer Regierungen, ihre Position und
ihre Rechte in Bezug auf Berlin, einschließlich des Rechts auf freien Zugang,
aufrechtzuerhalten.
Sie hielten es für unannehmbar, daß die Sowjetische Regierung ihre
Verpflichtungen gegenüber den Regierungen Frankreichs, des Vereinigten
Königreichs und der Vereinigten Staaten in Bezug auf deren Anwesenheit in Berlin
und den freien Zugang zu dieser Stadt einseitig ablehnt oder daß die deutschen
Behörden der Sowjetischen Besatzungszone an die Stelle der Sowjetischen Regierung
treten, soweit diese Rechte betroffen sind.
Nach weiterer Erörterung der sowjetischen Noten vom 27. November 1958 sind sich
die vier Außenminister über die grundlegenden Fragen einig, die in den Antworten auf
diese Noten behandelt werden sollen. Sie werden sich mit ihren Verbündeten im
NATO-Rat beraten, woraufhin die vier Regierungen ihre Antworten formulieren
werden.
____________

NATO-Erklärung über Berlin, 16. Dezember 1958 2


1. Der Nordatlantikrat hat die Frage Berlins geprüft.
2. Der Rat erklärt, daß kein Staat das Recht hat, sich einseitig von seinen
internationalen Verpflichtungen zu lösen. Er ist der Auffassung, daß die
Aufkündigung der interalliierten Vereinbarungen über Berlin durch die Sowjetunion
die anderen Parteien in keiner Weise ihrer Rechte berauben oder die Sowjetunion von
ihren Verpflichtungen entbinden kann. Derartige Methoden zerstören das
gegenseitige Vertrauen zwischen den Nationen, das eine der Grundlagen des Friedens
ist.
3. Der Rat schließt sich voll und ganz den Ansichten an, die die Regierungen der
Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der
Bundesrepublik Deutschland in ihrer Erklärung vom 14. Dezember zu diesem Thema
geäußert haben.

1 Die sowjetische Note betreffend Berlin : Eine Analyse (Publikation des Außenministeriums 6757), S. 50.
2 Ebenda, S. 50–51.
334 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

4. Die von der Sowjetregierung erhobenen Forderungen haben eine ernste


Situation geschaffen, der mit Entschlossenheit begegnet werden muss.
5. Der Rat erinnert an die Verantwortung, die jeder Mitgliedstaat im Hinblick auf
die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins und die Aufrechterhaltung der Stellung
der drei Mächte in dieser Stadt übernommen hat. Die Mitgliedstaaten der NATO
können einer Lösung der Berlin-Frage nicht zustimmen, die das Recht der drei
Westmächte gefährdet, so lange in Berlin zu bleiben, wie es ihre Verantwortung
erfordert, und die nicht die Kommunikationsfreiheit zwischen dieser Stadt und der
freien Welt gewährleistet. Die Sowjetunion wäre für jede Handlung verantwortlich, die
diese freie Kommunikation behindert oder gefährdet. Die zwei Millionen Einwohner
West-Berlins haben soeben in einer freien Abstimmung ihre überwältigende
Zustimmung und Unterstützung für diese Position bekräftigt.
6. Der Rat ist der Auffassung, daß die Berlin-Frage nur im Rahmen eines
Abkommens mit der UdSSR über Deutschland als Ganzes geregelt werden kann. Er
erinnert daran, daß die Westmächte sich wiederholt bereit erklärt haben, dieses
Problem sowie die Probleme der europäischen Sicherheit und der Abrüstung zu prüfen.
Sie sind nach wie vor bereit, alle diese Probleme zu erörtern.
____________

Abschlusskommuniqué der NATO, 18. Dezember 1958 1


Der Nordatlantikrat hielt seine reguläre Ministertagung vom 16. bis 18. Dezember
1958 in Paris ab.
Internationale Situation
In einer umfassenden Untersuchung der internationalen Lage räumte der Rat der
Frage Berlins den ersten Platz ein. Die Mitgliedsländer machten ihre Entschlossenheit
deutlich, den Drohungen nicht nachzugeben. Ihre einhellige Auffassung über Berlin
wurde in der Erklärung des Rates vom 16. Dezember zum Ausdruck gebracht.
Der Rat wird diese Frage weiterhin aufmerksam verfolgen und in Kürze die
Antworten erörtern, die auf die sowjetischen Noten vom 27. November zu übermitteln
sind.
Die Mitgliedstaaten der NATO sind der aufrichtigen Überzeugung, daß die
Interessen des Friedens eine gerechte Regelung der offenen politischen Fragen
erfordern, die die freie Welt von der kommunistischen Welt trennen. Eine Lösung der
deutschen Frage, verbunden mit europäischen Sicherheitsvereinbarungen und eine
Vereinbarung über kontrollierte Abrüstung sind ihrer Ansicht nach weiterhin
unerlässlich. Die NATO-Regierungen werden sich weiterhin um eine gerechte Lösung
dieser Probleme bemühen, bedauern jedoch, daß die Sowjetregierung die westlichen
Vorschläge zu diesen Fragen bisher ignoriert hat.
Der Rat hörte Berichte über die Genfer Beratungen bezüglich der Einstellung der
Atomwaffentests und der Maßnahmen zur Verhinderung von Überraschungsangriffen.
Die Prüfung der internationalen Lage durch den Rat auf der Grundlage der vom
Politischen Komitee vorbereiteten Berichte umfasste ein breites Spektrum von
Problemen.
Besondere Aufmerksamkeit wurde den Bemühungen des kommunistischen Blocks,
die Positionen der freien Welt in verschiedenen Bereichen zu schwächen, gewidmet.

1 Ebenda, S. 51–53.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 335

Politische Zusammenarbeit
Dem Rat lag ein Bericht des Generalsekretärs über die politische Zusammenarbeit
im Bündnis vor. Die Minister sind der Auffassung, daß im Laufe des Jahres 1958 in
diesem Bereich bedeutende Fortschritte erzielt worden sind. Sie prüften die Probleme,
die sich aus der Ausweitung der politischen Konsultationen unweigerlich ergeben. Es
bestand allgemeines Einverständnis darüber, daß der bestehende Mechanismus der
NATO den Bedürfnissen des Bündnisses gut angepaßt ist und daß flexible Methoden
zu besseren Ergebnissen führen würden als jede Kodifizierung von Regeln. Die
Minister stimmten darin überein, daß die Vorbereitung der politischen Beratungen im
Rat, insbesondere durch eine systematischere Untersuchung der langfristigen
politischen Fragen, verbessert werden könnte. Der Rat würdigte die Bemühungen des
Generalsekretärs auf dem Gebiet der Schlichtung zwischen den Mitgliedsländern.
Wirtschaftliche Fragen
Die Minister bekräftigten die Bedeutung, die sie den Maßnahmen beimessen, die die
Mitgliedsländer einzeln und gemeinsam ergreifen, um die Wirtschaftstätigkeit
anzukurbeln und ein kontinuierliches Wachstum ohne Inflation zu gewährleisten.
Der Rat nahm Kenntnis von den Schwierigkeiten, die sich bei den Verhandlungen
über die Organisation der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den
europäischen Mitgliedern des Bündnisses, die dem Gemeinsamen Markt angehören,
und denjenigen, die ihm nicht angehören, ergaben.
Er hält es für notwendig, daß zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein multilateraler
Zusammenschluß geschaffen werden sollte und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die
Bemühungen, die derzeit im Hinblick auf eine Lösung unternommen werden,
erfolgreich sein werden.
Der Rat hörte eine gemeinsame Erklärung des griechischen und des türkischen
Außenministers zu den Problemen der weniger entwickelten Mitgliedsländer und
beauftragte den Ständigen Rat mit der Durchführung einer Untersuchung zu diesem
Thema.
Militärische Fragen
Der Rat prüfte die militärische Lage des Bündnisses. Nach Anhörung der Berichte
der Ständigen Gruppe und der Obersten Alliierten Befehlshaber betonten die Minister,
daß es angesichts der anhaltenden Aufrüstung der Sowjetunion äußerst notwendig sei,
die Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit
des Bündnisses unablässig fortzusetzen.
Der Rat bekräftigte, daß die Verteidigungsstrategie der NATO weiterhin auf dem
Vorhandensein wirksamer Schutzschilde und auf dem offenkundigen Willen beruht,
nukleare Vergeltungsmaßnahmen zur Abwehr einer Aggression einzusetzen.
Die Minister prüften den Bericht über die jährliche Überprüfung von 1958 und
genehmigten dessen Schlussfolgerungen. Die Umsetzung der im Dezember 1957 von
den Regierungsoberhäuptern vereinbarten Pläne wird aktiv vorangetrieben und es
wurden Methoden zur Beschleunigung ihrer Realisierung vereinbart.
Das nächste reguläre Ministertreffen des Rates wird auf Einladung der Regierung
der Vereinigten Staaten vom 2. bis 4. April 1959 in Washington aus Anlaß des zehnten
Jahrestages der Unterzeichnung des Nordatlantikvertrages stattfinden.
336 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Erklärung des Außenministeriums zu den rechtlichen Aspekten der


Berliner Situation, 20. Dezember 1958 1
Die Vereinigten Staaten sind der Auffassung, daß die von der Sowjetunion
gekündigten Abkommen in vollem Umfang in Kraft sind, daß die Sowjetunion in
vollem Umfang für die Erfüllung der von ihr im Rahmen der Abkommen
übernommenen Verpflichtungen verantwortlich bleibt und daß die Versuche der
Sowjetunion, die Rechte der Vereinigten Staaten, sich in Berlin aufzuhalten und
Zugang zu Berlin zu erhalten, zu untergraben, eine Verletzung des Völkerrechts
darstellen.
Der Rechtsstreit zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und der
Sowjetregierung betrifft grundlegende Fragen des Völkerrechts. Dazu gehören die
jeweiligen Rechte, die die Besatzungsbehörden in Deutschland bei Beendigung des
Zweiten Weltkriegs erworben haben, und der Status dieser Rechte bis zu einer
endgültigen Friedensregelung mit Deutschland; die Frage, ob eine Nation einseitig
und ohne Grund internationale Vereinbarungen, deren Vertragspartei sie ist,
aufkündigen darf, um sich von freiwillig übernommenen Verpflichtungen zu lösen; und
welche Auswirkungen ein einseitiger Verzicht auf gemeinsam geteilte Rechte der
militärischen Besatzung durch einen der Besatzer hat.
Während des Zweiten Weltkriegs bildeten die Vereinigten Staaten, das Vereinigte
Königreich und die Sowjetunion zusammen mit den Streitkräften der Freien
Franzosen und der anderen Vereinten Nationen eine Koalition alliierter Streitkräfte,
die in dem gemeinsamen Bestreben vereint waren, Nazideutschland zu besiegen. Die
Regierungsoberhäupter der alliierten Mächte hielten mehrere große internationale
Treffen ab, auf denen die gemeinsamen Ziele umrissen und Pläne für die Sicherung
des Friedens aufgestellt wurden.
Im vereinbarten Kommuniqué der Moskauer Konferenz, die vom 19. bis 30. Oktober
1943 stattfand, wurde Folgendes erklärt :
Die Konferenz ist übereingekommen, einen Mechanismus zu schaffen, der die engste
Zusammenarbeit zwischen den drei Regierungen bei der Prüfung der europäischen Fragen,
die sich im Verlauf des Krieges ergeben, gewährleistet. Zu diesem Zweck beschloss die
Konferenz, in London eine Europäische Beratungskommission einzusetzen, die diese
Fragen untersuchen und gemeinsame Empfehlungen an die drei Regierungen abgeben soll.
Die Europäische Beratungskommission trat am 14. Januar 1944 zu ihrer ersten
Sitzung zusammen. Danach erörtert sie „europäische Fragen“, darunter die erwartete
Kapitulation und Besetzung Deutschlands. Die Art der anschließenden Besetzung
Deutschlands und Groß-Berlins spiegelt sich deutlich in den Beratungen der
Europäischen Beratungskommission und den im Anschluss daran geschlossenen
Abkommen wider.
Am 18. Februar 1944 legte der sowjetische Vertreter der Kommission ein Dokument
mit dem Titel „Kapitulationsbedingungen für Deutschland“ zur Erörterung vor, dessen
Artikel 15 die damaligen Überlegungen der Sowjetregierung in Bezug auf die
Einrichtung von Besatzungszonen in Deutschland offenbart. Absatz ( d ) des Artikels
15 des Dokuments schlug in Bezug auf Berlin Folgendes vor :
D ) Um Berlin wird eine 10/15-Kilometer-Zone eingerichtet, die von den Streitkräften
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs und der
Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsam besetzt werden soll.
Bei der Erörterung des sowjetischen Vorschlags bezweifelte der britische Vertreter
auf einer Sitzung am 18. Februar 1944, daß es wünschenswert sei, in die Kapitu-
1 Ebenda, S. 36–49.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 337

lationsbedingungen eine Bestimmung über die Abgrenzung solcher Zonen


aufzunehmen, da dies seiner Ansicht nach eine innere Angelegenheit der drei Mächte
selbst sei.
Auf der fünften Sitzung der Europäischen Beratungskommission am 17. März 1944
erklärte der sowjetische Vertreter, Herr Gussew, daß er nicht auf die Aufnahme von
Artikel 15 in die Kapitulationsurkunde bestehen werde, die dadurch kürzer werden
könne. Die Abgrenzung könnte dann in einem gesonderten, von den Alliierten zu
vereinbarenden Dokument niedergelegt werden. Dieses separate Dokument wurde in
einer Reihe von Gesprächen ausgearbeitet und am 12. September 1944
unterzeichneten die Vertreter der drei Regierungen ein Protokoll über die
Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von „Groß-Berlin“. Am 14.
November 1944 wurde eine Einigung über bestimmte Änderungen des Protokolls vom
12. September erzielt. Der sowjetische Vertreter in der Europäischen
Beratungskommission gab bekannt, daß die Sowjetregierung der Vereinbarung über
die Änderungen am 6. Februar 1945 zustimmte. Zuvor hatten das Vereinigte
Königreich am 5. Dezember 1944 und die Vereinigten Staaten am 2. Februar 1945 dem
Protokoll und den Änderungen zugestimmt.
Die Krim-Konferenz fand vom 4. bis 11. Februar 1945 statt und im Anschluss daran
gaben der Premierminister Großbritanniens, der Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika und der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken die folgende bedeutsame Erklärung zu den
Ergebnissen der Krim-Konferenz ab :

DIE BESETZUNG UND KONTROLLE DEUTSCHLANDS

Wir haben uns auf gemeinsame Richtlinien und Pläne zur Durchsetzung der
Bedingungen der bedingungslosen Kapitulation geeinigt, die wir
Nazideutschland gemeinsam auferlegen werden, nachdem der deutsche
bewaffnete Widerstand endgültig gebrochen ist. Diese Bedingungen werden
nicht bekannt gegeben, bevor die endgültige Niederlage Deutschlands erreicht
ist. Nach dem vereinbarten Plan werden die Streitkräfte der drei Mächte jeweils
eine eigene Zone Deutschlands besetzen. Der Plan sieht eine koordinierte
Verwaltung und Kontrolle durch eine zentrale Kontrollkommission vor, die aus
den Oberbefehlshabern der drei Mächte besteht und ihr Hauptquartier in Berlin
hat. Es wurde vereinbart, daß Frankreich von den drei Mächten eingeladen
werden soll, eine Besatzungszone zu übernehmen und als viertes Mitglied der
Kontrollkommission teilzunehmen, falls es dies wünscht. Die Grenzen der
französischen Zone werden von den vier betroffenen Regierungen über ihre
Vertreter in der Europäischen Beratungskommission vereinbart.
Am 26. Juli 1945 trafen das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und die
UdSSR eine Vereinbarung mit der Provisorischen Regierung der Französischen
Republik über die Änderung des Protokolls vom 12. September 1944, das dazu diente,
Frankreich in die Besetzung Deutschlands und die Verwaltung von „Groß-Berlin“
einzubeziehen. Der sowjetische Vertreter in der Europäischen Beratungskommission
teilte mit, daß seine Regierung dieser Vereinbarung am 13. August 1945 zugestimmt
habe. Die Vereinigten Staaten stimmten am 29. Juli 1945, das Vereinigte Königreich
am 2. August 1945 und die französische Regierung am 7. August 1945 zu.
338 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Das Protokoll sieht in seiner endgültigen Fassung Folgendes vor :


1. Deutschland wird innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937
bestanden, für die Zwecke der Besetzung in vier Zonen aufgeteilt, von denen
jeder der vier Mächte eine zugeteilt wird, sowie in ein besonderes Berliner
Gebiet, das von den vier Mächten gemeinsam besetzt wird.
Das Protokoll legt dann die geographischen Grenzen der einzelnen Zonen fest und
sieht die Aufteilung des Gebiets von Groß-Berlin, das „von den Streitkräften der vier
Mächte gemeinsam besetzt werden soll“, in vier Teile vor. Ziffer 5 des Protokolls sieht
Folgendes vor:
5. Es wird eine interalliierte Regierungsbehörde (Kommandantur)
eingerichtet, die aus vier Kommandanten besteht, die von ihren jeweiligen
Oberbefehlshabern ernannt werden, um gemeinsam die Verwaltung des Gebiets
„Groß-Berlin“ zu leiten.
Es sollte bedacht werden, daß die einzigen Änderungen des Protokolls nach dem 6.
Februar 1945, als es in Kraft trat, die Änderungen waren, die sich auf die
französischen Besatzungsrechte bezogen. Die französische Besatzungszone und der
französische Sektor von Berlin wurden aus den amerikanischen und britischen Zonen
und Sektoren herausgelöst, so daß die Änderungen keine Änderung der
grundsätzlichen Kompetenzverteilung in Deutschland zwischen der UdSSR und den
Westmächten bewirkten.
Das Verhältnis der Besatzungsmächte in Deutschland wurde durch die Arbeit der
Europäischen Beratungskommission im Zusammenhang mit der Vereinbarung über
den Kontrollapparat in Deutschland weiter geklärt. Am 14. November 1944 wurde in
der Kommission eine Einigung über die Organisation des alliierten Kontrollapparats
in Deutschland für den Zeitraum erzielt, in dem Deutschland die
Grundvoraussetzungen für die bedingungslose Kapitulation erfüllen würde. Am 1. Mai
1945 wurde vereinbart, die Provisorische Regierung der Französischen Republik in das
Kontrollabkommen einzubeziehen.
Dieses Abkommen sieht in seiner endgültigen Form Folgendes vor :
Die oberste Befehlsgewalt in Deutschland wird auf Weisung ihrer jeweiligen
Regierungen von den Oberbefehlshabern der Streitkräfte der Vereinigten
Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken [und] der Provisorischen Regierung der
Französischen Republik ausgeübt, und zwar jeder in seiner eigenen
Besatzungszone und auch gemeinsam in Angelegenheiten, die Deutschland als
Ganzes betreffen, in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des durch dieses
Abkommen gebildeten obersten Kontrollorgans.
In Bezug auf Berlin (Artikel 7 Buchstabe ( a )) heißt es weiter :
Eine interalliierte Regierungsbehörde (Kommandantur), bestehend aus vier
Kommandanten, je einem von jeder der Mächte, die von ihren jeweiligen
Oberbefehlshabern ernannt werden, wird eingerichtet, um gemeinsam die
Verwaltung des Gebietes „Groß-Berlin“ zu leiten. Jeder der Kommandanten
wird abwechselnd in der Position des Oberkommandanten als Leiter der
Alliierten Regierungsbehörde fungieren.
Dieses Abkommen enthielt im Gegensatz zum Protokoll über Besatzungszonen eine
Bestimmung über die Dauer (Artikel 10) :
Die oben beschriebenen alliierten Organe für die Kontrolle und Verwaltung
Deutschlands werden während der ersten Zeit der Besetzung Deutschlands,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 339

unmittelbar nach der Kapitulation, tätig sein, das heißt während des Zeitraums,
in dem Deutschland die Grundvoraussetzungen für die bedingungslose
Kapitulation erfüllt.
Am 7. und 8. Mai 1945 wurden die Kapitulationsurkunden unterzeichnet, mit denen
das deutsche Oberkommando alle unter deutscher Kontrolle stehenden Streitkräfte
„bedingungslos an den Oberbefehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte und
gleichzeitig an das Oberkommando der Roten Armee“ übergab.
Zum Zeitpunkt der Kapitulation der deutschen Streitkräfte hielten die britischen
und amerikanischen Streitkräfte mit Waffengewalt ganz Deutschland westlich einer
Linie, die von Wismar über Magdeburg und Torgau bis Dresden verlief. Dieses Gebiet
umfasste praktisch das gesamte deutsche Territorium, das den Westmächten im
Rahmen des Protokolls über die Besatzungszonen zugeteilt worden war, sowie einen
sehr großen Teil des der Sowjetzone zugeteilten Gebiets. Von Interesse ist auch, daß
die Westmächte in den Wochen vor der deutschen Kapitulation deutsche Angebote zur
Kapitulation oder zum Rückzug der deutschen Streitkräfte an der Westfront abgelehnt
hatten, während sie im Osten gegen die sowjetischen Streitkräfte ausharrten und
somit den Westalliierten die Besetzung ganz Deutschlands ermöglichten. Ihren
Vereinbarungen mit der Sowjetunion über die gemeinsame Niederlage des
Naziregimes und die gemeinsame Übernahme der obersten Gewalt in Deutschland
treu bleibend, lehnten die Westmächte diese Vorschläge ab.
Am 5. Juni 1945 gaben die Vertreter der Alliierten in Deutschland eine Erklärung
über die Niederlage Deutschlands und die Übernahme der Oberhoheit über
Deutschland ab.
Die Erklärung sah Folgendes vor :
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs sowie die
Provisorische Regierung der Französischen Republik übernehmen hiermit die
oberste Gewalt über Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen
Regierung, des Oberkommandos und aller staatlichen, kommunalen oder
lokalen Regierungen oder Behörden. Die Übernahme der genannten Befugnisse
und Zuständigkeiten zu den oben genannten Zwecken bewirkt nicht die
Annexion Deutschlands.
Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken und des Vereinigten Königreichs sowie die
Provisorische Regierung der Französischen Republik werden die Grenzen
Deutschlands oder eines Teils davon und den Status Deutschlands oder eines
Gebiets, das gegenwärtig Teil des deutschen Hoheitsgebiets ist, im weiteren
Verlauf festlegen.
Am 5. Juni 1945 gaben die vier alliierten Regierungen auch eine Erklärung über
den Kontrollapparat in Deutschland ab. Diese Erklärung ist im Wesentlichen identisch
mit der Vereinbarung über den Kontrollapparat in Deutschland.
Ebenso gaben die vier alliierten Regierungen am 5. Juni 1945 eine Erklärung zu den
Besatzungszonen in Deutschland ab. In dieser Erklärung werden die zuvor in der
Europäischen Beratungskommission im Jahr 1944 vereinbarten Gebiete bekannt
gegeben. Artikel 2 der Erklärung besagt,
Das Gebiet von „Groß-Berlin“ wird von den Streitkräften jeder der vier Mächte
besetzt. Es wird eine interalliierte Regierungsbehörde (russisch:
Kommandantur) eingerichtet, die aus vier Kommandanten besteht, die von
ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ernannt werden, um die Verwaltung
gemeinsam zu leiten.
340 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Am 14. Juni 1945 schrieb der Präsident der Vereinigten Staaten einen Brief an
Marschall Stalin, in dem er den Abzug der amerikanischen Truppen aus der
Sowjetzone in die amerikanische Besatzungszone anordnete und zwar
* * * in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen zwischen den jeweiligen
Befehlshabern, einschließlich der gleichzeitigen Verlegung der nationalen
Garnisonen nach Groß-Berlin und der Gewährung des freien Zugangs für die
amerikanischen Streitkräfte auf dem Luft-, Straßen- und Schienenweg von
Frankfurt und Bremen nach Berlin.
Stalin antwortete mit Schreiben vom 18. Juni 1945 und teilte mit :
Von unserer Seite werden alle notwendigen Maßnahmen in Deutschland und
Österreich gemäß dem oben genannten Plan ergriffen werden.
Am 1. Juli 1945 zogen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Berlin ein und
verließen ihre vorgeschobene Stellung in Ostdeutschland.
In Übereinstimmung mit dem Vorschlag über den Rückzug der amerikanischen
Streitkräfte aus Thüringen und Sachsen und den Einzug in Berlin fand am 29. Juni
1945 eine Konferenz zwischen Marschall Schukow, General Clay und General Weeks
statt. Es wurden allgemeine Vereinbarungen über die Benutzung bestimmter Straßen,
Eisenbahnlinien und Luftlinien durch die Westmächte getroffen, um ihre
Zugangsrechte zu Berlin wahrzunehmen.
Die allgemeinen Regelungen wurden durch Maßnahmen des alliierten
Kontrollapparats in Deutschland––des Kontrollrats, des Koordinierungsausschusses,
der das Hauptunterorgan des Rates war und der interessierten funktionellen
Ausschüsse und Direktionen––weiter festgelegt. Einige dieser spezifischen
Regelungen wurden in genehmigte Dokumente aufgenommen, wie zum Beispiel das
Dokument der Abteilung für Transportwesen CONL/P ( 45 ) 27 über den Zugang zum
Schienenverkehr, die Niederschrift ( 110 ) ( a ) des Alliierten Kontrollrats über die
Luftkorridore nach Berlin, das Dokument der Abteilung für Luftverkehr über die
Sicherheit im Luftverkehr in Berlin, DAIR/P ( 45 ) 67 zweite Änderung, und das
Dokument der Abteilung für Luftverkehr über Flugregeln in den Korridoren, DAIR/P
( 45 ) 71 zweite Änderung. Darüber hinaus entwickelte sich eine Vielzahl von
Arbeitspraktiken und Vereinbarungen hinsichtlich der Ausübung des Zugangsrechts
durch die Westmächte. Die Vereinbarungen bezogen sich jedoch lediglich auf die
ordnungsgemäße Ausübung der Zugangsrechte.
Am 20. März 1948 verließen die sowjetischen Vertreter den Alliierten Kontrollrat
für Deutschland, nachdem der sowjetische Vertreter, der den Vorsitz innehatte, die
Sitzung willkürlich für geschlossen erklärt hatte. Am 30. März 1948 erklärte der
stellvertretende sowjetische Militärgouverneur, General Dratvin, in einem Schreiben
an die Militärregierung der Vereinigten Staaten, daß zusätzliche Bestimmungen über
die Kommunikation zwischen der sowjetischen und der amerikanischen
Besatzungszone in Deutschland am 1. April 1948 in Kraft treten würden. Diese
Bestimmungen, die im Gegensatz zu der seit der vierseitigen Besetzung Berlins
geübten Praxis standen, sahen Folgendes vor :
( 1 ) US-Personal, das auf dem Schienen- und Straßenweg durch die
Sowjetzone reist, muss einen dokumentarischen Nachweis der Identität und der
Zugehörigkeit zur US-Militärverwaltung in Deutschland vorlegen ;
( 2 ) Militärische Gütertransporte von Berlin in die Westzonen müssen durch
die sowjetischen Kontrollpunkte mittels einer sowjetischen Genehmigung
abgefertigt werden ; Gütertransporte nach Berlin würden durch
Begleitdokumente abgefertigt werden ;
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 341

( 3 ) Das gesamte Gepäck, mit Ausnahme des persönlichen Gepäcks von US-
Personal, das in einem Eisenbahnwaggon oder einem Personenkraftwagen
befördert wird, muss an den sowjetischen Kontrollpunkten überprüft werden.
Ähnliche Schreiben wurden an die britischen und französischen Militärregierungen
gerichtet.
Am 31. März antwortete der Stabschef der US-Militärregierung, daß die neuen
Bestimmungen nicht akzeptabel seien und daß solche einseitigen Änderungen der
Vorgehensweise nicht anerkannt werden könnten.
Die Sowjets begannen daraufhin mit einer Reihe von Beschränkungen des Verkehrs
nach und von Berlin, die schließlich in der Berlin-Blockade gipfelten. Die Tatsachen
über die Bemühungen der Sowjetunion, Berlin auszuhungern, um die Westmächte zu
zwingen, ihre Rechte in der Stadt aufzugeben, sind zu gut bekannt, als daß sie noch
einmal wiederholt werden müßten.
Die von den Westmächten organisierte Luftbrücke besiegte diese sowjetischen
Bemühungen. Am 4. Mai 1949 schlossen die Regierungen der Vereinigten Staaten, der
UdSSR, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs in New York ein Abkommen,
das unter anderem Folgendes vorsah :
1. Alle seit dem 1. März 1948 von der Regierung der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken verhängten Kommunikations-, Transport- und
Handelsbeschränkungen zwischen Berlin und den Westzonen Deutschlands
sowie zwischen der Ostzone und den Westzonen werden am 12. Mai 1949
aufgehoben.
Der Rat der Außenminister, der im Anschluß an das New Yorker Abkommen vom 4.
Mai 1949 in Paris zusammentrat, kam wie folgt überein :
5. Die Regierungen Frankreichs, der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten
vereinbaren, daß das New Yorker Abkommen vom 4. Mai 1949 aufrechterhalten
wird. Darüber hinaus hat jede Besatzungsbehörde in ihrer Zone die
Verpflichtung, zur weiteren Förderung der in den vorstehenden Absätzen
genannten Ziele und zur Verbesserung und Ergänzung dieser und anderer
Vereinbarungen und Abkommen sowohl in Bezug auf den Personen- und
Güterverkehr und die Nachrichtenübermittlung zwischen der Ost- und den
Westzonen sowie zwischen den Zonen und Berlin als auch in Bezug auf den
Transitverkehr die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das normale
Funktionieren und die normale Nutzung des Eisenbahn-, Wasser- und
Straßenverkehrs für diesen Personen- und Güterverkehr und diese
Nachrichtenübermittlung durch Post, Telefon und Telegraf zu gewährleisten.
Artikel 1 des New Yorker Abkommens vom 4. Mai 1949 wurde durch den Befehl Nr.
56 der Sowjetischen Militärregierung und des Oberbefehlshabers der sowjetischen
Besatzungstruppen in Deutschland vom 9. Mai 1949 in Kraft gesetzt. Der Befehl sieht
vor, daß die vor dem 1. März 1948 geltenden Bestimmungen über die Verkehrswege
zwischen Berlin und den Westzonen wieder in Kraft gesetzt werden. Konkret heißt es
in Absatz 4 des sowjetischen Befehls : „Das vor dem 1. März 1948 geltende Verfahren
für militärisches und ziviles Personal der britischen, amerikanischen und
französischen Besatzungstruppen, das ihnen das Überschreiten der
Demarkationslinie an den Kontrollpunkten Marienborn und Nowawes ohne
Sonderausweise erlaubte und für alle anderen Kontrollpunkte Ausweise verlangte, die
von der Sowjetischen Militäradministration genehmigt wurden, soll wieder eingeführt
werden.“
Der vorstehende geschichtliche Abriß hat zweifelsfrei nachgewiesen, daß die Rechte
der Vereinigten Staaten in Deutschland und in Berlin in keiner Weise auf die Duldung
342 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

oder Einwilligung der Sowjetunion angewiesen sind. Diese Rechte ergeben sich aus der
vollständigen Niederlage des Dritten Reiches und der anschließenden Übernahme der
obersten Gewalt in Deutschland. Diese Niederlage und die Übernahme der Gewalt
wurden als gemeinsame Unternehmungen durchgeführt, bei denen die Beteiligten als
gleichberechtigt angesehen wurden. Die Rechte der einzelnen Besatzungsmächte
bestehen unabhängig voneinander und liegen einer Reihe von Vereinbarungen
zugrunde, in denen die Bereiche und die Modalitäten für die Ausübung dieser Rechte
festgelegt sind. Aus dieser Tatsache leiten sich zwei wichtige Konsequenzen ab.
Zum Ersten unterscheiden sich die spezifischen Rechte, die aus dem Abkommen
über die Besatzungszonen und dem Status von Berlin entspringen, weder nach Art
noch nach Grad. Das Recht jeder Macht, Berlin zu besetzen, ist von gleichem Rang wie
das Recht jeder Macht, ihre Zone zu besetzen. Ferner hat das Recht der drei
Westmächte auf freien Zugang zu Berlin als wesentliche Folge ihres dortigen
Besatzungsrechts denselben Stellenwert wie das Besatzungsrecht selbst. Die
Sowjetunion hat den Westmächten keine Zugangsrechte zu Berlin gewährt. Sie hat
ihre Besatzungszone vorbehaltlich dieser Zugangsrechte angenommen. Wäre dies
nicht der Fall und die Lehre von den gemeinsamen und gleichen Rechten nicht
anwendbar, so stünde es den Vereinigten Staaten jetzt beispielsweise frei, von der
Sowjetunion den Rückzug aus dem ursprünglich von den amerikanischen
Streitkräften besetzten Teil der sowjetischen Zone und die Übernahme der Kontrolle
über dieses Gebiet zu fordern.
Zum Zweiten : Sofern die Besatzungs- und Zugangsrechte nicht von der Sowjetunion
stammen, sind die Sowjets nicht befugt, diese Rechte durch Kündigung von Abkommen
oder durch angebliche Übertragung der Kontrolle über sie an Dritte zu widerrufen. Die
Sowjetunion kann die Rechte nicht beeinträchtigen, indem sie Abkommen für nichtig
erklärt, da die Rechte unabhängig von der Sowjetunion bestehen. Die Sowjetunion
kann die Rechte nicht beeinträchtigen, indem sie sie zum Gegenstand der Souveränität
erklärt, die sie angeblich ihrem Marionettenregime in Ostdeutschland verliehen hat,
denn auch hier bleiben die Rechte unabhängig von jeder Handlung der Sowjets
bestehen. Unabhängig davon, in welchem Verhältnis das ostdeutsche Regime zu den
Sowjets steht, es kann in der Sowjetzone keine Macht erlangen, die die Sowjets nicht
geben können. Die vorstehenden Erörterungen beziehen sich natürlich nicht auf die
Rechtmäßigkeit des angeblichen sowjetischen Vorgehens bei der Aufkündigung ihrer
feierlichen Verpflichtungen, die im folgenden Abschnitt behandelt wird.
Die Sowjetregierung stellt in ihrer Mitteilung vom 27. November 1958 fest :
. . . Die Sowjetregierung kann sich nicht länger an den Teil der alliierten
Vereinbarungen über Deutschland gebunden fühlen, der einen ungerechten
Charakter angenommen hat und zum Zwecke der Aufrechterhaltung des
Besatzungsregimes in West-Berlin und der Einmischung in die inneren
Angelegenheiten der DDR benutzt wird.
In diesem Zusammenhang teilt die Regierung der UdSSR der Regierung der
Vereinigten Staaten mit, daß die Sowjetunion das „Protokoll des Abkommens
zwischen den Regierungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der
Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs über die
Besatzungszonen in Deutschland und über die Verwaltung von Groß-Berlin“
vom 12. September 1944 und das damit zusammenhängende Zusatzprotokoll,
das am 1. Mai 1945 zwischen den Regierungen der UdSSR, der USA,
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 343

Großbritanniens und Frankreichs beschlossen wurde, als null und nichtig


betrachtet, d.h, die Vereinbarungen, die in den ersten Jahren nach der
Kapitulation Deutschlands in Kraft sein sollten.
In dem Versuch, diese Maßnahme zu rechtfertigen, behauptet die Sowjetregierung,:
( 1 ) daß diese Maßnahme wegen angeblicher Verletzungen des Potsdamer
Abkommens durch die Westmächte rechtmäßig ist ;
( 2 ) daß die Abkommen nur während der ersten Jahre nach der Kapitulation
Deutschlands in Kraft sein sollten ;
( 3 ) daß die angeblichen Aktivitäten der Westmächte in ihrem Sektor von
Berlin zum Verlust ihrer Rechte geführt haben, diese Sektoren zu besetzen und
freien Zugang zu ihnen zu haben.
Verhältnis des Potsdamer Abkommens zu den Besatzungsrechten der USA in Bezug
auf Berlin
Das so genannte Potsdamer Abkommen wurde zum Abschluss der Berliner
Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 ausgefertigt. Das Protokoll der
Verhandlungen, in dem die von den Regierungschefs der Vereinigten Staaten von
Amerika, des Vereinigten Königreichs und der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken vereinbarten Punkte festgehalten sind, datiert vom 1. August 1945.
Aus dieser bloßen Angabe des zeitlichen Aspekts geht hervor, daß das Abkommen über
die Besatzungszonen und den Status von Berlin, das am 6. Februar 1945, also etwa
sechs Monate früher, in Kraft getreten war, in seiner Gültigkeit nicht vom Potsdamer
Verhandlungsprotokoll abhängt. Darüber hinaus enthält das Potsdamer Protokoll
keine Bestimmung, die das vorherige Abkommen ausdrücklich von dessen
Bestimmungen abhängig macht oder in diesem Sinne ausgelegt werden kann. Es gibt
auch keine Hinweise darauf, daß sich die nachfolgenden Vereinbarungen über die
Ausübung des Umgangsrechts auf das Potsdamer Protokoll beziehen oder in
irgendeiner Weise mit ihm verbunden sind.
(Angebliche oder tatsächliche) Verletzungen des Potsdamer Abkommens könnten
daher keine rechtlichen Auswirkungen auf die Gültigkeit der grundlegenden
Besatzungsrechte der Westmächte oder auf die Vereinbarungen haben, die die Rechte
der Westmächte auf die Besetzung ihrer Zonen und ihrer Sektoren in Berlin und auf
freien Zugang zu Berlin festlegen.
Außerdem bezieht sich das Potsdamer Abkommen, soweit es Deutschland betrifft,
auf die gemeinsamen Ziele der Besatzungsbehörden in Deutschland. Die
Verwirklichung dieser Ziele sollte die Zwecke der Besetzung Deutschlands fördern,
aber es gibt an keiner Stelle des Protokolls einen Hinweis darauf, daß das Recht auf
Besetzung von der Verwirklichung der Ziele abhing. Soweit diese Ziele nicht
verwirklicht wurden, war dies auf Verstöße der Sowjetunion gegen die Bestimmungen
des Potsdamer Protokolls zurückzuführen. Die schwerwiegendsten Verstöße waren die
Weigerung der Sowjetunion, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln
und die andauernden Versuche der Sowjetunion, Reparationszahlungen zu erhalten,
auf die sie nach den Bestimmungen des Protokolls keinen Anspruch hatte. Die
Vereinigten Staaten sind bereit, Verletzungen des Potsdamer Abkommens durch die
Sowjetunion zu dokumentieren. Sie haben jedoch nie behauptet, daß solche
Verletzungen das Recht der Sowjetregierung, ihre Zone in Deutschland und ihren
Sektor in Berlin zu besetzen, beeinträchtigen.
Die Vereinigten Staaten bestreiten die von der Sowjetregierung unterstellte
Verletzung des Potsdamer Abkommens und sind bereit, die Richtigkeit ihrer Position
344 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

zu belegen. Die Vereinigten Staaten bringen jedoch vor, daß diese Angelegenheit für
die Frage, ob die Sowjetunion ein internationales Abkommen wie das Protokoll vom
12. September 1944 einseitig für nichtig erklären kann, irrelevant ist, da sich die
beiden Abkommen auf unterschiedliche Themen bezogen und in keiner Weise
voneinander abhängig waren.
Es ist auch anzumerken, daß die Sowjetunion in ihrer Mitteilung nicht vorgebracht
hat, daß sie das Potsdamer Protokoll wegen dieser behaupteten Verletzungen durch
die Westmächte als nichtig betrachtet. Wenn das Potsdamer Protokoll weiterhin
Rechtskraft und Wirkung besitzt, wie kann es dann logisch oder rechtlich möglich sein,
wenn man der Argumentation halber annimmt, daß diese anderen verschiedenen und
unabhängigen Abkommen in der Tat von diesem Protokoll abhängig sind, zu
behaupten, daß die Nebenabkommen durch die Verletzung des Hauptabkommens für
nichtig erklärt werden, obwohl das Hauptabkommen nicht für nichtig erklärt wird ?
Dieser Standpunkt ist auf den ersten Blick völlig haltlos.
Geltungsdauer von Abkommen im Zusammenhang mit der Besetzung von
Deutschland
Die Vereinigten Staaten sind der Ansicht, daß die Sowjetregierung sich in ihrer
Mitteilung vom 27. November 1958 bemerkenswert unkonkret auf die Deutschland
betreffenden spezifischen Abkommen bezieht, die ihrer Ansicht nach „während der
ersten Jahre nach der Kapitulation Deutschlands in Kraft sein sollten“.
Die Vereinigten Staaten glauben, daß eine Prüfung der verschiedenen oben
erwähnten Dokumente in dem historischen Kontext, in dem sie vereinbart wurden,
das Wesen der von den vier Besatzungsbehörden eingegangenen Verpflichtungen
vollkommen verdeutlicht. Einige dieser Dokumente oder Teile davon bezogen sich auf
unmittelbare Ziele der Besetzung oder auf die Verwaltungsvereinbarungen zwischen
den Besatzungsbehörden. Verständlicherweise wurde ausdrücklich vorgesehen, daß in
solchen Fällen eine Überprüfung nach einer angemessenen Zeitspanne erfolgen soll.
Insbesondere die Erklärung über den Kontrollapparat in Deutschland vom 5. Juni
1945 ist ein Fall, in dem solche Vereinbarungen getroffen wurden. In Ziffer 1 des
Abkommens heißt es : „In der Zeit, in der Deutschland die grundlegenden
Anforderungen der bedingungslosen Kapitulation erfüllt * * *“. In Nummer 8 wird
die Absicht der Vertragsparteien noch deutlicher zum Ausdruck gebracht :
8. Die oben umrissenen Vorkehrungen gelten während der Besatzungszeit
nach der deutschen Kapitulation, wenn Deutschland die grundlegenden
Anforderungen der bedingungslosen Kapitulation erfüllt. Regelungen für die
Folgezeit werden gesondert vereinbart. [Kursivschrift nicht im Original.]
Es hat seitens der Vereinigten Staaten nie einen Zweifel daran gegeben, daß in der
Planungsphase vor der Besetzung eine „zweistufige“ Besatzungszeit für Deutschland
vorgesehen war. Ferner stimmen die Vereinigten Staaten vollkommen mit dem
Standpunkt überein, daß die „Zeit, in der Deutschland die Grundvoraussetzungen für
eine bedingungslose Kapitulation erfüllt“, längst vorüber ist. Eine vergleichbare
Einführungsqualifikation wurde in Verbindung mit den Punkten in Teil II des
Potsdamer Protokolls mit dem Titel „Die Grundsätze zur Regelung der Behandlung
Deutschlands in der anfänglichen Kontrollperiode“ gemacht. So wie das Abkommen
über den Kontrollapparat als eine Vereinbarung für einen relativ kurzen Zeitraum
anerkannt wurde, sollten die Postdamer „Grundsätze“ in Teil II in der unmittelbaren
Nachkriegszeit vor der Wiedererrichtung einer zentralen deutschen Staatsgewalt
gelten, wenn die Alliierten Mächte Deutschland unter einer Militärregierung
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 345

verwalten würden. Außenminister Acheson wies in seiner Erklärung vor dem Rat der
Außenminister am 24. Mai 1949 auf diese Tatsache hin. Einige Tage später, am 28.
Mai, teilte Herr Bevin dem Rat mit, daß die Westmächte die „anfängliche
Kontrollperiode“ als beendet betrachten. Außenminister Acheson erklärte, er stimme
mit dieser Erklärung von Herrn Bevin voll und ganz überein. Herr Vyshinsky
begegnete dem Argument nicht direkt und widersprach auch nicht dem angedeuteten
Gedankengang. Er sagte am 27. Mai :
* * * der [Kontroll-]Rat wurde für bestimmte Zwecke eingesetzt. Wenn diese
Zwecke bereits erreicht wurden, dann sollte dieser Tatsache Rechnung getragen
und neue Ziele formuliert werden.
Dementsprechend bestreiten die Vereinigten Staaten nicht, daß das
Kontrollabkommen und Teil II des Potsdamer Abkommens auf einen „anfänglichen
Kontrollzeitraum“ beschränkt waren. Aus den Unterlagen geht jedoch eindeutig
hervor, daß die Beschränkungen in diesen Dokumenten nicht darauf hinweisen, daß
die grundlegenden Besatzungsrechte und die anderen Besatzungsvereinbarungen
nach dem anfänglichen Kontrollzeitraum enden sollten. In dem Protokoll vom 12.
September 1944, der Kapitulationsurkunde, der Erklärung vom 5. Juni 1945 über die
Niederlage Deutschlands und die Übernahme des Oberbefehls, der Erklärung vom 5.
Juni 1945 über die Besatzungszonen in Deutschland, der Erklärung vom 5. Juni 1945
über die Konsultationen mit den Regierungen der anderen Vereinten Nationen, den
Bestimmungen des Potsdamer Abkommens mit Ausnahme von Teil II oder einer der
Sonderregelungen über den Zugang zu Berlin ist kein solcher Vorbehalt enthalten.
Die Schwäche des Arguments, daß das Protokoll vom 12. September 1944 nach der
anfänglichen Kontrollperiode aufgrund einer implizierten Beziehung zu dem
Zeitvorbehalt in dem Abkommen über den Kontrollapparat vom 5. Juni 1945
unwirksam wurde, wird durch die Tatsache deutlich, daß das Abkommen über den
Kontrollapparat in dem Satz, der auf den Satz folgt, den die Sowjets auf alle anderen
Besatzungsabkommen auszudehnen versuchen, vorsieht, daß „Regelungen für die
nachfolgende Periode Gegenstand eines separaten Abkommens sein werden“.
Dementsprechend ist das sowjetische Bestreben, zu diesem späten Zeitpunkt zu
behaupten, daß alle Vereinbarungen, die sich auf die Besetzung Deutschlands
beziehen, nur „während der ersten Jahre nach der Kapitulation Deutschlands“
wirksam sein sollten, ohne Substanz.
Verlust der Besatzungsrechte der Westmächte durch ihre Aktivitäten in West-Berlin
Die Vereinigten Staaten halten es nicht für notwendig, die sowjetischen
Anschuldigungen zu widerlegen, die in der Mitteilung vom 27. November 1958 in
Bezug auf die Aktivitäten der Vereinigten Staaten als Besatzungsbehörde in Berlin
erhoben werden. Sie können und werden dies tun, wenn ein solches Vorgehen
wünschenswert erscheinen sollte. Die bekannte Tatsache, daß ein ständiger Strom von
Flüchtlingen aus den sowjetisch kontrollierten Gebieten Deutschlands nach West-
Berlin fließt, ist an sich schon ein zwingender Beweis dafür, welche Mächte ihre
Besatzungsverantwortung ordnungsgemäß wahrnehmen. Eine Erörterung des
Sachverhalts ist jedoch nicht erforderlich, da sich die sowjetischen Anschuldigungen
in keiner Weise auf Verpflichtungen beziehen, die die Vereinigten Staaten in einem
der von der Sowjetunion gekündigten Abkommen eingegangen sind.
Der sowjetische Standpunkt, daß eine Partei eines multilateralen Abkommens, das
vorhandene Rechte feststellt, dieses Abkommen aufkündigen und sich damit einseitig
von ihren Verpflichtungen aus diesem Abkommen entbinden und diese Rechte außer
Kraft setzen kann, ist nicht vertretbar. In Ermangelung einer Zustimmung der
anderen Parteien zur Beendigung des Abkommens oder in Ermangelung einer
bestimmten Geltungsdauer des Abkommens selbst muß die Frage der Beendigung
346 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

völkerrechtlich begründet werden. Das Völkerrecht kennt kein einseitiges


Kündigungsrecht unter solchen Umständen.
Um ihren Standpunkt in dieser Angelegenheit in die richtige Perspektive zu rücken,
möchten die Vereinigten Staaten mitteilen, daß es zwar, wie oben dargelegt, keine
Vereinbarung oder Begrenzung des Zeitraums der alliierten Besetzung Deutschlands
gab, deren Dauer anerkanntermaßen von der für die Erfüllung der Besatzungszwecke
erforderlichen Zeit abhängt und viele Jahre betragen könnte, die Vereinigten Staaten
jedoch die völkerrechtliche Verpflichtung der alliierten Regierungen anerkannt haben,
eine Friedensregelung mit Deutschland zu treffen und die Besetzung Deutschlands
nicht unnötig zu verlängern. Die öffentliche Aufzeichnung der Bemühungen der
Westmächte, mit der Sowjetregierung eine Einigung über die Bedingungen einer
solchen Friedensregelung zu erzielen, ist wohl bekannt und spricht für sich selbst.
( 1 ) Auf der ersten Sitzung der zweiten Tagung des Rates der Außenminister
(Paris, 1946) schlug Außenminister Byrnes vor, eine Sonderkommission zur
Prüfung eines deutschen Friedensvertrags einzusetzen. Am 15. Mai 1946 schlug
er die Ernennung von Sonderbeauftragten vor, die einen Entwurf für ein
Friedensabkommen für Deutschland ausarbeiten sollten, den der Rat einer für
den 12. November 1946 einberufenen Friedenskonferenz vorlegen könnte.
( 2 ) Auf der dritten Tagung des Rates der Außenminister (New York, 1946)
bestand Minister Byrnes darauf, daß der Rat unverzüglich seine Stellvertreter
für Deutschland ernennen sollte und daß diese Stellvertreter das Problem vor
der Tagung in Moskau untersuchen sollten.
( 3 ) Der vorgeschlagene Friedensvertrag wurde auf dem Moskauer Rat der
Außenminister im März 1947, in London 1947 und in Paris 1949 erörtert. Der
Standpunkt, den die Vereinigten Staaten stets zugunsten einer endgültigen
Friedensvereinbarung mit Deutschland eingenommen haben, ist somit eine
öffentliche Angelegenheit.
( 4 ) Auf der Pariser Tagung der Stellvertreter des Rates der Außenminister
wurden vom 5. März bis zum 22. Juni 1951 erfolglos Bemühungen
unternommen, sich lediglich auf die Tagesordnung für eine Sitzung zur
Behandlung der deutschen Frage zu einigen.
Tatsache ist, daß die Sowjetunion in der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen
der Sowjetunion und den westlichen Besatzungsmächten zwischen 1946 und 1951 in
ihrer Kontrollzone ein Regierungssystem eingeführt hatte, das auf Waffengewalt und
polizeistaatlichen Methoden beruhte. Die Westmächte konnten die als Vertreter
Ostdeutschlands vorgeschlagenen Personen nicht als Instrumente der Sowjetunion
akzeptieren. Die Westmächte haben folglich auf einer deutschen Wiedervereinigung
auf der Grundlage freier Wahlen als Voraussetzung für die Aushandlung eines
Friedensvertrags mit Deutschland bestanden. Die Sowjetunion hat darauf bestanden,
daß die von ihr handverlesenen ostdeutschen Vertreter bei einer Wiedervereinigung
die gleiche Stimme haben wie die frei gewählten Vertreter Westdeutschlands. Diese
sowjetische Ablehnung demokratischer Grundsätze hat somit die Bemühungen um
eine Einigung über die während des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit
angestrebte Friedensregelung mit Deutschland zunichte gemacht.
Es bleibt Tatsache, daß die Westmächte das Recht Deutschlands auf eine endgültige
Friedensregelung und die Beendigung der Besatzungszeit unterstützt haben und auch
jetzt unterstützen. Die Vereinigten Staaten vertreten den Standpunkt, daß, da sie in
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 347

gutem Glauben bereit sind, die Besatzungszeit mit rechtmäßigen Mitteln zu beenden,
kein rechtlicher oder moralischer Zweifel an dem Recht der Vereinigten Staaten
bestehen kann, ihr Besatzungsrecht in Berlin und das daraus folgende Recht auf
Zugang zu Berlin aufrechtzuerhalten und daß die Bemühungen der Sowjetunion, diese
Rechte anzugreifen und zu beeinträchtigen, gegen das Völkerrecht verstoßen.
______________

Note der Vereinigten Staaten an die Sowjetunion, zu Berlin, 31. Dezember


1958 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt die an sie gerichtete Note der
Regierung der UdSSR mit Datum vom 27. November zur Kenntnis.
Die Note enthält eine ausführliche Darstellung der Ereignisse, die dem letzten Krieg
vorausgingen und folgten. Sie versucht, die Westmächte––Frankreich, das Vereinigte
Königreich und die Vereinigten Staaten––als Unterstützer des Hitlerismus gegenüber
der Sowjetunion darzustellen. Diese Darstellung steht in krassem Gegensatz zu den
tatsächlichen Gegebenheiten. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die
zeitgleiche Erklärung des sowjetischen Außenministers vor dem Obersten Sowjet der
UdSSR vom 31. Oktober 1939. In dieser Erklärung bezieht er sich unter anderem auf
den „Abschluss des sowjetisch-deutschen Nichtangriffspaktes vom 23. August“ und
weist darauf hin, daß „wir jetzt eine Annäherung und die Herstellung
freundschaftlicher Beziehungen zwischen der UdSSR und Deutschland hatten“. In der
Erklärung werden die britische und die französische Regierung wegen ihres
Widerstands gegen den Hitlerismus mit folgenden Worten angegriffen : „Die
herrschenden Kreise Großbritanniens und Frankreichs haben in letzter Zeit versucht,
sich als Verfechter der demokratischen Rechte der Nationen gegen den Hitlerismus
darzustellen, und die britische Regierung hat verkündet, daß ihr Ziel im Krieg mit
Deutschland nicht mehr und nicht weniger ist als die „Zerstörung des Hitlerismus“
* * * jeder wird verstehen, daß eine Ideologie nicht mit Gewalt zerstört werden kann,
daß sie nicht durch Krieg beseitigt werden kann. Es ist daher nicht nur sinnlos,
sondern kriminell, einen solchen Krieg zu führen––einen Krieg zur „Zerstörung des
Hitlerismus“, getarnt als Kampf für die „Demokratie“.“
Die Situation Berlins, die die Sowjetregierung beklagt und die sie für abnormal hält,
ist eine Folge des Charakters des deutschen Problems, wie es seit 1945 besteht. Als
das Hitlerreich zusammenbrach, befanden sich die westlichen Alliierten in
militärischem Besitz von mehr als einem Drittel des Gebietes, das später von den
sowjetischen Behörden besetzt wurde.
Die Sowjetunion war im Besitz von Berlin. Auf der Grundlage der Abkommen vom
12. September 1944 und vom 1. Mai 1945 zogen sich die Westalliierten zurück und
ermöglichten der Sowjetunion die Besetzung großer Teile Mecklenburgs, Sachsens,
Thüringens und Anhalts, und gleichzeitig besetzten die drei Westmächte die
Westsektoren Berlins, die damals in Trümmern lagen.
Die Sowjetunion hat direkt und durch ihr Marionettenregime––die so genannte
Deutsche Demokratische Republik––ihre Herrschaft über die großen Gebiete gefestigt,
die ihr von den westlichen Alliierten überlassen worden waren. Sie verlangt nun, daß

1 Ebenda, S. 32–36.
348 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

die Westalliierten die Positionen in Berlin aufgeben, die faktisch die Gegenleistung
waren.
Die drei Westmächte sind dort als Besatzungsmächte, und sie sind nicht bereit, die
Rechte, die sie durch den Sieg erworben haben, aufzugeben, so wie sie davon ausgehen,
daß die Sowjetunion nicht bereit ist, die Position, die sie in Mecklenburg, Sachsen,
Thüringen und Anhalt errungen hatten und die sie nach den Abkommen von 1944 und
1945 der Sowjetunion zur Besetzung überlassen haben, jetzt wieder in die Hände der
Westmächte zu geben.
Die von den vier Mächten getroffenen Vereinbarungen können deshalb nicht als
überholt betrachtet werden, weil die Sowjetunion bereits den vollen Vorteil daraus
gezogen hat und nun den anderen Parteien ihre ausgleichenden Vorteile vorenthalten
will. Diese Vereinbarungen sind für alle Unterzeichner verbindlich, solange sie nicht
durch andere, in freien Verhandlungen getroffene Vereinbarungen ersetzt werden.
Was das Potsdamer Abkommen anbelangt, so hängt der Status von Berlin nicht von
diesem Abkommen ab. Außerdem ist es die Sowjetunion, die die Verantwortung dafür
trägt, daß das Potsdamer Abkommen nicht umgesetzt werden konnte.
In dem sowjetischen Memorandum wird förmlich behauptet, daß die
Vereinbarungen vom 12. September 1944 und 1. Mai 1945 abgelehnt werden. In
Wirklichkeit bezieht sich diese Ablehnung auf andere und jüngere Vereinbarungen.
Wir beziehen uns in diesem Zusammenhang auf das Viermächteabkommen vom 20.
Juni 1949, in dem die Sowjetunion unter anderem die „Verpflichtung“ übernahm, das
normale Funktionieren des Verkehrs und der Kommunikation zwischen Berlin und
den westlichen Zonen Deutschlands zu gewährleisten. Von dieser „Verpflichtung“ will
sich die Sowjetunion nun angeblich befreien. Die Vereinigten Staaten verweisen auch
auf das „Gipfelabkommen“ vom 23. Juli 1955, in dem die vier Mächte „ihre gemeinsame
Verantwortung für die Regelung der deutschen Frage“ anerkannten, eine
Formulierung, die notwendigerweise das Problem Berlins einschließt. Offenbar
versucht die Sowjetunion nun, sich von diesen vereinbarten Verantwortlichkeiten und
Verpflichtungen zu befreien.
Die Regierung der Vereinigten Staaten kann die Sowjetregierung nicht daran
hindern, die Beendigung ihrer eigenen Autorität im Rahmen des Viermächte-Regimes
in dem von ihr besetzten Sektor der Stadt Berlin bekannt zu geben. Andererseits wird
und kann die Regierung der Vereinigten Staaten in keiner Weise eine einseitige
Aufkündigung der Abkommen von 1944 und 1945 akzeptieren; sie ist auch nicht bereit,
die Sowjetunion von den im Juni 1949 eingegangenen Verpflichtungen zu entbinden.
Ein solches Vorgehen der Sowjetregierung entbehrt jeder rechtlichen Grundlage, da
die Abkommen nur im gegenseitigen Einvernehmen gekündigt werden können. Die
Regierung der Vereinigten Staaten wird die Sowjetregierung weiterhin direkt für die
Erfüllung ihrer im Rahmen der bestehenden Abkommen eingegangenen
Verpflichtungen in Bezug auf Berlin verantwortlich machen. Wie der Sowjetregierung
bekannt ist, haben die französische, die britische und die amerikanische Regierung das
Recht, in ihren Sektoren Berlins Garnisonen zu unterhalten und freien Zugang dazu
zu haben. Bestimmte Verwaltungsverfahren wurden mit den sowjetischen Behörden
entsprechend vereinbart und sind gegenwärtig in Kraft. Die Regierung der Vereinigten
Staaten wird eine einseitige Ablehnung ihrer Verpflichtungen in Bezug auf diesen
freien Zugang durch die Sowjetregierung nicht akzeptieren. Sie wird auch keinen
Ersatz des Regimes, das die Sowjetregierung als Deutsche Demokratische Republik
bezeichnet, durch die Sowjetregierung in dieser Hinsicht akzeptieren.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 349

Nach Ansicht der Regierung der Vereinigten Staaten kann die Sowjetregierung oder
das Regime, das die Sowjetregierung als Deutsche Demokratische Republik
bezeichnet, durch die Anwesenheit der französischen, britischen und US-
amerikanischen Garnisonen in Berlin nicht „bedroht“ werden. Es kann auch keine
militärische Bedrohung für die Sowjetregierung und dieses Regime von Berlin aus
geben. Die Streitkräfte der drei Westmächte in Berlin umfassen etwa zehntausend
Mann. Die Sowjetregierung hingegen unterhält angeblich etwa
dreihundertfünfzigtausend Mann in Ostdeutschland, während das Regime, das die
Sowjetregierung als Deutsche Demokratische Republik bezeichnet, ebenfalls mehr als
zweihunderttausend Mann unter Waffen hält. Unter diesen Umständen scheint die
Befürchtung, daß die westlichen Truppen in Berlin „Schaden anrichten“ könnten,
völlig unbegründet zu sein. Wenn Berlin zu einem Brennpunkt internationaler
Spannungen geworden ist, dann deshalb, weil die Sowjetregierung bewußt damit
gedroht hat, die derzeit dort geltenden Regelungen zu stören, Regelungen, an denen
die Sowjetregierung selbst beteiligt ist. Die Einwohner von West-Berlin haben vor
kurzem in einer freien Abstimmung ihre überwältigende Zustimmung und
Unterstützung für den bestehenden Status dieser Stadt bekräftigt.
Der fortgesetzte Schutz der Freiheit von mehr als zwei Millionen Menschen in West-
Berlin ist ein Recht und eine Verantwortung, die von den drei Westmächten feierlich
übernommen wurde. Daher können die Vereinigten Staaten keinen Vorschlag in
Betracht ziehen, der die Freiheit und Sicherheit dieser Menschen gefährden würde.
Das Recht der drei Mächte, in Berlin zu verbleiben und ungehinderte
Verkehrsverbindungen zu Lande und in der Luft zwischen dieser Stadt und der
Bundesrepublik Deutschland zu unterhalten, ist unter den bestehenden Bedingungen
eine wesentliche Voraussetzung für die Wahrnehmung dieses Rechts und dieser
Verantwortung. Daher ist der Vorschlag der Sowjetunion für eine sogenannte „freie
Stadt“ für West-Berlin unannehmbar.
Wie in der Note der Sowjetregierung vom 27. November festgestellt wird, ist es
gewiss nicht normal, daß dreizehn Jahre nach Kriegsende in einem Teil deutschen
Territoriums noch immer ein 1945 eingeführtes Besatzungssystem besteht. Die
Vereinigten Staaten bedauern diese Tatsache und die Tatsache, daß Deutschland noch
nicht wiedervereinigt ist, damit Berlin seine rechtmäßige Stellung als Hauptstadt
eines vereinigten Deutschlands wieder einnehmen kann. Wenn der Friedensvertrag,
der allein ein Ende dieser Situation herbeiführen kann, nicht mit einem
wiedervereinigten Deutschland geschlossen worden ist, so liegt die Verantwortung
dafür keineswegs bei den drei Westmächten, die keine Mühe gescheut haben, um die
Vier Mächte aus der Sackgasse herauszuführen, in der sie sich so lange befunden
haben. Bis zum Abschluss eines Friedensvertrages bleibt die gegenwärtige Situation
bestehen.
In Wirklichkeit ist die Regierungsform in Berlin, deren Gültigkeit die
Sowjetregierung heute anzufechten versucht, nur ein Aspekt, und nicht der
wesentliche, des deutschen Problems in seiner Gesamtheit. Dieses Problem, das schon
oft definiert worden ist, umfasst die bekannten Fragen der Wiedervereinigung, der
europäischen Sicherheit sowie eines Friedensvertrages. Es ist in der Vergangenheit
bei zahlreichen internationalen Treffen mit den Sowjets ergebnislos diskutiert worden.
Die Regierung der Vereinigten Staaten war immer und ist auch heute noch bereit,
darüber zu sprechen. Die Vereinigten Staaten haben diese Bereitschaft in ihrer Note
an die Sowjetunion vom 30. September 1958 deutlich gemacht, in der es heißt :
„Die Regierung der Vereinigten Staaten ist jederzeit bereit, mit der Sowjetregierung
auf der Grundlage dieser Vorschläge [d.h. der westlichen Vorschläge für freie
350 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

gesamtdeutsche Wahlen und freie Entscheidungen für eine gesamtdeutsche


Regierung] oder anderer Vorschläge, die wirklich darauf abzielen, die
Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu gewährleisten, in jedem geeigneten
Forum Gespräche aufzunehmen. Sie hält die Lösung des deutschen Problems für
wesentlich, wenn eine dauerhafte Regelung in Europa erreicht werden soll“. Die
Sowjetunion hat es bisher nicht für nötig gehalten, auf diese Note zu antworten.
Die öffentliche Ablehnung feierlicher Verpflichtungen, die förmlich eingegangen und
wiederholt bekräftigt wurden, verbunden mit einem Ultimatum, in dem mit
einseitigen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ablehnung gedroht wird, wenn nicht
innerhalb von sechs Monaten eingewilligt wird, würde keine vernünftige Grundlage
für Verhandlungen zwischen souveränen Staaten bieten. Die Regierung der
Vereinigten Staaten könnte mit der Sowjetunion keine Gespräche über diese Fragen
unter Androhung eines Ultimatums aufnehmen; wäre dies beabsichtigt, so wären die
Vereinigten Staaten gezwungen, sofort auf das Schärfste zu protestieren. Daher wird
davon ausgegangen, daß dies nicht der Zweck der sowjetischen Note vom 27. November
ist und daß die Sowjetregierung, wie sie selbst, bereit ist, in einer Atmosphäre ohne
Zwang oder Drohungen in die Gespräche einzutreten.
Auf dieser Grundlage wäre die Regierung der Vereinigten Staaten daran
interessiert zu erfahren, ob die Sowjetregierung bereit ist, in Gespräche zwischen den
vier betroffenen Mächten einzutreten. In diesem Fall wäre es das Ziel der Regierung
der Vereinigten Staaten, die Berlin-Frage im weiteren Rahmen der Verhandlungen
über die Lösung des deutschen Problems und der europäischen Sicherheit zu erörtern.
Die Regierung der Vereinigten Staaten würde die Ansichten der Sowjetregierung zu
einem baldigen Zeitpunkt begrüßen.
____________

Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten, Übermittlung eines


Entwurfs eines Friedensvertrags für Deutschland, 10. Januar 1959 1
[Inoffizielle Übersetzung]

Die Sowjetregierung hält es für notwendig, die Aufmerksamkeit der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika auf die völlig anormale Situation zu lenken, die
infolge der verzögerten Lösung eines der wichtigsten internationalen
Nachkriegsprobleme entstanden ist––des Abschlusses eines Friedensvertrags mit
Deutschland.
Während mit anderen Staaten, die an der Seite Deutschlands am Zweiten Weltkrieg
teilgenommen haben, bereits seit langem Friedensverträge abgeschlossen und deren
Entwicklung auf nationalstaatlicher Eigenständigkeit festgelegt ist, hat das deutsche
Volk noch immer keinen Friedensvertrag, der es der Möglichkeit beraubt, ihre
staatliche Souveränität in vollem Umfang zu verwirklichen und ein gleichberechtigtes
Mitglied in der Völkerfamilie zu werden. Darüber hinaus halten sich nach wie vor
ausländische Truppen auf deutschem Hoheitsgebiet auf und werden in einigen ihrer
Einheiten, zum Beispiel in West-Berlin wird sogar ein Besatzungsregime beibehalten.
Die Verzögerung einer Friedensregelung mit Deutschland von Jahr zu Jahr lässt
viele Fragen ungeklärt, die nicht nur die Interessen Deutschlands, sondern auch der
Länder betreffen, die am Krieg gegen Deutschland teilgenommen haben. Das Fehlen
eines Friedensvertrages mit Deutschland verschlechtert die Situation in Europa

1 Bulletin des Außenministeriums. 9. März 1959, S. 333–343. Die Vereinigten Staaten antworteten am 16.
Februar 1959 (siehe unten).
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 351

ernsthaft, weckt Argwohn und Misstrauen in den zwischenstaatlichen Beziehungen


und verhindert die Normalisierung dieser Beziehungen.
Es ist nicht zu übersehen, daß der deutsche Militarismus in Westdeutschland unter
Ausnutzung des Fehlens eines Friedensvertrags wieder auf die Beine kommt und seine
Kräfte sammelt. Dies muss das Sowjetvolk sowie andere europäische Völker
beunruhigen, denen das militaristische Deutschland mehr als einmal schreckliche
Katastrophen und Leiden gebracht hat. Ein den Interessen der friedlichen
Entwicklung Deutschlands entsprechender Friedensvertrag würde die notwendigen
Voraussetzungen schaffen, um die Wiederholung der tragischen Ereignisse der
Vergangenheit, als deutsche Militaristen die Menschheit in verheerende Kriege mit
kolossalen menschlichen und materiellen Verlusten zogen, für immer zu beenden.
Getreu ihren Verpflichtungen gegenüber Deutschland und unter Berücksichtigung
der berechtigten Interessen des deutschen Volkes und anderer europäischer Völker hat
die Sowjetregierung in den Nachkriegsjahren wiederholt Vorschläge an die
Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens gerichtet und
Frankreich, einen Friedensvertrag mit Deutschland auszuarbeiten und abzuschließen.
Leider sind die Vorschläge der UdSSR über eine friedliche Regelung mit Deutschland
nicht auf eine positive Haltung der Westmächte gestoßen, die nicht nur keinerlei
eigene Vorschläge gemacht haben, sondern auch nicht ernsthaft darüber diskutieren
wollten Problem, das seit langem ein drängendes ist. Außerdem wird von ihnen seit
vielen Jahren ein und dieselbe These vertreten, daß sogenannte freie gesamtdeutsche
Wahlen angeblich Vorrang haben sollten und daß sich nicht die Deutschen mit der
Frage der Wiedervereinigung Deutschlands beschäftigen sollten, sondern die vier
ehemaligen Besatzungsmächte. Diese These ist auch als Hauptinhalt der Noten der
Westmächte vom 30. September 1958 erschienen, auf die in den Noten der
Sowjetregierung zur Berlin-Frage vom 27. November 1958 eine erschöpfende Antwort
gegeben wurde.
Wenn man sich nicht Illusionen hingibt und der Wahrheit ins Auge sieht, muß man
erkennen, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands im Zuge der
Annäherung zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen
Demokratischen Republik mehrere Etappen durchlaufen sollte Bundesrepublik
Deutschland. Der Beginn dieses Prozesses kann heute nur noch gewünscht werden,
dessen Erfolg jedoch von den Bemühungen beider deutscher Staaten abhängt. Die
Vorbereitung eines Friedensvertrages mit Deutschland abzulehnen heißt, die Dinge so
weit zu bringen, daß das deutsche Volk weder einen Friedensvertrag noch einen
einheitlichen Nationalstaat haben würde. Dies würde die Aufrechterhaltung der
bestehenden unannehmbaren Situation bedeuten, die die Möglichkeit schaffen würde,
daß die Bundesrepublik Deutschland sich bemühen wird, der Deutschen
Demokratischen Republik ein internes System nach ihrem Vorbild aufzuerlegen. Aber
in diesem Fall würde die Deutsche Demokratische Republik ihrerseits zu Recht die
Frage nach einem System- und Regimewechsel in der Bundesrepublik Deutschland
aufwerfen. Es ist verständlich, daß dies nicht nur die Verwirklichung der nationalen
Einheit Deutschlands nicht erleichtern, sondern im Gegenteil auch die ohnehin schon
tiefe Kluft zwischen den beiden deutschen Staaten vergrößern würde.
Andererseits ist der Abschluß eines Friedensvertrages unter den gegenwärtigen
Verhältnissen gerade die Maßnahme, die das deutsche Volk am schnellsten zu einer
Lösung seiner gesamtstaatlichen Hauptaufgabe, der Wiedervereinigung des Landes,
352 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

führen kann. Die friedensvertragliche Festlegung des militärischen Status


Deutschlands sowie der äußeren Bedingungen, deren Einhaltung seine innere
Entwicklung vor jeder ausländischen Einmischung sichert, würde dem deutschen Volk
klare Perspektiven für das künftige Deutschland eröffnen und würde es den
Deutschen, die in den beiden Staaten mit unterschiedlichen sozioökonomischen
Strukturen leben, erheblich erleichtern, nach Wegen zu suchen, um Kontakte zu
vertiefen und Vertrauen zwischen ihnen aufzubauen. Ein Friedensvertrag würde eine
gute Grundlage für die Annäherung beider deutscher Staaten schaffen und für die
Überwindung jener tiefgreifenden Differenzen, die einer Vereinigung zu einer Einheit
jetzt noch im Wege stehen.
Der Fairness halber sei darauf hingewiesen, daß die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland eine erhebliche Mitverantwortung für die in Deutschland geschaffene
Situation trägt, auch dafür, daß Deutschland bis heute ohne Friedensvertrag bleibt,
insofern es hat den Kurs der Remilitarisierung eingeschlagen und seine Politik eng an
die Pläne des NATO-Militärblocks gekoppelt, die den nationalen Interessen
Deutschlands (Plänen) grundsätzlich widersprechen. Wenn neue Beweise dafür
benötigt werden, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland einen solchen
Kurs führt, dann ist die Note der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 5.
Januar 1959, die eine Antwort auf die Note der Sowjetregierung vom 27. November
1958 zur Berlin-Frage ist, dieser Beweis. Diese Note zeigt, daß die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland, anstatt im Interesse des Friedens in Europa und im
Interesse der deutschen Nation selbst an der Lösung der Berlin-Frage mitzuwirken, in
jeder Weise bestrebt ist, Leidenschaften zu entfachen und die Situation um die Berlin-
Frage aufheizen mit dem Ziel, die Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in West-
Berlin zu erreichen.
Es ist nicht zu rechtfertigen, daß Staaten, die am Krieg mit Hitlerdeutschland
teilgenommen haben, in einer so ernsten Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet,
wie der Vorbereitung und dem Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland,
abwarten und passive Beobachter bleiben müssen. Diese Staaten, die während des
Krieges eine enge Zusammenarbeit miteinander vereinbaren konnten, haben auch
jetzt noch Gelegenheit, ungeachtet bestehender Differenzen eine gemeinsame Sprache
zu finden, um die Angelegenheit einer friedlichen Regelung mit Deutschland zum
Abschluss zu bringen und endlich den europäischen Völkern, einschließlich auch dem
deutschen Volk, ein ruhiges und friedliches Leben zu sichern. Die Notwendigkeit einer
Lösung dieser Aufgabe ist umso dringender, als sich in beiden deutschen Staaten––der
Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland––eine
Bewegung zur möglichst raschen Vorbereitung und zum Abschluß eines
Friedensvertrages ausbreitet.
Ausgehend von den vorstehenden Bemerkungen und in dem Wunsch, die Frage
einer friedlichen Regelung mit Deutschland auf eine praktische Grundlage zu stellen,
hat die Sowjetregierung den Entwurf eines Friedensvertrags ausgearbeitet und
überweist ihn hiermit zur Prüfung an die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika.
Bestrebungen zur Teilung der Welt in Eroberer und Besiegte sind dem Sowjetstaat
ebenso fremd wie Rachegefühle gegenüber seinen ehemaligen militärischen Gegnern.
Dem sowjetischen Entwurf des Friedensvertrages wird die Idee der friedlichen
demokratischen Entwicklung Deutschlands zugrunde gelegt. Der Entwurf sieht die
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 353

Wiederherstellung der vollen Souveränität des deutschen Volkes über Deutschland,


sein Hoheitsgebiet und seinen Luftraum vor. Deutschland werden keine
Beschränkungen in der Entwicklung seiner friedlichen Wirtschaft, seines Handels,
seiner und Schifffahrt und seines Zugangs zu den Weltmärkten auferlegt. Deutschland
wird das Recht zuerkannt, über seine zur Landesverteidigung notwendigen nationalen
Streitkräfte zu verfügen. Alle diese Bestimmungen des Entwurfs eröffnen dem
deutschen Volke weitreichende Möglichkeiten friedlicher schöpferischer Arbeit und
sichern ihm eine gleichberechtigte Stellung unter den anderen Völkern der Welt.
Selbstverständlich sieht der Vertragsentwurf gewisse militärische Beschränkungen
vor, die nach Überzeugung der Sowjetregierung sowohl den nationalen Interessen des
deutschen Volkes, das zweimal durch die Abgründe von Weltkriegen gegangen ist, als
auch den allgemeinen entsprechen Interessen des Friedens. Bei den Deutschland
auferlegten militärischen Verpflichtungen handelt es sich vor allem um das Verbot der
Herstellung von Atom- und Raketenwaffen und der Versorgung der deutschen
Streitkräfte damit, was zur Stärkung der Sicherheit in Europa und zur Beseitigung
einer der Waffen beitragen würde derzeit die Hauptbarrieren zwischen den beiden
deutschen Staaten.
Die Bestimmung des Friedensvertrages, die die Möglichkeit der Aufnahme
Deutschlands in jede Art von militärischen Gruppierungen ausschließt, die sich gegen
einen Staat richten, der sich im Kriegszustand gegen Hitlerdeutschland befand und
an dem nicht alle vier Hauptmächte der Alliierten teilnehmen auch die atlantische
Koalition––die UdSSR, die Vereinigten Staaten von Amerika, England und
Frankreich––hat eine wichtige Bedeutung für die Sicherung des Friedens in Europa.
Die Aufnahme dieser Bestimmung in den Vertrag würde die Menschheit in
erheblichem Maße von der Bedrohung durch einen neuen Krieg befreien, da niemand
bestreiten wird, daß diese Bedrohung viel stärker ist, nur weil ein Militärbündnis einer
oder mehrerer Großmächte mit Deutschland besteht gegen die andere Großmacht
gerichtet.
Unter Berücksichtigung des Gesagten schlägt die Sowjetregierung vor, innerhalb
von zwei Monaten in Warschau oder Prag eine Friedenskonferenz einzuberufen, um
den Entwurf des Friedensvertrages mit Deutschland, der vorgelegt wird, zu prüfen
und zu erarbeiten Ausarbeitung und Unterzeichnung eines vereinbarten
Vertragstextes. An der Konferenz würden einerseits die Regierungen der Staaten
teilnehmen, die mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen
haben, und andererseits die Regierungen der Deutschen Demokratischen Republik
und der Bundesrepublik Deutschland, die den Friedensvertrag im Namen
Deutschlands unterzeichnen würde. Ist bis zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des
Friedensvertrages ein Deutscher Bund entstanden, so könnte in diesem Fall der
Friedensvertrag von Vertretern des Deutschen Bundes und auch beider deutscher
Staaten unterzeichnet werden.
Selbstverständlich erkennt die Sowjetregierung das Recht der Regierungen der
Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland an, sich
über eine geeignete Vertretung Deutschlands bei der Vorbereitung und
Unterzeichnung des Friedensvertrages zu verständigen.
Bei der Vorlage des Entwurfs des Friedensvertrages mit Deutschland geht die
Sowjetregierung von dem Takt aus, daß die Positionen der interessierten Parteien in
der deutschen Frage bereits vollständig festgelegt worden sind und daß es nunmehr
erforderlich ist, unter Verzicht auf unnötige Polemik, zu dem überzugehen
354 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Ausarbeitung von Entscheidungen praktischer Natur, die sich aus der in Deutschland
entstandenen Lage und den Interessen der Festigung des Friedens in Europa ergeben.
Die Sowjetregierung ist davon überzeugt, daß nur derjenige, der dem deutschen
Volk nichts Gutes wünscht, der Deutschland auch in Zukunft auseinander brechen
sehen will, der Europa nicht in einen Kontinent verwandeln will, auf dem fester
Frieden und Sicherheit herrschen würden, und dies nicht tun will wer will, daß es
(Europa) wie bisher als Nährboden für gefährliche Spannungen und für einen „Kalten
Krieg“ belassen wird, der mit einer ernsthaften Bedrohung der Sache des Friedens
behaftet ist, kann keine positive Haltung gegenüber dem Vorschlag bezüglich der
Abschluss eines Friedensvertrages.
Die Sowjetregierung ist der Auffassung, daß neben dem Abschluß eines
Friedensvertrages auch jetzt schon praktische Maßnahmen in bezug auf Berlin
getroffen werden können, wie die Sowjetregierung bereits vorgeschlagen hat,
insbesondere in ihrer Note an die Regierung der Vereinigten Staaten vom 27.
November 1958. Soweit die US-Regierung in ihrer Note vom 31. Dezember 1958 ihre
Erwägungen im Zusammenhang mit den angegebenen Vorschlägen dargelegt hat,
muss die Sowjetregierung in Antwort auf diese Note folgendes erklären.
Die Zeit ist längst vorbei, als die alliierten Regierungen von Deutschland die
Erfüllung der Bedingungen der bedingungslosen Kapitulation forderten, als die
Obermacht in Deutschland von den Oberbefehlshabern der Besatzungstruppen der
vier Mächte ausgeübt wurde (und) als dort funktionierte der Kontrollrat und die von
ihm geleitete „Interalliierte Kommandantur“ zur gemeinsamen Verwaltung von „Groß-
Berlin“. Man könnte jedoch meinen, daß die US-Note in Übereinstimmung mit der
Situation in den ersten Jahren der Besatzung geschrieben wurde, ohne überhaupt die
großen Veränderungen zu berücksichtigen, die in Deutschland in den
Nachkriegsjahren stattgefunden haben. Die ganze Note ist vom damaligen Zeitgeist
durchdrungen (und) mit dem Ziel, ihr „Besatzungsrecht“ zu rechtfertigen und zu
behaupten, obwohl die US-Regierung auch die Tatsache als anormal anerkennt, daß
13 Jahre nach Kriegsende in Berlin immer noch ein System der Besatzung existiert
wie in 1945.
Das Argument, die Präsenz amerikanischer Truppen in Berlin sei irgendwie
dadurch gerechtfertigt, daß sie infolge des Zweiten Weltkriegs dort einmarschierten,
kann niemanden glauben machen. Wenn man die überholten Anhäufungen der
Besatzungszeit beiseite schiebt und die bestehende Situation nüchtern bewertet, dann
wird deutlich, daß das Ziel der Vereinigten Staaten von Amerika, England und
Frankreich, ihre Stellungen in West-Berlin zu halten, nichts in sich hat gemeinsam
mit den Folgen des letzten Krieges und mit jenen Nachkriegsverträgen, durch die die
Entwicklung Deutschlands zu einem friedliebenden und demokratischen Staat
bestimmt wurde. Sie basiert auf der neuen Situation, die durch die grobe Verletzung
der Westmächte entstanden ist die besagten Vereinbarungen, den Rückzug aus den
guten Beziehungen der Alliierten und die Wendung ihrer Politik in Richtung auf die
Verschärfung der Beziehungen mit der UdSSR und die Bildung militärischer
Gruppierungen.
Nur Derjenige, der es wünscht West-Berlin als Instrument feindlicher Tätigkeit
gegen die Sowjetunion, die Deutsche Demokratische Republik und die ihnen
befreundeten Staaten zu einer noch größeren Vertiefung der bestehenden
Widersprüche und zu einer Verschärfung der internationalen Spannungen zu nutzen,
kann sich für die Erhaltung der jetzigen Situation in Berlin einsetzen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 355

Die bestehende Situation in Berlin zu bewahren bedeutet, die Gefahr einer


Entwicklung des „Kalten Krieges“ zu einem dritten Weltkrieg mit schwerwiegenden
Folgen für die Völker zu bewahren. Unter solchen Bedingungen kann niemand
erwarten, daß die Sowjetunion das Besatzungsregime unterstützt West-Berlin mit
eigenen Händen.
Die Besetzung, die verständlich und sofort notwendig war unmittelbar nach der
Zerschlagung Hitlerdeutschlands, soweit sie zu einer friedensliebenden und
demokratischen Umgestaltung des politischen Lebens in Deutschland geführt hat, hat
ihre Bedeutung jetzt vor allem als Deckmantel für die Verwandlung West-Berlins in
einen Stützpunkt der NATO, im Zentrum der Deutschen Demokratischen Republik
gelegen.
In der Note der US-Regierung werden die Alliierten zurückgerufen Berlin
betreffende Abkommen von 1944 und 1945, mit denen diese Abkommen dahingehend
ausgelegt wurden, daß sie von dem Potsdamer Abkommen unabhängig seien und den
Westmächten bisher ein Recht auf den Verbleib ihrer Truppen in West-Berlin
einräumten. Einer solchen Auslegung kann keinesfalls zugestimmt werden, da sie im
Widerspruch zu bekannten Tatsachen und zu den Verpflichtungen steht, die von den
Mächtigen gegenüber Deutschland eingegangen wurden.
Der Vierparteienstatus Berlins entstand und bestand nicht isoliert von allen
anderen Vereinbarungen der Alliierten über Deutschland, sondern war der Erfüllung
der im Potsdam festgelegten Grundaufgaben der Besetzung Deutschlands in der
frühen Nachkriegszeit vollständig untergeordnet Zustimmung. Auf dem Weg der
Wiederbewaffnung Westdeutschlands und seiner Eingliederung in die militärische
Gruppierung haben die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und
Frankreich grob gegen das Potsdamer Abkommen verstoßen und damit die
Rechtsgrundlage für die Beibehaltung des jetzigen Status von Deutschland beseitigt
Berlin sowie allgemein für die Besetzung Deutschlands.
Die Sowjetunion hat immer ihre Verpflichtungen aus internationalen
Vereinbarungen, einschließlich denen gegenüber Deutschland, eingehalten und erfüllt
sie jetzt. Außerdem kann niemand der Sowjetunion vorwerfen, daß sie ihre warnende
Stimme nicht erhoben hat, als die Westmächte ein alliiertes Abkommen nach dem
anderen zerrissen und Westdeutschland auf den Weg des Militarismus und der Rache
gedrängt haben. Würden die drei Westmächte ebenso wie die Sowjetunion das
Potsdamer Abkommen respektieren und die aus diesem Abkommen übernommenen
Verpflichtungen erfüllen, dann könnte man mit Sicherheit sagen, daß es jetzt nicht
nur keine Berlin-Frage, sondern überhaupt kein deutsches Problem mehr geben würde
denn sie wären zum Wohle des deutschen Volkes (und) im Interesse des Friedens in
Europa entschieden worden.
Die vierteiligen Abkommen zu Berlin sowie zu Deutschland insgesamt haben nur
für die Zeit der Besetzung Deutschlands befristeten Charakter. Aber die Besetzung ist
beendet. Die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien,
Frankreich und andere Staaten haben die Beendigung des Kriegszustandes mit
Deutschland angekündigt. Angesichts dessen ist die Bodenlosigkeit der in der Note der
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika enthaltenen Argumente bezüglich
irgendeiner Art von Rechten für die Fortsetzung der Besatzung vollkommen
offensichtlich.
Im Lichte der dargelegten Tatsachen ist es unschwer zu verstehen, daß es seitens
der Sowjetunion nicht um eine einseitige Kündigung des Berliner Abkommens geht,
wie es die Regierungen der drei Westmächte versuchen darstellen, sondern nur die
356 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

logische Konsequenz aus der eingetretenen Situation, das heißt einer Situation, die
durch das Ende der Besetzung Deutschlands und durch die eklatante Verletzung der
am Ende eingegangenen Verpflichtungen durch die Westmächte gekennzeichnet ist
des Krieges.
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika stellt in ihrer Note fest, daß die
Westmächte Rechte an Berlin erhalten haben, auch weil sie der Sowjetunion „erlaubt“
haben, verschiedene Gebiete Deutschlands zu besetzen, die im Laufe des Krieges von
amerikanischen und englischen Truppen eingenommen wurden. Diese Behauptung ist
nichts anderes als eine eklatante Verdrehung der Tatsachen. Gewiss weiß jeder gut,
daß die Einigung über die Besatzungsgebiete Deutschlands bereits im Verlauf des
Krieges erzielt wurde, als noch nicht absehbar war, wessen Truppen diese Gebiete als
erste erreichen würden. Gleichzeitig ist es wichtig, im Moment des Endes des Krieges
in Deutschland daran zu erinnern. Sowjetische Truppen befanden sich nicht nur in
Deutschland, sondern auch auf dem Territorium vieler Länder, insbesondere in
Österreich. Die Sowjetunion hat jedoch niemals die Frage nach irgendeiner Art von
Entschädigung für den Abzug ihrer Truppen aus diesen Gebieten gestellt, ebenso wie
sie keine Zugeständnisse für den Einmarsch der Truppen ihrer Verbündeten in von
sowjetischen Truppen besetzte Gebiete verlangte, z B. in Wien, denn solche Ansprüche
zu erheben bedeutet unwürdiges Feilschen um fremde Territorien. Man muss sich nur
wundern, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ein solches
Vorgehen gegenüber einem Land wie Deutschland zulässt. Die Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika erklärt, daß sie bereit sein könnte, die Berlin-Frage
im weiteren Rahmen von Verhandlungen zur Lösung des deutschen Problems,
einschließlich der Vereinigung Deutschlands, sowie des Problems der europäischen
Sicherheit zu erörtern.
Die Sowjetregierung hat bereits mehr als einmal darauf hingewiesen, daß es keine
Art von Treffen von Vertretern der vier Mächte zur Beratung der Frage der
Vereinigung Deutschlands geben kann, da diese Frage nicht in den
Zuständigkeitsbereich der UdSSR, der Vereinigten Staaten fällt von Amerika,
England und Frankreich. Verhandlungen der vier Mächte über die Einheit
Deutschlands waren in der Besatzungszeit, als diese Mächte in Deutschland
Verwaltungs- und Kontrollfunktionen wahrnahmen, völlig legal. In der jetzigen Zeit,
wo die Besetzung eine überstandene Etappe ist und (wenn) auf dem Gebiet
Deutschlands zwei selbständige deutsche Staaten entstanden sind, ist die Frage der
Wiedervereinigung Deutschlands zu einem innerdeutschen Problem geworden, das
nur durch entschieden werden kann Mittel einer Annäherung und Einigung zwischen
diesen Staaten.
Was das Problem der europäischen Sicherheit betrifft, so misst die Sowjetregierung
seiner Lösung enorme Bedeutung bei. Sie hat mehr als einmal Vorschläge unterbreitet,
die auf die Schaffung eines Systems von Maßnahmen zur Gewährleistung der
Sicherheit in Europa abzielen. Es genügt, an Vorschläge wie den zum Abschluss eines
Nichtangriffsabkommens zwischen den Staaten des Nordatlantikblocks und bei der
Organisation des Warschauer Vertrags, den zum Abzug ausländischer Truppen aus
dem Gebiet Europas und auch an den zu erinnern das für die Unterstützung des
Vorschlags Polens durch die Sowjetunion, in Mitteleuropa eine atomwaffenfreie Zone
zu schaffen. Die Sowjetregierung ist überzeugt, daß das Problem der europäischen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 357

Sicherheit einer besonderen Erörterung bedarf und nicht mit anderen Fragen, auch
nicht mit der Berliner, vermischt werden darf. Es ist angebracht zu sagen, daß die
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Note keine für die
interessierten Staaten akzeptablen Wege zur Gewährleistung der europäischen
Sicherheit genannt hat. Unter solchen Umständen kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß die Regierung der Vereinigten Staaten, indem sie die Lösung solcher
Fragen, wie etwa der Berliner und der europäischen Sicherheit, voneinander abhängig
macht, taub versucht, sie zu verkomplizieren die Annahme einvernehmlicher
Beschlüsse in beiden Angelegenheiten.
Die Sowjetregierung ist bestrebt, die Berlin-Frage durch Verhandlungen zwischen
den beteiligten Staaten zu lösen. Sie ist überzeugt, daß ihr Vorschlag zur Deklaration
West-Berlins zur entmilitarisierten freien Stadt eine gesunde Grundlage für eine
Einigung schafft, da sie den allgemeinen Interessen der Festigung des Friedens in
Europa entspricht. Gleichzeitig beeinträchtigt die Umsetzung des sowjetischen
Vorschlags nicht das Prestige und schadet den Sicherheitsinteressen eines Staates
nicht, ebenso wie sie niemandem einseitige Gewinne und Vorteile verschafft.
Die Sowjetregierung ist natürlich weit davon entfernt, ihren Vorschlag einer freien
Stadt für West-Berlin als Ausschluß jeglicher Ergänzungen und Änderungen zu
betrachten. Entsprechende Vorschläge der anderen Mächte zu dieser Frage würde sie
gerne prüfen, wobei sie bedenken, daß solche Vorschläge auf die Liquidierung des
Besatzungsregimes in West-Berlin und die Festigung des Friedens in Europa gerichtet
sein werden.
Die Weigerung der Westmächte, Verhandlungen mit der Sowjetunion im Interesse
der Normalisierung der Lage in Berlin zu führen, wird die Sowjetunion natürlich nicht
auf halbem Wege von ihrem Ziel abhalten, das vom Leben selbst vorangebracht wurde
und die Stabilität sichert der Lage und Ruhe im Zentrum Europas. Niemand kann die
Sowjetunion daran hindern, sich der Aufgaben gegenüber Berlin und seiner
Verbindung mit Westdeutschland zu entledigen und die damit zusammenhängenden
Fragen durch Abkommen mit der Deutschen Demokratischen Republik zu regeln.
Zusammenfassend schlägt die Sowjetregierung vor, neben dem Vorschlag über die
Einberufung einer Friedenskonferenz auch die Berlin-Frage mit interessierten
Staaten zu erörtern. Wenn es jedoch die Westmächte für zweckmäßig halten, vor der
Einberufung einer Friedenskonferenz zunächst einen Meinungsaustausch mit der
Sowjetunion über den Inhalt eines Friedensvertrages zu führen, so wird die
Sowjetregierung damit einverstanden sein. Dabei kommt es darauf an, eine
angemessene Beteiligung der Deutschen Demokratischen Republik und der
Bundesrepublik Deutschland als unmittelbar am Abschluß eines deutschen
Friedensvertrages interessierten Staaten sicherzustellen.
Die Sowjetregierung bringt die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika die vorgelegten Vorschläge sowie den beigefügten
Entwurf eines Friedensvertrages mit Deutschland mit der nötigen Aufmerksamkeit
prüfen und ihrerseits Anstrengungen unternehmen wird, um die Friedenskonferenz
durchzuführen seine verantwortungsvolle Aufgabe erfolgreich bewältigen kann.
Gleichzeitig möchte sie glauben, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika, die die Abnormität der Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in West-
Berlin anerkennt, die notwendigen Schlüsse aus der entstandenen Situation ziehen
358 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

und zu deren Lösung beitragen wird die Berlin-Frage, wie es die Interessen der
Friedenskonsolidierung in Europa und der ganzen Welt fordern.

SOWJETISCHER FRIEDENSVERTRAGSENTWURF MIT DEUTSCHLAND

Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich


Großbritannien und Nordirland, die Vereinigten Staaten von Amerika, die
Französische Republik, Australien, die Volksrepublik Albanien, Belgien, die
Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik, die Volksrepublik Bulgarien, Brasilien ,
Ungarische Volksrepublik, Griechenland, Dänemark, Indien, Italien, Kanada,
Chinesische Volksrepublik, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Norwegen,
Pakistan, Polnische Volksrepublik, Rumänische Volksrepublik, Ukrainische
Sozialistische Sowjetrepublik , Finnland, die Tschechoslowakische Republik, die
Föderative Volksrepublik Jugoslawien und die Südafrikanische Union als Staaten, die
mit ihren Streitkräften an dem Krieg gegen Deutschland teilgenommen haben, im
Folgenden als „die Alliierten und assoziierten Mächte“ bezeichnet, einerseits und
andererseits Deutschland, gegenwärtig vertreten durch die Deutsche Demokratische
Republik und die Bundesrepublik Deutschland (bzw. für den Fall, daß vor
Unterzeichnung des Friedensvertrages ein Deutscher Bund gebildet wird, der
Deutsche Bund sowie die Deutsche Demokratische Republik und Bundesrepublik
Deutschland), andererseits ;
In Anbetracht dessen, daß die weitere Aufrechterhaltung der zutiefst anormalen
Situation, unter der ausländische Truppen auch im 14. Jahr nach Einstellung der
Militäraktion auf deutschem Hoheitsgebiet verbleiben, nicht zu rechtfertigen ist und
dem deutschen Volk weiterhin die Möglichkeit genommen wird, seine Macht
vollständig auszuüben staatliche Souveränität, gleichberechtigte Beziehungen zu
anderen Staaten zu unterhalten und liegt außerhalb der Vereinten Nationen ;
Geleitet von dem Wunsch, die in den Dokumenten der Anti-Hitler-Koalition und
insbesondere des Potsdamer Abkommens enthaltenen grundlegenden Bestimmungen
unter den bestehenden Bedingungen durchzuführen ;
In Anbetracht dessen, daß das Ausbleiben einer Friedensregelung keine Gewähr für
eine gerechte Berücksichtigung der legitimen nationalen Interessen des deutschen
Volkes bietet und in erheblichem Maße zur Verstärkung von Spannungen und
Instabilitäten in Europa beiträgt;
Einig in der Absicht, endlich einen Schlussstrich unter den Krieg zu ziehen, der von
Hitlerdeutschland entfesselt wurde und vielen Völkern, auch dem deutschen Volk,
unabsehbare Katastrophen und Leiden gebracht hat ;
In der Erkenntnis, daß das deutsche Volk in den Jahren, die seit dem Ende der
Feindseligkeiten vergangen sind, auf vielfältige Weise gezeigt hat, daß es die
Verbrechen verurteilt, die gegen die Völker Europas als Folge der vom deutschen
Militarismus entfesselten Aggression begangen wurden ;
Fest entschlossen, zu keinem Zeitpunkt wieder zuzulassen, daß Deutschland seine
Nachbarn oder andere Staaten bedroht und einen neuen Krieg entfesselt ;
In dem Wunsche, Deutschland die Möglichkeit einer friedlichen und
demokratischen Entwicklung und seiner fruchtbaren Zusammenarbeit mit anderen
Staaten als gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie zu sichern ;
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 359

In der Überzeugung, daß der Abschluss des Friedensvertrages eine außerordentlich


wichtige Bedeutung für die Gewährleistung der Sicherheit in Europa und die
Festigung des Friedens in der Welt haben wird ;
In der Erwägung, daß der Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland ein
notwendiger und wichtiger Schritt in Richtung Wiederherstellung der nationalen
Einheit Deutschlands ist ;
Haben beschlossen, den vorliegenden Friedensvertrag abzuschließen, und haben zu
diesem Zweck die Unterzeichner zu ihren bevollmächtigten Vertretern bestimmt, die
nach Vorlage ihrer Vollmachten, die sich als vollständig in Ordnung und
ordnungsgemäß befunden haben, folgenden Bestimmungen zugestimmt haben :

TEIL 1 : POLITISCHE UND TERRITORIALE BESTIMMUNGEN


I. FRIEDEN UND FRIEDLICHE BEZIEHUNGEN

Artikel 1

Die Alliierten und Assoziierten Mächte einerseits und Deutschland andererseits


erklären und bekräftigen die Beendigung des Kriegszustandes und die Herstellung
friedlicher Beziehungen untereinander, womit alle daraus erwachsenden politischen
und rechtlichen Konsequenzen erwachsen ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der
Erklärung oder des Erlasses jeder der alliierten und assoziierten Mächte erfolgen.

Artikel 2

Bis zur Vereinigung Deutschlands in der einen oder anderen Form wird der
Ausdruck „Deutschland“ im vorliegenden Vertrag so verstanden, daß er die beiden
bestehenden deutschen Staaten––die Deutsche Demokratische Republik und die
Bundesrepublik Deutschland––umfasst und alle im Vertrag vorgesehenen Rechte und
Pflichten Deutschlands beziehen sich sowohl auf die Deutsche Demokratische
Republik als auch auf die Bundesrepublik Deutschland.

Artikel 3

Die Alliierten und Assoziierten Mächte erkennen die volle Souveränität des
deutschen Volkes über Deutschland einschließlich seiner Hoheitsgewässer und des
Luftraums an.

Artikel 4

1. Die alliierten und assoziierten Mächte erklären, daß sie ihre Beziehungen zu
Deutschland auf der Grundlage der Achtung der Grundsätze der Achtung der
Souveränität und territorialen Integrität Deutschlands, der Nichteinmischung in seine
inneren Angelegenheiten, der Nichtangriffe, der Gleichheit und des gegenseitigen
Nutzens aufbauen werden , und auch auf der Grundlage der Bestimmungen des
vorliegenden Vertrages.
Deutschland wird in seinen Beziehungen zu allen Ländern von denselben
Grundsätzen geleitet.
2. Deutschland übernimmt die Verpflichtung, seine internationalen Streitigkeiten
nur auf friedlichem Wege so zu lösen, daß der Weltfrieden und die internationale
Sicherheit nicht gefährdet werden. Deutschland verpflichtet sich auch in seinen
360 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

internationalen Beziehungen bei Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die
territoriale Unverletzlichkeit oder politische Unabhängigkeit eines Staates und auch,
einem anderen Staat oder einer Staatengruppe keine Hilfe oder Unterstützung zu
gewähren, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit verletzt.

Artikel 5

1. Deutschland verpflichtet sich, keinerlei Militärbündnisse einzugehen, die sich


gegen einen an diesem Vertrag beteiligten Staat richten, und sich auch nicht an
Militärbündnissen zu beteiligen, deren Teilnehmer nicht alle vier alliierten
Hauptmächte des Anti-Hitler-Koalition––die UdSSR, die Vereinigten Staaten von
Amerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich.
2. Die Alliierten und Assoziierten Mächte werden die unter Nummer 1 genannte
Verpflichtung Deutschlands bezüglich der Nichtteilnahme an Militärbündnissen
respektieren und in den Beziehungen zu Deutschland alles unterlassen, was zu einer
direkten Verletzung dieser Verpflichtung durch Deutschland führen könnte.
3. Die Alliierten und Assoziierten Mächte werden alles Notwendige tun, damit
Deutschland gleichberechtigt an Maßnahmen teilnehmen kann, die auf die Stärkung
der allgemeinen europäischen Sicherheit und die Errichtung eines europäischen
Sicherheitssystems gerichtet sind, das auf den gemeinsamen Anstrengungen der
Europäer beruht Zustände.
4. Mit Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages gilt Deutschland––die Deutsche
Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland––als von den
Verpflichtungen befreit, die mit der Mitgliedschaft in den Organisationen des
Warschauer Pakts bzw. der Nordatlantischen Allianz und der Westeuropäischen
Allianz verbunden sind Union.

Artikel 6

Deutschland erkennt die volle Geltung der Friedensverträge mit Bulgarien, Ungarn,
Italien, Rumänien und Finnland an.

Artikel 7

Nach Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages werden die Alliierten und


Assoziierten Mächte den Antrag Deutschlands auf Aufnahme als Mitglied in die
Organisation der Vereinten Nationen unterstützen.

II. GRENZEN

Artikel 8

Die Grenzen Deutschlands werden so sein, wie sie am 1. Januar 1959 bestanden.
Die Grenzen Deutschlands ergeben sich aus der diesem Vertrag beigefügten Karte
(Anlage Nr. 1). 1
Bis zur Vereinigung Deutschlands zu einem Staat werden die Gebiete der Deutschen
Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland durch die am 1.
Januar 1959 bestehende Linie begrenzt, wie sie auf der dem Vertrag beigefügten Karte
(Anlage Nr. 1) dargestellt ist.

1 Hier nicht abgedruckt.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 361

Artikel 9

Gemäß dem Potsdamer Abkommen von 1945 :


A ) Deutschland verzichtet auf alle Rechte, Rechtsgrundlagen und Ansprüche
die ehemals deutschen Gebiete östlich der von der Ostsee etwas westlich von
Swinemünde und von dort an der Oder bis zu ihrer Einmündung in die
Westneiße und an der Westneiße bis zur tschechoslowakischen Grenze
verlaufenden Linie, einschließlich des Gebietes des ehemaligen Ostens Preußen
sowie das unter die Souveränität der Volksrepublik Polen übergegangene Gebiet
der ehemaligen Stadt Danzig, die (Souveränität) Deutschland anerkennt.
B ) Deutschland verzichtet auf alle Rechte, Rechtsgrundlagen und Ansprüche
an die ehemalige Stadt Königsberg und den dazugehörigen Bezirk, die unter die
Hoheit der UdSSR gefallen sind, die (Souveränität) Deutschland anerkennt.

Artikel 10

Deutschland erkennt die Ungültigkeit des Münchener Abkommens mit allen sich
daraus ergebenden Konsequenzen an und erklärt, daß es das Gebiet des ehemaligen
sogenannten Sudetengebietes für immer als unverletzlichen Bestandteil des
Territoriums der Tschechoslowakischen Republik anerkennen wird.

Artikel 11

Deutschland erkennt an, daß das Gebiet Elsass-Lothringen Bestandteil der


Französischen Republik ist.
Der Saarkreis bildet einen Teil des Staatsgebietes Deutschlands.

Artikel 12

Deutschland bestätigt und anerkennt die gemäß den mit seinen Nachbarstaaten in
der Zeit vom Mai 1945 bis zum 1. Januar 1959 geschlossenen Abkommen
vorgenommenen Änderungen und Grenzziehungen.

III. DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH

Artikel 13

1. Deutschland erkennt die volle Geltung des Staatsvertrages über die


Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs vom 15. Mai
1955 und des darin enthaltenen Anschlussverbots an.
2. Demnach wird Deutschland die Souveränität und Unabhängigkeit Österreichs
respektieren und auf alles Territoriale und Politische verzichten
Ansprüche im Zusammenhang mit Österreich und österreichischem Hoheitsgebiet.
3. Deutschland anerkennt und verpflichtet sich zur Achtung der dauernden
Neutralität Österreichs in der Form, wie sie durch das vom österreichischen
Parlament am 26. Oktober 1955 beschlossene Bundes-Verfassungsgesetz Österreichs
festgelegt wurde.
4. Zur Abwehr eines drohenden Anschlusses ist eine politische oder wirtschaftliche
Union zwischen Deutschland und Österreich verboten. Deutschland bekennt sich in
dieser Frage vollumfänglich zu seiner Verantwortung und wird mit Österreich keine
362 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

wie auch immer geartete politische oder wirtschaftliche Union eingehen.


Deutschland darf mit Österreich keinerlei Abkommen schließen, keine Handlungen
vornehmen oder Maßnahmen durchführen, die direkt oder indirekt seine politische
oder wirtschaftliche Union mit Österreich fördern oder die territoriale Integrität,
politische oder wirtschaftliche Unabhängigkeit Österreichs beeinträchtigen könnten.
Deutschland verpflichtet sich ferner, auf seinem Hoheitsgebiet keine Handlungen
zuzulassen, die eine solche Union direkt oder indirekt fördern könnten, und es muß die
Existenz, Wiedergeburt und Tätigkeit von Organisationen verhindern, die die
politische oder wirtschaftliche Union mit Österreich und die propagandistische
Förderung der Union zum Ziel haben mit Österreich.

IV. DIE GRUNDRECHTE UND -FREIHEITEN DES EINZELNEN

Artikel 14

1. Deutschland verpflichtet sich, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um


sicherzustellen, daß alle unter deutscher Hoheitsgewalt befindlichen Personen
ungeachtet ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Sprache, ihrer Religion, ihrer
Staatsangehörigkeit, ihrer Herkunft oder ihrer politischen Überzeugung die Rechte
des Individuums und die Grundfreiheiten genießen, einschließlich persönliche
Freiheit, Meinungs-, Presse- und Publikationsfreiheit, Religionsfreiheit, politische
Meinungsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit.
2. Deutschland garantiert auch, daß die auf seinem Hoheitsgebiet geltenden
Gesetze weder ihrem Inhalt noch ihrer Durchsetzung nach Menschen deutscher
Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Sprache, ihrer
Religion oder ihrer Nationalität diskriminieren oder diskriminieren dürfen , Herkunft,
politische Überzeugung oder Parteizugehörigkeit sowie zu ihrer Person, ihrem
Vermögen, ihrem Beruf, ihren beruflichen oder finanziellen Interessen, ihrem Status,
ihren politischen oder staatsbürgerlichen Rechten sowie alle anderen Fragen.
3. Die frühere Mitgliedschaft einer Person, die deutscher Staatsangehöriger ist, in
der Nationalsozialistischen Partei oder in ihr angeschlossenen oder unter ihrer
Kontrolle stehenden Organisationen kann nicht die Grundlage für eine Einschränkung
der in Nummer 1 vorgesehenen Rechte und Freiheiten sein, wenn dies nicht der Fall
ist durch die Entscheidungen der Justizorgane in ihren Rechten eingeschränkt.
4. Personen deutscher Staatsangehörigkeit, die gemäß den Beschlüssen der
Potsdamer Konferenz von 1945 aus anderen Staaten nach Deutschland umgesiedelt
wurden, genießen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland alle in Nummer 1
genannten Rechte ohne jede Diskriminierung als gleichberechtigte deutsche
Staatsbürger.

Artikel 15

Jegliche Verfolgung oder Unterdrückung irgendeiner Person durch deutsche


Behörden oder Bürger ist auf der Grundlage verboten, daß diese Person in der Zeit des
Zweiten Weltkriegs zugunsten der Alliierten oder Assoziierten Mächte Maßnahmen
ergriffen oder Sympathie für ihre Sache zum Ausdruck gebracht hat oder
gleichermaßen auf der Grundlage, daß diese Person in der Zeit vor Inkrafttreten des
vorliegenden Vertrags Handlungen begangen hat, die darauf abzielten, die Erfüllung
der gemeinsamen Beschlüsse der UdSSR, der Vereinigten Staaten von Amerika, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs in Bezug auf Deutschland oder andere zu
erleichtern Bekanntmachungen, Gesetze, Erlasse oder Weisungen, die auf der
Grundlage dieser Entscheidungen erlassen werden.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 363

V. POLITISCHE PARTEIEN ODER ANDERE ORGANISATIONEN

Artikel 16

Deutschland gewährleistet die freie Tätigkeit politischer Parteien oder anderer


Organisationen mit Ausnahme der in den Artikeln 13, 17 und 18 vorgesehenen
Parteien oder Organisationen, indem ihnen das Recht eingeräumt wird, ihre inneren
Angelegenheiten frei zu entscheiden, Versammlungen abzuhalten und
Versammlungen abzuhalten die Presse- und Veröffentlichungsfreiheit zu nutzen.

Artikel 17

Deutschland verpflichtet sich, unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung die


Wiedergeburt, Existenz und Tätigkeit der Nationalsozialistischen Partei oder der ihr
angeschlossenen oder unter ihre Kontrolle geratenen Organisationen, einschließlich
politischer, militärischer und paramilitärischer Organisationen, auf dem Territorium
Deutschlands nicht zuzulassen sowie die Wiederbelebung und Tätigkeit anderer
ähnlicher Parteien oder Organisationen und insbesondere revanchistischer Parteien
und Organisationen, die Forderungen nach einer Überprüfung der Grenzen
Deutschlands oder Gebietsansprüche gegen andere Staaten stellen.

Artikel 18

Deutschland verpflichtet sich, sich aufzulösen und unter Androhung


strafrechtlicher Bestrafung die Existenz und die Aktivitäten jeglicher Art von
Organisationen, einschließlich Emigranten, die feindselige Aktivitäten gegen eine der
Alliierten und Assoziierten Mächte ausüben, auf seinem Territorium nicht zuzulassen.
Deutschland wird Personen, die den oben genannten Organisationen angehören, kein
politisches Asyl gewähren.

VI. SONSTIGE RÜCKSTELLUNGEN

Artikel 19

Deutschland anerkennt das Urteil des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg


und die Urteile anderer Gerichte für Verbrechen, die in den Statuten dieses Tribunals
sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen Deutschlands begangen wurden.

Artikel 20

Deutschland verpflichtet sich, in keiner Form Propaganda zuzulassen, die darauf


abzielt oder geeignet ist, eine Bedrohung des Friedens, eine Verletzung des Friedens
oder einen Angriffsakt zu schaffen oder zu verstärken, einschließlich
Kriegspropaganda und auch jede Form von Racheakten, die eine Revision der Grenzen
fordern Deutschland oder die Geltendmachung von Gebietsansprüchen gegenüber
anderen Staaten.

Artikel 21

1. Deutschland leistet jede Art von Hilfe bei der Rückführung von Bürgern der
Alliierten und Assoziierten Mächte, die sich infolge des Krieges auf dem Territorium
Deutschlands befinden, in ihre Heimat.
364 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

2. Die Alliierten und Assoziierten Mächte werden ihrerseits in den Fällen, in denen
dies noch nicht geschehen ist, die gleiche Hilfeleistung bei der Rückführung deutscher
Staatsangehöriger nach Deutschland leisten, die sich infolgedessen auf dem Gebiet der
Alliierten und Assoziierten Mächte befunden haben der Krieg.
3. Die Alliierten Mächte verpflichten sich, soweit sie dies noch nicht getan haben,
im Laufe von 6 Monaten nach Inkrafttreten dieses Vertrages alle während des Krieges
und danach zwangsverschleppten deutschen Spezialisten nach Deutschland
zurückzubringen Ende des Krieges. Die Bedingungen dieses Artikels erstrecken sich
nicht auf Personen, die Deutschland auf eigenen Wunsch verlassen haben.

TEIL 2 : BESTIMMUNGEN ZUR WIEDERHERSTELLUNG DER DEUTSCHEN


EINHEIT

Artikel 22

Die Alliierten und Assoziierten Mächte erkennen das Recht des deutschen Volkes
auf Wiederherstellung der Einheit Deutschlands an und erklären sich bereit, beiden
deutschen Staaten auf der Grundlage einer Annäherung und Verständigung zwischen
den Deutschen Demokraten jede Hilfe zur Erreichung dieses Zieles zu leisten Republik
und der Bundesrepublik Deutschland. Beide deutsche Regierungen gleichermaßen
sowie die Alliierten und Assoziierten Mächte betrachten den vorliegenden Vertrag als
einen wichtigen Beitrag in der Frage der Einigung Deutschlands im Einklang mit den
nationalen Bestrebungen des deutschen Volkes und auch mit den Interessen der
Gewährleistung der Sicherheit in Europa und in den USA ganze Welt.

Artikel 23

Bedenkt man, daß jeder Versuch, die Frage der Einigung Deutschlands mit Gewalt
zu lösen, mit (Gefahr) Kriegsausbruch mit unzähligen Katastrophen für die Völker
Europas und vor allem für das deutsche Volk selbst, das deutsche Volk, verbunden
wäre Die Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland verpflichten
sich feierlich, zur Verwirklichung der Einigung Deutschlands niemals auf Gewalt oder
die Androhung von Gewaltanwendung zurückzugreifen, und werden alle
Streitigkeiten, die in Beziehungen entstehen können, friedlich entscheiden zwischen
ihnen.

Artikel 24

Nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands bleibt der vorliegende


Vertrag in Kraft und erstreckt sich in seinen Bestimmungen auf den vereinigten
deutschen Staat.

Artikel 25

Bis zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und der Schaffung eines
einheitlichen deutschen Staates wird West-Berlin auf Grund eines eigenen
Sonderstatuts die Stellung einer entmilitarisierten Freien Stadt einnehmen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 365

TEIL 3 : MILITÄRISCHE BESTIMMUNGEN

Artikel 26

Deutschland wird über eigene nationale Streitkräfte (Land, Luft und See) verfügen,
die zur Gewährleistung der Landesverteidigung erforderlich sind.

Artikel 27

Der Dienst in den Streitkräften wird nicht zugelassen :


( A ) An Personen, die von Gerichten von Ländern in Kriegszustand mit
Deutschland oder von deutschen Gerichten wegen Verbrechen gegen den
Frieden, gegen die Menschlichkeit und wegen militärischer Verbrechen
verurteilt wurden ; ( B ) Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ;
und ( C ) Personen nicht deutscher Staatsangehörigkeit, die sich während und
nach Kriegsende auf deutschem Hoheitsgebiet befunden haben, unabhängig
davon, ob dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben wurde oder nicht.

Artikel 28

Deutschland darf weder ( A ) irgendwelche Arten von nuklearer Bewaffnung und


andere Mittel der Massenvernichtung, einschließlich biologischer und
chemischer ; ( B ) alle Arten von Raketen und gelenkte Flugkörper sowie mit ihrem
Abschuss oder ihrer Lenkung verbundene Apparate und Anlagen ; ( C ) Flugzeuge,
die im Wesentlichen als Bomber mit Vorrichtungen zum Tragen von Bomben und
Flugkörpern konstruiert sind ; noch ( D ) U-Boote besitzen, produzieren, erwerben
oder damit experimentieren.

Artikel 29

Deutschland darf weder auf staatlichem noch auf privatem Wege noch auf andere
Weise Wehrmaterial und -technik besitzen, herstellen, erwerben oder zu ihrer
Herstellung Produktionskapazitäten unterhalten, die über das hinausgehen, was für
die Aufrechterhaltung der zulässigen Streitkräfte erforderlich ist gemäß Artikel 26 des
vorliegenden Vertrages, sowie jegliches militärische Material und militärische
Technologie aus dem Hoheitsgebiet Deutschlands in andere Länder zu exportieren.

Artikel 30

Alle ausländischen Truppen in Deutschland müssen spätestens innerhalb eines


Jahres nach Inkrafttreten dieses Vertrages aus Deutschland abgezogen werden.
(Oder: Nach Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages müssen alle ausländischen
Truppen in Deutschland in zwischen den beteiligten Parteien zu vereinbarenden
Zeiträumen abgezogen werden, und zwar innerhalb von 6 Monaten ab Inkrafttreten
des Vertrages wird die Zahl der auf dem Gebiet Deutschlands stationierten
ausländischen Truppen um ein Drittel reduziert.)
Gleichzeitig mit dem Abzug ausländischer Truppen aus Deutschland müssen alle
ausländischen Militärstützpunkte auf deutschem Hoheitsgebiet aufgelöst werden.
Deutschland wird künftig die Stationierung ausländischer Streitkräfte und
ausländischer Militärstützpunkte auf seinem Hoheitsgebiet nicht zulassen.
366 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Artikel 31

Deutschland verpflichtet sich, auf deutschem Hoheitsgebiet die Gräber der


zwangsweise nach Deutschland verbrachten Militärangehörigen, Kriegsgefangenen
und Bürger der Mächte im Kriegszustand mit Deutschland, die Grabsteine und
Embleme auf diesen Gräbern zu achten, zu schützen und zu erhalten , ebenso die
Denkmäler des militärischen Ruhms der Armeen, die gegen Hitlerdeutschland
gekämpft haben.
Die alliierten und assoziierten Mächte werden ihrerseits die Pflege der auf ihren
Territorien markierten Gräber des Militärpersonals Deutschlands sicherstellen.

TEIL 4 : WIRTSCHAFTLICHE BESTIMMUNGEN

Artikel 32

Deutschland werden in der Entwicklung seiner Friedenswirtschaft, die dem


Wachstum des Wohlergehens des deutschen Volkes dienen soll, keine Beschränkungen
auferlegt.
Deutschland wird auch keine Einschränkungen im Handel mit anderen Ländern, in
der Schifffahrt und im Zugang zu den Weltmärkten haben.

Artikel 33

Nach dem Abzug ausländischer Truppen aus dem deutschen Hoheitsgebiet ist nicht
entschädigtes deutsches Eigentum, das von den Streitkräften der ausländischen
Staaten auf dem deutschen Hoheitsgebiet genutzt wurde, an die Eigentümer
zurückzugeben oder eine angemessene Entschädigung zu leisten dafür.

Artikel 34

1. Deutschland wird in den Fällen, in denen dies noch nicht geschehen ist, die
rechtmäßigen Rechte und Interessen der Alliierten und Assoziierten Mächte und ihrer
Bürger in Deutschland, wie sie am 1. September 1939 bestanden, und für die
Tschechoslowakische Republik und ihre Bürger wiederherstellen, am 30. September
1938, und wird das Eigentum der Alliierten und Assoziierten Mächte und ihrer Bürger
zurückgeben oder eine Entschädigung leisten. Die Regeln und Bedingungen für die
Verwirklichung der Bestimmungen dieses Artikels werden durch besondere
Vereinbarungen zwischen Deutschland und den beteiligten Staaten festgelegt.
Der Ausdruck „Eigentum“ bedeutet bewegliches oder unbewegliches Vermögen,
materielles oder immaterielles, einschließlich gewerbliches, literarisches und
künstlerisches Eigentum, sowie Rechte und Interessen aller Art an Eigentum.
2. Das Vorliegen eines Kriegszustandes an sich wird nicht als Faktor angesehen,
der die Verpflichtung zur Tilgung von Geldschulden aus Verpflichtungen und
Verträgen beeinflusst, die vor Eintritt des Kriegszustandes bestanden haben.
3. Deutschland verpflichtet sich, bei der Befriedigung von
Schadensersatzansprüchen gegenüber Bürgern der Alliierten und Assoziierten Mächte
keine Diskriminierung zuzulassen, ohne Rücksicht auf die Art der fälligen
Entschädigung sowie der Organisation oder Institution Anspruch erfüllen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 367

Artikel 35

Deutschland erkennt die Rechte jeder Alliierten und Assoziierten Macht an


deutschen Auslandsvermögenswerten an, die dieser Macht aufgrund von Abkommen
zwischen der UdSSR, den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten
Königreich und Frankreich übertragen wurden.
Deutschland erkennt die im Staatsvertrag zur Wiederherstellung eines
unabhängigen und demokratischen Österreichs enthaltenen Bestimmungen über
deutsches Auslandsvermögen in Österreich an.

Artikel 36

1. Deutschland verzichtet in seinem Namen oder im Namen deutscher


Organisationen und Bürger auf alle Ansprüche irgendwelcher Art gegen die Alliierten
und Assoziierten Mächte, ihre Organisationen und Bürger, die unmittelbar mit dem
Krieg zusammenhängen oder sich aus Maßnahmen ergeben, die aufgrund des
Bestehens von Deutschland ergriffen wurden Krieg in Europa nach dem 1. September
1939, unabhängig davon, ob sich die betreffende Alliierte und Assoziierte Macht zu
diesem Zeitpunkt im Kriegszustand mit Deutschland befand oder nicht. Dieser
Anspruchsverzicht umfasst insbesondere :
A ) Ansprüche im Zusammenhang mit Verlusten oder Schäden, die durch
Handlungen der Streitkräfte oder Behörden der alliierten und assoziierte
Mächte ;
B ) Ansprüche, die sich aus der Anwesenheit, dem Betrieb oder den
Handlungen von ergeben die Streitkräfte oder die Behörden der Alliierten und
Assoziierten Mächte auf deutschem Hoheitsgebiet ;
C ) Ansprüche in Bezug auf Entscheidungen oder Beschlüsse der
Preisgerichte der Alliierten und Assoziierten Mächte, mit denen Deutschland
alle nach dem 1. September 1939 ergangenen Entscheidungen und Beschlüsse
solcher Gerichte über deutsche See- und Flussschiffe oder Deutsche Ladungen
oder Spesenzahlung ;
D ) Forderungen, die sich aus der Durchsetzung der Rechte der
kriegsführenden Partei oder aus Maßnahmen ergeben, die zur Durchsetzung
dieser Rechte ergriffen wurden.
2. Der Verzicht Deutschlands auf Forderungen nach Maßgabe von Absatz 1
schließt alle Ansprüche ein, die sich aus Maßnahmen ergeben, die von einer der
alliierten und assoziierten Mächte in Bezug auf deutsche See- und Flußschiffe nach
dem 1. September 1939 getroffen wurden, sowie alle Ansprüche und Schulden, die sich
aus den in Kraft befindlichen internationalen Übereinkünften über Kriegsgefangene
ergeben.
3. Die Bestimmungen dieses Artikels müssen alle Ansprüche der oben genannten
Art vollständig und endgültig ausschließen, die von nun an erlöschen, unabhängig
davon, wer die betroffene Partei ist. Die Regierung Deutschlands erklärt sich bereit,
Personen, die auf Anforderung Lieferungen oder Leistungen an die Streitkräfte der
Alliierten und Assoziierten Mächte auf deutschem Gebiet erbracht haben, eine
angemessene Markentschädigung sowie für die Befriedigung von Ansprüchen, die auf
deutschem Gebiet entstanden sind, zu zahlen nichtmilitärische Schäden, die den
Streitkräften der Alliierten und Assoziierten Mächte zugefügt werden.

Artikel 37

Deutschland verzichtet auf alle Ansprüche mit staatlichem Charakter, Ansprüche


öffentlicher deutscher juristischer Personen, Ansprüche deutscher privater juris-
368 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

tischer Personen und deutscher Staatsangehöriger, die mit den an andere Staaten
zurückgegebenen und in deren Hoheitsgewalt übergegangenen Gebieten verbunden
sind.

Artikel 38

Für die Verbindlichkeiten aus den Schulden des deutschen Staates, der deutschen
Gemeinden und der deutschen Anstalten des öffentlichen Rechts sowie für sonstige
öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Fragen haften die Länder, denen die Hoheit
über einen Teil des früheren deutschen Gebietes übergegangen ist, nicht die vor dem
8. Mai 1945 entstanden sind und mit diesem Gebiet zusammenhängen.

Artikel 39

1. Deutschland verpflichtet sich, mit jeder alliierten und assoziierten Macht


Verhandlungen aufzunehmen und Verträge oder Vereinbarungen über Handel und
Schifffahrt abzuschließen, nachdem es jeder alliierten und assoziierten Macht auf der
Grundlage der Gegenseitigkeit die Bedingungen der meistbegünstigten Nation
gegeben hat.
2. Deutschland wird in keiner Angelegenheit, die seinen Handel mit den alliierten
und assoziierten Mächten betrifft, Diskriminierung und künstliche Beschränkungen
zulassen. Die Alliierten und Assoziierten Mächte ihrerseits werden sich im Handel mit
Deutschland an dasselbe Prinzip halten.
3. Deutschland wird keinem Land irgendwelche Ausnahme- oder
diskriminierenden Rechte hinsichtlich der Nutzung von Verkehrsflugzeugen im
internationalen Verkehr innerhalb seiner Grenzen gewähren; es wird den Alliierten
und Assoziierten Mächten auf der Grundlage der Gegenseitigkeit gleiche
Möglichkeiten zur Erlangung von Rechten auf deutschem Hoheitsgebiet im Bereich
der internationalen Verkehrsluftfahrt einschließlich des Landerechts für Betankung
und Reparatur einräumen. Diese Bestimmungen dürfen die Interessen der
Landesverteidigung Deutschlands nicht beeinträchtigen.

Artikel 40

Deutschland verpflichtet sich, Österreich zwischen Salzburg und Lofer (Salzburg)


über Reichenhall-Steinpass und zwischen Scharnitz (Tirol) und Ehrwald (Tirol) über
Garmisch-Partenkirchen das Recht auf ungehinderte Durchfuhr und Verständigung
ohne Erhebung von Zöllen und Abgaben einzuräumen.

TEIL 5 : REPARATUREN UND WIEDERHERSTELLUNGEN

Artikel 41

Die Frage der Zahlung von Reparationen durch Deutschland als Entschädigung für
den Schaden, den es den Alliierten und Assoziierten Mächten während des Krieges
zugefügt hat, gilt als vollständig erledigt, und die Alliierten und Assoziierten Mächte
verzichten im weiteren auf alle Ansprüche gegen Deutschland Zahlung von
Reparationen.

Artikel 42

Deutschland verpflichtet sich, soweit noch nicht geschehen, identifizierte


Gegenstände von künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert, die zum
Kulturgut der Alliierten und Assoziierten Mächte gehören und entfernt wurden, in
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 369

sachgemäßer Aufbewahrung zurückzugeben mit Gewalt oder Zwang aus ihrem


Hoheitsgebiet nach Deutschland.
Anträge auf Rückgabe der genannten Artikel können innerhalb von 12 Monaten
nach Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages gestellt werden.
Deutschland wird auch den Staaten, an die Teile früherer Gebiete Deutschlands
zurückgegeben wurden oder unter deren Hoheit sie übergegangen sind, alle
historischen, gerichtlichen, administrativen und technischen Archive sowie Karten
und Pläne über diese Gebiete übermitteln.

TEIL 6 : SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 43

Vom Augenblick des Inkrafttretens dieses Friedensvertrages an ist Deutschland von


allen Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Verträgen und Vereinbarungen befreit,
die die Deutsche Demokratische Republik und die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland vor Inkrafttreten dieses Vertrages geschlossen haben die den
Bestimmungen des Friedensvertrages widersprechen.

Artikel 44

Jede Streitigkeit über die Auslegung oder Erfüllung des vorliegenden Vertrags, die
nicht durch direkte diplomatische Verhandlungen oder auf andere Weise gemäß einer
Vereinbarung zwischen den Streitparteien beigelegt wird, muss einer Kommission
vorgelegt werden, die aus Vertretern der Sowjetunion und des Vereinigten Königreichs
besteht, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, der Deutschen
Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Falls innerhalb von
2 Monaten keine Einigung in der Kommission über die Frage der Lösung eines solchen
Streits erzielt wird, wird dieser Streit beendet, wenn sich die streitenden Seiten nicht
auf andere Methoden zu seiner Beilegung einigen, an eine Kommission übermittelt
werden, die sich aus einem Vertreter jeder Seite und einem dritten Mitglied
zusammensetzt, das im gegenseitigen Einvernehmen zwischen den beiden Seiten aus
Drittstaatsangehörigen ausgewählt wird.

Artikel 45

1. Der vorliegende Vertrag muss ratifiziert werden und tritt sofort in Kraft,
nachdem die Ratifikationsurkunden der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,
des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, der Vereinigten Staaten
von Amerika und Frankreichs zur Verwahrung übergeben wurden , und Deutschland.
Für jeden Staat, der diesen Vertrag später ratifiziert oder ihm beitritt, tritt er mit dem
Tag in Kraft, an dem dieser Staat die Ratifikations- oder Beitrittsurkunde zur
Verwahrung übergeben hat.
2. Tritt der Vertrag nicht innerhalb von 10 Monaten nach Übergabe der
Ratifikationsurkunden an Deutschland zur Verwahrung in Kraft, so kann jeder Staat,
der ihn ratifiziert hat, den Vertrag zwischen sich und Deutschland durch Notifikation
vom in Kraft setzen diese an Deutschland und an den Hinterlegungsstaat im Laufe
von 3 Jahren nach Übergabe der Ratifikationsurkunden an Deutschland zur
Verwahrung.
370 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Artikel 46

Jeder Staat, der sich mit Deutschland im Kriegszustand befindet, aber nicht
Vertragspartei dieses Vertrages ist, kann diesem Vertrag beitreten.

Artikel 47

Der Vertrag gibt Staaten, die nicht Vertragspartei des vorliegenden Vertrags sind,
keine Rechte, Rechtsgrundlagen oder Vorteile, und keine Rechte, Rechtsgrundlagen
oder Interessen Deutschlands werden aufgrund von Bestimmungen dieses Vertrags
als verletzt angesehen Gunst solcher Staaten.

Artikel 48

Der gegenwärtige Vertrag sowie alle Ratifizierungs- und Beitrittsdokumente


müssen der Regierung von _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ zur Verwahrung
übergeben werden, die wahrheitsgemäße Kopien des Vertrags an jeden der
Unterzeichner des Vertrags oder der Staaten, die ihm beigetreten sind, und die diesen
Staaten auch über alle Ratifikationen und Beitritte Bericht erstatten.
Zur Bestätigung dessen haben die unterzeichneten bevollmächtigten Vertreter den
vorliegenden Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
Geschehen in _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ in russischer, englischer,
französischer und deutscher Sprache, wobei alle Texte gleichermaßen verbindlich sind.
_____________

Bemerkungen von Außenminister Dulles über Deutschland auf einer


Pressekonferenz, 13. Januar 1959 1
[Auszüge]
* * * * * * *
F. Herr Minister, wie steht es mit den Vorschlägen, die auf dem Treffen der
Außenminister im Anschluss an das Genfer Gipfeltreffen von 1955 gemacht wurden ?
Haben diese Ihrer Meinung nach immer noch Bestand oder müssten sie im Lichte der
gegenwärtigen Bedingungen überarbeitet werden ?
A. Es gibt bestimmte grundlegende Aspekte dieser Vorschläge, die meines
Erachtens nach wie vor gültig sind und ich würde erwarten, daß sie aufgrund ihrer
grundlegenden Gültigkeit weiterhin Bestand haben werden. Die Grundaussage war,
soweit ich mich erinnere, erstens, daß Deutschland wieder vereint werden sollte;
zweitens, daß wir eine Wiedervereinigung nicht unter Bedingungen erwarten können,
die die Sowjetunion in erhöhte Risiken oder Verluste verwickeln würden oder zu
verwickeln scheinen. Daher wäre es angebracht, jegliche Wiedervereinigung
Deutschlands mit Sicherheitsvorkehrungen und -beschränkungen zu verknüpfen, die
sicherstellen würden, daß es nicht so aussieht, als habe die Sowjetunion durch die
Wiedervereinigung ihre strategische oder politische Position geschwächt.
F. Herr Minister, Herr Mikojan scheint einen ziemlichen Einfluss auf
einflussreiche amerikanische Geschäftsleute im ganzen Land ausgeübt zu haben. Ich
frage mich, ob Sie uns sagen können, ob Sie irgendwelche Bedenken hinsichtlich dieser
Auswirkungen auf die künftige Politik gegenüber der Sowjetunion haben.
A. Ich selbst habe keine direkten Berichte von einem dieser Geschäftsleute, von
denen Sie sprechen, erhalten, die bestätigen könnten, welche Wirkung er erzielt hat.

1 Pressemitteilung 28 des Außenministeriums, 13. Januar 1959.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 371

Er spricht, vor allem durch seinen Dolmetscher, in einer Weise, die in vielerlei Hinsicht
ansprechend ist. Ich denke, daß die Gespräche gut waren, denn ich glaube, daß sie ihm
auch einen Eindruck von unserem Empfinden und unserer Einigkeit in Bezug auf
Fragen zu Berlin und dergleichen vermittelt haben. Soweit ich das beurteilen kann,
hat dies alles einem konstruktiven Zweck gedient.
F. Herr Minister, entnehmen Sie aus dem Gespräch mit Herrn Mikojan aus der
vergangenen Woche, daß ein treibender Grund für seinen Besuch und die beiden
letzten Mitteilungen die Furcht vor einer westdeutschen Wiederaufrüstung war ?
A. Es ist sehr schwer zu beurteilen, was der Zweck seines Besuchs ist. Es könnte
mehrere Ziele geben und wahrscheinlich gibt es sie auch––nicht nur ein einziges Ziel.
Ich denke, daß es auf Seiten der Sowjetunion eine ernsthafte und nachvollziehbare
Besorgnis über die Zukunft Deutschlands gibt. Und es gibt zwei sehr grundlegende
Philosophien zu diesem Thema : die der Sowjetunion und die der Westmächte. Und es
ist sehr schwierig, diese beiden Philosophien miteinander in Einklang zu bringen. Ich
hoffe, daß wir uns in den weiteren Gesprächen, die wir führen werden, zumindest in
diesem Punkt ein wenig besser verstehen können.
F. Herr Minister, vorhin, als Sie sich auf die Annahmen des Außenministertreffens
von '55 bezogen, sprachen Sie von der deutschen Wiedervereinigung, ohne den anderen
Teil zu erwähnen, nämlich die Annahme einer Wiedervereinigung auf der Grundlage
freier Wahlen. Ich frage danach, insbesondere weil Mikojan heute Morgen zitiert wird,
als er gestern sagte : „Sie bewaffnen die Deutschen mit Atomwaffen, die gegen uns
eingesetzt werden sollen, und Sie fordern freie Wahlen. Das eine ist mit dem anderen
nicht vereinbar.“ Gibt es irgendeine Änderung bei dem Teil des Vorschlags, der freie
Wahlen vorsieht oder ist das etwas, das im Hinblick auf die Wiedervereinigung
verhandelbar ist, wenn diese erreichbar ist ?
A. Wir glauben an die Wiedervereinigung durch freie Wahlen, die in der Tat die
Formel war, die auf der „Gipfelkonferenz“ 1955 vereinbart wurde. Sie wurde von
Chruschtschow selbst vereinbart, der natürlich auch an dieser Konferenz teilnahm.
Dort sprach man von der Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im
Einklang mit den deutschen nationalen Interessen und der europäischen Sicherheit.
Das ist ungefähr der Wortlaut dieser Vereinbarung.
F. Herr Minister, haben Sie von Herrn Mikojan oder anderen Sowjets einen
Hinweis erhalten, daß die Sowjets jetzt ein neues Treffen zwischen dem Präsidenten
und Herrn Chruschtschow wünschen ?
A. Nein. Ich habe keine Andeutung in diese Richtung gehört.
F. Herr Minister, wie reagieren Sie, wie reagieren die Vereinigten Staaten auf den
sowjetischen Vorschlag vom letzten Wochenende, eine Friedenskonferenz
einzuberufen, um einen neuen Friedensvertrag für Deutschland auszuarbeiten ?
A. Dieser Vorschlag verdeutlicht, was ich gerade als die beiden unterschiedlichen
Philosophien im Umgang mit Deutschland bezeichnet habe. Die Sowjetunion war stets
der Ansicht, daß Deutschland isoliert, abgesondert, weitgehend entmilitarisiert und
neutralisiert und von einer engen Beziehung zu den Nachbarländern getrennt werden
sollte.
Wir glauben nicht, daß dies ein vernünftiger Ansatz für dieses Problem ist. Wir sind
im Gegenteil der Auffassung, daß Deutschland und das deutsche Volk ein zu
großartiges, starkes und lebendiges Volk sind, um auf diese Weise behandelt zu
werden und daß dieser Weg mit sehr großen Gefahren für die Zukunft behaftet ist. Wir
sind der Meinung, daß der Zukunft am besten dadurch gedient ist, daß man die
engstmöglichen Beziehungen zwischen Deutschland und anderen friedliebenden
372 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

westeuropäischen Ländern fördert, die militärisch, politisch und wirtschaftlich so eng


miteinander verflochten sind, daß ein unabhängiges, aggressives, nationalistisches
Vorgehen Deutschlands praktisch unmöglich wird und auch nicht erwünscht ist.
Das war die Grundphilosophie nicht nur dieser, sondern auch der vorangegangenen
Regierung. Sie spiegelte sich in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG)
wider und als sich die EVG als nicht praktikabel erwies, wurde die Grundphilosophie
in Form des Brüsseler Vertrags für die westeuropäische Union, der Aufnahme der
Bundesrepublik in die NATO, der Integration ihrer Streitkräfte auf diese Weise, der
weiteren Entwicklung der wirtschaftlichen Einheit durch die Aufnahme in die
Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in den Gemeinsamen Markt, in EURATOM und in
Maßnahmen dieser Art mit ihrer gemeinsamen Versammlung im Hintergrund
fortgeführt. Wir glauben, daß dies der richtige Weg ist, um mit dem deutschen Problem
umzugehen.
Wie ich bereits sagte, spiegelt dies eine Philosophie wider, die vollkommen von
derjenigen der Sowjetunion abweicht. Und der sowjetische Vorschlag für diesen
Friedensvertrag, der den Vorschlägen von '52 und auch von '54 ähnelt, spiegelt den
sowjetischen Ansatz wider. Wie Adenauer gestern sagte, ist es ein „brutaler“ Ansatz.
Aber es ist unserer Meinung nach schlimmer als ein brutaler Ansatz, es ist ein dummer
Ansatz, denn wir glauben nicht, daß er funktionieren wird. Wir glauben, daß der
andere Ansatz der richtige ist. Ob wir auf dieser Grundlage eine Annäherung an die
Sowjetunion erreichen können, weiß ich nicht.
F. Herr Minister, ist in diesem Zusammenhang der amerikanische Standpunkt zur
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen völlig unvereinbar mit einem
Friedensvertrag, der die deutsche Aufrüstung und die deutsche Beteiligung an
Militärpakten in gewissem Maße einschränken würde ?
A. Wir haben ja im Brüsseler Vertrag für die Europäische Union ganz klare
Begrenzungen für die deutsche Rüstung, die von Deutschland, der Bundesrepublik
Deutschland, freiwillig akzeptiert, zum Teil sogar vorgeschlagen worden sind. Das
Konzept der Begrenzung ist also kein Konzept, das uns oder der Bundesrepublik
Deutschland in irgendeiner Weise fremd ist.
Sie sprechen jetzt von Militärpakten. Ich betrachte diese Dinge nicht als
Militärpakte. Ich betrachte sie als kollektive Vereinigungen, in denen Menschen
gemeinsam für Frieden und Sicherheit arbeiten, in denen sie sich beraten, in denen
sie sich über ihre Außenpolitik, ihre politischen Programme und dergleichen
austauschen. Die Vorstellung, daß es sich bei diesen kollektiven
Sicherheitsvereinigungen um aggressive Militärbündnisse handelt, die schlecht sind,
ist ein Konzept, das wir völlig ablehnen. Wir glauben, daß diese Art des
Zusammenschlusses von Nationen, die sich für kollektive Sicherheit
zusammenschließen, der moderne Weg ist, durch den die Familie der Nationen die
gleiche Art des Zusammenschlusses erhält, die man in einer Gemeinschaft erhält, in
der sich Menschen durch gemeinsame Institutionen für ihre Sicherheit
zusammenschließen.
* * * * * * *
F. Herr Minister, Herr Mikojan hat verschiedenen Quellen zufolge betont, daß der
sowjetische Vorschlag, West-Berlin zu einer freien Stadt zu machen, nicht als
Ultimatum betrachtet werden sollte. Können Sie uns sagen, ob dies zutrifft und ob die
Sowjets gleichzeitig ihre Bereitschaft bekundet haben, ihren Plan aufzugeben, ihre
Zone irgendwann im Juni den Ostberlinern und Ostdeutschen zu überlassen ?
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 373

A. Es ist klargestellt worden, daß seitens der Sowjetunion nicht die Absicht
bestand, ihre Mitteilung als ein Ultimatum mit einer festen Frist zu behandeln. Das
ist ermutigend, denn wie die westlichen Verbündeten in ihrer Mitteilung von Ende
Dezember sagten, wäre es für uns in der Tat sehr schwierig, unter einem solchen
Ultimatum zu verhandeln. In dieser Hinsicht sind also einige Fortschritte erzielt
worden.
Was den Inhalt der Angelegenheit betrifft, so gibt es meines Erachtens keine
Anzeichen für eine Änderung der sowjetischen Position.
* * * * * * *
F. Herr Minister, um noch einmal auf die deutsche Frage zurückzukommen: In dem
Bemühen, die beiden politischen Philosophien zusammenzubringen, haben Sie, so
glaube ich, der Sowjetregierung, sofern sie freie Wahlen in Deutschland akzeptieren
würde, einmal zugesichert, daß der Westen garantieren würde, daß er nicht versuchen
würde, seine Verteidigungslinie noch weiter nach Osten zu verschieben. Könnten Sie
diesen Gedanken näher erläutern und uns sagen, wie diese Zusicherung in die Tat
umgesetzt werden könnte ?
A. Das war, soweit ich mich erinnere, Teil des Konzepts, das '55 vorgelegt wurde,
wenn auch vielleicht nicht so deutlich oder so dramatisch, wie man es hätte tun
können. Zum Teil wurde es durch meine Antwort auf eine frühere Frage abgedeckt, in
der ich sagte, daß ich nicht glaube, daß es sinnvoll ist, zu erwarten, daß die
Sowjetunion die von ihr eingenommenen Positionen aufgibt, wenn sie glaubt, daß sie
dadurch denjenigen einen strategischen militärischen Vorteil verschafft, die sie––ich
glaube zu Unrecht, aber dennoch––als potentielle Feinde betrachtet. Das können wir
einfach nicht erwarten. Wenn es also eine Wiedervereinigung Deutschlands geben soll,
dann nur unter Bedingungen, die einige dieser sehr elementaren, primitiven
Tatsachen des Lebens realistisch in Betracht ziehen. Um diesem Standpunkt gerecht
zu werden, haben wir versucht, der Sowjetunion entsprechende Zusicherungen zu
geben und ich bin nach wie vor der Ansicht, daß wir dazu bereit sein sollten.
F. Würden Sie uns darüber hinaus noch einmal in Erinnerung rufen, wie Sie zu
dem von Sir Anthony Eden in Genf unterbreiteten Vorschlag standen, die Truppen
auszudünnen und den Warschauer Pakt in gewisser Weise mit dem NATO-Pakt zu
verknüpfen ?
A. Ich weiß nicht mehr genau, welche Vorschläge Sir Anthony Eden in dieser
Hinsicht gemacht hat. Ich glaube, wir waren uns darüber im Klaren, daß, sollten sich
die Ereignisse in Richtung einer Wiedervereinigung Deutschlands entwickeln, es unter
diesen Umständen fast automatisch zu einer Verringerung der militärischen
Erfordernisse im westlichen Gebiet und folglich zu einer Reduzierung der dortigen
Streitkräfte kommen würde. Was die Verknüpfung der Pakte anbelangt, so glaube ich
nicht, daß dies jemals vorgeschlagen wurde. Zumindest kann ich mich nicht daran
erinnern. Ich glaube, es wurde ein übergeordneter europäischer Sicherheitspakt
vorgeschlagen, der vielleicht die Mitglieder sowohl der NATO als auch des Warschauer
Paktes umfassen und der die Zusicherung enthalten würde, daß im Falle eines
aggressiven Vorgehens eines Mitglieds der Gruppe gegen ein anderes alle anderen
Mitglieder sich vereinen würden, um dem Opfer des Angriffs zu Hilfe zu kommen. Dies
wäre eine Art übergeordneter europäischer Sicherheitsvorschlag, der dem Warschauer
Pakt und den NATO-Mächten übergeordnet werden würde.
F. Welchen Standpunkt vertreten Sie in dieser Frage zum gegenwärtigen
Zeitpunkt?
A. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß dies ein vernünftiger Weg für ein solches
Vorgehen wäre.
374 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

F. Herr Minister, wären Sie bereit, daß das heutige Ostdeutschland als Teil einer
solchen Vereinbarung mit Russland entmilitarisiert wird, wenn Russland einer
Wiedervereinigung zustimmt ? Mit anderen Worten, würden Sie ost- oder
westdeutsche Truppen aus diesem Teil des Landes fernhalten ?
A. Nun, etwas in dieser Richtung ist in dem unterbreiteten Vorschlag implizit
enthalten. Natürlich braucht man gewöhnliche Polizeikräfte, Kräfte zur
Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und innerer Sicherheit. Aber der
Vorschlag, der vorhin gemacht wurde und der hier schon diskutiert wurde, impliziert,
daß die militärische Stellung der Westmächte, der NATO, im Falle einer
Wiedervereinigung nicht nach Ostdeutschland vorgeschoben werden sollte.
F. Herr Minister, wenn Sie sagen, daß Sie während dieses Besuchs keine
bilateralen Verhandlungen mit Herrn Mikojan führen werden, wie gedenken Sie dann,
all diese Aspekte der deutschen Frage, die wir erörtert haben, zu verhandeln, oder
schlagen Sie tatsächlich vor, sie zu verhandeln ?
A. Nun, wir haben einen Vorschlag gemacht, um über die Frage der
Wiedervereinigung Deutschlands, Berlins und der europäischen Sicherheit zu
verhandeln. Dieser Vorschlag wurde in unserer Mitteilung vom 31. Dezember
gemacht. Die Sowjets haben erklärt, daß sie bereit sind, über die Frage Berlins und
über die Frage eines deutschen Friedensvertrages zu verhandeln, nicht aber über die
Frage der deutschen Wiedervereinigung oder gleichzeitig über die Frage der
europäischen Sicherheit.
Es scheint einen gemeinsamen Nenner zu geben, der sich durch all dies zieht,
nämlich den Wunsch beider Seiten, zusammenzukommen und zu reden. Es gibt keine
Einigkeit darüber, worüber wir reden sollen. Es scheint große
Meinungsverschiedenheiten darüber zu geben, worüber wir reden sollen, aber es gibt
zumindest einen gemeinsamen Nenner, was das Gefühl betrifft, daß Gespräche geführt
werden sollten. Man könnte sagen, daß es inzwischen zu einer Frage der Tagesordnung
geworden ist. Wir wissen, daß die Frage der Tagesordnung ein ernsthafter Stolperstein
für die Sitzungen sein kann. So war es bei der Konferenz im Palais Rose (Pariser
Tagung der Vertreter des Rates der Außenminister, 5. März bis 21. Juni 1951) und es
war ein Stolperstein auf dem Weg zu einem Gipfeltreffen.
F. Aber 1954 in Berlin haben Sie die sowjetische Agenda von Anfang an akzeptiert.
Das hat für den Inhalt der Gespräche keinen Unterschied gemacht. Wären Sie in
diesem Fall bereit, vielleicht das einzige Wort „Deutschland“ als Agenda zu
akzeptieren ?
A. Ich denke, daß unsere Vorstellungen über den möglichen Gegenstand der
Diskussion weit gefaßt sind. Es ist die Sowjetunion, die versucht, den
Diskussionsgegenstand einzuengen. Über die Breite der Tagesordnung wären wir
nicht beunruhigt. Das Einzige, was uns beunruhigen würde, wäre die Beschränktheit
der Tagesordnung. Ein Treffen, bei dem versucht wird, die Frage eines
Friedensvertrags und Berlins zu behandeln, ohne die gleichzeitige Erörterung der
Frage der Wiedervereinigung Deutschlands oder der Frage der europäischen
Sicherheit zu ermöglichen, erscheint uns unrealistisch. In der Richtlinie des Genfer
Gipfeltreffens wurde anerkannt, daß zwischen der deutschen Frage und der
europäischen Sicherheit eine enge Wechselbeziehung besteht. Wir sind nach wie vor
der Meinung, daß es diese Wechselbeziehung gibt. Was uns also stört, ist nicht die
Erweiterung der Tagesordnung, sondern die Tatsache, daß wir durch eine
Beschränkung der Tagesordnung vor Beginn der Gespräche von der Erörterung der
Dinge, die wir für wesentlich halten, ausgeschlossen werden.
* * * * * * *
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 375

F. Herr Minister, ist es unsere Haltung, daß freie Wahlen die einzige Möglichkeit
sind, Deutschland wiederzuvereinigen ? Mit anderen Worten, sagen wir : „Keine freien
Wahlen, keine Wiedervereinigung“ ?
A. Nun, das haben wir nie gesagt. Das Konzept der Wiedervereinigung durch freie
Wahlen war das vereinbarte Konzept. Das scheint uns eine natürliche Möglichkeit zu
sein. Aber ich würde nicht sagen, daß dies die einzige Möglichkeit ist, die
Wiedervereinigung zu erreichen.
* * * * * * *
F. Herr Minister, um eine frühere Antwort von Ihnen zu präzisieren: Sie sagten,
daß „freie Wahlen die natürliche Möglichkeit zur Einigung Deutschlands sind, aber
nicht die einzige Möglichkeit“. Könnten Sie uns sagen, welche anderen Möglichkeiten
es gibt, die für uns, die Westdeutschen und unsere Verbündeten akzeptabel sein
könnten ?
A. Nein, darüber möchte ich nicht spekulieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten,
wie sich Länder und Völker zusammenschließen und ich habe lediglich gesagt, daß ich
nicht der Meinung bin, daß wir eine bestimmte Möglichkeit als die absolut einzige
betrachten sollten.
F. Herr Minister, als Sie sagten, der sowjetische Plan für Deutschland sei „dumm“,
weil er nicht funktionieren würde, in welchem Sinne meinten Sie, er würde nicht
funktionieren? Welches schlechte Ergebnis sahen Sie daraus resultieren ?
A. Ich glaube, wenn man versucht, ein großes Volk wie die Deutschen in der Mitte
Europas zu isolieren und abzusondern, wird es zu einer unruhigen und gefährlichen
Kraft werden; es wird den Versuch unternehmen, sich Vorteile zu verschaffen, indem
es versucht, den Osten gegen den Westen auszuspielen. Ich glaube nicht, daß man die
Deutschen in eine Art Erstickungsmantel stecken, wie ihn die Sowjetunion im Sinn
hat und erwarten kann, daß das funktioniert. Das war in gewisser Weise der Ansatz
des Versailler Vertrages und es hat einfach nicht funktioniert. Und ich glaube nicht,
daß es noch einmal funktionieren wird. Ich glaube, daß ein sogenanntes
„neutralisiertes“ und weitgehend entmilitarisiertes Deutschland, das man mitten in
Europa zu entmilitarisieren versucht, einfach nicht funktionieren wird, und daß der
beste Weg, anstatt zu versuchen, Deutschland zu isolieren, darin besteht, Deutschland
einzubinden.
Das ist die Grundthese Adenauers. Ich glaube, Adenauers Anspruch auf Größe
beruht auf seinem Bemühen, dafür zu sorgen, daß Deutschland nicht wieder den Weg
geht, den Deutschland 1914 und erneut 1939 gegangen ist. Er ist derjenige, der diese
Lösung, wenn man so will, erfunden hat. Und ich glaube, es ist die praktischste und
vernünftigste Lösung für diejenigen, die wirklich die Art von Gefahr, die in der
Vergangenheit von Deutschland ausgegangen ist, für alle Zeiten beenden wollen.
* * * * * * *
_____________

Bemerkungen von Außenminister Dulles über Deutschland auf einer


Pressekonferenz, 27. Januar 1959 1
[Auszüge]
* * * * * * *
F. Herr Minister, es gibt Berichte, wonach die westdeutsche Regierung die
verschiedenen Aspekte einer möglichen Konföderation von Ost- und Westdeutschland
untersucht. Können Sie uns sagen, ob das Außenministerium irgendwelche Unter-

1 Pressemitteilung 70 des Außenministeriums, 27. Januar 1959.


376 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

suchungen in dieser Richtung durchführt, um festzustellen, ob eine Konföderation ein


Weg sein könnte, der eines Tages zu freien Wahlen in einem wiedervereinigten
Deutschland führen würde ?
A. Ich verwende ungern ein Wort wie „Konföderation“, das eine politische
Konnotation hat. „Konföderation“ kann fast alles bedeuten. Bis zu einem gewissen
Grad kann man sagen, daß die gegenwärtige Bundesrepublik eine Konföderation
darstellt. Man kann eine Konföderation einer Art oder eine Konföderation einer
anderen Art haben. Die allgemeine Frage, wie Deutschland wiedervereinigt werden
kann, ist eine Frage, mit der wir uns, so schätze ich, alle beschäftigen und weiter
beschäftigen werden.
F. Herr Minister, welches Vorgehen ist jetzt auf westlicher Seite vorgesehen, um
formelle Verhandlungen mit der Sowjetunion aufzunehmen ?
A. Ich nehme an, der nächste formale Schritt wäre die Antwort auf die Mitteilung
vom 10. Januar. Natürlich haben wir bereits in den früheren Mitteilungen von Ende
Dezember ein Treffen vorgeschlagen, das sich mit dem Thema der deutschen
Wiedervereinigung und der europäischen Sicherheit befassen sollte und die Sowjets
haben mit ihrem Vorschlag gekontert, daß wir ein Treffen abhalten sollten, das sich
mit der Frage eines deutschen Friedensvertrags––mit den beiden verschiedenen
deutschen Staaten––und mit der Frage Berlins befassen sollte. Es stellt sich die Frage,
ob es ein Treffen geben könnte, das die deutsche Frage umfassend behandelt und ich
nehme an, daß die entsprechenden Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Antwort
auf die Mitteilung vom 10. Januar geprüft werden. Ich nehme an, daß dies der nächste
Arbeitsauftrag sein wird.
F. Hoffen Sie, mein Herr, daß in diesem Frühjahr ein Treffen auf der Ebene der
Außenminister oder auf einer anderen Ebene mit der Sowjetunion zu all diesen
Fragen, sozusagen in einem „Topf“, vereinbart werden kann ?
A. Ich denke, daß es an der Zeit wäre, ein solches Treffen abzuhalten. Wie ich
bereits sagte, wurde ein Treffen in diesem Sinne bereits von den drei Westmächten
vorgeschlagen und von der NATO genehmigt. Ein Treffen, das in seiner Tagesordnung
eng begrenzt ist, so daß nur über ein oder zwei von vielen untereinander
zusammenhängenden Problemen gesprochen werden kann, wäre keine akzeptable
Form eines Treffens. Meines Erachtens müßten wir die Freiheit haben, über diese
untereinander zusammenhängenden Probleme zu sprechen. Und wir waren durchaus
bereit, das Berlin-Problem im Rahmen der Diskussion über die Wiedervereinigung
Deutschlands zu erörtern. Und der Ansatz der westlichen Alliierten in dieser
Angelegenheit ist, daß sie gewillt sind und es für zeitgemäß halten, eine weitere
Diskussion über diese Probleme zu führen. Die Frage ist nur, ob die Sowjetunion bereit
sein wird, eine Diskussion auf einer ausreichend breiten Grundlage zu führen, um sie
lohnenswert zu machen, oder ob sie versuchen wird, eine Tagesordnung zu diktieren,
die die Erörterung dessen, was uns als untereinander zusammenhängende Themen
erscheint, ausschließen würde.
F. Als Herr Mikojan hier war, Herr Minister, sagte er, wenn sie sich nicht auf eine
Tagesordnung einigen könnten, sollten Gespräche ohne Tagesordnung stattfinden.
Würden Sie Gesprächen ohne Tagesordnung mit den Russen zustimmen ?
A. Ich gehe davon aus, daß es eine Tagesordnung geben muß––zumindest in dem
Sinne, daß wir wissen, ob wir über Deutschland, den Fernen Osten oder den Nahen
Osten sprechen werden, oder was das allgemeine Thema sein wird. Aber abgesehen
davon glaube ich nicht, daß es irgendeinen besonderen Sinn hat, zu versuchen, eine
Agenda zu verfeinern.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 377

F. Würde eine Diskussion über die europäische Sicherheit im Allgemeinen Ihrer


Meinung nach auch eine Diskussion über beispielsweise den Rapacki-Plan beinhalten,
wenn die Sowjets das wollen ?
A. Wenn sie das unter dieser Überschrift erwähnen wollten, wäre das durchaus
zulässig.
* * * * * * *
F. Herr Minister, auf Ihrer letzten Pressekonferenz haben Sie auf eine Frage
geantwortet, daß freie Wahlen nicht das einzige Mittel seien, mit dem Deutschland
wiedervereinigt werden könne. In der Folge gab es viele Meinungsverschiedenheiten
darüber, was Sie mit dieser Bemerkung genau gemeint haben. In der Tat neigte das
Ministerium dazu, einige der Interpretationen in gewissem Maße zu widerlegen.
Können Sie uns rückblickend sagen, was Sie im Sinn hatten ?
A. Nun, ich denke, um herauszufinden, was ich im Sinn hatte, muss man sich genau
an die Frage erinnern. Ich hatte zuvor gesagt, daß die Wiedervereinigung durch freie
Wahlen die normale Methode und die vereinbarte Methode sei und die Politik der
Vereinigten Staaten darstelle. Daraufhin wurde mir die Frage gestellt : „Heißt das,
keine freien Wahlen, keine Wiedervereinigung ?“, und ich sagte, nein, wir könnten
nicht den Standpunkt vertreten, daß wir die Wiedervereinigung ablehnen würden, nur
weil sie auf anderem Wege als durch freie Wahlen zustande kommt. Aber ich habe
auch später in einer Antwort auf eine andere Frage gesagt, daß wir derzeit keine
anderen Mittel im Sinn haben.
Jeder, der sich in der Geschichte auskennt––und die amerikanische Geschichte ist
ein gutes Beispiel dafür––weiß, daß Vereinigungen und Wiedervereinigungen auf
andere Weise als durch freie Wahlen zustande kommen können. Die ursprüngliche
Vereinigung dieses Landes kam durch gesetzgeberische Maßnahmen der Staaten
zustande, nicht durch irgendwelche allgemeinen Wahlen. Die Wiedervereinigung, die
65 stattfand, wurde nicht durch freie Wahlen herbeigeführt. Und im Falle der
Vereinigung Alaskas mit unserer Union gab es zwar allgemeine Wahlen in Alaska,
aber keine allgemeinen Wahlen in den Vereinigten Staaten zu diesem Thema.
Unsere eigene Geschichte veranschaulicht also eine Vielzahl von Wegen, auf denen
Vereinigung und Wiedervereinigung entstehen können. Und es kann keiner sagen, daß
freie Wahlen das einzige Mittel sind, mit dem eine Wiedervereinigung erreicht werden
kann. Ich würde sagen, daß wir alle hocherfreut wären, wenn Sie eine
Wiedervereinigung Deutschlands, eine effektive Wiedervereinigung Deutschlands, mit
allen Mitteln erreichen würden. Doch ob es andere Mittel als freie Wahlen gibt, weiß
ich nicht. Aber Sie werden sich erinnern, daß freie Wahlen die vereinbarte Methode
sind. Das wurde auf der „Gipfel“-konferenz vereinbart.
F. Nun, Herr Minister, ist es im Kontext der bekannten öffentlichen sowjetischen
Position und der bekannten westlichen Position eine faire Interpretation zu sagen, daß
Sie bereit sind, sich mit den Sowjets zusammenzusetzen und alle möglichen Wege zu
besprechen, die sie oder wir vorschlagen könnten, um die Wiedervereinigung
herbeizuführen––freie Wahlen oder anderweitig ?
A. Der wesentliche Punkt, der Kern der Sache, ist die Wiedervereinigung. Die
Methode ist weniger wichtig, solange es sich um eine Methode handelt, mit der das
Ergebnis erreicht wird und die sicherstellt, daß das Ergebnis offensichtlich vom Volk
gewünscht wird. Man will nichts gegen den Willen des Volkes durchsetzen. Aber die
Hauptsache ist, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu erreichen, wie es
manchmal formuliert wurde. Auf dem „Gipfel“ wurde vereinbart, daß die
Wiedervereinigung durch freie Wahlen herbeigeführt werden soll. Und die
Sowjetunion hat dem zugestimmt. Das war eine harte Verhandlung. Ich habe nie eine
härtere Verhandlung miterlebt als die Geheimsitzung, in der die Sowjetunion,
378 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

einschließlich Herrn Chruschtschow selbst, dem schließlich zugestimmt hat.


Wenn sie also eine andere Methode als die, der sie bereits zugestimmt haben,
vorschlagen wollen, ist es meiner Meinung nach in erster Linie ihre Sache, eine
Alternative vorzuschlagen und nicht unsere. Wir geben unsere Vereinbarung nicht auf,
nur um uns vergeblich zu bemühen, eine andere Methode zu finden. Wir stehen zu der
Vereinbarung, die wir haben. Wenn die Sowjets eine andere Methode haben und sagen:
„Wir wollen keine Wiedervereinigung durch freie Wahlen, aber wir sind bereit, sie auf
andere Weise zu erreichen“, dann können wir uns natürlich jeden Vorschlag anhören,
den sie machen. Aber mir scheint, daß die Hauptverantwortung, eine Alternative
vorzuschlagen, bei der Nation liegt, die aus der gegenwärtigen Vereinbarung
aussteigen will, nämlich aus der Vereinbarung, die Wiedervereinigung durch freie
Wahlen herbeizuführen.
F. Soll das heißen, mein Herr, daß Sie deren offensichtliche qualifizierte
Bereitschaft zur Konföderation nicht als eine neue Alternative betrachten ?
A. Nein, das tue ich nicht. Ganz im Gegenteil. Sowohl der Vorschlag für eine
Konföderation als auch der Vorschlag für einen Friedensvertrag mit zwei deutschen
Staaten zielen offensichtlich nicht auf die Wiedervereinigung ab, sondern darauf, die
Aufteilung, die Teilung Deutschlands zu bewahren und sie auf unbestimmte Zeit zu
formalisieren. Mit anderen Worten: Ich betrachte sie nicht als Vorschläge zur
Wiedervereinigung, sondern als Vorschläge zur dauerhaften Aufteilung.
* * * * * * *
F. Herr Minister, Sie sagten, daß die Idee einer Konföderation, wie sie von den
Russen vorgebracht wird, inakzeptabel ist. Würden Sie die Idee der Konföderation als
Verhandlungsgegenstand betrachten, wenn sie in einer anderen Form und mit
anderen Sicherheiten zur Wiedervereinigung führen würde ?
A. Nun, ich habe in meiner Antwort auf eine frühere Frage gesagt, daß das Wort
„Konföderation“ eine sehr große Bandbreite politischer Beziehungen abdeckt. Es kann
sich um eine Beziehung zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen und
unverbundenen Gebieten handeln, die dazu neigt, ihre Trennung aufrechtzuerhalten,
wobei vielleicht nur eine oberflächliche Einheit in Bezug auf bestimmte
Angelegenheiten besteht. Oder es kann sich um eine Konföderation handeln, die in der
Tat erhebliche Fortschritte in Richtung Wiedervereinigung macht. Ich sagte, daß man
die gegenwärtige Bundesrepublik Deutschland in gewissem Sinne eine Konföderation
nennen kann. Nun mag ich, wie gesagt, das Wort nicht verwenden, insbesondere weil
es zu einem Wort geworden ist, um das Emotionen kreisen. Aber die Frage, wie man
Wege finden kann, die die Wiedervereinigung tatsächlich fördern, kann und sollte
meiner Meinung nach so einfallsreich wie möglich untersucht werden.
* * * * * * *
______________

Stellungnahme von Außenminister Dulles vor dem Außenpolitischen


Ausschuss des Repräsentantenhauses, 28. Januar 1959 1
[Auszug]
* * * * * * *
* * * 1944–45 gab es zwischen den hauptsächlichen westlichen Alliierten und der
Sowjetunion Vereinbarungen über die Besatzungszonen in Deutschland. Im Rahmen

1 Pressemitteilung 71 des Außenministeriums, 28. Januar 1959.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 379

dieser Abkommen traten die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich bei
Beendigung der Feindseligkeiten sehr große Teile Deutschlands, auf denen ihre
Armeen damals standen, an die Sowjetunion ab. Als Teil dieser Vereinbarungen
erhielten sie und Frankreich das Recht, West-Berlin, das damals ein Trümmerfeld
war, zu besetzen und Zugang zu ihm zu haben.
Die Trümmer haben sich in einen lebendigen Beweis dafür verwandelt, was freie
Menschen tun können. Als solches erweist sich sein Kontrast als lästig und
beunruhigend für die kommunistische Herrschaft der umliegenden Gebiete. Deshalb
erklärt die Sowjetunion ihre Vereinbarungen mit uns für nichtig und fordert uns auf,
die kleine westliche Garnison abzuziehen, die allein die selbstbewusste
Unabhängigkeit des tapferen Volkes von West-Berlin gewährleistet. Das wäre, so die
Sowjetunion, ein Schritt zur „Beendigung des Kalten Krieges“.
Ein weiterer Schritt, so die Sowjetregierung, wäre, daß wir die Aufkündigung der
sowjetischen Vereinbarung akzeptieren, wonach die deutsche Wiedervereinigung in
der Verantwortung der vier Besatzungsmächte liegt und Deutschland durch freie
Wahlen wiedervereinigt werden soll.
Das war das wesentliche substantielle Ergebnis der „Gipfel“-konferenz, das nur
durch härteste Verhandlungen erreicht werden konnte. Die Sowjetregierung stimmte
jedoch schließlich zu, daß es einen „engen Zusammenhang zwischen der
Wiedervereinigung Deutschlands und den Problemen der europäischen Sicherheit gibt
und [daß] die erfolgreiche Lösung jedes dieser Probleme den Interessen der Festigung
des Friedens dienen würde“. Die Regierungsoberhäupter waren sich auch darin einig,
„ihre gemeinsame Verantwortung für die Lösung der deutschen Frage und die
Wiedervereinigung Deutschlands anzuerkennen“. Sie einigten sich auch auf „die
Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen“.
Die Sowjetunion scheint nun zu dem Schluss gekommen zu sein, daß eine
Wiedervereinigung Deutschlands nicht in ihrem Interesse liegt und daß zwei deutsche
Staaten fortbestehen sollen. Auch hat sie beschlossen, ihren Anteil an der vereinbarten
„gemeinsamen Verantwortung“ für die deutsche Frage und die deutsche
Wiedervereinigung abzustreifen und zugunsten ihrer Kreatur, der sogenannten
Deutschen Demokratischen Republik, zurückzutreten.
Die Sowjetunion argumentiert, daß, wenn wir die Auflösung des Gipfelabkommens
hinnehmen und andere, für sie günstigere Vereinbarungen akzeptieren würden, dies
ein weiterer guter Schritt zur „Beendigung des Kalten Krieges“ wäre.
Und so geht es weiter. Die Sowjetunion hat noch nie einen Vorschlag gemacht, der
die Beendigung des „Kalten Krieges“ fördern sollte, außer unter Bedingungen, die nach
ihrer Berechnung dem internationalen Kommunismus helfen würden, den „Kalten
Krieg“ zu gewinnen.
Ich weiß, daß immer die Versuchung besteht, nach einer Formulierung zu greifen,
die scheinbar die anhaltenden Belastungen, die Bürden und die Risiken, denen wir
jetzt ausgesetzt sind, beenden könnte. Aber die sowjetischen Vorschläge sind keine
Heilmittel, sondern Drogen, die uns für die wirkliche Gefahr betäuben würden, die
dann größer denn je sein wird.
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen, daß wir uns der ernsten Gefahren der
gegenwärtigen Situation voll bewußt sind. Es müssen alle vernünftigen und
angemessenen Anstrengungen unternommen werden, um unnötige Provokationen zu
vermeiden, einen Modus vivendi zu finden und die Gefahr eines Krieges zu verringern,
der unter den derzeitigen Bedingungen ein hohes Maß an weltweiter Vernichtung mit
sich bringen würde. Wir haben, denke ich, gezeigt, daß wir an solche Bemühungen
glauben.
380 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Wir schlossen den koreanischen Waffenstillstand, der die Feindseligkeiten in Korea


beendete.
Wir nahmen an der Genfer Konferenz von 1954 teil, die die Feindseligkeiten in
Indochina beendete.
In unseren Warschauer Gesprächen mit den chinesischen Kommunisten haben wir
versucht - und versuchen es immer noch - sicherzustellen, daß in der Region Taiwan
keine der beiden Seiten auf Gewalt zurückgreift, um die Wiedervereinigung Chinas zu
erreichen. Und die Regierung der Republik China hat im vergangenen Oktober erklärt,
daß sie sich bei der Wiederherstellung der Freiheit der Bevölkerung auf dem Festland
in erster Linie auf friedliche Mittel und nicht auf die Anwendung von Gewalt stützt.
Wir haben gemeinsam mit der Sowjetunion den österreichischen Staatsvertrag
abgeschlossen, der Österreich befreit hat.
Wir haben vor einem Jahr ein Abkommen über den kulturellen und
wissenschaftlichen Austausch mit der Sowjetunion geschlossen.
Wir haben uns mit der Sowjetunion auf dem Gipfeltreffen getroffen und die
Bereitschaft signalisiert, dies wieder zu tun. Aber die Sowjetunion hat die
Verhandlungen über ein solches Treffen im vergangenen Juni abgebrochen, als klar
wurde, daß wir uns frei fühlen würden, über einige Themen zu sprechen, die ihr nicht
gefallen.
Wir verhandeln in gutem Glauben über eine kontrollierte Einstellung der
Atomwaffentests.
Wir haben unsere Bereitschaft signalisiert, die miteinander verbundenen Probleme
von Berlin, der deutschen Wiedervereinigung und der europäischen Sicherheit zu
diskutieren. Aber bisher besteht die Sowjetunion darauf, daß wir nur über eine
Änderung des Status von West-Berlin––nicht von Ost-Berlin––und über einen
Friedensvertrag reden, der mit den beiden deutschen Staaten geschlossen würde und
die Teilung Deutschlands aufrechterhalten würde.
Die Grundsätze unserer Politik wurden erstmals 1947 bekannt gegeben. Diese
Politik beruht in erster Linie auf unserer Hoffnung, einen gerechten Frieden zu
erreichen und auf der Entschlossenheit, Aggressionen abzuwehren. Seit dieser Zeit
haben das amerikanische Volk und seine aufeinanderfolgenden Regierungen trotz
jeder Art von Provokation unerschütterlich und entschieden zu diesen grundlegenden
Zielen gestanden.
Ich versichere Ihnen, daß wir ebenso aufmerksam und wachsam jeden vernünftigen
Weg zu einer besseren Verständigung mit denjenigen suchen, die uns feindlich gesinnt
sind, wie wir aufmerksam und wachsam die Art von Stärke beibehalten, die sie von
der Torheit der Aggression überzeugen wird.
Wie Präsident Eisenhower wiederholt gesagt hat, gibt es nichts, was wir nicht zu
jeder Zeit und an jedem Ort tun würden, das eine begründete Aussicht auf die
Förderung eines gerechten Friedens bietet. Aber es wäre fahrlässig, sich zu
Maßnahmen einschüchtern oder verleiten zu lassen, die die gegenwärtige Gefahr
keineswegs beenden, sondern nur vergrößern würden.
___________

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, in


der gegen die Verhaftung eines Konvois der US-Armee protestiert wird, 4.
Februar 1959 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika macht die Sowjetregierung
dringend auf die ungerechtfertigte und unzulässige Verweigerung der normalen
Durchfahrt durch den Autobahnkontrollpunkt Marienborn für vier
Zweieinhalbtonner-Lkw und fünf Angehörige der US-Armee, die mit deren Betrieb
beauftragt sind, aufmerksam.

1 Pressemitteilung 90 des Außenministeriums, 4. Februar 1959.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 381
Dieser Konvoi wird seit dem 2. Februar 1959, 13:05 Uhr mitteleuropäischer Zeit,
aufgehalten.
Der Konvoi wurde bei der Ausfahrt aus Berlin von sowjetischem Personal am
Kontrollpunkt Nowawes durchgelassen, nachdem er die üblichen Verfahren
eingehalten hatte und folgte der festgelegten Route zu seinem Ziel. Am Kontrollpunkt
Marienborn verweigerten die sowjetischen Behörden dem Konvoi die Weiterfahrt.
Trotz der Proteste des Politischen Beraters der Vereinigten Staaten, in Berlin, beim
Politischen Berater der Sowjetunion und des Stabschefs der US-Armee, Europa, bei
der sowjetischen Militärverbindungsmission in Frankfurt am Main, wurde den
Männern und Fahrzeugen die Weiterreise bislang nicht gestattet.
Das Vorgehen der sowjetischen Behörden in Marienborn stellt eine eindeutige
Verletzung der Rechte der Vereinigten Staaten auf Zugang zu Berlin über die
Autobahn Berlin-Helmstedt dar, die von der US-Armee gemäß den vierseitigen
Vereinbarungen mit der UdSSR, dem Vereinigten Königreich und Frankreich seit
1945 ausgeübt werden.
Die Regierung der Vereinigten Staaten erwartet von der Sowjetregierung, daß sie
die notwendigen Maßnahmen ergreift, um den Männern und Fahrzeugen die
Weiterfahrt zu ermöglichen und eine Wiederholung des Vorfalls zu verhindern.
____________

Stellungnahme von Außenminister Dulles nach seiner Rückkehr aus


Europa, 9. Februar 1959 1
Ich habe in London, Paris und Bonn mit den Regierungschefs dieser Länder und mit
NATO-Generalsekretär Spaak gesprochen.
Wir hatten einen nützlichen Meinungsaustausch vor allem über die ernste Lage, die
durch die sowjetischen Drohungen und Ablehnungen in Bezug auf Berlin entstanden
ist.
Wir haben die Geschlossenheit und Entschlossenheit unserer Haltung bekräftigt,
die wir in dem gemeinsamen Kommuniqué der vier Mächte vom 14. Dezember in Paris
zum Ausdruck gebracht haben. Wir akzeptieren nicht, daß die Sowjetunion in ihrer
Verantwortung für Berlin und in ihren Verpflichtungen uns gegenüber durch
Ostdeutsche ersetzt wird. Wir sind entschlossen, unsere Stellung in West-Berlin und
unseren Zugang dazu zu bewahren. Wir sind uns allgemein über die Verfahren einig,
die wir anwenden werden, wenn physische Mittel eingesetzt werden, um in unsere
diesbezüglichen Rechte einzugreifen.
Wir haben über das gesamte Deutschlandproblem gesprochen. Wir haben uns über
die Aussichten für ein Außenministertreffen mit der Sowjetunion ausgetauscht, auf
dem alle Aspekte des deutschen Problems erörtert werden können, nicht nur Berlin
und ein Friedensvertrag, wie die Sowjets vorschlagen, sondern auch die
Wiedervereinigung und die europäische Sicherheit, wie die Westmächte vorgeschlagen
haben.
Wir sind bereit, mit den Sowjets in dem aufrichtigen Bemühen um Vereinbarungen
zu sprechen.
Die Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und der
Vereinigten Staaten werden hinsichtlich der Lage in Deutschland in engem Kontakt
bleiben und ihre Außenminister erwägen Treffen, falls dies angebracht ist. Beamte auf
anderen Ebenen werden sich zu spezifischen Fragen beraten.
Ich bin von der Einigkeit, dem Verständnis und der Entschlossenheit in den drei
Ländern, die ich besucht habe, ermutigt zurückgekehrt.

1 Pressemitteilung 99 des Außenministeriums, 9. Februar 1959.


382 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium,


über Deutschland, 16. Februar 1959 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten verweist auf die Note der Regierung der
UdSSR vom 10. Januar 1959.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat wiederholt ihre Überzeugung zum
Ausdruck gebracht, daß die fortgesetzte Teilung Deutschlands eine Gefahr für die
europäische Sicherheit und den Weltfrieden darstellt. Diese Gefahr wird durch die
anhaltende und flagrante Verweigerung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für
die Ostdeutschen noch verstärkt. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat sich
bemüht, dieses Problem so dringend wie möglich durch Verhandlungen zwischen den
vier für Deutschland verantwortlichen Mächten zu lösen. Bei der Verfolgung dieses
Ziels war sie bereit, ernsthaft über alle Aspekte des Problems zu verhandeln. Diese
seit langem vertretene Haltung wurde von den Vereinigten Staaten zuletzt in ihren
Noten vom 30. September und 31. Dezember 1958 zum Ausdruck gebracht.
Die Sowjetregierung hat ihre Absicht angekündigt, einseitig auf bestimmte
international vereinbarte Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen in bezug auf
Berlin zu verzichten. Dies könnte zu einem Versuch führen, die Kontrolle über die
Rechte der Westmächte, sich in Berlin aufzuhalten und ungehinderten Zugang dazu
zu haben, zu erlangen. Die Gefahr für den Weltfrieden, die von dieser sowjetischen
Initiative ausgeht, ist offensichtlich.
Der Standpunkt der Westmächte in dieser Angelegenheit ist in ihrer Note vom 31.
Dezember klar dargelegt worden. Sie haben keine andere Wahl, als erneut zu erklären,
daß sie sich das Recht vorbehalten, mit allen geeigneten Mitteln ihre Kommunikation
mit ihren Sektoren in Berlin aufrechtzuerhalten.
Abgesehen von der Berlin-Frage enthält die sowjetische Note vom 10. Januar eine
Reihe von Erklärungen und Vorschlägen, mit denen die Regierung der Vereinigten
Staaten nicht einverstanden ist. Die Regierung der Vereinigten Staaten beabsichtigt
jedoch nicht, diese Punkte in der vorliegenden Mitteilung zu erörtern. Dies liegt zum
einen daran, daß ihre Ansichten zu den fraglichen Punkten in der Note vom 31.
Dezember 1958 und bei früheren Gelegenheiten deutlich gemacht wurden, und zum
anderen daran, daß ihrer Ansicht nach weder Polemik noch das Beharren auf der
vorherigen Akzeptanz jeglicher Beschränkungen der Mittel zur Erreichung
beiderseitig zufriedenstellender Lösungen hilfreich sein können.
Die Regierung der Vereinigten Staaten ist bereit, an einer Konferenz der
Außenminister der UdSSR, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der
Vereinigten Staaten teilzunehmen und sie ist bereit, alle Vorschläge für einen Termin
und einen Ort zu prüfen, die im gegenseitigen Einvernehmen festgelegt würden. Ort
und Zeitpunkt sollten auf diplomatischem Wege festgelegt werden.
Die Konferenz sollte sich mit dem Deutschland-Problem in all seinen Aspekten und
Auswirkungen befassen, die im jüngsten Notenwechsel zwischen den Regierungen der
Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der
Bundesrepublik Deutschland einerseits und der Regierung der UdSSR andererseits
angesprochen wurden.
Es wird vorgeschlagen, deutsche Berater zu der Konferenz einzuladen und sie zu
konsultieren.

1 Pressemitteilung 115 des Außenministeriums vom 16. Februar 1959. Die Sowjetunion antwortet am 2.

März 1959 (siehe unten).


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 383

Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten über einen Deutschen


Friedensvertrag, 2. März 1959 1
[Inoffizielle Übersetzung]

Die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hat sich mit der Note
der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 16. Februar 1959 vertraut
gemacht und hält es für notwendig, folgendes zu erklären.
Die Note der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika gibt keine Antwort
auf den konkreten Vorschlag der Sowjetunion zum Abschluß eines deutschen
Friedensvertrages und zur Einberufung einer Friedenskonferenz der am Krieg mit
Deutschland beteiligten Staaten zu diesem Zweck sowie zur Normalisierung der Lage
in Berlin. Für die Lösung dieser Fragen, die für die Festigung des Friedens in Europa
und für die Zukunft des deutschen Volkes von kardinaler Bedeutung sind, bemüht sich
die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, Erklärungen über die
Zweckmäßigkeit einer Prüfung „des deutschen Problems in allen seinen Aspekten“
durch die vier Mächte zu übergehen, und unterbreitet ihrerseits keine Vorschläge
bezüglich des Kerns des Problems.
Schon das Aufwerfen der Deutschlandfrage in dieser Note zeugt von dem fehlenden
Willen, entweder die in Deutschland entstandene faktische Situation oder die
Forderungen des gesunden Menschenverstandes zu berücksichtigen. Wenn vor 14
Jahren Deutschland, obwohl in Zonen geteilt, ein Land mit einer sozialen Struktur
blieb, so gibt es heute zwei deutsche Staaten, die sich in unterschiedliche Richtungen
entwickelt haben. Die Regierungen der Westmächte können, wenn sie tatsächlich eine
Regelung der Deutschen Frage auf einer tragfähigen Grundlage anstreben, die Augen
vor dieser Tatsache nicht verschließen, zumal sie es waren, die als erste den
westdeutschen Staat geschaffen haben.
Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika, England und Frankreich von
Beginn der Besatzung an einen Kurs in Richtung Teilung Deutschlands eingeschlagen
hatten, bereiteten sie gleichzeitig die Wiederaufrüstung des von ihnen geschaffenen
westdeutschen Staates vor. Damit verwarfen sie das Potsdamer Abkommen, das von
der Idee der Ausrottung des deutschen Militarismus durchdrungen war, unter dem die
Völker Europas unter unglaublichen Opfern und Verlusten gelitten hatten. Wie die
späteren Ereignisse gezeigt haben, ging es ihnen vor allem darum, Westdeutschland
in ihren militärischen Verbund einzubinden. Die Beteiligung der bundesdeutschen
Öffentlichkeit an der NATO erlaubte es ihr, offen mit dem Aufbau der Bundeswehr zu
beginnen und deren Bewaffnung mit Atomraketen zu fordern. Gerade als Folge der
Aufrüstungspolitik und der Förderung der militaristischen Kräfte Westdeutschlands
müssen die europäischen Völker erneut in Sorge und Angst um ihre Zukunft leben.
Ein anderer unabhängiger deutscher Staat––die Deutsche Demokratische
Republik––hat für sich einen Kurs des Friedens und des sozialen Fortschritts gewählt.
Hier gibt es keinen Grund für die Wiederbelebung des Militarismus und die
Durchführung einer Politik der Aggression und Rache. Die Regierung der Deutschen
Demokratischen Republik hat auf die Wehrpflicht und die Bildung einer Massenarmee
verzichtet. Der Gegensatz und die Trennung zwischen den beiden deutschen Staaten

1 Bulletin des Außenministeriums, 13. April 1959, S. 508–511. Die Vereinigten Staaten antworteten am 26.
März 1959 (siehe unten).
384 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

wird durch die Zugehörigkeit zu gegensätzlichen militärisch-politischen


Mächtebündnissen und die aus der Zugehörigkeit zu diesen Bündnissen erwachsenden
Bindungen oder spezifischen Verpflichtungen noch vertieft. Die Deutsche
Demokratische Republik ist bekanntlich an der Organisation des Warschauer
Vertrages beteiligt, der kein anderes Ziel hat als die Stärkung des Friedens, den Abbau
internationaler Spannungen und die Beendigung des „Kalten Krieges“, während die
Bundesrepublik Deutschland aktiv an der NATO teilnimmt, wo alles dem
Rüstungswettlauf, dem Bestreben, die Welt in einem Zustand der Spannung zu halten,
und der Vorbereitung eines Angriffskrieges untergeordnet ist.
Auf diese Weise hat die Nachkriegsentwicklung Deutschlands andere Probleme auf
die Tagesordnung gesetzt als diejenigen, die in den ersten Jahren nach der Niederlage
Hitlerdeutschlands vor den vier Mächten standen. Jetzt ist es unmöglich, in der
Deutschen Frage irgendeinen Schritt vorwärts zu machen, wenn man sie mit dem
alten Maßstab angeht, ohne die Existenz zweier unabhängiger deutscher Staaten und
die grundlegenden Unterschiede in der Richtung ihrer Entwicklung zu
berücksichtigen. Und an dieser Situation wird sich kein Deut ändern, ganz gleich, wie
viele Noten oder Erklärungen die Westmächte abgeben, um Tatsachen zu leugnen, die
auf dem Leben selbst beruhen.
Die Westmächte schlagen vor, die Deutsche Frage in all ihren Aspekten zu
betrachten, während sie selbst bereits die Grundlage für eine solche Betrachtung
zerstört haben. Von einer gemeinsamen Politik der vier Mächte gegenüber
Deutschland ist schon jetzt keine Spur mehr zu sehen. Niemand kann z.B. der
Sowjetunion die Verantwortung dafür zuschieben, daß die Bundesrepublik
Deutschland eine militaristische Entwicklung genommen hat. Es ist allgemein
bekannt, daß die Sowjetunion die Westmächte mehrfach vor dieser Gefahr für die
Sache des Friedens und der Einheit Deutschlands gewarnt hat, die ein solcher
Entwicklungsweg Westdeutschlands in sich birgt. Andererseits ist es
unwahrscheinlich, daß irgend jemand den Westmächten die Tatsache zuschreiben
würde, daß in der Deutschen Demokratischen Republik die friedliebenden
demokratischen Kräfte gesiegt haben und stärker geworden sind.
Es besteht auch heute noch die Möglichkeit einer Rückkehr zur Zusammenarbeit
der vier Mächte in der wichtigen Deutschlandfrage. Der Abschluß eines deutschen
Friedensvertrages eröffnet eine solche Möglichkeit. In einem Friedensvertrag würden
die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland
gleichlautende Verpflichtungen übernehmen, die ein Wiederaufleben des deutschen
Militarismus ausschließen, die beiden deutschen Staaten Bedingungen für eine
friedliche Entwicklung sichern und die europäischen Völker von der bedrückenden
Kriegsgefahr befreien würden.
Der Vorschlag der Sowjetischen Regierung zum Abschluss eines Friedensvertrages
mit Deutschland hat bis heute die volle Unterstützung der Regierungen von neun
Staaten erhalten, die mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Hitlerdeutschland
teilgenommen haben. Die Bevölkerung dieser Länder umfasst fast eine Milliarde
Menschen. Darüber hinaus hat dieser Vorschlag auch in vielen anderen Staaten in
breiteren Kreisen der öffentlichen Meinung Zustimmung und Unterstützung
gefunden. Sind dies nicht überzeugende Fakten, die für den Abschluss eines
Friedensvertrages mit Deutschland in naher Zukunft sprechen ?
Was das Problem der Vereinigung Deutschlands anbelangt, so hat die Sowjetre-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 385

gierung in ihren Noten vom 27. November 1958 und 10. Januar 1959 sowie in einer
Reihe anderer Dokumente, die der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
zur Kenntnis gebracht wurden, klar und deutlich erklärt, daß sie eine Einmischung in
die Angelegenheiten der beiden deutschen Staaten und ihre Ersetzung durch irgend
einen Dritten bei der Lösung des Vereinigungsproblems für unmöglich und unzulässig
hält. Die Deutschen müssen und sollen dieses Problem selbst lösen. Das einzige, was
die vier Mächte in dieser Richtung unternehmen könnten, ohne die Souveränität der
Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu
verletzen, ist die Hilfe bei der Beseitigung der gegenwärtigen Entfremdung in den
Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und die Herbeiführung einer
Annäherung und Einigung zwischen ihnen zum Zwecke der Lösung der Aufgabe der
Wiedervereinigung Deutschlands. Die Sowjetische Regierung hat ihre Bereitschaft
bekundet, diese Hilfe zu leisten, und unterstützt insbesondere den Vorschlag der
Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die Schaffung einer
deutschen Konföderation. Es wäre natürlich zu erwarten, daß die Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika, die sich zur Sache der Wiedervereinigung
Deutschlands bekennt, diesem Vorschlag gegenüber eine konstruktive Haltung
einnehmen wird. Bislang ist eine solche Haltung jedoch nicht zu erkennen.
Die Sowjetregierung möchte auch betonen, daß nach ihrer tiefen Überzeugung der
Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und die Normalisierung der Lage
in Berlin unter den gegenwärtigen Bedingungen an sich das beste Mittel wären, um
auch einer Lösung des Problems der Wiedervereinigung in Übereinstimmung mit den
nationalen Bestrebungen der Deutschen und mit den Interessen des Friedens und der
Sicherheit anderer Völker näherzukommen.
Die Sowjetregierung geht bei ihrem Vorschlag für den Abschluß eines
Friedensvertrages mit Deutschland von der Notwendigkeit aus, die Regelung der seit
dem Zweiten Weltkrieg offengebliebenen Fragen, die die Beziehungen zwischen den
Staaten erschweren, zum Abschluß zu bringen. Dagegen können nur diejenigen
Einspruch erheben, die sich von der gegenwärtigen ungeregelten Lage nicht trennen
wollen, die den Boden für gefährliche Zusammenstöße zwischen den Staaten zu
erhalten trachten, die die Welt in einem Zustand des Fiebers halten wollen, die für die
Vorbereitung des Krieges und nicht für die Stärkung des Friedens sind.
Ein Friedensvertrag, wenn die interessierten Staaten ihn wirklich anstreben, kann
mit beiden deutschen Staaten geschlossen werden, da jetzt nur sie im Namen des
Deutschlands sprechen, das die Kapitulationsurkunde unterzeichnet hat, und ein
Friedensvertrag sollte die bestehende Situation regeln. Man muss in einer Welt der
Illusionen leben, wenn man damit rechnet, daß sich die Gesellschaftsordnung eines
dieser Staaten mit Hilfe einer Intervention von außen ändern lässt. Ist es nicht klar,
daß jeder Versuch, Druck auf die Deutsche Demokratische Republik und die
Bundesrepublik Deutschland auszuüben, zu einem Zusammenprall der beiden
gegensätzlichen militärischen Gruppierungen führen würde, an denen sie beteiligt
sind, und einen neuen Krieg über die Menschheit bringen würde, der hundertmal
schwerwiegendere Folgen hätte als alle bisherigen Kriege ?
Der Abschluß eines deutschen Friedensvertrages würde auch die Regelung der
Berlin-Frage bedeuten. Die Sowjetregierung hat die Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika mehr als einmal darauf aufmerksam gemacht, daß die in
Deutschland entstandene Situation nicht normal ist und in sich eine ernste Quelle
internationaler Spannungen insbesondere in den Beziehungen zwischen den Staaten
Europas darstellt. Die Sowjetregierung setzt sich für die Lösung dieser Frage auf einer
386 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

für alle Beteiligten annehmbaren Grundlage ein, mit dem Ziel, das Vertrauen und die
Sicherheit der Völker Europas zu gewährleisten. Gerade deshalb hat sie den Vorschlag
unterbreitet, West-Berlin in eine entmilitarisierte freie Stadt umzuwandeln, deren
Unabhängigkeit und notwendige geschäftliche, kulturelle und andere Verbindungen
mit den Ländern des Westens und des Ostens durch zuverlässige internationale
Garantien geschützt werden. An diesen Garantien können sich nach Auffassung der
Sowjetischen Regierung die Großmächte mit ihrem ganzen Gewicht und ihrer ganzen
Autorität beteiligen, was an sich schon die Wirksamkeit dieser Garantien sicherstellen
und die Rechte und den Status einer freien Stadt West-Berlin zuverlässig schützen
würde. Auch die Beteiligung der UNO an den Garantien ist durchaus möglich und
entspricht sowohl dem Interesse der Bevölkerung einer freien Stadt als auch dem der
Friedenssicherung. Selbstverständlich ist die Sowjetische Regierung bereit, die Frage
der Garantien gemeinsam mit anderen interessierten Staaten zu erörtern, um zu einer
für beide Seiten akzeptablen Vereinbarung zu kommen.
Die in der Note der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika enthaltene
Erklärung über ihre Bereitschaft, „alle geeigneten Mittel“ zur Aufrechterhaltung der
Besetzung West-Berlins einzusetzen, ändert natürlich nichts am Standpunkt der
Sowjetischen Regierung hinsichtlich der Notwendigkeit, die Berlin-Frage zu lösen und
beeinflußt nicht ihre diesbezüglichen Absichten. Es ist kaum nötig, der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika zu beweisen, daß die Parteien, denen sie mit der
Anwendung „aller Mittel“ drohen, über alles verfügen, was notwendig ist, um sich
würdig zu verteidigen und jeder Aggression eine Abfuhr zu erteilen. Die Sowjet-
regierung möchte betonen, daß sie als Verbündeter der Deutschen Demokratischen
Republik gemäß dem Warschauer Vertrag ihre Verpflichtungen aus diesem Vertrag
voll erfüllen wird. Bekanntlich wird dieser Standpunkt auch von allen
Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages eingenommen, die in ihrer
Entschlossenheit geeint sind, alles für die Erhaltung und, wenn nötig, für die
Wiederherstellung des Friedens zu tun.
Wie sind in einer solchen Situation die im Westen geäußerten Drohungen zu
bewerten, mit Panzern und Flugzeugen nach Berlin durchzubrechen, nachdem die
Deutsche Demokratische Republik als souveräner Staat, mit dem ein Friedensvertrag
geschlossen wurde, die vollständige Herrschaft über die Kommunikation zwischen
West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland übernommen hat ?
Wenn sich hinter diesen Drohungen wirklich die Absicht verbirgt, wieder zu den
Waffen zu greifen, dann wird jeder, der sich dazu entschließt, eine schwere
Verantwortung vor der Menschheit für die Entfesselung eines neuen Krieges auf sich
nehmen müssen. Wenn die Initiatoren solcher Drohungen damit rechnen, einen
Nervenkrieg zu führen und die Sowjetunion unter Druck zu setzen, dann müssen sie
wissen, daß solche Methoden gegenüber dem Sowjetstaat immer zum Scheitern
verurteilt waren und auch in Zukunft zum Scheitern verurteilt sein werden. Nach der
tiefen Überzeugung der Sowjetischen Regierung ist es jetzt mehr denn je notwendig,
dringend wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um den gefährlichen Lauf der Dinge
abzuwenden. Deshalb kehrt sie noch einmal zu ihrem Vorschlag zurück, ein Treffen
von Staatsmännern auf höchster Ebene abzuhalten.
Die Verhandlungen der Außenminister, die jetzt von der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika vorgeschlagen werden, sind ein langer Weg.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 387

Wenn die Regierungschefs noch keinen festen Beschluss gefaßt haben, um die
Beziehungen zwischen den Staaten auf der Grundlage der Zusammenarbeit
aufzubauen und nichts zuzulassen, was diese Beziehungen erschweren würde, können
dann andere Vertreter der Staaten solche Beschlüsse fassen, die eine grundlegende
Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten gewährleisten würden? Es kann
nicht bezweifelt werden, daß die Bemühungen solcher Vertreter weniger auf eine
Annäherung zwischen den Staaten als vielmehr auf die Suche nach Gründen und
Motiven gerichtet sind, die den einen oder anderen Staat bei der Einführung seiner
Vorschläge leiten.
Allein schon die Tatsache eines Treffens der Regierungschefs in der gegenwärtigen
angespannten Lage würde zweifellos die Normalisierung der gesamten
internationalen Atmosphäre fördern. Kann man die wahrhaft große historische
Bedeutung übersehen, die ein Beschluß der an der Konferenz teilnehmenden
Regierungschefs hätte, daß sie sich von nun an um eine Regelung aller internationalen
Probleme im Interesse des Friedens auf der Grundlage der Prinzipien des friedlichen
Zusammenlebens bemühen und nichts zulassen werden, was der Verwirklichung
dieser edlen Ziele entgegensteht ? Dies allein würde bereits günstige Bedingungen für
die erfolgreiche Lösung konkreter Fragen schaffen, die zu Spannungen in den
internationalen Angelegenheiten führen.
Natürlich könnten die Regierungschefs einen größeren Kreis von Fragen behandeln,
als von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika für eine Konferenz der
Außenminister vorgeschlagen wird. Dies gilt insbesondere für die Fragen, deren
Nichtlösung eine Bedrohung für die Sicherheit der Völker und den Weltfrieden in sich
birgt. Die Sowjetische Regierung geht davon aus, daß die Regierungschefs die von ihr
eingebrachten Vorschläge über den Abschluss eines Friedensvertrages mit
Deutschland sowie über die Verabschiedung gemeinsamer Maßnahmen zur
Beseitigung der im Zusammenhang mit der Fremdbesetzung West-Berlins
entstandenen anormalen Lage erörtern werden. Selbstverständlich müßten die auf
dieser Konferenz getroffenen Entscheidungen über einen Friedensvertrag einer
Friedenskonferenz vorgelegt werden, wie dies von der Sowjetunion vorgeschlagen
wurde.
Darüber hinaus könnten auf der Konferenz der Regierungschefs Fragen erörtert
werden, die mit der Wahrung der europäischen Sicherheit und der Abrüstung
zusammenhängen, wie der gegenseitige Rückzug der Streitkräfte und die Schaffung
einer atomwaffenfreien Zone und einer Zone des Rückzugs zwischen den Streitkräften
der Organisationen des Warschauer Paktes und der NATO, die Reduzierung der
Streitkräfte der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Vereinigten Staaten
von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs auf dem Territorium anderer Staaten,
das Verbot von Atom- und Wasserstoffwaffen und die Einstellung ihrer Erprobung und
andere. Die Sowjetische Regierung hat diese Fragen zu gegebener Zeit benannt, und
sie sind der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika wohl bekannt.
Die Sowjetregierung ist der Auffassung, daß für eine erfolgreiche Arbeit bei der
Vorbereitung eines Friedensvertrages mit Deutschland und bei der Entscheidung von
Fragen, die mit der Wahrung der europäischen Sicherheit verbunden sind, eine aktive
Beteiligung der Vertreter der Länder, die einer Aggression von seiten
Hitlerdeutschlands ausgesetzt waren, an dieser Arbeit notwendig ist. Vorschläge, die
darauf abzielen, die Erörterung eines Friedensvertrages im Rahmen von vier Mächten
zu begrenzen, können nur Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der vereinbarten
Beschlüsse hervorrufen. Deshalb hält es die Sowjetische Regierung für notwendig,
388 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

daß an der Konferenz neben den vier Mächten auch interessierte Länder wie Polen
und die Tschechoslowakei teilnehmen, die als Anrainerstaaten Deutschlands zu den
ersten Opfern der Hitler-Aggression wurden. Was die Teilnahme der Deutschen
Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland an der Konferenz
betrifft, so ist die Sowjetische Regierung der Auffassung, daß auf der Gipfelkonferenz
bei der Prüfung der Fragen über einen Friedensvertrag mit Deutschland und über
West-Berlin sowohl die Deutsche Demokratische Republik als auch die
Bundesrepublik Deutschland vertreten sein müssen. Im Westen werden oft Stimmen
gegen eine Gipfelkonferenz laut, da es keine Garantie dafür gebe, daß diese Konferenz
nicht scheitern werde. Natürlich kann eine solche Konferenz scheitern, wenn der eine
oder andere Teilnehmer von vornherein keine Lust hat, sich auf einem solchen Treffen
weiter zu verständigen. Aber in einem solchen Fall ist jede Konferenz, egal auf welcher
Ebene sie durchgeführt wird, unweigerlich zum Scheitern verurteilt.
Um den Erfolg einer Gipfelkonferenz zu sichern, ist es notwendig, daß alle
Teilnehmer von dem aufrichtigen Willen zur Einigung geleitet werden und erkennen,
daß es für die Sicherung eines dauerhaften Friedens unter den Völkern notwendig ist,
auf Versuche zu verzichten, in den Verhandlungen einseitige Vorteile zu erzielen.
Die Sowjetische Regierung vertritt die Auffassung, daß ein Treffen auf höchster
Ebene derzeit die größten Chancen hat, positive Ergebnisse zu erzielen. Um der
Entwicklung der Beziehungen zwischen den Staaten eine neue Richtung zu geben,
müssen so maßgebliche Staatsmänner wie die Regierungschefs, die über sehr große
Vollmachten und Erfahrungen verfügen, zu Wort kommen. Nachdem die
Regierungschefs untereinander Einvernehmen über wichtige internationale Fragen
erzielt haben, könnten sie die Außenminister beauftragen, künftige Maßnahmen zur
Umsetzung der gemeinsam gefassten Beschlüsse auszuarbeiten.
Wenn die Regierungen der Westmächte noch nicht bereit sind, an einer
Gipfelkonferenz teilzunehmen, so ist die Sowjetische Regierung der Auffassung, daß
zur Prüfung der Fragen des Friedensvertrages mit Deutschland und Westberlins eine
Konferenz der Außenminister der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der
Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens, Frankreichs, Polens und der
Tschechoslowakei einberufen werden könnte. Außerdem erklärt die Sowjetische
Regierung ihr Einverständnis mit dem Vorschlag der Regierungen der Vereinigten
Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs, daß auf dieser Tagung beide
deutschen Staaten––die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik
Deutschland––vertreten sein sollen. Da diese beiden konkreten Fragen längst
ausgereift sind, hält es die Sowjetische Regierung für angemessen, für die Arbeit eines
Außenministertreffens einen Zeitraum von höchstens zwei oder drei Monaten
vorzusehen.
Was die Frage des Zeitpunkts und des Ortes eines Treffens der Regierungschefs
anbelangt, so würde die Sowjetische Regierung es für möglich halten, eine solche
Konferenz im April dieses Jahres in Wien oder Genf einzuberufen, wenn dies der
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und auch den Regierungen der
Staaten, die an einer solchen Konferenz teilnehmen, gelegen kommt und wenn
natürlich die Regierung Österreichs oder der Schweiz bereit wäre, den Teilnehmern
einer solchen Konferenz Gastfreundschaft zu gewähren.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 389

Sollte die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika noch nicht zu einem
Treffen der Regierungschefs bereit sein, so schlägt die Sowjetische Regierung vor, zum
oben genannten Zeitpunkt und Ort eine Konferenz der Außenminister in der oben
vorgeschlagenen Zusammensetzung einzuberufen.
Die Sowjetregierung möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß ihr Vorschlag auf
die Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika stößt, die
zusammen mit der Sowjetunion und anderen staatlichen Teilnehmern der Anti-Hitler-
Koalition in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ihren Beitrag zur Zerschlagung
Hitlerdeutschlands geleistet hat und nun mit dem Abschluss eines Friedensvertrages
mit Deutschland die Beseitigung einer militärischen Gefahr von Seiten des deutschen
Militarismus vorantreiben würde.
_____________

Rede von Ministerpräsident Chruschtschow auf der Neunten Gesamt-


deutschen Arbeiterkonferenz in Leipzig, 7. März 1959 1
[Auszug]
* * * * * * *
Genossinnen und Genossen, die internationale Arbeiterbewegung steht vor
grundlegenden Fragen und vor Fragen ganz anderer Art. Die Fragen des
Kommunismus, die Frage der friedlichen Koexistenz von Ländern mit
unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Systemen sind kardinale, grundlegende
Probleme unserer Zeit. Das deutsche Problem, so wichtig es auch ist, ist ein besonderes
Thema. Manch einer mag sagen: Wie kommt es, daß Kruschtschow hierher nach
Deutschland kommt und erklärt, das deutsche Problem sei ein besonderes Thema?
Ich möchte, daß Sie mich richtig verstehen. Die Weltbevölkerung beträgt etwa 2,5
Milliarden, davon sind etwa 80 Millionen Deutsche. Die Frage des gesellschaftlichen
Wandels hin zum Kommunismus betrifft alle Völker der Welt, während die deutsche
Frage hauptsächlich Deutschland betrifft. Natürlich ist es eine akute, eine wichtige
Frage. Wir stehen für die deutsche Einheit und das deutsche Volk braucht sie. Aber
können die Völker der Welt ohne die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten
existieren? Das können sie, und zwar nicht schlecht. Können die Deutschen ohne die
Wiedervereinigung leben ? Das können sie, sogar gut. Folglich ist dies zwar eine
wichtige, aber keine grundsätzliche Frage.
Warum messen wir dem deutschen Problem dann trotzdem so große Bedeutung bei ?
Weil es der Schwerpunkt des Problems von Krieg und Frieden ist, eine der
Hauptquellen für internationale Reibungen und Konflikte. Großartige Streitkräfte der
Länder des Westens und des Ostens sind in Deutschland konzentriert. Und wenn sich
zwei Armeen gegenüberstehen, in direktem Kontakt sind, kann jeder Funke einen
Flächenbrand des Krieges auslösen, können alle Arten von unerwarteten
Möglichkeiten entstehen. Das muss verhindert werden. Deshalb drängen wir auf eine
Normalisierung der Lage in Deutschland und werden dies auch weiterhin konsequent
tun.
Der vernünftigste Ausweg wäre die Unterzeichnung eines Friedensvertrags mit den
beiden deutschen Republiken. Das wäre unter den gegenwärtigen Umständen die
korrekteste Lösung der Frage. Die Unterzeichnung eines Friedensvertrages, der nichts
an dem ändert, was nach dem Krieg entstanden ist und der die bestehende Situation
in Mitteleuropa endlich festlegt, würde einen entscheidenden Schritt zur
Normalisierung der internationalen Lage, zur Herstellung eines Klimas des
1 Veröffentlicht am 27. März 1959.
390 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Vertrauens zwischen beiden Seiten darstellen. Aber die herrschenden Kreise der
Westmächte halten hartnäckig an den Positionen des Kalten Krieges fest und nutzen
das deutsche Problem zu diesem Zweck aus.
Genossinnen und Genossen, unsere Länder haben in den letzten 50 Jahren gleich
zwei blutige Kriege gegeneinander geführt. Ich selbst war von den ersten Tagen des
letzten Krieges an in der Armee und habe alle Schrecken des Krieges mit eigenen
Augen gesehen. Als Mitglied des Militärrates der Stalingrader Front war ich Zeuge
und Teilnehmer der Stalingrader Niederlage der Nazi-Truppen. Infolge der
verbrecherischen Befehle Hitlers, der von den eingekesselten Truppen verlangte, bis
zum letzten Mann zu kämpfen, waren die deutschen Verluste enorm. Die Stadt war
buchstäblich mit den Leichen deutscher Soldaten übersät. Große Verluste gab es auch
in der Wolgasteppe, als Mannstein mit seinen Truppen versuchte, durchzubrechen, um
die im Kessel von Stalingrad gefangene Armee zu befreien, aber von unseren Truppen
unter dem Kommando von Marschall Malinovskiy entschlossen zurückgeschlagen
wurde. Es war in der Tat ein schrecklicher Krieg. Viele Millionen sind in diesem Krieg
umgekommen und die Menschen starben nicht nur an der Front.
Sie sind sich der abscheulichen Verbrechen der Gestapo bewusst. Sie haben von
Cswiecim, Maidanek, Buchenwald, von Todeskammern, von Massakern an wehrlosen
Kriegsgefangenen und Zivilisten gehört. Gibt es irgendetwas, was die Nazis nicht
getan haben, um die Beziehungen zwischen dem sowjetischen Volk und den Deutschen
zu vergiften ? Aber die menschliche Vernunft siegt, trotz aller Verbrechen der
Vergangenheit, über den Obskurantismus. Gewiss, schon während des Krieges
erkannten nicht wenige deutsche Soldaten, daß Hitler einen verbrecherischen
Angriffskrieg begonnen hatte. Ich erinnere mich zum Beispiel an das Verhör eines
deutschen Soldaten, der 1943 am Kursk-Bogen auf die sowjetische Seite überlief. Er
sagte, daß er Hitler und den Nationalsozialismus hasse und daß der
Nationalsozialismus vernichtet werden müsse.
Und jetzt, nach dem Krieg, wo freundschaftliche und brüderliche Beziehungen
zwischen dem sowjetischen Volk und dem werktätigen Volk der DDR entstanden sind,
ist es angenehm, die freundschaftliche Haltung gegenüber dem sowjetischen Volk in
der DDR zu sehen, zu spüren, wie richtig das werktätige Volk der DDR versteht, daß
das sowjetische Volk sein bester Freund ist. Ich denke, daß die Deutschen, die seit dem
Krieg in der Sowjetunion waren, bestätigen werden, daß unser Volk Ihnen gegenüber
das aufrichtigste Gefühl der Freundschaft hegt.
Die Sowjetunion, das sowjetische Volk, war und ist immer für die Einheit
Deutschlands. Es waren die Machthaber der Westmächte, die seinerzeit die
Zerstückelung Deutschlands forderten und es waren genau ihre separatistischen
Aktionen, die zu einer Spaltung Ihres Landes führten. Dagegen vertrat unsere
Regierung, Stalin, beharrlich die Idee der deutschen Einheit. Und an dieser
Entscheidung halten wir auch heute noch fest. Aber auf welcher Grundlage soll
Deutschland nun wiedervereinigt werden ? Wir sind nicht für eine Wiedervereinigung
nach Belieben. Und ich denke, auch Sie werden mir zustimmen, daß die Frage der
Wiedervereinigung in erster Linie von Klassenpositionen aus angegangen werden
sollte.
Hier ist ein Beispiel. Nach dem Ersten Weltkrieg, als die junge russische Republik
den Friedensvertrag von Brest unterzeichnen musste, unterzeichnete der
konterrevolutionäre Zentralrat in der Ukraine ebenfalls einen Friedensvertrag mit
Deutschland. Der ukrainische Staat wurde von den deutschen Imperialisten
beherrscht. In einigen Grenzdörfern wurde die Bevölkerung befragt, zu welchem Staat
sie gehören wollte, zur Russischen Föderation oder zur Ukraine.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 391

Das Dorf, in dem ich geboren wurde, liegt an der Grenze zwischen der Ukraine und
Russland. Es ist ein russisches Dorf, aber die meisten seiner Bewohner––mein Vater
und ich selbst eingeschlossen––arbeiteten in den Minen des Donez und in den Städten
im Süden der Ukraine. Infolgedessen gab es unter den Bauern viele Auseinander-
setzungen darüber, welchem der beiden Staaten man sich anschließen sollte. Viele der
Dorfbewohner wollten sich der Ukraine anschließen und wenn es dort keine
„Hajdamaken“ (konterrevolutionäre Kräfte der Zentralukrainischen Rada, die 1918–
1919 aktiv waren) gebe und das Land nicht von Kapitalisten und Großgrundbesitzern
regiert würde, hätten die Menschen in unserem Dorf wahrscheinlich für den Anschluss
an die Ukraine gestimmt. Doch als sich einige Bauern für den Anschluss an die
Ukraine aussprachen, sagten die anderen : Auch wir ziehen den Anschluss an die
Ukraine vor. Die Ukraine ist reich ; wir haben uns an sie gewöhnt und dort gearbeitet.
Aber es gibt heute „Hajdamaken“ in der Ukraine. Nicht weit von hier ist ein Trupp
Hajdamaken unter dem Kommando des Sohnes unseres Gutsherrn untergebracht. Es
wird berichtet, er habe gesagt : Lasst die Bauern meinen Wald abholzen, solange sie
den Haselhain stehen lassen, damit ich eine Rute habe, mit der ich die Bauern
schlagen kann. Und die Bauern stimmten schließlich für den Beitritt zur Russischen
Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik. Die Bauern in einigen Dörfern an der
Grenze zur Ukraine tendierten zu den Ukrainern, stimmten aber für die Sowjetmacht–
–für den Anschluss an Sowjetrussland, weil die Ukraine von Kapitalisten und
Landbesitzern regiert wurde, während Russland die Macht der Arbeiter und Bauern
geschaffen hatte. Dies war der Klassenansatz für die Lösung des Grenzproblems.
Doch kommen wir zurück zur Frage der deutschen Wiedervereinigung. Ich selbst
bin Russe, ich komme aus der Arbeiterschaft und ich respektiere natürlich meine
Nation und ich respektiere auch andere Nationen. Aber wenn es um Klassensolidarität
geht––um Klassenkampf, dann setze ich mich für die Interessen der Arbeiterklasse––
für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung ein.
Was bedeutet die Wiedervereinigung Deutschlands unter den heutigen
Bedingungen, wenn zwei deutsche Staaten existieren ? Auf welcher Grundlage kann
sie erreicht werden ? Wer die Interessen der Arbeiterklasse vertritt, kann nicht einmal
gedanklich zugeben, daß die Arbeiter und Bauern der DDR, die einen Arbeiter-Bauern-
Staat geschaffen haben und erfolgreich den Sozialismus aufbauen, als Folge der
Wiedervereinigung alle ihre Errungenschaften verlieren und sich damit abfinden
sollen, wie früher in kapitalistischer Sklaverei zu leben.
Unsere Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands auf kapitalistischer
Grundlage, liebe Genossinnen und Genossen, würde uns Arbeiter in den Augen der
künftigen Generationen entehren. Sie würden sagen : „Das bedeutet, daß unsere
Vorfahren, unsere Väter––geblendet vom Nationalismus––jedes Klassenbewußtsein
verloren haben, aufgehört haben, die Interessen ihrer Klasse zu verteidigen und sich
darauf geeinigt haben, die sozialistischen Errungenschaften aufzugeben.“ Können wir
das tun ? Sicherlich nicht.
Können wir zustimmen, wenn die kapitalistische Welt vorschlägt, die
Wiedervereinigung Deutschlands auf Kosten der DDR zu erreichen und damit die
Front des Sozialismus zu verengen ? Damit würde man die sprichwörtliche Karausche
imitieren, die dem Hecht ins Maul springen wollte, und zwar so, daß sie ihm nicht den
Hals abschnürt. Wir wurden nicht geboren und leben nicht, um dem Kapitalismus
nachzugeben. Wir müssen fest an den Prinzipien des proletarischen Interna-
tionalismus festhalten. Wir leben, wie Lenin sagte, im Gebiet der proletarischen
Revolutionen und des Zusammenbruchs des Kapitalismus. Die Frage kann auch so
gestellt werden: Warum nicht Deutschland wiedervereinigen, indem man das
kapitalistische System in Westdeutschland abschafft und dort die Macht der
392 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Arbeiterklasse etabliert ? Aber das wäre heute unrealistisch. Noch unrealistischer


wäre es aber, sich Hoffnungen auf die Auflösung der sozialistischen Errungenschaften
in der DDR, auf die Auflösung der Macht der Arbeiter und Bauern zu machen.
Die Vertreter der bürgerlichen Welt geben sich heute als Verfechter der Demokratie
aus. Sie sagen : Wir sind für gesamtdeutsche Wahlen. Doch bei dieser demagogischen
Parole vergessen sie––was wir nicht vergessen dürfen––daß sie sich schon einmal in
einer ähnlichen Frage bloßgestellt haben. Ich meine die Genfer Vereinbarung über die
Wahlen in Vietnam. Der vom vietnamesischen Volk unter der Führung von Genosse
Ho Chi Minh, diesem großen Sohn des Volkes, geführte Kampf um die Befreiung von
den französischen Kolonialisten endete mit einem Sieg. Die Imperialisten mussten den
Krieg beenden.
In Genf wurde dann eine Einigung über die Abhaltung von Parlamentswahlen in
Vietnam innerhalb der nächsten zwei Jahre erzielt. Diese zwei Jahre sind schon lange
verstrichen, aber es wurden noch keine Wahlen abgehalten, weil die Imperialisten
wissen, daß, wenn sie abgehalten würden, sich das gesamte vietnamesische Volk
hinter dem Banner der Arbeiter- und Bauernregierung versammeln würde. Es ist zu
bemerken, daß die Vereinigten Staaten die größten Anstrengungen unternommen
haben, um freie Wahlen in Vietnam zu verhindern. Auf diese Weise ehren sie ihre
internationalen Vereinbarungen. Und nach all dem wagen sie es, uns vorzuwerfen, wir
seien angeblich gegen die so genannten freien Wahlen. Die Imperialisten haben selbst
gegen das internationale Abkommen verstoßen, das sie unterzeichnet haben. Sie
haben dies ihren Klasseninteressen und ihren Klassengenossen, den Kapitalisten und
Großgrundbesitzern in Südvietnam, zuliebe getan. Dies ist ein Klassenansatz.
Wenn die Kapitalistenklasse ihre Klasseninteressen schützt, sollten dann nicht
auch wir, die Arbeiter, unsere Klasseninteressen verstehen und schützen ? Wir
müssen mit all unserer Kraft die Interessen der arbeitenden Menschen und ihre
Gewinne schützen. Ich wiederhole : Wir sind für die deutsche Einheit und das deutsche
Volk wird wiedervereinigt werden. Dies ist nur eine Frage der Zeit. Dabei ist es
natürlich sehr wichtig, auf welcher Grundlage es wiedervereinigt werden wird.
Deshalb, keine Eile, der Wind weht Ihnen nicht ins Gesicht, überdenken Sie alles
sorgfältig. Haben Sie Geduld, aber handeln Sie auch. Seien Sie nicht nur Zuschauer,
damit Sie sich nicht vor Ihren Kindern und Enkeln schämen müssen, sondern ihnen
im Gegenteil sagen können, daß die Arbeiterklasse Deutschlands aktiv für die
Verteidigung ihrer Klassen- und nationalen Interessen gekämpft hat. Wenn Sie
wollen, daß Ihre Kinder und Enkel sich mit Dankbarkeit an Sie erinnern, sollten Sie
für den Abschluß eines deutschen Friedensvertrages kämpfen, der ein wichtiger
Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands sein würde.
Was ist zu tun ? Einen Friedensvertrag mit den beiden tatsächlich bestehenden
deutschen Staaten zu schließen. Wenn es jetzt möglich wäre, eine Konföderation der
beiden deutschen Staaten zu gründen, wäre das auch gut. Ich habe viele Gespräche
mit Vertretern der Westmächte geführt, auch mit Vertretern verschiedener Kreise der
Bundesrepublik Deutschland. Ich habe sie gefragt : Warum fürchtet ihr eine
Konföderation ? Wenn ihr, die Kapitalisten, geistig und materiell so stark seid, wie ihr
sagt, könntet ihr doch den sozialistischen Sektor beeinflussen, ihn verdauen und ein
wiedervereinigtes Deutschland nach kapitalistischen Grundsätzen haben. Aber die
Kapitalisten fürchten eine Konföderation. Sie haben offenbar kein Vertrauen in ihre
kapitalistischen Mägen, die die sozialistischen Errungenschaften der DDR nicht
verdauen können. Was wollen Sie denn, meine Herren Kapitalisten ? Sie wollen
offenbar, daß wir, die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder, Ihnen
helfen, die DDR zu zerstören.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 393

Nein, meine Herren, wir werden Sie bei diesem unheilvollen Werk nicht unterstützen.
Wir stehen voll und ganz auf der Seite der deutschen Arbeiterklasse. Die DDR ist eine
Republik der Arbeiterklasse. Sie ist eine Republik der Arbeiterklasse und des
Bauerntums, die Heimat aller deutschen Arbeiter.
Und nun, liebe Genossinnen und Genossen, erlauben Sie mir, die Frage der Grenzen
anzusprechen. Wenn Herr Adenauer gefragt würde, ob er glaubt, daß der Teil des
deutschen Gebietes, der als Folge des von den Nazis begonnenen Krieges verloren
gegangen ist, mit Hilfe der Politik des kalten Krieges zurückgegeben werden kann,
würde er bei einem Treffen offensichtlich „ja“ sagen und zu Hause „nein“.
Die Geschichte lehrt, daß es nicht die Konferenzen sind, die die nationalen Grenzen
verändern. Konferenzen können in ihren Beschlüssen nur ein festgestelltes
Kräftegleichgewicht widerspiegeln, das sich aus einem Sieg oder einer Kapitulation
nach einem Krieg oder aus anderen Umständen ergibt. Folglich können die Grenzen
als Folge eines Krieges verändert werden. Die derzeitige Lage ist jedoch so, daß beide
Seiten vernünftig genug sind, um Feindseligkeiten über die Frage der Grenzen zu
vermeiden. Folglich sollten die Grenzen offenbar so anerkannt werden, wie sie
bestehen.
Mir ist klar, daß diese Frage für Sie Deutsche schmerzlich ist. Sie werden vielleicht
sagen : Herr Chruschtschow hat gut reden. Doch nicht die Sowjetunion, sondern
Deutschland hat infolge des Zweiten Weltkriegs einige Gebiete verloren.
Aber ich bitte Sie, liebe Genossen, mich nicht nur als Vertreter meines Volkes zu
betrachten. Ich bin vor allem ein Kommunist, ein Mitglied der Kommunistischen
Partei. Glauben Sie nicht, daß die Frage nach den Grenzen nur von Deutschen als
heikel angesehen wird. Diese Frage ist auch für viele kapitalistische Staaten sehr
akut. Mit dem Sieg der sozialistischen Revolution wird die Frage der Grenzen in einer
Reihe von Ländern einen anderen Charakter annehmen und nicht mehr so akut sein
wie im Kapitalismus. Dennoch gibt es sie auch in den sozialistischen Ländern.
Nehmen wir die Sowjetunion und Polen. Fragt man die Ukrainer oder Weißrussen,
so werden sie sagen, daß noch heute mehrere Regionen auf dem Gebiet des heutigen
Polen liegen, die früher zur Ukraine und Weißrußland gehörten. Sogar ein „Zeuge“ wie
der verstorbene Lord Curzon würde dies bestätigen können: Es ist bekannt, daß die
sogenannte „Curzon-Linie“ die sowjetisch-polnische Grenze wesentlich weiter nach
Westen zog als sie heute verläuft. Ich spreche keineswegs darüber, weil es zwischen
der Sowjetunion und Polen einige umstrittene territoriale Fragen gibt. Solche Fragen
gibt es nicht, wenngleich ich davon überzeugt bin, daß es in Polen einen Teil der
Bevölkerung gibt, der die bestehende Grenze nicht für gerecht hält und sie offenbar
gerne etwas weiter östlich verlaufen sähe als heute.
Nehmen Sie auch Jugoslawien und Ungarn als Beispiel. Seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs wurde ein Teil des Gebiets, das früher zu Ungarn gehörte, in Jugoslawien
eingegliedert, und dort leben etwa 1 Million Ungarn. Oder nehmen Sie die Frage
Siebenbürgens, wo sowohl eine beträchtliche Anzahl von Rumänen als auch von
Ungarn lebt und wo die Interessen des königlichen Rumäniens und von Horthys
Ungarn sehr heftig aufeinanderprallten. Das hatte zwangsläufig Folgen, die auch
heute noch sichtbar sind.
Es ist bekannt, daß ein Teil der heutigen Moldauischen Sowjetrepublik vom
rumänischen König an sich gerissen wurde und vor einiger Zeit mit dem sowjetischen
Territorium wiedervereinigt wurde. Zwischen der Sowjetunion und der Rumänischen
Volksrepublik gibt es jedoch keinen Streit über eine Grenze, da unsere beiden Länder
394 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

sozialistisch sind und sich von gemeinsamen Interessen leiten lassen und beide auf ein
Ziel, den Kommunismus, hinarbeiten. Das bedeutet jedoch nicht, daß es in der
rumänischen Bevölkerung nicht Menschen gibt, die Moldawien als Teil Rumäniens
betrachten.
Wir verschließen nicht die Augen vor der Tatsache, daß solche Gefühle entstehen
können. Gleichzeitig sind wir aber der Meinung, daß die Grenzfrage für uns
Kommunisten nicht von großer Bedeutung ist und daß es darüber keine Konflikte
zwischen sozialistischen Ländern geben kann. Wir Leninisten sehen das Ziel unseres
Lebens im Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft, der strahlenden Zukunft der
Menschheit. In dieser Gesellschaft wird es keine Klassen geben, es wird keine
Ausbeutung des Menschen durch Menschen geben ; der materielle und geistige Nutzen
wird allen Menschen gehören ; der gesamte Reichtum der Erde––egal wo er liegt––
wird allen Menschen, die von den Fesseln des Kapitalismus befreit sind,
gleichermaßen dienen. Im Kommunismus kann es nicht anders sein. Die
Angelegenheiten können nicht so dargestellt werden, daß wir, nachdem wir eine
kommunistische Gesellschaft aufgebaut haben, unsere Grenzen mit noch mehr Posten
aufstocken und Grenztruppen und Beamte zur Erteilung von Grenzgenehmigungen
unterhalten müssen.
Die Frage der Grenzen ist eine der akutesten und kompliziertesten Fragen, die wir
von der alten kapitalistischen Welt geerbt haben. Im Bewusstsein von Millionen von
Menschen, die den Sozialismus aufbauen, existieren heute noch alte, auf bürgerlichen
Rechtsnormen beruhende Vorstellungen von Grenzen, parallel zu anderen
Überbleibseln des Kapitalismus. Auch viele Kommunisten sind nicht frei von diesen
Überbleibseln. Deshalb kommen wir heute nicht umhin, dies zu berücksichtigen und
die Massen geduldig zum Verständnis dieser Frage vom Standpunkt des
Kommunismus aus zu führen. Die kommunistische Gesellschaft, die über eine Fülle
von materiellen und geistigen Reichtümern verfügen wird, wird in der Lage sein, die
Ansprüche jedes Einzelnen und jeder Nation gleichermaßen zu befriedigen. Ich denke,
im Kommunismus wird es überhaupt keine Probleme geben, die Menschen mit den
Mitteln zum Leben zu versorgen. Das Wichtigste wird sein, zu wissen, wie man alles,
was die Natur und die Arbeit dem Menschen geben können, am besten und
rationellsten im Interesse der gesamten Menschheit, die den Kommunismus erreicht
hat, und nicht nur im Interesse einer Nation nutzen kann.
Unter diesen Umständen werden frühere Konzepte von Grenzen als solche
allmählich überholt sein. Mit dem Sieg des Kommunismus auf der ganzen Welt werden
die Staatsgrenzen, wie sie der Marxismus-Leninismus lehrt, verschwinden.
Wahrscheinlich werden vorerst nur ethnographische Grenzen übrig bleiben und selbst
diese werden offenbar nur bedingt existieren. Natürlich wird es entlang solcher
Grenzen––wenn man sie überhaupt als Grenzen bezeichnen kann––keine
Grenzschützer, keine Zöllner und auch keine Zwischenfälle geben. Diese Grenzen
werden lediglich den historisch gewachsenen Lebensraum eines Volkes oder einer
Nationalität in einem bestimmten Gebiet festlegen. Daß genau dies der Fall sein wird,
zeigt der Prozeß, der sich in der Sowjetunion, einem multinationalen Staat, vollzieht.
Jedes Volk, jede Nationalität und jede nationale Gruppe in der Sowjetunion hat seine
Grenzen, die durch die Geschichte, durch die eigenen Traditionen und die eigene
Kultur entstanden sind.
Aber alle Völker der Union der autonomen Republiken unseres Landes sind durch
ihre gemeinsamen lebenswichtigen Interessen in einer einzigen Gemeinschaft vereint
und sie bewegen sich gemeinsam auf ein Ziel zu, den Kommunismus. Deshalb verlieren
die Grenzen zwischen der Union und den autonomen Republiken, die in der Sowjet-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 395

union integriert sind, allmählich ihre frühere Bedeutung.


Mit dem Übergang unseres Landes zum Sozialismus lösten sich die Grenzen
zwischen den einzelnen Republiken sozusagen auf. Dieser Prozess gewann an
Schwung, als sich die Kluft zwischen den Entwicklungsstandards der nationalen
Republiken verschmälerte. Wenn Sie heute einen Russen, einen Ukrainer oder einen
Weißrussen fragen, ob die administrativen Grenzen ihrer Republiken für sie von
aktuellem Interesse sind, werden die meisten von der Frage verblüfft sein. Und
warum ? Ich denke, weil in unserem sozialistischen Staat alle Nationen und
Nationalitäten die gleichen Rechte genießen; das Leben basiert auf einem einzigen
sozialistischen System und die materiellen und geistigen Bedürfnisse jedes Volkes und
jeder Nationalität werden in gleichem Maße erfüllt.
Vor fünf Jahren wurde es für angebracht befunden, die Krim, die bis dahin Teil der
Russischen Föderation war, in die Ukrainische Republik einzugliedern. Dies geschah
auf absolut freiwilliger Basis und wurde sowohl von den Russen als auch von den
Ukrainern unterstützt. Und warum ? Weil die Aktion weder die Interessen der Russen
noch die der Ukrainer berührte und die Krim und ihre Reichtümer nach wie vor ein
Erbgut des gesamten sowjetischen Volkes sind.
Die Grundlagen für kommunistische Beziehungen zwischen den Völkern wurden in
der Sowjetunion und im gesamten sozialistischen Lager gelegt. Die Beispiele dafür
sind zahlreich. Die Völker der sozialistischen Nationen sind durch Bande brüderlicher
Freundschaft und durch ihr gemeinsames Interesse am Aufbau des Sozialismus und
des Kommunismus miteinander verbunden. Sie leisten sich ständig selbstlose
gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Zwischen den souveränen Staaten des
sozialistischen Lagers entwickelt sich eine umfassende Zusammenarbeit in allen
Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens. Ich
denke, die künftige Entwicklungstendenz der sozialistischen Länder wird aller
Voraussicht nach darin bestehen, ein einzelnes Weltsystem sozialistischer Wirtschaft
zu schaffen. Wirtschaftliche Schranken, die unsere Länder im Kapitalismus trennten,
werden nach und nach abgebaut werden. Die gemeinsame wirtschaftliche Basis des
Weltsozialismus wird sich festigen und damit werden die Grenzen schließlich zu einer
bedeutungslosen Frage.
Es gibt einen guten Beschleuniger für diesen Prozess. Es ist die Angleichung des
allgemeinen wirtschaftlichen und kulturellen Niveaus der sozialistischen Länder
durch die Förderung derjenigen, die zurückliegen.
Je höher der Lebensstandard aller freien Völker wird und je umfassender ihre
materiellen und geistigen Bedürfnisse befriedigt werden, desto schneller und leichter
werden die Überreste des Kapitalismus in den Köpfen der Menschen ausgelöscht
werden und desto schneller wird der Prozess der Verschmelzung der Völker zu einer
kommunistischen Gemeinschaft verlaufen. Die Grenzen, wie sie heute verstanden
werden, werden allmählich verschwinden. Kein souveränes sozialistisches Land kann
sich innerhalb seiner Grenzen abschotten und sich allein auf seine eigenen
Fähigkeiten und seinen Reichtum verlassen. Wenn das so wäre, wären wir keine
kommunistischen Internationalisten, sondern nationale Sozialisten.
Die Angleichung des Entwicklungsniveaus der Nationen, in denen der Sozialismus
triumphiert hat und das allmähliche Verschwinden der Bedeutung der Grenzen nach
dem Triumph des Kommunismus in allen Ländern umfassen eine der wichtigsten
Fragen der marxistisch-leninistischen Theorie. Der Entwicklungsstand, den wir
erreicht haben, macht es zwingend erforderlich, daß wir uns mit dieser Frage gründ-
396 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

lich auseinandersetzen, um die vor uns liegenden Perspektiven gut zu erkennen und
die Probleme besser zu verstehen, die heute unüberwindlich erscheinen, in einigen
Jahren aber keinerlei Schwierigkeiten mehr bereiten werden.
Es ist sicherlich schwierig für die bürgerlichen Politiker, deren Sicht durch die engen
Grenzen der Ideologie der Klasse, der sie dienen, behindert wird, unsere
internationalistische Position zu verstehen. In meinen Gesprächen mit Vertretern der
kapitalistischen Welt musste ich oft die Frage beantworten: Was halten Sie, Herr
Chruschtschow, von der schnellen Bevölkerungszunahme in China ? Darauf habe ich
geantwortet, es sei wahr, daß die Geburtenrate in China sehr hoch ist. Der jährliche
Bevölkerungszuwachs entspricht etwa der gesamten Bevölkerung der
Tschechoslowakei. Meine Gesprächspartner bemerkten daraufhin vorsichtig :
Beunruhigt Sie das nicht ? Da haben Sie ein typisches Beispiel für die bürgerliche
Psychologie. Warum sollten wir uns vor dem rasanten Bevölkerungswachstum im
brüderlichen Volks-China oder in irgendeinem anderen Land fürchten ? Wenn alle
Völker ihre schöpferischen Kräfte, ihren Intellekt und ihre Möglichkeiten zur
Ausweitung der Produktion materieller und kultureller Werte einsetzen, wird es genug
geben, um die Bedürfnisse der Völker der ganzen Welt zu befriedigen und die so
genannte „Frage der Überbevölkerung“ unseres Planeten wird absurd erscheinen.
Im Übrigen haben die Bosse der großen imperialistischen Staaten in der
Nachkriegszeit oft davon gesprochen, daß die Länder sich nicht um ihre nationale
Souveränität kümmern sollen. Die imperialistischen Großmächte wollen, daß die
nationale Unabhängigkeit der anderen Länder zerstört wird, um freie Hand für die
wirtschaftliche und politische Versklavung der Völker jener Länder zu haben, die eine
gewisse Möglichkeit haben, ihre Interessen mit Hilfe des Grenz- und Zollregimes zu
verteidigen.
Es ist nicht schwer zu erkennen, daß die imperialistischen Rädelsführer und ihre
Ideologen mit ihrer Forderung nach einer Einschränkung der nationalen Souveränität
und dem Abbau der Zollschranken in anderen Ländern in Wirklichkeit eine Politik der
Unterwerfung dieser Länder unter die großen imperialistischen Monopole verfolgen.
Die Festigung der nationalen Souveränität dieser Länder ist eine Angelegenheit von
fortschrittlicher Bedeutung, da sie zur Stärkung der nationalen Unabhängigkeit der
Völker beiträgt. Wir Kommunisten glauben fest an die Durchführbarkeit unserer
Pläne und wir haben eine klare Vorstellung davon, wie sich die internationalen
Beziehungen auf der Erde entwickeln sollten.
Ich möchte nur ein paar Worte über die sozialistische Demokratie und die
bürgerliche Demokratie verlieren. Auf diese Frage muss man hin und wieder
zurückkommen, denn in den Köpfen der Arbeiter, Bauern und aller hart arbeitenden
Menschen in den westlichen Ländern herrscht große Verwirrung. Die bürgerliche
Propaganda tut alles, um die Menschen daran zu hindern, die richtige Vorstellung von
der sozialistischen Demokratie zu bekommen.
Die Geschichte liefert eine Fülle von Beweisen, um Vergleiche zwischen
sozialistischer und bürgerlicher Demokratie zu ziehen. Es geht darum, objektiv und
unvoreingenommen zu sehen, welche Demokratie mit den wesentlichen Interessen der
arbeitenden Menschen übereinstimmt und internationale Freundschaft und Frieden
fördert. Tut die bürgerliche Demokratie das ? Nein, das tut sie nicht ! In der
bürgerlichen Demokratie liegt die Macht faktisch in den Händen einer handvoll
Ausbeuter, die daran interessiert sind, ihre Privilegien zu bewahren und zu festigen,
Millionen von Arbeitern zu unterdrücken und die schwächeren Völker auszubeuten.
Die bürgerliche Demokratie bietet der Menschheit keinen Ausweg aus den tragischen
Sackgassen, in die der Kapitalismus sie geführt hat. Sie versucht, die Widersprüche
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 397

der kapitalistischen Gesellschaft zu verschleiern ; deshalb betrachten wir die


bürgerliche Demokratie als eines der Mittel, die die herrschenden Klassen der
Bourgeoisie jetzt brauchen, um die Massen zu betrügen.
Die sozialistische Demokratie ist etwas anderes. Sie versichert die wahre Herrschaft
des Volkes und die aktive Beteiligung aller arbeitenden Menschen an der
Entscheidung aller Fragen, die mit der Leitung des Staates und der Volkswirtschaft
verbunden sind. Die Arbeiter, Bauern und alle werktätigen Menschen der
sozialistischen Länder sind die wahren Herren ihres Schicksals. Sie gestalten ein
neues Leben für sich und ihre Kinder und arbeiten unter Selbstverleugnung für dieses
große Ziel. Die sozialistische Demokratie sichert den Arbeitern die Möglichkeit einer
umfassenden Teilhabe an der Leitung des Landes und an der Lösung aller wichtigsten
politischen und wirtschaftlichen Probleme. Das arbeitende Volk der sozialistischen
Länder macht von der Rede- und Pressefreiheit ausgiebig Gebrauch, um den
Sozialismus und Kommunismus noch wirksamer aufzubauen. Dabei lassen sie sich von
ihren eigenen Interessen und den Interessen von Hunderten von Millionen Menschen
leiten.
Auf dieser gesamtdeutschen Arbeiterkonferenz möchte ich die Frage eines
Friedensvertrages mit Deutschland behandeln. Es ist bekannt, daß die
Sowjetregierung den Vorschlag unterbreitet hat, einen Friedensvertrag mit der DDR
und der Bundesrepublik Deutschland zu schließen. Ich werde mich nicht lange mit
dieser Frage aufhalten. Der Vorschlag ist gemacht worden und wir warten auf eine
Antwort. Von unserem Standpunkt aus wäre es besser, den Vertrag mit den beiden
bestehenden deutschen Staaten zu unterzeichnen, aber sollte dies nicht geschehen,
werden wir einen Friedensvertrag mit der DDR unterzeichnen müssen. Was ist daran
falsch ? Was ist besser, kein Friedensvertrag oder einer mit der DDR ? Die
Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit der DDR wird von großer konstruktiver
Bedeutung sein. Das deutsche Volk wird den lang erwarteten Friedensvertrag
erhalten. Sollte sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland weigern, einen
Friedensvertrag zu unterzeichnen, wird die Lage der Bundesrepublik noch
komplizierter werden. In der Tat wird jeder ehrliche Mensch eine berechtigte Frage
haben: Warum ist die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht bereit, den
Friedensvertrag zu unterzeichnen ? Das muss daran liegen, daß sie den Zustand des
kalten Krieges aufrechterhalten will, um im geeigneten Moment einen heißen Krieg
zu beginnen. Sie hat Angst davor, den Kalten Krieg zu beenden, denn wenn es keinen
Kalten Krieg mehr gibt, könnte die NATO in sich zusammenfallen.
Unsere Vorschläge zum Abschluss eines Friedensvertrages mit der DDR und der
Bundesrepublik Deutschland sowie der Vorschlag, West-Berlin zu einer freien Stadt
zu machen, sollen in Teilen der Bevölkerung Westdeutschlands und West-Berlins für
Unruhe gesorgt haben. Aber gibt es einen Grund für diese Beunruhigung ? Was wird
mit West-Berlin geschehen, wenn es eine freie Stadt wird ? Wird sich die Ordnung dort
ändern ? Auf diese Frage kann man antworten: Es wird nichts Schlimmes passieren.
Niemand wird die Bevölkerung West-Berlins zwingen, eine für sie unannehmbare
Ordnung zu akzeptieren. Wenn ihnen die kapitalistische Ordnung gefällt, soll sie
durchaus weiterbestehen. Offensichtlich sind die Bedingungen für eine neue Ordnung
dort noch nicht reif. Wie das Sprichwort sagt, hat jedes Gemüse seine eigene Erntezeit.
In unserem friedlichen Wettstreit mit dem Kapitalismus werden wir die Köpfe und
Herzen der Arbeiter der Welt durch unsere Errungenschaften für die Sache des
sozialistischen Aufbaus beeinflussen. In naher Zukunft werden wir die reichsten und
mächtigsten kapitalistischen Länder in der Pro-Kopf- Produktion übertreffen. Wir
398 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

werden den Arbeitstag noch weiter verkürzen und weitere Errungenschaften in der
wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung erzielen. Alle Menschen in den
kapitalistischen Ländern werden dann noch mehr von den Vorteilen des
sozialistischen Systems überzeugt sein und selbst entscheiden, ob sie das
kapitalistische Regime in ihren Ländern noch länger dulden sollten.
Genossinnen und Genossen, unsere oberste Aufgabe ist es derzeit, den Frieden zu
erhalten. Die Kräfte des Friedens sind keineswegs schwächer als die Kräfte des
Krieges, sie sind sogar etwas stärker. Die Friedenskräfte wachsen in der ganzen Welt
von Tag zu Tag und die Zukunft gehört zweifellos ihnen. Die Bewahrung und
Festigung der Einheit und des Zusammenhalts der Arbeiterklasse der ganzen Welt,
einschließlich derjenigen Westdeutschlands, sind von besonderer Bedeutung für den
Kampf für den Frieden und gegen den Krieg. Die deutsche Arbeiterklasse hat durch
ihre Uneinigkeit sehr gelitten. Das war ihr eigentliches Pech. In Deutschland gab es
immer so viele Strömungen und Schattierungen in der Arbeiterbewegung, daß sich––
wie ein russisches Sprichwort sagt––der Teufel selbst ein Bein bricht, bevor er daraus
schlau wird. Die deutsche Bourgeoisie nutzte diesen Mangel an Einheit der
Arbeiterklasse ganz geschickt für ihre Zwecke. Die Spaltung der Arbeiterklasse hilft
den Imperialisten zu taktieren, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Und ich
denke, daß niemand von uns den Kapitalisten helfen will und deshalb sollten wir
ernsthaft darüber nachdenken, die Anstrengungen der Arbeiterklasse, der
arbeitenden Bevölkerung in allen Ländern zu vereinen, um den Frieden und den
Sozialismus weiter zu stärken.
Mir gefallen die Worte von August Bebel sehr gut : Wenn der Feind dich lobt, so
überlege, welche Dummheit du begangen hast, überlege, wofür er dich lobt. Ich bin
froh, daß wir Kommunisten uns darüber nicht den Kopf zerbrechen müssen, denn wir
haben noch nie ein Lob von der kapitalistischen Welt erhalten. Das wünsche ich auch
Ihnen von Herzen.
Wenn ich mit Vertretern der kapitalistischen Welt spreche, höre ich manchmal
solche Äußerungen : Ihr wollt ja ganz Deutschland unter Walter Ulbricht stellen, aber
er ist ein unmöglicher Mensch, mit dem kann man sich nicht einigen. Ich grüße meinen
Freund, den Genossen Ulbricht, dafür, daß er einen so festen Charakter hat und daß
er die Interessen der Arbeiterklasse, die Interessen des ganzen deutschen Volkes
entschlossen verteidigt. Ich bin stolz darauf, daß unser Freund, Genosse Walter
Ulbricht, der der Arbeiterklasse treu dient, sich von den Schwierigkeiten im Kampf für
das deutsche hart arbeitende Volk nicht einschüchtern läßt. In diesem Fall klingt die
Beschimpfung der Kapitalisten wie ein Lob, wie eine Belohnung für Standhaftigkeit
und Mut.
Ich erinnere mich auch daran, daß die kapitalistischen Führer mehr als einmal
erklärt haben, sie hielten es für unzulässig, daß Otto Grotewohl die Regierung des
gesamten deutschen Staates leitet. Ich persönlich halte das für keine schlechte,
sondern sogar für eine sehr gute Sache. Aber wenn die Menschen in Westdeutschland
dazu noch nicht bereit sind, dann sollte man nichts überstürzen. Dann soll es vorerst
zwei Staaten geben : Die DDR, ein Staat der Arbeiter und Bauern und das
kapitalistische Westdeutschland.
Zwischen diesen beiden Staaten sollte sich ein friedlicher Wettbewerb entwickeln.
Heute verdient ein westdeutscher Arbeiter vielleicht noch etwas mehr, aber diese
„Flitterwochen“ neigen sich bereits dem Ende zu. Die kapitalistische Lähmung, die
Krisenerscheinungen, die zur Schrumpfung der Produktion, zur Schließung von
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 399

Fabriken und Bergwerken und zur Entlassung von Arbeitnehmern führen, beginnen
sich in Westdeutschland in zunehmendem Maße zu entwickeln.
Wir Arbeiter, das hart arbeitende Volk, müssen uns unserer Klasseninteressen voll
bewusst sein und unsere Reihen enger zusammenschließen. Wir müssen in der Lage
sein, uns mit unseren Klassenbrüdern zu einigen, ein Höchstmaß an Willen und Ge-
duld an den Tag zu legen, alle Mittel auszuschöpfen, um diejenigen zu überzeugen, die
uns heute noch nicht verstehen. Dies ist ein Fall für Willen, Fähigkeit und Vernunft.
Aber die kapitalistische Welt ist eine andere Angelegenheit. In diesem Fall muss man
auf der Hut sein und darf nicht von den Klassenpositionen abrücken.
Liebe Freunde, es ist das erste Mal in 40 Jahren, daß ich ein solches Publikum wie
das Ihre sehe. Einzig in den ersten Jahren nach der Revolution von 1917 hatten wir
Versammlungen, an denen Kommunisten und Menschewisten, Sozialrevolutionäre
und Vertreter anderer Parteien teilnahmen. Auch an Ihrer Konferenz nehmen
Kommunisten und Sozialdemokraten sowie Vertreter anderer Parteien und Parteilose
teil. Ich denke, Sie vertreten unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Auf-
fassungen. Und ich bin bereit, jedem einzelnen von Ihnen ausführlich und geduldig
zuzuhören. Ich habe Geduld, aber ich wäre nicht aufrichtig, wenn ich es versäumen
würde, Ihnen zu sagen, daß ich als Kommunist alles, womit ich nicht einverstanden
bin, nach besten Kräften abwehren werde.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal für den herzlichen Empfang und die Auf-
merksamkeit danken. Wir reisen heute nach Berlin und von dort aus in die Sowjet-
union. Ich bin sehr erfreut über den Besuch der Leipziger Messe und die Begegnungen
mit der Bevölkerung und mit Wirtschaftskreisen. Besonders gerührt bin ich davon,
daß Sie mich zu Ihrer Konferenz eingeladen und mir erlaubt haben, Ihnen zuzuhören
und mit Ihnen zu sprechen.
Freunde, bis zum letzten Herzschlag werden wir der Arbeiterklasse, dem hart arbei-
tenden Volk treu sein; wir werden immer für seine Freiheit und sein Glück, für den
Triumph der Lehre des Marxismus-Leninismus, für den Aufbau einer
kommunistischen Gesellschaft kämpfen ! Lang lebe die proletarische Solidarität !
Lang lebe die deutsche Arbeiterklasse, die die Völker von den Fesseln des
Kapitalismus befreien und eine Welt schaffen wird, in der die Produktionsmittel
Allgemeingut sind, allen Menschen gehören und damit die Ausbeutung des Menschen
durch den Menschen abgeschafft wird, in der alle Menschen Brüder sein werden. Und
das ist es, was der Kommunismus sein wird ! Lang lebe der Kommunismus ! Lang lebe
der Weltfrieden !
______________

Ansprache von Ministerpräsident Chruschtschow auf einer Kundgebung in


Ost-Berlin, 9. März 1959 1
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe
Einwohnerinnen und Einwohner von Berlin, der Hauptstadt der DDR, gestatten Sie
mir, dem Zentralkomitee und dem Bezirkskomitee Berlin der SED und dem Genossen
Walter Ulbriclit persönlich, dem Genossen Paul Verner, dem Ministerrat der DDR und
dem Genossen Otto Grotewohl persönlich sowie dem Nationalrat der Nationalen Front
des Demokratischen Deutschland und Prof. Correns persönlich für die uns gegebene
Möglichkeit zu einem erneuten Treffen mit den Berlinerinnen und Berlinern zu
danken.
Während unseres Aufenthalts in Leipzig und hier in Berlin haben wir viele gute
Worte, gerichtet an die UdSSR und unser Volk, gehört. Ich hatte Gelegenheit zu vielen
Gesprächen mit den verschiedensten Menschen, Bürgern der DDR und der
Bundesrepublik Deutschland. Ich muß sagen, daß alle Deutschen, mit denen ich
1 Ostdeutscher Rundfunk, 9. März 1959.
400 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

gesprochen habe, ausnahmslos Frieden zwischen den Völkern und Freundschaft mit
der UdSSR wünschen.
Offensichtlich geben sie die Meinung der absoluten Mehrheit des deutschen Volkes
wieder.
Erlauben Sie mir, Ihnen im Namen der Arbeiter, der Kolchosbauern, der Intelligenz
und im Namen des gesamten werktätigen Volkes der UdSSR und durch sie der
gesamten Bevölkerung der DDR die herzlichsten brüderlichen Grüße zu übermitteln.
Ich möchte mich für die herzlichen Worte bedanken, die an unser Land und unser
Volk gerichtet worden sind. Unser Volk betrachtet die Werktätigen der DDR als seine
engen Freunde, als seine Brüder im Kampf für die großen Ideale von Marx, Engels und
Lenin. Wir marschieren mit ihnen in einer gemeinsamen Front auf das hehre Ziel der
Menschheit zu––auf den Kommunismus. Wir marschieren weiter, indem wir unsere
Reihen immer fester schließen und wir fürchten keinerlei Hindernisse. Kein Feind
kann uns aufhalten, wenn wir unserer brüderlichen Freundschaft treu bleiben und
unsere sozialistische Solidarität ständig stärken.
Die UdSSR, die DDR und alle sozialistischen Länder sind die überzeugtesten und
entschlossensten Kämpfer für den Frieden in der Welt.
Um den Frieden zu sichern und die freundschaftlichen Beziehungen zu allen
Völkern und Staaten zu stärken, ist es notwendig, den kalten Krieg zu beenden, die
Überreste des Zweiten Weltkriegs zu beseitigen, die Spannungen in der
internationalen Atmosphäre zu beseitigen und Beziehungen zu schaffen, in denen die
Völker der Welt einander besser verstehen und ohne Angst vor dem Morgen leben. Wir
werden alles tun, um zur Schaffung solcher Beziehungen beizutragen.
Ein wichtiger Schritt zu einer gesunden internationalen Situation wäre eine
Friedensregelung mit Deutschland. Diese Frage ist reif geworden. Das deutsche Volk
und alle Völker der Welt erwarten diese Lösung. Kann es als normal angesehen
werden, daß 14 Jahre nach Kriegsende immer noch kein Friedensvertrag zwischen
Deutschland und den Staaten, die an diesem Krieg teilgenommen haben, geschlossen
wurde ? Der Abschluss eines Friedensvertrages und die Auflösung des
Besatzungsregimes in West-Berlin würde eine Annäherung zwischen den beiden
bestehenden deutschen Staaten fördern und die Chance für eine friedliche
Entwicklung ganz Deutschlands schaffen. Der Abschluß eines Friedensvertrages
würde viele der Ursachen beseitigen, die zu Mißtrauen in den Beziehungen zwischen
den Staaten führen, und damit den Frieden und die Sicherheit der Völker stärken.
Leider sehen wir bei den herrschenden Kreisen der Westmächte keinen Willen, so
schnell wie möglich einen Friedensvertrag zu schließen und zur Beseitigung des
Besatzungsregimes beizutragen. Wir geben jedoch die Hoffnung nicht auf, daß unsere
Vorschläge in allen Ländern auf Verständnis stoßen und wir werden in unseren
Bemühungen um eine möglichst baldige Lösung dieser Fragen nicht nachlassen.
Diejenigen, die gegen den Abschluss eines Friedensvertrags sind, wollen ihre
geheimen Absichten vor der Bevölkerung verbergen. Obwohl sie von
Friedensbemühungen sprechen, versuchen sie in Wirklichkeit, die Überreste des
vergangenen Krieges aufrechtzuerhalten, indem sie die Tatsache ausnutzen, daß noch
kein Friedensvertrag geschlossen wurde, um den kalten Krieg zu einem günstigen
Zeitpunkt in einen echten, heißen Krieg zu verwandeln. Die Politik dieser
Staatsmänner findet nicht den Beifall der Völker ; die Völker ihrer eigenen Länder wie
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 401

auch die Völker der ganzen Welt verurteilen sie.


Man könnte meinen, daß alle am Abschluss eines Friedensvertrages interessiert
sein müssten. Doch unsere westlichen Verbündeten im Krieg gegen Hitler-
Deutschland lehnen nun gemeinsam mit der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland den Abschluss eines solchen Vertrages ab. Es ist die merkwürdige
Situation entstanden, daß der Staat, dessen führende Persönlichkeiten den Willen der
deutschen Militaristen zum Ausdruck bringen, zum Verbündeten unserer
Verbündeten geworden ist, die mit uns gemeinsam gegen Hitlerdeutschland Krieg
geführt haben ; und es stellt sich heraus, daß dieser Verbündete sich jetzt an den
Rockzipfel unserer ehemaligen Verbündeten klammert und die Beseitigung der
Überreste des Krieges und die Unterzeichnung des Friedensvertrages behindert.
Die revanchistischen Politiker in Westdeutschland wollen die Unterzeichnung eines
Friedensvertrages hinauszögern, um in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen und
im Erfolgsfall die deutsche Öffentlichkeit besser auf einen neuen Krieg vorbereiten zu
können. Die Kräfte, die sich gegen den Krieg aussprechen, werden jedoch in
Westdeutschland immer stärker. Das deutsche Volk will echte Garantien für den
Frieden. Deshalb hat das Volk mehr Verständnis für die Appelle derjenigen, die für die
Unterzeichnung eines Friedensvertrages eintreten, als für nebulöse Überlegungen zur
sogenannten Lösung der Deutschen Frage in allen ihren Aspekten. Welcher kluge
Mensch könnte erklären, was mit diesem Begriff gemeint ist ? Schließlich kann jeder
so viele Aspekte finden, wie er will. Das Volk aber erwartet eine konkrete und reale
Lösung der Deutschen Frage. Der wichtigste Schritt dazu ist der Abschluß eines
Friedensvertrages mit den beiden deutschen Staaten, die wirklich existieren und
international anerkannt sind.
Die Unterzeichnung eines Friedensvertrages würde auch die Lösung der West-
Berlin-Frage bedeuten, die als Teil von Groß-Berlin zum Gebiet der Deutschen
Demokratischen Republik gehört. Als wir die Frage der Beseitigung der Reste des
Besatzungsregimes in West-Berlin und der Normalisierung der Verhältnisse in der
Stadt erörterten, trugen wir der Tatsache Rechnung, daß sich in den Nachkriegsjahren
in West-Berlin andere wirtschaftliche und politische Verhältnisse als in der DDR
entwickelt haben. Wir sehen die Dinge nüchtern und sind uns darüber im klaren, daß
die Eingliederung Westberlins in die DDR einen schmerzlichen Bruch mit der
gewohnten Lebensweise der Westberliner Bevölkerung bedeuten würde. Die
Sowjetunion hat daher den Vorschlag unterbreitet, West-Berlin den Status einer freien
Stadt zuzuerkennen. Die Verwirklichung dieses Vorschlags würde an den bestehenden
Verhältnissen in West-Berlin außer der Beseitigung des Besatzungsregimes nichts
ändern. Das derzeitige Gesellschaftssystem würde bestehen bleiben. An den
Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens würde sich nichts ändern.
Einige Menschen im Westen haben die Befürchtung, daß jemand die Freiheit und
Unabhängigkeit West-Berlins bedroht. Solche Befürchtungen entbehren natürlich
jeglicher Grundlage. Wir haben dennoch vorgeschlagen, daß die Großmächte die
Unabhängigkeit und freie Entwicklung der freien Stadt garantieren. Kein Staat, auch
nicht die beiden deutschen Staaten, darf sich in die inneren Angelegenheiten der freien
Stadt einmischen. Wir haben nichts dagegen, daß die Vereinten Nationen bei solchen
Garantien mitwirken.
Falls erforderlich, würden wir sogar zustimmen, daß die Vereinigten Staaten,
Großbritannien, Frankreich und die UdSSR oder neutrale Länder eine Mindestzahl
von Truppen in West-Berlin stationieren, um den Status einer freien Stadt zu
garantieren, jedoch ohne das Recht, sich in die inneren Angelegenheiten der Stadt
einzumischen. Wenn solche Garantien bestehen, würde es niemand wagen, das
402 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

unabhängige Leben der freien Stadt zu stören. Wer wirklich alle Ursachen beseitigen
will, die zu Spannungen und Konflikten führen, kommt nicht umhin zuzugeben, daß
unsere Vorschläge vernünftig und akzeptabel sind.
Einige Staatsmänner der Westmächte erklären, daß sie in der brennenden Frage
nicht einen Zentimeter nachgeben werden. Aber, meine Herren, gestatten Sie mir die
Frage, von welcher Art von Nachgeben Sie sprechen ? Unser Vorschlag verlangt gewiss
nicht, daß irgendjemand irgendjemandem in der Berlin-Frage auch nur einen
Zentimeter nachgibt. Wir schlagen vor, in West-Berlin die Lebensbedingungen, die
dort entstanden sind, unverändert beizubehalten, weil die Bevölkerung frei von dem
Besatzungsregime sein soll. Deshalb braucht niemand jemandem Platz zu machen
oder sich zu bewegen.
Wir wollen nur eines : einen gefährlichen Spannungsherd in der Mitte Europas
beseitigen und die Voraussetzungen für ein ruhiges und normales Leben in West-
Berlin schaffen. Wenn die Westmächte––nicht nur in Worten, sondern auch in Taten–
–das Wohl der Bevölkerung West-Berlins wünschen, dann werden sie den sowjetischen
Vorschlag akzeptieren, zumal die tatsächlichen Bedingungen für seine Verwirklichung
gegeben sind.
Die einzige mögliche Schwierigkeit bei der Lösung dieser Frage wäre ein Einwand
der DDR, auf deren Territorium West-Berlin liegt. Diese Schwierigkeit stellt sich
jedoch nicht, da die Regierung der DDR, die eine Normalisierung der Lage in Berlin 1
sehr wünscht, ihre feierliche Zustimmung gegeben hat, West-Berlin zu einer freien
Stadt zu erklären, und sich bereit erklärt hat, die ungehinderten Verbindungen der
Stadt mit der Außenwelt zu gewährleisten. Dies ist zweifellos ein ernsthaftes
Zugeständnis seitens der DDR.
Die Befürworter der Fortsetzung des Besatzungsregimes in West-Berlin verbreiten
verschiedene Märchen. Sie behaupten, die DDR wolle West-Berlin erobern. Das ist eine
offene Verleumdung der DDR. Es erstaunt, daß einige führende Persönlichkeiten des
Westberliner Senats, die der Herrgott angeblich selbst beauftragt hat, die Interessen
der Stadt und ihrer Bewohner zu schützen, für die Fortsetzung der Besetzung
Westberlins durch ausländische Truppen eintreten.
Gestatten Sie mir die Frage : Von welchen Interessen werden sie geleitet ? Man sagt
uns, daß unsere Vorschläge nicht angenommen werden können, weil das notwendige
Vertrauen zwischen den Ländern des sozialistischen Lagers und den Westmächten
noch nicht vorhanden ist. Richtig, dieses Vertrauen besteht zur Zeit nicht, aber das ist
kein Argument für die Verweigerung des Abschlusses eines Friedensvertrages. Das
würde bedeuten, daß wir bei der bestehenden Spannung in der internationalen Lage
überhaupt keinen Friedensvertrag mit der DDR und der Bundesrepublik Deutschland
abschließen würden. Die internationale Lage wird sich aber natürlich nicht
verbessern, solange es Staaten in der Mitte Europas gibt, mit denen noch keine
Friedensregelung getroffen wurde. Eine solche Logik kann in eine gefährliche
Sackgasse führen und schlechte Folgen für den Frieden haben.
Die Frage nach der Richtung der weiteren Entwicklung Deutschlands betrifft nicht
nur die Interessen des deutschen Volkes, sondern auch die Interessen von Millionen
von Menschen in der ganzen Welt. Es kann den Menschen nicht gleichgültig sein, wenn
der deutsche Militarismus, der die Menschheit zweimal in verhängnisvolle Kriege
gestürzt hat, erneut sein Haupt erhebt und schon jetzt eine reale Gefahr für die
europäischen Völker darstellt. Die Politik der westdeutschen Revanchisten birgt auch
für das deutsche Volk eine große Gefahr.

1 Tass verwendete im Englischen „Germany“ anstelle von „Berlin“.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 403

Jeder Versuch der deutschen Militaristen, ihre Rachepläne in die Tat umzusetzen,
kann dazu führen, daß Westdeutschland zum Schauplatz eines Atomkrieges wird, mit
allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. All dies muss realistisch bedacht werden,
und es muss alles getan werden, um den Rachepolitikern die Zügel anzuziehen.
Man beginnt wieder, über die Schaffung militärisch-politischer Achsen zu
spekulieren. In der Presse war bereits von der sogenannten Bonn-Paris-Achse die
Rede, aber es ist festzustellen, daß dies kein neues Thema in der Geschichte ist. Man
erinnert sich nur zu gut an die Achse Berlin-Rom, die Achse Berlin-Tokio, die Achse
Tokio-Rom und das Dreieck Berlin-Rom-Tokio. All diese Achsen wurden gebrochen und
auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.
Aber man darf nicht vergessen, daß die Imperialisten mit ihren Achsen die Welt in
einen blutigen Krieg gestürzt haben, in dem Millionen von Menschen ihr Leben
verloren haben. Wollen gewisse Staatsmänner des Westens, die jetzt von neuen Achsen
träumen, diese traurige Erfahrung der Geschichte wiederholen? Wollen sie mit diesen
Achsen erneut beginnen und mit dem gleichen Ergebnis enden, mit dem diese Politik
in der Vergangenheit endete ? Man muss doch genug Verstand haben, um zu begreifen,
daß wir nicht in einer Zeit leben, in der man ungestraft eine Politik betreiben kann,
die zu einer Situation führt, die den Flächenbrand eines dritten Weltkriegs auslösen
könnte.
Der Vorschlag, West-Berlin in eine entmilitarisierte freie Stadt umzuwandeln, ist
auf breite Zustimmung gestoßen, aber es gibt auch Leute, die meinen, man solle nicht
nur den Westteil Berlins, sondern auch den Ostteil zur freien Stadt erklären.
Offensichtlich vergessen diese Leute, daß Berlin die Hauptstadt der DDR ist.
Offensichtlich möchten sie nach Ost-Berlin das gesamte Gebiet der DDR in die freie
Stadt einbeziehen. Sie haben großen Appetit. Es wäre viel logischer, von der
Einbeziehung des gesamten Territoriums von Berlin in die DDR zu sprechen. Ich
wiederhole : Das wäre gerecht. Sie müssen verstehen, daß ich einen solchen Vorschlag
nicht mache, sondern daß ich das nur sage, um die ganze Absurdität der Vorschläge
zu zeigen, ganz Berlin in eine freie Stadt zu verwandeln.
Wir glauben, daß solche Überlegungen einer Kritik nicht standhalten. Sie sind
unrealistisch und könnten die Lösung der Frage der Schaffung einer freien Stadt im
Westteil Berlins allenfalls erschweren. Jetzt versucht man uns sogar zu drohen, indem
man sagt, die Westmächte würden im Falle eines Friedensschlusses mit der DDR
Gegenmaßnahmen ergreifen und dabei auch vor Gewaltanwendung nicht
zurückschrecken. Wir werden uns durch Säbelrasseln nicht einschüchtern lassen.
Wir gehören nicht zu den Zartbesaiteten, und wir sind bereit, jedem Versuch,
Gewalt gegen uns oder unsere Freunde anzuwenden, eine gebührende Abfuhr zu
erteilen. Meine Herren, Sie sollten daher etwas vorsichtiger sein mit all diesen
„Wenns“ und „Abers“ und Drohungen. Sie spielen auf den Einsatz von militärischen
Mitteln an, aber vergessen Sie nicht, daß wir auch über solche Mittel verfügen. Sie
sind genau zu dem Zweck geschaffen worden, um zu verhindern, daß die Hitzköpfe den
Kopf verlieren. Sie sollten den Kopf nicht verlieren und mit Worten und vor allem mit
Taten vorsichtig sein.
Wir wollen, daß das jeder klar versteht : Unsere Vorschläge, einen Friedensvertrag
mit beiden deutschen Staaten zu schließen und das Besatzungsregime in West-Berlin
aufzulösen, sind von dem Wunsch diktiert, die Streitkräfte der beiden Lager zu
trennen 1 und die Lage in diesem Teil der Welt zu normalisieren. Wir scheuen weder

1 Tass verwendete im Englischen "disengage" anstelle von "separate".


404 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Arbeit noch Energie 1, um die gefährliche Situation, die jetzt in Deutschland


entstanden ist, zu beseitigen. Mögen die Imperialisten dann versuchen, den Völkern
zu beweisen, daß sie in ihrem Interesse handeln, indem sie den Versuch unternehmen,
den Kriegszustand im Zentrum Europas fortzusetzen.
Sollten sich die Westmächte weigern, einen Friedensvertrag mit beiden deutschen
Staaten zu schließen, werden wir trotzdem einen Friedensvertrag mit der DDR
schließen. Wir werden das tun, ob es Herrn Adenauer gefällt oder nicht. Seine Politik
wird dann ein für allemal als Kriegsvorbereitungspolitik entlarvt werden. Wir sind
überzeugt, daß das Volk dies nicht dulden wird, weil es aus eigener Erfahrung weiß,
zu welchen katastrophalen Folgen diese Politik führt. Das deutsche Volk wird die Kraft
und den Willen haben. Es wird verkünden : Es darf keinen Krieg geben !
Die Staatsmänner der Westmächte erklären, daß sie sich dem Frieden verschrieben
haben und bereit sind, in jeden Winkel der Welt zu reisen, um mit der Sowjetischen
Regierung die aktuellsten internationalen Probleme zu erörtern, darunter auch die
Deutschland betreffenden Fragen. An Erklärungen in diesem Sinne mangelt es nicht.
Sobald jedoch eine dieser Fragen von uns konkret aufgeworfen wird, versuchen die
Westmächte, sich einer Lösung dieser Fragen zu entziehen.
Die führenden Persönlichkeiten der westlichen Staaten behaupten, daß sie bereit
sind, die deutsche Frage zu lösen, da dies zur Gewährleistung der europäischen
Sicherheit beitragen wird. Als die Sowjetunion konkrete Vorschläge für eine
Friedensregelung mit Deutschland und die Beseitigung der veralteten
Besatzungsbedingungen in den Westsektoren Berlins unterbreitete, begannen die
Westmächte alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Abschluss eines Friedensvertrags
mit den beiden deutschen Staaten und die Normalisierung der Lage in Berlin zu
behindern.
Es ist schwierig, diese Haltung der Führer der Westmächte zu verstehen, wenn man
ihre Beteuerung hört, daß sie den Frieden wollen. Immerhin geht es um die Lösung
von Fragen, die die Gefahr eines neuen militärischen Konflikts in sich bergen. Die
Streitkräfte der sich gegenüberstehenden militärischen Gruppierungen treffen auf
deutschem Gebiet, insbesondere in Berlin, aufeinander, und die kleinste
Unachtsamkeit auf irgendeiner Seite kann den Funken erzeugen, der einen
Flächenbrand auslöst und das Pulverfass zur Explosion bringt.
Wir wollen die Kontakte trennen, um den Funken nicht überspringen zu lassen und
um die Welt nicht mit der Gefahr der größten Katastrophe zu konfrontieren : einem
dritten Weltkrieg. Das ist der Standpunkt.
Heute habe ich in der sowjetischen Botschaft Erich Ollenhauer, den Vorsitzenden
der Sozialdemokratischen Partei Westdeutschlands, empfangen. Wir haben mit ihm
eine Reihe von Fragen diskutiert. Den wichtigsten Platz nahm natürlich ein
Meinungsaustausch über den Abschluß eines Friedensvertrages und die Auflösung des
Besatzungsregimes in West-Berlin ein.
Die deutsche Arbeiterbewegung hat der Welt Marx und Engels geschenkt. Sie
brachte so hervorragende Führer der Arbeiterklasse hervor wie August Bebels, Clara
Zetkin, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann und viele andere, die in
der ganzen Welt als Kämpfer für die Sache der Arbeiterklasse, für den Frieden
bekannt sind. Die deutschen Sozialdemokraten waren einst das Vorbild für die
Arbeiterklasse aller Länder. Ich wünsche mir, daß die deutschen Sozialdemokraten
unserer Zeit ihre Verantwortung vor der Geschichte, vor der Arbeiterklasse, gut
verstehen und ihre Anstrengungen auf die Lösung der Fragen richten, die für die
Arbeiterklasse und das ganze deutsche Volk von lebenswichtigem Interesse sind. Es

1 Tass zitierte Chruschtschow auf Englisch mit den Worten : „Wir werden weder Kräfte noch Energie
sparen“.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 405

gibt jetzt keine wichtigere Frage als die Sicherung des Friedens, die Schaffung von
Bedingungen, die den Ausbruch eines neuen Krieges ausschließen. Daran ist nicht nur
die deutsche Arbeiterklasse, das deutsche Volk, interessiert, sondern alle Menschen in
der Welt. Unter den gegenwärtigen Bedingungen wird von den deutschen Sozial-
demokraten ein nüchternes Verständnis der bestehenden Verhältnisse erwartet und
wenn sie dieses Verständnis nicht zeigen, wenn sie nicht alles für das Wohl des Volkes
und für den Frieden tun, wird die Geschichte ihnen nie verzeihen.
Unserer Generation ist die große historische Aufgabe zuteil geworden, die Mensch-
heit aus der finsteren Sackgasse blutiger Kriege herauszuführen, in die der Imperialis-
mus sie geführt hat. Vor der Menschheit eröffnet sich die strahlende Perspektive eines
friedlichen Lebens, aber es wäre gefährlich, die Bedrohung des Friedens zu unter-
schätzen. Die Menschen müssen sehr wachsam sein gegenüber den Machenschaften
der aggressiven imperialistischen Kräfte. Man kann nicht auf den Frieden warten. Den
Frieden verteidigt man durch Kampf. Nur der entschlossene Kampf gegen die Kriegs-
gefahr kann den Frieden in der Welt sichern.
Es lebe die DDR, das Bollwerk des Friedens und der Demokratie in Deutschland !
Es lebe die Freundschaft zwischen dem deutschen Volk und dem Volk der UdSSR ! Es
lebe der Friede in der Welt ! Freundschaft, Freundschaft, Freundschaft ! 1
_____________

Bericht von Präsident Eisenhower an das amerikanische Volk, über die


Sicherheit in der freien Welt, 16. März 1959 2
[Auszug]
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, heute Abend möchte ich mit Ihnen über zwei
Themen sprechen :
Das eine handelt von einer Stadt, die viertausend Meilen entfernt liegt.
Es ist West-Berlin. In einer turbulenten Welt war sie ein Jahrzehnt lang ein Symbol
der Freiheit. Aber in letzter Zeit ist ihr Name auch zum Symbol für die Bemühungen
des imperialistischen Kommunismus geworden, die freie Welt zu spalten, uns aus dem
Gleichgewicht zu bringen und unseren Willen zu schwächen, für unsere kollektive
Sicherheit zu sorgen.
Im folgenden werde ich über den Stand der Verteidigungsbereitschaft unserer
Nation und die Fähigkeit der freien Welt sprechen, den Herausforderungen zu
begegnen, die die Sowjets unaufhörlich für den Frieden und unsere eigene Sicherheit
darstellen.
Zunächst zu West-Berlin.
Sie haben in letzter Zeit viel über diese Stadt gehört und sich vielleicht gefragt,
warum überhaupt amerikanische Truppen dort sind.
Wie sind wir überhaupt dorthin gekommen ? Welche Verantwortung haben wir in
diesem Zusammenhang und wie kommen wir zu dieser Verantwortung ?
Warum hat sich um diese Stadt eine Situation entwickelt, die eine weitere der
immer wiederkehrenden Bedrohungen des Friedens darstellt, die den Stempel
sowjetischer Herkunft tragen ?
Lassen Sie uns mit einem kurzen Rückblick auf die jüngere Geschichte beginnen.
Rechte und Pflichten in West-Berlin haben wir erst durch den Zweiten Weltkrieg
erworben. Noch vor Kriegsende, als die Niederlage und Kapitulation Nazideutschlands
absehbar war, unterzeichneten die alliierten Mächte, einschließlich der Sowjetunion,
Abkommen, in denen sie die Besatzungsgebiete in Deutschland und Berlin festlegten,
die sie übernehmen würden.

1 Chruschtschow sagte die letzten drei Worte auf Deutsch.


2 Ausgestrahlt über Radio und Fernsehen. Pressemitteilung des Weißen Hauses. 16. März 1959.
406 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Infolgedessen wurden Deutschland und die Stadt Berlin in vier Zonen aufgeteilt, die
jeweils von amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Truppen
besetzt waren.
Im Rahmen der erwähnten Kriegsvereinbarungen übernahmen die Westalliierten
die Besetzung West-Berlins und zogen unsere Armeen aus der Sowjetzone ab.
Dementsprechend wurde die Grenze der Sowjetzone, wie auch unsere Präsenz in
Berlin, auf der Grundlage dieser Vereinbarungen festgelegt.
Ebenfalls durch eine Vereinbarung zwischen den Besatzungsmächten wurde den
Westalliierten––den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und
Frankreich––der freie Zugang zu Berlin garantiert.
Hier in meinem Büro hängt eine Karte von Deutschland. Der helle Teil der Karte
ist Westdeutschland––der dunklere Teil ist Ostdeutschland. Die hellgrauen Linien
sind die Luftkorridore nach Berlin, und die gestrichelten Linien zeigen die
Hauptverkehrsstraßen und die Eisenbahnlinien, die uns den Zugang zur Stadt
ermöglichen. Beachten Sie, daß die Stadt Berlin 160 km innerhalb Ostdeutschlands
liegt, das heißt einhundertsechzig Kilometer von der nächstgelegenen Grenze zu
Westdeutschland entfernt ist.
Dies ist das Gebiet, das jetzt in Ostdeutschland liegt, das von unserer Armee im
Zweiten Weltkrieg eingenommen und durch eine politische Vereinbarung vor
Kriegsende an die Russen übergeben wurde.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war es unser erklärtes Ziel und das unserer
Kriegskameraden, Deutschland zu befrieden und schließlich in Freiheit zu vereinen.
Wir haben uns gemeinsam bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Seit dieser
Zeit haben die Vereinigten Staaten stets die völkerrechtliche Verpflichtung der
alliierten Regierungen anerkannt, eine gerechte Friedensregelung mit Deutschland zu
erreichen und die Besetzung Deutschlands nicht unnötig zu verlängern.
Aus den öffentlichen Aufzeichnungen geht eindeutig hervor, daß eine solche
Regelung nur von den Sowjets vereitelt wurde. Es wurde schnell deutlich, daß die
sowjetische Führung nicht an einem freien, vereinigten Deutschland interessiert war
und entschlossen war, die Westmächte zum Abzug aus Berlin zu bewegen oder zu
zwingen.
Vor zehn Jahren beschrieb Senator John Foster Dulles, heute unser großer
Außenminister, das grundlegende Ziel der sowjetischen Regierung. Er sagte, dieses
Ziel sei, und jetzt zitiere ich : „nichts Geringeres als die Weltherrschaft, die durch die
sukzessive Erlangung der politischen Macht in jedem der vielen vom Krieg
heimgesuchten Gebiete erreicht werden soll, so daß am Ende die Vereinigten Staaten,
die offen als Hauptfeind bezeichnet wurden, isoliert und eng eingekreist sein würden.“
Das ist der Schluß des Zitats.
Die gegenwärtigen Berlin-Bemühungen der Sowjets fallen in dieses Muster der
grundlegenden Zielsetzung.
Der erste Fall von ungewöhnlichem Druck, der diese Absichten eindeutig belegt,
ereignete sich 1948, als die Kommunisten eine Blockade verhängten, um die
schützenden westlichen Truppen aus Berlin zu vertreiben und die Bevölkerung der
Stadt auszuhungern und zu unterwerfen.
Dieser Plan scheiterte. Ein freies Volk und eine dramatische Luftbrücke brachen
dem Plan das Genick.
Schließlich gaben die Kommunisten die Blockade auf und schlossen 1949 ein
Abkommen mit den Westmächten, das unser Recht auf uneingeschränkten Zugang zur
Stadt bestätigte.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 407
Im November letzten Jahres kündigten die Sowjets dann an, daß sie sich von diesen
feierlichen Verpflichtungen lossagen wollen. Sie scheinen einmal mehr nach der
kommunistischen Formel zu leben : „Versprechen sind wie Kuchenkrusten, dazu
gemacht, gebrochen zu werden.“
Die Sowjetische Regierung hat auch ihre Absicht angekündigt, einen Friedens-
vertrag mit dem ostdeutschen Marionettenregime abzuschließen. Mit dem Abschluss
dieses Vertrages, so behaupten die Sowjets, werden unsere Besatzungsrechte und
unsere Zugangsrechte verweigert. Es ist natürlich klar, daß kein sogenannter
„Friedensvertrag“ zwischen den Sowjets und dem ostdeutschen Regime irgendeine
moralische oder rechtliche Wirkung auf unsere Rechte haben kann.
Die sowjetische Drohung wurde seitdem mehrfach wiederholt, begleitet von
verschiedenen und wechselnden Vorschlägen, wie mit dem Status der Stadt
umzugehen sei. Zu ihren Vorschlägen gehört das vage Angebot, den Westteil Berlins–
–nicht aber den Ostteil, den die Sowjets kontrollieren––zu einer sogenannten „freien
Stadt“ zu machen.
Es ist keineswegs klar, wovon West-Berlin frei sein würde, außer vielleicht von der
Freiheit selbst. Es wäre nicht frei von der allgegenwärtigen Gefahr der kommu-
nistischen Herrschaft. Niemand, schon gar nicht die zwei Millionen Westberliner,
kann die nackte Tatsache ignorieren, daß Berlin von vielen Divisionen sowjetischer
und ostdeutscher Truppen und von einem Gebiet umgeben ist, das von Behörden
regiert wird, die sich der Beseitigung der Freiheit in diesem Gebiet verschrieben
haben.
Nun ist es eine Frage des Prinzips––die Vereinigten Staaten können nicht akzep-
tieren, daß irgendeine Regierung sich das Recht herausnimmt, feierliche Abkommen,
die wir mit anderen geschlossen haben, zu brechen. Aber in der Berliner Situation
stehen sowohl freie Menschen als auch Prinzipien auf dem Spiel.
Welche grundlegenden Möglichkeiten haben wir also in dieser Situation ?
Erstens gibt es natürlich die Wahl, die die sowjetischen Machthaber selbst von uns
erwarten. Sie hoffen, daß wir uns dazu verleiten lassen, auf unsere Rechte––die
eigentlich Pflichten sind––zu verzichten, um zu einer gerechten und friedlichen
Lösung des Deutschen Problems beizutragen––Rechte, die amerikanische und alliierte
Soldaten mit ihrem Leben erkauft haben.
Wir haben nicht die Absicht, unsere Rechte zu vergessen oder ein freies Volk im
Stich zu lassen. Die sowjetischen Machthaber sollten sich daran erinnern, daß freie
Menschen schon früher für sogenannte „Papierfetzen“ gestorben sind, die für Pflicht,
Ehre und Freiheit standen.
Die Flucht vor unserer Verantwortung würde für uns keine Probleme lösen. Erstens
würde es das Ende aller Hoffnungen auf ein Deutschland unter einer Regierung
deutscher Wahl bedeuten. Es würde bei unseren Freunden die ernsthaftesten Zweifel
an der Gültigkeit aller internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen wecken,
die wir mit ihnen in allen Teilen der Welt eingegangen sind. Ein Ergebnis wäre, daß
das gegenseitige Vertrauen, auf dem unser gesamtes System der kollektiven Sicherheit
beruht, untergraben würde.
Die Sowjets würden dies als einen großen Sieg über den Westen begrüßen.
Diese Alternative ist für uns natürlich inakzeptabel.
Die zweite Wahl, die die Sowjets uns aufgezwungen haben, ist die Möglichkeit eines
Krieges.
Natürlich wollen die amerikanischen und westlichen Völker keinen Krieg. Die ganze
Welt weiß das. Ein globaler Konflikt unter den heutigen Bedingungen könnte die
Zerstörung der Zivilisation bedeuten. Die sowjetischen Machthaber sind sich dieser
Tatsache wohl bewusst.
Aber die ganze Geschichte hat uns die düstere Lektion gelehrt, daß es keiner Nation
jemals gelungen ist, die Schrecken des Krieges zu vermeiden, indem sie sich weigerte,
ihre Rechte zu verteidigen––indem sie versuchte, die Aggression zu beschwichtigen.
408 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Welches Risiko eines bewaffneten Konflikts auch immer der gegenwärtigen


Situation in Berlin innewohnen mag, es wurde von den sowjetischen Machthabern
absichtlich geschaffen.
Wie richtig unsere Position ist, zeigt auch die Tatsache, daß sie von der Bevölkerung
West-Berlins fast einhellig und leidenschaftlich unterstützt wird.
Die Gefahr eines Krieges wird minimiert, wenn wir standhaft bleiben. Ein Krieg
würde wahrscheinlicher werden, wenn wir nachgeben und eine Herrschaft des
Terrorismus statt einer Herrschaft von Recht und Ordnung fördern würden. Dies ist
in der Tat der Kern der Friedenspolitik, die wir in der ganzen Welt anstreben. In dieser
Politik liegt die beste Hoffnung für den Frieden in der Welt.
Unsere letzte Wahl ist nun die Verhandlung, auch wenn wir weiterhin für unsere
Sicherheit gegen jede Bedrohung sorgen. Wir streben in diesem Augenblick sinnvolle
Verhandlungen an. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sind bereit, mit den
Vertretern der Sowjetunion zu jeder Zeit und unter allen Umständen zu verhandeln,
die Aussichten auf lohnende Ergebnisse bieten.
Wir haben keine egoistischen materiellen Ziele im Auge. Wir streben keine
Vorherrschaft über andere an––sondern einen gerechten Frieden für die Welt und in
diesem Fall insbesondere für die am meisten betroffenen Menschen.
Wir sind bereit, alle Vorschläge zu prüfen, die zur Beruhigung beitragen können
und werden die am meisten betroffenen europäischen Völker berücksichtigen.
Wir sind bereit, neue Ideen anzuhören, und sind bereit, andere vorzubringen. Wir
werden alles in unserer Macht Stehende tun, um ernsthafte Verhandlungen
herbeizuführen und diese Verhandlungen sinnvoll zu gestalten.
Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, was wir nicht tun können.
Wir können nicht versuchen, Frieden zu erkaufen, indem wir zwei Millionen freie
Berliner im Stich lassen.
Wir können keiner dauerhaften und zwangsweisen Teilung der deutschen Nation
zustimmen, die Mitteleuropa zu einer ewigen Pulverkammer machen würde, auch
wenn wir bereit sind, mit allen betroffenen Nationen alle vernünftigen Methoden für
ihre eventuelle Vereinigung zu erörtern.
Wir können das behauptete Recht einer Nation nicht anerkennen, ihre
internationalen Vereinbarungen nach eigenem Gutdünken zu missachten. Würden wir
eine solche Haltung akzeptieren, so würde der gesamte Verhandlungsprozeß zu einer
bloßen Farce.
Wir dürfen nicht durch Schwäche oder Unentschlossenheit das Risiko eines Krieges
erhöhen.
Und schließlich können wir nicht, nur um sogenannte „Flexibilität“ zu
demonstrieren, irgendein Abkommen oder eine Vereinbarung akzeptieren, die die
Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten untergraben würde.
Die sowjetische Note vom 2. März scheint ein Schritt in Richtung auf
Verhandlungen auf einer verbesserten Grundlage zu sein. Wir würden niemals unter
einem bestimmten Zeitlimit oder einer bestimmten Tagesordnung oder zu anderen
unangemessenen Bedingungen verhandeln. In Anbetracht des geänderten Tons der
sowjetischen Note stimmen wir jedoch mit unseren Verbündeten eine Antwort auf
diese Note ab.
Ich hoffe, daß wir uns dabei mit den Sowjets auf ein baldiges Treffen auf der Ebene
der Außenminister einigen können.
Unter der Voraussetzung, daß die Entwicklungen ein Gipfeltreffen im Sommer
rechtfertigen, wären die Vereinigten Staaten bereit, sich an diesen weiteren
Bemühungen zu beteiligen.
Unser Standpunkt ist also der folgende : Wir werden nicht einen Zentimeter von
unserer Pflicht zurückweichen. Wir werden auch weiterhin unser Recht auf friedliche
Verbindung nach und von West-Berlin wahrnehmen. Wir werden nicht der erste sein,
der den Frieden bricht ; es sind die Sowjets, die mit der Anwendung von Gewalt
drohen, um diese freie Verbindung zu stören. Wir sind bereit, uns in vollem Umfang
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 409
an allen aufrichtigen Verhandlungsbemühungen zu beteiligen, die die bestehenden
Rechte aller und ihre Möglichkeit, in Frieden zu leben, respektieren.
* * * * * * *
Die heutige Problematik in Berlin ist nicht der erste Stolperstein, den der
internationale Kommunismus auf dem Weg zum Frieden gelegt hat. Die Welt hat sich
in den letzten zwölf Jahren kaum von Spannungen befreit. Solange das
kommunistische Imperium die Weltherrschaft anstrebt, werden wir mit Bedrohungen
des Friedens konfrontiert sein, die unterschiedlicher Natur und Lage sind. Wir haben
in einer Zeit gelebt und werden auch weiterhin in einer Zeit leben, in der die von den
Sowjets erzeugten Notfälle wie Perlen auf einer Schnur aufeinander folgen.
Wie lange diese Periode auch dauern mag, wir müssen ständig bereit sein,
Aggressionen abzuwehren, seien sie politischer, wirtschaftlicher oder militärischer
Art. Jeden Tag wird unsere Friedenspolitik auf die Probe gestellt werden. Wir müssen
Standhaftigkeit und Entschlossenheit an den Tag legen und fest an unserer eigenen,
sorgfältig durchdachten Politik festhalten.
Wir dürfen uns nicht durch Angst oder mangelndes Vertrauen von dem Weg
abbringen lassen, den Selbstachtung, Anstand und Freiheitsliebe vorgeben. Das hieße,
die schöpferischen Energien unseres Volkes, auf dem unsere wirkliche Sicherheit
beruht, zu zersetzen. Das werden wir niemals tun.
Der Aufbau des Friedens und die Aufrechterhaltung der Sicherheit der freien Welt
erfordern Maßnahmen in allen Bereichen des menschlichen Handelns. Dies kann nur
geschehen, wenn die Nationen der freien Welt eng zusammenarbeiten, ihre
Unterschiede ausgleichen, ihre gemeinsamen Lasten teilen und ihre gemeinsamen
Ziele verfolgen. Wir sind dabei, genau diese Anstrengungen zu unternehmen. Wir
nennen es gegenseitige Sicherheit.
* * * * * * *

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium, in


der ein Außenministertreffen in Genf vorgeschlagen wird, 26. März 1959 1
Die Regierung der Vereinigten Staaten bezieht sich auf die Note der Regierung der
UdSSR vom 2. März 1959 als Antwort auf die Note der Vereinigten Staaten vom 16.
Februar, in der eine Konferenz der Außenminister Frankreichs, der UdSSR, des
Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten vorgeschlagen wird.
Die Regierung der Vereinigten Staaten hat stets Treffen interessierter Mächte
befürwortet, die Gelegenheit zu ernsthaften Diskussionen über bedeutende Probleme
bieten und ein wirksames Mittel zur Erzielung einer Einigung über wichtige Themen
sein könnten. Aus diesem Grund hat die Regierung der Vereinigten Staaten in ihrer
Mitteilung vom 16. Februar ein Treffen der Außenminister Frankreichs, der UdSSR,
des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten vorgeschlagen. Die
Regierung der Vereinigten Staaten nimmt mit Zufriedenheit die Zustimmung der
Sowjetregierung zu einem solchen Treffen zur Kenntnis.
Im Einzelnen schlägt die Regierung der Vereinigten Staaten vor, für den 11. Mai
1959 in Genf ein Treffen Frankreichs, der UdSSR, des Vereinigten Königreichs und
der Vereinigten Staaten auf der Ebene der Außenminister einzuberufen, um Fragen
im Zusammenhang mit Deutschland, einschließlich eines Friedensvertrags mit
Deutschland und der Berlin-Frage, zu erörtern. Selbstverständlich sollte jede der vier
teilnehmenden Regierungen die Möglichkeit haben, ihren Standpunkt zu jeder Frage

1 Pressemitteilung 223 des Außenministeriums, 26. März 1959.


410 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

darzulegen, die sie im Zusammenhang mit den zu behandelnden Problemen für


relevant hält. Ziel des Außenministertreffens sollte es sein, in einem möglichst weiten
Rahmen zu positiven Vereinbarungen zu gelangen und in jedem Fall die Unterschiede
zwischen den jeweiligen Standpunkten zu verringern sowie konstruktive Vorschläge
vorzubereiten, die auf einer Konferenz der Regierungsoberhäupter im Laufe des
Sommers erörtert werden können. In diesem Verständnis und sobald die
Entwicklungen auf der Außenministertagung die Abhaltung einer Gipfelkonferenz
rechtfertigen, wäre die Regierung der Vereinigten Staaten bereit, an einer solchen
Konferenz teilzunehmen. Zeitpunkt, Ort und Tagesordnung für eine solche Konferenz
würden von der Außenministertagung vorgeschlagen werden. Die Konferenz der
Regierungsoberhäupter könnte einige umfassendere Probleme, wie die in der
Mitteilung der Sowjetregierung vom 2. März und in früheren Mitteilungen der
Regierung der Vereinigten Staaten erwähnten, betrachten und nach Möglichkeit lösen
und soweit erforderlich einen Mechanismus für weitere Verhandlungen über diese
Probleme schaffen.
Die Regierung der Vereinigten Staaten erkennt voll und ganz an, daß Polen und die
Tschechoslowakei ebenso wie eine Reihe anderer Länder ein legitimes und
unmittelbares Interesse an bestimmten Fragen haben, die auf der Konferenz erörtert
werden sollen. Daher könnte die Möglichkeit der Teilnahme anderer Länder in einem
bestimmten Stadium der Verhandlungen in Erwägung gezogen werden. Die Regierung
der Vereinigten Staaten ist jedoch der Auffassung, daß an der vorgeschlagenen
Konferenz zumindest zu Beginn nur die vier für Deutschland zuständigen Mächte
teilnehmen sollten. Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt ferner zur Kenntnis,
daß die Sowjetregierung dem in ihrer Mitteilung vom 16. Februar unterbreiteten
Vorschlag zustimmt, daß die deutschen Berater zu dem Treffen am 11. Mai eingeladen
und konsultiert werden sollten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten, die ein Treffen der Außenminister am 11.
Mai vorschlägt, ist der Auffassung, daß die Sowjetregierung Genf für einen geeigneten
Ort halten würde. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird daher die Regierung
der Schweiz um Auskunft ersuchen, ob dieser Ort und dieser Zeitraum geeignet sind,
sowie den Generalsekretär der Vereinten Nationen um Auskunft bitten, ob die
Einrichtungen der Vereinten Nationen in Genf zur Verfügung gestellt werden können.
____________

Vier-Mächte-Kommuniqué über die Treffen in Washington, 1. April 1959 1


Die Außenminister Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und des
Vereinigten Königreichs sowie der amtierende Außenminister der Vereinigten Staaten
haben am 31. März und 1. April in Washington eine Reihe nützlicher Treffen
abgehalten. Sie prüften den Bericht der Vier-Parteien-Arbeitsgruppe, die vom 9. bis
21. März in Paris tagte, als Grundlage für die Vorbereitung der
Außenministerkonferenz mit der Sowjetunion, die ab dem 11. Mai in Genf stattfinden
soll. Sie gaben der Vier-Parteien-Arbeitsgruppe Orientierungshilfen für ihre nächste
Sitzungsreihe, die am 13. April in London beginnen soll. Die Minister legten die
Berichtsform fest, die dem NATO-Rat am Donnerstagnachmittag vorgelegt werden
soll.
Die Minister führten ihre Gespräche über Berlin auf Grundlage ihrer Erklärung, die
in dem am 14. Dezember 1958 in Paris herausgegebenen Vier-Mächte-Kommuniqué

1 Pressemitteilung 240 des Außenministeriums, 1. April 1959.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 411
über Berlin enthalten ist––dem sich der Nordatlantikrat angeschlossen hat.
Die Minister vereinbarten, zur weiteren Vorbereitung der Konferenz mit der
Sowjetunion erneut ab dem 29. April in Paris zusammenzukommen. Über den Inhalt
dieser Gespräche wird dem Nordatlantikrat ein Bericht vorgelegt werden. Alle diese
Vorbereitungen beruhen auf dem aufrichtigen Wunsch, mit der Sowjetunion im
Interesse des Weltfriedens konstruktiv zu verhandeln.
_____________

Ansprache von Präsident Eisenhower, 4. April 1959 1


[Auszug]
* * * * * * *
Nun wende ich mich einem anderen Fall zu, bei dem uns die harte
Lebenswirklichkeit vor eine weitere Herausforderung stellt. Ich beziehe mich auf
West-Berlin, eine Stadt mit über 2 Millionen Einwohnern, deren Freiheit zu
verteidigen wir uns verpflichtet haben.
Hier haben wir ein weiteres Problem, das aber nicht einzigartig ist. Es ist Teil der
fortgesetzten Bemühungen der kommunistischen Verschwörung, ein übergeordnetes
Ziel zu erreichen: die Weltherrschaft.
Vor diesem Hintergrund verstehen wir, daß die bloße Übergabe einer einzigen Stadt
die Kommunisten unmöglich zufriedenstellen kann, auch wenn sie das, was als
Schaufenster der freien Welt hinter dem Eisernen Vorhang bezeichnet wurde, am
liebsten beseitigen würden. Sollten wir nämlich das unvorstellbare Opfer von 2
Millionen freien Deutschen hinnehmen, so würde ein solches Eingeständnis der
Schwäche unsere Freunde bestürzen und die Kommunisten ermutigen, ihren Feldzug
der Vorherrschaft zu verstärken.
Der Beschwichtigungskurs ist nicht nur unehrenhaft, er ist der gefährlichste Weg,
den wir einschlagen können. Die Welt hat einen hohen Preis für die Lektion von
München bezahlt, aber sie hat daraus eine gute Lehre gezogen.
Wir haben auch gelernt, daß die Kosten für die Verteidigung der Freiheit––für die
Verteidigung Amerikas––in vielen Formen und an vielen Orten gezahlt werden
müssen. Sie werden in allen Teilen der Welt veranschlagt––in Berlin, in Vietnam, im
Nahen Osten, hier zu Hause. Aber wo auch immer sie anfallen, in welcher Form sie
auch immer auftreten, sie sind zuallererst und zuallerletzt eine angemessene Abgabe
für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten.
Denn die beiderseitige Sicherheit und die amerikanische Sicherheit sind
gleichbedeutend.
Diese Kosten sind hoch, aber sie sind nichts im Vergleich zu denen, welche uns durch
unsere eigene Gleichgültigkeit und Vernachlässigung oder durch Schwäche des
Geistes auferlegt würden.
Und wenngleich Schwäche gefährlich ist, bedeutet dies nicht, daß Entschlossenheit
schiere Starrheit, nichts als arrogante Sturheit ist. Eine weitere Tatsache, die für das
gesamte Friedens- und Sicherheitsproblem grundlegend ist, besteht darin, daß
Amerika und seine Freunde keinen Krieg wollen. Sie versuchen, die Herrschaft des
Rechts durch die Herrschaft der Gewalt, den Konferenztisch durch das Schlachtfeld zu
ersetzen.
Diese Wünsche und ihre Ausdrucksformen sind keine Propaganda. Es sind
Sehnsüchte, die wir tief in uns spüren ; es sind die Sehnsüchte ganzer Zivilisationen,
die auf dem Glauben an Gott und an die Würde des Menschen beruhen. Es sind in der
Tat die instinktiven Hoffnungen, die die Menschen in allen Ländern, unabhängig von
Vorhängen, empfinden. Überall schrecken die Menschen vor dem Gedanken an Krieg
ebenso zurück wie jeder von uns, der hier in dieser friedlichen Versammlung anwesend
ist.

1 Anlässlich der Einberufung des Gettysburg College in Gettysburg, Pennsylvania. Bulletin des
Außenministeriums, 27. April 1959, S. 582.
412 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Spannungen entstehen hauptsächlich durch Regierungen und Personen, die


skrupellos nach größerer und umfangreicherer Macht streben. Berlin ist ein
Spannungspunkt, weil der Kreml hofft, es als Teil der freien Welt zu eliminieren. Und
die kommunistische Führung hat sich entschieden, dort in diesem Moment Druck
auszuüben. Natürlich suchen sie sich immer die heikelste Situation, die am schwersten
zu verteidigende Position als den Ort aus, an dem sie unsere Stärke testen und unsere
Entschlossenheit erproben wollen. Es wird für uns nie einen einfachen Ort geben, um
Stellung zu beziehen, aber es gibt einen besten.
Das Beste ist, wo der Grundsatz gilt. Tief in diesem Grundsatz steckt die Wahrheit,
daß wir uns keinen Verlust irgendeiner freien Nation leisten können, denn wann
immer die Freiheit irgendwo zerstört wird, werden wir selbst um diesen Wert
geschwächt. Jeder Gewinn des Kommunismus erschwert die weitere Verteidigung
gegen ihn und lässt unsere Sicherheit unsicherer werden.
* * * * * * *
_____________

Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten, Protest gegen Flüge in


großen Flughöhen im Luftkorridor Frankfurt-Berlin, 4. April 1959 1
[Inoffizielle Übersetzung]

Das Außenministerium der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hält es im


Auftrag der Sowjetregierung für erforderlich, der Regierung der Vereinigten Staaten
von Amerika Folgendes zur Kenntnis zu bringen.
Am 27. März stieg ein amerikanisches Transportflugzeug vom Typ C-130, das von
Westdeutschland nach Berlin auf dem über dem Gebiet der Deutschen
Demokratischen Republik liegenden Luftkorridor flog, auf eine Höhe von 7.000
Metern, was einen groben Verstoß gegen das für Flüge auf dieser Strecke bestehende
Verfahren darstellt. Der demonstrative Charakter dieses Verstoßes wird schon
dadurch deutlich, daß der amerikanische Vertreter im Berliner
Flugsicherheitszentrum, das Flüge ausländischer Flugzeuge zwischen Berlin und der
Bundesrepublik Deutschland regelt, von sowjetischer Seite rechtzeitig über die
Unzulässigkeit des Fluges des genannten Flugzeugs in einer Höhe von mehr als 3.050
Metern, was das Maximum für Flüge der Westmächte, die die Luftkorridore benutzen,
ist, informiert wurde. Außerdem flog dasselbe Flugzeug, das am selben Tag einen
Rückflug von Berlin nach Westdeutschland absolvierte, erneut in einer Höhe, die die
übliche Obergrenze für Flüge in den Luftkorridoren zweimal überstieg, obwohl der
offizielle sowjetische Vertreter beim US-Vertreter gegen die stattgefundene Verletzung
der Flugregeln protestierte.
Man kann sich der Feststellung nicht verschließen, daß die Verstöße
amerikanischer Flugzeuge gegen das bestehende Verfahren und die bewährte Praxis
des Überfliegens des Gebiets der Deutschen Demokratischen Republik in dem Moment
begangen werden, in dem eine Einigung über die baldige Durchführung von
Verhandlungen zwischen Ost und West erzielt worden ist über die Berlin-Frage und
andere Fragen von vorrangiger Bedeutung für die Sache des Friedens. All dies findet
statt, nachdem die US-Regierung durch ihren Botschafter in Moskau zum Zeitpunkt
der Übermittlung der Note zur Frage der geplanten Verhandlungen erklärt hat, daß
ihrer Meinung nach einseitige Maßnahmen irgendeiner Regierung in der
Vorbereitungszeit für die bevorstehenden Konferenzen wird ihrem erfolgreichen

1 Bulletin des Außenministeriums, 4. Mai 1959, S. 634.


DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 413

Ergebnis kaum helfen.1 Analoge Erklärungen wurden auch von den Regierungen
anderer Mächte abgegeben, die Verbündete der Vereinigten Staaten von Amerika in
der NATO sind. Es scheint, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
nach solchen Äußerungen auch entsprechend hätte handeln müssen, indem sie alles
unterlassen hätte, was das Herbeiführen der Verständigung über die Durchführung
der Konferenzen erschweren könnte.
Angesichts dieser Tatsachen sind die vorsätzlichen Verstöße amerikanischer
Flugzeuge gegen das bestehende Verfahren der Luftkommunikation mit Berlin nur
schwerlich anders als als ein Versuch der USA zu werten, die Bedingungen für das
Treffen der Außenminister, wenn nicht überhaupt, zu verschlechtern torpedieren die
erzielte Verständigung über die Durchführung der Verhandlungen zwischen Ost und
West.
Was die Sowjetunion betrifft, so wird ihrerseits nicht nur nichts zugelassen, was die
Lage am Vorabend der Verhandlungen verschlechtern könnte, sondern es wird auch
alles getan, um die Durchführung dieser Verhandlungen zu erleichtern. Es versteht
sich von selbst, daß die Sowjetregierung bis zu diesen Verhandlungen die feste Absicht
hat, an dem bestehenden Verfahren und der bewährten Kommunikationspraxis
entlang der Kommunikationslinien zwischen Berlin und Westdeutschland
festzuhalten.
Indem sie die Aufmerksamkeit der US-Regierung auf den gefährlichen Charakter
des Vorgehens der amerikanischen Behörden in Deutschland lenkt, möchte die
Sowjetregierung betonen, daß die US-Regierung die gesamte Verantwortung für die
Verletzung der Sicherheitsbedingungen für Luftflüge in Deutschland tragen wird
Luftraum der Deutschen Demokratischen Republik und die damit verbundenen
möglichen Komplikationen.
Die Sowjetregierung drückt die Hoffnung aus, daß die US-Regierung Maßnahmen
ergreifen wird, die die Möglichkeit von Komplikationen dieser Art ausschließen und
ihrerseits die Schaffung einer günstigen Atmosphäre für die Führung von
Verhandlungen zwischen Ost und West über dringende internationale Fragen, deren
Lösung von den Völkern erwartet wird, die ein vitales Interesse an der Erhaltung und
Festigung des Friedens haben.
______________

Note der amerikanischen Botschaft an das sowjetische Außenministerium,


Ablehnung sowjetischer Bemühungen zur Begrenzung der Höhe für Flüge
im Luftkorridor Frankfurt-Berlin, 13. April 1959 2
Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wurde angewiesen, auf die Note
des Außenministeriums der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Nr. 25/OSA
vom 4. April 1959, in der gegen den Routineflug eines United States Flugzeugs im
Luftkorridor Frankfurt-Berlin am 27. März protestiert wird, wie folgt zu antworten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten weist die sowjetische Behauptung zurück,
daß Flüge über 10.000 Fuß durch Vorschriften für Flüge in den Korridoren
ausgeschlossen seien und daß der Flug des fraglichen C-130-Flugzeugs, das dem
sowjetischen Element gemäß der gängigen Praxis ordnungsgemäß gemeldet wurde,
einen Verstoß gegen geltende Vorschriften darstellte. Wie in den Schreiben des
Vertreters der Vereinigten Staaten an den sowjetischen Vertreter im vierseitigen
Berliner Luftsicherheitszentrum vom 6. Juni und 8. September 1958 dargelegt,

1 Erklärung von Botschafter Llewellyn Thompson anlässlich der Übergabe der US-Note vom 26. März

bezüglich des Außenministertreffens zum Deutschlandproblem.


2 Pressemitteilung 265 des Außenministeriums, 13. April 1959.
414 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

bedürfen Flüge von Flugzeugen der Vereinigten Staaten keiner vorherigen


Zustimmung des sowjetischen Elements, und die Vereinigten Staaten haben nie eine
Einschränkung des Rechts, in den Korridoren in beliebiger Höhe zu fliegen, anerkannt
und tun dies auch nicht. Wie bereits erwähnt, wird die Höhe, in der Flugzeuge fliegen,
in Übereinstimmung mit den zu der Zeit vorherrschenden meteorologischen
Bedingungen und den Betriebseigenschaften des Flugzeugs bestimmt. Die Regierung
der Sowjetunion, die selbst Flugzeuge (wie die TU-104) in Dienst gestellt hat, deren
technische Merkmale einen Flug in höheren Höhen als früher erfordern, wird den
Einfluss solcher Faktoren auf die Betriebshöhen von Flugzeugen der Vereinigten
Staaten zu schätzen wissen. Während für einige Zeit die meisten Korridorflüge unter
normalen Umständen unterhalb von 10.000 Fuß durchgeführt werden, werden, wenn
es das Wetter oder die Betriebseigenschaften der Ausrüstung erfordern, zusätzliche
Flüge in größeren Höhen durchgeführt. Es besteht kein Zweifel daran, daß verbesserte
Flugnavigationseinrichtungen und -verfahren eine angemessene Sicherheit für solche
Flüge bieten.
Der Flug der sowjetischen Flugzeuge in gefährlicher Nähe zur amerikanischen C-
130 am 27. März, der von Tausenden von Menschen im Berliner Raum beobachtet
wurde, stellte nicht nur einen schweren Verstoß gegen die in den Luftkorridoren und
der Berliner Kontrollzone geltenden Flugregeln dar, sondern schuf absichtlich genau
die Gefahr für die Flugsicherheit, über die sich die sowjetischen Vertreter besorgt
äußerten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten ist sich der Bedeutung der Flugsicherheit
durch die Korridore voll und ganz bewusst und erkennt an, daß ihre Aufrechterhaltung
eine Angelegenheit von beiderseitigem Interesse für die sowjetischen Behörden in
Deutschland ist.
Die Bedingungen der Flugsicherheit können erfüllt werden, wenn letztere nach
festgelegten Verfahren handeln und ihre Flugzeuge von ihnen gemeldeten Westflügen
trennen. Obwohl das Recht von Flugzeugen der Vereinigten Staaten, in den Korridoren
nach Berlin zu fliegen, nicht von einer vorherigen Benachrichtigung oder
Genehmigung des sowjetischen Elements abhängt, wurde der Flugplan der
betreffenden C-130 an das sowjetische Element im Berliner Luftsicherheitszentrum
übergeben ausreichend im Voraus, um genügend Zeit zu haben, Flugzeuge zu
benachrichtigen, die sich wahrscheinlich in der Nähe befinden, wenn die C-130
durchfliegt.
Auch die Andeutung, die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika wolle die
Durchführung der getroffenen Vereinbarung über die Abhaltung einer
Außenministerkonferenz erschweren, entspricht nicht den Tatsachen.
Im Gegenteil, es ist die Sowjetunion, die Zweifel an ihren Absichten aufkommen
lässt, indem sie versucht, ein von den Westmächten nie anerkanntes „Recht“ geltend
zu machen, Flüge für alliierte Flugzeuge in Höhen über 10.000 Fuß zu verbieten und
sowjetische Jagdflugzeuge zuzulassen Flugzeuge der Vereinigten Staaten auf eine Art
und Weise zu belästigen, die ihre Sicherheit und das Leben ihrer Besatzungen
gefährdet.
Die Vereinigten Staaten erwarten von der Sowjetregierung unverzüglich
Anweisungen an ihr Personal in Deutschland, damit diese ihrer Verantwortung für die
Flugsicherheit in den Luftkorridoren nach Berlin nachkommen.
ANHÄNGE
________
ANHANG I

Analyse des Außenministeriums der sowjetischen Note zu Berlin, 7. Januar


1959 1

I. ENTWICKLUNGEN VOR DEM KRIEG


Sowjetische Vorwürfe . . .
In der sowjetischen Note heißt es, daß die Sowjetunion vor dem Zweiten Weltkrieg
eine ständige Bereitschaft gezeigt habe, mit den anderen Mächten
zusammenzuarbeiten, um der Hitler-Aggression Widerstand zu leisten, und daß, wenn
die Westmächte nicht kurzsichtig gewesen wären in ihrer Hoffnung, Hitler nach Osten
zu wenden und mit der UdSSR kooperiert hätte, wären Millionen Leben gerettet
worden. Die Note besagt :
Es ist allgemein bekannt, daß die USA sowie Großbritannien und Frankreich
keineswegs sofort zu dem Schluss kamen, daß eine Zusammenarbeit mit der
Sowjetunion zum Zwecke der Abwehr der Hitler-Aggression unumgänglich sei,
obwohl die Sowjetregierung dies ständig angedeutet hat Bereitschaft dazu. * * *
Hätten die Westmächte eine weitsichtigere Politik verfolgt, hätte eine solche
Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und
Frankreich viel früher, in den ersten Jahren nach Hitlers Machtergreifung in
Deutschland, etabliert werden können, und dann wäre es soweit Es gab keine
Besetzung Frankreichs, kein Dünkirchen, kein Pearl Harbor. Dann wäre es
möglich gewesen, Millionen von Menschenleben zu retten, die von den Völkern
der Sowjetunion, Polens, Jugoslawiens, Frankreichs, Großbritanniens, der
Tschechoslowakei, der USA, Griechenlands, Norwegens und anderer Länder
geopfert wurden, um die Aggressoren einzudämmen. * * *
Es ist offensichtlich, daß gewisse westliche Staatsmänner die bitteren Lehren
aus dem mörderischen Krieg verloren haben, die erneut die berüchtigte Münchner
Politik der Hetze gegen die Sowjetunion, ihren jüngsten Waffenbruder, in die
Länge ziehen.
Die Fakten sind . . .
1. Die UdSSR nahm 1923 diplomatische Beziehungen zu Deutschland auf und half
beim Aufbau einer neuen deutschen Kriegsmaschinerie, die nach dem Ersten
Weltkrieg durch den Versailler Vertrag verboten worden war.
2. Von 1930 bis 1933 die Sowjetunion durch ihren internationalen
kommunistischen Arm, die Komintern? wies die Kommunistische Partei Deutschlands
an, mit den Nazis und anderen Extremisten zusammenzuarbeiten, um die deutsche
Weimarer Republik zu untergraben. Sie trug dazu bei, demokratische Parteien und
1 Die sowjetische Note zu Berlin : Eine Analyse (Publikation 6757 des Außenministeriums), S.1–31.
Erschienen am 7. Januar 1959. Zum Text der sowjetischen Note vom 27. November 1958 siehe oben, S. 317
ff.
(415)
416 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Institutionen zu sabotieren, und förderte Gesetzlosigkeit und Unordnung. Dies


begünstigte Hitlers Aufstieg zur absoluten Macht.
3. 1933, nachdem Hitler an die Macht gekommen war, tauschten die UdSSR und
Deutschland Ratifikationen über einen erweiterten Neutralitätspakt aus.
4. Die UdSSR unterzeichnete zwischen 1922 und 1933 6 Kredit- und Handels-
abkommen mit Deutschland. Während Hitlers Aufstieg nach 1933 schloss die UdSSR
12 weitere Abkommen mit dem Nazi-Regime, als Hitler seine Militärmacht ausbaute.
5. Die UdSSR brach im August 1939 die Verhandlungen mit dem Vereinigten
Königreich und Frankreich ab und schloss die Molotow-Ribbentrop-Abkommen, die die
notwendigen Garantien für eine koordinierte nazistisch-sowjetische Aggression in
Osteuropa lieferten und zum Zweiten Weltkrieg führten.
6. Trotz der Warnungen der Westmächte vor einem bevorstehenden deutschen
Angriff unterstützte die Sowjetregierung Nazideutschland, bis Hitler 1941 gegen es
marschierte.
7. Im April 1941 unterzeichnete die UdSSR einen Neutralitätspakt mit dem
japanischen Verbündeten Hitlers und ebnete damit den Weg für den Angriff von Pearl
Harbor auf die Vereinigten Staaten am 7. Dezember 1941.
8. Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Kanada lieferten große
Mengen an lebenswichtigem Kriegsmaterial an die UdSSR. während des Krieges.
Diese Hilfe unterstrich die prompte politische Unterstützung der Vereinigten Staaten
am Tag nach Hitlers Angriff auf Russland im Juni 1941.
Durch den Vertrag vom 16. April 1922 erlangte die Sowjetunion die de jure
Anerkennung durch Deutschland, einschließlich der gegenseitigen Streichung
finanzieller Forderungen und der Meistbegünstigung. Am 23. Juli 1923 nahm sie
diplomatische Beziehungen zur Weimarer Republik auf.
Von diesem Zeitpunkt an bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen am 22.
Juni 1941 unterhielt die Sowjetunion nicht nur normale diplomatische und
wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland, sondern half auch beim Aufbau einer
neuen deutschen Kriegsmaschinerie.
Offizielle Aufzeichnungen der Weimarer Republik zeigen, daß die Sowjetunion es
Deutschland von 1922 bis 1934 ermöglichte, heimlich gegen die Abrüstungsbe-
stimmungen des Versailler Vertrages zu verstoßen, indem sie deutsche Flieger und
Panzersoldaten in Sonderschulen auf sowjetischem Boden ausbildete und Deutschland
mit Munition, Flugzeugmotoren und Giftgase versorgte.
Am 24. April 1926 unterzeichnete die Sowjetunion einen Neutralitätspakt mit
Deutschland. Dieser Pakt sah vor, daß eine Partei neutral bleiben sollte, wenn die
andere angegriffen wurde. Jede Nation versprach, sich im Falle eines Angriffs keiner
Koalition gegen die andere anzuschließen oder sich Wirtschaftssanktionen gegen die
andere anzuschließen, wenn sie vom Völkerbund verhängt wurden. Dieser
Neutralitätspakt wurde am 24. Juni 1931 verlängert, und diese Verlängerung wurde
am 5. Mai 1933, nach Hitlers Machtübernahme, ratifiziert.
Trotz der geänderten Haltung der UdSSR nach Hitlers Unterdrückung der
Kommunistischen Partei Deutschlands gab es kein Nachlassen der groß angelegten
deutsch-sowjetischen Wirtschaftszusammenarbeit. Diese Entfremdung wurde von
einer vorübergehenden Verbesserung der Beziehungen zwischen der UdSSR und den
demokratischen Ländern begleitet. Die UdSSR wurde 1934 in den Völkerbund
aufgenommen und schloss 1935 einen Beistandspakt mit Frankreich.
Nach der Ernüchterung der Münchner Konferenz von 1938 versuchten die franzö-
sische und die britische Regierung, eine deutsche Aggression nach Osten zu blockieren.
Sie garantierten Anfang 1939 die Integrität Polens und Rumäniens. Im April 1939
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 417
nahmen das Vereinigte Königreich und Frankreich aus eigener Initiative militärische
Verhandlungen mit der UdSSR auf, die bis in den Sommer hinein andauerten.
Diese westlichen Verhandlungen mit der UdSSR wurden durch die Unterzeichnung
des Molotow-Ribbentrop-Abkommens vom 23. August 1939 unterlaufen, das den
sowjetisch-deutschen Neutralitätspakt von 1926 durch einen 10-jährigen Nicht-
angriffspakt ersetzte. Die neuen Abkommen boten die notwendigen Garantien für eine
koordinierte deutsche und sowjetische Aggression in Osteuropa. Die unmittelbaren
Opfer waren Finnland, Polen, Rumänien und die baltischen Staaten.
Der deutsche Angriff auf Polen erfolgte 8 Tage nach der Unterzeichnung des
nazistisch-sowjetischen Paktes. Großbritannien und Frankreich erklärten am 3.
September 1939 Deutschland den Krieg, getreu ihren Verpflichtungen gegenüber
Polen. Die UdSSR besetzte am 17. September 1939 große Teile Polens.
In einer Note an die polnische Regierung vom 16. September 1939 erklärte die
Sowjetunion :
Der polnisch-deutsche Krieg hat die innere Zahlungsunfähigkeit des
polnischen Staates offenbart. Die polnische Regierung ist zerfallen und zeigt
kein Lebenszeichen. Das bedeutet, daß der polnische Staat und seine Regierung
praktisch ihre Tätigkeit eingestellt haben.
Die zwischen der UdSSR und Polen abgeschlossenen Verträge sind damit außer
Kraft gesetzt. Seinem Schicksal überlassen und ohne Führung zurückgelassen,
ist Polen zu einem fruchtbaren Feld für alle zufälligen und unerwarteten
Eventualitäten geworden, die eine Bedrohung für die UdSSR darstellen
könnten.
Am 31. Oktober 1939 faßte Molotow die sowjetischen Ansichten über die
internationale Lage in ungewöhnlich offenen Worten zusammen. Er sagte :
Doch ein schneller Schlag gegen Polen, zuerst von der deutschen und dann von
der Roten Armee, und nichts war mehr übrig von diesem hässlichen Sprössling
des Versailler Vertrages, der durch die Unterdrückung nichtpolnischer
Nationalitäten existiert hatte.
Begriffe wie „Aggressor“ und „Aggression“ haben in den vergangenen Monaten
eine neue konkrete Konnotation, eine neue Bedeutung bekommen. Es ist nicht
schwer zu verstehen, daß wir diese Vorstellungen nicht mehr in dem Sinne
anwenden können, wie wir es etwa vor 3 oder 4 Monaten getan haben.
Heute befindet sich Deutschland für die europäischen Großmächte in der
Position eines Staates, der die früheste Kriegsbeendigung und den Frieden
anstrebt, während Großbritannien und Frankreich, die sich gestern noch gegen
die Aggression ausgesprochen haben, in der Lage sind befürworten die
Fortsetzung des Krieges und sind gegen einen Friedensschluss. Wie Sie sehen,
ändern sich die Rollen.
Versuche der britischen und französischen Regierung, ihre neue Position mit
ihren Zusagen gegenüber Polen zu rechtfertigen, sind natürlich haltlos. Allen
war klar, daß von einer Wiederherstellung des alten Polens keine Rede sein
kann. * * * Die eigentliche Ursache des englisch-französischen Krieges mit
Deutschland war nicht, daß die Briten und Franzosen geschworen hatten, das
alte Polen wiederherzustellen, und natürlich nicht, daß sie beschlossen, einen
Kampf für die Demokratie zu führen. Die herrschenden Kreise Großbritanniens
und Frankreichs haben natürlich andere und aktuellere Motive, gegen
Deutschland in den Krieg zu ziehen.
Diese Motive liegen nicht in irgendeiner Ideologie, sondern in ihren zutiefst
materiellen Interessen als mächtige Kolonialmächte.
418 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Es ist die Angst vor dem Verlust der Weltherrschaft, die den herrschenden
Kreisen Großbritanniens und Frankreichs die Politik diktiert, den Krieg mit
Deutschland zu schüren. So ist der imperialistische Charakter dieses Krieges
für jeden offensichtlich, der sich den Realitäten stellen will und die Augen nicht
vor Tatsachen verschließt. * * *
Aber es gibt absolut keine Rechtfertigung für einen Krieg dieser Art. Man kann
die Ideologie des Hitlerismus genauso annehmen oder ablehnen wie jedes andere
ideologische System; das ist eine Frage der politischen Ansichten.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den anderen westeuropäischen
bürgerlichen Staaten wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem
durch die Bemühungen Deutschlands bestimmt, die Fesseln des Versailler
Vertrags zu sprengen, dessen Urheber Großbritannien und Frankreich waren,
unter aktiver Beteiligung der Vereinigten Staaten. Dies führte auf lange Sicht
zu dem gegenwärtigen Krieg in Europa.
Am 28. September 1939 hatte das Deutsche Reich eine Reihe von Verträgen mit der
UdSSR geschlossen, die geheime Protokolle enthielten, in denen die Teilung Polens
und die Anerkennung Litauens als sowjetische Einflusssphäre im Gegenzug für eine
„Grenzberichtigung“ zugunsten Deutschlands formalisiert wurden.
Zur Fortsetzung des Krieges sagte Molotow am 29. März 1940 :
Deutschland * * * ist offensichtlich zu einem gefährlichen Konkurrenten für
die imperialistischen Hauptmächte Europas––Großbritannien und Frankreich–
–geworden. Sie erklärten daher Deutschland den Krieg unter dem Vorwand, ihre
Verpflichtungen gegenüber Polen zu erfüllen. Es ist jetzt klarer denn je, wie weit
die wirklichen Ziele der Regierungen dieser Mächte von dem Zweck entfernt
sind, das zerfallene Polen oder die Tschechoslowakei zu verteidigen. Dieser
Krieg soll Deutschland zerschmettern und zerstückeln, obwohl dieses Ziel noch
immer unter dem Deckmantel der Verteidigung „demokratischer Länder“ und
der „Rechte“ kleiner Nationen vor den Massen des Volkes verheimlicht wird.
In dem Maße, wie die Sowjetunion sich weigerte, England und Frankreich bei
dieser imperialistischen Deutschlandpolitik zu unterstützen, wurde ihre
Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion noch ausgeprägter. * * *
Tatsächlich sind die Rechte und Interessen kleiner Länder in den Händen der
Imperialisten nur so viel Kleingeld.
Die UdSSR griff Finnland im Dezember 1939 an. Sowjetische Vorstöße gegen
Litauen, Lettland und Estland erfolgten im Juni 1940. Bessarabien und die
Nordbukowina wurden im selben Monat von Rumänien erobert.
Auch mit Deutschland schloss die Sowjetunion eine ganze Reihe von
Wirtschaftsabkommen ab. Zwischen 1922 und 1933 unterzeichneten die Sowjetunion
und Deutschland 6 Kredit- und Handelsabkommen, während die Sowjetunion in der
Zeit von 1933 bis 1941, als Hitler entweder seine Kriegsvorbereitungen beschleunigte
oder aktiv an einer Aggression beteiligt war, 12 Kredit- und Handelsabkommen mit
Deutschland abschloss das NS-Regime.
Zu diesen Handelsabkommen mit Deutschland kommentierte Molotow am 31. Mai
1939 :
Bei den Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich halten wir es
keineswegs für notwendig, auf Geschäftsbeziehungen mit Ländern wie
Deutschland und Italien zu verzichten.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 419
Die Sowjetregierung ignoriert ihre eigene Rolle beim Aufbau Hitlers und beschuldigt
nun die Vereinigten Staaten, sein Förderer zu sein. Laut dem Enzyklopädischen
Wörterbuch Russlands, Band 3 ( 1955 ) :
Die Imperialisten der Vereinigten Staaten begünstigten die Hitleristen bei der
Machtergreifung in Deutschland ( 1933 ) und duldeten die deutsch-italienische
Intervention gegen die Spanische Republik ( 1936–1939 ), die italienische
Aggression gegen Äthiopien ( 1935–1936 ) und die Eroberung Österreichs von
Hitlerdeutschland ( 1938 ). Sie halfen beim Abschluss des schändlichen
Münchner Abkommens ( 1938 ) und ermutigten die japanische Aggression in
China. Die Vereinigten Staaten betrieben eine Politik der Duldung der
faschistischen Aggression mit dem Ziel, sie gegen die UdSSR zu richten. Die
Politik der Vereinigten Staaten trug zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs
von 1939-1945 bei (Seiten 254–255).
Diese Aussage ist das genaue Gegenteil der sowjetischen Ansicht zu der Zeit, als
diese Ereignisse stattfanden. In der Kleinen Sowjetischen Enzyklopädie von 1941,
Band 9, heißt es :
Von Anfang an nahm Roosevelt eine ausgesprochen negative Haltung
gegenüber Hitlerdeutschland und anderen faschistischen Mächten ein (Seite
240).
Seit Beginn des Krieges in Europa (September 1939) erklärten die Vereinigten
Staaten offiziell ihre Neutralität, aber die Regierung weigerte sich, entweder die
deutsche Aggression in Europa oder die japanische Aggression in China zu
akzeptieren (Seite 901).
Die Aussage des Enzyklopädischen Wörterbuchs ist auch das genaue Gegenteil der
Kommentare von Alexander A. Troyanovsky, dem ersten sowjetischen Botschafter in
den Vereinigten Staaten ( 1934–1939 ), in seinem 1942 in Moskau veröffentlichten
Buch Warum die Vereinigten Staaten Krieg gegen Hitlerdeutschland führen :
Die Idee des internationalen Kampfes gegen die Aggression war den
Vereinigten Staaten nicht fremd. US-Außenminister Stimson unternahm
Versuche, eine kollektive Aktion gegen die Aggression im Zusammenhang mit
den Ereignissen im Fernen Osten in den Jahren 1931–1932 durchzusetzen.
* * * Präsident Roosevelt ließ keine Gelegenheit aus, seine Position für den
Frieden und gegen den Einsatz von Gewalt in den internationalen Beziehungen
zum Ausdruck zu bringen. Einen Tag vor dem Abschluss des Münchener
Abkommens vom 29. September 1938, das zu einer gewaltsamen Zerstückelung
der Tschechoslowakei führte, schlug der Präsident der Vereinigten Staaten in
einer Botschaft an die Regierung der UdSSR vor, daß unser friedliebendes Land
die faschistischen Angreifer beeinflussen und antreiben sollte sie, die [Politik]
der „Anwendung von Gewalt“ gegenüber der Tschechoslowakei aufzugeben
( Seiten 56–57 ).
Die sowjetische Zusammenarbeit mit den Nazis begann erst Ende 1940 ernsthaft
zusammenzubrechen, als die Sowjets einen deutschen Vorschlag ablehnten, wonach
die Sowjetunion ihre Expansion nur nach Süden in Richtung des Indischen Ozeans
konzentrieren sollte, und erfolglos versuchten, die deutsche Anerkennung der
sowjetischen Hegemonie in Finnland zu erreichen Bulgarien, mit sowjetischen
Stützpunkten an der türkischen Meerenge sowie im Gebiet südlich von Batum und
Baku (Naher Osten). Doch trotz der nationalsozialistisch-sowjetischen Differenzen bei
diesen Verhandlungen schloss die UdSSR im Januar 1941 ein neues
Wirtschaftsabkommen mit Deutschland, das die sowjetischen Exporte wichtiger
Rohstoffe nach Deutschland für die Kriegsführung noch weiter erhöhte. Die
Sowjetunion erkannte die Aggression Nazideutschlands an, indem sie 1941 die
420 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien abbrach und nach den deutschen


Besetzungen auch die Beziehungen zu Griechenland, Norwegen und Belgien abbrach.
Im Gegensatz dazu machten die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich
ihre Haltung gegenüber der Nazi-Aggression deutlich, indem sie Arbeitsbeziehungen
mit den Freien Franzosen aufnahmen und diplomatische Beziehungen zu den
Exilregierungen anderer besetzter Länder unterhielten.
Im März 1941 warnten die Vereinigten Staaten die UdSSR zweimal, daß sie
authentische Informationen darüber erhalten hätten, daß Nazi-Deutschland einen
Angriff auf die Sowjetunion plante, und Premierminister Churchill warnte Ende April
Stalin mit der gleichen Wirkung. Aber die UdSSR hatte gerade ihre fortgesetzte
Solidarität mit Hitler gezeigt, indem sie am 13. April 1941 einen Neutralitätspakt mit
dem japanischen Partner der Achse Berlin-Rom-Tokio unterzeichnete und damit den
Weg für Pearl Harbor frei machte.
Erst als Hitler im Juni 1941 seinen sowjetischen Verbündeten angriff, bemühte sich
die UdSSR um westliche Zusammenarbeit beim Widerstand gegen Nazideutschland.
Trotz der sowjetischen Kollaborationsbilanz mit Hitler gaben die Westmächte den
sowjetischen Hilfeersuchen sofort nach. Am selben Tag nach dem deutschen Angriff
auf die UdSSR erklärte der amtierende Außenminister der Vereinigten Staaten
öffentlich, daß „jede Verteidigung gegen den Hitlerismus, jede Sammlung von Kräften,
die sich dem Hitlerismus widersetzen, aus welcher Quelle auch immer diese Kräfte
stammen mögen, den Krieg beschleunigen wird eventuellen Untergang der
gegenwärtigen deutschen Führer und wird daher unserer eigenen Verteidigung und
Sicherheit zugutekommen.“ Weniger als 6 Monate später kämpften die Vereinigten
Staaten als Verbündeter der Sowjetunion gegen Deutschland.
Zusätzlich zu ihren eigenen direkten Beiträgen zur Niederlage der Achsenmächte
leisteten die westlichen Nationen lebenswichtige Lieferungen großer Mengen an
Kriegsmaterial an die UdSSR. Trotz der Verluste durch Nazi-U-Boote traf eine große
Menge Flugzeuge, Panzer und Munition ein Die UdSSR. In einem seltenen Moment
des Lobes für ihre Verbündeten während des Krieges gab die Sowjetregierung am 10.
und 11. Juni 1944 im Radio Moskau und in führenden sowjetischen Zeitungen
bekannt, daß diese Lieferungen von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten
Königreich, und Kanada in der Zeit vom 1. Oktober 1941 bis 30. April 1944. Unter den
genannten Gegenständen waren:
12.056 Flugzeuge aus den USA und Großbritannien
8.026 Panzer aus den USA und Großbritannien
116 Marinefahrzeuge
37.407 Lastkraftwagen und Militärtransporter
17.017 Motorräder aus Großbritannien
22.400.000 Granaten
87.900 Tonnen Schießpulver
245.000 Telefonapparate

II. DER ZWEITE WELTKRIEG UND DIE ENTWICKLUNG NACH DEM KRIEG
Sowjetische Behauptungen . . .
In der sowjetischen Mitteilung heißt es, die westlichen Alliierten hätten im Zweiten
Weltkrieg eine „gemeinsame abgestimmte Politik“ gegenüber Deutschland verfolgt.
Sie behauptet, daß, wenn diese Politik, wie von Präsident Roosevelt eingeführt,
fortgesetzt worden wäre, es nach dem Krieg eine friedliche Koexistenz gegeben hätte.
Stattdessen, sei, laut der sowjetischen Mitteilung, die Atmosphäre durch Winston
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 421
Churchill und andere, die einen aggressiven Kurs gegen die UdSSR anstrebten,
vergiftet worden. In der Note heißt es :
Dies ist der traurige Punkt, an dem nach 13 Nachkriegsjahren die einst
gemeinsame und konzertierte Politik der vier Mächte––der UdSSR, der
Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs––in Bezug auf
Deutschland angelangt ist. * * *
Die Politik der Westmächte wurde jedoch zunehmend von Kräften beeinflusst,
die vom Hass auf sozialistische und kommunistische Ideen besessen waren, aber
ihre feindlichen Absichten gegen die Sowjetunion während des Krieges
verbargen. Infolgedessen wurden im Westen die Weichen für eine größtmögliche
Verschärfung des ideologischen Kampfes gestellt, angeführt von aggressiven
Führern, von Gegnern der friedlichen Koexistenz der Staaten. Den Vereinigten
Staaten und anderen westlichen Ländern wurde das Signal dazu von W.
Churchill in seiner berüchtigten Fulton-Rede im März 1946 gegeben. * * *
Die Sowjetregierung bedauert zutiefst, daß die Ereignisse eine solche Wendung
genommen haben, da dies den Frieden gefährdet und dem natürlichen Wunsch
der Völker nach friedlicher Koexistenz und freundschaftlicher Zusammenarbeit
zuwiderläuft. Es gab eine Zeit, in der die Führer der Vereinigten Staaten und
Großbritanniens, insbesondere Franklin D. Roosevelt, der herausragende
amerikanische Staatsmann, indem sie das Gefühl der Masse des Volkes
widerspiegelten, die Notwendigkeit verkündeten, ein solches System
gegenseitiger Beziehungen zwischen den Staaten zu schaffen, unter dem sich die
Nationen sicher fühlen würden und die Menschen überall ihr Leben lang ohne
Angst leben könnten.
Die Fakten sind...
1. In den Kriegsvereinbarungen legten die alliierten Nationen zwei grundlegende
Grundsätze fest: Sie verpflichteten sich, den Feind zu besiegen und erklärten, sie
wollten die Erholung vom Krieg anstreben und die im Laufe des Krieges begonnene
Zusammenarbeit fortsetzen.
2. Um den Feind zu besiegen, wurde ein hoher Preis gezahlt.
3. Anstatt die Kriegsvereinbarungen umzusetzen, führte die UdSSR ihre eigenen
Pläne der kommunistischen Expansion in Osteuropa durch und verhinderte oder
verzögerte, wo immer möglich, die Maßnahmen der Westmächte zur Förderung der
wirtschaftlichen Erholung in Deutschland und ganz Europa.
4. Diese sowjetischen Handlungen, die im Widerspruch zu den sowjetischen
Versprechungen standen, zerstörten das Wohlwollen gegenüber der UdSSR und
überzeugten die westlichen Regierungen von der Notwendigkeit einer Verteidigung
gegen den sowjetischen Expansionismus.
5. Stalin erklärte dem Westen 1946 den „kalten Krieg“, indem er behauptete, das
Kriegsbündnis mit dem Westen sei von der Opportunität bestimmt. Er sagte Kriege
zwischen kapitalistischen Staaten voraus und erklärte, die Kommunisten würden die
Vorherrschaft über andere Völker erlangen.
Die Kriegspolitik der alliierten Nationen gegenüber Deutschland war darauf
ausgerichtet, den Krieg erfolgreich zu führen und danach Frieden und Erholung zu
erlangen.
1. In der Erklärung der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 heißt es :
Die unterzeichneten Regierungen,
Die sich einem gemeinsamen Programm von Zielen und Grundsätzen
angeschlossen haben, das in der Gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Amerika und des Premierministers des Vereinigten
Königreichs von Großbritannien und Nordirland vom 14. August 1941, bekannt
als Atlantik-Charta, verankert ist.
422 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die der Überzeugung sind, daß ein vollständiger Sieg über ihre Feinde
unerläßlich ist, um das Leben, die Freiheit, die Unabhängigkeit und die
Religionsfreiheit zu verteidigen und Menschenrechte und Gerechtigkeit sowohl
in ihrem eigenen Land als auch in anderen Ländern zu bewahren, und daß sie
jetzt in einen gemeinsamen Kampf gegen grausame und brutale Kräfte
verwickelt sind, die versuchen, die Welt zu unterjochen,
ERKLÄREN :
( 1 ) Jede Regierung sichert zu, ihre gesamten militärischen und
wirtschaftlichen Mittel gegen jene Mitglieder des Dreimächtepaktes und
ihre Anhänger einzusetzen, mit denen sich diese Regierung im Krieg
befindet.
( 2 ) Jede Regierung sichert zu, mit den unterzeichneten Regierungen
zusammenzuarbeiten und keinen separaten Waffenstillstand oder Frieden
mit den Feinden zu schließen.
Die vorstehende Erklärung kann von anderen Nationen, die im Kampf um den
Sieg über den Hitlerismus materielle Hilfe und Beiträge leisten oder leisten
könnten, befolgt werden.
2. Im anglo-sowjetisch-amerikanischen Kommuniqué vom 1. November 1943, das
im Anschluss an die Moskauer Außenministerkonferenz verfasst wurde, heißt es :
Zweitwichtigstes Anliegen neben der Bedeutung eines beschleunigten
Kriegsendes war die einstimmige Anerkennung der drei Regierungen, daß es im
eigenen nationalen Interesse und im Interesse aller friedliebenden Nationen
unerläßlich ist, die gegenwärtige enge Zusammenarbeit bei der Kriegsführung
bis in die Zeit nach Beendigung der Feindseligkeiten fortzusetzen, und daß nur
auf diese Weise der Frieden erhalten und das politische, wirtschaftliche und
soziale Wohlergehen ihrer Völker voll gefördert werden kann.
3. In dem am 9. November 1943 unterzeichneten Abkommen zur Gründung der
Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen heißt es in Artikel I,
Absatz 2 :
Vorbehaltlich der Bestimmungen von Artikel VII hat die Verwaltung folgende
Ziele und Aufgaben :
( a ) Planung, Koordinierung, Verwaltung oder Veranlassung der Verwaltung
von Hilfsmaßnahmen für Kriegsopfer in jedem Gebiet, das einer der Vereinten
Nationen untersteht, durch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Kraftstoff,
Kleidung, Unterkünften und anderen lebensnotwendigen Gütern, medizinischer
Versorgung und anderen wesentlichen Leistungen ; sowie Erleichterung der
Herstellung und des Transports dieser Produkte und der Erbringung dieser
Leistungen in den betreffenden Gebieten, soweit dies für eine angemessene
Bereitstellung der Hilfsmaßnahmen erforderlich ist.
4. Die Krim-Konferenz (Jalta) des Vereinigten Königreichs, der U.S.S.R. und der
Vereinigten Staaten vom 4. bis 11. Februar 1945 legte in einer Erklärung über das
befreite Europa positiv dar:
Um die Voraussetzungen zu fördern, unter denen die befreiten Völker diese
Rechte ausüben können, werden die drei Regierungen gemeinsam den Völkern
in jedem befreiten europäischen Staat oder ehemaligen Satellitenstaat der
Achsenmächte in Europa beistehen, wo es nach ihrem Ermessen erforderlich ist,
( a ) die Voraussetzungen für den inneren Frieden zu schaffen ; ( b ) Notstands-
maßnahmen zur Entlastung der notleidenden Völker zu ergreifen ; ( c ) Über-
gangsregierungen zu bilden, die alle demokratischen Elemente in der Be-
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 423
völkerung weitgehend repräsentieren und sich verpflichten, so bald wie möglich
durch freie Wahlen Regierungen einzusetzen, die dem Willen des Volkes ent-
sprechen ; und ( d ) erforderlichenfalls die Durchführung solcher Wahlen zu
ermöglichen.
Diese Abkommen zeigen, daß sich die Kriegsverbündeten, einschließlich der UdSSR,
auf grundlegende Prinzipien für ihr Verhalten nach dem Krieg geeinigt hatten,
nämlich die Schaffung einer gerechten und stabilen Weltordnung, Entlastung der
notleidenden Bevölkerung und Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Gebiete.
Die UdSSR weigerte sich jedoch, konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Ab-
kommen auszuführen und fuhr fort, ihre eigenen Pläne im gesamten sowjetisch be-
setzten Osteuropa auszuführen. Statt mit den westlichen Alliierten im Alliierten
Kontrollrat (dem obersten alliierten Gremium im Nachkriegsdeutschland) zusammen-
zuarbeiten und einen wirtschaftlichen Mindeststandard zu schaffen, der für das Über-
leben und den künftigen Aufschwung des deutschen Volkes unerlässlich ist, verzögerte
und vermied die UdSSR Entscheidungen und verließ schließlich im März 1948 den
AKR.
Auf den Außenministerkonferenzen der Nachkriegszeit konzentrierte sich die
Sowjetunion auf Verfahrensfragen wie die Priorität der Tagesordnungspunkte und
blockierte westliche Vorschläge, während in Moskau ausgebildete Kommunisten,
unterstützt von der Sowjetarmee, die Macht in Rumänien, Bulgarien, Ungarn,
Albanien, der Tschechoslowakei, Polen und Ostdeutschland an sich rissen. 1947
weigerte sich die Sowjetunion in Moskau, grundlegende Informationen über ihre
Besatzungszone in Deutschland offenzulegen, was zu dem Verdacht führte, der sich
später als richtig herausstellte, daß in weiten Teilen des Landes alle transportfähigen
Güter für den Versand in die UdSSR abgezogen wurden. Diese Tatsachen helfen dabei,
die mangelnde Bereitschaft der sowjetischen Behörden, beim Aufbau einer ausgewo-
genen Wirtschaft für Deutschland, wie in Potsdam vereinbart, mitzuarbeiten, zu er-
klären. Dies war ein schwerwiegender Rückschlag für den Aufschwung in Europa und
für die Entwicklung einer sich selbst tragenden deutschen Wirtschaft, selbst auf einem
minimalen Niveau.
Das Schicksal der osteuropäischen Staaten, die aufgrund der Anwesenheit oder der
Nähe sowjetischer Streitkräfte gezwungen waren, zu Satellitenstaaten zu werden,
verdeutlicht den Unterschied zwischen den Zusagen der Sowjetunion in Jalta und
ihren nachfolgenden Handlungen.
Die Vereinigten Staaten kamen nicht umhin, diese sowjetischen Handlungen trotz
der sowjetischen Versprechen und Erklärungen als Hinweis auf die wirkliche Politik
der UdSSR zu deuten. Die sowjetische Missachtung feierlicher Vereinbarungen und
Grundsätze erschütterte das Wohlwollen, das die amerikanische Bevölkerung der
UdSSR entgegenbrachte und überzeugte jede westliche Regierung von der
Notwendigkeit, sich gegen die Gefahr eines weiteren sowjetischen Expansionismus zu
verteidigen.
Der „Kalte Krieg“ wurde erklärt und die kommunistische Nachkriegslinie von Stalin
in seiner Moskauer Rede vom 9. Februar 1946 festgelegt. In dieser Rede machte Stalin
der Welt klar, daß das Kriegsbündnis mit den Westmächten von der Zweckmäßigkeit
bestimmt worden war und nicht als Anzeichen dafür ausgelegt werden sollte, daß die
Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und ihren ehemaligen Verbündeten von
Dauer war oder fortgesetzt werden würde.
Er erinnerte seine Zuhörer daran, daß gemäß der kommunistischen Doktrin ein
Krieg unvermeidlich sei, solange die kapitalistischen Länder nicht von kommu-
nistischen Parteien übernommen worden seien und er umriss die wirtschaftlichen
Pläne, mit denen die Sowjetunion die Grundlage für den Kampf gegen den "unvermeid-
lichen" künftigen Krieg schaffen sollte.
Er prahlte mit der Macht des sowjetischen Staates und seinen Kriegserfolgen und
teilte der Welt mit, daß sich die Sowjetunion nicht mit dem Sieg im Zweiten Weltkrieg
424 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

zufrieden geben werde. Seine Forderung nach Anerkennung, daß „die sowjetische
Gesellschaftsordnung eine Organisationsform, eine Gesellschaft ist, die jeder nicht-
sowjetischen Gesellschaftsordnung überlegen ist“, entging den nicht-sowjetischen
Völkern nicht. Sie erkannten deutlich die Erneuerung der kommunistischen
Forderung nach maximalen Anstrengungen der kommunistischen Anhänger, um die
Herrschaft über alle Völker der Welt zu erlangen.

III. NACHKRIEGSBEZIEHUNGEN ZU DEUTSCHLAND


Sowjetische Behauptungen . . .
Die sowjetische Note beschuldigt die westlichen Alliierten der Verletzung der
politischen und wirtschaftlichen Bestimmungen der interalliierten Abkommen,
insbesondere des Potsdamer Abkommens. Diese Verstöße seien Teil der westlichen
„Verschärfung des ideologischen Kampfes“ und der westlichen
„Kriegsvorbereitungen“. Die westlichen Alliierten hätten aktiv daran gearbeitet, die
friedliche Vereinigung Deutschlands zu verhindern, und die westdeutsche Führung sei
militaristisch gewesen und habe Pläne zur gewaltsamen Vereinigung Deutschlands
gemacht.
In der Note heißt es weiter, daß Ostdeutschland unter einer Verfassung regiert wird,
die „in den besten fortschrittlichen Traditionen der deutschen Nation“ steht und große
„demokratische und soziale Errungenschaften“ erzielt hat. Die Westmächte, so heißt
es, nutzten ihre Präsenz in West-Berlin, um „subversive Aktivitäten“ gegen Rußland
und die Satellitenstaaten zu entfalten, wohingegen das Viermächteabkommen über
Berlin „von der Sowjetunion gewissenhaft eingehalten“ werde.
In der Note wird behauptet, daß die Sowjetunion während der gesamten
Nachkriegszeit trotz der Verschärfungen und Kriegsvorbereitungen des Westens ein
entschiedener Verfechter der Politik der „friedlichen Koexistenz“, der
„Nichteinmischung“ in die Angelegenheiten anderer Staaten und der Achtung der
„Souveränität und territorialen Integrität“ anderer Länder war. In der Note heißt es :
Die Teilnehmer der Potsdamer Konferenz brachten ihre Entschlossenheit zum
Ausdruck, jede faschistische und militaristische Aktivität oder Propaganda zu
verhindern. Sie verstanden sich auch darauf, alle demokratischen politischen
Parteien in Deutschland zuzulassen und zu fördern. * * *
Das Potsdamer Abkommen enthielt wichtige Bestimmungen, wonach
Deutschland auch während der Besatzungszeit als eine wirtschaftliche Einheit
betrachtet werden sollte. Das Abkommen sah auch die Schaffung zentraler
deutscher Verwaltungsstellen vor. * * *
Die Politik der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegenüber
Westdeutschland hat zur Verletzung jener Bestimmungen des Potsdamer
Abkommens geführt, die die Einheit Deutschlands als eines friedliebenden und
demokratischen Staates gewährleisten sollten. Und als in Westdeutschland, das
von den Truppen der Drei Mächte besetzt war, unabhängig [von der Sowjetunion]
ein eigener Staat, die Bundesrepublik Deutschland, errichtet wurde, blieb
Ostdeutschland, wo Kräfte, die entschlossen waren, nicht zuzulassen, daß das
deutsche Volk erneut in eine Katastrophe gestürzt wird, die Führung
übernahmen, keine andere Wahl, als seinerseits einen unabhängigen Staat zu
schaffen. * * *
Der Staat und die öffentlichen Angelegenheiten in der Deutschen
Demokratischen Republik werden durch eine Verfassung geregelt, die den
Grundsätzen des Potsdamer Abkommens und den besten fortschrittlichen
Traditionen des deutschen Volkes voll entspricht. * * *
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 425
Die Sowjetunion steht für die völlige Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten des deutschen Volkes oder in die eines anderen Volkes. * * *
Die Sowjetunion unterstützt ebenso wie andere Staaten, die an der Stärkung
des Friedens in Europa interessiert sind, die Vorschläge der Deutschen
Demokratischen Republik zur friedlichen Vereinigung Deutschlands. Die
Regierung der UdSSR bedauert, daß keine der in dieser Richtung
unternommenen Anstrengungen bisher zu positiven Ergebnissen geführt hat, da
die Regierungen der Vereinigten Staaten und der anderen NATO-Mitglieder und
vor allem die Regierung der BRD in der Tat keinerlei Interesse am Abschluss
eines Friedensvertrages oder an der Vereinigung Deutschlands zeigen. * * *
Von allen Vereinbarungen der Alliierten über Deutschland wird heute nur noch
eine einzige umgesetzt. Es handelt sich um das Abkommen über den so
genannten Viermächte-Status von Berlin. Auf der Grundlage dieses Status
beherrschen die drei Westmächte West-Berlin, machen es zu einer Art Staat im
Staat und nutzen es als Zentrum, von dem aus subversive Aktivitäten gegen die
DDR, die Sowjetunion und die anderen Parteien des Warschauer Vertrages
betrieben werden. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich
kommunizieren ungehindert mit West-Berlin über Kommunikationslinien, die
durch das Territorium und den Luftraum der Deutschen Demokratischen
Republik führen, die sie nicht einmal anerkennen wollen.
Die Regierungen der Drei Mächte versuchen, den längst überholten Teil der
Kriegsverträge, die die Besetzung Deutschlands regelten und sie in der
Vergangenheit zum Aufenthalt in Berlin berechtigten, in Kraft zu halten.
Gleichzeitig haben die Westmächte, wie bereits erwähnt, die
Viermächteabkommen grob verletzt, einschließlich des Potsdamer Abkommens,
in dem die Verpflichtungen der Mächte gegenüber Deutschland am
konzentriertesten zum Ausdruck kommen.
Der Vier-Mächte-Status Berlins kam zustande, weil Berlin als Hauptstadt
Deutschlands zum Sitz des Kontrollrats bestimmt wurde, der für die Verwaltung
Deutschlands während der ersten Besatzungszeit eingerichtet wurde. Dieser
Status wird von der Sowjetunion bis heute peinlich genau eingehalten, obwohl
der Kontrollrat bereits vor zehn Jahren aufgelöst wurde und es in Deutschland
seit langem zwei Hauptstädte gibt. Die USA, Großbritannien und Frankreich
haben ihre Besatzungsrechte in Berlin in eklatanter Weise mißbraucht und den
Vier-Mächte-Status der Stadt zum Schaden der Sowjetunion, der Deutschen
Demokratischen Republik und der anderen sozialistischen Länder für ihre
Zwecke ausgenutzt.
Die Fakten sind . . .
1. Das erklärte Ziel der Nachkriegsabkommen zwischen den Alliierten und
Deutschland war es, die Überreste des Dritten Reiches zu beseitigen, die Wiedergeburt
aggressiver Kräfte zu verhindern und einen Weg zu finden, auf dem Deutschland seine
Achtung wiedererlangen und eine konstruktive Rolle in internationalen
Angelegenheiten spielen konnte.
2. Lange vor der Unterzeichnung des Potsdamer Protokolls, in dem diese
Grundsätze verankert sind, im August 1945, begann die UdSSR mit ihren
Bemühungen, Deutschland in einen sowjetischen Satellitenstaat zu verwandeln. Sie
wählte, schulte und repatriierte Personen, die später die politische und militärische
Führung des ostdeutschen Regimes bildeten.
426 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

3. Bevor die Westmächte ihre Sektoren in Berlin besetzten, hatte die Sowjetarmee
politische Parteien zugelassen und sie durch traditionelle kommunistische Mecha-
nismen der Kontrolle unterworfen. Diese gibt es in Ostdeutschland auch heute noch.
4. Dennoch handelten die Siegermächte das Potsdamer Protokoll aus, das sowohl
negative Aspekte (Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Reparationen) als auch
positive Aspekte (gewählte Kommunalverwaltungen, einheitliche Verwaltung,
demokratische Rechte für alle Bürger, ausgewogene wirtschaftliche Behandlung und
ein Friedensvertrag zur Beilegung des Krieges) enthielt. Die UdSSR weigerte sich,
diese positiven Grundsätze zu verwirklichen.
5. Die Vereinigten Staaten wollten nicht, daß Deutschland zu einem sowjetischen
Satellitenstaat wird. Sie drängten auf einen wirtschaftlichen Aufschwung in ganz
Europa.
6. Die UdSSR wich einem amerikanischen Vorschlag für einen 40-jährigen
Nichtangriffspakt aus, der eine Garantie gegen eine erneute deutsche militärische
Aggression bieten sollte. Die Sowjets lehnten einen wirtschaftlichen Aufschwung in
Europa ab. Sie traten aus dem Alliierten Viermächte-Kontrollrat für Deutschland aus
und errichteten 1948 die Berlin-Blockade, um die Westalliierten aus der Stadt zu
drängen.
7. In Berlin erzwangen die Sowjets die Spaltung der Stadt und setzten eine
Rumpfregierung in Ost-Berlin ein, die sich der ordnungsgemäß gewählten Regierung
der Stadt entgegenstellte.
8. Trotz der mangelnden sowjetischen Kooperation setzten die Westmächte das
Potsdamer Protokoll in ihren eigenen Zonen in Westdeutschland um. Nach freien
Wahlen und der Verabschiedung eines genehmigten Grundgesetzes (Verfassung)
wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet.
9. Die Sowjets riefen 1949 die sogenannte Deutsche Demokratische Republik aus.
Es wurden nie freie Wahlen abgehalten.
10. Die Kommunisten verhindern weiterhin den freien Verkehr von Informationen
und kontrollieren die Bewegungsfreiheit der Bürger in Ostdeutschland und zwischen
Ost- und Westdeutschland. Sie rechtfertigen diese Maßnahmen mit der Verhinderung
„faschistischer Aggressionen“ und „Provokationen von außen“ durch
„Spionageagenturen“ in West-Berlin.
Erklärtes Ziel der Nachkriegsabkommen war es, eine bessere Welt in der Zukunft
zu erreichen und den Frieden zu sichern. Für Deutschland bedeutete dies ( a ) die
Überreste des Dritten Reiches zu beseitigen und die Wiedergeburt aggressiver Kräfte
zu verhindern und ( b ) einen Weg zu finden, auf dem Deutschland seine Selbstachtung
wiedererlangen und eine konstruktive Rolle in internationalen Angelegenheiten
spielen konnte.
Noch vor der Unterzeichnung des Potsdamer Protokolls begann die UdSSR mit ihren
Bemühungen, Deutschland zu einem Satellitenstaat der Sowjetunion zu machen.
Während des gesamten Krieges wurden Gruppen deutscher Kommunisten in der
UdSSR ausgebildet. Ihre zukünftigen Führer, Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Karl
Maron, Lothar Bolz und andere, arbeiteten eng mit der Komintern und der
Sowjetarmee zusammen und warteten auf den Einmarsch der sowjetischen
Streitkräfte in Deutschland. Diese Männer standen an der Spitze des ostdeutschen
Regimes seit dessen Gründung 1949 und gehörten zwischen 1945 und 1949 zu den
wichtigsten Beamten, die unter der sowjetischen Besatzungsmacht in Ostdeutschland
dienten.
Das Nationalkomitee Freies Deutschland, eine von der Sowjetunion gesponserte
Organisation gefangener deutscher Offiziere und Soldaten, wurde am 7. Juli 1943
gegründet, um deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR kommunistisch zu
indoktrinieren und Zellen unter den Militärs zu bilden, die als Grundlage für eine
künftige deutsche Wiederbewaffnung unter sowjetischer Schirmherrschaft dienen
sollten. Zu den prominenten Absolventen der so genannten „Antifa-Schule“
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 427
(Antifaschistische Schule) in Krasniy Gorsk, die anschließend führende Positionen in
der DDR erhielten, gehörten : Wehrmachtsoberst Luitpold Steidle, späterer
Gesundheitsminister ; Wehrmachtsgeneralmajor Vincenz Müller, späterer
Generalleutnant und Generalstabschef der ostdeutschen Streitkräfte ;
Wehrmachtsgeneralmajor Otto Korfes, später politischer Führer der Nationalen Front
in der DDR und zuständig für die Organisation ehemaliger deutscher Armeeoffiziere ;
Major Egbert von Frankenberg und Proschlitz, heute Militärkommentator des
ostdeutschen Rundfunks und führendes Mitglied der Nationaldemokratischen Partei,
die 1948 von den Sowjets als Partei für ehemalige Soldaten und NSDAP-Mitglieder
gegründet wurde ; Wehrmachtsgeneralleutnant Arno von Lenski, heute Generalmajor
der DDR-Armee und deren führender Experte für Panzerkampf ; der ehemalige
Regimentskommandeur Bernhard Bechler, heute stellvertretender Stabschef der
DDR-Streitkräfte ; und Wehrmachts-generalleutnant Hans Wulz, heute Generalmajor
der DDR-Streitkräfte und Stadtkommandant in Ost-Berlin.
Im Mai und Juni 1945 war die Sowjetarmee für kurze Zeit alleiniger Besatzer von
Berlin. Am 10. Juni 1945, drei Wochen vor dem Einmarsch der ersten US-Truppen in
Berlin, genehmigten die sowjetischen Besatzungsbehörden vier politische Parteien in
der Stadt, nämlich die Kommunisten, die Sozialdemokraten, die Christlich-
Demokratische Union und die Liberaldemokraten. Am nächsten Tag wurden diese vier
Parteien dem Antifaschistisch-Demokratischen Block unterstellt, einem sowjetischen
Instrument zur Kontrolle der Führer und Programme dieser Parteien und zur
Beschränkung ihrer Freiheit auf die von den Kommunisten und der UdSSR
genehmigten politischen Aktionen.
Damit war der Entwurf und die Organisation der sowjetischen Politik in
Deutschland auf militärischem und politischem Gebiet fertiggestellt, noch bevor die
Siegermächte zusammenkommen konnten, um ihre Pläne zu erörtern und sich auf die
Umsetzung der erklärten Grundsätze der Kriegskoalition zu einigen.
Dennoch fand vom 17. Juli bis 2. August 1945 in Berlin (Potsdam) eine Konferenz
der Regierungschefs der UdSSR, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten statt,
auf der ein breites Spektrum internationaler Probleme erörtert wurde, darunter auch
eine Reihe von Grundsätzen in Bezug auf Deutschland, die zur Verwirklichung der
Ziele der Kriegsalliierten befolgt werden sollten.
Das Potsdamer Protokoll vom 1. August 1945 enthielt sowohl negative Aspekte der
alliierten Ziele (Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Reparationen) als auch
positive Bestimmungen, die den alliierten Nationen und Deutschland zeigen sollten,
daß es eine Zukunft für das deutsche Volk gab. Im Folgenden werden Zitate aus den
positiven Punkten des Potsdamer Protokolls angeführt:
* * * Das Justizwesen wird nach den Grundsätzen der Demokratie, der
Rechtsprechung und der Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der
Rasse, der Nationalität oder der Religion umgestaltet.
* * * Die Verwaltung in Deutschland soll auf die Dezentralisierung der
politischen Struktur und die Entwicklung der lokalen Verantwortung
ausgerichtet werden. Zu diesem Zweck:
* * * Die kommunale Selbstverwaltung ist in ganz Deutschland nach
demokratischen Grundsätzen und insbesondere durch gewählte Räte so schnell
wiederherzustellen, wie es mit der militärischen Sicherheit und den Zielen der
militärischen Besetzung vereinbar ist;
428 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

* * * Alle demokratischen politischen Parteien mit dem Recht der


Versammlung und der öffentlichen Diskussion werden in ganz Deutschland
zugelassen und gefördert;
* * * Die Grundsätze der Repräsentation und des Wahlrechts werden in der
Verwaltung der Regionen, Provinzen und Bundesländer so schnell eingeführt,
wie es die erfolgreiche Anwendung dieser Grundsätze in der kommunalen
Selbstverwaltung rechtfertigt;
* * * Bis auf weiteres wird keine deutsche Zentralregierung gebildet. Dessen
ungeachtet werden jedoch einige wesentliche zentrale deutsche
Verwaltungsabteilungen, die von Staatssekretären geleitet werden,
eingerichtet, insbesondere in den Bereichen Finanzen, Verkehr,
Nachrichtenwesen, Außenhandel und Industrie. Diese Abteilungen werden
unter der Leitung des Kontrollrats tätig.
* * * Vorbehaltlich der Notwendigkeit, die militärische Sicherheit
aufrechtzuerhalten, ist die Rede-, Presse- und Religionsfreiheit zuzulassen, und
die religiösen Einrichtungen sind zu achten. Ebenfalls unter dem Vorbehalt der
Aufrechterhaltung der militärischen Sicherheit ist die Bildung freier
Gewerkschaften zuzulassen.
* * * Während der Besatzungszeit ist Deutschland als eine wirtschaftliche
Einheit zu behandeln. Zu diesem Zweck wird eine gemeinsame Politik festgelegt
in bezug auf:
( a ) Bergbau und industrielle Produktion und Zuteilungen ;
( b ) Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei ;
( c ) Löhne, Preise und Rationierung ;
( d ) Einfuhr- und Ausfuhrprogramme für Deutschland als Ganzes ;
( e ) Währung und Bankwesen, zentrale Besteuerung und Zollwesen ;
( f ) Reparationen und Beseitigung des industriellen Kriegspotentials ;
( g ) Transport und Kommunikation.
Bei der Anwendung dieser Politik ist gegebenenfalls den unterschiedlichen
örtlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen.
* * * Die alliierten Kontrollen werden der deutschen Wirtschaft nur in dem
erforderlichen Umfang auferlegt :
( a ) Programme der industriellen Abrüstung und Entmilitarisierung, der
Reparationen und der genehmigten Aus- und Einfuhren durchzuführen.
( b ) die Herstellung und Aufrechterhaltung von Gütern und
Dienstleistungen zu gewährleisten, die zur Deckung des Bedarfs der
Besatzungstruppen und der Vertriebenen in Deutschland erforderlich sind
und die zur Aufrechterhaltung eines durchschnittlichen Lebensstandards in
Deutschland, der den Durchschnitt des Lebensstandards der europäischen
Länder nicht übersteigt, unerlässlich sind. (Unter europäischen Ländern
sind alle europäischen Länder mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs
und der UdSSR zu verstehen).
( c ) in der vom Kontrollrat bestimmten Weise für eine gerechte
Verteilung der lebenswichtigen Güter auf die verschiedenen Zonen zu
sorgen, um eine ausgeglichene Wirtschaft in ganz Deutschland herzustellen
und den Bedarf an Einfuhren zu verringern.
( d ) die deutsche Industrie und alle wirtschaftlichen und finanziellen
internationalen Transaktionen, einschließlich der Aus- und Einfuhr, zu
kontrollieren, um zu verhindern, daß Deutschland ein Kriegspotential
entwickelt und um die anderen hier genannten Ziele zu erreichen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 429
(e) die deutschen öffentlichen oder privaten wissenschaftlichen
Einrichtungen, Forschungs- und Versuchsanstalten, Laboratorien usw. zu
kontrollieren, die mit wirtschaftlichen Tätigkeiten verbunden sind.
* * * * * * *
* * * Es sind unverzüglich Maßnahmen zu treffen :
( a ) zur wesentlichen Instandsetzung des Verkehrs;
( b ) zur Ausweitung der Kohleproduktion
( c ) zur Maximierung der landwirtschaftlichen Produktion und
( d ) Notreparaturen an Wohnungen und wesentlichen
Versorgungseinrichtungen.
Die vier Oberbefehlshaber der alliierten Armeen in Deutschland waren für die
Umsetzung der politischen und wirtschaftlichen Grundsätze des Potsdamer Protokolls
verantwortlich, jeder in seiner eigenen Besatzungszone und auch gemeinsam, in
Angelegenheiten, die Deutschland als Ganzes betrafen, als Mitglieder des Alliierten
Kontrollrats. Fast von Anfang an wurde deutlich, daß die sowjetischen Vertreter,
Marschall Schukow und später Marschall Sokolowski, entschlossen waren, die
Umsetzung der positiven Grundsätze des Potsdamer Protokolls zu verhindern - sie
stimmten zwar den Grundsätzen zu, weigerten sich dann aber, konkrete Vorschläge
zur Umsetzung der Konzepte durchzuführen. Obwohl sie sich dazu bereit erklärten,
weigerten sie sich, den deutschen Wiederaufbau zu fördern, und führten eine
Kampagne der Verzögerung und Ablenkung. Als zum Beispiel im Dezember 1945 die
amerikanischen und britischen Befehlshaber vorschlugen, die Zonengrenzen für die
Deutschen zu öffnen, stimmte Marschall Sokolovsky zwar grundsätzlich zu, erklärte
aber, daß eine praktische Umsetzung im Moment unmöglich sei. Die Vereinigten
Staaten und das Vereinigte Königreich waren nicht in der Lage, ihm die Gründe dafür
zu entlocken. Als die Westmächte die Sowjets aufforderten, die Erzeugnisse aus
Ostdeutschland in einen gemeinsamen Pool einzubringen, um die Kosten für
lebenswichtige Einfuhren zu decken, wie im Potsdamer Protokoll vorgesehen, lehnten
die Sowjets die Vereinbarung nicht ab, sondern führten eine erfolgreiche
Verzögerungsaktion durch. Durch diese Taktik wurde der Alliierte Kontrollrat auf die
negativen Punkte des Potsdamer Protokolls beschränkt. Es wurden zahlreiche ACC-
Dekrete erlassen, um das Werk der Nazis rückgängig zu machen, aber die
Genehmigung von Maßnahmen zum Wiederaufbau Deutschlands und zur
Wiederherstellung einer minimalen wirtschaftlichen Basis für das Überleben und eine
anschließende demokratische Regierung wurde von der Sowjetunion verweigert und
vereitelt.
Diese Obstruktionspolitik sowie das Leid und die Hoffnungslosigkeit, die in Europa
und Deutschland herrschten, veranlassten den amerikanischen Außenminister James
F. Byrnes, am 6. September 1946 in Stuttgart die Ziele und die Politik der Vereinigten
Staaten zu bekräftigen. Byrnes erklärte, daß die Politik der USA im Einklang mit den
folgenden Leitlinien steht und gestanden habe: Nazideutschland zu besiegen und seine
Kapitulation zu erreichen; sicherzustellen, daß Deutschland die Ursachen und Folgen
eines Angriffskrieges nicht verkennt und nicht erneut einen solchen Krieg beginnt; die
Wiederbelebung derjenigen Elemente in Deutschland zu fördern, die die beste
Garantie dafür sind, daß Deutschland demokratisch wird und eine gemäßigte Politik
verfolgt; und das deutsche Volk zu einer Nation unter seiner eigenen Führung zu
vereinen.
Minister Byrnes sagte :
Wir werden darauf bestehen, daß Deutschland die Grundsätze des Friedens,
der guten Nachbarschaft und der Menschlichkeit beachtet, aber wir wollen
nicht, daß Deutschland der Satellit irgendeiner Macht oder Mächte wird oder
unter einer Diktatur lebt, sei es im Ausland oder im Inland. Das amerikanische
Volk hofft, daß friedliche, demokratische Deutsche frei und unabhängig werden
und bleiben.
430 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Der Rat der Außenminister, der vom 25. November bis zum 15. Dezember 1947 in
London tagte, konnte keine Einigung über die Probleme der Wiedervereinigung
Deutschlands und die Bildung einer Zentralregierung erzielen, mit der ein
Friedensvertrag ausgehandelt werden könnte. Ausschlaggebend für das Scheitern des
Außenministerrats war die eindeutige, grundlegende Frage zwischen den Sowjets und
dem Westen: der wirtschaftliche Wiederaufbau in Europa und Deutschland nach dem
Krieg. Mit dem Europäischen Wiederaufbauprogramm (Marshall-Plan) sprachen sich
die Vereinigten Staaten offen für die Wiederherstellung der europäischen
Gemeinschaft zu gesunden, regierungsstarken Nationen aus, die dem Einzelnen wahre
Freiheit gegen den Terror der Tyrannei garantieren. Obwohl die Hilfe für ganz Europa
und nicht nur für Westeuropa angeboten wurde, stand die UdSSR dem
wirtschaftlichen Wiederaufbau ablehnend gegenüber, da sie es offensichtlich vorzog,
das durch die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs entstandene politische und
wirtschaftliche Vakuum in Europa fortzusetzen. Folglich weigerte sich die UdSSR,
selbst am Europäischen Wiederaufbauprogramm teilzunehmen und hielt andere
europäische Länder wie die Tschechoslowakei und Polen von der Teilnahme ab.
Stattdessen beschloss sie, ihre Pläne zur Teilung und Schwächung Deutschlands
weiter voranzutreiben. Die Aufhebung der alliierten Stellung in Berlin und die
Isolierung der Bevölkerung in West-Berlin wurden zu den ersten Zielen der Offensive.
Die Sowjets traten am 20. März 1948 aus dem Alliierten Kontrollrat für Deutschland
aus und verhängten am 1. April 1948 Schienen- und Straßenverkehrsbeschränkungen
für den alliierten Verkehr nach Berlin aus den westlichen Zonen. Die Alliierten
starteten eine „kleine Luftbrücke“, die am 26. Juni 1948, zwei Tage nachdem die
Sowjets eine totale Blockade verhängt hatten, zu einer vollständigen Luftbrücke
erweitert wurde. Am 16. Juni 1948 verließen die Sowjets die Kommandantur (das
alliierte Regierungsgremium für Berlin), und am 1. Juli 1948 teilte der sowjetische
Stabschef der UdSSR-Delegation in der Kommandantur seinen britischen,
französischen und amerikanischen Kollegen mit, daß die Vier-Mächte-Verwaltung
Berlins nicht mehr existiere. Die Westmächte vertraten die Auffassung, daß eine durch
ein Viermächteabkommen geschaffene Organisation nicht einseitig aufgelöst werden
könne. Trotz seines Rückzugs aus dem Alliierten Kontrollrat äußerte Marschall
Sokolowski, der sowjetische Vertreter im Rat, am 29. Juni 1948 in einem Brief an
General Clay, den amerikanischen Befehlshaber in Deutschland, eine merkwürdig
ähnliche Haltung. Unter Bezugnahme auf die informelle Londoner Konferenz vom 7.
Juni 1948 zwischen Vertretern der drei Westmächte und der Benelux-Staaten über die
deutschen Probleme erklärte Marschall Sokolowski:
Daher sind alle Deutschland betreffenden Beschlüsse, die von einer oder
mehreren Besatzungsmächten in Deutschland ohne Beteiligung der
Sowjetunion gefasst werden, illegal und ohne moralische Autorität.
Die UdSSR störte nicht nur die Einheit auf der Ebene der alliierten Vierergruppe,
sondern zerstörte auch die bereits 1947–48 bestehenden demokratischen Institutionen
des vereinigten Deutschlands. Ein Beispiel dafür ist die Zerstörung der politischen und
rechtlichen Einheit Groß-Berlins in den Jahren 1947–48. Zunächst mischten sich die
Sowjets 1947 in die demokratischen Prozesse der Regierung ein, und dann, im Laufe
des Jahres 1948, zerstörten sie die Stadt formell und „rechtlich“. Es folgt eine kurze
chronologische Darstellung :
Seit Beginn der Besatzung im Jahr 1945 wurde Groß-Berlin von der UdSSR und den
Westalliierten als eine einzige Stadt betrachtet. Es gab kein „Ost“- oder „West“-Berlin.
Die Sowjets nutzten die Eroberung der Stadt und setzten eine provisorische Regierung
für die Stadt und ihre Unterbezirke ein.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 431
In der Hoffnung, durch dieses Manöver die kommunistische Herrschaft in Berlin
und in Ostdeutschland zu „legitimieren“, erzwangen die Sowjets 1946 in der Ostzone
den Zusammenschluss der SPD (Sozialdemokratische Partei) mit der KPD
(Kommunistische Partei) zur SED, der Sozialistischen Einheitspartei. Ziel war es, die
sozialistischen Wähler in Berlin und der Ostzone zu „erobern“. Die „Fusion“ fand am
19. und 20. April 1946 statt.
Die Berliner SPD wehrte sich gegen diese „Fusion“ und bestand darauf bei den
ersten Berliner Nachkriegswahlen am 20. Oktober 1946 unter eigenem Namen als
eigenständige Partei anzutreten. Bei diesen Wahlen erlitten die Kommunisten eine
schwere Niederlage, wie die folgende Tabelle der Stimmenverteilung zeigt :
SPD (Sozialdemokratische Partei) _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 48,7%
CDU (Christdemokratische Partei) _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 22,2%
LDP (Liberaldemokraitsche Partei) _ _ _ _ _ _ _ _ _ 9,3%
–––––
80,2% Nicht-Kommunistische Stimmen
SED (Sozialistische Einheitspartei) _ _ _ _ _ _ _ _ _ 19,8% Kommunistische Stimmen

Als das erste demokratisch gewählte Stadtparlament zusammentrat, hatten die


Kommunisten nur ein Fünftel der Mitglieder. Das Parlament wählte zunächst
Bürgermeister Ostrowski (Sozialdemokrat) zum Regierenden Bürgermeister. Im April
1947 lehnte das Parlament eine schriftliche Vereinbarung Ostrowskis ab, bei der
Verwaltung der städtischen Angelegenheiten mit der SED zusammenzuarbeiten. Das
Parlament sprach ihm das Misstrauen aus, woraufhin Ostrowski zurücktrat. Am 24.
Juni 1947 wählte das Parlament den SPD-Vorsitzenden Ernst Reuter zum
Regierenden Bürgermeister von Berlin. Seine Wahl entsprach sowohl der alliierten
Kommandantur als auch dem Berliner Stadtrecht. Die Sowjets befürchteten jedoch,
daß Reuter in der Stadtverwaltung eher eigene Beamte als Männer seiner Wahl
einsetzen würde, und legten ihr „Veto“ gegen seine Wahl ein. Die vereinigte Stadt hatte
daher während der gesamten Zeit ihrer demokratischen Verwaltung (Juni 1947–
Dezember 1948) keinen Regierenden Bürgermeister. In Ermangelung eines
Regierenden Bürgermeisters führte die stellvertretende Bürgermeisterin Louise
Schroeder die Geschäfte der Stadt.
Die Stadtverwaltung bestand zu Recht darauf, alle Zivilbeamten ihrer Autorität zu
unterstellen. Sofort entbrannte ein Kampf um die Kontrolle der Polizei. Die Sowjets
hatten ihre Vertreter bei der Polizei eingesetzt, die sich weigerten, sich den legalen
deutschen Kontrollen zu unterwerfen, die von der alliierten Kommandantur
genehmigt worden waren. Stattdessen nahmen die sowjetischen Vertreter weiterhin
Befehle direkt von sowjetischen (nicht deutschen und nicht alliierten) Beamten
entgegen. Dies führte zu einer Krise in der Stadt, in der sich die westlichen Alliierten
und die legale Stadtregierung und das Parlament gleichermaßen gegen die
willkürliche sowjetische Einmischung in die Angelegenheiten der Stadt wehrten. In
den westlichen Sektoren wurde das Problem schließlich gelöst ; im sowjetischen Sektor
jedoch widersetzten sich die kommunistischen Polizeibeamten bis zum Schluss den
Befehlen der alliierten Kommandantur und der Berliner Regierung.
Nachdem sie am 20. März 1948 aus dem Alliierten Kontrollrat für Deutschland
ausgetreten waren, verließen die Sowjets am 16. Juni 1948 die Alliierte
Kommandantur in Berlin. Am 18. Juni 1948 führten die drei westlichen Alliierten, die
immer noch bestrebt waren, den Potsdamer Beschluss zur Wiederherstellung einer
lebensfähigen deutschen Wirtschaft umzusetzen, und die die Sowjets wiederholt
aufgefordert hatten, sich an der Vier-Mächte-Kontrolle der Notenbank zu beteiligen,
eine Währungsreform in den drei westlichen Zonen durch. Um die Beziehungen zu den
Sowjets nicht zu verschlimmern, wurde die Reform nicht auf Berlin ausgedehnt.
Anstatt sich den Alliierten anzuschließen, führten die Sowjets am 23. Juni 1948 eine
432 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

separate Währungsreform in Ostdeutschland „und Berlin“ durch. Daraufhin dehnten


die Alliierten ihre Reform auf die westlichen Sektoren der Stadt aus. Es folgt die
Abfolge der bedeutenden Ereignisse in Berlin von Juni bis November 1948, die in der
Teilung endeten:
Am 23. Juni befahlen die Sowjets der SED, Krawalle rund um das im sowjetischen
Sektor Berlins gelegene Rathaus zu veranstalten, und brachten die Demonstranten in
Lastwagen der russischen Armee an den Ort des Geschehens. Der sowjetische
Marschall Sokolowski erließ einseitig einen Befehl zu einem unbedeutenden Thema,
der jedoch für „ganz Berlin“ gelten sollte, wie er erklärte. Nur die alliierte
Kommandatur konnte rechtmäßig einen solchen Befehl erlassen. Diese Anmaßung von
Autorität überzeugte alle Deutschen davon, daß die UdSSR die Absicht hatte, die
vierseitige Kontrolle über die Stadt zu beenden.
Am 24. Juni verhängten die Sowjets eine vollständige Blockade über die Stadt.
Vom 26. August bis zum 6. und 7. September finden die zweiten
Rathausdemonstrationen auf sowjetische Anweisung und Regie statt.
Am 25. Oktober wird der Resolutionsentwurf des UN-Sicherheitsrates zur
Beilegung der Berlin-Krise von den Sowjets mit einem Veto belegt.
Am 30. November, während die „Blockade“ noch in Kraft war, spalteten die Berliner
Kommunisten formell die Stadtregierung und gründeten eine neue „Rumpf“-Regierung
in Ost-Berlin, die versprach, ihre Existenz durch freie Wahlen zu legalisieren. Diese
wurden jedoch nie abgehalten.
Die große Mehrheit der legalen Abgeordneten zog sich nach West-Berlin zurück.
Nach den Kommunalwahlen vom 5. Dezember 1948 (die vor der "Rumpf"-Aktion
angekündigt worden waren und die die Sowjets in ihrem Sektor trotz eines Vier-
Mächte-Abkommens nicht zuließen) konstituierten sich die gewählten Abgeordneten,
die nicht in das Rathaus im sowjetischen Sektor zurückkehren konnten, in West-Berlin
und wählten Ernst Reuter zum Regierenden Bürgermeister der ganzen Stadt. Ihre
Gesetze konnten in der Praxis natürlich nur in West-Berlin durchgesetzt werden.
Dies ist die Geschichte, wie die vereinigte Stadt Berlin geteilt wurde, wobei der
westliche Teil unter der rechtmäßig gewählten Regierung der ganzen Stadt
demokratisch war und blieb, während der Osten ein „Rumpf“ wurde, der schließlich
den Anspruch erhob, die „Hauptstadt“ der ebenso undemokratischen "Deutschen
Demokratischen Republik" zu sein.
Um dieses „westliche“ Berlin wird der Kampf nun wieder intensiviert.
Ohne Aussicht auf eine sowjetische Zusammenarbeit bei der Umsetzung der
vereinbarten Grundsätze in Europa, in Deutschland oder in Berlin und alarmiert
durch den kommunistischen Putsch in der Tschechoslowakei richteten die Vereinigten
Staaten und die anderen westlichen Alliierten ihre Bemühungen auf die
Wiedervereinigung ihrer Zonen in Deutschland. Der Ausgangspunkt dafür war bereits
in Form einer bizonalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit vorhanden. Die
Bundesrepublik wurde im September 1949 nach demokratischen Wahlen und der
Verabschiedung eines genehmigten Grundgesetzes formell ausgerufen. Die
Maßnahmen der Westmächte zielten darauf ab, die Bestimmungen der
Viermächteabkommen in den Bereichen umzusetzen, in denen die Westmächte direkte
Kontrolle ausübten. Eine Alliierte Hohe Kommission und andere Aufsichtsorgane
wurden im Westen eingerichtet, um die deutschen Bemühungen um die
Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates mit einem eigenen Platz im
internationalen Geschehen zu lenken. Das stetige Wachstum der Bundesrepublik in
politischer, wirtschaftlicher und weltpolitischer Hinsicht wird von vielen souveränen
Nationen anerkannt. Die UdSSR selbst unterhält diplomatische Beziehungen zur
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 433
Bundesrepublik.
Die Ausrufung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik im Oktober
1949 wurde von der UdSSR und den deutschen Kommunisten als „Antwort“ auf die
Gründung der Bundesrepublik gerechtfertigt. Diese Behauptung hat niemanden
getäuscht. Die sogenannte DDR wurde auf sowjetischen Befehl und nicht auf der
Grundlage der Selbstbestimmung gegründet. Der Gründung des Regimes gingen
weder freie Wahlen noch eine freie Diskussion voraus. Die ersten „Wahlen“ fanden erst
1950 statt, und zwar als Einheitslistenwahlen unter der Schirmherrschaft des
„Blockparteiensystems“ und der Nationalen Front, einer kommunistischen
Tarnorganisation, die zur Koordinierung der Aktivitäten der politischen und
Massenorganisationen geschaffen wurde.
Die Grundsätze des ostdeutschen Grundgesetzes, so bewundernswert sie auch sein
mögen, werden leider nicht umgesetzt. Verwiesen wird insbesondere auf Artikel 6
(Ausübung der demokratischen Rechte), Artikel 8 (persönliche Freiheit), Artikel 9
(Meinungs- und Versammlungsfreiheit), Artikel 14 (Streikrecht). Die Unterdrückung
der spontanen Streiks und Aufstände vom Juni 1953 in Ost-Berlin und Ostdeutschland
durch das Regime mit aktiver Hilfe der sowjetischen Streitkräfte verstieß gegen jeden
dieser Artikel.
Die UdSSR betont stets die Prinzipien der Nichteinmischung in die Angelegenheiten
anderer Staaten, der friedlichen Koexistenz und der Achtung der Souveränität und
territorialen Integrität anderer Länder. Die Nachkriegsfälle Iran, Griechenland,
Korea, Ostdeutschland und Ungarn und viele andere können herangezogen werden,
um den Unterschied zwischen sowjetischen Erklärungen und sowjetischen Taten zu
verdeutlichen. Die sowjetische Rechtfertigung für direkte und indirekte Verstöße
gegen die Rechte der Völker und die Grundsätze des Völkerrechts lautet stets
„faschistische Aggression“, „Provokation von außen“ und „subversive Aktivitäten, die
von ausländischen Agenten unterstützt werden“. Die Sowjetunion hat sich stets
geweigert, unparteiische Inspektionen zuzulassen (wie in Korea und Ungarn), und sie
hat Maßnahmen der Vereinten Nationen immer dann abgelehnt, wenn diese
Maßnahmen ihre Taten zu enthüllen drohten. Die Weigerung der Kommunisten im
Jahr 1952, der UN-Kommission die Einreise nach Ost-Berlin und Ostdeutschland zu
gestatten, um zu untersuchen, ob die Bedingungen für freie Wahlen gegeben waren,
ist ein konkretes Beispiel in Deutschland.
Es ist eindeutig, daß die UdSSR, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten
Staaten darin übereinstimmten, daß es eine Wiedergeburt freier politischer Parteien
und die Wiederherstellung grundlegender politischer Freiheiten in Deutschland als
Ganzes geben sollte, einschließlich des freien Flusses von Informationen und
Veröffentlichungen. In der Folge erließ der Alliierte Kontrollrat in den Direktiven 40
und 55 spezifischere Anweisungen zum Thema des interzonalen Austauschs von
Informationen und Druckerzeugnissen. Kommentare zur Politik der
Besatzungsmächte waren erlaubt. Informationen aus der ausländischen Presse
wurden zugelassen. "Der Austausch von Informationen und demokratischen Ideen darf
keinem wie auch immer gearteten administrativen oder wirtschaftlichen Druck seitens
der [nie gebildeten] Zentralregierung oder der Landesregierungen unterworfen
werden."
Diese Grundsätze wurden in der Sowjetzone Deutschlands nie praktiziert. Der
Besitz von „faschistischer“ Literatur wurde unter Strafe gestellt. Der Begriff
„faschistisch“ wird von den Kommunisten verwendet, um jeden Ausdruck der
Opposition gegen das Regime zu beschreiben. Auch der freie Informationsfluss aus den
anderen Zonen in die SBZ wurde behindert. Dieses direkte sowjetische Vorgehen
führte zur Popularität und Bedeutung westlicher Zeitungen und Radiosender, z.B. des
434 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) in Berlin und in Ostdeutschland. Da ihnen


das Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt wurde und sie sich nicht frei
außerhalb der Sowjetzone informieren konnten, wandten sie sich natürlich
alternativen Quellen zu. Da die sowjetische Motivation darin bestand, das ostdeutsche
Volk vom Rest der Nation zu isolieren, wurde der Verstoß gegen die Grundsätze des
freien Informationsflusses und der politischen Aktivität nicht korrigiert. Im Gegenteil,
die westlichen Radiosender wurden gestört und westliche Medien und legitime
Organisationen, die Informationen sammelten, wurden als „Spionagezentren“ und
Quellen „subversiver Aktivitäten“ gebrandmarkt. Schwere Strafen wurden verhängt,
wenn man westliche Radiosender hörte oder „faschistische Agenturen“ wie die Büros
von Zeitungen, zugelassenen politischen Parteien und Rechtsberatungsgesellschaften
aufsuchte, die in West-Berlin oder Westdeutschland gegründet worden waren, um den
Ostdeutschen Rat und Hilfe zu leisten. Die zahlreichen „Schauprozesse“ gegen
„geständige Agenten“, die kostenlose Informationen, Hilfe oder Beratung wünschten,
sind ein direkter Beweis für die Mechanismen, die von der UdSSR und dem
ostdeutschen Regime eingesetzt wurden, um die Wiederherstellung grundlegender
menschlicher Freiheiten in der größten Nation Europas außerhalb der UdSSR selbst
zu verhindern.
IV. REPARATIONEN
Sowjetische Behauptungen . . .
In der sowjetischen Mitteilung heißt es, daß die Westmächte etwa ein Jahr nach
dem Krieg begannen, in Deutschland eine Politik zu verfolgen, die den Bestimmungen
des Potsdamer Protokolls zuwiderlief. In der Mitteilung wird weiter ausgeführt, dies
sei auf einen erhitzten ideologischen Kampf zurückzuführen, der die Zusammenarbeit
während des Krieges zunichte gemacht habe. Darin werden die Westmächte
beschuldigt, sich zu weigern, der UdSSR die von Deutschland geschuldeten
Reparationen zu zahlen. In der Mitteilung heißt es :
Die erste Verletzung des Potsdamer Abkommens war die Weigerung der
Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, ihren Verpflichtungen
aus dem genannten Abkommen nachzukommen und der Sowjetunion die
vereinbarte Menge an industrieller Ausrüstung aus Westdeutschland als
Teilkompensation für die Zerstörung und den Schaden, der der Volkswirtschaft
der UdSSR durch die Aggression Hitlerdeutschlands zugefügt wurde, zu
übergeben.
Die Fakten sind . . .
1. Das Potsdamer Protokoll sah vor, daß die UdSSR von den westlichen
Besatzungszonen 15 % bestimmter Arten von industriellen Betriebsmitteln, die für die
deutsche Friedenswirtschaft nicht erforderlich waren, im Austausch gegen einen
gleichwertigen Betrag an Nahrungsmitteln und anderen Rohstoffen sowie weitere
10 % ohne Gegenleistung erhalten sollte. Bei der Zahlung der Reparationen sollten
genügend Mittel verbleiben, um dem deutschen Volk die Möglichkeit zu geben, ohne
fremde Hilfe zu bestehen. Außerdem war vorgesehen, daß Deutschland „als eine
einzige wirtschaftliche Einheit“ behandelt werden sollte.
2. Die Sowjetunion lieferte weder Nahrungsmittel noch andere Rohstoffe im
Gegenzug für große Lieferungen von Betriebsmitteln aus den westlichen Zonen.
3. Die Vereinigten Staaten setzten die Reparationslieferungen aus, weil die
Sowjetunion das Potsdamer Protokoll nicht in seiner Gesamtheit umsetzte.
4. Die Sowjetunion zog weiterhin Reparationen aus ihrer Zone ab, während die
Westmächte gezwungen waren, durch die Finanzierung von Importen nach
Deutschland ein wirtschaftliches Mindestniveau aufrechtzuerhalten. In der Tat liefen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 435
die Reparationslieferungen an die UdSSR zu einem Zeitpunkt, als die Vereinigten
Staaten ihre eigene Zone unterstützten, um die durch die sowjetischen Verletzungen
des Potsdamer Abkommens verursachten Defizite auszugleichen, darauf hinaus, daß
die UdSSR von den Vereinigten Staaten Reparationen eintrieb.
Das Potsdamer Protokoll vom 1. August 1945, das von den Regierungschefs der
Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und der UdSSR unterzeichnet
wurde, enthielt mehrere Bestimmungen zu den Reparationen, die die Sowjetunion von
Deutschland erhalten sollte :
[ 1 ]. Die Reparationsforderungen der UdSSR sollen durch Entnahmen aus der
von der UdSSR besetzten Zone Deutschlands und aus dem entsprechenden
deutschen Auslandsvermögen erfüllt werden.
Ferner,
[ 2 ]. Zusätzlich zu den Reparationen, die die UdSSR aus ihrer eigenen
Besatzungszone entnehmen wird, erhält die UdSSR aus den westlichen Zonen :
( a) 15 Prozent derjenigen brauchbaren und vollständigen industriellen
Betriebsmittel, in erster Linie aus der metallurgischen, chemischen und
maschinenbaulichen Industrie, die für die deutsche Friedenswirtschaft nicht
erforderlich sind und aus den Westzonen Deutschlands entfernt werden sollen,
im Austausch gegen einen gleichwertigen Anteil an Nahrungsmitteln, Kohle,
Pottasche, Zink, Holz, Tonprodukten, Erdölprodukten und anderen Waren, wie
sie vereinbart werden können.
( b ) 10 Prozent der industriellen Betriebsmittel, die für die deutsche Friedens-
wirtschaft nicht erforderlich sind und aus den westlichen Zonen abgezogen
werden sollen, sind der Sowjetregierung auf Reparationsbasis unentgeltlich und
ohne jegliche Gegenleistung zu übergeben.
Ferner,
[ 3 ]. Bei der Zahlung der Reparationen sollten genügend Mittel verbleiben, um
dem deutschen Volk die Möglichkeit zu geben, ohne fremde Hilfe fort zu
bestehen. Bei der Ausarbeitung des wirtschaftlichen Gleichgewichts
Deutschlands müssen die notwendigen Mittel zur Bezahlung der vom
Kontrollrat in Deutschland genehmigten Einfuhren vorgesehen werden. Die
Ausfuhrerlöse aus der laufenden Produktion und den Lagerbeständen sollen in
erster Linie für die Bezahlung dieser Einfuhren zur Verfügung stehen.
(Die vorgenannte Bestimmung galt nicht für die in der oben unter Nummer 2
zitierten Textstelle genannten Ausrüstungen und Produkte).
Ferner,
[ 4 ]. Während der Besatzungszeit wird Deutschland als eine einzige
wirtschaftliche Einheit behandelt. Zu diesem Zweck wird eine gemeinsame
Politik in bezug auf folgende Bereiche festgelegt : * * * (d) Import- und Export-
programme für Deutschland als Ganzes ; * * * (f) Reparation und Beseitigung
des industriellen Kriegspotentials ; ( g ) Transport und Kommunikation.
Die Vereinigten Staaten begannen am 31. März 1946 mit Reparationslieferungen
an die UdSSR und stellten der UdSSR bis zum 1. August 11.100 Tonnen
Reparationsgüter aus dem Schweinfurter Wälzlagerwerk Kugel-Fischer, dem
unterirdischen Flugmotorenwerk von Daimler-Benz in Obrigheim, den Deschimag-
Werften in Bremen-Weser und dem Kraftwerk Gendorf zur Verfügung. Hingegen hielt
sich die Sowjetunion nicht an ihre Vereinbarung, im Gegenzug für einen Teil der
Reparationslieferungen aus den Westzonen Nahrungsmittel, Kohle, Pottasche, Zink,
Holz und anderen Waren aus der sowjetischen Zone in die Westzonen Deutschlands zu
liefern.
436 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

In der sowjetischen Note werden die Westmächte beschuldigt, es unterlassen zu


haben, die Reparationsleistungen gemäß Punkt 2 zu erbringen, wobei jedoch
verschwiegen wird, daß diese Lieferungen von den Westmächten erst ausgesetzt
wurden, nachdem die Sowjetunion die Punkte 3 und 4 sowie ihre Verpflichtungen
gemäß Punkt 2 Buchstabe a) verletzt hatte. Außerdem wurde klargestellt, daß die
Aussetzung nur vorübergehend sein sollte, nämlich so lange, bis die UdSSR bereit war,
das Potsdamer Protokoll in seiner Gesamtheit umzusetzen. Da die UdSSR nie bereit
war, dies zu tun, wurden die ausgesetzten Lieferungen nie wieder aufgenommen.
Die UdSSR wollte von Deutschland 10 Milliarden Dollar an Reparationen
einfordern. Diesen Betrag hatte sie auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945
vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde von den Vereinigten Staaten und dem
Vereinigten Königreich weder in Jalta noch im Nachhinein angenommen. Dennoch
ging die UdSSR dazu über, Reparationen einzutreiben, als ob dieser Betrag vereinbart
worden wäre, obwohl im Potsdamer Protokoll eindeutig erklärt wurde, daß in bezug
auf Reparationen eine „gemeinsame Politik“ festgelegt werden sollte.
Deutschland war zum Zeitpunkt der Potsdamer Konferenz ein Gebiet
wirtschaftlichen Defizits, das beträchtliche Importe benötigte, um seine Wirtschaft
auch nur auf einem Mindestmaß aufzubauen. Deshalb bestanden die Westmächte
darauf, daß das Potsdamer Protokoll vorsah, daß bei der Zahlung der Reparationen
„genügend Ressourcen verbleiben sollten, um das deutsche Volk in die Lage zu
versetzen, ohne Hilfe von außen auszukommen“, daß die notwendigen Mittel
bereitgestellt werden sollten, um die notwendigen Importe zu bezahlen und daß die
„Erlöse aus der laufenden Produktion und den Beständen“ „in erster Linie für die
Bezahlung solcher Importe zur Verfügung stehen sollten.“ Mit anderen Worten, die
Erlöse aus der laufenden Produktion sollten nicht für Reparationen verwendet werden,
wenn sie für die Bezahlung der notwendigen Einfuhren benötigt wurden. Unter
Verstoß gegen diese Vereinbarung forderten die sowjetischen Behörden Reparationen
in großen Mengen aus der laufenden Produktion in der sowjetischen Besatzungszone
und weigerten sich, über deren Entnahme aus Ostdeutschland Rechenschaft
abzulegen.
Die oben erwähnten sowjetischen Verstöße gegen das Potsdamer Protokoll und die
Weigerung der Sowjetunion, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln
(indem sie die Ressourcen ihrer Zone zur Verwendung in anderen Teilen Deutschlands
zur Verfügung stellte), hatten zur Folge, daß die Vereinigten Staaten und das
Vereinigte Königreich ihre Zonen in Deutschland finanziell unterstützen mußten, um
ein wirtschaftliches Mindestmaß zu erhalten. Ein Jahr nach der Potsdamer Konferenz
berichtete der amerikanische Militärgouverneur in Deutschland :
Die US-Zone ist seit jeher von Kohle und Stahl aus der britischen Zone, von
Nahrungsmitteln und Saatgut aus der sowjetischen Zone, von Dünger und
Zinnblech aus der französischen Zone abhängig. Heute geben die Vereinigten
Staaten jährlich etwa 200 Millionen Dollar––mehr als eine halbe Million Dollar
pro Tag––aus, um Hunger, Krankheiten und Unruhen in der US-Zone zu
verhindern. Ohne freien Handel mit anderen Teilen Deutschlands und ohne ein
gemeinsames Exportprogramm kann die US-Zone nicht für sich selbst
aufkommen.
Indem die Vereinigten Staaten Reparationen an die Sowjetunion lieferten, während
sie ihre eigene Zone unterstützten, um Defizite auszugleichen, die durch sowjetische
Verletzungen des Potsdamer Protokolls verursacht worden waren, erlaubten sie der
UdSSR, Reparationen von den Vereinigten Staaten selbst und nicht von Deutschland
zu fordern. Vor diesem Hintergrund setzten die Vereinigten Staaten die
Reparationslieferungen aus der US-Zone an die UdSSR aus, bis die Sowjetunion bereit
war, das Potsdamer Protokoll in seiner Gesamtheit umzusetzen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 437
V. AUFRÜSTUNG
Sowjetische Behauptungen . . .
In der sowjetischen Note heißt es, daß die Westmächte Westdeutschland wieder
aufrüsten und die Kräfte, die die militärische Macht der Nazis aufgebaut haben,
ermutigen und wiederherstellen. Die Sowjets behaupten, daß dies eine Verletzung des
Potsdamer Protokolls ist und daß die Sowjetunion gezwungen war, den Warschauer
Pakt als Verteidigungssystem aufzubauen. In der Note heißt es :
Indem die Westmächte die Wiederherstellung des militärischen und
wirtschaftlichen Potentials Westdeutschlands in Angriff nahmen, belebten und
stärkten sie genau die Kräfte, die Hitlers Kriegsmaschine geschmiedet hatten.
Hätten sich die Westmächte an das Potsdamer Abkommen gehalten, hätten sie
verhindert, daß die deutschen Militaristen ihre Positionen zurückerobern,
hätten sie Revanche-Tendenzen eingedämmt und Deutschland nicht erlaubt,
eine Armee und eine Industrie zur Herstellung von Vernichtungsmitteln
aufzubauen.
Es ist jedoch bekannt, daß die Regierungen der drei Mächte dies nicht nur nicht
getan haben, sondern im Gegenteil die Schaffung einer westdeutschen Armee
gebilligt haben und die Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland unter
Missachtung der in Potsdam eingegangenen Verpflichtungen fördern. Darüber
hinaus haben sie Westdeutschland in den Nordatlantikblock einbezogen, der
hinter dem Rücken der Sowjetunion und, wie jeder weiß, gegen sie geschaffen
wurde, und rüsten Westdeutschland jetzt mit Atom- und Raketenwaffen auf.
Die Fakten sind . . .
1. Die Vereinigten Staaten schlugen 1945, 1946 und 1947 vor, zunächst einen
Vertrag mit einer Laufzeit von 25 Jahren und später einen Vertrag mit einer Laufzeit
von 40 Jahren auszuhandeln, der ein Wiederaufleben des deutschen Militarismus
verhindern sollte. Die Sowjetunion brachte die Verhandlungen zum Scheitern, indem
sie zahlreiche irrelevante und kontroverse Themen einbrachte.
2. In der amerikanischen Zone Deutschlands setzten die Vereinigten Staaten die
Entmilitarisierungsbestimmungen des Potsdamer Protokolls bis 1950 vollständig um.
3. Ab 1948 bauten die Sowjets in ihrer Zone eine beträchtliche „Polizeitruppe“ auf,
die sie mit militärischen Waffen ausrüsteten und von ehemaligen deutschen
Armeeoffizieren ausbilden ließen.
4. 1954 (ein Jahr vor der Aufstellung einer Armee in Westdeutschland) standen in
der SBZ 140.000 deutsche Militärangehörige unter Waffen und 100.000 Polizisten. Die
westdeutsche Polizei zählte zu diesem Zeitpunkt 150.000 Personen, obwohl es in
Westdeutschland dreimal so viele Menschen gibt wie in Ostdeutschland.
5. Die Streitkräfte der Bundesrepublik sind in die Nordatlantikpakt-Organisation
integriert, die im Rahmen der Vereinten Nationen rein defensive Zwecke verfolgt. Die
Bundesrepublik hat auf aggressive Zwecke verzichtet und bestimmte
Rüstungsbeschränkungen akzeptiert. Die Westmächte haben der Sowjetunion in
diesen Punkten wiederholt Zusicherungen gemacht.
Die Bedingungen des Potsdamer Protokolls in Bezug auf die Entmilitarisierung
Deutschlands lauteten wie folgt :
3. Die Ziele der Besetzung Deutschlands, von denen sich der Kontrollrat leiten
lassen soll, sind :
438 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

( 1 ) Die vollständige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands und die


Beseitigung oder Kontrolle der gesamten deutschen Industrie, die für die
militärische Produktion verwendet werden könnte. Zu diesen Zwecken :––
( a ) Alle deutschen Land-, See- und Luftstreitkräfte, die SS, die SA, die
SED und die Gestapo mit allen ihren Organisationen, Stäben und
Einrichtungen, einschließlich des Generalstabs, der Offizierskorps, der
Reservekorps, der Militärschulen, der Kriegsveteranenorganisationen und
aller anderen militärischen und militärähnlichen Organisationen sowie aller
Vereine und Verbände, die der Aufrechterhaltung der militärischen
Tradition in Deutschland dienen, sind vollständig und endgültig in einer
Weise aufzulösen, die ein Wiederaufleben oder eine Neuorganisation des
deutschen Militarismus und Nazismus auf Dauer verhindert ;
(b) Alle Waffen, Munition und Kriegsgeräte sowie alle
Spezialeinrichtungen zu ihrer Herstellung sind den Alliierten zur Verfügung
zu stellen oder zu vernichten. Die Instandhaltung und Herstellung aller
Flugzeuge und aller Waffen, Munition und Kriegsgeräte ist zu verhindern.
Schon vor der Unterzeichnung des Potsdamer Protokolls hatten die Vereinigten
Staaten erwogen, mit dem Vereinigten Königreich, Frankreich und der UdSSR einen
Vertrag mit einer Laufzeit von 25 Jahren auszuhandeln, der garantieren sollte, daß es
kein Wiederaufleben des deutschen Militarismus geben würde. Außenminister James
F. Byrnes ergriff die Initiative und schlug Molotow im September 1945 und später
Stalin einen solchen Vertrag vor. Durch ihre Reaktion ermutigt, legten die USA im
Februar 1946 einen Vertragsentwurf zur Kommentierung und möglichen Änderung
vor. Die drei Westmächte unterstützten die Idee eines solchen
Entmilitarisierungsvertrags auf der Pariser Tagung des Außenministerrats 1946 und
auf der Moskauer Tagung 1947 und die USA stimmten einer Laufzeit von 40 Jahren
für den Vertrag zu, als Molotow einwendete, daß der vorgeschlagene Zeitraum von 25
Jahren nicht lang genug sei. Die Sowjetunion machte jedoch die Verhandlungen über
einen solchen Vertrag zunichte, indem sie versuchte, zahlreiche sachfremde und
umstrittene Fragen in den Vertrag einzubinden.
Während diese Verhandlungen liefen, setzten die Vereinigten Staaten in ihrer
eigenen Zone Deutschlands die Bestimmungen des Potsdamer Protokolls um. In dieser
Zone waren die deutschen Streitkräfte und alle zugehörigen Organisationen 1945
aufgelöst worden und es war ihnen gesetzlich verboten worden, sich neu zu formieren.
Bis Herbst 1947 war alles bekannte Kriegsmaterial gesammelt, inventarisiert und
entweder vernichtet oder, soweit möglich, für Friedenszwecke umgewandelt worden.
Bis Ende 1948 hatten die US-Besatzungsbehörden alle Industrieanlagen, die speziell
für die Herstellung von Panzern, allgemeinen Rüstungsgütern, Flugzeugen,
Kriegssprengstoffen und Kriegsgiften gebaut worden waren, sowie alle unterirdischen
Anlagen zerstört oder demontiert und als Reparationsleistungen abgeliefert. Die
sowjetische Weigerung, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, machte
eine Revision der Nachkriegspläne hinsichtlich des Industrieniveaus in der US-Zone
Deutschlands nach oben erforderlich, aber bis Ende 1950 war die Beseitigung der
industriellen Investitionsgüter in der US-Zone im Einklang mit dem revidierten
Industrieniveauplan im Wesentlichen abgeschlossen.
Die Entscheidung, den deutschen Streitkräften wieder Waffen in die Hand zu geben,
wurde von der Regierung der Sowjetunion getroffen. Am 23. Mai 1950 protestierten
die Vereinigten Staaten bei der UdSSR gegen die Remilitarisierung der Sowjetzone
und wiesen darauf hin, daß etwa 40.000 bis 50.000 Männer in so genannten
„Polizeialarmeinheiten“ eine Grundausbildung in den Bereichen Infanterie, Artillerie
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 439
und Panzereinsatz erhielten und mit sowjetischen Militärwaffen ausgerüstet waren.
Ende 1953 verfügte die Sowjetzone mit ihren 17 Millionen Einwohnern über eine
„Polizeitruppe“ (die insgesamt 100.000 Mann umfasste), die durch weitere 140.200
Soldaten, darunter drei mechanisierte Divisionen und eine Luftwaffe, ergänzt wurde.
Außenminister Dulles protestierte auf der Berliner Außenministertagung im Februar
1954 gegenüber Außenminister Molotow nachdrücklich gegen diese Entwicklung. Das
war mehr als ein Jahr vor der Aufstellung einer Streitmacht in der Bundesrepublik,
die 150.000 reguläre Polizisten bei einer Bevölkerung von 50 Millionen hatte.
Die Westmächte––die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und
Frankreich––erkannten an, daß die Wiederaufrüstung der deutschen Streitkräfte in
der Sowjetzone zu einer Situation grundlegender Unsicherheit in Westdeutschland
geführt hatte, eine Situation, die durch die kommunistische Machtübernahme in Polen
und der Tschechoslowakei nach dem Krieg und die kommunistische Aggression in
Korea, die im Juni 1950 begonnen hatte, noch extrem verschärft wurde.
Die Schlussakte der Londoner Neun-Mächte-Konferenz vom 3. Oktober 1954 sah
das Ende des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik und die Assoziierung der
Bundesrepublik mit dem Westen als Mitglied der Nordatlantikvertrags-Organisation
und des Vertrags über die Westeuropäische Union (Brüsseler Vertrag) vor.
Bei ihrem Beitritt zum Nordatlantikvertrag und zum Brüsseler Vertrag erklärte die
Bundesrepublik auf der Londoner Konferenz, daß sie sich „jeder Handlung enthalten
[wird], die mit dem strikt verteidigenden Charakter der beiden Verträge unvereinbar
ist [und] niemals auf Gewalt zurückgreifen [wird], um eine * * * Wiedervereinigung
* * * oder * * * Änderung [ihrer] derzeitigen Grenzen zu erreichen. * * *“
In Noten vom 10. September 1954 versicherten die Vereinigten Staaten, das
Vereinigte Königreich und Frankreich der Sowjetunion, daß „die Einbindung der
Bundesrepublik Deutschland * * * in ein Verteidigungssystem lange nach der
Wiederbewaffnung Ostdeutschlands keineswegs eine Bedrohung für die europäische
Sicherheit darstellt, sondern verhindern soll, daß irgendeine Nation eigenständig auf
die Androhung oder Anwendung von Gewalt zurückgreifen kann. Dies ist die beste
Garantie für die Sicherheit aller Nachbarn Deutschlands, Deutschlands selbst und
ganz Europas.“
Präsident Eisenhower machte den gleichen Punkt während der Genfer Konferenz
von 1955 überdeutlich, als er sagte : „In keinem Fall ist es irgendeinem Teil der
Streitkräfte erlaubt, Deutschland vollständig oder ganz für sich allein zu haben. Sie
sind alle mit den Streitkräften der anderen westlichen Nationen verflochten, was es
ihnen unmöglich macht, irgendeine wirksame militärische Operation allein
durchzuführen.“
Zu den Einschränkungen der eigenständigen militärischen Handlungsfähigkeit der
Bundesrepublik als Mitglied der übergreifenden NATO-Kommandostruktur kommen
die Selbstverpflichtungen des Bundeskanzlers (Protokoll Nr. III des revidierten
Brüsseler Vertrages), auf dem Gebiet der Bundesrepublik keine atomaren,
biologischen oder chemischen Waffen herzustellen. Der Bundeskanzler verzichtete
auch auf die Herstellung von Langstreckenraketen, Lenkflugkörpern, Kriegsschiffen,
mit Ausnahme kleinerer Schiffe für Verteidigungszwecke, und strategischen Bombern.
ANHANG II

CHRONOLOGIE DER POLITISCHEN ENTWICKLUNGEN MIT AUSWIRKUNGEN AUF BERLIN,


1945–1956 1

1. 1. Mai 1945.––Die Europäische Beratungskommission in London genehmigte


eine geänderte Fassung des Textes der Vereinbarung über den Kontrollapparat in
Deutschland vom 14. November 1944, deren Artikel 7 (in der geänderten Fassung) sich
auf Berlin bezog und lautete :
( a ) Eine interalliierte Regierungsbehörde (Kommandantur), bestehend aus vier
Kommandanten, einem aus jeder Macht, die von ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ernannt
werden, wird in direkter gemeinsamer Verwaltung des Gebietes „Groß-Berlin“ eingerichtet. Jeder
der Kommandanten wird abwechselnd in der Position des Oberkommandanten als Leiter der
Alliierten Regierungsbehörde fungieren.
( b ) Ein Technischer Stab, der sich aus Personal jeder der vier Mächte zusammensetzt, wird
unter der Interalliierten Regierungsbehörde eingerichtet und so organisiert, daß er die Tätigkeit
der lokalen Organe von „Groß-Berlin“, die für die kommunalen Dienstleistungen verantwortlich
sind, beaufsichtigen und kontrollieren kann.
( c ) Die allianzübergreifende Verwaltungsbehörde arbeitet unter der allgemeinen Leitung des
[Alliierten] Kontrollrats [für Deutschland] 2 und erhält ihre Anweisungen durch den
Koordinierungsausschuss [bestehend aus den vier stellvertretenden Befehlshabern der
Militärregierung in Deutschland].
2. 17. Mai 1945.––Der sowjetische Befehlshaber in Berlin, dessen Truppen die
Besetzung der Stadt am 2. Mai abgeschlossen hatten, ernannte einen zivilen leitenden
Magistrat mit 16 Mitgliedern und 16 Stellvertretern der verschiedenen politischen
Parteien zum wichtigsten Verwaltungsorgan in Berlin.
3. 5. Juni 1945.––Die Oberbefehlshaber der vier alliierten Mächte, die zum ersten
Mal in Berlin zusammentrafen, gaben zwei Erklärungen ab, die sich auf die
Besatzungszonen in Deutschland beziehungsweise auf den Kontrollapparat in
Deutschland bezogen.
Absatz 2 der Erklärung zu den Besatzungszonen sah vor, daß––
das Gebiet „Groß-Berlin“ von Streitkräften jeder der vier Mächte besetzt wird. Eine Interalliierte
Regierungsbehörde (auf Russisch, Kommandatura), die aus vier Kommandanten besteht, die von
ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ernannt werden, wird errichtet, um ihre Verwaltung
gemeinsam zu leiten.
Absatz 7 der Erklärung über den Kontrollapparat sah vor, daß––
die Verwaltung des Gebiets „Groß-Berlin“ von einer Interalliierten Regierungsbehörde geleitet
wird, die unter der allgemeinen Leitung des Kontrollrates 3 tätig sein wird und aus vier
Kommandanten bestehen wird, von denen jeder abwechselnd als Oberster Kommandant fungiert.
Sie werden von einem technischen Stab unterstützt, der die Aktivitäten der örtlichen deutschen
Organe überwacht und kontrolliert.

1 Diese Chronologie wurde vom Außenministerium im April 1956 erstellt. Zu späteren Berlin betreffenden

Entwicklungen siehe die Dokumente späteren Datums, die im dokumentarischen Teil dieses Drucks
erscheinen.
2 Siehe Fußnote zum Eintrag vom 5. Juni 1945.
3 Der Kontrollrat für Deutschland, der sich aus den Oberbefehlshabern der vier Besatzungsmächte

zusammensetzt und ermächtigt ist, auf Weisung ihrer jeweiligen Regierungen die oberste Gewalt in
Deutschland auszuüben, wurde durch frühere Bestimmungen in dieser Erklärung eingerichtet.

(440)
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 441
4. 10. Juni 1945.––Die sowjetischen Besatzungsbehörden in Berlin ließen vier
politische Parteien in der Stadt zu, nämlich die Kommunistische Partei Deutschlands,
die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die Christlich-Demokratische Union
und die Liberaldemokratische Partei.
5. 14. Juni 1945.––Präsident Truman richtet eine Nachricht an Marschall Stalin,
in der er vorschlägt, den Rückzug der amerikanischen Streitkräfte in ihre
Besatzungszone in Deutschland und den Einzug der amerikanischen Streitkräfte in
Berlin am 21. Juni zu beginnen. Seine Mitteilung lautete auszugsweise :
* * * Was Deutschland anbelangt, so bin ich bereit, allen amerikanischen Truppen die
Anweisung zu erteilen, am 21. Juni mit dem Rückzug in ihre eigene Zone zu beginnen, und zwar
in Übereinstimmung mit den Absprachen zwischen den jeweiligen Befehlshabern, wobei diese
Absprachen die gleichzeitige Verlegung der nationalen Garnisonen in das Gebiet von Groß-Berlin
und die Bereitstellung eines freien Zugangs auf dem Luft-, Straßen- und Schienenweg von
Frankfurt und Bremen nach Berlin für die amerikanischen Streitkräfte beinhalten. * * * Wenn
Sie mit dem Vorstehenden einverstanden sind, schlage ich vor, unseren jeweiligen Befehlshabern
sofort entsprechende Anweisungen zu erteilen.
6. 18. Juni 1945.––Marschall Stalin antwortete auf die Nachricht von Präsident
Truman vom 14. Juni mit der Bitte, mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen
in Berlin und dem Abzug anderer amerikanischer Truppen in die Besatzungszone der
Vereinigten Staaten nicht vor dem 1. Juli zu beginnen. Seine Antwort lautete
auszugsweise:
* * * Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, daß Ihr Vorschlag, mit dem Abzug der
amerikanischen Truppen in ihre Zone und dem Einmarsch amerikanischer Truppen nach Berlin
am 21. Juni zu beginnen, auf gewisse Schwierigkeiten stößt [nämlich die erforderliche
Anwesenheit von Marschall Schukow und unterstellten sowjetischen Befehlshabern in Moskau für
eine Militärparade und die Notwendigkeit, die Minenräumung in Berlin abzuschließen]. * * * Ich
möchte darum bitten, mit dem Abzug der Truppen am 1. Juli zu beginnen, wenn die Befehlshaber
zurück sind und die Räumung der Minen abgeschlossen ist. * * * Von unserer Seite werden in
Deutschland alle notwendigen Maßnahmen * * * gemäß dem oben genannten Plan getroffen
werden.
Präsident Truman stimmte dem Antrag Stalins zu; seine Antwort vom selben Tag
lautete :
Ich habe den amerikanischen Befehlshabern die Anweisung gegeben, mit der Bewegung am 1.
Juli zu beginnen, wie Sie es beantragt haben. Es wird angenommen, daß die amerikanischen
Truppen zu einem früheren Zeitpunkt in ausreichender Stärke in Berlin sein werden, um ihre
Aufgaben in Vorbereitung auf unsere Konferenz zu erfüllen.
7. 1. Juli 1945.––Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten betraten Berlin,
übernahmen jedoch erst am 4. Juli die volle militärische Regierungsverantwortung im
amerikanischen Sektor.
8. 7. Juli 1945.––Bei einem Treffen im sowjetischen Hauptquartier in Berlin wurde
zwischen General Clay (in Vertretung von General Eisenhower), General Weeks (in
Vertretung von General Montgomery) und Marschall Schukow ein Beschluss gefasst,
um ( a ) die aufeinanderfolgenden Zeiträume, in denen jeder Kommandant
abwechselnd als oberster Militärkommandant in Berlin fungieren würde, auf 15 Tage
festzulegen ( nachträglich, am 9. August, von der Kommandantur auf einen Monat
geändert), ( b ) die einstimmige Zustimmung der vier Kommandanten zu allen
Beschlüssen der Kommandantur zu verlangen, ( c ) den Oberbürgermeister von
Berlin als zivilen Beauftragten zu benennen, durch den alle Verwaltungsanweisungen
in Berlin ausgeführt werden, ( d ) Vertreter jeder der vier Mächte zu Zwecken der
Überwachung und Kontrolle jeder Abteilung der Berliner Regierung zuzuweisen
und ( e ) jedem Kommandanten zu gestatten, bei der Anwendung der Befehle des
Obersten Militärkommandanten in seinem Sektor die „örtlichen Verhältnisse“ zu
berücksichtigen.
Außerdem wurde vereinbart, daß ( a ) die Bevölkerung der drei Westsektoren
Berlins aus dem Westen versorgt wird ; ( b ) die Kohle für diese Sektoren
hauptsächlich aus den Beständen des Ruhrgebiets stammt, ergänzt durch geringe
442 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Mengen schlesischer Braunkohle und Wasserkraft aus der sowjetischen Zone


Deutschlands, und ( c ) zwischen allen vier Sektoren ungehinderter Transport und
Bewegungsfreiheit gewährleistet ist.
9. 11. Juli 1945.––Die Kommandantur (einschließlich des französischen Vertreters
ohne Stimmrecht) trat zu ihrer ersten Sitzung zusammen, nachdem am Vortag die
Kommandos der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und der
Sowjetunion in Deutschland den Dokumenten zugestimmt hatten, die sie offiziell als
Organ einrichten. Zu den Mitgliedern gehörten Generalmajor Floyd L. Parks als
Vertreter der Vereinigten Staaten, Generalmajor Lewis O. Lyne für das Vereinigte
Königreich, Brigadegeneral Geoffroi de Beauchesne für Frankreich und Generaloberst
Alexander V. Gorbatov für die Sowjetunion. Die Kommandantur teilte dem Berliner
Magistrat mit, daß––
alle vom Befehlshaber der Garnison der Sowjetarmee und Militärkommandanten der Stadt Berlin
sowie von der deutschen Verwaltung unter alliierter Kontrolle erlassenen Vorschriften und
Anordnungen, die die Ordnung und die Handlungsweise der Bevölkerung Berlins regeln, sowie die
Haftung der Bevölkerung für die Verletzung dieser Vorschriften und Anordnungen oder für
rechtswidrige Handlungen gegen die alliierten Besatzungstruppen, bis auf weiteres in Kraft
bleiben.
10. 12. August 1945.––Die französischen Behörden übernahmen die Verantwortung
für die Verwaltung des ihnen zugewiesenen Sektors von Berlin. (Der französische
Befehlshaber wurde am 16. August als stimmberechtigtes Mitglied in die
Kommandantur in Berlin berufen).
11. 7. Februar 1946.––Infolge des Scheiterns der Verhandlungen mit den
sowjetischen Behörden in Berlin über die Sicherung der Viermächtekontrolle über den
Betrieb von Radio Berlin, das sich im sowjetischen Sektor befand, wurde im US-Sektor
ein Radiosender für die Langwellenübertragung nach der Drahtfunkmethode in den
amerikanischen und britischen Sektor eingerichtet (das Recht der Amerikaner, in den
britischen Sektor zu senden, wurde von den Briten im Gegenzug zu den Rechten der
Briten gewährt, über den von den Briten unterstützten Nordwestdeutschen Rundfunk
in den amerikanischen Sektor zu senden).
12. 28. März 1946.––Die Kommandantur beauftragte den Berliner Magistrat, in
Zusammenarbeit mit dem Kommunalausschuss der Kommandantur eine Verfassung
für die Stadt nach dem Vorbild der Berliner Verfassung von 1920 auszuarbeiten.
13. 31. März 1946.––Die Sozialdemokratische Partei führte in Berlin mit Billigung
der drei westlichen Militärgouverneure eine Urabstimmung zur Vereinigung mit der
Kommunistischen Partei durch. Die Urabstimmung wurde von den sowjetischen
Behörden in ihrem Sektor in Berlin verboten. Die Abstimmung fiel mit 19 zu 2
Stimmen gegen einen Zusammenschluss aus.
14. 21. April 1946.––Die Kommunistische Partei Deutschlands und Dissidenten der
Sozialdemokratischen Partei trafen sich auf einem Parteitag in Berlin und gründeten
eine neue Sozialistische Einheitspartei unter kommunistischer Vorherrschaft.
15. 28. Mai 1946.––Die Kommandantur erkannte sowohl der Sozialistischen
Einheitspartei als auch dem Teil der Sozialdemokratischen Partei (der
überwältigenden Mehrheit), der am 31. März gegen den Zusammenschluss mit den
Kommunisten gestimmt hatte, die rechtmäßige Tätigkeit im Großraum Berlin an.
16. 13. August 1946.––Die Kommandantur übermittelte die vom Magistrat
entworfene vorläufige Verfassung von Groß-Berlin an den Oberbürgermeister mit der
Anweisung, sie nach den Wahlen im Oktober in Kraft zu setzen, bis die in den Wahlen
gewählte Stadtverordnetenversammlung eine endgültige Verfassung verabschiedet.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 443
17. 5. September 1946.––Mit der Einführung eines 1000-Watt-Senders nahm der
Radiosender im amerikanischen Sektor Berlins den Sendebetrieb im gesamten
Berliner Raum auf und wurde zu einem vollwertigen Radiosender (Radio im
amerikanischen Sektor, RIAS).
18. 20. Oktober 1946.––Bei den Wahlen in Groß-Berlin erhielten die
Sozialdemokraten 63, die Kommunisten 29, die kommunistisch dominierte
Sozialistische Einheitspartei 26 und die Liberaldemokraten 12 der 130 Sitze in der
Stadtverordnetenversammlung, die gewählt wurde um nach der Vorläufigen
Verfassung zu arbeiten.
19. 21. Oktober 1946.––Die Vorläufige Verfassung für Berlin trat in Kraft. Sie sah
eine gesetzgebende Stadtverordnetenversammlung vor, deren Sitze anhand der
verhältnismäßigen Repräsentation der politischen Parteien besetzt werden sollten,
sowie einen von der Versammlung gewählten exekutiven Magistrat, in dem alle in der
Versammlung vertretenen Parteien vertreten sein konnten. In Artikel 36 wurde der
Grad der Kontrolle, die die Kommandantur in Berlin ausüben sollte, wie folgt
festgelegt :
Die Regierung von Groß-Berlin ist der Alliierten Kommandantur unterstellt, sofern nicht von
der Alliierten Kontrollbehörde etwas anderes bestimmt wird, und die Regierungen der
Bezirksverwaltungen den Militärregierungen der jeweiligen Sektoren. Alle Rechtserlasse, die von
der Stadtverordnetenversammlung angenommen werden, sowie die vom Magistrat erlassenen
Verordnungen und Weisungen müssen mit den Gesetzen und Verordnungen der Alliierten Mächte
in Deutschland und der Alliierten Kommandantur Berlins im Einklang stehen und von letzterer
genehmigt werden.
Änderungen der Verfassung, der Rücktritt des Magistrats oder eines seiner Mitglieder sowie
die Ernennung und Entlassung leitender Beamter der Stadtverwaltung können nur mit
Genehmigung der Alliierten Kommandantur Berlin wirksam werden.
Die Stadtbezirksverwaltungen sind in ihrer Tätigkeit der Militärregierung in den jeweiligen
Sektoren unterstellt.
20. 5. Dezember 1946.––Die neu gewählte (20. Oktober) Berliner
Stadtverordnetenversammlung, die am 26. November zu ihrer ersten Sitzung
zusammenkam, wählte die 18 Mitglieder des neuen Magistrats, an dessen Spitze Dr.
Otto Ostrowski (Sozialdemokrat) als Oberbürgermeister stand, in den Dienst der
Vorläufigen Verfassung. Der sowjetische Kommandant in Berlin weigerte sich, den
offiziellen Status der meisten Mitglieder des neuen Magistrats anzuerkennen und
bevorzugte das Personal des alten Magistrats, das von den sowjetischen Behörden
1945 eingesetzt worden war.
Die Stadtverordnetenversammlung wählte auch einen 18-köpfigen
Verfassungsausschuss, der mit der Ausarbeitung einer ständigen Verfassung für
Berlin beginnen sollte.
21. 23. Januar 1947.––Die Kommandantur erließ eine Verordnung, die politische
(nicht parteipolitische) Organisationen in der gesamten Stadt zuließ.
22. 31. Januar 1947.––Die Kommandantur erließ eine Verordnung zur
Durchführung von Artikel 36 der Vorläufigen Verfassung (siehe Eintrag vom 21.
Oktober 1946), in der festgelegt wurde, welche Arten von Rechtserlassen,
Verordnungen und Weisungen des Magistrats von Berlin der vorherigen Genehmigung
durch die Kommandantur bedürfen.
23. 22. März 1947.––Die Kommandantur erließ eine Verordnung, die die Bildung
nichtpolitischer Organisationen im Großraum Berlin und in jedem Sektor erlaubte.
24. 11. April 1947.––Die Berliner Stadtverordnetenversammlung lehnt mit 85 zu 20
Stimmen das Vorgehen von Oberbürgermeister Ostrowski ab, der sich im Februar
schriftlich bereit erklärt hatte, mit der kommunistisch dominierten Sozialistischen
Einheitspartei bei der Verwaltung der städtischen Angelegenheiten zusammen-
zuarbeiten.
444 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

25. 17. April 1947.––Nach dem Ablehnungsbeschluss der Berliner Stadt-


verordnetenversammlung vom 11. April trat Oberbürgermeister Ostrowski zurück.
Sein Rücktritt wurde vom sowjetischen Kommandanten nicht angenommen.
26. 24. Juni 1947.––Professor Ernst Reuter (Sozialdemokrat) wurde von der
Stadtverordnetenversammlung mit 89 zu 17 Stimmen zum Oberbürgermeister
gewählt und trat damit die Nachfolge von Otto Ostrowski an, der im April
zurückgetreten war.
27. 27. Juni 1947.––Auf einer Sitzung der Kommandantur legte der sowjetische
Kommandant sein Veto gegen die Wahl von Ernst Reuter zum Oberbürgermeister ein.
Frau Louise Schröder (Sozialdemokratin), eine der beiden Bürgermeister, fungierte
von diesem Zeitpunkt an bis zum 7. Dezember 1948 als amtierende Ober-
bürgermeisterin, obwohl sie wegen regelmäßiger Erkrankungen ihr Amt von Zeit zu
Zeit an Ferdinand Friedensburg (Christdemokrat), den anderen Bürgermeister,
abtreten musste.
28. 25. November 1947.––Vertreter der Wirtschaftsverwaltungen der sowjetischen
Besatzungszone und der am 1. Januar 1947 eingerichteten gemeinsamen
Wirtschaftszone von Großbritannien und den Vereinigten Staaten unterzeichneten in
Berlin ein Abkommen über den beiderseitigen Austausch von Waren im Wert von 157
Millionen RM im Kalenderjahr 1948. Es wurde geregelt, daß jede Partei die Lieferung
von Waren an ihren Sektor in Berlin statt an die entsprechende Besatzungszone
verlangen kann.
29. 21. Februar 1948.––Ein von der Sowjetunion geförderter „Volkskongress von
Groß-Berlin“ trat im sowjetischen Sektor der Stadt zusammen und verabschiedete
Beschlüsse, in denen eine gesamtdeutsche Volksabstimmung über die deutsche
Einheit und die Einsetzung eines „deutschen Volksrats“ gefordert wurde.
30. 10. März 1948.––Die Sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland
verhängte strenge Beschränkungen für Deutsche, die von Berlin in die Sowjetzone
reisen wollten.
31. 12. März 1948.––Der Verfassungsausschuss der Berliner Stadtverordneten-
versammlung schloss die Ausarbeitung einer ständigen Verfassung, mit der er am 5.
Dezember 1946 betraut worden war, ab und legte der Versammlung den Entwurf vor.
Der amerikanische Kommandant schlug in einer Sitzung der Kommandantur die
Einsetzung einer Vier-Mächte-Kommission vor, die die Behandlung der politischen
Parteien im gesamten Bereich Groß-Berlins untersuchen sollte. Gegen diesen
Vorschlag legte der sowjetische Kommandant sein Veto ein.
32. 20. März 1948.––Der sowjetische Militärgouverneur für Deutschland vertagte in
seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Alliierten Kontrollrats für Deutschland für den
Monat März einseitig die Kontrollratssitzung wegen angeblicher „Verschwörungen“
der drei Westmächte hinter dem Rücken der Sowjetunion in Bezug auf Deutschland
und verließ mit seiner gesamten Delegation den Saal. Der Rat trat nicht erneut zu
einer Sitzung mit vier Mitgliedern zusammen.
33. 25. März 1948.––Außenminister George C. Marshall gab eine Sondererklärung
zum sowjetischen Austritt aus dem Alliierten Kontrollrat ab, in der er unter anderem
erklärte :
Der AKR in Berlin sowie die gemeinsame Besetzung der Stadt sind durch Regierungsabkommen
festgelegt. * * * In Übereinstimmung mit dem internationalen Abkommen, das für alle vier
Kontrollmächte verbindlich ist, beabsichtigen die Vereinigten Staaten, ihre Verantwortung als
Mitglied des Kontrollrats und als Mitbesetzer der Stadt Berlin weiterhin zu erfüllen.
34. 30. März 1948.––Die Sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland
informierte die drei westlichen Militärgouverneure über eine Reihe von
Beschränkungen des Eisenbahn- und Straßenverkehrs zwischen den westlichen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 445
Besatzungszonen und Berlin durch die Sowjetzone, die am 1. April in Kraft treten
sollten. Diese Beschränkungen umfassten ( a ) die dokumentarische Identifizierung
des gesamten westlichen Militär- und Besatzungspersonals, das durch die Sowjetzone
reist, ( b ) die Abfertigung aller militärischen Fracht von Berlin in die Westzonen an
den sowjetischen Grenzübergangsstellen und die Abfertigung eines komplizierten
Satzes von Frachtbriefen für militärische Fracht aus den Westzonen nach
Berlin, ( c ) die Kontrolle des gesamten Gepäcks an sowjetischen
Grenzübergangsstellen auf dem Schienen- und Straßenweg von und nach Berlin mit
Ausnahme der persönlichen Gegenstände des westlichen Militär- und
Besatzungspersonals.
35. 31. März 1948.––Der Kommandant der Vereinigten Staaten in Berlin wandte
sich an den sowjetischen Kommandanten, um Informationen über die Notwendigkeit
der neuen sowjetischen Verkehrsbeschränkungen zu erhalten. Der sowjetische
Kommandant weigerte sich, die Angelegenheit zu diesem Zeitpunkt zu behandeln,
erklärte sich aber bereit, das Problem zu einem späteren Zeitpunkt zu erörtern. Dieses
Versprechen löste der sowjetische Kommandant nicht ein.
36. 2. April 1948.––Auf einer Sitzung der stellvertretenden Kommandanten für
Berlin kündigten die sowjetischen Behörden den Rückzug ihrer Repräsentanten aus 8
der 18 Ausschüsse der Kommandantur an (die Ausschüsse für kulturelle
Angelegenheiten, Bau- und Wohnungswesen, Personal und Entnazifizierung,
Eigentumskontrolle, Verkehr, Wirtschaft, Wohlfahrt und Brennstoffversorgung).
37. 3. April 1948.––Die sowjetischen Behörden sperrten die Schienengüterverkehrs-
strecken von Bayern und Hamburg nach Berlin und verlangten, daß sämtliche Güter
über die Strecke von Helmstedt in der britischen Zone befördert werden.
38. 9. April 1948.––Die sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland
verlangte die Abfertigung aller Güterzüge von Berlin in die Westzonen durch das Büro
des sowjetischen Kommandanten in Berlin und erließ Beschränkungen für die
Paketpost.
39. 13. April 1948.––Die sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland
gliederte die Ostberliner Polizei in die Polizei der sowjetischen Zone Deutschlands ein.
40. 20. April 1948.––Die sowjetischen Behörden leiteten ein Programm zur
individuellen Abfertigung des gesamten Binnenschiffsverkehrs von und nach Berlin
durch die Sowjetzone ein.
41. 22. April 1948.––Die Berliner Stadtverordnetenversammlung nahm mit 83 zu
20 Stimmen (bei Abwesenheit von 27 Mitgliedern) den Text der Verfassung für die
Stadt an, den der Verfassungsausschuss der Versammlung am 12. März vorgelegt
hatte.
42. 10. Mai 1948.––Die Stadtverordnetenversammlung stimmte für den Versuch,
die im sowjetischen Sektor gelegene Universität Berlin unter die Kontrolle des
Berliner Magistrats zu bringen und, sollte dieser Versuch scheitern, eine neue
Universität in einem der westlichen Sektoren zu gründen.
43. 13. Mai 1948.––Das sowjetische Mitglied des Ausschusses für öffentliche
Sicherheit der Kommandantur verließ die Sitzung und auf einer Sitzung der
stellvertretenden Kommandanten für Berlin am 19. Mai wurde bekannt gegeben, daß
das sowjetische Mitglied seinen Sitz im Ausschuß nicht wieder einnehmen würde.
44. 20. Mai 1948.––Die sowjetischen Behörden begannen zu verlangen, daß jedes
Binnenschiff, das die sowjetische Zone von und nach Berlin durchquert, zusätzliche
Dokumente mit sich führt. (siehe Eintrag vom 20. April.)
45. 9. Juni 1948.––Die sowjetischen Behörden verschärften die Vorschriften für
Reisen von Deutschen durch die sowjetische Zone von und nach Berlin (siehe Eintrag
vom 10. März) und verlangten eine besondere Genehmigung durch sowjetische Beamte
für jede Einzel- oder Gruppenpassage durch die sowjetische Zone.
446 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

46. 12. Juni 1948.––Die sowjetischen Behörden schlossen die Elbbrücke an der Ost-
West-Autobahn und ersetzten sie durch eine Fährverbindung.
47. 16. Juni 1948.––Der sowjetische Kommandant zog sich wegen angeblicher
Unhöflichkeit des amerikanischen Kommandanten aus der Kommandantur zurück.
Am selben Tag zog sich der sowjetische Vertreter aus dem lokalen
Regierungsausschuss der Kommandantur zurück.
48. 18. Juni 1948.––Die drei westlichen Militärgouverneure haben (mit Wirkung
vom 21. Juni) eine Währungsreform für ihre Besatzungszonen in Deutschland (mit
Ausnahme von Berlin) angekündigt. In einer Zusammenfassung des
Währungsreformgesetzes, die gemeinsam von den Ministerien für Staat und Armee
veröffentlicht wurde, heißt es––
Die Währungsreform wird vorerst nicht für Berlin gelten, da Berlin unter Vier-Mächte-Herrschaft
steht. Die drei Militärregierungen werden jedoch alle Maßnahmen ergreifen, um die
wirtschaftlichen Beziehungen Berlins zum Westen, die für das Wohlergehen der Stadt von
entscheidender Bedeutung sind, zu erhalten und zu stärken. Auch Berlin soll an den Vorteilen des
Europäischen Konjunkturprogramms, das hinter der neuen Währung steht, teilhaben. Die
Lebensmittellieferungen nach Berlin werden von den westlichen Besatzungsmächten fortgesetzt
und gegen die dort verwendete Währung verkauft.
49. 19. Juni 1948.––Der sowjetische Kommandant in Berlin lehnte die Einladung
des Vorsitzenden der Kommandantur („französischer Kommandant“) ab, an einer
Sitzung teilzunehmen, um die Auswirkungen der am Vortag von den drei westlichen
Militärgouverneuren angekündigten Währungsreform in Westdeutschland auf Berlin
zu erörtern.
Die sowjetischen Behörden in Ostdeutschland stellten den gesamten
Personenverkehr auf der Schiene und der Straße von und nach West-Berlin durch die
sowjetische Zone ein und schränkten den Güterverkehr auf der Schiene und der
Wasserstraße durch die Zone stark ein.
Nachdem es nicht gelungen war, die sowjetischen Behörden dazu zu bewegen, dem
Berliner Magistrat die Kontrolle über die Universität Berlin zu übertragen (siehe
Eintrag vom 10. Mai), wurde in den Westsektoren Berlins eine 12-köpfige
Vorbereitungskommission unter der Leitung von Dr. Ernst Reuter gebildet, um die
Gründung einer neuen Universität außerhalb des sowjetischen Sektors zu planen.
50. 22. Juni 1948.––Auf einem Treffen der Finanz- und Wirtschaftsberater der vier
Militärgouverneure für Deutschland in Berlin, das einberufen wurde, um das Problem
einer Währung für Berlin zu erörtern, bestand der sowjetische Vertreter darauf, daß
die Währung der sowjetischen Zone Deutschlands als alleinige Währung in ganz Berlin
verwendet werden sollte und lehnte den Vorschlag einer vierseitigen Kontrolle einer
besonderen Berliner Währung ab.
51. 23. Juni 1948.––Die sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland erließ
einen Befehl, der eine Währungsumstellung in der Sowjetzone und in allen vier
Sektoren Berlins anordnete. Der Befehl verbot den Umlauf einer anderen Währung als
der Reichsmark oder der Rentenmark mit angehängtem sowjetischem Kupon.
Außerdem wurde die Zentrale Wirtschaftskommission der Sowjetzone mit der
Überwachung dieser Umstellung beauftragt und die Zuständigkeit der Kommission
auf alle Finanz- und Währungsangelegenheiten des Großraums Berlin ausgedehnt.
(Die Zentrale Wirtschaftskommission war am 13. Februar 1948 in der Sowjetzone als
Gegenmaßnahme zur Einrichtung der Deutschen Bizonalen Wirtschaftsverwaltung in
der Zone der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs am 9. Februar
eingerichtet worden).
Die drei westlichen Kommandanten wiesen den Berliner Magistrat an, den
sowjetischen Befehl zur Einführung der neuen ostdeutschen Währung im Großraum
Berlin zu ignorieren, und kündigten gleichzeitig öffentlich an, daß beabsichtigt sei, in
den westlichen Sektoren Berlins die neue westdeutsche Währung einzuführen. Die
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 447
Ankündigung lautete unter anderem :
Aufgrund des Versuchs der sowjetischen Militäradministration, sich die Herrschaft über die
wirtschaftlichen Angelegenheiten Berlins anzueignen und eine eigene Währung für die vierteilige
Stadt herauszugeben, sehen sich die Westmächte veranlasst, in den drei westlichen Sektoren
Berlins die Deutsche Mark einzuführen. * * * Die drei westlichen Besatzungsmächte vertraten
die Auffassung, daß es Aufgabe des obersten viergliedrigen Organs der Stadt, nämlich der
Kommandantur, sei, eine solche Währungsreform für die gesamte Bevölkerung der Stadt
durchzuführen. * * * Die westlichen Vorschläge wurden von den sowjetischen Militärbehörden
abgelehnt. Stattdessen bestanden die sowjetischen Militärbehörden darauf, daß sie [sic] allein das
Währungsgesetz für die Stadt Berlin schreiben würden. * * * Die Westmächte können sich einer
derartigen Willkür nicht beugen, die gegen den tatsächlichen vierseitigen Status von Berlin
verstößt und ihn völlig außer Acht lässt * * *.
Der Berliner Magistrat erließ daraufhin eine gesonderte Verfügung, wonach die
Devisenanweisungen der vier Kommandanten nur in den jeweiligen Sektoren, für die
sie zuständig waren, gelten sollten.
Die sowjetischen Behörden in Ostdeutschland stellten wegen „technischer
Schwierigkeiten“ den gesamten Güterverkehr auf der Schiene und auf dem Wasserweg
nach Berlin ein (der bereits am 19. Juni auf ein Rinnsal reduziert worden war), setzten
den gesamten inoffiziellen Post- und Paketdienst aus den drei Westsektoren Berlins
und aus Ostdeutschland in den Westen aus und unterbrachen die Stromlieferung aus
der sowjetischen Zone Deutschlands und dem sowjetischen Sektor Berlins in die drei
Westsektoren Berlins.
In der Stadtverordnetenversammlung kam es zum ersten einer Reihe von
kommunistisch motivierten Ausschreitungen. (Diese führten am 6. September 1948
zur Verlegung der Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung vom sowjetischen in
den westlichen Sektor).
52. 24. Juni 1948.––Die drei westlichen Militärgouverneure führten die neue
Westmark in den drei Westsektoren Berlins als gesetzliches Zahlungsmittel ein, das
in einer Menge in Umlauf gebracht werden sollte, die 25 % der gesamten bereits in der
Stadt umlaufenden Währung (Ostmark) entsprach.
Die sowjetischen Behörden vervollständigten ihre totale Blockade der drei
Westsektoren Berlins, indem sie die Verteilung jeglicher Lieferungen aus der
Sowjetzone und dem sowjetischen Sektor Berlins an diese Sektoren untersagten.
Die westlichen Besatzungsbehörden schlugen zurück, indem sie alle
Nachschublieferungen aus West-Berlin in den sowjetischen Sektor der Stadt stoppten,
und die amerikanischen und britischen Militärgouverneure stoppten auch den
gesamten Schienengüterverkehr aus ihren Besatzungszonen in die sowjetische Zone.
53. 26. Juni 1948.––Die Vereinigten Staaten begannen mit dem Lufttransport von
lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Treibstoff und Vorräten in die drei westlichen
Sektoren Berlins.
Der britische Militärgouverneur in Deutschland richtete im Namen der drei
westlichen Militärgouverneure ein Schreiben an den sowjetischen Militärgouverneur,
um gegen die Unterbrechung des lebenswichtigen Güterverkehrs nach Berlin zu
protestieren.
54. 29. Juni 1948.––In Beantwortung des Schreibens des britischen
Militärgouverneurs vom 26. Juni erklärt der sowjetische Militärgouverneur, daß an
den „technischen Schwierigkeiten“, die zur Unterbrechung des Schienengüterverkehrs
zwischen Berlin und dem Westen geführt haben, gearbeitet wird und daß der
Bahnverkehr bald wieder aufgenommen werden kann.
Die Berliner Stadtverordnetenversammlung nimmt eine Resolution an, in der
vorgeschlagen wird, daß die Vereinten Nationen die Berlin-Krise untersuchen.
55. 30. Juni 1948.––Außenminister George C. Marshall erklärte in einer offiziellen
Presseerklärung :
Wir sind aufgrund von Vereinbarungen zwischen den Regierungen über die Besatzungszonen in
Deutschland in Berlin und beabsichtigen zu bleiben. * * *
448 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

56. 1. Juli 1948.––Der Stabschef der sowjetischen Streitkräfte in Berlin teilte den
westlichen Stabschefs mit, daß die sowjetischen Vertreter nicht mehr an den Sitzungen
der Kommandantur oder ihrer Nebenorgane teilnehmen würden––wegen der
Währungsreform in West-Berlin und des––
bekannten Verhaltens von Oberst Howley [amerikanischer Kommandant] und der mangelnden
Reaktion der britischen und französischen Vertreter auf Proteste der sowjetischen Behörden.
Die sowjetischen Behörden betrachteten den viergliedrigen Charakter der Komman-
dantur als aufgelöst, obwohl sie alle früheren Anordnungen und Entscheidungen der
Kommandantur als gültig ansahen.
57. 3. Juli 1948.––Die drei westlichen Militärgouverneure für Deutschland wenden
sich an den sowjetischen Militärgouverneur im sowjetischen Sektor von Berlin, um auf
die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs von und nach Berlin zu drängen. Sie
erhielten keine Zusicherung, daß nach der Behebung der bestehenden „technischen
Schwierigkeiten“ nicht weitere auftreten würden, die den Bahnverkehr behindern. Die
westlichen Militärgouverneure verwiesen daraufhin das gesamte Problem der
Verhandlungen mit den Russen in der Berlin-Frage an ihre jeweiligen Regierungen.
58. 6. Juli 1948.––Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und
Frankreich richteten ähnliche Schreiben an die sowjetische Regierung, in denen sie
gegen die sowjetische Blockade Berlins als „klare Verletzung der bestehenden
Vereinbarungen über die Verwaltung Berlins durch die vier Besatzungsmächte“
protestierten. Die drei Regierungen erklärten, sie würden sich „nicht durch
Drohungen, Druck oder andere Maßnahmen dazu bewegen lassen, diese Rechte [in
Berlin] aufzugeben“. Sie erklärten sich bereit, über das Berlin-Problem zu verhandeln,
sobald die Blockade aufgehoben sei.
59. 8. Juli 1948.––Die Zentrale Finanzabteilung der Sowjetischen
Militäradministration für Ostdeutschland erließ einen Befehl, der die Verwendung von
Ostmark für die Bezahlung der Besatzungskosten der Westmächte in Berlin verbot.
Die Westmächte in Deutschland setzten alle Reparationslieferungen aus
Westdeutschland an die Sowjetunion aus, bis die Berlin-Blockade aufgehoben werden
sollte.
60. 9. Juli 1948.––Die Westkommandanten in Berlin wiesen den Berliner Magistrat
an, die Zahlung der Besatzungskosten der Westmächte in Berlin nach Maßgabe des
bereits beschlossenen Haushaltsplans fortzusetzen.
61. 14. Juli 1948.––In ihrer Antwort auf die Noten der Westmächte vom 6. Juli
erklärte die Sowjetische Regierung, daß––
die in Berlin geschaffene Lage das Ergebnis einer Verletzung der von den Vier Mächten in Bezug
auf Deutschland und Berlin gefassten Beschlüsse durch die * * * [drei Westmächte] ist, die ihren
Ausdruck in der Durchführung einer gesonderten Währungsreform, in der Einführung einer
besonderen Währung für die westlichen Sektoren Berlins und in der Politik der Zerstückelung
Deutschlands gefunden hat. 1
Die Sowjetische Regierung behauptete, daß Berlin aufgrund seiner Lage ein Teil der
sowjetischen Zone Deutschlands sei. Die westdeutsche Währungsreform, so die Note
weiter, habe die sowjetischen Behörden „gezwungen“––

1 Der letzte sowjetische Einwand bezog sich auf die Beschlüsse der Vertreter der Vereinigten Staaten, des

Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Benelux-Länder vom 2. Juni 1948, die seit dem 23. Februar in
London informell zusammengekommen waren, um ( a ) die drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland
zusammenzulegen, ( b ) Westdeutschland durch ein Besatzungsstatut ein beträchtliches Maß an
Selbstverwaltung zuzugestehen und ( c ) die Ausarbeitung einer Verfassung für Deutschland zu
genehmigen.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 449
bestimmte dringende Maßnahmen zum Schutz der Interessen der deutschen Bevölkerung und der
Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone und im Gebiet von „Groß-Berlin“ zu treffen.
Die sowjetische Regierung erklärte, daß sie keine Vorbedingungen für Verhandlungen
mit dem Westen über die Berlin-Frage akzeptieren würde, und behauptete daß––
die Frage der Verwaltung von Berlin * * * nicht von der allgemeinen Frage der Vier-Mächte-
Kontrolle in Bezug auf Deutschland getrennt werden kann.
Vertreter der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs unterzeichnen
in Berlin ein Abkommen über die Berechtigung der amerikanischen und britischen
Zone in Deutschland (einschließlich des amerikanischen und britischen Sektors in
Berlin), Marshallplan-Hilfe zu erhalten.
62. 20. Juli 1948.––Die von der Sowjetischen Militäradministration eingesetzte
sowjetische Kommission für die Regelung des Zahlungsverkehrs
(Währungskommission) gab eine Reihe von Anweisungen heraus, die die Kreditpolitik
der Banken und die Nutzung von Kreditmöglichkeiten durch Berliner Unternehmen
regeln sollten. Die Kommission verpflichtete sich außerdem, die Konten der West-
Berliner Unternehmen freizugeben, wenn diese sich bereit erklärten, ihre Geschäfte
ausschließlich in Ost-Mark abzuwickeln.
63. 24. Juli 1948.––Die Sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland
ordnete an, daß die am 22. Juni herausgegebenen provisorischen Banknoten in eine
neue reguläre Währung umgetauscht werden, die als alleiniges gesetzliches
Zahlungsmittel für die Sowjetzone und Groß-Berlin vorgesehen ist. Der Berliner
Magistrat wurde beauftragt, den Umtausch in Groß-Berlin vorzunehmen. Die neue
Währung wurde von der „Deutschen Emissionsbank“ ausgegeben, die am 20. Juli auf
Anordnung der Sowjetischen Militäradministration in Ostdeutschland gegründet
worden war.
64. 26. Juli 1948.––Der von den Sowjets eingesetzte Polizeipräsident Paul Markgraf
wurde vom Berliner Magistrat entlassen und durch Dr. Johannes Stumm als
amtierenden Polizeipräsidenten ersetzt. Dieser Schritt wurde von den drei westlichen
Kommandanten gebilligt, aber von den sowjetischen Behörden in Berlin nicht
anerkannt.
65. 29. Juli 1948.––Die Berliner Stadtverordnetenversammlung hat eine Resolution
verabschiedet, in der sie die Blockade Berlins als „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ verurteilt und ihre Aufhebung fordert.
66. 2. August 1948.––Die Missionschefs der Vereinigten Staaten, des Vereinigten
Königreichs und Frankreichs in Moskau trafen mit Generalissimus Stalin und
Außenminister Molotow im Kreml zusammen und erhielten, nachdem sie die Absicht
ihrer jeweiligen Regierungen, in Berlin zu bleiben, deutlich gemacht hatten, den
Vorschlag Stalins, im Gegenzug für die Aufhebung der sowjetischen Blockade die
sowjetische Zonenmark als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel in ganz Berlin
einzuführen.
67. 6.–17. August 1948.––Die amerikanischen, britischen und französischen
Missionschefs in Moskau hielten eine Reihe von vier Treffen mit dem sowjetischen
Außenminister Molotow ab, um eine Einigung über den Entwurf einer Regelung der
Berlin-Krise auf der Grundlage von Stalins Vorschlägen vom 2. August zu erzielen.
Zwei Punkte, für die Molotow eintrat, verhinderten eine Einigung: ( 1 ) die
sowjetische These, daß der Westen sein Recht verwirkt habe, in Berlin zu bleiben, es
sei denn mit sowjetischer Erlaubnis ; ( 2 ) die sowjetische Weigerung, zuzulassen, daß
jegliche Berliner Währung durch vierseitige Kontrollen geregelt wird.
68. 23. August 1948.––Die Missionschefs der Vereinigten Staaten, des Vereinigten
Königreichs und Frankreichs in Moskau trafen mit Premierminister Stalin und
Außenminister Molotow zusammen, um die westlichen und sowjetischen
Entwürfe ( a ) einer Direktive, mit der die vier Militärgouverneure in Deutschland
angewiesen werden, die Einzelheiten einer Lösung des Währungs- und
450 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Verkehrsproblems in Berlin auszuarbeiten, und ( b ) eines Kommuniqués, in dem die


Gesamtübereinstimmung der vier Mächte in der Berlin-Frage zusammengefasst wird,
miteinander abzustimmen. Was die Richtlinie betrifft, so stimmte die sowjetische
Führung dem Beharren der westlichen Vertreter auf einer Vier-Mächte-Kontrolle der
Berliner Währung zu. In Bezug auf das Kommuniqué lehnte die sowjetische Führung
jedoch weiterhin jede ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung des
gleichberechtigten Status der vier Mächte in Berlin ab und forderte, daß die
Umsetzung der Beschlüsse der Londoner Konferenz über Westdeutschland (siehe
Fußnote zum Eintrag vom 14. Juli) durch die Westmächte ausgesetzt wird.
69. 26. August 1948.––Etwa 5.000 kommunistische Demonstranten stürmten die
Sitzung der Stadtverordnetenversammlung im Rathaus des sowjetischen Sektors.
Eine Gegendemonstration von etwa 10.000 Mitgliedern der nichtkommunistischen
Parteien fand vor dem ehemaligen Reichstagsgebäude im britischen Sektor statt.
70. 27. August 1948.––Die amerikanischen, britischen und französischen
Missionschefs in Moskau trafen mit dem sowjetischen Außenminister Molotow und
dem stellvertretenden Außenminister Wischinski zusammen, um den Entwurf einer
Direktive und eines Kommuniqués zu überarbeiten, die bei dem Treffen mit
Premierminister Stalin und Molotow am 23. August besprochen worden waren. Sie
einigten sich auf den Entwurf einer Direktive an die Militärgouverneure, die ( a ) die
Rücknahme der westdeutschen Mark „B“ aus dem Verkehr in Berlin und die Ersetzung
durch die neue ostdeutsche Mark, ( b ) die Aufhebung der kürzlich verhängten
sowjetischen Beschränkungen des Verkehrs und der Kommunikation zwischen Berlin
und den westlichen Besatzungszonen in Deutschland und ( c ) Konsultationen
zwischen den vier Militärgouverneuren in Berlin über die Umsetzung der
Punkte ( a ) und ( b ) vorsah, wobei eine endgültige Entscheidung über die
Umsetzungsschritte bis zum 7. September getroffen werden sollte. (Die Direktive
wurde vom sowjetischen Außenminister und den drei westlichen Missionschefs in
Moskau am 30. August gebilligt und von ihnen am selben Tag an die jeweiligen
Militärgouverneure weitergeleitet).
Da die Sowjetunion darauf bestand, eine Erklärung aufzunehmen, die die
Aussetzung der Londoner Beschlüsse zu Deutschland implizierte (siehe Fußnote zum
Eintrag vom 14. Juli), wurde keine Einigung über den endgültigen Entwurf eines
Kommuniqués erzielt, in dem die Gesamteinigung der Vier Mächte über die Beilegung
der Berlin-Krise zusammengefasst werden sollte.
71. 31. August–7. September 1948.––Gemäß der Vier-Mächte-Direktive vom 30.
August (siehe Artikel vom 27. August) trafen sich die vier Militärgouverneure für
Deutschland in Berlin, um die notwendigen Vorkehrungen für die Umsetzung der Vier-
Mächte-Beschlüsse über Währung, Verkehr und Handel in Berlin zu erörtern. Der
sowjetische Militärgouverneur nahm eine ganz andere Position ein, als die westlichen
Vertreter Premier Stalin auf dem Treffen vom 23. August verstanden hatten, und
weigerte sich, ( a ) die Aufhebung aller sowjetischen Transportbeschränkungen, die
vor dem 18. Juni verhängt worden waren, in Betracht zu ziehen, ( b ) nahm
bestimmte Beschränkungen des Luftverkehrs wieder auf, von denen er behauptete,
daß sie vom Alliierten Kontrollrat für Deutschland am 30. November 1945 vereinbart
worden waren (insbesondere Beschränkungen des gesamten Luftverkehrs nach Berlin,
der nicht Nachschub für die Besatzungstruppen beförderte), ( c ) weigerte sich, die
Kontrollrechte der vorgeschlagenen Vier-Mächte-Finanzkommission über die
Ostdeutsche Emissionsbank bei der Regulierung der Berliner Währung anzuerkennen,
und ( d ) bestand auf den ausschließlichen sowjetischen Rechten zur Kontrolle des
Handels zwischen Berlin und den Westzonen oder einem Drittland.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 451
Angesichts dieser ausweglosen Situation brachen die Militärgouverneure am 7.
September ihre technischen Gespräche ab.
72. 3. September 1948.––Die kommunistischen Mitglieder der Berliner
Stadtverordnetenversammlung bildeten zusammen mit Splittergruppen der
christdemokratischen, der liberaldemokratischen und der sozialdemokratischen
Partei den „Demokratischen Block von Berlin“ und blieben nach dem Rückzug des
Hauptteils der Versammlung in den britischen Sektor (6. September) als sowjetisch
anerkannte Stadtverordnetenversammlung im sowjetischen Sektor.
73. 6. September 1948.––Aufgrund der anhaltenden kommunistisch motivierten
Unruhen (siehe Eintrag vom 23. Juni) und der Weigerung der sowjetischen
Kommandantur (27. August), Militärwachen zum Schutz der Sitzungen zu stellen, zog
die Stadtverordnetenversammlung vom sowjetischen in den britischen Sektor Berlins
um.
74. 9. September 1948.––Eine riesige antisowjetische und antikommunistische
Demonstration von 300.000 Berlinern wurde von der Allgemeinen Gewerkschaft der
drei Westsektoren vor dem ehemaligen Reichstagsgebäude im britischen Sektor
organisiert.
75. 13. September 1948.––Die amerikanischen und britischen Militärgouverneure
ordneten gemeinsam an, alle Gütertransporte auf dem Land- und Wasserweg aus
ihren jeweiligen Zonen in die sowjetische Zone Deutschlands und in alle Sektoren
Berlins einzustellen. Die westlichen Sektoren Berlins wurden ausschließlich über die
Luftbrücke versorgt. Mit diesem Schritt reagierten sie auf die anhaltenden
Beschränkungen und Behinderungen des interzonalen Verkehrs durch die
sowjetischen Behörden.
76. 11.–18. September 1948.––Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich
und Frankreich machten am 14. September die Sowjetunion für das Scheitern der
technischen Gespräche verantwortlich, die vom 30. August bis zum 7. September von
den vier Militärgouverneuren für Deutschland geführt worden waren. In einem
Memorandum, das ihre Missionschefs in Moskau Premier Stalin und Außenminister
Molotow vorlegten, wiesen sie darauf hin, daß der sowjetische Militärgouverneur bei
diesen technischen Gesprächen „von den in Moskau getroffenen Vereinbarungen in
Bezug auf ( 1 ) Beschränkungen der Kommunikation, des Transports und des
Handels zwischen Berlin und den Westzonen, ( 2 ) die Befugnisse und Funktionen der
[vorgeschlagenen] Finanzkommission und insbesondere ihr Verhältnis zur
ostdeutschen Emissionsbank und ( 3 ) die Kontrolle des Handels von Berlin
abgewichen“ sei.
In einem Memorandum an die drei westlichen Botschafter in Moskau vom 18.
September bestätigte Außenminister Molotow den Standpunkt des sowjetischen
Militärgouverneurs zu den strittigen Punkten.
77. 22. September 1948.––In ihrer Antwort auf das sowjetische Memorandum vom
18. September erklärten die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und
Frankreich in gleichlautenden Noten, daß die Meinungsverschiedenheit, die bei den
technischen Gesprächen zwischen den Militärgouverneuren für Deutschland
aufgetreten war, „nicht von technischen Fragen, sondern von einer grundsätzlichen
Meinungsverschiedenheit * * * über die Rechte und Pflichten der Besatzungsmächte
in Berlin, ihr Recht auf Zugang zu Berlin auf dem Luft-, Schienen-, Wasser- und
Straßenweg und auf Teilnahme an der Verwaltung der Angelegenheiten der Stadt
Berlin“ herrührte. Die drei Mächte erklärten ihren „endgültigen Standpunkt“ in der
Berlin-Frage wie folgt :
( A ) Sie können nicht akzeptieren, daß der Luftverkehr zwischen Berlin und den Westzonen
eingeschränkt wird.
( B ) Sie bestehen darauf, daß die Finanzkommission die Aktivitäten der Deutschen
Emissionsbank der SBZ kontrolliert, soweit sie sich auf die finanziellen Vorkehrungen für die
Einführung und weitere Verwendung der SBZ-Mark als alleinige Währung in der Stadt Berlin
beziehen.
452 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

( C ) Sie bestehen darauf, daß der Handel zwischen Berlin und den Westzonen und anderen
Ländern einer vierseitigen Kontrolle unterliegt, einschließlich der Erteilung von Lizenzen.
Die drei Mächte fragten abschließend, ob die sowjetische Regierung––
um Bedingungen zu schaffen, die eine Fortsetzung der Gespräche ermöglichen würden, * * *
bereit ist, die Blockademaßnahmen aufzuheben und damit das Recht der drei westlichen
Besatzungsmächte auf freien Verkehr auf der Schiene, auf dem Wasser und auf der Straße
wiederherzustellen, und den Zeitpunkt anzugeben, zu dem dies geschehen wird.
78. 25. September 1948.––Die sowjetische Regierung legte in gleichlautenden Noten
an die drei Westmächte ihren eigenen Standpunkt zu den noch strittigen Punkten der
Berlin-Frage dar. In den sowjetischen Noten heißt es :
( A ) Was den Luftverkehr zwischen Berlin und den Westzonen betrifft, so ist die Einrichtung
einer Kontrolle des gewerblichen Güter- und Personenverkehrs durch das sowjetische Kommando
in diesem Fall ebenso notwendig wie im Falle des Eisenbahn-, Wasser- und Straßenverkehrs. Die
Luftwege können nicht unkontrolliert bleiben, da zwischen den vier Regierungen vereinbart
wurde, daß das Abkommen die Einrichtung einer entsprechenden Kontrolle des Geldumlaufs in
Berlin und des Handels Berlins mit den Westzonen vorsehen muss.
( B ) In der von den vier Regierungen am 30. August verabschiedeten Direktive an die
Militärgouverneure wurden die Aufgaben der Kontrolle der Durchführung der finanziellen
Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung und dem Umlauf einer einheitlichen
Währung in Berlin durch die Vier-Mächte-Finanzkommission ausdrücklich vorgesehen. * * *
( C ) Die Sowjetregierung hat bereits ihr Einverständnis damit erklärt, daß der Handel
zwischen Berlin, Drittländern und den Westzonen Deutschlands der Kontrolle der Vier-Mächte-
Finanzkommission unterstellt wird. Die Sowjetregierung erklärt nun ihre Bereitschaft, der
Einrichtung einer Vier-Mächte-Kontrolle auch über die Erteilung von Einfuhr- und
Ausfuhrlizenzen zuzustimmen, sofern in allen anderen Fragen eine Einigung erzielt wird.
79. 26. September 1948.––Die drei Westmächte übermittelten der Sowjetischen
Regierung gleichlautende Noten, in denen sie ihren Beschluß mitteilten, die
gegenwärtigen ergebnislosen Verhandlungen über die verbleibenden Fragen, die eine
Lösung der Berlin-Frage verhindern, zu beenden. Sie wiesen auf die Diskrepanzen
zwischen den von Premier Stalin im August gegebenen Zusicherungen und den
späteren Behauptungen seiner Untergebenen in dieser Verhandlungsreihe hin,
kritisierten die Sowjetische Regierung für ihre lange und anhaltende
Unnachgiebigkeit in Fragen, die den Status von Berlin und die Rechte der drei
Westmächte in der Stadt betreffen, und kamen zu dem Schluss, daß sie nun gezwungen
seien––
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich mit dem Vorgehen der Sowjetischen Regierung zu
befassen. (Diese Befassung des Sicherheitsrates durch die Westmächte erfolgte am 29. September
- siehe Eintrag vom 25. Oktober).
80. 29. September 1948.––Die Stadtverordnetenversammlung der drei West-
sektoren Berlins beschloss (und der Magistrat genehmigte) ein Reglement für die
Durchführung der stadtweiten Wahlen, die sie am 6. September für den 14. November
angesetzt hatte. (Die drei Westkommandanten genehmigten dieses Reglement am 6.
Oktober, aber der sowjetische Kommandant verzögerte seine Genehmigung bis zum
20. Oktober und knüpfte sie an so unmögliche Bedingungen, daß die Wahlen nur in
den drei Westsektoren möglich waren. Die Stadtverordnetenversammlung änderte am
8. Oktober den Termin für diese Wahlen auf den 5. Dezember).
81. 25. Oktober 1948.––Der sowjetische Vertreter im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen legte mit Unterstützung seines ukrainischen Kollegen sein Veto gegen einen
Resolutionsentwurf zur Berlin-Frage ein. Die Resolution––die von einem informellen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 453
Ausschuss ausgearbeitet wurde, der sich aus den sechs nicht direkt am Berlin-Konflikt
beteiligten Mitgliedern des Sicherheitsrates zusammensetzte––schlug vor : ( a ) die
Aufhebung aller seit dem 1. März 1948 sowohl von den sowjetischen als auch von den
westlichen Behörden verhängten Beschränkungen des Verkehrs und der
Kommunikation zwischen der östlichen und der westlichen Besatzungszone in
Deutschland, ( b ) eine sofortige Sitzung der vier Militärgouverneure für
Deutschland, um eine einheitliche Währung für Berlin auf der Grundlage der neuen
Ostmark zu vereinbaren (die Punkte ( a ) und ( b ) werden gemäß der Vier-Mächte-
Richtlinie an die Militärgouverneure vom 30. August durchgeführt), und ( c ) eine
anschließende Tagung des Rates der Außenminister, um alle Deutschland
betreffenden Fragen zu erörtern.
Der sowjetische Vertreter stimmte mit der Begründung dagegen, daß der
Resolutionsentwurf keine „Gleichzeitigkeit“ bei der Aufhebung der Blockade-
maßnahmen und der Vereinheitlichung der Währung Berlins vorsehe.
Die Stadtverordnetenversammlung der Westsektoren Berlins revidiert ihr
Reglement für die gesamtstädtischen Wahlen am 5. Dezember (siehe Eintrag vom 29.
September), um für den Fall, daß die sowjetischen Behörden die Wahlen in Ost-Berlin
verhindern, die 32 Mitglieder der Versammlung, die 1946 aus dem sowjetischen Sektor
gewählt wurden, so lange zu behalten, bis freie Wahlen in Ost-Berlin möglich sind.
82. 27. Oktober 1948.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs gaben in Paris, wo sie an der dritten Tagung
der Generalversammlung der Vereinten Nationen teilnahmen, eine Erklärung über
das sowjetische Veto gegen den Resolutionsentwurf des Sicherheitsrates zur Berlin-
Frage ab. Sie erklärten, daß die drei Regierungen an ihrer „ausdrücklichen
Bereitschaft festhalten, sich von den in der Resolution enthaltenen Grundsätzen leiten
zu lassen“, daß die Frage nach wie vor auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates stehe
und daß die drei Regierungen :
bereit [seien], weiterhin ihre Verpflichtungen zu erfüllen und ihrer Verantwortung als Mitglieder
dieses Gremiums nachzukommen, das nach wie vor in der Lage sei, jede Entwicklung der Lage zu
prüfen.
83. 10. November 1948.––Der West-Berliner Magistrat genehmigt und verkündet
ein Statut zur Gründung der Freien Universität Berlin im Bezirk Dahlem des US-
Sektors als Nachfolgerin der kommunistisch kontrollierten Friedrich-Wilhelm-
Universität im sowjetischen Sektor. (siehe Artikel vom 19. Juni 1948.)
84. 13. November 1948.––Der Generalsekretär der Vereinten Nationen und der
Präsident der Generalversammlung der Vereinten Nationen richteten eine gemein-
same Mitteilung an die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten König-
reichs, Frankreichs und der Sowjetunion, in der sie auf die Notwendigkeit einer
Lösung der Berlin-Frage hinwiesen. Ausgangspunkt ihrer Botschaft war die von der
Generalversammlung am 3. November einstimmig angenommene Resolution, in der–
die Unterzeichnermächte des Moskauer Abkommens vom 24. Dezember 1945 und die Mächte, die
diesem Abkommen später beigetreten sind, aufgefordert wurden, ihre Anstrengungen im Geiste
der Solidarität und des gegenseitigen Verständnisses zu verdoppeln, um in kürzester Zeit die
endgültige Beendigung des Krieges und den Abschluss aller Friedensvereinbarungen zu erreichen.
Sie drängten darauf, daß die vier Mächte unverzüglich Gespräche über die Berlin-
Frage aufnehmen,––
alle anderen notwendigen Schritte zur Lösung dieser Frage unternehmen––
und––
ihre uneingeschränkte und aktive Unterstützung für die––
454 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Vermittlungsbemühungen des Präsidenten des Sicherheitsrates bekunden.


Für uns selbst––
sagten sie––
wir sind bereit, jede weitere Unterstützung zu gewähren, wie zum Beispiel die Währungsstudie,
die derzeit von der Generalversammlung der Vereinten Nationen durchgeführt wird und die den
Großmächten bei der Lösung des Problems sehr hilfreich erscheint.
85. 15. November 1948.––Der sowjetische Kommandant entließ und ersetzte
einseitig Ernst Reuter als Leiter der Magistratsabteilung für Verkehr und öffentliche
Einrichtungen (ein Akt, dem die westlichen Kommandanten nicht zustimmten) und
bewirkte damit eine Spaltung zwischen den drei Westsektoren und dem sowjetischen
Sektor in diesem Bereich der Berliner Verwaltung.
86. 16. November 1948.––In ihrer Antwort auf den Appell des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen und des Präsidenten der Generalversammlung vom 13. November
zur Lösung der Berlin-Frage bekräftigt die Sowjetische Regierung, daß die Vier-
Mächte-Direktive vom 30. August an die Militärgouverneure in Deutschland von den
Westmächten verletzt worden sei und vertrat die Ansicht, daß infolgedessen eine
Sitzung des Rates der Außenminister abgehalten werden sollte, um die Frage einer
gesamtdeutschen Regelung zu erörtern, bei der das Berlin-Problem nur ein Element
sei.
Die sowjetischen Behörden entließen Gustav Klingelhöfer, den Leiter der
Wirtschaftsabteilung des Berliner Magistrats, und ernannten an seiner Stelle Ernst
Dusiska. Dieser Schritt wurde von den westlichen Kommandanten nicht gebilligt und
führte zu zwei konkurrierenden Wirtschaftsabteilungen für Berlin.
87. 17. November 1948.––In ihrer Antwort auf die gemeinsame Mitteilung des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen und des Präsidenten der
Generalversammlung vom 13. November bekräftigten die Vereinigten Staaten,
Großbritannien und Frankreich ihre Unterstützung für die Resolution des
Sicherheitsrates, gegen die der sowjetische Vertreter am 25. Oktober sein Veto
eingelegt hatte, und erklärten ihre Bereitschaft––
sich an den Bemühungen des Sicherheitsrates zur Lösung des Berlin-Problems zu beteiligen und
sich an allen Anstrengungen zu beteiligen, die unternommen werden, um die diesem Problem
innewohnenden grundlegenden Fragen zu lösen, die die Bedrohung des Friedens beseitigen und
die von den betroffenen Parteien in gutem Glauben akzeptiert werden können.
Ihrer Ansicht nach geht es in der Berlin-Krise um die Frage,––
ob es der sowjetischen Regierung gestattet werden kann, Gewalt anzuwenden, sei es in Form einer
Blockade oder durch wirtschaftlichen Druck in Bezug auf Währung, Kredit oder Handel oder auf
andere Weise, um den Westmächten die Beteiligung an der Verwaltung von Berlin zu entziehen.
88. 20. November 1948.––Der Präsident des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen legte jeder der vier am Berlin-Konflikt beteiligten Regierungen eine Liste
mit fünf Fragen vor, um ihre Ansichten über den Charakter, die Funktionen und die
Befugnisse eines Vier-Mächte-Gremiums zur Überwachung der Währungsregelungen
in Berlin und über die Art und Weise, in der der Handel zwischen Berlin und den
westlichen Zonen Deutschlands und Drittländern kontrolliert werden sollte, zu
erfahren.
89. 23. November 1948.––Die vier am Berlin-Streit beteiligten Regierungen (die
drei Westmächte gemeinsam und die Sowjetunion separat) beantworteten den
Fragebogen des Präsidenten des UN-Sicherheitsrates vom 20. November. Die beiden
Antworten waren in Bezug auf die technischen Probleme relativ übereinstimmend. Der
Hauptunterschied bestand in dem Vorschlag der Westmächte, daß der Berliner
Magistrat unter der Aufsicht der vorgeschlagenen Finanzkommission viele der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 455
Aufgaben wahrnehmen sollte, die nach der sowjetischen Antwort direkt von der
Kommission oder von den Kommandanten wahrgenommen werden sollten. Die
westlichen Regierungen forderten außerdem, daß alle getroffenen Vereinbarungen
eine vollständige vierseitige Kontrolle über die Bereitstellung angemessener Mengen
an Bargeld und Krediten in allen vier Sektoren Berlins gewährleisten sollten. Sie
fügten hinzu, daß––
es in der Praxis zwangsläufig schwierig sein wird, eine Vier-Mächte-Kontrolle des Geldes in einer
Stadt auszuüben, in der die frühere einheitliche Verwaltung unter einer Vier-Mächte-
Überwachung derzeit nicht voll funktioniert und sogar schnell abgebaut wird.
90. 29. November 1948.––Der sowjetische Militärgouverneur in Deutschland
schrieb den drei westlichen Militärgouverneuren, daß „Elemente“, die von den drei
westlichen Kommandanten in Berlin unterstützt wurden, für die Aufteilung der
Berliner Verwaltungsstellen verantwortlich seien. Er beschwerte sich insbesondere
über die––
getrennten Wahlen in den Westsektoren am 5. Dezember [die] darauf abzielen, die vereinigten
städtischen Verwaltungsbehörden zu liquidieren, in den Westsektoren einen eigenen Magistrat
für die unkontrollierte Verwaltung dieser Sektoren durch die westlichen Militärbehörden zu
schaffen und die Aktivitäten der antidemokratischen und offen reaktionären Elemente der Stadt
zu fördern.
91. 30. November 1948.––Auf einer „außerordentlichen Sitzung“ der Berliner
Stadtverordnetenversammlung, an der nur die 26 Mitglieder der Sozialistischen
Einheitspartei teilnahmen, ergänzt durch Delegierte der Parteien des
„Demokratischen Blocks“, der Massenorganisationen und der Vertreter der
Industriearbeiter, setzten die sowjetischen Behörden einen eigenen Magistrat für
ihren Sektor von Berlin ein. Friedrich Ebert wurde zum "Oberbürgermeister von Groß
Berlin" gewählt. Je ein Vertreter der christdemokratischen, der liberaldemokratischen
und der sozialdemokratischen Partei Ost-Berlins wurde zum Bürgermeister ernannt,
und die 14 Abteilungsleiter im Magistrat wurden verteilt: 4 an die Sozialistische
Einheitspartei, 3 an die Christdemokraten, 2 an die Liberaldemokraten und 1 an die
Sozialdemokraten, wobei 4 Stellen auf die Massenorganisationen entfielen.
Die drei westlichen Militärgouverneure in Deutschland antworteten in gleicher
Weise auf das Schreiben des sowjetischen Militärgouverneurs vom Vortag, in dem sie
die Rechtmäßigkeit und den Zweck der Wahlen vom 5. Dezember in den drei
westlichen Sektoren Berlins bekräftigten. Angesichts der Schaffung eines eigenen
Magistrats für Ost-Berlin durch die oppositionelle Ost-Berliner
Stadtverordnetenversammlung baten die westlichen Militärgouverneure um Auskunft
darüber––
ob die illegale Aktion dieser Personen mit Ihrer [des sowjetischen Militärgouverneurs]
Zustimmung durchgeführt wurde.
Sie bekräftigten, daß sie wünschten,––
in Berlin eine Situation wiederhergestellt sehen wollen, die den zwischen uns geschlossenen
Vereinbarungen entspricht und die unter vierseitiger Kontrolle die uneingeschränkte Anwendung
der Berliner Verfassung [von 1946], die von den vier Besatzungsmächten gebilligt wurde,
ermöglichen würde.
Der Präsident des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen schlug vor––
die Regierungen Belgiens, Kanadas, Chinas, Kolumbiens und Syriens einzuladen, jeweils einen
Finanz- oder Wirtschaftsexperten zu benennen, die zusammen mit einem von der Regierung
Argentiniens benannten Experten in Paris zusammentreten und die Aufgabe haben, die
gerechtesten Bedingungen zu prüfen und dem Präsidenten des Sicherheitsrates eine Empfehlung
zu unterbreiten, unter Berücksichtigung der Direktive vom 30. August 1948 sowie der
Informationen über die danach eingetretenen Ereignisse eine Vereinbarung zwischen den
Besatzungsmächten über die Einführung, den Umlauf und die fortgesetzte Verwendung einer
456 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

einheitlichen Währung für Berlin unter angemessener Vier-Mächte-Aufsicht sowie über Ein- und
Ausfuhrbestimmungen im Zusammenhang mit dem Außenhandel Berlins zu treffen.
Ein Mitglied des britischen Sekretariats sollte dieser Gruppe angehören, deren
Ergebnisse innerhalb von dreißig Tagen vorliegen sollten.
92. 1. Dezember 1948.––Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und
Frankreich begrüßten gemeinsam den Vorschlag des Präsidenten des Sicherheitsrates
vom Vortag, fügten jedoch hinzu, daß––
( a ) „Sie sich“ ihren Standpunkt „in Bezug auf jede Resolution, die dem
Sicherheitsrat nach dem Bericht des Ausschusses vorgelegt wird, vollständig
vorbehalten [müssen]. Sie müssten eine solche Resolution im Lichte des Berichts
des Ausschusses und der zu diesem Zeitpunkt herrschenden allgemeinen
Umstände prüfen.“
( b ) „Die drei Regierungen * * * wiederholen den Vorbehalt ihres Rechts
* * * die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um unter diesen Umständen
ihre Stellung in Berlin aufrechtzuerhalten, bis das Ergebnis der weiteren
Bemühungen des Präsidenten des Sicherheitsrates vorliegt, an denen
Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten mitgewirkt
haben und weiterhin mitwirken werden.“
(Die sowjetische Regierung nahm den Vorschlag des Präsidenten des
Sicherheitsrates am 4. Dezember an).
Der reguläre Berliner Magistrat wurde aus dem Rathaus im sowjetischen Sektor
vertrieben ; er zog provisorisch in den britischen Sektor um.
93. 3. Dezember 1948.––Die sowjetische Kommandantur von Berlin teilte der neu
gebildeten Ostberliner Verwaltung mit, daß „die sowjetische Kommandantur den in
der außerordentlichen Sitzung gewählten vorläufigen demokratischen Magistrat von
Groß-Berlin als einziges rechtmäßiges Organ der Stadtverwaltung anerkennt“.
94. 5. Dezember 1948.––Bei den Wahlen in den drei westlichen Sektoren Berlins
erhielten die Sozialdemokraten 76 (16 aus dem sowjetischen Sektor übernommene) der
130 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung. Die Christdemokraten erhielten 26
(davon 5 aus dem sowjetischen Sektor) und die Freien Demokraten 17. Die 11
Kommunisten, die 1946 aus dem sowjetischen Sektor gewählt worden waren––und die
nach der am 25. Oktober geänderten Wahlordnung der Stadtverordnetenversammlung
ihren Sitz in der Stadtverordnetenversammlung behalten durften, weil es im
sowjetischen Sektor keine Wahlen gab––lehnten es ab, in diesem Gremium zu sitzen.
95. 7. Dezember 1948.––Ernst Reuter wurde von der alten Stadtverordneten-
versammlung der drei Westsektoren Berlins zum Oberbürgermeister gewählt, der sein
Amt bis zur Übernahme durch die neu gewählte Stadtverordnetenversammlung im
Januar ausübte.
96. 21. Dezember 1948.––Die drei westlichen Kommandanten in Berlin, die seit dem
Austritt des sowjetischen Kommandanten aus der Alliierten Kommandantur am 16.
Juni in ihren drei Sektoren gleichzeitige, aber getrennte Befehle erteilt hatten,
kündigten an, daß sie von nun an auf einer trilateralen Basis arbeiten würden,
während sie gleichzeitig eine fortgesetzte Einladung an den sowjetischen
Kommandanten aufrechterhielten, der Kommandantur auf einer viergliedrigen Basis
wieder beizutreten.
97. 5. Januar 1949.––Die sowjetischen Behörden in Ostdeutschland reduzierten die
in die Westsektoren Berlins übertragene elektrische Energie von 88 auf 36 Tausend
Kilowattstunden täglich. Dies war nur eine von vielen Maßnahmen, die von den
sowjetischen Behörden oder von deutschen Beamten unter ihrer Aufsicht im Januar
und Februar ergriffen wurden, um die westlichen Sektoren zu benachteiligen––wie
zum Beispiel die Forderung nach sowjetischen Kennzeichen für Fahrzeuge, die in
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 457
diesen Sektor einfahren wollten, die Forderung nach Sondergenehmigungen für die
Beförderung von Waren aus dem sowjetischen Sektor in die westlichen Sektoren und
die Einrichtung von konkurrierenden oder separaten Behörden, die im sowjetischen
Sektor Aufgaben übernehmen sollten, die zuvor von den bestehenden städtischen
Behörden für die gesamte Stadt wahrgenommen wurden.
98. 14. Januar 1949.––Die am 5. Dezember 1948 gewählte Stadtverordneten-
versammlung hielt ihre erste Sitzung im Rathaus Schöneberg im amerikanischen
Sektor ab, wählte Dr. Ernst Reuter erneut zum Oberbürgermeister und Dr. Otto Suhr
zum Vorsitzenden der Versammlung. (In einer Sitzung am 19. Januar wählte die
Stadtverordnetenversammlung einen vom Oberbürgermeister vorgeschlagenen 14-
köpfigen Magistrat, bestehend aus 8 Sozialdemokraten, 3 Christdemokraten und 3
Liberaldemokraten.)
99. 20. Januar 1949.––Im sowjetischen Sektor Berlins wurde als Ersatz für eine
Stadtverordnetenversammlung ein „ständiger Arbeitsausschuss“ aus je 5 Mitgliedern
der Sozialistischen Einheitspartei, der Liberal-Demokratischen Partei und der
Christlich-Demokratischen Union sowie Vertretern der „demokratischen
Massenorganisationen“ gebildet.
100. 30. Januar 1949.––In seiner Antwort auf eine Reihe von Fragen, die ihm am
27. Januar von Kingsbury Smith, dem Generaldirektor des Internationalen
Nachrichtendienstes in Europa, vorgelegt wurden, erklärte sich Premierminister
Stalin bereit, die Berlin-Blockade aufzuheben, wenn die Westmächte die Gründung
eines westdeutschen Staates aufschieben und sich bereit erklären würden, an einer
Außenministerkonferenz der vier Mächte über Deutschland teilzunehmen, „allerdings
unter der Bedingung, daß die von den drei [West-]Mächten eingeführten Verkehrs-
und Handelsbeschränkungen gleichzeitig aufgehoben werden“.
101. 2. Februar 1949.––In seinem Kommentar zu den Antworten von Premier Stalin
vom 30. Januar auf die Fragen von Kingsbury Smith wiederholte Außenminister
Acheson auf seiner wöchentlichen Pressekonferenz die von den Westmächten oft
gemachten Zusicherungen, daß „Vereinbarungen über Westdeutschland in keiner
Weise eine Vereinbarung über Deutschland als Ganzes ausschließen“ und daß alle in
bezug auf Westdeutschland unternommenen Schritte „rein provisorisch sind, bis eine
solche Vereinbarung über Deutschland als Ganzes vorliegt“. Er versprach, daß „wenn
die sowjetische Regierung einen normalen Verkehr mit und innerhalb Berlins zulässt,
ihre [der Westmächte] Gegenmaßnahmen selbstverständlich aufgehoben werden“. In
bezug auf die Abhaltung eines Treffens der Außenminister sagte Herr Acheson :
Es gibt viele Möglichkeiten, wie ein ernsthafter Vorschlag der sowjetischen Regierung zur
Wiederherstellung der normalen interzonalen Kommunikation und der Kommunikation mit und
innerhalb Berlins gemacht werden könnte. Alle Kanäle sind offen für Vorschläge zu diesem Zweck.
Die Vereinigten Staaten würden natürlich zusammen mit den anderen westlichen
Besatzungsmächten jeden Vorschlag zur Lösung des Berlin-Problems sorgfältig prüfen, der mit
ihren Rechten, ihren Pflichten und ihren Verpflichtungen als Besatzungsmächte vereinbar ist.
102. 17. Februar 1949.––Der Ostberliner „Magistrat“ ordnete die Wiedereinführung
von Haus- und Straßenwächtern im sowjetischen Sektor nach dem System der
Nationalsozialisten an. Die Wiedereinführung des Systems sollte bis zum 15. März
abgeschlossen sein.
103. 2. März 1949.––Die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen
Deutschlands teilten dem Westdeutschen Parlamentarischen Rat unter Bezugnahme
auf den vom Rat am 10. Februar angenommenen Entwurf des Grundgesetzes mit, daß
sie mit dem Teil des Artikels 22 nicht einverstanden sind, der die Eingliederung
Berlins in die Bundesrepublik mit gesondertem Länderstatus vorsieht. Sie schlugen
jedoch vor, daß „nichts dagegen einzuwenden wäre, wenn die zuständigen Behörden in
458 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Berlin eine kleine Anzahl von Vertretern benennen würden, die an den Sitzungen des
[Bundes-]Parlaments teilnehmen“.
104. 15.–18. März 1949.––Der sowjetische Vertreter im UN-Sicherheitsrat teilte
dem stellvertretenden US-Vertreter, der sich am 15. Februar informell erkundigt
hatte, mit, daß es „kein Zufall“ sei, daß Premier Stalin in seinem Presseinterview vom
30. Januar keinen Hinweis auf das Währungsproblem in Berlin gegeben habe. Nach
sowjetischer Auffassung könnte diese Frage am besten auf einer Tagung der
Außenminister erörtert werden, die zur Erörterung des gesamten deutschen Problems
einberufen wird. Der stellvertretende US-Vertreter erkundigte sich daraufhin, ob die
Außenministerkonferenz vor oder nach der Aufhebung der Berlin-Blockade stattfinden
solle. Der sowjetische Vertreter antwortete am 21. März, daß die von beiden Seiten in
Berlin verhängten Beschränkungen aufgehoben werden könnten, sobald ein fester
Termin für ein Außenministertreffen zur Erörterung des gesamten deutschen
Problems festgelegt worden sei.
105. 16. März 1949.––Am 11. Februar wurde dem UN-Sicherheitsrat ein Bericht des
am 30. November 1948 eingesetzten UN-Sonderausschusses für Währung und Handel
in Berlin vorgelegt. Der Bericht berichtet über die vergeblichen Bemühungen des
Ausschusses, den Währungs- und Handelsstreit in der Stadt beizulegen. In einer
gesonderten Erklärung, die gleichzeitig veröffentlicht wurde, betonten die Vereinigten
Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich, daß die Weigerung der
Sowjetunion, die zahlreichen einseitigen Maßnahmen der sowjetischen Behörden in
Berlin, die die Stadtverwaltung gespalten hatten, zurückzunehmen, der Grund für das
Scheitern des Ausschusses war, eine zufriedenstellende Lösung des Problems zu
finden. Die drei Regierungen erklärten, sie seien weiterhin bereit––
jede gerechte Lösung in Betracht zu ziehen, die die legitimen Interessen sowohl des westlichen als
auch des östlichen Teils der Stadt in angemessener Weise schützt.
106. 17. März 1949.––Der Ostberliner Magistrat beschließt ein Sozialisierungs-
gesetz für den sowjetischen Sektor Berlins. (Ein Dekret vom 25. April enteignet
faktisch Häuser und Grundstücke in Ost-Berlin, und ein Gesetz vom 1. Mai bewirkt
die „Vergesellschaftung“ aller Banken, Versicherungen und verwandter
Unternehmen.)
107. 20. März 1949.––Die West-Berliner Kommandanten ordnen an, daß ab diesem
Datum die Westmark als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel in den drei
Westsektoren verwendet wird. Die Inhaber von Ostmark in den Westsektoren dürfen
diese im Verhältnis 1:1 bis zu 15 Mark umtauschen.
108. 8. April 1949.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des Vereinigten
Königreichs und Frankreichs trafen sich in Washington und unterzeichneten eine
Reihe von Vereinbarungen, in denen die Grundprinzipien für die Zusammenlegung
ihrer drei Besatzungszonen festgelegt wurden, einschließlich der Einrichtung der
Alliierten Hohen Kommission und der Harmonisierung ihrer Tätigkeit mit den
Bestimmungen des Besatzungsstatuts für Deutschland. Sie fügten diesen
Vereinbarungen eine „Vereinbarte Niederschrift über Berlin“ bei, die wie folgt lautete :
Es wurde vereinbart, daß die Bestimmungen des Abkommens über die trilateralen Kontrollen so
weit wie möglich auf die westlichen Sektoren Berlins angewandt werden sollen.
Es wurde ein Entwurf für ein vereinfachtes Besatzungsstatut vereinbart und dem
Parlamentarischen Rat in Bonn übermittelt.
109. 20. April 1949.––Der amerikanische Militärgouverneur in Deutschland erließ
das Vermögenskontrollgesetz Nr. 19, mit dem den Bundesländern in der
amerikanischen Besatzungszone und der Stadt West-Berlin (in Bezug auf das
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 459
Vermögen im US-Sektor) das Eigentum und der Anspruch auf das Vermögen
übertragen wurde, das sich vor dem 8. Mai 1945 im Besitz des Reichs, der
Bundesländer und Provinzen befand. (Eine ähnliche Maßnahme wurde vom
französischen Militärgouverneur am 6. Juni ergriffen).
110. 22. April 1949.––Die Militärgouverneure der Westzonen übermittelten dem
Deutschen Parlamentarischen Rat in Bonn förmlich die Ansichten der Außenminister
der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs zum Entwurf
des Grundgesetzes für Deutschland, die die Außenminister den Militärgouverneuren
am 8. April übermittelt hatten. Die Außenminister sprachen sich u.a. dafür aus, daß
Berlin „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ nicht „als Land in die ursprüngliche
Organisation der [deutschen] Bundesrepublik einbezogen“ werden sollte.
111. 4. Mai 1949.––Die Vertreter der vier Besatzungsmächte in Deutschland im
UN-Sicherheitsrat, die bereits am 5., 10. und 27. April Gespräche geführt hatten,
gaben ein Kommuniqué heraus, in dem sie erklärten, daßs ihre Regierungen
übereinge-kommen seien, ( a ) bis zum 12. Mai die von ihnen verhängten
Beschränkungen des Nachrichtenverkehrs, des Transports und des Handels zwischen
Berlin und den östlichen und westlichen Besatzungszonen in Deutschland aufzuheben
und ( b ) eine Tagung des Rates der Außenminister abzuhalten, um :
Probleme [zu erörtern], die sich aus der Lage in Berlin ergeben, einschließlich der Frage der
Währung in Berlin.
112. 8.–12. Mai 1949.––Der Westdeutsche Parlamentarische Rat billigte am 8. Mai
mit 53 zu 12 Stimmen die endgültige Fassung des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland, das in Artikel 23 (Artikel 22 des Entwurfs vom 10.
Februar) „Groß-Berlin“ als eines der Bundesländer nennt, in denen das Grundgesetz
Anwendung findet, und in Artikel 144 Absatz 2 (in Bezug auf Berlin) festlegt, daß––
soweit die Anwendung des Grundgesetzes auf eines der in Artikel 23 Abs. 1 genannten Länder
oder auf einen Teil eines dieser Länder beschränkt ist, hat dieses Land oder ein Teil dieses Landes
das Recht, * * * Vertreter in den Bundestag und * * * in den Bundesrat zu entsenden.
Am 12. Mai billigen die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen
Deutschlands in einem Schreiben an den Parlamentarischen Rat der Bundesrepublik
Deutschland den endgültigen Entwurf des Grundgesetzes für Deutschland, fügen
jedoch in Bezug auf Berlin den Vorbehalt hinzu, daß––
wir die Wirkung der Artikel 23 und 144 Absatz 2 des Grundgesetzes so auslegen, daß unsere
frühere Forderung [siehe Eintrag vom 2. März] akzeptiert wird, daß Berlin zwar keine
stimmberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhält und auch nicht dem Bund
untersteht, daß es jedoch eine kleine Anzahl von Vertretern benennen kann, die an den Sitzungen
dieser gesetzgebenden Organe teilnehmen.
113. 10.–28. Mai 1949.––Der Parlamentarische Rat der Bundesrepublik Deutsch-
land hat am 10. Mai in Bonn den Entwurf eines Wahlgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland verabschiedet, der folgende Regelung für die Vertretung Berlins im
Bundestag enthält :
Der Parlamentarische Rat empfiehlt, daß die Stadtverordnetenversammlung von Berlin bis
zum Beitritt des Landes Berlin zur Bundesrepublik Deutschland 15 Vertreter aus ihrer Mitte mit
beratender Stimme in den Bundestag entsendet.
(Dies stellt eine Verringerung gegenüber den im Entwurf vom 24. Februar
vorgesehenen 30 Vertretern für das Land Berlin dar).
460 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Am 28. Mai teilten die drei westlichen Militärgouverneure den Ministerpräsidenten


der Bundesländer der drei westlichen Besatzungszonen mit, daß im Hinblick auf die
in Artikel 26 des Wahlgesetzes vorgesehene Vertretung Berlins im Bundestag––
15 beratende Abgeordnete aus Berlin über die „geringe Anzahl“ hinausgehen und daß sie [die
Militärgouverneure] keinesfalls bereit sind, mehr als acht zuzulassen.
114. 12. Mai 1949.––Die Blockade von Berlin, die 10 Monate und 23 Tage gedauert
hatte, wurde um 12:01 Uhr aufgehoben.
115. 14. Mai 1949.––Die drei westlichen Kommandanten in Berlin gaben mit
Zustimmung der Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen
Deutschlands eine „Grundsatzerklärung“ an die Berliner Stadtregierung ab, mit der
Berlin ein Maß an Selbstverwaltung zugestanden werden sollte, das mit dem
vergleichbar ist, das den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands im
Besatzungsstatut vom 8. April 1949 gewährt wurde. Die Kommandanten behielten
sich––
das Recht vor, die Ausübung der vollen Staatsgewalt ganz oder teilweise wieder aufzunehmen,
wenn sie der Auffassung sind, daß dies für die Sicherheit oder die Aufrechterhaltung einer
demokratischen Regierung oder in Erfüllung der internationalen Verpflichtungen ihrer
Regierungen unerläßlich ist.
Weiterhin––
behalten sich die Besatzungsbehörden unter den in Berlin herrschenden besonderen Umständen
das Recht vor, im Notfall einzugreifen und Anweisungen zu erteilen, um die Sicherheit, die gute
Ordnung und die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität der Stadt zu gewährleisten.
(Die Übertragung der Befugnisse auf den West-Berliner Magistrat gemäß der
Grundsatzerklärung erfolgte am 15. Juni.)
116. 15.–16. Mai 1949.––In der gesamten sowjetischen Zone Deutschlands und im
sowjetischen Sektor Berlins wurden 1525 Delegierte für einen dritten „Deutschen
Volkskongress“ gewählt, wobei Ost-Berlin davon 25 Delegierte aus seiner
sozialdemokratischen Partei wählen durfte. Von dieser Gesamtzahl wurden nur 1400
tatsächlich „gewählt“. Darüber hinaus wurden in den drei Westzonen Deutschlands
616 Delegierte gewählt. Zweck der Wahl eines solchen Kongresses war es, eine
Verfassung für ganz Deutschland zu ratifizieren. (Die westlichen Militärgouverneure
hatten am 22. April die Nutzung jeglicher offizieller Einrichtungen in
Westdeutschland und West-Berlin im Zusammenhang mit diesen Wahlen verboten.)
117. 15.–19. Mai 1949.––Die sowjetische Militäradministration in Ostdeutschland
führte bestimmte Verkehrsbeschränkungen zwischen den Ost- und Westzonen
Deutschlands sowie zwischen West-Berlin und den Westzonen wieder ein und hob sie
nach Protesten der drei westlichen Militärgouverneure auf. Zu diesen Beschränkungen
gehörten : ( a ) das Erfordernis von „Absichtserklärungen“ zusätzlich zu zonen-
übergreifenden Pässen für nicht-offizielle Reisen aus den Westzonen in oder durch die
Sowjetzone, ( b ) Forderungen nach zusätzlichen Dokumenten für Gütertransporte
von West-Berlin in die Westzonen und ( c ) die „Versiegelung“ westdeutscher
Personenzüge in der Sowjetzone.
118. 21. Mai 1949.––Die nichtkommunistischen Mitglieder der Berliner
Eisenbahnergewerkschaft streikten für die Auszahlung ihrer Gehälter durch die
Ostberliner Eisenbahnverwaltung in Westmark. (Der Streik dauerte bis zum 28. Juni.
Ab dem 27. Mai wurde der Bahnverkehr aus den Westzonen nach Berlin eingestellt.
Bis zur Beilegung des Streiks wurden Busse und Flugzeuge für den Personenverkehr
und Lastwagen und Flugzeuge für den Güterverkehr eingesetzt.)
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 461
Die Stadtverordnetenversammlung von West-Berlin stimmte einstimmig für das
Grundgesetz für Westdeutschland (das zuvor am 19. Mai vom Magistrat verabschiedet
worden war). (Berlin war nach den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht
verpflichtet, seine Zustimmung oder Ablehnung zu den Bestimmungen des
Grundgesetzes zu äußern).
119. 23. Mai 1949.––In Paris wurde die Sechste Tagung des Rates der
Außenminister eröffnet, um die Berliner Frage und das größere Problem Deutschlands
zu erörtern.
120. 3. Juni 1949.––Die vier Berliner Kommandanten trafen sich zum ersten Mal
seit Juli 1948 als Vierergruppe und konnten sich nicht über Maßnahmen zur Beilegung
des Eisenbahnerstreiks einigen.
121. 7. Juni 1949.––Die drei westlichen Kommandanten unterzeichneten in Berlin
eine Vereinbarung über die „Revidierte Geschäftsordnung für den Alliierten
Kontrollrat“, die dessen trilaterale Aktivitäten mit denen der Alliierten Hohen
Kommission in Bonn in Einklang brachte. Eine wichtige Abweichung von der
bisherigen Verfahrensweise bestand darin, daß die Kommandantur nur bei der
Genehmigung von Änderungen der Berliner Verfassung einstimmig abstimmen
mußte ; in allen anderen Fragen genügte ein Mehrheitsbeschluß. Außerdem wurde die
Möglichkeit vorgesehen, die Hohe Kommission in jeder Angelegenheit anzurufen, in
der ein Kommandant anderer Meinung war.
122. 15. Juni 1949.––In allen Bundesländern der drei westlichen Besatzungszonen
wurde ein Wahlgesetz für Westdeutschland verkündet. Für Berlin sah es entsprechend
den Wünschen der drei westlichen Militärgouverneure (siehe Eintrag vom 10. bis 28.
Mai) eine geringere Vertretung im westdeutschen Bundestag vor, als ursprünglich
vorgesehen war. Artikel 26, der sich auf Berlin bezog, lautete :
Groß-Berlin hat das Recht, acht Abgeordnete mit beratender Stimme in den Bundestag zu
entsenden, bis das Land Berlin der Bundesrepublik Deutschland beitreten wird.
(Das Gesetz war am 31. Mai von den Ministerpräsidenten der westdeutschen
Bundesländer und am 12. Juni von den westlichen Militärgouverneuren genehmigt
worden.)
123. 20. Juni 1949.––Der Rat der Außenminister, der sich seit dem 23. Mai mit der
Deutschlandfrage befaßt hatte, beendete seine sechste Sitzung mit einem
Kommuniqué, in dem die Außenminister übereinkamen, das „New Yorker Abkommen
vom 4. Mai 1949“ „aufrechtzuerhalten“ und künftige Konsultationen abzuhalten, die
„unter anderem zum Ziel haben werden, die Auswirkungen der gegenwärtigen
administrativen Teilung Deutschlands und Berlins insbesondere in den Bereichen“
Handel, Wirtschafts- und Finanzbeziehungen, Reiseverkehr, Informationsaustausch
und––
Fragen von gemeinsamem Interesse im Zusammenhang mit der Verwaltung der vier Sektoren in
Berlin zu mildern.
124. 24. Juni 1949.––Der amerikanisch-britische Wirtschaftsrat des Bizonalen
Wirtschaftsraums beschloss, West-Berlin in dieses Gebiet einzubeziehen.
125. 8.–14. Juli 1949.––Die sowjetischen Behörden in Ostdeutschland schlossen die
wichtigsten Grenzübergänge zwischen ihrer Zone und dem Westen und beschränkten
den Straßenverkehr nach Berlin auf eine Autobahn. Nachdem die drei westlichen
Kommandanten am 12. Juli in Berlin vorstellig geworden waren, wurden alle diese
Beschränkungen aufgehoben.
462 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

126. 26. Juli 1949.––Die vier Militärgouverneure für Deutschland trafen sich in
Berlin und vereinbarten die Einsetzung von zwei Expertengruppen, von denen die eine
Pläne für die Normalisierung des grenzüberschreitenden Handels ausarbeiten sollte,
während sich die andere ausschließlich mit Fragen befassen sollte, die Berlin
betreffen. (Die erste Gruppe, die sich aus Vertretern der Wirtschaftsministerien von
West- und Ostdeutschland zusammensetzte, schloss am 8. Oktober eine Vereinbarung.
Die zweite Gruppe, die nur Berlin betreffende Fragen behandelte und aus den vier
Berliner Kommandanten bestand, erzielte keine positiven Ergebnisse und brach ihre
Verhandlungen am 28. September ab.)
127. 6. August 1949.––Nach Erhalt eines Memorandums des Westberliner
Magistrats, in dem die Aufnahme Berlins in das Europäische Wiederaufbauprogramm
beantragt wird (30. Juli), empfahlen die drei Westkommandanten in Berlin den drei
westlichen Militärgouverneuren, Berlin in irgendeiner Form Hilfe zu gewähren, um
die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Stadt aufzuhalten. (Der für
Deutschland zuständige Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten kündigte daraufhin
am 16. August an, daß West-Berlin eine Marshallplan-Hilfe in Höhe von 55 Millionen
DM erhalten würde.)
128. 13. August 1949.––Die Vereinigten Staaten, Belgien, Brasilien, Kanada,
Ceylon, China, Frankreich, Indien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Pakistan,
die Südafrikanische Union, das Vereinigte Königreich, Syrien und die Dominikanische
Republik unterzeichneten in Annecy eine Absichtserklärung, mit der die Vorzüge der
Meistbegünstigung, die den drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland durch
das Abkommen vom 14. September 1948 gewährt wurde, auf die drei westlichen
Sektoren Berlins ausgedehnt wurden.
129. 14. August 1949.––Zeitgleich mit den Bundestagswahlen in Westdeutschland
bestimmte die Stadtverordnetenversammlung der drei Westsektoren Berlins 8
beratende Abgeordnete für den Bundestag. Fünf Sozialdemokraten, 2
Christdemokraten und 1 Freier Demokrat wurden gewählt. (Die Westkommandanten
hatten am 25. Juni den in dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 21.
Juni enthaltenen Antrag abgelehnt, eine Maßnahme zu ergreifen, die eine Teilnahme
Berlins an den allgemeinen Wahlen ermöglichen würde. Es wurde beantragt, daß die
Westmächte ihren Vorbehalt––siehe 8. Mai––gegenüber dem Teil des Artikels 23 des
Grundgesetzes für Deutschland, in dem Groß-Berlin als Land aufgeführt ist,
aufheben.)
130. 5. September 1949.––Der Magistrat der drei Westsektoren Berlins ernannte 4
nicht stimmberechtigte Vertreter für die auf Berlin entfallenden Sitze im Bundesrat
in Bonn.
131. 17. September 1949.––Ein Vorschlag des Freien Deutschen Gewerkschafts-
bundes der Sowjetzone vom 16. September für eine gemeinsame Sitzung mit der
Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation West-Berlins zur Planung der
Normalisierung der Verhältnisse in ganz Berlin wurde von letzterer abgelehnt, solange
die Gewerkschaft der Sowjetzone nicht bereit ist, sich den Entlassungen von West-
Berliner Beschäftigten durch die Ost-Berliner Eisenbahnverwaltung zu widersetzen.
132. 21. September 1949.––Mit dem Inkrafttreten des Besatzungsstatuts für
Deutschland und der Charta der Alliierten Hohen Kommission wurde die
Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Hauptstadt Bonn offiziell gegründet.
133. 30. September 1949.––Die Berliner Luftbrücke wurde beendet.
134. 7. Oktober 1949.––Der im sowjetischen Sektor Berlins tagende „Deutsche
Volksrat“ übernahm seine gesetzgeberischen Aufgaben als „Volkskammer“ gemäß der
am 19. März von einem früheren „Volksrat“ angenommenen und am 30. Mai vom
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 463
Dritten „Deutschen Volkskongress“ verabschiedeten Verfassung. Er rief die „Deutsche
Demokratische Republik“ mit Berlin als Hauptstadt aus, verkündete die ostdeutsche
Verfassung, wählte eine provisorische Regierung, die bis zur Wahl eines neuen
Abgeordnetenhauses amtieren sollte, legte den 15. Oktober 1950 als Termin für diese
Wahlen fest, legte die Grundlagen für die Wahl der Mitglieder des Oberhauses
(„Länderkammer“) fest und verabschiedete ein 20 Punkte umfassendes „Manifest“, in
dem unter anderem eine „Normalisierung“ des Lebens in Berlin gefordert wurde.
(Am 10. Oktober wählten die fünf ostdeutschen Bundesländer 34 Delegierte für die
„Länderkammer“ und der sowjetische Sektor Berlins––der nach der ostdeutschen
Verfassung nicht als Bundesland gilt––wählte 7 nicht stimmberechtigte „Beobachter“.
Am 16. Oktober erlaubte die „Volkskammer“ ihren Ostberliner Mitgliedern, als
Mitglieder ihrer politischen Parteien an den Abstimmungen in der Kammer
teilzunehmen. Das gleiche Privileg wurde den Ostberliner Mitgliedern der
Länderkammer nicht gewährt).
135. 8. Oktober 1949.––Die West-Berliner Stadtverordnetenversammlung trat zu
einer außerordentlichen Sitzung zusammen, verurteilte die Gründung der „Deutschen
Demokratischen Republik“ und verabschiedete einen Beschluss, in dem die Deutsche
Bundesrepublik in Bonn aufgefordert wurde, Berlin zu ihrer Hauptstadt zu machen
und alle Bundesbehörden an sie zu übertragen.
Die west- und ostdeutschen Behörden schließen ein Abkommen über den Austausch
von Waren im Wert von 570 Millionen DM in der Zeit vom 1. November 1949 bis zum
30. Juni 1950. Etwa ein Drittel der ostdeutschen Aufträge für westdeutsche Waren
sollten an Westberliner Betriebe vergeben werden.
136. 10. Oktober 1949.––Die Sowjetregierung kündigte die Auflösung der
Sowjetischen Militäradministration in ihrer Besatzungszone in Deutschland an und
ersetzte sie durch eine Sowjetische Kontrollkommission.
137. 20. Oktober–7. November 1949.––Der Bundestag in Bonn verabschiedete ein
Gesetz, mit dem ein finanzielles und wirtschaftliches Hilfsprogramm für West-Berlin
bewilligt wurde.
Diesem Schritt folgte am 21. Oktober eine Erklärung der Alliierten Hohen
Kommission in Bonn, in der die laufenden Verhandlungen zwischen der Hohen
Kommission und der Bonner Regierung über die Wirtschaftshilfe für Berlin dargelegt
wurden, wobei alle Beteiligten „von der Notwendigkeit sofortigen Handelns überzeugt“
waren.
Am 27. Oktober einigten sich Vertreter des West-Berliner Magistrats, des
westdeutschen Bundesfinanzministeriums und der Finanzminister der westdeutschen
Bundesländer darauf, daß West-Berlin bis März 1950 einen monatlichen Zuschuß von
60 Millionen DM aus Bundesmitteln erhalten sollte.
Am darauffolgenden Tag, dem 28. Oktober, vereinbarten die Bundesregierung und
die Delegation der Economic Cooperation Administration (ECA) in Deutschland die
sofortige Bereitstellung von 44 Millionen DM der 55 Millionen DM Gegenwertmittel
(die am 16. August vom amerikanischen Hohen Kommissar als für Berlin bestimmt
angekündigt worden waren) für die Wiederherstellung der Betriebsbereitschaft des
Elektrizitätswerks Spandau. Die restlichen 11 Millionen DM wurden kurz darauf für
dieses Projekt bereitgestellt.
Am 7. November erklärte sich die Bundesregierung bereit, die Schätzungen West-
Berlins für die Marshallplan-Hilfe in alle künftigen Schätzungen des Bundes
einzubeziehen, woraufhin der West-Berliner Magistrat seinen Antrag vom 30. Juli auf
direkte Beteiligung am European Recovery Program zurücknahm.
464 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

138. 21. Oktober 1949.––Neben der Zusicherung wirtschaftlicher Hilfe für Berlin
(wie im Eintrag vom 20. Oktober bis 7. November 1949 beschrieben) wurde in der
Erklärung der Alliierten Hohen Kommission von diesem Tag darauf hingewiesen, daß
die Hohe Kommission „erneut die besondere Lage Berlins in Betracht gezogen“ habe
und daß die drei alliierten Regierungen entschlossen seien, „ihre Rechte und Pflichten
in dieser Stadt sowie die wirtschaftlichen und politischen Interessen ihrer Einwohner
zu wahren“. In der Erklärung wurde bekräftigt, daß Berlin die „vollste moralische und
materielle Unterstützung“ der Hohen Kommission genieße und von der Hohen
Kommission als „in besonderer Weise der Obhut der westlichen Besatzungsmächte
anvertraut“ betrachtet werde.
139. 10. November 1949.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs einigten sich am Ende einer zweitägigen
Konferenz in Paris (9.–10. November) auf eine Weisung an ihre jeweiligen Hohen
Kommissare in Bonn über die Zukunft der Abbauarbeiten in Deutschland,
einschließlich der Anweisung zur vollständigen Einstellung des Abbaus in Berlin.
(Diese Anweisungen wurden im Petersburger Protokoll vom 22. November 1949
formell festgehalten.)
140. 12. November 1949.––Der sowjetische Kommandant in Berlin übertrug dem
Ostberliner „Magistrat“ die Verwaltungsaufgaben, die zuvor von der sowjetischen
Kommandantur wahrgenommen wurden.
141. 6.–15. Dezember 1949.––Die drei westlichen Kommandanten in Berlin
kündigten an, sie würden die am 28. September abgebrochenen Gespräche mit ihren
sowjetischen Kollegen über Maßnahmen zur Normalisierung der Lage in Berlin erst
dann wieder aufnehmen, wenn die sowjetischen Behörden sich bereit erklärten, die
Bedingungen der Beilegung des Eisenbahnstreiks einzuhalten. Im Gegenzug lud die
sowjetische Kontrollkommission am 15. Dezember die drei westlichen Kommandanten
zur Wiederaufnahme der regelmäßigen Vierersitzungen des Alliierten Kontrollrats
ein.
142. 15. Dezember 1949.––Der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten und der
deutsche Bundeskanzler unterzeichneten in Bonn ein Abkommen über wirtschaftliche
Zusammenarbeit, das am 29. Dezember vorläufig in Kraft trat und bis zum 30. Juni
1953 gelten sollte ; Artikel VII dieses Abkommens lautete :
Die Bundesrepublik erklärt sich bereit, dem amerikanischen, dem britischen und dem
französischen Sektor Berlins im größtmöglichen Umfang die Unterstützung zu gewähren, die nach
Konsultationen zwischen den Regierungen der Bundesrepublik und der Stadt Berlin für die
wirtschaftliche Aufrechterhaltung und Entwicklung dieses Gebietes als notwendig erachtet wird.
In Absatz 10 des Anhangs zu diesem Abkommen haben sich die Vereinigten Staaten
verpflichtet––
bei der Festsetzung der Verpflichtungen der Bundesrepublik * * * die wirtschaftliche, finanzielle
und haushälterische Lage der Bundesrepublik und Berlins zu berücksichtigen.
Zeitgleich mit der Unterzeichnung dieses Abkommens gab der US-Kommandant in
Berlin den Umfang und die beabsichtigte Verwendung der Gegenwertmittel bekannt,
die Berlin im Rahmen dieses Abkommens zur Verfügung gestellt werden. Von den
insgesamt 95.000.000 DM waren 50.000.000 DM für den Wohnungsbau und die
Kleinindustrie, 40.000.000 DM für die Schwerindustrie und 5.000.000 DM für
öffentliche Kommunikations- und Verkehrssysteme vorgesehen.
143. 13. Januar 1950.––Die drei westlichen Kommandanten in Berlin beschwerten
sich beim sowjetischen Kommandanten darüber, daß die Sowjets die Zusagen, die eine
Beilegung des Eisenbahnstreiks in Berlin am 28. Juni 1949 ermöglicht hatten, nicht
eingehalten hatten. Sie bekundeten ihre Bereitschaft, den Vier-Mächte-Betrieb der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 465
Kommandantur wieder aufzunehmen, wenn diese Zusagen erfüllt würden. (Die
Antwort des sowjetischen Kommandanten am 7. Februar lautete, er habe bereits auf
die „unbegründeten“ Vorwürfe geantwortet.)
144. 26. Januar 1950.––Die westlichen Kommandanten in Berlin protestierten bei
der sowjetischen Kommandantur gegen eine Reihe von Verkehrsbeschränkungen in
Berlin, die von den sowjetischen Behörden in Verletzung der Berlin-
Blockadevereinbarung von 1949 verhängt worden waren. Zu diesen Beschränkungen
gehörten eine seit dem 13. Januar aufgehaltene Lieferung von Metallschrott von West-
Berlin nach Westdeutschland und eine am 23. Januar verhängte „Verlangsamung“ des
Westverkehrs auf der Autobahn Helmstedt-Berlin. (Die „Verlangsamung“ des
Autobahnverkehrs wurde vorübergehend aufgehoben und am 30. und 31. Januar
erneut verhängt; sie wurde am 5. Februar erneut aufgehoben und am 23. Februar
erneut verhängt. In einer Antwort vom 4. Februar auf den Protest des Westens
begründete der sowjetische Kommandant die Notwendigkeit der sowjetischen
Beschränkungen mit dem „Missbrauch“ des regulären zonenübergreifenden
Verkehrsverfahrens durch den Westen.)
145. 27. Januar–1. Februar 1950.––Das Innenministerium der DDR gab am 27.
Januar bekannt, daß fortan jeder westliche Verkehr in oder durch die sowjetische Zone
Deutschlands oder den sowjetischen Sektor Berlins einer Sondergenehmigung der
Volkspolizei der DDR bedürfen würde. Die Überwachung der Ost-West-Grenzen in
Deutschland wurde am 1. Februar von den sowjetischen Behörden auf die Volkspolizei
der DDR übertragen.
146. 6. Februar 1950.––Die westdeutsche Regierung stellte ihre Eisen- und
Stahllieferungen an Ostdeutschland ein, weil letzteres die Bedingungen des
Handelsabkommens vom 8. Oktober 1949 nicht einhielt.
In einer Ansprache in Stuttgart anlässlich der Einweihung eines neuen Amerika-
Hauses erklärte der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten für Deutschland, daß
„die Stadt Berlin . . . weiterhin die Hilfe und Unterstützung des Volkes der
Vereinigten Staaten erhalten wird . . . und alle Maßnahmen, die sie den Menschen
in der westlichen [deutschen] Republik näher bringen, gefördert werden“. Unter
Bezugnahme auf die jüngsten sowjetischen Verkehrsbeschränkungen nach Berlin
erklärte der Hohe Kommissar, daß „die gegenwärtigen Schikanen ebenso wenig Erfolg
haben werden wie die früheren.“ „Was immer die Hohen Kommissare und die westliche
Republik für notwendig erachten, um der Stadt zu helfen“, fuhr er fort, „und um die
Wirkung dieser Störungen zu zerstören, wird, wie ich weiß, die Unterstützung des
Volkes der Vereinigten Staaten haben.“
147. 10. Februar–2. März 1950.––Die westlichen Kommandanten protestierten am
10. Februar beim sowjetischen Kommandanten gegen die Unterbrechung des LKW-
und Binnenschiffsverkehrs mit Metallschrott von West-Berlin in die Westzonen
Deutschlands und wiederholten ihren Protest am 11. und 18. Februar. Der sowjetische
Kommandant antwortete am 2. März, daß es die Westmächte waren, die gegen die
vereinbarten Bestimmungen zur Regelung des Ost-West-Verkehrs in Deutschland
verstoßen hatten und damit die von den Westkommandanten beanstandeten
Gegenmaßnahmen der sowjetischen Behörden verursacht hatten. Der LKW-Verkehr
wurde ab dem 19. Februar und der Binnenschiffsverkehr ab dem 22. Februar
schrittweise wieder zugelassen.
148. 2. März 1950.––Der Westberliner Magistrat erteilte mit Zustimmung der drei
westlichen Kommandanten Anweisungen, um jegliche Zwischenfälle bei der geplanten
Pfingstkundgebung der kommunistisch unterstützten Freien Deutschen Jugend in
Berlin zu verhindern. Er untersagte auch die Ausdehnung der Kundgebung auf West-
Berlin. (Ein anschließender Appell des ostdeutschen Leiters der Freien Deutschen
466 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Jugend an den Westberliner Magistrat vom 25. April, dieses Verbot zurückzunehmen,
wurde von diesem am 26. April abgelehnt.)
149. 24. März 1950.––Die westdeutsche Regierung gab ihre Entscheidung bekannt,
eine Reihe von Bundesbehörden in West-Berlin einzurichten. (Dieser Beschluss wurde
nie umgesetzt, außer in dem Umfang, in dem einige der Bundesbehörden funktionale
Büros in Berlin einrichteten.)
150. 4. April 1950.––In einer Rede vor der Pilgrim's Society in London erklärte der
Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten für Deutschland in Bezug auf Berlin :
Der sowjetische Druck, Berlin zu absorbieren und uns zu vertreiben, ist ein deutlicher Beweis
für die Herausforderung der westlichen Ideale. Als Außenposten hinter dem Eisernen Vorhang
erinnert Berlin die Völker der Satellitenstaaten ständig an die Möglichkeit einer anderen
Lebensweise––eine Erinnerung, die keine noch so große Propaganda auslöschen kann, eine
Erinnerung, die die Sowjets als ständige Bedrohung für ihr Zwangssystem erkennen.
Den Kommunisten wird es nicht gelingen, die Stadt Berlin zu erobern. Die freien Männer und
Frauen der Stadt werden es nicht zulassen, ebenso wenig werden wir es zulassen. Die Briten, die
Franzosen und die Amerikaner sind fest entschlossen und fest geeint. Wir werden in Berlin
bleiben.
151. 16.–19. April 1950.––In Begleitung der westdeutschen Minister für Wirtschaft,
Justiz und gesamtdeutsche Angelegenheiten stattete Kanzler Adenauer West-Berlin
einen Staatsbesuch ab und bekräftigte wiederholt, daß das Schicksal von Berlin und
Westdeutschland untrennbar miteinander verbunden sei.
152. 20.–21. April 1950.––Die Stadtverordnetenversammlung von West-Berlin
nahm einen Beschluss an, in dem die vier Kommandanten aufgefordert wurden, der
Durchführung von Wahlen in allen vier Sektoren zuzustimmen und den Entwurf der
Stadtverfassung von 1948 zu billigen.
Die drei westlichen Kommandanten antworten am 21. April, daß jegliche Wahlen
„unter vierseitiger Aufsicht abgehalten werden sollten, um sicherzustellen, daß kein
Druck auf Personen oder Parteien ausgeübt wird“. In Bezug auf die Möglichkeit, die
Verfassung von 1948 zu verabschieden, erklärten die Kommandanten, es sei
„wesentlich“, daß bei jeder Wiedervereinigung der Stadt die Grundsätze der
Grundsatzerklärung vom Mai 1949 beibehalten werden. Sie äußerten den Wunsch, die
vierseitige Tätigkeit der Kommandantur „nach einem Verfahren wieder aufzunehmen,
das eine zügige Abwicklung der Geschäfte gewährleistet“. Eine Kopie dieser Antwort
der drei westlichen Kommandanten wurde an den sowjetischen Kommandanten
gesandt.
153. 8. May 1950.––Der sowjetische Kommandant antwortete auf den Antrag der
West-Berliner Stadtverordnetenversammlung vom 20. April auf Abhaltung freier
Wahlen, indem er dem Antrag zustimmte, aber sieben Bedingungen stellte, zu denen
die Stadtverordnetenversammlung am 1. Juni und die westlichen Kommandanten am
9. Juni Stellung nahmen. Die sieben Bedingungen lauteten : ( a ) Anwendung der
Viermächteaufsicht „auf der Grundlage des im Oktober 1946 angewandten
Wahlverfahrens“ ; ( b ) Einsetzung eines deutschen Wahlausschusses, in dem Ost-
und West-Berlin paritätisch vertreten sein sollten, um die vom Magistrat bei den
Wahlen von 1946 wahrgenommenen Funktionen auszuüben ; ( c ) Wiedererteilung
des Wahlrechts für NS-Parteimitglieder mit Ausnahme der in Gerichtsverfahren
Verurteilten ; ( d ) Ausdehnung des Rechts, Kandidaten für den Magistrat zu
nominieren, auf „alle von der Kommandantur zugelassenen öffentlichen
Organisationen“ sowie auf alle politischen Parteien ; ( e ) Ausübung ihrer Funktionen
durch die neu gewählte Stadtverwaltung „auf der Grundlage der Verfassung von Groß-
Berlin von 1946“ ; ( f ) Aufhebung der Grundsatzerklärung vom Mai 1949 in den
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 467
Westsektoren und Gewährung der „Betätigungsfreiheit“ für „demokratische
Organisationen“ in den Westsektoren ; und ( g ) Abzug aller Besatzungstruppen aus
Berlin zusammen mit der Aufhebung der Sektoreneinteilung.
154. 13. Mai 1950.––Zum Abschluss der am 11. Mai in London begonnenen
Gespräche über die politische Entwicklung Westdeutschlands gaben die
Außenminister der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs
eine gesonderte Erklärung zu Berlin ab, die wie folgt lautete :
Die drei westlichen Besatzungsmächte werden weiterhin ihre Rechte in Berlin wahrnehmen. Sie
sind, wie in der Vergangenheit, entschlossen, die demokratischen Rechte der Einwohner zu
schützen und werden mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten, um die wirtschaftliche
Lage der drei westlichen Sektoren aufs Äußerste zu verbessern. In der Zwischenzeit werden die
drei Regierungen weiterhin die Wiedervereinigung der Stadt in freien Wahlen anstreben, damit
Berlin den ihm gebührenden Platz in einem freien und geeinten Deutschland einnehmen kann.
155. 24.––29. Mai 1950.––Eine Reihe von Massendemonstrationen, die sich auf den
sowjetischen Sektor Berlins beschränkten, wurden von den Organisationen „Freie
Deutsche Jugend“ und „Volkspolizei“ der sowjetischen Zone Deutschlands
durchgeführt (etwa 400.000 der ersteren und etwa 10.000 der letzteren). Obwohl die
Demonstrationen den Zweck hatten, West-Berlin von den „kapitalistischen
Kriegstreibern“ zu „befreien“, verliefen sie ohne ernsthafte Zwischenfälle.
156. 1. Juni 1950.––Die Stadtverordnetenversammlung der drei Westsektoren
Berlins reagierte auf die Vorschläge des sowjetischen Kommandanten vom 8. Mai, in
denen die Bedingungen für die Durchführung von Wahlen in ganz Berlin umrissen
wurden, mit der Verabschiedung einer Erklärung, in der ( 1 ) die erste sowjetische
Bedingung akzeptiert wurde ; ( 2 ) eine paritätische Vertretung von Ost- und West-
Berlin in der Wahlkommission zugunsten einer Verhältniswahl abgelehnt
wurde ; ( 3 ) der Wiedererteilung des Wahlrechts für ehemalige NS-Parteimitglieder
zugestimmt wurde ; ( 4 ) das Recht auf Aufstellung von Kandidaten für den Magistrat
durch „andere Organisationen als politische Parteien“ abgelehnt wurde ; ( 5 ) es
abgelehnt wurde, die alte Verfassung von 1946 als Grundlage für die Verwaltung der
städtischen Angelegenheiten zu akzeptieren und sich die Stadtverordneten-
versammlung bereit erklärt hat, „die Verfassung vom 22. April 1948
anzuerkennen“ ; ( 6 ) sich geweigert wurde, dem Widerruf der Grundsatzerklärung
von 1949 zuzustimmen, da dies „das Vetorecht einer einzigen Besatzungsmacht“
wiederherstellen würde ; und ( 7 ) der Abschaffung der Sektoren in Berlin
zugestimmt, aber kein Bezug auf den Abzug der Besatzungstruppen genommen wurde.
157. 9. Juni 1950.––In einem Antwortschreiben auf die sowjetischen Vorschläge
vom 8. Mai über die Bedingungen für die Durchführung von Wahlen in Berlin lehnten
die drei westlichen Kommandanten ( 1 ) eine paritätische Vertretung von Ost- und
West-Berlin in der deutschen Wahlkommission, ( 2 ) die Beibehaltung der nicht mehr
gültigen Vorläufigen Verfassung von 1946, ( 3 ) den Widerruf der Grundsatz-
erklärung von 1949, ( 4 ) das Recht überparteilicher Organisationen, Kandidaten für
den Magistrat aufzustellen, und ( 5 ) den Abzug der Besatzungstruppen ab. Als
Leitfaden für die Wiedervereinigung Berlins schlugen sie die folgenden vier Prinzipien
vor:
( 1 ) Es sollte eine frei gewählte Stadtregierung geben, die auf der Grundlage einer von
Vertretern des Volkes ausgearbeiteten Verfassung arbeitet.
( 2 ) Alle demokratischen politischen Parteien und öffentlichen Organisationen sollten vor,
während und nach den Wahlen in der gesamten Stadt Handlungsfreiheit genießen.
( 3 ) In ganz Berlin sollte individuelle Bewegungsfreiheit, Freiheit von willkürlicher
Verhaftung und Inhaftierung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie Rede-, Presse- und
Rundfunkfreiheit herrschen.
468 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

( 4 ) Die vierseitige Arbeit innerhalb der Alliierten Kommandantur sollte wieder aufgenommen
werden, sofern sie auf einem Verfahren beruht, das eine zügige Erledigung der Geschäfte und ein
effizientes Funktionieren der Stadtregierung ermöglicht, insbesondere unter Ausschluss des
Vetorechts.
158. 15. Juni 1950.––Die Alliierte Hohe Kommission genehmigte ein Verfahren für
die erste Phase einer schrittweisen Lockerung der bestehenden Beschränkungen für
ausländische Investitionen in Westdeutschland, einschließlich der drei Westsektoren
Berlins. (Das neue Verfahren, das sofort in Kraft trat, war vom Rat der Alliierten
Hohen Kommission am 31. Mai, vom Finanzministerium der Bundesrepublik
Deutschland am 6. Juni und von Vertretern der Benelux-Staaten am 9. Juni gebilligt
worden.) Die neuen Regelungen boten ausländischen Eigentümern von Immobilien
und Fonds in Westdeutschland und West-Berlin sowie allen Ausländern, die neues
Kapital in diese Gebiete bringen wollten, Investitionsmöglichkeiten.
159. 24. Juni 1950.––In Beantwortung des Schreibens der Westkommandanten vom
10. Juni über Maßnahmen zur Wiedervereinigung der Stadt Berlin macht der Berliner
Vertreter der Sowjetischen Kontrollkommission die Westmächte für die fortgesetzte
Teilung der Stadt verantwortlich und erklärt, daß der Abzug der Garnisonen zur
Wiedervereinigung beitragen würde.
160. 2.–3. Juli 1950.––Die sowjetischen Behörden in Ost-Berlin verhängten eine
Reihe von zeitweiligen Beschränkungen für die drei westlichen Sektoren der Stadt,
darunter die Unterbrechung der Strom- und Wasserversorgung von den Ost- zu den
Westsektoren.
161. 9. August 1950.––Das von der Provisorischen Volkskammer der DDR erlassene
Wahlgesetz gestattete den Bewohnern von „Groß-Berlin“, für die Legislative der SBZ
zu kandidieren (Artikel 3), und sah vor, daß „die Hauptstadt Berlin 66 Abgeordnete
mit beratender Stimme in die Volkskammer entsendet“ (Artikel 49).
162. 24. August 1950.––Die Westkommandanten heben die Lebensmittel-
rationierung in den drei Westsektoren Berlins auf.
163. 29. August 1950.––Die drei westlichen Kommandanten billigten den Entwurf
einer Verfassung für West-Berlin. (Der Verfassungsausschuss der Stadtverordneten-
versammlung hatte am 20. Juli mit der Ausarbeitung dieser Verfassung begonnen,
und das Dokument wurde von der Stadtverordnetenversammlung am 4. August
einstimmig angenommen.) Ihre Zustimmung war jedoch an die Bedingung geknüpft,
daß ( a ) die Bestimmungen der Grundsatzerklärung vom 14. Mai 1949 für jede
Inanspruchnahme der ihr in der Verfassung eingeräumten Befugnisse durch die
Berliner Stadtregierung gelten, ( b ) Artikel 1, der Berlin zu einem Land der
Bundesrepublik Deutschland erklärte und die westdeutsche Gesetzgebung für Berlin
für verbindlich erklärte, außer Kraft gesetzt wird und ( c ) einzelne Bestimmungen
des westdeutschen Rechts nur dann für Berlin gelten, wenn sie von der Berliner
Stadtverordnetenversammlung als Bestimmungen des Berliner Rechts beschlossen
werden (diese letzte Bedingung soll bis zur förmlichen Ausdehnung des westdeutschen
Grundgesetzes auf Berlin gelten). Im Zusammenhang mit ihren Vorbehalten gaben die
Kommandanten eine Erklärung ab, in der sie feststellten, daß diese
Einschränkungen––
lediglich eine Klarstellung der Absicht der Verfassung selbst darstellen und ihre Bedeutung als
Meilenstein in der Entwicklung der Selbstverwaltung in Berlin in keiner Weise schmälern.
In der Erklärung der Kommandanten wurde erklärt, daß mit der neuen Verfassung
drei wichtige Ziele erreicht wurden:
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 469
sie gibt den Berlinerinnen und Berlinern eine von ihren gewählten Vertretern erarbeitete
Verfassung ; sie verankert Berlin damit noch stärker als Partner im demokratischen
Gemeinwesen ; und schließlich verleiht sie Berlin die Rechtsstellung eines Landes und einer Stadt.
164. 19. September 1950.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs gaben nach ihrem Treffen in New York (12. –
18. September) ein Kommuniqué heraus, in dem sie erklärten, daß die alliierten
Regierungen „jeden Angriff auf die Bundesrepublik oder Berlin von irgendeiner Seite
als einen Angriff auf sich selbst behandeln“ würden.
In dem Kommuniqué heißt es weiter :
Die drei Regierungen würdigen die anhaltende Standhaftigkeit der Berliner Bevölkerung im
tapferen Kampf der Stadt um ihre Freiheit. Sie werden sich weiterhin jeder Form von Aggression
gegen die Bevölkerung der Stadt widersetzen und ergreifen Maßnahmen zur Verstärkung der
dortigen alliierten Streitkräfte. In Anbetracht des hohen Preises, den Berlin für die Verteidigung
seiner Freiheit zahlen musste, werden die Regierungen ihre Bemühungen fortsetzen, die
wirtschaftliche Lage der Stadt zu verbessern. Sie haben die Hohe Kommission angewiesen, die
Grundsatzerklärung über die Beziehungen zwischen der Alliierten Kommandantur und Berlin zu
überprüfen und die alliierten Kontrollen in der Stadt so weit wie möglich zu liberalisieren.
165. 21. September 1950.––Die ostdeutschen Behörden schalten die Strom-
versorgung West-Berlins ab. Ein in West-Berlin mit Mitteln des Marshallplans
errichtetes Kraftwerk übernimmt die Stromversorgung der drei westlichen Sektoren
der Stadt. (Der Stromaustausch zwischen West- und Ost-Berlin wurde am 16.
November wieder aufgenommen, gemäß einer am 10. November von den jeweiligen
Stadtverwaltungen unterzeichneten Vereinbarung).
166. 25. September 1950.––Die sowjetischen Behörden greifen erneut in den
Binnenschiffsverkehr von West-Berlin nach Westdeutschland ein. (Britische Beamte
im britischen Sektor Berlins revanchierten sich am 27. September, indem sie
ostdeutsche Lastkähne aufhielten, die die Westberliner Schleusen passierten. Im
gegenseitigen Einvernehmen wurden beide Beschränkungen am 5. Oktober
aufgehoben).
167. 28. September 1950.––Für die am 3. Dezember stattfindenden Wahlen in West-
Berlin wurde ein Wahlgesetz verkündet, das am 4. August von der Stadtverordneten-
versammlung angenommen und am 22. September von den Westkommandanten
genehmigt worden war. Das Gesetz sah eine proportionale Vertretung der Parteien im
Abgeordnetenhaus vor.
168. 1. Oktober 1950.––Die Verfassung für West-Berlin, die am 29. August von den
Westkommandanten in ihrer endgültigen Fassung mit einigen Vorbehalten genehmigt
worden war, trat in Kraft. Aus Magistrat und Stadtverordnetenversammlung wurden
Senat und Abgeordnetenhaus. Der Senat fungierte als ausführendes Organ, bestehend
aus dem Oberbürgermeister, dem Bürgermeister (als Stellvertreter des
Oberbürgermeisters) und den Senatoren, die als Leiter der Verwaltungsabteilungen
fungierten. Der Oberbürgermeister wurde von der Abgeordnetenkammer gewählt,
während der Bürgermeister und die Senatoren von der Abgeordnetenkammer auf
Vorschlag des Oberbürgermeisters gewählt wurden.
169. 1. Oktober–31. Dezember 1950.––Die Gespräche zwischen west- und ost-
deutschen Vertretern über ein neues interzonales Handelsabkommen, das das
Abkommen vom 8. Oktober 1949 ersetzen sollte (siehe Einträge unter 8. Oktober 1949
und 6. Februar 1950), scheiterten am 1. Oktober 1950. Zuvor, am 11. August, war das
Abkommen von 1949, nachdem am 25. Februar 1950 eine grundsätzliche Einigung
über die Aushandlung eines neuen Abkommens erzielt worden war, verlängert worden,
470 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

um den gesamten Warenaustausch über den 30. Juni 1950 hinaus bis zur endgültigen
Unterzeichnung des neuen Abkommens oder bis zum 31. Dezember 1950, je nachdem,
was zuerst eintrifft, abzudecken. Da es nicht gelang, ein neues Abkommen zu
schließen, wurde das Abkommen von 1949 am 31. Dezember noch einmal bis zum 31.
März 1951 verlängert.
170. 15. Oktober 1950.––In der gesamten sowjetischen Zone Deutschlands fanden
Wahlen für die Vertreter in den gesetzgebenden Organen der ostdeutschen „Republik“
statt. Die Kandidaten der von den Kommunisten unterstützten „Einheits“-Listen
werden fast einstimmig gewählt. Wie vom Dritten Bürgermeister von Ost-Berlin am
28. Juli angekündigt, nahm der sowjetische Sektor Berlins nicht an dieser Wahl teil.
171. 19. Oktober 1950.––Die West-Berliner Stadtverordnetenversammlung verab-
schiedete eine Entschließung, in der sie die westdeutsche Regierung um Hilfe bei der
Bewältigung der zunehmenden Zahl von Flüchtlingen von jenseits des Eisernen
Vorhangs bat, die in Berlin Asyl suchen.
172. 1. Dezember 1950.––Die drei westlichen Kommandanten lehnten den Appell
der Nationalen Front der DDR vom 26. November ab, in dem die Aussetzung der
bevorstehenden Wahlen in den drei westlichen Sektoren der Stadt, der Abzug aller
Besatzungstruppen aus der Stadt und die Abhaltung stadtweiter Wahlen im März
1951 gefordert wurden.
173. 3. Dezember 1950.––Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von West-Berlin
beteiligen sich 90,4 % der Wähler an den Urnen. Von den insgesamt 200 Sitzen sind
73 für eine eventuelle Beteiligung des sowjetischen Sektors reserviert, die restlichen
127 werden wie folgt auf die drei großen Parteien verteilt: 61 auf die Sozialdemokraten,
34 auf die Christdemokraten und 32 auf die Freien Demokraten.
174. 15. Dezember 1950.––Am 12. Dezember wurde ein vom Parlament der
„Deutschen Demokratischen Republik“ verabschiedetes „Gesetz zum Schutz des
Friedens“ verkündet, das Strafen bis hin zur Todesstrafe für Personen vorsah, die in
irgendeiner Form „aggressive Handlungen“ propagierten. Das Gesetz galt nach
Angaben der DDR-Behörden für alle Deutschen, auch für die in West-Berlin und
Westdeutschland, und wurde bei der Verfolgung von Bürgern der Westsektoren
Berlins und der Westzonen Deutschlands angewandt, die von den DDR-Behörden
entführt worden waren.
175. 1. Februar 1951.––Die sowjetischen Behörden übernahmen das Dorf West-
Staaken, das seit 1945 zum Verwaltungsbezirk Spandau des britischen Sektors von
Berlin gehörte, obwohl es sich physisch in der sowjetischen Besatzungszone in
Deutschland befand. (Als Antwort auf einen Protest des britischen Kommandanten
vom 4. Februar teilte die sowjetische Kontrollkommission am 11. Februar mit, daß die
sowjetischen Behörden beabsichtigten, den Besitz zu behalten).
176. 3. Februar 1951.––Ein vorläufiges interzonales Handelsabkommen, das das
Frankfurter Abkommen vom 8. Oktober 1949 (in der am 31. Dezember 1950
verlängerten Fassung) ersetzen sollte, wurde von west- und ostdeutschen Beamten
paraphiert. Der neue Zeitplan sah einen Warenaustausch im Gesamtwert von 340
Millionen DM vor. (Am 27. April wurde vereinbart, daß dieses Abkommen bis zum 2.
Juli gültig sein sollte ; es wurde später bis zum 2. August verlängert).
177. 6.–22. März 1951.––Als Vergeltung für die wiederholten sowjetischen Eingriffe
in den Berliner Binnenschiffsverkehr nach Westdeutschland in den vorangegangenen
zwei Monaten verhängte der britische Kommandant am 6. März mit Zustimmung
seiner amerikanischen und französischen Kollegen Kontrollen für ostdeutsche
Binnenschiffe, die den britischen Sektor Berlins durchfuhren.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 471
Die sowjetische Kontrollkommission protestierte am 7. März, und der britische
Kommandant schlug am 13. März vor, daß beide Seiten Schritte und Bedingungen
erörtern sollten, unter denen ihre jeweiligen Kontrollen aufgehoben werden könnten.
Im gegenseitigen Einvernehmen wurde dem Binnenschiffsverkehr ab dem 22. März
die freie Durchfahrt gestattet. (Ein formelles Abkommen über die Regelung des
Kanalverkehrs bis zum 31. Dezember 1951 wurde von britischen und sowjetischen
Vertretern am 4. Mai unterzeichnet. Es wurde am 3. November 1951 bis Ende 1952
verlängert.)
178. 7. März 1951.––Die Hohen Kommissare des Westens kündigten eine Revision
der Grundsatzerklärung vom 14. Mai 1949 an und verzichteten auf das Recht der
westlichen Kommandanten in Berlin, die vom Abgeordnetenhaus von Berlin
verabschiedeten Gesetze zu überprüfen. Das Recht zur Überprüfung von Gesetzen, die
die Verfassung der Stadt berühren, wurde den Kommandanten jedoch weiterhin
zugestanden. Die Kommandanten behielten ihr Recht, Gesetze aufzuheben oder für
nichtig zu erklären, aber dieses Recht sollte nur bei Unstimmigkeiten zwischen neuen
Gesetzen und bestehenden Statuten oder dem Grundsatzpapier ausgeübt werden.
179. 22. Mai 1951.––In West-Berlin wurden strenge Kontrollen eingeführt, um die
Verbringung von strategischem Material in die Sowjetzone zu verhindern. Zusätzliche
Militärpolizeikommandos der Westmächte waren am 17. Mai in Berlin eingetroffen,
um bei der Durchsetzung dieser Kontrollen zu helfen. (Diese Anordnungen wurden am
15. Juli weiter verschärft.)
180. 11. Juni 1951.––Die Economic Cooperation Administration übernimmt die
erste Bürgschaft für amerikanische Privatinvestitionen in West-Berlin.
181. 16. Juni 1951.––Die westlichen Kommandanten in Berlin verhängten ein
Embargo für den Versand mehrerer Materialkategorien nach Ostdeutschland als
Vergeltung für die Einführung eines komplizierten Zertifizierungssystems für in West-
Berlin hergestellte Waren, die in den Westen exportiert werden sollten, durch die
sowjetischen Behörden zu Beginn des Monats. (Proteste der westlichen
Kommandanten am 11. und 15. Juni hatten keine Lockerung der neuen ostdeutschen
Beschränkungen bewirkt)
182. 9. Juli 1951.––Die am 5. Juli begonnenen Gespräche zwischen Vertretern der
drei West-Berliner Kommandanten und der sowjetischen Kontrollkommission für
Deutschland über die Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zu West-Berlin
scheiterten und wurden auf unbestimmte Zeit vertagt.
183. 2. August 1951.––Mit dem Auslaufen des west-ost-deutschen Handels-
abkommens vom 3. Februar 1951 kam der gesamte west-ost-deutsche Handel zum
Erliegen. (Ein am 6. Juli 1951 von Vertretern West- und Ostdeutschlands paraphiertes
interzonales Handelsabkommen über einen Warenaustausch im Gesamtwert von 500
Millionen DM war noch nicht in Kraft getreten, weil die sowjetischen Zugangsbe-
schränkungen zu West-Berlin fortbestanden, ohne deren Aufhebung sich die west-
deutsche Regierung weigerte, das Abkommen vom 6. Juli in Kraft zu setzen.)
184. 1. September 1951.––Die sowjetischen Behörden in Ostdeutschland erhoben
eine hohe Kraftfahrzeugsteuer auf alle in West-Berlin und Westdeutschland
zugelassenen Fahrzeuge, die die Autobahn Helmstedt-Berlin und alle anderen Straßen
in der sowjetischen Zone benutzten. (Gegen diese und ähnliche Maßnahmen
protestierten die drei westlichen Hohen Kommissare am 7. September in Briefen an
den Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission. Die Straßensteuer wurde am
20. September deutlich gesenkt, als gleichzeitig ein neues interzonales
Handelsabkommen unterzeichnet wurde––siehe unten. Der westliche Protest wurde
am 3. Oktober beantwortet, als der Vorsitzende der sowjetischen Kontrollkommission
472 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

jegliche sowjetische Verantwortung für die Bedingungen, die nach Ansicht der
sowjetischen Behörden diese neuen Beschränkungen erforderlich gemacht hatten,
abstritt).
185. 14. September 1951.––Zum Abschluss eines Treffens der Außenminister der
Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs in Washington
(10.–14. September), bei dem die Rolle der Bundesrepublik Deutschland bei der
Verteidigung Westeuropas erörtert wurde, wurde ein Kommuniqué veröffentlicht, in
dem die Außenminister erklärten, daß die Teilung Deutschlands und das
Sicherheitsproblem der Bundesrepublik Deutschland––
die Alliierten verpflichtet, im gemeinsamen Interesse bestimmte Sonderrechte beizubehalten,
jedoch nur in Bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz der
Sicherheit dieser Streitkräfte sowie in Bezug auf Fragen, die Berlin und Deutschland als Ganzes
betreffen, einschließlich einer eventuellen Friedensregelung und der friedlichen
Wiedervereinigung Deutschlands.
186. 18.–27. September 1951.––Der Oberbürgermeister von West-Berlin schlug am
18. September vor, freie Wahlen in ganz Groß-Berlin abzuhalten, um die
Ernsthaftigkeit der Vorschläge des ostdeutschen Ministerpräsidenten vom 15.
September für eine Konferenz ost- und westdeutscher Delegierter zu prüfen, die die
notwendigen Vorkehrungen für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen treffen
sollten. Der Vorschlag des Oberbürgermeisters wurde von den ostdeutschen Behörden
am 19. September mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um „uninteressante
Gemeindewahlen“. Der westdeutsche Bundestag forderte in einer Entschließung vom
27. September ebenfalls freie Wahlen in allen vier Sektoren Berlins.
187. 20. September 1951.––Mit der Aufhebung der von den sowjetischen Behörden
am 1. September verhängten Straßenbenutzungsgebühr für westdeutsche und
westberliner Fahrzeuge, die eine der Fernstraßen der Sowjetzone benutzen (siehe
Eintrag dieses Datums), unterzeichneten westdeutsche Vertreter mit den
ostdeutschen Behörden das Handelsabkommen, das beide am 6. Juli initiiert hatten
(siehe Eintrag vom 2. August). Das Abkommen war überarbeitet worden, um den 3.
Juli 1952 als Enddatum festzulegen und den Wert der auszutauschenden Waren von
500 Millionen DM auf 482 Millionen DM zu reduzieren. Es war vereinbart worden, daß
das Abkommen vor dem 3. Juli 1952 enden würde, falls die ostdeutschen Behörden den
freien Warenverkehr zwischen West-Berlin und Westdeutschland in irgendeiner Weise
behindern sollten.
188. 23. Oktober 1951.––Die Volkspolizei der DDR räumte den Ortsteil
Steinsteucken im amerikanischen Sektor Berlins, den sie am 18. Oktober übernommen
hatte.
189. 22. November 1951.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland kamen in
Paris zusammen, um Fragen der Integration Westdeutschlands in die westeuropäische
Gemeinschaft zu erörtern. Sie gaben eine Erklärung ab, die die folgenden Passagen zu
Berlin enthielt :
Die drei Mächte [die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich] werden nur
solche Sonderrechte [in der Bundesrepublik] behalten, auf die jetzt wegen der besonderen
internationalen Lage Deutschlands nicht verzichtet werden kann und deren Beibehaltung im
gemeinsamen Interesse der vier Staaten liegt. Diese Rechte beziehen sich auf die Stationierung
und die Sicherheit der Streitkräfte in Deutschland, auf Berlin und auf Fragen, die Deutschland
als Ganzes betreffen. Die Aufgabe der von den drei Mächten in Deutschland stationierten
Streitkräfte wird die Verteidigung der freien Welt sein, zu der die Bundesrepublik und Berlin
gehören * * * Sie [die vier Außenminister] bekräftigen ihre Absicht, die Herstellung der
deutschen Einheit anzustreben, und sind sich über die Bedeutung der der Generalversammlung
der Vereinten Nationen vorliegenden Vorschläge einig, die darauf abzielen, zu prüfen, ob in der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 473
Bundesrepublik, in Berlin und in der sowjetischen Zone Deutschlands gleichzeitig freie Wahlen
abgehalten werden können.
190. 31. Dezember 1951.––In seiner Ansprache an die Berliner Bevölkerung über
den RIAS erklärte der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten unter anderem :
In Parallele zu unseren [den Westmächten] Beziehungen zur Bundesrepublik beabsichtigen wir,
den Behörden dieser Stadt die Kontrolle über ihre eigenen Angelegenheiten zu gewähren,
vorbehaltlich nur der besonderen Beschränkungen, die notwendig sind, um unsere Rechte zu
wahren, in der Stadt zu bleiben und sie zu schützen. * * * Die Westalliierten bleiben in Berlin,
und die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dieser Stadt werden nicht nur
aufrechterhalten, sondern immer stärker werden. Eine dauerhafte Wirtschaftshilfe der
Bundesrepublik an Berlin im kommenden Jahr scheint gesichert. * * *
191. 5. Januar 1952.––Um den Vier-Mächte-Charakter der Aufsicht über die Stadt
Berlin zu schützen, legten die drei Westkommandanten ihr Veto gegen ein West-
Berlin-Gesetz ein, das die Eisenbahnen der drei Westsektoren mit denen der
Bundesrepublik vereinigt hätte.
192. 9. Januar 1952.––In Bonn wurde ein „Gesetz über die Stellung des Landes
Berlin im System der Bundesfinanzverwaltung“ verkündet, wonach West-Berlin
rückwirkend zum 1. April 1951 im Verhältnis zur Bundesrepublik auf dem Gebiet der
Finanzen die gleichen Rechte und Pflichten wie die westdeutschen Bundesländer
erhält. (Dieses Gesetz war am 15. Dezember vom Bundestag und am 24. Dezember
1951 vom Bundesrat verabschiedet worden).
193. 17. Januar 1952.––Die Bundesrepublik Deutschland verkündete eine
Maßnahme zur Änderung von Artikel 26 des Wahlgesetzes vom 15. Juni 1949, um die
Zahl der Abgeordneten für Berlin im Bundestag von 8 auf 19 zu erhöhen. (Das Gesetz
wurde am 13. Dezember 1951 vom Bundestag und am 20. Dezember vom Bundesrat
verabschiedet. Die zusätzlichen Abgeordneten, darunter einer für den Ostteil Berlins,
wurden am 3. Januar 1952 vom West-Berliner Abgeordnetenhaus gewählt.)
194. 18. Januar 1952.––Die westlichen Hohen Kommissare hoben einige
geringfügige Bestimmungen der westdeutschen Gesetzgebung auf, aus denen
hervorging, daß das Grundgesetz und anderes westdeutsches Recht automatisch für
West-Berlin gilt.
195. 4. Februar 1952.––Das westdeutsche Notaufnahmegesetz wurde auf West-
Berlin angewandt und sah vor, daß West-Berlin für 20 % aller Flüchtlinge hinter dem
Eisernen Vorhang, die über Berlin in die nicht-kommunistische Welt einreisten und
von der westdeutschen Bundesregierung als echte politische Flüchtlinge anerkannt
wurden, für die Bereitstellung von Arbeit, Wohnraum und Sozialversicherungs-
leistungen verantwortlich war. Darüber hinaus war West-Berlin verpflichtet, allen
Flüchtlingen, die nach Berlin kamen und von der Bonner Regierung nicht als echte
politische Flüchtlinge anerkannt wurden, öffentliche Unterstützung zu gewähren. Die
Zahl der Flüchtlinge in dieser „nicht anerkannten“ Kategorie erreichte bald 100.000.
196. 23. Februar 1952.––Die Regierung der Vereinigten Staaten richtete eine Note
an die Sowjetische Regierung, in der sie diese aufforderte––
die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Handlungen der deutschen Behörden [in der
sowjetischen Zone Deutschlands und im sowjetischen Sektor Berlins] zu kontrollieren, die
vorgeben, im Namen der sowjetischen Kontrollkommission zu handeln––
deren Handlungen in der Tat die Beschlagnahmung von amerikanischem Eigentum in
diesen beiden Gebieten zur Folge hatten. In Ermangelung solcher
Kontrollmaßnahmen, so der Vermerk weiter, müssten die Vereinigten Staaten die
474 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Sowjetische Regierung für vergangene und zukünftige Handlungen dieser Art in


Ostdeutschland und Ostberlin verantwortlich machen.
197. 20. März–9. April 1952.––Eine Kommission der Vereinten Nationen, die gemäß
einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 20. Dezember
1951 eingesetzt wurde, um die Möglichkeit der Abhaltung freier gesamtdeutscher
Wahlen zu untersuchen, führte ihre Untersuchung in West-Berlin (als Teil ihrer
Untersuchung in Westdeutschland) vom 20. bis 22. März durch. Mitteilungen der
Kommission an die Ostberliner Behörden vom 23. Februar, 10. März und 26. März
sowie gleichlautende Schreiben der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs
und Frankreichs an die Sowjetische Regierung vom 25. März führten nicht dazu, daß
die Kommission ähnliche Untersuchungsrechte in Ostberlin (und Ostdeutschland)
erhielt. Die Sowjetische Regierung teilte am 9. April in Noten an jede der drei
Westmächte mit, daß die vier Besatzungsmächte feststellen sollten, ob
zufriedenstellende Bedingungen für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen
vorlägen.
198. 29. April 1952.––Zwei sowjetische Kampfflugzeuge haben über Könnern in der
sowjetischen Zone Deutschlands ein französisches Flugzeug angegriffen und
beschädigt, das auf der Strecke Frankfurt-Berlin flog. In einem Schreiben des
Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission vom 29. April wird dem
französischen Flugzeug vorgeworfen, gegen die Vorschriften für den Luftverkehr in
diesem Korridor verstoßen zu haben. Die westlichen Kommandanten in Berlin
antworteten am 30. April, daß diese Tatsache den Beschuss eines zivilen Flugzeugs in
Friedenszeiten nicht rechtfertige. Am 8. Mai schlugen sie vor, eine Untersuchung der
materiellen Schäden an dem Flugzeug durchzuführen. Die Untersuchung wurde am 9.
Mai durchgeführt, ohne daß die sowjetischen Behörden daran beteiligt waren.
199. 1. Mai 1952.––Die Kommission der Vereinten Nationen, die damit beauftragt
wurde, in allen vier Zonen Deutschlands und in allen vier Sektoren Berlins die
Möglichkeit der Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen zu untersuchen (siehe Eintrag
vom 20. März bis 9. April), hat in einem vorläufigen Bericht an den Generalsekretär
der Vereinten Nationen darauf hingewiesen, daß es ihr nicht möglich war, Regelungen
zu treffen, um ihre Aufgaben in der sowjetischen Zone Deutschlands und im
sowjetischen Sektor Berlins zu erfüllen. In dem Bericht heißt es :
Während die Kommission ihre vorläufige Aufgabe in der Bundesrepublik Deutschland und in den
Westsektoren Berlins erfolgreich erfüllen konnte, war sie bisher nicht in der Lage, mit den
Behörden in der Sowjetzone Deutschlands und im Ostsektor Berlins auch nur auf dem
Korrespondenzweg gegenseitige Kontakte herzustellen. Die Kommission war daher bisher nicht
in der Lage, mit den betreffenden Behörden in der Sowjetzone Deutschlands und im Ostsektor
Berlins die Vereinbarungen zu treffen, die sie für notwendig erachtet, um ihre Arbeit entsprechend
ihrem Auftrag durchführen zu können. In Anbetracht der vergeblichen Bemühungen, die sie bei
vier verschiedenen Gelegenheiten unternommen hat, um die Sowjetische Kontrollkommission für
Deutschland zu ersuchen, ihr die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern, muß die Kommission
zu ihrem Bedauern feststellen, daß derzeit wenig Aussicht besteht, daß sie ihre Arbeit fortsetzen
kann.
(Die Kommission vertagte sich daraufhin am 5. August auf unbestimmte Zeit,
nachdem sie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mitgeteilt hatte, daß sie
„den Vereinten Nationen und allen betroffenen Parteien weiterhin zur Verfügung
stehen“ werde, solange ihr Mandat in Kraft sei und sobald positive Ergebnisse ihrer
Arbeit möglich erscheinen würden).
200. 8. Mai 1952.––Die sowjetischen Militärbehörden in Ostdeutschland
verweigerten amerikanischen und britischen Militärfahrzeugen die Freigabe zur
Benutzung der Autobahn Berlin-Helmstedt. (Dieser Verkehr blieb bis zum 16. Mai
unterbrochen.)
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 475
201. 14. Mai 1952.––Unter Bezugnahme auf die jüngsten Eingriffe der sowjetischen
und ostdeutschen Behörden in den Verkehr von und nach West-Berlin erklärte
Außenminister Acheson auf einer Pressekonferenz :
Ich denke, es ist wohl bekannt, * * * daß wir entschlossen sind, unsere Position in Berlin
aufrechtzuerhalten und die Interessen der Berliner in der westlichen Zone zu unterstützen und zu
schützen. * * *
202. 20. Mai 1952.––Die ostdeutschen Behörden erhöhten den Zolltarif für alle
Waren, die aus dem Westen in die Sowjetzone eingeführt werden, um 50 %.
203. 23. Mai 1952.––Die Sowjetregierung antwortete auf die amerikanische
Mitteilung vom 23. Februar bezüglich der letztendlichen Verantwortung für die in
Ostdeutschland und Ostberlin ergriffenen Maßnahmen, die die Beschlagnahme von
amerikanischem Eigentum in diesen Gebieten beinhalten. In der sowjetischen
Mitteilung wurde behauptet, daß die Übertragung der Zuständigkeit für ausländische
Interessen in der sowjetischen Zone Deutschlands und im sowjetischen Sektor Berlins
durch die sowjetische Kontrollkommission auf die „Deutsche Demokratische Republik“
gemäß den Bestimmungen der Erklärung Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats für
Deutschland erfolgt sei und daß die von den ostdeutschen und ostberliner Behörden
getroffenen Beschlagnahmungsmaßnahmen in bezug auf amerikanisches und anderes
ausländisches Eigentum in diesen Gebieten daher rechtmäßig seien.
204. 26. Mai 1952.––Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich,
Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten in Bonn einen
Vertrag über die Beziehungen zwischen den drei Mächten und der Bundesrepublik
Deutschland, der das Besatzungsstatut ersetzen und der Bundesrepublik die volle
Souveränität (mit einigen verbleibenden Vorbehalten) übertragen sollte. Der Vertrag
sah vor, daß die Drei Mächte––
die bisher von ihnen ausgeübten oder gehaltenen Rechte in bezug auf ( a ) die Stationierung von
Streitkräften in Deutschland und den Schutz ihrer Sicherheit, ( b ) Berlin und ( c ) Deutschland
als Ganzes, einschließlich der Vereinigung Deutschlands und einer Friedensregelung beibehalten.
Der Vertrag sah ferner vor, daß ( a ) die von den drei Mächten im Bundesgebiet
unterhaltenen Streitkräfte den Auftrag haben, „die freie Welt, zu der die
Bundesrepublik und Berlin gehören, zu verteidigen“, und ( b ) daß die
Bundesrepublik ihre „Hilfe für den politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und
finanziellen Wiederaufbau Berlins“ fortsetzen würde.
Als Anlage zu diesem Vertrag war eine „Erklärung der Bundesrepublik zur Hilfe für
Berlin“ beigefügt, in der dargelegt wurde, inwieweit die Bundesrepublik bereit war,
beim wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufbau Berlins zu helfen und die
Wirtschaft der Stadt in die der Bundesrepublik zu integrieren. Die drei westlichen
Hohen Kommissare haben ihrerseits in einem gemeinsamen Schreiben an den
Bundeskanzler dargelegt, inwieweit die Westmächte bereit sind, ihr am 12. Mai 1949
ausgesprochenes Verbot der Anwendung des Grundgesetzes auf Berlin zu lockern, um
die Umsetzung der „Erklärung der Bundesrepublik zur Hilfe für Berlin“ zu
ermöglichen und zu erleichtern.
205. 27. Mai 1952.––Nach der Unterzeichnung der vertraglichen Vereinbarungen
zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und
zeitgleich mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische
Verteidigungsgemeinschaft in Paris gaben die drei westlichen Außenminister in Paris
eine Dreiererklärung ab, die folgenden Hinweis auf Berlin enthielt :
476 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins und die Aufrechterhaltung der dortigen Position der
drei Mächte werden von den drei Mächten als wesentliche Elemente des Friedens der freien Welt
in der gegenwärtigen internationalen Situation angesehen. Dementsprechend werden sie auf dem
Gebiet Berlins Streitkräfte unterhalten, solange es ihre Verantwortung erfordert. Sie bekräftigen
daher, daß sie jeden Angriff auf Berlin, von welcher Seite auch immer, als einen Angriff auf ihre
Streitkräfte und sich selbst betrachten werden.
Als Vergeltung für die Unterzeichnung der Bonner Verträge kappten die
ostdeutschen Behörden alle Telefonverbindungen zwischen West-Berlin einerseits und
der sowjetischen Zone Deutschlands und dem sowjetischen Sektor Berlins andererseits
und kündigten die vollständige Schließung der Grenzen zwischen West- und
Ostdeutschland sowie zwischen dem West- und Ostsektor Berlins an. (Die
Grenzschließungen, ergänzt durch militärische Maßnahmen, traten am 1. Juni in
vollem Umfang in Kraft. Die Proteste der westlichen Hohen Kommissare vom 30. Mai
wurden von der sowjetischen Kontrollkommission am 19. Juni zurückgewiesen.)
206. 10. Juni 1952.––Auf die Beschwerde von Oberbürgermeister Reuter vom 5.
Juni vor dem West-Berliner Senat, daß Westdeutschland bei den langwierigen
Verhandlungen über die Vertragsvereinbarungen Berlin vor allem auf
wirtschaftlichem Gebiet vernachlässigt habe, teilte Bundeskanzler Adenauer dem
Bundestag mit, daß westdeutsche Unternehmen angehalten würden, mehr Aufträge
in Berlin zu vergeben, daß die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin wieder ins
Auge gefaßt werde und daß die Berliner Lebensmittelvorräte aufgestockt würden.
Diese Vorschläge wurden durch entsprechende Beschlüsse des Bundestages an diesem
Tag unterstützt. (Am 14. Juli wurde in Berlin eine Konferenz von
Wirtschaftsvertretern aus rund 420 westdeutschen Städten eröffnet, an der 100
Vertreter der Westberliner Industrie teilnahmen, um über Maßnahmen zur Erhöhung
der Zahl der westdeutschen Aufträge in Berlin zu beraten.)
207. 27. Juni 1952.––Die ostdeutschen Behörden erließen eine Verordnung, die alle
Deutschen, die Eigentum in der Sowjetzone besaßen oder dort arbeiteten, dazu
verpflichtete, in der Sowjetzone oder im sowjetischen Sektor von Berlin zu wohnen.
(Diese Verordnung wurde am 3. Juli durch die Weigerung ergänzt, Personen, die einen
Wohnsitz in der DDR unterhielten und in Westdeutschland lebten, als Einwohner der
Sowjetzone oder des sowjetischen Sektors anzuerkennen.)
208. 29. Juni 1952.––In einer Rede anlässlich der Grundsteinlegung für die
Amerikanische Gedenkbibliothek in West-Berlin sagte Außenminister Acheson :
Wir [die drei Westmächte] haben klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, daß wir
in Berlin sind, weil es unser Recht und unsere Pflicht ist und daß wir in Berlin bleiben werden, bis
wir davon überzeugt sind, daß die Freiheit dieser Stadt gesichert ist. Wir haben auch
unmissverständlich zu verstehen gegeben, daß wir jeden Angriff auf Berlin, von welcher Seite auch
immer, als einen Angriff gegen unsere Streitkräfte und uns selbst betrachten werden.
209. 8. Juli 1952.––Dr. Walter Linse, ein Bewohner des amerikanischen Sektors von
Berlin, wurde von Unbekannten entführt und in den sowjetischen Sektor gebracht.
Der amerikanische Kommandant in Berlin protestierte umgehend bei den
sowjetischen Behörden. (Auch die Hohe Kommission der Vereinigten Staaten
protestierte am 11. und 31. Juli gegen diese Tat. Der Vorsitzende der sowjetischen
Kontrollkommission antwortete schließlich am 21. August und leugnete jegliche
Kenntnis des Falles, stimmte aber der Durchführung einer gemeinsamen
Untersuchung zu. Die sowjetischen Behörden unternahmen jedoch keine Schritte in
dieser Richtung. Der Hohe Kommissar der Vereinigten Staaten erinnerte die
sowjetischen Behörden am 21. November und erneut am 10. Dezember an ihre
Zustimmung zu einer Untersuchung - ohne Ergebnis. In der Zwischenzeit gab der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 477
Polizeipräsident von West-Berlin am 13. November die Ergebnisse einer
viermonatigen Untersuchung bekannt und identifizierte die Entführer von Dr. Linse
als „vier Ost-Berliner, die zuvor wegen Mordes, Einbruchs, Unterschlagung und
Tresorknackerei verurteilt worden waren“ und als Teil eines kriminell organisierten
und kriminell subventionierten Entführerrings, der vom Ministerium für
Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik * * *, einem integralen,
erfolgreichen Organ des russischen Polizeistaats, genehmigt, finanziell unterstützt
und geleitet wurde.)
(Die Entführung von Dr. Linse und andere Vorfälle dieser Art waren nach Ansicht
der ostdeutschen Behörden angeblich „legale“ Taten im Rahmen des „Gesetzes zum
Schutz des Friedens“, das am 15. Dezember 1950 verkündet wurde.)
210. 18. Juli 1952.––Die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland
unterzeichneten in Bonn eine Vereinbarung über die Finanzierung bestimmter
Bildungsaustauschprogramme und über die Einrichtung einer Bildungskommission
der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland. Das Abkommen galt für
West-Berlin, und in Artikel IV wurde die Zusammensetzung der Kommission
festgelegt :
Die Kommission setzt sich aus zehn Mitgliedern zusammen, von denen fünf Bürger der
Vereinigten Staaten von Amerika und fünf Deutsche sein sollen, die ihren ständigen Wohnsitz in
der Bundesrepublik Deutschland und/oder im westlichen Sektor Berlins haben.
211. 1. August 1952.––Gleichzeitig mit der Ankündigung eines neuen
zonenübergreifenden Handelsabkommens zwischen West- und Ostdeutschland (siehe
Eintrag vom 20. September 1951), das den Austausch von nicht-strategischen Gütern
im Wert von 207 Millionen DM vorsah, beschwerte sich der Vorsitzende der
sowjetischen Kontrollkommission bei den westlichen Hohen Kommissaren über die
Verhängung strategischer Kontrollen im Ost-West-Handel in Deutschland,
insbesondere im Hinblick auf Stahl, als Verstoß gegen das Pariser Abkommen von
1949, das die Berlin-Blockade beendete. (Diesen Vorwurf wiesen die westlichen Hohen
Kommissare am 20. August zurück.)
212. 1. Oktober 1952.––In einem Brief an die drei westlichen Hohen Kommissare
für Deutschland forderte der Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen
in Berlin „kategorisch“––
die sofortige Schließung aller Spionage-, Ablenkungs- und Terrorzentren im amerikanischen,
britischen und französischen Sektor von Berlin und die Einstellung ihrer verbrecherischen
Aktivitäten gegen die Deutsche Demokratische Republik und den Ostsektor von Berlin.
Der sowjetische Befehlshaber stützte seine Anschuldigungen auf Erkenntnisse, die er
in einer Reihe von––
Verfahren, die vor kurzem in Berlin, Dresden, Leipzig, Halle, Potsdam und anderen Städten gegen
terroristische und diversionistische Banden durchgeführt wurden, die bei der Begehung von
Straftaten auf dem Gebiet der DDR und im Ostsektor Berlins ergriffen wurden * * *.
(In ihrer Antwort vom 3. November wiesen die westlichen Hohen Kommissare
darauf hin, daß die Handlungen der vom sowjetischen Befehlshaber erwähnten
Organisationen in West-Berlin „nichts mit Spionage, Diversionismus oder Terror zu
tun haben“. „Diese Organisationen“, so fuhren sie fort, „wären nicht notwendig und
würden aufhören zu existieren, wenn es in der Sowjetzone und in Ost-Berlin
grundlegende Menschenrechte wie Redefreiheit, Freizügigkeit und Freiheit von
willkürlicher Verhaftung gäbe.“)
213. 8.––16. Oktober 1952.––Zwei sowjetische MIG–15 flogen nah an einem
amerikanischen Lazarettflugzeug, das den Luftkorridor Frankfurt-Berlin nutzte,
478 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

vorbei und beschossen es. Ein Protest des amerikanischen Kommandanten in Berlin
löste am 10. Oktober einen Gegenprotest des stellvertretenden sowjetischen Stabs-
chefs in Deutschland aus, der behauptete, das amerikanische Flugzeug habe den Luft-
korridor verletzt. Der amerikanische Kommandant antwortete am 16. Oktober, daß
die Wetterbedingungen das Lazarettflugzeug etwas vom Kurs abgebracht hätten, daß
aber der sowjetische Jagdflugzeugangriff eine grobe Verletzung der für den Luftver-
kehr in diesem Korridor geltenden Vorschriften darstelle.
214. 23. Oktober 1952.––Das britisch-sowjetische Abkommen über die Regelung des
Binnenschiffsverkehrs zwischen West- und Ostdeutschland auf den Kanälen, die
durch die sowjetische Zone Deutschlands und den britischen Sektor Berlins führen
(siehe Eintrag vom 6. bis 22. März 1951), wurde bis zum 31. Dezember 1953 verlängert.
215. 4. November 1952.––In einem Brief an einen Parteitag der westdeutschen
Sozialdemokratischen Partei erläuterte der westdeutsche Kanzler die Fortschritte bei
der wirtschaftlichen Erholung Berlins und die Maßnahmen der Bundesregierung zur
Beschleunigung dieser Entwicklung. Er wies die am 31. Oktober vom Westberliner
Oberbürgermeister geäußerte Bitte zurück, Westberlin solle sich an der Bundestags-
wahl 1953 beteiligen und direkt gewählte Vertreter in den Bundestag entsenden. Der
Kanzler wies darauf hin, daß dies den Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik
und den drei Westmächten über den Status von Berlin zuwiderlaufen würde.
216. 3.–8. Dezember 1952.––Zur Durchsetzung eines Verbots (27. November) für
den Kauf von Lebensmitteln und „Industrieartikeln“ in Ost-Berlin durch Nicht-
Einwohner des sowjetischen Sektors hielten die ostdeutschen Behörden den Straßen-
verkehr zwischen den Ost- und Westsektoren der Stadt auf, um Fahrzeuge auf
„illegale“ Einkäufe zu kontrollieren. Diese Praxis wurde am 8. Dezember nach
Protesten der westlichen Kommandanten eingestellt.
217. 16. Januar 1953.––Die Vereinigten Staaten teilten der Sowjetunion mit, daß
sie die sowjetische Regierung und nicht die „Deutsche Demokratische Republik“ für
jegliche Schäden an amerikanischem Eigentum in der Sowjetzone Deutschlands und
im sowjetischen Sektor Berlins verantwortlich machen würden. (Siehe Einträge vom
23. Februar und 23. Mai 1952.)
218. 13. Februar 1953.––Die Regierung von Ost-Berlin wurde nach dem üblichen
kommunistischen Muster reorganisiert, wobei eine 130-köpfige Volksversammlung die
Funktionen aller zuvor getrennten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Justizorgane
ersetzte und übernahm.
219. 18. Februar 1953.––Bei seinem ersten Besuch in Berlin als Hoher Kommissar
der Vereinigten Staaten für Deutschland sagte James B. Conant in einer Rundfunk-
ansprache zu den Berlinern :
Die neue Regierung in Washington wird Berlin nicht im Stich lassen. Die Vereinigten Staaten
haben sich verpflichtet, ihren Teil dazu beizutragen, daß diese Stadt ein unerschütterlicher
Vorposten der westlichen Welt bleibt. Wir werden weiterhin auf dem freien Verkehr [von Waren
und Personen] in der gesamten Stadt beharren. Wir werden weiterhin unsere Pflichten erfüllen
und unsere Rechte wahren. * * * Ich bin nach Berlin gekommen, um die Berliner noch einmal
daran zu erinnern, daß sie keineswegs Bewohner einer vergessenen Stadt sind * * *.
Er erinnerte die Berliner daran, daß Berlin, sobald die vertraglichen
Vereinbarungen mit Westdeutschland und der Vertrag über die Europäische
Verteidigungsgemeinschaft (der derzeit ausgehandelt wird) ratifiziert sind, „in der
Verantwortung der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens“ bleiben
werde. „Aber in dem Maße, in dem sich die Stärke des neuen Europas entwickelt“, fuhr
er fort, „und in dem Maße, in dem sich die neue Idee der europäischen Einheit bewährt,
muss es sicherlich zu Veränderungen kommen. Die Grenzen der Freiheit werden sich
friedlich ausdehnen, sodaß Berlin dann keine isolierte Zitadelle mehr sein wird.“ „Bis
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 479
es so weit ist“, schloss er, „muss die Versicherung seiner Freiheit und seines
industriellen Wohlstands von der Stärke der westlichen Welt abhängen und diese
Stärke wird nicht versagen.“
220. 27. Februar 1953.––Die drei Westmächte und die Bundesrepublik Deutschland
unterzeichneten in London ein Abkommen über deutsche Auslandsschulden, dessen
Anwendung auf Berlin in Artikel V Absatz 5 aufgeschoben wurde, “bis Verhandlungen
über die Begleichung dieser Schulden * * * als durchführbar angesehen werden“.
(Siehe Eintrag vom 15. August 1955.)
221. 12. März 1953.––Nachdem zwei sowjetische MIG-15 bereits vorher an diesem
Tag einen britischen Bomber bedroht hatten, der sich auf einer Übungsmission über
Kassel in der britischen Zone Deutschlands befand, schossen sie einen britischen
Lincoln-Bomber, der sich ebenfalls auf einer Übungsmission befand, über der Elbe im
Luftkorridor Hamburg-Berlin ab. Die britische Regierung protestierte förmlich gegen
den Vorfall und kündigte an, daß von nun an alle britischen Schulflugzeuge bewaffnet
sein und erforderlichenfalls von Jagdflugzeugen eskortiert werden würden.
Der Vorsitzende der sowjetischen Kontrollkommission bedauerte den Verlust von
Menschenleben bei diesem Zwischenfall, behauptete jedoch, der britische Bomber sei
weit vom Kurs abgekommen. Er schlug eine Konferenz in Berlin zwischen britischen
und sowjetischen Vertretern vor, um künftige Zwischenfälle dieser Art zu vermeiden.
(Die Geheimgespräche begannen am 31. März in Berlin.)
222. 9. April 1953.––Der westdeutsche Kanzler Adenauer und Außenminister
Dulles tauschten in Washington Mitteilungen aus, um „das gegenseitige Verständnis
für das geistige, künstlerische, wissenschaftliche und soziale Leben der Völker beider
Länder zu fördern“. Es wurde vereinbart :
Diese Vereinbarung gilt auch für das Gebiet von Berlin, sobald die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland eine entsprechende Erklärung gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika abgibt.
(Diese „übereinstimmende Erklärung“ wurde der Regierung der Vereinigten Staaten
von Amerika am 2. Oktober übermittelt).
Zum Abschluss der Gespräche, die der westdeutsche Kanzler Adenauer in
Washington führte, wurde ein Kommuniqué herausgegeben, das den folgenden Absatz
über Berlin enthielt :
Der besonderen Lage Berlins wurde [vom Außenminister und dem deutschen Kanzler]
Rechnung getragen und Bewunderung für die politische Entschlossenheit und den Mut seiner
Bewohner zum Ausdruck gebracht. Man war sich einig, daß die moralische und materielle
Unterstützung, die notwendig ist, um die Stadt stark zu halten, eine Angelegenheit von höchster
Bedeutung ist. Der Kanzler deutete an, daß er beabsichtige, weitere Maßnahmen zur Steigerung
der Produktion und zur Senkung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Der Minister erklärte, daß die
US-Regierung jetzt eine Unterstützung für Investitionen und andere Programme zur
Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen in Berlin in Erwägung ziehe.
223. 3. Juni 1953.––Die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland
unterzeichneten in Bonn ein Abkommen über die Anwendung des Freundschafts-,
Handels- und Konsularvertrags vom 8. Dezember 1923 (in der Fassung des
Abkommens vom 2. Juni 1953). (Gemäß den Bestimmungen des Abkommens trat es
für Berlin in Kraft, als die Bonner Regierung den Vereinigten Staaten am 1. März 1955
mitteilte, daß „alle dafür erforderlichen rechtlichen Verfahren in Berlin“ eingehalten
worden seien.)
224. 16.–17. Juni 1953.––In Ost-Berlin kam es zu einer Reihe von Unruhen, die auf
die Unzufriedenheit der lokalen Bevölkerung mit dem kommunistischen Regime
zurückzuführen waren. Diese Protestdemonstrationen begannen mit einem Streik und
einer Protestparade von etwa 5.000 Ostberliner Bauarbeitern, die durch die
480 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Veröffentlichung einer städtischen Verordnung, in der eine Erhöhung der


Arbeitsquoten um 10 % gefordert wurde, zum Handeln veranlasst wurden. Die
Bewegung wuchs zu einem größeren Aufstand an, als sich 20.000 bis 50.000 weitere
Ostberliner Arbeiter der Demonstration anschlossen und etwa 200.000 Arbeiter in
Ostdeutschland in den Streik traten. Der Aufstand wurde mit Hilfe sowjetischer
Panzer gewaltsam niedergeschlagen und die sowjetischen Behörden riefen in Ost-
Berlin das Kriegsrecht aus.
Die kommunistischen Behörden erkannten die ernste Bedeutung des Aufstandes
und nahmen am 28. Juni eine Reihe von „Sozialisierungs“-Reformen zurück, die am 9.
Juni verkündet worden waren, und lockerten einige Reise- und
Rationierungsbeschränkungen sowie Steuererhebungsverfahren. Gleichzeitig wurde
die Kollektivierung der landwirtschaftlichen Betriebe gestoppt, einige verstaatlichte
Fabriken wurden wieder in Privateigentum überführt, es wurden Vorkehrungen für
die Erörterung von Arbeitnehmerbeschwerden getroffen und es wurden Vorkehrungen
für die Herstellung von mehr Konsumgütern und eine Ausweitung des Handels mit
Westdeutschland getroffen.
225. 17.–24. Juni 1953.––Die drei westlichen Kommandanten wiesen am 17. Juni in
einer Erklärung die sowjetischen Anschuldigungen, der Berliner Aufstand sei von
„Agents Provocateurs“ aus West-Berlin angezettelt worden, kategorisch zurück.
Außerdem richteten sie eine förmliche Mitteilung an den Vorsitzenden der
sowjetischen Kontrollkommission, in der sie ihre „tiefe Besorgnis“ über die Ereignisse
in Berlin zum Ausdruck brachten, den „unverantwortlichen Rückgriff auf militärische
Gewalt“ bei der Niederschlagung des Aufstands verurteilten und forderten, daß „die
strengen Beschränkungen, die der Bevölkerung auferlegt wurden, sofort aufgehoben
und der freie Verkehr in Berlin wiederhergestellt werden“.
Der sowjetische Kommandant in Berlin antwortete am 20. Juni und bezeichnete die
Proteste der westlichen Kommandanten als „ohne jede Grundlage“. Daraufhin
bestanden die westlichen Kommandanten am 24. Juni darauf, daß „die verbleibenden
Beschränkungen, die der Berliner Bevölkerung auferlegt wurden, aufgehoben werden
und daß die bereits unternommenen Schritte * * * zur Wiederherstellung des
Verkehrs innerhalb Berlins bis zu ihrer logischen Konsequenz, der freien und
uneingeschränkten Bewegung zwischen allen Sektoren, durchgeführt werden“. „Wir
unsererseits“, so heißt es in den Briefen der westlichen Kommandanten weiter,
„werden wie immer unserer Verantwortung für die Erhaltung von Recht und Ordnung
in unseren Sektoren nachkommen und wir sind bereit, unseren Teil zur
Wiederherstellung normaler Lebensbedingungen in der ganzen Stadt beizutragen.“
226. 11. Juli 1953.––Die Sowjetregierung lehnte einen amerikanischen Plan zur
Lieferung amerikanischer Lebensmittel in die sowjetische Zone Deutschlands und den
sowjetischen Sektor Berlins entschieden ab. (Der amerikanische Plan, den der
Geschäftsträger der Vereinigten Staaten in Moskau am 10. Juli vorstellte, wurde als
Antwort auf eine Einladung des westdeutschen Kanzlers Adenauer vom 4. Juli an die
Vereinigten Staaten, zur Teilnahme an einer Kampagne zur Lieferung von
Nahrungsmitteln für die sowjetisch kontrollierten Gebiete Deutschlands, die in
Westdeutschland aufgrund eines Bundestagsbeschlusses vom 1. Juli durchgeführt
wurde, vorgelegt.)
227. 26. Juli 1953.––Infolge der Weigerung der Sowjetregierung vom 11. Juli, die
Verteilung von Lebensmitteln von außerhalb der Sowjetzone Deutschlands und des
sowjetischen Sektors von Berlin zuzulassen, wurde in West-Berlin ein Programm zur
Verteilung von Lebensmitteln zugunsten derjenigen Ostdeutschen gestartet, die in die
westlichen Sektoren der Stadt gelangen konnten, um die Pakete in Empfang zu
nehmen. (Das Programm lief erfolgreich bis zum 10. August, als eine Unterbrechung
zur Reorganisation notwendig wurde, und vom 15. August bis zum 10. Oktober).
228. 1. August 1953.––Der ostdeutsche Minister für Eisenbahnwesen verbot den
Bahnverkehr von Ostdeutschland nach Berlin, um den Erfolg des West-Berliner
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 481
Programms zur Lieferung von Lebensmitteln an Ostdeutsche zu schmälern.
229. 26. August–17. September 1953.––Die drei westlichen Hohen Kommissare für
Deutschland richteten ähnliche Noten an den sowjetischen Hohen Kommissar, in
denen sie die Beseitigung der Grenzzäune und die Herstellung der Freizügigkeit
zwischen der Sowjetzone und den westlichen Zonen Deutschlands vorschlugen. Sie
empfahlen, in der Sowjetzone „die notwendigen administrativen Vorkehrungen“ zu
treffen, „damit deutsche Staatsangehörige, die in Berlin, der sowjetischen und den
westlichen Besatzungszonen ansässig sind, gegen Vorlage ihres Personalausweises
frei zwischen diesen Zonen Deutschlands und Berlin reisen können.“ Sobald dies
geschehen sei, so die westlichen Hohen Kommissare, würde auf die
zonenübergreifenden Ausweisanforderungen in den anderen Zonen verzichtet werden.
Der sowjetische Hohe Kommissar entgegnete daraufhin am 1. September, daß eine
solche Angelegenheit besser den west- und ostdeutschen Behörden zur Regelung
vorgelegt werden sollte. Die westlichen Hohen Kommissare erwiderten am 17.
September, daß „das zonenübergreifende Ausweissystem durch eine vierseitige
Vereinbarung eingeführt wurde und daß daher die Aufhebung dieses Erfordernisses
eine Angelegenheit ist, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Besatzungsmächte
fällt“.
230. 22. Oktober 1953.––Das West-Berliner Abgeordnetenhaus wählte Walter
Schreiber (Christdemokrat) zum Oberbürgermeister als Nachfolger von Ernst Reuter,
der am 29. September verstorben war. (Der neue Senat wurde erst am 12. November
gebildet, als die Sozialdemokratische Partei nach einem langen Streit über die Anzahl
der auf ihre Mitglieder entfallenden Sitze aus der Regierungskoalition ausschied und
damit die Bildung eines Senats aus Christdemokraten und Freien (Liberalen)
Demokraten ermöglichte).
231. 17. Dezember 1953.––Das West-Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedete
einstimmig einen Beschluss, in dem die westlichen Kommandanten in Berlin gebeten
werden, Gespräche mit ihren sowjetischen Kollegen aufzunehmen, um die
bestehenden Hindernisse für die Freizügigkeit zwischen dem West- und dem Ostteil
der Stadt zu beseitigen. (Siehe Eintrag vom 26. August–17. September.)
232. 31. Dezember 1953.––Das West-Berliner Abgeordnetenhaus lehnte die Bitte
des Ost-Berliner Bürgermeisters ab, Gespräche zwischen Vertretern der beiden
Sektoren zu führen, um eine breitere Diskussion der vier Mächte über das deutsche
Problem auf der bevorstehenden Außenministerkonferenz in Berlin zu fördern. Der
Sprecher des Abgeordnetenhauses wies darauf hin, daß der West-Berliner Gesetzgeber
das einzige frei gewählte Gremium in der Stadt sei und daher als einziges befugt sei,
die Wähler der Stadt auf höherer Ebene zu vertreten.
233. 19. Februar 1954.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs gaben nach dem gescheiterten Versuch der
Vier-Mächte-Konferenz in Berlin (25. Januar–18. Februar), eine Einigung über
Deutschland zu erzielen, ein separates Kommuniqué heraus, in dem sie in Bezug auf
Berlin erklärten :
Die drei Regierungen bekräftigen ihr bleibendes Interesse an der Sicherheit der Stadt, wie es in
der Dreiererklärung vom 27. Mai 1952 zum Ausdruck gebracht wurde. Sie werden alles in ihrer
Macht Stehende tun, um die Bedingungen in Berlin zu verbessern und das wirtschaftliche
Wohlergehen der Stadt zu fördern.
234. 22. Februar–23. Juni 1954.––Die westlichen Hohen Kommissare schlugen dem
sowjetischen Hohen Kommissar am 22. Februar eine Lockerung der
482 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Beschränkungen der Freizügigkeit zwischen Ost- und Westdeutschland sowie


zwischen Ost- und West-Berlin vor. (Siehe Eintrag vom 17. Dezember 1953.)
Der ostdeutsche Ministerpräsident erklärte jedoch am 24. Februar vor der
Volkskammer, daß solche Verhandlungen nicht von den vier Mächten, sondern von
den beiden deutschen Regimen geführt werden sollten. In ähnlicher Weise schlug die
sowjetische Kontrollkommission in ihrer Antwort an die westlichen Behörden am 6.
März die Einrichtung zweier ostdeutsch-westdeutscher Ausschüsse vor, die die
technischen und kulturellen Aspekte des Problems behandeln sollten. Darauf
antworteten die westlichen Hohen Kommissare am 17. März, daß die sowjetischen
Vorschläge die Frage direkter Maßnahmen vermeiden, von denen viele von den
sowjetischen Behörden allein ergriffen werden müssten, da es in Westdeutschland und
Westberlin keine entsprechenden Einschränkungen gäbe.
In seiner Antwort vom 18. April hielt der sowjetische Hohe Kommissar an seinem
Vorschlag fest, gemeinsame Ausschüsse von West- und Ostdeutschland zu bilden. Er
warf außerdem vor, daß die „kriminellen Organisationen“ in West-Berlin, die seiner
Meinung nach „Komplotte“ gegen das ostdeutsche Regime schmiedeten, von den
westlichen Behörden noch nicht aufgelöst worden seien. Die sowjetischen Vorschläge
für die Einrichtung von ostdeutsch-westdeutschen Ausschüssen wurden von den
westlichen Hohen Kommissaren am 24. Mai abgelehnt, als sie darauf hinwiesen, daß
weder die Westmächte noch Westdeutschland die ostdeutschen Behörden als
„Regierung“ anerkennen und daß sie die Sowjetunion weiterhin als verantwortlich für
die Bedingungen und Entwicklungen in Ostdeutschland betrachten. Sie wiederholten
dann ihre eigenen früheren Vorschläge für Schritte zur Lockerung der interzonalen
und intersektoralen Beschränkungen.
Am 23. Juni unternahmen die ostdeutschen Behörden einen kleinen Schritt, indem
sie eine Reihe von Reisebeschränkungen aufhoben, die den Bewohnern der 1953
eingerichteten 5 Kilometer breiten Pufferzone entlang der Grenze zwischen Ost- und
Westdeutschland auferlegt worden waren.
235. 26. Februar 1954.––Der Ostberliner „Magistrat“ forderte ( a ) die Aufhebung
der Grundsatzerklärung von 1949 für West-Berlin, ( b ) die Herausnahme Groß-
Berlins aus dem Geltungsbereich der vertraglichen Vereinbarungen und des Vertrages
über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, ( c ) die Aufhebung aller
„Sabotage“-Zentren in West-Berlin, ( d ) die Versammlungsfreiheit aller Parteien und
Massenorganisationen in ganz Berlin und ( e ) die Umsetzung bestimmter
Verstaatlichungsbestimmungen und Beschlagnahmegesetze (in Bezug auf ehemalige
Nazi-Bestände) in West-Berlin––als Schritte zur Normalisierung der Beziehungen
zwischen den beiden Teilen Berlins.
236. 25. März 1954.––Die sowjetische Regierung gab eine Erklärung ab, in der sie
vorgab, Ostdeutschland den Status einer souveränen Republik zu gewähren.
Oberflächlich betrachtet entsprach diese Erklärung im Großen und Ganzen dem
Muster der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Vereinigten Staaten, dem
Vereinigten Königreich, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, die am 26.
Mai 1952 in Bonn unterzeichnet wurden und deren Inkrafttreten von der
Unterzeichnung und dem Inkrafttreten des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft abhing.
237. 30. März 1954.––Die ostdeutschen Behörden kündigten an, daß angesichts der
nahezu vollständigen „Souveränität“, die der „Deutschen Demokratischen Republik“
von der Sowjetunion am 25. März zuerkannt worden war, alle Missionen der
Westmächte in Ostdeutschland und Ost-Berlin, die als Vertreter des Vier-Mächte-
Kontrollrats auf ostdeutschem Gebiet tätig und stationiert waren, sich fortan bei den
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 483
ostdeutschen Behörden akkreditieren und von diesen genehmigt werden müssten.
(Diese Entscheidung wurde den drei westlichen Hohen Kommissaren vom
sowjetischen Hohen Kommissar am 15. April offiziell mitgeteilt).
(Der westdeutsche Bundestag verabschiedete am 7. April einstimmig eine
Entschließung, mit der die Anerkennung der dem ostdeutschen Regime gewährten
„Souveränität“ verweigert wurde, und die drei westlichen Hohen Kommissare in Bonn
gaben am 8. April im Namen ihrer jeweiligen Regierungen eine Erklärung mit
ähnlicher Absicht ab.)
238. 13. April 1954.––Dr. A. Truchnovic von der Organisation der weißrussischen
Emigranten in Berlin und Heinz Gläske, Ortsvorsitzender des Vereins der
Heimkehrer, wurden von sowjetischen Agenten im britischen Sektor Berlins entführt.
(Die drei westlichen Kommandanten protestierten am 15. April beim Berliner
Vertreter der Sowjetischen Kontrollkommission gegen diese Aktion. Dieser antwortete
am 30. April, daß sich Dr. Truchnovic „freiwillig“ den sowjetischen Behörden gestellt
habe. Am 5. Mai teilte das DDR-Innenministerium mit, daß es Gläske als Agenten der
„Spionageagentur“ von Gehlen verhaftet habe).
239. 17.–20. Juli 1954.––Als Geste von „symbolischer Bedeutung“ tritt das west-
deutsche Wahlkollegium in Berlin zusammen und wählt Theodor Heuss erneut zum
Bundespräsidenten der Bundesrepublik. Bundespräsident Heuss und Bundeskanzler
Adenauer setzten anschließend ihren Staatsbesuch in West-Berlin fort.
240. 17. September 1954.––Bei den Feierlichkeiten anlässlich der Eröffnung der
Amerikanischen Gedenkbibliothek in Berlin sagte der Hohe Kommissar der USA für
Deutschland unter anderem :
Wir alle sehen mit Zuversicht dem Tag entgegen, an dem Berlin wieder die ihm gebührende
Stellung einnehmen und die Hauptstadt eines in Frieden und Freiheit wiedervereinigten
Deutschlands werden wird. Bis zu diesem Tag bleibt es die Pflicht der freien Welt, insbesondere
der Bundesrepublik und der drei hier anwesenden Schutzmächte, alles zu tun, um Berlin als
Symbol der Freiheit zu stärken und zu unterstützen. Das gilt nicht nur für den wirtschaftlichen
und militärischen, sondern auch für den geistigen Bereich.
241. 28. September 1954.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs gaben im Rahmen der Londoner Neun-
Mächte-Konferenz über Deutschland und die europäische Sicherheit (28. September
bis 3. Oktober) eine gemeinsame Erklärung ab, deren Absatz 5 sich auf Berlin bezog
und lautete :
Die Sicherheit und das Wohlergehen Berlins und die Aufrechterhaltung der Stellung der Drei
Mächte dort werden von den Drei Mächten als wesentliche Elemente des Friedens der freien Welt
in der gegenwärtigen internationalen Lage angesehen. Dementsprechend werden sie bewaffnete
Kräfte auf dem Territorium Berlins aufrechterhalten, solange ihre Verantwortung dies erfordert.
Sie bekräftigen daher, daß sie jeden Angriff auf Berlin, von welcher Seite auch immer, als einen
Angriff auf ihre Streitkräfte und sich selbst betrachten werden.
(Diese Erklärung wurde in die Schlussakte der Konferenz aufgenommen, die am 3.
Oktober veröffentlicht wurde).
242. 17. Oktober 1954.––Die Wahlen zur Volkskammer der DDR fanden in der
gesamten sowjetischen Zone Deutschlands und im sowjetischen Sektor Berlins statt.
In Ost-Berlin beteiligten sich nach kommunistischen Angaben 97,7 % der Wähler und
unterstützten fast einhellig die kommunistisch dominierten Kandidatenlisten der
Nationalen Front.
243. 23. Oktober 1954.––Die Außenminister der Vereinigten Staaten, des
Vereinigten Königreichs und Frankreichs gaben auf der Pariser Konferenz über die
484 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Gründung einer Westeuropäischen Union (20.–23. Oktober) eine Erklärung zu Berlin


ab, die wie folgt lautete :
Was Berlin betrifft, so haben die Außenminister Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und
der Vereinigten Staaten zusätzlich zu den im Londoner Kommuniqué vom 3. Oktober 1954 (siehe
Eintrag vom 28. September) enthaltenen Sicherheitsgarantien der Alliierten für die Stadt mit
großer Genugtuung die enge und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Alliierten und
den Berliner Behörden festgestellt. Die drei Mächte sind entschlossen, in Berlin das größtmögliche
Maß an Selbstverwaltung zu gewährleisten, das mit der besonderen Lage Berlins vereinbar ist.
Dementsprechend haben die drei Regierungen ihre Vertreter in Berlin angewiesen, sich mit den
Behörden dieser Stadt zu beraten, um die vorstehenden Grundsätze gemeinsam und in
größtmöglichem Umfang umzusetzen.
244. 5. Dezember 1954.––Bei den Wahlen in West-Berlin erhielten die
Sozialdemokraten 64 Sitze im neuen Abgeordnetenhaus, die Christdemokraten 44 und
die Freien Demokraten 19. (Das Abgeordnetenhaus trat am 2. Januar 1955 zu seiner
ersten Sitzung zusammen und wählte Otto Suhr zum Oberbürgermeister.)
245. 30. März–20. Mai 1955.––Trotz westlicher Proteste führte das ostdeutsche
Regime eine drastisch erhöhte Maut für westdeutsche Fahrzeuge ein, die Autobahnen
in der sowjetischen Zone benutzten, und behielt sie bei. Die Erhöhung von 100 % auf
1.000 % galt nicht für alliierte Fahrzeuge, die die Autobahn Helmstedt-Berlin
benutzten. Die neuen Tarife wurden am 30. März bekannt gegeben und traten am 1.
April in Kraft. Die drei westlichen Hohen Kommissare protestierten am 31. März und
am 15. April und schlugen an letzterem Tag ein Treffen der vier Hohen Kommissare
in Berlin vor. Die westdeutschen Behörden ersuchten am 1. und 14. April um
Konsultationen mit den ostdeutschen Behörden, jedoch ohne Erfolg. Die vier Hohen
Kommissare hielten am 20. Mai eine Sitzung zu diesem Problem ab, doch der
sowjetische Kommissar bestand darauf, daß das Problem von den Ost- und
Westdeutschen und nicht von den Vier Mächten erörtert werden sollte.
246. 5. Mai 1955.––Mit der Hinterlegung der erforderlichen Anzahl von
Ratifizierungsurkunden traten die Pariser Abkommen vom Oktober 1954 in Kraft, die
zur Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in den Nordatlantikpakt und zur
Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik führten ; die drei
Westmächte hoben das Besatzungsstatut auf, und die Bundesrepublik Deutschland
wurde ein souveräner Staat.
247. 15. August 1955.––Die deutsche Bundesregierung teilte den drei Westmächten
mit, daß zwischen dem Berliner Senat und der Bonner Regierung Einigkeit darüber
erzielt worden sei, daß es nun „praktikabel“ sei, über eine Regelung der
Auslandsschulden der Stadt Berlin im Rahmen des Auslandsschuldenabkommens vom
27. Februar 1953 zu verhandeln. (In Noten vom 8. Januar 1956 stimmten die drei
Westmächte diesen Verhandlungen zu.)
248. 14. September 1955.––Die Sowjetische Regierung erkannte die
Bundesrepublik Deutschland nach Abschluss der am 9. September in Moskau
begonnenen Gespräche mit der westdeutschen Führung vollständig diplomatisch an.
(Die Sowjetunion hatte zuvor, am 25. Januar, den Kriegszustand mit Deutschland
beendet und sich die in den Abkommen von Jalta und Potsdam von 1945 festgelegten
Rechte und Pflichten gegenüber Deutschland vorbehalten).
Bei der Zustimmung zur Aufnahme förmlicher diplomatischer Beziehungen mit der
Sowjetunion teilte der deutsche Bundeskanzler dem Vorsitzenden des sowjetischen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 485
Ministerrats mit, daß dieser Schritt nicht––
eine Anerkennung des gegenwärtigen territorialen Status auf beiden Seiten darstelle, da die
endgültige Abgrenzung der deutschen Grenzen dem Friedensvertrag vorbehalten sei––
und daß er „keine Änderung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung in bezug
auf ihre Befugnisse zur Vertretung des deutschen Volkes in internationalen
Angelegenheiten und in bezug auf die politischen Verhältnisse in den deutschen
Gebieten, die sich gegenwärtig außerhalb ihrer tatsächlichen Souveränität befinden,“
bedeute.
249. 20. September 1955.––Ostdeutsche und sowjetische Beamte unterzeichneten
in Moskau einen Vertrag, der der „Deutschen Demokratischen Republik“ einen Status
verleihen sollte, der mit dem vergleichbar war, den die Westmächte der
Bundesrepublik Deutschland in den Pariser Verträgen von 1954 zuerkannt hatten.
Der sowjetisch-ostdeutsche Vertrag legte fest, daß die––
Deutsche Demokratische Republik in ihren Entscheidungen über Fragen der Innen- und
Außenpolitik, einschließlich ihrer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland, sowie über die
Entwicklung der Beziehungen zu anderen Staaten frei ist.
Gemäß dem Vertrag sollten die sowjetischen Truppen „vorübergehend“ in
Ostdeutschland bleiben.
In einem ergänzenden Briefwechsel vom selben Tag übertrug die Sowjetunion
ostdeutschen Beamten die Kontrolle über die ostdeutschen Grenzen zur
Bundesrepublik Deutschland und zu West-Berlin sowie über den Zugang von und nach
West-Berlin, mit Ausnahme der Bewegung von „Personal und Material der Truppen
der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs in West-Berlin“, die „bis
zum Abschluß eines entsprechenden Abkommens vorübergehend durch das
Kommando der sowjetischen Truppen in Deutschland ausgeübt werden“ sollte.
Gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Vertrages und des Briefwechsels erließ die
sowjetische Regierung ein Dekret zur Abschaffung des Amtes des sowjetischen
Hochkommissars in Deutschland, in dem es hieß, daß––
die Aufgaben der Aufrechterhaltung der entsprechenden Beziehungen in der Deutschen
Demokratischen Republik mit den Vertretern der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und
Frankreichs in den Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen, die sich aus den Beschlüssen der
vier Mächte ergeben, dem Botschafter der UdSSR in der Deutschen Demokratischen Republik
übertragen wurden.
250. 28. September 1955.––In New York betonten die Außenminister der
Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs zu den
Vereinbarungen zwischen Ostdeutschland und der Sowjetunion vom 20. September,
daß––
diese Abkommen die Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten der Sowjetunion im Rahmen der
Abkommen und Vereinbarungen zwischen den Drei Mächten und der Sowjetunion über
Deutschland und Berlin nicht berühren können. Die Sowjetunion bleibt für die Erfüllung dieser
Verpflichtungen verantwortlich.
(Diese Ansichten wurden der sowjetischen Regierung am 3. Oktober von den drei
Westmächten in gleichlautenden Noten mitgeteilt).
251. 18. Oktober 1955.––Die Sowjetische Regierung antwortete auf die Noten der
Westmächte vom 3. Oktober (siehe Eintrag vom 28. September) und wies darauf hin,
daß
mit dem Abschluß des Vertrages mit der Deutschen Demokratischen Republik die Sowjetische
Regierung gleichzeitig den Beschluß gefaßt hat, die Funktion des Hochkommissars der UdSSR in
Deutschland abzuschaffen und die Gültigkeit der von den Besatzungsmächten im Rahmen der
Ausübung der Besatzungsrechte in Deutschland erlassenen Gesetze, Direktiven und
486 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Verordnungen des ehemaligen Kontrollrates in Deutschland auf dem Gebiet der Deutschen
Demokratischen Republik aufzuheben. * * * Bei der Unterzeichnung des
Vertrages * * * gingen die Parteien davon aus, daß die Deutsche Demokratische Republik ihre
Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet ihrer Souveränität ausübt, was selbstverständlich auch für den
Verkehr auf diesem Gebiet gilt.
Was die Kontrolle des Transports von militärischem Personal und Fracht der in West-Berlin
stationierten Garnisonen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin anbelangt, so wurde in den Verhandlungen
zwischen den Regierungen der UdSSR und der Deutschen Demokratischen Republik vereinbart,
daß diese Kontrolle bis zum Abschluß eines entsprechenden Abkommens vorübergehend durch das
Kommando der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland ausgeübt wird.
Es versteht sich von selbst, daß die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen
Demokratischen Republik beim Abschluß des obengenannten Vertrages die Verpflichtungen
berücksichtigt haben, die sich für beide aus den bestehenden internationalen Abkommen in bezug
auf Deutschland als Ganzes ergeben.
252. 24. Oktober 1955.––Anlässlich einer Zeremonie in Berlin zum fünften
Jahrestag der Installation der Freiheitsglocke sandte Präsident Eisenhower eine
Botschaft, die unter anderem lautete :
Ich versichere Sie der anhaltenden Sorge meines Landes um das Wohlergehen der Stadt und
unserer festen Unterstützung für die Einheit Berlins und ganz Deutschlands.
253. 27. Oktober 1955.––In ihrer Antwort auf die sowjetische Note vom 18. Oktober
bekräftigen die Westmächte, daß die Vereinbarungen vom 20. September zwischen der
Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion––
in keiner Weise als Entbindung der sowjetischen Regierung von ihren Verpflichtungen aus den
bestehenden Vier-Mächte-Abkommen angesehen werden können, insbesondere von ihrer
Verantwortung, das normale Funktionieren der Kommunikation zwischen den verschiedenen
Teilen Deutschlands einschließlich Berlins zu gewährleisten.
254. 29. November 1955.––Der Kommandant der Vereinigten Staaten von Amerika
in Berlin übergab dem Militärkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin eine
Note, in der er nachdrücklich gegen das Vorgehen der ostdeutschen Volkspolizei
protestierte, die an diesem Tag zwei Kongressabgeordnete der Vereinigten Staaten von
Amerika, die Ehefrau eines der Kongressabgeordneten und einen Offizier der US-
Armee vier Stunden lang festhielt, weil sie angeblich gegen die Gesetze der „Deutschen
Demokratischen Republik“ verstoßen hatten, die Ausländern das Halten und
Betreiben von Funksendern in Fahrzeugen untersagten.
Ich erwarte von Ihnen, daß Sie sofortige Maßnahmen ergreifen,
sagte der Amerikanische Kommandant––
um eine Wiederholung solcher Vorfälle zu verhindern, die, wie Sie mir sicher zustimmen werden,
einen Verstoß gegen die bewährte Politik des freien Verkehrs in Berlin darstellen. In der
Zwischenzeit habe ich nicht die Absicht, die Praxis zu ändern, daß in Fahrzeugen des Berliner
Kommandos, die in den sowjetischen Sektor Berlins einfahren, Funksender vorhanden sind, und
ich habe auch nicht die Absicht, weitere Belästigungen von Mitarbeitern der Vereinigten Staaten
durch Mitglieder der Volkspolizei zu dulden.
255. 1. Dezember 1955.––Die drei westlichen Botschafter in der Bundesrepublik
Deutschland protestierten beim sowjetischen Botschafter in der Deutschen
Demokratischen Republik gegen den Vorfall vom 29. November und seine Folgen und
wiesen darauf hin, daß der Vorfall „eine Beeinträchtigung des freien Verkehrs der
Alliierten in Berlin und * * * ein grob unhöfliches und bedrohliches Verhalten von
Personen, die unter sowjetischer Autorität und Kontrolle handeln, gegenüber Bürgern
der Vereinigten Staaten darstellt“. Die drei Botschafter verwiesen auf „den
viergeteilten Status Berlins“ und auf die „wohlbekannte“ Haltung ihrer Regierungen
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 487
„gegenüber der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik“ und erklärten, daß
die drei Regierungen „die sowjetischen Behörden weiterhin für das Wohlergehen und
die ordnungsgemäße Behandlung“ aller ihrer Bürger „während ihrer Anwesenheit in
den Gebieten, einschließlich des sowjetischen Sektors von Berlin, die der sowjetischen
Autorität und Kontrolle unterliegen, verantwortlich machen müssen“.
256. 14.–16. Dezember 1955.––In seiner Antwort auf die Mitteilungen der drei
westlichen Botschafter vom 1. Dezember erläuterte der sowjetische Botschafter in der
Deutschen Demokratischen Republik die Ost-West-Grenzkontrollvereinbarungen
zwischen der Sowjetunion und der DDR vom 20. September mit folgenden Worten :
Aus dem Vertrag * * * [20. September] und den damit zusammenhängenden
Dokumenten * * * geht hervor, daß die Deutsche Demokratische Republik die Bewachung und
Kontrolle an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, der Demarkationslinie
zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen Bundesrepublik, am
Außenring von Groß-Berlin, in Berlin sowie an den Verbindungslinien zwischen der Deutschen
Bundesrepublik und West-Berlin ausübt.
In diesem Zusammenhang ist bekannt, daß zwischen den Regierungen der Sowjetunion und der
Deutschen Demokratischen Republik Vereinbarungen bestehen, wonach die Kontrolle des
Verkehrs von Personal und Fracht der in West-Berlin stationierten Garnisonen der Vereinigten
Staaten, Großbritanniens und Frankreichs zwischen der Deutschen Bundesrepublik und West-
Berlin bis zum Abschluß eines entsprechenden Abkommens vorübergehend durch das Kommando
der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland ausgeübt wird.
Die westlichen Botschafter antworteten am 16. Dezember, daß sie weiterhin––
die Sowjetische Regierung für die Verpflichtungen verantwortlich machen, die sie im Rahmen der
vierseitigen Vereinbarungen über Deutschland, einschließlich Berlin, übernommen hat.
257. 16. Dezember 1955.––Zum Abschluss der regulären Dezember-Ministertagung
des Nordatlantikrats in Paris wurde ein Kommuniqué veröffentlicht, in dem der
Rat––
bekräftigte, daß er die Regierung der Bundesrepublik als die einzige deutsche Regierung ansieht,
die frei und rechtmäßig konstituiert und daher berechtigt ist, als Vertreter des deutschen Volkes
in internationalen Angelegenheiten für Deutschland zu sprechen ; er betonte erneut, daß die
Sicherheit und das Wohlergehen Berlins als wesentliche Elemente des Friedens der freien Welt in
der gegenwärtigen internationalen Lage betrachtet werden sollten ; er wies nachdrücklich darauf
hin, daß es wichtig ist, innerhalb der NATO weitere Konsultationen über die Frage der deutschen
Wiedervereinigung und über die Lage in Berlin durchzuführen.
258. 1. Februar 1956.––Zum Abschluss der am 30. Januar begonnenen Gespräche
gaben Präsident Eisenhower und der britische Premierminister Eden eine
gemeinsame Erklärung ab, die eine erneute Zusage zu Berlin enthielt, die wie folgt
lautete :
Wir bekräftigen unser bleibendes Interesse an der Sicherheit und dem Wohlergehen Berlins.
Wir werden weiterhin, wie wir in der Vergangenheit erklärt haben, jeden Angriff auf Berlin von
irgendeiner Seite als einen Angriff auf unsere Streitkräfte und uns selbst betrachten.
259. 10. Februar 1956.––Die drei westlichen Botschafter übergaben dem
sowjetischen Botschafter in der Deutschen Demokratischen Republik identische
Noten, in denen sie gegen die Bewaffnung ziviler und paramilitärischer Einheiten
durch die ostdeutschen und sowjetischen Behörden im sowjetischen Sektor Berlins
protestierten, die gegen die vierseitigen Vereinbarungen verstößt. Jede Note schloss
mit folgenden Worten :
Wie Sie wissen, ist das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit durch eine vierteilige
Gesetzgebung verboten, auf die die britischen, französischen und amerikanischen Kommandanten
großen Wert legen und die sie in ihren Sektoren sorgfältig beachtet haben. Meine Regierung hofft,
daß die sowjetische Regierung als zuständige Behörde die örtlichen Behörden im sowjetischen
Sektor daran hindern wird, den Frieden in Berlin durch die Unterstützung von Aktivitäten
488 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

bewaffneter ziviler Gruppen oder durch andere gegen die westlichen Sektoren gerichtete
Drohungen zu gefährden.
260. 15. März 1956.––Ein Bundesgesetz zur Regelung der Wahlen 1957 wurde vom
Bundestag verabschiedet. In dem Gesetz wurde anerkannt, daß die drei Westmächte
beabsichtigten, die Bestimmungen des Grundgesetzes, die Berlin in die
Bundesrepublik einbeziehen würden, weiterhin auszusetzen; dementsprechend sah
das Gesetz als Übergangsmaßnahme vor, daß die 22 Abgeordneten aus Berlin für den
Bundestag vom Abgeordnetenhaus von Berlin und nicht in direkter Volkswahl gewählt
werden sollten.
Das Wahlgesetz hat weder Auswirkungen auf den räumlichen Status Berlins noch
auf das Verfahren zur Benennung der Berliner Abgeordneten im Bundestag noch auf
deren Nicht-Stimmberechtigung im Bundestag.

ANHANG III

INDEX ZUR CHRONOLOGIE

(Verweise beziehen sich auf nummerierte Einträge in der Chronologie und nicht auf Seitenzahlen.)
Luftverkehr (von und nach West-Berlin) : Sowjetische und ostdeutsche Eingriffe in den, Einträge 71, 77,
78, 198, 213, 221.
Luftbrücke (westliche) nach West-Berlin, Einträge 53, 75, 133.
Alliierte Kontrollkommission für Deutschland, Viermächte- : Berlin, Viermächteverwaltung von,
Entscheidungen betreffend, Einträge 3, 8 ; Währungsproblem, Gespräche der Finanzberater über,
Einträge 50, 51 ; Beendigung der Sitzungen der, Eintrag 32.
Alliierte Hohe Kommission (in Westdeutschland) : Ostdeutsche „Souveränität“, Nichtanerkennung durch,
Eintrag 237 ; Interzonale Freizügigkeit, Verhandlungen mit dem sowjetischen Hohen Kommissar über,
Einträge 229, 234, 245 ; West-Berlin, Status von, Erklärung zu, Eintrag 138.
Berlin : Hauptstadt des westdeutschen Staates, vorgeschlagene, Eintrag 135.
Berlin-Blockade (1948–1949) : Luftbrücke (westliche) Einträge 53, 75, 133 ; Gegenblockade (west-liche),
Einträge 52, 59, 75, 100, 101 ; Währungsumrechnung (sowjetische), Eintrag 51 ; Währungsreform
(westliche), Einträge 48–52, 107, Aufhebung der, Eintrag 114 ; Verhandlungen betreffend, Einträge
52–55, 57–59, 61, 65–68, 70, 71, 75–81, 97, 100, 101, 104, 105, 108–111 ; Sowjetische Züge zur
Einleitung der, Einträge 34–40, 43–49, 51, 52, 54 ; Erwägung der Vereinten Nationen zur, Einträge
54, 79, 81, 82, 84, 86–89, 91, 92, 104, 105.
Bizonaler (amerikanisch-britischer) Wirtschaftsraum ; Aufnahme West-Berlins , Eintrag 124.
Bundesrat (westdeutscher) : Vertretung West-Berlins in, Einträge 112, 113, 129, 130.
Bundestag (westdeutscher) : stadtweite Wahlen in Berlin, Beschluss zu, Eintrag 186 ; Ostdeutsche
„Souveränität“, Nichtanerkennung durch, Eintrag 239 ; Vertretung West-Berlins in , Einträge 112,
113, 122, 129, 130, 192–194, 215, 260.
„Volkskammer“ (ostdeutsch) : Vertretung Ost-Berlins in, Eintrag 134.
Berliner Stadtverordnetenversammlung (1946) : Berlin-Blockade, Beschlüsse zu, Einträge 54, 65 ;
Verfassung (1948) Arbeit an, Einträge 20, 24, 25, 31, 41, 42 ; Wahl der, Einträge 18–20 ; Wahlen
(1948), Vorbereitungen zu den, Einträge 80, 81 ; Ostrowski (Oberbürgermeister), Ablehnung, Einträge
24, 25 ; Umzug nach West-Berlin, Eintrag 73 ; Ausschreitungen in, Einträge 51, 69, 73.
„Stadtverordnetenversammlung“ von Ost-Berlin : Bildung der, Einträge 72, 99 ; Ablösung der, Eintrag
218.
Stadtverordnetenversammlung West-Berlins (1948) : Wahl der, Eintrag 94 ; Wahlen (1950),
Vorbereitungen für, Einträge 152–154, 156–157 ; West-Berlins Status als Land, Beschluss zu, Eintrag
129 ; Westdeutsches Grundgesetz, Abstimmung zum, Eintrag 118. (Siehe auch „Abgeordnetenhaus von
West-Berlin“.)
Kommandanten (Viermächte) in Berlin (Sitzung außerhalb des Kommandantur-Rahmens) : Beschlüsse
der sechsten Sitzung des Rates der Außenminister über Berlin, Umsetzungsversuche, Eintrag 127 ;
Eisenbahnstreik, Schlichtungsversuche, Einträge 118, 120, 141, 143.
Verfassung (dauerhafte) von 1948 für Berlin : Ausarbeitung der, Einträge 20, 31, 41.
Verfassung (dauerhafte) von 1950 für West-Berlin : Ausarbeitung der, Eintrag 163 ; Inkrafttreten,
Eintrag 168 ; Bedingte Zustimmung der Westkommandanten zu, Eintrag 163.
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 489
Verfassung (vorläufige) von 1946 für Berlin : Ausarbeitung der, Einträge 12, 16 ; Inkrafttreten,
Eintrag 19 ; Durchführung der, Eintrag 22.
Rat der Außenminister : Berliner und Deutschlandproblem, Sitzung (vorgeschlagen) zur Erörterung des,
Einträge 100, 104, 108, 110 ; sechste Sitzung, Einträge 119, 123.
Währungsumrechnung in Ostdeutschland und Ost-Berlin, Einträge 50, 51.
Währungsreform in Westdeutschland und West-Berlin, Einträge 48–52, 105, 107.
Abbau in Westberlin, Einstellung des, Eintrag 139.
Ost-Berlin (sowjetischer Sektor) : Hauptstadt der "Deutschen Demokratischen Republik", Eintrag 134 ;
Regierungsumstrukturierung in, Eintrag 218 ; Wiedereinführung von Haus- und Straßen-wächtern in,
Eintrag 102 ; paramilitärische Organisationen in, Eintrag 259 ; Polizei in das ostdeutsche
Polizeisystem eingegliedert, Eintrag 39 ; öffentliche Versorgungseinrichtungen für West-Berlin,
Unterbrechungen der, Einträge 160, 165, 166 ; Urabstimmung (sozialdemokratisch) verboten in,
Eintrag 13 ; Aufstand vom 16./17. Juni 1953, Eintrag 224, 225 ; Sozialisierungsgesetze für, Eintrag
106 ; Änderung der, Eintrag 224.
Ostdeutschland (sowjetische Besatzungszone) : Wahlen in (1950), Einträge 170, (1954), 242 ; Wahlen
in Groß-Berlin, Ansichten über Einträge 170, 172, 173, 186 ; Lebensmittelversorgungs-programm
(amerikanisch-westdeutsch) für, Einträge 226–228 ; Grenzkontrolle, Übernahme durch, Einträge
145, 249, 251, 253–256 ; „Deutsche Demokratische Republik“, Gründung der, Eintrag 134 ; erhöhte
Souveränität für, Einträge 236, 237, 248, 249 ; Nichtanerkennung von, durch die West-Berliner
Stadtverordnetenversammlung, Eintrag 135, durch West-Deutschland, Eintrag 237, durch die
Westmächte, Einträge 237, 255–257 ; Entführung von Westdeutschen durch, Einträge 174, 212, 238 ;
„Gesetz zum Schutz des Friedens“, Eintrag 174 ; Aufenthalts-gesetz von, Eintrag 207 ; Aufstand vom
16./17. Juni 1953, Eintrag 224 ; Steinsteucken (im amerikanischen Sektor) Beschlagnahmung und
Evakuierung durch, Eintrag 188 ; Handelsabkommen mit Westdeutschland, Einträge 135, 169, 176,
187, 211 ; Blockade von, Einträge 147, 181–184, 200, 202 ; Beziehungen Westdeutschlands zu,
Einträge 136, 147, 169, 172–177, 179, 181–184, 186–188, 211–217, 237, 245.
Wirtschaftliches Hilfsprogramm für West-Berlin : im Rahmen des European Recovery Program, Einträge
48, 61, 127, 137, 138, 142, 180 ; Westdeutsch, Einträge 137, 142, 171, 190, 204, 206, 215, 222.
Bildungsaustauschprogramme: Beteiligung West-Berlins an, Eintrag 210.
Wahlen : Gesamtdeutsche, Bemühungen zur Durchführung von, Einträge 197, 199 ; in Berlin (1946) ,
Einträge 18, 19, (1950) , vorgeschlagen, Einträge 152–154, 156, 157, (1951) , vorgeschlagen,
Einträge 172, 186 ; in Ostdeutschland (1950) , Einträge 170, (1954) , 242 ; in West-Berlin (1948) ,
Einträge 80, 94, 95, (1950) , 167, 173, (1954) , 244, in Westdeutschland (1953) , Verweigerung der
Teilnahme West-Berlins an den Wahlen Pos. 215.
European Recovery Plan, Beteiligung West-Berlins am, Einträge 48, 61, 127, 137, 138, 142, 180.
Freie Universität Berlin : Gründung der, Eintrag 83 ; Pläne für, Einträge 42, 49.
Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag, US-deutscher Vertrag von 1923 : Antrag auf West-
Berlin, Eintrag 223.
Autobahnverkehr (von und nach West-Berlin) : Sowjetische und ostdeutsche Eingriffe in den, Einträge 34,
35, 46, 49, 117, 125, 144–147, 184, 200–202, 216, 245.
Abgeordnetenhaus von West-Berlin (1950) : Wahl des, Eintrag 173 ; intersektorale Freizügigkeit,
Beschluss zur, Eintrag 231. (Siehe auch „Stadtverordnetenversammlung West-Berlins“).
Abgeordnetenhaus von West-Berlin (1954) : Wahl des, Eintrag 244.
Interzonale und intersektorale Freizügigkeit, Verhandlungen über die, Einträge 229, 231, 234, 245,
249–251, 253–256.
Investitionen (ausländische) in West-Berlin : Förderung von, Eintrag 180 ; Lockerung der
Beschränkungen von, Eintrag 158.
Kommandantur, Vier Mächte (Interalliierte Regierungsbehörde für Berlin) : Verfassung (1946) für
Berlin, Ermächtigung und Billigung der, durch die, Einträge 12, 16, Befugnisse der, die ihr durch die,
vorbehalten sind, Einträge 19, 21–23 ; Einrichtung der, Einträge 1, 8, 9 ; Mitgliedschaft Frankreichs
in, Eintrag 10 ; politische Parteien in Berlin, Ermächtigung der, durch die, Einträge 15, 19 ;
Untersuchung der, durch die, Eintrag 31 ; vierseitige Funktionsweise der, Wiederherstellungs-
versuche, Einträge 152, 153, 156, 157, 159 ; Sowjetische Verordnungen in Berlin, Genehmigung der,
durch die, Eintrag 9 ; Sowjetischer Rückzug aus der, Einträge 36, 43, 47, 56.
Land-Status West-Berlins : Vorschläge und Schritte hin zum, Einträge 103, 109, 110, 112, 113, 129,
163, 192, 204, 217, 259, 260.
Magistrat von Berlin (1945) : Verfassung (1946) Arbeit an, Einträge 12, 16, 31 ; Einrichtung, Eintrag
2.
Magistrat von Berlin (1946) : Währungsvorschriften des, Einträge 50, 51 ; Wahl des, Eintrag 20 ;
Nichtanerkennung des, durch sowjetische Behörden, Eintrag 20 ; Polizeipräsident entfernt durch,
490 DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59

Eintrag 64 ; Umzug in den britischen Sektor, Eintrag 92 ; Universität Berlin, Kontrolle der, durch
den, Einträge 42, 49, 83.
„Magistrat“ von Ost-Berlin : Berlin-Problem, Vorschläge zur Lösung des, Eintrag 235 ; Einrichtung des,
Einträge 91, 93 ; Aufgaben des, Einträge 102, 106, 140.
Magistrat von West-Berlin (1949) : Wahl des, Eintrag 98 ; im Rahmen der Grundsatzerklärung
übertragene Befugnisse, Eintrag 115 ; Jugendkundgebung (kommunistisch gesponsert) , Verbot der
durch, Eintrag 148.
Militärgouverneure (Vier-Mächte) für Deutschland (Treffen außerhalb des Rahmens der Kontroll-
kommission) : Berlin-Blockade, Beilegung, Vier-Mächte-Direktive an, bezüglich, Einträge 71, 76, 77,
80, 86 ; Sitzungen zur Umsetzung, Punkte 71, 76 ; Deutschlandproblem, Beschlüsse der sechsten
Sitzung des Rates der Außenminister über, Sitzungen zu Umsetzung, Eintrag 126.
Ausweitung der Meistbegünstigungstarife auf West-Berlin , Eintrag 128.
Besatzungsstatut (westdeutsches) : Berlin, Anwendung auf, 108 ; Ausarbeitung des, Einträge 61, 68,
70, 101, 108, 110 ; Inkrafttreten, Eintrag 132 ; Ersetzung des, Eintrag 204.
Ostrowski, Dr. Otto : Kommunisten, Zusammenarbeit mit den, Einträge 24, 25 ; Wahl zum
Oberbürgermeister , Eintrag 20 ; Ablehnung und Rücktritt von, Eintrag 24.
„Volksversammlung“ von Ost-Berlin: Einrichtung der, Eintrag 218.
„Volkskammer“ (ostdeutsche) : Vertretung Ost-Berlins in, Einträge 134, 161.
Petersburger Protokoll : Auswirkung auf West-Berlin, Eintrag 139.
Politische Demonstrationen in Berlin, Einträge 74, 148, 155, 224.
Politische Parteien und Organisationen in Berlin, Ermächtigung der (1945) , Eintrag 4, (1946) , Einträge
13–15, (1947) , Eintrag 21.
Öffentliches Eigentum in West-Berlin, Wiederherstellung des Eigentums der Stadt an, Eintrag 109.
Öffentliche Versorgungseinrichtungen für West-Berlin, Unterbrechungen, Einträge 160, 165, 205.
Radio Berlin : Vier-Mächtekontrolle über, Problematik, Eintrag 11.
Eisenbahnverkehr (von und nach West-Berlin) , sowjetische und ostdeutsche Einmischung in, Eintrag
34, 37, 38, 49, 51–54, 177, 228.
Eisenbahnstreik (West-Berlin) , Einträge 118, 120, 131, 141.
Flüchtlingsproblem in West-Berlin, Einträge 171, 195.
Reparationen an die UdSSR, Aussetzung der Lieferung bis zur Aufhebung der Berlin-Blockade, Eintrag
59.
Reuter, Ernst : Tod von, Eintrag 230 ; Wahl zum Oberbürgermeister von Berlin (1947) , Eintrag 26, von
West-Berlin (1948) , Einträge 95, (1949), 98 ; Freie Universität Berlin, Vorsitzender der
Vorbereitungskommission für, Eintrag 49 ; Abteilung Öffentliche Versorgungseinrichtungen,
Entlassung als Leiter, Eintrag 85.
RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) , Einrichtung von, Eintrag 17.
Schreiber, Walter : Wahl zum Oberbürgermeister von West-Berlin, Eintrag 230.
Senat von West-Berlin (1953) , Wahl zum . Eintrag 230.
Sowjetischer Kommandant in Berlin : Berlin-Blockade, Rolle des in, Einträge 35, 47, 49 ; Berliner
Aufstand (1953) , Anklage wegen durch, Eintrag 147 ; Währungsreform, Ablehnung der Erörterung,
Eintrag 49 ; „Magistrat“ von Ost-Berlin, Anerkennung des durch, Eintrag 93 ; Übertragung von
Verwaltungsaufgaben an durch, Eintrag 140 ; Wahlen in Berlin (1948) , Veto gegen durch, Eintrag
80 (1950) , Auflagen für bestimmte, Eintrag 153 ; „Spionage“-Behörden in West-Berlin, Beschwerden
zu, Eintrag 212 ; Kommandantur, Austritt aus, Eintrag 47 : Magistrat (1946) ,
Anerkennungsverweigerung, Eintrag 20 ; Normalisierung der Verhältnisse in Berlin, Verhandlungen
mit Westkommandanten zu, Einträge 141, 143, 144, 147 ; Ostrowski (Oberbürgermeister) ,
Ablehnung der Anerkennung des Rücktritts von, Eintrag 25 ; Partei-untersuchung, Veto des, Eintrag
31 ; Bahnstreik, Verhandlungen mit Westkommandanten zu, Einträge 120, 141, 143 ; Reuter
(Oberbürgermeister) , Veto durch bei Wahl von, Eintrag 27.
Sowjetische Kontrollkommission (in Ostdeutschland) : Zugang zu Berlin, Verhandlungen mit
Westkommandanten über, Einträge 182, 184 ; Flugzeugzwischenfälle, Geheimverhandlungen mit
britischen Behörden über, Eintrag 221 ; Einrichtung der, Eintrag 136 ; Grenzkontrolle, Ver-legung
der nach Ostdeutschland, Eintrag 145 ; West Staaken (im britischen Sektor) , Übernahme von durch,
Eintrag 175 ; Abzug der Weststreitkräfte aus Berlin gefordert von, Eintrag 159.
Sowjetregierung : Berlin-Blockade, Verhandlungen mit den Westmächten über, Einträge 59–61, 63, 66–
68, 70–71, 75–79, 81, 82, 100, 101, 104 ; Maßnahmen der UN bezüglich, Haltung gegenüber,
Einträge 79, 81, 84, 86, 87–90 ; Lebensmittelversorgungsprogramm (amerikanisch-west-deutsches)
für Ostdeutschland, Ablehnung des durch, Einträge 226, 227 ; „Deutsche Demokratische Republik“,
volle „Souveränität“ gewährt durch, Einträge 248, 249, 251 ; Bundesrepublik Deutschland,
Anerkennung der durch, Eintrag 248 ; UN-Kommission für deutsche Wahlen, Verweigerung der
DOKUMENTE ÜBER DEUTSCHLAND, 1944–59 491
Zusammenarbeit mit, Einträge 197, 199 ; US-Eigentum in der sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands, verantwortlich gemacht für, Einträge 196, 203, 217.
Sowjetischer Hoher Kommissar in Ostdeutschland : Abschaffung des Amtes des, Eintrag 249 ; inter-
zonale Freizügigkeit, Verhandlungen mit westlichen Hohen Kommissaren zu, Einträge 229, 234, 245.
Sowjetische Militärverwaltung in Ostdeutschland, Beendigung der, Eintrag 136.
Sowjetischer Militärgouverneur für Deutschland : Sitzungen der Alliierten Kontrollkommission, Störung
der durch, Eintrag 32 ; Berliner Verwaltung, Verhandlungen mit westlichen Militärgouverneuren
über, Einträge 55, 71 , 76.
Sowjetische Besetzung Berlins (1945) , Eintrag 2.
Grundsatzerklärung für West-Berlin : Überarbeitung der, Einträge 164, 178, 243 ; Bedingungen der,
Eintrag 115.
Steinsteucken (im amerikanischen Sektor) , Übernahme und Räumung von durch ostdeutsche Behörden,
Eintrag 188.
Strategische Kontrollen in West-Berlin : Einrichtung von, Einträge 179, 181 ; Sowjetische Beschwerden
über, Eintrag 211.
Suhr, Dr. Otto : Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung (West-Berlin) , Wahl zum, Eintrag 98;
Oberbürgermeister von West-Berlin, Wahl zum, Eintrag 244.
Kommission der Vereinten Nationen für gesamtdeutsche Wahlen : Aktivitäten der, Eintrag 197 ;
Ernennung der, Eintrag 197 ; Schlussbericht der, Eintrag 199 ; vorläufiger Bericht der, Eintrag 199.
Einzug der Vereinigten Staaten in Berlin (1945) , Einträge 5–7.
Regierung der Vereinigten Staaten : Berlin, Erklärungen zu, Einträge 33, 55, 146, 150, 189, 190, 201,
217, 219, 240, 241, 252, 253 ; Berlin-Blockade, Aufhebung der, Erklärung zur, Eintrag 101 ;
Lebensmittelversorgungsprogramm für Ostdeutschland, Einträge 226–228 ; Eigentum in der
sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Verantwortlichkeit der Sowjetregierung durch die,
Einträge 196, 201, 219.
Schiffsverkehr (von und nach West-Berlin) , sowjetische und ostdeutsche Eingriffe in den und
Vereinbarungen bezüglich, Einträge 40, 44, 49, 51, 117, 144, 145, 147, 166, 177, 214.
Westdeutschland : Berlin, Hilfsprogramm für, Einträge 137, 142, 171, 190, 204–206, 215, 222 ;
Übertragung von Behörden nach, Eintrag 149 ; Verfassung für, Ausarbeitung der, Einträge 103, 110,
112 ; Ostdeutschland, Lebensmittelversorgungsprogramm für, Einträge 226–228 ; Beziehungen zu,
Einträge 135, 136, 146–148, 169, 172, 174–177, 179, 181–184, 186–188, 211, 212, 245 ;
"Souveränität" von, Nichtanerkennung durch, Eintrag 237 ; Bundesrepublik Deutsch-land, Gründung,
Eintrag 132 ; volle Souveränität an, Eintrag 246 ; Anerkennung von durch die UdSSR, Eintrag 248 ;
Besatzungsstatut, Ausarbeitung des, Einträge 61, 66–68, 70–71, 101, 108 ; Inkrafttreten, Eintrag
132 ; Aufhebung des, Eintrag 246 ; Handelsabkommen mit Ostdeutschland, Einträge 135, 169, 176,
177, 187, 211 ; Behinderung des, Einträge 146, 147, 179, 181–184, 200–202, 245.
West Staaken (im britischen Sektor) , beschlagnahmt von der sowjetischen Kontrollkommission, Eintrag
175.
Westliche Kommandanten in Berlin : Zugang zu Berlin, Verhandlungen mit sowjetischer
Kontrollkommission über, Einträge 181, 182, 184 ; Berliner Aufstand (1953) , Erklärungen zu,
Eintrag 225 ; Verfassung (1950) von West-Berlin, Billigung durch Eintrag 163 ; Währungs-reform,
Ausdehnung auf West-Berlin , Erklärungen zu, Einträge 51, 107 ; Wahlen, gesamtstädtisch (1950) ,
Bedingungen für bestimmte, Einträge 152–154, 156, 157, (1951) , abgelehnt durch, Eintrag 172 ;
"Spionage"-Behörden in West-Berlin, Bemerkungen an den sowjetischen Kommandanten über, Eintrag
212 ; Lebensmittelrationierung in West-Berlin, aufgehoben durch, Eintrag 162 ; Normalisierung der
Verhältnisse in Berlin, Verhandlungen mit dem sowjetischen Kommandanten über, Einträge 141, 143,
144, 147, 156–157 ; Eisenbahnstreik, Verhandlungen mit dem sowjetischen Kommandanten über,
Einträge 120, 141, 143 ; Grundsatz-erklärung, im Rahmen der Grundsatzerklärung übertragene
Befugnisse, Eintrag 115 ; Westliche Kommandantur, Aufgaben, Einträge 96, 121.
Westliche Militärgouverneure für Deutschland : Berliner Verwaltung, Austausch mit sowjetischem
Militärgouverneur über, Eintrag 91 ; Berlin-Blockade, Verhandlungen mit dem sowjetischen
Militärgouverneur betreffend, Einträge 57, 76 ; Verfassung für Westdeutschland (Bestimmungen zu
Berlin) , Kommentare zur, Einträge 103, 108, 110, 112, 113.
Westmächte (USA, Großbritannien und Frankreich) : Berlin, Position in, Erklärungen betreffend,
Einträge 55, 138, 154, 163, 164, 185, 189, 190, 204, 205, 213, 233, 240, 241, 243, 250, 257, 258 ;
Berlin-Blockade, Verhandlungen mit der Sowjetregierung über, Einträge 58, 60, 61 , 65–68, 71, 75–
79; Maßnahmen der UN bezüglich, Einstellung zu, Einträge 79, 81, 82, 84, 86–89, 91, 92, 104–
105, 111 ; Streitkräfte in Berlin, sowjetische Versuche der Sicherung des Abzugs der, Einträge 153,
159, 172 ; UN-Kommission für deutsche Wahlen, Bemühungen zur Unterstützung, Einträge 197, 199.

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