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D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
30. Sitzung
Inhalt:
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2269 C Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekre
tär BMI 2274 C
Horst Peter (Kassel) SPD 2270 C
Hinrich Kuessner SPD 2274 D
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2270D
Hannelore Rönsch, Bundesministerin
Dr. Peter Struck SPD 2271 A BMFuS 2274 D
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2271A Dr. Peter Struck SPD 2275 B
Clemens Schwalbe CDU/CSU 2271 B Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2275 B
- Otto Schily SPD
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2271 C 2275 D
Dr. Emil Schnell SPD 2271 C Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2275D
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2271 C Claus Jäger CDU/CSU 2276 A
Erika Steinbach-Hermann CDU/CSU . . . 2272 A Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2276 A
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 2272 A Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . . . 2276A
Tagesordnungspunkt 3: Zusatztagesordnungspunkt 3:
Beratung der Unterrichtung durch die Beratung des Antrags der Fraktion der
Bundesregierung SPD: Deutsche Hilfe bei der Ölbrand-
Agrarbericht 1991 bekämpfung in Kuwait (Drucksache
Agrar- und ernährungspolitischer Be- 12/727)
richt der Bundesregierung (Drucksachen
12/70, 12/71) Dr. Klaus Kübler SPD 2341A
Anlage 5 Anlage 6
Umweltschonende Räumung der Kasernen- Auswirkungen des Verzichts auf die Feststel-
anlagen in den neuen Bundesländern durch lung von Einheitswerten auf die Landwirt-
die sowjetischen Streitkräfte schaft
SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMF 2354* D SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMF 2355* A
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2269
30. Sitzung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Herren, die Sitzung ist eröffnet. desminister der Finanzen: Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte für die Bundesregierung zu dem
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Zwischenbericht über die Abflüsse der Mittel aus dem
heutige Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte Aufschwung-Ost-Programm Stellung nehmen. Ich
sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste auf-
darf vorwegschicken, daß sich das Kabinett über diese
geführt:
Abflüsse regelmäßig unterrichten läßt und daß auch
1. Aktuelle Stunde: Bekämpfung des Treibhauseffektes durch der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages
die Bundesrepublik Deutschland — Einsetzung des Natio- eine monatliche Berichterstattung darüber erhalten
nalen Komitees zur Vorbereitung der Konferenz ,,Umwelt
und Entwicklung" durch den Bundeskanzler
wird, so daß auch auf diesem Wege sichergestellt ist,
daß das Parlament regelmäßig über den Abfluß der
(Aufruf im Anschluß an die Fragestunde) Mittel informiert wird.
2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Mei- Wir wollen durch diese regelmäßige Berichterstat-
nolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und tung sicherstellen, daß die vorgesehenen Be träge von
der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ul rich
Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, weiteren
jeweils 12 Milliarden DM für die Jahre 1991 und 1992
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- auch abfließen; denn sie sind dafür vorgesehen, die
wurfs eines Gesetzes über die Förderung einer einjährigen wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundeslän-
Flächenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/1992 (Flächen- dern nachhaltig zu unterstützen.
stillegungsgesetz 1991) — Drucksache 12/721 —
Zwischenzeitlich ist das Programm im Zuge der Be-
3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Deutsche Hilfe
bei der Ölbrandbekämpfung in Kuwait — Drucksache
ratung des Haushalts 1991 im Deutschen Bundestag
12/727 — auch verabschiedet worden. Der Haushaltsausschuß
des Deutschen Bundestages hat sichergestellt, daß die
Interfraktionell besteht Einvernehmen, bei der Be- Mittel gegenseitig deckungsfähig sind. Wenn es also
ratung des Flächenstillegungsgesetzes von der F rist dazu kommen sollte, daß in Einzelressorts Beträge
für den Beginn der Beratung abzusehen. Sind Sie mit nicht abfließen, kann es im Verlauf des Jahres auch zu
der Ergänzung der Tagesordnung einverstanden? — Umschichtungen kommen. Sie können dieser Rege-
Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. lung entnehmen, daß wir alles daransetzen, um auch
wirklich die vorgesehenen Beträge wirksam werden
zu lassen.
Zum Abfluß der Mittel sind in vielen Fällen Verwal-
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: tungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den
neuen Bundesländern erforderlich. Ich darf dem Par-
Befragung der Bundesregierung lament mitteilen, daß diese Verwaltungsvereinbarun-
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das gen in allen Fällen zwischenzeitlich unterzeichnet
Kabinett u. a. mit dem Zwischenbericht über den Mit- sind.
telabfluß aus dem Programm „Gemeinschaftswerk Ich füge hinzu, daß wir im Hochschulbereich eine
Aufschwung Ost" und anderen Bereichen befaßt Sonderregelung zu berücksichtigen haben im Hin-
hat. blick auf die Erneuerung der Hochschulstandorte Ost.
Ich erinnere kurz an die Regeln, nach denen im Mit den neuen Bundesländern ist zwischenzeitlich
Anschluß an diese Thematik Fragen zu anderen Be- geklärt worden, daß auch diese Verwaltungsverein-
reichen gestellt werden können. barung in den nächsten Tagen unterzeichnet wird.
Im Jahre 1991 sind den Kommunen, den Landkrei-
Die Bundesregierung hat ferner mitgeteilt, daß der
sen und den kreisfreien Städten 5 Milliarden DM als
Parlamentarische Staatssekretär Carstens berichtet.
Investitionspauschalen zugeflossen. Wir haben diese
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatsse- Gelder zwischenzeitlich überwiesen; sie stehen also
kretär, Herr Carstens. den Kommunen, Landkreisen und kreisfreien Städten
2270 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich Hannelore Rönsch, Bundesministerin für Familie
glaube durchaus, daß Sie, wenn Sie das hier vortra- und Senioren: Herr Kollege, ich bin mit Ihnen natür-
gen, solche Einzelfälle kennen. Ich kann Ihnen nur lich der Meinung, daß sich auch im Bewußtsein der
anbieten: Leiten Sie sie mir zu. Ich will mich darum Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte viel-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2275
Bundesministerin Hannelore Rönsch
leicht noch einiges ändern muß. Ich hatte vorhin schon hang mit den Kosten des Golfkrieges, mit den erheb-
angesprochen, daß ich die Leiterinnen und Leiter der lichen Ausfällen bei den Aufträgen gegenüber der
Alten- und Altenpflegeheime angeschrieben habe Sowjetunion und — nicht zuletzt auch daraus resultie-
und zum anderen auch bei allen Gesprächen die So- rend — mit den zusätzlichen Ausgaben z. B. für das
zialminister der fünf neuen Bundesländer darauf auf- Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost nun veranlaßt
merksam gemacht habe, daß sie ihre kommunalen gesehen, die Steuern anzuheben. Das Paket, das wir
Mandatsträger auf die Möglichkeiten der Mittelinan- dafür vorgesehen haben, liegt vor. Sie können sicher
spruchnahme hinweisen sollten. Aber auch bei den sein, daß die Bundesregierung ihre gesamten Planun-
Alteneinrichtungen, die jetzt Bedarf angemeldet ha- gen über die steuerlichen Maßnahmen, die wir vorse-
ben, ist es noch ausgesprochen problematisch, weil hen, in Kürze bekanntmachen wird. Ich bin nicht im-
man — gestatten Sie mir, daß ich das so sage — noch stande, Ihnen das nun schon in Einzelheiten vorzutra-
nicht das Bewußtsein hat, jetzt selbst entscheiden zu gen, da darüber die letzten Beschlüsse noch nicht
müssen, was saniert werden soll. Deswegen habe ich gefaßt sind. Sobald sie vorliegen, werden wir das Par-
vorhin das Kuratorium Deutsche Altershilfe angespro- lament selbstverständlich unterrichten.
chen, das Informationsmaterialien, aber auch techni-
sche Hilfe anbietet. Aber, wie gesagt, den Leiterinnen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine Zusatzfrage.
und Leitern der Alten- und Altenpflegeeinrichtungen
fehlt noch das Bewußtsein, daß sie jetzt selbst ent- Dr. Peter Struck (SPD): Darf ich daraus schließen,
scheiden müssen, welche Investitionen für eine Ein- Herr Staatssekretär Carstens, daß die Bundesregie-
richtung am dringendsten erforderlich sind. rung beabsichtigt, im Zusammenhang mit dem
Ich habe mit Fristsetzung bis zum 26. Juni die So- Thema des Subventionsabbaus und auch des Abbaus
zialminister mit der Bitte um Rückmeldung ange- von Steuervergünstigungen, die es zur Zeit gibt, wei-
schrieben, was im Alten- und Altenpflegebereich an tere Steuererhöhungen vorzusehen?
Mitteln abgeflossen ist. Danach muß man erneut dar-
über nachdenken, wie wir für die erste Unterstützung Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun-
in diesem Jahr, aber auch für das nächste Jahr dann desminister der Finanzen: Nein. Wir haben zunächst
noch weitere Mittel zur Verfügung stellen können. einmal vorgesehen, Subventionen in Höhe von
10 Milliarden DM einzusammeln, und werden das
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Vielen Dank, Mini- auch umsetzen. Dies geschieht auf Grund eines Koali-
sterin Rönsch. Damit schließe ich den ersten Kom- tionsbeschlusses. Sie können weiter davon ausgehen,
plex. daß wir sehr bald die Steuerpolitik der vergangenen
Jahre wieder fortsetzen werden, nämlich dafür sorgen
Gibt es noch Fragen zum aktuellen Bereich? — Herr werden, daß es in der Gesamtrechnung zu Steuerent-
Abgeordneter Struck. lastungen kommt, so wie wir es 1986, 1988 und 1990
erlebt haben. Sicherlich auch damit hängt die Aus-
Dr. Peter Struck (SPD): Ich richte meine Frage an sage des Bundesinnenministers Schäuble zusammen,
die Bundesregierung ganz allgemein und vermute daß wir nach diesen bekannten Steuerbeschlüssen
einmal, daß als Allzuständiger dann Kollege Staven- dann wieder eine Steuersenkungslinie fahren wollen.
hagen antworten wird. Dagegen spricht ja nichts, und ich nehme auch an, daß
Der Bundesinnenminister Schäuble hat, zuletzt in die SPD damit sehr einverstanden sein wird.
„Bild am Sonntag" , erklärt, nach 1993 werde es keine (Dr. Peter Struck [SPD]: Das wollen wir ein
Steuererhöhungen mehr geben. Deshalb frage ich die mal sehen!)
-
Bundesregierung: Welche Steuererhöhungen gibt es
denn bis 1993? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter
Schily.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wer antwortet für
die Bundesregierung? — Ott o Schily (SPD): Darf ich Ihrer soeben dem Kolle-
gen Struck gegebenen Antwort, daß die Bundesregie-
(Dr. Peter Struck [SPD]: Stavenhagen traut rung „im Prinzip" eine Steuersenkungspartei sei, ent-
sich nicht!) nehmen, daß Ihnen die Bundesregierung als Neben-
Herr Staatssekretär Carstens. beschäftigung die Rolle eines Sprechers bei Radio
Eriwan erlaubt?
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- (Heiterkeit bei der SPD)
desminister der Finanzen: Herr Kollege Struck, Sie
wissen ja, daß die jetzige Regierung im Prinzip eine Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Steuersenkungsregierung ist. desminister der Finanzen: Ich darf Ihnen sagen, Herr
(Lachen bei der SPD und der PDS/Linke Liste Kollege Schily, daß wir im Jahre 1990 die niedrigste
— Beifall der Abg. Uta Würfel [FDP]) Steuerquote seit dreißig Jahren in unserem Land ge-
habt haben. Das ist ein Beweis dafür, daß wir uns zu
Wir haben die Steuern in drei Schritten — 1986, 1988
Recht als Steuersenkungsregierung bezeichnen dür-
und 1990 — gesenkt
fen. Das hat nichts mit Radio Eriwan zu tun, sondern
(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Und mit der Realität.
nun kassiert ihr alles wieder ein!)
und haben damit sehr zur Entlastung der Steuer Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter
zahler beigetragen. Wir haben uns im Zusammen Jäger.
2276 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Claus Jäger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, teilen beitsplatzverluste in dieser Region abgefedert werden
Sie die Auffassung, daß eine Politik der Subventions- können.
kürzung, die Ausnahmetatbestände beseitigt, mit de- Zu befürchteten Arbeitsplatzverlusten bei der Bun-
nen besondere Steuervergünstigungen oder Abwei- deswehr ist festzustellen, daß Entscheidungen über
chungen von der allgemeinen steuerlichen Norm ge- den Abbau von zivilen Arbeitsplätzen noch nicht ge-
währt werden, im herkömmlichen Sprachgebrauch fallen sind. Der Bundesminister der Verteidigung hat
nicht als Steuererhöhung bezeichnet wird und daß vielmehr bei der Vorlage seines Standortkonzepts die
man deswegen im Umgang mit dem Beg riff Steuerer- Länder gebeten, bis zum 4. Juli dieses Jahres Stellung
höhung sehr präzise sein sollte? zu beziehen und Alternativvorschläge zu unterbrei-
ten. Die Bundesregierung, Herr Kollege Dr. Rose,
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- wird selbstverständlich alle Möglichkeiten prüfen, die
desminister der Finanzen: Ja. geeignet sind, die Auswirkungen der Konversion auf
(Heiterkeit bei der SPD und der FDP) strukturschwache Regionen so gering wie möglich zu
halten und gegebenenfalls auch sozial- und regional-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter politisch zu flankieren.
Jungmann.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine Zusatzfrage,
Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD): Herr Staats- Herr Dr. Rose.
sekretär, Bundesminister Schäuble hat in seiner Au-
ßerung gesagt, daß es ab 1993 keine Steuererhöhun-
Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Kann ich mich darauf
gen mehr geben wird. Können Sie mit absoluter Si-
verlassen, Herr Staatssekretär, daß sich die drohende
cherheit ausschließen, daß Herr Schäuble bei seiner
EG-bedingte Veränderung der Fördergebiete nicht
Aussage das Wahljahr 1994 im Auge gehabt hat? auf den Arbeitsamtsbezirk Passau auswirkt, wie das
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- z. B. am Montag dieser Woche in einer Diskussions-
desminister der Finanzen: Ich kann auf hypothe tische runde und auch schriftlich im Bundeswirtschaftsmini-
Fragen nicht antworten. sterium angedeutet wurde?
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Staatssekre-
Rose. tär.
Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Kann ich, Herr Staats- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kol-
sekretär, Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie auch die lege, ich möchte, wie Sie sicher verstehen werden,
von der SPD vorgeschlagenen Steuererhöhungen Festlegungen vermeiden. Ich kann Ihnen aber zusi-
nicht akzeptieren? chern, daß der Unterausschuß Konversion des Pla-
nungsausschusses — so möchte ich ihn einmal be-
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- zeichnen — , der mit den zuständigen Bundes- und
desminister der Finanzen: Ja. Länderministerien zusammenarbeitet, alle geeigne-
ten Maßnahmen ergreifen wird, um die möglichen
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich sehe keine wei-
oder drohenden Arbeitsplatzverluste zu verhindern
teren Fragen und schließe die Regierungsbefra- bzw. das Abgleiten dieser Region in mißliche Struktu-
gung. ren abzufedern.
Wir kommen nun zu Punkt 2 der Tagesordnung: Sie wissen, daß wir im Augenblick noch nicht viel
Fragestunde mehr sagen können, weil wir noch nicht die Erklärun-
— Drucksache 12/693 — gen der Länder zu diesen Veränderungen haben, weil
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers wir insbesondere auch nicht wissen, was an Abril-
für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht der Parla- stungsmaßnahmen bei unseren alliierten Partnern er-
mentarische Staatssekretär Beckmann zur Verfü- griffen wird, und weil sich insoweit auch die Struktu-
gung. ren noch nicht deutlich herausbilden können.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dr. Rose auf: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Weitere Zusatz-
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den dro- frage.
henden Zusammenbrüchen und Arbeitsplatzverlusten im Ar-
beitsamtsbezirk Passau (Roederstein, Optyl, Bundeswehr) ent-
gegenzuwirken? Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Darf ich Ihrer Antwort
Bitte schön, Herr Staatssekretär. insgesamt entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie,
nachdem es für die neuen Bundesländer eine Reihe
Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- von Förderinstrumenten gibt, die Aufmerksamkeit der
desminister für Wi rtschaft: Vielen Dank, Frau Präsi- Regierung auch auf Regionen in den alten Ländern
dentin. — Herr Kollege Dr. Rose, die Kreise Freyung, richten, bei denen besondere strukturelle Themen
Grafenau und Passau sowie die Stadt Passau, die zum entstehen, und daß Sie, wenn es wirk lich ganz ernst
Arbeitsamtsbezirk Passau zählen, verbleiben auch wird, auch Sonderförderinstrumente ins Auge fas-
nach dem Auslaufen der Zonenrandförderung und sen?
der Neuabgrenzung der Fördergebiete in der Förde-
rung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege
regionalen Wirtschaftsstruktur". Damit steht weiter Dr. Rose, genau das ist seitens der Bundesregierung
das bewährte GA-Instrumenta rium zur Verfügung, geplant; denn wir wissen, mit welch großen Schwie-
mit dem die drohenden bzw. schon eingetretenen Ar- rigkeiten die Bundeswehrstandorte, aber auch die
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2277
Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wie Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, teilt
hofft die Bundesregierung angesichts der zeitlichen die Bundesregierung auch meine Einschätzung, daß
Situation, in der wir uns befinden — noch genau an- die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der ge-
derthalb Jahre bis zum Inkrafttreten des Binnenmark- samten EG das großzügigste Asylrecht hat und daß es
tes — , diese Aufgabe zu bewältigen, wenn man sich bei der zu schaffenden einheitlichen Regelung ohne
noch nicht einmal über die Kompetenzfrage einig ist, Zugeständnisse unsererseits an eine europäische ge-
d. h. darüber, ob die EG eine Zuständigkeit erhalten meinschaftliche Zielsetzung nicht abgehen wird?
soll?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, das kann man nicht so einfach, wie Sie es jetzt
Jäger, das ist jetzt natürlich Spekulation. Wir werden formuliert haben, beantworten. Es gibt sehr unter-
tun, was wir tun können. Wir stellen derzeit nicht den schiedliche Regelungen. Daher müßte man diesen
Präsidenten des Rates, so daß wir, glaube ich, nicht Vergleich jetzt sehr differenziert anstellen. Deshalb
unmittelbar tätig werden können. Im Schengener Be- schrecke ich ein bißchen vor der Bewertung, daß wir
reich sind wir tätig; da führen wir auch den Vorsitz. die großzügigste Regelung haben, zurück. Aber wir
Ich kann also nur sagen: Es wird nicht an Anstren- gehören sicher zu den Ländern, in denen das Asyl-
gung gespart werden, die Dinge zu erreichen, die wir recht im Interesse des jeweils Betroffenen am groß-
uns vorgenommen haben. zügigsten gehandhabt wird.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir kommen zu Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich komme zu
Frage 8 des Abgeordneten Claus Jäger: Frage 9 der Abgeordneten E rika Steinbach-Her-
Wird nach den Erkenntnissen der Bundesregierung ein für die mann:
Europäische Gemeinschaft zu erlassendes europäisches Auslän-
dergesetz auch Bestimmungen über die Aufnahme politischer In welchem Umfang kommen die Bundesländer ihrer Ver-
Flüchtlinge und über Asylgewährung enthalten, die einheitli- pflichtung nach, insbesondere straffällig gewordene Ausländer
ches Recht in der ganzen Gemeinschaft schaffen? entweder sofort oder nach Verbüßung der jeweiligen Haftstrafe
gemäß der Ausländergesetzgebung der Bundesrepublik
Deutschland auszuweisen bzw. abzuschieben?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Da die EG der-
zeit auch im Bereich des Asylrechts keine Kompetenz Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Stein-
hat, gibt es in der angesprochenen Richtung keine
bach-Hermann, die Bundesregierung wird über die
Aktivitäten der EG-Kommission. Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden der Län-
Allerdings werden, um die angestrebte europäische der nicht laufend unterrichtet, da die ausländerrecht-
Harmonisierung des Asylrechts voranzubringen, im lichen Bestimmungen nach Art. 83 des Grundgesetzes
Rahmen der Regierungskonferenz über die Europäi- von den Ländern als eigene Angelegenheit ausge-
sche Politische Union Möglichkeiten einer Harmoni- führt werden.
sierung des Asylrechts sowie Art und Umfang etwa
Ebensowenig liegt der Bundesregierung eine Stati-
auf die EG zu übertragender Kompetenzen erörtert. stik über die Zahl der Ausweisungen und der Ab-
Vom Ergebnis dieser Bemühungen werden die künf-
schiebungen straffälliger Ausländer vor. Die Bundes-
tigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen abhän-
regierung hat keinen Anlaß zu der Annahme, daß ein-
gen.
zelne Länder die ausländergesetzlichen Vorschriften
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine Zusatzfrage. über die Aufenthaltsbeendigung straffällig geworde-
ner Ausländer nicht korrekt vollziehen.
Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, teilt
die Bundesregierung meine Einschätzung, daß dieses Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage.
Problem ebenfalls im Zusammenhang mit der Einfüh-
rung des europäischen Binnenmarktes geregelt wer- Erika Steinbach-Hermann (CDU/CSU): Herr
den muß, da zahlreiche Mitgliedstaaten der EG es Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß Sie möglicher-
nicht hinnehmen werden, daß die Grenzkontrollen weise nur deshalb keine negative Bewertung abge-
abgeschafft werden, wenn in einzelnen Ländern — ben können, weil Ihnen keine Zahlen vorliegen? Nach
z. B. bei uns — praktisch ein unbeschränkter Zugang allem, was man so hört, wird ja nicht in dem Umfang
von ausländischen Personen über die — auch miß- abgeschoben, wie es möglich wäre.
bräuchlich in Anspruch genommene — Asylgewäh-
rung erhalten bleibt? Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Diese Gefahr
ist nicht auszuschließen.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege
Jäger, wir teilen die Auffassung, daß hier ein dringen- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine weitere Zu-
der Regelungsbedarf vorhanden ist. satzfrage.
Wir dokumentieren diese Einschätzung auch da-
durch, daß wir beispielsweise im Schengener Bereich Erika Steinbach-Hermann (CDU/CSU): Herr
— wenn Sie so wollen — den Vorreiter spielen oder Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, die
eine Regelung anbieten, die dann auch insgesamt in einzelnen Bundesländer auf die Möglichkeiten hinzu-
Kraft treten könnte. Ob es uns bis dahin gelingen weisen, im Rahmen der vorhandenen gesetzlichen
wird, die Vorstellungen, die hier formuliert worden Regelungen, die ja einen breiten Spielraum lassen, im
sind, zu realisieren, bleibt abzuwarten. Interesse nicht nur der deutschen Bevölkerung, son-
dern auch der nicht straffälligen ausländischen Bevöl-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine weitere Zu- kerung die straffällig gewordenen Ausländer auszu-
satzfrage. weisen bzw. abzuschieben?
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2279
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nal des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit
wir tun das eigentlich ununterbrochen, denn die In- der DDR ist durch den Bundesminister des Innern
nenministerkonferenz beschäftigt sich laufend mit nicht übernommen worden. Eine künftige Nutzung
ausländerrechtlichen Problemen, so daß Sie davon als Schutzraum ist nicht vorgesehen. Dementspre-
ausgehen können, daß diese Auffassung der Bundes- chend soll das Objekt alsbald, möglichst bis zum
regierung den Innenministern bekannt ist. 30. Juni 1991, aus dem Ressortvermögen des Bundes-
Aber ich werde den Gedanken aufgreifen und wei- ministers des Innern an die Bundesvermögensverwal-
tergeben. Vielleicht ergibt sich demnächst wieder tung abgegeben werden.
eine entsprechende Möglichkeit. (Otto Schily [SPD]: Und was machen die da
mit?)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter
Jungmann. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage, Herr
Abgeordneter Schwanitz.
Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD): Herr Staatsse-
kretär, können Sie mir zustimmen, daß die Bundesre-
Rolf Schwanitz (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie
gierung bei ihren Entscheidungen davon ausgeht, daß
in der Lage, mir mitzuteilen, ob es über das eben von
diese auf Fakten begründet sind und daß nicht nach
Ihnen dargestellte Nutzungsmaß hinsichtlich der bau-
dem, was man so hört, entschieden wird?
lichen Veränderung oder Wiederherstellung hinaus in
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Ich habe eine der Zeit vom 18. März bis zum 3. Oktober 1990 noch
derartig hohe Achtung vor den Länderverwaltungen, eine andere Nutzungsart dieses Bunkers gab?
daß ich davon ausgehe, daß alle entsprechend zustän-
digen Länderverwaltungen an Hand von Fakten und Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nach den mir
Gesetzen entscheiden und nicht auf Grund von Ver- jetzt vorliegenden Angaben kann ich darüber keine
mutungen. Aussagen machen.
(Otto Schily [SPD]: Nur die Frau Kollegin
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Danke, Herr Staats-
nicht!)
sekretär Lintner.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Damit komme ich zu Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
Frage 10 des Abgeordneten Rolf Schwanitz: desministers der Justiz. Zur Beantwortung steht der
Was ist dem Bundesminister des Innern bekannt über die Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke zur
Unterstellung und Nutzung der ehemaligen Ausweichführungs- Verfügung.
stelle (Bunker) auf dem Gebiet der ehemaligen Waldsiedlung
Wandlitz und die seitens der Bevölkerung bis zum November
Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Dr. Jürgen
1990 gesammelten Hinweise für ein weiteres Betreiben des Bun- Meyer (Ulm) auf:
kers, und inwieweit wurde gegebenenfalls zum Zwecke einer Was meint die Bundesregierung zu dem zuletzt im Rahmen
weiteren Nutzung Personal des ehemaligen Ministeriums für der Strafrechtslehrertagung 1991 in Bochum gemachten Vor-
Staatssicherheit der DDR durch das Bundesministerium des In- schlag, die europäische Rechtsangleichung auf dem Gebiet des
nern übernommen? Strafrechts durch ein europäisches Musterstrafgesetzbuch zu
fördern?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Sehr geehrter
Herr Kollege Schwanitz, mit Beschluß des Ministerra- Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
tes der ehemaligen DDR vom 14. Dezember 1989 nister der Justiz: Herr Kollege Professor Meyer, Ver-
wurde festgelegt, daß mit den Aufgaben des Perso- treter der Bundesregierung haben die Strafrechtsleh-
nen- und Objektschutzes des ehemaligen Ministeri-
- rertagung 1991 besucht und das Referat von Prof.
ums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Dr. Sieber zur Frage einer Vereinheitlichung des eu-
Sicherheit der DDR auch die von diesen genutzten ropäischen Strafrechts sowie die Diskussion über die-
Liegenschaften auf das ehemalige Ministerium des ses Referat aufmerksam verfolgt. Die Frage, ob ein
Innern der DDR übergehen sollten. Mit einem Proto- Musterentwurf eines europäischen Strafgesetzbuchs
koll zur Übernahme bzw. Übergabe des Objekts vom erarbeitet werden sollte, bedarf eingehender Prüfung.
26. Februar 1990 zwischen dem Komitee zur Auflö- Sie erfordert nach Ansicht der Bundesregierung eine
sung des Amtes für Nationale Sicherheit der ehemali- für die Kernbereiche des Strafrechts und des Strafver-
gen DDR und dem Ministerium für innere Angelegen- fahrensrechts bereits bestehende Vergleichbarkeit
heiten wurde der Übergang der Verantwortung auf der Auffassungen in den verschiedenen europäischen
das Ministerium für innere Angelegenheiten vollzo- Staaten, wie sie derzeit vor allem von den Gremien
gen. Hierüber wurde auch der Rat der Stadt Bernau des Europarates zu einzelnen Teilgebieten wie der
unterrichtet. Der Bürgermeister erteilte seine Zustim- Strafzumessung oder der Fortpflanzungsmedizin er-
mung am 3. Mai 1990. örtert werden.
Die technische Funktionsfähigkeit des Bunkers Die Bundesregierung sieht die europäische Rechts-
wurde durch das Ministerium für innere Angelegen- entwicklung derzeit noch in einem sehr frühen Sta-
heiten bis 3. Oktober 1990 aufrechterhalten bzw. wie- dium der Schaffung vergleichbarer Prinzipien im
derhergestellt. Am 3. Oktober 1990 ging das Objekt Strafrecht. Sie weist darauf hin, daß Prof. Dr. Je-
gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrags in scheck, eine der am meisten anerkannten Autoritäten
das Ressortvermögen des Bundesministers des Innern auf dem Gebiet des Internationalen Strafrechts, in
über. Bochum Skepsis gegenüber dem Vorschlag zu erken-
Der Bunker ist seither — wie schon vor dem 3. Ok- nen gegeben hat, weil die europäischen Mitgliedstaa-
tober 1990 — nicht weiter genutzt, sondern lediglich ten in kultureller Hinsicht doch noch sehr unter-
in seiner Funktionsfähigkeit erhalten worden. Perso- schiedlich seien und daß deshalb durchaus zu bezwei-
2280 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Vizepräsident Hans Klein: Ich rufe die Frage 12 des Vizepräsident Hans Klein: Wollen andere Kollegin-
Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer zur Beantwortung nen oder Kollegen zu dieser Frage eine Zusatzfrage
auf: stellen? — Das ist nicht der Fall. Dann danke ich
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, in dieser Rich- Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die
tung über den Europarat initiativ zu werden? Beantwortung der Fragen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2281
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Wir haben Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Herr Kol-
— um das noch einmal zu unterscheiden — bei den lege Stockhausen, die nach Art. 7 des Überleitungs-
Elektrofahrzeugen und Solarmobilen eine Steuerge- abkommens vom 9. Oktober 1990 vorgesehene
setzgebung, die nicht in Frage steht. deutschsowjetische Kommission, die Bestand und
Was das Auslaufen der Besteuerung der Personen- Wert der mit sowjetischen Mitteln errichteten Bauten
kraftfahrzeuge angeht, möchte ich sagen, daß diese sowie Art und Weise der Verwertung dieser Vermö-
Förderung seit dem 1. Juli 1985 besteht. Bei der Er- genswerte bestimmt und über mögliche Schadenser-
örterung des laufenden Gesetzgebungsverfahrens satzansprüche und andere Ansprüche im Zusammen-
zum Steueränderungsgesetz 1991 ist von keiner Seite hang mit der Nutzung der Liegenschaften entschei-
2282 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Was im Verlauf zukünftiger Jahre irgendwann noch Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben
passieren kann, kann man im voraus nicht wissen. das Wort.
Aber wir haben sichergestellt, daß nach Marktwerten (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Lud
verrechnet wird. Da, wo Bundesbauten direkt einge- wig, jetzt kommt die differentia!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2283
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- chung auf Umweltschäden vornehmen, oder werden
gin Kastner, ein derartiger „Bericht des Pentagon" ist Sie demnächst so etwas einleiten?
der Bundesregierung nicht bekannt.
Ihr liegt jedoch seit August 1990 eine Stellung- Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Wir haben
nahme des Hauptquartiers der US-Armee in Europa mit den Streitkräften der Vereinigten Staaten in der
vor, wonach die US-Armee 358 Einzelfälle ermittelt Vergangenheit Verfahren entwickelt, die sich be-
hat, in denen teils nachweislich, teils vermutlich Alt- währt haben;
lasten auf überlassenen Liegenschaften bestehen. (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]:
Dabei handelt es sich im wesentlichen um drei Fall- Welche?)
gruppen. Zum einen sind in den vergangenen 45 Jah- und nach diesen Verfahren werden auch diese Fälle
ren in etlichen Fällen Kraft- und Schmierstoffe ver- abgewickelt.
schüttet worden. Zum anderen ist es beim Bet ri eb che-
mischer Reinigungen zu Bodenverschmutzungen Vizepräsident Hans Klein: Nächste Zusatzfrage, der
durch chlorierte Kohlenwasserstoffe gekommen. Abgeordnete Schily.
Schließlich müssen in einigen Fällen zum Teil bereits
geschlossene Mülldeponien darauf untersucht wer- Ott o Schily (SPD): Herr Staatssekretär, kann man
den, ob von ihnen Gefahren ausgehen. davon ausgehen, daß diese Verfahren — die Sie viel-
In den Fällen, in denen eine Gefahrenlage z. B. für leicht gütigerweise etwas näher beschreiben — des-
das Grundwasser besteht, haben die US-Streitkräfte halb nicht gut funktioniert haben, weil Sie nicht früh-
auf ihre Kosten und unter Beteiligung der deutschen zeitig auf diese Schäden aufmerksam geworden
Fachbehörden Abhilfemaßnahmen eingeleitet. sind?
Die US-Streitkräfte schätzen die Gesamtkosten auf
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Ich habe
162 Millionen Dollar. 26 der 358 Einzelfälle haben in-
sofern besonderes Gewicht, als die Sanierungskosten darauf hingewiesen, daß wir Informationen haben. Ich
pro Fall auf mehr als 1 Million Dollar geschätzt wer- habe nur festgestellt, daß uns dieser in der Frage an-
den. gesprochene Be richt nicht vorgelegen hat. Wir haben
aber die Regierung der Vereinigten Staaten gebeten,
Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle- uns mitzuteilen, ob dort Informationen bekannt sind,
gin. die über das hinausgehen, was man uns bislang mit-
geteilt hat. Wir können uns bislang nicht beklagen,
Susanne Kastner (SPD): Herr Staatssekretär, ist das daß es irgend etwas an Verheimlichungen gegeben
Finanzministerium bereit, m ir die Liste dieser Stand- haben könnte. Das lief in der Vergangenheit alles
orte zuzuleiten, weil bekannt ist, daß z. B. in Wildflek- recht reibungslos.
ken Grundwassergefährdungen durch die Mülldepo- (Otto Schily [SPD]: Sie können das bisher
nie der Amerikaner vorhanden sind, bei der es zwar doch gar nicht überprüfen!)
zu einem Planfeststellungsverfahren, aber bis zum
heutigen Tag nicht zu einer Sanierung kam? Vizepräsident Hans Klein: Die nächste Zusatzfrage,
Herr Kollege Sielaff.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Staatssekretär.
Horst Sielaff (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Ich schlage mir sagen, welche Gründe dafür sprechen, daß Sie
vor, seitens der Bundesregierung so zu verfahren, daß diesen von Frau Kastner eben erwarteten oder erhoff-
wir den Verteidigungsausschuß des Deutschen- Bun- ten Bericht über die Schäden nur im Verteidigungs-
destags über die Altlastenfälle unterrichten. Ich sage ausschuß geben wollen? Wollen Sie damit diese Er-
Ihnen gern zu, daß ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gebnisse geheimhalten?
den Be richt direkt gebe.
(Susanne Kastner [SPD]: Danke! — Harald B. Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Es ist doch
Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wieso Verteidi eine übliche Gepflogenheit, die zuständigen Aus-
gungsausschuß?) schüsse entsprechend zu informieren. Damit ist dann
gewährleistet, daß das Parlament, wenn Sie so wollen,
Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfrage, informiert ist. Das ist keine Ausnahmeregelung, son-
Frau Kollegin? — Nein. dern ein übliches Verfahren.
Herr Kollege Stiegler, jetzt ist die richtige Stelle.
Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Herr
Ludwig Stiegler (SPD): Herr Präsident, wer zu früh Kollege Schäfer.
kommt, den bestraft das Leben oder der Präsident.
Harald B. Schäfer (Offenburg) (SPD): Herr Staatsse-
Vizepräsident Hans Klein: Von Strafe kann keine kretär, ist das Umweltbundesamt oder sind andere
Rede sein; das wissen Sie. nachgeordnete Behörden des Umweltministeriums
bei der Feststellung und bei der Bewertung der Um-
Ludwig Stiegler (SPD) : Herr Staatssekretär, gibt es weltschäden und Gefahren durch die US-Streitkräfte
denn auch gegenüber den US-Streitkräften gemischte beteiligt?
Kommissionen, also nicht nur einseitige Einrichtun-
gen der US-Seite, sondern deutsch-amerikanische Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Dadurch,
Kommissionen, die jetzt eine umfassende Bestands- daß die US-Armee die deutschen Fachbehörden be-
aufnahme der Liegenschaften und deren Untersu- teiligt, ist sichergestellt, daß die zur Gefahrenabwehr
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Dr. Ulrich Janzen (SPD): Herr Staatssekretär, wenn Das Wort zur Beantwortung hat der Parlamentari-
ich die beiden Fragen vergleiche, die Sie zu den sche Staatssekretär Carstens.
sowjetischen und amerikanischen Liegenschaften be-
antwortet haben, kann ich davon ausgehen, daß Sie Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Prinzipiell
mit den Partnern Sowjetunion und USA unterschied- — dabei werden Sie mit mir übereinstimmen — habe
liche Verhandlungsmethoden anlegen? ich die Frage schon beantwortet. Aber um noch ein-
mal auf den Punkt zu kommen, möchte ich die vorge-
Manfred Carstens, Parl Staatssekretär: Das ergibt sehene Antwort einbringen. Verschiedene der ge-
sich einfach aus den Erfahrungswerten der vergange- nannten Altlasten waren schon in der Vergangenheit
nen Jahrzehnte. Wir haben nicht nur mit den Verei- Gegenstand von Presseberichten und Antworten der
nigten Staaten, sondern auch mit den Ländern Groß- Bundesregierung auf Fragen von Abgeordneten des
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2285
Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
Deutschen Bundestages. Dadurch, daß die US-Armee Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol-
die deutschen Fachbehörden beteiligt, ist sicherge- lege Schily.
stellt, daß die zur Gefahrenabwehr nach deutschem
Recht erforderlichen Maßnahmen getroffen werden. Ott o Schily (SPD): Herr Staatssekretär, hat die Bun-
desregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine ei-
Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle- gene Einschätzung von A rt , Umfang und Kosten der
gin Kastner. notwendigen Sanierungsmaßnahmen? Denn die An-
nahme liegt ja nicht ganz fern, daß der zur Zahlung
Susanne Kastner (SPD): Herr Staatssekretär, ich Verpflichtete die notwendigen Kosten vielleicht etwas
würde Sie herzlich bitten, auf die Maßnahmen kon- niedriger einschätzt, als es den tatsächlichen Verhält-
kret in einzelnen Punkten noch einmal einzugehen, nissen entspricht.
da sich meine Frage auf die verheimlichten Boden-
und Grundwasserverseuchungen bezog. Vielleicht Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Herr Kol-
— das ist meine Bitte — könnten Sie noch einmal de- lege Schily, ich habe mich auf die Einschätzung der
tailliert auf einige Maßnahmen eingehen. US-Streitkräfte bezogen. Ich möchte dabei auch blei-
ben, aber noch einmal wiederholen, daß die Fachbe-
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- hörden bei der Bewäl tigung der Einzelmaßnahmen
gin, ich hatte bei einer der vorangegangenen Fragen jeweils dabei sind — und dies in die Entscheidungs-
gesagt, daß uns seitens der Vereinigten Staaten Infor- findung mit einbeziehen — , festzustellen, was jede
mationen vorliegen und daß ich nicht das bestätigen einzelne Problematik kostet. Dann wird zum Schluß
kann, was Sie aus dem Be richt von „Monitor" ange- festgestellt, wie hoch die Kosten tatsächlich gewesen
sprochen haben. Insofern bin ich auch nicht imstande, sind.
auf einzelne Fragen hierzu zu antworten. Wir haben
die Vereinigten Staaten gebeten, uns für den Fall, daß Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol-
es weitere Informationen gibt, diese mitzuteilen. Uns lege Sielaff.
liegen aber keine weiteren Informationen vor. Inso-
fern kann ich auch zu dem Be richt von „Monitor" Horst Sielaff (SPD): Herr Staatssekretär, Sie sagten
nichts sagen. eben in bezug auf die „Monitor"-Sendung, daß die
deutschen Behörden informiert gewesen seien. Kön-
Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. nen Sie mir mitteilen, wann und in welcher Form die
Bundesregierung das Parlament oder irgendeinen
Susanne Kastner (SPD): Herr Staatssekretär, Ihnen Ausschuß über diese ja nicht unwich tigen Probleme
ist sicherlich bekannt, daß in der Liste der amerikani- informiert hat?
schen Behörden ein Sanierungsbedarf aufgezeigt ist,
der, beziffert in US-Dollar, in Einzelprojekten genau Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Ich habe
definiert ist. Ist Ihnen bekannt, daß die Zahlen, die genau andersherum argumentiert, als Sie es jetzt zum
bekanntgeworden sind, weit unter dem tatsächlichen Ausdruck gebracht haben. Ich habe gesagt: Ein der-
Bedarf liegen? Inwieweit ist die Bundesregierung be- artiger Be richt des Pentagon ist der Bundesregierung
reit, den tatsächlichen Bedarf für die Sanierungen mit- nicht bekannt. Aber wir haben schon lange Zeit vor-
zufinanzieren? her derartige Informationen aus der US-Armee ge-
habt,
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Die Mit- (Horst Sielaff [SPD]: Ich habe ja auch auf
finanzierung der Maßnahmen steht ja gar-nicht an. diese Informationen abgestellt!)
Die Vereinigten Staaten, also die US-Streitkräfte, ha- und zwar über 358 Einzelfälle.
ben die Kosten zu tragen. Die US-Streitkräfte schät- (Horst Sielaff [SPD]: Meine Frage ist nicht
zen die Gesamtkosten auf 162 Millionen Dollar. Die beantwortet! Ich habe gefragt, ob die Bun
Fachbehörden sind dabei — das habe ich eben zum desregierung informiert hat!)
Ausdruck gebracht — und werden es betreuen und
begleiten. Falls es zu Mehrkosten kommt, werden die Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Sie können
US-Streitkräfte mehr bezahlen müssen. nur eine Zusatzfrage stellen und keinen Dialog hier
führen.
Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Abge-
ordneter Ludwig Stiegler. (Horst Sielaff [SPD]: Aber er antwortet doch
nicht! Dann soll er die Frage beantworten!)
Ludwig Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, wird die Ich bitte die Regie, das Mikrophon, wenn die Frage
Bundesregierung dafür eintreten, daß z. B. an der Lie- beantwortet ist, abzustellen.
genschaft Truppenübungsplatz Grafenwöhr eine um- Die nächste Zusatzfrage hat der Abgeordnete Er-
fassende, und zwar bilaterale, Bestandsaufnahme der ler.
Umwelt, insbesondere der Grundwassergefahren, ge-
macht wird und daß für Grafenwöhr endlich ein ge- Gernot Erler (SPD): Herr Staatssekretär, habe ich
meinsamer Sanierungsplan verabschiedet wird? Sie richtig verstanden, daß die Bundesregierung über
das Ausmaß und die Qualität der jetzt einer breiteren
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Wir werden Öffentlichkeit bekanntgewordenen Schäden nicht be-
dafür sorgen, daß die Gefahrenabwehr nach deut- sorgt ist und daß sich dieser Zustand des Nichtbe-
schem Recht erfolgt — mit den erforderlichen Maß- sorgtseins darin begründet, daß deutsche Fachbehör-
nahmen. Da gibt es gar keinen Zweifel. den von der amerikanischen Seite bei der Beurteilung
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Gernot Erler
und der Abschätzung der Schäden beteiligt wer- Vizepräsident Hans Klein: Werden zu dieser Frage
den? weitere Zusatzfragen gestellt?
(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Ich
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Ich kann hätte noch eine, aber ich darf nicht mehr!)
gar nicht nachvollziehen, wie Sie dazu kommen, diese — Natürlich im Rahmen unserer geschäftsordnungs-
Bewertung in Ihre Frage einzubringen. Ich habe zum mäßigen Regeln, Herr Kollege Jungmann.
Ausdruck gebracht, daß wir seit August 1990 eine Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich danke
Stellungnahme des Hauptquartiers der US-Armee in Ihnen für die Beantwortung. Der Geschäftsbereich
Europa vorliegen haben, daß die US-Streitkräfte die des Bundesministers der Finanzen ist damit erledigt,
Schäden beheben müssen und daß unsere Fachbehör- denn der Kollege Ferdi Tillmann, der die nächsten
den eingeschaltet sind. Was wollen wir denn mehr? beiden Fragen gestellt hat, ist offensichtlich nicht im
(Gernot Erler [SPD]: Also sind Sie nicht be Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
sorgt?) vorgesehen.
— Selbstverständlich sind wir besorgt. Wenn die Um- Herr Kollege Simon Wittmann hat um schriftliche
welt irgendwo beschädigt ist, wenn irgendwo Altla- Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage
sten sind, legen wir allergrößten Wert darauf, daß abgedruckt.
diese Altlasten beseitigt werden. Was ich hier vorge- Uns stehen noch gut zwei Minuten Zeit zur Verfü-
tragen habe, ist doch lediglich der Hinweis darauf, gung.
daß in jedem Einzelfall eingeschritten und dafür ge- Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesmini-
sorgt wird, daß die Altlasten beseitigt werden. sters für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwor-
tung ist der Parlamentarische Staatssekretär Horst
Vizepräsident Hans Klein: Nächste Zusatzfrage, Günther anwesend.
Frau Kollegin Zapf. Ich rufe Frage 25 des Abgeordneten Ludwig Stieg-
ler auf:
Uta Zapf (SPD): Herr Staatssekretär, was die Kosten Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtsstellung der gei-
der Sanierung bet ri fft, möchte ich fragen: Befürchtet stig behinderten Menschen in den Werkstätten für Behinderte,
und was wird sie unternehmen, um ihnen einen gesicherten
die Bundesregierung nicht, daß, wenn die Kosten we- rechtlichen bzw. arbeitsrechtlichen Status zu verschaffen?
sentlich über dem Veranschlagten — sagen wir ein-
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, vielleicht
mal: 50 % darüber — liegen, möglicherweise Sanie-
bekommen wir wenigstens die erste Antwort im Rah-
rungsmaßnahmen überhaupt unterbleiben? Gibt es
men der Zeit noch über die Bühne.
eine Möglichkeit, auf die Durchführung von Sanie-
rungsmaßnahmen Ihrerseits Einfluß zu nehmen?
Horst Günther, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung:
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Die Rechts- Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn Herr Kollege
lage ist klar: Wenn Schäden festgestellt werden, ha- Stiegler zustimmen würde, daß ich die Fragen 25 und
ben die US-Streitkräfte sie zu beseitigen. Da gibt es 26 gemeinsam beantworten darf.
nichts zu befürchten. Wir müssen nur dafür sorgen, (Ludwig Stiegler [SPD]: Einverstanden!)
daß das schnellstmöglich geschieht. Dafür werden wir
sorgen. Vizepräsident Hans Klein: Dann rufe ich noch die
Frage 26 des Abgeordneten Ludwig Stiegler auf:
-
Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- Wie beurteilt die Bundesregierung die Frage der Entgelte in
lege Jungmann. den Werkstätten für Behinderte, und was wird sie unternehmen,
um sicherzustellen, daß die Entgelte erheblich verbessert wer-
den?
Horst Jungmann (Wittmoldt) (SPD): Herr Staatsse-
kretär, Sie haben auf die vorhergehende Frage geant- Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege
wortet, es sei sichergestellt, daß deutsche Fachbehör- Stiegler, der Anteil geistig behinderter Menschen in
den eingeschaltet sind. Bedeutet das auch, daß deut- den Werkstätten für Behinderte beträgt durchschnitt-
sche Fachbehörden uneingeschränkt Zugang zu allen lich 85 % der Gesamtzahl der dort Tätigen. Eine von
amerikanischen Liegenschaften haben und überprü- der Bundesregierung eingesetzte Arbeitsgruppe hat
fen können, welche Umweltschäden in diesen Liegen- sich eingehend mit der Rechtsstellung der Behinder-
schaften vorhanden sind? ten, dabei insbesondere der geistig Behinderten, in
Werkstätten für Behinderte beschäftigt und Verbesse-
rungsvorschläge entwickelt. Dabei geht es insbeson-
Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: In der Ver-
dere um die Frage, welche Arbeitnehmerschutzrechte
gangenheit haben wir diesbezügliche Schwierigkei-
und welche Arbeitnehmerrechte den Behinderten, die
ten nicht gehabt.
keinen Arbeitnehmerstatus haben und diesen auch
(Zuruf von der SPD: Sie haben gar nichts nicht erlangen können, eingeräumt werden.
gewußt!)
Die Entlohnung der Behinderten in den Werkstät-
Ich vermag nicht auszumachen, daß das in Zukunft ten für Behinderte wird von den Betroffenen und auch
Probleme geben könnte. den Trägern und Trägerorganisationen der Werkstät-
(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber ten schon seit längerem als sehr unbef ri edigend emp-
Herr Carstens, das glauben Sie doch selbst funden. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemein-
nicht!) schaft der Werkstätten für Behinderte beträgt die Ent-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2287
Parl. Staatssekretär Horst Günther
lohnung bundesdurchschnittlich seit Jahren monat- Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Kollege Stieg-
lich 220 DM. Eine weitere, beim Bundesministerium ler, dies werden wir sorgfältig prüfen, wenn alle Ar-
für Arbeit und Sozialordnung eingerichtete Arbeits- beitsergebnisse vorliegen. Damit ist in Kürze zu rech-
gruppe hat auch diese Problematik eingehend erör- nen. Wir werden dann auf diese Frage zurückkom-
tert. Der Abschlußbericht dieser Arbeitsgruppe liegt men.
vor. Die darin enthaltenen Lösungsansätze betreffen
in erster Linie aber das Sozialhilferecht. Vizepräsident Hans Klein: Dritte Zusatzfrage.
Die in den Arbeitsgruppen „Rechtsstellung" und Ludwig Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, Sie ha-
„Entlohnung" erarbeiteten Verbesserungsvorschläge ben bemerkt, daß die Sozialhilfearbeiten am weite-
werden jetzt in die Beratungen zur Erstellung eines sten fortgeschritten sind. Was wird unternommen, uni
Sozialgesetzbuchs IX über die Eingliederung Behin- wenigstens die Anpassung der Entgelte sehr rasch zu
derter, das für diese Legislaturperiode geplant ist, ein- erreichen?
fließen. Die Ergebnisse sind im übrigen dem Beirat für
die Rehabilitation Schwerbehinderter übersandt wor- Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Das wird in
den. Wir erwarten jetzt dessen Stellungnahme und dem gleichen Zeitraum mit beraten. Sie wissen aber,
werden die Beratungen dann weiterführen. daß wir hier Abstimmungsbedarf zwischen den ein-
zelnen Bundesressorts haben. Diese Abstimmung ist
Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- im Gange. Ich bin in der Lage, Ihnen unsere Lösungs-
ren, eigentlich ist die Zeit für die Fragestunde jetzt zu vorschläge seitens des BMA zur Verfügung zu stel-
Ende, aber ich bin der Meinung, daß wir jetzt nicht len.
einfach mit der Beantwortung durch die Bundesregie- (Dr. Hermann Scheer [SPD): Hier gibt es den
rung aufhören können. Ich schlage also vor, daß Kol- Wunsch nach einer Zusatzfrage!)
lege Stiegler die vier ihm zustehenden Zusatzfragen
noch stellen kann. Wenn Sie damit einverstanden Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Enkel-
sind, möchte ich die Zusatzfrage der Kollegin Enkel- mann.
mann auch noch zulassen. Lassen wir es bei diesen
fünf Fragen bewenden, damit wir die Zeit nicht zu Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr
sehr überschreiten. Präsident, ich bedanke mich für Ihr Entgegenkom-
men. — Meine Frage an Sie, Herr Staatssekretär, lau-
Herr Kollege Stiegler, Ihre erste Zusatzfrage.
tet: Warum erhalten die Menschen mit Behinderun-
gen keine Arbeitsverträge, wie es in den geschützten
Ludwig Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, meine Werkstätten der Bet ri ebe in der ehemaligen DDR der
Frage hatte zwei Teile. Zum einen habe ich nach der Fall war? Das würde eine arbeitsrechtliche Sicherung
Problemsicht gefragt, wozu Sie schon Ausführungen z. B. vor allen Dingen für den Fall der Arbeitslosigkeit
gemacht haben. Ich habe aber zum anderen gefragt, bedeuten.
was die Bundesregierung zu unternehmen gedenkt,
um Abhilfe zu schaffen, und zwar nicht erst morgen Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Wir haben
und übermorgen, sondern möglichst bald. Sie wissen diese Menschen bisher mit einem Sonderstatus verse-
so gut wie ich, wie lange der betroffene Personenkreis hen. Ich habe schon ausgeführt, daß wir prüfen, wel-
schon darauf wartet. che Möglichkeiten bestehen, eine entsprechende Sta-
tusänderung vorzunehmen. Wir sind gerade dabei,
Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege dies zu tun. Wir werden in Kürze, wenn die Arbeiten
Stiegler, ich hatte gesagt, daß noch in dieser Legisla- abgeschlossen sind, auch darauf zurückkommen. Das
turperiode, auch wenn Ihnen das als weit gegriffen schließt all das ein, was Sie vorgetragen haben.
erscheint, entsprechend vorgegangen werden soll.
Vizepräsident Hans Klein: Da der Kollege Stiegler
Die ausgearbeiteten Lösungsansätze liegen jetzt erst
nur drei Fragen gestellt hat und Fragen und Antwor-
vor. Einige andere Arbeitsgruppen haben ihre Lö-
ten relativ kurz waren, Frau Kollegin Schmidt-Zadel,
sungsvorschläge noch nicht eingereicht. Wir werden
bleibt kein Wunsch mehr offen. — Bitte.
aber dafür sorgen, daß zügig vorgegangen wird, wenn
alle vorliegen, und dann die entsprechenden Ent- Regina Schmidt-Zadel (SPD): Danke schön, Herr
würfe für ein Gesetzgebungsvorhaben erstellen. Präsident, für das Entgegenkommen. — Herr Staats-
sekretär, ist im Rahmen der Veränderungen und Ver-
Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. besserungen vorgesehen, den Behinderten in den
Werkstätten den Zusatzurlaub zu gewähren, den Be-
Ludwig Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, alle hinderte, die im allgemeinen Arbeitsleben beschäftigt
diese Einrichtungen werden ja auch gefördert. Wäre sind, schon heute haben?
es nicht möglich, einen Teil der Statussicherung schon
Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Dies ist konkret
vor der Fertigstellung des Sozialgesetzbuchs dadurch
nicht vorgesehen, aber ich nehme diese Anregung
zu erreichen, daß die Bewilligungsbescheide für För-
gerne mit. Wir werden das prüfen.
derung z. B. mit der Auflage versehen werden, den
Behinderten einen Status zu geben, der, was den Ar- Vizepräsident Hans Klein: Damit sind wir mit der
beitsschutz kollektiv und individuell bet ri fft, dem ei- geringfügigen Zeitüberschreitung von 3 Minuten und
nes Arbeitnehmers gleichkommt? 55 Sekunden am Ende der Fragestunde. Ich bedanke
mich bei dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär
Vizepräsident Hans Klein: Herr Staatssekretär. für die Beantwortung der letzten Fragen.
2288 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Harald B. Schäfer (Offenburg) (SPD): Herr Präsi- Aber sie hat bisher nicht eine einzige Maßnahme zur
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Umsetzung dieses Beschlusses ergriffen.
Kolleginnen und liebe Kollegen! Wenn wir über die (Beifall bei der SPD)
neue Rolle und die gewachsene Verantwortung des
vereinten Deutschlands in der Welt reden, muß unser Das Gegenteil ist der Fall: Die CO2-Emissionen neh-
Beitrag zu einer nachhaltigen umweltverträglichen men auch in der Bundesrepublik in dramatischer
Entwicklung im Mittelpunkt stehen, nicht die Frage Weise zu. Deswegen gilt auch hier: Anspruch und
möglicher Bundeswehreinsätze außerhalb des reale politische Handlungen stehen sich diametral
NATO-Gebiets. Unser Beitrag zur Konfliktbewälti- entgegen. Das ist der Tatbestand, meine Damen und
gung darf nicht die Frage verdrängen, Herren, den wir hier beklagen müssen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt lenken Sie (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/
aber nicht vom Thema ab!) CSU)
— Benutzen Sie doch den Kopf statt des Kehlkop-
was wir vorbeugend zur Konfliktvermeidung tun kön-
fes.
nen. Die schwierige Aufgabe, die Teilung durch Tei-
len zu überwinden, stellt sich nicht nur national. Sie Die Reform des Energiewirtschaftsrechtes steht
stellt sich in viel dramatischerer Form auch global. Der ebenso aus wie die ökologisch begründete Verteue-
Westen muß mit dem Osten teilen, der Norden mit rung des Eneregieverbrauchs. Wir fordern seit Jahren
dem Süden. Weil das ökologische Schicksal dieses — Anträge liegen vor — ein Crash-Programm zur För-
Planeten nicht teilbar ist, ist es auch das wirtschaftli- derung erneuerbarer Energieträger und zur rationel-
che, das ökonomische nicht. Nicht nur moralische und len Energieverwendung und Energieeinspa ru ng. Sie
ethische Gesichtspunkte, meine Damen und Herren, aber schauen tatenlos zu, wie der Energieverbrauch
sondern auch Gründe der ökologisch-ökonomischen auch bei uns in der Bundesrepublik, in der alten und
Vernunft erzwingen das weltweite Gespräch darüber, in der neuen, geeinten Bundesrepublik, weiter
wie der Anspruch aller Menschen und Völker auf steigt.
wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt mit den im- Während Mensch und Umwelt am wachsenden Au-
mer deutlicher werdenden ökologischen Belastungs- toverkehr zu ersticken drohen, fällt Ihnen nichts ande-
grenzen vereinbart werden kann. res und nichts Besseres ein, als neue Straßen zu bauen
Gerade das Problem des Treibhauseffekts zeigt: und damit neuen Autoverkehr zu erzeugen.
Nur wenn die Industrieländer, nur wenn wir unsere (Beifall bei der SPD — Carl-Detlev Freiherr
Form des Produzierens und Konsumierens radikal von Hammerstein [CDU/CSU]: Das sagen
verändern, ist das Problem lösbar. Sie einmal der Bevölkerung! — Hubert
Doppmeier [CDU/CSU]: Schorsch Leber und
(Zuruf von der CDU/CSU: Vorschläge, Vor
Straßenbau!)
schläge!)
Entgegen Ihren verbalen Bekundungen, auch ent-
Ein Fünftel der Weltbevölkerung verursacht vier gegen der Rede meines Vorredners haben Sie noch
Fünftel der umwelt- und klimaschädlichen Emissio- keine Wende zu einer nachhaltigen, ressourcenscho-
nen. Eine Übertragung unseres Wohlstandsmodells nenden Art des Wirtschaftens eingeleitet.
auf die übrigen Weltregionen würde unmittelbar zum
ökologischen Zusammenbruch führen. (Klaus Lennartz [SPD]: So ist das! Sehr
gut!)
Es ist deshalb auch ungerecht, meine Damen und
-
Herren, wenn wir mit dem Finger auf die Länder zei- Wir Sozialdemokraten wollen, daß die UN-Umwelt-
gen sollten, die ihre tropischen Wälder abholzen, wir konferenz ein Erfolg wird.
aber unseren extrem hohen Energieverbrauch und die (Gerhart Rudolf Baum [FDP]: Aha!)
damit verbundenen klimaschädlichen Emissionen Wir haben begrüßt, daß der Bundeskanzler das Komi-
weiter steigern. Die Industrieländer müssen zunächst tee zur nationalen Vorbereitung dieser Konferenz in-
vor ihrer eigenen Haustür kehren. Das ist die erste stalliert hat. Wir wünschen uns, daß auch das Parla-
Aufgabe, die erste Herausforderung, die sich uns ment als Institution hier beteiligt wird — nicht nur
stellt, wenn wir über die UN-Konferenz „Umwelt und Einzelpersönlichkeiten.
Entwicklung" sprechen.
An uns Sozialdemokraten wird das mögliche Schei-
(Beifall bei der SPD) tern der UN-Umweltkonferenz nicht liegen. Wir bie-
Ohne substantielle Vorleistungen der Industrielän- ten ausdrücklich im Interesse der Bundesrepublik, im
der ist die UN-Konferenz zum Scheitern verurteilt. Die Interesse des Beitrages, auch des harten Beitrages der
bisherige Bereitschaft der Industrieländer, die klima- Industrienationen, im Interesse des globalen Ausglei-
schädlichen CO2-Emissionen zu reduzieren, gibt we- ches zwischen Nord und Süd und im Interesse der
nig Anlaß zu Hoffnungen. Dies gilt für die USA, aber Beseitigung der sozialen und ökonomischen Un-
auch für die EG. gleichgewichte unseren Beitrag an. Unsere Vor-
schläge liegen auf dem Tisch. Ich will sie nicht näher
Die Bundesregierung, Herr Minister Töpfer, hat zu- anführen. Drei Punkte will ich nennen.
gegebenermaßen einen mutigen und international
vorbildlichen Beschluß gefaßt, wenn es darum geht,
bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen um 25 bis
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schäfer, das
30 % zu verringern.
ist leider nicht möglich. Ihre Redezeit ist abgelau-
(Beifall bei der CDU/CSU) fen.
2290 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Harald B. Schäfer (Offenburg) (SPD): Meine Damen Dritten Welt gegenüber, sondern — ich sage das noch
und Herren, ich bedanke mich. Ich bedanke mich einmal mit allem Nachdruck — auch Osteuropa und
auch beim Präsidenten für die souveräne Verhand- vor allem Ostdeutschland gegenüber. Hier leisten wir
lungsführung. unseren Beitrag. Herr Kollege Schäfer, wir sind gut
Vielen Dank. gerüstet, wir sind im internationalen Vergleich sehr
gut gerüstet, und wir wollen das einbringen.
(Beifall bei der SPD — Heiterkeit)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- Wir werden uns in dieser Politik auch nicht beirren
ordnete Gerhart Baum. lassen. Es geht hier alles parallel weiter. Wir bringen
unsere Politik in die Europäische Gemeinschaft ein.
Gerhart Rudolf Baum (FDP): Herr Präsident! Meine
Ich bin auch der Meinung, wir müssen überlegen, ob
Damen und Herren! Wir begrüßen die Einsetzung die- wir den EG-Vertrag nicht stärker in Richtung Umwelt-
ses Komitees. Wir wirken daran mit und werden alles schutz orientieren, also den Umweltschutz dort stär-
tun, damit es zu einem Erfolg kommt. ker verankern.
Die Konferenz 1992 ist für beide Themenbereiche Letzte Bemerkung. Wir brauchen eine Anpassung
— Umwelt und Entwicklung — von größter Bedeu- der UN-Organisation an die veränderten Aufgaben.
tung. Sie schließt 20 Jahre nach Stockholm an diesen Auch dies muß ein Ergebnis der Konferenz sein. Die
Ausgangspunkt an, dies aber in einer ganz anderen UNO ist bei ihrer Gründung auf diese Aufgabe nicht
Situation. Wir müssen jetzt die Umweltpolitik und die vorbereitet worden. Ich unterstütze die Empfehlun-
Entwicklungspolitik in die anderen Politiken integrie- gen unserer Enquete-Kommission, einen Umweltrat
ren. Es wird ein Stück Weltinnenpolitik werden, es der UNO mit Rechtssetzungsbefugnis zu schaffen.
wird eine Umweltaußenpolitik geben. Wir sind jetzt, Ohne eine stärkere Verantwortung und Handlungsfä-
20 Jahre nach Stockholm, in einer ganz anderen higkeit der UNO und ohne neue Instrumente für die
Phase. Weltgemeinschaft werden wir mit weltweiten globa-
len ökonomischen und entwicklungspolitischen Her-
Wir werden alle Themenbereiche, die im Programm ausforderungen nicht fertig werden.
der Konferenz aufgezeigt sind, mit Impulsen beglei-
ten. Es handelt sich nicht nur um die CO2-Problema- Die Einsetzung des Nationalen Komitees ist eine
tik. Das Ganze reicht weit gefächert in alle Umwelt- gute Sache. Wir werden darin aktiv mitarbeiten.
bereiche: Schutz der Weltmeere, Abfallproblematik, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Bekämpfung der Slumsituation in der Dritten Welt
und anderes mehr.
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge-
Wir sind der Meinung, daß das Umweltthema auf ordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.
UN-Ebene gehoben werden muß. Wir setzen unsere
Hoffnung in eine neue Handlungsfähigkeit der Völ-
kergemeinschaft, die vom Abbau des Blockdenkens, Dr. Klaus-Dieter Feige (Bündnis 90/GRÜNE): Herr
aber auch, wie sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Pari s vor einiger Zeit gezeigt hat, durch den neuen Die Abgeordnete von der PDS ist schon da. Wir haben
amerikanischen Präsidenten bestimmt ist. Es gab un- einfach getauscht, weil es offensichtlich einen zeitli-
ter Reagan acht Jahre absoluten Stillstand in Sachen chen Defekt gab.
Umweltschutz. Es hat sich jetzt etwas geändert, und Die Abgeordneten des Bündnisses 90/DIE GRÜ-
wir brauchen auch die Amerikaner auf dieser Konfe- NEN begrüßen die Einrichtung des Nationalen Komi-
renz, um zu Erfolgen zu gelangen. Auch die Umwelt- tees zur Vorbereitung der Klimakonferenz der Verein-
zerstörungen im Golfkrieg, die wir heute im Ausschuß ten Nationen im kommenden Jahr in Brasilien. Für
diskutiert haben, machen deutlich, daß es an interna- bundesrepublikanische Verhältnisse ist die andert-
tionalen Instrumenten fehlt. halbjährige Verzögerung der konstituierenden Sit-
Wir wollen auf dieser Konferenz keine allgemeinen zung schon fast etwas Gutes, denn ich glaube, daß es
Erklärungen, sondern wir wollen präzise Festlegun- doch noch eine ganze Menge zu tun gibt und die Zeit
gen. Ziele und Fristen müssen festgelegt werden, sehr, sehr knapp werden kann. Die Beteiligung vieler
Selbstverpflichtungen müssen eingegangen werden, gesellschaftlich relevanter Kräfte an der Vorbereitung
beispielsweise in einer Weltklimakonvention. Es muß dieser wichtigen Konferenz ist meines Erachtens
das Umweltrecht fortentwickelt werden, es muß eine wirk li ch etwas Neues und im Vergleich zu sonstigen
neue Strategie erarbeitet werden, und es müssen Vorhaben der Regierung ein Lichtblick.
Maßnahmenkonzepte auf der Tagesordnung stehen. Wir haben uns hier schon über die Frage der Maß-
Es geht darum, den Umweltschutz in der Dritten nahmen- und Beschleunigungsgesetze auseinander-
Welt überhaupt möglich zu machen. Das heißt, wir gesetzt. Ich glaube, auch hier müßte gelten, daß nur
müssen neue Wohlstandsmodelle für die Dritte Welt eine breite Öffnung, nur die frühzeitige Einbeziehung
entwickeln, die die Dritte Welt veranlassen, Umwelt- aller Betroffenen die Probleme lösen kann und nicht
schutz als ökonomisch nützlich und nicht als eine Last sture Administration von oben. Ich hoffe auch, daß die
anzusehen. Es geht also nicht um die Übertragung Erfahrungen des Nationalen Komitees bewirken,
dessen, was wir hier tun, sondern um neue Modelle diese Gesetzgebungsvorhaben zum Guten zu wen-
für die Dritte Welt. den.
Es gibt eine besondere Verantwortung der Indu- Wir stimmen auch dem Bundeskanzler zu, der in
strieländer, auch eine besondere Verantwortung der seiner Eröffnungsansprache verbindliche Vereinba-
Bundesrepublik Deutschland, übrigens nicht nur der rungen und eindeutige Verpflichtungen der Staaten
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2291
Jutta Braband
gie und das enorm gewachsene Bewußtsein in der — Ich habe sehr wohl gehört, was hier dazu gesagt
Bevölkerung darüber. wurde.
(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ Aus wirtschaftlicher Not verursachen die Menschen
CSU]: Erst einmal sind wir aus dem Zwei in den armen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und
taktmotor ausgestiegen! Das war auch schon Asiens katastrophale Umweltschäden durch Abhol-
etwas!) zung des tropischen Regenwaldes.
Ich möchte wissen, wie Sie dem Rechnung tragen wol- Ebenso notwendig ist mittelfristig die drastische Re-
len. duzierung der Nutzung fossiler Energieträger, um
langfristig dann ganz darauf zu verzichten.
Wir fordern nachdrücklich, nicht nur Konferenzen
abzuhalten und Berichte zu bestellen, sondern endlich (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Kehren Sie
auch die Schlußfolgerungen aus diesen Berichten zu doch mal vor Ihrer eigenen Tür!)
ziehen und Sofortmaßnahmen zu ergreifen, die wir Wie hier, nicht nur von mir, schon mehrfach betont
schon in der Debatte zum Be richt der Enquete-Kom- wurde, sind exzessiver Chemieeinsatz und CO2-Emis-
mission zum Schutz der Erdatmosphäre konkret be- sionen und die daraus folgende Klimabedrohung kein
nannt haben. Wenn diese Dinge nicht in unserem Schicksal, sondern durch wirtschaftliche und politi-
eigenen Land eine Rolle spielen, wenn wir nicht heute sche Entscheidungen beeinflußbar.
damit anfangen, können wir noch so viele Konferen- Die Fakten sind bekannt. Ihren vielen Worten soll-
zen machen: Es wird nichts nützen. ten Sie nun endlich Taten und nicht nur Konferenzen
Wir fordern daher den sofortigen Ausstieg aus der folgen lassen.
Atomenergie, denn die Mittel, die für den Ausbau und Ich danke Ihnen.
die Forschung im Atomenergiebereich ausgegeben
werden, können so für Energieeinsparung, effiziente (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Energienutzung und die Nutzung regenera tiver Ener-
giequellen eingesetzt werden, und niemand muß
mehr Angst vor einem Reaktorunglück haben. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge-
ordnete Professor Dr. Norbe rt Rieder.
Wir brauchen ein Sofortprogramm zum Ausbau des
öffentlichen Nahverkehrs und ein Produktionsverbot
für alle FCKW. Wir brauchen neben der Katalysator-
pflicht für alle Neuwagen auch Tempo 100 auf den Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): Herr Präsident!
Autobahnen, auch wenn viele Herren Autofahrer ler- Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik
nen müssen, daß die erlaubte Höchstgeschwindigkeit Deutschland hat bei der Bekämpfung des Treibhaus-
eben nicht das Maß ihrer persönlichen Freiheit be- effektes inzwischen weltweit die geistige und techni-
stimmt. sche Führung übernommen.
(Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Hermann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Scheer [SPD]: Die Frauen geben auch ganz Man billigt uns, wie übrigens auch in anderen Berei-
schön Gas!) chen des Umweltschutzes, eine hohe Kompetenz zu.
— Es ist, glaube ich, leicht nachzulesen, daß sehr viel Diese Kompetenz haben wir nicht dadurch erreicht,
mehr Männer in diesem Land Auto fahren. daß wir irgendwelchen utopischen Zielen nachge-
rannt sind, sondern dadurch, daß wir seit 1982 ganz
(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ bewußt das technisch und wirtschaftlich Machbare
CSU]: Wer jahrelang mit dem s -tinkenden durchgesetzt haben. Unsere Aufgabe muß es auch in
Zweitakter gefahren ist, sollte solche Sachen Zukunft sein, mit unserem wissenschaftlichen und
nicht sagen!) wirtschaftlichen Poten tial sowohl in der Bundesrepu-
Ich glaube, daß sehr wenige Frauen überhaupt ein blik als auch weltweit diese Schrittmacherfunktion
Auto besitzen. beizubehalten.
(Widerspruch bei der CDU/CSU) Bei diesen Bestrebungen kommt die Einsetzung ei-
nes Nationalen Komitees zur Vorbereitung der Konfe-
— Dann müssen Sie mal Ihre eigenen Statistiken le- renz Umwelt und Entwicklung genau zum richtigen
sen. Zeitpunkt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir leben in der (Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/
Bundesrepublik Deutschland und nicht in GRÜNE]:: Anderthalb Jahre zu spät!)
China!)
Jetzt sind die Vorarbeiten so weit gediehen, daß die-
Zur Verringerung der Tropenholzimporte in die ses Komitee voll wirksam werden kann.
Bundesrepublik und die EG ist eine entsprechende Ganz wichtige Aufgaben für die Zukunft werden
Importlimitierung auszusprechen. Ebenso sollten u. a. sein — ich beschränke mich ganz bewußt auf
Markteinführungshilfen für regenerative Energie- wenige Themen — : Als erstes CO2-Minderung im
quellen verstärkt werden, statt sie, wie von der Bun- Verkehrsbereich. Dies kann und wird erreicht wer-
desregierung beschlossen, Ende dieses Jahres auslau- den einerseits durch technische Maßnahmen an den
fen zu lassen. Fahrzeugen zur Verbrauchsminderung, darüber hin-
Mittelfristig ist die Herstellung einer gerechteren aus durch neue Treibstoffe wie Methanol und Wasser-
Weltwirtschaft unumgänglich. stoff,
(Zuruf von der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2293
Dieter Schanz
Ressourcenschutz. Hier will ich die Aufmerksam- Burkhard Zurheide (FDP): Herr Präsident! Meine
keit auf zwei Aspekte richten. Das ist zum einen die Damen und Herren! Die globalen ökologischen Her-
Tropenwaldproblematik. Die Zusammenhänge zwi- ausforderungen lassen sich durch nationale Maßnah-
schen Armut, Bevölkerungsdruck und Ausbeutung men allein nicht mehr bewältigen. Sie fordern ver-
der Wälder, um Auslandsschulden zu bedienen, sind stärkte Anstrengungen der internationalen Staaten-
ausführlich besprochen, und die Aufforderung, ent- gemeinschaft im Sinne einer partnerschaftlichen Ver-
sprechende entwicklungspolitische Maßnahmen zu antwortungsgemeinschaft. Die Regierungskoalition
ergreifen, wurde bereits 1988 in einem Antrag der von FDP und CDU/CSU hat dies seit langem erkannt
SPD formuliert. und entscheidende internationale Initiativen ergrif-
Der andere Aspekt bet rifft den Energieverbrauch. fen.
Die Vorstellung, daß die sogenannte Dritte Welt einen Die von der Vollversammlung der Vereinten Natio-
Energieverbrauch anstrebt, wie ihn die Länder des nen beschlossene 2. Umweltkonferenz, die im näch-
Nordens zur Zeit betreiben, führt zu einem Katastro- sten Jahr in Brasilien stattfinden wird, wird sich mit
phenszenario unvorstellbaren Ausmaßes. Über Maß- sämtlichen Aspekten des Umweltschutzes beschäfti-
nahmen zur ratione llen Energieverwendung sowie gen. Es wurde dabei ausdrücklich auch der Auftrag
zum verstärkten Einsatz regenerativer Energien soll erteilt, die mit der Forderung nach verstärkten An-
ein verantwortungsvoller Umgang mit den begrenz- strengungen eng verknüpften Fragen der Entwick-
ten Ressourcen unserer Erde erreicht werden. Daß lungspolitik mit einzubeziehen; denn die globalen
dies auch ein Umdenken im sogenannten Norden er- Umweltprobleme dieser Welt sind — nicht nur, aber
fordert, versteht sich von selbst. auch — wesentliche Folgen der Unterentwicklung in
Der Notwendigkeit, für den Energieverbrauch eine der Dritten Welt.
verantwortungsvolle Politikkonzeption zu entwik- (Gerhart Rudolf Baum [FDP]: Sehr richtig!)
keln, wird der Ausschuß für wirtschaft liche Zusam-
Die möglichen Folgen einer Erwärmung der Erdat-
menarbeit dadurch gerecht, daß er noch in diesem
mosphäre, der Abbau der Ozonschicht, erhöhte Ozon-
Jahr eine Anhörung zu diesem Thema durchführt. Die
werte in Erdnähe und die Vernichtung der tropischen
Ergebnisse dieser Sachverständigenanhörung müs-
Wälder sind ganz wesentliche Bestandteile dieser glo-
sen unbedingt in die Konferenz „Umwelt und Ent-
balen Umweltproblematik. Der Konferenz kommt
wicklung" einfließen und entsprechend ihrer Bedeu-
eine entscheidende Bedeutung bei der Erarbeitung
tung eine zentrale Gewichtung erfahren.
einer Weltklimakonvention zu, die wirksame Maß-
Der zweite Bereich bet rifft die Armut als eine zen- nahmen und Konzepte zur Lösung dieser Probleme
trale Ursache von Umweltzerstörung. Entwicklungs- völkerrechtlich verbindlich festschreibt.
politische Maßnahmen zielen also auf Armutsbe-
Die fortgesetzte Vernichtung tropischer Wälder hat
kämpfung. Armut als Ursache von Umweltzerstörung
nicht nur zur Folge, daß CO2-Senken verlorengehen.
wird beispielsweise beim Betrachten der Tropenwald-
Vielmehr wird bei der Hauptzerstörungsform, der
problematik einsichtig. Fehlende Landreformen, ein
Brandrodung, Kohlendioxid freigesetzt. Unkontrol-
hoher Bevölkerungsdruck und Mangel an alternati-
lierter Nutzholzeinschlag und Rodungen tun dann ein
ven Versorgungsmöglichkeiten sowie der Zwang vie-
übriges.
ler Entwicklungsländer, über die Bedienung des
Weltmarktes ihre Auslandsschulden zu begleichen, Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, diese Entwick-
führen zwangsläufig zur Zerstörung der Umwelt. Ent- lung zu stoppen: Die Tropenwaldländer müssen bei
wicklungspolitische Ansatzpunkte zur Armutsbe- ihren Eigenanstrengungen zur Schaffung der für eine
kämpfung wurden in dem eingangs genannten inter- ökologisch tragfähige Entwicklung notwendigen so-
fraktionellen Antrag „Armutsbekämpfung in der Drit- zialen, politischen und ökonomischen Rahmenbedin-
ten Welt durch Hilfe zur Selbsthilfe" formuliert und gungen unterstützt werden.
bereits am 10. Mai 1990 vom Deutschen Bundestag (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
angenommen. Monika Ganseforth [SPD]: Wie wäre es mit
Ein zentraler Aspekt dieses Antrages, den ich hier einem Importverbot für Tropenholz?!)
nochmals besonders hervorheben möchte, behandelt Es kommt eben nicht darauf an, z. B. die Einfuhr von
die Hindernisse, die sich aus den politischen und ge- Tropenholz zu boykottieren oder gar zu verbieten,
samtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen national weil sich dies im Ergebnis als kontraproduktiv erwei-
wie international ergeben. Dabei wird insbesondere sen würde.
auch auf die Pflichten der Industrienationen hinge-
wiesen, die, wollen sie internationale Solidarität auch (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig, das muß
beweisen, dafür Sorge tragen müssen, daß die welt- einmal gesagt werden!)
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, d. h. die Welt- Neben einer Unterschutzstellung des Primärwaldes
wirtschaftsordnung, derart gestaltet werden, daß sie kommt es darauf an, durch eine umweltverträgliche
wirklich gerecht sind. Bewirtschaftung der übrigen Wälder deren ökologi-
Herzlichen Dank. sche Funktion zu erhalten und langfristig auch die
Interessen einer wirtschaftlichen Nutzung dieser Res-
(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und sourcen zu wahren.
dem Bündnis 90/GRÜNE)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Verantwortung dafür, daß Umwelt- und Res-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Burkhard sourcenschutz zu einem bestimmenden Faktor der
Zurheide, Sie haben das Wort. Entwicklungspolitik wird, liegt weitgehend bei den
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2297
Burkhard Zurheide
Ländern der Dritten Welt selbst. Umweltschutz muß eine wesentliche Aufgabe des nationalen Komitees
auch in der Dritten Welt von innen heraus, aus den zur Vorbereitung dieser Konferenz. Ich bin mir sicher,
Staaten selbst, erfolgen. Da es in Entwicklungslän- daß hier ein wichtiger Beitrag zum Gelingen der Kon-
dern jedoch häufig an der notwendigen Umwelttech- ferenz geleistet wird.
nik, an Umsetzungsstrategien und nicht zuletzt an Vielen Dank.
Finanzierungsmitteln und -mechanismen für einen
umfassenden Umwelt- und Ressourcenschutz fehlt, (Beifall bei der FDP)
müssen diese Länder bei der ökologisch notwendigen
Umstrukturierung und Sicherung einer auf Dauer
tragfähigen Entwicklung nachhaltig unterstützt wer- Vizepräsident Hans Klein: Das Wo rt hat der Abge-
den. ordnete Professor Dr. Immo Lieberoth.
Das ökologische Schlüsselproblem in der Dritten
Welt aber ist und bleibt das ungebremste Bevölke- Dr. Immo Lieberoth (CDU/CSU): Herr Präsident!
rungswachstum. Es ist die entscheidende Ursache da- Meine Damen und Herren! Ich begrüße die für das
für, daß sich die Armut in den Entwicklungsländern kommende Jahr vorgesehene Umweltkonferenz der
verschärft und zur Übernutzung der natürlichen Res- Vereinten Nationen, die unter dem anspruchsvollen
sourcen führt. Nach dem Weltbevölkerungsbericht Titel „Umwelt und Entwicklung" stattfinden soll.
1990 werden 80 To der Waldvernichtung auf das Be-
völkerungswachstum zurückgeführt. Auch dieses Es darf allerdings nicht dazu kommen, daß bei die-
Thema ist auf der UNO-Konferenz im nächsten Jahr ser Konferenz alle weltweit bestehenden Umweltpro-
zu erörtern. bleme — und deren gibt es in der Tat genug — wie in
einem Warenkatalog nur aufgelistet und allgemein
Angesichts der verheerenden Folgen eines weite- diskutiert werden. Wenn so verfahren würde, hätte
ren ungezüngelten Bevölkerungswachstums müssen diese notwendige Konferenz mit Sicherheit kein kon-
die erforderlichen Konsequenzen endlich gezogen kretes Ergebnis.
werden. Wir haben angesichts der möglichen kata- Ich meine daher, daß schon bei der Vorbereitung
strophalen klimatischen Veränderungen tatsächlich die Bereitschaft vorhanden sein muß, sich auf einige
gar keine andere Wahl mehr, als durchgreifende be- wichtige Schwerpunkte zu beschränken. Nur das
völkerungspolitische Maßnahmen weltweit unver- wäre realistisch und mit Erfolgsaussichten für die
züglich einzuleiten. Konferenz verbunden.
(Monika Ganseforth [SPD]: Sagen Sie das Daher begrüße ich, daß der Bundeskanzler ein na-
einmal der katholischen Kirche!) tionales Komitee zur Vorbereitung der Konferenz in
Man kann allerdings wahrlich nur den Kopf darüber Rio eingesetzt hat, das alle in Frage kommenden Ver-
schütteln, wie wenig sich die offizielle Haltung der bände unseres Landes in die Diskussion einbezieht.
katholischen Kirche von diesem offenkundigen Zu- Dort muß die Konzentration auf Schwerpunkte
sammenhang beeindrucken läßt. Wir fordern daher oberstes Gebot sein. Solche Schwerpunkte sollten
nachdrücklich die unverzügliche Umsetzung des in weltweit Bedeutung haben, also weltweit bedeutende
der vergangenen Legislaturperiode vom Bundestag Sachthemen sein, z. B. die Müllverringerung und
gefaßten Beschlusses zur Bevölkerungsproblematik. -verwertung, die generelle Schadstoffverringerung,
die Altlastenbeseitigung, der Naturschutz und der
(Beifall bei der FDP) Umweltschutz, bezogen auf die Atmosphäre, das
Die Bereitschaft der Entwicklungsländer, die ge- Wasser und — was leider immer noch sträflich ver-
waltigen ökologischen Probleme, die ja nicht nur ihre nachlässigt wird — den Boden.
eigenen, sondern genauso gut die unseren sind, anzu- Im einzelnen möchte ich darauf nicht eingehen, da
packen, ist in den vergangenen Jahren ganz erheblich die anderen Diskussionsredner hinreichend solche
gewachsen. Sie, die Entwicklungsländer, erwarten Sachthemen aufgegriffen haben. Wichtig erscheint
von uns mit Recht, daß wir uns an der Lösung dieser mir, daß diese Schwerpunkte vor einem entsprechen-
Probleme beteiligen. Das wird aber nur gelingen, den ökonomischen und politischen Hintergrund gese-
wenn wir die spezifischen Bedingungen der Länder hen werden müssen.
der Dritten Welt respektieren und nicht so tun, als Wir alle wissen, daß die Industrienationen auf der
hätten wir einen Sack voller Patentrezepte anzubie- nördlichen Erdhalbkugel zur Zeit die umfangreich-
ten.
sten Schäden in der Umwelt verursachen. Sie haben
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wohl wahr! — deshalb die größere Verantwortung.
Monika Ganseforth [SPD]: Sehr richtig!)
Deutschland ist mit seiner Umweltpolitik auf gutem
Nur ein partnerschaftliches Miteinander, das gemein- Wege. Das läßt auf eine Vorbildwirkung für die Dritte
same Suchen nach Lösungen, das für beide Seiten, für Welt zusammen mit den anderen Industrienationen
Nord und für Süd, von Vorteil ist, verspricht Erfolg. hoffen.
Wichtige Beispiele dafür sind die deutsche Initiative
Dabei müssen wir in den Wohlstandsländern des
zur Schaffung eines Treuhandfonds bei der Weltbank
Nordens nicht unbedingt Abschied nehmen von Indu-
für Aufgaben des globalen Umweltschutzes sowie
die internationale Vorreiterrolle beim Tropenwald- strie, Technik, Wirtschaftssystemen und damit vom
schutz. Wohlstand. Sie bleiben, wenn sie in einer umweltge-
rechten Form erfolgen, die Voraussetzung, um Um-
Den entwicklungspolitischen Aspekt in die Konfe- weltpolitik weltweit erfolgreich betreiben zu kön-
renz „Umwelt und Entwicklung" einzubringen ist nen.
2298 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Helmut Lamp
Im Frühjahr dieses Jahres, meine Damen und Her- und würden eine wirklich erfolgreiche Arbeit des Ko-
ren, ging in meiner schönen Heimat an der Ostseekü- mitees gefährden.
ste ein schmutziger Regen nieder. Experten aus dem Danke schön.
politischen Bereich wußten sehr schnell die Ursache
zu nennen: Der Golfkrieg. Sie mußten sich belehren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lassen: Stürmische Winde hatten im benachbarten
Jütland Staub und Sand aufgewirbelt.
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Damit ist die Ak-
Meine Damen und Herren, daß ich Ihnen diesen tuelle Stunde beendet.
Hang zu Katastrophen an wenigen Beispielen schil-
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung und Zusatz-
dere, hat einen besonderen Grund: Wir treiben einer
punkt 2 der Tagesordnung auf:
globalen Umweltkatastrophe entgegen. Das Welt-
klima verändert sich meßbar und nachweisbar. Schon 3. Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
in erlebbarer Zukunft sind dramatische Folgen zu be- regierung
fürchten, aber die Öffentlichkeit reagiert gelassen, Agrarbericht 1991
desinteressiert. Die Sensibilität unserer Mitbürger ist
überstrapaziert. Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der
Bundesregierung
(Beifall bei der CDU/CSU) — Drucksachen 12/70, 12/71 —
Nicht nur Verharmlosung, meine Damen und Herren, überweisungsvorschlag:
auch das gewollte Überzeichnen der Gefahren scha- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
det dem Engagement für den Umweltschutz. Dabei (federführend)
Ausschuß für Wirtschaft
stehen wir jetzt vor einer Herausforderung, von deren Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Bewältigung das Überleben der Menschheit abhän- Ausschuß für Gesundheit
gen wird. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß
Ich möchte den Ernst der Lage noch einmal kurz
skizzieren. ZP2 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha,
(Klaus Lennartz [SPD]: An den Seehun weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
den?) CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paint-
Vor 250 Millionen Jahren, im Erdzeitalter des Karbon, ner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
entwickelten sich riesige Erdöl-, Kohle- und Erdgas- der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset-
vorkommen und entzogen damit der Erdatmosphäre zes über die Förderung einer einjährigen Flä-
enorme Mengen Kohlendioxid. Auch auf Grund des chenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/1992
hohen Kohlendioxidgehalts der Erdatmosphäre konn-
ten vor dem Erdzeitalter des Karbon nur Pflanzen au- (Flächenstillegungsgesetz 1991)
ßerhalb des Wassers leben. In nur 100 Jahren werden — Drucksache 12/721 —
wir die Hälfte des damals eingelagerten CO2 der At- überweisungsvorschlag :
mosphäre wieder zugeführt haben, vor allen Dingen Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
durch die Verbrennung fossiler Energieträger. Mit (federführend)
Riesenschritten geht es wieder zurück ins Erdzeitalter Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
des Karbon. Haushaltsausschuß
- Zum Agrarbericht liegen je ein Entschließungsan-
Es müssen alternative Energieträger gefördert und trag der Fraktion der SPD und der Fraktionen der
entwickelt werden. CDU/CSU und der FDP vor.
(Beifall des Abg. F riedrich Bohl [CDU/CSU] Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
sowie bei der SPD) die gemeinsame Aussprache drei Stunden vorgese-
hen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist
Insbesondere — dabei hoffe ich auch auf Ihren Beifall
das so beschlossen.
— müssen emotions- und ideologiebedingte Vorbe-
halte gegenüber nachwachsenden Energieträgern Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun-
abgebaut werden. desminister Ignaz Kiechle.
Deshalb ist die Bundesregierung immer gegen ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Konzept drastischer Stützpreissenkungen gewesen, Erst rufen Wirtschaft und Politik danach, direkt zu Bei
zum Teil allerdings ohne genügend EG-Unterstüt- hilfen überzugehen, um den Welthandel nochmals zu
2304 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Jan Oostergetelo
In Australien verlassen ältere Menschen den ländli- Aber Ihr Versuch, Herr Minister, nach fast zehn Jah-
chen Raum, nachdem ihre Kinder die Farmen über- ren Regierungszeit die heutige Misere der Soziallibe-
nommen haben, und selbst in Amerika sterben die ralen Koalition der siebziger Jahre anzulasten, schlägt
Dörfer. fehl.
Wir sagen: Ein intakter ländlicher Raum — in dem (Zuruf von der CDU/CSU: Da sind die Fehler
bei uns immerhin die Hälfte der Bevölkerung lebt — gemacht worden!)
ist auf Grund seiner vielfältigen Funktionen unersetz- Oder stammt folgender, an Helmut Schmidt gerichte-
lich, aber auch wegen seiner wechselseitigen Bezie- ter Ausspruch nicht von Ihnen: „Wir von der Union
hungen Vorbedingung für eine positive Entwicklung denken gar nicht daran, die Agrarpolitik zu reformie-
unserer Industriegesellschaft. ren, nur weil es momentane Schwierigkeiten auf den
(Beifall bei der SPD) Agrarmärkten gibt. " So Kiechle. Oder zu mir 1982:
„Typisch ein Sozi ... "
Ich will hier nur kurz an seine Aufgaben als Wirt-
schafts-, Erholungs- und Naturschutzraum erinnern. (Beifall bei der SPD — Heiterkeit und Beifall
Es geht doch darum, ob der ländliche Raum als ge- bei der CDU/CSU — Peter Harry Carstensen
meinsamer Lebensraum für Menschen, Tier und [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber ein demo
Pflanze weiterhin sein kann, was er noch weitgehend kratischer Sozi!)
ist; der Raum, in dem die Lebensgrundlage dieser — Ich bitte, die Zeit zu berichtigen, die ich noch
Gesellschaft gesichert wird. Reine Luft, sauberes Was- habe. —
ser, Artenvielfalt von Tier und Pflanze, ihr Verlust
wäre unbezahlbar. Typisch ein Sozi, da liegen ein paar Kilogramm
Butter zuviel, und schon reden die von Butter-
(Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung berg.
[CDU/CSU]: So ist es!)
Nein, die jetzt schwierige agrarpolitische Situation
Herr Minister, Sie haben erst kürzlich bei den Haus- haben Sie zu verantworten. Ihre Politik ist gescheitert.
haltsberatungen zum Ausdruck gebracht, daß Leiden- Wo gibt es das denn: Rasant steigende Kosten und
schaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß einen ärmer werdende Bauern? Ihre Parolen sind es, die den
Politiker auszeichnen sollten. Recht hatten Sie! Uns Bauern auf die Nerven gehen, weil nichts dahinter
haben Sie ein Verantwortungsgefühl gegenüber den steckt und weil sie keine Perspektive sehen. Gucken
Bauern abgesprochen. Das ist ein harter Vorwurf, dem Sie mal, wie die Zahl der Ausbildungsplätze oder die
ich entschieden entgegentrete. der Landwirtschaftsschüler zurückgeht! Die Talfahrt
geht unaufhaltsam weiter.
(Zuruf von der CDU/CSU: Gucken Sie mal
nach Rheinland-Pfalz!) (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
[CDU/CSU]: Ja, Großbauer! Das ist aber
Ich frage mich: Wissen Sie eigentlich, was Sie da ge-
nicht so einfach!)
sagt haben?
Nehmen Sie beispielsweise die Agrarsozialpolitik.
Der Agrarbericht zeigt, daß im abgelaufenen Wirt- Mit dem Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz ha-
schaftsjahr eine Erholung der landwirtschaftlichen
ben Sie die Ungerechtigkeit und Ungereimtheiten
Einkommen eingetreten ist; für das laufende müssen
noch erhöht.
wir jedoch mit riesigem Einkommensrückgang rech-
nen. (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/
-
(Zuruf von der SPD: Leider wahr!) CSU]: Das stimmt nicht! — Carl-Detlev Frei
herr von Hammerstein [CDU/CSU]: Hast Du
Insgesamt sind die Einkommen der deutschen Land- heute morgen aber nicht gesagt!)
wirtschaft absolut unbefriedigend
Kleine und mittlere landwirtschaftliche Bet riebe müs-
(Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: So ist es! sen überproportional hohe Beitragsleistungen erbrin-
Die Regierung ist schuld!) gen.
und ohne Perspektive, ja im unteren Drittel sogar exi- Wir werden die Finger so lange nicht aus der Wunde
stenzvernichtend, meine Damen und Herren. Das ist nehmen, bis auch Sie mit Ihrer Mehrheit Einsicht ha-
kein Scherz. Im EG-Vergleich stehen wir außerdem ben. Das altbekannte Sprichwort „steter Tropfen höhlt
sehr ungünstig da. den Stein" ist unsere Devise. Ein solches Handeln ist
(Zuruf von der SPD: Richtig!) auf jeden Fall gradliniger und ehrlicher.
Der Abbau der Überschüsse ist sicher nicht in ein Sie nennen z. B. 1 000 DM soziostrukturellen Ein-
paar Jahren zu realisieren, aber ich freue mich, Herr kommensausgleich je Betrieb eine Besserstellung der
Minister, daß auch Sie jetzt zugeben, keinen Königs- klein- und mittelbäuerlichen Bet riebe. Heute vormit-
weg zu haben. Das ist redlicher als Ihre Versuche in tag habe ich diese Rechenkunst schon einmal ge-
der Vergangenheit, z. B. Quotierung der Landwirt- hört.
schaft, aktive Preispolitik, aber immer weniger Ein- (Zuruf von der CDU/CSU: Lieber Jan, was
kommen, oder die Flächenstillegung als Heilswege zu haben Sie denn in Niedersachsen ge
verkaufen. macht?)
(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ Das Gegenteil ist richtig: Ein 20-Hektar-Betrieb be-
CSU]: Ist doch besser geworden! Entschul kommt 1 800 DM, und ein 90-Hektar-Betrieb be-
dige mal!) kommt 8 000 DM. Das sind die Fakten.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2307
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Ich sagte, im übrigen erhöht Gerechtigkeit ein Volk.
Oostergetelo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Dann wäre es auch schön, Herr Kollege, daß Sie bei
Kollegen Heinrich? Ihrer Fragestellung nicht darüber hinwegtäuschen,
daß die Fakten so sind, wie ich es sagte.
Jan Oostergetelo (SPD): Wenn es nicht angerech- Übrigens, Herr Minister: Mit der Festschreibung
net wird. von Strukturen, wie Sie es uns unterstellen, hat das
nichts zu tun.
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nein, es wird
nicht angerechnet. Ein zweites Beispiel für Ihre Politik ohne roten Fa-
den ist der Milchmarkt. Es ist noch nicht lange her, da
Ulrich Heinrich (FDP) : Herr Kollege, könnten Sie zogen Sie, meine Damen und Herren von den Regie-
uns vielleicht darüber informieren, wie die Zuschuß- rungsparteien, übers Land und priesen die Quotenre-
klassen im 4. ASEG gestaltet worden sind, wieviel gelung.
Prozent ein kleiner, ein mittlerer oder ein größerer (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie ist rich
Bauer entsprechend seinen Einkommensverhältnis- tig, und sie war richtig!)
sen zu zahlen hat?
— Es gibt da auch Ausnahmen.
(Horst Sielaff [SPD]: Die eigenen Beschlüsse
kennt er nicht!) Jetzt werden Ihre Worte von der Wirklichkeit einge-
— Er kennt sie nicht. holt. Mit der Stabilität des Marktes, den Erzeugerprei-
sen und den Einkommen der Milchbauern ist es nicht
(Horst Sielaff [SPD]: Wissen Sie nicht, was
weit her. Jetzt haben wir die 18. Änderung.
Sie beschlossen haben?)
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da kennen
Jan Oostergetelo (SPD) : Herr Kollege, ich habe nie Sie die Zusammenhänge nicht!)
behauptet — bei aller Sympathie Ihnen gegenüber —, —Also, Herr Vorsitzender, mein Eindruck ist: Sie wol-
das Freie Demokraten sozialpolitisch besonders sensi- len die Pädagogen, die den Kindern eine Eins geben,
bilisiert seien. Wahr ist, daß das Gesetz für Kleinbe- obwohl sie den Aufsatz 18 mal berichtigen müssen.
triebe Pauschalen in Höhe von 2 000 DM vorsah. Dies
ist gestrichen, so daß wir bei kleinen Bet rieben zum Vor allem ist die Finanzierung der von Ihnen her-
Teil zu höheren Beträgen kommen als vorher. Das ist ausgestellten Herauskaufaktion unklar. Selbst, wenn
die Wahrheit. es zur Herauskaufaktion käme und sich Brüssel daran
(Ulrich Heinrich [FDP]: Herr Kollege, darf ich beteiligte, muß doch der Finanzminister mindestens
noch einmal nachfragen?) eine Milliarde DM in den Haushalt einstellen.
Auf der anderen Seite zieht Bundesminister Mölle-
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, ich mann täglich übers Land und predigt den Subven-
würde Sie bitten, nachzufragen, ob Sie noch eine tionsabbau.
zweite Zusatzfrage haben können.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
(Ulrich Heinrich [FDP]: Das möchte ich hier
mit tun!) Vertreter der Koalitionsparteien sitzen zusammen und
lassen durchblicken, daß im Agrarbereich Subventio-
— Das ist ganz reizend; dann können wir dies mitein- nen gestrichen werden müssen.
ander vereinbaren.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine zweite Zwi- (Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)
-
schenfrage? — Wie ist das alles zu verstehen? Wollen Sie mit der
einen Hand geben und mit der anderen Hand neh-
Ulrich Heinrich (FDP): Herr Kollege, ich habe kon- men? Wo bleibt das von Ihnen, Herr Bundesminister
kret gefragt, wie die Beitragszuschußklassen bei un- Kiechle, vielbeschworene Vertrauen gegenüber unse-
terschiedlichen Einkommenshöhen der Landwirte ren Bäuerinnen und Bauern?
aussehen. Dazu bitte ich um eine konkrete Antwort.
(Horst Sielaff [SPD]: Er hat schon gar kein
Jan Oostergetelo (SPD): Herr Kollege, es ist ja lieb, Vertrauen mehr!)
daß Sie die Zahlen anscheinend korrekt vor Augen Damit es klar ist und um Mißverständnisse auszu-
haben. Natürlich weiß ich, daß die vier Staffeln bewir- schließen, sage ich Ihnen: Auch wir werden uns einem
ken, daß der Bauer mit geringerem Einkommen rela- Subventionsabbau nicht verschließen. Ich nenne als
tiv mehr Zuschüsse bekommt. Das kann aber nicht Beispiel die Gasölbeihilfe. Sie ist systemwidrig und
darüber hinwegtäuschen, Herr Kollege, daß, wenn Sie muß auf EG-Ebene abgebaut werden. Es darf nicht
die pauschale Entlastung von 2 000 DM wegnehmen, sein, daß der Energieverbrauch prämiert wird.
eine Relation resultiert, die eine Mehrbelastung be-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist voll
deutet.
kommen falsch!)
Das altbekannte Sprichwort „steter Tropfen höhlt
den Stein", sagte ich, ist ehrlicher. Herr Kollege, wir Aber es darf auch nicht sein — das sage ich an alle
werden die nächste Reform, die Sie seit zwei Pe ri oden Adressen — , daß unsere Bauern schlechtergestellt
als Koalitionsvereinbarung auf dem Papier stehen ha- werden als die der EG-Partner.
ben, aber nicht zustande bringen, so lange fordern, bis (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Sie es endlich machen müssen. [CDU/CSU]: Das sagen Sie mal den Bauern
(Beifall bei der SPD) in Niedersachsen!)
2308 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Jan Oostergetelo
Ein Abbau von Hilfen für die Landwirtschaft, der prozeß durch ein Bündel von Maßnahmen zu fördern
existenzvernichtend wirkt, Herr Kollege, kommt für und nicht zu behindern. Dabei darf nichts ausgelassen
uns nicht in Frage. Daher kann ich mich auch nicht werden, was helfen kann. Vieles tragen wir ja sogar
Ihrer Darstellung, Herr Minister, anschließen, in der gemeinsam.
EG-Kommission gebe es zwei Alternativen: Mengen- Damit aber ein Überleben der Landwirtschaft mög-
rückführung und Abbau der Preisstützung bei direk- lich wird, müssen Sie endlich Ihren Widerstand gegen
tem Einkommensausgleich. Nein, beide Maßnahmen direkte Hilfen aufgeben.
sind doch zwingend: Die Produktion muß zurückge-
führt werden bei gleichzeitigem Einkommensaus- (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung
gleich für die Landwirte in dieser problematischen [CDU/CSU]: Das ist ja ein starkes Stück!)
Phase. Sonst sterben die Bauern, bevor sie etwas errei- Das Instrumenta rium ist auszubauen. Unsere Forde-
chen. rung nach ökologischer Umstrukturierung der Land-
Nehmen wir noch ein Beispiel. Die von der Bundes- wirtschaft, und zwar auf der Basis direkt einkom-
regierung vielgepriesene Flächenstillegung war bis- menswirksamer, nicht produktionsgebundener Maß-
her ein Schlag ins Wasser. nahmen, ist Bestandteil und Voraussetzung eines sol-
chen Konzepts. Klammheimlich führen Sie es ja ein.
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nein, das
ist wieder nicht richtig!) Aber draußen bei den Bauern reden Sie immer noch
das Gegenteil.
Die Franzosen haben ihre Anbaufläche für Weichwei-
zen in diesem Jahr um 8,7 %, für Hartweizen sogar um Wir wollen damit erreichen, daß zukünftig der
17 % und für Mais um 15 % ausgedehnt. Das jetzt in Großteil der Subventionen gezielter, sozial gerechter
Brüssel beschlossene einjährige Flächenstillegungs- und einkommenswirksamer direkt landwirtschaftli-
programm ist auf den ersten Blick möglicherweise chen Familien zugute kommt und somit zur Sicherung
besser. Wir werden morgen darüber beraten. einer vielfältigen umweltgerechten Landwirtschaft
beiträgt.
Entscheidend wird aber die nationale Ausgestal- (Beifall bei der SPD)
tung sein. Großbetriebe mit einem hohen Anteil an
Verkaufsfrüchten werden in die Flächenstillegung Der Zwang zur Intensivierung und zur Mehrpro-
getrieben. Das mag marktpolitisch richtig sein; regio- duktion — das wissen wir doch — muß endlich aufhö-
nalpolitisch ist das eine Katastrophe. Wenn es bei Be- ren.
trieben auf guten Standorten um bis zu 2 500 DM geht (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer hat das
— das kann man errechnen, wenn die 5 % zurückge- denn veranlaßt?)
zahlt werden —, dann werden Regionen in Nord- und
Ostdeutschland — in Schleswig-Holstein, Nieder- Auch diese Forderung, lieber Herr Minister, werden
wir so lange wiederholen, bis ein solches Konzept bei
sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg
und Sachsen-Anhalt — stillgelegt. Die Getreidepreise uns eingeführt ist.
gehen jedoch weiter herunter, weil andere EG-Länder Meine Damen und Herren von den Regierungspar-
wie Frankreich in der Prämiengewährung nicht so teien, wie sonst soll denn die deutsche Landwirtschaft
rangehen wie Sie. die EG-Agrarreform und die GATT-Verhandlungen
überstehen?
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Oosterge- (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Darauf
telo, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? eine Antwort!)
Wir wollen die Produktion von Agrargütern im we-
Jan Oostergetelo (SPD): Bitte sehr. sentlichen auf den EG-Binnenmarkt beschränken; so
sagen wir es gemeinsam. Das bedeutet nichts anderes
Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) : als Rückführung. Dies müssen wir dann erkennen,
Herr Kollege Oostergetelo, ist das nicht eine etwas bekennen und auch den Bauern sagen.
eigenartige Rechnung, jetzt auf 2 500 DM zu kommen
und die 5%ige Rückzahlung mit hereinzunehmen?
Logischerweise kämen Sie auf 3 500 DM, wenn wir 10 Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Oo-
oder 15 % Mitverantwortungsabgabe hätten. stergetelo, gestatten Sie bitte noch eine Zwischen-
frage des Kollegen Bredehorn?
Jan Oostergetelo (SPD): Ich weiß nicht, was Sie fra-
gen wollen. Sie wollen das verschleiern. Daß das für
diese Betriebe praktisch bis zu 2 500 DM pro Hektar
Günther Bredehom (FDP): Lieber Herr Kollege, Sie
bedeutet, ist eine Rechnung, die stimmt. Ich bin auch
sind so schnell
gern bereit, sie Ihnen zu liefern. Ich kann nicht bestä-
tigen, daß eine höhere Summe drin ist. (Horst Sielaff [SPD]: Sie sind zu langsam!)
Meines Erachtens ist es auch sehr blauäugig, allein über die Direktbeihilfen hinweggegangen. Können
mit Mengenreduzierungen den Markt voll in den Griff Sie uns erklären, wie Sie sich das vorstellen; wollen
bekommen zu wollen, um einkommenspolitisch genü- Sie eventuell diese Direktbeihilfen direkt, pro Bet rieb
gend Spielraum zu haben. geben, oder muß der Landwirt dafür auch eine ent-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wie wollen sprechende Gegenleistung erbringen?
Sie es machen?) (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/
Die Bundesregierung hat bisher kein Gesamtkon- CSU]: Mit welcher Staffelung? — Siegf ried
zept vorgelegt. Es ist erforderlich, den Anpassungs- Hornung [CDU/CSU]: Wie hoch?)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2309
Jan Oostergetelo (SPD): Ich weiß natürlich, Herr wiesen. Ich hoffe, Herr Vorsitzender, wir haben Zeit
Kollege — da diese Regierung ihre eigenen Be- genug, dann im Detail zu diskutieren.
schlüsse nicht exekutiert —, warum Sie so fragen. Vor Ich will nun zum Schluß kommen. Meine Damen
Jahren hat Herr von Geldern von dieser Stelle aus und Herren, es ist nicht zu verantworten, daß Milliar-
gesagt: Wir haben heute nacht beschlossen, daß es denbeträge für eine unsinnige Politik ausgegeben
— mit Unterstützung der EG — direkte Einkommens- werden. Der Hunger in der Dritten Welt, die Über-
transfers geben wird. Sie fordern dies nicht einmal schüsse und das Bauernsterben bei uns haben einen
ein. negativen Zusammenhang. Wir dürfen die Interessen
(Egon Susset [CDU/CSU]: Gibt es doch jetzt der südlichen sowie der östlichen Welt nicht weiter
schon!) ignorieren. Wir müssen deshalb eine flächendek-
kende, umweltverträgliche Landwirtschaft erreichen.
Es ist wahr, daß dies natürlich jene nicht vorantreibt, Das verlangen von uns die elementaren Menschen-
die am liebsten sagen: Vorwärts, nach vorn, wer übrig rechte,
bleibt, bin ich und ein anderer. Bei Zugrundelegung
dieser Devise mag das sein. (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/
CSU]: Das erzähle ich meinen Bauern!)
Ich sage Ihnen: Es gibt keinen Weg daran vorbei. der Frieden in der Welt und unsere Kinder.
Sie haben es ja mittlerweile sogar eingeführt. Der
soziostrukturelle Einkommensausgleich ist so ein di- (Beifall bei der SPD)
rekter Betrag. Sie wissen dies doch.
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eben! Wir Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der
verkaufen das sogar gut!) Kollege Egon Susset.
Aber Sie verschleiern es. Sie sagen: Das ist nicht
wahr! Egon Susset (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege
Sie haben sich übrigens sowieso versteckt. Wenn
Oostergetelo ist sich treu geblieben.
ich es richtig sehe, so haben Sie in zwei Kampfabstim-
mungen im Bundestag gesagt: Einmal sind die For- (Horst Sielaff [SPD]: Im Gegensatz zum Mini
schungspolitiker gefordert, und beim Gruppenland- ster!)
wirtschaftsgesetz verstecken wir uns hinter den Juri- Ich habe hier schon andere SPD-Kollegen als erste
sten. Seit 15 Jahren ist es einmalig, daß Sie sich hier Redner kennengelernt. Ich denke an unseren Kolle-
völlig verkriechen. gen Schmidt (Gellersen), aber auch an den Kollegen
(Beifall bei der SPD — Harald B. Schäfer [Of Rudi Müller.
fenburg] [SPD]: Das ist leider, leider wahr!) Was hier heute von dem Kollegen Oostergetelo ge-
sagt wurde, darf nicht unwidersprochen bleiben.
Ich hoffe, wir kommen da noch zu einer Überein-
kunft. (Horst Sielaff [SPD]: Soll es ja auch nicht,
wenn Sie bessere Argumente haben!)
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine solche,
In der Agrarsozialpolitik haben wir Staffeln. Der
wie Sie sie wollen, wollen wir nicht!)
niedrigste Beitragssatz der Alterskasse liegt bei
Aber ich sage Ihnen: Sie wissen, daß Handlungsbe- 25 DM, und der höchste Beitragssatz liegt bei 250 DM.
darf da ist. Wer hier kein agrarpolitisches Wissen ein- Meine Damen und Herren, wer hier versucht, eine
bringt, der sollte sich nicht Interessenvertreter
- des Diskussion anzustacheln, als ob man die sozialen Pro-
ländlichen Raumes nennen. bleme nicht erkennen wolle, der — so glaube ich —
erweist sich selbst und vor allen Dingen der SPD kei-
(Beifall bei der SPD)
nen guten Dienst.
Die Stunde der Ju risten kommt dann noch früh ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nug.
Ich denke an ein zweites Beispiel. Wir haben den
Fast 40 % der landwirtschaftlichen Bet riebe — sagt agrarstrukturellen Einkommensausgleich gestaffelt.
der Be richt — konnten kein Eigenkapital mehr bilden. Der kleinste Bet rieb bekommt 1 000 DM, der größte
Dies ist Alarmstufe Nummer eins. Auch in den neuen Betrieb bekommt 8 000 DM.
Bundesländern hat die Bundesregierung die beste-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So sieht es
henden Probleme in der Landwirtschaft und in den
aus!)
ländlichen Räumen bisher nur unzureichend gelöst.
Jetzt sage mir jemand, daß hier nicht eine soziale
(Horst Sielaff [SPD]: Verschlafen!) Symmetrie festzustellen ist.
Von einem besonderen Verantwortungsbewußtsein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
kann nicht die Rede sein. Sie hat vor allem nicht das Ich denke auch an die Milchquotenregelung. Auch
Versprechen ihres Vorturners, gleiche Lebensverhält- hier hatten wir eine Abzugsstaffelung, wo der klei-
nisse schnell herzustellen, einhalten können. nere Betrieb weniger Abzüge bekam als der größere
(Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung Betrieb.
[CDU/CSU]: Wir sind schon weiter, als die
SPD meint!)
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Susset,
Wir haben dies in einem Entschließungsantrag ein- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
gebracht. Ich hoffe, er wird in die Ausschüsse über- Wimmer?
2310 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Egon Susset (CDU/CSU): Wenn auch jetzt — wie Das ist in den Koalitionsverhandlungen vereinbart.
seither — gilt, daß die Zeit nicht angerechnet wird, Sie können also sehr ruhig davon ausgehen, daß er
bitte schön. kommen wird.
(Horst Sielaff [SPD]: Wann?)
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es gilt für alle das — Wann er kommen wird? Zumindest in dieser Legis-
gleiche. laturperiode. Das heißt, der Entwurf wird so rechtzei-
tig eingebracht, daß das Gesetz in dieser Legislatur-
Hermann Wimmer (Neuötting) (SPD): Herr Kollege periode auch verabschiedet wird.
Susset, gestehen Sie ein, daß beim vierten ASEG (Horst Sielaff [SPD]: Aber Ihre Schnelligkeit,
durch die Aufteilung der Mittel eine Reihe von Land- bis das dann kommt, kennen wir!)
wirten im nachhinein weniger erhalten haben als vor- — Wir sind da viel schneller als ihr; das wißt ihr ja.
her, weil die gesamten Mittel nur im Bereich der Al-
tershilfe verwendet wurden und es nicht mehr wie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Sus-
vorher einen Pauschalbetrag gab? set, auch der Kollege Oostergetelo möchte noch ein-
mal fragen.
Egon Susset (CDU/CSU): Nun, wir haben damals in
den Beratungen über die Krankenkasse und die Al- Egon Susset (CDU/CSU): Bitte schön.
terskasse alles überlegt und gemeinsam diskutiert.
(Horst Sielaff [SPD]: Das Überlegen reicht Jan Oostergetelo (SPD): Herr Kollege, zum ersten
aber doch nicht!) Punkt möchte ich sagen, daß ich jetzt Hoffnung habe,
Sie haben damals sicher auch erfahren, daß wir das daß Sie die Reform irgendwann einmal machen.
Thema Krankenversicherungsreform einer agrar- (Egon Susset [CDU/CSU]: Ich habe noch ei
sozialen Reform insgesamt überlassen haben und nen weiteren Punkt für dich!)
auch überlassen werden. Wir werden diese Dinge an- Sie haben zusätzlich zwei weitere Punkte kritisiert.
gehen. Ich möchte noch einmal auf die 1 000 DM zurückkom-
(Horst Sielaff [SPD]: Wann denn? Wann men, damit wir jetzt korrekt miteinander rechnen. Wir
kommt das?) haben die Richtigkeit dieser 1 000 DM und 8 000 DM,
wie Sie wissen, nie bestritten. Wir waren ein Anhän-
ger des soziostrukturellen Einkommensausgleichs,
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Susset,
andere waren das so nicht.
Herr Kollege Wimmer möchte eine zweite Zwischen-
frage stellen. Sie haben dann die Einkommensschwelle gestri-
chen, so daß heute jeder etwas bekommt. Dadurch
sind die Beträge niedriger geworden; als Volumen
Egon Susset (CDU/CSU): Bitte schön. standen nur 1,1 Milliarden DM zur Verfügung.
Sind Sie bereit, zuzugeben, daß die Inhaber von
Hermann Wimmer (Neuötting) (SPD): Herr Kollege Betrieben mit einer Größe von 5 ha in der Regel nicht
Susset, wären Sie bereit, zuzugeben, daß der Referen- nur Landwirte sind. Bei einer Größe etwas über 11 ha
tenentwurf zum vierten ASEG wesentlich bessere An- sind schon die 1 000 DM mit 90 DM erreicht. Nur für
sätze hatte, als am Ende das Gesetz war? Und wenn eine kleine Klientel gibt es eine relative Besserstel-
Sie noch andeuten könnten, wann nach Ihrer Mei- lung.
nung die neue agrarsoziale Reform kommen könnte,
- (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/
wäre ich sehr dankbar.
CSU]: Wollt ihr nicht die Plätze tauschen? —
Heiterkeit)
Egon Susset (CDU/CSU): Referentenentwürfe wer- Wollen Sie nicht zugeben, Herr Kollege, daß ein
den immer mal eingebracht, und dann berät man dar- Betrieb mit 20 ha — mein Beispiel —, der viehintensiv
über im Parlament. wirtschaftet, durch 2 % Vorsteuerpauschale riesige
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) Gelder verloren hat und 1 800 DM wiederbekommt,
— In der parlamentarischen Demokratie ist es nun während der andere 8 000 DM bekommt? Ist das im-
einmal so, daß es auf der einen Seite Referenten gibt, mer noch eine Besserstellung der klein- und mittel-
die Gesetze schreiben, und daß es auf der anderen bäuerlichen Betriebe?
Seite die Parlamentarier gibt, die sie beraten. Am
Schluß stimmt man dann hier im Parlament darüber Vizepräsidentin Renate Schmidt: Entschuldigung,
ab. Kollege Susset. — Kollege Oostergetelo, darf ich auf
(Beifall bei der CDU/CSU — Siegf ri ed Hor die wirklich revolutionäre Neuerung der Kurzinter-
nung [CDU/CSU]: Und das wollen wir nicht vention aufmerksam machen und Sie bitten, vielleicht
ändern!) daran zu denken, daß Zwischenfragen nicht vier Fra-
gen beinhalten sollen. Der Kollege Susset wird gern
Zur zweiten Frage: Gehen Sie bitte davon aus, daß darauf noch antworten. Ich möchte aber bitten, sich
Sie hier rechtzeitig zunächst einen Referentenentwurf dann an diesen Punkt der Geschäftsordnung zu erin-
und dann eine Diskussionsgrundlage über die ge- nern.
samte Reform der agrarsozialen Sicherung auf den
Tisch bekommen. Egon Susset (CDU/CSU): Nun, der Kollege Ooster-
(Horst Sielaff [SPD]: Wann? Was heißt getelo hat hier das gleiche gefragt, was er heute vor-
„rechtzeitig"?) mittag im Ausschuß — mit ein paar Sätzen mehr oder
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2311
Egon Susset
weniger — auch schon gefragt hat; er hat das übri- 50 000 DM fehlen, weil sie nämlich diese 43 Pfennig
gens schon öfter getan. pro Liter Dieselkraftstoff nicht bekommen?
(Peter Harry Cartsensen [Nordstrand] [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU)
CSU]: Der begreift das nie!)
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Sus-
Wir haben damals gesagt: Es gibt hier Untergrenzen. set, es besteht noch der Wunsch nach einer weiteren
Es ist nicht wahr, daß es hier immer nur um Nebener- Zwischenfrage, die der Kollege Gallus stellen möchte.
werbsbetriebe geht. Aber da Ihre Redezeit, wenn Sie auch diese Zwischen-
frage noch zulassen, sehr ausgedehnt wird, rechne ich
(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ diese Zwischenfrage dann auf Ihre Redezeit an.
CSU]: So ist es!)
Der Kollege Oostergetelo möge sich einmal mit sei- Egon Susset (CDU/CSU): Eine Zwischenfrage, mir
nem sozialdemokratischen Kollegen, dem jetzigen anrechnen?
Landwirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, Herrn (Heiterkeit)
Schneider, der aus Hessen kommt, darüber unterhal-
ten, wie viele Bet riebe es in Rheinland-Pfalz sind, die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die nächste
weniger als 5 ha haben rechne ich Ihnen an, weil das sonst ein Ausmaß an-
nimmt, das nicht mehr geht.
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unter
11 ha!) Egon Susset (CDU/CSU) : Frau Präsident, unter
und Vollerwerbsbetriebe sind. Süddeutschen: Gleichbehandlung!
(Gudrun Weyel [SPD]: Im Weinbau, Herr Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ja, freilich, bis
Susset, gibt es das!) jetzt erfolgte keine Anrechnung, aber weitere Zwi-
schenfragen rechne ich Ihnen an. Es ist Ihre Sache, sie
— Ist das nicht Landwirtschaft: Weinbau, Obstbau, zuzulassen oder nicht.
Gartenbau usw.? — Natürlich ist es das, ganz klarer
Fall. Egon Susset (CDU/CSU): Also, ich lasse sie zu, je
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es, nachdem. Wenn sie mich viel Zeit kostet — —
auch die vielen Sonderkulturen sind Land (Georg Gallus [FDP]: Wenn es angerechnet
wirtschaft!) wird, verzichte ich!)
Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Es — Also, gut, wir machen das nachher.
war notwendig, eine Untergrenze hier einzuführen, Meine Damen und Herren, die heutige Agrarde-
und die Obergrenze war Ihnen viel zu hoch. Ich will batte findet in einer Zeit des Umbruchs statt. Vieles
sehen, wie sich Kollege Oostergetelo künftig verhält, Gewohnte gilt nicht mehr. Wir müssen, so schwer es
wenn es nun darum geht, für die Bet riebe, die neu in fällt, manche eingefahrenen Gleise verlassen, und wir
die Agrarpolitik einzubringen sind, nämlich in den müssen uns auf neue Entwicklungen einstellen.
fünf neuen Bundesländern, Im heutigen, wiedervereinigten Deutschland haben
wir es mit zwei Landwirtschaften zu tun, die unter-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In den
schiedlicher nicht sein könnten. Agrarpolitik und
neuen Bundesländern können sie ihm nicht
Landwirtschaft stehen vor einer Vielzahl von Heraus-
groß genug sein!)
- forderungen: Wir haben den Anpassungsprozeß der
einen Ausgleich zu schaffen. ostdeutschen Landwirtschaft zu bewältigen. Die be-
vorstehende EG-Agrarreform und die wiederaufge-
Damit komme ich gleich zum nächsten Punkt, den
nommenen GATT-Verhandlungen werden den An-
er angesprochen hat: die Gasölbeihilfe. Nun, Herr passungsdruck in der deutschen Landwirtschaft ver-
Möllemann macht schlimme Vorschläge, schärfen. Zunehmende Umweltanforderungen an die
(Beifall bei der SPD) deutsche Landwirtschaft im EG-Wettbewerb er-
schweren das Wirtschaften.
soweit sie uns als Landwirte betreffen; ich sage das
ganz offen. Aber das, was unser Kollege Oostergetelo (Horst Sielaff [SPD]: Und dann ein so schwa
hier angeregt hat, nämlich auf die Gasölbeihilfe zu cher Minister!)
verzichten Schon gegenwärtig läßt die Einkommenslage vieler
Betriebe zu wünschen übrig; sie hat sich zum Teil kri-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist noch senhaft zugespitzt. Die angespannte Einkommens-
schlimmer!) lage in der Landwirtschaft spiegelt sich im Agrarbe-
und so zu tun, als ob dies etwas sei, was man vielleicht ri cht wider, der ja Anlaß für die heutige Debatte ist.
noch mit dem Etikett „umweltfreundlich" versehen Ich möchte auch den Damen und Herren des Ministe-
könnte, ist weit schlimmer. Möchten Sie — der Mini- riums recht herzlich danken, nicht nur dafür, daß sie
ster hat vorhin schon entsprechend gefragt — Ihre heute hier sind, sondern auch dafür, daß sie uns wäh-
Arbeit als Landwirt künftig wieder mit Pferden tun? rend des Jahres zuarbeiten und uns diesen aussage-
Ich frage Sie: Was sagen Sie den Landwirten, die auf kräftigen Be ri cht vorgelegt haben.
der Grundlage des Landwirtschaftsanpassungsgeset- (Horst Sielaff [SPD]: Dafür werden sie gut
zes ihre LPG in den fünf neuen Ländern jetzt umfor- bezahlt! — Gegenruf von der CDU/CSU:
mieren, wenn sie 3 000 oder 4 000 ha Fläche zu be- Aber ein Dankeschön ist immer ange
wirtschaften haben und ihnen vielleicht 40 000 oder bracht!)
2312 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Egon Susset
— Selbstverständlich, auch bei euch. der Rückführung von 2 % für uns nur ein halbherziger
Schritt. Wir kommen — ich sage das hier ganz klar —
Nun, dieser erstmals gesamtdeutsche Agrarbericht um einen tieferen Einschnitt in das Produktionsvolu-
dokumentiert Lichtseiten in der Vergangenheit und men nicht herum.
Schattenseiten in der Gegenwart. Die Einkommens-
lage konnte sich im letzten Wirtschaftsjahr sehen las- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und zwar
sen. Aber in der Zwischenzeit hat sich hier natürlich deswegen, weil der Verbrauch es erfor
sehr vieles negativ entwickelt. dert!)
Wir freuen uns, daß verschiedene Zweige, ob Dau- Denn der rückläufige Verbrauch von Milchprodukten,
erkulturbetriebe, Obstbaubetriebe, Weinbaubetriebe, in erster Linie von Butter, läßt uns keine andere Wahl.
in dem Jahr 1990, über das es heute zu debattieren Wir müssen die Milchquoten konsequent an den Ab-
gilt, gut abgeschnitten haben und daß auch die Fut- satzmöglichkeiten ausrichten.
terbaubetriebe entsprechend gut weggekommen (Siegfried Horn ung [CDU/CSU]: Richtig! —
sind. Zurufe von der SPD: Richtig!)
Aber seit Mitte des Jahres 1990 haben die landwirt- Bei Getreide haben wir nun mit dem einjährigen
schaftlichen Einkommen eine rasante Talfahrt ange- EG-Sonderprogramm für die Flächenstillegung eine
treten. Dafür verantwortlich sind natürlich zunächst realistische Chance für den breiteren Einstieg der
einmal Hauptgetreideproduzenten in der EG in die Flächen-
stillegung eröffnet. Das Angebot stellt nämlich die
(Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Die Re
Verantwortung des Erzeugers in den Mittelpunkt.
gierung!)
Nach dem, maßgeblich von der Bundesregierung
der drastische Rückgang der Erzeugerpreise und hö- durchgesetzten, Brüsseler Beschluß haben wir schnell
here Betriebsmittelpreise. gehandelt. Bereits heute beraten wir ja in erster Le-
Die Einkommenseinbußen sind, glaube ich, sung den von der CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit
schlimm genug. Sie wären aber besser und leichter zu der FDP-Fraktion eingebrachten Entwurf eines Flä-
verkraften, wenn wir Licht am Ende des Tunnels sä- chenstillegungsgesetzes. Ich habe mich heute morgen
hen. Die Konturen der weiteren Entwicklung der ge- im Ausschuß vergewissert: Die Kolleginnen und Kol-
meinsamen Agrarpolitik sind noch verschwommen. legen der SPD haben zugesagt, daß sie eine rasche
Die bisher bekannten Brüsseler Pläne für eine Agrar- Beratung akzeptieren. Dafür möchte ich mich heute
reform stimmen uns zunächst noch skeptisch. Aus- schon bedanken.
gang und Auswirkungen der GATT-Verhandlungen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sind noch unklar.
Die wesentlichen Kriterien des Programms sind: Die
Auch die Preisbeschlüsse für das Wirtschaftsjahr Teilnehmer müssen mindestens 5 % ihrer im Wirt-
1991/92 haben unsere Erwartungen sicher nicht voll schaftsjahr 1990/91 mit Marktordnungsprodukten be-
erfüllt. In der jetzigen Situation hätte das bisherige stellten Flächen im Wirtschaftsjahr 1991/92 für ein
Preisniveau mindestens beibehalten werden müssen. Jahr stillegen. Die gesamte Mitverantwortungsab-
Aber es war nicht möglich. Ich glaube, unser Bundes- gabe für vermarktetes Getreide in Höhe von 5 To wird
landwirtschaftsminister hat zusammen mit seinen Be- dann erstattet. Die Höhe der Stillegungsprämie soll
amten das relativ Beste als Kompromiß erreicht. pro Hektar zwischen 240 und 1 059 DM betragen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir haben uns für ein Geldleistungsgesetz mit
- 100 %iger Finanzierung des nationalen Anteils durch
der FDP)
den Bund entschieden. Es wäre uns sicher lieb gewe-
Bei Milch konnte das Schlimmste verhindert werden, sen, wenn sich die Länder daran beteiligt hätten. Aber
nämlich eine Quotenrückführung ohne Entschädi- dafür wären lange Verhandlungen notwendig gewe-
gung. sen, und wir wollen ja rasch handeln. Wir wollen näm-
Aber die Preisbeschlüsse enthalten einen tragfähi- lich den Landwirten möglichst rasch ein klares Ange-
gen Ansatz für agrarpolitische Neuorientierung, weil bot präsentieren können, weil unser Ziel eine durch-
sich die EG-Agrarminister zum ersten Mal auf das greifende Mengenrückführung in der EG ist.
Schwergewicht mengenbegrenzender Maßnahmen Wir wissen, daß die Getreideüberschüsse dramati-
festgelegt haben. sche Formen angenommen haben. Aber wir wissen
auch, daß die Möglichkeit der Flächenstillegung be-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! sonders in Frankreich, dem Land, in dem die größte
Und zwar EG-weit!) Fläche zu bewi rtschaften ist, nicht angenommen
Dies ist unzweifelhaft ein Erfolg des unermüdlichen wurde. Wir haben nun zumindest positive Signale da-
Einsatzes unseres Bundeslandwirtschaftsministers für, daß die französischen Getreideerzeuger dieses
Ignaz Kiechle, dem ich hier recht herzlich dafür einjährige Flächenstillegungsprogramm nun akzep-
danke. tieren, vor allem weil durch den vollen Wegfall der
Mitverantwortungsabgabe gerade starke Markt-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fruchtbetriebe, die als größere Getreideproduzenten
der FDP) wirtschaften, durchaus ein interessantes Angebot be-
Er konnte statt einer linearen Kürzung der Milchquo kommen.
ten ohne Ausgleich eine Herauskaufaktion gegen Weil die SPD die Flächenstillegung immer kritisiert
Entschädigung erreichen. Allerdings ist der Umfang hat, möchte ich sagen: Die einjährige Flächenstille-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2313
Egon Susset
gung bedeutet automatisch Rotationsbrache und ist Existenzgefährdung vieler Landwirte, ohne daß das
am wenigsten strukturhemmend. Das ist auch etwas, Überschußproblem an der Wurzel gelöst wird. Im üb-
was seitens der Koalitionsfraktionen, zumindest sei- rigen lassen sich die über den Marktpreis erzielten
tens der CDU/CSU-Fraktion entsprechend positiv be- Einkommen nicht durch staatliche Beihilfen erset-
urteilt wird. zen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Vernünftige Preise lassen sich dann erwirtschaften,
ordneten der FDP) wenn ein annäherndes Gleichgewicht zwischen An-
gebot und Nachfrage besteht. Gestützte Preise müs-
Die Entscheidung der EG-Agrarminister zugunsten sen jedoch mit einer wirksamen Mengenbegrenzung
der Produktionsrückführung ist auch ein wichtiger einhergehen.
Schritt zum Abbau des Exportdrucks und damit zum
Gelingen der GATT-Verhandlungen. Selbst Frau Dies alles sind für uns, für die CDU/CSU-Bundes-
Clara Hill, die amerikanische Handelsbeauftragte, hat tagsfraktion, gute Gründe, um die Produktion vorran-
inzwischen bei einem kürzlichen Besuch — ich gig über die Mengen zu steuern. Das Mengenkonzept
glaube, Sie war bei uns im Bundeslandwirtschaftsmi- — das räume ich gerne ein — kann selbstverständlich
nisterium, zumindest habe ich das irgendwo in der nur dann funktionieren, wenn es effizient und markt-
Presse gelesen — mitgeteilt, daß sie dies durchaus als wirksam praktiziert wird. Daran hat es bisher ge
einen guten Ansatzpunkt sieht, auch bei den GA TT fehlt.
-Verhandlugwitzkomen.Ichglaub,dr Die Opposition verfügt — das haben wir bis jetzt
sind wir als Landwirte alle interessiert. und auch heute wieder festgestellt, auch wenn sie
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) dann und wann einen anderen Eindruck machen
will — über kein schlüssiges Gesundungskonzept für
Ich stimme dem, was der Bundeskanzler am 20. Mai die Landwirtschaft.
1991 in Washington bezüglich unserer Interessen an
einem guten Abschluß der GATT-Verhandlungen ge- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Kein einzi
sagt hat, voll zu. Wir sagen deutlich: Die berechtigten ger Satz ist dazu gefallen!)
Belange unserer Landwirtschaft müssen dabei ange- Deshalb wollen wir die neue Politik durchsetzen,
messen berücksichtigt werden. Dazu steht unser Bun-
deskanzler. Die Koalitionsfraktionen haben dies in (Hermann Wimmer [Neuötting] [SPD]: Bes
den Koalitionsverhandlungen auch deutlich zum Aus- ser kein schlüssiges Konzept als überhaupt
druck gebracht. keins!)
Die EG hatte sich im Jahre 1990 in schwierigen — Besser kein schlüssiges Konzept als überhaupt
internen Verhandlungen zu einer Kehrtwende in der keins? Wir bringen schließlich immer wieder unsere
Agrarpolitik durchgerungen. Diese Kehrtwende Vorschläge in Gesetzesform ein.
braucht Zeit. Für uns unverzichtbare Bedingungen (Jan Oostergetelo [SPD]: Jedes Jahr schlech
sind: Die Politik der Mengenrückführung muß durch ter!)
einen ausreichenden Außenschutz abgesichert sein.
Hierzu gehört auch eine vernünftige Lösung für die Selbstverständlich wäre eine flächendeckende Ex-
Futtermitteleinfuhren. tensivierung markt- wie umweltpolitisch eine ver-
nünftige Lösung. Aber sie ist nicht durchzusetzen. In
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Substi Baden-Württemberg beispielsweise unternehmen wir
tute!) mit Unterstützung des Bauernverbandes und der
GATT-bedingte Preissenkungen müssen -durch ein Landwirtschaft
entsprechendes Entlastungsprogramm aufgefangen (Georg Gallus [FDP]: Wegen der Landtags
werden. Auch das ist in den Koalitionsvereinbarungen wahl!)
festgelegt. Das Ergebnis der Uruguay-Runde muß ein
ausgewogener Kompromiß sein, der für die deutsche begrüßenswerte Anstrengungen, lieber Kollege Gal-
lus, und entwickeln ein Programm für einen Markt-
und europäische Landwirtschaft erträglich ist.
entlastungs- und Kulturlandschaftsausgleich, weil es
Meine Damen und Herren, die Entscheidung der eine gute Sache ist. Alle vier Jahre kommen wir in der
Agrarminister für die Produktionsrückführung lenkt Agrarpolitik ein Stück weiter. Früher war die baden-
die Reformbestrebungen in die richtige Richtung. Die württembergische Landwirtschaft in der Einkom-
seit einem Jahr wieder angehäuften Agrarüber- mensskala hinten, heute ist sie meist vorne. Das ist der
schüsse machen eine durchgreifende Marktentla- Erfolg einer guten Agrarpolitik, die dort von einer
stung dringlicher denn je. Die Erzeugung von Nah- CDU-Landesregierung bet rieben wird.
rungsmitteln, für die kein Bedarf besteht, ist nicht län-
ger zu rechtfertigen. Im übrigen sind nicht einmal die (Beifall bei der CDU/CSU)
Landwirte die Nutznießer der für Lagerung und Ex- Mit der Entlastung der Agrarmärkte muß natürlich
port überschüssiger Nahrungsmittel eingesetzten eine Entlastung der Umwelt einhergehen. Umwelt-
enormen Finanzmittel. Deshalb muß im ureigensten verträgliche Produktionsmethoden müssen stärker
Interesse der Landwirtschaft die Neuausrichtung gefördert werden, und aktive Umweltleistungen der
möglichst rasch erfolgen. Landwirte müssen als eigenständige Leistungen aner-
Wir setzen bewußt auf Produktionsbegrenzung und kannt und entsprechend honoriert werden.
Produktionsverzicht. Unser Ziel sind stabile Marktver- Wir wissen, die Bundesregierung hat im Agrarsek-
hältnisse und dadurch stabile Erzeugerpreise. Eine tor ein ansehnliches Mittelvolumen bereitgestellt.
drastische Rücknahme der Preisstützung führt zur Staatliche Hilfen haben einen wesentlichen Anteil am
2314 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Egon Susset
betrieblichen Einkommen — es stimmt also nicht das, Bei den Fleischprodukten ist ein EG-weiter Produk-
was uns Herr Oostergetelo sagte — : die umfangrei- tionsanstieg zu verzeichnen; es liegen bereits wieder
chen Mittel für den Sozialbereich und die benachtei- 750 000 t Rindfleisch in den Lägern. Gegenüber 1988
ligten Gebiete, der Einkommensausgleich über die ist 1990 in Deutschland ein gleichzeitiger Verbrauchs-
Mehrwertsteuer für den Abbau des Währungsaus- rückgang von minus 4 kg pro Kopf der Bevölkerung
gleichs und die produktionsunabhängige soziostruk- — davon minus 2,8 kg allein bei Rindfleisch und
turelle Einkommenshilfe, die erheblichen Aufwen- 3,8 kg bei Schweinefleisch bei einem Plus von 2,6 kg
dungen für Mengenrückführung und Produktionsver- bei Geflügelfleisch — zu verzeichnen.
zicht sowie der Herauskauf und die Aussetzung von Ob wir wollen oder nicht: Es muß etwas geschehen.
Milchquoten, Flächenstillegung und Extensivierung. Heute ist der Tag, aufzuzeigen, was geschehen
Die Landwirtschaft muß in die Lage versetzt wer- muß.
den, auch in Zukunft ihre Aufgaben für die Gesell-
(Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Der Tag
schaft zu erfüllen. Auch landeskulturelle Leistungen
der Regierung!)
haben ihren Preis. Bewährte Leistungen müssen bei-
behalten werden. Einerseits muß die Produktion gedrosselt werden, an-
Die Frau Präsidentin läßt schon eine Zeitlang die dererseits ist der Verbrauch zu stabilisieren.
rote Ampel leuchten. Der rückläufige Fleischverzehr erfüllt mich mit
(Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Rot, das Sorge. Natürlich muß man offen zugeben, daß kein
Licht der Hoffnung!) Mensch damit rechnen kann, den Fleischverbrauch
stetig steigern zu können. Aber der teilweisen Verteu-
Ich bin fest davon überzeugt, daß die drei Kollegen, felung des Fleisches muß mit einer progressiven Wer-
die nach mir sprechen werden, noch einiges von dem, bung der CMA begegnet werden.
was wir als Agrarpolitiker der CDU/CSU-Fraktion uns
zur Gesundung der Landwirtschaft vorgenommen ha- (Beifall bei der FDP)
ben, zum Ausdruck bringen werden. Vertrauensbildend muß den Verbrauchern sichtbar
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. gemacht werden, wie sorgfältig unsere deutschen
Bauern Lebensmittel produzieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Dies gilt auch für das fleischverarbeitende Gewerbe
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat und ganz besonders für unsere mittelständischen
der Kollege Johann Paintner das Wort. Metzger.
Die Lage im Getreidesektor ist paradox: Deutsch-
Johann Paintner (FDP) : Frau Präsidentin! Meine land unternimmt alle Anstrengungen, um die Agrar-
Damen und Herren! Beginnen möchte ich meine Aus- produktion bezüglich der Fläche mengenmäßig zu-
führungen mit einem Problem, das mir und sicherlich rückzuführen. Aber unsere Erfolge in der EG sind sehr
Ihnen allen besonders am Herzen liegt, nämlich dem mäßig, bescheiden. Der Schlüssel einer konsequenten
Weltproblem Hunger. Sicherlich könnte man meinen, Agrarpolitik — nämlich nicht mehr zu produzieren, als
eine Agrardebatte wäre nicht der Ort für die Erörte- wir in Europa brauchen — liegt aber nicht sosehr in
rung dieses Problems. Aber ich möchte dieses Pro- Brüssel, als vielmehr in Pa ris. Ich erwarte mehr Ehr-
blem hauptsächlich für die Bürger im Lande anspre- lichkeit und Offenheit in der agrarpolitischen Diskus-
chen. sion, vor allen Dingen aber auch von den Wirtschafts-
politikern.
Auch heute sterben pro Tag 40 000 Kinder an Hun-
ger; 700 Millionen Menschen auf dieser Erde leiden (Hermann Wimmer [Neuötting] [SPD]: Von
an Hunger. Dennoch exportieren die betroffenen Län- der Regierung!)
der Lebensmittel nach Deutschland, um sich Devisen — Von dir natürlich besonders, Hermann.
zu beschaffen. Lassen Sie uns gemeinsam mehr denn
je gegen den Hunger in der Welt ankämpfen. Warum spielt Frankreich denn nicht mit? Ganz ein-
fach deshalb, weil Frankreich, wenn es keinen ent-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sprechenden Gereideexport hätte, eine katastrophale
Zum Agrarbericht möchte ich folgendes sagen: Handelsbilanz vorweisen würde. Deshalb verhält sich
Nach zwei Jahren Einkommensanstieg für unsere Frankreich so, wie es sich verhält. Wenn keine Verän-
Landwirte — 1988/89 mit über 30 %, 1989/90 mit im- derung dahin gehend eintritt, daß Frankreich auf an-
merhin noch 16 % Einkommensanstieg — haben wir deren Gebieten seiner Volkswirtschaft Geld und De-
nun im Jahr 1990/91 ein bitteres Minus von 20 % hin- visen verdienen kann, wird es keine Lösung geben,
zunehmen. Die Einkommensminderung ist mehr als mit der Frankreich vor dem GATT bestehen kann.
ein deutliches Signal. Wir müssen Antworten auf die Vor dem Hintergrund solcher Zusammenhänge will
Fragen finden, wie die bäuerliche Landwirtschaft er- Frankreich sicherlich nicht auf seine Marktanteile
halten werden kann und wie die Probleme des ländli- verzichten. Deshalb sollte man aber die deutschen
chen Raums zu lösen sind. Bauern nicht für etwas prügeln, was sie selbst nicht
Die Hauptursachen der Preisrückgänge sind ein- ändern können. Trotzdem ist die Bundesregierung in
deutig. Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und bezug auf die Flächenstillegung gut beraten, weiter
Nachfrage auf den EG-Märkten hat sich wieder ver- mit gutem Beispiel voranzugehen und diese entschei-
stärkt. Der EG-weite Überschuß der wichtigsten denden Maßnahmen nicht dem Streit zwischen Bund
Agrarprodukte ist dramatisch angestiegen. und Ländern preiszugeben.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2315
Johann Paintner
Außerdem möchte ich noch einmal ganz besonders Durch eine umweltfreundliche Agrarpolitik
darauf aufmerksam machen, daß es durch die GATT-
(Jan Oostergetelo [SPD]: Aber der war ja
Verträge möglich ist, z. B. so viele Substitute, Ersatz-
schon so schwarz, da ging doch nichts mehr
futtermittel in die EG einzuführen, wie wir auf der
drauf!)
landwirtschaftlichen Nutzfläche der gesamten alten
Bundesländer von 12 Millionen ha erzeugen könnten. — das ist ein erwünschter Nebeneffekt —
Dies, meine ich, können wir gar nicht oft genug sagen,
besonders auch — um es noch einmal zu betonen — (Heiterkeit im ganzen Hause)
unseren Wirtschaftspolitikern. wächst auch die Akzeptanz für die Belange unserer
(Horst Sielaff [SPD]: Und Herrn Mölle Bauern in der Bevölkerung im Bereich der nachwach-
mann! ) senden Rohstoffe. Außerdem fordere ich für diesen
Bereich ein Verwendungsgebot. Dies sollten Sie alle
Wenn dies kein Wettbewerbsnachteil für die deutsche zur Kenntnis nehmen. Gerade die Raffinierung von
oder die europäische Landwirtschaft ist, dann möchte Rapsöl auf dem Wege der Veresterung ist sehr effek-
ich dies auch ganz besonders meinem Freund, Bun- tiv. Das ist allgemein bekannt und auch anerkannt.
desminister Jürgen Möllemann, der sonst meine volle Hierfür sind die notwendigen Mittel zur Verfügung zu
Sympathie genießt, ans Herz legen. stellen.
(Horst Sielaff [SPD]: Ans Herz legen? Der läßt Der Bundesverkehrsminister hat übrigens den
sich doch nichts sagen!) neuen Bundesländern Hoffnung gemacht, daß es eine
neue Methode in der Raffinierung von Rapsöl gibt:
— Wissen Sie, das reicht vollkommen.
einen alternativen Weg zur Veresterung. Ich wünsche
Im Bereich der Erschließung neuer Märkte messe viel Glück dazu.
ich den nachwachsenden Rohstoffen besonderen
Bei der Milch möchte ich nichts vorwegnehmen,
Wert zu. Es ist eine Aufgabe für die Zukunft, die Ab-
was mein Kollege Bredehorn nachher sicherlich noch
satzmöglichkeiten, die dieser Bereich bietet, als
ausführen wird. Man kann nur sagen: Bei Milch
Chance zu erkennen und zu nutzen. Ich denke z. B. an
konnte unsere Forderung nach einem Quotenheraus-
die Beimischung von Bioäthanol zu Otto-Kraftstoffen,
kauf mit EG-Mitteln nur ansatzweise erreicht werden.
an die Ganzpflanzenverbrennung zur Wärme- und
Zur völligen Wiederherstellung des Marktgleichge-
Stromgewinnung, an die Verwendung von Rapsöl als
wichts sind jedoch weitere Maßnahmen erforderlich.
Dieselkraftstoffersatz, sogenannter Bio-Diesel. Unser
Ziel muß es sein, die fossilen Rohstoffe durch nach- Sie müssen im Rahmen der Reform der gemeinsamen
Agrarpolitik getroffen werden.
wachsende Rohstoffe, wo dies möglich ist, zu erset-
zen. Lassen Sie mich noch ein Wort zum Strukturwandel
sagen. Mit der Wiedervereinigung sind wir innerhalb
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
Europas zu einem noch bedeutsameren Agrarprodu-
Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vorhin hat
zenten mit unterschiedlichen Agrarstrukturen gewor-
ten wir die Umweltdebatte! Sehr gut!)
den. Wer glaubt, in wenigen Jahren werde sich die
Nehmen wir in diesem Zusammenhang Äußerun- Agrarstruktur im zusammenwachsenden Deutsch-
gen einiger Experten, im besonderen hier z. B. Carl land angleichen, der irrt sich mit Sicherheit. Deshalb
Friedrich von Weizsäcker, wichtig. Sie fordern näm- hat die Koalition beschlossen, landwirtschaftliche Be-
lich, daß Treibstoff so verteuert werden soll, daß sein triebe unterschiedlichster Rechtsformen zu unterstüt-
Preis dem Schaden entspricht, den er in der Umwelt zen: Ich finde es gar nicht so schlecht, daß es auf die-
- Rede.
anrichtet. Hier war von ca. 6 DM pro Liter die sem Weg quasi zu einem agrarstrukturellen Wettbe-
werb in Deutschland kommen kann.
(Gudrun Weyel [SPD]: Versuchen Sie es ein
mal!) Bei der Förderung von Großbetrieben müssen wir
uns an der Zahl von Arbeitskräften orientieren. Ich
Durch die Verwendung von nachwachsenden Roh- bedaure die Kleinkariertheit der Bundesländer im
stoffen als Treibstoff wird die Umwelt mit weniger PLANAK. Hier wurde die Möglichkeit der Neugrün-
Kohlendioxid und anderen Schadstoffen nicht mehr dung von größeren Bet rieben in der Milchviehhaltung
belastet. Es bestehen also offensichtlich Alternativen verhindert, obwohl in den Koalitionsvereinbarungen
zu einer Verteuerung des Treibstoffs, nämlich die Ver- ein Förderungsvorhaben mit einem Umfang von bis zu
besserung seiner Umweltverträglichkeit. 2,5 Millionen DM festgelegt wurde. Ich gehe aber da-
Darüber hinaus lassen sich für unsere Landwirt- von aus, daß sie gescheiter werden und dies in der
schaft noch neue Absatzmöglichkeiten erschließen. nächsten Sitzung des PLANAK korrigieren.
Ich denke mit voller Sympathie an meinen Kollegen
(Zustimmung bei der FDP)
Deß, der vor einigen Wochen im Ausschuß eine Farbe
getrunken hat, die aus Milch hergestellt ist. Er sitzt Wir dürfen keine Scheu vor Bet rieben mit mehreren
dort hinten und sieht noch sehr frisch aus. Ich will Arbeitskräften haben. Wir müssen nämlich selbst
damit nicht sagen, daß man Farbe trinken soll, aber überprüfen, wie lange 1,5-AK-Betriebe vor dem Hin-
daß man Farbe aus Milch zum Streichen benutzen tergrund durchhalten können, daß in der Bevölkerung
soll. der Wunsch nach immer mehr Freizeit, nach mehr-
mals Urlaub im Jahr, jeden Tag beizeiten Feierabend
(Heiterkeit im ganzen Hause — Horst Peter
zu haben, wächst. Vielleicht werden wir schon in zehn
[Kassel] [SPD]: Hat er sich wieder erholt?)
Jahren sehen, welche Größenordnungen sich durch-
— Nein, dem ist überhaupt nichts passiert. gesetzt haben.
2316 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Johann Paintner
Nebenbei bemerkt, ich bin sicher, daß sich der bäu- — Ich mache da gerne mit; da gibt es gar keine Pro-
erliche Familienbetrieb auch in der Zukunft behaup- bleme.
ten kann. Gestatten Sie mir, daß ich, bevor ich schwerpunkt-
Schließlich möchte ich an die Verbraucher in den mäßig zur Lage der Landwirtschaft in den neuen Län-
neuen Bundesländern appellieren: Haben Sie wieder dern spreche — weil ich glaube, mehr als Sie davon zu
mehr Vertrauen in Ihre eigenen heimischen Produkte. verstehen — , einige Charakteristika der Landwirt-
Die Qualität Ihrer landwirtschaftlichen Produkte ist schaft in den Altländern aufzähle. 80 % der Bet ri ebe in
sehr oft besser als ihr Ruf. der Alt-BRD bewirtschaften weniger als 30 ha. Die
Ich komme zum Schluß. In dem nun endgültig letz- Wachstumsschwelle der Betriebe hat sich jedoch
ten Punkt bei diesem Galopp durch die Agrarpolitik ständig nach oben verschoben und liegt heute bei
möchte ich mich im Namen der FDP-Fraktion bei allen 40 ha im Durchschnitt. Sie wissen auch ganz genau,
beteiligten Beamten und Staatssekretären, besonders daß das in der Zukunft nicht mehr die Grenze sein
bei meinem Freund Schorsch Gallus und Minister bei wird, ab der Wachstum garantiert ist.
Ignaz Kiechle recht herzlich für die Arbeit und die Die wirtschaft li che Lage der Familienbetriebe ist
Unterstützung im vergangenen Jahr bedanken. alles andere als rosig, wenn man bedenkt, daß nach
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Berechnungen des Bauernverbandes je Familienar-
beitskraft nur etwa 1 900 DM als Entlohnung übrig-
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der geblieben sind — das sind eben nur 56 % dessen, was
Kollege Dr. Fritz Schumann. ein Arbeiter in der gewerblichen Indust rie verdient —,
daß bereits seit 1982/83 keine Nettoinvestitionen
mehr durchgeführt werden konnten, die Nettover-
Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Li- bindlichkeiten über 2 900 DM je Hektar betragen und
ste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der 40 % aller Haupterwerbsbetriebe Eigenkapitalver-
vorliegende Agrarbericht ist hinsichtlich seines Infor- luste in Kauf nehmen mußten.
mationsgehalts eine Fundgrube. Ich darf an dieser
Stelle recht herzlich für seine Erarbeitung danken. Angesichts dieser Situation wundert es nicht, daß
ein Viertel aller Hofbesitzer über keinen Nachfolger
Auch wenn ich manche Wertung nicht teile und mir verfügt und zwei Drittel aller Landwirte älter als
vor allem die Schlußfolgerungen unzureichend er- 45 Jahre sind. Ich glaube, es gibt auch eine Zahl dar-
scheinen, gestatten Sie mir an dieser Stelle — auch über, wie viele Hofnachfolger ohne Frauen sind, weil
mit Blick auf die heutige Tagesordnung — die Anmer- diese auch Probleme haben, dort die Arbeit anzuneh-
kung: In der Aktuellen Stunde haben wir mehrfach men und die sozialen Probleme auf sich zu nehmen.
auf den Hunger in der Welt verwiesen und eine Lö-
sung der Ernährungsprobleme in der Welt ange- Vor diesem Hintergrund ist mir auch verständlich,
mahnt. Anschließend wird in dem Plädoyer des Herrn daß der Präsident des Deutschen Landmaschinen-
Bundesministers die Begrenzung der Agrarproduk- und Ackerschlepperverbandes in seiner Rede anläß-
tion als Heilmittel dargestellt. Ich glaube, in diesem lich der DLG-Agra-Eröffnung beklagte, daß seit Mitte
Gedanken steckt schon ein bißchen Schizophrenie. der 80er Jahre große Absatzprobleme bestehen. Ich
stimme deshalb mit all denen überein, die meinen,
(Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Sehr diese Agrarpolitik muß auf den Prüfstand. Sie ist mehr
richtig! — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So als nur reformbedürftig, sie bedarf einer Neuausrich-
sieht es halt in Europa aus!) tung im Interesse der Bauern selbst
Vor allem an den Fakten und Zahlen des Berichts
— weniger an den verbalen Aussagen -— wird deut- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Der wird
lich, daß die nationale Agrarpolitik der Alt-BRD und sich aber täuschen! Bei größeren Bet ri eben
darüber hinaus die der EG vor einem Berg ungelöster verkauft er weniger Maschinen!)
Probleme steht und einer dringenden Reform bedarf. — Herr Hornung, wir werden sehen, was sich da in
Die Einführung des europäischen Binnenmarktes Zukunft machen läßt —, aber auch im Interesse der
und der damit enorm wachsende Konkurrenzdruck ländlichen Regionen, der gesamtwirtschaftlichen Ent-
sowie die zu erwartenden Ergebnisse der GATT-Ver- wicklung und nicht zuletzt des Steuerzahlers.
handlungen werden eine neue Agrarstrukturpolitik Meines Erachtens besteht die Grundfrage da ri n,
erfordern, die sich an den gesamtwirtschaftlichen welche Lösung die Bundesregierung will. Es geht um
Realitäten und nicht länger an den selbst angelegten
die Frage: Eingliederung oder Zusammenwachsen
Fesseln eines Leitbildes orientiert, das jahrelang als mit der ehemals ostdeutschen Landwirtschaft? Zu-
ideologisches Gegengewicht zur Kollektivierung in nächst wurde ja wie überall der Kurs gefahren, die
der damaligen DDR herhalten mußte. ostdeutsche Landwirtschaft an die westdeutsche an-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber den zupassen nach dem Motto: Nur im Osten hat sich was
Kommunismus und auch den Bauernstaat zu ändern, bei uns im Westen ist die Welt heil, kann
hat es überstanden!) alles beim alten bleiben. Wenn aber die Jacke viel
Ich glaube, die Zeit ist dafür reif, auf das Gegenge- größer ist als das Modell, fällt sie runter. Das haben wir
wicht zur Kollektivierung zu verzichten. Wir können gegenwärtig zu verzeichnen.
uns jetzt gemeinsam über solche Strukturen unterhal- Jüngste Äußerungen politischer Entscheidungsträ-
ten. ger, vor allem auch aus den Koalitionsparteien, signa-
(Zuruf von der FDP: Aha! — Zuruf von der lisieren mir bescheidene Hoffnung auf Erkenntniszu-
CDU/CSU: Daran dürfen wir euch öfters er wachs. So haben Sie, Herr Bundesminister Kiechle,
innern!) sich kürzlich dafür ausgesprochen, die westdeutschen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2317
Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt)
Agrarstrukturen nicht einfach auf die neuen Bundes- er beschlossen — und diese sowie andere Forderun-
länder zu übertragen. Sie fügten hinzu, daß Sie für gen von der Koalition verhindert wurden, einfach des-
jeden Wiedereinrichter, der mit 200 ha anfangen halb, weil das Leben dazu zwingen wird. Wi ll man
wolle, dankbar seien. Heute haben Sie ähnliche Ge- nicht wissentlich die komplette wi rtschaftliche und
danken geäußert. soziale Katastrophe in den Dörfern herbeiführen, wer-
Noch deutlicher wurde der sächsische Ministerprä- den wir uns dazu noch einmal erklären müssen.
sident Professor Kurt Biedenkopf, CDU, der unter Be- Darüber hinaus möchte ich hier wiederum politi-
zugnahme auf die sich im Osten entwickelnden grö- sche Entscheidungen zur Weiterführung der Anpas-
ßeren Betriebe, darunter besonders von Gemein- sungshilfen in den nächsten Jahren, allerdings mit
schaftsunternehmen, zur Eröffnung der DLG-Agrar zurückgehendem Umfang — ich bin sehr dafür, damit
formulierte, daß sich aus der Entwicklung im Osten wir Anpassungsdruck erreichen — , anmahnen.
Rückwirkungen auf den Westen ergeben würden. Ich
zitiere ihn wörtlich: „Diese Rückwirkungen dürfen im Die Wochen bis zur nächsten Getreide- und Raps-
Westen nicht verhindert werden. " Dies sagte er am ernte werden wie im Flug vergehen. Es ist zu befürch-
Sonnabend vergangener Woche. ten, daß es zu neuerlichem Preisverfall bei diesen
Erzeugnissen kommt, da die großen Getreidekombi-
(Zuruf von der FDP: Gut!) nate nach wie vor exis tieren und bereits jetzt versu-
Die Lösung liegt also nicht in der Eingliederung der chen, über entsprechende Vertragsabschlüsse ihre
ostdeutschen Landwirtschaft, sondern im Zusammen- Monopolstellung auszunutzen. Die Treuhand hat es
wachsen beider Landwirtschaften im längerfristigen innerhalb eines Jahres eben nicht erreicht, durch Ent-
Prozeß, was das gegenseitige Aufeinanderzugehen flechtung Bedingungen für einen tatsächlichen Wett-
einschließt. bewerb zu schaffen. Ich bitte deshalb zu prüfen, ob
nicht eine ähnliche Streckung des Interventionszeit-
Die Behandlung des Agrarberichts erfolgt unmittel- raumes wie im vergangenen Jahr sinnvoll wäre.
bar vor dem ersten Jahrestag der sogenannten Wirt-
schafts-, Währungs- und Sozialunion. Der Sprecher In diesem Zusammenhang möchte ich darauf auf-
der fünf Landesbauernverbände Ost nahm das zum merksam machen, daß z. B. in Sachsen die Südmilch
Anlaß, allen Fraktionen des Bundestages eine Ein- AG mit ihrem Einzugsbereich fast drei Viertel der
schätzung dieser Verbände zuzustellen. Ich möchte Wohnbevölkerung erfaßt. Ich sehe darin mit einen
mich bei meinen weiteren Ausführungen mit auf die- Grund für den viel zu niedrigen Milchpreis, der in
ses Mate rial stützen. Sachsen im Durchschnitt der ersten fünf Monate bei
51 Pfennig je Kilogramm liegen soll. Da fehlen also
Im Material wird festgestellt, daß die Liquiditäts- etliche Pfennige, um Milchproduktion überhaupt ren-
und Vermögenslage der Landwirtschaft der fünf tabel betreiben zu können. Das weiß jeder Prakti-
neuen Bundesländer so geschwächt ist, daß in den ker.
meisten Betrieben eine tiefe Existenzkrise und außer--
ordentlich ungünstige Startbedingungen für eine lei- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Investi
stungs- und wettbewerbsfähige landwirtschaftliche tionen müssen halt auch bezahlt werden!)
Produktion bestehen. Im Prinzip tickt eine Zeitbombe. — Ich meine, daß sich das Bundeskartellamt vielleicht
Die massenhaften Konkurse wurden nur dadurch ver-
einmal mit solchen Fragen befassen sollte.
hindert, daß die Banken bis Ende Februar das Kredit-
und Tilgungsmoratorium sowie das anschließende Die Menschen in den fünf neuen Ländern hatten
Stillhalteabkommen durchführten und die LPG die sich etwas davon versprochen, daß ein echter Wettbe-
Tierbestände zur Sicherung ihrer Liquidität in einem werb auf dem Markt entsteht, und zwar auch bei den
Umfang abbauten, daß heute etwa 30 % weniger Aufkäufern, Händlern und Verarbeitern. Das ist bei
Kühe — das ist vielleicht sogar eine richtige Entwick- diesen bisher leider nicht der Fa ll, sondern nur bei den
lung — und rund 50 % der Schweinebestände von Anbietern. Ich glaube, an dieser Stelle besteht Hand-
1989 vorhanden sind. Das ist allerdings schon so we- lungsbedarf.
nig, daß damit nicht einmal mehr der Versorgungsan-
spruch befriedigt werden kann. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vorher gab
es nur ein Monopol!)
Der radikale Preisbruch, der Verfall der Märkte und
die Sperrung der Banken bei der Kreditausreichung — Das haben wir behalten. Ich glaube nicht, daß das
führten bereits unmittelbar nach der Währungsunion gewollt war.
zu erheblichen Liquiditätsproblemen, die im Prinzip (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nein, das
bis heute nicht überwunden werden konnten, vor al- haben Sie nicht behalten! Es hat sich schon
lem weil sich der Preisverfall im Vergleich zu den sehr vieles geändert! — Gegenruf des Abg.
Altbundesländern inzwischen zur Dauererscheinung Jan Oostergetelo [SPD]: Damit wollen Sie
entwickelt hat. Ein Resultat dieser Entwicklung ist ein doch nicht die Preise der Südmilch verteidi
Verlust an Eigenkapital in den LPG und ihren Nach- gen? Es klang nämlich so!)
folgeunternehmen von mindestens 30 %.
— Wir werden uns nach der Getreideernte, Herr Hor-
Unsere volle Unterstützung hat deshalb die gemein- nung, sicher darüber unterhalten, wie die Preisent-
same Forderung der ostdeutschen Bauernverbände wicklung vonstatten gegangen ist und was die Mono-
nach Erhöhung der Anpassungshilfen auf mindestens pole dort für eine Rolle gespielt haben.
3 Milliarden DM. Ich sage das, obwohl wir erst in der
vergangenen Woche hier den Haushalt beschlossen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Gott sei
haben — das heißt, von den Koalitionsparteien wurde Dank greifen da die Marktordnungen!)
2318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Vera Wollenberger
Nutznießer der jetzigen Agrarpolitik sind nach wie vor wirtschaftlicher Fläche zu einer spürbaren Entlastung
die Großkonzerne in der Nahrungsmittelverarbei- der Landschaft geführt?
tung, die Großhandelsketten, die chemische Indu-
(Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: Ja, sicher,
strie, die Lagerhalter und die EG-Bürokraten. in dem Umfang, wie zurückgeführt worden
(Egon Susset [CDU/CSU]: Das mit den La- ist!)
gerhaltern stimmt!) Hat die Flächenstillegung zu einer Stabilität der bäu-
Die groß herausgestellten Beihilfen sind nach wie vor erlichen Betriebe beigetragen, zu einem Kapitalzu-
größtenteils Subventionen für Agrarindustrie und wachs der Bet riebe? Nein. Dazu gibt der Agrarbericht
Agrarbürokratie und kommen bei den Bauern fast hinreichende Auskunft.
ausschließlich als Sterbehilfe und Ausstiegspro-
Ist es nicht vielmehr so, daß der Entzug der Fläche
gramme an.
für eine ökologische und sozial gerechte Agrarpro-
(Georg Gallus [FDP]: Wer hat Ihnen das auf- duktion zu einer erheblichen Konzentration der übri-
geschrieben?) gen Produktion führen muß und geführt hat? Das ist
In der Öffentlichkeit dagegen läßt die Bundesregie- sicher nicht mit der ostdeutschen Agrarstruktur zu
rung bewußt das Bild entstehen, daß die Landwirt- vergleichen, aber Großflächen und Massentierhal-
schaft, d. h. die Bauern und Bäuerinnen, auf Kosten tung, intensive Produktion auf der Restfläche sind
der Gesellschaft lebten. An der Wertschöpfung der doch die Folgen — mit all den schlimmen Auswirkun-
Landwirtschaft verdienen die Ernährungsindustrie gen auf die Umwelt. Die Überschüsse sind im wesent-
und der Handel ein Mehrfaches. Davon steht natür- lichen geblieben, und die Marktordnungskosten sind
lich nichts im Agrarbericht. Die Agrar- und Ernäh- gestiegen.
rungsindustrie und der Handel erreichen den fast (Egon Susset [CDU/CSU]: Aber einiges ist
zehnfachen Produktionswert der landwirtschaftlichen hier doch besser!)
Primärproduktion.
Ich muß Sie ernsthaft fragen, Herr Minister Kiechle,
(Johann Paintner [FDP]: Sollen die umsonst wessen Interessen Sie hier vertreten, die der Agrarin-
arbeiten?) dustrie oder die der Bauern, die um ihre Existenz ban-
Dementsprechend fallen auch die Einkommen aus. Ist gen.
das agrarpolitisch eigentlich vertretbar? Für die (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen immer
Bauern sicherlich nicht. Klassenkampf konstruieren!)
Der Agrarbericht ist weniger ein Be ri cht zur Land-
Wir würden in diesem Zusammenhang gern wissen,
wirtschaft als vielmehr ein Erfolgsbericht einer kor-
wann die versprochenen Extensivierungsprämien für
rumpierten Agrarpolitik im Interesse der Indust rie.
diese Wirtschaftsperiode an die betroffenen Bet riebe
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP in den ostdeutschen Ländern ausgezahlt werden.
— Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist ja Diese Bet ri ebe warten noch heute auf ihr Geld.
ein ganz böses Wort!)
Wir würden gern wissen: Ist es nicht schon genug,
Leider fehlt hier in Deutschland eine starke Agrarop- daß auf Grund Ihrer Agararpolitik fast ein Drittel der
position, die Ihnen, meine Damen und Herren von der Flächen Brandenburgs und Mecklenburgs in die Bra-
Regierung, den nötigen Widerstand entgegensetzt. che fallen? Wollen Sie ernsthaft einem bäuerlichen
(Günther Bredehorn [FDP]: So ein Schwach- Handwerk klarmachen, daß es besser ist, nichts zu tun
sinn!) und arbeitslos zu werden, als ökologisch gesunde
Nahrungsmittel zu produzieren? Sie wissen sehr ge-
Doch das Bündnis für eine ökologische und regio- nau, daß das Grundwasser zum größten Teil mit Nitra-
nale Agrarwirtschaft wächst, und es trifft auch auf ten verseucht ist. Ökologischer Landbau würde dazu
eine wachsende Nachfrage nach ökologischen Pro- beitragen, daß der Nitratgehalt des Grundwassers
dukten in der Bevölkerung. wieder zu sinken begänne.
(Siegfried Horn ung [CDU/CSU]: Es trieft! Der Wunsch vieler Bauern nach ökologischem
Nicht: Es trifft! Es trieft vor Horror!) Landbau wächst. Im Baskenland war erst kürzlich ein
Nun noch einiges zu den Flächenstillegungen: Ich internati onales Treffen zur Agrarpolitik der EG. Auch
hätte von der Regierungskoalition eigentlich einen dort wurde deutlich gesagt: Wir wollen keine Stille-
Gesetzentwurf zur flächendeckenden Extensivierung gung, sondern wir wollen produzieren, extensiv öko-
der landwirtschaftlichen Produktion erwartet, nicht logisch gesunde Nahrung
nur aus umweltpolitischer Notwendigkeit, sondern
(Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: Niemand
vor allem deswegen, weil allen bäuerlichen Bet rieben hindert Sie daran!)
die gleiche Möglichkeit der Existenzsicherung ge-
währt und der Ausstieg aus der teuren Massenpro- mit gestaffelten Erzeugerpreisen, in regional organi-
duktion und damit der Preis-Schulden-Politik einge- sierter Agrarstruktur.
leitet werden muß. Machen wir uns nichts vor. Das
(Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: Niemand
Instrument der Flächenstillegung für eine ökologische hindert daran!)
und agrarpolitische Wende hat nicht und nie funktio-
niert. Wann endlich bricht die Regierung mit den un- Aber vielleicht fürchten Sie ein Zerwürfnis mit der
tauglichen Mitteln und wendet sich einer neuen chemischen Indust rie. Das Bündnis 90/GRÜNE aber
Agrarpolitik zu? Hat die Flächenstillegung zum Ab- denkt, die chemische Indust rie sollte unter Druck ge-
bau der Überschüsse geführt? Hat der Entzug an land- setzt werden, um umweltverträgliche Produkte zu
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2321
Vera Wollenberger
entwickeln — sofern ein guter Bauer ihrer überhaupt dung und dürften nicht von angeblichen Sachzwän
bedarf. gen der Marktwirtschaft abhängig gemacht werden.
Noch ein Wort zu den Subventionen: Hier entsteht (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke
immer der Eindruck, als würden die Bauern subven- Liste)
tioniert, als wären die Bauern die Kostgänger der Ge-
sellschaft. Das ist glattweg falsch. Das, was hier sub- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der
ventioniert wird, ist die Indust ri e. Kollege Meinolf Michels.
(Günther Bredehorn [FDP]: Auch das ist Meinolf Michels (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
falsch!) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eben sah ich
Die Agrarindustrie wird subventioniert, und die Bau- auf der Tribüne unseren langjährigen Vorsitzenden
ern werden durch den Preisdruck in den Ruin getrie- Martin Schmidt (Gellersen), der hier über 30 Jahre
ben. die Agrarpolitik geformt hat. Ich glaube, ihm gilt der
besondere Gruß des ganzen Hauses.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der
FDP) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
— Das ist keinesfalls lächerlich, meine Herren. Sehr geehrter Herr Dr. Schumann, Ihre Vorgänger,
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: also die SED, haben uns auch die Landwirtschaft in
Doch! — Günther Bredehorn [FDP]: Ich bin den neuen Ländern in jenem Zustand überlassen, den
Bauer! — Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Sie hier eben geschildert haben. Auch dies gehört zur
Charme steckt uns an!) Wahrheit!
(Siegf ri ed Hornung [CDU/CSU]: Und
— Das ist schön. Wenn das dazu führte, daß Sie mir Dr. Schumann war ein Beteiligter!)
weiter zuhören, ware es nett.
Meine Damen und Herren, Agrarpolitik in Deutsch-
Nur wer rücksichtslos ausbeutet, was sich ihm bie- land bedeutet Teilnahme an der allgemeinen Agrar-
tet, kann dabei überleben. Den Bauern ist da nur be- politik der EG, die von Ministerrat und Kommission
grenzt ein Vorwurf zu machen. gemacht wird. Unserem Minister Kiechle muß mit An-
erkennung bestätigt werden, daß er in den letzten
(Siegf ri ed Hornung [CDU/CSU]: Das ist Jahren auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet hat;
schon eine Unterstellung! Ausgebeutet ha- denn Landwirtschaft ist heute sehr weit von einer
ben die Bauern noch nicht!) Landwirtschaft oder Agrarpolitik entfernt, wie sie vor
Was sollten sie auch tun, wenn es um die Existenz 15 oder 20 Jahren gang und gäbe war. Damals galt es,
geht? den Bedarf einer noch wachsenden Bevölkerung zu
- decken. Dies war in der Anfangszeit nicht immer mög-
Heute werden nur maximal 15 % der Haushaltsmit- lich. Im Gegensatz dazu haben wir es heute in ganz
tel einer Familie für Nahrung ausgegeben. Das müßte Europa mit einer Überproduktion bei allen gängigen
auf 30 % steigen, und die Einkommen der Bauern Agrarprodukten zu tun. Die Wirkungsweise der ein-
müßten sich aus realen Preisen bilden. Da ist die For- zelnen Marktordnungsmechanismen und die Ausge-
derung von Bauern nach gestaffelten Erzeugerprei- staltung der Marktordnungen müssen heute naturge-
sen nur gerechtfertigt. Ausgleichszahlungen können mäß völlig anders sein als vor 20 Jahren.
unter bestimmten Umständen noch notwendig sein.
Eine Agrardebatte sollte aber auch das Risiko eines
Doch sollten sie sich an Grundmengen und an ökolo-
Blicks nach vorn nicht scheuen. Ich halte es für unver-
gischer Wirtschaftsweise orientieren. Schließlich ver-
ursacht die ökologische Landwirtschaft keine Kosten zichtbar, daß die Rahmenbedingungen, die heute in
Brüssel verabschiedet werden, eine längere Gültig-
durch Überschüsse.
keit erhalten. Es sind manchmal nur wenige Monate,
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN wendet sich die dem Landwirt effektiv zur Verfügung stehen, um
entschieden gegen den Gesetzentwurf der Bundesre- sich für relativ kurze Zeit auf völlig neue Rahmenbe-
gierung zur Förderung der Flächenstillegung und dingungen einzustellen. Jeder, der ein bißchen Ah-
schlägt vor, die 84 Millionen DM für die Förderung nung von den Abläufen in der Natur hat, weiß, daß
der Umstellung auf den ökologischen Landbau und dies nicht optimal möglich ist. Aus diesem Grund for-
die gleichzeitige Förderung der Vermarktung und dere ich Ministerrat und Kommission auf, sehr sorgfäl-
Verarbeitung ökologischer Produkte einzusetzen. tig zu prüfen, ob nicht die Beschlüsse und Regelungen
Das Einsetzen der Millionenbeträge in dieser Rich- grundsätzlich eine mindestens zweijährige, teilweise
tung würde die Existenz vieler bäuerlicher Bet ri ebe aber auch eine fünfjährige Laufzeit haben können.
und Arbeitsplätze sichern und würde auch in den Für den Bereich der Milch ist es notwendig, daß die
neuen Ländern die Chance eines Neuanfangs bieten, EG ein dauerhaftes Angebot aufrechterhält, um in der
würde den raschen Abbau der Überschüsse garantie- Lage zu sein, jederzeit schneller und flexibler auf Ver-
ren und überdies zur Verbesserung der umweltbela- änderungen des Marktes zu reagieren. Ziel muß der
steten Böden und des Wassers ganz effektiv beitra- unkomplizierte Übergang von Quoten von einem
gen. Außerdem würde unsere Bevölkerung mit ge- Landwirt auf den anderen sein. Dieses Ziel dürfen wir
sunden Nahrungsmitteln versorgt werden können. in keinem Fall aus dem Auge verlieren.
Die Unterstützung des ökologischen Landbaus und In den letzten Jahren, meine Damen und Herren,
die Sicherung der Landwirtschaft im Osten und im hat kein Wort die Landwirtschaft so sehr beunruhigt
Westen Deutschlands sind eine politische Entschei- wie das Wort „GATT-Verhandlungen". Die Gatt-Ver-
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Meinolf Michels
handlungen wurden und werden von vielen, ob sie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Michels,
etwas davon verstehen oder nicht, als Knüppel gegen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie-
die Landwirtschaft mißbraucht. laff?
Die Landwirte wissen sehr wohl, daß wir einen
Meinolf Michels (CDU/CSU) : Ja, gern.
freien Warenverkehr brauchen. Wer aber glaubt, alle
Exporte mit Importen von Agrarprodukten ausglei- Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege Michels, Sie spra-
chen zu können, der nutzt zum einen die Notlage der chen eben die Strukturhilfen an. Manche meinen ja,
agrarproduzierenden Länder aus, weil er anderen ihre das seien Subventionen. Deshalb meine Frage: Teilen
Agrarprodukte zu einem Preis abkaufen wi ll, zu dem Sie die Meinung Ihres Parteifreundes, des Ministers
sie nicht kostendeckend erzeugt werden können. Weiser, der sagt, Wi rt schaftsminister Möllemann
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr rich müsse endlich damit aufhören, soziale Sprengsätze
-tig!) bei den bäuerlichen Familien legen zu wollen? Mölle-
mann meinte ja, man müsse Subventionen generell
Zum anderen aber zerstört er die heimische Landwirt- abbauen.
schaft und bringt sich in Abhängigkeit von eben die-
sen angesprochenen Impo rten. Meinolf Michels (CDU/CSU): Ich habe eben schon
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und das ist gesagt, daß sehr viele Leute über diese Dinge reden,
genauso schlecht!) die möglichst wenig Ahnung von diesen Dingen ha-
ben.
Hier müssen der Sachverstand und die Verantwor-
tung für das Ganze Vorrang vor spartenspezifischem (Gudrun Weyel [SPD]: Meinen Sie damit den
Denken mit entsprechenden Schuldzuweisungen ha- Herrn Wirtschaftsminister? — Günther Bre
ben. Wir werden in Zukunft ohnehin in einem zusam- dehorn [FDP]: Nein, Herrn Weiser!)
menwachsenden Europa den Aufbau in unseren östli- Wenn dies so undifferenziert in den Raum gestellt
chen Nachbarländern nicht mit Agrarimporten bezah- wird, muß das für jeden gleich gelten.
len können. Das heißt, daß Industrie und Gewerbe mit
dazu beitragen müssen, ihre Expo rte durch Importe Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zwi-
aus vergleichbaren Bereichen auszugleichen. schenfrage des Kollegen Sielaff.
Wir würden heute z. B. die Probleme auf dem Rind- Horst Sielaff (SPD): Herr Michels, meinen Sie mit
fleischmarkt nicht so drückend haben, wenn nicht diesen unqualifizierten Leuten nun Herrn Weiser oder
allein im letzten Jahr eine Million polnische Kälber in Herrn Möllemann?
den EG-Raum eingeführt worden wären. Die sich
hieraus ergebende Rindfleischmenge entspricht zu Meinolf Michels (CDU/CSU): Herrn Weiser meinte
einem großen Teil den heutigen Lagerbeständen. ich in diesem Fall nicht. Er hat keinen Abbau der Sub-
-
Die EG-Vereinbarungen sehen einen Abbau des ventionen gefordert.
3 %igen Mehrwertsteuerausgleichs vor. Die Land-
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Michels,
wirtschaft kann auf dieses Geld in keinem Fall ver-
gestatten Sie eine dritte Zwischenfrage des Kollegen
zichten.
Oostergetelo?
(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)
Meinolf Michels (CDU/CSU) : Soweit es nicht ange-
Hier müssen Mittel und Wege gefunden werden, die- rechnet wird, ja.
ses Geld für die Landwirtschaft zu erhalten. Diese For-
derung wird von wissenschaftlichen Untersuchungen, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nein, bisher noch
die im Ergebnis sehr präzise darstellen, welchen nicht.
Einkommensbeitrag der 3 %ige Mehrwertsteueraus-
gleich leistet, voll gedeckt. Meinolf Michels (CDU/CSU): Bitte.
Bei einem sich fortlaufend vollziehenden Struktur-
wandel ist es auf Dauer nicht möglich, Ausgleichslei- Jan Oostergetelo (SPD) : Herr Kollege Michels, da
stungen wie z. B. die Strukturbeihilfe bei 90 Hektar Sie ein so sympathischer Kollege sind, kann ich mir
auslaufen zu lassen. vorstellen, daß Ihnen das nach Ihrer Feststellung
schwerfallen muß. Deshalb frage ich Sie: Kann man
(Günther Bredehorn [FDP]: Sehr gut!) weiterhin eine Regierung tragen, bei der Mitglieder
Gerade die Marktfruchtbetriebe haben die größten keine Ahnung haben?
Verluste bei einem rückläufigen Getreidepreis zu tra- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er hat nur
gen. Deshalb bitte ich die Bundesregierung zu erwä- von „undifferenziert" gesprochen!)
gen, inwieweit mit Billigung der EG der 3 %ige Mehr-
wertsteuerausgleich auf einem auf die Landwirtschaft Meinolf Michels (CDU/CSU): Es gibt manchmal
verlustfreien Weg erhalten bleiben kann. Äußerungen, die sorgfältiger hätten geprüft werden
müssen. Das muß sich auch jener sagen lassen, der das
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vielleicht etwas ungeprüft nach draußen trägt.
Bei fortlaufendem Strukturwandel und ständig stei- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!
genden Investitionskosten in Verbindung mit einem Das war eine gute Antwort!)
enormen Anstieg der außerlandwirtschaftlichen Ein-
kommen muß auch die Prosperitätsschwelle angegli- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gestatten Sie eine
chen werden. weitere Zwischenfrage des Kollegen Bredehorn?
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Meinolf Michels (CDU/CSU): Ja, bitte. Betrieben das Ergebnis dieser Regelung angesehen
und festgestellt, daß die Buchführungskosten, die
Günther Bredehorn (FDP): Herr Kollege Michels, hierfür anfallen, sehr oft höher sind als das Einkom-
wenn Sie das so qualifizieren, heißt das, daß die CDU- men des jeweiligen Betriebes. Es ist eben auch unsere
Fraktion die im Koalitionspapier schon festgeschrie- Aufgabe, zeitgemäß auf Veränderungen hinzuwir-
benen Subventionskürzungen nicht mittragen will? ken.
(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Im Be- Meine Damen und Herren, wir haben auf Grund der
reich der Landwirtschaft!) Wiedervereinigung unseres Vaterlandes die große
Aufgabe, aber auch die Chance der Neugestaltung
Meinolf Michels (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege der Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern. Diese
Bredehorn, das, was im Koalitionspapier festgeschrie- Chance sollten wir nutzen und die dort tätigen Men-
ben ist, wird sicherlich auch geschehen. Es handelt schen auf vielfältige Weise unterstützen.
sich hier um Einzeläußerungen, die, bezogen auf ein-
zelne Positionen, so in keiner Weise abgesprochen In der Koalitionsvereinbarung ist festgeschrieben,
sind. daß wir eine Landwirtschaft wollen, die in Eigenver-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Undifferen- antwortlichkeit geführt wird. Das bedeutet, daß die
ziert!) LPGen ihre Daseinsberechtigung verloren haben. An
ihre Stelle müssen eigenverantwortlich geführte Be-
Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Michels, triebe treten. Wir wollen weder anonyme Kapitalge-
es liegen jetzt noch zwei Wünsche nach Zwischenfra- sellschaften noch anonyme sogenannte Großgenos-
gen vor, und zwar von dem Kollegen Schorlemer und senschaften, für die dann der Bund oder das Land mit
dem Kollegen Schily. Lassen Sie diese Fragen auch Bürgschaften mögliche Verluste abdecken soll. Wer
noch zu? Danach lasse ich keine weitere Zwischen- sich als Landwirt betätigt, ob privat oder genossen-
frage zu. schaftlich, muß auch uneingeschränkt für sein Han-
deln einstehen. Natürlich ist es im Einzelfall ange-
Meinolf Michels (CDU/CSU): Bitte gern. zeigt, daß nach vorher eingegangener Eigenhaftung
der Staat eine Teilbürgschaft übernehmen kann.
Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): Nach dem Einigungsvertrag ist vorgesehen, mit ei-
Herr Kollege Michels, sind Sie bereit zu bestätigen, nem Betrag von 1,4 Milliarden DM zur Entschuldung
daß die finanzpolitische Spreche rin der SPD-Fraktion, der Landwirtschaft im Osten beizutragen. Eine solche
Frau Matthäus-Maier, seit Jahren drastische Kürzun- Vorgehensweise kann natürlich im Einzelfall, nämlich
gen bei den Subventionen für den Bereich der Land- dort, wo auf Grund staatlicher Direktiven im landwirt-
wirtschaft fordert? schaftlich fremden Bereich investiert werden mußte,
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Einschließ- angezeigt sein. Andererseits ist jedoch eine völlige
lich Vogel!) - Entschuldung oder eine Teilentschuldung ein außer-
ordentlicher Eingriff, der sich meist zum Nachteil der
Meinolf Michels (CDU/CSU): Dies hat sie vor aller übrigen Betriebe auswirkt oder schlecht wirtschaf-
Öffentlichkeit dauernd getan, ja. tende Betriebe gegenüber anderen noch belohnt.
Meinolf Michels
junge Leute ermutigen, sich selbständig zu machen. Wir alle sind uns seit Jahren einig, daß eine große
In Ost und West gibt es genügend gut ausgebildete Agrarsozialreform notwendig ist.
und motivierte Landwirte. Wir müssen ihnen helfen,
damit sie den Schritt in die Selbständigkeit auch tun (Egon Susset [CDU/CSU]: Seit wann?)
können. Das Ergebnis ist dann eine bäuerlich struktu-
Immer wieder hat die Regierungskoalition mit Ankün-
rierte, aber auch eigenverantwortliche Landwirtschaft
digungen geprahlt, und bei diesen Ankündigungen
sowie — dann wieder zunehmend — ein aktiver länd-
ist es dann auch geblieben.
licher Raum. Aus dem Grau der Dörfer im Osten heute
muß wieder eine blühende Vielfalt entstehen. (Zuruf von der SPD: Und wird es wieder blei
Abschließend möchte ich einige, wie ich meine, ben!)
zentrale Punkte für die landwirtschaftliche Entwick-
lung noch aufzeigen. Der Strukturwandel in der Mit immer neuen fadenscheinigen Ausreden haben
Landwirtschaft wird weitergehen. Es wird auch in Sie versucht, Ihre Handlungsunfähigkeit in diesem
Zukunft zu einschneidenden Veränderungen kom- Bereich zuzudecken. Dadurch haben sich so viele
men. Dies ist unvermeidbar. Wir brauchen eine wett- Mißstände, Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten
bewerbsfähige Landwirtschaft. Eine Landwirtschaft angesammelt, daß wirklich nur noch eine umfassende
mit Zukunft bietet auch gute und sichere Arbeits- Reform Abhilfe schaffen kann.
plätze.
(Beifall bei der SPD)
Als Agrarpolitiker möchte ich hier noch folgende
Punkte als Forderung an uns alle in den Raum stellen: Mit der Fortsetzung Ihrer bisherigen Flickschusterei
Erhalt des Mehrwertsteuerausgleichs bzw. Einfüh- nach dem Schnittmuster des Vierten Agrarsozialen
rung einer kompensierenden Regelung, die Erlöse der Ergänzungsgesetzes ist es aber nicht getan. Sie nen-
nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz aus- nen dieses Vierte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz,
scheidenden LPG-Mitglieder dürfen nicht dem vollen welches bekanntlich seit Januar 1991 in Kraft ist, eine
Steuerzugriff ausgesetzt sein, weiterer Ausbau der für die Landwirtschaft vorteilhafte Regelung.
Agrarsozialpolitik und Umgestaltung der Altersgeld
frage hin zu einem eigenen Rentenanspruch der (Zuruf von der CDU/CSU: Ist es auch! —
Bäuerinnen, Fortführung des soziostrukturellen Ein- Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Für wen soll
kommensausgleichs, flächenbezogene Ausgleichslei- es denn sein?)
stungen für die Preissenkung — wir haben heute ei-
nen Getreidepreis, der real unter dem von 1952 Ich frage mich, wen Sie mit „Landwirtschaft" meinen.
liegt — und Beibehaltung der Dieselrückvergütung in Die rund 200 000 kleineren und mittleren Bet riebe,
der notwendigen Höhe, damit sich die Treibstoffko- die jetzt unter dem Strich bis zu 2 000 DM im Jahr
sten in der Landwirtschaft bei sinkenden Erzeuger- mehr für ihre soziale Sicherung ausgeben müssen,
preisen nicht noch weiter erhöhen, - zählen Sie offenbar nicht dazu.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ihre Aus
bedarfsgerechte Entwicklung im gesamten Auf- sage ist falsch, objektiv falsch! — Egon Sus
nahme- und Vermarktungssektor. set [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das aufge
Der Staat kann diesen Gesamtprozeß nur begleiten schrieben?)
und Rahmenbedingungen setzen, die eine individu- — Lesen Sie es nach.
elle Entfaltung des einzelnen auch zum Wohle aller
ermöglicht. In diesem Sinne möchte ich den Mitglie- Wir haben dieses Gesetz im vergangenen Jahr als
dern der Regierung und dem Minister für das in der sozialpolitischen Kopfstand bezeichnet, weil die Aus-
Vergangenheit Geleistete recht herzlich danken. dehnung der Beitragsentlastung in der landwirt-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaftlichen Altershilfe auf größere Betriebe de facto
durch den Wegfall von pauschalen Entlastungszah-
lungen durch Klein- und Mittelbetriebe finanziert
Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und wird.
Herren, das Wo rt hat jetzt Frau Kollegin Verena Wohl-
leben. Sie haben bewußt darauf verzichtet, die ungerechte
Beitragsstaffelung bei den landwirtschaftlichen Kran-
kenkassen zu korrigieren. Während im Bereich der
Verena Wohlleben (SPD): Herr Präsident! Meine übrigen gesetzlichen Krankenkassen ein Verhältnis
sehr verehrten Damen und Herren! Die agrarsozial- von Höchst- zu Mindestbeitrag von etwa 10 : 1 üblich
politische Bilanz dieser Bundesregierung ist eine An- ist, finden wir bis heute bei den landwirtschaftlichen
einanderreihung von untauglichen Versuchen, mit so- Krankenkassen ein Verhältnis von 4 : 1, manchmal so-
zialpolitischen Mitteln die im Ansatz verfehlte Agrar- gar von 3 : 1. Das heißt im Klartext, daß die Beiträge
politik zu korrigieren. der geringverdienenden Landwirte deutlich zu hoch
(Beifall bei der SPD) sind, während die gutverdienenden Landwirte, von
denen es nachweislich dieses Agrarberichts sehr viele
Diese Versuche sind alle gescheitert, ja, sie mußten
gibt, zu niedrige Beiträge zahlen müssen.
logischerweise scheitern, weil man nicht gleichzeitig
Öl und Wasser in eine Brandstelle gießen kann, die Und nun haben Sie den Schwarzen Peter an die
gelöscht werden so ll. Selbstverwaltungen der Krankenkassen weiter-
(Beifall bei der SPD) gegeben.
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Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin träge und Rentenansprüche sein. Seit Jahren kämpfen
Wohlleben, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- die Landfrauen für Verbesserungen. Seit Jahren sind
geordneten Hein rich? die Landfrauen von dieser Koalition immer wieder
(Horst Sielaff [SPD]: Hein rich kennt sich da enttäuscht und vertröstet worden.
doch gar nicht aus! Er kann nicht einmal fra- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja gar
gen!) nicht!)
Wie sagte doch die Präsidentin des Deutschen Land-
Verena Wohlleben (SPD): Ich gestatte keine. frauenverbandes vor zwei Jahren?
Diese dürften aber auf Grund ihrer inneren Struktur In der Bundesrepublik bringen 592 400 Frauen
kaum die Kraft haben, die notwendige weitere Staffe- auf den Höfen vollen Einsatz. Sozialpolitisch ste-
lung zu schaffen. Auf den dazu Ende dieses Jahres hen sie jedoch in der letzten Reihe.
fälligen Be ri cht der Bundesregierung dürfen wir je- (Horst Sielaff [SPD]: So behandelt die CDU
denfalls heute schon gespannt sein. Nur, mit sozialer die Frauen!)
Gerechtigkeit hat das alles nichts zu tun.
Dieses Zitat ist eine schallende Ohrfeige für die Her-
(Beifall bei der SPD) ren Agrarpolitiker der Koalition.
Aber ich glaube, die wollen Sie auch gar nicht.
(Beifall bei der SPD)
Gott sei Dank konnten die SPD-geführten Bundes-
Aber offensichtlich stecken sie gerne Ohrfeigen ein.
länder eine Bef ristung des Vierten Agrarsozialen Er-
gänzungsgesetzes bis Ende 1994 durchsetzen. Ein Drittel der Arbeit in der Landwirtschaft wird von
(Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) Frauen geleistet — und das bei Arbeitstagen, die häu-
fig mehr als 12 Stunden erreichen. 80 % der Bäuerin-
Damit haben wir jetzt ein neues Datum für die große nen sind mithelfende Familienangehörige, die vor al-
Agrarsozialreform, die damit etwa zum zehnten Jah- lem in den Nebenerwerbsbetrieben den entscheiden-
restag ihrer ersten Ankündigung das Licht der Welt den Anteil der Arbeit auf dem Hof leisten. Nach wie
erblicken würde; wir dürfen gespannt sein. vor aber gilt die Bäuerin als Hausfrau ohne eigene
(Jan Oostergetelo [SPD]: Das kommt bei de- Sozialansprüche. Sie ist trotz ihrer Verantwortung und
nen alles zehn Jahre später!) ihres hohen Arbeitseinsatzes im Bet rieb in einer ab-
Wir Sozialdemokraten haben eine gute Tradi tion in hängigen Stellung bezüglich ihrer Alterssicherung.
der landwirtschaftlichen Sozialpolitik vorzuweisen, Zentral scheint mir die Forderung nach vorzeitigem
die weit zurückreicht. Altersgeld bei Erwerbsunfähigkeit der Bäuerin zu
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt ma- sein. Hinzu kommen müssen weitere eigenständige
chen Sie einmal Vorschläge!) - Ansprüche im Bereich der Altershilfe.
— Wir sind in der Opposition. Es heißt, wir seien da, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wann sind
die Regierung zu kontrollieren. Sie auf diese Idee gekommen? 13 Jahre ha
ben Sie da gar nichts gemacht!)
(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/
CSU: Aha! — Weitere Zurufe von der CDU/ — Die haben wir schon lange; Ideen haben wir genug.
CSU) Ich habe Ihnen ja gesagt: Wenn wir an der Regierung
Und wenn wir an der Regierung sind, dann bringen sind, dann bringen wir Lösungen. — Dabei können
wir Lösungen. verschiedene Modelle der Beitragsverteilung zwi-
schen den Ehegatten in Betracht gezogen werden.
Sowohl in der Regierungszeit der SPD als auch in
der Opposition haben wir versucht, die agrarsoziale (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!)
Sicherung sachgerecht fortzuentwickeln. Eines will ich allerdings auch hier betonen: Deutliche
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In der Verbesserungen sind nicht ohne eigene Beiträge zu
Landwirtschaft aber nicht!) erreichen.
Dabei mußten wir manche Widerstände der Verbände (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Da
überwinden, die uns im nachhinein aber häufig recht stimmt die SPD zu! — Zuruf von der CDU/
gaben, so z. B. bei der Einführung der Altershilfe, so CSU: Das ist der Pferdefuß!)
z. B. 1972 bei der Einführung der landwirtschaftlichen Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Bemer-
Krankenkasse. kungen zur Lage der landwirtschaftlichen Ausbil-
(Horst Sielaff [SPD]: Sehr richtig! — Siegf ried dung machen. Vor allem in den neuen Bundesländern
Hornung [CDU/CSU]: Und 1982 war die Un- benötigen wir dringend die Absicherung der beste-
fallversicherung auf Null!) henden landwirtschaftlichen Ausbildungsverhält-
Mir ist klar, daß Sie an die Tradi tion von uns Sozial- nisse. Die derzeit zu beobachtende massenhafte Kün-
demokraten nicht anknüpfen wollen. Aber Sie sollten digung von bestehenden Ausbildungsverträgen muß
sich um das Wohl der Landwirte kümmern und be- gestoppt werden. Die Ausbildungsinhalte müssen völ-
sorgt sein. lig neu geordnet werden.
(Beifall bei der SPD) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo, in der
Ein anderes zentrales Anliegen der Agrarsozialre- Landwirtschaft?)
form muß die deutliche Verbesserung der sozialen Benötigt wird in Zukunft — wie auch in den alten
Sicherung der Landfrauen durch eigenständige Bei- Bundesländern — der bzw. die universell ausgebil-
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Verena Wohlleben
dete Landwirt und Landwirtin, der/die sowohl Acker- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche
bau und Viehzucht als auch Betriebswirtschaft be- Landwirtschaft hat selten unter einem so enormen
herrscht und obendrein mit den Notwendigkeiten des Anpassungsdruck wie zur Zeit gestanden. Die Brüsse-
Natur- und Umweltschutzes vertraut ist. ler Beschlüsse führen direkt oder indirekt zu weiter
(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie aus- rückläufigen Erzeugerpreisen. Die GATT-Runde läuft
nahmsweise recht!) zwar noch. Aber die Ergebnisse werden wahrschein-
lich in dieselbe negative Richtung wirken.
Dazu sind im übrigen auch breite Angebote der Fort-
bildung für die Wiedereinrichtung landwirtschaftli- Von der angekündigten Reform der EG-Agrarpoli-
cher Bet ri ebe erforderlich. Wir fordern eine berufliche tik können wir leider bisher nicht allzu viel erwarten.
Qualifizierungsoffensive durch verstärkte Angebote Für das laufende Wirtschaftsjahr sagen die Einkom-
der Aus- und Weiterbildung sowie der Umschulung, mensvorausschätzungen einen Gewinnrückgang um
gerade für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmerin- 20 To voraus. Zwischen Angebot und Nachfrage von
nen und Arbeitnehmer. In den alten Bundesländern Nahrungsmitteln besteht das strukturelle Ungleich-
beobachten wir einen teilweise dramatischen Rück- gewicht fort. Die Agrarpolitik bekommt es bisher nicht
gang der Ausbildungszahlen im Beruf Landwirt. in den Griff.
Hinzu kommt die Umstrukturierung der Landwirt-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das liegt schaft in den neuen Bundesländern. Sie ist in vollem
aber nicht am Lehrstellenangebot! Hans-
Gange. Die ökonomischen und sozialen Folgen sind
Eberhard Urbaniak [SPD]: Das liegt an der
überall zu spüren.
hoffnungslosen Agrarpolitik!)
Schließlich verunsichert eine undifferenzierte De-
Als Agrarpolitikerin stehe ich dem zwiespältig gegen- batte über den Abbau von Agrarsubventionen die
über. Einerseits ist festzustellen, daß der landwirt- Landwirte zusätzlich.
schaftliche Nachwuchs die Zukunftsperspektiven of-
fenbar realistischer einschätzt als führende Agrarpoli- (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Jetzt fängt der
tiker der Koalition. Andererseits sehen einige junge auch noch an, den Möllemann zu kritisie
Leute bessere Chancen in einer Erwerbskombination: ren!)
landwirtschaftlicher Bet ri eb plus außerlandwirt- — Ich muß ausdrücklich sagen, daß das Zitat, das vor-
schaftlicher Beruf, als daß sie Ihren Versprechungen hin bedauerlicherweise gebracht wurde, jeder Grund-
vertrauen. lage entbehrt.
Die Landwirtschaft der Zukunft stellt an die Be- Wir müssen sicher darüber nachdenken, daß es,
triebsleiterinnen und Bet ri ebsleiter hohe Anforderun- wenn man bei den Gasöl-Betriebsbeihilfen europa-
gen, die nur mit einer hervorragenden Ausbildung weit etwas unternimmt, durchaus eine Chance für das
bewältigt werden können. ist, was wir wollen, nämlich alternative Treibstoffe:
Raps, Methylester und und und. Das darf man nicht
Die Qualität dieser Ausbildung gerade bei uns - in ganz außen vor lassen.
Bayern, wo ich herkomme, zu sichern, stellt ange-
sichts der sinkenden Zahlen für die Politik eine Her-
ausforderung dar, der wir uns verpflichtet fühlen und Vizepräsident Helmuth Becker: Kollege Bredehorn,
stellen müssen. Dazu fordere ich Sie auf. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie-
laff?
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Günther Bredehorn (FDP): Gern.
Liste) (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gern?
Gut!)
Vizepräsident Helmuth Becker: Das war, glaube
ich, die erste Rede der Kollegin Wohlleben. Auch Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte.
wenn wir nicht mit allem einverstanden sind, was sie
gesagt hat — sie hat das, glaube ich, gut gemeistert. Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege, Sie sagten so-
eben, das Zitat, das ich vorhin brachte, entbehre jeder
(Beifall im ganzen Hause — Dr. Wolfgang
Grundlage. Können Sie erläutern, wie Sie das mei-
Weng [Gerlingen] [FDP]: Vortrag sehr gut!
nen? Ich habe den Informationsdienst „Agra-Europe"
Auch akustisch angenehm! — Siegf ried Hor-
vom gestrigen Tag zitiert. Demnach ist es ein wörtli-
nung [CDU/CSU] : Wir haben auch Nachhilfe
ches Zitat von Herrn Weiser gegen Herrn Möllemann
gegeben!)
gewesen.
Und jetzt kommt ein ganz erfahrener Redner in die-
sem Hause, nämlich unser Kollege Günther Brede- Günther Bredehorn (FDP): Das war unqualifiziert.
horn. Das habe ich doch gerade gesagt.
Bitte sehr. (Horst Sielaff [SPD]: Ach, das, was Herr Wei
ser gesagt hat?)
Günther Bredehorn (FDP): Herr Präsident! Liebe — So ist es.
Frau Kollegin Wohlleben, auch von meiner Seite aus (Lachen und Beifall bei der SPD — Siegf ried
— wir kennen uns inzwischen ja auch persönlich ganz Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch ein billi
gut — ger Erfolg für die Opposition!)
(Heiterkeit und Zurufe) Ich verstehe die Sorgen und Enttäuschung vieler
herzlichen Glückwunsch! Landwirte. Mehr denn je fehlt die Zukunftsperspek-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2327
Günther Bredehorn
tive. Die drastisch zurückgehenden Ausbildungszah- Die jetzt beschlossene 2%ige Rückführung der Ga-
len sollten uns eine Warnung sein. Es ist nicht nur der rantiemenge wird leider die Überschußproblematik
notwendige normale Anpassungsvorgang, sondern nicht beseitigen, und damit werden die Milchpreise
oft verlassen leider die Besten enttäuscht diesen Sek- weiter unter einem enormen Druck stehen. Eine hö-
tor unserer Volkswirtschaft. here Kürzung wäre für unsere Bauern sicherlich zu-
nächst schmerzlich gewesen, hätte sich aber durch
(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ja!)
bessere Milchpreise mittelfristig positiv ausgewirkt.
Wir müssen diese Entwicklung sehr ernst nehmen.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Der
Denn den Wettbewerb im Binnenmarkt werden nur
gut ausgebildete flexible Unternehmerlandwirte be- kann das nur nicht erkennen!)
stehen. Für die 2%ige Kürzung erhält jeder Landwirt für
fünf Jahre 23 Pfennig je Liter Milch; das sind also ins-
Den Abschluß der diesjährigen Preisrunde hat Bun-
deslandwirtschaftsminister Kiechle als richtungwei- gesamt 1,17 DM je Liter aus EG-Mitteln.
senden Kompromiß bezeichnet. Wenn er damit den Herr Kollege Oostergetelo hat hier kritisch ange-
Vorrang der Mengenrückführung vor Preissenkun- merkt, daß dies nicht alles ganz klar und deutlich
gen hervorhebt und als Richtung für die bevorste- wäre, die Bundesregierung da keine klaren Positionen
hende Reform der EG-Agrarpolitik anstrebt, so hat er hätte.
dabei unsere volle Unterstützung. Ich hätte ihm aber
Ich kann Ihnen nur sagen: Meine Position ist hier
noch mehr Durchsetzungskraft gewünscht.
klar. Ich halte mich an das Koalitionspapier, in dem
Die mit den jetzigen Beschlüssen verbundenen steht: Bei erforderlich werdender weiterer Mengen-
Preissenkungen schmerzen unsere Bet ri ebe sehr. Zu rückführung unterstützt die Bundesregierung einen
wenig konsequent sind bisher meines Erachtens die Quotenherauskauf der EG mit Gemeinschaftsmitteln.
Entscheidungen zur Entlastung der Überschuß- Für mich ist das diese Herauskaufaktion der EG. Ich
märkte. meine, wir sollten sehr wohl bedenken, wenn wir ver-
suchen, Herauskaufaktionen anderer Art, nationaler
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vor allen
Art, zu starten, ob wir hier nicht etwas vorliegen ha-
Dingen im Milchbereich!)
ben, was sauber und vernünftig umgesetzt werden
Den uns heute vorliegenden Gesetzentwurf zur Flä- kann.
chenstillegung beurteile ich positiv. Hier sind wir
Ich bin allerdings ganz klar dafür, daß wir für die
durchaus auf dem richtigen Weg. Es ist nämlich unbe-
zusätzlich zu erwirtschaftenden Milchmengen von
dingt notwendig, die weiter wachsenden Getreide-
rund 1 % in den alten Bundesländern, die wir für die
überschüsse zu reduzieren. Der Ansatz, erstmalig
sogenannten SLOM-Landwirte brauchen, was einem
Landwirten, die über 15 % ihrer Getreideflächen
Urteil des Europäischen Gerichtshofs entspricht, ver-
stillegen, nicht nur eine Prämie zu geben, sondern
suchen sollten, eine freiwillige Herauskaufaktion in
auch die 5 % Mitverantwortungsabgabe zurückzuer-
den alten Bundesländern zu starten, womit wir dann
statten, ist richtig. Das Prinzip, das dahintersteht,
die EG-Mittel wieder verwenden können, nämlich
spürbare Beteiligung an den Überschußkosten für die
diese 1,17 DM in fünf Jahren.
Landwirte, die ohne Berücksichtigung der Marktsi-
tuation weiter produzieren und angemessene Prämie Die gelockerten Interventionsbestimmungen bei
und zusätzliche Rückerstattung für diejenigen Land- Rindfleisch führen zu weiterem teilweise existenzge-
wirte, die ihre Produktion einschränken, ist richtig. fährdenden Preisdruck, ohne den Landwirten eine Al-
ternative aufzuzeigen. Die vom BML erarbeiteten und
Man hätte sich sicher wünschen können, wenn man
in Brüssel erörterten Prämienregelungen und Extensi-
dieses Prinzip konsequent umsetzen will, die Mitver-
vierungsvorschläge nützen nichts, wenn sie nicht
antwortungsabgabe durchaus noch höherzusetzen.
rechtzeitig umgesetzt und die Neuorientierung jetzt
Das war nicht durchsetzbar, aber wenn man wirklich
eingeleitet wird. Wir brauchen jetzt Maßnahmen, die
dieses System konsequent zu Ende denkt, wäre es
unsere Wettbewerbsposition bei der Rindfleischpro-
sicherlich nicht von der Hand zu weisen.
duktion stärkt und die Extensivierung und Qualitäts-
Die im vorliegenden Entwurf eines Flächenstille- fleischproduktion fördert und gleichzeitig die staatli-
gungsgesetzes vorgesehene Degression der Beihilfe chen Eingriffe verringert.
für Bet ri ebe über 50 Hektar, nämlich 25 To weniger,
und für Bet ri ebe über 100 Hektar, 50 % weniger Bei- (Beifall bei der FDP)
hilfe, halte ich für nicht sachgerecht. Sie benachteiligt Insgesamt gesehen waren die diesjährigen Agrar-
insbesondere die landwirtschaftlichen Bet ri ebe in den preisbeschlüsse eher eine leicht mißlungene General-
neuen Bundesländern, wo einfach ganz andere Struk- probe.
turen sind. Hierüber sollten wir uns in den Ausschuß- (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
beratungen morgen noch erneut Gedanken machen
Ich hoffe daher sehr, daß die Reform der EG-Agrar-
und diskutieren.
politik um so eher zu einem primären Erfolg wird.
Bei der notwendigen Rückführung der Milchquote Denn die Neuorientierung der EG-Agrarpolitik ist in
in Brüssel hätte ich mir die Entscheidung etwas muti- der Tat dringender denn je. Wir müssen unsere Chan-
ger gewünscht. Der Minister hat sich hier sehr einge- cen für die Neuorientierung und strukturelle Anpas-
setzt; die Kühlhäuser für Butter und die Lagerhallen sung in der Landwirtschaft besser und erfolgreicher
für Magermilchpulver sind wieder voll. Der Selbstver- anpacken. Denn die Aufgaben sind riesig. Die Lager
sorgungsgrad ist nach wie vor zu hoch, der Druck auf für die Interventionsbestände quellen über. Die Hor-
die Preise enorm. rorzahlen sind allen bekannt: fast 800 000 t Rind-
2328 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Günther Bredehorn
Heisch, 20 Millionen t Getreide, bei Butter und Ma- Sie leider wieder in Ihre alten Vorstellungen und in
germilchpulver jeweils rund 400 000 t, und noch ist die alte Neiddiskussion zurück. Ich bedauere das.
kein Ende in Sicht.
(Zuruf von der FDP: Sie werden immer rück
(Zuruf von der FDP: Um Gottes Willen!) fällig!)
Die Kosten für die Getreidemarktordnung haben Die Lage in der EG-Landwirtschaft und die Möglich-
sich in sieben Jahren auf fast 11 Milliarden DM na- keiten zur Reform sollten uns allen ein gemeinsames
hezu verdreifacht. Die Folge: dramatischer Rückgang Anliegen sein.
der Getreidepreise, die nur noch bei gut 30 bis 32 DM (Beifall bei der FDP)
je Dezitonne liegen. Bei einem solchen Preis können In der vorigen Woche hat das Landwirtschafts-An-
auch bestgeführte Bet riebe keinen Gewinn mehr er- passungsgesetz seine letzte gesetzgeberische Hürde
wirtschaften. Leider spielen sich ähnliche Tendenzen im Bundesrat genommen. Es kann jetzt in Kraft treten.
auch auf dem Milch- und Rindfleischmarkt ab. Damit gibt es für eine sinnvolle Umstrukturierung der
Kein Wunder, daß immer bohrender danach gefragt Ostlandwirtschaft geeignete Rahmenbedingungen
für eine Landbewirtschaftung durch Bet riebe in den
wird, wem diese sogenannten Marktordnungen ei-
unterschiedlichsten Rechtsformen. Wenn es gelingt,
gentlich noch nützen. Die Frage ist berechtigt. Exper-
die dort gegebenen Struktur- und Marktvorteile öko-
ten haben folgendes errechnet: Es kann davon ausge-
nomisch und rechtlich sinnvoll zu nutzen, wird — das
gangen werden, daß von den rund 12 Milliarden DM
ist meine Überzeugung — in den neuen Bundeslän-
Marktordnungsausgaben für Deutschland im Jahre
1990 nur 25 % bei den einzelnen Landwirten direkt dern eine, am EG-Maßstab gemessene, sehr wettbe-
werbsfähige Landwirtschaft entstehen. Daraus wer-
ankommen. Alles andere entfällt auf Inte rventions-
maßnahmen und wird von der EG im wesentlichen den sich auch positive Rückwirkungen auf den Agrar-
strukturwandel im Westen ergeben. Deshalb müssen
staatlichen Institutionen übermittelt. Rund 38 % wer-
wir um so intensiver unsere differenzierte Agrarpolitik
den z. B. den Exporteuren für die Exporterstattung
fortsetzen, um auch den internationalen Herausforde-
überwiesen. Weitere 13 % sind Prämien für die Her-
rungen besser begegnen zu können.
stellung von Verarbeitungsprodukten und Beihilfen
für die Verwendung bestimmter Erzeugnisse. Ich persönlich bin über diese Entwicklung sehr,
sehr glücklich, und ich freue mich, daß bei den Fach-
Kein Wunder also, daß trotz der Rekordausgaben leuten der großen Fraktionen jetzt auch das Denken
für die EG-Agrarpolitik in Höhe von 65 Milliarden DM beginnt.
im Jahre 1991 die Einkommenslage in der Landwirt-
schaft leider schlechter geworden ist. Deshalb brau- (Horst Sielaff [SPD]: Man sieht, wie Sie strah
chen wir unbedingt eine Reform. Ich halte die Copa len!)
Vorschläge zur EG-Agrarreform durchaus für erfolg-- Wie es dort arbeitet im Kopf! Ich freue mich, daß man
versprechend, zumal erstmals die Franzosen der Men-
nicht nur Fördergrenzen, Obergrenzen, Strukturgren-
genbegrenzung zugestimmt haben. Die EG-Agrarmi-
zen usw. hat,
nister könnten diese Vorschläge aufgreifen, um eine
Reform einzuleiten. Dazu gehört es, Anreize für eine (Zuruf von der FDP: Übertreib nicht!)
noch umweltfreundlichere Produktion zu geben, dazu
sondern daß man einfach diese Entwicklung, die in
gehören die Abkehr von der teuren Finanzierung des
unserem wiede rvereinigten Deutschland jetzt mög-
Agrardumpings und die Entrümpelung des wenig
lich ist, offensiv aufgreift.
wirksamen Interventionssystems.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich meine: weg mit den Ideologien und hin zur Zu-
Eine Reform der EG-Agrarpolitik kann nur als sol- kunft.
che bezeichnet werden, wenn die Agrarmärkte wirk-
lich auf Dauer in der Nähe des jewei ligen Selbstver- Der Agrarbericht, den wir heute debattieren, weist
sorgungsgrades stabilisiert werden. Hierzu müssen aus, daß die Landwirtschaft in den alten Bundeslän-
zusammenhängende Konzepte auf den Tisch. dern im Wettbewerb und im EG-Agrarmarkt bei einer
Reihe von Erzeugnissen zum Teil deutliche Produk-
(Zuruf von der SPD: Nicht nur für Europa!) tionsanteile verloren hat. Auch auf dem deutschen
Markt verloren die deutschen Bauern in den letzten
Eine Bedingung ist natürlich, daß wir dabei unsere 20 Jahren ständig Marktanteile. Deshalb brauchen
Agrarhaushalte im Gleichgewicht halten. Weitere Be- wir auch weiterhin Förderungsmaßnahmen zur Stei-
dingungen sind: Die Einkommen der Landwirte müs- gerung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Bet riebe.
sen stabilisiert werden, sie müssen auch wieder stei-
gen. Die Qualität der Produkte muß noch besser wer- Es stimmt mich eigentlich traurig, wenn es z. B. in
den. Die Wirtschaftsweise zu ihrer Erzeugung muß Niedersachsen beim einzelbetrieblichen Förderungs-
noch umweltgerechter werden. Schließlich: Die EG- programm inzwischen einen Antragsstau von drei
Kommission muß ihre Reformvorstellungen aufgeben, Jahren gibt. Ich wünschte, daß der Haushaltsausschuß
beim Ausgleich der Marktverluste zwischen den Be- des Bundestages — ich sehe mit Freude einige Kolle-
triebsgrößen zu unterscheiden. Damit würden sonst gen dort sitzen — nicht nur die Mittel für die neuen
die wettbewerbsfähigen und leistungsfähigen Be- Bundesländer in diesem Bereich um 150 Millionen
triebe weiterhin diskriminiert. Ich habe sehr bedauert, DM erhöht hätte, sondern ebenso die Mittel für die
daß dies seinerzeit von der SPD-Seite nach den alten Bundesländer, und zwar im Rahmen der Ge-
MacSharry-Vorschlägen bejubelt wurde. Damit fallen meinschaftsaufgabe. Ohne zusätzliche Mittel wäre es
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2329
Günther Bredehorn
durchaus möglich gewesen, etwas weniger nach dem Familienbetriebe; denen stehen aber immer noch
Gießkannenprinzip, dafür aber gezielter in Richtung 1 350 LPGen in alter Struktur gegenüber. Diese 8 000
auf Strukturwandel zu fördern. Denn der Struktur- Familienbetriebe bewirtschaften nur etwa 10 To der
wandel wird unvermindert weitergehen und ist si- landwirtschaftlichen Nutzfläche.
cherlich auch für die entwicklungsfähigen Unterneh-
men von Nutzen und notwendig. Deshalb müssen wir Zum anderen handelt es sich bei diesen Familien-
auch weiterhin auf einen sozial verträglichen Anpas- landwirtschaften um überwiegend kleinstrukturierte
sungsprozeß Wert legen. Das ist alles gesagt wor- Betriebe, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem EG-
den. Wettbewerb nicht standhalten werden. DLG-Berater
schätzen, daß nur 30 bis 50 % dieser Bet riebe auf
Wir werden uns alle bemühen, in dieser Legislatur-
Dauer lebensfähig sein werden.
periode endlich die große Reform der Agrarsozial-
politik umzusetzen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wollen
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Trotz der doch immer verkleinern!)
beschriebenen schwierigen Situation, in der sich un-
sere Landwirtschaft zur Zeit befindet, sehe ich durch Das ist also für mich und die Bürger dort drüben eine
das Zusammenwachsen Deutschlands mittelfristig ganz schlechte Zukunftsperspektive.
auch für die Landwirtschaft gute Chancen. Die Ge-
sellschaft braucht auch in Zukunft eine leistungsfä- Nicht die einseitige Förderung kleinbäuerlicher
hige, bäuerlich strukturierte Landwirtschaft. Neben Strukturen ist gefragt, sondern eine den regionalen
der Versorgung mit Nahrungsmitteln gewinnen die und wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tra-
Erhaltung und Pflege der natürlichen Lebensgrundla- gende Förderung a ller landwirtschaftlichen Produk-
gen und der Kulturlandschaft weiter an Bedeutung. tionsbetriebe einschließlich der Gruppenbetriebe.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke
Der erfolgs- und ökologieorientierte landwirtschaft- Liste)
liche Unternehmer ist auch im EG-Binnenmarkt wett-
bewerbsfähig. Die Agrarpolitik muß allerdings für wi- Ein weiteres von Ihnen unterschätztes zentrales
derspruchsfreie Rahmenbedingungen und wettbe- Problem ist die schleppende Entflechtung und Um-
werbsneutrale Förderbedingungen sorgen. strukturierung vieler ehemaliger LPGen, die ja nicht
nur auf die immer wieder behauptete „Mauertaktik"
Ich danke Ihnen. von LPG-Vorständen zurückzuführen ist, sondern auf
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ganz reale Probleme.
Marianne Klappert
sondern muß in die Hände derjenigen gelangen, die konkret zu tun gedenkt. Das Prinzip Hoffnung kann
ihren landwirtschaftlichen Beruf weiter ausüben wol- keine Grundlage für seriöse Politik sein.
len.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Also Selbst- der PDS/Linke Liste — Siegfried Hornung
einrichter!) [CDU/CSU]: So einfach machen wir es uns
Die beträchtliche Überschuldung der LPGen wird zu- auch nicht, sondern wir haben ein Programm
sammen mit dem Kapitalabfluß durch fällige Entschä- Aufschwung Ost!)
digungszahlungen an ausscheidende Mitglieder für — Das sehen wir. — Nicht zuletzt entwickeln sich die
viele Betriebe in der Liquidation enden. Davon wer- Preisdifferenzen zwischen alten und neuen Bundes-
den auch Betriebe betroffen sein, die sanierungsfähig ländern immer mehr zu einem existentiellen Problem.
wären. Gegenwärtig befinden sich etwa 600 LPGen in Schon in den letzten zwölf Monaten führten die in den
Konkurs bzw. Liquidation ohne Rechtsnachfolge. Eine neuen Bundesländern niedrigeren Erzeugerpreise zu
deutliche Aufstockung der Mittel zur Entschuldung einem Einnahmeverlust von ca. 3 Milliarden DM.
von Altlasten ist also dringend geboten.
Meine Herren und Damen, die Liste der Versäum-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Daran ist nisse und Fehleinschätzungen dieser Bundesregie-
doch wohl die Regierung nicht schuld! — rung ließe sich beliebig fortsetzen. Die Orientierung,
Gegenruf von der SPD: Die Regierung ist an die von einer Regierung berechtigterweise verlangt
allem schuld!) werden kann, hat diese Bundesregierung offensicht-
Die dazu bisher bereitgestellten 1,4 Milliarden DM lich nicht geleistet. Die Phantasie, die in einem so
reichen bei einer Gesamtsumme der Altlasten von schwierigen Umstrukturierungsprozeß erforderlich
8 Milliarden DM bei weitem nicht aus. wäre, hat sie ganz ohne Zweifel auch nicht aufge-
bracht. Zwar kann keine Administration in einer
(Horst Sielaff [SPD]: Sehr richtig!) freien Marktwirtschaft Direktiven erlassen,
Großen sozialen Sprengstoff birgt die Tatsache, daß (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber davon
ein hoher Anteil Erwerbstätiger aus der Landwirt- träumen Sie!)
schaft ausgegliedert werden mußte bzw. durch Be-
triebsauflösungen, Konkurse etc. seine Arbeit verliert. aber in dieser Sondersituation muß man Hilfestellun-
Waren am 1. Juli 1990 noch 750 000 Arbeitskräfte in gen, ich meine wirkliche Hilfestellungen, vor allem
der Landwirtschaft beschäftigt, sind es gegenwärtig aber Gestaltungskraft von ihr verlangen können.
nur noch etwa 300 000. Hinzu kommen noch die
270 000 Kurzarbeiter. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wollen
wieder zurück zum Sozialismus!)
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So wie in
der übrigen Wirtschaft auch!) Wir unterstützen jeden Appell zum unternehmeri-
schen Risiko, aber dieses Risiko muß kalkulierbar
Der Arbeitsplatzabbau wird unvermindert weiterge- bleiben. Es wäre zutiefst unsozial und unsolidarisch,
hen, da durch die schleppende Umstrukturierung über die Reprivatisierung von Produktionsmitteln
auch die Vorleistungs- und Nachleistungsbereiche in auch die Strukturprobleme der ostdeutschen Land-
Mitleidenschaft gezogen werden. In vielen Dörfern im wirtschaft zu privatisieren, sich als Gemeinschaft aus
ländlichen Raum herrscht schon jetzt Massenarbeits- der Verantwortung zu stehlen und die Risiken an die-
losigkeit. Die sich daraus ergebenden sozialen Pro- jenigen weiterzureichen, die alleine damit scheitern
bleme liegen auf der Hand, zumal auch die zur Ver- müssen.
fügung stehenden finanziellen Regelungen für Kurz-
arbeiter, Vorruheständler und Arbeitslose unzurei- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
chend sind und die Leistungen deutlich unter dem Schluß noch ein paar Bemerkungen zur Wald- und
Durchschnitt in anderen Erwerbszweigen, z. B. der Forstwirtschaft machen. Es besteht zweifellos Über-
Industriearbeiter, liegen. einstimmung in der Kennzeichnung der Bedeutung
des Waldes als eines lebensnotwendigen Ökosystems
Deprimierend ist auch die beträchtliche Perspektiv- und eines unverzichtbaren Erholungsraums für die
losigkeit, was alternative Arbeitsplätze bzw. Um- Menschen. Doch dieses Ökosystem ist in einer besorg-
schulungsmöglichkeiten betrifft. niserregenden Weise durch neuartige Waldschäden
Durch den rapiden Arbeitsplatzabbau ist natürlich bedroht. Die Situation läßt sich mit einem Satz kenn-
auch die Ausbildung von Lehrlingen beeinträchtigt. zeichnen: Der Wald stirbt weiter. Großflächige Wald-
Hier wirkt sich nach Ansicht des Ostdeutschen Bau- schäden sind die Folgen des Mißbrauchs der Atmo-
ernverbandes sehr nachteilig aus, daß der mit dem sphäre als scheinbar kostenlose Schadstoffdeponien.
Förderprogramm Aufschwung Ost vorgesehene Zu- Dabei treffen die Schädigung der Waldbestände und
schuß von 5 000 DM pro Ausbildungsplatz an eine die Beeinträchtigung der Bodenfruchtbarkeit natür-
Grenze von 20 Beschäftigten im Unternehmen gebun- lich auch die wirtschaftlichen Grundlagen der Forst-
den ist. Die Verankerung von Sozialplänen für die in betriebe.
der Landwirtschaft Beschäftigten ist also ebenso drin- Die Feststellung dieser alarmierenden Tatsachen
gend erforderlich wie wirkungsvolle Konzepte zur sollte allen Verantwortlichen das größtmögliche En-
Schaffung alternativer Arbeitsplätze im ländlichen gagement zur Eindämmung des Waldsterbens abver-
Raum, z. B. im Dienstleistungsbereich. langen. Auch darüber gibt es kaum Meinungsver-
Der Agrarbericht macht — wie auch die Minister- schiedenheiten. Aber wirksame grenzüberschrei-
rede — nicht deutlich, was die Bundesregierung hier tende Maßnahmen seitens der EG wären dringend
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2331
Marianne Klappert
notwendig. Hier muß die Bundesregierung ihren Ein- sie Ihnen sagen, wo der Barthel den Most
fluß geltend machen. holt!)
Es ist zwingend notwendig, die Luftschadstoffe so — In den Versammlungen hört sich manches anders
zu reduzieren, daß der Wald nicht nur überleben, son- an als das, was sie im persönlichen Gespräch sagen.
dern auch gedeihen kann. (Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Ist der
(Zustimmung bei der SPD) Agrarbericht falsch?)
Was die Waldbewirtschaftung angeht, so fordern wir Ein kurzer Blick in die Statistik zeigt, wo die Bauern
Sozialdemokraten einen naturgemäßen Waldbau und der Schuh drückt.
eine ökologisch verträgliche Waldnutzung. (Horst Sielaff [SPD]: Haben Sie überhaupt
Im Hinblick auf die Forstwirtschaft in den neuen gelesen, was in dem Agrarbericht steht?)
Bundesländern gilt es zunächst einmal, die Besitzer — Genauer als Sie.
von Privatwald und die Städte und Gemeinden wie- (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie
der in ihre vollen Eigentumsrechte einzusetzen und sind aber ganz schön keck!)
dann gemeinsam mit ihren eine umwelt- und sozial
Für einen Doppelzentner Weizen erlösen die Bauern
verträgliche Forstpolitik zu entwickeln.
heute weniger als vor 20 Jahren. Der Index der Be-
Ich danke Ihnen. triebsmittel, Neubauten und Maschinen ist auf das
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Doppelte gestiegen. Das ist ein Zeichen dafür, daß die
der PDS/Linke Liste) Preis-Kosten-Schere für die Landwirtschaft sich sehr
ungünstig gestaltet hat. Es ließen sich weitere Bei-
spiele dafür anführen.
Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat der Kol-
lege Herr Dr. Martin Mayer das Wort. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege
(Gudrun Weyel [SPD]: Herr Präsident, auch Dr. Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
dies war eine Jungfernrede!) legen Schily?
— Ich weiß; es kommen noch mehr. — Bitte, Herr
Dr. Mayer. Dr. Ma rtin Mayer (Siegrtsbun)CDU/:Ja.
Jan Oostergetelo
rungsverantwortung tragen, bis man endlich sagen desrepublik Deutschland einen Kreis von 20 km und
kann: Jetzt geht's aufwärts? um die Orte mit 5 000 Einwohnern einen Kreis von
5 km. Dann werden Sie feststellen, daß in diesem
dichtbesiedelten Land viele eine besondere Chance
Dr. Ma rt in Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Sie haben. Hinzuzurechnen sind die Fremdenverkehrs-
sollten lieber einmal darüber nachdenken, daß da- gebiete, von denen wir in Deutschland erfreulich viele
mals, als Sie die Regierungsverantwortung getragen haben.
haben, die Weichen falsch gestellt worden sind, was Ein dichtbesiedeltes Land mit wachsendem Um-
wir jetzt in der Landwirtschaft büßen müssen. weltbewußtsein der Bürger hat weitere Marktchan-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — cen. Die alternativen Landwirte — die Biobauern, wie
Widerspruch bei der SPD — Harald B. Schä- sie sich selber nennen — haben diese hervorragend
fer [Offenburg] [SPD]: Gott sei Dank ist der genutzt.
Ertl nicht mehr da! Wenn der das hören (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Hornhues
würde! — Horst Sielaff [SPD]: Ganz schön [CDU/CSU] — Beifall bei der SPD)
keck, junger Mann!)
Der Agrarbericht weist nach, daß diese kleine Gruppe
Die Verantwortung trägt immer die große Partei. ein bemerkenswertes Einkommen erwirtschaftet und
Zu den Bauern, denen es gutgeht, gehören bei- gleichzeitig pro Fläche mehr Menschen Beschäfti-
spielsweise diejenigen, die Pensionspferde halten. gung bietet. Das künftige Schicksal dieser Bet riebe ist
Wer 20 oder 30 Reitpferde zur Pension im Stall hat, der jedoch vom Markt abhängig. Wenn das Angebot an
kann mit Zuversicht in die Zukunft blicken und der Lebensmitteln, die ohne chemische Pflanzenschutz-
kann mit Gelassenheit die Brüsseler Preisbeschlüsse mittel und ohne bestimmte Düngemittel erzeugt wur-
abwarten und verfolgen. Ähnliches gilt für die Bewirt- den, die Nachfrage übersteigt, bricht der Preis zusam-
schaftung von Golfplätzen, Campingplätzen und an- men.
deren Anlagen zur Freizeitgestaltung. Deshalb kritisiere ich hier auch die Art der Förde-
Aufgabe von uns Politikern ist es, die steuerlichen, rung durch die Europäische Gemeinschaft, die Um-
bau- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften so zu stellungsbeihilfen gibt — statt die Bet riebe auf Dauer
gestalten, daß findige Unternehmer bei den Bauern zu fördern —, weil sie nämlich damit landwirtschaftli-
diese Marktchancen nutzen können. che Betriebe in diese Produktion hineinbringt. Wenn
Seit langem gibt es außerdem zusätzliche Einkom- auf Grund dieses Anreizes der Markt zusammen-
mensquellen durch gewerbliche Nutzung von leer- bricht, hat dann nicht die EG die Verantwortung für
stehenden landwirtschaftlichen Gebäuden und durch die Zukunft dieser Betriebe?
Nebenerwerb außerhalb der Landwirtschaft — sei es (Gudrun Weyel [SPD]: Dann kann er doch
als Arbeitnehmer, sei es als Selbständiger. Ich sage wieder zurückgehen!)
deshalb: Eine gute Industriepolitik, eine Vielfalt von
Arbeitsplätzen auf dem Land, ist auch eine gute — Das ist sehr schwer.
Agrarpolitik. Im Bereich der alternativen Landwirtschaft ist der
(Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) Staat noch auf einem anderen Gebiet gefordert, näm-
lich beim Schutz von Erzeugern und Verbrauchern
Das hat sich in Bayern, in Baden-Württemberg und in vor Schwindel und Betrug.
vielen anderen Ländern der alten Bundesrepublik be-
wiesen. (Horst Sielaff [SPD]: Sehr richtig!)
(Beifall des Abg. Siegf ried Hornung [CDU/ Man kann nämlich den alternativen Produkten nicht
CSU]) ansehen, auf welche Weise sie erzeugt wurden.
Es ist deshalb das Ziel unserer Raumordnungspolitik (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Man riecht
und Industrieansiedlungspolitik, dieses flächendek- es nicht, man schmeckt es nicht! — Gudrun
kende Angebot an Arbeitsplätzen zu fördern. Weyel [SPD]: Sagen Sie das nicht! Manchmal
Auch in der Nahrungsmittelerzeugung selbst be- schmeckt man es schon!)
stehen Möglichkeiten, zusätzliche Einkommen zu er- — Man riecht es nicht, man schmeckt es nicht.
wirtschaften. Hier ist an erster Stelle die Direktver-
marktung zu nennen. Wer seinen Hof in der Nähe von Höhere Erlöse können nicht allein durch Direktver-
Wohnsiedlungen hat und wer über genügend Arbeits- marktung und alternative Landwirtschaft erzielt wer-
kräfte verfügt, der kann erfolgreich unmittelbar ver- den. Wichtig ist deshalb, daß wir alle Bemühungen
kaufen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben der Landwirtschaft unterstützen, bei der Erzeugung
gezeigt, daß die Nachfrage der Hausfrau, vor allem und Vermarktung besondere Qualitätsstandards und
ihre Bereitschaft, etwas mehr Geld für diese Produkte besondere Markenzeichen zu entwickeln. Hier ist
auszugeben, mit dem Vertrauensverhältnis zusam- eine enge Zusammenarbeit mit Handel und verarbei-
menhängt, das sie zu dem Bauern hat. Wenn sie bei tender Industrie notwendig.
ihrem Bauern Milch, Eier und Fleisch kauft, dann weiß (Johann Paintner [FDP]: Das ist richtig!)
sie, daß diese Produkte so erzeugt worden sind, wie
sie es haben möchte. Beim Bier weiß jedes Kind: nur das nach dem deut-
schen Reinheitsgebot gebraute Bier ist gut genug.
Nun könnte der Einwand kommen: Freizeitnutzung
und Direktvermarktung sind etwas für wenige. Zie- (Horst Sielaff [SPD]: Die Kinder dürfen aber
hen Sie einmal um alle Ballungsgebiete in der Bun- noch nicht trinken!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2333
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
— Ja, aber die Kinder wissen das schon. genwasser messen kann, auch europaweit zu verbie-
Mais- und Hirsebier, das nach den Vorschriften der ten. Ich meine, das ist ein klassisches Beispiel, das die
EG mittlerweile auch bei uns verkauft werden darf, Brüsseler Bürokratie zu viele Zuständigkeiten hat und
hat eben keine ausreichende Qualität. Wir trinken das man sie wieder auf die Länder zurückverlagern
einfach nicht. Wir sollten bei Fleisch, Milch und ande- muß.
ren Produkten eine ähnliche Strategie zumindest ver- (Abg. Georg Gallus [FDP] meldet sich zu ei
suchen. ner Zwischenfrage)
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der
SPD) Vizepräsident Helmut Becker: Der Herr Kollege läßt
keine Zwischenfrage mehr zu.
Hätte ich schon vor anderthalb Jahren zum Agrar-
bericht gesprochen, dann hätte ich an dieser Stelle (Georg Gallus [FDP]: Ich bedaure!)
den Einkommensbeitrag des Waldes besonders her-
vorgehoben. Aber wir hatten ausgangs des Winters Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU):
1990 eine schlimme Sturmkatastrophe, die die vorher Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bundesmi-
einigermaßen erträglichen Preise und die entspre- nister Kichle hat uns in seiner heutigen Rede den Weg
chenden Hoffnungen für lange Jahre zunichte ge- gezeigt, wie die Agrarpolitik weitergeht. Wir als Poli-
macht hat. Ich möchte bei dieser Gelegenheit den tiker sind gefordert, die Rahmenbedingungen zu ver-
Waldbauern ein herzliches Wort des Dankes und auch bessern, in der Preispolitik, durch Mengenbegren-
der Anerkennung sagen daß sie die Wälder aufge- zung und durch Schutz nach außen den Bauern zu
räumt haben und vor allem, daß in diesem Frühjahr helfen,
fast alle Flächen wieder bepflanzt sind. Ich meine, das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!)
muß man hier auch einmal sagen.
und wir sind auch gefordert, Hilfe bei der Nutzung
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der neuer Marktchancen zu geben. Die Bundesregierung
SPD) hat die Weichen richtig gestellt. Wir werden sie dabei
unterstützen.
Wir Politiker sollten das danken, indem wir den Wald-
bauern nicht durch neue Vorschriften wieder neue (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ketten anlegen, so wie es hier schon angeklungen ist,
sondern indem wir sie in ihrer bisherigen Bewirtschaf- Vizepräsident Helmut Becker: Nächster Redner ist
tungsweise unterstützen. Die deutsche Forstwirt- unser Kollege Joachim Tappe.
schaft hat sich mit geringem staatlichem Schutz ge-
genüber wettbewerbsstarken Anbietern aus Osteu-
Joachim Tappe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr
ropa, Skandinavien und Übersee behauptet. Dennoch
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mayer,
und gleichzeitig hat sie in der Waldbewirtschaftung -
ich bin Ihnen für den ersten Teil Ihrer Darlegungen
den Belangen des Naturschutzes verstärkt Rechnung
sehr dankbar.
getragen.
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das mit
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) dem Wald war auch sehr gut!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die deut- Ich bedauere allerdings sehr, daß Sie diesen positiven
sche Landwirtschaft steht im Wettbewerb mit den Eindruck zum Schluß doch sehr stark beeinträchtigt
Partnern in der EG und ist hier durch strenge Umwelt- haben.
auflagen zum Teil benachteiligt. In dieser Woche hat (Beifall bei der SPD — Dr. Karl-Heinz Horn
mich ein Bauer wütend angerufen und mir vorgerech- hues [CDU/CSU]: Sie haben da nicht mehr
net, daß er durch das Verbot von Atrazin statt 22 DM zugehört! Das war das Problem!)
je Hektar über 300 DM je Hektar aufwenden muß, daß
er zweimal spitzen muß und der Ertrag damit zurück- — Ich habe sehr wohl zugehört.
gegangen ist. In seinem Ärger mag er das übertrieben Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte
haben, aber es macht doch deutlich, daß Auflagen, die das erste Mal das Vergnügen, den Agrar- und ernäh-
speziell für die deutsche Landwirtschaft gelten, für die rungspolitischen Bericht der Bundesregierung durch-
deutsche Landwirtschaft erhebliche Wettbewerbs- zuarbeiten, und war darüber erstaunt, in welche Ein-
nachteile bedeuten. Hier lautet die Frage: Ist die EG zelheiten sich dieser Bericht verliert und den Leser mit
mit ihrem strengen Vorsorgewert sachgerecht vorge- Texten, Statistiken, Tabellen und Grafiken fast er-
gangen? Sind denn die Italiener, bei denen die Grenz- schlägt.
werte für Pflanzenschutzmittel im Trinkwasser per (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/
Verordnung auf das Zehnfache angehoben worden CSU]: Wollen Sie weniger Information?)
sind, gesundheitlich gefährdet?
Mich hat aber noch mehr überrascht, was dieser Be-
(Otto Schily [SPD]: Aber sicher! — Harald richt nicht enthält, nämlich das Aufzeigen politischer
B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Mayer, Konsequenzen und zukunftsorientierter Leitlinien,
Sie fingen so gut an! — Georg Gallus [FDP]: die sich aus dem auf 165 Seiten akribisch Dargestell-
Ihr wart doch die Scharfmacher!) ten ergeben, ja geradezu aufzwingen.
Wenn die Europäische Gemeinschaft schon Grenz- Wäre die deutsche Politik ein Auto, ich fürchte, sie
werte für Pflanzenschutzmittel im Trinkwasser fest- käme schon seit Jahren nicht mehr durch den TÜV.
legt, dann muß sie auch die Kraft haben, diese Pflan- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung
zenschutzmittel, die man mittlerweile sogar im Re- [CDU/CSU]: Sie gehen von Ihrer Politik aus!
2334 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Joachim Tappe
— Egon Susset [CDU/CSU]: Ihr seid in Bre- auf aufmerksam, daß das selbst die Bundesregierung
men gerade noch einmal durchgekommen!) in ihrer Bodenschutzkonzeption so festgestellt hat.
Ohne eine insgesamt naturverträgliche Landwirt-
— Herr Hornung, hören Sie mir doch einmal zu, auch
Sie, Herr Susset! Ich habe Ihnen doch auch zugehört. schaft werden wir mit maßgeblicher Hilfe Ihrer Land-
wirtschaftspolitik die Natur noch weiter in die Knie
— „Wäre die deutsche Politik ein Auto, ...": Dieser
zwingen.
Satz stammt nicht von mir; diese Beurteilung stammt
vom Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rom- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist eine
mel. Unverschämtheit der Landwirtschaft gegen
(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: über, eine grobe Unverschämtheit!)
Der gehört der CDU an!) Selbst wenn man berücksichtigt, daß durch die euro-
Ich finde, dieser Ausspruch kennzeichnet in besonde- päische Einbindung nationale Agrarpolitik keine sehr
rer Weise die Agrarpolitik dieser Bundesregierung. großen Spielräume hat, trägt die Bundesregierung
doch auch die Verantwortung für die in weiten Berei-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat er chen desolate Situation der bäuerlichen Betriebe in
aber nicht gesagt!) den alten Bundesländern und vor allem für die sich
— Nein. Das habe ich gesagt. anbahnende Katastrophe in den neuen Ländern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Kata
Es gibt wohl kein Politikfeld, in dem so oft von strophe in den neuen Ländern ist durch die
Reformen geredet wurde und in dem dennoch so we- Kommunisten vorprogrammiert! Sie kennen
nig Zukunftsweisendes geschieht. Deshalb gebührt die Wahrheit nicht!)
einem großen Teil unserer Landwirte — das möchte Jetzt rächt sich, daß die EG, vor allem aber die deut-
ich an dieser Stelle einmal öffentlich würdigen — sche Agrarpolitik bis heute zu keiner konzeptionellen
Dank und Anerkennung dafür, daß sie mit großem Reform fähig oder willens waren. Daran ändert auch
Fleiß, auf Grund der ungünstigen agrarpolitischen Ihr Einwand nichts, Herr Minister, daß die Agrarpoli-
Rahmenbedingungen jedoch oft unter großen Ent- tik der 70er Jahre das zu verantworten hat. Ich darf
behrungen ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten. daran erinnern, daß dafür Herr Ertl die Verantwor-
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei tung trug. Herr Kollege Gallus, Sie waren seit Mitte
Abgeordneten der CDU/CSU) der 70er Jahre auch daran beteiligt.
Dennoch muß auch festgestellt werden: Leider sind (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung
die Zeiten, in denen die Landwirtschaft unsere Land- [CDU/CSU]: Ihre Partei hatte das Sagen!)
schaft positiv prägte, lange vorbei. Bedauerlicher- Herr Minister, lassen Sie mich hinzufügen: Ihre An-
weise haben wir einen unverändert drastischen Rück-
- kündigungen und Ihre Ausführungen eingangs dieser
gang der heimischen Tier und Pflanzenarten zu ver-
-
Debatte hatten nach meiner Einschätzung etwas Fau-
zeichnen. Die Hauptursache hierfür ist die qualitative stisches an sich: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir
Verschlechterung bzw. die völlige Vernichtung von fehlt der Glaube. Das Herr Kollege Susset, gilt auch
Lebensräumen. für Ihre handlungsorientierten Ankündigungen, die
(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ Sie hier gemacht haben.
CSU]: Das ist Ihre Begründung für mehr Vor- Der Problemdruck, der zum Handeln zwingt, nimmt
schriften!) jetzt allerdings zu, nicht zuletzt dadurch, daß die an-
Schuld daran ist unter anderem die derzeitige Form stehenden GATT Verhandlungen die Bundesregie-
-
der Landbewirtschaftung als Folge Ihrer Landwirt- rung und die EG endlich veranlassen werden, mehr
schaftspolitik. als nur kosmetische Korrekturen an der Agrarpolitik
vorzunehmen.
(Beifall bei der SPD — Harald B. Schäfer [Of-
fenburg] [SPD]: Das ist leider wahr! — Sieg- Ich bin sehr dankbar, daß in der Zwischenzeit der
fried Hornung [CDU/CSU]: Das ist absoluter Bundeskanzler unsere politische Forderung nach ei-
Nonsens!) nem erfolgreichen Abschluß der Uruguay Runde im
-
Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Leistungen und durch vermehrten Anbau von ande-
Tappe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen ren als den jetzt vorhandenen Überschußprodukten.
Gallus? (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung
[CDU/CSU]: Sagen Sie mal einige!)
Hierbei ist verstärkt an eine Ausweitung des ökolo-
Joachim Tappe (SPD): Herr Präsident, ich bin über-
gisch verantwortbaren Anbaus sogenannter nach-
zeugt davon, daß das nicht unbedingt der Wahrheits-
wachsender Rohstoffe zu denken, anstatt vorrangig
findung dient. Deshalb möchte ich gern meinen Bei-
Flächen und Betriebe stillzulegen.
trag beenden.
(Georg Gallus [FDP]: Da seid ihr wieder da
(Heiterkeit bei der SPD — Siegfried Hornung gegen! Das kostet pro Hektar 4 000 DM!)
[CDU/CSU]: Es wäre besser gewesen, Sie
hätten geschwiegen! — Weiterer Zuruf von Zweitens. Umstellungshilfen und Existenzstützun-
der CDU/CSU: Das war böse!) gen für ökologisch arbeitende Landwirte.
Wir alle können doch nicht die Augen vor den Tat- Drittens. Direkte Einkommensübertragung an
sachen verschließen: Schon heute sind die Agrarsub- Landwirte für landschaftspflegerische, landschaftser-
ventionen höher als die Wertschöpfung aus der Agrar- haltende und gewässerschützende Aufgaben.
produktion. Der OECD-Subventionsbericht errechnet Meine Damen und Herren, Politik ist nach meinem
300 Milliarden DM aus Gemeinschafts- und nationa- Verständnis die Praxis der Idee. Im Interesse unserer
len Quellen zur Stützung einer Branche, die europa- Bürgerinnen und Bürger, unserer Landwirte und nicht
weit nur 10 % Handelsanteil hat und bei uns lediglich zuletzt in Verantwortung für unsere Natur fordere ich
2 % des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Es muß Sie auf: Setzen Sie die von uns seit Monaten in die
erschrecken — und da sind Sie mit uns derselben Mei- Diskussion gebrachten Vorschläge in die Praxis um!
nung —, daß drei Fünftel des EG-Haushaltes für (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und
Agrarsubventionen ausgegeben werden, obwohl wir dem Bündnis 90/GRÜNE — Siegfried Hor
wissen, daß jede Tonne subventionierter Agrarpro- nung [CDU/CSU]: Arme Landwirtschaft bei
duktion in der EG die Chancen der Reform- und Ent- dieser SPD!)
wicklungsländer zunichte macht, mittel- und langfri-
stig wirtschaftlich zu gesunden.
(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Leider Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr-
die Wahrheit!) ten Damen und Herren, Frau Kollegin Klappert, Herr
Kollege Dr. Mayer und auch Kollege Tappe haben
Wir bitten Sie deshalb herzlich, Herr Minister: Ma- hier heute zum erstenmal — wenn ich richtig infor-
chen Sie sich vermehrt unsere agrarpolitischen Vor- miert bin — geredet. Wenn ich von hier aus sehe,
stellungen zu eigen, unter welchen Bedingungen dies hin und wieder ge-
-
(Zuruf von der CDU/CSU: Arme Bauern!) schah, und an die Situation denke, als ich zum ersten-
und setzen Sie Ihr ganzes Gewicht ein, mal geredet habe, muß ich sagen: Sie haben das sehr
gut gemacht.
(Heiterkeit bei der SPD)
(Beifall im ganzen Hause)
diese EG-weit umzusetzen! Ich will gern konzedieren,
daß sich die Bundesregierung unseren grundlegen- Das Wort hat nunmehr unser Kollege Hans-Ulrich
den agrarpolitischen Leitlinien zumindest verbal zu Köhler.
nähern scheint.
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Welchen? Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) (CDU/CSU): Herr
Sagen Sie mal eine!) Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vielleicht können wir auf weitere Fortschritte hof- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir,
fen. daß ich zunächst als Thüringer, als Vertreter dieses
neuen Bundeslandes, von hier aus einen Gruß an die
Ich möchte die von uns seit vielen Jahren in die Dis- Greifswalder richte, die auf der Tribüne Platz genom-
kussion eingebrachten agrarpolitischen Vorschläge, men haben.
die sich im wesentlichen ausrichten an einer zukunfts- (Heiterkeit und Beifall)
orientierten, an einer ökonomisch gesunden, sozial-
und umweltverträglichen Agrarwirtschaft, in drei Herzlich willkommen im 12. Deutschen Bundestag!
Punkten zusammenfassen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Landwirtschaft in der
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sprüche!)
ehemaligen DDR, in den fünf neuen Ländern, woher
Erstens. Wir wollen einen kurzfristigen Abbau der ich komme, hatte wie alle übrigen Bereiche der ehe-
Überschußproduktion, maligen Volkswirtschaft bis zum 30. Juni 1990 einen
(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ Versorgungsauftrag getreu dem Motto „koste es, was
CSU]: Wie?) es wolle" zu erfüllen.
und zwar durch Reduzierung der Flächenerträge auf Wenn die Rede von Anteilen war, ging es nicht um
dem Wege der Extensivierung, Marktanteile, sondern um Bilanzanteile von Maschi-
nen und Ersatzteilen. Das Ergebnis dieser dirigisti-
(Beifall bei der SPD) schen Politik war eine überzogene Landwirtschaft, die
durch die Umschichtung produktionsgebundener Zu- schon fast gigantomanische Ausmaße angenommen
schüsse zugunsten einer Honorierung ökonomischer hatte.
2336 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
In den traditionellen Anbaugebieten war ein Über- hat in den fünf neuen Bundesländern bei der Flächen-
schuß vorhanden, aber durch mangelnde Verarbei- stillegung im Durchschnitt einen Stand von 15 % er-
tungsindustrie vergammelte ein Großteil von wertvol- reicht. Es ist dringend erforderlich, das Flächenstille-
len Produkten oder wurde verfüttert. gungsgesetz für die einjährige Stillegungszeit zu ver-
Die irrsinnigen Subventionen von Grundnahrungs- abschieden, um die Landwirtschaft für unsere Bauern
gütern wie Milch, Brot, Brötchen, Weizengries, Grau- besser ausgestalten zu können.
pen und Haferflocken haben gerade im ländlichen Eine weitere Möglichkeit der Extensivierung ist die
Raum zu groteskem Verbrauch geführt. Es waren die Forcierung des Anbaus nachwachsender Rohstoffe.
billigsten Futtermittel, also wurden sie in der Tierwirt- So ist derzeitig eine große Steigerung des Rapsanbaus
schaft verfüttert. Der Aufkaufpreis von Schlacht- zu erkennen. Der Versuch eines führenden Mineralöl-
schweinen lag immerhin bei 7,90 Mark bis 8,10 Mark konzerns, in den Dieselkraftstoff bis zu 20 % Rapsöl
pro Kilo; bei Rindfleisch war er höher. Bei Rindfleisch einzumischen, ist ein guter Weg in dieser Richtung.
lag er höher. Erzeugerpreise von Puten- und Kanin- Die Landwirtschaft erwartet von den Mineralölprodu-
chenfleisch wurden bis zu 50 % vom Staat gestützt, zenten, daß diese offensiv solche alternativen Kon-
also zu höheren Preisen vom Erzeuger aufgekauft und zepte verfolgen.
zu niedrigeren Preisen im Handel verkauft. Mit dieser
Methode sollte ein Überfluß an landwirtschaftlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Produkten geschaffen werden, um auf der anderen Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundesregie-
Seite den Mangel an hochwertigen Importen zu ka- rung hat durch umfangreiche Maßnahmen wie das
schieren. Vorziehen der Intervention von Getreide und gezielte
Damit führten die staatlich subventionierten Preise Ostexporte von Schlachtvieh sowie Butter und Kartof-
zu einem viel höheren Pro-Kopf-Verbrauch an Nah- feln das Schlimmste verhindert.
rungsmitteln in der Bevölkerung. Was ist vordringlich zu tun? Die Umwandlung der
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einfüh- bisherigen Betriebsformen in privatwirtschaftlich fun-
rung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion än- dierte Unternehmen geht zu schleppend voran. Wir
derte sich die Situation in der Landwirtschaft dra- können jetzt davon ausgehen, daß mit der Novellie-
stisch. Durch mangelhafte Vorbereitung der verant- rung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes die bis
wortlichen Regierungsstellen wurde der Binnenmarkt dato bemängelte rechtliche Grundlage für aktives
innerhalb von Stunden von den Lebensmittelketten Tun und Handeln verbessert worden ist.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2337
Gudrun Weyel
— Es soll immer so sein, aber, Herr Hornung, Sie wis- Der vorhin bereits zitierte Schutz vor Täuschung
sen ganz genau, daß es auch bei deutschen Landwir- durch Information der Verbraucher wird zunehmend
ten schwarze Schafe gibt. wichtiger. Wenn der Lebensmittelmarkt so offen ist,
wie wir ihn zur Zeit vorfinden, muß die Hausfrau in
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da sind wir
Ost wie in West bewußt auswählen können und wis-
uns einig!)
sen, was sich hinter den einzelnen Bezeichnungen
Da muß man halt achtgeben. verbirgt. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Rechts-
(Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Die vorschriften.
schwarzen Schafe!) Im Agrarbericht wird festgestellt — ich zitiere hier
Während die Verbraucherverbände in den Städten wörtlich — :
in dieser Richtung gute Arbeit leisten, wird die Auf- Ob und wie die Unterrichtungsmöglichkeiten auf
gabe der Verbraucherberatung im ländlichen Raum Grund des Lebensmittelkennzeichnungsgesetzes
weitgehend noch von den landwirtschaftlichen Bera- und der weiteren Informationsangebote staatli-
tungsstellen wahrgenommen. cher und sonstiger Einrichtungen vom Verbrau-
(Georg Gallus [FDP]: Gut sogar!) cher genutzt werden, liegt letztlich in seiner Ver-
antwortung.
—Gut sogar, das kann ich bestätigen. Beide ergänzen
Das reicht so aber nicht aus. Man kann nicht einfach
sich und arbeiten auch zusammen.
sagen: Das Angebot ist da; was ihr daraus macht,
(Georg Gallus [FDP]: Sehr richtig!) bleibt euch überlassen.
Mit der Anpassung der bundesdeutschen Gesetze In diesem Zusammenhang muß ich noch einmal
an die neuen europäischen Richtlinien werden zum heftig kritisieren, daß der Finanzminister die Absicht
Teil die strengeren deutschen Bestimmungen aufge- hat, die Bundesmittel für die Verbraucherverbände
hoben. Diese neuen europäischen Richtlinien haben in den nächsten fünf Jahren um jeweils 20 % zu kür-
z. B. auch dazu geführt, daß die deutsche Gesetzge- zen. Das kann in dieser Situation nicht richtig sein.
bung — Sie haben vorhin schon vom Reinheitsgebot
(Beifall bei der SPD)
für Milch gesprochen; ich denke auch an das Verbot
von Imitaten — vor dem Europäischen Gerichtshof Es wird auch darauf hingewiesen, daß das gestie-
beanstandet wurde. gene Umwelt und Gesundheitsbewußtsein die Nach-
-
Gudrun Weyel (SPD): Ich will überhaupt nicht in ther Bredehorn [FDP]: Sie wird ja immer bes
Zweifel ziehen, daß das so ist. ser!)
(Georg Gallus [FDP]: Das können Sie aber — Lassen Sie mich doch noch ein bißchen sprechen,
nicht in einen Topf werfen!) Herr Gallus! Ja?
— Lieber Herr Gallus, wenn Sie mich hätten weiterre- Ich will gern noch ein paar Worte zum Nebener-
den lassen, dann würden Sie sich über das freuen, was werb sagen. Die Nebenerwerbsbetriebe vereinen
ich jetzt sagen will. rund 10 % der Verkaufserlöse auf sich. Diese Zahl sagt
aber nichts darüber, daß diese Nebenerwerbsbetriebe
(Günther Bredehorn [FDP]: Also freuen wir in einigen Gegenden inzwischen eine außerordent-
uns! — Meinolf Michels [CDU/CSU]: Ja, lich hohe Bedeutung erlangt haben, besonders in den
freuen wir uns!) Mittelgebirgen. In einer ganzen Anzahl von Dörfern
Ich wollte nämlich darauf hinweisen, daß in der Öf- gibt es keinen Vollerwerbslandwirt mehr; dort ist nur
fentlichkeit die Anwendung von Pflanzenbehand- durch diese Nebenerwerbsbetriebe die Bewirtschaf-
lungsmitteln häufig nur in der Landwirtschaft disku- tung der Kulturflächen gesichert.
tiert wird. Dabei wird vergessen, daß wir in das Pflan- Andererseits sind sie bei Einkommensschwankun-
zenschutzgesetz, das Sie dankenswerterweise so sehr gen in der Landwirtschaft weniger gefährdet, da nur
gelobt haben, das grundsätzliche Verbot der Anwen- ein Teil ihres Einkommens aus der Landwirtschaft
dung von Pflanzenbehandlungsmitteln auf Flächen kommt.
hineingebracht haben, die weder landwirtschaftlich
noch gärtnerisch, noch forstwirtschaftlich genutzt Sie tragen weiterhin auch zur Funktionsfähigkeit
werden. der Dörfer und der ländlichen Gebiete bei. Deswegen
bitte ich, bei den Auswirkungen der GATT-Verhand-
Dieses Verbot wird von vielen vergessen. Ich kenne lungen diese Nebenerwerbsbetriebe nicht zu verges-
z. B. Landesregierungen, die entgegen dem Gesetz sen.
die Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln an
Die Tatsache, daß der Übergang vom Haupterwerb
allen Straßen, Gleisanlagen und anderen öffentlichen
Einrichtungen grundsätzlich genehmigen. Das wider- zum Nebenerwerb — manchmal auch umgekehrt —
den Strukturwandel in der Landwirtschaft der Bun-
spricht ganz konkret dem Gesetzestext, der die Ein-
willigung des zuständigen Pflanzenschutzamts im desrepublik sozial abgefedert hat, könnte auch für die
neuen Bundesländer ein hilfreiches Beispiel sein.
Einzelfall verlangt.
Der Agrarbericht 1991 bezieht sich zum erstenmal
(Georg Gallus [FDP]: Staatsanwalt!) auf Gesamtdeutschland, macht aber mit der Auftei-
Es gibt auch eine ganze Reihe von Gemeinden und lung deutlich, daß die Bedingungen noch nicht ge-
Privatleuten, die von diesem Verbot offensichtlich samtdeutsch sind, sondern sich die Landwirtschaft
noch nichts gehört haben, obwohl die Verkäufer nach
- noch in zwei unterschiedlichen Räumen abspielt. Des-
dem Gesetz darauf hinweisen müßten. halb ist die Neugestaltung der gemeinsamen Agrar-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Deshalb politik unsere große Aufgabe und erfordert unser aller
habe ich gesagt: Das hat nichts mit der Frage Anstrengung.
zu tun!) Ich fordere zunächst einmal die Bundesregierung
auf, aus ihrer Verantwortung dazu die Anstöße zu
Sehen Sie sich z. B. Gehwege, Parkplätze oder Schul-
geben. Wir werden im Bundestag unseren Anteil dazu
höfe an, die mit Verbundpflaster bestückt sind!
beitragen, daß es möglichst bald eine Anpassung der
(Günther Bredehorn [FDP]: Jawohl!) Landwirtschaft in beiden Teilen des Bundesgebiets
Wenn diese Flächen frei von Grün sind, können Sie gibt.
sicher sein, daß dort Gesetzesverstöße vorliegen. Je- Ich danke Ihnen.
denfalls für mindestens 90 % der Fälle gilt das. Bei (Beifall bei der SPD und der FDP)
ganz kleinen Flächen mag einer mit der Hand gerupft
haben.
(Dr. Hedda Meseke [CDU/CSU]: Aber nicht Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und
von Landwirten!) Herren, ich schließe die Aussprache. Weitere Wort-
— Ich habe ja von Flächen gesprochen, die nicht land- meldungen liegen nicht vor.
wirtschaftlich genutzt werden. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Agrarbe-
(Günther Bredehorn [FDP]: Richtig!) richts auf den Drucksachen 12/70 und 12/71 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
Änderungen könnten allerdings durch die EG-
Der Entwurf des Flächenstillegungsgesetzes auf
Richtlinie notwendig werden.
Drucksache 12/721 (neu) soll nach einer interfraktio-
Wir müssen ein Augenmerk auch darauf haben, daß nellen Vereinbarung zur federführenden Beratung an
bei der Zulassung nicht immer mehr Spezialmittel ver- den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
schwinden und durch Mittel mit einer sehr breiten Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuß für
Wirkung ersetzt werden, die Resistenzprobleme auf- Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie an
werfen. den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
(Günther Bredehorn [FDP]: Sehr richtig! — Die Entschließungsanträge der Fraktionen der
Georg Gallus [FDP]: Wollen Sie diese Rede CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 12/729 und
nicht einmal im Bundesrat halten? — Gün- der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/722 sollen an
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2341
Vizepräsident Helmuth Becker
dieselben Ausschüsse wie der Agrarbericht überwie- phe, von der viele Länder betroffen sind. Die Bundes-
sen werden. — Ich höre und sehe keinen Wider- republik Deutschland hat sich an der Befreiung Ku-
spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlos- waits — ich sage dies einmal ganz bewußt — mit min-
sen. destens 17 Milliarden DM beteiligt, wenn die Zahlun-
gen auch an die USA gingen. Sie sollte, ja, sie müßte,
bei der Bekämpfung der ökologischen und ökonomi-
Meine Damen und Herren, ich rufe als letzten Punkt
der heutigen Tagesordnung den Zusatzpunkt 3 auf: schen Katastrophe jetzt ihren Beitrag mindestens
ebenso leisten. Dies alles ist der Bundesregierung be-
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD kannt.
Deutsche Hilfe bei der Ölbrandbekämpfung in
Was macht nun die Bundesregierung? Ich habe mir
Kuwait
hier fast 10 Nullanzeigen aufgeschrieben. Ich be-
— Drucksache 12/727 — streite der Bundesregierung überhaupt nicht ihren
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die guten Willen. Ich bestreite ihr fast nicht Sensibilität für
Aussprache 45 Minuten vorgesehen. Ich sehe keinen dieses Thema, aber ich stelle fest, daß sie dilettantisch,
Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen. halbherzig und wirklich unfähig handelt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Abstim- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Ach!
mung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Ach!)
Drucksache 12/727 nicht heute, sondern erst morgen
nach Tagesordnungspunkt 13 durchzuführen. — Ich Ich muß dies so deutlich sagen.
höre und sehe auch da keinen Widerspruch. Dann ist Lassen Sie mich die Nullanzeigen aufführen.
auch das so beschlossen.
Es gibt ein absolut negatives Kompetenzgerangel
Wir kommen damit zur Aussprache. Das Wort hat
zwischen den Ministerien. Wir haben innerhalb der
unser Kollege Dr. Klaus Kübler.
Bundesregierung keine federführende, koordinie-
rende Instanz: BMU, BMFT, BMV, BMVg handeln
Dr. Klaus Kübler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- hier. Absolute Nullanzeige. Der BMU gibt Erklärun-
leginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion will mit der gen ab, für die der BMFT zuständig ist. Ich spreche
heutigen Debatte erneut die Öffentlichkeit wachrüt- jetzt gar nicht zur Richtigkeit des Inhalts der Erklärun-
teln und auf die andauernde und nicht kleiner, son- gen.
dern größer werdende Ölkatastrophe in Kuwait auf- Der BMFT, Herr Minister Riesenhuber — es tut mir
merksam machen und die Bundesregierung zwingen, leid, wenn ich dies so sagen muß —, gab vorgestern
einen deutschen Anteil beim Löschen der Ölfeuer eine Presseerklärung ab, die mit dem unheimlich ver-
und bei der Feststellung der Gesundheits- und Um- räterischen ersten Satz beginnt: Nach mehrwöchigen,
weltschäden endlich zu leisten.
- intensiven Verhandlungen hat die kuwaitische Regie-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Kuwait läuft rung die Einreise einer deutschen Delegation nach
— Frau Ganseforth wird dazu im Detail noch etwas Kuwait gestattet. — Ich kann nur sagen: Uns ist es
mehr sagen — zur Zeit in der Tat die größte ökologi- gelungen. Ihnen hätte es genauso gelingen müssen
sche und ökonomische Katastrophe ab; ich werde al- mit dem entsprechenden Geschick. Das ist genau das,
lerdings zum letzteren hier heute nicht ausführlich was ich zum Vorwurf mache. Wenn man bei der
Stellung nehmen. In Kuwait verbrennen täglich rund schwierigen Situation mit dem entsprechenden Ge-
4 Millionen Barrel Öl zu einem Wirtschaftswert von schick herangegangen wäre, hätte man dazu nicht
zwischen 80 und 100 Millionen Dollar. Das Land ist vier Wochen benötigt.
kaputt. Die Bevölkerung wird krank. Kuwait ist prak-
tisch entvölkert. Das Land ist unbewohnbar. Wenn ich (Beifall bei der SPD)
jetzt philosophisch wäre, würde ich sagen: Der Reich Ich halte Sie für viel, viel klüger. Aber, wenn es tat-
tum Kuwaits ist jetzt der Untergang Kuwaits. sächlich so wäre, daß man vier Wochen darauf wartet,
Deshalb sind alle Entwarnungsmeldungen in der um ein Einreisevisum für einige Experten zu bekom-
Presse unzutreffend, und die politisch unerträgliche men, dann sollte man eigentlich in der Tat die Tür
Desinformationspolitik aus der Zeit des Golfkrieges zumachen.
wird — man muß das so deutlich sagen — in der Ich möchte noch einmal auf die Mellum zurückkom-
Nachkriegszeit über die ökologischen, ökonomischen men. Das Problem der Mellum war, daß sie zu spät
und gesundheitlichen Folgen der Ölkatastrophe in kam und nicht geeignet war, Öl in flachen Gewässern
Kuwait fortgesetzt. abzusaugen. Im Persischen Golf ist das flache Gewäs-
Es ist ebenso unerträglich, daß der Anschein ent- ser bekanntermaßen relativ ausgedehnt.
standen ist, daß das Löschen der Brände allein zu
einer kommerziellen Frage geworden ist. Es ist in der Eine Nullanzeige haben wir bei Meßwagen. Herr
Tat in erster Linie eine umweltpolitische Frage. Kollege Schmidbauer — wir verstehen uns persönlich
ausgezeichnet —, es ist in der Tat eine Schande, wenn
Ich begrüße in diesem Zusammenhang durchaus die Bundesregierung drei bis vier Monate braucht, um
— ich sage dies ausdrücklich — , daß sich die Bundes- einen mobilen Meßwagen nach Kuwait zu bringen,
regierung nicht an der gefährlichen Entwarnungs- und Sie dies mit Zollvorschriften und Sicherheitsvor-
politik und der fortgesetzten Desinformationspolitik schriften begründen, wenn die Siemens-Facharbeiter
über die Folgen des Golfkonflikts beteiligt. und die Babcock-Facharbeiter schon 14 Tage nach
Die Bekämpfung der Katastrophe ist nicht nur eine Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen dort
Angelegenheit der Kuwaitis. Dies ist eine Katastro- wieder auf Montage waren.
2342 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Birgit Homburger
An die Adresse der Bundesregierung gerichtet gilt sein! — Das ist eine Unverschämtheit! —
natürlich auch: Schnelligkeit allein reicht hier nicht Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
aus. Wir im Umweltausschuß stimmen wohl alle darin
überein, daß wir eine bessere Koordination des vor- — Natürlich hat sie ihn mit zu verantworten. Lesen Sie
handenen Wissens brauchen. doch die Berichte! Dann wissen Sie, daß mit deut-
schen Waffen gekämpft worden ist.
Daher fordert die FDP-Fraktion zur Bewältigung
der Koordinationsprobleme — über die ökologische Ich muß sagen: Frau Homburger, es ist schon ein
Katastrophe am Golf hinaus — auch für zukünftige ziemlicher Zynismus, wenn Sie sich hier hinstellen
Umweltprobleme, daß eine öko-technologische Ar- und sagen: Natürlich darf unsere Hilfe nichts kosten.
beitsgruppe — zunächst auf nationaler Ebene — ein- Das, finde ich, ist ein Zynismus sondergleichen.
gesetzt wird, die mit Fachleuten aus der Indust rie, aus
der Verwaltung, aber auch mit Wissenschaftlern be- (Zuruf von der CDU/CSU: Was Sie reden, ist
setzt sein soll. Diese Arbeitsgruppe muß weiterhin in eine Frechheit!)
eine entsprechende Arbeitsgruppe auf EG-Ebene
eingebunden sein, die wiederum in UNEP, IMO und Frau Böhmer von der CDU, Sie haben ja kritisiert,
USAID eingebunden ist. Diese Aufgaben können daß der Antrag der SPD einfach zu eng gefaßt sei, daß
wirklich nur durch internationale Arbeitsteilung und er wenig dazu beitrage, daß die ökologischen Schä-
Zusammenarbeit gelöst werden. Deswegen fordere den beseitigt würden, und daß er sich hauptsächlich
ich auch, daß die Umweltorganisation der UNO, die auf die Bekämpfung der Ölbrände beziehe. Das habe
UNEP, endlich zu einem schlagkräftigen Instrument auch ich zu kritisieren.
ausgebaut wird. So wie die UNO über einen Sicher- Meine Kritik geht aber noch darüber hinaus. Ich
heitsrat verfügt, so müßte auch eine Art Umweltrat muß eigentlich sagen, daß ich den Antrag der SPD
geschaffen werden, der schnell auf Umweltkrisen rea- auch nicht als besonders ernsthaft empfinden kann.
gieren kann. Wir haben in der letzten Woche Haushaltsberatungen
Danke. gehabt; warum haben Sie den Antrag nicht in der letz-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ten Woche eingebracht? Dann hätte man hier auch
wirklich ein finanzielles Volumen von Hilfeleistungen
ansetzen müssen.
Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat unsere
Ich kann diesen Antrag auch aus folgendem Grunde
Kollegin Frau Ursula Jelpke das Wort.
nicht ganz ernst nehmen: Sie können nicht nur der
Bundesregierung vorwerfen, sie habe vier Monate
Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Meine Damen und lang nichts getan. Ich wüßte nicht, daß die SPD in den
Herren! Mit der großen Öffentlichkeit scheint es ja letzten Monaten hier Anträge eingebracht hätte.
hier nicht allzuweit her zu sein. -
Außerdem besagt der Antrag ja auch relativ deut-
(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Aber lich, daß es hier um Geschäfte geht, um deutsche
Sie gehen ja auch nicht immer ins Plenum, Experten, wobei Ökologen sagen, daß es nicht unbe-
oder?) dingt deutsche Experten gibt, sondern daß die Exper-
— Das ist in der Tat wahr. ten eigentlich in den USA sitzen. Aber es scheint hier
ja offenbar auch darum zu gehen, daß Firmen beteiligt
(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Dann werden, daß Firmen Aufträge bekommen.
bitte nicht über die anderen schimpfen,
wenn man selber nicht da ist!) (Dr. Klaus Kübler [SPD]: Ganz ohne Firmen
Aber zumindest mir scheint, die Art und Weise, wie geht es natürlich nicht!)
das Thema hier in der Vergangenheit diskutiert
— Natürlich geht das nicht. Das sehe ich auch ein.
wurde — es handelt sich hier schließlich um die Fol-
Aber die Frage ist: Wer soll die Kosten tragen?
gen eines Krieges und nicht einfach nur irgendwel-
cher ominöser, dubioser Ölbrände — , zeigt, daß das (Dr. Klaus Kübler [SPD]: Die Kuwaitis haben
Problem allgemein wenig klargeworden ist. Schließ- auch genug Geld, um das zu bezahlen!)
lich sind auch deutsche Waffen an den Folgen betei-
ligt gewesen, die heute in Kuwait zu beklagen sind. Hier ist doch ganz deutlich von der CDU gesagt wor-
(Zuruf von der CDU/CSU: Wenn die PDS von den, daß die Kosten von der Bundesregierung nicht
Schuld redet, hört sich das merkwürdig getragen werden. Herr Kübler, in Ihrem Antrag steht
an!) auch nicht, wer die Kosten trägt.
— Sie müssen es sich auch einmal gefallen lassen, bei (Dr. Klaus Kübler [SPD]: Die Kuwaitis! Die
bestimmten Themen hin und wieder einmal zuhören haben Geld genug! Wir haben das mehrfach
zu müssen, und sich vielleicht damit auseinanderset- im Ausschuß diskutiert! — Monika Ganse
zen. forth [SPD]: Kuwait ist ein steinreiches
Ich denke, die Tatsache, daß die Bundesregierung Land!)
Waffen geliefert hat und daß bisher keinerlei Entschä-
digung für diesen Krieg geleistet worden ist, den die — Kuwait ist ein steinreiches Land. Aber Kuwait hat
Bundesregierung mit zu verantworten hat — — im Moment enorme Folgen des Krieges zu tragen.
(Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der (Monika Ganseforth [SPD]: Aber keine fi
CDU/CSU: Das kann doch wohl nicht wahr nanziellen Probleme!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2345
Ulla Jelpke
Das wissen Sie ganz genau. Es kommt ja nicht von wirtschaft und zum anderen auch unsere ökologi-
irgendwoher, daß immer noch über 600 Ölquellen schen Lebensgrundlagen. Die Abgeordneten vom
brennen. Bündnis 90/GRÜNE werden deshalb in den nächsten
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben ja über- Tagen einen umfassenden Antrag in den Bundestag
haupt keine Ahnung!) einbringen, der nicht nur die unmittelbar notwendi-
gen Hilfeleistungen in Sachen Ölbrände und Ölpest
Ich denke, es wäre viel wichtiger gewesen, hier im am Persischen Golf einfordert, sondern darüber hin-
Rahmen der Haushaltsdebatte um einen wirklichen aus weitreichende Maßnahmen für einen Abbau der
Betrag zu streiten, der den Menschen dort hilft. wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Kriegsursache
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das hilft aber nicht, Erdöl vorschlägt. Wie ich bereits in der Aktuellen
was Sie sagen!) Stunde vorhin erwähnte, ist eine grundlegende Ände-
Herr Kübler, ich habe gehört, Sie waren gerade dort. rung unserer Wirtschafts- und Verkehrspolitik insge-
Sie müßten auch über viele andere Probleme einiges samt, auch angesichts der drohenden Klimakatastro-
berichten können. Wahrscheinlich erlaubt die Zeit phe, unumgänglich.
heute nicht, das auszudiskutieren. Ich denke aber, Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wer-
daß es unbedingt notwendig wäre, international zu den also auch den Bundesumweltminister beim Wort
helfen und hier auch haushaltsmäßig eine Forderung nehmen, der den engen Zusammenhang zwischen Si-
zu stellen. Deswegen werden wir uns bei diesem An- cherheits- und Umweltpolitik zumindest verbal er-
trag der Stimme enthalten. kannt hat, und wir werden die Bemühungen für eine
(Beifall bei der PDS/Linke Liste) völkerrechtlich verbindliche Ächtung von Umwelt-
kriegsverbrechen unterstützen. Die Bundesrepublik
könnte ihre neue Rolle in der Welt nutzen, um bei den
Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Vereinten Nationen eine Untersuchung des Golf-
Herren, das Wort hat jetzt Herr Dr. Klaus-Dieter kriegs entsprechend dem Umweltkriegsübereinkom-
Feige. men anzustrengen und weltweit eine Ächtung jegli-
cher Kriegsführung durchzusetzen. Sorgen Sie doch
Dr. Klaus-Dieter Feige (Bündnis 90/GRÜNE) : Herr wenigstens dafür, daß alle NATO-Partner diesem
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Übereinkommen bzw. dem Zusatzprotokoll I zur Gen-
Frau Kollegin Jelpke, manchmal muß man Projekte fer Konvention der Vereinten Nationen von 1977 bei-
tatsächlich erst einmal durchdenken. Die Auswertun- treten! Als Unterzeichner fehlen hier z. B. noch Frank-
gen der Anhörung im Ausschuß waren sicherlich not- reich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten.
wendig, um die Maßnahmen nicht zu früh, nämlich Wollen wir also eine solche Entwicklung verhin-
undurchdacht, in Ang ri ff zu nehmen. Das kann ge- dern, daß es in Zukunft Konflikte gibt, die um die
nauso sinnlos sein. Natur, um den Zugang zu Wasser, um Ressourcen, um
Trotz allem muß ich sagen: Ganz im Gegensatz zu landwirtschaftliche Nutzflächen oder um Regionen
ihren großzügigen Unterstützungen der militärischen entbrennen, die noch nicht unter dem Ozonloch
Aktion mit immerhin knapp 20 Milliarden DM ist es, schmoren? Wollen wir auch für künftige Generationen
glaube ich, der Bundesregierung bis heute nicht ge- Lebensqualität in einer lebenswerten Umwelt und
lungen, hinreichende Maßnahmen zur Eindämmung den Frieden erreichen? Dann bleibt nur noch kurze
der ökologischen Katastrophe am Golf, insbesondere Zeit für eine Umstellung unserer Wirtschaft und der
in Kuwait, zu leisten. Insofern, glaube ich, sind die globalen Beziehungen auf eine ökologisch behut-
Forderungen der SPD geeignet, den notwendigen same, ressourcenschonende und solidarische Grund-
Druck auf die Regierung zu verstärken. lage.
Nichtsdestotrotz bleibt auch der Antrag der Sozial- Wir unterstützen den Antrag der SPD.
demokraten weit hinter den tatsächlichen Erforder- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke
nissen zurück. Es ist nicht damit getan, die Brandbe- Liste)
kämpfungsmaßnahmen und die Beobachtung der Fol-
gewirkungen zu verstärken, so notwendig dies im
Augenblick auch ist. Die ökologischen Auswirkun- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und
gen des Golfkrieges erfordern zudem ein ganzes Bün- Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Paul Krü-
del nationaler und internationaler Konsequenzen. Ich ger.
glaube, das haben sowohl die Anhörung im Umwelt-
ausschuß als auch die durch die sozialdemokratische
Fraktion organisierten Veranstaltungen gezeigt. Es Dr.-Ing. Paul Krüger (CDU/CSU): Herr Präsident!
kann nicht nur darum gehen, mit Nachsorgemaßnah- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bren-
men und einer internationalen Neubewertung der nenden Ölquellen in Kuwait sind eine Realität, die
Umweltauswirkungen von Kriegen den Eindruck zu wohl niemanden in diesem Raum kalt läßt. Von den
erwecken, als wäre durch technischen Umweltschutz ca. 600 in Brand gesetzten Quellen konnten bislang
und völkerrechtliche Vereinbarungen die ökologische erst 150 gelöscht werden. Eine Beschleunigung der
Bedrohung der Menschheit zu bewältigen. Es muß um Brandbekämpfung ist, wie das hier richtig gesagt
die Beseitigung der Kriegsursachen selbst gehen. wurde, aus vielen Gründen dringend notwendig.
Ein Grund für den Ausbruch des Golfkrieges war So scheint Ihr Antrag, meine Damen und Herren
die Abhängigkeit der westlichen Industriegesell- von der SPD, auf den ersten Blick plausibel und lo-
schaften von fossilen Energieträgern. Diese Abhän- gisch.
gigkeit bedroht zum einen die Grundlagen der Welt- (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE)
2346 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991
Monika Ganseforth
maßes. Es ist ungeheuer wichtig, das wissenschaftlich Wir haben die Sache in den vergangenen Monaten
zu begleiten, zu ermitteln und zu registrieren. In diese angegangen, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, mit
Richtung geht unser Antrag. Man hätte vieles schon den bestmöglichen Mitteln. Im Januar, als sich ab-
vor sechs Wochen machen können. In dieser Zeit ist zeichnete, was dort passiert, in welch verbrecheri-
auf all diesen Gebieten nichts Überzeugendes ge- scher Weise Umwelt als Waffe eingesetzt wird, haben
schehen. Es hätten längst Gespräche auf Minister- wir sofort unsere ersten Expertentreffen zusammen-
ebene stattfinden müssen. gerufen. Wir haben festgestellt, was passieren kann.
(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: For- Wir haben festgestellt, wo das Öl hinkommen kann,
dern Sie doch, daß sich der Kanzler selbst daß die Trinkwasserversorgung gefährdet werden
dieser Sache annimmt! Oder der Bundesprä- kann, daß das Öl in Brand gesetzt werden kann. Wir
sident!) haben vorbereitet, was unmittelbar nach dem Krieg
aufgegriffen werden kann. Wir haben das Trinkwas-
Es hätten Regierungsvertreter zu Verhandlungen ser, die Meerwasserentsalzungsanlagen, durch mas-
nach Kuwait fahren müssen. Der Unterschied liegt sive Sperren geschützt.
darin, daß man ein solches Land nach dem Krieg se-
hen muß. Es genügt nicht, mit dem Botschafter zu Wir haben die „Mellum" hingeschickt. Darüber ist
sprechen oder zu schreiben. Man muß direkt hinge- diskutiert worden. Es war aus damaliger Sicht nicht zu
hen und reden. Denn die Ministerien sind nicht mehr erkennen, wie es sich entwickelt. Bei anderen Wind-
in einem arbeitsfähigen Zustand. Wenn man die Aus- verhältnissen hätte der Ölteppich in eine andere Rich-
wirkungen der Brände gesehen hat, wenn man die tung getrieben werden können. Wenn wir dann nicht
Klimaveränderungen mitbekommen hat und wenn dort gewesen wären, hätte man uns das zu Recht vor-
man die Rußdämpfe, die nicht nur die Ölfelder, son- geworfen.
dern auch die Stadt Kuwait überziehen, erlebt hat, In dem ganzen Prozeß hat sich vieles entwickelt,
vergißt man das nicht. Es ist wirk lich eine nicht ge- was man nicht so wissen konnte. Was Amerikaner aus
kannte Katastrophe, die da abläuft. Hier muß ganz Satellitenbildern abgelesen hatten, war ein ganz an-
schnell eingegriffen werden. derer Ölteppich, als er sich herausgestellt hat. Ein Teil
Lassen Sie mich abschließend Bilanz ziehen. Ku- des Öls ist verdampft, über die Hälfte;
wait ist befreit. Aber das befreite Kuwait ist zerstört
(Monika Ganseforth [SPD]: Das wußte man
und brennt.
aber!)
Zweitens. Die Region ist durch eine Umweltkata-
strophe gigantischen Ausmaßes betroffen. anderes ist als Klumpen abgesunken, anderes an die
saudische Küste get rieben.
Drittens. Nach dem Krieg gibt es furchtbare Men-
schenrechtsverletzungen und Schauprozesse in Ku- Wir können in einem solchen Fall nur eines tun: alle
wait, z. B. an den Palästinensern. Möglichkeiten — und so ist das hier auch an anderer
Viertens. Die Kurden im Irak wurden auf brutale Stelle gesagt worden —, die uns verfügbar sind, er-
Weise massenhaft umgebracht und sind zu Hundert- greifen und so gezielt einsetzen, daß wir helfen kön-
tausenden über die Grenze in die Türkei geflüchtet. nen.
Fünftens. Es verdichten sich die Meldungen, daß In diesem Zusammenhang steht die Entsendung
mit einem Völkermord an den Schiiten im Irak gerech- des Meßflugzeugs. Daß in 17 Flügen in Abständen
net werden muß. von 80 bis 2 000 km die Daten gesammelt worden
sind, hat uns die sichersten Informationen vermittelt
Sechstens. Kein einziges Problem der Region ist
über Ozon und über Schwefel, über die Belastungen
gelöst: nicht die Anerkennung Israels, nicht das Pro-
der Luft, über Ruß. Es gibt Fragen, über die wir noch
blem der besetzten palästinensischen Gebiete.
nichts wissen. Daran arbeiten wir genauso. Ich nenne
(Birgit Homburger [FDP]: Ich denke, es geht die Frage, was an Ruß absorbiert ist und wie gefähr-
um Kuwait!) lich dies ist, wenn es in die Lungen kommt.
Es besteht kein Grund zu Jubelfeiern anläßlich des Dies ist eine schreckliche und in diesem Maß ein-
Sieges im Golfkrieg. Es muß endlich gehandelt wer- zigartige Katastrophe. Wir können hier nur alle Instru-
den. Die eigentliche Konsequenz heißt: Nie wieder mente einsetzen, an die man sinnvollerweise denken
Krieg! kann.
Ich danke Ihnen.
Nun haben wir hier eine Diskussion darüber ge-
(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ habt, ob dies in hinreichender Weise koordiniert ge-
GRÜNE) wesen ist. Nachdem der Kollege Töpfer nach Kuwait
geflogen war, haben wir uns abgestimmt. Die Feder-
führung liegt beim Forschungsminister. Dies ist seit
Vizepräsident Helmuth Becker: Nun hat das Wort dem 25. März eindeutig. Danach haben, nach Einlei-
Herr Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber. tung durch uns, enge Ressortabstimmungen stattge-
funden.
Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister für For- Es ist darüber gesprochen worden, daß wir gegen-
schung und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr über Kuwait schneller hätten vorangehen müssen. Die
verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Frau Situation ist offenkundig die: Kuwait ist ein auto-
Ganseforth sagte: In dem Tempo, wie es jetzt läuft, nomer Staat. Eine Expertenmission, die hernach
wird es Jahre dauern. Und Frau Ganseforth sagte: Es eine massive und grundsätzliche Arbeit leisten soll,
eilt. kann nicht mit einem Touristenvisum eingeflogen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2349
Anlage 1 schlag für einen Beschluß des Rates über die Einrich-
tung eines Netzes von Informationszentren für Maß-
Liste der entschuldigten Abgeordneten nahmen zur Entwicklung des ländlichen Raumes und
der Agrarmärkte (MIRIAM) abgelehnt hat.
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich Der vorgenannte Kommissionsvorschlag ist bis-
her nur einmal vom Agrarrat in seiner Sitzung am
Becker-Inglau, Ing rid SPD 12. 06. 91 4./5. März 1991 behandelt worden. Dabei hat sich
Brandt, Willy SPD 12. 06. 91 nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit ergeben,
Duve, Freimut SPD 12. 06. 91 weil vier andere Mitgliedstaaten, nicht jedoch die
CDU/CSU Bundesrepublik Deutschland, einen grundsätzlichen
Ehrbar, Udo 12. 06. 91
Vorbehalt gegen die Maßnahme erhoben haben.
Fischer SPD 12.06.91
(Gräfenhainichen), Die Bundesregierung hat vielmehr in der genann-
Evelin ten Agrarratsitzung den Vorschlag der Kommission
Gansel, Norbert SPD 12. 06. 91 grundsätzlich begrüßt, schrittweise die Einrichtung
Glos, Michael CDU/CSU 12. 06. 91 von 100 Informationszentren in der EG aus Mitteln der
Gemeinschaft zu fördern. Dadurch können die Infor-
Haschke CDU/CSU 12.06.91 mationsmöglichkeiten über aktuelle Maßnahmen der
(Großhennersdorf), Gemeinsamen Agrarpolitik verbessert und posi tive
Gottfried wirtschaft li che und soziale Entwicklungsanstöße in
Jaunich, Horst SPD 12. 06. 91 den ländlichen Räumen gegeben werden. Allerdings
Kolbe, Regina SPD 12. 06. 91 hat die Bundesregierung - gemeinsam mit fünf wei-
Kolbow, Walter SPD 12. 06. 91 teren Mitgliedstaaten - den Standpunkt vertreten,
Dr. Krause (Bonese), CDU/CSU 12. 06. 91 daß die Finanzierung der Informationszentren aus der
Rudolf Karl Abteilung Ausrichtung des EAGFL und nicht, wie von
der Kommission vorgeschlagen, aus der Abteilung
Dr. Lamme rt , Norbert CDU/CSU 12. 06. 91
Garan ti e finanziert werden sollte.
Dr. Laufs, Paul CDU/CSU 12. 06. 91
Marten, Günter CDU/CSU 12. 06. 91 * Es ist derzeit nicht abzusehen, ob und wann der
Matthäus-Maier, Ing rid SPD 12. 06. 91 Kommissionsvorschlag erneut dem Agrarrat vorgelegt
wird.
Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 12. 06. 91
Michalk, Maria CDU/CSU 12. 06. 91
Steiner, Heinz-Alfred SPD 12. 06. 91 *
Otto (Erfurt), Norbe rt CDU/CSU 12. 06. 91
Pfuhl, Albert SPD 12. 06. 91
Rode (Wietzen), Helmut CDU/CSU 12. 06. 91 Anlage 3
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 12. 06. 91
Hans Peter Antwort
der Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk auf
Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 12. 06. 91 die Frage der Abgeordneten Gerlinde Hämmerle
Voigt (Frankfurt), SPD 12. 06. 91 ** (SPD) (Drucksache 12/693 Fragen 3 und 4):
Karsten D.
Wie wird bei der Förderung von Schwangerschaftsberatungs-
Wonneberger, Michael CDU/CSU 12. 06. 91 stellen in den fünf neuen Bundesländern sichergestellt, daß die
Räumlichkeiten funktionsgerecht ausgestattet werden können,
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union d. h. mit den erforderlichen Einrichtungsgegenständen in nöti-
** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- genfalls zu renovierenden Räumen und mit dem für Anmeldung,
lung Empfang, Schreib- und Verwaltungsarbeiten benötigten Perso-
nal?
Anlage 4
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage
des Abgeordneten Jörg van Essen (FDP) (Drucksache Anlage 5
12/693 Fragen 13 und 14): Antwort
Wie hat sich die Zahl der Telefonüberwachungen nach § 100 a des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die
StPO im Jahre 1990 im Vergleich zu den Vorjahren entwik- Fragen des Abgeordneten Michael von Schmude
kelt? (CDU/CSU) (Drucksache 12/693 Fragen 18 und 19):
Wie beurteilt die Bundesregierung den erneuten Anstieg die-
ser Maßnahmen, und sieht sie Anlaß zu gesetzgeberischen Akti- Treffen Meldungen zu, wonach von den Sowjets in den neuen
vitäten? Bundesländern geräumte Kasernenanlagen demontiert und
ausgeschlachtet übergeben und nicht mehr benötigte Materia-
lien in der freien Natur entsorgt wurden?
Zu Frage 13:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Zusammen-
Die Gesamtzahl der richterlichen sowie der staats- arbeit mit den sowjetischen Stellen zu verbessern, um eine ge-
anwaltschaftlichen Anordnungen zur Telefonüberwa- ordnete Rückführung von Gebäuden und Übungsgeländen zu
chung nach den §§ 100a, 100b StPO hat sich in den erreichen?
Jahren 1986 bis 1990 wie folgt entwickelt:
Jahr Anzahl der Anordnungen Zu Frage 18:
1986 1 532 Die sowjetischen Truppen haben nach dem Aufent-
1987 1 805 halts- und Abzugsvertrag auch die sogenannten be-
1988 2 191 weglichen Sachen abzutransportieren. Zurück blei-
ben leere Gebäude, aus denen die für die bisherigen
1989 2 247
Nutzungen benötigten unterschiedlichsten techni-
1990 2 494 schen Einrichtungen entfernt wurden. Die Demon-
Die Zahlen sind bis 1989 bezogen auf das Bundes- tage fest mit dem Grund und Boden verbundener Bau-
gebiet ohne (West) Berlin; für das Jahr 1990 beziehen werke mit anschließendem Abtransport durch die
sich die Zahlen auf die alten Bundesländer sowie — ab sowjetischen Truppen ist der Bundesregierung bisher
dem 3. Oktober 1990 — auf Berlin (West). nicht bekannt geworden.
Fälle nicht ordnungsgemäßer Abfallbeseitigung
Zu Frage 14: durch die sowjetischen Truppen sind der Bundesre-
Das Ansteigen der im Rahmen der Strafverfolgung gierung bekannt. Sie ist gegenwärtig bemüht, im Ein-
angeordneten Telefonüberwachungsmaßnahmen ist vernehmen mit den neuen Ländern Regelungen zu
seit geraumer Zeit zu verzeichnen. Die mitgeteilten treffen, die die Truppe bei der Bewältigung der gro-
Zahlen spiegeln aber nur die Anzahl der Anordnun- ßen Abfallmengen, wie sie nun einmal beim Abzug
gen wieder, lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die einer großen Armee anfallen, unterstützen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Juni 1991 2355*
Zu Frage 19: Trifft es zu, daß die Bundesregierung beabsichtigt, auf die
Feststellung von Einheitswerten zu verzichten, und was gedenkt
Die Bundesregierung hat mit dem Oberkommando sie zu tun, um nega ti ve Auswirkungen auf die Landwirtschaft,
der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland einver- vor allem bei der Erbfolge und der Hofübergabe, zu vermei-
nehmlich Verfahrensregelungen für die Übergabe/ den?
Übernahme der Liegenschaften getroffen. Sie haben
sich bisher in über 150 Übergabefällen bewährt. Die
teilweise sehr kurzfristig gewünschte Übergabe von Die Kommission zur Verbesserung der steuerlichen
Liegenschaften stellt die Bundesvermögensverwal- Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze hat
tung nicht selten vor sehr schwierige Aufgaben. Die eine umfassende Reform der einheitswertabhängigen
Einhaltung der vereinbarten Fristen (Ankündigung Steuern bei gleichzeitigem Verzicht auf die Einheits-
2 Monate vor dem Übergabezeitpunkt) und andere bewertung für den Grundbesitz vorgeschlagen.
Fragen werden in einer deutsch-sowjetischen Ar-
beitsgruppe für Liegenschaften erörtert. Das Ober- Eine Wertung dieser Vorschläge ist erst nach einge-
kommando hat stets konstruktiv an Lösungen mitge- hender Prüfung des ausführlich begründeten Gutach-
arbeitet. tens der Kommission möglich, das am 11. Juni 1991
überreicht worden ist.