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D eutscher Bundestag

31. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Inhalt:

Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 1365 A Fragen des Abg. Gnädinger:

Amtliche Mitteilungen 1365 B Brücke über den Überlinger See

Entwurf eines Gesetzes über die Feststel- Börner, Parlamentarischer


Staatssekretär 1408 B, C, D
lung des Bundeshaushaltsplans für das
Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz Gnädinger (SPD) . . . . . . . 1408 C
1970) (Drucksache VI/300) — Erste Bera-
tung — in Verbindung mit
Fragen des Abg. Dr. Enders:
Beratung des Finanzplans des Bundes 1969
Stürze aus Eisenbahnzügen infolge Ver-
bis 1973 (Drucksache VI/301)
wechslung der Türen
Leicht (CDU/CSU) 1365 C
Börner, Parlamentarischer
Kirst (FDP) 1372 D Staatssekretär . . . . 1408 D, 1409 A
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) . . 1378 D Dr. Enders (SPD) . . . . . . . . 1409 A
Strauß (CDU/CSU) 1385 C
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Fragen des Abg. Härzschel:
Bundesminister 1394 D
Unfälle an beschrankten Bahnüber-
Schmidt, Bundesminister . . . . 1403 B gängen
Leicht (CDU/CSU) (zur GO) . . . 1407 A Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär . . 1409 B, C, D, 1410 A
Härzschel (CDU/CSU) . . 1409 D, 1410 A
Fragestunde (Drucksache VI/381)

Frage des Abg. Müller (Nordenham) :


Fragen des Abg. Damm:
Rechtsunsicherheit infolge Verfassungs-
Auswirkungen des Organisationserlas-
widrigkeit des § 13 Abs. 1 des Eisen-
ses des Bundeskanzlers bei der Militär-
bahnkreuzungsgesetzes
gerichtsbarkeit
Börner, Parlamentarischer
Dr. Ehmke, Bundesminister . 1407 B, C, D,
Staatssekretär . . . . . . . 1410 B; C
1408 A
Müller (Nordenham) (SPD) . . . . 1410 B
Damm (CDU/CSU) 1407 C, D,
1408 A Lemmrich (CDU/CSU) . . . . . 1410 C
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Fragen des Abg. Dr. Apel: Fragen des Abg. Strohmayr:

Kündigung des Transcontainertarifs Auslegung von Vormerklisten bei Son-


von und zu den niederländischen Häfen derprägungen — Terminschwierigkei-
durch die Bundesbahn ten bei der Prägung der Olympiamün-
zen
Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär . 1410 C, D, 1411 A, B, C Dr. Reischl, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . 1415 C, D, 1416 A
Dr. Apel (SPD) . . . . 1410D, 1411 C
Strohmayr (SPD) . . .. . . . . 1415 D
,

Grobecker (SPD) 1411 A


Lemmrich (CDU/CSU) 1411 A
Fragen des Abg. Dr. Becher (Pullach) :

Verluste an deutschem Nationalver-


Fragen der Abg. Biehle und Wende: mögen in den Oder-Neiße-Gebieten,
dem Zwischenkriegs-Polen, dem Sude-
Störungen beim Empfang des Fern- tenland und Südosteuropa
sehens durch Hochbauten
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . 1416 A, B, D, 1417 A, B
Staatssekretär . 1411 D, 1412 A, B, C, D,
Dr. Becher . (Pullach) (CDU/CSU), 1416 C, D,
1413 A
1417 A
Biehle (CDU/CSU) 1412 A, B
Dr. Schmitt-Vockenhausen,
Wende (SPD) . . . . 1412 C, D, 1413 A Vizepräsident . . . . . . . 1416 C
Dr. Czaja (CDU/CSU) 1417 A

Frage des Abg. Dr. Hauff:


Frage des Abg. Niegel:
Winterbereifung der Dienstfahrzeuge
der Bundespost Gewerbesteuermindereinnahmen der
Gemeinden, als Folge des Struktur-
Börner, Parlamentarischer wandels in den Steinkohlebergbauge-
Staatssekretär 1413 B, C
bieten
Dr. Hauff (SPD) 1413 B
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Josten (CDU/CSU) 1413 C Staatssekretär 1417 B, C
Niegel (CDU/CSU) 1417 C

Frage des Abg. Dr. Ritz:


Frage des Abg. Geisenhofer:
Steuerliche Berücksichtigung der Auf-
wendungen für Lernmittel im Rahmen Förderung der Produktion von Elektro-
der-außergewöhnlichen Belastungen straßenfahrzeugen
Dr. Reischl, Parlamentarischer Dr. Reischl, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . 1413 D, 1414 A, B Staatssekretär 1417 D

Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . . . . . 1414 A.

Frage des Abg. Müller (Nordenham) :

Frage des Abg. Leicht: Angebliche Verlagerung des Vermö-


gens deutscher Unternehmer in das
Versteuerung von Gewinnen aus Ausland
Grundstücksveräußerungen im öffent- Dr. Reischl, Parlamentarischer
lichen Interesse Staatssekretär 1418 A
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . 1414B, D, 1415 A
Frage des Abg. Dr. Fuchs:
Leicht (CDU/CSU) . 1414 D, 1415 A
Einschränkung der Sonderabschreibun-
gen im Rahmen des Grenzlandförde-
Frage des Abg. Dr. Zimmermann: rungsprogramms
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Erhöhung der für die Abgabe einer Ein-
Staatssekretär 1418 B, C
kommensteuererklärung maßgebenden
kommensgrenze der Lohnsteuerzahler . 1415 A Dr. Fuchs (CDU/CSU) 1418 B, C
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 III

Frage des Abg. Krammig: Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 1432 C


Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) . . . 1434 B
Wegfall der Schonfrist für Steuer-
pflichtige Röhner (CDU/CSU) . . . . . . . 1436 C
Dr. Reischl, Parlamentarischer Dr. Schmitt-Vockenhausen,
Staatssekretär . . . 1418 D, 1419A, B Vizepräsident (zur GO) . . . . 1439 A
Krammig (CDU/CSU) 1419 A, B Dr. von Bülow (SPD) 1439 A
Ertl, Bundesminister 1442 D
Frage des Abg. Hansen: Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . 1445 B

Verwendung der Bezeichnungen „so- Seidel (SPD) 1446 D


wjetische Besatzungszone Deutsch- Baier (CDU/CSU) . . . . . . 1448 B
lands" und „Sowjetsektor von Berlin" Frau Strobel, Bundesminister . . 1450 D
in Vordrucken für den Lohnsteuer-
jahresausgleich 1419 B Schmidt (Kempten) (FDP) 1452 C
Dr. Schellenberg (SPD) . . . . 1453 D
Frage des Abg. Josten: Krampe (CDU/CSU) 1455 C
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller,
Geschlossene Unterbringung des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zu- Bundesminister . . . . . . 1459 A
sammenarbeit Berkhan, Parlamentarischer
Staatssekretär 1466 A
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Staatssekretär 1419 C, D Wehner (SPD) . . . . . . . 1466 C
Josten (CDU/CSU) 1419 D
Nächste Sitzung 1466 D
Fragen des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) :

Zulassung von Minderjährigen ab


18 Jahren zum Scheckverkehr Anlagen
Jahn, Bundesminister . . . . 1420 A, C, D,
1421 A, B Anlage 1
Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) 1420 B, C, Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1467 A
1421 A, B
Rasner (CDU/CSU) 1420 D Anlage 2

Schriftliche Antwort auf die Mündliche


Fragen des Abg. Pensky: Frage des Abg. Geldner betr. Werbung
der Bundesbahn 1467 B
Novellierung des Abzahlungsgesetzes
Jahn, Bundesminister 1421 C, D
Anlage 3
Pensky (SPD) . . . . . . . . 1421 D
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Fragen des Abg. Jung betr. Blendfreiheit
Entwurf eines Gesetzes über die Feststel-
von Halogen-Nebelrücklichtern an Kraft-
lung des Bundeshaushaltsplans für das
fahrzeugen und Anbringung der Stoß-
Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz
1970) (Drucksache VI/300) — Erste Bera- stangen in einer normierten Höhe . . . 1467 C
tung — in Verbindung mit
Anlage 4
Beratung des Finanzplans des Bundes 1969
bis 1973 (Drucksache VI/301) Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Fragen des Abg. Müller (Mülheim) betr.
Fortsetzung der Aussprache Bearbeitung von medizinisch-psychologi-
Strauß (CDU/CSU) , . . . 1422 A 1456 D schen Gutachten durch die Technischen
Überwachungsvi. 1467D
Dr. Eppler, Bundesminister . . . 1425 B
Peters (Poppenbüll) (FDP) 1425 C 1440 C
Anlage 5
Raffert (SPD) 1427 B
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Moersch (FDP) . .. . . . . . 1429 D
Frage des Abg. Graaff betr. Beschädigung
Dr. Martin (CDU/CSU) 1431 A der Fahrbahnen durch Spikes-Reifen . . 1468 A
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31. Sitzung

Bonn, den 19. Februar 1970

Stenographischer Bericht Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.

Beginn: 9.00 Uhr Leicht (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine sehr


verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn
Vizepräsident Frau Funcke: Die Sitzung ist Bundesfinanzministers, die wir gestern gehört
haben, fällt gegenüber allen anderen Haushalts-
eröffnet.
reden, die in der Vergangenheit in diesem Hohen
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die Hause gehalten worden sind, in zweifacher Hinsicht
keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 aus dem Rahmen. Einmal enthält die Argumentation
Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Aus- des Herrn Bundesfinanzministers streckenweise eine
schüssen überwiesen werden sollen: vordergründige und billige Polemik.
Vorlage des Leiters der deutschen Gruppe der Interparla-
mentarischen Union (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der
Betr. 57. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union SPD: Das mußte ja kommen!)
in Neu-Delhi in der Zeit vom 30. Oktober bis 7. No-
vember 1969
— Drucksache VI/235 — Zum anderen ist der Wahrheitsgehalt des uns mit
zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend), außerdem mit-
beratend bei: Entschließungen III, V, Ausschuß für wirtschaft-
großem dialektischem Aufwand vorgelegten Zahlen-
liche Zusammenarbeit; Entschließung IV, Verteidigungsausschuß; werks mehr als dubios,
Entschließung VI, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)
Betr. Reparationsschädengesetz
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 22. Januar 1969 noch schlimmer, es ist teilweise, wie ich an nur we-
— Drucksache VI/248 — nigen Beispielen nachweisen will, falsch, in sich wi-
zuständig: Finanzausschuß
dersprüchlich und manipuliert.
Vorlage des Bundesministers der Verteidigung
Betr. Weihnachtsgeld für Wehrpflichtige Bisher ist — Sie mögen das nachlesen — die Vor-
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 27. Juni 1969
— Drucksache VI/260 — lage des Haushalts immer in einem streng sachbe-
zuständig: Verteidigungsausschuß (federführend), Innenausschuß, zogenen, jede vordergründige Polemik vermeiden-
Haushaltsausschuß
den Vortrag des Finanzministers geschehen.
Es erhobt sich kein Widerspruch gegen diese (Abg. Wehner: Wie ist das mit der hinter-
Überweisung; sie ist beschlossen. gründigen?)
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Ver- — Ach, Herr Wehner, zu Ihnen komme ich auch noch
lesung in den Stenographischen Bericht aufgenom- gleich.
men:
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Selbstverständlich ist es das gute Recht der am-
Auswärtigen hat am 16. Februar 1970 die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Dr. Jaeger, Blumenfeld, Pöhler, Jung und Ge- tierenden Bundesregierung, die Akzente des von ihr
nossen betr. Institutionalisierung der Nordatlantischen Ver- zu verantwortenden Haushalts entsprechend ihren
sammlung — Drucksache VI/335 — beantwortet. Sein Schreiben
wird als Drucksache VI/400 verteilt. politischen Intentionen zu setzen. Es steht dem
Bundesfinanzminister aber schlecht an, die Einbrin-
Die Fragestunde findet heute nachmittag um 14 Uhr gung des Haushalts zu einem Manifest sozialdemo-
statt. kratischer Parteipolemik zu degradieren, wie das
Wir treten in die Aussprache über den Tagungs- nach unserer Auffassung gestern hier geschehen ist.
ordnungspunkt 2 ein: (Beifall bei der CDU/CSU.)
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gestern
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ihre Rede zutreffend mit dem Hinweis begonnen,
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für daß es der erste Etat sei, den ein sozialdemokrati-
das Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz scher Bundesfinanzminister als Mitglied einer Bun-
1970) desregierung vorlege. Dieses Hinweises hat es
— Drucksache VI/300 — eigentlich gar nicht bedurft. Denn wie unterscheidet
b) Beratung des von der Bundesregierung vor- sich Ihre Rede von der sachlichen und klaren Form,
gelegten Finanzplans des Bundes 1969 bis in der frühere Finanzminister ihren Haushalt vor-
1973 gelegt haben!
— Drucksache VI/301 — (Beifall bei der CDU/CSU.)
1366 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Leicht
Ich habe nichts gegen eine harte, sachliche Kritik, am 26. Juni zur Kenntnis dieses Parlaments ge-
Herr Bundesfinanzminister. Aber was Sie gestern bracht.
boten, war eine Aneinanderreihung von Ungenauig- Ich frage Sie, wo blieben denn in diesen Tagen,
keiten und Halbwahrheiten, die nur das eine Ziel da Sie an der Regierung sind, Ihre Informationen für
verfolgten, von der vagen, ja, ich möchte sagen: uns?
unsoliden Basis Ihrer Haushaltsplanung abzulenken. (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rawe:
(Beifall bei der CDU/CSU.) Er hat es den anderen Ministerien verbo-
ten, damit wir 'die Einzelpläne nicht krie-
Was soll es denn heißen, wenn Sie, Herr Möller, gen; sonst hätten wir uns ja mal Gedanken
Herrn Strauß den Vorwurf machen, er habe die machen können!)
mittelfristige Finanzplanung nicht intern fortge-
schrieben? Haben Sie denn in Ihrem Hause nicht die Ich erinnere an die Daten vom 27. März und
Unterlage über den Stand am 15. Oktober, von dem 24. Juni, an denen die Übersichten über mögliche
Tag, an dem Herr Strauß noch verantwortlich war? Belastungen des Bundeshaushalts zur Kenntnis ge-
Ich kann sie Ihnen geben, wenn Sie sie nicht haben. bracht worden sind, damit sich die Damen und Her-
In dieser Unterlage heißt es: „Übersicht über strei- ren des Parlaments darauf einrichten konnten, wie
tig erklärte Beträge zur Finanzplanung 1969-1973". schwierig all dies werden konnte.
Diese Übersicht ist an , die Fortschreibung der Ich komme, meine Damen und Herren, zu einer
Finanzplanung angeheftet, die damals ein Volumen zweiten schiefen Darstellung, die Sie, Herr Bundes-
von 89,98 Milliarden DM ergab, wobei von diesen finanzminister, gestern erneut aufgegriffen haben.
89,98 Milliarden 4,24 Milliarden DM streitig waren. Sie haben erneut die Frage der Beantwortung der
Kleinen Anfrage einiger Kollegen der Sozialdemo-
Unter diesen streitigen Punkten war z. B. die
kratischen Partei in diesem Hause aufgegriffen. Sie
Kriegsopferversorgung. In diesem Konzept steht,
legten dar, daß nicht alles gesagt werden konnte.
daß nur der Unterschiedsbetrag zwischen dem, was
Ich greife nur eins heraus, um das, was unwahr ist,
bis dahin vorgesehen war, nämlich 12 % plus 8 %,
hier deutlich zu machen: Am 15. Januar wurde die
und den Forderungen des damaligen Arbeitsmini-
Anfrage beantwortet. Bereits am 6. Januar hatten
sters in Höhe von 22% — das entspricht einer Grö-
Sie die Erhöhung der Beamtenbesoldung beschlossen
ßenordnung von rund 455 Millionen DM — streitig
und dem Bundesrat zugeleitet — von ihr war in der
sei. Das mußte durch eine politische Entscheidung Antwort auf die Kleine Anfrage nicht die Rede —,
gelöst werden. Sie sagten selber zu Recht: Das während Sie unsere Forderungen mit 1,2 oder noch
konnte die alte Bundesregierung nicht mehr tun, mehr Milliarden in die Aufstellung hineingenommen
um die andere Regierung nicht zu 'binden. haben.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: (Zuruf von der CDU/CSU: Alles Verfäl-
Sehr wahr!) schung!)
Ähnlich, meine Damen und Herren, ist es mit dem Man kann darüber streiten, ob Sie das Kindergeld
Kindergeld, ist es mit vielen anderen Positionen, hätten mit hineinnehmen müssen. Da haben 'Sie die
z. B. auch mit der Position „EWG-Agrarfinanzie- Ausrede, daß das erst am 23. Januar — dieser Tag
rung", bei der ebenfalls die Beträge unter „streitig" war es, glaube ich — endgültig im Kabinett be-
stehen, die der politischen Entscheidung bedurften. schlossen wurde. Aber Sie hatten es doch fest vor.
Dann hätten Sie zumindest das auch erwähnen kön-
Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie allgemein nen und nicht nur das, was wir an Erhöhungen im
die Kritik über die mittelfristige Finanzplanung des Familienlastenausgleich beantragt haben.
ehemaligen Bundesfinanzministers Strauß dadurch
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
vornahmen, daß Sie ihm vorwarfen, er habe die
eine Gruppe der Dinge erst ab 1971 vorgesehen, die Es wäre noch mehr dazu zu sagen. Es steht ein
andere aber erst ab 1972, erinnere ich Sie daran: Kollege bereit, der in dieser Frage die Dinge vertie-
Nehmen Sie doch einmal Ihre Erklärung vom fen wird, um endlich einmal den Beweis zu führen,
18. Oktober des vergangenen Jahres — wenn ich (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
mich recht erinnere —, in der Sie der Finanzpla-
nung des damaligen Finanzministers Strauß ein Lob- mit welchen Halbwahrheiten hier gearbeitet wird.
lied gesungen haben! Lesen Sie es bitte nach. (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch
bei der SPD — Abg. Haase [Kassel] : Das
(Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU.)
ist der Kassenhalter des Bundes!)
Ich erinnere Sie daran, Herr Bundesfinanzminister: Ich muß Sie an die Mitverantwortung erinnern, die
Schauen Sie in Ihrem Ministerium nach einer Vor- Sie in der Großen Koalition getragen haben. Was
lage, deren Inhalt der damalige Parlamentarische Sie gestern hier zum Teil in billiger Polemik getan
Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen haben, Herr Bundesfinanzminister, das läßt gar nicht
am 26. Juni vor dem Haushaltsausschuß vorgetra- darauf schließen, daß Sie bereit sind, das, was Ihre
gen hat. Der Text ist anschließend verteilt worden. Minister damals
In diesem Vortrag wurde eine Information über die
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
mittelfristige Finanzplanung gegeben, mit Zahlen,
soweit sie vorhanden waren, mit Risiken und even- einstimmig mit den unseren beschlossen haben, mit
tuell kommenden Zahlen. Es war also alles das, was zu tragen.
Sie gestern hier als nicht erfolgt darstellten, bereits (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
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Leicht
Ich frage Sie, ob das die Verantwortung ist, die Sie Die Opposition läßt sich nur mit einem Vorbehalt
sich vorstellen. Dann kann's allerdings übel wer- auf die erste Lesung in dieser Woche ein.
den!
(Lachen bei der SPD.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Was Sie geboten haben, hat, wenn ich es richtig — Moment! Es kommt, Sie müssen mal sehen! —
sehe, mit sachlicher Auseinandersetzung und Kritik Der Bundesfinanzminister hat bis zur offiziellen Ein-
nur wenig noch zu tun. Sie gaben nur spärlich sach- bringung des Haushalts eine völlige Informations-
lichen Einblick und versuchten um so mehr, ihren sperre verhängt.
Vorgänger zu diffamieren. Sie qualifizieren, meine (Zuruf von der SPD: Sehr gut! — Abg.
ich, damit sich selbst. Bei etwas Ehrlichkeit hätten Rasner: Das ist „mehr Demokratie" ! —
Sie, Herr Finanzminister, Herrn Strauß sogar ein Abg. Rösing: Haben Sie gehört: „Sehr gut!"
bißchen dankbar sein können. von der anderen Seite? — Abg. Rasner:
(Lachen bei der SPD.) Das heißt man transparent machen! —
— Ich werde gleich sagen, warum, wenn wir zum Abg. Dr. Müller-Hermann: Ehmke-Stil! —
Haushalt und zu dem, was wir als Fundament hin- Zuruf von der CDU/CSU: Typisch! — Wei
terlassen haben, kommen werden. tere Zurufe von der CDU/CSU.)

Was mußten Sie verteidigen, Herr Bundesfinanz- Hinzu kommt, daß die Einzelpläne in der letzten
minister, was müssen Sie verbergen, wenn Sie in Woche nur sehr sporadisch eintrafen und mit dem
dieser ungewöhnlichen Weise, wie Sie es getan Haushaltsgesetz verbunden erst seit Anfang dieser
haben, versuchen, die Flucht nach vorn anzutreten? Woche in unseren Händen sind,
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
Was hier wieder praktiziert wurde, setzt eigentlich so daß sich die Opposition nicht in der Lage sah,
den Stil fort, der von Ihnen seit dem Machtwechsel, (Abg. Rasner: Das war Absicht! — Abg.
meine Damen und Herren von der Linkskoalition, Haase [Kassel] : Das ist „mehr Demo
eingeführt worden ist: kratie" !)
(Zurufe von der SPD) sich in genügender Weise auf die Debatte, und zwar
unkontrollierte Ausbrüche in Wut und Zorn vor die- so eingehend, wie es bei einer solchen Materie not-
sem Hause, wendig ist, mit der Durchforstung all dieser Zahlen
(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch vorzubereiten.
bei der SPD. — Abg. Dr. Apel: Das machen (Zurufe von der CDU/CSU. — Unruhe von
Sie doch im Moment! Sie regen sich doch der SPD und der FDP.)
auf!)
die teilweise Die mittelfristige Finanzplanung kam in unsere
Hände im Laufe des Montags, der Finanzbericht kam
(Zuruf des Bundesministers Dr. Ehmke) in unsere Hände gestern, und der Subventionsbe-
— Herr Ehmke, Sie kommen jetzt — unwürdige richt liegt überhaupt noch nicht vor. -
Behandlung des Parlaments von einigen Herren auf
(Zustimmung bei ,der CDU/CSU. — Abg.
der Regierungsbank — ich erinnere an einige Frage-
Rösing: Das Kabinett hat Schwierigkeiten!
stunden —,
— Abg. Dr. Müller-Hermann: Das hätte mal
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: früher passieren sollen! — Gegenrufe und
Sehr gut!) Zurufe von der SPD.)
die Säuberung im Beamtenapparat, — Bei Ihnen liegt er vor, das wissen wir; da-
(Zuruf von der CDU/CSU: Säuberung! — zu werde ich auch gleich etwas sagen.
Pfui! — Widerspruch bei ,der SPD. — Zuruf
Für uns ist der Haushalt als das in Zahlen ge-
von der CDU/CSU: Ja, so ist es doch ge
gossene Programm einer Bundesregierung ein we-
wesen!)
sentliches Instrument der Kontrolle und einer sach-
Angriffe auf .die Pressefreiheit, lichen Kritik. Sie haben, Herr Bundesfinanzminister,
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafter gestern ein äußerlich blendendes Gebäude aufgebaut
Widerspruch bei der SPD. — Abg. Rasner: und stellten es als Prototyp der Solidität und Stabili-
Der rote Jochen!) tät vor. Sieht man aber hinter die Fassade, erkennt
man die Brüchigkeit dieses Gebäudes. Sofort er-
Manipulation bei der Beantwortung von Anfragen geben sich Zweifel an der Stichhaltigkeit Ihrer Aus-
bis zum gestrigen Auftritt — meine Damen und Her- sage, die manche Ihrer Thesen in den Bereich des
ren, eine Kette, wenn Sie wollen. Wunschdenkens verbannen oder sogar schlechthin
(Beifall bei der CDU/CSU.) als falsch erscheinen lassen.
Ich muß es mir leider versagen, auf alle Einzelhei- Ich möchte Ihren Haushalt unter drei Gesichts-
ten einzugehen. Aber es stehen genügend Kollegen punkten durchleuchten. Ich untersuche erstens das
bereit, um diese Dinge zu vertiefen, und Sie werden Fundament, auf dem Sie aufbauen konnten, zwei-
im Laufe der nächsten Tage davon noch hören, tens die Haushaltsgestaltung 1970, besonders unter
meine Damen und Herren. konjunkturpolitischem Aspekt, und drittens die
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Leicht
mehrjährige Finanzplanung im Hinblick auf die Finanzen wieder auf einen ,anständigen Nenner zu
Verwirklichung Ihres Regierungsprogramms. bringen. Deshalb finde ich ,es unverständlich, wenn
Sie, Herr Bundesfinanzminister, das nicht zur Kennt-
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Haus- nis nehmen wollen. Denn schwierig wird die Situa-
halt 1969 vom damaligen Finanzminister Franz Josef tion nur dann, wenn gleichzeitig der nötige Finan-
Strauß antizyklisch gefahren wurde und daß dieser zierungsspielraum eingeengt ist. Das ist aber in
gesunde und solide Bundesfinanzen übergeben hat, keiner Weise der Fall. Denn sowohl was die Steuer-
selbst wenn Sise das gestern zu bestreiten versuch- finanzierung, als auch was die Kreditfinanzierung
ten. angeht, .haben Sie, Herr Möller, von Herrn Strauß
(Beifall bei der CDU/CSU.) ein wirklich unvergleichliches und angenehmes Erbe
Sie haben dies, Herr Bundesfinanzminister, in meh- übernommen und nicht eine „Erblast", wie Sie es
reren Veröffentlichungen, in Artikeln und Inter- ausdrücken zu müssen glaubten.
views, selbst ausgesagt und auch bestätigt. Ich er- (Beifall bei der CDU/CSU.)
innere nur an das Interview, das Sie am 21. Dezem-
Sie haben selber gesagt: über 4 Milliarden DM
ber 1969 ,dem Deutschlandfunk gegeben haben, also Steuermehreinnahmen. Und dann die Kreditfinan-
gut vor einem Monat, und an den Artikel, den Sie
zierung. Die Tilgungen im Jahre 1969 sind höher als
am 23. November in der „Welt" geschrieben haben
die Schuldenaufnahme, so daß sich ein Finanzie-
und der mit dem ersten Satz begann: „Die Bundes-
rungsüberschuß von rund 1,8 Milliarden DM erge-
finanzen sind gesund." ben hat, der noch bedeutend höher gewesen wäre,
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister — ich habe
Das Bild läßt sich vervollständigen, wenn man den es schon gesagt —, nicht in den Monaten November
Stand der Bundesfinanzen im Oktober 1969, also für und Dezember die Ausgaben um 20% gegenüber
die ersten zehn Monate, die wir zu verantworten bis dahin 5,8 % gesteigert hätten.
hatten, hinzunimmt. Danach hat die vorige Bundes- (Hört! Hört! Sehr wahr! bei der CDU/CSU.),
regierung eine Sperre von rund 1,8 Milliarden DM
Dadurch entstand nämlich ein Finanzierungsdefizit in
verwirklicht. Die Ausgabesteigerung betrug Ende
diesen beiden Monaten. Wäre dieses Defizit nicht
Oktober nur 5,8% gegenüber einem nominalen
entstanden, wäre eben das eingetreten, was ich so-
Bruttosozialprodukt von 11,8, einem realen von 8,4,
eben sagte: entweder ein höherer Finanzierungs-
bei einer Produktivitätssteigerung von knapp 7 %.
überschuß oder die Möglichkeit der Bildung einer
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Konjunkturausgleichsrücklage.
Es war die Möglichkeit gegeben, mindestens 700 (Abg. Dr. Müller-Hermann: Das war
Millionen DM — ich bin sehr vorsichtig — noch „Konjunkturpolitik"!)
1969 für Aufgaben des Jahres 1970 auszugeben.
Alles in allem ein solides Fundament, auf dem Sie,
Trotzdem beträgt der Finanzierungsüberschuß Ende
Herr Finanzminister, Ihren Haushalt aufbauen konn-
1969 rund 1,8 Milliarden DM.
ten.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Ich glaube, ich mußte das nachtragen, und es hätte
Es wurden keine neuen Schulden aufgenommen, im Ihnen gut angestanden, wenigstens das objektiv zu
Gegenteil, die Schulden wurden in einer Größen- erwähnen. Ich sagte schon, hätten Sie Ihrem Vor-
ordnung von 1,7 Milliarden vorzeitig getilgt. gänger ein Dankeschön gesagt, wäre das besser ge-
wesen als diese billige Polemik.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
Wenn nicht in den Monaten November und Dezem-
der SPD.)
ber übermäßige Ausgaben dazugekommen wären,
Herr Bundesfinanzminister, wäre entweder der Wenn Sie heute glauben, daß die Finanzen nicht
Finanzierungsüberschuß um fast eine Milliarde mehr in Ordnung ,sind, muß ich Sie fragen, ab
höher gewesen, wann sie nicht mehr in Ordnung gewesen sind, ob
(Sehr wahr! in der Mitte) das nicht eine Folge der Leichtfertigkeit ist, die Sie
hier praktiziert haben, und das in hundert Tagen.
oder Sie hätten das in eine Konjunkturausgleichs-
rücklage tun können. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU.) Ich komme nun zur zweiten Frage, zum Haushalt
1970. Die bereits eingangs erwähnte, von Ihnen
Der Hinweis auf die Vorbelastungen des Jahres verfügte Informationssperre —das muß ich vorweg
1970 zieht nicht. Denn ein Kenner weiß — und Sie sagen, Herr Bundesfinanzminister — ist leider nicht
sind Kenner und wissen es —, daß jeder Bundes- einheitlich eingehalten worden. Wenn Sie schon das
haushalt durch erhebliche Ausgaben auf Grund frü- englische System, das ich an sich begrüße, ver-
herer Beschlüsse und Festlegungen, gleichgültig, von wirklichen wollen, dann aber bitte ohne Ausnahme!
wem, in entscheidendem Umfang vorbelastet ist. Kollegen in diesem Hause waren längst im Besitz
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.) der Pläne, während die Opposition in die Röhre
Das müßten vor allem die Kollegen Ihrer Fraktion guckte.
wissen, weil sie mit uns zusammen, als die Große (Hört! Hört! und weitere Zurufe von der
Koalition entstand, hohe zugesagte, gesetzlich fest- CDU/CSU. — Abg. Hermsdorf meldet 'sich
gelegte Ausgaben zurücknehmen mußten, um die zu einer Zwischenfrage.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1369

Leicht
— Sie können zum Schluß fragen, Herr Hermsdorf. ber angezogen und bemerkt, daß er auf einer an-
deren als der von Ihnen zitierten Seite etwas an-
(Zurufe von der SPD.)
deres sagt. Lesen Sie dies bitte sehr sorgfältig nach
Tröpfchenweise konnten wir aus der Presse wenig- und handeln Sie danach, Herr Bundesfinanzminister!
stens einiges erfahren. Ich meine, das sollte in Zu-
kunft nicht so gehandhabt werden. Die Opposition Die Ausgabensteigerung hält auch einem Ver-
war dadurch gezwungen, sich an Hand der Ausfüh- gleich mit der Steigerungsrate des ganzen Jahres
rungen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regie- 1969 nicht stand. Diese liegt bei 8 %. Der Vergleich
rungserklärung vom 28. Oktober und späterer ver- wird noch ungünstiger, wenn man berücksichtigt,
einzelter Veröffentlichungen und Interviews ein Bild daß die Steigerungsrate für das ganze Jahr 1969 ins-
davon zu machen, wie der Haushalt aussehen würde. besondere durch eine Ausgabenhäufung im Novem-
Dabei ergab sich eine verwirrende Menge von sich ber und Dezember 1969 von 20 % erreicht worden
ständig ändernden und widersprechenden Aussagen, ist. Ich erinnere an die Antwort auf die Kleine An-
die beileibe nicht auf eine solide Vorbereitung des frage des Kollegen Althammer. Es handelt sich bei
Haushalts, vielmehr auf eine erhebliche Hektik und einer Reihe der zum Jahresabschluß geleisteten Aus-
Unsicherheit schließen lassen. gaben wirtschaftlich nicht um echte Lasten des Jah-
So enthält die Regierungserklärung Hinweise auf res 1969 — z. B. bei der Aufstockung in der Kapital-
Steuersenkungen und Ausgabeversprechen in un- ausstattung der Einfuhr- und Vorratsstellen und dem
kontrollierbarer Höhe. Bundesminister Arendt ver- Betrag für den Devisenausgleich an die USA —,
spricht den Rentnern Weihnachtsgeld, zunächst 100, sondern um Ausgaben schon für das Jahr 1970.
dann 50 DM, bis er das Versprechen ganz zurück- Berücksichtigt man das, dann beträgt für das Jahr
nehmen muß und darauf ausweicht, die Rentnerbei- 1969 die Steigerungsrate 7 %. Eine angemessene
träge zur Krankenversicherung wieder abzuschaffen. Steigerungsrate, Herr Bundesfinanzminister, läge für
Entgegen den angekündigten Steuersenkungsmaß- 1970 beträchtlich unter 8,8 °%. Das heißt: entweder
nahmen sind wenig später Steuererhöhungen im Ge- müßten jetzt höhere Sperren kommen, oder es
spräch: Erhöhung des Steuersatzes bei der Einkom- müßte das Gesamtvolumen reduziert werden. Dafür,
men- und Körperschaftsteuer, geringere Abschrei- daß letzteres von Ihnen nicht gemacht worden ist,
bungen, Investitionsteuer. Dies ist noch nicht der habe ich noch ein gewisses Verständnis. Wir kennen
letzte Stand. Man verwirft wieder sämtliche Steuer- aus unserer Praxis die Schwierigkeiten in der Zu-
erhöhungspläne und ordnet, allerdings mit unserer rückweisung von Ausgabeforderungen. Aber die
Hilfe, einen Stopp aller ausgabewirksamen Gesetze Ausgabesperre, meine ich, hätte etwas höher aus-
bis zum Abschluß der parlamentarischen Beratung fallen müssen. Ich werde zum Schluß etwas dazu
an. Wenn dann doch bei Ausklammerung sämtlicher sagen. Die Ausgabensteigerung von 8,8 % ist auch
versprochener Maßnahmen eine Steigerungsrate von deshalb zu hoch, weil kein Finanzierungsüberschuß
12,1 % gegenüber dem Soll 1969 — davon gehe ich erzielt worden ist. Gegenüber 1969 mit einem Finan-
aus, weil ich die Vorleistungen für 1970 in Ihrem zierungsüberschuß von rund 1,18 Milliarden DM er-
Kalkül nicht so ohne weiteres mit einbeziehe —: wie gibt sich ein expansiver Finanzierungseffekt. Dazu
hätte es dann ausgesehen, wenn die leichtfertig ver- kommt, daß auch der Entwicklungstrend bei den
sprochenen Maßnahmen aufrechterhalten worden Ländern und Gemeinden — nicht nur bei den Sozial- -
wären? versicherungsträgern, von denen Sie gesprochen
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) haben — zu berücksichtigen bleibt. Bei den Ländern
ist — nach Sperren — mit durchschnittlichen Zu-
Herr Bundesfinanzminister, ich habe eingangs von
wachsraten von 10 v. H., bei den Gemeinden von
der Fassade Ihres Haushalts gesprochen. Man
9,5 bis I 0 v. H. zu rechnen. Hier, Herr Bundesfinanz-
könnte von einem „Blendgiebel" sprechen, da nur
minister, ist allerdings offen, ob die Wirkung der
bei oberflächlicher Betrachtung Ihr Haushalt als
konjunkturneutral bezeichnet werden kann. Tat- bescheidenen Empfehlungen des Finanzplanungs-
sächlich ist der Haushalt prozyklisch. Bei einer Aus- rates erhalten bleibt. Denn aus Niedersachsen wurde
bereits von einer Herabsetzung der Sperre berichtet,
gabensteigerung laut Plan — zunächst gehe ich vom
Plan aus — von 12,1 % (nach Sperre 8,8 % beträgt und zwar, soviel ich noch in Erinnerung habe, just
die Steigerung des Bruttosozialprodukts laut Jahres- einen Tag nach der Sitzung des Finanzplanungsrates.
wirtschaftsbericht real 4 bis 5 %, nominal 9 bis Es wäre der Vollständigkeit halber noch zu er-
10%. Diese Ausgabensteigerung erscheint auch dem wähnen — man kann nicht auf alle Einzelheiten
Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium eingehen —, daß sich ja außerhalb des Haushalts
der Finanzen zu hoch, wenn er ausführt — ich darf bei Ihnen sehr vieles abspielt, und zwar auch Neues
zitieren —: abspielt. Alt sind die Ausgaben für die Öffa: 480
Solange die inflationären Tendenzen andauern, Millionen DM. Neu sind die Ausgaben für die
ist anzustreben, das Wachstum der öffentlichen Kriegsopferversorgung und die Abfindung der Rent-
Ausgaben unterhalb der Steigerungsrate des So- ner; diese Posten tauchen jetzt plötzlich außerhalb
zialprodukts zu halten. Unter diesem Gesichts- des Haushalts auf. Dazu kommt eine ganze Reihe
punkt erscheint dem Beirat die (unter Berück- von anderen Dingen. Grob überschlagen — ohne
sichtigung der Ausgabensperre) geplante Aus- jedes Detail geprüft zu haben — ergeben sich Aus-
gabensteigerung von 8,8 % im Bundeshaushalt gaben in Höhe von rund 800 Millionen DM außer-
1970 zu hoch. halb des Haushalts. Dazu kommen neue Zinssubven-
Ähnliches sagt der neueste Bericht der Deutschen tionen. Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, auch
Bundesbank vom Freitag. Sie haben ihn gestern sel deren Effekt in Betracht ziehen, bleibt keine Steige-
1370 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Leicht
rungsrate von 12,1 % mehr übrig. Dann landen wir Diese Ermächtigung — ich will jetzt gar nicht näher
bei Steigerungsraten von 14 und 15 %, nach der darauf eingehen — konnte auf dreifache Weise ge-
Sperre von 11 und 12 %! schehen. Das wissen Sie. Es wäre nur dann alles
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. beim alten geblieben, wenn die Differenz zwischen
Müller-Hermann: Bundesbahn!) 8 Milliarden DM und 25 Milliarden DM allein durch
eine Verlagerung der Beträge aus den Erläuterun-
— „Bundesbahn" wird gerade gerufen. Dort fehlen gen in die Verpflichtungsermächtigungen gedeckt
900 Millionen DM. Man gibt nicht die Möglichkeit, wäre. Das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall.
sie hereinzuholen. Es bleibt nichts übrig, als daß Herr Bundesfinanzminister, es wäre Sache der Bun-
der Bund zur Kasse tritt. Wo ist dafür etwas vor- desregierung, hier volle Klarheit zu schaffen,
gesehen? Auch das muß man sehen, wenn man eine
konjunkturpolitische Betrachtung anstellt. (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr richtig!)

Die Regierung glaubt, daß die Zuwachsrate der inwieweit das eine der Fall ist und inwieweit echte
Ausgaben im ersten Halbjahr 1970 auf 4 % — im Steigerungen bei den Verpflichtungsermächtigungen
ersten Halbjahr 1969 waren es immerhin nur 1,5% vorliegen.
— gedrückt werden könne. Ich habe meine Zweifel, (Beifall bei der CDU/CSU.)
ob ,die gewählten Mittel dazu auch geeignet sind. Aber das Schlimme bei dieser ganzen Frage sind
Die Verschärfung der vorläufigen Haushaltsführung doch — das werden Sie mir zugestehen müssen —
betrifft ganz entscheidend die sogenannten Zuwei- die Fälligkeiten dieser Verpflichtungsermächtigun-
sungen und Zuschüsse für laufende Zwecke. Diese gen in den kommenden Jahren. Im Jahre 1971 wird
bestehen in wesentlichem Umfang aus Renten, etwa die Hälfte der 25,6 Milliarden DM fällig. Das
Unterstützungen und sonstigen laufenden Geldlei- bedeutet, daß ein Großteil der Verpflichtungen in
stungen an natürliche Personen. Wie man hier die diesem Jahr konjunkturanheizend eingegangen
Ausgaben auf 70 v. H. beschränken kann, bleibt mir werden muß.
schleierhaft. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, auch die Abwicklung Ein kurzes Wort zur Kopflastigkeit des Haushalts
von Ausgaberesten aus dem Jahre 1969 darf nicht in Richtung auf kosumtive Ausgaben bei gleichzeiti-
außer Betracht bleiben. Sie entwertet die Bedeutung ger Abnahme der Investitionen. Das Ziel jeder
der Konjunktursperre 1970 aus ökonomischer Sicht. Haushaltspolitik sollte sein, bei überschäumender
Wenn wir jetzt über Steigerungsraten und konjunk- Konjunktur den Konsum zu drosseln. Das Gegenteil
turpolitisches Verhalten reden, müßte die Wirkung geschieht. Während die Personalausgaben nach dem
beider Sperren miteinander saldiert werden. Soll von 1969 auf 1970 um 1,5 Milliarden DM und
Von der geplanten Konjunkturausgleichsrücklage die Zuweisungen und Zuschüsse für laufende
ist eine zusätzliche Wirkung im übrigen nicht zu Zwecke sogar um 5,4 Milliarden DM steigen, ergibt
erwarten. Bei den meisten Bundesländern liegen sich bei den Investitionen eine Steigerung von nur
bereits entsprechende Gelder in Reserve; die Kon- 1 Milliarde DM. Hier ist noch eine Differenz — ich
ten werden nur umbenannt. Beim Bund ist ein ent- will das gleich anmelden — zwischen dem, was der
sprechender Überschuß nur der zwangsläufige Reflex Bericht aussagt, und dem, was wir festgestellt ha-
der Ausgabensperre auf der Einnahmenseite und der ben, ein Betrag, der bei Berücksichtigung der Sperre
vorläufigen Haushaltsführung bei weiter überdurch- völlig entfällt, ja sogar unter den früheren Stand
schnittlich fließenden Einnahmen. gerät, das allerdings auch, wenn ich die Zahlen des
Finanzministers nehme.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist dagegen das
weitgehende Zusammenstreichen der Steuersen- Ein Wort zu den Auswirkungen der Aufwertung,
kungsversprechungen. Es bleibt allerdings abzuwar- weil sie ja auch haushaltsrechtlich eine Rolle spie-
ten, inwieweit entsprechend den Ankündigungen len. Schon dieser Haushaltsentwurf zeigt die ersten
des Herrn Bundeswirtschaftsministers in der Debatte Spuren. Zunächst einmal fehlen die Einnahmen aus
am Mittwoch von der Regierung andere Überlegun- der Gewinnabführung der Bundesbank von rund
gen angestellt, Schritte in anderer Richtung unter- 400 Millionen DM. Außerdem fallen die Einnahmen
nommen und Dinge zur Entscheidung gestellt wer- aus der Exportabgabe von rund 480 Millionen DM
den. Diese werden wir prüfen und dazu Stellung fort. Dazu kommen die Ausgleichsmaßnahmen zu-
nehmen. gunsten der Landwirtschaft. Auch nach Abzug der
Ausgabenminderungen durch den höheren D-Mark-
Ein kurzes Wort zur Bedeutung der sogenannten
Verpflichtungsermächtigungen. Sie steigen von Kurs dürfte immer noch eine Mehrbelastung von
8,5 Milliarden DM im Jahre 1969 auf 25,6 Milliarden 1,5 bis 2 Milliarden DM verbleiben. Dabei sind die
DM im Jahre 1970. Herr Bundesfinanzminister, von mittelbaren Auswirkungen der Aufwertung außer
Ihnen ist gestern nun gesagt worden, diese Ver- acht gelassen. Diese Belastungen werden sich, ge-
pflichtungsermächtigungen seien zwar von 8,5 auf wollt oder ungewollt, auch in den nächsten Haus-
25,6 Milliarden DM gestiegen, aber das habe aus- halten fortsetzen und bringen damit weitere Un-
sicherheit in die Bundesfinanzen.
schließlich mit der Haushaltsreform zu tun; in Wirk-
lichkeit habe sich nichts geändert. Ich glaube, auch Es käme nun eine Frage über den ausgedehnten
das ist nur eine halbe Wahrheit. Wir hatten auch Verwaltungsaufwand, über Repräsentation, Kosten,
bisher eine gesetzliche Bestimmung, daß Verpflich- Bauten. Ich erspare mir das, weil meine Kollegen
tungen zu Lasten künftiger Jahre nur nach Bewilli- das sicherlich im Laufe dieser Tage noch bringen
gung im Haushaltsplan eingegangen werden dürfen. werden.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1371
Leicht
Lassen Sie mich zur dritten Frage, zur mittel- gen Größenordnungen ein beträchtlicher Zuwachs,
fristigen Finanzplanung, kommen. In die mittel- nämlich rund 30 Milliarden DM Ausgaben mehr
fristige Finanzplanung mußte ja nun all das mit gegenüber 1969. Finanziert werden müssen diese
einem Ansatz einbezogen werden — es war nicht Ausgaben in Wirklichkeit durch einen Anstieg der
anders zu erwarten —, was sich an Versprechungen volkswirtschaftlichen Steuerquote über 24 v. H.
aus der Regierungserklärung im ersten Haushalts- hinaus. Dies gilt nicht nur für 1970, das gilt auch für
jahr bereits als undurchführbar erwiesen hat. Hier 1973, weil offenbar die Heizölsteuer hier nicht be-
wird die ganz große Gefahr offenbar, in die uns rücksichtigt worden ist.
diese Regierung führt. Von kühnen neuen Plänen
einer Bundesregierung, die sich selbst als Kabinett Trotz extremer Erwartungen bei den regulären
der Reformen bezeichnet, ist deshalb wenig zu Einnahmen weist auch die mittelfristige Finanzpla-
spüren. Auf die hochfliegenden Pläne ist schon nach nung eine rapide Steigerung der Verschuldung aus
hundert Tagen Reif gefallen. Ziemlich harmlos hat und erreicht 1973 mit einem Nettofinanzierungssaldo
man ein Krankenhausprogramm und den Städtebau von über 8 Milliarden schwindelnde Höhen, wie sie
aus der Latte, aus dem Katalog der Versprechungen bisher nur als Radikalkur in einer Rezession akzep-
noch in die mittelfristige Finanzplanung hineinge- tiert worden sind. Hier zeigt sich zweifellos die be-
schmuggelt. Allerdings sind dafür nur kleine Be- sondere Schuldenfreundlichkeit , der neuen Regie-
träge zu finden, auch kein großer Wurf, meine rung, und der Herr Bundesfinanzminister hat ja
Damen und Herren. gestern ein Plädoyer dafür gehalten.
Nun zur Einnahmeseite der mittelfristigen Finanz- Das ist um so erstaunlicher, als die Steuerbasis
planung. Um das Zahlenwerk in formelle Überein- außerordentlich verbessert ist. Ich kann nur warnen:
stimmung zu bringen, greift man zu gesteigerten Die Verschuldungsmöglichkeit muß, Herr Bundes-
Wachstumsraten. Das nominelle Bruttosozialprodukt, —finanzminister, wenn wir ehrlich bleiben wollen
bisher 6%, wird mit 6,5 bis 7 % angenommen. Wie- lassen Sie mich das Wort gebrauchen —, Konjunk-
viel Wunsch und wiewenig fundiertes Wissen in turreserve bleiben. Es kann eine Kumulierung des
dieser Änderung steckt, zeigt ein Satz aus dem Kreditbedarfs eintreten, einmal durch Bekämpfung
Jahreswirtschaftsbericht — ich zitiere —: einer Wirtschaftsabschwächung durch Finanzierung
Obwohl nicht eindeutig festgestellt werden unvorhergesehener Ausgaben, die doch zwangs-
kann, ob es sich hierbei läufig kommen. Sie wissen doch schon jetzt, wo
diese zwangsläufigen Mehrausgaben herkommen.
— gemeint ist das außergewöhnlich starke Wachs Diese Kumulierung kann so sein, daß der Kredit-
tum des realen Bruttosozialprodukts im Jahre bedarf nicht mehr aus dem Markt, sondern nur durch
1969 — Geldschöpfung der Bundesbank aufgebracht werden
um einen längerfristigen Tendenzumschwung in kann. Nehmen Sie bitte diese Frage ernst, Herr
den allgemeinen Wachstumsbedingungen han- Bundesfinanzminister.
delt oder umkurzfristige Reflexe auf die voran-
gegangene Stagnation, wurde der Wachstums- Es wäre noch zu erwähnen: Aufteilung der Mög-
spielraum etwas höher veranschlagt als in den lichkeiten der Verschuldung auf die öffentliche Hand
bisherigen Projektionen. insgesamt, Einengung ides Spielraums der Wirt- -
schaft, Einengung des Spielraums der hauptinvesti-
Das setzt sich fort bei den Steuerschätzungen, wo ven Träger im staatlichen Bereich, Länder und Ge-
offenbar das außergewöhnliche Aufkommen des meinden.
Jahres 1969 als Basis genommen wurde, außerge-
wöhnlich, weil in diesem Jahr 1969 die Abschluß- Aus dem Jahreswirtschaftsbericht wissen wir, daß
zahlungen nach starken Gewinnen aus 1968 zusam- im Gegensatz zur soliden Grundlage der bisherigen
menfielen mit der erstmals aus konjunkturellen Finanzplanung zu alledem eine Geldentwertungsrate
Gründen systematisch betriebenen Anpassung der erheblichen Umfangs bereits eingeplant ist. Kurz-
Vorauszahlungen an den hohen Wachstumsstand. fristig Binnennachfrage plus 4 %, Verbraucher-
Da auch diese Schätzung noch nicht ausreicht, soll preise plus 3 %, Baukosten plus 6 bis 7 %: mittel-
das gesetzmäßige Auslaufen der Heizölsteuer ent- fristig plus 2,5 %.
fallen.
Die neue Regierung sagt: Wir sind mir ehrlicher
Die Finanzplanung der neuen Bundesregierung ist gegen uns selbst. Meine Damen und Herren, hier
dadurch charakterisiert, daß die volkswirtschaftliche geht es nicht um die Ehrlichkeit, hier geht es einfach
Steuerquote des Jahres 1969, zunächst 24 %, über um die Solidität des Fundaments.
den Zeitraum der Planung konkret gehalten werden
soll. Gleichzeitig wird die Mitteilung gemacht, daß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
der Bund die Kreditfinanzierung verstärkt in An- Ein kurzes Wort zu den Ausgaben. Daß auch hier
spruch nehmen will. Dies führte zu dem Ergebnis, ein Scheindasein vieler Ausgaben vorhanden ist,
daß die Bundesausgaben, ebenfalls gemessen am möchte ich , an zwei Beispielen klarmachen. Während
Sozialprodukt, überproportional steigen müssen. die USA auf eine stärkere Honorierung ihrer Ver-
Diese Konsequenz wird jedoch von der Regierung teidigungsanstrengungen in Europa drängen, enden
nicht deutlich ausgesprochen. im Finanzplan entsprechende Ansätze mit dem Ab-
Zahlenbeispiele! Die Bundesausgaben 1969 ma- lauf des derzeitigen Devisenabkommens, also Mitte
chen etwa 13,8 v. H. des Sozialprodukts aus; 1973 1971.
belaufen sie sich auf 14,4 v. H. Das ist bei derarti (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Hört! Hört!)
1372 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Leicht
Hinsichtlich der EWG Ablieferungen spekuliert die
- Der mittelfristigen Finanzplanung fehlt eine solide
Regierung mittelfristig auf ein gegenüber der bis- Basi.Ichbevrut,daszfühen.DiAu-
herigen Planung schlechteres Funktionieren der gabenplanung steht übersetzten Einnahmeerwartun-
EWG-Bürokratie bei der Vergabe: also zweifelhaftes gen, Wachstumsraten und Kreditmöglichkeiten ge-
Wunschdenken an Stelle solider Planung auch hier genüber, eine Ausgabenplanung, die praktisch kei-
auf der Ausgabenseite. nen Raum für unerwartete Anforderungen läßt.
Und nun frage ich: Wo kommt eine Regierung Bei allem stagnieren die Investitionen. Ich habe
hin, die ihre finanzielle Planung schon am Anfang darauf hingewiesen.
bis zum äußersten überzogen hat? Es ist nicht damit
getan, daß sie ihre Pläne Stück für Stück zurück- Uns bewegen auch die Fragen: Wo wird unsere
steckt. Schlechtes Beispiel des Staates: Kalkulation Mark schon am Ende dieses Jahres stehen, und was
mit Geldentwertung,. das Wecken ungesunder Lohn- wird aus der in den letzten zwei Jahrzehnten 'be-
erwartungen, nur planerisch teilkompensiert durch währten Marktwirtschaft, über die am Dienstag ge-
eine Stagnation bei den Unternehmensgewinnen — sprochen worden ist und zu der sich diese Regie-
übrigens im Gegensatz zum Sachverständigenrat, rung zwar erneut bekannt hat, deren Beschränkung
wenn ich das hier nur anfügen darf —, die geplante in wesentlichen Punkten die geplante Politik aber
sprunghafte Steigerung von Staatsausgaben und notwendig machen kann?
Staatsverschuldung ohne konjunkturelle Veranlas-
sung, Marktzinsen von noch nicht dagewesener Mäßigung in der Finanzpolitik und in der Durch-
Höhe: alles das bedeutet Verlust von Vertrauens- setzung von Ausgabewünschen und wirtschaftliche
kapital in die solide Stabilität der Währung und der Stabilität sind natürlich keine spektakulären Dinge,
Wirtschaft unseres Landes schon jetzt. die in der Öffentlichkeit besonderes Aufsehen er-
regen. Die Regierung scheint sich deshalb durch
(Beifall bei der CDU/CSU.) populäre Ankündigungen — wenn auch einander
Die vorliegende Finanzplanung ist ein Wunsch- widersprechender Art — beliebt machen zu wollen.
bild, das von den Realitäten weit entfernt ist. Sie sollte zur Kenntnis nehmen — insbesondere Sie,
Herr Bundesfinanzminister —, daß sie einer Oppo-
Ich möchte zusammenfassen: Die Bundesfinanzen
sition gegenübersteht, die lange Jahre d ie haus-
waren zu Beginn der Regierung Brandt gesund. halts- und steuerpolitische Praxis kennengelernt
Durch die Ankündigung von Steuererleichterungen
hat. Dies bedeutet, daß nicht nur strenge, aber sach-
und Rentenverbesserungen — die nicht eingehalten
gerechte Kritik zu erwarten ist, sondern auch durch-
werden konnte — wurden inflationistische Tenden-
aus Verständnis für die Schwierigkeiten der politi-
zen angeheizt. schen Praxis,
(Lachen bei der SPD. — Abg. Haase [Kas
sel] : Das begreifen Sie nicht!) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
Der Haushalt 1970 entspricht nicht dem Stabili- vor allen Dingen Verständnis dafür, daß nicht alles
tätsgesetz; er ist inflationär. auf einmal erreicht werden kann. Man sollte es
allerdings auch vermeiden, einen derartigen Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
druck in der Öffentlichkeit zu erwecken. -
Wir werden bei den Einzelberatungen im Laufe
der nächsten Wochen unsere Vorschläge machen, (Beifall bei der CDU/CSU.)
zum Teil zur Kürzung des Volumens. Dazu könnte Entscheidend ist eine klare finanzpolitische Linie.
ich jetzt schon Beispiele nennen. Denken Sie nur Dies erfordert gründliche, durchdachte und ausge-
an den Baubereich! Denken Sie ,an manche Sperre! wogene Maßnahmen. Diese klare Linie, Herr Finanz-
Wenn der Ansatz überflüssig ist, muß er gestrichen minister, vermissen wir. Statt dessen — und das
werden. Als Beispiel nenne ich die Wohnungsbau- läßt sich schon nach drei Tagen kritischer Prüfung
prämien. Sie sind gesperrt. Entweder werden sie sagen — sind Haushaltsplan und mittelfristige
gebraucht, oder sie werden nicht gebraucht; dann Finanzplanung mit Unwägbarkeiten, Wunschbildern
können wir sie kürzen. Wir werden auch prüfen, in- und Widersprüchen vollgepflastert. Solidität und
wieweit Sperren in diesen Einzelberatungen zu er- Stabilität, jene Prädikate, Herr Finanzminister, die
höhen sind. Wir werden insbesondere verlangen, Sie sich selbst erteilt haben, können wir, so wie die
meine Damen und Herren, daß die Entsperrung der Dinge heute liegen, jedenfalls nicht bescheinigen.
MitelnurpamischeKontrlög-
lich ist. (Anhaltender, lebhafter Beifall bei der
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.). CDU/CSU.)

Die Konjunkturausgleichsrücklage ist zu niedrig.


Ich glaube, Herr Bundesfinanzminister, das denken Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Sie im Innern selber. Sie bedeutet in dieser Höhe Abgeordnete Kirst.
nur eine Buchung bereits vorhandener Kassenmittel.
Sie muß also entschieden erhöht werden. Das ist Kirst (FDP) : Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-
allerdings ausschließlich Sache der Regierung. ten Damen und Herren! Zu der Rede des Kollegen
Sobald wir Klarheit über die effektive Steigerung Leicht möchte ich eingangs folgendes bemerken.
der Verpflichtungsermächtigungen haben, werden An sich hatte ich erwartet, mich jetzt mit Ihren kon-
wir auch dort gewaltige Streichungen vorschlagen. kreten, konstruktiven Vorschlägen auseinanderset-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1373
Kirst
zen zu müssen, die Ihren überall erhobenen Forde- finanzpolitischen Testament, hätte ich beinahe ge-
rungen — — sagt — anlangt
(Zuruf von der CDU/CSU: Das erwarten (Abg. Leicht: Sie haben es gar nicht ge-
wir von euch! — Abg. Dr. Schmidt [Wup lesen!)
pertal] : Wir haben doch nicht zu sagen, — ich habe es da liegen —, an den Ausführungen
wie regiert werden soll! Sie müssen das des Bundesfinanzministers vorbeigeredet. E r hat et-
sagen! — Weitere Zurufe von der CDU/ was ganz anderes gesagt als das, was Sie ihm hier
CSU.) widerlegen zu müssen glaubten.
— Entschuldigen Sie, vielleicht lassen Sie mich erst (Beifall bei den Regierungsparteien.)
einmal den Satz zu Ende sprechen, bevor Sie Nun, Sie haben einen großen Teil Ihrer Ausfüh-
Zwischenrufe machen; rungen dazu verwendet, über die antizyklische Qua-
(Beifall bei den Regierungsparteien) lität— ich möchte es einmal so formulieren — die-
ses Haushalts 1970 zu sprechen. Das war ja auch
denn Sie wissen ja gar nicht, ob Ihre Zwischenrufe zu erwarten. Sie haben, wenn ich es richtig verstan-
richtig oder falsch sind, wenn Sie nicht den Satz den habe, am Ende Ihrer Rede diesem Haushalt das
zu Ende gehört haben. Prädikat der antizyklischen Qualität verweigert. Es
war zu erwarten, daß wir uns heute in der Haus-
(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)
haltsberatung besonders mit diesem Gesichtspunkt
Ich 'wollte sagen: ich hatte erwartet, hier kon- des Haushalts auseinanderzusetzen haben würden.
krete Vorschläge von Ihnen zu hören, die dem ent- Ich meine, daß es in dieser Situation angemessen
sprechen, was Sie draußen im Lande fordern und und richtig ist, sich dabei, sozusagen um der intel-
was auch in der Debatte am Dienstag von Ihnen lektuellen Redlichkeit willen, auch einmal° grund-
gesagt worden ist. Aber konkrete Vorschläge haben sätzlich der Möglichkeiten und Grenzen einer anti-
Sie sicherlich nicht gebracht. Sie haben sich am An- zyklischen Finanzpolitik bewußt zu werden und
fang Ihrer Ausführungen sehr intensiv mit der ge- diese bei noch so berechtigten akuten Forderungen
strigen Rede des Herrn Bundesfinanzministers aus- im Auge zu behalten. Ohne Anspruch auf Vollstän-
einandergesetzt. digkeit und gezielt auf die jetzige Situation einer
Hochkonjunktur meine ich, daß uns fünf Kriterien
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU. — sehr deutlich zeigen, wo die zwangsläufigen Gren-
Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Die unnö zen einer antizyklischen Haushaltspolitik liegen,
tig aggressiv war!) ganz abgesehen davon, daß wir 'selbstverständlich
alle wissen, daß der natürliche Drang der Finanz-
— Sie fallen jetzt wieder in den Fehler, den ich
politik entgegengesetzt wäre, daß hier vom Ur-
schon eingangs bei Ihnen leider feststellen mußte.
sprung her ein Zielkonflikt vorhanden ist, daß anti-
Aber das geht ja wohl nicht von meiner Redezeit
zyklische Haushaltspolitik eben bedeutet, diesen
ab.
natürlichen Drang zum prozyklischen Verhalten im
Herr Leicht, Sie haben den Finanzminister hart Interesse des Ganzen zu überwinden.
angegriffen. -
Meine Damen und Herren, ich sprach von fünf
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das war Kriterien. Zunächst müssen wir den Zeitfaktor
auch dringend nötig!) sehen. Wir wissen, daß sich konjunkturelle Abläufe
Er ist sicher Manns genug, sich selbst zu verteidigen. nicht in Rechnungsjahre oder Kalenderjahre pressen
Ich meine nur, wer die gestrigen sehr ruhigen und lassen, d. h. daß zwischen Aufstellung und Vollzug
maßvollen Ausführungen des Finanzministers gehört des Haushalts konjunkturpolitisch gesetzte Unter-
hat schiede notwendig sind, wie wir es konkret ja auch
(Beifall bei den Regierungsparteien — Oh in der Situation des Jahres 1970 sehen.
Rufe von der CDU/CSU) Viel wichtiger und entscheidender ist folgendes,
— natürlich mit harten und für Sie unangenehmen worüber wir uns klar sein sollten. Es freut mich, daß
Tatsachen — der Kollege Leicht etwas hat anklingen lassen, daß
wir uns über die Grenzen der Beeinflußbarkeit des
(Abg. Dr. Althammer: Das Maß war voll!) Haushalts im klaren sind, wenn wir seine Vorbe-
lastungen — jetzt nicht aus politischen Gründen,
und Ihre Aufregung in der ersten Viertelstunde hier sondern einfach aus der Entwicklung der letzten
erlebt hat, der steht doch unter dem Eindruck — 20 Jahre — sehen, wenn wir die gesetzlichen Ver-
volkstümlich gesprochen —: Wer schimpft, hat un- pflichtungen, die sonstigen Bindungen, die inter-
recht, nationalen Verpflichtungen — EWG, NATO und
(Beifall bei den Regierungsparteien) was es alles noch gibt — berücksichtigen, wenn wir
und die Informationen, die wir alle dazu haben, be- sehen, wie begrenzt die Manövrierfähigkeit in
stätigen das doch. einem Haushalt letzten Endes auch aus konjunktur-
politischen Gründen ist.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Wir müssen unter diesem Gesichtspunkt drittens
Sie haben, bewußt oder unbewußt, in vielen Punk sehen, daß eine antizyklische Haushaltspolitik er-
ten, gerade was z. B. die Bedeutung der Aussagen folgreich und sinnvoll nur sein kann, wenn sie, wie
des Kollegen Strauß vom 17. Oktober — in seinem es immer so schön heißt, von allen öffentlichen
1374 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Kirst
Händen koordiniert wird, also von Bund, Ländern so überzeugend zu sein, daß ich darauf nicht weiter
und Gemeinden, wenn hier ein gleichgerichtetes eingehen will. Der Finanzminister hat das gestern
konjunkturpolitisches Verhalten vorliegt. Es hat getan. Sie haben es auch vorliegen.
wenig Sinn, wenn die eine Ebene der öffentlichen
Hände bremst und die andere Gas gibt; das Ergeb- Sie haben auch, Herr Kollege Leicht, noch einmal
nis ist dann möglicherweise Motorschaden. Wir die Sache mit den Verpflichtungsermächtigungen
wissen, daß hier nicht nur unterschiedliche sach- aufgegriffen. Wir haben uns auch das angesehen.
liche Interessen der einzelnen Ebenen Bund, Län- Ich finde die Erklärung, die hier gestern gegeben
der und Gemeinden vorhanden sind. Zumindest worden ist, richtig. Sie wird vielleicht noch deut-
virulent besteht natürlich auch die Gefahr — ich licher, wenn man sieht, , daß .die gesamte Steigerung
will das nicht vertiefen; es ist hier vorgestern, der Verpflichtungsermächtigungen im wesentlichen
glaube ich, schon angeklungen, und es gibt Presse- auf den Bereich der Verteidigung entfällt. Im Jahre
veröffentlichungen dazu —, .daß man aus partei- 1969 hatten wir 'im Einzelplan 14 lediglich rund
politischen Gründen versucht, hier die Bemühungen 700 Millionen DM — damals hieß es noch „Bin-
der Bundesregierung zu unterlaufen. Wir sollten dungsermächtigungen" —, und im Haushalt 1970
sehr genau sehen, wo denn die Steigerungsraten in sind in diesem Einzelplan Ermächtigungen in Höhe
den Länderhaushalten, die den konjunkturpoliti- von 15,5 Milliarden DM. Das sind rund 15 Mil-
schen Vorstellungen der Bundesregierung entspre- liarden DM von den 17 Milliarden DM Steigerung.
Es ist kein Zweifel, Herr Leicht, daß zumindest auf
chen, sind und wo nicht und wo die Bereitschaft, die
Mittel in die Konjunkturausgleichsrücklage zu zah- diesen großen Teil der Steigerung die haushalts-
rechtliche Argumentation, die gestern dargelegt
len, vorhanden ist und wo nicht.
worden ist, zutrifft.
Viertens sollten wir uns bei dem heftigen und
Nun zur Frage der Angemessenheit der Zuwachs-
notwendigen Gerede über eine antizyklische Haus-
rate. Wir wissen, daß die 8,8 % Zuwachsrate kriti-
haltspolitik immer vor Augen halten, daß Haushalts-
siert werden, nicht nur von Ihnen, sondern auch von
politik, auch antizyklische, immer nur im Rahmen
anderer Seite. Aber Sie haben z. B. am 28. Januar
unserer gesellschaftlichen und verfassungsrecht-
in einer Pressemeldung — nicht Sie persönlich; ich
lichen Wirklichkeit möglich. ist. Wir sollten dabei
glaube, es war Ihr Kollege Stoltenberg — davon
sehen, daß wir erfreulicherweise nicht in einem
gesprochen, daß die Zuwachsrate besser bei 6,5 bis
Druckknopfsystem leben, wo man auf den Knopf
7 % liegen sollte.
drückt und sich dann alles ändert. Solche Maßnah-
men, wie wir sie im Rahmen einer antizyklischen Nun meine ich — und das ist das Entschei-
Haushaltspolitik wollen, sind nur im Rahmen der dende —, daß es nicht genügt, hier so etwas zu sa-
uns gegebenen Möglichkeiten verwirklichbar und gen, oder, um es einmal volkstümlich zu sagen —
durchsetzbar. Es gehört z. B. auch ein großes Maß ich komme damit auf das zurück, was ich am An-
von Überzeugungskraft dazu, daß hier alle relevan- fang sagte —, daß es nicht genügt, den Mund zu
ten Kräfte in unserer pluralistischen Gesellschaft in spitzen, man muß notfalls auch bereit sein zu pfei-
irgendeiner Form, sei es hemmend, sei es fördernd, fen, sonst bleibt diese Kritik unglaubwürdig.
beteiligt sind. Wir sollten diese Schwierigkeiten (Beifall bei den Regierungsparteien.)
sehen.
Ich glaube, es gehört auch zur Glaubwürdigkeit einer
Letztlich sollten wir die antizyklische Haushalts- solchen Kritik, nicht nur davon zu sprechen, daß
politik nicht zum Allheilmittel machen. Sie kann — die Zuwachsrate zu hoch sei, und dann irgendwo
das wird auch der Wirtschaftsminister nicht anders zu sagen, sie dürfte nur 6,5 sein. Man muß dann
sehen — immer nur eine komplementäre, eine flan- auch diesem Hohen Hause, das darüber zu entschei-
kierende Maßnahme zur allgemeinen Wirtschafts- den hat, und der Öffentlichkeit, die daran interes-
und Konjunkturpolitik sein. siert ist, einmal vorstellen: Was würde denn eine
um 2 % niedrigere Zuwachsrate haushaltspolitisch
Auf dieser Basis, meine sehr geehrten Damen und bedeuten? Das sind immerhin 1,6 Milliarden DM.
Herren, und unter diesem konjunkturpolitischen Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei dem Bemü-
Gesichtspunkt möchte ich nun den Haushalt 1970 hen, Streichungs- oder Sperrungsanträge in Höhe
betrachten. Hier stellt sich zunächst die Frage der von 1,6 Milliarden DM zu finden und in Ihrer Frak-
Zuwachsrate. Die Frage der Zuwachsrate ist wohl tion die Mehrheit dafür zu bekommen.
unter zwei Kriterien zu sehen, einmal dem ihrer
Echtheit und zum zweiten dem ihrer Angemessen- (Beifall bei den Regierungsparteien. —
heit. Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Aber für
diesen Haushalt haben Sie die Verantwor-
Wir werden uns sicher darin einig sein, daß eine tung, nicht wir! Das ist der Vorzug der
letztlich bewiesene Echtheit der Zuwachsrate heute Opposition! — Abg. Stücklen: Ein Vergnü-
einfach nicht festzustellen ist, weil die sich erst er- gen ist das nicht!)
gibt, wenn wir die Bücher 1969 abgeschlossen
haben. Das ist selbstverständlich. Aber was hier in Denn das sind, Herr Stücklen — und das macht die
den letzten Tagen und auch von Herrn Leicht an Dinge besonders schwierig —, etwa 11 bis 12% un-
Kritik hinsichtlich der Echtheit gekommen ist, das seres Investitionsvolumens. Wir wissen aus der
betrifft zunächst wohl vor allem das Argument der Struktur des Haushalts, daß im wesentlichen nur das
Ausgabensteigerung im Dezember 1969. Hier scheint Investitionsvolumen für solche Maßnahmen geeig-
mir die Darstellung des Bundesfinanzministeriums net ist. Ich frage also — —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1375

Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege denn wenn sie angenommen würden, würden Sie
Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ihre eigene Politik konterkarieren.
Kollegen Althammer? (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
Dr. Schmidt [Wuppertal] : Wir haben andere
Kirst (FDP) : Bitte schön! Vorstellungen von Politik als Sie!)

Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Kollege muß Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
ich die Ausführungen mit dem „viel Vergnügen zu Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
den Streichungen", die Sie eben gemacht haben, so Abgeordneten Moersch?
verstehen, daß Sie nicht bereit sind, bei den Bera-
tungen selbst mitzuwirken, um zu Streichungen zu Kirst (FDP) : Bitte sehr!
kommen?
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Moersch (FDP) : Herr Kollege Kirst, könnten Sie
den Kollegen Leicht insofern gegen seine eigene
Kirst (FDP) : Herr Kollege Althammer, ich werde Fraktion ein wenig in Schutz nehmen, als Sie dar-
nachher noch etwas dazu sagen. Ich glaube, Sie auf hinweisen, daß bekanntgeworden ist, daß er in
kennen mich trotz allem bis jetzt schon so gut, daß der Frage der Anträge auf Erhöhung der Kriegs-
Sie wissen, daß diese Frage unberechtigt ist. Die opferversorgung von der eigenen Fraktion über-
Frage, die ich gestellt habe, ist ja, ob Sie überhaupt stimmt worden ist, weil er die Zahlen kannte und
in ihrer eigenen Fraktion, wenn es hart auf hart die Fraktion Gefühle hatte?
geht, wenn es um die konkreten Dinge geht, Mehr-
heiten für konkrete — nicht für abstrakte — Strei- Kirst (FDP) : Vielen Dank für diesen Hinweis,
chungen und Sperrungen finden. Das ist das Pro- Herr Moersch. Ich würde das sehr gern aufnehmen,
blem. ich habe mich aber im Moment mit der Gesamtheit
(Beifall bei den Regierungsparteien. — der Oppositionsfraktion auseinandergesetzt.
Abg. Leicht: Als wir an der Regierung wa Meine Damen und Herren, wenn wir über die
ren, haben wir das gemacht!) Angemessenheit der Zuwachsrate sprechen, dann
Wir sehen doch — darüber, Herr Leicht, haben Sie müssen wir eingedenk dessen, was ich einleitend
wirklich kein Wort verloren — seit Oktober eine gesagt habe, wohl auch zu einer Analyse der Stei-
Flut von zusätzlichen Ausgabenwünschen der Oppo- gerungsrate kommen. Dann werden wir feststellen,
sition dieses Hohen Hauses. Ich will die Einzel- daß sich diese Steigerung in Höhe von 8,8 % — das
heiten gar nicht aufzählen. entspricht etwas über 8 Milliarden DM — auf we-
nige, nämlich auf fünf Einzelpläne von insgesamt
(Beifall bei den Regierungsparteien. — 26 Einzelplänen konzentriert. Von der Gesamt-
Erneuter Zuruf des Abg. Leicht.) summe in Höhe von 7,3 Milliarden DM für diese
fünf Einzelpläne entfallen — alle Zahlen abgerun-
Wenn Ihre Vorstellungen ernst wären, hätte als
det — auf den Einzelplan 10 — Bundesministerium-
erstes die Erklärung hierhingehört: Die CDU/CSU
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —
zieht alle Anträge zurück, die sie seither einge-
2,2 Milliarden DM, auf den Einzelplan 11 — Bun-
bracht hat und die in ihren Ausgaben höher liegen,
desministerium für Arbeit und Sozialordnung —
als von der Regierung vorgeschlagen.
1,5 Milliarden DM, auf den Verteidigungshaushalt
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. 1,3 Milliarden DM, auf den Haushalt des Verkehrs-
Dr. Schmidt [Wuppertal] : Dazu haben wir ministeriums 1 Milliarde DM, auf den Haushalt des
gar keinen Anlaß! Wir haben eben andere Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft
Vorstellungen von Politik als Sie! — Abg. 0,75 Milliarden DM, auf den Haushalt des Bundes-
Dr. Althammer: Dazu werde ich noch etwas ministeriums für Städtebau und Wohnungswesen
sagen!) 0,45 Milliarden DM.
— Bitte, Herr Althammer! Das sind die großen Brocken in der Steigerungs-
(Abg. Leicht: Sie wollen allein Geld aus rate, im Zuwachs. In diesen großen Brocken stecken
geben?) auch die ganzen Zwangsläufigkeiten und Vorbela-
stungen, die Herr Minister Möller hier gestern so
— Nein, durchaus nicht. Es hindert Sie niemand klar und überzeugend aufgeführt hat, daß ich es
daran, bei Anträgen der Regierung oder bei Anträ- Ihnen ersparen möchte, das von mir wiederholt zu
gen der Regierungsparteien mitzustimmen. Außer- hören.
dem gibt es auch die Möglichkeit gemeinsamer An- Hier liegt, meine ich, auch das — ich will einmal
träge. großzügig sein — vielleicht ungewollte Mißver-
Es geht ja nur darum, daß es durchaus unredlich ständnis, das in den Ausführungen des Kollegen
ist — ich habe vorhin von dem Gebot der intellek- Leicht zum Ausdruck kam. Herr Kollege Leicht,
tuellen Redlichkeit gesprochen —, auf der einen wenn Sie mir vielleicht noch einen Moment Ihre
Seite die Zuwachsraten zu beklagen und als zu geneigte Aufmerksamkeit schenken würden: Ich
hoch zu bezeichnen, auf der anderen Seite selbst meine, Sie haben hier etwas verteidigt, was gar
Anträge zu stellen, die Sie nur stellen, weil Sie niemand bestritten hat, nämlich die Kassenlage, wie
wissen, daß sie doch nicht angenommen werden; sie sich beim Regierungswechsel darbot. Die Kassen-
1376 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970
Kirst
Lage hat niemand bestritten; was bestritten worden zu prüfen ist. Deshalb diese vorsichtige Formulie-
ist, ist die Tatsache der exakten Darstellung der rung, die aber unsere Bereitschaft, ja unseren
zukünftigen kurz- und mittelfristigen Belastungen Wunsch im Grundsatz unterstreicht, daß die Ein-
des Haushalts, wie das am 17. Oktober durch Herrn sparungen aus ,der Zeit der vorläufigen Haushalts-
Strauß — ich habe seine Ausführungen drüben lie- führung nach Möglichkeit in weitestgehendem
gen — geschehen ist. In dieser Hinsicht muß man Maße endgültig werden. Ich glaube, wir dürfen
nun allerdings in der Tat feststellen, vor allen Din- feststellen, daß zur Zeit alle denkbaren Instrumente
gen auch in bezug auf die Form, wie es gebracht einer antizyklischen Haushaltsführung gut kombi-
worden ist, daß die Vorwürfe seines Nachfolgers niert angewandt und vorgesehen werden.
berechtigt sind. Ich würde es so formulieren: wenn Sicherlich stellt sich noch die Frage der alter-
das, was in dieser Erklärung vom 17. Oktober nie- nativen Entwicklungen im Laufe des Haushalts-
dergelegt ist, eine Art Übergangsbilanz gewesen jahres. Theoretisch sind immer zwei Alternativen
sein sollte — um etwas Analogie zum wirtschaft- denkbar: Haushaltsverbesserungen oder Haushalts-
lichen Bereich zu betreiben —, so hätte ein Wirt- verschlechterungen, per saldo aus einer Vielzahl
schaftsprüfer für diese Übergangsbilanz das Testat von Einzelvorgängen resultierend gesehen. Es ist
verweigert. wohl real i sti sch, für 1970 nur die Alternative einer
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Haushaltsverbesserung im Auge zu behalten. Unser
Petitum geht dahin — wir möchten das klar aus-
Lassen Sie mich nun etwas zum Instrumentarium sprechen und glauben, sicherlich auch da den Inten-
sagen, mit dem in diesem Haushalt antizyklisch tionen des Finanzministers zu entsprechen —, daß
operiert wird. Wir haben über die Sperren gespro- bei anhaltend gleicher Konjunkturlage weitere
chen. Ich glaube, es ist zunächst einmal festzustel- Haushaltsverbesserungen- zu Stillegungen verwen-
len, daß Idas Parlament die neue Form der Sperren
det werden.
begrüßen sollte, nicht nur wegen ihrer Effektivität,
sondern auch deshalb, weil das Parlament in jedem Noch einige Worte zum Zeitproblem, das ich ja
Einzelfall bei diesen Sperren— wenn Sie so wollen eben schon berührte, zur Frage des Zeitpunkts des
— zum Bekenntnis aufgerufen ist, nämlich zum Wechsels von der vorläufigen Haushaltsführung
Akzeptieren oder zum Ablehnen oder auch zur Er- zum Inkrafttreten des Haushaltsplans. Was ge-
weiterung. Ich meine, das ist auch deshalb gut, weil schieht im zweiten Halbjahr? Wir wissen, daß das
dann hinterher niemand draußen im Lande sagen entscheidende Problem des Haushalts wahrschein-
kann: Das geschieht und das geschieht nicht, wäh- lich darin liegt, ob die bisherige Erwartung, daß im
rend er in Wirklichkeit diese Sperren vielleicht mit zweiten Halbjahr eine Konjunkturberuhigung oder
beschlossen hat. Das scheint mir wesentlich zu sein. -abschwächung eintritt, zutrifft oder nicht. Das ist das
entscheidende Problem des haushaltspolitischen
Es muß auch noch einmal betont werden, nach- Vollzugs. Insofern ist die späte Verabschiedung —
dem Sie von den Rücklagen 1969 gesprochen haben, die ja im übrigen nach dem Ende einer Legislatur-
daß wir ja in diesem Jahre eine echte Konjunktur- periode, nach einer Wahl ein normales Ereignis
ausgleichsrücklage haben bzw. die Bedienung echt ist — —
ist. Natürlich muß im nächsten Jahr darüber ge-
sprochen werden, ob die Dotierung dieser Aus- (Abg. Leicht: Das habe ich nicht kritisiert!)
-
gleichsrücklage ausreichend ist oder ob sie erhöht — Selbstverständlich, Herr Leicht, haben Sie das
werden muß. Dabei haben wir aber im Auge zu nicht kritisiert. Trotzdem darf ich noch einmal un-
behalten, daß die Rückführung dann nach dem Sta- terstreichen, daß wir aus dieser zwangsläufigen Not
bilitätsgesetz natürlich an gewisse Voraussetzungen der späten Verabschiedung eine konjunkturpoli-
gebunden ist. Vielleicht ist es zweckmäßiger, ermög- tische Tugend machen können. Die Verabschiedung
lichte Stillegungen von weiteren Ersparnissen auf kann zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem die kon-
andere Weise, allerdings konjunkturpolitisch genau- junkturpolitische Entwicklung besser als heute zu
so wirksam, zu erreichen. übersehen ist.
Hinsichtlich der vorläufigen Haushaltsführung Sicherlich stellt sich die Frage, ob die antizyklische
stellt sich die Frage, die auch der Finanzminister Haushaltsgestaltung nach dem Auslaufen der vor-
gestern sehr ernst angesprochen hat: Was passiert läufigen Haushaltsführung bei unveränderter kon-
am Tage X, d. h. am Tage der Verkündung des junktureller Situation dann unter Anwendung des
Haushaltsplans, wenn die Regeln der vorläufigen § 6 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes erfolgen muß.
Haushaltsführung außer Kraft treten? Der Finanz- Wenn es erforderlich ist, habe ich keinen Zweifel,
minister hat zum Ausdruck gebracht, er befürchte daß die Regierung es so tun wird. Wir würden
nicht, daß es dann zu einem Nachfragestoß kommt. sie dabei unterstützen.
Wir bieten ihm unsere Unterstützung nicht nur da-
bei an, sondern wir bieten ihm unsere Unterstüt- Nun meine ich, daß sicherlich bei der dieses Jahr
besonders prononcierten Diskussion des Haushalts
zung auch bei dem mindestens zu prüfenden Ver-
unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten die
such an, die aus dieser vorläufigen Haushaltsfüh-
rung entstehenden Ersparnisse so weit wie mög- Gefahr besteht — die wir aber vermeiden müs-
sen —, die Struktur des Haushalts, die Schwer-
lich zu endgültigen Ersparnissen im Haushaltsjahr
punktbildung im Haushalt zu sehr in den Hinter-
1970 zu machen.
grund treten zu lassen. Mein Kollege Peters wird
Wir wissen — ich habe mich vorhin gegen glo- heute nachmittag zur Frage der Schwerpunktbildung
bale Äußerungen gewehrt —, daß das im Einzelfall im Haushalt vermutlich noch zusätzliche Ausfüh-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1377
Kirst
rungen machen. Ich möchte dazu im Augenblick nur aufnahme in den kommenden Jahren geschaffen
zwei Bemerkungen anbringen. werden.

Die eine — eine rein sachliche, eine Erfahrung, (Abg. Leicht: Die haben wir ja schon ge-
die man überall und jederzeit machen wird — ist schaffen!)
die, daß ein Regierungswechsel einen Haushalt auch Auch das Problem der Kreditaufnahme hat eine
nicht revolutionieren kann. Das war weder die Ab- grundsätzliche und eine akute Seite. Sicher, aus
sicht noch die Möglichkeit. Dazu sind die Zementie- akutem Anlaß ist es gut, wenn wir in der Lage
rungen einfach zu groß, die in 20 Jahren angewach- sind, auf Kreditaufnahmen zu verzichten. Aber
sen sind. Aber ich meine, daß diese erstmalige grundsätzlich kann wohl kein Zweifel daran be-
Situation einer ganz neuen Regierungs- und Oppo- stehen, daß es für den Staatsbürger besser ist, auf
sitionskonstellation bei den Haushaltsberatungen dem Wege über aufgenommene Kredite dem Staat
die Chance bietet, einmal etwas intensiver, als es als Anleihegeber — damit auch unter eigener Ver-
sonst vielleicht möglich wäre — das soll gar kein mögensbildung — die nun einmal für die erforder-
Vorwurf sein —, zwischen echten und möglicher- lichen Investitionen nötigen Mittel zur Verfügung
weise weniger echten Zwangsläufigkeiten in die- zu stellen, als auf dem Wege der Steuern. Wir sind
sem Haushalt zu unterscheiden. Wenn ich meine, uns ja einig, daß an der Steuerlastquote nichts ge-
daß das leichter als sonst sei, dann rein psycho- ändert werden soll. Sie wollen das sicherlich auch
logisch; denn die neue Regierung braucht sich weiß nicht. Also bleibt, wenn wir uns auch einig sind,
Gott nicht aus Prestigegründen an sogenannte daß in bestimmten Schwerpunkten — ich komme
Zwangsläufigkeiten in diesem Haushalt gebunden gleich noch abschließend darauf — mehr geschehen
zu fühlen, die in 20 Jahren in anderen Konstellatio- muß als in der Vergangenheit, eben nur der Weg
nen entstanden sind, und die neue Opposition einer Kreditfinanzierung, der sicher auch gesell-
braucht sich nicht mehr zur Verteidigung der Vor- schaftspolitisch richtiger ist. Er ist auch deswegen
lage der Regierung berufen zu fühlen. Ich glaube, richtiger, weil hier zum Teil Investitionen vorge-
hier liegt eine Chance, die wir als Parlament und nommen werden, deren Nutznießer nicht nur die
als Mitglieder des Haushaltsausschusses wahrneh- jetzt arbeitende, sondern auch die folgende Gene-
men sollten. ration ist, die durch die Tilgung an der Aufbringung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) der dafür erforderlichen Mittel beteiligt sein sollte.
Ich glaube, wir sind uns alle darin einig — um auch
Zwei Bemerkungen zur Einnahmeseite! Hinsicht- hier noch einmal eine Analogie aus der Wirtschaft
lich der Steuerschätzungen, die natürlich eine ganz zu bringen —, daß alle Haushalte unter allen Regie-
entscheidende Grundlage jeder Haushaltsaufstellung rungen aller Parteien in der Bundesrepublik in den
sind, müssen wir einsehen, daß sie nur schwer ver- letzten 20 Jahren eine erstaunlich hohe Selbstfinan-
gleichbar mit den Vorjahresansätzen sind, da sich in zierungsquote bei Investitionen gehabt haben, viel-
diesem Jahr zum erstenmal der große Steuerver- leicht mit Ausnahme der Gemeinden, wo die Dinge
bund auswirkt und damit auch andere Anteile an etwas anders liegen.
den Steuerarten für den Bund wirksam werden. Wir
Nach diesen kreditpolitischen Aspekten darf ich-
wissen aus aller Erfahrung, daß die allgemeinen
abschließend zur Frage der Finanzplanung überlei-
Steuervorausschätzungen im Laufe der Etatberatun-
ten. Ich gebe Ihnen vollkommen recht, Herr Leicht
gen im einzelnen begründet und gegebenenfalls
— nur bringe ich es lediglich als Feststellung, weil
überprüft werden müssen. Wir wissen ja — das gilt
ein Vorwurf nach ,dem Vorgang nicht berechtigt
nicht nur für die Steuerschätzungen, sondern über-
ist —: Die Zeit für eine gründlichle Prüfung sowohl
haupt —, daß der Haushaltsplan letzten Endes
des Haushalts als auch des Finanzplans, des Finanz-
nichts anderes als eine Momentaufnahme im Augen-
berichts war selbstverständlich zu kurz. Ich glaube,
blick seiner Aufstellung ist und daß manche Daten
darüber sind wir uns alle einig. Aber wir sind uns
zwangsläufig in dem Augenblick, da die Drucker-
alle auch darin einig, daß durch die Verfahrensände-
schwärze fast noch feucht ist, schon wieder überholt
rung, die wir gemeinsam gewollt und beschlossen
sind. Wir werden auf das Problem der Steuerschät-
haben und die uns auch zusätzliche Beratungstage
zungen in der zweiten Lesung zurückkommen. Soll-
im Haushaltsausschuß ermöglicht, eine solche Situa-
ten sie sich als zu niedrig veranschlagt erweisen,
dann muß in Konsequenz dessen, was ich eben tion zwangsläufig war. Das ist also kein Punkt, über
sagte, sichergestellt werden, daß Mehreinnahmen den man streiten kann.
— immer unter der Voraussetzung unveränderter Immerhin meine ich — um das noch einmal auf-
Konjunkturlage — ausgabenunwirksam bleiben, d. zunehmen, was ich vorhin sagte —, daß die Vor-
h. daß sie stillgelegt werden. lage des neuen Finanzplans auch hinsichtlich der
Fortschreibung zu einer Stunde der Wahrheit ge-
Auch die Frage der Kreditaufnahme hat eine sehr worden ist. Es genügt nämlich nicht, Herr Kollege
kritische Würdigung durch Herrn Leicht gefunden. Leicht, daß Fortschreibungen, wie Sie sagen —
Wir finden es auf jeden Fall richtig und gut, wenn ich kann es nicht beurteilen; Sie waren in dem
dadurch, daß keine oder nur geringe Kredite aufge- Hause —, intern vorgelegen haben. Gegenüber der
nommen werden, im laufenden Jahr sowohl den Öffentlichkeit ist das jedenfalls nicht wirksam ge-
konjunkturpolitischen Gesichtspunkten Rechnung worden.
getragen wird, als auch — und da werden Sie mir
jetzt nicht mehr zustimmen — die Voraussetzungen (Abg. Leicht: Der Finanzminister hat be-
für eine den Anforderungen entsprechende Kredit stritten, daß sie intern vorlagen!)
1378 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Kirst
Man kann wohl, um noch einmal auf den Ge- das nun Millionen sind oder etwas weniger — sehr
sichtspunkt der Schwerpunkte generell zurückzu- genau zu reden. Das noch einmal im Anschluß an
kommen, sagen, daß sich im Finanzplan deutlicher, das, was ich vorhin unter einem anderen Aspekt
als es im Haushalt 1970 möglich ist, gewisse Schwer- dazu sagte.
punktverlagerungen zeigen. Aber ich glaube, so-
Wir sollten uns andererseits bei all diesen Bera-
wöhl die Regierung als auch die Regierungsfrak-
tungen immer bewußt sein, was in Wirklichkeit
tionen sind sich darin einig, daß durchaus nicht
hinter diesem Zahlenwerk, das manchmal einen
alles, was unseren politischen Vorstellungen, die
etwas toten Eindruck macht, steckt in sehr vielen
auch in der Regierungserklärung vom 28. Oktober
Bereichen und sehr vielen Bezügen, z. B. direkte und
zum Ausdruck gekommen sind, entspricht, seinen
indirekte menschliche Schicksale.
Niederschlag gefunden hat und durchaus nicht alles
bereits jetzt in Zahlen seinen Niederschlag in der Fi- Wir sollten schließlich bei allen diesen Beratun-
nanzplanung finden konnte, und zwar einfach des- gen die Treuhänderfunktion dieses Parlaments ge-
halb, weil zum Teil in bestimmten politischen Be- genüber dem Steuerzahler nicht aus den Augen
reichen sogenannte Bestandsaufnahmen laufen, verlieren.
deren Auswirkung sich erst in den Fortschreibungen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der kommenden Jahre niederschlagen kann. Diesen Vor allem aber gehen wir, die Fraktion der FDP,
Vorbehalt, diese politische Aussage zur Finanzpla- in diese Haushaltsberatungen in der Überzeugung,
nung, die insofern eben auch nur eine Momentauf- daß der Haushalt 1970 und der Finanzplan für die
nahme sein kann, eine Momentaufnahme auch des Jahre 1969 bis 1973 ein überzeugender Beweis sind
gegenwärtigen Stands der Überlegungen, sollten wir — wir zweifeln nicht daran, daß dieser Beweis in
sehr deutlich anbringen. Da noch nicht alles mög- den Beratungen der kommenden Wochen und Mo-
lich war, Herr Leicht, ist hier ein Vorwurf nicht ge- nate erhärtet werden wird —, daß diese von uns
rechtfertigt. Soviel Erfahrungen in der Regierung mitgetragene Regierung bei gleichzeitig solider und
haben Sie doch auch, um zu wissen, daß man die konjunkturgerechter Haushaltsgebarung eine fort-
Dinge nicht über Nacht auf den Kopf steilen kann schrittliche und dynamische Politik betreibt.
oder will oder soll. Das wollen Sie sicherlich auch
nicht. Fest steht, daß Schwerpunktverlagerungen, (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
wenn sie vernünftig und verantwortungsvoll durch- teien.)
geführt werden sollen, eine gewisse Zeit erfordern.
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Ich möchte nun, meine sehr geehrten Damen und Abgeordnete Hermsdorf.
Herren, noch etwas im Zusammenhang mit dem
Problem Finanzplanung sagen. Derr Herr Finanz-
minister hat in einem allerdings nicht zwingenden Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Frau Präsident!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor
Zusammenhang eine Bemerkung über die Zeit vor
ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion
der Einführung der Finanzplanung gemacht, die
deren Gedankengänge zum Haushalt 1970 und zur
offenbar —das entspricht unseren akustischen Beob-
achtungen, die sich aus gewissen räumlichen Nach- Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung
barschaften ergeben — bei der CDU/CSU eine Deu- vortrage, zwei persönliche Bemerkungen machen.
-
tung gefunden hat, von der wir nicht annehmen — Zunächst eine Bemerkung zu dem Kollegen Kirst.
ich betone dies —, daß sie in der Absicht des Mini- Herr Kollege Kirst, Sie haben heute hier Ihre Jung-
sters lag. Wir haben durchaus nicht die Absicht, fernrede gehalten und gleichzeitig im Auftrage Ihrer
diese Angelegenheit zu vertiefen. Weil wir diese Fraktion die Etatrede. Ich muß sagen: A la bonheur!
Absicht nicht haben, sagen wir es deutlich. Denn e s Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Sachlichkeit und
würde sich daraus nur der Zwang zu Fragen z. B. Ihren Darlegungen!
an den damaligen Bundeskanzler — ich sehe ihn im
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Augenblick nicht — ergeben, und ,die Beantwortung
dieser Fragen würde sicher die Fehldeutung dieser
Bewertung durch die eigene Fraktion erweisen. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, der
Präsident hätte zur Jungfernrede gratuliert, wenn
(Abg. Dr. Althammer: Etwas genauer, bitte! er heute wirklich zum ersten Mal gesprochen hätte.
Das war etwas orakelhaft!)
(Heiterkeit.)
— Herr Althammer, die Kollegen der CDU/CSU, die
da in der Ecke sitzen, die ich gemeint habe, haben
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Frau Präsident,
es verstanden. ich nehme die Korrektur zur Kenntnis. Ich habe mich
Lassen Sie mich abschließend sagen, unter wel- schon gewundert, daß Sie es nicht getan haben.
chen Voraussetzungen wir in die Beratungen der Aber trotzdem: nachdem der Kollege Kirst, der erst
nächsten Wochen und Monate im Haushaltsausschuß wenige Wochen oder Tage im Haushaltsausschuß
als Vorbereitung der zweiten und dritten Lesung ist, hier eine solche Etatrede für seine Fraktion
gehen. Nur einige Punkte! gehalten hat, bin ich nicht bereit, auch nur ein Stück
von diesem Glückwunsch zurückzunehmen.
Wir sind der Meinung, man muß — das sind wir,
glaube ich, auch unseren Steuerzahlern schuldig — (Beifall bei den Regierungsparteien.)
auch bei einem 90-Milliarden-Etat davon ausgehen, Dann möchte ich eine persönliche Bemerkung zu
daß es sich lohnt, auch über kleinere Beträge — ob Herrn Kollegen Leicht machen. Herr Kollege Leicht,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1379
Hermsdorf (Cuxhaven)
Ihre heutige Rede war für mich, ich sage das in lege Leicht, alle drei Fraktionen dieses Hauses
allem Ernst, ein Phänomen, mit dem ich noch nicht haben die Situation, in der wir uns jetzt befinden,
fertig werde. Wir haben 12 Jahre oder 16 Jahre zu- im Rahmen der Haushaltsreform ausdrücklich ge-
sammen im Haushaltsausschuß gearbeitet, und ich wollt.
habe Sie in der Arbeit im Haushaltsausschuß — ich (Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben es
hoffe, Sie können das auch von mir sagen — als doch kritisiert!)
einen sachlichen Mann kennengelernt. Sie wissen
genau, daß sich im Haushaltsausschuß, ob wir nun — Sie müssen sich schon genau orientieren, bevor
in der Opposition waren oder Sie es jetzt sind, im- Sie einen Zwischenruf machen. Ich empfehle Ihnen,
mer eine sehr sachliche und nüchterne Sprache einmal das neue Haushaltsgesetz, die Haushalts-
durchgesetzt hat. Ich habe die Wandlung von dem ordnung zu lesen und sich über die Haushaltsreform
Mitglied einer Regierungspartei zu einem Mitglied zu informieren. Dann hätten Sie sich den Zwischen-
der Opposition noch nicht durchgemacht, sondern ruf ersparen können. Wir haben aus der Praxis her-
aus lange darum gerungen, weil wir als Haushalts-
nur eine solche im umgekehrten Sinne.
ausschuß illegetim, neben der Verfassung beraten
(Abg. Leicht: Das ist einfacher!) haben. Wir haben durchgesetzt, daß dieser Haushalt
Wir waren 16 Jahre Oppositon und sind dann Re- gleichzeitig bei Bundesrat und Bundestag einzubrin-
gierungspartei geworden. Daß .der Eintritt in die gen ist. Damit haben wir einen neuen Tatbestand
Opposition einen Menschen so auf den Kopf stellen geschaffen.
kann, wie das bei Herrn Leicht geschehen ist, ist mir Eines hat mich nun geärgert, Herr Kollege Leicht.
völlig unverständlich. Der Bundesfinanzminister hat mit aller Energie zu
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. erreichen versucht
Haase [Kassel] : Der Finanzminister steht (Abg. Leicht: Ich habe das auch nicht kriti-
Kopf!) siert!)
— das werden Sie nicht bestreiten können; Sie
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zwischen- haben das in der Sitzung des Haushaltsausschusses
frage von Herrn Althammer. selbst erlebt —, daß niemand im voraus einen Haus-
haltsplan erhält. Damit sollte eine gleichzeitige Ein-
Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Kollege bringung bei Bundestag und Bundesrat ohne vor-
Hermsdorf, können Sie sich nicht vorstellen, daß die herige Presse- und sonstige Indiskretionen erreicht
Reaktion unseres Kollegen Leicht, ,den wir übrigens werden. Er hat eine entsprechende Anweisung an
genauso einschätzen wie früher, darauf zurückzu- die Ressorts gegeben. Einige Ressorts haben sich
führen ist, daß diese erste Haushaltsrede eines nicht an diese Anweisung gehalten,
neuen Finanzministers auch „einmalig" war? (Abg. Haase [Kassel] : Aha!)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
— einen Augenblick, Herr Haase, lassen Sie mich
ausreden; so einfach, wie Sie es sich machen, geht
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Herr Kollege Alt- es nicht —, sondern haben den Berichterstattern der-
hammer, ich bin insoweit einverstanden, als die
Ressorts -den Haushaltsplan gegeben. Wir haben das
Rede des Bundesfinanzministers, meines Freundes
moniert. Daraus nun abzuleiten, die Opposition sei
Alex Möller, einmalig und eindeutig war. Das ist gar
schlechter informiert gewesen als wir, ist falsch.
keine Frage.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Abg. Leicht: Sie haben ,das Papier vom
Finanzplanungsrat gehabt!)
Ich muß Ihnen noch eines sagen. Haushaltsreden
sind keine Reden für Liebhaber von Kammermusik — Das ist nicht wahr, Herr Leicht. Sie wissen ganz
und reine Haushaltsexperten; sie sind auch poli- genau, daß ich den Haushaltsplan — Einzelplan 05
tische Reden. Das hat Alex Möller hier deutlich be- — an der Tür bekommen habe, als ich zur Sitzung
wiesen. des Haushaltsausschusses kam. Ihr Kollege Prinz
(Beifall bei den Regierungsparteien. — zu Sayn-Wittgenstein hatte ihn als Mitberichterstat-
Zurufe von der CDU/CSU.) ter angefordert. Auf diese Weise habe ich den Haus-
haltsplan auch bekommen. So ist der erste Einzel-
Ich komme zu einem zweiten Punkt. Ich möchte plan überhaupt erst ins Gespräch gekommen. Ver-
ein paar Prädikate, die Herr Leicht hier ausgespro- suchen Sie hier doch nicht, die Sache auf den Kopf
chen hat, wiederholen: vordergründig, polemisch, zu stellen, und sagen Sie nicht, die Opposition sei
dubios, manipuliert, Halbwahrheiten, unwahr. schlechter informiert worden. Das hier ist der ein-
(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!) zige Punkt, in dem ich mit meinen Freund, dem
Bundesfinanzminister Alex Möller, hadere. Ich habe
Herr Leicht, damit haben Sie sich selbst und ihre nämlich den Eindruck, daß er Sie besser informiert
Rede qualifiziert, aber nicht den Bundesfinanzmini- als mich, und das ärgert mich ein bißchen.
ster.
(Beifall bei .den Regierungsparteien. — Zu (Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Leicht:
rufe von der CDU/CSU.) Mir kommen die Tränen!)
Ich komme nun auf einige Bemerkungen sach- Herr Kollege Leicht, Sie haben beanstandet, daß
licher Art, die Sie gemacht haben, zu sprechen. Zu- dies oder jenes noch nicht vorliegt. Auch das hät-
nächst zur Frage der Informationssperre. Herr Kol ten Sie ein bißchen anders darstellen sollen. Sie
1380 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Hermsdorf (Cuxhaven)
wissen ganz genau, daß wir § 94 mit Ihrem Einver- Das ist nicht von mir, sondern von Ihrem Kollegen
ständnis geändert haben. Der Bundesfinanzminister Strauß hier in diesem Hause ausgeführt worden.
hat es gestern so dargestellt, als seien Sie die
Initialzünder gewesen. Das stimmt nicht. Das wa- (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.
ren Sie nicht. Wir haben uns untereinander verstän- Abg. Leicht: Ich habe mich doch nur gegen
digt und haben gesagt: um das einzuhalten und um das Maß gewandt!)
die Frist zu verkürzen, versuchen wir, diesen Ter- — Es gibt keinen Dauermaßstab.
minplan aufzustellen. Sie waren mit diesem Ter-
minplan einverstanden. Sie und Herr Althammer ha- (Abg. Leicht: Maßstab und Maß ist etwas
ben das im Ausschuß genau dargelegt. Und weil Sie anderes!)
im Ausschuß etwas sachlicher sind als hier, Herr — Ich verstehe, daß man in der Opposition natürlich
Althammer, haben Sie zugestanden — — etwas anderes reden muß als in der Regierung.
(Abg. Dr. Althammer: Ich habe ja noch gar (Abg. Strauß: Das Zitat war der beste Teil
nicht gesprochen!) Ihrer Rede! — Heiterkeit bei der CDU/
— Aber ich kenne Sie doch sonst. Wir beide brau- CSU.)
chen uns doch nichts vorzumachen. Sie haben im — Entschuldigen Sie, Herr Kollege Strauß, ich habe
Haushaltsausschuß wörtlich gesagt — ich zitiere —: Ihren phantastischen Zwischenruf nicht verstanden.
Das ist der Versuch des Bundesfinanzministers, Lassen Sie mich nun zu den Vorstellungen der
an das englische System heranzukommen. Wir sozialdemokratischen Fraktion zu diesem Haushalt
müssen sehen, ob das funktioniert. kommen. Hier muß ich wieder im Gegensatz zu
Sie werden mir doch zugeben, daß dies bei der bis- Kollegen Leicht sagen, daß für mich dieser 19. Fe-
herigen Praxis, so wie es bisher gehandhabt wor- bruar ein stolzer Tag ist. An diesem Tag kann ich
den ist, nicht mit einem Male zu erreichen ist. Aber im Namen meiner Fraktion zu dem Etatentwurf für
der Wille des Bundesfinanzministeriums war vor- 1970 und zu dem fünfjährigen Finanzplan Stellung
handen und ist zu würdigen und nicht ins Gegen- nehmen. Das geschieht zum erstenmal in der Ge-
teil umzukehren, als wären wir besser informiert schichte der Bundesrepublik unter einer sozialdemo-
gewesen als Sie. kratisch geführten Bundesregierung, die diesen Etat,
den gestern der Bundesfinanzminister hier begrün-
Herr Leicht, ich komme auf die verschiedenen dete, am 23. Januar verabschiedet hat. Sie werden,
Punkte, die Sie angeschnitten haben, im Laufe mei- auch wenn es weh tut, verstehen, daß diese Tat-
ner Ausführungen zurück. Nur einen Punkt habe ich sache uns mit Freude und Genugtuung erfüllt,
mir nicht vorgenommen. Dazu möchte ich jetzt vor-
weg noch etwas sagen. Es handelt sich dabei um (Beifall bei der SPD)
die Frage der Kreditfinanzierung und der Überschul- zumal das umfangreiche Zahlenwerk bei uns allen
dung. Ich darf wie folgt darauf antworten: Kleinmut und allen Zweifel an der Durchführbarkeit
Wenn wir heute die Mittel des öffentlichen des Regierungsprogramms vom 28. Oktober bei-
Kredits, der Kreditfinanzierung für die Erfüllung seite wischt, auch wenn die Opposition sich seit
der staatlichen Aufgaben, für die Durchsetzung Wochen mit diesem Tatbestand noch nicht hat ab-
unserer konjunkturpolitischen Ziele heran- finden können, auch das zeigt Ihre Rede. Es wischt
ziehen, dann ist das nicht leichtfertiges Verhal- die Zweifel, die Sie geäußert haben, beiseite.
ten oder mutloses Ausweichen, dann ist das die
Dem Bundesfinanzminister ist es trotz aller vor-
Umsetzung der wirtschaftstheoretischen Er-
gegebenen Schwierigkeiten gelungen, eine solide
kenntnisse, der währungspolitischen Notwen-
Finanzplanung für 1970 und die Folgejahre vorzu-
digkeiten in konkrete politische Entscheidun-
legen, die sowohl den besonderen konjunkturpoli-
gen. Ich erlaube mir auch hier noch einmal die
tischen Erfordernissen des Jahres 1970 als auch der
Feststellung, daß die Vorstellung, ein Haus-
Zielsetzung des Regierungsprogramms und der Re-
halt sei nur dann ausgeglichen, wenn ordentliche
gierungserklärung entspricht. Damit haben wir er-
Einnahmen und ausgewiesene Ausgaben sich
neut eine Probe der handwerklichen und intellek-
die Waage halten,
tuellen Könner- und Kennerschaft von Alex Möller
(Abg. Leicht: Das habe ich doch gar nicht bekommen, der weiß Gott nicht der Mann ist, dem
gesagt!) man finanzpolitisches Vabanquespiel vorwerfen
kann.
endgültig der Vergangenheit angehören. Auch
in der Wirtschaft kann man den Kredit nicht Der Projektierung des Haushalts 1970 waren
streichen. Ohne Kredit gibt es keine Wirtschaft. zwangsläufig Maßstäbe durch die konjunkturelle
Ohne ein modernes Geld- und Kreditsystem ist Lage gesetzt. Ich halte es deshalb für notwendig,
eine moderne Wirtschaft nicht möglich. Und eine daß ich bei der Betrachtung des Haushalts die Frage,
moderne Staatsführung kann auf das Mittel des ob dieser Haushalt antizyklisch oder prozyklisch
Kredits genauso wenig verzichten wie die pri- ist, erläutere. Der Etat 1970 steht schon bei der
vate Wirtschaft und ihre Unternehmenstätig- Planaufstellung unter der gesamtwirtschaftlichen
keit. Es gibt keinen absoluten, d. h. gültigen Verpflichung des Art. 109 des Grundgesetzes. Meine
prozentualen Dauermaßstab für die Zulässig- persönliche Auffassung ist — und, Herr Leicht, da
keit der staatlichen Verschuldung. unterscheiden wir uns nun wirklich —, daß noch
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1381
Hermsdorf (Cuxhaven)
niemals ein Etat, ein Haushalt, so restriktiv geplant Nun werden Sie sagen — Augenblick, darauf komme
wurde wie der vorliegende. ich gleich —, wir zitierten die falsche Stelle. Ent-
schuldigung, Sie zitieren Seite 21, wir zitieren die
(Oh-Ruhe bei der CDU/CSU.)
Seiten 9 und 19. Darüber können wir reden. In der
— Augenblick, das ist meine Auffassung; ich werde Tendenz ist aber ganz klar, daß von „antizyklisch"
das hier erläutern. Sie können das daraus ersehen, gesprochen wird. Ich komme noch an einer anderen
daß erstens kein Nettokreditbedarf des Bundes an- Stelle darauf, wo ich nicht den Bericht der Bundes-
fällt, solange die Konjunktursperre gegeben ist, und bank nehmen werde, wo ich Ihnen aber sagen
daß zweitens durch die vorläufige Haushaltsfüh- werde, was der Bundesbankpräsident in einer Rede
rung bis zum Inkrafttreten des Bundeshaushalts zu diesem Punkt gesagt hat, wo er insbesondere
1970 ein restriktiver Überschuß entsteht. Herr Leicht, noch einmal auf den Bundeshaushalt und auf diese
das haben Sie völlig ausgeklammert. Dinge abgehoben hat.
(Abg. Leicht: Nein, ich habe es sogar mit
dem Vorjahr verglichen!) Die gewählte Form — ich spreche jetzt von der
Form der Konjunktursperren — ist neu und ist un-
— Ja, nur muß ich Ihnen sagen, wenn Sie die Me- gewöhnlich, das gebe ich zu, aber sicher wirksamer
thode des einen Zwölftels als Maßstab anwenden als 1969. Ich will Ihnen sagen, warum. Anders als
— wir wissen doch alle, wann dieser Haushalt bisher und als im Vorjahr werden die Sperren ein-
schließlich verabschiedet wird, wie lange wir ihn zeln und konkret im Haushaltsgesetz 1970 fixiert.
beraten werden, wann er im Bundesgesetzblatt ver- Sie sind nicht austauschbar gegen andere Minder-
kündet sein wird usw. —, dann müssen Sie doch ausgaben wie im Vorjahr. Die Sperre kann nicht
zugeben, daß Ihre Zuwachsrate, die Sie dann sozu- allein vom Bundesfinanzminister aufgehoben wer-
sagen als Anheizung der Konjunktur betrachten, den, sondern nur auf seinen Antrag im Einverneh-
überhaupt nicht mehr zutrifft. Das ist doch einfach men mit dem Bundeswirtschaftsminister durch Be-
vorgegeben durch den Zeitplan, den wir jetzt haben, schluß der Bundesregierung und auch nur, wenn es
mit dem wir uns beschäftigen. die Bedingungen des Stabilitätsgesetzes erfordern
(Abg. Leicht: Bis der Haushalt in Kraft tritt, oder zulassen. Ob und in welchem Ausmaß dieser
ist die Sperre außer Kraft!) Fall in der zweiten Jahreshälfte 1970 gegeben sein
wird, ist heute noch nicht vorauszusehen.
Drittens muß ich sagen, daß bei der Bildung einer
Konjunkturausgleichsrücklage in Abstimmung — in Der Vorteil dieser Methode liegt auf der Hand.
Abstimmung, Herr Leicht — mit idem Bundesrat Wenn der Eventualhaushalt im Rahmen des Haus-
Schuldentilgung im Gegensatz zum Vorjahr nicht halts 1970 bereits gesetzlich bewilligt ist, bedarf es
anrechenbar ist. für den Fall einer Konjunkturstützung nicht erst
(Abg. Leicht: Mit Zustimmung des Bundes der Ausarbeitung eines neuen Konjunkturförde-
rates! — Weiterer Zuruf des Abg. Strauß.) rungsprogramms durch die Bundesregierung nach
§ 6 des Stabilitätsgesetzes, und es erübrigt sich, das
Auch hier muß ich sagen — Herr Kollege Strauß, wir parlamentarische Verfahren zur Bewilligung zusätz-
werden ja noch im Laufe des Vormittags das Ver- licher Ausgaben nach § 8 des Stabilitätsgesetzes in-
gnügen haben, Sie zu hören —, Sie können die Gang zu setzen. Billigt das Parlament das Haus-
Sperre von 1,8 Milliarden DM, die Sie 1969 im Haus- haltsgesetz 1970, so verzichtet es also nicht in der
halt hatten, mit dieser Sperre überhaupt nicht ver- Sache auf eine Entscheidung über ein Programm zur
gleichen, denn bei Ihren 1,8 Milliarden DM war ja Konjunkturstützung.
die Austauschbarkeit möglich; sie wurde wenigstens
praktiziert. Hier ist eine neue Form, auf die ich (Abg. Leicht: Aber der Zeitpunkt!)
noch zurückkommen werde.
— Allerdings hat es keinen Einfluß mehr auf den
Ich gebe zu, Herr Leicht — vielleicht sind Sie so Zeitpunkt; das gebe ich Ihnen zu.
freundlich, das noch zur Kenntnis zu nehmen —, es
kann natürlich darüber unterschiedliche Auffassun- Bedeutet das nun eine möglicherweise unerträg-
gen geben, ob nicht noch mehr gekürzt oder noch liche Einengung der parlamentarischen Mitwir-
mehrgesperrt werden sollte als vorgesehen. Dar- kungsrechte? Das ist die Frage für die Gestaltung
über muß i n der Ausschußberatung gesprochen wer- der Konjunkturpolitik. Ich würde bis zum Beweis
den. Der Kollege Stoltenberg hat ja schon angedeu- des Gegenteils sagen: nein. Denn das Parlament be-
tet, Sie wollten da noch mehr. Ich bin nur sehr ge- rät im Rahmen des Haushaltsplans 1970 auch die
spannt — und hier bin ich der Auffassung meines aus konjunkturellen Gründen gesperrten Titel —
Kollegen Kirst —, in welcher Richtung bzw. bei wel- wie alle anderen Bewilligungen. Es kann die Sper-
chen Sachgebieten diese Sperren oder diese Kürzun- rung kürzen, streichen oder — wie Herr Stolten-
gen liegen werden. Das wird ja dann das eigentliche berg angekündigt hat — verstärken. Der Gesetz-
interessante Politikum werden. geber übt daher bei den gesperrten Titeln das
Budgetbewilligungsrecht voll aus. Das ist mehr als
Daß ich aber, Herr Leicht, mit der Auffassung hin- das Verfahren nach § 8 des Stabilitätsgesetzes. Nach
sichtlich der Konjunkturgerechtigkeit des Haushalts diesem § 8 in Verbindung mit § 42 der neuen Bun-
nicht allein stehe, zeigt außer einer Anzahl sachver- deshaushaltsordnung ist bei konjunkturpolitisch be-
ständiger Stimmen, auch in der 'Fachpresse, auch der dingten zusätzlichen Ausgaben die Mitwirkung des
Bericht der Bundesbank. Parlaments vorgesehen. Hier aber gehen wir weiter;
(Abg. Leicht: Nur teilweise!) das sehen Sie doch sicher ein.
1382 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Hermsdorf (Cuxhaven)
Im übrigen hat das Parlament im Regelfall beim sen Bedarfs an öffentlichen Investitionen, den wir
Vollzug der von ihm bewilligten Etatmittel auch haben, und die Durchführung der Gemeinschafts-
kein Mitwirkungsrecht. Die Exekutive ist hier frei aufgaben, die dringend auf der Tagesordnung
und trägt im Etatvollzug die volle Verantwortung stehen, durch eine sehr strenge konjunkturelle Lage
für den Zeitpunkt der Durchführung und für die bis zu einem gewissen Grade zwangsläufig ein
eventuelle Unterschreitung. Daher ist die Beteili- wenig verzögert werden. Das ist die Frage, die wir
gung des Parlaments bei der Aufhebung der Kon- hier zu entscheiden haben und über die im Aus-
junktursperren, z. B. bei deren Umwandlung in qua- schuß sehr ausführlich zu diskutieren sein wird.
lifizierte Sperrvermerke, nicht erforderlich. Aller- Ich bitte nun aber meine Ausführungen nicht so zu
dings erwarten wir von der Bundesregierung eine verstehen, — — Doch ich sehe, Herr Dr. Martin ist
eingehende und schnelle Information des Parlaments nicht da; da kann ich mir das also schenken.
über ihre Maßnahmen, wie ja ohnehin die Informa-
tionspflichten der Regierung nach der neuen Bundes- Nach diesen konjunkturpolitischen Bemerkungen
haushaltsordnung verschärft worden sind. möchte ich jetzt zu den Schwerpunkten kommen und
sie mit der Regierungserklärung vergleichen. Das ist
Eine andere Frage, die mich persönlich nachdenk-
für uns der Kernpunkt: Wieweit steht die Regie-
lich macht, ist der starke öffentliche Einsatz von in-
rungserklärung in Übereinstimmung mit dem Haus-
vestiven Maßnahmen für die Konjunktursteuerung.
Die investiven Ausgaben des Bundes sind, einge- halt 1970 und der Fortschreibung der mittelfristigen
Finanzplanung? Bei der Etatberatung wird über Ab-
bettet in die mittelfristige Finanzplanung 1973, für
sichten und Taten anhand von Daten geredet, und
den Bundeshaushalt mit rund 14 Milliarden DM ver-
anschlagt. Die Konjunktursperre in Höhe von 2,7 hier wird also aufgezeigt, was anhand des 70er
Milliarden DM bedeutet also zunächst eine Kürzung Etats vorgenommen wird und was in der mittel-
um ein Fünftel des anerkannten Bedarfs. Wenn wir fristigen Finanzplanung gilt.
nun sperren, ist das zweifellos ein harter Eingriff, Die Frage der Vorbelastungen, über die der Herr
auch ,dann, wenn nach der Durchsicht des Katalogs Bundesfinanzminister schon ausführlich gesprochen
der Sperren die von der Regierung vorgenommene hat, möchte ich jetzt einmal weglassen. Aber, Herr
Auswahl als sehr abgewogen angesehen werden Leicht, da muß ich Sie noch einmal zitieren. Sie ha-
muß ben vorhin den Vorwurf zurückgewiesen, daß die
(Widerspruch bei der CDU/CSU) Vorbelastungen nicht intern fortgeschrieben worden
— entschuldigen Sie, das ist meine Meinung — auch seien. Herr Leicht, ich mache auf das aufmerksam,
wenn die Sperrung zunächst keinen endgültigen was Sie im Haushaltsausschuß in der Diskussion
Verzicht auf die Durchführung der investiven Maß- über die Fortschreibung der mittelfristigen Finanz-
nahmen bedeutet. planung gesagt haben. Dort haben Sie am 3. Juli
1969 ausgeführt, daß ganz erhebliche Veränderun-
Im Prinzip stimme ich natürlich dem zu, was Bun- gen auf uns zukommen würden und daß Sie die
desbankpräsident Dr. Klasen bei seinem Amtsantritt Befürchtung hätten, ,daß für 1970 kein finanzieller
am 13. Januar dieses Jahres sagte. Ich darf mit Ge- Spielraum mehr vorhanden sein werde. Das haben
nehmigung des Präsidenten zitieren:
Sie gesagt.
Bedenkt man, wie gering meist die praktischen (Abg. Leicht: Wenn das kommt!)
Nachteile sind, wenn eine öffentliche Investition
um ein halbes oder ganzes Jahr später begon- Damit bestätigen Sie das, was der Bundesfinanz-
nen wird, betrachtet man andererseits den gro- min ister gesagt hat, nämlich daß er eben wegen der
ßen volkswirtschaftlichen Nutzen, den eine Vorbelastung keinen finanziellen Spielraum vorge-
kurze Verschiebung bewirken würde, so kann funden hat und daß alles, was nun zu machen war,
ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich auch sozusagen durch neue Konzeption neu durchdacht,
bei den Ländern und Gemeinden entwickelt und festgelegt werden mußte. Diesen
Handlungsspielraum dennoch geschaffen zu haben
— darauf bezieht er sich — für die Maßnahmen, die diese Regierung getroffen
Neigung zu antiziyklischem Verhalten finden hat, das ist nun wirklich das Verdienst des jetzigen
wird. Bundesfinanzministers.
In Anerkennung dieser Feststellungen bleibt den- Um diesen Erfolg zu verdeutlichen, muß ich als
noch ein gewisses Unbehagen, wenn schon im Jahre Sprecher meiner Fraktion — trotz der Gefahr von
1969 und nun erneut im Jahre 1970 die ohnehin Wiederholungen — mit Nachdruck auf einige
knappen und hinter dem immensen Bedarf nach- Schwerpunkte des Etats verweisen. Die politischen
hinkenden Investitionen für die öffentliche Infra- Prioritäten, die von der neuen Regierung verbal
struktur den Löwenanteil für die antizyklische Fi- in der Regierungserklärung gesetzt wurden und die
nanzpolitik tragen. Denn das Nachholen dieser s o- nun, gestützt auf konkrete Zahlen, ihrer Realisie-
zusagen für den Gleichgewichtspfad der mittelfristi- rung entgegengehen, werden durch den fünfjährigen
gen Zielprojektion und Finanzplanung vorgesehe- Finanzplan bis 1973 noch deutlicher, als in den
nen Maßnahmen, die hier aus konjunkturellen Grün- Haushaltsansätzen dokumentarisch festgelegt ist.
den gesperrt worden sind, darf nach den Regeln Folgende Bereiche treten besonders plastisch hervor:
konjunkturgerechter Finanzpolitik erst dann erfol- die im weiteren Sinne gesellschaftspolitischen Ziel-
gen, wenn die Konjunkturspannungen überwunden setzungen der SPD-geführten Koalition, die zu-
sind. Es erfolgt also hier eine Verzögerung. Die kunftsorientierten Ausgaben für Bildung und Wis-
Frage ist einfach, ob nicht die Deckung des immen- senschaft, der weitere Ausbau des Verkehrswesens
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1383
Hermsdorf (Cuxhaven)
und die wachstumsfördernden Strukturmaßnahmen erstmals für das zweite Halbjahr 192 Millionen DM
einschließlich Agrarbereich und Städtesanierung. Die vor, für da Jahr 1971 rund 400 Millionen DM. Ins-
Zeit erlaubt es mir nicht, auf alle wichtigen Fragen gesamt werden die Bundesmittel für die Ausbil-
einzugehen. Ich will nur einige Punkte hervorheben. dungsförderung, die Studentenförderung und den
Bundeskanzler Brandt hat in der Regierungserklä- Studentenwohnheimbau von 1970 bis 1973 mit einer
Verdreifachung überdurchschnittlich anwachsen, und
rung vom 28. Oktober 1969 an die Spitze der inne-
zwar dann auf insgesamt 1 Milliarde DM.
ren Reformen den Bereich Bildung und Ausbildung
sowie Wissenschaft und Forschung gestellt. Im Verlaufe dieser Etatberatung wird noch auf
(Lachen bei der CDU/CSU.) den Bildungsbereich eingegangen werden müssen.
Ich möchte diesen einen Punkt nur erwähnen und
— Wollen Sie das bezweifeln, daß er diesen Bereich verweise auf die noch folgenden Sprecher meiner
an die Spitze gestellt hat, oder sind Sie da krank Fraktion.
gewesen?
Weiter hat das Städtebauförderungsgesetz gesell-
(Abg. Wehner: Er ist jetzt krank! — Heiter
schaftspolitische Bedeutung. Vorhin hat hier Herr
keit.)
Leicht gesagt, da seien ja nur Anfangsbeträge usw.
Im Finanzplan bis 1973 wird dem Rechnung ge- eingesetzt. Immerhin, Herr Leicht, bis 1973 sind 275
tragen durch Verdoppelung der Ausgaben für die- Millionen DM veranschlagt. Aber jetzt muß ich Sie
sen Bereich und durch das Anwachsen ihres Anteils auch in aller Deutlichkeit fragen: Warum ist denn
an den gesamten Bundesausgaben von 3,1 auf 5%. das Städtebauförderungsgesetz in der Großen Koa-
Zwar hatte bereits die letzte Finanzplanung schon lition nicht zustande gekommen?
1969 — das gebe ich hier zu; da waren wir ja mit
(Zurufe von der CDU/CSU.)
in der Regierung, wir können also genau ausrech-
nen, wer da angeheizt hat — dem Einzelplan 31 Warum wurde nichts eingesetzt? Weil es hier völlig
eine überdurchschnittlich hohe Zuwachsrate einge- unterschiedliche Auffassungen quer durch die Frak-
räumt; diese überdurchschnittliche Zuwachsrate ist tionen und die Länder gab und wir nicht weiter-
aber jetzt 1970 und in .der mittelfristigen Finanz- kamen. Daß es jetzt geschafft worden ist, zeigt doch
planung qualitativ und quantitativ noch wesentlich auch wieder, daß wir hier vorangehen, und zeigt das
verbessert worden. Verhandlungsgeschick des Bundesfinanzministers.
(Abg. Dr. Althammer: Wie hoch?) (Beifall bei der SPD. — Abg. Leicht: Das
ist noch nicht geschafft!)
— Verlassen Sie sich darauf!
z. B. wird 1970 bereits von den 870 Millionen DM Das gleiche, was Sie gesagt haben, gilt für Kran-
für den Hochschulausbau und -neubau ein Teilbe - kenhäuser. Auch hier haben Sie gesagt, es handele
trag für ein auch vom Wissenschaftsrat empfohle- sich nur um einen Teilbetrag. Nun gut, die Über-
nes Schnellbauprogramm vorgesehen. Eine erste nahme des Schuldendienstes für ein Drittel durch
Rate von 44 Millionen DM wurde den Ländern den Bund ist natürlich ein Fortschritt. Herr Leicht,
schon zur Verfügung gestellt. Ziel ist zunächst die so geht es eben nicht, daß Sie uns sagen, für das
Schaffung von rund 12 000 zusätzlichen Arbeits- Städtebauförderungsgesetz sei zu wenig eingesetzt, -
plätzen an den Hochschulen. Dieses Schnellpro- da sei doch gar nichts, und für die Krankenhaus-
gramm wird wirksam dazu beitragen, die mit Nume- finanzierung sei auch noch gar nichts da. Gleichzeitig
rus clausus verbundenen unwürdigen Verhältnisse versuchen Sie nachzuweisen: Ihr gebt viel zu viel
an unseren Universitäten zu mildern, die für alle aus, 13,5 %! — Das stimmt nicht, das alles ist unmög-
lernwilligen jungen Menschen nicht länger zumutbar lich. Da ist ein Bruch in Ihrer Argumentation und
nicht in unserer, Herr Leicht.
sind.
Aber, Herr Althammer, in engerem Zusammen- (Beifall bei der SPD. — Abg. Leicht: Ich
hang damit steht die in die Zukunft gerichtete Aus- habe mich mit Ihren Versprechungen aus
bildungsförderung. Am 1. Juli 1970 tritt das Ausbil- einandergesetzt!)
dungsförderungsgesetz, maßgeblich von der SPD- Dasselbe gilt für den Familienlastenausgleich.
Fraktion gestaltet, in Kraft. Hier ist von seiten der CDU lautstark durch das
(Ah!-Rufe von der Mitte.) ganze Land getönt und eine Verbesserung verspro-
— Aber, Herr Baier, wenn wir nach Ihren Vorstel- chen worden. Die von der CDU gestellten Ressort-
lungen gegangen wären, wären wir ja bei 1870 ge- minister, die die Sache in der Vergangenheit hier
landet. Denken Sie doch an die Diskussion, die wir bearbeitet haben, haben Fehlanzeigen gemeldet. Es
hier in dieser Frage um das Ausbildungsförderungs- tut mir leid. Ich sage hier ausdrücklich, daß es nicht
gesetz gehabt haben! allein die Schuld des von mir sehr geschätzten Kol-
legen Heck und unserer verehrten Frau Kollegin
(Beifall bei der SPD.) Brauksiepe war. Sie sind hier am Finanzminister
gescheitert. Das ist gar keine Frage. Aber daß Sie
Dieses Gesetz gilt nicht nur für wenige bevor-
lautstark getönt haben und nichts eingesetzt wurde,
zugte Bildungszweige, sondern es umfaßt den Be-
ist ein Tatbestand, der nicht bestritten werden kann.
such aller Ausbildungsstätten nach Beendigung der
Vollzeitschulpflicht und schafft auf diese Weise
einen nahtlosen Anschluß an die bereits vorhandene Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
Studentenförderung. Der Bundeshaushalt 1970 sieht eine Zwischenfrage des Kollegen Baier?
1384 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

r Baier (CDU/CSU) : Herr Kollege Hermsdorf, kön- haben die beiden Koalitionsfraktionen diesen Ge-
nen Sie sich erinnern, daß in der Zeit, wo Herr Heck setzentwurf als Initiativantrag angenommen und
Familienminister war, ein Gesetz über Ausbildungs- hier eingebracht. Wir haben eine Verbesserung der
zulagen mit einem Volumen von 400 Millionen DM Kriegsopferversorgung erreicht, nicht wie ursprüng-
als Beitrag zum Familienlastenausgleich in diesem llich vorgesehen, sondern wesentlich höher, und
Bundestag beschlossen wurde und daß es im wesent- haben die Sache noch dynamisiert. Wir haben eine
lichen die SPD und die FDP waren, die dieses Gesetz Verbesserung um 16 % und bei den Witwen um
hier wieder vom Tisch gefegt haben? 25 %. Die Kriegsopferversorgung steigt von 7,1 Mil-
liarden im Jahre 1970 auf 8,2 Milliarden im Jahre
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.) 1973 bei Rückgang der Zahl der Empfänger. Hier,
muß ich sagen, ist wirklich vom ersten Tag an ge-
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Dies ist nicht der handelt worden, und Sie sind im Bundesrat mit
Kernpunkt, Herr Baier. Ihrer Verzögerungstaktik durch die CDU-regierten
(Ah!-Rufe von der CDU/CSU.) Länder gescheitert. Das muß hier festgehalten wer-
den.
Dieses Gesetz umfaßt nicht den Familienlastenaus-
gleich als Ganzes. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
Baier: Das war billig!)
(Abg. Baier: Aber sicher!)
— Das war nicht fair? Aber es war Tatsache; das tut
Aber Sie wissen auch genau, warum es gescheitert mir leid.
ist: weil Ihre Vorstellungen in dieser Frage in gar (Abg. Baier: Das war billig!)
keiner Weise mit den Vorstellungen der FDP und
unseren Vorstellungen zu decken waren. Daran ist Im engeren Bereich der Sozialpolitik möchte ich
es gescheitert und nicht an finanziellen Mitteln. noch anmerken, daß der Zuschuß an die Rentenver-
sicherung — Arbeiter, Angestellte und Knappschaft
(Abg. Dr. Althammer: Genau daran!)
— auf 10,8 Milliarden DM im Jahre 1970 und auf
— Augenblick, das werde ich Ihnen gleich nachwei- 15 Milliarden DM im Jahre 1973 anwächst. Der
sen. Bund leistet mit dieser Einkommensumverteilung
Herr Althammer, ich bin gar nicht sicher, ob Sie einen erhöhten Beitrag für einen sorgenfreieren
so viel Kinder haben wie ich. Deshalb habe ich viel- Lebensabend der über 9 Millionen Sozialversicher-
leicht mehr für die Familien übrig als Sie. ten.
(Heiterkeit und Zurufe.) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluß noch sagen, wie stark die sozialen Maßnah-
— Gut, sind wir uns also wieder einig. men im Regierungsprogramm sind. Für die ganze
Aber es gibt keinen Zweifel — das sage ich noch soziale Sicherung sind im Haushalt — hier meine
einmal —, daß Sie in der Frage des Familienlasten- ich nicht nur den Einzelplan 11, sondern dazu noch
ausgleichs quer durchs Land gezogen sind, und wenn Pensionäre usw. — bis 1973 27 Milliarden DM
Sie dann Ihre Verantwortung bedenken, müssen Sie für Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausschei-
zugeben, daß doch am Schluß sehr wenig heraus- den, Renten- und Pensionsberechtigte sowie Kriegs-
gekommen ist. Das ist auch klar. Ich habe Ihnen opfer und Versorgungsberechtigte, ausgewiesen.
auch gesagt, wo die Schwierigkeiten liegen. Das sind 24,3 % der gesamten, im Jahre 1973
111 Milliarden DM betragenden Bundesausgaben.
Aber von dieser Regierung und von diesem neuen Ich sage das, um deutlich zu machen, in wie starkem
Finanzminister sind für das Kindergeld sofort Mittel Maße der Bundesetat durch soziale Verpflichtungen
eingesetzt worden, und zwar im Haushalt 1970 zu- geprägt ist.
nächst 95 Millionen DM und für 1971 390 Millionen
DM. Ich möchte Ihnen auch sagen, daß wir nicht (Abg. Leicht: In der Vergangenheit auch!)
nur für das Kindergeld, sondern auch für das Wohn- — Verzeihung, Herr Leicht, jetzt zwingen Sie mich
geld, das ich auch zu dem Familienlastenausgleich dazu, das, was ich eigentlich nicht so stark betonen
zähle, Mittel eingesetzt haben, und zwar 290 Millio- wollte, doch noch stärker hervorzuheben. Wir wer-
nen DM, und daß sich diese Mittel bis 1973 auf den in der mittelfristigen Finanzplanung nach den
900 Millionen DM erhöhen werden. Sie werden dar- jetzigen Voraussagen erleben, daß der Prozent-
an erkennen müssen, daß bei Ihnen zwar sehr viel satz der sozialen Maßnahmen viel höher liegen
davon geredet worden ist, daß aber die Praktizie- wird als vorher.
rung des Familienlastenausgleichs von dieser neuen
Regierung als erstes in Angriff genommen worden (Abg. Leicht: Der Prozentsatz vom gesamten
ist. Etat nimmt ab!)
(Beifall bei der SPD.) — Das stimmt nicht, Herr Leicht, nicht bis 1973.
Dasselbe gilt für die Kriegsopferversorgung. Was danach kommt, kann ich heute noch nicht
Meine Damen und Herren, am 21. Oktober wurde sagen. Darüber können wir uns dann unterhalten.
der Bundeskanzler gewählt. Am 22. Oktober wurde Es steht fest, daß dieses Volumen andere Etats
die neue Regierung gebildet. Am 28. Oktober kün- übersteigt und daß durch die Erhöhungen im ganzen
digte der Bundeskanzler in der Regierungserklärung sozialpolitischen Bereich klargemacht worden ist,
an, daß die Kriegsopfer eine Verbesserung ab 1. Ja- daß wir das nicht nur in der Regierungserklärung
nuar 1970 erhalten. Am 20. Januar beschloß das als einen Ansatz von Reformen haben, sondern
Bundeskabinett den Gesetzentwurf. Am 21. Januar hier schlägt sich das in Zahlen nieder.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1385
Hermsdorf (Cuxhaven)
Meine Damen und Herren, aus meinen Ausfüh- Strauß (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
rungen sollte deutlich werden, was der Bundes- verehrten Damen und Herren! Ich erkenne die Rich-
finanzminister unter seiner Forderung versteht, daß tigkeit der von uns getroffenen haushaltsrechtlichen
die Finanzpolitik ein Instrument der Gesellschafts- Änderungen, die ich selbst eingeleitet habe, durch-
politik zu sein hat. aus an und begrüße e s, daß beide Häuser gemäß
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht Art 110 Abs. 3 des Grundgesetzes gleichzeitig infor-
miert werden. Das bedeutet aber nicht, daß ange-
deutlich geworden!)
sichts der bedeutsamen finanzpolitischen Probleme
— Das liegt natürlich an dem unterschiedlichen Ver- — Haushalt 1970, Fortschreibung der mehrjährigen
ständnis; tut mir leid. Finanzplanung — die Mitglieder dieses Hohen Hau-
(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU: Des ses, wenn sie am 19. Februar zu diskutieren haben,
Darstellers!) erst am 16. Februar mittags diese Vorlage bekom-
men.
— Ich habe es versucht; wenn Sie es nicht begriffen
(Hört! Hört! und Zustimmung bei der CDU/
haben, kann ich auch nichts dafür.
CSU.)
(Heiterkeit bei der SPD.)
Um Haushaltsgesetz, Gesamthaushalt, Einzelpläne
Wenn wir den Maßstab der Regierungserklärung und Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung
an den Etat für 1970 anlegen, so können wir fest- sachlich, kritisch, objektiv prüfen und darüber dis-
stellen, daß auf diesem Sektor die Ankündigungen kutieren zu können, bedarf der einzelne Abgeord-
der neuen Koalition in die Tat umgesetzt wurden. nete, dem ein weiniger großer oder überhaupt kein
Es waren also keine leeren Worte, wenn Bundes- Apparat zur Verfügung steht, eines wesentlich län-
kanzler Brandt am 28. Oktober 1969 seine beson- geren Zeitraumes.
dere Sorge für die Mitbürger zum Ausdruck brachte, (Beifall bei der CDU/CSU.)
die trotz Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung im
Schatten leben müssen, die durch Alter, Krankheit Ich kann mich nicht erinnern — —
oder strukturelle Veränderungen gefährdet sind.
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordne-
Die SPD-Fraktion steht zu dem Wort ihres Kanz- ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
lers, den Benachteiligten und Behinderten in Beruf Hermsdorf?
und Gesellschaft, wo immer dies möglich ist, Chan-
cen zu eröffnen. Bundeskanzler Brandt hat genau Strauß (CDU/CSU) : Wird das von der Redezeit
gewußt, wen er sich als ersten sozialdemokrati- abgezogen?
schen Finanzminister des Bundes i n sein Kabinett
geholt hat. Der Mann, der bisher für die SPD deren
Vizepräsident Dr. Schmid: Nein.
Regierungsprogramm während dreier Wahlkam-
pagnen auf solide finanzielle Grundlage gestellt hat,
Strauß (CDU/CSU) : Ich habe vor, einige hundert
tut dies nun für die SPD-geführte Bundesregierung.
Sätze zu sagen. Wenn Sie jetzt schon fragen, dann
Nicht wir, seine Parteifreunde, sondern die wach
müssen Sie aber Brotzeit mitbringen.
und kritisch beobachtende Presse hat Alex Möller -
bereits mit Respekt den Titel „Financier der inneren (Heiterkeit.)
Reformen" beigelegt.
(Lachen bei der CDU/CSU.)
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Herr Kollege
Strauß, ich anerkenne, daß es schwierig ist, wenn
Als Kollege, der ich das harte und verantwor- Sie den Haushaltsplan erst jetzt bekommen haben.
tungsreiche Metier des Finanzministers sehr gut Aber Sie haben mit Recht gesagt
kenne, scheue ich mich deshalb nicht, bei diesem
ersten offiziellen Anlaß Alex Möller zu danken für (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)
seine Bereitschaft, in der Regierungsmannschaft — Augenblick —, nach den Maßstäben, die wir ge-
Willy Brandts dieses unbequeme Amt auf sich zu setzt haben, ist das so vorgeschrieben und nicht an-
nehmen. ders möglich. Entweder wollen Sie das englische
(Beifall bei den Regierungsparteien. — System, dann müssen Sie .das in Kauf nehmen, oder
Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.) Sie wollen das nicht, dann müssen Sie wieder von
der Reform herunter.
Im Namen der gesamten sozialdemokratischen Frak-
tion versichere ich dem Bundesfinanzminister per- Strauß (CDU/CSU) : Ich glaube nicht, daß Art. 110
sönlich und der gesamten Bundesregierung unsere Abs. 3 GG vorschreibt, daß die Abgeordneten erst
loyale Unterstützung, damit wir miteinander 1973, 72 Stunden oder 70 Stunden vor Beginn der Aus-
am Ende dieser Wahlperiode, eine erfolgreiche sprache so bedeutsame, umfangreiche finanzpoliti-
Schlußbilanz vorlegen können, zum Wohle unseres sche Vorlagen bekommen dürfen, ansonsten die
ganzen Volkes, dem Sie sich auch nicht ver- Verfassungsbestimmung nicht eingehalten Wird.
schließen wollen.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
rufe von der CDU/CSU.) Ich will mich nicht über das, was der Kollege Leicht
„Informationssperre" oder andere „Maulkorberlaß„
genannt haben, hier noch im einzelnen verbreiten.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Strauß. (Zuruf des Abg. Hermsdorf.)
1386 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Strauß
— Nein, ich habe es übernommen. Ich bin auch ein Wenn aber die Finanzplanung, die hier Straußsche
guter Futterverwerter genau wie einige Ihrer Re- Finanzplanung genannt wird, als das Buch meiner
gierungsmitglieder. — Denn ; für diese Informations- Schuld dargestellt wird, bekenne ich mich gern dazu,
sperre den Art. 110 Abs. 3 GG zu strapazieren, ist
(Abg. Leicht: Sehr gut!)
eine etwas — lassen Sie mich e s so sagen — sehr
extensive oder intensive — je nachdem, wie man wenn die Konsolidierung der Bundesfinanzen, die
es auffaßt — Auslegung der Verfassung. Aber erwirtschafteten Überschüsse und die Schulden-
wenn eine Debatte gründlich geführt und dement- tilgung dann in Zukunft von Herrn Möller auch als
sprechend gründlich vorbereitet werden soll, ist ein mein Verdienst, als Straußsche Erfolgsplanung, her-
längerer Zeitraum der Prüfung erforderlich. An- vorgehoben werden.
sonsten ist es einfach nicht möglich, die Fragen zu (Beifall bei der CDU/CSU.)
prüfen, für deren Vorbereitung und Ausarbeitung
Stäbe von Hunderten von Beamten und Experten Ich bin der Meinung, daß das eine ebensowenig
monatelang tätig gewesen sind. Darüber gibt es richtig wäre wie das andere. Was an Mehrbelastun-
doch wirklich keinen Zweifel. gen über die alte Finanzplanung hinaus zustande
gekommen ist, das sind doch nicht die finsteren
Ich darf zweitens sagen: ich bedaure es, daß — ich geheimen Machenschaften des Finanzministers, die
rede im gleichen Stil — mein Herr Amtsnachfolger er hinter dem Rücken seiner Kabinettskollegen und
mehr aggressive Polemik gegen seinen Amtsvor- des Parlaments in aller Heimlichkeit unternommen
gänger als ausgewogene Darstellung der Zusammen- hat. Es ist doch nichts anderes als das, was dieses
hänge und Absichten geboten hat. Hohe Haus und die Regierung der Großen Koali-
(Beifall bei der CDU.) tion beschlossen haben.

Er hat damit eine Schärfe der Diskussion provoziert, (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Dr.
Herr Kollege Hermsdorf, Stark [Nürtingen] : Davon wollen sie nichts
mehr wissen!)
(Lachen bei der SPD)
Zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zum
wie sie sonst bei diesem Anlaß noch von keinem Haushalt 1970 und zur mehrjährigen Finanzplanung!
Finanzminister verursacht worden ist.
Da ist einmal die bereits vom Kollegen Leicht
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) erwähnte Zuwachsrate 1970 gegenüber 1969 mit
Es dürfte jetzt das 21. Mal sein, daß ich aktiv oder Sperre 8,8% ausgewiesen, ohne Sperre 12,1%.
passiv die Einbringung eines Haushalts als Abge- Zur Frage der Sperre hat sich Kollege Leicht ge-
ordneter miterlebe, und ich kann mich nicht erin- äußert. Er hat mit Recht dargestellt, daß sie ent-
nern, daß bei den 20 vorhergegangenen Einbrin- gegen Ihren Ausführungen, Herr Minister Möller,
gunasreden jemals in dieser Weise gesprochen wor- nicht recht glaubwürdig ist. Denn entweder sind in
den ist, der Sperre auch Ausgaben aufgeführt, von denen
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von Sie mit gutem Gewissen annehmen können, daß sie
der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Der nie fällig werden, oder Ausgaben, die zwingend ge-
neue Stil!) tätigt werden müssen.
-
wenn ich z. B. an die Einbringung meines ersten (Abg. Leicht: Sehr gut!)
Haushalts denke Die überflüssigen kann man ruhig in die Sperre auf
(Zurufe von der SPD) nehmen, und die anderen müssen sowieso erfolgen.
— ach, darüber würde ich nicht lachen — und an die (Abg. Baier: Sehr richtig!)
Würdigung meines Kollegen Dahlgrün, dessen Das ganze nennt man dann eine Art Sperrenkosme-
schwierige Situation ich sehr wohl verstanden habe. tik, aber nichts anderes.
Aber das ist um so bemerkenswerter, als die (Beifall bei der CDU/CSU.)
meisten Vorgänge, die der Bundesfinanzminister
ebenso wortgewandt wie leider in der Sache un- Denn wenn darin Mittel für den Hochschulbau ge-
sicher und zum Teil falsch zum Gegenstand seiner sperrt sind — angesichts der hohen Priorität, die
Ausfälle machte, dem Hochschulbau in dem Regierungsprogramm zu-
gemessen ist —, dann muß ich fragen: will man hier
(Oho-Rufe von der SPD) entweder wirklich kürzen, hält man diese Ausgaben
von beiden Koalitionsparteien der letzten Bundes- für überflüssig, für verschiebbar in das Jahr 1971,
regierung zu verantworten sind oder nimmt man an, daß sie ohnehin getätigt wer-
den müssen? Oder Ausgaben nach dem Wohngeld-
(Zuruf von der CDU/CSU: Davon will er gesetz! Diese Ausgaben beruhen doch auf zwingen-
nichts mehr wissen!) dem Rechte.
— auch von der SPD — und nicht auf die Allein- (Zuruf von der CDU/CSU: Prämien!)
verantwortung des Bundesfinanzministers gehen,
wie es das Möllersche Finanzgrusical einer nicht — Wohnungsbau- und Sparprämien werden doch
über die Einzelheiten informierten Öffentlichkeit auf Grund zwingenden Rechtes gezahlt. Diese Aus-
vorzaubern möchte. gaben sind doch nicht konjunkturpolitisch manipu-
lierbar.
(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1387
Strauß
Ich bin in diesem Hause immer dafür eingetreten, ob der 1. Juli 1970 der Wendepunkt ist: das ist doch
sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen, Herr eine der zahlreichen wie immer mehr oder minder
Kollege Hermsdorf, daß öffentliche Investitionen astrologischen Prognosen, denen jede wirkliche
konjunkturpolitisch manipulierbar seien. Der Teil Aussagekraft fehlt. Darum würde ich gern hören:
der öffentlichen Investitionen, der konjunkturpoli- Was geschieht am 1. Juli 1970, wenn die Konjunktur
tisch manipulierbar ist, der ist nicht allzu groß. bis dahin nicht die Wendemarke erreicht hat? Wird
man dann trotzdem die Sperre aufheben, wird man
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
sie verlängern, wird man dann die Steuersenkung
Ich kann dieser Bundesregierung doch nicht unter- ohne Rücksicht auf Verluste trotzdem durchführen,
stellen, daß sie in die Sperre Ausgabenminderungen oder wird man sie abermals verschieben, nachdem
aufgenommen hat, die dazu führen würden, daß man dies im Oktober 1969 als Hauptbestandteil der
lebenswichtige Tätigkeiten des Staates dadurch Regierungserklärung versprochen hat? Das sind
unterbunden werden. doch die Fragen, um die es hier geht.
(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Das hat auch (Beifall bei der CDU/CSU.)
niemand gesagt!)
Gerade weil so viel von der Konjunktur die Rede
Wenn aber die Bereitschaft besteht, diese Ausgaben ist: Es geht schließlich nicht um die kassenmäßigen
in diesem Jahr einzusparen, dann gibt es doch nur Ausgaben, sondern um die Anstoßeffekte,
zwei Möglichkeiten — ich weiß, daß Sie auf den (Abg. Leicht: Genau!)
1. Juli 1970 spekulieren —: entweder Sie halten sie
wirklich für einsparbar, dann würden sie besser in und diese werden nur durch echte Kürzungen unter-
den Konjunkturhaushalt eingebracht werden, oder bunden, nicht durch Sperren, die Mitte des Jahres
Sie halten sie nicht für einsparbar, dann spekulieren auslaufen. Das ist der große Unterschied dabei.
Sie auf den 1. Juli 1970 in der Erwartung, daß die Denn die Auftragsvergabe ist entscheidend für die
bis dahin sich abzeichnende Änderung der Konjunk- konjunkturelle Wirkung,
turlage eine Verlängerung der Sperre dann nicht (Sehr richtig bei der CDU/CSU)
notwendig macht. Damit ist doch alles auf das
zweite Halbjahr 1970 hinausgeschoben, weil man es nicht der kassenmäßige Abfluß der Mittel.
nicht wagt, heute Farbe zu bekennen. Die Ausgaben 1969 lagen im Soll nach der neuen
Methodik des Finanzplans bei 80,8 Milliarden DM
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von mit Konjunktursperre, Herr Kollege Möller. Sie ha-
der SPD.) ben in Ihrem Interview mit Radio Saarbrücken Ende
Im übrigen, bei einer wissenschaftlich so fundier- des letzten Jahres eine falsche Zahl genannt. Das
ten Politik, wie sie immer mit Stolz genannt wird, kann einem bei einem Interview unterlaufen.
würde ich doch auch einmal eine Äußerung erwar- (Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Die hat er
ten, was der Herr Bundesfinanzminister von dem sogar korrigiert, im Gegensatz zu Ihnen!)
Votum seines eigenen Beirats hält, der selbst eine
Ausgabenzuwachsrate von 8,8 % für konjunkturan- Die IstAusgaben betragen 81,54 Milliarden DM.
heizend erklärt hat. In einem Gutachten, das zu ver- Das heißt, daß im Jahre 1969 die Konjunktursperre
öffentlichen die Bundesregierung sich durchgerungen nicht eingehalten worden ist, nachdem die neue
hat, steht es doch schwarz auf weiß. Hat der wis- Regierung ihre Tätigkit aufgenommen hatte.
senschaftliche Beirat unrecht? Ich bin nicht der Mei- (Beifall bei der CDU/CSU.)
nung, daß wissenschaftliche Beiräte immer recht Denn nach dem neuen Verrechnungsplan, in dem
haben. Aber gerade bei einer so wissenschaftsorien- nunmehr der Nettosaldo mit Brüssel aufgeführt wird,
tierten Politik, wie die heutige Bundesregierung sie hätten die Ausgaben bei Einhaltung der vom alten
zu betreiben in aller Öffentlichkeit verkündet, Kabinett beschlossenen Sperre maximal 80,8 Mil-
müßte ich doch erwarten, daß der Herr Bundes- liarden DM betragen dürfen. Sie haben aber nach
finanzminister sich äußert und ganz klar sagt: er den Unterlagen, die uns das Bundesfinanzministe-
hält die Stellungnahme seines Beirats für falsch. rium gegeben hat, 81,54 Milliarden DM betragen,
Wenn er sie aber für richtig hält, dann muß er zu- also 700 Millionen DM mehr, als mit Konjunktur-
geben, daß seine Steigerungsrate konjunkturan- sperre vorgesehen war.
heizend und darum weder konjunkturneutral ge-
schweige denn konjunkturgerecht ist. Und ohne Ich darf dazu noch eines sagen. Die Konjunktur-
Sperre 12,1 %! sperre von 1,8 Milliarden DM war die untere
Grenze. Wir waren uns völlig darüber im klaren,
Ich sage Ihnen aber auch, daß der Haushalt mit daß bei sparsamer Haushaltsführung bis Ende des
Einhaltung der Sperre nicht konjunkturgerecht ist Jahres über die Konjunktursperre hinaus nicht nur
und daß die Verpflichtung nach dem Stabilitätsge- ein Betrag von einigen hundert Millionen, sondern
setz nicht erfüllt ist. Was geschieht am 1. Juli 1970? von mindestens 1 Milliarde DM ebenfalls noch an
Wir haben schon viele Konjunkturprognosen ge- Minderausgaben hätte erzielt werden können. Statt
hört. Schon im Jahre 1969 haben wir gehört, daß es dessen sind die Ausgaben 1969 künstlich erhöht statt
in der zweiten Hälfte. des Jahres zu einem Abflauen vermindert worden. Der Plafond ist bewußt und
der Konjunktur kommen werde. Die Prognose war konjunkturwidrig angehoben worden, damit die
falsch. Jetzt hört man dasselbe für 1970. Daß wir Steigerungsrate 1969 gegenüber 1968 optisch höher
nicht am Anfang des Booms stehen, ist klar, daß wir erscheint
den Höhepunkt hinter uns haben, ist möglich. Aber (Zustimmung bei der CDU/CSU)
1388 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970
Strauß
und durch Vorverlagerung von Ausgaben, die erst Über die sonstigen öffentlichen Haushalte —
für 'das Jahr 1970 notwendig gewesen wären, die Gemeinden und die gesetzlichen Kranken-
(Abg. Baier: Sehr richtig!) und Unfallversicherung — liegen zwar noch
keine ausreichenden Angaben vor. Aber auch
auf , das Jahr 1969 die Zuwachsrate für 1970 gegen- bei ihnen dürfte insgesamt gesehen die Ten-
über 1969 künstlich gesenkt wird. denz ähnlich gewesen sein.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase Es sind also nicht nur die zentralen, sondern auch
[Kassel]: Genau das ist es!) die anderen öffentlichen Haushalte konjunkturge-
Darum sind diese 8,8 % mit Konjunktursperre und recht abgewickelt worden.
die 12,1 % ohne Konjunktursperre ein leichtfertiger (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht der
Umgang mit Zahlen, der dazu bestimmt ist, die Bund!)
Öffentlichkeit über den inflationären Charakter des
Haushalts 1970 hinwegzutäuschen. Vizepräsident Dr. Schmid: Ein Wort, meine
(Leibhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Damen und Herren! Wir wollen uns auf Fragen be-
schränken, wir wollen nicht Ausführungen machen,
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter, solange der Redner spricht.
erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abge-
ordneten Porzner? Strauß (CDU/CSU) : Mit dieser Zitierung ist doch
die Tatsache nicht aus der Welt geräumt, daß die
Strauß (CDU/CSU): Auf der Grundlage: Nicht- Ausgaben des Bundes im letzten Quartal 1969
abzug von der Redezeit. wesentlich höher waren als im Quartalsdurchschnitt
der vorangegangenen neun Monate.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ihnen wird nichts (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Jung-
abgezogen. hans meldet sich zu einer Zwischenfrage.)
— Ich bin jetzt nicht mehr bereit, Fragen zu beant-
Strauß (CDU/CSU) : Herr Kollege Porzner! worten.
(Lachen bei der SPD.)
Porzner (SPD) : Herr Strauß, Sie haben eben die — Sie werden doch nicht glauben, daß ich nicht in
Haushaltspolitik der Bundesregierung im letzten der Lage bin, Ihre Fragen zu beantworten.
Quartal des vergangenen Jahres für konjunktur- (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
widrig gehalten.
Aber Sie werden mich auch für erfahren genug
(Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!) halten, daß ich mir nicht eine zusammenhängende
Sind Sie der Meinung, daß die Feststellung der Rede nach dem Stil dieser Fragestellung so zer-
Bundesbank im letzten Monatsbericht falsch ist, reißen lasse, daß das, was ich zu sagen habe, dann
die lautet, „daß die zentralen öffentlichen Haushalte nicht mehr verstanden wird.
auch im vierten Quartal 1969 durchaus antizyklisch (Beifall bei der CDU/CSU.)
gewirkt haben", also konjunkturgerecht gewesen
Aber bitte!
sind?

Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie die


Strauß (CDU/CSU) : Unter „öffentlichen Haus- Frage? — Herr Abgeordneter Junghans.
halten" sind die des Bundes, der Länder, Gemeinden
und parafiskalischen Gewalten zu verstehen.
Junghans (SPD) : Herr Kollege Strauß, Sie spra-
(Abg. Porzner: Nein!)
chen vorhin von der Konjunkturbeurteilung. Er-
Für den Bund trifft das nicht zu. innern Sie sich an den Satz: „Die jüngsten Kon-
(Beifall bei der CDU/CSU.) junkturdaten enthalten erste Anzeichen für eine
Abflachung des Konjunkturaufschwungs", den Sie
am 20. September 1969 geäußert haben?
Porzner (SPD) : Herr Strauß, die Haushalte ,der
Gemeinden zählen nicht zu den „zentralen öffent-
lichen Haushalten". Strauß (CDU/CSU) : Es sind damals die ersten
Anzeichen für eine Abflachung der Investitions-
(Beifall bei der SPD.) güterkonjunktur entstanden, aber noch keine An-
zeichen für eine Abflachung der durch eine Reihe
Strauß (CDU/CSU) : Ich habe Sie nicht verstan- von Umständen und Maßnahmen heute noch künst-
den; wären Sie so freundlich, das zu wiederholen? lich angeheizten und verlängerten Verbrauchs-
güterkonjunktur.
Porzner (SPD) : Herr Strauß, die Haushalte der (Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!
Gemeinden zählen nicht zu den zentralen öffent- — Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Schiller ist
lichen Haushalten. Die Bundesbank — vielleicht schuld! — Beifall bei der CDU/CSU.)
darf ich das zitieren, um Sie nicht im Ungewissen Aber wenn Sie schon den Vergleich der ersten
zu lassen — schreibt: drei Quartale 1969 mit dem letzten Quartal 1969
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1389
Strauß
nicht gern hören, dann werden Sie das folgende und nicht, wie Sie behaupten, von 25' 010 zu ver-
noch weniger gern hören, das eine noch wesentlich zeichnen.
präzisere Aussagekraft hat. Vom Januar bis (Beifall bei der CDU/CSU.)
November 1969 haben die Ausgaben im Monats- Somit beträgt der Zuwachs — Ausgangspunkt sind
durchschnitt 6,5 Milliarden DM betragen. Im Dezem- jeweils die Zahlen für Dezember — von 1967 auf
ber — das war der 12. Monat; darum ist der 1968 13,5 % und von 1968 auf 1969 mehr als 33 %.
Quartalsdurchschnitt schon irreführend, weil hier Nun haben Sie noch gestern gesagt, daß beide
noch zwei harmlose Monate mit einem gefährlichen Zuwachsraten — .die von 1967 auf 1968 und die von
Monat kombiniert werden — betrug der Zuwachs 1968 auf 1969 — gleich seien; das beweise die
gegenüber dem Monatsdurchschnitt der ersten elf Haltlosigkeit unserer Vorwürfe.
Monate 5 Milliarden DM.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
Wenn ein Finanzminister aber nicht zwischen 13 und
Das ist gegenüber dem Monatsdurchschnitt Januar 33 % unterscheiden kann, wenn er meint, das seien
bis November, ein Zuwachs im Dezember von 75 %. ungefähr die gleichen Zahlen — —
Wenn das nicht eine künstliche Steigerung von (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. —
Ausgaben ist, dann verstehe ich allerdings — wo- Zurufe von der SPD.)
rüber Sie lachen werden — von dem Geschäft nicht
so viel wie andere. — Lesen Sie es doch nach!
(Weitere Zurufe von der SPD.)
(Zuruf von der FDP: Das war vorher doch
genauso!) — Aus Ihnen spricht jetzt nichts anderes als die be
tretene Verlegenheit, .die sich in Geschrei ausdrückt.
— Jetzt hören Sie mich nur mal an.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase
Dann, Herr Kollege Möller, haben Sie auf eine [Kassel] : Das ist der Kassenhalter des Bun
Kleine Anfrage von mir eine Antwort gegeben. des! — Zuruf von der SPD: Wir sind doch
Sie haben diese Antwort gestern sogar wiederholt. nicht in Vilshofen!)
Ich hätte wenigstens geglaubt, daß Sie in der
Zwischenzeit die von Ihnen unterschriebene Ant- Habe ich denn eine falsche Ausgabe der Drucksache
wort noch einmal nachgelesen hätten, um zu mer- bekommen? Sind denn die mir vorliegenden Zah-
ken, daß Sie entweder falsche Zahlen oder falsche len falsch? Wenn die Zahlen, die Herr Möller an-
Prozentsätze geboten haben. Ich wiederhole: falsche gibt, richtig sind, sind die von ihm angegebenen
Zahlen oder falsche Prozentsätze. Wenn man es prozentualen Zuwachsraten schlechterdings falsch,
einmal macht, dann kann es Unkenntnis sein. Wenn irreführend, eine bewußte oder unbewußte Unwahr-
man es ein zweites Mal in der Haushaltsrede mit heit. Etwas anderes kann man daraus doch nicht
Polemik gegen den Vorgänger höhnisch und stolz schließen.
wiederholt, dann kann es nicht mehr nur Unkennt- (Beifall bei der CDU/CSU. Zurufe von

nis sein, dann muß man Absicht dahinter vermuten. der CDU/CSU: Das ist aber nicht das ein
zige Beispiel! — Und dann spielt er den
-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
starken Mann!)
Ich habe die Drucksache VI/299 vor mir liegen. Da Ich habe schon bei der Lektüre, ohne daß ich mich
ist an Betriebsmittelzuweisungen im Dezember 1968 etwa großer mathematischer Kenntnisse rühme,
ausgewiesen — mit Ihrer Unterschrift —: 8 Mil-
liarden 860 Millionen DM. Für Dezember 1969 sind (Abg. Wehner: Hört! Hört!)
11,8298 Milliarden DM an Betriebsmitteszuweisun- den Kopf über die Prozentrechnung geschüttelt, und
gen ausgewiesen. Die Zuwachsrate errechnet man ich habe gestern überhaupt nicht mehr verstanden,
auf der Basis der Rate des letzten Jahres. Um diese daß Sie diese Zahlen mit großem Stolz und im Ge-
Rate zu berechnen, brauchen Sie weder einen fühl ausgekosteten Triumphes über Ihren armen,
Computer noch ein Input-Output-Verfahren, über so minderwertig begabten Amtsvorgänger sogar
das wir uns früher unterhalten haben; Sie brauchen noch wiederholt haben.
nur einfache arithmetische Grundschulkenntnisse.
(Abg. Haase [Kassel] : Der arme Alex!)
Sie werden dann feststellen, daß der Zuwachs von
1968 auf 1969 nicht, wie Sie behaupten, 26,7 %, Herr Kollege Möller, wenn Sie recht hätten, wenn
sondern 33,5 % beträgt. Warum sprechen Sie von der Zuwachs von 1968 auf 1969 26 % betrüge, hät-
26,7 %? ten Sie wesentlich weniger ,ausgeben müssen; Sie
hätten dann am Ende des Jahres noch mehr liquide
Sie sagen nun — das habe ich eben auch Zurufen Mittel gehabt. Man hat aber im Dezember Betriebs-
aus Ihrer Fraktion entnommen —: Das war ja mittel überwiesen, um den Haushalt 1969 aufzublä-
immer so! Der Zuwachs von 1967 auf 1968 betrug hen, die Basis künstlich zu erhöhen und damit den
auch schon 25,2%. Die 1,5% mehr sind dem Zu- Zuwachs des Jahres 1970 optisch zu senken. Das
wachs des Haushaltes zuzuschreiben. Da will ich ist die Methode der Temperaturgestaltung im Zim-
Ihnen recht geben. Sie weisen für Dezember 1967 mer durch ein Streichholz am Thermometer.
7,7963 Milliarden DM und für Dezember 1968
8,860 Milliarden DM aus. Sie brauchen keinen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
Computer, sie können die Steigerungsrate im Kopf Als ich mich, vom Saarländischen Rundfunk ge-
ausrechnen. Hier ist eine Steigerung von 13,5 % fragt, wie es denn Ende 1969 mit den Ausgaben
1390 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Strauß
stünde, noch sehr zurückhaltend geäußert habe — ich gierungsprogramm in Zahlen. Was hier vorliegt, ist
zitiere jetzt Ihren Interviewer, Herrn Gasper: Ihr die schlichte, mit Zuwachsraten ausgestattete Fort-
Vorgänger hatte .am Freitag behauptet, die Bun- setzung der Arbeit der Vorgänger, nichts anderes.
desregierung hätte in den letzten zwei Monaten Es geht allein darum, daß man nicht durch Worte
des Jahres 1969 die Ausgaben um bis 25 % gegen- die Sachen ändern kann, daß man nicht durch Inter-
über anderen Monaten gesteigert —, lag meine pretation die Tatsachen umstülpen kann.
Schätzung infolge der Informationssperre aus Ihrem
(Abg. Ollesch: Das können Sie am besten!
Hause noch weit unterhalb der Wirklichkeit. Da — Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)
haben Sie in Ihrer Antwort gesagt, es sei Ihnen
völlig schleierhaft, wie Herr Strauß zu dieser Be- — Ich danke schön für das Kompliment, Herr Kol-
merkung kommen könne. Nun wenden Sie ver- lege Ollesch. Aber als Sie neulich meinten, ich hätte
stehen, daß wir gegen diese Zahlen einige Vor- die politische Bühne mit einem Bauerntheater ver-
behalte anzumelden haben. Im Umgang mit Zahlen wechselt, haben Sie mich mit einem Ihrer Partei-
sollten Sie nicht so großzügig sein wie die Zeugen freunde verwechselt.
Jehovas in der Auslegung der Bibel. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. Der Herr Bundesfinanzminister hat mit einem
— Zurufe von den Regierungsparteien. — verständlichen Stolz, mit einer echten Befriedigung
Pfui-Rufe von der SPD. — Abg. Wehner: darauf hingewiesen, welch höhere Leistungen die
Eine neue Variante der „Tiere"!) neue Bundesregierung und die sie tragende Koali-
tion auf einer Reihe von Gebieten vom Jahre 1970
— Als eine Ihnen nahestehende Korrespondenz
an erbringen kann: Kriegsopferversorgung, Kinder-
Ähnliches über mich im Zusammenhang mit Statistik
geld, Wohngeld, regionale Wirtschaftsförderung,
schrieb, haben Sie sich nicht so erregt.
Bildung, Wissenschaft, Forschung, Gesundheit, Sport,
In Wirklichkeit liegen die Dinge so, daß man zu Erholung, Verkehrswesen, Wohnungswesen, Raum-
den 8,8 oder 12,1 % 2 bis 2,5 % hinzuzählen muß. ordnung. Ich stelle einmal die Frage: warum kann
Denn ob die Ausgaben Ende Dezember 1967 oder denn das alles nach Ansicht der Bundesregierung in
Anfang Januar 1968 getätigt werden, ist volkswirt- durchaus solider Weise finanziert werden? Liegen
schaftlich völlig irrelevant. Ausgaben Ende 1969, dazwischen geniale Wundertaten? Ist in der Zwi-
wenn sie 70er Ausgaben sind, wirken ökonomisch schenzeit von Ihnen der Dukatenesel zur Welt ge-
wie im Haushalt 1970, nicht anders. Und dann sind bracht worden, der auf einmal das Geld herschafft,
wir bei Zuwachsraten von 11 % und mehr bei Ein- das der Vorgänger verwirtschaftet hat?
haltung der Sperre und von 14 % und mehr bei Auf- (Beifall bei der CDU/CSU.)
hebung der Sperre. Das ist die Wirklichkeit.
Wenn das alles finanziert werden kann, dann dank
Ich beziehe mich hier nicht auf Zahlen, die ich der traurigen „Erblast", die Sie übernommen haben.
auf krummen Wegen bekommen habe. Ich beziehe
mich hier nicht auf Hintergrundangaben. Ich habe (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
jetzt nur die Zahlen verwendet, die in einer Druck- Es ist doch in der Zwischenzeit von Ihrer Seite nichts
sache, unterschrieben vom Bundesfinanzminister, auf geschehen — mit Recht, sage ich auch, vielleicht mit
eine Kleine Anfrage von mir geboten worden sind. Recht, muß ich einschränkend hinzufügen — was -
Ist das Parlament hier falsch unterrichtet worden? einnahmemehrend hätte wirken sollen.
Das würde man bei mir sagen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)
(Zustimmung und Heiterkeit bei der CDU/
Sie geben doch das aus, was durch die Wirtschafts-
CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.)
und Finanzpolitik der letzten Jahre erwirtschaftet
Ich komme zu einem weiteren Punkt. In der mehr- worden ist.
jährigen Finanzplanung wird angegeben, daß der (Beifall bei der CDU/CSU.)
Bund eine Zuwachsrate von durchschnittlich 8% für
Ihr Auftritt, Herr Kollege Möller, an dieser Stelle
die Planungsperiode habe. Da er aber am Anfang
als Finanzminister ist doch noch nicht ein Akt der
schon eine wesentlich höhere Zuwachsrate hat, ist
Geldschöpfung in Milliardenhöhe.
die Zuwachsrate für die Jahre 1971 bis 1973 auf
6,8% begrenzt. Glauben Sie im Ernst, daß man im (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
ersten Jahr mit 11 bis 12 oder 14 bis 15 % anfangen Bei den Steuereinnahmen im Bund im Jahre 1969 —
und sagen kann, das sei der Beginn der großen Re- und das ist das große Loch, meine Damen und Her-
formen, und daß man dann in den folgenden Jahren ren, das der Kollege Möller festgestellt hat — hat er
auf einen durchschnittlichen Zuwachs von 6,8% zu Plus- und Minuszeichen verwechselt.
-rückehna?Jdmweißoch—ast
die Erfahrung aller Finanzplanungen —, daß mit (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von
jedem Jahr, das weiter vom Ausgangspunkt weg den Regierungsparteien.)
liegt, die Gefahr der perspektivischen Verzerrung, Das Soll der Steuereinnahmen im Jahre 1969, so
der Überschätzung der Einnahmen und der Unter- steht es in der von ihm erwähnten Finanzplanung,
schätzung der Ausgaben, immer noch bestanden hat. war 74,2 Milliarden DM; das Ist der Steuereinnah-
Darum ist die Zuwachsratenverkürzung für die fol- men im Jahre 1969 ist 78,28 Milliarden DM: ein
genden Jahre reichlich illusionär, vor allem wenn Plus von 4 Milliarden DM. Daß innerhalb dieses
ich an die Versprechungen der Regierungserklä- Plus Verschiebungen stattgefunden haben, einige
rung denke. Sie sprechen von Reformen, vom Re Steuern mehr erbracht haben als die Schätzung,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1391
Strauß
einige Steuern weniger erbracht haben als die kann. Ich erinnere mich nur daran, daß wir hier alle
Schätzung, im Saldo — — — nicht zuletzt gemäß den Vorschlägen meines
(Zuruf von der SPD.) Herrn Amtsnachfolgers — seinerzeit angetreten
sind mit der löblichen Absicht, eine Umstrukturie-
— Ich komme schon auf Ihre Investitionssteuer. Das rung des Bundeshaushalts herbeizuführen und den
Wort wäre besser nicht gefallen. Ich werde Ihnen Prozentsatz der investiven und investitionsfördern-
nachweisen, warum. Vielleicht wollen Sie es auch den — man sagte manchmal auch „wachstumsför-
nicht mehr hören, dann wird die Redezeit vor- dernden" — Ausgaben, die nach bestimmten Krite-
geschützt; aber wenn Sie es hören wollen, dann rien — nicht sehr zuverlässigen, wie jedermann
hören Sie, was es mit der Investitionssteuer für eine weiß, :da es die nicht gibt — zu erhöhen. Im Laufe
Bewandtnis hat. Es gibt doch in Ihren eigenen Reihen der letzten drei Jahre ist ein mühsamer Kampf Pro-
Kollegen, die sich hier am liebsten Augen und Ohren mille um Promille um :die Erhöhung dieser Quote
verschließen würden, um das nicht mitzubekommen, geführt worden. Ich stelle nur fest: dieser Kampf ist
was sie erlebt haben. aufgegeben worden, und zwar deshalb, weil man
(Beifall bei der CDU/CSU.) nicht die in der Regierungserklärung gegebenen
Sie wissen doch ganz genau, was ich meine. Wenn Versprechungen finanzieren und die seinerzeit so
Sie es nicht wissen, darf ich es Ihnen dann sagen. heftig betonte Umstrukturierung des Bundeshaus-
halts gleichzeitig vornehmen kann.
(Zurufe von der SPD.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Jedenfalls betragen die Steuermehreinnahmen der
ach so traurigen „Erblast" für das Jahr 1969 4 Mil- Das geht einfach nicht.
liarden DM.
Wir wissen, daß die konsumtiven Ausgaben mei-
Im Jahre 1969 ist kein Pfennig Nettokredit aufge- stens rechtlich festgelegt sind, größtenteils sogar mit
nommen worden; automatischen Zuwachsraten. Die Investitionsaus-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU) gaben sind allein für Zwecke der Konjunktur-
steuerung verwendbar — ohne größeren politischen
das Parlament hatte 3,8 Milliarden DM bewilligt. Im
Ärger. Bei allem anderen gibt es doch, wie wir
Jahre 1969 sind darüber hinaus 1,8 Milliarden DM erlebt haben, größeren politischen Ärger, und darum
Schulden zusätzlich getilgt worden. Damit ist neuer
wird häufig aus der Not eine Tugend gemacht.
Verschuldungsspielraum für den Fall einer Rezes-
sion und eines eventuell notwendig werdenden Kon- Und dann sind noch „erstaunliche Lücken" da.
junkturhaushalts geschaffen worden. Das ist ge- Kollege Leicht hat darauf hingewiesen. Die EWG-
schehen trotz der mutwilligen Aufblähung der Bun- Ansätze sind doch höchst problematisch. Denn zur
desausgaben in den letzten Monaten, wie ich sie Begründung für kassenmäßige Minderausgaben auch
vorher hier an Hand der offiziellen Zahlen nach- in Zukunft die langsame Arbeitsweise der Kommis-
gewiesen habe. Das ist die Wahrheit über die sion als finanzpolitisches Hilfsinstrument anzu-
traurige „Erblast", von der dauernd gesprochen setzen,
wird. (Heiterkeit bei der CDU/CSU)
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich kann Ihnen noch eine weitere Botschaft zu ist doch etwas, was sich unter Umständen durch eine
der traurigen Erblast verkünden, Herr Kollege etwas raschere Arbeitsweise in Brüssel als wir-
Möller: kungslos erweisen könnte.
(Zuruf von der SPD.) Und wie steht es eigentlich mit den Haushaltsbe-
— Glauben Sie ja nicht, daß ich erregt bin! — Das lastungen für den Devisenausgleich nach Auslaufen
Steueraufkommen für die Jahre 1970 bis 1972 ist der bestehenden Abkommen? Glaubt man denn —
nämlich dank der Wirtschafts- und Finanzpolitik angesichts der Diskussion in Amerika frage ich
der letzten drei Jahre bis zur Bildung der neuen das —, daß die Amerikaner auf weitere Devisenaus-
Regierung voraussichtlich um 20 Milliarden DM gleichsabkommen verzichten und nicht unter Um-
höher, als im letzten Finanzplan geschätzt worden ständen — sogar wahrscheinlich — noch wesentlich
ist. Das ist auch ein Stück der „traurigen Erbmasse", höhere Forderungen stellen werden als bisher, weil
die Sie zu bewältigen haben. sie gewohnt sind, daß Bonn doch gleich zahlt, wenn
(Beifall bei der CDU/CSU.) man drückt?
Das ist doch nicht etwa ein Verdienst der Tätigkeit (Zuruf von der SPD: Das war einmal so! —
der neuen Bundesregierung, das ist ein Verdienst Weitere Zurufe von der SPD. — Abg. Haase
der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, gegen [Kassel]: Wir werden es ja erleben!)
deren Leistungsfähigkeit man nicht dauernd durch
— Ich werde Sie beim Wort nehmen, wenn die
hektisches Drehen an der Schraube bald da, bald
Forderungen auf Bezahlung von Stationierungs-
dort ankämpfen sollte.
kosten auf dem Tisch liegen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Welche Pra-
Sehr interessant war mir Ihre apologetische Be- xis haben Sie denn da geübt?)
merkung, daß der Bundeshaushalt nicht umstruktu-
riert werden könne. Kollege Hermsdorf hat ja heute Oder erwarten Sie bereits als Ergebnis einer euro-
unterstrichen, daß er nicht umstrukturiert werden päischen Friedensordnung die Überflüssigkeit der
1392 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Strauß
Stationierung verbündeter Truppen auf deutschem Ausgaben späterer Jahre notorisch unterschätzt.
Boden? Deshalb werden aus diesen oder jenen Gründen
(Zuruf von der CDU/CSU: Manche ja! Lei Mehrausgaben eintreten, die weit über das hinaus-
der!) gehen, was hier an globalen Verfügungsreserven
überhaupt vorgesehen ist.
Wenn Sie das verneinen, müssen Sie einen Ansatz
für die Verpflichtungen aus dem Devisenausgleichs Es ist viel über Nettokreditaufnahme gesprochen
abkommen ab 1971 einbringen, wenn diese Finanz- worden. Ich danke dem Kollegen Hermsdorf, daß er
planung klar, wahr und ehrlich sein soll. sich meine Ausführungen auf diesem Gebiet zu
eigen gemacht und sie dem Hohen Hause nochmals
(Beifall bei der CDU/CSU.)
geboten hat. Ich stehe zu dem, was ich damals
Sie wissen doch, was Senator Percy gesagt hat, sagte. Aber es doch völlig auf Sand gebaut, wenn
als er verärgert auf den Verkauf von 500 Millionen man eine Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts
Dollar amerikanischer Schatzanweisungen reagierte? von 6,5 bis 7 % gleichbleibend für die folgenden
Auch die Zurechtweisung durch den „Oberbundes- Jahre unterstellt und darauf eine Nettokreditauf-
kanzler" oder „Oberbundesabkanzler" Konrad nahme aufbaut: 2,7 Milliarden, 4,2 Milliarden,
Ahlers, daß Senator Percy nicht die öffentliche Mei- 5,7 Milliarden und 8,2 Milliarden DM, das heißt,
nung in Amerika darstelle, wird von Percy bestimmt daß man eine auf vollen Touren permanent durch-
nicht als ein Befehl aufgefaßt, sich in Zukunft nicht laufende Volkswirtschaft voraussetzt, daß man
mehr mit Amerika zu identifizieren. keine Ausgabereserven mehr für zusätzliche Mehr-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) ausgaben hat, die erfahrungsgemäß auftauchen, und
trotzdem heute schon für 1973 die Nettokreditauf-
Da muß ich fragen: Welche Vorstellungen hat denn nahme auf 8 Milliarden DM festsetzen muß. Darin
die Bundesregierung in bezug auf diese Punkte? steckt doch noch ein gefährliches Verschuldungs-
(Zuruf von der SPD: Sollte das ein Witz potential. In diesem Zusammenhang darf ich Herrn
sein?) Blessing zitieren. Es geht nicht darum, daß man
sagt, wie hoch oder wie niedrig die Verschuldung
— Damit kommen Sie nicht durch, mit so billigen jährlich sein darf; in den Zeiten der Rezession soll
Methoden, daß man einen präzise und scharf argu- sie hoch sein, in den Zeiten der Hochkonjunktur
mentierenden politischen Gegner mit billigen Verun- soll sie Null sein, soll umgekehrt sogar noch zusätz-
glimpfungen seiner Aussagekraft zu berauben ver-
lich eine Schuldentilgung stattfinden.. Schon als wir
sucht.
im Jahre 1967 verhältnismäßig hohe kurzfristige
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der Kredite aufgenommen hatten, sagte mir Herr
SPD.) Blessing in einer Sitzung des Zentralbankrats:
Das ist ganz mieser Stil. Der ist von solchen prakti- Geben Sie acht, daß Sie damit nicht ein inflationäres
ziert worden, mit denen Sie sich in der Methode Verschuldungspotential aufbauen! Damals war eine
nicht identifizieren sollten. Kreditaufnahme in der Höhe von 8 Milliarden DM
erforderlich. Ich habe sie auch vertreten. Aber in
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von einer Hochkonjunktur, bei Unkenntnis über kom-
der SPD.) mende Mehrbelastungen und Ausgaben diese-
Weiterhin — ich möchte nur das Stichwort an- Steigerung des Nettokredits schon jetzt als nor-
sprechen — hoffen wir, daß es zum erfolgreichen males Finanzierungsinstrument einzusetzen, das
Abschluß von Verhandlungen mit unseren östlichen führt mit Sicherheit dazu, daß die wirkliche Kredit-
Nachbarn ohne unzumutbare Bedingungen kommen aufnahme wesentlich höher sein wird. Sie muß
wird. Aber wie steht es dann mit der Bereitschaft wesentlich höher sein, und dabei ist noch nicht
der Bundesregierung, Wiedergutmachungsleistun- einmal eingerechnet, was sich da s o an Neben-
gen — und bis zu welcher Höhe? — zu erbringen? kreditaufnahmen um den Haushalt herumschleicht
wie Öffa, Kapitalisierungen der Kriegsopferrente
(Abg. Wehner: Sie haben doch schon gesagt, und anderes. Das kommt doch noch alles dazu. Die
wir hätten alles verschenkt! Was sagen Sie globalen Verfügungsmittel sind minimal; die Kre-
hier denn noch?) ditaufnahme steigt steil an. Selbst bei Eintreten
— Wir haben so viel Substanz angesammelt in der optimistischen Annahmen wird sie noch wesent-
den letzten zwanzig Jahren, Herr Wehner, daß lich höher sein als in der alten Finanzplanung. Was
immer noch etwas da ist. tritt ein, wenn die Einnahmen zurückbleiben? Dann
kommt doch die Kreditfinanzierung in gefährliche
(Zuruf von der SPD: Das war aber schwach;
Höhen hinein. Kollege Möller hat dem in Hamburg
das müssen Sie zugeben!)
vorgebaut, als er sagte, die Regierung sei bereit,
Das sind die Ausgaberisiken, und zwar in ihr Reformprogramm — was an sich die Fortsetzung
Größenordnungen, die man nicht als geringfügig, dessen ist, was seit Jahren mit gewissen Zuwachs-
als eine quantité négligeable bezeichnen kann. raten, die anerkennenswert sind, läuft — notfalls
Dann haben Sie global die Mehrausgaben drin: durch neue Schulden zu finanzieren. Ihre Rede vor
1970 200 Millionen, 1971 300 Millionen, 1972 dem Überseeclub! Aber wir wollen doch wissen —
1 Milliarde und 1973 2 Milliarden DM. Je weiter ich erinnere an die Debatte, die am letzten Dienstag
es weg ist, desto höher werden die globalen Ver- geführt worden ist —: Wie steht man zu der Alter-
fügungsreserven! — Das ist ein Irrtum. Die native zwischen Finanzierung von Regierungsver-
perspektivische Verzerrung führt dazu, daß man die sprechungen und dem eisernen Gebot der Sparsam-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1393
Strauß
keit, wenn die Stabilität es erfordert. Darüber sollte macht man es nicht, wenn man ernst genommen
eine ganz klare Aussage, so oder so, erfolgen. werden will!
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich habe noch weniges zu einigen wesentlichen Dann hat er auf meine „Finanznachrichten" vom
Einzelheiten zu sagen. 17. Oktober verwiesen. Ich habe darin, schwarz auf
weiß an die Öffentlichkeit verteilt, auf Grund der
Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung im
Vizepräsident Dr. Schmid: Sie haben noch Ministerium ausdrücklich angeführt, daß Devisen-
sieben Minuten. ausgleich, Brüsseler Paket für die Bundeswehr,
(Zuruf von der CDU/CSU.) Lohnfortzahlungsgesetz, Mehraufwendungen für
Wohnungsbauprämien, Sicherung der ausländischen
— Zusatzminuten! Bezugsquellen für die deutsche Erdölindustrie eine
Mehrbelastung von 1,9 Milliarden DM ausmachen.
Das steht schwarz auf weiß in diesem Papier. Wie
Strauß (CDU/CSU) : Ich dachte, hier besteht ein kann jemand dazu kommen, zu sagen, daß die Vor-
Interesse daran, daß ich die Sache Investitionsteuer gänge nicht erfaßt worden seien? Dieselben Beam-
und Konjunkturausgleichrücklage, die gestern von ten, die Ihr Papier mit der angeblichen Nichterfas-
Herrn Finanzminister Möller angeschnitten worden sung gemacht haben, haben doch mein Papier mit
ist, hier einmal darlege. In der Rede heißt es: Ent- der Erfassung gemacht!
scheidend ist, daß für die Absichten eines vier Jahre
umfassenden Regierungsprogramms der Beginn ge- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
sichert ist. — Der Beginn ist durch die Erbmasse ge- — Abg. Haase [Kassel] : Der Genosse Gene-
sichert. Aber wie ist die Fortsetzung gesichert? Das raldirektor!)
ist die eigentliche Frage angesichts der Risiken und
Unbekanntheiten. In dem gleichen Papier steht unter Bezugnahme
auf Beschlüsse des Bundestages bei der Kriegs-
Der Herr Bundesfinanzminister hat mir vorgehal- opferversorgung ein Plus von 900 Millionen DM
ten, daß die mehrjährige Finanzplanung nicht fort- als Ergebnis der damaligen Verhandlungen zwischen
geschrieben worden sei. Ich nehme damit am Ab- Herrn Katzer und mir ab 1. Januar 1970. Weiter
schluß meiner Ausführungen konkret zu den drei steht in dem gleichen Papier für 1970 eine Erhöhung
wesentlichsten Vorwürfen Stellung. des Kindergeldes, geschätzter Ansatz: 400 Millionen
Wie ist die Wirklichkeit? Das Finanzkabinett der DM. Das steht in dem gleichen Papier. Und wie heißt
letzten Regierung ist am 10. Juni 1969 letztmals zu- es hier? Das sei völlig unerfaßt geblieben. Diese
sammengetreten. Es war sich darin einig, daß so- Dinge sind doch alle längst bekannt!
wohl die Aufstellung des Haushalts 1970 wie die Bezüglich Bildungswesen, Landwirtschaft und
Anpassung der Finanzplanung erst von der neuen öffentlicher Dienst war damals im Ministerium die
Bundesregierung vorgenommen werden können, da berechtigte Auffassung, daß die Mehrbelastung we-
damit wesentliche politische Prioritätsentscheidun- gen der Ungewißheit über einige Faktoren und an-
gen verbunden sind. — gesichts der noch nicht erfolgten politischen Ent-
(Hört! Hört! in der Mitte.) scheidungen nicht zu beziffern sei. Im Herbst 1969
war es definitiv nicht möglich, schon eine klare
So lautet die Aktennotiz, die Staatssekretär Grund
Erntevorausschätzung z. B. für die Mehrbelastung
nach dieser Besprechung angefertigt hatte. Ein Pro-
im Rahmen der Agrarmarktordnungen zu geben. Da
tokoll über einen Beschluß gibt es nicht.
hätten wir wahrscheinlich eine Art Wetteramt mit
Wenn Herr Kollege Möller weiterhin erklärt, daß Schiller-Prognosen und Möller-Thesen gebraucht, um
in der alten, Straußschen Finanzplanung weniger zu einer zuverlässigen Wetterprognose für die
Mittel für die Kriegsopfer, weniger Mittel für Kin- Ernte 1969 zu kommen.
dergeld, weniger Mittel für andere Zwecke vor-
gesehen seien, dann darf ich ihn höflichst daran Herr Kollege Möller, Sie haben der alten Finanz-
erinnern, daß diese von der Bundesregierung ein- planung angelastet, diese ganze Reihe von Punkten
stimmig verabschiedete Finanzplanung einen Kom- seien in ihr nicht enthalten. Ja, haben Sie denn nicht
promiß erzielen sollte in einer Zeit, als noch auf gemerkt, daß diese Punkte zum Teil erst ein Jahr,
strengste Sparsamkeit und solide Haushaltsführung nachdem die alte Finanzplanung aufgestellt worden
ausschlaggebender Wert gelegt worden ist. ist, beschlossen worden sind? Glauben Sie denn, daß
der Abschluß des Devisenausgleichsabkommens,
(Beifall bei der CDU/CSU.) für das Herr Brandt als Außenminister federführend
Für einen sozialdemokratischen Finanzminister ist war, im Jahre 1969 abgeschlossen, im September
es schlechterdings eine Selbsterniedrigung, wenn 1968 schon hätte in die konkrete Planung mit Zah-
er eine Finanzplanung, der seine Kabinettskollegen len aufgenommen werden können? Das Devisenaus-
ohne Ausnahme zugestimmt haben — nach manchem gleichsabkommen ist doch keine finstere Intrige des
Hin und Her, nach manchem Ringen um mehr oder Finanzministers gegen seinen Nachfolger! Das ist
weniger da oder dort —, heute so verächtlich abtut das, was das damalige Auswärtige Amt als äußerstes
und sie als Straußsches Finanzprogramm darstellt, Ergebnis seiner Verhandlungskunst den Alliierten
der gegenüber die neue Regierung jetzt endlich zu abringen konnte. Das ist fortgeschrieben worden.
höheren Leistungen auf diesen Gebieten kommt. So (Beifall bei der CDU/CSU.)
1394 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Strauß
So könnte ich Ihnen Punkt für Punkt hier nach- schreibt bestimmte Redezeiten vo r . Ich habe die
weisen. Absicht, mich als Präsident an die Geschäftsordnung
(Abg. Wehner: Hört! Hört!) zu halten.
— Ja, „Hört! Hört!" ; das ist auch eine tolle Sache. (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
(Abg. Wehner: „Hört! Hört!" ist doch Abgeordneten der CDU/CSU.)
parlamentarisch) Herr Abgeordneter Strauß kann sich jederzeit erneut
Herr Kollege Möller, Sie werfen mir vor, das zum Wort melden.
Brüsseler Paket der NATO sei in der letzten Finanz-
planung nicht enthalten. Ja, das Brüsseler Paket ist Strauß (CDU/CSU) : Genau das, Herr Präsident,
doch erst im Jahre 1969 zustande gekommen! Aber habe ich eben angekündigt, daß die Öffentlichkeit
in der Fortschreibung haben wir es erfaßt. Wie we- und dieses Haus einen Anspruch darauf haben, die
nig ernst Sie es nehmen, geht daraus hervor, daß wirklichen Vorgänge über Investitionsteuer und
Sie mir zwar vorwerfen, Sie müßten 600 Millionen Konjunkturausgleichsrücklagen zu erfahren.
DM bei der Verteidigung dazulegen, aber gleich-
zeitig eine Milliarde D-Mark im Jahre 1970 durch (Zuruf von der SPD: Heute nachmittag!)
Sperre als möglicherweise überflüssig erklären. So Darum schließe ich diesen Teil meines Beitrags mit
darf man nicht in ein und demselben Bereich oppor- der Bemerkung, daß mein Nachfolger nicht eine
tunistisch verfahren, einmal so, einmal anders. traurige Erblast, sondern eine erhebliche Erbmasse
(Abg. Dr. Stark: [Nürtingen] : Bei „mehr bekommen hat, mit der er das an Leistungen für die
Demokratie!" darf man das! — Abg. Haase Zukunft versprechen kann, was er gestern verspro-
[Kassel] : Er hat immer Pech mit den Zah chen hat. Ich möchte mich gegen dieses törichte Wort
len!) von dem traurigen Erbe hier nicht mit Erbitterung
Meine sax verehrten Damen und Herren, jetzt wenden, sondern nur sagen, daß er nicht der Leid-
komme ich zu den zwei drastischsten Kapiteln, Herr tragende einer traurigen Last, sondern der Gewinn-
Kollege Möller. Das eine ist — ich kann hernach ler einer relativ sehr großen Masse ist, die wir
noch 15 Minuten reden — — erwirtschaftet haben.
(Abg. Wehner: Hipp, hipp, hurra! — Anhal-
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bin durch die tender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Geschäftsordnung gezwungen, für die Einhaltung der
Redezeit zu sorgen. Ich habe Ihnen 10 Minuten Über Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
zeit zum Ausgleich der durch Zwischenfragen ent- Bundesfinanzminister.
standenen Kürzungen gegeben. Ich bitte Sie, zum
Schluß zu kommen. Sie können sich jederzeit wieder
melden. Dr. h. c. Dr. -I ng. E. h. Möller, Bundesminister
der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und
Strauß (CDU/CSU) : Herr Präsident, Sie waren Herren! Herr Kollege Strauß hat seine Ausführun-
sehr großzügig. Das erkenne ich an; außerdem un- gen mit der Feststellung begonnen: So redet nicht,-
wer ernst genommen werden will.
terliegen Sie gar nicht meiner Anerkennung. Aber
ich darf hier anmerken, daß die Öffentlichkeit einen (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg.
Anspruch darauf hat, die Wirklichkeit Dr. Stark [Nürtingen] : Das bezog sich auf
(Lachen bei der SPD. — Beifall bei der Sie!)
CDU/CSU) Herr Kollege Leicht hat sich noch etwas deutlicher
ausgedrückt und in seiner Rede die Behauptung
über die Investitionsteuer und über die Konjunktur-
aufgestellt, meine Ausführungen vom gestrigen
ausgleichsrücklage der Jahre 1968 und 1969 zu erfah-
ren, Tage seien erstens billige Polemik.
(Abg. Wehner: Das ist wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
sowohl dieses Parlament wie über dieses Parlament der CDU/CSU: Leider wahr!)
die Öffentlichkeit. — Meine Damen und Herren, in diesem Punkt gebe
(Abg. Wehner: Erneute Wortmeldung heute ich Ihnen zu: , das ist Geschmackssache.
nachmittag!) (Beifall bei den Regierungsparteien. —
— Jawohl. Dazu bin ich selbstverständlich gern be- Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Weitere
reit. Ich bedaure, meine Damen und Herren — — Zurufe von der CDU/CSU.)
(Zuruf von der SPD: Zweiter Akt!) Zweitens hat Herr Kollege Leicht behauptet, daß der
Wahrheitsgehalt meiner Rede mehr als dubios sei.
— Zweiter Akt, jawohl!
(Beifall bei der CDU/CSU.)

Vizepräsident Dr. Schmid: Einen Moment! Er fügte dann hinzu, ich hätte den Versuch unter-
Natürlich hat die Öffentlichkeit einen Anspruch dar- nommen, meinen Vorgänger zu diffamieren.
auf, diese Dinge und die verschiedenen Meinungen (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!
dazu zu erfahren. Aber die Geschäftsordnung Leider wahr!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1395
Bundesminister Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller
-

Diese Unterstellung ist durch keinen Satz meiner vorbestimmten Belastungen und die übrigen
Haushaltsrede zu belegen. Risiken auf der Einnahmen- und Ausgabenseite
(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei erfaßt hatte.
der CDU/CSU.) Das stimmt; das konnte ich nachweisen. Ich habe es
Ich werde Ihnen die Stellen gern zitieren, auch im dann im einzelnen dargestellt und kam zu dem
Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Schluß:
Strauß. Wenn ich das alles zusammenzähle, komme ich
zu folgendem Ergebnis: Die neue Bundesregie-
Ich darf aber noch hinzufügen, daß Herr Kollege
rung fand aus diesen nicht im alten Finanzplan
Leicht dann erklärt hat, ich hätte in den vergangenen
berücksichtigten Ausgaben von vornherein eine
hundert Tagen eine besondere Leichtfertigkeit prak-
Hypothek von mehr als 5 Milliarden DM vor.
tiziert. Das müssen Sie einmal in einen Vergleich
stellen zu dem, (Abg. Leicht: Auch das war nicht ganz rich-
tig; die Kriegsopferversorgung war noch
(Abg. Leicht: In einem Zusammenhang!)
nicht beschlossen!)
was ich gestern vorgetragen habe.
— Nun hören Sie doch einmal zu; werden Sie doch
(Abg. Dr. Althammer: Ja, und was sonst nicht deswegen nervös, weil ich Ihnen nicht so
noch war!) -grobeSachnvtk,wieSmrunt-
Wer mir in der Tätigkeit der 120 Tage meiner Amts- stellt haben!
führung (Beifall bei der SPD.)
(Abg. Haase [Kassel] : In der gestrigen Rede!) Dann kommt die dritte Stelle:
Leichtfertig unterstellt, der kann politisch nicht Das alles bezeichne ich als die Erblast, welche
ernst genommen werden! die jetzige Bundesregierung zu tragen hat.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Was ist nun der entscheidende Satz?
Zurufe von der CDU/CSU.)
Diese Erblast engt zweifellos den finanziellen
Meine Damen und Herren, wer so etwas behaup- Spielraum ein.
tet — —
Das ist alles.
(Abg. Haase [Kassel] : Herr Minister, es
geht um Ihre Rede!) (Abg. Dr. Althammer: Sie waren doch in
dieser Zeit stellvertretender Fraktionsvor-
— Nein, ich kann mich doch wohl mit dem ausein- sitzender!)
andersetzen, was hier an schwerwiegenden Vor-
würfen vorgetragen worden ist! — Ja, aber Sie wollen doch nicht etwa behaupten,
daß ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender un-
(Beifall bei der SPD — Abg. Haase [Kassel] : gefähr 'dieselbe Funktion hat wie ein Bundesfinanz-
Ja, in Ihrer Rede!) minister. Wenn Sie das glauben, fragen Sie einmal
Ich kann nicht einfach sagen: Mein Name ist Hase! Ihre stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden aus der
(Heiterkeit. — Abg. Haase [Kassel] : Herr Zeit der Großen Koalition. Sie werden Ihnen einiges
Möller, es geht um Ihre Rede, falls Sie es aus dem großen Schatz ihrer reichen Erfahrungen
noch nicht gemerkt haben!) vortragen können.

Meine Tatsachendarstellung ist in keinem Punkt (Beifall bei der SPD. — Abg. Haase [Kas-
von den Rednern der CDU/CSU-Opposition, weder sel] : Das war sehr schwach!)
von der CDU — von Herrn Kollegen Leicht —, noch Wie war es denn eigentlich, als nun plötzlich die
von dem bayerischen Teil der Opposition — von SPD auch Regierungsverantwortung tragen mußte?
Herrn Kollegen Strauß — widerlegt worden.
(Zurufe von der CDU/CSU: „Mußte?")
(Lachen bei der CDU/CSU.)
— Ich sage das bewußt so; denn Ihre heutige Ver-
Sie haben doch genug Zeit gehabt, sich mit diesen fassung beweist, daß Sie uns nicht mit offenen
Zahlen auseinanderzusetzen! Armen aufgefordert haben, in die Große Koalition
(Abg. Leicht: Auf die Dinge eingehen! — zu kommen, sondern daß ganz zwingende Gründe
Zuruf von der CDU/CSU: Das glaubt Ihnen vorgelegen haben müssen,
doch keiner!) (Abg. Dr. Apel: Sehr richtig!)
Was habe ich u. a. gesagt? Ich habe mich mit der sich mit denen zu verbünden, denen Sie heute ähn-
Pressekonferenz des Herrn Strauß vom 17. Oktober liche Dinge unterstellen wie vor 10 und 20 Jahren,
1969 beschäftigt und erklärt: als wenn Sie nichts gemerkt hätten!
Es heißt dort, daß die neue Bundesregierung bei (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
der Fortschreibung der Finanzplanung bis 1973
Herr Strauß, es steht Ihnen schlecht an, sich mit
von einer soliden finanziellen Grundlage aus-
mir bei solchen Feststellungen, die ich in meiner
gehen könne. Die Überprüfung der tatsächlichen
Verhältnisse zeigte aber wenig später, daß mein gestrigen Haushaltsrede getroffen habe, so ausein-
Herr Amtsvorgänger bei weitem nicht alle durch anderzusetzen, als wenn ich Ihnen wehgetan hätte.
Beschlüsse des Deutschen Bundestages bereits (Widerspruch bei der CDU/CSU.)
1396 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller


-

Lesen Sie einmal nach, was Sie über einen Mann Das ist die Wahrheit, die wir uns eingestehen
gesagt haben, der in der schwierigsten Situation, müssen und die wir unserem Volke nicht vor-
die ich mir derzeit vorstellen kann, in Moskau für enthalten dürfen: Wäre von vornherein das
die Bundesrepublik Deutschland und das deutsche getan worden, was wir nunmehr tun müssen,
Volk verhandelt. wären nicht jene Erwartungen und Gewöhnun-
(Starker Beifall bei den Regierungsparteien. gen enstanden, die heute enttäuscht werden
— Lachen, Zurufe und ironischer Beifall bei müssen.
der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] : (Abg. Baier: Aber Herr Möller, das hat
Mehr haben Sie nicht! — Zuruf von der doch damit nichts zu tun! Wir reden doch
CDU/CSU: Sie müssen doch widerlegen! — über Haushalt. — Zurufe von der
Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) CDU/CSU: Zur Sache! — Zum Haushalt!)
Meine Damen und Herren, als wir am Anfang der Was hat der damalige Bundesfinanzminister
Regierungstätigkeit des Bundeskanzlers Professor Strauß bei seiner ersten Etatrede, bei Einbringung
Erhard waren, des Bundeshaushalts 1968, gesagt? Er stellte die
(Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache! Zah großen Fehler und das Verhängnis der bisherigen
len widerlegen!) Finanzpolitik dar und zog dann die Schlußfolge-
rung: „Bei der ersten ernsteren wirtschaftlichen
stand Herr Professor Erhard auch vor Reisen ins Rezession mußte dieses Gebäude einer auf den
Ausland, und ich habe damals — lesen Sie es im Augenblick abgestellten Haushaltspolitik zusam-
Protokoll nach — als Sprecher der Opposition er- menbrechen."
klärt, daß wir ihm vollen Erfolg bei seinen Bemü-
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Zur Sache,
hungen wünschen, weil er diese Bemühungen im
Herr Möller!)
Interesse des ganzen deutschen Volkes unternehme.
Lesen Sie es nach, „So geschehen im Herbst des Jahres 1966." Dann
hat er das in einem späteren Artikel vom 31. März
(Abg. Dr. Althammer: Hat Herr Barzel
1967 noch klarer ausgedrückt.
auch getan.)
(Zuruf von der CDU/CSU: Was soll denn
und Sie werden dann feststellen können, welch ein
das? — Abg. Haase [Kassel] : 7, 8, 9, aus!)
Unterschied zwischen der staatsverantwortlichen
Haltung der damaligen Opposition und solchen Ich will das nicht zitieren, ich will nur sagen, man hat
Äußerungen von Herrn Kollegen Strauß besteht: sich damals unter ganz anderen Voraussetzungen
(Beifall bei den Regierungsparteien. — mit einer verfehlten Finanzpolitik auseinander-
Abg. Haase [Kassel] : Und Ihrer Rede! — setzen müssen, während ich nicht dargestellt habe,
Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!) daß die Finanzpolitik als solche falsch angelegt
gewesen sei — das konnte sie nicht mehr, nachdem
Meine Damen und Herren, das gehört nicht zur wir durch das Stabilitätsgesetz unsere modernen
Sache? Das gehört zur Sache, wenn mir hier unter- Instrumente auch in die öffentliche Finanzwirtschaft
stellt wird, ich hätte in 119 Tagen meiner Amtsfüh- haben einführen können; nachdem wir uns durch-
rung Leichtfertigkeit praktiziert. gerungen hatten, die Dinge mit einer mittelfristigen-
Finanzplanung unter Kontrolle zu bringen —,
(Abg. Haas [Kassel] : In Ihrer Rede! — An
haltende Zurufe von der CDU/CSU.) (Abg. Haase [Kassel] : Jetzt zur Sache!)
sondern ich habe lediglich eine Schluß- und Er-
Da muß ich schon sagen, diejenigen, die so handeln
öffnungsbilanz machen müssen.
und darauf so reagieren, haben kein Gefühl für das,
was leichtfertig ist und was man Verantwortungs- (Abg. Haase [Kassel] : Die war falsch!)
bewußtsein nennt. Das ist unerläßlich, wenn es, wie Sie heute selbst
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. in einer Ihrer Reden gesagt haben, zu einem
Haase [Kassel] : Es geht um Ihre Rede!) Machtwechsel kommt,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Herr Kollege Strauß hat behauptet, er habe sich
bei seinen Etatreden anders verhalten. Das ist d. h. wenn zum erstenmal die Sozialdemokratische
wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Meine Partei Deutschlands den Bundeskanzler in dieser
Damen und Herren, lesen Sie doch einmal nach, was Bundesrepublik stellt
Herr Kiesinger in der Regierungserklärung vom (Abg. Franke [Osnabrück]:: Wir sind doch
13. Dezember 1966 über die Finanzpolitik gesagt hier nicht auf einem Parteitag der SPD!)
hat. In dem Nachdruck des Bundespresseamtes,
Seite 8, zieht er die Schlußfolgerung. Ich will gar und wenn diese Bundesregierung über eine sozial-
nicht diese furchtbare Bilanz darstellen, die Herr demokratische Mehrheit verfügt.
Kiesinger aufgemacht hat. Gegenüber Regierungen, (Beifall bei der SPD. — Abg. Rösing:
an denen nie Sozialdemokraten beteiligt gewesen Warum sind Sie so nervös, Herr Möller?
sind, — Abg. Baier: Setzen Sie sich doch mit
(Abg. Haase [Kassel] : Was hat denn das den Zahlen auseinander!)
mit Ihrer Rede zu tun?) — Ich setze mich selbstverständlich auch mit den
hat er gesagt: Zahlen auseinander. Aber wann und wie und in
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1397
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
welcher Reihenfolge ich es tue, müssen Sie ebenso daß in einem großen Haushalt, der über 20 Milliar
mir überlassen, wie ich Ihnen überlasse, Ihre Dispo- den DM ausmacht, ein bestimmter Betrag gesperrt
sitionen hinsichtlich der Ausführungen, die Sie dem wird, schließen, daß dieser gesperrte Betrag be-
Hohen Hause vortragen, selber zu verantworten. weisen könne, solche Ausgaben seien unnötig. Das
ist doch eine Schlußfolgerung, die in keiner Weise
Ich möchte zunächst noch auf den Vorwurf ein-
gehen, daß eine Informationssperre bestanden habe.
Nach Art. 110 Abs. 3 des Grundgesetzes ist der Ent- (Abg. Leicht: Doch! Es kommt darauf an,
wurf des Bundeshaushalts gemeinsam und gleich- was gesperrt ist!)
zeitig dem Bundesrat zuzuleiten und beim Bundes- — Ja, natürlich. Das müssen wir uns genau ansehen.
tag einzubringen. Das bedeutet, daß diese beiden Da müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, was
parlamentarischen Gremien in ihrer Gesamtheit zu ich Ihnen gestern schon als meine Meinung dar-
unterrichten sind. Dieser Regelung folgt die neue gestellt habe. Ich will sie in einem Satz zusammen-
Vorschrift des § 30 der Bundeshaushaltsordnung, zu fassen: Das Bessere ist der Feind des Guten. Wenn
der Herr Kollege Dr. Althammer in seinem Schrift- in den Haushaltsberatungen bessere Vorschläge
lichen Bericht niedergelegt hat, daß die Etatrede erarbeitet werden, bin ich der erste — das ist ganz
des Bundesministers der Finanzen vor dem Deut- selbstverständlich —, der bessere Vorschläge
schen Bundestag und die sich anschließende Grund- begrüßt. Das ist ein Voranschlag, ein Vorschlag, der
satzaussprache durch die neue Vorschrift die ihnen der Auffassung der Bundesregierung entspricht, den
zukommende Bedeutung für die Öffentlichkeit er- wir dem Hohen Hause vorlegen. Aber wir wissen
halten sollen. auch, daß bei der Entscheidung der Deutsche Bun-
(Abg. Dr. Althammer: Richtig!) destag im Zusammenwirken mit dem Bundesrat der
Souverän ist. Über diese Tatsache sind wir uns
Dazu ist im Schriftlichen Bericht des Kollegen Dr. durchaus im klaren.
Althammer ausgeführt:
Voraussetzung ist hierfür allerdings, daß die Welche Auffassungen die Koalitionsparteien und
Daten des Haushaltsentwurfs nicht vorher in die Oppositionsfraktion zur Gestaltung des Bundes-
haushalts endgültig vertreten, werden wir in der
die Öffentlichkeit gelangt sind.
dritten Lesung und bei den dann zu fassenden Be-
Die Anordnung zur Einhaltung dieser Voraussetzung schlüssen erkennen können. Dann werden wir auch
habe ich allerdings erlassen. Im übrigen ist der Ent- wissen, wie Sie sich mit dem vorhandenen Ziel-
wurf des Haushaltsgesetzes ausweislich der Druck- konflikt auseinandersetzen. Es hat einen solchen in
sache VI/300 am 13. Februar 1970 dem Deutschen der Bundesregierung gegeben; ich leugne es nicht.
Bundestag zugestellt worden. Damit wurde — ent- Es ist doch selbstverständlich, daß man sich auf
1 gegen der Behauptung des Herrn Kollegen Strauß — Grund von Vorstellungen bestimmte Ziele für die
die Frist des § 77 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Arbeit im Ministerium setzt. Daß mit der Verwirk-
Deutschen Bundestages eingehalten, nach der die lichung dieser Ziele Ausgaben verbunden sind, ist
Beratung von Gesetzesvorlagen drei Tage nach Ver- meistens nicht zu vermeiden. Daß man nun die
teilung der Drucksache erfolgen soll. Ich habe mich Regierung in einen Zielkonflikt hineinbringt
auch erkundigt, ob etwa die CDU/CSU-Fraktion, der — eine Regierung, die ehrgeizig genug ist, um -
ja diese Geschäftslage bekannt war, im Ältestenrat wirklich durchgreifende innere Reformen in An-
beantragt hat, die Einbringung des Haushalts und griff zu nehmen, die sich aber zu gleicher Zeit mit
der mittelfristigen Finanzplanung um eine Woche zu den Erfordernissen des Stabilitätsgesetzes ausein-
verschieben, um diese Woche für sich in Anspruch anderzusetzen hat —, habe ich gestern deutlich
nehmen zu können — das hätte ich durchaus ver- genug zum Ausdruck gebracht. Alle Fachleute — ich
standen — und sie zu einer gründlichen Durchfor- habe bisher niemanden gehört oder gesprochen,
stung und Durcharbeitung des Haushalts und der der anders geurteilt hätte —, von der Bundesbank
mittelfristigen Finanzplanung zu nutzen. Ein solcher bis zu den Instituten, haben nichts anderes be-
Antrag wurde nicht gestellt. Wäre er gestellt wor- hauptet, als daß wir uns mit diesem Haushalt und
den, hätten selbstverständlich die Koalitionsfrak- den damit verbundenen Vorschlägen konjunktur-
tionen diesen Wunsch respektiert. Sie können also gerecht verhalten hätten.
nicht uns einen Vorwurf machen, wenn wir uns ge-
nau an die Vereinbarungen halten, auch hinsichtlich Ich komme nun zum Gutachten des Beirates. Aus
des Zeitplans, die zwischen den Repräsentanten der dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates
CDU/S-FraktionudmvgeJahr- beim Bundesministerium der Finanzen hätte Herr
troffen worden sind. Kollege Strauß auch den Hinweis auf die konjunk-
turpolitischen Unterlassungen im Jahre 1969 zitie-
Die Zuwachsrate hat in den Ausführungen des ren sollen. Der Wissenschaftliche Beirat hat sein
Herrn Kollegen Strauß eine große Rolle gespielt. Gutachten am 9. und 10. Januar 1970, also noch
Ich habe gestern in meinen Ausführungen im ein- vor Verabschiedung des Jahreswirtschaftsberichts
zelnen dargestellt, warum wir diese Konjunktur- und des Bundeshaushalts 1970 durch die Bundesre-
sperre durchführen mußten, und ich habe ebenfalls gierung, erstellt. Zu jenem Zeitpunkt, als der Wis-
begründet, warum nach unserer Meinung diese Kon- senschaftliche Beirat über sein Gutachten beriet,
junktursperre erforderlich ist, auch unter der Vor- war weder die Konjunkturausgleichsrücklage be-
aussetzung, daß etwa im Laufe des Jahres Teile schlossen, noch war absehbar, ob die Länder dem
der Konjunktursperre gezielt freigegeben werden Beispiel des Bundes hinsichtlich Konjunktursperre
können. Man kann nicht einfach aus der Tatsache, und restriktiver Haushaltsführung folgen würden.
1398 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Herr Kollege Strauß hat ebensowenig wie Herr Kol- einstimmig gegen die Stimme des Herrn Kollegen
lege Leicht hier konkrete Vorschläge für weitere Haase erfolgt ist.
Ausgabesenkungen gemacht.
Im übrigen habe ich persönlich nicht gezögert, das Baier (CDU/CSU) : Herr Bundesfinanzminister,
Gutachten, nachdem es mir zugegangen und vom meinen Sie nicht, daß Sie sich vorher, vor einer so
Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates frei- bedeutsamen Feststellung über die Beschlüsse des
gegeben worden war, unverzüglich zu veröffent- Haushaltsausschusses, die Sie indem Interview an-
lichen. Das war eine Woche nach der Sitzung des gesprochen haben, hätten erkundigen sollen und daß
Beirates am 16. und 17. Januar. Ich habe nicht ge- der Sachverhalt doch aus den Protokollen des Aus-
zögert — ich wiederhole es —, dieses Gutachten schusses deutlich ersichtlich ist.
unverzüglich zu veröffentlichen. Von einem (Beifall bei der CDU/CSU.)
„schweren Entschluß" kann daher in keiner Weise
die Rede sein. Herr Kollege Strauß, Sie selbst
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister
müßten aus der Zeit, in der Ihre Fraktion an der
der Finanzen: Das habe ich getan. Ich habe also
Bundesregierung beteiligt war, wissen, wie lange
festgestellt, welche dieser Positionen dem Haus-
derartige Gutachten früher in den Schubladen ge-
haltsausschuß vorgetragen worden sind und ob die
legen haben
Zustimmung des Haushaltsausschusses erfolgt ist.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
(Zurufe von der CDU/CSU.)
und daß sie zu einem um Monate verspäteten Zeit-
punkt veröffentlicht worden sind. Aber nun lassen Sie mich doch einmal sagen, um
welche Beträge es sich bei den 2,9 Milliarden DM
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
handelt. Es handelt sich um Erstattung von Personal-
CDU/CSU.)
kosten aus den Personalverstärkungstiteln der Bun-
Sie haben dann einiges zu den Ausgaben des desbahn aus dem Einzelplan 60 mit 248 Millionen
Bundes im Dezember 1969 gesagt. In meiner Ant- DM, die endgültige Buchung von 500 Millionen DM,
wort auf die Kleine Anfrage des Herrn Kollegen die bereits in der ersten Hälfte Oktober vorschuß-
Strauß — Drucksache VI/237 — vom 26. Januar 1970 weise an die Bundesbahn gezahlt worden waren und
habe ich die Zahlen im einzelnen idargestellt, und die Ausgabeseite buchmäßig erst im Dezember be-
zwar für Dezember 1969: 11 829,8 Millionen DM, lasteten; dann um den Devisenausgleich an die USA
für Dezember 1968: 8 860,0 Millionen DM. Das war mit 277 Millionen DM und nach Umschichtung mit
im Dezember 1969 ein Mehr gegenüber Dezember Genehmigung der Mehrheit des Haushaltsausschus-
1968 von 2 969,8 Millionen DM. Diese 2,9 Milliarden ses noch einmal 210 Millionen DM, macht 487 Mil-
DM erklären sich wie folgt: Erstattung von Personal- lionen DM; dann einen Betriebsmittelkredit an die
kosten aus den Personalverstärkungstiteln der Bun- Einfuhr- und Vorratsstellen mit 400 Millionen DM;
desbahn — Einzelplan 60 —: 248 Millionen DM. weitere Zahlungen: Koks-Kohle-Subvention 90 Mil-
lionen DM, Frisia-AG 37 Millionen DM, Straßenbau
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine — Übernahme von Öffa-Finanzierungen — 105 Mil-
Zwischenfrage? lionen DM, das macht 232 Millionen DM; Über-
brückungszahlung Berlin für Personalkosten 75 Mil-
Baier (CDU/CSU) : Herr Bundesfinanzminister, lionen DM; sonstige Mehrausgaben, insbesondere
sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß die zusätz- Spar- und Wohnungsbauprämien, 261 Millionen DM.
lichen im Haushaltsausschuß beschlossenen Aus- Insgesamt also rund 2,2 Milliarden DM.
gaben im November und Dezember 1969 nicht mit Der Differenzbetrag zwischen den genannten Lei-
Zustimmung der CDU/CSU erfolgten und daß Ihre stungen in Höhe von 2,2 Milliarden DM und dem
Ausführungen im „Spiegel"-Interview unrichtig Mehr von rund 2,9 Milliarden DM gegenüber dem
waren? Dezember 1968 entfällt auf die normale Steigerungs-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) rate des Gesamthaushalts.
(Abg. Stücklen: Wie ist es mit den Prozent-
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister sätzen?)
der Finanzen: Es sind, wie ich inzwischen festgestellt
Nun hat Herr Kollege Strauß das zum Anlaß von
habe, unterschiedliche Abstimmungen mit unter-
Unterstellungen genommen.
schiedlichen Mehrheiten erfolgt.
(Abg. Leicht: Wieso?)
(Lachen bei der CDU/CSU.)
In Ziffer 3 meiner Antwort auf die Kleine Anfrage
Das ist aus den Protokollen des Haushaltsausschus-
habe ich ausgeführt, daß ein echter Vergleich der
ses nicht genau zu ersehen!
Steigerungsrate im Dezember 1969 nicht mit dem
(Zurufe von der CDU/CSU: Das kann man Durchschnitt der Vormonate des Rechnungsjahres
doch feststellen!) 1969,
Es steht fest, daß in einigen Punkten die Kollegen (Abg. Leicht: Die Rechnungen wollen wir
der CDU/CSU-Fraktion diesen Anträgen nicht zu- wissen! Ob die richtig sind! Prozentrech-
gestimmt haben; es steht aber auch fest, daß in nungen!)
anderen Fällen, beispielsweise beim Betriebsmittel- sondern mit den Ausgabesteigerungen zum Dezem-
kredit an die Einfuhr- und Vorratsstellen, diese Zu- ber 1968 und Dezember 1967 möglich ist. Ich hielt
stimmung — soweit ich unterrichtet worden bin — mich bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage an
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1399
Bundesminister Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller
-

die drei Punkte, die Sie in der Kleinen Anfrage Herr Kollege Leicht hat damals verschiedene Punkte
formuliert hatten. In dieser Kleinen Anfrage ist behandelt, aber das war doch keine Fortschreibung
man durch eine Trennung von Punkt 2 und Punkt 3 der mittelfristigen Finanzplanung. Das müssen Sie
davon ausgegangen — was richtig ist, was Herr doch wirklich zugeben. Wenn Sie — wie Sie behaup-
Kollege Strauß aber übersehen hat —, daß Betriebs- ten — die mittelfristige Finanzplanung in allen Po-
mittelzuweisungen nicht mit den tatsächlich erfolg- sitionen laufend fortgeschrieben haben, dann tun
ten Haushaltsausgaben identisch sind. Deswegen Sie bitte folgendes: Fahren Sie mit dem Leiter der
die Darstellung in Ziffer 2 und die Darstellung in Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums,
Ziffer 3. Und daher habe ich gesagt: Ein echter Ver- Herrn Soddemann, nachher ins Ministerium und
gleich ist nur durch eine Gegenüberstellung der suchen Sie die Akte heraus. Diese Akte ist mir bis-
Steigerungsrate des Monats Dezember 1969 mit der her nicht zur Verfügung gestellt worden.
des Monats Dezember 1968 möglich. Die Ausgabe-
steigerung im Dezember 1969, so habe ich in meiner Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Antwort ausgeführt, betrug im Vergleich zum De- Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
zember 1968 26,7 v. H. und die des Monats Dezember
1968 gegenüber 1967 25,2 v. H. Herr Kollege Strauß Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller, Bundesminister
-

hat hier einfach die Antwort auf Frage 2 mit der der Finanzen: Nein, ich möchte hier erst auf die
Antwort auf Frage 3 identifiziert, und das ist, schlicht Unterstellung eingehen, das seien neue Zahlen.
gesagt, ein Fehler.
Was habe ich in meiner Antwort auf die Kleine
(Beifall bei der SPD.)
Anfrage gesagt, und was ist beanstandet worden?
Ich habe die neueste Errechnung des Referats Ich habe geantwortet: „Die Ausgabesteigerung im
I A 3 des Bundesfinanzministeriums — Stand: Dezember 1969 betrug im Vergleich zum Dezember
16. Februar 1970 — ausgehändigt bekommen und 1968 26,7 v. H. ..." Eben habe ich gesagt, daß sie
werde veranlassen, daß Ihnen diese Aufstellung 27 % beträgt. Das ist der neueste Stand vom
nachher zugeht. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, 16. Februar. Sie werden doch nicht behaupten wol-
daß wir im Rechnungsjahr 1969 im Dezember Aus- len, daß zwischen 26,7 % und 27 % ein großer Unter-
gaben in Höhe von 11,605 Milliarden DM zu ver- schied besteht. Hier handelt es sich lediglich um eine
zeichnen hatten. Die Ausgaben im Dezember des Aufrundung.
Rechnungsjahres 1968 betrugen 9,138 Milliarden DM.
Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß die Steigerungsrate
Wenn Sie diese beiden Zahlen in Vergleich setzen,
für 1968 gegenüber 1967 25,2 % bet rug. Auch in
kommen Sie zu der auch in der Antwort auf die
diesem Papier ist sie mit 25,2 % ausgewiesen. Ich
Kleine Anfrage genannten Steigerungsrate von
weiß also nicht, wieso Sie nach wie vor solche Unter-
27 %.
stellungen vornehmen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch
neue Zahlen!) Meine Damen und Herren, Herr Kollege Strauß
hat nun beanstandet, daß keine ausreichenden Glo-
Wenn Sie die Ausgaben im Dezember des Rech-
balposten für den später auslaufenden Devisenaus-
nungsjahres 1968 in Höhe von 9,138 Milliarden DM gleich vorgesehen worden seien. Wenn die sozial- -
mit den Ausgaben im Dezember des Rechnungs-
demokratische Fraktion noch in der Opposition wäre
jahres 1967 vergleichen, werden Sie feststellen, daß
und wenn ich als Sprecher der Opposition heute zu
die Steigerungsrate 25,2 % beträgt. An dieser Fest-
dem Haushalt hätte Stellung nehmen müssen, würde
stellung kommen Sie nun einmal nicht vorbei. Ich
ich solche Äußerungen nicht gemacht haben. Sie
habe das ja schließlich nicht erfunden.
können nicht behaupten, daß durch eine derartige
(Abg. Leicht: Das sind doch neue Zahlen! Darstellung, wie sie eben gegeben worden ist, die
— Abg. Rösing: Das sind doch andere Zah ganze Situation erleichtert worden ist, die gespannte
len, als Sie schriftlich angegeben haben!) Situation im Hinblick auf das, was die Bundesrepu-
— Das sind keine anderen Zahlen. Das sind Zahlen, blik Deutschland etwa tun muß, um sicherzustellen,
die auf den neuesten Stand gebracht worden sind. daß die amerikanischen Truppen in ausreichender
Zahl auch nach Auslaufen des Devisenausgleichsab-
(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Baier: kommens weiter in der Bundesrepublik verbleiben.
Das ist doch das gleiche!) Das Devisenausgleichsabkommen läuft am 30. Juni
Es ist nun einmal üblich, den Berechnungen die 1971 aus. Der Bundesregierung ist selbstverständlich
neuesten Zahlen zugrunde zu legen. Der schwere klar, was für bedeutungsvolle Verhandlungen mit
Vorwurf, den ich Ihnen zu machen habe, ist ja ge- großer Verantwortlichkeit von beiden Seiten geführt
rade, daß Sie die mittelfristige Finanzplanung nicht werden müssen, um eine Regelung zu erreichen, von
sorgfältig und zahlenmäßig in allen Positionen der ich auch schon gestern sprach und von der ich
weitergeführt haben. sagte, es müsse sichergestellt werden, daß sich das
militärische Gleichgewicht auf dem europäischen
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Kontinent zugunsten keiner Seite verschiebt. Ich
Sie können sich doch nicht auf irgendeine Anlage habe ausdrücklich gebeten, auf diesen Tatbestand
zu irgendeinem Vorgang und auf irgendeinen Vor- Rücksicht zu nehmen und nicht in der Öffentlichkeit
trag, den der damalige Parlamentarische Staats- unbedachte Äußerungen zu tun, die die Verhand-
sekretär, Herr Kollege Leicht, im Haushaltsausschuß lungsposition der Bundesregierung nur zu erschwe-
gehalten hat, beziehen. ren geeignet sind.
(Zurufe von der CDU/CSU.) (Bundeskanzler Brandt: Sehr richtig!)
1400 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller


-

Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, — Nein, Sie können mich nicht davon abbringen,
welche Ergebnisse solche Verhandlungen erbringen. von Ihnen zu erwarten, daß Sie mir nachweisen,
Deswegen hat auch der Globalansatz, über den hier eine Fortschreibung der mittelfristigen Finanzpla-
gesprochen wurde, keinen letzten Aussagewert. Das nung sei laufend erfolgt.
ist selbstverständlich. Aber da nun davon geredet
(Abg. Leicht: Intern!)
wurde, daß er 1971 nur 500 Millionen DM betrage,
1972 auf 1,2 und 1973 auf 2 Milliarden DM anwachse, — Ja, intern, in Ordnung. Ich habe volles Ver-
darf ich nur noch einmal, ohne daraus weitere ständnis dafür, daß man die mittelfristige Fi-
Schlußfolgerungen zu ziehen, festhalten, daß das nanzplanung nicht veröffentlicht hat. Dazu hätte
Devisenausgleichsabkommen zwischen den USA und ein Beschluß der Bundesregierung gehört und
Großbritannien his zum 30. Juni 1971 befristet ist. einiges mehr. Das habe ich auch gestern anerkannt,
Ich hoffe, daß daraus die entsprechenden Schluß- indem ich von Herrn Kollegen Strauß nicht er-
folgerungen gezogen werden können und sich damit wartet habe, eine auf den neuesten Stand ge-
auch die Behauptung des Herrn Kollegen Strauß als brachte mittelfristige Finanzplanung zu veröffent-
unrichtig erweist. lichen; denn das muß natürlich Sache der neuen
Ich hätte sehr gewünscht, daß Herr Kollege Strauß Bundesregierung sein, weil die mittelfristige Fi-
zu den einzelnen Punkten, die ich gestern vorgetra- nanzplanung ein in Zahlen ausgedrücktes Regie-
gen habe und die ihn unmittelbar oder mindestens rungsprogramm darstellt.
im bayerischen Teil der CDU/CSU-Opposition an- Herr Kollege Strauß hat auch einiges über die Kon-
gehen, einige aufklärende Ausführungen gemacht junkturausgleichsrücklage 1969 gesagt. Alle seine
hätte, Behauptungen, daß es möglich gewesen sein
(Abg. Leicht: Das kommt noch!) müsse — das klang auch in den Ausführungen des
z. B. wie es kommt, daß in einem von der CSU Herrn Kollegen Leicht an —, im Dezember 1969
verteilten Flugblatt die Behauptung aufgestellt wer- eine solche Konjunkturausgleichsrücklage zu bil-
den konnte, daß die 1,9 Milliarden DM, die Herr den, entbehren des Wirklichkeitsgehalts, denn ich
Kollege Strauß in der Pressekonferenz vom 17. Ok- habe ja vorgetragen, welche Verpflichtungen ge-
tober 1969 als Risiken bezeichnet habe, in der mit- rade im Dezember 1969 auf den Bundeshaushalt
telfristigen Finanzplanung enthalten seien. Ich habe zukamen, und hinzugesetzt, daß die Situation im
festgestellt, daß das nicht den Tatsachen entspricht. Januar 1970 auch dadurch erschwert war, daß sich
Was Herr Kollege Strauß am 17. Oktober auf der zum erstenmal die Umschichtungen in der Vertei-
Pressekonferenz vorgetragen hat und was er als lung , des Steueraufkommens durch die Finanzre-
Risiken gegenüber der alten Finanzplanung für das form bemerkbar machten und für den Monat Ja-
Rechnungsjahr 1970 bezeichnet, ist im einzelnen auf nuar 1970 infolgedessen eine um 700 Millionen
Seite 7 ausgeführt, und auf Seite 8 sind dann die DM geringere Steuereinnahme eintrat, verglichen
zusätzlichen Risiken enthalten. Daß das nicht mit mit einem Zustand, der vorhanden gewesen wäre,
der Fortschreibung einer mittelfristigen Finanzpla- wenn man die Finanzreform nicht durchgeführt
nung gleichgesetzt werden kann, werden Sie mir zu- hätte. Daß sich das im Laufe des Jahres ausgleicht,
gestehen müssen. ist bekannt. Aber auch für das Jahr 1970 insge-
samt wird sich allein aus der Finanzreform eine
Mindereinnahme des Bundes in Höhe von 1,1 Mil-
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine liarden DM ergeben.
Zwischenfrage? —

Es wäre mir sehr viel lieber gewesen, wenn sich


Leicht (CDU/CSU) : Herr Bundesfinanzminister, Herr Kollege Strauß zu dem — sagen wir — Vor-
vielleicht schreibt einer Ihrer Beamten mit. Wür- wurf geäußert hätte, daß er selbst trotz des Be-
den Sie so freundlich sein und sich die Ubersicht schlusses der Bundesregierung nichts getan hat,
über die Entwicklung des Ausgabebedarfs 1970 bis um die Konjunkturausgleichsrücklage auch für den
1973 und deren Finanzierung — Stand 15. Oktober Bund bei der Bundesbank anzulegen.
1969 — nebst einem Bündel von Anlagen — Re- (Abg. Leicht: Das kommt noch! Der Be-
ferat II A-5 zu II A-5-A 04 02-2 54/69 — vorlegen schluß lautet doch: „Konjunkturaus-
lassen und dann Aussagen treffen? gleichsrücklage oder ..." !)
(Beifall bei der CDU/CSU.) — Ja, und es ist eben nichts in die Konjunktur-
ausgleichsrücklage eingezahlt worden.
Dr. h. c. Dr. ng. E. h. Möller, Bundesminister
-I

der Finanzen: Ich werde mich über die Mittags- (Abg. Leicht: Weil Sie es nicht gemacht
pause gern bemühen, diese Akten beizuziehen, und haben! Sie haben es ausgegeben!)
feststellen, ob sich aus diesen Akten ergibt, daß — Na, hören Sie mal, Herr Kollege Leicht! Ich
eine auf den neuesten Stand gebrachte mittel- konnte das nicht nachholen, was in den vergange-
fristige Finanzplanung vorlag. nen Monaten nicht gemacht wurde, denn auch im De-
Meine Herren, Sie können mich nicht davon ab- zember — das wissen Sie — waren weiter Schulden-
bringen — — tilgungen vorzunehmen. Das ist geschehen.
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Propoganda (Abg. Leicht: Natürlich, gut! — Weitere
zu machen!) Zurufe von der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1401
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Wie erklärt dann aber Herr Kollege Strauß den drücklich vorgesehen, daß die Voraussetzungen des
folgenden Satz aus einem Schreiben an den Präsi- Stabilitätsgesetzes erfüllt sein müssen: Also nur
denten der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Bles- wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen
sing, vom 18. September 1969, Seite 2, erster Ab- Gleichgewichts erwartet werden kann, wenn diese
satz, sechste Zeile: Zeichen eindeutig gesetzt sind, ist der Bundesfinanz-
minister überhaupt in der Lage, der Bundesregierung
Meiner Absicht, die Konjunkturausgleichsrück- im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsmini-
lage neben der Tilgung der U-Schätze durch ster einen solchen Antrag vorzulegen, und zwar wie
zusätzliche Schuldaufnahmen auf die vollen gesagt, für jeden einzelnen Titel; und über jeden
2,4 Milliarden DM aufzufüllen, ist durch die einzelnen Titel müßte beschlossen werden.
Entscheidung des Zentralbankrats die Grund-
lage entzogen worden. Wenn nun eine solche Lage am 1. Juli 1970 nicht
vorhanden ist und wenn wir bis Mai/Juni den Haus-
(Abg. Leicht: Na und?) haltsplan 1970 verabschiedet haben, ergibt sich die
Wir haben eben gehört — Herr Kollege Leicht hat Frage, die ich gestern zu beantworten versucht habe:
es bestätigt —, daß bis dahin noch keine D-Mark in Was ist dann? Tritt dann nicht ein Ausgabestoß ein,
die Konjunkturausgleichsrücklage gezahlt worden weil sich durch die restriktive Haushaltsführung
ist. einiges angesammelt hat und natürlich die Gefahr
besteht, daß dann, wenn der Haushaltsplan in Kraft
Ich will auf den Vorgang nicht eingehen — ob- tritt und der vorläufige Haushaltsvollzug damit
wohl er auch außerordentlich beachtlich ist —, der beendet ist, ein größerer Ausgabestoß erfolgen
Herrn Kollegen Strauß veranlaßt hat, am 18. Sep- könnte? Ich habe dazu gestern erklärt, daß wir uns
tember, einige Tage vor der Wahl, diesen Brief an selbstverständlich auch in diesem Fall konjunktur-
den Herrn Präsidenten der Bundesbank zu schrei- gerecht verhalten müssen und eine auf diesen Fall
ben. Aber wenn hier steht, es sei seine Absicht, die abgestellte Beschlußfassung der Bundesregierung
Konjunkturausgleichsrücklage auf die vollen 2,4 Mil- unerläßlich ist.
liarden DM aufzufüllen, dann muß doch ein normal
begabter Bürger daraus schlußfolgern, daß schon Nun könnte die dritte Frage gestellt werden: Wie
etwas darin ist. Denn ich kann doch nur auf den ist die Situation, wenn diese Konjunktursperre für
vollen Betrag von 2,4 Milliarden DM auffüllen, das ganze Jahr bestehen bleibt? — Dann gehen die
wenn bereits Zahlungen geleistet worden sind. gesperrten Beträge als Ausgabereste in die Haus-
haltsführung ein, und über die Verwendung dieser
(Beifall bei der SPD.) Ausgabereste muß, wie Sie wissen, ein besonderer
Davon muß Jauch der Vorsitzende Ihrer Fraktion Beschluß gefaßt werden.
ausgegangen sein. Ich habe Ihnen gestern bereits Das wäre die Antwort auf die Frage: Was ge-
vorgetragen, was Herr Kollege Barzel im Bayeri- schieht ab 1. Januar 1971? Aber das ist eine
schen Rundfunk ausgeführt hat, nämlich, daß die rein theoretische Darstellung, wie ich gern zugebe.
Regierung Kiesinger und Finanzminister Strauß eine Ich bin auf diese Fragestellung eingegangen, weil
Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank sie immerhin bedeutsam ist. Sie können versichert
gebildet haben. Tatsächlich ist die Bildung dieser sein, daß die Bundesregierung alles tut, um sich in-
Koniunkturausgleichsrücklage nicht erfolgt. den gegebenen Zeitabschnitten so zu verhalten, daß
Nun 'ist von Herrn Kollegen Strauß gefragt wor- nach Möglichkeit in voller Übereinstimmung des
den: Was geschieht .ab 1. Januar 1931? ganzen Hauses gesagt werden kann: das war ein
antizyklisches, ein konjunkturgerechtes Verhalten!
(Abg. Strauß: Am 1. Juli 1970!) Seien Sie auch versichert, daß alle in dieser Rich-
— Was am 1. Juli 1970 geschieht, habe ich gestern tung, insbesondere von Herrn Kollegen Leicht, ge-
schon dargestellt. machten Ausführungen von mir sehr ernst genom-
men werden und daß ich diesen Teil der Ausfüh-
(Zuruf von der CDU/CSU: Mit den Sperren!) rungen der Opposition selbstverständlich so beachte,
Wenn wir in einer Lage sind, die es uns gestattet, wie es die Lage und der Wert dieser Vorschläge
die Beträge zu entsperren — das wollten Sie wis- verdienen.
sen? —, wenn wir . also einiges für die Wieder- Herr Kollege Strauß hat gefragt, wie das nun
belebung der Konjunktur tun müßten — diesen Fall alles finanziert werden könne. Er hat gemeint, die
einmal theoretisch gesetzt —, dann könnte eine Ent- Erblast sei doch gar nicht so schlecht. Aber wir
sperrung nur auf Antrag des Bundesfinanzministers wären natürlich in einer ganz anderen Situation —
im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsmini- das sollten wir doch bei dieser Gelegenheit auch
ster durch die Bundesregierung erfolgen, und zwar noch einmal festhalten —, wenn wir früh genug
für jeden einzelnen Titel getrennt. aufgewertet hätten.
(Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Kontrolle?) (Lachen bei der CDU/CSU.)
— Inwieweit hier eine Einschaltung des Haushalts- — Es tut mir leid, daß ich Ihnen das sagen muß.
ausschusses des Deutschen Bundestages ermöglicht
werden kann, sollte geprüft werden. Hier ist die (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Rechtslage eine andere als bei der Konjunkturaus- Zurufe von der CDU/CSU.)
gleichsrücklage. Wie dort verfahren werden muß, Herr Kollege Strauß hat sich ausdrücklich auf das
ist im Stabilitätsgesetz angegeben. Aber auch für höhere Steueraufkommen bezogen. Ich möchte Ihnen
eine Entsperrung haben wir im Haushaltsgesetz aus dazu erklären, in diesem höheren Steueraufkommen,
1402 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


insbesondere des Jahres 1970, befindet sich eine' be- In der damaligen Situation hat Herr Kollege Strauß
trächtliche Inflationsrate. Ich würde als Bundes- bei den Beratungen im Bundeskabinett im Novem-
finanzminister auf diese Inflationsrate gern verzich- ber 1968 erklärt: Eine Aufwertung geht nur über
ten und mit geringeren Steuereinnahmen auskom- meine Leiche.
men, wenn wir dabei von einer gesunden Preis- (Abg. Leicht: Das hat Schiller auch gesagt!
stabilität ausgehen könnten. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Daß Herr Kollege Schiller im November nicht ge-
rade die Leiche Strauß' sehen wollte, können Sie
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine ihm doch nicht verübeln.
Zwischenfrage? — Bitte! (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs-
parteien.)
Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) : Herr Bundes- Es ist schließlich so gewesen, daß dieses Absiche-
finanzminister, bin ich falsch unterrichtet, wenn ich rungsgesetz eine Kompromißlösung zwischen de-
davon ausgehe, daß Sie noch im Mai 1969 für Ihre nen, die schon damals die Aufwertung für den
Fraktion ein Papier erstellt haben, in dem Sie richtigen Schritt gehalten haben, und denen, die
21 Punkte gegen die Aufwertung und nur 8 in der nicht dieser Meinung waren, dargestellt hat.
Gewichtung reicht unbeachtliche Punkte für die Auf- (Zurufe von der CDU/CSU.)
wertung genannt haben?
— Aber, meine Damen und Herren, entschuldigen
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Sie, lassen Sie mich das bitte zu Ende führen. Ich
habe die Verhandlungen damals mitgemacht. Nun
Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller, Bundesminister
- tun Sie doch nicht so, als wenn dieses Absiche-
der Finanzen: Herr Kollege, wenn mich mein Ge- rungsgesetz eine Leichtgeburt gewesen wäre; ich
dächtnis nicht trügt, haben Sie doch schon dem weiß nicht, ob es medizinisch so etwas gibt. Aber
5. Deutschen Bundestag angehört? Sie wissen ja, wie schwer es gewesen ist, dieses Ab-
sicherungsgesetz gegen Ihren Wirtschaftsflügel
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Ja, ja!)
durchzusetzen. Wir haben darüber in der Koalition
— Dann müßten Sie das eigentlich wissen; das ha- verhandelt. Der Vorgang Absicherungsgesetz ist
ben wir bereits einmal ausführlich behandelt. bereits durch Verhandlungsergebnisse aufgeweicht
worden, die im Gegensatz zu der von der Bundes-
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein
Antwort! — Weitere Zurufe von der CDU/ regierung beschlossenen Vorlage zum Absiche-
CSU.) rungsgesetz standen. Sie haben schon damals
durch einige Ihrer Kollegen erklären lassen: Wenn
Sie können mir vieles vorwerfen, aber daß ich kneife wir dieses Absicherungsgesetz realisieren, bedeutet
und keine Antwort gebe, 'das können Sie mir nicht, das den Ruin des Exports. Das gleiche haben Sie
unterstellen. auch erklärt, als wir nachträglich die Aufwertung
(Beifall bei den Regierungsparteien. — An mit 8,5 % durchführten. Da ist gerade die Höhe
haltende Zurufe von der CDU/CSU.) des Aufwertungssatzes wieder Gegenstand einer-
öffentlichen Kritik gewesen, die nun durch die
— Das war erst einmal der Anfang. Es hätte ja Realitäten des Wirtschaftslebens und des Exports in
sein können, der Herr Kollege hätte dem 5. Deut- keiner Weise gestützt wird.
schen Bundestag nicht angehört. Dann mußte ich
mich mit meiner Antwort anders verhalten. Dann (Beifall bei den Regierungsparteien.)
hätte ich ,sagen müssen: Herr Kollege, ich habe be-
reits bei der Etatdebatte des vorigen Jahres klar- Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abg. Alt-
gestellt, was dieses Papier für eine Bedeutung hatte, hammer möchte eine Zwischenfrage stellen.
daß dort die Gründe einerseits für und andererseits
gegen die Aufwertung aneinandergereiht worden
sind, daß damit aber in keiner Weise eine Bewer- Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Minister, ist
tung vorgenommen worden ist. Ich habe gesagt: Ihnen nicht bekannt, daß es gerade Ihr Kollege
Dieses Papier vom Mai 1969 bezieht sich auf ein Pa- Schiller war, der im Haushaltsausschuß sehr nach-
pier vom November 1968, als wir uns ebenso wie im drücklich die Unterstützungsleistungen für ver-
Mai 1969 in unserer Fraktion mit der Frage zu be- schiedene Wirtschaftszweige verlangt hat, daß man
schäftigen hatten: Ist eine Aufwertung der richtige sich also in dieser Frage einig war? Ist Ihnen wei-
und notwendige Schritt, oder können wir außenwirt- ter nicht bekannt, daß damals bis zum Mai die
schaftlich über das Absicherungsgesetz versuchen, Aufwertung auch von Ihrer Seite ganz eindeutig
eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich- abgelehnt worden ist?
gewichts zu verhindern?
( Zurufe von der CDU/CSU.) Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller, Bundesminister
-

der Finanzen: Nein, das stimmt nicht. Ich wieder-


Wenn es damals zu diesem Absicherungsgesetz kam hole, diese Aufwertung wurde von uns damals
— oh, hätten Sie nicht gefragt! —, so doch deswegen, nicht eindeutig abgelehnt, sondern in der Ab-
weil Herr Kollege Schiller ein Menschenfreund ist. wägung des wirtschaftlich Notwendigen und des
(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.) politisch Möglichen ist man zu dem Resultat ge-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1403
Bundesminister Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller
-

kommen, einen Versuch zu machen, durch das Ab- — „Politisch" habe ich gesagt. Auf die Polemik
sicherungsgesetz den Export und den Import zu komme ich noch zu sprechen. Da verstehe ich auch
beeinflussen. Wenn Herr Kollege Schiller dann das etwas davon, beruhigen Sie sich.
Ergebnis der Koalitionsabsprache im zuständigen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ausschuß vertreten hat, dann mag das für Sie et-
was Besonderes sein; für uns ist das eine Selbst- Es war eine Haushaltsrede, die das ganze Ge-
verständlichkeit. bäude der Finanzpolitik in der vollen Übereinstim-
mung mit den politischen Schwerpunktsetzungen
Meine Damen und Herren, ich komme zum dieser Regierung gezeigt hat. Sie sind dem teilweise
Schluß. Ich darf aus dem „Wirtschaftsbild" vom 28. gerecht geworden, aber eben nur teilweise.
Januar 1970 zitieren, das von den Herren Erhard,
Scheufelen und Schmücker herausgegeben wird. Sie Es hat mir leid getan, daß bei Ihnen Passagen
mögen die zitierten Feststellungen vom 28. Januar drin waren wie die über die gleichen Beamten, die
1970 in der weiteren Debatte berücksichtigen. Hier einmal dies geschrieben hätten und einmal das. Es
heißt es: sind ja nicht mehr ganz die gleichen Beamten, Herr
Strauß. Zum anderen gehen wir doch beide davon
Bei der Durchforstung des Instrumentenkastens aus, daß alle Beamten in Bonn im Rahmen der
des Stabilitätsgesetzes kamen nicht nur Bun- Gesetze loyal ihrem jeweiligen Minister dienen.
desregierung und Opposition, sondern auch (Beifall bei den Regierungsparteien. —
die wirtschaftswissenschaftlichen Institute sehr Zuruf von der CDU/CSU: Das sollten Sie
schnell zu der Erkenntnis, daß sich gegenwärtig sich aber merken!)
als praktikables Instrument allein die öffentliche
Haushaltspolitik anbietet. Um so stärker wandte Es hat mir auch leid getan, daß da Bemerkungen
man sich ,der Ausgabenseite der öffentlichen gefallen sind wie die, daß Dr. Möller plus und
Haushalte zu. Hier bot sich ein sehr weiter minus verwechsle und daß er nicht rechnen könne.
Spielraum an, der inzwischen auch weitestgehend Das meinen Sie im Ernst auch nicht.
genutzt wurde. (Abg. Dr. Althammer: Braucht er denn
Das ist aus der Sicht des 28. Januar 1970 richtig Ihre Hilfe, Herr Minister?)
gewesen. Inzwischen ist durch die neuen Konjunk- — Schauen Sie, ich rede hier nicht für das Finanz-
turdaten eine ernstere Situation entstanden. Das ressort, sondern ich nehme mein Recht nach dem
wurde bei der Erörterung des Jahreswirtschafts- Grundgesetz wahr, für die Bundesregierung gegen
berichts klar. den Herrn Dr. Strauß zu sprechen.
Hier verweise ich auf die Ausführungen des Herrn (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Kollegen Schiller, sowie auf die Erklärung des Lachen bei der CDU/CSU.)
Herrn Bundeskanzlers und füge von mir aus hinzu,
daß ich in vollem Umfang einem erweiterten binnen- Es wird ja Zeit, Herr Kollege Strauß, nachdem Sie
wirtschaftlichen Stabilisierungsprogramm zustim- sich draußen in Bayern als der Praeceptor Ger-
men würde, wenn es der für den Konjunktur- und maniae aufführen und hier bloß den Finanzexper-
Wirtschaftsablauf verantwortliche Bundeswirt- ten machen wollen, daß Sie auf die Sache gestellt -
schaftsminister Professor Schiller für notwendig werden und nicht auf das Plus oder auf das Minus
hält. Dann wird der Bundeswirtschaftsminister dies- in irgendeiner Rechnerei.
mal den Bundesfinanzminister ganz auf seiner Seite (Beifall bei den Regierungsparteien.)
haben.
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs Zum Haushalt hat Ihr Kollege Leicht gesprochen,
parteien.) den ich sehr respektiere. Es wird noch Ihr Kollege
Althammer zum Haushalt sprechen, den ich respek-
tiere. Von Ihnen aber hat man nach der Ouvertüre
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat nun in Vilshofen erwartet, daß Sie die Gelegenheit
der Herr Bundesminister für Verteidigung.
einer ersten Lesung des Haushalts — das ist doch
(Zurufe von der CDU/CSU: 1 Uhr!) die große politische Generalchance — nutzen wür-
den.
— Ich nehme an, daß es sich um eine kurze Erklä- (Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen Sie
rung handeln wird. doch uns überlassen!)
Da wäre ich dankbar, Sie würden noch einmal
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr reden. Wir wären dankbar, wenn Sie die Gelegen-
Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Erklä- heit einer Generaldebatte nutzten, Herr Strauß, um
rung, aber eine kurze Bemerkung. Ich habe zu den- nicht so ganz viel vor- und nachzurechnen. Ich habe
jenigen gehört, Herr Strauß, die in Bonn mit beson- nichts dagegen; Sie haben auch noch etwas nach-
derem Interesse auf Ihre Rede gewartet haben. Ich zuholen bei der Rechnerei. Aber wenn Sie statt
hatte dafür zwei Gründe. Zum einen habe ich ge- dessen hier darlegen würden — —
meint, daß das allerdings für Sie keine ganz leichte
Aufgabe sein würde nach der sehr politischen Haus- (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Damit hat
haltsrede, die Alex Möller gestern gehalten hat. doch Herr Möller angefangen!)
(Zurufe von der CDU/CSU: Polemisch, nicht — Ja, Herr Möller ist der Finanzminister. Der
politisch!) Herr Strauß möchte aber der Praeceptor Ger-
1404 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Schmidt
maniae sein. Ich möchte einmal hier in Bonn hören, — Ich verteidige nicht den Kollegen Möller — das
was er zu sagen hat. hat der nicht nötig —, ich greife den Kollegen
Strauß an. Das ist der Unterschied.
(Abg. Baier: Sie sind der Oberlehrer!)
(Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Sie
— Nein! Sie wollen doch zum Essen. Wenn Sie aber sind Verteidigungsminister, nicht Angriffs
Zeit haben, bin ich bereit, darauf einzugehen. Dann minister! — Abg. Strauß: Ersatzreserve II!
würde ich Sie bitten, ans Mikro zu gehen und die — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
Frage so zu stellen, daß ich sie akustisch auch
verstehe. Lassen Sie mich eben die beiden Sätze sagen, da-
mit der Herr Kollege hier in der Mitte seine Genug-
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch tuung bekommt. Sehen Sie, in den Ausführungen
nicht mehr Fraktionsvorsitzender!) von Herrn Strauß waren Bemerkungen, die sich
— Nein; schade, nicht? auf das von mir gegenwärtig verwaltete Ressort be-
zogen. Da fand sich die Behauptung, daß die De-
(Heiterkeit.) zemberzahlungen besonders auf den Zeiger der
Konjunktur gehauen hätten; da war nachher die
Rede von Zahlungen in Richtung Amerika.
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
(Abg. Dr. Althammer: Vergleichsbilanz!)
Zwischenfrage?
— Ja, sicher, Vergleichsbilanz! Hier waren z. B. im
Dezember in der Größenordnung von einer knappen
Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) : Herr Minister, halben Milliarde DM Zahlungen an die Vereinigten
darf ich Sie fragen: Leisten Sie jetzt im Augenblick Staaten. Wir werden doch wohl darin übereinstim-
Ressortarbeit, oder in welcher Eigenschaft sprechen men, daß das völlig konjunkturneutral war; da gibt
Sie? es sicherlich keinen Widerspruch.
(Abg. Wehner: Hier ist ein Parlament!
Dann waren da Bemerkungen über die Summe
Lümmel!)
von 1 080 Millionen DM, die im Einzelplan 14 zu-
nächst gesperrt ist; es wurde gefragt, ob diese
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Ich Summe wohl überflüssig sei. Dieser Sperre hätte ich
habe das gerade vorher erklärt. Ich nehme das nach langem Rechnen in meinem Hause nicht zustim-
Recht in Anspruch, das die Verfassung, das das men können, Herr Strauß, wenn ich nicht — siehe
Grundgesetz unseres Staates jedem Angehörigen vorhergehender Absatz — z. B. in der Lage ge-
der Bundesregierung einräumt. wesen wäre, noch im Jahre 1969 Zahlungen an das
Ausland zu leisten. Dazu war ich nur in der Lage,
(Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: So weil in der Periode des Jahres 1969 eine Reihe von
dumme Fragen zu stellen! — Gegenruf des dem Verteidigungsminister zur Verfügung stehen-
Abg. Baier. — Abg. Wehner: Diese Art ist den Geldansätzen nicht voll ausgegeben worden
erschreckend, wissen Sie! Sie glauben, Sie waren. Ich war dafür ja nicht verantwortlich.
können hier spielen! — Abg. Baier: Wie
kann man ihn mit „Lümmel" bezeichnen! Aber es war jemand mitverantwortlich dafür, daß-
Das erfordert einen Ordnungsruf!) Gelder nicht ausgegeben wurden, nämlich derjenige,
der durch Schreiben des Finanzministeriums verhin-
Ich wollte Sie eigentlich zunächst noch einmal dert hat, daß weiterhin Unteroffiziersheime gebaut
bitten, ein bißchen zuzuhören. Ich habe zunächst wurden. Das ist nur ein Beispiel; ich kann Ihnen eine
eine Bemerkung zu machen, von der ich annehme, ganze Liste vorlegen, aus der hervorgeht, daß der
daß Herr Strauß ihr zustimmt, und die auch von damalige Finanzminister Strauß durch alle mögli-
mir aus nicht polemisch vorgebracht werden soll, chen bürokratischen Hemmnisse den damaligen Ver-
eine Fußnote. Herr Strauß, die Auslegung der Bibel teidigungsminister Schröder daran gehindert hat,
durch die Zeugen Jehovas würde ich nicht zum das Geld, das dieses Hohe Haus bewilligt hatte,
Maßstab machen, an dem man politische Darlegun- auch wirklich für den bewilligten Zweck zu verwen-
gen von Kollegen mißt. Ich meine, jedermann in den. Da kann ich Ihnen eine ganze Menge Beispiele
diesem Lande sollte die religiösen Auffassungen geben.
und Bekenntnisse seines Nächsten achten und
respektieren. (Beifall bei der SPD. — Abg. Strauß meldet
sich zu einer Zwischenfrage.)
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs — Herr Strauß, ich möchte jetzt keine Frage be-
parteien!) antworten.
Zwei kleine Bemerkungen, weil Sie mich fragen, (Abg. Strauß: Ihr Glück!)
ob ich von meinem Ressort etwas verstünde. — Normalerweise drücken wir uns ja nicht vorein-
(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. ander; aber Sie kommen ja heute nachmittag noch
Dr. Stark (Nürtingen) : Herr Minister, ich einmal dran. Ich werde Ihnen dann zuhören, und
wollte nur humorvoll darauf anspielen, daß Sie können mich dann noch einmal vors Brett neh-
Sie im Augenblick Ihren Kollegen Möller men. Ich habe jetzt ein bißchen Mitgefühl mit denen,
verteidigen; ich habe Ihnen nie unterstellt, die zum Essen wollen.
daß Sie von Ihrem Amt nichts verstünden!) (Lachen bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1405

Bundesminister Schmidt
) Schauen Sie, Herr Strauß, was Sie nach meiner „zu Schleuderpreisen" Das möchte ich hier in die-
Meinung hätten tun müssen, nachdem zwei, drei sem Hause von Ihnen gesagt hören. Damit möchte
Ihrer Kollegen sich auf haushalts- und finanzpoli- ich mich auseinandersetzen 'dürfen.
tische Reden vorbereitet und sie auch zum Teil
(Zurufe von der CDU/CSU: Das kommt am
schon gehalten haben, war diese Gelegenheit zu
Mittwoch! — Nächsten Mittwoch! — Abg.
benutzen, um den Generalangriff auf die Regierung
Strauß: Atomsperrvertrag, Zweistaaten-
(Abg. Baier: Ein Oberlehrer!) theorie!)
— ich provoziere jetzt ganz bewußt — hier im deut- Sie haben in Vilshofen davon gesprochen, der
schen Parlament zu führen, den Sie sonst draußen Phase der Kooperation zwischen den verschiedenen
in Vilshofen am Aschermittwoch vom Stapel lassen. Parteien müsse nunmehr die Konfrontation folgen.
Das war Ihre Aufgabe! Na bitte, dann machen Sie's doch hier und reden
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs Sie nicht über Plus und Minus!
parteien.)
(Lebhafter Beifall bei den Regierungspar-
Ich werfe Ihnen nicht einmal vor, daß Sie in Vils- teien. — Zurufe von der CDU/CSU: Kommt
hofen und hier mit verschiedener Zunge gesprochen noch!)
hätten. Ich werfe Ihnen vor, daß Sie dort zu Sachen
redeten, zu deren Sie sich heute hier ausschweigen, Sie haben in Vilshofen gesagt, bei dem Botschaf-
zu sehr wichtigen Sachen. ter Bahr sträubten sich Ihnen die Haare, „wenn ich
sehe, wie der dillettantische Amateurdiplomat über
(Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: So Fragen verhandelt, von denen die Zukunft Europas
war das immer! — Abg. Haase [Kassel] : abhängt". Das war das zweitemal, daß Sie Politiker
Kommt doch noch! — Abg. Baier: Wird dieses Staates, die in Moskau in schwierige Gesprä-
erfolgen!) che verwickelt sind — das letzte ,Mal waren es Alex
Ganz abgesehen davon, daß auch die Art und Möller und Egon Franke und ich —, während man
Weise, wie Sie sich dort ausdrückten, Anlaß zur im Gespräch ist mit dem weiß Gott schwierigen
Kritik gibt, der über den Anlaß, den Sie heute sowjetischen Partner, kritisieren. Sie versuchen,
geboten haben, noch hinausgeht. irgendwo in Bayern, diesem Mann, der für Deutsch-
land in Moskau spricht, den Teppich unter den
Ich lese — natürlich mag das in den Zeitungen
Füßen wegzuziehen!
falsch zitiert sein; das passiert uns allen —, daß
Sie über den Kollegen Landwirtschaftsminister ge (Lebhafter Beifall bei den Reigierungspar-
sagt haben: teien. — Pfui-Rufe von der SPD. — Wider-
Ich sage nicht, daß er ein Verräter ist; denn spruch bei der CDU/CSU.)
für :den Verrat fehlt ihm die Erkenntnis für die
Das alles hätte in die von Ihnen weiß Gott zu ver-
Rolle, die er gespielt hat. langende politische Leitrede hineingehört,
(Hört! Hört! und Pfui-Rufe bei der SPD.)
(Zuruf von der CDU/CSU: Das kommt doch -
In derselben Rede zitieren Sie unseren früheren nächsten Mittwoch!)
Vorsitzenden der Fraktion, Fritz Erler, als „mein
Freund". die Sie diem deutschen 'Parlament und Ihrer eigenen
(Zuruf von der CDU/CSU.) Fraktion heute morgen allerdings schuldig geblieben
sind.
— Ja bitte, wenn jemand Anspruch hat, Erler als
(Abg. Rösing: Es sind Vereinbarungen im
Freund zu zitieren, dann sind das Brandt oder
Altestenrat getroffen worden! Sie reden
Wehner oder die ganze SPD-Fraktion oder ich, aber viel zu früh! — Abg. Baier: Demagogie ist
jedenfalls nicht Sie, Herr Strauß, wenn ich mir die
das! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU:
letzten 20 Jahre richtig vergegenwärtige.
Kennen Sie die Geschäftslage im Hause?)
(Lebhafter Beifall bei der SPD.)
— Die Geschäftslage im Hause ist die: Ich bin 1953
In derselben Rede zitieren Sie Kurt Schumacher das erstemal in dieses Parlament gewählt worden.
und gebrauchen das wenig geschmackvolle Bild, er Ich gebe zu, es gibt Kollegen, die sind schon vier
müsse im Grabe wie ein Ventilator rotieren. Ich Jahre länger hier; aber das habe ich in 16 Jahren
will Ihnen etwas sagen: Wenn Schumacher noch Bonn begriffen, daß die erste Lesung einer Haus-
hier unter uns wäre, würde er mit einer allerdings haltsdebatte die große politische Debatte ist!
unnachahmlichen Schärfe zurückweisen, daß Sie ihn
oder Fritz Erler für sich in Anspruch nehmen. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu-
ruf von der CDU/CSU: Nächste Woche!)
(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.)
Nun aber zur Sache selbst, die ich Sie bitte, hier Ich meine, daß die CDU/CSU-Fraktion — ich be-
in diesem Parlament vorzutragen und nicht am daure, daß ihr Vorsitzender heute nicht hier sein
Aschermittwoch in Vilshofen. Sie haben dort ge- kann —, leider die Gelegenheit versäumt,
sagt, diese Bundesregierung verkaufe eine Position (Zurufe von der CDU/CSU: Das muß man
nach der anderen sich hier anhören! — Gehen Sie doch 'zum
(Abg. Wehner: Verschenke!) Ältestenrat und erkundigen Sie ich!)
1406 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Schmidt
dem Hohen Hause klarzumachen, wer für die Frak- auch gar nicht ohne Sympathien, wie in Ihrer Frak-
tion spricht, ob für die Fraktion Herr Kollege Kie- tion um die politische Führung gerungen wird.
singer spricht,
(Zurufe von der CDU/CSU.)
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind doch
mitten in der Debatte drin!) — Sie werden es uns ja nachfühlen, Herr Strauß,
daß wir da ein Achtellos mitspielen möchten. Wir
der gegenüber der Bundesregierung und auch öffent- würden das gern in diesem Hause dargestellt sehen,
lich erkennbar sagt, er sei dafür, da wir ja beobachten, daß Sie überall in den deut-
(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) schen Ländern jetzt Arbeitsgemeinschaften der
Freunde der CSU gründen.
daß in Moskau die Möglichkeiten — wer weiß, wie (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. —
groß sie sind — ausgelotet werden, oder ob für die Abg. Wehner: „Demokraten aller Länder,
CDU/CSU-Fraktion — — vereinigt Euch in der CSU!" — Gegenrufe
(Abg. Katzer: Wo ist denn der Außen von der CDU/CSU. — Abg. Haase [Kassel] :
minister?) Den Spruch kennt er!)
— Da sitzt der Bundeskanzler! So sind wir natürlich besonders hellhörig auf das
(Abg. Rösing: Wir nehmen Rücksicht dar geworden, was Sie sagen.
auf, daß er diese Woche nicht da i st!) Herr Kollege Leicht hat heute morgen gesprochen,
— Ja, ja, ja, ja! Wenn Sie mir durch den Zwischen- ich habe mir das notiert — wenn ich es richtig er-
ruf sagen wollen, innere, haben Sie es auf den Kollegen Möller be-
zogen gehabt —, von „unkontrollierten Ausbrüchen
(Abg. Lemmrich: Nicht mehr glaubwürdig!) in Wut und Zorn".
daß Herr Strauß die Rede, die ich von ihm erbitte, (Abg. Leicht: Nein, nicht auf Möller! — Es
in der nächsten Woche hält, gibt auch noch andere!)
(Zurufe von der CDU/CSU: Die können Sie — Nicht auf Möller? Ich bin dankbar dafür, daß Sie
haben! — Die hält er noch!) es nicht auf Dr. Möller bezogen haben; ich muß es
soll es mir nur recht sein. Es wird dann innerhalb dann auch nicht zurückweisen. Kollege Möller hat
von acht Tagen die dritte Rede sein, denn die zweite eine sehr kontrollierte Rede gehalten. Ich habe das
kommt ja heute nachmittag noch. Mir soll es recht Gefühl, es könnte sich Ihr Wort, Herr Leicht, mög-
sein; ich würde es wünschen. licherweise auch auf jemandes anderen Rede an
einem anderen Ort auch beziehen lassen!
(Zurufe von der CDU/CSU: Aber Sie ha-
ben doch heute das Thema geändert! — Wir Ich bin am Schluß dieser bisher elf oder zwölf
haben doch auf Veranlassung des Außen- Minuten umfassenden Bemerkung.
ministers die außenpolitische Debatte auf (Zuruf von der Mitte: In der Mittagszeit!)
die nächste Woche gelegt! — Gegenruf des
Abg. Wehner: Das ist doch keine Außen- Ich denke, es wird der Atmosphäre in der deutschen
politik! Schimpfpolitik macht Herr Strauß!) Politik guttun, wenn die große politische Rede des -
Herrn Strauß nächste Woche wirklich gehalten wird,
Hier geht es doch nicht um einen Ausschnitt aus der und, Herr Strauß, bitte — —
Außenpolitik. Hier geht es darum, daß wir gerne
wissen möchten, welche Grundlinie der Gesamt- (Zuruf von der CDU/CSU: „Er macht Vor-
politik für die CDU/CSU hier im Parlament vorge- schriften!")
tragen werden soll, die von Herrn Kiesinger, — Nein, ich bitte Sie ja doch, dies ist doch keine
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Vorschrift.
Mitte) (Abg. Baier: Hättest du geschwiegen!)
oder die von Herrn Schröder oder die von Herrn Ich möchte noch eine zweite Bitte aussprechen,
Strauß oder, was ja auch noch möglich wäre, die Herr Strauß — ich meine, es gibt. auch bei uns Leute,
von Herrn Barzel. die polemisieren können; die könnten ja auch not-
(Abg. Rösing: Das ist doch albern! Heute ist falls erwidern —: tun Sie sich und uns allen und der
hier finanzpolitische Debatte!) öffentlichen Entwicklung in unserem Land den Ge-
fallen, bei dieser Gelegenheit, die Sie dann nutzen
Wir sehen mit Interesse — — Und für mich ist es ja werden, nicht den Versuch zu machen, vom Stil her
ein Vergnügen, endlich wieder einmal frei reden zu den heutigen Bundestag umzufunktionieren in einen
können. Vilshofener Aschermittwoch.
(Beifall bei der SPD. — Zurufe und Lachen (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von
in der Mitte.) der CDU/CSU: Sagen Sie das Herrn Weh-
— Ja, das war gar nicht so leicht, drei Jahre sich ner! — Abg. Baier: Vielen Dank, Herr
Oberlehrer!)
eine gewisse Zügelung anzulegen; manchmal hat es
einen gejuckt in den Fingern, man hat aber nicht
gedurft. Ich will sagen: wir sehen mit Interesse und Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort zur
mit einem gewissen Verständnis und zum Teil ja Geschäftsordnung hat Abgeordneter Leicht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1407

Leicht (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
verehrten Damen und Herren! Es muß einfach ein gaben: Ich beantworte die erste Frage, Herr Abge-
klärendes Wort zu dem gesagt werden, was eben ordneter, mit Nein. Die Beantwortung der zweiten
der Herr Bundesverteidigungsminister zumindest als Frage erübrigt sich dann.
Eindruck hat hinterlassen können. Von der Oppo-
sition ist auf die Dispositionen der Regierung Rück- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

sicht genommen worden, um die Generalaussprache, Zusatzfrage?


insbesondere auch im außenpolitischen Bereich, in
Anwesenheit des Herrn Bundesaußenministers in
der nächsten Woche führen zu können. Damm (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, wie
erklären Sie sich dann die Tatsache, daß die Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU.) ständigkeit für die Truppendienstgerichte nach die-
In der nächsten Woche ist dann Zeit, dazu etwas zu sem Organisationserlaß nicht mehr beim Bundesmi-
sagen. Allerdings scheint es so zu sein, daß Verein- nister der Verteidigung liegt?
barungen im Ältestenrat nicht bis zur Regierung
durchdringen. Im übrigen sollte man sich aus
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
Ihrer — — gaben: Das halte ich für ein Mißverständnis dieses
(Abg. Wehner: Es war doch von Vilshofen die Organisationserlasses. Die Truppendienstgerichte
Rede, und nicht vom Ältestenrat! — Gegen werden durch diesen Erlaß überhaupt nicht berührt.
ruf von der Mitte: Ach, der Herr Wehner!) Sie gehören nach § 51 Abs. 2 der Wehrdienstord-
— Im übrigen, Herr Wehner, sollte man sich bei nung nach wie vor zum Geschäftsbereich des Bun-
Ihnen nicht so aufregen; Sie haben den Ausspruch desministeriums der Verteidigung.
getan: „Wir brauchen keine Opposition." Ich darf mir noch einen Satz dazu gestatten. Die
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Truppendienstgerichtsbarkeit hat nichts mit einer
Natürlich!) Militärgerichtsbarkeit zu tun. Eine solche gibt es
nämlich nach dem Grundgesetz nicht. Hier handelt
es sich um eine Disziplinargerichtsbarkeit der
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren Truppe, für die nach wie vor der Bundesminister
Wortmeldungen. Ich unterbreche die Sitzung. Der der Verteidigung zuständig bleibt.
Bundestag tritt wieder zusammen um 14.00 Uhr zur
Fragestunde.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

(Unterbrechung von 13.20 Uhr bis 14.00' Uhr.) Herr Kollege!

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Damm (CDU/CSU) : Wenn das so ist, warum
Die Sitzung ist wieder eröffnet. enthält dann der Organisationserlaß in Nr. 6 eine
Formulierung, die den Eindruck erweckt, als ob die
Meine Damen und Herren, wir treten in die Truppendienstgerichte jetzt zum Justizministerium
ressortierten? -
Fragestunde
— Drucksache VI/381 —
ein. Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
gaben: Darf ich mir einmal ansehen, welche Formu-
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des lierung Sie meinen, Herr Abgeordneter?
Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf,
und zwar zunächst die Frage 150 des Herrn Abge- (Abg. Damm: Aber bitte!)
ordneten Damm: — Das verstehe ich nicht. Nr. 6 — ich darf vor-
Könnte es sein, daß der. Organisationserlaß des Bundes- lesen — lautet:
kanzlers (Bulletin vom 18. November 1969), Nummer 6, in seiner
Auswirkung, zum Beispiel bei der Militärgerichtsbarkeit, einen Die Zuständigkeit für die bisher zum Geschäfts-
gesetzwidrigen Zustand zur Folge hat? bereich des Bundesministers des Innern gehö-
Für die Beantwortung steht Herr Bundesminister rende Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich
Dr. Ehmke zur Verfügung. Herr Minister, Sie haben der Gerichtsverfassung des Verfahrens wird auf
das Wort. den Bundesminister der Justiz übertragen.

Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

gaben: Herr Präsident, darf ich die Fragen 150 und Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage. Bitte
151 zusammen beantworten? schön!

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Damm (CDU/CSU) : Wenn das, was Sie eben vor-
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden? — Dann gelesen haben, die Truppendienstgerichte nicht be-
rufe ich noch die Frage 151 des Herrn Abgeordneten trifft, wie ist es dann zu erklären, daß Truppen-
Damm auf: dienstgerichte darüber unterrichtet worden sind,
Wenn ja, welchen? daß sie jetzt zum Justizministerium als dem ge-
Bitte schön! schäftsführenden Ministerium ressortierten?
1408 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- und Planungen abhängen, die von der zuständigen
gaben: Das weiß ich nicht. Es kann nur auf einem Straßenbauverwaltung des Landes Baden-Württem-
Irrtum beruhen. Die Truppendienstgerichte sind ge- berg zu erarbeiten sein werden. Zur Frage der
setzlich festgelegt. Das läßt sich durch einen Orga- Finanzierung eines solchen Baues kann noch nicht
nisationserlaß nicht ändern, Herr Abgeordneter. Stellung genommen werden.

Damm (CDU/CSU) : Darauf zielte meine Frage Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

ab. Darf ich also Ihren Antworten entnehmen, daß Zusatzfrage? — Bitte schön!
es weder die Absicht war noch künftig der Wille
der Regierung sein wird, Truppendienstgerichte aus Gnädinger (SPD) : Ich möchte fragen: Bis wann
dem bisherigen Zuständigkeitsbereich des Verteidi- rechnet die Bundesregierung mit dem Abschluß
gungsministeriums herauszunehmen? dieser Planungen und Untersuchungen?

Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
gaben: Sie sind durch Nr. 6 des Organisationser- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
lasses gänzlich unberührt. Fernmeldewesen: Herr Kollege, es ist mir leider
nicht möglich, dafür einen festen Termin zu nennen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Ich bin aber davon überzeugt, daß im Rahmen der
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäfts- landesplanerischen Arbeiten die Landesregierung
bereich des Bundesministers für Verkehr und für Baden-Württemberg sich bemühen wird, auch dieses
das Post- und Fernmeldewesen auf. Für die Ant- Planungsprojekt zu fördern bzw. die Untersuchun-
worten steht der Herr Parlamentarische Staatsekretär gen baldmöglichst zu einem Abschluß zu bringen.
Börner zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage
7 des Kollegen Geldner auf. — Ist Herr Kollege Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Geldner im Hause? — Das ist nicht der Fall. Dann Eine weitere Zusatzfrage.
wird die Frage schriftlich beantwortet.
Gnädiger (SPD) : Darf ich daraus schließen, daß
Ich rufe dann die Frage 8 des Kollegen Gnädinger die Bundesregierung bereit ist, auf das Land im
auf: Sinne einer Beschleunigung einzuwirken?
Sind der Bundesregierung die Schwierigkeiten der Verkehrs-
verhältnisse im westlichen Bodenseegebiet, insbesondere im
Zuge der Bundesstraße 33 über den Bodensee (Konstanz—Meers-
burg—Ravensburg) bekannt, und ist sie bereit, eine feste Stra- Börner, Parlamentarischer Staatssekretärbeim
ßenverbindung (Seebrücke) über den Überlinger See in die
Straßenplanung aufzunehmen? Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Ist der Herr Kollege Gnädinger im Saal? — Bitte Fernmeldewesen: Das dürfen Sie nicht daraus
schön, Herr Staatssekretär! schließen, sondern hier handelt es sich in erster
Linie um eine Sache, die das Land selber im Rah-
men seiner Kompetenz vorantreiben muß. Aber wir
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim werden uns selbstverständlich mit dem Ergebnis
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und auseinanderzusetzen haben, wenn es vorliegt.
Fernmeldewesen: Herr Präsident, wegen des Sach-
zusammenhangs bitte ich unter der Voraussetzung
des Einverständnisses des Herrn Kollegen Gnä- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

dinger darum, beide Fragen gemeinsam beant- Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten
worten zu dürfen. Jung auf. — Der Kollege ist nicht im Saal. Die
Fragen werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Frage 12 des Kollegen Dr. Enders:
Sind Sie einverstanden, Herr Kollege? — Dann rufe Kann die Bundesregierung die Zahl der verhängnisvollen
ich noch die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Gnä- Stürze aus fahrenden Eisenbahnzügen bekanntgeben, die sich
offensichtlich durch die Verwechslung von Türen jährlich er-
dinger auf: eignen?
Ist die Bundesregierung bereit, die Finanzierung dieser See-
brücke aus Straßenbaumitteln zu übernehmen oder wird sie
gegebenenfalls eine Finanzierung über den Kapitalmarkt ermög- Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
lichen? Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Bitte schön! Fernmeldewesen: Herr Kollege, soweit feststellbar,
konnte 1968 ein Fall festgestellt werden, in dem
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim eine Verwechslung nicht auszuschließen war. Die
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Deutsche Bundesbahn untersucht laufend die
Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Bundesre- Ursachen für 'die Stürze von Reisenden aus Eisen-
gierung sind die Verkehrsverhältnisse im westlichen bahnzügen. Dabei ist auch wiederholt die Frage
Bodenseegebiet selbstverständlich bekannt. Sie geprüft worden, ob für solche Stürze die Verwechs-
werden durch die Fortführung des Ausbaus der lung der Türen ursächlich sein kann. Eine solche
Bundesstraßen 31, 33 und 34 sowie durch den Neu- Verwechslung kommt jedoch nur in ganz seltenen
bau der Bundesautobahn Stuttgart-Singen-Schweiz Ausnahmefällen vor.
und Singen-Lindau wesentlich verbessert werden. Um jedoch die Gefahr von Verwechslungen mög-
Der Bau einer Straßenbrücke über den Bodensee lichst ganz auszuschließen, wird bei den neuen
wird von dem Ergebnis künftiger Untersuchungen Reisezugwagen der Deutschen Bundesbahn der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1409
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Drehpunkt der Toilettentür an die Außenwand ge- 44 Unfälle mit 10 Getöteten und 33 Verletzten, da-
legt, so daß sich die Türklinke jetzt in der Wagen- von 8 schwer; im Jahre 1969 49 Unfälle mit 29 Ge-
mitte befindet. töteten und 46 Verletzten, davon 14 schwer.

Dr. Enders (SPD) : Herr Staatssekretär, haben Sie Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Unterlagen darüber, wieviel Stürze aus fahrenden Haben Sie hierzu Zusatzfragen, Herr Kollege?
Zügen sich insgesamt — gleich, aus welchen Grün- (Abg. Härzschel: Nein!)
den — ereignet haben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Dann darf ich zur Beantwortung
Fernmeldewesen: Herr Kollege, es ist mir nicht
der zweiten Fage übergehen.
möglich, Ihnen diese Frage jetzt zu beantworten, da
ich dazu eine Statistik der Deutschen Bundesbahn Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn hat sich
brauche. Ich bin aber bereit, Ihnen die Antwort schon immer bemüht, durch betriebliche Weisungen
nachzureichen. Die Verwechslung von Türen ist, wie und technische Einrichtungen menschliches Ver-
gesagt, für 1968 nur in einem Falle einwandfrei fest- sagen weitestgehend auszuschalten. Seit Mitte der
gestellt worden. fünfziger Jahre müssen die Schrankenwärter die
Zugmeldungen am Fernsprecher mithören. Hier-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
durch kann gleichzeitig die Dienstbereitschaft jedes
Herr Kollege Jung, zu meinem großen Bedauern Wärters vor jeder Zugfahrt festgestellt werden.
haben Sie um wenige Sekunden den Aufruf Ihrer Insbesondere wurden und werden technische Hilfs-
Fragen verpaßt. Ich kann leider an dem Ablauf mittel für die Ankündigung der Züge, sogenannte
nichts mehr ändern. Anrückmelder, eingebaut, mit denen der Zug selbst-
tätig seine genaue Standortmeldung gibt. Diese
Frage 13 des Kollegen Enders: Einrichtungen wurden durch die Herstellung einer
Hält die Bundesregierung erhöhte Sicherheitsvorrichtungen an Abhängigkeit mit der Schranke vervollkommnet,
den Außentüren der Eisenbahnwagen für erforderlich, um der die ein Offnen der Schranke nach Vorbeifahrt eines
Verwechslung mit einer Innentür vorzubeugen?
Zuges verhindert, wenn sich bereits ein weiterer
Zug aus der Gegenrichtung nähert. In den letzten
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Jahren wurde die Abhängigkeit zwischen Schranken
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und und Signalen soweit entwickelt, daß sie inzwischen
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Deutsche Bun- serienmäßig eingebaut werden kann. Die Deutsche
desbahn arbeitet laufend an der Verbesserung der Bundesbahn wird in diesem Jahr in größerem Um-
Türverschlüsse an Reisezugwagen, um auf diese fang mit dem Einbau beginnen.
Weise möglichst alle Stürze aus den Reisezügen zu
verhindern. Zur Zeit befinden sich zwei verschie-
dene Systeme in der Erprobung, die sämtliche
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage.
Außentüren während der Fahrt verriegeln. Dabei
hält sie engen Kontakt mit den anderen Eisenbahn-
verwaltungen, da diese Frage nur international Härzschel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
gelöst werden kann. wären Sie bereit, nähere Ausführungen darüber zu
machen, ob überall da, wo jetzt noch nur eine ein-
fache Sicherung vorhanden ist oder überhaupt nur
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
eine Sicherung durch menschliche Tätigkeit erfolgt,
-

Fragen 14 und 15 des Kollegen Müller (Mülheim).


zusätzliche technische Sicherungen eingebaut wer-
— Der Kollege ist nicht im Saal; die Fragen wer-
den? Ich glaube, daß es im Zeitalter der Mondfahrt
den schriftlich beantwortet.
möglich sein muß, auch für den Zugführer erkenn-
Frage 16 ist von Herrn Abgeordneten Graaff ge- bar zu machen, ob die Schranke geschlossen ist oder
stellt. — Ich sehe den Herrn Kollegen nicht im Saal; nicht.
die Frage wird schriftlich beantwortet.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ich rufe die Fragen 17 und 18 des Herrn Ab- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
geordneten Härzschel auf: Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich will Ihnen dar-
Unfälle an beschrankten Bahnübergängen über gern schriftlich nähere Auskunft geben. Ich
muß betonen, daß es sich hier ja darum handelte,
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim erst technische Einrichtungen zu entwickeln, die ein
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und menschliches Versagen nahezu ausschließen. Diese
Fernmeldewesen: Herr Kollege, an den rund Einrichtungen sind in den letzten Jahren entwickelt
10 000 beschrankten Bahnübergängen der Deutschen worden. Wir bedauern die schrecklichen Unfälle, die
Bundesbahn ereigneten sich durch Verschulden von passiert sind, aber es muß darauf hingewiesen wer-
Bahnbediensteten, d. h. durch zu spät geschlossene den, daß die Zahl der Unfälle im Vergleich zu der
bzw. vorzeitig geöffnete Schranken, folgende Un- großen Zahl der Schrankenpunkte relativ klein ge-
fälle: im Jahre 1967. 45 Unfälle mit 26 Getöteten wesen ist. Trotzdem wird die Bundesbahn überall
und 25 Verletzten, davon 12 schwer; im Jahre 1968 dort mit dem Einbau beginnen, wo die Zugfolge sehr
1410 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Börner


dicht ist und die technischen Voraussetzungen sehr Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

schnell geschaffen werden können. Eine Zusatzfrage des Kollegen Lemmrich.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Lemmrich (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wel-
Herr Kollege, Sie haben noch eine weitere Zusatz- che Beträge sind im Bundeshaushalt 1970 für diese
frage. Finanzierung vorgesehen?

Härzschel (CDU/CSU) : Bis wann etwa, meinen Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Sie, werden diese Vorrichtungen eingebaut wer- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
den? Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich bin gern bereit,
Ihnen diese Zahlen im Laufe dies heutigen Nachmit-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim tags nachzuliefern. Ich habe sie zur Zeit nicht zur
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Hand.
Fernmeldewesen: Sie werden so schnell als möglich
eingebaut werden, weil die Bundesbahn ein Inter- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

esse daran hat, diese Unfälle nach Möglichkeit zu Keine Zusatzfrage zu diesem Problemkreis.
vermeiden. Der Einbau hängt aber nicht nur von der
Bereitstellung der entsprechenden Mittel, sondern Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Dr. Apel auf:
auch von der Lieferfähigkeit der Fernmeldeindustrie Ist der Bundesregierung bekannt, daß der von der Deutschen
Bundesbahn eingeräumte Transcontainertarif von und zu den
ab. Ich möchte deshalb hier keine auf Monate be- niederländischen Häfen, der unter den entsprechenden Tarifen
für die deutschen Seehäfen liegt und deshalb die deutschen See-
zogene Auskunft geben. Sie können aber sicher häfen benachteiligt, von der Deutschen Bundesbahn aus rein
sein, daß das Sicherheitssystem der Bundesbahn betriebswirtschaftlichen Überlegungen gekündigt wurde?
innerhalb der nächsten Monate und Jahre sehr
schnell vervollkommnet wird. Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Deutsche Bun-
desbahn hat den Transcontainertarif von und zu den
-

Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Mül-


ler (Nordenham) auf: niederländischen Häfen nicht gekündigt. Es ist der
Bundesregierung jedoch bekannt, daß die Deutsche
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Rechts-
unsicherheit zu beseitigen, die durch die Erklärung der Verfas- Bundesbahn die auf diesen Tarif zugunsten der
sungswidrigkeit des § 13 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ent-
standen ist, und werden für die Durchführung laufender Vor-
Rheinmündungshäfen gewährten zusätzlichen außer-
haben ersatzweise Bundesmittel vorab bereitgestellt? tariflichen Vergünstigungen widerrufen hat.
Herr Staatssekretär!
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Zusatzfrage!
Römer, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie- Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, wie erklären
rung bereitet zur Zeit eine Novelle zum Eisenbahn- Sie sich die Tatsache, daß die Bundesbahn jetzt die
Verlängerung dieser zusätzlichen Vorteile beschlos-
kreuzungsgesetz vor, damit die durch die teilweise
Nichtigerklärung des § 13 Abs. 1 des Eisenbahn- sen hat?
kreuzungsgesetzes geschaffene Lücke alsbald ge-
schlossen werden kann. Bezüglich der Durchführung Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
laufender Vorhaben hat sich die Bundesregierung Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
bereit erklärt, das bislang nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich muß Sie darauf
des Eisenbahnkreuzungsgesetzes auf die Länder aufmerksam machen, daß das Hohe Haus in den
entfallende Kostendrittel bzw. Kostensechstel von letzten Jahren ein Bundesbahngesetz gestaltet hat,
einem mit den Ländern abgesprochenen Stichtage das eine weitgehende Unabhängigkeit des Vor-
an, und zwar vom 3. Dezember 1969 an, vorüber- standes der Deutschen Bundesbahn vorsieht. Die
gehend in der Form auf den Bund zu übernehmen, Bundesregierung respektiert diesen gesetzgeberi-
daß in Höhe dieses Kostenanteils Zuschüsse ge- schen Willen selbstverständlich.
währt werden.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Sie haben eine weitere Zusatzfrage.


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine Zusatzfrage.
Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie er-
klären also die Verlängerung dieser Rabatte durch
Müller (Nordenham) (SPD) : Ich bedanke mich, den Vorstand der Deutschen Bundesbahn mit öko-
Herr Staatssekretär! Darf ich annehmen, daß lau- nomischen Überlegungen seitens des Vorstandes der
fende Vorhaben nicht gestoppt zu werden brauchen? Deutschen Bundesbahn, obwohl die Bundesbahn die
Rabatte vorher aus ökonomischen Gründen gekün-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim digt hatte?
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: In dieser Annahme würde ich Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ihnen zustimmen. Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1411

Parlamentarischer Staatssekretär Börner


Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich bitte um Ihr rung respektiert selbstverständlich die Entschei-
Verständnis, daß ich mich von diesem Platz zur dungskompetenz des Vorstandes der Deutschen Bun-
Geschäftspolitik des Vorstandes der Deutschen Bun- desbahn. Das wäre die Antwort auf diese Frage.
desbahn nicht äußern möchte.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Ich nehme an, der Fragesteller hat die Antwort noch
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege. Bitte schön! gewollt, um Zusatzfragen zu stellen.

Grobecker (SPD) : Herr ,Staatssekretär, können Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, wie er-
Sie mir bitte sagen, ob Ihnen bekannt ist, welche klären Sie sich dann die Aussage in der offiziellen
Konsequenzen für die deutschen Seehäfen daraus Pressemitteilung des Ministerrates der Europäischen
entstehen, daß ,der Tarif — ich denke hier etwa an Gemeinschaften, daß der deutsche Verkehrsminister
Linienverkehrscontainer von Bremen und Hamburg die Deutsche Bundesbahn veranlassen wird, ihre
nach Rotterdam — nicht gekündigt worden ist? auf diesem Gebiet getroffenen Entscheidungen aus-
zusetzen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
rung ist immer in der schwierigen Lage, im Rahmen Fernmeldewesen: Ich kann mir nur vorstellen, daß
der Gesamtverkehrspolitik sowohl das Interesse der hier die vorher zitierte Rechtslage nicht ganz klar
Häfen als auch das wirtschaftliche Interesse der gesehen wurde.
Deutschen Bundesbahn und natürlich auch die Syn-
chronisierung unserer Verkehrspolitik mit den Maß- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

nahmen der EWG beachten zu müssen. Sie wird Keine weiteren Zusatzfragen.
das auch weiterhin tun.
Dann rufe ich die Frage 22 des Abgeordneten
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Biehle auf:
Herr Kollege Lemmrich. Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu ergreifen, da-
mit die durch private, industrielle oder öffentliche Hochbauten
verursachten Empfangsbeeinträchtigungen bei den umliegenden
Ton- und Fernsehrundfunkanlagen nicht zu Lasten der Hörer
Lemmrich (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, hat oder Kommunen gehen?
die Deutsche Bundesbahn diese Präferenz vielleicht Herr Staatssekretär!
deswegen eingeräumt, weil sie Sorge hat, daß dieser
Verkehr sonst auf die Binnenschiffahrt oder auf
den Kraftverkehr abwandern könnte? Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Präsident, ich bitte um Ihre
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Zustimmung und die des Herrn Fragestellers, die
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen. -
Fernmeldewesen: Ich habe Ihnen schon gesagt, Herr
Kollege — und Sie als Mitglied des Verwaltungs- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

rates der Deutschen Bundesbahn werden sicher dafür Ich nehme an, es bestehen keine Bedenken. Dann
Verständnis haben —, daß es eine ungute Sache rufe ich auch die Frage 23 des Abgeordneten Biehle
wäre, wenn wir uns hier im Hause, obwohl wir auf:
ein Bundesbahngesetz beschlossen haben, das eine Wird die Bundesregierung ggf. Sorge dafür tragen, daß u. a.
weitgehende Unabhängigkeit des Vorstandes in der durch Auflagen bei Baugenehmigungen die Bauherren ver
pflichtet werden, auf eigene Kosten vorbeugende technische
Geschäftspolitik vorsieht, nun mit wertenden Äuße- Maßnahmen zu treffen, um solche Empfangsstörungen zu ver-
hindern oder zu beseitigen?
rungen in Einzelmaßnahmen des Bundesbahnvor-
standes einmischen wollten.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Fernmeldewesen: Herr Kollege., die Bundesregie-
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Dr. Apel auf: rung kennt die Beeinträchtigungen, die sich für
Wird die Bundesregierung trotz der niederländischen Inter- Rundfunk- und Fernsehteilnehmer aus der zuneh-
vention bei der letzten Sitzung des EWG-Verkehrsministerrates menden Hochhausbebauung in unseren Städten er-
in Brüssel zugunsten des Transcontainertarifs jede Einflußnahme
auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn unterlassen, die geben. Ein Arbeitskreis „Rundfunkempfangsanten-
dem ökonomischen Interesse der Deutschen Bundesbahn wider-
spräche? nen" befaßt sich mit dem aufgeworfenen Fragen-
komplex und sucht nach Lösungsmöglichkeiten. Ihm
Herr Staatssekretär! gehören u. a. der Bundesminister für Wirtschaft, der
Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen,
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim der Bundesminister der Finanzen, der Bundesmini-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und ster für das Post- und Fernmeldewesen, Ministerien
Fernmeldewesen: Herr Präsident, die Antwort ist der Länder, die kommunalen Spitzenverbände sowie
im Grunde bereits durch die Beantwortung der Zu- der Zentralverband der deutschen Haus- und Grund-
satzfrage gegeben worden. Ich möchte aber aus- besitzervereine und der Deutsche Mieterbund an.
drücklich noch einmal feststellen: die Bundesregie- Die Bundesregierung wird die weitere Entwicklung
1412 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Börner


sorgfältg beobachten. Es ist Sache des Bauordnungs- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

rechts der Länder, bei erwarteten Empfangsstörun- Ich rufe nunmehr die Frage 24 des Kollegen Wende
gen durch Auflagen bei der Baugenehmigung Ab- auf:
hilfe zu schaffen. Der Bund hat insoweit keine Ge- Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei immer mehr Bürgern
in verdichteten Bebauungsgebieten der Empfang der Fernseh-
setzgebungszuständigkeit. programme durch die wachsende Anzahl von Hochhäusern ge-
stört, zum Teil unmöglich gemacht wird?

Bitte schön, Herr Staatssekretär!


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage bitte!


Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Biehle (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, teilen Fernmeldewesen: Herr Präsident, auch hier wäre
Sie die Auffassung, daß technische Anlagen zur Ver- ich wegen ides Sachzusammenhangs dankbar, wenn
besserung des Empfangs, z. B. Gemeinschaftsanten- ich beide Fragen gemeinsam beantworten dürfte.
nen von Punkten außerhalb der Abschattungszonen,
und das dazugehörende Leitungsnetz zu den Fern- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

sehteilnehmern in jedem Fall von dem Verursacher Herr Kollege, Sie sind einverstanden?
der Empfangsstörung zu finanzieren oder zu beschaf-
fen sind?
Wende (SPD) : Bitte, j a .

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Dann rufe ich auch noch die Frage 25 des Abgeord-
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich komme hier in neten Wende auf:
die Schwierigkeit, eventuell in die Kompetenz der Welche Maßnahmen gesetzgeberischer oder technischer Art
Länder eingreifen zu müssen. Ich kann Ihnen nur gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, damit den Fernseh-
teilnehmern in den „abgeschatteten" Häusern eine ungestörte
sagen, ich habe persönlich sehr viel Verständnis für Empfangsqualität gesichert wird?
Ihre Ansicht.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Eine weitere Zusatzfrage. Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Bundesregie-
rung ist bekannt, daß die Hochhausbebauung zu
Störungen des Empfangs der Fernsehprogramme
Biehle (CDU/CSU) : Herr Staatsekretär, sind Sie führt. Es ist Sache des Bauordnungsrechtes, im Falle
bereit, bei bereits jetzt aus diesem Grunde bestehen-
solcher Störungen durch entsprechende Auflagen
den Empfangsstörungen im Interesse der zwar mit bei ,der Baugenehmigung Abhilfe zu schaffen. Das
Gebühren belegten, dafür aber mit einem schlechten
materielle Bauordnungsrecht unterliegt jedoch der
Empfang bedachten Fernsehteilnehmer Vorausset-
Gesetzgebungskompetenz der Länder. Deren gelten-
zungen zu schaffen — unter Umständen auch in Ver-
des Recht enthält zur Zeit keine ausdrücklichen
bindung mit den Ländern —, daß ohne finanzielle
Regelungen zum Schutz vor Empfangsstörungen.
Belastung und ohne weitere Benachteiligung der
Der Arbeitskreis Rundfunkempfangsantennen, in
Gerätebesitzer technische Verbesserungen in der
dem verschiedene Ressorts der Bundesregierung,
Versorgung geschaffen werden?
die Länder sowie alle betroffenen Interessengruppen
vertreten sind, bemüht sich gegenwärtig um Lö-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim sungsmöglichkeiten.
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe darauf hin- Wende (SPD) : Herr Staatssekretär, teilen Sie
gewiesen, daß dieses Problem zur Zeit in einem meine Auffassung, daß es doch Sorge der Bundes
Arbeitskreis zwischen Bund, Ländern, Hausbesitzer- post sein müßte, den Fall nicht eintreten zu lassen,
und Mietervereinen diskutiert wird. Wir sind der daß es heutzutage Wohnungen gibt, die vermietet
Meinung, daß einem Bauherrn, der ein Haus baut, werden, von denen aber von vornherein feststeht,
von dem eine solche Beeinträchtigung erwartet wird, daß dort nahezu kein Fernsehempfang möglich ist?
entsprechende Auflagen gemacht werden sollten.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Eine weitere Zusatzfrage. Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich teile nicht Ihre
Auffassung, daß es Sache der Bundespost sei, hier
Abhilfe zu schaffen, sondern ich meine, daß man
Biehle (CDU/CSU) : Und bei zurückliegenden hier nach dem Verursacher suchen sollte. Der Ver-
Fällen?
ursacher ist ja nicht die Bundespost, sondern der,
der das Hochhaus 'baut. Genau hier müssen wir
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim ansetzen. Ich gebe Ihnen zu, daß es eine schlechte
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Sache ist, wenn das Informationsrecht eines Bürgers
Fernmeldewesen: Das ist im Einzelfall nur durch durch solche Dinge eingeengt werden kann; ich
einen Rechtsstreit zu klären. Die Verursachung muß gebe auch zu, daß es eventuell das Verhältnis von
ja nachgewiesen werden. Mieter und Vermieter berührt. Das ist aber keine
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1413
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Sache, die die Post zu regeln hat, das ist eine Sache, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

die man im Grunde bei der Baugenehmigung regeln Herr Kollege Josten!
sollte.
Josten (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, würden
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Sie veranlassen, daß die Oberpostdirektionen zuerst
Eine weitere Zusatzfrage. die Dienstfahrzeuge der Bundespost 'mit Winter-
reifen versehen, welche in Gebieten ihren Dienst
versehen, wo im Winter besonders mit Frost und
Wende (SPD) : Herr Staatssekretär, welche Maß- Schnee zu rechnen ist, z. B. Schwarzwald, Allgäu,
nahmen hielten Sie für angebracht, wenn in einem Eifel, Hunsrück oder Westerwald?
konkreten Fall ein Gebäude der Bundespost Ver-
ursacher solcher Störungen wäre, wie das in einer
deutschen Großstadt der Fall ist? Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, das geschieht. Ge-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim rade deshalb haben wir ja diese Anordnung nicht
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und von Bonn aus zentral für das ganze Bundesgebiet
Fernmeldewesen: Herr Kollege, wenn das zutrifft, getroffen, sondern 'das 'dem jeweils 'sachverständigen
was Sie hier erfahren haben, würde ich sagen, daß Herrn der Oberpostdirektion überlassen. Denn es
hier die Deutsche Bundespost als Hauseigentümer ist ja ein Unsinn, bei Witterungsverhältnissen, wie
die gleiche Verpflichtung wie jeder andere auch hat. sie normalerweise hier im Rheinland eintreten, mit
Spikes-Reifen zu fahren, während ich mir für die
Eifel vorstellen könnte, daß es notwendig ist.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Danke. — Ich rufe nunmehr die Frage 26 Ides Abge-


ordneten Dr. Hauff auf: Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

Trifft es zu, daß die Dienstfahrzeuge der Brief- und Paket-


Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundes-
zusteller der Deutschen Bundespost für den Winter nur unzu- ministers der Finanzen auf und zwar zunächst die
reichend bereift sind und z. B. keine Spikes montiert haben, und
was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen zu Frage 76 des Kollegen Dr. Ritz:
tun? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in den Bundes-
ländern, in denen noch keine Lernmittelfreiheit besteht, Auf-
Herr Staatssekretär! wendungen für Lernmittel im Rahmen der außergewöhnlichen
Belastungen steuerlich zu berücksichtigen?

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats-


Bundesminister für Verkehr und für das Post- und sekretär Dr. Reischl.
Fernmeldewesen: Herr Kollege, es trifft nicht zu,
daß die Dienstfahrzeuge der Brief- und Paketzustel- Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
ler der Deutschen Bundespost für den Winter unzu- beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesre-
reichend bereift sind. Es liegt bei den Oberpost- giierung sieht keine Möglichkeit, Aufwendungen für
direktionen, örtlich zu entscheiden, welche Fahr- Lernmittel in den Bundesländern, in denen noch
zeuge entsprechend den besonderen Einsatzverhält- -
keine Lernmittelfreiheit besteht, im Rahmen der
nissen mit M- und S-Reifen, Gürtelreifen, Schnee- außergewöhnlichen Belastungen steuerlich zu be-
ketten oder gegebenenfalls mit Spikes-Reifen aus- rücksichtigen. Alle übrigen Aufwendungen, die
gerüstet werden können. Die Entscheidung 'darüber einem Steuerpflichtigen durch den Unterhalt, die
fällt 'der jeweils zuständige Kraftfahrzeugsachver- Erziehung, die Schulbildung oder die Berufsausbil-
ständige der Oberpostdirektion. dung eines Kindes erwachsen, werden einkommen-
steuerlich durch den Abzug des Kinderfreibetrages
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
pauschal abgegolten. Bei der Mannigfaltigkeit der
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege. Ausbildungsgänge und der Unterschiedlichkeit der
Aufwendungen ist zur Wahrung der Gleichmäßig-
keit der Besteuerung und im Interesse der Rechts-
Dr. Hauff (SPD) : Herr Staatssekretär, halten Sie sicherheit sowie der Verwaltungsvereinfachung eine
es für tragbar, daß die Oberpostdirektion diese Ent- solche typisierende Regelung unumgänglich.
scheidungsfreiheit in dem Sinne auslegt, daß nur
die Dienstfahrzeuge für Führungskräfte mit Spikes Neben dem Kinderfreibetrag können nur außer-
Reifen bestückt werden, nicht aber die der Postzu- gewöhnliche Belastungen besonders berücksichtigt
steller? werden. Als außergewöhnlich in diesem Sinne sind
aber, abgesehen von den besonders geregelten
Kosten einer auswärtigen Unterbringung zur Berufs-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim ausbildung, nur solche Kosten anzusehen, die mit
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und der Berufsausbildung nicht zusammenhängen, wie
Fernmeldewesen: Ich 'glaube nicht, daß eine solche z. B. Krankheitskosten oder Kosten einer auswär-
Entscheidung in einer OPD ergangen ist. Wenn Sie tigen Unterbringung wegen körperlicher oder gei-
entsprechende Informationen haben, dann bitte ich, stiger Gebrechen eines Kindes. Aufwendungen für
sie mir unverzüglich zuzuleiten, denn ich meine, daß Lernmittel stellen also auch nicht deshalb außer-
die Straßenverkehrssicherheit unabhängig von der gewöhnliche Belastungen im Sinne des Einkommen-
betroffenen Besoldungsgruppe gesehen werden steuerrechts dar,, weil in verschiedenen Bundes-
müßte. ländern Lernmittelfreiheit besteht.
1414 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: sondern zum Privatvermögen gehören, unterliegen


Eine Zusatzfrage. nach den §§ 22 und 23 des Einkommensteuergeset-
zes als Spekulationsgeschäfte dann der Einkommen-
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, sind steuer, wenn der Zeitraum zwischen der Anschaf-
Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es trotz Ihrer fung und der Veräußerung solcher Wirtschaftsgüter
Antwort sehr schwierig ist, einem Bürger in einem nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Die Vorschrift
Lande, das keine Lernmittelfreiheit hat, klarzu- ist verfassungsgemäß, wie das Bundesverfassungs-
machen, daß er hier eine im Vergleich zu seinen gericht in seinem Urteil vom 9. Juli 1969 festgestellt
Mitbürgern in einem anderen Land doch beachtliche hat. Der Gesetzgeber hat sich aus sachlich einleuch-
zusätzliche Last zu tragen hat, die er dann nicht ein- tenden Gründen für die Steuerpflicht von Gewinnen
mal unter dem Stichwort „außergewöhnliche Be- aus Grundstücksveräußerungen, die innerhalb der
lastungen" absetzen kann? zweijährigen Spekulationsfrist erzielt werden, ent-
schieden.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär § 23 des Einkommensteuergesetzes ist nach der
beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, Rechtsprechung nicht ausnahmslos anzuwenden. Ins-
diese Auffassung kann ich nicht teilen. Es ist ein- besondere greift diese Vorschrift dann nicht ein,
fach so, daß nach dem gegenwärtigen Einkommen- wenn eine unter Zwang erfolgte Veräußerung we-
steuerrechtssystem — es ist eine andere Frage, ob gen Anschaffung eines Ersatzwirtschaftsgutes nicht
man das einmal ändern sollte — nur pauschal ab- zu einer Gewinnverwirklichung geführt hat. Aus der
gegolten werden kann. Dazu dient der Kinderfrei- Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte,
betrag. Die Unterschiede, die sich aus der Kultur- die es ermöglichen würden, allgemein auf die Be-
hoheit der Länder ergeben — und das hier ist letzt- steuerung von Veräußerungsgewinnen nach § 23
lich eine Folge davon —, können hierdurch eben des Einkommensteuergesetzes zu verzichten, wenn
nicht ausgeglichen werden. Dazu sind die Sonder- Grundstücke oder Grundstücksteile im öffentlichen
regelungen für außergewöhnliche Belastungen nicht Interesse veräußert werden.
da.
Eine solche Auslegung des § 23 wäre meines Er-
achtens auch sehr bedenklich, da hierdurch ein An-
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wären reiz geschaffen werden könnte, Wirtschaftsgüter zu
Sie unter Umständen nicht doch bereit, zu prüfen, erwerben, von denen bekannt geworden ist, daß sie
ob man nicht trotzdem an eine Änderung des Ein- in naher Zukunft z. B. für die Durchführung von im
kommensteuersystems und der betreffenden ge- öffentlichen Interesse gelegenen Vorhaben benötigt
setzlichen Regelung denken kann, um damit viel werden, um sie später mit hohem Gewinn ver-
leicht als Bundesgesetzgeber einen wenn auch be- äußern zu können. Es würde in der Öffentlichkeit
scheidenen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten? sicherlich nicht verstanden werden, wenn in solchen
Fällen trotz Veräußerung innerhalb des Spekula-
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär tionszeitraumes der Veräußerungsgewinn nicht zur
beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, Einkommensteuer herangezogen würde. Aus dem
dazu muß ich sagen, daß die Fragen der Freibe- gleichen Grunde halte ich es auch nicht für vertret-
träge und des Familienlastenausgleichs generell im bar, eine gesetzliche Regelung einzuführen, die für -
Rahmen der Steuerreform geprüft werden müßten. solche Fälle Steuerfreiheit gewährt.
Vorher aber Sonderregelungen zu treffen, um Un-
gleichheiten auszugleichen, die sich nun einmal
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
aus der verfassungsrechtlichen Ordnung ergeben,
-

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Leicht.


dazu kann man das Steuerrecht nicht verwenden.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Leicht (CDU/CSU) : Herr Parlamentarischer Staats-
Ich rufe die Fragen 77 und 78 des Kollegen Picard sekretär, zwingt man in solchen Fällen dann nicht
auf. — Der Herr Kollege ist im Augenblick nicht im die Bürger dazu, sich gegen die Abgabe von Ge-
Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet. lände für öffentlichen Gebrauch zu wehren und es
bis zur Enteignung kommen zu lassen, damit der
Es folgt die Frage 79 des Kollegen Memmel. — Zweijahreszeitraum zu Ende geht?
Der Kollege ist nicht im Saal; die Frage wird schrift-
lich beantwortet. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Eine Grundab-
Es folgt die Frage 80 des Kollegen Leicht:
tretung, die sich aus der Anlage einer Straße ergibt
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß Bürger,
die im öffentlichen Interesse bereit sind, Grundstücksteile zur und die innerhalb des Zweijahreszeitraums ver-
Verfügung zu stellen, mit einer Spekulationssteuer belegt wer-
den, wenn die Abgabe der Grundstücksteile innerhalb von zwei
langt wird, wäre wohl ein Fall, wo ein gewisser
Jahren nach Erwerb erfolgt? Zwang einfach von der Sache her besteht, aber ich
Herr Staatssekretär! glaube, daß die Rechtsprechung, die ja diese Frage
noch nicht entschieden hat, hier wohl einen Ausweg
finden würde.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Gewinne aus
der Veräußerung von Grundstücken und Grund- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

stücksteilen, die nicht zu einem Betriebsvermögen, Eine weitere Zusatzfrage.


Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1415

Leicht (CDU/CSU) : Ich bin dankbar, Herr Parla- ist darauf hinzuweisen, daß eine Erhöhung der Freigrenze
auf 1600 DM zu Steuerausfällen in einer Größenordnung von
mentarischer Staatssekretär, weil ich dann wohl an- 30 Millionen DM führen würde, und daß nur weniger als die
Hälfte der veranlagten Arbeitnehmer über Nebeneinkünfte von
nehmen darf, daß jetzt zumindest in der Richtung mehr als 800 DM verfügen, von denen wiederum ein Teil
Ihrer Aussage auch den Finanzämtern dazu etwas aus anderen Gründen ohnehin zu veranlagen wäre.
gesagt werden wird. Unter diesen Umständen bestehen gegen eine Herauf-
setzung der Veranlagungsgrenze von 24 000 DM und der Frei-
grenze von 800 DM im Interesse der Verwaltungsvereinfachung
erhebliche Bedenken.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Der Gesichtspunkt der Förderung der Vermögensbildung kann
beim Bundesminister der Finanzen: Diese Frage eine solche Heraufsetzung nicht vertretbar erscheinen lassen.
werde ich gern überprüfen lassen und Ihnen, wenn Sie wäre schon deshalb kein geeignetes Mittel für gesell-
schaftspolitische Zwecke, weil sie nur einen verhältnismäßig
Sie einverstanden sind, schriftlich Bescheid geben. kleinen Teil der Arbeitnehmer besserstellen würde.
Im Rahmen der eingeleiteten Steuerreform wird auch die
Frage der Veranlagung von Arbeitnehmern einer Prüfung un-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - terzogen werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß
vor einer endgültigen Entscheidung das Ergebnis dieser Prüfung
Wir kommen zur Frage 81 des Abgeordneten Dr. abgewartet werden sollte.
Zimmermann:
Ist die Bundesregierung im Interesse der Vermögensbildung Ich rufe nunmehr die Frage 82 des Herrn Abge-
und der Vereinfachung der Steuerverwaltung bereit, die Ein- ordneten Strohmayr auf:
kommensgrenze für Lohnsteuerzahler nach § 46 EStG für die
Abgabe einer Einkommensteuererklärung von 24 000 DM und Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es sinnvoll
die Steuerfreiheitsgrenze für Nebeneinkünfte von 800 DM ange- wäre, bei Sonderprägungen von 5- oder 10-DM-Münzen bei den
messen zu erhöhen? Bank- und Sparinstituten Vormerklisten aufzulegen, damit der
Bedarf auch tatsächlich gedeckt und Spekulation ausgeschlossen
werden kann?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant-
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort des
Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
16. Februar 1970 lautet: beim Bundesminister der Finanzen: Nach Ansicht der
Bundesregierung tragen Vormerklisten bei Kredit-
Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG), wonach Arbeitnehmer mit Einkommen von mehr als instituten dazu bei, daß die Gedenkmünzen gleich-
24 000 DM stets zur Einkommensteuer zu veranlagen sind, dient
der Steueraufsicht und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.
mäßig an die Interessenten verteilt werden. Ent-
Erfahrungsgemäß haben Arbeitnehmer mit Einkommen von
scheidend für die Befriedigung der Nachfrage ist
mehr als 24 000 DM vielfach Nebeneinkünfte, die bei der Steuer- aber letztlich die Höhe der Auflage. Mit Zustimmung
bemessung grundsätzlich nicht außer Ansatz bleiben können. Da-
bei ist zu berücksichtigen, daß bei einem zu versteuernden Ein- des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank ist
kommensbetrag von 24 000 DM der Progressionssteuersatz nach die Auflage für die nächste Gedenkmünze, die Mer-
dem für Alleinstehende geltenden Einkommensteuergrundtarif be-
reits 37,2 v. H. und nach dem für zusammenlebende Ehegatten catormünze, von 3 Millionen auf 5 Millionen Stück
geltenden Splittingtarif 24,8 v. H. beträgt. Im Hinblick hierauf
erscheint es grundsätzlich gerechtfertigt, nicht nur Nebenein-
und für die Olympiamünzen zu 10 DM von 6 Mil-
künfte zu erfassen, sondern auch die im Lohnsteuerabzugsver- lionen auf zunächst 10 Millionen Stück je Motiv er-
fahren berücksichtigten, lediglich auf einer Vorausschätzung be-
ruhenden Freibeträge zu überprüfen. Etwaige Steuernachfor- höht worden.
derungen können nämlich nicht im Wege des Lohnsteuer-Jahres-
ausgleichs, sondern nur im Veranlagungsverfahren festgesetzt
werden. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Einkommens- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
grenze von 24 000 DM auch heute noch gerechtfertigt.
Herr Kollege!
Es kommt folgende Überlegung hinzu:
Eine Heraufsetzung dieser Einkommensgrenze hätte u. a. zur
Folge, daß nicht nur bei Arbeitnehmern mit einem Einkommen
Strohmayr (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen
bis zu 24 000 DM, sondern auch bei Arbeitnehmern mit einem bekannt, daß die Verteilung der Erstausgabe der
Einkommen zwischen 24 000 DM und der neuen Veranlagungs-
freigrenze Nebeneinkünfte von insgesamt nicht mehr als 800 DM Olympiamünzen mehr der weniger unter den Bank-
künftig nicht mehr zur Einkommensteuer herangezogen würden. tresen erfolgt ist und daß diese Münzen auf dem
Im Hinblick auf die vorgenannten Steuersätze, die sich mit
wachsendem Einkommen erhöhen, bestehen gegen eine Herauf- offenen Markt nicht zu haben sind?
setzung der Einkommensgrenze aus Gründen der Gleichmäßigkeit
der Besteuerung Bedenken, weil bei Nichtarbeitnehmern der-
artige Nebeneinkünfte stets in vollem Umfang zur Einkom-
mensteuer herangezogen werden. Das gilt in noch stärkerem
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Maße, wenn gleichzeitig auch die Freigrenze von 800 DM (§ 46 beim Bundesminister der Finanzen: Davon ist mir
Abs. 2 Ziff. 1 EStG) erhöht würde.
nichts bekannt; ich habe davon noch nichts gehört.
Gleichwohl könnte erwogen werden, die Veranlagungsgrenze
von 24 000 DM mäßig zu erhöhen, wenn schwerwiegende Gründe
der Verwaltungsvereinfachung für die Erhöhung dieser Grenze
sprächen. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Zur Entscheidung der Frage, ob durch die Erhöhung der Ver- Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
anlagungsgrenze eine fühlbare Arbeitsentlastung für alle Be-
teiligten herbeigeführt werden könnte, sind in den Ländern
Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Berlin besondere
statistische Repräsentativerhebungen der Arbeitnehmerveran- Strohmayr (SPD) : Herr Staatssekretär, werden
lagungsfälle nach § 46 Abs. 1 EStG durchgeführt worden. Die Sie dafür Sorge tragen, daß bei den Münzausprägun-
Auswertung dieser Erhebungen hat jedoch ergeben, daß ein-
schneidende verwaltungsmäßige Entlastungen des Einkom- gen nicht den Spekulationen dadurch Tür und Tor
mensteuerveranlagungsverfahrens von einer Erhöhung der Ver- geöffnet werden, daß zuwenig ausgeprägt wird?
anlagungsgrenze für Arbeitnehmer auf 30 000 DM oder
36 000 DM Einkommen nicht zu erwarten sind. Dies ist vor
allem darauf zurückzuführen, daß nur 3 bis 4 v. H. der ver-
anlagten Arbeitnehmer über der Veranlagungsgrenze von
24 000 DM liegen und von diesen wiederum ein Großteil aus
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
anderen Gründen (insbesondere wegen Sonderabschreibungen beim Bundesminister der Finanzen: Ich sehe dazu
nach § 7 b EStG) ohnehin zur Einkommensteuer zu veranlagen
ist. eigentlich keinen Anlaß. Wenn wir die Auflage er-
Eine gewisse verwaltungsmäßige Entlastung könnte allerdings
höhen, wird ohnehin eine einigermaßen gleich-
erzielt werden, wenn zugleich mit der Veranlagungsgrenze auch mäßige Verteilung sichergestellt werden können.
die Freigrenze von 800 DM erhöht würde. Eine solche Erhöhung
der an sich schon hohen Freigrenze erscheint aber aus Gründen Schließlich werden wir auf die Verteilung bis zum
der Gleichmäßigkeit der Besteuerung kaum vertretbar, weil letzten nie Einfluß nehmen können. Ich halte das für
diese Grenze nur für Nebeneinkünfte von Steuerpflichtigen mit
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gilt. Im übrigen ausgeschlossen.
1416 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Statistischen Bundesamt exakte Berechnungen die-


Ich rufe die Frage 83 des Kollegen Strohmayr auf: ser Gesamtverluste — soweit das überhaupt möglich
Trifft es zu, daß Auflagen von weiteren 4 bis 6 Millionen ist — anzustellen. Bereits damals sind Fachleute aus
Stück der Olympiamünzen deshalb auf Terminschwierigkeiten den Kreisen der Wissenschaft und der Betroffenen
stoßen, weil die staatlichen Münzen durch Privataufträge über-
lastet sind und Staatsaufträge zurückstehen müssen? beteiligt worden. Da es sich um sehr schwierige
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort. Ermittlungen handelt, wird der Abschluß dieser Ar-
beiten voraussichtlich noch längere Zeit in Anspruch
nehmen. Die Bundesregierung wird dem Deutschen
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Bundestag hierüber dann Bericht erstatten. Ich bitte
beim Bundesminister der Finanzen: Der Zusatz-
um Verständnis, daß es mir nicht möglich ist, Schät-
prägeauftrag für 4 Millionen Stück Olympiamünzen
zungen der Bundesregierung vorher bekanntzu-
der Ausgabe 1969 ist , am 3. Februar 1970 erteilt
worden. Die Münzen können erst in einigen Mona- geben.
ten ausgeprägt werden, weil zur Zeit ein großer
Bedarf an Umlaufmünzen besteht, der vorrangig Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
gedeckt werden muß. Die Terminschwierigkeiten bei Eine Zusatzfrage!
den Olympiamünzen sind also nicht auf eine Über-
lastung der Münzämter durch Privataufträge zurück- Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : Herr Staats-
zuführen. sekretär, hat die Bundesregierung oder haben die
damit nun beauftragten Stellen bereits einheitliche
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Richtlinien erarbeitet, die neben der Festsetzung
Ich rufe die Frage 84 des Kollegen Dr. Becher etwa des Stichtags, nach dem die verlorenen Na-
(Pullach) auf: tionalvermögen berechnet werden sollen, und neben
Wie hoch schätzt die Bundesregierung das verlorene National-
der Festsetzung der Kaufkraftparitäten eben auch
vermögen der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten, aus dem von der Tatsache ausgehen, daß es sich dabei um
Zwischenkriegs-Polen, aus dem Sudetenland und aus Süd-Ost-
Europa? mehr als nur die Summe von Privatvermögen han-
delt? Da es um Vermögensfeststellungen aus ver-
schiedenen ehemaligen Staatsgebieten geht: Sind da
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Darf ich mit Zu- nun — —
stimmung des Herrn Fragestellers die beiden Fra-
gen zusammen beantworten? Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Ihre Zusatzfrage entspricht leider nicht den Richt-
linien .der Fragestunde, wonach auch die Zusatz-
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: fragen kurz gefaßt sein müssen, um auch eine kurze
Der Fragesteller 'ist einverstanden. Ich rufe zugleich Antwort zu ermöglichen.
die Frage 85 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in Zusammenarbeit mit Fach-
leuten aus den Kreisen der Wissenschaft und der Betroffenen Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU): Ich meine: Sind
dieses verlorene Nationalvermögen exakt berechnen zu lassen
und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten? da mittlerweile einheitliche Richtlinien erarbeitet
worden?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär


beim Bundesminister der Finanzen: Soweit ich auf
beim Bundesminister der Finanzen: Zunächst darf
Grund der mir jetzt vorliegenden Unterlagen fest-
ich an die Fragestunde des Bundestags am 19. Ja-
stellen kann, wird nach einheitlichen Grundsätzen
nuar 1967 erinnern, in der Herr Staatssekretär
Grund zu den Fragen der Feststellung der Vermö- vorgegangen. Sonst könnten die beteiligten Ämter
gensverluste der aus ihrer Heimat vertriebenen eine solche Statistik wohl kaum zusammenstellen.
Sudetendeutschen und der anderen deutschen Volks- Ich bin aber bereit, nachzuprüfen, ob formelle Richt-
gruppen Stellung genommen hat. Danach hat das linien dazu da sind, und Ihnen das schriftlich mitzu-
Bundesfinanzministerium schon damals dafür Sorge teilen.
getragen, daß diese Vermögensverluste aufgezeich-
net werden, indem es das Statistische Bundesamt Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
damit beauftragt hat, die im Rahmen der Schadens- Herr Kollege, Sie haben das Wort zu einer zweiten
feststellung für das Lastenausgleichsgesetz erteilten Zusatzfrage.
Bescheide genau nach Herkunft der Vertriebenen
statistisch in Zusammenarbeit mit dem Bundesaus- Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : Herr Staats-
gleichsamt auszuwerten. sekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der
Sie hatten dann in einer Zusatzfrage darauf hin- bayerischen Staatsregierung bereits in den Fünfziger
gewiesen, daß zwischen diesen im Lastenausgleich Jahren über die Vermögensverluste der Deutschen
behandelten Vermögensverlusten und dem insge- aus den böhmisch-mährischen Gebieten eine Zusam-
samt verlorenen Nationalvermögen der einzelnen menstellung übergeben wurde, die nach dem
Volksgruppen ein Unterschied zu machen ist. Diese Paritätsjahr 1956 den Betrag von 63 Milliarden DM
Frage hat die Bundesregierung weiter verfolgt, in- errechnet hat? Und werden diese Berechnungen bei
dem sie das Bundesausgleichsamt beauftragt hat, den Feststellungen, die Sie erwähnt haben, mit zu-
in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv und dem grunde gelegt?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1417

Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär etwa 50 v. H. über entsprechend höhere Leistun-


beim Bundesminister der Finanzen: Mir persönlich gen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs
ist von diesem Sachverhalt nichts bekannt. Ich kann ausgeglichen. Zu beachten ist auch, daß gerade den
deswegen hier jetzt auch keine Auskunft darüber relativ gewerbesteuerschwachen Bergbaugemein-
geben, ob das dabei behandelt wird. Aber ich bin den vom Jahre 1970 an erhebliche Mehreinnahmen
bereit, auch nachzuprüfen, ob diese Unterlagen bei auf Grund der Gemeindefinanzreform zufließen. Bei
der Gesamtaufnahme, wenn Sie so wollen, heran- der Beurteilung der Steuerausfälle, die den Gemein-
gezogen werden. den, aber auch dem Bund und den Ländern vor-
übergehend entstehen, darf schließlich nicht unbe-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
rücksichtigt bleiben, daß die Steuervergünstigungen
Eine Zusatzfrage, bitte! ebenso wie andere Maßnahmen zur Förderung der
Wirtschaftskraft der Steinkohlenbergbaugebiete da-
Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : Eine letzte zu beitragen, die Wirtschaftsstruktur in diesen
Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, daß das Gebieten zu verbessern und damit auf längere Sicht
Bundesfinanzministerium in dieser Angelegenheit auch die Steuerkraft der Gemeinden zu stärken.
weiterhin federführend bleibt?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Sie haben Zusatzfragen? — Bitte!


beim Bundesminister der Finanzen: Soweit ich
diesen Unterlagen entnehmen kann, dürfte es ja Niegel (CDU/CSU) : Es ist allerdings unzweifel-
wohl federführend sein. haft, daß Einnahmeverluste entstehen. Wie werden
die dann kurzfristig, selbst wenn gewisse Vergün-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
stigungen vorhanden sind, ausgeglichen?
Herr Kollege Czaja!
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Dr. Czaja (CDU/CSU): Wird das Bundesfinanz- beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege,
ministerium angesichts der erheblichen finanziellen ich habe gesagt, es werden 50 vom Hundert nach
und politischen Bedeutung und der langen Er- den Gesetzen über den kommunalen Finanzaus-
hebungen in absehbarer Zeit diesem Hause oder gleich ausgeglichen. Mehr wird nicht ausgeglichen.
einem Ausschuß einen Zwischenbericht geben? Und Das andere müßte sich teilweise durch die Zu-
können Sie dazu einen Termin nennen? nahme des Anteils an der Einkommensteuer aus-
gleichen, der den Gemeinden zufließt; das hatten sie
bisher nicht. Da diese Gemeinden verhältnismäßig
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär gewerbesteuerschwach waren, werden sie natür-
beim Bundesminister der Finanzen: Einen Termin lich allein dadurch, daß sie jetzt einen Anteil an
kann ich nicht nennen. der Einkommensteuer bekommen, einen Zuwachs an
Steuereinnahmen gegenüber früher erhalten, der
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - zumindest zu einem Teil auch zum Ausgleich des
Keine weitere Zusatzfrage. Verlusts beiträgt.
Ich rufe nunmehr die Frage 86 des Abgeordneten Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Niegel auf: Ich rufe nunmehr ,die Frage 87 des Kollegen Geisen-
Kann die Bundesregierung Angaben über die Hohe der jähr- hofer auf:
lichen Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden — ins- Ist die Bundesregierung bereit, die steuerliche Benachteiligung
besondere in Bergbaugemeinden — machen, die infolge des von Elektrostraßenfahrzeugen (Gewichtsbesteuerung an Stelle
Strukturwandels bzw. der Errichtung der Ruhrkohle AG (Einheits- nicht möglicher Hubraumbesteuerung) so rechtzeitig aufzuheben,
gesellschaft) entstanden sind? daß die jetzt in Gang kommende Produktion abgasfreier Om-
nibusse gefördert wird, und welche sonstige Förderung der Ein-
Bitte schön, Herr Staatssekretär! führung abgasfreier Stadtfahrzeuge gedenkt die Bundesregierung
zu gewähren?

Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Bitte schön, Herr Staatssekretär!


beim Bundesminister der Finanzen: Die Höhe der
gesamten Gewerbesteuermindereinnahmen, die als Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Folge des Strukturwandels in den Steinkohlenberg- beim Bundesminister der Finanzen: Bei dem gegen-
baugebieten bzw. der diesen Strukturwandel be- wärtigen Stand der Entwicklung kommen elektrisch
günstigenden Errichtung der Ruhrkohle AG sowie angetriebene Omnibusse nur für die Verwendung
der damit zusammenhängenden anderen Maßnah- im Linienverkehr in Betracht. Diese Einsatzmöglich-
men den Gemeinden entstehen, ist nicht bekannt. keit wird durch die Kraftfahrzeugsteuer nicht be-
Die Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemein- einträchtigt, da Omnibusse, die überwiegend im
den, die durch die Steuervergünstigungen für die Linienverkehr verwendet werden, seit dem 1. Januar
Ruhrkohle AG und für die Maßnahmen nach dem 1969 von der Kraftfahrzeugsteuer befreit sind. Eine
Zechenstillegungsgesetz eintreten, betragen schät- Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes kann so-
zungsweise — also nur für diesen Teil — für 1968 mit nur zugunsten anderer Elektrofahrzeuge in Be-
20, für 1969 20, für 1970 30, für 1971 40, für 1972 tracht kommen. Die Bundesregierung ist der Auffas-
ebenfalls 40 Millionen DM. Diese Ausfälle wirken sung, daß es im Interesse der Lärm- und Abgas-
sich jedoch nicht in vollem Umfang zu Lasten der bekämpfung geboten ist, die Verbreitung dieser
Gemeinden aus, sondern werden im Durchschnitt zu Fahrzeuge durch eine Vergünstigung bei der Kraft-
1418 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl


fahrzeugsteuer zu fördern. Über Art und Umfang Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
einer solchen Vergünstigung kann aber erst ent- beim Bundesminister der Finanzen: Die Frage,
schieden werden, wenn Elektrofahrzeuge zur Ver- inwieweit man gesetzgeberisch hier zusätzliche
fügung stehen, die den Anforderungen des moder- Regelungen schaffen sollte, kann meines Erachtens
nen Verkehrs genügen. nur im Rahmen der Steuerreform geprüft werden,
bei der die Einkommensteuer ohnehin an der Spitze
steht, also in nächster Zeit geprüft werden muß.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Ich würde es vorziehen, wenn man bis zu dieser
Keine Zusatzfragen. Ich rufe nunmehr die Frage 88
Zeit bei der gegenwärtigen Art des Erlasses bleibt.
des Kollegen Müller (Nordenham) .auf:
Eine andere Lage könnte höchstens dann entstehen,
Trifft es zu, daß, wie die „Welt am Sonntag" vom 1. Februar wenn solche Erlasse etwa durch die Finanzgerichts-
1970 berichtet, deutsche Millionäre ihr Geld ins Ausland bringen
und daß manche Unternehmer ihr Geld darum im Ausland an- barkeit für unzulässig erklärt würden. Dann müßte
legen, weil sie der Bundesregierung skeptisch gegenüberstehen
und Mitbestimmung, Sozialisierungen und Erhöhung von Erb- wohl der Gesetzgeber eingreifen.
schaft- und Vermögensteuer fürchten?

Herr Staatssekretär, bitte! Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine weitere Zusatzfrage.


Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Nach dem letz- Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, sind
ten Wochenausweis der Deutschen Bundesbank vom Sie also der Auffassung, daß die Möglichkeit der
6. Februar 1970 betrug der Gesamtbestand an Gold Sonderabschreibungen für das Grenzland auch für
und Devisen 25,8 Milliarden DM gegenüber einem die Zukunft gegeben ist?
Bestand von 31,5 Milharden DM am 31. Januar 1969,
also vor dem Einsetzen der Spekulation wegen der Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Aufwertung der D-Mark. Der Rückgang um 5,7 Mil- beim Bundesminister der Finanzen: Diese Frage
liarden DM gegenüber idem Januar 1969, der devi- kann ich schlicht mit Ja beantworten.
senwirtschaftlich nicht bedenklich ist und konjunk-
turdämpfend gewirkt hat, dürfte zum Teil auf das
höhere Zinsniveau des Auslands zurückzuführen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

sein. Von einer verstärkten Vermögensverlagerung Ich rufe nunmehr die Frage 90 des Abgeordneten
aus den in der Anfrage genannten Gründen der Ka- Krammig auf:
pitalflucht ist der Bundesregierung und der Deut- Billigt der Bundesminister der Finanzen die Ankündigung ver-
schiedener Hauptzollämter, daß Steuerpflichtige, die innerhalb
schen Bundesbank nichts bekannt. der Schonfrist nach § 1 Abs. 1 der Verordnung zum Steuer-
säumnisgesetz häufiger Steuerzahlungen leisten, damit rechnen
müssen, daß die Fälligkeit der Verbrauchsteuern nach § 101
Reichsabgabenordnung vorverlegt wird, so daß die Schonfrist
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - für diese Steuerpflichtigen entfällt?
Keine Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 89 des
Kollegen Dr. Fuchs auf: Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Beabsichtigt die Bundesregierung, zum heutigen oder einem beim Bundesminister der Finanzen: Die sich aus
späteren Zeitpunkt Schritte zu unternehmen, um die Sonder-
abschreibungen Grenzland einzuschränken oder gänzlich aufzu- den Verbrauchsteuergesetzen ergebenden Fällig-
heben? keitstage für die Entrichtung der Verbrauchsteuern
werden durch die Schonfristenregelung der Verord-
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär nung zum Steuersäumnisgesetz nicht berührt. § 1
beim Bundesminister der Finanzen: Die Verwal- Abs. 1 des Steuersäumnisgesetzes knüpft die Säum-
tungserlasse über die Gewährung von Sonderab- nisfolgen an die Nichteinhaltung des Fälligkeits-
schreibungen im Rahmen des Grenzlandförderungs- tages.
programms, die als Billigkeitsmaßnahmen im Sinne Wird eine Zahlung nicht bis zum Ablauf des ge-
des § 131 der Reichsabgabenordnung erlassen wur- nannten Tages geleistet, so ist sie verspätet. Durch
den, sind bis zum 31. Dezember 1970 befristet. Im die Gewährung der fünftätigen Schonfrist soll nur
Hinblick auf diese Befristung wird gegenwärtig von der Erhebung des durch die verspätete Zahlung
unter Beteiligung der Finanzminister und Finanz- an sich verwirkten Säumniszuschlags abgesehen
senatoren der Länder die Verlängerung der Erlasse werden. Dagegen ist es nicht der Sinn der Schon-
geprüft. Wegen der besonderen wirtschaftlichen fristenregelung, den gesetzlichen Fälligkeitstermin
Verhältnisse im Zonenrandgebiet ist nicht beab- für die Entrichtung der Steuern hinauszuschieben. Es
sichtigt, die Begünstigung der förderungswürdigen ist daher nicht zu beanstanden, wenn von Hauptzoll-
Investitionen in diesem Gebiet einzuschränken oder ämtern darauf hingewiesen worden ist, daß Steuer-
aufzuheben. pflichtige, die bei der Entrichtung von Verbrauch-
steuern wiederholt oder möglicherweise sogar dau-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - ernd die Schonfrist ausnutzen, mit einer Vorverle-
Eine Zusatzfrage. gung der Fälligkeit nach § 101 der Reichsabgaben-
ordnung rechnen müssen.
Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist Eine solche Maßnahme hat nicht zur Folge, daß
die Bundesregierung bereit, gegebenenfalls auch die Schonfrist für die betroffenen Steuerpflichtigen
gesetzgeberische Schritte zu unternehmen, um die schlechthin entfällt. Soweit Zahlungen innerhalb von
Möglichkeit dieser Sonderabschreibungen Grenz- fünf Tagen nach Ablauf des vorverlegten Fällig-
land zu sichern? keitstermins eingehen, wird auch in diesen Fällen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1419
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
von der Erhebung von Säumniszuschlägen abgese- drucke schon zu Beginn des Jahres 1970 für die Ausgabe an
die Antragsteller verfügbar zu haben.
hen. Im Zeitpunkt der Erörterung über die Gestaltung des Antrags-
vordrucks mußten für die Bezeichnung des Gebietes der DDR
die Begriffe verwendet werden, die in den sog. Bezeichnungs-
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: richtlinien des damaligen Ministers für Gesamtdeutsche Fragen
vom Juli 1965 (GMBl 1965 S. 227) festgelegt sind; diese Be-
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Krammig. zeichnungsrichtlinien waren durch Kabinettbeschluß für ver-
bindlich erklärt worden.

.Krammig (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, kön- Die Frage der Weitergeltung der Bezeichnungsrichtlinien ist
inzwischen von der Bundesregierung aufgegriffen worden. Es
nen Sie mir dann erklären, warum bei der Umsatz- wurde festgestellt, daß die Richtlinien durch politische und
sprachliche Entwicklungen z. T. überholt sind. Die Angelegen-
steuer, die ja ebenfalls in § 101 der Reichsabgaben- heit wird z. Z. noch geprüft.
ordnung genannt ist, eine Vorverlegung der Frist Es kann damit gerechnet werden, daß in absehbarer Zeit
nicht vorgesehen ist, obwohl die Schonfrist, soweit eine abschließende Regelung vorliegt, die dann bei der Ge-
staltung der für den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 geltenden
mir bekannt ist, in fast allen Fällen der Umsatz- Antragsvordrucke zu berücksichtigen sein wird.
steuerzahlung in Anspruch genommen wird?
Wir kommen dann zur letzten Frage aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Josten, die
beim Bundesminister der Finanzen: Bei der Umsatz- zunächst unter dem Geschäftsbereich des Bundes-
steuer ist meines Erachtens die Lage anders als bei ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf-
den Verbrauchsteuern. Bei der Umsatzsteuer gibt es geführt war, auf:
auch für den Steuerpflichtigen oft aus technischen Hat die Bundesregierung einen Plan, um die einzelnen Dienst-
Gründen Schwierigkeiten, die Termine einzuhalten. stellen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit, die in verschiedenen Häusern in Bonn untergebracht sind,
Ich muß selber sagen: bei der Kompliziertheit der in einem modernen Bürohaus zusammenzulegen?

Formblätter usw. ist es manchmal, namentlich für Bitte, Herr Staatssekretär!


jemanden, der nicht über die erforderliche Aus-
bildung dafür verfügt, sicher schwierig, diese Ter-
mine einzuhalten. Bei der Verbrauchsteuer ist das Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
aber ganz anders. Hier wird die Steuerschuld erst beim Bundesminister der Finanzen: Das Bundes-
mehrere Wochen nach ihrer Entstehung fällig. ministerium der Finanzen entwickelt zur Zeit in
engem Benehmen mit der Stadt Bonn ein Rahmen-
Infolgedessen ist eine regelmäßig verspätete Zah-
konzept für die Unterbringung aller obersten Bun-
lung, sozusagen unter Dauerausnutzung der Schon-
desbehörden. Darin wird auch eine geschlossene
frist, eine Sache, die wir uns auf die Dauer nicht
Unterbringung des Bundesministeriums für wirt-
gefallen lassen können, weil hier eben nicht die
schaftliche Zusammenarbeit vorgesehen werden.
gleichen Voraussetzungen wie bei der Umsatz-
steuer bestehen. Sobald dieses Rahmenkonzept fertiggestellt und
mit allen Beteiligten abgestimmt worden ist, werde
Krammig (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wür- ich , den Deutschen Bundestag entsprechend meiner
den Sie trotzdem so freundlich sein, in Ihrem Hause bereits in der Fragestunde am 21. Januar 1970
gegebenen Zusage unterrichten. -
prüfen zu lassen, ob sich diese abweichende Hand-
habung mit Art. 3 des Grundgesetzes auf die Dauer
vereinbaren läßt?
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
Eine Zusatzfrage.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Dazu darf ich
persönlich, da ich glaube, selbst einiges von Ver- Josten (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, da es
fassungsrecht zu verstehen, sagen, daß ich nicht sich hier um ein kleines, aber ständig an Bedeu-
glaube, daß diese Handhabung mit Art. 3 des tung gewinnendes Ministerium handelt, darf ich
Grundgesetzes unvereinbar ist, weil eben die Lage Sie fragen: Bis zu welchem Zeitpunkt rechnen Sie
bei der Umsatzsteuer und bei den Verbrauchsteuern mit dem Abschluß der von Ihnen angeführten Ver-
wegen deren viel größerer Schematisierung völlig handlungen?
verschieden ist.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: beim Bundesminister der Finanzen: Diese Verhand-
Ich rufe dann die Frage 91 des Abgeordneten Han- lungen werden mit großer Beschleunigung vorange-
sen auf: trieben, Herr Kollege. Ich habe auch sehr gedrängt,
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß in Vordrucken daß die Raumanforderungen aller Bundesministe-
für den Lohnsteuer-Jahresausgleich nach wie vor die Bezeich-
nungen „sowjetische Besatzungszone Deutschlands" und „Sowjet- rien, die ja nun durch die Zusammenlegung einiger
sektor von Berlin" verwendet werden? Ministerien anders geworden sind, so schnell als
möglich festgestellt wurden. Das war ja die Vor-
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung aussetzung für ein derartiges Programm, und ich bin
gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen Staats- sicher, daß wir innerhalb der allernächsten Zeit zu
sekretärs Dr. Reischl vom 19. Februar 1970 lautet: einem solchen Programm kommen werden, damit die
Die Gestaltung des für 1969 geltenden Vordrucks „Antrag auf
Lohnsteuer-Jahresausgleich" -ist bereits am 17. Juli 1969 mit Auskunft — mindestens eine Zwischenauskunft —
Vertretern der Länderfinanzministerien erörtert und abgestimmt über die etwaige Größe usw. bald gegeben werden
worden; die Druckaufträge wurden im Oktober 1969 erteilt.
Nur bei dieser Termingestaltung war es möglich, die Vor kann.
1420 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: ben" ist keine Frage. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Sie eine Frage stellen würden.
Bundesministers der Justiz. Herr Bundesminister
Jahn steht zur Beantwortung zur Verfügung. Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Herr Minister,
nachdem Sie ,die Frage der Scheckgeschäftsfähigkeit
Ich rufe die Fragen 54 und 55, die der Herr Ab- und die der Volljährigkeit so eng gekoppelt sehen,
geordneter Dr. Hauser (Sasbach) gestellt hat, auf? darf ich fragen: Gehen Sie mit mir einig, daß Scheck-
Erscheint es der Bundesregierung auf Grund sehr praktischer
Erwägungen nicht geboten, zumindest Minderjährige, die das
geschäftsfähigkeit keineswegs unbedingt mit der
18. Lebensjahr vollendet haben, am Scheckverkehr teilnehmen Frage der Volljährigkeit zusammenhängt?
zu lassen, ohne daß sie noch weiterhin der Zustimmung des
gesetzlichen Vertreters und gar der vormundschaftsgerichtlichen
Genehmigung bedürfen (vgl. § 1643 in Verbindung mit § 1822
Nr. 9 BGB) ? Jahn, Bundesminister der Justiz: Ich habe bereits
Hält die Bundesregierung eine recht baldige gesetzliche Rege-
zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Hauser: Die
lung der Frage, daß Minderjährige ab 18 Jahren ohne die bis- Frage der Scheckgeschäftsfähigkeit, wie Sie sagen,
herigen Einschränkungen zum Scheckverkehr zugelassen werden,
nicht für geboten, um die in der Praxis der Kreditinstitute oft und die der Volljährigkeit hängen eng miteinander
im Zusammenhang mit der bargeldlosen Lohn- und Gehalts-
zahlung aufgetretenen Schwierigkeiten auszuräumen und damit
zusammen.
der Empfehlung des Bundesverbandes des Privaten Bankgewer-
bes zu entsprechen, der bereits im Jahr 1967 das Bundesjustiz-
ministerium auf dieses Problem aufmerksam gemacht hat? Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Minister! Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Hauser (Sasbach) CDU/CSU : Wie langee


Jahn, Bundesminister der Justiz: Die Frage, ob wollen Sie, Herr Minister, zugunsten einer sicherlich
es angebracht ist, Minderjährige nach Vollendung zu begrüßenden gesamteuropäischen Regelung auf
des 18. Lebensjahres zum Scheckverkehr zuzulassen. diesem Felde zuwarten, bis Sie sich etwa veranlaßt
ohne daß sie der Einwilligung des gesetzlichen sehen, leine auf die Bundesrepublik eingsetzte Neu-
Vertreters bedürfen, gehört in den größeren Pro- regelung in Gang zu bringen, wie Sie sie in Straß-
blemkreis der Herabsetzung des Volljährigkeits- burg in Ihrer eben erwähnten Rede ,am 23. Januar
alters, der auf nationaler Ebene möglichst nach schon angedeutet haben?
Abschluß der Überlegungen im Europarat gelöst
werden soll. Ich habe deshalb am 23. Januar 1970
Jahn, Bundesminister der Justiz: Sie interpre-
vor dem Europarat auf die Dringlichkeit der Lösung
tieren die Haltung der Bundesregierung nicht richtig,
dieses Problems ausdrücklich hingewiesen.
Herr Kollege Hauser, wenn Sie ,sie mit „zuwarten"
Die Bundesregierung hält es nicht für ratsam, die darstellen. Wir meinen allerdings, daß es notwendig
im Rahmen des Minderjährigenschutzes insgesamt ist, zunächst einmal alle Anstrengungen zu unter-
nicht unwichtige Detailfrage der Zulassung zum nehmen, um dieses Stück bereits vorhandener euro-
Scheckverkehr isoliert zu behandeln. Davon unab- päischer Rechtseinheit möglichst zu wahren, d. h.
hängig könnte jedoch die Teilnahme Minderjäh- möglichst einvernehmlich zu einem Ergebnis zu kom-
riger am Scheckverkehr wesentlich erleichtert wer- men, wobei ich im Augenblick noch offenlassen muß,
den, wenn insoweit das Erfordernis der Genehmi- wie dieses Ergebnis aussieht.
gung des Vormundschaftsgerichts nach § 1822 Nr. 9 -
Der Sinn meiner Rede vor dem Europarat in Straß-
des Bürgerlichen Gesetzbuches wegfiele. Nur auf
burg und der Verweisung eben noch eimal darauf
eine Änderung dieser Vorschrift war im übrigen die
war aber, deutlich zu machen: wenn sich heraus
in der zweiten Frage erwähnte Anregung des Bun-
stellt, daß sich in einer absehbaren, d. h. nicht zu
desverbandes des Privaten Bankgewerbes ge-
richtet. fernen Zeit eine gemeinschaftliche Regelung in
Europa nicht finden läßt, wird die Bundesregierung
Mein Haus ist grundsätzlich bereit, dieser An- ihre eigenen Entscheidungen zu treffen haben.
regung näherzutreten, sobald sich im Rahmen
eines Gesetzgebungsvorhabens eine Möglichkeit
zur Regelung bietet. Das dürfte bei der Reform
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rasner.


der Vorschriften über "das elterliche Sorgerecht der
Fall sein, in deren Rahmen auch der Kreis der nach
den §§ 1643 und 1822 BGB genehmigungspflichtigen Rasner (CDU/CSU) : Herr Minister, sehen Sie
Rechtsgeschäfte überprüft werden soll. irgendeinen Zusammenhang zwischen der sogenann-
ten Geschäftsfähigkeit und dem Wahlalter?

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Jahn, Bundesminister der Justiz: Und dem Wahl-
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege. alter?

Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Herr Mini- Rasner (CDU/CSU) : Ja, dem Alter, in dem man
ster, Sie werden mir doch recht geben, daß Scheck- wählen kann, meine ich.
geschäftsfähigkeit und Volljährigkeit in der Tat
nicht eng miteinander gekoppelt sind. Jahn, Bundesminister der Justiz: Einen unmittel-
baren Zusammenhang nicht. Aber, Herr Kollege
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Rasner, ich denke, wir sollten an dieser Stelle uns
Herr Kollege Dr. Hauser, „Sie werden mir recht ge selber doch nichts vormachen. Die Frage des Wahl-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1421

Bundesminister Jahn
alters und die Frage der Volljährigkeit haben einen Die Prüfung der speziellen Frage, von der Sie
inneren Zusammenhang, den man nicht formalisieren ausgehen, im Zusammenhang mit den Möglichkeiten
kann auf die Frage der Scheckfähigkeit; das ist ein der deutschen Gesetzgebung, steht auf einem ande-
Ausschnitt. ren Blatt. Dazu habe ich bereits gesagt, daß, soweit
dies möglich ist, wenigstens eine Erleichterung im
Obwohl es nicht neu ist in der Rechtsgeschichte
Zusammenhang mit einer Änderung des § 1822 des
und der Verfassungsgeschichte unseres Landes, daß
Bürgerlichen Gesetzbuches vorgesehen ist, und auch
das Wahlalter und Volljährigkeitsalter nicht zusam-
gesagt, wann das geschehen soll.
menfallen, sollten wir aber auf die Dauer doch mög-
lichst zu einer einheitlichen Regelung kommen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich rufe nunmehr die Frage des Kollegen Pensky


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
auf.
Wollten Sie noch eine ergänzende Erklärung dazu
geben?
Jahn, Bundesminister der Justiz: Ich würde gern
auch diese beiden Fragen zusammen beantworten.
Jahn, Bundesminister der Justiz: Nein.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

-
Herr Fragesteller, Sie sind einverstanden? — Dann
Herr Kollege Hauser, Sie können noch weitere Zu- rufe ich die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten
satzfragen dazu stellen. Pensky gemeinsam auf:
Stimmt mir die Bundesregierung darin zu, daß die Tatbestände
Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Herr Minister, des sogenannten Haustürschwindels durch unseriöse Vertreter
ständig zunehmen und es deshalb dringend notwendig ist, zum
darf ich erfahren, inwieweit denn die Prüfung der besseren Schutz der Verbraucher das Abzahlungsgesetz im Sinne
Volljährigkeitsgrenze insgesamt innerhalb der Bun- des vom Lande Hessen beim Bundesrat eingebrachten Entwurfs
erneut zu novellieren?
desregierung vorangekommen ist, nachdem bereits
Wann ist mit der Behandlung des Zweiten Gesetzes zur Ände-
in der Regierungserklärung vom 28. Oktober diese rung des Abzahlungsgesetzes, das der Bundesrat beschlossen hat,
durch das Kabinett und mit der anschließenden Vorlage dieses
Prüfung angekündigt wurde, Sie aber Ihrerseits vor Entwurfs im Deutschen Bundestag zu rechnen?
dem Europarat mitgeteilt haben, die Bundesregie-
Bitte, schön, Herr Minister!
rung habe bisher noch keine Schritte in die Wege
geleitet, die zu einer Änderung der Altersgrenze im
nationalen Bereich führen könnten? Jahn, Bundesminister der Justiz: Nach den Beob-
achtungen meines Hauses läßt sich eine ständige
Zunahme mißbräuchlicher Verkaufsmethoden bei
Jahn, Bundesminister der Justiz: Ich denke, das den sogenannten Haustürgeschäften nicht feststel-
eine schließt das andere nicht aus. Die Prüfung ist len. Das ändert nichts daran, daß es sich hier insge-
im Gange, Herr Kollege Hauser. Aber ob diese samt um einen sehr problematischen und auch der
Prüfung zu dem Ergebnis führen wird, jetzt schon Klärung und Prüfung bedürftigen Bereich handelt.
Schritte einzuleiten oder diese Schritte abgestimmt
mit den anderen europäischen Staaten vorzunehmen, Gleichwohl begrüßt die Bundesregierung im Inter-
ist eine andere Frage. esse einer weiteren Verbesserung des Schutzes der
Verbraucher den vom Lande Hessen eingebrachten
Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Abzahlungsgesetzes. Das Kabinett wird sich voraus-
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kol-
sichtlich Anfang März mit dem Gesetzentwurf befas-
lege Hauser. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie da-
sen und ihn anschließend dem Bundestag zuleiten.
bei auf den Gesamtzusammenhang achteten.

Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Herr Minister, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege!


nachdem Ihr Vorvorgänger im Amt in seinem Schrei-
ben an die Spitzenverbände unserer Kreditinstitute
vor Jahresfrist bereits unter ausdrücklichem Hin- Pensky (SPD) : Sie erwähnten, daß nach Ihren
weis auf die Erörterungen im Europarat über die Feststellungen ein Zunehmen dieser Zahl nicht fest-
Herabsetzung der Volljährigkeitsgrenze lediglich stellbar sei. Würden Sie mir zugestehen, daß ge-
mitteilte, er wolle die Angelegenheit im Auge be- rade in diesem Bereich die Dunkelziffer erheblich
halten, darf ich mich erkundigen, wieweit denn die groß ist, weil sich geprellte Menschen in der Regel
Erörterungen im Europarat nun in der Tat schon scheuen, zur Polizei zu gehen und zu bekennen,
vorangekommen sind? daß sie sich haben überrumpeln lassen?

Jahn, Bundesminister der Justiz: Die Verhand- Jahn, Bundesminister der Justiz: Soweit mir be-
lungen im Europarat haben dazu geführt, daß nach kannt ist, Herr Kollege, wird in diesem Bereich
der dortigen, Ihnen bekannten Übung zunächst eine keine Statistik geführt. Deswegen kann e s mir nicht
Kommission des Ministerkomitees mit der Frage schwerfallen, Ihnen zuzugestehen, daß Ihre An-
beschäftigt ist, die allerdings, soweit mir im Augen- nahme richtig sein könnte. Ich glaube aber nicht,
blick geläufig ist — ich weiß nicht, ob das einer ganz daß dies die entscheidende Frage ist. Vielmehr
genauen Nachprüfung so standhält —, erst in diesen weiß ich aus meiner +eigenen Arbeit als Abgeord-
Wochen ihre Arbeit aufnimmt. meter in einem Wahlkreis, eine wie große Rolle
1422 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Jahn
dieses Problem spielt, wieviel Menschen davon be- Art Seelenwanderung, an frühere Zeiten erinnert
troffen sind und wie sehr es notwendig ist, hier zu oder eine neue Aufgabe übernommen hat.
einer noch besseren als der geltenden Regelung zu
kommen. (Abg. Rösing: Er hat eine neue Aufgabe
übernommen! Er verteidigt den Finanz-
minister!)
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann stehen wir am Denn er hat — vielleicht ist das auch zur Vertei-
Ende der Fragestunde, und wir ,setzen die Beratung lung der Gewichte innerhalb der SPD allgemein
des Tagesordnungspunktes 2 a) und b) fort: Bera- oder von ihm aus gesehen wünschenswert — Funk-
tung des Haushaltsgesetzes 1970 und des Finanz- tionen wahrgenommen, die vielleicht sonst Herr
plans des Bundes 1969 bis 1973. Wehner oder Herr Brandt normalerweise hätten
wahrnehmen müssen.
Ich erteile als nächstem Redner dem Herrn Ab- (Zuruf von der SPD: Kommen Sie doch
geordneten Strauß das Wort.
einmal zur Sache!)
— Ich bin außerhalb der Sache vom Herrn Bundes-
Strauß (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr verteidigungsminister hier sehr deutlich angespro-
verehrten Damen und Herren! Ich darf auch im chen worden, aber nicht zur Sache, über die ich ge-
Auftrag meiner Fraktion noch einmal feststellen, redet habe, sondern genau zu dem, worauf ich jetzt
daß es nicht ,der Wunsch unserer Fraktion war, Antwort gebe.
eine allgemeine politische Aussprache heute nicht
durchzuführen, sondern .daß das eine gemeinsame (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner:
Absprache war, Weil Herr Möller in die Bredouille kam!)

(Abg. Rösing: Im Ältestenrat!) Im übrigen braucht sich der Herr Bundesverteidi-


gungsminister hinsichtlich der Sprachregelung inner-
die im übrigen aus den bekannten Gründen von halb der CDU/CSU gar keine Sorgen zu machen. Mit
der Bundesregierung angeregt worden ist. Es wäre unseren eigenen Problemen werden wir leichter
gut, wenn alle Mitglieder der Bundesregierung ver- fertig, als er mit seinen Jungsozialisten fertig wer-
ständigt würden den wird.
(Abg. Baier: Dafür ist Herr Ehmke zu (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und
ständig!) Zurufe von der SPD.)
— ,dafür gibt .es sozusagen einen eigenen Bundes- — Sie werden doch nicht glauben, daß der Kollege
minister —, Helmut Schmidt angesichts der Vorgänge in Frank-
furt, München und anderswo nicht Gefahr läuft —
(Abg. Dr. Müller-Hermann: Der hat so viel auch wenn es ihm leid tut —, von uns mehr unter-
anderes zu tun!) stützt zu werden als vom größten Teil seines eigenen
Nachwuchses.
damit nicht einer aus den Reihen der Bundesregie-
(Beifall bei der CDU/CSU.) -
rung gegen die von der Bundesregierung selbst
vorgebrachten Wünsche verstößt. Im übrigen hat die Bundesregierung für nächsten
Montag — das gilt für die Fraktionsvorsitzenden —
Das zweite, was ich dazu bemerken darf — es ist
auch eine Unterrichtung über das Ergebnis der
eine politische Debatte gewünscht worden —, ist,
Moskaureisen angekündigt. Schon aus diesem
daß weder wir noch ich 'im besonderen uns vom
Grunde wäre eine abschließende Behandlung der-
Herrn Bundesverteidigungsminister in dieser Funk-
selben in einer politischen Debatte kaum möglich.
tion vorschreiben lassen, wann und wo wir zu wel-
chem Thema jeweils die Genehmigung haben, reden (Abg. Rasner: Das wäre sinnlos!)
zu dürfen.
(Beifall 'bei der CDU/CSU.) Wer für die CDU/CSU spricht, bestimmt sie selber,
und nicht ein Mitglied der Bundesregierung.
Wenn ich im übrigen eine lückenlose Presseüber- (Beifall bei der CDU/CSU.)
sicht darüber hätte, zu welchen Themen die füh-
renden Damen und Herren der SPD jeweils da oder Ich komme jetzt auf die zwei Punkte zu sprechen,
dort gesprochen haben, könnte ich Ihnen sicherlich die ich heute vormittag angekündigt habe. Das erste
nachweisen, daß sie auch über Fragen geredet ha- ist das Thema der Investitionssteuer. Hier hat der
ben, die vorher im Parlament nicht behandelt wor- Sozialdemokratische Pressedienst vom 26. Januar
den sind. Wenn ich die Argumente miteinander 1970 von einem „Franz-Josef-Strauß-10-Milliarden-
vergliche, ließe sich eine Stilistik nachweisen, die Programm der Konjunkturüberhitzung in der priva-
sie im Parlament nicht angewandt haben. Auch dar- ten Wirtschaft" — davon 2,5 Milliarden DM im Jahre
über gibt es keinen Zweifel. 1970 — gesprochen. Hier wird sehr großzügig mit
(Beifall bei der ' CDU/CSU. — Zuruf von 10 Milliarden DM jongliert. Der Herr Bundesfinanz-
der CDU/CSU: Siehe Herrn Wehner!) minister hat gestern erklärt, daß die Handhabung
der Investitionssteuer, des investiven Selbstver-
Des weiteren scheint es mir so zu sein, daß sich brauchs, allein in den Jahren 1968/69 4 Milliarden
der Herr Bundesverteidigungsminister in Geschäfts- DM Steuerausfall erbracht habe. Herr Bundesfinanz-
führung ohne Auftrag auf einmal, vielleicht in einer minister, seien Sie bitte sehr, sehr vorsichtig! Dann
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1423

Strauß
haben Sie weniger Anlaß, sich später korrigieren zu In dem berühmten „Stern"-Interview — über das
müssen. Sie haben am 16. Februar 1970 im Presse- ich mich gern mit Ihnen unterhalten will, Herr
dienst der SPD davon geschrieben, daß über die Kollege Möller, auch wenn Sie einen Teil davon
Jahre 1968 bis 1973 zusammengenommen der Min- jetzt dementiert haben — sagen Sie: „Ich würde den
derertrag dieser Investitions-Steuer — wie sie irrig Hut nehmen, wenn mir das passieren würde." Ich
genannt wird — 3,1 Milliarden DM sei. Und dann sage Ihnen, daß Sie die Einführungserlasse dieses
sagen Sie gestern hier im Parlament, das seien für Jahres erst gelesen haben, als Sie sich polemisch
die ersten zwei Jahre schon 4 Milliarden DM. Da mit meiner angeblichen Rolle bei der Investition-
stimmt doch etwas nicht! Es muß dann doch so sein, steuer befaßt haben und vorher das, was Ihre
daß trotz der einschränkenden Auslegung des Be- Beamten unterschrieben haben, überhaupt nicht ein-
griffs „Wirtschaftsgut" der angebliche Gesamtaus- mal zur Kenntnis genommen haben. Ich gebe Ihnen
fall in fünf Jahren niedriger ist — wie Sie selber darauf Brief und Siegel.
schreiben, 3,1 Milliarden DM — als in den beiden (Zurufe von der SPD.)
ersten Jahren mit 4 Milliarden DM. Das klingt
widersprüchlich, ist aber trotzdem verhältnismäßig — Woher wissen Sie denn das?
einfach aufzuklären. (Zuruf von der SPD.)
Die Mehrwertsteuer ist auf Grund eines Initiativ- In diesem Einführungserlaß heißt es : „Der Begriff
antrages der beiden damaligen Koalitionsfraktionen des Wirtschaftsgutes richtet sich nach den einkom-
CDU/CSU und SPD eingeführt worden. Es standen mensteuerrechtlichen Grundsätzen." Herr Kollege
damals — Modell war der frühere Regierungsent- Möller, wir haben uns im Finanzausschuß darüber
wurf — für die umsatzsteuerliche Entlastung der unterhalten. Herr Kollege Schmidt hat dann die
Investitionen drei Möglichkeiten zur Diskussion. Debatte abgebrochen, weil Sie in große Verlegen-
Der alte Regierungsentwurf — ich muß leider jetzt heit gekommen waren.
nicht so politisch reden, wie Kollege Schmidt es Es gibt für die Auslegung des Begriffs „Wirt-
wünscht —, der mit der alten Legislaturperiode zu schaftsgut" keine andere Möglichkeit als die Zu-
Ende gegangen war, sah eine sogenannte Pro- grundelegung der einkommensteuerrechtlichen Vor-
rata-Lösung vor. Ich bin selber immer gegen die schriften.
Pro-rata-Lösung gewesen, weil ich sie für wenig (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
wirtschaftsfreundlich und im übrigen verwaltungs-
technisch ungewöhnlich schwierig gehalten habe. Es ist ausgeschlossen, den Begriff „Wirtschaftsgut",
Dieselbe Haltung hat auch der Finanzausschuß ein- wenn es der Staatskasse nützt — wie bei den Son-
genommen. Ich wäre für einen Sofortabzug bei den derabschreibungen — einschränkend auszulegen,
10 bzw. 11% Mehrwertsteuer gewesen. Wir konnten d. h. nur die selbständig bewertbaren Güter darunter
aber im Jahre 1967 den Sofortabzug beim besten zu verstehen, und ihn umsatzsteuerrechtlich, wenn
Willen — das war gemeinsame Auffassung des es wiederum um die Interessen des Fiskus geht,
Finanzausschusses — nicht bewilligen, und zwar völlig anders — umgekehrt — auszulegen als we-
aus zwei Gründen. Der Steuerausfall hätte 5 Milli- nige Monate vorher bei der Definition der Sonder-
arden DM betragen, was damals nicht zu verant- abschreibungen. Schon das unterste Finanzgericht
worten war. Aber noch schwerwiegender waren die würde eine solche Bestimmung für verfassungs-
konjunkturpolitischen Gründe, Herr Bundeswirt- widrig erklären. Darüber gab es nicht den gering-
schaftsminister. Eine starke steuerliche Entlastung sten Zweifel. Fragen Sie doch die Juristen in Ihrem
für Investitionen ab Januar 1968, beschlossen etwa eigenen Hause. Ich habe Sie doch im Finanzaus-
im Mai 1967, hätte eine ungewöhnliche konjunktur- schuß in Gegenwart Ihrer Beamten und in Gegen-
bremsende und damit für unsere damaligen Bemü- wart der Kollegen gefragt, ob Sie eine andere recht-
hungen negative Wirkung gehabt. So hat sich der liche Definition für möglich halten. Sie haben gesagt,
Finanzausschuß nach langen Bemühungen und Über- politisch wäre sie wünschenswert gewesen. Sie ha-
legungen für diesen Stufenplan entschieden, den ich ben gesagt, das hätte im Ermessensspielraum ge-
hier nicht mehr zu schildern brauche, weil diejeni- standen. Ich sage Ihnen hier klipp und klar: das
gen, die sich dafür interessieren, ihn kennen. stand nicht im Ermessensspielraum. In dem Augen-
blick, wo der Begriff „Wirtschaftsgut" verwendet
Im Rahmen des Stufenplanes ist folgender Satz wird, können nur die einkommensteuerrechtlichen
durch das Parlament — nicht durch mich — in das Vorschriften zugrunde gelegt werden und sonst
Mehrwertsteuergesetz gekommen: nichts. Sie versündigen sich wider Treu und Glau-
Selbstverbrauch liegt vor, wenn ein Unter- ben, wenn der Begriff „Wirtschaftsgut" jeweils nach
nehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der dem Interesse der Staatskasse und ohne Rücksicht
Abnutzung unterliegen und deren Anschaf- auf die Situation der Steuerzahler ausgelegt wird.
fungs- oder Herstellungskosten nach den ein-
kommensrechtlichen Vorschriften im Jahr der Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Herr Kollege Strauß, gestatten Sie ein Zwischen-
Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden frage der Frau Abgeordneten Funcke?
können, im Inland der Verwendung oder Nut-
zung als Anlagevermögen zuführt. Strauß (CDU/CSU) : Bitte sehr!
§ 30 Umsatzsteuergesetz wurde dann durch den
Einführungserlaß vom 30. Januar 1968 näher er- Frau Funcke (FDP) : Herr Kollege Dr. Strauß,
läutert. spricht nicht alles das, was Sie jetzt gerade zur
1424 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970
Frau Funcke
Erläuterung gesagt haben, dafür, daß die Formulie- befriedigende und sicherstellende Definition des Be-
rung, die das Finanzministerium seinerzeit unter griffes „Wirtschaftsgut" abzugeben. So und nicht
Ihrer Leitung und zweifelsohne mit Ihrer Kenntnis anders ist verfahren worden. Darüber gibt es doch
in das Gesetz eingebracht hat, diesen Betriebsunfall gar keinen Zweifel. Wissen Sie, warum es darüber
verursacht hat? keinen Zweifel gibt? Wenn die Rechtsauslegung,
die Ministerialdirektor Falk damals vorgenommen
Strauß (CDU/CSU) : Erstens stand damals gar hat — wenn sie auf meinen Schreibtisch gekommen
nicht fest, daß der Gesetzgeber nicht die einschrän- wäre, hätte ich auch nicht anders entscheiden kön-
kende Auslegung gewünscht hat, weil damals näm- nen; ich distanziere mich gar nicht davon, auch wenn
lich aus konjunkturpolitischen Gründen von allen ich sie gar nicht gesehen habe —, falsch oder
eine Begünstigung der Investitionen gewünscht wor- unerwünscht gewesen wäre, so hätte den jetzigen
den ist. Zweitens gibt es ein Kabinettsmitglied, das Bundesfinanzminister doch nichts daran gehindert,
Ihrer Partei angehört. den Begriff „Wirtschaftsgut" für zukünftige Investi-
tionen in einem neuen Einführungserlaß anders aus-
(Zuruf rechts: Pfui!)
zulegen, als es in der Vergangenheit getan wurde.
— Nicht „pfui", im Gegenteil, ich begrüße das.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zuruf des Abg. Ollesch.)
Es wäre nicht möglich gewesen, es für die Ver-
— Sie wußten das nicht, Herr Kollege Ollesch? Dann gangenheit rückwirkend zu machen. Für die Zu-
sind Sie hinter den Ereignissen aber etwas zurück. kunft wäre aber durchaus eine andere Regelung
Dieses Kabinettsmitglied hat erklärt: Das war gar möglich gewesen. Das wäre kein Verstoß wider
kein Irrtum des Gesetzgebers; das wollte doch der Treu und Glauben gewesen.
Gesetzgeber.
Ich gehe noch weiter. Warum hat denn der Herr
Sie haben im Finanzausschuß nur von einer Panne Bundeswirtschaftsminister eine Änderung des Ge-
gesprochen. Ich bestreite, daß es eine Panne war. setzes vorbereitet? Doch um nicht durch Auslegung,
Wenn im Finanzausschuß zahlreiche Steuerexperten sondern de lege ferenda, durch eine Gesetzesände-
mit jahrzehntelanger Erfahrung beisammensitzen rung, eine andere Auslegung des Begriffs „Wirt-
— mitten darunter Sie als leuchtendes Juwel — und schaftsgut" herbeizuführen, und zwar durch Ein-
den Begriff „Wirtschaftsgut" verwenden, kann es führung des Begriffs „aktivierungspflichtig" ? Die
nicht den geringsten Zweifel darüber geben, daß Tatsache, daß die Bundesregierung eine Gesetzes-
sie mit diesem Begriff klare steuerrechtliche Vor- änderung vorbereitet hat, die am Widerspruch der
stellungen verbinden, und zwar klarere Vorstellun- FDP und des Herrn Finanzministers gescheitert ist,
gen, als ich sie damals jemals hätte entwickeln kön- spricht doch dafür, daß Sie eine andere Rechtsaus-
nen. Ich habe mich sehr eingehend mit dieser Ma- legung nicht für möglich gehalten, sondern eine Ge
terie befaßt. Wenn der Begriff „Wirtschaftsgut", setzesänderung für notwendig gehalten haben.
d. h. bewegliche und unbewegliche Güter ,des An-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
lagevermögens, verwendet wird, muß er in allen
Fragen im Hinblick auf die Interessen des Steuer- Eine andere Möglichkeit gibt es doch nicht.
zahlers und des Fiskus einheitlich definiert werden, Herr Kollege Möller, ich habe mich in der Zwi--
nicht aber einmal so und einmal anders. schenzeit allmählich daran gewöhnt, daß ich den
„Spiegel" und neuerdings auch „Stern" als Ver-
Frau Funcke (FDP) : Herr Kollege Dr. Strauß, die öffentlichungsorgane des Bundesfinanzministeriums
BerchnugIsHaiendochrzt anzuerkennen habe.
zweifelsohne davon aus, daß sämtliche aktivierungs-
pflichtigen Investitionsgüter der Investitionsteuer (Beifall bei der CDU/CSU.)
unterlegen haben. Stimmen Sie dann nicht mir Ich sage das deshalb, weil es sehr befremdend
darin überein, daß die Formulierung ein Betriebs- ist, einem Wochenmagazin die Einlassung des Mi-
unfall war? nisterialdirektors a. D. Falk zu lesen, die ihnen
offensichtlich zugänglich gemacht worden ist. Aber
Strauß (CDU/CSU) : Wenn es ein Betriebsunfall mir, dem Sie die Unterschrift Falk politisch anlasten,
war, haben Sie ihn als Mitglied des Finanzaus- haben Sie die Einlassung Falk niemals zugänglich
schusses führend zu verantworten. Ich war nicht gemacht. Die Einlassung Falk, die Sie sozusagen auf
Mitglied des Finanzausschusses. Ich habe den Be- Befehl von Herrn Ehmke verlangt haben, ist allen
griff „Wirtschaftsgut" dort nicht eingeführt. Er ist möglichen Leuten zugänglich gemacht worden, auch
vom Finanzausschuß eingeführt worden. Die Initia- der Presse. Aber mir ist sie nicht zugänglich ge-
tivvorlage sah ursprünglich anders aus, und die macht worden.
frühere Regierungsvorlage Ihres Kollegen Dahl-
grün sah ebenfalls anders aus. Es mag sein, daß
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
das Umsatzsteuerreferat nicht eine einschränkende,
Herr Abgeordneter Strauß, Ihre Redezeit ist abge-
sondern eine extensive Auslegung hatte. Wenn
laufen.
das aber so war, so war das falsch. Auf Grund der
gesamten Rechtsprechung hat sich Ministerialdirek-
tor Falk, von dessen Ermessen es auch nicht ab- Strauß (CDU/CSU) : Es ist schade, daß ich solche
hing, so oder so zu entscheiden, gezwungen gesehen, Dinge, bei denen in der Öffentlichkeit mit Milliarden
eine ganz klare, den Steuerzahler beruhigende, hin und her geworfen wird und schwerstwiegende
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1425
Strauß
Vorwürfe erhoben werden, hier nicht aussprechen sagen, und Sie dürfen feststellen, ob es anderthalb
kann. werden.
(Zurufe von der SPD.) Wenn das alles so ist, Herr Kollege Strauß,
wie sie sagen, wenn also eine andere Auslegung
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- des Begriffs gar nicht möglich war und wenn die
Herr Abgeordneter Strauß, Sie haben hier die Mög- Beamten des Finanzministerium dies alles wußten,
lichkeit gehabt, zu der Sache Stellung zu nehmen. warum haben sie dann dem Gesetzgeber, sprich: dem
Nach der geltenden Geschäftsordnung können Sie Ausschuß, nicht die finanziellen Auswirkungen eben
sich im Verlauf der Debatte erneut zu Wort melden. dieser Auslegung auf den Tisch gelegt?
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Strauß (CDU/CSU) : Das letzte, was ich dazu zu
sagen habe, ist: Ihre Schätzungen, Herr Kollege Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Möller, über Einnahmeausfall sind falsch. Sie sind Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr
aus drei Gründen falsch. Fragen Sie bei den Finanz- Abgeordnete Peters.
ämtern nach.
Erstens ist in vielen Fällen die Mehrwertsteuer Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Präsident!
abgezogen und keine Investitionsteuer gezahlt Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt, daß
worden. Das kommt erst bei der Veranlagung und die Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf
beim Umsatzsteuerbescheid und bei der Betriebs- Schwerpunkte gesetzt hat, und zwar in den Berei-
prüfung heraus. Das ist der erste Grund, warum chen Bildung, Wissenschaft, Sparförderung und Ent-
Ihre Zahlen falsch sind. Denn sonst hätten Sie sich wicklungshilfe. Die Zuwachsraten für Bildung und
hier selbst widersprochen, indem Sie für zwei Jahre Wissenschaft betragen 22 %, für die Sparförderung
4 Milliarden DM Verlust sagen und für fünf Jahre 23% und für die Entwicklungshilfe 7%, die ein
3 Milliarden DM Verlust schreiben. Da stimmt doch Beitrag der Bundesrepublik zur Friedenshilfe ist.
etwas nicht. Mit der hohen Zuwachsrate für den Bereich von
Bildung und Wissenschaft ist zunächst einmal nur
Zweitens sind Ihre Zahlen aus folgendem Grunde ein Zeichen in der richtigen Richtung gesetzt wor-
falsch. Eine Besprechung zwischen den steuerbera- den. Wir haben prozentual eine starke Steigerungs-
tenden Berufen und Herrn Fredersdorf hat er- rate, aber wir haben in den absoluten Beträgen mit
geben, daß viele Mehrwertsteuerzahlungen und Sicherheit noch nicht das, was von der Bundes-
Investitionsteuer bereits im Vorsteuerabzug sal- regierung und vom Deutschen Bundestag erwartet
dieren. Kassenmäßig wird die Investitionsteuer wird. Wenn Bund und Länder den Bildungsplan
dann also überhaupt nicht eigens erfaßt. Sie, Herr — wir hoffen, bald — und den Plafond der Finan-
Kollege Möller, verlassen sich nur auf die Ge- zierung dafür fertiggestellt haben, dann wird zu
schäftsstatistiken der Finanzämter, die ihrerseits einem späteren Zeitpunkt an den Bundestag und
wieder auf den Angaben der Steuerpflichtigen be- die Bundesregierung die Aufforderung zu richten
ruhen, die ihrerseits wieder Schwierigkeiten in der sein, die Beträge für diesen Bereich zu verstärken;
Rechtsanwendung haben, weil der investive Selbst- denn Bund und Länder werden, obwohl sie durch-
verbrauch eine ganz schwierige Materie ist. die Finanzreform finanzmäßig besser ausgestattet
Drittens haben Sie gar nicht gewürdigt, daß ein sind, in Zukunft diese Aufgaben nicht in dem Maße
Minus an Umsatzsteuerzahlungen eine Erhöhung übernehmen können, wie das erwartet wird.
des Gewinns und damit eine Erhöhung der Ein- Die FDP begrüßt darüber hinaus eine Steigerung
kommen- und Körperschaftsteuer bringt. der Raten für die Vermögensbildung und unterstützt
(Beifall bei der CDU/CSU.) das Vorhaben der Bundesregierung, die Sparförde-
Wenn Sie die drei Punkte einbeziehen, kommen rung für Einkommensschwache zu erweitern und den
Sie erst zu richtigen Zahlen. Aber dann müssen Sie Betrag des 312-DM-Gesetzes zu verdoppeln. Wir
die Materie noch viel gründlicher kennenlernen würden es begrüßen, wenn für das erste Halbjahr
und sich sehr sorgfältig vorbereiten, bevor Sie 1970 eine zusätzliche Sparförderung ermöglicht
solche Vorwürfe erheben. würde, um Kaufkraft abzuschöpfen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ent-
Pfui-Rufe von der SPD.) spricht unseren Vorstellungen, daß die regionale
Wirtschaftsförderung in ländlichen Bereichen ver-
stärkt worden ist, und zwar um die Hälfte auf 250
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Millionen DM verstärkt worden i st. Wir begrüßen
Das Wort hat Herr Bundesminister Eppler. es, daß für die nationale Agrarpolitik, nachdem von
(Abg. Dr. Müller-Hermann: Erst Vertei der früheren Bundesregierung in der mittelfristigen
digung, jetzt Entwicklung! — Zurufe von Finanzplanung eine Kürzung um 500 Millionen DM
der CDU/CSU: Bei der Sache bleiben! — vorgenommen wurde, in diesem Bereich wieder eine
Weitere Zurufe!) Aufstockung um 400 Millionen DM erfolgt ist.
(Unruhe.)
Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit: Herr Präsident! Meine Damen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

und Herren! Ich habe nur einen einzigen Satz zu Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr
1426 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen


dankbar, wenn Sie dem Redner die gebührende Auf- Finanzminister hier ein Opfer von Finanzbegriffen
merksamkeit schenkten. geworden ist. Aber so ist es den Tatsachen nach.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Wir verhehlen aller- Nun komme ich noch einmal zu der Frage: Ist der
dings nicht, daß wir es lieber gesehen hätten, wenn jetzige Haushalt konjunkturgerecht oder ist er es
das Gesamtvolumen des Haushalts nicht diesen nicht? — Meine sehr verehrten Damen und Herren,
großen Umfang gehabt hätte. Wir hätten auch lieber mit das Entscheidende in diesem Haushalt ist, daß
eine Steigerungsrate von 6 his 6 1/2 % als von 8,8 % eine Konjunkturausgleichsrücklage beim Bund in
gesehen. Der Bundesfinanzminister mußte aber von Höhe von 1,5 Milliarden DM und bei den Ländern in
den politischen Fakten ausgehen, die er bei Antritt Höhe von 1 Milliarde DM gebildet wird und daß im
seines Amtes vorfand. Ich komme dabei stichwort- Bundeshaushalt 2,7 Milliarden DM gesperrt werden.
artig auf das zurück, was in der Kontroverse zwi- Herr Strauß möchte heute lieber, daß gekürzt wird,
schen dem Finanzminister und Herrn Strauß hier statt daß Sperren eingebaut werden.
schon ausgeführt worden ist. Er fand 3,5 Milliarden
DM gesetzliche Verpflichtungen vor und nicht, wie (Widerspruch des Abg. Leicht.)
von Herrn Strauß behauptet wurde, 1,9 Milliar- Als wir im vorigen Jahr, als Sie die Sperre in Höhe
den DM Risiken. Er fand Zusagen aus dem früheren von 1,8 Milliarden DM wollten, vorschlugen, echte
Bundestag in Höhe von 1,7 Milliarden DM vor, Er- Haushaltskürzungen vorzunehmen, haben Sie uns
klärungsverpflichtungen für die Kriegsopfer, für das abgelehnt mit der Begründung, man müsse die
den öffentlichen Dienst und für Kindergeld. Dazu Entwicklung der Konjunktur abwarten und könne
kam dann ein Betrag von 1,7 Milliarden DM für erst zu einem späteren Zeitpunkt darüber entschei-
den Ausgleich der Verluste der deutschen Landwirt- den.
schaft. Jeder von uns wußte, daß diese Zahlung
auf den Bundeshaushalt zukommen würde, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

(Abg. Leicht: Davor haben wir ja gewarnt!) Herr Kollege Peters, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Leicht zu?
und auch Sie von der CDU, Herr Leicht, konnten ja
nur die Aufwertung bis zur Wahl hinausschieben.
Sie haben vor der Wahl selbst die Börse geschlossen Peters (Poppenbüll) (FDP) : Bitte schön!
und mittelbar nach der Wahl, als Sie noch in der
Regierung waren, den Wechselkurs freigegeben. Leicht (CDU/CSU) : Ist Ihnen bekannt, Herr Kol-
(Abg. Leicht: Sagen Sie doch dazu, warum!) lege Peters, daß der Tatbestand im vorigen Jahr ein
anderer war als in diesem Jahr? Da waren keine
o
Diese 7 Milliarden DM Vorbelastungen führten zu Sperren im Bundeshaushalt eingebaut.
dem hohen Plafond des Bundeshaushalts, und es ist
erfreulich, daß es der Bundesregierung trotzdem
gelungen ist, für wichtige Vorhaben noch Schwer- Peters (Poppenbüll) (FDP) : Nein, Herr Leicht, Sie
punkte zu setzen. hatten damals nur eine Gesamtsperre.

Bei dieser Gelegenheit noch ein Wort zu den (Abg. Leicht: Nein, nicht hier im Parlament!
hohen Ausgaben im Dezember, also zu dem Streit- Das war eigene Sache der Regierung!)
punkt von heute morgen. Meine Damen und Herren, Hier ist vom jetzigen Finanzminister mit Recht dar-
hier hat zweifellos eine Begriffsverwechslung statt- gelegt worden, daß es sehr viel wirksamer ist, wenn
gefunden. Herr Strauß und seine Kollegen hatten die Sperren in den einzelnen Positionen ausgebracht
unter Ziffer 2 nach den Betriebsmittelzuweisungen sind, als wenn sie über dem Gesamthaushalt liegen,
gefragt. Das sind die Zuweisungen des Finanzmini- weil dann die Ressorts nicht die Möglichkeit des
steriums an die Ressorts, Herr Leicht. Ausweichens haben, wie das im vorigen Jahr der
Fall war.
(Abg. Leicht: Das weiß ich!)
(Sehr richtig! bei der SPD.)
Unter Ziffer 3 war gefragt nach der Steigerungsrate
Aber wir, die jetzige Bundesregierung und die
der Ausgaben. Daß beide Faktoren nicht übereinzu- Koalition, wollen auch heute die Möglichkeit haben,
stimmen brauchen, ist völlig klar. Das ergibt sich die Konjunkturentwicklung dieses Jahres abzuwar-
ganz eindeutig aus den Zahlen. ten. Mitte des Jahres wird dann entschieden werden,
(Abg. Leicht: Das hatte Strauß auch getrennt!) ob die gesperrten Mittel freigegeben werden können
Denn im Jahre 1968 betrugen die Anforderungen oder nicht.
der Ressorts 8,86 Milliarden DM, die Steigerungs- Viel wirksamer als die Konjunkturausgleichsrück-
rate bei den Ausgaben aber betrug 9,138 Milliarden lage und die Haushaltssperre wird die restriktive
DM; die Steigerungsrate bei Effektivausgaben be- Haushaltspolitik sein, die von jetzt bis Mitte des
trug im Jahre 1969 11,6 Milliarden DM, und bei den Jahres, also bis zur Verabschiedung des Haushalts,
Zuweisungen an die Ressorts — per Zusagen — betrieben wird. Dadurch werden Mittel in Höhe von
waren es 11,8 Milliarden DM. So ergibt sich der Pro- 5 bis 7 Milliarden DM einbehalten und dem Umlauf
zentsatz der Steigerungsrate der Ausgaben — nach entzogen. Das wird sehr viel dämpfender wirken
dem in der dritten Frage gefragt war — in Höhe von als alles andere. Dadurch ist der gesamte Haushalt
25 und 26 %, wie das heute morgen dargestellt — das darf man nicht vergessen — heute nicht nur
worden ist. Es ist bedauerlich, daß ein ehemaliger konjunkturneutral, sondern er ist konjunkturge-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1427
Peters (Poppenbüll)
I recht. Wenn sich im Laufe des Jahres zeigen sollte, gewillt sind. Das geschieht nicht überraschend und
daß, wie die Bundesbank befürchtet, eine weitere kommt nicht von ungefähr. Wer verfolgt hat, was
Beschränkung der Ausgaben stattfinden muß, wer- wir im Laufe der letzten Jahre zu diesen Dingen
den wir die Bundesregierung dabei unterstützen. immer wieder vortragen konnten, der weiß, daß der
Nun möchte ich noch zu einem Problem Stellung jetzige Bundesfinanzminister, der in seiner Rede
nehmen, das hier heute morgen schon aufgeworfen auf diese Aufgabe so großen Wert gelegt und auf
worden ist. Ich sehe mich gezwungen, auf eine Äuße- diese Priorität deutlich Bezug genommen hat, einer
rung des Kollegen Strauß über meinen Freund Josef der „Erfinder" des Begriffs der Gemeinschaftsauf-
Ertl einzugehen. Herr Minister Schmidt hat heute gaben ist, den wir vor einigen Jahren in die
morgen diese Äußerung aus Vilshofen schon her- deutsche Politik eingeführt haben und der heute
angezogen. Die einzige Unterlage, die mir hier sogar von denen benutzt wird, die zur Zeit in die-
vorliegt, ist der „Spiegel" sem Haus in der Opposition sitzen. Das ist eine
gute Sache. Hier haben wir also voneinander ge-
(Zuruf des Abg. Unertl.) lernt. Die Frage der Priorität ist hier völlig klar:
— Sie haben ja vielleicht eine bessere, Herr Unertl, sie lag bei uns. Für uns ist Bildung und Wissenschaft
immer die wesentlichste Gemeinschaftsaufgabe, die
Nach den Äußerungen. wie sie im „Spiegel" ste- Gemeinschaftsaufgabe Nr. 1 gewesen.
hen — und die ziehe ich hier heran —, hat Herr
Strauß gesagt: „Als Verräter möchte ich ihn nicht Aber darüber herrschte in diesem Hause nicht
bezeichnen. Für den Verrat fehlt ihm die Erkenntnis immer Einigkeit. Hier hat es z. B. in bezug auf die
der verhängnisvollen Rolle, die er gespielt hat." notwendige Ausdehnung der Zuständigkeiten des
Bundes auf diesem Gebiet Schwierigkeiten gegeben.
(Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf des Viele von uns erinnern sich noch an die Ausein-
Abg. Unertl.) andersetzung, die wir im vorigen und im vorvorigen
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Jahr im Vorfeld der Finanzreform darüber führten,
Kollege Strauß sollte diese Äußerung an dieser wo es uns eigentlich nur gelungen ist, einige wenige
Stelle zurückziehen, oder er sollte zumindest zu Restbestände dessen, was wir ursprünglich vor-
dieser Äußerung Stellung nehmen; denn sie erfüllt hatten, zum Institut der Gemeinschaftsaufgaben zu
nach unserer Meinung den Tatbestand der Belei- machen und, was ich hinzufügen darf, in das Grund-
digung. gesetz zu bekommen.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Auch hier ist ein Fortschritt im Lernprozeß der
Leicht: Wenn er es gesagt hat!) jetzigen Opposition festzustellen. Das haben wir bei
Ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Hochschul-
bauförderungsgesetzes erkannt, bei dem Sie jetzt
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
auch von der damals vorgesehenen sehr engen Be-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte
schränkung auf die wissenschaftlichen Hochschulen
Ihnen noch sagen, daß der Herr Kollege Peters die
alten Stils abzugehen bereit sind und uns mit der
ihm zustehende Redezeit — es waren von seiner
Streichung des Wortes „wissenschaftlich" nun die
Fraktion 30 Minuten angemeldet — bei weitem
Möglichkeit geben wollen, zu helfen, diese Dinge
nicht in Anspruch genommen hat.
so fortzuentwickeln, wie es notwendig ist, wenn die
(Abg. Haase [Kassel] : Ausgezeichnet! — Hochschulen als wesentlicher Teil unseres Bildungs-
Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) und Erziehungssystems entsprechend gefördert wer-
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Raffert. den sollen.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, an die
Raffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Regierungserklärung des Bundeskanzlers erinnern,
Heren! Ich darf versichern, daß ich keine besondere der klargemacht hat, daß es die gemeinsame Über-
Redezeit beantragt habe. Ich will sogar den Versuch zeugung der die Regierung jetzt tragenden Parteien
machen, die mir zustehende Redezeit nicht voll aus- ist, daß „Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und
zunützen. Wenn es auch für jemanden, der den Forschung an der Spitze der Reformen stehen, die es
ganzen Morgen hier gesessen hat, sehr reizvoll bei uns vorzunehmen gilt". Die Regierungserklärung
wäre, die Auseinandersetzung mit Herrn Strauß hat es nicht bei diesem allgemeinen Hinweis belas-
fortzuführen, so meine ich doch, wir sollten heute sen, sondern ein paar ganz konkrete Punkte ge-
nachmittag auf wesentliche Einzelkomplexe des nannt, auf die es der Regierung dabei ankommt.
neuen Haushalts in der Form eingehen, wie das bei Wenn Alex Möller heute sagt, er wolle nicht „den
ersten Lesungen in diesem Hause erfreulicherweise Eindruck erwecken, daß das Gebiet von Bildung und
üblich gewesen ist. Wissenschaft im Bundeshaushalt 1970 oder in der
Ich möchte hier zum Bereich der Bildung und der Finanzplanung bis 1973 schon ausreichend berück-
Wissenschaft sprechen. Wer das für die SPD-Frak- sichtigt" werde, und daß man „sich noch vielerlei
tion in dieser Debatte und zu diesem Haushalt tut, einfallen lassen müsse", um hier das Notwendige zu
der befindet sich auf ziemlich festem Grund. Das ist tun, dann ist das kein Zeichen von Schwäche, son-
nachzuweisen. Übrigens zeigen nicht nur die Zahlen dern eine Erklärung der Bereitschaft auch des Finanz-
und Positionen dieses Haushalts die Priorität, die ministers, hier noch mehr zu tun, als es das der-
wir dem wichtigen Feld von Bildung und Wissen- zeitige Verteilersystem ermöglicht. Auch hier kön-
schaft in unserer Finanzgebarung und Haushalts- nen wir die Hilfe der Länder, aber auch die Hilfe
gestaltung wie in unserer Gesamtpolitik zu geben der Opposition in diesem Hause brauchen. Denn um
1428 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Raffert
das Verteilersystem zu ändern, kann und wird es Maßnahmen für Bildung und Wissenschaft vor-
sogar nötig sein, in allernächster Zeit die Verfassung dringlich behandelt werden sollen.
noch einmal daraufhin abzuklopfen, ob das Ver-
teilersystem • nicht doch noch verbessert werden Aber es geht hier gar nicht um Zahlenspiele. Es
geht auch nicht darum, wie hoch die Sperre im
kann. Hier könnten weitere Beweise wachsender
Augenblick ist, soviel oder soviel. Man wird in der
Einsicht gegeben werden.
Praxis des Ablaufs des nächsten Jahres von dieser
Die Erhöhung des Wissenschaftsetats im Haushalt Regierung erwarten können, daß das in Ordnung
1970 ist ein deutliches Signal, nicht mehr. Ich selber geht; Durch diesen Haushalt und durch das, was
habe den Einzelplan 31 erst am Montag bekommen. dazu von Regierung und Mehrheitsfraktionen ge-
Ich habe mich darüber nicht geärgert, weil ich die sagt wird, wird nämlich nicht nur der Reformwille,
Absicht des Finanz- und des Wissenschaftsministers der notwendig ist, unter Beweis gestellt, sondern
— der deshalb besonders unberechtigt angegriffen meiner Meinung nach auch die Reformfähigkeit.
worden ist — respektiert habe, erst zu diesem Zeit-
punkt und für alle zur gleichen Zeit damit heraus- Ich erinnere gern daran, wie zum erstenmal die
zukommen. Als die ersten Zahlen auf allen mög- Ausgaben für Bildung und Wissenschaft in einem
lichen Kanälen bekannt wurden, hat es eine ganze Bundeshaushalt stark überproportional gesteigert
Weile — ich befürchte, daß uns das auch in der worden sind. Das war im Haushalt 1967, nämlich
heutigen Debatte passieren kann — einen Streit um nach dem Beginn der Großen Koalition, und so ganz
Prozentzahlen gegeben: Wieweit ist eigentlich der unschuldig daran sind wir nach unserem Eintritt in
Wissenschaftsetat wirklich erhöht worden? Da kann die Koalition sicher nicht gewesen. Jetzt sind wir
man eine Menge Jongleurkunststücke machen. Man die Mehrheitsfraktion, und jetzt ist wieder eine
kann drei verschiedene Ausgangspositionen wählen. ganz entscheidende, auch gegenüber der Proportion
Bei 1969 kann man vom Soll nach dem Haushaltsplan von damals sehr beachtliche Steigerung vorgenom-
men worden.
ausgehen oder vom Soll nach Abzug der Konjunk-
tursperre, oder von den IstAusgaben. Man kann bei Nun weg von den Zahlen. Was kann man aus
1970 vom Soll nach dem Haushaltsentwurf ein- diesem Haushalt 1970 noch erkennen? Man kann
schließlich der Sperre ausgehen, also vom „Brutto erkennen, daß die Regierung und die sie tragenden
Soll", oder vom Soll ohne die Sperrbeträge, oder Fraktionen bereit sind, die Möglichkeiten zu nut-
von diesem selben Betrag, aber mit den Ausgaben- zen, die ihnen durch die Verfassungsänderungen
resten, die wir vom letzten Jahr besonders auch im des Vorjahres inzwischen zugewachsen sind. Das
Hochschulbereich behalten haben. haben sie nicht nur dadurch getan, daß im Wissen-
schaftsministerium eine Unterabteilung oder Refe-
Ich halte das alles für ganz unfruchtbar; denn
rate für Bildungsplanung eingerichtet worden sind.
niemand wird den anderen davon überzeugen
Man mag erst einmal abwarten wollen, was denen
können, daß seine Ausrechnung über soundsoviel
Prozent genau die richtige sei. Daß natürlich die wohl einfallen wird. Wir können aber aus dem
Regierung und die sie tragenden Parteien von der Haushaltsentwurf heute schon ganz deutlich erken-
für sie aussagekräftigsten Rechnung ausgehen, in- nen, daß 'bis in einzelne Beispiele klare Vorstellun-
dem sie sagen: Wir gehen von dem Ist 1969 aus gen darüber bestehen, was man in diesem Feld tun
und rechnen demgegenüber das Brutto-Soll 1970!, will. Man kann mal nicht genug tun; denn die-
ist ganz selbstverständlich. Wer etwas anderes Zuständigkeit des Bundes ist da, meine ich, nur
erwarten würde, wäre nicht ernst zu nehmen. ziemlich g lobal beschrieben. Man muß sehen, wie
man sie mit konkreten Maßnahmen füllen kann.
(Abg. Leicht: Aber das war auffallend!) Die Regierung schlägt zum Beispiel vor, ein Zentral-
institut für Curriculum-Forschung einzurichten, das
— Das ist nicht falsch, aber sehr aussagekräftig,
sich um Lerninhalte und Lernziele kümmern soll, um
Herr Leicht. Das werden Sie nicht bestreiten können.
die es vor allem bei Lehrplanreformen gehen wird,
(Abg. Leicht: Nein, das war falsch angelegt!) oder ein Testforschungsinstitut. Insofern besteht in
Deutschland wohl ein Forschungsrückstand, als wir
— Aber das werden Sie bei den Einzelplanbera- über Leistungs- und Lerntests nicht in abgesichertem
tungen ja noch einmal nachzuweisen versuchen. Ich Maße verfügen. Aus all diesen wenigen Dingen
kann es im Augenblick nicht selbst beurteilen. Ich ist zu sehen, daß hier schon außerordentlich kon-
gehe aber davon aus, daß die Zahlen, die wir hier krete Vorschläge gemacht werden.
bekommen, soweit ich sie übersehen kann, in Ord-
nung sind. Dann kommt die Steigerung um 36 % Vorschläge wie diese machen auch klar, daß das,
heraus.Gnid35,9%FrauKoleginD. was wir für Bildung und Wissenschaft im Bundes-
Walz. etat tun, in sehr engem Zusammenhang mit anderen
Bei den Sperrren, die in diesem Bereich vorhan- Etats und mit anderen Vorgängen auf diesem Gebiet
den sind, darf man nach dem ersten Überblick wohl steht. Wir müssen durch das, was wir nach der Ver-
sagen, daß durch sie bei der enormen Steigerung fassung schon tun dürfen, eine Verkoppelung der
des Wissenschaftsetats von dem, was in nächster verschiedenen Ebenen des Bildungssystems, der pri-
Zeit getan werden muß, nichts gefährdet wird. mären, sekundären und tertiären, schaffen helfen.
Wir vertrauen auf das Wort des Finanzministers, Damit haben wir jetzt zu tun. Wir können uns als
der erklärt hat, daß bei der Lockerung der Sperren, Bund darum nicht mehr herumdrücken, sondern wir
wenn sie möglich oder durch die Konjunkturlage müssen sehen, daß wir das zusammenfassend tun
im nächsten Halbjahr notwendig werden sollte, die können, auch mit Mitteln, die im Haushalt stehen,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1429
Raffert
Initialzündungen geben, auslösen, Länder anregen, Fraktion Wert darauf legen, daß mehr, wesentlich
Verbände anregen usw. mehr getan wird. Ich denke, das wird durch Um-
Wir haben aber über das Gebiet der Bildungs- schichtungen aus anderen Positionen auch möglich
planung nicht nur auf lange Sicht zu entscheiden sein.
— was ich eben nannte, sind meist Entwicklungen, Aber wenn ich so fortfahren würde, käme ich ver-
die man nur auf viele Jahre anlegen kann —; Wir mutlich doch mehr in eine Form der Behandlung
haben auch das ganz aktuelle Problem — das zum dieses Haushalts in zweiter Lesung.
Teil eine Folge bisher mangelnder und unzuläng- Abschließend möchte ich folgendes sagen: Bei
licher Bildungsplanung ist — der Zulassungs- Ausdehnung der Aufgaben des Bundes in Richtung
beschränkungen an den Universitäten. Ich hätte fast auf die Bildungsplanung und der Übernahme größe-
gesagt: auf Deutsch genannt „Numerus clausus" ; ich rer, auch finanzieller Verantwortung für den Hoch-
möchte sagen: deutlich und für jedermann erkenn- schulbau, müssen wir darauf achten, daß war der
bar mit dem Begriff des Numerus clausus umschrie- Gefahr entgehen, das von uns weiter intensiv zu
ben. Hier ist es notwendig, ganz entschlossen beackernde Feld der wissenschaftlichen Forschung
schnelle Maßnahmen zu ergreifen. zu vernachlässigen; das ist aber ,auch aus diesem
Haushaltsentwurf aus nicht zu 'befürchten.
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Darauf werden wir alle gemeinsam zu achten ha-
Herr Kollege Raffert, ich nehme an, Sie genehmigen ben, ganz abgesehen davon, daß natürlich auch zwi-
eine Zwischenfrage des Kollegen Dichgans. schen Hochschulausbau und Weiterentwicklung der
Forschung enge Zusammenhänge und Rückwirkun-
Raffert (SPD) : Bitte schön! gen bestehen. Ich darf aber sagen: hier gibt es
keine Befürchtungen von unserer Seite, selbst wenn
man sich etwas genauer mit den vorgeschlagenen
Dichgans (CDU/CSU) : Herr Kollege Raffert, ver- Prozentsätzen beschäftigt hat.
stehe ich Sie richtig dahin, .daß Sie der Meinung
sind, der Bundestag könne sich nunmehr nicht auf Ein letztes Wort. Das alles wird besser und kla-
rer für uns sein, wenn wir den Bildungsgesamtplan
die Bewilligung von Geldern beschränken, sondern
haben, wenn wir daraus das auch vom Bundes-
müsse sich sehr intensiv auch mit der Frage beschäf-
finanzminister angekündigte Bildungsbudget entwik-
tigen, ob die bewilligten Gelder auch rationell in
keln können. Ich bin sicher, daß in diesem Bildungs-
Forschung, Lehre und Unterricht verwandelt wer-
budget sowohl prozentual als auch in 'absoluten
den?
Zahlen gemessen der Bundesanteil höher liegen
wird, als wir es bisher aus der mittelfristigen
Raffert (SPD): Herr Kollege Dichgans, jemand, Finanzplanung erkennen können.
der in Haushaltsdebatten spricht, kann Ihnen hier (Beifall bei den Regierungsparteien.)
nur nachdrücklich zustimmen. Wir sind in diesem
Feld ja seit langem einig. Ich wollte, es gäbe meh-
rere solcher Punkte, über die wir uns verständigen Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
könnten. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.
Dieses aktuelle Problem des Numerus clausus
ist es, das wir schnell angehen müssen, so sagte ich. Moersch (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
HierfühltscdBunagfrktioeSPD und Herren! Ich hatte offen gestanden erwartet, daß
im Wort. Hier ist auf Grund der Äußerungen, die die Kollegen von der CDU/CSU sich heute speziell
in den Debatten zu diesem Thema fielen, auch die mit den Fragen des Etats des Bundesministeriums
Regierung im Wort. für Bildung und Wissenschaft befassen wollten. Das
ist offensichtlich nicht der Fall; mehrere Kollegen
Wir wissen inzwischen, daß von dem, was für
der CDU/CSU haben seit Dezember den Anlauf für
den Ausbau der Hochschulen angesetzt war, durch
diese Frage geübt und nun offensichtlich den Ab-
Erstattungsbescheide bereits 44 Millionen DM in
sprung versäumt oder nicht gefunden.
Schnellbaumaßnahmen gegangen sind, die ein Pro-
gramm auslösen, das insgesamt fast 250 Millio- Das ist um so verwunderlicher, als dieser Etat
nen DM umfassen und, wie ich denke, eine beträcht- der eigentlich herausragende Posten in der Vor-
liche zusätzliche Erhöhung der Zahl der Studien- lage der Bundesregierung ist. Ich kann daraus nur
plätze ermöglichen wird. Wir wissen aber natürlich, schließen, daß sich in der CDU/CSU inzwischen das
daß man das nicht nur mit Baumaßnahmen vielfälti- Feldgeschrei gelegt hat, man könne beispielsweise
ger Art regeln kann. durch möglichst schnelle Erhöhung von Baumitteln
Es gibt einen Posten in diesem Bundeshaushalt, Hochschulprobleme lösen — ein Irrtum, der hier
schon in einer der letzten Debatten berichtigt wer-
der mir als immer noch weit unterfinanziert — ob-
wohl auch dort schon fast verdoppelt worden ist — den konnte.
aufgefallen ist: das ist die Position der Promotions- Es handelt sich um den Irrtum, daß es allein auf
stipendien. Sie sieht sehr, sehr klein aus. Wir haben das Quantum der Investitionen ankomme statt auf
sie allerdings erst im vorigen Jahr — fast nur mit die Veränderung des Gesamtbildungswesens über-
Hilfe eines haushaltstechnischen Tricks — in den haupt. Insofern ist es korrekt und richtig, daß in der
Bundeshaltigbrc.Hewduns bisherigen Finanzplanung — —
1430 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


- anderen Seite insgesamt volkswirtschaftlich einen
Herr Abgeordneter Moersch, lassen Sie eine Zwi- größeren Effekt erzielen, so daß in der Kosten-
schenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Walz zu? rechnung auch die Verkürzung der Gesamtaus-
bildungszeit gesamtwirtschaftlich eine positive
Bilanz ergeben wird.
Moersch (FDP) : Bitte!
Ich darf ein weiteres Beispiel, das mir bei der
Betrachtung dieses Haushalts wichtig erscheint, hier
Frau Dr. Walz (CDU/CSU) : Herr Moersch, haben anführen: die Frage, ob sich der Bund nicht in Zu-
Sie nicht die Überzeugung, daß es auch in den kunft — und das muß man, .glaube ich, bejahen —
Thesen des Herrn Wissenschaftsministers nur auf nicht nur im bisherigen Umfang der Großforschung
die Quantität ankommt?
zu widmen hat, sondern ganz besonders auch der
Unterstützung der kleineren und mittleren Industrie-
Moersch (FDP) : Ich habe nicht diese Meinung, betriebe bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben,
Frau Dr. Walz. Wenn Sie damit sagen wollen, daß weil hier Betriebe entstanden sind und auch weiter
Sie inhaltlich mit diesen Thesen einverstanden sind, entstehen werden, die in der Forschung Pionier-
daß Sie also die Gesamthochschule bejahen, wäre charakter haben, in denen man mit hoher Effizienz
das eine neue Erkenntnis für uns, für die ich Ihnen Forschungsinvestitionen vornehmen kann, wenn ein
sehr dankbar wäre. Förderungssystem entwickelt worden ist, das mei-
ner Ansicht nach gerechter sein muß als das, das
Der Wissenschaftsminister hat hier zweifellos eine es in der Vergangenheit gab und das im Grunde
Vorlage erarbeitet, die die Bundesmöglichkeiten genommen gar nicht sehr logisch aufgebaut gewesen
auch inhaltlich ausschöpft. Das wird sich, denke ich, ist. Das scheint mir eine wichtige Frage zu sein.
im Verlauf der genaueren Lektüre noch herausstel- Mein Kollege Kienbaum hat ja vorgestern auf die-
len. Aber das ist heute nicht der Debattenpunkt, sen Zusammenhang von Wirtschaftswachstum, Pro-
sondern der Debattenpunkt ist doch, daß Sie von duktivitätsfortschritt und Forschungsinvestitionen
der CDU/CSU in den letzten Wochen unablässig bereits hingewiesen. Ich kann mir weitere Einzel-
außerhalb dieses Hauses gejammert haben, daß die heiten dazu deshalb ersparen.
Bildungsfinanzierung in dieser Bundesregierung zu
kurz komme, und sich nun dazu nicht äußern. Und In Zukunft werden wir uns auch sehr genau zu
das wundert mich. Das stelle ich hier nur fest. überlegen haben, in welchem Umfang man etwa
Bundesvermögen weiter in Stiftungen umwandeln
(Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!) kann, die dann ihrerseits der Forschungs- und Bil-
dungsfinanzierung dienen, und zwar in Einrichtun-
— Was heißt hier abwarten? Ich hatte erwartet,
gen, die unabhängig von starren öffentlich-recht-
daß jetzt ein Redner von Ihnen zu diesem Thema
lichen Vorschriften handeln können, die frei in der
spricht. Das war ja heute morgen offensichtlich von
Vergabe der Mittel sind und die leichter Schwer-
Ihnen angekündigt worden.
punkte bilden können, als das ein Verwaltungs-
(Abg. Dr. Martin: Wir wollen Sie erst apparat unter den gegebenen haushaltsrechtlichen
hören!) Vorschriften tun kann. -
— Das ehrt mich, Herr Dr. Martin. — Deswegen Mir scheint, daß auch auf diesem Gebiet noch eine
darf ich mich hier auf wenige Bemerkungen be- Gesamtüberprüfung einsetzen wird und notwendig
schränken und im übrigen das noch einmal unter- ist, und ich glaube, daß wir dann, wenn dieses Haus
streichen, was Herr Kollege Raffert eben gesagt diesen Prioritäten am Ende zustimmt, durchaus in
hat. Nach der Vorlage eines Gesamtbildungsplans der Lage sein werden, eine Bildungsreform auf brei-
wird auch finanziell eine Planung weit über das ter Basis in Gang zu bringen. Aber wenn ich sage
„wendisHauztm",obringdasuch
Jahr 1974 hinaus notwendig sein, damit wir eben im
Verlauf dieses Jahrzehnts die Zahl von Ausbil- Zweifel zum Ausdruck, weil nämlich die CDU/CSU
dungsstätten und Forschungseinrichtungen erreichen, auf diesem Gebiet mit sehr vielen Zungen spricht,
auch jetzt in den letzten Monaten mit sehr verschie-
die für einen Staat und für eine Gesellschaft not-
denen Zungen gesprochen hat, weil je nach Gruppen-
wendig ist, die Bildung an die erste Stelle der Staats-
interesse in der CDU/CSU Prioritäten in der Öffent-
aufgaben stellen, was ja bisher in der Praxis keines
lichkeit völlig anders dargestellt worden sind. Wenn
wegs der Fall war.
ich etwa die Anträge in diesem Hause betrachte,
Ich möchte aber denen, die solche Zahlen gele- etwa den Ruf nach sofortiger Erhöhung des Kinder-
gentlich erschrecken — etwa , die Größenordnung geldes, der sich eben finanziell etwa mit der Forde-
von 50 Milliarden Bildungsausgaben im Jahre 1980, rung nach möglichst rascher Einführung der Vor-
gemessen in heutigen Preisen —, doch auch einmal schule nicht verträgt, dann meine ich, die CDU/CSU-
sagen, daß diese Berechnung vor allem dann beson- Fraktion muß sich entscheiden, was sie eigentlich
ders erschreckend ist, wenn man davon ausgeht, daß will. Ich glaube, Ihr Schweigen gerade zu diesem
die bisherigen Bildungseinrichtungen so bestehen- Thema im Augenblick dieser Debatte ist ein be-
bleiben. Dann nämlich wäre eine Berufsfindung für redtes Schweigen, das uns zeigt, daß der Denk-
Akademiker erst weit jenseits des Alters möglich, prozeß oder besser die Denkpause in der CDU/CSU
das in anderen Ländern dafür üblich ist. Durch eine über die Frage der Prioritäten noch nicht zu Ende
Verkürzung der ersten Ausbildungsphase, die alle ist.
drei Bildungsbereiche umfaßt, wird man auf der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1431

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: ohne daß die Regierung darauf auch nur annähernd
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin. eine Antwort wüßte.

Dr. Martin (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Damen und Herren! Ich hatte an sich erwartet, daß Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raf-
wir nächste Woche eine Debatte über Wissenschaft fert?
und Bildung haben werden, wie es dem Gegenstand
angemessen ist. Herr Raffert hat nun die Sache vom
Zaun gebrochen. Ich hatte gerade noch Gelegenheit, Dr. Martin (CDU/CSU) : Nein, ich erlaube keine
durch den Schnee hierher zu kommen und mir Zwischenfrage, weil sie — —
anzuhören, was Herr Moersch sagte. Obwohl er (Abg. Moersch: Darauf haben Sie schon seit
genau wußte, daß ich sprechen werde, hat er seine zwanzig Jahren keine Antwort!)
Polemik — — — Sie waren doch die zwanzig Jahre dauernd da-
(Zuruf des Abg. Moersch.) bei, Herr Moersch; haben Sie da geschlafen, oder
was haben Sie getan?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Kollege Dr. Martin, Ihre Wortmeldung ist erst (Beifall bei der CDU/CSU.)
abgegeben worden, als der Herr Kollege Moersch Wenn hier das Schnellbauprogramm zitiert wird
schon mit seinen Ausführungen begonnen hatte. als Maßnahme gegen den Numerus clausus, so ist
(Abg. Moersch: Eine so lange Leitung!) das eine schlichte Kopie des Vorgehens des Landes
Baden-Württemberg, eines CDU-Landes. Man kann
Dr. Martin (CDU/CSU) : Ich hatte es Ihnen zu- das machen. Ein Plagiat kann sogar ehrenhaft sein,
gerufen. Es tut ja nichts zur Sache, Herr Moersch, wenn man den Autor nennt. Außerdem stammen
ich komme auf Sie zurück; Sie können sich darauf diese 44 Millionen ja aus der Summe, die ohnehin
verlassen, wie gewohnt. vorgesehen ist, und sind keineswegs zusätzlich.
Ich habe mir jetzt die Regierungserklärung von Wir werden nächste Woche noch einmal in diese
Herrn Brandt und die Haushaltsrede von Herrn Debatte einsteigen und Ihnen auch konkrete Vor-
Finanzminister Möller noch einmal vorgenommen. schläge machen. Ich möchte als erstes sagen: die 70
Beide Reden sprechen von der Priorität von Bildung Millionen müssen aus der Sperre wieder heraus.
und Wissenschaft. Ich muß hier einfach feststellen, (Beifall bei der CDU/CSU.)
daß von einer solchen Priorität in diesem Haushalt
überhaupt keine Rede sein kann. Es muß erst noch der kommen, der mir zeigt, daß das
eine angemessene konjunkturdämpfende Maßnahme
(Beifall bei der CDU/CSU.) sei, die wir in diesem Jahre brauchen. Und über
Es ist auch kein Fortschritt erkennbar gegenüber die 300 Millionen DM reden wir auch noch einmal.
der mittelfristigen Finanzplanung, wie sie die alte
Regierung hatte. Die hatte von 1968 bis 1972 Steige- Wir müssen auch einmal überprüfen, was es heißt,
rungen von jeweils 20 °% vorgesehen. Jetzt sind es daß hier 50 Millionen DM angesetzt sind für Maß-
nur 19 %. Und dann hat man hier noch den Mut, von nahmen zur Verbesserung des Schulwesens in den
Priorität der Wissenschaft und Bildung zu sprechen Ländern. Das ist ja doch wohl die Spielwiese für
und sich nochmals als Reformpartei vorzustellen! Frau Hamm-Brücher. Das ist die Gegend, die ver-
fassungsmäßig überhaupt nicht abgesichert ist. Ich
Der Finanzminister erhebt im übrigen, wenn man habe nichts dagegen, daß der Bund Bildungsplanung
subtil liest, auch gar nicht den Anspruch, daß er treibt. Wir wollen das. Aber wir haben jetzt die
seine großen Versprechungen wird halten können Verpflichtung, uns ganz und gar auf einen Notstand,
oder daß er dem Regierungschef gerecht wird. Er nämlich auf den des Numerus clausus, zu beschrän-
sagt nämlich in schöner Bescheidenheit: „Ich wollte ken und uns auf ihn zu konzentrieren.
nur ein Signal setzen." Mehr als ein Signal ist auch
nicht gesetzt worden. Die Ressorts sind gleichmäßig (Beifall bei der CDU/CSU.)
gekürzt worden. Die Wissenschaft macht dabei nicht Deshalb werden wir die 50 Millionen DM noch
die geringste Ausnahme. Es sind 300 Millionen DM einmal ganz genau — —

gefallen, davon 70 Millionen, d. h. 25 %, die auf den


Hochschulausbau fallen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Dazu vergleiche man die Rede von Herrn Raffert,
der sagt, es sei eine zentrale Aufgabe, den Numerus Dr. Martin (CDU/CSU) : Augenblick! Ich möchte
clauses zu beseitigen. zunächst die Argumente sammeln.
Dann finden wir in dieser Rede wieder den be- Ich sage das auch noch aus einem anderen Grunde.
kannten Eskarpismus, der vom Jahre 1980 und 1990 Ich vertrete hier kein Unikum der CDU, sondern ich
redet: Bildungsplanung sei eine Sache über Jahr- weiß genau, daß der Regierungschef von Hessen,
zehnte. Wir sind aber im Jahre 1970, und es stehen Herr Osswald, beim Herrn Bundeskanzler gewesen
Zehn- und Hunderttausende von Studenten vor den ist und ihn gebeten hat, sich nicht bildungsplanerisch
Toren der Universitäten, und schulpolitisch zu engagieren, sondern statt des-
(Beifall bei der CDU/CSU) sen die eigentlich subsidiären Aufgaben des Bundes
1432 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Dr. Martin
zu erledigen. Ich hoffe, daß sich hier noch einiges daß einem noch viel mehr einfallen müsse, ist ein
durchsetzen wird. Armutszeugnis.
Herr Moersch, jetzt sind Sie dran. (Beifall bei der CDU/CSU.)

Moersch (FDP) : Herr Kollege Dr. Martin, darf ich Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
aus Ihren Anmerkungen über die Methode des Geld- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.
ausgebens den Schluß ziehen, daß Sie, im Unter-
schied zum Kollegen Dichgans, keine besonders Dr. Asthammer (CDU/CSU): Herr Präsident!
solide Vorstellung von der Methode des Geldaus- Meine Damen und Herren! Es war von unserer
gebens haben? Seite nicht vorgesehen, hier jetzt in die Debatte
(Lachen bei der CDU/CSU.) Bildungsprobleme einzuführen. Mein Kollege Dr.
Martin hat soeben schon erklärt, daß wir uns wegen
Dr. Martin (CDU/CSU) : Herr Moersch, das war der Wichtigkeit dieser Dinge vorbehalten, nächste
keine politische Aussage, sondern eine etwas unter Woche noch zu diesen Frage zu sprechen. Ich möchte
dem Niveau, das Sie sonst haben, liegende Wertung deshalb noch einmal in die generelle Debatte zu-
meiner Person. Deshalb brauche ich darauf über- rückblenden, die wir heute geführt haben. Ich glaube,
haupt nicht zu antworten. Herr Moersch, wenn Sie es ist notwendig, daß einige Punkte erneut klar-
mir sagen wollen, es komme nicht nur auf das gestellt werden. Herr Bundesfinanzminister, es wäre
Quantitative an, brauchen Sie das, was ich gesagt wahrscheinlich heute manches anders gelaufen,
habe, doch nur nachzulesen. Selbstverständlich wenn Ihre Haushaltsrede gestern anders gewesen
kommt es auf das Qualitative an. Ich will Ihnen wäre.
sagen, worauf es in diesem Jahr im wesentlichen (Beifall bei der CDU/CSU.)
ankommt. Vielleicht wäre auch jetzt noch der Zeitpunkt, um
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß nach den Kontroversen des heutigen Vormittags
sich die Universität in einem Zustand befindet, der für die weitere Arbeit auch im Ausschuß und dar-
es erforderlich macht, daß sich der Deutsche Bundes- über hinaus ein besseres Klima zu schaffen. Ich
tag und die Länder einmal überlegen, wie sie die würde sagen, das wäre möglich, wenn Sie sich z. B.
institutionelle Sicherung der Freiheit von Lehre und an das erinnerten, was Sie — allerdings vor län-
Forschung an unseren Universitäten sicherstellen gerer Zeit schon — in der „Welt" am Mittwoch,
den 12. November 1969, geschrieben haben, wo Sie
wollen.
einen großen Artikel mit den Sätzen begannen —
(Beifall bei der CDU/CSU.)
ich darf zitieren —:
Das ist eine Frage des Rahmengesetzes, der Studien- Die Bundesfinanzen sind gesund. Ihre Solidität
ordnung und dergleichen Dinge mehr. wird allerdings angezweifelt. Es gibt gewisse
(Abg. Dr, Tamblé: Was ist denn der Grund Gefahrenmomente; sie werden aber zum Teil
für diesen Zustand?) übertrieben dargestellt.
— Der Grund für diesen Zustand, Herr Kollege, ist Wir möchten gern, daß diese Dinge geklärt wer-
Ihnen sehr genau bekannt. Er liegt u. a. in der Ein- den und daß hier eine Legendenbildung in den
führung einer schematischen Beteiligung der Grup- Anfangsansätzen sofort beseitigt wird,
pen an den Universitäten, insbesondere in sozial- (Beifall bei der CDU/CSU)
demokratisch regierten Ländern, mit dem Erfolg, daß
die Professoren aus diesen Ländern abwandern. Sie nämlich eine Legende, die etwa dahin geht, es sei
wissen, wohin: meistens nach Rheinland-Pfalz. ein katastrophales oder ein schweres finanzpoliti-
sches Erbe anzutreten gewesen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Man wird sich, glaube ich, auch darauf einigen
Zurufe von der SPD.) können, daß der frühere Finanzminister nicht in der
Meine Damen und Herren, ich will mich auf diese Lage war — auch gar nicht berechtigt war —, eine
wenigen Bemerkungen heute beschränken, obwohl Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung
mir das sehr wehtut. Ich stelle folgendes fest. vorzunehmen, weil das ja eine legitime Aufgabe
der neuen Regierung gewesen ist.
(Abg. Moersch: Das ist die Vogelfluglinie!)
Herr Kollege Möller, ich habe heute vormittag
Erstens. Dieser Haushalt ist, soweit er Wissen- einen Zwischenruf gemacht, daß Sie in der Zeit vor
schaft und Bildung betrifft, bestenfalls eine Fort- Ihrem Amtsantritt ja stellvertretender Fraktions-
schreibung dessen, was die vorige Koalitionsregie- vorsitzender waren. Es ist hier wirklich die Frage,
rung bereits getan hat. ob die Sozialdemokraten es unternehmen wollen,
sich aus der Verantwortung, die sie in der Großen
Zweitens. Dieser Haushalt ist nicht ein Haushalt Koalition getragen haben, nachträglich hinweg-
der bildungspolitischen Prioritäten, kein Haushalt zustehlen.
der Reformen des Bildungswesens, sondern er er- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
weckt lediglich den Anschein von Reformen, ohne
sie durchführen zu können. Das Eingeständnis, daß Es sieht immer so aus, daß man nur dort, wo es
man keinen Weg wisse, wenn man sagt, daß es gilt, Erfolge aufzuzeigen, betont, daß ein sehr we-
einem nach 120 Tagen Regierung eingefallen sei, sentlicher Beitrag von der SPD geleistet wurde.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1433
Dr. Althammer
Ich halte es auch nicht für einen guten Stil, Herr die konjunkturpolitische Landschaft aussehen, und
Minister, daß Sie in Ihrer Etatrede gestern einzelne glauben Sie, .daß man dann solche Steuersenkungs-
Minister des früheren Kabinetts namentlich genannt pläne verwirklichen kann? Die neuesten Indika-
und die Frage gestellt haben, wo denn ihre Konzep- toren, , die wir haben, deuten nicht darauf hin — ich
tionen, ihre Anträge geblieben seien, z. B. zur glaube, das Bundeswirtschaftsministerium wird hier
Familienpolitik, z. B. zur Beamtenbesoldung und zu nicht widersprechen wollen —, daß am 1. Juli 1970
anderen Dingen. Herr Bundesfinanzminister, sind ein katastrophaler Konjunkturabschwung eintreten
Sie sich nicht darüber im klaren, daß mancher Fach- wird. Sogar interessierte Wirtschaftskreise sagen
minister Ihres Kabinetts sich bei solchen Ausfüh- heute schon, es könnte sein, daß zum Jahresende
rungen die Frage stellen muß, ob er nicht später ein Abschwung erfolgt. Dann ist natürlich die Frage
auch einmal diesen Vorwurf bekommen wird, weil zu stellen: Ist es wirklich vertretbar, .daß, wenn der
er Ihre Kürzungs- oder Sperrungsvorschläge akzep- Bundeshaushalt 1970 zu diesem Zeitpunkt in Kraft
tiert hat, nicht in der Absicht, seine eigene Konzep- tritt, .daß damit die ganze Ausgabenflut auf die
tion damit zu verleugnen, sondern von der Not- Öffentlichkeit und .auf die Finanzen zukommt, daß
wendigkeit ausgehend, zu sparen und Stabilität zu auf der anderen Seite gleichzeitig Steuersenkungen
schaffen? in Kraft treten und daß darüber hinaus Bindungs-
(Beifall bei der CDU/CSU.) ermächtigungen mit riesigen Milliardensummen
Ich darf noch eine Bemerkung machen, um den ebenfalls konjunkturanheizend wirken?
Vorwuf,daßhiestmAnrdueR- (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
gierung unsolide gewirtschaftet worden ist, mit
einem Zitat zu unterstreichen. Ich kann mich auf Auch hier wird in einer sehr schwierigen Frage zu
das große und ausführliche Interview beziehen, das entscheiden sein.
Sie dem „Spiegel" vor einiger Zeit gegeben haben. Ich möchte noch zu einem anderen Punkt Stellung
Es ist ganz interessant, daß in dieser Nummer des nehmen. Ich meine die Frage, wie sich die Oppo-
„Spiegel" vom 19. Januar in nur drei Seiten Ab- sition in dieser Situation verhält. Ein beliebter Vor-
stand zwei völlig verschiedene Zitate von Ihnen wurf ist, uns zu sagen: Wir kritisieren die Regie-
stehen; ich darf sie vielleicht — mit Erlaubnis des rung, weil sie zu wenig spare, zu wenig Stabilitäts-
Herrn Präsidenten — zitieren. Sie finden auf politik betreibe; ihr stellt aber selber Anträge in
Seite 33: Milliardenhöhe! — Die Sache ist von uns völlig
Möller damals. arglos: „Die Bundesregierung klargestellt worden. Unser Fraktionsvorsitzender
hat die konjunkturellen Auswirkungen dieser hat erklärt: Wir sind bereit, mit der endgültigen
Steuersenkung Entscheidung über unsere Vorschläge zu warten, bis
die finanzpolitische Gesamtbilanz gezogen ist. Das
— es geht um die Verdoppelung des Arbeitnehmer- kann aber nicht heißen, daß wir in diesem halben
freibetrages — Jahr überhaupt keinen Antrag und keinen Gesetz-
sorgfältig geprüft. Dabei hat sich ergeben, daß entwurf einbringen, denn wenn wir das tun wür-
die Steuersenkung wirtschaftspolitisch unbe- den, würden Sie wiederum sagen: die CDU/CSU hat
denklich ist." offenbar überhaupt keine Konzeption, sie hat keine
Vorschläge zu machen.
So ein Zitat aus Seite 33. Auf Seite 36:
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Möller:... Wir haben bei diesem Teil der Re-
gierungserklärung keine konjunkturpolitischen Sie weiß zur Sozialpolitik, zur Mittelstandspolitik,
Erwägungen im Auge gehabt. zur Landwirtschaftspolitik und zu was auch immer
nichts zu sagen. — Wir haben unsere Alternativ-
Es erhebt sich hier doch die Frage, Herr Minister vorstellungen entwickelt, und wir behalten uns vor
Möller, warum Sie, als einer derjenigen, die seit —so wie das jetzt in denn neuen Gesetz vorgesehen
je für eine mittelfristige Finanzplanung gekämpft ist —, unter Umständen von der Bundesregierung zu
haben, sich nicht vor solchen Ausgabeversprechen, vertagen, daß sie auf Grund der Schwerpunktbil-
vor solchen Steuersenkungsversprechungen, termi- dung mittelfristige Alternativrechnungen erstellt
niert auf den 1. Januar 1970, die Frage gestellt und uns diese vorlegt. Die Diskussion darüber wird
haben, ob , das in die konjunkturpolitische und in die noch geführt werden müssen.
finanzpolitische Landschaft paßt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schließ-
(Beifall bei der CDU/CSU.) lich möchte ich noch etwas zu der Frage bzw. dem
Vorwurf der sogenannten Informationssperre, der
Sie hätten damit, Herr Bundesfinanzminister, Ihrem
heute vormittag hier eine Rolle gespielt hat, sagen.
Bundeskanzler die Blamage ersparen können, daß
Ich bin vom Herrn Bundesfinanzminister in diesem
ausgerechnet die erste konkrete Aussage, , die in der
Zusammenhang als Berichterstatter zum neuen Bun-
Regierungserklärung gestanden war, nämlich, zum
deshaushaltsrecht auch zitiert worden. Wir haben
1. Januar 1970 den Arbeitnehmerfreibetrag zu ver-
uns im Haushaltsausschuß mit diesen Fragen aus-
doppeln und eine andere, mittelständische Steuer-
fiihrlich beschäftigt. Im Hinblick auf die Zukunft
maßnahme zu halbieren, zurückgenommen werden
möchte ich hier eines sagen, Herr Bundesfinanz-
mußte. min i ster. Das Ziel der gesetzlichen Neuregelung
Es kommt noch etwas weiteres hinzu. Wir werden war, dem englischen Vorbild nahezukommen. Sie
ja auch die Frage zu stellen haben: Wie werden Sie wissen, wie die Situation in England ist. Wenn dort
es im Sommer dieses Jahres halten, wie wird dann vor der Etatrede des Ministers Einzelheiten über den
1434 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Dr. Althammer
Haushalt in die Öffentlichkeit dringen, ist das sogar Grund der Ausführungen des Kollegen Althammer
ein Grund zum Rücktritt des Ministers. Sicherlich einige Bemerkungen für meine Fraktion zu machen.
werden wir nicht mit einem Schritt so weit kommen Herr Althammer, Sie haben mit dem Satz geschlos-
können. Was wir aber nicht möchten, ist, daß wir sen, daß .die CDU zwanzig Jahre für Stabilität ge-
nach wie vor — ich glaube, die Kollegen von der sorgt habe und daß das nun anders werde. Sie
SPD und FDP teilen diese Sorge — aus den Zeitun- haben in einem Artikel im „Augsburg aktuell" ge-
gen oder .aus Einzelinterviews entnehmen müssen, schrieben:
was die Regierung in diesem odr jenem Punkt vor- Der deutsche Staatsbürger fragt sich besorgt,
hat. ob die goldenen sechziger Jahre,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
— was wir so alles gehabt haben! —
Oft ist es so, daß wir als Abgeordnete, wenn wir
von den Verbänden gefragt werden: Wie ist es denn in denen die CDU/CSU regiert hat, durch eine
mit dieser Sache?, der Herr Staatssekretär X hat Inflationsentwicklung abgelöst werden, die in
dazu folgendes erklärt, sagen müssen: Es tut uns die sozialistische englische Krankheit führen
Furchtbar leid, wir haben die Unterlagen noch nicht, könnte.
wir können Ihnen dazu nichts sagen. (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
(Abg. Strohmayr: Voriges Jahr hat es der Herr Kollege Althammer, erstens glauben Sie selber
„Bayernkurier" vorher gehabt!) nicht, was Sie da schreiben. Sie winsen ganz genau,
daß das eine Polemik ist, die weit über das Maß
Herr Minister, Sie müssen hier auch den zweiten hinausgeht, das erlaubt ist.
Schritt tun und dafür sorgen, daß eine solche Infor-
mationssperre auch auf die Verlautbarungen der (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
Ministerien, auch Ihres Hauses, ausgedehnt wird. CDU/CSU: Mehr Demokratie!)
Solange das nicht der Fall ist, können Sie nicht er- Das ist der Punkt, von dem ich heute morgen ge-
warten, , daß sich dieses Parlament damit abfindet, sprochen habe. Sie haben tatsächlich noch nicht ver-
in aller Öffentlichkeit mit Zahlen und Absichten standen, wie Opposition geführt wird.
konfrontiert zu werden, selber aber nichts darüber
zu wissen. (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Unterlassen
Sie doch die ständigen Belehrungen! —
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Herr
letzter Hinweis. Es wäre noch sehr viel zur Proble- Lehrer!)
matik dieser Sperren zu sagen. Es werden hier ge-
setzliche Maßnahmen gesperrt; es werden hier Vor- Ihre Opposition besteht bisher darin, daß Sie an
haben gesperrt, die dieses Jahr finanziell bedient Stelle von Politik in 'Panik machen. Ich glaube nicht,
werden müssen. Aber uns geht es jetzt um die daß das jemandem hilft.
folgende Frage: Soll das Parlament in der Frage der (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu-
weiteren Ausgabegestaltung und damit der Kon- ruf von der CDU/CSU: Vielen Dank, Herr
junkturbeeinflussung völlig ausgeschaltet sein? Sol- Lehrer!)
len wir von dem Tag der Verabschiedung des Haus-
haltes an auf die weitere Gestaltung dieser wesent- Sie haben weiter ausgeführt: Wenn die Haus-
lichen Punkte keinen Einfluß mehr haben? Ich wäre haltsrede des Bundesfinanzministers anders ge-
sehr dankbar, wenn SPD und FDP mit uns der wesen wäre, wäre das, was ,hier heute morgen ab-
Meinung wären, daß das Parlament an diesen sehr gelaufen ist, nicht passiert. Erstens stammen dieser
wichtigen Dingen beteiligt wird, sei es in der Form Artikel und andere Bemerkungen Ihrer Fraktions-
qualifizierter Sperren oder, was noch logischer wäre, kollegen aus einer Zeit weit vor der Haushaltsrede.
in der Form, daß diese Maßnahmen in einen Even- Zweitens erkläre ich hier nochmals verbindlich für
tualhaushalt umgewandelt werden. Auch hier wird meine Fraktion: diese Haushaltsrede war eine der
sich erweisen, ob das Wort „mehr Demokratie" ausgezeichnetsten Haushaltsreden, die wir je in
ernst gemeint ist. diesem Hause gehört haben.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der SPD. — Abg. Baier: Ge-
Was an uns liegt, meine sehr verehrten Damen schmacksache! — Weiterer Zuruf von der
und Herren, so wird die CDU/CSU, die hier in der CDU/CSU: Eigenlob stinkt!)
Bundesrepublik zwanzig Jahre lang für Stabilität Jetzt kommen wir zur „Legendenbildung". Es
gesorgt hat, nutzt überhaupt nichts, daß Sie uns Legenden-
(Zuruf von der SPD: 1966!) bildung zuschreiben wollen. In Wirklichkeit sind Sie
alles dazu tun, daß weiterhin die Grundsätze der diejenigen, die sich sozusagen an Legenden hoch-
Stabilität und Solidität auch im Haushalt gelten. ranken. Was ist denn der Tatbestand hinsichtlich
der Finanzlage, als die Sozialdemokraten das Amt
(Beifall bei der CDU/CSU.)
des Finanzministers übernahmen? Es gibt keinen
Zweifel — das werden auch Sie nicht bestreiten
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: wollen —, daß jede neue Regierung, welche auch
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hermsdorf. immer, das übernehmen muß, was bisher vorhanden
war. Wollen Sie bestreiten, daß durch Beschlüsse
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Herr Präsident! und durch Resolutionen dieses Hauses eine Reihe
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, auf von Verpflichtungen auf dem Tisch des Finanzmini-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1435
Hermsdorf
sters lagen, die erfüllt werden mußten und die eine nehmen, daß es eine abgeschlossene, von der
Hypothek, eine Vorbelastung darstellten? Wir letzten Bundesregierung einstimmig gebilligte
haben daran alle mitgewirkt. Finanzplanung gab, die diese Mehrausgaben schon
(Abg. Althammer: Sie doch auch!) deshalb nicht enthalten konnte, weil sie nach der
Beschlußfassung entstanden sind, und zweitens an-
Jetzt sagen Sie, es werde Ihr Stil kritisiert, daß zuerkennen, daß auf Grund eines Beschlusses des
Sie Anträge auf Ausgaben einbringen, aber keine Finanzkabinetts der gleichen Regierung der Finanz-
Streichungsanträge. Als wir in der Opposition minister angewiesen wurde, Mehrbelastungen zu
waren, haben wir es anders gemacht. registrieren, aber die Finanzplanung nicht fortzu-
(Lachen bei der CDU/CSU.) schreiben, damit der neuen Regierung nicht durch
Setzung von Prioritäten irgendwie vorgegriffen
— Niemand kann an dem Tatbestand rütteln, daß wird,
wir in dem Augenblick, wo wir sahen, daß wir (Zuruf des Abg. Moersch)
in einer Hochkonjunktur waren, durch Alex Möller
mitten im Wahlkampf Anträge über 2 Mil- und drittens anzuerkennen, daß sämtliche sowohl
liarden DM in diesem Hause zurückgezogen haben. rechtlich verbindliche wie durch politische Zusagen
Wollen Sie das bestreiten? in der Zwischenzeit eingetretenen Mehrbelastungen
ohne jede Ausnahme, zum Teil nicht beziffert, weil
(Beifall bei der SPD.) noch nicht errechenbar, registriert worden sind?
Und im Jahre 1965, nach der Bildung der neuen (Beifall bei der CDU/CSU.)
Regierung, habe ich als Sprecher der Opposition die
Schwerpunkte der Opposition festgelegt und An-
träge in Höhe von 1 Milliarde DM gestellt. Gleich- Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Herr Strauß, ob-
zeitig haben wir für diese eine Milliarde Streichun- wohl ich diesen Kabinettsbeschluß nicht kenne,
gen angeboten. Daran können Sie sehen, daß wir (Abg. Strauß: Finanzkabinettsbeschluß!)
also nicht so wie Sie hier laufend Forderungen ge-
muß ich ihn als Tatbestand hinnehmen, nachdem Sie
stellt haben, sondern auch Deckungsvorschläge und
das jetzt gesagt haben. Ich muß aber auch hinzu-
Kürzungsvorschläge gemacht haben. So wird Oppo-
fügen, daß dieser Kabinettsbeschluß Sie nicht daran
sition gemacht und nicht so, wie Sie es bisher
hat hindern können, intern auszurechnen und vorzu-
praktizieren.
bereiten, was nun an Hypothek durch diese Vor-
belastung vorlag.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Herr Kollege, würden Sie nunmehr eine Zwischen- (Abg. Leicht: Das ist geschehen!)
frage des Herrn Abgeordneten Dichgans zulassen? Da kann ich nur sagen,
(Abg. Strauß: Ist doch geschehen! Der
Dichgans (CDU/CSU) : Herr Kollege Hermsdorf, Kollege Leicht kann das Aktenzeichen an-
könnten Sie dem Hohen Hause einmal erläutern, geben!)
warum Sie immer in so bedenklichen Worten
von einer „schweren Last", einer „Hypothek" hier steht Aussage gegen Aussage. Jedenfalls hat
sprechen, wenn es möglich ist, diese Last im Jahre der Bundesfinanzminister mir bis zur Stunde erklärt,
1970 ohne einen Pfennig Neuverschuldung abzu- (Zurufe von der CDU/CSU)
lösen?
daß eine solche interne Fortschreibung nicht erfolgt
ist.
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Verzeihung, Herr (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Kollege Dichgans. Ich habe hier von einer Hypothek
gesprochen, die dem Finanzminister auf den Tisch Lassen Sir mich weitermachen! Jetzt hat Herr
des Hauses gelegt wurde, die nicht intern in der Althammer gesagt, ob wir uns denn aus der Ver-
mittelfristigen Finanzplanung weitergeführt wor- antwortung der Großen Koalition herausschwindeln
den ist und die nun erst einmal verarbeitet werden wollten. Hierzu will ich Ihnen ganz klar und deut-
muß. An der Höhe dieser Vorbelastung von lich meine Meinung sagen. Sie wissen ganz genau,
5 Milliarden DM wollen doch bitte auch Sie keinen daß ich damals ein Befürworter der Großen Koali-
Anstoß nehmen. Das war eine Realität. Das war tion war. Sie wissen auch, daß die Arbeit der Gro-
sie. Das war dann also eine Einengung des Spiel- ßen Koalition funktioniert hat, zumindest bis zum
raums, der Handlungsfreiheit dieser neuen Regie- März 1969, Sie wissen aber auch, daß dann keine
rung und dieses Bundesfinanzministers. Das muß praktische Arbeit mehr möglich war, weil die Diffe-
ich allerdings dazu sagen. renzen zwischen Ihnen und uns so waren, daß es
dann eben nicht mehr funktionierte. Aus dieser
Situation gibt es kein Herausschmuggeln, sondern
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
da gibt es nur Feststellungen der Gegensätze, die
Herr Kollege Hermsdorf, der Herr Abgeordnete
in dieser Zeit vorhanden waren. Das muß auch
Strauß wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.
gesagt werden.
Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : 'Bitte schön! (Abg. Dr. Althammer: Das hat doch nichts
mit den Haushaltsbelastungen zu tun!)
Strauß (CDU/CSU) : Herr Kollege Hermsdorf, — Entschuldigung, Sie haben doch gesagt, wir woll-
wären Sie so freundlich, endlich zur Kenntnis zu ten uns herausschmuggeln. Ich sage, das ist nicht
1436 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Hermsdorf
wahr. Ich habe hier nur festgestellt, was vorhanden zu machen wie möglich. Wir werden diese Praxis
war. fortsetzen.
Jetzt zur Frage :der Informationssperre. Ich habe (Beifall bei den Regierungsparteien.)
das heute morgen schon erläutert, und ich bin
eigentlich ein bißchen erstaunt, daß Sie nochmals Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
auf die Informationssperre zurückkommen. Sie Als nächster hat sich der Kollege Röhner zu Wort
selbst, das habe ich auch heute morgen zitiert, haben gemeldet.
im Ausschuß festgestellt, daß das Bemühen des
Finanzministers auf Grund der neuen Rechtslage
Röhner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
sowohl durch die Reform als auch durch das Haus-
Damen und Herren! Im Rahmen des Bundeshaus-
haltsgesetz anerkannt werden muß, den Zeitplan
halts 1970 nimmt ein Haushalt, über den ich jetzt
einzuhalten, und daß ebenso anerkannt werden muß,
einige Ausführungen machen möchte, eine beson-
daß er den Versuch macht, möglichst nahe, a n. das
dere Stellung ,ein, nämlich der Agrarhaushalt, ein-
englische System heranzukommen, ohne daß das
mal wegen seiner abermaligen Steigerungsrate,
bei uns in der Praxis möglich ist.
zum anderen wegen der Besonderheit seines Ver
(Abg. Dr. Althammer: Da sind wir uns ja bungs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
einig!) und damit zur europäischen Politik. Ich halte e s
Der zweite Punkt ist der — das habe ich auch deshalb für notwendig, daß im Rahmen der Debatte
dargestellt —, daß der Bundesfinanzminister und das über die Einbringung des Haushalts 1970 gerade
Bundesfinanzministerium von sich aus nicht bereit dieser Etat auch im Lichte der Erklärungen der Bun-
waren, Informationen herauszugeben; meiner An- desregierung analysiert und an den Notwendigkei-
sicht nach mit Recht! Wenn es schon durchgeführt ten der Agrarpolitik und der Agrarförderung ge-
werden soll, dann dort. Sie haben uns das doch auch messen wird.
selber vorpraktiziert und wissen — ich lasse das Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner ge-
Wort „praktiziert" lieber weg, weil Sie das sonst strigen Haushaltsrede — ich möchte sagen: mit
vielleicht als Vorwurf auffassen —, wie schwierig Recht — auf die Bedeutung der Maßnahmen zur
das ist: Selbst wenn der Minister dichthält, wissen Verbesserung der Agrarstruktur hingewiesen. Er
Sie nicht, ob dann nicht dieser oder jener Beamte hat in diesem Zusammenhang besonders auf die
eben doch etwas hinausjubelt. Das aber können Sie Verschärfung der Anpassungsschwierigkeiten in
nun nicht wieder dem Bundesfinanzminister an- der deutschen Landwirtschaft aufmerksam gemacht.
lasten. Ich darf daran erinnern, daß es dem Willen aller
Ich glaube, hier auch für meine Fraktion sagen zu Parteien des vorigen Bundestages entsprach, als der
können — und ich bin sicher, daß ich hier auf das damalige Finanzminister der Großen Koalition,
offene Ohr des Finanzministers stoße —: Daß wir Franz Josef Strauß, für die Fortschreibung der mit-
keinen Einfluß mehr auf die Gestaltung des Haus- telfristigen Finanzplanung ebenso wie für den
halts haben können — auch in der Frage der Sper- Haushalt 1970 in diesem Strukturbereich, minde-
ren —, das halte ich für völlig ausgeschlossen, und stens so viel Mittel mehr in Ansatz zu bringen zu-
davon ist ja auch niemand ausgegangen. Sie haben sagte, als zur Erreichung des Ansatzes des Jahres-
doch im Haushaltsgesetz die ganzen Sperren einzeln 1969 — das war ein Betrag von 'etwa 500 Millio-
aufgeführt. Sie können die Sperren verstärken, Sie nen DM mehr — notwendig wäre. Wenigstens zum
können sie vermindern; das liegt im Haushaltsge- Zeitpunkt der Regierungserklärung waren sowohl
setz. Wir können dieses Haushaltsgesetz ja ändern. der Herr Bundeskanzler als auch sein Finanzmini-
Die Frage ist nur: Wie ist es richtig? Und da scheint ster — vor allem der Finanzminister; das ergab
mir eben der Vorschlag der Bundesregierung hin- doch die Debatte zur Regierungserklärung deut-
sichtlich der Sperren — das sage ich ausdrücklich — lich — dieser gleichen Auffassung.
sehr abgewogen. Sie werden sehen, wenn Sie sich Ich darf aus dieser Debatte — mit Genehmigung
an die Arbeit machen und sich fragen: wo verstär- des Präsidenten — ganz kurz einige Ausführungen
ken wir, wo schwächen wir ab, wie ist die jeweilige des Herrn Bundesfinanzministers zitieren. Er sagte
Konjunkturlage?, wie mühsam das Geschäft sein damals:
wird, da konjunkturell noch besser abzuwägen, als
die Bundesregierung es getan hat. Ich habe inzwischen festgestellt, daß beispiels-
weise bei den strukturpolitischen Maßnahmen
Daß diese Sperre eine andere ist, als wir sie vor-
gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung
her gehabt haben, ist auch klar. Ich habe heute
für 1970 vom Landwirtschaftsministerium ein
morgen noch einmal gesagt, warum ich diese Sperre
zusätzlicher Mindestbedarf von 533 Millio-
für einen Fortschritt halte: Weil sie nämlich nicht
nen DM angenommen wird, um den Anschluß
austauschbar ist, weil nicht nachgeschoben werden
an 1969 zu sichern. Das i st eine Vorstellung,
kann, sondern bei jedem einzelnen Posten eine
(die ich von mir aus nicht ablehnen kann, son-
Änderung oder Aufhebung nur auf Antrag des
dern d i e ich im Prinzip und aus der Grundhal-
Finanzministers und mit Zustimmung des Wirt-
tung gegenüber dem Landwirtschaftsprogramm
schaftsministers durch Beschluß des Kabinetts mög-
als berechtigt anzusehen habe.
lich ist. Ich verstehe deshalb nicht, warum Sie hier
so scharf reagieren. Wenn Sie so wollen, ist das eine So vor hundert Tagen der Herr Bundesfinanzmini
Formfrage. Sie können nicht die Bemühungen des ster. In Anbetracht dieser Worte müssen wir um
Finanzministers bestreiten, die Sache so zeitnahe so mehr verwundert sein, daß gerade von Ihnen,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1437

Röhner
Herr Bundesfinanzminister die Strukturmittel im Mittel für die Unfallversicherung gegenüber 1969
Haushalt 1970 um 215 Millionen DM gegenüber um 30 Millionen DM auf 160 Millionen DM herab-
dem Vorjahr 1969 gekürzt worden sind. setzt, obwohl im Haushaltsjahr 1970 in diesem Be-
reich effektiv 240 Millionen DM benötigt werden
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) — Fachleute können Ihnen das bestätigen —, wenn
In diesem Abbau der strukturellen Förderungs- weitere zusätzliche Belastungen für die Beitrags-
mittel sind die Mittel für die „von der Natur be- zahler, für unsere Landwirte vermieden werden
nachteiligten Gebiete" im süddeutschen Bereich sollen.
ebenso einbezogen wie die Förderungsmittel für die Nach einer gestrigen Verlautbarung haben die
regionalen Programme im norddeutschen Bereich. Koalitionsparteien die Bundesregierung in einem
Jedermann weiß, daß es sich gerade hier um Ge- Antrag aufgefordert, im agrarsozialen Bereich bald-
biete handelt, bei denen es — um wieder einmal möglichst Gesetzesinitiativen zu ergreifen. Dazu
Ihre eigenen Worte zu gebrauchen, die Sie gestern darf ich feststellen: Die Fraktion der CDU/CSU hat
vor diesem Hohen Hause zum regionalen Struktur- ihren Antrag zur Verbesserung der Altershilfe be-
programm ausgesprochen haben — wahrhaftig dar- reits eingebracht. Er wird in der nächsten Woche
um geht, „die Gleichheit der Chancen und die auf der Tagesordnung dieses Hohen Hauses stehen.
Gleichheit der Lebensverhältnisse für die Bürger in
alenTidrBuspblkheztn". (Zuruf von der SPD: Das freut uns!)
Ein weiterer Antrag, der das Problem der Nachver-
(Beifall bei der CDU/CSU.) sicherung ausscheidender Landwirte regelt, wird
diesem Hohen Hause in den nächsten Tagen eben-
Hier handelt es sich ganz bestimmt auch nicht um
Gebiete, die unter strukturellen Überhitzungser- falls zugehen. Wir haben die Absicht und sind da-
scheinungen zu leiden hätten. Ich frage Sie: Wie bei, auch Anträge im Bereich der Neuregelung der
wollen Sie die Ankündigung in der Regierungser- Unfallversicherung und im Bereich der Kranken-
klärung verwirklichen, die ländliche Bevölkerung versicherung für die Landwirtschaft diesem Hohen
Hause alsbald vorzulegen. Ich darf schon heute an
als gleichrangigen Teil an 'der allgemeinen Einkom-
Sie alle, meine Damen und Herren, den Appell
mensentwicklung teilnehmen zu lassen — dais sagte
richten, für eine zügige und aufgeschlossene Bear-
uns doch hier der Bundeskanzler —, wenn Sie die
beitung dieser Anträge und Initiativen zu sorgen,
Mittel auch für diese wichtigen investiven Aufga-
damit hier das dringend Notwendige möglichst
ben in solchen Problemgebieten kürzen und dar-
über hinaus auch noch in Ihr Programm der Kon- rasch geregelt werden kann.
junktursperre miteinbeziehen. Ich möchte in aller Kürze ein drittes Problem an-
schneiden und, Herr Bundesfinanzminister, ein paar
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch Worte zur Systematik und zum Volumen des Agrar-
auf einen weiteren Schwerpunkt hinweisen, auf das haushalts 1970 sagen. Wir erinnern uns alle noch
Anliegen der Agrarsozialpolitik, also das sozial- sehr gut, so hoffe ich, daß der Herr Bundeskanzler
politische Anliegen im ländlichen Bereich. Hier geht in seiner Regierungserklärung angekündigt hat, daß
es um zwei Probleme. Einmal muß für die im Be- die Ausgaben für die EWG-Marktordnungen künftig
reich der Landwirtschaft tätigen Menschen und ihre getrennt von den nationalen Agrarausgaben ausge-
Familien — wir hoffen, daß in den nächsten Jahren wiesen werden. Wenn wir nunmehr den Agrarhaus-
und Jahrzehnten möglichst viele in der Landwirt- halt 1970, den wir vor einigen Tagen erhalten haben,
schaft verbleiben können — endlich die gleiche überprüfen, dann haben wir festzustellen, daß diese
soziale Absicherung bei Alter, Unfall und Krank- Zusage des Herrn Bundeskanzlers für 1970 nicht ein-
heit erfolgen, wie sie in anderen Bereichen längst gehalten worden ist.
selbstverständlich ist.
Ich will hier recht verstanden werden: Es geht
(Beifall bei der CDU/CSU.) beileibe nicht um eine Formalie, sondern um eine
sachgerechte, klare Darstellung dieses Agrarhaus-
Ich will in diesem Zusammenhang gar keinen inter-
halts, nicht zuletzt der Öffentlichkeit gegenüber.
nationalen Vergleich anstellen. Eigentlich müßte ich
es doch tun, weil es hier auch um eine Wettbewerbs- (Zuruf von der SPD: Wie beim EWG-
verfälschung geht, wenn ich auf die soziale Ab- Anpassungsgesetz!)
sicherung der bäuerlichen Familie in Frankreich hin- Das sollte Sie doch nicht davon abhalten, in Anbe-
weise. Zum zweiten geht es darum, daß für die vom tracht der angekündigten vielfachen Reformen ge-
Strukturwandel betroffenen Menschen rechtzeitig rade hier mit Reformen zu beginnen.
ausreichende soziale Alternativen geschaffen und
bereitgehalten werden. Keiner bestreitet, daß die Ausgaben der EWG-
Marktordnung für die deutsche Landwirtschaft not-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) wendig und wichtig sind. Aber diese EWG-beding-
ten Ausgaben — das möchte ich feststellen — sind
Herr Bundesfinanzminister, angesichts dieser Anlie-
integrationsbedingt und somit keine Ausgaben, die
gen ist es ganz bestimmt kein sozialer Fortschritt,
ihre Ursache im nationalen Problem und im natio-
sondern in meinen Augen ein echter Rückschritt,
nalen System der deutschen Landwirtschaft haben.
wenn diese Bundesregierung die Mittel für die
Altershilfe gegenüber dem Vorjahr um 34 Millionen Der Haushaltsklarheit entspricht es auch nicht —
DM kürzt. Ebenso ungut ist es, wenn diese Regierung das muß in diesem Zusammenhang gesagt wer-
ihre Agrarsozialpolitik damit beginnt, daß sie die den —, wenn man die 920 Millionen DM Ausgleichs-
1438 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Röhner
mittel für die Aufwertungsschäden der Landwirt- verordnungen erreicht werden; die Begrenzung hat
schaft in diesen Haushalt einstellt. vielmehr dort einzusetzen, wo die Kosten ver-
ursachenden Tatbestände geschaffen wurden, also
(Zurufe der SPD: Wie beim Getreide!) im Agrarmarktordnungsrecht. So weit, so gut. Damit
Es handelt sich bei diesen Mitteln ganz klar nicht hat der Herr Bundesfinanzminister erneut auf das
um einkommensverbessernde Maßnahmen zusätz- Kernproblem der EWG-Agrarfinanzierung hingewie-
licher Art, sondern um teilweisen Ersatz von Schä- sen, aber eine Lösung ist damit noch nicht einmal
den, die der deutschen Landwirtschaft durch die Auf- angesprochen. Anders ausgedrückt — und das be-
wertung zugefügt worden sind. inhalten doch die Ministerratsbeschlüsse vom 7. Fe-
bruar dieses Jahres — wurde wohl die Einnahme-
(Beifall bei der CDU/CSU.) seite der EWG-Finanzierung eindeutig in Brüssel
Meine sehr verehrten Damen und Herren und meine festgelegt. Aber für die Ausgabeseite fehlen die
Herren von der Regierungsbank, es hätte der Bun- Initiativen und insbesondere jene Klarheit, auf die
desregierung gut angestanden, wenn sie auf diesen heute unsere Bauern, die gesamte deutsche Land-
Umstand nicht nur in teuren Zeitungsinseraten, son- wirtschaft, warten.
dern durch konsequentes Handeln und durch ent- Meine sehr verehrten Damen und Herren, solange
sprechende Haushaltsgebarung aufmerksam gemacht Mitglieder dieser Bundesregierung sich wiederholt
hätte. in der Richtung äußern, daß die Einkommensfunk-
(Beifall bei der CDU/CSU.) tion der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise kein
Ich muß in diesem Zusammenhang noch etwas er- Tabu sein dürfte, wie es z. B. in einem Interview des
wähnen. Bei der Verabschiedung des Gesetzes am Bundeskanzlers zum Ausdruck kam, oder daß die
12. Dezember hatte ich die Ehre, einen entsprechen- Preisfunktion zur Herstellung des Marktgleichge-
den Änderungsantrag einzubringen und namens der wichts eingesetzt werden müßte, so lange ist nach
CDU/CSU-Fraktion zu begründen. Wie Sie sich ge- meiner und nach unserer Auffassung mit einer sach-
wiß erinnern, wurde dieser Antrag damals in einer gerechten und finanzpolitisch vertretbaren und trag-
namentlichen Abstimmung durch die Mehrheit der baren Lösung ebenso wenig zu rechnen wie mit
Koalitionsfraktionen abgelehnt. einer Lösung, die den Bedürfnissen und den Not-
wendigkeiten in unserem landwirtschaftlichen Be-
(Zuruf von der SPD: Mit großer Mehrheit!) reich entspricht
— Zugegeben! — Sicherlich erinnert sich der Herr
Kollege Hermsdorf noch, wie er die ablehnende Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Haltung der Koalitionsfraktionen damals begrün Herr Kollege Röhner, ich habe eben schon etwas
dete. Ich darf einige seiner Worte mit Genehmigung zugegeben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum
des Herrn Präsidenten zitieren. Unser Antrag wurde Ende kommen würden.
auf Grund der vorausgegangenen Passagen in der
Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ein-
gebracht. Herr Kollege Hermsdorf sagte damals Röhner (CDU/CSU) : Ich bitte um Nachsicht, Herr
dazu: Präsident. Ich bin gleich am Ende.
Es ist eine völlig neue Methode, daß wir hier, -
Es wäre interessant, in diesem Zusammenhang
bevor überhaupt der Haushalt zur Beratung an- auf die entsprechenden Vorschläge Professor Wein-
steht, schon jetzt organisationsmäßig festlegen, schenks hinzuweisen, der bekanntlich die Einfüh-
in welchem Einzelplan die Mittel zu erscheinen rung von Marktlieferrechten und Kontingenten in
haben. Das hat es bisher noch nie gegeben. den wenigen Produktionsbereichen mit strukturel-
Wenn jemals ein solcher Antrag gestellt wurde, len Überschüssen für preissichernder hält. Ich per-
dann wurde das bei der Vorlage des Haushalts sönlich — lassen Sie mich das noch sagen — denke,
geändert und nicht vorher. Ich würde dies für daß sich eigentlich nur auf diesem Wege eine Lösung
einen Eingriff in die Gesetzesvorlage halten, finden läßt, die die Landwirtschaft einerseits ange-
die die Regierung erst noch vorlegen muß; messen an der Einkommensentwicklung beteiligt
denn hier liegt ja das Gesetz über 920 Mil- und andererseits auch für den Bundeshaushalt
lionen DM noch gar nicht vor. finanzpolitisch tragbar ist.
Heute möchte ich dem Herrn Kollegen Hermsdorf
Herr Bundesfinanzminister, Sie sagten bei Ihrer
dazu sagen: Entgegen unserem Vorschlag, den Sie
gestrigen Rede — und Sie feierten es als einen Er-
damals abgelehnt haben, und entgegen der damals
folg —, daß e s die Brüsseler Beschlüsse auch weiter-
geäußerten Auffassung von Herrn Hermsdorf haben
hin bei einer „Koordinierung der Strukturpolitik" in
wir nunmehr doch die Situation, daß diese 920 Mil-
Europa belassen, daß also die Zuständigkeit für die
lionen DM von der Regierung im Agrarhaushalt
Strukturpolitik im nationalen Bereich verbleibt.
untergebracht worden sind.
Lassen Sie mich als allerletztes dazu die Feststel-
Einen vierten Punkt möchte ich noch behandelt lung treffen: Wie wollen wir in der nationalen
haben. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in Strukturpolitik vorankommen, wenn nicht zu den
seiner gestrigen Einbringungsrede ausführlich mit strukturellen Förderungen durch die öffentliche
der EWG und ihrer Finanzierung beschäftigt. Ich Hand über angemessene Erzeugerpreise jene Eigen-
möchte nur eine seiner Feststellungen hier auf- leistung und jene Selbstfinanzierung durch die Land-
greifen. Er sagte: Eine Begrenzung der Kosten der wirtschaft hinzukommen kann, ohne die es, lang-
EWG-Agrarpolitik kann nicht allein durch Finanz fristig gesehen, einfach keine durchschlagende
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1439
Röhner
Agrarstrukturverbesserung in unseren ländlichen schlägen sein würden. Es gelang des weiteren, die
Räumen geben kann! Einführung einer mehrjährigen Finanzplanung auch
bei den europäischen Gemeinschaften durchzusetzen,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
wie dies dem Willen dieses Parlaments entspricht.

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Natürlich ist diese Finanzierung, bei der die Bun-
Meine Damen und Herren, ich habe das Gefühl, wir desrepublik mehr in den Fonds eingezahlt, als sie
müssen die Lämpchen, die Signale für den Redner daraus entnehmen kann, kein glänzendes Geschäft.
geben, etwas versetzen. Wenn der Redner sie mit Darüber sind wir uns alle einig. Aber wie der Herr
seinem Papier bedeckt, verliert er natürlich die Finanzminister richtig ausgeführt hat, hat Europa
Übersicht und sieht nicht, wie weit die Zeit schon seinen Preis. Wir sollten daher dein Kompromiß,
abgelaufen ist. Ich habe die Verwaltung gebeten, den die Regierung in Brüssel ausgehandelt hat, im
das zu prüfen. Hinblick auf unsere allgemeine Interessenlage zu-
stimmen.
(Abg. Strauß: Eine Versenkungsanlage! —
Heiterkeit.) Ein Aussteigen ,aus dem gemeinsamen Agrarmarkt
oder eine nationale Finanzierung der Kosten des
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow. Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirt-
schaft ist nicht möglich, nachdem der Ministerrat
Dr. von Bülow (SPD) : Herr Präsident! Meine bereits am 4. April 1962 in der Verordnung Nr. 25
sehr verehrten Damen und Herren! Die Agrar- die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik für
struktur ist nicht erst seit diesem Jahr oder seit der die Endphase des Gemeinsamen Marktes in den
Übernahme durch die neue Regierung krank; sie Grundzügen verbindlich festgelegt hatte.
ist schon seit Jahrzehnten krank. Das Überschuß
problem plagt uns schon seit einigen Jahren. Vor- Bei den Ausgaben des Ausrichtungs- und Garan-
schläge kann man in Hülle und Fülle machen, aber tiefonds für die Landwirtschaft ist es gelungen,
sie müssen durchsetzbar sein, sie müssen insbeson- den deutschen Wunsch nach einer Beibehaltung der
dere im europäischen Rahmen durchsetzbar sein. Plafondierung der Mittel für die Abteilung „Aus-
richtung", d. h. für die Ausrichtung der euro-
Der Herr Bundesfinanzminister ist am Ende seiner päischen Strukturaufgaben, auf 285 Millionen Rech-
Etatrede auch auf die Landwirtschaftspolitik und hier nungseinheiten entsprechend den schon bisher gel-
insbesondere auf die Kosten der Agrarpolitik der tenden Bestimmungen durchzusetzen.
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingegangen.
Die Kosten dieser europäischen Agrarpolitik, von Ich halte dieses Ergebnis für sehr wesentlich im
denen die Bundesrepublik einen entscheidenden Teil Interesse unseres Bundeshaushalts und auch im
zu tragen hat, nehmen uns von Jahr zu Jahr mit Interesse unserer Landwirtschaft. Die Sorge, wir
ihrem ständig wachsenden Volumen die finanzielle könnten durch eine finanzielle Beteiligung an den
Luft für unsere nationalen Maßnahmen zugunsten gewaltigen strukturpolitischen Aufgaben unserer
Partnerländer jeden Spielraum für nationale Hilfen
unserer Landwirtschaft.
im Interesse der deutschen Landwirtschaft verlieren, -
Wir alle wissen, in welch gewaltigem Umstruk- ist damit beseitigt.
turierungsprozeß sich die deutsche Landwirtschaft
Es fehlt hier die erforderliche Zeit, um auf die
befindet. Wir alle wollen der Landwirtschaft in die-
sem Krisenprozeß helfen, soweit es die finanziellen neuen Marktordnungen für Tabak und Wein ein-
zugehen. Sie werden neue Belastungen finanzieller
Verhältnisse erlauben.
Art mit sich bringen. Im Haushalt 1970 sind allein
(Zuruf des Abg. Röhner.) hierfür bereits 600 Millionen DM eingesetzt. Diese
— Darauf gehe ich gleich ein, Herr Röhner. Marktordnungen liegen nicht in unserem Interesse;
das ist offenkundig. Sie waren jedoch bereits im
Die Verhandlungen des Ministerrats in Brüssel Jahre 1966 durch einstimmigen Beschluß des Mini-
am 5. und 6. Februar haben auf der Grundlage der sterrats grundsätzlich zugestanden worden. Immer-
Ergebnisse der Gipfelkonferenz im Haag im De- hin scheint es gelungen zu sein, in den Marktord-
zember des vergangenen Jahres zu einem Kompro- nungen für Wein und Tabak zum erstenmal Maß-
miß zwischen den beteiligten Ländern geführt. Das nahmen zur Begrenzung der Produktion vorzusehen.
Ergebnis dieses Kompromisses ist für den Haushalt
der Bundesrepublik und die mittelfristige Finanzpla- Wir sind natürlich daran interessiert, daß sich die
nung von Gewicht. Es ist in diesen Verhandlungen Ausgaben des europäischen Ausrichtungs- und
gelungen, den deutschen Beitrag an den europä- Garantiefonds, Abteilung „Garantie", nicht weiter
ischen Ausrichtungs- und Garantiefonds „Landwirt- so dynamisch entwickeln wie 'in den vergangenen
schaft" auf durchschnittlich 32 °% für die kommen- Jahren.
den vier Jahre festzusetzen. Im Grundsatz hat sich der Ministerrat darauf
Nach den Vorschlägen der EWG-Kommission vom geeinigt, vorrangig Maßnahmen zu treffen, die zu
16. Juli und 11. Dezember des vergangenen Jahres einer besseren Beherrschung der Märkte durch eine
wären hingegen die deutschen Beiträge von 31,6 % landwirtschaftliche Erzeugungspolitik und zu einer
im Jahre 1970 auf 36,4 % im Jahre 1974 gestiegen. Beschränkung der Haushaltslasten führen. Diese
Die zu erwartenden deutschen Belastungen sind da- Maßnahmen werden jedoch nach unserem Interesse
her niedriger, als sie nach den von der Kommission so ausgerichtet sein müssen, daß sie der Landwirt-
und den anderen Mitgliedstaaten gemachten Vor schaft keine wesentlichen Einkommensverluste zu-
1440 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Dr. von Bülow


muten. Wir können daher nur auf einen sehr lang- Das Ziel der Regierungserklärung, der Landwirt-
samen Fortschritt bei der Beschränkung der Aus- schaft bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu
gaben im Bereich der europäischen Landwirtschafts- helfen und sie sich zu einem gleichrangigen Teil
politik rechnen. Mit einer Senkung der Ausgaben unserer modernen Volkswirtschaft entwickeln zu
ist bei realistischer Betrachtungsweise leider nicht lassen, der an der allgemeinen Einkommens- und'
zu rechnen. Wohlstandsentwicklung in vollem Umfang teilnimmt,
Der Haushalt des Jahres 1970, soweit er die ist das Ziel der Haushaltspolitik dieser Regierung
deutsche Landwirtschaft betrifft, bringt eine be- und der sie tragenden Fraktionen.
trächtliche Steigerung der Ausgaben mit sich. Dies (Beifall bei den Regierungsparteien.)
hängt im wesentlichen damit zusammen, daß der
Einkommensverlustausgleich aus der Aufwertung
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
der D-Mark mit 920 Millionen DM eingestellt ist.
Herr Abgeordnete Peters.
Die 920 Millionen DM, meine sehr verehrten Damen
und Herren, bedeuten keine Subvention für die (Zuruf von der SPD: Das war eine
Landwirtschaft, wenn auch von seiten der Landwirt- Jungfernrede!)
schaft und insbesondere auch der Opposition be- — Ich höre gerade, daß wir eine Jungfernrede ge-
achtet werden sollte, daß .die Aufwertung das volle hört haben. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege
Durchschlagen einer Anpassungsinflation und damit von Bülow!
eine Schmälerung des landwirtschaftlichen Einkom- (Beifall bei der SPD.)
mens durch Kostensteigerung verhindern wird.
Darüber hinaus scheint es mir wichtig, darauf hin- Peters (Poppenbüll) (FDP) : Frau Präsidentin!
zuweisen, daß die sogenannte Globalhaftung zwi- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Röh-
schen den beiden Titeln 10 02 und 10 03 aufgehoben ner, Sie haben hier angeführt, daß die jetzige Bun-
worden ist, wonach Mehrausgaben im Bereich der desregierung die Mittel für die Strukturmaßnahmen
EWG-Marktordnungen in , der Regel durch Kür- um etwas über 200 Millionen DM gekürzt habe,
zungen ,der Ansätze für die nationale Agrarpolitik (Abg. Dr. Althammer: Küstenplan zum Beispiel!)
gedeckt werden müssen. Diese Globalhaftung zwi-
schen den beiden Titeln besteht nicht mehr. Sollten — auf die Küste kommen wir noch —, und das sei
die Marktordnungen im nächsten Jahr mehr Mittel zurückzuführen auf eine Kürzung der mittelfristigen
benötigen, bedeutet das nicht gleichzeitig eine Kür- Finanzplanung um 520 Millionen durch die vorige
zung der Maßnahmen für , die nationale Struktur- Regierung, die nunmehr nicht aufgefüllt worden
politik. seien.
Nach der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir
war mit dem Auslaufen der Erstattungen der EWG uns voriges Jahr beim Haushalt über die Kürzung
für die mit der Senkung des Getreidepreises ge- in der mittelfristigen Finanzplanung unterhielten,
währten Ausgleichszahlungen eine erhebliche ent- habe ich gesagt, diese Kürzungen um 520 Millionen
sprechende Verminderung der Mittel für die natio- wird keine Regierung und keine Koalition durch-
nale Agrarpolitik vorgesehen. Diese Verminderung halten; irgendwie werden diese Positionen wieder
ist weigehend rückgängig gemacht worden. Die aufgefüllt werden.
Planzahlen sehen eine Verstärkung der Mittel um
385 Millionen DM vor. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
(Vorsitz: Vizepräsident Frau Funcke.)
Röhner?
Meine Damen und Herren, die Landwirtschafts-
politik der kommenden Jahre steht vor der un- Röhner (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, würden
geheuren Schwierigkeit, sowohl den Struktur- Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich darauf ab-
wandel der Landwirtschaft als auch gleichzeitig die stellte, daß bei der Aussprache zur Regierungser-
soziale Absicherung dieses Vorgangs zu ermög- klärung der Herr Bundesfinanzminister in Anleh-
lichen, und dies bei steigenden Ausgaben für die nung an die Vorschläge seines Kollegen vom Agrar-
europäischen Marktordnungen. Daß hier Grenzen ministerium 533 Millionen für die strukturellen Mit-
gesetzt sind, die verhältnismäßig eng sind, versteht tel im Haushaltsjahr 1970 für notwendig hielt und
sich. Wir werden harte Entscheidungen zu treffen daß ich dazu zweitens festgestellt habe, daß diese
und um jede D-Mark für diese Aufgaben zu ringen Inaussichtstellung nicht eingehalten worden ist, son-
haben. dern daß gegenüber dieser Inaussichtstellung eine
Meine Fraktion begrüßt es gerade im Interesse Kürzung, wenn Sie so wollen, von 215 Millionen
der Landwirtschaft sehr, daß die Mittel für regionale erfolgte? Darauf habe ich abgestellt.
Hilfsmaßnahmen zur Stärkung der Wirtschaftskraft
ganz entscheidend von 173,8 Millionen DM im Jahre Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Röhner, auch
1969 auf 248,8 Millionen DM im Haushaltsjahr 1970 das stimmt nicht. Eindeutig ist klar, daß in der mit-
heraufgesetzt worden sind. Und diese Maßnahmen telfristigen Finanzplanung der Großen Koalition die
und Möglichkeiten betreffen ja insbesondere die nationalen Mittel für die Agrarpolitik um 530 Mil-
Landstriche, die von der Natur besonders benach- lionen gekürzt worden sind. Das steht fest, und das
teiligt sind, Teile unserer Mittelgebirge und das war Tatbestand bis zur Neubildung der Regierung.
Zonenrandgebiet. Auch wenn der frühere Bundeskanzler, auch wenn
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1441

Peters (Poppenbüll)
der frühere Finanzminister vor der Wahl der Land- schaftswege, Wasserwirtschaft, Emsland, Nordpro-
wirtschaft Zusagen gegeben haben, sie würden diese gramm, Landarbeiterwohnungsbau. Das sind die
Beträge wieder ausgleichen, Tatbestand ist, daß Titel der Strukturmaßnahmen, und die sind nicht um
diese Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung 215, sondern um 78 Millionen gekürzt. So ist im
gefehlt haben, daß ich das im vorigen Jahr bei den weiteren der Tatbestand.
Haushaltsberatungen moniert und gesagt habe, hier Nun zum nächsten Komplex! Sie sind der Mei-
wird eine Änderung durchgeführt werden müssen. nung, die 920 Millionen hätten nicht etatisiert wer-
den können, weil das Gesetz dafür nicht vorliege.
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- Herr Röhner, Ihnen ist anscheinend entgangen, daß
statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- wir 'ein Gesetz zum Ausgleich für die Landwirt-
neten Ritz? schaft verabschiedet haben: im ersten Teil die Mehr-
wertsteuer, im zweiten Teil die 920 Millionen. Nur
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, ist ist ein Sondergesetz darüber, wie verteilt werden
Ihnen nicht auch klar, daß die Zusage, die der frü- sollte, schon damals angekündigt worden.
here Bundeskanzler Kiesinger Vertretern des Deut- (Abg. Dr. Ritz: Ja, natürlich! Aber darum
schen Bauernverbandes gegeben hat, in der Summe geht es doch nicht!)
sogar noch geringfügig unter der lag, die hier der
Bundesfinanzminister Möller in der Debatte zur Re- Aber damit war klar, daß die 920 Millionen DM
gierungserklärung genannt hat? Darum geht es etatisiert werden mußten.
doch, glaube ich, wenn ich das recht sehe, dem Herr Ritz, bitte schön!
Kollegen Röhner.
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, ist
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Das müssen inzwi- Ihnen wirklich nicht klar, daß es bei der Etatisierung
schen ja wohl alle Anwesenden hier begriffen ha- nicht darum geht, ob etatisiert wird, sondern wo,
ben. nämlich ob im Einzelplan 10 oder etwa im Einzel-
(Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von plan 60? Das war doch der Punkt, auf den Kollege
der Mitte: Sie auch!) Röhner hingewiesen hat.
Bloß, es war eine Zusage, es war ein Versprechen
vor der Wahl, Herr Dr. Ritz, das ist doch das ent- Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Ritz, das Ent-
scheidende, eine Zusage vor der Wahl von Ihrer scheidende für die Landwirtschaft ist, daß die Mittel
Seite. etatisiert werden.
Hier hat der Bundesfinanzminister nach der Wahl (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
festgestellt, daß diese Beträge für die nationale Dr. Ritz: Das hört sich bei Ihnen heute aber
Agrarpolitik fehlten und daß die neue Bundes- anders als gestern an!)
regierung sich bemühen werde, diese Beträge, weil Das zweite, Herr Ritz, ist, daß eine Etatisierung
es notwendig sei, aufzufüllen. Das ist durch einen im Einzelplan 10 für die Landwirtschaft sicherer
Kabinettsbeschluß und durch den Haushalt 1970 in wäre. Wenn es nämlich Reste gibt, ist es für die
Form von knapp 400 Millionen geschehen. So ist der Landwirtschaft besser, wenn die Etatisierung im -
Tatbestand. Einzelplan 10 statt im Einzelplan 60 vorgesehen ist.
(Zustimmung bei der SPD. — Zuruf des (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
Abg. Ehnes.) Dr. Ritz: Das nach dem Motto: „Was küm-
— Herr Ehnes, ich möchte jetzt zunächst mal weiter- mert mich mein Geschwätz von gestern?"!)
reden. Sie können nachher Zwischenfragen stellen. — Ihnen fehlen Haushaltserfahrungen, Herr Ritz.
Ich bin nicht derjenige, der Zwischenfragen ablehnt,
ich möchte aber zunächst mal meine Gedanken hier
weiter ausführen. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
Herr Röhner, falsch ist grundsätzlich, daß die Abgeordneten Röhner?
Strukturmittel um 220 Millionen DM gekürzt wor-
den seien. Weil ich geahnt habe, 'daß Sie mit sol-
chen Dingen kommen würden, habe ich mir vorher
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Bitte schön, Herr
Röhner!
eine Aufstellung gemacht. Danach ist völlig klar,
daß bei Strukturmaßnahmen von Haushalt zu Haus-
halt eine Kürzung von 78 Millionen stattgefunden Röhner (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, wie
hat. Dann sind die Investitionshilfen um 71 Mil- läßt sich Ihre letzte Feststellung, entscheidend sei,
lionen gekürzt, der Sozialbereich — der Komplex daß überhaupt etatisiert werde, und es nicht darauf
Altershilfe. Unfallversicherung und Landabgabe- ankomme, in welchem Einzelplan etatisiert werde,
rente — um 48, die Zinsverbilligung um 3 und die mit Ihren früheren Feststellungen und Ihren früheren
Vermarktung um 37 Millionen. Aber diese Positio- Anträgen z. B. zur Dieselkraftstoffverbilligung ver-
nen sind ja wohl auch nach Ihrer Meinung, nach einbaren?
Ihrer Definition keine Strukturmaßnahmen, sondern (Beifall bei der CDU/CSU.)
unter Strukturmaßnahme fallen eindeutig ländliche
Siedlung, Flurbereinigung, agrarstrukturelle Maß- Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Röhner, ich habe
nahmen, von der Natur benachteiligte Gebiete, Wirt in diesem Hohen Hause immer gesagt, daß die Posi-
1442 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Peters (Poppenbüll)
tionen für die Landwirtschaft klar ausgewiesen wer- Damals sind nicht nur kleine Zugeständnisse ge
den sollten, z. B. einkommenswirksame und struktur- macht worden, sondern man hat einem großen
wirksame Maßnahmen in völliger Trennung. Wir Paket immer grundsätzlich zugestimmt, und das
haben ebenfalls einen Streit darüber gehabt, ob So- ging dann zu unseren Lasten.
zialmaßnahmen im Sozialetat oder im Landwirt- (Beifall bei der FDP.)
schaftsetat etatisiert werden sollten. Aber das ist
keine Kardinalfrage. Entscheidend ist, daß die Mittel
für die Landwirtschaft bereitgestellt werden. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu neten Röhner?
rufe von der CDU/CSU.)
In diesem Zusammenhang ist für die Landwirt- Röhner (CDU/CSU) : Herr Peters, wie verein-
schaft entscheidend — ich will darauf noch einmal baren Sie diese Auffassung mit einer Meinungs-
hinweisen, obwohl mein Vorredner das auch schon äußerung des Herrn Bundeskanzlers nach der Den
gesagt hat —, daß nach dem Haushaltsgesetz für die- Haag-Konferenz, in .der es sinngemäß hieß, daß
ses Jahr Beträge, die in Kap. 10 03 fehlen, nicht mehr bei der Herstellung des Marktgleichgewichts auch
aus Kap. 10 02 gedeckt werden müssen, also aus die EWG-Agrarpreise nicht tabu sein dürften? Sie
dem Kapitel, in dem die nationale Agrarpolitik sind also der Meinung, daß das insgesamt ein
etatisiert ist, wie es zu der Zeit der Fall war, als Sie großer Erfolg war. Wie vereinbaren Sie das mit
von der CDU den Finanzminister stellten. Heute dieser Feststellung?
ist es genau umgekehrt, nämlich daß Reste aus
Kap. 10 03 für Kap. 10 02 zur Verfügung stehen. Das Peters (Poppenbüll) (FDP) : Sie haben aus dieser
ist eine ungeheuere Verbesserung für den Agraretat Äußerung konstruiert, Herr Röhner, daß damit ein
im Haushaltsgesetz. Das sollten Sie ebenfalls zur deutsches Zugeständnis für Preissenkungen ge-
Kenntnis nehmen. geben würde. Das wollen Sie doch damit sagen.
Ich komme nun zur Agrarfinanzierung. Bei der Bisher stellen wir fest, daß von der deutschen
Agrarfinanzierung in der EWG ist bisher nur die Verhandlungskommission in genau entgegenge-
Kostenseite beschlossen worden. Mehrere Redner setzter Weise verhandelt worden ist; und warten
haben hier gesagt, daß der deutsche Beitrag bis 1975 Sie einmal ab, wie die Verhandlungen weiterlaufen.
32 % — genau 32,04 % — betragen wird, also nicht Wenn Sie hier den guten Ratschlag geben, man
höher ist als alle früheren Beträge der einzelnen sollte danach gehen, was Professor Weinschenk vor-
Ressorts. Von 1975 bis 1978 und. danach wird sich geschlagen habe — das sei ja sehr sinnvoll für die
I der Satz im wesentlichen nach Abschöpfungen, Zöl- VorschlägeindEWG—,amußichIne
len und einem Anteil an der Mehrwertsteuer be- sagen, ich habe nichts gegen die Vorschläge von
messen. Hier hat die jetzige Bundesregierung eben- Herrn Weinschenk — wir haben ja selber die
so wie früher, als es um den Ausgleich für die Land- Mengenbeschränkungen des öfteren hier als
wirtschaft ging, in weit härterer Weise als die praktikabel für Deutschland dargelegt —, aber
frühere Bundesregierung, zu der Sie von der CDU vergessen Sie doch bitte nicht, daß die Verhand-
Minister gestellt haben, für die deutschen Bauern lungen mit der EWG-Kommission schwieriger sind-
und die Bundesrepublik verhandelt. als mit Professor Weinschenk.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Lachen bei der CDU/CSU.)
Ich habe Ihnen früher schon einmal gesagt, Herr Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Röhner: Wenn Ihre Minister zurückkamen, mußten Bundesminister Ertl.
wir immer besorgt sein, ob sie nicht mit den Be-
schlüssen zurückkamen, die die Kommission und Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
die anderen Partnerländer vorbereitet hatten. schaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine Damen
Jetzt — und das gilt auch für die Zukunft — haben und Herren! Es tut mir leid, aber ich mußte wegen
wir absolutes Vertrauen zu Minister Ertl, Minister der Vorbereitung des Besuchs des rumänischen
Schiller Außenhandelsministers ein Gespräch mit dem rumä-
(Abg. Dr. Althammer: Vorsicht!) nischen Botschafter führen und konnte daher in der
letzten Stunde die Debatte nicht verfolgen. Ich
und zu den Mitgliedern unserer Regierung, die in
möchte aber doch einige Bemerkungen machen. Ich
Brüssel verhandeln. Daß die Verhandlungen über
verstehe durchaus, daß man hier versucht, daraus
das Marktgleichgewicht nicht leicht sind, wissen wir
Kapital zu schlagen, daß angeblich nur 389 Millio-
ebenso wie Sie. Aber auch hier sind die Verhand-
nen DM für die nationale Agrarförderung auf-
lungen bisher absolut positiv für die deutsche Land-
gestockt worden sind. Nur muß ich eines sagen:
wirtschaft gelaufen. Dabei sind keine Zugeständ-
389 Millionen DM mehr — das ist das Ergebnis in
nisse gemacht worden.
dieser Regierung im Gegensatz zu dem Vorschlag
(Zuruf des Abg. Dr. Althammer.) der alten Regierung. Das muß in aller Deutlichkeit
festgestellt werden.
— Herr Althammer, ich erinnere Sie nur an die
Zeit, als Herr Schmücker und Herr Schwarz dorthin Ich hätte guten Grund — aber Kollege Strauß
fuhren. ist nicht da —, nun auf seine konjunkturellen
(Zurufe von der CDU/CSU.) Aspekte einzugehen. Der Herr Kollege Strauß hat
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1443
Bundesminister Ertl
ja gerade heute von uns gefordert, sehr zu sparen. noch einmal: Es handelt sich um Ausgleichszahlun-
Nun soll er doch einmal Vorschläge machen und gen für die Aufwertungsverluste. Sie stellen einen
sagen, wo er sparen will; denn sonst wird hier nicht Beitrag zur Stabilisierung der Lebensmittelpreise
mit offenen Karten gespielt, wird mit zweierlei Zun- dar. So versteht sie die Bundesregierung. Sie ver-
gen gesprochen. Von den persönlichen Aspekten steht sie aber auch als einen Teil einer möglichen
seiner Bemerkung zu meiner Person möchte ich Variante in der Agrarpolitik. Es ist eine Variante,
hier nicht reden, aber ich hoffe und erwarte, daß die man hier auf diesem Gebiet, vielleicht gezwun-
er dafür eine Klarstellung gibt. Denn das kann ich genermaßen, auch einmal in Betracht ziehen muß.
nur sagen: das ist für mich abgeschrieben, das ge- Ich bin bereit, diesen Weg zu verantworten.
hört bei mir in .den Mülleimer, wenn jemand so Ein ganz anderes Thema ist der Dieseltreibstoff.
spricht. Der Herr Kollege Möller weiß, daß darüber bereits
(Beifall bei den Regierungsparteien.) mit seinen Herren und meinem Hause Gespräche
Ich möchte betonen: Wer von dieser Regierung geführt worden sind. Sie wissen alle, soweit Sie
einen konjunkturgerechten Haushalt verlangt — das Problem kennen, daß diese Frage des Diesel-
und ich bin der Meinung, diesem Imperativ müssen treibstoffes längst hätte gelöst sein können, wenn
wir alle uns beugen —, der darf dann nicht hier Sie, solange Sie Minister gestellt haben und hier
Vorwürfe machen, ,daß zu wenig Ausgaben be- die Mehrheitsfraktion waren, unseren Antrag unter-
schlossen worden sind; oder er muß mir einen Vor- stützt hätten. Insoweit können Sie von uns nicht
schlag machen, wo ich den Finanzminister bitten verlangen, daß wir innerhalb von hundert Tagen
kann — und ich bitte hier die Opposition, das im tabula rasa mit den Versäumnissen der Vergangen-
Parlament zu machen —, woanders diese zusätz- heit machen.
lichen 120 Millionen zu bekommen. Das ist dann (Beifall bei den Regierungsparteien.)
offen und klar und fair.
Sie hätten diese Frage leicht lösen können. Vier
Ich betone noch einmal: die Kürzung beträgt Jahre lang lagen dazu Anträge vor — sogar in der
nicht 220 Millionen DM — ich weiß nicht, ob es Zeit, in der wir mit Ihnen eine Koalition bildeten —,
behauptet worden ist, ich beziehe mich jetzt auf und Sie wissen ganz genau — das wollen wir hier
die Bemerkungen vom Kollegen Peters —, die Kür- einmal in aller Deutlichkeit sagen —, daß Ihr Finanz-
zung beträgt 140 Millionen DM. Das ist immerhin minister nie bereit war, in dieser Frage irgendeine
schon ein Unterschied. Ich glaube, hier mit gutem Form einer anderen Lösung zu suchen.
Grund sagen zu können, daß die Aufstockung von
389 Millionen DM die Voraussetzung dafür geschaf- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundesmini-
fen hat, daß die bisher laufenden Agrarförderungs- ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
maßnahmen einigermaßen fortgesetzt werden kön- Abgeordneten Ehnes?
nen. Ich glaube, das kann ich mit gutem Grund
sagen. Hinzukommt die Deckungsgleichheit zwi- Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schen Marktordnungsausgaben und Agrarförde- schaft und Forsten: Ja, bitte!
rungsmaßnahmen. Ich bin überzeugt, daß sich hier
gewisse Möglichkeiten eröffnen, wenn es gelingt, Ehnes (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, kann
Fortschritte im Hinblick auf das Marktgleichgewicht ich Ihrer Aussage entnehmen, daß Sie die Mei-
zu erzielen. Vielleicht gelingt es wirklich, hier Fort- nung vertreten, daß die Vorschläge, die der Be-
schritte zu erzielen. Ich bin nicht so pessimistisch richterstatter über das Gasölverbilligungsgesetz,
wie die Kommission in Brüssel. Ich habe erst am Herr Abgeordneter Stooß, damals in seinem Bericht
Montag und Dienstag dieser Woche eine genaue niedergelegt hat, sehr bald verwirklicht werden
Bilanz verlangt. Eis ist mir ein Bedürfnis, hier fest- können?
zustellen, daß es bezüglich der Überschüsse momen-
tan nicht so dramatisch aussieht, wie es dargestellt Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
wurde. Hoffen wir, daß Konsum und Produktion schaft und Forsten: Herr Kollege Ehnes, Sie haben .
sich mehr zu einem Gleichgewicht hin entwickeln. eine phänomenale Gabe, mich etwas zu fragen, was
Ich bin gern bereit, i n eine Agrardebatte einzustei- nicht mit meiner Feststellung zusammenhängt. Ich
gen und weiter über Einzelheiten zu diskutieren. bin froh, wenn das Parlament mir die Möglichkeit
Ich halte das aber nicht im Verlauf der Haushalts- gibt, eine bessere Lösung zu finden. Ich stehe noch
beratungen für nötig, denn Sie haben anläßlich 'des zu idem alten Antrag der Freien Demokraten. Ich
Grünen Berichtes Gelegenheit, mit mir zu diskutie- habe auch bereits in den ersten vier Wochen ein
ren. diesbezügliches Gespräch mit Herrn Soddemann ge-
führt. Aber Sie wissen ganz genau, Herr Kollege
Ich möchte aber doch noch einige Bemerkungen Ehnes — Sie müssen sich nur einmal mit Ihren
zu den 920 Millionen DM machen. Über die Frage früheren Ministe rn unterhalten, damit Sie wissen,
„Einzelplan 60 oder Einzelplan 10?" läßt sich strei-
wie die Sachlage ist —, daß es z. B. bis jetzt sehr
ten. Ich möchte sie aus vielerlei Gründen — das
schwierig ist, die Mineralölfirmen dazu zu bewegen,
sage ich in aller Deutlichkeit, gerade weil draußen
gefärbten Treibstoff abzugeben. Das kommt also
immer so viel bezüglich der Nichtglaubwürdigkeit
auch noch hinzu.
der Zusagen dieser Bundesregierung gemunkelt
und subkutan gearbeitet wird — gern im Einzel- (Zurufe von der CDU/CSU: Genau das haben
plan 10 behalten, weil ich damit ein echtes Instru- wir auch gesagt! — Weitere Zurufe von der
ment meiner Agrarpolitik habe. Ich betone hier CDU/CSU.)
1444 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970
Bundesminister Ertl
— Nur mit dem Unterschied, daß ich bereits in den effektive Ersparnis gegenüber den anderen Vor
ersten vier Wochen Verhandlungen über diesen schlägen beträgt zirka 231 Millionen DM.
Punkt eingeleitet habe — ich gebe zu, .daß noch kein
Für 1973 lautete der Vorschlag der Kommission
Ergebnis zu verzeichnen ist, aber der Finanzminister
auf 35,02 %, der Vorschlag Coppé auf 34,28%. Das
steht dem Anliegen wohlwollend gegenüber —,
effektive Ergebnis war 32 %. Die Ersparnis beträgt
während Sie immer unsere Anträge abgelehnt haben,
zirka 375 Millionen DM.
und zwar in einer strikten Form, nämlich mit der
Behauptung, Sie könnten nichts machen. Das ist der Für 1974 lautete der Vorschlag der Kommission
Unterschied. auf 36,41 %, der Vorschlag Coppé auf 35,13%. Das
(Zustimmung bei der FDP.) Ergebnis war 32,64%. Nun soll mir noch jemand
sagen, wir hätten uns nicht bemüht, unseren Anteil
um ein Höchstmaß herunterzusetzen! Das soll mir
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundesmini- noch jemand behaupten!
ster, gestatten Sie eine zweite Frage ides Herrn Ab-
geordneten Ehnes? (Beifall bei der FDP.)
Ich kann nur wiederum sagen — das war auch die
Ehnes (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ich kann Meinung der Verhandlungspartner —, daß wir in
aus Ihren Ausführungen doch sicher entnehmen, dieser Frage weiß Gott den Versuch unternommen
daß es Ihr Bestreben ist, daß wir zum Zollschein haben, auch von den deutschen Steuerzahlern ein
system, wie es in der Gesetzesvorlage bereits er- Höchstmaß an Belastung fernzuhalten. Wenn ich
wähnt ist, kommen und daß Sie zusammen mit uns über meine hundert Tage sonst überhaupt keine Be-
diesen Weg gehen? friedigung haben sollte, auf diesem Sektor, kann ich
mit gutem Grund sagen, haben wir zugunsten der
deutschen Steuerzahler Milliarden eingespart.
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Ich kann Ihnen nur sagten, daß
ich über diese Frage Gespräche geführt habe. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundesmini-
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Über Ergebnisse berichte ich erst, wenn Ergebnisse
zu verzeichnen sind. Das kann ich darauf antworten. Susset (CDU/CSU) : Herr Minister, stimmt es, daß
Ich kann allerdings sagen, daß hätte auch früher eine Einsparung von 1 % nur 150 Millionen DM
schon passieren können. Soviel zum Treibstoff. In- ausmacht? Sie sprachen aber immer davon, daß Sie
zwischen besteht also zwischen den 920 Millionen meinetwegen den Satz 32,8 auf 32,5 % reduzieren
DM und der Etatisierung dieser 920 Millionen DM konnten. Gleichzeitig sprachen sie von Einsparungen
für den Treibstoff auch in der Sache gar kein Zu- von 2,1 Milliarden DM.
sammenhang. Das sind zwei völlig verschiedene
Dinge. Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
Nun zur Agrarfinanzregelung. Hier muß ich noch schaft und Forsten: Ich habe jetzt die Prozentzahlen
einmal feststellen: der Bundesrepublik — ich glaube, nicht im Kopf. Ich kann nur sagen, das ist die offi--
es war sogar die Bundesregierung, bei der auch die zielle Statistik, die vorliegt. Sie können sie nachle-
FDP in der Koalition war — ist bei der Agrar- sen. Insofern dürften meine Zahlen stimmen. Das
finanzierung bisher ein Anteil von 30 % freiwillig zur Agrarfinanzregelung.
zugestanden worden. Im letzten Jahr haben wir Nun noch ein Wort zur Doppelfunktion der
genau 29,9 % gezahlt. Ich sage das, damit hier ein- Preise. Der Herr Bundeskanzler hat in Den Haag
mal klare Verhältnisse geschaffen werden. Bei den erklärt: Man muß die Doppelfunktion der Preise
Verwaltungsausgaben und den Sozialausgaben ha- überprüfen. Auch dazu stehe ich. Wer dieser These
ben wir sonst immer 32 % gezahlt. Man muß einmal widerspricht, muß der Steuerung nur über den Preis
sagen, wie es war. zustimmen. Und wer der Steuerung über den Preis
Nun will ich Ihnen einmal sagen, wie die Vor- zustimmt, muß Herrn Mansholt recht geben, daß
schläge lagen; denn nur auf dem Hintergrung der man durch Preissenkungen ein Marktgleichgewicht
Vorschläge und Wünsche kann man ja das Ergebnis herbeiführen kann, was ich bezweifle. Wir haben
sehen und bewerten. Der Vorschlag der Kommission nämlich bereits einen Bereich, wo der Preis als
für die Bundesrepublik, und zwar für alle drei Teile, Steuerungselement begrenzt wurde, und zwar bei
lautete 1970 auf 31,63 %, der Vorschlag Coppé der Zuckermarktordnung. Dort haben wir die Men-
lautete ebenfalls auf 31,63%. Effektiv erzielt wur- genregelung, die Quotenregelung. Sie wissen ,selbst,
den von uns 31,37%. Das ist das Ergebnis. daß beim Marktgleichgewicht auch eine Quotenre-
gelung für mich eine Rolle spielt. Das ist doch eine
Für 1971 lautete der Vorschlag der Kommission ganz natürliche Sache, sonst kann ich nicht eine
auf 33,49%, der Vorschlag Coppé auf 32,72 %. Das Lösung im Sinne ausgeglichener Verhältnisse her-
Ergebnis der Ratstagung war 31,68 %. Die effektive beiführen. Jedermann weiß, , daß es Überschüsse
Ersparnis gegenüber den Vorschlägen beträgt zirka gibt, wenn sie auch nicht so hoch sind, wie sie viel-
256 Millionen DM.
leicht ursprünglich geschätzt wurden, und wenn
Für 1972 lautete der Vorschlag der Kommission sich auch auf verschiedenen Sektoren in den letzten
auf 33,79 %, der Vorschlag Coppé auf 33,54 %. Das Monaten eine erfreuliche Konsumentwicklung her-
effektive Ergebnis der Ratstagung war 32 %. Die ausgebildet hat.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1445
Bundesminister Ertl
Das Ganze kostet sehr viel, darüber gibt es doch Bundesfinanzminister als auch heute von Herrn
gar keinen Zweifel. Wir werden um so leichter eine Peters als auch danach noch vom Herrn Bundesmi-
Markt- und Preispolitik betreiben können, wenn es nister für Ernährung sehr gelobt worden. Es heißt:
keine Überschüsse gibt. Hier muß ich dann notfalls die deutschen Verhandlungsziele wurden erreicht,
auf die Doppelfunktion der Preise, nämlich Steue- die deutschen Kasten wurden in tragbaren Grenzen
rungselement und Einkommenselement zu sein, ver- gehalten; nie haben, so heißt es, Minister der CDU/
zichten. Das ist doch selbstverständlich. Das ist eine CSU in Brüssel so hart verhandelt und so gute Er-
ganz logische Folge. Oder ich mache die Preise zum folge für die Bundesrepublik erzielt. Genau das ist
alleinigen Steuerungselement, dann sind sie sowohl hier gesagt worden, und eis wird mit einigen Zahlen
für die Quantität der Produktion entscheidend als belegt, die sich auf die Zeit bis 1974 beschränken. In
auch für das Einkommen. Für uns sind die Preise der Tat kann man sagen — der Herr Bundesfinanz-
viel mehr 'entscheidend für das Einkommen als für minister hat das mit Recht ausgeführt —, daß sich
die Quantität. Das ist eine ganz logische Deduk- bis 1974 der deutsche Beitrag für die Agrarfinan-
tion, und ich möchte noch einmal bitten, sich das zu zierung und die sonstige Finanzierung der EWG
überlegen, bevor man darüber spricht. um 32% bewegen wird. Was aber entscheidend ist,
Das wollte ich bei diesem Stand der Beratungen Herr Bundesfinanzminister — und das wissen
zur Diskussion beitragen. Ich glaube mit gutem Sie —, ist ja der Trend, der in die Sache hinein-
Grund sagen zu können, daß wir bezüglich der gelegt wurde, der in diesen Beschlüssen liegt. Diese
Strukturmaßnahmen weitermachen können, wenn Beschlüsse gehen . ja weit .über 1974 hinaus. Die
wir allerdings auch den Überhang nicht löschen Entwicklung ist die, daß wir 1974 — das ist vorhin
können. Auch darüber werden wir uns nächste auch gesagt worden — bei 32,7% ankommen, einem
Woche unterhalten, verehrte Kollegen. Ich habe Satz, der schon höher ist als alles, was wir bisher
190 Millionen DM Strukturüberhang übernommen, gehabt haben. Dann geht es weiter nach Berech-
das allein bei Aussiedlung und Aufstockung, und nungen, die ich selbst angestellt habe, da die Bun-
anderen Strukturmaßnahmen. desregierung uns bisher keine Unterlagen für diese
fundamentalen Fragen zur Verfügung gestellt hat,
Im übrigen freue ich mich, wenn es der Opposi- Berechnungen, die aber, glaube ich, stimmen: 1975
tion gelingt, mit konjunkturgerechtem Haushalt 33,4%, 1976 34,1 %, 1977 34,8%. Für 1978 ist eine
noch mehr für die Landwirtschaft herauszuholen. Vorhersage schwierig, weil man wegen des Berech-
Dann machen Sie uns aber auch Vorschläge, wo Sie nungsmodus da wiederum auf Schätzungen ange-
streichen wollen, denn dann kann ich erst mit dem wiesen ist. Man geht aber wohl nicht fehl in der
Finanzminister wieder verhandeln. Ich habe mich Annahme, daß im Jahre 1978 der deutsche Finan-
bemüht, ein Optimum für die Landwirtschaft her- zierungsanteil bei etwa 38 % angekommen sein
auszuholen und gleichzeitig auch von meiner Seite wird, weil dann nämlich die letzten Schranken der
den Beitrag für einen konjunkturgerechten Haus- Höchstbegrenzung fallen werden.
halt zu liefern.
Ein solches Ergebnis, meine Damen und Herren,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) kann nur gesamtpolitisch gewürdigt werden.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Frau Funcke: Dias Wort hat der
Abgeordnete Dr. Wagner. Wir müssen aber hier feststellen, daß mit solchen
Beteiligungssätzen und mit solchen Lasten für den
deutschen Haushalt noch kein Finanzminister der
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- CDU/CSU von Brüssel nach Hause gekommen ist.
tin! Meine Damen und Herren! Ein paar Worte zur
europäischen Finanzierungsregelung, nicht nur zur
Agrarfinanzierung, sondern überhaupt zu den Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
Finanzbeschlüssen, die in Brüssel gefaßt worden statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
sind. Man wird hier im wesentlichen zwei Aspekte Peters?
unterscheiden können, erstens den finanziellen,
zweitens den politisch-institutionellen.
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Selbstverständ-
Zunächst ein paar Worte zum Finanziellen. Der lich.
Kollege Dr. Strauß ist heute morgen hier gerügt
worden, daß wir so viel über Finanzen und zu-
wenig über Politik sprächen, so viel herumrechneten Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege, auf
und uns so viel über Zahlen und über Geld verbrei- Grund welcher Fakten kommen Sie zu der Ver-
teten. Ich meine aber, im Rahmen einer Haushalts- mutung, daß der Gesamtbeitrag Deutschlands ab
debatte müßte es wohl erlaubt sein, auch etwas zu 1978 38% ausmachen wird?
Zahlen zu sagen. Die Regelung für die EWG-Finan-
zierung, die in Brüssel gefunden wurde, ist eine
komplizierte Regelung. Ich habe die Zeit nicht, sie Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Ich komme zu
hier im einzelnen darzustellen; es ist auch nicht diesen Fakten auf Grund des Beschlusses, daß
erforderlich. Was hier in diesem Rahmen entschei- ab 1975 die Finanzierung der Lücke, die übrigbleibt,
dend ist, ist das Ergebnis, das politische und das nachdem Abschöpfungen und Zölle an die Gemein-
finanzielle Ergebnis, das herausgekommen ist. Nun schaft abgeführt sind, nicht mehr durch nationale
ist dieses Ergebnis hier sowohl gestern vom Herrn Finanzbeiträge nach irgendeinem Schlüssel erfolgen
1446 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Dr. Wagner (Trier)


wird, sondern durch einen Zuschlag zur Mehrwert- nicht darüber, daß dieses Haushaltsrecht zunächst
steuer oder — wie es in den Brüsseler Beschlüssen mehr von prinzipieller als von praktischer Bedeu-
ausgedrückt ist — durch die Erhebung eines Betra- tung sein wird! Es ist nämlich so, daß das Euro-
ges von his zu einem Punkt auf die allgemeine Be- päische Parlament bei der Verabschiedung des Haus-
messungsgrundlage der Umsatzsteuer. Da nun aber halts an das Finanzrecht der Gemeinschaften gebun-
unser Anteil an den Zöllen bei etwa 42,6 % liegt den ist. Dieses Finanzrecht der Gemeinschaften re-
und die Zölle etwa das Doppelte der Abschöpfun- gelt aber rechtlich zwingend etwa 95 % aller Ge-
gen ausmachen und da unser Anteil an der allge- meinschaftsaufgaben. Die wirkliche Verfügungsge-
meinen Bemessungsgrundlage im Jahre 1975 auch walt des Europäischen Parlaments über den Gemein-
nicht weit unter 40 % in der Gemeinschaft liegen schaftshaushalt beschränkt sich daher zunächst in
wird — das sind Schätzungen; deswegen sagte ich der Praxis auf 5 % des Gesamtvolumens. Für uns
vorhin: es ist nicht auf das Komma genau —, kommt sollte das, so meine ich, Anlaß sein, diesen ersten
man zu dieser Zahl von voraussichtlich etwa 38 % Schritt zu einer institutionellen Stärkung der Ge-
insgesamt. meinschaften nur als eine Etappe anzusehen, wirk-
lich nur als einen ersten Schritt. Wir wären sehr
dankbar, wenn wir von der Bundesregierung heute
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
hören könnten, daß auch sie dieser Auffassung ist.
eine zweite Zusatzfrage?
Ich habe da zuweilen Zweifel, wenn ich u. a. an das
Interview denke, das der Bundeskanzler während
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU): Bitte! seines Paris-Besuches der Zeitung „Le Monde" ge-
geben hat und in dem er klar erklärt hat:
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege, ist
Es ist noch nicht die Zeit gekommen, supranatio-
Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung davon aus-
nale Elemente in die Gemeinschaftsverfassung
geht, daß zu jenem Zeitpunkt, wenn nur Zölle, Ab-
einzuführen. Wir sind davon
schöpfungen und ein Teil der Mehrwertsteuer her-
angezogen werden, der deutsche Beitrag 35,7 % aus- — so heißt es dort wörtlich —
machen wird? weit entfernt.
Ich halte diese Bemerkung auch im Rahmen dieser
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Ich habe von Haushaltsdebatte für wichtig. Unserer Überzeugung
diesem Satz gehört. Auf Grund meiner Berechnun- nach können Finanzlasten, finanzielle Verpflichtun-
gen und auf Grund von Berechnungen, die ich in der gen wie diejenigen, um die es sich hier handelt,
wissenschaftlichen Literatur gefunden habe, kann ich überhaupt nur im Rahmen einer supranationalen Ge-
dieser Hypothese nicht zustimmen. Es sollte mich meinschaft, einer Gemeinschaft, die auf eine euro-
freuen, wenn es so käme. Ich komme ja auch noch päische Föderation angelegt ist, verantwortet wer-
zu einer abschließenden Gesamtwürdigung der den.
Sache. Ich bin aber der Meinung, daß wir auf Grund (Beifall bei der CDU/CSU.)
der derzeitigen Gegebenheiten eher von einem
Satz in der Nähe dessen ausgehen müssen, den ich
genannt habe, Herr Kollege Peters. Vizepräsident Frau Funcke: Wenn meine In-
formationen stimmen, war das eine Jungfernrede.
Die zweite Seite dieser Sache — und die für meine
Begriffe noch entscheidendere — ist der politisch-in- (Zuruf von der CDU/CSU: Eine sehr gute!)
stitutionelle Aspekt. Die CDU/CSU hat von jeher Sie wurde, sogar einschließlich der meisten Zahlen,
gewußt — sie stimmt insoweit dem Herrn Bundes- frei gehalten. Herzlichen Glückwunsch!
finanzminister zu —, daß Europa seinen Preis er-
fordert. Die CDU/CSU hat daher auch häufig Opfern (Beifall.)
zugestimmt unter der Voraussetzung, daß sich diese Das Wort hat der Abgeordnete Seidel.
Opfer in Brüssel nach dem Grundsatz der Gegen-
seitigkeit vollziehen. Ich meine aber, daß dieser
Preis klar genannt werden muß. Deswegen haben Seidel (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen
wir das, was von der Bundesregierung hier nicht und Herren! Der Bundeshaushalt hat 26 Einzelpläne.
gesagt worden ist, von uns aus vorgetragen und Es ist ganz natürlich, daß in der ersten Lesung auf
auch, wie ich glaube, vortragen müssen. Der Preis, einige der wesentlichen Einzelpläne eingegangen
den die Bundesregierung gezahlt hat, ist hoch. Ich wird.
bin nicht sicher, daß er so hoch sein mußte. Daß ein Im Bundeshaushaltsplan hat der Einzelplan des
Preis bezahlt werden mußte, ist sicher. Ich frage Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung sozial-
mich aber, inwieweit die Entschlossenheit der Bun- politisch und finanzpolitisch seine besondere Be-
desregierung, die französische Sperre gegen den deutung. Erstmalig seit 1949 wird dieser Einzelplan
Beitritt anderer Länder auf jeden Fall schnell zu von einem Arbeitsminister aus den Reihen der SPD
beseitigen, zu einer größeren Kompromißbereit- vorgelegt. Er wird daher eine besonders kritische
schaft der Bundesregierung beigetragen hat. Aufmerksamkeit finden.
Zum Institutionell-Politischen: Das Europäische Um es gleich vorwegzunehmen: Der Entwurf von
Parlament bekommt ein Haushaltsrecht — eine alte 1970 stellt gegenüber dem Etat von 1969 naturge-
Forderung sowohl des Europäischen Parlaments als mäß keine radikale Änderung dar. Die aus den
auch unserer Fraktion als auch, glaube ich, eines Vorjahren vorgegebenen sozialpolitischen Leistun-
großen Teiles dieses Hauses. Täuschen wir uns aber gen werden konsequent weitergeführt und weiter-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1447

Seidel
entwickelt. In diese Leistungen sind sehr viele ge- Ersten sind das die Erhöhung der Kriegsopfer-
meinsame politische Anstrengungen dieses Hauses versorgung und ihre Dynamisierung. Erfreulich ist
investiert. Das war in der Vergangenheit so und bei diesem Titel besonders, daß unter dem neuen
wird wohl auch trotz der anderen Rollenverteilung Rentenkapitalisierungsverfahren die Leistungen mit
seit dem 28. September 1969 so bleiben, auch dann, 172 Millionen DM jährlich sichergestellt sind.
wenn in Zukunft die Meinungen zwischen der
(Abg. Leicht: Außerhalb des Haushaltes!)
Opposition und den Regierungsparteien sich stärker
differenzieren sollten. Zweitens ist in diesem Zusammenhang bei der
Nach dieser Feststellung der Gemeinsamkeit mittelfristigen Finanzplanung die Steigerung der
weise ich darauf hin, daß der Entwurf 1970 nach der Bundeszuschüsse für die Rentenversicherung der
Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 neue Arbeiter und Angestellten von 6,9 Milliarden DM
Fakten geschaffen hat und daß andere Tendenzen über 7,1 zu 7,7, weiter auf 9,6 bis 1973 zu 10,3 Mil-
sichtbar geworden sind. Das Ministerium ist dabei, liarden DM festzustellen.
die Bewältigung von Schwerpunkten der Gesell- (Abg. Leicht: Durch (l ie Zwangsläufigkeit!)
schaftspolitik systematisch vorzubereiten. Diese
Vorbereitungen reichen vom Ausbau der sozialen Meine Damen und Herren, drittens begrüßen wir,
Sicherung einschließlich eines zeitgerechten Arbeits- daß die Maßnahmen zur Förderung der Errichtung
schutzes über die Fortentwicklung der Arbeitsmarkt- überregionaler Zentren für die im Beruf Benach-
politik und der Berufsausbildung bis zu den Auf- teiligten und Behinderten durch Erhöhung der Aus-
gaben des Betriebsverfassungsrechts und der Ver- gaben in Form von Darlehen und Zuschüssen von
mögensbildung sowie der europäischen und inter- bisher 10 auf 20 Milliarden DM verbessert werden.
nationalen Sozialpolitik. Unsere soziale Grundeinstellung erfordert die er-
Das Gesamtvolumen des Etats beträgt 18,8 Milli- höhte Aufmerksamkeit für diesen Personenkreis.
arden DM. Das sind rund 2 Milliarden DM mehr als Die vorgesehene Kürzung von 5 Millionen DM
als im Finanzjahr 1969. Mit diesen 2 Milliarden DM müßte in der Detailberatung noch einmal überlegt
wurden in der Hauptsache zwei große gesellschafts- werden. Die in Aussicht genommene Verpflich-
politische Verpflichtungen erfüllt. Dazu gehören die tungsermächtigung von 12 Millionen DM sollte
Erhöhung der Kriegsopferversorgung um 938 Mil- aber unter allen Umständen keine Einschränkung
lionen DM, der Sozialversicherung um 430 Millionen erfahren.
DM und die erste Rate für die Erfüllung der Lohn- Viertens. Rationalisierung und Automation
fortzahlungsverpflichtung um rund 200 Millionen haben ihre sozialen Auswirkungen. In der Öffent-
DM. Als Folge der Neuorganisation der Bundes- lichkeit sind diese Folgen in ständiger Diskussion.
regierung wurde das Kapital „ Kriegsfürsorge" aus Endlich, so sage ich, nimmt sich das Ministerium
dem Bundesministerium des Innern mit 467 Millionen der Sache so an, daß für die Förderung der Er-
DM in den Etat des Arbeitsministeriums übernom- forschung der sozialen Auswirkungen des tech-
men. Von der Gesamtausgabe der 18,8 Milliarden nischen Fortschritts und des Strukturwandels ein
DM beanspruchen die großen gesetzlich festge- finanzieller Beitrag geleistet wird. Er beträgt vor-
legten Ausgabenblöcke „Sozialversicherung" mit läufig 1,3 Millionen DM. -
11,3 und „Kriegsopferversorgung" mit 6,7; insge-
Fünftens. Für bemerkenswert halte ich die ver-
samt 18 Milliarden DM.
stärkte Förderung der Arbeitsaufnahme in Berlin.
Die Betrachtung des Entwurfs 1970 läßt sich von Zum 1. Januar 1970 sind eine Reihe wichtiger Lei-
der mittelfristigen Finanzplanung 1969/73 nicht stungsverbesserungen in Kraft getreten, die zu-
trennen. Hier darf ich die erfreuliche Feststellung sätzliche Anreize für die Arbeitsaufnahme in Berlin
treffen, daß bis 1973 die Leistungssteigerungen im bringen. Unter anderem wird das Überbrückungs-
sozialen Bereich, besonders bei der „Sozialversi- geld für Ledige von insgesamt 300 auf 750 DM und
cherung" und der „Kriegsopferversorgung", abge- für Verheiratete von bisher 400 auf 1350 DM er-
sichert sind. Von 18,8 Milliarden DM im Jahre 1970 höht. Damit wird vor allem den Familien mit Kin
wird der Betrag 1971 auf 19,7, 1972 auf 21,1 und 1973 dern die Arbeitsaufnahme in Berlin erleichtert.
auf 23,7 Milliarden DM steigen. Der bisherige Rück- Diese neuen finanziellen Maßnahmen, im Etat mit
zug des Bundes aus der Finanzierung sozialer Lei- 36 Millionen DM gegenüber 10 Millionen DM des
stungen wird damit gestoppt, und in der Zukunft Vorjahres ausgewiesen, dienen zur Stärkung der
werden die Leistungen weiter angehoben. Wirtschaftskraft Berlins.
Für alle, die es interessiert, sei als Vergleich die Sechstens. Wenn auch bescheiden, so doch inter-
Entwicklung des Verteidigungsetats dargestellt: essant ist die Aufnahme eines deutsch-japanischen
1970 19,2, 1971 21, 1972 21,8 und 1973 22,1 Mil- Austauschprogramms für junge Facharbeiter. Dieses
liarden DM. Der Sozialhaushalt überholt also den Programm dient der Erweiterung der Kenntnisse
Verteidigungsetat, obwohl dieser steigt. Ohne also der Berufsausbildung. Es geht um die berufliche
die militärische Sicherheit zu vernachlässigen, wird Aus- und Fortbildung, Anpassung und Umschulung
hier ein klarer Akzent auf die soziale Sicherheit im Gastland. Der Bund trägt dafür die Flugkosten.
gesetzt. Die beteiligten Betriebe tragen die übrigen Kosten
für die deutschen Teilnehmer.
Meine Damen und Herren, im Entwurf von 1.970
sind einige wesentliche sozialpolitische Maßnah- Siebentens. Problematisch bleibt für das Ministe-
men, die in der Regierungserklärung vom 28. Okto- rium die Durchführung des zivilen Ersatzdienstes.
ber 1969 'angekündigt wurden, verwirklicht. Im Prinzip wird die sinnvolle Dienstleistung an-
1448 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970
Seidel
gestrebt. Obwohl das Gesetz fast 10 Jahre in Kraft einbuße hinnehmen müssen. Ihr Haus ist nicht in der
ist, haben wir das gesetzte Ziel noch nicht voll Lage, dies auszugleichen.
erreicht, zumal nicht alle Betroffenen herangezogen Sie sprechen von einer kontinuierlichen Fortset-
werden können. Im Jahre 1970 sollen es 6000, im zung der Sozialpolitik. Lieber Kollege Seidel, die
Jahre 1971 7000 Dienstleistende sein. Die Ausgaben Ansatzpunkte für diese kontinuierliche Fortsetzung
im Etat steigen sprunghaft von bisher 26 auf sind sicher unter Bundesarbeitsminister Katzer im
65 Millionen DM an. Es wäre angebracht, wenn die
,Arbeitsförderungsgesetz, und im Berufsbildungs-
zuständigen Ausschüsse im Rahmen der Haushalts- gesetz geschaffen worden. Dazu stehen auch wir.
beratung diesem Problem besondere Aufmerksam-
Wenn Sie aber darauf hinweisen, was nun durch die
keit schenkten, um durch neue Anregungen der
neue Regierung alles schöner und besser wird, darf
Exekutive diese Aufgabe zu erleichtern.
ich doch an die Worte des Bundesfinanzministers
Soweit, meine Damen und Herren, einige Punkte erinnern, der von der „fatalen Erblast" sprach. Ich
aus dem Sozialetat. Aus dem Abschnitt „Gesell- muß sagen: dank dieser „fatalen Erblast" können Sie
schafts- und Sozialpolitik" der Regierungserklärung davon zehren und dies und jenes heute weiterent-
vom 28. Oktober 1969 konnte man entnehmen, daß wickeln.
sich diese Bundesregierung gemäß dem grundgesetz-
(Abg. Mertes: Aber nicht von Ihrem Ver-
lichen Auftrag dem sozialen Rechtsstaat verpflichtet
dienst!)
fühlt. Für diesen Verfassungsauftrag wurde ein um-
fassendes Programm angekündigt. Nach den Haus- Lassen ,Sie mich auch noch ein Wort zur Frage der
haltsansätzen gibt es keinen Zweifel, daß dies Zug Kriegsopfer sagen; denn hier ist schon festgestellt
um Zug verwirklicht wird. Nach dem Vorliegen des worden, wir sollten Legendenbildungen in der
Berichts „Mitbestimmung im Unternehmen" darf Öffentlichkeit vermeiden. Verehrter Kollege Herms-
man annehmen, daß die Bundesregierung zur Be- dorf, in aller Freundschaft: was Sie über die „Ver-
triebsverfassung und zur Personalvertretung noch zögerungstaktik" im Bundesrat sagten, war ein bö-
1970 dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen ses Wort, das Ihnen hier aus dem Mund kam.
will. Der Gesetzentwurf zur Mitbestimmung müßte (Abg. Liehr: Wie würden Sie es denn be-
dann später folgen. Als ganz dringlich sei aber an- zeichnen?)
gemerkt, daß die angekündigte Sachverständigen-
kommission zur Weiterentwicklung der Kranken- — Ich will es Ihnen gern so interpretieren, wie es
versicherungsreform baldigst berufen werden sollte. der Wahrheit entspricht. Auf einen gemeinsamen
Beschluß dieses Hauses, der Großen Koalition, geht
Abschließend, meine Damen und Herren, sei fest- die Anhebung der Kriegsopferversorgung per 1. Ja-
gestellt, daß dieser Etat des Ministeriums für Arbeit nuar 1970 zurück. Es war selbstverständlich, daß
und Sozialordnung die Sicherung von wesentlichen diese neue Regierung danach zu handeln hatte. Die
sozialen Leistungen, die vom Gesetzgeber beschlos- CDU/CSU-Fraktion hat für sich in Anspruch ge-
sen wurden, garantiert, des weiteren, daß die An- nommen, eine stärkere Anhebung der Renten mit
sätze in der mittelfristigen Finanzplanung die stei- der entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung,
genden Ausgaben für soziale Verpflichtungen des wie wir sie in der letzten Zeit zu verzeichnen hat-
nächsten Jahres gewährleisten. In die Gestaltung ten, zu begründen.
des Etats 1970 wurden auch einige wichtige soziale -
Daß wir dann jede demokratische Chance, die sich
Aufgaben im Verein mit anderen Kostenträgern auf-
bietet, dazu nutzen, um unsere Forderungen durch-
genommen. Meine Damen und Herren, der erste
zusetzen, dürfen Sie doch nicht als eine Verzöge-
Etat des Bundesarbeitsministers Arendt ist geprägt
rungstaktik interpretieren. Das ist eine Verfälschung
von sozialer Verantwortung und der realistischen
der Tatsachen, verehrter Kollege Hermsdorf,
Einschätzung unserer finanziellen Möglichkeiten.
(Zuruf von der FDP)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
und eine bewußte Fehlinterpretation des gesetzge-
berischen Ablaufs. Ich meine, es ist unser Recht und
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der unsere Pflicht, alle demokratischen Möglichkeiten
Abgeordnete Baier. auszuschöpfen, wenn wir Besseres tun wollen. Wir
im Bundestag und die Länder im Bundesrat,
Baier (CDU/CSU) : Frau Präsident! Meine Damen (Abg. Mertes: Sehr gut, daß Sie das sagen!)
und Herren! Wenn ich an den letzten Satz meines
die sich an unsere Auffassung gehalten haben, nut-
verehrten Kollegen Seidel über den Start des neuen
zen die demokratischen Chancen im Interesse der
Bundesarbeitsministers anknüpfe, habe ich aber
Kriegsopfer.
einen mißglückten Start in Erinnerung, einen Fehl-
start, Herr Bundesarbeitsminister, mit dem Weih- Lassen Sie mich einen weiteren Punkt im Bereich
nachtsgeld für die Rentner, das Sie in die Diskus- der Gesellschaftspolitik ansprechen und etwas zur
sion gebracht haben. Familienpolitik sagen. Verehrter Herr Bundesfinanz-
(Beifall bei der CDU/CSU.) minister, angesichts . der dürftigen Mittel in Höhe
von 95 Millionen DM — das entspricht einer Verbes-
Darüber steht natürlich in Ihrem Bericht nichts, eben- serung des Familienlastenausgleichs um knapp
so wie nichts über die sehr schmerzlichen Währungs- 3,3 % — können diese großspurige Ankündigung
verluste vieler Bezieher ausländischer Renten gesagt und der polemische Hinweis auf familienpolitische
wurde, die nun auf ihrem Rücken eine Einkommens Versäumnisse der Großen Koalition, der auch Sie
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1449
Baier
von der SPD angehört haben, nicht unwidersprochen — Aber Herr Kollege Hermsdorf, was ich hier sage,
bleiben. entspricht den Tatsachen!
(Abg. Dorn: Aber diese Versäumnisse sind (Abg. Hermsdorf: Darf ich eine Zwischen-
doch unbestritten!) frage stellen?)
— Aber gerne!
— Verehrter Herr Dorn, Sie hören es gleich; nur
etwas Geduld.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zwischen-
(Erneuter Zuruf ides Abg. Dorn.) frage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf!

Auch wir haben bedauert — ich habe das hier am


26. November zum Ausdruck gebracht —, daß es seit Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Ich bitte um Ent-
schuldigung, wenn das nicht ganz eine Zwischen-
1964 keine Anhebung des Kindergeldes mehr ge-
frage werden sollte, aber ich versuche, es als Frage
geben hat. Aber, verehrter Herr Dorn, jetzt ver-
zu formulieren. Herr Baier, war der Tatbestand nicht
gessen Sie mit Ihrem Koalitionspartner auf der Lin-
folgender, daß ursprünglich 40 DM gezahlt wurden,
ken bitte nich, daß Sie beide es waren, die das
daß dann durch das Haushaltssicherungsgesetz
unter Minister Heck eingeführte Gesetz über die
10 DM zurückgenommen wurden und daß in der
Ausbildungszulage, welches jedem Kind zum Besuch
Großen Koalition auch das dann gestrichen worden
einer fortführenden Schule 40 DM pro Monat ge-
ist, um einen besseren Familienlastenausgleich zu-
währte — angesicht der höheren Lasten konnte
stande zu bringen?
diese Leistung als ein verstärktes Kindergeld ange-
sehen werden; es handelte sich um eine Größenord- (Zuruf von der CDU/CSU: Gegen unsere
nung von 400 Millionen DM pro Jahr —, verhindert Stimmen! — Zuruf von der FDP: So war's!
haben, daß Ganz genau!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)
Baier (CDU/CSU) : Nein, das entspricht nicht den
diese wertvolle Hilfe für die Familien in der letzten Tatsachen, verehrten Herr Kollege Hermsdorf. Es
Legislaturperiode unter dem Druck der SPD- und der ist mein Kollege Stingl gewesen, der hier damals da-
FDP-Fraktion gestrichen worden ist. für eingetreten ist, daß wir diese Position im Fami-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase lienlastenausgleich erhalten. Wir können uns über
Form und Methode unterhalten, darüber, wie die
[Kassel] : Als Pennälergehalt haben sie es
Mittel gegeben werden. Aber hier ging es darum,
diffamiert!)
daß wir uns gegen eine ersatzlose Streichung ge-
Weil wir das wegen der Situation der Familien wehrt haben,
angesichts steigender Löhne und angesichts der Er- (Abg. Haase [Kassel] : Im Haushaltsausschuß !
höhung der Lebenshaltungskosten nicht für vertret- Jawohl!)
bar hielten, hat die CDU/CSU mit dem Entschlie-
wie sie von Ihnen und noch viel hektischer von der -
ßungsantrag im März des letzten Jahres die Initiative
FDP vertreten wurde.
ergriffen und mit der SPD jenen Antrag eingebracht,
dem auch die FDP dann zustimmte und in dem es (Beifall bei der CDU/CSU.)
heißt, daß wir unabhängig von einer umfassenden
Reform des Familienlastenausgleichs eine alsbaldige
Anpassung der Leistungen für kinderreiche Familien
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeord-
an die wirtschaftliche Entwicklung bereits im Jahre
neten Eilers?
1970 haben wollen. Dies war der Auftrag dieses
Hauses an die Bundesregierung, und im Rahmen der
Vorbereitungen in der Regierung Kiesinger wurden Baier (CDU/CSU) : Bitte!
auch die finanziellen Mittel vorgesehen. Und wir
haben heute vormittag vom früheren Bundesfinanz-
minister Strauß gehört, daß in der internen Fort- Frau Eilers (SPD) : Herr Kollege, ich habe zwei
schreibung ein Betrag von 400 Millionen DM dafür Fragen. Stimmt es, daß die ersten 10 DM von den
in Aussicht genommen war. 40 DM des „Gießkannengesetzes", wie es damals,
1965, genannt wurde, schon im November 1965 im
Wir haben dann die Regierungserklärung der Haushaltssicherungsgesetz unter der Regierung Er-
neuen Regierung am 28. Oktober gehört. Die Frage hard fielen?
der Familienpolitik wurde nur gestreift — unver-
bindlich und allgemein wie vieles andere, meine
Damen und Herren. Das war eine Enttäuschung, und Baier (CDU/CSU) : Ja.
nicht von ungefähr haben die Familienverbände
nachher die Formel geprägt und die Frage gestellt, Frau Eilers (SPD) : Stimmt es weiterhin, daß die
ob die Familien ein Brandt-Opfer sein sollten. restlichen 30 DM in der mittelfristigen Finanz-
planung durch die Große Koalition
(Abg. Hermsdorf: Alles, was Sie zu die
ser Frage sagen, ist falsch! — Zuruf des (Zuruf von der CDU/CSU: Gegen unsere
Abg. Dorn.) Stimmen im Haushaltsausschuß!)
1450 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Frau Eilers
im Hinblick darauf, daß wir ein größeres, umfas- weis in der Regierungserklärung, keine Regierungs-
sendes Ausbildungsförderungsgesetz machen wol- initiative und im Haushalt 1970 einen Verbesse-
len, von CDU/CSU und SPD gestrichen wurden? rungsvorschlag um 3,3 %. Dies ist angesichts des
(Abg. Dorn: Sehr wahr!) einstimmigen Willens dieses Hauses im März 1969,
der Tatsache der Preisentwicklung, die. besonders
Herr Kollege, das können Sie nicht bestreiten, denn die Familien mit Kindern trifft, und der von der
das ist aktenkundig! Regierung unterstellten Einkommenssteigerung in
(Sehr wahr! bei der FDP.) den nächsten Jahren der Hinweis dafür, daß die
neue Regierung der Familienpolitik keine beson-
Baier (CDU/CSU) : Verehrte Frau Kollegin, gegen dere Priorität einräumen will.
die Stimmen der CDU/CSU im Haushaltsausschuß (Zuruf von der CDU/CSU: Leider!)
und im Plenum des Deutschen Bundestages ist dies
Für uns in der CDU/CSU ist nach wie vor vor-
geschehen.
rangig: erstens die Anhebung des Kindergeldes für
(Beifall bei der CDU/CSU.)
das dritte und weitere Kinder, zweitens der Weg-
fall der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- und die Anhebung des Zweitkindergeldes. Wir hof-
statten Sie eine weitere Frage der Abgeordneten fen, im Parlament eine Mehrheit dafür zu finden,
Frau Eilers? wenn der Entschließungsantrag noch gilt, dem auch
Sie von der FDP zugestimmt haben. Oder Sie ziehen
Baier (CDU/CSU) : Ja, wenn Sie mir die Zeit nicht sich vielleicht zurück auf die Formel des Herrn
anrechnen. Bundeskanzlers kürzlich bei der Debatte über die
Lage der Nation, wo er sagte, inzwischen seien ja
Vizepräsident Frau Funcke: Ja, die wird ab- Wahlen gewesen. Das heißt: es ist unverbindlich,
gezogen. — Bitte, Frau Eilers! was man vorher hier im Hause beschlossen hat.
(Abg. Wehner: Das ist aber eine sehr will
Frau Eilers (SPD) : Herr Kollege, ich bin nicht kürliche Ausdeutung, die Sie da geben!
Mitglied des Haushaltsausschussus gewesen und Wer hat die Mehrheitsverhältnisse ge
kann darüber nichts sagen. Aber würden Sie mir ändert?)
zugeben, daß in diesem Hause im Plenum diese
Ich habe die Frage gestellt auf Grund dieses Hin-
Entscheidung über die 30 Mark in der mittelfristi-
weises des Bundeskanzlers kürzlich, und ich hoffe
gen Finanzplanung — ich weiß jetzt im Augenblick
nicht, daß es der Fall ist, sondern daß Sie mit dazu
) nicht zu sagen, ob die FDP dem zugestimmt hat —
stehen. Denn, Herr Kollege Wehner, ich hoffe mit
Ihnen einig zu sein, daß unabhängig von parteipoli-
Baier (CDU/CSU) : Die war immer dagegen, tischen Auseinandersetzungen wir für die Familien
wenn's um Familienpolitik ging! und den Familienlastenausgleich hier eine befrie-
digende Regelung finden sollten. Denn das, was die
Frau Eilers (SPD): — jedenfalls mit den Stim- Regierung im Haushalt 1970 geboten hat, kann
men der SPD und der CDU/CSU getroffen worden keinen Anspruch auf Lob erheben; es verdient die-
ist — mit einigen wenigen Ausnahmen, zu denen Note „Ungenügend".
z. B. Herr Wuermeling zählte? (Beifall bei der CDU/CSU.)

Baier (CDU/CSU) : Nein, das entspricht nicht den Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
Tatsachen. — Lassen Sie mich zum Thema zurück- Frau Bundesminister Strobel.
kehren.
In der Regierungserklärung der neuen Regierung: Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
unverbindliche allgemeine Hinweise auf die Fami- milie und Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr
lienpolitik. Dann erfolgten von dieser Regierung geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem
ausgabewirksame Gesetzentwürfe, Anträge auf Teil Stellung nehmen, zu dem Herr Baier eben im
Steuersenkung in der Höhe einer Milliarde Mark und Zusammenhang mit der Familienpolitik generell
wiederum nichts zur Existenzsicherung für die Fa- und dem Familienlastenausgleich im besonderen
milien. Das war der Anlaß, weshalb meine Fraktion gesprochen hat.
dann den Antrag einbrachte, in der ersten Stufe
Zunächst einmal, Herr Baier, meine ich, es kommt
eine Erhöhung des Kindergeldes ab drittem Kind
in erster Linie darauf an, daß die gesamte Politik
um 10 DM vorzunehmen, eine Anpassung in An-
der Bundesregierung die Familie als Orientierungs-
lehnung an den § 56 .des Bundesversorgungsgeset-
punkt für unsere Sozial- und Gesellschaftspolitik
zes, und gleichzeitig war damit der Hinweis ver-
nimmt. Insofern sagen Sie eben Halbwahrheiten,
bunden, daß in der Fortführung des Familienlasten-
wenn Sie lediglich im Zusammenhang mit dem Fa-
ausgleichs eine zweite und dritte Stufe zu folgen
milienlastenausgleich über Familienpolitik sprechen.
hat.
Die gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik, wie sie
Hier erhebt sich die Frage: was bietet diese gestern, vorgestern und heute hier dargestellt
Regierung für den von allen Fraktionen damals als wurde, dient im Endeffekt der Familie. In diesem
dringend erforderlich bezeichneten verbesserten Zusammenhang muß man es auch sehen. Das will
Familienlastenausgleich? Den unverbindlichen Hin- ich lediglich vorausschicken.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1451

Baier (CDU/CSU) : Frau Bundesminister, darf ich tig in dieser Legislaturperiode eine Vorlage über
Sie nach Ihrem Hinweis darauf, daß Familienpolitik eine Familienlastenausgleichsreform einbringen
in allen Bereichen praktiziert werden solle, fragen, können.
ob Ihnen entgangen ist, was in der Regierungsvor- Nun aber ein Wort zum Kindergeld überhaupt.
lage zur Besoldungsanpassung ab 1. Januar 1970 Ihre Rechnung mit den 3,3 % stimmt einfach nicht.
vermerkt ist? Sind Ihnen die Stimmen in der Öffent- Herr Baier, Sie können lesen und schreiben.
lichkeit entgangen, die feststellten: je mehr Kinder,
desto weniger Erhöhung; familienpolitische Demon- (Abg. Baier: Auch rechnen!)
tage im öffentlichen Dienst, weil die Erhöhung der Im Haushalt steht: ab 1. Oktober 1970. Das heißt, die
Gehälter auf Grund des Besoldungsgesetzes um so 95 Millionen DM beziehen sich auf ein Vierteljahr.
geringer ist, je größer die Familie ist? Im Haushalt 1971 beträgt die Erhöhung 390 Mil-
lionen DM. Das sind nicht 3,3 %, sondern, auf das
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- Jahr bezogen, genau 14% Erhöhung, wenn man von
milie und Gesundheit: Herr Baier, im Grunde ge- der jetzt gezahlten Globalsumme ausgeht. So muß
nommen standen alle diese Probleme auch in der man rechnen, wenn man nicht, wie Sie es natürlich
Regierung der Großen Koalition zur Debatte, näm- getan haben,
lich ob es im Rahmen der Besoldungserhöhungen (Abg. Baier: Man kann so und so rechnen!)
möglich ist, auch für die Kinder mehr zu tun. Wenn polemisch eine Zahl zurechtrücken will,
Sie sich einmal bei Ihrem Kollegen Benda danach
erkundigen, (Abg. Baier: Nein, nein!)
(Abg. Baier: Weihnachtsgeld!) die nach außen hin schlecht aussieht.
wie die Verhandlungen mit den Tarifpartnern ver (Abg. Baier: Ich sagte: eine Steigerung um
laufen sind, werden Sie einsehen, daß die Bundes 3,3 % für das ganze Jahr!)
regierung nicht in der Lage ist, einseitig zu handeln.
Herr Baier, Sie haben auch nicht ganz recht, wenn
(Abg. Baien Hier haben wir keine Tarifpartner! Sie immer wieder darauf hinweisen, daß der Bundes-
Das ist ein Gesetz!) tag einstimmig beschlossen habe, das Kindergeld
Außerdem ist der öffentliche Dienst immerhin der Anfang 1970 zu erhöhen.
einzige Zweig, bei dem generell Kindergeld für (Abg. Baier: Nein, im Laufe des Jahres!)
jedes Kind vom ersten Kind an gezahlt wird. In der Entschließung heißt es: „schon im Laufe des
(Abg. Leicht: Aber aus einem anderen Jahres 1970."
Grunde! — Abg. Baier: Das ist doch nicht (Abg. Baier: So habe ich es gesagt!)
vergleichbar!)
Eine Regierung, die eine mittelfristige Finanzvor-
— Aber natürlich! Insofern wären gerade wir froh, schau und Finanzplanung übernimmt, in die erst ab
wenn auch in anderen Wirtschaftszweigen für alle 1972
Kinder, unabhängig davon, wo ihre Väter und Müt- (Abg. Baier: Nein!)
ter beschäftigt sind, generell ein gleich hohes Kin-
dergeld gezahlt werden könnte. — aber natürlich! —, und dann auch erst im zweiten -
Halbjahr, 200 Millionen DM für die Erhöhung des
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch Kindergeldes eingesetzt worden sind, hat, wenn sie
noch folgendes sagen. Wir sprechen alle immer wie- diesen Betrag schon ab 1971 verdoppelt und ab 1970
der von der Reform des Familienlastenausgleichs, im Oktober das erste Vierteljahr vorwegnimmt,
die dringend notwendig ist. Ich erinnere mich an die eine große Anstrengung im Rahmen ihrer Möglich-
ersten Debatten überhaupt, die wir im Bundestag keiten gemacht, um wenigstens in der Übergangs-
über die Kindergeldgesetzgebung geführt haben. zeit zu einer vertretbaren Erhöhung zu kommen.
Wenn Sie damals den sozialdemokratischen Vor-
schlägen gefolgt wären, wäre heute die Reform des
Vizepräsident Frau Funcke: Frau Bundesmini-
Familienlastenausgleichs nicht mehr nötig; denn wir
ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
sind damals für ein einheitliches Kindergeld ab Abgeordneten Baier?
erstem Kind eingetreten, was Sie aber nicht akzep-
tiert haben. Sie standen damals einer wirklich ge-
rechten Regelung des Kindergeldes im Wege. Heute Baier (CDU/CSU) : Frau Minister, Sie konnten
sind Sie Gott sei Dank — ich hoffe wenigstens, das heute sicherlich nicht den ganzen Tag anweisend
vielen Äußerungen in der Öffentlichkeit entnehmen sein, aber darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu neh-
zu können — endlich auf dem Weg zu einer besseren men, daß hier ausgeführt wurde, daß die offizielle
Lösung über die Reform des Familienlastenaus- Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung in
gleichs. Ich hoffe, daß wir dafür eine breite Zustim- den letzten Monaten der Regierung Kiesinger über-
mung finden werden. Ich muß aber immer wieder haupt nicht mehr möglich war und daß eine interne
darauf aufmerksam machen, daß eine solche Lösung Fortschreibung im Haus des Finanzministers er-
— das wissen Sie auch — erst im Zusammenhang folgte, wo auf diese Entschließung .des Bundestages
mit der Steuerreform möglich ist. Solange müssen hingewiesen wurde und dem mit 400 Millionen DM
wir leider warten. Da der Finanzminister die Steuer- Rechnung getragen wurde?
reform gerade auf dem Gebiet der Einkommen- und
Körperschaftsteuer wesentlich vorantreiben will, Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
habe ich die große Hoffnung, daß wir noch rechtzei milie und Gesundheit: Herr Bader, das ist behaup-
1452 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Frau Strobel


tet worden, das ist nicht nachgewiesen. Darf ich Schmidt (Kempten) (FDP) : Frau Präsident! Meine
dazu aber darauf aufmerksam machen, daß in Ihren sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundes-
eigenen Forderungen im Bundestagswahlkampf minister Strobel hat schon eine ganze Reihe von
noch am 20: August 1969 von Ihnen veröffentlicht Korrekturen an Ihren Aussagen, Herr Baier, an-
wurde: Dementsprechend wird vorgeschlagen, das gebracht. Ich darf dazu noch einige Bemerkungen
Kindergeld ab 1. Juli 1970 mit dem Inkrafttreten anfügen. Ich darf Sie zunächst einmal bitten, im
des Ausbildungsförderungsgesetzes zu erhöhen. Das Protokoll der 142. Sitzung des Deutschen Bundes-
war Ihre eigene Aussage, und insofern kann ich tags, 5. Wahlperiode, nachzulesen, was Frau Pitz-
mich natürlich auch darauf beziehen. Hier gibt es Savelsberg für die Fraktion der CDU/CSU gesagt
gewisse Widersprüche zwischen dem, was Sie sa- hat, als sie, wenn auch bedauernd, die Zustimmung
gen, und dem, was hier schwarz auf weiß steht. der CDU/CSU zum Wegfall des damaligen 400-Mil-
Nun zu dem anderen Problem: Beseitigung des lionen-DM-Gesetzes ausgesprochen hat. Bitte lesen
Sie es auf Seite 7321 dieses Protokolls nach. Damit
sogenannten „Pennälergehalts" und Ersatz dafür.
Sie wissen genau wie wir alle, daß das Ausbil- ist doch schon deutlich geworden — wie auch jetzt
dungsförderungsgesetz der Ersatz dafür ist und daß wieder in den Worten von Frau Bundesminister
wir mit dem Ausbildungsförderungsgesetz zu einer Strobel —, daß es eben diese Bundesregierung war
gezielten Ausbildungsförderung gekommen sind und daß es eben die Fraktionen waren, die diese
Bundesregierung tragen, die in einer Regierungs-
(Beifall bei den Regierungsparteien) erklärung — wie Sie sagten — wenig, aber etwas
und daß e s, beginnend ab 1. Juli 1971, für die Zeit zur Familie gesagt haben, während es Herr Bundes-
ab 1972 dieselben Beträge ausmacht. Darf ich dar kanzler Kiesinger überhaupt nicht für nötig befun-
aufmerkschn,dßimtelfrsgn den hatte, die Familie in seiner Regierungserklärung
Finanzplanung für die Ausbildungsförderung 1971 anzusprechen.
422, 1972 571, 1973 822,6 Millionen DM vorgesehen (Sehr wahr! bei der FDP.)
sind. Das ist doch ein Schritt in dieser Richtung und
das ist doch die Ablösung des Gießkannenprinzips, Vielleicht denken Sie darüber einmal nach, oder
das in der damaligen Förderung herrschte. vielleicht lesen Sie einmal nach, was Ihr damaliger
Kollege Wuermeling zu den familienpolitischen Vor-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) stellungen der damals von Ihrem Bundeskanzler
Außerdem noch folgender Hinweis. Sie haben geführten Bundesregierung gesagt hat. Oder ist
kritisiert, daß diese Bundesregierung Steuersenkun- Ihnen das alles entfallen?
gen angekündigt hat. Nun rechnen Sie bitte einmal (Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie mal
nach — lassen Sie sich die Zahlen vom Finanzmini- vor!)
steriumgeben —, wie viele Familien auch von der
Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags profi Lassen Sie mich ein zweites sagen, Herr Kollege
gieren werden. Baier. Sie haben im Zusammenhang mit dem Pro-
(Abg. Baier: Und die Ergänzungsabgabe?) blem der Ausbildungszulage oder, wie man damals
sagte, des Schülergehalts und seiner Abschaffung in
Das ist eine ziemlich große Anzahl. Es trifft genau Richtung auf die Freien Demokraten ein sehr böses
die Familien, die bisher von der Erhöhung des Kin- Wort gesagt. Es klang so, als ob wir Freien Demo--
dergeldes am wenigsten hatten und es eigentlich kraten bisher am wenigsten für die Familienpolitik
am meisten nötig hatten, nämlich die Zwei-Kinder- gesagt und getan hätten.
Familien mit den niedrigen Einkommen.
(Abg. Baier: Das ist leider eine Erfahrung!)
(Abg. Bader: Sprechen wir von der Ergän-
zungsabgabe, dann schaut es anders aus!) Ich will Ihnen dazu eines sagen. Wir haben uns —
das sage ich ganz offen — für dieses 40-DM-Gesetz
In dem von Ihnen vorgelegten Gesetz ist für sie nie besonders stark gemacht. Meine Damen und
überhaupt keine Erhöhung des Kindergeldes vorge- Herren, was 'bedeuten denn 40 DM dort, wo für die
sehen. Dies scheint mir auch nicht gerade der Aus- weitere Ausbildung bzw. Fortbildung viel mehr not-
druck besonderer sozialer Gerechtigkeit zu sein. wendig ist, und was bedeuten 40 DM dort, wo sie
(Abg. Baier: Wie ist es mit der Ergän nicht notwendig sind? Die FDP hat ja deshalb als
zungsabgabe?) erste Partei — sehr bald folgte dann die sozial-
Ich wollte auf diese Dinge im Zusammenhang mit demokratische Fraktion — .ein Ausbildungsförde-
diesem Teil Ihres Beitrags zu dieser Auseinander- rungsgesetz vorgelegt, das eine wirkliche echte Aus-
setzung aufmerksam gemacht haben. Ich betone bildungsförderung — nicht nach dem Gießkannen-
noch einmal, daß sich Familienpolitik nicht im Fami- prinzip, wie Sie es wollten — vorsah. Deshalb
lienlastenausgleich erschöpfen kann; die gesamte haben wir damals gesagt: Dieses 40-DM-Gesetz soll
Politik der Bundesregierung muß der Familie die- wegfallen! Wir sind statt dessen für ein Aus-
nen, insbesondere auch die Politik, die auf Stabili- bildungsförderungsgesetz eingetreten, das einen
tät und Wachstum in der Wirtschaft ausgerichtet ist, Schwerpunkt in der Familienpolitik darstellt und
denavoprfit Fmlenaist. vom finanziellen Sektor her eine echte Förderung
der Schul- und Berufsausbildung vorsieht. Vielleicht
(Beifall bei den Regierungsparteien.) erinnern Sie sich einmal daran, wie Ihr Fraktions-
vorsitzender seinerzeit bemüht war, sowohl uns
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der als auch der SPD die Vorlage eines solchen Aus-
Abgeordnete Schmidt (Kempten). bildungsförderungsgesetzes auszureden. Er war
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1453
Schmidt (Kempten)
sogar bemüht, ein Zurückziehen dieser Entwürfe bei daß das der einzige, allerdings — Sie haben es
den beiden anderen Fraktionen dieses Hauses zu gesehen — untaugliche, Versuch gewesen ist, etwas,
erreichen. Sie werden das feststellen, wenn Sie ein- was Sie hier nicht erreicht haben, auf Bundesrats-
mal in den Protokollen nachlesen. ebene vielleicht noch zu erreichen.
{Abg. Baier: Aber Sie wissen doch, daß wir Das einzige, was Sie damit erreicht haben, ist die
vor zwei Jahren noch gar keine Kompeten Tatsache, daß die Kriegsopferrenten um Monate
zen hatten, um ein Ausbildungsförderungs später ausgezahlt werden können. Nur in Bayern
gesetz in der heutigen Form zu ver können die Renten noch verhältnismäßig zeitig aus-
abschieden!) gezahlt werden. Ich erwähne das, damit die CSU
nicht sagt, in Bayern gehe es schneller. Dort werden
— Herr Kollege Baier, Sie wissen aber auch, daß es die Dinge zufälligerweise über Computer gemacht.
gerade meine Fraktion war, die in allen diesen Fra- In den anderen Teilen der Bundesrepublik liegt der
gen immer um mehr Kompetenzen gerungen hat und Zeitpunkt der Auszahlung Monate später. Das wäre
entsprechende Anträge gestellt hat. alles nicht notwendig gewesen, wenn das, was Sie
(Abg. Baier: Erst die Kompetenzen und heute behauptet haben, stimmte, wenn die Mittel
dann das Gesetz!) eingesetzt worden wären, wenn Sie nicht zusätz-
Wer hat denn die Mehrheiten für solche Änderun- lich noch auf die Bremse des Bundesrates getreten
gen meistens blockiert, wenn wir die bildungspoli- hätten und wir einen gemeinsamen Weg hätten
tischen Möglichkeiten im Rahmen des Grundgesetzes gehen können.
verstärken wollten? War das vielleicht die FDP- Die von Ihnen vielleicht als sozialpolitische Runde
Fraktion? War das vielleicht die SPD-Fraktion? War gedachten Ausführungen waren nur eine Bestäti-
es nicht vielmehr die CDU/CSU-Fraktion, die lange gung dafür — ich will nicht noch einmal aufzählen,
Zeit als Bremser gewirkt hat? was der Kollege Seidel auf Grund der Haushalts-
entwicklung bereits deutlich gemacht hat —, daß es
Herr Kollege Baier, noch einige wenige Worte zu in dem sozialpolitischen Etat, der Ihnen heute vor-
den von Ihnen auch wieder aufgeworfenen Fragen liegt, keine echten Angriffspunkte gibt, daß es keine
der Kriegsopferversorgung. Ich hatte es für klüger echten Angriffschancen gibt sondern daß man Dinge
gehalten, wenn dieses Thema von Ihnen hier nicht hervorholen muß, die sich dann bei Nachkontrolle
noch einmal angesprochen worden wäre, weil ich als Rohrkrepierer herausstelle n. Das tut man offen-
mich an eine noch gar nicht allzu lange zurücklie- bar immer in der Hoffnung, daß nach dem Motto,
gende Debatte erinnern kann, in der von Ihrer daß, was ich gestern gesagt habe, morgen keiner
Seite — nicht von Ihnen, aber von seiten Ihrer mehr weiß, die Öffentlichkeit vielleicht glaubt, Sie
Fraktion — auch große Töne gesprochen worden hätten es damals besser gewollt.
sind und in der wir dann nachweisen mußten — ich
habe das mehrmals tun müssen, damit es deutlicher (Beifall bei den Regierungsparteien).
wurde —, daß von der CDU/CSU im vergangenen Wenn Sie es gewollt haben, dann zeigen Sie mir
Jahr zwar sehr viel im Hinblick darauf gesagt wurde, die Zahlen in den Fortschreibungen der vergangenen
was am 1. Januar 1970 geschehen sollte, daß aber -
Jahre unter Ihrem Bundeskanzler und unter Ihrem
die Mittel, die eingesetzt wurden bzw. beantragt Finanzminister, die dem entsprechen.
wurden, in keiner Weise ausreichend waren. Wissen
Sie nicht mehr, daß Herr Katzer eine Anhebung von (Abg. Baier: Teil der mittelfristigen Finanz-
12 % beantragte und daß Herr Strauß sie auf 10 % politik!)
heruntsic?HabSdlesnichtmgör — Wir sprechen von den letzten Jahren, als diese
in diesem Hause? Haben Sie nicht mit gehört, wie Leistungen, die wir jetzt erbringen, von Ihnen hätten
Herr Kollege Schellenberg diese Zahlen verlesen erbracht werden können. Sie hätten die Mittel ein-
hat? Von Ihnen wurde lediglich geredet, aber die setzen können. Das ist nicht geschehen, sie standen
notwendigen Mittel wurden nicht zur Verfügung nicht im Haushalt. Man kann nicht über Familie,
gestellt. Die jetzige Bundesregierung erst mußte Familienlastenausgleich, Familienpolitik bloß eine
es fertigbringen, die Mittel für die von uns seit Schau abziehen und dann nicht gleichzeitig die Mit-
langem geforderte Anhebung der Kriegsopferrenten tel einsetzen. Man kann den Kriegsopfern nicht im-
zum 1. Januar 1970 zur Verfügung zu stellen. mer bloß Versprechungen machen und dann zuwenig
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Mittel dafür einsetzen und hinterher behaupten, das
habe man ja alles gewollt.
Sie wollen uns doch nicht erzählen, daß der Ver- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
such über den Bundesrat eine ätherisch reine und
saubere Sache für die Kriegsopfer war. Das war doch
reine Schau. Ich freue mich nur, daß sich inzwischen Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
eine Reihe von Bundesratsmitgliedern — auch aus Abgeordnete Professor Schellenberg.
Ihrer Partei — kürzlich in einem Fernsehinterview
davon distanziert haben, den Bundesrat wieder zum Dr. Schellenberg (SPD) : Frau Präsidentin!
Schauplatz politischer Auseinandersetzungen, die 'in Meine Damen und Herren! Herr Kollege Baier, die
dieses Haus gehören, zu machen und ihn so seiner Tatsache, daß Sie es für ratsam gehalten haben, die
Aufgabe,diKomptnzuIersdLän- — ich kann nicht anders sagen — Tragikomödie der
der zu vertreten, zu entkleiden. Man kann nur froh damaligen Ausbildungszulage oder, wie der Volks-
sein, daß das inzwischen geschehen ist. Ich hoffe, mund sagt, das Pennälergehalt hier zum Gegenstand
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Dr. Schellenberg
der Diskussion zu machen, zwingt mich, Ihnen die Kollege Baier, diese Auffassung, wie ich annehme,
Fakten zu nennen: 1. eingeführt durch Gesetz vom heute noch vertritt, dann müssen Sie auch die Mittel,
5. April 1965 40 DM pro berechtigtes Kind; 2. Be- die jetzt zusätzlich für die Ausbildungsförderung
trag herabgesetzt am 1. Juni 1966, als Sie die füh- gewährt werden sollen, in den Gesamtzusammen-
rende Regierungspartei waren, von 40 auf 30 DM, hang des Familienlastenausgleichs stellen.
bei Beginn der Rezession; 3. wurde dann durch das (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Finanzplanungsgesetz, angenommen von den Par-
teien der Großen Koalition, mit Wirkung vom 1. Ich will Ihnen die Zahlen aus der mittelfristigen
Januar 1967 der Personenkreis der Berechtigten Finanzplanung vorlesen. Für 1969 sind an Kinder-
halbiert; 4. wurden durch das Haushaltsgesetz 1967, geld plus Ausbildungsförderung '2,88 Milliarden DM
dem die CDU/CSU doch sicher zugestimmt hat, alle eingesetzt, für 1973 4,59 Milliarden DM. Das ist
Zahlungen für Ausbildungszulagen für die Zeit vom innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung eine
1. Juli 1967 bis 31. Dezember 1967 ausgesetzt, und Steigerung um 58 %. Und da stellen Sie sich hier
5. schließlich formell wurde die Ausbildungszulage hin und operieren mit 3,3%! Das ist einfach unfair!
aufgehoben durch das Finanzänderungsgesetz, dem (Beifall bei den Regierungsparteien. —
die beiden damaligen Regierungsparteien zuge- Zuruf von der SPD: Immer wieder die
stimmt haben. Das ist die traurige Geschichte der alten Ladenhüter! — Zuruf von der CDU/
Ausbildungszulage, ein Beispiel für eine fehlerhafte CSU: Das ist die Wahrheit!)
Konzeption, die nach dem Gießkannenprinzip ge- Herr Kollege Baier, Sie sollten auf Grund dieser
staltet wurde. Fakten, die Sie nachlesen können, zugeben,
Es gab dann ein hartes Ringen — Herr Kollege (Zuruf des Abg. Baier)
Schmidt (Kempten) hat es bereits angedeutet— um
eine echte gezielte Ausbildungsförderung. Ich will daß die Familienpolitik in ihrer Gesamtheit, die in
hier nicht alle Details aus den Beratungen der da- einer Zeit, in der die CDU den Familienminister
maligen Koalition vortragen. Aber es ist ja der da- stellte, gröblich vernachlässigt wurde, jetzt auch
maligen Opposition nicht unbekannt geblieben, daß finanzpolitisch aktiviert wird, auch im Hinblick auf
es die CDU/CSU war, ihr damaliger Bundesfamilien- die Teilleistung Kindergeld.
minister, ihr damaliger Finanzminister, die mit so Sie haben die Frage an uns gerichtet, ob wir zum
erheblichen zahlenmäßigen Größenordnungen be- Entschließungsantrag betreffend Neuordnung des
züglich der Ausbildungsförderung operierten, die Familienlastenausgleichs stehen.
bezwecken mußten, die gezielte Ausbildungsförde-
— Wir stehen nicht nur zu dem Entschließungsan-
rung überhaupt unmöglich zu machen.
trag, sondern die von uns getragene Bundesregie-
Herr Kollege Baier, ich werde nachher zur Bestä- rung führt den Entschließungsantrag durch.
tigung dieser Behauptung ein Schreiben von Herrn (Widerspruch bei der CDU/CSU.)
Barzel persönlich zeigen, das er seinerzeit an unse-
ren Fraktionsvorsitzenden gerichtet hat. — Jawohl!

Wir sind froh, daß es damals, in der letzten Legis- (Abg. Baier: Unvollkommen!)
laturperiode, allen drei Parteien noch gelungen ist, In diesem Entschließungsantrag heißt es sinngemäß:-
ein Ausbildungsförderungsgesetz, eine gezielte (indi- . . . unabhängig von der Gesamtkonzeption Kinder-
viduelle Ausbildungsförderung zum Gesetz werden geld und Steuererleichterungen für die Familie zu
zu lassen. Herr Kollege Baier, es wäre doch ein einer einheitlichen, umfassenden Reform des Fami-
Gebot der Fairneß gewesen, anzuerkennen, daß lienlastenausgleichs zu koordinieren
diese Regelung, der Sie selbst zugestimmt haben,
(Abg. Leicht: Ab 1. 1. 1970!)
einen enormen Fortschritt gegenüber dem Pennäler-
gehalt bedeutete. und sicherzustellen, daß im Rahmen der Fortschrei-
bung der mittelfristigen Finanzplanung eine Ver-
Wenn Sie, meine Damen und Heren, in die mit- besserung des Kindergeldes schon im Laufe des
telfristige Finanzplanung hineinschauen, die heute Jahres 1970 wirksam werden kann. — Das ist der
Gegenstand der Beratungen ist, und die Ausbil- damalige Entschließungsantrag, und den führt die
dungsförderung insgesamt betrachten, so zeigt sich, Bundesregierung mit dem vorgelegten Haushalts-
daß die Mittel von 119 Millionen DM im Jahre 1969 plan und der mittelfristigen Finanzplanung durch,
— da ist die Studentenförderung dabei — auf 989
Millionen DM im Jahre 1973 erhöht werden. Das (Abg. Dr. Althammer: Im Dezember!)
ist eine gewaltige Steigerung der Mittel für Aus- und zwar in einer Größenordnung, die die letzte
bildungsförderung, und es ist deshalb einfach falsch mittelfristige Finanzplanung wesentlich übersteigt.
Für das Jahr 1972 waren damals beispielsweise
(Abg. Baier: Da haben Sie alles zusammen 200 Millionen DM eingesetzt; jetzt sind es jährlich
gerechnet; das ist nicht nur Kindergeld!) 400 Millionen DM. Die Regierungsvorlage sieht
nicht nur einen früheren Beginn, sondern auch eine
— Ich komme gleich zum Kindergeld. Bisher hat die
Steigerung des Volumens für Kindergeld gegenüber
CDU/CSU, beispielsweise in der gesamten letzten
der letzten mittelfristigen Finanzplanung vor.
Legislaturperiode, die Ausbildungsförderung zum
Familienlastenausgleich gerechnet. Für Sie war und Oder nehmen Sie den Gesamtansatz für Kinder-
ist Ausbildungsförderung stets ein Teil des Fami- geld in der mittelfristigen Finanzplanung für den
lienlastenausgleichs. Wenn die CDU/CSU, Herr Vierjahreszeitraum! Er erhöht sich von 12,2 Milliar-
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Dr. Schellenberg
den DM in der letzten mittelfristigen Finanzplanung 25,1 Milliarden DM im Jahre i1969 auf 35,4 Mil-
auf 13,4 Milliarden DM in der jetzigen mittelfristi- liarden DM im Jahre 1973 erhöhen. Das ist eine
gen Finanzplanung. Das ist eine Erhöhung um Steigerung um über 40 %. Meine Damen und Her-
1,2 Miliarden DM. Das Volumen von Kindergeld ren von der CDU/CSU, daß Sie bei einer Diskus-
plus Ausbildungsförderung erhöhte sich von 13,3 sion über den Sozialhaushalt diesen Tatbestand mit
Milliarden DM auf 15,4 Milliarden DM. Diese Er- keinem Worte würdigen, sondern nur Kritik um der
höhung um 2,1 Milliarden DM bei einer einzigen Kritik willen üben, das ist ein schlechter politischer
Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung ist Stil.
eine familienpolitische Leistung, die sich sehen las- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmitt
sen kann. Vockenhausen.)
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Der Haushalt und die mittelfristige Finanzplanung
Abg. Baier: Die Ausbildungsförderung zeigen gerade für den Bereich der Gesellschafts-
haben wir doch in der letzten Regierung politik, daß die Bundesregierung ernst macht mit
beschlossen, in der Großen Koalition! ihrer Zusage, eine Politik der inneren Reformen in
Stecken Sie sich doch nicht die Federn auf Gang zu bringen.
Ihren Hut!) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
— Sie haben das in der Großen Koalition beschlos-
sen? Ich kann Ihnen sagen: Bei starken bremsenden Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Tendenzen in Ihrer Fraktion haben wir es schließ- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krampe.
lich hingekriegt. Wir haben das gemeinsam getan,
auch unter Mithilfe der damaligen Opposition, der
FDP. Krampe (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Kollege Seidel hat soeben
Herr Kollege Baier, Sie haben noch etwas gesagt, den Haushaltsplan des Arbeits- und Sozialministe-
das ich klarstellen muß. Sie haben hier vom Kriegs- riums als einen Entwurf herausgestellt, der jetzt
opferanpassungsgesetz gesprochen und wollten unter der neuen Leitung des Arbeitsministeriums
nochmals das verteidigen, was Sie damals an nicht zu neuen Fakten, zu neuen Ufern führe, weil er
sehr Ausgewogenem beantragt haben. Die Ansätze neue Tendenzen aufweise.
dieser mittelfristigen Finanzplanung sehen für das
Der Kollege Seidel verkündete, daß dieser Haus-
Jahr 1969 für die Kriegsopferversorgung 5,9 Milliar-
halt 2 Milliarden DM mehr als in den vergangenen
den DM und für das Jahr 1973 7,8 Milliarden DM
Jahren enthalte. Ich möchte auf die Dinge hin-
vor. Das ist eine Steigerung der Kriegsopferleistun-
weisen, die in diesen 2 Milliarden DM verborgen
gen um 30 % für einen dann um 140 000 Leistungs-
sind. Für die Kriegsopferversorgung sind davon
berechtigte verringerten Personenkreis. 30 Prozent
930 Millionen DM abzusetzen. Die Umschichtung
Steigerung auf Grund des Prinzips der Dynamisie-
rung der Kriegsopferleistungen! Meine Damen und vom Bundesinnenministerium in das Bundesarbeits-
ministerium und damit in die Ausweitung des Haus-
Herren der CDU/CSU, die sie damals an den Aus-
halts des Bundesarbeitsministeriums sind mit
schußberatungen teilgenommen haben, geben Sie
427 Millionen DM anzusetzen. Das, was auf gesetz- -
doch zu, daß Sie damals schwerste Bedenken hatten,
lichen Verpflichtungen beruht, nämlich die Er-
ob es überhaupt möglich sei, die Dynamisierung
höhung der Rentenversicherungszuschüsse wie
finanzpolitisch zu verkraften! Sie haben den Herrn
auch der Zuschüsse im Rahmen der gesetzlichen
Bundesfinanzminister in Iden Haushaltsausschuß
Bestimmungen der Lohnfortzahlung, macht weitere
zitiert, um von ihm die Bestätigung zu erhalten.
600 Millionen DM aus. Das ergibt allein schon
Der Minister erklärte: Jawohl, finanziell wird es
1950 Millionen DM, und damit schrumpft all das,
klappen. Es klappt tatsächlich, und es wird durch
was hier mit Stolz als neue Fakten, neue Ufer
die Dynamisierung eine so wesentliche Leistungs-
und neue Tendenzen verkündet wurde, ein bißchen
erhöhung erreicht. Im Hinblick darauf muß ich
in sich zusammen.
Ihnen, Herr Kollege Baier, sagen: Wenn die CDU/
CSU damals — ich glaube, es war am 12. Dezember Was bleibt, ist ein Aufpfropfen auf bereits vor-
vergangenen Jahres — über die jetzt eingeplante handene Positionen, auch des Jahres 1969. Was
enorme Steigerung um 30 % innerhalb der mittel- jedenfalls für uns bleibt, nachdem dieser Haushalt
fristigen Finanzplanung hinaus noch weitere Lei- vorgelegt wurde, ist die Frage nach den neuen
stungssteigerungen in der Größenordnung von Tendenzen, nach den neuen Ufern, und da werden
1,5 Milliarden DM in 17 Abstimmungen, beantragte, wir hoffentlich im Laufe dieser Lesung oder der
dann zeigt das, daß Sie nicht getragen waren von zweiten Lesung einiges mehr von seiten des Herrn
der notwendigen finanzpolitischen Verantwortung, Bundesarbeitsministers oder des Herrn Bundes-
finanzministers erfahren.
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Nein, von
anderen Vorstellungen!) Auch ist zu überlegen, wo die neuen Ansätze
sind. Der Herr Kollege Seidel hat das dankenswer-
die diesen Haushalt und diese mittelfristige Finanz-
terweise punktuell aufgezählt. Er sprach zunächst
planung bestimmt.
davon, daß die Erhöhung der Kriegsopferleistungen
Noch ein Wort zum Schluß, damit das Haus wesentlich zu Buche schlägt. Hier ist oft gesagt
Größenordnungen würdigen kann. Die gesamten worden, auch am heutigen Abend wieder, daß alle
Aufwendungen für die soziale Sicherung werden Parteien gerade für diesen Bereich im Wort stän-
sich nach der mittelfristigen Finanzplanung von den und daß die Koalitionsfraktionen ihren Willen
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Krampe
durchgesetzt hätten. Die Fraktionen selbst haben Förderung in diesem Bereich unter Hans Katzer ge
schon vor und während der Wahlen, aber auch schaffen worden sind. Das ist also auch nicht neu.
nach den Wahlen, beim Anlaufen der jetzigen Was sechstens den Bereich Arbeitsaufnahme in
Parlamentsperiode klipp und klar zu dieser Ver- Berlin betrifft, so heißt es schlicht und einfach: Ver-
besserung der Kriegsopferleistungen ja gesagt. Das besserung der Richtlinien. Auch nicht neu!
ist also nichts Neues.
(Abg. Liehr: So einfach ist das!)
(Abg. Liehr: Und die Dynamisierung der
Renten?) — Schauen Sie einmal nach! Sie müssen die Daten
in der Begründung, das, was klein gedruckt ist, auch
Ein Zweites. Die Rentenkapitalisierung findet einmal lesen. Dann werden Sie einige Daten darin
außerhalb des Haushalts statt. Aus dem Haushalt lesen und feststellen, daß das nicht neu ist.
werden 120 Millionen DM herausgenommen.
30 Millionen Bindungsermächtigungen werden Neu ist allerdings — siebtens — der Ansatz von
herausgenommen. Schauen Sie sich einmal die über- 60 000 DM zur Förderung des deutsch-japanischen
planmäßigen Ausgaben des vergangenen Jahres Arbeitnehmeraustausches. Damit sollen Flugkarten
an! Sie werden auf 150 Millionen DM kommen. finanziert werden. Dafür — und das ist neu —
Das bedeutet genau das, was heute morgen der wird nicht mehr die Richtung verfolgt, den Jung-
Kollege Leicht und der Kollege Strauß gesagt arbeiteraustausch innerhalb Europas im Rahmen der
haben, nämlich daß der Haushalt außerhalb des EWG-Länder zu vollziehen und zu forcieren, nämlich
vorgelegten ein wenig ausgeweitet wird. Das ist dadurch, daß man die Mittel gestrichen und dort
also auch nicht neu. Wenn Sie jetzt einen kritischen einen Leertitel angesetzt hat.
Zwischenruf machen würden, würde ich Ihnen Achtens. Der zivile Ersatzdienst ist, das glaube
sagen, daß wir uns mit dieser Frage letzten Endes ich sagen zu dürfen, eine Sorge, die alle Parteien
auch schon in der Diskussion im Jahre 1969 be- und alle Fraktionen dieses Hauses tragen. Wir soll-
schäftigt haben. ten in vernünftigen, sauberen und soliden Gesprä-
Zu der Steigerung der Bundeszuschüsse für die chen diesen Dingen einmal nachgehen, damit sie
Sozialversicherung ist zu sagen, daß in dieser Zu- möglichst bald in Ordnung gebracht sind.
schußsteigerung 90 Millionen DM für den Bereich Interessant ist — das hat ebenfalls Kollege Seidel
der Knappschaft drin sind, wofür ja der Bund gesagt —, daß der Bund seinen Rückzug aus der
letzten Endes die Defizithaftung übernommen hat. Finanzierung der sozialen Leistungen gestoppt habe.
Diese 90 Millionen DM mußten für den zweipro- Ich darf daran erinnern, daß es noch unter dem
zentigen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag in Arbeitsminister Hans Katzer gelungen ist, seitens
der Knappschaftversicherung eingesetzt werden, des Bundestages bzw. der Bundesregierung — da-
weil der Bund hier eindeutig die Defizithaftung mals in der alten mittelfristigen Finanzplanung —
übernommen hat. das auszuhandeln, was zur Wiederaufstockung der
Kein Wort, nicht einmal ein Wort der Entschuldi- Bundeszuschüsse an die Sozialversicherungsträger
gung ist in Richtung auf Ersatz des Verlustes gesagt ab 1972 notwendig ist. Damit steigt der Bund — ich
worden, den die Sozialversicherungsträger der Ar- darf es einmal so sagen — wieder in die bessere
beiter- und der Angestelltenversicherung durch den Finanzierung unserer sozialen Sicherheitsmaßnah- -
zweiprozentigen Rentnerkrankenversicherungsbei- men ein. Das führt dann zu der Möglichkeit, zu
trag erleiden. Dazu hatte der Finanzminister nichts sagen, daß der Rückzug des Bundes bezüglich der
zu sagen, und auch der Arbeitsminister hatte nichts Finanzierung unserer sozialen Leistungen gestoppt
zu sagen. Hier entstehen Kosten, die letzten Endes sei.
zu Belastungen für diejenigen werden, die sozial- Weil einiges an wesentlichen Fragen, Projekten,
versicherungspflichtig sind, auch bei geringerem Aussagen im Regierungs- und im Wahlprogramm
Einkommen. Diese müssen also dafür geradestehen, fehlt und sich weder im Haushalt noch in der Fi-
was an unkontrollierten Aussagen des Arbeitsmi- nanzplanung niederschlägt, muß insgesamt heraus-
nisters gemacht wurde. Das ist also auch nicht neu. gestellt werden, daß das, was hier seitens der So-
Viertens zur Rehabilitation. Herr Professor Schel- zialdemokratie zum Haushalt gesagt wurde, ein
lenberg, Sie wissen, daß das eine der Aufgaben Eintreten in die Flucht nach vorn war, die man mit
war, die sich unser verflossener Arbeitsminister der realisischen Einschätzung der finanziellen Mög-
und jetziger Sprecher Hans Katzer immer wieder lichkeiten begründet. Von den finanziellen Möglich-
vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang darf keiten her gesehen gibt dieser Haushalt, vom
ich auch noch daran erinnern, daß die Eingliede- Finanzministerium gespeist, nicht viel her.
rungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer anzu- (Beifall bei der CDU/CSU.)
sprechen sind. Ich will nur darauf hinweisen, daß
auch das nicht neu, sondern bereits vorvollzogen Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
worden ist. Ein Aufpfropfen kann man nicht als Meine Damen und Herren, als letzter Redner in der
Erneuerung bezeichnen. heutigen Debatte hat sich der Abgeordnete Strauß
Als fünfter Punkt wurden Rationalisierung und gemeldet.
Automation herausgestellt. Sich damit zu beschäfti-
gen heißt einmal die Hintergründe aufzuzeigen, Strauß (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
weshalb heute im Haushalt einige Ansätze dort verehrten Damen und Herren! Die Eigenart der
stehen: weil die Voraussetzungen zur Forschung und Geschäftsordnung veranlaßt mich, die Klarstellungen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1457
Strauß
eben ratenweise zu geben. Das ist die vorläufig — Nein, das war kein Kabinettsbeschluß. Aber ich
letzte, kann ich trostvoll versichern. Es handelt sich habe es im Kabinett vorgetragen, und im Kabinett
hier um das vom Bundesfinanzminister angeschnit- hat niemand dem widersprochen. Also konnte ich
tene Problem der Konjunkturausgleichslage im Jahr davon ausgehen, daß das gesamte Kabinett dem
1969. Zu dem Vorwurf, es sei im Jahre 1969 keine zustimmen würde.
Konjunkturausgleichsrücklage gebildet worden, muß Lesen Sie den Monatsbericht der Deutschen Bun-
ich folgendes feststellen. Der Kollege Möller kann desbank vom Juni 1969 nach! Dort steht ausdrücklich
sich bei Nachfrage im eigenen Hause bei den rich-
— ich zitiere —:
tigen Beamten vergewissern, ob dem so ist oder
nicht. Mit der Reduzierung des Umlaufs an U-Schätzen
Es war von Anfang an geplant, die Konjunktur- und Kassenobligationen, d. h. an Schuldtiteln,
ausgleichsrücklage 1969 im Dezember zu bilden. Ich die sich fast ausschließlich im Bestand von Ban-
verweise hier, Herr Kollege Möller, darauf, daß die ken befinden und die in die Geldmarktregulie-
Länder, soweit sie Zuführungen zur Konjunkturaus- rung der Bundesbank einbezogen sind, haben
gleichsrücklage gemacht haben, diese Zuführungen sich uno actu auch die Liquiditätsreserven der
auch im Dezember vorgenommen haben. Was der Kreditinstitute verringert.
Bund an Kassenüberschüssen hatte, lag bis dahin So der Monatsbericht der Bundesbank vom Juni
ohnehin bei der Deutschen Bundesbank, sollte aber 1969.
dann bei Jahresende in eine Konjunkturausgleichs-
rücklage eingebracht werden. Darum muß ich den Ferner verweise ich Sie auf die „Aktuellen Bei-
Vorwurf, daß keine Konjunkturausgleichsrücklage träge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik", Bonn,
gebildet worden sei, auf den zuführen, der im De- 4. August 1969, letzter Absatz. Dort heißt es:
zember 1969 Bundesfinanzminister gewesen ist. Im Ergebnis wirkt die Einlösung fälliger U-
(Beifall bei der CDU/CSU.) Schätze durch den Bund nicht viel anders, als
wenn der Bund Überschüsse in einer Konjunk-
Daß die Mittel dafür nicht mehr vorhanden waren, turausgleichsrücklage bei der Bundesbank fest-
hängt andererseits mit den Vorgängen zusammen, legen würde.
über die wir uns heute vormittag unterhalten haben,
daß im Dezember 1969 unter Vorziehung von Aus- Ich verweise Sie schließlich noch auf den Artikel
gaben — zum großen Teil ohne rechtliche Verpflich- des Generalbevollmächtigten der Dresdner Bank, AG
tung — 5 Milliarden DM mehr ausgegeben worden Kurt Riechebächer, im „Volkswirt" vom September
sind als im Monatsdurchschnitt von Januar bis des letzten Jahres unter der Überschrift „Geld-
November. — Soviel zur Frage: Konjunkturaus- abschöpfung durch Schuldentilgung". Ich kann diesen
gleichsrücklage, oder nein. Artikel der Länge wegen nicht verlesen. Dort heißt
es, daß Schuldentilgung, und zwar Tilgung der U-
Zu der zweiten, damit verbundenen Frage, Herr
Schätze, liquiditätsmäßig identische Wirkungen mit
Kollege Möller, haben Sie das Sachverständigen-
der Einbringung desselben Betrages in die Konjunk-
gutachten zu Hilfe ziehen wollen. Aber es ist für Sie
turausgleichsrücklage habe.
in diesem Zusammenhang leider nicht hilfreich. Es
-
kann von Ihnen dafür nicht angezogen werden. Ihre Nach dieser Klarstellung hoffe ich, daß jetzt end-
Berufung auf den Sachverständigenbericht 1969 ist lich dieses Märchen von der nicht gebildeten Kon-
unberechtigt. Dort steht, ausdrücklich, daß die Ver- junkturausgleichsrücklage und der dadurch künstlich
wendung von Steuermehreinnahmen zur Tilgung vermehrten Liquidität ein Ende nimmt, weil es beim
kurzfristiger Schulden außerhalb des Zentralbank besten Willen nicht mehr haltbar ist und Ihre An-
systems kein Beitrag zur Konjunkturdämpfung ist. nahme, daß das außerhalb des Zentralbanksystems
Bei den Schulden, die wir im Jahre 1969 zurückge- sei, eben falsch ist. Weil die Prämisse falsch ist, sind
zahlt haben, handelt es sich um U-Schätze. Das sind auch die Schlußfolgerungen falsch, Herr Kollege
Mobilisierungspapiere mit einer 18monatigen oder Möller. So liegt dies in Wirklichkeit.
kürzeren Laufzeit, die von den Banken jederzeit bei
der Zentralbank eingereicht werden konnten und (Beifall bei der CDU/CSU.)
dort refinanziert werden mußten. Ich komme zu einem zweiten Punkt, den ich heute
Ich darf Ihnen deshalb sagen, daß sich der da- nur kurz erwähnt habe. Es macht nicht nur auf mich,
malige Bundesbankpräsident an die Bundesregie- Herr Kollege Möller, einen peinlichen Eindruck, daß
rung an mich gewandt hat und auf die Frage: Wem in einem Interview, das Sie dem „Stern" gegeben
geben Sie den Vorzug, Konjunkturausgleichsrück- haben — — Ich meine nicht, es macht einen pein-
lage oder Tilgung aller kurzfristigen Schulden die- lichen Eindruck, daß Sie dort über den Schellenkönig
ser Art? erklärt hat: Sie würden meine Politik besser gelobt werden; das gönne ich Ihnen sehr gerne. Ich
unterstützen, wenn Sie die U-Schätze vom Markt hoffe nur, daß Sie nicht vom „Stern" zum „Mann des
nähmen, als wenn Sie die Konjunkturausgleichs- Jahres" gemacht werden. Da gibt es nämlich gefähr-
rücklage bildeten. Darum wollten wir zunächst alle liche Vorbilder: einmal war es schon Herr Karl
U-Schätze bei Fälligwerden tilgen und den Rest im Schiller, einmal war es der Herr Dub ček, einmal war
Dezember in die Konjunkturausgleichsrücklage ein- es Gerhard Schröder. Es ist ein hohes Berufsrisiko,
bringen. Ich verweise Sie darauf — und ich bitte Sie, im „Stern" zum „Mann des Jahres" ernannt zu
das zur Kenntnis zu nehmen —, daß — — werden.
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Ein Kabi Wenn es dort weiterhin heißt, daß nun Alexander
nettsbeschluß !) der Große Karl den Großen verdrängt habe — gut,
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Strauß
dagegen habe ich auch nichts einzuwenden. Wenn es Helmut Schmidt hat sich ja heute auch mit inner-
aber dann dort weiterhin heißt, Sie würden Ihre parteilichen Vorgängen — CDU/CSU, Bindestrich
Gastwirtsrechnungen zerreißen, weil Sie wüßten, Zwischenbindestrich, dann Gruppen von Freunden
daß die Industriellen sie nachher von den Kellnern usw. befaßt. Und da kann ich doch einmal in Nie-
kauften, um sie von der Steuer abzuziehen, dann ist derbayern auf die Frage Ihrer eigenen Partei-
das doch eine etwas sehr unangenehme Verallgemei- freunde, Kollege Ertl, eingehen, die mir gesagt ha-
nerung möglicherweise vorkommender bedauerlicher ben: Ja, wie kommt denn der in die Regierung hin-
Einzelereignisse. So steht es nämlich hier drin. ein? Der hat doch bei uns immer den umgekehrten
Eindruck erweckt.
Sie haben sich dann von den Angriffen gegen die
Beamten, die Sie dort „wiedergegeben" haben, er- (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
freulicherweise distanziert, allerdings, nach dem Das ist doch die Frage, und mit der Frage ist dann
Text Ihrer eigenen Erklärung, wohl unter dem auch eine Kennzeichnung verbunden worden. Das
sanften Druck der Personalvertretung und der im habe ich gesagt, weil Sie sprechen wollten, keinen
Ministerium vertretenen Beamtengewerkschaften. Saal bekommen haben und ich Sie deshalb gewis-
Was hier gesagt worden ist, wäre auch nicht auf- sermaßen vertreten mußte. Sie kommen ja später
rechtzuerhalten gewesen. dorthin.
Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang zu (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
dem „Stern"-Interview folgendes zu sagen. Peinlich Da habe ich gesagt, die einen von der FDP sagen,
ist es auch deshalb, weil in diesem Interview neben er ist ein Widerstandskämpfer in dieser Regierung,
Ihrer Glorifizierung, die ich Ihnen gönne, eine Reihe und die anderen sagen: das ist doch ein Verräter.
von ganz schäbigen, miesen Unwahrheiten stehen, Und ich habe gesagt, beides trifft nicht zu. Das ist
um nicht zu sagen: Lügen. kein Widerstandskämpfer gegen die jetzige Regie-
(Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohen rung, auch wenn .er am Telefon oft gesagt hat: Ich
stein: Sehr wahr!) bin reingegangen, um das Schlimmste zu verhin-
dern.
Es ist auch deshalb Reinlich, weil Sie dadurch in (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
denVrachtkom,ßiGesprächmtIn
So schlimm ist es gar nicht bis jetzt. — Und das
diese nicht in Anführungszeichen ,stehenden Passa-
gen zustande gekommen sind. Zum Beispiel steht zweite: ein Verräter? Ja, da müßte man dann wis-
sen, woran überhaupt ein Verrat geübt werden
dort, Sie seien der erste Finanzminister, der die
soll.
Finanzpolitik über die Parteipolitik gestellt habe;
bei allen andern — am schlimmsten 'bei mir — sei Diese 'beiden Dinge, die von Ihren eigenen Partei-
es umgekehrt gewesen. Ferner wird dort behauptet, freunden — ich könnte Ihnen die Namen unter vier I
ich sei nur einen Tag in der Woche im Ministerium Augen sagen — an mich herangetragen worden
gewesen; ich hätte mir die Dienstpost in die Lan- sind, habe ich, gerade weil Sie an diesem Tage
desleitung der Bonner CSU, die eis gar nicht gibt nicht reden konnten, von mir aus gesagt. Fahren
— ich sage nicht nur: noch nicht gibt, sondern: nicht Sie demnächst runter, sprechen Sie selber in Vils-
gibt —, nachschicken lassen und dort die Routine- hofen und sagen Sie dann ganz genau, daß Sie we--
post mit der Unterschriftsmaschine unterschrieben. der ,ein Widerstandskämpfer noch das andere sind.
All das sind handfeste Lügen, , die nicht einmal das Dann 'brauchen Sie's nicht in die Mülltonne zu wer-
Papier wert sind, auf dem sie stehen. fen, aber wir haben das in die Mülltonne geworfen,
lieber Herr Ertl, was Sie über den Chef dieser Re-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gierung bei einer Reihe von Gelegenheiten gesagt
Schließlich darf ich noch ein Wort über das haben, weil es unfair wäre, das hier zu wieder-
Thema sagen, das heute vom Kollegen Helmut holen.
Schmidt angesprochen wurde. Ist er da? — Natür- (Heiterkeit und Hört! Hört! bei der CDU/
lich nicht. In dem Fall, Herr Berkhan, sind Sie kein CSU.)
ausreichender Vertreter. Es genügt nicht, daß Hel-
Das, um nur einmal anzudeuten, wo die Grenzen
mut Schmidt wie ein feuerspeiender Mittelpanzer
liegen.
oder ein tönender Jupiter hereinkommt, dann über
Dinge spricht, dann wieder verschwindet und sich Aber ich weiß ja, meine sehr verehrten Damen
nicht mehr anhört, was man dazu zu sagen hat. und Herren, wie solche Dinge an solcher Umgebung
gelegentlich zustande kommen. Der Kollege Ertl
(Abg. Baier: Sehr wahr! — Abg. Wienand: weiß es auch; er weiß es noch viel besser als ich.
Er hat gelernt!)
Daß es im übrigen, Herr Kollege Wehner, ein
— Er hat gelernt. — Ich wollte darauf nur folgen- Lokalkolorit gibt, das trifft auch zu, wenn Sie in
des erwidern. Über meine Bemerkungen zu Josef Bayern sprechen; aber ich glaube, doch nicht 'des-
Ertl stand anläßlich der Vilshofener Rede an der halb, weil Sie in Bayern sprechen. Sie haben laut
ganzen Presse, es sei erstaunlich, wie freundlich ich „Franken-Post", einer Ihnen nahestehenden Zei-
ihn behandelt hätte. Ich bin beinahe erschrocken tung, vom Montag, dem 9. Februar — das war also
und hab mir gedacht, hoffentlich schadet ihm das zwei Tage vor Vilshofen —, am Ende einer Kon-
in der Umgebung nicht. Das war meine erste Reak- ferenz, in der über Probleme des Zonenrandgebiets
tion. gesprochen wurde, folgendes — laut Zeitung in An-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) führungszeichen — gesagt:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1459

Strauß
Herbert Wehner, der trotz seiner Arbeitslast — Das hätten Sie mir dann aber in einem netten
als Vorsitzender ,der größeren Regierungsfrak- Brief mitteilen können, daß ich Ihr Vollziehungs-
tion von Anfang bis Ende an der Konferenz teil- gehilfe sein sollte.
nahm, kleidete dieses Resultat ,auf seine plasti- (Heiterkeit.)
sche Art in die Worte: „Ihr müßt eben darauf Aber inzwischen, Herr Kollege Strauß, hatten Sie
achten, daß nicht die Beamtenärsche auf Akten- an den Präsidenten der Bundesbank den Brief vom
vorgängen sitzen, sondern daß Ihr selbst an Ort 18. September geschrieben. Nun hätte ich Sie desa-
und Stelle nach idem Rechten seht." vouiert, wenn ich der Aufforderung gefolgt wäre,
(Heiterkeit.) die Sie eben ausgesprochen haben. Denn am
18. September schrieben Sie Herrn Blessing: „Meiner
Sehen Sie, Herr Kollege Wehner, ich nehme Ihnen
Absicht, die Konjunkturausgleichsrücklage neben
das gar nicht übel. Ich drücke mich zwar manchmal
der Tilgung der U-Schätze durch zusätzliche Schuld-
über die Verzögerung von Arbeitsvorgängen sogar
aufnahmen auf die vollen 2,4 Milliarden DM aufzu-
etwas gewählter aus, aber ich bin fest überzeugt,
füllen" —, von den vollen 2,4 Milliarden DM habe
daß Sie von Beamtenärschen auf Aktenvorgängen ich heute vormittag schon gesprochen —, „ist durch
in diesem Hause nicht sprechen würden. Wenn Sie's
die Entscheidung des Zentralbankrates die Grund-
aber in Bayern machen, sei es Ihnen verziehen. Ich
lage entzogen worden."
werde mich demnächst bemühen, mit Ihnen zu wett-
eifern. (Hört! Hört! bei .der FDP.)
(Heiterkeit und Beifall 'bei der CDU/CSU. — Damit konnten Sie mir, wie ich gern zugebe, auch
Abg. Wehner: Dias war eine Übersetzung, nicht den Brief hinterlassen, der mich aufgefordert
Herr Strauß!) haben würde, im Dezember diese Konjunkturaus-
gleichsrücklage zu bilden.
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Nun der weitere Punkt: der Streit um die Investi-
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr tionssteuer. Es hat, glaube ich, keinen Zweck, hier
Bundesfinanzminister. steuerliche Vorlesungen zu halten. Ich will das auch
nicht, Herr Kollege Strauß. — Bitte schön!
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister
der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Zu dem von Herrn Kollegen Strauß vor- Strauß (CDU/CSU) : Würden Sie Stellung neh-
getragenen Zitat aus dem „Ste rn " möchte ich be- men zu der Frage der Liquiditätsdämpfung durch
merken, daß dieses Zitat ebenso unrichtig ist wie die Tilgung kurzfristiger Schulden?
Angaben, die in einer Besprechung mit der Perso-
nalvertretung und den zuständigen Gewerkschaften Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister
des Bundesfinanzministeriums klargestellt worden der Finanzen: In Ordnung! Bin ich völlig Ihrer Mei-
sind. Ich habe den „Stern" veranlaßt, diese zwi-
nung. Da muß ich Ihnen zustimmen.
schen beiden Seiten vereinbarte Erklärung in der
nächsten Nummer zu veröffentlichen. Dann: Streit um die Investitionssteuer! Herr Kol -
lege Strauß, ich bedauere, daß Sie erklärt haben,
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) wenn Ihnen der Erlaß vorgelegt worden wäre, wür-
Im übrigen, Herr Kollege Strauß: Halten Sie mich den Sie ihn unterzeichnet haben. Ich habe das nicht
doch nicht für so töricht, daß ich eine solche Bemer- geglaubt. Ich habe immer — das ist nachweisbar —
kung über Spesenabrechnungen machen würde, wie in der Öffentlichkeit erklärt: dieser Vorgang ist
sie dort im Wortlaut wiedergegeben worden ist. Ich weder bis zum Staatssekretär gekommen noch bis
glaube, Sie unterstellen mir nicht, daß ich das ge- zum Minister. Überall, ja.
sagt haben könnte, (Abg. Strauß: Das stimmt doch auch!)
(Abg. Ruf: Hätte ich sofort dementiert!)
— Ja, natürlich; ich habe das auch überall fest-
Nun, Herr Kollege Strauß, haben Sie sich noch zur gestellt. Wir können noch weiter gehen: das ist von
Konjunkturausgleichsrücklage geäußert. Ich gebe zu: dem Leiter der Abteilung IV entschieden worden
mir ist unbekannt, daß Sie auf dem Standpunkt ohne Beteiligung des Leiters der Abteilung I. Ein
gestanden haben, diese Konjunkturausgleichsrück- ganz unmöglicher Vorgang, wie Sie mir zugeben
lage im Dezember 1969 bei der Bundesbank einzu- werden.
zahlen. Ich kenne aus den Akten Ihre beiden Briefe (Abg. Strauß: Wer?)
an , den Bundesbankpräsidenten vom 8. und 18. Sep-
— Abteilung I, Grundsatzabteilung, leitete damals
tember 1969. Am 8. September haben Sie geschrie-
Herr Vogel.
ben, daß Sie die Konjunkturausgleichsrücklage
— 2,4 Milliarden DM —einzahlen wollten, ohne von (Abg. Strauß: Da vertrat der Leiter der
der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Beträge zur Abteilung I eine andere Meinung?)
Tilgung von U-Schätzen anzurechnen, sondern Sie — Nein, es wird immer so verfahren, daß in solchen
wollten diese Konjunkturausgleichsrücklage durch Streitfragen die Grundsatzabteilung beteiligt wird,
zusätzliche Schuldenaufnahme realisieren. So in Herr Kollege Strauß; das müssen Sie doch wissen.
Ihrem Brief vom 8. September. Ich habe nach diesem Vorgang noch einmal zwi-
(Abg. Strauß: Das hätten ja Sie machen schen den beiden Abteilungen klargestellt, daß man
sollen!) gar nicht anders verfahren kann.
1460 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


Ich habe also geglaubt, Sie würden heute darstel- — Ja, aber es ist doch eine Schätzung. 1973 z. B. gibt
len: wenn Ihnen der Vorgang bekannt geworden es keine Investitionsteuer mehr. Sie wurde deswe-
wäre, hätten Sie sich schon einmal mit dem Fi- gen eingesetzt, weil angenommen wird, daß infolge
nanzausschuß des Deutschen Bundestages in Verbin- von Betriebsprüfungen nachträglich noch Beträge
dung gesetzt, um in einer Sitzung des Finanzaus- hinzukommen. Aus diesem Grund ist auch das Jahr
schusses zu klären, 'welche Auffassung der Finanz- 1974 angegeben worden. Der Arbeitskreis „Steuer-
ausschuß auf Grund seiner bisherigen Beratungen schätzungen" vertritt nämlich die Meinung, daß
zu dieser Auslegung hat. Denn immerhin ist doch 1974 ein zusätzlicher Betrag aus der Betriebsprüfung
beachtlich, daß das Umsatzsteuerreferat eine andere nicht zu erwarten ist.
Auslegung des Begriffs des körperlichen Wirtschafts- Nun müssen Sie zunächst berücksichtigen, daß wir
guts vorgeschlagen hat als das Einkommensteuer- im Jahre 1968 einen Steuersatz von 8 % und 1969
referat, und daß dann der Leiter der Abteilung ge- von 7 % hatten, der bis 1972 auf 2 % absinken
gen die Auffassung des Umsatzsteuerreferats ent- wird. Sie müssen außerdem berücksichtigen, daß
schieden hat. Daß es sich bei der Mehrwertsteuer ab 1970 — was im Jahre 1968 und 1969 nicht der
um eine Umsatzsteuer handelt, kann nicht strittig Fall war — die Länder mit 30 % an der Mehrwert-
sein. steuer beteiligt sind und sich dadurch für die fol-
Ferner haben Sie beanstandet, daß ich Ihnen die genden Jahre aus diesen beiden Ursachen ganz an-
Einlassung von Herrn Falk nicht zur Verfügung ge- dere Berechnungsquoten ergeben. Aber, Herr Kol-
stellt hätte. Sie hätten sie nur anzufordern brauchen, lege Strauß, das habe ja nicht ich zu verantworten,
sondern diese Schätzungen haben diejenigen zu
(Abg. Strauß: Hat sie der „Spiegel" ange
verantworten, die im Arbeitskreis „Steuerschätzun-
fordert?)
gen" mitarbeiten: Bund, Länder und Wissenschafts-
dann hätten Sie diese Einlassung bekommen, wie institute.
Sie auch alles andere bekommen, was Sie anfor-
dern und was Sie an telefonischen Auskünften zu
wissen wünschen; das ist Ihnen bekannt. Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
Herr Finanzminister, gestatten Sie eine Zwischen-
Nun sagen Sie, ich hätte falsch geschätzt. Herr frage?
Kollege Strauß, ich habe überhaupt nicht geschätzt.
Die Zahlen, die hier veröffentlicht worden sind,
stammen vielmehr aus dem Arbeitskreis „Steuer- Strauß (CDU/CSU) : Herr Kollege Möller, Sie
schätzungen" und datieren vom 20. November 1969 haben meine Frage leider nicht beantwortet. Ich
und vom 20. Januar 1970. Ich habe nur diese Zahlen bestreite doch nicht, daß diese Steuer degressiv ist;
in dem Artikel veröffentlicht. das wissen wir doch beide. Aber warum erbringt die
Steuer nach Ihren Angaben, die aus dem Arbeits-
(Abg. Strauß: Dazu werden Sie mir eine kreis „Steuerschätzungen" stammen — das weiß
Frage erlauben?) ich; aber darüber steht „kassenmäßig", und das ver-
— Selbstverständlich! steht die Öffentlichkeit nicht, weil es nämlich keinen
Aussagewert hat —, weniger? In Ihrem Artikel im
SPD-Pressedienst haben Sie die Ausfälle über fünf-
Strauß, (CDU/CSU) : Wie erklären Sie dann, Herr Jahre hinweig 1968, 1969, 1970, 1971, 1972, 1973
Finanzminister — ich habe das heute schon er- — zusammengefaßt und kommen auf 3 Milliarden
wähnt —, daß Sie als Ausfall für die ersten beiden DM.
Jahre der Geltung des Finanzplans zwar 4 Milli-
arden DM angeben . . .
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister
der Finanzen: 3,1 Milliarden DM.
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister
der Finanzen: Dazu komme ich jetzt.
Strauß (CDU/CSU): 3,1 Milliarden DM! — In
Ihrer Rede sagen Sie, daß allein schon die Jahre
Strauß (CDU/CSU) : ... aber in einem Artikel 1968 und 1969 4 Milliarden DM erbringen. Wie ist
selber auf 3 Milliarden DM als Ausfall über fünf es denn möglich, daß 5 Jahre einen geringeren Aus-
Jahre durch angeblich falsche Rechtsauslegung zu- fall als 2 Jahre bringen?
rückgehen? Sie wissen doch ganz genau, warum
das so ist. Das, was Sie geschrieben haben, die kas-
senmäßige Schätzung, hat doch keinerlei Aussage- Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister
wert. der Finanzen: Weil wir im Jahre 1972 nach den
Schätzungen des Arbeitskreises von der Minderein-
nahme wieder 700 Millionen DM hinzubekommen,
Dr. h. c. Dr. - Ing. E. h. Möller, Bundesminister außerdem in dem Jahr, in dem keine Investitions-
der Finanzen: Erstens betrifft diese Schätzung nicht steuer erhoben wird, einen Betrag von 1,2 Milliar-
5, sondern 7 Jahre, und sie schließt nicht etwa mit den DM. Das können Sie den Unterlagen entnehmen.
dem Jahr 1972 ab. Deswegen sind die beiden Jahre, in denen keine
(Abg. Strauß: 6 Jahre!) Investitionsteuer mehr erhoben wird, hinzugefügt
worden. Aber in den ersten beiden Jahren ist eben
Verzeihung! 1968, 1969, 1970, 1971, 1972, 1973, 1974.
der Ausfall aus den zwei genannten Gründen so
(Abg. Strauß: 1974 gleich Null!) groß. Er beträgt nämlich — nichts anderes habe ich
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1461
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
gesagt — 1968 und 1969 nach diesen Schätzungen aber nicht behaupten, weil ich weiß, wie objektiv
für den Bundeshaushalt 4 Milliarden DM. seine Geschäftsführung ist. Ich bin der Meinung, er
Noch ein Drittes. — Sie haben gefragt: Warum hat diese Auseinandersetzung abgebrochen, weil
haben Sie den Erlaß nicht aufgehoben? sie sinnlos war Und weil es keinen Zweck hatte,
die Zeit des Finanzausschusses mit einer Fortsetzung
dieses sinnlosen Streites zwischen uns beiden zu
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: beanpruchen.
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Frage
des Abgeordneten Graaff? (Abg. Strauß: Weil Sie keine Rechtsaus-
kunft gegeben haben!)
Graaff (FDP) : Herr Bundesfinanzminister, darf — Doch, ich habe Ihnen sogar gesagt, daß sich
ich Sie fragen: Sind diese beiden Zahlen überhaupt zwei Rechtsauffassungen gegenüberstehen, wie das
vergleichbar? Durch den Erlaß des Bundesfinanz- auch in anderen Fällen des menschlichen Lebens
ministeriums sind 4 Milliarden DM Investitionsteuer möglich ist.
ausgefallen. Da Sie in der Fortschreibung nachher Ich wollte Ihnen erklären, warum ich den Stand-
nur noch 3,1 Milliarden DM haben, schätzen Sie doch punkt einnehme, daß man mit diesem Erlaß leben
nur hinzu, daß die Buch- und Betriebsprüfungen muß. Hätten wir den Erlaß geändert, so wäre damit
mehr erbringen, als bisher effektiv veranschlagt ist. zu rechnen, daß der Bundesfinanzhof wie in ähn-
Die 4 Milliarden DM haben doch mit den 3,1 Mil- lichen Streitfällen die Gültigkeit dieser Änderung
liarden DM meiner Meinung nach gar nichts zu tun, des Erlasses bestreiten würde, und zwar einfach
Herr Bundesfinanzminister. deswegen, weil der Bundesfinanzhof — so war es
in ähnlichen Fällen — in solchen Durchführungs-
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister erlassen des Bundesfinanzministeriums eine Art
der Finanzen: Ja, aber ich habe nur gesagt, es handle Selbstbindung sieht — und zwar mit Recht eine
sich in der Zusammenfassung am Schluß um einen Art Selbstbindung sieht —, so daß ich nicht glaube,
saldierten Betrag, in dem Minus und Plus auf- daß eine Änderung des Erlasses nützlich gewesen
gehoben sind. wäre. Ich bin der Meinung, daß dann eine noch
Ein Drittes. Sie haben mich gefragt, warum ich größere Unsicherheit in Erscheinung getreten wäre
den Erlaß nicht aufgehoben oder geändert hätte oder ohne einen sichtbaren Nutzen für den Fiskus.
warum er nicht durch ein Gesetz abgeändert worden (Abg. Strauß: Für zukünftige Investitionen
sei. auch?)
Es wurde gefragt: Warum kein Gesetz? — Des-
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: wegen kein Gesetz, weil, wenn ich nur von der
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Überlegung, die die Investitionsteuer betrifft, aus-
ordneten Strauß? gehe, nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts eine verschlechternde Rückwirkung
Strauß (CDU/CSU) : Nach der Frage von Kol- (Abg. Strauß: Nein! Ohne Rückwirkung,
legen Graaff: Es ist Ihnen geläufig, Herr Bundes- für Zukunftsinvestitionen!)
finanzminister, daß der jährliche Steuerertrag nicht
kassenmäßig, sondern nach der Fälligkeit festgelegt mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar
wird und daß deshalb durch Veranlagung und durch ist. Wenn Sie das ohne Rückwirkung gemacht
Betriebsprüfung erfolgte Nachversteuerung den Jah- hätten, dann hätten Sie einen Torso bekommen und
ren des Ausfalls zugerechnet werden muß und daß eben diejenigen begünstigt, die bis dahin eine
deshalb Ihre Zahl von 4 Milliarden ohne jeden Anwendung dieses Erlasses vorgenommen haben,
Wert ist?! die nicht in unserem Sinne liegt. Damit will ich an
dieser Stelle diesen Rechtsstreit um die Investition-
steuer abschließen.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister
der Finanzen: Das ist Ihre Meinung. Ich habe dar- (Abg. Strauß: Warum hat dann Herr
gestellt, wie ich die Dinge betrachte, und so werden Schiller diese Maßnahme vorgeschlagen?)
sie von den Fachleuten allgemein betrachtet — mit — Warum das Herr Kollege Schiller vorgeschlagen
Ausnahme des Fachmannes, der diesen Erlaß zu hat? Das hat gar nichts mit diesen Überlegungen
verantworten hat. Daß der sich um eine entspre- zu tun, sondern Herr Kollege Schiller wollte die
chende Auslegung bemüht, ist menschlich verständ- Investitionsteuer als eine konjunkturpolitische Maß-
lich. nahme zur Dämpfung der Investitionsneigung ein-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) geführt wissen und glaubte, daß sie ein zweck-
Nun lassen Sie mich aber den Vorgang ab- mäßiges Mittel sei und das dieses zweckmäßige
schließen. Sie haben mir eine Frage gestellt, die Mittel mit in den Kreis der Erwägungen vieler Maß-
ich beantworten möchte. Ich habe Ihnen im Finanz- nahmen einzubauen sei. Das ist doch ein durchaus
ausschuß erklärt: wir müssen mit diesem Erlaß normaler Vorgang. Es ist nun einmal so, daß man
leben. Ich weiß nicht, ob Sie im Ernst geglaubt ha- sich in einer solch schwierigen konjunkturellen
ben, daß der Vorsitzende des Finanzausschusses die Lage bemühen muß, über Verschiedenes nachzu-
Diskussion zwischen uns beiden abgebrochen hat, denken und sich darüber schlüssig zu werden,
weil er mir helfen wollte. Ich würde umgekehrt den welche Maßnahmen überhaupt in eine solche kon-
Eindruck haben, er wollte Ihnen helfen, würde das junkturpolitische Situation passen.
1462 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


Deswegen kann ich auch nicht verstehen — ent- — Sie stimmen dem zu; das freut mich. Nun konnten
schuldigen Sie, daß ich mich einen Moment von wir leider für 1970 nicht 530 Millionen DM für die
Ihnen entferne, Herr Kollege Strauß —, warum strukturellen Maßnahmen mobilisieren, sondern nur
Herr Kollege Martin gesagt hat, es sei doch ein 389 Millionen DM. Aber wir haben den Betrag in der
trauriger Zustand, wenn der Bundesfinanzminister mittelfristigen Finanzplanung weiter aufgestockt und
in seiner Etatrede erklären müsse, daß man sich in damit den guten Willen, den wir dokumentieren
Zukunft etwas einfallen lassen solle,. und zwar wollten, noch einmal unterstrichen. Ich glaube, es ist
nach Möglichkeit vielerlei. Ich meine, wer diesen die Auffassung aller Fraktionen, daß der Verwirk-
Teil meiner Etatrede richtig würdigt, wird daraus lichung des guten Willens zumindest konjunktur-
keine negativen Schlußfolgerungen ziehen können. politische, wenn nicht finanzielle Grenzen gezogen
Man kann nur negative Schlußfolgerungen daraus sind.
ziehen, wenn man noch nicht den Versuch unter- Herr Kollege Dr. Wagner hat eine beachtliche
nommen hat, eine andere, neue und für die weitere Rede gehalten und sich mit der Situation in der
Entwicklung wirkungsvollere Ausgangsposition EWG beschäftigt. Herr Kollege Dr. Wagner, ich
einzunehmen, als sie in den vergangenen Jahren habe volles Verständnis dafür, wenn Sie sagen: Uns
eingenommen worden ist. fehlen die Unterlagen, die wir haben müßten, um
Meine Damen und Herren, bei diesem und bei unsere eigene Stellungnahme überprüfen oder erar-
anderen Beispielen haben wir erlebt, daß jeder von beiten zu können. Sie haben recht. Aber diese Unter-
der Opposition, der sich mit der Finanzseite, mit lagen lagen dem Bundeskabinett erst gestern, am
Ausgaben und Einnahmen beschäftigte, neue For- 18. Februar, vor. Das Bundeskabinett hat erst
derungen erhoben hat. Auch Herr Kollege Martin gestern die Brüsseler Ergebnisse gebilligt, so daß
forderte: Die Sperre von 305 Millionen DM im Haus- wir uns nun auf einen Kabinettbeschluß stützen kön-
halt für Bildung und Wissenschaft muß fort! Da- nen. Wir sind also auch erst jetzt in der Lage, das
rüber kann man reden. Aber man muß dann auch Material zur Verfügung zu stellen. Daß das unser
sagen, woher man die anderen Beträge zur Auffül- guter Wille war, wird mir der Vorsitzende des
lung der 2,7 Milliarden DM nehmen will. Wenn ich Finanzausschusses bestätigen, denn ich habe in der
Sie in der bisherigen Debatte richtig verstanden Sitzung vom 29. Januar auf diese Verhandlungen
habe, kann ich wohl davon ausgehen, daß Sie in Brüssel hingewiesen und gesagt, sobald sie zu
im Haushaltsausschuß versuchen werden, noch über einem gewissen Abschluß gekommen seien, würde
die 2,7 Milliarden hinauszugehen, und weiter ver- ich Sie bitten, Herrn Staatssekretär Emde zu hören,
suchen werden, dort, wo Sie glauben, daß eine damit er Ihnen alle Einzelheiten und das notwendige
Sperre nicht nützlich sei, weil das Geld in diesem Material über die Finanzverhandlungen und deren
Jahr doch nicht ausgegeben wird, von vornherein Ergebnisse vorlegen könne. Ich bin dazu bereit. Sie
eine Herabsetzung des Ausgabebetrags beschlie- werden dann sehen, daß die deutsche Verhand-
ßen zu lassen, um die Verhältnisse dadurch noch lungsdelegation beachtliche Resultate erzielen konn-
besser zu klären. te.
(Abg. Leicht: Jawohl!) Sie haben weiter gefragt, warum ich bei 1974
Das alles stimmt aber nicht mit den verschiedenen abschließe. Dazu kann ich nur sagen: Es ist die
Darstellungen von Kollegen, die über andere Be- allgemeine Auffassung der an der EWG beteiligten
reiche gesprochen haben — angefangen von Bildung Länder, daß die folgenden Jahre nicht mehr zuver-
und Wissenschaft bis hin zur Landwirtschaft —, lässig schätzbar sind wegen zu erwartender Bei-
überein. Diese Herren Kollegen haben immer ge- tritte, insbesondere Englands, zur EWG. Deswegen
sagt: Da fehlt noch etwas, dort ist zuwenig einge- haben wir verbindlich zunächst einmal die Zahlen
setzt worden. Hier haben wir genau die Diskussion, für die Jahre 1970 bis 1974 errechnet.
von der ich gesagt habe, daß ich sie aufmerksam Berücksichtigen Sie bitte, daß der Kommissions-
verfolgen will. Man kann nicht erklären, die Stei- vorschlag davon ausging, daß wir im Jahre 1974 bei
gerungsrate sei zu hoch und dieses und jenes stimme 36,41 % ankommen würden. Der Vermittlungsvor-
nicht, und zugleich neue Forderungen mit entspre- schlag Coppé lautete auf 35,13%, Wir konnten auf
chenden Konsequenzen für den Haushalt, aber auch der Basis der Entwicklung bis 1974 ein Verhand-
für die Höhe der Steigerungsrate anmelden. lungsergebnis von 32,64%, im Durchschnitt also
Herr Kollege Röhner gehört ebenfalls zu denen, 32 %, erzielen. Das ist nach meiner Auffassung unter
die ein Klagelied angestimmt haben, ohne zu wür- Berücksichtigung der in Brüssel nun einmal vor-
digen, was wir im Etat im Rahmen des finanziell liegenden Tatbestände ein beachtliches Ergebnis.
Möglichen jetzt schon auszuführen versuchten. Ich Der Verteilungsschlüssel hat in den Verhandlun-
meine, daß insbesondere der Beschluß der neuen gen eine entscheidende Rolle gespielt. Insbesondere
Bundesregierung, der von dem der früheren Bun-
Frankreich und Italien wollten unter allen Umstän-
desregierung vom 4. September 1968 abweicht, ent-
den durchsetzen, daß der neue Finanzierungsschlüs-
scheidend dafür isst, daß künftig lain Mehrbedarf für
sel nach dem Bruttosozialprodukt ausgerichtet wird.
die Marktordnungen bei Aufstellung des Haushalts
Das ist eigentlich das Kernstück der ganzen Ausein-
und der mittelfristigen Finanzplanung nicht mehr
andersetzung gewesen. Hier ein gewisses Misch-
im Einzelplan 10 aufgefangen werden muß. Ich halte
system zu finden, das uns gestattet, mit diesem Ver-
das für eine ganz wesentliche Verbesserung. Sind
handlungsergebnis auskommen zu können, ist die
Sie anderer Meinung?
Aufgabe gewesen, die von der deutschen Verhand-
(Abg. Röhner: Ich stimme dem zu!) lungsdelegation zu lösen war.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1463

Bundesminister Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller


-

Meine Damen und Herren, Sie haben gesagt, wir möchte ich Ihnen aufrichtig für Ihr Verständnis
hätten das alles etwas zu günstig beurteilt. Aber gegenüber unseren Problemen und Ihren er-
man darf eben nicht die ganze Entwicklung verges- folgreichen Einsatz in der Verhandlungsführung
sen, die wir in der EWG durchmachen mußten, eine danken. Noch bei unserem letzten Zusammen-
Entwicklung, die sich heute in einer verhärteten sein in Bonn kurz vor dieser entscheidenden
Situation abzeichnet. Ich meine, daß wir gerade in Ministerratssitzung hatten wir ja die ganze
diesen Wochen und Monaten in der EWG keine aus sorgenvolle, politisch vielfältig verschlungene
solchen wirtschaftlichen Überlegungen entstehende Problematik durchgesprochen, und es war da-
Verhärtung der politischen Situation vertragen kön- mals noch äußerst ungewiß, ob es gelingen
nen. Darin sind wir uns sicher einig. würde, Lösungen zu erreichen, die bei der wei-
teren Harmonisierung eine wirtschaftlich sinn-
volle Entwicklung ermöglichen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage Auch dieses Schreiben beweist, daß die Zensur, die
des Herrn Abgeordneten Wagner. ich gestern mit diesen Ergebnissen verbunden habe,
nicht ganz unberechtigt zu sein scheint.
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Bundes- Nun noch ein Wort zu den Ausführungen des
finanzminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, Herrn Kollegen Althammer. Herr Kollege Altham-
daß die Lösung, die ab 1975 kommen soll und die mer, ich bin Ihnen für manche Ihrer Hinweise und
1978 endgültig sein soll, doch einer Bemessung der Anregungen dankbar, insbesondere auch, was Ihre
Beiträge nach dem Bruttosozialprodukt sehr nahe Stellungnahme zur Informationssperre betrifft. Ich
kommt, weil ein beträchtlicher Teil des Gesamt- teile Ihren Standpunkt und glaube, wenn wir uns
finanzvolumens, etwa die Hälfte — schwer zu sa- gemeinsam bemühen, aus den Erscheinungen, die
gen über den Anteil an der Mehrwertsteuer sich jetzt beim ersten Mal ergeben haben — ich
finanziert werden wird und weil unser Anteil an sage mit Absicht nicht „Fehler" —, die notwendigen
der allgemeinen Bemessungsgrundlage der Mehr- Schlüsse zu ziehen, dann werden wir auch gemein-
wertsteuer der Gemeinschaft voraussichtlich nicht sam einen Weg finden, um das Ziel zu_ erreichen,
sehr verschieden sein wird von unserem Anteil am das bei der Haushaltsrechtsreform beabsichtigt war,
Sozialprodukt der Gemeinschaft? nämlich den Souverän, das Parlament, an die erste
Stelle zu setzen und jede Zwischenschaltung un-
Dr. h. c. Dr. Ing. E. h. Möller, Bundesminister
- möglich zu machen. Das ist nicht leicht. Denn es
der Finanzen: Ich bin nicht Ihrer Meinung, vor gäbe — von der Presse sind nur noch wenige an-
allem deswegen nicht, weil ich die Entwicklung der wesend — von seiten der Presse eine Revolution,
Relation zum Bruttosozialprodukt wahrscheinlich wenn wir nach dem letzten Beschluß des Kabinetts
etwas anders beurteile als Sie. den Haushalt festgestellt und die Fortschreibung
der mittelfristigen Finanzplanung beschlossen haben
(Abg. Strauß und Abg. Dr. Althammer: Sehr
und keine Presseinformation erfolgen lassen, weil
interessant!)
wir ja nun ,die Drucklegung abwarten müssen. Sie
Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß bei dem wissen, daß wir die Berliner Druckerei in Anspruch
Schlüssel „Bruttosozialprodukt" nur die EWG be- zu nehmen haben; das ergibt schließlich einen wei-
troffen wäre. Wenn wir uns einmal nach dem Brut- teren Verzögerungseffekt. Ob wir ,diese Wochen ge-
tosozialprodukt richten, hätte 'dies auch innerhalb meinsam durchstehen, weiß ich nicht. Aber ich bin
anderer bestehender Verpflichtungen erhebliche bereit, diesen Versuch gemeinsam mit Ihnen zu
und, wie ich meine, bedenkliche Auswirkungen. unternehmen. Sie dürfen sicher sein, daß von mir
Es ist viel über die neuen Marktordnungen, vor aus nichts getan worden ist, um eine Informations-
allem über die Marktordnung für Tabak, gesprochen sperre durchlöchern zu helfen.
worden. Ich darf einmal daran erinnern, daß wir an Als ich von Herrn Kollegen Leicht hörte, daß alles
den einstimmigen Maibeschluß des Ministerrats ge-
nicht recht klappt, habe ich mich sofort gemeinsam
bunden waren und daß wir nur im Rahmen dieses mit Herrn Soddemann bemüht festzustellen, wann
Beschlusses den Versuch unternehmen konnten, eine
die Einzelpläne von der Druckerei kommen. Es
für uns und für die Tabakindustrie möglichst gün-
muß ja nicht unbedingt abgewartet werden, bis der
stige Regelung zu erreichen. Der Sprecher der
ganze Stapel zusammen ist. Ich habe dann mit der
Tabakindustrie hat Herrn Staatssekretär Emde am
Druckerei einen Zeitplan vereinbart, habe den Zeit-
17. Februar einen Brief geschrieben, der heute ein-
plan dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses
gegangen ist und den ich mit Erlaubnis des Herrn
geschickt und habe meinem Hause Weisung ge-
Präsidenten auszugsweise zu Ihrer Kenntnis brin-
geben, daß immer dann, wenn Einzelpläne ankom-
gen möchte:
men, diese sofort zum Bundestag hinübergehen.
Nachdem nun in Brüssel Sicher können wir das in diesem Jahr für den Bun-
— so heißt es in diesem Brief — deshaushalt 1971 noch besser machen.

die Entscheidung über das Tabakpaket gefallen Herr Kollege Althammer, Sie sind etwas ausge-
ist und hierbei im ganzen, besonders aber bei rutscht, als Sie den „Spiegel" zitiert haben. Nicht
dem Problem der Steuerharmonisierung eine weil Sie den „Spiegel" zitierten, sondern weil Sie
optimale Weichenstellung für die weitere Ent- aus zwei Äußerungen, die Sie gegenüberstellten,
wicklung in der EWG erreicht werden konnte, glaubten nachweisen zu können, daß das eine un-
1464 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


solide Finanzwirtschaft sei. Wenn ich zu der Frage, Solidität wird die Richtschnur unserer Finanz-
warum wir in der Koalition dieses Steueränderungs- politik sein. Wir dürfen allerdings nicht ver-
gesetz im Oktober vereinbart haben, erklärte, wir schweigen, daß die Situation weniger günstig
hätten damals bei dieser Vereinbarung keine kon- ist, als sie von bestimmter Seite dargestellt
junkturpolitischen Erwägungen ins Auge gefaßt, wurde.
dann stimmt das einfach. Als wir das Steuerände-
Das ist, meine ich, eine sehr vorsichtige und zurück-
rungsgesetz im Dezember vorigen Jahres einbrach- haltende Formulierung, die von unserer Seite vor-
ten, habe ich Ihnen von dieser Stelle aus die Gründe genommen worden ist, auch von mir in meiner
für seine Einbringung vorgetragen, und zwar aus gestrigen Rede, weil ich ja Ihre Empfindlichkeit
der Sicht, die mit der Steuerpolitik zu tun hat, und kenne.
nicht aus der Sicht, die sich später aus konjunktur- (Zuruf von CDU/CSU: Umgekehrt!)
politischen Notwendigkeiten ergab.
Wenn ich etwa in der Tonart und in der Lautstärke
Herr Kollege Althammer, Sie sollten ein solches von Herrn Kollegen Strauß meine Ausführungen
— wie ich zugebe, ungewöhnliches — Verhalten vortragen würde,
einer Bundesregierung honorieren. Meistens ist es (Zuruf von der CDU/CSU: Gegen die
doch so, daß dann, wenn eine Bundesregierung in Lautstärke haben wir nichts!)
einer so wichtigen Frage einmal eine Entscheidung
getroffen hat, sie an dieser Entscheidung festhält, hätte das bei Ihnen wahrscheinlich eine noch sehr
ob sie nun gut oder schlecht war, einfach deswegen, viel schlimmere Wirkung als diese einfache, sach-
weil sie glaubt, mit einer Überlegung, die zu einer liche Darstellung von Tatbeständen.
anderen Beurteilung führt, wäre ein Prestigeverlust Nun komme ich zum Schluß. Meine Damen und
verbunden. Ich bin der Meinung, man muß einen Herren! Wir haben uns heute über die interne
Pestigeverlust in Kauf nehmen können, wenn es Fortschreibung der Finanzplanung unterhalten, und
der Sache dient. Was wir gemacht haben — auch Herr Kollege Leicht hat mich aufgefordert, einen
das Gentlemen Agreement, das im Dezember bestimmten Vorgang — mit Aktenzeichen, die er
vorigen Jahres bei der Kriegsopferdebatte zwischen genau kannte —, vom 20. Oktober — mit dem
uns und der Opposition abgeschlossen wurde —, Stande vom 15. Oktober 1969 — zu Rate zu ziehen
ist nur aus dieser Überlegung zu verstehen, weil um festzustellen, ob nicht doch diese interne Fort-
uns die konjunkturpolitischen Sorgen damals schon schreibung der mittelfristigen Finanzplanung er-
veranlaßt haben, zu sagen: Wenn schon Gesetze folgt sei. Ich habe diesen Akt hier. Die ersten
mit finanzwirtschaftlichen Auswirkungen, dann ver- Überlegungen — so will ich das einmal nennen —
bunden mit der dritten Lesung des Bundeshaushalts. stammen vom 17. September und die nächsten vom
Nur so haben wir eine klare Übersicht über das, 20. Oktober.
was möglich ist, und nur so ist es auch für jeden
Abgeordneten bei einem solchen Katalog, der dann Meine Damen und Herren von der Opposition,
vorliegt, leichter zu entscheiden, welcher Frage er nun mache ich Ihnen einen Vorschlag zur Güte. Ich
die Priorität geben soll, als wenn er nun jede schlage Ihnen vor, wir schließen den Akt und
Woche einen Gesetzentwurf ablehnen oder anneh- stellen fest: Eine mittelfristige Finanzplanung, auf
men muß. der man aufbauen konnte, lag auch intern nicht vor.
Dabei sollten wir es bewenden lassen. Sind Sie
(Abg. Baier: Sehr richtig!)
einverstanden?
Das ist jedenfalls für mich als Finanzminister der (Zuruf von der SPD: Sehr großzügig!)
entscheidende Gesichtspunkt gewesen. Ich habe ge-
sagt: Ich bin sicherer, daß die richtigen Entscheidun- Oder sollen wir hier in die Einzelheiten gehen? Ich
gen vom Bundestag getroffen werden, wenn das mache Ihnen ,den Vorschlag zur Güte.
Ganze mit der dritten Lesung des Bundeshaushalts (Zurufe von der CDU/CSU: Lag sie vor,
verbunden wird. oder lag sie nicht vor?)
Herr Althammer hat gesagt, die Koalition — ich — Lag nicht vor. — Herr Kollege Althammer hat
weiß nicht, wer — habe von einem (katastrophalen den Appell an mich gerichtet, für ein besseres Klima
finanzpolitischen Erbe gesprochen, das wir antreten zu sorgen.
müßten. Wenn eine solche Behauptung irgendwo
aufgestellt worden wäre (Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Alt-
hammer: Ja, aber nicht so!)
(Abg. Dr. Althammer: Herr Dahrendorf!) — Ach, nicht so? Sie wollen also, daß ich auf die
entspräche sie nicht den Tatsachen. Um was es sich Sachen eingehe?
handelt, ist von mir in der Etatrede dargestellt (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht auf
worden. Und das Recht müssen Sie jedem Finanz- unsere Kosten! — Heiterkeit.)
minister einer neuen Koalition einräumen, daß — Endlich hat es einer gemerkt. — Ich nehme also
er eine solche Eröffnungsbilanz macht. Ich habe das, an, Sie wollen, daß ich das behandle. Schön, dann
was ich an Schlußfolgerungen zu dem Thema ge- soll es geschehen.
zogen habe, heute vormittag noch einmal zusam-
mengefaßt. Ich habe im übrigen in meiner Etat- Gehen wir also von der Vorlage vom 20. Oktober
rede auf die Regierungserklärung vom 28. Oktober aus: Streng vertraulich, Referat II A/5 an den Leiter
1969 verwiesen, in der es heißt: der Haushaltsabteilung, betrifft Fortschreibung der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1465
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Finanzplanung bis 1973; Bezug: Meine Vorlage vom Kriegsopferversorgung, eine Erhöhung bis zu 22 %,
17. September 1969 usw. eben als streitig erklärt, aufgeführt ist?
Das ist nun eine Referatsarbeit, die zum Ministe-
rialdirektor der Haushaltsabteilung kam und über Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister
diese Stelle nicht hinausging. Das ist völlig normal, der Finanzen: Ja, aber hier heißt es:
hat also mit dem anderen Fall, den wir vorhin Im Ausgabebedarf — Ergebnis der Ressort-
behandelt haben, nichts zu tun. Aber ich kann doch verhandlungen zuzüglich schätzungsweise zuzu-
nicht davon ausgehen — ich tue das in Ihrem Inter- gestehender Streitpunkte — sind wie ...
esse nicht —, daß eine solche Ausarbeitung, daß
solche Überlegungen, die ohne Abzeichnung durch Und dann kommen die einzelnen Punkte.
einen Staatssekretär oder durch einen Minister fest-
(Abg. Leicht: Auf Referentenebene war das!
gelegt worden sind, als eine interne Fortschreibung
Es geht doch um die politischen Entschei-
angesehen werden.
dungen!)
(Zurufe von der CDU/CSU.)
— Sie beziehen sich doch darauf, daß eine interne
— Das glauben Sie auch noch nicht? Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) im Finanzministerium erfolgt sei, und da kann ich
mich nur an diese Tatsachen halten.
— Schön, dann gehen wir in die Einzelheiten. Hier
(Zurufe von der CDU/CSU.)
heißt es:
Nun weiter:
Die zuletzt mit Stand vom 1. 1. 1969 vorgelegte
Übersicht über die Entwicklung des Ausgabe- Für den Familienlastenausgleich entsprechend
bedarfs bis 1973 ist unter Berücksichtigung der der alten Finanzplanung
zwischenzeitlichen Abteilungsleitergespräche so- (Abg. Leicht: Ich werde das vervielfältigen
wie bekanntgewordener neuer Entwicklungen und überall verteilen lassen, damit die
überprüft worden. Es haben sich dabei bedeu- Leute sich selber ein Bild machen können!)
tende Änderungen sowohl auf der Ausgaben-
seite wie auf der Einnahmenseite ergeben. Mittel in Höhe von 200 Millionen DM erst ab
1972.
Das steht in diesem Schriftstück vom 20. Oktober.
Ich will jetzt einige Beispiele nennen. Es würde (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)
natürlich zu weit führen, das Ganze vorzutragen. Sie Ferner heißt es dort:
interessieren, auch im Hinblick auf die geführte De-
batte, nur einige besondere Delikatessen, wie ich Im Einzelplan 60 sind für Maßnahmen auf dem
mir vorstellen kann. Da steht zunächst: Besoldungs- und Tarifsektor einschließlich Ar-
beitgeberbelastung des Bundes aus der Lohn-
Für Agrarstrukturverbesserung ab 1970 etwa fortzahlung Verstärkungsmittel vorgesehen, die
die Hälfte bis zwei Drittel der ursprünglichen für 1970 eine Verbesserung der Bezüge um rund
Mehranforderung des Bundesministeriums für 9 v. H., gegenüber in der alten Finanzplanung
Landwirtschaft. um 5 v. H., zulassen. Ab 1971 ist für neue Maß-
nahmen eine Steigerungsrate von jährlich
Da sind Sie bei mir gut abgekommen. Dann heißt es 5 v. H. vorgesehen.
weiter:
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Für die Verbesserung der Kriegsopferversorgung
— Ich habe Ihnen ja gesagt: das ist keine Unter-
— Stand vom 20. Oktober; beachten Sie das! —
lage für eine interne Fortschreibung der mittelfristi-
ab 1. 1. 1970 12 v. H., gen Finanzplanung.
(Abg. Dorn: Hört! Hört!) (Abg. Rösing: Die war in Vorbereitung!)
ab 1. 1. 1972 Ich habe Ihnen den Vorschlag zur Güte gemacht:
— nicht 1971; das ist kein Druckfehler — (Abg. Wehner: Was heißt hier Güte? Kon-
weitere 8 v. H. sequenz!)
(Hört! Hört! bei der SPD.) Verzichten wir doch auf den Vortrag dieser Dinge!
(Zurufe von der SPD.)
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Die Konsequenz ist, daß ich nach der Schlußbilanz
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwi- für die vorige Bundesregierung und bei Vorliegen
schenfrage des Kollegen Leicht? — Bitte! der Eröffnungsbilanz dieser Bundesregierung um
folgendes bitte:
Leicht (CDU/CSU) : Nur um der Klarheit willen: Erstens. Gehen Sie davon aus, daß sich die sozial-
Würden Sie dazusagen, Herr Möller, daß derselbe demokratische Bundestagsfraktion in keiner Weise
Akt eine Übersicht über als streitig erklärte Beträge der Verantwortung zu entziehen versucht, die sie
zur Finanzplanung enthält — schon damals, als ich und ihre Minister durch die Beteiligung an der
dort war, enthielt; er ist nicht hinterher nachgekom- Großen Koalition übernommen haben.
men — und daß darunter der .weitere Betrag in der (Abg. Rösing: Sehr gut!)
1466 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


Zweitens. Gehen Sie weiter davon aus, daß sich Ich will nur mitteilen, daß Minister Schmidt aus
diese Bundesregierung mit einer sozialdemokrati- dienstlichen Gründen verhindert ist, hier teilzu-
schen Mehrheit und einem sozialdemokratischen nehmen. Ich habe ihn verständigt. Er hat an dem
Bundeskanzler ehrlich bemühen wird, es besser zu technischen Gerät, welches früher Sie benutzten,
machen, als Sie es bisher getan haben. Das können mitgehört, welche lichtvollen Ausführungen Sie über
Sie uns nicht übelnehmen! Wir sind ja auch noch, Verräter oder Widerstandskämpfer gemacht haben.
ganz jung und frisch. Sie haben sich in der Regie- Ich bin sicher, daß er zu gegebener Stunde darauf
rungsarbeit über zwei Jahrzehnte hinweg etwas zurückkommen wird; von meiner Person erwarten
verbraucht, etwas abgenutzt. Sie ja keine Antwort.
(Zuruf von der CDU/CSU.) (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs-
parteien.)
Das ist durchaus verständlich. Wir gehen aber mit
neuem Mut und frischer Kraft an die Arbeit. Unter-
stützen Sie uns in unserem Bestreben, es besser zu
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Abgeordneter Wehner!


machen, als es bisher gemacht worden ist!
(Abg. Rösing: Machen Sie mal einen Witz,
(Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
teien. — Abg. Ruf: A la bonne heure! — Herr Wehner!)
Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Kollege Dr. Strauß hat seine
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- Ausführungen vorhin mit einem Zitat geschlossen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatsekretär
(Abg. Ruf: Aus der „Frankenpost"!)
beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Berk-
han. — Ja, aus der „Frankenpost", so habe ich gehört. —
Ich wollte nur feststellen, daß es sich dabei um eine
unautorisierte Übersetzung in die dortige Landes-
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim sprache handelt.
Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kol- (Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)
lege Strauß, es tut mir leid, als ein nicht ausreichen-
der Vertreter eines feuerspeienden Berges, der hier Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

so durch den Saal gesaust ist — — Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende
der heutigen Beratung.
(Abg. Strauß: Eines Panzers!)
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
— Also eines Panzers; da kommt der alte Adam bei destages auf Freitag, den 20. Februar 1970, 9 Uhr,
Ihnen wieder heraus. Ein Berg wäre mir lieber ge- ein.
wesen.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Abg. Strauß: Sie denken nur in Ihren
Kategorien!) (Schluß der Sitzung: 19.39 Uhr.) -

Berichtigung

Es ist zu lesen:
30. Sitzung, Seite 1361 A, Zeile 9, statt „Solidarität":
„Solidität".
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970 1467

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Ich weise - als Beispiel - auf folgende Aktionen


hin:
Liste der beurlaubten Abgeordneten 1. Die jährliche Touristikkampagne, die im Inland
für Urlaub in Deutschland wirbt,
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich
2. die Werbekampagne „Zu Gast im Nachbarland
Beurlaubungen Deutschland", die mit besonderen Prospekten
und Anzeigen in Dänemark, den Niederlanden,
Adorno 20. 2. Belgien, Frankreich, der Schweiz und Österreich
Amrehn 19. 2. durchgeführt wird, und zwar in Zusammenarbeit
Dr. Barzel 20. 2. mit der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr.
Dr. Bayerl 28. 2.
Berlin 28. 2.
Biechele 28. 2.
Burgemeister 31. 3. Anlage 3
Dr. Dittrich * 20. 2.
Dohmann 31.3. Schriftliche Antwort
Dröscher * 19. 2. des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
Fellermaier * 20. 2. 19. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen des Ab-
Frehsee 28. 2. geordneten Jung (Drucksache VI/381 Fragen A 10
Geldner 6. 3. und 11) :
Freiherr von und zu Guttenberg 20. 2.
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch eine
von Hassel 28. 2. gesetzliche Regelung die Blendfreiheit bei Halogen-Nebelrück-
Hauck 28. 2. lichtern an Kraftfahrzeugen zu gewährleisten?

Dr. Hubrig 19. 2. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch eine
gesetzliche Regelung die Anbringung von Stoßstangen bei Kraft-
Jacobi (Köln/Iserlohn) 28. 2. fahrzeugen in einer normierten Höhe herbeizuführen und damit
die Kosten für Bagatellschäden zu senken?
Kater 20. 2.
Kriedemann * 19. 2. Nebelschlußleuchten haben eine an der Blend-
Freiherr von Kühlmann-Stumm 20. 2. störgrenze liegende Lichtstärke, die - auch bei Ver-
Dr. Löhr * 20. 2. wendung von Halogenlampen - höchstens 300 Can-
Lücke (Bensberg) 28. 2. dela betragen darf. Bei Herabsetzung der zulässigen
Lücker (München) * 20. 2. Lichtstärke oder bei Neigung des Lichtbündels wären
Meister * 20. 2. die Nebelschlußleuchten bei starkem Nebel praktisch
Memmel * 20. 2. wirkungslos. Entscheidend ist, daß die Leuchten nicht
Müller (Aachen-Land) * 20. 2. schon bei leichtem Dunst oder schwachem Nebel ein-
Frau Dr. Orth * 19. 2. geschaltet werden. Technische Einrichtungen, die das
Dr. Pohle 28. 2. zu frühe Einschalten ausschließen, gibt es nicht, so
Dr. Prassler 20. 2. daß nur .an die Vernunft der Verkehrsteilnehmer -
Richarts * 19. 2. appelliert werden kann.
Riedel (Frankfurt) * 19. 2. Das Straßenverkehrsgesetz ermächtigt den Bun-
Schröder (Sellstedt) 6. 3. desverkehrsminister mit Zustimmung des Bundes-
Dr. Siemer 20. 2. rates, Rechtsverordnungen zu erlassen über Maß-
Dr. Freiherr von Weizsäcker 20. 2. , nahmen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit
Werner * 20. 2. auf den öffentlichen Wegen. Zu diesen Maßnahmen
Windelen 20. 2. gehören insbesondere auch solche über Beschaffen-
Zoglmann 19. 2. heit und Ausrüstung der Fahrzeuge. In gleicher
Höhe normierte Stoßstangen können dazu beitragen,
Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Euro-
die Kosten für Bagatellschäden zu senken. Der Bun-
päischen Parlaments
desverkehrsminister kann jedoch verkehrsrechtliche
Vorschriften nur aus Gründen der Sicherheit und
Ordnung im Straßenverkehr erlassen. Eigenwirt-
schaftliche Erwägungen der Kraftfahrzeughalter be-
Anlage 2 gründen nicht die Zuständigkeit des Bundesverkehrs-
ministers zum Erlaß entsprechender Bestimmungen.
Schriftliche Antwort

des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom


19. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Ab Anlage 4
geordneten Geldner (Drucksache VI/381 Frage A 7) :
Schriftliche Antwort
Auf welche Einzelprojekte zur Konkretisierung ihrer schrift-
lichen Antwort (Anlage 7 des Stenographischen Berichts über
die 25. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 21. Januar 1970, des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
Seite 1105) kann die Bundesregierung hinweisen?
19. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen des
Die Deutsche Bundesbahn kann auf zahlreiche Ein- Abgeordneten Müller (Mülheim) Drucksache VI/381
zelprojekte der Werbung verweisen. Fragen A 14 und 15) :
1468 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Februar 1970

Teilt die Bundesregierung die häufig geäußerte Kritik an den Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Technischen Überwachungsvereinen e. V., wonach diese in der jüngsten Untersuchungsergebnissen des Instituts für Straßen-
Bearbeitung von medizinisch-psychologischen Gutachten zu Lasten und Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin, wo-
der Betroffenen Koordinierung und Zügigkeit vermissen ließen? nach Winterreifen mit Stahlstiften (Spikesreifen) die Fahrbahn-
beläge derart stark angreifen, daß schon nach kurzer Zeit die
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, Arbeitsmethoden und relative Sicherheit, die eine intakte Straßendecke bietet, deutlich
innere Verhältnisse der Vereine durch bundeseinheitliche Richt- vermindert wird?
linien zu verbessern?
Die bisherigen Erfahrungen und die jüngsten Un-
Kritik an der Arbeitsweise der medizinisch-psy- tersuchungsergebnisse über die Verwendung von
chologischen Untersuchungsstellen der Technischen
wÜibesranchIugvtF, Winterreifen mit Stahlstiften (sogenannten Spikes
zum Ausdruck gebracht wird, ist der Bundesregie- Reifen) geben (in .der Tat zu einer gewissen Besorg-
rung bisher nicht bekannt geworden. Sie versucht nis Anlaß. Diese Reifen tragen unter bestimmten
gleichwohl eine einheitliche Arbeitsweise in den winterlichen Verhältnissen einerseits zur Hebung
einzelnen Untersuchungsstellen zu gewährleisten. der Sicherheit im Straßenverkehr bei. Andererseits
Diesem Zweck dienen sowohl die im Einvernehmen
mit den obersten Landesbehörden aufgestellten verursacht ihre Verwendung einen höheren Ver-
Richtlinien für die amtliche Anerkennung von medi- schleiß der Fahrbahndecken und Markierungen. Un-
zinisch-psychologischen Untersuchungsstellen vom ter Abwägung .dieser Vor- und Nachteile wurde die
7. Oktober 1969 (VKBl. 1969 S. 637), als auch die Verwendung von Spikes-Reifen in einem bestimm-
ebenfalls mit den obersten Landesbehörden erarbei- ten Zeitraum zugelassen.
teten Richtlinien für die Prüfung der körperlichen
und geistigen Eignung von Fahrerlaubnisbewerbern Im Zusammenhang mit den noch nicht abgeschlos-
und -inhabern gleichfalls vom 7. Oktober 1969 senen Forschungsarbeiten wird geprüft, wie wider-
(VKBl. 1969 S. 638).
standsfähigere Straßenbeläge entwickelt werden
können. Es wird dabei erwartet, daß auch die Rei-
fenindustrie durch die Entwicklung von straßen-
Anlage 5 schonenderen Reifenbauweisen zur Lösung des ge-
meinsamen Problems beiträgt. Darüber hinaus wird
Schriftliche Antwort auch erwogen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom bei der Benutzung von Spikes-Reifen zu beschrän-
19. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Ab ken. Die Untersuchungen hierüber sind noch nicht
geordneten Graaff (Drucksache VI/381 Frage A 16) : abgeschlossen.

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