LONGINES SPIRIT

ZULU TIME

PREIS DEUTSCHLAND 6,20 €

DIEZEIT
WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R 27. APRIL 2023 N o 18

Fleisch Der Kanzler

ohne Reue
und das Klima
In Berlin eskaliert der
Streit auf den Straßen
und in der Ampel –
was denkt Olaf Scholz?
Der Mensch isst mehr Fleisch, als Politik, S. 2

der Planet verträgt. Forscher

arbeiten deshalb an echten Steaks Völlig
und Schnitzeln aus dem Labor. schwerelos
Man kann sie jetzt schon kosten. Abnehmen per Spritze?
Verändert das die Welt?  WISSEN Elisabeth Raether
probiert es aus
Entdecken, S. 64/65

Fatou hält
Das Fleisch auf unserem Titelfoto wurde in einem Labor in Kalifornien gezüchtet (fotografiert von Gabriela Hasbun/Upside Foods)
durch
US-WAHLEN ÖFFENTLICHER DIENST
In Afrika gefangen,
im Zoo ausgestellt:

Der Alte und der Tor Viel, aber fair

Der älteste Gorilla der
Welt lebt in Berlin
Entdecken, S. 61

Fühlt sich falsch an und ist dennoch richtig: Joe Biden tritt wieder an. Es ist der teuerste Tarifabschluss seit Jahrzehnten – und doch ein
Seine Chancen gegen Donald Trump stehen gut  VON PAUL MIDDELHOFF gerechter: Wer wenig verdient, bekommt mehr  VON CARLA NEUHAUS

W S
PROMINENT IGNORIERT
er derzeit gefragt wird, wie Tausenden Demokraten ist heute niemand so o hätte es auch ausgehen können: Pflegekraft bekommt mit dem Tarifabschluss hoch-
es denn jetzt weitergeht in weit, dass er Biden be­erben könnte. Tagelang fährt kein Bus. Der Ab- gerechnet 18 Prozent mehr, ein Jurist in der Ver-
der amerikanischen Poli- Eigentlich sollte Vizepräsidentin Kamala fall bleibt liegen. Die Ämter haben waltung 12,5 Prozent. Auch für den Juristen ist das
tik, antwortet am besten: Harris in diese Rolle hineinwachsen, eine brillan- geschlossen. Am Ende sind die ein deutliches Plus – ausgleichen kann er die­
»Hm, im Moment ganz te Juristin mit indischer Mutter und schwarzem Bürger so sauer, dass sie ihre Müll- Inflation damit aber nicht. Denn der Tarifvertrag
schwer zu sagen.« Damit Vater, modern und zukunftsfähig. Nur ist sie seit säcke im Vorgarten des Gewerk- gilt für zwei Jahre. So trägt der Abschluss der neuen
riskiert man zumindest nicht, noch einmal so ihrem Amtsantritt seltsam verblasst, sie gilt als schaftschefs auskippen. Das ist keine Fiktion, Realität Rechnung: dass Deutschland ärmer wird
doof dazustehen wie die versammelte Weltpresse ab­ge­hoben – auf ihr liegt der Fluch demokrati- sondern 1974 tatsächlich passiert. Auch damals und dass manche wohlhabende Menschen die
nach dem Wahlsieg Donald Trumps 2016, der scher Spitzenpolitikerinnen. war die Energie teuer, die Inflation hoch. Auch Kosten der Krise tragen müssen. Jene, die es sich
gemeinhin als völlig ausgeschlossen galt. Prog- Also: Biden, noch einmal. damals forderten die Beschäftigten des öffentli- am ehesten leisten können.
nosedemut, das klingt schön, als hätte man aus
der Vergangenheit gelernt.
Bei den Republikanern hingegen hat Trump
ernsthafte Konkurrenz. Ron DeSantis, der Gou-
chen Dienstes deutlich mehr Geld – und setzten
sich durch. So wie heute. Nur dass es diesmal
Und dennoch wird dieser Abschluss einige
Kommunen überfordern. Sie wissen schon jetzt
Einer für alle
Aber ganz ohne nach vorn zu schauen, geht es verneur von Florida, galt lange als logischer glimpflicher ablief, ohne Müll im Vorgarten. kaum, wie sie Turnhallen und Schwimmbäder Diesem Anfang wohnt kein Zau-
eben auch nicht. Deshalb kommt hier zumindest Nachfolger. Er ist jung, in seinem Staat schwin- Um Grundsätzliches aber geht es auch jetzt finanzieren sollen. Noch dazu hat der Bund sie ber inne, weshalb sich die Mikro-
ein Ausblick: So, wie die Dinge derzeit stehen, delerregend erfolgreich und schleppt nicht so wieder: was Arbeit kosten darf, was sie kosten mit neuen Aufgaben betraut: der Mobilitäts- fone nun Oliver »Oli« Kahn und
hat Joe Biden ziemlich gute Chancen, erneut die viel Ballast mit sich herum wie der Ex-Präsident. muss – und wer am Ende die Kosten trägt. und der Klimawende, der Digitalisierung der Hasan »Brazzo« Salihamidžić ent-
Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Trumps Anklage durch einen New Yorker Staats- Dass Beifall allein nicht reicht, ist in der Pan- Verwaltung. Die Hilfe von Bund und Ländern gegenbohren. Sind der CEO und
Ja, die Lage ist chaotisch. Ex-Präsident­ anwalt Ende März aber hat eine Schubumkehr demie schnell klar geworden. Da wurde für Pfle- ist da ebenso nötig wie die Unterstützung der der Sportchef des FC Bayern
Donald Trump, der aller Wahrscheinlichkeit bewirkt: Plötzlich ist Trump der vom vermeint- gekräfte geklatscht, weil sie weiter Patienten­ Kommunen untereinander. Eine Gemeinde, die München jetzt fällig? Hatten sie
nach von Neuem Bidens Kontrahent sein wird, lich liberalen Establishment verfolgte Märtyrer betreuten, während andere ins Homeoffice viel einnimmt, weil ein Konzern hohe Gewerbe- eigentlich keinen Plan B zur Ent-
ist wegen verdeckter Wahlkampf-Finanzierung und DeSantis schon fast ein Verräter, weil er in flüchteten. Kaufen aber konnten sie sich davon steuern zahlt, sollte in der Krise anderen helfen. lassung von Trainer Nagelsmann
angeklagt, in drei weiteren Verfahren wird gegen dieser Lage nicht das Knie beugt. In Umfragen nichts. Ebenso wenig wie Kita-Erzieher, Busfah- Wie schwer das sein dürfte, zeigt der Streit zwi- gehabt? Wie wäre es mit der Ent-
ihn ermittelt. Biden selbst ist 80 Jahre alt und liegt er mittlerweile so weit hinter Trump, dass rerinnen oder Müllwerker. Menschen, von ­denen schen den Bundesländern: Da wehrt sich Bay- lassung der Mannschaft gewesen?
wirkt auch so. Seine Gegner werden versuchen, nicht einmal mehr klar ist, ob er überhaupt ins etliche wenig verdienen, von denen manche­ ern, weil es als reiches Land nicht mehr so viel Geld ist ja da.  HBK
Bidens Alter zum zentralen Wahlkampfthema zu Rennen einsteigt. zuletzt nicht mehr wussten, wie sie ihre Lebens- für die anderen zahlen will. Ein klassischer Söde-
machen und nicht seine Politik. Auch die Erin- Völlig unklar ist auch, was ein anderer Star der mittel noch bezahlen sollen. rismus, der nicht um sich greifen darf. Kleine Bilder (v. o.): Christian Chladny
für DIE ZEIT; Hannes Jung für DIE ZEIT;
nerung an den Sturm aufs Kapitol ist noch frisch, Rechten vorhat. Fox News hat sich Anfang der So oder so werden kommunale Unternehmen Bernd Feil/imago
Woche von seinem Publikumsliebling, dem­
allen politisch Interessierten ist klar, dass es 2024 Einmalzahlungen helfen als Mittel aber die Preise anheben müssen. Damit steigen
Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
nicht um Steuerkonzepte oder Infrastrukturpro- Moderator Tucker Carlson, getrennt. Mit einer gegen die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale die Gebühren für die Müllabfuhr, für Schwimm- 20079 Hamburg
gramme gehen wird, so wie bei früheren Wahlen Kombination aus Häme, Lügen und politischem­ bäder, den Nahverkehr. Wird vieles teurer, droht Telefon 040 / 32 80 ‑ 0; E-Mail:
in normaleren Zeiten, sondern um das Fortbe- Instinkt hatte dieser jahrelang maßgeblich dazu Nun erhalten sie zu Recht mehr Geld, zumin- eine Lohn-Preis-Spirale: Erst steigen die Preise, DieZeit@zeit.de, Leserbriefe@zeit.de
stehen der amerikanischen Demokratie selbst. beigetragen, dass sich das konservative Amerika dest wenn sie im öffentlichen Dienst arbeiten. dann die Löhne, dann wieder die Preise. Zeich- ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de;
immer mehr als verfolgte Minderheit im eigenen Insgesamt 2,5 Millionen Beschäftigte profitieren net sich das ab, muss die Europäische Zentral- ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de
Noch ist offen, ob der rechte Moderator Land sieht. Wenn er politische Ambitionen hat, von der Einigung. Es ist der teuerste Tarifab- bank mit höheren Zinsen gegensteuern – sonst
Tucker Carlson auch antritt wäre er sogleich ein ernst zu nehmender Kandidat. schluss seit Jahrzehnten. Allein die Kommunen ufert das aus. Deshalb wird sie die Folgen dieses ABONNENTENSERVICE:
Tel. 040 / 42 23 70 70,
Trotzdem deutet alles darauf hin, dass Trump kostet er 17 Milliarden Euro. Das muss sich ein Tarifabschlusses genau prüfen, so wie sie es in E-Mail: abo@zeit.de
Uff, denkt man da, es ist aber doch noch ein- den Republikanern noch eine dritte Kandidatur Land erst einmal leisten können. der Euro-Zone derzeit mit jedem Abschluss tut.
einhalb Jahre hin. Und da soll, in diesem Aus- aufzwingt. Und gegen ihn hat Biden nun einmal Gewerkschaften wie Arbeitgeber sagen, dass Im Blick haben dürften die Zentralbanker
nahmezustand, schon absehbar sein, dass Joe­ die besten Chancen. Schon einmal hat er gegen sie bis an ihre Schmerzgrenze gegangen seien. dabei auch die Einmalzahlungen. Im öffentli- PREISE IM AUSLAND:
Biden die besseren Chancen haben wird?­ Trump gewonnen, damals war er der Vernünftige,­ Mit ihrem Kompromiss beweisen sie, dass die chen Dienst sind sie ebenso Teil des Deals wie DK 69,00/FIN 9,10/E 7,80/
Obwohl sein Alter ihn zunehmend plagt und der Keine-Experimente-Demokrat, Onkel Joe. Sozialpartnerschaft funktioniert. Dass Chefs zuvor in der Chemie- oder in der Elektro- und CAN 7,90/F 7,80/NL 7,20/
A 6,50/CH 8.50/I 7,80/GR 7,80/
sich kaum jemand so richtig über seine Kandida- Und das ist er immer noch. Auch seine Bilanz und Angestellte sich auch in schwierigen Zeiten Metallindustrie. Weil die Einmalzahlungen die B 7,20/P 7,80/L 7,20/H 3690,00
tur freuen mag? Ja! Der Schlüssel liegt in der Paa- kann sich sehen lassen; das Klimapaket, die­ noch auf Arbeitsbedingungen verständigen kön- Löhne nicht dauerhaft anheben, treiben sie
o
N 18
rung, auf die dieser Wahlkampf zuläuft: ­Biden Inflation leidlich im Griff, der Arbeitsmarkt sta- nen, die für beide Seiten akzeptabel sind. kaum die Inflation. Andere Tarifparteien sollten
gegen Trump, der Alte und der Tor. bil – ziemlich gut in diesen Zeiten. Trump hin- Ihr Kompromiss ist fair und sozial. Denn auch sich idealerweise daran orientieren.
Aufseiten der Demokraten braucht Biden gegen hatte schon 2020 nicht genug Stimmen. wenn alle etwas mehr Geld bekommen, erhalten Das gilt auch für die Bahn. Dort läuft der
keine Konkurrenz zu fürchten. Seine Partei, Und auch wenn die Strafermittlungen seine­ nicht alle gleich viel mehr. Statt rein auf eine pro- nächste große Tarifkonflikt. Es geht um die Löhne
7 8. J A H RG A N G C 7451 C
wenn auch unenthusiastisch, ist diszipliniert­ Anhänger nicht abschrecken, so ist doch unwahr- zentuale Erhöhung zu setzen, gibt es Einmalzah- für knapp 200.000 Beschäftigte. Um die Frage,
genug, um ihre Chancen nicht dadurch zu scheinlich, dass er neue Wähler hinzugewinnt. lungen von insgesamt 3000 Euro für jeden. Ab was Arbeit kosten darf. Was sie kosten muss.
schmälern, dass sie dem Präsidenten einen Wie gesagt, das alles ist bloß ein Ausblick. Er März 2024 dann monatlich 200 Euro extra, neben 18
kräfte­rau­ben­den Vorwahlkampf aufzwingt. Es stützt sich auf Umfrage-Ergebnisse und Exper- 5,5 Prozent mehr Lohn. Je weniger jemand ver- Beide Leitartikel finden Sie zum Hören
steckt darin aber auch ein Versäumnis. Von den tenmeinungen. Und, klar, auch auf Hoffnung. dient, desto stärker fällt das Plus ins Gewicht. Eine unter www.zeit.de/vorgelesen 4 190745 106207
2 POLITIK 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Wie grün ist der Kanzler?

Olaf Scholz will die Klimawende schaffen, ohne den Leuten viel abzuverlangen.
Eine Begegnung im Kanzleramt  VON BERND ULRICH

Ist das eigentlich ein guter Job, Kanzler? In diesen
Zeiten?! Wahrscheinlich besser als Vizekanzler,
wenn schon, denn schon. Aber sonst? Nehmen wir
Olaf Scholz und die Ökologie, die Menschheits-
krise und die vergangene Woche. Was war da los?
Folgendes: In Frankreich hat die Winter-­
Trockenheit einen heftigen Streit ums Wasser aus-
gelöst, Atomkraftwerke, Landwirtschaft und Tou-
rismus balgen sich um das knapp gewordene Gut,
Präsident Emmanuel Macron reist eilends zu ­einem
Stausee, um dort neue Wasserrichtlinien bekannt
zu geben. In Deutschland tobt nach wie vor der
Kampf um das Heizen. Die FDP, eine Partei, mit
der Scholz regiert, redet sich in Parteitagsrage und
fordert, den von ihr selbst mit verabschiedeten
Heizungskompromiss noch mal zu verändern. Bei
den Grünen, mit denen der Kanzler ebenfalls­
koaliert, wirkt der Groll auf die Ergebnisse des
Koalitionsausschusses weiter, man sinnt, vorsich-
tig gesprochen, auf Korrektur. Auf den Straßen
um das Kanzleramt blockiert derweil die »Letzte
Generation«­den Autoverkehr. Junge Leute brin-
gen sich in Gefahr, weil sie die Welt in Gefahr se-
hen, sie nehmen sich heraus, andere zu behindern,
weil die Zeit knapp wird. Die Gewalt gegen sie
nimmt zu, die Rhetorik eskaliert, auch in der­
Ampel. Zwischendurch wird in Berlin ein Buch
vorgestellt, das die Frage aufwirft, wie Ökologie
und Demokratie doch noch zu vereinbaren wären.
Fernab von Berlin baut Deutschland unterdessen
0,8 Windräder pro Tag, sechs müssten es sein.
Und inmitten von allem sitzt Olaf Scholz in
seinem Kanzlerbüro und scheint die Ruhe selbst.
Freitagvormittag, Sonne, Sitzgruppe. Es ist ein
Hintergrundgespräch, der Kanzler will seine Klima­
politik vermitteln. Er erklärt sich sonst nicht so
gern, aber nun scheint es Bedarf zu geben. Im
Laufe des Gesprächs entfaltet sich das Bild einer
Klimapolitik, der man ihre eigene Ästhetik nicht
absprechen kann, man könnte sogar sagen: Scholz
hat einen Traum.
Und einen Plan. Denn so sieht er sich wohl,
ganz knapp zusammengefasst: wie Merkel, nur
mit Plan. Anständig, bescheiden, sachlich, unter-
schätzt, öffentlich wortkarg, operativ – das alles
haben beide gemeinsam, aber Merkel habe eben
nichts gewollt oder wollen können, das Ergebnis
war: Attentismus. Hinterlassen hat sie: Zeitdruck.
Infolgedessen steht in des Kanzlers Klimapolitik
ganz vorn das Tempo. Mit den Gesetzen und Ver-
ordnungen, die sich dieses Land angewöhnt hat,
lässt sich die ökologische Transformation der
Wirtschaft innerhalb der noch verbliebenen zwei
Jahrzehnte unter keinen Umständen bewerkstelli-
gen. Es gibt nicht mal genug Gutachter für all die
Gutachten, die nun gebraucht würden, um all die
Windräder, Trassen und Wasserstoff-Fabriken zu
bauen. Das wäre ein Teil des Traums, gut­achten­
lose Genehmigungen.
Schneller kann es jedoch überhaupt nur gehen,
wenn die Politik maximal effizient ist, vor allem
die des Kanzlers. Tatsächlich hat Olaf Scholz eine
enorme operative Begabung, er hat gewissermaßen
das absolute Gehör für Prozesse. Und er kennt
diese Republik mit ihrem Personal, ihren Gesetzen
und Gewohnheiten in- und auswendig. So wie
Merkel. (Nur mit Plan.)
Das Herz seiner Klimawende ist die Energie-
wende, sie soll garantieren, dass die Industrie er-
halten werden kann und dass für immer das ge-
wohnte Wachstum bleibt, also im Prinzip: Die
Klimakrise, die er im Übrigen keine Sekunde in
I
Transparenz, durch Zahlentransparenz, um genau zu
sein.
Scholz’ Klimawende soll den Leuten also mög-
lichst wenig abverlangen, er will sie ihnen liefern,
es ist gewissermaßen Politik für die Menschen
ohne die Menschen. Wobei das etwas gemein for-
muliert ist, tatsächlich spürt der Kanzler schon
jetzt zuweilen eine gewisse Begeisterung für die
neuen Technologien, beispielsweise wenn er Be-
triebe besucht.
Stolz, Tempo, Effizienz, kein Verzicht, Wachs-
tum, Rettung – das also ist Scholzens Traum.
Wie kühn sein Traum von der Klimawende ist,
wird erst richtig deutlich, wenn man sieht, wie be-
grenzt der Spielraum des Politikers Scholz ist. An-
ders als etwa Robert Habeck verfügt er kaum über
maziele erreicht werden, bevor er abgewählt wer-
den kann, alles beruht also im Kern darauf, dass
die Schlacht dort entschieden wird, wo Olaf
Scholz seine größte Stärke hat: im Operativen. Er
selbst findet, dass es ganz gut läuft, Scholz liegt im
Plan, der Traum lebt. Aber was ist mit der Wirk-
lichkeit oder, sagen wir, was ist mit den anderen
Wirklichkeiten?
– Scholz möchte, dass bis 2030 mindestens 15
Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren.
Technisch betrachtet, hat die Diskussion über den
Verbrennermotor da keinen Schaden angerichtet,
schließlich wurde am Ende doch beschlossen, dass
es ab 2035 nur noch solche Verbrenner geben darf,
die ausschließlich mit den teuren E-Fuels fahren
können, es lohnt sich also nicht mehr, weiterhin
Foto [M]: Andreas Chudowski/laif
– Schließlich das Politisch-Taktische, das in Scholz’
Logik auch sehr ausgefeilt funktionieren muss.
Seine – ihm öffentlich unterstellte – Absicht, im
Koalitionsausschuss seinen Hauptkonkurrenten
Habeck zurechtzustutzen und die FDP durch Zu-
geständnisse zu stärken und zu befrieden, ist erst
mal rundum gefloppt. Die Liberalen stehen im-
mer noch bei nur sechs Prozent und rebellieren
womöglich noch vehementer gegen die eigenen
Kabinettsbeschlüsse. Die Taktik schien logisch,
doch irgendwas kam dazwischen. Als toxische Ne-
benfolge der Koalitionskrisen dieses Jahres macht
sich jetzt in der Regierung statt Good Governance
mitunter Guerilla Governance breit, teilweise
kämpfen die Ministerien schon auf Abteilungslei-
terebene munter gegeneinander.
Eine Zinswende, eine leicht panische FDP, ein
russischer Krieg, eine Bevölkerung, die sich im­
Dagegen verliert, eine Koalition in der Vertrauens-
krise – was passiert als Nächstes? Was immer dazwi-
schenkommt, ist einfach nur: das Leben. Das Leben
in einer Welt zumal, in der die westlichen Demokra-
tien nicht mehr so dominieren, was dazwischen-
kommt, das sind dann eben auch: die anderen.
Eine Formel geht einem beim Gespräch im
Kanzleramt immer wieder durch den Kopf: wie
Merkel, nur mit Plan. Das klingt gut erst mal.
Doch möglicherweise konnte Merkel nur Merkel
sein, eben weil sie keinen Plan hatte, weil sie Ver-
änderungen ausschließlich mit der Kraft akuter
Krisen durchzusetzen versucht hat. Dann bräuchte
es für einen so ambitionierten Plan wie den von
Scholz eine andere, eine erweiterte Methode.
Scholz wirft der Regierung Merkel, der er ange-
hörte, im Rückblick Tatenlosigkeit vor, gewisser-
maßen eine ergebnisindifferente Beschluss-Magie.
Man verkündet Ziele, und dann passiert nichts,
man stellt Mittel frei, und die werden dann nicht
abgerufen. Aber ist es denn unter ihm ganz anders?
Beim Bau zum Beispiel? Bei den Ladestationen?
Der Deutschlandtakt für die Bahn soll kommen,
sagt der Verkehrsminister, und zwar im Jahr 2070.
Dann aber angetrieben mit kernfusionierter Anti-
materie. Ist das nicht auch Beschluss-Magie? Real­
poli­tik ohne Realien?
Wie Merkel, nur mit Plan. Das lenkt ungewollt
den Blick auf ein paar Schwächen von Scholz. Zum
Beispiel: Merkel hat am Ende so ziemlich alle – mit-
unter zu sehr – verstanden, Scholz hingegen hat alle
durchschaut. Es ist schon ein bisschen schade, wie
viel Rechthaben sich so sammelt in 70 Minuten, wie
viel, man muss es leider sagen, Herablassung auch
dabei ist. Dazu nur ein Beispiel: Diejenigen, die an
seinen Plan nicht glauben, die denken, dass die Poli-
tik den Leuten die ökologischen Kollateral-Wirkun-
gen ihres eigenen Handelns nicht mehr ganz vom
Leib halten kann, wenn sie dieses Handeln nicht
verändern, die der Überzeugung sind, dass es die Re-
gierung ohne gewisse transformative Zumutungen
für die oberen zwei Drittel und ohne aktives Engage-
ment der großen Mehrheit operativ nicht schaffen
kann, die findet Scholz religiös verirrt. Was wiederum
ihn abschneidet von den Teilwahrheiten, die in die-
sem Ansatz möglicherweise liegen.
Kann Scholz sich so sicher sein, dass sein Plan,
sein Tempo, seine bezwingenden Zahlen ohne Hilfe
anderer Art funktionieren? Schafft er mit seinem Ver-
zicht auf jeden Verzicht wirklich noch Akzeptanz,
oder nährt er damit schon eine gewisse ökologische
Hypochondrie der Mittelschicht? Quengel-Deutsch-
land kann so erbarmungslos sein. Weiß Scholz so
sicher, dass die Schlacht nicht auch da geschlagen

Zweifel zieht, ist das Problem, die Lösung lautet:
Elektrifizierung. Mit grünem Strom, versteht sich.
Doch fängt hier der Traum erst richtig an, denn
da sind auch noch die Menschen, die in dieser Trans-
formation keinesfalls überfordert werden dürfen. Wie
schmal hier der Grat insbesondere für Sozialdemo-
kraten ist, das bringt der sozialdemokratische Frak-
tionsvize für Klima, Matthias Miersch, so auf den
Punkt: »Wir müssen darauf achten, dass zwei Drittel
der Gesellschaft durch ökologische Maßnahmen
nicht zu sehr belastet werden. Im schlimmsten Fall
profitieren sonst Anti-Klimaschutz-Parteien wie die
AfD, oder es drohen sogar Aufstände wie die der
Gelbwesten in Frankreich. Dann stehen die Grund-
festen der Demokratie in Gefahr.« Von »Gelbwesten«
sprach der Kanzler auch im 30-stündigen Koalitions-
ausschuss mehrmals. (Vor fünf Jahren hat eine­
Benzinpreiserhöhung viele Franzosen in Wut ge-
bracht. Heute sind sie noch mehr in Wut – ganz
ohne Klimapolitik.)
Man muss sich das alles einmal vorstellen: Nicht
etwa nur das untere Drittel muss geschont werden,
sondern die unteren zwei Drittel, also fast alle. An-
dernfalls drohen nicht etwa nur politische Krisen oder
ökologische Kämpfe, sondern die Demokratie selbst
ist in Gefahr. Auf dieser Rasierklinge macht Scholz
dann noch einen Flickflack. Denn es geht ihm nicht
allein um die schiere soziale Absicherung der Men-
schen oder um irgendwelche neuen Jobs, sondern
um solche, die den Stolz des bald vielleicht ehema-
ligen Bosch-Arbeiters nicht verletzen. Scholz’ öko-
logisch-demokratische Meditation geht folgender-
maßen: Jede Maßnahme sollte so angelegt und be-
gründet sein, dass sie in einer Volksabstimmung
obsiegen würde. Unwillkürlich fragt man sich, wie
viele Gesetze seit 1949 wohl den Bundestag passiert
hätten, wenn dieses Kriterium immer gegolten hätte.
Überzeugen will Scholz durch Ergebnisse und durch
die Kraft der Rede, er vermag im Unterschied zu
Merkel auch nicht wirkungsvoll seine Hand auf »Diejenigen,
den Unterarm des Gegenübers zu legen. Es ist ein
eher körperloser Korporatismus, mit dem der
Hanseat unterwegs ist. Keinesfalls will Scholz mit
die an seinen Plan
den eigenen Zweifeln den öffentlichen Raum dy-
namisieren wie seinerzeit Willy Brandt. Er mag
nicht glauben,
auch nicht gern öffentlich dazulernen, nicht mal
in diesen ständig neuen und verstörenden Zeiten, die findet Scholz
so wie es etwa der ehemalige SPD-Vorsitzende
Franz Müntefering einst tat. Scholz sagt immer
mal wieder etwas Neues, aber das Neue tritt dabei
religiös verwirrt«
auf wie etwas immer schon Gewusstes. Wie er
vom Alten zum Neuen kommt, bleibt dabei ein
Staatsgeheimnis.
Alles hängt ab von seiner good, seiner very very
good Governance, davon, dass Scholz’ Plan im­
allerhöchsten Deutschlandtempo aufgeht, ohne
dass jemand sich überfordert fühlt oder so tut, als
ob. Es kommt darauf an, dass die Zahlen, die Soli-
dität und die Ergebnisse überzeugen, dass die Kli-
Autos mit konventionellem Motor zu kaufen. Psy-
chologisch ist durch den Aufstand der FDP aller-
dings der Eindruck entstanden, als könnte man
ruhig bis in alle Ewigkeit solche Autos kaufen, bis
irgendwann das neue Zauber-Benzin eingefüllt
wird, das Scholz einem liefert. Der Plan ist gut, es
kam aber etwas dazwischen.
– Wer die Kräfte des Marktes für die Transformation­
nutzen will, muss über die Kosten für fossile Ener-
gie gehen, Scholz befürwortet einen sanft, aber
stetig steigenden CO₂-Preis. Allerdings wurde die
Steigerung wegen der Energiekrise im vergangenen
Jahr für die ganze Legislaturperiode ausgesetzt. Der
Stetigkeit kam etwas dazwischen.
– 400.000 Wohnungen pro Jahr wollte Scholz
bauen lassen, um die explodierenden Mieten in
den Griff zu kriegen und dabei energieeffizientere
Häuser zu bauen. Das Ziel wurde bei Weitem ver-
fehlt, Besserung ist nicht in Sicht. Es ist nämlich
inzwischen etwas passiert: Mit der Zinswende
wurden die Hauskredite teurer.
werden muss, wo er seine Schwächen hat? Die Gas-
Krise beispielsweise wurde nur bewältigt, weil der
Staat vorgesorgt hat – und die Leute Energie gespart
haben. Im Wochentakt dazu aufgerufen hatte aber
jemand anderes. Gilt die Richtlinienkompetenz
nicht ein wenig auch gegenüber dem Volk, bis zur
nächsten Wahl?
Scholz setzt gegen die Gesetze der atmosphäri-
schen Physik die Gesetze der politischen Physik. Die
hier und da aber vielleicht mehr die Gesetze seiner
Persönlichkeit sind. Der Möglichkeitsraum, in dem
er sich bewegt, ist sehr eng. Zu eng wahrscheinlich
für eine ökologische Wende im gegebenen Zeitraum.
Man kann ihm zutrauen, diesen Möglichkeitsraum
optimal zu bespielen. Erweitern kann er ihn nicht.
Jedenfalls nicht mit seinen bisherigen Methoden und
nicht ohne die Hilfe anderer Politiker mit anderen
Begabungen.
Und er wird sich womöglich sogar für einen­
komplett unsozialdemokratischen Gedanken öffnen
müssen: dass nicht nur die normalen Leute die Poli-
tik brauchen – sondern auch die Politik die normalen
Leute braucht.
Das Gespräch kommt dann noch auf die Sitz-
gruppe im Kanzlerbüro, die hat nämlich die blöde
Eigenschaft, dass man zu weit vom Holzquader-
Couchtisch wegsitzt, um einigermaßen bequem nach
dem Mineralwasser greifen zu können. Eigentlich
müsste der Kanzler mal etwas Neues bestellen. Aber
darf er das überhaupt? Der Architekt dieses Gebäu-
des, Axel Schultes, hat seinerzeit auch die Innenein-
richtung unter Schutz stellen lassen. Der lange Tisch,
das Regal, alles sakrosankt. Spätere Recherchen er-
geben: Tatsächlich ist die Sitzecke der einzige Frei-
raum, den der Kanzler mitbestimmen kann. Gut-
achterfrei gewissermaßen.
 www.zeit.de/vorgelesen
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
In kenianischen Slums lernen Mädchen, sich gegen Gewalt zu wehren. Mit Erfolg. Können wir in Deutschland daraus lernen?  VON ANDREA BÖHM
D
er Schrei des Mädchens geht
durch Mark und Bein, er
kommt aus dem Klassen-
zimmer der 7a. »Hau ab!
Fass mich nicht an!« Und
noch einmal: »Hau ab!«
Wenige Meter entfernt
lümmeln ein paar Jungen in zerschlissenen braunen
Schuluniformen im Hof der Ayany-Schule in Kibera
herum. Keiner horcht auf. Einer löffelt den dünnen
Brei aus einer Plastikschale, den die Köchin heute als
Mittagessen ausgegeben hat. »Ist bloß eine Übung.
Die Mädchen müssen lernen, wie man laut wird«,
sagt er. »Und wie man zuschlägt.«
In der 7a drängen sich rund 60 Schülerinnen
zwischen roh gezimmerten Holzbänken. Eine nach
der anderen geht nach vorn, rammt erst die Hand-
ballen, dann Knie und Ellbogen in Schlagpolster,
gehalten von drei Trainerinnen vor der Tafel.
Die anderen beginnen zu klatschen, feuern sich
gegenseitig immer frenetischer an. »Respekt«,
brüllen sie. »Wir wollen Respekt!« Der Dezibel-
Pegel nähert sich der Schmerzgrenze. Mittendrin
steht Norah Mudanya, 52 Jahre alt, eine zierliche
Frau, kaum 1,60 groß, weiße Mütze auf dem
Kopf, Hände an den Hüften, der Gesichtsaus-
druck ebenso triumphierend wie euphorisch. »Ist
das nicht großartig?«, ruft sie einem ins Ohr.
Auf ihrem schwarzen T-Shirt prangt in großen
Buchstaben »NO!«. Es ist die Arbeitskleidung der
Trainerinnen von Ujamaa-Africa, einer Organisation
in den Slums von Nairobi. Laut ihrer Webseite hat
sie ein effektives Mittel gegen jene globale Epidemie
gefunden, der man mit keinem Medikament bei-
kommt – Gewalt gegen Mädchen und Frauen.
Nämlich Widerstand, Gegenwehr. Brüllen, zu-
rückschlagen.
Ein kühnes Versprechen, das einen erstmal skep-
tisch werden lässt. Weswegen das Büro von Ujamaa-
Africa das Reporter-Team der ZEIT zu Norah
Mudanya und ihren Kolleginnen nach Kibera ge-
schickt hat.
Kibera ist das größte Armenviertel in Kenia,
manche sagen: in ganz Afrika. Ein Meer aus verros-
teten Wellblechdächern mitten in Nairobi. 2,6 Qua-
dratkilometer, auf denen 200.000, vielleicht auch
300.000 Menschen leben, die meisten von weniger
als 1,20 Euro am Tag. Offene Kanalisation, tägliche
Stromausfälle, überschwemmte Wohnzimmer nach
einem Sturzregen, zuletzt vor vier Tagen. Hohe Kri-
minalitätsraten, hohe Raten sexueller Gewalt, gerade
gegen junge Frauen. Jede Vierte, so schätzen Ujamaa-
Africa und andere NGOs, wird Opfer einer Vergewal-
tigung. Jedes Jahr.
Doch physische Selbstverteidigung ist nur ein
kleiner Teil des Programms, das Ujamaa-Africa an-
bietet. Viel wichtiger ist es, den Mädchen abzuge-
wöhnen, was sie verinnerlicht haben. Ein lautes
»Nein« reicht oft, um einen Übergriff zu stoppen,
bevor er eskaliert. Aber laut werden will gelernt sein.
In den ersten Sitzungen erklären die Trainerinnen
An der Ayany-Schule in Kibera wird, wie bald an sämtlichen Schulen Kenias, den Mädchen beigebracht, in der Not zuzuschlagen
Hau weg!
den Teenagern wieder und wieder, dass sie kein
schlechtes Gewissen haben müssen, wenn sie den
Grapscher auf dem Markt öffentlich bloßstellen, oder
wenn sie vor dem Onkel, der sich vor ihnen entblößt,
davonlaufen oder den Jungen aus der Nebenklasse
anschnauzen, der für eine Tüte Chips Sex haben will.
»Wir werden dazu erzogen«, sagt Norah Mudanya,
»dass ein ›gutes Mädchen‹ den Mund hält, egal, was
ihr passiert.« Sie glaubt, das sei ein kenianisches, ein
afrikanisches Problem. In Wahrheit ist es eines, das
Frauen weltweit betrifft. Bloß keine Szene machen.
Hoffen, dass der Angriff von selbst aufhört. Die
Schuld bei sich suchen. Vielleicht war das Kleid zu
eng, der Ausschnitt zu tief, die Straße zu dunkel, das
Widerwort im ehelichen Schlafzimmer zu harsch.
Ujamaa-Africa beschäftigt inzwischen über 100
Trainerinnen und Trainer. Tausende Schülerinnen
zwischen zehn und neunzehn Jahren haben die K ­ urse
durchlaufen, zwölf Stunden, verteilt auf sechs Wo-
chen, auf die in regelmäßigen Abständen Workshops
zur Auffrischung folgen.
Unter anderem Wissenschaftlerinnen der US-
amerikanischen Stanford-Universität haben das
Programm von Ujamaa-Africa mehrfach evaluiert
und festgestellt, dass das Risiko einer Vergewaltigung
für Absolventinnen der Ujamaa-Kurse um rund 50
Prozent sinkt. Vergangenes Jahr vereinbarte die Or-
ganisation mit dem Erziehungsministerium, das
Programm über die nächsten sieben Jahre auf sämt-
liche Schulen des Landes auszudehnen. Lehrerinnen
und Lehrer sollen als Trainer ausgebildet werden.
Frauen, die sich gegen Angriffe wehren, tun
das meist mit Erfolg, egal, in welchem Land
An dieser Stelle könnte man den Artikel mit einem
wohlwollenden Schlusssatz schon wieder enden
lassen. Endlich mal etwas Positives aus Afrika in der
Zeitung, wer will schon ständig nur über Hunger,
Elend und Kriege lesen. Aber dann würde man etwas
Entscheidendes verpassen: die Erkenntnis, dass die
Ujamaa-Frauen dem Rest der Welt tatsächlich um
einiges voraus sind. Und man von ihnen lernen kann.
Werden Frauen Opfer von Gewalt, sei nicht die
körperliche Überlegenheit des Mannes entscheidend,
sondern »sein psychologischer Vorteil«, schrieb die
amerikanische Feministin Susan Brownmiller in
ihrem Klassiker Gegen unseren Willen. Jungen lernten
von früher Kindheit an, ihren Körper aggressiv und
raumgreifend einzusetzen, Mädchen würden kon-
ditioniert, sich zurückzunehmen, kleiner zu machen,
schutzbedürftig zu wirken. »Was man uns nie bei­
gebracht hat«, so Brownmiller, »ist zu kämpfen und
zu gewinnen.« Das war 1975.
Just zu diesem Zeitpunkt boten Feministinnen in
den USA die ersten Selbstverteidigungskurse für
Frauen an, was in der Bewegung durchaus umstritten
war. Manche beharrten auf dem angeblich gewalt-
freien Wesen des weiblichen Geschlechts, andere
erklärten, Selbstverteidigung helfe vielleicht in Einzel-
fällen, ändere aber keine Strukturen. Und auch unter
POLITIK 3
Foto: Luis Tato für DIE ZEIT
Feministinnen hielt sich hartnäckig die Überzeu- merkt, dass »gesundheitsgefährdende Techniken in das ging den meisten Frauen so. Und ich hätte damals
gung, dass Mädchen und Frauen ihre Lage nur ver- Schulen nicht vermittelt werden dürfen«. nicht mal einen Schrei herausgebracht. Ich wusste
schlimmern, wenn sie Widerstand leisten. Bis heute Kritik an Kniestößen und Ellbogenschlägen be- gar nicht, wie man dafür Luft holt.«
ist diese Annahme noch weit verbreitet. kommt auch Norah Mudanya in Kibera öfter zu Mudanya zog drei Söhne groß, arbeitete in einem
Trotz der Kontroversen entstand in den USA ein hören. Manche behaupteten, »wir seien Feministin- Wellblechschuppen mit dem Schild »Beauty Salon«
Konzept mit dem Namen »Empowerment Self De- nen und würden den Mädchen und Frauen beibrin- an der Wand. Doch sie merkte, dass sie sich veränder-
fense« (ESD), das nichts mit Kampfsport zu tun hat, gen, wie man Männer verprügelt«. Weswegen sie und te. Zu Hause sei sie renitenter geworden, sagt sie. Sie
sondern mit dem Erlernen von Selbstbewusstsein, ihre Kolleginnen das Etikett »feministisch« für ihre schloss sich einer Nachbarschaftsinitiative an, die
der Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Die Amerikanerin Arbeit lieber vermeiden und stattdessen darauf ver- Eltern überzeugen wollte, die Töchter nicht vorzeitig
Lee Paiva, selbst Opfer einer Vergewaltigung, die weisen, dass sich ihre Organisation nicht nur um die von der Schule zu nehmen, sie erst mit 18 zu verhei-
heute ESD-Programme entwickelt, stellte das Kon- Mädchen kümmert. raten. Dann hörte sie, dass Ujamaa-Africa Trainerin-
zept Anfang der 2000er-Jahre in Nairobi vor. Paiva An diesem Märztag in der Ayany-Schule treten nen für eine Kampagne gegen Gewalt gegen Mäd-
brachte Trainerinnen aus den USA in die Slums, wo außer den Trainerinnen um Norah Mudanya auch chen und Frauen suchte. Die Ausbildung dauerte
sie Frauen wie Norah Mudanya ausbildeten. Bis die sechs junge Männer in Aktion, ebenfalls gekleidet in knapp einen Monat: Atemtechnik, Stimmübungen,
Kenianerinnen das Projekt zu ihrem machten. schwarze T-Shirts mit dem Aufdruck »NO!«. Stephen Einführung ins Strafrecht, ein bisschen Psychologie,
Frauen, die sich gegen sexuelle Angriffe wehren, Okoyo heißt ihr Teamleiter, ein 31-jähriger Student, ein Crashkurs in Pädagogik, Rollenspiele, Techniken
tun das meist mit Erfolg, egal, in welchem Land, egal, auch er stammt aus einem der Slums von Nairobi, zur physischen Selbstverteidigung. »Ich hätte es bei-
ob gegen den eigenen Mann, den Nachbarn, Chef, aus Korogocho. Schon während der ersten ESD-Kurse­ nahe nicht geschafft«, sagt Mudanya, »weil ich einfach
Lehrer, den Jungen aus dem Freundeskreis oder einen für Schulmädchen, sagt er, sei klar geworden, »dass nicht laut werden konnte.« Das ist jetzt zwölf Jahre
Fremden. Das haben inzwischen mehrere Studien du die Jungs in der Zeit nicht einfach zum Fußball- her. Heute kann sie aus voller Lunge brüllen.
unter anderem in den USA und Kanada belegt. spielen schicken kannst«. Zumal sich unter ihnen ja Mudanya schlängelt sich durch die Menschen-
Wenn sie einen ESD-Kurs wie den von Ujamaa- ein großer Teil der Täter befand. »Bad Boy«-Kultur menge, begrüßt ihre einstigen Kolleginnen aus dem
Africa absolviert haben, ist ihre Chance noch deutlich nennt Okoyo das soziale Umfeld vieler Jugendlicher, Beauty-Salon, die Textilhändlerin, vor der sich Alt-
größer, heil davonzukommen. Sie lernen außerdem, in denen Vergewaltigung nicht als Verbrechen, son- kleiderberge aus Europa auftürmen, erzählt zwischen-
schreibt die US-Soziologin Joyce Hollander, dern als Ausweis von Maskulinität gesehen wird. durch vom zähen Kampf mit ihrem Mann, als sie
die seit über zwanzig Jahren zu diesem Sich Ujamaa als Trainer für alternative ihm vor Jahren, mitten in ihrer Ujamaa-Ausbildung,
Thema forscht und unter anderem das Männlichkeit anzuschließen, bringt eine Defini­tion von Vergewaltigung in der Ehe unter
Projekt in Kenia evaluiert hat, ihren Be- einem in Kibera erst einmal keine die Nase hielt. Die ist in Kenia bis heute nicht straf-
wegungsspielraum wieder auszuweiten, Punkte ein. Okoyo verlor einige sei- bar. Aber sie hätten das irgendwann geklärt, sagt sie.
statt ihn aus Angst vor Gewalt ständig ein- ner Kumpel. Kommt er mit seinen »Mein Mann und ich haben einiges hinter uns.«
zuschränken. Denn die antrainierte Passi- Kollegen zum ersten Mal in eine Jun- Der ist noch gar nicht zu Hause, im niedrigen
vität trage »ihrerseits zum Problem der K ENIA gen-Klasse, blickt er oft in demons- Lehmbau, durch dessen Wände man alle Nachbarn
Vergewaltigung bei«. Auch darin steckt trativ verächtliche Gesichter. Aber hören kann und dessen geschätzte 15 Quadratmeter
Nairobi
Stoff für Kontroversen. Den Satz »Sie hat wenn die Trainer in den folgenden sie sich zu fünft, mal auch zu acht teilen, je nachdem,
sich nicht gewehrt, also wollte sie es ja« Sitzungen ihre eigenen Geschichten wer in der Familie gerade einen Schlafplatz braucht.
kennt man aus früheren Debatten über ZEIT-GRAFIK erzählen – über Schläge, die sie aus- Mudanya erhitzt Teewasser auf dem Propangas-
sexuelle Gewalt. 400 km geteilt und eingesteckt haben, über kocher. »Das war eine gute Woche«, sagt sie. Acht
Das ändert nur nichts an der offensicht- schlimm zugerichtete Mädchen aus der­ Kurse habe sie gegeben, einer Elfjährigen, die von
lichen Effektivität der ESD-Kurse. Die, so möch- eigenen Familie – herrsche absolute Aufmerksam- ihrem Vater missbraucht wurde, eine neue Bleibe ver-
te man meinen, müssten auch und gerade in reichen keit, sagt Okoyo. Dann sind sie nach jeder Stunde schafft, einem makenge, wie die Fahrpreiseintreiber
Ländern längst zum Standard in der Gewaltpräven- umringt von Schülern, die reden wollen. Über die der Minibusse heißen, so lange zugesetzt, bis er ihr
tion gehören. Gewalt des Vaters, Drogenprobleme, sexuellen das Wechselgeld zurückgab, um das vor allem Frauen
Tun sie aber nicht. Ob in den USA oder in Eu- Missbrauch in der Familie. Auch das Ujamaa-­ oft geprellt werden. »Nur einmal hätte ich heulen
ropa, Ressourcen fließen vor allem in die Nachsorge, Programm für Jungen soll jetzt auf die Schulen in können.« Nicht wegen der Arbeit, sondern weil Ju-
in Notruf-Stellen, Frauenhäuser, die Trauma- und ganz Kenia ausgeweitet werden. Ein Experiment, gendliche vor einigen Tagen bei Straßenprotesten
Rechtsberatung. 2016 empfahl eine Studie des Eu- das so noch kein anderes Land versucht hat. gegen Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen ihre
ropa-Parlaments, ESD als »zentrales Element« in alle Wut am eigenen Viertel ausgelassen und ausgerechnet
relevanten Strategien und nationalen Aktionspläne Ich konnte einfach nicht laut werden, sagt die Kirche in Brand gesteckt haben. »Die müssen wir
gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu inte- sie. Heute kann sie aus voller Lunge brüllen jetzt wieder instand setzen.« Sie braucht die Kirche,
grieren. Eine Nachfrage beim Bundesministerium die Sonntagspredigt ist ihre einzige Auszeit in der
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ergibt­ Am Ende dieser Woche in Nairobi bietet Norah Woche. Dann bittet sie den Herrn, dass er ihre Fa-
einen freundlichen Hinweis auf Links zu entspre- Mudanya einen Spaziergang durch ihre Nachbar- milie und ihre Nachbarschaft schützt. Dass er seinen
chenden Förderprogrammen, in denen ESD aber schaft an. »Schreiben Sie ruhig, dass es ein Slum ist«, Segen geben möge, wenn sie in der nächsten Woche
nicht vorkommt. Zwar bieten feministische Trai- sagt sie. Und: »Keine Sorge, Ihnen passiert hier wieder ein paar Dutzend Mädchen beibringt, ihre
nerinnen wie auch Polizeisportvereine längst solche nichts.« Sie ist vor über 30 Jahren hierhergezogen, Stimme zu erheben. Und wie sie im Notfall einen
Kurse an – manchmal auch für Schulen. Von einer weil sie einen Mann aus Kibera geheiratet hatte. Kniestoß richtig platzieren. »Denn am Ende liegt
systematischen Integration in den Unterricht oder Damals, sagt sie, sei sie eine Frau gewesen, die zu alles in Gottes Hand«, glaubt Mudanya. Klack, der
in nationale Aktionspläne ist jedoch nichts zu sehen. Hause keinen Widerspruch wagte; die im Bus still- Strom fällt aus, fließt fünf Minuten später wieder,
Stattdessen stößt man auf Einwände wie die des hielt, wenn ihr ein Fahrgast an die Brust griff; die sich fällt erneut aus. Sie tastet nach einer Kerze, die Glüh-
Fachbereichs Bildungseinrichtungen der Deutschen taub stellte, wenn bekiffte Jugendliche ihr Obszöni- lampe geht wieder an. »Tja, willkommen in Kibera«,
Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), der ver- täten hinterherriefen. »Das war einfach alles normal, sagt sie.
 4 POLITIK
»Das ist völlig
inakzeptabel«
CDU-Chef Friedrich Merz über Klimaschutz,
die »Letzte Generation« und darüber, wie er
für die Umwelt sein Essverhalten verändert hat
Aktivisten der »Letzten Generation« blockieren
eine Kreuzung in Berlin-Wedding
Fotos: Ingmar Björn Nolting für DIE ZEIT; kl. Foto: Dominik Butzmann für DIE ZEIT
Und einem Passanten passt das offenbar gar
nicht: Wütend entreißt er ihnen die Plakate
»Die Menschen möchten
nicht gegängelt und
bevormundet werden«
DIE ZEIT: Seit dem Wochenende legen Klima-Akti-
visten der »Letzten Generation« die Hauptstadt lahm,
um eine ehrgeizigere Klimapolitik zu erzwingen.
Können Sie ein bisschen verstehen, was die Demons-
tranten antreibt?
Friedrich Merz: Mein Verständnis wird von Tag zu Tag
geringer. Mich interessiert weniger die Erforschung der
Motive, wir sehen fast nur noch rechtswidrige und
strafbare Aktionen. Rettungswagen werden behindert,
Menschen werden daran gehindert, an ihren Arbeits-
platz zu kommen. Das ist völlig inakzeptabel.
ZEIT: Viele der Demonstranten wirken verzweifelt,
hoffnungslos. Tun sie Ihnen auch ein bisschen leid?
Merz: Wer verzweifelt ist oder politisch etwas ver­
ändern möchte, kann in der Demokratie in Parteien
mitarbeiten. Und wenn diesen Leuten die vorhande-
nen Parteien nicht gefallen, sollen sie neue gründen.
Aber was die sogenannte »Letzte Generation« tut, ist
kein demokratischer Weg mehr, das sind ordinäre
Straftaten. Damit diskreditieren sie den Klimaschutz
insgesamt, die Zustimmung der Bevölkerung nimmt
mit diesen Aktionen nicht zu, sondern eher ab.
ZEIT: Die CDU hat ihre Mitglieder befragt, was ih-
nen wirklich wichtig ist. Der Klimaschutz gehörte
nicht zu den Prioritäten. Was folgt daraus für Sie?
Merz: Das Meinungsbild deckt sich exakt mit dem,
was wir in der Bevölkerung insgesamt sehen. Das
Thema Klimaschutz rangiert schon seit langer Zeit in
den Augen der Bevölkerung nicht da, wo es in der
Politik gesehen wird.
ZEIT: Und wohin gehört es?
Merz: Ich werbe dafür, dass wir das Thema ernst neh-
men, aber ich verabsolutiere es nicht so, dass alles
andere untergeordnet werden muss. Klimaschutz ist
nicht gleichbedeutend mit Ökosozialismus, wie die
Philosophin Nancy Fraser fordert, oder mit einer
Kriegswirtschaft, wie es sich Ihre Kollegin Ulrike
Herrmann von der taz vorstellt. Das Klimaproblem
lösen wir nicht mit Verboten und Regulierung und
Drangsalierung der Bevölkerung, sondern mit einer
guten Rahmengesetzgebung und vor allem mit tech-
nischen Innovationen. Und wir können das Klima
nur schützen, wenn wir die damit einhergehenden
Herausforderungen, insbesondere die wirtschaftlichen
und sozialen, mitdenken.
ZEIT: Innovationen, von denen wir nicht wissen,
wann sie kommen. Inzwischen, so lautet das Gegen-
argument, läuft die Zeit ab.
Merz: Das teile ich ausdrücklich nicht. Wenn wir die
Akzeptanz für den Klimaschutz bewahren wollen,
wenn wir sie, besser noch, steigern wollen, dann geht
das nur im Konsens und nicht im Konflikt mit der
Bevölkerung. Es ist eben gerade nicht so, dass morgen
die Welt untergeht. Wenn wir in den nächsten zehn
Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem
guten Weg.
ZEIT: Was meinen Sie mit »Innovationen«, auf wel-
che Technologien wollen Sie konkret setzen?
Merz: Nehmen Sie zum Beispiel die CO₂-Abschei-
dung, die CO₂-Speicherung und die CO₂-Wieder-
verwertung. Wenn wir in eine Kreislaufwirtschaft ge-
hen würden, wäre CO₂ ein Rohstoff. Gefährlich wird
CO₂ ja erst, wenn es in gasförmigem Zustand zehn
Kilometer über uns in die Atmosphäre entweicht.
Wir könnten synthetische Kraftstoffe aus CO₂ ge-
winnen, wir könnten Rohstoffe daraus machen für
zahlreiche Produkte. Es gibt diese Technologien, bis
hin zu E-Fuels für unsere Autos.
ZEIT: Die CO₂-Abscheidung und -Speicherung ist
doch in Deutschland gar nicht erlaubt. Dazu müssten
Sie erst das Gesetz ändern.
Merz: Genau das wollen wir auch. Wir müssen in
diese Technologien einsteigen.
ZEIT: Sie glauben, Sie würden eine Mehrheit dafür
bekommen?
Merz: In der Bevölkerung ist sie da, denn die Bürger
sind weiter als die Politik. Man muss Klimaschutz mit
Chancen verbinden. Die Klimapolitik dieser Bundes-
regierung empfinden die Menschen zu Recht als eine
Bedrohung. Und dagegen wird es Ausweichreaktio-
nen geben, im Zweifel sogar Verweigerung. Mit einer
solchen Politik werden wir die CO₂-Ziele nicht errei-
chen. Wir müssen viel mehr über das Ermöglichen
reden und nicht ständig über das Verbieten.
ZEIT: Und wenn es nicht klappt mit dem, was wir für
die richtigen Weichen und das mögliche Tempo hal-
ten, geben wir die Klimaziele auf?
Merz: Ich werbe dafür, dass wir alles tun, um sie ein-
zuhalten, allerdings mit anderen Methoden und Mit-
teln, als es die gegenwärtige Regierung tut. Wer glaubt
denn ernsthaft, dass die Welt uns auf diesem Weg
folgt, falls Deutschland dadurch überhaupt klima-
neutral wird? Das ist eine blanke Illusion. Wenn um
uns herum die Produktivität zunimmt, während un-
sere Industrie abbaut oder abwandert, nützt das dem
Klima gar nichts, aber unsere Volkswirtschaft wird
zerstört. Deutschland ist der klimapolitische Geister-
fahrer auf dieser Welt. Da braucht man sich nicht
wundern, wenn der Klimaschutz in Umfragen nach
hinten rutscht.
ZEIT: Dann lassen Sie uns in die Welt schauen. Sogar
die USA investieren enorm ins Klima.
Merz: Die Amerikaner verbinden mit ihrem Klima-
paket eine Investitionsoffensive, neue Jobs und neue
Infrastruktur. Das Thema Klimaschutz ist in Amerika
sehr positiv besetzt, und zwar weil die Regierung in
der Lage gewesen ist, den Schutz der Umwelt mit In-
vestitionen in die Infrastruktur zu verbinden, in neue
Unternehmen und in neue Arbeitsplätze. Wir führen
stattdessen immer neue Verbotsdiskussionen. Durch
das angekündigte Verbot der Gasheizung werden in
diesem Jahr so viele Heizungen eingebaut wie nie zu-
vor, und das zu Rekordpreisen. Diese Regierung ver-
sucht Klimaschutz mit der Brechstange. Das funk-
tioniert in einer Demokratie aber nicht.
ZEIT: Das Offenhalten hat auch zu Ausweichbewe-
gungen geführt und dazu, dass wir Klimaziele nie ein-
gehalten haben. Stattdessen ist es jedes Jahr wärmer
geworden.
Merz: Deshalb ist entscheidend, wie die Politik Ent-
scheidungen trifft und wie sie konzeptionell vorgeht.
Geben wir Technologien vor oder Ziele? Von Hayek
hat immer wieder vom »angemaßten Wissen der Poli-
tik« gesprochen. Die Bundesregierung glaubt heute
schon zu wissen, welche Technologien in zehn Jahren
angewendet werden dürfen. Und sie wird mit ziem­
licher Sicherheit falschliegen. Ich gebe keine Prognose
ab, denn ich weiß es auch nicht. Ich möchte, dass wir
die Ziele erreichen. Aber den Weg dorthin müssen
wir der Wirtschaft, den Entwicklern, den Ingenieuren
und den Forschungsinstituten überlassen.
ZEIT: Wo haben Sie selbst den Klimawandel bislang
konkret erfahren?
Merz: Das sehe ich täglich bei mir zu Hause im Sauer-
land. Ich merke, dass die sehr schnellen Wetter-
schwankungen zunehmen. Und wir haben in den
letzten fünf bis zehn Jahren kaum mehr zuverlässige
Schneefälle gehabt. Als Kind habe ich in den Mittel-
gebirgen Skifahren gelernt. Das geht heute nur noch
da, wo künstlich beschneit wird. Ich sehe es auch am
Wald, der unter dem Borkenkäfer und der Trocken-
heit der letzten Jahre leidet. Die Bäume im Natur-
schutzgebiet Arnsberger Wald liegen heute zu etwa­
einem Drittel auf dem Boden. Da können wir die Fol-
gen des Klimawandels an Ort und Stelle besichtigen.
ZEIT: Und Sie glauben, dass wir das durch Techno-
logie-Offenheit ändern, ohne sonst viel ändern zu
müssen?
Merz: Es hat sich doch schon viel verändert, auch im
Verbraucherverhalten. Ich merke das auch bei mir, ich
esse längst nicht mehr so viel Fleisch wie früher und
bin sehr viel mehr darum bemüht, mich gesünder zu
ernähren, auch mit Blick auf Ressourcenschonung
und Klimaschutz. Es gibt in der Bevölkerung eine
große Bereitschaft zum Umdenken. Aber die Men-
schen möchten nicht gegängelt und bevormundet
werden.
ZEIT: Sie beklagen Verbote, aber verlangen Steue-
rung; Regulierung ist auch Steuerung.
Merz: Aber warum wird die Biogasheizung verboten?
Warum wird die Pelletheizung verboten? Wir haben
in dieser Bundesregierung eine »Stromfraktion«,
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
maßgeblich angetrieben durch zwei Staatssekretäre
aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die den ge-
samten Gebäudesektor und den Verkehrssektor voll-
ständig elektrifizieren wollen. Das kann nur schief­
gehen. Diese Einseitigkeit ist falsch. Aber selbst wenn
sie richtig wäre, hätten wir nicht die Kapazitäten, um
genügend Strom zu erzeugen. Da steckt eine Menge
Ideologie dahinter. Und wenn gleichzeitig für zehn
Millionen Haushalte mutwillig die Kernkraftwerke
abgeschaltet werden, dann frage doch nicht nur ich
mich: Wie passt das alles zusammen?
ZEIT: Eine Unterströmung der Klimaproteste ist die
Kapitalismuskritik. Ist die Union inzwischen auch
von solchen Zweifeln infiziert?
Merz: Ich hoffe es nicht, und ich glaube es auch nicht.
Wir werden ohne die immer wieder bewiesene Fähig-
keit der sozialen Marktwirtschaft zur Erneuerung
und zur technologischen Innovation unsere Probleme
nicht lösen.
ZEIT: Wir fragen, weil Jens Spahn und andere über-
legen, den Spitzensteuersatz und die Erbschaftsteuer
zu erhöhen. Kein Umdenken?
Merz: Da wird die Umstellung der Erbschaftsteuer
auf eine Flatrate diskutiert und eine erhebliche Be-
gradigung und Streckung des Einkommensteuertarifs,
sodass die ansteigende Steuerbelastung für die mittle-
ren Einkommen gedämpft wird. Ich bin dankbar für
die Gelegenheit, das richtigzustellen. Wir diskutieren
keine Steuererhöhungen. Aber die CDU macht sich
endlich wieder ergebnisoffen Gedanken darüber, wie
das Steuersystem insgesamt gerechter werden kann.
ZEIT: Die FDP hat Ihnen »Sozialismus« und »Plan-
wirtschaft« vorgeworfen.
Merz: Das amüsiert mich eher.
ZEIT: Was ist da los, im bürgerlichen Lager?
Merz: Es ist eine kühne These, dass die FDP noch zum
bürgerlichen Lager gehört, in all den Facetten und Per-
sonen, die wir im Augenblick dort sehen. Die Partei
macht doch in dieser Regierung mehr oder weniger
alles mit, stimmt im Kabinett dem Heizungsgesetz zu
und macht anschließend auf dem Parteitag Rabatz da-
gegen. Die Liberalen müssen selber wissen, ob das zu
ihrer Glaubwürdigkeit beiträgt. Wir sind jedenfalls
nicht Teil einer destruktiven Koalition, sondern wir
sind konstruktive Opposition.
ZEIT: Neuerdings sagen Sie: An die arbeitende Mitte,
also Leute mit kleinen und mittleren Einkommen,
haben wir zu wenig gedacht. Hängt es vielleicht damit
zusammen, dass der Union ausgerechnet in Sachen
Wirtschaftskompetenz nichts mehr zugetraut wird?
Merz: Wirtschaftspolitische Kompetenz war für uns
immer auch arbeitsmarktpolitische Kompetenz – vor
20 Jahren haben wir in keinem Bereich so gut dage-
standen. Und nirgendwo sonst haben wir seitdem so
viel Vertrauen verloren.
ZEIT: Haben Sie Angst vor einer Deindustrialisierung
Deutschlands?
Merz: Angst ist der falsche Ausdruck. Aber ich mache
mir Sorgen darum, dass uns industrielle Wettbewerbs-
fähigkeit verloren geht. Ich hatte das große Glück,
Deutschland in den letzten Jahren sehr viel auch vom
Ausland aus sehen und beurteilen zu können, aus den
USA, aber auch aus Asien heraus. Viele hier unter-
schätzen immer noch die Dynamik dessen, was zur-
zeit auf der Welt passiert. Im Jahr 2022 lag der Anteil
unseres Wohlstandes, den wir aus der Industrie er-
wirtschaften, zum ersten Mal unter 20 Prozent, Ten-
denz weiter sinkend. Wer wissen will, wie Länder aus-
sehen, die bereits deindustrialisiert sind, der möge in
die Midlands von Großbritannien oder ins Innere
Frankreichs reisen. Den oberen zehn Prozent geht es
auch in diesen Ländern prächtig. Aber für die Mitte
und Breite der Gesellschaft hat eine Deindustrialisie-
rung erhebliche Konsequenzen. Und die würde ich
uns gerne ersparen.
ZEIT: Dabei wird Olaf Scholz von den Grünen dafür
kritisiert, dass er zu industriepolitisch tickt.
Merz: Ich verstehe die SPD kaum noch. Sie wird in
wenigen Wochen 160 Jahre alt. Was ist von Lassalles
Arbeiterverein eigentlich noch übrig geblieben? Die
SPD ist keine Partei mehr, die Arbeitnehmerinteres-
sen vertritt. Sie wird gelenkt von linken Ideologen
aus dem akademischen Milieu, die im Grunde ge-
nommen die alte Klientel der SPD noch nie in i­ hrem
Leben kennengelernt haben, geschweige denn, dass
sie sie repräsentieren. Die CDU repräsentiert Ar-
beiter und Angestellte heute viel mehr als die­
Sozialdemokraten.
ZEIT: Wie ist Ihr Verhältnis zum Kanzler?
Merz: Wir haben dem Hundert-Milliarden-Sonder­
vermögen für die Bundeswehr zugestimmt. Umge-
kehrt hat die Bundesregierung ohne jedes Entgegen-
kommen ein Wahlrecht gegen die Oppositionsfraktio-
nen durchgesetzt. Ein Thema, bei dem eine Zu­
sammenarbeit über die Parteien und Fraktionsgrenzen
hinaus notwendig gewesen wäre. Das zeigt, von wel-
chem Geist diese Regierung geprägt ist.
ZEIT: Wenn Sie künftig nicht mit der SPD regieren
wollen, müssten Sie es mit Schwarz-Grün versuchen.
Was könnten Sie den Grünen bieten?
Merz: Wenn ich die Stimmen aus der grünen Partei
und Fraktion heraus richtig deute, dann geht es dort
jenseits von inhaltlichen Fragen auch um Dinge wie
Verlässlichkeit und Anstand im Umgang miteinander.
Materiell müssten wir hart ringen in Sachen Wirt-
schaft, Energie und Klima. Aber wenn ich beobachte,
wie sich Robert Habeck und sein Ministerium immer
mehr in eine Sackgasse hineinmanövrieren, dann
kann Hilfe von außen ja vielleicht auch nützlich und
willkommen sein.
Die Fragen stellten Tina Hildebrandt
und Mariam Lau
Friedrich Merz,
67, ist seit 2022
Parteichef der
CDU und
Vorsitzender der
Unionsfraktion
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 POLITIK 5

Hilfe für die Jüngsten

Regelsätze und Anzahl der Kinder, die von Transferleistungen (Hartz IV beziehungsweise Bürgergeld) leben

2 Mio.
andere Ukraine
Herkunfts-
länder
1,5 Mio.

1 Mio.

Deutsche
0,5 Mio. Regelsätze 2023

14 –17
unter 6 Jahre:
Jahre: 6 –13 420 €
318 € Jahre:
348 €
2016 2018 2020 September 2022 ZEIT- GRAFIK/Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Kinderverunsicherung
Die Regierung streitet über die Kindergrundsicherung. Aber worüber genau eigentlich?  VON ANNA MAYR

E
s war einmal, in einem großen, geht für die Bürokratie drum herum drauf. Das rauf haben, dann wird er ihnen ausgezahlt. Rechts- sechs ­Wochen, man habe dem Kanzleramt Ausge- men Kinder Wohngeld gesondert, im Kinderzuschlag

Foto: Mario Mensch

reichen Land: eine Politikerin.
Sie war, nachdem ihre Vorgänge-
rin beim Volk in Ungnade gefal-
len war, zur Familienministerin
ernannt worden. Und sie wollte,
dass kein Kind im Land mehr
arm ist. Deshalb entwarf sie ein Gesetz, mit dem
alle Kinder so viel Geld bekommen sollten, dass
sie sich Essen und Kleidung und Kinokarten
kaufen könnten. Doch ihr Plan ging nicht auf!
Denn über das Geld, das die Kinder bekommen
sollten, wachte der böse Finanzminister. Sein
Name war Christian Lindner, er hasste Kinder,
und er liebte Sparsamkeit.
Was soll man sagen – das klingt nach einer
verdammt guten Geschichte. Vielleicht wurde sie
deshalb in den vergangenen Wochen so häufig auf
die eine oder andere Weise erzählt. Lisa Paus,
Grüne, Familienministerin, möchte Kinder aus
der Armut holen. Christian Lindner, Finanzminis-
ter, möchte keinen Cent mehr für Sozialleistungen
ausgeben. Aber das Leben verläuft zum Glück
selten wie im Märchen. Die Regierung ist sich
uneins über die Kindergrundsicherung, ja, aber
die Gründe sind nicht nur finanziell.
Alle drei Ampel-Regierungsparteien hatten in
ihren Wahlprogrammen Konzepte, mit denen sie
Kindern helfen wollten. Bei Grünen und SPD hieß
dieses Konzept »Kindergrundsicherung«, bei der
FDP etwas anders, nämlich »Kinderchancengeld«.
Es bestand demnach Konsens, dass man etwas für
die finanzielle Absicherung von Kindern tun müs-
se. Im Koalitionsvertrag steht, dass die Regierung
eine Kindergrundsicherung einführen will, um
»mehr Kinder aus der Armut« zu holen. Eine­
Reform, da gibt es eigentlich keine zwei Meinungen,
ist notwendig, weil wirklich viel bei der Förderung
ist ja Arbeit: Anträge bewilligen, Beträge prüfen.
Keine der regierenden Parteien findet gut,
dass alle diese Dinge so sind, wie sie sind.
Deshalb legte die Familienministerin ein Eck-
punktepapier vor, in dem sie die groben Ideen ihres
Ministeriums auflistete, wie eine Reform der kind-
bezogenen Sozialsysteme aussehen könnte. Alle
Kinder, so die Idee, sollen einen festen monatlichen
Betrag erhalten, so wie das heutige Kindergeld. Das
Finanzamt soll prüfen, ob Familien so wenig Geld
haben, dass sie berechtigt sind, zusätzliches Geld
zu bekommen. Wenn das der Fall ist, schickt es den
Eltern einen Brief, der sie auf eine Website leitet,
auf der sie dieses Geld beantragen können. Kinder,
deren Eltern keine Steuern zahlen, weil sie etwa
krank sind oder arbeitslos, fallen im Moment noch
in den Verwaltungsbereich des Jobcenters. Das soll
auch geändert werden, denn Kinder sind ja selbst
nicht arbeitslos; man müsste also eine Kinder-
grundsicherungs-Behörde erschaffen.
Im Prinzip gibt es darüber keinen Konflikt.
Aber zwei Details im Eckpunktepapier sorgten
dafür, dass die Liberalen sich, nun ja, veräppelt
fühlten. Denn die FDP hätte ein Herzensprojekt,
es nennt sich »Kinderchancenportal«. Eine Web-
site, auf der Kinder ein monatliches Teilhabe-
Budget bekommen. Kommunen könnten Ange-
bote machen, kostenlosen Eintritt ins Museum
zum Beispiel. Schulen könnten Klassenfahrten
abrechnen, Kantinen Schulmittagessen. »Das
Kinderchancenportal ist technisch keine Hexerei«,
sagt Martin Gassner-Herz (FDP). Aber im Eck-
punktepapier ist kein digitales Portal geplant.
Beim zweiten Detail geht es um Kinder, d ­ eren
Eltern Asylbewerber sind. Im Moment bekom-
men sie weniger Geld, stattdessen Sachleistun-
gen. Erst wenn sie Asyl bekommen oder ihr Asyl-
ansprüche schlagen Haushaltspläne. Einen Rechts-
anspruch hat jedes Kind auch auf das Existenzmi-
nimum, das wiederum in einer Abteilung des
Arbeits­ministeriums berechnet wird. Nicht von
Lisa Paus oder Christian Lindner.
Dieses Existenzminimum wird sich in den kom-
menden Jahren erhöhen. Erstens, weil die anhalten-
de Inflation mit eingerechnet wird. Und zweitens,
weil es überprüft wird. Aktuell sind zum Beispiel
die Ausgaben für Drogerieartikel von Kindern un-
ter fünf Jahren auf 10,37 Euro pro Monat veran-
schlagt. Wer es schon einmal mit einem Säugling zu
tun hatte, ahnt, dass das nicht für Windeln reicht.
Dass das kindliche Existenzminimum »neu defi-
niert« werden soll, steht im Koalitionsvertrag.
Was ist jetzt also los? Darüber gibt es zwei­
Erzählungen. Die Erzählung der FDP ist: Das
Konzept des Familienministeriums sei unfertig und
teuer, die Ministerin bekomme es nicht hin, die
Arbeitsgruppen zusammenzubringen, die an der
Reform arbeiten müssten. Die Erzählung der Grü-
nen ist: Die Arbeitsgruppen tagten alle vier bis
ANZEIGE
staltungsmöglichkeiten vorgelegt, mit verschiede-
nen Preisen, quasi wie ein Katalog von Fertighäu-
sern – es müsse lediglich verhandelt werden, wel-
ches Haus man wolle.
Gibt es eine Strategie, die jeweils andere Partei
schlecht dastehen zu lassen, durch den Streit über
die Kindergrundsicherung? Wollen die Grünen den
bösen Finanzminister zeichnen, die Liberalen die
inkompetente Familienministerin? Nein, betonen
alle, die man fragt, eine Strategie, gar eine Kam­
pagne – wir doch nicht! Die Kampagne, die fahren
die anderen. Also diejenigen, mit denen man zufäl-
ligerweise regiert. Ach ja, und dann ist da noch die
SPD, die sich aus dem Konflikt öffentlich weitest-
gehend raushält. Für die gibt es nichts zu gewinnen,
denn der sozialdemokratische Wähler profitiert
zwar von Sozialleistungen, wählt aber aus Protest
CDU, wenn sie erhöht werden.
Die Fragen sind nun sehr praktisch: In einem
Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbunds zur
Kindergrundsicherung enthält die Leistung etwa­
einen Betrag für Wohnkosten. Im Bürgergeld ­bekom­
pauschal. Dieses Budget müsste aus verschiedenen
Töpfen in die Zuständigkeit der Kindergrundsiche-
rungs-Behörde wandern. Solche Zuständigkeitsfra-
gen stellen sich an vielen Stellen. Die Jobcenter hät-
ten eventuell weniger zu tun, weil sie nicht mehr für
die Kinder zuständig wären, die Familienkassen
mehr. Es geht nicht nur darum, wer wie viel be-
kommt – sondern darum, wer es verteilt.
An einer Einigung haben alle ein Interesse. Die
FDP will nicht, dass es läuft wie beim 49-Euro-­
Ticket, das zwar vom liberalen Verkehrsminister
umgesetzt wurde, in der Öffentlichkeit jedoch nur
mit den Grünen in Verbindung gebracht wird. »Die
Bündelung der sozialen Leistungen war unsere
Idee«, sagt Jens Teutrine (FDP). Und wenn die
Grünen den Eindruck erwecken, die Kindergrund-
sicherung sei gescheitert, nur weil die 12 Milliarden
am Ende nicht im Haushaltsplan stehen, sieht es
von außen schnell nach Niederlage aus. Am Sonn-
tag war Familienministerin Lisa Paus im Bericht aus
Berlin zu sehen. Sie sagte nichts Neues, signalisierte
aber, dass ein Kompromiss durchaus absehbar sei.

Energising the future.

von Familien in Deutschland recht absurd ist. verfahren extrem lange dauert, wechseln sie ins
Bürgergeld. Das Familienministerium will diese
Im Dschungel der Sozialleistungen Kinder ebenfalls in die Kindergrundsicherung
einschließen. Für die FDP, die ihr Wählerklientel

For 125 years.

findet sich kaum jemand zurecht
Ein Rechenbeispiel: Eine Alleinerziehende, die drei
Kinder unter zehn Jahren hat, bis 2100 Euro
brutto pro Monat verdient und in einer Stadt mit
hohen Mieten wohnt, hat Anspruch auf zwei ver-
schiedene Sozialleistungen, nämlich Wohngeld
und Kinderzuschlag. Wenn diese Alleinerziehen-
de sich nun aber entscheidet, mehr Stunden zu
arbeiten, oder eine Gehaltserhöhung auf 3800
Euro bekommt, dann lohnt sich das für sie kaum.
Denn die Sozialleistungen werden mit steigendem
Einkommen weniger, zunächst fällt der Kinder-
zuschlag weg, dann das Wohngeld. Wenn sie kein
Wohngeld mehr bekommt, hat die Familie keinen
Anspruch auf Teilhabezahlungen, also darauf, dass
Klassenfahrten, Schulessen und Nachhilfe bezahlt
werden. Dieses Problem nennt man »Transferent-
zugsrate«, und es ist weniger politisch, mehr tech-
nisch: Wie bekommt man es hin, dass Menschen
immer davon profitieren, wenn sie mehr arbeiten?
Ein Gerechtigkeits-Beispiel: Der Kinderzu-
schlag ist eine Leistung, von der wenige wissen.
Es gibt ihn seit 2005, die Idee war, dass Eltern,
die arbeiten und trotzdem wenig verdienen,
nicht zum Jobcenter gehen müssen, um die Mie-
te bezahlt zu bekommen – denn das Jobcenter ist
für Menschen gedacht, die Jobs suchen. Leider
schätzen Ökonomen, dass nur ein Drittel derje-
nigen, die Anspruch auf den Kinderzuschlag
haben, ihn beantragen. Dabei sind es bis zu 250
Euro, die einem entgehen.
Ein Bürokratie-Beispiel: Das Gesetz regelt,
dass Kinder, die von Sozialleistungen leben (die
also Bürgergeld oder Kinderzuschlag bekom-
men), Geld für gesellschaftliche Teilhabe bean-
tragen können, zum Beispiel für Musikunter-
richt oder einen Sportverein, inzwischen sind es
15 Euro im Monat. Doch ein Drittel des Bud-
gets, das dieses Paket den Staat im Jahr kostet,
im Moment an Friedrich Merz verliert, ist das
ein Reizthema. Was, wenn die Union eine Kam-
pagne gegen Asyltourismus startet? Oder
schlichtweg: Was, wenn die Leistungen miss-
braucht werden? Tatsächlich stimmt es, dass sich
der Anteil der deutschen Kinder im Sozialleis-
Wir sind die, die seit 1898 an die Energie von morgen
tungsbezug in den vergangenen Jahren verringert
hat. Das liegt einerseits an der Zuwanderung von
glauben und bis 2040 klimaneutral sind.
geflüchteten Familien aus der Ukraine und aus
anderen Staaten. Und andererseits daran, dass
nicht so viele deutsche Kinder geboren werden.
18 Prozent der Kindergeldbezieher haben keinen
deutschen Pass.
Nur ein Streit oder schon eine
Diffamierungskampagne?
Und dann eben das Geld. Lisa Paus hat angege-
ben, dass sie 12 Milliarden Euro braucht. Wie
genau sich die 12 Milliarden zusammensetzen,
ist unklar, das Familienministerium wollte den
Betrag auf Anfrage der ZEIT nicht im Detail
aufdröseln. Schätzungsweise sind vier bis fünf
Milliarden bereits weg, wenn wirklich alle Fami-
lien, die heute schon berechtigt sind, Hilfe zu
erhalten, sie auch wirklich beantragen. Wenn
man die Transferentzugsrate verringern will –
also dafür sorgen, dass von selbst erarbeitetem
Geld mehr übrig bleibt –, erhöht sich außerdem
automatisch die Anzahl der Berechtigten. Damit
wird es teurer.
Hier ergibt sich nun ein Zirkelschluss. Auf
dem Parteitag der FDP am Wochenende präsen-
tierte sich Christian Lindner abermals in seiner #125yearsRWE
Rolle als der Sparsame: Er sehe keine Möglich-
keit, sagte er in einem Interview, Mehrausgaben
durchzusetzen. Gleichzeitig kann er sich gegen
manches eh nicht wehren. Wenn Menschen den
Kinderzuschlag beantragen und ein Recht da-
6 POLITIK 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Die Mauern der Macht

Indiens Premierminister Narendra Modi errichtet ein neues Regierungsviertel.
Es soll so imposant werden, wie er sich sein Land vorstellt  VON ANNA SAUERBREY

D
Neu-Delhi Nachbildung aus Holz«, sagt er und wirft einen Wochenlang verglichen Experten in den Medien Man würde das gern den Mann fragen, der das Im September des vergangenen Jahres hat Modi
er Staub der Großbaustelle Blick hinüber zum Tischchen unter dem Fens­ter. die Reißzähne des Originals mit denen der Central Vista Redevelopment Project für die Regie- die neu gestaltete Promenade der Central Vista er-
lässt die Straßenbäume ver- Dutzende Ganeshas blicken von dort zurück, Nachbildung, zwei Anwälte reichten Klage beim rung realisiert, den Architekten Bimal Patel. »Modis öffnet. Mit der Eröffnung wurde sie umbenannt, von
greisen. Grau und feinkör- eine beeindruckende Sammlung von Figuren des Obersten Gericht wegen missbräuchlicher Ver- Architekt«, wie die Zeitungen ihn oft nennen, hat im Rajpath (»Königsstraße«) in Kartavya Path, was so
nig legt er sich auf die Kro- Hindu-Gottes mit dem Elefantenkopf, aber die wendung des Staatswappens ein (die das Gericht Regierungsauftrag Tempelanlagen und historische viel heißt wie »Straße der Pflichten«. »Rajpath war
nen. Er kriecht in Stofffalten Glücksgötter verstecken keine Löwen in ihren zurückwies). »Das Original ist sehr ruhig, sehr Stätten modernisiert. Er stammt wie Modi aus dem für die Briten da«, sagte Modi bei der Eröffnung,
und zwischen Wimpern. Er Reihen. friedlich«, sagt Shashi Tharoor. »Diese Löwen Bundesstaat Gujarat und hat während Modis Amtszeit »und für die Briten war das indische Volk ein Volk
bildet einen Film auf dem Shashi Tharoor ist Abgeordneter der Kongress- verweisen auf eine andere Art Symbolismus. als dortiger Regierungschef dessen Amtssitz neu ge- von Sklaven. Jetzt haben wir seine Architektur ge-
Kessel, den ein Mann neben einer Einfahrt aufge- partei und einer der bekanntesten Opposi­tions­ Aber schließlich ist das auch ein Premierminister, baut. Auf eine Interviewanfrage der ZEIT antwortet ändert und seinen Geist geändert.« Als zentrales Ele-
stellt hat. Der Mann hockt, auch er ganz ergraut, politiker und Intellektuellen Indiens. Zum­ der mit seinem Brustumfang angibt und seinen sein Büro, das ziehe man gern in Betracht, man möge ment der Zeremonie enthüllte der Premierminister
in seiner improvisierten Teeküche, einer Feuer- Gespräch hat er in das Büro seiner Privatresidenz muskulösen Nationalismus zur Schau trägt.« In aber eine Genehmigung des Stadtplanungsministe- eine Statue des indischen Widerstandskämpfers­
stelle zwischen ein paar Bruchsteinen auf dem in einem der schönsten Viertel von Neu-Delhi ein- der Neugestaltung der zentralen Hauptstadt­ riums einholen. Von dort kommt nie eine Antwort. Subhas Chandra Bose. Sie steht nun auf jenem Sockel
Gehweg. Erwartungsvoll schaut östlich des India ­Gate, den Lut­yens
er auf, als eine Gruppe Bauarbei- einst für eine Statue des britischen
ter durch das Tor hinaustritt, Königs ­George V. vorgesehen hatte.
doch die Männer überqueren Anders als der Pazifist Mahat-
rasch die Straße. ma Gandhi wollte Subhas Chan-
Haushoch sind die Metall- dra Bose den indischen Wider-
wände, die die Baustelle vor Bli- stand bewaffnen. Er reiste 1941
cken verbergen. Bahnt man sich nach Deutschland und erhielt
den Weg entlang der Wand, hin- eine Hilfszusage des Hitler-­
durch zwischen malmenden Regimes. Zur NS-Rassenlehre
Beton­ mischern, vorbei an den sind widersprüchliche Aussagen
Armen, die sich in Nischen des von Bose überliefert. Doch sym-
Bauzauns eingerichtet haben, ihre pathisierte er mit dem Autorita-
Wäsche trocknen und verstauben rismus und veröffentlichte einen
lassen, sind durch Spalten zwi- antisemitischen Text in der
schen den Metallwänden Funda- NSDAP-Zeitschrift Der Angriff.
mentteile zu sehen, an anderer An einem Sonntagabend im
Stelle das Containerdorf der Frühling richtet Bose nun also
Arbei­ ter. Autorikschas knattern den ernsten Nickelbrillenblick in
vorbei, wirbeln den Staub auf Richtung Präsidentenpalast. Am
und übertönen das Dröhnen der Rande des Platzes um die Statue
Betonmischer und das metalli- erzählen Schautafeln auf Hindi
sche Hämmern hinter der Wand. und Englisch sein Leben. Seine
An einer Stelle ist hoch oben ein Zusammenarbeit mit den Natio­
Schild angebracht, das zeigt, wie nalsozialisten wird nicht ver-
es hier einmal aussehen soll. Ein schwiegen, es wird allerdings­
langer, geradliniger Gebäude- behauptet, er sei »gegen Hitlers
komplex ist abgebildet, ein massi- Nazi-Politik gegen Minderheiten
ves Betonvordach überspannt und Juden« gewesen. Ein Junge,
eine lange Zufahrt. »Common neun Jahre alt, liest halblaut
Central Secretariat 1, 2 & 3« steht Wort für Wort die englischen
auf dem Schild – hier entsteht ein Texte: »Entfloh. Subhas. Dem.
neues Verwaltungsgebäude für Haus­ arrest.« Sein Vater steht
die indischen Ministerien. hinter ihm, die Arme hinter dem
Die Großbaustelle zu Fuß zu Rücken verschränkt, und hört
­
umrunden dauert eine Stunde. Sie wohlwollend zu.
liegt an der nördlichen Flanke der Satyam Ram und sein Sohn
zentralen Prachtstraße mitten in Priyam kommen aus Kalkutta, wo
Fotos: Anindito Mukherjee für DIE ZEIT; dpa (u. r.)

der indischen Hauptstadt Neu- Bose zu Beginn seiner politischen

Delhi. Die parkartige Achse ver- Karriere Bürgermeister war. Ram,
bindet über drei Kilometer das so erzählt er, arbeitet bei einem
India ­Gate mit dem Rash­tra­pa­ti Energieversorger. Politische Fragen
Bhavan, dem ­indischen Präsiden- oder Fragen zu Boses Pakt mit
tenpalast. Sie wird auch »Central Hitler beantwortet er auswei-
Vista« genannt. Nördlich und chend. »Subhas Bose ist sehr nah
südlich liegen Regie­rungsgebäude, an unseren Herzen«, sagt er nur.
das Na­tio­nal­archiv, das Parlament. Es ist das erste Mal, dass er und
Die Baustelle ist ein Teil des »Cen- sein Sohn hier sind, und es gefalle
tral Vista Redevelopment Project«, ihnen sehr gut.
mit dem der indische Premiermi- Hohe Absperrungen umgeben die Baustelle Es ist eine goldene Zeit in Neu-
nister Narendra Modi die Achse Delhi, die schönen Wochen zwi-
selbst und das ­Regierungsviertel schen den Smog-Höchstwerten des
Neu-Delhis erneuern lässt. Winters und dem Beginn der Som-
Die Architektur einer Haupt- merhitze. Die Luft ist samtig, und
stadt ist oft ein Stein gewordener in wenigen Tagen ist Holi, einer der
Ausdruck der Identität eines Staa- höchsten Hindu-Feiertage. So wie
tes – besser: der Identitätsvorstel- Neu-Delhi Satyam Ram sind viele, die sich das
lungen der Mächtigen. 1911 ver- Reisen leisten können, in die
INDIEN
kündete der britische König­ INDIEN Hauptstadt gekommen, um Ver-
George V. den Plan, die Haupt- wandte zu besuchen. Tausende
stadt des Raj, seines indischen schlendern an diesem Abend in
Kolonialreichs, von Kalkutta in kleinen Gruppen den frisch­
400 km
das künftige Neu-Delhi zu ver­ geteerten, autofreien Kartavya Path
ZEIT- GRAFIK
legen. Die Architekten Edwin entlang, in Selfie-Stimmung. Teils
Lut­yens und Herbert ­Baker ent- schon traditionell und festlich­
warfen die Pläne für die zentrale gekleidet, wandeln sie auf den­
Achse, auch für den heutigen Prä- Das India Gate in Neu-Delhi Regierungschef Narendra Modi erneuerten Wegen aus rotem Granit
sidentenpalast, der damals Sitz zwischen renovierten Wasserbecken
des Vizekönigs war, des obersten und unter den Jamun-Bäumen, die
Repräsentanten der Krone. Lut­ schon Lut­yens pflanzen ließ.
yens und ­Baker wollten mit den Champs-Élysées geladen, dem Staub weit entrückt. Eloquent und achse sieht er einen Ausdruck von Modis autori- Allerdings hat Patel das Projekt schon häufig öf- Der Kartavya Path ist so breit, dass die Regie-
in Paris oder dem Capitol Hill in Washington polemisch hat Tharoor in Indiens großen Zeitun- tärem Regierungsstil. »Autoritäre Regierungen«, fentlich präsentiert. Eine seiner Präsentationen findet rungsgebäude und die Großbaustellen entlang seiner
konkurrieren; über die indische Architektur äu- gen angeschrieben gegen Modis Pläne für die Cen- sagt Tharoor, »tendieren dazu, einen Fetisch für sich auf You­Tube. Der Architekt ist 61 Jahre alt, ein Flanken kaum wahrnehmbar sind, ausgelöscht von
ßerte sich Lut­yens abfällig, integrierte aber auf tral Vista. Jetzt möchte er etwas demonstrieren­ das Monumentale zu ­haben.« kleiner Mann mit grauem Haar und schwarz umran- der Weite des Abendhimmels. Im zugebauten Lon-
Weisung des Vizekönigs traditionelle Elemente, anhand der Löwen von Ashoka. Zu dumm, dass Auch westliche Diplomaten und Beobachter deter Brille, er redet schnell und konzise. Zwei Stun- don des frühen 20. Jahrhunderts wäre für so groß-
etwa den roten und beige­far­be­nen Sandstein. sie verschwunden sind. sorgen sich um die indische Demokratie. Indiens den lang klickt er sich am Pult eines Hörsaals durch zügige Planung kein Platz gewesen, hier, in Neu-
Premierminister Modi möchte nun die Identi- Die Ashoka-Löwen, das Original, gehören zum Wahlen gelten als frei und fair, und die starke­ Karten, Materialmuster, Simulationen. Ausführlich Delhi, konnte Lut­yens dem imperialen Anspruch
tät seines Landes in der Hauptstadtarchitektur neu Kapitell, dem oberen Schlussstück einer Säule, die Unterstützung für Modis Partei, die Bharatiya­ spricht er über das neue, dreieckige Parlamentsgebäu- Großbritanniens ungehemmt Ausdruck verleihen.
erzählen. Im vergangenen Jahr feierte Indien den der buddhistische indische Herrscher Ashoka um Janata Party (BJP, etwa: »Indische Volkspartei«), de mit den Ashoka-Löwen auf dem Dach. Er zeigt Heute leben im Metropolraum um die Haupt-
75. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. 1,4 Mil­liar­ 250 vor Christus errichten ließ. Den unteren Teil ist echt. Doch die Pressefreiheit und die Lage von Aufnahmen aus B ­ akers und Lut­yens’ altem Parla- stadt mehr als 30 Millionen Menschen. Auch deshalb
den Einwohner hat das Land heute und soll China des Kapitells bildet eine Lotusblüte. Die Blüte Minderheiten, vor allem die der indischen mentsbau: Großraumbüros, in denen die Menschen orien­tiert sich Patel an der Achse, die die Briten­
in diesen Wochen nach UN-Schätzungen als­ trägt eine Plattform, auf der vier Löwen thronen, Muslime­ , haben sich verschlechtert. Kürzlich in Raumteiler gepfercht sind, nachträglich installier- geschaffen haben: Rundherum wuchert die Stadt,
bevöl­kerungsreichster Staat überholt haben. Indien die Rücken ein­ an­
der zugewandt. Anfang des wurde­Rahul Gandhi, der prominenteste Politiker te Klimaanlagen, an Fassaden sich rankende Kabel- anderswo ist kein Freiraum zum repräsentativen
hat gerade den Vorsitz der G20-Staaten inne, des 19. Jahrhunderts wurde das Kapitell bei Ausgra- der oppositionellen Kongresspartei und ein mögli- bündel. »So sollte das Parlament Indiens nicht aus- Bauen. Die imperiale Tradition hat eine Pfadabhän-
Clubs der 20 größten Volkswirtschaften der Welt, bungen gefunden, kurz nach der indischen Unab- cher Gegenkandidat Modis bei den Wahlen 2024, sehen!« Dem ­Chaos stellt er seinen eigenen Entwurf gigkeit geschaffen. Und letztlich wollen Modi und
und sieht sich als eine Führungsnation des Globa- hängigkeit 1947 beschloss das Parlament, dass die wegen Verleumdung zu zwei Jahren Haft verur- entgegen: helle, moderne Büros und neueste Technik. Patel sie wohl auch gar nicht überwinden. Die­
len Südens. Vom Westen wird es als Partner um- Löwen das Staatswappen werden sollten. Das Rad, teilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, Das neue Parlament, das wird schnell klar, wird Gebäude entlang der neuen Central Vista werden
worben. Im Herzen der Hauptstadt soll Indien sich das die Plattform in der Mitte verziert, ist Vorbild doch Gandhi hat durch das Urteil sein Abgeord- außerdem durchzogen sein von postkolonialer andere sein, die Idee ist die gleiche: Große Mächte
als aufstrebende Supermacht neu darstellen. Die für das Rad in der indischen Flagge. netenmandat verloren, als politischer Konkurrent natio­naler Symbolik. Die Augen des Pfauen- erzählen sich monumental.
indische Demokratie allerdings reagiert empfind- Als sechseinhalb Meter hohe Bronzestatue des Regierungschefs ist er geschwächt. schwanzes zieren Teppiche und Stoffe, über dem
lich auf die neue ästhetische Sprachregelung ihres thronen die Ashoka-Löwen jetzt auf dem neuen Shashi Tharoor vergleicht die Pläne für Modis Haupteingang prangt das Rad aus dem Sockel der  www.zeit.de/vorgelesen
Premiers. Modis Projekt hat auch im übertragenen Parlamentsgebäude an der Central Vista, das in neue Central Vista mit der Architektur unter Ashoka-­Löwen. »Das Gebäude muss die Einheit
Sinn viel Staub aufgewirbelt. diesem Jahr fertiggestellt werden soll. Modi hat Musso­lini, dem stalinistischen Moskau und den der Nation zeigen«, sagt Patel. Modi hätte all das Hören Sie den Podcast
Shashi Tharoor kann die Löwen von Ashoka die gigantische Skulptur selbst eingeweiht. Was Plänen Albert Speers für eine neue Hauptstadt für auch selbst sagen können. Modernisierung, Natio- Am Ende der Woche sprechen wir über Politik - was
nicht finden. Er erhebt sich halb hinter seinem folgte, war die »Ashoka-Debatte« – denn die­ Hitler-Deutschland. Baut Modi womöglich nicht nalismus, hinduistische Tradition sind die wichtigs- sie antreibt, was sie anrichtet, was sie erreichen
ausladenden Schreibtisch, schiebt Papiere und Löwen auf dem Parlamentsdach, fanden Kriti- der 1,4-­Mil­liar­den-­Demo­kra­tie Indien, sondern ten Elemente seiner Politik – und eine endgültige kann. Jeden Freitag in Das Politikteil.
Bücher zur Seite. »Ich hatte doch diese kleine ker, sähen viel aggressiver aus als das Original.­ seinem Autoritarismus ein Denkmal? Eman­zi­pa­tion von der kolonialen Vergangenheit. Jetzt anhören unter www.zeit.de/das-politikteil
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 POLITIK 7

L I BY E N ÄG Y P T E N

TSCH A D SU DA N
ERITR EA

Dafur Khartum

ÄT H IOPI E N
ZEN T R A L SÜD
A FR IK A NISCHE 400 km
R EPU BL IK S U DA N ZEIT- GRAFIK

Ein Land
als Beute

Foto: Spanish Foreign Ministry/Handout/Reuters

Wie die Kämpfe im Sudan von auswärtigen
Mächten befeuert werden 
VON JÖRG LAU UND ANNA SAUERBREY

Ein Evakuierungsflug aus dem Sudan ist in Spanien gelandet

D
ie Evakuierungsflüge aus
dem Sudan sind erfolg-
reich beendet, über 500
Menschen aus dreißig Na-
tionen hat allein die Bun-
deswehr retten können.
Zurück bleiben verzweifel-
ter Sudanesen, gefangen in einem blutigen
Machtkampf zweier Generale. Eine Demokratie-
Aktivistin machte ihrer Wut auf Twitter Luft:
»Ihr westlichen Vermittler habt uns das Chaos
eingebrockt. Jetzt holt ihr eure Leute raus und
lasst uns mit mörderischen Psychopathen allein.«
Viele Sudanesen stellen sich inzwischen die
Frage, wessen Krieg das eigentlich ist, der ihr
Land in die schlimmste Krise seit Jahrzehnten
gerissen hat. Wer profitiert von dieser Es­ka­la­
tion? Hat sie wirklich niemand kommen sehen?
Welche Szenarien sind jetzt noch denkbar?
So paradox es klingt: Die Kämpfe sind zu-
nächst selbst das Resultat eines Friedensprozes-
ses. Der Sturz des langjährigen Diktators Omar
al-Baschir vor genau vier Jahren infolge eines­
zivilgesellschaftlichen demokratischen Aufstands
brachte die beiden Militärführer an die Macht,
die heute gegeneinander um die Herrschaft
kämpfen: Abdel Fattah Burhan, Chef der regulä-
ren Streitkräfte, und Mohammed Hamdan Da-
galo, genannt Hemedti, Führer der paramilitäri-
schen Rapid Support Forces (RSF).
Sie hatten nach dem Sturz des Diktators vor
allem auf Druck der Vereinigten Staaten zuge-
standen, den Übergang zu einer zivil geführten
Regierung zu unterstützen. Tatsächlich unter­
minier­ten sie diesen Übergang, wo sie nur konn-
ten, und stürzten 2021 den zivilen Premier
Hamdok. Die Vereinten Nationen, die USA, die
EU und die Afrikanische Union drängten auf ein
neuerliches Abkommen zur Machtübergabe –
und auf eine Integration der RSF in die Armee.
Die bewaffneten Kräfte sollten in einer einzi-
gen Armee unter ziviler Kontrolle vereint wer-
den. Ausgerechnet diese »Reform der Sicher-
heitskräfte« schuf aber für beide Seiten den An-
reiz, ihre Kräfte weiter auszubauen, um möglichst
viel Einfluss in der integrierten Armee zu be-
kommen. Die bestehenden Streitkräfte unter
Burhans Führung ebenso wie die RSF-Milizen
Hemedtis kontrollieren auch weite Teile der su-
danesischen Wirtschaft.
Beide Generale bekannten sich zu Reformen
und zur Demokratie, hatten aber in Wahrheit
kein Interesse, Macht an die je andere Seite oder
an eine zivile Verwaltung abzugeben. Der Anlass
für den Ausbruch des Bürgerkriegs war ein Streit
um die Frist für die Integration der beiden Ar-
meen. General Burhan bestand auf einer schnel-
len Eingliederung, woraufhin sein Konkurrent
Hemedti beschloss, sein Glück in einem Putsch
zu suchen, der nun das ganze Land in einen­
Bürgerkrieg zu reißen droht.
Die Diplomaten stehen vor der Frage, ob ihre
Vermittlungsbemühungen naiv waren oder den
Anreiz zum Machtkampf sogar noch erhöht ha-
ben. Theodore Murphy, Leiter des Afrika-Pro-
gramms der Denkfabrik European Council on
Foreign Relations, glaubt, dass die Vermittler die
Motive und Positionen von Burhan und He­
medti zuletzt nicht ausreichend verstanden hät-
ten: »Ihnen war nicht klar, dass das neue Abkom-
men die roten Linien der regulären Streitkräfte
von Burhan überschritt.«
Im Friedensprozess waren seit 2019 zahlreiche
internationale und regionale Mächte als Vermitt-
ler und Unterstützer eingebunden – mit eigenen
politischen und wirtschaftlichen Interessen.
Moderiert wurde der Prozess offiziell von den
Vereinten Nationen, unter der Leitung des Deut-
schen Volker Perthes, von der Afrikanischen
Union und drittens von einer Gruppe regionaler
Staaten mit großem Einfluss in der Region: den
USA, der früheren Kolonialmacht Großbritan-
nien, dem »Nachbarn« auf der anderen Seite des
Roten Meers, Saudi-Arabien, sowie den Verei-
nigten Arabischen Emiraten (VAE). Die Kon-
fliktparteien im Sudan, so Murphy, seien generell
gut darin, andere Staaten als Vermittler einzube-
ziehen – und deren Interessen dann zu nutzen,
um daraus politisches Kapital zu schlagen: »Für
sie ist das wie Aikido«, ein japanischer Kampf-
sport, bei dem man die Bewegungen des Gegen-
übers nutzt, um ihn zu destabilisieren.
Besonders interessiert und aktiv waren nach Ein-
schätzung von Murphy in den vergangenen Jahren
die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie fürchten
das Erstarken islamistischer Kräfte in ihrer mittel-
baren Nachbarschaft. In der von Burhan geführten
Armee und Verwaltung hielten sich die alten isla-
mistischen Eliten aus der Zeit von Omar al-Baschirs
Diktatur. Hemedti hingegen war ein Außenseiter,
der seine Truppen aus der Stammesgesellschaft der
Peripherie rekrutierte. Die VAE und unterstützen
deshalb seine RSF. Für die Emirate, so Murphy, sei
Hemedti genau der richtige Mann: nicht islamis-
tisch, aber auch ohne jedes Interesse an der Stärkung
demokratischer Kräfte.
Die Emirate lieferten Hemedtis Truppen
Ausrüstung, heuerten seine Söldner gegen viel
Geld für ihren eigenen Krieg im Jemen an und
investierten Milliarden im Sudan. »Sie kamen«,
sagt Murphy, »genau in dem Moment, in dem
die Lage fragil war – und der Sudan verzweifelt
Geld brauchte.« Wirtschaftliche Interessen spiel-
ten ebenfalls eine Rolle. Die Emirate kauften im
Sudan große landwirtschaftliche Flächen.
Auch der nördliche Nachbar Ägypten mischt
mit. Für Kairo ist die reguläre Armee der Partner.
Burhan und Ägyptens Präsident Al-Sissi haben
dieselbe Militärakademie besucht, ihre Armeen
haben gemeinsame Manöver abgehalten. Al-Sissi
wünscht sich im Sudan eine vom Militär domi-
nierte Regierung nach eigenem Vorbild.
Der Einfluss regionaler Kräfte erstarkte nach
Einschätzung von Experten auch deshalb, weil
die USA ihr Engagement unter den Präsidenten
Obama und Trump zunehmend zurückgefahren
hatten. »Der Polizist, der auf der Kreuzung den
Verkehr geregelt hatte, war plötzlich weg – und
alle fuhren kreuz und quer durcheinander«, sagt
Murphy. Unter Joe Biden änderten die USA den
Kurs. »Bidens Afrika-Beauftragte hat zuletzt star-
ken Druck gemacht, schnell ein Abkommen zu
unterzeichnen«, sagt Gerrit Kurtz, Afrika-Experte
der Stiftung Wissenschaft und Politik. »Auch das
hat zur Eskalation beigetragen.«
In die Lücke, die die USA hinterließen, stößt
zunehmend Russland vor. Die Russen haben
wirtschaftliche, aber auch geopolitische Interes-
sen im Sudan. Im Jahr 2017 unterzeichnete
Moskau ein Abkommen mit dem damaligen
Diktator Al-Baschir zur Errichtung eines Marine-­
Stützpunkts nahe der Hafenstadt Port Sudan.
Für Moskau ein attraktiver Standort, um mehr
Kontrolle am Roten Meer auszuüben, den wich-
tigsten Seeweg für den Handel zwischen Europa
und Asien. Den Stützpunkt gibt es allerdings bis
heute nicht – auch weil Burhan zuletzt argwöh-
nisch die Nähe seines Konkurrenten Hemedti zu
Moskau beobachtet hat.
Mit dem Abkommen von 2017 erhielten zwei
russische Firmen außerdem Schürfrechte für
Gold – beide Unternehmen stehen seit dem
Frühjahr auf der Sanktionsliste der EU, weil sie
Verbindungen zur russischen Wagner-Miliz ha-
ben sollen, die auch in der Ukraine kämpft.
Russland sei Abnehmer des Goldes, sagt Gerrit
Kurtz, helfe aber auch, das Gold abzubauen und
zu exportieren. »Gold ist das wichtigste Export-
gut des Sudan«, sagt er, »schon gemessen an den
offiziellen Exportdaten. Die tatsächlichen Men-
gen dürften noch deutlich darüber liegen.«
Durch das Goldgeschäft finanziert sich der Ein-
satz von Wagner-Söldnern und damit die Unter-
stützung der RSF und Hemedtis praktisch von
selbst. Die Söldner, so Kurtz, seien seines Wissens
nach nicht an den Kämpfen beteiligt, auch früher
nicht beteiligt gewesen. Allerdings gebe es Berichte
darüber, dass Wagner-Söldner Ausbildungsaufgaben
übernommen hätten. In Berliner Regierungskreisen ausweiten, Nachbarländer könnten intervenieren lein zwischen den beiden autoritär gesinnten Geg-
vermutet man neben wirtschaftlichen und geopoliti- oder einbezogen werden. Im besten Fall, so Kurtz, nern zu suchen.« Nur unter einer zivilen Regierung
schen Interessen ein weiteres Motiv der russischen würden beide Parteien schnell erkennen, dass sie könne das Verhältnis der beiden Militärs dauerhaft
Unterstützung für Hemedti: Derzeit komme Moskau nicht gewinnen können. »Keiner wird als legitimer geklärt werden. Das allerdings ist nicht im Interesse
jeder Konflikt recht, der vom Krieg in der Ukraine und uneingeschränkt anerkannter Führer aus die- der Einmischungs-Mächte: Weder Russland noch
ablenkt. sem Konflikt hervorgehen«, so Kurtz. Sollte es zu die Vereinigten Arabischen Emirate, noch Ägypten
Wie könnte der Konflikt enden? Experten arbei- Verhandlungen für einen haltbaren Frieden kom- wollen einen demokratischen Sudan.
ten derzeit mit mehreren Szenarien. Im schlimmsten men, sagt er, sei allerdings dringend ein Kurswechsel
Fall könnte er sich zu einem längeren Bürgerkrieg nötig: »Es bringt nichts, einen neuen Ausgleich al- Mitarbeit: Andrea Böhm
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Wirtschaft und IT-Sicherheit
Wie sich Unternehmen vor
Cyberangriffen schützen können
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Bedro-
hungen im Cyberspace laut Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI) so groß wie nie zuvor. Um noch
besser gewappnet zu sein, hat Google Cloud das Unter-
nehmen Mandiant übernommen, den führenden Anbieter
von dynamischer Cyberabwehr, Threat Intelligence und
Incident Response.
Wenn Unternehmen Opfer von Cyberattacken werden, kann das
mit dem Verlust wichtiger Firmendaten einhergehen. Die Folgen
können gravierend sein: Sie reichen von Erpressung bis hin zur
Handlungsunfähigkeit und dem kompletten Stillstand des Be-
triebs. Ransomware-Attacken, mit denen der Zugriff auf Daten
blockiert und Lösegeld gefordert wird, gehören laut BSI zu den
häufigsten Bedrohungen. „Lösegeldforderungen von zehn Mil-
lionen US-Dollar und mehr sind heute ziemlich normal“, sagt
Sandra Joyce, Vizepräsidentin von Mandiant Intelligence bei
Google Cloud (siehe Bild rechts).
Unternehmen und öffentliche Einrichtungen im Visier
Doch Hacker:innen zur Verantwortung zu ziehen ist laut Joyce
enorm schwierig. Viele Cyberkriminelle sitzen in Ländern, in
denen sie weder von Europol noch von US-Behörden verfolgt
werden können. Deshalb müssen sich Unternehmen, aber auch
öffentliche Einrichtungen, gegen Cyberangriffe wappnen. „Unter-
nehmen sollten mit ihren Entscheidern trainieren, wie sie im Falle Foren im Deep- und Darknet. „Wenn wir zum Beispiel feststellen,
einer Ransomware-Attacke vorgehen“, empfiehlt Joyce. „Zudem dass Cyberkriminelle gestohlene Daten anbieten, kann Mandiant
sollten sie prüfen, wie gut sie ihre Netzwerke segmentiert haben.“ die betroffenen Unternehmen warnen.“
Sensible Daten und Informationen, auch Kronjuwelen genannt,
sollten von den Netzwerken isoliert werden, in denen die tägliche Sprecht mehr miteinander
Arbeit erledigt wird. „Und schließlich sollten Unternehmen in der Joyce zufolge können Unternehmen noch viel mehr für IT-
Lage sein zu erkennen, wenn ein Einbruch in ihr IT-System statt- Sicherheit tun: „Angreifer:innen sind am erfolgreichsten, wenn
findet. Wenn das nicht der Fall ist, sorgen Sie dafür, dass diese ihre Opfer nicht miteinander reden. Wir müssen uns viel offener
Kompetenz in Ihrem Unternehmen vorhanden ist“, rät Joyce. über Sicherheitsverletzungen und Bedrohungen austauschen.“
Zudem sollten Sicherheitsüberlegungen und -konzepte bei Soft-
Wie Mandiant Cyberkriminelle entlarvt ware-Neuentwicklungen berücksichtigt werden. „Mandiant ist
Um gefährliche Cyberaktivitäten unterschiedlicher Art verfolgen noch nicht lange ein offizieller Teil von Google, aber wir nutzen
zu können, arbeitet Mandiant in den Bereichen Incident Response unsere Erkenntnisse bereits, um Einzelpersonen über Bedrohun-
und Threat Intelligence. Ist beispielsweise ein Unternehmen von gen zu informieren, Googles eigene Cyberabwehr zu stärken und
einem Sicherheitsvorfall betroffen, hilft Mandiant dabei, Angrei- die Sicherheitsprodukte für Google Cloud und seine Kunden zu
fer:innen im Netzwerk aufzuspüren und die Lage zu entschärfen. erweitern“, erklärt Joyce abschließend.
Betroffene Firmen bekommen zudem Vorschläge, wie ihre Netz-
werke sicherer aufgesetzt werden können. Im Bereich Threat
Intelligence sucht Mandiant nach verdächtigen Aktivitäten und
Noch mehr zum Thema Cybersicherheit lesen Sie im Aufbruch-
Akteuren im Web, um sich gegen deren Taktiken verteidigen zu Magazin unter goo.gle/aufbruch-de
können. Ein Teil dieser Arbeit umfasst die Analyse krimineller
Besser geschützt mit Google
8 POLITIK
Foto: Wolfgang Stahr für DIE ZEIT
In Frankfurt steht ein Kurde vor Gericht, weil er Geld für den Kampf gegen den türkischen Staat gesammelt haben soll  VON SIMON LANGEMANN
D
er Verteidiger steht auf, stellt
ein kleines Pult auf den
Tisch, legt seinen Papiersta­
pel ab. Eigentlich habe er
sein Plädoyer anders begin­
nen wollen, sagt er. Aber er
sei schockiert darüber, was
die Ankläger gefordert hätten, fassungslos: fünf
Jahre und drei Monate Haft. Für einen Menschen,
der an keiner Gewalttat beteiligt gewesen sei. Der
einer legitimen politischen Tätigkeit nachgegan­
gen sei. Der Anwalt sagt: »Ich fordere Freispruch
für Herrn Öcalan.«
Abdullah Öcalan sitzt zwei Stühle weiter. Schnauz­
bart und Halbglatze, über einen Kopfhörer lauscht
er dem Gemurmel der Übersetzerin. Oberlandes­
gericht Frankfurt, Saal II, am vergangenen Freitag.
Noch ein Verhandlungstag, dann wird Öcalan er­
fahren, welchen Preis er für seinen Freiheitskampf
zahlt – so sieht er das. Der Generalbundesanwalt wirft
ihm die »Mitgliedschaft in einer terroristischen Ver­
einigung im Ausland« vor.
Öcalan fuhr durch die Bundesrepublik, organi­
sierte Kundgebungen und sammelte Spenden.
Streifte durch Fußgängerzonen, traf sich in Kebab­
häusern, redete auf kurdische Geschäftsleute ein.
Laut Anklageschrift trieb er so fast eine Million Euro
ein, doch das dürfte nur ein kleiner Ausschnitt seiner
Tätigkeit sein. Bereits zum vierten Mal wird Öcalan
der Prozess gemacht, weil er sich als Kader für die
»Arbeiterpartei Kurdistans« betätigte, kurz PKK.
Im Jahr 2002 wurde die Organisation, die für die
Autonomie Kurdistans kämpft, auf die Terrorliste
der EU gesetzt. In Deutschland wurde sie schon vor
30 Jahren verboten. Anders als heute gingen ihre An­
hänger damals auch in Europa gewaltsam vor. Sie
griffen türkische Einrichtungen an, erpressten
Schutzgeld, bestraften Abtrünnige. Und der Ange­
klagte habe schon in jener militanten Phase eine »ent­
scheidende Rolle« gespielt, sagte jetzt vor Gericht ein
Beamter des Bundeskriminalamts.
Heute, so schätzen Sicherheitsbehörden, genieße
die PKK so viel Rückhalt in Deutschland wie noch
nie. Laut dem letzten Bericht des Verfassungsschutzes
sammelte sie 16,7 Millionen Euro in nur einem Jahr,
das wäre ein Rekord. 14.500 Anhänger soll es ins­
gesamt geben, wobei es bei der PKK keinen Mit­
gliedsausweis gibt. Die Gruppe ist straff organisiert,
sie ist in Deutschland in neun Regionen und 31 Ge­
biete gegliedert. Die Gebietsverantwortlichen be­
richten an Regionalverantwortliche, meist haupt­
amtliche Kader, die keine Arbeit, kein Familienleben,
keinen festen Wohnsitz haben und jährlich ihre­
Position wechseln.
Wölfe
Bären
Zu wenig Insekten
Ist dieser Mann ein Terrorist?
Menschen wie Abdullah Öcalan, Spitzname »Xe­
bat«. Wenn er aus dem Gefängnis kommt, wird er ein
Mann Anfang 60 sein, dem der Flüchtlingsstatus ab­
erkannt wurde. Er wird auf fast vier Jahrzehnte im
Exil zurückblicken, in denen andere sich eine bürger­
liche Existenz aufgebaut haben. Er selbst hat sein
Leben der PKK gewidmet. Jener Miliz, die sich seit
1984 in einem blutigen, zunehmend aussichtslosen
Konflikt mit dem türkischen Staat befindet.
Abdullah Öcalan sagt, er sei mit dem gleichnami­
gen PKK-Gründer, Spitzname »Apo«, nicht ver­
wandt. Auch wenn er aus einem Nachbardorf stam­
me, gelegen in der Provinz Şanlıurfa, tief im Südosten
der Türkei. Er wurde 1964 geboren, laut Geburts­
urkunde am 1. Januar, wie so viele Kurden seiner
Generation. Wer nur Kurdisch sprach, was bei Be­
hörden verboten war, ließ Neugeborene oft erst
Jahre später registrieren, meist durch Türkisch spre­
chende Bekannte.
Öcalan erzählt davon in seiner Einlassung. Er hat
sie in Haft auf einer Schreibmaschine verfasst und
übersetzen lassen. Seine Verteidigerin und sein Ver­
teidiger lesen sie im Wechsel vor, ganz am Anfang des
Prozesses, ein Jahr vor den Plädoyers. Ruhig und
langsam sprechen sie in die Mikrofone. Wäre da nicht
die Scheibe aus Sicherheitsglas zwischen den Prozess­
beteiligten und den wenigen Zuschauern (»Wir sind
Genossen von Abdullah«), es fiele leicht, zu vergessen,
dass man gerade in einem Terrorverfahren sitzt.
»Ich vermisse die duftende rote, fruchtbare
Erde und unseren Garten, in dem alles wuchs:
Tomaten, Paprika, Auberginen, Okraschoten,
Wassermelonen, Honigmelonen, Apfelsinen und
Pistazienbäume. Das Schönste war, nach einem
Sommerregen durch die Gärten zu laufen und den
aufsteigenden Duft einzusaugen.«
Seine Eltern lebten vom Mais- und Weizenanbau,
sie hielten Ziegen, Kühe und Schafe, womit sie in
ihrem Dorf zu den Privilegierteren gehörten. Der
Vater starb früh an Krebs, die Mutter zog die Kinder
allein groß und bestellte mit ihnen die Felder. Öcalan
berichtet auch, wie ihnen der Lehrer mit dem Lineal
auf die Hände schlug, wenn sie in der Schule Kur­
disch sprachen. Wie einmal Soldaten in ihr Dorf
kamen, weil sich Jugendliche eine Schlägerei geliefert
hatten. Einen hätten sie fast totgeprügelt, weil er kein
Türkisch sprach.
Öcalan war 16, als das türkische Militär sich 1980
an die Macht putschte und viele Kurden in Folter­
gefängnissen landeten. Er sagt, er habe Apos Bruder,
der sich in einer Höhle versteckt hielt, damals mit
Essen versorgt. Öcalan war 20, als die PKK in den
bewaffneten Widerstand ging. Er sagt, er sei damals
gerade beim Wehrdienst gewesen, wo man ihn wegen
Gefährdung durch Tiere
seines Namens und seiner Herkunft fortan erniedrigt
habe. 1988 flüchtete er nach Europa. In Frankreich
beantragte er Asyl und wurde anerkannt. Für ein paar
Jahre arbeitete er in einer Fabrik. Seine Frau und
seine beiden Söhne folgten ihm erst 14 Jahre später.
Seine Geschichte lässt sich kaum überprüfen, an­
gezweifelt aber wird sie vor Gericht nicht. Ihre Wucht
versucht der Angeklagte zu nutzen. Sein Narrativ
lautet, er sei zum Widerstand verdammt gewesen.
Seine Lebensgeschichte habe ihm gar keine andere
Wahl gelassen, auch wenn er immer wieder auf der
Anklagebank landet. Hier sitze ich und kann nicht
anders. Er zielt damit auf die Frage, die über jedem
Prozess gegen PKK-Anhänger schwebt: Ist das, was
die Organisation in der Türkei betreibt, legitimer
Freiheitskampf gegen einen Aggressor? Oder Terror?
W
er Abdullah Öcalan treffen will,
muss einen Termin bei der JVA
Frankfurt vereinbaren. An einem
sonnigen Tag im Juli, drei Monate
nach Prozessbeginn, sitzt er in der
Besuchszelle hinter der Glasscheibe. Er ist deutlich
schmaler geworden. Vor ein paar Wochen musste
er mit starken Schmerzen ins Krankenhaus. Ent­
zündung der Gallenblase, Notoperation. Zwei Be­
amte saßen mit im Krankenzimmer, Öcalan war
ans Bett gefesselt. Nun, sagt er, gehe es ihm gut. Er
wisse ja, warum er hier sitze. »Ich bin nicht in dem
Modus, dass ich hier einen Aufstand mache.«
Nur traurig sei er. Darüber, dass Deutschland
weiter an der Seite des türkischen Präsidenten Recep
Tayyip Erdoğan stehe. Dass Generalbundesanwalt
Peter Frank sich kürzlich in Ankara mit ihm foto­
grafieren ließ. Dass Deutschland Erdoğan gewähren
lasse, wenn der völkerrechtswidrig PKK-Stellungen
im Nordirak bombardiere. Obwohl es doch die
Kurden gewesen seien, die den »Islamischen Staat«
(IS) in Syrien besiegt hätten. Und obwohl doch auch
hierzulande eine Million Menschen kurdischer Her­
kunft lebten. »Ich verlange ja nicht, dass Deutschland
der Türkei den Krieg erklärt«, sagt Öcalan. »Aber
diese Politik sollte es bitte auch nicht unterstützen.«
Öcalans Argumentation zielt auf das geopolitische
Dilemma, in dem der Westen in der Kurdenfrage
steckt: Einerseits braucht er im Kampf gegen den IS
indirekt auch die PKK. Andererseits kann er es sich
nicht leisten, der Türkei in den Rücken zu fallen in
einem Konflikt, der bislang insgesamt 40.000 Todes­
opfer forderte. Zugleich nutzt Erdoğan das Thema
regelmäßig aus, um seine europäischen Partner unter
Druck zu setzen. Noch immer blockiert er etwa den
Nato-Beitritt Schwedens, dem er einen laxen Um­
gang mit »Terroristen« vorwirft.
Torten
der Wahrheit
VON KATJA BERLIN
Mittlerweile hat die PKK den bewaffneten Kampf
in Westeuropa offiziell eingestellt, inzwischen verübt
sie keine schweren Gewalttaten mehr. Grundlage für
die Anklage gegen Abdullah Öcalan sind die Morde
in der Türkei.
Man würde mit ihm jetzt gern über die dortigen
Anschläge der PKK sprechen, die sich zwar gegen
Sicherheitskräfte und Repräsentanten des türkischen
Staates richten, aber immer wieder auch Zivilisten
töten. Über die mutmaßliche Rekrutierung von Min­
derjährigen. Man würde ihn gern fragen, ob der
Führerkult um den inhaftierten Abdullah »Apo«
Öcalan noch zeitgemäß ist – oder eher ein Beleg
dafür, dass die Organisation ihre stalinistische Ideo­
logie nicht so endgültig abgelegt hat, wie sie vorgibt.
Die Absprache aber lautet: Keine Fragen zu den
juristischen Vorwürfen und zu seiner Bewertung der
PKK. Auf der anderen Seite der Scheibe sitzen Öca­
lans Verteidigerin und die Gerichtsdolmetscherin,
dazu ein JVA-Beamter und ein Polizist, der sicher­
heitshalber noch einen eigenen Übersetzer dabeihat.
Alles, was Abdullah Öcalan mit seinem Besuch be­
spricht, kann als Beweismittel verwendet werden.
Auch gegen ihn.
Man kann Öcalan auch nicht nach dem Vorfall
in Leipzig im Februar 1999 fragen: Damals stürmten
73 Kurden das griechische Generalkonsulat. Tags
zuvor war der PKK-Gründer Öcalan aus Kenia in die
Türkei verschleppt worden, dabei hatte er in Nairobi
eigentlich Zuflucht in der griechischen Botschaft
gefunden. In Leipzig hielten seine Anhänger mehrere
Menschen im Gebäude fest. »Die Weisung des­
Angeklagten, Gewalt gegen Personen nur anzu­
drohen, aber nicht auszuüben, wurde befolgt«, steht
später in einem Gerichtsurteil. Der Angeklagte: Ab­
dullah »Xebat« Öcalan, 37, verhaftet in Paris, dann
ausgeliefert. Das Urteil: drei Jahre Freiheitsstrafe für
einen minder schweren Fall der Geiselnahme. Das
Gericht hält ihm zugute, dass er plane, »nach Frank­
reich zurückzukehren und sich dort wieder eine­
Arbeit zu suchen«.
Vielleicht war das zu leichtgläubig. Schon 2005
ermittelte der Generalbundesanwalt erneut gegen
Öcalan, weil er den PKK-Sektor »Süd« geleitet
haben soll, stellte das Verfahren aber wieder ein.
Danach betätigte sich Öcalan als Kader in Frank­
reich. Er koordinierte Spendensammlungen von
Paris aus, saß dafür in Haft, dann tauchte er wieder
in Deutschland auf. Im Mai 2019 begannen Er­
mittler von Neuem, Öcalan zu beobachten. Sie
folgten ihm fast zwei Jahre lang, erst als Regionalver­
antwortlichem in Hessen, dann als Gebietsverant­
wortlichem in Stuttgart. Hörten sein Telefon und
den Innenraum seines Wagens ab. Bekamen mit, wie
Wann die Probleme von Frauen
Aufmerksamkeit bekommen
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Abdullah Öcalan
(Mitte) sitzt vor dem
Prozess zwischen
seiner Verteidigerin
und einem Übersetzer
er kurdische Vereine und Restaurants abklapperte,
auf Gerüstbauer und Immobilienunternehmer ein­
redete. Sie notierten, wie Öcalan am Telefon sagte:
»Lass uns einen Termin vereinbaren. Wir können
einen Tee trinken. Fünf bis zehn Minuten.«
»Morgen ist Wochenende. Morgen ist viel Arbeit«,
sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. Aber
er habe ja bereits gesagt, »dass ich 1000 geben kann«.
»Mann, sag so was nicht am Telefon!«, flucht
Öcalan. So zitiert ihn die Anklageschrift.
Teetrinken, Kaffeetrinken, Spaziergehen, Dings
machen. Synonyme für ein und dieselbe Sache: die
Spendensammlung.
D
ie Ermittler hörten, wie er sagte:
»Mach etwas. Wenn auch etwas
Kleines.« Wie er sich beschwerte:
»Er verhält sich geizig. Er ist ein
Mistkerl.« Aber auch, wie er feierte:
»Hier in Stuttgart, für dieses Gebiet hier, ist es ein
historischer Sieg.« 940.000 Euro soll Öcalan laut
Anklage in nur 10 Monaten im Gebiet Stuttgart
gesammelt haben. Am 11. Mai 2021 wurde er in
Heilbronn verhaftet.
Seine Anwältin sagt in ihrem Plädoyer, ein Groß­
teil des gesammelten Geldes werde ohnehin in Eu­
ropa für Öffentlichkeitsarbeit verwendet; so schätzt
es auch der Verfassungsschutz ein. Sie verweist auf
das Urteil des obersten belgischen Strafgerichts. Das
hatte 2020 entschieden, die PKK sei keine Terror­
organisation, sondern eine Konfliktpartei im Sinne
des Völkerrechts. Eine Einschätzung, die die deut­
schen Behörden nicht teilen.
Der Vertreter des Generalbundesanwalts be­
gründet seine hohe Strafforderung damit, dass der
Angeklagte schon mehrfach vorbestraft sei. Abdul­
lah Öcalan, ein unbeugsamer Widerstandskämpfer.
Oder ein Wiederholungstäter.
Öcalan sagt vor Gericht, er habe die Hoffnung
auf eine Rückkehr in seine Heimat nicht aufge­
geben. Im Jahr 2015, als ein Friedensabkommen
zwischen der Türkei und der PKK in greifbarer Nähe
schien, habe sein Freund gescherzt: »Wenn du ins
Dorf kommst, werden alle fragen, wer ist denn
dieser alte Mann?«
Es wäre eine Überraschung, würde der Senat allzu
stark von der Forderung der Ankläger abweichen.
Das Urteil wird am 11. Mai erwartet. Drei Tage
später wird in der Türkei gewählt, die Opposition hat
gute Chancen, aber wohl nur mit kurdischen Stim­
men. Möglich, dass sie danach das Gespräch mit der
PKK sucht. Um den Konflikt, der sich weder militä­
risch noch in deutschen Gerichtssälen lösen lässt,
eines Tages doch noch zu befrieden.
Wenn sie es einmal ansprechen
Wenn sie es mehrmals ansprechen
Wenn ein Mann das auch noch mal sagt
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
Die Linksliberalen sind das neue Feindbild im politischen Diskurs,
argumentieren CAROLIN AMLINGER UND OLIVER NACHTWEY. Womit haben sie das verdient?
Triggerwarnung: In diesem Text geht
es um eine gefährliche Gruppe. Ihre
Mitglieder fahren Lastenfahrräder, bei
ihnen kommt nur »bio und fair gehan-
delt« in den Jutebeutel, sie tragen gerne
Funktionsjacken, quälen ihre Kinder mit
Holzspielzeug und wollen allen anderen
den Spaß am Leben verderben. Aber zum
Glück formiert sich Widerstand. Menschen
aus unterschiedlichen politischen Lagern
haben sich ihm angeschlossen. Eine neue
Koalition entsteht, die sich auflehnt: gegen
Gendern, Klimaproteste, Transrechte, Fleisch-
verzicht in der Kantine und Einschränkung
des individuellen Pkw-Verkehrs. Das Feind-
bild, das viele Menschen vereint, die sonst
wenig mit­ein­an­der gemein haben, ist dabei
eindeutig zu erkennen: der Linksliberalismus.
Es ist nicht gerade verwunderlich, dass sich
Konservative gegen diese vermeintliche Hege-
monie der Linksliberalen wenden. Da ist
Friedrich Merz, der das Gendern in öffentli-
chen Institutionen am liebsten verbieten lassen
würde. Oder Markus Söder, der derzeit ver-
sucht, die bayerischen Wähler von der Gefahr
zu überzeugen, dass linksliberale Ideologen
alsbald den Insektenburger zum Hauptnah-
rungsmittel erklären. Was diese neue Bewegung
indes für viele erstaunlich macht, ist die Anwe-
senheit zahlreicher Koalitionäre, die man vor
zehn Jahren dort noch nicht erwartet hätte, die
sich aber in relativ kurzer Zeit radikalisiert ha-
ben. Sahra Wagenknecht etwa, die Linkslibe-
rale in der NZZ als »privilegiertes Milieu« be-
schreibt, »das mit missionarischem Eifer den
eigenen Lebensstil und die eigenen Werte der
gesamten Gesellschaft vorschreiben will«. In
einem ähnlichen Sound spricht der Chefredak-
teur der Welt, Ulf Po­schardt, von einem »kul-
turellen Klassenkampf einer Elite«, die mittels
»so­zial exkludierender Horrorsprache« ihre
Verachtung für die unteren Schichten aus-
drücke. Auch der Kabarettist Dieter Nuhr
prangert die »religiöse Wahrheitssicherheit« der
linksliberalen Grünen an und sieht in ihr eine
patriarchale Verbotskultur.
Was wir derzeit beobachten können, ist
eine im Entstehen begriffene politische Matrix
des Anti-Linksliberalismus, in dem sich die
Lager teilweise neu sortieren. Es ist erstaun-
lich, wie einig sich Konservative und Tra­di­
tions­­lin­ke, Libertäre und ehemals Liberale sein
können – und wie viel Zustimmung sie auf
der Rechten finden. Der Anti-Linksliberalis-
mus kann zu neuen ideologischen Überkreu-
zungen, unwahrscheinlichen Assoziationen
und temporären Koalitionen mit Gegnern aus
früheren Zeiten führen.
Es sind meist folgende Themen, die diesen
Raum besiedeln und die in unterschiedlichen
Kombinationen mit­ein­an­der addiert werden:
die Kritik an einer »kosmopolitischen« und
»globalistischen« Klasse mitsamt ihrem migra­
tionsfreundlichen und nachhaltigen Lebensstil;
die Ablehnung von gendersensibler Sprache
und LGBTQ-Anliegen; eine diffuse Skepsis
gegenüber den Regierungsmaßnahmen wäh-
rend der Corona-Pandemie; eine negative
Haltung gegenüber Impfungen; ein generelles
Misstrauen gegenüber Waffenlieferungen im
Ukraine-Krieg und pro-ukrainischen Positio-
nen, die man nicht selten als »kriegsbesoffen«
bezeichnet.
Die politischen Assoziationsketten auf dem
anti-linksliberalen Spielfeld sind weniger will-
kürlich, als sie zunächst erscheinen mögen. In
der Ablehnung von Impfungen und Trans-
identitäten bezieht man sich beispielsweise
häufig auf Vorstellungen von der Natürlich-
keit des Körpers. Und der »Globalismus«, den
man gleichermaßen bei den Wirtschaftseliten
und den migrationsoffenen Linken vermutet,
bedroht die heimische Industrie genauso wie
die Sanktionen gegen Russland, was nicht
im Interesse der Arbeiter sein könne.
In dieser Konstellation werden gesell-
schaftliche Krisen als Kulturkampf re­
interpre­tiert, der die Grundlagen des sozia­
len Lebens bedrohe: Freiheit, Eman­­zi­­pa­
tion und Souveränität. »Momentan
wurde der sogenannte Klassenkampf – also
das Streiten verschiedener sozialer Schich-
ten um einen fairen Ausgleich –
durch eine Art Kulturkampf
ersetzt«, berichtet die Autorin
Illustration: Martin Burgdorff für DIE ZEIT
POLITIK
Würg!
Juli Zeh in einem Gespräch mit der Augsburger­
Allgemeinen. Dabei adressieren die Kritiker des Links-
liberalismus durchaus existierende gesellschaftliche
Konflikte: Tatsächlich gibt es Linksliberale, die mit
der Selbstgewissheit einer moralischen Avant­garde
untere Klassen pädagogisch maßregeln. Die Gegner
des Linksliberalismus führen diese Kritik jedoch in
einen politischen Raum, der mit verselbstständigten
Ressentiments aufgeladen ist.
Am deutlichsten lässt sich diese Methode bei
Sahra Wagenknecht erkennen. Da sie soziale Fragen
mit jenen der nationalen Souveränität verklammert,
ist es kein Wunder, dass es für sie immer wieder
Applaus vonseiten der AfD gibt. Kunstvoll bringt
sie legitime gesellschaftliche Beschwerden mit Vor-
urteilen zusammen.
Mit ihrer Position zum Krieg Russlands kann sie
etwa die aus dem Kalten Krieg stammende Bünd­
nis­orien­tie­rung mit der Sow­jet­union und die pro-
russischen Einstellungen in der ostdeutschen AfD-
Wählerschaft verknüpfen. Sie formuliert zwar keine
genuin rechten Positionen, aber stets solche, denen
auch Anhänger der AfD zustimmen könnten. Bei
diesen ist sie mittlerweile beliebter als unter­
Anhängern der Linken.
Dabei stiftet die Feindschaft gegen Identitätspoli-
tik und Linksliberalismus keine positive Identität,
sondern sie bleibt negativ – häufig gegen das Hybride,
Sensible und Differente, was dann als Eigenschaften
einer sogenannten »Life­style-­Lin­ken« (Wagenknecht)
beschrieben und leicht abgewehrt werden kann. Alle
Normen, die auf gesellschaftliche Öffnung zielen­
(Diver­ sität, offene Grenzen, Multikulturalismus),
werden in diesem Bild postwendend zu exklusiven
Normen einer neuen Elite erklärt, die von den »nor-
malen« Leuten nichts verstehe.
Linksliberalismus erscheint so nicht nur als eine
Klassenpolitik von oben, sondern als ein Moralismus,
der ganz genau weiß, was richtig und was falsch ist.
Bereits Anfang der 1970er-Jahre warf der konservati-
ve Soziologe Helmut Schelsky den neuen linken­
Intellektuellen vor, eine »Priesterherrschaft« zu­
installieren, die eine »Heilsherrschaft über alle Wirk-
lichkeit« für sich beanspruche. Heute wird den­
»woken« Akademikern wieder ein missionarischer,
tugendpaternalistischer Zug unterstellt.
Auch andere verorten den Linksliberalismus im
Zentrum gesellschaftlicher Macht. Die identitäts-
politische Linke habe »Schlüsselpositionen« in den
Me­dien inne, so etwa das Gründungsmitglied des
Netzwerks Wissenschaftsfreiheit Sandra Kostner
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schon 2019 in der FAZ. Der linksliberale, regierungs-
treue Main­stream bestimme die zentralen Organe
der Meinungsbildung.
Der Anti-Linksliberalismus lebt von der Rolle der
Renegaten. Die ehemaligen im weiten Sinne Linken
inszenieren sich als Bekehrte und Erwachte: Sie spre-
chen die unangenehmeren Wahrheiten über den
»Main­stream« aus, der dissidente Stimmen mundtot
mache. Dabei ist Main­stream ein ebenso vager Begriff
wie Linksliberalismus. Doch gerade durch die Unbe-
stimmtheit funktioniert er als Projektionsfläche. Die
Neodissidenten präsentieren sich selbst als Ausgesto-
ßene: Für Wahrheit und Aufklärung sind sie bereit,
Opfer zu bringen. Bei manchen ist die performative
Ironie erstaunlich, wenn sie die Diskriminierung
ihrer Meinungen in Talkshows zur besten Sendezeit
oder in großen Interviews der überregionalen Print-
medien beklagen.
Andere haben sich ein anderes Publikum­
gesucht. Momentan entsteht eine publizistische
Infra­struktur des Anti-Linksliberalismus. NZZ und
Welt räumen ihre Seiten gern für linke Renegaten
frei. Während das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit,
die Kampagnen-Plattform The Republic und das
Internetradio Kontrafunk schon bei ihrer Grün-
dung auf einen deutlich anti-linksliberalen Impuls
setzten, betreiben etwa der Westend Verlag oder die
Online-Magazine Rubikon und NachDenkSeiten in
jüngerer Zeit Ressentimentpolitik im Namen derer,
die sich als abtrünnig begreifen. In den diskursiven
Räumen einer anti-linksliberalen Dissidenz finden
sich neue Weggefährten, Freunde und vor allem:
ein beachtliches Publikum. In ihnen fühlen sich die
vermeintlich verstoßenen Intellektuellen häufig
sichtlich wohl. Denn hier sprechen sie zu Fans, hier
sind sie heroische Opfer.
Die anti-linksliberale Matrix ist eine Koalition der
Grollenden. Aber sie ist auch Resultat eines Wandels
des politischen Systems. Der Linksliberalismus ist in
Teilen der Gesellschaft, symbolisiert durch den poli-
tischen Aufstieg der Partei Die Grünen, tatsächlich
einflussreich. Es gibt einen beschleunigten Wandel
sozialer Normen im alltäg­lichen Konsum, in den Ge-
schlechterbeziehungen und im Klimabewusstsein, der
auch in modernen konservativen Milieus auf Zu-
stimmung trifft. Selbst die CDU hat sich für die »Ehe
für alle« ausgesprochen. Früher hätte man das Fort-
schritt genannt.
Warum also diese unbedingte Gegnerschaft gegen
den Linksliberalismus? Die Motive der Koalitionäre
sind unterschiedlich, sie sind nur in ihrer Gegnerschaft
9
geeint. Für seine linken Kritiker hat er die alten Ideale­
verraten, er habe nur noch wenig mit seinen histori-
schen Vorläufern gemein.
Der linke Liberalismus in Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg war pazifistisch und sah keinen
Gegensatz zwischen der Stärkung individueller Rech-
te und sozialpolitischen Reformen. Selbst der Sozial-
liberalismus der FDP trat Anfang der 1970er-Jahre,
heute kaum vorstellbar, für eine Demokratisierung des
Kapitalismus und den Pazifismus ein.
Der heutige Linksliberalismus ist nicht mehr pazi-
fistisch. Ehemals Friedensbewegte lassen keine Gele-
genheit aus, mehr militärische Aufrüstung zu fordern.
Und war der alte Sozialliberalismus noch dezidiert
marktkritisch, sind Teile des Linksliberalismus der
Gegenwart vergleichbar mit dem Hinweis auf einer
Lebensmittelverpackung: Kann Spurenelemente von
Sozialpolitik enthalten. Aus der vielschichtigen, mit
der sozialen Frage verknüpften Emanzipationsper-
spektive diskriminierter Gruppen ist eine verengte
Diversitätspolitik geworden.
Verdächtig macht ihn bei seinen Gegnern zudem,
dass seine Trägerschichten meist Hochqualifizierte
sind, die mit ihrem Lebensstil einen mehrfachen­
Affront darstellen. Menschen aus der Arbeiterklasse
oder der unteren Mittelschicht können sich die öko-
logische Lebensführung nicht unbedingt leisten und
fühlen sich paternalisiert. Konservativen erscheint die
Bemühung um die Anerkennung von Diversität als
In­frage­stel­lung ihrer Vorstellung, was normal ist und
auch normal bleiben sollte.
Was die anti-linksliberale Koalition so subver-
siv und letztlich gefährlich macht, ist ihr über-
schießendes Ressentiment. Es ist die Kon­struk­
tion einer Feindschaft, durch die der Linkslibera-
lismus als Gegner der Freiheit erscheint. Er ver-
letze die zentralen demokratischen Tugenden wie
Anerkennung im Pluralismus, Gemeinsinn und
Toleranz. Diese Kritik wird jedoch selbst apodik-
tisch formuliert, indem sie den politischen Geg-
ner dämonisiert. Nicht der Linksliberalismus­
erschüttert diese Tugenden, sondern die Kritik an
ihm hat eine illiberale Drift. Konfrontiert mit den
Widersprüchen des sozialen Wandels, fordern die
Kritiker, dass alles so bleiben soll, wie es früher
einmal war.
Die Literatursoziologin Carolin Amlinger und der
Soziologe Oliver Nachtwey lehren an der Universität
Basel. Ihr Buch »Gekränkte Freiheit« ist bei ­
Suhrkamp erschienen
DIE ZEIT erreicht mit
610.983 verkauften
Exemplaren die
höchste Auflage, die
jemals in einem ersten
Quartal erreicht wurde
(IVW Q1/2023).
Wir bedanken uns
herzlich bei Ihnen,
liebe Leserinnen und
Leser, dass Sie den
unabhängigen Quali-
tätsjournalismus der
ZEIT unterstützen.
18.04.23 09:05
 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

10 STREIT

Foto: Thomas Victor für DIE ZEIT

Der Job, sagt Sylvia Eigenrauch, sei ihr Leben gewesen. Deshalb wolle sie keine Abfindung – sondern wieder eingestellt werden

Falsch geschrieben
Die Journalistin Sylvia Eigenrauch leitete eine Lokalredaktion der »Ostthüringer Zeitung«. Bis sie in einer Kolumne manche
Anliegen der Corona-Proteste verteidigte – und fristlos entlassen wurde. Weil sie nicht die richtige Meinung vertrat?  VON ANNE HÄHNIG

Ü
ber das, was am Vormittag des
17. Februar 2022 passiert ist,
hat sich Sylvia Eigenrauch um-
fangreiche Notizen gemacht.
Sie will sich so detailliert wie
möglich erinnern an die viel-
leicht finstersten Minuten ihres
Berufslebens. Es sind die Minuten, in denen Eigen-
rauch, damals 56 Jahre alt, Lokalchefin in Gera bei
der Ostthüringer Zeitung (OTZ), Besuch von zwei
leitenden Angestellten ihres Verlages erhält. Die­
Personalchefin hat sich angekündigt, außerdem der
stellvertretende Chefredakteur. Das Treffen – so
steht es in Eigenrauchs Gedächtnisprotokoll – wird
nicht länger als eine Viertelstunde dauern. Es sei ein
unerfreulicher Anlass, der sie hierherführe, soll die
Personalchefin gesagt haben.
Der unerfreuliche Anlass, das sind Eigenrauchs
Texte über die Corona-Pandemie. Diese hätten die
Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
zerstört. Eigenrauch erfährt, dass ihr fristlos gekün-
digt wird. Auf der Stelle solle sie ihr Handy abgeben,
den Dienst-Laptop und den Redaktionsschlüssel. Sie
holt Jacke und Schirm aus dem Büro. Das war’s, nach
31 Jahren bei der OTZ, davon elf Jahre als Chefin der
Lokalredaktion.
Es muss in Deutschland triftige Gründe geben,
um Angestellte fristlos entlassen zu können. Zum
Beispiel, dass der- oder diejenige beharrlich die Arbeit
verweigert. Kollegen belästigt. Kunden beschimpft.
Unternehmensgeheimnisse weitergegeben hat. So
etwas. Dass eine Journalistin fristlos gehen muss, weil
sie, aus Sicht ihrer Chefs, das Falsche geschrieben
habe? Das kommt im deutschen Journalismus äu-
ßerst selten vor. Derartige Fälle seien ihm aus den
zurückliegenden Jahren nicht bekannt, teilt ein Ver-
treter des Deutschen Journalistenverbandes mit. Von
ver.di ist das Gleiche zu hören.
Man muss das wissen, um verstehen zu können,
warum Sylvia Eigenrauchs Geschichte so eine Wir-
kung entfaltet hat: In der Szene der früheren Corona-
Demonstranten gilt sie heute – ohne dass sie das woll-
te – als so etwas wie eine Märtyrerin. In, milde formu-
liert, coronamaßnahmenkritischen Blogs wie reitschus-
ter.de oder Tichys Einblick wird Eigenrauchs Falls als
Beleg dafür angeführt, dass es um die Meinungsfrei-
heit schlecht bestellt sei und um den Journalismus erst
recht. Dass »antidemokratische Denkweisen« (Reit-
schuster) sich tief in Redaktionen eingefressen hätten.
Wollte die OTZ, die zur Funke-Mediengruppe
gehört, einem der großen deutschen Verlagshäuser,
ein Exempel statuieren? Wollte sie beweisen, wie man
Haltung bewahrt? Aber auch: Hat Eigenrauch wirk-
lich so schlimme Dinge geschrieben, dass eine Kün-
digung logisch erscheint? Man würde das die Verant-
wortlichen gern fragen, aber sowohl der damalige
Chefredakteur Jörg Riebartsch als auch der von
Funke eingesetzte Verlagschef Michael Tallai sowie
Funke selbst lehnen ein Interview ab. Denn es han-
dele sich um ein laufendes juristisches Verfahren.
Allerdings kann man mit Eigenrauch sprechen. Und
ihre alten Texte lesen.
Ein gutes Jahr nach ihrer Entlassung, im April
2023, sitzt Eigenrauch in einer Gaststätte im Zentrum
von Gera. Sie trägt eine streng geschnittene Pagen-
frisur, eine filigrane Brille und am Mittelfinger einen
Ring, auf den eine britische Pfundmünze gelötet ist.
Selbstbewusst wirkt sie, aber auch vorsichtig. Sie will
nichts Falsches sagen, schon aus juristischen Gründen.
Zwar hat sie den ersten Prozess gegen ihren Arbeit-
geber um ihre Kündigung gewonnen. Aber ein wei-
terer Prozess läuft noch. Der Verlag hat ihr offenbar
eine sechsstellige Abfindung angeboten. Eigenrauch
hat abgelehnt. Sie will kein Geld. Sie will zurück in
ihren Job. »Die Zeitung war mein Leben«, sagt sie.
»Ich bin gegangen wie eine Verbrecherin.«
Gera liegt eine halbe Autostunde östlich von Jena,
hat 90.000 Einwohner und zu Beginn des Jahres
2022, als die Pandemie die Republik verunsichert,
»Ihre Fürsprache für eine lautstarke Minderheit ist
unerträglich«, schreibt ihr der Chefredakteur in einer Mail
eine große Szene von Corona-Demonstranten. An-
fang Januar, Demos sind eigentlich verboten, gehen
zwischenzeitlich 3500 Leute auf die Straße. Die Stadt
ist zu jener Zeit ein Zentrum der Maßnahmengegner.
Und Sylvia Eigenrauch ist eine Journalistin, die die-
se Demos nicht mit Inbrunst verurteilt. Sie signali-
siert Verständnis, schreibt in ihrem Lokalteil: »Die
politische Debatte muss Zwiespältigkeit ertragen
können. Sie muss auch ertragen können, dass keine
Seite die komplette Wahrheit hat.«
Schon seit dem Winter 2020, als die Pandemie
ausbrach, kritisiert Eigenrauch hier und da verwir-
rende Regeln. Auch fordert sie bisweilen Lockdown-
Lockerungen ein. Die Maskenpflicht in Klassen­
räumen bekümmert sie, jedenfalls schreibt Eigen-
rauch einmal: »Es nahm mir die Luft, als ich die
Mädchen und Jungen und ihren Lehrer dort mit
Masken sitzen sah.« Erschienen ist das in einer­
wöchentlichen Kolumne, die persönlich und kom-
mentierend angelegt ist. Gleichzeitig bezeichnet­
Eigenrauch im November 2021 die Absage des Ge-
raer Weihnachtsmarkts als »traurig, aber vernünftig«.
Einmal, als eigens für die Proteste zwei Wasserwerfer
bereitstehen, kritisiert Eigenrauch den großen Polizei-
einsatz. Sie kritisiert auch Gegendemonstranten. In
ihrer Kolumne schreibt sie: »Ja, die Demonstrationen
sind weiter nicht angemeldet. Doch kein Mensch ist
illegal. Das Versammlungsrecht ist ein Abwehrrecht
gegen den Staat und dazu gemacht, dass sich Min-
derheiten Gehör verschaffen können.«
Der Chefredakteur, Jörg Riebartsch, liest diese
Kolumne, bevor sie gedruckt wird. Und sendet eine
Mail an Eigenrauch, die der ZEIT vorliegt und in
einem späteren Urteil des Arbeitsgerichts Gera auch
zitiert werden wird. In dieser Mail fragt er, ob sie ihren
Text wirklich so veröffentlichen wolle. Er schreibt:
»Aktuell sind 75,5 Prozent der Menschen einmal ge-
impft, sind also für das Impfen. In unserer Leserschaft
dürfte das Verhältnis gleich sein. Ihre Fürsprache für
eine lautstarke Minderheit ist unerträglich.«
Schaut man sich Sylvia Eigenrauchs gesamte Be-
richterstattung an, dann lässt sich nicht sagen, dass
da eine Corona-Leugnerin am Werk gewesen sei.
Aber sie positioniert sich in einer zentralen politischen
Streitfrage anders, als es ihrem Chefredakteur of-
fensichtlich lieb ist.
Sie selbst sagt später, sie habe diese Mail an jenem
Nachmittag nicht mehr gesehen, sei schon im Feier-
abend gewesen. Der Chefredakteur tut nichts weiter,
um das Erscheinen der Kolumne zu verhindern. Sie
wird gedruckt. Am Montag darauf spricht er Sylvia
Eigenrauch eine Rüge aus und schreibt, sie habe gegen
»die tradierte Linie der Zeitung« verstoßen und deren
Ansehen geschädigt. »Zudem biedern Sie sich mit
Ihrem Beitrag einer lautstarken Minderheit an. Die
Belange der überwiegenden Mehrheit der Bevölke-
rung hingegen bleiben durch Sie vollkommen unbe-
rücksichtigt.« All das sei »nicht erträglich und be-
schämend für die Geraer Ausgabe der OTZ«.
Die Frage, die das aufwirft, lautet: Ist eine Lokal-
journalistin verpflichtet, die Meinung der Bevölke-
rungsmehrheit zu vertreten? Muss sie Minderheiten
gegenüber etwa gar ablehnend oder skeptisch sein?
Und was ist die tradierte Linie der Ostthüringer Zei-
tung, zumal in Bezug auf das neuartige Coronavirus?
All das wären Themen gewesen, über die in der Re-
daktion wohl fortan hätte diskutiert werden müssen.
Aber das unterbleibt – so jedenfalls erzählt es Sylvia
Eigenrauch. Sie wird aufgefordert, sich von nun an
jeden Tag nach Dienstende bei ihren Vorgesetzten per
Mail abzumelden. Nach einem weiteren, für Außen-
stehende harmlosen Text erhält sie die Kündigung.
Eigenrauch habe das Versammlungsrecht falsch
dargestellt, argumentiert der Verlag später unter
anderem vor Gericht. Sie habe Rechtsverstöße ver-
harmlost und »einen groben Verstoß gegen die pu-
blizistischen Grundsätze der Zeitung« begangen.
Tatsächlich sind Zeitungen sogenannte Tendenz-
betriebe. Sie dürfen sich einer inhaltlichen Linie ver-
pflichten und darauf achten, dass Redakteure dieser
Linie im Großen und Ganzen folgen. Allerdings gilt
gleichzeitig das Prinzip der inneren Pressefreiheit. Es
besagt zum Beispiel, dass niemand gezwungen wer-
den darf, etwas Bestimmtes zu schreiben. Und natür-
lich muss die Tendenz einer Zeitung für die Mitarbei-
ter transparent sein.
Aus Sicht des Arbeitsgerichts Gera war sie das
nicht. Dessen Urteil zu diesem Fall, das im November
2022 ergeht, stellt die Argumentationslinie des Ver-
lags hart infrage. Darin heißt es, er wähle in seiner
Begründung zwar große Worte, »kann diese allerdings
nicht mit entsprechendem Tatsachenvortrag unter-
mauern«. Es sei unklar, »für welche spezifische inhalt-
lich-publizistische Haltung« die OTZ stehen solle.
Eigenrauch habe weder das Versammlungsrecht falsch
dargestellt noch Rechtsverstöße verharmlost. Sie
müsse »zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedin-
gungen als Leiterin der Lokalredaktion Gera« weiter-
beschäftigt werden.
Natürlich stellt sich die Frage, wie ein Zeitungs-
verlag in eine derartige juristische Niederlage rennen
konnte. Einfach aus Unprofessionalität? Offizielle
Antworten dazu gibt es nicht. Aber wenn es stimmt,
was sich in der Redaktion erzählt wird, dann ist die
naheliegendste Antwort wohl eher: aus Emotionalität.
Jörg Riebartsch, der Chefredakteur, soll aufrichtig
erschüttert gewesen sein von Sylvia Eigenrauchs Mei-
nung. Zur damaligen Zeit, im Winter 2022, liefen
Demonstranten in Gera auch einmal am Haus des
Oberbürgermeisters vorbei, leuchteten mit Taschen-
lampen in die Fenster. Zeugen schildern die Situation
als bedrohlich, zumal das Polizeiaufgebot wohl nicht
ausgereicht hätte, um einen Angriff auf den Ober-
bürgermeister und dessen vier Kinder zu verhindern.
Damals führten die Landeskriminalämter Hunderte
Verfahren, in denen es um bedrohte Politiker ging.
Dass Eigenrauch dennoch Demonstranten in
Schutz nahm, hat Riebartsch offenbar entsetzt. Sie
sagt heute, sie habe auf die Corona-Demonstranten
tatsächlich einen anderen Blick gehabt als viele an-
dere Journalisten: »Für mich waren in der Masse
Menschen dort, die Angst um ihre Zukunft hatten.«
Stimmt das? Eine Tageszeitung könnte diesen
inhaltlichen Disput zumindest direkt in die Zeitung
tragen. Es könnte eine Erwiderung erscheinen, ein
Pro und Contra, irgend so etwas. Medien gehören
ja zu den wenigen Institutionen, die ihre inneren
Meinungsverschiedenheiten selbstbewusst nach
außen tragen können. Weil gerade das auch ihren
Wert ausmacht.
Oder gab es noch einen anderen Grund für den
Verlag, Eigenrauch kündigen zu wollen?
Ihre Treue zur OTZ war enorm. Noch in der DDR
studiert Sylvia Eigenrauch Journalismus. 1991 wird
sie Redakteurin bei der Ostthüringer Zeitung. 20 Jahre
später, da ist sie 45, überträgt man ihr die Leitung der
Lokalredaktion Gera. In einem Zwischenzeugnis, das
sie 2019 erhält, heißt es, man sei »stets und in jeder
Hinsicht sehr zufrieden«, Eigenrauch sei »aufgrund
ihrer ausgezeichneten Führungseigenschaften als Vor-
gesetzte äußerst anerkannt und beliebt«. Bei der Chef-
redaktion erwerbe sie sich »jederzeit hohen Respekt«.
Sie hat in all den Jahren auch kritisch über Geraer
Kommunalpolitik geschrieben, über den Umgang mit
Investoren genauso wie über schlechten Winterdienst.
Davor, etwa den Oberbürgermeister zu kritisieren,
hatte sie keine Hemmungen.
In der Redaktion erzählt man sich, dass Eigen-
rauchs Verhältnis zum Chefredakteur aber irgend-
wann schwierig geworden sei. Sie weigerte sich im Jahr
2020 mindestens einmal, einen seiner konkreten
Themenwünsche umzusetzen. Er sandte ihr daraufhin
eine schriftliche Ermahnung, woraufhin sie ihn auf-
forderte, wieder vom Du zum Sie zurückzukehren, so
berichtet sie es. In ihrer eigenen Erzählung erscheint
Sylvia Eigenrauch als eine Frau, die vor Autoritäten,
auch Vorgesetzten, vorsichtig gesagt, nicht gerade ehr-
fürchtig wird. Aber würde ein Verlag die Corona-­
Berichterstattung als Vorwand nutzen, um eine wider-
spenstige Führungskraft vor die Tür zu setzen? Arbeits-
rechtler sagen, dafür hätte es juristisch andere, eher
Erfolg versprechende Wege gegeben.
Seit Herbst 2022 ist Jörg Riebartsch nicht mehr
Chefredakteur der OTZ. Das habe jedoch nichts mit
der Kündigung Sylvia Eigenrauchs zu tun, heißt es
intern – eher mit einem Generationswechsel. Der
Verlag hat gegen das Urteil in ihrem Fall zunächst
Berufung eingelegt, um diese dann doch wieder zu-
rückzuziehen. Er nimmt es also an.
Was deswegen nicht heißt, dass er Sylvia Eigen-
rauch als Lokalchefin zurückkehren lässt.
Denn kürzlich wurde innerhalb der OTZ um-
strukturiert. Die Position der Lokalchefin gebe es nun
nicht mehr, heißt es. Diese Rolle nehme der neue
Chefredakteur selbst ein. Sylvia Eigenrauch erhielt
eine Änderungskündigung, aus der hervorgeht, dass
sie künftig in einer anderen Lokalredaktion einge-
setzt werde, unter erheblich verringerten Bezügen.
Dagegen hat sie Klage eingereicht.
 »Eine Demokratie, in der
nicht gestritten wird, ist keine.«
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 HELMUT SCHMIDT 11

Geht das zu weit?

Die »Letzte Generation« verschärft ihre Straßenblockaden. Und testet die Grenzen des zivilen Widerstands aus. Ein Pro & Contra

Foto: Ingmar Björn Nolting für DIE ZEIT

JA. Auch ein prinzipiell gerechtfertigter Protest
muss Grenzen kennen  VON JOCHEN BITTNER
Natürlich: In der freiheitlichen Demokratie sind prin-
zipiell auch solche Protestformen legitim, bei denen
sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer strafbar ma-
chen könnten. Die Idee des »zivilen Ungehorsams« ist
es schließlich, eine politische Streitfrage in den Ge-
richtssaal zu tragen, um dort, auf dem Parkett der drit-
ten Gewalt, zu klären: Wer ist hier bitte schön, gemes-
sen an allen Rechtspflichten, im Unrecht – die Protest-
ler oder doch die Regierung?
Nur, diese Provokation selbst muss verhältnis­
mäßig bleiben. Auch ziviler Widerstand kann exzessiv
werden. Er kann – sowohl in seiner Form wie in sei-
nen Forderungen – ein Übermaß erreichen, in dem
die Pose des Heldenhaften zum Selbstzweck wird und
in dem Gruppenideale das meiste andere überstrah-
len. Sogar das Blaulicht von Rettungswagen. Diesen
Punkt hat die »Letzte Generation« in den vergange-
nen Tagen mit ihren Blockaden zahlreicher Straßen
in Berlin erreicht.
Sicher, es geht den Aktivisten darum, katastrophale
Zustände abzuwenden, oder, wie es der Klimawissen-
schaftler Stefan Rahmstorf formuliert: »Warum gilt
eigentlich ein Stündchen auf der Straße zu sitzen als
Nötigung; CO₂ auszustoßen, das für Jahrtausende die
Lebensqualität der Menschen beeinträchtigen wird,
aber nicht?« Die Frage ist nicht nur berechtigt. Sie wird
auch auf absehbare Zeit zentral bleiben für die Aus­
einandersetzungen in einem Land, das sich zum Aus-
stieg aus fossilen Energieträgern bis 2045 verpflichtet
hat und dieser Pflicht zu langsam gerecht wird. Depri-
mierende 31 Prozent der deutschen Stromerzeugung
stammen derzeit aus Kohlekraftwerken, und Öl deckt
noch 35 Prozent des Energiegrundbedarfs.
Soweit es darum geht, die Regierung anzutreiben,
sind die Proteste daher selbstverständlich legitim. Aber
gerade deshalb braucht es klare Grenzen dafür, wie
dieses Antreiben geschehen darf. Denn mit den fal-
schen Schubbewegungen drohen dem Land eher
chronische Schmerzen als Fortschritt.
Laut Berliner Feuerwehr haben die Proteste in 15
Fällen Einsatzwagen behindert. In sieben Fällen seien
die Einsatzkräfte auf dem Weg zu einem Notfallort
gewesen. Auch wenn die »Letzte Generation« sagt, sie
habe Rettungsgassen ermöglichen wollen – spätestens
NEIN. Es ist das Recht der Minderheit, laut zu
sein – auch wenn es nervt  VON HEINRICH WEFING
angesichts der chaotischen Wirklichkeit musste den Im Ernst? Das soll jetzt schon zu viel sein? Das soll die nicht um des Nervens willen, nicht aus Spaß an der Ruhe-
Aktivisten klar sein, dass diese Idee leider unrealistisch Grenzen des Erträglichen bereits überschritten, das Maß störung, sondern weil Raum garantiert werden muss für
ist. Wer dann trotzdem weiterblockiert, nimmt den des gerade noch Akzeptablen gesprengt haben? Mehr Zweifel. Den Zweifel, ob die Minderheit nicht vielleicht
Tod von Menschen in Kauf. Dieses Risiko an mehr als glauben wir nicht ertragen zu können an Widerspruch, doch recht hat? Um ihr die Chance zu geben, die Mehrheit
zwei Dutzend Stellen einer Großstadt zu schaffen, Provokation, Nerverei? zu überzeugen, womöglich selbst zur Mehrheit zu werden.
steht in keinerlei Verhältnis mehr zum Ziel der öffent- Wochenlang solle Berlin lahmgelegt werden, hatten Und das Kuriose ist ja, dass den Forderungen der
lichen Aufmerksamkeit, das solche Proteste verfolgen. die Aktivisten von der »Letzten Generation« angedroht, »Letzten Generation« im Grunde niemand widerspricht,
Unmäßig sind auch die Forderungen der »Letzten so lange, bis die Bundesregierung endlich den Forde- sie decken sich weithin mit den Zusagen der Politik, mit
Generation«. Sie will einen gelosten »Gesellschaftsrat« rungen der Klimaschützer nachkomme. Bis Redaktions- Verträgen, die die Bundesrepublik unterschrieben hat,
einberufen, der einen Plan erarbeiten soll, wie Deutsch- schluss dieser Ausgabe sah es allerdings eher so aus, als mit dem Verfassungsziel, die »natürlichen Lebensgrund-
land schon bis zum Jahr 2030 aus den Fossilen aus- hielten sich die Einschränkungen in Grenzen, als seien lagen« zu schützen, das im Grundgesetz verankert ist.
steigen könne. Die Regierung soll anschließend »die die Ankündigungen der Aktionen imposanter als deren Bleibt am Ende der Streit um die Aktionen selbst.
für die Maßnahmen und Gesetzesvorhaben nötige Auswirkungen. Protest ja, Blockade nein? Blockade gut, nur nicht mit
Überzeugungsarbeit im Parlament leisten und die­ Eine ganze Stadt in »Geiselhaft«, wie CDU-General- Festkleben? Festkleben okay, aber nicht überall in der
Gesetze nach Verabschiedung in einer beispiellosen sekretär Mario Czaja behauptet? Unsinn, in Spandau und Stadt? In der Demokratie sind viele Protestformen erlaubt,
Geschwindigkeit und Entschlossenheit umsetzen«. Steglitz lief der Verkehr weithin ungehindert, ebenso in das hat das Bundesverfassungsgericht immer betont, auch
Auch wenn die »Letzte Generation« es bestreitet: Weißensee und Wilmersdorf. Auch die Straßenschlachten solche, die lästig sind, provokant und Einschränkungen
Diese Forderung beinhaltet nichts anderes als die Teil- der Zwanziger- und Dreißigerjahre, vor deren Wieder- für andere bringen. Schluss ist erst, wo die Rechte anderer,
Entmachtung des Parlaments. Man stelle sich vor, Ak- holung Justizminister Marco Buschmann gewarnt hatte, also: der Autofahrer, Berufspendler und so weiter, über-
tivisten anderer Art würden Straßenkreuzungen blo- machen einen Assoziationsraum auf, der, nun ja: etwas haupt nichts mehr wert sind. Aber wo genau diese Grenze­
ckieren und die Auslosung eines Rates verlangen, der überhitzt ist. Damals floss massenhaft Blut, damals starben verläuft, das lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.
zum Beispiel verbindliche Maßnahmen zum sofortigen Menschen zuhauf, damals versuchten Nazis und Kom- Und dafür sind die Gerichte zuständig. Ob sich
Aufnahmestopp von Flüchtlingen erarbeiten soll. Da- munisten, den Bürgerkrieg herbeizuknüppeln. Nichts Klima­aktivisten strafbar machen, die den Verkehr blo-
ran wäre auch das Ziel grundgesetzwidrig, klar. Aber davon heute, in Berlin im Frühjahr 2023. ckieren, entscheiden Richterinnen und Richter, und es
um zu beurteilen, ob ein Protest in einer liberalen De- Eher im Gegenteil. Im Moment deutet vieles darauf sind komplizierte Entscheidungen. Nicht jede Straßen-
mokratie noch akzeptabel ist, braucht es eben eine hin, dass sich die »Letzte Generation« mit ihren Blocka- blockade ist strafbar, das haben die Gerichte immer
Gesamtbetrachtung. Und die sieht bei der »Letzten den selbst lahmlegt. Die Proteste erzeugen viel Aufmerk- wieder geschrieben, bis hinauf zum Verfassungsgericht,
Generation« mittlerweile so aus: Das Ziel – mehr samkeit, aber wenig Veränderung, sie mobilisieren mehr und deshalb urteilen derzeit manche Amtsgerichte so,
Klima­schutz – ist nobel, die Mittel zunehmend rück- Widerspruch als Zustimmung, strategisch, könnte man andere anders, mal gibt es Freisprüche, mal Geldstrafen,
sichtslos, die Forderungen zum Teil verfassungswidrig. mit einer gewissen Gelassenheit sagen, scheinen sie mal Freiheitsstrafen auf Bewährung. Das kann auch gar
Es geht der Gruppe auch erkennbar nicht mehr so kontra­produktiv. Gut 70 Prozent der Bevölkerung lehnen nicht anders sein. Der zivile Ungehorsam, der bewusst
sehr darum, per Gesetzesverstoß eine Grundrechts- die Aktionen der »Letzten Generation« mittlerweile ab, den Rechtsbruch sucht, um eine gewisse Skandalisierung
prüfung anzustoßen, sondern eher darum, einem Ge- und vermutlich wird der Anteil noch wachsen, je ver- zu erzeugen, ist ein Klassiker der politischen Philosophie.
setz der Aufmerksamkeitsökonomie gerecht zu werden: bissener die Proteste werden. Wie man damit umgeht, eines der großen Dilemmata
Wer mit der immer gleichen Botschaft in gleichblei- Aber ebendeshalb, weil sich die Mehrheit so sicher ist, im Recht. Einfach alles zu verbieten ist keine Antwort.
bender Weise wahrgenommen werden will, muss die dass die Klima-Klebereien und Autobahn-Blockaden Kann aber irgendwann ein Punkt erreicht sein, an dem
Intensität erhöhen. Weder Medien noch Gerichte soll- Quatsch sind, genau deshalb sollte man es sich nicht so es dann doch zu viel wird, an dem der Protest tatsächlich
ten sich an diese aktivistische Temperatursteigerung einfach machen und nach Verboten rufen. In der Demo- in illegitimen Straßenkampf und kollektive Erpressung
gewöhnen, sondern die neue Lage neu bewerten. Dazu kratie geht es nicht darum, dass die Mehrheit ihre Ruhe umschlägt? Vermutlich schon, nur sind wir da noch lan-
gehört auch, die Frage zu stellen, ob Teile der Bewe- hat, sondern darum, dass die Minderheit laut werden darf. ge nicht. Jedes Stadtderby in der Fußball-Bundesliga ver-
gung mittlerweile die Merkmale einer kriminellen Ver- Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind dis- ursacht mehr Lärm, Stau und Ärger, jeder Hamburg- oder
einigung erfüllen. Die Antwort mag am Ende Nein ruptive Grundrechte. Sie schützen vor allem die, die den Berlin-Marathon blockiert die Metropolen nachhaltiger
lauten. Aber wer eine rechtsstaatliche Prüfung bestellt, Konsens aufkündigen, die herrschende Meinung infrage als die aktuellen Aktionen der »Letzten Generation«. Eine
der muss auch mit ihrer ganzen Breite leben. stellen und heftig widersprechen. Diesen Schutz gibt es liberale Demokratie kann das aushalten.

32 %
der Erwerbstätigen finden es schlecht, dass Kollegen eine Auszeit
nehmen, wenn sie dafür mehr arbeiten müssen
Repräsentative Civey-Umfrage im März für die ZEIT,
Stichprobe: 1000 Erwerbstätige in Deutschland

Im April 2001 verkündete der damalige Bun-
deskanzler Gerhard Schröder: »Es gibt kein
Recht auf Faulheit.« Wer arbeiten könne, dies
aber nicht wolle, dürfe nicht mit Solidarität
rechnen. Ich habe zwar damals auf der Seite 1
der Welt – Kinder, wie die Zeit vergeht! – einen
Kommentar geschrieben, der lautete: »Der
Kanzler sagt, es gebe kein Recht auf Faulheit.
Ich bin anderer Meinung – und wünsche noch
ein schönes Wochenende«. Der Rest des Kom-
mentarplatzes bestand aus Weißfläche. Aber
ganz ehrlich, heute denke ich: Schröder hatte
doch recht!
Wenn Kollegen eine, sagen wir mal, einfach die Zeit, um mal ausgiebig in der stück treffen. Mit meiner Solidarität kann denken: Arbeit oder Auszeit – seit wann gibt Peter Dausend
zweimonatige Auszeit nehmen möchten, Nase zu bohren. ein solcher Typ, der arbeiten kann, aber es da einen Unterschied? ist politischer
dann gibt es dafür sehr verschiedene Gründe. Warum aber sollte ich diese Selbst­ nicht will, jedenfalls genauso wenig rechnen Den anderen hinschieben, was man selbst Korrespondent
Manche wollen ein Buch schreiben, die findungs­akro­ba­tik dadurch ermöglichen, wie mit der von Schröder. Und wir beide nicht erledigen will, und sich dann vom im Berliner Büro
Welt bereisen oder einen Batikkurs in Pa- dass ich mich krummbuckele? Ich müsste sind nicht allein. Acker machen – dazu kann ich nur mit Oscar der ZEIT
pua-Neuguinea belegen. Andere verspüren dann ja Teile der Arbeit des Kollegen über- 32 Prozent der Erwerbstätigen in ­­Wilde sagen: »Die Selbstsucht besteht nicht
in froher Erwartung des ersten Nachkömm- nehmen und Dinge tun, vor denen ich mich Deutschland haben etwas dagegen, wenn darin, dass man lebt, wie man will, sondern
lings den Drang, das Kinderzimmer fußzu- jahrelang erfolgreich gedrückt habe: mich Kollegen eine Auszeit nehmen und sie dann dass man von anderen verlangt, sie sollen
bemalen. Dritte finden es erregend, in einem für Gesundheitspolitik interessieren bei- anstehende Aufgaben übernehmen müssen. leben, wie man will.«
ausgiebigen Akt der Selbstgeißelung am spielsweise, mich im Dschungel familien- 30 Prozent sind hinreichend altruistisch ver- Ach, übrigens, ich bin gerade für ein paar
Nachspielen von Jimmy ­Pages Gitarrensolo politischer Maßnahmen zurechtfinden oder anlagt, um die Verteilung »Spaß für ihn/ Wochen weg. Wer die Kolumne in den
in Stairway to Heaven immer wieder zu nachschauen, ob es die Linke noch gibt. Stress für mich« mitzumachen. 38 Prozent kommenden Ausgaben schreibt? Gewiss
scheitern. Und der eine oder andere braucht Oder Alexander Dobrindt zum Pressefrüh- sind »unentschieden«. Womöglich, weil sie nicht Gerhard Schröder.

Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit

 12
Foto: Stephan Lisowski für DIE ZEIT
ZEITNAH
Frühlingsspaziergang in Kiew
Seit 15. April ist Olivia Kortas ZEIT-Korrespondentin in der Ukraine. Einer ihrer ersten
Gesprächspartner ist auch erst seit einem halben Jahr wieder dort: Andrij Melnyk, lange
der umstrittene Botschafter seines Landes in Berlin, jetzt Vize-Außenminister. Vor dem
Abstecher in einen Park nahe seinem Büro erzählte er zwei Stunden lang vom Versuch,
als Diplomat weiterhin ein Kämpfer für seine Heimat zu sein  UNTERHALTUNG, S. 28
Foto: Luis Tato for Die Zeit
Laut werden will gelernt sein
Im kenianischen Kibera, einem der großen Armenviertel
Afrikas, trainieren junge Frauen, sich gegen sexuelle
Übergriffe zu wehren. Dabei geht es um viel mehr als
physische Selbstverteidigung – ein Konzept, das auch
hierzulande durchaus sinnvoll sein könnte  POLITIK, S. 3
IN DEN REGIONALAUSGABEN
ZEIT im Osten  Welche ostdeut-
schen Schriftsteller sind die besten?
Zur Leipziger Buchmesse haben
wir bekannte Persönlichkeiten
um ihr Votum gebeten   16
ZEIT Hamburg  Seit die Stadt
den Wohnungsmangel bekämpft,
Foto: Jake Dockins
steigen die Mieten moderater als
anderswo  VON C. T WICKEL  2 Am Sonntag wählt Genf eine
Wie ein Hamburger Architekt die
Wohnungsnot lindern will  VON SASCHA BUCHBINDER 
VON FR ANK DRIESCHNER  3 Entkoppelung immer lauter. Aber die ist
Geht’s hier zum Mars?
Wird China mit dem Cosco-Deal
Zwei Wochen auf Elon
Musks Weltraumbahnhof doch Zugriff auf die kritische
Infrastruktur im Hafen erlangen?  Führerschein  Tausende Deutsche
VON KRISTINA L ÄSKER  6 Im Rennen um den SPÖ-Vorsitz
Die Hells Angels gelten seit 50
Jahren als kriminelle Macht. Wie
weit reicht ihr Einfluss?  VON C. BARTL AU, F. GAS SER ,
VON C. HEINEMANN UND N . BERR  8
Die ZEIT inklusive aller Regional- und Wechselseiten finden Sie in der ZEIT-App und im E-Paper.
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23. MAI 2023 | ALLIANZ FORUM BERLIN
Ohne Vielfalt kein Erfolg!
Wie schaffen wir neue Rollenbilder? Wie überwinden wir Vorurteile
gegenüber den Generationen? Wieviel Flexibilität verträgt unser Wohlstand?
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studiozx.de/events/arbeit-2023
INHALT
Titelthema: Fleisch ohne Reue
Foto: Markus C. Hurek
Sein Männerroman
Benjamin von Stuckrad-Barres
neues Buch wird als erster ­
deutscher MeToo-Roman ge­
feiert.­Aber das ist ein Etiketten-
schwindel  FEUILLETON, SEITE 45
ZUM HÖREN
ZEIT Schweiz  Die Schweizerin Die so gekennzeichneten
Artikel finden Sie als
Mirjana Spoljaric Egger ist die
erste Frau an der Spitze des Inter- Audiodatei im »Premium-
bereich« unter
nationalen Komitees vom Roten
www.zeit.de/vorgelesen
Kreuz. Was kann sie ausrichten in
einer Welt, in der sich die Krisen ANZEIGEN IN
überlagern?  VON SAMIHA SHAF Y16 DIESER AUSGABE
Bildungsangebote und
Stellenmarkt
neue Regierung. Wie stehen die (ab Seite 38);
Chancen von Pierre Maudet?  Agenda Kultur:
18
Museen, Kunstmarkt,
Bühnen (Seite 54)
ZEIT Österreich  Das Angebot
an Kokain steigt seit einigen FRÜHER
INFORMIERT!
Jahren deutlich  VON J. VOGT  16
Die aktuellen Themen
der ZEIT schon am
gibt es (fast) keine Regeln. Droht
Mittwoch im ZEIT-Brief,
die Partei daran zu zerreißen?  und Gutachtern verdient gut daran  3½ Fragen
dem kostenlosen
Newsletter
M . SCHLIEBEN UND C. PAUSACKL 17 www.zeit.de/brief
Referentinnen (Auszug)
Prof. Dr. h.c. Jutta
Allmendinger, Ph.D.
Präsidentin, Wissenschaftszentrum
Berlin für Sozialforschung
↗ zeitfuerx.de/arbeit
POLITIK
•2
Kanzler und Klima  Wie grün ist
Olaf Scholz?  VON BERND ULRICH 
Kenia  In Slums lernen Frauen und
Mädchen erfolgreich, wie man sich
gegen männliche Gewalt wehrt  VON TOM BURGGR AF
VON ANDREA BÖHM 
Union  Was macht der Klimawandel
mit der CDU? Ein Gespräch mit dem
Vorsitzenden Friedrich Merz 4 Profite zu erhöhen?  Roman  Dinçer Güçyeter
Kindergrundsicherung  Worum wird
da eigentlich gestritten? 
VON ANNA MAYR  5
Indien  Die aufsteigende Großmacht
•6
baut die Hauptstadt Neu-Delhi um 
VON ANNA SAUERBREY 
Sudan  Dem Land droht ein ­
Bürgerkrieg. Hinter den beiden ­
Konfliktparteien stehen mächtige ­
ausländische Akteure  Andrij Melnyk  Der frühere Botschafter
VON JÖRG L AU UND ANNA SAUERBREY 
Kurden  Die PKK ist in Deutschland
seit 30 Jahren verboten – und sammelt
angeblich so viel Geld wie noch nie.
In Frankfurt steht nun ein Kader vor
Gericht  VON SIMON L ANGEMANN  8 nach Deutschland. Der Schriftsteller
Gesellschaft  Linksliberale sind das neue
Feindbild. Womit haben sie das verdient?  Titelthema: Fleisch ohne Reue
VON CAROLIN AMLINGER UND
OLIVER NACHT WEY 
STREIT
Pressefreiheit  Sylvia Eigenrauch verlor
ihren Job bei einer Thüringer Zeitung,
nachdem sie die Anliegen von Corona-
Demonstranten verteidigt hatte  Oslo  VON K ATRIN HÖRNLEIN 
VON ANNE HÄHNIG  10
Protest  Gehen die Blockaden der
»Letzten Generation« inzwischen zu
weit? Ein Pro & Contra  die Autorin und Verlegerin
VON JOCHEN BIT TNER UND
HEINRICH WEFING 
Dausend Prozent 
VON PETER DAUSEND  11
DOSSIER
Ukraine  Wie endet der Krieg? Warum
die Bedingungen für Verhandlungen ­
gerade schlecht sind – und dennoch kein
Weg an ihnen vorbeiführt  dennoch die Wende im Titelkampf?  neuem Gewand: Das große Quiz zu
VON BASTIAN BERBNER , ALICE BOTA , ­
SIMONE BRUNNER , HAUKE FRIEDERICHS ,
JÖRG L AU UND MICHAEL THUMANN  13
GESCHICHTE
Zweiter Weltkrieg  Zwischen 1943
und 1945 ermordeten SS und
Wehrmacht in Italien mehr als
10.000 Zivilisten. Ein Gespräch mit
dem Historiker Carlo Gentile und
dem Journalisten Udo Gümpel über
die späte Aufklärung der Verbrechen
und bis heute offene Wunden 17
VERBRECHEN
Tragödie  Ein Gericht stellt fest: Die
Stadt Duisburg hätte niemals Janine S.
ihre kleine Tochter wegnehmen dürfen.
Doch das Kind lebt seit Jahren bei
Pflegeeltern. Was nun? 
VON JULIA FRIEDRICHS  18
WIRTSCHAFT
Globalisierung  China ist der wichtigste
Markt für die deutsche Autoindustrie.
Nun werden Forderungen nach einer
• 19
längst im Gange 
VON MA X HÄGLER 
müssen jedes Jahr zum Idiotentest. Ein
undurchsichtiges System aus Akademien
• 20
VON JOHANNA JÜRGENS 
Womit keiner rechnet  Apple bietet seit
Neuestem ein Sparkonto an – mit
rekordverdächtigen 4,15 Prozent Zinsen  »Epistemische Ungerechtigkeit«
VON CARL A NEUHAUS  21
Bettina Dietsche Thea En
Chief People and Head of Inclusion &
Culture Officer (CPCO), Diversity Pharmaceuticals,
Allianz Gruppe Bayer AG
Partner:
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Kommentar  Warum die Bahn ihr Netz Männlichkeitsideal  Die verschiedenen
vom Zugverkehr trennen sollte  Idealmänner im Wandel der Jahrzehnte 
VON JONAS SCHULZE PALS  21 VON JENS BALZER  50
Bauindustrie  Osteuropäische Arbeiter Warum altertümliche Rollenideale
werden auf deutschen Baustellen um ihr wieder präsent sind 
Recht auf bezahlten Urlaub gebracht  VON MARIE SER AH EBCINOGLU  51
3 UND RETO HEIMANN  22 Mit Andrew Tate zum Alphamann – ein
Selbstversuch 
Inflation  Nutzen Unternehmen VON FLORIAN EICHEL  51
die Preissteigerungen, um nebenbei ihre
• 52
VON KOLJA RUDZIO  24 »Unser Deutschlandmärchen« 
VON RONALD DÜKER 
ZEIT für Geld  Lohnt es sich, seinem
Ehepartner Rentenpunkte abzugeben?  Kunst  Wie Artefakte immer wieder
VON RÜDIGER JUNGBLUTH  27 durch kuriose Unfälle oder Aktionen
beschädigt werden – und dadurch ihren
Wirtschaft in einem Satz  27 Marktwert erhöhen 
VON HANNO R AUTERBERG  53
UNTERHALTUNG Russische Opposition  Über das
Dilemma, ein »guter Russe« zu sein 
VON JULIANE FÜRST  54
7 der Ukraine in Deutschland wäre lieber
in Berlin als in Kiew, wo er jetzt seinem
Land dient. Ein Gespräch über seine GLAUBEN & ZWEIFELN
neuen Aufgaben und das Leben in der
vom Krieg gezeichneten Stadt  28 Literatur  Sein Vater überlebte den
Holocaust und kam der Liebe wegen
WISSEN
 
David Safier hat einen Roman über
seine Eltern geschrieben   56
Nutztierhaltung belastet das Klima.
9 Wissenschaftler arbeiten an Steaks aus KINDER- &
dem Labor 
JUGENDBUCH
• 29
VON ANANT AGARWAL A UND
MA XIMILIAN PROB ST 
Der Ober-Bro  Der Debütroman »Ey
hör mal!« des pakistanisch-norwegischen
Mikroben stellen in Bioreaktoren
Autors Gulraiz Sharif ist eine kleine
Nahrungsmittel her. Ist das
literarische Sensation. Ein Besuch in
das Ende der Landwirtschaft? 
57
VON CHRISTIANE GREFE  31
Insekten zu essen gilt als nachhaltig. Zwischenruf  Ist Kinderliteratur
relevant? Unbedingt – und es ist höchste
Ein Experte hat daran seine Zweifel 31
Zeit, sie endlich ernst zu nehmen, sagt
Schule  Die Arbeitszeit von Lehrern
muss künftig genau erfasst werden. DITA ZIPFEL  58
11
Das hat Konsequenzen für den
Schulalltag  33 Lesend wachsen  Sechs Empfehlungen
für Leser zwischen 4 und 16 Jahren 59
Braukunst  Deutsche Biotechnologen
haben den Ursprung der weltweit erfolg-
LEO – DIE SEITE
• 34
reichsten Bierhefe gefunden 
VON URS WILLMANN  FÜR KINDER
Schach  Der Chinese Ding Liren Für Bücher-Detektive  Monströse Jagd,
verpatzt zwei WM-Partien – schafft er göttliche Besucher und Klassiker in ­
VON ULRICH STOCK  35 Neuerscheinungen des Frühjahrs  60
Infografik Tempolimit 44
FEUILLETON
ENTDECKEN
Affenliebe  Die Geschichte des ältesten
• 61
Gorillas der Welt 
Literatur  »Noch wach?« – Eilt ­ VON MORITZ AIS SLINGER 
Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem
neuen Roman den Frauen wirklich zu Entdeckt  Neues Handy, altes Glück 
Hilfe? Oder nutzt er sie selbst aus?  VON YASMINE M ’ BAREK  63
VON IRIS R ADISCH  45
Fett weg  Ein Selbstversuch mit der
Nachruf  Zum Tod des amerikanischen Abnehmspritze Ozempic 
Sängers Harry Belafonte  VON ELISABETH R AETHER  64
VON PETER KÜMMEL  45
Zug um Zug  Mit Bus und Bahn durch
Tier und Mensch  Die Bärin Gaia ist Luxemburg – für null Euro 
des Mordes angeklagt  VON MAT THIAS K ALLE  66
VON ELISABETH VON THADDEN  46
Über Nacht in ...  Amsterdam – in einer
Kino  Darren Aronofskys Film ehemaligen Kirche 
»The Whale« 
VON JES SICA BR AUN  67
VON K ATJA NICODEMUS  46
Wie es wirklich ist ... 
Nachruf Zum Tod des Kunsthändlers als Torwart fast blind zu sein 
Eberhard Kornfeld  VON ONUR KINAVLI  70
VON FLORIAN ILLIES  46
Reportage  Das Berliner Gallery RUBRIKEN
Weekend kann endlich wieder Tausende
Leserbriefe  16
von Besuchern anziehen. Unterwegs mit
• 32
• 47
der Chefin Maike Cruse 
VON MORITZ VON USL AR 
Stimmt’s?
Die Position 38
Theater  Fabian Hinrichs inszeniert
»Sardanapal« an der Berliner Volksbühne 
Worum geht’s? 39
VON PETER KÜMMEL  48
40
Kolumne  Von unterwegs gesendet 
VON CHRISTINE LEMKE-MAT WEY  48 Impressum 48
Sachbuch  Miranda Fricker Sachbuch-Bestenliste 52
 
VON L ARS WEISBROD  49 Was mein Leben reicher macht 70
Judith Wiese
CHRO und Mitglied des
Vorstands, Siemens AG,
Mitglied Initiative Chefsache
Eine Veranstaltung von:

Wenn der Krieg zwischen Russland und der Ukraine enden soll, müssen die Feinde miteinander reden.
D
ie militärische Stärke des Feindes schien in
diesen ersten Wochen des Kämpfens über-
mächtig zu sein, in der Luft wie am Boden.
So desaströs war die Lage für die eigenen
Truppen, dass sich der Regierungschef ge-
zwungen sah, über eine Frage nachzudenken,
die ihn mit Schrecken erfüllte: Sollte er mit
seinem Feind verhandeln?
Der Regierungschef trat vor das Parlament
und teilte dem Volk und dessen Repräsentan-
ten seine Entscheidung mit: Nein, man werde
nicht verhandeln. Man werde weiterkämpfen,
zur Not so lange, »bis jeder einzelne von uns
an seinem Blut erstickt am Boden liegt«.
Einige Tage später, wieder im Parlament:
DOSSIER
Verhandeln?
Die Frage ist nur, wann und wie
»Wir werden bis zum Ende gehen. Wir wer-
den auf den Ozeanen kämpfen. Wir werden
in der Luft kämpfen. Wir werden uns vertei-
digen, was immer es kosten mag. Wir werden
an den Stränden kämpfen, wir werden auf
den Feldern und auf den Straßen kämpfen,
wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir
werden uns niemals ergeben.«
Dieser Regierungschef war Winston
Churchill, und sein Feind war Adolf Hitler.
Es war der Frühsommer 1940. Englische
Truppen standen in Frankreich. Die Deut-
schen hatten sie dort mit ihrer überraschen-
den Offensive in Westeuropa an den Rand
der Vernichtung gebracht.
Heute gelten Churchills Reden aus jener
Zeit als Sternstunden. Noch immer wird er
gefeiert für seinen Mut und seine Entschlos-
senheit im Angesicht des Untergangs.
82 Jahre danach, Anfang März 2022, wer-
den diese Worte wieder ausgesprochen, wie-
der vor dem britischen Parlament. Der ukrai-
nische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist
zugeschaltet aus Kiew. »Wir werden bis ans
Ende gehen. Wir werden auf dem Wasser
kämpfen und in der Luft. Wir werden unsere
Heimat beschützen, was immer es kosten
mag!«, ruft Selenskyj den Abgeordneten zu,
Churchill fast wörtlich zitierend.
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Zu diesem Zeitpunkt ist es zwei Wochen
her, dass Wladimir Putins Armee die Ukraine
überfallen und weite Teile des Nordens, Ostens
und Südens besetzt hat. Das Land kämpft um
sein Überleben. »Wir werden in den Wäldern
kämpfen, in den Feldern, in den Straßen und
an den Ufern unserer Flüsse. Wir werden uns
nicht ergeben«, endet Selenskyj und bekommt
kräftigen Applaus.
VON BASTIAN BERBNER,
ALICE BOTA, SIMONE BRUNNER,
HAUKE FRIEDERICHS, JÖRG LAU
UND MICHAEL THUMANN
Churchill und Selenskyj. Zwei Staatsmänner
mit dem Rücken zur Wand. Zwei Demokra-
ten, die sich jeweils einem militärisch schein-
bar hochüberlegenen Aggressor gegenüberse-
hen. Zwei Politiker, die im Moment ihrer
schwersten Herausforderung dieselbe Ant-
wort geben.
Der eine hat von der Geschichte recht be-
kommen. Die Nazis verloren den Krieg, Groß-
britannien gehörte zu den Gewinnern, Winston
Churchill wurde zur Ikone. Und der andere?
Die von Wolodymyr Selenskyj angeführte
Ukraine ist nicht zusammengebrochen, gegen
alle Erwartungen. Was zunächst nach einer ver-
zweifelten Beschwörung klang, erscheint nun
möglich. Dass die Ukrainer sich nicht ergeben
müssen. Dass sie tatsächlich ihre Heimat­
beschützen können. Selenskyj bleibt dabei: Mit
diesem Feind gibt es nichts zu reden. Im­
Oktober erließ er sogar ein Dekret, das es ver-
bietet, mit Wladimir Putin in wie auch immer
geartete Verhandlungen zu treten.
Ist solch eine Strategie klug?
Das renommierte schwedische Friedens-
forschungsinstitut UCDP hat eine Zahl er-
mittelt: 30 Prozent. So niedrig ist demnach
der Anteil der Kriege zwischen Staaten seit
1946, die damit endeten, dass es einen ein-
deutigen Sieger und einen eindeutigen Ver-
lierer gab: Die einen triumphieren, die an-
deren kapitulieren. Der Zweite Weltkrieg ist
ein Beispiel für einen solchen Krieg. Umge-
kehrt gilt laut der Datenbank der Forscher:
70 Prozent der Kriege zwischen Staaten en-
den nicht mit einer klaren Trennung in Sie-
ger und Verlierer. Sie enden entweder gar
nicht, 28 Prozent. Oder sie enden, 42 Pro-
zent, durch Verhandlungen – dann be-
kommt in der Regel keine Seite alles, was sie
13
Illustration: Dennis Vernooij für DIE ZEIT
wollte. Dann müssen beide Seiten Zuge-
ständnisse machen.
Niemand weiß, wie der russische Angriffs-
krieg gegen die Ukraine ausgehen wird. Aber
die meisten Experten sind sich einig: anders
als der Zweite Weltkrieg. Es werden höchst-
wahrscheinlich keine russischen Panzer durch
Kiew rollen – und ganz sicher keine ukraini-
schen durch Moskau.
Soll der Krieg enden, bleiben letztlich nur:
Verhandlungen. Hört man sich dazu in Kiew
und Moskau um, dann hat man zunächst
einmal wenig Grund zur Hoffnung.
In Kiew gilt Mychajlo Podoljak als Selenskyjs
wichtigster politischer Berater in der Ver-
handlungsfrage. Im November, kurz bevor
die Ukraine die Stadt Cherson im Süden
zurückeroberte, sagte er gegenüber der ZEIT:
»Mir gefällt das überhaupt nicht, wenn unter
dem Schlagwort ›Diplomatie‹ versucht wird,
die Ukraine zu erniedrigen. Worüber sollen
wir verhandeln? Wir wollen diesen Krieg ge-
winnen. Dazu gibt es keine Alternative.«
Ende vergangener Woche klingt Podoljak
nicht viel anders. »Wer jetzt von Verhand-
Fortsetzung auf S. 14
14
Verhandeln?  lungen spricht, sagt zur Ukraine: Gesteht
Fortsetzung eure Niederlage ein, kapituliert vor Russland –
von S. 13 und gebt Putin endlich, was er will!«
Wenn Podoljak so redet, kann er sich auf
die Zustimmung der Bürgerinnen und Bür-
ger in der Ukraine berufen. Laut aktuellen
Umfragen lehnen 87 Prozent von ihnen terri-
toriale Zugeständnisse ab – und fordern die
Rückeroberung aller besetzten Gebiete. Russ-
land hat es trotz Abertausender Soldaten, die
an der Front in den Tod geschickt wurden, in
diesem Winter nicht geschafft, die Ukraine
entscheidend zu schwächen. Nun soll sich
das Blatt wenden. Die ganze Ukraine wartet
auf die angekündigte Frühjahrsoffensive.
In Moskau treffen sich Ende März Vertre-
ter des Außenministeriums und Berater der
2015
Verhandlungen
in Minsk
Wladimir Putin,
François Hollande,
Angela Merkel und
der damalige
ukrainische Staatschef
Petro Poroschenko
einigen sich auf ein
Abkommen zur
Ostukraine – das
Putin kurz
darauf bricht
Regierung im Haus des Waldai-Diskussions-
clubs gegenüber dem alten Bau des Staats-
zirkus. Auf Waldai-Konferenzen treten tradi-
tionell hochrangige russische Politiker auf;
zuletzt auch einmal im Jahr Wladimir Putin.
Diesmal ist der stellvertretende Außenminister
da. Sergej Rjabkow sitzt neben drei Regie-
rungsberatern und Wissenschaftlern in einem
weißen Sessel auf der Bühne.
Rjabkow redet nicht über die Ukraine, er
redet über den »Westen«. Nicht der Präsident
des Nachbarlandes, so klingt es bei ihm, ist
der wahre Gegner, sondern der Präsident der
Vereinigten Staaten von Amerika. In leicht
beleidigtem Ton erklärt Rjabkow, warum
Russland einige Tage zuvor den New-Start-
Vertrag über die Begrenzung strategischer
Nuklearrüstung ausgesetzt hat. Russland
habe dem von den USA dominierten Westen
Angebote gemacht, der Westen aber habe
Russland betrogen und ausgenutzt. Es gebe
nichts mehr zu bereden und »nichts zu ver-
handeln«. Dafür sei es jetzt zu spät.
Der Krieg gegen die Ukraine als Teil eines
viel größeren Krieges gegen einen viel grö-
ßeren Feind – das ist gerade die offizielle
russische Linie. Verhandlungen mit Wolo-
dymyr Selenskyj wären demnach so sinnlos
wie im Puppentheater eine Diskussion mit
einer der Marionetten.
Nach der Konferenz steht Dmitri Trenin,
gerade noch neben dem stellvertretenden
2022
Gespräche in
Istanbul
Russische und
ukrainische
Abgesandte
verhandeln unter
türkischer Vermittlung
über einen
Waffenstillstand. Am
Ende ohne Erfolg
Außenminister auf der Bühne, bei einem Tee
in der Cafeteria. Trenin ist Mitglied im Rus-
sischen Rat für Außen- und Sicherheitspoli-
tik, einer Denkfabrik, die die Regierung be-
rät. Fragt man ihn nach der Ukraine, sagt er,
es gehe Putin darum, sie »in einen Staat zu
verwandeln, der Russland nicht feindlich ge-
genübersteht«. Putin habe keine Wahl. »Russ-
land muss seine Ziele erreichen. Nur dann
hat es eine ­Chance, weiter zu existieren.« Sieg
oder Untergang.
Die Ukraine und Russland. Eine Demo-
kratie und eine Diktatur. Der eine der Ange-
griffene, der andere der Angreifer. Doch
wenn es um Verhandlungen geht, sind sie
Fotos: Belarus
Presidency Press
sich einig: geschlossene Ablehnung. Zumin-
Office/Getty dest nach außen hin.
Images; Ukrainian
Presidential Press
Diplomatie funktioniert nicht in der Öffent-
Service/Reuters (2) lichkeit. Das sagt einer, der es wissen muss, weil
DOSSIER
er in vielen internationalen Krisen im Hinter- gewählt. Sie könnten zum Beispiel ein kleiner
grund vermittelt hat, auch nach 2014 in der Test gewesen sein, um einmal vorzufühlen,
Ukraine. Niemand darf sie wahrnehmen, wie die ukrainische Öffentlichkeit auf ein
während sie geschieht. Sie kann nur im Stillen solches Szenario reagiert.
erfolgreich sein. Besonders zu Beginn, in der Dazu passt, dass es Andrij Sybiha war, der
heiklen Phase der Anbahnung. Man kann Ver- sich äußerte. Er ist der stellvertretende Büro-
handlungen offiziell brüsk ablehnen und sie leiter Selenskyjs, also wichtig genug, dass ein
gleichzeitig in Erwägung ziehen. Interview mit ihm ernst genommen wird.
Winston Churchill wirkte in jener Zeit im Aber nicht so wichtig, als dass man es nicht
Frühsommer 1940 wie ein Fels. In Wahrheit jederzeit als Verirrung oder Fehler dementie-
hatte er einige Tage lang intensiv darüber ren könnte. In der Ukraine jedenfalls stießen
nachgedacht, ob er mit Hitler ins Gespräch Sybihas Sätze keine breite Diskussion an.
treten sollte. Das ist heute bekannt, weil die Womöglich richtete sich Andrij Sybiha
Protokolle seines Kriegskabinetts öffentlich auch gar nicht an seine Landsleute. In Krie-
zugänglich sind. gen ist es eine verbreitete Strategie, Personen
Während seine Truppen in Nordfrank- aus der dritten oder vierten Reihe vorzuschi-
reich eingekesselt waren, beriet sich Chur- cken, wenn man ausloten möchte, ob sich
Verhandlungen lohnen würden. Die wahren
Entscheider, in diesem Fall die Staatschefs
Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin
oder ihre Außenminister Dmytro Kuleba
und Sergej Lawrow, kommen – wenn über-
haupt – erst zusammen, sobald es eine reale­
Chance auf Erfolg gibt. Ob das der Fall ist,
muss vorher jemand herausfinden.
Rhetorische Testballons, wie Sybihas Äu-
ßerung einer gewesen sein könnte, sind ein
Weg, um dem Feind ein Si­gnal zu senden. Ein
anderer besteht darin, bereits bestehende offi-
zielle Kontakte zu nutzen. Im Dauergespräch
sind derzeit paradoxerweise Vertreter jener
beiden Institutionen, die ein­an­der bekämpfen:
ukrainische und russische Militärs. Sie haben
bereits Dutzende Gefangenenaustausche orga-
nisiert. Ebenso treffen sich regelmäßig Diplo-
maten beider Länder, um das Getreideabkom-
men zu verlängern, das es der Ukraine er­
möglicht, ihre Ernten über das Schwarze Meer
zu exportieren – auch wenn Russland das­
Abkommen immer wieder infrage stellt, so
wie Anfang dieser Woche. Solche Kontakte
auf Arbeitsebene, bei denen eher kleinteilig-­
technisch mit­ein­an­der gesprochen wird, können
irgendwann auch für die großen politischen
Fragen genutzt werden.
chill mehrmals täglich mit seinen vier­ Und dann gibt es noch Menschen wie
wichtigsten Ministern. Einer davon, Außen­ Wolodymyr Fesenko in Kiew und Fjodor
minister Lord Halifax, drängte Churchill am Lukjanow in Moskau.
Morgen des 26. Mai dazu, indirekte Ver- Beim Waldai-Forum in der russischen
handlungen mit Hitler auszuloten. Der Au- Hauptstadt sitzt auf der Bühne neben dem stell-
ßenminister sagte: »Wir müssen der Tatsache vertretenden Außenminister ein Mann mit Voll-
ins Auge sehen, dass es jetzt nicht mehr da- bart, langem Haar und Intellektuellen-Brille.
rum geht, Deutschland komplett zu besiegen. Fjodor Lukjanow ist als Waldai-Forschungs-
Sondern darum, die Unabhängigkeit unseres direktor und Chefredakteur der Zeitschrift
Em­pires zu sichern.« Er hatte sogar schon dis- Russia in Global Affairs bestens vernetzt.
kret bei Mussolini in Italien nachfragen las- In einem Moskauer Café sagt Lukjanow
sen, ob der als Mediator bereitstünde. später, er halte die Aussichten auf Verhand-
Churchill war eigentlich dagegen, er vertrat lungen derzeit eher für dünn. Doch dann
eine harte Linie gegenüber Hitler. Doch am folgt ein »Aber«: Er sehe durchaus eine­
Nachmittag desselben Tages sagte er, er wäre Chance darin, dass die Ziele Russlands in
»dankbar, aus den gegenwärtigen Schwierig- diesem Krieg nicht klar formuliert ­ seien.
keiten herauszukommen, solange wir das We- Putin hat nie genau erklärt, welche ukraini-
sentliche unserer Stärke behalten – auch wenn schen Gebiete er erobern will. Die ganze
es einiges an Territorium kostet«. Welches Ukraine? Nur die russischsprachigen Teile?
Territorium Churchill genau meinte, ist unklar. Muss Kiew sein? Die russische Öffentlich-
Einen Tag später, nach hitzigen Debatten, gibt keit ist darüber im Unklaren. Dadurch, sagt
das Protokoll eine Aussage Churchills so wieder: Lukjanow, könne die russische Führung im
»Wenn er erfahre, welche Bedingungen die Falle eines Waffenstillstands jederzeit für
Gegenseite anbieten würde, wäre er bereit, sich beanspruchen, genug von ihren Zielen
Friedensverhandlungen zu erwägen.« erreicht zu haben.
Nach außen drang damals nichts davon. Er gibt sich überzeugt davon, dass Putin
Wenig ist schlimmer in einer existenziellen zum Beispiel auf die Eroberung des Land-
Bedrohungslage, das wird Churchill gewusst korridors zur Krim verweisen könnte. Die
haben, als der Anschein eines mit sich ringen- Halb­insel hat in Russland eine unglaublich
den, ängstlichen Anführers. hohe Bedeutung. Die Tatsache, dass sie jetzt
Ist es jetzt in der Ukraine genauso? Werden von Russland aus zu erreichen ist, sagt Lukja-
im engsten Kreis Selenskyjs, entgegen dem now, könne ein leicht zu verkaufender Erfolg
sein, falls man auf dem Schlachtfeld nicht
weiterkomme.
Wenn dieser Mann einen solchen Weg für
denkbar hält, ist das wichtig. Lukjanow steht
in der Gunst des Staatspräsidenten; im ver-
gangenen Jahr ließ sich Wladimir Putin sogar
auf der Waldai-Bühne von ihm befragen.
Möglicherweise äußert sich Fjodor Lukjanow
jetzt ganz bewusst so.
Wenn im Krieg vom Verhandeln die
Rede ist, hat man sofort Staatschefs und
Diplomaten im Kopf. Dabei können hier
auch Wissenschaftler eine Rolle spielen,
Unter­ nehmer oder ehemals bedeutende
Poli­tiker. Nah genug dran an der Staatsspitze,
aber weit genug weg, um nicht sofort als­
offizielle Stimme wahrgenommen zu werden.
Sie können Dinge viel offener aussprechen
als Amtsinhaber, können ­Ideen lancieren,
zum Beispiel in einem Interview mit einem
westlichen Medium.
Und: Sie können mit Menschen auf der
anderen Seite sprechen, wenn alle offiziellen
Kanäle dicht sind.
Track Two Diplomacy nennt sich das in der
Fachsprache der Politologen, Diplomatie
über den Nebenweg. Solche informellen Ge-
spräche eignen sich gut für Gedankenspiele,
Bild, das die Öffentlichkeit zu sehen be- aus denen mehr werden kann: Wie reagiert
kommt, Verhandlungen erwogen? die Ukraine, wenn man ins Spiel bringt, dass
sie Teile des Donbass abtreten solle? Ob viel-
leicht ein Autonomiestatus denkbar wäre?
Anfang April gab der ukrainische Politiker Ob die Krim-Frage besser vertagt wird? Auf
Andrij Sybiha der britischen Zeitung Finan- wen könnten sich beide Seiten als offiziellen
cial ­Times ein Interview. Er sagte, Kiew sei Vermittler einigen? Angela Merkel?
bereit, mit Moskau über die Zukunft der Auch wenn sich keiner der Gesprächs-
Krim zu sprechen, wenn die ukrainischen partner der ZEIT dazu offen äußern will:
Truppen die Grenze der von Russland annek- Man muss davon ausgehen, dass diese Form
tierten Halb­insel erreicht hätten. Präsident der tastenden Diplomatie längst stattfindet.
Selenskyj hatte stets betont, auch die Krim Weil alle Beteiligten – bis hinauf zu den je-
militärisch befreien zu wollen. Sybihas Aus- weiligen Präsidenten – wissen: Beim Thema
sage nun ließ sich interpretieren als Si­gnal der Verhandlungen geht es nicht um das Ob.
Kompromissbereitschaft. Sondern um das Wie und Wann.
Gut möglich, dass seine Worte ein Ver­ Leute wie Fjodor Lukjanow sind mög­liche
sehen waren. Vielleicht rutschten sie ihm Nebenwegsdiplomaten in Russland. Leute wie
raus. Vielleicht fragte der Reporter sehr hart- Wolodymyr Fesenko kämen in der Ukraine
näckig. Vielleicht waren sie aber auch bewusst infrage.
Fesenko sitzt in seiner Kiewer Wohnung,
im Hintergrund seiner Videokachel sieht
man ein kleines Ölgemälde an der Wand.
Auch er ist Forscher, einer der bekanntesten
Politologen seines Landes. Auch er gilt als
regierungsnah. Wolodymyr Fesenko ist be-
kannt dafür, dass seine Äußerungen häufig
ein Schlaglicht auf die Debatten im engsten
Zirkel der Macht werfen.
Fesenko sagt, er sehe zwei Szenarios. Ein
optimistisches: Die Ukraine erobert ihr ge-
samtes Staatsgebiet zurück. Und ein schwieri-
ges: Die Ukraine hat irgendwann genug von
all dem Sterben an der Front und stimmt einer
Waffenruhe zu. Keiner endgültigen Friedens-
lösung, aber zumindest einer Atempause.
Verhandlungen aus Erschöpfung.
»Was, wenn sich der Krieg noch über
Monate hinzieht, viele Opfer kostet – und
sich am Frontverlauf nichts ändert?«, fragt
Fesenko. »Es ist eine Sache, die Befreiung der
Krim und des Donbass zu unterstützen.
Aber eine andere, wenn du vor der Wahl
stehst, ob dafür dein Bruder, dein Vater oder
dein Sohn sterben muss.« Fesenko verweist
auf die Debatten der vergangenen Wochen
zu Bachmut. Einige Militärs forderten den
Abzug aus der von Russland massiv atta-
ckierten Stadt. Ein wichtiges Kiewer Nach-
richtenmagazin startete eine Umfrage unter
Militärexperten: ob es sich noch lohne,
Bachmut zu halten? Und zuletzt warnte ein
bekannter politischer Kommentator auf seiner
Face­book-­Seite vor einem »sinnlosen Sterben«
der ukrainischen Soldaten dort.
In der ukrainischen Militärführung säßen
»sehr pragmatische Leute«, sagt Wolodymyr
Fesenko. »In der Ukraine sind Menschen­
leben immerhin etwas wert.« Präsident Se-
lenskyj sei sehr sensibel für die Stimmung in
der Bevölkerung.
Noch sind da die Umfragen, in denen die
allermeisten Bürgerinnen und Bürger sich
für die Rückeroberung des gesamten Landes
aussprechen. Und viele Soldaten kämpfen
weiter aus freien Stücken. Doch das muss
nicht so bleiben. Glaubt man Wolodymyr
Fesenko, dann liegt die Wahrscheinlichkeit,
dass die Regierung den richtigen Zeitpunkt
für Verhandlungen in nicht allzu ferner Zu-
kunft erreicht sieht, etwas höher, als es der-
zeit den Anschein hat.
Die nächsten Monate könnten entschei-
dend sein. Gibt es während der anstehenden
Offensive viele Tote und Verletzte und dazu
noch Fehler der politischen und militäri-
schen Führung, dann kann es sein, dass die
Stimmung in der Ukraine kippt. Anderer-
seits werden immer wieder russische Kriegs-
verbrechen bekannt, so wie zuletzt die mut-
maßliche Hinrichtung ukrainischer Kinder.
Jedes einzelne dieser Verbrechen macht es
für Selenskyj politisch schwieriger, seine
Bevölkerung von Gesprächen mit dem
Feind zu überzeugen.
Ein weiterer wichtiger Faktor: die Panzer
und die Munition, die der Westen liefert. Die
Ukrainer und ihre Unterstützer hoffen, dass
es durch großen militärischen Druck eher
gelingt, Russland gesprächsbereit zu machen.
Etwa indem man den russischen Landzugang
zur Krim abschneidet.
Verhandeln – das mag für viele nach dem
größtmöglichen Gegensatz zum Kämpfen
klingen. Als ginge es darum, sich aus der Hölle
des Tötens ins Mit­ein­an­der-­Reden zu flüch-
ten. In Wahrheit hängt beides mit­ein­an­der
zusammen: Auf dem Schlachtfeld wird nicht
einfach nur über Sieg oder Niederlage ent-
schieden, sondern immer auch über die bes-
sere Position am Verhandlungstisch. So gese-
hen ist jeder Krieg eine indirekte Verhand-
lung. Je mehr ich meinen Feind schwäche,
desto mehr kann ich später fordern.
Das ist das Ringen gerade: Welche Seite
bringt die andere zuerst an den Punkt, an
dem sie keine andere Möglichkeit mehr sieht
als ebendiese – sich ernsthaft auf direkte Ge-
spräche einzulassen?
Die Ukraine hat in diesem Ringen einen
natürlichen Nachteil. Sie ist eine Demokra-
tie. In Russland dürfen Nachrichtenmagazine
und Militärexperten schon lange keine kriti-
schen Fragen mehr stellen. Regimekritiker
sind im Gefängnis oder irgendwo im Aus-
land, die Generale halten still, und Putin sitzt
im Kreml, isoliert von widerstreitenden Mei-
nungen, und schickt Menschen in den Tod.
Ein paar Zehntausend oder sogar Hundert-
tausend eigene Gefallene mehr wären für
Wolodymyr Selenskyj eine Katastrophe.
Wladimir Putin hingegen kann es sich leis-
ten, unsensibler zu sein gegenüber dem Lei-
den der russischen Soldaten. Weil er weit­
gehend kontrolliert, wie darüber in der Öf-
fentlichkeit geurteilt wird.
Wenn es aber so viel schwieriger ist, ihn
über das Geschehen an der Front zu Ver-
handlungen zu bewegen – wie geht es dann
noch? Vielleicht, falls überhaupt, indem
man ihn woanders trifft. Dort, wo es ihm
wirklich wehtut.
Die Unterstützer der Ukraine im Westen ha-
ben seit Beginn des Krieges ein Sanktionspaket
nach dem anderen verabschiedet. Die Euro-
päische Union verhängte Handelsverbote. Sie
fror Vermögenswerte der russischen Zentral-
bank ein. Stoppte jeglichen Flugverkehr mit
Russland. Sprach ein Einfuhrverbot für russi-
sches Öl aus und beschloss einen Preisdeckel,
der zur Folge hat, dass das Öl auf den Welt-
märkten deutlich unter dem früheren Wert
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
verkauft wird. All diese Maßnahmen zielen
darauf, die russische Wirtschaft zu schwä-
chen, das Land an den Rand seiner militäri-
schen Handlungsfähigkeit zu bringen – und
auf diese Weise zu Verhandlungen zu zwin-
gen. Haben sie etwas bewirkt?
»Nein«, sagt Natalja Subarewitsch.
Subarewitsch ist eine angesehene Wirt-
schaftsprofessorin an der Moskauer Staats-
universität MGU. Sie sitzt in einem Café ein
paar Schritte neben der Metrostation »Uni-
versität«, das mächtige Hochhaus der MGU
im Blick. Ja, sagt sie, die Metallproduktion
sei um 10 Prozent gesunken und die Holz-
produktion sogar um fast 13 Prozent. Auch
die Steuerzahlungen brächen ein. In den drei
Monaten von Dezember 2022 bis Februar
2023 hat der Staat ein Budgetdefizit von ins-
gesamt 5,6 Billionen Rubel verzeichnet, um-
gerechnet gut 76 Milliarden Euro.
Für Russland sind solche Zahlen drama-
tisch, weil sich das Land kein Geld an den
internationalen Finanzmärkten leihen kann.
Tatsächlich sieht man in den Moskauer­
Straßen und Einkaufszentren viele Geschäfte
schließen. Unternehmer aus der Elektro­
branche und der Werbeindustrie, mit denen
die ZEIT in den vergangenen Monaten
sprach, verlagern ihre Geschäfte nach Ka-
sachstan oder Usbekistan.
Hinzu kommt, dass sich der Staat kürz-
lich gezwungen sah, viel Geld in die Hand
zu nehmen, umgerechnet 3,3 Mil­ liar­
den
Euro, wie Subarewitsch erzählt. Hauptsäch-
lich habe Putin damit drei gesellschaftliche
Gruppen subventioniert. Familien, arm und
kinderreich. Rentner. Soldaten und ihre­
Angehörigen.
Diese drei Gruppen stehen im Großen und
Ganzen loyal zum Krieg und wählen zuver-
lässig Putin. Die Renten sollen 2023 um mehr
als 15 Prozent steigen, mobilisierte Soldaten
erhalten pro Monat umgerechnet 2167 Euro
und damit deutlich mehr als das Durchschnitts-
kommen – und Familien von Gefallenen eine
Einmalzahlung von gut 55.000 Euro. Außer-
dem habe Putin die Gehälter in der Rüstungs-
industrie seit Kriegsbeginn verdoppeln lassen,
sagt Natalja Subarewitsch.
Hier liegt Putins natürlicher Nachteil.
Hier kann man ihm wehtun. Er braucht
enorme Summen, um seinen Krieg zu finan-
zieren und sich das Wohlwollen seiner Unter-
stützer zu erkaufen. In einem Staat wie der
Ukraine, die um ihre Existenz und ihre Würde
als Demokratie kämpft, spielt die wirtschaft-
liche Lage der Menschen weniger eine Rolle
dafür, welche Opfer sie zu bringen bereit
sind. Russland hingegen gibt im Moment so
viel Geld aus, dass man sich fragt, wie lange
Putin das durchhalten kann.
Man dürfe sich nicht täuschen lassen, sagt
Subarewitsch.
Der Staat hat in den vergangenen andert-
halb Jahrzehnten einen sogenannten Natio-
nalen Wohlstandsfonds aufgebaut, gespeist
aus den sprudelnden Öl- und Gaseinnah-
men. In diesem Fonds befinden sich nach
Angaben der Zentralbank aktuell etwa elf
Billionen Rubel, das sind 122 Mil­ liar­
den
Euro, mehr als sieben Prozent des Brutto­
inlands­pro­dukts.
Und noch aus anderen Quellen kann sich
die russische Regierung bedienen. Putin er-
legte Gazprom höhere Steuern auf, gerade
muss der Erdgaskonzern eine halbe Milliarde
Euro zusätzlich an monatlichen Abgaben
zahlen. Den Diamanten-Monopolisten Al-
rosa ließ Putin im Februar und März insge-
samt gut 200 Millionen Euro mehr Gewinn-
steuer entrichten. Unternehmen wie diese,
die in den vergangenen Jahren teils unglaub-
liche Vermögen angehäuft haben, können
das meist gut wegstecken.
»Die Wirtschaft war unter Putin schon
lange die Dienstmagd der Geopolitik«, sagt
Natalja Subarewitsch. »Jetzt ist sie zur Sklavin
geworden.« Eine, die noch ziemlich kräftig
arbeitet. Auch weil sie viel Hilfe bekommt.
Die russischen Exporte nach Indien sind
im vergangenen Jahr auf fast das Vierfache
gewachsen. Der russische Handel mit der
Türkei zuletzt um 100 Prozent. Der mit
Georgien und Armenien um 50 Prozent. Das
Handelsvolumen mit China hat einen neuen
Rekord erreicht. Im März sind laut der Inter­
nationalen Energieagentur die russischen
Öllieferungen ins Ausland auf den höchsten
Stand seit drei Jahren gestiegen. Nur dass das
Öl nicht mehr durch Pipelines nach Europa
fließt, sondern mithilfe von Tankern auf dem
Seeweg exportiert wird – vor allem nach
China, Indien und in die Türkei.
Der Westen mit seinen Sanktionen kann
es allein nicht schaffen. Die Frage, ob Putin
wirtschaftlich so geschwächt werden sollte,
dass er verhandlungsbereit wird, richtet sich
an die ganze Welt. Seit Monaten ist die deut-
sche Außenministerin Anna­ lena Baer­ bock
deshalb unterwegs.
In Kasachstan lobt Baerbock die dortige
Regierung dafür, dass sie sich trotz der geo-
grafischen Nähe nicht auf die Seite Russlands
geschlagen habe. Wenige Monate später wird
klar, dass der Handel zwischen Russland und
Kasachstan um ein Viertel gestiegen ist.
In Mali redet Baer­bock mit der dortigen
Militärregierung. Wenige Monate später
muss sie bei den Vereinten Nationen in New
York zusehen, wie Mali gegen eine Re­so­lu­
tion stimmt, die den russischen Angriffskrieg
verurteilt. Seine Zusammenarbeit mit russi-
schen Söldnern hat das westafrikanische
Land seither fortgesetzt.
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
In Neu-Delhi spricht Baer­bock bei einer
Pressekonferenz vom »russischen Angriffs-
krieg« – ihr indischer Amtskollege dagegen
von der »Ukraine-Krise«. Wenige Monate
später kündigt er einen Freihandelspakt mit
Russland an.
In Peking kritisiert Baer­bock die chine­
sische Regierung dafür, keinen Druck auf
Russland auszuüben, den Krieg zu be­enden.
Zwei Tage danach beschließt der chinesische
Verteidigungsminister in Moskau mit der
dortigen Regierung, die militärische Koope-
ration der beiden Länder zu vertiefen.
Brasilien verurteilt zwar den Krieg, findet
aber nicht, dass allein die Russen dafür ver-
antwortlich sind. Südafrika empfängt den
russischen Außenminister und absolviert ge-
meinsam mit Russland Militärmanöver.
Als sich die Außenminister der G7 ver-
gangene Woche in Japan trafen, war hinter
den Kulissen Ernüchterung zu spüren. Offen­
bar hatte man es sich einfacher vorgestellt,
Russland international zu isolieren.
Christoph Heusgen empfängt in einem Kon-
ferenzraum im fünften Stock eines Berliner
Bürogebäudes. Heusgen war lange Angela
Merkels wichtigster Berater für die Außen-
und Sicherheitspolitik. Mittlerweile leitet der
68-Jährige die Münchner Sicherheitskonfe-
renz, auf der einmal im Jahr Politiker, Militärs
und Experten aus zahlreichen Ländern über
die großen Themen der Weltpolitik debattie-
ren. Auf der letzten Konferenz im Februar
war der Krieg in der Ukraine das alles beherr-
schende Thema. Russische Offizielle waren
diesmal nicht eingeladen. Sie sollten keine
Bühne für ihre Propaganda bekommen.
Dafür sprach Heusgen mit zahlreichen
wichtigen Politikern aus nichtwestlichen
Ländern. Sie hätten ihm zu verstehen ge­
geben, dass sie ganz andere Probleme hätten
als den Krieg, sagt Heusgen. »Da herrscht
völlige Äquidistanz zu den Konfliktparteien
Ukraine und Russland.« Er habe zu entgeg-
nen versucht, dass es um die Verletzung
inter­nationalen Rechts gehe. Aber: »Die sehen
diese Dramatik nicht und folgen letztlich
dem chinesischen und russischen Narrativ,
dass es hier mindestens eine Mitschuld des
Westens gibt.«
Wladimir Putin hat nicht nur finanzielle
Reserven, eine widerstandsfähige Wirtschaft
und wertvolle Bodenschätze. Er hat auch Ver-
bündete und Sympathisanten weltweit. Wird
er in absehbarer Zeit politisch oder ökono-
misch so sehr unter Druck geraten, dass er
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die Frage nach dem Wann mit einem »Jetzt«
beantwortet? Unwahrscheinlich.
Und wenn er sich aus irgendwelchen
Gründen demnächst doch an den Verhand-
lungstisch setzt? Dann wird die Frage nach
dem Wie konkret. So wie im ­Februar 2015
in Minsk.
Damals reisten Angela Merkel und ihr
französischer Kollege François Hol­lande in
die belarussische Hauptstadt, wo sie mit Putin
und Petro Poroschenko, zu jener Zeit der
ukrainische Präsident, zusammentrafen. Ein
Jahr zuvor hatte Russland die Krim erobert
sowie Teile der ukrainischen Provinzen Do-
nezk und Luhansk. Seither wurde dort ge-
kämpft – es war der eigentliche Startpunkt
für den Krieg. Die vier Staatschefs und ihre
Mitarbeiter verhandelten im wuchtigen
Minsker Palast der Unabhängigkeit, unter
goldenen Lüstern und glänzenden Ornamen-
ten. An Merkels Seite: Christoph Heusgen.
»Die Ukrainer waren gereizt und manch-
mal polemisch, was ich verstehen konnte,
schließlich waren sie überfallen worden«, er-
innert er sich. »Die Russen hingegen waren alle
durch die Diplomatenschule in Moskau ge-
gangen. Sie haben überhaupt kein Problem,
mit ernster Miene den größten Blödsinn zu
erzählen. Die können das Blaue vom Himmel
herunterlügen, damals zum Beispiel, dass Russ-
land am Krieg gar nicht beteiligt sei. Diploma-
tie und Propaganda sind da eins. Das erleben
wir gerade wieder im Sicherheitsrat der Ver-
einten Nationen, wo sich die russischen Ver-
treter als Wahrer der UN-Charta darstellen –
ohne dabei rot zu werden.«
Damals in Minsk rangen die Verhandler
um Dinge wie den Abzug schwerer Waffen,
den Zugang unabhängiger Beobachter zum
Konfliktgebiet, den Status der abtrünnigen
Gebiete, Wahlen und Amnestiefragen. Jeder
einzelne Punkt war umstritten. Es dauerte bis
sechs Uhr morgens. In der wichtigsten Phase
zogen sich die Staats- und Regierungschefs
mit einigen Beratern alle in ein kleines Sei-
tenzimmer zurück. Ein belarussischer Diplo-
mat erinnert sich heute, Putin habe mehr-
mals das Zimmer verlassen und sei stets nach
15 oder 30 Minuten erfrischt zurückgekehrt.
Die Gastgeber hatten ihm, anders als Merkel,
Hol­lande und Poroschenko, ein Bett in sein
eigenes Zimmer gestellt.
Am Ende gab es ein Abschlussdokument,
knapp drei Seiten lang. Es sah einen Waffen-
stillstand vor. Beide Parteien erklärten sich
bereit, ihre schweren Waffen zurückzuziehen
und Mitarbeiter der Organisation für Sicher-
heit und Zusammenarbeit in Europa als Be-
DOSSIER
obachter im Konfliktgebiet arbeiten zu las-
sen. Glaubt man Heusgen, dann fuhren die
westlichen Vermittler zufrieden aus Minsk
nach Hause.
Drei Tage danach eroberten russische Sol-
daten den ukrainischen Ort Debalzewe. Ihre
schweren Waffen? Blieben. Die unabhängi-
gen Beobachter? Wurden an der Arbeit ge-
hindert; manchmal wurden auch ihre Fahr-
zeuge beschossen. Das Minsker Abkommen
war tot, ehe es richtig lebte.
Putin hat es gebrochen, wie er fast alle
Abkommen gebrochen hat, die mit der
Ukraine zu tun hatten. Es wirkt, als habe
ihm nie etwas an einer ernsthaften Einigung
gelegen. So wie auch im Frühjahr 2022 in
Istanbul. Dort verhandelten Russen und
Ukrainer ganz offiziell über ein Ende des
Tötens. Doch Putin hatte Leute aus der
zweiten oder dritten Reihe vorgeschickt, die
gar kein ausreichendes Mandat von ihm
hatten, ein Abkommen zu erzielen. Ein­an­
der zu vertrauen ist im Krieg immer schwie-
rig. Bei Putin ist es aus Sicht der Ukraine
und ihrer Unterstützer nahezu unmöglich
geworden. »Verträge mit Putin sind das Pa-
pier nicht wert, auf dem sie niedergeschrie-
ben sind«, sagt Christoph Heusgen.
Nur weil jemand verhandelt, heißt das
nicht, dass das auch zum Erfolg führt. Nur
weil jemand ein Abkommen unterzeichnet,
heißt das nicht, dass Frieden kommt. Es gibt
vorgeschobene Verhandlungen, um den Geg-
ner auszutricksen. Es gibt Friedensverträge,
die den Keim des nächsten Krieges in sich
tragen. Putin könnte es ähnlich machen wie
damals in Minsk – er könnte einer Feuerpause
zustimmen und die Zeit nutzen, um neue
Kräfte zu sammeln. Vielleicht wären es dies-
mal nicht drei Tage; Putin könnte auch län-
ger warten. Das ist die Befürchtung von My-
chajlo Podoljak, Selenskyjs wichtigem Bera-
ter, wenn er sagt: »Verhandlungen zum jetzi-
gen Zeitpunkt wären so, als würden wir unser
eigenes Todesurteil unterschreiben. Der Tod
würde zwar nicht morgen eintreten, aber in
einigen Jahren.«
Deswegen glauben Experten wie Christoph
Heusgen, dass Verhandlungen nur dann Sinn
ergeben, wenn die Ukraine wirksam vor­
Russland geschützt wird. »Mittlerweile bin ich
– übrigens wie Henry Kissinger – für eine Nato-
Mitgliedschaft der Ukraine«, sagt Heusgen. Das
würde bedeuten: Alle Nato-Mitglieder müssten
an der Seite der Ukraine kämpfen, sollte sie er-
neut angegriffen werden. Auch Deutschland.
Wenn Olaf Scholz und Joe B ­ iden das
nicht wollten, sagt Heusgen, müssten sie
Eine Aktion von:
eben Sicherheitsgarantien für die Ukraine
abgeben, die de facto auf das Gleiche hinaus-
laufen. »Die Nato-Staaten werden die Ukraine
mit Waffensystemen ausstatten müssen von
einer Quantität und Qualität, dass selbst ein
Wladimir Putin oder sein Nachfolger von­
einem neuerlichen Angriff auf die Ukraine
absehen würden. Die Nato-Staaten müssten
sich auch verpflichten, diese Waffensysteme
auf dem neuesten Stand zu halten. Wir hätten
also im Ergebnis eine Art Abschreckung, wie
wir sie im Kalten Krieg erlebt haben.«
In den kommenden Wochen und Mona-
ten werden deutsche Leoparden und andere
westliche Kampfpanzer auf dem Schlacht-
feld zum Einsatz kommen. Die Ukrainer
werden mit ihrer Frühjahrsoffensive versu-
chen, die Russen in die Enge zu treiben. In
Russland wird Putin wahrscheinlich Aber-
tausende neue Soldaten mobilisieren, seit
Kurzem geht das auch digital. Er wird noch
mehr Waffen, unter anderem Drohnen und
Kurzstreckenraketen aus dem Iran, gegen
die Ukraine einsetzen und die russische
Wirtschaft verstärkt auf die Bedürfnisse sei-
nes Krieges umstellen.
Fast jeder dritte Krieg, das war die statis-
tisch ermittelte Erkenntnis des Friedens­
forschungsinstituts in Schweden, findet kein
Ende. Das sind Konflikte, die ständig den
15
Aggregatzustand wechseln. Mal erkalten sie,
oft aus Erschöpfung der Kriegsparteien.
Dann flammen sie wieder auf.
Indien und Pakistan bekämpfen sich seit
1947. Meistens ist es an der Grenze ruhig,
manchmal beschießen sich die Truppen mit
Artillerie, manchmal fliegen sie auch Luft­
angrif­fe. Zwischendurch schließen die beiden
Staaten immer wieder Abkommen, die den
Konflikt be­enden sollen.
Israel und der Libanon bekämpfen sich
seit 1948, trotz mehrerer zwischenzeitlicher
Waffenstillstandsabkommen und groß ange-
legter Friedensgespräche. Lange ruhige Phasen
werden immer wieder unterbrochen von
kurzen heißen Phasen, zuletzt 2006, als israe-
lische Truppen in den Südlibanon einmar-
2023
Wo es noch
Kontakte gibt
Ukrainische Soldaten
vorletzte Woche bei
einem Austausch von
Kriegsgefangenen. Die
Militärs beider Seiten
bekämpfen sich – und
sind auf Arbeitsebene
im Gespräch
schierten, nachdem die Hisbollah Raketen
auf Israel abgefeuert hatte. Mehr als tausend
Menschen starben.
Südkorea und Nordkorea bekämpfen sich
seit 1950. Nach zweijährigen Waffenstill-
standsverhandlungen, den längsten der Ge-
schichte, trat 1953 ein Abkommen in Kraft.
Dennoch gibt es seither an der Grenze im-
mer wieder Zusammenstöße, manchmal
wird ein Schiff beschossen, manchmal ster-
ben Soldaten.
Russland und die Ukraine sind jetzt seit Foto:
2014 im Krieg. Reuters
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Ihrer ZEIT
24.04.23 15:56
16
Zur Ausgabe Nr. 16
Weniger China –
schaffen wir das?
Alice Bota: »Mit Abstand
am besten«  ZEIT NR. 16
Was würde eigentlich geschehen, wenn China
die Insel Taiwan angreifen würde? Es wäre
gut, wenn wir im Vorfeld schon mal eine
Strategie hätten. Denn das ist, so denke ich,
nur eine Frage der Zeit. Und der große
Steuer­mann Xi Jinping wird von seinem Plan
nicht absehen, nur weil wir Europäer ihn da-
rum bitten.  MICHAEL AY TEN , TRIER
Was für ein trefflicher, differenzierender Arti-
kel. Es klingt ja oft so, als hätte China uns
vereinnahmt. Andersrum wird ein Schuh
draus. Uns kam das Währungsgefälle gerade
recht. Und China lernte schnell dazu. Nun
gucken wir blöd aus der Wäsche und schlagen
verbal um uns.
Natürlich ist es wünschenswert, autark zu
sein – das allerdings ist wohl eine verträumte
Illusion für ein rohstoffarmes Land mit sin-
kender Geburtenrate und Fachkräftemangel.
Diversifizierung ist immer klug. Dafür
braucht man aber keine Feindbilder. 
UWE- CARSTEN EDELER , HAMBURG
Wohin Annalena Baerbocks konfrontative
Art führt, wissen wir. Vollkommen unange-
messen ist aber auch Alice Botas Schelte der
Konzerne VW, BMW, Daimler und BASF.
Dementsprechend müsste die Frage lauten:
Wie viel Baerbock verträgt Deutschland, und
wie wenig China können wir verkraften? 
STEFAN WEIDNER , HANAU
Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie auch
über die Haltung des Mittelstands in dieser
Frage berichten, die nur zu häufig im Gebrüll
der Großkonzerne untergeht. Es freut mich,
wenn sich jemand die Mühe macht, tiefer zu
graben. SABINE MOEHLER , PER E-MAIL
Rad ab!
J. Bittner/M. Rohwetter: »Das
läuft nicht ganz rund«  ZEIT NR. 16
Eine »vollkommen fiktive Geschichte«, die
aber tägliche Realität in diesem Land ist. Mut
und Erfindergeist haben es schwer hier, sie
werden ausgebremst von Regelungswut und
Bürokratie.
Da kann man doch froh sein, dass das Rad
schon da war, bevor es Deutschland gab.
REGINA STOCK , KIEL
Habe mich als Rentner köstlich über die­
Satire amüsiert. Meine Frau, Fachärztin mit
eigener Praxis, meinte, es sei wohl mehr Real­
satire. Sie empfand Ihren Beitrag als einen der
besten, den sie seit Jahren gelesen hat. 
HARTMUT VAN MEEGEN , SA ARBRÜCKEN .
Dass dieses Land ein Rad ab hat, ist keine
neue Erkenntnis, aber Ihr Artikel bringt eini-
ges auf den Punkt.
THOMAS MANTHEY, PER E-MAIL
BEILAGENHINWEIS
Die heutige Ausgabe enthält folgende Publikationen
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LESERBRIEFE
Das Disco-Pubertier
Cathrin Gilbert und Holger Stark über Mathias Döpfner  ZEIT NR. 16
Mathias Döpfner ist ein international erfolgrei-
cher Medienmanager – ohne Empathie und Ak-
zeptanz für geschichtliche und politische Realitä-
ten. Zitat: »Die ossis sind entweder Kommunis-
ten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht.
Eklig.«
Die Ostdeutschen aber sind keine politisch ho-
mogene Masse. Wer sie in zwei Feindbilder
(Kommunisten/Faschisten) vereinfacht kategori-
siert und ihnen jede demokratische Kompetenz
abspricht, der ist ignorant und arrogant.
Denn die Bürger im Osten haben den größeren
Beitrag für die deutsche Einheit erbracht. Sie sind
den opferreicheren Weg gegangen und werden
ihn noch für eine längere Zeit gehen müssen. Wer
die Elite dieser Republik verachtet, der verun-
glimpft unsere demokratische Ordnung.
KL AUS-DIETER BUSCHE, OFFENBACH
Wir können nur hoffen, dass die Verunglimpften
mit dem Geldbeutel abstimmen und die Mach-
werke des Springer-Verlages einfach nicht mehr
kaufen. PETER UND SABINE MAIRHOFER , NORDHEIM
Wenn man in einer Stadt wie Potsdam, in der die
Grundstückspreise ständig steigen, über einen die
eigene Villa umgebenden Park in Hektargröße
verfügen kann, dessen Fläche früher zum Teil öf-
fentlicher Grund war, dann genießt man offen-
sichtlich Sonderrechte.
Wenn man Aktien im Wert von einer Milliarde
Euro geschenkt bekommt, ohne nennenswert
Schenkungsteuer zu zahlen, dann genießt man
ebenfalls offensichtlich Sonderrechte.
Das klingt nach Wiederkehr eines feudalen Herr-
schaftssystems von Superreichen, das den norma-
len Bürger ohnmächtig und wütend zurücklässt.
DR . IRMINGARD WEISE, POTSDAM
Keine Frage: Fehlbar, egoman und anmaßend
sind wir Menschen alle, von Natur aus, in unter-
schiedlichem Maße. Aber könnten wir nicht die
Macht und den Besitz, anstatt sie in den Händen
weniger konzentriert zu belassen, so demokra-
tisch vergemeinschaften, dass sich solche korrum-
pierenden Effekte auf die Einzelnen ausgleichen?
Mit Rasanz vor die Wand
Mark Schieritz über Klimapolitik und Energiewende  ZEIT NR. 16
Der Beitrag von Mark Schieritz ist der beste
zum Thema Energie, den ich dieses Jahr in der
deutschen Presse gelesen habe. Inhaltlich und
stilistisch!
Hier nur mal ein Satz als Beispiel: »Denn eine
gelingende Klimawende setzt voraus, dass die
technologischen Kipppunkte schneller erreicht
werden als die ökologischen«. Zucker!
FLORIAN MAIER , PER E-MAIL
Wenn hier nicht zeitnah eine Vollbremsung er-
folgt, werden wir »ziemlich rasant« die Welt ge-
gen die Wand fahren. KL AUS W. MEILICK , REMSECK
Der Optimismus des Leitartiklers ist schwer er-
träglich. China verbrennt die Hälfte der weltwei-
ten Kohle, Tendenz steigend. Doch selbst wenn
der Strom für all die vielen vom Autor lobend
erwähnten chinesischen Elektroautos aus Sonne
und Wind käme, so blieben die erheblichen
CO₂-Emissionen bei der Herstellung der Lithium-­
Akkus, die sich erst nach zigtausend »sauber« ge-
fahrenen Kilometern amortisieren.
Solange CO₂-Emissionen weiterhin steigen, so-
lange keine Aussicht darauf besteht, das Treib-
Freunde der
Im Duktus der emanzipatorischen Bewegung der
1960er-Jahre formuliert: »Enteignet Springer!«
THOMAS MOV TCHANIOUK , DÜS SELDORF
Wir Studenten wussten schon, warum wir damals
die Enteignung forderten!
Wie Mathias Döpfner nun vor den Miteigentü-
mern des Konzerns zittert, deren Mehrheitsaktio-
näre KKR für ihre bedingungslose Israelunter-
stützung bekannt sind. Daher auch das vielsagende
Statement Döpfners: »Zionismus über alles. Israel
my country«. Dass er dann auch noch die Klientel-
partei FDP und deren Chef Christian Lindner
protegiert, rundet das Gesamtbild ab. Jetzt muss
eigentlich auch dem Letzten im Land klar sein,
wessen Interessen die Springer-Zeitungen Bild
und Welt vertreten.
Meine nicht! B JÖRN LULEY, FR ANKFURT/M .
Arme Franca Lehfeldt! Da versucht die Ehefrau
des Bundesfinanzministers und FDP-Vorsitzen-
den Christian Lindner sich gerade in Springers
Welt-Fernsehsender als unabhängige Journalistin
zu beweisen, und nun kommt ihr der irrlichternde
Verlagsboss Mathias Döpfner in die Quere mit
seinem Ukas, die FDP stärker zu unterstützen.
Da fragt man sich, wie es sich mit der Unabhän-
gigkeit tatsächlich verhält. 
HANS-HENNING KOCH , BERLIN-WANNSEE
Interessant wäre herauszufinden, wer genau den
unfertigen Gesetzentwurf zum Austausch von
Gas- und Ölheizungen an die Bild durchgesto-
chen hat. Steckt Christian Lindner persönlich
dahinter? K ARLHEINZ MARTIN , ELT VILLE AM RHEIN
Döpfner ist eine Schande für den Springer-Ver-
lag, eine Schande für den deutschen Qualitäts-
journalismus und eine Schande für Deutschland.
Schlimmer geht’s nimmer. 
HANS-JÖRG GL AS S , PER E-MAIL
Wow! Eine exzellente journalistische Arbeit über
einen Medienmogul, der glaubt, große Politik
machen zu können.
THOMAS WALTER , PER E-MAIL
hausgas in nennenswerten Mengen wieder aus
der Atmosphäre zu extrahieren, solange die Sonne
weitgehend ungenutzt die Sahara verbrennt, so
lange ist jeder Jubel nahezu lachhaft.
DR . CHRISTIAN VOLL, PAS SAU
Seien wir ehrlich: Bei einem Anteil Deutschlands
von zwei Prozent am weltweiten CO₂-Ausstoß ist
es eine Illusion, dass durch unser Verhalten die
Erderwärmung merklich verlangsamt werden
kann. Dazu wären andere Maßnahmen notwen-
dig. Daher mache ich einen Vorschlag: Die rei-
chen Nationen »schenken« Indien einen hohen
Milliardenbetrag unter der Bedingung, dass der
Subkontinent sich mit Windrädern und Solar­
anlagen ausstattet. Die Anlagen sollten in Indien
gefertigt werden, dies würde Tausende von Ar-
beitsplätzen schaffen und machte dieses Projekt
auch für Indien attraktiv. 
DR . DIETER WEBER-KLUKKERT, PER E-MAIL
In der Betrachtung von Mark Schieritz fehlen
eini­ge Aspekte, etwa die hohen Kosten für Mieter
und Vermieter. Er verliert auch kein Wort darü-
ber, dass wir neue und einseitige Abhängigkeiten
ZEIT
Das Programm für AbonnentInnen
Ich bin – wie ein Deutschlehrer – Mathias Döpf-
ners Äußerungen mit Rotstift nachgegangen;
Sätze im Sinn deutscher Syntax sind seine Texte ja
nicht, eher blubbernde Sprechblasen. Der 60-jäh-
rige Mann bewegt sich stilistisch auf dem Niveau
aufmerksamkeitsheischender Disco-Pubertiere.
GÜNTER MEYER , L AUFEN/SALZ ACH
Die inhaltliche Empörung über die Äußerungen
von Herrn Döpfner teile ich. Nachdem ich den
Artikel gelesen habe, bin ich jedoch auch nach-
denklich geworden. Ist es legitim, aus Chats und
E-Mails, die an Einzelpersonen geschickt werden,
zu zitieren? Ist diese Form der Kommunikation
nicht mit einem Gespräch zu vergleichen, einem
geschützten Raum? Sollte die Privatsphäre auch
von mächtigen Personen nicht geschützt werden,
gerade wenn uns die Äußerungen nicht passen?
Öffnen wir anderenfalls nicht die Büchse der
Pandora? NORBERT LIPPOK , PER E-MAIL
Man kann zur Springer-Presse und zu Herrn
Döpfner stehen, wie man will, dass aber die ZEIT
sich auf das Niveau der von ihr stets verachteten
Boulevardpresse begibt, mit einem riesigen Arti-
kel über private und vertrauliche Chatnachrich-
ten, ist einfach unanständig. 
UDO BRÜCKNER , BERLIN
Darf ein Medienmann keine dedizierte Meinung
zu Frau Merkel haben? Geht es hier um Gesin-
nung?
Dass er mit seinen Zeitungen (auch) Politik macht
– sicherlich. Das passiert allein schon durch die
Themenauswahl. Tun Sie mal bitte nicht so, als
wäre das bei der ZEIT anders.
STEPHAN BRES SLER , PER E-MAIL
Danke für die Döpfner-Zitate: 95 Prozent seiner
Aussagen unterstreiche ich von ganzem Herzen,
der Mann hat’s kapiert.
Ich bitte weiterhin um solch diffamierenden,
ethisch fragwürdigen Journalismus (Veröffentli-
chung privater Chatverläufe!) – denn er bewirkt
genau das Gegenteil von dem, was Sie erreichen
wollen. MARKUS SCHOCKER , PER E-MAIL
für die Elektrifizierung eingehen. Und dass
Lithium,­Seltene Erden und andere Bestandteile,
die für die Elektrifizierung des Automobil­
verkehrs gebraucht werden, unter fragwürdigen
Bedingungen gefördert und hergestellt werden.
So verlagern wir unseren CO₂-Ausstoß lediglich
in andere Länder, das kann doch nicht im Sinne
der Klimagerechtigkeit sein.
Kein Wort darüber, dass wir noch weit davon ent-
fernt sind, die Menge an grünem Strom zu er-
zeugen, die zukünftig benötigt wird.
Was ist, wenn Industrien abwandern, weil Ener-
gie bei uns zu teuer geworden ist?
ULRICH SCHWITZNER , HALLE ( WESTF. )
Das Klima werden wir nicht dadurch retten, dass
unser SUV in Zukunft elektrisch fährt. Erstens
weil die Produktion dieser tonnenschweren Luxus­
panzer noch klimaschädlicher ist als die der bishe-
rigen Stinker und zweitens weil nicht »genug
Windräder, Sonnenkollektoren und Speicher­
anlagen installiert sind« und auch nicht ab­
sehbar ist, wann das gelingen wird. Einstweilen
hilft nur: weniger fahren und ÖPNV nutzen.
KL AUS SCHULZ, R AVENSBURG
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Weitere Leserbriefe finden Sie unter
blog.zeit.de/leserbriefe
Ein Knigge für die
künstliche Intelligenz
R. Novotny/J. v. Lindern: »Alles
unter Kontrolle«  ZEIT NR. 16
Was die künstliche Intelligenz angeht, so er-
schrecke ich, wenn ich mir vorstelle, wie die
Welt in etwa zehn bis zwanzig Jahren aus­
sehen mag. All das erinnert mich kolossal an
die Beschreibung von George Orwell in
1984. Auf der anderen Seite kann Technik
aber auch von Nutzen sein.
KL AUS-DIETER MICHEL, PER E-MAIL
Wie fühlt es sich wohl an, wenn die philoso-
phische Dissertation auch von einer Maschine
produziert hätte werden können, von fach-
fremden, nerdigen Alles-was-geht-Typen er-
baut und auf viel mehr Daten zurückgrei-
fend, als man selbst je als Wissen in sich spei-
chern könnte? Fühlt man sich da nicht ir-
gendwie überflüssig?  VOLKER HOMANN , L AN-
DAU
Mir ist es lieber, später von einem intelligen-
ten Roboter gepflegt zu werden als von einer
mehr oder weniger gebildeten Pflegekraft. Ich
stelle mir die Gespräche mit ihm einfach in-
teressanter vor. Und wenn es möglich wäre,
würde ich den Roboter bereits heute als Lieb-
haber vorziehen. Der ginge perfekt auf meine
Bedürfnisse ein, machte alles richtig – und
frau kann ihn ausschalten. Also: Künstliche
Intelligenz ist sicher auch eine Bereicherung.
Ich freue mich darauf.
CARLOT TA MILL, HANNOVER
War das Leben, das Mephistopheles anbot,
die Krönung des Erstrebenswerten? Ist ein
Leben, in dem wir immer mehr Aufgaben
immer effektiver erledigen, das Nonplusultra?
Unser Denken ist in eine Effizienz-Sackgasse
geraten.  JOHN STEVENS , BAD MÜNSTEREIFEL
Ein Moratorium als Denkpause? Ein Knigge
für alle mit der KI befassten Institutionen?
Weltweit? Bei aller Hochachtung für die Un-
terzeichner dieser Forderung: Das ist naiv.
Alles, was machbar ist, wird auch gemacht.
UWE- CARSTEN EDELER , HAMBURG
Intelligenz ist nicht wertebezogen. Sie ist nur
ein Gradmesser für die Leistungsfähigkeit des
menschlichen Gehirns. Und künstliche Intel-
ligenz kann mit kriminellen wie auch men-
schenfreundlichen Absichten grundiert sein.
Der KI-Schöpfer muss nur die entsprechende
Taste drücken.
Das ist wohl die erschreckende Perspektive,
die in demokratisch verfassten Staaten mit
Sicherheit zu einer Regelung führen wird,
keinesfalls aber in diktatorischen Regimes. 
KL AUS REISDORF, ST. PAULET DE CAIS SON ,
FR ANKREICH
Von Wladimir Putin stammt die Aussage:
»Wer die KI beherrscht, beherrscht die Welt.«
Ein gesundes Misstrauen gegenüber der KI ist
also notwendig.  JÜRGEN DIRK , HANNOVER
IHRE POST
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E-Mail-­Adresse leserbriefe@zeit.de. Mit der
Einsendung geben Sie Ihr Einverständnis,
Ihren Brief in der ZEIT, deren digitalen Aus-
gaben und im Leser-Blog auf www.zeit.de
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24.04.23 14:13
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
Foto: Seyfarth/Bundesarchiv
»Sie wussten, ihnen droht keine Strafe«
SS und Wehrmacht ermordeten in Italien mehr als 10.000 Zivilisten. Ein Gespräch mit dem Historiker Carlo Gentile und dem Journalisten Udo Gümpel,
die nun ihre gesammelten Quellen zu den Tätern ins Netz stellen – auch, um die Ursachen heutiger Gewaltexzesse zu ergründen
DIE ZEIT: Herr Gümpel, von Ende der Neunziger-
jahre an haben Sie für die Sendung Kontraste zahl-
reiche SS-Täter interviewt, die in Italien Massaker
an Zivilisten begangen haben. Nun werden diese
Interviews im Rahmen eines Forschungs- und Bil-
dungsprojekts zusammen mit anderen Quellen un-
geschnitten veröffentlicht. Weshalb sollte man sich
anhören, was diese Männer zu sagen haben?
Udo Gümpel: Weil uns das Aufschluss darüber gibt,
wie es zu solchen Verbrechen gegen die Menschlich-
keit kommt. Wie kann es sein, dass Soldaten Alte,
Frauen und Kinder hinmorden und das für richtig
halten? Denken Sie an Butscha! Die Männer, die ich
damals interviewt habe, haben Zivilisten mit dem
Maschinengewehr niedergemäht. Sie haben Men-
schen bei lebendigem Leibe begraben und in die
Luft gesprengt. Orte wie Sant’Anna di Stazzema, die
Ardeatinischen Höhlen bei Rom, wie Marzabotto­
und andere sind heute Synonyme für den deutschen
Besatzungsterror in Italien.
ZEIT: Ihre Berichte und die anderer Journalisten
schlugen damals hohe Wellen. Wie kam es zu der
Idee, nun, rund zwei Jahrzehnte später, das gesam-
melte Recherchematerial online zu präsentieren?
Gümpel: Zum einen haben uns immer wieder An-
gehörige der Opfer angesprochen: Sie wollen mehr
über die Täter wissen, wollen verstehen, wie das
geschehen konnte. Den entscheidenden Impuls
gab der deutsche Botschafter in Italien, Viktor
Elbling, der sagte: Carlo Gentile und du, ihr habt
doch all diese Quellen. Sollte man die nicht der
Öffentlichkeit zur Verfügung stellen?
ZEIT: Herr Gentile, Sie haben die Aufklärung und
Ahndung der Verbrechen als Historiker mit voran-
getrieben. Wie fing das an?
Carlo Gentile: Ich habe mich in den Neunziger-
jahren als einer von wenigen mit den deutschen Tä-
tern in Italien befasst. 1994 rollte dann eine erste
Welle von Verfahren an, ausgelöst durch die Aus­
lieferung des früheren Gestapo-Manns Erich Prieb-
ke durch Argentinien. Schnell kam die Frage nach
weiteren Tätern auf. Und bald meldeten sich deut-
sche und italienische Ermittlungsbehörden bei mir,
weil sie historische Informationen brauchten. Nicht
zuletzt fragten Journalisten an, so lernte ich Udo
kennen, Christiane Kohl von der Süddeutschen Zei-
tung und andere. Sie waren eine Art Herzschritt-
macher für die Ermittlungen, denn sie erzeugten
den nötigen öffentlichen Druck.
ZEIT: Wie kamen Sie zum Thema, Herr Gümpel?
Gümpel: Am Anfang stand in unserer Redaktion
eine simple Rechnung. Wir wussten, dass im Som-
mer 1944 etwa 500.000 deutsche Soldaten in Ita-
lien im Einsatz waren; 1943 sind die Deutschen ins
Land ihres ehemaligen Verbündeten einmarschiert
– nach dem Sturz Mussolinis und der Landung der
Alliierten. Von diesen Soldaten, schätzten wir, dien-
ten im Lauf der Zeit bis zu 20.000 in der 16. SS-
Panzergrenadier-Division, die an vielen Massakern
beteiligt war. Wir wussten außerdem: Das waren
alles junge Männer, 17 bis 25 Jahre alt. Die konnten
gut 50 Jahre später nicht alle tot sein! Aber wie soll-
ten wir an die Namen kommen? Carlo gab uns den
Hinweis auf die Wehrmachtauskunftstelle in Ber-
lin, die auch Personalunterlagen von Einheiten der
Waffen-SS hatte. Da kassierten wir erst mal eine
Absage. Doch bald hatten wir eine Liste beisammen
GESCHICHTE 17
Rache für
den ­W iderstand ­
italienischer ­
Partisanen: ­
Soldaten der ­
deutschen ­
Luftwaffe brennen
im Sommer 1944
ein Bauernhaus
im Apennin ab
und haben die Leute gesucht. Wenn wir Adressen Gümpel: Einzelne Männer haben sich auch ver- Und dann hat er seine Soldatenlaufbahn geschildert Sie mussten sich nach dem Krieg irgendwie durch-
rausgefunden haben, sind wir hin, mit Kamera und weigert. Ich habe gerade eine Dokumentation über und eben auch die grauenvollen Details der Erschie- schlagen; einige haben sich in Belgien als Minen­
allem, und haben an der Tür geklingelt. Sant’Anna di Stazzema für unser Projekt fertig­ ßung in San Polo bei Arezzo. Ob es ihm leid tue, arbeiter verdingt. Viele hatten das Gefühl, einfach
ZEIT: Wen trafen Sie an? Die viel zitierten »ganz geschnitten. Dort wurden am 12. August 1944 an fragten wir ihn: »Ja, natürlich«, sagte er, »aber erst, Pech gehabt zu haben, und haben das als persön­
normalen Männer«, wie sie der amerikanische verschiedenen Orten im Dorf fast 400 Einwohner seit die Italiener mich am Kanthaken haben.« Es liches Versagen verinnerlicht. Manche schämten
Historiker Christopher Browning genannt hat? und Flüchtlinge erschossen. Ganze Familien: aus- liefen damals Ermittlungen gegen ihn. sich beinahe, mir ihre Geschichte zu erzählen.
Gümpel: Ja, ganz normale Männer. Und oft sehr ge- gelöscht! Manche konnten entkommen, weil ihnen ZEIT: Haben diese Täter geradeheraus gesprochen ZEIT: Ihnen, einem Deutschen gegenüber?
bildete: Juristen, Historiker und andere ­Akademiker. deutsche Soldaten zur Flucht verholfen haben. So oder die Gewalt hinter Euphemismen verborgen? Gümpel: Ja, sie wollten ungern etwas sagen, was ein
Gentile: Früher hat man die Täter gern als »Mons- haben es uns Über­lebende berichtet. Gümpel: Oft Letzteres. Klaus Konrad nannte Folter schlechtes Licht auf Deutschland wirft. Das hat sich
ter« beschrieben. Aber abgesehen von Einzelfällen ZEIT: Herrschte beim Morden kein Zwang zum »verschärftes Verhör«. Er erzählte, wie seine Kame- erst mit der Zeit geändert. Aber nichts, wirklich
stimmt das nicht. Diese Männer für abnorme Sa- Mitmachen? raden danach auf »die unselige Idee« kamen, die nichts, lag diesen Leuten ferner als Rachegelüste.
disten zu halten erlaubt es, sich einzubilden, dass sie Gentile: Nicht unmittelbar. Es gab ja stets genug Gefolterten in die Luft zu sprengen, um die Spuren Alle sagten: Wir wollen nur Gerechtigkeit.
mit uns nichts zu tun haben. Ein Irrtum. Freiwillige. Geschossen wurde meist mit Ma­ des »Verhörs« zu verwischen. Er beschrieb, wie man Gentile: Als die Namen auftauchten und gesicherte
ZEIT: Welche Truppen waren beteiligt? Nur die SS? schinengewehren; da brauchte man zwei Personen die Toten bereitgelegt hat, als seien es Holzstücke Informationen vorlagen, war das Interesse in Italien
Oder auch die Wehrmacht? pro Gewehr, für ein Massaker wie auf dem Kirch- gewesen. Aber ihm war schon klar, was er da alles insgesamt sehr stark. Auch viele Staats­anwaltschaften
Gentile: Die schlimmsten Mordtaten haben die platz von Sant’Anna mit 141 Toten genügten vier gesagt hatte. Am Ende fragte er: »Wann geht das auf haben intensiv ermittelt.
Waffen-SS und die Fallschirm-Panzer-Division Mann. Den anderen stand es frei, mit ihren Hand- Sendung?« 2006, kurz vor seinem Tod, entschied ZEIT: Hat Deutschland die Täter ausgeliefert?
Hermann Göring begangen, waffen mitzuschießen. Man- die SPD, seine Mitgliedschaft ruhen zu lassen. Gentile: Nein, aber es gab in Deutschland einzelne
Truppen mit starkem Elite­ che haben sich zurückgehalten. ZEIT: Herr Gentile, dass die Täter nach 1945 in Verfahren, wenn auch ohne rechtskräftige Urteile.
bewusstsein, die sich überwie-
gend aus Freiwilligen rekrutier- Deutsche Viele aber haben mitgemacht,
aus Überzeugung, aus Solidari-
Deutschland davonkamen, verwundert nicht. Wes-
halb wurden sie in Italien nicht intensiver verfolgt?
ZEIT: Die Prozesse in Italien fanden also in Ab-
wesenheit der Angeklagten statt?
ten und etwa fünf Prozent der tät mit ihren Kameraden oder Gentile: Das Verhältnis Italiens zu diesem Teil sei- Gentile: Ja. Das erlaubt das römische Recht.
deutschen Soldaten in Italien
ausmachten. Sie erschossen
Täter in Italien aus Wut auf die Italiener und
Hass auf die Partisanen. Eini-
ner Vergangenheit ist schwierig. Italien war vor
1943 Besatzungsmacht auf dem Balkan und in
ZEIT: Auf der Website Ihres »Täterprojekts« sind
viele aktuelle Bilder der Tatorte zu sehen. Man
immer wieder auch Frauen gen, die beim Töten gejohlt Griechenland, in Frankreich und auf Korsika; es sieht Hausruinen, verlassene Dörfer, zerstörte Kir-
und Kinder. Die Masse der Das Projekt und gepfiffen haben, hat es hat sich am Vernichtungskrieg in der Sowjetunion chen, als sei der Krieg noch gar nicht lange her.
Toten aber hatte die Wehr- Unter der Adresse wohl auch Spaß gemacht. beteiligt und äußerst brutale Kolonialkriege in Ost- Was ist aus den Massaker-Orten geworden?
macht auf dem Gewissen, die www.ns-taeter-­italien.org geht ZEIT: Herr Gümpel, wie aus- afrika geführt. Nach Mussolinis Sturz wechselte das Gümpel: In Sant’Anna di Stazzema, wo sich das
im Kampf gegen italienische am 4. Mai 2023 eine ­ kunftsfreudig waren die alten Land dann die Seiten und beteiligte sich aktiv am zweitgrößte Massaker in Italien ereignet hat, leben
Partisanen eingesetzt wurde. ausführliche Dokumentation Männer, die Sie mit der Fern- Kampf gegen den Nationalsozialismus. Die eige- heute noch zehn Personen. Aus dem blühenden
ZEIT: Wie viele Zivilisten fie- der NS-Kriegs­verbrechen sehkamera besucht haben? Ha­ nen Untaten hat man weggedrängt. Und letztlich Bergdorf ist ein Denkmal geworden. Einer der
len den Massakern zum Opfer? in Italien zwischen 1943 und ben die Ihnen nicht die Tür auch die der Deutschen in Italien. Überlebenden hat das Haus, das er geerbt hatte,
Gentile: 13.257. Ein Projekt 1945 ­online – mit zahlreichen vor der Nase zugeschlagen? ZEIT: Einzelne Prozesse aber gab es. das Haus, in dem seine gesamte Familie ermordet
der deutsch-italienischen His- Schrift-, Bild- und Filmquellen. Gümpel: Nein, obwohl wir Gentile: In den ersten Jahren nach dem Krieg, ja. wurde, kurz vor seinem Tod 2022 für die Einrich-
torikerkommission, der ich an- Die Website steht keinerlei Befugnis hatten. Wir Doch bis auf Walter Reder, der das Massaker am tung einer Jugendherberge zur Verfügung gestellt.
gehört habe, hat diese Zahl er- unter der Schirmherrschaft der ­ haben uns immer sofort vor- Monte Sole bei Marzabotto mit 770 Toten zu ver- Andere Orte wie Vinca in der Toskana sind wieder
mittelt. Wobei 10.027 nach- Universität zu Köln und gestellt, wir sind von der ARD, antworten hatte, und Herbert Kappler, der in den bewohnt, an wieder andere, etwa um Monte Sole
weislich von deutschen Einhei- wird ­finanziert vom deutsch-­ wir wollen Sie zu Ihrer Zeit in Ardeatinischen Höhlen 335 wehrlose Geiseln exe- herum, erinnern heute nur noch Ruinen.
ten und die übrigen von italie- italienischen ­Zukunftsfonds der 16. SS-Division befragen. kutieren ließ, wurden die meisten Täter rasch wie- ZEIT: Italien wird von einer Postfaschistin regiert.
nischen Faschisten oder ge- des Auswärtigen Amtes. Da haben die meisten aufge- der begnadigt. Man wollte vergessen. Und das ging Ist da ein Aufarbeitungsprojekt wie das Ihre will-
mischten Verbänden ermordet Sie richtet sich, auf Deutsch macht. Einmal, bei Albert nur, wenn man auch die Verbrechen an der eigenen kommen? Anfang Mai werden Sie es in Rom der
wurden. Dazu kommen die und Italienisch, an ­Universitäten, Meier, der beim Massaker in Bevölkerung nicht weiter verfolgte. Öffentlichkeit vorstellen.
getöteten Partisanen, deportier- Schulen, ­Gedenkstätten Marzabotto dabei war, half uns ZEIT: Was geschah mit den Akten? Gentile: Ich glaube nicht, dass die Politik da eine
te Juden und andere Opfer. Ins- und die ­breite Öffentlichkeit ein Trick: Ein Kamerad aus Gentile: Die sperrte man weg, in einen »Schrank Rolle spielen wird. Ich bin zuversichtlich, dass das
gesamt kostete die deutsche Be- in ­beiden Ländern. Bremen habe uns alles erzählt, der Schande« – eine sensationsheischende Um- Projekt in Italien geschätzt wird.
satzung bis zu 70.000 Italiene- blufften wir – diesen »Kamera- schreibung für ein Archiv der italienischen Staats- Gümpel: Wenn, dann ist die Öffentlichkeit wohl
rinnen und Italiener das Leben. Carlo Gentile, den« kannten wir nur aus den anwaltschaft, in das in den Sechzigerjahren die Un- umso wachsamer und aufmerksamer – gerade we-
ZEIT: Spielten für die Täter Er- geboren 1960, ist Historiker Akten –, und prompt kam die terlagen aus den Ermittlungsverfahren der Kriegs- gen der Vergangenheit einiger Politiker in der Re-
fahrungen an anderen Kriegs­ an der ­Universität zu Köln. Antwort hinter der Tür: »Ich zeit eingelagert worden waren. Im Zuge des Ver- gierungspartei Fratelli d’Italia.
schauplätzen eine Rolle, na- wusste, dass dieses Verräter- fahrens gegen Erich Priebke wurde die Existenz Gentile: Davon abgesehen geht es um beide Län-
mentlich im Vernichtungskrieg Udo Gümpel, schwein ... jetzt erzähle ich Ih- dieser Akten dann 1994 wieder publik. der! Das Projekt soll hier wie dort das historische
gegen die Sowjetunion? geboren 1954, Journalist und nen mal, wie es wirklich war!« ZEIT: Haben sich denn die Nachfahren der Opfer Bewusstsein schärfen und den deutsch-italie­
Gentile: In der 16. SS-Division Dokumentarfilmer, ist Dann hat er uns alles berichtet, nie für eine Aufarbeitung eingesetzt? nischen Dialog fördern. Nicht zuletzt wollen wir
war die Mehrheit der Führer Italienkorrespondent für RTL. zwei Kassetten voll, auch wie Gentile: Zum Teil haben sie sich erst in den frühen den Hinterbliebenen der Opfer gerecht werden:
und Unterführer im Ostfeldzug Frauen und Kinder getötet Nullerjahren in einem Verband organisiert. Nach Dass sie so lange keine Informationen über die
ein­gesetzt gewesen. Für andere wurden. »Aber«, sagte ich, »das 1945 war es für die Betroffenen in Italien jahr­ Täter hatten, ist ein erinnerungspolitischer Miss-
Einheiten gilt das nicht. Unab- waren doch – Frauen und Kin- zehntelang nahezu unmöglich, aus Deutschland stand, aus dem sich auch eine Auskunftspflicht der
hängig davon aber gab es ein verbreitetes »Wissen« der!« Er: »Aber die waren ja gegen uns!« ge­sicherte Informationen über die Verantwort­ Bundesrepublik ableitet.
darüber, wie im Partisanenkampf zu verfahren sei – ZEIT: Hatten diese Männer ein Redebedürfnis? lichen zu erhalten. Die deutschen Kriegsteilnehmer
mit Geiselerschießungen. Und die Beteiligten wuss- Gümpel: Eindeutig. Das wurde mir besonders ein- pflegten unterdessen den Mythos vom »sauberen« Das Gespräch führte Christian Staas
ten: Ihnen droht keine Strafe. Nur selten gab es Be- drücklich bei Klaus Konrad klar, ein bekannter Poli­ Krieg der Wehrmacht in Italien.
schwerden von höherer Stelle. tiker der Sechziger- und Siebzigerjahre, Ehrenkreis- Gümpel: Ich habe viel mit Überlebenden gespro-
ZEIT: Die Massaker wurden nicht von oben an­ vorsitzender der SPD in Ostholstein, Bundestags- chen. Manche Kinder haben die Massaker unter Hören Sie den Podcast
geordnet? abgeordneter. Als wir 2004 an dessen Tür klopften, den Leichen der Erwachsenen überlebt. Nach dem »Wie war das noch mal?« – der historische Podcast
Gentile: Nein, die Einheiten handelten in eigener sagte er: »Ah, Sie sind der Gümpel und der René Krieg wurden sie vergessen und in Waisenhäuser ge- von »ZEIT Geschichte«, begleitend zum neuen Heft.
Verantwortung. Sie mussten nicht so handeln. Sie Althammer, mein Anwalt hat mir abgeraten, mit steckt. Oft stammten sie aus Familien armer Berg- Aktuell: »Der Konf likt im Nahen Osten«.
konnten und durften es. Ihnen zu sprechen, aber ich will Ihnen jetzt mal ...« bauern. Diese Leute hatten schlicht keine Lobby. Alle Folgen unter www.zeit.de/zg-podcast
18
Ein Gericht stellt fest: Die Stadt Duisburg hätte Janine S. nie ihre kleine Lara wegnehmen dürfen.
D
irekt gegenüber dem orange­
farbenen Mehrfamilienhaus
im Duisburger Süden, in
dem Janine S. lebt, liegt eine
Grundschule. Roter Klinker,
Basteleien an den Fenstern,
in den Pausen vergnügter
Kinderlärm. Wäre ihre Tochter noch bei ihr,
könnte sie dort im nächsten Jahr eingeschult­
werden, nach dem Unterricht einfach über die
Straße nach Hause rennen, rufen: »Mama, ich bin
wieder da!«
Aber aller Voraussicht nach wird Lara, die in
Wirklichkeit anders heißt, in einer anderen Stadt auf
eine andere Schule gehen, begleitet von anderen El­
tern, ihren Pflegeeltern, den Menschen, bei denen sie
seit fünf Jahren lebt.
Janine S. schaut oft hinüber in Richtung Schule.
»Das tut mir weh«, sagt sie. Häufig kämen ihr die
Tränen. Ist es doch ein Blick auf ein nicht gelebtes
Elternleben. »Ich habe alles verpasst. All die Meilen­
steine: Laufen lernen. Sprechen. Fahrradfahren. Das
Jugendamt hat mir die Zeit mit meiner Tochter ge­
klaut.« Ein Vorwurf, den auch ihr Anwalt Lukas Hugl
im Gespräch mit der ZEIT wiederholen wird: »Das
ist Entziehung einer Minderjährigen durch das Ju­
gendamt Duisburg.«
Und tatsächlich: Im Januar 2023, fast fünf Jah­
re nachdem das Jugendamt die Inobhutnahme von
Lara angeordnet hat, beschließt auch das Verwal­
tungsgericht Düsseldorf, dass diese rechtswidrig war.
Vor Gericht erkennt ein Vertreter des Jugendamtes
das an. Auf dem Papier hat Janine S. also recht be­
kommen. Unanfechtbar, mit Amtsstempel beglau­
bigt. In Klarsichtfolie geschützt liegt der Beschluss
vor ihr. Das Problem ist nur: Es ist unklar, ob ihr
das etwas nutzen wird.
Aber der Reihe nach: Zum ersten Mal hatte die
ZEIT im Jahr 2020 über Janine S. und ihren Streit
mit dem Jugendamt Duisburg berichtet. »Gibt es eine
schwierigere staatliche Entscheidung als die, ein Kind
von seinen Eltern zu trennen?« war der Text über­
schrieben und befasste sich mit einem großen Defizit
in der Kinder- und Jugendhilfe. Ausgerechnet für
diesen dramatischen Eingriff des Staates gibt es keine
verlässlichen, überregional vergleichbaren Standards,
keine ausreichende Kontrolle. Stattdessen: ein Flicken­
teppich aus 559 Jugendämtern, die – meist extrem
engagiert, oft aber unterbesetzt – darum ringen, das
Beste im Sinne der Kinder zu tun, dem »Kindeswohl«
zu dienen. Was das aber genau ist, wie dieses Ziel er­
reicht wird, wann dafür der maximale Eingriff, näm­
lich die staatliche Inobhutnahme eines Kindes, not­
wendig ist, dafür gibt es keine nachvollziehbaren
Regeln, keine Systematik.
Auch Janine S. gegenüber fehlte die Transparenz.
Sie weiß, dass ihr Leben ungeordnet wirkt. Drei
Kinder mit unterschiedlichen Vätern, finanziell meist
auf Unterstützung des Amtes angewiesen. Aber das
sind keine Gründe, sein Kind nicht großziehen zu
dürfen. Was war die rote Linie, die sie als Mutter aus
Sicht des Staates überschritten hatte? Was genau wäre
aus welchem Grund notwendig gewesen, damit ein
gemeinsames Leben mit Lara doch gelingen kann?
Ihr Fall beginnt, als Lara vier Wochen alt ist. Nach
einem Abend mit ehemaligen Arbeitskollegen wird
Janine S. vergewaltigt. Die Ärzte diagnostizieren eine
posttraumatische Belastungsstörung. S. schläft nur
unter Medikamenten. Sie hat Sorge, sich nicht rich­
tig um das Baby kümmern zu können, und trifft
schließlich eine Entscheidung, die sie bis heute be­
reut: Sie wendet sich hilfesuchend an das Jugendamt
Duisburg, Außenstelle Hamborn. Sie will eine The­
rapie machen und ihre Tochter für diese Zeit in Kurz­
zeitpflege geben. Danach, so ihr Plan, wird sie sich
wieder selbst um ihr Baby kümmern können. »Ich
habe dem Amt vertraut«, sagt Janine S.
Eines der älteren Kinder lebt beim Kindsvater,
bei den anderen hatte sie bei allen Schwierigkeiten
mit anderen Jugendämtern immer eine Lösung
gefunden. Und so bringt sie ihr Kind selbst zu der
Pflegefamilie, die das Jugendamt vorschlägt, zu
der Familie, bei der Lara bis heute lebt. Später
wird ein Gericht das Amt rügen, »bei der Unter­
bringung des Kindes nicht die erforderliche Sorg­
falt hinsichtlich der Auswahl der Pflegeperson
getroffen« zu haben. Denn Laras Pflegeeltern
hatten sich ein Baby gewünscht, das bei ihnen
bleiben würde, das sie eines Tages vielleicht adop­
tieren könnten, keines, dessen Mutter es nach
wenigen Wochen wieder abholen würde.
Genau das aber ist Janine S.’ Wunsch. Im Som­
mer 2018, knapp zwei Monate nachdem sie sich
Hilfe gesucht hatte, fühlt sie sich besser. Die Ärzte
attestieren ihr, es liege »keine Eigen- oder Fremd­
gefährdung« vor. S. will, wie abgesprochen, Lara
wieder zu sich nehmen und großziehen, gerne
auch mit Unterstützung einer Familienhelferin.
Aber das Jugendamt verweigert die Rückgabe und
stellt Bedingungen. Zum Wohle des Kindes, heißt
VERBRECHEN 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Wer gibt mir meine
Tochter zurück?
Doch das Mädchen wohnt seit Jahren bei Pflegeeltern. Was nun?  VON JULIA FRIEDRICHS
gerne hätte man die andere Seite gehört. Wohl wis­
send, dass die Aufgabe der Mitarbeiterinnen im Ju­
gendamt eine harte ist. Sie müssen von außen das
Innerste einer Familie beurteilen und dürfen dabei
eigentlich nicht irren. Trennen sie ein Kind ohne Not
von seinen Eltern, ist der Schaden nicht wiedergut­
zumachen. Erkennen sie zu spät, dass Mutter oder
Vater eine Gefahr sind, auch. Müsste das Amt nicht
genau deshalb seine Motive, sein Dilemma erklären?
Das aber will auch nicht der Duisburger Bürger­
meister Sören Link. »Wir befinden uns in einem
schwebenden Verfahren«, teilt seine Sprecherin mit.
»Vor diesem Hintergrund bitte ich um Verständnis,
dass wir uns nicht weiter äußern werden.« Zudem
weist man darauf hin, dass es Auftrag der Stadt sei,
das »Wohl des Kindes zu schützen, wenn ein Erzie­
hungsberechtigter nicht die nötige Eignung an den
Tag legt, um das Kindeswohl zu gewährleisten«. Die
rechtswidrige Inobhutnahme sei ein formaler Fehler,
mehr nicht. Man ahnt: Dieses Beharren darauf, alles
richtig gemacht zu haben, ist ein Teil des Problems.
Und so bleibt auch eine Frage unbeantwortet, die
man dem Jugendamt gerne gestellt hätte: Spielt – zu­
mindest unterschwellig – bei Entscheidungen wie
der im Fall Lara etwas eine Rolle, über das nie ge­
sprochen wird? Die wirtschaftliche Lage der Streit­
parteien? Laras Pflegeeltern können ihr sehr viel mehr
bieten. Ein Haus, regelmäßige Urlaube, ein Leben in
der Mittelschicht. Janine S. ist arm. Hatte sie auch
deshalb schlechtere Chancen im Kampf um ihr Kind?
Janine S. hat inzwischen Strafanzeige gegen die
Verantwortlichen bei der Stadt Duisburg wegen
Kindesentziehung gestellt. Warum? Als sie antwortet,
klingt sie unerbittlich: »Ich will, dass die Verantwort­
lichen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Kampf
hört erst dann auf, wenn die Richtigen ihre Fehler
zugegeben haben.« Ihr Anwalt hält die Strafanzeigen
durchaus für aussichtsreich.
Es ist schwer zu verstehen: Janine darf ihren
kleinen Sohn erziehen, die Tochter nicht
Und nun? Janine S. sagt, »ich wünsche mir sehr,
dass Lara zurückkommt.« Aber sie weiß auch, dass
ihre Tochter längst woanders zu Hause ist. »Wenn
es heißt, sie möchte nicht, dann wäre das hart.
Aber dann würde ich mir wünschen, dass sie jedes
zweite Wochenende zu mir kommt und in den
Ferien. Dass ich beim Geburtstag dabei bin. Dass
ich zu Laras Familie gehöre. Ohne Jugendamt.«
Klingt vernünftig. Ist aber – natürlich – nicht so
einfach.
Ob und wann Janine S. Lara treffen kann, soll
nämlich jetzt das Jugendamt entscheiden, das für
die Stadt, in der Lara inzwischen wohnt, zuständig
ist. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts
Foto: Julia Sellmann für DIE ZEIT
hatte S. dort angerufen und verlangt, ihre Tochter
nun so schnell wie möglich wiederzusehen. Aber
erst war eine Mitarbeiterin erkrankt. Dann wandte
ein anderer ein, man müsse erst Lara fragen, ob sie
ihre Mutter auch sehen wolle. Schließlich gibt es im
April ein Treffen. Janine S. darf ihre Tochter für eine
Stunde unter Aufsicht wiedersehen.
Janine S., 31 Jahre alt, kämpft schon seit fünf Jahren darum, dass ihre Tochter zu ihr zurückkehrt Laras Pflegemutter wurde zuletzt in den Chats
mit Janine S. immer einsilbiger. Schließlich schrieb
sie: Das Jugendamt wolle, dass sich die Pflegeeltern
es. Zum Unverständnis der Mutter. Janine S. soll nine S. und die Stadt Duisburg einen zähen Streit das Sorgerecht. Und so stehen in diesem Fall auch so wenig wie möglich mit Janine S. austauschten.
ihre Erziehungsfähigkeit beweisen. Es werden­ führten, einen Streit, der Aktenordner füllt, der zwei Gerichtsentscheidungen nebeneinander, die sich Auch weil sich diese an die Presse gewandt hatte. Der
Ziele vereinbart, die eine Mitarbeiterin hand­ mehrere Gerichte beschäftigt hat, einen Streit, der zu widersprechen scheinen: Die Inobhutnahme war kurioseste Vorschlag kam von dem freien Träger, der
schriftlich auf einem Collegeblock-Zettel verfasst: viel Geld und noch mehr Energie verschlungen hat rechtswidrig, beschließt das Verwaltungsgericht. Zu den Kontakt zwischen Janine S. und ihrer Tochter
Da steht, Janine S. solle zunächst ihre Zähne be­ und der wohl kein gutes Ende finden wird. Denn Laras Wohl soll sie in der Pflegefamilie bleiben, urteilt organisieren sollte. Erklären, was schiefgelaufen sein
handeln lassen, ihre Wohnsituation klären, Termi­ während ihre Mutter sich in den Konflikt mit der das Familiengericht. könnte, will man auch dort nicht. Aber man begrüß­
ne einhalten. Sicher sinnvoll. Warum ihr Kind Stadt verbeißt, lebt Lara ein ganzes Kleinkindleben »Das ist bitter, weil geschehenes Unrecht nun te, dass S. ihren Fall aufarbeiten wolle. Und verwies
nicht zu ihr zurückkehren darf, das steht nicht auf ohne sie, bei zwei Menschen, die, nach allem, was vielleicht nicht mehr geheilt werden kann«, sagt auf ein »einmaliges Projekt«: eine Broschürenreihe
dem Zettel. man weiß, gut für sie sorgen. Lukas Hugl, S.’ Anwalt. Aber im Familienrecht sei mit selbst geschriebenen Biografien von Pflegefami­
Anfang des Jahres hat Janine S. einen Brief be­ das nicht ungewöhnlich. Das Familiengericht habe lien und Pflegekindern. In Band drei sollten nun
»Liebe Mama Janine«, schreibt ihre Tochter kommen. Lara hat ihn ihren Pflegeeltern diktiert. die Aufgabe, zu entscheiden, was das Beste für Lara auch die »abgebenden Eltern zu Wort kommen«.
Lara, »wie geht es Dir?« »Liebe Mama Janine«, steht da. »Wie geht es Dir?« ist. Das Verwaltungsgericht überprüft das Handeln Vielleicht wolle Janine S. ja mitmachen?
Lara schreibt von Einhörnern, die sie mag. Dass sie der Verwaltung. »Urteile wie dieses sollen Ämter Janine S sagt: »Was ich möchte, ist Kontakt zu
Am 5. Juli 2018 verliert Janine S. die Geduld. nun allein mit dem Fahrrad zum Kindergarten fährt. erziehen, sich nicht über die Gesetze hinwegzuset­ meiner Tochter. Ich möchte sie vom Kindergarten
Sie kündigt an, Lara abzuholen. Daraufhin greift Dass sie bald verreist und sich sehr freut. Und dann zen«, so Hugl. Aber ob die Verwaltung, die Janine S.’ abholen, dass sie hier mal übernachtet. Es ist alles
die Mitarbeiterin des Jugendamtes zu dem, was­ steht da noch: »Ich spreche sehr viel von Dir und Erziehungsfähigkeit so hartnäckig anzweifelte, sich da.« Janine S.’ Wohnung ist blitzsauber. Die Wände
eigentlich das allerletzte Mittel sein soll: die Inob­ würde dich gerne wiedersehen.« erziehen lassen will, ist fraglich. sind frisch gestrichen. Plüschige Teppiche auf dem
hutnahme. Nur wenn eine Gefahr für das Wohl Drei Jahre ist das letzte Treffen zwischen Janine Der Tag, an dem das Verwaltungsgericht ihr recht Boden, und, das ist neu, ein Kinderzimmer gibt es
des Kindes vorliegt und eine Entscheidung des S. und Lara her. Für Lara wortwörtlich mehr als ein gab, sei zwar ein sehr guter gewesen, sagt Janine S., auch. Die Tür ist gesichert mit einem Laufgitter.
Familiengerichts nicht abgewartet werden kann, halbes Leben. Spontan vorbeifahren und Lara zum sie habe sich »durch das Verfahren besser gefühlt, die Ein ferngesteuertes Auto steht auf einem Spieltep­
darf ein Jugendamt Eltern das Kind wegnehmen. Spielen, Puzzeln und Knuddeln treffen, darf Janine Anspannung, das Rechtfertigen vor anderen Leuten, pich. Auf dem Bett liegt leise schnaufend ein blon­
Lara aber war kein solcher Notfall. Sie war ja un­ nicht. Die Treffen müssen bei einer Erziehungshilfe, wo mein Kind ist«, sei verschwunden. Aber seitdem der Junge, Janine S.’ zweijähriger Sohn. Der Kleine
tergebracht, ihre Mutter im Grunde kooperativ; einem freien Träger, stattfinden, den die Stadt dafür sind auch schon wieder zwei Monate vergangen. Sie ist erkältet und deshalb an diesem Tag nicht im
nie gab es den Vorwurf, sie sei gewalttätig. Diesen bezahlt, die Begegnungen zwischen Mutter und hatte fest damit gerechnet, dass die Stadt Duisburg Kindergarten. »Der Alltag läuft gut mit meinem
Sachverhalt hatte ein Familienrichter dem Jugend­ Tochter zu beobachten. Nach manchem Nachmittag nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts auf sie Sohn«, sagt sie. »Normale Höhen und Tiefen, wür­
amt telefonisch auch so mitgeteilt. Zudem war werden Blicke und Gesten protokolliert. Janine S. zugehen würde. »Wenn die sich gemeldet und gesagt de ich sagen. Wie bei allen Eltern. Man kann un­
»schon die Zuständigkeit fraglich«, schreibt das vertraut diesem Träger nicht. Die Stadt wirft ihr vor, hätten: ›Wir haben einen Fehler gemacht, lassen Sie angemeldet zu mir kommen, meine Wohnung ist
Verwaltungsgericht in seinem Beschluss, da Laras zu viele dieser Besuchstermine versäumt zu haben. uns gemeinsam eine Lösung finden‹, hätte ich allen immer aufgeräumt. Der Kinderarzt ist zufrieden.
Pflegeeltern im Einzugsbereich eines anderen Ju­ Sie beschwert sich, dass während der Pandemie lange eine zweite Chance gegeben.« Der Kindergarten arbeitet gut mit mir zusammen.
gendamtes leben. Dass die Duisburger sich über keine Treffen möglich gemacht wurden. Beides Die Stadt aber rührt sich nicht. Dabei hatte Ja­nine Mit dem Jugendamt habe ich nichts zu tun.«
all das hinweggesetzt hatten, mache die Inobhut­ stimmt. Mutter und Tochter haben sich entfremdet. S. eine Vollmacht geschrieben, die die Verwaltung in Das heißt, die Stadt Duisburg sagt, dass Janine
nahme »rechtswidrig«. Das hat auch das Familiengericht festgestellt, das ihrem Fall von jeder Schweigepflicht entbindet. Die S. geeignet ist, ihren Sohn zu erziehen, aber nicht
Das Problem ist nur: Bis zu diesem Beschluss sind 2020 geurteilt hat, dass Lara in der Pflegefamilie gut Verantwortlichen sollen offen mit der ZEIT reden ihre Tochter? »Das«, sagt Janine S. »macht keinen
fast fünf Jahre vergangen. Fünf Jahre, in denen Ja­ aufgehoben ist. Inzwischen haben die Pflegeeltern dürfen. »Ich habe nichts zu verbergen«, sagt sie. Wie Sinn.«

Foto: Daniel Stier für DIE ZEIT
WIRTSCHAFT
China ist das wichtigste Land für deutsche Autobauer. Doch nun wenden sich Kunden ab. Und der Taiwan-Konflikt
droht zu eskalieren. Wie können sie ihr Milliardengeschäft retten? Erkundungen in Shanghai  VON MAX HÄGLER
O
liver Zipse, Vorstandschef
von BMW, ist ein ausneh-
mend kontrollierter Mensch.
Der Maschinenbauer spricht
ruhig, bindet seine Krawatte
in Perfektion und stellt Con-
tenance über fast alles. Inso-
fern ist dieser Moment bemerkenswert auf der­
Automesse in Shanghai, in dem er sich vorbeugt
und energisch wird: »Wir sind keine Politiker, sorry,
wir sind keine Politiker!«
Zipse hat zum Gespräch geladen in die Lounge,
einen Stock über den glänzenden Autos, die unten
aufgereiht sind: die PS-starken Verbrenner, die schnit-
tigen E-Wagen, die knuddeligen Minis. Er hat be-
richtet, dass China »sehr wichtig« sei für den Kon-
zern, der größte Markt. Er hat erzählt, dass es hier
neue Konkurrenten gebe, die ziemlich viel ziemlich
gut machten, er aber dennoch »sehr zufrieden« sei
mit Entwicklung und Aussichten seines Unterneh-
mens. Und er sagte den etwas schiefen schönen Satz:
»China ist nicht die Zukunft, BMW ist schon da.«
Autos, das geübte Spielfeld. Ruhepuls.
Aber dann spricht man den BMW-Chef auf die
Weltlage an. Da geht der Puls hoch, schließlich ist
Zipse Automanager, kein Politiker, »sorry«, und er
stellt klar: »Ich rede nicht von Decoupling!« Also
nicht über die Idee, dass sich der Westen von China
entkoppeln müsse.
Zipses Problem ist nur, dass viele über gar nichts
anderes mehr reden wollen. In Japan hatten gerade
die Außenminister der G7-Staaten getagt, der sieben
wirtschaftlich bedeutendsten Länder, neben der
Ukraine hatten sie eigentlich nur ein Thema: die Ge-
fahren, die von China ausgehen, etwa für Taiwan.
»Wir erinnern China an die Notwendigkeit, die
Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten
Nationen zu wahren und auf Drohungen, Zwang,
Einschüchterung oder die Anwendung von Gewalt
zu verzichten«, heißt es im Abschlusskommuniqué.
In Peking reagierte man erbost: Das G7-Papier sei
verleumderisch und voller Arroganz.
Damit war das wichtigste Thema gesetzt auf der
Automesse in Shanghai, einer der weltweit wichtigs-
ten Industriemessen, die noch bis Donnerstag läuft.
Für die deutschen Autobauer geht es dort diesmal
nicht nur um die Frage, welche Autos Premiere feiern.
Es geht um Grundsätzlicheres: um Politik. Um die
Frage, ob die Deutschen noch Geschäfte machen
dürfen mit China. Ob sie sich nicht lösen müssten
von einem Land mit so anderem Wertegerüst.
Mehr als 40 Jahre lang war China vor allem eines
für deutsche Autobauer: eine Chance für Geschäfte.
Im Rückblick war’s ja nett: Mehr als 40 Jahre lang war China eine Chance zum Geschäftemachen für deutsche Autofirmen
Abgehängt
Audi, BMW, Mercedes und Volkswagen haben sie
bestens genutzt. Sie verkaufen mittlerweile mehr als
jeden dritten Neuwagen in China.
Doch die Zeiten haben sich geändert, Chan-
cen wurden zu Risiken: Neue Wettbewerber.
Neue Technologien. Neue Kundenanforderungen.
Über allem schwebt die Systemfrage. Der Taiwan-­
Konflikt.­Die Sorge vor einem Krieg oder mindes-
tens vor einer harten Entkoppelung: Sanktionen
von einer Schärfe, die jeglichen Handel Chinas
mit den USA und deren Verbündeten verunmög-
lichen würden.
Zipse will dazu eigentlich nichts sagen. Decoup-
ling? Noch einmal: »Sie reden davon. Nicht wir!
Nicht wir! Nicht wir!« Seine Kollegen aus anderen
deutschen Konzernen klingen in Shanghai ähnlich:
Losgelöst von China in der Welt zu agieren sei eine
absurde Abkehr von der Globalisierung. »Ohne
China werden wir die globalen Probleme nicht lösen«,
sagt auch Deutschlands oberste Autolobbyistin­
Hildegard Müller. Das gelte insbesondere für die
Lösung der Klimakrise. Die Deutschen könnten, zum
Beispiel, kein Batterieauto ohne China bauen.
Das passt zu einer Analyse der Wirtschaftsweisen:
Bei 208 Produkten, hat der Sachverständigenrat er-
rechnet, ist Deutschland »stark abhängig« von China,
darunter bei vielen Rohstoffen. Auch insgesamt do-
miniert China die Importe nach Deutschland, erst
auf Platz drei folgten 2022 die USA.
Etliche Konsumgüter würden heute ohne Liefe-
rungen aus China fehlen, Masken, Pharmazeutika,
Handys, viel mehr als Autoteile. Denn China ist nicht
mehr nur billige Werkbank, sondern hat den Westen
vielfach überholt, zumal in Bereichen, in denen west-
liche Firmen zuletzt ihr Wissen mit chinesischen
Gemeinschaftsfirmen zwangsweise teilen mussten.
Der Beweis findet sich in Shanghai, wo die Chinesen
längst keine schief zusammengedengelten Wagen
mehr zeigen, sondern schicke Produkte wie den Elek-
trowagen HiPhi (ab 100.000 Euro) mit Flügeltüren.
Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Han-
delskammer in Peking, schätzt die Folgen eines De-
coupling als »absolut vernichtend« ein. Wuttke ist
der wohl am besten verdrahtete westliche Wirtschafts-
vertreter im Land, er kennt die Regierenden, er kennt
die Abhängigkeiten. Seine Rechnung geht so: Durch
eine Eskalation würden dem Westen Rohstoffe und
Technologien entgehen – und China allein in Eu-
ropa ein Handelsvolumen von 1,3 Milliarden Euro
pro Tag. Wuttkes Ratschlag: Europas Unternehmen
sollten auf ein anderes »De« setzen, auf »De-Risking«.
Das würde bedeuten, Risiken zu minimieren, also
nicht allein auf China zu setzen. Darüber hinaus, so
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Wuttke, müsse Europa sich selbst stärken, nach dem
Vorbild Israels, der USA oder eben Chinas: durch
mehr Anreize für Investitionen und weniger Regeln
für die Wirtschaft.
Tatsächlich treffen die deutschen Autobauer schon
Vorkehrungen, um bei einem weiteren Auseinander-
driften der Mächte zu bestehen. Das Motto: ent­
wickeln und produzieren, wo die Kunden sind. In
China für China. In Amerika für Amerika. Schon
jetzt stammen bei in diesen Ländern gebauten Fahr-
zeugen jeweils 70, 80 Prozent der Teile aus lokaler
Produktion, Tendenz steigend.
Bei VW etwa ist damit die Idee des »Weltautos«
passé, das in Wolfsburg für alle Kontinente erdacht
wurde. Denn Fabriken entwickeln heute ein Eigen-
leben, wie jene im chinesischen Anting: Hier werden
E-Autos des Modells ID.4 gebaut, aber »deutlich
anders« als im Werk Zwickau, erklären die Chefs in
Die deutschen
Autobauer
verkaufen mehr als
jeden dritten
Wagen in China
Anting selbstbewusst. Für das Werk im Vorort von
Shanghai wurde mal eben ein Flussbett verlegt. Die
Chinesen programmieren auch ihre Roboter selbst
und setzen sie zahlreicher ein als die Deutschen.
Bis unter die Haube der Fahrzeuge, im ganz Klei-
nen, lässt sich die Weltlage ablesen: Die Fahrassistenz-
systeme entwickelt Volkswagen in China mit einer
chinesischen Firma, Horizon Robotics. In den USA
mit einer amerikanischen.
Die schwierigste Frage der Branche ist aktuell
indes keine technische, sondern eine finanzielle: Wie
klappt das mit dem Geld?
Schon jetzt ist es knifflig, Gewinne aus China
nach Europa zu überweisen, weil die Regierung den
Finanzabfluss reguliert. Wie soll das erst laufen, wenn
es wirklich zu einem Bruch kommt? Manche in der
Branche glauben, auch das ließe sich lösen, und ver-
weisen auf Ford: In der Nazi-Zeit hat sich die Kölner
Dependance des US-Autobauers losgesagt von der
Muttergesellschaft, für eigene Geschäfte. Nach dem
Krieg wurden die Firmen wieder zusammengeführt.
Bei BMW wiederum, man denke, »sorry«, an
Zipse, halten sie eine so tiefgreifende Aufspaltung der
Welt offiziell für unmöglich. Das liegt auch daran,
dass die Münchner sich Mehrfachentwicklungen wie
Volkswagen nicht leisten können. BMW mag welt-
berühmt sein, ist aber eben nur ein mittelgroßer
Konzern. Und doch teilt nun selbst BMW die eigene
Welt in der Welt ein wenig auf.
»One size fits all, das geht nicht mehr«, sagt Mar-
tin Hauschild, »oder anders: China ist ganz anders
als München-Milbertshofen.« Der BMW-Manager
weiß es, weil er in Hongkong aufgewachsen ist und
die ganze BMW-Welt kennt, nicht nur die Zentrale
in München. Derzeit leitet er das Tagesgeschäft von
BA Techworks, einer Entwicklungs-Dependance von
BMW in Nanking, eine Schnellzugstunde nördlich
von Shanghai: zwei Etagen in einem Büroturm, 400
Chinesen. Und Martin Hauschild.
Nanking ist der dritte und neueste Entwicklungs-
standort des Autobauers in China. Hauschild küm-
mert sich dort um alles, was zu sehen und zu fühlen
ist in chinesischen BMW-Autos. Das unterscheide
sich, sagt er, fundamental von dem, was westliche
Kunden zu sehen bekommen, weil die Wünsche
andere sind. Dem chinesischen Kunden etwa sei
Unterhaltungselektronik wichtiger als die Fahrdyna-
mik, die für Europäer ausschlaggebend sei. Schließ-
lich sei da noch der Gesetzgeber, der vieles verbiete,
was sie in München eigentlich einbauen. Etwa das
Restaurant-Reservierungssystem, mit dem BMW-
Fahrer üblicherweise einen Tisch buchen können.
Die Software arbeitet mit Geodaten, das ist über-
all heikel: Im Westen kollidiert das leicht mit Daten-
schutzvorgaben. In China wiederum erfasst der Staat
die Bewegung von E-Autos in Echtzeit, offiziell aus
Gründen des Umweltschutzes und der Verkehrssteue-
rung. Für Organisationen wie Human Rights Watch
ist das vorgeschoben: Es gehe darum, Menschen zu
überwachen. Fest steht, dass Peking den Abfluss von
Know-how ins Ausland verhindern will.
Der Raum »Stachus« in der BMW-Dependance
Nanking ist deshalb verrammelt: Hier passen Hau-
schilds Leute die Navigationssysteme dem chinesi-
schen Markt an. Und werden dabei stets kontrolliert
von einem Mitarbeiter des rein chinesischen Techno-
logiepartners Tencent.
Nun gab es in der Autoindustrie schon immer
Unterschiede von Land zu Land. Diese werden jedoch
19
durch neue Technologien größer. Wie eine ungewollte­
Vorbereitung auf das Ende der Globalisierung.
Die Daten der Wagen für die westliche Welt spei-
chert BWM bei Amazon Web Services, in China
könnte das bald via Alibaba Cloud geschehen. Hau-
schilds Leute programmieren die Schnittstelle in der
BMW-Software bereits um. Ihr Chef ist guter Dinge,
auch weil seine Firma nicht zu eng an der Hierarchie
in München ist: »Wir entwickeln so gut und so
schnell wie die neuen chinesischen Konkurrenten
und verbinden das mit 100 Jahren BMW-Erfah-
rung.« Chinesische Rivalen sind nun also Maßstab
für Hersteller aus der Autonation Deutschland. Xpeng
etwa oder Nio, die Firma des Milliardärs William Li,
die bei den E-Auto-Verkaufszahlen vor BMW liegt
und sogar schon nach Deutschland exportiert.
Die Autonation versucht mit aller Macht dagegen-
zuhalten: 11,5 Milliarden Euro hat die deutsche
Wirtschaft trotz aller Restriktionen 2022 in China
investiert, allen voran die Autobauer. Sie fühlen sich
als Vorbilder der Globalisierung, zumal BMW – in
München daheim, in der Welt zu Hause. Doch wie
fragil das Verhältnis ist, zeigte sich bei der Autoshow
in Shanghai am Stand der BMW-Tochter Mini:­
Einen alten blauen Kleinstwagen haben sie dort­
hingestellt, so einen, in dem Rowan Atkinson zu
Mr. Bean wurde. Alles hinterhofmäßig und hip. In
großen Lettern steht da: »Big Love«.
Allerdings war es schnell vorbei mit der Liebe.
Am Ende eines Messetages verteilten chinesische
Mini-Mitarbeiterinnen Eis. Jedoch nicht an jeden:
Ein Video zeigt, wie ein Europäer Eis bekommt,
zwei Chinesinnen aber nicht. Auf Weibo, einer Art
chinesischem Twitter, wurde der Clip 100 Millio-
nen Mal geklickt und tausendfach kommentiert.
Der Vorwurf: »Rassismus«, mal wieder. Auslän­
dische Firmen hören oft den Vorwurf, sie würden
Chinesen kujonieren.
Es hilft kaum, dass Mini und BMW mitteilten,
das Eis sei nur für eigene Mitarbeiter gedacht ge­
wesen. Vergessen ist auch, dass eine chinesische
Staatsfirma beteiligt ist am Bau der Minis. Dass
diese von hier sogar in den Westen exportiert werden.
Schon vor der Messe in Shanghai hatte eine Zahl
gezeigt, wie die Verhältnisse sich drehen: Bei E-Autos
liegt der Anteil einheimischer Hersteller in China bei
80 Prozent – und viele von ihnen haben ein neues
Ziel ausgemacht, die Heimat von Audi, BMW,­
Mercedes und VW, die Kunden in Europa.
Die Deutschen, die das Auto nach China brach-
ten, sie sind entbehrlich geworden.
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20
etzen Sie sich doch mal ge-
danklich in eine Eckkneipe.
Stellen Sie sich vor, Sie haben
alte Freunde getroffen, es gab
viel Bier und eine Runde
Schnaps auf jeden. Sambuca,
der Klare mit der Kaffeebohne,
fünf Kurze an einem langen Abend. Später
laufen Sie nach Hause, gut angetrunken, aber
noch bei Sinnen. Eigentlich perfekt zum Aus-
nüchtern, wäre es nicht so kalt und Sie nicht
so müde. Da steht er plötzlich vor Ihnen: tür-
kis, leichte Schieflage, voller Akku. Die Stra-
ßen sind menschenleer, Sie sind mit E-Scoo-
tern vertraut, und sowieso geht’s ab jetzt fast
nur noch geradeaus. Steigen Sie auf?
Finn Winde wollte nach Hause rollern in
jener Nacht im November 2021. Eine Schnaps-
idee, im Wortsinn. Daher soll er in diesem Text
anders heißen als im wahren Leben. Winde hielt
sich für fahrtüchtig, die Scooter-App hatte er
installiert. Was er nicht wusste, aber hätte ahnen
müssen: Er hatte zu dem Zeitpunkt 1,61 Pro-
mille Alkohol im Blut, mehr als dreimal so viel,
wie auf E-Rollern erlaubt ist. Und die nächste
Polizeiwache lag um die Ecke.
Dabei gehört Winde eigentlich zu der Sorte
Mensch, über die man sagen würde, dass sie ihr
Leben im Griff haben. Vorstrafen hat er keine,
dafür eines dieser Fitnessarmbänder, die einem
sagen, wie gut man geschlafen hat, er hat eine
stabile Beziehung und einen Job mit Verant-
wortung in einem bekannten Unternehmen. Das
ist wichtig zu erwähnen, weil Winde an etwas
gescheitert ist, das der Volksmund auch »Idio-
tentest« nennt: die medizinisch-psychologische
Untersuchung, kurz MPU.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Dieser
Text ist kein Plädoyer für laschere Verkehrs­
kontrollen. Betrunkene reagieren langsamer,
sie schätzen Geschwindigkeiten falsch ein und
können ihr Gleichgewicht schlechter halten. Mit
1,5 Promille steigt die Wahrscheinlichkeit, in ein
Unfallgeschehen zu geraten, um das 25-Fache.
Jeder 16. Verkehrstote wäre noch am Leben,
wenn auf der Straße alle nüchtern wären.
Schaut man sich jedoch die Praxis der MPU-
Prüfstellen genauer an, offenbart sich ein intrans-
parentes System, gegen das sich Betroffene kaum
wehren können. Und mit dem sich, auch des-
halb, viel Geld verdienen lässt.
Jedes Jahr schicken die Fahrerlaubnisbehör-
den Tausende Menschen, die sich Verkehrsdelik-
te zuschulden haben kommen lassen, zur MPU.
Dort entscheiden Gutachter, ob es vertretbar ist,
ihnen den Führerschein zurückzugeben. 90.863
solcher Gespräche wurden 2021 geführt, acht
Prozent mehr als im lockdownverzerrten Vorjahr,
in dem es zwar viele Gründe zum Trinken gab,
bekanntermaßen aber wenig Anlässe. Insgesamt
sinkt die Anzahl der MPUs seit Jahren, das ist die
gute Nachricht. Unverändert bleibt: Fast die
Hälfte jener, die wegen Alkohol im Straßen­
verkehr zur MPU müssen, fällt im ersten Anlauf
durch. Woran liegt das? Und wer verdient daran?
Man kommt der Antwort näher, wenn man
mit Finn Winde spricht, einem schlanken Mann
Anfang dreißig, der Steppjacke trägt und Sneaker.
Die 493 Tage, in denen er um seinen Führer-
schein kämpfte, hat er akribisch dokumentiert,
Anordnungen, Mails und Gutachten gesammelt.
Ein verregneter Aprilsonntag in München,
Winde pfeffert den Ordner mit den Unterlagen
auf die Rückbank, legt sein Handy in die Mittel-
konsole und startet den Motor. Seine erste Spritz-
tour seit über einem Jahr, vor zwei Tagen durfte
Illustration: Timo Lenzen für DIE ZEIT
er seinen Führerschein abholen. Ein eigenes Auto
hat er nicht, also hat er sich am Flughafen eines
gemietet, einen silberfarbenen VW T-Roc, »ein-
fach zum Rumfahren«. Die ersten Meter war er
noch nervös, sagt Winde. Und ein bisschen fährt
er auch jetzt noch so, als säße ein Prüfer auf der
Rückbank: immer einen Tick langsamer, als er-
laubt; um auf das Navi zu gucken, steuert er
Idiotenfest
Ein Glas zu viel, der Führerschein ist weg? Dann ab zur
medizinisch-psychologischen Untersuchung. Aber die hat
enorme Durchfallquoten. Und viele Profiteure, die an dem
intransparenten Prüfsystem gut verdienen 
VON JOHANNA JÜRGENS
rechts ran. Das mag daran liegen, dass neben ihm
eine Reporterin sitzt. Oder aber Winde ist in Autos
wirklich gewissenhafter unterwegs als auf Rollern.
Womit wir auch schon bei der Frage wären, die
der Gutachter zu beantworten hatte: ob einer, der
mit 1,61 Promille E-Scooter fährt, bei nächster
Gelegenheit noch weiter gehen und sich betrunken
hinters Steuer setzen würde.
Winde stellt die Scheibenwischer an. Er sei
nicht stolz auf seine Trunkenheitsfahrt, sagt er.
Aber die Hemmschwelle bei E-Scootern sei »eine
ganz andere«.
Die Verkehrspsychologin, mit der Winde jene
Nacht zur Vorbereitung auf die MPU aufgearbeitet
hat, sagt dagegen: »Wer so viel trinkt, kann nie aus-
schließen, sich nicht auch mal ins Auto zu setzen.
Betrunkene wählen immer den einfachsten Weg.«
Nun zum Komplizierten, zum MPU-Markt:
Die Untersuchung führen 13 staatlich anerkannte
Firmen durch, die bekanntesten heißen Dekra,
TÜV Nord und TÜV Süd. Zusammen betreiben
sie etwa die Hälfte der 255 Begutachtungsstellen
in Deutschland. Laut Straßenverkehrsordnung ist
es ihnen verboten, eigene Vorbereitungskurse und
Nachschulungen anzubieten. Diese Regel soll In-
teressenkonflikte verhindern, hat aber bislang nur
bewirkt, dass die Prüfunternehmen das Geschäft
an Tochterfirmen auslagern. Die Dekra hält hun-
dert Prozent an der »Dekra Akademie«, TÜV Nord
an »Nord-Kurs«, TÜV Süd bereitet bei »Pluspunkt«
auf die MPU vor.
Ein Geflecht mit vielen Anbietern und wenigen
Profiteuren also, dessen Verkaufsargument sich un-
gefähr so zusammenfassen lässt: Wenn Sie jetzt nicht
zahlen, wird’s später teurer. Denn wer durchfällt,
muss zur kostenpflichtigen Nachschulung oder, falls
die Zweifel des Gutachters an der Fahreignung zu
groß sind, noch einmal zur MPU antreten.
Von der Bundesanstalt für Straßenwesen, ver-
antwortlich für die Qualitätssicherung der MPU,
heißt es, es sei zwar ärgerlich, dass einige Prüfgesell-
schaften das Verbot mit Tochterfirmen umgingen.
Es lasse sich aber nicht verhindern, dass findige
Geschäftsleute dank Gesetzeslücken von der linken
in die rechte Tasche wirtschafteten.
Die Kreuzung, die Winde den »Tatort« nennt,
liegt unweit des Münchner Omnibusbahnhofs. Er
parkt, steigt aus und läuft zu der Stelle, an der er
pusten musste. »Die hatten eigentlich keine an­dere
Möglichkeit, als mich anzuhalten«, sagt er. »Die«,
das ist die Streife, die ihm entgegenkam, als er ge-
rade diagonal über die Kreuzung rollerte.
Da war er schon acht Minuten gefahren, 1,3
Kilometer für 65 Cent.
Ab 1,6 Promille ist die MPU gesetzlich vor-
geschrieben. Der Richter verurteilte Winde später
außerdem zu 40 Tagessätzen und einer Sperrfrist
am Steuer von acht Monaten.
Immerhin ist er noch geradeaus gefahren, könnte­
man zu seiner Verteidigung einwenden – und
würde ihn damit schon wieder belasten: Denn wer
mit 1,6 Promille noch lenken kann, ist aus Sicht
der Gutachter »giftfest«, trinkt also regelmäßig so
viel, dass der Körper nicht mehr mit Ausfallerschei-
nungen reagiert. Wer mit diesem Pegel nicht min-
destens torkelt oder lallt, habe wahrscheinlich ein
Alkoholproblem.
Winde sagt, er vertrage einfach viel. Auf dem
Dorf im Rheinland, wo er aufwuchs, seien die
Leute gut am Glas. In München sowieso. Dekra
schreibt dazu, man habe es bei der MPU über-
wiegend mit »fahrenden Trinkern zu tun und nicht
mit trinkenden Fahrern«, viele hätten ein »behand-
lungsbedürftiges Stadium« erreicht. Wenn man so
will, trifft bei der MPU eine alkoholkritische Maß-
nahme auf eine Gesellschaft, die den gelegentlichen
Rausch meist bagatellisiert.
Das ist die eine Erklärung für die hohen Durch-
fallquoten.
Zurück im Auto. »Die müsste es gewesen sein«,
sagt Winde, als er am Paulaner Biergarten vorbei-
fährt, einer Eckkneipe mit Gardinen in den Fens-
tern. Er dreht um, fährt noch einmal im Schritt-
tempo vorbei, kneift die Augen zusammen. »Doch,
die war’s.« Nach der Nacht, die hier anfing und auf
der Polizeiwache endete, hörte er mit dem Trinken
auf. Kein Feierabendbier mehr, kein Wein zum
Essen. Weil er sich über sich selbst ärgerte. Und weil
er seine Disziplin unter Beweis stellen wollte.
Fast alle MPU-Prüfstellen bieten auch Abs-
tinenzprogramme an, das Zertifikat kann man
dem Gutachter später vorlegen. Das Ganze kos-
tet um die 80 Euro pro Urinprobe. Ein lohnen-
des Geschäft, schließlich belegt ein einzelner
Test noch keine Abstinenz, man braucht mehre-
re. Je nach Laufzeit werden für das Programm
240 bis 480 Euro fällig, bei anderen Substanzen
deutlich mehr.
Winde ließ sich bei Dekra testen, meldete sich
dort auch für die MPU an. Viermal wurde er ein-
bestellt: Wenn er eine SMS bekam, musste er in-
nerhalb von zwölf Stunden eine Urinprobe abge-
ben. Viermal war er nüchtern. Als er einen MPU-
Termin bekam, brach er das Programm ab. Die
Ärztin weigerte sich erst, ihm einen Zwischenbe-
richt auszustellen. Es ging dann, nach vielen
E-Mails, plötzlich doch. Auf der Dekra-Website
heißt es, das Programm erhöhe die Chancen, den
Führerschein schnell zurückzubekommen.
Dass Abstinenz jedoch nicht immer ratsam
ist, sondern sogar Zweifel an der Fahreignung
säen kann, darüber informieren die Prüfstellen
nicht. Winde erfuhr davon erst, als er durchfiel.
MPU-Gutachter erwarten, dass ihre Klienten
einsichtig sind, dass sie ihren Umgang mit­
Alkohol reflektiert und sich Strategien für die
Zukunft überlegt haben. Ohne Vorbereitungs-
kurse, so die Prüfstellen, sei eine positive Pro­
gnose kaum möglich. Der TÜV Nord zum Bei-
spiel empfiehlt 10 bis 20 Stunden Verkehrs­
therapie. Zu absolvieren bei selbstständigen
Psychologen und MPU-Beratern – oder eben
den Tochterfirmen der Prüfunternehmen. TÜV
Nord verlangt zwischen 799 und 1299 Euro für
die Schulung.
Finn Winde ist zur Einzeltherapie gegangen,
drei Stunden in einer privaten Praxis. Vergan-
genheitsaufarbeitung, Deliktanalyse, Zukunfts-
planung. Danach fühlte er sich gut vorbereitet –­
außerdem hätte ihn jede weitere Stunde 130
Euro gekostet. Die Psychologin schrieb in ihren
Abschlussbericht: »Herr W. nahm an den Ge-
sprächen offen und selbstkritisch teil. (...) Er
erkannte, dass er in Bezug auf das E-Scooter
und Fahrrad fahren nicht ausreichend problem-
bewusst gewesen war. (...) Künftig soll der Kon-
sum dauerhaft auf dem nicht-riskanten Niveau
gehalten werden.«
Wie groß der Markt für MPU-Gutachten ist,
lässt sich nur schätzen. Die Prüfunternehmen
führen ihre Umsätze aus den Untersuchungen
nicht gesondert auf. Wie viele Gutachten sie
schreiben, geben sie aus »wettbewerbstaktischen
Gründen« nicht preis. Seit 2018 sind sie nicht
mehr an eine offizielle Gebührenordnung ge-
bunden; die Kosten pro Gutachten variieren
stark, abhängig von der Vorgeschichte und dem
Vergehen des Klienten beginnen sie bei etwa 350
Euro und gehen auch schon mal über 800 Euro
hinaus. Veranschlagt man für die 90.863 MPUs
aus dem Jahr 2021 einen mittleren Preis von 500
Euro pro Untersuchung, ergibt sich ein Umsatz
von mehr als 45 Millionen Euro. Angesichts der
seit Jahren sinkenden Zahl der MPUs werden die
Nebengeschäfte immer wichtiger.
Die Prüfunternehmen bestreiten jeden In-
teressenkonflikt. Von Dekra heißt es, die Kurse
und die Untersuchungen würden von »unab-
hängig voneinander operierenden Firmentei-
len« durchgeführt. TÜV Nord versichert, kei-
ner der Mitarbeiter, die auf die MPU vorberei-
teten, schreibe gleichzeitig auch Gutachten, es
bestehe also »keine personelle Verflechtung«.
Im Winter 2022, knapp ein Jahr nach der
Fahrt mit dem E-Scooter, wurde Finn Winde
zur MPU geladen. Nach der Untersuchung
fertigte er ein Gedächtnisprotokoll an, »damit
ich später weiß, was ich gesagt habe«. Der
ADAC hat sich zwar erfolgreich dafür einge-
setzt, dass die MPU aufgenommen und die
Mitschnitte später vor Gericht verwendet wer-
den können. Diese kosten allerdings, je nach
Länge, mehrere Hundert Euro – wegen des
angeblichen Verwaltungsaufwandes.
Der Gutachter habe ihn vor allem zu seinem
Trinkverhalten in der Jugend befragt, sagt W
­ inde:
Wie viel Whiskey Cola er mit 16 so am Wochen-
ende getrunken habe? Winde ist inzwischen 33,
aber wie viel er heute trinkt – nach eigenen­
Angaben viel weniger –, interessierte den MPU-
Prüfer kaum. Das geht auch aus seinem Gut-
achten hervor, das der ZEIT vorliegt.
Es habe sich angefühlt, als hätte der Gut-
achter seine Entscheidung längst getroffen, als
hätte er ihm die nötigen Worte nur noch in den
Mund legen wollen, erinnert sich Winde.
Dekra erklärt dazu auf Nachfrage, Gedächt-
nisprotokolle von Einzelfällen weder kommen-
tieren zu können noch zu dürfen.
Am Ergebnis ändert das nichts: Der Gut-
achter lässt Winde durchfallen. In seinem Be-
richt heißt es zur Begründung, Winde habe
sich mit den »Hintergründen des massiven
Konsums« nicht genug auseinandergesetzt.
Zudem habe er noch kein erprobtes Trink­
konzept: Winde hatte angegeben, nie wieder
mehr als drei Bier trinken zu wollen. Dem
Gutachter zufolge hätte Winde nicht komplett
abstinent werden dürfen, um zu zeigen, dass er
es eben doch kann: ab und zu in die Kneipe
gehen und trotzdem nicht betrunken in eine
Verkehrskontrolle rauschen.
Aber das sei alles kein Problem. Die letzten
Zweifel könne eine Nachschulung ausräumen.
Vier Gruppensitzungen à 90 Minuten für ins-
gesamt 595 Euro, dann kriege er
seinen Führerschein zurück,
Anbieter ist unter anderem: die Dekra Aka-
demie. Winde ging lieber zu Pluspunkt, der
Tochterfirma von TÜV Süd, weil er nicht
wollte, dass noch einmal dieselbe Firmengruppe­
an ihm verdient.
Quietschend schiebt sich das Rolltor nach
oben, dann fährt Winde in die Tiefgarage, parkt,
schließt ab. In ein paar Tagen wird er den ge­
liehenen Wagen wieder abgeben.
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DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
Apple bietet in den USA künftig ein Sparkonto an – und zahlt
seinen Kunden 4,15 Prozent Zinsen.
Dabei hat der Techkonzern nicht einmal eine eigene Banklizenz.
Was steckt dahinter?
Apple-Chef Tim Cook verdient sein Geld mit
dem Verkauf von iPhones – und doch sagte er
kürzlich diesen Satz: »Wenn man mehr auf sein
Telefon schaut, als anderen Menschen in die
Augen zu sehen, dann macht man etwas falsch.«
Ein Widerspruch. Aber einer, der bei Apple-Fans
gut ankommt. Wenn das iPhone ihnen anzeigt,
wie viel Zeit sie am Bildschirm verdaddeln, haben
sie das Gefühl, Apple kümmert sich.
So ähnlich ist erst mal auch diese Nachricht zu
verstehen: Obwohl Cook einen Techkonzern
leitet, keine Bank, bietet er in den USA künftig
ein Sparkonto an. Bis zu 250.000 Dollar sollen
Verbraucher darauf parken können. Der Haken:
Sie brauchen dafür ein iPhone und die Apple-
Kreditkarte (Apple Card). Weil es Letztere in
Europa noch gar nicht gibt, werden Sparer hier-
zulande auch auf das Konto warten müssen.
Dabei gibt es in den USA darauf Zinsen in Höhe
von 4,15 Prozent. Das ist das Zehnfache dessen,
was US-Banken derzeit im Schnitt zahlen. Apple
erklärt, man wolle den Nutzern zu einem »gesün-
deren Finanzleben« verhelfen. Auch hier lautet
also die Botschaft: Apple kümmert sich.
Ganz uneigennützig ist das Vorhaben aber
natürlich nicht. Schließlich wollen die Apple-­
Aktionäre Wachstum und Gewinne sehen. Die
rein mit dem Verkauf von Laptops und Smart-
phones zu liefern wird aber schwerer. Die Eu-
phorie über neue iPhone-Modelle ist längst nicht
mehr so groß, wie sie einmal war. Auch gibt es
kaum Länder, die Apple noch neu erobern
könnte.­Schon vor Jahren hat Cook deshalb eine
neue Strategie ausgerufen: Apple soll stärker mit
Hier Gleis, dort Lok
Die Bahn sollte sich aufspalten und ihr Schienennetz vom Zugverkehr trennen.
Nur so kann sie dringend notwendige Investitionen stemmen
An der fehlenden Beharrlichkeit der Wettbe-
werbs-Lobbyisten lag es nicht: Schon seit 2006
fordert die Monopolkommission vom Bund,
das Staatsunternehmen Deutsche Bahn aufzu-
spalten. So soll mehr Wettbewerb im Schie-
nenverkehr entstehen. Aus eins mach zwei, so-
zusagen: Ein Unternehmen soll demnach die
Schienen und Bahnhöfe im Land verwalten,
sanieren und ausbauen. Ein zweites, davon
gänzlich unabhängiges Unternehmen, soll die
Züge darauf fahren lassen. Bislang organisiert
die Deutsche Bahn beides zugleich.
Dass die aus fünf Experten aus der Wirt-
schaft und der Wissenschaft bestehende Mono-
polkommission mit ihrem Anliegen nie durch-
drang, lag an der CDU. Sie stellte 16 Jahre lang
die Kanzlerin. Doch in der Union hielt man
nicht viel davon, die Bahn zu zerschlagen. Die
bisherige Struktur biete zahlreiche Synergie-
effekte, mit diesem Argument wurde der­
Vorschlag mehrmals abgelehnt. Umso erstaun-
licher ist es, dass nun ausgerechnet die Konser-
vativen eine neuerliche Debatte losgetreten
haben. In einem Eckpunktepapier fordert die
Partei, eine unabhängige Schieneninfrastruktur
GmbH zu gründen.
Womit keiner rechnet
Dienstleistungen wachsen, etwa mit Musik- oder
TV-Abos. Im Quartal setzt der Konzern damit
bereits knapp drei Milliarden Dollar mehr um als
mit dem Verkauf von Tablets und Laptops. Und
auch wenn Apples Streamingangebote dabei noch
im Fokus stehen: Finanzdienstleistungen gehörten
schon früh zu Cooks Strategie.
2014 kündigte er im abgedunkelten Theater-
saal in Cupertino an, mit dem Bezahldienst Apple
Pay das Portemonnaie ersetzen zu wollen. Manche
Beobachter wischten das beiseite. Zu einfach, zu
bequem sei das Zahlen mit Karte. »Apple versucht
ein Problem zu lösen, das eigentlich keines ist«,
schrieb etwa die New York Times. Doch sie lag
daneben. Weltweit zücken heute 2,3 Milliarden
Menschen an der Kasse ihr Smartphone, 507
Millionen davon nutzen Apple Pay.
Für Cook aber war das nur der Anfang. Mit
Goldman Sachs führte er 2019 in den USA
eine Kreditkarte ein, die Apple Card. Kunden
sollten das Apple-Universum beim Bezahlen an
keinem Punkt mehr verlassen müssen. Cook
lockte sie mit guten Konditionen: keine Ge-
bühren und Cashback-Prozente, also Rabatte
auf den Kaufpreis, wenn sie mit der Apple
Card zahlen. Möglich ist das, weil der Konzern
und die Bank an anderer Stelle verdienen: bei
den Händlern. Von ihnen kassieren sie hohe
Gebühren, wenn Kunden mit Kreditkarte zah-
len. Ob und wie sehr sich das für Apple tatsäch-
lich lohnt, legt der Konzern nicht offen. Über
Goldman Sachs heißt es, die Bank habe daran
bislang nicht sonderlich verdient oder dabei
sogar draufgezahlt.
KOMMENTAR
Doch wie auch bei unpünktlichen Zügen
gilt: Es ist immer noch besser, wenn die Er-
kenntnis spät kommt als gar nicht. Denn der
Vorschlag ist gut und richtig.
Zwar sind Transportverkehr und Netz­
betrieb innerhalb der Deutschen Bahn schon
jetzt organisatorisch getrennt. Und es gibt auch
klare Regeln dafür, dass die DB Netz private
Bahnunternehmen nicht diskriminieren darf,
etwa bei der Trassennutzung und bei Zugangs-
entgelten. Doch allein die Tatsache, dass die
Infrastruktur von einem marktbeherrschenden
Wettbewerber quasi mitverwaltet wird, der sich
in Staatsbesitz befindet, schafft Misstrauen bei
privaten Bahnunternehmen. Und Misstrauen
schadet dem Wettbewerb.
Noch viel problematischer ist allerdings,
dass sich selbst die Infrastruktur derzeit nicht
in einem wettbewerbsfähigen Zustand befin-
det. Weichen sind veraltet, Trassen marode,
und bei der Digitalisierung hängt die Bahn im
innereuropäischen Vergleich weit hinterher.
Das hat nicht nur – aber eben auch – mit den
Strukturen zu tun. Wenn es politisch gewollt
ist, dass immer mehr Menschen mit der Bahn
fahren, dann dürfen bei der Sanierung und
WIRTSCHAFT 21
Foto: Mike Segar/Reuters
Kunden sollen das Apple-Universum nicht mehr verlassen
ANZEIGE
Mit dem Sparkonto, das Apple nun ebenfalls
zusammen mit Goldman Sachs auflegt, könnte
sich das ändern. Zwar bekommen Nutzer darauf
hohe Sparzinsen. Die 4,15 Prozent liegen aber
noch unter dem Zinssatz, den Goldman Sachs
„Mein Wealth Management
zahlt, um sich Geld bei der Zentralbank zu leihen
(dafür werden 4,8 Prozent fällig). Sammelt die
Bank nun stattdessen Einlagen über das Apple-
Konto ein, ist das für sie also immer noch güns-
tiger. Gut möglich, dass Apple und Goldman muss so flexibel sein, wie die
Arbeitswelt von heute.”
Sachs sich diese Zinsdifferenz teilen.
Apple kann durch die Kooperation das Spar-
konto anbieten, ohne selbst eine Banklizenz zu
haben. Als Bank würde Apple stärker reguliert
und müsste sehr viel mehr über sich preisgeben. Join the smart money.
Und dem Konzern geht es bislang auch wohl gar
nicht darum, zur Bank zu werden. Das Ziel ist ein
anderes: »Apple hält mit dem neuen Sparkonto Egal, ob Sie der Inflation
die Nutzer in seinem Ökosystem«, sagt Hartmut kurzfristig entgegenwirken
Giesen, Digitalexperte der Hamburger Sutor
Bank. Wer sein Erspartes auf einem Konto anlegt, oder langfristig Chancen
das ans iPhone gebunden ist, kauft sich so schnell nutzen möchten: LIQID
kein Android-Smartphone. entwickelt eine Anlagelösung,
Wird das aufgehen? Ted Rossman, Analyst
die genau zu Ihnen passt.
beim US-Portal Bankrates, meint, das Apple-
Sparkonto komme zur richtigen Zeit: »Nach
den jüngsten Bankpleiten schauen Verbraucher
genau hin, wo sie ihr Geld parken.« Und dann Katharina von Schacky,
bringen sie es zu Apple? Ja, glaubt Rossman. LIQID-Kundin und
Das Geld sei über die Einlagensicherung ge- Geschäftsführerin von
schützt. Apple und Goldman Sachs seien be-
kannte Marken. Außerdem habe der iPhone- WeWork für Deutschland,
Konzern treue Fans. Die sollen mit dem Spar- Zentral- und Osteuropa
konto belohnt werden.  CARL A NEUHAUS
dem Ausbau des Netzes nicht nur betriebs-
wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen.
In jedem Fall aber sollten Gewinne, die
durch den Betrieb der Infrastruktur erwirt-
:
Jetzt neu
schaftet werden, auch in ebenjene reinvestiert
werden. Die DB Netz ist Teil der Deutschen
art
LIQID Sm
Bahn und muss ihre Gewinne an die Konzern-
mutter abführen. Die kann das Geld dann für
2,5%
andere Sparten nutzen. Das schafft Fehlanreize
Start mit
und kann nicht im Interesse der Kunden sein.
n bis
Hinzu kommt: Wenn der Bund die Infra- p.a. Zinse
EUR
zu 3 Mio.
struktur bezahlt, sollte er auch das zuständige
Unternehmen kontrollieren können. Das ist
in einer unabhängigen Infrastrukturgesellschaft
ebenfalls besser möglich.
Würden Grüne und FDP allein regieren,
stünde die Aufspaltung der Bahn mutmaßlich im
Koalitionsvertrag. Doch nicht nur die Union war
jahrelang dagegen, auch die SPD sträubt sich.
Von 2024 an sollen die Konzernsparten für Netz-
und Bahnhofsverwaltung immerhin zu einer Jetzt informieren:
gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft 030 3080 7083 Wealth Management
innerhalb des Bahnkonzerns zusammengeführt
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werden. Gewinne soll diese Gesellschaft dann
nicht mehr abführen müssen. Das wäre wenigs-
tens ein Anfang. JONAS SCHULZE PALS
 22 WIRTSCHAFT 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Fotos: Fabian Ritter für DIE ZEIT

Der rumänische Maurer Mirel Burduja arbeitete auf der Baustelle des One Tower in Frankfurt am Main. Geld für seine Urlaubstage habe er nicht erhalten, sagt er

Der verbaute Urlaub

Osteuropäische Arbeiter errichten in Deutschland Luxushochhäuser und Wohnungen.
Aber ihre freien Tage bekommen sie oft nicht bezahlt  VON TOM BURGGRAF UND RETO HEIMANN

D
er One Tower in Frankfurt
fügt sich perfekt in Deutsch-
lands Bankenhauptstadt: 190
Meter hoch voller Büros und
Hotelzimmer, und ganz oben
eine »Skybar«. 430 Millionen
Euro hat der Turm gekostet.
Über den Einrichtungsstil der Lobby im Erdge-
schoss heißt es auf der Website: »Das Interior Kon-
zept ›The Art of Money‹ setzt goldene Highlights.«
The Art of Money – die Kunst des Geldes – hat
schon beim Bau des One Tower eine Rolle gespielt.
Damals ging es aber nicht um goldene Highlights,
sondern eher um kreative Kostendrückerei zulasten
der oft ausländischen Bauarbeiter. Mit etwas bösem
Willen lässt sich nämlich eine Vorschrift im deutschen
Sozialsystem umgehen, die ihnen bezahlten Urlaub
ermöglichen soll. In der Realität heißt es dann biswei-
len: keinen Urlaub.
Mirel Burduja hat das erlebt. Der 45-jährige
Rumäne ist gelernter Maurer und arbeitet seit drei
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Fleisch. Dann öffnet er eine Bierflasche, zeigt auf
seine Kollegen und sagt: »Kein einziger Arbeiter in
dieser Unterkunft bekommt bezahlten Urlaub.«
Rechtlich steht allen Angestellten bezahlter Ur-
laub zu. Ihr Gehalt läuft während der Auszeit weiter –
unabhängig vom Urlaubsgeld, das viele zusätzlich
erhalten. In der Baubranche ist das aber gar nicht so
einfach zu regeln: Viele wechseln häufig das Unter-
nehmen und sind teils jede Saison woanders tätig.
Ansprüche auf Urlaubstage und – für viele noch
wichtiger – auf Bezahlung in dieser freien Zeit von
einem zum nächsten Arbeitgeber zu übertragen ist
da ein praktisches Problem. Der erste Chef könnte
seinen Bauarbeitern beispielsweise Urlaub verwei-
gern, weil sie ihn ja im nächsten Job nehmen könn-
ten. Der nächste müsste seinen Leuten dann den
ganzen Jahresurlaub gewähren und sie währenddessen
bezahlen – wenn er sie mit so viel Resturlaub denn
überhaupt anstellt.
Um so etwas zu verhindern, gibt es die Sozialkasse
der Bauwirtschaft (Soka-Bau), die Urlaubsentgelt
treuhänderisch verwaltet. Ihre Geschichte geht bis
1949 zurück. Die Sozialkasse sammelt von jedem
Auftraggeber Geld ein, mit dem die Arbeiter weiter-
bezahlt werden, wenn sie irgendwann – womöglich
im nächsten Job – ihren Urlaub tatsächlich nehmen.
Die Aufgabe der Kasse ist es also, zu garantieren, dass
jeder Arbeiter seinen Urlaub nehmen kann – unab-
hängig davon, für welche Firma er arbeitet und wie
lange er bei ihr schon unter Vertrag steht.
Doch oft versagt dieses System.
Offiziell kommt er deswegen im Schnitt auf etwa
1700 Euro netto monatlich. Einige Hundert Euro
habe er aber zudem bar bekommen, sagt er: »La ne-
gru«, schwarz – und zwar immer die Differenz zwi-
schen den tatsächlich geleisteten Stunden und denen
auf seiner Abrechnung. Für die vom Deutschen Ge-
werkschaftsbund betriebene Beratungsstelle Faire
Mobilität für ausländische Beschäftigte klingt so ein
Modell nicht überraschend. »Das, was auf den Lohn-
abrechnungen steht, hat nichts mit der Realität zu
tun«, sagt eine Mitarbeiterin über eine weit verbrei-
tete Praxis am Bau. »Die ausgewiesenen Stunden, der
Stundenlohn, die bezogenen Urlaubstage: All das ist
reine buchhalterische Fiktion.«
Auf Burdujas Lohnzettel für Dezember 2021 sind
zum Beispiel elf Urlaubstage eingetragen, bei den
restlichen Tagen des Monats stehen jeweils null
Stunden – es gab also keine Arbeit für ihn. Für den
Urlaub allerdings hätte Burduja gut tausend Euro
bekommen müssen. Die habe er nach eigenen An-
gaben aber nie erhalten. Er legt Kontoauszüge vor,
die keine entsprechenden Zahlungseingänge zeigen.
Gemeinsam mit sieben weiteren Arbeitern wendet
sich Burduja an das Peco-Institut, das mit der Indus-
triegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt zusammen-
arbeitet und das sich Unterstützung bei der Bera-
tungsstelle Faire Mobilität holt. Dort fragt man bei
Burdujas Arbeitgeber nach. Der präsentiert eine
Quittung mit Burdujas Unterschrift, wonach dieser
1173 Euro in bar erhalten habe. Das allein ist schon
seltsam, denn in Burdujas Arbeitsvertrag steht aus-
leistet hat. Im Kaisersaal des Rathauses nahm Mura-
tovic vom damaligen Oberbürgermeister Peter Feld-
mann eine Urkunde entgegen. Zur Frage, wie sich
die Auszeichnung mit den Vorwürfen am Bau ver-
trage, will Muratovic sich nicht äußern.
Was der rumänische Arbeiter Burduja berichtet,
ist offenbar kein Einzelfall. Ähnlich ist es auch seinem
Landsmann Adrian Niculescu ergangen, der seit 2017
auf deutschen Baustellen tätig ist. Niculescu ist nicht
sein richtiger Name, denn er müsste um seine Stel-
lung bangen, sollte sein Arbeitgeber erfahren, dass er
mit der ZEIT gesprochen hat. Niculescu hat auch am
One Tower mitgearbeitet, für eine andere Firma als
Burduja allerdings, und dort habe es keine Probleme
mit bezahltem Urlaub gegeben. Auf einer anderen
Baustelle für eine andere Baufirma aber schon.
Ein Bauarbeiter berichtet von Schimmel
und Ratten in seiner Unterkunft
Niculescu lebt in einer Unterkunft, die ihm sein
Arbeitgeber zur Verfügung stellt. Es ist ein ehema-
liger Gewerbebau. »Im Vergleich zu hier ist die
Șerpărie noch Luxus«, sagt er und spielt damit auf
die Behausung Burdujas an, in der er auch schon
gewohnt hat. Niculescu berichtet von Ratten, Lö-
chern in der Decke und Schimmel im Bad.
Niculescu sagt, sein Arbeitgeber lasse ihn kosten-
los im Gewerbebau wohnen – nutze aber das Urlaubs-
entgelt, um die normale Arbeitszeit zu bezahlen. Der
Rumäne führt Buch über seine Arbeitszeiten. Wenn
Problem sei seit Jahren bekannt. Tun könne man aber
trotzdem nichts. »Wir können das Verfahren gar nicht
verändern. Wir sind keine eigenständige Institution,
die über ihre Arbeitsabläufe selbst bestimmen kann«,
sagt der Mitarbeiter. Die Soka-Bau gehört je zur
Hälfte den Gewerkschaften und den Arbeitgeber­
verbänden und dürfe demnach nur tun, was diese
vereinbart hätten. Kontrolle gehöre eben nicht dazu.
Auch die Generalunternehmen halten sich für
nicht zuständig. Sie sind diejenigen, die oft die Ho-
heit über große Bauprojekte haben und Aufträge an
weitere Unternehmen weiterreichen. Sie müssen
dabei nur sicherstellen, dass den Arbeitern am Ende
der Wertschöpfungskette der Mindestlohn pro Stunde­
gezahlt wird. Das war es dann aber auch schon.
Der One Tower wurde von der Immobiliengesell-
schaft CA Immo in Auftrag gegeben. Eine Tochter-
firma wurde Generalunternehmer. Die Firma AS
Bau, bei der Burduja beschäftigt war, war ein Sub-
unternehmen. Den Vorwürfen des nicht gezahlten
Lohns während des Urlaubs will die CA Immo »im
Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten nachge-
hen«, sagt ein Sprecher. In der Verantwortung sieht
sie sich nicht, da sie »kein Vertragsverhältnis« mit der
AS Bau hatte. In allen Verträgen stehe, dass sich die
Unternehmen, mit denen die CA Immo arbeitet, an
die Gesetze halten müssen. Einen solchen Vertrag hat
auch Hochtief unterschrieben, das Unternehmen,
das für den Rohbau zuständig war und Beton- und
Stahlbauleistungen an die AS Bau weitergegeben hat.
»Es sind uns keinerlei Verstöße der AS Bau gegen

JETZT ALS
BUCH
drücklich, dass er seinen Lohn bargeldlos erhält. Die er nicht gearbeitet hat, schreibt er »Liber« auf, Rumä- geltende Gesetze bekannt«, schreibt ein Sprecher von
Die Gewerkschaft spricht von Quittung trägt das Datum 10. Januar 2022. nisch für »frei«. Im Juni 2022 hat Niculescu gemäß Hochtief auf Anfrage. Er verweist auf interne Kon-
»buchhalterischer Fiktion« Das könne gar nicht sein, sagt Burduja. An diesem seiner eigenen Aufstellung mehr als hundert Stunden trollen und die des Zolls, die nichts ergeben hätten.
Tag sei er in seiner Heimat gewesen und hätte in auf der Baustelle gearbeitet. Auf seiner Lohnabrech- Zudem bekomme Hochtief regelmäßig die Beschei-
Burduja arbeitete seit 2020 für die AS Bau GmbH. Deutschland gar keine Quittung unterschreiben nung taucht aber nicht mal die Hälfte auf. Der Rest nigungen der Soka-Bau über bezahlte Beiträge. Be-
Er sagt, sein Arbeitgeber beim Bau des One Tower können. Er legt Kaufbelege für Autobahnvignetten sei angeblich bezahlter Urlaub gewesen. stätigen sich die Vorwürfe, werde die Hochtief nicht
habe ihm das Geld, das die Soka-Bau verwaltet und aus Österreich und Rumänien vor. Demnach fuhr er Adrian Niculescu ist ratlos. Er habe keine andere mehr mit der AS Bau zusammenarbeiten.
das eigentlich für seinen Urlaub gedacht gewesen sei, am 18. Dezember hin – und erst am 15. Januar zu- Bleibe als den heruntergekommenen Gewerbebau Ihre Lage können Bauarbeiter am ehesten gemein-
vorenthalten. Wenn er in den Urlaub fuhr, habe er rück nach Deutschland. Die Arbeiter wenden sich und spricht nur gebrochen Deutsch. Er fragt sich aber: sam verbessern. Marian Marcu hat es geschafft. Auch
Die Welt von heute in satirischen Grafiken.
das unbezahlt machen müssen. Um seinen Vorwurf zusammen mit dem Peco-Institut an einen Rechts- Wenn es schon so etwas wie die Soka-Bau gebe, wa- er ist Rumäne, auch er hat sich schon mit deutschen
zu erhärten, legt er Lohnabrechnungen vor. Im Mai experten. Der Fall ist noch in Bearbeitung. rum gibt sie das Geld für den bezahlten Urlaub über- Arbeitgebern um bezahlten Urlaub gestritten, als er
Erhältlich im Buchhandel oder unter 2021 standen Burduja noch 23 Urlaubstage aus dem Der Arbeitgeber von Burduja war damals die AS haupt seinem Arbeitgeber – und nicht ihm direkt? einige Monate als Kranführer arbeitete. Am Ende hat
shop.zeit.de/TdW Vorjahr zu, dazu kommen 12,5 aus dem laufenden Bau GmbH, eines von mehreren Subunternehmen, »Das liegt am Bundesurlaubsgesetz, das eine Aus- er gewonnen. Weil er mit rechtlichen Schritten drohte­
Jahr. Und mit jedem weiteren Monat kamen weitere die mit dem Bau des One Tower zu tun hatten. Sie zahlung des Urlaubsgelds durch den Arbeitgeber vor- und den Betrug beweisen konnte. Und weil die rumä-
*Zzgl. Versandkosten | Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius
GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg zweieinhalb dazu. Bis Juli 2021 hatte Burduja so­ gehört Samir Muratovic. Er hat die Firma 2006 ge- sieht. Daran orientieren sich auch die Tarifverträge nischen Kranführer sich organisiert haben. »Wir
einen Urlaubsanspruch von 39,5 Tagen angehäuft. gründet und beschäftigt heute über 100 Mitarbeiter. der Bauwirtschaft«, sagt Gerhard Mudrack, einer der sprechen uns gegenseitig ab, welche Firmen uns gut
Im September 2021 trug sein Arbeitgeber Burduja Auf die Vorwürfe Burdujas angesprochen, dieser beiden Vorstände der Soka-Bau. Weil Arbeitgeber behandeln und welche nicht. Für Unternehmen, die
Jahren in Deutschland. Auch beim One Tower war 22 Urlaubstage ein. Gemäß seinem Arbeitgeber war sei teilweise schwarz bezahlt, ihm sei Urlaubsentgelt das Geld einzahlten, könnten sie es von der Sozial- uns über den Tisch ziehen, arbeiten wir nicht«, sagt
112801_ANZ_71x100_X4_ONP26 1
er dabei. Der bullige Mann wohnt in einem21.04.23 Heim 11:48Burduja also den ganzen Monat im Urlaub. Das vorenthalten und die Quittung sei nicht von ihm kasse auch zurückfordern. Ob sie es dann aber auch Marcu am Telefon. Von Deutschland hat er genug.
für Bauarbeiter in Frankfurt-Griesheim. Zwischen stimme nicht, sagt Burduja, und legt seine Stunden- unterschrieben worden, schreibt Muratovic der ZEIT: an die Bauarbeiter weiterreichten, müsse der Zoll Das Telefonat führt er von einer Baustelle in Bukarest
Autobahn und Bahngleisen leben hier mehrere­ zettel vor. 136 Stunden an 16 Tagen hat er demnach »Sämtliche Lohnzahlungen einschließlich sonstiger überprüfen, nicht die Soka-Bau. Es gebe nur eine aus, wo er gerade einen Wohnblock errichtet.
Hundert Menschen, meist Landsleute von ihm. Der in diesem Monat gearbeitet. Burduja sagt, dass er das Abgaben wie Urlaubsentgelt wurden korrekt geleis- Ausnahme, sagt Mudrack: »Wenn uns ein Bauarbei- Der Mitarbeiter der Soka-Bau, der seinen Namen
Luxusturm steht nur etwa drei Kilometer Luftlinie Geld nicht als Urlaubsentgelt erhalten habe, sondern tet.« Schwarzgeldzahlungen habe es nicht gegeben. ter konkrete Betrugsvorfälle vorlegt, können wir tätig nicht nennen will, teilt die Bedenken von Marcu. Der
entfernt, und doch liegen Welten dazwischen. der Arbeitgeber ihm seinen Lohn davon bezahlt habe. Muratovic wurde von der Kommunalen Aus- werden.« Solche Fälle kenne er aber nur aus Medien- einzige Ausweg bestünde darin, dass sich mehr Bau-
»Șerpărie« nennt Burduja seine Unterkunft, Elends- Er erklärt, dass er im Monat oft über 200 Stunden länder- und Ausländerinnenvertretung der Stadt berichten, nicht aus der täglichen Praxis. arbeiter zusammenschlössen und sich über die Ge-
viertel. Er sitzt im Trainingsanzug auf seinem Bett, gearbeitet hat. In den Lohnabrechnungen sind aber Frankfurt 2019 ausgezeichnet – als Migrant, der Ein Mitarbeiter der Soka-Bau, der aus Angst um werkschaften gemeinsam wehrten, sagt er: »Alles
auf dem Tisch steht eine Schüssel mit gegrilltem meist weniger eingetragen. »Herausragendes für die deutsche Gesellschaft« ge- seinen Job anonym bleiben will, widerspricht. Das andere ist zum Scheitern verurteilt.«
Vermögen
entsteht durch:

Urteilsvermögen.
In Zeiten hoher Inflation Verantwortung zu übernehmen für den Werterhalt eines uns anvertrauten Vermögens,
ist eine Aufgabe, die nie erledigt ist. Die man täglich neu betrachten und bewerten muss. Und die eine unternehme-
rische Freiheit voraussetzt, die es erlaubt, unabhängig zu denken und unabhängig zu entscheiden. In Summe ist es
also genau das, was uns zu dem macht, was wir heute sind: Deutschlands größter unabhängiger Vermögensverwalter.

KONSEQUENT UNABHÄNGIG
24
D
as Kilo Zucker: 71 Prozent teurer
als vor einem Jahr. Die Untersu-
chung beim Tierarzt: 38 Prozent.
Der Liter Milch: 29 Prozent. Wer
in diesen Tagen etwas bezahlen
muss, kommt ins Staunen. Geht das noch mit
rechten Dingen zu? Sind die Kosten durch den
Ukraine-Krieg und die knapper gewordene Ener-
gie wirklich so stark gestiegen?
Und dann diese Zahlen: Die Gewinne der 40
im deutschen Börsenindex Dax notierten Unter-
nehmen stiegen im vergangenen Jahr auf mehr als
170 Milliarden Euro. Ein Rekordwert. Ausgeschüt-
tete Dividenden an die Aktionäre: 75 Milliarden
Euro – ebenfalls ein Rekord.
Kann es sein, dass sich hier jemand unter der
beliebten, achselzuckend geäußerten Entschuldi-
gung »Alles wird teurer« die Taschen voll macht?
Dass Unternehmen die Preise viel stärker erhöhen
als nötig – nur um ihre Gewinne zu steigern?
Mehrere Studien belegen genau das. Die Infla­
tion, die ursprünglich vor allem von höheren Aus-
gaben für importiertes Erdöl und Erdgas getrie-
ben wurde, hat inzwischen auch einen anderen
Grund: Unternehmen nutzen die Krise, um ihre
Profite zu steigern. Verbraucherschützer, Gewerk-
schafter und einige Ökonomen sprechen schon
von einer Gewinninflation.
Deutlich wird der Trend zum Beispiel in einer
Studie von Experten der Europäischen Zentral-
bank (EZB). Sie kommen darin zu dem Schluss,
Was treibt die Preise?
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Metern Höhe liegt, die bis über die Galerie nach
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WIRTSCHAFT 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Absolute Gewinner
anstieg von Kartoffeln, Milch und anderen Agrar-
produkten verantwortlich sind. Aber Ragnitz, der
in der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts ar-
beitet, hat auch das ermittelt. Nach seiner Rech-
nung stiegen die Preise in der Landwirtschaft im
34,7 % vergangenen Jahr um knapp 35 Prozent. Davon
gingen 14 Prozentpunkte auf höhere Kosten für
Energie, Saatgut und andere Vorleistungen zurück,
1,5 Prozentpunkte auf höhere Löhne – und 19
Prozentpunkte auf die ausgeweiteten Gewinne. Dienstleistungen im vergangenen Jahr 9,6 Prozent.
Mit anderen Worten: Viele Agrarprodukte sind Davon ließen sich 6,9 Prozentpunkte durch höhe-
dass die Inflation in der Währungsunion immer 14,0 deutlich teurer geworden, als es die höheren Kos- re Kosten für Energie und andere Vorleistungen
stärker von einheimischen Faktoren bestimmt wird ten rechtfertigen würden. erklären, 1,2 Prozentpunkte durch höhere Löhne
und nicht so sehr von teuren Energieimporten. Ähnlich sieht es im Baugewerbe und im Handel und 1,5 Prozentpunkte durch höhere Gewinne.
Und der stärkste Treiber sind die höheren Gewinn- aus, auch dort sind immer größere Gewinnmargen Profite sind also, betrachtet man die gesamte Wirt-
margen, mit denen die Firmen heute operieren. So ein wesentlicher Treiber für die Teuerung. »Einige schaft, keineswegs der wichtigste Faktor.
wuchsen die Gewinne im vierten Quartal 2022 um Unternehmen scheinen den Kostenschub als Vor- Trotzdem wächst der Unmut über drastisch ge-
9,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Löhne wand zu nehmen, um durch noch höhere Preise stiegene Preise und Gewinne – insbesondere weil
dagegen stiegen nur halb so stark an, um 4,7 Pro- 1,5 ihre Gewinne zu steigern«, sagt Ragnitz. Allerdings sich viele Lebensmittel enorm verteuert haben.
zent. Viele Firmen, stellen die EZB-Ökonomen gilt das zwar für einzelne Branchen, aber nicht für »Wir beobachten da Preisentwicklungen, die für
fest, hätten es leicht gehabt, hohe Preissteigerun- die gesamte Wirtschaft. Dort ist von einer Ge- 16,2 % uns nicht mehr nachvollziehbar sind«, sagt Bern-
gen durchzusetzen. Ihre Kunden konnten kaum winninflation wenig zu sehen. Nach Berechnung hard Burdick, Leiter der Gruppe Markt und Kon-
durchschauen, ob der Grund dafür die steigenden des Forschers betrug die Preissteigerung für alle in sum bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-West-
Energiepreise waren – oder bloß höhere Profitziele. Deutschland produzierten Güter und erbrachten falen. So gebe es auf einmal gewaltige Preisunter-
Auch in Deutschland nutzen Unternehmer und 7,1 schiede bei Grundnahrungsmitteln, wie die Ver-
Selbstständige die Gunst der Stunde, wie Berech- braucherzentrale im März bei Testkäufen in zehn
nungen des Dresdner Ökonomen Joachim Ragnitz 19,3 Supermärkten in Nordrhein-Westfalen festgestellt
zeigen. Ihm zufolge schafften es insbesondere die habe. In einem Geschäft kostete etwa das Kilo
Landwirte, ihre Betriebsüberschüsse kräftig zu stei- 2,3 Mehl (Typ 405) bloß 55 Cent, im nächsten 1,89
gern – um 54 Prozent. Aus dieser Zahl allein lässt Euro, also mehr als das Dreifache. Bei Parboiled-
sich noch nicht ablesen, wie stark sie für den Preis- Reis lagen die Preise sogar um das Fünffache aus-
6,8
Landwirtschaft Baugewerbe
% Preissteigerung 2022 gegenüber 2021
Höhere Kosten für Energie und Vorleistungen
Höhere Löhne
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Noch immer enthalten vie- sundheits-Pionier und erste vorab in der Prüfkammer
le Bausubstanzen am Markt Adresse für wohngesundes auf Schadstoffe untersucht.
Schadstoffe und Chemika- Bauen. „Das muss einfach Verwendet werden nur Ma-
lien und es ist erwiesen, dass wichtig sein. terialien, die strengsten An-
sie der Gesundheit nachhal- forderungen gerecht werden.
tig schaden, oft schleichend
und lange Jahre unbemerkt. Als bisher einziger Haus-
Warum dennoch viele her- hersteller lässt Baufritz zur
kömmliche Haushersteller baubiologischen Qualitäts-
damit bauen? Vielleicht, weil sicherung jedes fertig erstell-
Bauherren zu wenig über die te Kundenhaus im Rahmen
Gefahren wissen. eines Zertifizierungssystems
(VDB-Zert) von unabhängi-
Stefan Schindele, mit verant- ger Stelle nochmals auf sämt-
wortlich für das hauseigene liche gesundheitsrelevanten
Team von rund 60 Baubio- Parameter überprüfen. Nur
logen bei Baufritz, setzt auf das gibt die Gewissheit, dass
Aufklärung und rät Bau- Aussagen zu Wohngesund-
herren, nachzufragen, denn: Stefan Schindele, Baubiologe heit tatsächlich umgesetzt
„Offenbar ist noch immer Bau-Fritz GmbH & Co. KG und eingehalten werden.
nicht allen Anbietern an
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DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 WIRTSCHAFT 25

Die Preise steigen, weil die Kosten steigen? Von wegen.

Viele Unternehmen erhöhen sie auch, um mehr Profit zu machen
  VON KOLJA RUDZIO

einander. »Das kann man nicht mit Energiekos-
ten oder dem Ukraine-Krieg erklären«, sagt Bur-
dick. »Da spricht viel dafür, dass einige Unter-
nehmen versuchen, ihre Einnahmen auszubau-
en.« Welche Firmen dabei besonders aufgefallen
seien, mag Burdick nicht sagen. »Das ist nur eine
Momentaufnahme, morgen kann das schon ein
anderer sein.«
Im Einzelfall lässt sich auch kaum nachweisen,
wer sich an seinen Kunden besonders bereichert.
Die Kostenkalkulation der einzelnen Unterneh-
men ist ja in der Regel nicht öffentlich. Und jede
Branche führt eigene Gründe dafür an, dass die
höheren Preise gerechtfertigt seien. Zum Beispiel
die Zuckerindustrie: Kaum ein anderes Produkt
hat sich in den vergangenen zwölf Monaten stärker
verteuert, das zeigen Daten des Statistischen Bun-
desamtes. Eine Sprecherin der Wirtschaftlichen
Vereinigung Zucker erklärt das so: Die Produktion
sei sehr energieintensiv. Aus zerkleinerten Rüben
wird mithilfe von heißem Wasser ein Zuckersaft
herausgelöst, der dann mit Wasserdampf immer
weiter eingedickt wird, bis Zuckerkristalle entste-
hen. Außerdem beeinflusse der Weltmarkt die
Preise in Europa. Und Brasilien, einer der größten
Produzenten, habe sein Zuckerrohr zuletzt vor­
allem genutzt, um Bioethanol herzustellen – also
Treibstoff statt Süßstoff. Deshalb sei das Angebot
geringer gewesen. Und weniger Angebot, so die
Marktlogik, führt eben zu höheren Preisen.
Ganz anders begründen die Tierärzte ihre um
38 Prozent gestiegenen Preise. In den Daten des
Statistischen Bundesamtes rangieren Veterinärleis-
tungen bei der Teuerung weit oben, auf Platz elf
von insgesamt 440 Produkten und Dienstleistun-
gen. Im November sei eine neue Gebührenord-
nung in Kraft getreten, erklärt eine Sprecherin des
Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte den
Preissprung. Die allgemeine Untersuchung eines
13,9 % Hundes koste nun – wird der niedrigste Satz abge-
rechnet – 23,62 Euro statt bisher 13,47 Euro, und
für eine Katze seien ebenfalls knapp 24 Euro statt
bisher 8,98 Euro fällig. Zuletzt habe das Bundes-
ministerium für Ernährung und Landwirtschaft
die Preise 2017 angepasst. Seither hätten sich die
12,3 Löhne für tiermedizinische Fachangestellte und
viele andere Kosten erheblich erhöht, argumentiert
der Verband.
In den vergangenen Monaten sorgten vor allem
die Hersteller von Markenprodukten wie Mars
und Coca-Cola für Aufsehen. Einige Händler war-
fen ihnen überzogene Preisforderungen vor und
nahmen ihre Produkte aus dem Regal. Der Ver-
braucherschützer Burdick meint, Hersteller und
Handelsketten schöben sich gegenseitig die Ver-
antwortung zu. Klar ist: Die Preise im Lebensmit-
telsektor sind stärker gestiegen als die Kosten. Das
zeigt zum Beispiel eine Marktanalyse von Ökono-
men der Allianz. Danach lassen sich etwa zehn
Prozent des Preisanstiegs bei Lebensmitteln in­
Europa seit Mitte vergangenen Jahres nicht durch
zusätzliche Kosten erklären. Der Grund dafür seien
vielmehr »die überschießenden Gewinnmitnah-
men der Unternehmen«.
Was muss geschehen, um das zu verhindern?
Burdick fordert eine öffentliche Stelle, die die
Preisentwicklung bei Lebensmitteln überwacht
und bei Auffälligkeiten einschreiten kann. Der Ifo-
Ökonom Ragnitz hält solche staatlichen Eingriffe
für unnötig. Er glaubt: »Der Wettbewerb und
steigende Löhne werden die Gewinne wieder ab-
11,5 %
9,6 %
6,2
6,9
1,0
schmelzen.« Das Phänomen der Gewinninflation
sei »mehr oder weniger ein Einmaleffekt«, die Ent-
wicklung aus dem vergangenen Jahr werde sich
nicht immer weiter fortsetzen.
Auch die Allianz-Ökonomen prognostizieren,
dass es in der zweiten Jahreshälfte zu einem deut-
lichen Umschwung kommen werde. Die Preise
für Lebensmittel würden dann kaum noch steigen
und schließlich sinken. Und der Chefökonom der
Europäischen Zentralbank, Philip Lane, erklärte
kürzlich schon im Interview mit der ZEIT, der
Spielraum für Unternehmen, ihre Preise zu erhö-
hen, werde in diesem Jahr deutlich schrumpfen.
»Dafür gibt es viele Gründe: Die Nachfrage
dürfte­sich abkühlen, und die Lieferengpässe soll-
ten sich auflösen.«
Viel spricht also dafür, dass die Zeit des großen
Abkassierens nicht von Dauer ist. Letzten Endes,
meint Joachim Ragnitz, könnten auch die Ver-
braucherinnen und Verbraucher dazu beitragen.
»Im Supermarkt gibt es ja bei vielen Produkten
eine große Auswahl, also zum Beispiel 15 verschie-
dene Sorten Joghurt, da kann man sich als Konsu-
ment bewusst für das billigere Produkt entschei-
den oder auch mal die Angebote in einem anderen
Geschäft vergleichen.« Die Preissetzungsmacht der
Firmen stoße nur dann an Grenzen, wenn die
Kunden für den nötigen Wettbewerbsdruck sorg-
ten. Mit anderen Worten: Um die Gewinninfla­
tion zu stoppen, nützen keine Appelle, wichtiger
sind Kaufentscheidungen.

4,3 1,2
0,8
0,8 1,5

Industrie Handel, Verkehr, Gesamtwirtschaft ZEIT- GRAFIK/Quelle: ifo-Institut

Gastronomie

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DEUTSCHEN FERTIGBAUS
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EinZeitverlags
Spezial des Zeitverlags 21

TAG DES DEUTSCHEN FERTIGBAUS

Aktionstag der Fertighausbranche
BDF / FABIAN TEWS »Wer über einen Hausbau nach- von rund 30 Hausherstellern des Informationen über Fertighäuser zum selbst ausbauen oder gleich gebaut, schützen Fertighäuser au- zudem eine Festpreisgarantie und oder mehrerer Haushersteller ist
denkt, sollte sich am besten mit BDF zu besuchen, die spannen- sowie Eindrücke von deren indus- einziehen. Sie sind ein passendes ßerdem das Klima und lassen sich einen auf Wunsch vertraglich ver- der Tag des deutschen Fertigbaus
Am Sonntag, 7. Mai 2023 ist »Tag eigenen Augen von den Vorzü- de Einblicke hinter die Kulissen trieller Herstellung sammeln und Zuhause für Familien, Paare und dank niedriger Energiekosten be- einbarten Einzugstermin. »Ein perfekt geeignet«, so der BDF-Ge-
des deutschen Fertigbaus«. Rund gen moderner Holz-Fertighäuser der modernen Hausfertigung ge- ein buntes Rahmenprogramm für Singles, die sich mit einem Eigen- sonders komfortabel bewohnen. Hausbau ist eine der wichtigsten schäftsführer.
30 Haushersteller des Bundes- überzeugen«, sagt der Geschäfts- währen. »Der Tag des deutschen die ganze Familie erleben möch- heim von steigenden Mieten un- Eine staatliche Förderung ermög- Entscheidungen des Lebens, da- Welche Haushersteller an wel-
verbandes Deutscher Fertigbau führer des Bundesverbandes Fertigbaus ist ein bundesweiter ten«, so Hannott. abhängig machen und für das licht zinsgünstige Darlehen und für braucht es größtmögliche Si- chen Standorten ein Programm
(BDF) laden Bauinteressenten Deutscher Fertigbau, Achim Han- Aktionstag für alle Bauinteres- Moderne Holz-Fertighäuser Alter vorsorgen möchten. Indivi- bei den Mitgliedsunternehmen cherheit und einen zuverlässigen anbieten, erfahren Interessierte on-
ein, die Vorzüge moderner Holz- nott, und empfiehlt, am Sonntag, sierten, die ganz einfach und gibt es heute in unzähligen Varia- duell geplant sowie effizient und des Bundesverbandes Deutscher Baupartner«, sagt Achim Hannott. line unter www.tag-des-deutschen-
Fertighäuser zu erleben. 7. Mai 2023, einen oder mehrere unverbindlich aus erster Hand tionen und in allen Preisklassen ressourcenschonend aus Holz Fertigbau bekommen Bauherren »Auch zum Kennenlernen eines fertigbaus.de. 

Mit WeberHaus nachhaltig und energieeffizient bauen

der Weber-Häuser bei. In Kom-
bination mit Photovoltaik-Anlage,
Batteriespeicher sowie Wärme-
und Lüftungstechnik erhält man

| Sehen, fühlen, erleben – Traumhäuser live

EIN BEITRAG DER
WEBERHAUS GMBH & CO. KG
Klimafreundliches und nachhal-
tiges Bauen lohnt sich in vielerlei
Hinsicht: Mit dem Einsatz von
umweltfreundlichen und schad-
stoffarmen Materialien erschafft
man ein Gebäude, das zeitge-
mäßen ökologischen Standards
gerecht wird. Gleichzeitig wird
das Eigenheim im Unterhalt güns-
tiger, da Energiekosten gespart
werden. Die hohen Anforderun-
gen an Klimaeffizienz lassen sich
hervorragend mit Holz als Bau-
material erfüllen. Für die Fertig-
häuser von WeberHaus wird Holz
aus nachhaltiger Forstwirtschaft
genutzt. Die ökologische Gebäu-
dehülle ÖvoNatur Therm trägt
zur besonderen Energieeffizienz
so ein PlusEnergie-Haus, mit
dem man mehr Energie erzeugt,
als für Heizung und Warmwas-
seraufbereitung gebraucht wird.
Mit einem Smart-Home-System
können die Bewohner zudem
Stromverbraucher gezielt steu-
ern, um den Energieverbrauch
zu reduzieren. Beim Fertighaus-
spezialisten Weber Haus sind
diese Komponenten bereits im
Standard enthalten. Das einzig-
artige Wohlfühlklima können Mehr als 39.000 Projekte seit
Besucher in den über dreißig 1960. Individuell geplant und
nachhaltig gebaut. So hat
Musterhäusern in ganz Deutsch- sich WeberHaus zu einem
land erleben. Zum Tag des deut- der Marktführer im Hausbau
schen Fertigbaus am 7. Mai hat entwickelt.
WeberHaus an den Standorten
in Rheinau-Linx und Wenden- KONTAKT
Hünsborn ein buntes Familien- WeberHaus GmbH & Co. KG
Am Erlenpark 1
programm und Werksführungen
77866 Rheinau-Linx
vorbereitet. Mehr Infos unter Tel. (07853) 83 832
www.weberhaus.de.  www.weberhaus.de

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Gussek-Haus
Franz Gussek GmbH & Co. KG
gussek.link/tdd Besichtigen
Verlag: ZEIT Verlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Helmut-Schmidt-Haus, 20095 Hamburg; Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser;
Art Direction: Kay Lübke, Dietke Steck; Realisierung: Studio ZX GmbH – Ein Unternehmen der ZEIT Verlagsgruppe, Projektmanagement: Fritz
Tel.: +49 5921 174-0 Sie Gussek- Lüders; Grafik: Sonja Feldkamp; Illustration: iStockphoto.com – Janista; Produktmanagement: Alexandra Frantz Chief Sales Officer ZEIT
Euregiostr. 7 · 48527 Nordhorn Musterhäuser Verlagsgruppe (ad interim): Dr. Hanna Proner Director Sales Consumer & Corporate Brands: Michael Zehentmeier, Tel. +49 (0) 40 / 3280-310,
www.gussek-haus.de in Ihrer Nähe michael.zehentmeier@zeit.de; Anzeigenpreise: Preisliste 68 vom 1. Januar 2023

Zukunftssicheres Bauen

NACHHALTIGE UND FÖRDERFÄHIGE wahrt FingerHaus-Kunden dadurch

vor hohen Heizkosten.
am Standort in Frankenberg/Eder
klimaneutral. Hierzu hatte das Unter-

EINFAMILIENHÄUSER VON FINGERHAUS

Der Traum vom eigenen Zuhause wird
aktuell durch hohe Energiekosten
und steigende Bauzinsen für viele er-
schwert. Eine Lösung bietet Finger-
Haus mit seinen Fertighäusern aus
Holzständerbauweise: Das nordhessi-
sche Unternehmen setzt seit jeher auf
innovative Hauskonzepte, die nicht
nur energiesparend sind, sondern für
die Bauherren aktuell auch attraktive
Fördermöglichkeiten erhalten.
So wird der Traum von den eigenen vier
Wänden nicht nur greifbar, sondern
auch zukunftsfähig.
FingerHaus-Kunden schauen ent-
spannt in die Zukunft, da steigende
Gaspreise und die Diskussionen um die
Wärmepumpe für sie keine Rolle spie-
len. Denn der Fertighaushersteller hat
frühzeitig die Weichen für das nach-
haltige Bauen und Wohnen gestellt:
Die Hauskonzepte des Familienunter-
nehmens wurden stetig optimiert, um
möglichst wenig Energie zu verbrau-
chen. Dadurch erfüllt aktuell jedes
Finger-Haus die hohen Anforderungen
eines Effizienzhaus 40 – es verbraucht
also nur 40 % der Energie eines Re-
ferenzgebäudes nach aktuellem Ge-
bäudeenergiegesetz. Zudem setzt das
Unternehmen bereits seit 2005 auf er-
neuerbare Energien und ist damit Vor-
reiter beim Einsatz von modernster
Wärmepumpentechnik.
Seit 2016 werden 100 % aller neu ge-
bauten Finger-Häuser mit regenera-
tiver Energie beheizt. Zum Vergleich:
Im Neubau insgesamt lag der Anteil
zum gleichen Zeitpunkt laut Sta-
tistischem Bundesamt bei lediglich
53 %. Die energetische Komplett-
lösung wird durch eine kontrollierte
Be- und Entlüftungsanlage mit Wär-
merückgewinnung und einer Fußbo-
denheizung vervollständigt und be-
Nicht nur bei der Heiztechnik setzt
das Unternehmen auf Nachhaltigkeit.
Auch der Baustoff Holz ist ein echtes
Klimawunder, da er ein natürlicher
und nachwachsender CO2-Speicher
ist: Das für ein Finger-Haus benötigte
Holz wächst in Deutschland durch-
schnittlich in 23 Sekunden nach.
Zudem sorgt das verwendete Fich-
tenholz für ein wohngesundes Raum-
klima.
Durch den hohen energetischen
Standard und die Verwendung
regenerativer Heiztechnik erfüllen
Finger-Häuser alle Voraussetzungen,
um die aktuellen staatlichen Förder-
mittel der Neubauförderung »Klima-
freundlicher Neubau« (KFN) zu erhal-
ten. Wenig überraschend ist auch,
dass FingerHaus als eines der ersten
Unternehmen seinen Bauherren die
Zertifizierung mit dem „Qualitäts-
siegel Nachhaltiges Gebäude“ (QNG-
Siegel) anbietet. Mit diesem Siegel
können Bauherren sogar die höchs-
te Förderstufe in Anspruch nehmen
und von zinsgünstigen Krediten von
maximal 150.000 € profitieren, die
zu einer Zinsersparnis von bis zu
50.000 € führen.
Nachhaltig sind jedoch nicht nur die
Finger-Häuser selbst, sondern auch
deren Produktion. Denn FingerHaus
produziert die eigenen Fertighäuser
DER RICHTIGE
BAUPARTNER BIETET:
• Effizienzhaus 40 im Standard
• Förderfähigkeit gemäß
KFN-Richtlinien
• Nachhaltige Produktion
• Festpreisgarantie
• Termingarantie
• 100 % Individualität
• Alles aus einer Hand
• Mehr Inklusivleistungen
nehmen seit Anfang der Jahrtausend-
wende begonnen, Schritte zu unter-
nehmen, die den Energieverbrauch im
Unternehmen senken, die Belastun-
gen für Umwelt und Klima minimieren
und den eigenen CO2-Fußabdruck
reduzieren. Dies geschieht am Fir-
mensitz beispielsweise durch Pho-
tovoltaikanlagen, die bereits heute
einen großen Teil des eigenen Strom-
bedarfs abdecken. Durch Elektro-
mobilität, Wärmerückgewinnung und
intelligente Beleuchtungssysteme in DER SICHERSTE WEG ZUM
Produktion und Verwaltung konnten
NACHHALTIGEN TRAUMHAUS
die CO2-Emissionen zudem weiter re-
duziert werden. Der rechnerisch ver- MIT FINGERHAUS
bleibende CO2-Fußabdruck wird durch
zwei ausgewählte Kompensations- Seit über 75 Jahren baut das Familien-
projekte in Indonesien und Peru aus- unternehmen FingerHaus innovative
geglichen. und nachhaltige Fertighäuser in Holz-
fertigbauweise. Über 750 Bauherren
entscheiden sich jedes Jahr für Finger-
Haus und damit für den sichersten Weg
zum eigenen Zuhause.
Melden Sie sich hierzu zum
»Tag des deutschen Fer-
FingerHaus live erleben: tigbaus« bei FingerHaus
Wem ein energieeffizientes, nachhal- an. Und erleben Sie das
tig produziertes und wohngesundes Thema »Zukunftssich heres
Zuhause wichtig ist und wer dabei Bauen« live!
von staatlichen Fördermitteln pro-
fitieren möchte, ist bei FingerHaus FingerHaus GmbH
genau richtig. Live überzeugen kön- Auestraße 45
nen sich Interessierte am »Tag des 35066 Frankenberg (Eder)
deutschen Fertigbaus« am Sonntag, Telefon 06451 504 560
dem 07. Mai 2023 bei FingerHaus in hausbau@fingerhaus.de
Frankenberg/Eder. Unter dem Motto
»Zukunftssicheres Bauen« erwartet Alle Informationen zum Bauen mit
Besucher an diesem Tag ein span- FingerHaus erhalten Sie unter
www.fingerhaus.de
nendes Programm mit zahlreichen
Highlights: Führungen durch die kli-
maneutrale Produktion, die einmalige
Ausstattungsvielfalt in der Ideenwelt,
der Musterhauspark mit drei Finger-
Häusern und spannende Impulsvor-
träge zum Thema »Zukunftssicheres
Bauen«!
DIE3 ZEIT N o 18 27. April 2023 WIRTSCHAFT Ein Spezial des Zeitverlags | NAME SONDERTHEMA | ANZEIGE27

Wirtschaft in einem Satz Sollte man der Ehefrau oder dem Ehemann einen Teil
seiner Rentenpunkte abgeben? Lohnt sich das,
oder kann es irgendwann zur bösen Finanzfalle werden?
Warum lang, wenn es auch kurz geht?
Was diese Woche sonst noch los war

ZEIT für Geld

Gewachsen: Das Durchschnittsvermögen
deutscher Privathaushalte stieg 2021 nach
Daten der Bundesbank auf 316.500 Euro
Liebe Leserin, lieber Leser, sammelten Punkte zusammengezählt und denen sie gearbeitet und Beiträge gezahlt
und betrug damit 120.000 Euro mehr als in eine monatliche Rente umgerechnet. Ob
viele Menschen haben eine falsche Vor- verheiratet oder nicht, spielt keine Rolle,
haben, auch Zeiten der Kindererziehung,
der Arbeitslosigkeit und der Krankheit.
stellung von der gesetzlichen Rentenver- jede und jeder hat ein eigenes Konto bei Das Rentensplitting ist mit einem gra-
zehn Jahre zuvor Gegangen: Martina sicherung: Sie glauben, dass ihre Beiträge der Rentenversicherung. Bei Eheleuten
bei der Rentenkasse verwahrt werden und sind die Anwartschaften meistens unter-
vierenden Nachteil verbunden: Stirbt ein
Partner, hat der andere keinen Anspruch
Merz tritt als Vorstandsvorsitzende von dass sie sie im Alter mit Zinsen zurück- schiedlich hoch.
bekommen. Aber so funktioniert die­ Es gibt Paare, die diesen Unterschied teil-
auf eine zusätzliche Rente als Witwe oder
Witwer. Es gibt andererseits aber Fälle, in
Sache nicht. In der Rentenversicherung weise ausgleichen möchten. Sie haben das denen der länger lebende Partner ohnehin
Thyssenkrupp zurück und wird vom sammelt man Punkte, die auf einem Recht, ein Rentensplitting durchführen zu
Renten­konto verbucht werden – und die- lassen. Dabei werden die während der Ehe
keine Hinterbliebenenrente bekommen
würde. Auf solche Renten werden (bei
ses System muss man sehr genau verste- angesammelten Rentenpunkte beider Part- Heirat nach 2001) nämlich alle Arten von
Aufsichtsrat Miguel Ángel López Borrego hen, um zu entscheiden, ob man seiner ner addiert und anschließend durch zwei
Lebenspartnerin oder dem Lebenspartner geteilt. Hat der Ehemann also 45 Renten-
Einkommen angerechnet, also nicht nur
die eigene Rente, sondern auch zum Bei-

abgelöst Gekauft: Der Heizungsbauer unter bestimmten Umständen einige die- punkte gesammelt und seine Frau 25, sind
ser Punkte übertragen sollte. Ob es sich das zusammen 70 Punkte, also 35 für jeden,
spiel Betriebsrenten, Mieteinkünfte oder
Kapitalerträge.
also lohnt, ein sogenanntes Rentensplit- vereinfacht ausgedrückt. Oder anders gesagt: Das bedeutet: Wer selbst eine gute
Viessmann soll laut Medienberichten ting zu betreiben. Der Ehemann gibt zehn Punkte an seine
Die Grundlage der Rentenberechnung Frau ab, deren Rente dadurch deutlich hö-
Rente bezieht oder noch weitere Einkünfte
hat, kann nach dem Tod des Partners
sind Entgeltpunkte, die man im Lauf eines her ausfällt, während seine eigene entspre- möglicherweise nicht oder nur wenig
teilweise vom US-Unternehmen Carrier Arbeitslebens gutgeschrieben bekommt. chend vermindert wird. Die Grundidee
Einen vollen Entgeltpunkt bekommt man, hinter einer solchen Umverteilung ist, dass
von dessen Hinterbliebenenrente profitie-
ren. Dann ist das Rentensplitting günstig.
wenn man exakt so viel verdient hat wie der die von beiden erworbenen Rentenansprüche Es gibt auch Fälle, in denen das Renten-
Global übernommen werden Geschasst: Durchschnitt aller abhängig Beschäftigten. als Ergebnis einer gemeinschaftlichen Le-
Verdient ein Arbeitnehmer weniger, zum bensleistung angesehen werden.
splitting dafür genutzt werden kann,
überhaupt eine eigene Rente für einen der

Der Funke-Verlag hat die Chefredakteurin Beispiel nur die Hälfte des Durchschnitts- Das Splitting ist aber nur für Paare
entgelts, erhält er für seine Rentenbeiträge möglich, die nach 2001 geheiratet haben.
beiden Partner zu beschaffen – weil dieser
allein nicht die Mindestanforderungen
einen halben Punkt. Daneben gibt es Punkte­ Wer vorher die Ehe geschlossen hat, darf dafür erfüllt hätte.
der »Aktuellen« entlassen, nachdem die etwa auch für die Kindererziehung. die Punkte nur dann umbuchen lassen, Das Rentensplitting ist also eine ziemlich
Illustration: Arne Bellstorf für DIE ZEIT

Jeder Rentenpunkt ist bares Geld wert. wenn beide Eheleute nach 1961 geboren komplizierte Angelegenheit. Daher sollten
Derzeit erhält ein Rentner im Westen pro wurden. Außerdem verlangt das Gesetz, Sie sich vorher gründlich von der Deutschen
Illustrierte ein von einer künstlichen Punkt 36,02 Euro Rente im Monat, im dass beide Partner mindestens 25 Jahre
Osten sind es 35,52 Euro. Erreicht ein Ar- rentenrechtlich bedeutsame Zeiten hinter
Rentenversicherung beraten lassen.

beitnehmer das Rentenalter, werden die ge- sich haben. Das sind neben Zeiten, in Ihr Rüdiger Jungbluth
Intelligenz erfundenes Interview mit
Michael Schumacher gedruckt hatte In unserer Kolumne beantworten wir jede Woche eine Geldfrage. Es schreiben im Wechsel: Die freie Autorin Mona Linke und
der langjährige ZEIT-Autor Rüdiger Jungbluth. Stellen Sie Ihre Fragen unter: www.zeit.de/geldfrage

2 Ein Spezial des Zeitverlags | TAG DES DEUTSCHEN FERTIGBAUS | ANZEIGE

Fertighäuser schützen das Klima

BDF / FABIAN TEWS
Häuser aus Holz sind Klima-
schützer, denn sie binden klima-
schädliches CO2 . Während seines
Wachstums lagert das natürliche
Baumaterial aus dem Wald Koh-
lenstoff in seiner Zellstruktur ein
und gibt frischen Sauerstoff an die
Umwelt ab. Solange das Holz nicht
verrottet oder verbrannt wird,
wird der Kohlenstoff nicht wieder
als CO2 freigesetzt. Auf diesen na-
türlichen Prozessen aufbauend
engagieren sich die Hersteller des
Bundesverbandes Deutscher Fer-
tigbau (BDF) seit Jahren dafür,
Ein- und Zweifamilienhäuser, aber
zunehmend auch größere Objekt-
und Wohnungsbauten besonders
nachhaltig aus Holz zu errichten.
Sie verpflichten sich zu strengen
Qualitäts- und Nachhaltigkeits-
standards.
»Entscheiden sich Menschen
für langlebige Holzprodukte wie
Fertighäuser, die ihren Ursprung
in nachhaltig bewirtschafteten
Wäldern haben und die über Jahr-
zehnte CO2 binden, hilft das un-
mittelbar auch dem Klima. Denn
gemeinsam entlasten unsere Wäl-
der und nachhaltige Holzproduk-
te die Umwelt am besten«, sagt
Georg Lange, Geschäftsführer des tern hierzulande nachgewachsen vor allem in Holz-Tafelbauweise, tive Energiebilanz. Sie erzeugen gedämmten Häusern besonders wirken«, so BDF-Geschäftsführer
Bundesverbandes Deutscher Fer- ist. »Die Haushersteller im BDF die zu einem gesunden Gleich- also mehr Energie als ihre Bewoh- klimafreundlich. Der Branchen- Georg Lange. Damit Bauherren
tigbau (BDF). verpflichten sich, nur Holz aus gewicht zwischen Menschen und ner benötigen. verband BDF sieht in der neu- ein zinsgünstiges Darlehen aus
nachhaltiger Forstwirtschaft zu Umwelt beitragen. en KfW-Förderung für klima- dem Förderprogramm »Klima-
Holz aus nachhaltiger Forstwirt- verwenden«, erklärt Lange. Zukunftsfähige Holz-Fertighäuser freundliche Wohngebäude einen freundlicher Neubau – Wohn-
schaft Energieeffiziente Gebäude Das Wenig an Energie, das Be- wichtigen Gradmesser dafür, wie gebäude (297, 298)« bekommen
Auch wenn man es ihnen von au- Ressourcenschonende Holz- Aus hochgedämmten Bauteilen, wohner von Fertighäusern ver- Häuser ganzheitlich geplant und können, muss ihr Neubau als Ef-
ßen nicht immer ansieht, so beste- Tafelbauweise die industriell vorgefertigt und brauchen, wird seit Jahren gebaut werden müssen, um zu- fizienzhaus 40 gedämmt sein und
hen Fertighäuser zu einem Groß- Fertighäuser schonen Ressourcen, präzise miteinander verbunden überwiegend mit Technologien kunftssicher zu sein und zu einem auf fossile Energieträger für die
teil aus Holz. Da in Deutschlands denn sie ersetzen energie- und werden, entstehen Fertighäuser gedeckt, die auf erneuerbaren nachhaltigen Gebäudebestand Heizung verzichten. Außerdem
Wäldern schon seit 300 Jahren das CO2-intensive Baumaterialien und mit überdurchschnittlich hoher Energieträgern aufbauen. Über 90 beizutragen. »An diesen Förder- müssen weitere Nachhaltigkeits-
Prinzip der Nachhaltigkeit gilt, Bauweisen. Ein Nachhaltigkeits- Energieeffizienz. Ihr Jahresbedarf Prozent der Fertighäuser werden kriterien sind die Qualitäts- und kriterien wie Obergrenzen beim
dauert es nach BDF-Berechnun- ziel der Fertighausindustrie ist es, an Energie lässt sich mit niedri- mit einer Wärmepumpe beheizt. Nachhaltigkeitsstandards mo- CO2 -Ausstoß im Lebenszyklus des
gen gerade einmal 23 Sekunden, nicht möglichst viel Holz, sondern gen Energiekosten decken. Immer Die eigene Stromgewinnung oder derner Holz-Fertighäuser schon Gebäudes eingehalten werden.
ehe die Holzmenge für ein durch- das Naturmaterial möglichst effizi- öfter erreichen Fertighäuser mit der Betrieb der Wärmepumpe ausgerichtet. Die Branche ist be- Weitere Informationen unter
schnittliches Fertighaus mit einer ent zu verbauen in schlanken und einer eigenen Photovoltaikanlage über einen Grünstromtarif ma- reit, am Erreichen nationaler und www.fertigbau.de und www.fertig
Wohnfläche von 140 Quadratme- hochgedämmten Konstruktionen sogar eine aufs Jahr gesehen posi- chen diese Heizungsart in hoch- internationaler Klimaziele mitzu- hauswelt.de. 

Das Traumhaus der Zukunft
EIN BEITRAG VON
NEXT BY DANWOOD
Raumhohe Panoramafenster,
klare Linien und modernes Design
zeichnen die NEXT-Häuser von
Danwood aus. Das Besondere an
diesen stylischen Holz-Fertighäu-
sern ist ihre innovative Modulbau-
weise. Attraktive Architektur und
praktische Grundrisse werden durch
modernste Haustechnik ergänzt:
Wärmepumpe mit Fußbodenhei-
zung, zentrale Wohnraumlüftung,
Photovoltaikanlage mit Speicher-
batterie, elektrische Rollläden und
ein umfangreiches Smart-Home-
System machen die Bungalows
und Stadtvillen mit dem Energie-
label Effizienzhaus 40 Plus klima-,
umwelt- und vor allem bewohner-
VORZÜGE EINES
MODULHAUSES
Beim Modulhaus werden
Räume einzugsfertig auf die
Baustelle geliefert – als fertig
ausgestattete Module und mit
Einbauküche. Die Nahtstellen
werden kaschiert, die Technik
angeschlossen und das Dach
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Danwood S.A.
Justus-von-Liebig-Str. 7
12489 Berlin
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www.danwoodnext.de
NEXT-Musterhäuser in
Fellbach (Stuttgart) und
Poing (München)
freundlich. Die NEXT-Modulhäuser
sind schnell gebaut und damit per-
fekt für Bauherren, die rasch ins neue
Zuhause einziehen möchten.
Das Gefühl von Zuhause
EIN BEITRAG VON
FINGERHUT HAUS
Was macht aus einem Haus ein
Zuhause? Die Bewohner. Damit
sich Fingerhut Haus-Kunden
in ihren eigenen vier Wänden
zuhause fühlen, setzt Fingerhut
Haus auf ein Höchstmaß an Sorg-
falt, Können und Qualität. Tradi-
tionelles Handwerk mit über
115 Jahren Erfahrung kombiniert
mit innovativer Technologie – das
Ergebnis: Zukunftsfähige Häu-
ser, die ihren Bewohnern ein ech-
tes Zuhause bieten. Geplant und
gebaut von Meistern ihres Faches
aus besten Materialien. Finger-
hut Haus baut ausschließlich mit
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Verantwortung.  zahlreiche innovative Ideen und Tag ab.  hat sich bereits früh auf energie- Wärmepumpe beheizt. 

28
UNTERHALTUNG
»18 Leoparden geliefert, abgehakt, finito«
Die offizielle Interview-Anfrage an Andrij
Melnyk über das ukrainische Außenministerium
bleibt unbeantwortet. Das Treffen vereinbaren
wir per Whats­App. Melnyk nimmt sich schon
am darauffolgenden Nachmittag Zeit. Er
schlägt das Café Bassano vor. Es liegt einen
fünfminütigen Spaziergang vom Außenministe-
rium entfernt und ist eine beliebte Adresse für
Politikertreffen. Im Hintergrund läuft Pop­
musik, in der Theke liegen Eclairs und Torten-
stücke aus. Melnyk trägt Anzug, Hemd und
Krawatte, anders als viele Politiker, die sich seit
Kriegsbeginn legerer kleiden, oft in Oliv- und
Brauntönen.
DIE ZEIT: Herr Melnyk, Sie sind seit einem hal-
ben Jahr wieder zurück in Kiew. Haben Sie sich
gut eingelebt nach sieben Jahren in Deutschland?
Andrij Melnyk: Das hier ist meine Heimat. Ich
komme aus Lwiw, aber ich habe seit 1997 in Kiew
gelebt, also mehr als 25 Jahre. Ich liebe diese schöne
Stadt, Unesco-Weltkulturerbe. Umso schmerzhaf-
ter ist es, jetzt so viele Kriegsnarben zu sehen, und
es werden immer mehr. Gestern haben wir einen
guten Freund verloren in Bachmut.
ZEIT: Das tut mir leid.
Melnyk: Er war ein toller Anwalt. Er war freiwillig
dort und kämpfte an der vordersten Front. Vor
drei Tagen hat er meiner Frau noch zum Geburts-
tag gratuliert, und gestern ist er gefallen. Das geht
tief. Es ist schrecklich zu beobachten, dass alles,
was wir Ukrainer seit der Wende mühsam aufge-
baut haben, von den Russen so brutal zerstört
wird. Waren Sie 2021 vor dem Kriegsbeginn hier?
ZEIT: Nein, das letzte Mal war ich 2016 länger in
Kiew.
Melnyk: Schade. Meine Frau und unsere Tochter
verbrachten die Sommerferien 2021 in Kiew und
wollten nicht mehr zurück nach Berlin. Es herrschte
wahre Aufbruchstimmung. Nachdem die Genera-
tion meiner Eltern und die meiner Großeltern ein-
fach nur versucht haben zu überleben, haben die
Menschen 30 Jahre nach der Unabhängigkeit zum
ersten Mal das Leben wirklich genießen können.
Vor allem die unbegrenzte Freiheit.
ZEIT: Das ist jetzt anders.
Melnyk: Das ist leider ganz anders, weil viele flie-
hen mussten. Ich wohne in einem Hochhaus am
Stadtrand. Wenn ich abends nach Hause komme,
brennt nur ein Drittel der Lichter. Ein Großteil
der Leute ist weg, vielleicht sind sie in der West-
ukraine, vielleicht in Polen oder in Deutschland.
Die Menschen sind besorgt, man sieht oft Traurig-
keit in den Augen. Sie befürchten, dass dieser Alb-
traum noch lange dauern kann.
ZEIT: Wir hatten heute kurz nach Mitternacht
wieder Luftalarm. Nehmen Sie die Sirene noch
wahr?
Melnyk: Klar. Meine Frau und ich waren noch
wach. Aber ich muss Ihnen beichten: Ich war noch
nie im Schutzbunker oder in unserer Tiefgarage.
Das ist fahrlässig, aber ich nehme das Risiko auf
mich. Die Schulen dürfen das nicht. Meine Nichte
ist sieben Jahre alt, sie wurde im September einge-
schult. Sie muss über die Hälfte der Schulzeit im
Keller verbringen. Man hat die Kindheit einer
ganzen Generation zunichtegemacht. Das werde
ich den Russen nie vergeben, nie.
ZEIT: Ihre Tochter verbrachte den Großteil ihres
Lebens mit Ihnen und Ihrer Frau in Berlin. Aktuell
suchen Sie nach einer neuen Schule für sie.
Melnyk: Ja, die Deutsche Schule Kiew, die sie hier
besuchen würde, gibt leider nur Online-Unter-
richt. Nur ein Bruchteil der Schulen hier arbeitet
off­line. Wir sehen uns nach einer Schule um, die
einen Bunker hat. Meine Nichte muss immer
beim Luftalarm zur U-Bahn laufen, das sind 15
Minuten, dann wieder zurück. Es ist eine Tortur.
Pawlo Klimkin betritt das Lokal. Melnyk unter­
bricht sich und grüßt. »Das ist der ehemalige
Außenminister und mein Vorgänger als Bot-
schafter in Berlin«, sagt er. »Seine Frau ist die
künftige Botschafterin in Portugal.«
ZEIT: Viele ukrainische Familien wurden aus­
einandergerissen, manchmal, weil der Mann an
der Front kämpft, manchmal, weil die Frau und
die Kinder in den Westen geflohen sind. Im Osten
des Landes sind die Spielplätze leer. In Charkiw,
der zweitgrößten Stadt, trifft man in den Straßen
vor allem Männer. Haben Sie Angst, dass die
Ukraine ein demografisches Problem bekommt?
Melnyk: Das ist leider schon heute so. Viele Mil-
lionen Ukrainer mussten fliehen. Wie sah es in
Deutschland oder in der Sow­jet­union nach dem
Zweiten Weltkrieg aus? Da herrschte totale Ver-
wüstung. Da haben Frauen gearbeitet, da mussten
Ex-Nazis in deutsche Staatsämter geholt werden,
die sogenannte Denazifizierung. Ich will mir gar
nicht ausmalen, wie hart die Kriegsfolgen, gerade
demografisch, für uns sein werden.
ZEIT: Vor ein paar Wochen sagte mir ein hoch-
rangiger Politiker in Deutschland: »Ach, Sie ziehen
nach Kiew? Da ist es mittlerweile sicher.« Ich höre
das immer wieder. Was löst das in Ihnen aus?
Melnyk: Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Per-
sönlich würde ich versuchen, die Kriegsvertriebenen
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Andrij Melnyk wäre lieber in Berlin als in Kiew, weil er sich dort gebraucht ZEIT: Von welchen Menschen?
Melnyk: Von einfachen Bürgern, weniger von
fühlt. Ein Gespräch mit dem Ex-Botschafter über die falsche Taktik seines Poli­tikern wahrscheinlich (lacht). Ich bekomme
immer noch sehr viele Briefe aus Deutschland.
Nachfolgers, die Traurigkeit seiner Mutter und den Galgenhumor seiner Frau ZEIT: Was schreiben die Leute?
Melnyk: Manche schreiben, dass meine laute
Stimme fehle. Dass man die Ampel weiter unter
Druck setzen und auf Trab halten müsse. Ich lese
nach wie vor täglich deutsche Zeitungen und ver-
suche mitzureden. Ich bin formell nicht zuständig
für Deutschland, und vielleicht ist es gut so, aber
ich fühle mich trotzdem zuständig als Mensch, der
dieses Land liebt und sich auszukennen glaubt.
ZEIT: Fühlen Sie sich manchmal machtlos?
Melnyk: Ja, dieses Gefühl habe ich, weil aus mei-
ner Sicht manches schiefläuft für die Ukraine. Ich
war ja eine lange Zeit in Deutschland, bis zum
Kriegsbeginn habe ich mich immer diplomatisch
verhalten. Gleich nach dem Kriegsausbruch konn-
ten wir eine einmalige Situation schaffen, die wir
zuvor nie hatten: Die große Nation Deutschland
traf Entscheidungen nicht nur, um eigene Interes-
sen zu verfolgen. Lautstark forderten wir Hilfe,
und die Ampel konnte sich nicht leisten, unsere
unbequeme Stimme zu ignorieren. Das war näm-
lich vorher immer so. Heute haben wir diesen
moralischen Trumpf leider wieder freiwillig auf-
gegeben, indem wir gar keinen Druck mehr aus-
üben und mit allem zufrieden sind. Deswegen bin
ich echt traurig. Jetzt helfen die Deutschen zwar
viel mehr als früher, und dafür sind wir Ukrainer
sehr dankbar, aber die Bundesregierung liefert nur
so viel, wie sie es für richtig hält.
ZEIT: Aber die Deutschen unterstützen die Ukraine
doch weiterhin. Es entfachte keine Diskussion
mehr darüber, ob die Polen ihre Jets aus NVA-­
Beständen an die Ukraine abgeben dürfen.
Melnyk: Das stimmt, aber vor einem Jahr konnten
wir diese Debatte in Berlin kräftig mitbestimmen
und sogar steuern. Mein Nachfolger macht das
anders. Jetzt schwimmen wir nur noch mit dem
Strom, lassen uns treiben. Wir wurden zurückge-
worfen, lächeln und winken. Unsere Offensive
kommt, und die Deutschen denken: 18 Leopar-
den geliefert, abgehakt, finito. Als ob man mit
diesen Panzern schon den Krieg gewonnen hätte.
Die Ampel hat PR-mäßig toll die deutsche Öffent-
lichkeit überzeugt, dass nun bei der Militärhilfe
alles in Butter sei. Was ja nicht stimmt. Und statt
weiterzutrommeln, wiederholt mein Nachfolger
mantraartig: Danke, Deutschland.
ZEIT: Sind Sie beide in Kontakt?
Melnyk: Kaum, denn wir haben ganz verschiedene
Sichtweisen.
ZEIT: Denken Sie manchmal: Hätte ich dies oder
das bloß nicht gemacht, dann wäre ich jetzt noch
in Berlin?
Melnyk: Meine Amtszeit war lang genug, und es
war ein Wunder, dass ich überhaupt bis zum
Kriegsbeginn noch in Berlin arbeiten durfte. Ich
bin Gott dankbar für diese prägende Erfahrung.
ZEIT: Im Sommer sagten Sie, dass Sie große
Foto: Stephan Lisowski für DIE ZEIT
Freude­an diesem Job hätten und dass Sie erst mal
nicht aufhören würden.
Melnyk: Es ist kein Geheimnis, dass ich Berlin
gegen meinen Willen verlassen musste. Ich hätte
gerne weitergemacht, weil ich das Gefühl hatte,
dass man viel mehr für die Ukraine hätte erreichen
können. Das ist die einzige Motivation, die mich
antrieb, trotz des starken Gegenwinds in Deutsch-
Vize-Außenminister Andrij Melnyk, 47, wurde für die ZEIT vor dem Ministerium in Kiew fotografiert land, wo Politiker aus mir ein Schreckgespenst ge-
macht haben. Hier in Kiew war der Widerstand
noch schlimmer, weil viele nicht verstanden ha-
ben, wieso ich auf diese unkonventionelle, oft
undiplomatische Weise agieren musste, um die
Ampel aus der Lethargie zu holen.
davon zu überzeugen, schon jetzt zurückzukehren. erst zehn Minuten lang beruhigen, weil sie sich Reinen mit mir. In der Ukraine stellt sich nun die ZEIT: Ging es vor allem darum, dass Sie in einem
Das muss aber jeder für sich entscheiden. Es ist diesen Marathon im Fernsehen immer ansieht. Frage, wie ich kompensieren kann, dass ich noch Interview den Partisanenführer und Nazi-Kollabo-
nicht immer leicht, vor allem wenn die Kinder sich ZEIT: Sie meinen diese Dauersendung, die von nicht an der Front kämpfe. Ich denke, dass ich­ rateur Stepan Bandera verteidigten?
in der Ferne wohlfühlen. Sie werden eingeschult, fünf TV-Kanälen bespielt wird und über den einiges in Bewegung setzen kann, weil ich in der Melnyk: Oh ja, es war ein Fehler, dass ich mich auf
finden neue Freunde. Die Rückkehr könnte für Krieg berichtet? Regierung tätig bin. diese provokante Diskussion eingelassen habe. Ich
manche von ihnen den erneuten Bruch bedeuten. Melnyk: Nicht ausschließlich über den Krieg, aber ZEIT: Was verändern Sie denn als Vize-­Außen­ bereue es. Ich weiß nicht, ob es der wichtigste
ZEIT: Sie halten Kiew für sicher? der wird dort immer wieder vor Augen geführt. minis­ ter? Sie sind vor allem für Lateinamerika Grund war, aber es war der unmittelbarste Grund
Melnyk: Die Gefahr, dass Kiew wieder zur Ziel- Meine Mutter ist 79, und sie ist oft psychisch fer- zuständig. für meine Abberufung. Wissen Sie, dass ich aus
scheibe wird, ist noch lange nicht vorbei. Die Ab- tig. Ich sage ihr: »Mama, bitte lass das, geh im Melnyk: Ja, aber auch für die USA und Kanada, Deutschland viel Gutes mitgenommen habe?
sicht, unsere Hauptstadt zu erobern, bleibt für den Wald spazieren«, aber sie kann nicht. Der Krieg ist unsere zentralen Verbündeten. Und ich versuche ZEIT: Was meinen Sie?
Kreml Priorität. Die Russen werden auf Zeit spie- allgegenwärtig. Man kann ihn nicht einfach so nachzuholen, was wir in Lateinamerika und der Melnyk: Das Bewusstsein für Kultur. Wir müssen
len, wie sie das jetzt in Bachmut tun, wo sie zwar ausblenden. Er sitzt tief wie ein Chip im Gehirn. Karibik versäumt haben. in der Ukraine endlich massiv in unsere Kultur in-
sehr langsam und mit enormen Verlusten, aber ZEIT: Der ukrainisch-amerikanische Fotograf ­ ZEIT: Zumindest in Lateinamerika ist das Interesse vestieren. Im Ausland kennt kaum jemand ukrai-
leider vorankommen. Stellen Sie sich vor, was auf Sasha Maslov erzählte mir, dass es für ihn schwerer für die Ukraine geringer als in Deutschland. Wur- nische Komponisten, Schriftsteller oder Poeten.
uns zukommen kann, wenn sie wirklich ihre Luft- zu ertragen sei, den Krieg von New York aus zu den Sie durch Ihre Abberufung degradiert? Wir werden über unseren Mut definiert. »Diese
waffe einsetzen würden und unsere Luftabwehr beobachten. In der Ukraine könne er besser damit Melnyk: Oh nein, ganz im Gegenteil. Ich liebe sol- mutigen Ukrainer«, heißt es jetzt oft, floskelhaft.
nicht mehr in der Lage ist, Hunderte schwere umgehen. Wie ist das bei Ihnen: War es belasten- che Herausforderungen. Gerade ihre Schwierigkeit Ich kann es nicht mehr hören. Meine Frau und ich
Bomber abzuschießen. der, den Krieg aus Berlin oder vor Ort mit­zu­ macht meine neue Aufgabe so spannend. Die Men- scherzen, dass es dasselbe Bild ist wie vor 300 oder
ZEIT: Wie ist die Stimmung in Ihrem Kiewer erleben? schen in Südamerika sind 9000 Kilometer von uns 400 Jahren, als die ukrainischen Kosaken als tap-
Freundeskreis? Melnyk: Das ist eine Frage des Gewissens. entfernt. Trotzdem sollten sie ein Gefühl dafür be- ferste Kämpfer für die Freiheit galten. Aber am
Melnyk: Wir versuchen, in den Tag zu leben. Wir ZEIT: Wie meinen Sie das? kommen, dass dieser barbarische Krieg, der in der Ende haben wir leider doch unsere Staatlichkeit
schmieden keine großen Pläne. Wie soll das auch Melnyk: Wer nicht an der Front ist, versucht, Ukraine tobt, ihnen nicht egal sein darf. Diese Em- verloren und sind von der politischen Landkarte
gehen, wenn man nicht weiß, ob Kiew in einem trotzdem etwas Wichtiges, Gutes, Sichtbares für pathie zu schaffen ist eine meiner Hauptaufgaben. für Jahrhunderte verschwunden. Warum? Weil
halben Jahr wieder umzingelt sein wird oder noch das Land zu tun. Ich persönlich hatte in Deutsch- Ich werde wohl nicht so schnell Früchte sehen. Und vieles vernachlässigt wurde, allem voran unsere
massiver bombardiert wird, so wie das in Städten land schon das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles das stört mich natürlich schon in gewisser Weise. Kultur, und das zieht sich bis heute durch. Wir
in Syrien durch Putins Schergen geschah. Wir ver- tue – auch um ein reines Gewissen zu haben. Der Tag vergeht, und am Ende des Tages fragst du müssen diesen Teufelskreis der Geschichte durch-
suchen, nicht so viel darüber zu reden. ZEIT: Indem Sie die Deutschen überzeugt haben, dich: Was hast du gemacht? Was hast du bewegt? brechen und wie die Deutschen jährlich Mil­liar­
ZEIT: Sie sprechen nicht über den Krieg, wenn Sie mehr Waffen zu liefern? Wo sind die Ergebnisse? In Deutschland konnte den Euro für ukrainische Kultur ausgeben.
sich treffen? Melnyk: Zum Beispiel. Nicht nur, aber das war man manchmal doch schneller was erreichen. ZEIT: Auch während des Krieges?
Melnyk: Doch, wir sprechen schon darüber, aber einer der Punkte, die für mich mitten im Krieg ZEIT: Werden Sie in Deutschland vermisst? Melnyk: Gerade im Krieg.
wir nehmen das als Teil der Normalität wahr. Wenn besonders wichtig waren. Ich bin stolz auf den Melnyk: Ich? Oh, weiß ich nicht. Ich glaube, von
ich mit meiner Mutter telefoniere, muss ich sie zu- Durchbruch. In Deutschland war ich daher im manchen Menschen schon. Die Fragen stellte Olivia Kortas

Titelthema ․ Altersforschung ․ Schule ․ Braukunst ․ Infografik: Tempolimit
W
eiß gestrichene Backstein­
wände, das Bild einer Knack­
wurst über dem Tisch: Für
eine Keimzelle des Fort­
schritts kommt Huber’s Bis­
tro etwas gestrig daher. Und
doch liegt neben der Speise­
karte ein Blatt, dessen Botschaft wie aus der Zukunft
ins Bewusstsein drängt: Fleisch aus dem Labor, zu
Nudeln oder auf dem Sandwich – hier erhältlich.
Mitte April, wir sind in Singapur, Tropenklima und
Kapitalismus. Ventilatoren surren über Tischen mit
Marmoraufdruck, in der engen Küche schwitzen Köche
unter Häubchen. Singapur ist das einzige Land, in dem
bereits Fleisch behördlich zugelassen ist, das aus Stamm­
zellen gezüchtet wurde. Es ist echtes Fleisch – kein Ersatz­
produkt aus Soja oder Seitan –, doch kein Lebewesen
musste dafür sterben. Das Fleisch wuchs im Bioreaktor
heran, nicht als Tier im Maststall und auch nicht auf
dem Bauernhof. Essen kann man das Laborfleisch bis­
lang weltweit nur an diesem einen Ort: in Huber’s Bistro.
Das Huhn kommt frittiert und mit grünem Spargel
zu Nudeln oder mariniert und mit Pommesbeilage auf
dem Sandwich. Umgerechnet etwas weniger als 15 Euro
soll es kosten.
Das Hühnchen sieht nach Hühnchen aus und
schmeckt auch so, außen kross, innen relativ zart. Pro­
duziert wird es von einem kalifornischen Unternehmen,
dessen Name schon verrät, worum es hier letztlich geht:
Good Meat. Gutes Fleisch – und gutes Gewissen.
Nichts illustriert das verdorbene Verhältnis des
Menschen zur Natur besser als die Bilder aus der
Fleischproduktion: das »Stopfen« von Gänsen, das
Schreddern von Küken, Hühner und Schweine ver­
wundet oder halbtot in zu engen Ställen. Und als wäre
das nicht genug, zerstört der Mensch Steak für Steak,
Schnitzel für Schnitzel seinen eigenen Planeten. Stu­
dien rechnen vor, dass die Lebensmittelproduktion,
vor allem von Fleisch, für 15 Prozent der derzeitigen
Erderwärmung verantwortlich ist, das ist fünfmal
mehr als der Anteil des globalen Flugverkehrs. Schon
jetzt ist klar, dass die Weltgemeinschaft das 1,5-Grad-
Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen nicht erreichen
kann, wenn sie ihren Appetit auf Tiere nicht zügelt.
Sie müsste weniger Fleisch essen, doch das Gegenteil
ist der Fall. Unaufhörlich steigt die Menge an produ­
ziertem Schlachtvieh, in den letzten 20 Jahren um
mehr als 40 Prozent – auf zuletzt etwa 330 Milliarden
Kilo pro Jahr. Unaufhörlich steigen damit auch die
Treibhausgas-Emissionen, wächst der Wasserver­
brauch, greift die Zerstörung der Wildnis um sich.
Nun also: gutes Fleisch. Fleisch, für das kein Regen­
wald abgeholzt werden muss, um Weideflächen zu
schaffen, kein Wiederkäuer klimaschädliches Methan
in die Atmosphäre flatuliert, kein Schwein, kein Huhn,
kein Lamm erst gemästet, dann getötet wird. Fleisch, das
ein paar Stammzellen entwächst, die einem Tier zuvor
entnommen worden sind.
Sauberes Fleisch, das aber nicht das faulige Aroma
der Volkspädagogik verströmt. Es kommt eher als eine
Art E-Auto der Ernährung daher, als Tesla aus der
Pfanne:­ohne Verzicht im Gepäck, ohne Verbote fürs
bessere Ich. Reine Technologie!
Was klingt wie die FDP-Lösung für ein grünes Pro­
blem, ist das Versprechen, mit dem Start-ups im Silicon
Valley, in Israel oder den Niederlanden gerade um sehr
viel Geld konkurrieren. Sie wollen Produktionsanlagen
bauen, in denen Millionen Kilo Fleisch in Tanks aus
rostfreiem Edelstahl heranreifen sollen. Manche züchten
auch Shrimps in Zellkulturen, andere Foie gras, die
meisten aber konzentrieren sich auf das, was täglich auf
den Teller kommt: Hühnchen-, Rind-, Schweinefleisch.
Mindestens 2,8 Milliarden Dollar hat die Branche bisher
eingesammelt, von Risikokapitalgebern wie von der kon­
ventionellen Fleischindustrie oder, wie etwa in Israel,
Dänemark oder Singapur, auch von Regierungen. Die
Technik könnte zum strategischen Pfund in der Klima­
politik werden.
Wöchentlich werden Neuigkeiten vermeldet: Die
amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erklärt Labor­
hühnchen für verzehrsicher. Israelisches Start-up legt
Grundstein für Massenproduktion in North Carolina.
Italienische Rechtspopulisten wollen das neue Fleisch
verbieten. Einerseits findet eine Art globaler Endspurt
um den Eintritt zum künftigen Milliardenmarkt statt
– andererseits herrscht Unsicherheit. Labor, klingt das
nicht nach Versuchskaninchen, nach Chemikalien, nach
Frankenstein?
Und wirklich, viele Fragen sind noch offen. Stimmen
die Klimaversprechen? Wann wird das Laborfleisch im
Supermarkt zu kaufen sein? Ist es bezahlbar? Und vor
allem: Will jemand so was essen?
Ein Videoanruf im niederländischen Maastricht, bei
Mark Post, 65, hellblaues Poloshirt, grauer Haarkranz.
Er sieht aus, wie man sich einen Wissenschaftler vorstellt,
und im Grunde ist er das auch noch. Jahrzehntelang
forschte Post an Blutgefäßen für medizinische Trans­
plantationen. Heute arbeitet er als Mitgründer und
Chief Scientific Officer der Firma Mosa Meat an Labor­
fleisch aus Europa. »Ich glaube, mit Fleisch kann ich
mehr bewirken als mit Blutgefäßen«, sagt er. Statt um
einzelne Patienten gehe es jetzt um den Planeten.
Post ist so etwas wie der Geburtshelfer der neuen In­
dustrie, seit er 2013 live im Fernsehen eine Speise­glocke
lüftete und der Weltöffentlichkeit den ersten Burger aus
der Petrischale präsentierte. Damals habe es vor allem
zwei Reaktionen gegeben, sagt Post: »Einerseits Ekel.
Viele Leute fanden die Vorstellung, so etwas zu essen,
grässlich.« Andererseits habe ihn seine Community, die
Wissenschaft, komplett ignoriert. »Offenbar hielt nie­
mand unsere Idee in größerem Maßstab für umsetzbar.«
Ein Grund, warum man Mark Post nicht für voll
nahm: Die Entwicklung jener Fleischfrikadelle hatte
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
WISSEN
29
250.000 Euro verschlungen, bezahlt hatte sie ein Google-
Fotos: Mindy Tan Huimin für DIE ZEIT (2); Getty Images (o.)
Gründer. 250.000 Euro für ein Ding, das man sich auch
für 99 Cent bei McDonald’s an der nächsten Ecke kau­
fen kann? Post und sein Burger wirkten wie Gesandte
aus einer Zukunft, auf die niemand gewartet hatte.
Wie viel derselbe Burger heute kosten würde, kann
oder möchte Post nicht genau beziffern. Doch es sei nur
ein Bruchteil, wenn auch immer noch bedeutend teurer
als Fleisch vom Schlachter. Wenn ihre Burger in »relativ
naher Zukunft« auf den Markt kämen, wolle Mosa Meat
jedoch »Preisgleichheit mit konventionellem Fleisch«
erreichen. Post hofft, dass Laborfleisch in zehn Jahren
einen Marktanteil von zehn bis zwanzig Prozent haben
wird, mit Mosa Meat als einem von vielen Anbietern.
Eine britische Studie hat gerade das Potenzial in die­
Zukunft hochgerechnet: »Im Jahr 2040 wird der Anteil
von kultiviertem Fleisch am weltweiten Fleischkonsum
voraussichtlich 35 Prozent betragen. Auf konventionel­
les Fleisch entfallen 40 Prozent, auf vegane Fleischersatz­
produkte die restlichen 25 Prozent.«
Die Pilotfabrik in Maastricht werde in den kom­
menden Wochen eingeweiht, sagt Post. Seine Arbeit sei
geprägt von schrittweisen Verbesserungen, nicht von
plötzlichen Durchbrüchen. Noch müsse Mosa Meat mit
sehr teuren pharmazeutischen Anlagen arbeiten, weil das
Fleisch in Europa nicht als Lebensmittel zugelassen ist.
»Es gibt da einen lustigen Vergleich im Internet: Selbst
25 Schokokekse würden 30.000 Dollar kosten, wenn
man sie mit solchem Equipment und pharmazeutischen
Zutaten backen müsste.« Auch die Nährlösung, in der
sich die Rinderzellen teilen, sei noch »lächerlich teuer«,
weil der Markt für Wachstumsfaktoren erst im Entstehen
sei. Wenn sie irgendwann in Massen produzierten,
könnten seine Burger sogar günstiger werden als her­
kömmliche Buletten aus der Wurstfabrik, sagt Post.
Ob hier der seriöse Professor Post spricht oder der
Unternehmer Post, der Investoren sucht, lässt sich schwer
sagen. Doch unrealistisch wirkt seine Behauptung nicht:
Ein israelisches Start-up gab bereits vor über einem Jahr
an, seine Hühnchenbrust für 7,70 Dollar pro Pfund zu
produzieren. Zudem dürfte sich konventionelles Fleisch
in Zukunft stark verteuern. Sei es, weil klimaschädliche
tierische Lebensmittel in den EU-Emissionshandel ein­
bezogen werden, sei es, weil die Klimakrise selbst durch
Dürren oder Überschwemmungen die Preise hochtreibt.
Die Arbeit am Fleisch ohne Leid, das klingt bei Post
heraus, erfordert Geduld. Es hilft dabei, ein Mensch zu
sein, der seit Jahrzehnten zum Mittag immer das Gleiche
isst: Vollkornbrot mit altem Gouda.
Niederlande, Singapur, Israel – es ist kein Zufall, dass
viele Fleischfabriken der Zukunft in kleinen Staaten am
Meer entstehen. Seit Langem denken sie schon darüber
nach, wie ihr Land möglichst effizient zu nutzen sei, um
die eigene Bevölkerung zu versorgen. Es fehlt am Platz
für Ackerflächen, man fürchtet die Folgen des Klima­
wandels oder die Abhängigkeit von Importen. Gerade
diese drei Regierungen investieren deshalb Millionen in
Laborfleisch-Unternehmen. Doch auch in den USA, wo
viele Investoren sitzen, könnte es in Washington oder
Echtes Huhn, aber gewachsen aus Stammzellen im Bioreaktor, nicht auf dem Bauernhof
Los Angeles schon 2023 in ersten Restaurants Hühnchen
geben, das niemals Federn und Schnabel hatte. Zwei
Unternehmen, darunter Good Meat, haben eine erste
Begutachtung positiv bestanden; keine weiteren Fragen,
Fleisch
ließ die zuständige Behörde FDA ausrichten.
Und Deutschland? Hier stellte das Büro für Technik­
folgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)
im Februar im Bericht über »Potenziale und Heraus­
forderungen einer Zellkultur-basierten Fleischproduk­
tion« fest, dass man bereits 2016 »eine vertiefte Bearbei­
tung« dieses Themas vorgeschlagen habe, es dazu aber
nie gekommen sei. Der neue Vorschlag des TAB: eine
ohne Leid
»vertiefte Bearbeitung«. Unabhängig davon kam eine
Studie der Universität Osnabrück zum Ergebnis, dass
65 Prozent der Deutschen durchaus dazu bereit wären,
in einen kultivierten Fleischburger zu beißen. Und fast
jeder Zweite könnte sich vorstellen, konventionelles
Fleisch durch gezüchtetes zu ersetzen.
Dass bald alle zum Laborfleisch greifen, könnte sich
trotzdem als, nun ja, halbgar erweisen. Essen, so gibt die
Wissenschaftlerin Jana Rückert-John zu bedenken, zählt
zu den letzten Sphären des Privaten: »Viele Menschen
Der Mensch isst mehr Rind, Schwein und Huhn, als der Planet verträgt. wollen sich da nicht hineinreden lassen.« Zudem sei
Fleisch kulturell besonders aufgeladen, sagt Rückert-
Davon lassen will er nicht. Forscher arbeiten deshalb an echten Steaks aus John, die an der Hochschule Fulda die Soziologie des
Essens lehrt: Fleisch liegt in der Mitte des Tellers, alles
dem Labor. Verändert das die Welt?  VON ANANT AGARWALA UND MAXIMILIAN PROBST weitere ist »Beilage«. Lange kaum erschwinglich und
Festtagen vorbehalten, wurde Fleisch in der Nachkriegs­
zeit regelrecht demokratisiert. Seither sei es »ein Wohl­
standsindikator«, sagt Rückert-John. »Darum kochen
beim Thema Fleisch die Gemüter schnell hoch.« Eine
Kantine mit Veggie-Day oder, wie neuerdings in Frei­
burg, Kitas ganz ohne Fleisch: Skandal!
Nun also Fleisch ohne Tiere: Der größte Bauern­
verband Italiens kritisierte bereits den Versuch, »natür­
liche Essensstile zu verändern«. Ein deutscher Bauern­
verband sekundierte: Multinationale Konzerne wollten
»mit falschen Versprechungen und Lügen über die Land­
wirtschaft die Proteinversorgung der Menschheit unter
ihre Kontrolle bringen.« Unbegrenzte Zellteilung, fiel
dem Verband noch auf, komme in der Natur »vor allem
als Krankheit in Form von Krebsgeschwüren vor«.
Derweil wachsen solche Zellen auch hierzulande­
bereits, zum Beispiel in Lübeck. In Sichtweite des Audi­
max der Universität liegen die Produktionsräume von
Bluu Seafoods, spezialisiert auf Lachsfleisch. Wissen­
schaftler bewegen sich in weißen Kitteln zwischen leise
surrenden Maschinen. Der Fisch wächst in einer geruchs­
neutralen, blitzblank funkelnden Hightech-Welt.
Bloß das Vokabular klingt nach Bauernhof: Die
Fischzellen werden mit Kohlenhydraten, Fettsäuren,
Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen »gefüttert«
Der Koch und Fleischdesigner Jeff Yew richtet
in einem Bistro in Singapur Laborhühnchen an Fortsetzung auf S. 30
 30
Fleisch ohne Leid  Fortsetzung von S. 29
und die Zellbiomasse später »geerntet« – so erklärt es der
Firmengründer Sebastian Rakers, ebenfalls im weißen
Kittel. Mehrere Jahre forschte er als Meeresbiologe­
nebenan im Lübecker Fraunhofer-Institut an neuen
Fischzellkulturen. 2020 gründete er Bluu. Er wolle
helfen, sagt Rakers, die Ernährung der wachsenden Welt-
bevölkerung abzusichern und die Balance der Natur
wiederherzustellen. »Die Weltmeere sind so stark über-
fischt oder zerstört, dass der Fisch künftig woanders her-
kommen muss.«
Der Produktionsprozess, den Rakers vorführt, ist
standardisiert wie ein Kochrezept für Bouillabaisse.­
Zutaten und Zeitspannen sind präzise bemessen: Man
traktiere ein fingernagelgroßes Stück Lachs in einer­
Petrischale mehrmals mit einem Skalpell, so geraten die
für die Gewebeerneuerung zuständigen adulten Stamm-
zellen in Aktivität. Danach isoliere man diese und füge
Enzyme hinzu, um die Zellkontakte aufzubrechen, dann
sind die Stammzellen nach wenigen Stunden bereit für
die Teilung. Dafür kippen die Wissenschaftler sie­
zusammen mit einer pflanzlichen Nährlösung in einen
etwa unterarmgroßen Rührkolben und warten, bis sich
die Zellen nach 38 Stunden verdoppelt haben.
Lange Zeit galt jene Nährstofflösung, in der sich die
Zellen teilen und vervielfältigen, als potenzielles PR-
Desaster der neuen Fleischordnung, denn sie musste mit
fetalem Kälberserum (FBS) angereichert werden – einer
Substanz voll hochproduktiver Wachstumsfaktoren, die
nach der Schlachtung einer trächtigen Kuh aus dem Blut
ihres Kalbs gewonnen wird. FBS wird auch in der
Stammzellenforschung und bei der Medikamenten­
entwicklung verwendet.
Bluu, aber auch Mosa Meat in Maastricht und Good
Meat in Singapur, haben mittlerweile pflanzliche­
Alternativen entwickelt, etwa aus Algen oder Pilzen, die
das Wachstum in vergleichbarem Maße anheizen sollen
wie das Kälberserum. Da derartige Stoffe bislang nur in
kleinen Mengen für die akademische Forschung produ-
ziert wurden, galten sie als unwirtschaftlich. Doch jetzt,
wo mit jedem neuen Fleisch-Start-up die Nachfrage
wächst, fallen die Preise. So sollen bald auch die Fisch-
stäbchen von Bluu erschwinglich sein.
Rakers steht im Labor mittlerweile neben einer Zen-
trifuge, die wie ein Reiskocher aussieht. Darin sinken
die Zellen zu Boden und werden abgeschöpft: die so-
genannte Ernte. Die beschriebenen Schritte wiederholt
man nun in immer größeren Bioreaktoren – bis nach
ungefähr einer Woche ein weißlicher Klumpen am
Boden des Zehnlitertanks zurückbleibt: die Fischzell-
masse. Sie ist der Grundteig, aus dem Rakers seine Lachs-
filets nachbauen will. Dafür müssen die Zellen an einem
Gerüst entlangwachsen, ein Verfahren, das auch Good
Meat aktuell in Singapur anwendet. Der Prozess ist aller-
dings noch so teuer und aufwendig, dass Bluu einfach
Fischstäbchen formt.
Hineinbeißen darf man nicht – die Novel-Food-­
Verordnung der EU verbietet es. Seit 1997 muss jedes
neue Lebensmittel einen aufwendigen Genehmigungs-
prozess durchlaufen. Rakers sitzt gerade an einem­
Zulassungsdossier, allerdings nicht für die EU, deren
Behörden den Ruf haben, »sehr bürokratisch zu arbei-
ten«, wie er es freundlich formuliert. Kein Start-up hat
bislang einen Antrag in Europa eingereicht. Rakers hofft,
dass Mosa Meat vorangehen wird, wer dann folge, habe
es leichter. Sein Dossier will er nach Singapur schicken.
Auch dort wird zwar streng kontrolliert, doch die asia-
tische Bürokratie lahmt nicht, sondern galoppiert. Der
politische Wille ist groß. Während Rakers beim Zulas-
sungsverfahren der EU mit zwei Jahren rechnet, geht er
bei Singapur von neun Monaten aus. Mark Post wiede-
rum sagt, Mosa Meat wolle das erste Laborfleisch in
Europa anbieten – doch auch er schreibt derzeit am
Antrag für Singapur.
Schwül drückt der Nachmittag auf Lau Pa Sat, einen
Fotos (v. o.): Getty Images; Mindy Tan Huimin für DIE ZEIT (2); Hanna Lenz für DIE ZEIT (3); ZEIT-Grafik: Anne Gerdes
Fressmarkt, eingekesselt zwischen Wolkenkratzern aus
Glas. Im Finanzdistrikt von Singapur treffen sich­
Anwohner, Geschäftsleute und Touristen, um billig und
gut zu essen. Grillgeruch weht über die Stände, sie sind
ein Abbild der Stadtgesellschaft, die sich aus Chinesen,
Malaien und Indern zusammensetzt. Viele Malaien
essen kein Schwein, viele Inder kein Rind, Huhn ist das,
­worauf sich alle einigen können. Hier, zwischen Chi-
cken Skewers und Chicken Curry und Chicken Nood-
les, versteht man, warum der Stadtstaat mit einer klei-
neren Fläche als Hamburg jährlich auf über 200 Mil-
lionen Kilo vertilgtes Hühnerfleisch kommt (was fast
dem dreifachen Prokopfverbrauch von Deutschland
entspricht). Und was hier los war, als der Nachbar­
Malaysia 2022 vorübergehend einen Exportstopp auf
Hühner verhängte.
»Der Hühnerkrieg hat allen noch mal gezeigt, warum
es uns braucht«, sagt Jeff Yew. Dem 31-Jährigen sitzt stets
der Anflug eines Lächelns im Mundwinkel. Auf Yews
Visitenkarte steht »Product Development Lead«, was in
seinem Fall bedeutet: leitender Hühnchenfleischdesigner.
Yew steht neben einem 6000-Liter-Bioreaktor aus Edel-
stahl, der ihn um mehrere Meter überragt. Hier im Erd-
geschoss eines zehnstöckigen Gewerbeparks für Lebens-
mittelproduktion, wo sich die Gerüche von geröstetem
Kaffee und gefrorenem Fisch mischen, entsteht gerade
die neue Hühnchenfabrik von Good Meat. Menschen
Vom Tier, dessen Fleisch man züchten
möchte, werden per Biopsie
Stammzellen entnommen.
WISSEN
Titelthema
ZEIT-Reporter Anant Agarwala probiert das Laborhuhn,
das frisch aus der Fritteuse kommt
In einem Lübecker Labor arbeitet das Start-up
Bluu Seafoods an Lachsfilets aus der Petrischale
Von der Zelle zur Frikadelle
Diese werden mit Nährstoffen wie Im Bioreaktor schwimmen die Zellen
Kohlenhydraten und Fettsäuren in einer Nährstoffflüssigkeit und
angereichert und aktiviert. multiplizieren sich per Zellteilung.
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
mit Warnwesten und Bauhelmen wuseln herum, bringen
Rohre an Tanks an und vermessen Abstände.
Yew arbeitete als Koch in New York und Singapur
und eröffnete 2018 ein Restaurant in Jakarta. »Für etwa
80 Prozent der Gerichte auf unserer Karte brauchte ich
Hühnchen«, sagt er, weshalb er viel Zeit auf Märkten
verbrachte. »Die Hühner leben in ihren eigenen Fäkalien,
man weiß nicht, was sie fressen. Es ist ziemlich wider-
lich.« Von Hühnerfleisch aus der Petrischale habe er
damals nichts gewusst. Aber als er 2020 in einen Labor-
fleisch-Nugget gebissen habe, änderte sich alles. »Ich
musste es probieren, um zu verstehen: Das schmeckt
wirklich wie Hühnchen. Dabei war das erst Version 1.«
Gerade arbeitet er an Version 4, erzählt Yew. Muskel-
und Fettzellen seien ein wenig wie Knetmasse, per Ver-
such und Irrtum experimentierte er in Richtung Hähn-
chenschenkel. »Wir wissen, was wir am Ende haben
wollen. Nur noch nicht genau, wie wir dort hinkom-
men.« Am Standort der Zentrale in Kalifornien arbeite-
ten sie zudem an Rindfleisch, auch in Israel verputzen
Testesser bereits die ersten Steaks. Ein paar Grenzen hat
die Technik: An Knochen, sagt Yew, zum Beispiel für
Rippchen, werde man sich vorerst eher nicht versuchen.
Anders als in der Massentierzucht setze Good Meat
seinem Fleisch weder Antibiotika noch Hormone zu,
sagt er. Jedes Gramm Fleisch werde von der Lebens-
mittelbehörde geprüft, bevor es auf dem Teller lande.
»Saubereres Fleisch findet man nirgends.«
Das ist der Refrain, egal, mit wem in der Industrie
man spricht: Wir machen echtes Fleisch – bloß besser.
Sebastian Rakers erzählt davon, dass in seinem Lachs
im Gegensatz zum Wildfang kein Mikroplastik stecke.
Und Mark Post weist darauf hin, dass seine Burger-
buletten komplett ohne Gentechnik auskommen.
»This will be amazing«, sagt eine junge Amerikanerin
in Huber’s Bistro zu ihrer Freundin, »it’s a dream come
true.« Ihr Traum: ein Biss ins Laborhuhn, Version 3. So-
lange die Fabrik von Good Meat noch Baustelle ist, gibt
es das neue Fleisch hier nur donnerstags. Immer sonntags
um elf Uhr wird eine kleine Anzahl Tische zur Reser-
vierung freigegeben, um 11.01 Uhr seien sie ausgebucht,
erzählt Andre Huber, Smartwatch am Handgelenk. Er
hat das Restaurant und die angeschlossene Schlachterei
von seinem Vater übernommen, der seinerzeit aus der
Schweiz eingewandert ist. Version 1 von Good Meat habe
er seinen Gästen noch nicht anbieten wollen, sagt Huber,
weder Geschmack noch Textur des Laborfleisches hätten
ihn damals überzeugt. Seit Dezember aber gebe es Ver-
sion 3 im Bistro, in das nun auch langjährige Vegetarier
kämen, um endlich ohne Gewissensbisse Fleisch zu essen.
An einem Tisch erzählt eine internationale Gruppe
aus vier Frauen, dass sie seit zwei Jahren versuchten, das
kultivierte Fleisch zu probieren. Es schmecke gut und
ganz klar nach Huhn, lautet die einhellige Meinung. Die
vier müssen es wissen: Für einen Aromahersteller ent-
wickeln sie ein paar Kilometer weiter unter anderem
Hühnergeschmack. Allein aus Nachhaltigkeitsgründen
spreche vieles für das Fleisch aus dem Labor, sagen sie,
sie ließen sich hier gewissermaßen die Zukunft auf der
Zunge zergehen.
Ja, die Nachhaltigkeit. Wer sich durch die Websites
der neuen Fleischwelt klickt, sieht die Rettung der ster-
benden Erde förmlich vor sich. Die Regierung von
Singapur flog Jeff Yew von Good Meat 2022 extra auf
die Weltklimakonferenz in Ägypten, damit Entsandte
aller Kontinente sich von Version 3 überzeugen konnten,
um vielleicht ihrerseits in das hoffentlich klimafreund-
liche neue Fleisch zu investieren.
Hanna Tuomisto von der Uni Helsinki forscht seit
15 Jahren zu nachhaltigen Ernährungssystemen, sie war
nach eigenen Angaben bei allen wichtigen wissenschaft-
lichen Konferenzen zu kultiviertem Fleisch dabei und
hat sich in Singapur direkt von den Nuggets überzeugt.
Eine ihrer Studien zeigt, dass der Übergang zu kulti-
viertem Fleisch 80 Prozent Treibhausgase einspart –
vorausgesetzt, die Energie zur Herstellung kommt aus
Windkraft- oder Solaranlagen, die auf den frei werden-
den Weideflächen aufgestellt werden könnten. Bloß:
»Für eine Weltrettung dauert das alles zu lange«, sagt
Tuomisto. Die technischen, wirtschaftlichen und poli-
tischen Hürden seien so hoch, dass kultiviertes Fleisch
die Emissionen frühestens in zehn Jahren sinken ließe.
»Aber laut Weltklimarat müssten sie sofort runter.« Das
gehe nur, wenn sehr viele Menschen sofort sehr viel
weniger Fleisch essen.
Wie schrieb Sigmund Freud einmal an Albert Ein-
stein: »Ungern denkt man an Mühlen, die so langsam
mahlen, dass man verhungern könnte, ehe man das Mehl
bekommt.« Das war 1932, Krieg zog am Horizont­
herauf, und die beiden Gelehrten überlegten, mit wel-
chen Mitteln er noch abzuwenden sei.
Der neue 6000-Liter-Bioreaktor von Good Meat in
Singapur soll Ende dieses Jahres mit der Fleischproduk-
tion beginnen, um Jeff Yew zentnerweise Rohmasse zu
liefern für Version 4. Andre Huber möchte das Produkt
über seine Schlachterei dann auch an weitere Restaurants
liefern. Vor allem aber sollen seine Kunden es direkt
kaufen können, an der Fleischtheke, neben den Schasch-
likspießen und der Pfeffersalami. So soll das Laborhuhn,
Küche für Küche, Herd für Herd, langsam S­ ingapur
erobern. Und danach den Rest der Welt.
www.zeit.de/vorgelesen
Die abgeschöpfte Zellmasse lässt Das Fleisch kann in unterschiedliche
sich nun zum Beispiel zu Muskel- und Formen gebracht werden, etwa
Fettgewebe kombinieren. Frikadellen, Geschnetzeltes oder Steak.
 DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 WISSEN 31

Fleisch ohne Reue

»Insekten sind nicht die

alleinige Lösung«
Kurzfühlerschrecke
einmal pur (rechts)
und einmal in
dunkler Schokolade
auf Pfannkuchen
Mehlwürmer und Grillen statt Rind und Schwein – wären damit
die Probleme des Fleischkonsums beseitigt? Sergiy Smetana forscht
zur Nachhaltigkeit von Insekten als Nahrung. Er hat Zweifel

DIE ZEIT: Herr Smetana, Insekten gelten als
nachhaltige Nahrung der Zukunft. Könnte es die
Welt retten, statt Steak frittierte Heuschrecken
oder Mehlwürmer zu essen?
Sergiy Smetana: Das ist eine komplizierte Frage.
Sie sind auf keinen Fall die alleinige Lösung für
die ökologischen Folgen unserer Ernährung. Auch
­Insekten brauchen Futter, das irgendwoher kom-
men muss.
ZEIT: Aber sie sollen deutlich weniger Futter,
Land und Wasser verbrauchen als Rinder. Sie
sind ähnlich nahrhaft wie Fleisch und enthalten
neben Proteinen hochwertige Fette, Vitamine oder
­Mineralstoffe.
Smetana: Da ist viel dran. Als wechselwarme Tiere
nutzen sie Futter und Energie effizient, stoßen
kaum Treibhausgase aus, wachsen schnell und
brauchen wenig Platz. Anders als bei Kühen, deren
Methanausstoß sich nicht abschalten lässt, kann
man die Ökobilanz von Insekten auch relativ ein-
fach beeinflussen, indem man die Zuchtanlagen
beispielsweise mit Strom aus erneuerbaren Ener-
gien heizt. Doch all diese Vorzüge gelten nicht für
jede Art und nur, wenn bestimmte Bedingun-
gen eingehalten werden.
ZEIT: Und die wären?
Smetana: Die beiden größten Faktoren sind
Energieverbrauch und Futter. Viele Insekten
brauchen hohe Temperaturen, um gut zu
wachsen. Daher das Heizen, vor allem im Win-
ter. Hinzu kommt, dass sie im Westen oft ge-
friergetrocknet werden, was energieaufwendig
ist. Und beim Futter hängt es davon ab: Gibt
man ihnen Speiseabfälle zu fressen, führt das zu
einer vergleichsweise guten Bilanz. Dann
schneiden etwa Mehlwürmer oder Grillen in
allen wichtigen Kategorien wie Futter oder
Emissionen viel besser ab als Rind- oder
Schweinefleisch. Diese Insekten könnten selbst
die Ökoeffizienz von Hühnern klar übertref-
fen, und die haben die besten Werte unter den
Nutztieren – weil sie Futter besonders effizient
in essbares Fleisch umwandeln.
ZEIT: In der Praxis jedoch ist es nicht so­
einfach, Insekten mit echtem Lebensmittelab-
fall zu füttern.
Smetana: Ja, das ist wegen der Gefahr von Krank-
heiten in der EU verboten. Außerdem sterben Gril-
len zum Beispiel sehr schnell, wenn sie schlechtes
Futter bekommen. Das Risiko will natürlich kein
Züchter eingehen ...
ZEIT: ...weshalb Züchter ihnen oft proteinreiches
Hühnerfutter geben, das sie schnell wachsen lässt,
aber Import-Soja und Fischmehl enthält.
Smetana: Die super Ökobilanz ist damit natürlich
dahin, nicht mehr unbedingt besser als bei Hühnern.
ZEIT: Was wäre denn das ideale Futter?
Smetana: Ungenutzte Nebenprodukte anderer Pro-
duktionsprozesse: Kleie aus der Getreideverarbei-
tung oder Hefe vom Bierbrauen.
ZEIT: Gibt es Berechnungen, was eine Mas­ sen­
insek­
ten­hal­
tung für die Ökobilanz bedeuten
würde?­Und welche sozialen Folgen sie hätte?
Smetana: Bisher nicht, aber Tierleid, Krankheiten
oder der Einsatz von Antibiotika können auch bei
Insekten auftreten. Und wenn etwa eine lokale,
nachhaltige Insektenproduktion plötzlich über den
Weltmarkt auf eine große Nachfrage trifft, kann
das fatale ökologische und soziale Folgen haben.
Trotz an sich guter Effizienz-Werte, ähnlich wie
beim Soja-Anbau in Südamerika.
ZEIT: In Südostasien können sich manche Men-
schen schon jetzt keine Insekten leisten, während
andere sie als Snacks essen – ohne ihren Fleisch­
konsum dafür zu reduzieren.
Smetana: Zusätzlicher Konsum bedeutet immer
höhere ökologische Kosten; das kann bei allen neu-
artigen Lebensmitteln passieren. Das ganze System
ist kaputt, denn wir produzieren viel zu viel.
ZEIT: Auch Ihr Institut arbeitet industrienah, wird
von Fleischkonzernen wie Tönnies mitfinanziert.
Smetana: Kein Unternehmen diktiert uns etwas,
und die meisten Stu­dien erscheinen in Journals mit
unabhängigem Peer-Review-Verfahren.
ZEIT: Aber noch gibt es wenige Studien zur Öko-
bilanz von essbaren Insekten, vielleicht ein Dut-
zend. An vielen waren Sie beteiligt.
Smetana: Die Datenlage ist noch dürftig, ja. Einige
der Zahlen, mit denen Firmen aus der Insekten-
branche werben, glaube ich auch einfach nicht.
Wenn ich lese, dass Insekten aus weniger als zwei
Kilo Futter ein Kilo eigene Biomasse machen, werde
ich misstrauisch. Das ist biologisch gar nicht mög-
lich. Da wird viel durch Vereinfachungen, falsche
Messkriterien und Zahlenspiele zurechtgebogen.
ZEIT: Mit die beste Ökobilanz erreichen die Larven
der Schwarzen Soldatenfliege, wenn sie mit Gülle
oder Speiseabfällen gefüttert werden – was bei die-
ser Art im Prinzip geht. Allerdings spielt sie eher als
Tierfutter eine Rolle.
Smetana: Auch sie kann helfen, unser Ernährungs-
system in Einklang mit natürlichen Kreisläufen zu
diversifizieren. Aber darüber hinaus sollten wir­
Abfälle vermeiden, die Produktion lokal ausrichten
und weniger Fleisch essen. Insekten können ein
Baustein sein, mehr nicht.
Sergiy Smetana arbeitet als »Head of Food Data
Group« am Deutschen Institut für
Lebensmitteltechnik im niedersächsischen
Quakenbrück. Der Nachhaltigkeitsexperte ist
darauf spezialisiert, die Ökobilanz
der Insektenproduktion zu berechnen.
Die Fragen stellte Andrew Müller

Käse ohne Kuh

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Mikroben stellen in Bioreaktoren künftig Nahrungsmittel her.

Was heißt das für die Landwirtschaft?  VON CHRISTIANE GREFE
Ein neues Versprechen: Essen ohne Reue, ohne
Klimaschäden. Egal ob Käse, Fleisch oder Milch.
Geht das? Ja, glauben Ökologen, Vegetarier und
Veganer, Biotechnologen, Start-up-Gründer und
Investoren. Sie alle setzen auf ein Verfahren, das
Eiweiß für die menschliche Ernährung produzie-
ren soll, ohne Tiere: die Präzisionsfermentation.
Der englische Umweltjournalist George Mon-
biot sieht in seinem Buch Neuland die Präzisions-
fermentation sogar als Teil eines Umsturzes, der
mit der Erfindung der Landwirtschaft vor zehn-
tausend Jahren vergleichbar sei. Solche Superlative
machen neugierig und misstrauisch. Schließlich ist
Fermentation, die Umwandlung organischer
Stoffe­in Alkohol, Gase oder Säuren, uralt. Seit
Jahrtausenden wird so Brot gebacken, Bier gebraut,
Joghurt oder Sauerkraut hergestellt.
Entscheidend bei der Fermentierung sind Mikro­
organismen. Wo schon vorhanden, muss man nur
warten, bis sie ihre Arbeit aufnehmen. Meist aber
manchen Fällen nutzen Biotechnologen die Gen-
schere Crispr und andere Methoden der Genom-
Editierung. So verändern sie DNA-Abschnitte,
um spezielle Eigenschaften herbeizuführen. Nun
können Bakterien und Hefen Schadstoffe fressen,
giftige Gerbstoffe ersetzen oder eben Eiweiß-
moleküle produzieren. Solche, die nach Morta-
della schmecken oder schmelzen wie Mozzarella.
In Deutschland gehört Formo zu den Pionie-
ren der Präzisionsfermentation. 90 Mitarbeiter
erzeugen Frischkäse oder Feta. Gegründet wurde
die Firma von Raffael Wohlgensinger, der 29-­
Jährige hatte nach Alternativen zu veganen Pro-
dukten gesucht. Den Start-up-Status hat Formo
hinter sich, doch auf der Schwelle zur Massen-
produktion werden Hindernisse sichtbar: Wie
schnell können fermentierte Rohstoffe in großen
Mengen erzeugt werden? Formo arbeitet in Pilot-
Bioreaktoren für bis zu 30.000 Liter. Sie müssten
das vierfache Fassungsvermögen haben, erst dann

werden Bakterien, Hefepilze oder nur deren Enzyme
dem Ausgangsrohstoff gezielt beigefügt. In der Indus-
trie züchten Biotechnologen die Mikroben in stäh-
lernen Bioreaktoren, füttern sie mit Sauerstoff, Stick-
stoff, Zucker und anderen Nährstoffen. Woraufhin
sie Biogas, Biotreibstoff, Insulin und andere Medi-
kamente erzeugen – oder Lebensmittel, die nährstoff-
reicher, aromatischer, besser verdaulich, haltbarer
oder maschinengängiger sind.
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Die Zukunft stellt
Fragen. Wir haben
die Antworten.
unglaublich-wichtig.de
Neu ist aber der Plan, mit dem Verfahren auch
Produkte wie Käse, Steaks oder Würste in den riesigen
Gärtanks herzustellen. Und zwar so, dass sie dem
Geschmackserlebnis und der Textur des Original-
schnitzels oder Camemberts näher kommen als die
bisherigen Ersatzprodukte. Noch sind solche inno-
vativen Erzeugnisse in Europa nicht auf dem Markt.
Sollten sie ihn aber erobern, würde die Massentier-
haltung ernsthaft verdrängt. Zugleich wäre die Welt-
ernährung sicherer: Statt Tierfutter würden Getreide
und Gemüse, Nüsse und Früchte angebaut und damit
mehr Menschen ernährt. Zusätzlich entstünden neue
Lebensräume für Pflanzen und Tiere.
Fotos: Emanuela Colombo und Michela Benaglia (2); Getty Images (o.)
50%
könnte Formo jährlich 1000 Tonnen Käse liefern
und wäre als Lieferant für große Lebensmittelher-
steller interessant. Das Problem: Mikroorganis-
men sind nicht verlässlich. Sie leben, deshalb
reagieren sie empfindlich auf Reize wie Staub oder
Temperaturwechsel. Selbst unter sterilen Bedin-
gungen schwankt die Produktausbeute erheblich.
Zudem sind in Nährlösungen chemische Sub-
stanzen enthalten, deren Zusammensetzung oft
nur die Firma kennt. Fraglich, ob das jeder Kon-
sument akzeptiert. Zudem erfordert nicht nur die
Herstellung sehr viel Energie, sondern auch die
Entsorgung und Erneuerung der Nährlösung und
ermüdeter Mikroben, und all das ist derzeit teuer.
Hohe Kosten sind bei Milch- und Fleischersatz von uns werden im Laufe ihres Lebens
problematisch, denn die Produkte müssen mit eine Krebs-Diagnose erhalten.
subventionierten Nahrungsmitteln konkurrieren.
Aktuell koste ein Kilo Biotech-Brie das Dreifache 100 % von uns sollten Krebs-Patienten
seines Kuhmilch-Äquivalents, sagt Wohlgensinger. am Arbeitsplatz unterstützen.
Beim Hartkäse müssten für das fermentierte Pro-
dukt 70 statt 20 Euro bezahlt werden. Der Unter- #workingwithcancer
nehmer hofft, dass sein Käse durch die Massen-
produktion bis Ende 2026 mit der Konkurrenz
gleichziehen und sogar günstiger wird. Das hängt
auch davon ab, ob die EU weiter die konventio-
nelle Landwirtschaft bevorzugt subventioniert oder
ob der Preis für CO₂-Emissionen steigt.
Nicht nur wegen dieser Ungewissheit bleibt
Hannelore Daniel skeptisch. Die emeritierte TU-
Professorin und Bioökonomie-Expertin würde die
Produkte aus dem Fermenter zwar jederzeit essen,

Der Autor, Klima- und Artenschützer George
Monbiot, hofft darauf, dank Fermentation die Land-
wirtschaft sogar ganz abzuschaffen. Sie sei die »ver-
heerendste Kraft, die jemals von den Menschen ent-
fesselt wurde«, schreibt der Vordenker der »Öko-
modernisten«. Diese Szene will die ökologischen
Krisen mit Technologie lösen. Ein Ansatz, auf den
Lebensmittelkonzerne hoffen, weshalb Kapitalgeber
von Finnland bis Singapur in die Technik investieren.
Denn dank rasanter Fortschritte in der Digital-
und Biotechnologie können Mikroorganismen
heute zielstrebig entwickelt und eingesetzt werden.
Jahr für Jahr lassen sich ihre Genome schneller und
billiger sequenzieren, ihre Fähigkeiten besser diag-
nostizieren. Bakterien- oder Hefestämme werden
passgenau für bestimmte Produkte ausgewählt. In
hält die ökologischen Ernährungsprobleme aber
für schneller lösbar, wenn weniger Milch getrun-
ken und weniger Fleisch gegessen würde. »Würden
wir den Rindfleischkonsum halbieren, könnten
wir auf der Fläche statt Futtermitteln 1,2 Millio-
nen Tonnen Proteinpflanzen wie Erbsen und
Ackerbohnen anbauen«, sagt sie. »So viel Eiweiß
muss man im Fermenter erst mal herstellen!«
Letztlich wird auch der Geschmack darüber
entscheiden, ob Kunden die neue Kost akzeptie-
ren. Dazu weiß man bald mehr: Erste Produkte
kommen in den USA oder Asien auf den Markt.
In Europa jedoch prüft erst die Behörde für­
Lebensmittelsicherheit die präzisionsfermentier-
ten Proteine nach den strengen Regeln der Novel-
Food-Verordnung. Das wird dauern.
32 WISSEN
Schöner Schein (4/4) Frisch erforscht
Die Kunst des Unser biologisches Alter kann
Recyclings vor- und zurückspringen
Wissen Sie, wie alt Sie biologisch sind?
23 Jahre oder 47 oder 72? Natürlich­
kennen so gut wie alle Menschen ihr
chronologisches Alter, dafür reicht ein
Blick auf die Geburtsurkunde. Tatsäch­
lich aber sagt dieses amtliche Dokument
eher wenig über unser wahres Alter aus.
Wie oft die Erde seit der Geburt die
Sonne umrundete: Diese Zahl mag rei­
chen, um Volljährigkeit oder Renten­
eintritt festzustellen. Doch körperliche
und geistige Fitness, Krankheitsrisiken
und verbleibende Lebenszeit richten sich
nicht danach, sondern nach dem bio­
logischen Alter unseres Körpers, seiner
Organe und Zellen.
Das aber schlägt Kapriolen, berichten
Altersforscher in der Fachzeitschrift Cell
Metabolism: Während das chronologi­
sche Alter gleichmäßig vorwärtsläuft, ist
das beim biologischen Alter anders; der
mensch­liche Körper kann in besonderen
Stressphasen auch beschleunigt altern
und sich danach sogar wieder verjüngen!
Dieses überraschende Verhalten unserer
Zellen beobachteten die Forscher um ­Steve
Horvath vom kalifornischen Biotech-Start-
up Altos Labs und Vadim Gladyshev von
der Universität Harvard etwa bei Schwan­
geren, bei schwer betroffenen Covid-19-
Patienten oder nach Operationen infolge
eines Unfalls: Dabei kam es oft zu einem
Foto: Milan Radisics
rapiden Alterungsschub. Nach der Ent­
bindung oder Gesundung sprang das­
biologische Alter der Betroffenen wieder
zurück auf den vorherigen Wert.
Sieht von oben gut aus und ist es auch: Wiederverwertung im westfälischen Lünen Solche Untersuchungen sind erst seit
knapp zehn Jahren überhaupt möglich.
Vor 2013 gab es nie ein zuverlässiges und
Neben den Farben springen auf diesem Foto Alberto Burri. Einige von ihnen sehen durch statt aus Rohöl gewonnen. Das Foto zeigt die exaktes Verfahren, mit dem das biologi­
die feinen Risse ins Auge. Bilden sie ein Netz, ihre Farbgebung – Ocker, Weiß, Gelb, Grau – Nebenprodukte der Recycling-Produktion, sie sche Alter von Blut- oder Gewebeproben
spricht man von Craquelé. Es überzieht etwa dem Foto oben zum Verwechseln ähnlich. werden in Teichen gesammelt und getrocknet. hätte festgestellt werden können. Wis­
Renaissance-Gemälde, bei denen im Lauf der Burri setzte seine Bilder aus angeschmolzenem »Nichts muss am Ende übrig bleiben«, wie das senschaftlern und Medizinern blieb da­
Jahrhunderte die Ölfarbe zerspringt, oder ja­ Plastik, rostigem Eisen und zerfetzten Stoffen Unternehmen Remondis schreibt, das sich der her stets nur das Geburtsdatum als An­
panische Keramik, bei der die Glasur gezielt zusammen. Nicht viel anders verfährt man im Kreislaufwirtschaft verschrieben hat. Das hilft haltspunkt.
im Abkühlungsprozess zersplittert. Auch auf westfälischen Lünen. In der Stadt nahe Dort­ der Natur und wird sich wahrscheinlich auch Doch dann präsentierte der deutsch­
alten Porzellan-Waschbecken oder Teekannen mund ist eines der größten europäischen Zen­ auszahlen. Für Alberto Burris Kunst des Re­ stämmige Genetiker und Bioinformati­
findet sich das Muster. Und auf den Material­ tren für Recycling angesiedelt. Dort werden cyclings blättern Sammler heute Millionen­ ker Steve Horvath, der zu dieser Zeit
bildern des italienischen Nachkriegskünstlers zum Beispiel Kunststoffgranulate aus Abfall beträge hin. MA XIMILIAN PROB ST noch an der University of California in
Los Angeles arbeitete, eine neue Art von
In dieser Serie zeigt der ungarische Fotograf Milan Radisics Luftaufnahmen von verschmutzten Orten, die durch den Rohstoffhunger Europas entstehen Lebensuhr. Sie besteht letztlich aus einem
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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Stimmt’s?
im Februar 2022 haben Sie eine sicherheitspolitische
Zeitenwende ausgerufen und ein 100 Milliarden Euro
Flüsse werden im Lauf der
großes Aufrüstungsprogramm auf den Weg gebracht. Zeit immer kürzer
Heute fordern wir Sie auf:
Leiten Sie eine Friedenswende ein! Die wenigsten Flüsse fließen auf geradem
Weg von der Quelle zur Mündung. Oft
liegt das daran, dass es auf der ­direkten
Beenden Sie die Aufrüstungsspirale und starten Sie Linie nicht ständig bergab geht – die
eine internationale Abrüstungsinitiative. Gewässer müssen Hindernisse umflie­
ßen, etwa Berge. Aber auch auf ebenem
Setzen Sie sich für mehr Kooperation der Staaten- Gelände schlängeln sich Flüsse oft ih­
gemeinschaft ein, um unsere Lebensgrundlagen zu rem Ziel zu, anstatt den kürzesten Weg
zu nehmen.
schützen und allen Menschen ein Leben in Sicherheit Dieses Mäandern hat seine Ursache
und Würde zu ermöglichen. in der Strömungsdynamik: Sobald ein
Fluss auch nur eine kleine Kurve voll­
Stärken Sie Deutschlands zivile Friedensfähigkeiten. führt, prägt sich diese Biegung immer
weiter aus. Auf der Außenseite fließt das
Bauen Sie zivile Krisenprävention und Friedens- Wasser schnell und trägt immer mehr
förderung aus. Boden ab, auf der Innenseite fließt es
langsam, und es lagert sich Material ab.
Der Fluss wird so zunächst länger.
Aber irgendwann ist die Schleife so aus­
Petition unterzeichnen auf: geprägt, dass sich ein »Kurzschluss« er­
gibt: Der Fluss findet eine Abkürzung, es
www.forumZFD.de/friedenswende bleibt ein abgetrennter Flussarm übrig,
der auch Altwasser genannt wird. Der
Fluss selbst ist wieder kürzer geworden.
Es gibt also im Lauf der Zeit ein­
Unterzeichnende: Johanna Adickes, Reiner Augustin, Uwe Bischoff, Christoph Bongard, Matthias Brockes, Hella Buhrow, Christina ständiges Wechselspiel von Verlängerung
Eidam-Blume, Gerhard Fecher, Henrike Freibüter, Renate Fuchs, Ludger Gaillard, Gerda Gebhardt, Inge Graefe, und Verkürzung. Die Frage ist: Gibt es
eine Art Grenzwert, dem sich die Fluss­
Dr. Michael Graefe, Christopher Hatton, Prof. Dr. Thomas Hausmanninger, Dr. Anita Idel, Prof. Dr. Angelika Iser, Josef
länge annähert? Das postulierte der Phy­
Jansen, Christine und Dr. Roland Jost, Kurt-Dieter Jünger, Elfriede Katz, Reinhard Kleine, Joachim Kloth, Prof. Dr. Ernst Ulrich Köpf, Sabine
siker Hans-Henrik Stølum von der Uni­
Korsig, Kathrin und Carsten Krämer, Martin Laufenberg, Maria Leidorf, Dr. Johannes Limbrock, Kurt Luckhardt, Edith Lutz, Martina Lutze,
Gisa Luu, Alexander Mauz, Hannelore Morgenstern-Przygoda, Ursula Moser, Norbert Müller, Margarete Müller, Ulrike Neumann, Kristina www.zeit.de/vorgelesen
Nowak, Thomas Oelerich, Bernhard Revermann, Matthias
Richter, Julia Ringler, Angela Roelofsen, Dr. Brigitte Runge, Diese Woche fragt Dirk Wolf aus Oldenburg.
Ina Schäfer, Renate und Frieder Schöbel, Rolf Thulke, Und worauf suchen Sie eine Antwort? Schreiben Sie an: DIE ZEIT, Wissen-Ressort,
Siegrid Trommershäuser, Wiebke Umbach, Gerhard 20079 Hamburg, oder stimmts@zeit.de. Das Archiv: www.zeit.de/stimmts
Vöhringer, Adda-Benita von Hofacker, Dipl.-Ing. Ulrich V. i. S. d. P.: forumZFD (Forum Ziviler Friedensdienst e. V.)
Am Kölner Brett 8, 50825 Köln, friedenswende@forumZFD.de
Wächter, Andreas Wagner, Prof. Dr. Roderich Wahsner,
Prof. Dr. Jürgen Walter, Schulamith Weil, Gisela Wenzlaff, Stärken Sie die #Friedenswende mit Ihrer Spende an:
Dr. Elke Winkler, Eveline Ziegler, Dr. Michael Ziesner u.v.m. IBAN: DE90 4306 0967 4103 7264 00 Hören Sie
Woher weißt Du das? Unser Wissens-Podcast über Wissenschaft,
Alltag und Gesellschaft. Jetzt anhören unter www.zeit.de/zw-podcast
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Algorithmus, der bestimmte chemische
Veränderungen der DNA nutzt, um das
betreffende biologische Alter zu berech­
nen. Es gibt etwa 28 Millionen Stellen
im menschlichen Erbgut, die solche che­
mischen Veränderungen besitzen können.
Sie werden von Enzymen gesetzt oder
wieder entfernt. Horvath hatte zuvor
festgestellt, dass sich ein großer Teil die­
ser Markierungen auf der DNA in den
Körperzellen mit steigendem Alter ver­
ändert: Manche werden häufiger, andere
nehmen ab. Diese Veränderungen kann
der Algorithmus, berühmt geworden als
Horvath’s Clock, in eine Altersbestim­
mung umrechnen.
Heute gibt es eine ganze Reihe weite­
rer solcher Uhren für die Lebenszeit, und
sie liefern überraschende Ergebnisse.
Etwa die Erkenntnis, dass sich das bio­
logische Alter stark von der Zahl der
hinter sich gebrachten Geburtstage un­
terscheiden kann: Manche Menschen
sind bis zu 15 Jahre jünger (oder älter),
als ihre Geburtsurkunde vorgibt – je
nach Lebensstil, (Über-)Gewicht, kör­
perlicher Aktivität und Ernährung.
Dennoch galt bislang die Überzeu­
gung, dass auch die biologische Alterung
stets nur in eine Richtung läuft. Doch
mit den neuen Befunden steht diese fun­
damentale Annahme infrage: Wenn un­
sere innere Uhr in besonders belastenden
Situationen vorläuft und danach wieder
zurückspringt – kann sie das auch unter
normaleren Umständen tun?
Noch ist unklar, welche Zell-Mecha­
nismen für die auffälligen Schwankun­
gen des Alters verantwortlich sind. Soll­
ten sie gefunden werden, so spekulieren
die Autoren der Studie, wären sie wo­
möglich der Schlüssel für eine Art von
Jungbrunnen, für ganz neue Therapien.
Diese würden sich nicht gegen die typi­
schen Altersleiden richten, sondern ge­
gen das Altern selbst. Aus Sicht der Wis­
senschaftler ist das jedenfalls nicht mehr
ausgeschlossen: »Die Alterung ist fluide«,
lautet ihr Fazit. So gesehen stimmt also
das Sprichwort: Man ist so alt, wie man
sich fühlt. ULRICH BAHNSEN
versität Cambridge 1996 in der Zeit­
schrift Science: Dabei bezog er sich auf
das Verhältnis zwischen der tatsächlichen
Flusslänge und der Luftlinie zwischen
Quelle und Mündung. Diese sogenannte
Sinuosität des Flusses werde auf Dauer
dem Wert Pi zustreben – also jener Zahl,
die das Verhältnis von Umfang und
Durchmesser eines Kreises angibt und
ungefähr 3,14 beträgt. Stølum hatte sich
bei seinen Berechnungen vor allem auf
Computersimulationen gestützt.
Klingt elegant. Aber stimmt es auch?
Skeptiker bauten eine (mittlerweile nicht
mehr existierende) Website mit dem schö­
nen Namen PiMeARiver.com und riefen
weltweit dazu auf, Flüsse zu vermessen.
Nach 258 Einträgen ergab sich ein Durch­
schnittswert von 1,94 – ziemlich weit­
entfernt von dem theoretischen Wert Pi.­
Dabei gab es große Unterschiede: Der­
Sacramento River in Kalifornien ist ziem­
lich gerade (Sinuosität 1,24), der irische
River Liffey dagegen schlängelt sich mit
einem Wert von 5,88 durch die Landschaft.
Für jeden einzelnen Fluss aber gilt:
Er wird nicht stetig länger oder stetig
kürzer, seine Länge schwankt recht chao­
tisch zwischen größeren und kleineren
Werten. CHRISTOPH DRÖS SER
den Podcast
 DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 WISSEN 33

Schule

Nur ein Drittel

der Arbeitszeit
von Lehrern
entfällt auf
den Unterricht
vor der Klasse

Jetzt wird sogar

an der
Schuluhr gedreht
Auch die Arbeitszeit von Lehrern muss nun genau
erfasst werden. Was das in Schulen ändert,
erklärt der Bildungsexperte Mark Rackles

DIE ZEIT: Überall herrscht Lehrermangel, nun
denken Politik und Wissenschaft darüber nach,
Lehrkräfte mehr arbeiten zu lassen. Sie haben in
einer aktuellen Studie die heutige Arbeitsbelastung
untersucht. Ist da noch Luft nach oben?
Mark Rackles: Das ist nicht ganz einfach zu be-
rechnen. Aber nimmt man alle seriösen Erhebun-
gen zusammen, arbeiten Lehrerinnen und Lehrer
jetzt schon im Schnitt 43 Stunden pro Woche, also
drei Stunden mehr, als sie tariflich müssten. Rech-
net man diese unbezahlte Mehrarbeit auf das ge-
samte Personal in unseren Schulen hoch, ergeben
sich rund 25.000 Lehrkräfte, die der Staat eigent-
lich zusätzlich einstellen müsste.
ZEIT: Dafür haben Lehrer deutlich mehr Ferien.
Rackles: Das ist einberechnet. In der Schulzeit
kommen deutsche Lehrer im Schnitt auf knapp
50 Arbeitsstunden pro Woche, viele auf deutlich
mehr. Diese Arbeitsverdichtung ist eine besondere
Belastung des Berufs. Das können die vielen ­Ferien
oft nicht ausgleichen.
ZEIT: Man könnte argumentieren: Viele Akade-
miker mit ähnlichem Gehalt kommen ebenso auf
drei Stunden Mehrarbeit pro Woche. Anders als
sie haben Lehrkräfte jedoch das Privileg, einen Teil
ihrer Arbeitszeit selbst frei einteilen zu können.
Illustration: Kim-Melina Bertram/ZEIT-Grafik; Foto: Angelika Loeffler/Fotoggenten
ein Dutzend Seiten lang sind. Da brauchen Sie pro
Klausur gut und gern eine Stunde. Einen solchen
Korrekturaufwand gibt es im Fach Sport nicht.
Das ist natürlich alles andere als gerecht.
ZEIT: Was folgt für Sie daraus?
Rackles: Wir müssen die individuelle Arbeitszeit
von Lehrkräften endlich realistisch berechnen und
nicht nur das offizielle Stundendeputat – also die
Anzahl der Unterrichtseinheiten, die eine Lehrkraft
zu geben hat – zur Grundlage nehmen. 1873, als
das Deputatsmodell in Deutschland eingeführt
wurde, mag es zur Schulrealität gepasst haben.
Heute jedoch gibt es so viele Zusatzaufgaben zu­
erledigen, dass die reine Unterrichtszeit vor der
Klasse tatsächlich nur ein gutes Drittel des Arbeits-
aufkommens ausmacht.
ZEIT: Das dürfte viele überraschen. Was sind die
anderen beiden Drittel?
Rackles: Einen großen Teil machen die erwähnten
Vor- und Nachbereitungen aus, hinzu kommen
Lehrerkonferenzen, Elterngespräche oder Fortbil-
dungen. Auch neuere Themen wie Inklusion, Digi-
talisierung, Ganztagsunterricht oder die Zusammen­
arbeit mit Betrieben und Jugendämtern kosten
Mühe und Zeit – was jedoch in der Regel nicht als
Arbeitszeit festgehalten wird. Konkret weiß der
ren vom Deputatsmodell verabschiedet. Stattdes-
sen bekommt dort jede Lehrkraft eine Jahres­
arbeitszeit, in die nicht nur die verschiedenen Un-
terrichtfächer je nach Aufwand einfließen, sondern
auch Aufgaben jenseits des Klassenraums.
ZEIT: Wie funktioniert das?
Rackles: Jedes Fach hat in Hamburg je nach­
Arbeitsaufwand einen bestimmten Zeitfaktor. Um
beim Beispiel zu bleiben: Während einer Sport-
stunde der Faktor 0,8 zugewiesen ist, liegt er im
Mark Rackles
ZEIT: Hört sich kompliziert an. Rackles: Es gibt kaum noch ein Land, das wie wir
Rackles: Ist es auch. In Österreich ist es noch kom- nur die offiziellen Unterrichtsstunden zählt. Zu-
plizierter, dort differenziert man in sechs Lehr­ dem arbeiten deutsche Lehrer relativ viel: im Jahr
verpflichtungsgruppen mit jeweils bis zu 264 ver- knapp 200 Stunden mehr als der OECD-Durch-
schiedenen Lehrertätigkeiten. Ich halte das für schnitt.
zu kleinteilig und übertrieben. Aber das Grund­ ZEIT: Deutsche Lehrkräfte gehören international
prinzip ist richtig: Schule ist mehr als Unterricht. aber auch zu den Spitzenverdienern.
ZEIT: Dennoch ist das Modell in Hamburg auch Rackles: Richtig, nur Schweizer und Luxemburger
nicht gerade beliebt. Lehrer verdienen mehr. Was jedoch besonders auf-
Rackles: In Hamburg war die Einführung des­ fällig ist: Der deutsche Staat setzt die teure Arbeits-
Modells leider mit einer generellen Erhöhung der kraft seiner Lehrer ziemlich ineffektiv ein. Dass sie
Lehrerarbeitszeit verbunden, was den neuen Ver- ihre Zeit nur zu einem Drittel fürs Unterrichten
teilmechanismus diskreditierte. Bei aller Kritik verwenden, ist schon außergewöhnlich. Die er-
habe ich aber nicht das Gefühl, dass die Hambur- wähnte Wartung von Computern, die psychologi-
ger zurück zur alten Lösung wollen, die deutlich sche Betreuung verhaltensauffälliger Kinder, selbst
unfairer und intransparenter ist. Zudem ist es die Pausenaufsicht sind keine genuinen Aufgaben
durchaus sinnvoll, dass die Schule vor Ort über die eines Lehrers. Das machen andere Länder besser.
Verteilung der Stunden entscheidet. ZEIT: Wie?
ZEIT: Das birgt aber Konfliktpotenzial. Rackles: Indem sie andere Professionen in die
Rackles: Stimmt, das Modell erfordert eine starke Schule holen: IT-Experten, Schulkrankenschwes-
Schulleitung, die mit Kollegen über ihre konkrete tern oder Psychologen. Meiner Meinung nach be-
Arbeitsleistung ins Gespräch geht und sich dabei nötigt jede größere Schule einen Verwaltungsleiter,
auch einmal unbeliebt macht. Aber Schulen sind der sich um die angesprochene Personalverteilung
mittelständische Betriebe, die brauchen Führungs- kümmert, Laptops bestellt sowie das Schulbudget
verantwortung und ein klares Personalmanagement. managt. All das machen heute unsere Schul­
Leider fehlt unseren Schulen oft beides. leitungen. Die sollten sich aber besser um die

Rackles: Mit dem Freiraum ist das so eine Sache.
Lehrer bereiten den Unterricht für den nächsten
Tag meist zu Hause vor, Gleiches gilt für Korrek-
turen. Das passiert in den Abendstunden oder am
Wochenende. Einige empfinden dies als Freiheit,
viele jedoch als Entgrenzung der Arbeit: Sie hört
niemals auf.
ZEIT: Wie groß sind die individuellen Unter-
schiede in der Belastung?
Rackles: In allen Berufen gibt es faule und fleißige,
belastbare und weniger belastbare Menschen. Bei
Lehrkräften kommt etwas Spezielles hinzu: Ihre
offizielle Arbeitszeit berechnet sich nach den Un-
terrichtsstunden, die sie geben. Und die sind – in-
nerhalb der Schulform – für alle Kollegen gleich.
Dabei aber ist der Arbeitsaufwand je nach Fach
sehr unterschiedlich. Ein Beispiel: Wenn Sie in der
Oberstufe Englisch oder Deutsch unterrichten,
müssen Sie Klausuren korrigieren, die oft mehr als
Staat also nicht, wie viel die größte Gruppe unter
seinen Beschäftigten – immerhin rund 800.000
Personen – konkret arbeitet. Das ist ein Unding.
ZEIT: Das Unding wird seit 150 Jahren akzeptiert.
Rackles: Genau das wird in Zukunft aber nicht
mehr möglich sein. Laut den aktuellen Vorgaben
des Bundesarbeitsgerichts sind Arbeitgeber überall
verpflichtet, die konkrete Arbeitszeit ihres Personals
zu erfassen. Arbeitsminister Heil hat dazu in der
vergangenen Woche einen ersten Entwurf vor­
gelegt, der auch für Schulverantwortliche eine Be-
deutung haben wird. Bisher haben sich die Kultus-
minister bei dem Thema weggeduckt. Jetzt aber
steigt der Druck, das anachronistische Deputats-
modell zu reformieren.
ZEIT: Gibt es Vorbilder, wie man die Arbeitszeit
gerechter berechnen und verteilen kann?
Rackles: Unter anderem in Hamburg. Die Hanse-
stadt hat sich als einziges Bundesland vor 15 Jah-
war zwischen 2011 und 2019
Staatssekretär in der Berliner
Behörde für Bildung, Jugend und
Wissenschaft. Heute arbeitet er als
Berater und Publizist. Die Expertise
zur Lehrerarbeit entstand im Auftrag
der Deutschen Telekom Stiftung
Fach Englisch bei 1,2 – mit der Folge, dass eine
Englischlehrerin weniger Stunden unterrichten
muss als ihr Sportkollege. Ebenfalls weniger unter-
richten muss, wer zusätzliche Aufgaben über-
nimmt, etwa eine Klassenleitung, die Wartung der
Computer oder die Leseförderung. Die konkrete
Zuweisung erfolgt in zwei Stufen: Zuerst bekommt
die ganze Schule ein Arbeitszeitbudget, das dann
von der Leitung auf das Kollegium verteilt wird.
ZEIT: Ist es nicht ebenso anachronistisch, dass pädagogische­ Führung kümmern.
Lehrer in der Schule keinen richtigen Arbeitsplatz ZEIT: Das heißt, eine gerechtere Arbeitsverteilung
haben? benötigt Ihrer Meinung nach nicht unbedingt
Rackles: Ideal wäre, wenn die Lehrkräfte ihre ge- mehr Lehrkräfte?
samte Arbeit in der Schule absolvierten. Das würde Rackles: Die moderne Schule braucht mehr Men-
aber bedeuten, dass alle bis zum späten Nachmit- schen, aber nicht unbedingt mehr Lehrer. Würde
tag blieben ... man diese von den vielen nichtpädagogischen­
ZEIT: ... was nicht jedem Lehrer und jeder Lehre- Arbeiten entlasten, könnten sie sogar die eine oder
rin gefallen dürfte. andere Stunde mehr unterrichten. Nur darf die
Rackles: Stimmt. Aber eine feste Kernarbeitszeit Entlastung kein leeres Versprechen sein! Und die
erleichtert auch die Zusammenarbeit zwischen bisher versteckten Überstunden im Umfang der
den Kollegen, was unter dem Strich wiederum genannten 25.000 Stellen müsste man vorher aus-
Zeit spart – etwa indem man die Unterrichts­ gleichen. Die Zahl der Unterrichtsstunden bloß zu
vorbereitung von anderen übernimmt. Aus Studien erhöhen, wie es einige Bundesländer jetzt vorha-
wissen wir, dass ein hoher Grad der Kooperation ben, wird dazu führen, dass noch mehr Lehrer in
den Stresslevel im Kollegium senkt. Teilzeit gehen oder ganz den Beruf verlassen. Das
ZEIT: Sie haben die deutsche Lehrerarbeitspraxis ist der falsche Weg.
auch mit der in anderen Ländern verglichen. Was
fällt dabei auf? Die Fragen stellte Martin Spiewak

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34
Fotos: Amelie Niederbuchner für DIE ZEIT; dpa (u.); ZEIT-Grafik: Anne Gerdes
Jäger der verlorenen Hefe
Deutsche Biotechnologen fahnden in alten Gärkellern nach den Ursprüngen der modernen Braukunst.
Jetzt haben sie den Ort gefunden, wo die Geschichte von Pils und Lager begann  VON URS WILLMANN
A
m letzten Tag im März
2023 gehen Mathias
Hutzler und Martin
Zarnkow wieder ein-
mal auf die Jagd. Ihr
Revier ist diesmal ei­ne
stillgelegte Brauerei
in dem niederbayeri-
schen Dorf Schwarz-
ach. Sie schlüpfen in
weiße Laborkittel und stülpen sich Plastikhüllen
über die Schuhe. Hutzler hat im Gemäuer einen
alten Lüftungsschlitz entdeckt. Der große Bayer
geht auf die Knie und verschwindet unter einem
Tisch im alten Gärkeller. In der einen Hand die
Taschenlampe, in der anderen das Jagdwerkzeug,
ein Wattestäbchen. Dann bückt sich sein Kollege
Zarnkow und kriecht hinterher, auch er ein Berg
von Mensch. Er soll assistieren. Seine Ausrüstung:
Plastikflasche und Bunsenbrenner.
Die beiden Jäger haben es auf eine unsichtbare
Beute abgesehen und wissen daher nie, was ihnen
in die Fänge gerät. Andererseits können die zwei
Biotechnologen von der TU München auch nicht
auf die Pirsch gehen, ohne mit Beute nach Hause
zu kommen. Denn was sie jagen, ist überall: He-
fen. Wo immer die beiden Forscher ein wenig
Kruste von einer Wand mit organischen Ablage-
rungen kratzen, finden sie Hefepilze.
Fragt sich nur, von welcher Güte diese sind.
Welche Vertreter der Schlauchpilzgattung Saccha-
romyces sie in dem alten Keller einsacken, wird
sich frühestens in den Monaten danach zeigen.
Erst muss die Analyse im Labor erfolgen, am
Ende der kräftige Schluck zu Prüfzwecken. Denn
die Spezies, an denen die Männer forschen, sind
Bierhefen. Diese erzeugen – als Verursacher alko-
holischer Gärung – Ethanol und Kohlendioxid.
Das macht sie, wie der Brauerei-Mikrobiologe
Hutzler in seiner Habilitationsschrift schreibt,
zum »Motor der Bierherstellung«.
Da aber jeder Hefestamm nicht nur Antrieb
liefert, sondern auch ein »spezifisches Aroma­
profil« verursacht, müssen Brauer für den Akt der
Vergärung die richtigen Hefen erwischen. Und
damit das Bier auch wirklich schmeckt, betreibt
die TU München das Forschungszentrum Wei-
henstephan für Brau- und Lebensmittelqualität,
an dem Hutzler und Zarnkow arbeiten.
Wenn sie auf Pirsch gehen, suchen die beiden
Lebensmitteltechnologen nicht nur neue Hefen;
seit Jahren fahnden sie auch nach den Ursprün-
gen der modernen Braukultur. In dieser Woche
können sie im Fachblatt FEMS Yeast Research
endlich den Erfolg verkünden, auf den sie lange
hingearbeitet haben: Sie wissen jetzt, woher die
erfolgreichste Hefespezies aller Zeiten kommt.
Auf mehreren Kontinenten hatten Wissen-
schaftler nach den Vorfahren jener Hefe gefahn-
det, die dafür verantwortlich ist, dass heute mehr
als 90 Prozent aller Biere weltweit mit einer­
einzigen Art produziert werden – dem Hefepilz
Saccharomyces pastorianus. Die Münchner For-
scher hatten im Böhmischen Wald in Tschechien
gejagt, im Bayerischen Wald, in der Oberpfalz, in
Georgien – immer auf der Suche nach dem Ort,
an dem die moderne Bierkultur ihren Anfang
nahm. Wo und wann ist S. pastorianus – durch
Zucht oder Zufall – als Hybrid aus zwei Vorgänger­
spezies hervorgegangen? Wo hat die Hefe mit ihren
besonderen Fähigkeiten erstmals einen Sud aus
Gerstenmalz vergären lassen? Nun ist klar: Die­
Revolution der Braukunst hat sich Anfang des
17. Jahrhunderts in München ereignet.
Um den Ablauf dieser Entwicklung zu rekon-
struieren, beschränkten sich die beiden Wissen-
schaftler nicht auf die Arbeit im Labor. Ans Ziel
brachten sie auch monatelange Recherchen in
den Archiven: Sie lasen historische Handbücher
des Brauwesens, althochdeutsche Glossen oder
Chemiebücher aus dem 19. Jahrhundert. Und sie
lokalisierten sogar die Braustätte, in der die Ur­
hefen zum entscheidenden Evolutionssprung an-
setzten: das Hofbräuhaus, ausgerechnet.
Was aber machen die Forscher dann hier, im
bayerischen Schwarzach? Dazu muss man auf der
Zeitachse der Bierhistorie einen weiteren Schritt
zurückgehen. Erst dann erschließt sich, warum
Zarnkow in diesem Moment unter dem Tisch des
einstigen Gärkellers die Flamme des Bunsen­
brenners entzündet und die Plastikflasche öffnet,
während Hutzler ein steriles Tupfstäbchen aus ei-
ner Plastiktüte zieht und damit in den Tiefen des
verdreckten Lüftungsschlitzes herumzustochern
beginnt – in der Hoffnung auf Beute. Denn die
zwei haben nicht nur herausgefunden, dass die
berühmteste Bierhefe in München entstand, son-
dern auch, dass ein Elternteil vermutlich aus
Schwarzach gekommen ist, im Jahr 1602.
Die Probenentnahme im stillgelegten Gärkeller
soll Gewissheit bringen. Später werden noch
Schmutzkrümel aus ein paar Ritzen im einstigen
Eiskeller gesammelt. Der Bunsenbrenner dient
dabei der Erwärmung der Umgebungsluft. Das
hilft, Kontaminationen zu vermeiden – weil die
aufsteigende Warmluft unwillkommene Hefen
davon abhält, während der Sammelaktion von der
Kellerdecke herab- oder aus dem Bart des For-
schers heraus ins Probenfläschchen zu schweben.
Ihre sorgfältige Schmutzarbeit, mit der die Wei-
henstephaner nun im renommiertesten Fachmaga-
zin der Branche gelandet sind, hat sie an bizarre Orte
geführt. In Mendig in der Eifel stiegen sie die 153
Stufen zum tiefsten Bierkeller der Welt hinab. Noch
WISSEN
Braukunst
immer stehen dort alte Kessel in den Gewölben,
Schläuche hängen herum, ungenutzt seit Jahrzehn-
ten. Durch solch verlassene Brauwelten stapfen die
beiden Hefejäger Jahr für Jahr, sie kratzen Rost vom
Gestänge eines Malzkippwagens, schneiden Borsten
von der Bürste, die sie in einem Ablaufrohr finden,
oder konfiszieren eine Flasche, die 50 Jahre zuvor
ein Mensch nur bis zur Hälfte ausgetrunken hat.
Alles Faulige entlockt ihnen Frohlocken, stets hoffen
sie, dass der letzte Braumeister »nicht picobello­
geputzt hat«.
Dass die Hefe Saccharomyces pastorianus so
erfolgreich und zum Gegenstand der Forschung
wurde, liegt an ihren Gäreigenschaften. Diese ver-
dankt sie ihren ungleichen Eltern: Ein exzellenter
obergäriger Hefestamm paarte sich mit einem
ebenso exzellenten untergärigen Hefestamm. Das
Resultat war eine untergärige Tophefe, die bei
unter 10 Grad Celsius erstklassig vergärt. Und
eine solche Hefe, die bei Kälte zu ­arbeiten weiß,
hat einen entscheidenden Vorteil: Sie lässt sich
während des Gärprozesses leichter im Zaum hal-
ten, was das Brauen kontrollierbar macht. Ober-
gärige Hefen hingegen – die bei Temperaturen
zwischen 15 und 25 Grad am besten arbeiten –
sind unberechenbar.
Mit dem Aufkommen von Kühlmöglichkeiten
konnten die Brauer diesen Vorteil ganzjährig nutzen.
So schufen die untergärigen Hefen vor mehr als 400
Jahren die Voraussetzung dafür, dass die biertrinken-
de Bevölkerung ihr Sortiment erweitern konnte.
Neue Biere entstanden – Pils, Lager, Helles, Mai-
bock, Märzen. Zuvor braute der Homo sapiens nur
obergärige Biere – Sorten wie Ale, Altbier und Wei-
zen zählen heute dazu.
Dank Genanalysen weiß man über die Vor-
fahren der Hochleistungshefe S. pastorianus gut
Bescheid: dass sie aus der Vermählung der ober-
gärigen Hefe S. cerevisiae mit der untergärigen
S. eubayanus entstand. Doch auf welchen Wegen
kamen diese zusammen?
Jahrelang tappten die Forscher im Dunkeln.
Erst 2011 konnten sie einen Teil des Rätsels lösen,
als es ­gelang, den kältetoleranten Hefepilz S. eu-
bayanus dank genetischer Analysen in Argenti-
nien dingfest zu machen, später auch in China, in
Tibet und in den USA. In Patagonien sitzt er auf
Scheinbuchen, die vom größeren Pilz Cytaria be-
wachsen sind – einer wahren Zuckerbombe.
Möglicherweise, so lautete eine Theorie, reiste der
Einzeller S. eubayanus einst auf den Großseglern
der ersten Entdecker aus der Neuen Welt nach
Europa und krempelte dort die Bierwelt um. An-
dere spekulierten, dass S. eubayanus der Seiden-
straße folgte und von Tibet aus im Gepäck der
Händler ins Abendland gelangte. Im vergangenen
Jahr dann wurden irische Molekularbiologen
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
Mathias Hutzler (links)
und Martin Zarnkow
suchen Hefen – hier
in den Felsenkellern
von Schwandorf
DÄNEMARK
Kopenhagen
6
Hamburg
Berlin
DEUTSCH LAND
Einbeck
4
IEN
E CH
CH
TS B Ö H M E N
FRANKEN 1
OBER
PFALZ
B AY E R N 2
3 Schwarzach
5
München
Hofbräuhaus
obergärig untergärig
auch in Europa fündig (ZEIT Nr. 52/22): In Bo- Geburt der Lagerhefe
denproben, die sie dem Untergrund der Univer-
sität Dublin entnommen hatten, stießen sie auf 1
zwei wilde Vertreterinnen der untergärigen Bier- Der Hefepilz
hefe S. eubayanus – ein Beweis, dass es die kälte­ Saccharomyces cerevisiae Bohemia
affine Spezies hier wohl schon immer gegeben hat. 1517–1600
Aber noch blieb offen, wo sich die entschei-
dende Liaison mit S. cerevisiae ergeben haben
könnte. Mit der Genetik allein war Mathias 2
Hutzler nicht ans Ziel gekommen. Da half ihm S. cerevisiae Schwarzach
das historische Wissen seines Kollegen Martin 1548–1602
Zarnkow. Dieser hatte in seiner Nebenfunktion Obergäriger Elternteil
der Lagerbierhefe
als Altertumswissenschaftler unter anderem nach-
weisen können, dass schon vor 11.500 Jahren auf
dem Hügel Göbekli Tepe in Südostanatolien eine 3
Art Bier gebraut und getrunken wurde. S. eubayanus Bavaria
Nun half er seinem Kollegen Hutzler dabei, Untergäriger Elternteil
auch jenes Ereignis zu identifizieren, das für viele der Lagerbierhefe
Branchenkenner mindestens so etwas wie eine
Zeitenwende darstellt: den großen Schritt der
4
Menschheit in die Untergärigkeit. Zarnkows his-
torische Recherchen ergaben, dass vor mehr als S. cerevisiae Einbeck
400 Jahren in Schwarzach mit Spezialbewilligung 1300–1612
Mögliche alternative Herkunft
etwas gebraut wurde, was im übrigen Bayern auf-
des obergärigen Elternteils
grund des Weizenmangels verboten war, nämlich
Weißbier. Die dafür verwendete obergärige Hefe
S. cerevisiae gelangte dann 1602 ins Hofbräu- 6
haus, wo bereits seit Jahrhunderten mit einem 5
Hefecocktail – in dem sich auch die untergärige S. pastorianus
Hefe S. eubayanus befand – gebraut wurde.­ Hofbräuhaus
Zwischen 1602 und 1615, als im Hofbräuhaus 1602–1615
beide Hauptbiersorten gleichzeitig fabriziert wur- Entstehungsort der Lagerbierhefe
den, muss dann die Hochzeit der Hefen statt­
gefunden haben.
Die Geschichte ihres Nachwuchses ging im 6
19. Jahrhundert in Dänemark weiter: Wissen- S. carlsbergensis
schaftler isolierten aus den Hefemixturen Rein- Patentierte Form der Lagerbierhefe
zuchthefen. Die untergärige S. pastorianus wurde
patentiert und startete unter dem Namen S. carls- ZEIT- GRAFIK/
bergensis ihre Weltkarriere – heute verantwortet Quelle: FEMS Yeast Research, 2023
sie fast jedes Pilsbier oder Helle.
Die Forschung von Hutzler und Zarnkow könnte­
auch in Schwarzach Folgen haben. Das seit drei
Jahrzehnten stillgelegte Brauhaus soll nämlich bald
wiedereröffnet werden. Das überlegt sich Benedikt
Eibauer, Spross der aktuellen Besitzerfamilie und
gelernter Braumeister, seit Längerem. Nun kommen
die Ergebnisse der Biotechnologen aus Weihen­
stephan wie gerufen. Belegen sie doch die enorme
historische Bedeutung seines Hauses für die Ent-
wicklung von Hellem, Lager und Pils. Wenn Hutz-
ler und Zarnkow also tatsächlich das Original der
Hefe S. cerevisiae aus einer Schwarzacher Ritze ge-
pult haben, kann Eibauer damit gleich loslegen und
einen geschichtsträchtigen Vintage-Sud brauen.
www.zeit.de/vorgelesen
 DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
Kampf, bis nur die Könige übrig sind: Endstellung der zehnten Partie
Der Chinese Ding Liren verpatzt zwei WM-Partien. Der Russe Jan Nepomnjaschtschi hütet seinen Vorsprung  VON ULRICH STOCK
C
an I get the question again?«,
bittet der chinesische WM-
Finalist Ding Liren, 30, wenn
er auf der Pressekonferenz
nach einer Partie eine an ihn
gerichtete Frage nicht ver-
standen hat. Sein Englisch ist
löchrig, er will es verbessern, weshalb er sich die
Fragen der Journalisten aus Russland, Amerika,
Spanien und Deutschland nicht übersetzen lässt,
obwohl man ihm einen Übersetzer angeboten hat.
Nein, nein, üben, auch jetzt. Bitte noch mal. Mag
er vier, fünf oder sechs Stunden Schach gespielt
haben, verloren haben, erschöpft sein, ­deprimiert
sein: Er versucht, eine Antwort zu geben, selbst, in
einfachen Worten, nach denen er sucht.
So werden viele Fragen an ihn zweimal g­ estellt.
Und wer das Ritual täglich miterlebt, glaubt zu
bemerken, wie Ding Liren von Runde zu Runde
lässiger wird. Gelegentlich lacht er sogar.
Das war zu Anfang nicht so. Sein russischer
Gegner Jan Nepomnjaschtschi, 32, setzt ihm
gleich in der ersten Partie zu, mit einer eher selten
gespielten Nebenvariante in der Spanischen Par-
tie. Nichts Besonderes, für einen Großmeister
zumal, aber Ding scheint überrascht zu sein,
überrascht wohl letztlich auch davon, nun hier
tatsächlich zu sitzen, in einem von himmlischem
Licht erfüllten Kuppelsaal des prachtvollen­
St.-Regis-Hotels in Astana, Kasachstan, auf hal-
bem Wege zwischen Russland und China, vor
den Kameras des Internets, die Chance seines
Lebens im Blick.
Schachweltmeister, was heißt das auf Chine-
sisch? »Wenn ich es schaffe, ist das großer Ruhm«,
sagt er, »large glory«. Man glaubt es ihm sofort.
Wie anders sein Gegner! »Der Weltmeister­
titel ist wichtig, aber nicht alles. Ich würde das
nicht überschätzen«, sagt der, und wiewohl das
glatt gelogen ist, geht es ihm als Notlüge durch.
Denn Jan Nepomnjaschtschi unterlag Magnus
Carlsen bei der WM in Dubai im Dezember
2021 auch deshalb, weil die Erwartungen so
schwer auf ihm lasteten, die eigenen wie die
seines Landes. Er fand keinen Schlaf und kam
nach der ersten Niederlage so aus dem Tritt, dass
er reihenweise Partien verlor, der Kampf vorzei-
tig endete.
Russland hat zwar schon viele Schachwelt-
meister gehabt und China noch nie einen, aber
es ist lange her, dass Wladimir Kramnik den­
Titel trug. Seit seiner Niederlage im Jahr 2008 in
Bonn gehörte die Krone dem Inder Anand, seit
dessen Entthronung 2013 dem Norweger Carl-
sen. Zweimal soll Russlands Präsident Putin
seither öffentlich bekundet haben, wie wichtig es
sei, dass wieder ein Russe Schachweltmeister
werde. Eine Aufforderung von höchster Stelle
also, die nur insofern verblüfft, als dass Putin
persönlich mehr an Eishockey interessiert ist und
als Kremlchef auf absehbare Zeit ganz andere
Probleme hat.
Jan Nepomnjaschtschi, bekennender Kriegs-
gegner, hat für sich entschieden, die zweite WM
anders anzugehen als die erste, gelassener. Vom
Team Carlsen hat er sich das »Nepoteam« abge-
schaut: eine in ihrer Größe nicht näher zu be-
stimmende Gruppe von Sekundanten, die einem
Headcoach zuarbeitet, der in Astana an seiner
Foto: imago images/Shotshop
Seite weilt und das für jede Partie neu zugeschnit-
tene Eröffnungswissen portioniert. Wie Carlsen
hat er einen Arzt dabei, anders als Carlsen auch
seine Freundin. Das Nepoteam fällt zunächst
durch den Namen auf, denn Nepomnjaschtschi,
so heißt es, möge das Kürzel eigentlich gar nicht
so gern. Seine Freunde nennen ihn Jan. Aber da
Im Blatt und im Netz berichten wir über den Verlauf der WM: www.zeit.de/thema/schach
Gibt’s noch eine Kugel?
Nepo einzig und griffig ist, hat er jetzt schwarze
Nepoteam-T-Shirts drucken lassen und weiße
Nepo-Knuddelbären geordert. Über deren Her-
stellung ist nichts bekannt; wäre natürlich eine
Pointe, wenn sie aus China kämen.
Bär oder T-Shirt kosten umgerechnet je 30
Euro. In der Wandelhalle des St. Regis sind sie zu
kaufen, was dem Team Ding missfällt. Das jovia-
le Angebot, den Chinesen ein paar russische Bä-
ren abzutreten, soll nicht angenommen worden
sein. Ilja, ein schlaksiger junger Mann, der den
russischen Stand betreut, weiß zu berichten, dass
der Absatz stark schwanke, je nachdem, wie sich
Nepo am Brett grade schlägt.
In der ersten Partie entwischt ihm Ding, in
der zweiten kriegt er ihn. Der Chinese wirkt da-
nach so angeschlagen, dass ein Ende der WM
durch K. o. in greifbarer Nähe zu sein scheint. Es
kommt dann anders.
Im Moment, da diese Zeilen geschrieben wer-
den, sind elf Partien gespielt, und Nepo hat seinen
Vorsprung aus der zweiten Runde, den Ding zwei-
mal aufholte, zweimal wieder herstellen können.
Nun steht es 6 : 5. Aufs Ganze betrachtet, lässt sich
das Duell in bislang drei Phasen unterteilen: In den
In der
Tennishalle
nebenan
lauert
auch einer
Partien 1 und 2 strauchelt Ding und gerät in Rück-
stand, erste Phase. Zur Partie 3 erscheint er wie
verwandelt, erzielt ein müheloses Remis, um sich
in den Partien 4 bis 7 einen Schlagabtausch von
Sieg und Niederlage zu liefern, wie man ihn bei
einer WM noch nicht gesehen hat. Wechselseitig
kreativ geführte Angriffe, die von der jeweils ande-
ren Seite nicht abgewendet werden können. Das ist
die zweite Phase. Ihr folgt die dritte Phase mit vier
Remisen en suite. Nepo hält bei wachsender Span-
nung seinen Vorsprung.
Die Partien 7 und 8 könnten die Schlüssel-
momente dieses Matches werden. In der siebten
Partie spielt Ding die Französische Verteidigung,
eine alte, solide, ein wenig geduckte Entgegnung
auf den Doppelschritt des weißen Königsbauern.
Es ist das erste Mal seit 1978, dass sie bei einer
WM aufs Brett kommt. Ihr Ruf ist ambivalent.
Die künstliche Intelligenz hält wenig von ihr.
Junge, innovative Großmeister wenden sie letzt-
hin mit neuen Ideen an, weil verzwickt und ver-
wickelt. Man muss auch als Weißer viel wissen,
um in ihren Verästelungen nicht unterzugehen.
Wer Schwarz hat, muss eh immer vorsichtig
sein. Schon ein Remis ist mit Schwarz ein gutes
Ergebnis. Aber Nepo ist so frappiert von der Er-
öffnung, dass er auf die schärfste Reaktion ver-
zichtet, was Ding wiederum Gelegenheit gibt, die
Partie gehörig anzuwürzen. Das Mittelspiel ist
hyperkomplex, und Ding kann Nepos Angriff
auf den König nicht nur abwehren, sondern auch
umstülpen. Just als er das geschafft hat, verlassen
ihn die Kräfte. Die Minuten verrinnen, und an
Nepo oder Ding?
SCHACH 35
Remis nach dem 45. Zug
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einem Punkt erstarrt der Chinese geradezu. Zur
Zeitkontrolle nach 40 Zügen darf ein Spieler
nicht mehr als zwei Stunden Bedenkzeit ver-
braucht haben. Ding bleiben für seine letzten
acht Züge nur 45 Sekunden, und er weiß nicht
mehr, was tun. Nepo dagegen zieht schnell und
auf den Punkt. Seine große Stärke ist zweifellos
die Geschwindigkeit, die nur gelegentlich in ein
zu schnell umschlägt. Ding verliert diese Partie.
Für Deine
Noch schlimmer kommt es in der achten Par-
tie, die – der verfluchte Konjunktiv! – zu Dings
schönster hätte werden können. Ein Ehrenplatz
in der WM-Historie wäre ihr sicher gewesen.
Ding mit Weiß spielt in einer Nimzoindischen spontanen Ideen
bleiben wir flexibel.
Verteidigung im neunten Zug seinen Damen-
turm ein Feld nach vorn, Ta1-a2, um vorsorglich
eine Querwirkung herzustellen. Dabei hat er
noch nicht einmal rochiert. Große Aufregung in
der übers Internet zuschauenden Schachwelt:
Diese Idee kennt selbst Fabiano Caruana nicht,
der US-Amerikaner mit dem umfassenden Eröff-
nungswissen. Ding spricht später von dem Turm-
zug als von seiner »Kanonenkugel«, was ein ei-
gentümlich blumiger Begriff ist in einer Zeit, da
Drohnen und Raketen durch die Nachrichten-
sendungen rasen. Sind militärische Begriffe hier
überhaupt am Platz?
Wenn man es jemandem nachsehen kann,
dann Ding, der nichts Martialisches an sich hat
und kaum einem Chinesenklischee entspricht. Er
ist ein Mann von geradezu fragiler Erscheinung,
tiefem Schachverständnis und überbordender
Schachfantasie, dem nach einer missglückten
Partie die Tränen in den Augen stehen.
An drei Stellen hätte er die achte Partie gewin-
nen können; dreimal greift er fehl, weil er zu
schnell spielt. Und er spielt in der achten Partie
zu schnell, weil er in der siebten zu langsam ge-
spielt hat. Nepo zeigt, was er kann, indem er sich
durch kühne Opfer aus der Affäre zieht. Ein
Turmopfer soll ihm ein Remis durch Dauer-
schach erzwingen, ist aber nur ein Bluff, auf den
Ding hereinfällt. Ein Springeropfer etwas später
nimmt Ding tatsächlich allen Vorteil, den er he-
rausgespielt hat. Remis! Zwei Partien, aus denen
Ding nur einen halben Punkt holt. Im Konjunk-
tiv war er schon fast Weltmeister.
Wird der Phase drei eine Phase vier folgen?
Und wie könnte sie aussehen? Drei Partien sind
in dieser Woche noch zu spielen, Ding hat zwei-
mal Weiß. Bislang hat er in jeder Eröffnung etwas
Neues gebracht. Zwei Kanonenkugeln noch, und
er wäre am Ziel.
Schon eine könnte unter Umständen reichen,
denn Nepo ist bekannt dafür, in Turnieren gut zu
starten und zum Ende hin nervös zu werden. Bei
Ding ist es andersherum. Im Zuge dieses Turniers
hat er an Nervenstärke zugelegt, so rätselhaft das
angesichts des Verlaufes ist. Sollte es nach 14 Par-
tien einen Gleichstand geben, würde ein Stechen
mit kürzeren Bedenkzeiten über den Titel ent-
scheiden. Das wäre eine Art Elfmeterschießen, so
zufällig wie spektakulär, aber was will man ma-
chen. Es braucht ja einen Weltmeister. CLEVER VORSORGEN:
Übrigens geht die Zahl derer, die diesen Titel
begehren, in die Hunderttausende. Einer, der das
R+V-AnsparKombi Safe+Smart
sehr ernst meint, pirscht sich an die Wettkampf-
stätte heran. Es ist der 19-jährige Amerikaner Hans Die clevere Vorsorge zum Ansparen und
Moke Niemann, der von Magnus Carlsen des­ spontan Ausgeben*. Zum Beispiel für die
Betrugs beschuldigt worden ist, weshalb Niemann
Auszeit mit Deiner Familie.
ihn und andere auf 100 Millionen Dollar Schadens-
ersatz wegen Rufschädigung verklagt hat. In einer
Tennishalle in Astana spielt Niemann diese Woche Jetzt informieren: ruv.de/vorsorge
als einer von 180 Teilnehmern beim Kasachstan
Cup mit. Von der Weltmeisterschaft trennen ihn
jetzt nur noch 500 Meter.
* Weitere Informationen und Bedingungen unter ruv.de/vorsorge
ANZEIGE | ZEIT FÜR FORSCHUNG | Ein Spezial des Zeitverlags

TRANSFER UND
INNOVATION

Wie lässt sich akademisches Wissen in zukunftsweisendes

Know-how verwandeln? Um Antworten auf große Fragen
der Gegenwart zu finden, setzen Hochschulen auf eine eng
verzahnte Kooperation.
zeitfuerx.de/forschung

→ Kooperation als Hebel für einen Forschung verstehen

nachhaltigen Wandel Multiresistente Keime, Welthunger,

Kristina v. Klot
Der jüngste Sachstandsbericht des
Weltklimarats vom März ist alarmie-
rend: Laut IPPC vollziehen sich die
globalen Veränderungen sehr viel
schneller als erwartet, und die bishe-
rigen Maßnahmen reichen nicht aus,
um die Erderwärmung zu reduzieren.
Neue Lösungsansätze sind nicht nur beim
Thema Klimawandel gefragt, sondern auch
auf anderen Feldern. Ob es um zukunftswei-
sende Strategien im Kontext der Digitalisie-
rung der Medizin oder der Landwirtschaft
geht: Angesichts epochaler Herausforde-
rungen erfüllen Transfer und Innovation eine
zentrale Funktion als Hebel für den gesell-
schaftlichen Wandel. Schließlich geht es
darum, den Technologie- und Wissen-
stransfer zu beschleunigen mit dem Ziel,
Wirtschaft und Gesellschaft zu unkonventi-
onellen Ideen und Problemlösungen zu ins-
pirieren. Die Brücke zwischen Theorie und
Praxis zu schlagen, ist eine zentrale Voraus-
setzung, um akademische Erkenntnisse ver-
stärkt für die Industrie nutzbar zu machen.
Dafür ist es erforderlich, auch die Netzwer-
ke und Partnerschaften zwischen Wissen-
schaftseinrichtungen, Unternehmen, Start-
ups sowie sozialen und öffentlichen Playern
auszubauen. Zu diesem Zweck setzt die
Bundesregierung im Rahmen der Deutschen
Agentur für Transfer und Innovation (DATI)
auf überregionale »Innovationsökosyste-
me« und stellt neben der Förderung hoch-
schulinterner Gründungsinfrastrukturen
verbesserte Rahmenbedingungen für die
»Agentur für Sprunginnovation« in Aussicht.
Der Anspruch auf Wissenstransfer spiegelt
sich außerdem in einem veränderten Rollen-
verständnis der Hochschulen wider, die ne-
ben Forschung und Lehre immer häufiger
die dritte Mission (»Third Mission«) als Kern-
aufgabe nennen: Damit wird nicht nur für
eine engere Verzahnung mit der kommuna-
len Wirtschaft und Gesellschaft geworben,
sondern auch für mehr Transparenz und
Kommunikation im Kontext der akademi-
schen Wissensproduktion. Das betrifft zum
Beispiel die Folgenabschätzung innovativer
KI-Technologien, die mit ebenso vielen
Chancen wie Risiken verbunden sind.
Klimaerwärmung – die Probleme
unserer Welt lösen sich nicht von
selbst. Um die Erde zu einem
besseren Ort für alle zu machen,
brauchen wir das geballte Wissen
unserer Forschenden, ihren Drang,
Neues zu entdecken, und Investiti-
onen an den richtigen Stellen.
Besuchen Sie uns in der Themenwelt
ZEIT für Forschung und entdecken
Sie unsere vielfältigen Verlagsange-
bote wie ZEIT Konferenzen, Podcasts
und Videos.

Wirtschaft
→ 50 und Gesellschaft
Z. Headline: zukunftsfähig
Senioren fahren gestalten
autonom lore ipsum
Die HAW­Professur

© Vorname Nachname
Ein Beitrag von
Ein Beitrag im Rahmen des Langername
Universität gen.
Jahr. Aber ein grundlegendes
Es kommt immer wieder zuVerständnis
Unfällen mit ßen,
mäßig begleiten und optimieren
aktualisierten „Weltkönne«, erklärt
raum schrott- erfahren. Ich erhoffe mir dadurch eine (noch)
Bund-Länder-Programms FH Personal
5100 Zeichen Start-ups helfen, den der Auswirkungen der
abgeschriebenen. UndBasisarbeit aufenger
es wird immer Men- Prof.
Report“Dr. fest.
Ďuranová . »Dabei
Besonders soll sind
riskant sie darauf
dabei humanere Arbeitsgestaltung der Zukunft.«
Mit
Weltinterdisziplinärer
raumschrott weitForschung
räumig zu umflie- schen ist gleichermaßen erforderlich,
im Orbit: In den vergangenen Jahren ist die um die achten,
die etwadass
einedie Arbeit
Million in Betriebenvon
Bruchstücke »human«
Satel- Im Vergleich zu Universitäten sind die mehr Der Weg in eine Karriere als Professor*in an
arbeiten
gen – unddie Hochschulen
könnten künftig für Ange-
gefährliche Zukunft der Arbeit nachhaltig mitgestalten
Zahl der jährlichen Raketenstarts auf über gestaltet wird – imstufen
liten und Raketen Sinne im
einer
All,weitgehenden
die eine Grö- als 200 HAWs vielfach in mittelgroßen Städ- einer HAW führt in aller Regel über die beruf-
wandte Wissenschaften (HAWs)
Trümmerteile aus dem Orbit entfernen. an zu
100können. Deshalb
gestiegen. Immerist auch
mehr die konkrete
private Firmen psychischen und physischen
ße zwischen einem und zehn Gefährdungs-
Zentimeter ten und eher ländlich geprägten Regionen liche Praxis. Daneben ist meist eine Promo-
der Schnittstelle zwischen Theorie und Ausführung
– angeführt eine durch der methodischen
Elon Musks RaumVorge-fahrt- freiheit (§ 4 des Arbeitsschutzgesetzes)
Durchmesser haben. Denn in diesem sowie angesiedelt. Angewandte Forschung und tion im jeweiligen Fachgebiet erforderlich.
Praxis, zwischen
Für den Schrott gibtIdee und
es eine Transfer.
Statistik: 36.500 hensweisen
unternehmen bei Arbeitsanalysen«.
SpaceX – schicken Satelliten der »menschenorientierten«
Größen bereich werden die Teile Industrie 5.0.
nicht vom Transfer finden meistens in Kooperation mit Die Freiheit eigene Schwerpunkte in For-
Eine Professur
Trümmerteile mitbietet
einemhier die Chance,
Durchmesser von NunUmlauf
in die wird die Arbeitswelt
bahn. in immer
Und immer wiederschnel-
geht Radar erfasst, können aber trotzdem erheb- kleinen und mittleren Unternehmen sowie schung und Lehre zu setzen, die Verknüpfung
3 Fragen an

”
in Forschung
mehr als zehn und Lehre wirtschaftliche
Zentimetern kreisen aktuell lerem Tempo automatisiert und digitalisiert.
dabei auch etwas schief, wodurch das Müll- liche Schäden anrichten. Im Schnitt gibt es regionalen Einrichtungen aus dem Sozial- und von Theorie und Praxis und die Möglichkeit
und
um diegesellschaftliche
Erde – geschätzte Entwicklungen
130 Millionen Tei- Die Wettbewerbsfähigkeit
problem immer größer wird. derSo
Wirtschaft
wächst welt-und etwa fünf unvorhersehbare Explosionen.. Es Gesundheitsbereich statt. Damit unterstüt- junge Menschen für Ihr Fachgebiet zu Prof. Dr. Lenka Ďuranová von
aktiv und nachhaltig zu gestalten.
le sind kleiner als ein Zentimeter. Das hält die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft
weit die Sorge, dass es zukünftig zu immer werden kommt immer wieder zu Unfällen. zen diese Hochschulen Innovationen und begeistern, hat die HAW-Professur in den der → Hochschule Schmal-
die Europäische Welt raum organisation zunehmend durch technologische
neuen Kollisionen kommt – und immeraber mehr
auch Transfer vor allem in der Breite, komplementär letzten Jahren mehr und mehr zu einer kalden (Thüringen). Die Wirt-
In den in
vergangenen Jahren wurden – nicht soziale Innovationen
wolken die bestimmt, dieEsanmuss
Uni- zur Grundlagen- und Spitzenforschung an attraktiven Karriereoption für Fach- und schaftspsychologin sieht ihre
(ESA) ihrem regelmäßig aktualisierten Trümmer gefährden. Neue
Durch Navigati onssysteme
die potenzielle Aufgabe darin, Technologie-
nur in raum
„Welt Deutschland, sondernfest.
schrott-Report“ weltweit – Ent-
Besonders versitäten
dringend etwasund HAWs sowie in
geschehen. UndForschungs-
so ruft der Universitäten, in Forschungsorganisationen Führungskräfte der freien Wirtschaft werden
wicklungen deutlich, die mit tiefgreifenden organisationen undHöhe
Unternehmen entwickelt
für den Weltraum
Anwendung aktueller oder großen Unternehmen. Bereits im Jahr lassen. Mehr Infos dazu finden sich hier: einführungen anzustoßen, zu
Schrott in großer Start-ups auf den
Herausforderungen für Wirtschaft und werden. www.haw­professur.de begleiten und zu optimieren.
Plan, die für freie Flugbahnen sorgenhäufig
Derartige Innovationen werden wol- mitForschungsergebnisse
abgeschriebenen Satelliten in oder 1969 wurden die ersten Fachhochschulen
Gesellschaft verbunden sind und auch die als
len.Teamwork in Netzwerken entwickelt
sich.und gegründet. Seitdem haben sie sich zu moder-

”
Die Strategien unterscheiden So Raketender Praxis
teilen, steigt die
deren Batterien oder Rest- Wie wichtig ist die Praxiserfahrung,
Politik vor neue Aufgaben stellen. Neben umgesetzt,
arbeitet das die zukünftig
Darmstädterauch durch den Bund
Unternehmen treibstoffe sich entzünden. „Das große Pro- nen Hochschulen für Angewandte Wissen- Die Hochschulen für um nachhaltige Innovationen zu
dem alles beherrschenden Klimawandel als stärker unterstützt
Vyoma daran, werden sollen.
„ein Hilfssystem für denMit der
Flug- blem Sinnhaftigkeit unserer
sind derzeit die im Schnitt etwa fünf schaften (HAWs) entwickelt. Die Abschlüsse Angewandte Wissenschaften initiieren?
globales Szenario geht es um Entwicklung Gründung
verkehr imder Deutschen
Weltraum“ zuAgentur für Transfer
entwerfen, wie es unvorherArbeitstätigkeit.«
sehbaren Explosionen pro Jahr“, sind seit der europaweiten Bologna-Reform
(HAWs) Als Arbeitspsychologin sollte ich
der Digitalisierung, es geht um Prävention und Innovation
Gründer Stefan(DATI) sollen die Transfernetz-
Frey formuliert. Die Doppel- sagt CarstenProf.Wiedemann vom Institut für
Dr. Lenka Ďuranová
denen an Universitäten gleichwertig. Arbeitsplätze in Hinblick auf ihre
200 Z. ist
von Pandemien, dieArchitektur
um die aktuelle von Lie- werke und Partnerschaften
strategie der Tech-Firma: der HAWs mit Raumfahrt systeme der TU Braunschweig. Wer sich für eine HAW-Professur bewirbt, potenzielle psychische Gefährdung
ferketten, um Bildung und Fachkräftemangel,
Autonomous driving bus at anderen Wissenschaftseinrichtungen,
Zum einen lokalen
kalkuliert das Team mithilfe Und es wird immer enger im Orbit: In den HAWs: Innovationsmotor hat in einigen Bundesländern die Chance, beurteilen und dies auch meinen
die Stabilität des Finanzsystems und den Unternehmen, zivil-gesellschaftlichen Akteu- Berufserfahrung oder Promotion als Tan- Studierenden beibringen können.
the Weltenburg monastary von bodengestützten Teleskopen, ob der vergangenen Jahren ist die Zahl der jährli- der Region Dafür sind methodische, theoreti-
gesellschaftlichen Zusammenhalt – um nur ren odersonsteines
Satellit der öffentlichen
KundenVerwaltung gezielt
auf Kollisions- Aus
chendiesem
Raketen Grund
startshabe ich 100
auf über beispielsweise
gestiegen. dem-Professur parallel zur Lehrtätigkeit zu
in Problemfelder
einige Bavaria, Germany keinihre
zu nennen. Durch gefördert
kurs ist. Zumundanderen
weiter ausgebaut werden.
sollen künftig eigene das
ImmerSeminar
mehr Arbeitspsychologie 5.0 konzi-
private Firmen – angeführt Dank ihrer praxisnahen Forschung gelten erwerben. Neben der praxisnahen Lehre sche und empirische Vorkenntnisse
engeAllheil notwendig, die sich effektiver durch
mittmit
Vernetzung el,der
sondern ein die
Praxis können Flugkörper aufsteigen, die speziell nach piert, in dem meine Studierenden
durch Elon Musks Raumfahrtunternehmenunter ande- HAWs in ihren jeweiligen Regionen als Inno- gehört auch die Forschung mittlerweile ganz
praktische Beispiele übermitteln
HAWs sehr flexibel und gezielt
Baustein in einer Strategie zu einzelnen Humane
Trümmer Arbeitsgestaltung
teilen Ausschau halten. Die Daten rem durch ihre eigene Arbeit mit den
SpaceX – schicken Satelliten in die Umlauf-neuen vationsmotoren – insbesondere für kleine klar zum Profil von HAWs. Interdisziplinär
lassen, auch durch Ausführung der
konkreten Aspekten Vorschläge entwickeln, sollen dann zusammenfließen – und irgend- Technologien
bahn. Und immer – mitwieder
kollaborativen Robotern
geht dabei auch und mittlere Unternehmen (KMU) sowie die angelegt, läuft sie oft in Kooperation mit
für nachhaltig wirksamen
die als Bausteine zur Lösung umfassender »Von
jeweiligen Arbeit. Im Seminar Arbeits-
wannderdieWirtschaftspsychologie wird erwar-
Daten für automatisierte und
etwasin der virtuellen
schief, wodurch Realität – die
das Müll Belastun-
problem im- Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereiche. der Wirtschaft und leistet wichtige Beiträge psychologie 5.0 gehört eine betrieb-
Entwicklung.“
Fragestellungen dienen. Der Transfer in die tet, dass sie
Ausweich Technologieeinführungen
manöver liefern. Mit einem ansto-
ähnli- gen, Anforderungen
mer größer und Ressourcen
wird. So wächst selbst
weltweit die Sor- Durch ihre Praxisnähe unterstützen sie den zu ökonomischen, ökologischen und gesell- liche Exkursion zum Curriculum.
Praxis
65 Z. ermöglicht es den Hochschulen
Carsten Wiedemann, über-
TU Braunschweig chen Ziel ist das Start-up →OKAPI:Orbits ge, dass es zukünftig zu immer neuen Kolli- Transfer neuer Erkenntnisse und Technolo- schaftlichen Herausforderungen. Als praxis-
dies, Lösungsansätze unmittelbar
und eine weiter Blindzeile hier bei der unterwegs. Künftig könnten sie am Ende sionen kommt – und immer mehr gien in die Anwendung und leisten einen orientierte Bildungsinstitutionen, For- Inwiefern können Sie als
Implementierung zu begleiten. Ein Vorteil, wichtigen Beitrag zur Lösung der großen schungseinrichtungen, Motor für vielfältige Professorin an einer HAW selbst­
ihrer Lebenszeit gezielt in Richtung Erd- Trümmer wolken die gefährden. Es muss
der die sind
HAWs gegenüber bestimmt Innovationen anstoßen?
riskant dabei die etwaanderen For-
eine Million atmosphäre gedrückt werden – wo sie rasch dringend etwas geschehen. Und so ruft der gesellschaftlichen Herausforderungen. Innovationen, Partner der kleinen und mitt-
schungsinstitutionen hervorhebt. Damit haben die Hochschulen für Ange- leren Unternehmen (KMU) und Transferplatt- Durch die Freiheit in Forschung und
Bruchstücke von Satelliten und Raketen- verglühen. Ein radikalerer Ansatz stammt Schrott in großer Höhe Start-ups auf den
wandte Wissenschaften eine unverzichtbare form sind die HAWs integraler Bestandteil Lehre können wir eigene Schwer-
stufen im All, die eine Größe zwischen einem von einem Schweizer Start-up. Plan, die für freie Flugbahnen sorgen wol- punkte setzen. Mein Fokus liegt auf
Voraussetzung:
und Wissenschaft
zehn Zentimeter Durchmesser haben. len. Die Strategien unterscheiden sich. So Rolle für den Wissenschafts- und Innovati- der deutschen Hochschullandschaft.
Digitalisierung der Arbeit. Aktuell
plus berufliche Praxis onsstandort Deutschland. Um dieses enorme
Denn in diesem Größenbereich werden die Abschleppdienst fürs All arbeitet das Darmstädter Unternehmen habe ich mit Prof. Dr.-Ing. Frank
Teile nicht vom Radar erfasst, können aber Vyoma daran, „ein Hilfssystem für den Flug- Potenzial noch besser zu nutzen, wurde 2019 Kontakt Schrödel (Antriebs-, Automatisie-
Folgerichtig bringen die
trotzdem erhebliche Professorinnen
Schäden anrichten.und Im ClearSpace baut eine Art Abschlepp- verkehr im Weltraum“ zu entwerfen. / zum 50jährigen Jubiläum der ersten Fach- rungs- und Robotertechnik) und
Kampagne > Die HAW Professur <
Professoren
Schnitt gibt ines der
etwaRegel
fünfeine Doppelquali-
unvorhersehbare roboter für irrlichternde Satelliten und große hochschulgründung das »Lübecker Manifest« c/o Hochschule Fulda Hartmut Seichter, PhD (Computer-
fikation mit und
Explosionen promüssen
Jahr. Essowohl
kommt inimmer
Forschung
wie- Trümmer teile. Spätestens 2026 soll er die veröffentlicht, das die Bedeutung der HAWs Leipziger Straße 123 grafik) den Forschungsschwerpunkt
und Wissenschaft
der zu Unfällen mitals auch in der beruflichen
abgeschriebenen Satel- Mission starten. Für den Schrott gibt es eine Kontakt für die gesamte Gesellschaft betont, ihre 36037 Fulda Menschenzentrierte, interaktive
Praxis ausgewiesen
liten oder sein. Das
Raketenteilen, derenbetont auch
Batterien Statistik: 36.500 mit einem Durchmesser Entwicklungsperspektiven skizziert und mit Info@haw-professur.de Technologien – MiT gegründet, um
ca. 200 Z. Vorarlberg University
Prof. Dr. Lenka Ďuranová, die an der
oder Rest treibstoffe sich entzünden. „Das Hoch- von mehr als zehn Zentimetern kreisen aktu- of Applied Sciences, konkreten Forderungen verbindet. Diese Be- Weitere Informationen unter Technologien als physische und
schule Schmalkalden in Thüringen virtuelle Ressource zu entwickeln.
große Problem sind derzeit die imals Wirt-
Schnitt ell um die Erde – geschätzte 130 Millionen Hochschulstraße 1, deutung der HAWs erlebt Prof. Dr. Ďuranová www.haw-professur.de
schaftspsychologin
etwa fünf unvorherseh Technologieeinführun-
baren Teile sind kleiner als ein Zentimeter. Das hält A-6850 Dornbirn in ihrer Arbeit ganz konkret: »Als Professorin
Ist das interdisziplinäre Arbeiten
genExplosionen
anstößt, begleitet und optimiert:
pro Jahr“, sagt Carsten»Für die grüne Europäische Welt raum- Tel. +43 5572 792 7300 sitze ich an der Quelle der Zukunft. Meine
Susanne Zinecker, M.A., einer HAW­Professur eine Chance
mein Fachgebiet
Wiedemann vomistInstitut
jede einzelne praktische
für Raum fahrt- organisation (ESA) in ihFür den Schrott gibt Zielgruppe sind Studierende der Wirtschafts-
info@stiftung-ettersburg.de für mehr Innovation?
Arbeitserfahrung Gold wert. Deshalb
systeme der TU Braunschweig. helfen
unvorher- es eine Statistik: 36.500 Trümmerteile mit psychologie, die künftig Entscheidungen für Ja, zum Beispiel erfahren wir in
www.stiftung-ettersburg.de
mir persönlich sogar meine Erfahrungen
sehbare Explosionen pro Jahr. Es kommt aus einem Durchmesser von mehr als zehn Zen- die
540 Arbeitswelt
Z. Tages abertreffen
beschloß werden. DieZeile
eine kleine größte
Blindtext, ihr Name war Lorem Ipsum, hinaus zu unserem Forschungsschwerpunkt
www.forschungsinstiut.com
der Nachtschichtarbeit in einer Bäckerei
immer wieder zu Unfällen mit abgeschriebe- oder timetern kreisen aktuell um die Erde – ge- Chance sehe
gehen in die ichGrammati
weite daher ink.derDer potenziellen
große Oxmox riet ihr davon ab Eines Tages aber beschloß MiT alle einen wertvollen Perspektiv-
Weitere Informationen zum
Hilfstätigkeiten im Supermarkt. Es istderen
zwar eine kleine Zeile
Anwendung derBlindtext,
aktuellenihrForschungsergeb-
Name war Lorem Ipsum, hinaus zu gehen in die weite Gramma- wechsel und können so besser neue
nen Satelliten oder Raketenteilen, schätzte 130 Millionen Teile sind kleiner als Bund-Länder-Programm FH-Personal unter
hilfreich, tik. Der
ingroße Oxmox riet ihr davon ab Eines Tages aber beschloß eine kleine Zeile Blindtext,
BatterienErfahrungen ausstoffe
oder Rest treib Projektarbeit oder
sich entzün- ein
Prof.Zentimeter. Das hält
Dr. Lenka Ďuranová die Europäische
unterrichtet Wirtschafts- und Arbeitspsychologie nisse die Praxis, wodurch die Sinnhaftigkeit www.fh-personal.de
ihr Name war Lorem Ipsum, hinaus zu gehen in die weite Grammatik. Der große Oxmox riet ihr
Ideen und Innovationen entwickeln.
der
den.Führung von Mitarbeitenden
„Das große Problem Explosionenmitzubrin-
pro an der
Welt Hochschule
raum Schmalkalden.
organisation (ESA) in ihrem regel- unserer
davon ab. Arbeitstätigkeit
Der große Oxmoxsteigt.« / Tages aber beschloß eine Zeile
riet ihr davon ab Eines
 Ein Spezial des Zeitverlags | ZEIT FÜR FORSCHUNG | ANZEIGE

→ Ein Turbo für Ökonomie und Klimaschutz

Kristina v. Klot
Angesichts der Herausforderungen
rund um den Klimawandel steigt auch
in der Land- und Forstwirtschaft die
Nachfrage nach akademischem
Know-how. Ein Beispiel: Wie wahr-
scheinlich wird Spätfrost in den näch-
sten Jahrzehnten – und welche An-
bauweisen und Nutzpflanzen eignen
sich dafür? Oder: Was für Baumarten,
die Trockenperioden widerstehen
können, sollte man für die Aufforstung
wählen?
Bei Fragen wie diesen verspricht eine neue
optimierte Wettervorhersage mittels KI jetzt
Abhilfe. Entwickelt wurde das Webportal
BigData@Geo von der Julius-Maximilians-
Universität Würzburg in Kooperation mit 15
kleinen und mittelständischen Unternehmen
(KMU) aus der Region Unterfranken, die un-
mittelbar davon profitieren. Im Zentrum
steht eine Art Klimaatlas, der anhand ver-
schiedener Nutzungsszenarien Dürreperio-
den und Niederschlagsmengen präzise vo-
rausberechnen kann. Die Technologie, die
zur Risikominimierung und Planungssicher-
heit beitragen soll, beruht auf regionalen
Erdsystemmodellen aus der Geografie, lo-
kalen Sensor-Daten und der Nutzung von
maschinellem Lernen. Dabei werden zur
Ermittlung von Klimatrends unter anderem
täglich deutschsprachige Tweets rund ums
Wetter vollautomatisch ausgewertet.
Geteilte Infrastruktur als
Nährboden für Innovation
BigData@Geo-Klimaatlas ist eines von 17
Vorhaben, deren Finanzierung mit rund
17,3 Millionen Euro aus Mitteln des Europäi-
schen Fonds für Regionale Entwicklung
(EFRE) in der aktuellen Förderperiode bewil-
ligt wurden. »futuRE-Lab« ist der Name eines
anderen EFRE-Projekts, das sich um den Auf-
bau eines Demonstrations-Centers rund um
Virtual (VR) und Mixed (MR) Reality dreht.
Kooperationspartner hier sind kleine und
mittlere Unternehmen (KMU), die auf Weiter-
bildung im Bereich der Digitalisierung ange-
IMPRESSUM — Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: ZEIT Verlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut-Schmidt-Haus,
Speersort 1, 20095 Hamburg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser Art Direction: Dietke Steck Produktmanagement: Kathi Andresen
Realisierung: Studio ZX GmbH – Ein Unternehmen der Zeit Verlagsgruppe Geschäftsführung: Dr. Mark Schiffhauer, Uta Schwaner
Projektmanagement: Flemming Holm Redaktion: Kristina v. Klot Grafik: Jan Paschetag Fotos: iStockphoto, GettyImages
Lektorat: Egbert Scheunemann Director Universities & Research: Dr. Hanna Proner, Tel.: 040 / 32 80-47 61, hanna.proner@zeit.de
Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 68 vom 1. Januar 2023
Industriekooperation, Lizenzierung und ver- Leuchtturmprojekt der Charité mit dem versitäten Stuttgart und Tübingen, die
stärkte Ausgründungen voranzubringen, Chemie- und Pharmakonzern Bayer ist die- Fraunhofer-Gesellschaft und die Carl-
verfolgen unter anderem das Berlin Institut sem Anspruch verpflichtet. Gemeinsam Zeiss-Stiftung – sowie große deutsche Un-
of Health (BIH) und die Charité Berlin. Der bauen sie derzeit das bundesweit größte ternehmen aus der Automobilbranche und
Fokus des »Charité BIH Innovation (CBI)« Zentrum für Translation im Bereich der Gen- auch Amazon. Im Jahr 2023 liegt dabei ein
liegt auf digitaler Gesundheit bzw. der An- und Zelltherapien auf, an dem neue Thera- besonderer Fokus auf dem Wissenstransfer
näherung digitaler Technologien an die Bio- pien für seltene Krankheiten entwickelt wer- in Spin-offs und Start-ups, der in Stanford,
medizin und das Gesundheitswesen. den. Das Projekt hat 44 Millionen Euro aus Zürich und Harvard bereits sehr erfolgreich
Bundesmitteln erhalten. vorangetrieben wurde.
Es gibt immer mehr Wichtige Protagonisten im Wissens- Aber auch an deutschen Hochschulen ist
Start-ups an deutschen transfer sind darüber hinaus Forschungs- zuletzt die Zahl der Unternehmensgründun-
verbünde wie das Biotechnologie-Kompe- gen angestiegen, ein wichtiges Indiz für In-
Hochschulen – trotz Corona tenzzentrum Rhein-Neckar (BioRN), das als novationsfähigkeit: So verzeichnete der
Dabei soll akademisches Know-how in neue BMBF-Spitzencluster gefördert wird. Dort Gründungsradar des Stifterverbands für
Ansätze zur personalisierten Vorhersage, arbeiten globale Pharmaunternehmen und 2021 rund 2.800 Start-ups, die von Studen-
Prävention, Diagnostik und Therapie über- führende akademische Institutionen unter tinnen und Studenten an Unis und Fach-
tragen und umgekehrt neue Forschungside- anderem in den Bereichen Krebs und Immu- hochschulen gegründet wurden. Das sind
en aus klinischen Beobachtungen entwi- nologie eng zusammen. Als größte For- trotz der Pandemie rund 600 Gründungen
ckelt werden. Ziel ist ein »hochgradig schungskooperation Europas auf dem Ge- mehr als im Jahr 2019.
kooperativer Arbeitsstil«, wie er beispiels- biet der künstlichen Intelligenz gilt das
weise vor Kurzem in einem neuen Gemein- Cyber Valley in Stuttgart-Tübingen, das Im Dienst der Klimawende:
schaftsprojekt mit israelischen Start-ups vom Land Baden-Württemberg gefördert Entwicklung globaler
Nutzungsszenario von morgen: Um besser abschätzen zu können, wie sich das Wetter und medizinischen Partnereinrichtungen in wird. Daran beteiligt sind das Max-Planck-
entwickelt und auf welche Weise sich landwirtschaftliche Flächen optimal nutzen lassen,
den USA zum Tragen kam. Auch ein neues Institut für Intelligente Systeme, die Uni-
Standards
stehen ausgeklügelte digitale Klima-Vorhersage-Programme zur Verfügung.
Die Brücke zwischen Grundlagen- und an-
gewandter Forschung zu schlagen, zählt
wiesen sind. Sie erhalten dadurch die Mög- auch zu den Kernkompetenzen der Helm-
lichkeit, an den Forschungsinfrastrukturen holtz-Gemeinschaft, einer der weltweit
der Campus Hochschulen OTH Regensburg größten Wissenschaftsorganisationen. Um
und TH Deggendorf zu partizipieren. Förder- über die gemeinsame Nutzung von Groß-
ziel aller 17 EFRE-Projekte ist, den Technolo- geräten, Infrastruktur und Daten einen
gietransfer zwischen Hochschulen und KMU schnelleren Zugang zu Wissen zu ermögli-
zu unterstützen und zu Innovationen anzure- chen, werden derzeit 40 Millionen Euro in
gen. In diesem Kontext sprach der bayeri- drei neue Innovationsplattformen inves-
sche Wissenschaftsminister Markus Blume tiert – unter anderem im Bereich Maritime
von »Wissenschaft als Wirtschaftsturbo«: Wirtschaft. Das Projekt SOOP (»Shaping
»Mit dem Transfer der wissenschaftlichen Ex- an Ocean Of Possibilities«) ist eines der
zellenz unserer Hochschulen in die Praxis geförderten Projekte. Koordiniert am GEO-
stärken wir unsere Unternehmen in einer Zeit MAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanfor-
großer Transformationen im globalen Wett- schung Kiel treffen hier zahlreiche Partner
bewerb.« Dass der Transfer-Aspekt politisch aus Industrie, Zivilgesellschaft und Wis-
immer mehr Gehör findet, zeigte sich auch senschaft zusammen. Gemeinsam arbeiten
Anfang Februar in der Ankündigung der sie im Dienst einer nachhaltigeren Nutzung
»Hightech Transfer Bayern«, die die High- des Ozeans an der Entwicklung neuer
tech Agenda Bayern um eine über 100 Milli- Messgeräte, die sich auch auf Kreuzfahrt-
onen Euro teure Anwendungsstrategie er- und Containerschiffen einbauen lassen.
gänzt. Hintergrund ist, dass es weltweit nicht nur
Deutschlandweit spielt die »Third Missi- an günstigen, skalierbaren und kompati-
on« eine immer wichtigere Rolle, auch in der blen Messgeräten, sondern auch an ein-
Medizin: Das Konzept, die Translation durch heitlichen Standards für Daten und Analy-
sen mangelt.
Kooperation als Schlüsselkompetenz: Um den Wissenstransfer von der Theorie in die Praxis zu beschleunigen,
spielt Kooperation in der angewandten Forschung eine zentrale Rolle. Wichtige Protagonisten sind neben den
Hochschulen und Universitäten Forschungsverbünde und die großen Wissenschaftsorganisationen.

EMPOWER
→ 50 – Transferbündnis
Z. Headline: für Rheinhessen/Vorderpfalz
Klimaretter grünes Gas: Wasserstoff Eine Frage an ...
... Prof. Dr. Anett Mehler-Bicher,
Vizepräsidentin für
Forschung & Transfer,

© Vorname Nachname
Ein Beitrag
Ein Beitrag von
der Hochschule Mainz
Universität Langername len. Die Strategien unterscheiden sich. So telliten und große Trümmer teile. Spätestens ein Zentimeter. Das hält die grüne Europäi- den. „Das große Problem sind derzeit die im Hochschule Mainz, Lead
Kooperation
6230 leben und
Zeichen Start-ups Innovation
helfen, den gestalten – diese
arbeitet das VisionUnternehmen
Darmstädter 2026 soll er die Mission starten. Für den sche Weltraumorganisation (ESA) in ihFür Schnitt etwa fünf unvorhersehbaren Explo- bei der Antragstellung,
Welt raumschrott
verfolgt weiträumig
EMPOWER zu umflie- Vyoma daran,
als hochschulübergreifendes „ein Hilfssystem für den Flug-
Transferbündnis Schrott gibt es eine Statistik: 36.500 mit ei- den Schrott gibt es eine Statistik: 36.500 sionen pro Jahr“, sagt Carsten Wiedemann Gesamtprojektleitung:
gen – und könnten künft ig gefährliche verkehr im Weltraum“ zu entwerfen, wie es nem Durchmesser von mehr als zehn Zenti- Trümmerteile mit einem Durchmesser von vom Institut für Raumfahrtsysteme der TU
in Rheinhessen und der Vorderpfalz. Gefördert wird EMPOWER Was ist die Zielsetzung
Trümmerteile aus dem Orbit entfernen. Gründer Stefan Frey formuliert. Die Doppel- metern kreisen aktuell um die Erde – ge- mehr als zehn Zentimetern kreisen aktuell Braunschweig. Und es wird immer enger im des Transferbündnisses?
im Rahmen der zweiten Förderrundestrategie der Bund-Länder-Initiative
der Tech-Firma: Zum einen kalku- schätzte 130 Millionen Teile sind kleiner als um die Erde – geschätzte 130 Millionen Tei- Orbit: In denCYBER SECURITY
vergangenen »EMPOWER dient der strategischen
»Innovative Hochschule« (2023 – 2027). EMPOWER
Für den Schrott gibt es eine Statistik: 36.500 liert das Team mithilfesetzt sichgestützten
von boden mit le sind kleiner als ein Zentimeter. Das hält DieJahren
Hochschule Worms
ist die Zahl erweitert
der den Verbund
jährlichen Stärkung eines forschungsbasierten
fünf gesellschaftlich
Trümmerteile relevantenvon
mit einem Durchmesser Megatrendthemen auseinander,
Teleskopen, ob der Satellit sonsteines Kun- die Europäische
Informationen Welt raum
rund organisation
um EMPOWER um das Thema
Raketen starts auf Cyber
überSecurity. In diesem
100 gestiegen. Im- Ideen-, Wissens- und Technologietrans-
Bereich initiiert sieFirmen
Projekte, die sicheredurch
Inno- fers zwischen den beteiligten Hochschu-

”
die zahlreiche
mehr interdisziplinäre
als zehn Zentimetern Schnittstellenthemen
kreisen aktuell den auf Kollisionskursaufweisen.
ist. Zum anderen sol- (ESA) in ihrem regelmäßig finden Sie unter
aktualisierten mer mehr private – angeführt Dr. Nathalie Schneider
len sowie externen Organisationen aus
um die Erde – geschätzte 130 Millionen Tei- len künftig eigene Flugkörper aufsteigen, www.empower-rlp.de
„Weltraumschrott-Report“ fest. Besonders vationen
Elon MusksfürRaum
Wirtschaft, Wissenschaft
fahrtunternehmen und
SpaceX Weit hinten, hinter den Wort-
Gesellschaft entwickeln. Teil dieser Bestre- Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur und
le sind kleiner als ein Zentimeter. Das hält die speziell nach Trümmer teilen Ausschau riskant sind dabei die etwa eine Million – schicken Satelliten in die Umlaufbahn. bergen, fern der Länder Voka-
konzentriert sich auf die gesellschaft-
die Entwicklung
Europäische Welt innovativer
raum organisation rungen von
halten. morgensollen
Die Daten qualifiziert werden. In
dann zusammen- New Bruchstücke von Satelliten und Raketen- bungen
Und ist der
immer Aufbau
wieder eines
geht Think
dabei Tanks
auch zur
etwas lien
lichenund Konsonantien
Megatrendthemen leben
Connectivity,
(ESA) inTransferstrukturen
ihrem regelmäßig aktualisierten Projekten und kooperativen
fließen – und irgendwann die Prozessen mit stufen im All, die eine Größe zwischen einem Identifizierung von Bedarfen der Region.
schief, wodurch das Müllproblem immer grö- Ein die Blindtexte. Abgeschieden
Health, Sustainability, Cyber Security
„Weltraumschrott-Report“ fest. Besonders externen
Datenregionalen PartnerinnenAusweich-
für automatisierte und Part- Venture
115 Z. Wasserstoff und zehn Durchmesser haben. Ziel wird.
ßer der geplanten
So wächstProjekte
weltweitist,
diedie Absiche-
Sorge, dass wohnen
und New Work.Sie inDieBuchstabhausen
Pilotprojekte greifen
Die Bündelung von Kompetenzen
die etwa eineinMillion
hoch- nern werden innovative, intelligente
ähnlichenLösun- gilt als Schlüsselelement rung von KMU unter Cyberneuen
Security Aspekten an der wirtschafts-
Küste desund gesellschafts-
riskant sind dabei
schulübergreifenden Projekten führt zu einer
manöver
gen zu
liefern. Mit einem
Themen→OKAPI:Orbits
Ziel ist
wie Künstliche Intelligenz,
Studio Denn in diesem Größenbereich werden es zukünftig
zu stärken.
zu immer
Weitere Ziele sind
Kollisionen
die Erkennung
aktuelle
relevante Fragestellungen auf und
Bruchstücke von Satelliten und Raketen- das Start-up unterwegs. für eine klimaneutrale die Teile nicht vom Radar erfasst, können kommt – und immer mehr Trümmer wolken
Max. 1050 zukunftsfähige
entwickeln Z. ZielsetzungLösungen.«
Stärkung derdie
regionalen Innovationskraft. Virtual & Augmented
sie am Reality, Smart die gefährden. Es muss dringend etwas und
von Schadsoftware im Netzwerkverkehr
stufen im All,
Transferstrukturen
eine Größe
wie
zwischen einem
Innovation Lab, Kom-
Künftig
Industry,
könnten
Robotik und
Ende ihrer
Digitale Repu-
Lebens- Energieversorgung. aber trotzdem erhebliche Schäden anrich-
der Transfer
ge-
8,5 Pt Weit hinten, hinter den
und zehn Zentimeter Durchmesser haben. zeit gezielt in Richtung Erdatmosphäre ge- ten. Im Schnitt gibt es etwa fünf unvorher- schehen. Undvon so Erkenntnissen
ruft der Schrott iminBereich
großer
petenzzentrum und New Venture Studio tation erarbeitet. Darüber hinaus Was kann die Zukunfts- Smart Start-ups
City Security
Wortbergen,
... Dr. Susannefern der Länder Vo-
Weiß-Wittstadt,
Denn in diesem Größenbereich werden die drückt werden – wo sie rasch verglühen. Ein sehbare Explosionen pro Jahr. Es kommt Höhe aufauf
dendie Region.
Plan, die für freie EMPOWERen leben die
kalien und Konsonanti
ermöglichen
Teile nicht vom einen
Radar nachhaltigen Wissens-
erfasst, können aber initiiert die Hochschule
radikalerer Ansatz stammt Mainzvon einem technologie?“ immer wieder zu Unfällen mit abgeschriebe- Flugbahnen sorgen wollen. Die Strategien Projektleitung und
Blindtexte. Abgeschieden wohnen
transfer mit
trotzdem
nenImund
internen wie
erhebliche
Partnern
externen
Schäden Partnerin-
anrichten. AktivitätenStart-up.
Schweizer zur nachhaltigen
ClearSpace baut eine 65 Z. Carsten Wiedemann, TU Braunschweig Projekte
nen Satelliten oder Raketenteilen, deren unterscheiden sich. So arbeitet das Darm- -koordination,
Sie in Buchstabhausen an der Küste
Schnitt gibt esund
etwa schaffen effektive
fünf unvorherseh- Verankerung
Art Abschlepp von Wissen
roboter fürund
irrlichternde Sa- und eine weiter Blindzeile hierr Batterien oder Rest treibstoffe sich entzün- städter Unternehmen Vyoma daran, „ein des Semantik, Hochschule
der Länder Mainz:
Voka-
Kommunikationskanäle.
bare Explosionen pro Jahr. Es kommt immer Kompetenzen in EMPOWER Hilfssystem für den Flugverkehr im Welt- lien und Konsonantien leben die
Die drei
wieder Transferstrukturen
zu Unfällen sind eng mit-
mit abgeschriebenen Sa- mittels Wissensmanage- raum“ zu entwerfen, wie es Gründer Stefan Blindtexte. Abgeschieden wohnen
Welche Herausforderungen sehen Sie
einander verzahnt. Im Innovation Lab werden ment sowohl transferbünd- NEW Die WORK Sie in Buchstabhausen an der Küste
telliten oder Raketenteilen, deren
IdeenRest
zu Produkten und
Batterien
Dienstleistungen im nisintern als auch mit exter-
Kompetenz- Frey formuliert.
Die Hochschule
Doppelstrategie der in der Leitung des Transferbündnisses?
oder treibstoffe sich entzünden. „Das Tech-Firma: Zum für Wirtschaft
einen kalkuliert und Gesell-
das des
»DieSemanti
EMPOWER k, eines großen weiten
Projektleitung und
BereichProblem
große des Handwerks,
sind derzeitdesdieGesundheits-
im Schnitt nen Par tnerinnen und zentrum schaft (HWG) Ludwigshafen greift New Sprachozeans Weit hinten,
-koordination umfasst hinter den
die hochschul-
und Bildungssektors, derbaren
Stadtökologie und Partnern. Work-Fragestellungen auf wie digitale, Wortbergen,
übergreifende,fern der Länder Voka-
interdisziplinäre Zusam-
etwa fünf unvorher seh Explosionen Neue Navigationssysteme menarbeit
lien und Vernetzung
und Konsonanti mit allen
en wohnen Sie in
Energie, der Informationssicherheit
pro Jahr“, sagt Carsten Wiedemann vom und neuer ökonomische und ökologische Trans-
Formenfür der Arbeitsgestaltung und
für den Weltraum sechs
des beteiligten
winkels großerHochschulen
Semantik. sowie
Institut Raum fahrtsysteme der TU-flexibi-
Braun- formation, Flexibilisierung von Arbeits-
externen Partner:innen, die Koordi-
lisierung entwickelt und realisiert.
schweig. unvorhersehbare Explosionen pro Aufbauend Teamzeitmithilfe
und -ort,von
neue Raumkonzepte
boden gestützten sowie
Te- nation aller transferbündnisweiter Akti-
Forschungsprojekte
darauf
Jahr. Eswerden im Kompetenzzentrum
kommt immer wieder zu Unfällenthe- mit Innovation agileob
leskopen, Organisationsformen,
der Satellit sonsteines veränderte
Kunden vitäten
Weit und die
hinten, Öffentlichkeitsarbeit
hinter den Wortbergen,
menspezifische Bedarfe
abgeschriebenen ermittelt
Satelliten und ent-
oder Raketen- Führungsstrukturen
auf Kollisions kurs ist. Zum und -prinzipien
anderen bis
sollen des Verbunds. Perspektivisch sollen
Lab fern der Länder Vokalien und wohnen
die im Verbund entwickelten
sprechende
teilen, Qualifizierungsmaßnahmen
deren Batterien oder Rest treibstoffe künftig hin zur Förderung
eigene Flugkörper deraufsteigen,
lebenslangen die Sie in Buchstabhausen an derTransfer-
Küste
sowie Fort- und Weiterbildungsangebote Beschäftigungsfähigkeit. Hierfür wer- formate verstetigt und nachhaltig nutz-
sich entzünden. „Das große Problem Explo- speziell nach Trümmer teilen Ausschau hal- des Semantik, eines großen Spra-
konzipiert. bar gemacht werden. Dieses komplexe
sionen pro Im New
Jahr. EsVenture
kommt Studio
immer wiederum
wieder zu den Lösungskonzepte für
ten. Die Daten sollen dann zusammen- verschiedene chozeansKonsonantien leben die
Aufgabenspektrum gilt es in den
Unfällen mit abgeschriebenen auf Möglich-
werden Unternehmen in Bezug HEALTH Akteurinnen
fließen und Akteure
– und irgendwann dieentwickelt
Daten für undau- Blindtexte. Abgeschieden wohnen
kommenden fünf Jahren zu meistern
keiten der Weiterentwicklung ihrer themen- Die Katholische Hochschule (KH) Mainz bear- evaluiert. Ausweich
tomatisierte So werdenmanöver
entsprechende Ana-
liefern. Mit Sie
undWeit hinten, zum
EMPOWER hinter den Wortber-
Erfolg zu führen.«
spezifischen Geschäftsmodelle beraten und beitet das Thema Health vor dem Hintergrund lysetools entwickelt undist
in Modellbetrieben gen, fern der Länder Vokalien und
Neue Systeme einem ähnlichen Ziel das Start-up
Konsonantien leben die Blindtexte.
unterstützt. der Teilhabestärkung und Ressourcenförde- evaluiert sowie ein
→OKAPI:Orbits New-Work-Experimen-
unterwegs. Das Braun-
für den Weltraum rung. Hierfür kooperiert sie mit Praxispart- tierraum eingerichtet. Überunter
Transfer-Journeys Abgeschieden Küste des Semantik.
schweiger Team arbeitet anderem an Kontakt
Und es Fünf Hochschulen
wird immer – In den
enger im Orbit: nerinnen und -partnern aus dem regionalen in Betrieben
einer partizipiert
„Collision Avoidance eineSoftware“.
breite Öffent-Sie Prof. Dr. Anett Mehler-Bicher:
Fünf Zukunftsthemen
vergangenen Jahren ist die Zahl der jährli- Gesundheits- und Sozialsektor, ermittelt deren lichkeit an den
berechnet, wo Erkenntnissen.
Zusammenstöße Ebenso liegt
drohen – vp-forschung@hs-mainz.de
chen Raketenstarts auf über 100 gestiegen. Bedarfe und entwickelt gemeinsame Projekte, die Aufgabe
und welchen der nachhaltigen
Aufwand und welche Vernetzung
Kosten Kontakt
Dr. Susanne Weiß-Wittstadt:
Immer mehr private Firmen – angeführt um diese zu adressieren. Ziel ist, Menschen SUSTAINABILITY mit externen
eine Partnerinnen
Kursänderung und Partnern
verursacht. bei
Diese An- susanne.weiss-wittstadt@hs-mainz.de
ca. 200 Z. Vorarlberg University
durch Elon Musks Raumfahrtunternehmen niederschwellig an Gesundheitsthemen her- Mit den drei Projekten Stadtnahe Experi- fliegenlarven mit biogenen Abfallstoffen der HWG
sätze Ludwigshafen.
sorgen dafür, dass ein immer genaue- of Applied Sciences,
Hochschule Mainz
SpaceX – schicken Satelliten in die Umlauf- anzuführen, Fachkräfte zu qualifizieren und mentierflächen, Erzeugung nachhaltiger ernährt und das Larvenprotein zu Futter- res Bild von den Flugbahnen der gewünsch- Hochschulstraße 1,
www.hs-mainz.de
bahn. Und immer wieder geht dabei auch Handlungswissen für gesellschaftliche Akteu- Futtermittel und Werkstoffe sowie Regene- mittel weiterverarbeitet, während die rest- ten und störenden Teile entsteht. Am A-6850 Dornbirn
CONNECTIVITY rinnen und Akteure bereitzustellen. Die Pro- rative Energien steht an der Technischen lichen Bestandteile in vorhandene Wert- Tel. +43 5572 792 7300
etwas schief, wodurch das Müllproblem im- effizientesten ist es jedoch, Kollisionen von
Ziel der Aktivitäten Susanne Zinecker, M.A.,
mer größer wird. Soan der Hochschule
wächst Mainz
weltweit die Sor- jekte reichen von der Entwicklung von Apps Hochschule (TH) Bingen das Thema Sus- schöpfungsketten integriert werden. vornherein zu verhindern. Dabei helfen will info@stiftung-ettersburg.de
ist es,
ge, in Innovation
dass es zukünftigLab,
zu Kompetenzzentrum
immer neuen Kolli- zur Stärkung der sozialen Teilhabe und tainability im Fokus. Durch Dachbegrünung Wasserstofferzeugung und -speicherung das Start-up Morpheus Space, das Stand- www.stiftung-ettersburg.de
und New Venture
sionen kommt Studio
– und Bedarfe zu Connec-
immer mehr Gesundheitsprävention über den Aufbau eines und Mobile Gärten sollen Stadtflächen sollen in einer Demonstrationsanlage unter- orte in Los Angeles und Dresden hat. Das www.forschungsinstiut.com
tivity aus Rheinhessen und Vorderpfalz
Trümmer wolken die gefährden. Es muss auf- Trainingslabors für Physiotherapie hin zur ökologisch aufgewertet und Maßnahmen sucht werden, um durch Systemoptimierung Team hat sich vorgenommen, vergleichs-
zugreifen und entsprechende Innovations-
dringend etwas geschehen. Und so ruft der Erarbeitung (digitaler) Schulungs-, Beratungs- zur Klimaanpassung erprobt werden. Um Schwankungen bei der Erzeugung elektri- Die vorhabenbegleitende
weise Evaluation
kostengünstige Antriebe zu erfolgt
entwi-
projekte zu
Schrott in initiieren.
großer HöheSo sollen Einzelpersonen
Start-ups auf den und Peer-Support-Instrumente in Gesundheit, Futtermittel und Werkstoffe ökologisch scher Energie aus erneuerbaren Quellen durch die Johannes Gutenberg-Universität
ckeln, die auch schuhschachtelgroße Satel-
240 Z. Eines Tages aber beschloß eine kleine Zeile Blindtext, ihr Name war Lorem Ipsum, hinaus zu gehen in die weite
Plan, die für freie FlugbahnenHerausforde-
wie auch Unternehmen für die sorgen wol- Soziale
GrammatiArbeit
k. Derund Migration.
große Oxmox riet ihr davon ab Einesnachhaltig
Tages aber zu erzeugen,
beschloß werden
eine kleine Soldaten-
Zeile Blindtext, ihrauszugleichen.
Name war Lorem Ipsum. Mainz.
liten manövrier fähig. /
38 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

STELLENMARKT
Die Position:
Auch digitales Lesen will gelernt sein!
Ob auf Papier oder am Bildschirm gelesen wird, ist nicht entscheidend. Aber jedes Medium hat seine eigene Lesetechnik  VON ANDREAS GOLD
Ist es besser, nicht zu lesen, als falsch zu lesen?
Das könnte man meinen, wenn man Kritikern
des Bildschirmlesens Glauben schenkt, die
beim digitalen Lesen ein Abdriften ins Seichte
und Oberflächliche befürchten. Die Debatte
über das digitale Lesen ist seit Langem mit
ebenso großen Erwartungen wie Befürchtun-
gen verbunden. Nun kommen belastbare empi-
rische Befunde hinzu. Dabei scheinen allerdings
wissenschaftliche Befundlage und tatsächliches
Leseverhalten paradox miteinander verknüpft.
Die Leseforschung sagt, dass wir anspruchs-
volle Sachtexte weniger gut verstehen, wenn
wir sie digital lesen. Dennoch dominiert gerade
hier zunehmend das Bildschirmlesen. Mehr als
80 Prozent ihrer Lesezeiten verbringen Studie-
rende heute vor dem Bildschirm. Bei Erzähl-
texten dagegen soll das Lesemedium keine
Rolle­spielen: E-Books wären demnach gleich-
wertig. Dennoch präferieren die Leserinnen
und Leser für das Freizeitlesen von Krimis und
Romanen eindeutig das gedruckte Buch.
Der Widerspruch lässt sich auflösen, wenn
neben dem Genre der Lektüre auch die Lese-
haltung und der Lesezweck betrachtet werden.
Sucht man nach Informationen, ist das digitale
Medium hervorragend geeignet, denn der Bild-
schirm triggert einen gezielt suchenden Lese-
modus. Um den Modus des verstehenden Le-
sens hingegen müssen wir uns aktiv bemühen.
Am Bildschirm bedarf dieses intensive Lesen
anspruchsvoller Texte weit größerer Anstren-
gungen als auf Papier. Anders gesagt: Ein Inter-
view mit Alice Schwarzer oder mit Friedrich
Merz lässt sich gut in der digitalen ZEIT lesen.
Zwei Seiten mit 25.000 Zeichen von Jürgen
Habermas eher nicht.
Belletristik wiederum wird im Allgemeinen
zum Vergnügen gelesen; das kann man auch
mit dem E-Book haben – auch wenn viele die
haptische Erfahrung bevorzugen. Anders als bei
Zeitungen und Zeitschriften verharrt der digi-
tale Marktanteil bei der Belletristik weiterhin
im einstelligen Bereich.
In der Wissenschaft wie in der Schule dage-
gen treiben die Universitätsbibliotheken und
die Kultusministerien die Digitalisierung des
Lesens vehement voran. Mit dem DigitalPakt
Schule wurden Kinder flächendeckend mit
Tablets und Laptops ausgestattet. Und wissen-
schaftliche Zeitschriften gibt es bald nur noch
in elektronischer Form. Die gedruckte Ency-
clopaedia Britannica hat 2012 nach 244 Jahren
das Aus ereilt und den deutschen Brockhaus
kurz darauf. Digital wird das neue Normal.
Foto: privat
Umso wichtiger, dass das richtige Bild-
schirmlesen gelernt und in der Schule gelehrt
wird. Auch wer sich für einen geübten Bild-
Andreas Gold ist schirmleser hält, macht sich nämlich nicht­
Seniorprofessor an der selten etwas vor. Digital lesen wir schneller,
Universität Frankfurt a. M. weniger sorgfältig und sprunghafter. Denn
und Autor von »Digital der damit verbundene Lesemodus ist das
lesen. Was sonst?« über­fliegende Lesen. Auf Beute aus sein! Ideal
ist eine solche Lesehaltung für das zweck­
orientierte Lesen und für das Lesen von Online-­
Texten. Das verstehend-intensive Lesen am
Bildschirm – Stichwort Habermas – dagegen
muss geübt werden: bewusst langsamer lesen,
digital oder analog fortlaufend Notizen machen,
zwischendurch Fragen stellen und beantworten,
Benachrichtigungsfunktionen ausschalten.
Damit sich bewahrpädagogischer Kultur-
pessimismus auf der einen Seite und digitale
Fortschrittsgläubigkeit auf der anderen nicht
blockieren, muss man die unterschiedlichen
Lesehaltungen auch bewusst unterscheiden.
Wer am Bildschirm zum Vergnügen liest,
muss das Gelesene nicht unbedingt behalten.
Wird aber gelesen, um zu lernen, muss man
sich anstrengen und konzentrieren. Langsam
und gründlich kann ein Text gedruckt wie ge-
pixelt gelesen werden. Nicht das Lesemedium
ist entscheidend, sondern der Lesemodus.
Deshalb verläuft die Trennlinie nicht zwi-
schen Print- und Digitalformat – sondern zwi-
schen denen, die noch intensiv und zeitverges-
sen lesen können, und jenen, die nur noch
oberflächlich und kursorisch lesen.

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Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftliche
Fakultät

Die Hochschule RheinMain als Hochschule für angewandte Wissen-

Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (ABK Stuttgart)
zeichnet sich durch ihr einzigartiges, vielfältiges Fächerspektrum aus:
Mit 22 Studiengängen in den Bereichen Architektur, Design, Kunst,
Künstlerisches Lehramt und Kunstwissenschaften-Restaurierung bietet
sie rund 900 Student*innen ein weites Feld an Fächern und Forschungs-
möglichkeiten in den freien und angewandten Künsten. Die ABK Stuttgart
steht für Interdisziplinarität, für Diversität und für Weltoffenheit. Künst-
lerische und experimentell-forschende Ansätze sowie innovatives und
zukunftsweisendes Denken zeichnen ein Studium an der ABK Stuttgart
insbesondere aus.
Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sucht zum
nächstmöglichen Zeitpunkt eine*n neue*n:
Rektor*in (m/w/d)
Wir suchen eine engagierte, tatkräftige, ideenreiche, entscheidungsfreu-
dige und kommunikationsstarke Persönlichkeit mit Integrationsfähigkeit
und Sensibilität für die künstlerischen und wissenschaftlichen Aspekte
der unterschiedlichen Lehrgebiete.
Sie entwickelt die Hochschule in ihrer Gesamtheit inhaltlich und organi-
satorisch partizipativ. Sie versteht es, die künstlerischen, wissenschaft-
lichen und strukturellen Aspekte der ABK Stuttgart zu fördern, daraus
An der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen ist am schaften mit ihren Standorten Wiesbaden und Rüsselsheim versteht
Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine sich als weltoffene, vielfältige Hochschule. Sie ist anerkannt für ihre
wissenschaftlich fundierte und berufsqualifizierende Lehre sowie
Juniorprofessur (W1) für Adaptive Teaching and für ihre anwendungsbezogene Forschung, die eng mit der Lehre ver-
Learning with Digital Tools (w/m/d) zahnt ist. Insgesamt studieren an der Hochschule RheinMain rund
13.000 Studierende. Sie beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter:innen,
zu besetzen.
davon ca. 250 Professor:innen.
Die Besetzung erfolgt im Beamtenverhältnis auf Zeit, zunächst für vier Jahre. Eine Verlängerung
um weitere zwei Jahre ist nach positiver Zwischenevaluation vorgesehen. Im Fachbereich Ingenieurwissenschaften ist zum Wintersemester
24/25 folgende Stelle zu besetzen:
Forschungsgebiet und Lehrprogramm der Inhaberin/des Inhabers liegen im Bereich Künst-
liche Intelligenz in der Bildung (Artificial Intelligence in Education, AIED), vorzugsweise mit
dem Schwerpunkt auf adaptiven Lernprozessen mit intelligenten Tutorsystemen im Bereich
des Zweitspracherwerbs. Wir wünschen uns von der Stelleninhaberin/dem Stelleninhaber
Professur
einen wesentlichen Beitrag bei der Entwicklung digitaler Werkzeuge sowie bei der systema-
tischen Evaluierung moderner digitaler Medien für den Einsatz im Unterricht. Die Position
„Abwasserreinigung
ist Teil eines Digital Education Hubs innerhalb des Hector-Instituts, der Learning Analytics,
die Entwicklung und Evaluation von Virtual Reality-Anwendungen sowie die Forschung über
und nachhaltige In einer der schönsten und wirtschaftsstärksten Regionen Europas sind
folgende Stellen zu besetzen:
Informatik-Kompetenz umfasst. Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit anderen
Mitgliedern des Instituts sowie mit den Kolleginnen und Kollegen des LEAD Graduate School & Verfahrenstechnik“
Research Networks und des Tübingen Center for Digital Education vorgesehen.
(Bes. Gr. W2 HBesG) Professur
Die Lehrverpflichtung beträgt zunächst vier, nach positiver Zwischenevaluation sechs Se- Kennziffer: ING-P-11/23
mesterwochenstunden.

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung über unser

neue Zukunftsstrategien zu entwickeln und diese umzusetzen. In Zeiten
einer sich ständig wandelnden Kulturlandschaft schafft sie es, Menschen
INFORMATIK, INSBESONDERE
IT-SICHERHEIT UND NETZWERK-
Die Professur ist an den Bachelor- und Masterstudiengängen Empirische Bildungsforschung
und Pädagogische Psychologie sowie an der pädagogischen Ausbildung der Lehramtsstu- Online-Bewerbungsportal bis zum 28.05.2023.
dierenden beteiligt und beteiligt sich idealerweise auch an interdisziplinären Lehrveranstal-

TECHNOLOGIEN
in und außerhalb der ABK Stuttgart zu verbinden und auf neue Wege tungen im Bereich AIED. Detaillierte Informationen erhalten Sie unter:
mitzunehmen. https://stellenangebote.hs-rm.de/mp9yy
Voraussetzungen für eine Berufung sind eine herausragende Dissertation einschlägiger
Gefordert werden weiterhin Motivationsfähigkeit, Organisationskompetenz Ausrichtung (Psychologie, Empirische Bildungsforschung, Kognitionswissenschaft, Erzie- Bes. Gr. W2 (Stellen-Nr. 246)
und Verhandlungsgeschick, um die Akademie gemeinsam mit den Gremien hungswissenschaft oder eine angrenzende Disziplin wie Computerlinguistik, Informatik oder
der Hochschule weiterzuentwickeln. Der*die Rektor*in vertritt die Kunst- Maschinelles Lernern), international beachtete Publikationen (mit Peer-Review) bzw. Konfe-
hochschule nach außen. Sie*er ist Vorsitzende*r des Rektorats und des
Senats. Sie*er nimmt beratend an den Sitzungen des Hochschulrats teil.
renzbeiträge und Drittmitteleinwerbungen/Preise sowie Erfahrungen in der Lehre.
Professur
Die Inhaberin oder der Inhaber der Juniorprofessur soll sich durch die selbstständige Wahr-
Als Bewerber*in haben Sie idealerweise in mehreren aktuellen hoch-
schulrelevanten Entwicklungsfeldern Erfahrung, etwa im strategischen
nehmung der der Hochschule obliegenden Aufgaben in Forschung und Lehre für die Beru-
fung auf eine Professur an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule qualifizieren. ELEKTROTECHNIK
Management im Kulturbereich, in Lehrangeboten und Forschungsmög- Eine erfolgte Habilitation ist ein Ausschlussgrund für eine erfolgreiche Bewerbung. Bes. Gr. W2 (Stellen-Nr. 245)
lichkeiten der Zukunft oder baulicher Weiterentwicklung einer facetten-
reichen Einrichtung. Die konkreten Kriterien, die der Zwischen- und Endevaluation zugrunde gelegt werden, finden
sich neben dem allgemeinen Qualitätssicherungskonzept unter folgendem Link: Wir freuen uns über Ihre Bewerbung bis zum 16. Juni 2023, bevorzugt über
Zum*zur Rektor*in kann ernannt werden, wer eine abgeschlossene https://uni-tuebingen.de/de/134275#c800025 unser Stellenportal. Den ausführlichen Ausschreibungstext finden Sie unter:
Hochschulausbildung besitzt und aufgrund einer mehrjährigen erfolg-
Die Universität Tübingen setzt sich für Chancengleichheit, Diversität und Inklusion ein. Zur www.rwu.de/stellen
reichen beruflichen Tätigkeit in leitender Funktion, insbesondere in den
Erhöhung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre bitten wir qualifizierte Wissenschaft-
Bereichen Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung oder Rechts- lerinnen nachdrücklich um ihre Bewerbung. Qualifizierte internationale Wissenschaftlerinnen
pflege, erwarten lässt, dass sie*er den Aufgaben des Amtes gewachsen und Wissenschaftler sind ausdrücklich aufgefordert, sich zu bewerben. Schwerbehinderte
ist oder wer der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
hauptberuflich als Professor*in angehört.
Bewerbungen sind bis zum 12.05.2023 über das Bewerbungsportal der Universität Tübingen
Der*die Rektor*in wird vom Hochschulrat und vom Senat in einer ge- https://berufungen.uni-tuebingen.de einzureichen.
meinsamen Sitzung aufgrund eines Wahlvorschlags einer Findungs-
Rückfragen formaler Art können an Frau Sonja Neubauer (dekanat@wiso.uni-tuebingen.de)
kommission, der der Zustimmung des Ministeriums für Wissenschaft,
Forschung und Kunst Baden-Württemberg bedarf, für eine Amtszeit von
sechs Jahren gewählt.
und inhaltlicher Art an den Dekan Prof. Dr. Ansgar Thiel (dekan@wiso.uni-tuebingen.de)
gerichtet werden. Wir halten Ausschau nach:
Die Beschäftigung erfolgt im Beamtenverhältnis auf Zeit, soweit nicht
durch Vertrag ein befristetes Dienstverhältnis begründet wird. Die Stelle W2 Welterbestudien
ist in Besoldungsgruppe W 3 ausgewiesen. Eine Funktionsleistungszulage
kann gewährt werden. und baukulturelles
Die Hochschule strebt an, den Anteil von Frauen in Führungspositionen Die Universität Hamburg ist als Exzellenzuniversität eine der Erbe, Konstruieren
zu erhalten. Daher werden Frauen ausdrücklich zur Bewerbung aufge-
fordert. Menschen mit Behinderung werden bei entsprechender Eignung Die Hochschule RheinMain als Hochschule für angewandte Wissen- forschungsstärksten Universitäten Deutschlands. Mit ihrem Kon-
zept der „Flagship University“ in der Metropolregion Hamburg
im baulichen Bestand
bevorzugt eingestellt. schaften mit ihren Standorten Wiesbaden und Rüsselsheim versteht
sich als weltoffene, vielfältige Hochschule. Sie ist anerkannt für ihre pflegt sie innovative und kooperative Verbindungen zu wissen- Die Professur ist zum nächstmögli-
Aussagekräftige elektronische Bewerbungen (ein Gesamt-PDF von schaftlichen und außerwissenschaftlichen Partnern. Sie produziert
wissenschaftlich fundierte und berufsqualifizierende Lehre sowie chen Termin an der Fakultät Gestal-
maximal 20 MB) werden bis zum 15. Juni 2023 erwartet und sollen für den Standort – aber auch national und international – die
für ihre anwendungsbezogene Forschung, die eng mit der Lehre ver-
unter dem Stichwort „Wahl Rektor*in“ an die Staatliche Akademie der
zahnt ist. Insgesamt studieren an der Hochschule RheinMain rund zukunftsgerichteten gesellschaftlichen Güter Bildung, Erkenntnis tung der Hochschule Wismar unbe-
Bildenden Künste Stuttgart, z. Hd. der Vorsitzenden des Hochschulrats,
Stefanie Larson, an bewerbung@abk-stuttgart.de gesendet werden. 13.000 Studierende. Sie beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter:innen, und Austausch von Wissen unter dem Leitziel der Nachhaltigkeit. fristet in Vollzeit zu besetzen.
davon ca. 250 Professor:innen. Vorsitzender der Berufungskommission
Sie können sich über die ABK und ihre aktuellen Projekte gerne unter In der Fakultät für Geisteswissenschaften ist zum nächstmöglichen
www.abk-stuttgart.de informieren. Im Fachbereich Design Informatik Medien ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine ist: simon.takasaki-lauw@hs-wismar.de
Bei Fragen zum Bewerbungsverfahren wenden Sie sich bitte an Julia Zeitpunkt folgende Stelle zu besetzen:
Bewerbungen bitte bis zum
Hub (Sachgebiet Personal) unter julia.hub@abk-stuttgart.de. W1 Juniorprofessur mit Tenure Track W2
Professur (Tenure-Track-Professur) für
18.6.2023 als PDF-Dokument an
personalabteilung@hs-wismar.de
„Media Management mit Islamische Theologie unter dem Stichwort Welterbestudien
Die Leibniz-Institut für Schwerpunkt empirische
Resilienzforschung Medienforschung“ zu besetzen. Kennziffer: JP 353
Die komplette
(LIR) gGmbH sucht (Bes. Gr. W2 HBesG) Die ausführliche Stellenausschreibung finden Sie auf unserer Ausschreibung auf
zum 01.07.2023 eine Kennziffer: DCSM-P-07/23 Homepage unter: uni-hamburg.de/stelle-jp353 www.hs-wismar.de/
stellen
Leitung der Gruppe Personal (m/w/d) (bis EG 13 TV- Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung über unser
UM) in Vollzeit zunächst befristet für zwei Jahre in Online-Bewerbungsportal bis zum 26.05.2023.
Hochschule Wismar
Mainz. Den vollständigen Ausschreibungstext finden Detaillierte Informationen erhalten Sie unter: Die Universität Hamburg ist zertifiziert. University of Applied Sciences:
https://stellenangebote.hs-rm.de/rhye8 audit familiengerechte hochschule Technology, Business and Design
sie unter https://lir-mainz.de/jobs.
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 STELLENMARKT 39

Studium generale Worum geht’s ... in der Berufspädagogik?

BEOBACHTET VON JULIAN FIEBACH VON CHRISTINE PRUSSKY

Das sagt der Professor
Alle sprechen vom Lehrkräftemangel, berufliche Schulen hat
man dabei selten im Blick. In der bildungspolitischen Wahr-
nehmung ist mein Fach das sprichwörtliche Arbeiterkind. Das
Sommer muss sich ändern. Berufliche Bildung ist der Schlüssel im Kampf
Frühling gegen den Fachkräftemangel, die Pädagogik anspruchsvoll. Wie
gestalte ich einen Lernprozess zur Elektrotechnik, sodass die
Leute mit Freude dabeibleiben? In Berufsschulen haben manche
das Lernen nicht gelernt. Praxisorientierung hilft, diese jungen
Menschen zu fördern. Ihre Integration ist zentral für wirtschaft-
lichen Erfolg. Wir in der Berufspädagogik arbeiten daran.
Franz Kaiser ist Professor für Berufspädagogik
Winter an der Universität Rostock
Das sagt die Studentin
Ich wollte ins Lehramt, konnte mir die Arbeit mit kleineren
Kindern aber nie wirklich vorstellen. Lieber waren mir junge
Erwachsene, die mit beiden Beinen im Leben stehen. So kam ich
zur Berufspädagogik. Als ich zum ersten Mal in der Berufs­schule
stand, war ich aufgeregt, weil ich selbst keine Lehre in einem
Beruf vorweisen kann. Um die nötige Praxiserfahrung zu­
sammeln, arbeitete ich nach dem Bachelor sechs Monate in einer
Gärtnerei. Kann ich damit bestehen, fragte ich mich? Ich hatte
echt Respekt vor der Klasse – und vielleicht half das. Der Praxis-
test gelang. Ich freue mich auf meine Arbeit in der Schule.
Hannah Frind studiert im sechsten Mastersemester Lehramt
beruf liche Schulen an der Uni Rostock
Gut zu wissen
Fach und Studium: Berufspädagogik ist ein Teilgebiet der
Erziehungswissenschaften. Bundesweit gibt es knapp 200
Studiengänge zur Berufspädagogik mit den Abschlüssen­
Bachelor, Master oder dem Staatsexamen.
Beruf: Der Weg ins Berufsschullehramt ist lang. Stationen
sind in der Regel eine Berufsausbildung, ein Studium und
ein Referendariat. Wer keine Lehre abgeschlossen hat, muss
Praxiserfahrung in Praktika erwerben. Berufsschullehrkräfte
sind Mangelware: Bis 2035 braucht es jährlich rund 3000 bis
4000 neue Lehrkräfte. Weil jährlich aber nur 1500 Studie-
rende den Abschluss machen, klafft eine große Lücke, die
mit Quereinsteigern gefüllt wird.

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FAKULTÄT FÜR GESCHICHTS-

UND KUNSTWISSENSCHAFTEN

An der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften ist zum

nächstmöglichen Zeitpunkt eine
Professur (W2) auf Zeit
(6 Jahre/tenure track)
für Tanz und Performance
zu besetzen.
Die Professur soll ein weites Konzept von Tanzwissenschaft mit allen
übergreifenden Bezügen von Tanz zu Tanztheater und zeitgenös-
sischer Performance vertreten. Dabei sind tanz- und performance-
wissenschaftliche Schwerpunkte in europäischer und außereuro-
päischer Praxis, in kuratorischer Praxis und/oder in kulturtheore-
tischer Forschung erwünscht. Darüber hinaus wird die Erfahrung in
der Verflechtung von akademischer und künstlerischer Forschung
begrüßt. Von der erfolgreichen Kandidatin oder dem erfolgreichen
Kandidaten (m/w/d) wird erwartet, die Theaterwissenschaft der
Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in Lehre und
Forschung durch innovative tanz- und performance-wissenschaft-
liche Perspektiven zu profilieren und insbesondere durch inter-
nationale Forschungskooperationen und Drittmitteleinwerbungen
zur ausgezeichneten Forschung am Institut beizutragen. Die
aktive Mitwirkung an den BA- und MA-Studiengängen der
Theaterwissenschaft und anderer Programme, an denen das Fach
beteiligt ist, ist Bestandteil der Dienstaufgaben. Gesucht wird daher
eine exzellente, international vernetzte und bereits im Feld eta-
blierte Persönlichkeit, die Tanz und Performance in Forschung und
Lehre in voller Breite hervorragend vertreten wird.
Die Bedeutung der Theaterwissenschaft an der LMU wird durch
eine Reihe gewichtiger Standortvorteile befördert: Durch die enge
Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie August Ever-
ding und durch die hervorragend ausgestattete Studiobühne des
Faches wird den Studierenden die Möglichkeit zu praktischer Ar-
beit geboten. Zudem bestehen zahlreiche Kooperationen mit der
vielgestaltigen und bundesweit wahrgenommenen Tanzszene
Münchens. Diese Kooperationen sollen von der Inhaberin oder
dem Inhaber der Professur (m/w/d) weiterentwickelt und in Bezug
auf Tanz und Performance für Lehre und Forschung nutzbar
gemacht werden.
Die LMU wendet sich mit dieser Ausschreibung insbesondere
an hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchs-
wissenschaftlerinnen (m/w/d), die im Anschluss an ein abge-
schlossenes Hochschulstudium sowie eine überdurchschnittliche
Promotion oder eine vergleichbare besondere Befähigung durch
ihre Leistungen in Forschung und Lehre ein außerordentliches
Potenzial für eine weitere Karriere in der Wissenschaft nachgewie-
sen haben.
Die Berufung erfolgt bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Voraus-
setzungen in einem Beamtenverhältnis auf Zeit für die Dauer von
sechs Jahren. Bei positiver Evaluation der fachlichen, pädago-
gischen und persönlichen Eignung kann das Beamtenverhältnis
auf Zeit frühestens nach drei Jahren in ein Beamtenverhältnis auf
Lebenszeit umgewandelt werden.
Im Rahmen des LMU Academic Career Program besteht in beson-
deren Ausnahmefällen und bei herausragenden Leistungen in
Forschung und Lehre die Möglichkeit einer späteren Anhebung der
Professur von W2 nach W3.
Die Stiftung Weltethos hat an ihrem Weltethos-Institut an der Universität Tübingen zum
01.04.2024 die Stelle einer/eines
© K. Fritze
Direktorin/Direktors
zu besetzen. Aufgabe des von der Stiftung Weltethos getragenen und von der Karl Schlecht Founded in 1991, the University of The Faculty of Science, Institute of Nutritional Science at the University
Potsdam has firmly established itself of Potsdam invites applications for the following position to be filled by
Stiftung (KSG) finanzierten Instituts ist die praxisnahe Vermittlung ethischer und interkultu- in the scientific landscape and has April 1, 2025:
reller Kompetenz, vor allem mit Blick auf die Wirtschaftswelt. become an outstanding economic
factor and development engine for the Professorship (W2)
Gesucht wird eine Persönlichkeit mit Führungserfahrung, die aufgrund ihrer ausgewiese- region. It has a high level of third- for Biochemistry of Nutrition
party funding, has won several awards
nen akademischen Qualifikation (in Gestalt einer Habilitation oder habilitationsäquivalenten for teaching, and has a service-oriented The successful applicant will be internationally renowned for high-ranking
Leistungen) in der Lage ist, das gut ausgestattete Institut als national wie international aner- administration and has received several publications and acquisition of third-party funding. The applicant should
have a research specialization in the field of “Molecular Mechanisms
awards for being family-friendly. Around
kannte akademische Einrichtung erfolgreich weiterzuentwickeln. Sie soll of Nutrition-Dependent Homeostasis and Dysfunction.” The research
22,000 students and 3,000 employees
topic should complement the current research activities at the Institute
• wissenschaftlich qualifiziert sein, sich in Forschung und Lehre mit ethischen Grundfragen work at three locations - Am Neuen
of Nutritional Science and the cooperating Leibniz Institutes, namely
Palais, Griebnitzsee and Golm - at one of
einer globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft zu beschäftigen und deren Konsequenzen the most beautifully situated academic
the German Institute of Human Nutrition (DIfE) and the Institute of
Vegetable and Ornamental Crops (IGZ). Furthermore, cooperation is
zu reflektieren; fundierte Kenntnisse der Weltethos-Thematik in ihrer gesamten Breite wer- institutions in Germany.
anticipated with the Institutes of Chemistry and Biochemistry & Biology
at the University of Potsdam, as well as with the Faculty of Health Science,
den dabei vorausgesetzt; which is a joint faculty of the University of Potsdam, the Brandenburg
• bereit sein, sich vor Ort, aber auch national wie international interdisziplinär zu vernetzen, Medical School Theodor Fontane, and the Brandenburg University of
Technology Cottbus-Senftenberg. Leadership experience and experience
und über internationale Erfahrung verfügen; in the coordination of research projects is desired.
Please submit your application, with the
• breites Interesse an der praktischen Umsetzung unternehmensethischer Fragestellungen relevant documentation, via email to The applicant must be able to comprehensively cover the syllabus of
ausschreibungen@uni-potsdam.de by biochemistry of nutrition within the bachelor’s and
haben; praktische Erfahrungen in Unternehmen sind von Vorteil; May 31, 2023. Further information is master’s programs in nutritional science, as well as
• die Qualifikation zur Übernahme auch von englischsprachigen Lehrveranstaltungen mit- available online at: the international master’s program in toxicology. Non-
https://www.uni-potsdam.de/en/ German-speaking appointees are expected to acquire
bringen; arbeiten-an-der-up/appointments/ proficiency in German sufficient to be able to interact
appointment-procedures/application with all colleagues, students and staff within two years.
• bereit sein, ihren Lebensmittelpunkt in die Region zu legen.
Sie berichten an den Beirat des Weltethos-Instituts aus den drei Verantwortungsträgern Stif-
tung Weltethos, Universität Tübingen und Karl Schlecht Stiftung. Sofern die entsprechenden
To view the full job posting, please visit:
Voraussetzungen erfüllt sind, kommt eine Bestellung zum/zur Honorarprofessor/in an der
https://www.uni-potsdam.de/en/verwaltung/division3/stellenausschreibungen
Universität Tübingen in Betracht. Die Stelle ist unbefristet, die Vergütung (bis zur W3-Entspre-
chung) richtet sich nach der Qualifikation. Wir wertschätzen Vielfalt und begrüßen daher alle
Bewerbungen – unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, sexueller Identität, Behinde-
rung oder Weltanschauung. Bewerbungen von Schwerbehinderten werden bei entsprechen-
der Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Bitte richten Sie Ihre Bewerbung mit den im akademischen Kontext üblichen Unterlagen
bis zum 25.06.2023 an: Stiftung Weltethos, Dr. Stephan Schlensog, Eisenbahnstraße 1, 72072
Tübingen (schlensog@weltethos.org); Dr. Schlensog steht Ihnen auch für Fragen bezüglich
dieser Stelle zur Verfügung.
Die Technische Hochschule Aschaffenburg ist eine aufstrebende und familiengerechte Hochschule im Rhein-Main-Gebiet.
Wir zeichnen uns durch hervorragende Studienbedingungen, Praxisorientierung, hohe Qualität und exzellente Leistungen in
Forschung, Lehre, Transfer und Weiterbildung aus. Wir leben eine persönliche und lebendige Lern- und Diskussionskultur
auf dem Campus als einem Ort der Begegnung. Wir kooperieren mit der Wissenschaft und mit Unternehmen im In- und
Ausland und fördern den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs. Gestalten Sie mit uns die Zukunft.
W2-Professur - Nachhaltige Immobilienentwicklung und
Immobilienmanagement
m/w/d I BesGr. W2 BayBesG I Kennziffer: iim-w-15b
Fakultät Wirtschaft und Recht I zum 01.09.2023

Die LMU strebt eine Erhöhung des Anteils der Frauen in Forschung
und Lehre an und bittet deshalb Wissenschaftlerinnen nachdrück-
lich, sich zu bewerben.
Schwerbehinderte werden bei ansonsten im Wesentlichen gleicher
Eignung bevorzugt.
Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) vereint praxisorientierte
Lehre und anwendungsnahe Forschung. Regionales Alleinstellungsmerkmal der Hochschule ist ihr
breites ingenieurwissenschaftlich-technisches Profil. Zusammen mit den Bereichen Informatik, Die vollständigen Ausschreibungen sowie weitere Informationen finden Sie unter:
Wirtschaft, Soziales und Kultur bietet sie ein vielfältiges Lehr- und Forschungsangebot in Leipzig, www.th-ab.de/professuren
einer der attraktivsten und am schnellsten wachsenden Städte Deutschlands.
An der HTWK Leipzig sind nachfolgende

Die LMU bietet Unterstützung für Doppelkarriere-Paare an. Professuren

Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Zeugnisse, zu besetzen:
Urkunden, Schriftenverzeichnis, Lehrtätigkeit und -evaluation) rei-
chen Sie bitte bis zum 10. Juni 2023 (Eingangsdatum) in elek- Professur „Stahlbau“ (W2) ZEIT STELLENMARKT

tronischer Form beim Dekan der Fakultät für Geschichts- und

zum 01.04.2025 an der Fakultät Bauwesen Auf der Suche nach
Kunstwissenschaften, Prof. Dr. Arndt Brendecke, Ludwig-Maxi- Professur „Chemie“ (W2) neuen KollegInnen?
milians-Universität, Geschwister-Scholl-Pl. 1, 80599 München, ein: zum 01.04.2025 am Mathematisch-Naturwissenschaftliches Zentrum Schalten Sie schnell und
https://www.efv.verwaltung.uni-muenchen.de/w2tp (Registrierung unkompliziert Ihre Print-
erforderlich). Alle Details zu den Ausschreibungen finden Sie unter Online-Stellenanzeige:
www.htwk-leipzig.de/stellenausschreibungen stellenmarkt@zeit.de.
Wir beraten Sie gern.
An der Hochschule Bielefeld ist im Fachbereich Sozialwesen zum
1. September 2023 eine

W2-Professur für das Lehrgebiet

An der Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften
ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Stelle (m/w/d)
unbefristet zu besetzen:
Professur Pädagogische Handlungs-
felder in Gesundheits- und Pflegeberufen
W2, Vollzeit, Kenn-Nr. ZKV 4
Sind Sie an dieser Stelle interessiert?
Dann informieren Sie sich gern ausführlich auf unserer Home-
page https://www.fh-zwickau.de/service/stellen/.
Bitte richten Sie Ihre Bewerbung unter Angabe der Kenn-Nr.
bis zum 31.05.2023 an bewerbung.professur@fh-zwickau.de
Recht im Sozialwesen – Schwerpunkt
Zukunftsorientiert, praxisnah, forschungsstark: Teilhabe
Im Herzen der Hauptstadt bietet die BHT das größte
ingenieurwissenschaftliche Studienangebot in der
Region. Unter dem Motto “Studiere Zukunft” bilden zu besetzen.
wir in 72 technischen, natur-, lebens- und wirtschafts-
wissenschaftlichen Studiengängen mehr als 13.000 Aufgaben
Studierende stets am Puls der Zeit aus. Mit 300 Pro-
Wir suchen zum nächstmöglichen Die Stelleninhaberin bzw. der Stelleninhaber soll in den Studiengängen
fessor*innen, 400 Beschäftigten in Verwaltung und
Wissenschaft und unseren Lehrbeauftragten sind wir
Zeitpunkt eine:n
des Fachbereichs, insbesondere der Sozialen Arbeit und Pädagogik
ein starker Wissenschaftspartner - auch in internatio- der Kindheit, das Lehrgebiet Rechtswissenschaften vertreten.
nalen Netzwerken.
Wir suchen Sie für eine unbefristete Stelle an unserer Professor:in (W2) Ausführliche Informationen finden Sie unter:
www.hsbi.de/jobs
traditionsreichen Hochschule:
für das Lehrgebiet
Professur Design „Automatisierungssysteme in Gebäude-, Bewerbungen
und Realisierung opto- Energie- und Umwelttechnik“ Bitte senden Sie Ihre Bewerbung unter Angabe der Kennzahl 4/2023/1A
bis zum 19.05.2023 an die Hochschule Bielefeld, Dekan des Fachbereichs
mechatronischer Systeme (Kennziffer NG‐P‐2301)
Studiere Zukunft

bzw. postalisch an Sozialwesen, Prof. Michael Stricker, Interaktion 1, 33619 Bielefeld.

Besoldungsgruppe W2, Kennnummer 1137
Westsächsische Hochschule Zwickau
Rektorbüro Bewerbungsschluss: 04. Juni 2023
Kornmarkt 1, D-08056 Zwickau Die Stellenbeschreibung und Bewerbungsfrist Die vollständige Ausschreibung finden Sie unter:
finden Sie auf unserer Webseite: www.hs-esslingen.de/professuren
Wir beantworten gern Ihre Fragen unter der Telefonnummer
0375 / 536 3404. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung.
www.bht-berlin.de/berufungsportal hsbi.de
40 STELLENMARKT 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Die Zahl 3½ Fragen an: Bodo Ahrens

1057 €
1. 2. 3. 3½.
Was brauchen Sie heute im Beruf, Was hat Sie während eines akademischen Lektüre muss sein. Welche? Und sonst so?
was Sie im Studium nicht gelernt haben? Auslandsaufenthalts besonders beeindruckt? Natürlich Fachliteratur – von der gibt es Das vierte der 17 Ziele
Während des Studiums erwarb ich fachliche Im benachbarten Ausland fiel mir positiv auf, jedoch nie genug. Ich lese aber auch gerne nachhaltiger Entwicklung
Grundlagen und Problemlösungskompetenzen. wie mit Pragmatismus Hindernisse überwunden populärwissenschaftliche Bücher, die den der UN ist hochwertige
Heute brauche ich außerdem – neben sicher werden. Im Vergleich zum deutschen Horizont öffnen helfen. Derzeit ist es ein Buch Bildung für alle.
brutto pro Monat noch verbesserbaren didaktischen Fähigkeiten – Forschungsbetrieb gibt es in Summe oft weniger von Ugo Bardi zum von ihm so genannten Bisher unerreicht – auch
fächerübergreifende und interkulturelle Kompe- Geld, aber es erreicht die Forschungsgruppen Seneca-Effekt mit vielen Beispielen komplexer in Deutschland.
verdienten im Durchschnitt tenzen. Verschiedene Fachdisziplinen haben direkter – was vieles planbarer macht. Der Systeme, die abrupt kollabiert sind.
unterschiedliche Kulturen, und Forschungs- größte Vorteil universitärer Forschung – die Gegen Abend sind es dann Krimis, Bodo Ahrens, 56, ist
die Auszubildenden im und Arbeitsgruppen sind international. Für die Langfristigkeit – wird dadurch eher garantiert. Thriller oder auch Bücher, die meine Frau Professor für Mesoskalige
April 2022 in Deutschland Drittmittelakquise und Administration sind
organisatorisches Geschick und sehr viel
Im fernen Ausland beeindruckten mich der En-
thusiasmus und der Wille, auch mit oft wenigen
empfiehlt. Unterwegs höre ich häufig ein
spannendes Hörbuch und lese beim langen
Meteorologie und Klima an
der Goethe-Universität
Quelle: Statistisches Bundesamt Anpassungsfähigkeit erforderlich. Mitteln Lösungen zu finden, die allen helfen. Wochenendfrühstück eine Zeitung. Frankfurt am Main

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Mathematisch-
Naturwissenschaftlichen
Fakultät
An der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen ist im
Fachbereich Geowissenschaften eine
W3-Professur für Geologie (m/w/d)
zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu besetzen.
Der Fachbereich Geowissenschaften an der Universität Tübingen gehört zu den größten
Fachbereichen dieser Art in Deutschland. Die Professur ist in dem 2020 eröffneten Neubau
des Geo- und Umweltforschungszentrums untergebracht, das mit modernen Laboren und
Lehrräumen ausgestattet ist. Weitere Informationen hierzu sind der Webseite des Fach-
bereichs (https://uni-tuebingen.de/de/82353) zu entnehmen.
Der/Die zukünftige Stelleninhaber/-in soll das Fach Allgemeine Geologie inklusive quantitativer
Beobachtungsmethoden und Geosystemmodellierung in Forschung und Lehre eigenständig
vertreten. Die Professur vertritt Kernkompetenzen in Forschung und Lehre des Fachbereichs
und ist in die Forschungsinitiative „TERRA: Terrestrial Geo-Biosphere Interaction in a Changing
World“ eingebettet. Entsprechend soll der Forschungsschwerpunkt im Bereich der terrestrischen
Erdsystemwissenschaften mit Ausrichtung auf Landoberflächenprozessen liegen.
Ein herausragendes, international sichtbares Forschungsprofil und die substanzielle Ein-
werbung kompetitiver Drittmittel werden erwartet. Erfahrung in der interdisziplinären Zusam-
menarbeit und die Bereitschaft zur Leitung koordinierter Projekte innerhalb des Fachbereiches
und mit Arbeitsgruppen anderer Fachbereiche an der Universität (insbesondere in der
Biologie und im Exzellenzcluster zum maschinellen Lernen) werden vorausgesetzt. In der
Lehre ist die Professur für die Pflichtveranstaltung „Einführung in die Geowissenschaften“
(BSc) und „Physics of the Land-Surface“ (MSc) in den Studiengängen Geowissenschaften
(BSc & MSc), Geoökologe (BSc & MSc), Umweltnaturwissenschaften (BSc) und Applied and
Environmental Geoscience (MSc) verantwortlich und beteiligt sich aktiv an der geowissen-
schaftlichen Feldausbildung, insbesondere Kartierkursen. Die Mitwirkung in der akademischen
Selbstverwaltung der Universität wird vorausgesetzt.
Einstellungsvoraussetzung ist die Habilitation oder eine gleichwertige Qualifikation sowie
nachgewiesene didaktische Eignung.
Die Universität Tübingen setzt sich für Chancengleichheit, Diversität und Inklusion ein. Zur
Erhöhung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre bitten wir qualifizierte Wissen-
schaftlerinnen nachdrücklich um ihre Bewerbung. Qualifizierte internationale Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftler sind ausdrücklich aufgefordert, sich zu bewerben.
Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Bitte reichen Sie Ihre Bewerbungsunterlagen über das Bewerbungsportal der Universität
Tübingen unter https://berufungen.uni-tuebingen.de bis zum 9. Juni 2023 ein. Rückfragen
zur Ausschreibung und Fragen zum Bewerbungsportal können an den Dekan der Mathe-
matisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, Prof. Dr. Thilo Stehle
(career@mnf.uni-tuebingen.de), Fragen zu Forschung und Lehre an Prof. Dr. Paul Bons
(paul.bons@uni-tuebingen.de) gerichtet werden.
Im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften ist zum nächstmöglichen Zeit-
punkt die
W2-Professur (mit Tenure Track nach W3)
für Kunstpädagogik
unter Beachtung des § 70 Abs. 1 und 4 Hessisches Hochschulgesetz (HessHG) für
die Dauer von sechs Jahren zu besetzen; es gelten die Einstellungsvoraussetzungen
nach § 68 HessHG. Im Falle der Bewährung, die gem. § 70 Abs. 2 HessHG in einem
Evaluationsverfahren festzustellen ist, wird die dauerhafte Übertragung einer W3-
Professur zugesagt.
Aufgaben:
Im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen
(JLU) werden Studiengänge der Kunstpädagogik für Lehrämter (Grund-, Haupt-, Real-
und Förderschule sowie Gymnasium) sowie mit außerschulischer Ausrichtung (BA/MA)
angeboten. Sie vertreten das Fach Kunstpädagogik in Forschung und Lehre. Die Lehr-
verpflichtung beträgt 8 SWS.
Sie sollen die am Institut für Kunstpädagogik vorhandenen Forschungsprofile mit
international sichtbarer vitaler Forschungsaktivität sinnvoll erweitern, vorzugsweise
durch eigene Forschungen zu Fragen von Nachhaltigkeit (z. B. geschlechtergerechte,
inklusive, soziale, mediale und ökologische Fragen) in Zusammenhängen kunstpäda-
gogischer Bildung, zu zeitgenössischer Medialität und/oder zur Didaktik künstlerischer
Bildungsprozesse.
Sie bieten Lehre in der gesamten Breite der Kunstdidaktik sowie in spezifischen Be-
zügen auf profilbildende Forschungsfelder und praxisorientierte schulische und außer-
schulische Vermittlung an.
Sie tragen in Forschung und Lehre zur Vernetzung mit den benachbarten disziplinären
Bereichen Kunstgeschichte und künstlerische Praxis sowie in darüberhinausgehenden
interdisziplinären inner- wie außeruniversitären Kontexten bei, engagieren sich in der
Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses und im außeruniversitären Transfer,
vor allem in Lehrerfortbildungen und in Kooperation mit Kultureinrichtungen. Eine Mit-
arbeit im Zentrum für Medien und Interaktivität ist erwünscht.
Die Bereitschaft zur Mitarbeit in den Gremien der Universität sowie die Teilnahme
an Prüfungen und den Selbstverwaltungsaufgaben der Hochschule werden voraus-
gesetzt.
Voraussetzungen:
Vorausgesetzt werden ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich der Kunst-
pädagogik, eine fachlich einschlägige überdurchschnittliche Promotion, einschlägige
zusätzliche wissenschaftliche Leistungen sowie pädagogische Eignung, die in der
Regel durch hochschulbezogene Lehrerfahrung nachgewiesen wird.
Sie sollen Erfolge in der eigenständigen Einwerbung von Drittmitteln sowie Erfahrungen
in forschungsbezogener Projektorganisation, in der Hochschulselbstverwaltung und
in der internationalen Vernetzung vorweisen.
Nach § 68 Abs. 4 HessHG soll auf eine Stelle mit schulpädagogischen, fachdidak-
tischen oder erziehungswissenschaftlichen Aufgaben in der Lehrerbildung nur berufen
werden, wer nach der Ausbildung eine dreijährige Schulpraxis nachweist.
Bei Überschreitung der grundsätzlichen Altersgrenze von 50 Jahren setzt die Begrün-
dung eines Beamtenverhältnisses gem. § 66 Abs. 3 Satz 2 und 3 HessHG i. V. m.
§ 11 Hessische Laufbahnverordnung (HLVO) ein besonderes dienstliches Interesse
voraus.
Die JLU strebt einen höheren Anteil von Frauen im Wissenschaftsbereich an; deshalb
bitten wir qualifizierte Wissenschaftlerinnen nachdrücklich, sich zu bewerben. Auf-
grund des Frauenförderplanes besteht eine Verpflichtung zur Erhöhung des Frauen-
anteils. Die JLU verfolgt auch das Ziel einer verstärkten Gewinnung von Führungskräften
mit Gender- und Familienkompetenz. Die JLU versteht sich als familiengerechte Hoch-
schule. Bewerberinnen und Bewerber (m/w/d) mit Kindern sind willkommen. Bewer-
bungen Schwerbehinderter werden bei gleicher Eignung bevorzugt.
Zu den Einstellungsvoraussetzungen und erforderlichen Bewerbungsunterlagen bitten
wir, die Hinweise in unserem Informationsblatt (https://www.uni-giessen.de/karriere/
stellenangebote/ausschreibungen/professuren/infoblatt) zu beachten.
Bitte richten Sie Ihre Bewerbung mit den erforderlichen Unterlagen über das Online-
formular (https://www.uni-giessen.de/karriere/stellenangebote/bewerbung) bis
zum 2. Juni 2023 unter Angabe der Referenznummer 3-03/23 an den Präsidenten der
Justus-Liebig-Universität Gießen.
TALENTE TECHNIK ZUKUNFT
Im Hochschulbereich für Angewandte Wissenschaften ist an der Fakultät
für Betriebswirtschaft zum 01.01.2025 folgende Professur zu besetzen:
W2-Professur
für Mathematik für Ingenieurwissenschaften
Die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) gehört zu den größten
Von der künftigen Stelleninhaberin bzw. dem künftigen Stelleninhaber
wird erwartet, dass sie bzw. er sich an der Mathematikausbildung für Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Deutschland.
Studierende verschiedener technischer Bachelor- und Masterstudiengänge
(u. a. Maschinenbau, Wehrtechnik, Computer Aided Engineering, Tech- Zur Verstärkung unseres Kollegiums ist am Campus Gießen im
nische Informatik und Kommunikationstechnik) des Hochschulbereichs für Fachbereich Bauwesen sowie in Kooperation mit der 5D-Institut
Angewandte Wissenschaften beteiligt. Neben den Pflichtmodulen GmbH zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Stelle zu besetzen:
sollen Wahlpflichtmodule und fachübergreifende Lehrveranstaltungen im
ingenieurwissenschaftlichen Bereich abgehalten werden.
Die Professur ist am Institut für Mathematik und Informatik der Fakultät
TANDEM-PROFESSUR
für Betriebswirtschaft angesiedelt. Das Institut ist fakultätsübergreifend mit dem Fachgebiet
für die mathematische Ausbildung in allen anwendungsorientierten NACHHALTIGES MANAGEMENT DER BEBAUTEN
Studiengängen der Universität der Bundeswehr verantwortlich. Die aktuell UMWELT (SUSTAINABLE MANAGEMENT OF THE
sieben Professuren vermitteln den Studierenden die mathematischen und BUILT ENVIRONMENT)
informatischen Grundlagen, die für das jeweilige Fach notwendig sind und
forschen anwendungsorientiert in ihren jeweiligen Fachgebieten. Bewerbungsende: 25. Mai 2023
Ref. Nr. B 22-019
Gesucht wird eine hervorragend qualifizierte Mathematikerin bzw. ein
hervorragend qualifizierter Mathematiker mit fundierter, mindestens
Detaillierte Informationen zu der zu besetzenden Tandem-Professur –
fünfjähriger Berufserfahrung bei der Anwendung mathematischer
Methoden in technischen Disziplinen, die nach Abschluss des Hochschul- insbesondere die sich aus den §§ 67, 68 und 71 HessHG ergebenden
Einstellungsvoraussetzungen des Landes Hessen - entnehmen Sie
studiums erworben sein muss und von der mindestens drei Jahre außer-
halb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sein müssen. Für die bitte unserer Homepage unter: karriere.thm.de
Übernahme der Professur wird außerdem die besondere Befähigung
zur wissenschaftlichen Arbeit, die in der Regel durch die Qualität einer Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist uns ein
Promotion nachgewiesen wird, vorausgesetzt. Zusätzliche Kenntnisse Anliegen. Im Rahmen des audits „familiengerechte
oder Erfahrungen im Bereich numerischer Lösungsverfahren und Finite-
Hochschule“ arbeiten wir an der Weiterentwicklung
Elemente-Methoden sind wünschenswert. Es wird ein ausgeprägtes
Interesse an anwendungsorientierter Forschung und Entwicklung voraus- entsprechender Strukturen.
gesetzt sowie erwartet, dass Drittmittel eingeworben werden.
Zum Aufgabengebiet gehört weiterhin die aktive Mitarbeit an der Weiter-
entwicklung des Lehrgebiets, an Transferaufgaben, an der Internationali-
sierung und in der Selbstverwaltung der Hochschule. Es wird die Bereit-
schaft erwartet, Lehrveranstaltungen ggfs. auch in englischer Sprache
abzuhalten. Ferner wird die Übernahme einer gleichstellungs- und diversi-
tätsorientierten Führungsverantwortung erwartet.
An der Universität der Bundeswehr München sind W2- und W3-Professuren
in personeller und sachlicher Ausstattung grundsätzlich gleichgestellt. Die
Universität der Bundeswehr München bietet für Offizieranwärterinnen und
-anwärter sowie Offizierinnen und Offiziere ein wissenschaftliches
Studium an, das im Trimestersystem zu Bachelor- und Masterabschlüssen
führt. Das Studium wird durch fächerübergreifende, berufsqualifizierende
Anteile des integralen Begleitstudiums studium plus ergänzt.
Die Einstellungsvoraussetzungen und die dienstrechtliche Stellung von
Professorinnen und Professoren richten sich nach dem Bundesbeamten-
gesetz. In das Beamtenverhältnis kann berufen werden, wer am Tag der
Ernennung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Lust auf maximale Flexibilität? Ob in Voll- oder Teilzeit. Ob zuhause, vor
Die Universität strebt eine Erhöhung des Anteils von Professorinnen an und Ort oder unterwegs: wir bieten freie Gestaltung gepaart mit innovativer
fordert deshalb ausdrücklich Wissenschaftlerinnen zur Bewerbung auf. Lehre, neuester Technik (z.B. unsere KI-gesteuerte Lehrassistenz) und
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher einem unschlagbaren Teamrückhalt. Mit über 100.000 Studierenden
Qualifikation besonders berücksichtigt. und 3.000 Mitarbeitenden sind wir Deutschlands größte Hochschule
Bitte richten Sie die üblichen Bewerbungsunterlagen bis zum 27.05.2023 und an mehr als 40 Standorten bundesweit vertreten.
als vertrauliche Personalsache elektronisch an dekanat.bw@unibw.de
Verstärken Sie unser Team am Campus oder in der Online-Lehre als
oder postalisch an den Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft der
Universität der Bundeswehr München, 85577 Neubiberg.
Mit der Bewerbung erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten von
den mit dem Bewerbungsverfahren zuständigen Stellen verarbeitet werden.
PROFESSOR (m/w/d)
Nähere Angaben zum Datenschutz finden Sie auf der Homepage der in den Fachbereichen
UniBw München. - Angewandte künstliche Intelligenz
- Cyber Security
u
nd
transp
a
- Marketingmanagement
re
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In der Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Informatik und Psycho- - Maschinenbau

nt
fa i r

gütesiegel
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des
en
beru

logie am Institut für Psychologie und Pädagogik ist zum nächstmög- - Soziale Arbeit
ng

DHV
Das Deutsche Historische Institut Paris, ein Forschungsinstitut der öffent-
fu

lu

- Tourismusmanagement
gs d
verhan
lichen Zeitpunkt folgende Professur zu besetzen:
lich-rechtlichen Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Wir freuen uns auf Ihre Online-Bewerbung unter
Institute im Ausland, sucht zum 1. Oktober 2023 oder nach Vereinbarung
W3-Professur für Global Mental Health GZ B 0004/1-2023 WWW.IU-CAREERS.COM
eine/n wissenschaftliche/n Mitarbeiter/in und An der Paris Lodron Universität
(mit Leitungsfunktion) Abteilungsleiter/in (TVöD 14) mit einem Salzburg am Fachbereich Sport-
und Bewegungswissenschaft
Forschungsschwerpunkt im Mittelalter (Postdoc). ist eine ab dem 1. März 2024
> Referenz-Nr.: 23057
Die befristete Qualifikationsstelle (3+2 Jahre) erlaubt den Abschluss eines unbefristete Die Universität des Saarlandes
> Bewerbungsfrist: bis 26.05.2023 ist eine Campus-Universität mit
fortgeschrittenen innovativen Forschungsprojekts zur mittelalterlichen
Geschichte (z. B. Habilitation, second book). Das Projekt kann innerhalb Universitätsprofessur für Trainings- und internationaler Ausrichtung und
ausgeprägtem Forschungsprofil.
Die Universität Ulm ist eine junge Forschungsuniversität mit
Schwerpunkten in Naturwissenschaften, Medizin und Technik. des oben genannten Forschungsrahmens des DHIP frei formuliert werden. Motorikwissenschaft
Neben der eigenen Forschungstätigkeit übernimmt der/die Mitarbeiter/in zu besetzen. Die Aufnahme erfolgt unbefristet in Vollzeitbeschäftigung
Mit mehr als 10.000 Studierenden bietet sie in einer wirtschaft- nach § 98 UG 2002 und dem Angestelltengesetz sowie dem Kollektiv- Die Universität des Saarlandes bietet folgenden Arbeitsplatz an:
lich starken Region ein dynamisches Arbeitsumfeld mit interes- ab dem 1. April 2024 die Leitung der Abteilung Mittelalter. vertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Universitäten /
santen Vernetzungs- und Entwicklungsperspektiven. Verwendungsgruppe A1. Die Überzahlung des kollektivvertraglichen Lehrkraft für besondere Aufgaben (m/w/d) -
Wir erwarten eine abgeschlossene geschichtswissenschaftliche Promotion
und weitere einschlägige Publikationen, ein sehr gutes Sprachniveau in
Mindestentgelts von € 5.826,50 brutto (14 Monatsgehälter) ist vorgesehen. Kennziffer W2255
www.uni-saarland.de

Nutzen Sie die Chance und gestalten Sie mit uns die
Universität!
Weitere Informationen zu dieser Stelle finden
Sie unter: https://stellenangebote.uni-ulm.de/ehyet
Deutsch bzw. Französisch und gute Kenntnisse der jeweils anderen Sprache
sowie des Englischen, Vertrautheit mit der deutsch-französischen
Forschungslandschaft und Führungserfahrung. Der Dienstort ist Paris.
Das umfassende Stellenprofil und weitere Informationen finden sich unter
https://www.dhi-paris.fr/institut/ausschreibungen.html.
zur Durchführung von Lehrveranstaltungen für das Lehramtsstudium Informatik.
Den Volltext der Ausschreibung mit den Bewerbungsvoraussetzungen
entnehmen Sie bitte unter www.plus.ac.at unter der Rubrik Jobs.
Neben einer Promotion in Informatik verfügen Sie über ausgewiesene didaktische Fähigkeiten
und universitäre Lehrerfahrung. Zudem besitzen Sie sehr gute Englischkenntnisse.
Die Vergütung erfolgt nach TV-L. Eine spätere Übernahme in ein unbefristetes Beamten-
verhältnis bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Voraussetzungen ist vorgesehen. Der
Beschäftigungsumfang beträgt 100 % der tariflichen Arbeitszeit.

Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Anschreiben, Lebenslauf, Weitere Informationen und die vollständige Ausschreibung finden Sie unter:
https://www.uni-saarland.de/stellen
Zeugnisse, Nachweise über Sprachkenntnisse, Adressen von zwei
Referenzpersonen) und mit einer Darstellung des aktuellen Forschungs- An der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU)
projekts (max. 50 000 Zeichen inklusive Leerzeichen und Bibliografie, ggf. besetzen wir am Standort Geislingen zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende
bereits vorliegende Publikationen) richten Sie bitte in elektronischer Form Professuren:
(vollständig und in einer PDF-Datei) bis zum 28. Juni 2023 an
Prof. Dr. Thomas Maissen, bewerbung@dhi-paris.fr. W2-Professur für Betriebliche
Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften - Die Auswahlgespräche finden voraussichtlich am 10. Juli 2023 in Paris statt. Informationssysteme und Digitalisierung An der Universität Klagenfurt gelangt voraussichtlich mit 1.
Institut für Deutsche und Niederländische Philologie September 2023 folgende Stelle zur Besetzung:
Prof. Dr. Thomas Maissen | Deutsches Historisches Institut Paris
Drittmittelprojekt MatCo W2-Professur für Universitätsassistent:in am Institut für Romanistik
2 Positionen für Wirtschaftswissenschaften, insbesondere Kennung 174/23

Wiss. Mitarbeiter*innen (m/w/d) Zukunftsorientiert, praxisnah, forschungsstark:

Immobilienmanagement Bewerbungen bis 24. Mai 2023;
Im Herzen der Hauptstadt bietet die BHT das größte alle Details online. jobs.aau.at
mit 65 %-Teilzeitbeschäftigung, befristet bis 30.09.2025, Bewerbungsschluss: 29. Mai 2023
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Entgeltgruppe 13 TV-L FU Region. Unter dem Motto “Studiere Zukunft” bilden Detaillierte Informationen zu den fachlichen
Kennung: WiMi_MatCo 65_04-2023 wir in 72 technischen, natur-, lebens- und wirtschafts- Anforderungen und den Einstellungsvoraussetzungen
wissenschaftlichen Studiengängen mehr als 13.000
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 Weiterentwicklung und Anwendung neuronaler Netzwerkmodelle der Sprache und

Kognition
und Wissenschaft und unseren Lehrbeauftragten
sind wir ein starker Wissenschaftspartner - auch in
An der Paris Lodron Universität
Vorgezogene Termine für Anzeigen-
 Traktographieanalysen und Verwendung deren Ergebnisse bei der Optimierung der

Modelle
internationalen Netzwerken.

Wir suchen Sie für eine unbefristete Stelle an unserer

Salzburg ist folgende Stelle zu
besetzen:
und Druckunterlagenschlüsse:
 Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von neurokognitiven Experimenten traditionsreichen Hochschule:
zur Sprache und Kognition (ECoG, EEG, fMRT) GZ A 00 73/1-2023
Einstellungsvoraussetzungen:
Professur Dissertant*in 6 ZEIT vom 04.05.2023: Freitag, 28.04.2023 – 12 Uhr
Abgeschlossenes wiss. Hochschulstudium in einem für die Neurowissenschaft der Baukonstruktion und (Befristung: 4 Jahre, 30 Wochenstunden, Verwendungsgruppe B1; monat- 6 ZEIT vom 17.05.2023: Freitag, 12.05.2023 – 12 Uhr
liches Mindestentgelt für diese Verwendung beträgt € 2.458,00 brutto,
Sprache relevanten Bereich (Linguistik, Psychologie, Neurowissenschaft, Medizin,
Entwerfen
Studiere Zukunft

Informatik) Besoldungsgruppe W2, Kennnummer 1136

Den ausführlichen Ausschreibungstext finden Sie unter
www.fu-berlin.de/universitaet/beruf-karriere/jobs unter
der angegebenen Kennung.
Erhöhung durch tätigkeitsbezogenen Vordienstzeiten ist möglich) am
Fachbereich Chemie und Physik der Materialien für die Unterstützung
in Forschung und Lehre im Bereich Materialphysik.
Die Stellenbeschreibung und Bewerbungsfrist
finden Sie auf unserer Webseite: Den Volltext der Ausschreibung mit den Bewerbungsvoraussetzungen
www.bht-berlin.de/berufungsportal entnehmen Sie bitte unter www.plus.ac.at unter der Rubrik Jobs.
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 STELLENMARKT 41

ANZEIGE

ZIA – VISIBLE WOMEN IN SCIENCE AND HUMANITIES

Stella Dörenbach Nadine Albrecht Dr. Nora Kottmann Dr. Jana Isanta-Navarro

Ich habe Philosophie, Geschichte und Ich arbeite derzeit als wissenschaftliche Mit dem Fellowship-Programm Zia Ich bin Sozialwissenschaftlerin (Soziologie, Ich bin Gewässerökologin. Meine For-
Jura in Berlin und Paris studiert und Mitarbeiterin am Institut für Entrepreneur- (*arab.: die Glänzende, *lat.: das Saatkorn) Japanologie) und arbeite am Deutschen schung konzentriert sich auf das Ökosys-
promoviere im Öffentlichen Recht ship & Innovation der Universität Bayreuth. des ZEIT Verlags inspirieren, vernetzen und Institut für Japanstudien in Tokio, einem tem See und die Interaktionen zwischen
an der Schnittstelle zur Künstlichen Ich promoviere an der wirtschaftswissen- fördern wir in Zusammenarbeit mit unseren Auslandsinstitut der Max Weber Stiftung. Nährstoffen, pflanzlichem und tierischen
Intelligenz im Justizbereich. Ich forsche schaftlichen Fakultät und untersuche in Partnern und Förderern In meiner Forschung beschäftige ich mich Plankton. Mich interessiert, wie von
zur Datafizierung der Rechtsprechung, meinen aktuellen Forschungsprojekten die Wissenschaftlerinnen in ihren mit der Frage, wie und wo Menschen im Menschen gemachte Umweltveränder-
also zur automatisierten Recht- Kommunikation und Wirkung von Grün- Karrieren sowie in ihrer Kontext sich verändernder sozio-ökono- ungen diese Interaktionen beeinflussen,
sprechungsauswertung und welche derinnen sowie Stereotypisierungen, mit Persönlichkeitsentwicklung. mischer Gegebenheiten und globaler ob sich die einzelnen Organismen
Implikationen sie auf die Gesellschaft denen sich gescheiterte Gründer*innen Prozesse und Entwicklungen Beziehungen anpassen können, und welche Konsequenzen
und den Rechtsstaat hat. konfrontiert sehen. Kontakt: fellowship@zeit.de leben und Zugehörigkeit(en) herstellen. all dies für den See hat.

Hier stellen wir Ihnen in den nächsten Wochen unsere Zia-Fellows vor.

Wissensvermittlung
Wissensvermittlung mit
mit starkem
starkem Praxisbezug
Praxisbezug –– dafür
dafür steht
steht die
die Fachhoch- Wissensvermittlung
Wissensvermittlung mitmit starkem
starkem Praxisbezug
Praxisbezug –– dafür
dafür steht
steht die
die Fachhoch-
Fachhoch- An der Fakultät
An der Fakultät Chemie
Chemie und
und Lebensmittelchemie
Lebensmittelchemie ist zum 01.10.2024
ist zum 01.10.2024 die
die Fachhoch-
schule
schule Kiel
Kiel seit
seit mehr
mehr als
als 50
50 Jahren.
Jahren. Dabei
Dabei arbeiten
arbeiten wir
wir interdisziplinär
interdisziplinär und
und schule
schule Kiel
Kiel seit
seit mehr
mehr als
als 50
50 Jahren.
Jahren. Dabei
Dabei arbeiten
arbeiten wir
wir interdisziplinär
interdisziplinär und
und
können
können als größte Hochschule für angewandte Wissenschaften im Land
als größte Hochschule für angewandte Wissenschaften im Land auf
auf Professur
Professur (W3)
(W3) für
für Organische
Organische Chemie
Chemie II
II können
können als größte Hochschule für angewandte Wissenschaften im Land
als größte Hochschule für angewandte Wissenschaften im Land auf
auf
Mannheim regionale wie internationale Netzwerke zurückgreifen. In den Studiengängen regionale wie internationale Netzwerke zurückgreifen. In den Studiengängen
Mannheim University
University of
of Applied
Applied Sciences regionale wie internationale Netzwerke zurückgreifen. In den Studiengängen zu
zu besetzen. regionale wie internationale Netzwerke zurückgreifen. In den Studiengängen
Sciences an unseren sechs Fachbereichen widmen wir uns mit rund 8000 Studierenden Sie
besetzen.
an unseren sechs Fachbereichen widmen wir uns mit rund 8000 Studierenden
an unseren sechs Fachbereichen widmen wir uns mit rund 8000 Studierenden Sie (m/w/d)
(m/w/d) werden
werden das
das Fachgebiet
Fachgebiet Organische
Organische Chemie
Chemie in in Lehre
Lehre und
und Forschung
Forschung inin voller
voller Breite
Breite vertreten.
vertreten. Der
Der an unseren sechs Fachbereichen widmen wir uns mit rund 8000 Studierenden
Zum
Zum Sommersemester
Sommersemester 20242024 oder
oder später
später ist
ist in
in der
der Fakultät
Fakultät für
für den
den aktuellen
aktuellen Herausforderungen
Herausforderungen vonvon Wirtschaft
Wirtschaft und
und Gesellschaft.
Gesellschaft.
Schwerpunkt
Schwerpunkt der der Forschung
Forschung soll
soll auf
auf einem
einem aktuellen
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Gebiet derder präparativen
präparativen organischen
organischen Chemie,
Chemie, insbesondere
insbesondere den
den aktuellen
aktuellen Herausforderungen
Herausforderungen vonvon Wirtschaft
Wirtschaft und
und Gesellschaft.
Gesellschaft.
der
der modernen Photo- oder/und Elektrochemie mit möglichen Anwendungen in den Gebieten bioorganische Chemie
modernen Photo- oder/und Elektrochemie mit möglichen Anwendungen in den Gebieten bioorganische
Informatik
Informatik folgende
folgende Stelle
Stelle zu
zu besetzen:
besetzen: Chemie
Am
Am Fachbereich
Fachbereich Agrarwirtschaft
Agrarwirtschaft ist
ist daher
daher folgende
folgende Professur
Professur zu
zu besetzen:
besetzen: und
und // oder
oder Materialchemie,
vorhandenen
Materialchemie, liegen.
liegen. Die
Die Professur
Professur soll
soll dabei
dabei diedie in
in der
der organischen
organischen Chemie
Chemie an an der
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TU Dresden
Dresden Am Fachbereich
Am Fachbereich Soziale
Soziale Arbeit
Arbeit und
und Gesundheit
Gesundheit sind
sind zum
zum nächstmöglichen
nächstmöglichen
vorhandenen Forschungsrichtungen
Forschungsrichtungen inhaltlich
inhaltlich sinnvoll
sinnvoll ergänzen
ergänzen undund sich
sich federführend
federführend an an aktuellen
aktuellen strategischen
strategischen Zeitpunkt
Zeitpunkt zwei
zwei Professuren
Professuren wie
wie folgt
folgt zu
zu besetzen:
Professur „Cyber Physical W2-Professur
W2-Professur für
für Agrarökonomie
Agrarökonomie mit
mit dem
dem
Initiativen
Initiativen der
das
das Fach
der Fakultät
Fakultät Chemie
Fach Organische
Chemie und
Organische Chemie
Chemie in
und Lebensmittelchemie
Lebensmittelchemie sowie
in ganzer
ganzer Breite
Breite in
in allen
sowie der
allen Studiengängen
der Universität
Studiengängen der
Universität beteiligen.
beteiligen. In
der Fakultät
Fakultät Chemie
Chemie und
In der
der Lehre
Lehre werden
werden Sie
und Lebensmittelchemie
Sie
besetzen:

Systems“ (m/w/d) Schwerpunkt

Lebensmittelchemie
W2-Professur
W2-Professur Soziale
Soziale Arbeit
Arbeit im
im Kontext
Kontext
Schwerpunkt Farm
Farm Data
Data Management
sowie
sowie inin der
der Nebenfachausbildung
Nebenfachausbildung assoziierter
assoziierter bzw.
bzw. englischsprachiger
englischsprachiger Studiengänge
Studiengänge vertreten.
vertreten. Ihre
Ihre Bereitschaft
Management zur
zur aktiven
aktiven Mitwirkung
Mitwirkung inin fachübergreifenden
fachübergreifenden Projekten
Projekten (z.
(z. B.
B. SFB,
SFB, Graduiertenkolleg),
Graduiertenkolleg), in in der
der akademischen
Bereitschaft
akademischen Selbst- von
Bes. Im
Im Rahmen
Rahmen der der Professur
Professur wird wird erwartet,
erwartet, dass
dass die
die bewerbende
bewerbende Person
Person Grund-
verwaltung
verwaltung undund zur
zur Kooperation
Kooperation mitmit den
den in
in Dresden
Dresden angesiedelten
angesiedelten außeruniversitären
außeruniversitären Forschungseinrichtungen
Selbst-
Forschungseinrichtungen er- er- von Delinquenz
Delinquenz
Bes. Gr.
Gr. W2
W2 (Stellen-Nr.
(Stellen-Nr. 751)
751) Grund- warten
warten wir ausdrücklich. Zugleich erwarten wir Ihre aktive Mitarbeit in den Forschungsschwerpunkten der
wir ausdrücklich. Zugleich erwarten wir Ihre aktive Mitarbeit in den Forschungsschwerpunkten der Fakultät
Fakultät Die
lagen
lagen und
und Vertiefungen
Vertiefungen im im Bereich
Bereich derder landwirtschaftlichen
landwirtschaftlichen Unternehmens-
Unternehmens- Chemie
Chemie undund Lebensmittelchemie
Lebensmittelchemie mit mit besonderem
besonderem Fokus
Fokus auf
auf die
die biologisch-orientierte
biologisch-orientierte Chemie
Chemie beispielsweise,
beispielsweise, aber
aber Die Lehre
Lehre ist
ist in
in den
den BA-
BA- und
und MA-Studiengängen
MA-Studiengängen Soziale
Soziale Arbeit
Arbeit und
und
Sie führung
führung mit dem Schwerpunkt betriebswirtschaftliche Nutzung und inter-
mit dem Schwerpunkt betriebswirtschaftliche Nutzung und Kindheitspädagogik
Kindheitspädagogik angesiedelt.
Sie unterstützen
unterstützen diedie Fakultät
Fakultät für
für Informatik
Informatik dabei,
dabei, denden Bereich
Bereich inter- nicht
nicht begrenzt
begrenzt auf
auf die
die Gebiete
Gebiete der
der Photoschaltung
Photoschaltung oder
oder Photopharmakologie.
Photopharmakologie. Des Des Weiteren
Weiteren istist Ihre
Ihre aktive
aktive Mitarbeit
Mitarbeit angesiedelt.
Cyber disziplinäre
disziplinäre Einordnung
Einordnung von von produktionstechnischen
produktionstechnischen und und umweltrelevanten in
in bereits
bereits bestehenden
bestehenden Forschungsinitiativen
Forschungsinitiativen wie
wie dem
dem SFB
SFB 1415
1415 erwünscht.
Cyber Physical
Physical Systems
Systems zu zu stärken,
stärken, und und bauen
bauen entsprechende
entsprechende Daten,
umweltrelevanten Wir setzen eine erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit mit
erwünscht.
internationaler Sichtbarkeit im Berufungsgebiet Zentrale
Zentrale Inhalte
Inhalte der
der Lehre
Lehre sind:
sind:
Kooperationen
Kooperationen innerhalb
innerhalb und
und außerhalb
außerhalb der der Hochschule
Hochschule auf. Daten, die
die u.u. a.
a. durch
durch Smart
Smart Farming
Farming gewonnen
gewonnen werden,
werden, in in Forschung
Forschung und und Wir setzen eine erfolgreiche wissenschaftliche Tätigkeit mit internationaler Sichtbarkeit im Berufungsgebiet
•• Devianz
auf. Lehre
voraus.
voraus. Wir
Wir erwarten
erwarten weiterhin
weiterhin umfangreiche
umfangreiche Erfahrungen
Erfahrungen in in der
der Lehre
Lehre imim Fach
Fach Organische
Organische Chemie
Chemie in in der
der ge-
ge- Devianz und
und Delinquenz
Delinquenz
Lehre vertritt.
vertritt. Dabei
Dabei soll
soll die
die Professur
Professur denden Studierenden
Studierenden des des Bachelor-
Bachelor- undund samten
samten Breite,
Breite, nachgewiesene
nachgewiesene pädagogische
pädagogische Eignung
Eignung undund Erfolge
Erfolge in in der
der Drittmitteleinwerbung.
Drittmitteleinwerbung. Die Die Berufungs- •• Sozialpädagogische
Ihr Berufungs- Sozialpädagogische Interventionen
Interventionen bei
bei abweichendem
abweichendem Verhalten
Verhalten
Ihr Aufgabenspektrum
Aufgabenspektrum erstreckt
erstreckt sich sich aufauf die
die Lehre,
Lehre, diedie des
des Masterstudienganges
Masterstudienganges das das landwirtschaftliche
landwirtschaftliche Unternehmenscontrolling,
Unternehmenscontrolling, voraussetzungen richten sich nach § 58 SächsHSFG. Den vollständigen Ausschreibungstext
voraussetzungen richten sich nach § 58 SächsHSFG. Den vollständigen Ausschreibungstext finden Sie unter: finden Sie unter: •• Straffälligenhilfe
Straffälligenhilfe
Betreuung
Betreuung der Studierenden sowie
der Studierenden sowie die die anwendungsorientierte
anwendungsorientierte das
das digitale
digitale Datenmanagement
Datenmanagement und und die
die Voraussetzungen
Voraussetzungen eines eines nachhaltigen
nachhaltigen https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/10372.
https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/10372. •• Forschungswerkstätten
Unternehmensmanagements Forschungswerkstätten
Forschung.
Forschung. Sie Sie bringen
bringen diedie Bereitschaft
Bereitschaft mit, mit, Grundlagen-
Grundlagen- Unternehmensmanagements praxisnah praxisnah vermitteln.
vermitteln. Darüber
Darüber hinaus
hinaus istist eine
eine
grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an weiteren agrarökonomischen Vorausgesetzt
Vorausgesetzt werden
werden ein
ein auf
auf das
das Lehrgebiet
Lehrgebiet bezogener
bezogener Hochschulabschluss,
Hochschulabschluss,
themen
themen der der Informatik
Informatik inin der
der Lehre
Lehre zu zu vertreten,
vertreten, und und sind
sind in
in grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an weiteren agrarökonomischen
einschlägige
der
und fächerübergreifenden Modulen
und fächerübergreifenden Modulen erwünscht. erwünscht. einschlägige Berufserfahrungen,
Berufserfahrungen, einschlägige
einschlägige Veröffentlichungen
Veröffentlichungen sowie
sowie die
die
der Lage,
Lage, Lehrveranstaltungen
Lehrveranstaltungen in in deutscher
deutscher und und englischer
englischer Bereitschaft,
Bereitschaft, inin Grundlagenveranstaltungen,
Grundlagenveranstaltungen, wiewie z.
z. B.
B. Techniken
Techniken wissen-
wissen-
Sprache anzubieten. Weiterhin unterstützen Sie uns durch Wir
Wir freuen
freuen uns
uns auf
auf durchschnittlich
durchschnittlich qualifizierte
qualifizierte Bewerberinnen
Bewerberinnen und und Bewerber,
Bewerber,
Sprache anzubieten. Weiterhin unterstützen Sie uns durch schaftlichen
schaftlichen Arbeitens,
Arbeitens, Praktikumsbegleitung
Praktikumsbegleitung etc.,
etc., zu
zu lehren.
lehren.
Ihre die
die sich
sich beibei uns
uns in in Lehre
Lehre und und Forschung
Forschung interdisziplinär
interdisziplinär einbringen.
Ihre aktive
aktive Mitwirkung
Mitwirkung in in der
der akademischen
akademischen Selbstverwaltung.
Selbstverwaltung. einbringen.
Was wir bieten
Was wir bieten
Die
Die fachliche
fachliche Qualifikation
Bereich
Qualifikation wird wird durch
durch Studienverlauf
Studienverlauf und und Promotion
Promotion im im An
An der
der Pädagogischen
Pädagogischen Hochschule
Hochschule W2-Professur
W2-Professur Kindheitspädagogik
Kindheitspädagogik
Bereich der der Agrar-
Agrar- oder oder Wirtschaftswissenschaften
Wirtschaftswissenschaften nachgewiesen.
nachgewiesen. Weingarten
Sie
Sie erwarten
erwarten spannende,
spannende, anspruchsvolle
anspruchsvolle AufgabenAufgaben mit mit Einschlägige Berufserfahrungen in der agrar- und
Einschlägige Berufserfahrungen in der agrar- und ernährungswirtschaft- ernährungswirtschaft- Weingarten ist
ist folgende
folgende Stelle
Stelle Die
Die Lehre
Lehre istist in
in denden BA-BA- undund MA-Studiengängen
MA-Studiengängen Soziale Soziale Arbeit
Arbeit und
und
vielfältigen zu
zu besetzen:
besetzen: Kindheitspädagogik
Kindheitspädagogik angesiedelt.
vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten
Gestaltungsmöglichkeiten und kreativem Freiraum.
und kreativem Freiraum. lichen
lichen Wertschöpfungskette
Wertschöpfungskette sind sind erforderlich.
erforderlich. Wünschenswert
Wünschenswert sind darüber
sind darüber angesiedelt.
hinaus Erfahrungen in
hinaus Erfahrungen in derder Hochschullehre
Hochschullehre oder oder anderen
anderen Formen
Formen der der
Professur (W1) mit Tenure Track
Wir Schwerpunkte
Schwerpunkte der der Lehre
Lehre sind:
Wir sind
sind eine
eine teamorientierte,
teamorientierte, interdisziplinär
interdisziplinär und und international
international Wissensvermittlung.
Wissensvermittlung.
sind:
arbeitende •• Didaktische
Didaktische Konzepte
Konzepte im im Feld
Feld der
der frühen
frühen Kindheit
Kindheit (erwartet
(erwartet werden
arbeitende Fakultät
Fakultät mit
mit 25
25 Professorinnen
Professorinnen und und Professoren.
Professoren. werden
(W3) für Mathematik und ihre
Unsere Es
Es wird
wird vorausgesetzt,
vorausgesetzt, dass dass sich
sich die
die bewerbende
bewerbende PersonPerson in in der
der Selbst- Kompetenzen
Kompetenzen in in mindestens
mindestens zwei zwei der
der folgenden
folgenden Bildungsbereiche:
Bildungsbereiche: Mathe- Mathe-
Unsere Arbeitsatmosphäre
Arbeitsatmosphäre ist ist kollegial,
kollegial, wobei
wobei wir
wir auf
auf moderne
moderne Selbst-
matik,
und
verwaltung
verwaltung der der Hochschule
Hochschule maßgeblich
maßgeblich engagiert,
engagiert, mitmit anderen
anderen Hochschulen
Hochschulen matik, Naturwissenschaften
Naturwissenschaften und und Kultur,
Kultur, musisch-ästhetische
musisch-ästhetische Bildung Bildung und
und
und ganzheitliche
ganzheitliche Lehrmethoden
Lehrmethoden und und ein
ein attraktives
attraktives Angebot
Angebot
Didaktik mit dem Schwerpunkt
und
und wissenschaftlichen
wissenschaftlichen Einrichtungen
Einrichtungen kooperiert
kooperiert und
und sich
sich in
in der
der angewandten
angewandten Medien,
Medien, Körper, Gesundheit und Bewegung, Ethik, Religion und
Körper, Gesundheit und Bewegung, Ethik, Religion und
für
für unsere
unsere Studierenden
Studierenden mit mit intensiver
intensiver Betreuung
Betreuung und und Forschung Philosophie)
Forschung sowie
sowie am am Wissenstransfer
Wissenstransfer aktiv aktiv beteiligt.
beteiligt. Philosophie)
Förderung
Förderung setzen.
Grundschule
setzen. •• Erziehungsprozesse
Erziehungsprozesse im im Bereich
Bereich Kita,
Kita, Schule,
Schule, Hort
Hort und
und Heim,
Heim, HZE
HZE
Bewerbende
Bewerbende Personen
Personen müssen
müssen neben neben denden allgemeinen
allgemeinen beamtenrechtlichen
beamtenrechtlichen •• Leitung
Das
Das bringen
bringen SieSie mit
mit Voraussetzungen Leitung und
und Management
Management
Voraussetzungen die die Voraussetzungen
Voraussetzungen des des §§ 61
61 HSG
HSG erfüllen.
erfüllen. Danach
Danach sindsind
Sie
Sie haben
haben einen
einen Hochschulabschluss
Hochschulabschluss in in Informatik
Informatik oder oder mindestens
mindestens ein zum Zugang für die Laufbahngruppe 2, zweites Einstiegsamt,
ein zum Zugang für die Laufbahngruppe 2, zweites Kennziffer Vorausgesetzt
Vorausgesetzt werden werden ausgewiesene
ausgewiesene Kenntnisse
Kenntnisse in in mindestens
mindestens zwei zwei der
Einstiegsamt, Kennziffer M505
M505 genannten
der
einem
einem eng eng damit
damit verbundenen
verbundenen Gebiet.Gebiet. Im Im Bereich
Bereich CyberCyber berechtigendes,
berechtigendes, abgeschlossenes
abgeschlossenes Hochschulstudium,
Hochschulstudium, pädagogische
pädagogische und und genannten Lehrbereiche
Lehrbereiche sowiesowie die
die Bereitschaft,
Bereitschaft, in in Grundlagenveranstaltungen,
Grundlagenveranstaltungen,
Physical didaktische
didaktische Eignung
Eignung sowie sowie besondere
besondere Befähigung
Befähigung zu zu wissenschaftlicher wie
wie z.z. B.
B. Techniken
Techniken wissenschaftlichen
wissenschaftlichen Arbeitens,
Arbeitens, Praktikumsbegleitung
Physical Systems
Systems haben
haben SieSie mehrere
mehrere JahreJahre inin der
der Praxis
Praxis und
und wissenschaftlicher Den
Den vollständigen
vollständigen Ausschreibungstext
Ausschreibungstext finden
finden Sie
Sie unter:
unter: etc.,
Praktikumsbegleitung
der
der Forschung
Forschung gearbeitet
gearbeitet und
und beherrschen
beherrschen die die einschlägigen
einschlägigen
Arbeit,
Arbeit, die
die inin der
der Regel
Regel durch
durch die die gute
gute Qualität
Qualität einer
einer Promotion
Promotion nachgewie-
nachgewie- etc., zuzu lehren.
lehren. Erwartet
Erwartet werden
werden weiterhin
weiterhin ein ein aufauf dasdas Lehrgebiet
Lehrgebiet
sen www.ph-weingarten.de/hochschule/karriere
www.ph-weingarten.de/hochschule/karriere bezogener
bezogener Hochschulabschluss, einschlägige Berufserfahrungen sowie
Hochschulabschluss, einschlägige Berufserfahrungen ein-
Methoden und Werkzeuge dieser Domäne. Ein internationa- sen wird,
wird, erforderlich.
erforderlich. Des Des Weiteren
Weiteren sindsind besondere
besondere Leistungen
Leistungen bei bei der
der An-
An- sowie ein-
Methoden und Werkzeuge dieser Domäne. Ein internationa- wendung schlägige Veröffentlichungen.
les wendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in
oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in Pädagogische
Pädagogische Hochschule,
Hochschule, Kirchplatz
Kirchplatz 2,
2, 88250
88250 Weingarten
Weingarten schlägige Veröffentlichungen.
les Umfeld
Umfeld ist
ist Ihnen
Ihnen vertraut
vertraut und
und SieSie können
können auch
auch sicher
sicher auf
auf einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis, von
einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis, von der mindestens drei der mindestens drei Allgemeine Einstellungsvoraussetzungen:
Einstellungsvoraussetzungen:
Englisch
Englisch kommunizieren
kommunizieren und und lehren.
lehren. Sie Sie haben
haben Kenntnisse
Kenntnisse Jahre außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sind, Voraussetzung. Allgemeine
Jahre außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sind, Voraussetzung. Bewerbende müssen
Bewerbende müssen neben
neben den den allgemeinen
allgemeinen beamtenrechtlichen
beamtenrechtlichen Voraus- Voraus-
und
und Erfahrungen
Erfahrungen in in der
der Entwicklung
Entwicklung von von Prototypen
Prototypen (Software
(Software Die
Die Fachhochschule
Fachhochschule Kiel Kiel bietet
bietet didaktische
didaktische Aus-Aus- und
und Fortbildung während
Fortbildung während setzungen die
setzungen die Voraussetzungen
Voraussetzungen des des §§ 61 61 HSGHSG erfüllen.
erfüllen. Danach
Danach sindsind
und
und Hardware).
Hardware). mindestens ein ein zum
zum Zugang
Zugang fürfür die
die Laufbahn
der ersten
der ersten beiden
beiden Beschäftigungsjahre
Beschäftigungsjahre an. an. EsEs wird
wird erwartet,
erwartet, dassdass dieses
dieses mindestens Laufbahn der der Laufbahngruppe
Laufbahngruppe 2, 2, zweites
zweites
Spezielle
Spezielle Expertise
Expertise haben
haben Sie Sie in in mindestens
mindestens zwei zwei der
der Angebot genutzt
Angebot genutzt wird.
wird. Einstiegsamt,
Einstiegsamt, berechtigendes,
berechtigendes, abgeschlossenes
abgeschlossenes Hochschulstudium,
Hochschulstudium,
folgenden pädagogische
pädagogische und und didaktische
didaktische Eignung
Eignung und und wiewie oben
oben beschrieben
beschrieben eine
folgenden Bereiche:
Bereiche: Die
Die Hochschule
Hochschule setzt
setzt sich
sich für
für die
die Beschäftigung
Beschäftigung von von Menschen
Menschen mit mit Behinderung
Behinderung besondere
eine
ein. besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in
Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der
der Regel
Regel durch
durch
•• Prototypenbasierte Entwicklung (zum
Prototypenbasierte Entwicklung (zum Beispiel
Beispiel mit mit Micro-
Micro- ein. Schwerbehinderte
Schwerbehinderte und und ihnen
ihnen gleichgestellte
gleichgestellte Bewerberinnen
Bewerberinnen und und Bewerber
Bewerber die gute Qualität einer Promotion nachgewiesen
die gute Qualität einer Promotion nachgewiesen wird, erforderlich. wird, erforderlich.
controllern, werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.
controllern, Open-Source-Hardware)
Open-Source-Hardware) werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt. Besondere
Besondere Leistungen
Leistungen bei bei derder Anwendung
Anwendung oder oder Entwicklung
Entwicklung wissen-wissen-
•• Nutzerzentrierte
Nutzerzentrierte Entwicklung
Entwicklung (UI/UX)
(UI/UX) Die
Die Hochschule
Hochschule ist ist bestrebt,
bestrebt, ein ein Gleichgewicht
Gleichgewicht zwischen weiblichen und
zwischen weiblichen und Die
Die JKU
JKU besetzt
besetzt zum
zum ehestmöglichen
ehestmöglichen Zeitpunkt
Zeitpunkt folgende Professur:
folgende Professur: schaftlicher
schaftlicher Erkenntnisse
Erkenntnisse und und Methoden
Methoden sind sind inin einer
einer mindestens
mindestens fünf-fünf-
•• Ubiquitous männlichen Beschäftigten
Beschäftigten in in der
der Landesverwaltung
Landesverwaltung zu zu erreichen.
erreichen. SieSie fordert
fordert jährigen
jährigen beruflichen
beruflichen Praxis,
Praxis, von
von der
der mindestens
mindestens drei drei Jahre
Jahre außerhalb
außerhalb des
Ubiquitous Computing
Computing // Ambient
Ambient Intelligence
Intelligence männlichen des
Von
deshalb Frauen
deshalb Frauen mitmit passender
passender Qualifizierung
Qualifizierung auf, auf, sich
sich zu
zu bewerben.
bewerben. Frauen
Frauen Mechatronische
Mechatronische Produktentwicklung
Produktentwicklung Hochschulbereichs
Hochschulbereichs ausgeübt
ausgeübt worden
worden sind,
sind, Voraussetzung.
Voraussetzung.
Von Vorteil
Vorteil sind
sind zudem
zudem Erfahrungen
Erfahrungen in: in: werden beibei gleichwertiger
gleichwertiger Eignung,
Eignung, Befähigung
Befähigung und und fachlicher
fachlicher Leistung
Leistung vor-
vor-
•• Wearable
Wearable Computing
Computing
werden
rangig berücksichtigt.
rangig berücksichtigt.
gemäß
gemäß §
§ 98
98 UG
UG
Für
Für beide
beide Professuren freuen wir
Professuren freuen
Weiterentwicklung der
wir uns
uns auf
auf ein
ein Teammitglied,
Teammitglied, das das sich
sich an
an der
der
Weiterentwicklung der Studiengänge
Studiengänge des des Fachbereiches
Fachbereiches sowie sowie an an inter-
inter-
•• VR/AR-Systems
VR/AR-Systems Die Fachhochschule
Fachhochschule Kiel Kiel begrüßt
begrüßt ausdrücklich
ausdrücklich Bewerbungen
Bewerbungen von von Menschen
Menschen disziplinären
disziplinären (Forschungs-)Projekten
(Forschungs-)Projekten beteiligt, beteiligt, in in den
den interdisziplinären
Die Bewerbungsfristende:
Bewerbungsfristende: 14.06.2023.
14.06.2023. interdisziplinären
•• Mixed
Mixed Reality
Reality Interfaces
Interfaces mit Migrationshintergrund.
mit Migrationshintergrund. Wochen
Wochen der der Fachhochschule
Fachhochschule Kiel Kiel mitwirkt
mitwirkt sowie
sowie regionale,
regionale, landesbezogene
landesbezogene
•• Smart
Smart Home und
und -übergreifende
-übergreifende Praxis-
Praxis- und
und Forschungskontakte
Forschungskontakte (weiter-)entwickelt.
(weiter-)entwickelt. Die
Home Auf
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Vorlage von von Lichtbildern/Bewerbungsfotos
Lichtbildern/Bewerbungsfotos verzichten verzichten wir wir ausdrück-
ausdrück- Nähere
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finden Sie unter www.jku.at/professuren
Sie unter www.jku.at/professuren Bereitschaft
Die
lich Bereitschaft zum zum Engagement
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Selbstverwaltung der der Fachhochschule
Fachhochschule
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JOHANNES wird vorausgesetzt.
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Fachbereichs Agrar- Agrar- Altenberger Straße
Straße 69,
69, 4040
4040 Linz,
Linz, Österreich
Österreich der
während
p.knauber@hs-mannheim.de. wirtschaft, Herrn Prof. Dr. Martin Braatz, Grüner Kamp der ersten
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beiden Beschäftigungsjahre
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Es wird
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dass dieses
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p.knauber@hs-mannheim.de. wirtschaft, Herrn Prof. Dr. Martin Braatz, Grüner Kamp Angebot genutzt
Angebot genutzt wird. wird.
11,
11, 24783
24783 Osterrönfeld.
Osterrönfeld.
Den
Den vollständigen Ausschreibungstext finden
vollständigen Ausschreibungstext finden Sie
Sie auf
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Fachliche Die Hochschule
Hochschule setzt setzt sich
sich fürfür die
die Beschäftigung
Beschäftigung von von Menschen
Menschen mit mit
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Homepage unter https://karriere.hs-mannheim.de/yrqok. Fachliche und und inhaltliche
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Vorsitzende Behinderung ein. ein. Daher
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werden schwerbehinderte
schwerbehinderte und und ihnen
ihnen gleichgestellte
gleichgestellte
Vorsitzende des des Berufungsausschusses,
Berufungsausschusses, Herr Herr Professor
Professor Dr.Dr. Personen bei bei entsprechender
entsprechender Eignung, Befähigung und
Eignung, Befähigung und fachlicher
fachlicher Leistung
Leistung
Wir
Wir freuen
freuen uns
uns auf
auf Ihre
Ihre Bewerbung
Bewerbung bisbis 16.06.2023
16.06.2023 über
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unser Torben
Torben Tiedemann,
Tiedemann, Tel.: Tel.: 04331
04331 845-126
845-126 oder oder Mail:
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Online-Bewerbungsportal. torben.tiedemann@fh-kiel.de.
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bewerben. Frauen Frauen werden
werden bei bei gleichwertiger
gleichwertiger Eignung,
Eignung,
Befähigung und
Befähigung und fachlicher
fachlicher Leistung
Leistung vorrangig
vorrangig berücksichtigt.
berücksichtigt. Ausdrücklich
Ausdrücklich
begrüßen wir
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es, wenn
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Menschen mit mit Migrationshintergrund
Migrationshintergrund bei bei uns
uns
ZEIT
ZEIT STELLENMARKT
STELLENMARKT bewerben.
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Am Fachbereich
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Wirtschaftswissenschaften der
der Hochschule
Hochschule Harz ist zum
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Crossmedial gespielt: Ihre Ausschreibung

möglichen
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zunächst 3
3 Jahre
Jahre befristete
befristete Professur
Professur zu
zu besetzen:
besetzen: Auf die die Vorlage
Vorlage von von Lichtbildern/Bewerbungsfotos
Lichtbildern/Bewerbungsfotos verzichten
Auf verzichten
wir ausdrücklich
wir ausdrücklich und
und bitten
bitten daher,
daher, hiervon
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Professur
Professur für
für Tourismusmanagement
Tourismusmanagement und
und Betriebswirtschaft
Betriebswirtschaft
insbesondere Bewerbungen mit vollständigen Unterlagen
Bewerbungen mit vollständigen Unterlagen sind sind
insbesondere Marketing
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Marktforschung (W2)
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jeweiligen Professur
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academics. e/2023/26 26.05.2023 zu
26.05.2023 zu richten
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Fachbereichs Soziale
Fachbereichs Soziale Arbeit
Arbeit undund Gesundheit,
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Kiel.
42 STELLENMARKT 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

In Baden-Württemberg ist die Stelle

der Wissenschaftlichen Direktion (m/w/d)

des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg
zum 1. April 2024 zu besetzen.

Die Jobchancen
Das Museum mit Sitz in Stuttgart macht Landesgeschichte lebendig, beginnend
mit Napoleon bis hin zur Gegenwart. Die Ausstellungen befassen sich mit Herr-

gehen Ihnen
schaft und Demokratie, Krieg und Frieden, mit Wirtschaftsentwicklung und
Sozialgeschichte sowie den Auswirkungen auf die Menschen im Land und seine
verschiedenen Regionen. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg ist an
mehreren Standorten im Land präsent. Es regt zum Dialog über die Vergangen- nicht aus
heit an und trägt zum Verständnis der Gegenwart bei, es versteht sich als Ort
der Diskussion, der Begegnung und des Austauschs.
Für die Wissenschaftliche Direktion suchen wir eine souveräne und engagierte Weitere Jobs
Persönlichkeit mit großem Fachwissen sowie ausgeprägter Management- und finden Sie auf
Führungskompetenz, hohem Kommunikationsvermögen und Belastbarkeit
sowie breiter Vernetzung im musealen Umfeld.
Wir erwarten ein mit Promotion abgeschlossenes Hochschulstudium in einem
sammlungsrelevanten Wissenschaftsbereich (zum Beispiel Geschichte, Volks-
kunde/empirische Kulturwissenschaft) sowie museumsspezifische Leitungs-, Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt vorerst befristet
Fach- und Projekterfahrung. Vorausgesetzt werden ein kooperativer und für 4 Jahre in der Mitte Deutschlands einen
integrierender Führungsstil, Publikumsorientierung und Kreativität bei der
Themensetzung sowie die Bereitschaft zur strategischen Weiterentwicklung
Abteilungsleiter/in „Wissenschaftlicher Dienst“ (m/w/d)
Über 1.000
anspruchsvolle
des Museums, insbesondere im Hinblick auf kulturelle Teilhabe, Diversität
und Inklusion. Wir wünschen uns die Fähigkeit zu konzeptioneller Arbeit, das
Vergütung orientiert sich an B2 BBesO als vergleichbare

Lehrkräfte gesucht? Stellen

Interesse an der Umsetzung aktueller museologischer Ansätze sowie Erfahrung
in der Drittmittelakquise. außertarifliche Vergütung | Vollzeit

Die Anstellung erfolgt in einem außertariflichen Beschäftigungsverhältnis und
orientiert an Besoldungsgruppe A 16. Bewerberinnen und Bewerber, die bereits
in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit stehen, können bei Vorliegen der
gesetzlichen Voraussetzungen in ein Beamtenverhältnis übernommen werden.
Das Land Baden-Württemberg fördert die Gleichstellung seiner Mitarbeitenden
und begrüßt deshalb Bewerbungen aller Fachkräfte, unabhängig von Geschlecht,
ethnischer, kultureller oder sozialer Herkunft, Alter, Religion, Weltanschauung,
Behinderung oder sexueller Identität. Im Sinn des baden-württembergischen
Chancengleichheitsgesetzes sind wir bestrebt, den Anteil von Frauen in allen
unterrepräsentierten Bereichen zu erhöhen. Frauen werden daher nachdrücklich
aufgefordert, sich zu bewerben. Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber
werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Das Aufgabengebiet ist grundsätzlich teilbar – auch Tandembewerbungen sind
möglich.
Bitte richten Sie Ihre schriftliche Bewerbung mit aussagekräftigen Unterlagen
unter Angabe des Betreffs „Wissenschaftliche Direktion des Hauses der Geschichte
Baden-Württemberg“ und des Aktenzeichens MWK52-7961-75/4/33 bis
31. Mai 2023 an das
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg,
Referat 52, Königstraße 46, 70173 Stuttgart.
Gerne können Sie Ihre Bewerbung auch per E-Mail (bitte zusammengefasst
in einer Anlage im PDF-Format, max. 3 MB) an bewerbung-52@mwk.bwl.de
übermitteln.
Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Verwaltungs- und Kostengründen Ihre
Bewerbungsunterlagen leider nicht zurücksenden können. Die Unterlagen der
nicht berücksichtigen Bewerberinnen und Bewerber werden nach Abschluss des
Auswahlverfahrens vernichtet.
Informationen zur Datenerhebung und -verarbeitung finden Sie auf unserer
Homepage unter: https://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/service/stellenangebote
ist als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege Dachverband von bundesweit
über 10.000 Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen im Sozial- und Ge-
sundheitsbereich. Er engagiert sich für die sozialpolitische Überwindung von Be-
nachteiligung und unterstützt seine Mitgliedsorganisationen. Für diesen Mandanten sucht conQuaesso® JOBS im Rahmen einer ruhe-
standsbedingten Nachfolgeplanung zum 01. August 2024 für die Hauptgeschäftsstelle in Berlin eine
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motivierte Mitarbeitende unsere wichtigste Ressource. User
Ziel ist es, ein inspirierendes und kreatives Umfeld in einem tol-
len Team zu bieten. Die Cyberagentur bearbeitet die Themen
von morgen für die Cybersicherheit der Zukunft. Wir sind ein
agiles und innovatives Unternehmen des Bundes und arbeiten
zum Beispiel in der Kryptologie, an der Mensch Maschine Inter-
aktion oder an der sicheren Kommunikation von der Tiefsee bis
in den Weltraum.
Unsere Agentur wurde vom Bundesministerium für Verteidi-
gung und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Hei-
mat gemeinsam als die Agentur für Innovation in der Cybersi-
cherheit GmbH gegründet.
Konkret ist unsere Aufgabe die Identifikation der Zukunftsthe-
men im Gebiet der Cybersicherheit und der dazugehörigen
Schlüsseltechnologien. Wir finanzieren und begleiten spannen-
de und herausragende Forschungsvorhaben. Damit leisten wir
einen Beitrag zur Sicherstellung der Technologieführerschaft
und zur digitalen Souveränität Deutschlands.
Aufgabengebiet:
In der Cyberagentur wurden Aufgaben, die wesentlich für die
drei Forschungsabteilungen sind, übergreifend in der Abtei-
lung Wissenschaftlicher Dienst zusammengefasst. Dies bein-
haltet das Innovationsmanagement, das Wissensmanagement,
das Projektmanagement, den Umgang mit IP-Rechten, die Un-
terstützung sicherer Forschung und das Verbindungswesen.
Der Wissenschaftliche Dienst unterstützt alle Forschungspro-
jekte beginnend von der Idee bis zur Verwertung der Ergebnisse
und ist ein relevanter Dienstleister für den Forschungsbereich.
Dies ist Ihr Job? Dann freuen wir uns auf Ihre
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werbung. Bitte nutzen Sie den QR-Code und das
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Die Bewerbungsfrist endet am 31.05.2023.
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zu machen und zu nachhaltigem Handeln zu befähigen.
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Bewerbungsfrist: 29.05.2023 Die für die Suche eingesetzte Findungskommision wird von
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begleitet. Für weitere Fragen steht Ihnen Anne von Fallois
unter der Rufnummer +49 30 880198–80 zur Verfügung.
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gestellten Menschen im Sinne des SGB IX sind ausdrücklich
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Sie verantworten die Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit zur sozialpolitische Positionierung in Abstimmung mit dem Vorstand.
Sie führen die Hauptgeschäftsstelle, gestalten verbandspolitische Prozesse und verbinden Haupt- und Ehrenamt.
oder Innovation und Digitalisierung Kienbaum Consultants International GmbH
Damit übernehmen Sie eine vielschichtige und einflussreiche Tätigkeit bei einem hochangesehenen, modern ausgerichteten Verband. Ziel des Zentralbereichs „Strategie und Innovation“ ist es zum einen eine integrierte und auf Zukunftsthemen
Ihre Kompetenzen
ausgerichtete Strategie mit den Geschäftsbereichen der Bank zu entwickeln und umzusetzen. Zum anderen soll
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tionen ermöglichen – gemeinsam mit einem vielfältigen nationalen und internationalen Ökosystem (u. a. der BIS
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44 WISSEN 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Infografik: Tempolimit

o
N
Jetzt mal
24

Sind wir die einzigen ohne? Beispiel Brandenburg 722

langsam
Fast! Auf der Isle of Man gibt es Straßen ohne Tempolimit – In dem Bundesland wurde 2003 auf
allerdings können Autos dort aufgrund der engen Kurven einem 62 Kilometer langen A 24-Abschnitt
kaum schneller als 50 km/h fahren. Auch in Haiti und in ein Tempolimit von 130 km/h eingeführt.
einigen indischen Bundesstaaten gibt es Straßen ohne
Tempolimit. Doch dort lassen die Straßenverhältnisse in der
Regel genauso wenig hohe Geschwindigkeiten zu. Dass es in Weniger Unfälle, weniger Opfer
Nordkorea kein Tempolimit geben soll, ist nicht verifizierbar.
Deutschland diskutiert wieder, Unfälle

wie viel Geschwindigkeit auf seinen Verunglückte –48%

kein Tempolimit mit Tempolimit seit Autobahnen erlaubt sein soll 838
Unfälle Verunglückte
Isle of Man 1982 Afghanistan VON PIA BUBLIES (INFOGRAFIK)
Haiti 2001 Ruanda
2007 Tibet
UND MATS SCHÖNAUER (RECHERCHE) 654
–57%

70 %
! 337 362

ohne Tempolimit Unfall

18.115 km
in den 3 Jahren in den 3 Jahren
vor dem Limit nach dem Limit

Tempolimit und Unfälle Halbierung der Zahlen

Die meisten Unfälle ereignen sich in Ortschaften. Im gesamten Erhebungszeitraum (7 Jahre) ...
Allerdings sind die Folgen im unbesiedelten Gelände oft
schlimmer, etwa aufgrund höherer Geschwindigkeiten. ... vor dem Tempolimit 1850
Auf Landstraßen kommen weitere Risikofaktoren ... nach dem Tempolimit
hinzu – die fehlende Trennung zum Gegenverkehr
oder Hindernisse wie Bäume entlang der Fahrbahn. 38
799
Anteil 19
Anteil der Unfälle/Todesfälle nach Straßenart Tempo-
68 % Unfälle limit Tote Verletzte
59 % Tote Auf den meisten
Bundesautobahnen
darf man heute so Höhere Kapazitäten
29 % schnell fahren,
25 % Langsamer geht mehr
6%
12 % wie man will 120
Innerorts Landstraße Autobahn

Vermindertes Risiko
Zahl der Unfälle 2017 je 1 Mrd. gefahrener
Kilometer (basierend auf Unfallmeldungen 1700 Kfz/h 1800 Kfz/h
aus zwölf Bundesländern)

15,79 Quellen
13,45 ohne Tempolimit Bundesanstalt
für Straßen­
mit Tempolimit wesen; Interna-
tional Union for
Conservation of
Nature and Na-
1600 Kfz/h 1700 Kfz/h tural Resources;
1,67 0,95 Statistisches
Bundesamt;
Angaben pro einzelner Fahrspur: Mit Tempolimit
Umweltbundes-
Unfälle mit Unfälle mit 21 % durchschnittlich 100 Autos mehr pro Stunde amt; Fraun­
hofer-Institut
Schwerverletzten Todesfall mit Tempolimit
5363 km für Umwelt-,
Sicherheits- und
Über die Hälfte der Energietechnik;
Bevölkerung findet,
dass ein Tempolimit Weiter Weg zum Stopp Landesbetrieb
Straßenwesen
von 130 km/h als Brandenburg;
Wer rast, muss länger bremsen FragDenStaat.
Gut für alle Maßnahme zum
Umwelt- und Klima­
Geschwindigkeit Anhalteweg
de/Open Know-
ledge Founda­
schutz richtig wäre.
 as Bundesklimaschutzgesetz verlangt
D tion Deutsch-
Einsparungen – so viel brächte ein Limit 100 km/h 80 m land e. V.;
130 km/h 123,5 m ADAC; ARD

Tempolimit 9% 210 km/h 283,5 m

Deutschland-
Trend; Ecologi-
Sonstiges* cal Economics
Weniger Treibhausgase 2280 km
120 –6,7 Mio. t CO2 8% Links zu diesen
und weiteren
Klimaziel: –85 Mio. t CO₂ Zu viel Gummi Quellen finden
Sie unter
Immerhin: 8 Prozent von 85 Millionen Tonnen Besonders Abbremsen bei hohen Geschwindigkeiten www.zeit.de/
verursacht viel Reifenabrieb. Dieser ist die wq/2023-18
größte Quelle von Mikroplastik in Deutschland.
Tempolimit Eine aktuelle Studie zeigt: Das
Volkswirtschaftlicher Nutzen
Tempolimit brächte fast eine
Milliarde Euro ein – etwa durch
31 %
130 950 Mio. € pro Jahr Verringerung von Emissionen und der pro Jahr freigesetzten 330.000 Tonnen
Einsparungen bei der Infrastruktur Mikroplastik werden von Reifen verursacht.
* Temporäre Etwa 80 Prozent davon gehen auf Pkw zurück.
Tempolimits je
nach Verkehrslage Die Kinderseite
Kraftstoffe im Wert von Die Autofahrer Bei der Verschmutzung der Ozeane sind der ZEIT
müssten seltener zur Reifen für 28 Prozent des freigesetzten
766 Mio. € pro Jahr Tankstelle Mikroplastiks verantwortlich.
finden Sie auf
der vorigen Seite
sparen alle Fahrer in Deutschland
 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

FEUILLETON 45

NACHRUF

Der zerrissene
Held
Harry Belafonte
(* 1. 3. 1927, † 25. 4. 2023)

Der New York Times sagte er vor sechs­

Jahren, anlässlich seines 90. Geburtstags, er
denke an alte Zeiten mit einem Gefühl des
Staunens, er frage sich dann: Wo sind die
Leute von früher, warum meldet sich dieser
Freund, diese Freundin nicht mehr?­
Woraufhin eine Stimme aus seinem ­Inneren,
der Chor seiner Weggefährten, ihm z­u­
raune: Ganz einfach. Ich bin tot.
Und wen hat er nicht alles gekannt.­
Martin Luther King Jr. (den er förderte und
unterstützte), John F. Kennedy, Erwin­
Piscator (bei dem er Schauspielunterricht
nahm), Lester Young (der ihn als Musiker
entdeckte), Nelson Mandela, Robert A ­ ltman,
Max Roach. Und unzählige andere, die wie
er selbst Epochengestalten waren.
Belafontes Jahrhundertbilanz fiel skeptisch
aus. Man sei nicht wirklich vorangekommen,
fand er. Auf die Zukunft seiner Heimat­
angesprochen, sagte er: Das Beste kommt
noch. Das Schlimmste kommt noch.
Harry Belafonte wurde als Sohn karibi-
scher Einwanderer am 1. März 1927 in Har-
lem, New York, geboren. Sein Vater stammte
aus Mar­ti­nique, seine Mutter aus Jamaika.
Zwei seiner Großeltern waren Weiße, sodass
er selbst eine verhältnismäßig weiße Haut
hatte. Eigentlich sollte dieser Umstand nicht
Illustration: Agnès Ricart für DIE ZEIT

der Erwähnung wert sein, doch in den USA

hing (und hängt) die Z ­ ukunft eines Menschen
wesentlich von dieser Äußerlichkeit ab. Auf-
grund seiner Hautfarbe geriet Belafonte
zwischen die Fronten – was ihn zum Mode-
rator größter Gegensätze, aber auch zur um-
strittenen ­Gestalt machte. Er war, als Sänger,
einer der erfolgreichsten Afroamerikaner
Frauenbeauftragter des Pop: Am 19. April erschien »Noch wach?« von Benjamin von Stuckrad-Barre seiner Zeit. Und unter den Filmschauspielern
gibt es nur einen Afroamerikaner, der erfolg-
reicher wurde als er: sein Freund Sidney­
Poitier. Andererseits warf man ihm vor, er
mache sich der kulturellen Aneignung­

Nichts davon ist wahr

(damals nannte man das noch anders)­
schuldig, indem er sich als »King of Calypso«
geriere, als der König e­ iner Stilrichtung, die
aus ­ Trinidad stamme. M ­ anche schwarze
Künstler nahmen ihm übel, dass er mit seiner
sandig heiseren ­Stimme vor allem dem weißen
Massen­ publikum gefalle. Immer wieder­
musste sich Bela­fonte in absurdesten Zusam-
menhängen behaupten: Beispielsweise sollte
Man ist sich einig: Das neue Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre soll also der erste deutsche eine TV-Sendung mit ihm neu gedreht­
MeToo-Roman sein. Wie konnte es zu diesem Missverständnis kommen?  VON IRIS RADISCH werden, weil darin für einen Moment die
weiße ­ Sängerin Petula Clark seinen Arm­

S
eit über einer Woche wird in
Deutschland ein großes morali-
sches Rührstück aufgeführt. Man
feiert den ersten großen MeToo-
Roman der deutschen Literatur.
Überall hört man: endlich ein Ro-
man, der die Nöte der Frauen ver-
steht, ihre Seelenqualen, ihre Selbstzweifel, ihre
Scham, ihre Erniedrigung. Endlich ein Werk von
Rang, in dem es um die von ihren Chefs sexuell
ausgenutzten und menschlich instrumentalisierten
Frauen geht. Doch handelt es sich hierbei um ein
großes Marketing-Missverständnis. Nichts davon
ist wahr. Die kollektive Begeisterung über diesen
männlichen Entwicklungsroman, in dem ein Held
sich läutert und sein Herz für die Sache der Frauen
entdeckt, ist mehr als unbegründet. Das Label des
MeToo-Romans ist bloß ein Etikettenschwindel.
Aber der Reihe nach.
Den Inhalt des Buches dürfen wir inzwischen
voraussetzen: Ehemaliger Premium-Mitarbeiter
eines brutal machoiden Boulevardkonzerns hat
sich zum Feminismus bekehrt, verzweifelt an einer
zart angedeuteten Liaison mit dem einst vergötter-
ten Konzernchef, bekämpft seinen Rivalen, solida-
risiert sich mit den Frauen des Konzerns, die seri-
enweise im Bett des Rivalen gelandet sind. Ähn-
lichkeiten mit der Wirklichkeit sind, wissen wir
alle, stark beabsichtigt.
Das Buch enthält sehr viel grenzdebile Figuren-
rede, die in entlarvender Absicht eingesetzt wird.
Der Autor will damit demonstrieren, wie dämlich
das Personal ist, das er uns vorführt. Er will zeigen,
dass sich die Figuren in vorgestanzten Formulie-
rungen ergehen. Die besonders vorgestanzten Teile
ihrer Gedankenwelt setzt er, um das auch dem
letzten Idioten klarzumachen, in Versalien. Und
weil er wirklich ein sehr VERSIERTER Erzähler
ist, benutzt er dasselbe Verfahren auch für seine
eigenen Gedanken, weil ja niemand wirklich frei
ist vom Blabla, das der ­ZEITGEIST so vor sich
herschiebt. Das ist alles sehr PROFESSIONELL
gemacht. Und lustig ist es auch.
Besonders lustig ist das Buch, um das noch
vorweg zu sagen, wenn es sich wie Johann Holtrop,
der Schlüsselroman von Rainald Goetz, mit richti-
gem Lust­ekel in die dunklen Gedankenkatakom-
ben eines größenwahnsinnigen Medienkonzern-
managers vorkämpft. Das ist in diesem Fall sogar
besonders amüsant, weil Stuckrad-Barres Ich-­
Erzähler von dem milliardenschweren Konzern-
boss wie gesagt als Prinzgemahl längere Zeit hoch-
bezahlt zur Verfügung stand. Doch irgendwann,
hoppla, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen,
auf was er sich da eingelassen hat.
Warum eigentlich? Hat sich der schreckliche
Sexismus dieses Ladens während seiner Kron-
prinzenzeit denn noch gar nicht bemerkbar ge-
macht? Darüber erfahren wir nichts. Wir müssen
es dem Stuckrad-Barre-Helden einfach glauben,
dass er die wundersame Verwandlung vom
Humor­ zulieferanten fürs zynische Konzern-
Kerngeschäft zum sanften Frauenversteher und
entschiedenen ­Sektenaussteiger von ganzem Her-
zen vollzogen hat. Und hier kommt unser Punkt:
Wir nehmen ihm das nicht ab.
In Wahrheit dreht sich dieser Roman nämlich
ausschließlich um Männer. Um Günstlingswirt-
schaft, um Männerkämpfe, um Männerrache, um
Männerliebe. Und das alles ausgetragen auf dem
Rücken der Frauen, die dazu herhalten, dass Männer
sich ein weiteres Mal so unfassbar spannend mit sich
selbst beschäftigen.
Diesen Eindruck konnte man schon während der
Buchpremiere im Berliner Ensemble gewinnen, bei
der der Autor in einer lässigen Matrosenaufmachung
zunächst das Eingangskapitel las, in dem der Ich-
Erzähler in den Kopf einer Konzern-Praktikantin
schlüpft und sie mit Du anredet, als redete er mit sich
selbst. Was wohl auch so ist. Denn die junge Prakti-
kantin kann zwar kaum bis drei zählen und lässt sich
von dem widerlichen Chefredakteur – halb zog er sie,
halb sank sie hin – über den Tisch ziehen. Spricht
aber zwischendurch im maximal Popstahlgewitter-
gestählten Stuckrad-Barre-Sound und kann seltsam
souverän über das »bescheuerte Bibelverkäufergrin-
sen« solcher Ekeltypen ablästern.
Dieser hochkompetente Checker-Ton zieht sich
durch das Buch, in dem alle immerzu so reden, als
wären sie auf Sendung. Oder eben doch nicht alle.
Sondern nur einer, der auspackt, weil er den kom-
pletten »Blendwörter-Lalltext« inzwischen durch-
schaut, aus der so ein Medienkonzern besteht. Inklu­
sive des Neocon-Geredes von der Deregulierung des
Staates und der Moral, für die sich der »Schwach-
kopfchef« einsetzt, in dessen Bett ein derartiger
Praktikantinnen-Durchzug herrscht.
In den good old times des Pop wäre das alles eine
herrliche Steilvorlage für eine schnelle gut gelaunte
Praktikantinnen-Soap. Denn nichts gehört traditio-
nell mehr zum Markenkern der Popliteratur als
dauerironischer Amoralismus und ein gepflegt män-
nerbündlerischer Machismo. Doch ist selbst einem
gestandenen Pop-Veteranen nicht entgangen, dass
die Welt sich seit MeToo weitergedreht hat. Und da-
mit sind wir wieder bei den Frauen.
Die Frauen werden für dieses moralische Nach-
rüstungsprogramm der Popliteratur eingespannt und
benutzt. Mit den weiblichen Rollen verhält es sich in
Stuckrad-Barres Roman wie mit den Frauen im
Theater der alten Griechen: Alle Frauenrollen werden
von Männern gespielt. Beziehungsweise von einem
Mann, der sich einen Spaß daraus macht, eine Hor-
de zwanzigjähriger Girls in einer Mickey-Mouse-
Sprache wie im Schulmädchen-Report vorzuführen,
nicht ohne ihnen hin und wieder väterlich mit einer
wirklich gekonnten Late-Night-Pointe aus seiner
Meisterwerkstatt auszuhelfen.
Es ist erstaunlich, in welchem Ausmaß Frauen-
figuren nach all den Gretchen, Käthchen und Nest-
häkchen der deutschen Literatur in einem aktuellen
Roman noch immer das Dummchen geben müssen.
Es klingt richtig cool und allerliebst und rührend
blöd, wie diese supersüßen Hühner in diesem Buch
reden. Und zwar alle gleich, egal ob blond, ob braun,
egal ob mit superkrassem glattem oder lockigem
Haar. Ständig checken diese hilflosen Stuckrad-
Barre-Girls Insta, ständig zählen sie die Herzchen
unter ihrer Story wie früher die Frolleins ihre Häkel-
maschen. Mit ihrem übergriffigen Chef hat es für
fast alle »sofort gematched«, und alle fanden das
einfach nur »übelst spannend« und »total creepy«.
Das ­Niveau ihres Problembewusstseins? »Einsacken,
was man kriegen kann.« Sie haben schließlich alle
»zero Bock«, im Beruf nicht weiterzukommen. Des-
wegen macht es auch einen »Riesenfun«, so »aus dem
engen Oberteil Thesen rauszuballern«. Ihr wichtigs-
tes ­Erfolgsgeheimnis? »Aufstrapsen, Haare glätten,
Triggerwörter setzen.« Im Grunde waren Gretchen
und Käthchen da schon weiter.
Im Gespräch mit dem Spiegel hat Benjamin von
Stuckrad-Barre in seiner neuen Rolle als Frauenver-
steher behauptet, dass es in seinem Roman »nicht um
eine Männergeschichte« gehe. Es gehe in seinem
Buch vielmehr »um Frauen und um unterlassene
Hilfeleistung«. Sein »Weltzugriff« sei dabei »sprach-
licher Natur«, er sei dem »Denkreflex« gefolgt, »die
Vorderfrauen« sprechen zu lassen.
Es gehört zu den Seltsamkeiten der Rezeption
dieses Buches, dass Stuckrad-Barre diese Bekeh-
rung zum literarischen Feminismus weitgehend­
abgenommen wird. Dass er in der ZEIT der vori-
gen Woche von Volker Weidermann als »Moralist­
wider ­Willen« dargestellt wurde, folgt dem Kalkül
des Autors: Hier soll das Beste aus beiden Welten
vermengt werden – unser deutscher Bret Easton
Ellis und jetzt auch noch ein moralisch Guter. Der
Frauenbeauftragte des Pop.
Das Buch spricht eine andere Sprache. Sein weib-
liches Personal besteht von der ersten bis zur letzten
Seite aus gnadenlos durchironisierten Witzfiguren,
die so herrlich dämlich reden, wie ihr Herr es für
seine parodistisch überdrehten Zwecke eben gerade
braucht. Brutal reduziert auf ihre Pop-Trullen-Rolle,
verkaufen die jungen MeToo-Heldinnen für ein biss-
chen Traffic auf Twitter und einen Krawall-Sende-
platz ihre Seele – und sind deswegen vollständig auf
die »Denkreflexe« und den sprachlichen »Weltzugriff«
angewiesen, mit denen sie ein so erfahrener Comedy-
Profi wie Stuckrad-Barre versorgt.
Was dabei herauskommt, ist kein Roman über
Frauen und schon gar kein MeToo-Roman, und
zwar schon deswegen nicht, weil die komplizierte
MeToo-Grauzone zwischen Einvernehmlichkeit
und Machtmissbrauch im grellen Scheinwerfer-
licht einer literarischen Comedyshow zur Lach-
nummer wird. Stattdessen ist der Roman, was er
ist – einfach nur ein weiteres, zugegeben sehr
unterhaltsames Männer-Weltzugriffs-Buch. Ein
neuer bedeutender Roman eines bedeutenden
Mannes über noch bedeutendere Männer. Auch
gut. Aber immer dasselbe. Als Frau hätte man
Lust, sich aus dieser Show vom Saaldienst hinaus-
begleiten zu lassen.
berührte – das trug sich im Jahr 1968 zu, also
eigentlich vorgestern.
Es ist nicht verwunderlich, dass Belafonte
mit dem Leben als Künstler nie zufrieden war.
Er wollte Veränderung, als Aktivist, als Unter-
stützer dessen, was er als die gute Sache erkann-
te. Und er war ein wütender Ankläger derer,
die er als Agenten der schlechten Sache aus-
machte. Als etwa ­Colin ­Powell amerikanischer
Außenminister unter ­George W. Bush wurde,
nannte Belafonte ihn den »Haussklaven«
Washingtons. Bush selbst war für ihn »der
schlimmste Terrorist der Welt«. Beyoncé warf
er vor, die Probleme der Schwarzen zu igno-
rieren. ­Donald Trump fand er weniger als
Person, sondern vielmehr als Symptom, als
Menetekel alarmierend: Er staune, sagte er,
dass die USA so rassistisch s­eien – »nach all
dem, was wir durchgemacht haben«.
Er war bis zum Ende ein zerrissener Mann,
was sich sogar in der Einrichtung seines­
Manhattaner Apartments zeigte. Im Korridor
der Wohnung hingen, so erkannte ein ­Reporter
beim Hausbesuch, auf einer Seite Fotos, die
Belafonte und seine Weggefährten mit wüten-
den oder besorgten Gesichtern zeigten, wäh-
rend auf der anderen Seite dieselben Menschen
fröhlich und lachend zu sehen waren. Er neige,
sagte Belafonte, eher der happy wall zu. Jetzt ist
dieser Weltkünstler in New York gestorben. Er
war 96 Jahre alt.  PETER KÜMMEL
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Wir sprechen über Phänomene, die unsere
Zeit ausmachen: im Feuilleton-Podcast
Die sogenannte Gegenwart.
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46 FEUILLETON 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

UNSERE WOCHE
Die Schwester
Eine Bärin namens Gaia hat einen Jogger getötet. Was tun mit dem Tier?  VON ELISABETH VON THADDEN

Die Bärin Die traurige Geschichte, die sich vor Kurzem in Nord­
Gaia alias JJ4 italien zutrug, als eine Bärin einen Jogger getötet hat,
am 12. April weist darauf hin, was ohnehin fast jeder weiß: dass
2023 im Menschen und Bären ein­an­der lieber nicht nahekom­
Südtiroler men sollten. Denn Bären, in deren Nähe ursprünglich
Trentin weder Jogger noch Zeltende, noch Mülltonnen vor­
kamen, möchten nun mal von unsereins nicht behelligt
werden, auch wenn die auf diesem Planeten verbliebenen
Arten nach menschlicher Auffassung ab sofort lernen
sollten, auf knappem Wohnraum enger zu­sam­men­zu­
rücken. Bären möchten das nicht.
Das gilt auch für Bärinnen, wie es schön in Per
Olov Enquists Roman Großvater und die Wölfe zum
Ausdruck kommt, als eine Bärin darum bittet, ­einfach
in Ruhe gelassen zu werden, mitsamt ihren Kindern.
Anders ist es noch vor 180 Jahren, ebenfalls litera­
risch, der Bärin Mumma ergangen, die in Heinrich
Heines Vers­epos Atta Troll als tanzende Gattin eines
Tanzbären auftreten musste, der seinerseits als Bären­
fell vor dem Bett einer Menschenfrau namens Juliette
endete – jedenfalls bedeuten Mensch und Bär für­ein­
an­der ein Risiko, das beide besser nicht ein­gehen
sollten. Zumindest die Bären wissen das.
Nun wird die unschöne Angelegenheit nicht schöner
dadurch, dass die Bärin, die in Tirol einen Menschen
getötet hat, Gaia heißt, also jenen mythologischen Na­
men für die mütterliche Gebärerin Erde trägt, der einen
gewissen menschlichen Überschuss an Sehnsucht nach
geordneten und bergenden Schöpfungsverhältnissen
verrät. Darin ähnlich Bruno, ein Name mit bürger­
lichem, rundum sonorem Klang. Ausgerechnet ein
Bruno aber ging 2006 als »Problembär« in die Geschichte­
ein, als er sich wildernd in Bayern herumtrieb und daher
erschossen wurde. Oder erlegt, wie Menschen das Töten
wilder Tiere nennen. Der Bär steht nun ausgestopft im
Museum, da kann man was lernen.
Noch weniger schön wird die Sache dadurch, dass
Gaia und Bruno Geschwister sind, bekannt auch als JJ4
und JJ1, was die Abkürzung der Namen ihrer Eltern ist,
Jurka und Joze, plus die Kennziffer in der Geburten­
folge, eine Familie von Tunichtguten mithin, und zwar
seitdem ein slowenischer Hotelier den Irrsinn besaß, die
wilden Tiere anzufüttern, was ihnen die Angst vor­
Menschen austrieb. Brunos Schwester wurde inzwischen
mithilfe einer Lebendfalle gefangen gesetzt.
Ein paar Hundert Tierschützer, die dieser Tage de­
monstrieren, damit Gaia-JJ4 weder erschossen noch
eingesperrt wird und zu ihren drei Jungen zurückdarf,
haben immerhin kapiert, dass an dem komplexen­
Unglück nicht Bären schuld sind. Falls es denn um
Schuld geht und nicht vielmehr um die heute überall
virulente Frage, wer unter den Lebewesen eigentlich wen
umbringen darf und wer wen bitte nicht. Und das­
Umbringen, ob nun durch Menschen oder durch Bären,
ist natürlich weniger schön als das Gaiamäßige, das alle
Kreaturen so wunderbar lebendig verbindet. Aber­
absichtlich grausam sein und vorsätzlich töten können
nur Menschen.
Zur Frage, was aus Gaia wird, soll es am 11. Mai eine
Anhörung vor Gericht geben, gehört werden Menschen.

Im Kunsthimmel
Er war Kirchners Retter, Giacomettis Händler und einer der großen Verleger moderner Kunst. Zum Tod von Eberhard Kornfeld  VON FLORIAN ILLIES

NACHRUF Wie es sich für eine wirkliche Jahrhundertfigur­ gebliche Biografie, erwarb dessen letzte Wohnhäu­ von Rembrandt, dann glaubte man ihm sofort, dass
gehört, hat Eberhard »Ebi« Kornfeld erst jetzt, in ser in den Bergen von Davos und gab den Anstoß man nicht mehr braucht auf Erden als das Schwarz und
Eberhard seinem 100. Lebensjahr, alles Irdische hinter sich zum dortigen Kirchner-Museum. das Weiß.
Kornfeld gelassen. Im Kunsthimmel wird er nun auf seine Unglaubliche 66 Jahre, von 1951 bis 2017, stand er, Kornfeld gehört mit Vollard, Cassirer und Wil­
(* 23. 9. 1923, alten Freunde treffen: Auf Alberto Giacometti, auf immer im blühenden Juni, am Pult seines Auktions­ denstein zu der Handvoll legendärer Kunsthändler
† 13. 4. 2023), Marc Chagall, Pablo Picasso und Sam Francis etwa, hauses in Bern. Und wenn sich wider Erwarten einmal des 20. Jahrhunderts, die aus Respekt vor der Kunst
Kunsthändler, denn ihr Kunsthändler in Bern war er seit den spä­ kein Arm hob für ein besonders exquisites Werk, dann die gleiche Inbrunst in die Erschließung der Werke
Kunstsammler, ten 1940er-Jahren. Diese vier werden Kornfeld ge­ grummelte er kurz – und kaufte es selbst. So entstand wie in deren Verkauf legten. Sein selbstbezeichnetes
Auktionator nauso dankbar einen Lorbeerkranz winden wie Paul eine der geschmackvollsten Kunstsammlungen der »Weltwissen des 100-Jährigen« im Bereich der Ästhe­
und Autor Klee, Egon Schiele, Paul Gauguin, Max Beckmann klassischen Moderne überhaupt. Es passte zu diesem tik hat er gerne geteilt – etwa, der Halbwertszeit der
und Käthe Kollwitz. Die lernte er zwar nicht mehr Grandseigneur und seiner unauffälligen Brillanz, dass eigenen Qualitätskriterien zu misstrauen. »Das Inte­
kennen, aber er sorgte dafür, dass die Werkver­ es die Druckgrafiken waren, die sein Herz erwärmten, resse für zeitgenössische Kunst sollte parallel mit dem
zeichnisse ihrer Grafik entstanden und in seinem denn in dieser Disziplin geht es um reine Kennerschaft, Alter abnehmen«, so sprach er. Denn wenn man früh
Verlag erschienen. Zuletzt auch der siebenbändige­ nicht um Imponiergehabe. Wenn er mit leuchtenden richtigliege und das Glück habe, lange zu leben, dann
Catalogue Raisonné von Ernst Ludwig Kirchner – Augen aus seinen tiefen Schubladen die traum­ver­ könne man sich freuen, dass die eigenen Helden zu
dessen Werk hat Kornfeld ohnehin auf einzigartige lorenen Kreidezeichnungen von Seurat zog, die lava­ Alten Meistern geworden sind. Sehr wenige werden
Weise für die Zukunft gesichert, er schrieb die maß­ farbenen Erstdrucke von Goya oder die Probedrucke darüber so wie Eberhard Kornfeld selbst zu einem.

Wie uns das Unbewegliche bewegt

Fresssucht aus verlorener Liebe: Brendan Frasers Oscar-prämierter Auftritt in Darren Aronofskys Film »The Whale«  VON KATJA NICODEMUS

Charlie Nie wird man diesen unfassbar massigen Körper
(Brendan übersehen, aber er spielt irgendwann keine Rolle
Fraser) in mehr. In Darren Aronofskys Film The Whale steht der
Aronofskys Körper des Helden im Zentrum, er wird von der­
Film Kamera umkreist, ragt fahl, felsengleich aus dem
Sofa. Diese Physis ist einfach da, trauriges Zeichen für
die Selbstaufgabe eines Menschen.
Aus Verzweiflung über den Verlust seines Lebens­
gefährten frisst sich der Literaturdozent Charlie zu Tode.
Und er sitzt sich zu Tode, kaum je erhebt er sich von der
ausgesessenen Couch. Auch seine Online-­Seminare­
verrichtet er eingesunken in die Polster, mit ausgeschal­
teter Kamera. Der Schauspieler Brendan Fraser spielt
seine Oscar-prämierte Rolle in einem s­ogenannten­
fatsuit, einem mit prosthetischen Mitteln an seine ­eigene
Fotos (v. o.):
­Gestalt geschmiegten Kunststoff­körper. Frasers Kopf
dpa;
Tomas Wüthrich/13Photo mit den warmen, wachen Augen wirkt seltsam abgelöst
(Ausschnitt, Abb. im von der monströs hergerichteten Gestalt. Allein mit
Hintergrund Sam Francis,
VG Bild-Kunst, Bonn 2023); Blicken und der Modulation seiner Stimme zeichnet
Courtesy of A24 der Schauspieler den ­feinfühligen Menschen. Es ist sein
unbeweglicher Körper, der fortwährend Bewegung Vaters. Auch die Ex-Frau (Samantha Morton) sucht
produziert in ­dieser Verfilmung des gleichnamigen Charlie für eine Aussprache auf. Die Begegnung gipfelt
Kammerspiels von Samuel D. Hunter: Es kommt Leben in einer liebevollen Geste und in der gemeinsamen­
in die Bude. Errettung der Erinnerung. In der Abfolge dieser Besuche,
Charlies beste Freundin Liz schaut mehrmals vorbei, Dramen, Emotionen, Tonlagen mutet The Whale wie
eine Krankenschwester, die ihn einerseits umsorgt und ein melancholisches Boulevardstück an, in dem alle
andererseits wie ein Feldwebel herumkommandiert. Die durch dieselbe Tür auf- und abtreten. Und es geschieht,
Schauspielerin Hong Chau verleiht dieser Figur die was sich im US-amerikanischen Kino so oft beobachten
Unruhe und Ungeduld einer freundschaftlich Liebenden. lässt: Fantastische Schauspieler und Schauspielerinnen
Liz möchte Charlie vor dem Tod bewahren, misst seinen sprengen mit ihrer puren Darstellungsenergie allzu
grotesk hohen Blutdruck – und bringt ihm doch die zielführende Dialoge.
bestellten Sandwiches mit dem doppelten Käsebelag. Der Titel The Whale ist eine Anspielung auf ­
Der Missionar einer christlichen Sekte (Ty Simpkins) Herman Melvilles Roman Moby Dick, in dem ein
schneit herein. In den Gesprächen mit Charlie, der die Kapitän besessen einen weißen Wal jagt. Mit dem
Bibel auswendig kennt, kommt heraus, dass der junge Buch, Thema von Charlies Literaturkurs, legt der
Mann sich eher selbst retten sollte. Charlies pubertie­ Film metaphorische Fährten, auf die man sich ein­
rende Tochter Ellie (Sadie Sink) taucht auf, um den Zorn lassen kann, aber nicht muss. Jedenfalls bekommt die
auf den Vater, der vor Jahren sie und die Mutter verließ, Wal-­Geschichte eine schöne dialektische Volte: Ein
in der schummerigen Wohnung abzuladen. Charlies Mensch gibt die Kontrolle auf, lässt los, und alles
Gestalt wird zum Blitzableiter – und zum Körper eines kommt auf ihn zu.

Was bleibt?
Das Sichtbare ist gegangen.
Es bleibt die Liebe

Mein Erbe.
und die Erinnerung.

Im Glauben an die Auferstehung verstarb

Für unsere
nach einer langen Phase von Schmerzen unser
geliebter Ehemann, Vater und Opa „Bambi“
Natur.

Prof. Dr. Heinrich Stiehler

* 6. 9. 1948 † 12. 4. 2023
Liegt Ihnen auch die Vielfalt der Natur besonders am Herzen?
Die Bienen helfen uns. Helfen Sie mit, bedrohte
Tierarten und Lebensräume unserer Heimat auch
In Liebe und Dankbarkeit nehmen wir Abschied für nachfolgaende Generationen zu schützen und
Sanda, den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Geben
Cora, Thorsten und Filip Sie eigene Werte weiter: mit einem Testament
zu Gunsten der gemeinnützigen Heinz Sielmann
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sowie das Naturerleben – ganz besonders für
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Testament und Engagement liegt für Sie bereit.

Wir freuen uns auf Ihren Anruf unter 05527 914 419 | www.sielmann-stiftung.de/testament
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
Am Wochenende
wird sie wieder
Tausende von
Besuchern durch
Berlins Galerien
führen: Seit 2014
leitet Maike Cruse
das Berlin Gallery
Weekend
Fotos: Norman Konrad für DIE ZEIT
Wer reinpasst, darf rein
Ist schon etwas her, da galt Berlin als aufregendste Kunststadt der Welt. Und heute? Unterwegs mit Maike Cruse,
K
urz war alles wie vor 25 oder 30
Jahren – das Label von Berlin als
heißester Kunststadt auf Erden
machte in der Mundpropagan-
da der Touristen gerade erst die
Runde: Das Bier im Kasten ist
heute wieder lauwarm. Der
Ausstellungsraum der Berliner Galerie Heidi, auf
die der Kunst­betrieb in diesem Jahr mit ganz un-
forciert ­freudiger Erwartung guckt, liegt – auch
das ein Gruß aus den wilden Neunzigerjahren –
im ehemaligen G ­ eschäftshaus von Möbel Hübner.
Viel großstädtisches Flair an der Kurfürsten-, Ecke
­Frobenstraße: Vor den Galerienschaufenstern hal-
ten die Frauen vom Straßenstrich Stellung.
Pauline Seguin, Inhaberin von Heidi – sie ist die,
die in diesen Aprilwochen für viele in der Kunststadt
Berlin einen enorm erfreulichen Neuzugang darstellt
oder, etwas gröber ausgedrückt, die hippste junge
Galeristin der Stadt. Seguin, 33, in Paris geboren, als
Tochter eines bekannten Möbel- und Design­
ausstellers, arbeitete beim New Yorker Galeristen
Gavin Brown (in Berlin nennt man ihn den ­Alexander
Schröder NYCs, wobei man wissen muss, dass der
Berliner Alexander Schröder gemeinsam mit seinem
Partner Thilo Wermke seit nun bald 30 Jahren die
sehr feine, elegante, kontroverse, gleichzeitig kom-
merziell sehr erfolgreiche, insgesamt also sehr ber­
linerische Galerie Neu in Berlin-Mitte leitet) – ihre
Räume auf der Kurfürstenstraße eröffnete Seguin im
September 2021. Die Frage, die sie oft beantworten
muss, lautet: Warum hat sie sich, der doch die ganze
Welt offensteht, für Berlin entschieden und nicht für
Paris, New York oder gleich Hongkong?
Seguin, zierlich, schwarzer Ledermantel, klobige
Schuhe, die dann doch keine Designer-Crocs sind,
transportiert ihre leichte Irritation über die Frage
– auch hier ganz Pariser New Yorkerin in Berlin – mit
freundlicher Verbindlichkeit: New York sei verrückt
teuer, die Galerienszene absolut gesättigt. Ihre
Heimat­stadt Paris könne, was Künstler und Galerien
angeht, mit Berlin sowieso nicht mithalten. Wir
staunen alle, die wir vor einer Leinwand des jungen
New Yorker Malers Will Sheldon stehen. Zu sehen
sind dort in blassen Blautönen gehaltene Geister­
masken, Babygesichter ohne Augen, androgyne
Zwitterwesen, abgerissene Gelenke von japanischen
BGD-Puppen – man kann das für verstörend halten
oder einfach für typische New Yorker, todeshippe
Gothic Art. Warum sie in ihren Räumen vor allem
internationale Künstler ausstellt? Seguin: »Typisch
Berlin bedeutet ja genau das: international sein.«
An diesem Wochenende (das VIP-Programm
beginnt bereits Freitagvormittag) findet in Berlin
nun schon im 19. Jahr das Berliner Gallery Weekend
statt – ganz zugeschnitten auf die Eigenarten der
Stadt und ihre diverse und weltweit gerühmte Gale-
rienszene: keine Messe, sondern eine Galerienschau,
ein über die ganze Stadt gezogenes Museum. Das­
der Chefin des Berlin Gallery Weekend, das jetzt wieder stattfindet  VON MORITZ VON USLAR
simple Prinzip: Ein Board von fünf Galerien, seit
2008 als private Initiative organisiert, bestimmt die
Teilnehmer, in diesem Jahr sind es 55. Keine Tickets,
keine Reservierungen: Jeder, der reinpasst, darf ein-
treten. Die Galerien zeigen die Künstler, mit denen
sie einerseits gute Einnahmen erzielen wollen, aber
auch ihr Programm schärfen können – also im­
besten Fall neue, kontroverse, politische Positionen.
Der Reporter ist in diesen Aprilwochen mit einer
echten Playerin der deutschen Kunst-Hauptstadt
unterwegs – Maike Cruse, ein von der Neuen Na-
tionalgalerie bis zur ersten illegalen Bar in Neukölln
gut bekanntes Gesicht, ganz früher mal Prakti­kantin
in Klaus B­ iesenbachs Kunst-Werken, legendär für ihr
Forgotten Bar Project (2008), bei dem unbekannte
und sehr namhafte Künstlerinnen und Künstler
(Christian Jankowski) über einen Sommer lang für
jeweils eine Nacht einen zehn Quadratmeter großen
Tresenraum bespielten – sie war dann auch mal Presse­
sprecherin bei der Messe Art Basel und Direktorin
der mittlerweile wieder eingestellten Berliner Kunst-
messe abc. Seit 2014 leitet Cruse das Gallery Week-
end. Die Idee ist, sich durch die Stadt treiben zu
lassen und, ja, im Vorbeitreiben Antworten zu finden
auf einige nicht weiter originelle Fragen:
Wie sieht sie mittlerweile aus, die im Ausland viel
gerühmte typische Berliner Galerie, die ­institutionelle
Ausstellungen organisiert und oft wie ein Museum
oder ein Kunstverein agiert? Ist Berlin für angehende
Kunstschaffende – man hört immer von der Stadt
der 7000 Künstlerinnen und Künstler – noch immer
the place to be? Kam bei den Künstler-Weltstars mit
Wohnort Berlin – seit Jahren werden die immersel-
ben Namen verhandelt, von Ólafur Elíasson über
Tomás Saraceno, Katharina Grosse bis zu Monica­
Bonvicini – mal ein neuer dazu? Warum hat Berlin,
anders als die Global Art Cities Basel, Miami, Hong-
kong und Paris, keine eigene Kunstmesse? Wenn in
Berlin allein 22 von 30 Unicorn-Unternehmern in
Deutschland ihren Standort haben (Unicorns: nicht
börsenorientierte Start-ups mit e­ inem Wert von mehr
als einer Milliarde Dollar), wie verändert das die
Kunstsammlerszene in der Stadt?
D
ie Galerienschau-Chefin Maike
Cruse – aschblonde Haare, beiger
Trenchcoat, eine schöne Streetwise-
ness geht von ihr aus, Weltläufigkeit
und die typische Angerocktheit der
in den Neunzigerjahren nach Berlin Zuge­zogenen –,
sie hat mittlerweile in ihrem Saab Platz genommen.
Ihr Gallery Weekend, in Berlin erfunden und in der
ganzen Welt, in Warschau, Paris und Peking ko-
piert, ist ja mittlerweile ein echter Exportschlager.
Wie erklärt man da den Leuten, dass es trotz Rezes-
sion und Krieg jetzt wieder Zeit wird, von Galerie
zu Galerie zu ziehen?
Maike Cruse erzählt: Das könnte krass werden
dieses Jahr, es gebe so viele Anmeldungen wie noch
FEUILLETON
nie – von Sammlern, privaten Sammlergruppen und
von Boards der großen Museen. Viele Galerien hätten
die drei Jahre Pandemie genutzt, um sich inhaltlich
neu aufzustellen – große Namen in neuen Zusam-
menhängen, viele ganz neue und frische Namen. Ein
schneller Querschnitt durch das diesjährige Pro-
gramm: Sprüth Magers zeigt die chinesische Video-
künstlerin Cao Fei, Meyer Riegger eine Retrospektive
der bald 90-jährigen Artist’s Artist Sheila Hicks (ihre
erste Ausstellung in Deutschland), Isabella Bortoloz-
zi die ­Installationskünstlerin Diamond Stingily, die
Galerie Bastian Fotografien von Cy Twombly, Esther
­Schipper eine Installation von Hito Steyerl. Unter den
bisher weniger Bekannten: Alexander Levy wird die
Deutsch-Koreanerin Anne Duk Hee Jordan ausstellen
(eine immersive Tiefsee-Installation), Crone zehn im
Exil lebende iranische Künstlerinnen, die Galerie
Schiefe Zähne die in Hamburg lebende kurdische
Malerin Leyla Yenirce. Heidi hat die amerikanische
Videokünstlerin Jordan Strafer in ihren Räumen, eine
Filmszene von Jeanne d’Arcs Gefängniszelle: »Really
amazing, incredibly brilliant« (Pauline Seguin).
Wenig Marktgängiges, Internationalisierung, Poli­
tisierung, Diskursnähe (Rassismus, Blackness, Woke­
ness), das seien so die Stichworte in diesem Jahr, so
Cruse. Typisch Berlin, das sei eben nicht nur jener
weltweit einmalig dicht gewebte Teppich von kleinen
Galerien; sondern auch die Tatsache, dass die zwei
hier ansässigen Bluechip-Galerien – Sprüth Magers
mit Filialen in London und Los Angeles und Max
Hetzler – im Prinzip Familienbetriebe geblieben
seien, die schwierige Positionen vertreten und eng
mit ihren Künstlerinnen zusammenarbeiten.
Besuch bei zwei Galerien, die unter den eh schon
häufig genannten besonders viel Berlin-typische
Gegenwart versprechen (das ist natürlich fies, dass
Maike Cruse sich hier unter ihren 55 ausgezeichneten
Galerien entscheiden soll): Noah Klink in der Kulmer
Straße, nah der Yorckstraße. Und, noch mal ganz
anders: die schon sehr etablierte, für ihr klares ästhe­
tisches Programm der Post-Internet-Art gerühmte
Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler, nahe von Land-
wehrkanal und Kottbusser Tor.
In den zwei kleinen und ebenerdigen Räumen
von Noah Klink werden gerade die Gemälde von
Josip Novosel ausgestellt (in Kroatien geboren, am
Tegernsee aufgewachsen, auch mal auffällig geworden
als Mitbetreiber einer Hipsterbar auf der Potsdamer
Straße) – recht simple, schnell hingehauen wirkende,
auf Anhieb Spaß machende Bilder. Der Galerist,
33-jährig, im Westteil Berlins aufgewachsen, Typ
woker, nervöser Intellektueller, zeigt gerne Berliner
Malerei (beim Gallery Weekend Josefine Reisch),
gerne in vielen, schnell aufeinander folgenden Aus-
stellungen, er möchte, so weit gehört das ja zum­
üblichen Talk unter Galeristen, seine Künstlerinnen
über viele Jahre aufbauen. Seine Galerie, in einem
ehemaligen Café gelegen, möchte er auch als sozialen
Raum verstanden wissen, natürlich auf der Schnitt-
47
In diesem Jahr
beim Gallery
Weekend dabei:
Das
Künstlerkollektiv
Slavs and Tatars,
hier in seinem
Atelier in
Berlin-Moabit
stelle der Disziplinen (Kunst, Pop, Mode, Internet): die Kunststadt Berlin erlebt. Ausschnitt: An Berlin
»Ich habe die romantische Vorstellung, dass Leute genieße Payam Sharifi vor ­allem die Stille (durch
hierhin kommen und sich über Kunst unterhalten.« Berlin zu laufen fühle sich an, als trage man Noise-
An Amadeo Krauka-Tuskany, ehema­liger Jurist Reduction-Kopfhörer). Überhaupt, so der Künstler,
und studierter Ökonom, 2003 aus München zuge- in keiner anderen Großstadt Europas werde er so
zogen – seine Frau und Partnerin Nadine Zeidler sitzt wenig zum Konsum aufgefordert wie in Berlin (un-
im Board des Gallery Weekend – fällt als Erstes seine vergleichlich zum Straßenbild Moskaus oder Paris’,
soziale Kompetenz, man ­könnte auch sagen: seine wo es alle paar Meter einen attraktiven Modeladen
wunderbare Umgänglichkeit auf. Für eine junge oder eine ein­ladende Patisserie gebe). Berlin: Diese
Künstlerin ist es ein Glücksfall und eine maximale Stadt halte schon deshalb zur Gedankenarbeit und
Auszeichnung, von dieser G zur künstle­rischen Produktion an, weil im Straßen-
­ alerie vertreten zu werden
(Seriosität, Glaub­würdigkeit, Coolness, Kraft am bild so wenig geboten werde – was für eine unter-
Markt). Zu Berlin, so Kraupa-Tuskany, habe leider haltsame und ­unmittelbar einleuchtende Sicht.
immer auch das Berlin-­Bashing gehört: »Ich wehre Wieder im Saab mit Maike Cruse: Sie erzählt vom
mich dagegen.« Berlin, Stadt der zwei Kunstakade- Art Market Report, dem jährlichen Kunstwirtschafts-
mien, der privaten A­ teliers, Studios, Werkstätten undbericht der Messe Art Basel und der Schweizer Groß-
Projekträume: »In Kunstmarkt-Reporten, die haupt- bank UBS, vor wenigen Wochen veröffentlicht. Seit
sächlich auf Auktionsergebnissen beruhen, lässt sich der Corona-Krise sei der Kunstmarkt schon wieder im
das schwer abbilden, aber: Was die Produktion und Aufwind, die USA machten 43 Prozent aller Umsätze
Vermittlung zeitgenössischer Kunst angeht, ist Berlin bei Auktionen aus, China und England lägen gleichauf
ganz vorne dabei.« Natürlich, im Hochhalten des­ bei etwa 20 Prozent – mit zwei Prozent sei Deutschland
Gallery Weekend und des Galerienstandorts Berlin weit hinten in den Auktionsergebnissen vertreten. Lese
hat sich bei diesem durch und durch nicht unsympa­ man diese Zahlen, so Cruse, verstehe man, warum
thischen Verkäufer eine gewisse rhetorische R Berlin eben keine große Messe, dafür aber ein sehr­
­ outine
eingestellt. Er sage seinen Kunden: »Kommt an erfolgreiches Gallery Weekend zu bieten habe: »Es gibt
diesem Wochenende in die Stadt – da tun sich sehr in Deutschland, was den Vergleich mit New York,
gute Ausstellungen auf, da gibt es eine Dynamik, die London, Peking und Hongkong angeht, keinen rele-
sich sonst in der Stadt verläuft.« vanten Markt. Aber wir können uns den internatio­
A
nalen Markt für ein Wochenende nach Berlin holen.«
uf der Suche nach einem der für Ber- Und noch auf eine Zigarette mit dem Doyen und
lin so typischen, nicht näher definier- Sammler Christian Boros, einem der besten Ver-
ten Kunsträume an der Schnittstelle käufer und Fürsprecher des Zeitgenössische-Kunst-
zwischen Galerie, Atelier, Bar und­ Standorts Berlin: Auch schon wieder 20 Jahre ist es
Bühne führt die Gallery-Weekend- her, dass Boros und seine Frau Karen im Bunker an
Chefin in die Moabiter Stephanstraße: Standort des der Reinhardtstraße ein Privatmuseum einrichteten.
Künstler­kollektivs Slavs and Tatars und seiner Pickle Seit 2005 betreut Boros’ Agentur die Grafik und das
Bar, die »slavische Variante einer Aperitivo Bar« Design des Gallery Weekend. Lässige Einordnung:
(Eigen­werbung). Das Kollek­tiv, 2006 gegründet, Eine Messe wie in Basel, diesen künstlich geschaffe-
schaut mit Lesungen, Ausstellungen und Perfor- nen Marktplatz, brauche man hier nicht. »Wir haben
mances auf das thematisch riesige Gebiet Eurasien, das hier jede Woche.« Er freue sich auf die Galeristin
die Bar ist Treffpunkt für die wachsend große Com- Pauline Seguin, »die aus New York zu uns gekommen
munity postsowjetischer Länder in Berlin (neben ist«, auf Olaf Nicolai bei EigenArt, auf die neuen
Russisch hört man dort die Sprachen und Dialekte Räume der Galerie Plan B am Straußberger Platz.
aus Belarus, der Ukraine, aus Kasachstan, Arme- Ach so, mit seiner Frau richte er am Freitagabend zum
nien, Turkmenistan, Usbekistan und Georgien). ersten Mal bei einem Gallery Weekend ein Abend-
Am kommenden Wochen­ende werden Slavs and essen nur für potenzielle neue Sammler aus der­
Tatars in ihrer G­ alerie wunderschöne b­ unte Melo- Start-up-Szene aus – ein Blind Date mit der zeit­
nen in Form handge­ blasener Lampen ausstellen ge­nössischen Kunst. Boros: »Diese Leute haben kein
(eine der Ideen des Kollektivs besagt, dass künstle- Problem damit, fünfhundert Leute einzustellen – aber
risch komplexe und schwierige Inhalte nach einer Skrupel, über die Schwelle einer Galerie zu treten.
möglichst gefälligen und poppigen Aufmachung Da müssen wir noch ein bisschen nachhelfen.«
verlangen). Mit Payam Sharifi, einem der beiden Lässige Maike Cruse, lächelnder Sammler: »Man
Gründer des Kollektivs, einem intellektuellen Hur- kauft im Winter keine Kunst. Das Wichtigste am
rikan und mit einer Biografie, wie sie besser nicht Gallery Weekend ist der darauffolgende 1. Mai: Dann
zum neuen Berlin passen kann (iranischer Familien- hat man das Wochenende lebertechnisch überlebt,
hintergrund, in Houston, Texas, geboren, in Mos- am 2. Mai beginnt gefühlt der Berliner Frühling.«
kau und St. Peters­burg studiert, in Paris, London Es soll schön werden am Wochenende.
und in zahlreichen Städten Osteuropas gearbeitet),
hören wir uns an, wie er als wahrhafter Kosmopolit www.zeit.de/vorgelesen
48 FEUILLETON 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

VON UNTERWEGS GESENDET

Foto: Apollonia T. Bitzan; Illustration: Rachel Levit für DIE ZEIT (r.)

Olaf hat
Gürtelrose
Wenn Ärzte noch mehr Angst vor Krankheiten haben
als ihre Patientinnen  VON CHRISTINE LEMKE-MATWEY
Fabian Hinrichs: Conférencier, Schreckgespenst, Totalkünstler

Frau Holz und Fräulein Schlüter, die beiden Frau kocht gut, also mit dem bisschen Kalk in
schwesterlichen Seelen in meiner Brust, wissen Ihren Koronararterien werden Sie locker 94!«
in ihrer Nähe eine rundum großartige Haus­ Die Tür öffnete sich, und statt eines drah­

Die Kunst der Havarie:

ärztin­praxis (alteingesessen, reizend), die sie bloß tigen Best-Agers schlurfte ein verdrießlich drein­
deshalb nicht öfter aufsuchen, also faktisch nur blickendes, durchaus korpulentes Etwas an den
in Notfällen, weil an der Rezeption zwei Drachen Schwestern vorüber. »Der Doktor ist ein Mut­
sitzen. Die hat die Ärztin von ihrem Vater geerbt, macher!«, konnte Fräulein Schlüter noch flüs­

Der Kapitän versenkt sein Schiff,

was sich unter anderem daran zeigt, dass sie von tern, da hatte der Doktor sie auch schon hinein­
den beiden in aller Praxisöffentlichkeit bei ihrem komplimentiert: »Was darf ’s sein, meine Da­
Kinderkosenamen gerufen wird: Flummi. »Herr men?« Die Damen nahmen Platz, und Frau Holz
Soundso in Kabine 3, Flummi!« – »Machst du berichtete vom Krankheitsgefühl, von ersten

aber er ertrinkt nicht Ultraschall oder soll ich, Flummi? Flummi! Wo

steckt sie denn schon wieder?« So geht das den
ganzen Tag. Frau Dr. Flummi scheint das nicht
weiter zu bekümmern, und wenn einmal doch,
Symptomen und von ihrem positiven Corona-
Schnelltest am Morgen. »Positiv«, zischte der
Mediziner, der plötzlich weiß war wie sein Kittel,
»po-si-tiv! Wissen Sie, was das heißt? Nein,­
blecken die Drachen kurz ihre haarigen Zähne. natürlich nicht! Sie sind ja nur die Patientinnen.
Fabian Hinrichs inszeniert »Sardanapal« an der Berliner Volksbühne  VON PETER KÜMMEL Dank einiger Lebenserfahrung hatten Frau Kommen hierher, so mir nichts, dir nichts, und
Holz und Fräulein Schlüter die ­Drachenschleuse stecken mich an. Ist ja egal, ist ja vollkommen
rasch passiert und fanden sich zu ihrem Erstau­ egal! Empathie, ha, Fehlanzeige! Aber so sind sie,
Zwei befreundete Schriftsteller wollen gemeinsam (1821) gelesen und fand, es sei zu Unrecht vergessen. anders, als in ihm den aufrichtigen Künstler zu er­ nen nicht wie sonst im großbürgerlichen Warte­ die Boomeretten, trampeln alles platt! ICH­
einen Roman schreiben: Schriftsteller A verfasst das Er hat das Blankversdrama um den assyrischen kennen. Auch an die Handwerkerszenen aus Shake­ zimmer wieder, sondern hinten, in einer Art mache SIE gesund, das, mit Verlaub, ist die Ver­
erste Kapitel, B das zweite, A wieder das dritte – und König Sardanapal, dessen Lebenszwecke nicht speares Sommernachtstraum fühlte man sich erinnert: Warteschlauch. Der Schlauch nannte sich­ abredung – nicht SIE machen MICH krank!«
so weiter. Die Kapitel sollen monatlich in einer Machterhalt und Ruhm, sondern Liebe und Genuss Man erlebte die leuchtende Peinlichkeit misslingen­ »Infektionssprechstunde« und war ein Flur, in Frau Holz und Fräulein Schlüter sahen sich
bedeutenden Literaturzeitschrift erscheinen, eins sind, bearbeitet: Er schuf eine Fassung, in der ­­Claes­ der Kunstanstrengung. dem reges Treiben herrschte. Medizinische­ an, ihre Fieberbacken glühten. »Sieben Wochen
baut auf dem anderen auf, bis das Werk voll­endet sens den Titelhelden geben sollte und die er, Hin­ Fabian Hinrichs ist der Totalkünstler des­ Gerätschaften wurden hin und her bugsiert,­ Husten«, bellte der Arzt weiter, »bei meinem
ist: Der Roman des Jahrzehnts soll es werden und richs, selbst inszenierte. Kurz vor der Premiere, wie Moments, in allen Bereichen auf eine leicht da­ Patienten auf die abgehenden Behandlungs­ letzten Infekt hatte ich sieben Wochen lang tro­
das Manifest einer Künstlerfreundschaft. Was­ gesagt, kam es zum Clash: Claessens verließ die nebenliegende Weise auftrumpfend: Er singt­ räume verteilt, Nierenschalen mit klirrenden ckenen Husten, am Ende halfen nur Cortison-
geschieht? A schreibt ein herrliches erstes Kapitel, Produktion, aber nicht kommentarlos. Auf Insta­ (Schuberts An die Musik), tanzt, spielt Schlagzeug, Spritzbestecken mal hierhin geschafft, mal dort­ Bäder, hoch dosiert! Und wissen Sie, was das mit
in dem er das umfangreiche Romanpersonal­ gram schrieb er: »Mit dummen Menschen streiten dichtet, entwirft die Bühne, führt Regie. So wird aus hin. Außerdem lag am Ende des Flurs die ­Küche, der Haut eines Millennials macht, der seine ero­
entwickelt und auf einem Ozeandampfer zusam­ ist, als würde man mit einer Taube Schach spielen dem Tragöden der in seinem Smoking schuftende­ in der sich die Drachen in kurzen Abständen tischen Hoffnungen noch nicht begraben hat
menführt: 30 Seiten, die zum Besten gehören, was wollen. Egal, wie gut du Schach spielst, die Taube Conférencier einer Revue des Scheiterns. Leberwurststullen schmierten und heißen Kakao und seinen Kinderwunsch?« Er sprang hinterm
die europäische Literatur zu bieten hat. Er schickt wird alle Figuren umwerfen, auf das Brett kacken Wir erleben das tapfere Festhalten an einem un­ anrührten. Jedes Mal, wenn sie dabei die warten­ Tisch hervor und riss sich Kittel und Hemd vom
das Manuskript an die Zeitschrift, die es groß he­ und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen.« durchführbaren Plan – nur wer kein Herz im Leib den Schwestern passierten, spuckten sie etwas Leib, auf Höhe des rechten Rippenbogens
rausbringt. Leider verkrachen sich nun im realen Als am 21. April die Premiere stattfand, spielte hat, ist jetzt nicht gerührt. Hinrichs hat was von­ Feuer, zumindest stiegen hinter ihren FFP2- schimmerte ein zart rosafarbener Streifen. »Na,
Leben die Herren A und B, sie zerstreiten sich fürch­ Hinrichs, der in Claessens’ Botschaft stark ver­ einem Don Quichotte, der gegen die Peinlichkeit Masken kleine stinkende Rauchsäulen auf. hab ich zu viel versprochen? Ein mieses kleines
terlich. Als im folgenden Monat die Literaturzeit­ schlüsselt als »die Taube« firmiert, die Hauptrolle anreitet. Pannen kommentiert er laut, zum Publikum Außer Frau Holz und Fräulein Schlüter b­ esuchte Gürtelröschen! Ich bin 39!«
schrift mit dem zweiten, von B verfassten Kapitel selbst, das Textbuch in der Hand haltend, was der hin, er badet im Misslingen: Wer ihn sieht, verzeiht an diesem Morgen niemand die Infektions­ In diesem Moment klopfte es, und die­
erscheint, findet A darin nach einigem Blättern eine Aufführung den Zauber einer Hauptprobe und dem ihm. Und er, der das spürt, reitet die Welle:­ sprechstunde. Draußen ist Frühling, wer holt sich Drachen standen in der Tür. »Olaf«, schnaubte
weitgehend leere Seite. Darauf steht: Publikum den Rang von Eingeweihten gab. »Normalerweise wäre der Vorhang schon auf«, ruft jetzt noch ein Virus, geschweige denn ­Sars-CoV-2? der ältere Drachen zärtlich, »das sollst du doch
»Kapitel 2. Am nächsten Morgen lief das Schiff Die Kritiken waren tendenziell vernichtend. Das er. »’ne Minute zu spät – dit is Berlin!« Die Tür des ersten Behandlungszimmers war nur nicht tun, das weißt du doch. Wo ist denn unser
auf einen Felsen und sank. Keine Überlebenden.« lag vermutlich nicht an Claessens’ Fehlen, sondern Wohlgemerkt: Die vielen an diesem Abend betei­ angelehnt, Fetzen des Arztgesprächs wehten auf den großer, starker Olaf-Arzt geblieben?« Der andere
Ich weiß nicht mehr, bei wem ich diese eher daran, dass sowohl Regie als auch Dramaturgie ligten Künstlerinnen und Künstler, das Tanzensem­ Flur, zwei brummende Männerstimmen. »Das ist Drache zog den Olaf-Arzt wieder an und sagte zu
Geschichte­vor vielen Jahren gelesen habe, sie stammt nicht funktionieren: Auf einen traumhaft-verspiel­ ble der Flying Steps und das Jugendsinfonieorches­ nicht Flummi!«, wisperte Fräulein Schlüter. Frau den Schwestern: »Verzeihen Sie, aber er ist ein­
wohl von einem der großen, lebensmüden franzö­ ten ersten Teil, gewissermaßen das Satyrspiel, folgt ter Berlin am Händel-Gymnasium, sind großartig, Holz zuckte mit den Achseln. Flummi war öfter fach zu sensibel für diesen Beruf. Haben Sie alles,
sischen Karikaturisten Bosc oder Chaval. Aber sie ein offenbar ernst gemeinter, hochpeinlicher­ und auch Hinrichs’ Bühnenpartnerin Lilith Stan­ nicht da, sie liebte Fortbildungen, insbesondere was Sie brauchen? Legen Sie sich ins Bett, und
fiel mir nun ein, als ich von der jüngsten Inszenie­ Tragödienteil, in dem uns der friedfertige König als genberg wirft sich bewundernswert in das Scheitern. tropenmedizinische Kongresse. Dann halfen­ trinken Sie viel! Gute Besserung!«
rung an der Berliner Volksbühne hörte. Dort wollten Vorbild für heutige Konflikte empfohlen wird. Es Aber das Ding an sich ist ein großer Krampf – Kollegen aus, meist unterstützt von Famuli und Zu Hause schauten sich Frau Holz und Fräu­
zwei ein­an­der innig zugetane Theaterkünstler, die fällt schwer, sich vorzustellen, dass die Aufführung den sein Schöpfer auf die unnachahmliche Hinrichs- Famulae, die so blass und dürr aussahen, als wären lein Schlüter an und nickten: Die Drachen ­waren
Schauspieler Benny Claessens und Fabian Hinrichs, mit Claessens weniger awkward, unfertig, fremd­ Weise durchsteht: in Euphorie, als tänzle er an einem sie höchstens 14. eigentlich ganz nett. »Ja«, sagte Frau Holz, »aber
gemeinsam die Inszenierung des Jahrzehnts schaffen. schamweckend wäre. Sein Fehlen hingegen ist für Abgrund und werde von der Ode an die Freude­ Hinter der Behandlungstür ging es um Herz­ dass männliche und weibliche Patienten in dieser
Sie bereiteten auf dem schwersten Theaterdampfer den Regisseur Gold wert. innerlich durchbraust. probleme, der Patient klagte, der Arzt beschwich­ Praxis qualitativ so unterschiedlich behandelt
der Stadt ein unvergessliches Bordfest vor. Und leider Ich sah die zweite Vorstellung, und es war etwas Sollte es wirklich Benny Claessens sein, der tigte. »74 ist nun wirklich kein Alter, Herr, äh, werden, ist nicht in Ordnung. Das müssen wir
verkrachten sie sich direkt vor der Premiere titanisch. Erstaunliches zu erleben. Das Publikum solidarisierte­ diesen Dampfer versenkt hat, so lenkt ihn Fabian wie war der Name, Sie spielen Tischtennis, Ihre Flummi sagen.«
Woraufhin auch dieses Schiff auf Grund lief. Dort sich vollständig mit Hinrichs und seinem Abend. Es Hinrichs mit Grandezza auf den Grund: un­
unten leuchtet es nun gespenstisch. herrschte im Saal das Prinzip, das man aus dem Film gerührt wie Buster Keaton. Am Schluss Jubel. Ein An dieser Stelle erscheinen
Aber der Reihe nach. Fabian Hinrichs hatte vor Ed Wood (mit Johnny Depp) kennt: Man sieht dort Hoch auf das Scheitern. Das Stück wird wohl im Wechsel vier Kolumnen. Lesen Sie nächstes Mal
einigen Jahren Lord Byrons Drama Sardanapal den schlechtesten Regisseur der Welt und kann nicht Kult werden. »Über den Linden« von Maxim Biller

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DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 FEUILLETON 49

Literatur

Den Unterdrückten
glauben.
Aber mit gutem Grund
Über den Zusammenhang von Erkenntnis und Moral: Warum man
das viel diskutierte Buch »Epistemische Ungerechtigkeit« der Philosophin
Miranda Fricker genauer lesen sollte  VON LARS WEISBROD

I
n Anthony Minghellas Verfilmung des
Patricia-Highsmith-Klassikers Der talen-
tierte Mr. Ripley muss eine junge Frau
namens Marge ganz allein ein Verbrechen
aufdecken. Ihr Verlobter ist verschwun-
den, und sie fürchtet, dass der zwielich­
tige Tom Ripley ihn getötet hat, als die
beiden zusammen verreist waren. Ripley aber gibt
sich als treuherziger Freund der Familie aus. Als
Marge von ihrem Verdacht erzählt, will der Vater
des verschwundenen Verlobten davon nichts­
wissen. »Marge, es gibt weibliche Intuition, und
es gibt Fakten«, so weist er die Frau ab, die seine
Schwiegertochter hätte werden sollen.
Sein Sohn wurde aber tatsächlich von Tom­
Ripley erschlagen. Und tatsächlich erschöpft sich
Marges Verdacht nicht in einer vagen »­ Intuition«,
sie kann ihn begründen. So findet sie zum­
Beispiel die Ringe, die ihr Verlobter trug, in
Toms Unterkunft. Das aber hilft ihr nicht. Der
viele analy­ tische Philosophen steril zwischen­
politischer ­Philosophie und theoretischer Philo-
sophie – also zwischen den Fragen nach Gerech-
tigkeit und Freiheit einerseits und andererseits
den grundsätzlichen Fragen aus Erkenntnistheo-
rie oder ­Metaphysik. Wurden solche rein theo-
retischen Fragen bearbeitet, abstrahierte man
dabei gerade von den anderen, politischen As-
pekten. Das aber wusste das breite Publikum
nicht zu goutieren; P­ hilosophie wird dort meist
dann interessant ­gefunden, wenn zum Beispiel
aus Wahrheit ein alltäglicher politischer Begriff
gemacht wird oder aus der naturwissenschaftli-
chen Methode eine koloniale Herrschaftsform.
Bei diesem Spiel, bei der theoretische Philoso-
phie oft zu einem bloßen Politik-Projekt degra-
diert wurde, wollten viele analytische Philoso-
phen lange nicht mitspielen. Es waren dann
Denkerinnen wie Miranda Fricker oder Sally
Haslanger vom renommierten Massachusetts­
Institute of Technology in Boston, die mit ein-
Werte der Erkenntnis herrschen hier also weiter
uneingeschränkt über ihr eigenes Reich. Fricker
geht es nicht darum, dass man den Unterdrückten
dieser Erde glaubt und endlich selig wird, sondern
dass man ihnen aus guten Gründen glaubt. Erst
das macht aus ihrem Buch einen bahnbrechenden
Beitrag zur Erkenntnistheorie.
Und diese Unterscheidung ist keineswegs nur für
Fachphilosophen interessant. Es geht hier um den
intellektuellen Kern jener ­Gegenwartsdebatten, die
einen gelegentlich vermuten lassen, sie hätten gar
keinen, so einfältig werden sie geführt. Von­
Meinungsfreiheit über Genderstern bis zur Unter-
scheidung zwischen Wissenschaft und Aktivismus –
solche Talkshow-Dauerbrenner lassen sich letztlich
nur diskutieren, wenn man sich darüber im Klaren
ist, wann und inwiefern aus einer Frage nach dem
Wissen eine moralische Frage wird. Und wer die­
Erkenntnistheorie bloß für einen Spezialfall der
Moralphilosophie hält, der wird natürlich dem freien

Foto: Katharina Poblotzki für DIE ZEIT

Vater ihres Verlobten wird ihr nicht glauben,
denn er wird geblendet von einem misogynen
Vorurteil: dass nämlich eine Frau wie Marge nur
aus einer spontanen, irrationalen Eingebung­
heraus solch schlimme Anschuldigungen vor-
bringen könne.
Für die Philosophin Miranda Fricker offen-
bart sich in dieser unscheinbaren Szene ein ganz
spezi­fisches Unrecht, das Marge zugefügt wird:
Wenn ein älterer Mann ihren plausiblen Aus­
sagen keinen Glauben schenkt, dann ist dieses
Misstrauen eine »epistemische Ungerechtigkeit«.
So lautet auch der Titel von Frickers berühmtes-
tem Buch von 2007, das jetzt auf Deutsch er-
scheint – »epistemisch« nennt man im Philoso-
phen-Jargon all jene ­Aspekte unseres Strebens,
die mit der Suche nach Erkenntnis zu tun haben.
Die 1966 geborene Feministin Fricker will­
zeigen: In einer durch und durch s­existischen
Gesellschaft werden Frauen sogar noch in ihrer
Rolle als »Wissende«, als »epistemische S­ ubjekte«
missachtet. Das war nicht nur in den Fünfzigern
so; auch heute noch leiden Frauen ­ darunter,
ebenso People of Color oder Arme. Denn wer als
»vernünftiger« Gesprächspartner gilt und wer
nicht, darüber entscheiden auch im 21. Jahr-
hundert die gesellschaftlichen Machthaber.
Ebenfalls »epistemisch ungerecht« geht es zu,
wenn einer Frau nur deswegen nicht geglaubt
wird, weil sie gar nicht über das begriffliche
Handwerkszeug verfügt, um ihre Erfahrungen
sinnvoll einzuordnen. »Herme­neutische Unge-
rechtigkeit« nennt Fricker diesen Sonderfall. Sie
erzählt von einer Mutter, die Ende der Sechziger
in einem feministischen ­ Gesprächskreis zum
Spiel der Erkenntniskräfte auch schneller morali-
flussreichen Arbeiten dafür sorgten, dass man sche Grenzen aufzeigen. Viele mögen das heute
diese ­analytische Scheu heute abgelegt hat. richtig finden; auch viele junge Nachwuchskräfte
Fricker will also in ihrem Buch beispielhaft aus der analytischen Philosophie. Vielleicht verdankt
vorführen, wie auch die trockentheoretische ­Miranda Frickers Buch seine große Wirkung nicht
analy­tische Erkenntnistheorie ihren Beitrag leis- zuletzt diesem Zeitgeist. Nimmt man ihren Begriff
ten kann, das vielfältige Unrecht auf dieser Welt der »epistemischen Gerechtigkeit« aber ernst, dann
zu analysieren. Sie möchte das Nachdenken über taugt er gerade nicht für eine s­olche Komplett­
Moral und das Nachdenken über Erkenntnis auf politisierung der Erkenntnistheorie.
integrale Weise miteinander verschrauben – aber Endlich liegt ihr Buch von 2007 auf Deutsch vor.
dabei die Erkenntnistheorie und ihre Begriffe ge- Miranda Fricker: Epistemische Ungerechtigkeit. Miranda Fricker (57), am 24. April 2023 in New York
rade nicht aufgeben, sie nicht durch eine bloße Macht und die Ethik des Wissens;
Wissens­soziologie oder gleich durch politische aus dem Englischen von Antje Korsmeier;
Forderungen ersetzen. Gelingt ihr das? C. H. Beck, München 2023;
Nicht immer fällt es leicht, ihre Argumente 278 S., 34,– €, als E-Book 26,99 €
nachzuvollziehen. Ihr Vorschlag scheint jedoch
auf Folgendes hinauszulaufen: Man muss die aus ANZEIGE
der Erkenntnistheorie bekannten Werte, zum
Beispiel »Rechtfertigung« oder »Wissen«, um­
einen moralischen Aspekt ergänzen, den man
ihnen wie eine teure Krawatte umbindet. Marges
Schwiegervater macht offensichtlich in Sachen
Erkenntnis etwas falsch, als er ihr nicht glaubt –
denn eigentlich gäbe es ja gute Gründe, ihr zu
glauben. Er sollte ihr glauben. Dieses »sollen« ist
zunächst eine erkenntnisbezogene Aufforderung:
Sofern du an der Wahrheit interessiert bist, wäre
es besser, du glaubtest Marge! Fricker zeigt nun,
dass dieses erste Sollen gleich noch ein zweites,
ein moralisches Sollen b­egründet: Du solltest
Marge glauben, denn sonst verletzt du sie in ihrer
Würde als Wissende!
Epistemische Ungerechtigkeit bildet also eine
ganz eigenständige Kategorie des Unrechts. Man
kann Menschen nicht nur körperlich angehen,

ersten Mal von »postnataler Depression« hört.
Erst jetzt versteht die Frau, worunter sie gelitten
hat, und kann ihre Erfahrung auch anderen
glaubhaft erläutern.
Wer Epistemische Ungerechtigkeit bloß ober-
flächlich liest, den wird das Buch nicht sonder-
Never change a
materiell berauben oder ihnen psychisch zuset-
zen, sondern, ganz unabhängig von diesen ande-
ren Dimensionen, sie auch in ihrer Erkenntnis­
kompetenz kränken – in ihrer Glaubwürdigkeit.
Die krassen materiellen Folgen, die solche rein
epistemischen Kränkungen nach sich ziehen

lich überraschen. Fricker, die inzwischen an der
New York University lehrt, leitet auf den rund
275 Seiten her, was kaum einen Feminismus-
oder Philo­sophie-Interessierten noch schockie-
ren wird: In unserer Gesellschaft sind nicht nur
die materiellen Verhältnisse, die sozialen Be­
ziehungen, der Sex, die Liebe, die Arbeitsstelle,
die politischen Beteiligungsmöglichkeiten von
tiefgreifenden strukturellen Ungerechtigkeiten ­ge­
prägt, sondern auch das ­Wissen. Genauer ­gesagt:
die Weise, auf die wir Wissen erwerben und­
einander zuschreiben.
Die enorme Bedeutung von Frickers Buch er-
schließt sich erst, wenn man die intellektuelle
Landschaft kennt, der es entwachsen ist – und
seine beeindruckende akademische Wirkung.
Epistemic Injustice, so der Originaltitel, findet
sich ganz oben in der Rangliste der meistzitierten
Philosophie-Werke aus den letzten zwanzig­
Jahren. Dass hierzulande trotzdem nur die we-
nigsten die Autorin kennen, das liegt vielleicht
auch an einer »epistemischen Ungerechtigkeit«.
Wenn in Feuilletons, im Theater, im Kultur-TV,
wenn also jenseits der Universitäten von Philoso-
phie die Rede ist, dann ist eine selten mitgemeint:
die sogenannte analy­tische Philosophie, in deren
Tradition Fricker steht.
Dass der analytic philosophy in der deutschen
Öffentlichkeit bisher ihr großer Auftritt ver-
wehrt blieb, dafür gibt es viele Gründe. Ein
wichtiger betrifft unmittelbar Frickers Buch: In
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trennten
running system.
können, diskutiert Fricker gesondert als »sekun-
dären Schaden«: Man stelle sich zum Beispiel ei-
nen schwarzen Angeklagten vor, der unschuldig
ist und der nur deshalb verurteilt wird, weil man
Schwarzen seltener glaubt.
Frickers Theorie unterscheidet sich, so­
verstanden, fundamental von den üblichen­
Versuchen, die Erkenntnistheorie zu politisieren.
Denn der Begriff »epistemische Ungerechtig- BEREIT FÜR NEUES DENKEN.
keit« beschreibt eine bloße Einbahnstraße:­
Erwägungen über unser Wissen und Erkennen
sowie deren Grenzen können zwar moralische
Vorwürfe begründen. Andersherum ist Moral
aber belanglos, wenn ich herausfinden will, wie
glaubwürdig jemand tatsächlich ist. Ein Schlacht-
ruf wie »Believe women!« gilt da eben nicht.­
Keineswegs soll der Schwiegervater der jungen
Marge glauben, weil sie eine unterdrückte Frau
ist. Sondern er soll ihr glauben, weil sie grund-
vernünftig klingt. Auch die erwähnte »postnatale
Depression« ist keine gelungene Beschreibung,
weil Mütter sich damit trösten können. Der Be-
griff ist vielmehr richtig, weil er unsere Welt
korrekt beschreibt. Erst wenn politische Macht-
JETZT BEREIT MACHEN UNTER
fragen diese klaren Einsichten verdunkeln, muss HANDELSBLATT.COM/NEUESDENKEN
man korrigierend eingreifen. Der Schwiegervater
hätte, in einem zweiten Schritt, die eigenen irra-
tionalen Vorurteile durchschauen können und
Marge glauben müssen. Aber nicht allein, um ihr
moralisch gerecht zu werden, sondern auch »um
seinem Erkenntnisinteresse an der Wahrheit zu
genügen«, so Fricker. Die kalten, amoralischen
50 FEUILLETON 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

1950 1960 1970

Freddy Quinn
Die Idealmänner der Junge, komm bald wieder: Der beliebteste Männertyp der
Fünfziger ist der einsame Seemann auf Fahrt um die Welt.
Indianerhäuptling werden, der meistverehrte Held ist der
Jahrzehnte. Er sehnt sich nach der Ferne ebenso wie nach der Heimat,
er ist innerlich zerrissen und melancholisch. Freddy Quinn
Apatschenhäuptling Winnetou, gespielt von Pierre Brice.
Eine Typologie verkörpert diesen Typus perfekt. Er wünscht sich »aus ­
fernen Gestaden« nach Hause wie die Wehrmachts­
soldaten, von denen die Letzten erst Mitte des Jahrzehnts
VON JENS BALZER aus der Gefangenschaft wiederkehren; wie diese fühlt er
sich bei der Rückkehr in die Heimat fremd; und was noch
mal der Grund für den Aufbruch in die Fremde ­gewesen
war, haben alle gemeinsam vergessen.
»Winnetou« – Pierre Brice
In den Sechzigern will der deutsche Mann am liebsten ­
Er ist edel, naturverbunden, mit einem ­sanften, ­weisen, ­
irgendwie weiblichen Blick und ­ebensolchen ­langen ­
Haaren. Er weiß, wie man den ­versteinerten ­
Verhältnissen entflieht. Wenn es drauf ankommt – aber
nur dann –, kann er auch gegen die Verhältnisse ­
kämpfen: »Macht ­kaputt, was euch kaputt macht«, singt
der große ­Winnetou-Fan Rio Reiser
im folgenden ­Jahrzehnt.
»Der Bastian« – Horst Janson
In den Siebzigern wollen die »neuen Männer« mit den ­
herkömmlich patriarchalen Verhaltens- und D ­ enkmustern
brechen. Die Feministinnen definieren das Frausein neu,
da wollen die Softie-Männer nicht nachstehen. Ihre ­
Bewegungen werden so weich wie ihre Haare, sie hören
tief in sich hinein und den Frauen zu, sie lesen Simone de
Beauvoir, kleiden sich in die Latzhosen der ­
Frauenbewegung und gewinnen bald schon den Eindruck,
dass sie selbst eigentlich die besseren Feministen sind. ­Der
bekannteste Fernseh-Softie ist »der Bastian«, gespielt von
Horst Janson.

DER VER LOR E N E MAN N Obwohl die Gesellschaft immer progressiver wird, feiern altertümliche Rollenideale eine Renaissance
Foto: Greg Turner (Symbolbild); Illustration: Mario Mensch/ZEIT-Grafik

Was für Rollenbilder gibt es heute,

die nicht auf toxische Männlichkeit
zielen? Ist Androgynität eine Lösung?
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 FEUILLETON 51

1980 1990 2000 2010

»Schimanski« – Götz George
In den Achtzigern herrscht der Selbstzweifel vor: Sollen
die Männer jetzt noch weicher werden oder nicht doch
wieder härter? Die Frauen wissen auch nicht, was ihnen
besser ­gefällt, sind also keine Hilfe. »Wann ist ein Mann
ein Mann?«, singt Herbert Grönemeyer ratlos, unter­
dessen steigt Götz George als Tatort-Kommissar Horst
Schimanski zum typischen Mann der Dekade auf: außen
hart, innen weich, bindungsunfähig, aber auch gut ­
eingerichtet in ­seinem stabilen Unglück. Schimanskis
Vorliebe für die Feldjacke M-65 verbindet ihn mit ­
Osama bin Laden.
Christian Kracht
Yuppie-Schnösel: Die Neunziger sind das Jahrzehnt des
vermeintlichen Triumphs der westlichen Werte, also des
ungezügelten Kapitalismus. Der typische Mann kostet ­
diesen Triumph aus, für ihn gibt es nichts Wichtigeres als
die richtige Markenbekleidung, die endlose Verfeinerung
des eigenen Stils und die eloquent ausgedrückte ­
Verachtung all jener, die nicht so stilvoll und ­
wohlhabend sind wie er selbst. Er hat alles erreicht, ohne
dass er dafür arbeiten musste, und ist trotzdem oder ­
deswegen dauernd traurig. Typisches Exemplar: der
Schriftsteller Christian Kracht.
Kollegah
Auch in den Nullerjahren prahlen Männer gerne mit ­
ihrem Reichtum und glauben, dass Geld sie erotisch ­
erscheinen lässt. Doch sind die typischen Vertreter der
Männlichkeit in diesem Jahrzehnt keine Kinder reicher ­
Eltern mehr, sondern neureiche Gangster-Rapper wie ­
Bushido, Kollegah und Haftbefehl. Diese verfügen weder
über ein verfeinertes noch über sonst irgendein ­
Stilbewusstsein, stattdessen protzen sie mit ­Statussymbolen
wie dicken Autos, Halsketten und ­Muskeln. Die jungen
Frauen des neuen Jahrtausends ­finden das ­
erstaunlicherweise wieder interessant.
Conchita Wurst
Die Zehner sind das Jahrzehnt der barttragenden ­
Männer: Der Bart kann Verbundenheit mit der Natur
ausdrücken und ein positives Verhältnis zur natürlichen
Männlichkeit darstellen; er kann aber – wenn es sich um
ein ­besonders gut barbiertes, geöltes und sonst wie ­
gepflegtes Exemplar handelt oder wenn der Bart mit ­
Make-up und ­Frauenkleidern kombiniert wird – auch die
Einsicht ­ausdrücken, dass es so etwas wie natürliche
Männlichkeit in Wahrheit gar nicht gibt. Bester ­
Bartträger der Dekade ist zweifellos Tom Neuwirth alias
Conchita Wurst.

Willkommen Libido und

in der Mannosphäre
Wie konnte es zu der Verwirrung kommen? Was die Wissenschaft sagt
Karl Ess sitzt an seinem Schreibtisch und
ruft laut in die Kamera hinein: »Also,
Leute, es geht los. Der erste Livestream
war: Warum ist arm sein asozial? Das
Thema des heutigen Livestreams: Warum
sind Männer heute so verweichlicht?« In
der folgenden Stunde wird Ess seine hun-
derttausend Follower auf Instagram und
YouTube vor der Verweiblichung deut-
scher Männer warnen, vor der »Pussyfi-
zierung« Europas. Er wird den Männern
Tipps geben, wie sie richtige Männer
werden, sogenannte Alphas: reich, attrak-
tiv und dominant.
Nun könnte man den Kopf schüt-
teln in Anbetracht eines so lächerlich
reaktionären Weltbilds, das (vermeintli-
che) Weiblichkeit zum Problem erklärt,
würde Karl Ess nicht als Teil der soge-
nannten Mannosphäre mit seinen »Red-
Pill-Inhalten« so viele junge Leute errei-
chen. Die Mannosphäre ist eine Com-
munity, die lose über digitale Foren,
Webseiten und soziale Medien verbun-
den ist. Was sie eint, ist ein verschwö-
rungsideologisches Weltbild: die Red-
Pill-Ideologie. Neben der Offenheit ge-
genüber rechten Narrativen zeichnet
sich diese Ideologie durch krassen, ge-
waltverherrlichenden Antifeminismus aus
sowie durch die strikte Ablehnung aller
Emanzipationsbestrebungen. Hundert-
tausende Mitglieder zählen diverse Red-
Pill-Foren weltweit. Der prominenteste
Influencer: Andrew Tate, dessen Videos
mehr als 13 Milliarden Mal auf TikTok
geklickt wurden und in dessen Coaching-
Programm bereits 14-Jährige lernen, wie
man ein Alphamann wird (siehe Text
rechts). Dabei geht es vor allem um
Geld, Aussehen und Verfügungsmacht
über Frauen. Wie man mit denen laut
Andrew Tate umgehen sollte? »Schlagen,
schlagen, packen, würgen. Halt’s Maul,
Schlampe! Sex.«
Die Popularität von Männlichkeits-
Coaches wie Andrew Tate, Karl Ess
oder auch Maximilian Pütz verweist auf
eine aktuelle gesellschaftliche Entwick-
lung, die zunächst paradox erscheint.
Wie die Autorin Susanne Kaiser in ih-
rem neuen Buch Backlash beschreibt,
war unsere Gesellschaft nie progressiver
als heute: Es gibt mehr Frauen in Füh-
rungspositionen als je zuvor, viele Insti-
tutionen gendern, und diverser sah es in
der Fernsehlandschaft nie aus. Gleich-
zeitig erfahren reaktionäre Bewegungen
Zulauf, die sich gegen ebendiese Eman-
zipationsbestrebungen richten.
Ein ganzes Glossar wäre nötig, um die
Codes und die Subkultur der Manno-
sphäre zu beschreiben. Im Kern aller Strö-
mungen steht folgende Ideologie: Red-
Piller gehen davon aus, dass Männer gesell-
schaftlich von Frauen unterdrückt werden.
Unter vermeintlicher Berufung auf die
Evolutionsbiologie erklären sie, dass die
Frau dem Mann untergeordnet sei und
eigentlich dominiert werden wolle. Nun
habe allerdings der Feminismus dazu ge-
führt, dass Frauen in Gleichberechtigung
leben wollen, was wiederum zu der ver-
meintlichen Unterdrückung der Männer
geführt habe. Der einzige Weg aus der
Unterdrückung: das Schlucken der Red
Pill. In Analogie zum Film Matrix wird
geglaubt, wer die metaphorische rote Pille
schlucke, könne die wahre Struktur der
Welt erkennen und be-
greifen, dass es als sozia-
les Korrektiv eine Rück­
eroberung ursprünglicher
Männlichkeit brauche.
Um diese ursprüngliche Männlich-
keit zurückzuerobern, bieten Alpha-
mann-Influencer und sogenannte Pick-
up-Artists ihre Dienste an: Sie motivie-
ren Betamänner (so die Bezeichnung
für vermeintlich schwächliche Durch-
schnittstypen), mehr Geld zu verdienen,
erklären, welche Luxusprodukte ein
Mann erwerben muss und wie er attrak-
tiv wird. Auch wenn Frauen laut den
Red-Pillern unintelligent, triebgesteuert
und wertlos seien, sei der Zugriff auf
weibliche Zuneigung essenziell für die
Mannwerdung, erklärt die Soziologin
Veronika Kracher die auf kognitiver
Dissonanz basierende Doppelrolle der
Frau im Red-Pill-Universum.
Die Gleichzeitigkeit von Progressivi-
tät und reaktionärem Aufbegehren, die
Susanne Kaiser beschreibt, ist nicht neu.
Historisch betrachtet traf jede Bewe-
gung, die neue Rechte für marginali­
sierte Gruppen erkämpfen wollte, auf
Abwehrreaktionen der bis dahin privile-
gierten Gruppe, die Verlusterfahrungen
fürchtete. Neu ist allenfalls die digitale
Strategie der Red-Piller, und dass ihre
Inhalte auch bei vielen Jugendlichen, die
in einem egalitären Umfeld aufwachsen,
Anklang finden. Red-Piller und ihre
Sympathisanten finden sich in jeder ge-
sellschaftlichen Strömung. Das legt nicht
nur Kracher nah, sondern auch die Auto-
ritarismus-Studie der Universität Leipzig,
die herausgefunden hat, dass ein Viertel
aller Deutschen ein geschlossen anti­
feministisches Weltbild hegt, also eman-
zipatorische Bestrebungen ablehnt.
Fast alle Schulkinder kennen Andrew
Tate, denn auf TikTok und YouTube
werden radikale Inhalte vom Algorithmus
nach oben gespült und schwappen schließ-
lich auf den Schulhof. Da werden dann
Mitschülerinnen zu Objekten g­emacht
und homosexuelle Mitschüler drangsaliert.
Alles, was nicht der Alpha-Männlichkeit
entspricht, wird mit Weiblichkeit assoziiert
und abgewertet. Auch Emotionen. Die
Für 50 Dollar zum »Hustler«-Diplom
Abspaltung ­jeglicher Emotion, die zur
idealtypischen Entsprechung des Alpha-
manns gehört, wird am Ende auch gefähr-
lich für diejenigen, die diesem Ideal nach-
eifern. Gerade in der Incel-Szene, einer
speziellen Community innerhalb der
Mannosphäre, deren Mitglieder »unfrei-
willig im Zölibat« leben und deswegen
Wut auf Frauen hegen, komme es durch
die Verdrängung von Emotionalität zu
einer hohen Rate von Depressionen und
Suizidalität, beschreibt Kracher.
Schon früh werde Männern signali-
siert, dass sie auf soziale Anerkennung
hoffen können, wenn sie einer idealtypi-
schen Männlichkeit entsprechen, meint
Kracher. Dass Red-Pill-Inhalte heute so
viel Anklang finden, liegt an dem Er-
folgsversprechen, das jungen M ­ ännern
in Bezug auf klassische Rollenbilder­
gemacht wird. Es ist ein faules Verspre-
chen.  MARIE SER AH EBCINOGLU
Geschäftssinn
Wie ich ein Alphatier wurde. Ein Selbstversuch mit Andrew Tate
Ein junger Mann guckt grimmig in die tationen und Essays auf Tweetlänge ledig- kosten: genau 5454 Dollar. Der Trailer
Kamera, sein schwarzes T-Shirt mit V-Aus- lich Lektionen darüber, wie man vom zeigt einen Schwarm glatzköpfiger Män-
schnitt spannt bedrohlich, über s­einem Laptop aus reich wird. Ein 13-jähriger ner in zu engen Hemden, die wahlweise
Betonscheitel prangen die Worte: »Wieso »Kommilitone« verdiene bereits 45.000 im Privatjet sitzen, Zigarre rauchen oder
Frauen nichts von Dir wollen.« Ein Klick Dollar im Monat, das könne auch ich sich an Schießständen verausgaben. Ihr
weiter, und schon erklärt er mir, dass ich schaffen. Hinweise darauf, wie ich mich zentrales Motto: »Resist Slavery« – wider-
bloß ein Betamann sei; zurückhaltend, meines Betadaseins entledigen könnte, stehe der Sklaverei. Solcher kettenspren-
unsicher, schwach. Dann die Verheißung: suche ich vergebens. gerischer Rhetorik bedient sich Tate
Der Weg sei hart, doch mit seinem Online- Ich beschließe, wie ein Alphamann zu ständig. Der Einzelne werde vom aus-
Seminar könne ich in kürzester Zeit vom handeln und einfach auf eigene Faust zu beuterischen Hyperkapitalismus unter-
Beta- zum Alphamann graduieren. Lange recherchieren. Das Forschungsergebnis drückt, deshalb müsse man sich an ihm,
zögere ich nicht. Meine Maskulinität und einer mehrstündigen Google-Suche: Ein dem hyperkapitalistischen Millionär, ori-
ich begeben uns auf die Heldenreise. Alphamann dominiert schwächere Beta- entieren, um Freiheit zu erlangen. Tate
Natürlich lege ich mein Schicksal männer, darüber hinaus bieten sich ihm verkauft Konformität als Widerstand.
nicht in die Hände eines daher­gelaufenen zwei Betätigungsfelder an. Zum einen Nun waren Frauen genauso von der
YouTube-Coaches. Ich will vom Besten gedeiht er in der Welt der Hochfinanz, Finanzkrise betroffen, wieso hört man also
der Besten lernen, der Heilsfigur prä­ schließt Deals ab, schleppt Aktenkoffer nicht von Alphaweiblichkeitskursen? Für
potenter Männlichkeit: Andrew Tate. voller Bargeld von einem Sportwagen zum Frauen folgt noch ein Handlungsimpera-
Der ehemalige Kickboxweltmeister und nächsten; zum anderen hat er Sex, ständig, tiv aus dem eigenen Geschlecht; es gilt,
Webcamzuhälter verdient seinen Lebens- wann immer er will – vom Nein einer Frau sich endgültig gegen eine sexistische Ge-
unterhalt mittlerweile mit Online-­ darf er sich nicht aufhalten lassen. Jeder sellschaft, gegen sexistische Männer durch-
Kursen. Selbst als er in Rumänien wegen Alphamale, das lerne ich auf meiner digi- zusetzen. Ebendiese Männer stehen vor
Menschenhandels und Vergewaltigungs- talen Bildungsreise, hat auf beiden Gebie­ dem Scherbenhaufen zerborstener Leit-
vorwürfen in Untersuchungshaft saß, ten zu reüssieren. Libido und Geschäfts- bilder. Ein Mann kann heute nichts rich-
konnte man sich von ihm auf cobratate. sinn sind bei ihm eng verwoben. tig, sondern nur nichts falsch machen. In
com in die Mysterien des Alphadaseins Schon Marx hat mit seinem Begriff des diesem geschlechtsideologischen Vakuum
Warenfetischs die se- hallen die Parolen von Tate und Konsor­ten
xuelle Dimension des besonders laut. Die weltanschau­liche Re-
Ökonomischen heraus-
gearbeitet. Doch die
sonanz unterscheidet Alphamänner von
den althergebrachten Pick-up-Artists, die
alphamännliche Ver- ebenfalls Seminare über frauenfeindliche
einführen lassen – worüber er zu zweifel- quickung von Sex und Geld begann erst Verführungstechniken geben. Während
hafter Berühmtheit gekommen ist. mit der Weltfinanzkrise 2008. Damals der Pick-up-Artist, idealtypisch von Tom
Kaum öffne ich die Website, werde ich wurde der kleine Mann für die Zügellosig- Cruise in Magnolia gespielt, aus hedonis-
von einem Chatfenster begrüßt. Drei keit des mächtigen Mannes bestraft. Der tischen Gründen Sex hat, versteht der­
Gesprächspartner bieten sich mir an, mit durchschnittliche Anleger war seinem Alphamann, von Leonardo DiCaprio in
Profilbildern von Friedrich dem Großen, Sparkonto monogam verpflichtet, wäh- The Wolf of Wall Street verkörpert, seine
Augustus und Neo, dem Protagonisten rend der Banker mit un­sicheren Invest- Promiskuität als Rebellion gegen eine
der Matrix-Filme, versehen. Sie alle wei- ments munter fremd­gehen durfte. Diese tabu­verfahrene Gesellschaft.
sen ostentativ darauf hin, dass sie keine Ungleichheit frustrierte die finanzielle Halbherzig schaue ich noch Videos
Chat-Bots sind. Na ja. Lieber möchte ich Libido, das Freudsche Unbehagen in der über den Typus des Sigmamales, der sich
vom Großmeister selbst lernen; für Kultur erweiterte sich zu einem Unbe- nicht um äußere Anerkennung schert,
schlappe 50 Dollar melde ich mich bei hagen in der Ökonomie. Nicht ohne wenig Wert auf seine Hygiene legt und
seiner »Hustlers University« an. Grund raunen Tate und andere Coaches hierarchisch womöglich über dem Alpha-
Meine Erwartung maskuliner Erbau- immer wieder »They are fucking you« – die male steht – das wird heiß debattiert.
ung macht schnell Ernüchterung Platz. Eliten ficken den kleinen Mann. Jetzt soll Dann erscheint die rettende Werbung.
Tates »Universität« ist auf dem Fundament er zurückficken. Eine blonde Frau schaut mitleidig in die
der Online-Plattform Discord erbaut,­ Irgendwann stoße ich auf ein weiteres Kamera; offenbar ist sie Coaching-Coach,
einem Chatroom-Anbieter, den sonst nur Bildungsangebot von Tate, den »War schreibt sie doch die erlösende Zeile:­
betaverdächtige Gamer nutzen. Meine Room«. So heißt sein Club, in dem man »Warum niemand Dein Coaching kauft«.
»Professoren« – die nach eigener Aussage sich mit ihm und anderen ­gleichgesinnten Wer zu lange bei Alphamännern nach Rat
alle Multimillionäre sind – erteilen mir in Männern trifft, um über Business und sucht, wird vom Algorithmus zu den
verwackelten Videos, PowerPoint-Präsen- Männlichkeit zu parlieren. Beitritts­ Frauen geschickt. FLORIAN EICHEL

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52 FEUILLETON 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Literatur

Die Sachbuch-Bestenliste für Mai

Eine Literatur
Julia Lovell: Während im Kalten Krieg Washington und Moskau die Welt scheinbar in zwei
der Klasse L
1
Maoismus Blöcke aufteilten, stieg in deren Schatten eine dritte Supermacht auf: China
A. d. Engl. v. Helmut Dierlamm bestimmte in Vietnam, Nordkorea, Kambodscha und sogar Peru den Lauf der
und Norbert Juraschitz; Geschichte. Die Sinologin Julia Lovell rekonstruiert den Imperialismus Mao
(–) Suhrkamp, 768 S., 42,– € Zedongs: historisch, ideologisch, detailliert. 118 Punkte Dinçer Güçyeter, Gabelstaplerfahrer, Kind anatolischer
Einwanderer, hat einen großartigen Roman
Jonas Schaible: Der Begriff »Ökodiktatur« taucht immer wieder in der politischen Debatte auf: über Herkunft und Familie geschrieben  VON RONALD DÜKER

2
Demokratie Sobald mehr staatliches Handeln gefordert wird, um den Klimawandel­
im Feuer abzuwenden, drohe demnach Autoritarismus. Der Spiegel-Journalist Jonas Dinçer Güçyeter kommt 1979 in Nettetal zur expressionistisch bebendes Gedicht, mal Li-
DVA, Schaible räumt mit dieser Sichtweise auf: Demokratie und Klimaschutz könne Welt, Landkreis Viersen, an der Grenze zu bretto oder Theaterdialog, mal nüchterne, bei-
(–) 304 S., 22,– € es nur miteinander geben. 63 Punkte den Niederlanden qualmen damals noch die nahe journalistisch rapportierende Prosa. Und
Fabrikschlote. Der Vater Kneipier, die Mutter dann auch noch ein Foto-Album: Seitengroße
Stahlarbeiterin, aber eine ohne Feierabend. Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Mutter und
Katharina Raabe, Tausende Tote, Millionen Geflüchtete: Der Krieg hat die Ukraine verwüstet,

3
Nach der Schicht sammelt sie die anderen Sohn sind mit Bildunterschriften wie »Fabrik-
Kateryna Mishchenko der Widerstand hält an – und das Leben der Menschen hat sich in einem­ Frauen ein, dann geht es weiter aufs Feld, zur arbeiterin, Fatma, 1978« und »Kindergarten,
(Hrsg.): Zustand der Ungewissheit eingependelt. Doch was werden sie erblicken, wenn Spargel-, Erdbeer-, Gurkenernte. So ernährt Dinçer, 1985« versehen. Momentaufnahmen,
Aus dem Nebel des Krieges sich der Nebel des Krieges gelichtet hat? Eine Sammlung von Essays und­ sie die Familie und ruiniert sich im Akkord. die das Erzählte in grobkörnigem Realismus
(8) Suhrkamp, 288 S., 20,– € Reportagen, die die unübersichtliche Gegenwart zu fassen versuchen. 61 Punkte Dinçer, das Gastarbeiterkind, der Haupt- beglaubigen.
schüler und angehende Werkzeugmechaniker. Nie scheint es, als habe Güçyeter diesem, aus
Wir sehen auch ihn bei der Arbeit: »Am nächs- Anekdoten gefügten, Familienporträt irgend-
Regina Scheer: Sie war überzeugte Sozialistin, Widerständlerin gegen die Nazis und­

4
ten Morgen stehe ich wieder an der Stempel- etwas hinzugedichtet. Wie aber beweist sich
Bittere Brunnen Weggefährtin von Luxemburg, Brecht und Brandt: Die Jüdin Hertha­
uhr, 5:45 Uhr, klack! Ja, diese Welt hat ihre darüber seine große, literarische Kunst? Dass
Hertha Gordon-Walcher und der Gordon-Walcher führte ein faszinierendes Leben. Die Schriftstellerin Regina
eigenen Bräuche, ich lerne sie kennen. An den einem Autor ein vielstimmiger Roman gelungen
Traum von der Revolution; Scheer hat sich über viele Jahre mit ihr unterhalten – und nun eine Biografie
Türen der Spindschränke hängen Titten, Mu- sei, das sagt sich so leicht. Hier stimmt es.
(–) Penguin, 704 S., 30,– € vorgelegt, die zugleich ein deutsches Epochengemälde ist. 55 Punkte
schis. Jeden Freitag kommt man in der Pause Güçyeter erzählt von einer Welt palavernder
unter dem Kran zusammen und isst diesen Männer, die sich in der Kneipe des Vaters, eines
Jan Philipp Reemtsma: Auch wenn Goethe und Schiller ihn in den Schatten gestellt haben: Erfinder der eingelegten Hering, als Nachtisch Lakritz, geschäftsuntüchtigen Melancholikers, ihre Biere

5
Christoph Martin Weimarer Klassik ist Christoph Martin Wieland. Neben seinem literarischen trinkt Bier vom Fass, spuckt auf den Boden, anschreiben lassen und sonst in Glücksritter­
Wieland Schaffen begründete er den politischen Journalismus, die erotische ­Verserzählung. tauscht Porno-Videos aus ... Ich geschäften verjubeln, was die
C. H. Beck, Jan Philipp Reemtsma, der sich seit Jahren dem Andenken Wielands widmet, verkrieche mich in den Pausen Frauen­durch Knochenarbeit er-
(3) 704 S., 38,– € hat nun die erste große Biografie seit 70 Jahren vorgelegt. 52 Punkte hinter die Drehmaschine und wirtschaftet haben. Der Autor
lese Dostojewski, Böll, Achmatowa bezieht hier entschieden Partei. Es
... gelte dafür in der Gemeinde ist der Chor der duldend schweig-

Foto: Gunter Gluecklich/laif

Meron Mendel: Als Meron Mendel vor 20 Jahren von Israel nach Deutschland kam, stellte er als Schwuchtel.« So steht es in samen Mütter, der den Roman

6
Über Israel reden verwundert fest, wie unerbittlich über sein Geburtsland gestritten wurde. Jetzt Güçyeters Unser Deutschlandmär- orchestriert; als folgte sein Erzähl-
Kiepenheuer & Witsch, hat der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank seine Eindrücke in einem Essay chen, seinem ersten Roman. faden der nie durchtrennten Nabel-
224 S., 22,– € verarbeitet. Differenziert zeigt er, dass sich Kampf gegen den Antisemitismus Nun könnte dies eine Geschichte­ schnur dieses Jungen, den man,
(1) und Solidarität mit den Palästinensern nicht ausschließen müssen. 49 Punkte sein vom gesellschaftlichen Aufstieg hinter der Werkbank ins Buch ver-
eines Schriftstellers, dessen Eltern tieft, als Schwuchtel verspottete.
durch das Anwerbeabkommen von Dinçer Güçyeter Und hatte die Mutter den Sohn
Miranda Fricker: Ihre Theorie gilt als moderner Klassiker: 2007 beschrieb die Philosophin­ 1961 aus Anatolien nach Deutsch- nicht im grellen Gebet als ihr

7
wurde 1979 in
Epistemische Miranda Fricker eine Dimension der Diskriminierung, die auf dem­ land gelockt worden waren, der Nettetal geboren Sprachrohr herbeigerufen? »siehst
Ungerechtigkeit Zusammenspiel von Wissen und Macht basiert. Marginalisierten Gruppen aber aus dem Blaumann heraus- du meine welke Gebärmutter,
A. d. Engl. von Antje Korsmeier; werde demnach weniger geglaubt, wenn sie von ihren Erfahrungen berichten. und ins Schreiben hineingewachsen Maria? / lass dort einen Samen
(2) C. H. Beck, 278 S., 34,– € Jetzt erscheint ihr Buch endlich auch auf Deutsch. 43 Punkte ist. Und jetzt in die Schublade der postmigran­ gedeihen / lass ihn durch meine Kehle in den
tischen Literatur passen soll. Das aber ist nur die Himmel wachsen / lass niemanden sagen / Fatma
halbe Wahrheit. sei erdenlos von der Erde gegangen«.
Timothy Garton Ash: Kaum jemand kennt Europa so gut wie der Historiker Timothy Garton Ash: Güçyeter betreibt den auf Lyrik speziali- Als konspirativer Bauchredner verschafft

8
Europa
Aus dem Englischen von
Andreas Wirthensohn;
(–) Hanser, 448 S., 34,– €
Siddhartha Mukherjee:
Er hat ganze Generationen von Politikern beraten, war bei den Streiks in der
Danziger Werft vor Ort und an den Kriegsschauplätzen in Jugoslawien. Nun
erzählt er die Geschichte Europas durch seine eigene Biografie – beginnend
im Jahr 1945 bei seinem Vater, einem Besatzungssoldaten. 36 Punkte
Im 16. Jahrhundert machten zwei Forscher eine Entdeckung, die die Wissen-
sierten ELIF Verlag, wo er vor zwei Jahren Güçyeter auch den ruppigen Geschichten­
seinen Gedichtband Mein Prinz, ich bin das Hanifes und Ayşes Gehör, so heißen Groß-
Ghetto veröffentlichte. Dafür bekam er den und Urgroßmutter. Die Erzählung mäandert
Peter-Huchel-Preis, die wichtigste Auszeich- über Generationen und vom Niederrhein nach
nung für deutschsprachige Dichtkunst. Und Anatolien. Dort raunt man von Frauen, die ihre
nun der Roman, Unser Deutschlandmärchen: Männer in den Brunnen geworfen oder beim
nominiert für den Preis der Leipziger Buch- Beten mit dem Grillspieß erstochen haben.

9
Das Lied der Zelle schaft für immer verändern sollte: Jeder Organismus unterteilt sich in winzige, messe. Andererseits lebt der 44-jährige »Im Nabel der Fremde«, sagt die Fabrikarbei-
Aus dem Englichen selbstregulierende Einheiten – die Zellen. Für seine »Krebs-Biografie« hatte der Familien­vater bis heute in seiner Geburts- terin Fatma, »sind mehrere Hinterkammern
von Sebastian Vogel; Onkologe Siddhartha Mukherjee den Pulitzer-Preis erhalten. Nun klärt er über stadt, in Nettetal am Niederrhein. Dort ar- gebaut.« Als könne sie der Einsamkeit sowieso
(–) Ullstein, 672 S., 32,99 € das ungeheure Potenzial auf, das in der Zellforschung liegt. 30 Punkte beitet Güçyeter, zumindest nebenbei, als Ga- nie entfliehen. Nicht im Dorf, aus dem sie
belstaplerfahrer. Romantisch? Ein Schriftstel- gekommen, nicht am Fließband, an das sie
ler, der eine Fahrerlaubnis der Klasse L hat, gegangen ist. Nur im Märchen vielleicht. Dem
Michael Thumann: 1999 begegnete Michael Thumann Wladimir Putin zum ersten Mal bei einem aber keine Berliner Meldebescheinigung, muss Sohn, der ihr ein solches Märchen geschrieben
Interview. Seitdem beobachtet der Osteuropa-Experte der ZEIT das Handeln

10
Revanche kein edler Wilder sein. hat, sagt sie zum Dank: »Benimm dich wie
Wie Putin das bedrohlichste des russischen Staatschefs. In seinem neuen Buch zeichnet er die Stationen der Auch wenn der Umschlag einen Roman ein richtiger Mann.«
Regime der Welt geschaffen hat; zunehmenden Eskalation nach, die im Krieg in der Ukraine münden. Putins verspricht – Unser Deutschlandmärchen ist,
(–) C. H. Beck, 288 S., 25,– € Antrieb laut Thumann: Rache für den Verlust der Sowjetunion. 25 Punkte der Textgestalt nach, ein Wimmelbuch; mal www.zeit.de/vorgelesen

Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Dinçer Güçyeter:
Die Jury:
Unser
René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur), Peter Arens (ZDF), Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur), Ralph Bollmann (FAS),
Stefan Brauburger (ZDF), Alexander Cammann (DIE ZEIT), Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Heike Faller (DIE ZEIT), Daniel Fiedler (ZDF), Deutschlandmärchen.
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch), Manuel J. Hartung (ZEIT-Stiftung), Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur), Kim Kindermann Roman; mikrotext,
(Deutschlandfunk), Hannah Lühmann (Die Welt), Tania Martini (taz), Susanne Mayer (DIE ZEIT), Peter Neumann (DIE ZEIT), Berlin 2022;
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur), Jutta Person (freie Literaturkritikerin), Bettina von Pfeil (ZDF), Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung), 216 Seiten, 25,– €,
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur), Anne Reidt (ZDF), Anna Riek (ZDF), Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte), Annalena Scholz (DIE ZEIT), als E-Book
Hilal Sezgin (freie Autorin), Catrin Stövesand (Deutschlandfunk), Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT) 13,99 €

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DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
Der Oops-und-oje-Effekt
S
ie war nicht betrunken, sie fuhr
nur ein bisschen zu schnell, kam
von der Straße ab, und schon
ging es querfeldein: mit dem
Rolls-­ Royce einmal durch den
Garten einer Villa in Palm ­Beach,
Florida. Der Unfall einer 66-Jäh-
rigen, nicht weiter der Rede wert. Wäre nicht ein
Kunstwerk unter die Räder gekommen: eine
Skulptur des Künstlers Damien Hirst, erworben
für drei Millionen Dollar, jetzt vom Sockel­
gestoßen, schwer beschädigt, Opfer eines Miss-
geschicks. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Auf den zweiten: ein doch nur wenig zufäl-
liger Zufall. Allzu gut passt das, was in Palm
Beach geschah, in eine lange, kaum zu über­
blickende Reihe ähnlicher Missgeschicke und
Unfälle. Fast könnte man meinen, die Kunst
sei das neue Lieblingsopfer der Gegenwart. Sie
wird angerempelt, umgestoßen, sie zerspringt
in tausend Stücke. Nicht aus böser Absicht,
keineswegs. Erst recht nicht aus klimakämpfe-
rischen Gründen. Nein, aus Versehen. Aus­
einer gewissen Lieb- und Achtlosigkeit. Weil
der Mensch zu tapsig ist. Die Kunst zu fragil.
Und das Verhältnis der beiden, hier Mensch,
dort Kunst, ja schon seit Längerem von starken
Störgefühlen bestimmt.
Legendär die Fälle, in denen die Kunst nicht als
Kunst erkannt wurde. Die Fett­ecke von ­Joseph
Beuys in der Düsseldorfer Kunstakademie, von
einer Putzkraft 1986 entsorgt (bereits 1973 war im
Schloss Mors­broich der Beuys-­Badewanne Ähnli-
ches passiert). Oder die P ­ lastikskulptur von M
­ ichael
Beutler in der Nähe des Frankfurter Ostbahnhofs,
2005 von den Stadtwerken auf die Deponie ver-
bracht. Zehn Jahre später hatten die Künstlerinnen
Sara Goldschmied und Eleonora Chiari im Bozener
­Museion eine In­stal­la­tion aus Luftschlangen, leeren
Champagnerflaschen und Zigarettenstummeln
aufgebaut, und es kam, was kommen musste: Die
Reinigungsleute fühlten sich herausgefordert. Sah
ja auch aus wie die Reste einer guten Vernissage.
Vor allem die Unbekümmerten, das zeigt
sich, können der Kunst so richtig gefährlich wer-
den. Und die Unbescholtenen natürlich, die
ebenfalls den allergrößten Schaden anrichten,
ganz versehentlich – oder sollte man »nicht-­
sehent­lich« sagen, »vorbei-sehentlich«? Es geht
den Unbescholtenen um das eigene Bild, da-
rum, sich selbst mit der Kunst in Szene zu set-
zen. Möglichst schräg soll so ein Art-Selfie aus-
sehen, möglichst verrückt, damit Instagram und
TikTok auch wirklich beeindruckt sind: Wow,
was du im Museum alles so anstellst! Ein­
gewisses Herumturnen gehört also zwingend
dazu. Dumm nur, dass die Kunst fürs Herum-
turnen nur selten zu haben ist.
Vor allem dann nicht, wenn sie aus Gips ist
wie die Skulptur der Pau­line Bona­parte, aus­
gestellt im norditalienischen Museo Antonio­
Canova in Possagno. Ein Besucher schaute­
vorbei, setzte sich fotogen auf den Schoß der­
liegenden Figur, prompt brachen die Zehen ab,
200 Jahre hatten sie gehalten. Der Tourist­
entfloh.
Ein ähnlicher Oops-und-oje-Effekt in ­Mai­
land: Dort, in der Accademia di Brera, wollte ein
Student dem Betrunkenen Satyr ganz nahe­
kommen, kletterte an der griechischen Skulptur
hinauf und musste feststellen: Der Abguss sah
massiver aus, als er war. Bein ab, glatter Durch-
bruch am Oberschenkel.
Weitere Opfer der fotogeilen Kunstkletterei,
alle aus den letzten zehn Jahren: eine Statue des
portugiesischen Königs Dom Sebastião in­
Lissabon. Eine Marmorgruppe aus dem frühen
18. Jahrhundert in Cremona, die Krone wurde
abgebrochen. Auch der Sarg aus Sandstein im
Prittle­well Priory Museum in South­end, Essex,
darf in dieser Aufzählung nicht fehlen, 800 Jah-
re alt, doch in den Augen eines Besucherpaars
eine geniale Möglichkeit, ihr kleines Kind darin
FEUILLETON 53
Foto: Piero Oliosi/Polaris/laif (Symbolbild); Screenshot: gamsonart/Instagram
Bis eben noch
schön makellos:
Ein »Balloon Dog«
aus Porzellan von
Jeff Koons,
kürzlich zu Bruch
gegangen auf einer
Messe in Miami
Was ist das Beste, was einer Jeff-Koons-Skulptur passieren kann? Der Schadensfall.
Eine kleine Geschichte großer Kunst-Unfälle  VON HANNO RAUTERBERG
zu fotografieren, junges Leben im ur­alten Rah- Nachricht vom Hunde­unglück bereits um die Welt. zerstören oder jedenfalls verschlucken. So geschah Tiefe ging, hinab in eine undurchdringliche Dun-
men. Das Kind war nur bedingt glücklich, der Und gleich verkündeten die ersten Sammler auf es in Porto, in der Fundação de Serralves, wo sich kelheit, ahnte wohl niemand. Und so stürzte nicht
Sarkophag noch weniger. Er brach aus­ein­an­der. Instagram, sie wollten sich den Schaden ganz drin- mitten im Betonboden ein tiefschwarzes Loch die Kunst, es stürzte 2018 ein Italiener hinab in
Dann waren da noch die beiden Frauen im gend zu eigen machen und den Reste-Koons käuf- auftat, ein Werk mit dem Titel Descent Into Limbo den Limbus, in ein Zwischenreich, nicht Him-
russischen Jekaterinburg, die sich im Kulturzen- lich erwerben. Gleich mehrere Gebote seien einge- des Künstlers Anish Kapoor. Auf den ersten Blick mel, nicht Hölle. Nicht Kunst, nicht Wirklich-
trum selfietauglich in Pose warfen und dabei gangen, bestätigte der Galerist. war nicht zu erkennen, worum es sich handelte: keit. Bloß das ganz normale Unglück. Der Mann
eine Zwischenwand umstießen, die zwei Werke Gelegentlich aber rächt sich die Kunst, sie eine aufgemalte Kreisform? Eine geheimnisvolle übrigens wurde bald schon aus dem Krankenhaus
von Salvador Dalí und Francisco de Goya unter schlägt zurück – als wollte sie ihre Zerstörer­ Metallplatte? Dass es hier über zwei Meter in die entlassen.
sich begrub. Oder der Besucher des portugiesi-
schen Nationalmuseums, der fotografierend den ANZEIGE
Erz­engel Michael von seinem Wolkensockel riss,
eine lebensgroße Holzstatue aus dem 18. Jahr-
hundert, die bei dem Sturz ihre Flügel einbüßte
und nicht nur die.
Selbst bei Installationen, die gänzlich auf
Fotogenität hin angelegt sind, etwa den leuch-
tenden Kunstkürbisfeldern der Künstlerin
Yayoi Kusama, verlieren die Besucher gelegent-
lich die Balance, wie 2017 im Hirsh­ horn­
Museum in Washington. Eine der gepunkteten
Früchte zerbrach.
Man muss alle diese Fälle erwähnen, um das
Ausmaß der ungewollt desaströsen Gewalt er-
messen zu können. Unterdessen ist sie so groß
und allgegenwärtig, dass Selfie-Desaster selbst
schon zum Kunstmotiv geworden sind. So kann
man im Museum of Selfies in Glen­dale, Kalifor-
nien, eine (in diesem Fall absichtlich) zertrüm-
merte Männerskulptur besichtigen, eine Kopie
des berühmten Michelangelo-Davids, vom­
Sockel gestürzt und natürlich als Kulisse ge-
dacht, damit sich das Publikum – lustig, lustig –
davor fotografieren kann. Ein Spiel mit der
Freude an bildträchtiger Zerdepperung.
Natürlich, nicht immer liegt es am Selfie-
Wahn. Manchmal sind es auch einfach die offe-
nen Schnürsenkel, die einen Besucher und mit
ihm die Kunst zu Fall bringen. So im Fitzwilliam
Museum in Cam­ bridge, wo der verzweifelte
Nick Flynn, 42, die Treppe herabfiel und drei
chinesische Vasen der Qing-Dynastie mit sich
riss. Ähnlich war es im Archäologischen Mu-
seum auf Kreta, wo sich eine Besucherin an einer
4000 Jahre alten minoischen Vase festhalten
wollte und das prähistorische Stück zerstörte.
In anderen Fällen sind es eher überschwäng-
liche Gefühle, die das heikle Verhältnis
Mensch/Kunst aus dem Gleichgewicht brin-
gen: Ein Klassiker dafür ist der Fall des Samm-
lers und Casinobesitzers ­Steve Wynn, der 2006
den berühmten Traum von Pablo Picasso für
139 Millionen Dollar verkaufen wollte, nur
leider zuvor seinen Ellbogen kraftvoll-begeis-
tert in das Gemälde drückte und die Leinwand
zerriss. Wirklich geschadet hat es Wynn aller-
dings nicht, im Gegenteil. Sieben Jahre später
wurde das Bild für 155 Millionen verkauft.
Der Riss verschwand, die Geschichte blieb –
und ließ den Wert steigen.
Das ist die paradoxe Pointe der Unachtsam-
keit: Sie erzeugt Beachtung. Jede Trümmerkunst
ist gute Kunst, zumindest in medialer Hinsicht.
Sie mag unrettbar kaputt sein und wird doch
weiterleben, auf den Pech-und-Pannen-Seiten
des Internets und den immer gern gelesenen
Hitlisten der schlimmsten Kunstunfälle. Nichts
scheint attraktiver als die Erhabenheit der Werke
im Moment ihrer Hinfälligkeit.
Besonders gilt das für serielle Kunst wie die
von Jeff Koons, der viele seiner Werke als stets
makellose Auflagenobjekte vertreibt, auch seinen
blauen Balloon Dog, eine Porzellanfigur, von der
vor zwei Monaten ein Exemplar auf der Kunst-
messe Art Wynwood in Miami verkauft werden
sollte. Im Gedränge des Eröffnungsabends
stieß eine ältere Sammlerin gegen den Sockel,
der Koons-Hund fiel herab, und es blieb nur
noch ein mittelgroßer Scherbenhaufen. Sofort
waren die Handys im Filmmodus, endlich eine
Sensation!­Einer rief: »Sehen Sie, das ist jetzt eine
neue Kunstinstallation!« Und während die Mit-
arbeiter der Galerie noch die Splitter zusammen-
fegten und in einer Kiste verpackten, ging die­
54 FEUILLETON 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

A
m 1. Dezember 2022 berichtete
der damals in Riga sitzende TV-
Sender Doschd über die ver­
heerende Versorgungslage der
frisch mobilisierten russischen
Armee. Am Ende der Sendung
sprach der Moderator Alexei
Korostelew ein paar Sätze, die seine eigene Ent­
lassung zur Folge hatten und den Sender die Lizenz
in Lettland kosteten. Korostelew drückte seine
Hoffnung aus, die Sendung werde helfen, die­
miserable Versorgungslage der russischen Soldaten
zu beheben. Was sich zunächst wie ein Ausrutscher
darstellte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen
als Ausdruck eines unlösbaren Dilemmas der russi-
schen Opposition. Der Vorfall stellte die bittere
Frage, wie gut denn die »guten Russen« seien. Und
was die westliche Welt ihnen schuldet.
Korostelew ist Mitarbeiter beim Putin-kritischen
Doschd und damit einer von den »guten Russen«. Er
ideologischen Strukturen Russlands verantwortlich
machen. Dieser Logik zufolge ist es unerheblich,
wie viele Leute sich in welcher Weise vom Krieg
distanzierten. Was zähle, sei die weit verbreitete­
nationalimperiale Denk- und Handlungsweise, die
sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Dazu
gehört nicht nur die Befürwortung oder zumindest
Tolerierung russischer Gewaltakte seit 1991, ­son­
dern auch die mangelnde Auseinandersetzung mit
dem sowjetischen Herrschaftssystem und seinen
Tätern. Eine Aufarbeitung der kolonialen und im-
perialen Strukturen Russlands und seiner Bevölke-
rung würde nicht nur den Modernisierungs- und
Zivilisierungsanspruch der russischen Revolution
infrage stellen, sondern auch das bisher unantast-
bare Narrativ des Großen Vaterländischen Krieges.
Es geht damit um das heiligste Element russischer
Selbstidentifizierung: den Glauben an eine g­ erechte
Außerdem verbinden vor allem jüngere russische
Oppositionelle ihre Ablehnung des Putin-Systems
oft mit einer Kapitalismuskritik. Strukturelle­
Ursachen des russischen Angriffs werden damit
anerkannt, aber auf den Westen und seinen Neolibe-
ralismus abgewälzt. Korruption und Unfreiheit seien
globale, nicht russische Phänomene. Dieses Narrativ
hat mit Kriegsausbruch an Spannung verloren, da es
den russischen Angriffskrieg nicht wirklich zu er-
klären vermochte. Der westlichen, radikalen Linken
fällt es jedoch weiterhin schwer, sich mit der Ukraine
zu solidarisieren. Ein weiterer Grund, warum die
russische Opposition mit der historischen Spuren-
suche nach Wegbereitern des Ukraine-Kriegs hadert,
ist die politische Ausweglosigkeit, die diese suggeriert.
Ein Ende der möglichen historischen und kulturellen
Infragestellungen wäre kaum abzusehen. Selbstkri-
tische Reflexion der eigenen Geschichte und Kultur
russischen Hochkultur verhallten oder wurden erst
gar nicht gestellt. Gegenwärtig sind zu den alten
Fragen neue hinzugekommen. Wer arbeitet in Putins
enormem bürokratischen Apparat? Wer zog nach
Butscha und tötete Kinder und alte Leute? Wer wird
ein Wagnersöldner und enthauptet Kriegsgefangene
in Syrien und der Ukraine? Derartige Fragen­
schmerzen. Die Deutschen wissen das sehr genau.
Sie haben sich Jahrzehnte gescheut, solche Fragen zu
stellen, und manche, die sich auf die deutsche­
Kolonialzeit beziehen, wurden bis heute nicht gestellt.
Was bleibt von der russischen Nation, wenn
selbst die »guten Russen« keine »guten Russen«
sind, sondern nur mehr oder weniger verkappte
Imperialisten? Worauf sollen die verhafteten oder
emigrierten Oppositionellen hoffen, wenn nicht
nur Putin und seine Leute, sondern die gesamte
Nation mit gewaltverherrlichenden Denkstruktu-
weisung jeglicher Fragen nach Kausalität ist­
befremdlich.
Natürlich ist die russische Opposition heterogen
und reicht von feministischen Aktivistinnen bis zum
Kriegsdienstverweigerer – es gibt auch die »guten
Russen«, die einer Kollektivschuld ins Auge sehen.
Historisch betrachtet jedoch ist der Anreiz für russi-
sche Exilanten, mit dem herrschenden russischen
System kompromisslos und umfassend zu brechen,
relativ gering. Umso mehr als keine Perspektive auf
einen radikalen Neuanfang in Russland gegeben ist.
Anders als Deutschland 1945 wird Russland nicht
vollständig besetzt werden, der Regimewechsel wird
nicht von außen, sondern bestenfalls von innen statt-
finden. Er wird wahrscheinlich von denjenigen aus-
gehen, die bereits jetzt Macht und Einfluss haben
und im rechten Moment umsatteln. Einen Präsiden-
ten Nawalny wird es nicht geben.
Damit befindet sich die Putin-Opposition bereits
jetzt in einem Stadium der politischen Hoffnungs-

Gibt es gute Russen?

folgte dem Sender ins Exil nach Riga und sprach sich
dezidiert gegen den Angriffskrieg in der Ukraine aus.
Aber er ist eben auch ein »guter Russe«. Er sorgt sich
um das Wohl seines Volkes und seiner Armee und
die Zukunft seines Landes und seiner Leute. In Z­ eiten
des Krieges ist das kein harmloses Anliegen. Das
Wohlergehen der russischen Armee steht invers
proportional zum Elend der ukrainischen Verteidiger.
Jeder bedürftige und erniedrigte Soldat der russischen
Armee ist, auch wenn er gegen den Krieg ist, Teil der
russischen Vernichtungsmaschine. Man kann nicht
für den bewaffneten Arm des Putinschen Systems
sein und gleichzeitig aufseiten der geschundenen
Opfer des Krieges stehen. Das ist das Dilemma, in
das dieser Krieg russische Oppositionelle aller­
Couleur gestürzt hat: Sie müssen ihrem Land
Schlechtes wünschen, um ihm Gutes zu tun.
Mit diesem Dilemma ist eine entscheidende
Frage verbunden: Ist dies Putins Krieg oder vielmehr
ein russischer Krieg? Für die Verfechter der Putin-
These ist die Existenz einer russischen Opposition
das wichtigste Beweisstück. Wie kann man von einem
russischen Krieg sprechen, wenn Hunderttausende
Russen ins Ausland geflüchtet sind? Wenn ein tod-
kranker Nawalny im Gefängnis sitzt? Vor wenigen
Tagen erst wurde der Oppositionelle Wladimir Kara-
Mursa wegen »Hochverrats« zu 25 Jahren Straf­
kolonie verurteilt. In Russland brennen Mobilisie-
rungsbüros, Fabriken und die Infrastruktur. Es gibt
also ein Russland, das Widerstand leistet.
Auf der anderen Seite stehen jene, die nicht in
Putins Elite die Kriegsursache sehen, sondern die
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Natürlich gibt es russische Oppositionelle gegen Putin. Doch sie stecken
in einer Zwickmühle  VON JULIANE FÜRST
sowjetische Armee und Führung, die Europa vom
Faschismus befreite.
Was ukrainische und andere osteuropäische­
Intellektuelle von den »guten Russen« erwarten, ist
die Akzeptanz dieser historisch-strukturellen Inter-
pretation der Kriegsgründe, da nur sie einen wirk­
lichen Wandel russischen Denkens und Handelns
versprechen. Aber mit diesem Narrativ tun sich die
»guten Russen« schwer. Wenn die tieferen Gründe
des Krieges nicht in der Putinschen Machtkonstella-
tion liegen, sondern im ideologischen Make-up der
russischen Gesellschaft, sind dann die eigenen Wider-
standsaktionen überhaupt relevant? Was bedeuten
dann die großen Demonstrationen von 2011, die
nach Putins erneutem Wahlsieg Hunderttausende
auf den Bolotnaja-Platz trieben? Ist man umsonst ins
Ausland und in eine ungewisse Zukunft geflohen?
Letztendlich sind die »guten Russen« sich selbst der
beste Beweis, dass die russische Misere nicht im­
eigenen Volk verwurzelt sein kann.
polarisiert und entrüstet gerade jene, die befinden,
dass sie selbst mit dem Rücken zur Wand stehen.
Während der Perestroika fand für eine kurze Zeit
eine solche Konfrontation mit der eigenen Geschichte­
statt. Für die Ukraine brachte sie archivarisches
Wissen um den Holodomor, die große ukrainische
Hungerkatastrophe unter Stalin; das Baltikum errang
das Eingeständnis der Existenz der geheimen Zusatz-
protokolle zum Hitler-Stalin-Pakt. Polen bekam die
Bestätigung für Stalins Anordnung des Massakers in
Katyn an 22.000 polnischen Bürgern. Russlands­
Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit – die
umso traumatischer war, da man sich von den Tätern
nicht ethnisch distanzieren konnte – versank hin-
gegen in den wirtschaftlichen Nöten der Neunziger.
Fragen nach den Mithelfern der Säuberungen und
Deportationen, nach Zwangsumsiedlungen und
ihren demografischen Folgen (zum Beispiel auf der
Krim), nach dem Charakter der KGB-Schreibtisch-
täter und nach den dunkleren Seiten der verehrten
ren kontaminiert ist? Für viele in der russischen
Opposition ist deshalb die Idee einer kollektiven
Schuld und Verantwortung undenkbar. Unbeant-
wortet bleibt damit die Frage, wer dann das ­System
Putin über Jahre hinweg getragen und stabilisiert
hat. War das wirklich der Westen, der russische
Rohstoffe kaufte? Auch die Gründer von Doxa,
Nawalnys Team und viele andere Oppositionelle
haben sich explizit gegen die Idee einer kollektiven
Schuld ausgesprochen. Die Moskauer Politologin
Ekaterina Schulmann erregte Aufsehen mit einem
Tweet: Das Haus der Ukraine sei abgebrannt, im
Nachbarhaus Russland aber ist die Kanalisation
kaputt. Im Gegensatz zur weltweiten Hilfe für den
Wiederaufbau des abgebrannten Hauses bekom-
me Russland keine Unterstützung, sondern werde
auch noch gefragt, woher der ganze Dreck denn
komme. Nicht nur die Gleichsetzung der­
russischen Bevölkerung mit den ukrainischen­
Opfern des Krieges ist unangebracht. Die Zurück- Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam
losigkeit. Was bleibt, ist, was schon viele Widerstands-
kämpfer im »Dritten Reich« wussten: Der Sinn des
Widerstandes liegt im Widerstand selbst, nicht in
seinem Erfolg. Opposition setzt Zeichen. Wir wissen
heute, dass der deutsche Widerstand nicht über alle
Zweifel erhaben war, dass auch hier nationalistisches
Gedankengut verankert war. Wir wissen auch, dass
dem deutschen Widerstand die Anerkennung viele
Jahrzehnte versagt blieb. Wir wissen, dass der Na-
tionalsozialismus tief in der deutschen Geschichte und
Kultur verankert war – und dass viele Gegner Hitlers
eine solche Interpretation abgelehnt hätten. Und
dennoch: Das demokratische Deutschland wäre nicht
das geworden, was es ist, wenn es den Widerstand
gegen Hitler und sein System nicht gegeben hätte.
Für die russische Opposition ist das vielleicht nur
ein Trost auf lange Sicht. Aber eines Tages werden
auch die Dilemmata der »guten Russen« in den Hin-
tergrund treten. Die Anerkennung ihrer Symbol-
wirkung wird die Frage nach ihrer Effizienz ablösen.
Jede russische Stimme, die sich als Antwort auf
Butscha, Isjum, Mariupol und Dnipro erhebt, wird
nicht nur den Krieg, sondern auch Putin überleben.
Je weniger sich die »guten Russen« über Kollektiv-
schuld und angebliche Russophobie echauffieren und
je mehr Empathie sie für die Opfer aufbringen, umso
heller wird ihr Licht in der Nachwelt leuchten.
Juliane Fürst, geboren 1973, ist eine deutsch-­
britische Historikerin. Seit 2018 leitet sie die ­
Abteilung Kommunismus und Gesellschaft am ­

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Ernst Barlach Haus
Kerben und Kanten Hermann Scherer. Ein Schweizer Expressionist
www.barlach-haus.de, Jenischpark, Hamburg, Di-So, Feiertag 11-18
HAMBURGER KUNSTHALLE
grassi
bis 24.09.2023: 1923: Gesichter einer Zeit
bis 07.05.2023: Paris ist meine Bibliothek. Zeichnungen und Druckgraphik von
Félicien Rops
bis 31.10.2023: Keine Illusionen. Malerei im Raum
bis 18.02.2024: Something new, something old, something desired
bis 31.12.2023: Impressionismus. Deutsch-französische Begegnungen
www.hamburger-kunsthalle.de, Tel. 040/428131200, Glockengießerwall 5, 20095
Hamburg, Di-So 10-18/Do 10-21 Uhr
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
bis 20.08.2023: Made in China! Porzellan
bis 03.09.2023: Valentina Karga. Well Beings
bis 17.09.2023: The F*word. Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign
www.mkg-hamburg.de, Steintorplatz, 20099 Hamburg, Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr
Stiftung Historische Museen Hamburg - www.shmh.de LÜBECK
bis 31.07.2023: Museum f. Hamburg. Gesch.: Eine Stadt wird bunt
bis 30.10.0203: Deutsches Hafenmuseum PEKING
bis 07.05.2023: Museum der Arbeit: Wie alles begann
bis 12.02.2024: Jenisch Haus: Elbwärts
LÜNEBURG
KAISERSLAUTERN
Do., 11. Mai, 20 Uhr: Juliane Banse, Sopran, und Helmut Deutsch,
Klavier: Lieder von Mozart bis R. Strauss. Tickets von 10,50 -
26,50 €
Fruchthalle Kaiserslautern, Tel. 0631 365-2316, www.fruchthalle.de MAINZ
KARLSRUHE
ZKM Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
bis 04.06.2023: ole scheeren : spaces of life
bis 07.05.2023: Analívia Cordeiro. From Body to Code
bis 04.06.2023: The intelligent.museum is around the corner
bis 07.01.2024: Renaissance 3.0. Neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft MANNHEIM
im 21. Jahrhundert
Dauerausstellung: zkm_gameplay. the next level Ausstellungen Online:
fortlaufend Critical Zones – Virtuelle Ausstellung
fortlaufend Iconoclash as a Digital Experience
bis 30.08.2023: Spatial Affairs Worlding – A tér világlása
bis 30.09.2023: Jazmina Figueroa. Call Signs
www.zkm.de, Tel. 0721/81000, Lorenzstr. 19, Mi-Fr 10-18, Do, Sa/So 11-18 Uhr
KASSEL
Fridericianum
MÖNCHENGLADBACH
03.12.2022 bis 29.05.2023: Roberto Cuoghi
21.01.2023 bis 28.02.2027: Kerstin Brätsch: MIMIKRY
www.fridericianum.org, Tel. +49 561 70727-20, info@fridericianum.org, Friedrichs-
platz 18, 34117 Kassel, Di, Mi, Fr-So, Feiertag 11-18, Do 11-20 Uhr
Hessen Kassel Heritage - Museen, Schlösser, Parks
10 Jahre UNESCO-Welterbe Bergpark Wilhelmshöhe: Schloss Wilhelmshöhe
mit Gemäldegalerie Alte Meister u. Antikensammlung, Löwenburg, Herkules;
Hessisches Landesmuseum, Neue Galerie: about: documenta
www.heritage-kassel.de, Di-So, Feiertag 10-17 Uhr
MÜNCHEN
KIEL
Kunsthalle zu Kiel
bis 28.05.2023: Lovis Corinth – Die Grafik
Dauerausstellung: Wildes, Wüstes, Wunderschönes. Natur im Fokus der
Sammlung
www.kunsthalle-kiel.de, Tel. 0431/8805756, info@kunsthalle-kiel.de, Düstern-
brooker Weg 1, 24105 Kiel, Di, Do-So 10-18, Mi 10-20 Uhr
MUSEUM WÜRTH
bis 17.09.2023: Fähigkeiten! Kunst von besonderen Menschen in der
BIS 11.6.2023
Sammlung Würth täglich 11-18 Uhr, Eintritt frei, www.kunst.wuerth.com
MUSEUM WÜRTH 2
bis 16.07.2023: David Hockney. A Year in Normandie und Sammlung Würth
bis 16.07.2023: Georg Baselitz zum 85.Geburtstag (Atrium)
WWW.LITERATURHAUS-MUENCHEN.DE 0123 2423
täglich 10-18, Eintritt frei, www.kunst.wuerth.com Museum Villa Stuck, Sonderausstellung:
bis 14.05.2023: Alice Rekab - Mehrfamilienhaus. Ricochet #14
Dauerausstellung: Künstlervilla und Historische Räume von Franz von Stuck
GRASSI Museum für Angewandte Kunst
www.villastuck.de, Di-So 11-18 Uhr, 1. Freitag im Monat 11-22 Uhr
bis 08.10.2023: DIE GUTE MODERNE. Von der Passion, Design zu sammeln ÖSTERREICH
ab 27.04.2023: VON BONNARD BIS KLEMKE. Illustrierte Bücher u. Mappenwerke Münchner Stadtmuseum
www.grassimak.de, Tel. 0341/2229100, Johannisplatz 5-11 bis 07.01.2024: Nachts. Clubkultur in München
bis 07.01.2024: (K)ein Puppenheim. Alte Rollenspiele und neue Menschenbilder
WIEN
www.muenchner-stadtmuseum.de, St.-Jakobs-Pl., T. 089/23322370, Di-So 10-18
NS-Dokumentationszentrum München Leopold Museum
Dauerausstellung: München und der Nationalsozialismus Wechselausstellung
Dauerausstellung: WIEN 1900. Aufbruch in die Moderne
TO BE SEEN. queer lives 1900-1950 Max-Mannheimer-Platz 1, 80333 München,
05.04. bis 10.09.2023: AMAZING. The Würth Collection
Tel. 089-2336700, Di-So 10-19 Uhr, Di-So 10-19 Uhr, www.nsdoku.de
leopoldmuseum.org, Museumsplatz 1, 1070 Wien, Mo, Mi-So, Feiertag 10-18 Uhr
MÜNSTER
Kunstmuseum Pablo Picasso Münster
04.02. bis 07.05.2023: Zum Zeigen gegeben - Eine Hommage zum 50. Todes- SCHWEIZ
tag Pablo Picassos
27.05. bis 17.09.2023: Celebrating Picasso. Künstler - Mensch - Genie (?)
ZÜRICH
NEUMARKT IN DER OBERPFALZ
Literaturmuseum Strauhof
Museum Lothar Fischer, www.museum-lothar-fischer.de
02.03. bis 21.05.2023: Satanische Verse & verbotene Bücher
12.02. bis 11.06.2023: Caroline Achaintre - Doppelgänger
www.grassimak.de
strauhof.ch, Augustinergasse 9, 8001 Zürich, Di, Mi, Fr 12-18, Do 12-22, Sa, So 11-17
Tel. 09181/510348, Weiherstr. 7 a, Mi-Fr 14-17, Sa/So 11-17 Uhr
Oper Leipzig NORDHAUSEN
Opernhaus: Sa 19:00 Gastspiel Palucca Hochschule für Tanz Dresden / So 17:00
Der Liebestrank / Mo 17:00 Der kleine Prinz / Do 18:30 Kostprobe zu Benjamin Susanne Hinsching
Brittens „Peter Grimes“ (Konzertfoyer) / Fr 19:30 Giulio Cesare in Egit- 22.04. bis 18.06.2023: Die goldenen Zwanziger Jahre - Kunst zwischen Expres-
to / Quick & Dirty Unzensierte Kunst von und mit allen! (Venussaal) / Musikali- sionismus und Neuer Sachlichkeit mit Werken von Barlach, Beckmann, Dix,
sche Komödie: Sa 19:00, So 15:00 Der Graf von Monte Christo / Mi, Fr 19:30 Grosz, Klee, Kollwitz, u.a.
Hape Kerkelings Kein Pardon - Das Musical / Augustusplatz: Sa 14:00 Welt- Tel. 03631881091, kunsthaus@nordhausen.de, Alexander-Puschkin-Straße 31,
tanztag, www.oper-leipzig.de Nordhausen, Di-So, Feiertag 10-17
NÜRNBERG
Europäisches Hansemuseum Lübeck GERMANISCHES NATIONALMUSEUM
bis 29.10.2023: Guter Stoff. Textile Welten von der Hansezeit bis heute
bis 01.10.2023: Das Mittelalter. Die Kunst des 15. Jahrhunderts.
www.hansemuseum.eu, Tel. 0451780 90 99 0, Tägl. 10-18 Uhr (außer 24.12.)
ab 27.10.2022: Handwerk und Medizin. Neue Dauerausstellung
ab 30.03.2023: Horizonte. Neue Sonderausstellung
Geschichten und Zukunft der Migration.
Kunstsammlung Henning J. Claassen
50 Jahre Zeitgenössische Kunst aus 5 Kontinenten Tel. 0911-13310, Kartäusergasse 1, Di-So 10-18, Mi-20.30 Uhr, Mo geschl.
www.kunstsammlung-henningjclaassen.de, Do-So 11-18 Uhr Kunstvilla im KunstKulturQuartier
bis 11.06.2023: Naturstoff / Kunststoff. Materialität in der Nürnberger Kunst
kunstvilla.org, Blumenstr. 17, Di, Do-So 11-18, Mi 11-20 Uhr
26. Mainzer Minipressen-Messe
OBERHAUSEN
18.05. bis 21.05.2023: Die Buchmesse der kleinen und feinen Verlage in der
Mainzer Rheingoldhalle LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen
Über 200 Verlage, Künstler:innen, Autor:innen und andere Buchbegeisterte.
bis 07.05.2023: BARBARA KLEMM - Fotografien von 1967 bis 2019
Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg
www.minipresse.de, www.gutenberg-museum.de. Eintritt frei. www.ludwiggalerie.de, Tel. 0208 41249 28, Konrad-Adenauer-Allee 46, 46049
Oberhausen, Di-So, Feiertag 11-18
Kunsthalle Mannheim www.kuma.art OSNABRÜCK
bis 08.10.2023: 1,5 Grad
Museumsquartier Osnabrück
Tel. 0621/2936423, Friedrichsplatz 4, Di, Do-So/Fei 10-18, Mi-20, 1. Mi/Monat-22h
Sammlung Felix Nussbaum bis 6.8.2023: Guez: Inmitten imperialer Gitter
TECHNOSEUM, Landesmuseum für Technik und Arbeit
17.11.2022 bis 12.11.2023: Auf Empfang! www.museumsquartier-osnabrueck.de
Die Geschichte von Radio und Fernsehen REGENSBURG
www.technoseum.de, Tel. +49 (0) 621 / 42 98 - 9, info@technoseum.de, Muse-
umsstraße 1, Mannheim, tägl. 09-17 Uhr Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg
31.03. bis 18.06.2023: Emil Orlik an Max Lehrs. Künstlerpost aus aller Welt
Heute
www.kunstforum.net, Di-So 10-17, Do 10-20, Feiertag 10-17
Museum Abteiberg
SAARBRÜCKEN
bis 06.08.2023: SAMMLUNG/ARCHIV ANDERSCH
Feldversuch #2: Brecht – Filliou Saarlandmuseum - Moderne Galerie
bis 07.01.2024: 100 JAHRE STIFTUNG WALTER KAESBACH
EXPRESSIONISMUS AM MUSEUM ABTEIBERG
26.03. bis 20.08.2023: JULIA SCHER Hochsicherheitsgesellschaft
bis 04.06.2023: Hans Purrmann und der Akt – Zwischen Manet und Matisse
bis 06.08.2023: Greifbar: Krieg im Blick ukrainischer Künstler Urlaub zu in der ZEIT und
auf ZEIT ONLINE
www.modernegalerie.org, Bismarckstr. 11-15, T.0681.9964-234, Di-So 10-18, Mi-20
www.museum-abteiberg.de, Abteistraße 27 / Johannes-Cladders-Platz
SCHWÄBISCH HALL Traumpreisen
JOHANNITERKIRCHE
Jüdisches Museum München
Dauerausstellung: Stimmen_Orte_Zeiten – Juden in München Dauerausstellung: Alte Meister in der Sammlung Würth Alle Angebote der Reiseauktion
bis 21.05.2023: Die letzten Europäer. Jüdische Perspektiven auf die Krisen ei- Di-So 11-17 Uhr, Eintritt frei, www.kunst.wuerth.com finden Sie unter
ner Idee KUNSTHALLE WÜRTH
www.juedisches-museum-muenchen.de, Tel. 089-233-96096,
juedisches.museum@muenchen.de, St.-Jakobs-Platz 16, 80331 München, Di-So
bis 05.11.2023: Rosenrot, Grasgrün und Quittengelb – Pflanzengeheimnisse in
der Sammlung Würth
5 zeit.de/reiseauktion
10-18 Uhr Lange Str.35, täglich 10-18 Uhr, Eintritt frei, www.kunst.wuerth.com
56 GLAUBEN & ZWEIFELN 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Sein Vater überlebte den Holocaust, verliebte sich in eine Nichtjüdin und kam ihretwegen nach Deutschland.
Jetzt hat David Safier einen wahren Roman über seine Eltern geschrieben – bei uns erzählt er einige kurze Episoden

uch nich
a

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n Gott
D
do
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«
1997 »Soll ich ihn ins Grab schubsen?«, fragte seiner Kindheit betete er außerhalb einer Synagoge.
meine betrunkene Mutter schwankend. Mit ihn Noch vor Tagesanbruch stahl er sich nach Hause.
war der alte Rabbiner gemeint, der gerade das An Mama Scheindels Blick erkannte er, dass Papa
Toten­gebet sprach, und mit Grab das offene mei- nicht nach Hause gekommen war. Sein Gebet war
nes Vaters. »Soll ich ihn ins Grab schubsen?«, wie- nicht erhöht worden.
derholte sie, als hätte ich sie nicht gehört, dabei Den Winter über versteckte Joschi sich im Keller.
war ihre Frage selbst dem Rabbiner nicht entgan- Eines Vormittags kam Mama Scheindel zu ihm­
gen, der deshalb nun etwas lauter wurde. Er betete herunter, ihr Gesicht war aschfahl, und sie trug eine
auf Hebräisch, was weder meine Mutter noch ich Urne in der Hand. Der Vater war im Konzentrations-
verstanden. Vermutlich auch nicht die aus der lager Buchenwald gestorben. Herzschwäche. Joschi
ehemaligen Sowjetunion stammenden Männer, mochte sich nicht ausmalen, was der wahre Grund
die alle ein paar Mark bekommen hatten, damit war. »Gib akhtik oif dayn tatte.« Und Joschi konnte
zehn erwachsene Juden den Minjan für das­ nicht mal seine Mutter zum Begräbnis auf dem
Kaddisch bilden konnten. Die meisten hielten mit Wiener Zentralfriedhof begleiten.
Einkäufen gefüllte Lidl-Tüten in der Hand.
»Soll ich? Soll ich?«, meine Mutter trat kichernd 1952 Joschi saß im Zug von Hamburg nach Düs-
hinter den Rabbiner. Vermutlich dachte sie, mein seldorf. Immer wenn der Zug in eine Stadt einfuhr,
Vater hätte das ebenfalls lustig gefunden. Ein­ sah er, dass wie wild gebaut wurde. Werbetafeln
Rabbi, der ins Grab fällt, das wäre genau sein Hu- hingen in den Bahnhöfen, Reisende trugen gute
mor gewesen. Obwohl er ein Urenkel eines Wun- Kleidung, und nichts, rein gar nichts war davon zu
der-Rabbiners aus Brzesko war und im Vorstand sehen, dass hier einst Juden abgeschlachtet worden
der Jüdischen Gemeinde Bremens gesessen hatte, waren. Die Deutschen wurden von der Mai-Sonne
war mein Vater nicht sonderlich religiös gewesen. beschienen, als hätten sie diese verdient und nicht
Fotos: Magdalena Stengel für DIE ZEIT; privat (2)

In Jerusalem hatte er 1946 sogar mal einen Rabbi- dauerhaften Sturm, Hagel und Feuerwalzen.
ner verprügelt. Dennoch hätte er es bei seiner eige- Ob es in Wien auch so aussah? Wohl nicht. Die
nen Beerdigung nicht amüsant gefunden, wenn die Österreicher waren ja fauler als die Deutschen.
Ehefrau den Rabbi in sein Grab gestoßen hätte. Nur nicht, als es darum ging, Juden zu töten.
Der Rest der Beerdigung verlief ohne Zwischen- Bei jedem Fahrgast, der sich zu ihm ins Abteil
fälle. Der Rabbi verließ das Grab mit ernster Miene, setzte, fragte Joschi sich, ob er Blut an den Händen
ohne ein Wort des Trostes für uns. Die Sowjet-Juden hatte. Insbesondere bei den Männern, die etwa
schlurften mit ihren Lidl-Tüten davon. seinem Alter waren. Frauen waren für Joschi ehe-
»Man sollte keine Kinder in die Welt setzen«, malige KZ-Wärterinnen. Bei fast jeder, die am Ab-
sagte meine Mutter plötzlich. Leise fügte sie hinzu: teil vorbeiging, schossen ihm die Erinnerungen an
»Dein Vater hatte zwei uneheliche Kinder. Eins in den Heldenplatz durch den Kopf. Wie die Frauen
Wien. Und eins in Israel.« Ich dachte nach: Mein Der Schriftsteller David Safier, 56, wurde bekannt mit Bestsellern wie »Jesus liebt mich« und »Mieses Karma«. Seine Hitler zugejubelt hatten, entschlossen, auf seinen
Vater Joschi hatte 1939 gerade noch rechtzeitig aus Krimireihe »Miss Merkel« handelt von der pensionierten Kanzlerin. Im neuen Buch »Solange wir leben« entfaltet er die Befehl hin andere Menschen in Stücke zu reißen.
Wien fliehen können. Ein dort geborenes Kind von dramatische Geschichte seiner Familie von 1937 bis in die Gegenwart. Jetzt erscheint es im Kindler-Verlag
ihm müsste etwa 30 Jahre älter sein als ich, und ver- 1977 David war jetzt zehn Jahre alt, und es war an
mutlich, wie fast alle in der weitverzweigten Familie der Zeit für Joschi, mit seiner Frau über seinen
meines Vaters, wäre es im Holocaust umgekommen. Wunsch zu sprechen: »Er soll Jude werden.«
Meine Eltern hatten mir nie von ihrem Leben vor ein jüdischer Student höheren Semesters. Er schrie. 1939 Joschi sah vom Fenster aus, wie jüdische Män- zu sehen. Er schaffte es sogar, erneut die Hand des »Spinnst du?«, fragte Waltraut. Die beiden sa-
meiner Geburt erzählt. Was wusste ich schon über Bis er auf dem Kopfsteinpflaster aufschlug. ner von Polizisten mit Hakenkreuzbinden aus den verstörten Israel ergreifen. Doch kaum waren sie die ßen in der Küche und tranken Kaffee. »Hör mir
ihr Leben? Außer dass es oft grausam war? Und Joschi zwang sich hinzuschauen: Samuel lag mit Häusern der Rotensterngasse in einen Arrestwagen, Treppe hinab in den Zellentrakt gelangt, wurde Papa bitte erst mal zu«, bat Joschi. Waltraut schnaubte.
manchmal wundervoll? Und dass sie sich liebten? blutendem Schädel auf dem Pflaster. Die Beine im Volksmund grüner Heinrich genannt, getrieben von ihm getrennt und mit den meisten anderen Eine christliche Taufe hatte David nicht gehabt,
standen in einem seltsamen Winkel vom Körper ab. wurden. Er erkannte Stoppelmann, den Schuster. Männern in eine Zelle gepresst. Joschi wollte ihm Jude war er aber auch nicht, weil man nur von Ge-
1938 Joschis Schwester Rosl hatte sie alle über- Aber er atmete noch. Joschi wollte ihm zu Hilfe Kurtzberg, der stolz darauf war, seit über dreißig folgen, doch ein Polizist schloss ab. »Da ist mein burt als einer galt, wenn die Mutter Jüdin war. »Ist
zeugt, Anträge zur Ausreise zu stellen. Nach kommen. Da hörte er wieder: »Und eins! Und zwei! Jahren keine Synagoge mehr von innen gesehen zu Vater drin«, protestierte Joschi. Gemeinsam mit dem vielleicht auch besser so«, meinte Waltraut und
Panama. Dabei hatte sie stets nach Palästina ge- Und drei! Und Judenschwein!« Ein weiterer Student haben ... Selbstverständlich dachte Joschi darüber Atheisten Kurtzberg und einem steckte sich eine Zigarette an.
wollt. Doch die Engländer würden in ihrem Man- wurde aus dem Fenster geworfen – ihn kannte Joschi nach zu fliehen. Aber wohin dann? Außerdem: Soll- glatzköpfigen Mann, den Joschi nie »Ich möchte aber, dass er in die
datsgebiet nie freiwillig Juden aufnehmen. Joschi nicht. Dieser Mann gab keinen Laut von sich. Er war ten die Polizisten ihn bei dem Versuch erwischen, zuvor gesehen hatte, ging es für ihn Jüdische Gemeinde kommt«, ließ
wollte nicht nach Panama. Genauso wenig wie paralysiert vor Angst. Als er aufschlug, sah Joschi würden sie ihn gewiss einbuchten oder gar erschie- in die Zelle gegenüber. Auch diese Joschi nicht locker. Waltraut, die
nach Palästina. Nicht mal nach Paris. Er wollte in nicht hin. Joschi konnte dem Kommilitonen nicht ßen. Bliebe er aber, bestand immerhin die Möglich- war zum Bersten voll. schon lange nicht mehr in einer
Wien bleiben. Vielleicht würde es helfen, ohne den Mob auf sich auf- keit, dass sie ihn auf freien Fuß setzen würden. Es vergingen Stunden. Joschis Kirche gewesen war, sagte: »Du
sich mit den Nazis doch irgend- merksam zu machen. Er sah zu Joschi trat vom Fenster weg in den Flur. Papa Beine taten weh. Hinter ihm nässte glaubst doch auch nicht an Gott.«
wie leben lassen. ihnen hoch, wie sie an den offenen hatte bereits seinen besten Anzug angezogen. sich ein Mann ein und begann zu – »Manchmal schon, vor allem in
Vielleicht würde Hitler auch Fenstern lachten und geiferten. Wenn die Polizei ihn mitnahm, wollte er nicht wie weinen. Kurz darauf fiel ein alter letzter Zeit.« – »Und jetzt willst du
beim nächsten Reichsparteitag auf Am äußersten Fenster stand sein ein armer Jude aussehen, sondern wie ein respek- Herr in Ohnmacht. Es gab nicht David zum Juden machen?« – »Er
der Bühne Charleston tanzen. Studienfreund Otto. Joschi drehte tabler Bürger. Joschi brachte es nicht übers Herz, genug Platz, um ihn auf den Boden wäre dann in einer Gemeinschaft.«
Wenn er nach Panama käme, sich nicht um. Ging davon. Und seinem Vater zu erklären, dass sie beide sich klei- zu legen, so hielten ihn zwei Män- – »Die alle anderen töten wollen.«
müsste er sich ein neues Leben auf- nie wieder in die Universität. den konnten, wie sie wollten: Respektable Bürger ner aufrecht. Hoffentlich hatte – »Wollen sie doch nicht mehr«,
bauen. Dafür wäre es klug, etwas sahen nicht aus wie die Safiers. Papa noch Kraft, hoffentlich musste­ hielt Joschi dagegen. Die NPD
vom alten Leben in der Hand zu 1939 Kein Safier floh nach Da trat Mama Scheindel zu Joschi und sagte: er nicht weinen. schaffte es nicht ins Parlament, für
haben. Sein Maturazeugnis zum Panama. Alle Anträge auf Ausreise »Gib akhtik oif dayn tatte.« Auf den Vater auf- Joschi hörte, wie sich Stiefel- die Judenhasser der RAF gab es
Josef Safier mit seiner
Beispiel. Und Studienbescheini- wurden abgeschmettert. Aber Jo- passen – so eine Bitte hatte sie noch nie formuliert. schritte näherten. Ein Polizist mit keine Mehrheit in der Bevölke-
Ehefrau Waltraut, den
gungen. Noch war die Universität schis Schwester Rosl bekam die Joschi nickte. »Ikh vel gebn akhtik oif im«, ver- müden Augen zeigte auf Joschi, rung, und so gut wie jeder Deut-
Kindern Gabi und
für Juden nicht geschlossen. So Möglichkeit, nach Palästina zu sprach Joschi auf Jiddisch. Vom Treppenhaus her Kurtzberg und den Glatzkopf: »Ihr sche war Demokrat oder tat we-
David in Deutschland
lernte Joschi Tag und Nacht für die gehen. Weil sie in der Betar war hörte man Schritte. »Zey kimen!«, rief der Vater drei! Raus!« Sie taten, wie ihnen nigstens so.
drei nächsten Prüfungen. Für seine und Dr. Perl, Rechtsanwalt und aus dem Flur. Joschi löste sanft Mamas Griff und geheißen. Sollten sie etwa in den »Das kann sich doch jederzeit
Josef (Joschi) Safier,
Verhältnisse exzellent vorbereitet Mitglied der zionistischen Organi- ging zu seinem Vater, dessen Gesicht bleich war. Wald gebracht werden? »Ich bring wieder drehen«, widersprach Wal-
der Vater des Autors
war Joschi auf dem Weg zur Tech- sation, es geschafft hatte, für 386 »Mitkommen!«, befahl ein Gestapomann im euch raus, und dann rennt ihr davon.« Erst jetzt fiel traut. »Natürlich kann es das«, Joschi war nicht naiv.
David Safier, als
nischen Universität. Bereits aus junge Juden Visa für Griechenland Trenchcoat, hinter dem drei Polizisten standen. Joschi Joschi auf: Der Polizist trug keine Hakenkreuzbinde. »Und du sagst selbst immer, 99 Prozent der Men-
junger Mann in Israel
einigen Hundert Metern Entfer- zu erhalten. Von einer Insel bei nahm seinen Vater an die Hand, und die beiden Er wollte sie retten. Joschi wollte fragen, ob er auch schen sind von Natur aus schlecht«, befand Waltraut.
nung hörte er das Gejohle. Gewiss Athen sollte es ins gelobte Land Safier-Männer verließen die Wohnung. Beim grünen die Zelle gegenüber öffnen konnte. Der Polizist Joschi glaubte, dass es eher 80 bis 90 Prozent waren,
wieder die Burschenschafter. Er gehen, mit dem Schiff Artemissia. Heinrich angekommen, keimte in Joschi Hoffnung schien zu erraten, was Joschi dachte und zischte: die 99 Prozent waren eine Übertreibung, zu der er
müsste versuchen, einen großen Bogen um sie zu Die letzten Kilometer müssten sie schwimmen, um auf, dass sie gar nicht mitfahren müssten: Der Wagen »Mehr als drei fallen auf.« neigte, wenn er wieder etwas Fürchterliches in den
machen und dann den Prüfungsraum zu erreichen. illegal einzuwandern – keine Reise für Alte. war schon voll. »Rein da!«, befahl einer der Polizisten Auf dem ganzen Weg bis zur nächsten Straßen- Nachrichten gehört hatte. »Wenn er aber Jude wird,
Als Joschi auf den Vorplatz trat, sah er, wo sich die Rosl hatte gejubelt, als sie davon erfuhr. Dass sie und hob seinen Knüppel. Joschi quetschte sich mit ecke wurden die Männer nicht aufgehalten. Hastig hat er einen Vorteil, den ich nicht hatte.« – »Und
johlenden Studenten befanden: Der Lärm drang aus ihren Ehemann verließ, betrübte sie kaum. Auch aller Macht in das Fahrzeug und half seinem Vater. verabschiedete sich der Retter, und die drei Juden welchen?« – »Er kann jederzeit legal in ein anderes
den offenen Fenstern eines Raums im zweiten Stock. schämte sie sich nicht, die Eltern allein zu lassen, wie Der grüne Heinrich brauste los. »Nicht in die Wälder, gingen getrennte Wege. Zum Abschied sagte Land einwandern und dort Staatsbürger werden.«
Joschi ging weiter, da hörte er: »Und eins! Und zwei! Joschi es getan hätte. Mama und Papa freuten sich nicht in die Wälder«, murmelte Kurtzberg. Dort Kurtzberg noch: »Gut, dass wir vorne standen.« »Israel?«
Und drei! Und Judenschwein!« Bei dem Wort schaute­ über Rosls Fluchtmöglichkeit. Als sie sich in der wurden Juden mit Maschinenpistolen erschossen. Joschi verbrachte die Nacht im Prater unter­ »Israel.«
er nach oben. Und sah, wie die Burschenschafter Rotensterngasse 23 verabschiedeten, umarmten sich Als sie an einer Polizeistation aus dem Wagen ge- einer Bierbank. Er dachte an seinen Vater. Es gab Waltraut drückte ihre Zigarette aus und sagte
einen Menschen aus dem Fenster warfen. Samuel, alle, und es flossen Tränen. trieben wurden, war Joschi erleichtert, keinen Wald so viel, wofür er sich schämte. Zum ersten Mal seit nach einer Weile: »In Ordnung.«
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 KINDER- & JUGENDBUCH 57

Die LUCHS-Bücher
des Jahres 2022

Für den magischen

Moment zwischen

Januar
Wachen und Träumen
Kitty Crowther:
Kleine Gutenachtgeschichten
Kunstmann; ab 5 Jahren

Schatzsuche im
Lügendickicht: ein kleines

Februar
Kinderbuch-Juwel
Helena Hedlund:
Kerstin ist goldrichtig
WooW Books; ab 6 Jahren

Ein Kind versucht, seine

dysfunktionale Familie zu
retten. Beklemmend,
berührend, hoffnungsvoll

März
Erin Entrada Kelly:
Die Nelsons greifen nach
den Sternen
dtv/Reihe Hanser; ab 12 Jahren

Rassismus, Klassismus,
Queerness und Identität –
entlarvend beobachtet und
einzigartig im Sound:
Gulraiz Sharifs Debüt ist

April
absolut herausragend!
Gulraiz Sharif:

Foto: Ilja C. Hendel für DIE ZEIT

Ey hör mal!
Arctis; ab 14 Jahren

Gewitzt im Ton,
stimmungsvoll in den
Bildern: ein Kunstwerk in

Mai
Der Autor am Hafen von Oslo. Kritiker nannten ihn den »frischesten Wind« im norwegischen Buchmarkt Kindersachbuch-Gestalt
Schutten/Oberendorff (Ill.):

»Ischwör, du bist voll mutig, Bruder«

Wunderwelt Wald
Gerstenberg; ab 8 Jahren

Eine wilde Jagd nach den

Haaren eines Vaters:
eine urkomische Geschichte

Juni
Gulraiz Sharif ist Lehrer. Dank seines Debütromans, in dem ein pakistanisch-norwegisches Ghetto-Kid aus für Leseanfänger
Jörg Mühle: Als Papas Haare
seinem Leben erzählt, wird er als literarische Sensation gefeiert. KATRIN HÖRNLEIN hat ihn in Oslo getroffen Ferien machten
Moritz; ab 7 Jahren

Echt jetzt, Bro! – Ich sag’s dir, Bro. – Kapierste,
Bro? – Fließend, Bro, bleib im Flow!
Schriftsteller erzählen gern, wie ihre Figuren beim
Schreiben auf fast magische Weise ein Eigenleben
Gulraiz viele, viele Nachrichten – von Jugend­
lichen, Politikern und prominenten Kollegen:
Ingvar Ambjørnsen, der Autor des internationa-
len Bestsellers Elling, kontaktierte Gulraiz auf
Facebook. Die Krimi-Autorin Unni Lindell
Mama sei es anfangs nicht leichtgefallen, ihre
Kinder betreuen zu lassen, erzählt Gulraiz. Doch
erstens musste sie, wie die Mutter seines Roman-
helden, putzen gehen. Und zweitens fand Gulraiz
hier Freunde und eine große Leidenschaft: Regel-
Mein Block ist irgendwie mein Planet, ich
hab da einfach mein ganzes Leben gewohnt, Eine kuriose Welt- und
Mann. Ich bin der Block und der Block ist ich. Kulturgeschichte der
Weißte, was ich mein? Für mich ist der Block ’n Hygiene. Die perfekte
gigantischer Lautsprecher, der was zu sagen hat
Juli

entwickeln. Gulraiz Sharif hat sich gleich selbst
in den Helden seines Romans Ey hör mal! ver-
wandelt – in den 15-jährigen Mahmoud. Weil
dieser Teenager eben spricht, wie Teenager so
sprechen, tat das auch sein Schöpfer. Während
des Schreibens rief Gulraiz seine Frau und seine
beiden Kinder »Bro« – kurz für brother, Kumpel.
Nachdem der Roman erschienen war, nannte er
nannte ihn ein großes Schreibtalent. Dem stimmt
die Jury des LUCHS-Preises von ZEIT und­
Radio Bremen zu und zeichnet die deutsche
Übersetzung von Ey hör mal! als bestes Kinder-
und Jugendbuch des vergangenen Jahres aus.
Ich leg so die Hand aufs
Herz und sag Danke, ist
Klo-Lektüre
mäßig stolperten die Kindergartenkinder über und ruft: »Sieh mich an. Ey hör mal, Mann!«
Socha/Utnik-Strugala:
die Treppe ins Erdgeschoss, wo eine Welt aus Das Buch vom Dreck
Geschichten wartete. Eine Welt aus Wörtern, die Eine Hochhaussiedlung wie die, in der Mah- Gerstenberg; ab 10 Jahren
seine Eltern ihm nicht hätten zeigen können. moud am Rande von Oslo lebt, hat Gulraiz erst
»Meine Mama war immer stolz, wenn ich mit als Erwachsener kennengelernt, als er eine Zeit
einem Beutel voller Bücher nach Hause kam«, lang dort unterrichtete. Vor dem »Block« seiner Eine einfühlsame
erzählt Gulraiz. Anfangs las Kindheit blicken wir auf drei- bis vierstöckige Erzählung über Verlust,
er bekannte norwegische Gebäude mit Stuckfassaden. Stolpersteine im Familienbande und den
August

auch die Bürgermeisterin von Oslo, den Bischof wie ’n Wunder. Kinderreihen wie die Lud- Pflaster erinnern an frühere jüdische Bewohner. Mut, man selbst zu sein
der norwegischen Hauptstadt, ja selbst die de-Bücher, erinnert er sich, Einer von Gulraiz’ besten Freunden wohnte in
Kultur­ministerin des Landes »Bro«. Nur beim
Treffen mit der norwegischen Kronprinzessin
Wer ist der Mann mit der
»unverwechselbaren Stim-
LUCHS als wir über das knarzende
Parkett gehen. Als 15-Jäh-
dem Haus im Fossveien, wo rund 100 Jahre zuvor
Edvard Munch gelebt hatte. Das einzige ghetto-
J. M.M. Nuanez:
Birdie und ich

des Jahres
dtv/Reihe Hanser; ab 11 Jahren
traute Gulraiz sich nicht. Als Mette-Marit ihn auf me«? An einem Februar- riger habe er parallel Dos- ähnliche Gebäude in Gulraiz’ Kindheit war eine
ihre Residenz einlud und sagte, sein Roman sei morgen sind wir dort ver- tojewski und Donald Duck alte Mühle, deren Silotürme noch heute hinter
ihr Lieblingsbuch, bedankte er sich höflich. Ganz abredet, wo Gulraiz seine verschlungen, »beides gro- dem Basketballplatz in den Himmel ragen. »Sie Zweiter Weltkrieg,
ohne »Bro«. Seine neunjährige Tochter macht sich Kindheit verbracht hat, im Jeden Monat zeichnen die ße Familiengeschichten«, stand damals leer, die Scheiben waren eingewor- Londoner U-Bahn und
noch immer lustig über das Video dieses Treffens, Osloer Stadtteil Grünerløk- ZEIT und Radio Bremen sagt er, als läge diese Paral- fen, die Türen verrammelt«, erzählt Gulraiz. drei grundverschiedene
September

weil ihr Papa wie ein freundlicher Wackeldackel ka. Ob er mit mir einen ein Buch mit dem lele auf Hand. Mit 20 Jah- »Spooky, ein Ort wie aus einer Gruselgeschichte.« Teenager: ein bewegender
auf der königlichen Couch hockt – ganz anders Stadtspaziergang machen LUCHS-Preis für Kinder- ren nahm er sich alle Klas- Im Erdgeschoss des Hauses, in dem Gulraiz Coming-of-Age-Roman
als sein cooler Romanheld. würde, hatte ich vor dem und Jugendliteratur aus. siker der Weltliteratur vor, aufwuchs, ist heute hinter einer zuckerguss-
Dieser Mahmoud ist – wie der Autor – Sohn Treffen gefragt – ähnlich Das beste der zwölf die er auf Norwegisch in rosafarbenen Fassade »Soul Cake« eingezogen. Anna Woltz:
Nächte im Tunnel
pakistanischer Einwanderer. Geradeheraus und wie Mahmoud, der seinen Bücher wird zum Jahres- die Finger bekam. An der Ecke kann man bei »Tim Wendelboe«
Carlsen; ab 14 Jahren
ohne Scham oder Skrupel erzählt der Teenager Onkel Ji durch die Stadt LUCHS gekürt. Am Heute ist er selbst Teil Espresso für knapp 20 Euro trinken. Eine Tasse.
aus seinem Leben und von einem Sommer. Lang führt. Da ahnte ich nicht, vergangenen Mittwoch der Bibliothek: Als wir über Gulraiz kann über solche Läden und Preise nur
und langweilig würde der werden, hatte Mah- dass 20 Kilometer durch erhielten der Autor die Holztreppe ins Ober- leicht hysterisch lachen. Eine Geschichte über
moud erwartet: kein Geld zum Verreisen, den abgasgrauen Schneematsch Gulraiz Sharif sowie seine geschoss steigen, steht Ey Der Zugang zu seinem alten Haus ist ver- Kinderarmut im reichen
falschen, weil ausländischen Namen, um einen vor uns liegen und ich im- Übersetzerinnen Maike hör mal! prominent platziert sperrt, an der Mauer hängt ein »Parken verbo- Deutschland: ohne Kitsch
Sommerjob zu ergattern. Während sein Papa Taxi mer wieder den Satz hören Blatzheim und Sarah am Aufgang. 184 Exem- ten«-Schild. Gulraiz zeigt durch ein eisernes
Oktober

und Pathos, dafür mit

fährt und seine Mutter putzt und kocht, darf werde: »Ich brauch keine Onkels die Auszeichnung plare sind im Bestand, ver- Tor und erzählt, wie hier früher ein Hinterhof viel Freundschaft
Mahmoud den Fremdenführer für seinen aus Pause. Du?« für »Ey hör mal!«, teilt über die Osloer Biblio- in den anderen überging. Das war seine Welt,
Pakistan angereisten Onkel spielen. Vor allem aber Gulraiz wurde 1984 in verliehen zum Auftakt der theksfilialen. Als das Buch sein Planet. Hier spielte er mit den Kindern Stefanie Höfler:
muss er versuchen, seinen kleinen Bruder Ali vor Pakistan geboren, mit fünf Buchmesse in Leipzig. erschien, musste man wo- des Viertels, die Mattias hießen oder Ali und Feuerwanzen lügen nicht
Beltz & Gelberg; ab 11 Jahren
dem Zorn der Familie zu schützen. Denn Ali hat Monaten kam er in die chenlang darauf warten, die alle eins gemeinsam hatten: Kinder aus Ar-
Mahmoud anvertraut, dass er eigentlich Alia ist, norwegische Hauptstadt. eins ausleihen zu können. beiterfamilien zu sein.
ein Mädchen im falschen Körper. Damals lebten hier im Wie in einem kleinen Drei Geschichten
Viertel vor allem Arbeiter mit ihren Familien, pakistanischen Einwandererjungen in einer Fi- So, Sommerferien. Super für norwegische von Kindern, die den
Du bist mein Ein und Alles, echt! Aber du heute zahlt man für einen Cappuccino 50 Kro- liale der ältesten Volksbibliothek des Landes die Norweger, aber glaub mir, Alter, für uns Holocaust überlebten,
November

weißt doch selber, wie wir sind. Wie es bei uns zu
Hause ist, oder? Aber, Wallah, ich bin voll stolz
auf dich, ischwör, du bist voll mutig, Bruder.
In Norwegen war dieses Buch 2020 eine kleine
Sensation. Man attestierte Gulraiz Sharif, der
eigentlich Lehrer ist und in der Öffentlichkeit
vollkommen unbekannt war, eine unverwechsel-
bare Stimme; sein Roman war nominiert für den
nen, etwa fünf Euro, was Gulraiz irrwitzig findet. Liebe zur Literatur geweckt wurde und in ihm Ausländer ohne Asche gar nicht super! meisterhaft in drei
Genauso wie die 102 Kronen Parkgebühr für der Wunsch reifte, einmal selbst Autor zu werden, Graphic Novels erzählt
einen halben Tag und die Immobilienpreise: 80 würde sich bestens in jeder Integrations-Image- Mit diesen Sätzen lässt Gulraiz seinen 15-jährigen Yellin/Libicki/Seliktar:
Quadratmeter für 7,5 Millionen Kronen bietet broschüre machen. »Ja, ich hatte diesen Schrift- Buchhelden den Roman eröffnen. Arm war Gul- Aber ich lebe
ein Makler im Schaufenster an. stellertraum und habe exzessiv gelesen«, sagt raiz nie, aber er hat von klein auf gelernt, dass C. H. Beck; ab 14 Jahren
Die alte Stadtteilbibliothek im Herzen des Gulraiz. »Ich habe aber einiges ziemlich exzessiv man für sein Geld arbeiten muss. Und dass eini-
Viertels, vor der wir zum Auftakt unserer Oslo- getan.« Er habe sich einmal durch die Geschichte ge härter arbeiten als andere: »Ich bin der Sohn
Tour stehen, ist von der Gentrifizierung bisher der klassischen Musik gehört, stapelweise Film- von Workaholics. Mein Vater hat zig Jobs ge- 35 Tiere des hohen Nordens
verschont geblieben. Das Haus wurde 1914 er- klassiker geschaut, alle Level der gängigen Com- macht, manchmal vier Schichten am Tag. Meine berichten: überraschend,
Dezember

norwegischen Buchhandelspreis, den renommier-
ten Bragepris und wurde im Jahr darauf mit dem
Debütantenpreis für Kinder- und Jugendliteratur
des Kulturministeriums ausgezeichnet. Und
während die Filmrechte verkauft wurden, bekam
öffnet, in den Achtzigerjahren kam Gulraiz’ Papa puterspiele durchgezockt. »Ich hab irgendwie Mutter arbeitete auch und holte uns Kinder klug, schön – und ein Appell
her, um Zeitungen in Urdu zu lesen, sein Sohn immer das Gefühl, etwas erst zu verstehen, wenn trotzdem immer als Erste aus der Betreuung ab.« zum Schutz der Natur
stiefelte jeden Morgen ins Obergeschoss. Wo ich mich durchgeackert habe«, sagt er. Früher traf Für ihn und seine beiden Geschwister sei klar Goossens/ten Berge (Ill.):
heute die Bilder- und Jugendbücher stehen, war er sich zwischendurch zum Kopflüften mit seinen Unser wildes Zuhause
damals ein Kindergarten untergebracht. Seiner Freunden auf dem Basketballplatz. Fortsetzung auf der nächsten Seite Aladin; ab 5 Jahren
58 KINDER- & JUGENDBUCH 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

»Ischwör, du bist ...« – Fortsetzung von S. 57

gewesen, dass sie in Norwegen eine Chance auf ein
besseres Leben hatten. Er wollte lange Zeit Anwalt
werden, entschied sich dann für den Lehrerberuf.
Wollte er den jugendlichen Lesern auch mit
seinem Buch etwas beibringen? »Äh!«, winkt Gul-
raiz ab. »Ich will die Leute unterhalten, witzig sein.
Nicht so schrecklich pädagogisch wie all die Net-
flix-Serien heutzutage.« Manchen »norwegischen
Norwegern« dürfte das Lachen aber im Hals ste-
cken bleiben, und nicht nur ihnen. Mahmoud ver-
höhnt so ziemlich jede Bevölkerungsgruppe mit
bissigem Spott: Rechtspopulisten bekommen ge-
nauso ihr Fett weg wie vermeintlich perfekte west-
liche Mittelschichtsfamilien und Migranten, die
von Stütze leben oder Drogen verticken. Hatte er
nie Sorge, zu sehr auf der Stereotypen-Klaviatur zu
spielen? »Wenn du solche Gedanken einmal in
deinen Kopf lässt, kannst du nicht mehr frei schrei-
ben«, sagt Gulraiz. Entscheidend sei, dass Mah-
moud etwas Unschuldiges an sich habe. »Deshalb
kommt er damit durch. Und weil er sich selbst mit
demselben Spott betrachtet.«
Ey hör mal! Ich schreib dieses Buch, weil
norwegische Norweger auf so was abfahren. Die
lieben es, wenn ein Ausländer, am besten noch ’n
bisschen unterdrückter und ungeschliffener
Diamant, so ein, zwei Bücher schreibt. Darüber,
wie es »eigentlich« ist, dunklere Haut zu haben,
über die ganzen Narben, allen Schmerz, alle
Schwierigkeiten. Weil sie trauen sich halt nicht,
direkt mit uns zu reden.
Gulraiz Sharif sagt, er habe sich als Kind und Ju-
gendlicher nie ausgeschlossen gefühlt, und trotz-
dem sind dies auch für ihn persönlich die Schlüssel­
sätze seines Romans. Nachdem er das Gefühl
Wie blickt er auf seinen Überraschungserfolg?
»Joa, schon cool, einen future classic geschrieben zu
haben«, antwortet Gulraiz eher unbeeindruckt. Für
einen Lese-Nerd wie ihn, der Literaturlisten für
seine Kinder anfertige, sei es natürlich befriedigend,
das eigene Buch in der Bibliothek zu sehen. Dass
er dauerhaft vom Schreiben leben kann, daran
glaubt er bisher nicht.
Wir sind inzwischen an der neuen Bibliothek
neben der Oper am Hafen angekommen, einem
Vorzeigeprojekt der Stadt, eröffnet 2020, als
Gulraiz’ Debüt erschien. Der Kontrast zu dem
kleinen Bücherhaus in Grünerløkka könnte grö-
ßer kaum sein. Über schmale Rolltreppen fahren
wir Etage um Etage nach oben, die Decken er-
innern an Bienenwaben, die Stimmen der vielen
Menschen lassen das Gebäude summen. Dies ist
kein Ort, an dem still in Büchern geblättert
wird, Literatur wirkt hier wie Dekoration. Klein-
kinder krabbeln in Spielhäuser, Studierende sit-
zen mit Laptops und Lunchboxen an den Ti-
schen, Touristen schieben sich nach ganz oben,
wo sich vor einer riesigen Panoramascheibe der
Blick auf die Stadt und den Fjord öffnet. Theo-
retisch. Heute blendet die Sonne so sehr, dass die
Glasfronten mit Jalousien abgedunkelt sind.
Kurz bevor sein Buch erschien, habe er ein
Exemplar signiert und in die Bibliothek getragen,
erzählt Gulraiz: »Man hielt mich für einen durch- Foto: Paula Winkler
geknallten Islamisten!« Wenige Monate später
konnte er sich vor Anfragen nicht retten: TV-Talk-
shows wollten ihn vor der Kamera haben, egal zu
welchem Thema. Er bekam Angebote für Comics
und Cartoons, und Museen wünschten sich­
Audioguides im Mahmoud-Sound. »Ich hab keine Dita Zipfel hat als Lehrerin gearbeitet, bevor sie Autorin und Verlegerin wurde
Zeit für all das!«, sagt Gulraiz.
Schon für Ey hör mal! fehlte die. Entstanden ist

»Hauen Sie sich kurz

hatte, alles erledigt zu haben, was man als »guter
Norweger« erreichen sollte – Studium, sicherer Job,
Frau und zwei Kinder, Eigentumswohnung samt
Hypothek und Elektroauto –, erinnerte er sich an
seinen alten Schriftstellertraum. Und plötzlich
der Text zu großen Teilen auf dem Handy. Wo
immer Gulraiz war, beim Einkaufen vor dem­
Windelregal, im Parkhaus, auf dem Weg in den
Unterricht, tippte er Ideen, Satzfetzen, Dialoge in
sein Smartphone. Anstrengend, vor allem für die

auf den Kopf!«

standen ihm seine dunkle Haut und sein pakista-
nischer Name im Weg: Gulraiz träumte nämlich
davon, Krimis zu schreiben, keine »Ghetto«-Kid-
Erzählung. So etwas aber wünschte sich die Ver-
lagswelt. »Na toll, jetzt sitz ich in der Migranten-
falle«, habe er damals gedacht. Er stöhnt noch
heute, wenn er davon erzählt: »Gut, sie wollen ein
Migrantenbuch, dann kriegen sie ein Migranten-
buch!« Kennt man diese Vorgeschichte, bekommt
Augen. Er habe jetzt eine Lesebrille. »Irgendwann
sagte ich zu meiner Frau, dass sie die Kinder allein
ins Bett bringen müsse. Sonst wäre aus dem Ent-
wurf niemals ein Buch geworden.«
Ich bin so neidisch auf diese glücklichen
norwegischen Familien. Die immer von so
Werbeplakaten runterstrahlen. Immer zu viert,
immer happy, weiße Zähne, hübsche Gesichter, ... fordert DITA ZIPFEL von all denen, die Kinder und die Literatur für sie gering schätzen

Gulraiz’ Roman noch mal einen ganz neuen Klang:
Wenn man nicht so aussieht wie die meisten in
dem Land, in dem man lebt, fühlt man sich halt
wie ’n Gast, Bro! Ich kann dir sagen, es fühlt sich
an, als wär dein Leben auf Kredit.
Wir haben Grünerløkka hinter uns gelassen und
laufen durch die Straßen von Grønland, das im
Norden an den Hauptbahnhof grenzt. »Little Pa-
kistan« habe man dieses Viertel früher genannt,
heute sei es eher »Little Somalia«, sagt Gulraiz.
Gegenüber einer Halal-Metzgerei habe er einmal
zehn Stunden vor der Videothek angestanden, um
den neuesten Bollywood-Film auszuleihen. Und
dort, in der Moschee, habe man für die Ey hör mal!-
Verfilmung gedreht. Gulraiz ist Muslim, er isst kein
Schweinefleisch, trinkt keinen Alkohol. Vorurteile
über Muslime kenne er zuhauf und habe sie satt.
Auch deshalb habe er Mahmouds kleinen Bruder
in eine kleine Schwester verwandelt. Die, so viel sei
verraten, von ihrer Familie akzeptiert wird.
Kurz darauf überqueren wir auf einer luftigen
Brücke die Gleise. Früher verlief hier eine unsicht-
bare Grenze, Gulraiz’ Welt endete, wo sich Junkies
in dunkle Gassen drückten. Heute ist man nach
wenigen Schritten im neuen Hafenviertel Bjørvika.
Nach Döner-Buden und Graffiti-Wänden glänzen
im Hafenquartier nahe dem Munch-Museum
Neubauten in der Sonne, die schon von außen
sagen: Hier wohnt das Geld. Seine Kinder hätten
ihn gefragt, ob sie nicht hierherziehen könnten,
erzählt Gulraiz und lacht. »Dafür müsste Papa noch
eine Menge sehr erfolgreiche Bücher schreiben«,
antwortete er.
freudiges Lächeln, als ob sie nicht wissen, was
Sorgen sind. Die Penner. Alter, echt, mit Ali als
Mädchen sind wir ’ne vierköpfige pakistanische
Familie wie auf den Plakaten. Wenn sie uns wolln,
dann können sie uns haben. Ob das irgendwann
passiert? Logisch, Mann!
Gulraiz weiß, dass es wichtig ist, sich gesehen zu
fühlen – auch in der Literatur. Als wir unterhalb
der Festung Akershus vorbeilaufen, liegt in einer
Büchertauschbox das Rotkehlchen von Jo Nesbø.
»Yeah, mein Lieblingsbuch von meinem Lieblings-
autor!«, ruft Gulraiz. Nesbø schreibt Krimis, wie
auch er es gern tun würde. Die Geschichten um
Kommissar Hole mag er aber wegen eines kleinen
Details: Holes Nachbar ist Pakistaner – und ein
cooler Typ. »Vielleicht hab ich ja eine gute Zeit
erwischt«, sagt Gulraiz nachdenklich. »Alle sind
auf der Suche nach neuen Stimmen, migrant cul-
ture ist angesagt, alles mischt sich, fusion ist das
große Ding.« Er erzählt von der Band Karpe, einem
Hindu und einem Muslim, die auf Norwegisch
rappen. Vielleicht ist bald auch für einen pakista-
nisch-norwegischen Krimi-Autor der Weg frei.
»Wow, 18.000 Schritte«, sagt Gulraiz und klingt
nun doch ein wenig erschöpft. Wir sind wieder am
Basketballplatz in Grünerløkka, eine Pause will er
noch immer nicht machen. Er muss schnell ins
Auto, seine Kinder abholen. Und danach zwei
Stunden an den Computer, am nächsten Roman
arbeiten. Eine Mahmoud-Fortsetzung, die sich
viele wünschen, wird es nicht. Aber ein »Bro«, der
sich Gedanken über »norwegische Norweger«
macht, so viel verrät Gulraiz und lacht, wird darin
wieder eine Rolle spielen.
V
or gut fünf Jahren bin ich in
diesen sogenannten Literatur-
betrieb reingeschlittert, da wuss-
te ich nicht mal, dass es ihn
gibt. Ein irgendwie in sich ge-
schlossenes System mit Codes,
Symbolen, Normen und Heilig­
tümern. Inzwischen weiß ich, eines dieser Heilig­
tümer ist: das blaue Sofa. Ein Ort, an dem, so die
Selbstbeschreibung, alle relevanten Autorinnen
und Autoren Platz nehmen dürfen, um sich im
Rahmen der Buchmesse zu ihren neu erschie­
nenen Büchern interviewen zu lassen. Eine Ein-
ladung ist also: der Ritterschlag.
Im vergangenen Jahr ist ein Buch von mir er-
schienen, und mein Verlag hat mich für ein Inter-
view auf diesem Sofa vorgeschlagen. Die Antwort
kam umgehend: Wer für Kinder und Jugendliche
schreibt, würde grundsätzlich nicht eingeladen.
Eine Millisekunde: Erleichterung. Unsicher
und mit schwitzigen Händen auf einem in der
Öffentlichkeit aufgestellten Möbelstück herum-
stammeln? Lieber nicht. Dann folgte allerdings
ziemlich schnell die Fassungslosigkeit: Es gibt eine
mit öffentlichen Geldern finanzierte, hoch ange-
sehene Institution, die sich Repräsentant relevan-
ter Autorinnen und Autoren nennt und sich nicht
schämt, Kinder- und Jugendbuchautoren per se
auszuschließen?
Das Buch war nicht mein erstes. Hinter mir lag
– neben vielen fantastischen – eine Reihe von mehr
oder weniger demütigenden Erfahrungen, aber so
offiziell war die Geringschätzung zuvor noch nie.
Seitdem ich Bücher schreibe, die vom soge-
nannten Markt als für Kinder und Jugendliche
einsortiert werden, weiß ich, auf wie vielen Ebe-
nen diese von »echter« Literatur unterschieden
werden. Ich wehre mich dagegen, versuche Ar-
gumente dafür zu finden, weswegen Literatur eben
Literatur ist – egal in welchem Regal sie steht.
Deshalb war ich froh, als ich vor Kurzem auf eine
kluge Kollegin traf, die folgenden schönen Satz
sagte: »Ein gutes Kinderbuch ist ein gutes Er-
wachsenenbuch.« Ich dachte: Ja, genau! Was für
ein griffiger, knapper, klarer, richtiger Satz! Erst
Tage später fragte ich mich: Hm. Wirklich? Macht
nicht auch dieser Satz das eine zur Norm und
misst das andere daran? In diesem Satz wird sicht-
bar, was unser aller Norm ist: der erwachsene
Mensch. Und im Bereich der Kunst somit das,
was für ihn geschaffen wurde.
Mein Schreiben ist nicht dadurch beeinträch-
tigt, dass ihm die Relevanz abgesprochen wird, nur
bin ich wahrscheinlich häufiger wütend als Leute,
die für Erwachsene schreiben. Und verwirrter.
Wollen wir nicht alle unbedingt, dass Kinder lesen
können und es bitte ständig tun? Waren lesende
Erwachsene, denen wir gerne den Hof machen,
nicht einmal: lesende Kinder? An welcher Stelle
werden aus gering geschätzten Lesenden, für die
nicht relevante Autorinnen schreiben, hofierte
Lesende, um die sich echte Autoren kümmern?
Ich habe es gut, sehr gut sogar, ich schreibe
Bücher, die verlegt werden, mache Lesungen, die
bezahlt werden, wurde mit Preisen ausgezeichnet
und habe ausdauernd klatschendes Publikum, das
glaubt, weil ich auf einer Aulabühne sitze, wäre
ich berühmt und deswegen zu respektieren. Nur
ist da eben diese Wut. Und das Wissen, dass das
hier nur ein kleiner Trieb ist, dessen Wurzel ein
gesellschaftliches Problem ist: die strukturelle Dis-
kriminierung von Kindern.
Was ich mir wünsche, ist eine Welt, in der
Bücher für Kinder und für Erwachsene einander
im Wert gleichgestellt sind, weil Kinder und Er-
wachsene einander im Wert gleichgestellt sind.
Dabei kann jede und jeder helfen: Wenn Sie
Preise und Stipendien für Literatur ausschreiben,
beziehen Sie Menschen, die für Kinder und Ju-
gendliche schreiben, illustrieren und übersetzen,
ein. Erfinden Sie keinen neuen, geringer dotierten
Preis für sie. Zahlen Sie Kinderbuchschaffenden
als Verleger nicht weniger. Machen Sie Platz, wenn
Sie eine Bühne haben, einen Fernsehsender oder
auch nur ein Sofa – egal in welcher Farbe. Wenn
Sie nach »guten« Büchern für Kinder suchen:
Wählen Sie eins, von dem Sie glauben, dass es dem
Kind gefällt. Und bitte, bitte: Wenn Sie Bücher
an Kinder adressieren, hören Sie auf, sie mit Ihren
Geschichten erziehen und manipulieren zu wol-
len. Unterschätzen Sie Kinder nicht. Und wenn
doch, ertappen Sie sich selbst dabei, und hauen
Sie sich kurz auf den Kopf.
Dita Zipfel wurde 2020 für ihren Debütroman
»Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte«
mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis
ausgezeichnet. 2021 gründete sie mit ihrem Mann
Finn-Ole Heinrich den Huckepack-Verlag

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Shannon Messenger: Mareike Allnoch: Der Grüffelo.
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Entschlüsselt (Band 8,5) (Band 1) Den beliebten Bilderbuchklassiker
Sophie und ihre Freunde erleben ein Der Sohn des französischen Präsi- gibt es jetzt erstmals als hochwertige
turbulentes Abenteuer mit dunklen denten als Austauschpartner und Ökopappe – zu 100 % mit
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DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 KINDER- & JUGENDBUCH 59

Aufstand im Zuckerrohr Papas Fantasterei

Moa wächst als Kind von Sklaven auf
der Frontier-Plantage in Jamaika auf.
Er muss unter der sengenden Sonne
und in schwüler Hitze Zuckerrohr mit
dem Haumesser schlagen – überwacht
von Misser Donaldson und Misser
Bolton, weißen Männern, deren wich-
tigste Werkzeuge die Peitsche und die
Willkür sind. Dem 14-Jährigen steht
ein Leben voll Schmerz und Erniedri-
gung bevor, bis er von seinem Freund
Louis in einen Umsturzplan eingeweiht
wird. »Am Tag, den die Weißen Oster­
sonntag nennen, brechen wir hier aus«,
sagte er. »In drei Tagen.«
Furios erzählt der britische
Autor Alex Wheatle anhand
des fiktiven Jugendlichen
Moa ­von der Easter Re­bel­lion
des Jahres 1760, dem größten
Sklavenaufstand in der Ge-
schichte Jamaikas. Angeführt
von dem historisch verbürgten Cha- Im Schwimmbad toben Kinder, an der drin in der abenteuerlichen Gedanken-
rismatiker Tacky, gelingt den Sklaven Haltestelle warten Menschen auf den reise, auf die der Vater es einlädt. Und
der Frontier-Plantage der Ausbruch. Bus, im Garten blüht die Kastanie. Was so wird es Seite um Seite magischer;
Moa ist dazu auserkoren, Misser Do- am Tag um uns herum geschieht, neh- Stunde um Stunde verrückter.
naldson zu töten. men wir mit wachen Sinnen wahr. Was Mit einfachen Worten stupst der
Der Junge hat nur eine minimale aber geschieht in der Nacht, wenn Autor Dirk Gieselmann die Fantasie an,
Chance auf ein Leben in Freiheit, und unsere Augen geschlossen sind und die bringt in warmem Ton ein kurioses
ihm wird Unmenschliches abverlangt, Dunkelheit alles verschluckt? Kopfkino zum Laufen: Laternen, die
um diese Chance zu nutzen. Wheatle Im Bilderbuch Was macht die Nacht? aus Pfützen trinken, Telefone, die sich
findet schlichte, eindringliche Sätze möchte ein Kind vor dem Schlafen­ gegenseitig anrufen – sich das bildhaft
für die Monstrosität des Unrechts- gehen genau das von seinem Papa er- vorzustellen ist ein großer Spaß.
Systems und den jungen Helden: »Ich fahren. Und der beginnt, von den Für ihre zurückgenommenen Illus-
betrachtete meine Finger. Sie waren wundersamsten Dingen zu erzählen: trationen greift Stella Dreis immer ei-
voller Blut. Die Weißen bluteten ge- von einem Blauwal, der im Schwimm- nen Aspekt der väterlichen Fantasterei-
nau wie wir«, denkt Moa nach bad an die Wasseroberfläche en heraus – eine Gruppe jog-
vollbrachter Tat. Die Rebelli- taucht, von Bussen, die auf gender Schlafwandler, ein
on wird ebenso blutig nieder­ Menschen warten, und von weißes Kätzchen, das zur Kö-
geschlagen, Tacky stirbt. Moa einer Kastanie, die sich die nigin gekrönt wird – und gibt
aber entkommt den Hä- Blätter wäscht. »Papa, Blauwa- der Gedankenreise so eine
schern – und mit ihm über- le im Schwimmbad?«, fragt das kleine optische Starthilfe. Nur
lebt die Hoffnung auf eine Kind anfangs noch skeptisch. schade, dass die Nacht so
bessere Zukunft.  JUS Doch schon bald ist es mitten- schnell vorbei ist! JOR

Alex Wheatle: Cane Warriors. Dirk Gieselmann/Stella Dreis (Ill.): Was macht die Nacht?
Kunstmann 2023; 192 S., 20,– €; ab 14 Jahren Aladin 2023; 40 S., 20,– €; ab 4 Jahren

Monster-Camp Bärenausflug nach New York

Ausgerechnet in ein Ferienlager im Wald
soll Kemi. »›Guck, wie hübsch die Bäu-
me sind‹, sagt Mutter. ›Ich finde Bäume
nur als Schrank super‹, sage ich.« Gar
kein Ferienlager hätte der Junge sich ge-
wünscht, aber da seine alleinerziehende
Mutter arbeiten muss und die Alterna-
tive die Ferienbetreuung in der Schule
ist, steigt er doch in den Bus – um fortan
so viel zu boykottieren wie möglich:
Nachtwanderung, Lagerfeuer, Kletter-
park. Auf alles reagiert dieser Junge in
Melvillescher I prefer not to-Manier.
Nicht nur den Betreuern
geht Kemi damit ziemlich auf
Aber genau das ist eine große Stärke Wem es all zu unwahrscheinlich er- ich in Kontakt mit Kindern bin, und das
dieses Buchs. Denn sind Teenager in scheint, dass in einem großen Haus geht nun schon mein ganzes Leben so,
ihrer Verpuppungsphase nicht oft genau mitten in New York zwei Pandas hinter erfinde ich Geschichten«, sagte sie kürz-
so? Wollen von der Welt in Ruhe gelas- einer Geheimtür leben und dort auf lich im Interview mit ZEIT ONLINE.
sen werden und möglichst niemandem einem langen Flur um die Wette laufen, Und staunte darüber, wie leicht ihr, die
auffallen, der ihnen das Leben schwer der kann seiner Vorstellungskraft mit sich beim Schreiben oft quäle, die Arbeit
machen könnte? Saša Stanišić hat einen diesem Büchlein auf die Sprünge helfen. an diesem Text gefallen sei.
glaubhaften Antihelden erschaffen, in Charles (genannt Mr. Chas) und Lisa Mit Sprachwitz und großem Ernst
dem vielleicht doch ein kleiner Held (genannt Lisa Sue), beide sieben Jahre erzählt sie davon, wie es ist, anders zu
steckt. Denn es geht nicht nur um lästige alt, entdecken die Pandas nicht nur, sie sein und aufzufallen, und dass man
Mücken und Lagerfeuerqualm. Als sprechen sogar mit ihnen. Die Tiere Freunde braucht, um ans Ziel zu kom-
Kemi mit dem Außenseiter Jörg in eine kommen aus China und sind auf der men. Dabei legt sie die ein oder andere
Hütte gesteckt wird, muss er sich ent- Suche nach echtem Großstadtleben in Fährte auch für die Erwachsenen aus,
scheiden: sich weiter der Welt New York gestrandet. ohne die Kinder und ihre Ge-
verweigern, wegsehen und den 1994 erschien dieses Kinder- schichte zu verraten. Lisa Sue

Illustration: Andrés Muñoz Claros für DIE ZEIT

die Nerven. Auch als Leserin Mund halten oder die eigene buch der legendären Vanity und Mr. Chas beschließen, den
kann man ihn nicht so richtig Komfortzone verlassen und Fair-Kolumnistin Fran Lebo- Pandas zu helfen, und dafür be-
sympathisch finden – selbst sich gegen den Mobber Marko witz in den USA. Nun können kommen sie am Ende das wohl
wenn seine inneren Monologe und seine Gang stellen. Kemi es Kinder und Eltern, illustriert größte Kompliment: »Ihr ge-
und wortgewandten Diskussio- jedenfalls kehrt verändert aus von Ralf König, erstmals auf hört für uns zur Familie. Ja, für
nen unterhaltsam sind. dem Wald zurück.  K AT Deutsch lesen. »Immer wenn uns seid ihr wie Pandas.«  JUS

Saša Stanišić/Regina Kehn (Ill.): Wolf. Fran Lebowitz/Ralf König (Ill.): Mr. Chas und Lisa Sue treffen die Pandas;
Carlsen 2023; 192 S., 14,– €; ab 11 Jahren Rowohlt 2023; 96 S., 20,– €; ab 6 Jahren

Ins Jenseits krabbeln Ziegen gegen Troll

Ein Mädchen fährt mit seiner Mama
und seinem kleinen Bruder Bert ans
Meer. Es ist heiß, die Fahrt dauert
lange, und schon auf dem Parkplatz
hinter der Düne wird klar, dass dieser
In warmen, erdigen Farben und mit
großer Präzision entwirft die schwedi-
sche Autorin und Illustratorin Emma
AdBåge eine Geschichte von Leben und
Tod. Die Geschwister erkunden im Spiel
Da springt Klapperklapper, trappeltrappel: Drei
Ziegenböcke müssen die Brücke über-
queren, um zur saftigen Wiese auf der
anderen Seite zu gelangen. Dumm nur,
dass unter der Brücke der abscheuliche
hungrige Troll seit Tagen von Dreck aus
seinem Bauchnabel ernährt oder sich
seine Pickel ausdrückt, während er sich
neue kuriose Ziegen-Rezepte ausdenkt.
Das alles wäre aber nur halb so lustig,

Strandbesuch ein besonderer wird.
Denn auf dem Parkplatz wartet der
Tod – in Gestalt eines platten Igels.
Kaum eingecremt, einmal ins Meer
getaucht, einen Keks mehr als der Bru-
der Funke
die Welt und finden dabei heraus, wie und ebenfalls hungrige Troll auf die hätte Illustrationsmeister Jon Klassen
fragil sie ist. Denn als die beiden Krü- nächste Mahlzeit wartet. Ziegenkopf- nicht wieder solch herrliche Bilder ge-
melbert ihre Sandburg zeigen wollen, sülze, Ziege am Spieß, Ziege mit Ziegen- schaffen. Man mag kaum glauben, dass
rührt er sich nicht mehr. Der kleine käse oder lieber mit Hollandaise? Die zwei Trollzähne, richtig gezeichnet, eine
Bruder weint über den Verlust, er wälzt herrlichsten Gerichte malt der Unhold solche Dösigkeit ausdrücken können!

der stibitzt und für später im Sand ver-
graben, werden die Kinder mit einem
zweiten toten Tier konfrontiert. Diesmal
allerdings sind sie nicht un-
schuldig an dessen Ableben.
Sie haben einen Käfer im Sand
gefunden, ihn auf den Namen
Krümelbert getauft, ihm ein
Schwimmbecken gebuddelt
und ihn nach dem Bad zum
Trocknen in die Sonne gelegt.
sich wütend im Sand und findet einen
wie für ihn versteckten Keks ­– und zu-
gleich Trost. »Na, so was!«, sagt Mama.
Bert kaut. Es knirscht ziem-
lich. Die Schwester sagt nichts
und schaut.
Das eigene Handeln hat
Konsequenzen: Diese Lektion
am Strand mit einem Krümel-
bert zu lernen, wünscht man
jedem Kind.  JUS
über
sich aus. Denn was soll eine kleine Ziege
ihm schon entgegensetzen?
Köpfchen und zwei Hörner! Das ist
verkürzt die Antwort dieses
Bilderbuchs, in dem der US-
amerikanische Autor Mac
Barnett das norwegische Mär-
chen Die drei Ziegenböcke
Erschütternd, berührend oder auch urkomisch: nacherzählt. Barnett verpasst
dem Klassiker hinreißende
Sechs neue Bücher, die in den Bann ziehen Gags, etwa wenn sich der
Text und Bilder ergänzen sich aufs
Beste – was wenig überrascht, haben
Barnett und Klassen bereits bei der
gemeinsamen Arbeit an Sam
und Dave graben ein Loch und
Dreieck, Quadrat, Kreis be-
wiesen, dass sie einen beson-
deren Sinn für Humor teilen.
Dieses Märchen lassen sie in
maximaler Überzeichnung
enden. JOR

Emma AdBåge: Wir finden Krümelbert. Mac Barnett/Jon Klassen (Ill.): Drei Ziegenböcke namens Zack.
Beltz & Gelberg 2023; 30 S., 14,– €; ab 4 Jahren NordSüd 2023; 48 S., 18,– €; ab 5 Jahren

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Aktionswoche zum
Tag der Pressefreiheit
vom 2. bis 5. Mai 2023
Rund um den Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai besuchen
bundesweit prominente Journalist:innen wieder Schulklassen,
um mit ihnen über die journalistische Arbeit, deren
Herausforderungen und weitere Fragen der Schüler:innen
zu sprechen. Für viele Angebote können Sie sich
und Ihre Schulklassen auf unserer Webseite noch anmelden!
Bild: Vera Tammen
Bild: Stefan Beetz

Bild: Antje Kießler

Der Verein Journalismus macht Schule e.V. setzt sich dafür ein, Informations- und
Nachrichtenkompetenz als Kernkompetenzen in Schulen zu fördern.
Dafür bringen wir Schulklassen mit Journalist:innen in den Dialog und sorgen so
für einen gegenseitigen Perspektivwechsel.

Alle Infos zu Terminen und bundesweiten Angeboten Daniel Drepper Antje Kießler Giovanni di Lorenzo
für Schulklassen und Lehrkräfte finden Sie unter:
Leiter Recherchekooperation Nachrichtenmoderatorin Chefredakteur
www.Journalismus-macht-Schule.org von NDR, WDR und SZ ARD DIE ZEIT
 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

60

A B E N T E U E R F Ü R K I N D E R
Illustration: Andrés Muñoz Claros für DIE ZEIT

Werd zum Bücher-Detektiv!

Auf der Buchmesse in Leipzig werden gerade viele, viele neue Geschichten vorgestellt. Zwölf neue Bücher haben wir für euch
ausgewählt und in ein großes Rätsel verwandelt. Wer gut kombiniert und ein bisschen recherchiert, kann gewinnen.

So geht’s: Zu jedem Buch gibt es drei Hinweise. Schreib die Zahl über den Hinweisen in das Kästchen über dem passenden Buch, und lös die Rechenaufgabe!

1 3
• Achtung, hier sind fiese Diebe am Werk. • Um die Bücher dieses Autors gab es
• Es geht um eine eigensinnige Katze, eine kürzlich Ärger; in Großbritannien
alte Dame und um teure Fahrräder. wurden nämlich Wörter geändert und
• Wie du gerade in diesem Rätsel, wird ein gestrichen.
Kind zum Detektiv. • In dieser Geschichte wird ein Mädchen
von Menschenfressern geraubt.
• Zum Glück gibt es in Großbritannien
eine Königin!
5 7 9
• Der Autor wurde auf der Insel Helgo- • In diesem Buch sind Tiere die Helden. • In dieser Geschichte geht es um einen
land geboren. • Die trifft man bei diesem Autor nicht 2,13 Meter großen Mann.
• Dies war sein erstes Buch für Kinder, nur auf Buchseiten, sondern oft auch im • Es wird ordentlich rumgeballert.
eine Illustratorin hat dafür jetzt viele Theater. • Kannst du gut gegen Erwachsene
neue Bilder gemalt. • Riechst du auch diesen Chlorgestank? ein-setzen, die sagen, Comics seien
• Es tauchen auf: Poltergeister, Hexen- keine»richtigen« Bücher.
meister und plaudernde Vögel.

2 4
• Eine der Autorinnen dieser Geschichte • Die Hauptfigur der Geschichte wird
mag Drachen, Märchen und die Natur. in diesem Jahr 60 Jahre alt wird.
• Bekannt ist sie für ihre Hühner, jetzt • In Deutschland hat er einen anderen
schreibt sie über Hühnerfutter. Namen bekommen als in seinem
• Dazu gibt es Dornröschen-Salat. Heimat­land, weil bei uns schon ein
Guten Appetit! anderes berühmtes Buchkind hieß
wie er.
• Hast du irgendwo ein Messer gesehen?
6 8
• Die ZEIT hatte früher einen Heraus-
geber, dessen Frau diesen Spitznamen
trug.
• Es geht um eine Art Zeitreise, ein
unbelügbares Tagebuch und große
Fragen.
• Vielleicht denkst du an Religion, heilig
ist aber niemand.
• Dieser Autor ist berühmt für seine Witze
und hat weltweit mehr als 50 Millionen
Bücher verkauft.
• Diesmal erzählt er von einem Mädchen,
das ein echter Kotzbrocken ist.
• Die Geschichte erinnert an Pippi Lang-
strumpfs Suche nach dem Spunk – nur
monströser.
10
• Noch ein Buch mit tierischen Helden
– solche, die es sich in der Stadt
bequem eingerichtet hatten, nun aber
in den Wald fliehen müssen.
• Dort gibt es eine Theater-AG und eine
Talentshow.
• Außerdem spielen mit: eine Prinzessin
namens Pinöckel und die gefährlichste
Maus der Welt, aber nicht der Riesen-
maulwurf von Bratislava.

+ – + – + – + – + =

Schick deine
Lösungszahl bis zum
31. Mai an
buchquiz@zeit.de
Unter allen richtigen
Einsendungen
verlosen wir zehn
Buchpakete mit
jeweils drei Büchern
Nadia Shireen: Ulrich Hub: Louie Stowell: David Walliams: Astrid Lindgren: Sascha Reh/ Marie Hüttner: James Krüss/ Cornelia Funke/ Roald Dahl: aus diesem Quiz.
Grimmwald. Arschbombe! Loki. Wie man als Fing Michel aus Adrian Wylezol: Ist Oma noch Maja Bohn: Tammi Hartung: Sophie und der
Teds und Nancys verboten schlechter Gott Lönneberga. Wie wir einmal zu retten? Der Leuchtturm Das grüne Riese
total verrücktes ein guter Mensch Alle Abenteuer in Dirk Nowitzki auf den Königreich
Abenteuer wird (oder auch einem Band entführten Hummerklippen
nicht)
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

ENTDECKEN

Sie hat
alle überlebt
Foto: Hannes Jung für DIE ZEIT (Berlin, 13.April 2023)

Fatou wurde in den Wäldern Zentralafrikas geboren und von Wilderern verschifft. Auf dem Schoß einer französischen Tierhändlerin
flog sie nach Deutschland und landete schließlich im Berliner Zoo. Die Geschichte des ältesten Gorillas der Welt  VON MORITZ AISSLINGER
62
Manchmal geht Fatou abends raus in ihren Garten. Sie setzt sich dann
ins Gras, schaut in den Abendhimmel und lauscht der Stille
D
er Berliner Zoo hat-
te in seiner Ge-
schichte viele Go-
rillas, ein paar von­
ihnen wurden welt-
bekannt, doch ihre
Berühmtheit hatte
fast immer mit dem Tod zu tun.
M’Pungu zum Beispiel, der als zweiter
lebender Gorilla überhaupt in Europa aus-
gestellt wurde. Er kam 1876 in den Zoo nach
Berlin, erkrankte rasch, die berühmtesten
Ärzte der Stadt beugten sich über ihn,­
vergeblich. Nach eineinhalb Jahren starb er,
drei Jahre alt. Rudolf Virchow sezierte­
seinen Leichnam.
Oder Bobby, ein Gorillamännchen, das
der Zoo innerhalb von sieben Jahren auf 262
Kilo gemästet hatte, nicht mal die Hälfte wäre
normal. Er starb 1935 völlig verfettet im
Alter von neun Jahren. Sein Abbild ziert
heute das Logo des Berliner Zoos.
Oder Pongo, Bobbys Nachfolger. Man
fand ihn, ein Jungtier noch, im Mai 1945, in
den Wirren der letzten Kampfhandlungen
des Zweiten Weltkrieges, ermordet in seinem
Käfig, zwei Stiche in der Brust. Neben ihm
lagen drei tote SS-Männer.
Die Gorilladame Fatou, seit 1959 in
Berlin, ist auch eine Berühmtheit. Sie lebt
länger als jeder andere Gorilla in allen Zoos
der Welt zuvor. Ihre Geschichte ist eine vom
Durchhalten, sie erzählt vom Leben, einem
Leben im Zoo.
Am Morgen ihres 66. Geburtstages, M ­ itte
April in Berlin, stehen erste Fans an der Brüs-
tung von Fatous Außengehege, vier ältere
Frauen, sie haben Kameras ausgepackt,­
Tupperdosen, eine trägt eine Handtasche mit
Gorillamotiv drauf. Eineinhalb Stunden sind
es noch, bis Fatou rauskommen wird, doch
sie sind Stammgäste bei den Gorillas, sie
wissen, was los ist, wenn Fatou Geburtstag
hat. Also lieber Plätze sichern.
In der Futterküche bereitet Ruben Gralki,
Tierpfleger im Menschenaffenhaus seit 27
Jahren, einen Kranz und den Präsentkorb vor.
Er besteht aus Bambusstöckchen und Weiß-
dorn, auf den er Früchte spießt, Himbeeren,
Heidelbeeren, Erdbeeren, Physalis. In den
Korb legt er eine Wassermelone mit einer ein-
geritzten 66. Er bastelt Törtchen aus
Papayas und Erdbeeren. Gestern war
er noch in der Feinkostabteilung des
Berliner KaDeWe.
Als Gralki und eine Kollegin um
elf Uhr Korb und Kranz und Tört-
chen in Fatous Außengehege stellen,
ist es umringt von Touristen, Goril-
lafans, ZDF, RBB, BZ, Berliner
Morgenpost, AFP. Die vier Frauen
haben ihren Platz verteidigt.
Fatou tritt in Ruhe aus ihrem­
Innengehege ins Licht. Auf allen­
vieren läuft sie Richtung Futter, sie
stoppt kurz, blickt in die Runde,
Handys, Fernsehkameras, Mikro-
fone, alles auf sie gerichtet. Vorsich-
tig geht sie weiter. Vor den Geschen-
ken bleibt sie stehen. Sie schiebt den
Kranz zur Seite, wirft den Korb um,
stöbert durch die Früchte. Um sich
hinzusetzen, stützt sie sich mit den
Armen ab, ganz sachte, sie nimmt
eine Erdbeere, eine Heidelbeere, ein
Törtchen, und während sie isst, zie-
hen die Menschen weiter, bis bald
niemand mehr da ist.
66 Jahre sind sehr alt, sie ent­
sprechen rund 150 Menschenjahren. ­Fatou
ist der einzige Affe im Berliner Zoo, der noch
von Jägern gefangen wurde, sie kennt, was
sonst keiner hier kennt: ein Leben in Freiheit.
Die Wälder Zentralafrikas sind meist
sumpfig und feucht, Fatou, ein Westlicher
Flachlandgorilla, wuchs dort Mitte der Fünf-
zigerjahre auf, behütet in einem Familien­
verbund, mit einem Silberrücken, der Mutter
und vier bis fünf anderen Weibchen und
deren Kindern. Gorillas streifen täglich durch
den Wald, suchen Nahrung, manchmal gra-
sen sie mit anderen Gruppen.
Gorillababys hängen die ersten Monate
am Bauch ihrer Mutter, sie säugt und ­umsorgt
sie. Jeden Abend sucht sich die ­Familie einen
Platz und richtet ihre Schlafnester her. Die
Kinder schlafen am Fell ihrer Mütter ein.
Nach ein paar Monaten wechseln sie ihre
Stellung, klettern vom Bauch auf den Rücken
Foto: Hannes Jung für DIE ZEIT
ihrer Mutter, sie reiten jetzt durch den Wald.
Wahrscheinlich saß Fatou auch gerade dort
oben, als sie eines Tages die Jäger erblickte.
Fatou, sagt Ruben Gralki, sei irgendwie
schon immer da gewesen. Als er 1996 nach
seiner Ausbildung als Zootierpfleger ins
Menschenaffenhaus eingeteilt wurde, habe
man ihm, dem Neuling, Fatou als Teil der
Altgorillagruppe vorgestellt.
Sie ist das drittälteste Tier im Zoo. Der
Älteste ist Ingo, der Flamingo, er ist 75.
In ihr Gesicht hat sich die Zeit gegraben,
ihr Mund ist eingefallen, nach und nach
fielen ihr alle Zähne aus. Sie leidet unter
grauem Star und Arthrose, ihre Verdauung
ist schlecht. Trotz der Altersplagen, sagt­
Ruben Gralki, gehe es ihr gut, sie fresse­
genug, trinke viel, bewege sich. Manchmal
besuchen ihn Affenpfleger aus anderen Zoos.
Sie seien jedes Mal beeindruckt von Fatou:
Wahnsinn, schwärmten sie dann, was hat die
denn für ein tolles Fell! Insgesamt leben sechs
Gorillas im Berliner Zoo, ein Silberrücken,
drei Weibchen, ein zweijähriges Kind, sie
bilden eine Gruppe. Fatou lebt allein.
Fatou, sagt Ruben Gralki, sei die Gelas-
senste unter ihnen. »Die hat schon so viel
erlebt, die lässt sich von nichts mehr aus der
Ruhe bringen.«
Gorillajagden in den Fünfzigerjahren
liefen meist ähnlich ab. Ein Tierhändler­
beauftragte einheimische Jäger, ein Jungtier
aus dem Wald zu besorgen, um es dann nach
Europa oder Amerika zu verschiffen. Gorillas
waren in den Zoos des Westens eine begehrte
Ware, erst 1847 hatte man in Europa über-
haupt von der Existenz dieser Affenart­
erfahren. Sie galten als Monster des Urwaldes,
1894 stand im Brockhaus: »Der männliche
Gorilla ist mit seinem kammartig gewölbten
Nacken, der sich in einem hohen Rist auf
dem Schädel fortsetzt, den von hohen Kno-
chenbogen umgebenen Augen, der platten,
in der Mitte mit einer Längsfurche versehe-
nen Nase und der vorspringenden Schnauze,
aus welcher ein furchtbares Gebiß mit schar-
fen Eckzähnen hervorfletscht, den gewalti-
gen, mit dicken Daumen versehenen Händen
und der schwarzen Behaarung, die auf dem
Nacken fast zu einer sträubenden Mähne sich
verlängert, eins der scheußlichsten Geschöpfe,
das man sich vorstellen kann.«
Aus sicherer Entfernung, geschützt durch
Gitter aus Eisen, betrachteten die Menschen
in Europas Zoos ihre nahen Verwandten,
waren fasziniert, fürchteten sich.
Im Dschungel verteidigt ein Silber­
rücken seine Familie, auch wenn das für ihn
Geburtstagskorb
den Tod bedeutet. Aufgerichtet ist er bis zu
1,80 Meter groß. Die Jäger, die eines Tages
auf Fatous Familie trafen, töteten vermut-
lich zunächst ihn, dann die Mutter, dann
lösten sie das Kind vom Fell der Mutter und
nahmen es mit.
»Fatou!«, ruft Ruben Gralki ein paar Tage
vor ihrem Geburtstag quer übers Außen-
gehege. Er steht an der Brüstung zu Fatous­
Garten, viel Grün, Bäume, ein künstlicher
Wasserfall. Fatou döst ganz hinten, einge-
mummelt in Holzwolle. Als sie ihren Namen
hört, erhebt sie sich schwerfällig.
Gralki wirft einen Salatkopf über den
Graben ins Gehege, Gemüse, Obst, ein
gekochtes Ei. Zehn Kilo Futter bekommen
die Gorillas pro Tag. Fatou blickt kurz rüber
zu Gralki, dann legt sie sich vor dem Futter
auf den Bauch. Eine Krähe kommt angeflo-
gen und klaut ihr das Ei.
Gralki sagt, Gorillas brummten, wenn sie
zufrieden seien, und Fatou brumme oft. Er
holt sein Handy aus der Hosentasche und
spielt eine Tonaufnahme ab: »Klingt wie ein
Traktor, oder? Das ist Fatou.«
Ab und an, sagt Gralki, wenn sie einen
Stammbesucher erkenne oder einen Pfleger,
ENTDECKEN 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
öffne sie ihren Mund und schlackere mit der Affenhaus messen, es sei »unser letzter schenken, die Bundesrepublik für den
Zunge. Es sei ihre Art, Hallo zu sagen. Schandfleck«. Als vor einigen Jahren mal die Hauptstadtzoo von Robert Kennedy einen
Aus dem Archiv des Berliner Zoos, ein Crew der Netflix-Serie Das Damengambit, Weißkopfseeadler namens Willy Brandt.
Schreiben an den damaligen Zoodirektor die in den Sechzigerjahren spielt, zu Besuch Helmut Schmidt überzeugte 1980 die Chi-
Heinz-Georg Klös: im Zoo war, seien die Filmleute ganz entzückt nesen, Berlin ein Panda-Paar zu überlassen,
gewesen, als sie die Affengehege gesehen und Helmut Kohl schwatzte dem indone­
Marseille, 22. Februar 1959 hätten: Das sehe ja aus wie früher! sischen Präsidenten auf einem Staatsbesuch
Monsieur le Directeur, ich besitze einen Damals war die sterile Architektur nor- zwei Komodowarane ab.
weiblichen Gorilla, zwei Jahre alt, in­ mal, man wollte die Tiere vor Krankheiten Fatou war der erste Gorilla in Berlin, der
gutem Gesundheitszustand. Er ist bei mir schützen, sie kamen in den Städten Europas in Gefangenschaft ein Baby zur Welt brachte.
seit 6 Monaten, also schon akklimatisiert. mit Viren und Bakterien in Kontakt, die sie Der Zoo taufte es auf den Namen Dufte.
Der Preis beträgt DM. 12.810. – nicht kannten. Kacheln und Kunststoff Fatou war jetzt Mutter, sie stillte und streichel-
I. Lefèvre, Tierhändlerin waren leicht zu reinigen. te ihr Kind, sie hielt es im Arm und schlief mit
Heute versuchen Tierparks, die Bedürf- ihm ein. Es sollte ihr einziges Kind bleiben.
Fatou war, wie eigentlich alle für den euro- nisse der Tiere zu berücksichtigen, Gehege Gorillas sind, anders als etwa Schimpan-
päischen Markt gefangenen Gorillakinder, sollen Wiesen und Wälder und den natürli- sen, zurückhaltende Tiere, sie schauen ihren
verschifft worden. Für die Überfahrt steckte chen Lebensraum imitieren. Auch der Berli- Betrachtern nur selten direkt in die Augen.
man die Affen damals wochenlang in dunkle ner Zoo will umbauen, man sammelt Geld Ihnen fehlt das Weiße um die Iris, was ihrem
Holzkisten. Manchmal kümmerten sich für ein modernes Menschenaffenhaus. Fatou Blick eine tiefe Ruhe verleiht.
Matrosen um die Jungtiere und schenkten wird dort wohl nicht mehr einziehen. Ruben Gralki, der Tierpfleger, sagt, es
ihnen ein wenig Wärme. Viele Tiere über- Die ersten zwei Wochen in Berlin ver- gebe einige Stammbesucher, die jeden Tag da
lebten die Reise nicht. brachte Fatou allein in Quarantäne, dann seien, sie kämen nur wegen der Gorillas. Sie
Fatou, so die Überlieferung des Zoos, wurden sie und Knorke zusammengelegt. stünden Stunden vor ihren Gehegen, die
habe ein Seemann in Marseille vermutlich Knorke ging es nicht gut, seit seiner Ankunft Tiere gäben ihnen anscheinend etwas, das sie
heimlich an Land geschmuggelt. Er sei mit hatte ihn eine Krankheit nach der anderen anderswo nicht fänden.
ihr in eine Hafenkneipe und habe getrunken, geplagt. Er war im Kinderkrankenhaus­ Der Zoo wollte, dass Fatou wieder träch-
mehr und mehr, und irgendwann habe er Berlin-Moabit behandelt worden, eine eigens tig wird. Im Herbst 1983 wurde aus dem
einen Deckel gehabt, den er nicht begleichen für ihn abgestellte Kinderkrankenschwester Tiergarten Nürnberg ein Silberrücken ange-
konnte. Da habe er den Affen als Bezahlung pflegte ihn ein Jahr lang. Es half nicht viel, karrt, Fritz. Fritz war um die zwanzig und für
bei der Wirtin zurückgelassen. Fatou landete Knorke starb im August 1963 an einer Infek- seine Potenz berüchtigt. In Nürnberg hatte
in den Händen der Tierhändlerin Lefèvre. tion. Der Zoodirektor kaufte einen neuen er mehrfach Nachwuchs gezeugt. Die Abend-
Antwortschreiben des Direktors Klös an Gorilla und nannte ihn Knorke II. zeitung nannte ihn respektvoll: »Sexprotz«.
Madame Lefèvre: In den Sechzigerjahren, Wirtschaftswun- Fritz wurde ohne große Vorkehrungen auf
derzeit, blühte der Zoo auf, er sammelte einen Fatou und ihre Tochter Dufte losgelassen. Es
Wir danken Ihnen für Ihr freundliches Gorilla nach dem anderen aus den Wäldern endete nicht gut: Dufte wurde von Fritz so
Schreiben vom 21.d.M. und möchten ­Ihnen Afrikas ein: Djamos, Kiri, Bakala, Tono, Gigi, übel zugerichtet, dass sie operiert werden
mitteilen, daß wir sehr an dem G ­ orilla­ Lola und Cocotte. Einige starben bereits nach musste. Auch Fatous Bisswunden mussten
interessiert sind. Bitte geben Sie ihn nicht kurzer Zeit, an Darmentzündungen, Parasi- genäht werden. Man trennte Fritz zwar­
anderswohin. ten, Infekten. Ein Gorillajunges nagte sich zunächst von den beiden, doch der Wunsch,
über Monate seinen großen Zeh ab, bis am Nachwuchs zu bekommen, war größer als die
Die Tierhändlerin Lefèvre schrieb zurück: Ende nur noch ein Stumpf übrig war. In alten Sorge um die Gesundheit von Mutter und
Geschäftsberichten des Zoos ist immer wie- Tochter. Fritz wurde ein weiteres Mal zu­
Für alle Fälle möchte ich Ihnen die folgen- der die Rede von »Selbstverstümmelungs- Fatou und Dufte gesteckt. Wieder mussten
den Informationen gleich geben. Sie wiegt tendenzen« bei den Gorillas. beide Gorillafrauen genäht werden.
17 Kilos. Seit nun 7 Monaten lebt sie bei Die Tiere dämmerten durch die Zeit. Im Juli 1985 bekam Dufte ein Kind,
mir genau wie ein Baby, ist vollständig Gorillas, das weiß man heute, können sich nicht von Fritz, sondern von einem Gorilla,
eingewöhnt und ißt am Tisch. Jeden Tag erinnern, die Ermordung der Eltern, die­ der schon ewig im Berliner Zoo lebte, den
bekommt sie Calcium und Vitamine und Entführung aus dem Wald, die Überfahrt in man aber fälschlicherweise für unfruchtbar
ist in ausgezeichneter Form. Sie hat nie- den dunklen Holzkisten. Wie Kinder, die ­gehalten hatte. Fatou wurde Oma, und
mals gehabt Rachitis, weder Diarrhoe noch unter Hospitalismus leiden, waren auch sieben Jahre später sogar Uroma. Sie gehörte
Lungenentzündung. viele ­Gorillas in Zoos verhaltensauffällig. jetzt zusammen mit Knorke II und der Affen-
Fatou blieb stabil. Während ein paar dame Gigi (»die eiserne Jungfrau, die noch
Verträge wurden ausformuliert, Hundert Meter von ihrem Käfig entfernt eine keinen Mann an sich ranließ«, Bild-Zeitung,
tierärztliche Atteste erstellt, Einfuhr- Mauer quer durch Berlin gebaut wurde, 15. 12. 2001) zur Altgorillagruppe.
erlaubnisse eingeholt, Zollanmel- lernte sie den Zoo und seine Exoten kennen: Als er bei den Affen angefangen habe, sagt
dungen gestempelt. Die Allianz ver- den Reviertierpfleger des Affenhauses, Kurt Ruben Gralki, 1996, hätten die drei schon
sicherte Fatou, Tier-Versicherungs- Walter, kurz Affen-Walter, der sich schon im nicht mehr viel gemacht. Sie aßen und schlie-
schein Nr. Pfs. 310 168. Die Berli- Krieg um die Tiere gekümmert hatte und mit fen und saßen zusammen herum, drei Senio-
ner Sparkasse wickelte das Geschäft seiner Frau oft Gorillababys in der Wohnung ren, die ihrem Lebensabend entgegensahen.
ab, DM 13.441,80,–. aufzog. Den Mitarbeiter Wolfgang Gewalt, 2001 starb Fatous Tochter Dufte an einer
Am 11. Mai 1959 stieg Madame ein Jäger, der gern mit seinem Gewehr durch Darmverschlingung, 2003 Knorke II an­
Lefèvre mit Fatou an der Hand in den Zoo zog und auf Tauben schoss. Den Altersschwäche und 2006 beinah Fatou.
Marseille ins Flugzeug, über Paris Mann, den sie Hyänen-Heinrich nannten: Sie und Gigi waren nach dem Tod der
Richtung Berlin. Fatou, die vor Er stand immer bei den Tieren und versuch- beiden Vertrauten in eine andere Gorilla­
nicht allzu langer Zeit noch durch te, sie durchs Gitter zu küssen. Manchmal gruppe des Berliner Zoos integriert worden,
den Urwald geritten war, saß nun in schaute Lutz Heck vorbei, er hatte den Zoo in der auch ein paar Halbstarke lebten,­
einem Linienflugzeug auf dem unter den Nazis geführt. Heck war ein guter jugendliche Gorillas, die sich gerne mal auf-
Schoss einer Französin. Freund von Hermann Göring gewesen, er spielen. Sie schubs­ten Fatou und Gigi und
Das Flugzeug landete um 15.35 hatte dem Reichsmarschall regelmäßig Lö- nahmen ihnen das Futter weg. Für Fatou war
Uhr in Berlin-Tempelhof. Ein Poli­ wenbabys auf dessen Landgut vorbeigebracht das zu viel, sie magerte von 80 auf 50 Kilo ab
zeiaufgebot wartete an der Lande- und ihn zu Silvester 1939 nach Warschau in und hockte nur noch apathisch in der Ecke.
bahn: In der gleichen Maschine saß den Tierpark eingeladen, um dort Jagd auf Die Lokalzeitungen veröffentlichten bereits
zufällig auch der ehemalige franzö- die Zootiere zu machen. Im Berliner Zoo war Abschiedsbriefe ihrer Leser: »Fatou, du hast
sische Außenminister und Präsident er auch nach dem Krieg ein gern gesehener uns Berlinern viel gegeben, wir danken dir!«
des Europäischen Parlaments, Ro- Gast, man errichtete ihm zu Ehren 1984 eine Ruben Gralki und die anderen Tierpfleger
bert Schuman. Berlins Bürgermeis- Büste, die bis heute dort steht. mussten sich entscheiden, Fatou entweder in
ter Willy Brandt begrüßte ihn. Bundespräsidenten und Kanzler besuch- der Gruppe und verhungern zu lassen oder
Auch für Fatou stand ein Emp- ten Fatou und die anderen Tiere, Heinrich sie herauszuholen. »Einen Gorilla aus der
fangskomitee bereit. Der Zoodirek- Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel. Gruppe zu separieren ist immer eine Not­
tor war mit einem der Affenpfleger gekom- Willy Brandt nahm seine Söhne zum Spielen lösung. Sie gehören in eine Gemeinschaft.«
men, und weil man die Hauptstadtpresse mit den Affen mit in den Zoo. Fatou und Gigi kamen zusammen in ein
I
eingeladen hatte, hatte er noch Knorke mit- Einzelgehege. Ihr Zustand besserte sich.
genommen. Knorke war auch ein Gorilla, ein m Februar 1974 wurde Fatou 2009 starb auch Gigi. 48 Jahre lang hatten
wenig älter als Fatou und vor Kurzem aus schwanger, von Knorke II. Sie sei, sie und Fatou eine Heimat geteilt, zwei kleine
Kamerun nach Berlin gekommen. Die beiden so steht es in älteren Berichten, in Gorillamädchen, die gemeinsam zu alten
sollten das neue Traumpaar des Zoos werden. den folgenden Wochen ganz rund Damen geworden waren.
Auf Schwarz-Weiß-Fotos sieht man, wie und ruhig geworden, habe sich Fatou lebte nun allein. An ihrem Käfig
sich Fatou, auf dem Arm von Madame­ von den anderen Gorillas zurück- zog das nächste Jahrzehnt vorbei. Fatou war
Lefèvre, und Knorke, auf dem Arm des gezogen. Am frühen Nachmittag da, als 2011 Tausende Menschen in den Zoo
Pflegers, der dem Affen eine Eisenkette als des 30. Oktober 1974 brachte Fatou ihr pilgerten, um Abschied von Knut, dem Eis-
Leine um den Hals gelegt hat, zum ersten Baby zur Welt. bären, zu nehmen. Sie war da, als Angela
Mal begegnen. Die Tiere schauen sich an, Für den Zoo war die Geburt ein Segen. Merkel mit dem chinesischen Staatspräsiden-
strecken die Arme nacheinander aus. Nach 1975 war das Washingtoner Artenschutz- ten Xi Jinping ein paar Meter weiter das neue
Jahren unter Menschen war es ihr erstes übereinkommen in Kraft getreten, es Panda-Haus eröffnete. Sie war da, als sich
Wiedersehen mit einem Artgenossen. schränkte den Handel mit Tieren massiv plötzlich keine Menschen mehr an ihrem
Ihr neues Zuhause sah nicht aus wie der ein. Zoos mussten, wollten sie weitere Tiere­ Gehege vorbeischoben, weil eine Pandemie
Dschungel, eher wie eine öffentliche Toilette: haben, selbst züchten, und in Berlin wollte das Land lahmgelegt hatte.
Die Käfige, ganz neu, waren acht Meter lang, man besonders viele. Die Stadt war geteilt, Manchmal, erzählt Ruben Gralki, wenn
sechs Meter breit und viereinhalb Meter nicht nur politisch, im Westen gab es den der Zoo am Abend schließe und die Besucher
hoch, die Wände gekachelt, die Gitter aus Zoo, im Osten den Tierpark. Die zwei Zoo- weg seien und die anderen Gorillas längst
Metall, der Fußboden aus Kunststoff. Fatou direktoren waren Erzfeinde, die Einrichtung drinnen im Warmen säßen, gehe Fatou gerne
sollte diesen Ort nie wieder verlassen. des jeweils anderen wurde als Rivale angese- noch mal raus in ihren Garten.
Äußerlich hat sich das Menschenaffen- hen, den es zu schlagen galt. Die Regierungen Sie setze sich dann ins Gras, schaue in den
haus bis heute nicht groß verändert. Eine ihrer ­beiden Länder halfen beim Aufrüsten. Abendhimmel und lausche der Stille.
Pressesprecherin sagt gleich zu Beginn der Die DDR ließ sich für ihren Tierpark von
Recherche, man solle den Zoo bitte nicht am Ho Chi Minh einen Elefanten aus Vietnam www.zeit.de/vorgelesen
 DIE ZEIT N o 18
Yasmine M’Barek entdeckt:
Handynostalgie
Unsere Kolumnistin trifft eine Kaufentscheidung, die sie in die Vergangenheit führt
D
er Amazon-Tab in mei-
nem Browser ist seit
Tagen offen. Ich über-
prüfe regelmäßig, ob
sich der Preis geändert
hat, lese akribisch die Beschreibung
durch. Das Telefon, das ich will, ist
knapp zwölf Zentimeter groß, mein
jetziges über 15 Zentimeter. Der­
Bildschirm des neuen ist von einem
leicht billig aussehenden Plastik um-
randet. Die K ­ amera hat nur zwölf
Megapixel, sie kann keine hochauflö-
senden Videos aufnehmen. Was, wenn
ich auf einem Konzert die Visage von
irgendwem nicht in voller Auflösung
dokumentieren kann, so scharf, dass
man jede Pore erkennt? Ist mein Leben
dann vorbei?
Eben nicht, deshalb will ich das
Ding da. Wir reden von einem neuen
Telefon, das einem alten Apple-Tele-
fon nachempfunden ist und auch
technisch rückständiger ist als die
neueste Handygeneration: ein i­ Phone
SE, dritte Generation. Es gleicht dem
Handy mit dem daumengroßen Knopf
unten, das bereits vor vielen Jahren
rauskam. Anders gesagt: Ich will mir
ein schlechteres Handy kaufen als
das, das ich bereits besitze.
Wie das anfing? Nun, ich mag
mein großes, mir aus der Hand rut-
schendes Handy nicht mehr. Es ist
Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Anna Mayr, Yasmine M’Barek,
Francesco Giammarco und David Hugendick
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REGINE SMITH THYME
Ein reiches und spannendes
Kunst- und Kulturprogramm
bietet die Metropole Ruhr auch in
diesem Sommer – und tolle, über-
raschende Momente. Wer bei den
Festivals live dabei sein möchte,
findet hier eine Auswahl.
Hoch auf der Halde Rheinpreußen
thront eine der beliebtesten Land-
marken des Ruhrgebiets: »Das Ge-
leucht« von Otto Piene ist eine 28
Meter hohe begehbare Riesengru-
benlampe, deren ausgeleuchtete
Fläche bei Nacht wie ein glühender
Fluss aus Eisen eine weitere Ver-
bindung zur Montanindustrie
schafft. Wer also zum 52. Moers
Festival an den unteren Nieder-
rhein kommt, könnte auch einen
Abstecher zur Halde machen. Jede
Menge Spannendes und Unge-
wöhnliches ist dann beim »Jazz-
festival für Musik, Synapsenbil-
dung, Politik, Medienkunst und:
Zusammensein!« vom 26. bis
29. Mai zu erleben. So entstand in
Moers im vergangenen Jahr das
neue Format @the_same-time, bei
dem auf zwei Bühnen gleichzeitig
IMPRESSUM
Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: ZEIT Verlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut-Schmidt-Haus, Speersort 1, 20095 Hamburg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser Art Direction:
Kay Lübke, Dietke Steck Realisierung: Studio ZX GmbH – Ein Unternehmen der ZEIT Verlagsgruppe; Projektmanagement: Fritz Lüders; Grafik: Jörg Maaßen; Redaktion: Regine Smith Thyme; Lektorat:
Egbert Scheunemann; Fotos: iStockphoto, RTG Kreklau, Hans Jürgen Landes Produktmanagement: Ingo Neumann Chief Sales Officer ZEIT Verlagsgruppe (ad interim): Dr. Hanna Proner
Head of Tourism, Culture & Art: Sandra Lindemeier, Tel. 040/32 80-359, sandra.lindemeier@zeit.de; Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 68 vom 1. Januar 2023
27. April 2023
mir zu neu, mit ihm wirke ich ent­
weder wie eine medienaffine Jung­
journalistin oder eine Influencerin,
zumindest eins davon bin ich, aber
ich will mich davon nicht definieren
lassen. Ja, klar: Luxussorgen.
Was in Wahrheit dahintersteckt:
Eigentlich wünsche ich mir 2014­
zurück. Damals waren alle cool, die
das aktuelle iPhone in Silber hatten,
mit 32 Gigabyte Speicher, was damals
eine Menge war und heute: nichts.
Ich kaufte es mir dann ein paar
Jahre später – und war der glücklichste
Mensch der Welt.
Instagram-Quotes, Alexa Chung,
Spiegelselfies – alles auf dem Handy.
Die Komprimiertheit, mit der das
alles meinen Alltag inspirierte, ist
auch der Grund, weshalb Menschen
sich heute meine Texte antun müs-
sen. Ich wurde Journalistin, weil sich
durch dieses Handy für mich eine
neue Welt auftat. Dieses Telefon war
mein Neuanfang.
Und dann war da eben noch diese
daumengroße Taste, die beim Drü-
cken immer klang, als stimme was
nicht mit ihr. Zu plastiklastig, aber
du lernst, sie ist zuverlässig. Sie war
der Dreh- und Angelpunkt meines
technischen Lebens.
Das Retro-Telefon von heute hat
diese Taste von damals, die heute
RUHR
... auf Entdeckertour
gespielt wird, das Publikum live je-
doch nur das hören kann, was es
zunächst vor sich sieht. Erst später
kann man den Zusammenschnitt
beider Konzert-Teile virtuell als
Ganzes erleben. Für 2023 hat Lu-
kas Ligeti das Stück »en même
temps« komponiert. Auf eine 39 Museen,
spannende Klangreise geht man
auch am Abend der moers sessi-
elf Bühnen,
acht Kultur-High-
ons, wenn ad-hoc-Formationen
Improvisation in Reinform bieten
lights: Mit der
(www.moers-festival.de). Ruhr.Kultur.Card
erlebt man das
Nur die Besten kom- Kulturgebiet Ruhr
men auf die Bühne
ermäßigt oder
Mitte Mai starten die 48. Mülhei- kostenfrei. Zum
mer Theatertage, auf denen seit Preis von 49 Euro
1976 alljährlich die besten neuen ist sie ein Jahr
Theatertexte ausgewählt und dann
– oft in der Uraufführung – gezeigt
lang gültig.
werden. Zu Gast sind vom 13. Mai Infos und Webshop:
bis 3. Juni unter anderem das Deut- www.ruhrkultur.
sche Theater Berlin und das Schau-
jetzt/card
spiel Leipzig. Zu den nominierten
Autorinnen und Autoren gehören
Elfriede Jelinek, Clemens J. Setz
und Roland Schimmelpfennig
(www.stuecke.de).
Die Ruhrfestspiele Reckling-
hausen zählen zu den ältesten,
ENTDECKEN
kein anderes Telefon mehr hat. Was
sagt es über mich aus, dass ich mich
danach zurücksehne? Ich bin 24 Jahre
alt und schon nostalgisch? Ich
schwelge in Handy-Tagträumen, wie
Boomer, die von Oldtimern oder
Wein aus ihrem Geburtsjahr emotio-
nal davongetragen werden?
Ich öffne Instagram, wie so oft am
Tag. Orion Carloto, eine amerika-
nisch-mexikanische Influencerin, hat
ein Spiegelselfie gepostet. Ihr Handy
ist ein iPhone mit einem daumen-
großen Knopf, meine Neuronen
knuspern, auch hier bin ich nichts
Besonderes, auch Carloto will den
Knopf zurück.
Ich öffne Amazon, das neue, alte
Handy kostet jetzt 80 Euro mehr als
noch vor ein paar Tagen. Es ist mir egal,
ich bestelle in fünf Raten, dann hat man
praktisch nichts bezahlt.
Jetzt verwende ich meist mein­
Retro-Handy. Mein »besseres« Telefon
von früher habe ich oft dabei, aber im-
mer seltener. Ich mache weniger Bilder
und besitze Kabelkopfhörer.
Zum ersten Mal habe ich erlebt,
dass etwas, das mein Leben mal­
bestimmt hat, neu aufgelegt wurde.
Und ich habe es gekauft, aus Sehn-
sucht nach dem Gestern.
Das bedeutet wohl: Ich bin er-
wachsen.
größten und renommiertesten
Theaterfestivals Europas. In die-
sem Jahr findet die 75. Ausgabe
vom 1. Mai bis 11. Juni statt. Am
Anfang stand übrigens eine Geste
der Solidarität: Als die Hambur-
ger Bühnen in einem Nachkriegs-
winter kaum noch Kohle für den
Bühnenbetrieb hatten, bat man
im Ruhrgebiet um Hilfe. Zum
Dank gastierten die Hamburger
Bühnen im Sommer 1947 erst-
mals im Saalbau der Stadt – Mot-
to: Kunst für Kohle.
Eine wundersame
Wasserwelt entsteht
Los gehts mit einem Volksfest am
1. Mai. Danach steht unter ande-
rem der literarisch-musikalische
Abend »Brecht im Spiegel« mit
dem delian::quartett und Angela
Winkler auf dem Programm:
Brecht-Texte werden mit Dmitri
Schostakowitschs viertem Streich-
quartett dramatisch verbunden.
Dazu gibt es Lieder von Kurt Weill,
Hans Eisler und Franz Servatius
Bruinier. Bei der Musik-Theater-
Performance SPLASH! dreht sich
alles ums Wasser: Es werden
63
RICHTIG GUTE LEUTE
Foto: Jelka von Langen für DIE ZEIT
In dieser Woche freuen wir uns über: Anna Ewers
Ich bin von nichts abhängig, auch nicht von der großen Stadt. Das nicht. Meine Nutzpflanzen sind alle eingegangen. Es hat ja auch seit
wurde mir erst während der Pandemie klar, als ich von New York Wochen nicht richtig geregnet. Erst gestern lag ich verzweifelt im
nach Freiburg zog und über Wochen bei meinen Eltern gelebt habe. Bett und habe gegoogelt: »Wasser knapp Regen sammeln«. Ich über-
Ich bin stundenlang durch den Schnee gelaufen, habe gekocht,­ legte, eine Plane zu spannen oder das Kondenswasser zu verwerten.
gegärtnert, bin zum Markt gegangen und habe gemerkt: Es fehlt mir Wenn ich in Europa bin, heißt es in Amerika: »Anna ist in den
an nichts, ich brauche diesen Wirbel gar nicht, das Leben in den USA Bergen.« Dann versucht mich niemand zu erreichen. Natürlich
und Paris. Ein kleiner Ort reicht mir, ob das nun das Haus meiner liebe ich die Großstadt auch, immer was los, gutes Essen, chasing
Eltern in Freiburg ist oder meine Wohnung in der Schweiz. the dream, und wenn man den erreicht hat: chasing the next one.
Gerade träume ich von einem autarken Haus: einer Farm im Aber ich habe ein Talent darin, nicht zu vermissen. Ich merke es
Eigenerwerbsbetrieb; ein paar Ziegen, Schafe und Hunde halten, immer erst nach meiner Rückkehr nach New York, dass die Stadt
Gemüse und Obst anbauen. Ich übe schon, aber ganz klappt es noch mir gefehlt hat.
Anna Ewers, 30, gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Models. Protokoll: Gabriel Proedl
Entdecken Sie die Ruhrtriennale 2023 –
Seit 2001 macht
die ExtraSchicht
ehemalige Indus-
triestätten wie die
Zeche Zollverein
in Essen einem
das Festival der Künste
breiten Publikum EIN BEITRAG DER
zugänglich. KULTUR RUHR GMBH HIGHLIGHTS
In der Nacht der Zu den Highlights gehören
Industriekultur, 2023 William Shakespeares
der ExtraSchicht, Die Ruhrtriennale, das Festi­
»Ein Sommernachtstraum«
stehen rund 500 val der Künste in der Metro­ in der Regie von Intendantin
Events auf dem
pole Ruhr, findet 2023 vom Barbara Frey oder Leoš
Programm – auch
10. August bis 23. September in Janáček »Aus einem
außergewöhnliches
Tanztheater. Totenhaus« – inszeniert
Bochum, Dortmund, Duisburg von Starregisseur Dmitri
Eine transparente, und Essen statt. Monumentale Tcherniakov.
offene Architektur
Werkshallen, Kokereien und
prägt das Haus der
Ruhrfestspiele und Maschinenhäuser des Bergbaus
bietet den idealen und der Stahlindustrie verwan­
Rahmen für eines
der renommiertes- deln sich in beeindruckende
ten Theaterfestivals Bühnenräume und machen die INFOS
Das gesamte Programm
Europas. Ruhrtriennale zu einem welt­
weit einzigartigen Festival an
sowie Informationen zu den
Spielorten, Angeboten und
den Schnittstellen zwischen Anreise finden Sie auf
zeitgenössischem Musiktheater, www.ruhrtriennale.de
Tanz, Schauspiel, Performance,
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und ein faszinierendes Kinder- auf den Kartenkauf bis zum Ticket-Hotline: (0221) 280 210
und Jugendtheater auf die Bühne 4. Juni.  info@ruhrtriennale.de
bringen (www.ruhrfestspiele.de).
Immer am letzten Samstag im
Juni, von 18 bis 2 Uhr, bespielen
jährlich rund 200 Kunstschaffen-
Nam June Paik: I Expose the Music
de ehemalige Industrieanlagen,
Museen und Landmarken – ein
Sonderausstellung im Dortmunder U
KulturFestival für die ganze EIN BEITRAG DES
Foto: © Dortmunder U / Roland Baege
DORTMUNDER U Das Dortmunder U vereint
Metropole Ruhr. In dieser Extra-
auf sieben Etagen Kunst,
Schicht, der Nacht der Industrie- Kultur und Kreativität sowie
kultur, stehen rund 500 Events auf Bekannt wurde Nam June Paik Wissenschaft und Forschung,
Kunstvermittlung und kultu-
dem Programm – von klassischer als »Vater der Videokunst«, dabei
Musik über Theater, Comedy und spielte Musik eine ebenso große relle Bildung. Mit Ausstellun-
gen der klassischen Moderne
Sonderführungen bis zum Höhen- Rolle im Werk des »world’s bis hin zur digitalen Kunst,
feuerwerk (www.extraschicht.de). most famous bad pianist«, wie Konzerten, einem hauseignen
Auch auf der Ruhrtriennale er sich selbst bezeichnete. Das Kino und vielem mehr bietet
werden vom 10. August bis 23. Dortmunder U zeigt in der Son­ das Dortmunder U eine
Erlebnisgarantie für alle
September ehemalige Industrie- derausstellung vom 17.03. bis Besucher*innen.
monumente zur Bühne: Das 27.08.2023 mit musikalischen
jährliche Festival feiert die Kunst Aufführungen, Fernsehüber­
Foto: © Dortmunder U / Roland Baege
an den Schnittstellen von Schau- tragungen, Audio­ und Video­ Alle Informationen zur
Ausstellung und dem zuge-
spiel, Musiktheater, Konzert, arbeiten sow ie zahlreichen hörigen Rahmenprogramm
Tanz, Performance, Installation, i ntera k t iven A rbeiten a l le finden Sie unter
Literatur und Dialog (www.ruhr Facetten des Begründers der www.dortmunder-u.de/paik.
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64 ENTDECKEN 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Erleichtert
Das Medikament Ozempic ist zur
Behandlung von Diabetes zugelassen.
In Hollywood nehmen es Stars, um
ohne Qual abzunehmen. Wie fühlt sich
das an, ein Leben ohne Appetit?
ELISABETH RAETHER hat es ausprobiert

I
Ich kann diesen Text nur schreiben, weil
vor einem Jahr meine Mutter gestorben
ist. Lebte sie noch, würde sie sagen:
Schätzchen. Was soll das? Eine Spritze
zum Abnehmen? Dazu ein Blick, wie
nur Mütter einen angucken können,
streng und enttäuscht zugleich. Meine
Mutter hatte, unnötig zu sagen, eine
ganz andere Biografie als Helmut
Schmidt, doch für mich war sie, was er
für die Deutschen war, eine moralische
Instanz, die ihre ­Urteile nicht weiter be-
gründen musste. Sie war sozusagen mein
Wobei ich natürlich versucht hätte zu
argumentieren.
Ich hätte gesagt: Mama, aber hast du
nicht neulich erst zu mir gesagt, du bist
froh, dass du durch die Chemo ab- und
nicht zugenommen hast?
Sie hätte gesagt: Ich meinte ja nur,
wenn man schon sterbenskrank ist, ist es
besser abzunehmen, als auch noch dick zu
werden.
Ich: Du hast etwas von Idealgewicht
gesagt.
Sie, wahrscheinlich lachend: Okay, ja.
jeder weiß, dass ich keine Vollidiotin bin
(auch wenn ich mich während des Expe-
riments manchmal so fühlen werde). Ich
bin wie jeder normale Mensch imstande
zu tiefen Gefühlen bei gleichzeitigen
Quatschgedanken. Ich versuche den Sinn
des Lebens zu begreifen, denn ich habe
immer noch nicht verstanden, warum
meine Mutter sterben musste. Und neben­
bei stelle ich mir Fragen wie diese: Würde
ich nicht viel besser aussehen, wenn ich
etwas weniger wiegen würde?
Die Spritze also. Sie heißt Ozempic.
einiger Zeit in der Diabetes-Therapie ein-
gesetzt werden. Es wirkt wie das im Darm
gebildete körpereigene Hormon GLP-1,
das nach einer Mahlzeit ausgeschüttet
wird und der Bauchspeicheldrüse zu ver-
stehen gibt, dass sie Insulin freisetzen soll.
Daraufhin sinkt der Blutzuckerspiegel.
Semaglutid reduziert außerdem den Ap-
petit. Drastisch. Bislang war keiner der
Wirkstoffe aus der Familie der GLP-1-
Rezeptor-Agonisten so effizient beim­
Abnehmen.
Schnell wurden die Menschen auf die
men ab. Als Jimmy Kimmel im März die
Oscar-Verleihung eröffnete, sagte er:
Wenn ich mich hier so umgucke, frage ich
mich, ob Ozempic nicht auch für mich
das Richtige wäre.
Von Elon Musk waren vergangenes
Jahr einige unvorteilhafte Bilder auf Twit-
ter aufgetaucht, im Herbst war er er-
schlankt. Hey, was ist dein Geheimnis,
fragte jemand via Twitter. In seiner Ant-
wort verwies er auf den Wirkstoff Sema-
glutid.
Ich denke für gewöhnlich nicht, das
Foto: Alistair Matthews für DIE ZEIT

ewiger Bundes­kanzler, sie sagte, das tut
man nicht, und ich dachte, stimmt. Und
zu den Dingen, die man nicht tut, ge-
hört, sich eine Spritze in den Bauch zu
jagen, um drei Kilo abzunehmen.
Aber niemals hätte sie erlaubt, dass ich
mir ein starkes Medikament zur Gewichts-
reduktion verabreiche. Und sie hat ja
recht. Ich weiß. Deshalb habe ich über-
haupt nur meine Mutter erwähnt. Damit
Ihr Wirkstoff: Semaglutid. Hersteller:
das dänische Pharmaunternehmen Novo
Nordisk.
Semaglutid gehört zu den GLP-1-
Rezeptor-Agonisten, wie sie schon seit
Spritze aufmerksam, die am meisten unter
den Schönheitsidealen leiden, die sie selbst
hervorgebracht haben, die A-List in
Holly­wood. Die Dünnen wurden plötz-
lich noch dünner. Und die Dicken nah-
tun zu müssen, was Elon Musk tut. Es
kann sein, dass er in einem tiefgekühlten
Bett schläft, weil es gut gegen Falten ist.
Als er mit seinem Teslawerk nach Bran-
denburg kam, musste er vorher quasi die
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023 ENTDECKEN 65

komplette deutsche Gesetzgebung aushe-
beln. Deshalb denke ich zu Beginn, mein
Ozempic-Projekt würde sich darin erschöp-
fen, zu dokumentieren, dass das gute alte
deutsche Gesundheitssystem gar nicht
bereit ist für so ein Zeug. Die in Los Ange-
les machen das, wir hier machen FDH, friss
die Hälfte. Ozempic ist verschreibungs-
Abgesehen davon, dass der Satz mich
fast zu Tränen rührt, denke ich, dass es
stimmt: Ich schäme mich wegen meiner
mangelnden Demut. Was mische ich mich
so in die Dinge meines Körpers ein? Wäre
das nicht wirklich Gottes Aufgabe? Oder
eben die einer höheren Instanz. Des Schick-
sals. Habe ich das Recht, mein Schicksal
Ein Professor für Diabetologie an
einem Uni-Klinikum, den ich anrufe,
sagt, er als Arzt sehe es schon sehr kri-
tisch, wenn Gesunde sich Ozempic ver-
abreichen. Kein Medikament sei risiko-
frei. Als ich ihm meinen Selbstversuch
gestehe (ein weiterer peinlicher Mo-
ment), sagt er: Aha, na ja, wird schon
ob man fettreduzierten Käse oder Crois-
sant isst? Das eine ist ein Verbrechen, das
andere ein Hochgenuss. Ob man das
eine oder das andere essen will, ist doch
eine Frage von Stil, Sexyness, und ja,
Moral.
Es stellt sich heraus: Ist es nicht. Es
ist ein Hormon, das entscheidet. Das
sprechen, als gehörten sie einer lang dis-
kriminierten Minderheit an. Frauen-
rollen sind heute nicht mehr so festgelegt
wie früher, dafür sind neue Tabus ent-
standen. Es ist zwar kein Tabu, abzuneh-
men. Auch Dünnsein ist ganz offensicht-
lich kein Tabu. Man darf sagen: Ich will
mich gesünder ernähren. Ich mache
wie man an Menschen denkt, in die man
mal verliebt war.
Mein Ich und mein Über-Ich, beide
in Ernährungsfragen gut geschult, ent-
scheiden, was es zu essen gibt, das Es
hat nichts zu melden. Es ist wie Politik
machen ohne Volk, die vollkommene
Vernunft.

pflichtig und in Deutschland nicht als
Mittel zum Abnehmen zugelassen. Was ich
begehre, ist ein sogenannter Off-Label-Use,
ist zwar nicht verboten, klingt aber so.
Ich vereinbare einen Termin für in vier
Wochen bei meiner Hausärztin. Früher
geht nicht, erwartet man auch nicht als
Kassenpatientin. Die Praxis der Ärztin
wurde eventuell eigens für einen ARD-
Report »So unterfinanziert ist das deutsche
Gesundheitssystem« eingerichtet. Raufaser­
tapete wellt sich. Die Ärztin hat als Coro-
na-Schutz einen wackligen Rahmen aus
Holz, vielleicht eigenhändig zusammen-
gezimmert, mit einer durchsichtigen
Plastikscheibe.
Einige Tage vor dem Termin kommen
mir Bedenken. Wird die Ärztin mich aus
der Praxis werfen, wenn ich, kerngesund,
sie bitte, mir ein Mittel gegen Typ-2-Dia-
betes zu verschreiben? Ist es nicht schon
falsch, einen Termin bei ihr zu blockieren,
wo es doch Menschen gibt, die wirklich
krank sind, und auch in Berlin-Mitte
Ärztemangel herrscht?
Ich sage ab. Ich finde einen Arzt, der
Termine an selbst zahlende Patienten ver-
gibt. Man kann zum Beispiel eine Tauch-
tauglichkeitsuntersuchung bei ihm ma-
chen lassen, Reiseimpfungen. Und eine
Beratung zur Gewichtsreduktion für 30,82
Euro. Zwei Tage später ist ein Termin frei.
Wenn ich selbst zahle, nehme ich nieman-
dem etwas weg. Dieser Gedanke ist nicht
vollkommen logisch, genügt mir aber.
Vor mir warten andere Patienten am
Empfang. Eine ältere Frau, offensichtlich
geschwächt, sagt, sie möchte den Arzt­
sehen.
Haben Sie einen Termin?, fragt die
Sprechstundenhilfe.
Nein, sagt die ältere Dame.
Sie brauchen einen Termin.
Die ältere Dame zieht von dannen.
herauszufordern?
Früher glaubte man, Schmerzen seien
eine Strafe Gottes. Erst René Descartes
schrieb im 17. Jahrhundert eine natur-
wissenschaftliche Theorie zur Entstehung
von Schmerz nieder. Er ging davon aus,
dass der Schmerzreiz über Nervenbahnen
ins Gehirn geleitet wird. Schmerz ist keine
Strafe, sondern ein Warnsignal. Also
nichts, was man immer ertragen muss.
Etwas von der alten Gottesfurcht unserem
Körper gegenüber ist aber geblieben. Als
dürften wir die Grenzen nicht austesten.
Babys durch künstliche Befruchtung
entstehen zu lassen, nannte der Spiegel in
den Siebzigerjahren einen Frevel. Ein Frevel
bezeichnet einen Verstoß gegen die gött­
liche oder menschliche Ordnung aus be-
wusster Missachtung, Auflehnung oder aus
Übermut. Noch heute behalten viele Eltern
es lieber für sich, dass ihre Kinder dank Re-
produktionsmedizin auf der Welt sind.
Eine Geburt ohne Betäubung gilt vie-
len als der beste und schönste Weg, ein
Kind auf die Welt zu bringen.
Endometriose, eine Erkrankung im
Unterleib der Frau, wird oft übersehen, weil
man denkt, Regelschmerzen gehören halt
dazu, da nimmt man eine Wärmflasche.
Es kann sein, dass besonders von
Frauen­körpern erwartet wird zu ertragen.
Ich bekomme die Spritze schließlich.
Ich bestelle sie bei einer niederländischen
Versandapotheke. Sie kostet 145,29 Euro
inklusive Porto. Die Bestätigungsmail der
Apotheke landet im Spamordner, zwischen
Kreditangeboten und einer Mail mit dem
Absender »Männergeheimnisse«, Betreff:
»Oh, Orgasmus! So gesund ist der Höhe-
punkt«. Aber dass ich mich auf zwielich-
tige Wege begeben habe, daran habe ich
mich bereits gewöhnt. Ozempic wird zwei
Tage später in einem kleinen, orangen,
gekühlten Päckchen geliefert.
nichts passieren. Ich solle nur aufpassen,
dass ich genügend esse.
Das Gespräch findet am Vormittag
nach dem ersten Shot statt. Ich denke
noch: Witzig. Zu wenig essen. Ich glaube,
es ist mir in meinem ganzen Leben noch
nicht passiert, dass ich zu wenig gegessen
habe. Ich habe von all den Mahlzeiten,
die man zu sich nimmt, wahrscheinlich
keine einzige verpasst. Wenn ich eine
Tafel Schokolade kaufe, kann ich sie
nicht im Schrank vergessen, sondern sie
landet mit der Zwangsläufigkeit, mit der
das Tschechowsche Gewehr zum Einsatz
kommt, eher früher als später in meinem
Mund. Es passiert nicht selten, dass ich,
während ich esse, überlege, was die
nächste Mahlzeit sein könnte.
Manchmal finde ich mich etwas zu
esslustig, und es ist mir ein bisschen un-
angenehm, dann denke ich wieder: So
ist es eben, und immerhin hat mein
Appetit mir eine Kochkolumne im
ZEITmagazin eingebracht. Aber vor al-
lem glaubte ich immer, dass mein Appe-
tit ein Spiegel meiner Seele ist. Mein
Appetit, das bin ich, meine Geschichte,
mein Leben. Alles, was mich ausmacht.
Ich warte auf die Ozempic-Wirkung.
Ich halte alles für möglich. Ich stelle mir
etwas Dramatisches vor. Doch das Ge-
genteil passiert: Stille kehrt ein.
Normalerweise läuft es so ab: Ich
mache genau das, wovon Ernährungs-
berater abraten, denn ich esse bei einem
frühen Frühstück wenig, um gegen 11
Uhr vom Hunger überfallen zu werden.
Da sitze ich aber meist im Büro. Brunch-
träume ereilen mich: Avodacobrot, Eggs
Benedict. Alles natürlich nicht machbar.
Ein kleines inneres Drama, täglich.
Doch an diesem Tag bleibt es stumm
in mir. Gegen halb zwei fällt mir ein, dass
es so etwas wie Mittagessen gibt.
GLP-1 entscheidet. Und mein GLP-1
flüstert: Du brauchst nichts, du willst
nichts. Mein Appetit ist nichts weiter als
ein chemischer Vorgang.
Diese Erkenntnis macht mich schlag-
artig betroffen. So muss es sich angefühlt
haben, als es den Menschen dämmerte,
dass die Erde sich um die Sonne dreht
und nicht andersherum. Wir sind keine
Geschöpfe Gottes, und auch keine Ge-
nies, sondern Fussel im Weltall, eine
zufällige Zusammensetzung von Che-
mie. Und unsere Wahrnehmung ist ge-
macht für Storys über uns selbst, aber
nicht dafür, das Stoffliche in uns und um
uns zu begreifen.
Fünf Physalisfrüchte machen mich
satt und zufrieden. Ich gehöre nun zu den
Menschen, die mir immer suspekt waren.
Die einfach nicht so arg hungrig sind.
Eine Woche Ozempic, zwei Kilo weniger.
Fehlt mir die Lust am Essen, wenn
sie mir sonst so wichtig ist? Leider nein.
Ich finde es beflügelnd, aufregend,
plötzlich jemand anderes zu sein, eine
Fremde zu sein. Ich empfinde Hunger,
spüre meinen leeren Magen, aber keine
Dringlichkeit, ihn zu füllen. Ich könnte
auch erst etwas zu Ende lesen oder das
Kinderzimmer aufräumen. Dann viel-
leicht etwas essen. Oder auch nicht. Ich
genieße es, nichts zu wollen und deshalb
auch nichts zu müssen. Ist es nicht das
Nirvana, nichts zu wollen?
Hunger ist der stärkste Trieb, den
man haben kann, der einen buchstäblich
wahnsinnig macht, wenn man ihn nicht
befriedigt. Und ich habe ihn besiegt. Ich
fühle mich wie Prometheus, der den
Göttern das Feuer entrissen und den
Menschen gebracht hat. Obwohl mir
gerade eindrucksvoll nachgewiesen
wurde, dass ich nur der Sklave von
GLP-1­bin und dass der freie Wille nicht
Detox, ich entschlacke. Allerdings ist das
oft einfach gelogen.
Das, was man nicht sagen darf, ist:
Ich strenge mich an, um dünn zu wer-
den, zu bleiben. Ich gebe mir Mühe, es
fällt mir nicht leicht.
Übers Abnehmen wird öffentlich
heute so verschämt und verlogen ge-
sprochen wie früher über den weiblichen
Orgasmus. Es kann gar keine richtigen
Gründe für eine Frau geben, dünn sein
zu wollen. Sie will dem männlichen
Blick gefallen, heißt es böse, sie beugt
sich den Schönheitsidealen der Gesell-
schaft. Oder man wird kurzerhand für
krank erklärt, wofür das Wort Essstö-
rung in Stellung gebracht wird. Ja, es gibt
Kranke, aber eben nicht nur. Dass es sich
auch um eigene Ideale handeln könnte,
ein eigenes Körpergefühl, scheint aus-
geschlossen. Als könnte eine erwachsene
Frau nicht auch selbst auf sich aufpassen.
Es hat mich erst irritiert, ja gekränkt,
dass der Arzt, der mir Ozempic ver-
schrieben hat, nicht sofort ausrief: Aber
Sie müssen doch gar nicht abnehmen!
Sondern sagte: Okay, wenn Sie wollen,
Sie entscheiden.
In den Wochen auf Ozempic ernähre
ich mich wie eine künstliche Intelligenz:
optimal. Vielleicht esse ich etwas zu
wenig, allerdings ist auch das ja gar nicht
ungesund. Vor ein paar Jahren war ich
mal auf einer kleinen Insel in Okinawa
in Japan. Dort bleiben die Menschen bis
ins hohe Alter gesund, hocken 100-jäh-
rig in den Vorgärten und ratschen mit-
einander. Sie sagten, sie seien so fit, weil
sie stets aufhören würden zu essen, wenn
sie eigentlich noch weiteressen könnten.
Der Magen soll nie voller als 80 Prozent
sein. Hara Hachi Bu heißt das Prinzip,
dessen Anwendung mir nie gelungen ist,
erst jetzt, mit Ozempic.
M
ir gefällt mein Zustand,
doch mir kommt die
Befürchtung, dass ich
etwas langweilig gewor-
den bin. Als ich mit ein
paar Kollegen Essen ins Büro bestellen
will, scrollen wir durch die Website des
Restaurants. Gerichte rekeln sich vor
mir. Herrliches Sushi, eine knusprige
Ente, dicke Udon-Nudeln. Ich bestelle
»Virgin Monk«, Tofu mit Gemüse. An
einem Abend treffe ich Freunde in einer
Bar. Ich trinke ein halbes alkoholfreies
Bier, dann bin ich satt. Ich frage die
Französin hinter der Bar, ob sie Kräuter-
tee haben. Sie sieht mich entsetzt an.
Ich bin ein jungfräulicher Mönch. Ich
habe vier Kilo abgenommen.
Ich muss feststellen, dass es den meis-
ten Leute in meinem Umfeld vollkom-
men egal ist, wie viel ich wiege. Gut zu
wissen. Ich selbst fühle mich prima, ich
habe Energie, bin konzentriert. Ich kann
nichts Schlechtes über Ozempic sagen.
Obwohl ich verstehe, dass das Medika-
ment, wenn man es mal als Metapher
begreift, etwas leicht Unsympathisches
an sich haben könnte. Ozempic ist die
FDP-Lösung: der technologische Ersatz
für Verzicht. Wir haben eine Welt er-
schaffen, in der es zu viele Kalorien für
unsere armen Hirne gibt. Und jetzt
könnten wir das Problem durch High-
tech statt durch Mäßigung lösen.
Muss ich erwähnen, dass ich ganz die
Alte bin, nur mit rutschender Jeans?
Dass eine Spritze mir nicht alle Sorgen
und Unsicherheiten genommen hat?
Kann sich das nicht jede und jeder selbst
denken?
Der letzte von den vier verschriebe-
nen Shots steht an. Patienten, die an
Diabetes oder auch Adipositas leiden,

Dann bin ich dran. Was soll ich sagen?
Hallo, ich habe einen Termin, weil ich
keine größeren Sorgen habe als die, dass
meine Jeans in letzter Zeit etwas kneift?
Kurzer Gedanke: Die gebrechliche Frau
war ein Zeichen, eine Botin. Vielleicht hat
meine Mutter sie geschickt, um mir zu
sagen: Jetzt ist noch Zeit, umzukehren. Es
klingt bescheuert, aber ich denke es wirk-
lich, magisches Denken, Kinderdenken.
Scham. Scham ist ein kindliches Gefühl.
Ich zwinge mich, zum Arzt zu sagen:
Ich würde gern ein bisschen abnehmen
und habe von Ozempic gelesen. Könnten
Sie mir das verschreiben?
Er, 15 Jahre jünger als ich, guckt mich
an über seine OP-Maske hinweg, die ihm
von der Nase gerutscht ist. Ich habe das
Bedürfnis, mich hinter dem Stuhl zu­
verstecken, auf dem ich sitze.
Man kann immer etwas abnehmen,
D
Ein paar Tage später liegen vor mir in ganz so frei ist, fühle ich mich ... frei. Ich esse vorsichtig, weil ich mich vor brauchen Semaglutid ihr Leben lang,
ie Spritze ist eigentlich ein der Küche zur Auswahl ein fluffiges Ich weiß, dass man übers Abnehmen der typischen Ozempic-Nebenwirkung weil die Wirkung aufhört, wenn man das
Stift, sie ähnelt einem di- Schokocroissant und ein Stück fettredu- nicht so euphorisch schreiben darf. Übelkeit fürchte. Aber sie bleibt mir er- Medikament absetzt. Es kann gut sein,
cken, himmelblauen Ku- zierter Schafskäse. Beides sieht für mich Schon gar nicht als Frau. Man darf über spart. Ich nehme die Nährstoffe zu mir, dass ich alles, was ich abgenommen
gelschreiber. Dieser Stift gleich aus. Es ist mir egal, ob ich das eine sich selbst nicht laut sagen, dass man sich die man zu sich nehmen soll, ich esse habe, bald wieder zunehmen werde.
scheint, so berichtet es oder das andere essen werde. Ich horche zu dick findet, weil es andere, die gleich fettarme Proteine, Gemüse, Obst, Voll- Mein Appetit wird mir freudig in die
mir ein Arzt, neben der gestiegenen in mich hinein. Da ist: nichts. Wie kann dick oder noch dicker sind, verletzen korn. Kuchen, geschmolzener Käse, Arme fallen, wenn wir uns wiedersehen,
Nachfrage ein Grund zu sein, warum das sein? Wie kann man so gleichgültig könnte. Man muss über seine eigenen Pasta, diese Dinge interessieren mich und ich, nicht ganz so begeistert, werde
Ozempic oft nicht geliefert werden kann, sein? Ist es nicht eine Lebenseinstellung, Speckrollen so bewusst und vorsichtig einfach nicht mehr so. Ich denke an sie, sagen: Hallo, alter Freund.
die Lieferketten für die Kunststoffteile
seien unterbrochen. Um eventuelle Ver-
sorgungslücken zu schließen, verdoppelt
der Hersteller Novo Nordisk nach eige-
nen Angaben in diesem Jahr seine­ ANZEIGE
Produktionskapazitäten im Vergleich zu
2022. Laut Novo Nordisk kommt für
den deutschen Markt erschwerend hin-
zu, dass Ozempic hier durch den Preis-
deckel verschreibungspflichtiger Medi-
kamente relativ günstig zu bekommen Riesling vom Feinsten
sei: Die Händler würden beim Hersteller

DIE ZEIT Weinedition

oder?, höre ich mich sagen. Dann ein be-
scheuertes Kichern.
Hm, ja, sagt er. Dann: Moment, ich
komme gleich wieder.
Er lässt mich lange warten. Vielleicht
alarmiert er die Polizei. Oder die Deutsche
Diabetes Gesellschaft. Ich sage ja: Scham.
Sie vernebelt einem die Gedanken.
Er kommt wieder, sagt, kein Problem.
Wir machen noch eine kleine Körperfett-
messung, kostet 60 Euro, wird aber mit
den 30 Euro verrechnet, die Sie schon
gezahlt haben. Bitte hier entlang.
Ich bin mir fast sicher, dass ich keine
Körperfettmessung per Elektroden am
rechten Fuß und der rechten Hand brau-
che, und tatsächlich ergibt sie, dass ich
normalgewichtig bin. Der Arzt überreicht
mir das Rezept. Einmal die Woche sprit-
zen, vier Wochen lang. Dann sehen wir uns
wieder. Sollte kein Problem sein, bis dann.
Draußen vor der Tür, ich halte das
Rezept in der Hand. O Gott. Ärztemangel,
Bettenmangel, Überregulierung – für ein
paar Euro scheint man dem entfliehen zu
können, um sich im Paralleluniversum der
Lifestyle-Medizin einzufinden. Das neuste
Produkt: Dünnsein. Aber vielleicht be-
komme ich die Spritze gar nicht? Ich habe
gelesen, es gebe Lieferschwierigkeiten.
Und tatsächlich, strenger Blick von der
Apothekerin: Sind Sie Diabetikerin? Ich,
erleichtert wie ein Kind, das bei einer
Dummheit erwischt wird: Nein.
Die Apothekerin: Ozempic bekommen
Sie nicht. Lieferprobleme. Nicht bestellbar.
Auf Wiedersehen.
Woher kommt die Scham?, frage ich
mich. Geht es die Apothekerin überhaupt
etwas an, was ich nehme? Immerhin hat
ein Arzt mir das Medikament verschrieben.
Ich verstehe es ein paar Tage später, als
ich einem Freund von meinem Experiment
erzähle. Er ringt um Worte, sagt etwas von
befremdlich und mangelnder Demut. Er
fragt: Ist es nicht so, dass der liebe Gott es
doch so gut mit dir gemeint hat?
einkaufen und dann lieber auf den
Märkten verkaufen, wo sie höhere Preise
erzielen könnten.
Man muss sich die Anleitung für den
Stift konzentriert durchlesen, einmal pro
Woche soll man ihn benutzen. Es werden
mehrere Deckelchen abgezogen, es muss
ein bisschen herumgedreht werden. Klick.
»Rheingau«
Dann ist es idiotensicher. Die Nadel ist
winzig. Rein in die Haut am Bauch, bis Das Anbaugebiet Rheingau gehört zu den traditions- auf eine Reise in den Rheingau. Sie lernen sechs
sechs zählen. Los geht die Reise. Wobei erst reichsten der Welt, insbesondere der Riesling findet herausragende Weingüter und Persönlichkeiten
mal gar nichts passiert. Es tut nicht weh, hier fantastische Bedingungen. Diese Edition lädt kennen, die den Rheingau bis heute prägen und
und ich habe Lust auf ein Stück Kuchen. ein, sich dem Riesling mit all seinen Facetten zu wid- erfahren, was die Region so besonders macht.
Appetitzügler haben einen sehr schlech- men: fruchtig, trocken, alte und junge Reben, steile Es gibt viel zu erzählen von den Menschen,
ten Ruf. Einige wurden vom Markt ge- und flachere Lagen, Ortswein, Lagenwein, einen ihrer Arbeitsweise, ihrer Philosophie, ihrem Stil
nommen wegen extremer Nebenwirkun- sensationellen Sekt und ein Großes Gewächs vom und ihren Visionen, vom Klima und der Kulinarik.
gen wie Herzinfarkten und erhöhten
Siegelsberg haben wir in diesem Paket zusammen-
Krebsrisikos. Zu Semaglutid, zur Gruppe
der GLP-1-Rezeptor-Agonisten allgemein, gestellt. In unserem Magazin nehmen wir Sie mit Viel Vergnügen beim Lesen und Genießen!
gibt es zahlreiche Studien. Ozempic ist seit
2018 zugelassen und gilt als sehr sicher.
Die Nebenwirkungen sind mild, vorüber-
gehende Übelkeit, Erbrechen, Unwohlsein
gehören zu den häufigsten. In extrem­
seltenen Fällen kann sich die Bauchspei- 6 herausragende
cheldrüse entzünden.
Allerdings wurden keine Daten darüber Weine für
erhoben, wie Semaglutid bei Normal­
gewichtigen und Gesunden wirkt. Der
Hersteller Novo Nordisk führt keine Stu-
79,95 €*
dien dazu durch, denn, so eine Sprecherin Bestell-Nr. 43899
des Unternehmens, der Anspruch sei, (17,77 €/Liter)
Menschen mit chronischen Erkrankungen
»Behandlungslösungen zu ermöglichen«.
Es leuchtet natürlich sofort ein, dass
man eigentlich keinen Anspruch auf me-
dizinische Hilfe hat, wenn man an seiner
Sommerfigur arbeitet. Allerdings ist der
Wunsch, ein bisschen weniger zu wiegen,
doch sehr verbreitet, und ein wirkungs-
volles, echtes Medikament mit überschau-
baren Nebenwirkungen würde all den
Bullshit-Abnehmpillen und nicht funk-
shop.zeit.de/rheingau
tionierenden Kurmittelchen, all den über- 040/32 80-101
flüssigen Apps und dummen Diät-­
*zzgl. Versandkosten | Inhalt: 4,5 Liter (17,77 €/1 Liter) | »Five o’Clock« – Riesling Qba, 2021, 11,5 Vol.-% | Rheingauer Sekt b. A. Cuvée, Riesling & Pinot Blanc, Brut Nature,
Büchern den Garaus machen. Eigentlich 12,5 Vol.-% | Rüdesheimer Berg Roseneck, Riesling trocken, 2021, 12,5 Vol.-% | Riesling »Alte Reben« Erste Lage Oestricher Klosterberg, 2021, 13 Vol.-% | Wallufer Walkenberg
eine ganz gute Vorstellung. Riesling Kabinett trocken, 2018, 12 Vol.-% | Erbacher Siegelsberg, Riesling, trocken, »Großes Gewächs«, 2016, 12 Vol.-% | Allergenhinweis: Alle Weine enthalten Sulfite.
Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg; Geschäftsführer: Dr. Rainer Esser

112771_ANZ_220x220_X4_ONP26 1 11.04.23 15:16

 66
Freie Bahn
Sie wollen mal reibungslosen Nahverkehr erleben? Dann auf nach Luxemburg! Dort fahren Busse und Züge pünktlich – und sogar kostenlos  VON MATTHIAS KALLE
Foto: Christophe van Biesen
Blick auf Luxemburg: Die Hauptstadt trägt denselben Namen wie das Land
N
atürlich hätte ich
damals auch ein-
fach aussteigen und
mir das alles an-
schauen können,
als ich mit 19 durch
Luxemburg fuhr,
aber ich hatte es eilig, ich wollte nach
Frankreich, an den Atlantik, ging halt
am schnellsten durch Luxemburg, und
dort hatte ich auch überhaupt nichts zu
suchen. Das blieb auch so bis vor ein
paar Wochen, da war ich wieder in­
Luxemburg und suchte nach der Ant-
wort auf die Frage, wie das eigentlich ist,
wenn man in einem Land um­sonst mit
Zügen und Bussen durch die ­Gegend
fahren kann, denn in ­Luxem­burg sind
öffentliche Verkehrsmittel kostenlos.
Das ist einzigartig auf der Welt, im
Gegensatz zum Atlantik, den gibt es ja
dann doch am Rand von mehreren
Ländern.
Jetzt ist Luxemburg natürlich
nicht so groß. Im anerkannten Ver-
gleichsmaß »Saarland« ist Luxemburg
genauso groß wie das Saarland. Und
auf dieser Fläche leben 645.000 Men-
schen, so viele wie in Stuttgart (aber
weniger als im Saarland). Und diese
Menschen können seit drei Jahren
umsonst durch ihr Land juckeln. Die
Deutschen können immerhin ab dem
1. Mai für 49 Euro durch ihr Land­
juckeln, aber Deutschland ist auch
größer, 139-mal so groß wie das­
Saarland (oder Luxemburg), und es
leben auch viel mehr Menschen in
Deutschland, wenn die alle umsonst
Zug ­fahren dürften, würde das ja gar
nicht funktionieren.
Nun ja. Funktioniert ja jetzt auch
nicht so richtig. Ich musste erst mal mit
dem Zug von Berlin nach Luxemburg
kommen, das ist auch kein Kinderspiel,
wenn man freitags losfährt, in Köln­
umsteigen muss und nur sechs Minuten
Umsteigezeit hat. Selbstverständlich
habe ich meinen Anschlusszug verpasst,
wegen verspäteter Einfahrt, wegen der
vielen Menschen, wegen der Treppen im
Bahnhof. Immerhin fuhr eine halbe
Stunde später ein anderer ICE Richtung
Koblenz, doch meine Freude darüber
währte nur kurz, weil in diesem ICE ein
Rentner unentwegt im Stile eines
Gangster-Rappers vor sich hin schimpf-
te. In Koblenz stieg ich zum Glück in
einen Regionalexpress nach Luxemburg,
und hinter Trier bekam ich gute Laune,
denn draußen waren die Mosel und die
Weinberge, und die Schaffnerin sprach
mit französischem Akzent. Das klang so,
­als würde gleich die Harald Schmidt
Show anfangen.
Kurz hinter Trier beginnt schon
Luxemburg, Wasserbillig ist der Name
des ersten Ortes hinter der Grenze, das
klingt ja gleich viel schöner als beispiels-
weise Konz. Ab hier fuhr ich also um-
sonst, und eine halbe Stunde später kam
ich am Luxemburger Hautbahnhof an.
Hauptstadt und Land haben denselben
Namen, deshalb sagen die Luxemburger
zu ihrer Hauptstadt »die Stadt«. Vor dem
Bahnhof halten mehrere Buslinien und
die Stater Tram, eine Straßenbahn, die
aussieht wie ein Gefährt in Science-
Fiction-Filmen aus den Siebzigerjahren.
Mein Hotel war nur 400 Meter entfernt,
aber wer läuft 400 Meter, wenn er die
umsonst fahren kann? Ich stieg in den
Bus der Linie 18 und hatte sofort ein
schlechtes Gewissen, weil ich kein Ticket
zog und kein Ticket entwertete. Ich hielt
instinktiv nach glatzköpfigen Kontrol-
leuren mit Bauchtaschen Ausschau. Aber
ich sah keine, niemand entwertete ein
Ticket; der Busfahrer fuhr einfach los.
Obwohl es freie Sitzplätze gab, blieb ich
vorsichtshalber stehen.
Am nächsten Morgen gab ich mich
betont routiniert und fuhr im Sitzen mit
dem Bus vom Hotel zum Hauptbahnhof.
Obwohl Samstag war, herrschte kein
Gewusel, vielleicht hat es der Luxembur-
ger nicht so mit Wochenendausflügen,
0-Euro-Ticket hin oder her. Am Gleis
wartete bereits der Regionalexpress, den
ich mir rausgesucht hatte, mein erstes
Ziel war die Region Minette im Süd-
westen des Landes. Früher wurde dort
Eisenerz abgebaut und in Hochöfen ge-
schmolzen, »Land der roten Erde« nennt
man diese Gegend, aber von roter Erde
keine Spur, als ich über Bettemburg und
Esch an der Alzette fuhr, um an der Sta-
tion Belval-Université auszusteigen, weil
der Campus der Uni um die alten Hoch-
öfen und Fördertürme herumgebaut ist
und ich das ganz interessant finde, Stich-
wort Strukturwandel. Außer mir schien
das aber niemand zu finden: Der Zug war
so gut wie leer; zwei, drei Studierende
stiegen mit mir aus und verschwanden in
irgendwelchen Uni-Gebäuden, während
ich mir einen Espresso holte, kurz über
Strukturwandel nachdachte und dann
darüber, wo ich als Nächstes hinfahren
könnte.
Tatsächlich fühlte ich mich von den
Möglichkeiten etwas erschlagen: Wenn
man überall hinfahren kann und das
nichts kostet, lähmt das die Entschei-
dung. Ich beschloss, in das Transport-
mittel zu steigen, das als erstes irgend-
wohin fuhr. Die CFL-Mobile-App der
luxemburgischen Verkehrsbetriebe ver-
riet mir, dass dies der Bus 650 von P ­ orto
de France nach Bettemburg sei. Der Bus
kam pünktlich, war leer und brauchte
30 Minuten zum Busbahnhof Bettem-
burg. Von dort fuhr wenige Minuten
später der Bus 550 Richtung Osten,
nach Remich, in die Mosel­region, da
wollte ich eh hin. Obwohl ich mir für
diese Reise mehrere Bücher mitgenom-
men hatte, starrte ich die ganze Zeit aus
dem Fenster, dabei passierte da drau-
ßen gar nicht so irre viel: Menschen sah
ich kaum, dafür Hügellandschaften,
viel grünes Gras, kleine Wäldchen,­
melancholisch rumstehende Pferde,
faule Rinder. Die Orte waren übersicht-
lich und bestanden aus Ansammlungen
von Einfamilienhäusern und Kirchen
aus grobem Stein. Es kam mir vor, als
würde ich durch ein zeitloses Land
fahren, in dem sich nirgends ableiten
ließ, welches Jahr gerade ist.
In Remich befindet sich der Busbahn-
hof direkt an der Moselpromenade, auf
der anderen Seite des Flusses ist Deutsch-
land, Erkennungsmerkmal Camping-
platz. Zwei Schiffe liegen hier dauerhaft
vor Anker und bieten Speisen und­
Getränke zu frechen Preisen an (wenn
man kostenlos durch ein Land fährt, wird
man ein bisschen geizig). Was mir auffiel,
als ich so durch Remich schlenderte,
waren die Gruppen älterer Menschen, die
in unerotischer Weise komplett in Leder
gekleidet vor den Cafés saßen, ihre­
geparkten Motorräder immer im Blick.
Sie sprachen deutsch, ich fragte sie, was
sie nach Remich führte, und einer ant-
wortete gespielt genervt: »Tanken.«
Bierchen?
»Quatsch! Sprit.«
Ich sah zu, dass ich hier wieder weg-
kam, und nahm den Bus 413, der mich
zurück in »die Stadt« brachte, Fahrtzeit
44 Minuten. Und diese Strecke war
atemberaubend schön, einige Serpenti-
nen hinauf, Weinberge rechts und links,
die Dörfer pittoresk, und es hätte mich
nicht gewundert, wenn plötzlich hinter
einer Rosenhecke ein Bänkelsänger auf-
getaucht wäre, der mit seiner Laute ein
Liedchen zum Besten gegeben hätte.
Am Hauptbahnhof, der immer
noch alles andere als überfüllt war,
entschied ich mich dafür, mit dem­
Regionalexpress der Linie 10 eine Sta-
tion Richtung Norden zu fahren, denn
dort, auf dem Kirchberg-Plateau, soll
alles ganz anders sein: ein moderner
Stadtteil, Europäischer Gerichtshof,
Philharmonie, Museum für moderne
Kunst, hohe Häuser, waghalsige Archi-
tektur, Poke-Bowls und Ramen.
Von der Bahnstation führte eine
Seilbahn hinauf aufs Plateau, natürlich
kostenlos, natürlich war ich der einzige
Fahrgast, ich befürchtete langsam, die
Luxemburger lehnen Dinge pauschal
ab, wenn sie nichts kosten. Anderer-
seits ist es in Kirchberg an einem­
Samstagnachmittag auch ein wenig
trostlos, ich stolperte durch die Neu-
bauten, Firmenzentralen, Einkaufscen-
REISE
ter, Hotelkomplexe. Außerdem mag
ich Ramen nicht. Zum Glück fuhr hier
die Stater Tram, sie brachte mich in
fünf Minuten zurück in die Oberstadt,
wo sonnenbebrillte Menschen tütenbe-
hangen durch die Fußgängerzone und
über den Place d’Armes stolzierten.
Nachdem ich mich ein wenig aus-
geruht hatte, wollte ich das samstag-
abendliche Ausgehverhalten der Luxem-
burger recherchieren. Der Stadtteil
Grund schien hierfür die erste Anlauf-
station zu sein. Von der Oberstadt
nahm ich einen Fahrstuhl abwärts,
denn Grund gehört zur Unterstadt am
Ufer der Alzette. »Die Stadt« besteht
aus mehreren Ebenen, das kann­
anfangs verwirren. Weil ich mich im
Grund für kein Lokal entscheiden
konnte, lief ich etwas unkoordiniert
durch die engen Gassen bis in den
Stadtteil Clausen, wo auf dem Gelände
einer ehemaligen Brauerei eine Art
Kneipenmeile entstanden ist. Es gab
nur drei Probleme: Erstens war ich viel
zu früh unterwegs, die Lokale schienen
auf Kundschaft noch nicht vorbereitet;
zweitens mag ich Kneipenmeilen noch
weniger als Ramen, und drittens hatte
ich mir eine Blase gelaufen. Ich stieg
also in den nächstbesten Bus und fuhr
zurück ins Hotel. Auf der Fahrt dachte
ich darüber nach, wie blöd man sein
kann, wenn man sich bei einer Reise,
für die man nur Bus und Bahn fahren
muss, eine Blase läuft.
Am nächsten Morgen humpelte ich
zur Bushaltestelle, fuhr mit dem 18er
(meine Lieblingslinie) zum Kirchberg-
Plateau (nicht mein Lieblingsort) und
stieg um in den Bus 211, um nach
Echternach zu fahren. Echternach gilt
als die »älteste Stadt« Luxemburgs und
Hauptort der »Kleinen Luxemburger
Schweiz«. Schweiz, weil es in der­
Gegend rund um Echternach Sand-
steinfelsen gibt. Klein, weil die Felsen
halt nicht so riesig sind.
Der 211er war etwas voller, vor mir
saßen drei junge, amerikanische Paare,
die sich darüber unterhielten, welchem
Volk bei Herr der Ringe sie am liebsten
angehören würden: den Hobbits oder
den Elben? Sie würden zum Wandern
fahren, sagte mir einer von ihnen, der
lieber ein Hobbit wäre. Warum Hobbit?
»Schau doch mal raus«, sagte er, »sieht
hier doch aus wie im Auenland.« Er
hatte recht. Die sanften Hügel, das total
grüne Grün, niedrige Steinmauern, hier
und da eine Buche – der Osten Luxem-
burgs erinnert an die Heimat der­
Hobbits aus den Herr der Ringe-Filmen.
In Echternach schaffte ich es gerade
so zu Fuß bis zum Marktplatz, trank
einen tadellosen Kaffee, schaute mir kurz
die Abtei an und fuhr mit dem 190er-
Bus nach Ettelbrück. Die Stadt ist für
Luxemburg das, was Kassel für Deutsch-
land ist. Relativ in der Mitte des Landes,
muss man halt durch, will aber nicht
länger als nötig bleiben. Mein Plan war,
von da die erstbeste Verbindung egal
wohin zu nehmen. Was ich nicht wusste:
dass derzeit von Ettelbrück Richtung
Norden der Zugverkehr ausfällt. Statt-
dessen bringen einen Busse weiter, und
als ich in Ettelbrück ankam, stand da der
181er-Bus, der nach Vianden fährt, in
den angeblich schönsten Ort Luxem-
burgs. Ich stieg ein, und eine halbe
Stunde später stieg ich in Vianden wie-
der aus, wobei ich zuerst dachte, ich wäre
wieder in Echternach, denn die Schön-
heit der Orte ähnelt sich doch sehr:­
Kirchen, Burgen, Schlösser, Abteien –
meistens ein kleiner Fluss, ein Markt-
platz, Kopfsteinpflaster, Tasse Kaffee vier
Euro, Deutsche am Nebentisch.
Ich stand vor dem Haus, in dem der
französische Schriftsteller Victor Hugo
gelebt hatte und das jetzt ein Museum
ist, und dachte, dass sich ein seltsamer
Effekt einstellt, wenn man umsonst
durch die Gegend gefahren wird: Man
stumpft ein wenig ab, will eigentlich
nirgendwo bleiben, sondern sofort wie-
der los, schauen, was es noch so gibt. Am
liebsten wäre ich noch weiter in den
Norden gefahren, nach Clervaux, um mir
die berühmte Fotoausstellung Family of
Man anzuschauen, aber von Vianden
nach Clervaux braucht der Bus fast 50
Minuten, und dann zurück in »die
Stadt«, anderthalb Stunden, puh, nee,
mach ich morgen, kostet ja nix.
Montagmorgen. Auf den Straßen
Luxemburgs war plötzlich eine »Ich
muss dringend zur Arbeit«-Hektik zu
spüren. Bürgersteige, Fahrradwege, Stra-
ßen – sogar in den Bussen herrschte­
Betrieb. Am Hauptbahnhof strömten
die Pendler aus dem Gebäude. Ich ging
ihnen entschlossen entgegen, wollte ja
raus aus der Stadt, nach Clervaux. Der
Regional­express der Linie 10 stand­
bereits am Gleis (überhaupt standen alle
Züge, mit denen ich gefahren bin,­
mehrere Minuten vor Abfahrt am Gleis
und waren pünktlich). Ich fuhr schon
wieder nach Ettelbrück und von dort
mit dem Bus des Schienenersatzverkehrs
weiter nach Clervaux, ging zum Schloss,
um mir die Ausstellung a­ nzuschauen,
was man allerdings an ­einem Montag
nicht machen sollte, denn da ist Ruhe-
tag. Da stand ich also im Regen vor­
einem verschlossenen Schloss im Norden
von Luxemburg.
Ich nahm den nächsten Bus zurück
nach Ettelbrück und setzte mich dort in
den Regionalexpress nach Rodingen, im
äußersten Südwesten. Auf der Fahrt
schlich ich mich kurz in die erste Klasse.
27. April 2023 DIE ZEIT N o 18
»Mein Hotel war nur 400 Meter entfernt, aber wer läuft 400 Meter, wenn er die umsonst fahren kann?«
Die gibt es in Luxemburg auch, für die
muss man aber zahlen: zwei Stunden drei
Euro, Tageskarte sechs Euro, Monats-
karte 75 Euro, Jahresabo 660 Euro. Im
Vergleich zur zweiten Klasse sind die
Sitze rot und nicht blau und haben wei-
ße Kopfdeckchen. Außerdem gibt es
Tischchen mit kleinen Lampen. Wäh-
rend meiner dreitägigen Reise habe ich
nie einen Menschen in der ersten Klas-
se gesehen. Was ich auch nicht gesehen
habe: Bordbistros. Oder diese kleinen
Snackwagen. Es gibt auch keine über-
ambitionierten Durchsagen, die klingen,
als würde jemand lieber eine Samstag-
abendshow im Fernsehen moderieren.
In Rodingen stieg ich in den Zug
Richtung Hollerich, dort in den Zug
nach Kleinbettingen, dort in den Zug in
»die Stadt«. Dann überlegte ich, ob ich
noch irgendwo hinfahren sollte. Ich
könnte. Aber warum? Ich war jede Zug-
linie, die es in Luxemburg gibt, mindes-
tens einmal gefahren, durch jeden Bahn-
hof wenigstens durchgekommen (also
fast – nicht böse gemeint, Rumelange,
Goebelsmühlen und die paar anderen!),
und das Land würde nicht mehr schö-
ner oder hässlicher, nicht besser oder
schlechter, und ich musste dringend
meinen Fuß mit der Blase hochlegen,
das geht im Zug ja nicht.
Als ich am nächsten Morgen an den
Bahnhof kam, um zurück nach Berlin
zu fahren, stand mein Regionalexpress
nach Koblenz noch nicht am Gleis.
Verspätung. 20 Minuten. Grund war
eine defekte Weiche zwischen Karthaus
und Trier. Am Ende bin ich zwei Stun-
den zu spät zu Hause angekommen.
Aber immerhin hab ich dafür bezahlt.
BE L GI E N
DEU T S C H
L AND
Clerf
Vianden
Ettelbrück Echternach
LU X E M BU RG Trier
Kleinbet- Stadt Wasser-
tingen Luxemburg billig
Petingen
Remich
Esch an
der Alzette Bettemburg
F R A N K R E IC H
Hinweis der Redaktion: Bei unseren
Recherchen nutzen wir gelegentlich die
Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern,
Tourismusagenturen, Veranstaltern, Fluglinien oder
Hotelunternehmen. Dies hat keinen
Einfluss auf den Inhalt der Berichterstattung.
DIE ZEIT N o 18 27. April 2023
K
irchen gelten als Orte der Zu-
flucht, und die brauche ich jetzt.
In Amsterdam-Noord regnet es,
und der Wind versucht, mir mei-
nen Schirm wegzunehmen. Der
wuchtige Backsteinbau mit seinem warm­
beleuchteten Portal dagegen verspricht Schutz,
eine Tasse Kaffee und danach vielleicht einen
Old Fashioned. Denn knapp hundert Jahre
nach seiner Fertigstellung hat das Gottes-
haus eine neue Aufgabe: Es ist jetzt ein Hotel,
das Bunk Amsterdam. In großen türkisen
Leuchtbuchstaben steht der Name neben der
Kirchen­ tür. Übersetzt heißt das englische
bunk so viel wie »Koje«. Nichts wie rein da.
Rechts an der Wand hängt ein Weihwasser-
becken. Über mir spannt sich ein gotisch­
anmutender Spitzbogen. Dann ist aber auch
schon Schluss mit kirchlich. Neben dem Weih-
wasser steht eine türkise Samtcouch und unter
dem Bogen ein violett angemalter T-Rex in
Babydinosaurier-Größe. Vom Empfangstresen
dahinter strahlt mir eine Mitarbeiterin entge-
gen – obwohl ich nach meinem Regenmarsch
vermutlich aussehe wie etwas, das der Dino aus-
gespuckt hat. Aber das stört hier nicht. »Just as
strange as you are« hat jemand auf eine Tafel
hinter der Rezeption geschrieben. So seltsam
wie du. Ein Versprechen oder eine Warnung?
Das Amsterdamer Bunk ist das zweite
Haus einer jungen niederländischen Kette, die
­bestehende Gebäude umnutzt. Schon das erste
Haus in Utrecht wurde in einer Kirche unter-
gebracht. Ein weiteres soll in Rotterdam folgen.
Es sind keine klassischen, sondern sogenannte
Podhotels – eine Weiterentwicklung der Kapsel-
hotels, in denen Reisende auf engstem Raum
günstig wohnen: Seit Ende der 1970er-Jahre
etablierten sie sich in asiatischen Großstädten,
nun tauchen sie vermehrt in westlichen Metro-
polen auf. Im Hotel Bunk ist der größte Raum
ein Schlafsaal mit 50 Pods: schicken hölzernen
Schlafboxen für ein oder zwei Personen, mit
einem Vorhang für die Privatsphäre und einem
Schließfach. Die restlichen 106 Zimmer sind
kleine bis mittelkleine Doppel- oder Familien-
zimmer mit Nasszellen statt Gemeinschaftsbad.
Den Check-in mache ich selbst an einem
von zwei Terminals. Dauert keine zwei Minu-
ten. Mein Zimmer liegt im zweiten Stock. Aus
dem Treppenhaus betrete ich eine Galerie. Von
hier kann ich das einstige Kirchenschiff über-
ANZEIGE
Die schwimmende
Stadt »Venedig«
Venedig, die »Stadt auf dem
Wasser«, ist eine der schönsten
und einzigartigsten Städte der
Welt. Ein Besuch, der auf Holz-
pflöcken stehenden Stadt, ist
eine unvergessliche Erfahrung,
die man mindestens einmal im
Leben gemacht haben sollte.
Berühmt für ihre Wasserstra-
ßen, Brücken und Kanäle sowie
für ihre reiche Geschichte, Kul-
tur und Architektur, ist für
jeden Besucher etwas dabei.
Einige der bekanntesten Se-
henswürdigkeiten in Venedig
sind der Markusplatz mit dem
Markusdom und dem Campa-
nile, die Rialtobrücke, der Do-
genpalast und die Gallerie
dell'Accademia. Es gibt auch
viele weitere wunderschöne
Kirchen, Museen und Paläste zu
besichtigen.
Für viele Besucher gehört
eine Fahrt mit einer Gondel
ITALIEN
Ferienhäuser in Ligurien
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hingen. Nun lassen große Dachfenster Licht
herein. Die Raumaufteilung wirkt luftig.
Statt die Kirche komplett auszubauen,­
wurden an den Wänden entlang Zwischen­
ebenen eingezogen, auf die weiße Würfel
montiert sind – die Zimmer. Mein Würfel
besteht aus drei Teilen: Bett, Bad und etwas
Freifläche dazwischen; groß genug, um eine
Yogamatte auszurollen. Die Tasche ver-
Im Bunk Amsterdam wohnt man auf wenig Platz in einer ehemaligen Kirche. schwindet unterm Bett, die Kosmetik im
Zum Abendessen gibt es Tom Kha Gai. Zum Frühstück auch  VON JESSICA BRAUN Regal darüber. Bei den Details ist das Bunk
großzügig: Handtücher und Shampoo sind
bio. Die Steckdose am Spiegel ist in blau-
weißes Delfter Porzellan eingefasst.
Als der Regen aufhört, traue ich mich
nach draußen und entdecke: Amsterdam-
Noord. Vom alten Zentrum ist der Stadtteil
durch den früheren Meeresarm IJ getrennt.
Was auf der Karte aussieht wie ein Nachteil,
gefällt mir schnell: das ehemalige Zollgelän-
de mit dem Park und dem Clubrestaurant
Tolhuistuin; das niedliche Café Ons, in dem
es nach Apfelkuchen und Kaminfeuer
riecht; das Café de Ceuvel, wo ich auf dem
Holzsteg ein Bier in der Abendsonne trinke.
Zum Abendessen finde ich im Bunk
noch einen Platz am Küchentresen. Da-
hinter arbeiten drei Köche. Die Karte klingt
wie eine Weltreise: Tacos, Tajine, Sauerkraut,
Tom Kha Gai. Einige Gerichte tauchen auf
der Frühstückskarte wieder auf. Wer will,
kriegt da aber auch ein Drei-Euro-Croissant.
Während einer der Köche für mich­
Misosuppe mit Udon-Nudeln zubereitet,
Fotos: Wouter van der Sar
schaue ich mich um. Von der Decke hängen
beeteweise Plastikblumen. In einer Ecke
steht ein altes Klavier und in den Regalen
Krimskrams, der aussieht, als wäre er beim
Kirchenflohmarkt übrig geblieben. Das
macht das Bunk noch nahbarer. Und passt
Ein Baby-Dino schmückt die Lobby, die Zimmer sind weiße Würfel zu den Gästen: dem superjungen Paar, das
wohl gerade zum ersten Mal gemeinsam ver-
reist. Den beiden ergrauten Amerikanerin-
nen, die in einer Sofaecke Cocktails trinken.
Und zu der niederländischen ­Familie, die
BU NK A MSTE R DA M vielleicht hier im Viertel wohnt und sich
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Ort: Buchholz in der Nordheide Datum: 08.05.2023–07.05.2024 Reise-
dauer: 2 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Im grünen Speckgürtel der
Hansestadt können Sie dort die Ruhe und Idylle genießen und Zeit für
klare Gedanken fassen. Sie dürfen sich in familiärer Atmosphäre rund-
um versorgt fühlen. Im Angebot enthalen sind 2 Übernachtungen für 2
Personen im Doppelzimmer inklusive Flair Frühstück.
Südfrankreich mit 5-Sterne-Schiff AMADEUS Provence
Ort: Flussreise durch Südfrankreich von/bis Lyon Datum: 08.06.2023–
15.06.2023 Reisedauer: 7 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Eine
unvergleichliche Kombination: Paris, die wahrscheinlich romantischste
Stadt der Welt, und eine spannende Fluss-Reise in die Vergangen-
heit der alten französischen Meister erwarten Sie auf dieser 8-tägigen
Kreuzfahrt.
Maritime Miniwoche im Doppelzimmer zur Landseite
Ort: Ostseebad Kühlungsborn Datum: 04.06.2023–01.09.2023 Reise-
dauer: 5 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Erleben Sie einen herrlichen
Aufenthalt in direkter Strandlage. Ersteigern Sie sechs Tage für zwei
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und genießen Sie ein 4-Sterne-Superior-Erlebnis der Extraklasse. Wir
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Der ultimative Luxusurlaub auf Kreta
Ort: Kreta Datum: 07.05.2023–06.11.2023 Reisedauer: 4 Nächte
Personen: 2 Reisedetails: Dieses Paket beinhaltet einen 4-Nächte-Auf-
enthalt im Minos Palace Hotel & Suites in einem blauen Infinity-Zimmer,
einer Oase des Friedens und der Freiheit mit Blick auf das endlose
Meer. Der Aufenthalt beinhaltet ein tägliches kostenloses Frühstück,
Gruppen-Wellnesskurse und ein kretisches Willkommensgeschenk bei
der Ankunft.
Segelkreuzfahrt mit der SEA CLOUD II in der Karibik
Ort: Martinique - Martinique Datum: 04.01.2024–15.01.2024 Reise-
dauer: 11 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Auf der Dreimastbark SEA
CLOUD II mit nur 47 Kabinen verbindet sich die lange Tradition klas-
sischen Segelns mit dem besonderen Ambiente feiner und familiärer
Privatyachten. Erleben Sie im Januar 2024 die perfekte Winter-Aus-
zeit auf einer 12-tägigen Segelkreuzfahrt in den Kleinen Antillen und
Britischen Jungferninseln.
Luxusresort mit Stil in atemberaubender Lage!
Ort: Halkidiki Datum: 25.05.2023–25.09.2023 Reisedauer: 5 Nächte
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schem Himmel an der Südspitze der wunderschönen und geheimnis-
umwobenen Kassandra auf der nordgriechischen Halbinsel Halkidiki.
Sehr beliebt bei deutschsprachigen Gästen, und das neue Gefühl von
angenehmem Luxus in Griechenland mit viel Raum in jedem Winkel
dieses weltweit einzigartigen Resorts. Genießen Sie!
Kulinarische Entdeckungsreise in Apulien
Ort: Genussreise in Apulien Datum: 07.10.2023 - 14.10.2023 Reise-
dauer: 7 Nächte Personen: 1 Reisedetails: Kommen Sie mit Sapio auf
kulinarischer Entdeckungsreise im Nationalpark Alta Murgia. Entdecken
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Olivenölproben, Castel del Monte und eine traumhafte Unterkunft mit
Blick auf ein Meer aus Olivenbäumen.
SEA CLOUD SPIRIT: Segelkreuzfahrt auf Schlemmerkurs
Ort: Genua/Italien – Valencia/Spanien Datum: 14.10.2023–22.10.2023
Reisedauer: 8 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Nehmen Sie mit der
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5 Tage im One Bedroom Meerblick Pool-Pavillon
Ort: Halbinsel Cam Ranh Datum: 01.09.2023–31.08.2024 Reisedau-
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pensionsverpflegung und einem privaten Kulturerlebnis.
Luxuriöser Malediven-Urlaub für zwei Personen
Ort: North Male Atoll Datum: 01.05.2023–30.10.2023 Reisedauer: 3
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Park Kodhipparu Maldives mit unserem Angebot von 3 Übernachtun-
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Traumurlaub am Indischen Ozean
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Alma Resort Cam Ranh Grand Park Kodhipparu Maldives Sea Cliff Resort & Spa
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Fernreisen
5 Tage im 2 Bedroom Ocean View Pool-Pavillon
Ort: Halbinsel Cam Ranh Datum: 01.09.2023–31.08.2024 Reisedau-
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Litz Resort - Wellness Paradies
Ort: Nähe Batumi Datum: 07.05.2023–31.12.2023 Reisedauer: 2 Nächte
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spannungsmassage für 2 Pers. sowie Konsultation in der Klinik. Klima ist
sehr wohltuend für Herz und Lunge. Buchbare Leistungen: Massagen,
medizinische und zahnärztliche Untersuchung, Entgiftung mit Bio-Le-
bensmitteln, Colon-Hydro-Therapie.
Peru Rundreise: Geheimnisse des Inkareichs
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Unvergesslicher Aufenthalt im 5*-Paradies
Ort: Belle Mare/Mauritius Datum: 08.05.2023–30.04.2024 Reisedauer:
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Entspannen laden die drei Swimmingpools und das große Spa ein.
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Das erste ayurvedische Gesundheits-Retreat der Welt
Ort: Kerala, Indien Datum: 10.05.2023–30.09.2023 Reisedauer: 7
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Village und Gewinner des „World Luxury Spa Awards“ 2017 bis 2020 für
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Tropisches Paradies ohne Winter!
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Klassische Antarktis Air-Cruise
Ort: Antarktis Air-Cruise Datum: 07.12.2023 - 14.12.2023 Reisedauer:
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Ort: Halbinsel Cam Ranh Datum: 01.09.2023–31.08.2024 Reisedau-
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Herrlicher Urlaub am schwarzen Meer
Ort: Batumi Datum: 01.05.2023–30.12.2023 Reisedauer: 5 Nächte Per-
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schenk (1 Mal) - Flughafentransfers - Weinprobe für 2 Personen (1 Mal)
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Wellness und Golf im sonnenverwöhnten Tunesien
Ort: La Marsa/Tunis, Tunesien Datum: 01.05.2023–31.03.2024 Reise-
dauer: 4 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Das luxuriöse 5*-Hotel The
Residence Tunis befindet sich an einem privaten Strandabschnitt, 30
Minuten von Tunis’ Zentrum entfernt. Der 18-Loch-Golfplatz, entworfen
von Robert Trent Jones II, lässt Golferherzen höherschlagen. Und
Wellnessbegeisterte können sich auf traditionelle, tunesische Spa- &
Thalasso-Anwendungen freuen.
Tauch- und Strandparadies am Roten Meer
Ort: Ägypten Datum: 01.06.2023–31.10.2023 Reisedauer: 7 Nächte
Personen: 2 Reisedetails: Entdecken Sie in einem speziell für ZEIT-
Leser zusammengestellten Paket das südlichste Sport-, Wellness- und
Familienhotel am Roten Meer (Ägypten), und lassen Sie sich von einem
kilometerlangen, flach abfallenden Traum-Sandstrand, reiner Natur,
einem scheinbar endlosen und atemberaubenden Haus-Riff sowie
orientalischer Gastfreundschaft verzaubern!
Entspannung im 5* Malediven-Paradies
Ort: Dhigurah, Gaafu Alifu Atoll 20888/Malediven Datum: 01.05.2023–
30.06.2024 Reisedauer: 4 Nächte Personen: 2 Reisedetails: Türkis-
blaues Meer, Fischreichtum und klarer Sternenhimmel sind nur einige Ar-
gumente, mit denen das Luxusresort The Residence Maldives Dhigurah
punktet. Wem das nicht reicht, den überzeugt vielleicht das ganzheitlich
ausgerichtete Spa by Clarins, der 42 Meter lange Infinitypool und das
kulinarische Angebot für Genießer. Der perfekte Ort zum Erholen!
Genuss auf der Insel Sansibar
Ort: Sansibar/Tansania Datum: 08.05.2023–04.05.2024 Reisedauer:
4 Nächte Personen: 2 Reisedetails: The Residence Zanzibar lockt mit
einem traumhaften Inselurlaub in unvergleichlicher, afrikanisch-luxu-
riöser Atmosphäre. 66 Villen verteilen sich auf 32 Hektar Land am zwei
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 70 ENTDECKEN 27. April 2023 DIE ZEIT N o 18

Was mein
Du siehst aus, Leben reicher
WIE ES WIRKLICH IST
wie ich mich fühle macht
... als Torwart fast blind
Seit ein paar Jahren gehe ich immer in einer­
zu sein kleinen Bäckerei frühstücken. Ich sitze dann an­
einem Tisch in der Ecke, esse mein Brötchen,

Beißt nicht, sticht nicht: Dieser Zuckmückerich ist ein ganz Lieber. Er gehört der Art Chironomus plumosus an – die Männchen haben dicht bewimperte Fühler. Foto: Pedro Luis Ajuriaguerra
S
trinke den sehr guten Kaffee (der erste Pott
ehen kann ich nur mit dem rechten Auge, kommt meist schon vor meiner Bestellung), lese
aber auch damit wenig, insgesamt habe noch ein Stündchen und gehe dann zur Arbeit.
ich zehn Prozent Sehkraft. Trotzdem Nun war ich die letzten beiden Wochen aus­
spiele ich Fußball, bei Betonspor 2004 in verschiedenen Gründen nicht da. Als ich heute
Esslingen, einer ganz normalen Hobbymann- Morgen wieder in die Bäckerei komme, steht da
schaft. Wir sind schon zweimal Meister in der ein »Reserviert«-Schild auf »meinem« Tisch.
Hobbyliga geworden. Als ich zu der freundlichen Bedienung sage, dass
Ich stehe im Tor, weil ich gerne auf mich­ das ja schade sei, meint sie, der sei doch für mich
gestellt bin und die Verantwortung mag. Jeden reserviert. Woher sie denn gewusst habe, dass ich
zweiten Schuss halte ich. Vor dem Anpfiff nehme ausgerechnet heute wieder auftauchen würde,
ich den Ball in die Hand, konzentriere mich, frage ich und bekomme zu hören: »Wir haben
gehe in die Hocke und stelle mir das ganze Spiel Ihren Tisch jeden Morgen für Sie frei gehalten!«
vor meinem inneren Auge vor. Und ich habe­ Heike Wiechmann, Dresden
einen siebten Sinn, ich fühle einfach, wie der
Schütze anläuft und wohin er dann schießt. Einer der ersten schönen Tage, wenn man schon
Nach den Spielen fragen mich die Gegner: die Wärme der Sonnenstrahlen spürt, einem
Du hast Augenprobleme, oder? Wenn ich ihnen gleichzeitig aber auch der kalte Wind durch die
sage, dass ich quasi blind bin, sind die schockiert. Haare zaust. Es fühlt sich ein bisschen so an, wie
Wie hältst du die Bälle?, fragen sie. Tja, ich mache Salted Caramel schmeckt – also einfach köstlich.
es einfach. Meine Mitspieler helfen mir mit­ Lars Janzen, Wistedt, Niedersachsen
Zurufen, und ich habe sehr schnelle Reflexe. Bei
Bällen wie Bogenlampen tue ich mich schwer, Ich arbeite als Lehrerin im Krankenhaus, unter-
weil ich die Tiefe nicht abschätzen kann. Auch richte dort unter anderem Kinder mit Krebserkran-
Distanzschüsse sind ein Problem. So richtig kungen. Das ist oft traurig, manchmal aber auch
scharf sehe ich den Ball erst circa sechs Meter vor sehr schön. Etwa wenn eine siebenjährige Leukämie-
mir. Viel besser kann ich es selbst nicht erklären. Patientin, die an einer Spritztour mit Edelkarossen
Mit sechs Jahren wurde bei mir eine seltene teilnehmen durfte, berichtet, wie sie in einem gelben
Augenkrankheit diagnostiziert, Retinoschisis, eine (ihre Lieblingsfarbe) Porsche Cabrio mit 180 Sachen
Netzhautspaltung. Daraufhin wurde mein linkes über die Autobahn gedüst ist: »Und – stell dir vor –
Auge dreimal operiert. Mein Augenlicht habe ich die Perücke ist nicht weggeflogen!«
nicht zurückbekommen. Wegen der Krankheit hieß Ich freue mich dann über ihre Freude – und d ­ en
es: Du darfst kein Fußball mehr spielen. Doch das langsam nachwachsenden Haarflaum unter besag-
war als Kind das einzig Schöne im Leben für mich, ter Perücke.
deshalb spielte ich heimlich weiter, ohne dass meine Heidrun Herbst, Homburg
Eltern es wussten. Ärzte raten mir bis heute davon
ab, jede Erschütterung ist eine Gefahr – ein Ball aufs Eines Morgens ploppte die Nachricht auf meinem
Auge, und das könnte es ganz gewesen sein. Handy auf: »Hi! Der Mark ist da, geboren am
Zum Glück bleibt mein rechtes Auge seit 1. April.« Es schreibt einer meiner Schützlinge, eine
15 Jahren stabil, mein Augenarzt geht nicht davon junge Ukrainerin, die nun in Deutschland ihr erstes
aus, dass ich vollständig erblinden werde. Kind auf die Welt gebracht hat. Ein ungeplantes,
Fußball ist alles für mich, er hat mir vor fünf auf der Flucht gezeugtes Baby! Könnte uns allen
Jahren wirklich einmal das Leben gerettet. Da etwas Besseres passieren? Das Leben geht weiter!
hatte ich eine sehr schwierige Zeit, den Job­ Rimma Kanevski, Lüneburg
verloren, meine Frau hatte mich verlassen, ich
wog plötzlich 135 Kilogramm, bekam drei Band- Folge 359 Meine vierjährige Enkelin und ich machen eine
scheibenvorfälle. Ich stand schon auf der Brücke, Fahrradtour. Erst muss im Wald eine Hütte gebaut
weil ich meinte, ich funktioniere in dieser Welt werden, und dann ist da ja noch der Spielplatz.­
einfach nicht. Die Sehbehinderung, die Tief- Danach sitzen wir auf der Bank, und sie sagt: »Opa,
schläge. Dann dachte ich an meine Fußballmann- wenn ich groß bin, dann bist du schon tot, oder?«
schaft. Wie wir den Verein auf­gebaut haben. An ZEITSPRUNG WORTSCHATZ Das muss ich wohl oder übel bejahen. Um die ver-
die Meisterschaft. Wie viel Blut, wie viel Tränen, bleibende gemeinsame Zeit gebührend zu genießen,
wie viel Kraft mir der Fußball ­gegeben hat. genehmigen wir uns auf dem Rückweg jeder zwei
Mittlerweile habe ich eine Ausbildung zum
Kaufmann gemacht und bin Ernährungscoach
Fichtensterben Pinneken Kugeln Eis. Ein Fest des Lebens!
Dieter Schöneborn, Buxtehude
und Trainer einer Jugendmannschaft. Den Jungs
sage ich immer: Lasst euch von niemandem­ Mit meinem Magen-Darm-Trakt Unterwegs in der Nürnberger Altstadt treffe ich
einreden, dass ihr was nicht könnt. stimmt etwas nicht, mir ist nach auf zwei turtelnde Tauben. »Ein Zungenkuss!
Illustration: Eva Revolver für DIE ZEIT; kl. Fotos: privat; Jens Langlott (m.)

einem Kräuterlikör ­zumute. Es Krass, die können das auch?!«, schießt es mir
durch den Kopf, als ihre Schnäbel fast miteinan-
steht tatsächlich eine Flasche im der verschmelzen.
Schrank, aber wo finde ich ein Sie können es – und es ist beeindruckend schön!
Pinneken? So hieß das Gefäß, Lilly Lux, Nürnberg

Onur Kinavli, 38,

aus dem mein Vater am Nieder-
hat 2004 mit einem Freund den Fußballverein rhein hochprozentige Getränke Machen Sie mit!
Betonspor gegründet zu sich zu nehmen pflegte. Ein Schreiben Sie uns, was Ihr Leben reicher macht,
Aufgezeichnet von Daniel Hinz
Traurige Entdeckung beim Ausflug in den Harz: Das linke Bild zeigt die Hütte am Schnapsglas gibt es bei uns leider teilen Sie Ihre »Wortschätze« und »Zeitsprünge« mit uns.
Dammgraben nahe Altenau, wie sie im Wanderführer zu sehen war. Das rechte die nicht. So greife ich also zum Beiträge bitte an leser@zeit.de oder an
gleiche Stelle im Frühjahr 2023, nachdem Trockenheit und Borkenkäfer den Redaktion DIE ZEIT, »Z-Leserseite«, 20079 Hamburg
Löffel, schließlich ist der Likör ja
Fichten den Garaus gemacht haben. Und bis Erle, Buche und Lärche nachwachsen,
mit denen man den Wald renaturieren will, wird es wohl noch etwas dauern ...
als Medizin gedacht ...
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Kultureller Aufbruch
Bad Ischl und das Salzkammergut sind
Europas Kulturhauptstadt 2024.
Begleiten Sie uns nach Oberösterreich
in eine kulturell reiche Region, die sich
aus diesem Anlass neu erfindet.
Termin: 29.8. – 5.9.2023
Preis: ab 2.390 €

ZEIT REISEN FORUM LINZ K U LT U R R E I S E

Das Reisen neu denken! Leben am Fluss

Die malerische Donaulandschaft
Auf drei eigens konzipierten ZEIT-Sonderreisen nach Linz Oberösterreichs bildet die Kulisse für
eine stimmungsvolle Reise. Freuen Sie
und Oberösterreich mit der Donau als Taktgeberin sich auf Regionales, Bodenständiges,
mittendrin genießen Sie landschaftlichen Zauber, Inspirierendes und Überraschendes.
kulturelle Energie, kreative Küche und erleben innovative Termin: 29.8. – 5.9.2023
Konzepte für die Zukunft des Reisens. Preis: ab 1.990 €

zeitreisen.zeit.de/leserforum-linz Information und Buchung unter: 040/32 80-455

© Linz Tourismus/Robert Josipovic, Linz Tourismus/Kurt Hörbst, Julia Elliott Photography, Kaindlstorfer In Kooperation mit: www.anton-bruckner-2024.at | www.salzkammergut-2024.at
Photographie | Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg

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