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2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23.

September 1954 2055

5. betr. Aufwandsentschädigung, Ver


dienstausfall, Fahrtkosten und Ver-
sicherung der Sozialrichter:
Frau Meyer (Dortmund) (SPD) 2059 D, 2060 A
Storch, Bundesminister für Arbeit . 2060 A
6. betr. Veranstaltungen in der Bahn-
hofswirtschaft Stühlingen:
Hilbert (CDU/CSU) 2064 B
Dr. Seebohm, Bundesminister für
Verkehr 2064 B
7. betr. Abwendung der beabsichtigten
Einstellung des Eisenbahnverkehrs auf
der Strecke Oberlauchingen—Immen-
dingen zwischen den Bahnhöfen Weizen
und Zollhaus Blumberg:
4 4. Sitzung Hilbert (CDU/CSU)
Dr. Seebohm, Bundesminister für
2064 C, D

Verkehr 2064 C, D
Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954. 8Be-
.betrAufhngdzilce
schränkungen der Grenzübertrittstellen
an der deutsch-schweizerischen Grenze:
Hilbert (CDU/CSU) 2065 A, C
Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2057 C, 2082 B Schäffer, Bundesminister der
Mandatsniederlegung des Abg. Weyer . . 2057 D Finanzen 2065 A, C
Eintritt des Abg. Dr. Luchtenberg in den 9. betr. Erleichterung des Eisenbahn-
2057 D Grenzübergangs für Personen und
Bundestag
Güter und Grenzkontrollen an Straßen-
Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg übergangsstellen:
Dr. Wellhausen, Kortmann, Dr. Kather, Zurückgestellt 2065 C
Walter, Freidhof und Dr. von Buchka . 2058 A
10. betr. Vorlage des Entwurfs eines La-
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen denschlußgesetzes:
Anfragen 60, 94, 101 und 102 (Druck- Walter (DP) 2060 B
sachen 515, 833; 686, 765 [neu]; 739, 791; Storch, Bundesminister für Arbeit 2060 B
775, 792) 2058 A
11. betr. Errichtung einer durchgehenden
Zur Tagesordnung, betr. Aufsetzung der Schlafwagenverbindung zwischen Ber-
außenpolitischen Aussprache 2058 B lin und Bonn mit Abfertigung geschlos-
Wehner (SPD) 2058 B sener Wagen zwecks Vermeidung nächt-
Dr. Krone (CDU/CSU) 2059 B licher Kontrolle:
Widerspruch nach § 26 Abs. 3 der Ge- Dr. Friedensburg (CDU/CSU) 2065 D, 2066 A
schäftsordnung 2059 D Dr. Seebohm, Bundesminister für
Fragestunde (Drucksache 823):
Verkehr 2065 D, 2066 A
1. betr. Erlernung von Marsch- und 12. betr. Behauptungen in der Zeitschrift
Wanderliedern während der Ausbil-- „Die Anklage" unter der Überschrift
dungszeit der künftigen Angehörigen „Scheffelt Schäffer Gold?":
des Bundesgrenzschutzes: Dr. Schranz (DP) 2066 A
Ritzel (SPD) 2062 B Schäffer, Bundesminister der
Dr. Schröder, Bundesminister des Finanzen 2066 A
Innern 2062 B 13. betr. Frage der bundesgesetzlichen
2. betr. gemeinsame Besteuerung von Ehe- Regelung der Errichtung von Garagen
gatten: und Abstellplätzen für Kraftwagen in
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . . 2062 D, den Städten:
2063 A, B Platner (CDU/CSU) 2066 B
Schäffer, Bundesminister der Dr. Preusker, Bundesminister für
Finanzen 2062 D, 2063 A, B Wohnungsbau 2066 C
3. betr. Verteilung der Sommerferien:
Kortmann (CDU/CSU) 2063 B, C 14. betr.Ausbau von Bundesstraßen in
Hessen:
Dr. Schröder, Bundesminister des
Innern 2063 C, D Platner (CDU/CSU) 2066 D
4. betr. Delegation des Rechts zum Erlaß Dr. Seebohm, Bundesminister für
von Rechtsverordnungen in Spezial- Verkehr 2066 D
gesetzen an Organe der Selbstverwal- 15. betr. Errichtung von Siedlerstellen mit
tung: Pachtland für heimatvertriebene
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . 2063 D Bauernfamilien durch Landhergabe
Neumayer, Bundesminister der aus dem Grundbesitz der bundeseige-
Justiz 2063 D nen Reichswerke Salzgitter:
2056 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Dr. Schranz (DP) 2067 A Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
Schäffer, Bundesminister der schusses für Geschäftsordnung über den
Finanzen 2067 B Antrag der Fraktion der FDP betr. Er-
gänzung der Geschäftsordnung des Deut-
16. betr. Versorgung der Verbraucher mit schen Bundestages (Drucksachen 799, 94)
Milch mit vollständigem natürlichem in Verbindung mit der
Fettgehalt:
Leonhard (CDU/CSU) 2067 C, D Beratung des Antrags der Fraktion der
Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für SPD zur Beratung der Großen Anfrage
Ernährung, Landwirtschaft und der Fraktion der SPD betr. Fall John
(Umdruck 171, Drucksache 767) . . . 2071 B
Forsten 2067 C, D
Samwer (GB/BHE) 2071 C
17. betr. Organisationsformen des Kohlen- Zurückverweisung des Ausschußantrags
bergbaus und der Eisenindustrie: Drucksache 799 und des Antrags Um-
Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 2068 A druck 171 an den Rechtsausschuß . . . 2071 C
18. betr. Frage des Beitritts der Bundes- Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
regierung zum Internationalen Zinn Politik der Bundesregierung in den An-
Abkommen: gelegenheiten der Vertriebenen, Sowjet-
Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . 2068 B, C zonenflüchtlinge, Kriegssachgeschädigten
Dr. Hallstein, Staatssekretär des und Evakuierten (Drucksache 725) . . . 2071 C
Auswärtigen Amts 2068 B, C Heide (SPD), Anfragender . . . . 2071 D
19. betr. Gleichstellung deutscher Speise- Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister
wagen mit ausländischen: für Vertriebene, Flüchtlinge und
Ritzel (SPD) 2068 C Kriegsgeschädigte . . . 2073 A, 2103 D
Dr. Seebohm, Bundesminister für Dr. Rinke (CDU/CSU) 2079 D
Verkehr 2068 D Jaksch (SPD) 2082 B, 2107 B
20. betr. Verzögerung der Genehmigung Seiboth (GB/BHE) 2088 A
des Haushaltsplans der Bundesanstalt Leukert (CDU/CSU) 2090 C
für Arbeitslosenversicherung für 1953 Dr. Strosche (GB/BHE) 2093 A
und 1954: Miller (CDU/CSU) 2095 C
Ritzel (SPD) 2060 C, D, 2061 A Rehs (SPD) 2097 D
Storch, Bundesminister für Arbeit 2060 C, D, Merten (SPD) 2098 B
2061 A
Elsner (GB/BHE) 2100 D
21. betr. Betriebserlaubnis für die deutsche Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für
Lufthansa:
Ernährung, Landwirtschaft und
Schmidt (Hamburg) (SPD) . 2069 A, B, C, D Forsten 2101 C
Dr. Seebohm, Bundesminister für Dr. Preusker, Bundesminister für
Verkehr 2069 A, C, D Wohnungsbau 2103 A
22. betr. Verhandlungen über die Verwirk-
lichung der sogenannten Vogelflug Absetzung der Beratung der Gesetzentwürfe
Linie Fehmarn—Lolland: zur Änderung des Bundesversorgungs-
gesetzes (Drucksachen 716 [neu], 717) und
Schmidt (Hamburg) (SPD) . 2069 D, 2070 B über die Gewährung einer Sonderzulage
Dr. Seebohm, Bundesminister für an Kriegsopfer und Angehörige von
Verkehr 2069 D, 2070 B Kriegsgefangenen (Drucksache 793) von
23. betr. Benutzung des Naturschutzgebie- - der Tagesordnung 2082 B
tes Lüneburger Heide als Panzer- Große Anfrage der Fraktion des GB/BHE
übungsgelände durch Besatzungs u. Gen. betr. Durchführung des Feststel-
truppen: lungsgesetzes (Drucksache 734) . . . .
Schmidt (Hamburg) (SPD) 2070 C, 2071 A, B Dr. Kather (GB/BHE),
Schäffer, Bundesminister der Anfragender 2107 D, 2113 B
Finanzen 2070 C, 2071 A, B Hartmann, Staatssekretär im
29. betr. Vorlage der Entwürfe zur gesetz- Bundesministerium der Finanzen . 2110 C
lichen Regelung der Angleichung der Dr. Atzenroth (FDP) 2111 D
Sozialversicherung und der Kriegs- Kuntscher (CDU/CSU) 2112 B
opferversorgung an die §§ 64 und 65
des Bundesergänzungsgesetzes zur Zweite Beratung des von der Fraktion der
Entschädigung für Opfer der national- SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
sozialistischen Verfolgung: setzes über die Gewährung von Kinder-
Hauffe (SPD) 2061 A, B beihilfen (Kinderbeihilfegesetz) und des
Storch, Bundesminister für Arbeit 2061 B, C von der Fraktion der CDU/CSU einge-
33. betr. Vermögen der sozialen Renten- brachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Gewährung von Kindergeld und die
versicherungen:
Errichtung von Familienausgleichskassen
Dr. Schellenberg (SPD) . . 2061 C, 2062 A (Drucksachen 318, 319); Bericht des Aus-
Storch, Bundesminister für Arbeit . 2061 D, schusses für Sozialpolitik (Drucksachen
2062 A, B 708, zu 708; Anträge Umdrucke 147, 148,
24 bis 28, 30 bis 32 und 34 bis 36 zu- 155 bis 159, 162, 163) . . 2114 A, 2134 B, 2135 C,
rückgestellt 2071 B 2136 B, 2137 C, 2139
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2057

Dr. Jentzsch (FDP): SPD eingebrachten Entwurf eines Geset-


als Berichterstatter 2114 A zes über die Gewährung von Kinderbei-
Schriftlicher Bericht 2139 hilfen (Drucksache 318) und den von der
als Abgeordneter . . . . 2123 B, 2130 A Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes über die Gewäh-
Dr. Atzenroth (FDP) . . . 2115 A, 2130 A rung von Kindergeld und die Einrichtung
Dr. Schellenberg (SPD) . . 2116 C, 2119 B, von Familienausgleichskassen (Druck-
2128 D sache 319) 2139
Dr. Wuermeling, Bundesminister für
Familienfragen . . . . 2118 D, 2119 B Zusammenstellung der namentlichen Ab-
stimmung zur zweiten Beratung des Ent-
Schmücker (CDU/CSU) 2119 D
wurfs eines Gesetzes über die Gewäh-
Winkelheide (CDU/CSU) . 2120 B, 2128 D rung von Kindergeld und die Errichtung
Regling (SPD) 2121 B von Familienausgleichskassen (Druck-
Dr. Elbrächter (DP) 2122 A sachen 708, 318, 319):
Frau Finselberger (GB/BHE) . . 2123 D 1. über den Änderungsantrag der Frak-
Richter (SPD) 2124 C tion der SPD zu § 1 (Umdruck 147 Zif-
Arndgen (CDU/CSU) 2125 C fer 1),
Dr. Siemer (CDU/CSU) . . 2126 B, 2131 D 2. über den Änderungsantrag der Frak-
Horn (CDU/CSU) (zur Abstimmung) 2127 A tionen der FDP und DP zu § 1 (Um-
2127 C druck 157 Ziffer 1),
Frehsee (SPD)
Stingl (CDU/CSU) 2129 B 3. über den § 1 in der Fassung des Aus-
2130 C schußantrags (Drucksache '708) . . . . 2148
Frau Döhring
Abstimmungen 2127 A, 2129 B
Namentliche Abstimmungen . 2127 A, B, 2128 C, Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den
2129 B, D, 2130 A, 2131 C, 2148 Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
Weiterberatung vertagt 2132 A
Nächste Sitzung, — zur Tagesordnung, Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
Frage der Aufsetzung der außenpoliti- ren! Ich eröffne die 44. Sitzung des Deutschen
schen Aussprache bzw. eines Antrags auf Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen
Einberufung des Auswärtigen Ausschus- der entschuldigten Abgeordneten.
ses zum 27. September:
2132 A, 2132 D,
Präsident D. Dr. Ehlers . Lange (Essen), Schriftführer: Es sucht für län-
2134 A gere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Schulze-
Wehner (SPD) 2132 A, 2133 C Pellengahr für vier Wochen wegen Krankheit.
Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . . 2132 B Der Präsident hat Urlaub erteilt fur zwei Tage
Euler (FDP) 2133 A, 2134 A den Abgeordneten Rademacher, Gleisner, Bauer-
eisen, Frau Pitz, Dr. Hammer, Ohlig, Dr. Hor-
Anlage 1: Änderungsantrag der Fraktion lacher, Bauer (Wasserburg), Cillien, Schneider
der SPD zum Entwurf eines Gesetzes (Bremerhaven), Dr. Maier (Stuttgart), Böhm (Düs-
über die Gewährung von Kindergeld und seldorf), Peters, Schwarz, Dr. Wellhausen, Hansen
die Errichtung von Familienausgleichs (Köln), Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein, Dr. Hoff-
kassen (Umdruck 147) 2134 B mann, Dr. Welskop, Wolf (Stuttgart), Neuburger,
Anlage 2: Änderungsantrag der Fraktionen Voß, Wagner (Ludwigshafen), Dr. Leverkuehn,
der FDP und DP zum Entwurf eines- Priebe, von Hassel, Dr. Mocker.
;Gesetzes über die Gewährung von Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag
Kindergeld und die Errichtung von Fa- den Abgeordneten Dr. Pohle (Düsseldorf), Dr. Leis-
milienausgleichskassen (Umdruck 157) . 2135 C ke, Scheppmann, Jahn (Frankfurt), Dr. Blank
Anlage 3: Änderungsantrag der Fraktion (Oberhausen), Orth und Feldmann.
der CDU/CSU zum Entwurf eines Ge- Außerdem sind entschuldigt die deutschen Dele-
setzes über die Gewährung von Kinder- gierten beim Europarat, soweit sie an den Sitzun-
geld und die Errichtung von Familien- gen in Straßburg teilnehmen.
ausgleichskassen (Umdruck 148) . . . . 2136 B
Anlage 4: Änderungsantrag der Fraktion Präsident D. Dr. Ehlers: Ich danke vielmals.
der FDP zum Entwurf eines Gesetzes Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen,
über die Gewährung von Kindergeld und daß der Bundestag mit der Erteilung des über eine
die Errichtung von Familienausgleichs Woche hinausgehenden Urlaubs an den Abgeord-
kassen (Umdruck 156) 2137 C neten Schulze-Pellengahr einverstanden ist.
Anlage 5: Änderungsantrag der Fraktion Der Abgeordnete Weyer hat sein Mandat mit
der CDU/CSU zum Entwurf eines Ge- Wirkung vom 17. September 1954 wegen seiner
setzes über die Gewährung von Kinder- Berufung zum Wiederaufbauminister des Landes
geld und die Errichtung von Familien- Nordrhein-Westfalen niedergelegt.
ausgleichskassen (Umdruck 155) . . . . 2137 D Als sein Nachfolger ist der Abgeordnete
Anlage 6: Schriftlicher Bericht des Aus- Dr. Luchtenberg in den Bundestag eingetreten. Ich
schusses für Sozialpolitik (zu Druck- heiße ihn herzlich willkommen; er ist uns ja kein
sache 708) über den von der Fraktion der Unbekannter.
2058 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Ich habe Glückwünsche zu Geburtstagen auszu- Grundlage für die außenpolitische Debatte dienen
sprechen. Am 19. September hat seinen 60. Ge- sollte, sagte der Herr Bundeskanzler allerdings,
burtstag gefeiert Herr Abgeordneter Dr. Well- daß sich infolge der Reise des britischen Außen-
hausen, ministers Eden eine kurzfristige Verschiebung der
(Beifall) Debatte notwendig mache; man müsse erst das
den 65. am 21. September Herr Abgeordneter Kort- Ende dieser Reise abwarten. Das bedeute, so wurde
mann. gesagt, daß man etwa am Ausgang der vergange-
(Beifall.) nen Woche oder am Beginn der Woche, in der wir
uns nun befinden, diese Debatte veranstalten
Am 22. September haben den 61. Geburtstag ge- könne.
feiert Herr . Abgeordneter Dr. Kather
Inzwischen ist uns erklärt worden, daß es
(Beifall) wegen der unmittelbar bevorstehenden Londoner
Konferenz unmöglich sei, jetzt vor dieser Konfe-
und den 69. Herr Abgeordneter Walter; renz hier im Bundestag über die Außenpolitik zu
debattieren. Aber bei der von mir eben gekenn-
(Beifall) zeichneten Auswahl eines Termins für eine Erklä-
und heute feiern ihren Geburtstag: den 66. Herr rung und eine Debatte durch den Herrn Bundes-
Abgeordneter Freidhof kanzler selbst stand auch eine Londoner Kon-
(Beifall) ferenz bevor, und der Herr Bundeskanzler hat da-
mals ausdrücklich und öffentlich erklären lassen,
und den 69. Herr Abgeordneter Dr. von Buchka.
er wünsche gerade wegen dieser Konferenz eine
(Beifall.) vorherige Erklärung im Bundestag mit der dazu-
gehörigen Debatte.
Allen diesen Kollegen spreche ich namens des Bun-
destages herzliche Glückwünsche aus. Wir verstehen, daß es die Bundesregierung nicht
wünschen kann, v o r dieser Konferenz über Einzel-
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne heiten der Verhandlungen mit anderen Regierun-
Verlesung in den Stenographischen Bericht aufge- gen hier öffentlich zu sprechen. Aber über die
nommen: Grundlinien, um die diese Verhandlungen geführt
werden und geführt werden sollen, muß und kann
Der Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Ver- doch in diesem Hause gesprochen werden,
mehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen
hat unter dem 31. August 1954 die Kleine Anfrage 102 der
Fraktion der CDU/CSU betreffend Manöver der britischen Be- (Beifall bei der SPD)
satzungstruppen — Drucksache 775 — beantwortet. Sein Schrei-
ben ist als Drucksache 792 vervielfältigt worden. um so mehr, als die Außenpolitik unserer Bundes-
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen republik doch ihr besonderes Gewicht dadurch er-
hat unter dem 26. August 1954 die Kleine Anfrage 101 der
Abgeordneten Lermer, Unertl und Genossen betreffend Fahr hält, daß sie der nationalpolitischen und auch euro-
radbenutzung durch Landbriefträger — Drucksache 739 — be- päischen Notwendigkeit der deutschen Wiederver-
antwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 791 vervielfäl-
tigt worden. einigung Rechnung tragen muß.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem (Erneuter Beifall bei der SPD.)
17. September 1954 die Kleine Anfrage 60 der Abgeordneten
Dr. Bleiß, Mellies, Frau Nadig und Genossen betreffend Bad
Oeynhausen — Drucksache 515 — beantwortet. Sein Schreiben Dies ist eine Aufgabe, von der wir uns vorstellen,
wird als Drucksache 833 vervielfältigt. daß sie nur durch eine gemeinsame Anstrengung
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 20. Sep- aller Deutschen erfüllt oder ihrer Verwirklichung
tember 1954 die Kleine Anfrage 94 der Abgeordneten Kramel, nähergeführt werden kann.
Höcherl und Genossen betreffend Regelung der Rechte der
kriegsgefangenen Bundesbeamten — Drucksache 686 — beant-
wortet. Sein Schreiben wir dais Drucksache 765 (neu) ver- (Wiederholter Beifall bei der SPD.)
vielfältigt.
In der Beratenden Versammlung des Europa-
Zur Tagesordnung wünscht das Wort Herr
- Ab- rats in Straßburg ist gerade in diesen Tagen eine
geordneter Wehner. mehrtägige Debatte über die Fragen der europä-
ischen Politik geführt worden, an der sich auch die
Wehner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen deutschen Abgeordneten beteiligt haben. Gestern
und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion wurde die Nachricht veröffentlicht, daß die zur
stellt den Antrag, als Punkt 1 der Tagesordnung Regierungskoalition des Hauses gehörenden Abge-
der heutigen Sitzung die außenpolitische Debatte ordneten, die als Delegierte in Straßburg an den
anzusetzen. Nach den Entscheidungen, die in Brüs- Beratungen teilnehmen, nunmehr für eine Aus-
sel und in Paris zum Scheitern des Vertrags über dehnung der dortigen Debatte und sogar für eine
die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geführt Abstimmung über eine Entschließung zu den
haben, erscheint es uns unumgänglich, daß sich Fragen der europäischen Politik, die die Bundes-
der Bundestag als die Vertretung unseres Volkes republik so sehr angehen, gestimmt haben.
über die außenpolitische Lage ausspricht. (Hört! Hört! bei der SPD.)
Meine Fraktion hatte die außenpolitische De- Man kann nicht gut das Argument aufrechterhal-
batte ursprünglich für diese Woche vorgeschlagen, ten, daß der vom deutschen Volk gewählte Bundes-
und zwar bereits zu Beginn der neuen Tagungs- tag am Beginn eines neuen Abschnitts der Außen-
periode des Bundestages nach der Sommerunter- politik nicht über deren Grundlinien debattieren
brechung. Aber es war der Herr Bundeskanzler, könne, wenn man in Straßburg in dieser Weise
der von sich aus erklärte, er wünsche am 14. Sep- verfährt.
tember eine außenpolitische Erklärung abzugeben,
über die dann der Bundestag etwa am 16. Septem- Im übrigen hat der Herr Bundeskanzler selber
ber debattieren könne. Am Vorabend dieses vom ankündigen lassen, daß er am 24. September —
Herrn Bundeskanzler selbst gewünschten Termins zwar nicht vor der deutschen Volksvertretung,
für die Abgabe einer Regierungserklärung, die als aber in einer Kundgebung in Offenbach — über
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2059
(Wehner)
das Thema „Deutschland und Europa" sprechen zu führen, scheinen uns gerade auch heute, wo die e
werde. Londoner Konferenz unmittelbar vor uns steht,
(Hört! Hört! bei der SPD.) noch fortzubestehen.
Wir nehmen nicht an, daß der Herr Bundeskanzler (Sehr gut! in der Mitte. — Zurufe von der
dort eine rein theoretische Betrachtung verkünden SPD.)
wird. Wir haben uns deshalb auch im Ältestenrat dem
(Abg. Arndgen: Andere sprechen über Vorschlag, heute diese Aussprache zu führen, nicht
einen Autounfall Dr. Adenauers in Frank anschließen können.
furt!) Herr Kollege Wehner, die Rede des Herrn Bun-
Es geht wohl auch nicht an, anzunehmen, daß der deskanzlers, die — ich glaube am 24. September —
Herr Bundeskanzler nur dort spricht, wo es sich in Offenbach gehalten werden soll, war bereits An-
um eine Kundgebung handelt, bei der es keine fang Juni festgesetzt worden,
Gelegenheit zur Debatte gibt. (Lachen bei der SPD)
Nach Beendigung des Zeitabschnitts, der durch und zwar nicht nur der Ort, sondern auch das
die Auseinandersetzungen über den Vertrag über Thema. Glauben Sie nur nicht, daß ,der Herr Bun-
die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und deskanzler das Rednerpult von Offenbach mit der
über den Generalvertrag gekennzeichnet war, be- Tribüne des Bundestages verwechseln wird.
steht — hoffentlich müssen wir nicht schon sagen:
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mellies:
bestand — die Möglichkeit zu einem neuen Start
Das werden wir nachher sehen!)
für die Behandlung der Außenpolitik auch hier in
diesem Hause und in unserer Bundesrepublik. Wir Ihr Wort von einem gemeinsamen großen An-
halten die Debatte heute auch für notwendig, weil liegen in der Außenpolitik nehmen wir dankbar
die Frage geklärt werden soll, ob diese Chance zu auf. Wir möchten wünschen, daß eine solche Aus-
einem neuen Start genützt oder ob sie verdorben sicht guten Grund hat. Der Herr Bundeskanzler
werden soll, indem wieder vollendete Tatsachen hat das Vertrauen der überwiegenden und über-
geschaffen werden, über die man sich dann hinter- wältigenden Mehrheit dieses Hauses für seine Poli-
her auseinandersetzen muß. tik, auch für seine Außenpolitik.
(Sehr richtig! bei der SPD.) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Meine Damen und Herren, geben Sie ein Bei- Wir haben das Vertrauen, daß er diesem Votum
spiel dafür, daß auch Sie einen solchen neuen Start entsprechend auch die Verhandlungen in London
wünschen, indem Sie unserem Antrag auf Anset- führen wird. Wir können uns Ihrem Antrag nicht
zung dieser Debatte heute nicht widersprechen anschließen.
und somit die Möglichkeit zu einem solchen neuen (Beifall bei der CDU/CSU.)
Start geben.
(Beifall bei der SPD.) Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter
Dr. Krone, ich darf Ihr „nicht anschließen" so ver-
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Tagesordnung stehen, daß das als ein Widerspruch im Sinne des
wünscht das Wort Herr Abgeordneter Dr. Krone. § 26 Abs. 3 der Geschäftsordnung gilt.
Dr. Krone (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine (Zustimmung.)
Damen und Herren! Wir haben uns bereits in die- — Offenbar. Damit besteht nach der Geschäfts-
ser Woche im Ältestenrat darüber unterhalten, ob ordnung nicht die Möglichkeit, dem Antrag der
heute hier im Hause eine außenpolitische Debatte sozialdemokratischen Fraktion zu entsprechen. Ich
stattfinden solle. Ich gebe zu, daß unter den Grün- stelle das fest.
den, die vorgetragen worden sind, sich einige be-
finden, die durchaus beachtlich sind. Es ist auch Ich komme zu Punkt 1 der Tagesordnung:
uns nicht angenehm, daß nach einer längeren -
Pause bisher keine außenpolitische Aussprache Fragestunde (Drucksache 823).
stattfinden konnte. Neu ist mir an den Gründen Meine Damen und Herren, der Bundesminister
des Herrn Kollegen Wehner folgender. Er hat für Arbeit hat gebeten, die ihn betreffenden Fra-
gesagt, es sei von seiner Fraktion beabsichtigt ge- gen 5, 10, 20, 29 und 33 vorzuziehen, da er um
wesen, die außenpolitische Aussprache erst in 9 Uhr 30 wegen des Rentenzulagengesetzes im
dieser Woche zu führen. Ich war bisher der Bundesrat anwesend sein muß. Darf ich unter-
Meinung, daß die Festsetzung eines Termins erst stellen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß
für dies e Woche von der sozialdemokratischen wir so verfahren? — Ich höre keinen Widerspruch.
Fraktion in keiner Weise beabsichtigt gewesen ist,
Dann darf ich bitten, daß wir zunächst mit der
(Abg. Mellies: Doch!) Frage 5 beginnen. — Frau Abgeordnete Meyer
sondern daß auch bei Ihnen der Wunsch bestanden (Dortmund)!
hat, schon in der vorigen Woche eine solche Aus- Frau Meyer (Dortmund) (SPD):
sprache zu führen.
(Zuruf von der SPD: Das war doch klar!) Aus welchem Grunde ist die nach § 19 Abs. 2
des Sozialgerichtsgesetzes zu erlassende Rechts-
— Nein, Herr Kollege! — Diese hat aber nicht statt- verordnung bisher noch nicht von dem Herrn
gefunden, auf Grund von Verhandlungen, die zwi- Bundesminister für Arbeit verkündet? Wird
schen den Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen diese Rechtsverordnung in eindeutiger Weise
und auch zwischen dem Herrn Kollegen Ollen- die Frage der Entschädigung des Aufwandes
hauer mit dem Herrn Bundeskanzler geführt wor- neben dem Verdienstausfall und den Fahrt-
den sind. kosten und die Frage der Versicherung der
Diese sehr beachtlichen sachlichen Gründe, die Sozialrichter, soweit sie zur Sozialversicherung
uns damals veranlaßt haben, eine Aussprache nicht versicherungspflichtig sind, regeln?
2060 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Der Bundesminister für ten Kreisen so viele Schwierigkeiten ergeben, daß
Arbeit zur Beantwortung! er erst im Juni endgültig dem Kabinett zugeleitet
werden konnte.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Die nach § 19
Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes zu erlassende Präsident D. Dr. Ehlers: Noch eine Zusatzfrage,
Verordnung über die Entschädigung der ehrenamt- Herr Abgeordneter Walter? — Ist erledigt, danke
lichen Beisitzer der Gerichte der Arbeitsgerichts- schön!
barkeit ist von der Bundesregierung bereits dem Zur Frage 20 Herr Abgeordneter Ritzel.
Bundesrat zur Beschlußfassung zugeleitet worden.
Die Verordnung sieht dieselben Entschädigungen Ritzel (SPD): Ich frage die Bundesregierung:
vor, wie sie für die ehrenamtlichen Beisitzer der
Gerichte in Arbeitssachen gegeben werden. Die Entspricht es den Tatsachen, daß die Bundes-
Frage der Versicherung der sozialversicherungs- regierung bis heute weder den Haushaltsplan
pflichtigen Sozialrichter ist in dieser Verordnung der Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung
nicht geregelt. Diese Frage ist nicht nur bei den für 1953 noch den für 1954 genehmigt hat?
ehrenamtlichen Richtern in der Sozialgerichtsbar- Wenn diese Genehmigung der beiden Haus-
keit, sondern in gleicher Weise bei sämtlichen haltspläne noch nicht erfolgt sein sollte, dann
ehrenamtlichen Richtern aller Gerichtszweige ge- frage ich, welche Gründe für diese Verzöge-
geben. Deshalb ist eine einheitliche Regelung für rung maßgebend gewesen sind.
den gesamten Personenkreis vorgesehen.
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte schön, Herr Bun
Präsident D. Dr. Ehlers: Ist die Frage damit be- minister!
antwortet? Oder haben Sie eine Zusatzfrage, Frau
Abgeordnete Meyer? Storch, Bundesminister für Arbeit: Der Haus-
haltsplan der Bundesanstalt für das Haushaltsjahr
Frau Meyer (Dortmund) (SPD): Ich habe die 1953 wurde von der Bundesregierung am 23. Juli
Frage, ob in absehbarer Zeit mit dieser Regelung 1954 genehmigt. Die Genehmigung wurde der Bun-
zu rechnen ist. desanstalt mit Erlaß des Bundesarbeitsministeriums
vom 24. Juli 1954 mitgeteilt.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Das Gesetz Der Haushaltsplan der Bundesanstalt für das
ist von der Bundesregierung bereits an den Bun- Haushaltsjahr 1954 konnte von der Bundesregie-
desrat geleitet worden, der erst zustimmen muß. rung noch nicht genehmigt werden, da er von der
Ich nehme an, daß er seine Entscheidung auf dem Bundesanstalt bisher noch nicht vorgelegt worden
schnellsten Wege fällt. Dann steht der Weiterbe- ist.
handlung der Sache nichts mehr im Wege. (Abg. Samwer: Das ist aber sehr
unerfreulich!)
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage 5
erledigt. Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
Abgeordneter Ritzel!
Zur Frage 10 Herr Abgeordneter Walter.
Ritzel (SPD): Darf ich den Herrn Arbeitsminister
Walter (DP): Ich frage die Regierung: fragen, was die Regierung zu tun gedenkt, um
Wann ist nunmehr mit der Vorlage des Ent- erstens die Bundesanstalt zu veranlassen, den un-
wurfs eines Ladenschlußgesetzes im Bundestag tergebenen Arbeitsämtern, die bis zum 31. August
zu rechnen, nachdem der Herr Bundesminister noch nicht im Besitz der Mitteilung über die Ge-
für Arbeit am 23. Januar 1954 auf die Kleine nehmigung des Haushaltsplans 1953 waren, diese
Anfrage der DP erklärt hat, daß der Entwurf Genehmigung endlich mitzuteilen, damit man dort
„in voraussichtlich zwei Monaten" dem Bun- entsprechend den Ansätzen im Etat verfahren
deskabinett zugehen werde? - kann.
Zweitens frage ich: Bis wann darf damit gerech-
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes-
net werden, daß die Bundesregierung den Haus-
minister!
haltsplan 1954 verabschiedet?
Storch, Bundesminister für Arbeit: Das Bundes-
kabinett hat die Gesetzesvorlage über den Laden- Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes-
minister!
schluß gestern verabschiedet und wird sie um-
gehend den gesetzgebenden Körperschaften zu- Storch, Bundesminister für Arbeit: Zu der
leiten. Frage 1 kann ich Ihnen nur sagen: Ich werde dem
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage? — Herrn Präsidenten der Bundesanstalt gern mittei-
Herr Abgeordneter Walter, bitte! len, daß Sie mir heute gesagt haben, daß diese
Dinge angeblich noch nicht nach unten durchgege-
ben worden sind, und ich werde ihn bitten, das
Walter (DP): Darf ich mir die bescheidene Frage nachzuholen. Wir sind ja nicht die Behörde, der die
erlauben, warum es so lange Zeit benötigte, bis Bundesanstalt unterstellt ist, sondern wir haben
der Entwurf so weit war, daß er nunmehr dem nur die Aufsicht.
Bundestag zugehen kann. Es wurde uns doch im
Januar gesagt, daß es nur zwei Monate dauere. Zur zweiten Frage ist zu sagen, daß wir ja den
Haushaltsplan 1954 erst behandeln können, wenn
er uns vorliegt. Er liegt aber noch nicht vor. Welche
Storch, Bundesminister für Arbeit: Dazu kann Schwierigkeiten sich in der Bundesanstalt selbst
ich dem Kollegen Walter nur sagen, daß der Ge- bei der Erstellung des Haushaltsplans ergeben
setzentwurf tatsächlich in dieser Zeit fertiggestellt haben, weiß ich in den Einzelheiten nicht.
war. Bei seiner Besprechung haben sich dann aber
sowohl bei den Ressorts als auch bei den beteilig Ritzel (SPD): Eine Zusatzfrage!
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2061

Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Abgeord- Bitte gerichtet hat, sich von Zeit zu Zeit über den
neter Ritzel! Stand der Gesetzgebung zu erkundigen? Ich glaube,
da der größte Teil der Betroffenen bereits in die
Ritzel (SPD): Wir schreiben jetzt Ende Septem- Altersgruppe der etwa 70jährigen eingerückt ist, ist
ber. Der Haushaltsplan des Bundes ist von diesem es höchste Zeit — selbst wenn es sich um einen
Hause längst verabschiedet. Wird die Bundesregie- kleinen Personenkreis handelt und dieser von Jahr
rung — diese Zusatzfrage möchte ich mir abschlie- zu Jahr kleiner wird —, mit Hilfe von Rechtsver-
ßend gestatten — dafür sorgen, daß der Haus- ordnungen oder sonstwie mindestens eine vorüber-
haltsplan der Bundesanstalt nun raschestens vor- gehende Regelung für diese Leute möglich zu
gelegt wird? machen.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich werde Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes-
Ihrem Wunsche gern nachkommen und mich auch minister!
diesbezüglich an die Bundesanstalt wenden und
sie bitten, doch den Haushaltsplan 1954 und dann Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich wäre
auch anschließend den Haushaltsplan 1955 so früh- Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diese Einzel-
zeitig einzureichen, daß er möglichst mit Beginn fälle unterbreiten würden. Ich bin gern bereit,
des Geschäftsjahres in Wirksamkeit treten kann. hier, soweit es möglich ist, helfend einzugreifen.
Ritzel (SPD): Ich danke Ihnen.
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage er-
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. ledigt.
Zur Frage 29 Herr Abgeordneter Hauffe. Zur Frage 33 Herr Abgeordneter Dr. Schellen-
berg!
Hauffe (SPD):
Wann ist damit zu rechnen, daß der Herr Dr. Schellenberg (SPD):
Bundesminister für Arbeit Entwürfe zur ge- Wie hoch war das gesamte Vermögen der
setzlichen Regelung der Ergänzung und An- sozialen Rentenversicherungen Ende 1953 —
gleichung der Sozialversicherung und der gegliedert nach Hauptpositionen der Vermö-
Kriegsopferversorgung an §§ 64, 65 des Bun- gensanlagen und des Barvermögens der ein-
desergänzungsgesetzes zur Entschädigung zelnen Versicherungszweige —, und mit wel-
für Opfer der nationalsozialistischen Verfol- chem Vermögenszuwachs wird etwa für das
gung (BEG) vom 18. September 1953 (BGBl. I Jahr 1954 gerechnet?
Seite 1387) vorlegt?
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes-
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes- minister!
minister.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Das Gesamt-
Storch, Bundesminister für Arbeit: Die Absätze 2 vermögen der gesetzlichen Rentenversicherungs-
der §§ 64 und 65 des Bundesergänzungsgesetzes träger belief sich Ende 1953 auf rund 3 Milliar-
haben die Ergänzung und Angleichung der die den DM*). Davon entfielen auf die Invalidenver-
Wiedergutmachung in der Sozialversicherung und sicherung 2577 Millionen DM, auf die Angestellten-
der Kriegsopferversorgung regelnden Vorschriften versicherung 1260 Millionen DM und auf die
an das Bundesergänzungsgesetz einer besonderen knappschaftliche Rentenversicherung 163 Millionen
gesetzlichen Regelung vorbehalten. Der Vorbehalt DM. Nach den Hauptpositionen der Vermögens-
einer besonderen gesetzlichen Regelung ist gemacht anlagen ergibt sich folgende Gliederung: In der
worden, um eingehend und sorgfältig prüfen zu Invalidenversicherung sind an Hypotheken 117 Mil-
können, ob und welche Ergänzungen und Anglei- lionen DM, an Wertpapieren 669 Millionen DM, an
chungen erforderlich sind. Die zuständige Abtei- Darlehen und Festgeldanlagen 926 Millionen DM,
lung meines Ministeriums verfolgt zu diesem an Grundstücken, baulichen Anlagen und Inventar
Zwecke, welche Auswirkungen in der Praxis eine 180 Millionen DM, an kurzfristig angelegten Mit-
Nichtübereinstimmung des Bundesergänzungs- teln 685 Millionen DM vorhanden; in der Angestell-
gesetzes und der angeführten Wiedergutmachungs- tenversicherung: Hypotheken 69 Millionen, Wert-
gesetze in der Sozialversicherung und Kriegsopfer- papiere 410 Millionen, Darlehen und Festgeld-
versorgung haben kann. Bisher haben sich noch anlagen 415 Millionen, Grundstücke, bauliche An-
keine ausreichenden Unterlagen für eine weitere lagen etc. 15 Millionen und kurzfristig angelegte
gesetzliche Regelung ergeben. Aus der Verfolgung Mittel 351 Millionen DM. In der Knappschafts-
der Rechtsprechung und der Sichtung der an versicherung ist das Verhältnis folgendermaßen:
mein Ministerium herangetragenen Einzelfälle soll 11 Millionen DM Hypotheken, 10 Millionen DM
weiteres Material dafür gewonnen werden, welche Darlehen und Festgeldanlagen, 15 Millionen DM
Ergänzungen und Angleichungen erforderlich wer- Grundstücke, bauliche Anlagen etc. und kurzfristig
den. Einen Zeitpunkt für die Einbringung eines angelegt 127 Millionen DM.
diesbezüglichen Gesetzes kann ich Ihnen heute
nicht nennen. Für das Rechnungsjahr 1954 würde bei Fort-
bestand des gegenwärtigen Rechts ein Kassenüber-
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter schuß von rund 1 620 000 000 DM zu erwarten sein,
Hauffe, eine Zusatzfrage? — Bitte! und zwar auf die einzelnen Versicherungsträger in
folgender Größenordnung: 1 Milliarde DM für die
Hauffe (SPD): Ist der Herr Minister bereit, die Invalidenversicherung, 600 Millionen DM für die
Einzelfälle noch einmal eingehend zu überprüfen? Angestelltenversicherung und 20 Millionen DM für
Mir sind Fälle bekannt — und ich habe diese hier die knappschaftliche Rentenversicherung.
im Hause schon angesprochen —, wo das Bundes-
ministerium für Arbeit an 74jährige Rentner die *) Vgl. Seite 2062 B.
2062 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Diese Frage ist bereits im Mai hier einmal von
Schellenberg, eine Zusatzfrage. Ihnen gestellt worden, Herr Kollege, und da Sie
damals nicht anwesend waren, hatte ich Ihnen
Dr. Schellenberg (SPD): Warum wurden diese schriftlich folgendes mitgeteilt:
Zahlen, die doch für die weitere Gestaltung der Die jungen Bundesgrenzschutzbeamten sollen
Rentenleistungen sehr bedeutungsvoll sind, nicht währehd der Ausbildungszeit, aber auch während
schon bisher bekanntgegeben? ihrer späteren Dienstzeit nicht nur Soldatenlieder,
sondern auch Wanderlieder lernen und singen.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Über den Außer Marsch- und Wanderliedern werden auch
Kassenbestand unserer Rentenversicherungsträger sonstige Volkslieder gesungen, natürlich nicht auf
glaube ich bereits am Anfang dieses Jahres hier an
dem Marsch, wohl aber in den Unterkünften. Eine
dieser Stelle etwas gesagt zu haben. Wir können
zentrale Anordnung, welche Lieder während der
natürlich diese endgültigen Zusammenstellungen Ausbildungszeit zu singen sind, ist nicht beab-
nur vornehmen, wenn wir die Angaben von allen sichtigt.
Versicherungsträgern, die ja sogar in der Aufsicht,
(Heiterkeit.)
soweit die Landesversicherungsanstalten in Frage
kommen, nicht uns unterstehen, zusammen haben. Ich bin der Meinung, daß die Lieder, die in einer
Einheit gesungen werden, aus dem landsmann-
Dr. Schellenberg (SPD): Ich danke Ihnen! schaftlichen Raum heraus ausgewählt werden soll-
ten. Es ist daher veranlaßt worden, daß unsere
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist beantwor- Grenzschutzeinheiten mit den örtlichen Jugend-
tet. Damit sind die Fragen an den Herrn Bundes- verbänden Fühlung nehmen, um sich von ihnen
arbeitsminister erledigt. gute Lieder für unsere Grenzschutzbeamten nennen
Ich komme also zur Frage 1. Herr Abgeordneter zu lassen.
Ritzel! Ich darf hinzufügen, Herr Kollege, daß ich die
Absicht habe, an den Herbstübungen des Bundes-
Ritzel (SPD): Ich frage den Herrn Bundes- grenzschutzes teilzunehmen,
minister — —
(Abg. Mellies: Aktiv? — Heiterkeit)
Präsident D. Dr. Ehlers: Darf ich einen Augen- und daß ich mir bei dieser Gelegenheit das Lied-
blick unterbrechen. gut einmal selbst anhören werde.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich werde (Erneute Heiterkeit. — Zuruf des Abg. Ritzel.)
gerade von einem meiner Mitarbeiter darauf auf-
merksam gemacht, daß mir eine falsche Zahl unter- Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter
laufen ist. Nicht 3 Milliarden DM Vermögen, son- Ritzel hat noch eine Zusatzfrage?
dern 4 Milliarden DM Vermögen sind vorhanden. (Abg. Ritzel: Nein!)
Wenn Sie die Zahlen, die ich Ihnen dann genannt — Ist erledigt.
habe, überprüfen, werden Sie das auch finden. Zur Frage 2 Frau Abgeordnete Dr. Dr. Lüders.
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich bin überzeugt, daß Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP):
jeder Abgeordnete, der es addiert hätte, zu dem
gleichen Ergebnis gekommen wäre, Herr Bundes- Womit glaubt der Herr Bundesminister der
minister! Finanzen auf dem Gebiete des Steuerrechtes
(Heiterkeit.) ein Ausnahmerecht vom Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1
Herr Abgeordneter Ritzel zur Frage 1. des Grundgesetzes in Anspruch nehmen und
damit die gemeinsame Besteuerung von Ehe-
Ritzel (SPD): Ich frage den Herrn Bundesminister gatten begründen zu können?
des Innern:
Ist der Herr Bundesminister bereit, während Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundes-
der Ausbildungszeit der künftigen Angehöri- minister der Finanzen.
gen des Bundesgrenzschutzes dafür zu sorgen,
daß nicht nur alte und neue Soldatenlieder als Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Der
Marschlieder erlernt werden, sondern daß auch Bundesminister der Finanzen glaubt überhaupt
wertvolle Wanderlieder aus dem reichen nicht,
Schatz deutscher Volkslieder von den Angehö- (große Heiterkeit)
rigen des Bundesgrenzschutzes gelernt und ein Ausnahmerecht vom Art. 3 Abs. 1 des Grund-
gesungen werden? gesetzes in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 des
(Heiterkeit.) Grundgesetzes in Anspruch zu nehmen. Die Frage
bezieht sich wohl auf die Tatsache, daß ein Finanz-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- gericht, das Finanzgericht München, die Ver-
ren, ich habe eigentlich Bedenken gehabt, diese fassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die
Frage zuzulassen, da sie unmittelbar in den Bereich gemeinsame Besteuerung von Ehegatten in einem
der Kultur hineingehört, und dafür ist bekanntlich Urteil bezweifelt hat. In der Zwischenzeit sind Ur-
nicht der Bundesminister des Innern zuständig, teile anderer Finanzgerichte, z. B. Karlsruhe und
sondern die Länderminister. Stuttgart, ergangen, die die Stellungnahme des
(Erneute Heiterkeit.) Finanzgerichts München ablehnen und die Ver-
fassungsmäßigkeit bejahen. Es wird in letzter
Aber bitte: zur Beantwortung der Bundesminister Linie eine oberstgerichtliche Entscheidung abzu-
des Innern! warten sein.
Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Ich Was die politische Seite der Frage betrifft, so
darf dem Herrn Kollegen folgendes antworten. dürfte sie wohl nicht Gegenstand einer Fragestunde
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2063
(Bundesfinanzminister Schäffer)
sein, sondern wird zu der Aussprache über die Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
entsprechenden Bestimmungen des Steuergesetzes des Innern, bitte.
gehören, die demnächst in diesem Hohen Hause
stattfinden soll. Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Ich
darf dem verehrten Herrn Kollegen folgendes ant-
Präsident D. Dr. Ehlers: Ist die Frage erledigt? worten:
(Abg. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders: Nein!) Es ist mir bekannt, daß auf die Entschließung
der Ministerpräsidenten der Länder vom 5. und
— Eine Zusatzfrage! 6. Februar dieses Jahres der Deutsche Ausschuß
für das Erziehungs- und Bildungswesen am
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP): Beabsichtigt der 26. Juni dieses Jahres Empfehlungen zur Ferien-
Herr Finanzminister, die von ihm geforderte ge- ordnung vorgelegt hat. Mit ihnen hat sich die Kul-
meinsame Besteuerung von zusammenwohnenden tusministerkonferenz in Feldafing am 30. Juni und
Ehegatten auch auf die Einkommensteuer anderer, 1. Juli dieses Jahres befaßt und ihrerseits Empfeh-
einen gemeinsamen Haushalt führenden, aber lungen an die Ministerpräsidenten der Länder be-
nicht verheirateten Personen auszudehnen, und wie schlossen. In diesen Empfehlungen heißt es: Die
beurteilt der Herr Bundesfinanzminister in diesem Sommerferien liegen etwa in der Zeit zwischen
Zusammenhang die Wirkung der steuerlichen Be- dem 25. Juni und dem 15. September. Ich bin davon
vorzugung solcher Partner gegenüber legitimen unterrichtet, daß die Empfehlungen der Kultus-
Ehepartnern? ministerkonferenz den Ministerpräsidenten zuge-
(Heiterkeit.) leitet sind. Mir ist allerdings nicht bekannt, welche
Entschlüsse die Ministerpräsidenten der Länder in
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Bundesminister der dieser Angelegenheit gefaßt haben. Ich habe keine
Finanzen! Möglichkeit, Herr Kollege, mit den Kultus- bzw.
Innenministern der Länder in Verbindung zu
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Über treten, um auf eine bestimmte Gestaltung der
diese Frage wird zur Zeit im Ausschuß für Finan- Ferienordnung für das Jahr 1955 Einfluß zu neh-
zen und Steuern des Deutschen Bundestages bera- men. Die Ordnung der Ferien fällt ausschließlich in
ten. Ich kann der Entscheidung des Ausschusses die Zuständigkeit der Regierungen der Länder.
nicht vorgreifen.
(Abg. Mellies: Aber ein Gespräch wird ja
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) mal möglich sein, Herr Minister!)
Präsident D. Dr. Ehlers: Frau Abgeordnete Kortmann (CDU/CSU): Darf ich eine Zusatzfrage
Lüders hat noch eine Zusatzfrage. stellen? — Ist es dem Bundesinnenministerium
(Heiterkeit.) nicht möglich, wenigstens Anregungen zu einer
Neuordnung an die Länder zu geben?
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP): Glaubt der Herr
Bundesfinanzminister, daß die von den Finanz- Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Darf
ämtern geübte gemeinsame Steuerhaftung gemein- ich mit einer Gegenfrage antworten, Herr Kollege.
sam veranlagter Ehepartner mit dem Grundgesetz Halten Sie die Empfehlungen, die die Konferenz
vereinbar ist? der Kultusminister gegeben hat, für Ihrem An-
liegen entsprechend oder nicht?
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Ich (Abg. Kortmann: An sich ja!)
glaube es.
(Heiterkeit.) — Ich würde dann keine Bedenken tragen, Herr
Kollege, diese Anregungen auch von uns aus gegen-
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP): Dann ist auch über den Ministerpräsidenten zu unterstützen.
in dieser Sache unser Glaube nicht derselbe.
(Abg. Kortmann: Danke schön!)
Präsident D. Dr. Ehlers: Das war keine Frage,
sondern eine typische Feststellung! Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 4 Frau Abge-
ordnete Dr. Lüders.
(Bundesminister der Finanzen Schäffer: Eine
historische Feststellung! — Abg. Schoettle: Der Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP):
Finanzminister hat einen besonderen
Katechismus!) Hält der Herr Bundesminister der Justiz es
Meine Damen und Herren, zur Frage 3 Herr Ab- verfassungsrechtlich für zulässig, das Recht
zum Erlaß von Rechtsverordnungen in Spezial-
geordneter Kortmann.
gesetzen an Organe der Selbstverwaltung zu
Kortmann (CDU/CSU): delegieren?
Ist dem Herrn Bundesminister des Innern Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
bekannt, daß trotz aller Koordinierungsbemü- der Justiz!
hungen der Landesministerien die Regelung
der Lage der Sommerferien bisher immer noch Neumayer, Bundesminister der Justiz: Auf diese
unbefriedigend geblieben ist? Ist der Herr Frage möchte ich folgendes erwidern. Nach Art. 80
Bundesminister bereit, frühzeitig mit den Kul- des Grundgesetzes können nur die Bundesregie-
tus- bzw. Innenministerien der Länder in Ver- rung, die Bundesminister oder die Landesregierun-
bindung zu treten, um mit Rücksicht auf die gen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu er-
deutschen Seebäder mit ihrer bedauerlich kur- lassen. Nach herrschender Auffassung ist diese Auf-
zen, meist nur 6 bis 8 Wochen umfassenden zählung des Grundgesetzes erschöpfend. An andere
Saison eine zweckmäßigere und sinnvollere Stellen als die eben erwähnten können daher
Verteilung der Sommerferien im Jahre 1955 Rechtsetzungsbefugnisse nicht übertragen werden.
herbeizuführen? Nun nimmt aber die Praxis an, daß im Wege der
2064 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Neumayer)
Unterermächtigung, der sogenannten Subdelega- staltungen und Versammlungen von Heimatvertrie-
tion, auch weitere Stellen ermächtigt werden kön- benen in der Bahnhofswirtschaft, einige Male mit
nen. Oh Organe der Selbstverwaltung jedoch hier Polizeistundenverlängerung, stattgefunden. Be-
für eine Unterermächtigung in Frage kommen, ist schwerden aus dem Publikum sind darüber bisher
sehr zweifelhaft. Letzten Endes könnte darüber nur nicht lautgeworden.
der Verfassungsgerichtshof verbindlich entscheiden.
Bisher ist nun, soweit es dem Bundesjustizmini- Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
sterium bekanntgeworden ist, die Praxis nicht Abgeordneter Hilbert?
dahin gegangen, daß derartige Unterermächtigun-
gen erteilt werden. Man wird überhaupt, wenn man Hilbert (CDU/CSU): Nein.
eine solche Unterermächtigung für zulässig halten
sollte, nur dann diese Frage bejahen können, wenn Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 7 Herr Abge-
der erstermächtigten Stelle, also der Regierung, die ordneter Hilbert.
volle Sachweisungsbefugnis gegenüber dem Organ
der Selbstverwaltung zusteht. Andernfalls könnte Hilbert (CDU/CSU):
die Regierung auf die Gestaltung der Verordnun- Ist die Bundesregierung bereit, mit der Bun-
gen durch das Organ der Selbstverwaltung keinen desbahn in Verhandlungen einzutreten, um die
Einfluß nehmen, und damit wäre auch die poli- dem Vernehmen nach beabsichtigte Einstellung
tische Verantwortlichkeit ausgeschaltet. Letztlich des Eisenbahnverkehrs auf der Strecke Ober-
würden daher Rechtsetzungsbefugnisse auf Stellen lauchringen — Immendingen zwischen den
übertragen, für die niemand dem Parlament ver- Bahnhöfen Weizen und Zollhaus Blumberg
antwortlich ist. Das würde meines Erachtens gegen abzuwenden, da diese Einstellung eine schwere
den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie wirtschaftliche Schädigung der ganzen dortigen
und gegen den Sinn des Art. 80 des Grundgesetzes Gegend bedeuten würde, weil die beabsichtigte
verstoßen. Ob man allerdings dann noch von einer Umstellung des Verkehrs auf die Straße im
echten Selbstverwaltung sprechen kann, wenn Winter durch die Schneelage einfach unmöglich
einem Minister die unumschränkte Sachweisungs- gemacht würde?
befugnis zusteht, ist eine andere Frage.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Frau für Verkehr, bitte!
Abgeordnete?
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP): Nein, ich danke Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundes-
bestens; es ist erledigt, Herr Minister. bahn prüft zur Zeit, wie Sie wissen, durch welche
Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit ihrer Neben-
Präsident D. Dr. Ehlers: Ist erledigt. Frage 5 ist strecken verbessert werden kann. Auch die Neben-
bereits erledigt. strecke Oberlauchringen—Immendingen ist in diese
Abgeordneter Hilbert zur Frage 6! Prüfung einbezogen worden. Das Ergebnis der
Prüfung liegt aber noch nicht vor. Der Mittel-
Hilbert (CDU/CSU): abschnitt dieser Strecke, der auf 22,3 km sechs
Tunnel mit insgesamt 4,55 km und drei große
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß Brücken enthält, ist in der Unterhaltung natur-
z. B. in der Bahnhofswirtschaft Stühlingen, gemäß besonders teuer.
aber auch in anderen Bahnhofswirtschaften,
die zum Teil in die Bahnhöfe selbst eingebaut Ehe mir ein Antrag auf etwaige Einstellung des
sind und gleichzeitig als Warteräume dienen, Verkehrs vorgelegt wird, hat sich gemäß Bundes-
des öfteren Veranstaltungen lokaler Art, viel- bahngesetz der Vorstand der Deutschen Bundes-
fach mit Polizeistundenverlängerung, durchge- bahn mit der obersten Landesverkehrsbehörde ins
führt werden, oder ist sie bereit, für Abhilfe Benehmen zu setzen. Dadurch ist gewährleistet,
zu sorgen? - daß die örtlichen Interessen nicht übersehen wer-
den können. Ich habe aber vorsorglich der Haupt-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Bundesminister für verwaltung der Deutschen Bundesbahn schon jetzt
Verkehr, bitte! Ihre Bedenken übermittelt.
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage?
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Für Sonder- Hilbert (CDU/CSU): Herr Bundesverkehrsmini-
veranstaltungen in Bahnhofswirtschaften ist je- ster, ist Ihnen bekannt, daß erst in den letzten
weils die Zustimmung der zuständigen Eisenbahn- Tagen eine Kommission der Bundesbahndirektion
dienststellen einzuholen. Sie wird grundsätzlich nur Karlsruhe auf den entsprechenden Bahnhöfen vor-
dann erteilt, wenn für die Reisenden ein geeigneter stellig geworden ist und erklärt hat, daß die Ein-
Warteraum verbleibt. stellung des Verkehrs zwischen Weizen und Zoll-
Im Bahnhof Stühlingen ist neben der Bahnhofs- haus Blumberg bereits im Winterfahrplan vorge-
wirtschaft, die einen eigenen Zugang von der sehen werden müsse?
Straße her hat, noch ein besonderer Warteraum Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Ich
vorhanden. Der Bahnhof ist kein Übergangsbahn- glaube nicht, daß diese Erklärung zu Recht abgege-
hof. Der Warteraum hat daher nicht die Aufgabe, ben worden ist; denn der Antrag des Vorstandes
Übergangsreisenden zu dienen, die länger auf An- bedarf ja vor Inkrafttreten der Behandlung im
schluß warten. Der abendliche Reiseverkehr in Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn, und
Stühfingen ist unbedeutend; nach 20 Uhr fährt nur das erfordert eine gewisse Zeit. Außerdem muß er
noch ein Triebwagen um 22 Uhr 25 in Richtung dann noch von mir bestätigt werden.
Waldshut.
Allerdings ist bei den Untersuchungen in Erwä-
In den vergangenen zwei Jahren haben durch- gung gezogen worden, ob man den nördlichen und
schnittlich alle zwei Monate Gewerkschaftsveran den südlichen Teil der Strecke aufrechterhalten
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2065
(Bundesminister Dr. Seebohm)
kann und nur die Mittelstrecke, von der ich eben Hilbert (CDU/CSU): Ist dem Herrn Bundesfinanz-
sagte, daß ihre Unterhaltung besonders teuer ist, minister bekannt, daß in der ganzen schweize-
stillegt, um Kosten zu sparen. Die Untersuchungen rischen Presse die Behauptung aufgestellt wird, die
darüber sind aber nach Aussage der Hauptverwal- Initiative zu Beschränkungen überhaupt sei von
tung der Deutschen Bundesbahn noch nicht abge- deutscher Seite ausgegangen?
schlossen. Frage 2. Herr Bundesfinanzminister sprach vor-
hin von Personaleinsparungen durch diese Be-
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist diese Frage schränkung. Ist dem Herrn Bundesfinanzminister
erledigt. bekannt, daß dasselbe Personal, das an den ge-
Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Hilbert. schlossenen Übergängen kontrolliert, daß niemand
herübergeht, genau so auch die Abfertigung der
Hilbert (CDU/CSU): Personen vornehmen könnte?
Ist die Bundesregierung bereit, die auf deut-
scher Seite angeordneten zeitlichen Beschrän- Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Es ist
kungen der Grenzübertrittstellen an der mir nicht bekannt, daß in der Schweizer Presse
deutsch-schweizerischen Grenze aufzuheben, da diese Behauptungen aufgestellt worden sind; aber
diese Beschränkungen auf nur wenige Stunden ich habe vorhin festgestellt, daß die erste Anregung
des Tages eine außerordentliche Schädigung von dem deutschen Bundesrechnungshof ausgegan-
des früher regen Grenzverkehrs bedeuten? gen ist, der die bisherigen Öffnungen als unzweck-
mäßig und unwirtschaftlich bezeichnet hat. Ich habe
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister vorhin betont, daß die Durchführung in beider-
der Finanzen. seitigem Einvernehmen erfolgt. Der Personalstand
an den einzelnen Grenzübergangsstellen, also auch
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Herr Ab- an der Grenzübergangsstelle Untereggingen — so
geordneter, Sie haben sich meines Wissens bereits heißt sie, glaube ich —, ist mir allerdings nicht be-
selbst davon überzeugen können, daß die Öffnungs- kannt.
zeiten dieser Grenzübergänge an der deutsch-
schweizerischen Grenze nicht einseitig von der deut- Hilbert (CDU/CSU): Ich danke.
schen Behörde verfügt werden, sondern daß sie im
gegenseitigen Benehmen mit den Schweizer Zoll- Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
behörden festgesetzt werden. Das geschieht auf Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Mommer. —
Grund des Schlußprotokolls zum Baseler Überein- Wünscht jemand anders für Herrn Mommer die
kommen. Dabei sind die beiderseitigen Verkehrs- Frage zu stellen? — Offenbar nicht. Stellen wir sie
bedürfnisse in großzügiger Weise berücksichtigt zum nächstenmal zurück.
worden. Nach neuesten Feststellungen gehen die Frage 10 ist erledigt.
derzeitigen Öffnungszeiten zum Teil sogar über das
Verkehrsbedürfnis hinaus trotz der für die Ver- Zu Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Friedens-
waltung damit verbundenen Mehrkosten. Ich be- burg.
tone nebenbei, daß der Bundesrechnungshof die
unbeschränkt geöffneten Übergänge in früheren Dr. Friedensburg (CDU/CSU): Ich frage den
Jahren beanstandet hat mit der Begründung, daß Herrn Bundesminister für Verkehr:
der damit verbundene Aufwand an Personal dem Besteht Aussicht, daß nunmehr zwischen Ber-
Verkehrsbedürfnis nicht entspreche. lin und Bonn durchgehende Schlafwagenver-
Die Anpassung der Öffnungszeiten der Grenz- bindung eingerichtet wird, und läßt sich hier-
übergangsstellen an das Verkehrsbedürfnis be- für die früher im Verkehr zwischen Berlin
deutet keine nennenswerte Einschränkung des und Ostpreußen übliche Abfertigung geschlos-
Grenzübertritts. Soweit Grenzbewohner im land- sener Wagen zwecks Vermeidung nächtlicher
und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehr Kontrolle verwirklichen? Was haben die zu-
die Grenze überschreiten müssen, erhalten- sie auf ständigen Bundesdienststellen getan, um eine
Antrag einen Vermerk in der Grenzkarte, der solche für Berlin besonders wichtige Regelung
ihnen den Grenzübertritt jederzeit auch an nicht herbeizuführen?
zugelassenen, näher bezeichneten Grenzstellen ge-
stattet. Ferner werden Grenzgängern, die in den be- Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundes-
nachbarten Grenzzonen in Arbeit stehen, und son- minister für Verkehr, bitte!
stigen Personen, wie Ärzten, Hebammen usw., die
die Grenze außerhalb der Öffnungszeiten über- Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr
schreiten müssen, auf Antrag vom zuständigen Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Zeit
Hauptzollamt Ausweise erteilt, die sie zum jeder besteht wenig Aussicht, eine durchgehende Schlaf-
zeitigen Übertritt berechtigen. wagenverbindung Berlin-Bonn einzurichten. Schlaf-
Eine „außerordentliche Schädigung des früher wagen verkehren zwischen Berlin und Frankfurt,
regen Grenzverkehrs" ist nicht eingetreten, viel- Berlin und München, Berlin und Stuttgart, ferner
mehr hat sich der kleine Grenzverkehr an der zwischen Leipzig und Köln. Die Bemühungen der
deutsch-schweizerischen Grenze nach der Statistik Deutschen Bundesbahn um Einrichtung einer
der Paßkontrolldirektion Koblenz wie folgt ent- Schlafwagenverbindung Berlin-Bonn haben bisher
wickelt: insgesamt in den Monaten Januar bis Juni bei der Deutschen Reichsbahn in der sowjetisch
im Jahre 1953 19 284 000, im Jahre 1954 21 370 000 besetzten Zone keine Gegenliebe gefunden. Trotz-
Grenzüberschreitungen. Es ist also eine Steigerung dem hat die Deutsche Bundesbahn einen solchen
von 11 0/o eingetreten. Schlafwagenlauf erneut für den Sommerplan 1955
gefordert, und sie wird sich weiter mit allem Nach-
Hilbert (CDU/CSU): Eine Zusatzfrage! druck darum bemühen. Über die Aussichten dieser
Bestrebungen und insbesondere über eine Rege-
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr lung nach Art des früheren Korridorverkehrs nach
Abgeordneter Hilbert! Ostpreußen läßt sich heute noch nichts Abschlie-
2066 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Seebohm)
ßendes sagen; doch ist zu besorgen, daß solche aussetzungen dafür zu schaffen, daß die Mittel
Wünsche noch weniger Aussicht auf Erfolg haben für die Errichtung der erforderlichen Garagen
werden als die bisher vorgetragene Forderung und Abstellplätze in den Städten nicht allein
nach einem gewöhnlichen Schlafwagenlauf auf von den Grundeigentümern zu tragen sind,
dieser Strecke. sondern zur Beschaffung dieser Mittel alle Be-
teiligten herangezogen werden?
Dr. Friedensburg (CDU/CSU): Könnte ich die
Gründe erfahren, mit denen die Einführung bisher Präsident D. Dr. Ehlers: Offenbar ist der Herr
abgelehnt worden ist? Bundesminister für Wohnungsbau zuständig.

Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Die Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau:
Deutsche Reichsbahn in der sowjetischen Besat- Herr Präsident! Der Herr Bundesverkehrsminister
zungszone gibt im allgemeinen keine Gründe bei ist wohl für die Autos, aber für die Garagen bin ich
der Ablehnung unserer Wünsche bekannt. zuständig, und deshalb muß ich die Beantwortung
auch übernehmen. Ich kann nur sagen: ja, aber
Präsident D. Dr. Ehlers: Frage 11 ist erledigt. Ortssatzungen sind nur zulässig, um die Vorschrif-
ten der Reichsgaragenordnung auf bestehende
Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Dr. Schranz. Wohnstätten, Arbeitsstätten und Gebäude anzu-
Dr. Schranz (DP): Ich frage den Herrn Bundes- wenden, wenn auf den Grundstücken die benötig-
finanzminister: ten Flächen in der geeigneten Lage und Größe vor-
handen sind. Durch die Reichsgaragenordnung wird
Sind die Behauptungen der in der Zeitschrift die Verpflichtung der Gemeinden, öffentlichen
„Die Anklage" vom 1. Mai 1954 unter der Parkraum aus Haushaltsmitteln zu schaffen, nicht
Überschrift „Scheffelt Schäffer Gold?" an die berührt. Ihre Verpflichtung kann insbesondere
Bundesregierung gerichteten Anfrage richtig? nicht auf Grundeigentümer abgewälzt werden, die
erst bauen oder ein durch Kriegseinwirkung zer-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister störtes Gebäude wiederaufbauen, und das war ja
der Finanzen, bitte!
doch das entscheidende Anliegen des Teils 1 Ihrer
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Die Be- Frage.
hauptungen in der Zeitschrift „Die Anklage" sind Nun zum Teil 2. Soweit in der Reichsgaragenord-
nicht richtig. Es wird behauptet, die Bundesrepu- nung städtebauliche Probleme angesprochen wer-
blik zahle an den Staat Israel zwölf Jahre lang je den, wie die Ausweisung von öffentlichen Frei- und
400 Millionen DM. Jedermann, insbesondere ein Parkflächen, wird das Bundesbaugesetz, das zur
Mitglied dieses Hauses, kann sich im Bundeshaus- Zeit, nachdem das Gutachten des Bundesverfas-
haltsplan Einzelplan 60 Kap. 6004 Tit. 310 davon sungsgerichts Ende Juni ergangen ist, in meinem
überzeugen, welche Beträge die Bundesrepublik Hause vorbereitet wird, eine gleichmäßige, gerechte
auf Grund des Abkommens mit dem Staat Israel und den Erfordernissen des Verkehrs entsprechende
vom 10. September 1952 zahlt. Das sind für die ersten Verteilung der anfallenden Lasten für die Errich
zwei Jahre je 200 Millionen DM gewesen. Für die tung öffentlicher Frei- und Verkehrsflächen brin-
folgenden Jahre sind nach dem Vertrag vom gen, durch die das Grundeigentum in keiner Weise
10. September 1952 je 310 Millionen DM bzw. im einseitig belastet werden wird.
letzten Jahr 260 Millionen DM zu zahlen. Die Bun-
desrepublik hat von der vertraglichen Möglichkeit Platner (CDU/CSU): Ich danke dem Herrn
Gebrauch gemacht, die vertragliche Zahlung auf Minister.
250 Millionen DM herabzusetzen.
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
Was den zweiten Teil der Anfrage betrifft — in
der Zeitschrift „Die Anklage" war behauptet wor- Zur Frage 14 ebenfalls Herr Abgeordneter
den, es liefen Verhandlungen mit Israel, die das Platner.
-
Ziel hätten, die Gesamtleistung gemäß dem Ab- Platner (CDU/CSU):
kommen vom 10. September 1952 um weitere
2 Milliarden zu erhöhen —, so muß ich dazu er- Ist der Herr Bundesminister für Verkehr be-
klären, daß der Bundesregierung von derartigen reit, für den weiteren Ausbau von Bundes-
Verhandlungen nicht das geringste bekannt ist, straßen in Hessen, insbesondere den Ausbau
und sie müßte eigentlich davon wissen. der außerordentlich stark mit Verkehr bela-
steten Bundesstraße 27 zwischen Witzenhausen
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. und Fulda, bei der künftigen Aufteilung der
Mittel für den Ausbau der Bundesstraßen
Zur Frage 13 Herr Abgeordneter Platner.
größere Anteile nach Hessen zu geben?
Platner (CDU/CSU):
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Bundesminister für
Ist dem Herrn Bundesminister für Verkehr Verkehr, bitte!
die Absicht mehrerer Großstädte bekannt, das
Problem der Schaffung der erforderlichen Ga- Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr
ragen und Abstellplätze für Kraftwagen unter Präsident! Meine Damen und Herren! In den letz-
Bezugnahme auf die Reichsgaragenordnung aus ten Jahren mußte der Ausbau der Bundesstraßen
dem Jahre 1939 auf dem Wege einer Orts- in Hessen zugunsten des Autobahnbaues zurück-
satzung in der Weise zu lösen, daß die finan- stehen, der die Schließung der noch bestehenden
zielle Last allein von den Grundeigentümern Lücke zwischen den Autobahnstrecken Köln—
getragen werden soll? Frankfurt und Kassel—Frankfurt—Mannheim zum
Hat der Herr Bundesminister für Verkehr Ziele hatte, um die Todesstraße Frankfurt—Wies-
bereits in Erwägung gezogen, durch eine nach baden zu entlasten.
Art. 74 Nr. 22 des Grundgesetzes mögliche bun- Das Verkehrsfinanzgesetz soll neue Möglichkeiten
desgesetzliche Regelung die notwendigen Vor für den weiteren Ausbau der Bundesstraßen eröff-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2067
(Bundesminister Dr. Seebohm)
1 nen. Für den Kilometer Bundesstraße in Hessen lingen, belegt. Die Stallgebäude und Scheunen
konnte deshalb im Haushaltsplan 1955 ein um rund wurden zum größten Teil wegen Baufälligkeit ab-
55 % höherer Betrag als 1954 vorgesehen werden. gebrochen. Die Prüfung der Möglichkeiten für eine
pachtweise Ansetzung von Flüchtlingen, die auf
Was die B 27 betrifft, so wird sie planmäßig Weisung der Interministeriellen Kommission in
weiter ausgebaut. An größeren Maßnahmen, die enger Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen
sich allerdings bis in das Haushaltsjahr 1956 er- Landwirtschaftsministerium erfolgt, ist noch nicht
strecken werden, sind im laufenden Haushaltsjahr abgeschlossen. Es ist jedoch zu erwarten, daß trotz
in Arbeit: 1. die Verlegung bei Hoheneiche—Oet- der auch hier sich ergebenden Schwierigkeiten
mannshausen zur Verbesserung der Linienführung durch Landaustausch und Zukäufe die Errichtung
und Beseitigung mehrerer gefahrvoller, schienen-
einiger Siedlungsstellen ermöglicht werden wird.
gleicher Kreuzungen, 2. die Umgehungsstraße
Fulda, 3. der Ausbau der Ortsdurchfahrt Bronnzell Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
bei Fulda. Hinzu kommen noch zahlreiche andere
Um- und Ausbaumaßnahmen, Verbreiterungen, Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Leonhard!
Kurvenverbesserungen usw. Im Rechnungsjahr
1954 sind für diese Maßnahmen auf der B 27 rund Leonhard (CDU/CSU): Ich frage den Herrn Bun-
2 Millionen DM bestimmt. Für 1955 sind neben der desernährungsminister:
Weiterführung der genannten Bauvorhaben als Wann wird der Verbraucher wieder die
größere Maßnahmen auf der B 27 die Inangriff- gesamte Verbrauchsmilch mit vollständigem
nahme der Umgebung von Bad Hersfeld und der natürlichem Fettgehalt bekommen?
Ausbau der Ortsdurchfahrt Hünfeld in Aussicht ge- (Heiterkeit.)
nommen. Im Haushaltsjahr 1955 haben wir für den
Ausbau der B 27 2,5 Millionen DM vorgesehen. Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, bitte!
Platner ( CDU/CSU) : Ich danke dem Herrn Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für Ernährung,
Minister. Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Diese Fragen
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage be- und Klagen bekommt man sehr häufig auch in der
antwortet. Öffentlichkeit zu hören. Der natürliche Fettgehalt
Zur Frage 15 Herr Abgeordneter Dr. Schranz. der Milch schwankt aber je nach Rasse, Jahreszeit
und Gegend z. B. im Norden zwischen 2,8 und
Dr. Schranz (DP): 3,4 % und in Süden, bei dem Höhenvieh, vielleicht
Ist die Bundesregierung bereit, durch zwischen 3,2 und 3,7 %. So beträgt der Fettgehalt
in der Auftriebszeit, im April und im Mai, im
Landhergabe aus dem Grundbesitz der bundes-
Norden bei den schwarzbunten Rassen etwa 2,8 N.
eigenen Reichswerke Salzgitter und mehreren
zur Zeit nicht genützten Bauernhöfen mit Deshalb sind — auch aus ärztlicherseits vorge
Wirtschaftsgebäuden und Stallungen dreißig brachten Gründen — die Länder nach den Mög-
bis fünfunddreißig Siedlerstellen mit Pacht- lichkeiten des Milch- , und Fettgesetzes 1952 dazu
land für heimatvertriebene Bauernfamilien übergegangen, den Fettgehalt auf 3 % festzusetzen,
zu errichten? ein Verfahren, das sowohl von den Ärzten wie
auch von vielen anderen Stellen begrüßt worden
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundesmi- ist.
nister der Finanzen! Wenn Sie sich die Verhältnisse außerhalb
Deutschlands vor Augen führen, so sehen Sie, daß
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Die Frankreich, Belgien und Schweden ebenfalls auf
Reichswerke haben bereits im Jahre 1952 zwei 3 % standardisiert haben, die Niederlande auf
Güter mit insgesamt 710 Hektar für Siedlungs- 2,5 %, dagegen Dänemark und die USA auf 3,5 %.
zwecke an das Land Niedersachsen oder die - Braun- Sie sehen, daß offenbar auch in anderen Ländern
schweigische Siedlungsgesellschaft abgegeben und die Vorteile einer solchen Standardisierung die
zwei weitere Güter mit rund 190 Hektar zugunsten Nachteile überwiegen.
verdrängter Bauern aufgesiedelt. Die Frage ist Je mehr sich außerdem die deutsche Qualitäts-
wohl so auszulegen, ob darüber hinaus noch milch, genannt Grad-A-Milch, mit einem Fett-
weitere Landabgaben aus dem Grundbesitz der gehalt von 3,5 % in der Öffentlichkeit durchsetzt,
Reichswerke zum Zwecke der Errichtung von Sied- um so mehr werden diese Klagen zum Verstummen
lungsstätten für heimatvertriebene Bauern erfol- kommen.
gen könnten. Diese Frage ist von der Interministe-
riellen Konferenz zur Klärung der Grundbesitz- Präsident D. Dr. Ehlers: Ist die Frage beantwortet,
verhältnisse im Salzgittergebiet erneut geprüft und Herr Abgeordneter Leonhard?
in einer Sondersitzung am 8. September 1954 be-
handelt worden. Die Kommission ist dabei zu dem Leonhard (CDU/CSU): Eine Zusatzfrage!
Ergebnis gekommen, daß die Reichswerke nicht in
der Lage seien, im größeren Umfang Grundstücke Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, bitte!
für die Flüchtlingssiedlung abzugeben, da der
Grundbesitz der Reichswerke nicht ausreichen Leonhard (CDU/CSU): Ich frage den Herrn Mini-
wird, um den Geländebedarf für Industrieflächen, ster: Wie lange wird es nach Ihrer Meinung
Wohnungsbauten, kommunale Zwecke, Ersatzland- dauern, bis der deutsche Rinderbestand weitest-
gestellung für frühere Eigentümer und Schadens gehend tbc-frei gemacht wird? Ich bitte aber, mir
gebiete für Rauch-, Staub- und Bergschäden zu diese Frage wegen der Schwierigkeit nicht jetzt,
decken. Von den von den Reichswerken aufgekauf- sondern schriftlich zu beantworten.
ten Bauernhöfen wurden 93 Bauernhäuser in Miet-
wohnungen umgebaut; sie sind mit durchschnitt- Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für Ernährung,
lich 8 bis 10 Mietparteien, überwiegend Flücht Landwirtschaft und Forsten: Die Befreiung des
2068 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
deutschen Rinderbestands von der Tbc ist in sehr igen Beitritts mit den beteiligten Wirtschaftskrei-
gutem Fortschreiten. Wir werden in bestimmten sen in ständiger Fühlung.
Bezirken vielleicht schon im Jahre 1955/56 die
gesamte Trinkmilch für die Schulen und für die Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
Bevölkerung tbc-frei liefern können. Im großen Abgeordneter Friedensburg.
und ganzen werden wir für das gesamte deutsche
Bundesgebiet mit einem Zeitraum von etwa 3 bis 5 Dr. Friedensburg (CDU/CSU): Hält der Herr
Jahren rechnen müssen. Staatssekretär es nicht für wirksamer, durch den
Beitritt zu dem internationalen Abkommen die
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 17 Herr Abge- von der Bundesregierung dankenswerterweise ver-
ordneter Dr. Friedensburg! tretene Politik des billigen Metalls innerhalb der
Organisation zu vertreten, anstatt dieser fernzu-
Dr. Friedensburg (CDU/CSU): Ich frage den Herrn bleiben?
Bundesminister für Wirtschaft:
Hält die Bundesregierung die Organisations- Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen
formen des Kohlenbergbaus und der Eisen- Amts: Eben das glauben wir nicht, Herr Abgeord-
industrie für zweckmäßig, die durch die er- neter. Ich habe schon gesagt, daß der Einfluß der
zwungene Entflechtung und Neuordnung Verbraucherländer namentlich wegen des Fern-
entstanden sind, und was beabsichtigt sie ge- bleibens der Vereinigten Staaten gering ist. Wir
gebenenfalls zu tun, um eine bessere und glauben nicht, daß sich daran durch den Beitritt
freiere Entwicklung der beteiligten Unterneh- der Bundesrepublik etwas ändern würde, weil
men, namentlich im Hinblick auf den Wett- diese, gemessen an dem gesamten Angebot, nur
bewerb innerhalb der Montanunion zu ermög- eine verhältnismäßig niedrige Abnahmequote an
lichen? Zinn hat.

Ich habe hierzu eine schriftliche Antwort rdes Herrn Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
Bundesministers für Wirtschaft erhalten. Da diese Zur Frage 19 Herr Abgeordneter Ritzel.
Antwort dankenswerterweise sehr ausführlich ge-
halten ist, erkläre ich mich mit der schriftlichen Ritzel (SPD):
Form für befriedigt.
Ich frage den Herrn Bundesminister für Ver-
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 18 Herr Abge- kehr, aus welchen Gründen deutsche Speise-
ordneter Dr. Friedensburg! wagen

Dr. Friedensburg (CDU/CSU): Ich frage den — soviel ich weiß, mit einer einzigen Ausnahme —
Herrn Bundesminister für Wirtschaft: nicht mit deutschen Zügen, die in das Ausland
Aus welchem Grund ist die Bundesregierung gehen, geführt werden dürfen. Was hat die
bisher nicht dem Internationalen Zinn-Abkom- Bundesregierung getan, um eine Gleichstellung
men beigetreten, und beabsichtigt sie, bei ihrer mit ausländischen Speisewagen herbeizuführen,
ablehnenden Haltung zu verbleiben? die anscheinend unbeschränkt im Bundesgebiet
verkehren können?
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich vermag noch nicht zu Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
sehen, wer die Frage beantworten will. Es ist eine für Verkehr, bitte!
Frage des Auswärtigen Amts. — Bitte, der Herr
Staatssekretär des Auswärtigen Amts! Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Der inter-
Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen nationale Schlaf- und Speisewagendienst ist immer
Amts: Die Bundesrepublik verfügt über keine im wesentlichen von der im Jahre 1874 gegründe-
eigene Zinnbergwerksproduktion und ist in ihrer ten Internationalen Schlaf- und Speisewagenge-
Versorgung ganz auf die Einfuhr von Zinnerzen sellschaft — abgekürzt „Waggons Lits" oder ISG —
und Reinzinn angewiesen. Sie muß als reines Ver-
bestritten worden. Diese Gesellschaft hatte z. B.
braucherland auf einen niedrigen Zinnpreis Wert im Jahre 1930 mit mehr als 50 Eisenbahnverwal-
legen und ist an einer Erhöhung dieses Preises, tungen in Europa, Asien und Afrika langfristige
wie sie durch das Internationale Zinnabkommen Verträge, die ihr in der Regel das ausschließliche
angestrebt wird, nicht interessiert. Der in dem Ab- Betriebsrecht sicherten.
kommen vorgesehene niedrigste Preis liegt bereits
über dem Preis, der nach fachkundigem Urteil wohl Demgegenüber arbeitete die frühere MITROPA
der statistischen Situation des Metalls entspricht. auf einem in erster Linie innerdeutschen Netz. Die
Im Zinnrat sind die reinen Verbraucherländer in Grenze überschreiten konnte sie nur dorthin, wo
einer ausgesprochenen Minderheit, zumal da das die ISG kein Ausschließlichkeitsrecht besaß. Aber
größte Verbraucherland, die Vereinigten Staaten, auch in diesen Fällen, z. B. in Skandinavien, den
dem Abkommen nicht beigetreten ist und auch Niederlanden, der Schweiz und Österreich, war die
zukünftig nicht beitreten will. Bei dieser Sach- Tätigkeit der MITROPA auf bestimmte Zugläufe
lage und da bei Eintreten einer Mangellage die beschränkt.
deutsche Zinnversorgung auch bei Beteiligung an
dem Abkommen nicht sichergestellt ist, hat die Nach 1945 hat die ISG mit zahlreichen europä-
Bundesregierung sich entschlossen, von seiner Un- ischen Ländern und auch mit den im Gebiet der
terzeichnung vorerst abzusehen. Bundesrepublik wirkenden Militärregierungen
neue und auch heute noch gültige Abmachungen
Das Abkommen läßt die Möglichkeit eines Bei- getroffen, wobei ihr vielfach wieder das ausschließ-
tritts nach der Ratifizierung durch die Unterzeich- liche Betriebsrecht für den internationalen Dienst
nerstaaten offen. Bisher hat als einziges Land zugestanden worden ist. Schon seit 1949 sind die
Kanada ratifiziert. Die Bundesregierung behält die Bundesregierung, die Bundesbahn und seit ihrer
Entwicklung im Auge und bleibt wegen eines etwa- Gründung im Jahre 1950 auch die Deutsche Schlaf-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2069
(Bundesminister Dr. Seebohm)
und Speisewagengesellschaft - abgekürzt DSG — die Bundesregierung diesen Antrag — offenbar ist
bemüht, die Fesseln zu lockern, die der DSG auf- es ein Ausnahmeantrag nach den Durchführungs-
erlegt sind, und ihr wenigstens in gewissen Rich- bestimmungen des Gesetzes Nr. 61, nehme ich an
tungen und bis zu bestimmten ausländischen Aus- — bei der Hohen Kommission erst am 22. Mai
gangs- oder Zielbahnhöfen die Überschreitung der dieses Jahres gestellt, nämlich nachdem meine
Landesgrenze zu ermöglichen. Die Verhandlungen Frage schriftlich vorlag, die ich vorhin zitiert habe?
hierüber sind nach verschiedenen Mißerfolgen Warum ist der Antrag nicht sehr viel früher ge-
gerade während der letzten Monate wieder sehr stellt worden?
intensiv geführt worden. Über den Erfolg wird
sich wohl erst gegen Ende des Jahres berichten Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Es
lassen. Jedoch ist zu hoffen, daß es in absehbarer ist eine Fülle von Fragen, Herr Abgeordneter, die
Zeit gelingt, etwa die gleichen Möglichkeiten für Sie gestellt haben. Ich darf dazu folgendes bemer-
deutsche Schlaf- und Speisewagen im grenzüber- ken: Den Antrag haben wir gestellt, nachdem wir
schreitenden Verkehr zu schaffen, wie diese vor seit Anfang dieses Jahres mit der Alliierten Hohen
dem Kriege bestanden haben. Kommission darüber im Gespräch waren, wie wir
nach Lieferung der vier Convairflugzeuge den Be-
Ritzel (SPD): Ich danke Ihnen. trieb aufnehmen könnten und welche rechtlichen
Voraussetzungen dafür zu schaffen seien. Wir
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. haben allerdings, wie Sie ja wissen, immer darauf
Zur Frage 21 Herr Abgeordneter Schmidt (Ham- gewartet, daß der Teil Zwölf des Überleitungs-
burg). vertrags, der mit dem Deutschland-Vertrag zusam-
menhängt, durch Ratifizierung Frankreichs in Kraft
Schmidt (Hamburg) (SPD): gesetzt würde. Deswegen haben wir die ent-
sprechenden Anträge auf Ausnahmegenehmigung
Wann rechnet die Bundesregierung mit einer erst gestellt, als es nicht mehr wahrscheinlich er-
Betriebserlaubnis für die Deutsche Lufthansa, schien, daß der Vertrag vor Lieferung der Flug-
welche nach Auskunft des Herrn Staatssekre- zeuge in Kraft treten würde.
tärs Dr. Bergemann in der Fragestunde am
28. Mai 1954 kurz bevorstand? Schmidt (Hamburg) (SPD): Darf ich eine Zu-
satzfrage stellen?
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
für Verkehr, bitte! Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte!
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr Schmidt (Hamburg) (SPD): Bei wem liegt die
Präsident! Meine Damen und Herren! Am 28. Mai Federführung, Herr Bundesverkehrsminister, für
1954 hat der Herr Staatssekretär Dr. Bergemann die Verhandlungen mit der Alliierten Hohen
erklärt: Kommission?
Die Entscheidung der Alliierten Hohen Kom-
mission steht nach unseren Informationen kurz Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Je-
weils bei demjenigen der Hohen Kommissare, der,
bevor. Wir glauben zu der Annahme berechtigt
zu sein, daß diese Entscheidung positiv ausfällt. was ja abwechselt, — —

Wir konnten uns damals für befugt halten, diese Schmidt (Hamburg) (SPD): Nein, ich meine die
zwar vorsichtige, aber optimistische Antwort zu Federführung für diese Verhandlungen mit der
geben. Sie entsprach durchaus der Ende Mai gege- Alliierten Hohen Kommission auf seiten der Bun-
benen Situation. Daß Sie, Herr Abgeordneter, desregierung.
trotzdem noch heute begründeten Anlaß haben,
diese Frage zu wiederholen, bedauert die Bundes- Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Diese
regierung ebenso wie sicher auch Sie. Bundes- Sache ist eine gemeinsame Angelegenheit des
ministerium für Verkehr und Auswärtiges Amt Bundesverkehrsministeriums und des Auswärtigen
sind unablässig bemüht, die schon vor Monaten Amts.
erbetene Genehmigung der Alliierten Hohen Kom-
mission für den Betrieb der ersten vier Flugzeuge Schmidt (Hamburg) (SPD): Danke.
der Lufthansa zu bekommen. Wir hoffen auch wei-
terhin auf einen baldigen Erfolg, können aber Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 22 Herr Abge-
natürlich nicht sagen, wann er eintritt. ordneter Schmidt (Hamburg).

Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage? — Schmidt (Hamburg) (SPD): Darf ich fragen:
Bitte. Welches Ergebnis hatten die Anfang August
zwischen der Deutschen Bundesbahn und den
Schmidt (Hamburg) (SPD): Ich darf für die Zu- Dänischen Staatsbahnen geführten Verhand-
sa tzfrage davon ausgehen, Herr Verkehrsminister, lungen über die Verwirklichung der sogenann-
daß die Dispositionen der Deutschen Lufthansa mit ten Vogelflug-Linie Fehmarn—Lolland im Zuge
ihren amerikanischen Lieferfirmen Liefertermine der geplanten europäischen Durchgangsstraße
vorgesehen hatten, die eine Betriebsaufnahme be- von Süd- bzw. Westeuropa über Hamburg—Ko-
reits zu Beginn des Jahres 1954 ermöglichen soll- penhagen weiter nach Skandinavien? Wie ist
ten, und daß die Dispositionen Ihres Hauses und der Stand der Vorarbeiten auf deutscher Seite?
der Deutschen Lufthansa auf Voraussetzungen
oder, sagen wir besser, Erwartungen völker- oder Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundesmini-
besatzungsrechtlicher Art beruhten, die auf diesen ster für Verkehr.
Termin abgestellt waren. Wenn sich also — das ist
die Frage - herausgestellt hat, daß man die Ent- Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Herr
wicklung des Rechtsstatus der Bundesrepublik Präsident! Meine Damen und Herren! Die deut-
offensichtlich falsch beurteilt hat, warum hat dann schen und dänischen Eisenbahnen haben unter
20711 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Seebohm)
Teilnahme von Beauftragten der schwedischen dort bisher investiert worden ist, hätten die Dänen
Eisenbahnverwaltung schon seit längerer Zeit einen nach meiner Auffassung auch investieren müssen,
Arbeitsausschuß gebildet, um das Projekt der um diese Insel — Lolland — an das gesamtdänische
Vogelflug-Linie weiter zu fördern. Er soll die Pla- Straßennetz anzuschließen.
nungen aufeinander abstimmen und die dabei auf-
tauchenden technischen und finanziellen Probleme Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 23 Herr Abge-
beraten. Im Rahmen dieser Arbeit hat 'am 5. und ordneter Schmidt.
6. August eine Tagung in Gedser und Kopenhagen
stattgefunden. Auf ihr haben die für dieses Pro- Schmidt (Hamburg) (SPD):
blem schwierigsten Fragen der Überquerung des
Fehmarn-Sundes und der Lage der Fährhäfen am Ist der Bundesregierung bekannt, daß die
Fehmarn-Belt im Vordergrund gestanden. Am seit drei Jahren andauernde Benutzung des
Fehmarn-Sund sind die Interessen der Seeschiff- Naturschutzgebietes Lüneburger Heide als
fahrt zu berücksichtigen. Es wird zu entscheiden Panzerübungsgelände durch Besatzungstruppen
sein, ob die wirtschaftlichste Lösung durch einen in kurzer Zeit zu völliger Zerstörung zumin-
Damm mit Schleusen möglich ist oder ob eine dest der südlichen Hälfte des Naturschutz
wesentlich teurere Hoch- oder Hubbrücke zu er- parkes führen wird? Ist der Bundesregierung
bauen sein wird. Eine Untertunnelung wird wegen bekannt, daß gerade dieses Gebiet als Aus-
der Kosten und Schwierigkeiten der Bewetterung flugsziel und Ferienaufenthalt für diejenigen
ebenfalls teurer sein. Mehrere von deutscher Seite Teile der Bevölkerung von Hamburg, Bremen
aufgestellte Wahllösungen sind besprochen worden. und Hannover von besonderer Bedeutung ist,
Über die ganze Angelegenheit liegt ein ausgezeich- die sich weitere Reisen nicht leisten können?
netes Gutachten der Wasser- und Schiffahrts- Warum kann nicht an Stelle des Natur-
direktion Kiel vor. Auf 'dänischer Seite des Feh- schutzgebietes der ehemalige Truppenübungs-
marn-Belts gilt als Fährhafen Rödby. Am deut- platz Munster-Nord für die Panzerübungsfahr-
schen Ufer würde Puttgarden am günstigsten ten benutzt werden?
liegen. Von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion
Kiel wird aber diese Stelle durch eine starke Sand- Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
trift als gefährdet angesehen, d. h. es würden hier der Finanzen, bitte.
laufend erhebliche Baggerkosten anfallen. Deshalb
wird jetzt zu klären versucht, ob nicht besser ein Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Ich be-
anderer Platz an der Nordspitze Fehmarns, etwa antworte die Anfrage im Einvernehmen mit dem
bei Westermarkelsdorf, in Aussicht genommen Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der
werden sollte, wie sich die Betriebskosten, die dann Vermehrung der alliierten Truppen zusammen-
größer sein werden, stellen werden und ob bei hängenden Fragen.
einem so fundierten Vergleich Puttgarden oder
Westermarkelsdorf den Vorzug verdient. Im Zuge der Belegung eines größeren Gebietes
Auf der erwähnten Tagung ist auch die Schwie- im Raume Soltau-Lüneburg mit Manöverrechten
rigkeit der Finanzierung des , Gesamtprojekts er- wird auch der südliche Teil des Naturschutzgebietes
örtert und die Frage erwogen worden, ob man zu- Lüneburger Heide zu Panzerübungen benutzt und
nächst nur den Straßenverkehr über Fehmarn stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Bundesregie-
führen solle, weil die Zunahme des Verkehrs auf rung hat wiederholt versucht, die Freigabe der
der Trajektverbindung Großenbrode—Gedser so Übungsgebiete zu erreichen. Es handelt sich aller-
stark ist, daß diese Lösung nicht von der Hand zu dings um eine Frage, die nur im Gesamtzusammen-
weisen ist. Um Unklarheiten zu vermeiden, möchte hang gesehen werden kann und bei der die Inter-
ich darauf hinweisen, daß dafür der Fehmarn essen der Land- und Forstwirtschaft in gleicher
Sund nach wie vor mittels Fähre überwunden Weise zu prüfen sind wie Fragen des Naturschutzes
wird, ebenso wie natürlich eine Fährverbindung und der Volksgesundheit. Die Bundesregierung
zwischen Puttgarden oder Westermarkelsdorf - und steht deshalb in ständiger Fühlungnahme mit der
Rödby in Frage kommt. Beschlüsse sind aber noch niedersächsischen Landesregierung, um den briti-
nicht gefaßt worden. Die Projekte bedürfen nach schen Streitkräften geeignete Vorschläge über die
der technischen und wirtschaftlichen Seite noch er- Entlastung der ständigen Übungsgebiete durch
gänzender Untersuchungen. Die technischen Pla- bessere Ausnutzung ehemaligen Wehrmachtgelän-
nungen und die Wirtschaftlichkeitsberechnungen des zu machen. Der in diesem Zusammenhang wie-
sind auf deutscher Seite so weit fortgeschritten, derholt vorgebrachte Wunsch, den ehemaligen Ver-
daß ein vorläufiger Überblick über die Möglichkeit suchsplatz Munster-Nord, der unter der Bezeich-
und die Kosten der verschiedenen Lösungen ge- nung „Raubkammer" bekannt ist, als Panzer-
wonnen worden ist. Wir werden durch die dies- übungsgelände zu benutzen, ist bisher von briti-
jährigen Verkehrszählungen noch eine weitere scher Seite mit der Begründung abgelehnt worden,
Klärung dieser Fragen zu erwarten haben. daß dieser Platz trotz der fast dreijährigen Entgif-
tungsarbeiten des niedersächsischen Bombenräum-
Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage? — kommandos noch kampfstoffvergiftet sei. Die
Bitte! Dienststelle Blank hat diese Frage mit den Bevoll-
mächtigten und Sachverständigen der britischen
Schmidt (Hamburg) (SPD): Stimmt es, Herr Bun- Seite und des Landes Niedersachsen eingehend
desverkehrsminister, daß auf dänischer Seite hin- erörtert. Daraufhin wurde eine deutsche Sachver-
sichtlich der Straßenverbindungen nach dem eben ständigenkommission gebildet, um festzustellen, ob
von Ihnen erwähnten Fährhafen Rödby bisher be- und in welchem Umfang der Platz Munster-Nord
reits erhebliche Vorarbeiten und Vorleistungen als frei von Kampfstoffen angesehen oder gegebe-
investiert worden sind? nenfalls unter welchen Beschränkungen und Auf-
lagen für Truppenübungen benutzt werden kann.
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Das Die Sachverständigen werden ihre Gutachten dem-
kann man in dem Sinne wohl nicht sagen. Das, was nächst abgeben.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2071

Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage! SPD ist zur gleichen Frage, die der unter a aufge-
führte Bericht behandelt, gestellt worden. Es ist
Schmidt (Hamburg) (SPD) : Glauben Sie, Herr eine interfraktionelle Vereinbarung darüber zu-
Minister, daß das Finanzministerium und das Amt stande gekommen, daß sowohl der Bericht wie der
Blank alle Möglichkeiten der Bundesregierung aus- Antrag an den Ausschuß für Rechtswesen und Ver-
geschöpft haben, um die systematische Zerstörung fassungsrecht zurückverwiesen werden sollen. Ich
dieses Naturschutzgebietes zu unterbinden? darf annehmen, daß das Haus mit dieser Regelung
einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Ich habe (Zuruf des Abg. Samwer.)
keinen Grund, etwas anderes anzunehmen.
— Herr Abgeordneter Samwer?
Schmidt (Hamburg) (SPD): Soll das heißen, daß
also damit gerechnet werden muß, daß die Zerstö- Samwer (GB/BHE): Ich schlage zusätzlich die
rung des Naturschutzgebietes auch in Zukunft Überweisung an den Geschäftsordnungsausschuß
weiter fortgesetzt werden wird? vor.
(Abg. Mellies: Er hat das doch schon gehabt!)
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Die Bun-
desregierung bemüht sich, das im Benehmen mit Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
der niedersächsischen Landesregierung zu verhin- ren, die interfraktionelle Vereinbarung sieht nur
dern, deren Unterstützung sie natürlich auch hat. die Überweisung an den Rechtsausschuß vor. Der
Geschäftsordnungsausschuß hat sich wiederholt
Schmidt (Hamburg) (SPD): Darf ich fragen: Ich damit befaßt.
habe in der Presse gelesen, daß der Verein, der den Ich komme zur Abstimmung. Wer ist dafür, diesen
Naturschutzpark unterhält, bisher Sachschäden in Antrag und den Bericht an den Rechtsausschuß
Höhe von — ich weiß nicht genau — 2 1/2 oder zurückzuverweisen? -- Diese Zurückverweisung ist
3 Millionen DM festgestellt und diese auch bei der erfolgt.
Bundesregierung bzw. dem Amt Blank angemeldet Wer ist weiterhin der Auffassung, daß Antrag
hat, daß bisher aber noch kein Pfennig zur Aus- und Bericht noch einmal an den Geschäftsordnungs-
besserung der dort angerichteten Schäden geflossen ausschuß zurückverwiesen werden müssen? — Wer
sei. Ist Ihnen darüber etwas bekannt? ist dagegen? — Das zweite ist die Mehrheit; diese
Zurückverweisung ist abgelehnt.
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Von einer
solchen Schadensanmeldung und Forderung ist Ich komme zu Punkt 3 der Tagesordnung:
mir nichts bekannt. Große Anfrage der Fraktion der SPD betref-
fend Politik der Bundesregierung in den
Schmidt (Hamburg) (SPD): Darf ich noch eine Angelegenheiten der Vertriebenen, Sowjet-
weitere Frage stellen. Gibt es sonst irgendwo in zonenflüchtlinge, Kriegssachgeschädigten und
der Bundesrepublik die Tatsache oder den Fall, daß Evakuierten (Drucksache 725).
außerhalb der offiziellen Truppenübungsplätze ge-
schlossene Landschaften oder gar Naturschutzparks Zur Begründung der Großen Anfrage Herr Abge-
von den alliierten Besatzungstruppen durch solche ordneter Heide, bitte. Nach einer Vereinbarung im
Panzermanöver zerstört werden? Altestenrat ist eine Begründungszeit von 30 Minu-
ten vorgesehen.
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Das ist Heide (SPD), Anfragender: Herr Präsident!
mir nicht bekannt. Aber es ist ganz selbstverständ- Meine Damen und Herren! In der Ihnen vorliegen-
lich, daß bewirtschaftetes Gelände, insbesondere den Großen Anfrage meiner Fraktion — Druck-
Land- und Forstwirtschaftsgelände, als Truppen- sache 725 — wird die Bundesregierung aufgefor-
übungsplatz nicht in Frage kommen soll, solange dert, allen Ernstes den Vertriebenen, Sowjetzonen-
unbebautes Gelände zur Verfügung steht. flüchtlingen, Kriegssachgeschädigten und Evakuier-
ten zu sagen, wie sie sich die verstärkte Ein-
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist damit gliederung dieser Kriegsgeschädigten in nächster
erledigt. Zukunft denkt. Allein bei der Regierungserklärung
Meine Damen und Herren, die für die Frage- vom 20. Oktober 1953 kann es in dieser Frage nicht
stunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Wie üblich bleiben. Der Herr Bundeskanzler erklärte damals,
werden die nicht erledigten Fragen schriftlich von er werde alles daransetzen, die Eingliederung der
der Bundesregierung beantwortet werden. Soweit Vertriebenen und Flüchtlinge in verstärktem Maße
gewünscht wird, daß die Fragen auf die Tages- fortzuführen und vorhandene oder sich noch er-
ordnung der nächsten Fragestunde gesetzt werden, gebende Unvollkommenheiten möglichst zu be-
bitte ich, sie erneut einzureichen. seitigen. Herr Kollege von Brentano als Frak-
tionsführer der größten Partei dieser Koalitions-
Ich rufe auf den Punkt 2 der Tagesordnung: regierung fügte in der darauf folgenden Debatte
folgende Ausführungen hinzu:
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses für Geschäftsordnung (2. Ausschuß) Das Vertrauen dieser Millionen von Menschen
über den Antrag der Fraktion der FDP betr. verpflichtet uns, sie auch in den nächsten Jah-
Ergänzung der Geschäftsordnung des Deut- ren nicht zu enttäuschen, sondern von uns aus
die Initiative zu ergreifen, die wir gar nicht
schen Bundestages (Drucksachen 799, 94);
unseren Freunden und Kollegen aus dem Kreis
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD der Heimatvertriebenen überlassen dürfen und
zur Beratung der Großen Anfrage der Frak- wollen, von uns aus diese Initiative zu er-
tion der SPD betreffend Fall John (Um- greifen, um diesen Eingliederungsprozeß auf
druck 171, Drucksache 767). allen Gebieten mit dem größten Nachdruck zu
Der Antrag unter b der Fraktion der SPD zur fördern, damit — ich hoffe es —
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der — so sagte er —
2072 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Heide)
nach vier Jahren das Problem der Heimatver- Scholle gekommen sind. Dabei legen wir beson-
triebenen in der politischen Diskussion keine deren Wert auf die Feststellung, wieviel Voll-
Rolle mehr spielen wird mit Ausnahme der bauern-, Kleinbauern- und Nebenerwerbsstellen
einen, daß diese Menschen auch nach vier Jah- bisher bezogen worden sind. Der Herr Bundesver-
ren in der gleichen Weise an ihre Heimat den- triebenenminister sprach in seinem Zweijahresplan
ken werden wie heute. von der Ansiedlung von jährlich 20 000 ostdeut-
schen Bauern. Wir bitten ihn, uns sagen zu wol-
Man möchte schon sagen: das sind sehr schön klin- len, ob dieser Plan zur Durchführung gekommen
gende Worte. In der Zwischenzeit ist nun allerdings ist.
so gut wie ein Jahr vergangen. Die Geschädigten
aber warten auf die Erfüllung der gemachten Er- Das Bundesvertriebenengesetz gibt immerhin ge-
klärungen und Versprechungen; sie verlangen nug Möglichkeiten, die Eingliederung des vertrie-
handgreifliche und sichtbare Programme und Maß- benen und geflüchteten Landvolks zu betreiben,
nahmen, die materiell und zeitlich ihre Hoffnungen, und meine Fraktion will mit ihrer Großen Anfrage
die sie auf Grund der erwähnten Regierungserklä- in Ziffer 4 Abs. C die Möglichkeiten aufzeigen, eine
rung gehegt haben, in nächster Zukunft erfüllen. beschleunigte Eingliederung des Landvolks herbei-
zuführen. Diese Maßnahmen müssen aber konkret
Ich möchte ergänzend noch hinzufügen: Meine dargestellt und intensiver als bisher betrieben wer-
Fraktion kann in den Verlautbarungen, die der den. Ist die Bundesregierung bereit, die hierfür
Herr Bundesvertriebenenminister in Kundgebun- erforderlichen Gesetzentwürfe dem Bundestag
gen, Presseberichten, Interviews und Reden am schnellstens vorzulegen?
Rundfunk gegeben hat, seit Beginn seiner Amts-
tätigkeit — leider, so muß man sagen — nur rein Für uns alle wird die Sorge um die Eingliede-
agitatorische Reden sehen, die unseres Erachtens rung der Sowjetzonenflüchtlinge von Tag zu Tag
über eine vollkommene Passivität in allen diesen größer. Was bisher an Maßnahmen auf diesem Ge-
Fragen hinwegtäuschen sollen. biet getroffen worden ist, um diesen unglücklichen
Menschen zu helfen, ist nach unserem Dafürhalten
Es kommt darauf an, zu erfahren, wie das Regie- mehr als unzureichend. Das Notwendige hierfür
rungsprogramm aussieht. Wir fordern im Inter- einfach auf den Lastenausgleich abzuwälzen, wird
esse der Kriegsgeschädigten ein Programm und doch für die Dauer nicht angehen, und die bereits
Maßnahmen, die ihre wirtschaftliche Eingliederung unhaltbar gewordenen Zustände, die drohen, sich
und soziale Befriedigung ohne Verzögerung sicher- an Umfang noch zu erweitern, zwingen bei diesen
stellen. Besonders liegen uns dabei die Evakuierten Opfern der Nachkriegspolitik zu besonderen,
am Herzen. Für diese verhältnismäßig kleine grundlegenden gesetzlichen Maßnahmen.
Gruppe der Kriegsgeschädigten ist zwar mittler-
weile das Bundesevakuiertengesetz erlassen wor- Dabei verweisen wir ganz besonders auf die Zif-
den, das zunächst ihre Registrierung herbeiführte. fer 6 unserer Großen Anfrage. Die Bundesregie-
Damit ist aber noch keine echte Rückführung in rung hat nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes
ihre Heimat und die Wiedererlangung verlorener die moralische Verpflichtung, den Vertriebenen ihr
beruflicher Existenz erreicht worden. Wir fragen Kulturgut zu erhalten. Das liegt nicht nur im Sinne
die Bundesregierung, wann die Praktizierung des und Interesse der Vertriebenen allein, sondern weit
Evakuiertengesetzes besonders durch Erstellung darüber hinaus auch im Interesse des gesamten
von Wohnraum erfolgen wird, weil die Mittelbe- deutschen Volkes, und wir fordern, daß alles getan
schaffung hierfür die erste Voraussetzung für die wird, was zur Sicherung, Ergänzung und Auswer-
Rückführung dieser Geschädigten ist. tung besonders der Archive und Bibliotheken er-
forderlich ist. Auch hierfür halten wir gesetz-
Die Eingliederung und die soziale Befriedigung geberische Maßnahmen für unbedingt ratsam.
der Kriegsgeschädigten kostet natürlich Geld und,
wie wir wissen, sogar sehr viel Geld. Die Maßnah- Abschließend möchte ich zur Begründung sagen:
men zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliede- Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß es
rung können unseres Erachtens auf die Dauer nicht höchste Zeit ist, von , den Erklärungen und Dekla-
allein vom Lastenausgleichsfonds getragen werden. mationen für die Kriegsgeschädigten zur prak-
Für wirksame Hilfe ist das Problem der Vorfinan- tischen Durchführung überzugehen. Noch ist viel.
zierung nach wie vor dringend, und selbst die sehr viel zu tun, um die berchtigten Wünsche und
Koalitionsparteien im 1. Deutschen Bundestag Interessen der Vertriebenen, Sowjetzonenflücht
haben durch ihren Antrag Drucksache Nr. 3373 die Evakuierten und Kriegssachgeschädigten im-linge,
Dringlichkeit einer Vorfinanzierung anerkannt. Wege der Gesetzgebung konkreter festzulegen.
Dieser Antrag bewog damals Herrn Abgeordneten Diese Geschädigtengruppen erwarten, daß unsere
Dr. Kather, trotz seiner Bedenken dem Lastenaus- Große Anfrage der Motor sein wird, Versäumtes
gleichsgesetz zuzustimmen. nachzuholen, um die Frage der Eingliederung nicht
bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.
Um diese Vorfinanzierung geht es bei unserer Die Geschädigten aller Kategorien erwarten von
Anfrage; und so fragen wir die Bundesregierung, der Bundesregierung nicht nur Reden und Redens-
wann sie von der im Lastenausgleichsgesetz gege- arten, sondern Taten.
benen Vollmacht zur Vorfinanzierung des Lasten-
ausgleichs im Interesse der Geschädigten Gebrauch So bitten wir Sie, Herr Bundesvertriebenenmini-
machen will. ster, der Sie nach Ihrem Ressort unseres Erachtens
als erster zuständig sind, aber auch alle anderen zu-
Sie wissen alle, wie es besonders mit der Einglie- ständigen Regierungsstellen, unsere Große Anfrage
derung des vertriebenen Landvolks steht. Die hier- beantworten zu wollen.
über erstellten und herausgegebenen Statistiken
geben unseres Erachtens ein sehr trauriges Bild von (Beifall bei der SPD.)
den bisher erfolgten Maßnahmen. Der Bundestag
und die vertriebenen Ostbauern wollen aber ge- Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Beantwortung der
nauestens von der Bundesregierung erfahren, wie Großen Anfrage der Herr Bundesminister für Ver-
viele dieser Geschädigten wieder zur eigenen triebene.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2073

Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Wohl haben sich im Laufe der Jahre aus jeweils
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Herr Präsi- gewonnenen neueren Erkenntnissen die Methoden
dent! Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Be- der Eingliederungspolitik im einzelnen gewandelt.
antwortung der Großen Anfrage übergehe, möchte Es kann jedoch gesagt werden, daß das große Ziel
ich eine grundsätzliche Bemerkung machen. In der der Bundesregierung und aller für das Problem
Sorge um die Eingliederung, die soziale Gleichbe- verantwortlichen Menschen und Stellen unver-
rechtigung und die Verwirklichung des Heimatrech- ändert geblieben ist. Mit allen Kräften setzt sich die
tes bestehen zwischen Regierung und Opposition Bundesregierung dafür ein, den Vertriebenen und
höchstens deklamatorische, niemals aber faktische Flüchtlingen in kürzester Zeit einen Eingliede-
Unterschiede. Aus dieser Erkenntnis habe ich die rungsstand zu verschaffen, der es ihnen ermöglicht,
Große Anfrage als den Ausdruck des Bestrebens vollwertige Mitglieder der deutschen Lebensge-
aufgefaßt, Erreichtes zu erfahren, Schwierigkeiten meinschaft und Volkswirtschaft zu sein und sich
kennenzulernen und sie beseitigen zu helfen. Im für den Tag der Rückkehr in die Heimatgebiete
übrigen, glaube ich, sind wir darin einig, daß noch lebensfähig zu erhalten.
viel, sogar sehr viel zu tun übrigbleibt. Über die Tatsache, daß wir die Vertriebenen und
Im einzelnen darf ich wie folgt antworten. Flüchtlinge im Rahmen des Möglichen einzuglie-
In Ziffer 1 wird die Bundesregierung gefragt, dern haben, daß aber diese Eingliederung die
wann sie ein umfassendes Programm der wirt- Heimat nicht ersetzen kann, herrscht in diesem
schaftlichen Eingliederung und sozialen Befriedung Hohen Hause Einverständnis. Das Heimatrecht ist
der Geschädigten aufstellen wird und ob sie bereit ein fundamentales, der Entscheidungsfreiheit des
ist, die Maßnahmen hierfür im Rahmen eines sol- Individuums zustehendes Recht. Es liegt darum
chen Programms ohne Verzögerung sicherzustellen. nicht in der Vollmacht eines Staates, das Heimat-
Ich darf hierzu zunächst auf den von mir im No- recht abzusprechen oder auf es zu verzichten. Das
vember 1953 aufgestellten Zweijahresplan hin- Recht ist nicht identisch mit Gewalt. Die Charta
der Vertriebenen, die auf Haß, Rache und Gewalt
weisen. Dieser enthielt Vorschläge zur Durchfüh-
rung und Finanzierung der in den nächsten zwei verzichtet hat, ist auch für die Bundesregierung
Jahren zu leistenden Eingliederungsarbeit für Ver- fundamentales Gebot. Es führte zwangsläufig die
triebene und Flüchtlinge. Die Bundesregierung hat Vertriebenen zu einem konstruktiven, phrasenlosen
Europagedanken.
diesem Programm im Dezember 1953 zugestimmt.
Ich habe mir erlaubt, vor einiger Zeit den Frak- Das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953
tionen des Bundestages diesen Plan zu übermitteln, hat die gesetzlichen Möglichkeiten für eine Reihe
und ich darf daher seinen Inhalt als bekannt vor- von Eingliederungsmaßnahmen geschaffen. Es ist
aussetzen. Aufgabe der für die Durchführung dieses Gesetzes
zuständigen Länder, die einzelnen Bestimmungen
In diesem Plan konnten noch nicht die Belange möglichst wirksam zu machen.
der Kriegssachgeschädigten und Evakuierten be
handelt werden, da deren Betreuung erst seit dem Bevor ich nunmehr auf die jeweiligen Abschnitte
1. April 1954 in die Zuständigkeit meines Ministe- des Zweijahresplans eingehe, habe ich zu bemer
riums übergegangen ist. Der Plan ist unterdessen ken, daß die Bundesregierung sich nicht nur für
hinsichtlich dieser Geschädigtengruppen ergänzt die Vertriebenen und Flüchtlinge einsetzt, sondern
worden. Es hat sich ferner gezeigt, daß gewisse mit gleichem Schwergewicht für die Belange der
Abänderungen notwendig sind, die in der in- Kriegssachgeschädigten und insbesondere der
zwischen vollzogenen Entwicklung begründet sind. Die Bundesregierung hat dafür Sorge Evakuiertn.
getragen —und sie wird dies weiter tun —, daß
Dieser Zweijahresplan wird von mir als ein Teil, die einzelnen Geschädigtengruppen jeweils gerecht
allerdings als der wichtigste Teil eines umfassen- und ihren Bedürfnissen entsprechend bei allen
den Eingliederungsprogramms angesehen. Es ist Hilfsmaßnahmen berücksichtigt werden.
bekannt, daß schon vor Gründung der Bundesrepu-
-
blik von den Ländern verschiedene Einzelplanun- In jedem Abschnitt des Zweijahresplans werden
gen zum Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem zunächst die bisherigen Leistungen, alsdann die
entwickelt worden sind. Diese Vorhaben bildeten Aufgaben in den nächsten zwei Jahren und zum
nach Gründung der Bundesrepublik die Grundlage Schluß die Finanzierung behandelt. Der Abschnitt A
für die Maßnahmen der Bundesregierung. Sie wur- betrifft die selbständige Erwerbstätigkeit in der ge-
den erweitert um die Möglichkeiten, die sich erst werblichen Wirtschaft und in freien Berufen. Ende
aus der Gründung der Bundesrepublik ergaben. des Jahres 1953 konnten unter den Vertriebenen
Unter Ausnutzung der inzwischen gemachten Er- 59 000 selbständige Handwerker, 44 000 Selbstän-
fahrungen und den Anregungen von Bundestag dige in Handel und Verkehr und 2420 Inhaber von
und Länderregierungen folgend, entwickelte sich Industriebetrieben mit mehr als 10 Beschäftigten
ein Gesamtprogramm der Bundesregierung, das gezählt werden. Bei dieser an sich erfreulichen
seinen Niederschlag in den einschlägigen dem Bun Leistungsziffer darf aber nicht übersehen werden,
estag vorgelegten Gesetzentwürfen und in -d einer daß die Vertriebenen erst 5 % aller selbständigen
Reihe von Verwaltungsmaßnahmen und Verwal- Unternehmer darstellen gegenüber einem Vertrie-
tungsanordnungen gefunden hat. benenanteil an der Gesamtbevölkerung von 17 N.
Außerdem sind in diesen Zahlen sehr viele Klein-
Um ihre Auffassung von den notwendigerweise und Kleinstbetriebe und auch die vielen Kümmer-
zu ergreifenden Maßnahmen auch auf internatio-
existenzen mit enthalten.
naler Basis zur Diskussion zu stellen, hat die Bun-
desregierung im Jahre 1950 auch von den Möglich- Die in den nächsten zwei Jahren vor uns liegen-
keiten der ECA Technical Assistance Gebrauch ge- den Aufgaben werden außer mit Landesmitteln
macht und die Hilfe dieser Einrichtung in Anspruch vornehmlich mit Mitteln des Lastenausgleichs zu
genommen. Das Ergebnis dieser Arbeit ist in dem erfüllen sein. Eine Kontingentierung von Lasten-
bekantBrichdSoe-KmsnfürEi ausgleichshilfen auf Vertriebene und Kriegssach-
gliederung der Flüchtlinge in die deutsche Bundes- geschädigte erfolgt nicht, sondern Entscheidungen
republik niedergelegt. über die eingegangenen Anträge werden bekannt-
2074 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Oberländer)
lieh je nach der Bonität und dem Grad der notwen- triebenen naturgemäß fast gar nicht beteiligt. Ihr
digen Existenzsicherung getroffen. Bisher entfielen Anteil wird von Land zu Land und von Gemeinde
etwa 60 % der genehmigten Anträge für gewerb- zu Gemeinde verschieden hoch sein, zumal wenn
liche Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleich auf man berücksichtigt, daß ein gleichberechtigtes Inter-
Vertriebene und etwa 40% auf Kriegssachgeschä- esse der Kriegssachgeschädigten vorhanden ist, den
digte. Die Ermittlung des Finanzbedarfs für die ein- gebührenden Anteil am sozialen Wohnungsbau zu
zelnen Hilfen, also für Aufbaudarlehen für Neu- erhalten. Diese Verteilung des neuen Wohnraums
gründungen, für Betriebserweiterungen, für Auf- auf die Geschädigtengruppen ist seit jeher Aufgabe
stockung bereits gewährter Darlehen und für die der Länder gewesen. Hierbei ist aber in den Richt-
Umschuldung von Bankdarlehen ergibt Beträge, die linien für den Einsatz der Lastenausgleichsmittel
im Jahre 1954 gedeckt sind, während die Finanzie- vorgeschrieben, daß bei der Zuweisung der mit
rung für 1955 zum Teil noch offen ist. Ebenso ihrer Hilfe errichteten Wohnungen die jeweiligen
dürfte es nicht möglich sein, den ganzen mit etwa Anteile in einem angemessenen Verhältnis zu dem
50 Millionen DM bezifferten Jahresbedarf der örtlichen Gesamtbedarf der einzelnen Geschädig-
Sowjetzonenflüchtlinge an Aufbaudarlehen in den tengruppen zu halten sind.
nächsten Jahren aus dem Härtefonds des Lasten- Abgesehen von der Sonderfinanzierung des Woh-
ausgleichs zu entnehmen, da dieser hierfür nicht nungsbaus für Umsiedler einschließlich der Evaku-
ausreicht. ierten und für Sowjetzonenflüchtlinge ist die
Im Abschnitt B sind die Bedürfnisse der länd- Finanzierung für den gesamten sozialen Wohnungs-
lichen Siedlung behandelt. Ich spreche hierzu später bau durch die Globalzuteilung von Bundeshaus-
in Beantwortung der Ziffer 4 der Großen Anfrage. haltsmitteln und Lastenausgleichsmitteln gesichert.
Zum Abschnitt C, Arbeitnehmer, möchte ich vor Im Abschnitt E wird die Umsiedlung behandelt.
allem darauf hinweisen, daß der Grad der Arbeits- Bis zum 31. August 1954 sind 679 000 Personen aus
losigkeit unter den Vertriebenen seit Jahren im Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern um-
Sinken ist. Im Jahre 1949 waren etwa 38 % aller gesiedelt worden. Die Umsiedler sind in Neubau-
Arbeitslosen Vertriebene; Ende August 1954 waren wohnungen untergebracht und, soweit sie arbeits-
es nur noch 25,7 %. Diese an sich erfreuliche Tat- fähig sind, bis auf einen Rest von vielleicht 5 % in
sache darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Arbeit vermittelt worden.
die Arbeitslosigkeit bei den Vertriebenen noch
Der Bundestag hatte seinerzeit die Umsiedlungs-
überdurchschnittlich hoch ist, denn ihr Bevölkerungs- aktion auf 900 000 Personen festgesetzt. Die Durch-
anteil beträgt bekanntlich nur 17,1 %. Insbesondere
führung dieses Gesamtprogramms, das durch Ein-
in den Hauptflüchtlingsländern ist die Arbeitslosig-
schluß von Evakuierten und Sowjetzonenflüchtlingen
keit der Vertriebenen stark, und ein großer Teil
nunmehr auf 915 000 Personen beziffert ist, wird
der im Bundesgebiet vorhandenen teilweise struk-
zum Ende des Jahres 1955 verwaltungsmäßig abge-
turellen Arbeitslosigkeit ist bei den Vertriebenen
schlossen sein; ein Überhang in das Jahr 1956 ist
zu verzeichnen. hierbei nicht vermeidbar. Die Finanzierung für
Zu der günstigen Entwicklung haben zwei Maß- diesen Restabschluß ist nunmehr gesichert. Dem
nahmen beigetragen, nämlich einmal das Heran- Bundesrat liegt zur Zeit eine Verordnung vor, nach
bringen der Menschen an den Arbeitsplatz, also die der der nachstellige Finanzbedarf für die restliche
Umsiedlung, und zum zweiten das Heranbringen Umsiedlung von 165 000 Personen in Höhe von
der Arbeitsplätze an den Menschen, also die Ar- 350 Millionen DM wie folgt gedeckt wird: 75 Mil-
beitsplatzbeschaffung, vornehmlich in den Haupt- lionen DM Wohnraumhilfemittel des Lastenaus-
flüchtlingsländern und im Zonenrandgebiet. Diese gleichs aus dem Rechnungsjahr 1954, 25 Millionen
Maßnahmen müssen weiter fortgesetzt werden. DM aus dem Bundeshaushalt — Rechnungsjahr
Statistische Feststellungen über Zahl und Anteil 1954 —, 50 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt
der unter den übrigen Arbeitslosen befindlichen — Rechnungsjahr 1955 — und 200 Millionen DM
Kriegssachgeschädigten sind nicht möglich. aus Erlösen der Umsiedlungsanleihe, die in die
- In den Bundeshaushalte 1955 und 1956 mit je 100 Millio-
Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen dürfte
ihr Anteil allerdings beträchtlich sein. Bei den nen DM eingestellt werden. Außerdem sind 60 Mil-
Evakuierten haben wir eine Zählung aus dem Ok- lionen DM Aufbaudarlehen des Lastenausgleichs
tober 1952, bei der 20 500 arbeitslose Evakuierte an Stelle des fehlenden Eigenkapitals zur Ver-
vorhanden waren, von denen allerdings nur 11 800 fügung gestellt.
voll einsatzfähig waren. Als eine zweite Aufgabe hatte es sich der Zwei-
Im Abschnitt D sind zunächst Mitteilungen über jahresplan zum Ziele gesetzt, eine Umsiedlung von
die wohnraummäßige Unterbringung der Vertrie- weiteren 300 000 Personen vorzubereiten. Diese soll
benen gemacht. Nach den Ergebnissen der Woh- nicht nur als Umsiedlung von Land zu Land, son-
nungszählung von 1950 waren damals 68% aller ver- dern zum Teil auch als eine Umsiedlung innerhalb
triebenen Wohnparteien schlecht untergebracht, d. h. der Länder erfolgen. Der Finanzbedarf für diese
in Notunterkünften, Lagern, als Untermieter oder weitere Umsiedlung ist mit etwa 675 Millionen DM
in überbelegten Wohnungen. Zu Anfang dieses berechnet. Die Verhandlungen über seine Deckung
Baujahres wird dieser Prozentsatz auf etwa 54 % sind bereits im Gange.
gesunken sein. Eine halbe Million Vertriebenen- Neu aufgenommen in den Zweijahresplan ist ein
und Flüchtlingsfamilien dürften bis zum Beginn Abschnitt über die Evakuiertenrückführung. Die
dieses Baujahres eine Neubauwohnung erhalten Mitteilungen hierin über die bisherige Leistung,
haben. die Aufgabe der nächsten zwei Jahre und die
Wegen des hohen Anteils der noch schlecht Finanzierung werde ich nachher in meiner Antwort
Untergebrachten werden alle Anstrengungen ge- zu Ziffer 2 der Großen Anfrage bringen.
macht werden müssen, um den Anteil der Vertrie- Es war bei Aufstellung des Zweijahresplans im
benen am sozialen Wohnungsbau möglichst hoch zu November 1953 besonders schwierig, im Abschnitt F
halten. Im Jahre 1953 hat er bei 44 % gelegen. An etwas über die Aufgaben hinsichtlich der Flüchtlin-
dem frei finanzierten Wohnungsbau sind die Ver ge aus der sowjetischen Besatzungszone zu sagen.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2075
(Bundesminister Dr. Oberländer)
Hier ist ein Planung über zwei Jahre unmöglich; weitung der Bevorzugung auf große Gebiete der
denn solange die gesamtdeutsche Frage nicht ge- Bundesrepublik etwas an Gewicht verliert. Wichti-
löst ist, werden wir mit Aufgaben und Überra- ger aber war für die Bundesregierung und für mich
schungen zu rechnen haben. Damals war es zu- die Beachtung der übergeordneten politischen Ge-
nächst notwendig, Vorkehrungen zur wohnungs- sichtspunkte, die eine Förderung des Zonenrandge-
mäßigen Unterbringung für die vom 1. Februar biets verlangen.
1953 bis zum 31. März 1954 eintreffenden Flücht- Es ist Ihnen auch bekannt, daß im Haushalt 1954
linge zu treffen. Es war veranlaßt worden, daß die 120 Millionen DM — minus 4 °/o allgemeine Kür-
Länder je Kopf der von ihnen aufzunehmenden zung — zur Steigerung der Wirtschaftskraft und
Flüchtlinge einen Betrag von 1500 DM erhalten. zur Beseitigung von Wirtschaftsschäden im Zonen-
337 538 Notaufgenommene sind in dieser Zeit in randgebiet und für die Grenzgebiete von Rheinland-
die Länder, einschließlich Berlin, eingewiesen wor- Pfalz eingesetzt worden sind. Daneben sind wieder-
den. Auf Grund neuerer Unterlagen kann man an- um 48 Millionen DM für die Notstandsgebiete und
nehmen, daß hiervon für 280 000 Personen ein ferner für Behebung der Kriegs- und Nachkriegs-
Wohnraumbedarf zu befriedigen ist; denn bei schäden in Kehl und Helgoland gegeben worden.
einem großen Teil der alleinstehenden Jugendli-
chen und auch zu einem Teil bei den übrigen Per- Die Lage der vertriebenen Jugend, im Ab-
sonen hat die Erfahrung gelehrt, daß diese ohne schnitt H behandelt, ist dadurch gekennzeichnet,
eigenen Wohnraumbedarf untergebracht werden daß die Zahl der vertriebenen Schüler an höheren
können. Hierfür waren zunächst 280 Millionen be- Schulen, Mittelschulen und Fachschulen nunmehr
reitgestellt, die seitdem durch weitere 70 Millionen derart angewachsen ist, daß sie dem Anteilsatz der
DM Bundeshaushaltsmittel aufgestockt wurden. Vertriebenenbevölkerung an der Gesamtbevölke-
Durch eine großherzige Spende aus FOA-Mitteln rung entspricht. Dies ist ein wirklich sehr erfreu-
wurden 63 Millionen DM für den Flüchtlingswoh- licher Erfolg. Hierzu haben einmal die entbeh-
nungsbau gegeben, die entsprechend dem Willen rungsreichen Anstrengungen der vertriebenen El-
der Spender mit 20 Millionen DM ein zusätzliches tern verholfen, aber auch die von der öffentlichen
Programm für Berlin darstellen. Den Ländern Hand gegebenen Ausbildungshilfen. Insbesondere
standen mithin insgesamt 413 Millionen DM für sind es der Bundesjugendplan und der Lastenaus-
diese Zeit zur Verfügung. gleich, die hier segensreich und wirklich in pro-
duktivem Einsatz gewirkt haben. Nicht ganz be-
Für die ab 1. April 1954 den Ländern zugewie- friedigen kann der Stand bei den vertriebenen
senen Sowjetzonenflüchtlinge — wir schätzen für Lehrlingen, denn nach den allerdings unvollkom-
das Rechnungsjahr 1954 etwa 130 000 Aufzuneh- menen Statistiken scheint sich der Anteil der ver-
mende — sollen in den Haushalt 1955 45 Millionen triebenen Lehrlinge an der Gesamtzahl der Lehr-
DM eingesetzt werden. Allerdings sollen von die- linge in den letzten Jahren zu verschlechtern. —
sem Zeitpunkt ab nur für solche Sowjetzonenflücht- Mangels statistischer Unterlagen lassen sich die für
linge zusätzliche Bundesmittel gegeben werden, die die kriegssachgeschädigte und für die evakuierte
nicht auf Grund des Art. 11 Abs. 2 des Grundge- Jugend aus den einzelnen Finanzquellen gegebenen
setzes — nach dem die Freizügigkeit nur für be- Hilfen nicht ermitteln.
stimmte Fälle eingeschränkt werden darf — oder
aus Ermessensgründen Aufnahme finden. Im letzten Abschnitt — J — des Zweijahresplans
ist die dringende Aufgabe der Lagerräumung be-
In den Zweijahresplan sind als Abschnitt G die handelt. Heute sind etwa 290 000 Lagerinsassen
Gebiete an der Zonengrenze und die Notstandsge- vorhanden, das sind Vertriebene, frühere Sowjet-
biete aufgenommen. Das besondere Interesse meines zonenflüchtlinge, Evakuierte und heimatlose Aus-
Ministeriums gilt hier neben der allgemein politi- länder. Genauere statistische Unterlagen liegen lei-
schen Bedeutung der Tatsache, daß diese weniger der noch immer nicht vor. Wir hoffen, daß wir im
entwickelten und bedrohten Gebiete überdurch- Frühjahr 1955 zu genauen Zahlen kommen. —
schnittlich mit Vertriebenen belegt sind. In Rhein- Ferner sind zur Zeit etwa 140 000 Flüchtlinge aus
land-Pfalz ist überdies die Rote Zone wegen - des der Sowjetzone zwischenzeitlich in Kasernen,
dort herrschenden landwirtschaftlichen Notstandes Durchgangslagern der Länder und Lagern der Ge-
durch Kriegszerstörungen von der Bundesregie- meinden untergebracht.
rung als Notstandsgebiet anerkannt worden. Alle
Maßnahmen, die zugunsten der Zonenrand- und Es oblag früher in erster Linie den Ländern,
der Notstandsgebiete geschehen, wirken sich durch geeignete Maßnahmen für die Auflösung der
unmittelbar auf die dort wohnenden Vertriebenen Lager zu sorgen, z. B. durch Abzweigung von
und Kriegsgeschädigten aus. Wohnungsbaumitteln zum Ersatzwohnungsbau und
Der Bundestag hat sich wiederholt mit den hier dergleichen. Im Zusammenhang mit den Maßnah-
anstehenden ernsten Fragen beschäftigt, und er men aus Anlaß der Verstärkung der alliierten
wird es morgen wieder tun. Der Beschluß des Bun- Streitkräfte werden, falls Lager geräumt werden
destags in seiner Sitzung vom 2. Juli 1953 ist müssen, seit 1950 nicht mehr neue Lager errichtet,
Ihnen bekannt. Erfreulicherweise konnten seitdem sondern vollwertige Wohnungsbauten in arbeits-
eine Reihe Förderungsmaßnahmen durchgeführt marktpolitisch günstigen Standorten für die räu-
werden, über die Ihnen seinerzeit der Herr Bun- mungsbetroffenen Lagerinsassen erstellt.
deswirtschaftsminister berichtet hat. Die Richt- In diesem Jahre lief inzwischen das erste Räu-
linien über die Bevorzugung des Zonenrandgebie- mungsprogramm durch Bereitstellung von bis zu
tes, von Berlin und von Wilhelmshaven bei Ertei- 30 Millionen DM Kriegsfolgenhilfe-Mitteln für die
lung öffentlicher Aufträge sind am 31. März 1954 Finanzierung von Wohnungsbauten an. Weitere
von der Bundesregierung beschlossen worden. Ich 20 Millionen DM wurden hierfür durch Aufbaudar-
habe mich für diese Maßnahme besonders einge- lehen aus dem Lastenausgleich gewonnen. Das Ziel
setzt und dabei in Kauf genommen, daß die gemäß ist, bis Ende dieses Rechnungsjahres baulich
Bundesvertriebenengesetz vorgeschriebene Bevor- schlechte Lager mit insgesamt 30 000 Insassen in
zugung von Vertriebenen und Flüchtlingen bei der Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern auf-
Erteilung öffentlicher Aufträge durch diese Aus zulösen. Im nächsten Jahr — 1955 — sollen weitere
2076 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
schlechte Kriegsfolgenhilfe-Lager im gesamten Zu 3: Die Rückführung von Evakuierten inner
Bundesgebiet aufgelöst werden, und zwar mit etwa halb der einzelnen Länder ist zunächst finanziell
40 000 Insassen, durch Schaffung von etwa 10 000 dadurch gefördert worden, daß aus dem Lasten-
Neubauwohnungen. Der Finanzierungsplan dieses ausgleich im April 1954 90 Millionen DM Wohn-
Programms für 1955 sieht global zuzuweisende Bun- raumhilfemittel den Ländern zugeteilt worden
deshaushaltsmittel für den sozialen Wohnungsbau sind, und zwar für Zwecke der Umsiedlung und der
und Lastenausgleichsmittel vor. Die Bundesregie- Evakuiertenrückführung. Voraussichtlich werden
rung erwartet, daß hierzu zusätzlich eine Beteili- 50 % der mit Hilfe dieser Mittel zu erstellenden
gung aus den Mitteln erreicht wird, die der Bund Wohnungen Evakuierten zugute kommen; das sind
den Ländern im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe nach etwa 23 000 Evakuierte mit 7000 Wohnungen. Für
dem Finanzanpassungsgesetz künftig pauschal für den gleichen Zweck ist die Bindung von Bundes-
Lagerzwecke zur Verfügung stellen wird. mitteln des Rechnungsjahres 1955 in Höhe bis zu
70 Millionen DM in Aussicht genommen, so daß
Im übrigen sind die Räumungsmaßnahmen ob- hierdurch die Rückführung von weiteren 18 000
jektbezogen und umfassen daher auch Evakuierte, Evakuierten innerhalb der Länder zusätzlich
soweit solche in den aufzulösenden Kriegsfolgen- finanziert werden könnte.
hilfelagern untergebracht sind. Insgesamt dürften
im Bundesgebiet etwa 25 000 Evakuierte in La- Zusammengefaßt ergibt sich folgende Zahlen-
gern leben. übersicht:
Bisher bereitgestellte Mittel für die Evakuierten-
Die Bundesregierung sieht die beschleunigte rückführung:
Auflösung der Lager als eine der wichtigsten sozia-
len Aufgaben an. Denn die Lager bedeuten einen innerhalb der Umsiedlung aus
Verschleiß menschlicher Kraft und eine Vergeu- Schleswig-Holstein, Niedersach
dung öffentlicher Mittel. sen und Bayern 110 000 000 DM
aus den übrigen Ländern 20 000 000 DM
Zu Ziffer 2 der Großen Anfrage: innerhalb der einzelnen Länder 45 000 000 DM
Zur Durchführung des Bundesevakuiertengeset- zusammen bisher bereitgestellt 175 000 000 DM.
zes vom 14. 7. 1953 liegt dem Kabinett zur Zeit eine
Verordnung vor, nach der das Anmeldeverfahren, Zunächst in Aussicht genommene Mittel für die
d. h. die Abgabe einer Erklärung des Rückkehr Evakuiertenrückführung:
willens gemäß § 2 Abs. 1, innerhalb einer Frist von aus den übrigen Ländern außer-
3 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung ab- halb der Umsiedlung 40 000 000 DM
geschlossen wird. Diese Frist wird voraussichtlich innerhalb der einzelnen Länder 35 000 000 DM
nu t dem Ende des Monats Januar 1955 auslaufen.
zusammen in Aussicht genommen 75 000 000 DM.
In der Frage der Bereitstellung von Wohnungs- Zusammen sind es 250 000 000 DM, die für die
baumitteln für die Rückführung von Evakuierten Schaffung von Wohnraum für die Rückführung
muß man drei verschiedene Förderungsmaßnahmen der Evakuierten bereitgestellt oder in Aussicht ge-
unterscheiden, nämlich 1. die Rückführung der nommen sind.
Evakuierten innerhalb der gesetzlichen Umsiedlung
aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, Zu Ziffer 3 der Großen Anfrage. Die Grundlage
2. die Rückführung aus den anderen Ländern und für die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs bil-
3. die Rückführung innerhalb der einzelnen Länder. det der Beschluß des Bundestages vom 16. Mai
1952. In Ausführung dieses Beschlusses sind bereits
Zu 1: Im Rahmen der bis jetzt gesetzlich ange- umfangreiche Vorfinanzierungsmaßnahmen getrof-
ordneten Umsiedlungsmaßnahmen werden bis Ende fen worden, die folgende Erträge erbracht haben:
1954 rund 25 000 Evakuierte aus Schleswig-Holstein, durch vorzeitige Ablösung der drei Lastenaus-
Niedersachsen und Bayern in ihre Herkunftsländer gleichsabgaben gemäß § 199 des Lastenausgleichs-
- der-
zurückgeführt sein. Darüber hinaus sieht die gesetzes 180 Millionen DM; auf Grund der
zeit dem Bundesrat vorliegende Verordnung über Steuervergünstigungen aus § 7 f des Einkommen-
den zweiten Abschnitt des dritten Umsiedlungs- steuergesetzes 252 Millionen DM; aus der Auf-
programms die Rückführung von abermals min- legung einer ersten Tranche der Lastenausgleichs-
destens 22 500 Evakuierten aus diesen drei Län- Bankanleihe 200 Millionen DM; zur Förderung des
dern vor. Mit Hilfe der Umsiedlung werden mithin Wohnungsbaus für Umsiedler 224 Millionen DM,
rund 50 000 Evakuierte zurückgeführt. Hierfür sind zusammen also 856 Millionen DM.
110 Millionen DM Bundeswohnungsbaumittel zur
Verfügung gestellt; es werden etwa 14 000 Woh- Es ist damit zu rechnen, daß bis zum 31. Dezem-
nungen erstellt. ber 1954 aus § 7 f, der nach der derzeitigen Rechts-
lage zu diesem Zeitpunkt auslaufen soll, dem Aus-
Zu 2: Zur Rückführung von Evakuierten aus den gleichsfonds noch Einnahmen für das Rechnungs-
übrigen Ländern sind im April 1954 20 Millio- jahr 1954 zufließen, die wahrscheinlich weit über
nen DM Wohnraumhilfemittel des Lastenausgleichs die erwartete Summe von 100 Millionen DM hin-
gegeben worden. Die Bereitstellung weiterer ausgehen werden. Ferner ist die Auflegung einer
20 Millionen DM an Bundesmitteln ist in Aussicht Umsiedlungsanleihe von 200 Millionen DM vorge-
genommen. Mit diesen 40 Millionen DM können sehen.
etwa 20 000 Evakuierte zurückgeführt werden. Die Auflegung einer zweiten und dritten Tranche
Sollte sich nach der laufenden Registrierung ein der Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von zu-
höherer Bedarf in diesen Ländern ergeben, so sammen 400 Millionen DM steht noch aus. Diese
wäre die Zweckbindung von 20 Millionen DM Bun- 400 Millionen DM sind in dem Wirtschafts- und
deswohnungsbaumitteln zu veranlassen. Mit den Finanzplan des Ausgleichsfonds für 1954 auf der
insgesamt 60 Millionen DM würden rund 30 000 Einnahmeseite bereits eingesetzt. Die Auflegung
Evakuierte zurückgeführt werden können und etwa wird erfolgen, sobald der Fonds dieser Gelder tat-
10 000 Wohnungen erstellt werden. sächlich bedarf.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2077
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
Über diese genannten bereits erfolgten und für Zu Ziffer 4 B. Das auf Grund der Angaben der
die nächste Zukunft beabsichtigten Vorfinanzie- Länder aufgestellte und vom Kabinettsausschuß im
rungsmaßnahmen hinaus wird die Bundesregierung Juni 1954 gebilligte Siedlungsprogramm der Bun-
anstreben, weitere Vorfinanzierungsmaßnahmen desregierung sieht vor, daß 6325 Neusiedlerstellen
auf einem Wege, der sich zu gegebener Zeit über an Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge ver-
Haushaltsmittel oder über den Kapitalmarkt bietet, geben werden und daß 10 056 landwirtschaftliche
zu treffen. Diese Bereitschaft der Bundesregierung Betriebe im Wege des Kaufs oder der Pacht von
wird nicht dadurch gemindert, daß die gegenwärti- diesem Personenkreise übernommen werden sollen.
gen Kassenbestände und sonstigen flüssigen Mittel Insgesamt ist also mit der Ansetzung von 16 381
des Ausgleichsfonds einen erheblichen Betrag — vertriebenen und geflüchteten Bauernfamilien im
zur Zeit etwa 500 Millionen DM — erreichen. Das Jahre 1954 zu rechnen. Dies ist ein Bestandteil des
bisher auf gewissen Teilgebieten nicht befriedi- Gesamtsiedlungsprogramms 1954 mit einem Geld-
gende Tempo des Abflusses der dem Ausgleichs- bedarf von etwa 600 Millionen DM und einem
fonds zur Verfügung stehenden Mittel liegt in der Landanfall von zirka 92 000 ha.
Begrenztheit der verwaltungsmäßigen Leistungs- Für das Jahr 1955 ist mit einer verstärkten Sied-
fähigkeit der Ausgleichsbehörden, also hei den lungstätigkeit der Länder zugunsten der Vertrie-
Ländern sowie bei den Stadt- und Landkreisen, benen und Sowjetzonenflüchtlinge zu rechnen, zu-
begründet. Die Bundesregierung und der Präsident mal sich dann die erweiterten Finanzierungsmög-
des Bundesausgleichsamtes sind bemüht, die per- lichkeiten des Bundesvertriebenengesetzes und des
sonelle Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden Lastenausgleichsgesetzes auswirken werden. Auf
laufend zu steigern. Diese Bemühungen finden Grund der Erfahrungen, die mit dem vorliegenden
allerdings ihre Begrenzung darin, daß das Lasten- Programm für das Jahr 1954 gesammelt werden,
ausgleichsgesetz nicht unmittelbar von der Bundes- wird das Bundesernährungsministerium ein lang-
regierung durchgeführt wird, sondern im Wege der fristiges Siedlungsprogramm aufstellen.
Auftragsverwaltung von den Ländern sowie den
Stadt- und Landkreisen. Durch Maßnahmen der Zu Ziffer 4 C. Die Frage der Altersversorgung
Länder und der Kreisverwaltungen konnte aber von Eigentümern auslaufender Höfe, die bereit
die Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden seit sind, ihre Betriebe an Vertriebene zu veräußern
dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes schon oder zu verpachten, ist im Bundesernährungsmini-
sehr erheblich erhöht werden. Der Bund erleich- sterium zur Zeit Gegenstand eingehender Unter-
tort in Durchführung von § 351 des Lastenaus- suchungen, die besonders auch mit dem Deutschen
gleichsgesetzes diese Maßnahmen, indem er 50 % Bauernverband und dem Bauernverband der Ver-
der entstehenden Kosten übernimmt. Für die triebenen durchgeführt werden. Von dem Ergebnis
Durchführung von § 351 des Lastenausgleichs- dieser Untersuchungen wird es abhängen, ob .die in
gesetzes konnte nach Überwindung gewisser tech- den §§ 42 und 46 Abs. 6 des Bundesvertriebenen-
nischer Anlaufschwierigkeiten inzwischen eine für gesetzes enthaltenen gesetzlichen Vorschriften, für
die Beteiligten befriedigende Lösung gefunden die Veräußerung oder Verpachtung eines auslaufen-
werden. Durch zu erwartende weitere Steigerun- den Hofes Beihilfen zu gewähren oder durch Bun-
gen der Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden desbürgschaften den Altenteilsanspruch zu sichern,
ist mit einem schnelleren Abfluß der dem Aus- ausreichen, um die Altersversorgung der Eigen-
gleichsfonds zur Verfügung gestellten Mittel und tümer auslaufender Höfe zu regeln, oder ob weitere
damit mit einer schnelleren Befriedigung der An- Gesetze notwendig sein werden.
spüche der Lastenausgleichsberechtigten zu rechnen. (Abg. Dr. Gille: Wann wird die Unter
suchung abgeschlossen sein?)
Zu Ziffer 4 A der Großen Anfrage. Das am
5. Juni 1953 in Kraft getretene Bundesvertriebenen- Der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der
gesetz ist an Stelle des Flüchtlingssiedlungs-Ge- Agrarstruktur und zur Sicherung landwirtschaft-
setzes vom 10. August 1949 getreten. Da jedes Ge- licher Betriebe — Grundstücksverkehrsgesetz — ist
- den Ländern vom Bundesernährungsministerium
setz eine gewisse Anlaufzeit benötigt, ist davon
auszugehen, daß die nach dem Inkrafttreten des bereits zur Stellungnahme zugeleitet worden.
Bundesvertriebenengesetzes von den Ländern ge- Eine bundesgesetzliche, einheitliche Regelung der
meldeten Eingliederungen noch nach dem Flücht- Entschädigung für das nach den Bodenreformge-
lingssiedlungsgesetz durchgeführt worden sind. setzen der Länder in Anspruch genommene Land
ist in Vorbereitung. Grundsätze, die als Grundlage
Seit dem Inkrafttreten des Flüchtlingssiedlungs- für einen Gesetzentwurf dienen sollen, sind den
gesetzes sind insgesamt 52 732 Vertriebene und Ländern vorn Bundesernährungsministerium zur
Flüchtlinge in die Landwirtschaft im Wege der Stellungnahme übermittelt worden.
Neusiedlung und durch Übernahme bestehender
landwirtschaftlicher Betriebe eingegliedert worden. (Abg. Samwer: Sollte beschleunigt werden!)
Davon entfallen auf das zweite Halbjahr 1953
5379 Fälle. Für das erste Halbjahr 1954 ist Zu Ziffer 5 der Großen Anfrage. Die Bundes-
schätzungsweise mit dem gleichen Ergebnis zu regierung ist bereit, entsprechend meinem Zwei
rechnen. jahresplan die Bundesumsiedlung fortzusetzen.
Durch Bundestagsbeschluß ist die Zahl der aus den
Von den in der Zeit vom 1. Juli 1953 bis 30. Juni Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und
1954 geförderten Flüchtlingssiedlungsstellen sind Bayern umzusiedelnden Vertriebenen auf 900 000
60 bis 65 % als Nebenerwerbsstellen oder bäuer- Personen festgesetzt worden. Dieses Gesamtpro-
liche Aufbaustellen anzusehen. Im Siedlungspro- gramm, das durch Einschluß von Evakuierten und
gramm 1954 sind bei den Neusiedlerstellen rund Sowjetzonenflüchtlingen nunmehr auf 915 000 be-
80 % und bei den Eingliederungsfällen — Kauf und ziffert ist, wird am Ende des Jahres 1955 abge-
Pacht landwirtschaftlicher Betriebe — rund 52 % schlossen sein. Die Finanzierung dieses Programms
Nebenerwerbsstellen bzw. bäuerliche Aufbaustel- ist gesichert. Darüber hinaus war im Zweijahres-
len vorgesehen. plan die Umsiedlung von weiteren 300 000 Personen
2078 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Oberländer)
vorgesehen, und zwar sowohl von Land zu Land einen Plan haben, aus dem wir ersehen können, 1
als auch innerhalb der Länder. Ich habe hierüber welchräumiZstandBegbi-
bereits zu Ziffer 1 der Anfrage berichtet. gestrebt werden soll. Ein solcher Plan müßte die
Die Umsiedlung der Vertriebenen und Flücht- Grundlage für alle raumpolitischen Planungen und
linge ist vornehmlich als ein Mittel zur Eingliede- Maßnahmen sein, die die Bundesregierung, die
rung zu betrachten; denn mit Hilfe der Umsiedlung Länder, die Kreise und die Gemeinden und dar-
werden die Vertriebenen in die arbeitspotentiellen über hinaus auch alle für die Raumordnung ver-
Gebiete der Bundesrepublik gebracht. Repräsen- antwortlichen Dienststellen und Menschen zu tref-
tativstatistiken haben bestätigt, daß die in den fen haben. Die nach arbeitspolitischen Gesichts-
Flüchtlingsländern arbeitslos gewesenen Umsiedler punkten orientierte Umsiedlung von Vertriebenen
kurze Zeit hiernach in ihren neuen Wohnorten in und regionale Verteilung von Sowjetzonenflücht-
Arbeit gekommen sind. Abgesehen von Fehlplanun- lingen müssen daher in den größeren Zusammen-
gen in der ersten Zeit der Umsiedlung haben die hang der gesamten deutschen Raumordnung ge-
Länder die Wohnungen für die Umsiedler an den stellt werden; sie dürfen nicht als Teilmaßnahmen
richtigen Arbeitsorten erbaut. Eine besondere För- für sich, losgelöst von den übrigen raumpolitischen
derung der Arbeitsplatzbeschaffung für Umsiedler Entscheidungen, angesehen werden.
war mithin nicht notwendig. Derzeit ist die Lage so, daß jedes Land und jedes
Der gleiche Grundsatz ist auch für die Eingliede- Bundesressort für sich allein versucht, gewisse Ge-
rung der Sowjetzonenflüchtlinge maßgebend. Wäh- danken der Raumordnung zu konzipieren und hier-
rend aber die Masse der Heimatvertriebenen nach aus Folgerungen für seine Einzelmaßnahme zu
Kriegsende in die agrarischen Gebiete geströmt ziehen. Es liegt auf der Hand, daß hierdurch zahl-
war, in denen die benötigten Arbeitsplätze nicht reiche Gegenläufigkeiten entstehen müssen, die zu
angeboten werden konnten, und mithin erst eine finanziell, volkswirtschaftlich und nationalpolitisch
Umsiedlung stattzufinden hatte, ist die Lage bei nicht tragbaren Verlusten führen. Notwendig bleibt
den Sowjetzonenflüchtlingen von vornherein eine daher eine Gesamtkonzeption, denn ein Raumord-
andere. Vor Inkrafttreten des Notaufnahmegesetzes nungsplan des Bundes ist nicht etwa eine Addition
haben sich die aus der Sowjetzone Zugewanderten einzelner voneinander unabhängiger, fachlich und
bereits in freier Wanderung in die Industriegebiete regional verschiedener Einzelpläne, sondern muß
begeben und haben dort alsbald Arbeit und auch durch die Bundesregierung über eine Bundesraum-
Unterkunft gefunden. ordnungsstelle möglichst bald in gemeinsamer Ar-
Die Verteilung der aus den Notaufnahmelagern beit mit den Ländern und ihren Landesplanungs-
kommenden Flüchtlinge auf die Länder erfolgt nach stellen erarbeitet werden.
dem Uelzener Abkommen, das späterhin modifi- Auch mein Ministerium hat sich bemüht, bei
ziert wurde. Diesem Abkommen liegt ein Schlüssel allen Standortfragen der Geschädigten die Grund-
zugrunde, der nach der wirtschaftlichen Tragfähig- gedanken der Raumordnung nach Möglichkeit zu
keit der einzelnen Länder berechnet war. Von vorn- beachten und, solange ein gesamter Raumordnungs-
herein konnten mithin die Flüchtlinge ohne plan noch nicht vorliegt, selbst für den eigenen Zweck
Zwischenstation in den arbeitspotentiellen Gebieten eine einwandfreie Planung zu erstellen. Es ist rich-
Aufnahme finden. Allerdings ist es infolge des un- tig, daß die Massierung der Menschen und der Ar-
vorhergesehenen Menschenzustroms des Jahres 1953 beitsstellen in den Ballungsgebieten und ihr Ab-
nicht immer möglich gewesen, zu erreichen, daß die zug aus den ungenügend entwickelten Gebieten
zur zwischenzeitlichen Unterbringung bestimmten und dem Zonenrandgebiet auf weite Sicht gesehen
Landesdurchgangslager unmittelbar neben geeig- nicht gut sind. Aber die Vertriebenen sind schlechte
neten großen Arbeitsorten liegen.. Es mußte auf Planungsobjekte, denn sie können nicht warten,
vorhandene Barackenlager, Kasernen und andere bis durch besondere raumpolitische Maßnahmen
Notunterkünfte zurückgegriffen werden, die zum das Arbeitsklima in ihren gegenwärtigen Wohn-
Teil weit weg von industriellen Standorten lagen. gebieten verbessert wird. Sie müssen vielmehr da-
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nach trachten, möglichst bald zu einem Arbeitsplatz
waren sogar gezwungen, sogenannte Gästelager in und damit zur Eingliederung zu kommen. Da diese
anderen Ländern zwischenzeitlich in Anspruch zu Arbeitsplätze für Arbeiter, Angestellte und Unter-
nehmen. Es hängt von der Forcierung des Woh- nehmer hauptsächlich in den Industriegebieten
nungsbaus und der Bereitstellung genügender Mit- liegen, war es notwendig, ihnen durch Umsiedlung
tel hierfür ab, zu welchem Zeitpunkt die Sowjet- hierzu zu verhelfen.
zonenflüchtlinge nicht nur eine Wohnung, sondern Andererseits hat die Bundesregierung von Be-
auch einen endgültigen Arbeitsplatz erhalten und ginn an, seit 1949, den Standpunkt vertreten, daß
damit einen gewissen Stand der Eingliederung er- nicht nur die Umsiedlung der Menschen an die
reichen. Arbeitsplätze, sondern auch das Heranbringen der
Die Fraktion der SPD hat nunmehr gefragt, ob Arbeitsplätze an die Menschen die gleiche Förde-
diese Fortsetzung der Bundesumsiedlung und die rung verdient. Die Arbeitsplatzbeschaffung in den
Eingliederung der Sowjetzonenflüchtlinge unter Hauptflüchtlingsländern ist daher der Bundes-
den höheren Gesichtspunkten einer gesunden Be- regierung ein stetes dringendes Anliegen gewesen
völkerungsverteilung innerhalb der Bundesrepu- und geblieben. Alle Förderungsmaßnahmen, die
blik erfolgen. Damit wird eine sehr gerechtfertigte zugunsten der Hauptflüchtlingsländer, des Zonen-
Befürchtung angeschnitten, nämlich die Frage ge- randgebiets und der Notstandsgebiete geschehen,
stellt, ob eine weitere Bevölkerungsmassierung in kommen nicht nur den hier ansässigen Vertriebe-
den Ballungsgebieten und ein weiterer Abzug ak- nen zugute, sondern sie dienen darüber hinaus
tiver Bevölkerung aus den weniger entwickelten auch dem großen Ziele, eine gesündere Raum-
Gebieten mit dem Grundgedanken der Raumord- struktur der Bundesrepublik zu erreichen. Ich er-
nung vereinbar sind. Wir haben in der Bundes- innere in diesem Zusammenhang an das 300-Mil-
republik leider keine Raumordnungsstelle, die lionen-DM-Schwerpunktprogramm vom Februar
dazu berufen wäre, die Konzeption für die deutsche 1950, an die Arbeitsplatzdarlehen des Lastenaus-
Raumordnung zu schaffen. Wir müssen aber bald gleichs, an die Sanierungsprogramme der Bundes-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2079
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
regierung, an die Bereitstellung von Mitteln für und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten.
das Zonenrandgebiet, an die Wirtschaftskredite Gemäß der durch das Grundgesetz gegebenen Zu-
und Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeits- ständigkeit ist dies eine Weisung des Gesetzgebers
vermittlung und Arbeitslosenversicherung und an- insbesondere an die zuständigen Länder. Die Bun-
dere Maßnahmen, die alle in erster Linie eine desregierung hat in einer Reihe von Besprechungen
strukturelle Verbesserung der weniger entwickel- mit den Landesflüchtlingsverwaltungen die zur
ten Gebiete bezwecken sollten und mit Hilfe deren Durchführung des Gesetzes notwendigen Maßnah-
beträchtliche Erfolge erzielt worden sind. men erörtert. Mit Rücksicht auf die Kulturhoheit
Zu Ziffer 6: Gesetzlich verankerte Leistungen der Länder werden keine Durchführungsbestim-
erhalten die im Sinne des Bundesvertriebenen- mungen erlassen, sondern es ist die Form gemein-
gesetzes anerkannten Sowjetzonenflüchtlinge be- sam erarbeiteter Richtlinien gewählt worden.
reits auf Grund des § 301 des Lastenausgleichs- Bund und Länder arbeiten zur Zeit bei einer
gesetzes. Zur Durchführung dieser Vorschrift hat ganzen Reihe von Maßnahmen zur Erhaltung des
die Bundesregierung die Rechtsverordnungen vom Kulturguts der Vertreibungsgebiete zusammen. Es
24. März und 21. August 1953 — 2. Leistungsdurch- sei erwähnt: die Erstellung von Gesamtkatalogen
führungsverordnung LAG — erlassen. Hiernach der Ostliteratur, der in westdeutschen öffentlichen
erhalten die Sowjetzonenflüchtlinge aus dem Härte- Sammlungen vorhandenen ostdeutschen Kunst-
fonds des Lastenausgleichs praktisch nach Art und werke und von Quellen über die Vertreibungs-
Höhe die gleichen sozialen Leistungen wie die Ver- gebiete aus westdeutschen Staats- und Privat-
triebenen und Kriegssachgeschädigten, nämlich Bei- archiven. Verschiedene kulturelle Zentralstellen,
hilfen zum Lebensunterhalt entsprechend der z. B. die Kommission für Volkskunde der Heimat-
Unterhaltshilfe nach dem LAG, Beihilfen zur Be- vertriebenen oder die Abteilung Heimatgedenk-
schaffung von Hausrat in Höhe der jeweils zur stätten beim Germanischen National-Museum in
Auszahlung gelangenden Hausratshilfe, Aufbau- Nürnberg, werden finanziell gefördert. Besonderes
darlehen entsprechend § 254 Absätze 1 und 3 LAG Interesse gilt einer angemessenen Berücksichtigung
— Darlehen zum Existenzaufbau und zum Woh- der Vertreibungsgebiete im gesamten Schul- und
nungsbau — sowie Beihilfen zur Berufsausbildung Hochschulwesen und in der Volksbildung.
entsprechend der Ausbildungshilfe des Lastenaus- Zum Abschluß meiner Antwort habe ich noch
gleichsgesetzes. Die Verzögerungen, die sich wegen etwas Grundsätzliches zu bemerken. Daß sich poli-
der technischen Schwierigkeiten der Ausstellung tische und optische Verantwortung einerseits, reale
der entsprechenden Ausweise ergeben hatten, sind Zuständigkeit und direkte Einwirkung auf die
inzwischen weitgehend überwunden worden. Exekutive andererseits gerade in meinem Ministe-
Schwierigkeiten hinsichtlich der Bereitstellung der rium nicht entsprechen, ist bekannt. Die Möglich-
Mittel für diese Maßnahmen bestehen jedenfalls keiten, Zuständigkeit und Weisungsbefugnis zu
für das laufende Rechnungsjahr nicht. verstärken, waren im Bund infolge des föderativen
Darüber hinaus hat die Bundesregierung Kriegs- Charakters des Grundgesetzes geringer als in den
folgenhilfemittel als Fürsorge sowie erhebliche Ländern. Dennoch ist kein Land, welche Partei
finanzielle Mittel zum Wohnungsbau für Sowjet- auch immer die Regierung führend bildete, einen
zonenflüchtlinge gegeben. Wie ich bereits in meiner anderen Weg gegangen.
Antwort zu Ziffer 1 erwähnte, sind den Ländern Die Sorge für die Vertriebenen, die Flüchtlinge
für die wohnungsmäßige Unterbringung der bis aus der Sowjetzone, die Kriegssachgeschädigten und
zum 31. März 1954 aufgenommenen Sowjetzonen- die Evakuierten hat in allen, die sich aus innerem
flüchtlinge aus dem Bundeshaushalt 350 Millio- Drang oder von Amts wegen mit der Materie zu
nen DM zur Verfügung gestellt worden, zu denen befassen hatten, immer eine tiefe, im Sachlichen
noch 63 Millionen DM FOA-Mittel treten. Auch in und Menschlichen fundamentierte Verbundenheit
diesem Haushaltsjahr werden weitere Mittel be- erzeugt, die eine parteipolitische Unterscheidung
reitgestellt werden. Ferner haben auch die Länder nicht aufkommen ließ. Ich danke in diesem Zusam-
aus eigenen Mitteln die Durchführung dieser Auf- menhang allen Leitern und Mitarbeitern der Ver-
gabe erheblich gefördert. -
triebenen- und Kriegsgeschädigten-Verwaltungen
Der Bundestag ist in seinem Beschluß schon da- der Länder, der Kreise und der Gemeinden und
von ausgegangen, daß die Sowjetzonenflüchtlinge ebenso allen Mitarbeitern aus den Vertriebenen-
im Lastenausgleich nicht berücksichtigt werden verbänden; denn wir hätten den heutigen Grad
konnten und daß die Verweisung der Flüchtlinge ohne die Selbsthilfe und die Mitarbeit dieser Ver-
auf den Härtefonds nur als Interimslösung gedacht bände nicht erreicht.
war. Die Bundesregierung prüft zur Zeit noch, (Beifall beim GB/BHE und bei Abgeord
inwieweit in Durchführung dieses Beschlusses über neten der Regierungsparteien.)
die vorgenannten Leistungen hinaus — insbe-
sondere für den Fall, daß die Mittel des Härtefonds Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
nicht ausreichen — noch zusätzlich gesetzgeberische ren, Sie haben die Beantwortung der Großen An-
oder sonstige Maßnahmen erforderlich werden, um frage gehört. Ich frage: wird eine Besprechung der
den bei den Sowjetzonenflüchtlingen auftretenden Großen Anfrage gewünscht?
Notständen abzuhelfen. Bei der Prüfung dieser (Ja-Rufe von der SPD.)
Frage haben sich jedoch schwerwiegende politische,
rechtliche und finanzielle Probleme ergeben. Die — Sie wird von den Fraktionen gewünscht; es sind
Bundesregierung hält es für zweckmäßig, diese also mehr als 50 Abgeordnete.
Problematik mit den zuständigen Bundestagsaus- Ich eröffne die Aussprache über die Große An-
schüssen zu erörtern. frage. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete
Dr. Rinke.
Zu Ziffer 7 der Großen Anfrage: § 96 des Bun-
desvertriebenengesetzes verpflichtet Bund und Dr. Rinke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Länder, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in Damen und Herren! Die einzelnen Punkte der Gro-
dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge ßen Anfrage der SPD sind vom Herrn Bundesver-
2080 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Rinke)
triebenenminister zum größten Teil hinreichend tember 1954 mit der Verabschiedung Zeit war.
beantwortet worden; aber wir sind doch noch an Aber in anderen Jahren sind die entsprechenden
einigen Punkten interessiert, bei denen eine Klä- Verordnungen meines Wissens viel früher heraus-
rung notwendig ist. gekommen, damit die Länder auch rechtzeitig
Da ist zunächst die Frage der Vertriebenen- planen konnten.
umsiedlung, die auch vom Herrn Minister als eine Und noch eine weitere Unstimmigkeit. Am
der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Aufgabe 9. April haben Sie, Herr Bundesminister, im Bun-
der Vertriebenenpolitik hingestellt wurde. Die Um- destag erklärt, die Restfinanzierung für die Um-
siedlung ist die Grundlage für eine planmäßige und siedlung in Höhe von 200 Millionen DM sei ge-
erfolgreiche Vertriebenenpolitik überhaupt. Ihr sichert; die Lander hätten jedoch erkennen lassen,
Zweck ist es, in sämtlichen Ländern der Bundes- daß sie das Geld seinerzeit gar nicht benötigten.
republik gleiche Verhältnisse zu schaffen, und zwar Diese Feststellung ist von den Ländern, z. B. von
sowohl hinsichtlich der Zahl der Vertriebenen als Baden-Württemberg, als unrichtig zurückgewiesen
auch hinsichtlich der einzelnen Kategorien. Nun worden. Die Regierung von Baden-Württemberg
klagen leider die Abgabelinder auch heute noch erklärte Ende Mai ausdrücklich, daß weder über
darüber, daß die Aufnahmeländer zwar liebend die Zahl der aufzunehmenden Umsiedler noch über
gern Facharbeiter und andere werktätige Personen, die Finanzierung des Programms Klarheit bestehe
möglichst ohne Familie, aufzunehmen bereit sind, und daß daher die Verplanung der Mittel erst im
aber leider nicht in dem gleichen Maß daran Sommer und Herbst 1954 werde vorgenommen
interessiert sind, auch die sozial Schwachen, die werden können. Vielleicht liegt hier der Haupt-
Rentner und die Empfänger der Unterhaltshilfe grund für die anomal starke Verzögerung.
aufzunehmen. Die Abgabeländer sind natürlich Herr Bundesminister, wir haben auch einige
daran interesisert, daß auch diese Kategorien ent- Bedenken gegen den derzeitigen, nach unserer An-
sprechend verteilt werden; denn sie möchten nicht sicht nicht mehr zeitgemäßen Verteilungsschlüssel
die Armenhäuser Westdeutschlands werden. bei der Umsiedlung. Ein Beispiel hierfür! Nach der
(Sehr richtig! rechts.) dem Bundesrat zur Zeit vorliegenden Umsiedlungs-
verordnung verteilt sich das Umsiedlungskontin-
Es wird weiter über vermeidbare Verzögerungen
gent auf die Abgabeländer wie folgt: Bayern 42 500
bei der Durchführung der Umsiedlung geklagt. Wir Personen, Niedersachsen 58 000 Personen, Schles-
alle wissen, daß es sich hier um ein unendlich wig-Holstein 64 500 Personen. Schleswig-Holstein
schwieriges Problem handelt, weil hiermit Neuland steht also an der Spitze, obwohl die amtliche Um-
beschritten wird. Wir sind uns darüber klar, daß siedlungsstatistik des zuständigen Ministeriums in
man hier immer mit Überraschungen rechnen muß, Schleswig-Holstein vom 16. August 1954 folgendes
und wir rind uns auch darüber klar, daß Fehler ausweist:
vorkommen; e w ire geradezu merkwürdig, wenn
auf diesen schwierigen Gebiet keine Fehler vor 1. Aus dem Umsiedlungsabschnitt 1951/52 hat
ämen. Schleswig-Holstein noch einen Auswahlrest von (
rund10Peso.
Das Umsiedlungsprogramm der Bundesregierung
sah bekanntlich bisher die Umsiedlung von 900 000 2. Aus dem Umsiedlungsabschnitt 1953 hat
Menschen vor. Ich begrüße es, wenn der Bundes- Schleswig-Holstein noch einen Auswahlrest von
minister heute wiederum unterstrichen hat, daß rund 14 000 Personen.
eine weitere Umsiedlung notwendig ist. Sie ist Schleswig-Holstein war also nicht in der Lage,
dringend notwendig, wenn wir wirklich die Grund- die ihm für die Umsiedlung 1951/52 und 1953 zur
lage für eine tatkräftige Vertriebenenpolitik legen Verfügung stehenden Umsiedlungsmöglichkeiten zu
wollen. Die Umsiedlung der 900 000 sollte nach erschöpfen.
dem, was offiziell verkündet war, zunächst his E nde (Zuruf des Abg. Dr. Gille.)
1954 vorgenommen werden. Erst kürzlich erfolgten
--k
Hinweise darauf, daß dieser verkündete Endtermin — Hören Sie mal zu, Herr Dr. Gille! Die Folge
leider nicht eingehalten werden könne, sondern davon war, daß in Baden-Württemberg unlängst
daß der Endtermin der Umsiedlung sich bis Ende Wohnungen für mindestens 2000 Umsiedler aus
1955 verschieben werde; und soeben hörten wir Schleswig-Holstein nicht belegt werden konnten,
vorn Herrn Minister, daß wir vielleicht sogar mit also leer gestanden hätten, wenn nicht Bayern ein-
dem Jahre 1956 werden rechnen müssen. Das ist gesprungen und die entsprechende Zahl von Um-
also eine Verzögerung um mindestens ein. Jahr. siedlern im Vorgriff auf die Umsiedlung 1954/55
zur Verfügung gestellt hätte.
(Abg. Dr. Kather: Es kommen ja immer
(Abg. Samwer: Völlig unwahrscheinlich!)
neue dazu!)
— Es kommen neue dazu, sehr wohl; aber in den Das Ministerium hat aus diesen klaren statistischen
früheren Jahren waren derartig nennenswerte Erkenntnissen bis jetzt noch nicht die entsprechen-
Verzögerungen nicht üblich, den Folgerungen gezogen. Es hat Schleswig-Hol-
stein wiederum mit der höchsten Umsiedlungs-
(Abg. dr. Kather: Ach, ach; genau das gleiche quote bedacht, statt das schleswig-holsteinische
und noch viel schlimmer!) Kontingent zugunsten des bayerischen und des
und ich würde schon den Herrn Minister bitten, niedersächsischen entsprechend zu kürzen. Ich
darüber Aufklärung zu geben, wieso diese anomal möchte das als Anregung für das neue Umsied-
große Verzögerung in der Umsiedlung möglich war. lungsprogramm weitergeben.
Die gesetzliche Regelung über die Umsiedlung von Nun noch ein Wort zu den Flüchtlingen aus der
Vertriebenen der zweiten Rate des dritten Um- sowjetischen Besatzungszone, die uns als Opfer des
siedlungsprogramms war doch bereits Ende 1953 Kalten Krieges ja besonders nahestehen. Es wird
abgeschlossen. Allerdings ist die Verordnung hierzu Ihnen bekannt sein, daß der Aufenthalt in den
erst im August 1954 im Kabinett verabschiedet Durchgangslagern im Durchschnitt immer noch
worden. Es ist mir bekannt, daß bis zum 1. Sep weit mehr als ein Jahr, sehr oft aber auch zwei
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(Dr. Rinke)
Jahre und mehr dauert. In dieser Zeit werden die bundeseinheitliche Regelung in Angriff genommen
Flüchtlinge größtenteils durch die sogenannte werden. Es kann weder den mit Ausländern stark
Kriegsfolgenhilfe erhalten, die zu 85 % vom Bund belegten Ländern, zu denen z. B. Bayern gehört,
getragen wird. Das sind viele Millionen, die der noch den Ausländern, die in der Regel ebenfalls
Bund hier ausgibt. Die Aufnahmegemeinden haben Opfer des Kalten Krieges sind, zugemutet werden,
es, vielleicht gerade wegen der Kriegsfolgenhilfe, auf einen freiwilligen Beschluß der Länder zu war-
in der Regel nicht sehr eilig, die ihnen zugeteilten ten. Da können sie lange warten! Eine Umsiedlung
Flüchtlinge rechtzeitig zu übernehmen. Diese der Ausländer zu Lasten der Vertriebenenquote,
stauen sich also in den Massendurchgangslagern der wie Sie, Herr Bundesminister, vorschlagen, ist
Hauptaufnahmeländer, werden gewöhnlich von meines Erachtens den Ländern nicht zuzumuten. In
einem Lager ins andere geschickt und landen Bayern warten noch 120 000 Vertriebene auf die
schließlich in den sogenannten Gastlagern, über Umsiedlung, und diese gehen unseres Erachtens
deren Qualität sehr negativ geurteilt wird. Eine vor.
arbeitsmäßige Unterbringung ist dort natürlich (Abg. Seiboth: Hat er nicht vorgeschlagen!)
nicht möglich. Die Stadt Ulm hat z. B. bei zur Zeit
50 000 Einwohnern rund 10 000 sowjetzonale Und noch ein Punkt, der in letzter Zeit eine be-
Flüchtlinge. Da auch die Ausstellung der C-Aus- greifliche Erregung hervorgerufen hat. Sie haben
weise, die die Voraussetzung für jede Hilfe sind, kürzlich die Zeitschrift „Der Flüchtlingsberater" er-
außerordentlich langsam vonstatten geht worben. Herr Bundesminister, es gibt doch eigent-
(Abg. Dr. Kather: Die wären ja überhaupt lich genügend ausgezeichnete Vertriebenenzeit-
überflüssig gewesen!) schriften, zum Teil sogar halboffiziellen Charakters
wie z. B. den „Vertriebenenanzeiger" in München.
und die Aufnahmegemeinden trotz aller Sonder-
bauprogramme und Barmittel gewöhnlich nicht (Abg. Dr. Kather: „Ost-West-Kurier"!)
genügend und auch nicht rechtzeitig Wohnraum Es besteht im Grunde also gar kein Bedürfnis, hier
zur Verfügung stellen, kann man sich ohne sonder- ein neues Organ zu schaffen.
liche Mühe ein Bild von der Stimmung unter den
(Abg. Dr. Kather: „Ost-West-Kurier"! —
sowjetzonalen Flüchtlingen machen. Abg. Dr. Gille: Ist doch kein neues Organ!)
Kann der Herr Minister darüber Auskunft geben,
Die Vertriebenenzeitschriften wurden unter schwie-
wie viele sowjetzonale Flüchtlinge in Teil- oder
rigen Verhältnissen geschaffen, das wissen wir alle.
Ganzwohnungen zur Zeit effektiv untergebracht
Sie befürchten jetzt eine schwere Schädigung, wenn
sind, nachdem immer wieder neue Sonderpro- nun ihr eigenes Ministerium, das Vertriebenen-
gramme für sie gestartet wurden? Wir hören und ministerium, mit ihnen in Konkurrenz tritt.
lesen immer, wie viele Flüchtlinge auf Grund der
zur Verfügung gestellten Gelder zumutbar hätten (Abg. Dr. Gille: Das ist doch ganz etwas
untergebracht werden sollen. Wir möchten aber anderes!)
einmal genau wissen, wie viele tatsächlich unter Der Vertriebenenminister hat mehr Mittel zur Ver-
gebracht worden sind und ob alle Gemeinden die fügung und kann daher einen derartigen Konkur-
zur Verfügung gestellten Mittel auch immer zweck- renzkampf mit diesen Flüchtlingsbetrieben führen.
entsprechend und rechtzeitig angewandt haben. Wenn es sich noch — und da komme ich auf das,
Ohne Ihrer Klarstellung, Herr Minister, vorzugrei- was Sie andeuteten, Herr Gille — um ein Blatt
fen, glaube ich jetzt schon sagen zu können, daß handelte, das ausschließlich offizielle Verlautbarun-
eine scharfe Kontrolle über die Zweckmäßigkeit gen bringt, dann könnte man darüber zur Tages-
der Mittelverwendung notwendig zu sein scheint. ordnung übergehen. Aber nach den eigenen An-
Wir kennen ja unsere Pappenheimer. gaben des Ministeriums handelt es sich um ein
(Abg. Dr. Gille: Besonders in Nordrhein- Blatt, das auch eine Propagandaaufgabe hat. Ich
Westfalen!) kenne kein Ministerium, das ein ähnliches Pro-
-
Wäre nicht auch zu erwägen, die Zuweisung der pagandaorgan hätte. Wollen wir denn hier einen
Kriegsfolgenhilfe an die empfangenden Behörden Präzedenzfall schaffen?
für jene Familien zu sperren, die innerhalb von (Abg. Dr. Gille: Kennen Sie die Zeitschrift
10 bis 12 Monaten nicht aus dem Durchgangslager denn?)
in die endgültigen Aufnahmekreise gebracht wur- Außerdem besteht doch in der Bundesrepublik eine
den? Eine leichte Pression kann manchmal sehr unverkennbare Tendenz zur Reprivatisierung. Das
heilsame Wirkungen haben. Bundesministerium für Vertriebene will ausgerech-
Zusammenfassend darf ich feststellen: Kürzerer net hier den umgekehrten Weg einschlagen. Ich bin
Lageraufenthalt und schnelle Ausstellung der nur neugierig, was der Bundesminister Erhard
C-Ausweise sind die vordringlichsten Aufgaben auf dazu zu sagen hat;
dem Gebiet der Betreuung der Sowjetzonenflücht- (Zuruf vom GB/BHE: Fragen Sie mal Herrn
linge. Wenn die Menschen erst im zuständigen Auf- Schäffer!)
nahmekreis sind und in Arbeit kommen, wenn sie
dann durch die C-Ausweise die Möglichkeit haben, aber das müssen Sie selbst mit ihm auspauken,
den zur Zeit nicht voll ausgenutzten Härtefonds in Herr Dr. Oberländer. Es wäre zweckmäßig, wenn
Anspruch zu nehmen, dann können wir uns in aller sich dieses Organ des Vertriebenenministeriums —
Ruhe über weitere Maßnahmen unterhalten. und ich hoffe, daß Sie uns darüber heute noch eine
Erklärung geben werden - darauf beschränkte,
Und nun, Herr Bundesminister, noch ein kurzes offizielle Verlautbarungen zu bringen, und jede
Wort zum Ausländerausgleich. Sie haben unsere Propagandaaufgabe beiseite ließe.
Kleine Anfrage ausführlich, aber leider Gottes auch
sehr pessimistisch beantwortet. Nachdem sich her- Abschließend noch ein Hinweis, an dem wir wohl
ausgestellt hat, daß — was nicht bestritten werden alle in diesem Hause stärkstens interessiert sein
kann — die bisherige Ländervereinbarung praktisch werden. Herr Dr. Lukaschek hat mit Recht immer
gescheitert ist, sollte beschleunigt eine verbindliche wieder auf die Notwendigkeit der Internationalisie-
2082 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Rinke)
rung des Vertriebenen und Flüchtlingsproblems
- ministeriums muß ich gestehen, daß ich bis heute
hingewiesen. von diesem Plan nur aus einem Flugblatt der BHE-
(Abg. Samwer: Nicht nur er!) Fraktion dieses Hauses Kenntnis hatte — sicher-
lich eine sehr zuverlässige Quelle -,
Denn mit deutschen Mitteln allein ist dieses
(Heiterkeit)
schwierigste aller Probleme, das wissen wir alle,
nicht restlos zu lösen. welches unter dem Titel verbreitet wurde: „Der
(Abg. Dr. Kather: Kennen Sie nicht die Zweij ahresplan, den Bundesvertriebenenminister
Professor Dr. Oberländer dem Kabinett vorlegte".
Äußerung von Herrn Gerstenmaier?)
Bei diesem Stand des Wissens hat man uns bisher
Hier werden immer nur behelfsmäßige Lösungen gelassen. Man hat heute wohl mitgeteilt, der Plan
möglich sein. Das Vertriebenenproblem darf jedoch sei kürzlich den Fraktionen zugeleitet worden.
nicht überbrückt, es muß überwunden werden. Aber der Weg zwischen dem Bundesvertriebenen-
Seine Überwindung ist aber nur dadurch möglich, ministerium und den einzelnen Fraktionen scheint
daß es endlich auf internationaler Ebene ange- ziemlich schwierig gewesen zu sein; denn dem Kol-
packt wird. Dazu genügen nicht einige Spenden, so legen Reitzner, dem stellvertretenden Vorsitzenden
dankenswert diese Spenden auch sind. Hier muß des Vertriebenenausschusses des Bundestags,
mehr und umfassender geholfen werden. Schließ- wurde am 14. September die Zusendung von
lich ist dieses Problem aus internationalen Ver- 20 Exemplaren versprochen, und sie sind genau
pflichtungen heraus entstanden und muß daher heute während der Sitzung eingetroffen,
auch wieder auf internationalem Wege gelöst wer- (Abg. Welke: Eigenartig!)
den. Wer damals in Jalta und Potsdam A gesagt
hat, der muß heute B sagen und darf sich nicht um aber mit der Aufschrift: „Für die Presse". Nun,
das herumdrücken, was aus seinen Entschlüssen meine Damen und Herren, ich hoffe, mich keines
entstanden ist. Wir haben, Herr Bundesminister, Geheimnisverrats mehr schuldig zu machen, wenn
den Eindruck, als ob die Bestrebungen zur Inter- ich von diesen Unterlagen für die Presse auch in
nationalisierung des Vertriebenenproblems in letz- dieser Aussprache Gebrauch mache.
ter Zeit etwas zum Stillstand gekommen seien. Ich Zar Sache selbst! Weithin im Lande ist der Ein-
meine, die Tagungen in Rom und Istanbul sind druck verbreitet, daß die innenpolitischen Sorgen
zweifellos sehr nützlich und sehr wertvoll; aber das und Anliegen der Bevölkerung auf der Bundes-
sind nicht die Kräfte, denen wir das Vertriebenen- ebene allzu stark in den Hintergrund gedrängt
problem nahebringen müssen. Es sind ganz andere worden sind. Das gilt insbesondere von den Fragen
Kräfte, an die man herantreten mull. Wir möchten der Vertriebenenpolitik und von der Behandlung
daher Ihnen, Herr Minister, dringend nahelegen, der sozialen Kriegsschäden schlechthin. Vor nicht
die wirklich verantwortlichen Stellen des Auslan- allzu langer Zeit hat der Vorsitzende der BHE-
des stärker als bisher auf diese zwingende Ver- Fraktion dieses Hauses, Kollege Haasler, öffentlich
pflichtung hinzuweisen und dabei vor allem auf darüber Klage geführt, daß die seiner Fraktion bei
den großen Strom der Sowjetzonenflüchtlinge, der der Regierungsbildung gegebenen Zusagen zum (
nicht abreißt, aufmerksam zu machen, auf diese großenTilbshctgaenwurd.E
unschuldigen Opfer des Kalten Krieges, eines Krie- hat dann auf besondere Anliegen seiner Partei ver-
ges, der nicht von uns erfunden wurde. Sie werden wiesen und wörtlich erklärt — ich darf zitieren,
— davon bin ich felsenfest überzeugt — mit dieser Herr Präsident —.
Forderung das ganze Haus hinter sich haben.
Wenn das in absehbarer Zeit nicht durchzu-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Welke: setzen ist und wenn sich erweist, daß unsere
Die Botschaft hör` ich wohl!) Bestrebungen auf baldige Besserstellung der
Vertriebenen und Kriegsgeschädigten sich
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- nicht verwirklichen lassen, muß die Fraktion
ren! Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich fol- die Frage (ihrer Mitarbeit in der Koalition
gende Frage stellen. Mir wird mitgeteilt, daß eine überprüfen.
interfraktionelle Vereinbarung zustande gekom- (Abg. Welke: Was wird aus dem
men sei, wonach die Punkte 6 a, 6 b und 7 b, also BHE-Minister?)
alles, was sich auf die Frage der Kriegsopferver-
sorgung bezieht, heute abgesetzt werden sollen, Meine Damen und Herren, diese schwerwiegende
um mit dem entsprechenden Punkt am 15. Oktober Erklärung des Vorsitzenden der BHE Fraktion
-

verbunden zu werden. Ist das die gemeinsame wurde Mitte August abgegeben. Man kann wohl
Überzeugung des Hauses? bezweifeln, ob gerade während der Parlaments-
ferien Wesentliches zur Besserstellung der Ver-
(Zustimmung.) triebenen und Kriegssachgeschädigten geschehen
— Das scheint der Fall zu sein. Dann setzen wir konnte. Deshalb steht das negative Zeugnis seiner
also die Punkte 6 a, 6 b und 7 b heute ab. Ich bitte, eigenen Fraktion gegen manches, was der Herr
freundlichst davon Kenntnis zu nehmen. Bundesvertriebenenminister heute in Beantwor-
tung unserer Großen Anfrage ausgeführt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaksch.
Weitaus schärfere Klage haben wir aus den
Jaksch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Reihen der CDU-Fraktion vernommen, besonders
und Herren! Ich darf zunächst als ein positives Er- aus dem Munde eines abschiednehmenden Mitglie-
gebnis der Großen Anfrage der sozialdemokrati- des dieser Fraktion. Ich möchte aber dem, was
schen Bundestagsfraktion die Tatsache buchen, daß Kollege Kather vielleicht heute hier zu wieder-
der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge holen hat, nicht vorgreifen. Es müßte nicht mit
und Kriegsgeschädigte dem Hohen Hause zum rechten Dingen zugehen, wenn in der heutigen
erstenmal den Wortlaut seines Zweijahresplanes Aussprache die Wiedergabe kritischer Meinungen
unterbreitet hat. Bisher lag über diesem Plan ein nur der Opposition vorbehalten bliebe und wir
gewisses Zwielicht, und als sehr beflissener Leser von den Bänken der Koalitionsparteien nur Stim-
aller Verlautbarungen des Bundesvertriebenen- men der Selbstzufriedenheit hörten. Auf alle Fälle
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2083
(Jaksch)
liegen hinreichende Gründe dafür vor, die heuti- Verhältnis dürfte sich in der Zwischenzeit nicht
gen Ausführungen des Herrn Bundesministers für wesentlich verändert haben. Rechnet man die Ar-
Vertriebene kritisch zu überprüfen und sie mit der beitslosen und die Sozialrentner hinzu, so wird
Lage und mit der Stimmung im Lande draußen offenbar, daß die Heimatvertriebenen zu 90 v. H.
zu konfrontieren. den unteren sozialen Schichten angehören, deren
Lassen Sie mich zuvor aber einige Worte zu den Lohn- und Renteneinkommen jedoch mit der zu-
allgemeinen Voraussetzungen jeder verstärkten sätzlichen Bürde eines umfangreichen Nachhol-
und effektiven Hilfeleistung für die großen Ge- bedarfs belastet ist.
schädigtengruppen der Bundesrepublik sagen. Ich Ich will die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses
habe den Eindruck — und dieser Eindruck ist nicht mit einer Analyse der sozialen Schichtung
heute nicht beseitigt worden —, daß wir uns mitten anderer Geschädigtengruppen, etwa der Sowjet-
in einer psychologischen Eingliederungskrise be- zonenflüchtlinge oder der Evakuierten, in Anspruch
finden, die noch durch eine Solidaritätskrise inner- nehmen. Hier geht es in erster Linie um den Nach-
halb der Geschädigten selbst verschärft wird. weis, daß ein besseres Verständnis der verschiede-
(Zustimmung beim GB/BHE.) nen Geschädigtengruppen untereinander notwendig
ist, wenn wir zu einer klaren - Sicht über die Auf-
Die laute Verkündung des deutschen Wirtschafts- gaben des Bundesvertriebenenministeriums und
wunders hat nicht nur im Ausland das Verständ- der Bundesregierung auf diesen Gebieten kommen
nis für die Not der deutschen Vertriebenen gemin- wollen. Es war vielleicht eine begrüßenswerte Ver-
dert, sie hat auch im Inland vielfach das Bewußtsein einfachung, daß das Bundesvertriebenenministe-
von der Labilität unserer Sozialstruktur einge- rium im April dieses Jahres auch die Betreuung
schläfert, wenn nicht erlöschen lassen. der Kriegssachgeschädigten und Evakuierten über-
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.) nommen hat. Nun wird es aber höchste Zeit, daß
die Hilfsmaßnahmen für die einzelnen Geschä-
Ein großer Teil der Öffentlichkeit ist in Gefahr, digtengruppen in der Sache und auch in der Optik
einer trügerischen Optik zu erliegen, welche nur aufeinander abgestimmt werden. Der Herr Bundes-
die Vordergrunderscheinung des sogenannten „Er- vertriebenenminister hat im Rahmen seiner Haus-
folgsflüchtlings" sieht, nicht aber das graue Ba- haltsmittel immerhin einen Betrag von 500 000 DM
rackenelend, das noch in hundertfacher Verviel- für die Herstellung und Verbreitung von Informa-
fältigung zwischen Flensburg und Passau existiert tionsmaterial zur Verfügung. Davon könnte auch
und das es unserem sozialen Gewissen nicht ge- einige nützliche Aufklärung über den Anteil der
statten sollte, sich mit dem Opium der Selbstge- Kriegssachgeschädigten am Lastenausgleich und an
fälligkeit zu betäuben. sonstigen Eingliederungsmaßnahmen der Bundes-
(Zustimmung bei der SPD und beim regierung und der Länderregierungen bestritten
GB/BHE.) werden. Soweit mir die Zahlen bekannt sind, könn-
ten sie das Licht der Öffentlichkeit vertragen. Wir
Es kommt sehr viel auf den Geist dieses Hauses
kämen damit auch zu einem besseren Verständnis
an und auf seine Bereitschaft, hinter einer falschen
der sozialen Aufgabenstellung in Bund und
Optik der sozialen Tatsachenwelt wieder den not- Ländern.
leidenden und hilfsbedürftigen Menschen zu ent-
decken. Wenn man die Zahlenkolonnen der diver- (Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt
sen Regierungsprogramme vor Augen hat und auch den Vorsitz )
die Zahlenreihen, die uns heute hier vorgetragen
wurden, dann müßte man geradezu zu dem trü- Aus ähnlichen Erwägungen, wie auch mein Kol-
gerischen Schluß kommen, daß in den letzten Jah- lege Heide bereits ausführte, hat die sozialdemo-
ren ein Millionenregen auf die Heimatvertriebenen kratische Bundestagsfraktion bei ihrer Großen
und Fliegergeschädigten und neuerdings auch auf Anfrage das Problem der Rückführung der Eva-
die Evakuierten, wie ich zu meiner Überraschung kuierten in den Vordergrund gestellt. Das Eva-
gehört habe, niedergegangen sei. kuiertenproblem liegt wohl nach der zahlenmäßigen
Dazu möchte ich mir eine Feststellung gestatten, Größenordnung nicht an der Spitze der Geschädig-
die für die heutige Aussprache vielleicht von fun- tenprobleme, aber seine soziale und seine morali-
damentaler Bedeutung ist. Für 75 % aller Geschä- sche Dringlichkeit sind nicht zu bestreiten. Man
digten war bisher die Hausrathilfe die einzige muß sich vorstellen, wie es auf die rückkehr-
Hilfe, die sie aus dem Lastenausgleich erhalten willigen Evakuierten wirkt, wenn in ihren Heimat-
haben, sie haben als Verheiratete die erste Rate städten ganze neue Stadtviertel für Umsiedler und
der Hausrathilfe in der durchschnittlichen Höhe Sowjetzonenflüchtlinge entstehen, während sie
von 450 DM bezogen. Die bescheidene Einrichtung selber nach 10 Jahren immer noch auf den Tag
einer Kleinwohnung kostet jedoch nach den Be- ihrer Rückkehr warten müssen.
rechnungen des „Aufbauwerks für Heimatvertrie- (Beifall bei der SPD.)
bene" in Wiesbaden mindestens 2400 DM, nach den
Schätzungen eines großen sozialen Bauunterneh- Gerade die Heimatvertriebenen müssen und wer-
mens, der GEWOBAG, sogar 3500 DM. In der weit- den auch sicher für das Heimweh der Evakuierten
aus überwiegenden Zahl der Fälle ist also von den volles menschliches Verständnis haben.
Kleinstschäden bisher bestenfalls nur ein Fünftel Was wir heute über die Maßnahmen der Bundes-
abgegolten worden, von den Verlusten an Kleidung regierung zur Durchführung des Bundesevakuier-
und Wäsche gar nicht zu reden. tengesetzes gehört haben, eilt wohl den Tatsachen
Noch einen Tatbestand lassen Sie mich voran- weit voraus. Ich habe mich wieder an diese ge-
stellen, der den sozialen Hintergrund dieser De- fährliche Vision von dem Millionenregen erinnert,
batte beleuchtet. Nach der letzten Berufszählung als wir da eine Aufzählung hörten, aus der hervor-
vom September 1950 waren von den erwerbstäti- ging, daß nicht weniger als 250 Millionen DM für
gen Heimatvertriebenen nicht weniger als 73 % die Rückführung der Evakuierten zur Verfügung
Lohnarbeiter, etwas über 14 % Angestellte. Dieses stehen. Allerdings wurden in diese Aufzählung
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(Jaksch)
auch Beträge einbegriffen, die erst in Aussicht ge- Gewiß, ohne den Rechenstift des Herrn Bundes
stellt sind. Hierzu darf ich mir die Bemerkung er- finanzministers — ich möchte sagen: ohne den
lauben, daß uns hier nur die Beträge interessieren, scharf gespitzten Rechenstift des Herrn Bundes-
die vorn Herrn Bundesminister der Finanzen be- finanzministers — sind solche Dinge nicht zu
reits freigegeben worden sind machen. Vom Standpunkt unserer sozialen Verant-
(Sehr richtig! bei der SPD) wortung aus ist es aber nicht entscheidend, wie das
Lager heißt, in dem wertvolles Menschengut an
und über die die Länder faktisch verfügen können. Leib und Leben dahinsiecht, sondern von diesem
Denn über gute Absichten ist schon zuviel geredet Standpunkt aus müssen diese feinen Unterschei-
worden, wir haben auf diesem Gebiet nichts mehr dungen der Lagererhaltung und der Lagerverwal-
nachzuholen. tung einmal zu Fall gebracht werden. Bund, Länder
Wie sich das auf dem Boden eines Bundeslandes und Gemeinden müssen sich nach unserer Auffas-
abspielt, kann ich kurz an dem Beispiel Hessens sung verabreden und einen gemeinsamen Großan-
illustrieren. Aus den 110 Millionen DM, die für die griff gegen die Barackenschande führen. Sie müs-
Rückführung der Evakuierten innerhalb der Bun- sen versuchen, mit ihr im Verlaufe einiger Jahre
desumsiedlung, also von den Abgabeländern in die Schluß zu machen.
Aufnahmeländer, in Aussicht genommen sind, wer- Wir in Hessen haben dazu einen kleinen Anfang
den wir in Hessen zunächst genau 500 evakuierte mit dem Programm der „Schandfleckbereinigung"
Familien aus Bayern zurückführen können. Unser gemacht.
Problem sind aber die 8000 Familien im Raume von (Abg. Samwer: Sehr gut!)
Kassel, die nach Kassel zurück wollen. Das ist der
Schwerpunkt unseres Evakuiertenproblems! Man Zur Ermutigung der zuständigen Bundesminister
könnte heute bei den Wohnungsämtern der ausge- möchte ich sagen, daß dieses hessische Programm
bombten Städte ohne viel Umfragen feststellen — der „Schandfleckbereinigung" außerordentlich gut
das trifft wohl nicht nur für Kassel zu, sondern eingeschlagen und auch einen begrüßenswerten
auch für Köln, Hamburg und Hannover —, nach Eifer der Selbstverwaltung zur Mitarbeit ausgelöst
welchen Dringlichkeitsstufen die Tausende und hat. Als Hauptergebnis dieses Programms möchte
aber Tausende von Familien zurückzuführen sind, ich aber in diesem Zusammenhang buchen, daß man
die sich seit Jahren um eine Wohnung in ihrer alten in den Gemeinden draußen Notunterkünfte aller
Heimatstadt bewerben. Art wieder als Schandflecke empfindet und ge-
meinsam mit dem Land um ihre Beseitigung be-
Auf alle Fälle darf ich hier dem Herrn Bundes- müht ist.
vertriebenenminister die Bitte unterbreiten, daß
das, was für die Rückführung der Evakuierten be- Es ist jedoch eines der betrüblichsten Ergebnisse
reits getan wurde und was noch hinzugeplant ist, des Fehlens einer umfassenden Sozialplanung in
in übersichtlicher und gemeinverständlicher Form der Bundesrepublik, daß wir Geld für die Errich-
veröffentlicht und den Evakuierten zur Verfügung tung neuer Barackenlager ausgeben, während um
gestellt wird. Das ist für die laufende Anmeldung die Räumung alter Lager gerungen wird.
zur Rückführung von allergrößter Bedeutung, weil Ich will hier nicht den ganzen häßlichen Streit
es doch für die Evakuierten ein Stück Lebensplanung um die Finanzierung des Wohnungsbaus für So-
ist, ob sie in zwei, drei oder fünf Jahren ihre wjetzonenflüchtlinge rekapitulieren, der sich seit
Heimatstadt wiedersehen. Februar 1952 zwischen Bund und Ländern abspielt.
Eine zweite Frage, die ich hier noch anschneiden Bei jener ersten Beratung im Palais Schaumburg
wollte und in der uns die Ausführungen des Herrn zwischen den Mitgliedern der Bundesregierung und
Bundesvertriebenenministers heute nicht ganz be- den Ministerpräsidenten der Länder hatten wohl
friedigt haben, ist das lange Feilschen um das alle Teilnehmer den Eindruck, daß der Bund
Tempo und den Umfang des Lagerräumungspro- 1500 DM an Wohnungsbaumitteln für jeden Flücht-
gramms. Diese Frage ist geradezu der Prüfstein für ling beisteuert, der dem betreffenden Land aus Not-
die soziale und menschliche Gesinnung aller - Be- aufnahmelagern zugewiesen wird.
teiligten. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich die Sache
(Abg. Dr. Kather: Sehr gut!) später anders überlegt. Aber nicht er allein, son-
Ob es nun 185 000 oder 300 000 Menschen sind, die dern die ganze Bundesregierung ist dafür verant-
noch im Jahre 1954 das „deutsche Wirtschaftswun wortlich zu machen, daß die Länder in dem Zeit-
der" durch Barackenfenster bewundern müssen, — raum vom 1. Februar 1953 bis zum 31. März dieses
Jahres für insgesamt 150 000 eingewiesene Zuwan-
(Sehr gut! beim GB/BHE)
derer aus der Sowjetzone die vom Bund zugesagten
diese Tatsache allein sollte keinen von uns schlafen Wohnungsbaumittel noch nicht bekommen haben.
lassen, der sich wieder normaler Lebensbedingun- (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf vom
gen erfreut. GB/BHE: Da sollte Herr Schäffer zuhören!)
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE,) Was ist die Folge? Herr Staatssekretär Dr. Nahm
Nach einer mir vorliegenden Aufstellung wurden hat im Bulletin der Bundesregierung vom 21. August
im April dieses Jahres in der Bundesrepublik noch dieses Jahres mitgeteilt, daß von 424 000 Sowjet-
immer 1640 Lager gezählt. In dieser Zahl sind aber zonenflüchtlingen, die in den letzten eineinhalb
nur die sogenannten Kriegsfolgenhilfelager inbe- Jahren aufgenommen wurden, nicht weniger als
griffen, zu deren Erhaltung der Bund 85 % des 40 % noch in Baracken leben. Das geht nicht zuletzt
Aufwands beisteuert. Das sind aber nicht alle auf diese Finanzierungslücke zurück. Das geht auf
Lager, die wir zu räumen haben! Dazu kommen die Tatsache zurück, daß einer die Last auf den an-
noch Landeslager, Kreislager und die Notunter- deren abschieben will. Wo landet dann das Pro-
künfte vieler Gemeinden. Darum geht nun der blem? Es landet auf dem Buckel des kleinen Bür-
Streit, auf wessen Kosten jene Lager geräumt wer- germeisters oder Gemeindeangestellten, bei dem
den sollen, deren Beseitigung keine Ersparnis an sich der eingewiesene Flüchtling zu melden hat.
Kriegsfolgelasten für den Bund bedeutet. (Sehr gut! bei der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2085
(Jaksch)
Der Bürgermeister oder der kleine Angestellte des bringlich dahinschwinden, denn die Zeit für jede
Wohnungsamtes können keine großen Betrachtun- soziale Hilfeleistung ist durch die Widerstandskraft
gen darüber anstellen, ob ein A-Flüchtling, ein B- des Menschen begrenzt.
Flüchtling oder ein C-Flüchtling oder das Tausend-
stel einer Quote vor ihnen steht. Vor ihnen steht Die noch immer weit über dem Durchschnitt lie-
der entwurzelte hilfesuchende Mensch, dem sie im gende Zahl von Arbeitslosen unter den Heimat-
Zeichen unserer gesamtdeutschen Verpflichtung zu vertriebenen erinnert uns daran, daß es unter die-
helfen haben. sen 8 Millionen Menschen ein viel formidableres
hard-core-Problem gibt, als es seinerzeit bei den
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.) heimatlosen Ausländern übriggeblieben ist. An die
Ich kann hier nicht auf das Problem der Begren- Lösung dieses Problems des „harten Kerns" der
zung der Notaufnahme, des Sogs oder der Abwehr noch nicht Eingegliederten müssen wir uns heran-
näher eingehen. Es wurde schon so oft auf der Ver- wagen. Es gehören dazu die Arbeitslosen, die am
waltungsebene erörtert und würde auch in diesem falschen Standort abgeladen wurden und nie mehr
Bundestag mehr Aufmerksamkeit verdienen. Diese aus eigener Kraft den Weg in den Wirtschafts-
Erörterungen können aber nicht darüber hinweg- prozeß finden, weiter die Halbfamilien, die allein-
täuschen, daß wir den Menschen unsere Hilfe nicht stehenden Frauen, die bisher in kein Umsiedlungs-
versagen dürfen, die das Leben unter der Sowjet programm gepaßt haben, ferner die Kriegerwitwen,
diktatur unerträglich finden. die mit ihren Kindern allein stehen. Es gehören
auch alle jene dazu, die das Pech hatten, bei der
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.) Austreibung schon über 45 Jahre alt zu sein und
Die Länderflüchtlingsverwaltungen, die hier in neu beginnen zu müssen, an denen nach den Be-
Mitleidenschaft gezogen sind, wissen heute nicht griffen der freien Wirtschaft bei Einstellungen
mehr, was sie von den Zusagen der Bundesregie- leider kein Bedarf ist.
rung in diesen Fragen zu halten haben. Es ist sehr
(Abg. Samwer: Sehr bedauerlich! Muß
an der Zeit, daß bei der nächsten Zusammenkunft
geändert werden!)
im Palais Schaumburg über die Gesamtfinanzierung
der Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge Meine Damen und Herren, dieses hard-core-
Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern ge- Problem der noch nicht eingegliederten Heimat-
troffen werden, die dann aber auch von beiden vertriebenen müssen wir anpacken. Man müßte sich
Seiten eingehalten werden müssen. Ich gebe zu - dabei auch der angelsächsischen Methode des case-
das ist allgemein bekannt und wird in dieser De- work bedienen, der individuellen Behandlung des
batte sicher noch weiter zur Sprache kommen —, Einzelfalles, für welche leider unser Verwaltungs-
daß einzelne Länder mit dem Wohnungsbau für apparat sehr wenig geeignet ist.
Sowjetzonenflüchtlinge und Umsiedler in Verzug (Sehr richtig! in der Mitte.)
sind. Es ist wahr: Bund, Länder und Selbstverwal-
tung sind bei den diversen Bauprogrammen aus Man liebt vielmehr die generalisierende Weisung,
dem Gleichschritt gekommen und können die Dinge und man liebt allzusehr den blanken Schreibtisch
nicht mehr übersehen. Der Leidtragende dabei ist gegenüber der Mühe, die es manchmal kostet, eine
der Mann, der auf die Unterbringung gewartet hat einzige Familie aus einem Bunker herauszuholen.
und seine Wohnung bloß auf dem Papier vorfindet. (Beifall bei der SPD.)
Dieser Zustand des Auseinanderfallens der Maß-
nahmen von Bund und Ländern, der Nichtplanung Neben der Bundesumsiedlung müßte daher auch
und Nichtkoordinierung sollte in geduldiger Klein- die Landesumsiedlung in jedem einzelnen Land
arbeit überwunden werden. Wir hoffen, daß die gefördert werden. Ich plädiere darüber hinaus für
heutige Debatte dazu beiträgt, daß man die Län- die engste Zusammenarbeit zwischen Landesaus-
derflüchtlingsverwaltungen in Zukunft nicht zum gleichsämtern, Landesflüchtlingsverwaltungen und
Prügelknaben für ungelöste Probleme macht, für Wohlfahrtsverbänden. Wir wären glücklich, wenn
Probleme, die wir auf Bundesebene zu lösen diese Zusammenarbeit auch im vollen Maße auf
- haben, die Selbstverwaltung ausgedehnt werden könnte.
deren Lösung wir nicht an kleine Beamte delegie-
ren können, die sich nicht zu helfen wissen. Ich habe seinerzeit bei der Behandlung dieser
Meine Damen und Herren, das sind einige der Dinge auf der hessischen Landesebene die Erfah-
Gründe dafür, daß sich die sozialdemokratische rung gemacht, daß aus dem guten Willen unserer
Fraktion dieses Hauses in ihrer Großen Anfrage Menschen ungeheuer viel herauszuholen ist, wenn
die Forderung nach einem Vollzugsprogramm der man ihnen erreichbare Ziele vor Augen stellt und
wirtschaftlichen Eingliederung und der sozialen wenn man den Appell des lebendigen Menschen an
Befriedung der grollen Geschädigtengruppen der sie heranführt. Es gilt bei der Behandlung dieser
Nachkriegszeit zu eigen gemacht hat. Der Begriff Restprobleme, die auf der Strecke gebliebenen
„Vollzugsprogramm" ist übrigens nicht eine Erfin- Menschen in den Mittelpunkt unserer Sorge zu
dung marxistischer Planungswut, wie vielleicht auf stellen, aber nicht nur mit Lippenbekenntnissen,
manchen Seiten dieses Hauses angenommen wer- sondern mit der helfenden Tat.
den könnte. Er taucht in einer Denkschrift der In diesem Zusammenhang hätte ich die Bitte an
heimatvertriebenen Wirtschaft auf, die nach einem die Bundesregierung vorzutragen, man möge uns
solchen Vollzugsprogramm ruft und dafür sicher- doch hier im Bundestag endlich einmal Bescheid
lich ihre guten Gründe hat. geben, was aus der „Konrad-Adenauer-Stiftung"
Wir können nicht fortfahren, ein ungelöstes So- geworden ist.
zialproblem auf das andere zu stülpen, weil wir (Sehr richtig! bei der SPD.)
sonst im öffentlichen Bewußtsein und in der Regie-
rungsarbeit jede Übersicht verlieren. Wir fürchten, Wir lasen seinerzeit eine Mitteilung - ich darf
zitieren, Herr Präsident —:
daß mit der bisherigen Methode des Nichtplanens
die Voraussetzungen für eine zielbewußte Rest- Eine „Konrad-Adenauer--Stiftung" für Flücht
eingliederung der Heimatvertriebenen unwieder linge und Vertriebene hat die Verwaltung der
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Kreditanstalt für Wiederaufbau mit einer Zum Thema der Planung gestatte ich mir fest-
Spende in der Höhe von 100 000 DM ins Leben zustellen, daß es wünschbar wäre, wenn wir über
gerufen. Aus dieser Stiftung sollen in erster diesen - erlauben Sie, Herr Bundesvertriebenen
Linie Wohnungen und Arbeitsplätze für die minister, ihn so zu charakterisieren — Wunsch-
Vertriebenen geschaffen werden . . . zettel eines Ressortministers hinauskämen z n. einer
Mir kam diese Zielsetzung im Hinblick auf den verbindlichen Planung der gesamten Bundesregie-
zur Verfügung stehenden Grundbetrag von Anfang rung.
an schon etwas zu hoch gespannt vor. Wir haben (Sehr gut! bei der SPD.)
aber seither nichts davon erfahren können, ob diese Es ist notwendig, daß wir gewisse langfristigere
100 000 DM angewachsen sind oder ob sie sich ver- Zielsetzungen auf diesem Gebiet im Lande be-
mindert haben. Selbst dann, wenn hier propa- kanntgeben. Ich will hier auf den ganzen Streit
gandafreudige Kreise mit dem Namen des Herrn über die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs
Bundeskanzlers Mißbrauch getrieben haben sollten, nicht im einzelnen eingehen; aber man darf doch
wären wir für eine Aufklärung dankbar, ob die der Sonne-Kommission, die aus einem amerikani-
„Konrad-Adenauer-Stiftung" ihre Tätigkeit für die schen business-man und anerkannten deutschen
Vertriebenen und Flüchtlinge endlich aufnehmen Fachleuten bestanden hat, heute nicht nachsagen,
will oder ob sie ihre bisherige Scheinexistenz ein- daß es Illusionisten oder Dilettanten gewesen seien,
zustellen gedenkt. die den Sonne-Plan dem Herrn Bundeskanzler in
All die Aufgaben, die hier zur Debatte stehen, die Hand gedrückt haben. Dieser Sonne Plan sah
-

sind nur dann erfolgreich anzupacken, wenn sie ein auf sechs Jahre angelegtes großzügiges Ein-
unter einer Zielvorstellung stehen, welche die ge- gliederungsprogramm mit einer tief gestaffelten
samte Bundesregierung verpflichtet. Hier gestatte Gesamtfinanzierung vor. Ich fürchte, meine Damen
ich mir, einige Worte zu dem Zweijahresplan des und Herren, daß die großen Gesichtspunkte des
Herrn Bundesvertriebenenministers zu sagen. Wir Sonne-Plans inzwischen verlorengegangen sind,
haben heute gehört, daß die gesamte Bundesregie-
rung zugestimmt habe. Eine offizielle Verlautba- (Zustimmung bei der SPD)
rung darüber haben wir bisher nicht empfangen. und ich fürchte, daß wir im Begriff sind — zumin-
Vielleicht könnte sie noch nachgetragen werden; dest auf den Regierungsbänken —, auch den sozia-
denn es läge sogar im Interesse des Herrn Bundes- len Optimismus eines amerikanischen Bankfach-
vertriebenenministers selbst, daß auch seine Kolle- mannes zu verlieren, den er uns in der Bundes-
gen in den verschiedenen anderen Ressorts in aller republik gezeigt hat.
Form auf dieses Programm verpflichtet würden.
Diese Dinge müssen ausgetragen werden, weil
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.) wir ja nicht auf die Dauer den Zustand haben
Wir haben es jedenfalls in Hessen so gemacht. Den können, daß der Bundesfinanzminister, der immer-
Hessen-Plan zur Eingliederung der Vertriebenen hin seinen Haushalt irgendwie in Ordnung zu brin-
und Kriegssachgeschädigten hat unser Minister- gen hat, und der Bundesvertriebenenminister nicht
präsident Zinn namens der Gesamtregierung im aufeinander abgestimmt sind. Im Rahmen einer
Landtag verkündet — ein in der parlamentari- Vorfinanzierung könnte man mit den Ländern über
schen Geschichte fast einzig dastehender Vorgang, die Bauprogramme der nächsten und übernächsten
daß wir nämlich nach den Wahlen mehr ver- Jahre reden, und nur dann kann man richtig
sprochen und uns mehr vorgenommen haben als planen, wenn man auch Zeit genug zur Vorberei-
vorher. tung hat. In dieser Richtung darf ich sagen, daß
(Heiterkeit.) uns die Ausführungen des Herrn Bundesvertrie-
Immerhin, bei den Schwierigkeiten, die sich nun benenministers und der ganze Inhalt seines nun-
einmal bei der Durchführung eines solchen Planes mehr offiziell vorgetragenen Zweijahresplans nicht
ergeben, ist es für den betreffenden Ressort befriedigt haben.
minister sehr von Vorteil, wenn er den Chef der Ein Wort noch zu den Kulturfragen, die in un-
-
Regierung zu seinen Gunsten mobilisieren kann. serer Großen Anfrage unter Bezugnahme auf den
(Abg. Samwer: Und den Finanzminister!) § 96 des Bundesvertriebenengesetzes angeschnitten
wurden, der da sagt:
— Ja, wer hat schon Einfluß auf den Finanzmini-
ster, Herr Kollege? Das ist doch wiederum der Re- Bund und Länder haben entsprechend ihrer
gierungschef! durch das Grundgesetz gegebenen Zuständig-
(Zuruf: Das ist noch gar nicht mal heraus!) keit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in
dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flücht-
— Immerhin, für die Gesamtmaßnahmen der Bun- linge und des gesamten deutschen Volkes zu
desregierung ist der Bundeskanzler verantwortlich. erhalten sowie Archive und Bibliotheken zu
Ich höre ja, daß der Herr Bundeskanzler morgen sichern, zu ergänzen und auszuwerten.
in Offenbach als Wahlredner auftreten wird. Es ist
wohl zu befürchten, daß er einen neuen Bannfluch Hier wird ganz klar dem Bund und den Länder-
gegen die Ketzerregierung in Wiesbaden schleudern regierungen eine gemeinsame Aufgabe gestellt, die
wird, wie er es vor einiger Zeit in Camberg getan sie nur gemeinsam und nach gründlicher Absprache
hat. Ich möchte mir hier nur die Anregung gestat- bewältigen können. Es wäre ja wirklich eine Zeit-
ten — der Herr Bundeskanzler ist leider nicht an- und Geldverschwendung, wenn wir in jedem süd-
wesend —: er soll mit den Pfeilen des Zornes gegen deutschen Land ein sudetendeutsches Archiv und
die Regierung Zinn vorsichtig sein! ein Archiv für Ungarndeutsche und Rumänien-
deutsche schaffen wollten. Darüber ist eine Ab-
(Beifall bei der SPD.) sprache nötig.
Diese Pfeile könnten nämlich an dem harten Pan- Aber noch mehr: wir müssen uns auch über den
zer einer allgemein anerkannten Leistung abpral- zweckmäßigen Einsatz der Mittel verständigen, die
len und auf ihn zurückkommen. für diese Aufgabe vom Bundestag immerhin in
(Erneuter Beifall bei der SPD.) großzügiger Weise zur Verfügung gestellt wurden.
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Der Herr Bundesvertriebenenminister hat für das derung und der sozialen Lage der Vertriebenen
laufende Etatsjahr 750 000 DM zur Erhaltung und klargelegt wird. Ich bitte darum, diese Erwägung
Auswertung des kulturellen Heimaterbes der in Betracht zu ziehen.
Heimatvertriebenen und zur Förderung der kul- Ein weiteres Anliegen ist die Verlängerung der
turellen Bestrebungen der Sowjetzonenflüchtlinge Fahrpreisermäßigungen für Vertriebene, die mit
erhalten. Wir sind sehr daran interessiert, über die Ende 1953 abgelaufen sind. In der Öffentlichkeit
Gesichtspunkte, unter denen dieser Betrag verwen- kursieren ganz groteske Vorstellungen, was für
det wird, vom Herrn Bundesvertriebenenminister Vergünstigungen einer einzelnen Bevölkerungs-
eines Tages in diesem Hause eine Mitteilung zu er- gruppe da gewährt worden seien. Was war es denn
halten. schon? Auf Grund einer Bedürftigkeitsprüfung
(Sehr gut! bei der SPD.) konnten Kriegerwitwen, Rentenempfänger, Ange-
Ich sage das aus einem sachlichen Grunde und nicht hörige großer Familien zweimal im Jahr mit 50 %
etwa aus einer polemischen Absicht. Wir müssen Fahrpreisermäßigung irgendeinen Verwandtenbe-
uns nämlich davor hüten, daß mit den Mitteln, die such machen.
zur Erhaltung des Kulturerbes der Heimatvertrie- (Zuruf vom GB/BHE: Zum Fußballspiel
benen bestimmt sind, Organisationsapparate am fährt man billiger!)
Leben erhalten werden,
Die Fraktion des BHE hat in dieser Angelegenheit
(Zustimmung bei der SPD) einen entsprechenden Antrag vorgelegt, und ich
die ihre Existenzberechtigung nicht anders nach- möchte um das Wohlwollen des gesamten Hauses
weisen könnten, und wir müssen uns davor hüten, für diesen Antrag bitten. Wir brauchen ja hier nicht
daß einzelnen Organisationen ein Kulturmonopol mit Konkurrenzanträgen die Zeit zu vergeuden.
zugeschanzt wird, das ihnen nicht zusteht. Hier geht es wirklich um kleine Leute. Mir hat un-
längst eine Aussiger Kriegerwitwe im hessischen
(Sehr richtig! bei der SPD und rechts.)
Ried gesagt: „Diese zwei Fahrten, die ich im Jahre
Wenn wir wollen, daß das schlesische Lied nicht zu meinen Eltern und Verwandten gemacht habe,
ausstirbt, wenn wir wollen, daß die Kunde von Ost- waren die Lichtpunkte in dem Leben, das ich hier
preußen und Pommern und dem Sudetenland einer führe." Man sollte dieses Problem auch im Lichte
kommenden Generation vererbt wird, dann müssen der tragischen Familienzerreißung sehen, die leider
wir in dieser Arbeit die größtmögliche Breitenwir- hei den Heimatvertriebenen so weit verbreitet ist.
kung anstreben. Dann müssen diese Mittel auch den
Eine letzte Bemerkung zu diesen aktuellen Din-
kleinen Leuten unten zugute kommen, die mit ihren
gen. Ich gestatte mir, noch ein Wort über die Dring-
letzten Spargroschen bemüht sind, irgendeine Ge-
sangsgruppe oder eine Trachtengruppe oder eine lichkeit der Erhöhung der Kriegsschadenrenten zu
sagen. Diese so wohlbegründete Maßnahme wurde
Musikkapelle zusammenzuhalten.
bereits im Februar dieses Jahres angekündigt,
Zum Abschluß noch ein paar Worte zu brennen- wenn ich nicht irre, vom Herrn Bundesvertrie-
den Tagesproblemen, die in der heutigen Aus- benenminister persönlich, und wir haben hier über-
sprache unmöglich übergangen werden können, einstimmende Anträge von drei Parteien des
weil sie im Lande draußen in jeder Versammlung, Hauses vor uns liegen.
die wir abhalten, und auch in unserer Korrespon- (Abg. Kunze [Bethel] : Gestern im Aus
denz, die wir pflichtgemäß zu erledigen haben, auf- schuß verabschiedet! Einstimmig!—Gegen
tauchen. Ich glaube, dem Herrn Bundesminister für ruf des Abg. Samwer: Das wurde aber
Vertriebene und den Koalitionsparteien insgesamt auch Zeit!)
dürfte nicht verborgen geblieben sein, welch große
Unruhe in den Kreisen der Vertriebenen und der — Das wird sicher eine sehr angenehme Mitteilung
Geschädigten der drohende Wegfall der Freibeträge für die Betroffenen und für die Interessierten sein.
nach § 33 a des Einkommensteuergesetzes ausgelöst Es wäre einfach nicht zu verantworten, wenn wir
hat. - auch in die Weihnachtsferien gingen, ohne diese
(Sehr richtig! beim GB/BHE.) äußerst dringend notwendige Maßnahme im Par-
lament verabschiedet zu haben. Wir wollen nicht
Das ist eine Angelegenheit von großer Breitenwir- den Eindruck im Lande sich verstärken lassen, daß
kung, und wir müssen uns auch noch mit ihr befas- der Bundestag nur dazu dasei, große Redeschlach-
sen; denn dieses falsche Bild einer bereits abge- ten auszufechten; wir wollen vielmehr den kleinen
schlossenen Eingliederung führt zu Rückschlüssen, Leuten draußen das Gefühl geben, daß von dieser
welche die faktische Eingliederung, oder sagen wir Tribüne aus ihre Sorgen und Nöte ein warmher-
bloß: Rehabilitierung der in. Betracht kommenden ziges Verständnis und einen praktischen Widerhall
Familien erschweren. Ohne hier ins Detail zu finden.
gehen, möchte ich sagen: Mir liegt da eine sehr gut
ausgearbeitete Denkschrift vor, die Herr Kollege Damit, meine Damen und Herren, bin ich am
Leukert vom Hauptausschuß der Vertriebenen und Schluß dessen angelangt, was vom Standpunkt
Flüchtlinge in Bayern mit unterzeichnet hat. Sie unserer Fraktion aus noch zu der Großen Anfrage
plädiert dafür, daß der § 33 a noch für einen weite- zu sagen war. Ich möchte auf die Verhandlungen
ren Zeitraum als Härteausgleich in Funktion blei- Bezug nehmen, die jetzt in der Welt draußen ge-
ben soll. Vielleicht nimmt Kollege Leukert bei führt werden und mit denen ein Stück Entschei-
dieser oder anderer Gelegenheit einmal die Mög- dung über das kommende deutsche Schicksal ver-
lichkeit wahr, hier im Bundestag die ausgezeich- bunden sein wird. Über die anzustrebenden Lösun-
neten Argumente dieser Denkschrift zu vertreten. gen mögen hier zwischen Koalition und Opposition
die Meinungen auseinandergehen. In einem
(Zuruf vom GB/BHE: Herrn Schäffer über Punkte sollte aber Übereinstimmung herrschen: in
geben!) der Erkenntnis nämlich, daß wir in jeder Situation
Es wäre auch Sache des Bundesvertriebenen- um so besser abschneiden werden, je mehr es uns
ministeriums, eine Dokumentation herauszubrin- gelingt, den Magnetismus einer gerechten Sozial-
gen, in der der Sachverhalt des Standes der Einglie- ordnung für die Einheit und Freiheit des deutschen
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Volkes streiten zu lassen. Vergessen wir daher nicht sition, für die der Herr Kollege Heide sprach, dem
über dem Problem der militärischen Integration Bundesvertriebenenminister die Möglichkeiten zur
die Aufgabe der sozialen Integration im eigenen Realisierung der Pläne zu geben, von denen der
Lande! Kollege Reitzner anläßlich der Haushaltsdebatte
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.) erklärt hat, daß auch er sie unterschreiben würde.
Zum anderen ist es auch ein Verdienst, daß ein
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- Bundesminister allwöchentlich vor der breiten
geordnete Seiboth. Öffentlichkeit unseres Volkes die Situation eben so
darstellt, wie sie tatsächlich ist.
Seiboth (GB/BHE): Herr Präsident! Meine (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
Damen und Herren! Nach den ausführlichen Dar-
legungen besonders meines Vorredners, des Herrn Wir sollten den Vertriebenenminister deshalb nicht
Kollegen Jaksch von der sozialdemokratischen kritisieren, ich meine eher, wir sollten ihm dafür
Fraktion, denen in weitesten Teilen auch unsere dankbar sein.
Fraktion voll zustimmen kann, kann ich mich, weil (Beifall beim GB/BHE.)
nach der Behandlung der Großen Anfrage der Ich möchte daran noch einen Wunsch knüpfen.
Fraktion der SPD noch die Anfrage hinsichtlich der Wir könnten dankbar sein, wenn diese Fragen
Schärfenfeststellung zur Aussprache steht, auf einige außer vom Herrn Bundesvertriebenenminister auch
wesentliche Punkte beschränken. Gestatten Sie in den Versammlungen der politischen Parteien ihre
aber, daß ich vorher einleitend noch etwas sage. genügende Würdigung fänden und wenn sich hier
Wir haben es dankbar begrüßt, daß vor dem Bun- und da bei passenden Anlässen auch andere Bun-
destag endlich wieder einmal in breitem Rahmen desminister — uns wäre es am liebsten, öfter mal
die Fragen behandelt werden können, die draußen der Herr Bundesfinanzminister — zu diesen Fragen
die Heimatvertriebenen und die anderen Ge- im Sinne des Bundesvertriebenenministers aus-
schädg iten interessieren und auch drücken. Leider sprächen.
ist seit der Verabschiedung des Lastenausgleichs- (Erneuter Beifall beim GB/BHE.)
gesetzes vor etwa zwei Jahren in der Öffentlich-
keit anscheinend der Eindruck entstanden, daß Meine Damen und Herren, der Herr Kollege
allein mit der Verabschiedung und Ingangsetzung Jaksch hat zu Beginn seiner Rede gesagt — das
des Lastenausgleichsgesetzes das gesamte Problem wird gerade in diesen Tagen in Betrachtung der
der Vertriebenen und Geschädigten, soweit es die außenpolitischen Situation in der Presse und in der
Eingliederung in das soziale und wirtschaftliche Ge- Öffentlichkeit immer wieder und nicht zu Unrecht
füge Westdeutschlands betrifft, eigentlich erledigt behauptet — daß infolge der übermäßigen Bean-
,

sei. Leider aber ist das nun nicht richtig. Wir sollten spruchung des Herrn Bundeskanzlers mit außen-
nicht übersehen - ich kenne das ja aus den Er- politischen Fragen die Innenpolitik bisher wohl
fahrungen, die ich bei meiner Tätigkeit gerade in etwas zu kurz gekommen ist. Ich möchte dem hin-
den Vertriebenenverbänden und unter den Ver- zufügen: Wir haben den Eindruck, daß sie beson-
triebenen gesammelt habe —, daß die Unzufrieden- ders auf dem sehr weiten, aber nicht immer zum
heit mit den bisher gefundenen Lösungen bei den besten bestellten Felde der Sozialpolitik zu kurz ge-
Vertriebenen jetzt größer wird. Sie haben nämlich kommen ist. Darüber hinaus erweckt es sogar
gehofft, daß sich mit dem Inkrafttreten des Lasten- manchmal den Eindruck, daß es für dieses Feld ge-
ausgleichs ihre Lage bedeutend bessern würde. Ge- radezu einen eigenen, einen zweiten Bundeskanzler
wiß, es sind sehr viele übertriebene Hoffnungen da- innerhalb des Kabinetts gibt, der auf diesem Ge-
gewesen. Aber nun läuft dieser Lastenausgleich biet die Richtlinien der Politik allein nach fis-
zwei Jahre, und, wie hier schon erwähnt worden kalischen Gesichtspunkten bestimmt. Wir sollten
ist, die Vertriebenen und die anderen Geschädigten gerade in dieser Debatte nicht den Fehler begehen,
müssen sehen, daß die Leistungen aus dem Lasten- an vielen wahren Ursachen vorbeizureden. Ich
ausgleich für sie sehr gering sind. Meine -Damen meine, wir sollten eindeutig sagen, daß zu all den
und Herren, ich meine, wir haben alle Veranlas- Fragen, die hier aufgeworfen wurden und deren
sung, draußen in unserem ganzen Volk die wahre Beantwortung wir vom Herrn Bundesvertriebenen
Lage darzutun, wie sie nach wie vor besteht und minister in seinem Schlußwort wünschen, auch der
wie sie in dem seinerzeitigen Bericht des früheren Bundesfinanzminister Stellung nehmen sollte.
Bundesvertriebenenministers Lukaschek vor etwas Ich möchte vor allem auf eines hinweisen: Der
über einem Jahr durch die Feststellung gekenn- Herr Bundesvertriebenenminister Oberländer hat
zeichnet wurde, daß erst ein Drittel der Vertrie- in seinem Bericht erwähnt, daß von den Heimat-
benen echt eingegliedert ist. Wir haben allen vertriebenen — ich glaube aber, es sind da die So-
Grund, diese Situation der einheimischen Bevölke- wjetzonenflüchtlinge mit inbegriffen gewesen —
rung immer wieder darzutun, weil es letzten Endes bisher nur 5 % wieder selbständige Existenzen er-
aus politischen, aber auch aus wirtschaftlichen und ringen konnten, obwohl doch der Anteil der
volkswirtschaftlichen Gründen im Interesse der ein- Heimatvertriebenen 17 % der Gesamtbevölkerung
heimischen Bevölkerung liegt, daß dieses Problem ausmacht; zählen wir die Zonenflüchtlinge dazu,
endlich schnell und sinnvoll gelöst wird. dann sind es sogar 20 %. Wir können also sagen,
Ich bedauere deshalb, daß hier trotz der Sachlich- daß nur ein Viertel derer, die früher einmal eine
keit, mit der die Debatte begann, von dem Kollegen selbständige Existenz hatten, heute wieder zu einer
Heide erklärt wurde, die Reden, die der Bundes- solchen Existenz gekommen sind.
vertriebenenminister Oberländer draußen in der Aber auch das ist noch ein falsches Bild; wie alle
Öffentlichkeit hält, hätten mehr oder weniger nur die Zahlen, die uns hier vorgetragen werden, vor
agitatorischen Charakter. Ich möchte das schon des- der Öffentlichkeit ein falsches Bild geben. Wir dür-
halb zurückweisen, damit die Sachlichkeit, mit der fen nicht nur die einzelnen Fälle, die einzelnen
die Debatte sonst geführt wurde, auch beibehalten Existenzen zählen, sondern wir müssen sehen, was
wird. Wir meinen dazu: Es liegt letzten Endes auch für Umsatzzahlen und Bilanzziffern hinter diesen
an diesem Hause und auch auf seiten der Oppo Existenzen stehen. Dann würden wir zu noch viel
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schlechteren Ergebnissen der bisherigen Eingliede- 2-Prozent-Grenze. Mit dieser einen Milliarde sind
rungsbemühungen kommen. Es ist übrigens auf allein durch Investitionen Werte im Betrage von
dem Sektor der Arbeitnehmer ähnlich; darauf hat 2 Milliarden DM geschaffen worden, die unser
Herr Kollege Jaksch schon hingewiesen. Wir haben Volksvermögen bereichern, und wir haben im
zwar zur Zeit einen geringeren Anteil von Vertrie- Laufe von sechs Jahren zumindest 3 Milliarden
benen und Geschädigten an der Arbeitslosigkeit als DM erspart, die wir sonst diesen Menschen, wenn
noch vor zwei Jahren. Aber auf der anderen Seite sie nicht in Arbeit und Brot gekommen wären,
sind die Vertriebenen und Geschädigten zumeist in durch die öffentliche Hand in Form von Unter-
den niedrigsten Lohnstufen beschäftigt. Also der stützungen hätten zahlen müssen. Es ergibt sich
Anteil an der Arbeitslosigkeit bzw. an der Beschäf- hier ein Plus von rund 5 Milliarden DM, erreicht
tigung allein sagt auch noch nichts aus. durch die rechtzeitige Bereitstellung von einer Mil-
In diesem Zusammenhang wurde im Bericht des liarde an Krediten. Ich möchte mit diesem Beispiel
Herrn Bundesvertriebenenministers gesagt, die dafür plädieren, daß künftig insbesondere der
Finanzierung seines Zweijahresplans, in dem vor Heimatvertriebenen-Wirtschaft für die Umschul-
allem die Förderung der Heimatvertriebenen - und dung sowie zum Ausgleich für die Unterfinanzie-
Geschädigten-Wirtschaft vorgesehen sei, solle in rung, die überall festzustellen ist, auch aus Haus-
Zukunft außer mit Landesmitteln hauptsächlich haltsmitteln vom Staat her Mittel zur Verfügung
mit Mitteln aus dem Lastenausgleich erfolgen. Ich gestellt werden.
möchte hier doch eines betonen: Der Lastenaus- Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch
gleich wird heute als das Allheilmittel angesehen, etwas anderes sagen. Von den Herren Vorrednern
obgleich er doch in erster Linie eine Entschädi- ist hier die Frage der Sowjetzonenflüchtlinge ange-
gungsmaßnahme sein soll. Wir vermissen beispiels- sprochen worden. Wir finden die Regelung, nach
weise die Realisierung der Möglichkeiten nach § 72 der die Sowjetzonenflüchtlinge heute bei dem Be-
des Bundesvertriebenengesetzes. Dort heißt es in streben, eine Existenz, ein Unterkommen zu finden,
Ziffer 1, daß zur Festigung oder Begründung selb- nur auf den Härtefonds des Lastenausgleichs an-
ständiger Erwerbstätigkeit der Vertriebenen und gewiesen sind, ungenügend. Seinerzeit ist im ersten
der Sowjetzonenflüchtlinge Kredite aus öffentli- Deutschen Bundestag auch gesagt worden, das solle
chen Mitteln zu günstigen Zins-, Tilgungs- und nur eine Übergangslösung sein, bis man eines Tages
Sicherungsbedingungen eingesetzt werden sollen. eine gesetzliche Entschädigungsregelung für die
In diesem § 72 des Bundesvertriebenengesetzes Sowjetzonenflüchtlinge außerhalb des Lastenaus-
heißt es weiter, daß ebenfalls aus öffentlichen Mit- gleichs finden könne. Uns ist bekannt, daß bei den
teln Gelder zur Umwandlung kurzfristiger und Sowjetzonenflüchtlingen hier und da sogar Beden-
hochverzinslicher Darlehen in langfristige, zu gün- ken bestehen, ob man sie sozusagen aus dieser Re-
stigen Zins- und Tilgungsbedingungen herangezo- gelung beim Lastenausgleich entlassen sollte, weil
gen werden müssen. Wenn man diese Dinge — das sic meinen, es könnte ihnen sonst bei mangelnder
ist ja eine der wichtigsten Fragen für unsere Hei- Bereitwilligkeit der Bevölkerung zu neuen Opfern
matvertriebenen-Wirtschaft — wiederum außer vielleicht nicht einmal mehr das zur Verfügung
mit Landesmitteln vornehmlich mit Lastenaus- stehen, was ihnen heute aus dem Härtefonds im
gleichsmitteln angehen will, kommen nach unserer Rahmen dieser 50 Millionen zur Verfügung steht.
Meinung andere, wichtige Leistungen für die Ein- Wir glauben aber, daß es ein dringendes Anliegen
gliederung, für die Neugründung von Existenzen aller Fraktionen dieses Hauses ist — es ist ja in
oder auch Leistungen auf dem sozialen Sektor zu verschiedenen Gremien auch immer wieder be-
kurz. Wir sind also der Meinung, daß besonders für sprochen worden —, daß diese Frage bald einer
diese Umschuldung in der Heimatvertriebenen- endgültigen Regelung zugeführt wird. Wir halten
Wirtschaft und in der Wirtschaft der anderen Ge- es für unvertretbar, daß angesichts der seit der
schädigten künftig auch aus dem Bundeshaushalt Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes un-
entsprechende Mittel eingesetzt werden müssen. geheuer angewachsenen Zahl der Sowjetzonen-
(Abg. Samwer: ERP-Mittel!) flüchtlinge diese nach wie vor auf den genannten,
im Rahmen des Gesamtlastenausgleichs verhältnis-
Es muß die Frage gestellt werden: Welches Risi- mäßig geringen Betrag ohne Rechtsanspruch ange-
ko geht denn bei einer solchen Handhabung des wiesen sein sollen.
Gesetzes der Staat ein? Er geht kein Risiko ein.
Wenn ich die Zahlen, die der Herr Bundesvertrie- Ich möchte im Zusammenhang mit der Frage
benenminister hier vorgetragen hat, einem Bei- der Sowjetzonenflüchtlinge noch ein Anliegen, das
spiel zugrunde lege, dann ergibt sich folgendes. Es unsere Partei bzw. unsere Fraktion in nächster
sind über 100 000 selbständige Existenzen allein in Zeit in den entsprechenden Gremien vorbringen
der gewerblichen Wirtschaft, wahrscheinlich vom wird, ankündigen. Wir bekommen immer wieder
Tage der Währungsreform bis heute, geschaffen von Heimatvertriebenen, die jetzt aus der Sowjet-
worden. Zu diesen selbständigen Existenzen sind zone zu uns geflüchtet sind, Zuschriften, in denen
jene 400 000 bis 450 000 Arbeitsplätze hinzuzurech- sie ihrer Verwunderung und ihrem Mißmut dar-
nen, die infolge der Gründung dieser Existenzen ent- über Ausdruck geben, daß sie, deren Urstatus dem
standen sind. Das heißt, im Laufe von sechs Jahren der Heimatvertriebenen in Westdeutschland doch
sind etwa 500 000 bis 600 000 Menschen durch die gleich ist, im Lastenausgleich diesen Heimatver-
Vertriebenen-Wirtschaft neue Existenzen oder Ar- triebenen nicht gleichgestellt sind. Unter Berück-
beitsplätze gegeben worden bei einem Aufwand sichtigung dieses Urstatus und weil der Heimat-
von nicht ganz einer Milliarde, die dieser Wirt- vertriebene aus Schlesien, Pommern oder dem Su-
schaft zur Gründung dieser Existenzen in Form detenland es sich schließlich nicht aussuchen
von Krediten zur Verfügung stand. Hier ist also konnte, wohin er von Tschechen oder Polen ausge-
mit durchschnittlich 2000 DM pro Arbeitsplatz eine wiesen wurde, sind wir der Auffassung, daß er,
Leistung vollbracht worden, die sich für den Staat wenn er heute erst zu uns in die Westzone her-
folgendermaßen darstellt: Hingegeben wurde eine überkommt, beim Lastenausgleich jenen Heimat-
Milliarde in Form von Krediten. Sie fließt zurück; vertriebenen gleichgestellt werden muß, die jetzt
die Verluste dabei liegen bekanntlich unter der erst aus der Tschechoslowakei, aus Polen oder son-
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stigen Vertreibungsgebieten nach Westdeutschland Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
kommen. geordnete Leukert.
(Zustimmung beim GB/BHE.)
Leukert (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Ich darf noch ein Letztes erwähnen: die Frage Damen und meine Herren! Anläßlich der Großen
der gesunden Bevölkerungsverteilung im Rahmen Anfrage der SPD zur Vertriebenenpolitik der
der weiteren Umsiedlungsmaßnahmen. Es ist hier Bundesregierung gestatte ich mir, einige Bemer-
von Herrn Kollegen Jaksch der Hessenplan er- kungen zu machen. Zunächst möchte ich feststellen,
wähnt worden, den ich sehr genau kenne und den daß für eine vernünftig und organisch durchzufüh-
wir, soweit wir Vertriebene aus Hessen sind, von rende Vertriebenenpolitik und auch für die Ein-
Anbeginn an bejaht haben. Aber in dem Hessen- gliederung der Evakuierten und Kriegssachgeschä-
plan zeigt sich eine Gefahr. Sie kann heute wohl digten nicht nur die Bundesregierung, sondern auch
noch in gewissem Umfang abgewendet werden. die Landesregierungen zuständig sind. Insoweit
Doch wir sollten sie aufzeigen, besonders im Hin- begrüße ich die Ausführungen meines Kollegen
blick darauf, daß, wenn ich richtig verstanden habe, Jaksch, der die Notwendigkeit unterstrich, einen
sowohl vom Herrn Bundesvertriebenenminister wie gewissen Gleichklang zwischen Bundesregierung
von seiten der Opposition gefordert wurde, auch und Landesregierungen zu erreichen, urn die so
der inneren Umsiedlung in den Ländern künftig schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen
mehr Beachtung zu schenken. Die Gefahr wird Fragen der Eingliederung der Vertriebenen, der
deutlich, daß man bei all den Umsiedlungsmaßnah- Sowjetzonenflüchtlinge und der Evakuierten bal-
men oder Planungsmaßnahmen im Rahmen der digst zu lösen. Auch ich glaube, daß das möglich ist.
Länder den Weg des geringsten Widerstandes geht. Ich nehme nicht an, daß die Verhandlungen der
Der Weg des geringsten Widerstandes ist nun, um letzten Jahre im Palais Schaumburg zwischen der
in dieser Formel zu bleiben der, daß man die Bundesregierung und Vertretern der Länder nur
Menschen an vorhandene Arbeitsplätze heran- mit kleinen Beamten geführt worden sind. Man
bringt bzw. Menschen aus industrie- und gewerbe- muß annehmen, daß immerhin auch die Landes-
armen Gegenden in die Gebiete mit Wirtschafts- minister und die verantwortlichen Leiter der Lan-
ballung umsiedelt. Dies führt aber dazu, daß zum desflüchtlingsverwaltungen zugegen waren, um
Schluß in den sozial schwachen Gebieten fern von diesen Gleichklang bzw. eine Abstimmung soweit
Industrie und Gewerbe, ein soziales Gepäck zu- wie möglich herbeizuführen.
rückbleibt, mit dem sich weder die Gemeinden (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
noch die Kreise zu helfen wissen. Es sinkt dort die
Kaufkraft ab, die Steuer sowieso, und dadurch Ich appelliere damit einmal bewußt auch an die
werden die Bedingungen für eine künftige Indu- Verantwortung der Landesregierungen, denn die
strieansetzung oder die Gründung von gewerb- Durchführung dieser Maßnahmen obliegt den Lan-
lichen Existenzen erschwert. Wir haben gerade im desregierungen. Die Aufgabe der Bundesregierung
Rahmen des Zonengrenzlandproblems mit diesen ist es, verantwortlich zu planen, Maßnahmen zu
Fragen zu tun. Ein jeder Plan zur Umsiedlung ergreifen und Mittel herbeizuschaffen, damit die
innerhalb der Länder muß deshalb darauf Be- Durchführung dieser Hilfsmaßnahmen in den Län-
dacht nehmen, daß in dem gleichen Umfang, wie dern ermöglicht wird. Das wollte ich voraus-
Menschen aus industrie- und gewerbearmen Ge- schicken.
genden an Arbeitsplätze herangeführt werden, Zum Zweijahresplan, der uns nun von der Bun-
auch Arbeitsplätze in den industrie- und gewerbe- desregierung vorgelegt wurde, muß ich sagen, daß
armen Gegenden bei den Menschen mit vorhande- ich den Plan auch erst vor wenigen Stunden in
nen Wohnstätten geschaffen werden. Wenn das die Hand bekommen habe; aber ich darf wohl vor-
nicht im gleichen oder etwa gleichen Umfang ge- ausschicken, daß uns die Zahlen der Eingliederung
schieht, dann wird aus einem anfänglichen Segen ja nicht erst seit gestern, sondern — vor allem
zum Schluß unter Umständen ein Unglück, nicht denjenigen von uns, die mitten in dieser Arbeit
nur für die zurückbleibenden Vertriebenen, Ge- stehen — seit längerer Zeit im wesentlichen be-
schädigten usw., sondern für die Allgemeinheit kannt sind. Sie stellen ein Faktum dar, das als
überhaupt; wir haben dann eine ungesunde Bevöl- Erfolg der Bundespolitik angesehen werden muß.
kerungsverteilung mit all ihren sozialen und unter Ich will auch nicht über die Frage diskutieren, ob
Umständen auch politischen Folgen vor uns. die Vorlage eines Zweijahrespla.ns notwendig ist
oder nicht. Meine politischen Freunde und ich be-
Meine Damen und Herren, ich bin am Schluß. grüßen jede Anstrengung der Bundesregierung, die
Eine Bemerkung darf ich vielleicht noch hinzufü- eine Ordnung für eine schnelle Eingliederung der
gen. Diese Debatte ist sicherlich dann fruchtbar, Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädig-
wenn wir sie mit der ehrlichen Absicht schließen, ten herbeiführt. Wir wünschen nur, daß dabei ge-
das, was hier von Opposition wie Koalition vor- prüft wird, ob die Voraussetzungen für einen Plan
getragen wurde, in ernsten Beratungen schon in auch gegeben sind. Wir dürfen das hier mit gutem
allerkürzester Zeit zu verarbeiten. Wenn es bei Grunde annehmen. Auch die Diskussion darüber,
einem Problem einen Zeitdruck gibt, dann ist ob wir in Zukunft eine Bundesstelle ähnlich der
es die Vertriebenen- und Geschädigtenfrage. Ich früheren Reichsstelle für Raumordnung haben
sehe aus der Zustimmung von beiden Seiten dieses müssen, lasse ich außerhalb meiner Betrachtungen.
Hauses, daß Sie mit mir darin einig sind, schon in Es müßte auch heute möglich sein, eine Koordinie-
allernächster Zeit alle Gedanken, Fragen und Pro- rung der sozialen und wirtschaftspolitischen Maß-
bleme, die hier aufgetaucht sind, zusammen durch- nahmen bei der Eingliederung dieser Geschädigten-
arbeiten zu wollen, letzten Endes nicht nur im gruppen mit den vorhandenen Möglichkeiten und
Interesse der Gruppen, um die es hier geht, son- Organisationen der ministeriellen Verwaltung
dern im Interesse der inneren Gesundung unseres herbeizuführen.
gemeinsamen Vaterlandes. Zu dem Plan selber darf ich sagen, daß die eine
(Beifall beim GB/BHE.) oder andere Frage wohl angesprochen wurde, mir
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2091
(Leukert)
aber doch nicht so befriedigend gelöst scheint, daß land. — Ich glaube sagen zu können, daß der trotz
es nicht notwendig wäre, das eine oder andere er- der vorhandenen Liquidität bisher stockende Ab-
gänzend zu sagen. Ich will dabei den Komplex der lauf der Mittel für die Leistungen, vor allen Din-
heimatvertriebenen gewerblichen Wirtschaft aus gen für die Aufbaudarlehen, für den Wohnungsbau,
der heutigen Diskussion heraushalten, weil meine die Wohnraumhilfe usw. jetzt rascher vor sich
Fraktion gestern beschlossen hat, die Fragen der gehen wird, weil nun die Anforderungen anfallen,
Förderung der heimatvertriebenen gewerblichen und daß wir in etwa zwei Monaten zur Auflage
Wirtschaft dem Hohen Hause in einem besonderen einer neuen Lastenausgleichsbankanleihe kommen
Antrag vorzulegen. Dann werden wir ja Gelegen- werden. Wenn nun irgendwo der Gedanke auf-
heit haben, diese Fragen noch besonders zu erör- tauchen sollte, daß man die Technik und Organi-
tern. sation nicht verbessern könnte, so stehe ich auf
dem Standpunkt: dann soll man heute etwas mehr
Zur Frage der Vorfinanzierung des Lastenaus- Mittel für Personalverstärkungen zur Verfügung
gleichs! Der Bundesminister für Vertriebene,
stellen,
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat sehr richtig
die Zahlen der Vorfinanzierungsmittel bekannt- (Beifall beim GB/BHE und in der Mitte)
gegeben. Er nannte die Summe von 856 Millionen damit ein rascher Ablauf der Lastenausgleichs-
DM. Darin ist ein Betrag von 224 Millionen DM leistungen herbeigeführt wird.
enthalten, die heute schon zur Förderung des Woh-
nungsbaues für die Umsiedler und Sowjetzonen- Ich glaube, daß man mit einer weiteren Auflage
flüchtlinge verwandt werden und eine Schuld der Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von
gegenüber dem Bundesfinanzminister darstellen. 200 Millionen DM, wie sie der Herr Minister er-
wähnt hat, zu gegebener Zeit die notwendige Auf-
Die Frage der Liquidität und die Frage der Vor- stockung der Aufbaudarlehen für den Wohnungs-
finanzierung der Lastenausgleichsleistungen sind bau vornehmen könnte. Zweitens könnte man da-
aber für jeden Kenner des Lastenausgleichsgesetzes durch sehr konkret der Eigentumsbildung der
untrennbar miteinander verbunden. gewerblichen und freien Berufe entgegenkommen.
(Sehr richtig! beim GB/BHE.) Drittens sollte man neben der in dem Antrag Kunt-
Wir haben heute, d. h. nach dem Stand vom scher, der im Lastenausgleichsausschuß behandelt
17. September 1954, bei der Bank deutscher Länder und von allen Fraktionen angenommen worden ist,
ein Guthaben von 179,5 Millionen DM. Wir haben geforderten Vorziehung der Erhöhung der Unter-
ferner ein noch nicht abgerufenes Guthaben bei haltshilfe, der Kinder- und Waisengelder auch
den Ländern in Höhe von 284 Millionen DM. daran denken, die zweite Rate der Hausratshilfe,
zumindest für die über 65 Jahre alten Personen
(Abg. Dr. Gille: Woran mag das wohl liegen? und die erste Rate etwa bis zu 40 Punkten auszu-
Wollen die Vertriebenen kein Geld haben?) zahlen. Mit den technischen und organisatorischen
— Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr Kol- Schwierigkeiten kämen wir meines Erachtens
lege Gille. — Nun ist die Schwierigkeit, die Liqui- wahrscheinlich sehr bald zu Rande.
dität des Fonds mit den — natürlich begrün- Hinsichtlich der landwirtschaftlichen Siedlung
deten — Forderungen der Geschädigten nach einem muß man wohl folgendes feststellen. Daß heute mit
schnelleren Abfluß der Mittel oder, wenn Sie wol- Hilfe des Bundesvertriebenengesetzes die Einglie-
len, nach einer Erweiterung der Vorfinanzierung in derung der heimatvertriebenen Landwirte und der
Einklang zu bringen Man kann natürlich schwer- Sowjetzonenflüchtlinge in die Landwirtschaft in
lich verlangen, jetzt schon die im Wirtschafts- und verstärkter Form möglich ist, ist wohl ein gemein-
Finanzplan des Bundesausgleichsamts vorgesehene sames Verdienst dieses Hauses, und zwar aller
zweite und dritte Lastenausgleichsbankanleihe in beteiligten Parlamentarier. Ich erinnere daran, daß
Höhe von je 200 Millionen DM, insgesamt also die Kolleginnen und Kollegen, die damals im Un-
400 Millionen DM aufzulegen. Denn auf der an- terausschuß für die Fragen der heimatvertriebenen
deren Seite haben wir den Kassenbestand- bei der Landwirte des Bundesvertriebenenausschusses und
Bank deutscher Länder und darüber hinaus das des Landwirtschaftsausschusses tätig waren, wesent-
Guthaben bei den Ländern in Höhe von 284 Mil- lich mit die Grundlage für die Eingliederung gelegt
lionen DM. Wir haben drittens noch die im Lasten- haben. Ich darf aber auch daran erinnern, daß der
ausgleichsgesetz vorgesehene Möglichkeit des Kre- erste Minister für Fragen der Vertriebenen und
ditplafonds in Höhe von 200 Millionen DM. Flüchtlinge, Herr Minister Lukaschek, vor einein-
Bei der Gelegenheit möchte ich wieder die Frage halb Jahren das erste Mal die 500 Millionen DM
des Zusammenarbeitens zwischen Bundesregierung angekündigt hat, die eine beschleunigte Eingliede-
und Landesregierungen demonstrieren. Zur Durch- rung der heimatvertriebenen Landwirte ermög-
führung des Lastenausgleichs — Sie werden das lichen sollten. Heute müssen diese wertvollen Maß-
bei der Schadensfeststellung wahrscheinlich ebenso nahmen weitergeführt werden, und zwar, wie wir
bestätigen müssen, denn die Durchführung der alle wünschen, in verstärktem Maße.
Schadensfeststellung obliegt ja den Ländern — Zur Frage der Bereitstellung des Landes möchte
müßten wir doch einmal an alle verantwortlichen ich folgendes sagen. Die Bemühungen, die die Bun-
Länderregierungen den Appell richten, im Interesse desregierung jetzt unternimmt oder zum Teil schon
unserer Lastenausgleichsempfänger dafür zu sor- unternommen hat, um eine gerechte Entschädigung
gen, daß die Technik und die Organisation des der Landabgabepflichtigen im Bundesgebiet herbei-
Ablaufs der Lastenausgleichsmittel verbessert wer- zuführen, wird wohl zu einer Steigerung der Land-
den. abgabe führen. Damit dürften endlich einmal die
(Abg. Reitzner [unter Hinweis auf die Bundes Verwaltungsverfahren und auch die gerichtlichen
ratsbank]: Aber da sind leere Bänke!) Schritte der Landabgabepflichtigen eingestellt wer-
den, und damit dürfte zugleich mehr Land für die
— Es tut mir leid, Kollege Reitzner; es ist dann
Vertriebenen anfallen.
ein Appell an alle unsere gemeinsamen Freunde
in allen neun Ländern der Bundesrepublik Deutsch- Aber auch die Frage der Altersversorgung der
2092 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Leukert)
Abgeber, die besonders bei den Pachtbetrieben eine kommensteuergesetzes Stellung genommen hat. Er
wesentliche Rolle spielt, oder die Frage der Ord- hat in der Sitzung des Bundesratsausschusses —
nung des Grundstücksmarktes im Interesse einer ich darf es vorlesen, Herr Präsident — folgendes
Verhinderung der Zertrümmerung lebensfähiger erklärt: Zu dem Antrag zu § 33 a — Flüchtlings-
landwirtschaftlicher Betriebe müssen hier ange- beitrag — möchte ich bitten, den Grundsatz auf-
schnitten werden. Das sind nicht nur Forderungen, rechtzuerhalten, daß wir die Steuersenkung, die
die die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge aufge- wir im Jahre 1953 begonnen haben, nur in der Er-
stellt und vertreten haben, sondern das sind eben- kenntnis durchführen konnten, daß alle Steuerver-
so Forderungen sämtlicher Bauernverbände wie günstigungen um des Prinzips der Gerechtigkeit
auch des Deutschen Bauernverbandes. und um des Prinzips der Vereinfachung der Ver-
waltung willen wegfallen müssen.
Ich richte ferner die dringende Bitte an die zu-
ständigen Minister, endlich einmal eine Klarheit (Hört! Hört! in der Mitte.)
in der Frage der Abgabe der Wehrmachtländereien Ich darf annehmen, daß der Kollege Jaksch immer-
zu erreichen, damit man die Siedler, die heute auf hin Kenntnis von der Stellungnahme des Herrn
diesen Ländereien tätig sind — soweit man hier Ministers Troeger gehabt hat.
überhaupt von geordneten Siedlungen sprechen (Zurufe von der SPD und dem GB/BHE:
kann —, aus diesen unmöglichen Zuständen befreit. Und was hat Schäffer gesagt?)
Hier ist eine Entscheidung des Bundesfinanzmini-
— Was Schäffer gesagt hat, ist dem Finanz- und
steriums, der Dienststelle Blank und des Bundes-
landwirtschaftsministeriums notwendig. Es muß Steuerausschuß wohl bekannt, und zwar allen Mit-
weiter an die Landesregierungen der Appell ge- gliedern, die dort tätig sind.
richtet werden, die noch möglichen Quellen für die (Abg. Dr. Kather: Na also!)
Landgewinnung, etwa Moor- und Ödland, Hecken- — Ich darf Ihnen dazu sagen, Herr Kollege Kather:
und Rodungsland zur Verfügung zu stellen. Das ich weiß nicht, inwieweit Sie sich schon um die
gleiche gilt auch für Betriebe der Länder und — Frage der Freigrenze für Vertriebene und Kriegs
das will ich mal aussprechen — auch für Be- sachgeschädigte bemüht haben.
triebe des Bundes, soweit — ich habe im Augen- (Abg. Dr. Kather: Schließlich habe ich sie
blick nicht den Überblick — solche vorhanden sind. einmal durchgesetzt; das werden Sie auch
Die Fragen der Sowjetzonenflüchtlinge, der wissen!)
Hilfen, der Erweiterung der Möglichkeit nach § 301 — Vielleicht im 1. Deutschen Bundestag. Ich darf
des Lastenausgleichsgesetzes sind in etwa bespro- sagen, daß sich im 2. Deutschen Bundestag meine
chen worden. Ich möchte daran erinnern, daß die Freunde aus der Fraktion sehr eifrig darum be-
gesetzlichen Leistungen nach § 301 der Höhe nach mühen. Wir werden ja noch Gelegenheit haben,
beschränkt sind. Deshalb steht heute die Frage an, an dieser Stelle über die Frage zu sprechen.
wie weitere Hilfen, also solche neben dem Lasten
ausgleich, zur Förderung der Eingliederung unse- (Abg. Merten: Und abzustimmen!)
rer Sowjetzonenflüchtlinge gegeben werden kön- — Und abzustimmen, selbstverständlich!
nen. Ich glaube, da müssen wir die Bestrebungen
unterstützen, die uns heute der Herr Bundes- Dem Kollegen Jaksch darf ich aber auch das
minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegs- Zweite sagen. Wir begrüßen alle Maßnahmen der
geschädigte vorgetragen hat. inneren Umsiedlung, und diese sind ja nicht nur im
Lande Hessen getroffen worden. Vielmehr gibt es
Die Kollegen Heide und Jaksch haben auch auch in Bayern das Problem der innerbayerischen
einige Fragen angeschnitten. Der erste sagte, man Umsiedlung, und da haben sich wohl alle redlich
könne die soziale Verpflichtung der Bundesregie- dafür eingesetzt. Auch der Hessen-Plan und vorher
rung zur Eingliederung der Vertriebenen nicht da- der Schlüchtern-Plan wären aber kaum zum Tra-
hin verstehen, daß die Maßnahmen bis auf den gen gekommen, wenn nicht die Mittel, die die Bun-
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Jeder,
- desregierung für diese soziale und wirtschaftliche
der objektive, sachlich gerechte Kritik übt, muß Eingliederung zur Verfügung gestellt hat, etwa zu
mindestens zugestehen, daß im Rahmen des Mög- 85 % an die Länder gegeben worden wären. Daß
lichen immerhin manches Wertvolle für die Ein- man dann in den Ländern nach organischen, syste-
gliederung sowie an sozialen Maßnahmen zu- matischen Lösungen sucht — wie etwa mit dem
gunsten der Flüchtlinge, Vertriebenen und Kriegs Hessen-Plan —, das ist das gute Recht der Länder.
sachgeschädigten geschehen ist. Ich verüble es
meinem Freunde Jaksch nicht, wenn er die Frage Bitte denken Sie dabei an die Mittel aus dem
hinzufügte: Was ist aber mit den Vergünstigungen Bundeshaushalt für den Wohnungsbau, denken Sie
aus dem Einkommensteuergesetz, die jetzt in Ge- an die immerhin beachtlichen Summen, die aus
fahr sind und am 31. Dezember 1954 wegfallen dem Lastenausgleich fließen; denken Sie auch
sollen? Ich bin ihm auch gar nicht böse darüber, daran, daß es immerhin beachtliche Tranchen an
daß er sehr nette Formulierungen gefunden und ERP- und ECA-Mitteln igegeben hat. Wenn man
eine gute Rede, auch mit für den hessischen Wahl- alle öffentlichen Mittel, die der Bund als Bundes-
kampf, gehalten hat. mittel zur Verfügung gestellt hat, berücksichtigt,
dann muß man bei aller Kritik doch wohl sagen,
(Lebhafte Zurufe von SPD und GB/BHE: daß immerhin manches geschehen ist.
Das darf man wohl nicht sagen! — Abg.
Dr. Kather: Wenn Sie nur so sachlich Wenn der Kollege Seiboth, so wie man es
draußen sagt, erklärt, die Leistungen aus dem
wären wie Herr Jaksch! — Glocke des Lastenausgleichsgesetz seien zu gering, dann müs-
Präsidenten.)
sen wir doch einmal eines in aller Öffentlichkeit
— Ich darf aber daran erinnern, daß nicht ich oder aussprechen — die Ziffern sind ja in der Zeitschrift
einer meiner Freunde, sondern der hessische „Der Flüchtlingsberater", herausgegeben vom Bun-
Finanzminister Troeger im Bundesrat zur Frage desminister für Vertriebene, Flüchtlinge und
des Wegfalls der Begünstigung nach § 33 a des Ein Kriegsgeschädigte, veröffentlicht —, daß mehr als
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2093
(Leukert)
13 Milliarden DM verplant und im wesentlichen theken, Theater, Volksbildungsvereine, Orchester
auch als Leistungen nach dem Lastenausgleich an und so fort, kurz, es muß eine gewordene, d. h. ge-
Geschädigte für die verschiedensten Maßnahmen schichtlich gewachsene Kulturstruktur tatsächlich
gegeben worden sind. Lastenausgleich plus dem vorhanden sein.
Vorläufer Soforthilfe und hinzu die Umstellungs- Das dritte,. das gerade im Vordergrund all der
grundschulden, die ja in diesen Ziffern enthalten Fragen steht, die wir hier vordringlich behandeln,
sind, stellen doch eine beachtenswerte Leistung ist wohl die Tatsache, daß eben kulturelles Leben,
dar. Daneben darf man, wie ich vorhin bereits die Erhaltung und Mehrung kultureller Kräfte
sagte, selbstverständlich die Frage nicht außer acht nicht möglich ist, wenn nicht eine soziale Ordnung
lassen, daß auch weiterhin die Möglichkeit der Vor- da ist, die gewissen Mindestforderungen entspricht.
finanzierung für den Lastenausgleich besteht. Es
muß jede Gelegenheit genutzt werden, die Lei- Ich glaube — und meine politischen Freunde mit
stungen noch zu verstärken. In diesem Bemühen mir —, daß neben diesen Fragen finanzieller,
sollten wir uns doch wohl alle gegenseitig unter- existenzieller Art die geistig-seelischen und damit
stützen. kulturellen und kulturpolitischen Fragen ebenso
(Beifall bei der CDU/CSU.) bedeutsam sind und daß wir sie ruhig heute bei der
Behandlung der anstehenden Fragen einmal unter
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- die Lupe nehmen sollten. Unser Schicksal als Ver-
triebene hat uns nicht nur existenziell und finan-
geordnete Dr. Strosche.
ziell getroffen, sondern auch schwerste kulturelle,
Dr. Strosche (GB/BHE): Herr Präsident! Meine geistig-seelische Schäden zugefügt. Es ist ganz gut,
Damen und Herren! Ich möchte es eingangs vor daß auch einmal in den Augen der Öffentlichkeit
allem begrüßen, daß die verehrten Kolleginnen und der Eindruck Platz greift, daß es sich bei den von
Kollegen der SPD-Fraktion in ihrer Anfrage unter diesem Schicksal Betroffenen nicht nur um Men-
Punkt 7 auch das, ich möchte fast sagen: übliche schen handelt, die dauernd fragen: was es gibt, was
„Stiefkind" bei der Betrachtung dieser Fragen nicht man im Sinne eines Ausgleichs der Lasten be-
vergessen haben, nämlich die kulturellen und kul- kommt, sondern daß es sich hier auch um Menschen
turpolitischen Fragen, und dies, obwohl ihnen klar handelt, die sich trotz dieser kulturellen, geistig
war, daß die Struktur unseres Bundesstaates ge- seelischen Schäden den Willen bewahrt haben, ihre
rade in dieser Beziehung nur geringe Möglichkeiten alte kulturelle Höhe und Kulturstruktur allen Um-
der Beeinflussung und der Einwirkung von Bonn ständen, allen Widrigkeiten zum Trotz, in dieser
aus gewährt. Darum mußte ja auch die Antwort des Zeit zu bewahren.
Herrn Bundesvertriebenenministers in dieser Hin- (Beifall beim GB/BHE.)
sicht zwangsläufig kurz sein; es mußte eben die
Tatsache der Kulturhoheit der Länder berücksich- Dies haben übrigens die Heimatvertriebenen, bis
ins kleinste hinein, durch ihren landsmannschaft
tigt werden! Gerade auf dem Gebiete der kulturel- lichen Zusammenschluß und die Aufnahme der da-
len Aufgaben, der kulturellen Förderung und Be-
treuung der Heimatvertriebenen wird sichtbar, daß
mit verbundenen kulturpolitischen Aufgaben be-
wiesen, vor allem aber durch den Willen zu einer
es auch Grenzen unseres Föderalismus gibt, die wir anständigen Erziehung ihrer Kinder, einer Erzie-
auch irgendwie anders setzen sollten. Denn hier wie hung und Schulung, die sie sich geradezu vom
nirgends wird es wohl offenbar, daß es sich da um
ein Anliegen handelt, das über die Ländergrenzen Munde absparen und unter den schwierigsten Um-
ständen Wirklichkeit werden lassen.
hinausreicht und das schon darum nicht zentra-
listisch, sondern sagen wir unitaristisch gesteuert Im Bayerischen Landtag, dem anzugehören ich
und gelenkt werden müßte, weil es auch auf dem die Ehre hatte und noch habe, sind gerade diese
kulturellen Gebiete einen Gesamt-Kriegsschaden kulturpolitischen Fragen sehr oft angeschnitten
gibt. worden, ich möchte sagen - lassen Sie mich das
hier auf der Bonner Ebene sagen —, nicht zuungun-
Gewiß ist es in den Augen der breiten Öffent-
- sten auch der Behandlung der übrigen rein finan-
lichkeit immer vordringlich, sich um die sozialen, ziellen und existenziellen Fragen. Wir haben uns
die existenziellen und finanziellen Seiten all un- dort — alle heimatvertriebenen Abgeordneten
serer heutigen Fragen zu bekümmern. Voraus- sämtlicher Parteien, aber auch viele der Heimatver-
setzung für eine kulturschöpferische und kultur- bliebenen-Politiker — gerade mit diesen Fragen
empfangende Tätigkeit des einzelnen oder der Ge- besonders beschäftigt. Mag sein, daß dem so war,
meinschaft sowie ganzer Volksgruppen ist natür- da das Land Bayern, historisch gesehen, eine ge-
lich, daß gewisse existenzielle Grundlagen da sind, wisse kulturelle Aufgabe hatte und noch hat, mit
daß der Mensch halbwegs anständig lebt, anständig Ausstrahlungen nach dem Osten, nach dem Süd-
wohnt und ein lebens- und liebenswertes Leben osten, insbesondere nach dem böhmisch-mährischen
hat. Aber ganz abgesehen davon, daß es eine alte Raum, sei es, daß man sich in Bayern langsam des-
und eigentümliche, fast gesetzmäßige Erfahrung ist, sen bewußt wird, ein neues Grenzland im alten Sinn
daß oft das Gegenteil eintritt, daß nämlich in Not zu werden — übrigens eine Aufgabe, die zum Teil
und Bedrängnis und in Armut schöpferische Kräfte erst durch Heimatvertriebene den anderen klar vor
eher wach werden und gedeihen als unter guten Augen geführt wurde —; aber ich habe gerade bei
finanziellen Umständen, darf man bei der Betrach- der Besprechung dieser Fragen einmal das Wort ge-
tung dieser Frage nicht vergessen, daß den heimat- prägt, daß es neben dem sozialpolitischen Lasten-
vertriebenen Volksgruppen ein geschlossener Sied- ausgleich auch einen kulturellen und kulturpoliti-
lungsboden verlorengegangen ist, dessen Geschlos- schen Lastenausgleich geben muß. Erschrecken Sie
senheit irgendwie notwendig ist, um kulturelle bitte nicht über dieses Wort „Lastenausgleich" und
Kräfte freiwerden zu lassen. glauben Sie bitte nicht, daß es sich hier etwa um
Wir sollten zweitens dabei nicht vergessen, daß eine ungerechtfertigte Forderung handelt, die der
es gewisser Kulturgüter bzw. kultureller Einrich- sinnvollen Eingliederung der Heimatvertriebenen
tungen bedarf, um kulturell sowohl weiter schöpfe- auch im kulturellen Sektor widerstritte. Ich glaube,
risch wie auch empfangend tätig zu sein: Biblio daß die Erhaltung der ehemaligen kulturellen Sub-
2094 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Strosche)
stanz und Struktur keine Eigenbrötelei ist, sondern etwa der Heimatvertriebenen ist, die auf das flache
daß sie geschichtlich begründet ist, daß sie aber vor Land zerstreut sind und aus ihrer ehemaligen kul-
allem heute notwendig ist und daß sie, in die Zu- turellen Umgebung wie Struktur herausgerissen
kunft gesehen, noch besonders notwendig sein wird. sind? Obwohl man doch sieht, daß die Heimat-
Gestatten Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit vertriebenen ich denke an die „Bamberger Sym-
einen ganz kurzen historischen Rückblick gerade phoniker" etwa! — bereit sind, aus kleinsten An-
auf die kulturpolitische Aufgabe der Heimatver- fängen heraus mitzugestalten, mitzuschaffen, in den
triebenen in der alten Heimat werfe, und zwar seit Kulturfragen, im Volksbildungswesen, bei der
der hochmittelalterlichen Kolonisation, dieser Kindererziehung und -ausbildung, bei der Volks-
größten Friedenstat des deutschen Volkes, und seit tumspflege mitzuwirken?
der neuzeitlichen kulturellen Ausstrahlung nach Ich glaube, daß wir einer sinnvollen Förderung
dem Osten und Südosten. Es ist doch klar, daß die dieser kulturellen Substanz, dieser Mächte und
Erhaltung der deutschen Schule und die Pflege der Kräfte das Wort reden sollten — auch heute, auch
deutschen Sprache, der Kunst und Wissenschaft im hier! Dabei müßte eine gewisse Planung in Über-
deutschen Osten und Südosten, in jenem Raum, der einstimmung zwischen Bund und Ländern ge-
uns genommen wurde, nicht nur die Aufgabe eines schaffen werden; eine gewisse Lenkung, nicht zen-
Schutz- und Schirmwalles, auch in kultureller tralistische Steuerung, aber eine gewisse zentrale
Richtung und im Sinne abendländisch-christlicher Lenkung wäre notwendig!
Kultur war, sondern daß vor allem die kulturelle
Welt des deutschen Ostens und Südostens der jetzt Diese Pflege und dieser Einsatz liegen nicht nur
Heimatvertriebenen eine Brücke und eine Klammer im selbstverständlichen Eigeninteresse der Volks-
ganz Europas dargestellt hat — eine Brücke und gruppen; sie liegen nicht nur darin begründet, daß
Klammer von Mitteleuropa nach Ostmitteleuropa, wir heimatvertriebenen Volksgruppen des deut-
aus der germanischen Welt hinüber zur slawischen schen Ostens und Südostens uns gegenseitig auch
Welt! — und daß ohne diese Brücke und Klammer näher kennenlernen wollen. Wir glauben vielmehr,
eben Europa nicht mehr Europa ist. Die Deutsche daß es eine Bereicherung unserer ganz en Ge-
Universität in Prag — ein Musterbeispiel! — war meinschaft ist, wenn wir diese Kulturkräfte pflegen
solch eine echte Klammer und Brücke in Reich und und wenn wir diese Dinge auch von Bonn aus
Europa. Dort drüben sind in Schulwesen, Volks- materiell und finanziell irgendwie stärker mit-
bildung, Kunst und Wissenschaft gerade diese steuern wollten.
Klammer- und Brückenaufgaben jahrhundertelang Sie wissen, daß die heimatvertriebenen Lehrer
erfüllt worden. sehr oft in einem schulischen Notstand eingesprun-
Der Plan des Kremls ist es gewesen, diese Volks- gen sind, wie etwa die heimatvertriebenen Bauern
gruppen nicht nur rein sozial und menschlich aus als landwirtschaftliche Arbeiter eingesprungen sind.
diesem Raum herauszuheben, sie zu verstreuen und Damit ist es aber noch nicht getan. Natürlich drängt
dadurch unwirksam werden zu lassen, sondern vor sich hier, wie ich einleitend bemerkte, die Frage
allem auch kulturell, geistig und seelisch zu ent- auf, inwieweit der kulturelle Föderalismus gehen
wurzeln. Man hat gewußt, daß die jetzt heimatver- soll. Wir Heimatvertriebenen sind die letzten, die
triebenen Millionen Menschen in ihrer Heimat eine sich gegen eine kulturelle Gliederung unseres Ge-
gesamteuropäische, christlich-abendländische Auf- samtvolkes wehren. Aber wir sind der Meinung,
gabe erfüllt haben, und aus dieser wollte man sie daß es Grenzen des Kulturföderalismus gibt, nämlich
herausreißen. Dabei muß man genau die Sonder- dort, wo das Gesamtinteresse und das gesamt-
gesetzlichkeiten dieses ost-mitteleuropäischen Rau- schöpferische und -kulturelle Interesse bedroht
mes kennen: dieses Spannungsfelds zwischen Ost wird. Wenn Sie sich die Vielfalt unserer Schulorga-
und West ohne Schwerpunkt. Es ist dies eine nisationsgesetze, Schulsysteme, des Schuljahr-
Schwerpunktlosigkeit, die Eiserne Vorhänge schafft, beginns usw. ansehen, werden Sie feststellen, daß
die in der Schwankung zwischen Ost und West be- hier gewisse Grenzen gezogen werden sollten.
sondere Ballungen erlaubt und die damit den
Vordringlich haben wir hier und heute Heimat-
Machthabern von Moskau die Möglichkeit gab,
vertriebenen-Sozialpolitik behandelt. Es hat sich
dieses kulturelle und politische Spannungs- und
erfreulicherweise gezeigt, daß wir alle der Auf-
Ballungszentrum an sich zu reißen, weit hinaus-
fassung sind, daß wir die Heimatvertriebenen-So-
gehend über die alten Siedlungsgebiete der Heimat-
zialpolitik aus einer bloßen karitativen Hilfs- und
vertriebenen! Unterstützungspolitik herausführen müßten, und
Sehen Sie sich heute die Schulprogramme und zwar in eine neuformende, neuordnende Sozial-
die Unterrichtsgestaltung an, wie sie leider Gottes politik. Ich möchte bitten, dabei nicht zu vergessen,
in der sowjetisch-besetzten Zone betrieben werden, daß man ebenso die Kulturpolitik, die kultur-
und blicken Sie hinüber in die Satellitenstaaten mit politischen Fragen der Heimatvertriebenen und
der Vorherrschaft des Russischen, der russischen Kriegsgeschädigten überhaupt aus der bloßen
Kultur usw., dann sehen Sie, wohin man hier auch Unterstützungs- und Hilfspolitik zu einer neu-
kulturpolitisch gegangen ist. formenden und neugestaltenden Kulturpolitik her-
(Abg. Kuntscher: Sehr richtig!) ausheben sollte, und dies ganz im Sinne auch der
Ausführungen des Herrn Kollegen Jaksch — auch
Die kulturelle Potenz und der Kulturwille der bis in die Einzelfragen hinein stimme ich mit ihm
Heimatvertriebenen sind im übrigen vielleicht das überein! — etwa über die Gestaltung des Ein-
einzige, was unangetastet über die Grenze gerettet satzes der Mittel, die wirkliche Lenkung der
werden konnte und was tatsächlich vorhanden ist. immerhin vorhandenen finanziellen Mittel an die
Daraus ergibt sich immer wieder die Frage, die wir wichtigsten Brennpunkte. Ich glaube, daß hier eine
auch auf der Landtagsebene oft gestellt haben: Möglichkeit wäre, stärker als bisher zu wirken, und
Warum bedient man sich dieser Kräfte eigentlich wir bitten den Herrn Bundesvertriebenenminister,
so wenig? Warum, vor allem, werden diese Kräfte innerhalb der Bundesregierung alle Anstrengungen
nicht mehr gefördert, nicht mehr unterstützt, ob- zu machen, damit endlich auf Grund einer Überein-
wohl man doch sieht, wie stark der geistige Hunger stimmung zwischen Bund und Ländern eine gewisse
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2095
(Dr. Strosche)
Steuerung und sinnvolle Gestaltung gerade der auf diese Fragen „geschult". Wie könnte unsere
Unterstützung und Hilfe für die kulturpolitischen Jugend an dem beißersehnten Tag X als Dis-
Belange beginnt. kussions-und Gesprächspartner dieser so geschulten
Sie werden vielleicht sagen: „Hier scheint sich ein Jugend entgegentreten, wenn ihr die primitivsten
kleiner kultureller Bereich innerhalb der Gesamt- Kenntnisse in all diesen Fragen fehlen?
heit herauskristallisieren und absondern zu wollen". Auch auf diese Fragen könnte und sollte man
Sie könnten vielleicht doch den Vorwurf machen, meines Erachtens einmal hinweisen — wenn e
daß es sich hier um eine Art Eigenbrötelei handle, auch bei manchen vielleicht ein Kopfschütteln her-
oder - auch das wollen wir offen aussprechen! — vorruft —, damit nicht der Eindruck entsteht, daß
vielleicht Gefahren vermuten, daß hier der Geist wir hier nur um Geld und Hab und- Gut und um
desNationlmurVgehitwd materielle Dinge besorgt sind, sondern damit man
lebendig werden könnte. Ich glaube, wir Heimat- sieht, daß wir auch diese Dinge im Sinne einer
vertriebene sind uns alle einig, daß wir als Opfer neuen europäischen Ordnung im Auge behalten.
des Nationalismus vor allem auch Überwinder dieses Dazu ist es notwendig, daß auch auf dem Sektor
Nationalismus und somit beste Europäer sein wollen. der Kulturpolitik die Heimatvertriebenen in ihrer
Wir meinen zusätzlich noch, daß wir für ein künf- Wesensart mit all ihren Schätzen erhalten, be-
tiges Europa etwas mitbringen, was nicht unbedeut- wahrt und gefördert werden — und dies zum
sam ist, nämlich einen Blick auch nach dem Osten Wohle des gesamten Deutschlands und einer neuen
und Südosten. So wichtig auch das Verhältnis gesamteuropäischen Ordnung, auf die wir alle
zwischen Frankreich und Deutschland für die Ge- hoffen.
staltung eines künftigen Europas sein mag, für
Europa entscheidend wird unseres Erachtens das (Beifall beim GB/BHE, bei der SPD und
Verhältnis zwischen deutschem Volk und tschechi- vereinzelt in der Mitte.)
schem Volk, deutschem Volk und polnischem Volk,
der deutschen Jugend und der Jugend der ost- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
und ostmitteleuropäischen slawischen Völker sein, geordnete Miller.
die wir zu Europa zählen und mit denen wir ge- Miller (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
meinsam eine neue europäische Gemeinschaft freier Damen und Herren! Lassen Sie mich als Sowjet-
Volkstümer bauen wollen. Dazu aber — und nun zonenflüchtling zu der Anfrage auch noch etwas
befinde ich mich wieder auf dem eigentlichen sagen. Ich will die Dinge möglichst abkürzen und
Boden des heutigen Themas — bedarf es einer vor- Ihre Zeit nicht mehr als notwendig in Anspruch
bereitenden Arbeit gerade im Hinblick auf Schule, nehmen.
Bildung und Erziehung. Wir müssen unsere gesamte Eines ist mir aufgefallen. Der Herr Bundesver-
Lehrerschaft und unsere gesamte Jugend in dieser triebenenminister hat zum Ausdruck gebracht, daß
Richtung schulen, erziehen und bilden können. Es man mit 130 000 Zuweisungen an die Länder in
ist nicht damit getan, daß wir von Ostkunde diesem Jahre rechnet, dagegen für die Wohnraum-
sprec he n. Dann sagen einem die Lehrer draußen beschaffung 45 Millionen DM zur Verfügung stel-
im Lande mit Recht: Wir selbst haben ja keine len will. Wenn man diese 45 Millionen DM um-
Möglichkeiten, in dieser Richtung unterrichtet zu rechnet auf die 1500 DM pro Kopf wie im ver-
werden. Ich weiß wohl, daß das Ländersache ist; gangenen Jahr, kommt man auf eine Zahl von
aber diese Dinge müssen im Zusammenspiel von
Bund und Ländern auch vom Bund her in Angriff 30 000. Das heißt, es werden vom Bund für 30 000
Menschen Wohnungen mit erstellt; aber 130 000
genommen werden, damit sie abgestellt und neu-
geordnet werden. Man darf das nicht einfach der Menschen werden den Ländern zugewiesen. Hier
Selbsthilfe der Heimatvertriebenen, ihren Lands- scheint mir eine Lücke zu sein, und ich hätte gern
mannschaften, ihren Jugendbünden oder ihren Ar- vom Herrn Bundesvertriebenenminister gehört,
beitsgemeinschaften überlassen. Man soll nicht nur mit welchen anderen Mitteln diese Lücke geschlos-
bei Gedenktagen, bei „Tagen der Heimat" und bei sen werden soll, damit nicht die Mißstimmung in
festlichen Ehrungen — Adalbert Stifters und den Ländern noch größer wird, als sie aus der Ver-
Joseph von Eichendorffs z. B. —, so sehr wir sie gangenheit schon ist. Herr Kollege Jak sch sagte
begrüßen, auf diese Dinge hinweisen, sondern tat- es schon: Aus der Zeit vom 1. Februar 1953 bis
sächlich Bedingungen schaffen, unter denen diese zum 31. März 1954 konnten den Ländern für
150 000 Zugewiesene die Mittel zum Erstellen von
Dinge gepflegt und weiter gestaltet werden: Pflege
der Hochschultradition der ehemaligen ostdeutschen Wohnungen noch nicht gegeben werden. Daher die
Hochschulen — eine Frage der wirklichen Wirksam- Mißstimmung bei den Ländern, die mit Recht
machung der schöpferischen und wissenschaftlichen sagen: Wir sollen aufnehmen, haben aber nicht die
Kräfte der heimatvertriebenen Hochschullehrer — , Mittel dazu! Auch hier bitte ich um Aufklärung.
Pflege des Brauchtums und — man sieht auf der Ich weiß allerdings, woran es liegt. Es liegt
Tribune immer viel Jugend; darum kann und soll daran, daß man seinerzeit mit zirka 200 000
die Frage angesprochen werden — eine notwendige Flüchtlingen aus der Sowjetzone rechnete. Dann
Inangriffnahme der fachlich-sachlichen Ausrüstung kamen aber 315 000. Nun liegt es bekanntlich nicht
gerade dieser Jugend im Hinblick auf den sla- in der Hand der Bundesregierung, zu sagen: So-
wischen Osten. Eine Frage, die sich immer wieder viel dürfen kommen!, sondern es ist allein die
aufdrängt: Wer kann heute noch eine slawische „Technik" der Sowjetzonenregierung und der Rus-
Sprache? Wer ist bewandert in der Wesensart, dem sen, jeweils durch ihre Angst auslösenden Maß-
Schrifttum, der Kunst der slawischen Völker? Ist nahmen oder durch Enteignungsmaßnahmen so
hier nicht unser Blick zu sehr nach dem Westen viel Menschen zu uns herüberzujagen, wie es in
gewandt? Wie kann eine neue europäische Ordnung ihrem Belieben steht. Das ist ja das Drama, in dem
gebaut werden, wenn hier nicht gewisses Rüst- die Bundesregierung und wir alle bekanntlich
zeug, gewisse Voraussetzungen auch unserer Jugend stehen.
gegeben sind? Sehen Sie doch hinüber in die Es ist auch nicht meine Aufgabe, in diesem Rah-
sowjetisch besetzte Zone! Da wird die Jugend men nun alle die Dinge aufzuzählen, die diesen
gerade im Hinblick auf die Oder-Neiße-Linie und Strom von Flüchtlingen verursacht haben. Ich darf
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aber im Namen vieler Sowjetzonenflüchtlinge der Engel kommen. Da möchte ich einmal die Frage
eingesessenen Bevölkerung auch einmal unseren stellen, ob man nicht den Menschen aus dem so-
Dank für die Aufnahme und für die Eingliederung wjetzonalen Raum denselben Prozentsatz nicht
aussprechen. Man sagt manchmal, besonders von Arbeitswilliger wie der gesamten Bevölkerung zu-
seiten der Altheimatvertriebenen, wenn ich sie so gestehen sollte.
nennen darf: Warum werden die Sowjetzonen- Hier darf ich noch etwas anfügen. Unter den
flüchtlinge in der Wohnungsbeschaffung usw. be- Menschen, die aus der Sowjetzone oder aus Ost-
vorzugt? Meine Damen und Herren, ich glaube,
der Herr Bundesvertriebenenminister wird es mir Berlin gekommen sind, sind auch solche, die wirk-
lich etwas an Wissen, an Erfahrung, an weltweiten
bestätigen können: das war ein einfaches Rechen- Beziehungen mitgebracht haben. Ich darf bloß dar-
exempel. Die Menschen mußten irgendwo unter-
auf hinweisen, daß von den Industriebetrieben mit
gebracht werden, und man stand vor der Wahl: über 10 Beschäftigten, die wir in der Bundesrepu-
Barackenbau, also Lagervergrößerung, oder gleich blik haben, allein 2088 Betriebe mit insgesamt
richtige Wohnungen bauen, damit das Lagerleben, 187 176 Beschäftigten aus der Sowjetzone stam-
das auch zu einer Lagerpsychose und zu ganz un- men. Mit diesen Menschen ist also auch etwas auf-
erfreulichen Folgen führt — worüber ich Unter- gebaut worden. Natürlich brauchen die Menschen
lagen vor mir liegen habe —, möglichst einge- dazu Hilfe, nämlich Anfangskapital. So wie jede
schränkt wird. Ich bitte auch die Altheimatvertrie- Firma, die gegründet wird, mit irgendeinem An-
benen, im Hinblick auf das, was ich ausgeführt fangskapital arbeiten muß, erwarten auch wir
habe, für die Maßnahmen der Bundesregierung in diese Hilfe, damit wir produktiv arbeiten können.
der Wohnungsbeschaffung Verständnis zu haben. Allerdings sind wir, worauf meine Vorredner
Aber dem Dank, den wir der Bevölkerung zum schon hingewiesen haben, hier insofern benachtei-
Ausdruck bringen, darf ich auch ruhig einmal ent- ligt, als wir im Gegensatz zu den Heimatvertrie-
gegenstellen, daß die Sowjetzonenflüchtlinge für benen leider keinen Rechtsanspruch auf Hauptent-
die einheimische Bevölkerung und die Bundes- schädigung haben, sondern nur Aufbaudarlehen be-
republik insgesamt keine Belastung bedeuteten, kommen können. Dabei hängt es von Ermessens-
sondern sogar ein volkswirtschaftlicher Gewinn entscheidungen einer bürokratischen Maschinerie
waren und sind, soweit sie arbeitsfähig sind. Ich ab, ob ein Darlehn gegeben wird oder nicht, Dinge,
darf auf folgende Zahlen hinweisen: Laut den Sta- die manchmal den Aufbauwillen direkt lähmen.
tistiken, die vom Bundesvertriebenenministerium Ich glaube also, daß wir hier im Hinblick auf den
herausgegeben werden, sind heute in die Bundes- volkswirtschaftlichen Gewinn für die Bundesrepu-
republik aus dem sowjetzonalen Raum zirka 2,2 blik etwas großzügiger sein und diesen Menschen
Millionen Menschen eingeschleust worden oder ge- mehr helfen sollten.
kommen. Von diesen befinden sich nach den An- Weiter ist die Frage der Fahrpreisermäßigungen
gaben, die der Herr Bundesvertriebenenminister angeschnitten worden. Auch ich habe seinerzeit
heute gemacht hat, wenn ich ihn richtig verstan- einen Antrag auf Fahrpreisermäßigung für Sowjet-
den habe, noch zirka 140 000 in Lagern, also etwas zonenflüchtlinge eingebracht, weil ich auf dem
mehr als 6 %. Schon daraus mögen Sie ersehen, Standpunkt stehe: was den Heimatvertriebenen
daß sich eine Eingliederung in weitem Ausmaß recht ist, muß den Sowjetzonenflüchtlingen billig
vollzogen hat. Von diesen Menschen, die da einge- sein. Bei der katastrophalen finanziellen Lage der
gliedert wurden, sind aber — und das bitte ich Bundesbahn sind wir in dieser Hinsicht leider
besonders die einheimischen Abgeordneten einmal noch nicht weitergekommen. Wir dürfen bloß hof-
zur Kenntnis zu nehmen — 74,8 % im arbeits- fen, daß sich nach Verabschiedung der Verkehrs-
fähigen Alter von 14 bis 65 Jahren. 22,7 % sind im gesetze ein Weg findet, auch dies ins richtige Gleis
Alter von 1 bis 14 Jahren, also Kinder, die aber zu bringen.
zur Arbeitsfähigkeit heranwachsen, die wir als
Nachwuchs brauchen. Wir haben doch heute schon Einer meiner Vorredner hat gemeint, man sollte
die Sorgen, woher in einigen Jahren der Nach- eigentlich den Sowjetzonenflüchtlingen ein eigenes
wuchs, woher die Lehrlinge usw. kommen werden. Recht, eigene gesetzliche Ansprüche aus neuen Mit-
Nur 2,5 % der Flüchtlinge sind älter als 65 Jahre, teln geben. Ich habe erst kürzlich in einem Aus-
also auf die Dauer im allgemeinen unterstützungs- schuß dieses Hauses dazu folgende Formulierung
bedürftig. Diesen günstigen Prozentsatz konnten gebraucht: Der Spatz in der Hand ist mir lieber
weder die Einheimischen aufweisen, weil die Glie- als die Taube auf dem Dach, d. h. solange dieses
derung eine ganz andere ist, noch viel weniger die Gesetz nicht besteht und diese neuen Mittel nicht
Heimatvertriebenen. Das ist verständlich; denn bei gefunden werden, müssen wir, ob wir wollen oder
den Heimatvertriebenen mußte alt und jung gehen, nicht, darauf bestehen, daß wir unsere Aufbau-
während bei den Sowjetzonenflüchtlingen die hilfen, Berufsausbildungsbeihilfen, Hausrathilfen,
Alten meist zurückbleiben und nur die flüchten, Existenzaufbaudarlehen usw. aus dem Härtefonds
die sich noch zutrauen, eine neue Existenz schaffen erhalten.
zu können. Hier taucht noch ein anderes Problem auf; auch
Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich diese das möchte ich an dieser Stelle einmal zum Aus-
Zahlen vor Augen führen, werden Sie sehen, daß druck bringen. Im Gegensatz zu den Heimatvertrie-
die 2,2 Millionen aus dem sowjetzonalen Raum benen haben wir, wie ich vorhin ausgeführt habe,
eine wertvolle Arbeitskräfteergänzung und Ar- keinen Hauptentschädigungsanspruch, den wir als
beitsbeschaffungsergänzung geworden sind. Wir Sicherheit hingeben können. Ich könnte mir den-
haben heute nach den Ausweisen des Bundes- ken, daß, solange dieser gesetzliche Anspruch nicht
arbeitsministeriums bekanntlich nicht mehr ganz besteht, eine Treuhandgesellschaft gebildet wird,
800 000 Arbeitslose, von denen die Hälfte nicht die mit staatlicher Bürgschaft diese Sicherheiten
mehr arbeitseinsatzfähig ist. Praktisch wäre also geben kann, die nun einmal für Aufbaudarlehen
heute schon Arbeitermangel in großem Ausmaß seitens der Länder usw. verlangt werden.
vorhanden, wenn nicht der dauernde Nachstrom Hier wäre noch eine weitere ganz interessante
aus der Zone käme. Wir wissen, daß nicht lauter Frage aufzuwerfen, wenn auch zur Zeit vielleicht
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(Miller)
nur theoretisch. Glaubt man an die Wiedervereini- Anspruch auf Hilfe geben, muß ich feststellen, daß
gung, dann kann man das zurückgelassene Ver- Hessen darin am weitesten zurück ist. Ich darf je-
mögen der Sowjetzonenflüchtlinge als Sicherheit denfalls mein jetziges Heimatland Bayern als
heranziehen. Glaubt man nicht mehr daran, dann bestes hervorheben. Dort sind nämlich nur 14,9 %
muß man sowieso zu dem gleichen Ergebnis kom- der Anträge auf Ausstellung eines Ausweises C
men wie bei den Heimatvertriebenen, also zur im Rückstand, während in Hessen am 30. Juni im-
gleichen Entschädigung. Aber wir alle glauben dar- merhin noch 81,9 % Rückstände vorhanden waren.
an, und daher könnte man meiner Ansicht nach Gerade wir Sowjetzonenflüchtlinge haben die be-
die in der Sowjetzone zurückgelassenen Werte ohne sondere Bitte an Hessen, in dieser Beziehung mit
weiteres als Sicherheit bei der Treuhandgesell- den anderen Ländern endlich gleichzuziehen, damit
schaft heranziehen. auch unsere Sowjetzonenflüchtlinge in Hessen die
Im übrigen wissen wir und sind ehrlich genug, Ansprüche aus dem Ausweis C, auf Steuervergün-
zuzugeben, daß nicht jder, der von drüben kommt, stigungen und auf die anderen Möglichkeiten des
ohne weiteres Flüchtling ist. Darum erhalten j a die Härtefonds endlich ausschöpfen können. Daß wir
unter besonderer Zwangslage Geflüchteten den selbstverständlich — und hier spreche ich eine
Ausweis C und die anderen eben nicht. Ich darf das große Bitte aus — besonderen Wert darauf legen
an einem kleinen Beispiel ausführen. In der Stadt müssen, daß die Steuerermäßigungen gemäß § 33 a
in Bayern, in der ich nach meiner Flucht meinen und andere Ermäßigungen weiterlaufen, ergibt sich
neuen Wohnsitz genommen habe, ist von der Zone aus der Tatsache unserer Flucht, d. h. wir sind nicht
her eine große Autoindustrie entstanden. Wenn nur schon 1945 und 1946 gekommen, sondern die-
nun die Facharbeiter nachgezogen worden sind, ser Strom kommt seit Jahren immer weiter. Es
dann sind das unseres Erachtens keine echten wäre meines Erachtens die größte Ungerechtigkeit,
Flüchtlinge, sondern das sind eben Menschen, die wenn diese Vergünstigungen abgeschafft würden,
ihren Wohnsitz verlagert haben, weil sich ihr Werk ohne daß uns ein Äquivalent geboten wird, weil
verlagert hat. Man kann ihnen also nicht ohne wei- die Menschen, die jetzt kommen und den Ausweis C
teres den gleichen Anspruch zugestehen, den die erhalten, dann wohl einen Ausweis, aber keine
Menschen haben, die aus tatsächlicher Bedrohung Vergünstigungen mehr hätten, während die an-
heraus bzw. aus Gefahr für Leib und Leben oder deren, die früher gekommen sind, die Möglichkeit
einer besonderen Zwangslage gehen mußten. hatten, die Vergünstigungen auszunützen.
Diese Dinge, die ich nur einmal angeschnitten (Abg. Samwer: Durchaus nicht im vollen
habe, zeigen, welche Sorgen uns bewegen. Wir Umfang bisher!)
wünschen, daß zumindest die Menschen, die den — Das ist eine andere Frage.
Ausweis C besitzen, nicht mehr allein von Ermes-
(Abg. Samwer: Dann sagen Sie es doch!)
sensentscheidungen bzw. der Anerkennung einer
besonderen Notlage bzw. zuerst von der Auswer- Wenn jemand im Lager saß, konnte er sie nicht
tung der Verwandtenhilfe abhängen, daß sie ein- ausnützen. Da haben Sie vollkommen recht, das
mal einen bestimmten Rechtsanspruch auf Lei- weiß ich, Herr Kollege. Oder wenn er arbeitslos
stungen aus dem Härtefonds erhalten, und zwar war, konnte er sie auch nicht ausnützen. Dem ver-
besonders auf Hausrathilfe, Berufsausbildungsbei- schließen wir uns auch gar nicht.
hilfe, Wohnungsbaudarlehen und andere Dinge, die (Abg. Samwer: Dann sagen Sie es doch
uns täglich bedrängen: gleich!)
(Abg. Dr. Keller: Reichen Sie doch ein Ge
setz ein!) — Sie sehen ja, ich bin ohne weiteres bereit, dar-
auf einzugehen, wenn Sie mich daran erinnern.
— Wenn Sie dieser Meinung sind, darf ich auf Sie werden andererseits verstehen, daß wir den
Punkt 6 der heutigen Großen Anfrage der SPD größten Wert darauf legen müssen, daß wir die
zurückkommen. Die SPD fragt dort, warum der steuerlichen Vergünstigungen, die die einheimische
Beschluß vom 16. Mai 1952 noch nicht realisiert,
- Bevölkerung in den Jahren 1948/1951 in Anspruch
d. h. seitens der Bundesregierung keine gesetzliche nehmen konnte, wenigstens auch noch einige Jahre,
Regelung getroffen wurde. Hier möchte ich die Ge- wenn wir kommen, in Anspruch nehmen können,
genfrage stellen: wenn schon vor 28 Monaten der bis wir uns einigermaßen eingegliedert haben. Das
Beschluß gefaßt wurde, warum hat nicht die SPD sind Fragen, die ich in diesem Zusammenhang ein-
inzwischen selber ein Initiativgesetz eingebracht? mal anschneiden wollte, um Ihnen zu zeigen, daß
Die Schwierigkeiten sind eben auch dort erkannt wir Sowjetzonenflüchtlinge in der großen Mehr-
worden: daß wir hier nicht nur lauter politische zahl Menschen sind, die gewöhnt sind zu arbeiten,
Flüchtlinge haben oder Flüchtlinge aus besonderer die alle danach streben, sich einzugliedern, und daß
Zwangslage, sondern daß wir mit einem großen wir damit nicht nur vielen Menschen die Lager-
Kreis von Menschen zu rechnen haben, die nicht psychose nehmen, sondern unserer Bundesrepublik
von dem Gesetz erfaßt werden können, aber doch auch einen volkswirtschaftlichen Dienst erweisen.
irgendwie untergebracht werden müssen. Daher
glaube ich, daß wir mit den bisherigen Regelungen (Beifall bei der CDU/CSU.)
so lange noch hinkommen müssen, bis sich die
Dinge klarer abzeichnen. Dann wird man an diese Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
Probleme ernsthaft herangehen müssen. geordnete Rehs.
Herr Jaksch hatte die Freundlichkeit, auf Hessen
als Vorbild hinzuweisen. Ich muß schon sagen, aus- Rehs (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
gerechnet wir Sowjetzonenflüchtlinge können dem Herren! Ich habe mich nur zum Wort gemeldet, weil
gar nicht beistimmen, wir sind von Hessen viel- der Herr Kollege R i n k e im Zusammenhang mit
mehr etwas enttäuscht. Wenn ich mir z. B. die Zah- der Umsiedlung Ausführungen über Schleswig-
len — die auch vom Bundesvertriebenenministe- Holstein gemacht hat, die nicht unwidersprochen
rium kommen — ansehe hinsichtlich der Ausstel- bleiben können. Diese Ausführungen sind in ihrer
lung der Ausweise C, die ja bekanntlich erst den Abruptheit derart grob willkürlich und in ihren
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(Rehs)
Schlußfolgerungen angesichts der wirklichen Tat- in gar keinem Verhältnis zueinander! Wir haben
sachen derart absurd, in der Zeit von 1945 bis 1953 durchschnittlich ganze
(Zuruf vom GB/BHE: Hört! Hört!) 780 ha im Jahr durch Neusiedlung auf Od-, Moor-
und Rodungsflächen erhalten und haben weit mehr
daß man sich fragt, was mit diesem Angriff beab- als das Zehnfache dieser Fläche durch Baugelände,
sichtigt ist und wer damit getroffen werden sollte: Straßen, Truppenübungsplätze und ähnliches für
der Parteifreund von Minister Oberländer, der die landwirtschaftliche Nutzung verloren. Wir sind
Herr Landesminister Asbach, oder der Parteifreund also keineswegs durch die Bestimmungen des
von Herrn Rinke, der bisherige CDU-Regierungs- Bundesvertriebenengesetzes und des alten Flücht-
chef in Schleswig-Holstein, Lübke. lingssiedlungsgesetzes vorwärtsgekommen, sondern
(Zuruf vom GB/BHE: Ausgezeichnet!) wir sind von Jahr zu Jahr ganz gewaltig zurück-
geschlagen worden.
Ich versage es mir, auf diese böswilligen Aus-
führungen im einzelnen einzugehen. Ich empfehle Es ist auch eigenartig, daß beispielsweise die
Herrn Rinke, einen Blick in die Propagandaschrift Preise für Moor- und Ödland sowie für Rodungs-
zu tun, die unter der Verantwortung und dem flächen nach dem Erlaß des Bundesvertriebenen-
Geleitwort seines CDU-Parteifreundes Lübke für gesetzes von durchschnittlich 50 DM pro Hektar auf
den abgelaufenen Landtagswahlkampf in Schles- jetzt 1000 bis 1200 DM pro Hektar gestiegen sind.
wig-Holstein hergestellt und verbreitet worden (Hört! Hört! bei der SPD.)
ist. Ich bin auf das äußerste befremdet, daß die
Parteifreunde des Herrn Rinke aus Schleswig- Es wäre vielleicht ganz interessant, zu untersuchen,
Holstein, die in diesem Hause sitzen, zu diesen auf welchen Zusammenhängen diese eigenartigen
Ausführungen geschwiegen haben. Die Bevölke- Preissteigerungen beruhen.
rung von Schleswig-Holstein wird hiervon mit Noch eine andere Frage muß in diesem Zusam-
Interesse Kenntnis nehmen. Im übrigen empfehle menhang angesprochen werden. Der Herr Minister
ich Herrn Kollegen Rinke, bei seinen Kollegen in hat uns die Zahl von 16 381 Eingliederungsfällen
der Koalition und in der Bundesregierung lieber für das Jahr 1954 genannt. Eine wunderbare Zahl,
dafür zu sorgen, daß die Bundesregierung endlich aber es stört doch etwas, daß 63 % davon nur auf
ihre Schuldigkeit gegenüber dem Land Schleswig- Nebenerwerbsstellen angesiedelt werden sollen.
Holstein tut, daß sie endlich die finanziellen Maß- Diese Frage der Nebenerwerbsstellen macht uns
nahmen beschließt, die Schleswig-Holstein braucht, allerhand Kummer. Herr Minister, Sie wissen wie
um nicht länger Stiefkind des Bundes zu sein, wir, daß die Statistik die Stellen erst von 2 ha an
anstatt solche undurchdachten, ungeordneten und zählt. Was unter 2 ha liegt, ist die große Gruppe
unernsthaften Ausführungen hier im Hause zu der Nebenerwerbs- oder Aufbaustellen. Doch diese
machen. Statistik verschleiert vieles. Das soll ja auch bei
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.) anderen Gelegenheiten vorkommen; aber gerade
hier ist eine ganz besondere Verschleierung im
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- Gange. 2 ha sind in einigen Gegenden Deutschlands
geordnete Merten. und bei einer besonderen Art der Bewirtschaftung
eine Vollerwerbsstelle, während sie in anderen
Merten (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Gegenden eine Angelegenheit sind, über die man
und Herren! Ich hatte mich ursprünglich nicht zum gar nicht groß zu sprechen braucht. Im letzten Falle
Wort gemeldet, weil ich annahm, daß sich der Herr wird es niemals möglich sein, hier einen großen
Kollege Leukert mit der Eingliederung der Ver- landwirtschaftlichen Nutzen herauszubringen. Wir
triebenen in die Landwirtschaft befassen würde. wissen jedoch aus der Erfahrung, daß viele Tausende
Aber Herr Kollege Leukert hat nur einige Sätze von heimatvertriebenen Landwirten Stellen be-
dazu gesagt, weil ihm seine ganze Zeit dadurch kommen haben, die 1 /8 ha groß sind. Das ist dann
verlorenging, daß er sich mit der Auswirkung - der ein Haus mit einem Garten, hat aber mit Einglie-
hier gehaltenen Reden auf den hessischen Wahl- derung in die Landwirtschaft nicht das geringste
kampf auseinandersetzen mußte. Ich darf deshalb zu tun. Das ist eine Kleinsiedlung am Arbeitsplatz
einige Dinge nachtragen, die er hat sagen wollen oder am Standort der Fabrik. Dagegen hat natür-
und im Drange der Ereignisse nicht hat sagen lich kein Mensch etwas.
können.
Wenn ich heute zu einem heimatvertriebenen
Herr Minister Oberländer hat vorhin am Schluß Bauern in der Rhön oder auf dem Vogelsberg gehe
seiner Ausführungen mit Recht und wohl auch mit und sage: „Wenn du willst, kannst du sofort in
einer bestimmten Absicht gesagt, man müsse unter- Rüsselsheim bei den Opelwerken anfangen, und du
scheiden zwischen der formellen Verantwortung, bekommst auch sofort eine Wohnung; wenn du
die er als Minister trage, und der Zuständigkeit Bauer werden willst, dann muß ich dir leider aber
anderer Ressortminister für gewisse Dinge, die sagen, daß das noch fünf oder zehn Jahre dauern
da zu geschehen hätten. Ich glaube, gerade in bezug kann", dann möchte ich einmal denjenigen sehen,
auf die Eingliederung der Vertriebenen in die der nicht sofort ja sagt und in die Fabrik geht,
Landwirtschaft hat er da ein sehr wahres Wort damit er erst einmal ein Dach über den Kopf und
ausgesprochen. Dann was in Wirklichkeit geschieht Geld in die Kasse bekommt. Aber diese etwas
und was draußen in Form von Richtlinien und Dinge haben nichts mit der Eingliederung in die
Verordnungen ankommt, ist grundverschieden von andwirtschaft zu tun. Viele Nebenerwerbsstellen L
dem, was Herr Minister Oberländer gewollt und haben keinerlei Aussicht, jemals als Grundlage für
sich in seinen Plänen vorgenommen hat. Die Zah- einen Vollerwerb in der Landwirtschaft dienen zu
len, die er uns genannt hat, sind selbstverständ- können, ja viele Nebenerwerbsstellen haben über
lich richtig; aber wie nehmen sich diese Siedlungs- hauptgarnichtsmiderLandwirtschaftzu n.
zahlen aus gegenüber einer Landflucht von jähr- Noch nicht einmal die Kartoffeln und die Futter-
lich 300 000 Menschen, von denen genau 85 % mittel für den eigenen Betrieb können auf einer
Heimatvertriebene sind! Das steht doch überhaupt solchen Stelle gewonnen werden.
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(Merten)
Wir hätten also den Wunsch und die Bitte, Herr — Die Zahlen sind ja bekannt, Herr Kollege Kunze.
Minister, daß das in Zukunft in der Statistik etwas (Abg. Kunze [Bethel]: So viele Höfe haben
genauer aufgegliedert wird, damit wir endlich ein- wir leider nicht!)
mal davon herunterkommen, die Bildung dieser
Zwergbetriebe als Eingliederung in die Landwirt- — Ich werde Ihnen gleich die Zahlen nennen. Sie
schaft zu bezeichnen. Ich bin der Auffassung, daß werden sehen, daß da noch die Hälfte übrigbleibt.
auch Sie selbst nicht die Absicht haben, das zu tun. Es werden in Deutschland allein 221 800 Höfe von
Frauen bewirtschaftet, von denen 51 500 über
Wie die Kulturämter verfahren, ist an einem 65 Jahre alt sind; das sind 23,2 %. Ich sage: Hut ab
krassen Beispiel klargelegt worden, das auch vor den Frauen, die sich diese Arbeit machen, Hut
Ihnen, Herr Minister, bekannt ist. Als ein Bauer ab vor den Frauen, die noch diese außerordentlich
eine Nebenerwerbsstelle einrichten wollte, die noch schwierige Arbeit leisten! Aber glauben Sie nicht,
nicht 2 ha groß war, hat ihm das Kulturamt — es daß nun hier etwas geschehen müßte, und zwar
ist das Kulturamt in Unna gewesen — die Auflage auch im Interesse der Steigerung der Produktion,
gemacht, von dieser geringen Fläche noch Land nicht nur der Eingliederung der Vertriebenen?
an zwei andere Vertriebene abzugeben; andern- Müßte da nicht eine Möglichkeit gefunden werden,
falls, so wurde gesagt, könnte man ihm nicht die daß junge und leistungsfähige Menschen diese Be-
ganze Stelle geben. Ich stelle fest, daß das Ver- triebe übernehmen? Wir können nicht warten, bis
halten eines Kulturamtes in dieser Frage in strik die Gesetze über die allgemeine Altersversorgung
tem Widerspruch zu dem Willen des Gesetzgebers der landwirtschaftlichen Bevölkerung oder der
steht, den dieser bei der Verabschiedung des Bun- Handwerker verabschiedet sind. Hier dreht es sich
desvertriebenengesetzes hatte. um den ganz speziellen Fall, daß der Inhaber eines
Dazu kommt noch etwas anderes. Ein Bauer, der auslaufenden Hofes bereit ist, ihn einem vertrie-
ein Aufbaudarlehn für eine Wohnung erhält, behält benen oder einheimischen Bauern zu geben.
seine Kriegsschadenrente. Ein Bauer, der ein Auf- Was kann man tun, um für das Alter des Betref-
baudarlehn zur Errichtung einer landwirtschaft- fenden zu sorgen, wenn die Pacht oder der Kauf-
lichen Nebenerwerbsstelle erhält, die vielleicht preis nicht ausreichen, eine Rente sicherzustellen?
genau so aussieht, verliert seine Kriegsschaden-
Der Herr Bundesminister hat zu dieser Frage er-
rente in aller Regel. Das kann man nicht gerade
klärt, daß es noch keine irgendwie geartete ge-
als Anreiz zur Eingliederung in die Landwirtschaft
setzliche Regelung gebe, daß man aber versuchen
bezeichnen.
wolle, mit Beihilfen und Bürgschaften einen Mittel-
(Sehr gut! bei der SPD.)
weg zu finden. Ja, die Erhöhung der Beihilfen ist
Ich frage mich und frage Sie, Herr Minister: notwendig. Der Anteil der Beihilfen bei der land-
Wieviel von diesen 63 % der im laufenden Jahr wirtschaftlichen Siedlung ist von 40 % auf 15 % ge-
errichteten Neben rwerbsstellen mögen für die fallen. Es ist also genau das Gegenteil von dem ein-
Angesiedelten eine echte Eingliederung in die getreten, was man tun müßte, um hier vorwärtszu-
Landwirtschaft sein, und wieviel davon mögen kommen. Ich habe mir sagen lassen, es stünden
nichts anderes sein als eine Unterbringung von schon seit längerer Zeit 100 000 DM aus ERP-Mit-
Vertriebenen in Arbeit und Wohnung, die man teln bereit, um damit einmal eine Probe der Alters-
aber nicht unter dieser Rubrik aufzählen dürfte? versorgung für die Besitzer auslaufender Höfe zu
Herr Minister, Sie haben auch die Fragen, die machen, sie könne jedoch nicht stattfinden, weil
sich mit den drei Gesetzentwürfen befassen, d ie man für das Geld noch keinen Träger gefunden
wirvelangthb,miSäzenrldgt. habe. Ich glaube, daß diese Formalitäten nicht die
Es ist Ihnen ja auch nichts anderes übriggeblieben. entscheidende Rolle spielen sollten, wenn es sich
Diese Gesetzentwürfe liegen eben weder dem Ka- um das Schicksal einer großen Gruppe von Men-
binett vor, noch besteht Aussicht, daß wir sie im schen handelt. Die Altersversorgungsfrage, Herr
Bundestag in absehbarer Zeit zu sehen bekommen. Minister, sollte viel energischer angepackt werden.
Diese Gesetzentwürfe sind zwar da, sie sind - auch Der Weg, über Beihilfen und Bürgschaften weiter-
zu sehen, und viele haben sie auch. Aber es ist eine zukommen, wie Sie vorgeschlagen haben, ist durch-
ein bißchen merkwürdige Methode, glaube ich, daß aus gangbar; aber die Sache muß nun einmal aus
man derartige Gesetzentwürfe wochen- und dem Stadium der theoretischen Diskussion heraus,
monatelang mit allen möglichen Leuten berät und und es muß etwas geschehen.
nur derjenige, der diese Gesetzentwürfe nachher Die allgemeine Eingliederung der Vertriebenen
zu beschließen hat, sie zu allerletzt zu sehen be- in die Landwirtschaft hat sich ja verzögert. Wir
kommt. Diese ganzen zeitraubenden Vorberatun- wissen, daß das verschiedene Gründe hat. Meines
gen sind vollkommen überflüssig. Hier ist der Erachtens zieht aber der Grund nicht, daß die
Bundestag, der die Gesetze zu beschließen hat. Hier Länder nicht tüchtig genug wären. Die Länder
und nicht irgendwo anders müssen sie beraten haben nichts machen können, weil die Finanzie-
werden. Da draußen sind die Zehntausende von rungsrichtlinien, die nach dem Bundesvertriebenen-
Menschen, die nicht mehr viel Zeit haben, auf die gesetz vorgesehen sind, nicht herausgekommen
Verabschiedung der Gesetze zu warten. Auch an sind. Das Gesetz trägt das Datum des 19. Mai 1953.
die muß man endlich einmal denken, wenn man Die in § 46 vorgesehenen Finanzierungsrichtlinien
eine derartige Frage bearbeitet. sind glücklich am 31. März 1954, also zehn Monate
(Beifall bei der SPD.) später, herausgekommen. Erst damit wußten die
Länder im allgemeinen, mit welchen Mitteln sie
Die Altersversorgung der Eigentümer auslaufen- rechnen und wie sie sie verteilen konnten. Diese
der Höfe ist eine entscheidende Frage für die Ein- Verzögerung ist unverantwortlich. Die Berichte aus
gliederung der Heimatvertriebenen. Wenn man die den Ländern besagen, daß gerade wegen dieser
auslaufenden Höfe zur Verfügung hätte, gäbe es Verzögerung die Zahl der Eingliederungsfälle im
morgen keine vertriebenen Bauern ohne Hof mehr, vergangenen Jahr wesentlich niedriger war als in
nicht einen einzigen. allen vorhergehenden Jahren. Dazu kommt, daß die
(Abg. Kunze [Bethel]: Na, na!) Siedlungsmittel im Bundeshaushalt um 55 % hin-
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(Merten)
ter dem Betrag zurückbleiben, der im Gesetz vor- ten soll, die Siedlungsbank oder die Landesrenten
gesehen ist. Daraus folgt alles andere und wird bank oder wer immer. Ich sage Ihnen: es interes-
klar, daß es nicht möglich ist, die Zahlen zu er- siert die vertriebenen Bauern nicht einen Pfiffer-
reichen, die sich der Herr Minister vorgenommen ling, wer diese Mittel verwaltet, sondern sie sind
hat. lediglich daran interessiert, daß diese Mittel schnell
fließen und daß sie nicht in einem komplizierten,
Wir fragen auch: Wo bleibt der Vierjahresplan, sondern in einem einfachen Verwaltungsverfahren
den das Gesetz zwingend vorschreibt? Die sozial- zu ihren Höfen kommen. Daß die Kulturämter alle
demokratische Fraktion hat sich bereits im Januar
dieses Jahres danach erkundigt und von dem Herrn Rekorde in der Langsamkeit schlagen, mit der man
Landwirtschaftsminister die äußerst merkwürdige eine Sache verwaltungsmäßig durchführen kann,
Antwort bekommen, das Gesetz sehe einen derarti- ist ja schon seit langem bekannt. Es gibt Verfahren,
die Jahrzehnte alt sind, auch auf anderem Gebiet.
gen Plan gar nicht vor, sondern es genüge voll-
kommen, wenn von Jahr zu Jahr ein Siedlungsplan Aber bei den Vertriebenen erleben wir es immer
wieder, daß durchschnittlich ein zweijähriger
vorgelegt werde. Alle, die bei der Beratung des
Vertriebenengesetzes dabei waren, wissen, daß von Kampf mit der Bürokratie notwendig ist, um zum
den Sachverständigen festgestellt worden ist, daß Ziel zu kommen. Auch hier wäre es an der Zeit —
und das ist nicht die Sache des Gesetzgebers, son-
man auf dem Gebiete der Siedlung nicht kurz-
fristig, sondern nur langfristig planen könne, und dern die der Verwaltung —, zu einer Vereinfachung
zu kommen. Denn diese Vereinfachung wird dann
daß aus diesem Grunde in das Gesetz ausdrücklich
immer auch eine Beschleunigung bedeuten. Was
hineingeschrieben worden ist, die Bundesregierung wir wollen, ist eine schnelle Eingliederung. Wir
möge einen Plan für vier Jahre vorlegen. Es ist
wollen sie deswegen schnell, weil nach den Berech-
nicht genügend, wenn von Jahr zu Jahr von der nungen, die heute vorliegen, der letzte vertriebene
Hand in den Mund gelebt wird. Wenn irgendwelche Bauer ungefähr 50 Jahre warten müßte, bis auch
Juristen glauben, eine Auslegung finden zu sollen,
er an die Reihe käme. Wir haben vorhin gesagt,
die dem Willen des Gesetzgebers hundertprozentig
5 % der Selbständigen in der Bundesrepublik seien
entgegengesetzt ist, dann können wir uns da- Vertriebene. Bei den Bauern sind es etwa 0,5 %,
mit nicht zufrieden geben. Wir müssen ver- also ein Prozentsatz, der wesentlich darunter liegt.
langen, daß dieser im Gesetz zwingend vor- Es ist sehr schwer, die bäuerliche Bevölkerung
geschriebene Vierjahresplan für die Siedlung dann, wenn sie aus Not in andere Berufe abgewan-
vorgelegt wird, weil es nur so möglich wird, dert ist, wieder zum alten Bauernberuf zurückzu-
in dieser Frage auch zu einer vernünftigen bringen. Deswegen geht es uns um schnelle Erledi-
Regelung und zu einem vernünftigen Pro- gung dieser Frage, weil es hier zugleich um die
gramm zu kommen. Es ist auch vollkommen un-
Erhaltung unersetzlicher Kräfte unseres Volkstums
klar, warum das Gesetz in diesem Punkt falsch
und unseres Bauerntums geht.
verstanden wird. Aus den monatelangen Verhand-
lungen geht hervor, daß der Wille des Gesetzge- (Beifall bei der SPD.)
bers ganz eindeutig gewesen ist. Hier hat zwar
auch der Bundesvertriebenenminister die Verant- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
wortung, aber der Fehler ist in einem ganz anderen geordnete Elsner.
Ressort, nämlich im Landwirtschaftsministerium, Elsner (GB/BHE): Herr Präsident! Meine Damen
gemacht worden. und Herren! Herr Kollege Merten hat in über-
Das Grundstücksverkehrsgesetz, Herr Minister, zeugender Weise die zentralen Probleme der Ein-
kenne ich und kennt, glaube ich, ein großer Teil gliederung des heimatvertriebenen Bauerntums
der daran interessierten Personen. Es ist aber bis angesprochen. Ich kann mich deshalb kurz fassen
jetzt weder vom Kabinett verabschiedet noch dem und darf vielleicht mit wenigen Sätzen das noch
Bundesrat noch dem Bundestag zugegangen. Ich ergänzen, was vorgetragen worden ist.
glaube auch, daß es in der vorliegenden Form- nicht Die Situation beim heimatvertriebenen Bauern
das erfüllt, was es erfüllen soll, daß nämlich be- tum liegt doch so, daß 450 000 Bauernfamilien in
stehende Höfe nicht mehr zerschlagen werden dür- die Bundesrepublik gekommen sind. Davon ist
fen. Wir hoffen, daß dieses Gesetz trotz des zeit- die Hälfte berufsfremd geworden, 52 000 sind ein-
raubenden Weges, den man sich gesucht hat, um es gegliedert, und etwa 160 000 Bauernfamilien sind
verabschieden zu können, in absehbarer Zeit auf noch eingliederungswillig. Wenn also diese Ein-
der Tagesordnung dieses Hauses steht. Es wird gliederung in demselben Tempo weiter verläuft,
dann wahrscheinlich gelingen, die Zerschlagung muß damit gerechnet werden, daß ein erheblicher
vieler Betriebe zu verhindern und dadurch wieder Teil weiterhin berufsfremd wird und der Land-
die Möglichkeit zu schaffen, einige Vertriebene ein- wirtschaft verlorengeht. Das Problem der bäuer-
zugliedern. lichen Eingliederung steht deshalb unter Zeit-
druck, und es gilt, energisch zu handeln und die
Zusammenfassend möchte ich noch das eine
sagen. Herr Minister, was wir nicht wollen, sind Eingliederung mit aller Energie vorwärtszutreiben.
Ressortstreitigkeiten. Wir wissen, daß Ressortstrei- Vorhin wurde darauf hingewiesen, daß ein Drit-
tigkeiten viele Bestimmungen des Bundesvertrie- tel der Familien auf Vollerwerbsstellen und zwei
benengesetzes sabotiert und ihre Ausführung ent- Drittel auf Nebenerwerbsstellen entfallen. Gerade
weder ganz verzögert oder auf die lange Bank ge- beim Problem der Nebenerwerbsstellen ist ja. ein-
schoben haben. deutig aufgezeigt worden, wieviel Mängel vor-
liegen. Ich darf aber mit Befriedigung feststellen,
(Beifall bei der SPD.) daß sich das Ministerium und das Kabinett dar-
Ich erinnere Sie nur daran, daß beispielsweise die über im klaren sind, daß dieses ungünstige Ver-
Finanzi erungsrichtlinien, die zehn Monate brauch- hältnis — ein Drittel zu zwei Drittel — ins Gegen-
ten, bis sie geboren wurden, daran hängengeblieben teil verkehrt werden muß, um zu einem wirk-
sind, daß man sich nicht einigen konnte, wer die lich echten Erfolg zu kommen und die bäuerliche
Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, verwal Substanz zu erhalten.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2101
(Elsner)
Gewiß ist die Nebenerwerbssiedlung eine Not- willige Bereitstellung von Bodenreformland zur
lösung; aber sie ist immerhin besser als gar keine. Anwendung kommen lassen.
Sie verbindet wenigstens das heimatvertriebene Wir sehen also, daß gerade in der bäuerlichen
Bauerntum mit dem Boden und läßt es nicht ganz Eingliederung noch Erhebliches nachzuholen ist.
berufsfremd werden. Sie führt auch die Jugend Ich darf noch auf eine besonders nachteilige Ent-
an die bäuerlichen Existenz- und Berufsgrund- wicklung hinweisen. Im Flüchtlingssiedlungsgesetz
lagen heran. Das ist meines Erachtens ein außer- wurden bei Einheiratung erhebliche Vergünstigun-
ordentlich wichtiger Gesichtspunkt. Wenn es uns gen auf steuer- und abgaberechtlichem Gebiet ge-
gelingt, die Zahl der Vollerwerbsstellen in dem währt. Diese sind im Bundesvertriebenengesetz
notwendigen Umfang zu erhöhen und die an- weggefallen. Ich muß feststellen, daß sich der
gelegten Nebenerwerbsstellen vielleicht in einem Wegfall dieser Vergünstigungen für die Eingliede-
gewissen Umfang aufzustocken, dann dürften auch rung gerade nach dieser Richtung sehr ungünstig
hier die aufgezeigten Mängel eine gewisse Korrek- ausgewirkt hat. Auch hier müßten neue Erwägun-
tur erfahren. Ich erinnere nur an Niedersachsen, gen Platz greifen, ob man nicht eine Änderung
wo immerhin die Anlage von Nebenerwerbsstellen vornehmen sollte.
so vorgenommen wurde, daß eine Aufstockung
möglich ist. (Beifall beim GB/BHE.)
Entscheidend für diese Entwicklung war die Vizepräsident Dr. Jaeger: Der Herr Bundesmi-
Tatsache, daß nicht genügend Höfe und auch nicht nister für Ernährung, Landwirtschaft und For-
genügend Land auf dem freien Markt anfielen. sten hat das Wort.
Das hat nicht zuletzt auch seine Ursache eben in
der mangelnden Altersversorgung, die auch weiter- Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für Ernährung,
hin dazu führt, daß gerade die kleinbäuerlichen Landwirtschaft und Forsten: Meine sehr verehrten
Betriebe weiter aufgesplittert und devastiert wer- Damen und Herren! Die vorliegenden Grundtat-
den. Es ist ja auch so, daß der Besitzer, der sein sachen sind in ihren Ergebnissen, abgesehen von
Altenteil nicht gesichert sieht, bis in ein Alter den Feststellungen des Herrn Kollegen Dr. Ober-
hinein wirtschaftet, in dem er der Aufgabe nicht länder, kaum erwähnt worden. Wenn man aber
mehr gewachsen ist. Daß darunter der Betrieb festhält, daß von rund 70 000 neuen Stellen, die
leiden muß und vernachlässigt wird, ist klar. Hier durch Siedlung oder durch Übernahme von beste-
liegt also eine nationale agrarpolitische Aufgabe, henden Höfen geschaffen worden sind, 76 % an
diesen Zustand zu meistern. Wenn ich noch darauf Vertriebene und Flüchtlinge gekommen sind und
hinweise, daß rund 1 Million Betriebe unter 24 % an die Einheimischen und daß dafür 677 Mil-
20 Morgen, also 5 ha, liegen, die davon betroffen lionen DM und 292 000 ha zur Verfügung gestellt
werden, dann wird Ihnen das volle Ausmaß dieser worden sind, dann ist das eine ungeheure Leistung.
Aufgabe deutlich. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Der Erfüllung dieser Aufgabe soll ja nicht zu-
Ich stehe in dieser Arbeit seit 1947, und alle, die
letzt auch das neue Grundstücksverkehrsgesetz mich in der Arbeit im Lande Nordrhein-Westfalen
dienen. Hierdurch soll eine Verbesserung der haben beobachten können, werden mir wohl zu-
Agrarstruktur erreicht werden. Ich habe in Er- billigen, daß ich mich in dieser Hinsicht einiger-
fahrung bringen können, daß erhebliche Kräfte maßen angestrengt habe.
am Werk sind, in diesem Grundstücksverkehrs-
gesetz das Vorkaufsrecht der Siedlungsträger aus- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
zuschalten. Wenn das Platz greifen sollte, sehe ich Aber ich darf sagen, daß trotz meiner Bemühun-
darin eine ernste Gefahr für die Landbeschaffung gen von diesem Landanfall von 292 000 ha auf
zur Eingliederung der Vertriebenen. Es würde unser Land knapp 10 % entfallen sind.
interessieren, Herr Minister, ob diese Bestrebun-
gen zutreffen. Wenn Sie nun die Zahl von 292 000 ha — das ist
- nämlich nur das Land, das an Vertriebene gefallen
(Abg. Dr. Gille: Wer macht das?) ist — durch die Zahl von 45 000 dividieren, dann
Wir haben mit Befriedigung feststellen können, kommen Sie auf eine durchschnittliche Größe von
daß das Altersversorgungsgesetz für Bauern in 6,5 ha. Es kann also auch nicht so sein, daß alles
Vorbereitung ist. Aber ehe dieses Gesetz wirklich nur Nebenerwerbsstellen gewesen sind. Diese
zum Tragen kommt, vergeht viel kostbare Zeit, Nebenerwerbsstellen zu schaffen, war eine sehr
was im Hinblick auf den Zeitdruck der Eingliede- schwierige Angelegenheit; denn die Nebenerwerbs-
rung nicht vertretbar ist. Deshalb bitte ich zu stellen mit viel Land sind, wenn der betreffende
erwägen, Herr Minister, ob man nicht mindestens Erwerber in einer schweren gewerblichen oder
den § 46 Abs. 6 und auch den § 42 des Bundes- sonstigen Arbeit steht, in ihrer Bestellung gefähr-
vertriebenengesetzes dahin ergänzt, möglicher- det, wenn nicht Frauen und Kinder oder alte Leute
weise auf dem Wege einer Rechtsverordnung, um da sind, die etwas davon verstehen und die diese
a tempo die Mittel bereitzustellen, die die Alters- Arbeit auch tun wollen. Ich habe deshalb damals
versorgung sicherstellen für den Fall, daß ein in einer Besprechung, die ich in Hamm mit allen
Heimatvertriebener einen solchen Betrieb auf dem Stellen der Verwaltung, mit den Vertriebenen usw.
Kauf- oder Pachtwege übernimmt. hatte, mich auf den Standpunkt gestellt, man sollte
diese Nebenerwerbsstellen sehr vorsichtig und zu-
Das gleiche gilt für das Entschädigungsgesetz für rückhaltend anlegen. Aber gerade die Vertreter
Bodenreformland. Wir müssen damit rechnen, daß der Vertriebenen waren der Meinung, sie in stärk-
es wiederum seine Zeit in Anspruch nehmen wird, stem Umfange zu schaffen, weil man ja gar nicht
ehe dieses Gesetz wirksam wird. Uns kommt es erwarten könne, daß die Hunderttausende von
doch schließlich darauf an, daß möglichst rasch das vertriebenen Bauern alle in Vollbauernstellen
notwendige Land angeboten wird. Vielleicht könnte unterzubringen seien. Bei der dichten landwirt-
man die gleiche Vergünstigung, wie sie im Lasten- schaftlichen Besiedlung Deutschlands mit einer
ausgleichsgesetz § 199 verankert ist, für eine frei durchschnittlichen Betriebsgröße von 7 ha ist ja
2102 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
überhaupt nicht zu erwarten, daß die Eingliede- Dann zur Regelung der Altersversorgung. Meine
rung in vollem Umfange glückt, und alle Reden, Damen und Herren, diese Altersversorgung ist von
die darüber hier gehalten werden, können daran mir mit vorgeschlagen worden. Abgabewillige
gar nichts ändern. kleine Besitzer erhalten von den Übernehmern,
also von den Vertriebenen, nicht genügend Pacht,
(Abg. Kunze [Bethel] : Sehr richtig! —
um davon leben zu können. Hier muß der Weg
Abg. Dr. Gille: Die auslaufenden Höfe,
gegangen werden, die Kosten, die der Unterhalt
Herr Minister!)
der Vertriebenenfamilie im Lager verursachen
Es wird, selbst wenn kein einziges größeres Gut würde, zu einem bestimmten Prozentsatz, vielleicht
mehr übrigbleibt, auch nicht im entferntesten mög- zu 75 %, als Abfindung an die abgebende Familie
lich sein, die Vertriebenen auf bäuerlichen Stellen zu zahlen, damit sie ihre Alterssicherung hat.
unterzubringen. Das sehen die Vertriebenen, die Gleichzeitig kann wiederum eine bäuerliche Fami-
sich mit diesen Dingen befaßt haben, auch ein, und lie das Lager verlassen. Es ist aber kein Zweifel,
deswegen ist ja der Ausweg der Nebenerwerbssied- daß für diese Zwecke Gelder nach den gesetzlichen
lung vorgeschlagen worden. Bestimmungen noch nicht zur Verfügung stehen
Nun gehen aber bei den vorhandenen kleinen und daß sich, wie auch Herr Kollege Oberländer
Stellen gerade diese Besitzgrößen von etwa 2 ha meint, eine Gesetzesänderung, also eine Novelle,
zurück, weil das zu viel Land ist, als daß es neben nicht umgehen lassen wird. Außerdem war im lau-
einer gewerblichen Betätigung noch ordnungs- fenden Jahr keine Möglichkeit, diese Dinge im
mäßig bestellt werden könnte. In den letzten Etat entsprechend zu berücksichtigen. Ich persön-
zwanzig Jahren, also ohne jede Beeinflussung von lich hoffe, daß wir diese Dinge zusammen mit dem
außen, sind in Baden-Württemberg die Stellen zwi- Bundestag in Ordnung bringen und durch Über-
schen 2 und 5 ha um 30 000 ha zurückgegangen, und nahme von Betrieben, die heute noch von abgabe-
die Stellen, die über 10 ha groß sind, haben willigen Besitzern bewirtschaftet werden, durchaus
70 000 ha gewonnen. Das ist also die normale Ent- guten Erfolg haben werden.
wicklung. Wir möchten ja nicht Flüchtlings- und Allerdings täuscht die Zahl von 221 000 Betrie-
Vertriebenenstellen schaffen, die dann in den ben, die von Frauen bewirtschaftet werden. Da
Trend kommen, sich wieder zu entvölkern. Das sind ja die Kinder auf der Stelle, da wird doch
wäre doch sinnlos. die Frau, die heranwachsende Söhne oder Töch-
Infolgedessen kann man nur folgenden Weg ter hat, in keinem Falle bereit sein, die Stelle
wählen: die Stellen so klein zu machen, daß der außerhalb der Familie abzugeben, wenn nicht ein
Betreffende noch das Gefühl hat, sich landwirt- Notstand besteht. Diese Stellen kann man also auch
schaftlicher Arbeit hingeben zu können; und das nicht im entferntesten ansprechen. Wohl aber wer-
war etwa mit 2 /3 bis 1 Morgen möglich. Vielfach den alte Leute, die keine Nachkommen haben, be-
sind die Stellen auch 2 Morgen groß gemacht wor- reit sein, ihre Stellen in die Hände von Vertriebe-
den. Mit Einverständnis der Vertriebenen sind nen zu geben, die bereit sind, die Stellen zu be-
allerdings auch Stellen von einem halben Morgen, wirtschaften und einen angemessenen Kauf- oder
also 1250 qm, geschaffen worden. Es sind zwischen Pachtpreis zu zahlen.
dem Lastenausgleichsamt, dem Vertriebenenmini-
Die berühmten Finanzierungsrichtlinien. Es war
sterium und dem Landwirtschaftsministerium Ver-
ein sehr schwieriges Werk. Ich fand die Dinge ja
abredungen zustande gekommen, den Begriff der
Ende des vorigen Jahres bei mir vor. Herr Kollege
Nebenerwerbsstelle nicht genau nach der Größe
Oberländer und ich haben dann in verhältnismäßig
abzugrenzen, sondern nach der Einrichtung der
kurzer Zeit, in wenigen Sitzungen, die streitigen
Stelle, danach, ob der Betreffende, der mit seiner
Familie auf der Stelle sitzt, noch landwirtschaftlich Punkte beseitigen können. Es ist uns dann auch
gelungen, nachfolgend die Bedenken, die im Finanz-
und gärtnerisch arbeiten kann und mindestens sei-
nen Eigenbedarf zu wesentlichen Teilen aus dieser ministerium noch bestanden, zu beseitigen.
Siedlerstelle zu decken vermag. Das ist bei all Die Gesetze zur Verbesserung der Agrarstruktur,
den Stellen möglich, die geschaffen wurden. Wir insbesondere das Verbot der Hofteilung unterhalb
haben nämlich die Halbmorgenstellen im wesent- einer bestimmten Grenze, sind so weit in Vorberei-
lichen auf guten Böden, wo man also auch eine ent- tung, daß sie in der nächsten Zeit dem Hause
sprechende Bodenleistung erwarten kann; sonst zugeleitet werden, desgleichen auch alle die Be-
sollen die Stellen möglichst mindestens 2/3 bis stimmungen, die der Aufstockung von Betrieben
1 Morgen groß sein. Ich würde aber nicht Wert dienen, die zu klein sind, um eine Familie zu er-
legen auf größere Stellen, nicht weil sie den Ver- nähren.
triebenen nicht zu gönnen wären, sondern weil ihre
Bewirtschaftung neben einer vollen Beschäftigung Zur Frage des Vorkaufsrechts, die hier ange-
in der Regel zu schwierig ist, besonders dann, wenn schnitten worden ist, darf ich sagen: Die Ausschal-
die älter werdenden Kinder darangehen zu hei- tung des Vorkaufsrechts ist vollkommen unmög-
raten und von den Frauen diese schwere Arbeit auf lich; wenn man das Vorkaufsrecht der Siedlungs-
dem Acker, im Garten und im Stall verlangen. gesellschaften beseitigte, bestände die Wahrschein-
Dann werden sie vielfach auf die Tatsache stoßen, lichkeit, daß das verkaufte Land nicht denjenigen
daß Frauen, die dazu bereit sind, kaum mehr zu zukäme, die die Aufstockung nötig haben. Das wird
finden sind. aber nicht geschehen.
Wenn die Schaffung der kleinen Stellen, die ja Auch das Gesetz über die Verbesserung der Ent-
allgemein — auch in Vertriebenenkreisen — be- schädigung für die landabgebenden Besitzer ist
kannt ist, in der Statistik nicht genügend deutlich in der Vorbereitung. Ich hoffe, daß eine größere
zum Ausdruck gebracht ist, weil alle Stellen unter Bereitschaft zur Landabgabe die Folge sein wird.
2 ha in eine Kategorie hineingesteckt worden Es wäre aber auch noch zu erwägen, ob man diese
sind, kann man in Zukunft dafür sorgen, daß die verbesserte Entschädigung nicht mit einer Prämie
Statistik auf das genaueste aufgegliedert wird; da- für den Lastenausgleich verbinden kann. Das ist
gegen bestehen ja gar keine Bedenken. schon früher einmal bei der Prüfung der Bestim-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2103
(Bundesminister Dr. h. c. Lübke)
mungen über den Lastenausgleich erörtert, dann rund 110 000 Menschen fertiggestellt worden. Dar-
aber wieder fallengelassen worden. über hinaus sind rund 55 000 Menschen unter-
Ich darf zum Schluß noch einmal darauf hin- gebracht worden im Vorgriff auf die weiter-
weisen: 70 000 Stellen, von denen 76 % mit laufenden Sonderprogramme für Sowjetzonen-
292 000 ha an Vertriebene gegeben worden sind, flüchtlinge, und zwar in anderweitige, neu errich-
haben einen ungeheuren Kraft- und Verwaltungs- tete Wohnungen oder zu einem geringeren Teil
aufwand erfordert. Wer praktisch in der Arbeit auch in alte Wohnungen. Im Bau befanden sich an
steht, kann das beurteilen. Ich brauche wohl nicht demselben 31. Juli noch 18 488 Wohnungen für
zu versichern, daß diese Arbeit nicht mit Selbst- weitere 73 900 Menschen. Insgesamt also waren
zufriedenheit und „blanken Schreibtischen" gelei- am 31. Juli, d. h. bereits innerhalb eines Jahres,
stet werden kann. nachdem die Flüchtlingskatastrophe in beschleunig-
tem Tempo über uns hereingebrochen war, Woh-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) nungen für rund 200 000 Menschen bezugsfertig
oder annähernd bezugsfertig geworden. Ich glaube,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Herr angesichts dieser Leistungen, die vom Bund und
Bundeswohnungsbauminister Dr. Preusker. von den Ländern innerhalb einer so kurzen Zeit
Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau: vollbracht worden sind, kann man wohl nicht
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der sagen, wie es der Herr Kollege Jaksch getan hat,
Debatte sind verschiedentlich konkrete Zahlen- es müsse der Eindruck entstehen, daß die inner
angaben gewünscht worden über das, was auf dem politischen Fragen etwas in den Hintergrund ge-
Gebiet der Eingliederung der Heimatvertriebenen, treten seien. Ich glaube, unser deutsches Volk
der Flüchtlinge und der Evakuierten tatsächlich sieht sehr deutlich, daß das mindestens auf dem
geleistet worden ist. Ich darf Ihnen für das Gebiet, Gebiet des Wohnungsbaues nicht der Fall ist.
das ich unmittelbar übersehen kann, diese Zahlen (Sehr richtig! rechts.)
einmal kurz vor Augen führen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Be-
Im Rahmen der bisherigen laufenden Umsied- merkung machen, zu der Sie, Herr Kollege
lungsprogramme waren am 31. Juli dieses Jahres Jaksch, mich leider, fast möchte ich sagen:
fertiggestellt 93 456 Wohnungen, d. h. Wohnungen herausgefordert haben, indem Sie immer wieder
für 375 000 der von diesen Programmen erfaßten auf die besonderen Anstrengungen Hessens hin-
615 000 Umsiedler. Zu diesem Termin sind weiter gewiesen haben. Der Kollege Leukert war es,
im Bau gewesen 16 446 Wohnungen für weitere glaube ich, der darauf hingewiesen hat, daß der
66 000 Umsiedler. Von diesen Wohnungen ist ge- weitaus überwiegende Teil der Mittel für das, was
rade in den beiden letzten Monaten mit Sicherheit überhaupt für die Eingliederung der Flüchtlinge,
ein erheblicher Teil auch bezugsfertig geworden, für die Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge
so daß für etwa 440 000 dieser 615 000 Umsiedler geschehen ist, vom Bund gegeben worden ist.
die Wohnungen inzwischen fertiggeworden oder
fast fertiggestellt worden sind. Dazu sind noch Der Bundestag hatte einen Beschluß gefaßt, nach
rund 1800 Wohnungen, die in der Vorkriegszeit dem für die Verteilung der Wohnungsbaumittel
entstanden sind, Umsiedlern zur Verfügung ge- für das kommende Jahr geprüft werden sollte,
stellt worden, d. h. weiteren rund 7200 Menschen. welche eigenen Leistungen die Länder selbst auf
Das sind also insgesamt etwa 450 000 Umsiedler. allen Gebieten der allgemeinen und besonderen
Programme für den Wohnungsbau beigesteuert
Ich darf auch eine Bemerkung richtigstellen, die haben. Das hatte der Bundestag in einer einstim-
in der Diskussion fiel. Es war davon gesprochen mig angenommenen Entschließung gewünscht. Die
worden, daß die Gesetze und Verordnungen doch Länder haben ihre Angaben gemacht. Wir haben
sehr spät gekommen seien, erst im Juli und im die Zusammenstellung jetzt bei den Schlüssel-
September 1953. Dessen ungeachtet hatte die verhandlungen mit den Ländern vorgelegt. Daraus
Bundesregierung aber längst vorher gehandelt.
- ergibt sich leider, daß, gemessen an der Steuer-
Denn die Mittel für die Umsiedlung sind bereits kraft dieses Landes, das Land Hessen pro Kopf
zur Verfügung gestellt worden in Höhe von der Bevölkerung die geringsten eigenen Aufwen-
200 Millionen DM im Juni 1952 und in Höhe von dungen für den Wohnungsbau gemacht hat.
100 Millionen DM im Februar 1953. Die Programme
der Umsiedlung, also soweit es sich um die Unter- (Hört! Hört! rechts. — Beifall rechts.)
bringung oder die Vorbereitung der Unterbrin-
gung der Umsiedler handelt, waren somit bei Er- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Herr
laß der Gesetze und Verordnungen längst in Bundesminister Dr. Oberländer.
vollem Umfang im Laufen. Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebe
Lassen Sie mich nun etwas zu dem besonders bene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Herr Präsi-
schwierigen Problem der Unterbringung der So- dent! Meine Damen und Herren! In kurzer Beantwor-
wjetzonenflüchtlinge sagen. Ich will dabei im tung der gestellten Fragen darf ich zunächst fol-
Augenblick gar nichts zu dem Streit ausführen, gendes sagen. Es ist klar, daß die Umsiedlung fort-
der zwischen den Ländern und dem Bund darüber geführt wird, daß aber die Zeiten, in denen nur die
entstanden ist, in welcher Höhe der eine oder der Facharbeiter geholt und die anderen dagelassen
andere hierbei noch etwas Zusätzliches tun sollte. wurden, lange vorbei sind. Wir haben doch heute
Aber erinnern Sie sich doch einmal daran, daß mit den anderen Ländern darüber verhandelt, daß
im vergangenen Jahr insgesamt weit über 300 000 letzten Endes auch verschiedene andere soziale
Flüchtlinge zu uns herüberströmten; ein Problem Gruppen zu berücksichtigen sind. Daß Verzögerun-
von einer Größenordnung, das weit über die Kraft gen stattgefunden haben, ist richtig, aber doch
dieses mit seinem Schicksal ringenden Deutschland nicht durch die Planung. Man darf doch auch nicht
hinauszugehen schien. Trotzdem sind bis Ende vergessen, daß der Zustrom der Sowjetzonenflücht-
Juli 1954 aus den Mitteln, die hier zur Verfügung linge uns die Dinge außerordentlich erschwert hat.
gestellt wurden, bereits 26 417 Wohnungen für Man stelle sich einmal vor, die ganze Umsiedlung
2104 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
wäre ohne den weiteren Zustrom der Sowjetzonen- geben, jedenfalls nicht in der Frage der Verteilung
flüchtlinge durchgeführt worden. Dann wären die der Ausländer auf die Länder; das kann ich leider
Dinge wahrscheinlich sehr viel schneller und so gar nicht. Es wäre vielleicht gut, wenn ich es
pünktlich durchgeführt worden, wie der Bundes- könnte; dann wäre auch die Verteilung der Sowjet-
tag es damals beschlossen hat. Hinzu kommt eine zonenflüchtlinge leichter durchzuführen.
Menge anderer Schwierigkeiten, nämlich die durch Nun zum „Flüchtlingsberater". Wir haben ihn
den Wettbewerb der Sowjetzonenflüchtlinge gege- nie erworben, und wir haben überhaupt keinen
bene Erschwerung der Finanzierung des Woh- Pfennig weder in den Erwerb noch in den Betrieb
nungsbaues und auch die Erschwerung bei der noch in den Vertrieb hineinsteckt. Wir haben in be-
Landbeschaffung. Also ich glaube, daß man die zug auf den „Flüchtlingsberater" überhaupt keine
Frage, wie es kommt, daß der Termin nicht einge- finanziellen Verpflichtungen übernommen. Ich
halten worden ist, heute sehr eindeutig beantwor- wäre dankbar für einen Nachweis, wo das ge-
ten kann. schehen sein soll. Wir haben auch nie damit Pro-
Dazu, daß falsch verteilt worden sei, muß ich paganda gemacht.
allerdings genau so, wie bereits vorhin aus Kiel ge- Und nun zur Frage der Internationalisierung.
antwortet wurde, eines sagen. Wir haben mit den Wenn in Rom und in Istanbul Erfahrungen über
drei Abgabeländern Schleswig-Holstein, Nieder- die Eingliederung von Vertriebenen in den ver-
sachsen und Bayern die Dinge abgesprochen und schiedenen Ländern ausgetauscht worden sind, so
haben auch nachher noch eine Korrektur vorge- war es notwendig, daß auch Deutschland vertreten
nommen. Man kann also heute nicht einfach er- war. Die Rechtsfragen, nämlich das unabdingbare
klären: Hier habt ihr einen Fehler gemacht. Soweit Recht auf Heimat und damit auch auf Selbstbe-
mir bekannt — ich bin vor kurzem in Kiel gewe- stimmung, eines der Grundrechte der Demokratie,
sen — hält auch heute die Regierung von Schles-
,
können meines Erachtens vielleicht nicht immer
wig-Holstein absolut an dem Soll fest und wünscht und heute nicht unbedingt öffentlich so vertreten
auch weiterhin eine Umsiedlung, glaubt also, noch werden, wie wir es wollen. Ich vertrete sie heute
genug Kräfte zu haben, die in Schleswig-Holstein dem Ausland gegenüber überall, wo ich kann. Aber
nicht unterzubringen sind. vielleicht gibt es hier Dinge, die nicht unbedingt
(Abg. Dr. Rinke: Und die 2000 Woh- und überall mit der Offenheit vertreten werden
nungen?) können, wie Sie das wollen. Im übrigen habe ich
alle diese Dinge so offen wie nur möglich im Rah-
Ich möchte nur sagen, daß wir in diesem Punkt men der außenpolitischen Möglichkeiten vertreten,
nicht leichtfertig, sondern in Absprache mit den die wir ja wohl alle anerkennen.
Ländern gehandelt haben.
Zur Frage der C-Ausweise möchte ich Ihnen die
Wenn man nun sagt, daß Ulm 10 000 Sowjet- Statistik mitteilen. Im ganzen sind 328 600 Anträge
zonenflüchtlinge hat, so bitte ich doch zu bedenken, gestellt worden. Erledigt sind davon 57 %, und
daß Ulm 11 Kasernen hat und daß wir einfach ge- zwar 186 700, davon 134 400, also 41 %, durch Aus-
zwungen waren — die Regierung von Baden-Würt- stellung der Ausweise und 52 300 oder 16 % durch
temberg, nicht wir — dorthin zuzuweisen. Also
,
Ablehnung.
das ist eine Länderangelegenheit, wie auch die
Prüfung, ob das Geld von den Gemeinden richtig Nun zu den Fragen des Herrn Kollegen Jaksch.
verbraucht wird, eine Länderangelegenheit ist. Ich Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß mit dem Ex-
portwunder nicht alles erklärt ist und daß wir
kann hier gar nicht in die Obrigkeit der Länder
eingreifen, sondern das müssen die Länder von sich auch durch das Exportwunder im Ausland oft, ge-
aus tun. rade wenn es um die Unterstützung in der Vertrie-
benenfrage geht, manche Schwierigkeiten bekom-
Was die Verteilung der Ausländer anlangt, so men.
habe ich schon zu der Zeit, als ich Staatssekretär
in Bayern war, alles versucht, die anderen Länder Wenn Sie sagen, nur 75 % aller Vertriebenen
zu bewegen, uns den Überhang von Ausländern, hätten Hausratshilfe erhalten, so bitte ich auch die
Unterhaltshilfe nicht zu vergessen. Nur der Ergän-
den Bayern hat, abzunehmen. Sehen Sie, hier er-
zung wegen, glaube ich, muß man auch das dazu
gibt sich die Frage, die bei allen Fragen der Ver- sagen. Es ist richtig, daß heute etwa 90 % unselb-
teilung immer wieder anklingt, ob der Föderalis-
ständig sind. Es ist auch richtig, daß es gut wäre,
mus nicht manchmal etwas zu gruppenegoistisch
die Leistungen für die Evakuierten und für die
ist Kriegssachgeschädigten stärker herauszustellen. Sie
(Beifall rechts und links)
sind durch die monatlichen und vierteljährlichen
und ob dieser Gruppenegoismus nicht eine große Veröffentlichungen des Bundesausgleichsamtes zu
Gefahr für den Föderalismus ist; denn mit dem, erfahren. Sie haben recht: hier wäre eine Möglich-
was Sie gesagt haben, Herr Kollege Rinke, haben keit — und ich nehme diese Anregung gern auf —,
Sie nicht die Bundesregierung belastet, sondern die das alles stärker herauszubringen, damit auch ein-
Länder, die sich weigern, aufzunehmen. Ich kann mal das Gerede aufhört: Die Vertriebenen bekom-
hier keine Schuld der Bundesregierung feststellen. men alles, die Sachgeschädigten nichts. Dieser Auf-
Wenn wir — auch die Länder — nicht gemeinsam forderung will ich sehr gern nachkommen. Im übri-
zu Opfern bereit sind, dann ist es eben schwer, gen habe ich klar gesagt: 175 Millionen sind bereits
eine so große soziale Frage zu lösen, wie sie im für die Evakuiertenumsiedlung ausgegeben, und
Augenblick vor uns steht. die übrigen 75 Millionen sind geplant. Wir können
(Abg. Dr. Rinke: Auf Bundesebene!) also 175 Millionen als absolut fest annehmen. Ich
— Ja, auf Bundesebene! Aber das Grundgesetz werde alles tun, um auch den Rest zu realisieren.
gibt uns nicht die Weisungsbefugnis, den Ländern Sie fragen nach dem Zweijahresplan. Hier
zu sagen: ihr habt aufzunehmen, sondern nach dem scheint ein Versehen vorzuliegen. Ich bedaure das
Grundgesetz bin ich eigentlich dazu da, Minister sehr; denn nach den Mitteilungen meines Hauses
oder Ministerpräsidenten zu überreden und zu sind diese Exemplare am 14. September an die
überzeugen, aber nicht dazu, ihnen Weisungen zu Fraktionen versandt worden. Wie es passiert ist,
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2105
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
daß Sie sie nicht bekommen haben, werde ich so- genau 420 772 000 DM, hatten. Gezahlt worden sind
fort prüfen. Ich will zu Ihrer Frage insgesamt nur vom Bundesfinanzministerium 398 Millionen DM.
sagen: Der Zweijahresplan ist im Dezember ver- Es blieb also bis zum 31. März ein Rest von 22 Mil-
gangenen Jahres von der Regierung als Grundlage lionen. Auf Grund dieser Tatsache haben die Län-
angenommen worden. Im Kabinettsausschuß ist der zunächst keine Schwierigkeiten gemacht. Die
jetzt eine besondere Gruppe mitten in der Arbeit, neue Regelung ab 31. März ist Ihnen bekannt. Da-
die gerade auch die finanzielle Koordinierung ver- bei sind wir — darauf komme ich bei der Beant-
sucht; denn damit haben Sie vollkommen recht: ich wortung der Fragen des Kollegen Miller noch zu-
bin ja vielleicht mehr als viele andere Kollegen auf rück — von gewissen Vorausberechnungen ausge-
die Mitarbeit der anderen angewiesen, und es nüt- gangen, die sich meines Erachtens als richtig er-
zen alle Programme nichts, wenn nicht auch der weisen werden. Aber es kann natürlich auch anders
Finanzminister zu wesentlichen Dingen seinen ausfallen; niemand weiß genau, wie groß die Zahl
Segen gibt. der anfallenden Flüchtlinge sein wird.
(Beifall beim GB/BHE.) Die vorgeschlagene Zusammenarbeit von Lan-
Daran ist gar kein Zweifel, und damit hängen ge- desausgleichs-, -flüchtlings- und -wohnungsamt
wisse Dinge zusammen, die ich propagieren mußte, muß natürlich auf Länderebene durchgeführt wer-
weil ich wie Sie immer für den Sonne-Plan war. den. Ich darf aber vorweg sagen, daß die Zusam-
Wir haben zusammen im Bundesrat und im Bun- menarbeit zwischen dem Bundesvertriebenenmini-
desratsausschuß gesessen, wo wir immer den sterium und den Länderflüchtlingsverwaltungen
Wunsch gehabt haben, daß der Sonne-Plan zugrunde nach wie vor bestens ist und daß gerade wieder in
gelegt wird; denn ohne eine Gesamtplanung, eine diesen Tagen, nämlich morgen, in Berlin beide ge-
Rahmenplanung in diesem Sinne, war die Sache meinsam auch wegen der Frage der Finanzierung
nicht zu machen. Ich habe den Zweijahresplan nur des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge zu-
gewählt, um zu sagen, daß gewisse Dinge erreicht sammensitzen. Ich glaube also, daß hier keine
werden müss en; und hinter dem stehe ich Daß . Schwierigkeiten auftreten. Daß wir dem Kern un-
ich große Schwierigkeiten habe und daß es finan- ter allen Umständen zu Leibe gehen müssen, dar-
ziell oft nicht reicht, ist eine Tatsache, die nicht in sind wir einig; denn täten wir das nicht, dann
zu bestreiten ist. könnte die soziale Wirkung eines Tages so sein,
als wenn wir überhaupt nicht eingegliedert hätten.
Unter dieses Thema fällt auch die Lagerräu-
mung, ob Sie jetzt staatliche oder nicht staatliche Dieser Kern darf unter keinen Umständen unter-
schätzt werden.
Lager nehmen. Wir haben in Bayern damals auch
zunächst die staatlichen aufgelöst. Sie haben völlig Sie haben nach der Verteilung der kulturellen
recht, wenn Sie sagen: Der Mensch muß im Mittel- Mittel gefragt. Ich darf Ihnen ganz roh — ich habe
punkt stehen, und es ist im Grunde genommen sie nicht auf 100 Mark ausgerechnet — die Zahlen
gleichgültig, ob er in einem staatlichen oder in mitteilen, wobei zu sagen ist, daß Verbände keine
einem nicht staatlichen Lager ist. Wir bauen ja Mittel bekommen. Denn wenn Sie heute den Ver-
auch keine neuen Baracken, das haben wir abge- bänden für Tagungen usw. Mittel geben, dann ist
lehnt. Wir hoffen auch nicht gezwungen zu werden, diese halbe Million weg, ohne daß ein Effekt da ist.
selbst im Falle der Kasernenräumung, neue Barak- Vielmehr sind verteilt für das Institut für empi-
ken bauen zu müssen. Aber ich bin mir klar, daß rische Soziologie 30 000 DM, für die Kommission
die Finanzierung Schwierigkeiten macht, weil sie für Volkskunde 40 000 DM, für die Künstlergilde
aus Kriegsfolgenhilfe-Mittel kommt und weil diese der Vertriebenen 40 000 DM, für das Nordost-
Mittel vom Finanzministerium bewilligt werden deutsche Kulturwerk 60 000 DM, für das Kultur-
müssen und vom Innenministerium bewirtschaftet werk Schlesien 40 000 DM, für den Adalbert-
werden. Ich tue alles, um die mir zugesagten Stifter-Verein 40 000 DM, für das Südostdeutsche
30 Millionen schnellstens an die Länder zu brin- Kulturwerk 40 000 DM, für den Otsdeutschen Kul-
gen, damit überhaupt noch in diesem Rechnungs- turrat 40 000 DM, für die Erfurter Akademie — das
jahr entsprechend gebaut werden kann. ist das Kulturwerk der Sowjetzonenflüchtlinge,
- also der mitteldeutschen Landsmannschaften —
(Abg. Rehs: Wann sind diese 30 Millionen 40 000 DM und für kirchliche Kulturzwecke, 50 zu
zugesagt?) 50 auf beide Konfessionen aufgeteilt, 140 000 DM,
— Das ist den Ländern bereits mitgeteilt! also je 70 000 DM. Diese Aufzählung wird Ihnen
ungefähr einen Überblick geben. Im übrigen stehe
(Abg. Rehs: Für die Barackenräumung?) ich Ihnen jederzeit für Einzelauskünfte darüber,
— Ja, für die Barackenräumung! Das haben die wofür wir diese Mittel einsetzen, gern zur Verfü-
Regierungen, auch die Regierung in Kiel, vorlie- gung.
gen. Die haben ja auch ihre Vorschläge, welche La- (Vizepräsident Dr. Schneider über
ger aufzulösen sind, bereits eingereicht. Diese Vor- nimmt den Vorsitz.)
schläge werden eben hier bearbeitet, um dieses
Problem schnell zu lösen. Was den § 33 a des Einkommensteuergesetzes an-
langt, dessen Frist am 31. Dezember dieses Jahres
(Abg. Rehs: Hat das Bundesfinanzministe abläuft, so ist von meinem Hause nichts unver-
rium diese Mittel bereits bewilligt?) sucht gelassen worden, eine Verlängerung zu er-
— Mit dem Bundesfinanzminister habe ich selbst reichen, weil auch wir der Auffassung sind, daß
diese Frage der 30 Millionen DM beraten und dar- das, was so gut begonnen worden ist, in einzelnen
aufhin die Länder aufgefordert. Sonst hätte ich Teilen wieder gefährdet werden kann. Es ist uns
diese Aufforderung j a nicht herausgehen lassen nicht gelungen.
können. Die Frage der Dokumentation der Eingliederung
Nun die Frage der Finanzierung des Wohnungs- steht zur Debatte. Wir haben bereits eine vorberei-
baues für Sowjetzonenflüchtlinge! Es unterliegt tende Sitzung gehabt. Auch diese ist eine Finanzie-
gar keinem Zweifel, daß hier im ganzen die Län- rungsfrage. Das wird etwa eine Viertelmillion
der einen Anspruch auf etwa 420 Millionen DM, kosten, und dieser Betrag ist aus der Summe von
2106 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
einer halben Million nicht einfach herauszuschnei- greiflich, daß, wie man heute im Zeitalter der Flur
den. Was hierzu der Haushaltsausschuß des Bundes- ereinigung sehen muß, Zehntausende auslaufender
tages sagen wird, möchte ich abwarten. Der An- Höfe zerschlagen werden. Es ist eine Angelegenheit
trag ist jedenfalls bereits in dieser Richtung von der Agrargesetzgebung, hier einzugreifen. Es ist
mir gestellt worden. auch richtig, daß es schwer ist, die Agrarstruktur zu
verbessern und gleichzeitig die Heimatvertriebenen
Zu den übrigen Fragen möchte ich zunächst einzugliedern. Aber beide Dinge müssen nebenein-
sagen, daß ich in allen Reden, die ich zur Vertrie- ander gemacht werden. Diese verschärften Schwie-
benenfrage gehalten habe, mit allem Ernst auf die rigkeiten verlangen allerdings auch in diesem
Lage hingewiesen habe, wie sie ist. Ich glaube nicht Punkte einen erhöhten Einsatz. Vielleicht kann man
leichtfertig über diese Dinge gesprochen zu haben. gewisse Paragraphen des Vertriebenengesetzes in
Ich habe auch die Vorfinanzierung des Lastenaus- dieser Richtung ändern.
gleichs, die Notwendigkeit, die Dinge in den näch-
sten 6, , 10 oder 25 Jahren zu sösen, usw. in jeder Ich darf ganz kurz zusammenfassen. Ich glaube,
Rede, ob sie politisch war oder nicht, vertreten. Ich es besteht Klarheit darüber, daß etwas Außer-
glaube das sagen zu müssen, weil man immer über- ordentliches erreicht worden ist, daß aber, auch
legen muß, ob man Propaganda für Dinge macht, wenn wir heute darüber erfreut sind, noch wesent-
die undurchführbar sind, oder ob man auf den lich mehr erreicht werden muß. Leider besteht über
Ernst der Lage hinweist, um einen gewissen Rück- das, was vor uns liegt, nicht immer eine entspre-
halt zu bekommen. chende Klarheit, abgesehen davon, daß der Wett-
bewerb der Sowjetzonenflüchtlinge uns die Dinge
Zur Frage der landwirtschaftlichen Siedlung ist
geantwortet worden. außerordentlich erschwert. Ich glaube, daß man
doch die erleichternden Faktoren, die uns das bis-
Die Frage der Wehrmachtländereien ist allerdings her Erreichte ermöglicht haben, nicht zu sehr ver-
sehr bedenklich. Es ist sicher, daß bei allen Neu- gessen sollte. Es war natürlich leicht, zunächst ein-
siedlungen, vor allen Dingen den Industriesiedlun- mal den Ersatz der Kriegsverluste vorzunehmen
gen, die Frage, wem der Boden gehört und oder bei 20 % mehr Bevölkerung auch die Produk-
wann er endlich verkauft wird, für alle Kreditan- tion in der Industrie usw. auszudehnen und den
gelegenheiten so grundlegend ist, daß sie gar nicht Aktivsten zuerst eine Möglichkeit zu geben. Das
schnell genug gelöst werden kann. spricht in keiner Weise gegen die, die heute noch
Dem Abgeordneten Miller möchte ich antwor- . nicht eingegliedert worden sind.
ten: es ist richtig, daß von uns 132 000 Sowjetzonen- Nun ist doch sicher, daß die Schwierigkeiten
flüchtlinge gerechnet werden. Aber die Zahl derer, wachsen, je später das geschieht. Ich möchte sagen:
die einen Anspruch auf eine Wohnung haben, be- je später die Eingliederung, um so größer die Opfer,
trägt doch höchstens 20 bis 25 %. Das wären etwa die dazu nötig sind. Wir sind in einem Wettlauf mit
30 000, mal 15 000 gibt 45 Millionen DM, wie sie im der Zeit. Ich möchte hier das Gesetz aufstellen, daß,
Haushalt stehen. Es ist also richtig, wenn der Bun- wenn die staatlichen Maßnahmen nicht schneller
desfinanzminister hier eine geringere Summe ein- wirken als die Abnahme des menschlichen Willens
gesetzt hat, weil wir zunächst damit rechnen, mit zur Selbsthilfe, wir diesen Wettlauf mit der Zeit
diesen 45 Millionen DM auszukommen. verlieren. Das ist die Grundfrage, und das ist das
Ich muß allerdings eines hierzu sagen. Es er- gleiche, was hier angeklungen ist, indem gesagt
scheint mir falsch, im Bundestag überhaupt nur die wurde, daß die Dinge etwas schneller gehen
Frage zu stellen, ob wir mit der Wiedervereini- müssen, daß wir nicht mehr sehr lange warten
gung rechnen oder nicht, ob sie kommt oder nicht, können und daß die These, daß sich alles von selbst
ob wir daran glauben oder nicht. Ich glaube, daß löst, eben nicht richtig ist. Es darf kein Rest blei-
es im Bundestag keinen geben kann, der an dieser ben und es muß uns gelingen, diesen menschlichen
Frage zweifelt. Ich muß mit aller Offenheit aus- Flugsand heute einzugliedern. Die Grundfrage ist,
sprechen, daß diese Frage hier nicht einmal ob diese große Zwischenschicht, die heute da ist,
-b- gestellt aufgespalten wird, ob wir sie aufgliedern oder ob
werden dürfte.
sie asozial werden soll. Von den 300 000 in den
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lagern bringen wir jährlich 30 000 heraus. Wenn
Abg. Reitzner: Ihr Wort in Gottes Ohr!) das Tempo so weitergeht, würde die ganze Sache
— Das überlasse ich Ihnen. Der Zusammenhang ist zehn Jahre dauern. Es ist genau das gleiche wie bei
völlig eindeutig, glaube ich. der Bauernfrage. Es hat heute keiner das Recht,
zuzusehen, wie 300 000 Menschen in Lagern oder
(Abg. Miller: Zusammenhang sehen! Treu wie 300 000 Evakuierte, die nicht nach Hause kön-
handgesellschaft war gemeint!) nen, menschlich zerbrechen. Genau so ist es bei den
— Das habe ich anders verstanden. 162 000 Bauern, die — zusammen mit ihren Ange-
hörigen bilden sie eine Zahl von 3 /4 Millionen —
(Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Wir haben nicht mehr berufseigen eingesetzt werden können
diese Fragestellung auch merkwürdig und die sich nach 10- oder 15jährigem Warten in
gefunden!) irgendeiner Form anders gruppieren müssen. Unter
— Ich möchte jedenfalls klar sagen: schon die diesem menschlichen Gesichtspunkt kann dafür
Fragestellung erscheint mir falsch. heute kein Mensch die Verantwortung überneh-
men. Es handelt sich hier um Menschen, denen wir
Herr Kollege Lübke ist auf die Schwierigkeiten zu helfen verpflichtet sind.
der Bauernsiedlung eingegangen. Es ist richtig, daß
sie nicht in meinem Hause ressortiert, daß ich hier Jetzt möchte ich aber auch die fiskalische Seite
nur bedingte Kompetenzen habe und eigentlich nur betrachten. Zwei bis drei Millionen Asoziale mehr
mitwirken kann. Aber sicher ist eines: es ließe sich bei der Überalterung unseres Volkes sind in fünf
auf dem Gebiete Entscheidendes tun, wenn weniger oder zehn Jahren überhaupt nicht mehr zu tragen.
zerschlagen würde und man stattdessen die Ein- Gezahlt werden muß sowieso. Wenn rechtzeitig
heiten ganz übergeben könnte. Es ist völlig unbe- gezahlt wird, dann ist das das Billigste. Wird aber
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2107
(Bundesminister Dr. Dr. Oberländer)
zu spät gezahlt, dann ist die Belastung überhaupt Es ist aber auch in Betracht zu ziehen — und
nicht mehr zu tragen. darauf dürfte vielleicht die Bemerkung des Herrn
(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.) Bundeswohnungsbauministers beruhen —, daß
Landesfinanzminister Dr. Troeger bei seinem Amts-
Es ist heute bei der Menge der Aufgaben, die hier antritt ein Kassendefizit von 300 Millionen DM
angesprochen worden sind, und bei dem Finanz- vorgefunden hat, darunter etwa 70 Millionen DM
mangel, der vorhanden ist, sicher nicht leicht, eine an Wohnungsbaumitteln, welche die vorangegan-
entsprechende Dringlichkeitsskala einzuführen und gene Regierung Stock-Hilpert zwar bewilligt, dann
zu sagen: Das muß zuerst kommen, nachher kommt aber der nachfolgenden Regierung als Überhang
das andere! Mit dem Zweijahresplan wollte ich zur Bezahlung überlassen hat. Wir haben das in
aber erreichen, daß diese Dringlichkeitsskala durch- Hessen niemals kritisiert, weil wir froh gewesen
geführt wird. sind, daß unter Stock-Hilpert ebenso gebaut wurde,
Genau so ist es mit der Frage der Jugendlichen, wie es unter Zinn geschieht. Man soll uns heute
wo unendlich viel mehr geschehen müßte, als im jedoch nicht einen Vorwurf daraus machen, daß
Augenblick geschieht. Wir müssen bedenken, daß der sozialdemokratische Finanzminister Troeger
50 % der Sowjetzonenflüchtlinge Jugendliche sind, die Rechnungen für den Vorgänger, der der CDU
denen unter allen Umständen geholfen werden angehört hat, bezahlt hat.
muß. Noch ein Wort zu den Ausführungen des
Ich glaube also sagen zu dürfen, es besteht kein Kollegen Miller, der sich als Sowjetzonenflüchtling
Zweifel, daß wir uns bemüht haben, diese Prob- beschwerdeführend über die Ausstellung der C-
leme zu lösen, obwohl sie uns laufend durch die Ausweise in Hessen geäußert hat. Die von ihm
Sowjetzonenflüchtlinge erschwert werden. angeführten Zahlen über die Ausstellung der C-
Ausweise sind längst überholt. Wenn aber schon
Ich werde alles versuchen, um das durchzusetzen,
der Herr Kollege Miller diese eine Sache ange-
was in der Regierungserklärung gesagt ist. Letzten
schnitten hat, so sollte er doch objektiv genug
Endes bin ich auf meinem Gebiet dafür verant-
sein, zu sagen, daß das Land Hessen, was das
wortlich, daß das, was in der Regierungserklärung
steht, nicht nur dort steht, sondern auch durchge- Tempo des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflücht-
linge und die Ausarbeitung von Sonderprogram-
führt wird. Ich bin auch überzeugt, daß die übri- men für diesen Personenkreis anlangt, sich neben
gen Kollegen mir dabei behilflich sind. Der Finanz- anderen deutschen Ländern durchaus sehen lassen
mangel ist uns natürlich dabei heute sehr hinder- kann. Hessen hat auch den Anfang damit gemacht,
lich. Ich bedauere, daß der Herr Finanzminister zu den eingewiesenen Opfern des 17. Juni eine Son-
diesem Thema nicht selbst Stellung genommen hat. derhilfe aus Landesmitteln zu gewähren.
Ich darf immerhin sagen, es wäre heute alles un-
endlich leichter, wenn man mit den doppelten Sum- In einem Punkt will ich, von den Ausführungen
men rechnen könnte, als sie zur Zeit da sind. Sicher des Herrn Wohnungsbauministers Dr. Preusker
ist eines: daß mit dem, was da ist, von mir das angeregt, meine Kritik vom Vormittag hinsichtlich
Äußerste getan werden wird. der Vernachlässigung der Innenpolitik etwas ab-
schwächen. Ich will ihm ausdrücklich bescheinigen,
(Beifall beim GB/BHE.) daß sich meine Kritik nicht auf das Tempo der
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der Vorbereitung der Mietreform bezogen hat.
Abgeordnete Jaksch. (Heiterkeit bei der SPD und beim GB/BHE.)
Jaksch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Ich will ihm bescheinigen, daß er mit Fleiß und
und Herren! Der Bundeswohnungsbauminister Zähigkeit an der Durchsetzung der Kostenmiete
arbeitet, obwohl ihm bekannt sein dürfte, daß sie
Dr. Preusker hat in seinen Ausführungen das
in ihrer Auswirkung ein umgekehrter Lasten-
Land Hessen ganz besonders mit der Feststellung ausgleich zwischen Heimatvertriebenen und Alt-
erwähnt, daß es, was die eigenen Leistungen im bürgern sein wird.
sozialen Wohnungsbau anlange, geradezu an
letzter Stelle der deutschen Länder stehe. Es über- (Beifall bei der SPD.)
rascht mich nicht, daß er im Rahmen dieser De-
batte dieses Land besonders angesprochen hat, Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
weil ja in der Bonner Perspektive die Leistungen Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
eines noch nicht gleichgeschalteten Landes Damit ist Punkt 3 der heutigen Tagesordnung er-
ledigt.
(Sehr gut! bei der SPD)
Ich rufe Punkt 4 auf:
nicht so populär zu sein scheinen wie die anderer
Länder. Große Anfrage der Fraktion des GB/BHE
und Genossen betreffend Durchführung des
Die hessische Landesregierung hat immerhin Feststellungsgesetzes (Drucksache 734).
sehr wenig Spielraum für solche „Enthüllungen"
gelassen, weil sie in dem soeben erschienenen Ich erteile das Wort zur Begründung dem Ab-
Hessenplanbericht ganz genaue Zahlen über die geordneten Dr. Kather.
Landesmittel veröffentlicht hat, die dem sozialen
Wohnungsbau zugeflossen sind. Es sind in den Dr. Kather (GB/BHE), Anfragender: Herr Präsi-
letzten vier Jahren insgesamt 122 Millionen DM dent! Meine Damen und Herren! Daß die soeben
gewesen, davon 39 Millionen DM allein in diesem beendete und auch die kommende Diskussion in
Jahr. Diese Zahl ist aber durch das zuletzt ver- Abwesenheit des Bundesfinanzministers statt-
kündete Schwerpunktprogramm bereits überholt. finden, das möchte ich nicht gerade als einen
Wir können also sagen, daß die hessische Regierung Schönheitsfehler, aber doch als einen sehr un-
in diesem Jahr aus Landesmitteln mehr zum glücklichen Tatbestand feststellen.
sozialen Wohnungsbau beigesteuert hat, als sie an Meine Damen und Herren, worum geht es denn
Bundesmitteln empfangen hat. letzten Endes bei allen diesen Fragen?
2108 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Kather)
(Abg. Mellies: Herr Kather, beantragen Sie Nach dem Durchgang des Feststellungsgesetzes 1
doch, daß der Herr Finanzminister herbei durch den Bundesrat stand bereits im Januar 1952
gerufen wird! — Zuruf von der Mitte.) fest, daß die Heimatauskunftstellen auf der Regie-
— Ich weiß, daß der Herr Bundesfinanzminister in rungsbezirksbasis errichtet werden würden. Erst im
einer Sitzung ist, in der er wirklich unabkömm- Herbst 1952 hat die Bundesregierung die Rechtsver-
lich ist. ordnung über die Errichtung der Heimatauskunft
(Zurufe von der Mitte: Na also!) stellen beschlossen. Beim Bundesrat lag dann der
Regierungsentwurf weitere zwei Monate, so daß
— Verzeihung, das hätte ich auch so gesagt. Aber die Rechtsverordnung erst am 22. Dezember 1952
wenn das der Fall ist, dann hätte man die heutige verkündet wurde. Sie hätte mindestens ein halbes
Debatte verschieben sollen. Es ist nicht so sehr sinn- Jahr früher erlassen werden können.
voll, daß wir hier diese Diskussion führen, ohne daß
der Mann, auf den es eigentlich ankommt und an Es bedarf keines besonderen Nachweises, daß die
dessen Widerstand, wie wir nun heute sogar von Tätigkeit der Heimatauskunftstellen Voraussetzung
der Regierungsbank aus gehört haben, die Dinge für das Ingangkommen des Feststellungsverfahrens,
vielfach gescheitert sind, den unmittelbaren Ein- Voraussetzung auch für die Ausarbeitung der Be-
druck von der Debatte bekommt. wertungsvorschriften ist. Diese Rechtsverordnungen
sind bis heute, nach mehr als zwei Jahren, nicht er-
(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE. — lassen worden, auch nicht eine einzige!
Abg. Heiland: Der folgt seinem Meister!)
(Hört! Hört! beim GB/BHE.)
Ich möchte Ihnen, wenn ich jetzt die Große An-
frage des Gesamtdeutschen Blocks und einiger Mit- Über die Grundsätze der Bewertung der Ver-
glieder der FDP über das Feststellungsverfahren treibungsschäden bestand seit Herbst 1951 im
begründe, folgende Tatsachen ins Gedächtnis zu- Lastenausgleichsausschuß des Bundestages Über-
rückrufen. Das Feststellungsgesetz ist als Initiativ- einstimmung. Auch von den Bundesratsvertretern
gesetzentwurf im Juli 1950 hier im Hause ein- war nie etwas dagegen eingewendet worden, daß
gebracht worden. Es ist im April 1952 verkündet die Bewertung der Vertreibungsschäden durch eine
worden. Seine Verabschiedung hat also fast zwei Rechtsverordnung geregelt wird. Das Bundesfinanz-
Jahre in Anspruch genommen. Das war natürlich ministerium hat bis zum Frühsommer 1953 die Ar-
nur möglich, weil erhebliche Widerstände dagegen beiten an den Bewertungsverordnungen nachhaltig
wirksam waren. Ich will darauf nicht weiter ein- überhaupt nicht aufgenommen. Seit diesem Zeit-
gehen, aber eines glaube ich doch hervorheben zu punkt ist eine beim Bundesausgleichsamt gebildete
müssen: daß unter den Gegnern eines besonderen Sachverständigenkommission damit betraut, die Be-
Feststellungsgesetzes und einer Vorziehung des wertungsvorschriften zu erarbeiten. Die Arbeiten
Feststellungsgesetzes auch der Herr Bundesminister sind also um etwa anderthalb Jahre zu spät auf-
der Finanzen mit seinem ganzen Hause war. Das genommen worden.
ist für die Beurteilung der späteren Entwicklung
Aus das Bundesausgleichsamt ist in dieser Frage
1 wohl nicht ohne Bedeutung. nicht ohne Schuld. Wenn auch die endgültige Rege-
Mehr als zwei Jahre sind also seit der Verab- lung der Bewertung durch § 43 des Feststellungs-
schiedung des Gesetzes ins Land gegangen. Heute gesetzes einer Rechtsverordnung vorbehalten war,
liegen insgesamt 7 300 000 Anträge vor, davon so hätte doch, wie es seit dem 22. Dezember 1953
3 200 000 Anträge über Vermögensschäden. Davon auch geschehen ist, der Präsident des Bundesaus-
sind beschieden bis zum 1. April — für die spätere gleichsamtes sofort darangehen müssen, vorläufige
Zeit liegen mir die Zahlen nicht vor — 19 000, also Bewertungsrichtlinien zu erlassen, als sich zeigte,
0,6 %, wenn man nur die 3,2 Millionen zugrunde daß das Bundesfinanzministerium die Erstellung
legt. In dieser Zahl von 19 000 sind auch die Teil- der Bewertungsverordnungen nicht mit genügender
bescheide mit enthalten. Ich glaube, es ist keine Beschleunigung in Angriff nahm. Wie gesagt, es
Übertreibung, wenn ich sage, daß das nach so wird nicht bestritten, daß die Materie schwierig und
langer Zeit ein katastrophales Ergebnis ist. - zeitraubend ist; aber um so eher hätte man recht-
Ich erinnere daran, daß wir Vertriebenen-Ab- zeitig an die Arbeit herangehen müssen. Ich glaube
geordneten der Koalition, als wir seinerzeit das Ja nicht, daß es für die Tatsache, daß nach mehr als
zum Lastenausgleichsgesetz sagten, ausdrücklich die 2 Jahren noch nicht eine einzige Rechtsverordnung
schnelle Durchführung des Lastenausgleichs als über die Bewertungsvorschriften erlassen ist,
eine Voraussetzung für unser Ja herausgestellt irgendeine ausreichende Entschuldigung geben
haben. Es wird von uns nicht verkannt, daß es sich kann.
um eine sehr schwierige und auch zeitraubende Auch bei der Herausgabe des Antragsformblattes
Materie handelt. Es wird ebensowenig verkannt, ist unzweckmäßig verfahren worden. Man kann
daß es auch an anderen Stellen Schwierigkeiten und doch ein solches Formblatt erst herausgeben, wenn
Unzulänglichkeiten gegeben hat, insbesondere bei man weiß, welche Fragen notwendig sind. In
den Ausgleichsämtern. Es ist heute schon gesagt diesem Fall ist das Formblatt ohne die vorher
worden, daß dafür zum Teil die Länder und Ge- notwendige Feststellung solcher Fragen heraus-
meinden verantwortlich sind. In der Tat ist bei den gegeben worden. Dann mußten wieder Berichti-
Ausgleichsämtern vielfach eine qualitative und gungen stattfinden. Es hat sich auch herausgestellt
quantit ative Unterbesetzung festzustellen. Die — insbesondere bei der Landwirtschaft —, daß
Hauptursachen für den unerträglich langsamen Ab- Duplikate unbedingt notwendig sind, und sie sind
lauf des Feststellungsverfahrens sind aber durch heute nicht vorhanden. Alle diese Dinge wirken
das Verschulden des Bundesfinanzministeriums und natürlich verzögernd.
auch des Bundesausgleichsamts gesetzt worden.
Es war eine weitere Voraussetzung für unser Ja
Ich will diese Behauptung im einzelnen be- zum Lastenausgleichsgesetz — und damit sollte
gründen. Zunächst will ich darauf hinweisen, daß auch die schnelle und unbürokratische Durch-
die Heimatauskunftstellen zu spät errichtet worden führung sichergestellt werden —, daß die Geschä-
sind. digten und ihre Verbände weitgehend in die Mit-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2109
(Dr. Kather)
verantwortung, in die Mitarbeit und in die Durch- den muß, ist in seiner fristgerechten Ausführung
führung eingeschaltet würden. Das ist nicht oder mehr als in Frage gestellt. Zudem hat man infolge
jedenfalls in nur unzureichendem Maße geschehen. der Saumseligkeit die Geschädigten mehr als nötig
Auch das hat sich natürlich wiederum ausgewirkt. auf die Leistungen aus dem Gesetz warten lassen.
Die Anträge sind zum Teil zu spät gekommen. Die Besonders betroffen sind alle die, die auf die
Aktion hat länger gedauert, als es nötig war. Vor Entschädigungsrente warten. Der gegenwärtige Zu-
allem hat sich herausgestellt, daß die Ausfüllung stand ist so, daß sie bei Glaubhaftmachung eine
vielfach unsachgemäß und unrichtig war. All das Zusatzzahlung von 20 DM im Monat bis zum
hat einen unnötigen Aufwand an Kosten und Zeit Höchstbetrag bekommen können. Aber die weitere
erfordert. Voraussetzung ist auch noch, daß sie Unterhalts-
Ich darf überhaupt sagen — und das gilt nicht hilfeempfänger sein müssen. Wenn sie das nicht
nur für das Bundesfinanzministerium —, daß die sind, bekommen sie diesen Betrag nicht. Es geht
Erfahrungen immer wieder zeigen, wie ablehnend hier also gerade um die Alten und Erwerbsunfähigen,
insbesondere die Ministerialbürokratie allen Selbst- die noch die letzten Jahre vor sich haben und die
hilfebestrebungen der Geschädigten und einer Mit- doch wohl auf Grund ihrer Lebensarbeit einen An-
arbeit ihrer Verbände gegenübersteht. spruch haben, daß ihnen der Lebensabend auch
(Zustimmung beim GB/BHE.) einigermaßen erträglich gestaltet wird. Heute
wurde schon einmal das Wort vom Wettlauf ge-
Das wird auf die Dauer zu unerträglichen Fol- braucht; hier handelt es sich praktisch um einen
gerungen führen. Wettlauf mit der Zeit und mit dem Tode. Anders
Die personelle Besetzung des Bundesfinanzmini- kann man das nicht nennen.
steriums war insoweit nicht ausreichend. Gerade (Zustimmung beim GB/BHE.)
wenn man die Schwierigkeiten richtig einschätzte, Weiter sind alle diejenigen geschädigt, die Auf-
hätte man auch für die nötige personelle Besetzung baudarlehen in Anspruch genommen haben oder
sorgen müssen. Bis zum Frühsommer 1954 besaß nehmen wollen. Soweit sie die Aufbaudarlehen
das Ministerium keinen Sachbearbeiter, seit diesem bekommen haben, kommen sie durch die verzögerte
Zeitpunkt ein en Sachbearbeiter. Ein Planstellen Feststellung um die Möglichkeit der Saldierung.
mangel kann als Grund nicht angeführt werden; Obwohl sie einen begründeten Anspruch haben,
denn das Hohe Haus hier oder der Haushaltsaus- müssen sie Zinsen und auch Tilgung zahlen, wenn
schuß hätten sich ja gegenüber einer Anforderung sie nicht eine besondere Notlage nachweisen kön-
keinesfalls ablehnend verhalten. nen. Bei denen, die sich noch um einen Kredit be-
Der gleiche Vorwurf trifft das Bundesausgleichs- werben, fehlt es an der Sicherheit; denn ein An-
amt. Beim Bundesausgleichsamt bearbeitet die Fra- spruch wird ja als Sicherheit nicht entgegengenom-
gen der Schadensfeststellung ein Referent mit zwei men, solange keine Feststellung erfolgt ist. Wir
Sachbearbeitern, der außerdem noch das Sachgebiet klagen und haben ja auch heute geklagt über den
Hauptentschädigung mit erledigt. Bis vor kurzem großen Mangel an Eigenkapital, unter dem die
gab es bei diesem Referat sogar nur einen Sach- gewerbliche Wirtschaft leidet und der sie in Krisen-
bearbeiter. Das Bundesausgleichsamt hat vier Ab- zeiten ganz besonders in Gefahr bringt. Hier
teilungsleiter und zwanzig Referenten. Genau die könnte geholfen werden; aber es hapert an der
Hälfte der Abteilungsleiter und Referenten be- Durchführung.
schäftigt sich überhaupt nicht mit den Leistungen
des Lastenausgleichs, sondern mit allgemeinen Ver- Es ist heute schon mehrfach auf den hohen
waltungsaufgaben. Wenn man sich diesen Stellen- Kassenbestand hingewiesen worden, den das
plan einmal ansieht, dann muß man zu dem Er- Bundesausgleichsamt hat. Vor wenigen Tagen erst
gebnis kommen, daß man sich dort nicht Rechen- — es kann vielleicht eine Woche oder 10 Tage her
sein — hörte ich im Rundfunk, daß man von fast
schaft darüber abgelegt hat, welches eigentlich die
Hauptaufgabe des Bundesausgleichsamts ist, näm- einer Milliarde Kassenbestand sprach. Heute sind
- geringere Zahlen genannt worden; aber sie waren
lich die produktive Eingliederung der Geschädigten auch noch sehr beträchtlich. Eine der Haupt-
voranzutreiben. ursachen dieses unerwünscht hohen Kassenbestan-
Auch die personelle Besetzung der Heimataus- des ist das nicht klappende Feststellungsverfahren.
kunftstellen ist nicht zureichend. Ich habe das schon Und das wird dann dazu benutzt, meine Damen
für die Ausgleichsämter angeführt. Ich muß ès für und Herren, eine Wechselbeziehung zwischen Vor-
die Heimatauskunftstellen noch ganz besonders finanzierung und Kassenbestand herzustellen und
betonen. Im Verhältnis zu den Aufgaben, die bei uns zu sagen: „Wir können doch nicht die Vor-
den Heimatauskunftstellen zu bearbeiten sind, finanzierung in Gang bringen, wenn auf der ande-
sind sie viel zu schwach besetzt. Auch die qualita- ren Seite ein so großer Kassenbestand da ist!"
tive Ausstattung der Personalplanstellen der Hei-
matauskunftstellen ist mangelhaft. Ohne eine Das gibt mir Veranlassung, ein Wort zur Vor-
wesentliche Vermehrung des Personalstandes und finanzierung zu sagen. Ich wollte mich vorhin da
der Mittel für ehrenamtliche Mitarbeiter können nicht besonders zum Wort melden.
die Heimatauskunftstellen ihrer Aufgabe nicht ge- (Abg. Kriedemann: Sie waren doch da
recht werden. mals auch dafür!)
Meine Damen und Herren! Diese Ausführungen — Ja, ich bin auch jetzt noch dafür, und ich freue
haben wohl gezeigt, daß die Arbeiten an der mich, daß Sie jetzt auch dafür sind, wie Ihre
Schadensfeststellung vom Herrn Bundesminister Große Anfrage zeigt.
der Finanzen, aber auch vom Herrn Präsidenten
(Abg. Kriedemann: Wir haben es damals
des Bundesausgleichsamts nicht mit der genügen-
den Intensität betrieben worden sind. Der Auf- schon nicht geglaubt, Herr Kather!)
trag, den der Gesetzgeber in § 246 des Lastenaus- - Wir haben damals das feierliche Versprechen
gleichsgesetzes erteilte, daß bis zum 31. März 1957 bekommen: 150 Millionen DM über 7 f und 200 Mil
das Hauptentschädigungsschlußgesetz erlassen wer lionen DM über Anleihen; das sind 350 Millio-
2110 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Kather)
nen DM im Jahr. Ich lasse einmal die Vorfinan- Es handelt sich hier nicht um parteipolitische
zierung des Wohnungsbaus beiseite. Das wären Forderungen. Ich habe sie schon erhoben, als ich
für die drei Jahre 1952, 1953 und 1954 1 Milliarde noch nicht der Partei angehörte, der der Bundes-
und 50 Millionen. Und davon fehlen, um zwei Be- vertriebenenminister angehört, und ich kann sagen,
träge zu nennen, die beiden Anleihen — das sind daß diese Forderung nicht nur vom Gesamtdeut-
schon 400 Millionen DM —, und es fehlen noch schen Block erhoben wird, sondern daß auch die
erhebliche Beträge aus 7 f. Es handelt sich also um überwiegende Mehrheit der Geschädigten und
einen Mindererlös, so will ich einmal sagen, von ihrer Verbände hinter dieser Forderung steht.
mindestens 500 Millionen DM. Meine Damen und (Beifall beim GB/BHE.)
Herren, wir haben diese Vorfinanzierung hier am
16. Mai nicht etwa für die ersten drei Jahre be- Möge die heutige Debatte dazu beitragen, daß dem
schlossen; ich habe besonders darauf geachtet, daß Betreuer der Not auch die Mittel zur Behebung
es „1952/53/54" hieß; und damit läuft diese Maß- der Not in die Hand gegeben werden!
nahme in diesem Jahr ab. (Beifall beim GB/BHE.)
Die heutige Debatte gibt mir auch Veranlassung, Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort zur Be-
darauf hinzuweisen, daß diese Vorfinanzierung antwortung der Großen Anfrage hat der Staats-
zweckgebunden ist. Sie ist zweckgebunden für die sekretär Hartmann vom Bundesfinanzministerium.
produktive Eingliederung.
Hartmann, Staatssekretär im Bundesministe-
Meine Damen und Herren, ich sehe — das Jahr rium der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen
1954 nähert sich seinem Ende —, daß man uns etwa und Herren! Der erste Teil der Großen Anfrage
die Hälfte des Betrages schuldig geblieben ist und bezieht sich auf die Verordnungen über die Berech-
wahrscheinlich auch schuldig bleiben wird. Hier ist nung der Vertreibungsschäden. Das Bundesfinanz-
auch wieder, wie ich schon sagte, die Wechselbezie- ministerium hat mit den Vorarbeiten für die Ver-
hung zwischen dem Versagen beim Feststellungs- ordnungen unmittelbar nach dem Inkrafttreten
verfahren, dem großen Kassenbestand und damit des Feststellungsgesetzes begonnen. Es ist dann
auch der mangelnden Vorfinanzierung festzustellen. ein Sachverständigenausschuß gebildet worden,
Zusammenfassend ist also zu sagen, daß hier auf dem außer dem Bundesfinanzministerium auch das
wichtigstem Gebiet ein sehr schweres Versagen Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und
festzustellen ist. Es geht um Millionen Menschen, Kriegssachgeschädigte, das Bundesausgleichsamt,
und es handelt sich bei den Betroffenen um eine Beamte der Landesausgleichsämter, Sachverstän-
echte Notlage ungewöhnlichen Ausmaßes. Daher ist dige der Heimatauskunftsstellen und der Geschä-
die Forderung berechtigt, daß hier einmal grund digtenverbände angehören. Die Arbeiten haben
sätzlich und grundlegend Wandel geschaffen wird. sich sehr schwierig und umfangreich gestaltet, weil
Ich kann nur das wiederholen, was ich schon bei das Material für die gesamten Vertreibungsgebiete
anderen Gelegenheiten, zuletzt am 29. Oktober 1953 gemeindeweise gesammelt und ausgewertet werden
bei der Debatte über die Regierungserklärung, von mußte. Die Arbeiten konnten nur abschnittweise
dieser Stelle aus gesagt habe. Die Verteilerseite vorangetrieben werden, da unter den Sachverstän-
des Lastenausgleichs gehört nicht in das Steuer- digen nur ein beschränkter Kreis hierfür zur Ver-
ministerium. fügung steht und die einzelnen Probleme alle
(Richtig! beim GB/BHE.) innerlich zusammenhängen. Die beiden ersten der
vorgesehenen Rechtsverordnungen sind im Ent-
Sie ist entscheidend für die produktive Eingliede- wurf fertiggestellt. Über die erste wird die Bun-
rung der Geschädigten, und es handelt sich hier desregierung in den nächsten Wochen Beschluß
um eine dem Finanzministerium völlig wesens- fassen. Die weiteren Verordnungen werden in
fremde Aufgabe. kurzen Zeitabständen folgen. Ich darf vielleicht
(Abg. Samwer: Sehr richtig!) als Beispiel für die Schwierigkeit hier anführen,
- daß das vorläufige Verzeichnis der durchschnitt-
Meine Damen und Herren, es ist völlig sinnwidrig, lichen Gemeindehektarsätze nahezu 15 000 Posi-
dem einen Minister die Betreuung der Vertriebe- tionen enthält, die sämtlich einzeln ermittelt
nen, der Flüchtlinge und der Kriegssachgeschädig- werden mußten.
ten anzuvertrauen und ihm gleichzeitig die Mög-
lichkeiten vorzuenthalten, seinen Einfluß auch auf (Abg. Dr. Gille: Aber doch nicht vom
die Stelle auszuüben, von der die Mittel verteilt Bundesfinanzministerium!)
werden, die da sind, um dieser Not zu steuern. Es ist also eine im einzelnen sehr umfangreiche,
(Beifall beim GB/BHE.) sehr schwierige und sehr verantwortungsvolle Ar-
beit, die hier geleistet werden mußte.
Diesen sachlichen Gründen können stichhaltige Der Herr Abgeordnete Dr. Kather hat die per-
Argumente eigentlich überhaupt nicht entgegen- sonelle Besetzung im Bundesfinanzministerium,
gesetzt werden. Diese Gründe werden in starkem im Bundesausgleichsamt, beanstandet. Ich glaube
Maße durch die Fehlleistungen, die zu unserer nicht, daß man für ein einzelnes Gesetz einen
Großen Anfrage geführt haben und die ich Ihnen neuen Referenten einberufen kann, der dann nach-
soeben dargestellt habe, unterstrichen. Es hat sich her wieder überflüssig wird.
also schon die Richtigkeit dessen erwiesen, was
wir früher gesagt haben: daß das Finanzministe- (Widerspruch beim GB/BHE.)
rium mit dieser ihm wesensfremden Aufgabe, die Das Hohe Haus ist aber, glaube ich, aus der Zu-
zudem nicht auf eine entsprechende innere Einstel- sammenarbeit mit dem Bundesfinanzministerium
lung gestoßen ist, völlig überfordert ist. Wir ver- in den langen Jahren der Vorbereitung des Lasten-
langen deshalb, daß die Konsequenzen aus diesen ausgleichsgesetzes und später überzeugt, daß das
sachlichen Gründen, die ich angeführt habe, und Bundesfinanzministerium — dasselbe gilt für das
aus dem Versagen, das festzustellen ist, gezogen Lastenausgleichsamt — im wesentlichen in seiner
werden. Gesamtheit immer ausreichend besetzt gewesen ist
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2111
(Staatssekretär Hartmann)
und daß wir die Arbeiten — darauf darf ich gleich Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die
noch zurückkommen — nach dem Maßstabe der Gewährung tatsächlicher Leistungen an die Ge-
Dringlichkeit vorwärtsgetrieben haben. schädigten von der Schadensfeststellung zunächst
(Abg. Dr. Gille: Zwei, drei Jahre!) weitgehend unabhängig ist. Das Hohe Haus hat ja
wegen der Schwierigkeiten der Feststellung das
Wir bedauern, daß die Arbeit an der Schadens- Lastenausgleichsgesetz so gestaltet, daß alle in den
feststellung verhältnismäßig langsam vorangegan- ersten Jahren in Frage kommenden Ausgleichs-
gen ist. leistungen zunächst gewährt werden können, ohne
(Abg. Dr. Kather: Diese Antwort ist eine daß auf die endgültige Schadensfeststellung ge-
Herausforderung!) wartet werden muß.
Das liegt aber daran, daß die Ausgleichsämter (Abg. Dr. Kather: Das trifft nicht zu!)
immer noch außerordentlich stark — und das ist Es besteht doch in allen Fällen schon die Möglich-
der Kernpunkt dessen, was ich sagen möchte, Herr keit, durch Teilfeststellungen zu helfen. Diese
Dr. Kather — durch die Bearbeitung der Anträge Möglichkeiten sind durch vier Richtlinien des Präsi-
auf die Ausgleichsleistungen beansprucht werden. denten des Bundesausgleichsamts geschaffen, deren
erste vom 22. Dezember 1953 datiert, die zweite
Für die Feststellung der Kriegssachschäden, für von demselben Tage, die dritte vom 13. März 1954
die eine Rechtsverordnung nicht vorgeschrieben und die vierte vom 4. Mai 1954, zwecks Vorberei-
ist, sind die Arbeiten im Durchschnitt auch nicht tung der Rechtsverordnungen. Dadurch ist die
weiter vorgeschritten als für die Feststellung der Situation so erleichtert worden, daß heute die
Vertreibungsschäden. Daraus ergibt sich also, daß Ausgleichsleistungen schon in Annäherung an die
es nicht an dem Fehlen der Rechtsverordnungen endgültigen Beträge festgesetzt werden können.
gelegen hat, wenn die Arbeiten insgesamt nicht
ein schnelleres Tempo angenommen haben. Die Ich darf dann noch mit einem Wort auf Ihre
Ausgleichsämter können einfach die zahlreichen Schlußausführungen eingehen und einen Überblick
dringlichen Aufgaben, die sich in diesem Zu- über die Gesamtleistungen des Ausgleichsfonds
sammenhang ergeben, nicht alle gleichzeitig lösen. geben. In den zwei abgelaufenen Lastenausgleichs-
Sie waren durch die Bearbeitung von Millionen jahren, die ja vom 1. September an laufen, sind
von Anträgen auf Unterhaltshilfe und Hausrats- Leistungen in einer Höhe gegeben worden, wie sie
hilfe auf das äußerste beansprucht. Wir sind mit bei der Verabschiedung des Lastenausgleichs-
Ihnen der Ansicht, Herr Dr. Kather, daß die Scha- gesetzes gar nicht erwartet worden sind.
densfeststellung sich nicht aus personellen Grün- (Abg. Dr. Kather: Das ist aber nicht Ihr
den verzögern darf. Verdienst!)
(Zurufe vom GB/BHE: Na also!) Es sind ausgezahlt worden für Hausratshilfen
Wir prüfen laufend, wie eine sinnvolle Beschleuni- 1 510 000 000 DM und für Eingliederungsdarlehen
gung der Arbeiten durch Personalverstärkung er- 1 012 000 000 DM. Für den Währungsausgleich für
reicht werden kann. Es wird bei der Beratung des Sparguthaben Vertriebener waren nach dem Ge-
Bundeshaushalts für 1955 sowohl im Haushalts- setz jährlich nur 50 Millionen DM, also in zwei
ausschuß als auch im Plenum des Hohen Hauses Jahren 100 Millionen DM bereitzustellen. Die
Gelegenheit sein, diese Frage noch im einzelnen Flüssigkeit des Lastenausgleichsfonds hat es er-
zu erörtern. möglicht, den gesamten Währungsausgleich ein-
schließlich des Altsparerzuschlags zur Auszahlung
Sie stellt sich ebenso für die Heimatauskunfts- freizugeben. Dafür sind bis zum 31. August 1954
stellen, deren Aufgabengebiet erst allmählich durch 662 Millionen DM verausgabt worden. Hierbei ist
Richtlinien umrissen, deren Arbeitsanfall und Ar- zu berücksichtigen, daß in diese Jahre noch die
beitsweise erst beobachtet werden mußten. Von Anlaufzeit des Lastenausgleichsgesetzes gefallen ist.
meinem Hause sind im Benehmen mit dem Bundes- Ich darf also zusammenfassend sagen, daß die
ausgleichsamt bei sämtlichen Heimatauskunfts- Arbeiten nach der Reihenfolge der Dringlichkeit
stellen Geschäftsprüfungen vorgenommen worden. erledigt worden sind. Ich glaube, niemand würde
Auf Grund der Ergebnisse dieser Prüfungen, die es gebilligt haben, wenn wir uns zunächst mit den
jetzt abgeschlossen sind, können die Heimat- Rechtsverordnungen über die Feststellung befaßt
auskunftsstellen den Stellenplan, den das Hohe und darüber die Auszahlung dieser Milliarden-
Haus im Haushalt 1954 bewilligt hat, voll aus- leistungen zurückgestellt hätten.
schöpfen. Bei Übertragung neuer, im Gesetz be-
gründeter Aufgaben werden die Heimatauskunfts- (Beifall in der Mitte.)
stellen entsprechend dem Arbeitsanfall verstärkt
werden. Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
Herren, Sie haben die Antwort der Regierung ge-
Im Schlußabsatz Ihrer Großen Anfrage wird die hört. Wird eine Beratung der Großen Anfrage ge-
Befürchtung ausgesprochen, daß die im Lasten- wünscht?
ausgleichsgesetz vorgesehene Frist vom 31. März (Zustimmung.)
1957 für die Verabschiedung des Lastenausgleichs -
schlußgesetzes nicht eingehalten werden könne. — Dann treten wir in die Beratung ein. ich erteile
Demgegenüber darf ich darauf hinweisen, daß für das Wort dem Abgeordneten Atzenroth.
den Erlaß dieses Gesetzes eine genaue Kenntnis
der Schäden nicht erforderlich ist. Es genügt, wenn Dr. Atzenroth (FDP): Meine Damen und Herren!
die ungefähre Höhe der zu berücksichtigenden Wir haben die Große Anfrage des BHE unterstützt,
Gesamtschäden einigermaßen zuverlässig geschätzt weil auch wir der Meinung sind, daß in der Durch -
werden kann. Jedenfalls wird die Bundesregierung führung des Feststellungsgesetzes unerträgliche
alle Kraft daran setzen, ihrerseits die Voraus- Verzögerungen entstanden sind. Als das Feststel-
setzungen für eine fristgerechte Verabschiedung lungsgesetz hier beschlossen wurde, waren die Mei-
eines Lastenausgleichsschlußgesetzes zu schaffen. nungen geteilt. Auch meine Fraktion war durchaus
2112 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Atzenroth)
nicht einhellig für ein solches Feststellungsgesetz. des Blocks der Heimatvertriebenen rührt tat-
Aber nachdem es in Kraft getreten war, war es sächlich an eine sehr wunde Stelle in der Durch-
Pflicht der Regierung, es nun auch mit Intensität führung des Lastenausgleichsgesetzes. Ich anerkenne
durchzuführen. die ungeheuer großen Schwierigkeiten, die sich der
(Abg. Dr. Kather: Sie haben es doch mit Durchführung der Schadensfeststellung entgegen-
eingebracht!) stellen. Wer seit Jahren in der Materie arbeitet und
sich wirklich für alles, was dieses Lastenausgleichs-
— Ich sage ja: trotzdem war meine Fraktion nicht gesetz — ein Gesetz, mit dem wir Neuland beschrit-
geschlossen dafür; aber wir haben das Gesetz be- ten haben — beinhaltet, interessiert, würdigt diese
schlossen, infolgedessen muß es auch von der Bun- Schwierigkeiten. Andererseits befinden wir uns ge-
desregierung durchgeführt werden. genwärtig bei der Abwicklung des Lastenausgleichs
Die Ausführungen von Herrn Staatssekretär in einem Stadium, wo es eben ohne Schadensfest-
Hartmann können mich nicht davon überzeugen, stellung nicht mehr richtig weitergehen kann.
daß wirklich alles getan worden ist, was zur Durch- (Sehr richtig! beim GB/BHE. — Zuruf
führung dieses Gesetzes notwendig und möglich von der Mitte: Das war doch voraus
gewesen wäre. Ich glaube nicht, Herr Staatssekre- zusehen!)
tär, daß Sie die Alternative so stellen können: Wir
mußten erst alles tun, um die sozialen Leistungen Zweieinhalb Jahre sind es her, seit das Schadens-
in Gang zu bringen. Sicherlich war das die erste feststellungsgesetz verkündet wurde. Ich bin auch
Pflicht; aber daneben war es durchaus möglich, mit den Freunden aus meiner Fraktion, die um
auch bei der jetzigen personellen Besetzung sowohl diese Materie echt besorgt sind, der Auffassung,
im Finanzministerium als auch im Bundesaus- daß wir in diesen zweieinhalb Jahren mit der
gleichsamt, die wichtigsten Verordnungen zu er- Durchführung doch ein Stückchen hätten weiter
lassen, die notwendig sind, um das Feststellungs- sein müssen. Wir vermissen eine ganze Reihe von
gesetz überhaupt zum Anlaufen zu bringen. Nach Durchführungs- bzw. Rechtsverordnungen, die den
der Mitteilung des Landesausgleichsamtes in mei- weiteren Ablauf gewährleisten, da sie die Bewer-
nem Heimatland ist man dort sehr stolz darauf, daß tungsrichtlinien festlegen sollen. Ich beziehe mich
man 2,5 % der Anträge schon hat erledigen können. auf den § 43 des Feststellungsgesetzes. Dort sind
Wie mir angegeben wird, befindet man sich damit noch zirka zu zwölf Titeln Rechtsverordnungen fäl-
weit über dem Bundesdurchschnitt. Das ist 2 1/2 Jahre lig. Der § 44, der von den Sondervorschriften für
nach Verkündung des Gesetzes doch unerträglich! Berlin spricht, verlangt gleichfalls sechs oder sieben
Rechtsverordnungen. Das Fehlen dieser Rechtsver-
Mir sind eine Reihe von Rechtsverordnungen ge- ordnungen hat natürlich Folgen gehabt. Wenn wir
nannt worden, die fehlen und ohne die die Landes- uns die Größenordnung dessen, was uns heute an
ausgleichsämter nicht weiterarbeiten können. Sie Schadensansprüchen im Lastenausgleich bekannt
betreffen nicht nur die Heimatvertriebenen; sie be- ist, vor Augen führen, so wissen wir, daß zirka
treffen auch die Feststellung der Kriegssachschäden 7,3 Millionen Schadensanträge gestellt worden sind.
in starkem Maße. Um das Haus nicht mit diesen Ein- Von diesen 7,3 Millionen Schadensanmeldungen be-
zelheiten zu belasten, werde ich mir erlauben, treffen 4,1 Millionen den reinen Hausratsschaden.
Ihnen, Herr Staatssekretär, etwa acht dieser Punkte Bei diesen reinen Hausratsschäden ist die Feststel-
schriftlich mitzuteilen, in denen die Landesaus- lung nicht allzu schwierig, aber es verbleiben im-
gleichsämter wegen des Fehlens von Rechtsverord- merhin 3,2 Millionen Schadensfälle, di e Hausrats-
nungen nicht weiterarbeiten können. In dem Augen- und andere Schäden oder nur andere Schäden be-
blick, in dem wirklich Arbeit geleistet werden kann, inhalten, und damit kommen wir zu den Schwierig-
besteht dort Personalmangel; aber im Moment keiten, die heute von beachtlicher Auswirkung für
hätte eine personelle Verstärkung der Landesaus- die einzelnen Geschädigten sind.
gleichsämter gar keinen Zweck, weil die gesetzge-
berischen Unterlagen — nämlich der Teil, den die Nun zur Frage der Entschädigungsrenten. Die
Bundesregierung dem Gesetz hinzuzufügen-hat — Aufstockung auf die Unterhaltshilfe ist ohne Scha-
fehlen. Deshalb bin ich der Meinung, daß diese densfeststellung nicht möglich. §§ 279, 280 und 281
Große Anfrage die Bundesregierung, insbesondere des LAG beweisen es. Zu der Frage, welche zahlen-
das Bundesfinanzministerium veranlassen sollte, mäßigen Auswirkungen für die Geschädigten dabei
nun mit aller Dringlichkeit diese fehlenden Unter- festzustellen sind, will ich Ihnen gleichfalls einige
lagen zu beschaffen. Ich kann nicht mit Ihrer An- Größenordnungen nennen. Wir hatten zum 30. Juni
sicht übereinstimmen, Herr Staatssekretär, daß wir dieses Jahres 882 000 Unterhaltshilfeempfänger.
für das Gesetz, welches wir im Jahre 1957 verab- 25 600 von diesen Unterhaltshilfeempfängern hatten
nur Anspruch auf die Aufstockung, also die Ent-
schieden sollen — das endgültige Lastenausgleichs-
schlußgesetz, wie Sie es heute bezeichnen —, keine schädigungsrente. Von diesen 25 600 Beziehern von
Entschädigungsrente — das ist 1 /3 % der Gesamt-
genaue Feststellung brauchen. Ich behaupte: bis
zahl der Unterhaltshilfeempfänger — waren
dahin müssen wir eine sehr genaue Feststellung
wiederum 2/3 Bezieher des Pauschalsatzes der Auf-
haben. Wenn eine genaue Feststellung nach Ihrer
stockung von 20 DM monatlich, und nur das letzte
Meinung in fünf Jahren, von 1952 bis 1957, nicht
Drittel bezieht auf Grund einer Schadensfeststel-
möglich sein wird, dann müssen Sie auch vor dem
lung die volle Entschädigungsrente.
Hohen Haus erklären: Das Feststellungsgesetz ist
nicht durchführbar. Ich nehme an, daß Sie das Die Sorge wird aber noch vergrößert, wenn man
nicht wollen. daran denkt, daß wir gegenwärtig im Lastenaus-
gleichsausschuß eine Novelle beraten, mit der wir
(Beifall bei der FDP und beim GB/BHE.) auf Grund der gesammelten Erfahrungen und der
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der vorliegenden Anträge eine ganze Reihe Verbes-
Abgeordnete Kuntscher serungen durchführen und den sogenannten Sperr-
betrag herabsetzen wollen, wodurch ein noch
Kuntscher (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine größerer Kreis von Entschädigungsberechtigten in
Damen und Herren! Die Anfrage auf Drucksache 734 den Genuß der Entschädigungsrente kommen wird.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2113
(Kuntscher)
Weiter wollen wir durch eine Änderung bzw. eine 20 DM monatlich etwas bekomme oder ob ich meine
Ergänzung des § 252 des Lastenausgleichsgesetzes volle Entschädigungsrente erhalte. Ich möchte es
den Alten und Kranken vorzeitig eine teilweise als nicht im Rahmen einer sachlichen Erwiderung
Realisierung ihrer Grundentschädigung zukommen liegend ansehen, wenn mir einfach gesagt wird:
lassen. Wie aber können wir das, wenn wir mit der nun, durch diese vier Verordnungen ist sicherge-
Schadensfeststellung nicht weiterkommen? Es muß stellt, daß die Leistungen aus dem Lastenausgleich
auch noch vermerkt werden, was die Schadensfest- in allen Fällen so oder ähnlich, wie das Gesetz sie
stellung für jene Antragsteller, die um Existenzauf- endgültig vorschreibt, jetzt schon den Betroffenen
baukredite nachsuchen, bedeutet: eine Schadensfest- zugute kommen.
stellung bedeutet die Sicherstellung, weil ander-
weitig keine Bürgschaften vorhanden sind oder an- Herr Staatssekretär, Sie haben hier von der
geboten werden können. Schwierigkeit der Materie gesprochen, auf die auch
ich schon hingewiesen hatte. Ob es nun notwendig
Ich möchte noch ganz kurz darauf verweisen, daß ist, um diese Bewertungsrichtlinien zu erlassen, die
wir 1957 das Lastenausgleichsschlußgesetz zu letzte Gemeinde auszukehren und 15 000 Anträge
machen haben. Ich bin nicht ganz der Meinung des zu untersuchen, wage ich zu bezweifeln.
Herrn Staatssekretär, der sagte, wir könnten
ein Lastenausgleichsschlußgesetz machen, wenn wir (Zustimmung beim GB/BHE.)
nur eine beiläufige Feststellung des Gesamt- Ich weise es auch zurück, daß man uns einfach mit
schadens hätten. Besonders die alten Menschen war- dem Hinweis abspeist: „Wir haben die Dinge nach
ten doch mit Sehnsucht auf das Lastenausgleichs- der Maßgabe der Dringlichkeit bearbeitet".
schlußgesetz. Sie wollen endlich wissen, was sie an (Zuruf vom GB/BHE: Eben nicht!)
Grundentschädigung zu Recht haben; sie wollen
sich doch mit dieser bescheidenen Entschädigung Daß hier eine Dringlichkeit allergrößten Ausmaßes
auch ihren Lebensabend etwas verbessern können. vorliegt, haben wir wohl alle übereinstimmend ge-
fühlt.
Das Finanzministerium wäre nicht schlecht be-
raten — und wir kämen mit der Schadensfeststel- Das Tollste aber ist, daß man uns gesagt hat:
lung ein Stück weiter —, wenn es dem Aufbau und „Wir können doch nicht einen Referenten für ein
dem Ausbau der Heimatauskunftstellen ein größeres einzelnes Gesetz anstellen, um ihn dann, wenn das
Augenmerk schenkte. Die Heimatauskunftstellen Gesetz verabschiedet ist, wieder zu entlassen."
sind heute noch in der Lage, auf Fachleute aus den (Zurufe vom GB/BHE: Unerhört!)
Heimatgebieten zurückzugreifen, seien dies ehe-
malige Bürgermeister, seien es Männer und Frauen, Ich weiß nicht, wie man von der Bundesregierung
die damals in der Wirtschaft standen, seien es dem Hohen Hause etwas Derartiges überhaupt an-
solche, die bei den Geldinstituten tätig waren und bieten kann.
die auf Grund ihrer früheren Stellung geeignet (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)
sind, Angaben zu machen und bei den Heimataus-
kunftstellen mitzuhelfen, daß die gemachten Scha- Ich habe einer Schrift über eine Untersuchung, die
densansprüche geprüft und die Richtigkeit der er- im Auftrage der Bundesregierung angestellt wor-
hobenen Ansprüche festgestellt werden können. den ist, entnommen, daß das Bundesfinanzministe-
rium zu den Beratungen des Lastenausgleichsge-
Die Fragen, die Kollege Kather abweichend von setzes mit bis zu 13 Referenten zum Teil hoher
dem Inhalt der Großen Anfrage — Vorfinanzierung Dienstgrade erschienen ist, während dieselbe Schrift
und dergleichen — angeschnitten hat, sind in der feststellt, daß das Bundesvertriebenenministerium
vorhergehenden Debatte eingehend besprochen damals mit einem Sachbearbeiter vertreten war.
worden. Das dringende Ersuchen möchte ich auch Wenn eine so große Zahl von wichtigsten Mitar-
im Namen meiner Freunde aussprechen: daß die beitern durch die Verabschiedung des Lastenaus-
fehlenden Rechtsverordnungen sobald wie möglich gleichsgesetzes frei geworden ist, dann soll man
erlassen werden. Wir hoffen auch, daß die heutige mir doch nicht sagen, daß jetzt nicht irgendein
Aussprache dazu beigetragen hat, uns in der Bear- Mann oder ein paar Leute abgestellt werden kön-
beitung und in der Fortführung des Lastenaus- nen, die sich nun dieser vordringlichen Aufgabe
gleichs voranzubringen. widmen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Es ändert an dieser Beurteilung gar nichts, wenn
hier auf die großen Leistungen aus dem Aufkom-
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der men hingewiesen wird. Ja, durch das erhöhte Auf-
Abgeordnete Dr. Kather. kommen ist evident geworden, daß Sie uns damals
Dr. Kather (GB/BHE): Herr Präsident! Meine Angaben gemacht haben und daß wir von Vorstel-
Damen und Herren! Ich habe zu den Ausführungen lungen ausgegangen sind, die nicht richtig waren,
von Herrn Abgeordneten Kuntsc he r nichts zu daß also die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirt-
sagen, weil sie im wesentlichen in der Auffassung schaft in Wirklichkeit größer war.
mit meinen Ausführungen übereinstimmen. Ich be- (Beifall beim GB/BHE.)
absichtige auch nicht, mit Herrn Staatssekretär
Hartmann zu diskutieren, ebensowenig wie er Daß man nun dieses Geld wenigstens einigermaßen
sich wirklich sachlich mit der Begründung ausein- an den Mann gebracht hat, ist, glaube ich, eine
andergesetzt hat. Selbstverständlichkeit, die in keiner Weise dieses of-
fenkundige und auch von Herrn Kuntscher zugege-
(Sehr richtig! beim GB/BHE.) bene Versagen im Feststellungsverfahren entschul-
Ich habe Ihnen, Herr Staatssekretär Hartmann, digen kann.
sehr im einzelnen auseinandergesetzt, wie die Situa- Ich muß abschließend sagen, daß ich in einer
tion derer z. B. ist, die auf die Entschädigungsrente solchen Antwort — ich will auf weitere Dinge
warten. Es ist nämlich ein gewaltiger Unterschied, nicht eingehen — eine Brüskierung aller Geschä-
ob ich unter gewissen Voraussetzungen und nach digten sehe.
vielen Anstrengungen bis zum Höchstbetrage von (Beifall beim GB/BHE.)
2114 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und allen Punkten vereinbar ist. Er hält die Bil
Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt dung des Gesamtverbandes nur in der Form
der Tagesordnung liegen nicht vor. Ich schließe für zulässig, daß zwischen diesem und seinen
daher die Beratung. Damit ist Punkt 4 der heuti- Mitgliedern, den Familienausgleichskassen,
gen Tagesordnung erledigt. kein Über- und Unterordnungsverhältnis be-
Ich rufe Punkt 5 auf: steht. Die Voraussetzungen, unter denen sich
der Ausgleich zu vollziehen hat, müßten also
Zweite und dritte Beratung des von der im Gesetz selbst derart festgelegt sein, daß der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Ausgleich ohne unzulässige verwaltungsmäßige
eines Gesetzes über die Gewährung von Eingriffe gehandhabt werden kann. Die Tätig-
Kinderbeihilfen (Kinderbeihilfegesetz) und keit des Gesamtverbandes müßte sich auf eine
des von der Fraktion der CDU/CSU einge- Verrechnung beschränken. Hinzu kommt, daß
brachten Entwurfs eines Gesetzes über die die nach § 14 Abs. 4 vorgesehenen Regelungen
Gewährung von Kindergeld und die Er- ihrer Natur nach Rechtsverordnungen sind,
richtung von Familienausgleichskassen die nur von den in Art. 80 Abs. 1 GG genann-
(Drucksachen 318, 319); ten Stellen erlassen werden können. Außerdem
Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik dürfte das Ausmaß der gewährten Ermäch-
(28. Ausschuß) (Drucksachen 708, zu 708, An- tigung nicht genug umgrenzt sein. Diese Be-
träge Umdrucke 147, 148, 155, 156, 157, 158, denken erstrecken sich insbesondere auf die
159, 162, 163). Ausgestaltung der §§ 14, 17 bis 19, 23 Abs. 3,
(Erste Beratung: 21. Sitzung.) 25 Abs. 2 Satz 2 und 26 Abs. 1 Satz 3.
4. Zu der in § 26 Abs. 3 vorgesehenen Regelung
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem
Abgeordneten Dr. Jentzsch. war der Rechtsausschuß mit Mehrheit der Auf-
fassung, daß der Unternehmer, wenn er den
Antrag ganz oder teilweise für begründet
Dr. Jentzsch (FDP), Berichterstatter: Herr Präsi- hält — das ist der gegenteilige des in § 26
dent! Meine Damen und Herren! Der Schriftliche
Abs. 3 geregelten Falles, der sich aber im
Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ist Ihnen
Wege des Gegenschlusses aus dieser Vor-
vorgelegt worden*). Ich beziehe mich insoweit auf schrift ergibt —, rechtlich einen Verwaltungs-
diesen Bericht. akt vornimmt, zu dem er nicht als Privat-
Ich habe ergänzend dem Hohen Hause von fol- person ermächtigt werden kann. Zulässig da-
gendem Kenntnis zu geben. Der Herr Präsident gegen erschiene es, wenn der Unternehmer
des Bundestages hat am 3. September dieses Jah- die Zahlung vorschußweise gewähren und die
res den Ausschuß für Rechtswesen und Ver- Entscheidung der Familienausgleichskasse vor-
fassungsrecht zu einer Stellungnahme zu diesem behalten würde.
Gesetzentwurf Drucksache 708 aufgefordert. Der
Rechtsausschuß hat in einer Sitzung dazu Stellung 5. Die in § 30 vorgesehene Regelung wäre im
genommen, ohne sich jedoch mit der sachlich-fach- Interesse einer einheitlich gesetzlichen Rege-
lichen Materie zu befassen, soweit das nicht zur lung dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
Beurteilung der zur Beratung anstehenden Rechts- vom 25. 3. 1952 anzupassen und vorzusehen,
fragen erforderlich war. Infolgedessen gab der daß Verwaltungsbehörde im Sinne des § 73
Rechtsausschuß keine Stellungnahme zu dem Ge- dieses Gesetzes die Aufsichtsbehörde ist.
setzentwurf als solchem ab, sondern er nahm 6. Die in § 34 Abs. 3 vorgesehene Ermächti-
lediglich eine Überprüfung hinsichtlich der ver- gungsvorschrift bedarf nach der einmütigen
fassungsrechtlichen Vereinbarkeit mit den Bestim- Auffassung des Rechtsausschusses der Kon-
mungen des Grundgesetzes vor. Hier kam der Aus- kretisierung durch Angabe des Zweckes
schuß zu folgenden Ergebnissen, die ich mit Zu- (Art. 80 Abs. 1 GG).
stimmung des Herrn Präsidenten verlesen möchte:
- 7. Zu § 37 Abs. 1 war der Ausschuß einmütig der
1. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes Auffassung, daß nach Art. 84 Abs. 2 GG Ver-
ergibt sich nach der Überzeugung der Mehr- waltungsvorschriften nur mit Zustimmung, des
heit des Ausschusses aus Art. 74 Ziff. 7 in Bundesrates erlassen werden können. Es wäre
Verbindung mit den Ziffern 11 und 12 des zweckmäßig, dieses zur Klarstellung ausdrück-
Grundgesetzes. Diese Überzeugung der Mehr- lich hervorzuheben.
heit wird noch durch den Hinweis auf Art. 6 8.SchließwardAuseinmütgr
des Grundgesetzes unterstützt. Auffassung, daß je nach der Ausgestaltung
2. Demgegenüber war eine Mehrheit im Ausschuß der Behördenorganisationen im Gesetz das
jedoch der Auffassung, daß der Gesetzentwurf Gesetz der Zustimmung des Bundesrates be-
den Gleichheitsgrundsatz dadurch verletze, darf bzw. nicht bedarf.
daß er nur diejenigen Personen einbeziehe, Entsprechend § 74 Abs. 2 der Geschäftsordnung
die bei einer Berufsgenossenschaft versichert des Deutschen Bundestages wird diese Stellung-
sind oder sich versichern können, und die- nahme des Ausschusses für Rechtswesen und Ver-
jenigen ausschließe, die unter die Unfallver- fassungsrecht hiermit dem Hohen Hause wieder-
sicherung fallen, ohne bei öffentlichen Dienst- gegeben.
stellen beschäftigt zu sein.
Der Sozialpolitische Ausschuß hatte in seiner
3. Der Rechtsausschuß ist mehrheitlich ferner letzten Sitzung kurz vor Beginn der Parlaments-
der Auffassung, daß die im Gesetzentwurf ferien die Beratungen zu den Drucksachen 318
vorgesehene Organisationsform mit den im und 319, die ihm am 1. April vom Plenum über-
Grundgesetz niedergelegten Vorschriften über tragen worden waren, abgeschlossen und das Er-
die Ausführung der Bundesgesetze nicht in gebnis seiner Arbeiten in der Drucksache 708
niedergelegt. Am 10. September ist ihm die Stel-
*) Siehe Anlage 6 lungnahme des Rechtsausschusses übermittelt
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2115
(Dr. Jentzsch)
worden. Er hat davon in seiner ersten Sitzung den eines Kopfbeitrages, könnte man noch an eine
nach den Parlamentsferien Kenntnis genommen. technische Durchführbarkeit glauben. Aber die
Eine Berücksichtigung oder Stellungnahme hat Verfasser dieses Entwurfs denken ja wohl daran,
nicht mehr erfolgen können, da, wie bereits gesagt, daß die Umlage nach dem Einkommen errechnet
die Ausschußberatungen vor den Parlamentsferien werden soll. Sonst hätte der § 11 keine Bedeutung.
beendet worden waren. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird zwar der
Satzung das Recht gegeben, festzustellen, nach
Vizepräsident Dr. Schneider: Ich danke dem welchem Schlüssel umgelegt werden soll.
Herrn Berichterstatter. (Zurufe von der Mitte: Na also! — Das
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe ist doch Selbstverwaltung!)
zur Einzelberatung § 1 des Gesetzes auf. Dazu lie- Aber wenn man in § 11 überhaupt von Einkom-
gen Änderungsanträge vor, und zwar auf Um- mensgrenzen spricht, so meint man doch anschei-
druck 157 *) der Änderungsantrag der Fraktionen nend eine Berechnung nach dem Einkommen.
der FDP und DP und auf Umdruck 147 **) der
Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Ich frage: (Abg. Richter [Frankfurt]: Sie sind schon
Soll begründet werden? Abgeordneter Atzen- bei § 11!)
roth. — Nein, Herr Richter, ich habe von vornherein
schon um Verzeihung gebeten, weil unser Antrag
Dr. Atzenroth (FDP): Meine Damen und Herren! eine Einheit darstellt. Ich will auch bei den späte-
Der Antrag, der Ihnen auf Umdruck 157 vorgelegt ren Paragraphen keine Begründung mehr bringen.
worden ist und der zehn Punkte umfaßt, enthält Die Herausnahme der Selbständigen ist ein ge-
kurz gesagt die Forderung, die Selbständigen von schlossenes Problem.
diesem Gesetz auszunehmen. Der Antrag mußte
sich auf verschiedene Paragraphen erstrecken; das (Abg. Richter [Frankfurt]: Sie begründen
ergab sich aus dem Aufbau des Gesetzes. Wenn wir Ihren Antrag?)
diesen Antrag stellen, so haben wir dabei nicht die — Ja, ich begründe meinen Antrag.
Absicht, bei der Gewährung von Kindergeld oder
ähnlichem einen Unterschied zwischen Arbeitneh- Wenn man dazu käme, die Berechnung der Umlage
mern und Selbständigen zu machen, sondern uns nach dem Einkommen vorzunehmen, müßte man
bewegen in erster Linie Gründe der praktischen logischerweise bei den Familienausgleichskassen
Durchführbarkeit. Aus meinen Ausführungen wird ein kleines Finanzamt errichten. Denn wie sollen
aber auch unsere Stellungnahme zu dem gesam- solche Kassen, die weitab von ihren Mitgliedern
ten Problem hervorgehen, das hier angeschnitten sitzen, aus eigener Kenntnis Feststellungen über
wird. die Höhe des Einkommens treffen?
Als man zum erstenmal auf den Gedanken kam, Es ist eine Einkommensgrenze von 3600 DM vor-
die Berufsgenossenschaften in die Auszahlung von gesehen. Berufsgenossen, deren Einkommen unter
Kindergeld einzuschalten, versprach man sich da- dieser Grenze liegt, sollen von der Beitragspflicht
von eine billige und einfache Verwaltung. Man befreit werden. Es müssen Feststellungen getrof-
dachte dabei aber nur an die Auszahlung an fen werden, was Einkommen ist. Ist das Einkom-
Arbeitnehmer. Derjenige, der etwas von der Orga- men aus dem Vorjahr zugrunde zu legen oder das
nisation und dem Arbeiten der Berufsgenossen- des laufenden Jahres? Welche Schwierigkeiten sich
schaften versteht, wird dieser Erwartung mit einer dabei ergeben, kann sich jeder ausmalen, der sich
gewissen Skepsis entgegentreten. Ich bezweifle, daß in der Steuergesetzgebung betätigt hat.
es zu einer billigen Verwaltung kommen wird.
Immerhin, beschränkt auf die Arbeitnehmer wäre Hinzu kommt, daß auf diese Weise ganz ver-
eine solche Organisation von Familienausgleichs schiedene Verhältnisse für die einzelnen Berufs-
kassen, angegliedert an Berufsgenossenschaften, genossenschaften entstehen. Es gibt Berufsgenos-
- gro-
technisch, zwar mit Schwierigkeiten, sogar mit senschaften, in denen die Zahl der Selbständigen
ßen Schwierigkeiten, durchführbar. Die Sache wird sehr klein ist, in denen also diese Frage keine sehr
aber eine andere, wenn man die Selbständigen mit große Rolle spielt. Demgegenüber stehen Berufs-
hineinnimmt. Dann kommt man in eine Lage, die genossenschaften wie die des Einzelhandels, bei
dem eigentlichen System der Berufsgenossenschaf- denen die Zahl der Mitglieder außerordentlich groß
ten, dem System, auf dem diese Körperschaften des ist und bei denen die Schwierigkeiten noch dadurch
öffentlichen Rechts aufgebaut sind, absolut wider- verstärkt werden, daß nur ein Teil dieser großen
spricht. Die Karteien und Unterlagen sind dafür Zahl von selbständigen Mitgliedern zum Beitrags-
nicht geeignet; denn sie haben eine ganz andere aufkommen herangezogen wird. Je höher man die
Grundlage. Das zeigt sich auch darin, daß man in Zahl der Nichtzahlungspflichtigen bemißt - und
diesem Gesetzentwurf für die Arbeitnehmer und der spätere Antrag der CDU/CSU will ja sogar den
die Selbständigen verschiedene Wege des Aufkom- Satz von 3600 DM auf 4800 DM erhöhen —, desto
mens der Mittel vorgesehen hat. Während man sich mehr muß natürlich auf die Verbleibenden, die
die Aufbringung für die Arbeitnehmer so denkt, zahlungspflichtig sind, umgelegt werden. Wir wer-
daß die Betriebe gewisse Zahlungen leisten, die den dabei zu Zahlen kommen, die einfach nicht ver-
Kosten innerhalb der Betriebe darstellen und von tretbar sind. Nach den Bestimmungen dieses Ge-
dem allgemeinen Betriebsfonds getragen werden, setzes soll die Landwirtschaft noch von diesem
sollen die Selbständigen die für Leistungen an sie System ausgenommen werden. Aber für einzelne
bestimmten Mittel selbst aufbringen, und zwar auf andere Berufsgenossenschaften wird sich die Tat-
dem Wege der Umlage. Der Gesetzentwurf schreibt sache ergeben, daß Pflichtige mit einem Einkom-
nicht vor, wie die Umlage errechnet werden soll. men von vielleicht 5000 DM, also ein wenig über
Wenn man den einfachsten Weg wählte, nämlich . der von Ihnen festgelegten Grenze, Zahlungen
leisten müssen, die das Mehrfache dessen darstel-
*) Anlage 2. len, was sie für sich selbst in der Berufsgenossen-
**1 Anlage 1 , schaft zur Unfallversicherung zu zahlen haben.
2116 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Atzenroth)
Überdies ist das Wort „Selbständige" hier gar die Lasten selber tragen könne, wenn sich diese
nicht anwendbar. Warum soll z. B. im gleichen auf die Arbeitnehmer beschränkten. Wie Sie aus
Berufszweig der Geschäftsführer einer Ein-Mann- dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Jentzsch
GmbH. die Berechtigung haben, Nutznießer dieses ersehen können, betragen die Lasten für die Land-
Gesetzes zu sein, aber nicht die Verpflichtung, wirtschaft mit Einschluß der Selbständigen rund
irgendwelche Zahlungen zu leisten, während in 130 Millionen DM, aber nur 27 Millionen DM, wenn
dem Nachbarbetrieb, der unter persönlicher Lei- man sie auf die Arbeitnehmer beschränkt. Diese
tung oder als Offene Handelsgesellschaft betrieben 27 Millionen DM jährlich kann die Landwirtschaft
wird. die Zahlungspflicht besteht? Diese Ungerech- tragen; sie sind ja weniger als das Drittel, das sie
tigkeit ist nicht zu vertreten. Warum soll der Direk- im anderen Fall tragen müßte. Deswegen haben
tor einer Aktiengesellschaft mit einem sehr hohen wir für diesen Fall — nur für den Fall, daß die
Gehalt Nutznießer und zum Empfang der Beihilfen Selbständigen herausgenommen werden — von
berechtigt sein, ohne daß er irgendeine Leistung der Erstattung zu zwei Dritteln durch die gewerb-
zu erbringen hat, während der kleine Handwerker lichen Berufsgenossenschaften Abstand genommen.
seinen Beitrag aufbringen muß? Er bekommt die Ich betone: nur für diesen Fall, weil bei flüchtigem
gleiche Leistung und ist aufbringungspflichtig, der Durchlesen unseres Antrags Mißverständnisse auf-
Arbeitnehmer mit dem hohen Gehalt dagegen kommen könnten.
nicht. Das sind Dinge, die einfach nicht vertreten Meine Damen und Herren! Ich glaube, Ihnen
werden können. nachgewiesen zu haben, daß das Gesetz mit Ein-
Besonders schwierig sind die Verhältnisse in der schluß der Selbständigen so viel Mängel und so
Landwirtschaft, wo ja die Maßstäbe des Einkom- viel Schwierigkeiten bringt, daß die praktische
mens andere sind als bei den veranlagungspflich- Durchführbarkeit nicht gegeben ist. Deswegen bitte
tigen Einkommensbeziehern. Wenn die Grenze von ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
3600 DM bei der Landwirtschaft aufrechterhalten
bliebe, würde es dazu kommen, daß Landwirte, (Beifall bei der FDP und der DP.)
die nicht von der Beitragspflicht befreit werden,
Beiträge leisten müssen, die etwa das Fünffache Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort zur Be-
dessen ausmachen, was sie als Berufsgenossen- gründung des Antrags der SPD auf Umdruck 147
schaftsbeiträge zu zahlen haben. Sie wissen alle, zu § 1 des Gesetzes hat der Abgeordnete Professor
wie sich die Landwirtschaft gerade gegen die letz- Schellenberg.
ten Erhöhungen der Berufsgenossenschaftsbeiträge
gewehrt hat und erklärt hat, daß sie untragbar Dr. Schellenberg (SPD): Meine Damen und Her-
seien. Hier würden Lasten hinzukommen, die ein- ren! Nach § 1, der im Ausschuß von der Mehrheit
fach nicht aufzubringen sind. gegen die Stimmen meiner Fraktion angenommen
Auch die Frage eines variablen Einkommens wird worden ist, soll die Gewährung von Kindergeld
nicht genügend berücksichtigt. In dem einen Jahr auf Personen beschränkt bleiben, die bei einem
wird vielleicht die Grenze, die festgesetzt wird, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, und
erreicht und überschritten, im nächsten Jahr sinkt zwar bei den Berufsgenossenschaften, aus Anlaß
das Einkommen wieder, und die Notlage in dem einer Arbeitstätigkeit versichert sind oder sich dort
Betrieb wird besonders groß. Dann muß aber der freiwillig versichern können. Eine solche Regelung
Beitrag nach dem früheren Einkommen gezahlt soll nach dem Beschluß der Mehrheit des Ausschus-
werden und ist nun besonders schwierig aufzu- ses aus organisatorischen Gründen erfolgen, weil
bringen. Er kann ja erst herabgesetzt werden, nach dieser Auffassung die Gewährung von Kinder-
wenn eine Veranlagung vorliegt. geld an die Familienausgleichskassen der Berufs-
genossenschaften gebunden werden soll. Wir stehen
Sie sehen daraus, daß die Einbeziehung der Selb- also der erstaunlichen Tatsache gegenüber, daß die
ständigen in dieses Gesetz völlig unlogisch ist. Gewährung von Kindergeld nicht nach sozialpoli-
Wenn man für die Selbständigen eine Kinderbei- tischen Notwendigkeiten, sondern nach verwal-
hilfe organisieren will, muß man andere- Wege tungstechnischen, organisatorischen Gesichtspunk-
gehen als hier in dem Fall, der auf die Arbeit- ten geregelt werden soll.
nehmer abgestellt worden ist.
Die Regelung des § 1 hat, wie der Herr Bericht-
Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, erstatter vorgetragen hat, einen Unterausschuß des
aber auch andere, z. B. die Berufsgenossenschaft Bundesrates und den Bundestagsausschuß für
der freien Berufe, haben eindeutig erklärt, daß das Rechtswesen und Verfassungsrecht beschäftigt.
Gesetz in dieser Form für sie nicht durchführbar Beide Gremien sind überwiegend der Ansicht, daß
ist. Das ist den Mitgliedern des Ausschusses be- der Gesetzentwurf in § 1 den Gleichheitsgrundsatz
kanntgegeben worden. Jeder, der sich über diese verletzt, weil nur diejenigen Personen einbezogen
Warnung hinwegsetzt, übernimmt die Verantwor- werden, die bei einer Berufsgenossenschaft unfall-
tung, wenn das Gesetz nicht durchgeführt werden versichert sind. Die sozialdemokratische Fraktion
kann — darüber muß sich jeder von uns klar hat schon seit jeher die Rechtsauffassung, die jetzt
werden —, oder er muß die Argumente zu wider- die beiden Ausschüsse geäußert haben, vertreten
legen wissen, die von diesen Fachleuten in den
Berufsgenossenschaften vorgebracht worden sind. und ist darüber hinaus der Auffassung, daß es aus
sozialen und politischen Gründen unvertretbar ist,
Deswegen haben wir den Antrag gestellt, aus die- Kindergeld, wie das in § 1 vorgesehen ist, von dem
sem Gesetz die Selbständigen herauszunehmen und
Tatbestand einer Versicherung gegen Arbeitsunfall
das Gesetz dadurch wieder praktikabel zu machen. abhängig zu machen.
Ich möchte noch besonders bemerken, daß wir
mit unserem Antrag auch die Unterstützung der Es muß scharfen Widerspruch finden, daß eine
soziale Leistung, die Gewährung von Kindergeld,
gewerblichen Berufsgenossenschaften für die land-
wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften mit zwei nach unfallversicherungstechnischen Überlegungen
Dritteln der notwendigen Beträge herausnehmen. bestimmt wird.
Die Landwirtschaft hat nämlich erklärt, daß sie (Abg. Richter: Sehr gut!)
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2117
(Dr. Schellenberg)
Die Unfallversicherung hat die Aufgabe der Ver- — Ich bitte, nachher zu begründen, wer eine solche
hütung und Entschädigung von Arbeitsunfällen, Auffassung vertritt. Nach Ansicht der SPD, die
und das hat nicht das geringste mit der Gewährung — ich glaube mich nicht zu täuschen — auch von
von Kindergeld zu tun. Damen und Herren selbst der CDU geteilt wird,
wenn das auch nicht vor dem Plenum ausge-
(Sehr wahr! bei der SPD.) sprochen wird, hat die Gewährung von Kindergeld
Im übrigen stößt die Durchführung bei den Beruf s- nichts mit der Arbeitsleistung des Ernährers und
genossenschaften — Herr Kollege Atzenroth hat seinem Versicherungsverhältnis zu tun.
einen diesbezüglichen Antrag der FDP-Fraktion (Sehr richtig! bei der SPD.)
begründet — auf sehr lebhafte Kritik bei einem
Teil der Berufsgenossenschaften. Ich habe vor mir Die Gewährung von Kindergeld muß vielmehr
eine Eingabe des Bundesverbandes der landwirt- Ausdruck des eigenen Lebensrechtes des Kindes
schaftlichen Berufsgenossenschaften liegen. und der Familie sein.
(Zurufe von der CDU/CSU: Haben wir alle!) (Beifall bei der SPD.)
— Ja, ich möchte es den Damen und Herren und Das vom Herrn Familienminister vertretene
der Presse und damit der Öffentlichkeit zur Kennt- Prinzip, nach dem Kindergeld als Anspruch aus
nis bringen. Da heißt es: Arbeitsleistung zu gewähren ist, führt unter dem
Gesichtspunkt der Familie zu bedenklichen Aus-
(Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir alle wirkungen.
schon gelesen!) (Sehr wahr! bei der SPD.)
— Fürchten Sie dieses Argument? Ich darf das an einem Beispiel erläutern. Eine
(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) Witwe mit drei oder mehr Kindern lebt heute von
der Kriegshinterbliebenenrente oder von einer
— Dann wollen wir darüber diskutieren, und ich Rente der Sozialversicherung und widmet sich trotz
darf es zur Begründung meiner Auffassung vor- ihrer spärlichen Rente ausschließlich der Erziehung
tragen: ihrer drei oder mehr Kinder. Nach § 1 des Gesetz-
Bei Würdigung all dieser Verhältnisse muß der entwurfes wird diese Witwe, da sie nicht in einem
in der Ausschußvorlage enthaltene Entwurf als unfallversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis
praktisch undurchführbar bezeichnet werden. steht, kein Kindergeld erhalten. Sobald aber die-
(Hört! Hört! bei der SPD.) selbe Witwe eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, steht
ihr zusätzlich ein steuerfreies Kindergeld von
Und es heißt weiter: 25 DM oder 50 DM, je nach der Zahl ihrer Kinder,
Die Bedenken sind so schwer, daß die land- zu. Das begründet die Gefahr, daß sich diese Witwe
wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften jede mit drei oder mehr Kindern künftig nicht mehr
Verantwortung für die Durchführung des Ent- ausschließlich der Erziehung ihrer Kinder widmet,
wurfs ablehnen. sondern bestrebt ist, irgendeine Beschäftigung,
wenn auch vielleicht nur formell, aufzunehmen,
(Hört! Hört! bei der SPD.) um in der gleichen Weise wie andere Erwerbs-
Der Zentralverband des deutschen Handwerks hat tätige zusätzlich in den Genuß von Kindergeld auf
unter anderen Gesichtspunkten ebenfalls eine Grund versicherungspflichtiger Tätigkeit zu kom-
scharfe Kritik gegen die Durchführung im Rahmen men. Die Regelung des § 1, die Gewährung von
der Berufsgenossenschaften geäußert. Kindergeld an die Arbeitsleistung zu binden, wo-
Ungeachtet dieser Einwendungen, die dem Aus- für sich der Herr Bundesminister für Familien-
schuß bekannt waren, hat dessen Mehrheit an der fragen einsetzt, führt also zu Auswirkungen, die
„klassischen Konzeption", wie Herr Kollege Win- familienfeindlich sein können.
kelheide bei der ersten Lesung hier darlegte, an Im übrigen stimmt selbst die Behauptung des
der „klassischen Konzeption" der Koppelung- des Herrn Ministers für Familienfragen, daß nach dem
Familienausgleichs mit einér unfallversicherungs- Gesetzentwurf Kindergeld als Anspruch aus
pflichtigen Tätigkeit festgehalten, und merkwür- Arbeitsleistung gewährt wird, nicht ganz. Sie ist
digerweise hat der Herr Minister für Familien- nämlich nur dann richtig, wenn diese Arbeitslei-
fragen den Versuch unternommen, die Verbindung stung mit einer Pflichtversicherung oder freiwilli-
von Kindergeldzahlung mit einer unfallversiche- gen Versicherung bei einer Berufsgenossenschaft
rungspflichtigen Tätigkeit der Eltern gewisser- verbunden ist.
maßen zu einem sozial-ethischen Prinzip zu er- (Sehr richtig! bei der SPD.)
heben.
(Hört! Hört! bei der SPD.) Wer eine Tätigkeit ausübt, für die er bei keiner
Berufsgenossenschaft versichert ist, hat keinen An-
Der Herr Bundesminister für Familienfragen hat spruch auf Kindergeld, auch wenn er drei oder
am 2. Juli im Bayerischen Rundfunk wörtlich fol- mehr Kinder hat.
gendes erklärt: (Zuruf rechts.)
Das Kindergeld soll bei uns nicht als Staats - Das werde ich Ihnen darlegen.
almosen aus Steuermitteln, sondern als Rechts
anspruch aus Arbeitsleistung gewährt werden. § 1 führt zu dem grotesken Zustand, daß zwar
die Bezieher hoher und höchster Einkommen, die
Das ist eine erstaunliche Argumentation; denn nie- drei oder mehr Kinder haben, einen Rechtsanspruch
mand in Deutschland hat irgendwann die Auffas- auf Kindergeld erhalten, daß aber Hausschneide-
sung vertreten, daß Kindergeld als Almosen oder rinnen oder Zimmervermieterinnen, die sich und
als Leistung der Armenpflege oder der sozialen ihre Kinder mit der Rente mühsam durchs Leben
Fürsorge gewährt werden solle. Das stand niemals schlagen, keinen Anspruch auf Kindergeld haben;
zur Erörterung. denn sie sind nicht bei einer Berufsgenossenschaft,
(Abg. Dr. Atzenroth: Doch!) sondern bei einem Gemeindeunfallversicherungs-
2118 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 23. September 1954
(Dr. Schellenberg)
verband versichert, wenn sie überhaupt versichert hat vor der Presse Berechnungen bekanntgegeben,
sind. wonach bei der in § 1 vorgesehenen Regelung für
(Zuruf von der SPD: Das sind rein Selb 2 027 000 Kinder Kindergeld zu zahlen ist. Die tat-
ständige!) sächliche Zahl der Kinder, die von § 1 erfaßt wer-
Ich bitte, das genau nachzuprüfen. Diese Dinge den, beträgt aber nach den Angaben des Bundes-
wurden auch von uns im Ausschuß vorgetragen, arbeitsministeriums und des Statistischen Bundes-
haben aber die Mehrheit nicht überzeugen können. amtes nur 1 200 000 Kinder. Der Herr Bundes-
Wir stehen also auf dem Standpunkt, daß § 1 in finanzminister hat also der Öffentlichkeit Zahlen
der gegenwärtigen Fassung mit der Zielsetzung unterbreitet, die um etwa 60 % überhöht sind.
eines sozial gerechten Ausgleichs für die besondere Im Wege der Steuerermäßigung wird, worauf
Belastung der Familien mit Kindern unverein- meine Fraktion bereits bei der ersten Lesung hin-
bar ist. gewiesen hat, nur ein unzureichender und unge-
Die Grundlagen der vom Ausschuß beschlossenen rechter Ausgleich der Belastungen erreicht, die
Fassung des § 1 sind auch von der Presse lebhaft sich für Familien mit Kindern ergeben. Deshalb
kritisiert worden. So schreibt heute die „Frank- muß nach Auffassung meiner Fraktion danach ge-
furter Allgemeine Zeitung", die wahrlich nicht in strebt werden, Kindergeld für alle Kinder, d. h.
dem Verdacht steht, mit der Sozialdemokratie zu vom ersten Kind an zu gewähren, wie dies für
sympathisieren, — — Kinder von Angehörigen des öffentlichen Dienstes
der Fall ist. Das sozialpolitische Ziel, Kinderbei-
(Zurufe von der CDU/CSU: Haben wir hilfen vom ersten Kind an zu gewähren, kann aber
gelesen!) nur im Zusammenhang mit einer großen Steuer-
— Ja, Sie vielleicht, aber ich weiß nicht, ob alle reform, die diesen Namen verdient, durchgeführt
Damen und Herren diesen Aufsatz gelesen haben. werden. Hiermit ist in absehbarer Zeit nicht zu
Diese Zeitung vertritt die Auffassung, daß der vor- rechnen. Deshalb ist die sozialdemokratische Frak-
liegende Gesetzentwurf als ein Meisterstück gesetz- tion der Ansicht, daß als erster Schritt zur Gewäh-
geberischer Unfähigkeit zu bezeichnen ist. rung eines allgemeinen Kindergeldes dieses wenig-
stens vom zweiten Kind an gewährt werden sollte.
(Hört! Hört! bei der SPD.) Damit wäre erreicht, daß wenigstens für etwa
Obwohl ich — das werden mir die Damen und Her- 5 Millionen der rund 13 Millionen Kinder Kinder-
ren der CDU bestätigen — an dem Gesetzentwurf geld gezahlt wird. Wir beantragen deshalb, in § 1
lebhaft mitgearbeitet habe, kann ich der Auffas- unter b) festzulegen, daß Kindergeld bereits vom
sung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nicht zweiten Kind an zu gewähren ist. Nur durch eine
widersprechen. solche Regelung wird verhindert, daß 91 % aller
Kinder auch weiterhin ohne Kinderbeihilfen blei-
(Abg. Dr. Atzenroth: Sind Sie auch sonst
ben, was zu einer schweren Enttäuschung für viele
damit einverstanden?) Familien führen müßte.
— Wir werden unsere Auffassung im Laufe der Unser Antrag zu § 1, Kindergeld nach dem
eingehenden Beratungen darlegen, Herr Kollege Gleichheitsgrundsatz unabhängig von der Berufs-
Atzenroth. Wir lassen uns — um Ihnen das gleich tätigkeit der Eltern und auch bereits vom zweiten
zu sagen — nicht von organisatorischen, sondern Kind an zu zahlen, ist von grundlegender sozial-
von sozialpolitischen Gesichtspunkten leiten, und politischer Bedeutung. Deshalb beantrage ich
wir werden das im einzelnen noch darlegen. namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung
(Abg. Richter: Sehr gut!) hierüber.
Die SPD beantragt deshalb in § 1 lit. a ihres Ent- (Beifall bei der SPD.)
wurfs, das Kindergeld ohne Rücksicht auf den Be- Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
ruf der Eltern oder der Mutter zu gewähren. Eine Bundesminister für Familienfragen, Herr Minister
Annahme dieses Antrags beseitigt auch die Beden- Wuermeling.
-
ken, die der Rechtsausschuß wegen Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck gebracht hat. Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien-
Der Sozialpolitische Ausschuß hat ferner gegen fragen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
die Stimmen der Sozialdemokraten beschlossen, men und Herren! Nachdem Herr Kollege Schellen-
Kindergeld erst vom dritten Kind an zu gewäh- berg sich soeben mit Ausführungen befaßt hat, die
ren. Eine solche Regelung ist sozialpolitisch höchst ich zu diesem Thema gemacht habe, darf ich in
unbefriedigend. Denn dann werden von den 13 Mil- wenigen Sätzen einige grundsätzliche Erläuterun-
lionen Kindern unter 18 Jahren bzw. 24 Jahren gen geben. Ich glaube wirklich, daß es sehr nütz-
nur 1,2 Millionen Kinder, d. h. rund 9% aller lich ist, wenn wir uns — wenn auch nur kurz —
Kinder, Kindergeld erhalten, hier einmal in aller Sachlichkeit über das Grund-
sätzliche aussprechen; denn ich habe das Gefühl,
(Hört! Hört! bei der SPD) daß die Gegensätzlichkeiten über das System, das
während 91% aller Kinder ohne Kindergeld hier eingeführt werden soll, tatsächlich auf sehr
bleiben. verschiedenen grundsätzlichen Auffassungen be-
(Erneute Rufe von der SPD: Hört! Hört! ruhen.
— Abg. Dr. Atzenroth: Lesen Sie einmal Ich möchte sagen, daß ich nach den Ausführun-
den Artikel in der „Frankfurter Allgemei gen, die ich in der Öffentlichkeit gemacht habe, da-
nen Zeitung"!) von ausgehe, daß die Familien mit Kindern, die
In diesem Zusammenhang muß ich darauf hin- dieses Kindergeld erhalten, nicht Rentenempfänger
weisen, daß der Herr Bundesfinanzminister am des Kollektivs sein sollen, sondern daß sie Fami-
29. April vor der Presse über die Zahl der Kinder, lienzulagen zum Arbeitseinkommen, zum Lohn und
die durch § 1 des CDU-Gesetzentwurfs erfaßt wer- zum Gehalt, bekommen sollen, das sie durch eigene
den, Angaben gemacht hat, die einer Nachprüfung Arbeit verdienen.
nicht standhalten. Der Herr Bundesfinanzminister (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2119
(Bundesminister Dr. Wuermeling)
Diese Kinderzulagen sind keine Fürsorgeleistungen sem Gesetzentwurf dieses Kindergeld vorsehen, dann
des Staates — jetzt nicht im engeren Sinne des hat nie ein Zweifel darüber bestanden, daß für den
Fürsorgebegriffs —, sondern sollen ein Teil des Bereich der Nichtschaffenden, nämlich der Renten-
Arbeitsentgelts sein, den sich die Schaffenden ver- empfänger, entsprechende Konsequenzen gezogen
dienen. werden müssen. Nur gehören diese Vorschriften
nicht in ein Gesetz hinein, daß sich ausgesprochen
(Zuruf von der SPD: Und wer kein Ar mit dem Bereich der Schaffenden befaßt und dort
beitsentgelt erhält?!) etwas nachholen will, was grundsätzlich im Bereich
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir ver- der Rentenempfänger schon längst Praxis ist.
stehen uns ganz klar, wenn ich folgendes sage. Wir Ich fasse zusammen: Nach meinem Empfinden
holen mit diesem Gesetz im Sektor des Arbeits- handelt es sich bei diesem Gesetz nicht um ein
einkommens etwas nach, was beim Sozialeinkom- sozialpolitisches Fürsorgegesetz für hilfsbedürftige
men, bei allen Arten von Renteneinkommen bereits Familien, sondern um eine staatspolitische Maß-
seit langem eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich nahme der sozialen Gerechtigkeit für alle größeren
die Berücksichtigung des Familienstandes, die be- Familien. Auch dieser Teil der Familienpolitik ist
kanntlich beim Arbeitseinkommen bisher nur im also nicht Sozialpolitik im engeren Sinne, sondern
öffentlichen Dienst und nur in wenigen Fällen in Staatspolitik. Darum haben wir uns auch für die
der Wirtschaft üblich war. Bezichnug„Kdrl"icht—soewa
Herr Kollege Schellenberg, die Anlehnung der im sozialpolitischen Sinne — „Kinderbeihilfen"
Familienausgleichskassen an die Berufsgenossen- entschieden.
schaften hat doch wahrlich nicht den Sinn, daß wir (Abg. Dr. Atzenroth: Das sind doch Worte!)
etwa nur die Unfallversicherungspflichtigen und
-berechtigten als solche erfassen wollen, sondern Noch ein Letztes, und das ist mir ein besonderes
hat ausschließlich den technischen Grund, daß die Herzensanliegen in meiner Eigenschaft als Minister
Berufsgenossenschaften die besten und umfassend- für Familienfragen: Wir haben über dieses Gesetz
sten Arbeitsgrundlagen für die Berechnung und und über das System der Regelung schon Jahre
Erfassung der Umlagen besitzen, verhandelt. Unsere Menschen draußen im Lande
(Zuruf von der SPD: Das stimmt ja nicht!) und unsere Familien erwarten vom Bundestag, daß
nun endlich ein Gesetz zustande kommt. Um dieses
so daß wir hier keinen neuen Verwaltungsappa- Wollen — unser Wollen und das Wollen, das von
rat unter erheblichem Kostenaufwand zu schaffen draußen an uns herankommt — zu verwirklichen,
brauchen. geht meine Bitte an alle Mitglieder des Hohen Hau-
(Zuruf von der SPD: Den werden Sie dann ses dahin, doch nun den Streit um das System zu-
brauchen!) rückzustellen und alles zu tun, damit endlich die
Tat gesetzt wird, auf die man draußen schon so
Dr. Schellenberg (SPD): Ich habe eine Frage an lange wartet.
den Herrn Minister. Herr Minister, Sie haben die (Beifall in der Mitte.)
Auffassung vertreten, daß die Beruf sgenossen-
schaften die besten Arbeitsunterlagen zur Durch- Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
führung der Auszahlung von Kindergeld hätten. Abgeordnete Schmücker.
Ich habe die Frage: Ist nach Ihrer Kenntnis der
Dinge irgendeine Berufsgenossenschaft im Besitz Schmücker (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
der Unterlagen erstens über die Versicherten und Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, daß
zweitens über die Kinder, um die es in diesem Ge- ich die bereits lebhaft gewordene Debatte für ein
setz geht? paar Minuten mit einer Erklärung unterbreche.
Eine Anzahl von Fraktionskollegen und vor allem
Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien- meine Freunde, die sich beruflich zum Mittelstand
fragen: Herr Kollege Schellenberg, über eines wer- zählen, haben mich beauftragt, hier diese Erklä-
-
den wir uns doch einig sein. Für den Bereich der rung zur Frage der Einbeziehung er Selbständigen
Arbeitnehmer in den Betrieben ist ohne jeden in den Familienausgleich abzugeben.
Zweifel die technische Anlehnung an die Berufs- Wir sind der Auffassung, daß ein auf die Arbeit-
genossenschaften das einfachste System, weil die nehmer beschränkter Familienausgleich, gleichgül-
Betriebe ihre Beiträge an die Berufsgenossenschaf- tig aus welchen Motiven er vorgenommen wird,
ten bezahlen und praktisch nur ein Zuschlag dazu niemals ohne Auswirkungen auf die Selbständigen
erhoben zu werden braucht. bleiben kann.
(Abg. Dr. Schellenberg: Keine Antwort ist (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
auch eine Antwort!)
Er würde eine weitere sozialpolitische Überrun-
Die Auszahlung der Kindergelder durch die Be- dung gerade unserer kleinen landwirtschaftlichen,
triebs ist doch wohl das Billigste und Einfachste, handwerklichen und gewerblichen Existenzen
was man überhaupt machen kann. Jedenfalls für bringen, die im Interesse nicht nur dieses kleinen
den Sektor der Arbeitnehmer ergibt sich eindeutig, Mittelstandes, sondern jeder selbständigen Tätig-
daß hier der beste Weg gegeben ist. Daß die Dinge keit überhaupt unbedingt vermieden werden muß.
bei den freien Berufen etwas schwieriger sind, ver-
kennt niemand; aber wenn wir für ungefähr die (Abg. Horn: Sehr richtig!)
Hälfte der Empfänger ein gutes, billiges System Wir sind daher grundsätzlich für die Einbeziehung
haben, dann ist es doch gewiß richtig, von diesem der Selbständigen in den Familienausgleich.
System auszugehen und darauf aufzubauen.
Zur Sozialpolitik gehört aber nicht nur die meist
(Abg. Dr. Schellenberg: Sie schwimmen, bequemere Verteilung der Mittel, sondern ihr er-
Herr Minister!) ster Auftrag ist die Aufbringung der Gelder. Diese
Im übrigen muß ich noch folgendes hinzufügen: Aufbringung hat ebenfalls soziale Gesichtspunkte
Wenn wir für den Bereich der Schaffenden in die zu berücksichtigen. Das hier zur zweiten Lesung an-
2120 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Schmücker)
stehende Gesetz gestattet aber noch keinen klaren — Herr Professor Schellenberg und Herr Kollege
Überblick über die zu erwartende Belastung der Richter, wir haben sowohl im Ausschuß als auch
Selbständigen für ihren Anteil. Aus diesem Grunde damals bei der Einbringung immer wieder gesagt,
hatten meine Freunde und ich die Absicht, einen das vorliegende Gesetz umfaßt den Erwerbsraum.
Antrag auf einstweilige Herausnahme der Selb- Die Arbeitslosen, die Kriegerwitwen und alle
ständigen zu stellen und in einer Entschließung die anderen sozialen Kreise werden später durch die
Regierung aufzufordern, einen Gesetzesvorschlag entsprechenden Gesetze erfaßt. Diese Gesetze wer-
bezüglich der von diesem Gesetz dann nicht Betrof- den Ihnen noch vorgelegt.
fenen — ich wiederhole den Satz: der von diesem (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zurufe
Gesetz dann nicht Betroffenen; wir denken dabei von der SPD.)
nicht nur an die selbständigen Mittelständler — in-
nerhalb eines halben Jahres und dazu die Berech- Wir beschränken uns also auf diesen Kreis des Er-
nung der voraussichtlichen Belastungen vorzu- werbsraumes; darauf ist die Konzeption des § 1
legen. Wir haben uns aber in unserer Fraktion aufgebaut.
dann dahingehend verständigt, zwischen der zwei- Nun zum Änderungsantrag der FDP! Wenn wir
ten und der dritten Lesung die Frage der Einbe- die Selbständigen herausnähmen, würden wir nur
ziehung der Selbständigen noch einmal durchzu- die Hälfte der Kinder erfassen. Das wäre schlecht
prüfen. Wir haben uns damit einverstanden erklärt, für die Mehrkinderfamilien. Ich muß hier einmal
unsere Anträge bis dahin zurückzustellen. Daß des- ganz allgemein sagen, daß zwischen den Auffas-
halb, dieser Vereinbarung entsprechend, auch sungen der Organisationen, Berufsgenossenschaf-
ähnlich lautende Anträge, die von anderer Seite ten und Selbstverwaltungsorgane — wir haben
zur zweiten Lesung gestellt werden, von uns abge- Berge von Briefen bekommen — und den Auffas-
lehnt werden müssen, ergibt sich von selber. Ich sungen der Selbständigenfamilien ein ganz großer
persönlich habe die Hoffnung, daß es gelingt, in Unterschied besteht.
einer erneuten Beratung auf Grund der Beschlüsse
der zweiten Lesung zu einer befriedigenden Rege- (Sehr richtig! in der Mitte.)
lung für die Selbständigen zu kommen. Jedoch, wie Wenn Sie die Mehrkinderfamilien draußen fragen,
gesagt, diese Entscheidung behalten wir uns bis diese Zwölf- und Dreizehnkinderfamilien im Mün-
zur dritten Lesung vor. sterland z. B., die möchten lieber heute als morgen
(Beifall bei der CDU/CSU.) die Kinderzulage haben. Nun müssen Sie sich über
folgendes klarwerden.
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der (Abg. Mellies: Es hat doch im 1. Bundes
Abgeordnete Winkelheide. tag an Ihnen gelegen, daß wir ein solches
Meine Damen und Herren, ichdarf noch einmal Gesetz noch nicht haben!)
darauf aufmerksam machen: ich habe aufgerufen
zur Einzelberatung des § 1, nicht etwa zu einer all — Das ist nicht wahr, Herr Mellies! — Sie müssen
-gemeinen Aus prache über das Gesetz als Ganzes. folgendes zugrunde legen. Zwischen der Eigenver-
antwortung und der Leistungskraft der Familie
(Sehr richtig! bei der SPD.) und der Aufgabe des Staates liegt auch noch ein
Winkelheide (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Verantwortungsbereich, das ist die Gemeinschaft
Damen und Herren! Ich wollte nur zu § 1 sprechen, des Berufsstandes. Diese findet nun einmal sinn-
aber da muß man einige Dinge am Rande streifen, vollen Ausdruck in der Organisationsform der Be-
rufsgenossenschaften.
die in den Fragenkreis hineinspielen. Ich darf dem
Herrn Kollegen Dr. Atzenroth und auch dem Kol- (Zuruf von der SPD: Wir wollen doch
legen Professor Schellenberg sagen, daß wir den keinen Ständestaat!)
Wunsch nicht erfüllen können und daß wir auch — Ich möchte hier das Wort „Berufsgenossenschaft"
gemäß der Erklärung des Kollegen Schmücker — besonders betonen und nicht die Unfallversiche-
beide Änderungsanträge zu § 1 ablehnen. - rung. Es ist dem Gesetzgeber doch freigestellt, der
Da bei der Begründung der beiden Anträge sei- Berufsgenossenschaft als Einrichtung Aufgaben zu
tens der FDP und seitens der SPD einige Unklar- überweisen. Warum nicht? Da steht ein Verwal-
heiten hineingebracht worden sind, möchte ich diese tungsapparat! Das möchten wir erreichen.
klarstellen. Wir müssen uns über den Ausgangs- Herr Professor Schellenberg, Sie haben auf den
punkt klarwerden. Der Ausgangspunkt ist und muß Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" verwie-
bleiben die Familie, und zwar die Mehrkinder sen. Das ist eine kleine Panne, und eine sonst sehr
familie.
geschätzte Zeitung
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
(Lachen bei der SPD)
Dieser Ausgangspunkt darf nicht sein der berühmte
Generaldirektor auf der einen Seite und die Krie- sollte zu einer solch wichtigen Frage einen Fach-
gerwitwe auf der andern Seite. Wenn man davon und Sachkenner bieten.
ausgeht, daß man der Mehrkinderfamilie helfen (Sehr richtig! in der Mitte.)
will, darf man keinen Unterschied zwischen Selb- Denn diese Dame, Fräulein Hedi Neumeister, ist
ständigen und Unselbständigen machen, sondern - keine Sachkennerin dieses Problems.
damit unterstreiche ist das, was bereits gesagt wor-
den ist — dann soll man allen Mehrkinderfamilien (Abg. Dr. Preller: Wo ist die Presse
das Kindergeld geben. freiheit?!)
(Abg. Dr. Schellenberg: Dann müssen Sie — Nun, ich habe nichts gegen die Pressefreiheit
für den SPD-Antrag stimmen!) gesagt, nur gegen die Sachunkenntnis. Ich will zwei
Punkte herausgreifen. Sie macht den Vorschlag,
— Herr Professor Schellenberg, Sie haben vorhin den kinderreichen Familien mit Naturalleistungen
gegen besseres Wissen — — zu helfen.
(Lachen bei der SPD. — Zuruf: Was denn?) (Lachen in der Mitte.)
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2121
(Winkelheide)
Du lieber Gott im Himmel, wollen wir dann der gelegt wurde, wird, glaube ich, in der Öffentlich
Familie einen Armenschein in die Hand drücken keit einiges Aufsehen erregen. Nur um Schwierig-
und die kinderreiche Mutter den Armenschein vor- keiten aus dem Wege zu gehen, soll eine große
zeigen lassen? Das ist eine Degradierung der Mehr- Gruppe von deutschen Staatsbürgern von einer Re-
kinderfamilien, und dagegen wehren wir uns. gelung ausgeschlossen werden, auf die die deutsche
(Beifall bei der CDU/CSU.) Bevölkerung seit vier Jahren wartet. Ich weiß nicht,
wie die Antragsteller diese Forderung draußen ver-
Sie macht weiter den Vorschlag, der Mehrkinder
antworten wollen.
familie durch Steuervergünstigungen zu helfen. Es
wird sich nachher bei der Steuerdebatte heraus- Es ist klar, daß die Berufsgenossenschaften für
stellen, wie viele kinderreiche Familien überhaupt die Aufgaben, die ihnen übertragen werden sollen,
keine Steuern mehr zahlen; und wenn einer keine ungeeignet sind. Aber es hat auch andere Vor-
Steuern zahlt, kann man auch nichts nachlassen. schläge gegeben. Es gibt auch heute noch Möglich-
Also von Sachunkenntnis strotzt dieser Artikel. keiten, auf diese einzugehen und eine andere Rege-
lung zu finden. Aber nur deshalb, weil hier
Der § 1 der Ausschußvorlage umfaßt Arbeit- Schwierigkeiten auftauchen, eine große Gruppe aus-
nehmer, Selbständige und mithelfende Familien- zuschließen, dafür habe ich — entschuldigen Sie —
angehörige. Wenn Sie, Herr Professor Schellenberg, kein Verständnis.
immer auf das Soziale abzielen und den General-
direktor oder den reichen Mann neben die Krieger- Dazu kommt, daß die Berufsgenossenschaften zum
witwe stellen und wenn Sie davon sprechen, daß Teil selbst — wir haben das schon gehört, ich
der eine keine Leistungen entrichtet, so stimmt das möchte die Gründe nicht noch einmal wieder-
ja gar nicht. Ich könnte den Katalog der Gegen- holen — die Schwierigkeiten sehen und davor war-
überstellungen sehr erweitern. Denn im öffent- nen, ihnen diese Aufgabe zu übertragen. Aber we-
lichen Dienst erhält auch der Staatssekretär das gen technischer Schwierigkeiten kann man doch die
Kindergeld, sogar vom ersten Kind an. Da macht Belange der Selbständigen nicht einfach übergehen.
man die Gegenüberstellung nicht. Ich könnte im Übersehen Sie doch nicht, daß nach einer Statistik,
privatwirtschaftlichen Bereich den Arbeitsdirektor die zwar schon eineinhalb Jahre zurückliegt, etwa
neben die Kriegerwitwe stellen. Das alles muß man 70 % der selbständig Schaffenden nur über ein Ein-
aussprechen. Das sind verkehrte optische Gegen- kommen von monatlich etwa 400 DM verfügen.
überstellungen; dagegen wehren wir uns. Kinder- Diese Gruppe ist doch mindestens ebenso bedürftig
geld erhält nach unserem Gesetzentwurf nur der- und hat ein Recht, die Kinderbeihilfe genau so zu
jenige, der einen Antrag stellt. Wenn der General- bekommen wie die gut verdienenden Arbeiter.
direktor oder der reiche Mann einen Antrag stellt, (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)
dann hat er einen Rechtsanspruch auf das Kinder- Wir haben auch hier Wege gezeigt, um die not-
geld. Wenn er ihn nicht stellt, handelt er sozial. wendigen Mittel aufzubringen. Sie sind sogar in
Die Leistungen sind in der Lohnsumme einbe- dem Antrag des Ausschusses enthalten. Dazu ist ja
griffen, die gezahlt wird. Man muß doch sehen, daß schon ausgiebig gesprochen worden. Daß dann das
die Beiträge nach der Höhe der Einkommen berech- Aufkommen größer sein muß, ist selbstverständlich.
net sind. Weiter wehren Sie sich insbesondere immer da-
Ich darf wiederholen, was ich eingangs schon gegen, daß das Finanzamt als Verwaltungsapparat
sagte, daß die Gruppen, die durch den § 1 nicht er- eingesetzt wird. Das sollen Ihrer Meinung nach die
faßt werden — gleich wird der Herr Kollege Horn Berufsgenossenschaften machen. Die Begründung,
dazu sprechen —, in den betreffenden Gesetzen die Sie dafür geben, ist, man kann sagen, geradezu
nachgezogen werden. lächerlich. Da hört man immer wieder zur Begrün-
dung: Um diese Angelegenheit nicht auch wieder
Zu dem Antrag der SPD, nach dem auch das zu verstaatlichen, will man die Berufsgenossen-
zweite Kind einbezogen werden soll, möchte ich schaften unter Betonung der Selbstverwaltung ein-
sagen, daß dadurch eine Mehrbelastung - von schalten. Bitte, fragen Sie mal einen Handwerks-
1 1/4 Milliarden DM entstehen würde. Wir sollten meister draußen; von hundert werden Ihnen min-
uns — das habe ich schon bei der Einbringung des destens fünfundneunzig begegnen, die nicht den
Gesetzentwurfs und auch im Ausschuß gesagt - Unterschied zwischen Berufsgenossenschaften und
bescheiden und mit dem dritten Kind beginnen. Finanzamt kennen. Man weiß da nicht, wo die Be-
(Zuruf von der SPD und Heiterkeit.) hörde aufhört oder anfängt.
— Ja, da ist nichts zu lachen. Da ist wirklich nichts (Widerspruch in der Mitte und rechts.)
zu lachen, wenn man die Aufgabe ernst nimmt. Wir — Bitte, machen Sie selber den Versuch. Sie wer-
sollten heute ernsthaft damit beginnen, damit wir den draußen erfahren, daß die Berufsgenossen-
dieses Gesetz vom Tisch bekommen und damit die schaften die Außenstände oft noch rigoroser ein-
kinderreichen Familien das Geld erhalten. Über treiben als die Finanzämter. Die Handwerksmeister
das zweite Kind kann man später immer noch und überhaupt jeder selbständig Tätige wissen ein
reden. Lied davon zu singen. Sie kennen den Unterschied
Darum lehnen wir den Änderungsantrag der FDP nicht; man muß sie erst aufklären, und sagt man
und den Änderungsantrag der SPD ab und bitten ihnen dann: Das ist ja eigentlich deine Berufsgenos-
um Annahme der Ausschußvorlage. senschaft, wo du über deine Vertreter mit zu be-
(Beifall bei der CDU/CSU.) stimmen hast!; — dann machen die Leute die
Augen weit auf!
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der Zum andern ist es so, daß der Selbständige viel
Abgeordnete Regling. unmittelbarer als der Großbetrieb an der Aufbrin-
Regling (SPD): Meine Damen und Herren! Der gung der Mittel beteiligt ist; aber er selbst soll aus-
Umdruck 157*), der uns erst heute morgen vor geschlossen werden. Ich will nicht im einzelnen auf
§ 27 eingehen. Er beinhaltet, daß auch der kleine
*) Anlage 2. Handwerksmeister, der drei oder vier Leute be-
2122 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Regling)
schäftigt, Woche für Woche dieses Kindergeld sogar reichen Arbeitnehmer mehr ein; die kosten mich
vorstrecken soll. Das ist eine zusätzliche Belastung. mehr Geld. Es braucht noch nicht einmal immer
Er selber hat vielleicht in seiner Familie mehr eine unsoziale Haltung zu sein. Es ist ganz selbst-
Kinder als seine Arbeitnehmer, darf aber für sich verständlich, daß ein Betriebsinhaber, wenn er in
selbst das Kindergeld nicht auszahlen. Wir wissen Schwierigkeiten gerät — und das kann dem besten
doch, wie schwer es jedem Selbständigen im Klein- Arbeitgeber passieren —, in die Versuchung kommt,
betrieb fällt, den Lohn zum Zahltag zusammenzu- den Arbeitnehmer mit vielen Kindern zuerst zu
kratzen. Nun wollen sie ihn noch mit dieser weite- entlassen, weil das die finanziell wirksamste Er-
ren Zahlung belasten und von dem eigenen Genuß leichterung ist.
dieser Leistungen ausschließen. Um allen diesen Schwierigkeiten betrieblicher
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur Art aus dem Wege zu gehen, lag der Gedanke nahe,
soviel sagen: Wenn Sie Verständnis und Zustim- überbetriebliche Regelungen einzuführen. Auch da
mung für dieses Gesetz bei den Selbständigen liegen doch schon gute Erfahrungen vor. Diese
draußen finden wollen, dann lehnen Sie den Ände- überbetrieblichen Ausgleichskassen können mit
rungsantrag auf Umdruck 157 ab. einem Minimum an Aufwand geführt werden. Des-
(Beifall bei der SPD.) wegen wendet sich meine Fraktion nicht gegen
diese Konstruktion als solche, solange sie auf Ar-
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der beitnehmer beschränkt ist.
Abgeordnete Dr. Elbrächter. (Zuruf von der FDP: Richtig!)
Dr. Elbrächter (DP): Herr Präsident! Meine Damen Nun kann aber nicht geleugnet werden, daß eine
und Herren! Auch meine Fraktion ist der Auffas- Beschränkung auf Arbeitnehmer unerwünscht ist.
sung, daß dieses Gesetz nicht durchführbar ist. Der Ich folge hier den Ausführungen des Kollegen
Herr Kollege Atzenroth hat bereits den ge- Schmücker durchaus. Das führt selbstverständlich
meinsamen Antrag der FDP und DP begründet. Er zu Spannungen. Wir haben sehr viele Mittelständ-
hat sich im wesentlichen auf die organisatorischen ler, die in der Kaufkraft noch nicht einmal das
Schwierigkeiten berufen. Diesen Argumenten Einkommen des guten Arbeiters, des Facharbeiters
möchte ich einige hinzufügen. erreichen. Wir wünschen daher, daß der Mittel-
Bislang ist die verfassungsrechtliche Stellung- stand und andere Gruppen von Selbständigen
nahme des Rechtsausschusses des Bundesrats hier ebenso wie die in diesem Gesetz nicht berücksich-
nicht bekanntgeworden. Ich muß pflichtgemäß tigten Arbeitslosen, Rentner, Kriegerwitwen usw.
daran erinnern, daß wir nicht so einfach daran vor- berücksichtigt werden.
beigehen können. Der Rechtsausschuß des Bundes- (Sehr gut! rechts.)
rats vertritt die Auffassung — ich weiß nicht, ob
Die Konsequenz daraus ist nach meiner Auffas-
sie zutrifft; ich bin kein Jurist, aber es muß doch
sung und der Auffassung meiner politischen
erörtert werden —, daß die Hereinnahme der Selb
Freunde, daß wir für diesen begrenzten Sektor der
ständigen in das Gesetz gegen Verfassungsrecht
Arbeitnehmer dieses Gesetz annehmen sollten, daß
verstößt und gar keine Zuständigkeit des Bundes-
wir aber — notwendigerweise — nach Möglichkeit
tags gegeben ist. Das mögen die Verfassungsrecht-
für die Selbständigen einen Weg über das Finanz-
ler unter sich auspauken. Wir sollten unter keinen
Umständen ein Gesetz beschließen, das Anlaß zur amt suchen sollten
Klage beim Verfassungsgericht gibt. Mir scheint (Zuruf von der SPD: Aha!)
auch dieser Gesichtspunkt dagegen zu sprechen, die — ja, warten Sie ab! —, und zwar in der Form,
Selbständigen in die Konstruktion einzubeziehen, wie sie sich uns jetzt gerade in diesen Wochen dar-
die ursprünglich ausschließlich auf Arbeitnehmer bietet. Wir beraten doch die Steuerreform, und da
zugeschnitten war, wie der Herr Minister Wuerme- könnten wir sehr wohl durch Heraufsetzung der
ling doch wohl überzeugend dargelegt hat. Freibeträge für Ehefrau, Kinder usw. nach pro-
Meine Fraktion hat von jeher — darüber -sind wir gressiven Gesichtspunkten und ebenso durch eine
uns, glaube ich, in diesem Hause auf allen Bänken entsprechende Anpassung des Einkommensteuer-
einig — die Meinung vertreten, daß selbstverständ- tarifs eine angemessene Regelung treffen, damit
lich kinderreiche Familien in irgendeiner Form nicht die Absurdität auftritt, daß der Generaldirek-
unterstützt werden sollen. Der Weg, der mit diesem tor mit hohem Einkommen unter Umständen un-
Gesetz für Arbeitnehmer beschritten wird, ist nötig begünstigt wird. Das läßt sich alles erreichen.
durchaus richtig. Ich bin mit Herrn Minister Wuer- Wir müßten also dort den Familienstand berück-
meling ebenfalls durchaus der Meinung, daß das sichtigen.
Leistungslohnsystem, dem wir aus guten Gründen
Nun kommt sofort der Einwand, daß selbstver-
folgen müssen, in der betrieblichen Praxis eine
Ergänzung nach sozialen, familienrechtlichen Ge- ständlich Tausende und aber Tausende von kleinen
sichtspunkten haben muß. Daher hat sich doch in Handwerkern, Kleinbauern usw. gar nicht über
der Praxis — und das sollten wir nicht außer acht das Finanzamt berücksichtigt werden können. Nun,
lassen — bei vielen Betrieben bereits der Brauch dann sollten wir den Mut haben, zu bewirken, daß
das Finanzamt auch einmal negative Steuern zahlt
entwickelt, daß Kindergeld nicht erst vom dritten
und daß dann eben die betreffende Familie, die auf
Kinde ab, sondern manchmal sogar vom ersten Kinde
diesem Wege nicht berücksichtigt werden kann,
ab gezahlt wird. Das wäre natürlich ein Idealzu-
stand. Der Grund, warum wir uns überhaupt ge- vom Finanzamt eine entsprechende Beihilfe be-
setzgeberisch hiermit befassen müssen, ist doch der, kommt.
(Beifall rechts.)
daß eine rein betriebliche Regelung zu unangeneh-
men Folgen für kinderreiche Arbeitnehmer führen Ich glaube, es ist das Vernünftigste, wenn wir die-
kann. Selbstverständlich gibt es unsoziale Arbeit- sen Weg versuchen. Es bereitet auch absolut keine
geber, wie es erfreulicherweise auch recht viele so- gesetzgeberischen oder organisatorischen Schwie-
ziale Arbeitgeber gibt. Diese unsozialen Arbeit- rigkeiten, die Kinderbeihilfe für Arbeitslose,
geber werden sich sagen: Ich stelle keine kinder Kriegerwitwen, Rentner usw. ebenfalls zu berück-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2123
(Dr. Elbrächter)
sichtigen. Das ist eine Angelegenheit, die bei schwer, noch etwas Ergänzendes dazu zu sagen.
gutem Willen sehr schnell vollzogen werden kann. Ich stimme mit ihm in jeder Beziehung vollauf
(Sehr richtig! links.) überein. Das ist auch die Auffassung meiner politi-
schen Freunde zu dem Problem, das uns hier be-
Ich meine also — ich will die Debatte nicht zu wegt. Wir unterscheiden uns alle miteinander, wie
lange ausdehnen; ich darf Ihnen hier das Ergeb- wir hier im Hause sind, in keiner Form in der
nis unserer Überlegungen darstellen —: wir soll- Zielsetzung, und es ist unser gemeinsames Bestre-
ten nicht einfach versuchen, ein solches Problem ben, eine Notlage zu mildern. Aber wir kommen
eingleisig zu lösen. In der Politik ist es nie gut, an der Tatsache der gemeinsam zu tragenden Ver-
auf einer Meinung zu beharren, auf die man sich antwortung nicht vorbei, daß wir als Gesetzgeber
festgerannt hat, sondern wir sollten da beweglich in Ausübung des vornehmsten Rechtes, das ein
bleiben. Für den Sektor der Arbeitnehmer glauben Volk kennt, auch ein solches Gesetz vorlegen müs-
wir dieser Regelung zustimmen zu können. Wir sen, das tatsächlich durchführbar ist. Wir können
hätten dann die Möglichkeit, wenigstens für diese dieses Gesetz nicht in der Form hinausgehen las-
Gruppe sehr schnell zum Ziel zu kommen. Für die sen, wie es sich heute darbietet nach den sehr
Selbständigen könnten wir dann bei der Steuer- intensiven gemeinsamen Bemühungen von uns
reform über das Finanzamt und, wenn wir den allen in der Ausschußarbeit, wo unsere Auffassun-
Mut haben, Herrn Schäffer weich zu machen, durch gen wirklich sehr gegeneinander abgewogen wor-
eine Ergänzung ebenfalls sehr schnell eine Rege- den und auch häufig sehr hart aufeinandergeprallt
lung finden. Noch schneller könnten wir die Rege- sind. Wir können uns nicht den Vorwurf machen,
lung nach meiner Auffassung für die Gruppe der wir wären etwa leichtfertig gewesen. Wir sind aber
Arbeitslosen, der berufslosen Selbständigen usw. leichtfertig, wenn wir das Gesetz in dieser Form
finden, die hier nicht berücksichtigt ist. Es ist auch hinausgehen lassen und die Warnung gerade der-
noch gar nicht davon gesprochen worden, daß wir jenigen Instanzen, die in erster Linie mit der
alle diese Gruppen hier berücksichtigen müßten. Durchführung dieser Aufgaben betraut sind, in
Seien wir also nicht zu einseitig! Beharren wir den Wind schlagen. Ich glaube nicht, daß das ver-
nicht zu sehr — ich richte meinen Appell besonders antwortet werden kann. Wie ein Bumerang wer-
an die Freunde von der CDU — auf einer einmal den die Dinge wieder von draußen auf uns zurück-
vorgefaßten Meinung! Wir sollten doch nicht an kommen, wenn sich herausstellt, wie schwerfällig,
den Warnungen der Berufsgenossenschaften, so ja wie praktisch undurchführbar diese Maßnahmen
unterschiedlich ihre Auffassung auch ist, vorüber- sind. Wie groß wird dann die Enttäuschung der-
gehen. Wir sollten uns auch nicht anmaßen, über jenigen sein, die mit großer Spannung auf dieses
die wohlberechtigten Gründe der Verbände des Gesetzeswerk warten.
Mittelstandes, der Handwerker, und wie sie alle
heißen, hinwegzugehen. Schließlich haben wir als Aus diesen Gründen empfehle ich Ihnen auch
Gesetzgeber doch die Aufgabe, ein Gesetz zu schaf- noch einmal namens meiner Freunde die Annahme
fen, das von der Öffentlichkeit akzeptiert und ver- unseres Antrags, die Selbständigen aus dem Kreis
standen wird. der durch das Gesetz Erfaßten herauszulassen, da-
(Beifall rechts.) mit wir wenigstens auf einem Sektor, nämlich
mit dem Rumpf dieses Gesetzeswerks, zum Zuge
Wir tun der Sache, uns allen selber, unserem Staat, kommen und in einer wesentlich einfacheren, wenn
der Demokratie den denkbar schlechtesten Dienst, auch noch nicht ohne Schwierigkeiten zu bewerk-
wenn wir ein Gesetz verabschieden, von dem wir stelligenden Form einen Anfang setzen können,
alle, die wir hier sitzen, doch überzeugt sind, daß damit endlich einmal hier etwas vorgewiesen wer-
es noch nicht vollkommen ist. Eine Flut von Ände- den kann.
rungsanträgen — 46 habe ich gezählt — beweist Im übrigen darf ich Ihnen, meine Damen und
doch, daß dieses Gesetz nicht reif ist. Herren, sagen, daß ein Vorgehen in dieser Form
Wenn wir uns also entschließen, die Selbständi- auch nicht neu ist; denn Österreich und die
gen herauszunehmen, dann sehe ich weder in der Niederlande sind die beiden Staaten, die auch zu-
praktischen Durchführung noch in rechtlicher Be- nächst den Weg beschritten haben, für die Arbeit-
ziehung Schwierigkeiten. Aber haben wir den Mut, nehmer den Modellfall zu bilden, an den sich dann
das so zu machen! Nehmen Sie unseren Änderungs- auf Grund der gesammelten Erfahrungen erst die
antrag an, dann kommen wir sehr schnell zu dem übrige Regelung anschließt.
Erfolg, den Sie von der CDU ja auch wollen. Wir (Beifall bei der FDP und der DP.)
werden dann in gemeinsamer Beratung das tun,
was wir auch im Ausschuß versprochen haben: Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat Frau
möglichst gleichzeitig für die Gruppen, die nicht Abgeordnete Finselberger.
berücksichtigt werden konnten, eine neue Regelung
zu erarbeiten. Ich glaube, das Problem ist weiß Frau Finselberger (GB/BHE): Herr Präsident!
Gott nicht so schwierig, als daß es bei gutem Wil- Meine Herren und Damen! Die Fraktion des Ge-
len nicht gelöst werden könnte. samtdeutschen Blocks/BHE hat von Anbeginn der
(Sehr richtig! in der Mitte.) Debatte über dieses Gesetz, das heute hier beraten
werden soll, immer wieder das Bedauern darüber
Wir müssen nur den Mut haben, beweglich zu sein! ausgesprochen, daß dieses Gesetz in seinem ersten
(Beifall rechts. — Abg. Arndgen: Ja, Mut Anliegen sich nicht an die Kreise wendet, die in
haben! — Weitere Zurufe von der Mitte.) erster Linie soziale Maßnahmen notwendig hätten.
Wir bedauern, daß man nicht daran gedacht hat
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der und daß es sich nicht hat durchsetzen lassen, in den
Abgeordnete Dr. Jentzsch. Personenkreis dieses Gesetzes gemäß § 1 jene Per-
sonengruppen einzubeziehen, die sich heute sehr
Dr. Jentzsch (FDP): Herr Präsident! Meine viel schlechter stehen als diejenigen, die in den
Damen und Herren! Nach den Ausführungen mei- Kreis der Arbeitnehmer hineingehören. Wir mei-
nes Kollegen Elbrächter ist es an und für sich nen, auch die Arbeitnehmer haben durchaus Ver-
2124 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Frau Finselberger)
ständnis dafür, wenn wir nach wie vor dafür ein- Ich möchte auch meinen Kollegen und Kollegin-
treten, daß auch die Gruppen der Arbeitslosen und nen von der CDU sagen, die sich sicherlich ebenso
der Alfu-Empfänger sowie sonstige Fürsorgeunter- ehrlich bemüht haben: ich habe durchaus mensch-
stützungsempfänger unter allen Umständen in § 1 liches Verständnis dafür, daß es sehr schwer ist,
mit erfaßt werden. Wenn Sie davon sprechen, daß wenn man sich in eine bestimmte Konzeption hin-
dieses Gesetz in erster Linie die Arbeitnehmer- eingedacht hat, sich daraus wieder herauszu-
kreise erfassen solle, dann möchte ich darauf hin- bewegen. Ich habe keinesfalls — das wird auch nie-
weisen, daß das in dem vorliegenden Gesetzent- mand in diesem Hause von mir annehmen — ein
wurf noch nicht einmal der Fall ist, weil diejenigen, Gefühl der Schadenfreude angesichts der Tatsache,
die an eine Unfallversicherung gebunden sind, da- daß ich mich von Anfang an niemals, weder im
von ja nicht erfaßt werden. Auftrage meiner Fraktion noch nach meiner per-
sönlichen Auffassung, zu der Konzeption dieses Ge-
Ich habe von Herrn Familienminister Wuerme-
setzentwurfs habe bekennen können und das auch
ling mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genom-
heute nicht tun kann. Aber ich möchte doch zu be-
men, daß er heute ganz offen ausgesprochen hat,
denken geben — es ist darauf sehr plastisch ganz
dieses Kindergeld sei gewissermaßen im Charakter besonders von Herrn Dr. Jentzsch hingewiesen
einem Lohnfaktor gleichgestellt bzw. es solle über-
worden —: Wir können es nicht verantworten, ein
haupt den Charakter eines Lohnfaktors haben. Ich
Gesetz hier nur auf Grund einer zahlenmäßigen
frage Sie, Herr Familienminister: Glauben Sie, daß
Mehrheit und nicht auf Grund durchschlagender
derjenige rechtens ausgeschlossen werden kann, Argumente für die Richtigkeit seiner Konzeption
der arbeitswillig und arbeitsfreudig ist, der aber anzunehmen, um nachher Ungerechtigkeiten,
vom Staat seinen Arbeitsplatz nicht hat erhalten Schwierigkeiten, Unmut und Verärgerung bei sei-
können und der nun ohne Kindergeld oder mit ner Durchführung auf uns zu nehmen.
einem Kinderzuschlag von höchstens 13 DM nach
Hause geht, während andere, die eine Existenz und Meine Fraktion kann die Verantwortung für die-
eine wirtschaftliche Sicherung haben, 25 DM Kin- ses Gesetz nicht mittragen.
derbeihilfe erhalten? (Lebhafter Beifall beim GB/BHE, bei der
(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD. — SPD und bei der FDP. — Abg. Lücke: Die
Zuruf von der CDU/CSU: Das will doch Verantwortung tragen wir selbst!)
niemand!)
Nun sagen Sie, Herr Familienminister, das werde Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat Herr
Abgeordneter Richter.
noch kommen. Wir wissen, daß dieses Gesetz Jahre
in Anspruch genommen hat, und ich weiß, daß mir Richter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herr Kollege Horn im Sozialpolitischen Ausschuß Herren! Der Herr Familienminister hat sich über
auf meinen wiederholten Hinweis bezüglich dieses unseren Antrag zu § 1 ausgelassen. Was wollen
Anliegens ein paarmal gesagt hat, die Novelle zum wir eigentlich mit diesem Antrag? Wir wollen
AVAVG werde kommen und dann werde das glei- haben, daß an Stelle der Fassung, wonach die-
che auch für diese Kreise ausgezahlt. jenigen Kinderbeihilfe erhalten können, die „nach
(Abg. Winkelheide: Eben!) der Reichsversicherungsordnung bei einer Berufs-
genossenschaft versichert sind", die Fassung tritt,
Über das AVAVG hinaus gibt es aber noch sehr daß Kindergeld erhält, „wer im Inland seinen
viele andere Kreise. Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat". Wir
(Zuruf von der CDU/CSU: Die sollen doch wollen damit einfach die Differenzen beseitigen,
nachgezogen werden durch die Novelle die bis jetzt zu den erregten Auseinandersetzungen
zum AVAVG!) geführt haben.
— Die Novelle zum AVAVG ist etwas anderes; aber Es ist doch eine feststehende und unbestrittene
hier geht es um einen Grundsatz. Wir wollen hier Tatsache, daß, wenn die Formulierungen, die Sie,
ein Novum schaffen; wir wollen alle Kinder er- meine Damen und Herren, beantragt haben und
fassen, und es ist nach einem sozial gerechten die gegen unsere Stimmen im Sozialpolitischen
Standpunkt nicht einzusehen, daß man unter Kin- Ausschuß angenommen wurden, in das Gesetz im
dern Unterschiede macht, daß das Kind des Arbeits- § 1 hineinkommen, eine Gruppe von Arbeitneh-
losen anders behandelt wird als das Kind des Selb- mern oder arbeitnehmerähnlichen Personen, die
ständigen. zum mindesten aus sozialen Gründen die Kinder-
(Lebhafter Beifall beim GB/BHE und bei beihilfe vom dritten Kind an dringend notwendig
der SPD.) haben, leer ausgehen.
Von einem fortschrittlichen sozialpolitischen Geist Das hat doch nichts mit dem „Nachziehen" zu
erfüllt wäre das Gesetz dann und es hätte dann tun, Herr Kollege Winkelheide. Ich spreche ja
einen echten, positiven volkstümlichen Charakter gar nicht über die Arbeitslosen, ich spreche nicht
und Inhalt, wenn alle Kinder von ihm erfaßt wür- von den Kranken oder von den Rentnern usw. Das
den. Das möchte ich im Namen meiner politischen steht auf einem anderen Blatt, das kommt ja erst
Freunde hier aussprechen. in § 2, und Sie sollten doch eigentlich inzwischen
festgestellt haben, daß die SPD zu § 2 die dies-
Herr Familienminister, ich hätte es sehr gern ge- bezüglichen Anträge gestellt hat. Sie können sich
wünscht und gesehen, daß Sie ein einziges Mal an darauf verlassen: wir werden Ihnen die Dinge so
der Beratung des Sozialpolitischen Ausschusses teil- unterbreiten, daß Sie mit gutem Gewissen auch
genommen hätten. heute schon zustimmen können, daß nichts nach-
(Lebhafte Hört! Hört!-Rufe vom GB/BHE gezogen zu werden braucht.
und von der SPD.) Und ich glaube, Herr Bundesarbeitsminister, ver-
Denn dann, Herr Familienminister, hätten Sie viel- ehrter Herr Kollege Storch, daß ich nicht zu viel
leicht doch einmal aus einer engeren Sicht heraus sage. Ich habe vor Monaten mit Ihnen darüber
festgestellt, welche Schwierigkeiten sich auftürmen. diskutiert, ob nicht jetzt schon in dieses Gesetz ein
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2125
(Richter)
Abschnitt II eingebaut werden könnte, in dem Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
bestimmt würde, daß auch die Arbeitslosen, die Abgeordnete Arndgen.
Kranken, die Rentenempfänger, die nach dem
Lastenausgleichsgesetz zu Betreuenden usw. eine Arndgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr
Kinderbeihilfe erhalten können. Ich habe noch in verehrten Damen und Herren! Es ist ganz natür-
Erinnerung, daß Sie das grundsätzlich nicht ver- lich, daß bei der Beratung des § 1 eines Gesetzes,
neint haben. Wenn ich mich recht erinnere, habe mit dem sozialpolitisch Neuland betreten wird,
ich Sie weiter gefragt, ob Sie in Ihrem Ministe- auch die Konstruktion dieses Gesetzes eingehend
rium noch keine Vorbereitungen für diese wichtige behandelt wird. Nun haben alle Redner sowohl von
sozialpolitische Aufgabe — die nach den Ausfüh- der Opposition als auch von der rechten Seite die-
rungen des Kollegen Winkelheide nachgezogen ses Hauses über die Undurchführbarkeit dieser
werden soll — getroffen hätten. Diese Frage haben Konstruktion gesprochen. Demgegenüber möchte
Sie, glaube ich, bejaht. Ich wundere mich — ich ich darauf verweisen, daß wir mit denjenigen Gre-
wundere mich wirklich! —, meine Damen und mien und Organen, die dieses Gesetz durchzufüh-
Herren von der CDU, daß Sie nicht diese Arbeit ren haben, eingehende Besprechungen gepflogen
des Bundesarbeitsministeriums, so wie Sie alle haben,
anderen doch für sich in Anspruch genommen (Abg. Lücke: Sehr richtig! — Zuruf rechts:
haben, sich zu eigen gemacht und als Ihren Ini- Und die Landwirte?)
tiativgesetzentwurf uns unterbreitet haben. Dann auch mit den Leitern der landwirtschaftlichen Be-
wär dieser Streit über diese Frage, der draußen ruf sgenossenschaf ten.
so viel Staub aufwirbelt, aus der Welt geschafft.
Weil Sie es nicht getan haben, obwohl Ihnen der (Abg. Dr. Atzenroth: Ohne die Selbstän
Apparat des Bundesarbeitsministers und des Fa- digen!)
milienministers zur Verfügung steht, mußten wir — Herr Dr. Atzenroth, nicht im vorigen Jahr, son-
es halt machen. Wir werden Sie heute in dieser dern vor einigen Tagen noch haben wir mit den
Frage bedienen. Leitern der landwirtschaftlichen Berufsgenossen-
schaften zusammengesessen.
Warum wollen Sie dem nicht zustimmen, daß
der Personenkreis, der im Inland seinen Wohnsitz (Abg. Dr. Atzenroth: Das haben Sie ja
oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, an die Stelle schwarz auf weiß?)
des Personenkreises gesetzt wird, der nur auf — Das haben wir schwarz auf weiß. Sie können
Grund der Reichsversicherungsordnung bei einer die Herren ja fragen, die bei uns gewesen sind. Es
Berufsgenossenschaft versichert ist? Sie sind ja war nicht einer, es waren — wenn ich nicht irre —
gar nicht dagegen, zumindest waren Sie früher sechs Herren.
nicht dagegen, meine Damen und Herren von der (Abg. Dr. Atzenroth: Was sollen dann die
CDU. Hier ist die Drucksache Nr. 2427 der ersten Briefe?)
Legislaturperiode vom 4. Juli 1951, ein CDU-
Antrag, unterschrieben von den Herren Winkel- Dabei sind auch diese Briefe besprochen worden.
heide, Even usw. Da heißt es unter der Über- Sie sind in einer ganzen Reihe von Punkten auf
schrift „Kreis der Empfänger von Kinderzulagen" Grund von irrtümlichen Auslegungen der gesetz-
— also der Personenkreis, genau wie jetzt in § 1 — lichen Bestimmungen abgefaßt worden.
in § 8 Abs. 2: (Abg. Richter: Von wem?)
Die Kinderzulage wird für jedes dritte und — Die Vertreter der landwirtschaftlichen Berufs-
folgende Kind gewährt, für welches dem Mit- genossenschaften haben einige Bestimmungen des
glied der Familienausgleichskasse eine Kinder- Gesetzes irrtümlich ausgelegt.
ermäßigung nach § 32 Absatz 4 des Einkom- (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Sie behaup
mensteuergesetzes zusteht. ten, die hätten sie irrtümlich ausgelegt!)
-
Damals haben Sie auch die Reichsversicherungs- Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren,
ordnung nicht gebraucht, die Bestimmungen über glauben Sie nicht, daß, wenn wir ein Gesetz über
die Berufsgenossenschaften zur Abgrenzung des Kinderbeihilfen geschaffen hätten oder schaffen
Personenkreises nicht für notwendig gehalten. würden und hierfür eine eigene Einrichtung ein-
Sie haben praktisch dasselbe genommen, was wir setzten, sich dann die gleichen Schwierigkeiten er-
in unserem § i zum Ausdruck gebracht haben. Ich geben würden?
meine wirklich, meine Damen und Herren, über (Abg. Dr. Atzenroth: Natürlich! — Abg.
diese Fragen des Personenkreises müßte doch eine Dr. Preller: Hat ja niemand gewollt!—Zu
Verständigung möglich sein und würde ein Streit, ruf vom GB/BHE: Will ja keiner!)
der berechtigt ist, aus der Welt geschaffen sein.
Es ist von diesen Schwierigkeiten gesprochen wor-
Was die Frage der Selbständigen anlangt, so den. Aber auch die Leiter der Berufsgenossenschaf-
geben Sie sich keiner Täuschung hin! Die SPD- ten haben diese Schwierigkeiten nicht als unüber-
Fraktion hat 1950 einen InitiativGesetzentwurf windlich angesehen. Sie haben gesagt: Wenn das
über die Gewährung von Kinderbeihilfen einge- Gesetz wird, werden wir dasselbe durchführen!
bracht. Dabei war es eine ihrer vornehmsten Auf- (Abg. Dr. Atzenroth: Mit den Selbständigen?)
gaben, festzulegen, daß nicht nur die Arbeitnehmer,
sondern alle Handwerker, alle Landwirte, alle — Mit den Selbständigen! Einige Berufsgenossen-
Gewerbetreibenden, alle freien Berufe zu dem schaften haben sogar schon Vorentwürfe für die
Personenkreis zu zählen sind, die Anspruch auf Satzungen gemacht, die dieses Gesetz vorschreibt.
Kindergeld erhalten. Das ist für uns unabdingbar. Daher möchte ich das Wort des Herrn Dr. Elbräch-
Dem Antrag der FDP und DP werden wir nicht ter aufgreifen: gehen wir mit gutem Willen und
zustimmen. gehen wir mit Mut an diese Dinge heran, dann
werden wir es auch schaffen!
(Beifall bei der SPD.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
2126 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Arndgen)
Nun zu den Ausführungen der Frau Finselber- Ich persönlich bezweifle das.
ger und auch zu den Ausführungen des Herrn Kol-
(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Atzenroth.)
legen Richter. Was will dieses Gesetz letzten En-
des? Es will eine Lücke schließen, die sich noch — Selbstverständlich, Herr Atzenroth, machen wir
im sozialpolitischen Bereich befindet. Sehen wir das. Die Frage ist nur, ob Sie einen solchen Vor-
uns einmal die sonstigen sozialen Gesetze mit Lei- schlag durchbekommen. Solange wir also als Selb-
stungen an! Ob wir das Kriegsopferversorgungs- ständige nicht die Sicherheit haben, mit in das Ge-
gesetz, ob wir uns das Gesetz über die Arbeitsver- setz hineingenommen zu werden, solange nicht bes-
mittlung und Arbeitslosenversicherung ansehen, sere Vorschläge da sind, bin ich nicht der Auffas-
ob wir uns die Unterhaltshilfe aus dem Lastenaus- sung, daß wir auf den Anspruch, als Selbständige
gleich ansehen, ob wir uns das Fürsorgerecht an- in dem Gesetz berücksichtigt zu werden, verzichten
sehen: überall sind die Leistungen gestaffelt nach können.
dem Familienstand. (Abg. Lücke: Sehr gut!)
(Abg. Dr. Atzenroth: Sehr richtig!) Praktisch ist die Frage der Hereinnahme der Selb-
Es kann daher gar nicht davon die Rede sein, nach- ständigen viel wichtiger als die der Hereinnahme
zuziehen, sondern nur davon, die Kinderbeihilfen der Unselbständigen; denn es wird von niemandem
in diesen von mir genannten Gesetzen an den bestritten, daß gerade bei den 550 000 Kindern —
Stand dieses Gesetzes anzupassen. das sind die dritten und weiteren Kinder — der
selbständigen Berufe oft eine viel größere Bedürf-
(Abg. Lücke: Sehr richtig!) tigkeit vorliegt als in den gut bezahlten Arbeitneh-
Das geht aber nicht in diesem Gesetz, sondern es mergruppen.
ist notwendig, die Gesetze, die ich genannt habe, (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
die für die anderen Notgruppen erlassen wurden,
an dieses Gesetz anzupassen. Der Kollege Horn Nachdem in den Verhandlungen zum Ausdruck
wird auf die Frage des Nachziehens noch eingehen, gekommen ist, daß bei der gewerblichen Wirtschaft
wenn wir auf § 2 zu sprechen kommen. Die Vor- die Bereitschaft besteht, die unterschiedlichen Ein-
lagen sind fertig, die wir dem Bundestag vorlegen kommensverhältnisse zwischen gewerblicher Wirt-
werden, um auch die Lücken, von denen Sie ge- schaft und Landwirtschaft dadurch zu berücksich-
sprochen haben, auszufüllen. tigen, daß sie zwei Drittel der Zahlungen, die für
die Landwirtschaft in Betracht kommen, über-
Daher, meine sehr verehrten Damen und Her-
nimmt, sollten wir doch alles daransetzen, um die-
ren, möchte ich die dringende Bitte an Sie richten,
sem Gesetz in jeder Weise unsere Förderung zu
den § 1 in der vom Ausschuß beschlossenen Form verleihen.
anzunehmen, damit das Gesetz recht bald unseren
kinderreichen Familien zugute kommen kann. (Abg. Dr. Atzenroth: Nicht für die selb
ständige Landwirtschaft!)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
— Gerade für die selbständigen Landwirte! Denn
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der das Gesetz, so wie es von uns vorgelegt worden
Abgeordnete Dr. Siemer. ist und wie es jetzt vorliegt, besagt ja, daß ein
Drittel der aufzubringenden Summe für die dritten
Dr. Siemer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine und weiteren Kinder von der Landwirtschaft und
zwei Drittel von der gewerblichen Wirtschaft auf-
Damen und Herren! Einige Vorredner haben fest- gebracht werden.
gestellt, es sei fast unmöglich, die selbständigen
Berufe, insbesondere die der Landwirtschaft, in (Abg. Horn: Kriegt sie später nie wieder!)
dieses Gesetz hineinzunehmen. Sicherlich ist die
Frage, ob es zweckmäßig ist, die Selbständigen im Die Frage ist natürlich, ob eine bessere Regelung
Sinne der Berufsgenossenschaftsordnung in dieses kommen kann. Ich möchte insbesondere dem Kol-
Gesetz hineinzunehmen, nicht so leicht zu- beur- legen Atzenroth entgegenhalten, daß, wenn die Un-
teilen. Aus den Entgegnungen, die uns von den selbständigen hereingenommen werden, der Teil
landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zu- der Landwirtschaft, der Löhne zahlt, d. h. Arbeit-
geschickt worden sind, geht aber klar hervor, daß nehmer beschäftigt, dann wesentlich höher als nach
die meisten dieser Zuschriften mehr oder weniger der jetzigen Regelung belastet wird.
von falchen Voraussetzungen ausgehen. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Zunächst einmal ist es nicht so, daß wir in der Das möchte ich speziell Herrn Atzenroth sagen, der
Landwirtschaft den Glauben aufbringen, daß, wenn offensichtlich die Rechnung noch nicht durchge-
man dieses Gesetz nur für die Unselbständigen sehen und noch nicht festgestellt hat, daß diese
machte, wir auf die Dauer in irgendeiner Weise Regelung heute viel günstiger ist, als wenn die
mitberücksichtigt würden. Landwirtschaft wie die gewerbliche Wirtschaft
(Abg. Lücke: Sehr richtig! Das ist die große veranlagt wird.
Sorge!)
Kurz und gut, ich kann mir nicht vorstellen, wie
Wir gehen von der Selbstverwaltung aus und ver- man, wenn man nicht einen konkreten Vorschlag
suchen an Hand dieses Gesetzes die Probleme ohne macht, dann die Frage lösen und nach Verabschie-
direkten staatlichen Hilfseinsatz zu lösen. Können dung eines Gesetzes, das nur die Unselbständigen
Sie sich vorstellen, daß wir zur jetzigen Zeit, in beinhaltet, später zum Zuge kommen will. Ob die
der wir mit der großen Steuerreform beschäftigt Mittel dann bereitgestellt werden können, ist die
sind, in der wir die Steuern senken wollen, gleich- Frage, die ich an die Kollegen von der DP und der
zeitig mit neuen Steuern durch ein neues Gesetz FDP stelle und die diese entscheiden müssen, wenn
herauskommen können? sie der Auffassung sind, daß sie dem Gesetz so
(Abg. Dr. Atzenroth: Hier machen Sie es nicht zustimmen können.
doch!) (Beifall bei der CDU/CSU.)
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2127

Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und mit Ja haben gestimmt 142 stimmberechtigte und
Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. 9 Berliner Abgeordnete, mit Nein 229 stimmbe-
Ich schließe die Einzelberatung zu § 1 und komme rechtigte und 8 Berliner Abgeordnete, Enthaltun-
zur Abstimmung. gen 2. Der Antrag der SPD Umdruck 147 Ziffer 1
ist damit abgelehnt.
(Abg. Horn: Ich bitte ums Wort zur
Abstimmung!) Es ist ein Eventualantrag der Fraktion der SPD
gestellt worden, in § 1 die Worte „bei einer Berufs-
— Bitte, das Wort zur Abstimmung. genossenschaft" zu ersetzen durch die Worte „bei
Horn (CDU/CSU) : Ich beantrage namens meiner einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung".
Fraktion auch zu dem Antrag der FDP namentliche — Bitte schön, zur Begründung Herr Abgeordneter
Abstimmung. Frehsee!
(Zuruf von der SPD: FDP und DP!) Frehsee (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Nachdem Sie soeben den Antrag der
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine sehr ver- Fraktion der Sozialdemokratischen Partei in Um-
ehrten Damen und Herren! Es ist die Frage, wie druck 147 auf Neufassung des § 1 und Einbeziehung
wir abstimmen. Ich bin da in einer nicht ganz be- aller Kinder in das Kindergeldgesetz abgelehnt
neidenswerten Lage; denn der Antrag der FDP und haben, habe ich Ihnen namens meiner politischen
DP auf Umdruck 157 will das Gesetz in § 1 nicht Freunde den soeben vom Herrn Präsidenten vorge-
ganz verändern. Er will nur zwei Elemente, näm- lesenen Eventualantrag zu begründen, wonach in
lich die Selbständigen und die mithelfenden Fa- § 1 die Worte „bei einer Berufsgenossenschaft" er-
milienangehörigen, streichen, während der Antrag setzt werden sollen durch die Worte „bei einem
der SPD auf Umdruck 147 in § 1 ein ganz anderes Träger der gesetzlichen Unfallversicherung".
Prinzip verankern will. Deshalb möchte ich der Wir wollen mit diesem Änderungsantrag bewir-
Meinung sein: der Antrag auf Umdruck 147 ist der ken, daß wenigstens alle Arbeitnehmer von diesem
weitergehende. Gesetz erfaßt werden, was nach der Ausschußvor-
Ich komme daher zuerst zur Abstimmung über lage, wie bereits die Kollegin Frau Finselberger
den Antrag der SPD, Umdruck 147. Da die SPD und mein Kollege Richter festgestellt haben, nicht
selbst namentliche Abstimmung beantragt hat, was der Fall ist. Wenn der § 1 in der Fassung der Aus-
genügend unterstützt ist, bitte ich die Schriftführer, schußvorlage bestehenbleibt, wird eine zahlen-
die Stimmkarten einzusammeln. mäßig bedeutende Arbeitnehmergruppe kein Kin-
(Einsammeln der Abstimmungskarten.) dergeld erhalten.
(Sehr richtig! links.)
Damit es keine Irrtümer gibt und hinterher nicht
wieder Irrtumsanfechtungen kommen: Es wird jetzt Ich kann mir nicht denken, daß das Hohe Haus das
namentlich abgestimmt über den Antrag der SPD für tragbar hält. Wenn schon die Arbeitnehmer für
Umdruck 147 Ziffer 1: ihre Kinder nur vom dritten Kind ab ein Kinder
geld von 25 DM monatlich erhalten sollen, müssen
§ 1 erhält folgende Fassung: Kindergeld nach es mindestens alle Arbeitnehmer sein; dann sollte
diesem Gesetz erhält auf Antrag, wer nicht unterschiedliches Recht geschaffen wer
a) im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhn- den, und dann sollte es keine unterschiedliche Be
lichen Aufenthalt und handlung verschiedener Arbeitnehmergruppen ge
ben. Wenn nur die Kinder derjenigen Arbeit
b) zwei oder mehr beihilfefähige Kinder (§ 2)
nehmergruppen berücksichtigt werden, die bei den
hat.
Berufsgenossenschaften gegen Unfall versichert
(Abg. Arndgen: Herr Präsident, das Signal sind — und das ist nach dem Ausschußbeschluß zu
ist draußen nicht zu hören!) § 1 der Fall —, erhalten, wie schon erwähnt wor
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es den ist, rund 35 000 Waldarbeiter in den Ländern
- Bayern und Baden-Württemberg kein Kindergeld,
wird mir eben gesagt, es könnte noch ein Zweifel
darüber bestehen, ob wir jetzt über den ganzen An- (Hört! Hört! bei der SPD)
trag Umdruck 147 abstimmen oder nur über Ziffer 1 bekommen mehrere hunderttausend Angehörige
dieses Antrags. Ich glaube, ich habe mich so der Deutschen Dienstorganisation und sonstige Be-
deutlich ausgedrückt. Wir haben ja bisher auch nur satzungsbedienstete gleichfalls kein Kindergeld,
zu § 1 gesprochen. Es wird selbstverständlich nur
über Ziffer 1 abgestimmt. (erneutes Hört! Hört! bei der SPD)
und dann sind schließlich auch die Hausgehilfinnen
(Präsident D. D r. Ehlers übernimmt von dieser Regelung ausgenommen. Sie werden mir
wieder den Vorsitz.) vielleicht gleich entgegenhalten, daß Hausgehilfin-
nen im allgemeinen nicht mehr als zwei Kinder
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- haben.
ren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, (Heiterkeit. — Zuruf: Im allgemeinen!)
die ihre Stimme zur namentlichen Abstimmung
über den Änderungsantrag Umdruck 147 Ziffer 1 Es gibt jedoch eine Reihe von Aufwartefrauen, z. B.
abzugeben wünschen? — Das scheint nicht der Fall Kriegerwitwen mit drei Kindern, die unter die
zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Sparte der häuslichen Dienste fallen und kein
Kindergeld erhalten, wenn Sie die Regelung in § 1
(Auszählen der Abstimmungskarten.) bestehen lassen, wonach nur die bei den Berufsge-
Meine Damen und Herren, ich gebe das vor- nossenschaften Versicherten in den Geltungsbereich
läufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung dieses Gesetzes fallen sollen. Es gibt noch eine
bekannt. Es haben sich beteiligt 379 stimmberech- ganze Reihe anderer Gruppen, die gleichfalls von
tigte Abgeordnete und 17 Berliner Abgeordnete; diesem Gesetz ausgenommen wären, wenn es bei
der Fassung bliebe, die in der Ausschußvorlage
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2156, enthalten ist.
2128 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Frehsee)
Wenn Sie dem jetzt hier vorgelegten Eventual- in dem es für alle übrigen Arbeitnehmergruppen
antrag zustimmen, haben Sie erreicht, daß wenig- mit Ausnahme derer, die ich aufgeführt habe, ein-
stens alle Arbeitnehmergruppen in den Geltungs- geführt wird, wird sich natürlich ihre gewerk-
bereich dieses Gesetzes fallen, und Sie haben dann schaftliche Vertretung um die Wiederherstellung
wenigstens für die Arbeitnehmer das Kindergeld des früheren Zustandes bemühen müssen. Der dort
eingeführt. Wenn Sie diesem Eventualantrag zu- fortschrittlicherweise eingeführte Leistungslohn
stimmen, brauchen Sie, meine Damen und Herren wird dann wieder auf die im öffentlichen Dienst
von der CDU, nicht einmal zu befürchten, daß die übliche Entlohnungsform zurückgeführt werden
Konzeption, die Sie diesem Gesetzeswerk zugrunde müssen. Ich kann mir nicht denken, meine Damen
gelegt haben, verletzt wird. Für die bei den ge- und Herren von den Koalitionsparteien, daß das
meindlichen Unfallversicherungen und bei den Ihre Absicht ist. Ich bitte Sie, einer auf dem Lei-
staatlichen Ausführungsbehörden für Unfallver- stungsprinzip basierenden fortschrittlichen Umge-
sicherung versicherten Arbeitnehmergruppen, z. B. staltung in einem Teil der öffentlichen Betriebe, in
die häuslichen Dienste, die jetzt nicht unter das den Erwerbsbetrieben der öffentlichen Hand, nicht
Gesetz fallen, könnte ja auch eine Familienaus- in den Rücken zu fallen und daher dem Eventual-
gleichskasse errichtet werden. Für ihre Organisa- antrag der Fraktion der SPD zuzustimmen.
tion, für die Verwaltung und für die Geschäfts- Meine Damen und Herren, verletzen Sie nicht
führung könnten durchaus die gleichen Bestim- den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrund-
mungen gelten, wie sie für die bei den gewerb- satz, indem Sie innerhalb der Gruppe der Arbeit-
lichen und landwirtschaftlichen Berufsgenossen- nehmer beträchtliche Teile von der hier geplanten
schaften zu errichtenden Familienausgleichskassen Kindergeldregelung ausnehmen!
vorgesehen sind.
(Beifall bei der SPD.)
Es würde auch keine allzu großen, mindestens
keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten, Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
diese Familienausgleichskassen — wenn man das ren, ich hatte angenommen, daß es über diesen
will — aus dem in § 14 des Gesetzentwurfs vorge- Eventualantrag keine Aussprache mehr geben
sehenen Ausgleich zwischen den Familienaus- würde, sonst hätte ich Ihnen vorgeschlagen, zu-
gleichskassen, die bei den gewerblichen Berufs- nächst die beantragte namentliche Abstimmung
genossenschaften gebildet werden, einerseits und über den Antrag der Fraktionen der FDP und DP
denen, die bei den landwirtschaftlichen Berufs- auf Umdruck 157 *) vorzunehmen. Ich schlage Ihnen
genossenschaften gebildet werden, andererseits vor, das jetzt zu tun, und bitte, diese namentliche
herauszunehmen. Es wäre auch durchaus möglich, Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 157
auf Errichtung besonderer Familienausgleichskas- Ziffer 1 durchzuführen und nach der Einsamm-
sen für die vorhin genannten Gruppen ganz zu lung der Stimmzettel die Debatte über den Even-
verzichten und die betreffenden Arbeitnehmer nach tualantrag fortzusetzen. Ich bitte die Schriftführer,
§ 10 des Gesetzentwurfs einer anderen Familien- die Stimmzettel einzusammeln.
ausgleichskasse zuzuweisen. Es gibt jedenfalls auch
für diese Arbeitnehmergruppen eine Fülle von (Einsammeln der Abstimmungskarten.)
Möglichkeiten, sie in die Kinderregelung einzube- Meine Damen und Herren, die Einsammlung der
ziehen, ohne die Konzeption dieses Gesetzes zu ver- Stimmzettel ist im wesentlichen beendet. Ich
letzen, wenn Sie das als das Entscheidende ansehen. schließe die Abstimmung nachher kurz vor Been-
Bei den Waldarbeitern, von denen ich gesprochen digung der Auszählung.
habe, handelt es sich um Arbeiter der staatlichen Ich darf vorschlagen, daß wir in der Debatte über
Forstbetriebe in Bayern und Baden-Württemberg. den Eventualantrag fortfahren. Das Wort hat der
Das sind also Angehörige des öffentlichen Dienstes, Abgeordnete Winkelheide.
der insgesamt auch aus diesem Gesetz heraus-
genommen ist, weil ja der öffentliche Dienst im Winkelheide (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
allgemeinen Kinderzuschläge zahlt. Sie -werden Damen und Herren! Ich bitte, den Eventualantrag
vielleicht fragen, warum für sie, wenn es sich doch der SPD auch abzulehnen. Wir haben uns im Aus-
um Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes han- schuß eingehend mit dieser Frage beschäftigt und
delt, nicht auch die sonst im öffentlichen Dienst alle Möglichkeiten erwogen. Wir haben darauf
üblichen Kinderzuschläge gezahlt werden. Früher hingewiesen — es sind Erklärungen abgegeben
ist das der Fall gewesen. Erst nach 1948 haben die worden —, daß der Bereich der bei der Besatzungs-
Tarifvertragsparteien, als sie neue Manteltarif- macht Bediensteten durch Abkommen geregelt
verträge abgeschlossen haben, die Kinderzuschläge wird, daß diese Bediensteten ebenfalls in den Ge-
abgeschafft. Dabei haben sie sich von dem Gedan- nuß des Kindergeldes kommen sollen. Ebenso sol-
ken leiten lassen, den vorhin der Herr Kollege len Verhandlungen mit dem Ziel geführt werden,
Dr. Elbrächter vertreten hat, als er von dem daß auch der kleine Kreis der zum öffentlichen
Leistungslohn und der Notwendigkeit sprach, die Dienst Gehörigen in den Genuß des Kindergeldes
Löhne nach dem Leistungsprinzip zu gestalten. Sie kommt. Wir meinen, daß damit den Bedenken
haben sich also von einem Gedanken leiten lassen, Rechnung getragen ist. Ich bitte, diesen Antrag
den besonders die rechte Seite dieses Hauses be- abzulehnen.
jahen müßte, daß nämlich die staatlichen Forst-
betriebe nicht so sehr Verwaltungen, sondern Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter
Erwerbsbetriebe darstellen und ihre Löhne eben Schellenberg, bitte.
mehr nach den Prinzipien regeln sollten, die in der
freien Wirtschaft, d. h. im Erwerbsleben gültig Dr. Schellenberg (SPD): Herr Präsident! Meine
sind, als nach denen in der Verwaltung. Die Tarif- Damen und Herren! Das, was Herr Kollege Win
vertragsparteien sind damals aus freiem Ermessen kelheide vorgetragen hat, vermag meine Frak-
und guter Überzeugung zu diesen Entschlüssen ge- tion nicht zu überzeugen. Hier soll ein Gesetz ge-
kommen. Wenn nun aber die Forstarbeiter in
ainem Augenblick ohne Kindergeld bleiben sollen, *) Anlage 2.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2129
(Dr. Schellenberg)
schaffen werden; dabei sollte der Gesetzgeber eine nehmen, Kindergeld für die Dauer der Unterbre
Regelung treffen, nach der alle Arbeitnehmer — chung erhalten, soweit sie nicht während dieser
über die Selbständigen haben wir bereits abge- Zeit Leistungen für Kinder auf Grund anderer ge-
stimmt — einbezogen werden, und zwar durch Ge- setzlicher Regelungen erhalten haben.
setz. Ankündigungen genügen hierfür nicht. Das Meine Damen und Herren, in unserer Fraktion
ist das erste. haben sich bei der Vorlage der Ausschußfassung
Zweitens, Herr Kollege Winkelheide, haben Sie doch Bedenken dagegen erhoben, die Fassung des
sich nicht zu der Frage geäußert, die mein Kollege Ausschusses anzunehmen. Es muß dabei vorausge-
Frehsee angeschnitten hat, nämlich daß diejeni- schickt werden, daß diese Einfügung in § 2 „auch
gen, die bei den sogenannten Gemeinde-Unfall- während der Zeiten der Unterbrechung des Ar-
versicherungsverbänden als im Haushalt tätige beitsverhältnisses bei Streik oder Aussperrung"
Personen, Reinmachefrauen usw. versichert sind, dann praktisch ohne Bedeutung ist, wenn ein Streik
nach Ihrer Fassung bezüglich der Berufsgenossen- oder eine Aussperrung ohne Kündigung des Ar-
schaften außerhalb einer Regelung für Kindergeld beitsverhältnisses vor sich geht. Das heißt also, im
bleiben. Weshalb? Nicht aus sozialen Gründen, Falle eines Streiks oder einer Aussperrung, wo
sondern nur aus organisatorisch-technischen Grün- eben nicht gekündigt wird, wird ja auch das Ar-
den, weil Sie bei Ihrer Konzeption von den Berufs- beitsverhältnis nicht beendet, und Voraussetzung
genossenschaften nicht abgehen können oder wollen. für die Gewährung des Kindergelds ist das Beste-
Deshalb sollen sogar andere Träger der gesetz- hen eines Arbeitsverhältnisses, so daß auch in der
lichen Unfallversicherung, die Gemeinde-Unfall- Zeit eines Streiks, der ohne Kündigung verläuft —
versicherungsverbände, ausgeschlossen werden. ich sage es noch einmal —, das Kindergeld weiter
Im übrigen ist zu sagen, daß auch eine Beteili- zu gewähren ist.
gung der Gemeinde-Unfallversicherungsverbände Nun aber erhebt sich die Frage, wie es sich ver-
durchaus eine Regelung im Sinne Ihrer eigenen hält, wenn bei einem Arbeitskampf eine Kündi-
Konzeption ermöglichen würde. Denn es könnte gung ausgesprochen wird. Die Kündigung eines Ar-
auch bei den Gemeinde-Unfallversicherungsverbän- beitsverhältnisses hat zur Folge, daß es zu Ende ist,
den eine Familienausgleichskasse gebildet werden, ohne Rücksicht darauf, ob man absehen kann, daß
die in der gleichen Weise wie andere Familien- nach dem Streik eine Wiedereinstellung erfolgt
ausgleichskassen Beiträge aufzubringen hätte. Da- oder nicht. Das würde also bedeuten, daß mit der
mit wäre eine Lösung geschaffen, die auch den Kündigung der Anspruch auf Kindergeld im auf
Versicherten der Gemeinde-Unfallversicherungs- die Kündigung folgenden Monat erlischt; denn es
verbände, d. h. allen Arbeitnehmern, Kindergeld ist ja im allgemeinen eine fristlose Kündigung. Das
gewährleisten würde. hat aber zur Folge, daß auch bei Arbeitskämpfen,
(Beifall bei der SPD.) die normal vor sich gehen, unter Umständen un-
berechtigte Härten entstehen. Fügen wir aber die
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- in der Ausschußfassung vorgesehene Formulierung
ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich ein, dann bedeutet das, daß auch jemand, der sich
schließe die Besprechung zu diesem Antrag. Wir während des Streiks Ausschreitungen zuschulden
können über ihn abstimmen, da er unabhängig da- kommen ließ, unter Umständen in den Genuß des
von ist, ob der FDP-Antrag oder der Ausschuß-An- Kindergelds kommt, obwohl sein Arbeitsverhältnis
trag angenommen wird. nicht fortgesetzt wird. Daher sieht die Formulie-
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Ände- rung, die wir vorschlagen, vor, daß nach Beendi-
rungsantrag, dem Eventualantrag der SPD — ich gung eines Streiks oder einer Aussperrung oder
brauche ihn nicht noch einmal zu verlesen —, zuzu- nach einer anderen Art — und dies ist weiterhin
stimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich ein Vorteil unseres Vorschlags — der Unterbre-
bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das chung des Arbeitsverhältnisses das Kindergeld den
zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Arbeitnehmern, die an dem Arbeitskampf beteiligt
oder durch eine andere Unterbrechung des Arbeits-
Jetzt müssen wir allerdings doch wieder- einen
Augenblick auf das Ergebnis der Abstimmung verhältnisses betroffen sind, weitergewährt wird.
warten. Sind noch Abgeordnete vorhanden, die in Ich schlage Ihnen deshalb vor, dem Antrag der
der namentlichen Abstimmung zum Antrag auf CDU/CSU zuzustimmen, in § 2 die genannten Worte
Umdruck 157 ihre Stimme abzugeben wünschen? — zu streichen und in § 4 einen neuen Absatz nach
Das ist nicht der Fall. Ich schließe die namentliche dem Wortlaut des Ihnen vorliegenden Umdrucks
Abstimmung. einzufügen.
(Beifall in der Mitte.)
Meine Damen und Herren, sind die Abgeord-
neten, die die Anträge zu § 2 gestellt haben, bereit, Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
diese Anträge bereits zu begründen? ren, ich darf nun noch einmal zu § 1 zurückkehren.
(Zustimmung.) Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der nament-
Zunächst der Antrag der Fraktion der CDU/CSU lichen Abstimmung über Ziffer 1 des Umdrucks 157
unter Ziffer 1 des Umdrucks 155. — Bitte schön! — Antrag der Fraktionen der FDP und DP — be-
kannt. An der Abstimmung haben sich 383 stimm-
Stingl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- berechtigte Abgeordnete und 17 Berliner beteiligt.
men und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU Mit Ja haben 39 stimmberechtigte Abgeordnete und
schlägt Ihnen die Streichung folgender Worte des 4 Berliner gestimmt, mit Nein 333 stimmberechtigte
§ 2 Abs. 2 vor: und 13 Berliner. 11 Abgeordnete haben sich der
und zwar auch während der Zeiten der Un- Stimme enthalten. Damit ist dieser Antrag abge-
terbrechung des Arbeitsverhältnisses infolge lehnt worden. Die Änderungsanträge zu § 1 sind
Streiks oder Aussperrung. damit erledigt.
Sie beantragt dafür, in § 4 einen Abs. 6 einzufügen, Wir können zur Abstimmung über den § 1 kom-
wonach Arbeitnehmer, die nach einer Unterbre- men. — Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
chung ihres Beschäftigungsverhältnisses von we-
niger als drei Monaten ihre Tätigkeit wieder auf *) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2156.
2130 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Dr. Atzenroth (FDP): Ich beantrage namens der Frau Döhring (SPD): Herr Präsident! Meine
Fraktionen der FDP und DP namentliche Abstim- Herren und Damen! Zu unserem großen Bedauern
mung über § 1 in der Ausschußfassung. hat die Mehrheit dieses Hauses unsere Anträge
zu § 1 abgelehnt, nach denen den Kindern ohne
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- Rücksicht auf die Erwerbstätigkeit der Eltern
ren, wir haben die Übung gehabt, daß, wenn die Kindergeld gewährt werden sollte. Sie hat auch
Anträge auf namentliche Abstimmung namens der den zweiten Antrag, den Eventualantrag, abge-
Fraktionen gestellt werden, die nach der Geschäfts- lehnt, nach dem wenigstens alle Arbeitnehmer-
ordnung erforderlichen Zahlen als beigebracht an- gruppen in dieses Gesetz einbezogen worden
gesehen werden. Oder wünschen Sie, daß die Zahl wären. Nach der vorliegenden Konzeption in der
der tatsächlich Anwesenden festgestellt wird? Ausschußfassung sollen also nur die dritten und
(Zurufe von der Mitte und links: Ja! — weiteren Kinder von unfallpflichtversicherten
Unruhe und Heiterkeit.) Personen Kindergeld erhalten. Das bedeutet, daß
bestimmte Personengruppen ganz willkürlich und
— Meine Damen und Herren, ich glaube, wir er- ohne jede Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Situa-
leichtern uns das Geschäft, wenn wir diese Fest- tion entweder in das Gesetz einbezogen oder aus
stellung nicht treffen, sondern die Zahlen der Frak- ihm ausgeschlossen werden sollen. Insbesondere
tionen unterstellen, wie wir das auch sonst getan geht es aber hierbei darum, daß weite Bevölke-
haben. Also wird namentliche Abstimmung stattzu- rungskreise, für die die Gewährung von Kinder-
finden haben. Ich bitte die Schriftführer, die geld von sehr großer wirtschaftlicher und sozialer
Stimmkarten einzusammeln. — Bedeutung wäre, nach dem vorliegenden Gesetz-
(Einsammeln der Abstimmungskarten.) entwurf ausgeschlossen sind. Der Herr Familien-
minister hat heute sehr schöne Worte gebraucht,
Meine Damen und Herren, die Einsammlung der
aber nur, soweit ich ihn wenigstens verstanden
Stimmkarten ist im wesentlichen beendet. Ich darf
habe, für die Mehrkinderfamilien derjenigen, die
vorschlagen, daß wir zunächst in der Begründung
in einem Arbeitsverhältnis stehen, aber nicht für
der Anträge zu § 2 fortfahren. Wünscht die Frak-
jene, die zu den bedürftigsten Bevölkerungskreisen
tion der FDP den übereinstimmenden Antrag auf
Umdruck 156 Ziffer 1 zu begründen? — Offenbar gehören. Ich dachte, meine Herren und Damen,
nicht — oder doch? - Bitte sehr! daß der Herr Familienminister gerade für diese
Bevölkerungskreise hätte eintreten müssen.
Dr. Jentzsch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Von den Ausgeschlossenen sind insbesondere
und Herren! Zu dem Parallelantrag der Fraktion die Kinder von Soforthilfe- und Fürsorgeunter-
der CDU/CSU habe ich namens meiner politischen stützungsempfängern, vor allem aber die Kinder
Freunde noch auf folgendes aufmerksam zu machen. der Arbeitslosen und langfristig Kranken betrof-
Wir haben den gleichen Antrag gestellt, die Worte fen, außerdem die Kinder der Sozialversiche-
„infolge Streiks oder Aussperrung " aus dem Ent- rungsrentner und der Kriegsbeschädigten, soweit
wurf zu streichen. Bestimmend für diese Maß- diese nicht in Arbeit stehen. Dabei sind besonders
nahme, die j a durch den neuen Antrag der CDU/ auch viele Schwerbeschädigte betroffen. Nach dem
CSU dahingehend abgemildert werden soll, daß Material, das uns vom zuständigen Ministerium
nach einer Wiederaufnahme der Arbeit innerhalb vorgelegt wurde, würden allein bei den Gruppen
eines Zeitraums von drei Monaten das Kindergeld der Sozialversicherungsrentner und Kriegsbeschä-
dennoch gewährt wird, war für uns die Tatsache, digten sowie bei den Unterstützungsempfängern
daß, wenn diese Streikbestimmung im Gesetz einschließlich der Soforthilfeempfänger rund
bliebe, ein Bruch mit den bisherigen grundsätz- 221 000 dritte und weitere Kinder unberücksich-
lichen Auffassungen, die wir im deutschen Arbeits- tigt bleiben.
recht als herrschende Lehre anerkennen, vollzogen (Hört! Hört! bei der SPD.)
würde.
Die Gesamtzahl der dritten und weiteren Kinder
Der Gesetzgeber hat bei Arbeitskämpfen bislang bis zu 25 Jahren der sogenannten selbständigen
eine neutrale Haltung eingenommen, und nach der Berufslosen, die heute im Zusammenhang mit § 1
einhelligen arbeitsrechtlichen Auffassung muß im einzelnen angesprochen wurden, beträgt, wie
diese Neutralität gewahrt bleiben, damit nicht Be- aus dem amtlichen Material hervorgeht, insgesamt
einflussungen vorgenommen werden, die für die 286 800 Kinder. Hierzu würden, worauf ich noch
eine oder für die andere Seite ein Übergewicht einmal besonders hinweisen muß, einige Hundert-
schaffen, das im Sinne der Koalitionsfreiheit unan- tausend Kinder von Arbeitslosen und ausgesteuer-
gebracht und ungerechtfertigt wäre. Würde der Ge- ten Kranken kommen. Unter denen, die nach die-
setzgeber diese Bestimmung hinsichtlich des Strei- sem Gesetz nichts bekommen, werden auch jene
kes aufrechterhalten, so müßten daraus grund- Witwen sein, die für eine größere Zahl Kinder zu
legende Konsequenzen gezogen werden. sorgen haben und eben wegen dieser Verpflichtun-
Das war die Begründung, die ich namens meiner gen nicht erwerbstätig sein können.
politischen Freunde zu unserem Antrag, diese Be- Alle diese Gruppen unberücksichtigt zu lassen,
stimmungen aus dem § 2 Abs. 2 herauszunehmen, käme einer Diskriminierung der sozial besonders
vorzutragen hatte. schwachen Schichten in unserem Volke gleich. Das
kann und darf aber nicht der Wille des Gesetz-
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- gebers sein, zumal auch der Herr Bundeskanzler
ren, ich schlage Ihnen vor, daß wir erst alle Anträge am 20. Oktober vorigen Jahres versprochen hat,
zu § 2 begründen lassen und dann in die Aus- gerade den sozial schwächsten Schichten in unse-
sprache eintreten. rem Volke zu helfen.
Wer wünscht, den Antrag Umdruck 147 Nr. 2 *)
Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihnen des-
der Fraktion der SPD zu begründen? - Bitte
halb unter Ziffer 2 auf Umdruck 147 einen Ände-
schön, Frau Abgeordnete!
rungsantrag vorgelegt, wonach in das Kindergeld-
**) Anlage 1. gesetz u. a. vor allem die langfristig Kranken, d. h.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2131
(Frau Döhring)
die Bezieher von Krankenpflegegeld nach § 182 ordnung, dem Angestelltenversicherungsgesetz,
Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung einzube- dem Knappschaftsversicherungsgesetz und dem
ziehen sind. Hierbei handelt es sich — um es ein- Bundesversorgungsgesetz, 4. Unterhaltshilfe nach
mal deutlich zu machen — um die Ausgesteuerten. dem Lastenausgleichsgesetz, 5. Leistungen nach
Niemand wird bezweifeln, daß gerade dort, wo der dem Bundesentschädigungsgesetz und 6. Fürsorge-
Ernährer längere Zeit krank ist, die Not doch unterstützung nach der Verordnung über die Für-
dann am größten ist, wenn er mit dem Kranken- sorgepflicht.
geld ausgesteuert wird. Da kann man doch nicht, Meine Herren und Damen, nachdem Sie die
wie es nach Ihrem Gesetzentwurf, meine Herren Änderungsanträge der sozialdemokratischen Frak-
und Damen von der CDU-Fraktion, vorgesehen ist, tion zu § 1 abgelehnt haben, wäre es das Mindeste,
auch noch das Kindergeld für die Ausgesteuerten daß Sie diesem Antrag zustimmen, um draußen in
wegfallen lassen! der Offentlichkeit von diesen Kreisen einiger-
(Sehr richtig! bei der SPD.) maßen verstanden zu werden, von jenen Menschen,
Wir beantragen deshalb, diese einengende Be- die nun seit Jahren auf die so dringend nötige
stimmung in § 2 Abs. 2 letzter Satz zu streichen, Kinderbeihilfe warten.
und bitten, unserem weitergehenden Antrag zuzu- (Beifall bei der SPD.)
stimmen, wonach kranken Familienernährern auch
über die Aussteuerung hinaus das Kindergeld Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
weiter gewährt werden soll. ren, ich kehre noch einmal zu § 1 zurück und frage:
Sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der
Nun zu der anderen großen Personengruppe, zu namentlichen Abstimmung zu § 1 ihre Stimme ab-
den Arbeitslosen, von denen heute auch schon ge- zugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall. Dann
sprochen wurde. Nach Auffassung meiner Fraktion schließe ich die Abstimmung.
ist es schon aus rein menschlichen Gründen nicht
zu ertragen, daß die Kinder der Arbeitslosen in Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der nament-
diesem Gesetz ausgeschlossen sein sollen. Bei den lichen Abstimmung bekannt. Es haben sich betei-
Ausschußberatungen wurde uns zwar entgegen- ligt 382 stimmberechtigte Abgeordnete und 16
gehalten, daß für die Arbeitslosen eine besondere Berliner. Mit Ja haben gestimmt 189 Stimmberech-
Regelung kommen solle, und zwar gleichzeitig mit tigte und 4 Berliner, mit Nein 49 stimmberechtigte
diesem Gesetz. Nun, meine verehrten Damen und Abgeordnete und 10 Berliner; Enthaltungen 144
Herren von den Regierungsparteien, das ist auch und 2 Berliner. Damit ist § 1 angenommen.
schon wieder einige Monate her, und bis heute ist Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor,
uns eine solche Regelung nicht vorgelegt worden. daß wir weiterhin noch die Begründung der noch
Ohnedies sind meine Parteifreunde und ich der nicht begründeten Anträge zu § 2 hören, zunächst
Auffassung, daß die Kinder der Arbeitslosen in die Begründung des Änderungsantrags der FDP
das Kindergeldgesetz, das wir heute beraten, mit und der DP, Umdruck 157 Ziffer 2. — Offenbar
einbezogen werden sollten wünscht man nicht, ihn zu begründen.
(Abg. Frau Finselberger: Sehr richtig!) Ich komme zu dem Änderungsantrag der Fraktion
und nicht auf einen späteren Termin vertröstet der CDU/CSU Umdruck 148 Ziffer 1 zu § 2 Abs. 4.
werden können. Wer wünscht, ihn zu begründen? — Herr Abegord-
neter Siemer, bitte!
(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Richter:
Sehr gut!) Dr. Siemer (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Prä-
Wenn z. B. ein Familienvater mit fünf Kindern sident! Meine Damen und Herren! Im Entwurf
nach diesem Kindergeldgesetz für sein drittes, vier- steht unter § 2 Abs. 4:
tes und fünftes Kind die Beihilfen bekommt, aber Als mithelfende Familienangehörige im Sinne
eines Tages arbeitslos wird, dann würde er neben dieses Gesetzes gelten, wenn sie in den Haus-
dem sehr erheblichen Absinken seines Lohnes oder halt von Selbständigen oder Heimarbeitern
seines Gehaltes auf die Arbeitslosenunterstützung aufgenommen worden sind und ständig, ähn-
nun obendrein noch 75 DM Kinderbeihilfen ein- lich wie Arbeitnehmer, mitarbeiten, . . .
büßen. Eine solch beträchtliche und plötzliche Ver- Wir haben uns erlaubt, zu diesem Passus einen
minderung des Einkommens ist im Hinblick auf Änderungsantrag mit folgendem Text einzubrin-
den inzwischen mit den Beträgen des Kinder- gen:
geldes geschaffenen Lebensstandard der Familie Als mithelfende Familienangehörige im Sinne
einfach nicht zu verantworten, weder vom rein dieses Gesetzes gelten, wenn sie im Unterneh-
menschlichen und sozialen Standpunkt aus, noch men des Selbständigen oder Heimarbeiters
aus volkswirtschaftlichen Erwägungen. Wir sollten ständig, ähnlich wie Arbeitnehmer, mitarbei-
alle sehr ernsthaft überlegen, daß es eine schwere ten, . . .
soziale Ungerechtigkeit wäre, wenn die hier von
mir angesprochenen Bevölkerungskreise von die- Der Sinn unseres Antrags ist folgender. Nach der
sem Gesetz ausgeschlossen blieben. Eine solche Fassung des Entwurfs hätten wir diejenigen Selb-
Schuld sollte der Bundestag wirklich nicht auf ständigen bzw. Mitarbeiter nicht erfaßt, die in
sich nehmen. bäuerlichen Betrieben als Familienangehörige tätig
sind. Wir haben eine ganze Reihe von Mitarbei-
Namens meiner Fraktion bitte ich deshalb das tern und Familienangehörigen, die in einer eige-
Hohe Haus, dem von der sozialdemokratischen nen Wohnung auf dem Hof leben und nicht zu der
Fraktion auf Umdruck 147 Ziffer 2 gestellten Haushaltsgemeinschaft des Unternehmers bzw. des
Änderungantrag Ihre Zustimmung zu geben, wo- Bauern gehören. Aus diesem Grunde sahen wir uns
nach den Arbeitnehmern gleichgestellt werden die veranlaßt, eine Änderung dieses Passus einzu-
Bezieher von 1. Krankenpflege, 2. Arbeitslosen- bringen.
unterstützung oder Arbeitslosenfürsorgeunter-
stützung, 3. Renten nach der Reichsversicherungs- *) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2156.
2132 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- kanzlers noch einen Bericht über die bis dahin be-
ren, damit sind die Änderungsanträge zu § 2 be- stehende Lage entgegennimmt. Wir haben diesen
gründet. Schritt begrüßt und halten ihn für notwendig, weil
Darf ich Ihnen den Vorschlag machen — da ich wir glauben, daß der Auswärtige Ausschuß gerade
unterstelle, daß darüber noch eine ausführlichere jetzt das gegebene Organ ist, um eine solche Dis-
Aussprache stattfinden wird, und wir uns dahin kussion zu führen. Obwohl die sozialdemokratische
verständigt hatten, die Sitzung um 19 Uhr abzu Fraktion hier heute morgen und heute abend eine
brechen —, daß wir die Aussprache über die außenpolitische Debatte verlangt, hat sie, wie ich
Änderugsatä iAbmungeür erfahren habe, der Einberufung des Auswärtigen
diese Anträge sowie über § 2 morgen vornehmen, Ausschusses für Montag widersprochen
daß wir also morgen in der Tagesordnung fort- (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)
fahren, soweit sie heute nicht erledigt ist, und dann mit der Begründung, daß nächste Woche sitzungs-
versuchen, hoffentlich mit der für morgen vorge- frei sei und eine Vereinbarung im Ältestenrat es
sehenen Tagesordnung zu beginnen. dem Präsidenten verbiete, ohne Zustimmung des
Es wird das Wort zur morgigen Tagesordnung ge- Plenums eine solche Sitzung einzuberufen.
wünscht. Herr Abgeordneter Wehner, bitte! (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)
Wehner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Ich habe kein rechtes Verständnis dafür, daß man
und Herren! Ich muß Ihre Geduld noch einmal in heute morgen und heute abend eine Plenarsitzung
Anspruch nehmen, um Ihre Aufmerksamkeit da- mit außenpolitischer Debatte verlangt und gleich-
für zu erbitten, daß die sozialdemokratische Frak- zeitig dem Präsidenten den Wunsch unterbreitet,
tion den Antrag stellt, auf die Tagesordnung der von einer solchen Vereinbarung Gebrauch zu
für morgen anberaumten Sitzung als Punkt 1 die machen und die Einberufung einer Sitzung des zu-
außenpolitische Debatte zu setzen. Ich habe Ihnen ständigen Auswärtigen Ausschusses zu verhindern.
die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion
über die Notwendigkeit, über die Dringlichkeit die- (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.
ser Debatte und über die Unerläßlichkeit einer — Zuruf von der SPD: Scheinheiligkeit!
Aussprache der deutschen Volksvertretung über — Weitere Zurufe von der SPD.)
die Grundlinien der Außenpolitik in einem Mo- Weil ich der Meinung bin, daß die Sitzung des Aus-
ment, in dem entscheidende neue Verhandlungen wärtigen Ausschusses in Anwesenheit des Bundes-
beginnen, darzulegen versucht. Ich weiß, daß mit kanzlers und vor seiner Abreise stattfinden muß,
dem geschäftsordnungsmäßigen Mittel des Ein- bitte ich, diesen Antrag, den ich mir zu überreichen
spruchs unser Antrag heute morgen zu Fall ge- erlaube, auf die morgige Tagesordnung zu setzen.
bracht worden ist. Ich hoffe, daß dieser Appell zu
später Stunde und nach einem arbeitsreichen Tag (Beifall bei der CDU/CSU.)
doch noch die Aufmerksamkeit findet, die wir wün- Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
schen; denn Sie können ja durch ihre Abstimmung
den Beweis erbringen, daß Sie dafür sind, daß in ren! Ich möchte zur Klärung des Vorgangs, den
einem solchen entscheidenden Abschnitt wie Herr Abgeordneter Dr. von Brentano erwähnt hat,
diesem durch eine außenpolitische Debatte über die auf folgendes hinweisen. Es ist in der letzten Sit-
Grundlinien dieser Politik, um die es geht, ein zung des 'Ältestenrats eine bereits vorher getrof-
neuer Start außenpolitischen Wirkens in unserer fene Vereinbarung wiederholt worden, die von
Bundesrepublik gemacht wird. Ich bitte Sie also allen Fraktionen gebilligt worden ist und die be-
sagt, daß Sitzungen von Ausschüssen in sitzungs-
um die Zustimmung zu dem Antrag der sozial- freien Wochen nur dann stattfinden sollen, wenn
demokratischen Fraktion, als Tagesordnungspunkt
Nr. 1 für morgen die außenpolitische Debatte an- erstens die Ausschußmitglieder zustimmen und
zusetzen. wenn zweitens die Fraktionen zustimmen, weil der
(Beifall bei der SPD.) Ältestenrat der Auffassung war, daß ein gemein-
- sames Interesse des ganzen Hauses daran besteht,
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Ab- daß nicht durch zusätzliche Sitzungen von Aus-
geordnete Dr. von Brentano. schüssen in sitzungsfreien Wochen der Sinn der
sitzungsfreien Wochen ins Gegenteil verkehrt wird.
Dr. von Brentano (CDU/CSU): Herr Präsident! (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)
Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag, den
Herr Kollege Wehner gestellt hat, möchte ich nur Ich hätte dem Wunsch des Herrn Vorsitzenden des
auf das verweisen, was mein Kollege Krone heute Auswärtigen Ausschusses nur entsprechen können,
morgen gesagt hat. Die Auffassung hat sich nicht wenn nicht nur die Zustimmung der Mitglieder
geändert. des Auswärtigen Ausschusses, sondern auch die Zu-
stimmung aller Fraktionen vorgelegen hätte. Die
Ich bitte aber, morgen einen anderen Antrag auf sozialdemokratische Fraktion hat sich aus Gründen,
die Tagesordnung zu setzen, den ich mir zu ver- deren Beurteilung mir entzogen ist, nicht imstande
lesen erlaube: gesehen, diese Zustimmung zu erteilen.
Der Präsident des Bundestags wird ermäch- (Hört! Hört! in der Mitte.)
tigt und gebeten, der Einberufung des Auswär-
tigen Ausschusses für Montag, den 27. Septem- Ich muß sagen, daß ich gewisse Zweifel habe.
ber, die Zustimmung zu erteilen. (Abg. Schoettle: Außerdem, Herr Präsi
Der Herr Vorsitzende des Auswärtigen Ausschus- dent, sind die Mitglieder des Auswärtigen
ses, Herr Kollege Gerstenmaier, hatte, wie ich Ausschusses nicht gefragt worden! Was in
weiß, im Einvernehmen mit seinem Vertreter, Straßburg beieinander ist, ist nicht der
Herrn Kollegen Schmid, den Auswärtigen Aus- Auswärtige Ausschuß!)
schuß für Montag früh einberufen, damit der Aus- — Dann stelle ich fest, daß offenbar nicht einmal
schuß unmittelbar vor der Abreise des Bundes die vollständige Zustimmung der Mitglieder des
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2133
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Auswärtigen Ausschusses vorliegt, was für Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Tagesordnung noch
mich — — einmal Herr Abgeordneter Wehner!
(Abg. Mellies: Sie haben nicht nur nicht Wehner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
ihre Zustimmung gegeben, sondern sie und Herren! Zu der von Herrn Dr. von Brentano
sind nicht einmal gefragt worden, Herr gegebenen Darstellung und zu dem Antrag, den die
Präsident! Das sollte Herr von Brentano Fraktion der Christlich-Demokratischen Union ein-
auch wissen! — Weitere Zurufe von der gebracht hat, muß ich einige Bemerkungen machen.
SPD.) Zunächst: die Mitglieder des Ausschusses für aus-
— Meine Damen und Herren, die Debatte mit mir wärtige Angelegenheiten sind nicht einmal gefragt
zu führen, ist, glaube ich, unzweckmäßig, denn ich worden!
habe mich ja, wie die Herren zugeben werden, in (Hört! Hört! bei der SPD.)
jeder Weise korrekt und entsprechend der Verein- Es ist ihnen lediglich heute abend mitgeteilt wor-
barung des Ältestenrates verhalten. den, daß der Herr Gerstenmaier von Straßburg aus
(Abg. Schoettle: Das wird nicht bestritten!) eine solche Sitzung anberaumt habe. Sie sehen,
Herr von Brentano, daß nicht alles, was Sie hier
Ich habe nur den Zweifel — und ich bitte, das für gegeben hielten, mit den Tatsachen überein-
freundlichst bis morgen zu überlegen —, ob ein stimmt, und ich wollte Sie über einige dieser Tat-
durch Vereinbarung des Hauses einer Fraktion ge- sachen aufklären.
gebenes Recht durch eine Plenarabstimmung einge-
schränkt werden kann. Ich bitte freundlichst, das Darüber hinaus möchte ich sagen, daß der parla-
zu überlegen. Der Gegenstand kann ja auf die mentarische Sekretär der sozialdemokratischen
Tagesordnung gesetzt werden; aber diese Über- Fraktion dem Vorsitzenden des Auswärtigen Aus-
legung, ob es nicht ein nicht zu beschränkendes schusses mitgeteilt hat, es sei ja durchaus möglich,
Recht einer Fraktion in ihrer Stellungnahme hin- eine solche Sitzung des Auswärtigen Ausschusses
sichtlich der sitzungsfreien Wochen ist, bitte ich zum Freitag oder zum Samstag einzuberufen.
bis morgen anzustellen. (Hört! Hört! bei der SPD.)
(Abg. Dr. von Brentano: Einverstanden! — Wir haben darauf keinerlei Antwort bekommen.
Zuruf des Abg. Euler.)
(Lebhafte Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)
— Herr Abgeordneter Euler hat das Wort zur
Tagesordnung! Sie können also, Herr von Brentano, wenn Sie der
Meinung sein sollten, die Sie hier zum Ausdruck
gebracht haben, daß die Sozialdemokraten zwar
Euler (FDP): Meine sehr verehrten Damen und heute vormittag und heute abend eine Plenar-
Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten hatte debatte, aber keine Ausschußsitzung beantragt hät-
schon in der letzten Woche nach ausführlicher Be- ten, zur Kenntnis nehmen, daß die Sozialdemokra-
ratung ihrer Meinung Ausdruck gegeben, daß es ten bereit waren, bereit sind und bereit bleiben,
in jeder Weise gut und zweckdienlich sei, einer morgen und übermorgen eine solche Sitzung zu
außenpolitischen Debatte im Plenum eine sorgfäl- veranstalten.
tige Erörterung in dem dafür vorgesehenen Aus- (Hört! Hört! bei der SPD.)
schuß für auswärtige Angelegenheiten vorangehen
zu lassen und diese Debatte im Ausschuß entspre- Nachdem der Herr Kollege Euler die Auffassung
chend vorzubereiten. Der Vertreter unserer Frak- zum Ausdruck gebracht hat, eine solche Debatte,
tion im Ältestenrat hat diesen Wunsch unserer wie wir sie hier gefordert haben, bedürfe einer
Fraktion bereits vorgetragen. Wir halten mit Rück- sorgfältigen Vorbereitung im Auswärtigen Aus-
sicht auf die gesamte gegenwärtige internationale schuß, möchte ich Ihnen noch folgendes sagen. Nach
Situation eine ausführliche Erörterung der Lage dem, was wir in der vergangenen Woche hier über
im Außenpolitischen Ausschuß für das geeignete die Ausschüsse, die unter der Vertraulichkeit tagen,
Mittel. Sie ist jedenfalls besser geeignet, -als vor und über die Möglichkeit, darüber etwas im
der Londoner Konferenz eine solche Debatte im Plenum zu sagen, gehört haben, kann ich leider
Plenum abzuhalten. Wir glauben, daß das den In- wenig dazu sagen. Ich muß allerdings eine Berner
teressen unseres Volkes wesentlich besser ent- kung machen: eine solche Sitzung, die für Montag
spricht, als eine nicht vorbereitete Plenardebatte etwa zwei Stunden vor der Abreise des Herrn Bun-
ohne vorhergehende Erörterung im Außenpoliti- deskanzlers anberaumt ist, kann doch wohl, Herr
schen Ausschuß stattfinden zu lassen. Euler, nicht als eine sorgfältige Vorbereitung des
Parlaments
(Abg. Schoettle: Zwei Stunden vor der (lebhafter Beifall bei der SPD)
Abreise des Bundeskanzlers!)
und eine Ausstattung des Herrn Bundeskanzlers
Deswegen unterstützen wir den hier von dem mit den Ansichten auch nur der Mitglieder des Par-
Kollegen von Brentano vorgetragenen Wunsch. laments, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschus-
Wir würden uns damit einverstanden erklären, daß ses sind, bezeichnet werden. Das also zu dieser
ungeachtet der prinzipiellen, mit Recht erneut be- Feststellung.
stätigten Vereinbarung im Ältestenrat am Montag
— mit Rücksicht auf die besondere Dringlichkeit Zum Schluß möchte ich noch sagen, es sollte
der Situation — die Aussprache im Außenpoliti- eigentlich — wenn man nicht demonstrieren will,
schen Ausschuß stattfindet. Wir werden dann eine daß sich an gewissen Methoden nichts ändern soll
wesentliche Unterrichtung bekommen und werden — nicht angängig sein, eine solche Gegenüberstel-
andererseits in der Lage sein, wohlerwogene Ge- lung: die Sozialdemokraten fordern zwar eine
danken dem Herrn Bundeskanzler auf die Reise Plenardebatte, aber sie wollen nicht in den Aus-
nach London mitzugeben. schuß, hier auszusprechen. Das möchte ich Ihnen
in aller Deutlichkeit zu dieser Stunde gesagt haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU. —
Lachen bei der SPD.) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)
2134 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter batte zu setzen. Ich bitte die Damen und Herren,
Euler! die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
Euler (FDP): Meine sehr verehrten Damen und — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit;
Herren! Ich weiß nicht, woher der Herr Kollege der Antrag ist abgelehnt.
Wehner das Wissen hat, daß die Sitzung zwei Stun-
den vor der Abreise des Kanzlers stattfinden soll. Es liegt weiter vor der Antrag des Herrn Abge-
Davon kann gar keine Rede sein. ordneten Dr. von Brentano, den Antrag:
(Abg. Heiland: Hat doch Herr von Bren Der Präsident des Bundestages wird ermäch-
tano gesagt! — Abg. Schoettle: Woher tigt und gebeten, der Einberufung des Aus-
wissen Sie es denn, Herr Euler? Sie wissen wärtigen Ausschusses für Montag, den
doch auch nichts!) 27. September, die Zustimmung zu erteilen,
— Ich weiß aber, daß der Herr Bundeskanzler bis auf die morgige Tagesordnung zu setzen. Ich bitte
zum Nachmittag zur Verfügung steht, so daß wir die Damen und Herren, die dem Antrag, diesen
zumindest den ganzen Vormittag unter Einschluß Punkt auf die morgige Tagesordnung zu setzen,
der Mittagszeit Gelegenheit hätten, die Aussprache ihre Zustimmung zu geben wünschen, eine Hand zu
zu führen. erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der
(Abg. Dr. Greve: Das war der ganze Inhalt Antrag ist angenommen. Dieser Punkt steht auf der
von Herrn Eulers Kopf! — Heiterkeit bei Tagesordnung. Die weitere Debatte wird dann mor-
der SPD.) gen stattzufinden haben. Wir werden den Punkt zu
einem geeigneten Zeitpunkt in die Tagesordnung
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- einfügen.
ren, jetzt scheinen mir aber keine weiteren Wort-
meldungen zur Tagesordnung mehr vorzuliegen. Damit sind wir am Ende der heutigen Beratun-
gen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
(Abg. Schoettle: Das reicht vollkommen!) Bundestages auf morgen, den 24. September 1954,
Es liegt erstens der Antrag der Sozialdemokra- 9 Uhr, und schließe die heutige 44. Sitzung.
tischen Partei vor, auf die Tagesordnung der mor-
gigen Sitzung als Punkt 1 eine außenpolitische De (Schluß der Sitzung: 19 Uhr 9 Minuten.)

Anlage 1 Umdruck 147 5. Leistungen nach dem Bundesentschädigungs-


gesetz,
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über 6. Fürsorgeunterstützung nach der Verordnung
die Gewährung von Kindergeld und die Eyrich- über die Fürsorgepflicht.
tung von Farnilienausgleichskassen (Kindergeldge- Dies gilt nicht, soweit Kindergeld nach § 1 ge-
setz) (Drucksachen 708, zu 708, 318, 319). währt wird."
Die bisherigen Absätze 3 und 4 werden Ab-
Der Bundestag wolle beschließen: sätze 4 und 5.
1. § 1 erhält folgende Fassung: 3. In § 5 Abs. 1 wird Satz 2 durch die folgenden
„§ Sätze 2 und 3 ersetzt:
Voraussetzungen des Anspruchs auf Kindergeld „Im Falle des § 2 Abs. 3 richtet sich der An-
spruch gegen die für den Berechtigten zuletzt
Kindergeld nach diesem Gesetz erhält. auf An- zuständige Familienausgleichskasse. Ist keine
trag, wer Familienausgleichskasse zuständig, so richtet
-
a) im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhn- sich der Anspruch gegen den Gesamtverband
lichen Aufenthalt und oder die von diesem bestimmte Stelle."
b) zwei oder mehr beihilfefähige Kinder (§ 2) 4. § 7 wird gestrichen.
hat." 5. Es wird ein neuer § 7 a eingefügt:
2. In § 2 Abs. 2 ist der letzte Satz zu streichen.
㤠7 a
Es wird ein neuer Absatz 3 mit folgendem Wort-
laut eingefügt: Zusammentreffen des Kindergeldes mit
anderen Sozialleistungen
„(3) Den Arbeitnehmern werden gleichgestellt
die Bezieher von Kindergeld wird auf Leistungen der Sozial-
versicherung, der Arbeitslosenversicherung, der
1. Krankenpflege nach § 182 Abs. 1 der Reichs- Arbeitslosenfürsorge, der Kriegsopferversor-
versicherungsordnung, gung, des Bundesentschädigungsgesetzes sowie
2. Arbeitslosenunterstützung oder Arbeitslosen- auf Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichs-
fürsorgeunterstützung nach dem Gesetz über gesetz und auf Fürsorgeunterstützung nicht an-
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver- gerechnet."
sicherung, 6. Es wird ein neuer § 7 b eingefügt:
3. Renten nach der Reichsversicherungsord-
nung, dem Angestelltenversicherungsgesetz, 㤠7b
dem Knappschaftsversicherungsgesetz oder Ausschluß der Anrechnung von Kindergeld
dem Bundesversorgungsgesetz, auf Arbeitsentgelt
4. Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichs- Bei Bemessung des Arbeitsentgelts von Be-
gesetz, schäftigten, die Kindergeld nach diesem Gesetz
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2135

erhalten, darf das Kindergeld nicht zum Nach- Anlage 2 Umdruck 157
teil des Beschäftigten berücksichtigt werden; ins-
besondere ist es unzulässig, daß Kindergeld ganz Änderungsantrag der Fraktionen der FDP, DP
oder teilweise auf das Arbeitsentgelt ange- zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
rechnet wird." über die Gewährung von Kindergeld und die Er-
richtung von Familienausgleichskassen (Kinder-
7. § 11 Abs. 1 Satz 2 erhält folgenden Wortlaut: geldgesetz) (Drucksachen 708, zu 708, 318, 319).
„Beitragsfrei sind Selbständige, deren Ein-
kommen den Betrag von 4 800 Deutsche Mark Der Bundestag wolle beschließen:
im Jahre nicht übersteigt."
1. § 1 erhält folgende Fassung:
8. § 11 Abs. 2 erhält folgenden Wortlaut: „§ 1
„(2) Die bei den landwirtschaftlichen Berufs- Voraussetzungen des Anspruchs auf Kindergeld
genossenschaften errichteten Familienausgleichs Kindergeld nach diesem Gesetz erhalten auf
kassen haben die Mittel für ihren Bedarf an Antrag Arbeitnehmer, die drei oder mehr
Kindergeld und Verwaltungskosten nur bis zur Kinder haben, wenn sie nach der Reichsver-
durchschnittlichen Belastung der Beitragspflich- sicherungsordnung bei einer Berufsgenossen-
tigen gemäß § 14 Abs. 3 aufzubringen; die schaft versichert oder nach § 541 Nr. 6 der
übrigen Mittel werden durch Zuschüsse nach Reichsversicherungsordnung versicherungsfrei
§ 14 aufgebracht. Die Vorschriften des Ab- sind."
satzes 1 Satz 2 bis 6 finden Anwendung."
2. In § 2 werden die Absätze 3 und 4 gestrichen.
9. In § 14 Abs. 4 Satz 1 werden die Worte „die für 3. In § 10
die Aufsicht über den Gesamtverband zustän-
dige Stelle (§ 20)" ersetzt durch die Worte „die a) werden in Abs. 1 die Worte „Selbständige
Bundesregierung mit Zustimmung des Bundes- oder mithelfende Familienangehörige" ge-
rates durch Rechtsverordnung". strichen;
10. § 18 erhält folgenden Wortlaut: b) werden in Abs. 2 ,die Worte „Sätze 2 und 4"
ersetzt durch die Worte „Satz 2";
㤠18
c) erhält Abs. 2 Satz 2 folgende Fassung:
Geschäftsführung „Enthält die Satzung einer Berufsgenossen-
(1) Der Geschäftsführer der Familienaus- schaft für die Beiträge der von Hausge-
gleichskasse und, soweit ein solcher erforderlich werbetreibenden hausgewerblich Beschäftig-
ist, dessen Stellvertreter werden vom Vorstand ten eine Bestimmung gemäß § 735 der
der Familienausgleichskasse gewählt. Der Ge- Reichsversicherungsordnung, so gilt das Ent-
schäftsführer führt die laufenden Geschäfte der sprechende auch für die Beiträge zur
Familienausgleichskasse. Die Tätigkeit des Ge- Familienausgleichskasse."
schäftsführers und seines Stellvertreters kann 4. In § 11
nebenamtlich ausgeübt werden.
a) werden im Abs. 1 der zweite, dritte und
(2) Der Geschäftsführer gehört dem Vorstand letzte Satz gestrichen;
mit beratender Stimme an."
b) werden im Abs. 1 Satz 1 nach dem Wort
11. In § 19 Abs. 1 sind die Worte „beim Hauptver- „See-Berufsgenossenschaft" die Worte ange-
band der gewerblichen Berufsgenossenschaften" fügt: „oder bei einer landwirtschaftlichen Be-
zu streichen. rufsgenossenschaft";
12. In § 20 sind die Worte „die nach Bundesrecht c) wird Abs. 2 gestrichen.
für die Aufsicht über bundesunmittelbare ge- 5. In § 14 werden die Absätze 1 und 2 gestrichen.
werbliche Berufsgenossenschaften zuständige Absätze 3 und 4 werden Absätze 1 und 2 und er-
-
Stelle" durch die Worte „der Bundesminister für halten folgende Fassung:
Arbeit" zu ersetzen.
„(1) Führt die Aufbringung der Mittel für den
13. In § 22 Abs. 2 Nr. 5 sind die Worte „und des Bedarf der bei den gewerblichen Berufsgenos-
Geschäftsführers" zu streichen. senschaften oder der See-Berufsgenossenschaft
14. § 23 Abs. 2 Satz 1 und 2 erhalten folgenden oder bei einer landwirtschaftlichen Berufsgenos-
Wortlaut: senschaft errichteten Familienausgleichskassen
zu unzumutbaren Unterschieden der durch-
„(2) Der Vorstand besteht aus zölf von der schnittlichen Belastung der Beitragspflichten bei
Vertreterversammlung zu wählenden Mitglie- den verschiedenen Familienausgleichskassen, so
dern, davon je vier Vertreter der Arbeitgeber hat der Gesamtverband einen angemessenen
und der Versicherten, die Mitglieder des Vor- Ausgleich vorzunehmen.
standes einer bei einem Träger der gesetzlichen
Unfallversicherung gebildeten Familienaus- (2) Kommt eine Regelung im Sinne des Ab-
gleichskasse sein müssen. Zwei Mitglieder müs- satzes 1 nicht zustande, so kann die für die Auf-
sen den Kreisen der landwirtschaftlichen Ar- sicht über den Gesamtverband zuständige Stelle
beitgeber und der landwirtschaftlichen Selbstän- (§ 20) bestimmen
digen ohne fremde Arbeitskräfte, zwei Mitglie- 1. die Voraussetzungen, unter denen ein Unter-
der dem Kreise der landwirtschaftlichen Arbeit- schied in der durchschnittlichen Belastung
nehmer angehören." der bei den gewerblichen Berufsgenossen-
15. § 32 wird gestrichen. schaften, der See-Berufsgenossenschaft und
den landwirtschaftlichen Berufsgenossen-
Bonn, den 8. September 1954 schaften errichteten Familienausgleichskas-
sen als unzumutbar anzusehen ist; dabei
Ollenhauer und Fraktion kann sie die Maßstäbe bestimmen, die für
2136 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

die Feststellung der durchschnittlichen Be- 1. der Vater, wenn Vater und Mutter die An-
lastung zugrunde zu legen sind; spruchsvoraussetzungen erfüllen, es sei denn,
2. die Maßstäbe und die Berechnungsgrund- daß das Sorgerecht für alle Kinder ausschließ-
lagen, nach denen der Ausgleich nach Ab- lich der Mutter zusteht;
satz 1 durchzuführen ist; 2. die Adoptiv- und Pflegeeltern, wenn diese
3. das Verfahren des Ausgleichs nach Absatz 1." neben den leiblichen Eltern \die Anspruchs-
voraussetzungen erfüllen.
6. In § 22 Abs. 1 wird der zweite Satz gestrichen. In den übrigen Fällen hat das Vormundschafts-
7. In § 23 Abs. 2 werden im zweiten Satz die gericht auf Antrag des Jugendamtes oder einer
Worte Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist,
den Berechtigten zu bestimmen. Die Bestim-
„ , der landwirtschaftlichen Selbständigen ohne mung ist so zu treffen, daß sie dem Wohle aller
fremde Arbeitskräfte" gestrichen. beteiligten Kinder am besten entspricht; das
8. § 27 erhält folgende Fassung: Vormundschaftsgericht kann den Anspruch
unter die Berechtigten aufteilen. Das Vormund-
㤠27 schaftsgericht kann ferner anordnen, in welcher
Auszahlung des Kindergeldes Weise das Kindergeld verwendet werden soll.
Nach den gleichen Grundsätzen kann das Vor-
Die Auszahlung des Kindergeldes erfolgt mundschaftsgericht eine von den Nummern 1
durch den Unternehmer. Das Nähere regelt die und 2 abweichende Regelung treffen."
Satzung. Sie kann auch eine abweichende Rege-
lung bestimmen." 3. § 5 Abs. 2 Satz 1 erhält folgende Fassung:
9. In § 35 Abs. 2 wird Nr. 1 gestrichen. .. Sind nach Absatz 1 gleichzeitig mehrere Fa-
milienausgleichskassen zuständig, so ist die
10. In § 36 Abs. 2 erhält der erste Satz folgende jenigFamluschkezrZalngds
Fassung: Kindergeldes verpflichtet, in deren Bereich die
„Die Beiträge sind Betriebsausgaben im Sinne Tätigkeit fällt, aus der der Berechtigte im
des Einkommensteuergesetzes." Jahresdurchschnitt die höchsten Einkünfte be-
zieht."
Bonn, den 23. September 1954 4. § 8 Abs. 2 erhält folgende Fassung:
Dr. Atzenroth „(2) Das Vormundschaftsgericht kann anordnen,
Dr. Dehler und Fraktion daß das Kindergeld an eine andere Person oder
Stelle als den Berechtigten ausgezahlt wird,
Dr. Elbrächter wenn das Wohl der Kinder dies erfordert; die
Dr. von Merkatz und Fraktion bestimmte Person oder Stelle kann den Antrag
gemäß § 1 stellen. Bei der Entscheidung sind
die Grundsätze des § 3 Abs. 1 Sätze 4 und 5
maßgeblich. Das Vormundschaftsgericht soll vor
Anlage 3 Umdruck 148 seiner Entscheidung das Jugendamt hören."
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU 5. In § 10 Abs. 2 werden zwischen den Worten
zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes . „Beitragspflicht" und „befreit" die Worte: „für
über die Gewährung von Kindergeld und die Er- ihre Bediensteten" eingefügt.
richtung von Familienausgleichskassen (Kinder- 6. § 14 Abs. 3 und 4 erhalten folgende Fassung:
geldgesetz) (Drucksachen 708, zu 708, 318, 319).
„(3) Der Gesamtverband hat einen angemesse-
Der Bundestag wolle beschließen: - nen Ausgleich durchzuführen
1. § 2 Abs. 4 erhält folgende Fassung: 1. zwischen den bei den gewerblichen Berufs-
„(4) Als mithelfende Familienangehörige im genossenschaften und der See-Berufsgenos-
Sinne dieses Gesetzes gelten, wenn sie im Unter- senschaft errichteten Familienausgleichskas-
nehmen des Selbständigen oder Heimarbeiters sen, wenn die Aufbringung der Mittel zu un-
ständig, ähnlich wie Arbeitnehmer, mitarbeiten, zumutbaren Unterschieden der durchschnitt-
lichen Belastung der Beitragspflichtigen in
1. die Ehegatten der Selbständigen oder Heim- den einzelnen Familienausgleichskassen führt;
arbeiter;
2. zwischen den bei den landwirtschaftlichen
2. Personen, die mit den Selbständigen oder Berufsgenossenschaften errichteten Familien-
Heimarbeitern oder deren Ehegatten bis zum ausgleichskassen, wenn die Aufbringung der
dritten Grade verwandt oder verschwägert Mittel zu unzumutbaren Unterschieden der
oder von ihnen an Kindes Statt angenommen durchschnittlichen Belastung der Beitrags-
sind; pflichtigen bei den einzelnen Familienaus-
3. uneheliche Kinder, Pflegekinder, Mündel und gleichskassen führt.
Fürsorgezöglinge der Selbständigen oder der Bei der Beurteilung der durchschnittlichen Be-
Heimarbeiter oder deren Ehegatten." lastung und bei dem Ausgleich bleiben die Ver-
2. § 3 Abs. 1 erhält folgende Fassung: waltungskosten außer Betracht.
„(1) Für jedes Kind wird nur ein Kindergeld (4) Die Bundesregierung kann mit Zustimmung
nach diesem Gesetz gewährt. Erfüllen mehrere des Bundesrates durch Rechtsverordnung be-
Personen für das gleiche Kind die Anspruchs- stimmen
voraussetzungen nach den §§ 1 und 2, so hat den 1. die Maßstäbe und die Berechnungsgrundlagen
Kindergeldanspruch für die Zuschüsse nach Absatz 1 und für
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2137

deren Umlegung auf die bei den gewerb- lung des Kindergeldes treten am 1. Januar 1955,
lichen Berufsgenossenschaften und der See- die übrigen Vorschriften des Gesetzes am Tage
Berufsgenossenschaft errichteten Familien- nach seiner Verkündung in Kraft."
ausgleichskassen;
2. die Voraussetzungen, unter denen ein Unter- Bonn, den 21. September 1954
schied in der durchschnittlichen Belastung der
Familienausgleichskassen als unzumutbar Dr. von Brentano und Fraktion
anzusehen ist; dabei kann sie die Maßstäbe
bestimmen, die für die Feststellung der durch-
schnittlichen Belastung zugrunde zu legen
sind; Umdruck 156
Anlage 4
3. die Maßstäbe und die Berechnungsgrund-
lagen, nach denen der Ausgleich nach Ab- Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur
satz 3 durchzuführen ist; zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
4. das Verfahren der Umlage nach Absatz 2 die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung
und des Ausgleichs nach Absatz 3." von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz)

7. In § 23 wird Abs. 3 durch die folgenden Ab- (Drucksachen 708, zu 708, 318 319)
sätze 3 bis 5 ersetzt: Der Bundestag wolle beschließen:
„(3) der Vorstand hat die Zuschüsse, die nach 1. In § 2 Abs. 2 sind im ersten Satz die Worte
§ 14 Abs. 1 und 2 von den bei den gewerblichen ", und zwar auch während Zeiten der Unter-
Berufsgenossenschaften sowie bei der See- brechung des Beschäftigtenverhältnisses infolge
Berufsgenossenschaft errichteten Familienaus- Streiks oder Aussperrung" zu streichen.
gleichskassen aufzubringen sind, sowie die Auf-
wendungen des Gesamtverbandes auf die ge- 2. Dem § 3 wird folgender Absatz 3 angefügt:
nannten Kassen umzulegen und von ihnen zu „(3) Werden im Rahmen anderer gesetzlicher
erheben. Er hat weiter erforderlichenfalls den Bestimmungen für das dritte Kind und weitere
Ausgleich nach § 14 Abs. 3 durchzuführen. Kinder Kindergelder gewährt, so sind diese auf
(4) In den Fällen des § 14 Abs. 2 und 3 Nr. 1 die Kindergelder nach diesem Gesetz anzu-
sowie bei der Umlegung der Aufwendungen rechnen."
des Gesamtverbandes wirken die aus den Krei-
sen der Landwirtschaft gewählten Vorstands- 3. § 13 erhält folgende Fassung:
mitglieder nicht mit. 㤠13
(5) Im Falle des § 14 Abs. 3 Nr. 2 entscheiden
die aus den Kreisen der Landwirtschaft ge- Verwaltungskosten
wählten Vorstandsmitglieder allein unter Hin- Verwaltungskosten, die einer Berufsgenossen-
zuziehung der aus den Kreisen der Landwirt- schaft auf Grund dieses Gesetzes entstehen,
schaft gewählten stellvertretenden Vorstands- sind ihr von der bei ihr errichteten Familien-
mitglieder, die in diesem Falle die Rechte und ausgleichskasse zu erstatten."
Pflichten von Vorstandsmitgliedern haben."
In § 37 Abs. 2 werden die Worte „spätestens
8. § 26 erhält folgende Fassung: zum 1. Oktober 1955" gestrichen und ersetzt
„§ 26 durch die Worte „zum Inkrafttreten dieses
Gesetzes".
Bescheid
Wird der Antrag ganz oder zum Teil abgelehnt Bonn, den 23. September 1954
oder das Kindergeld entzogen oder die Zahlung
- Dr. Atzenroth
eingestellt, so ist von dem Vorstand der Fami-
lienausgleichskasse ein schriftlicher Bescheid zu Dr. Dehler und Fraktion
erteilen. Der Vorstand kann dem Geschäfts-
führer das Recht übertragen, den Bescheid zu
erteilen. Der Bescheid hat eine Begründung und
eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten."
Anlage 5 Umdruck 155
9. In § 29 wird das Wort „gewerblichen" ge- Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU
strichen. zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
10. Es wird ein neuer § 38 a eingefügt: über die Gewährung von Kindergeld und die Er-
richtung von Familienausgleichskassen (Kindergeld-
㤠38 a gesetz)
Aufhebung eines Gesetzes (Drucksachen 708, zu 708, 318, 319)
Das Gesetz über die steuerliche und sozialver- Der Bundestag wolle beschließen:
sicherungsrechtliche Behandlung von Kinder-
geld vom 12. August 1954 (Bundesgesetzbl. I 1. In § 2 Abs. 2 werden die Worte: ", und zwar
S. 257) tritt am 31. Dezember 1954 außer Kraft." auch während der Zeiten der Unterbrechung des
Arbeitsverhältnisses infolge Streiks oder Aus-
11. § 39 erhält folgenden Wortlaut: sperrung" gestrichen.
„§ 39 2. § 4 erhält zusätzlich folgenden Absatz 6:
Inkrafttreten „(6) Arbeitnehmer, die nach einer Unterbre-
Die Vorschriften über die Aufbringung der chung ihres Beschäftigungsverhältnisses von
Mittel, die Anspruchsberechtigung und die Zah weniger als drei Monaten ihre Tätigkeit wieder-
2138 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

aufnehmen, erhalten Kindergeld für die Dauer keinem angemessenen Verhältnis zu den Kosten
der Unterbrechung, soweit sie nicht während der Beitragseinziehung stehen würde. Das Nä-
dieser Zeit Leistungen für Kinder auf Grund here über die Berechnung der Beiträge und die
anderer gesetzlicher Regelungen erhalten Befreiung von der Beitragspflicht bestimmt die
haben." Satzung.
(2) Jede bei einer landwirtschaftlichen Berufs-
3. § 11 erhält folgende Fassung: genossenschaft errichtete Familienausgleichs-
„§ 11 kasse hat ein Drittel der für ihren Bedarf an
Kindergeld erforderlichen Mittel sowie die Ver-
Aufbringung und Höhe der Beiträge waltungskosten durch Beiträge der nach § 10
zur Zahlung der Beiträge Verpflichteten aufzu-
(1) Durch die Beiträge sind die Mittel für den bringen; die übrigen Mittel werden durch die
Bedarf der bei einer gewerblichen Berufs- Zuschüsse nach § 14 aufgebracht. Ober die Be-
genossenschaft oder bei der See-Berufsgenossen- rechnung der Beiträge bestimmt die Satzung
schaft errichteten Familienausgleichskassen und das Nähere.
für den auf sie entfallenden Anteil an dem Be-
darf des Gesamtverbandes unter Berücksichti- (3) Gehören Selbständige mehreren Familien-
gung der Vorschriften des § 14 aufzubringen. ausgleichskassen an, so haben sie Beiträge für
Beitragsfrei sind Selbständige, bei denen der ihre Person nur an die Familienausgleichskasse
Gesamtbetrag der Einkünfte 4800 Deutsche zu zahlen, die nach § 5 Abs. 1 zur Zahlung des
Mark jährlich nicht übersteigt. Die Satzung Kindergeldes an sie verpflichtet ist oder wäre,
kann hiervon abweichende Bestimmungen tref- wenn die Selbständigen drei oder mehr Kinder
fen mit der Maßgabe, daß der Beitrag dieser hätten. Die Pflicht zur Beitragsleistung an Fa-
Selbständigen 0,5 v. H. des um die im Einkom- milienausgleichskassen, die bei landwirtschaft-
mensteuergesetz festgelegten Freibeträge für lichen Berufsgenossenschaften errichtet sind,
Frau und Kinder ermäßigten Gesamteinkom- bleibt jedoch in jedem Falle unberührt."
mens nicht übersteigt. Die Satzung kann weitere
Gruppen von Beitragspflichtigen von der Bei- Bonn, den 22. September 1954
tragspflicht befreien, wenn das von diesen
Gruppen zu erwartende Beitragsaufkommen in Dr. von Brentano und Fraktion
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2139

Anlage 6
Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für Sozialpolitik (28. Ausschuß)
(zu Drucksache 708)
über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die

Gewährung von Kinderbeihilfen (Kinderbeihilfegesetz)


(Drucksache 318)
und den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die

Gewährung von Kindergeld und die Einrichtung von Familienausgleichskassen


(Drucksache 319)
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jentzsch

I. Allgemeines Der im Ausschuß für Sozialpolitik nach acht


Die Frage des Ausgleichs der besonderen Lasten, Sitzungen erarbeitete Entwurf eines Kindergeld-
die eine kinderreiche Familie zu tragen hat, gesetzes — Drucksache 708 — soll die erste Maß-
beschäftigte bereits seit 1950 den 1. Deutschen nahme zur Besserstellung von Familien mit drei
Bundestag. Die Anträge der SPD — Drucksache und mehr Kindern durch Gewährung von Kinder-
Nr. 774 —, der CDU/CSU — Drucksache Nr. 2427 — geld sein.
und des Zentrums — Drucksache Nr. 740 — waren Der Antrag der Fraktion der SPD, das Kinder-
Gegenstand eingehender Beratungen des damali- geld bereits den zweiten Kindern zu gewähren,
gen Ausschusses für Sozialpolitik. Dieser Ausschuß wurde von der Mehrheit des Ausschusses abge-
konnte jedoch dem Bundestag keinen Gesetz- lehnt, da ihr die hierdurch eintretende hohe finan-
entwurf zur Verabschiedung vorlegen. Schwierig- zielle Belastung der Wirtschaft nicht tragbar er-
keiten bot vor allem die Lösung der Frage, wer schien. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß es
Träger des Familienlastenausgleichs sein sollte. Aufgabe der Sozialpartner sei, darauf hinzuwir-
Während sich die Fraktion der SPD für eine ken, daß die Leistungslöhne für eine Familie mit
Lösung durch den Staat einsetzte, trat vor allem zwei Kindern ausreichend bemessen werden.
die Fraktion der CDU/CSU für eine Regelung ein, Das Gesetz findet nicht auf alle Personen An-
durch die als Träger des Familienlastenausgleichs wendung, sondern beschränkt sich auf Arbeit-
bereits vorhandene Selbstverwaltungseinrichtun- nehmer, Selbständige und mithelfende Familien-
gen der Sozialversicherung dienen sollten. Eine Eini- angehörige (§ 1). Die Hereinnahme der Selbständi-
gung mit der Opposition stand damals in greif- gen und mithelfenden Familienangehörigen in den
barer Nähe, als diese ihre Forderung nach einer Kreis der Begünstigten wurde im Ausschuß kriti-
Kinderbeihilfe mit staatlichen Mitteln fallen ließ siert. Eine Beschränkung auf in der Wirtschaft
und einer Beihilfenregelung, die sich einer Selbst- tätige Arbeitnehmer lehnte der Ausschuß jedoch
hilfeeinrichtung der Wirtschaft, einer allgemeinen mit Mehrheit ab.
Familienlastenausgleichskasse, bedienen sollte, zu-
stimmte. Die Einigung scheiterte jedoch zuletzt Die in § 1 aufgezählten Personen müssen nach
daran, daß eine Übereinstimmung der Ansichten der Reichsversicherungsordnung bei einer Berufs-
der Opposition mit denen der Koalition über die genossenschaft versichert sein oder sich versichern
zu schaffende Organisation nicht herbeigeführt können oder Personen sein, die nach § 541 Nrn. 5
werden konnte. und 6 der Reichsversicherungsordnung versiche-
rungsfrei sind, das sind die sogenannten freien
Dem 2. Deutschen Bundestag sind inzwischen Berufe (Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Zahnärzte,
zwei neue Gesetzentwürfe vorgelegt worden, in Dentisten, Apotheker und Heilpraktiker bei ihrer
denen die SPD mit der Drucksache 318 und die freiberuflichen Tätigkeit sowie Anwalts- und No-
CDU/CSU mit der Drucksache 319 das Problem tarassessoren bei ihrer beruflichen Tätigkeit). Da-
des Familienlastenausgleichs wiederaufgreifen. mit gehören nicht zum Kreise der Berechtigten die
Beide Entwürfe sind nach der am 1. April 1954 im bei der Besatzungsmacht tätigen Mannschaften der
Plenum erfolgten ersten Beratung dem Ausschuß Deutschen Dienstorganisation (DDO) sowie die
für Sozialpolitik zur weiteren Beratung und Be- Zivilarbeiter bei der Besatzungsmacht. Diese Per-
schlußfassung überwiesen worden. sonenkreise sind nicht bei den Berufsgenossen-
Sowohl die SPD als auch die CDU/CSU haben schaften, sondern meistens bei einer Ausführungs-
in ihren neuen Entwürfen — Drucksachen 318 und behörde für Unfallversicherung versichert. Es liegt
319 — ihre ursprüngliche Konzeption kaum ver- jedoch eine Erklärung des Bundesministeriums der
ändert, so daß sich der Ausschuß zunächst ent- Finanzen vor, nach der auf Grund einer noch abzu-
scheiden mußte, welchem Entwurf er den Vorrang schließenden Vereinbarung mit der Besatzungs-
geben wollte, wenn er nicht, wie in der 1. Wahl- macht die Angehörigen der DDO und die Zivil-
periode, wiederum in eine Sackgasse geraten arbeiter die gleichen Leistungen für Kinder erhal-
wollte. Er beschloß mit Mehrheit, die Vorlage der ten sollen wie die nach dem Kindergeldgesetz
CDU/CSU — Drucksache 319 — als Beratungs- Berechtigten.
grundlage zu nehmen. Diese Vorlage sieht eine Die im öffentlichen Dienst Beschäftigten sind
Lösung des Familienlastenausgleichs über Fami- anspruchsberechtigt, wenn sie bei einer Berufs-
lienausgleichskassen vor, die bei allen Berufsge- genossenschaft gegen Unfall versichert sind und
nossenschaften errichtet werden. nicht bereits auf Grund ihres Beschäftigungs-
2140 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Jentzsch)
verhältnisses ein Kindergeld in der Höhe des in schluß bekundet, diese vorerwähnten, unberück
diesem Gesetz vorgesehenen erhalten. Der Kreis sichtigt gebliebenen Gruppen möglichst zum glei-
solcher Berechtigter ist allerdings klein, da die chen Zeitpunkt mit dem Inkrafttreten dieses
große Masse der im öffentlichen Dienst Beschäftig- Gesetzes in gleicher Weise durch Sonderregelungen
ten nicht bei einer Berufsgenossenschaft gegen mitzuerfassen.
Unfall versichert ist. Maßgebend für die Nicht-
berücksichtigung dieser großen Masse der Arbeit- Der Begriff der Kinder im Sinne des Gesetzes
nehmer des öffentlichen Dienstes war die Tatsache, deckt sich im wesentlichen mit dem Begriff der
daß sie ohnehin zum ganz überwiegenden Teil Kinder im Einkommensteuerrecht; es sind dies
bereits Kindergeld, und zwar bereits vom ersten die Kinder, für die eine Steuerermäßigung zusteht
Kind an, auf Grund der für sie geltenden tariflichen oder gewährt wird (§ 2 Abs. 1). Lediglich der Be-
Bestimmungen erhalten. Der Kreis derer, die griff des Pflegekindes ist gegenüber den Vorschrif-
weder bei einer Berufsgenossenschaft versichert ten des Einkommensteuerrechts erweitert, indem
sind noch Kindergeld nach den Regelungen des als Pflegekinder im Sinne des Kindergeldgesetzes
öffentlichen Dienstes erhalten, ist allerdings nicht auch die Kinder als Pflegekinder gelten, die von
ganz unbeträchtlich. Es handelt sich hier um ge- Großeltern oder Geschwistern versorgt werden.
wisse Gruppen von Arbeitnehmern des öffentlichen Das Kindergeldgesetz enthält genaue Begriffs-
Dienstes, z. B. Forstarbeiter in Bayern und bestimmungen darüber, wer als Arbeitnehmer,
im Gebiet der ehemaligen Länder Württem- Selbständiger und mithelfender Familienangehöri-
berg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, die ger anzusehen ist (§ 2 Abs. 2 bis 4). Das Gesetz
z. T. Saisonarbeiter sind, ferner Personen, die bestimmt ausdrücklich, daß die Arbeitnehmer-
im öffentlichen Dienst nebenberuflich beschäftigt eigenschaft auch während Zeiten der Unterbrechung
sind wie Posthalter, Feldhüter, Gemeindediener, des Beschäftigungsverhältnisses infolge Streiks
Beamte auf Gebühren wie Gerichtsvollzieher, im oder Aussperrung bestehenbleibt (§ 2 Abs. 2
öffentlichen Dienst auf Pauschal- oder Sonder- Satz 1). Gegen diese Vorschrift sind gewichtige
vertrag Angestellte wie Schauspieler oder andere Bedenken erhoben worden, da sie einen Bruch mit
Künstler. dem bisher im Arbeitsrecht geltenden Grundsatz
Der Ausschuß hat nur deswegen auf die Einbe- der Neutralität von Staat und gesetzgeberischen
ziehung dieser Gruppen verzichtet, weil sonst ein Maßnahmen gegenüber Arbeitskämpfen bedeute.
erheblicher zusätzlicher Verwaltungsapparat not- Die Mehrheit des Ausschusses hat diese Bedenken
wendig geworden wäre. Dies war um so weniger unberücksichtigt gelassen.
zu verantworten, als der Ausschuß vom öffent-
lichen Dienst erwarten zu können glaubt, daß er Grundsätzlich wird nach diesem Gesetz nur ein
auch für diese Restgruppen eine dem vorliegenden Kindergeld gewährt (§ 3 Abs. 1 Satz 1). Sind
Entwurf entsprechende Regelung treffen wird. mehrere Personen für das gleiche Kind berechtigt,
so ist das Kindergeld an den Vater zu zahlen, wenn
Zum Kreis der Berechtigten gehören ferner nicht Vater und Mutter berechtigt sind; steht der Mutter
die in häuslichen Diensten stehenden Beschäftig- jedoch das Sorgerecht für alle Kinder ausschließlich
ten, da auch sie nicht bei einer Berufsgenossen- zu, so ist diese allein berechtigt. Sind Adoptiv- oder
schaft, sondern bei den Trägern gemeindlicher Un- Pflegeeltern neben den leiblichen Eltern berechtigt,
fallversicherung versichert sind. Diese Regelung so ist das Kindergeld an die Adoptiv- und Pflege-
dürfte nur für sehr wenige Hausgehilfinnen eine eltern zu zahlen. In allen übrigen Fällen wird der
Härte bedeuten, da sie im allgemeinen kaum drei Berechtigte vom Vormundschaftsgericht bestimmt;
und mehr Kinder haben werden. Anders ist jedoch dieses kann auch andere Personen als die leiblichen
die Lage für andere im häuslichen Dienst tätige Eltern, die Adoptiv- oder Pflegeeltern als Berech-
Personen, etwa Witwen, die drei und mehr Kinder tigte bestimmen, wenn das Wohl der Kinder dies
haben, für diese aber keine Leistungen für Kinder erfordert (§ 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3).
erhalten und, da sie nicht bei einer Beruf sgenossen-
schaft versichert sind, kein Kindergeld nach- diesem Das Kindergeld wird nur auf Antrag gewährt.
Gesetz erhalten. Der Ausschuß erhöhte trotz geäußerter Bedenken
Auch die selbständigen Berufslosen haben keinen den in Drucksache 319 vorgesehenen Satz von
Anspruch nach diesem Gesetz. Die amtliche Volks- 20 Deutsche Mark auf 25 Deutsche Mark monatlich.
zählung vom 13. Mai 1950 in der Bundesrepublik Dieser Betrag wird jeweils für das dritte und jedes
einschließlich Westberlin weist die Zahl der Dritt- weitere Kind nachträglich gewährt (§ 4 Abs. 1
und Mehrkinder bis zu 25 Jahren in solchen Haus- und 4). Die Anregung der SPD, Blinden Kindergeld
haltungen mit 286 800 aus. bereits vom ersten Kind ab zu gewähren, wurde
Der Ausschuß hat gründliche Überlegungen an- abgelehnt; der Ausschuß hält ein derartige Sonder-
gestellt, ob es nicht möglich sei, die von der regelung in diesem Gesetz nicht für angezeigt.
Kindergeldregelung nicht erfaßten Personen, die Schuldner des Kindergeldes ist die Familien-
im Erwerbsleben stehen, auch noch einzubeziehen. ausgleichskasse, und zwar diejenige , Familienaus-
Er hat den Änderungsantrag der SPD, nach dem gleichskasse, der der Berechtigte in dem jeweiligen
alle Personen einzubeziehen sind, die bei einem Monat zuletzt angehört hat oder angehört hätte,
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung — also wenn er versichert gewesen wäre (§ 5 Abs. 1
nicht nur bei den Berufsgenossenschaften — ver- Satz 1). Sind für einen Berechtigten mehrere Fa-
sichert sind oder sich versichern können, abgelehnt. milienausgleichskassen zuständig, ist er beispiels-
Eine Ausdehnung der Regelung auf diese Kreise weise Arbeitnehmer in der gewerblichen Wirt-
hätte ein Verwaltungssystem erfordert, das in schaft und betreibt er gleichzeitig einen landwirt-
keinmVrhältszud überagn schaftlichen Betrieb als Selbständiger oder übt er
Aufgaben stehen würde. gleichzeitig andere selbständige Berufe nebenein-
Da weiterhin die Arbeitslosen nach der Kon- ander aus, so ist diejenige Familienausgleichskasse
struktion dieses Gesetzes unberücksichtigt bleiben zur Zahlung des Kindergeldes verpflichtet, in deren
müssen, hat der Ausschuß einhellig seinen Ent- Bereich die Tätigkeit fällt, aus der der Berechtigte
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2141
(Dr. Jentzsch)
die höchsten Einkünfte bezieht (§ 5 Abs. 2 Satz 1). des Kindergeldes an die Anstalt möglich. Hat der
Damit dem Berechtigten aus Kompetenzstreitig- Berechtigte für die Kinder eine größere Anschaf-
keiten der Familienausgleichskassen untereinander fung, z. B. Betten, Schränke getätigt, so kann das
keine Nachteile entstehen, ist die Familienaus- Vormundschaftsgericht gegeb enenfalls anordnen,
gleichskasse, bei der der Antrag auf Kindergeld daß das Kindergeld bis zur Erfüllung der Kauf-
zuerst gestellt worden ist, zur vorläufigen Zahlung verpflichtungen unmittelbar an die Lieferfirma ge-
des Kindergeldes verpflichtet (§ 5 Abs. 2 Satz 2). zahlt wird.
Können sich die für den Berechtigten zuständigen Die Durchführung des Gesetzes erfordert erheb-
Familienausgleichskassen nicht einigen, so sind für liche Mittel. Nach Schätzungen des Bundesmini-
das Leistungsstreitverfahren die Gerichte der So- steriums für Arbeit setzen sich die Gesamtauf-
zialgerichtsbarkeit zuständig (§ 28 Abs. 1). wendungen für die nach diesem Gesetz Berechtig-
Das Gesetz enthält in § 6 Vorschriften über das ten einschließlich 5 v. H. Verwaltungskosten wie
Recht der Familienausgleichskasse, jederzeit zu folgt zusammen:
prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung
des Kindergeldes erfüllt sind. Unternehmer und A. für die Landwirtschaft
Berechtigte sind zur Auskunft verpflichtet und 1. Selbständige 102 133 000,— DM
handeln ordnungswidrig, falls sie ihrer Auskunfts-
pflicht nicht genügen (§ 30 Abs. i Nr. 1). Berechtig- 2. mithelfende Familienan-
gehörige 763 000,— DM
ten, die sich der Nachprüfung entziehen, kann die
Familienausgleichskasse das Kindergeld versagen 3. Arbeiter 25 613 000,— DM
(§ 6 Abs. 2). Fallen die Voraussetzungen für den 4. Angestellte 1 716 000,— DM
Anspruch auf Kindergeld weg, so ist der bisher
Berechtigte zur Anzeige an die Familienausgleichs- 130 225 000,— DM
kasse verpflichtet (§ 6 Abs. 3); Unterlassung der
Anzeige ist gleichfalls eine Ordnungswidrigkeit B. für die übrige Wirtschaft
(§ 30 Abs. 1 Nr. 2). 1. Arbeiter 174 714 000,— DM
Über das Zusammentreffen des Kindergeldes mit 2. Angestellte 37 751 000,— DM
Leistungen für Kinder auf Grund eines Arbeits- 3. Selbständige 73 597 000,— DM
verhältnisses bestimmt das Gesetz in § 7 folgendes: 4. mithelfende Familienan-
Berechtigte, die bei Inkrafttreten des Kindergeld- gehörige 509 000,— DM
gesetzes aus dem ihrer Beschäftigung zu Grunde
liegenden Rechtsverhältnis für Kinder bereits 286 772 000,— DM
Leistungen erhalten, haben für die Geltungsdauer
der Regelung, auf der diese Leistungen beruhen, In den vorstehenden Beträgen sind Aufwendun-
Anspruch auf Weiterzahlung dieser Leistungen gen für Arbeitslose in Höhe von 34 260 000,— DM
neben dem Kindergeld (§ 7 Abs. 1). Der Verpflich- enthalten. Diese Summe ist von dem Gesamtauf-
tete und, falls ein Tarifvertrag vorliegt, jede Tarif- kommen abzuziehen, da die Arbeitslosen in ande-
vertragspartei können sich jedoch von dieser Rege- rer Weise berücksichtigt werden sollen.
lung lossagen (§ 7 Abs. 2 und 3). Hat der Verpflich- Die Aufbringung der Mittel erfolgt durch Bei-
tete höhere Leistungen als 25 DM monatlich ge- träge (§ 9). Beitragspflichtig ist, wer für Arbeit-
währt, so hat er in allen Fällen für die Dauer der nehmer, Selbständige oder mithelfende Familien-
Geltung der verpflichtenden Regelung den Unter- angehörige Beiträge zu den Berufsgenossenschaf-
schiedsbetrag zwischen diesen höheren Leistungen ten nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungs-
und dem Kindergeld weiterzugewähren (§ 7 Abs. 4). ordnung aufzubringen hat oder hätte, wenn diese
Dem Antrag der Fraktion der SPD, den § 7 zu Personen versichert wären (§ 10 Abs. 1). Zum
streichen, hat der Ausschuß nicht entsprochen. Er Kreise der Beitragspflichtigen gehören also die
glaubt, den Unternehmern und auch der anderen Unternehmer. Unternehmer eines Betriebes oder
Tarifvertragspartei in den Fällen, in denen bereits einer Tätigkeit ist derjenige, für dessen Rechnung
Leistungen für Kinder gewährt wurden, die Mög- der Betrieb oder die Tätigkeit geht (§ 633 Abs. 1
lichkeit geben zu müssen, sich von ihren bisherigen RVO), das sind im wesentlichen alle Arbeitgeber
Vereinbarungen zu lösen, ohne daß damit eine Auf- und die selbständigen Erwerbspersonen.
hebung des ganzen der Beschäftung zugrunde Der Bund, die Länder, die Gemeinden und son-
liegenden Rechtsverhältnisses notwendig ist. Eine stigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen
Streichung der Vorschrift würde nach Ansicht der des öffentlichen Rechts sind von der Beitragspflicht
Koalition den Arbeitgebern den Anreiz nehmen, für ihre Bediensteten insoweit befreit, als sie diesen
freiwillig soziale Leistungen zu gewähren, da sie Kinderzuschläge in Höhe des Kindergeldgesetzes
befürchten müßten, später durch Gesetz für dau- zahlen (§ 10 Abs. 2 Satz 1). Bestimmt die Satzung
ernd zu höheren Leistungen verpflichtet zu werden. der Berufsgenossenschaft, daß der Auftraggeber
Die Vorschrift, daß der Anspruch auf Kindergeld des Hausgewerbetreibenden die Beiträge zur Be-
nicht übertragbar ist (§ 8 Abs. 1), also weder abge- rufsgenossenschaft für dessen hausgewerbliche Be-
treten noch verpfändet noch gepfändet werden schäftigte, und wenn der Hausgewerbetreibende
kann, soll gewährleisten, daß das Kindergeld vor selbst nach der Satzung versichert ist, auch für ihn
dem Zugriff Dritter im Interesse der Kinder ge- zu zahlen hat, so ist der Auftraggeber auch zur
schützt ist. Lediglich wenn es das Wohl der Kin- Leistung der Beiträge zur Familienausgleichskasse
der erfordert, kann das Vormundschaftsgericht an- verpflichtet und damit der Hausgewerbetreibende
ordnen, daß das Kindergeld an eine andere Person von der Beitragspflicht befreit (§ 10 Abs. 2 Satz 2).
oder Stelle ausgezahlt wird (§ 8 Abs. 2). Nach die- Endlich sind von der Beitragspflicht Unternehmer
ser Vorschrift ist es möglich, daß das Kindergeld befreit, die Leistungen an Einrichtungen einer
bei volljährigen Kindern diesen unmittelbar aus- Wirtschafts- oder Berufsgruppe bewirken, die dem
gezahlt wird. Ist das Kind in einer Anstalt unter- Ausgleich der Familienlast ihrer Beschäftigten
gebracht, so wäre die Anordnung der Auszahlung dienen, falls diese Leistungen von der Familien-
2142 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Jentzsch)
ausgleichskasse als Leistungen im Sinne dieses genossenschaften geltenden Vorschriften des Drit-
Gesetzes anerkannt sind (§ 10 Abs. 3, § 32 Abs. 3). ten Buches der Reichsversicherungsordnung (§ 11
Für die Beitragspflichtigen besteht, soweit sie Abs. 1 Satz 6) anzuwenden. Selbständige, die
nicht beitragszahlendes Mitglied einer Berufs- mehreren Familienausgleichskassen angehören, die
genossenschaft sind, zu ihrer Erfassung eine beispielsweise Gastwirt und Handwerker sind,
Meldepflicht (§ 10 Abs. 4). Wer sich nicht meldet, haben die Beiträge für ihre Person nur an die
handelt ordnungswidrig (§ 30 Abs. 1 Nr. 1). Familienausgleichskasse zu zahlen, die bei der Be-
rufsgenossenschaft errichtet ist, in deren Bereich
Durch die Beiträge sind die Mittel für den Be- die Tätigkeit fällt, aus der sie die höchsten Ein-
darf der gewerblichen und der See-Familienaus- künfte beziehen (§ 11 Abs. 1, § 5 Abs. 1).
gleichskassen sowie für den auf sie entfallenden
Anteil an dem Bedarf des Gesamtverbandes aufzu- Während die bei einer gewerblichen Berufs-
bringen (§ 11 Abs. 1 Satz 1). genossenschaft oder bei der See-Berufsgenossen-
Für die Erhebung von Beiträgen und Vorschüs- schaft errichteten Familienausgleichskassen die ge-
sen sind die für die Berufsgenossenschaften gelten- samten Mittel für ihren eigenen Bedarf sowie für
den Vorschriften maßgebend (§ 11 Abs. 1 Satz 6). den auf sie entfallenden Anteil an dem Bedarf des
Die Beitragsbemessungsgrundlagen einer Berufs- Gesamtverbandes aufzubringen haben, hat jede bei
genossenschaft und die einer bei ihr versicherten einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft er-
Familienausgleichskasse brauchen nicht die glei- richtete Familienausgleichskasse lediglich ein
Dr ittel der für ihren Bedarf an Kindergeld er-
chen zu sein; es genügt, wenn sie lediglich einer
forderlichen Mittel sowie ihre gesamten Ver
der für die betreffende Berufsgenossenschaft vor- waltungskosten durch Beiträge der zu den landwirt-
geschriebenen Bemessungsgrundlage entsprechen.
schaftlichen Berufsgenossenschaften Beitragspflich-
Es kann daher Beitragsbemessungsgrundlage für
tigen aufzubringen (§ 11 Abs. 2 Satz 1). Die fehlen-
die Berufsgenossenschaft die Lohnsumme sein,
den zwei Dr ittel werden durch Zuschüsse
während Beitragsbemessungsgrundlage für die bei
ihr errichtete Familienausgleichskasse die Kopfzahl aufgebracht, auf die weiter unten eingegangen wird
(§ 11 Abs. 2 Satz 2). Diese Sonderregelung er-
der von ihr erfaßten Personen sein kann. Für
Selbständige, deren Einkommen den Betrag von folgte, um die kinderreiche Landwirtschaft hin-
sichtlich des Aufbringungssolls zu entlasten. Es
3 600 DM im Jahre nicht übersteigt, ist Beitrags- wurde dabei auch berücksichtigt, daß die Land-
freiheit bestimmt (§ 11 Abs. 1 Satz 2). Durch diese wirtschaft wegen der Abwanderung vieler Dritt-
Vorschrift, deren Satz die SPD auf 4800 DM aus-
und Mehrkinder in die gewerbliche Wirt-
dehnen wollte, soll vor allem der gewerbliche
schaft diese bevorzugte Behandlung verdiene. Auch
Mittelstand geschützt werden, dessen Einkünfte in
vielen Fällen unter dem Durchschnittseinkommen für die zu den landwirtschaftlichen Familienaus-
der Arbeitnehmer liegen. gleichskassen herangezogenen Beitragspflichtigen
gilt die Befreiung von der Beitragspflicht für
Im Zusammenhang mit den Erörterungen über Selbständige, falls ihr Einkommen den Betrag von
Beitragsbefreiungen wurde angeregt, auch die Per- 3 600 DM im Jahr nicht übersteigt (§ 11 Abs. 2
sonen von der Beitragszahlung freizustellen, die Satz 3). Unter den gleichen Voraussetzungen wie
bereits eine bestimmte Anzahl Kinder großgezogen die bei den gewerblichen sowie bei der See-Berufs-
haben. Der Ausschuß glaubte jedoch, wenn er auch genossenschaft errichteten Familienausgleichskassen
für diese Anregung Verständnis hatte, einer solchen können die landwirtschaftlichen Familienaus-
Regelung nicht zustimmen zu können. Er fürchtete, gleichskassen Gruppen von Beitragspflichtigen von
daß damit eine nicht unerhebliche Mehrbelastung der Beitragspflicht befreien (§ 11 Abs. 2 Satz 3).
der Wirtschaft eintreten werde und daß eine der- Gegen diese Vorschriften werden im Hinblick auf
artige Beitragsbefreiung erhebliche Verwaltungs- die besondere Eigenart der Beitragsbemessung in
mehrarbeit erfordern werde. Für Beitragsleistun- der Landwirtschaft, die nicht auf dem Einkommen
gen, zu denen die Selbständigen im Hinblick auf beruht, sondern nach dem Wagnis abgestuft ist,
die Beschäftigung von Arbeitnehmern und - mit- das die Versicherung des Betriebes für die Berufs-
helfenden Familienangehörigen herangezogen wer- genossenschaft bietet, starke Bedenken erhoben.
den, besteht keine Beitragsbefreiungsmöglichkeit Man ist der Ansicht, daß diese Beitragsbefreiungs-
(§ 11 Abs. 1 Satz 3). Gegen die obligatorische vorschriften für die Landwirtschaft nicht anwend-
Beitragsbefreiung werden seitens einzelner Berufs- bar seien.
genossenschaften Bedenken erhoben; sie halten eine
„Soll"-Bestimmung als für sie elastischer und er- Die Familienausgleichskassen sowie der zur För-
klären, daß bei vielen Berufsgenossenschaften be- derung der gemeinsamen Aufgaben der Familien-
reits bei Empfängern niedriger Einkommen Bei- ausgleichskassen und als Träger des Ausgleichs er-
träge nicht erhoben würden. Voraussetzung hierzu richtete Gesamtverband haben das Dreifache ihrer
müsse jedoch sein, daß die Satzung den Familien- Monatsausgaben als Rücklagen zu bilden (§ 12).
ausgleichskassen die Möglichkeit gibt, dort eine Da, wie soeben erwähnt wurde, jede bei einer
Beitragsbefreiung vorzunehmen, wo das von be- landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft errich-
stimmten Gruppen von Beitragspflichtigen zu er- tete Familienausgleichskasse lediglich ein Drittel der
wartende Beitragsaufkommen in keinem ange- für ihren Bedarf an Kindergeld erforderlichen
messenen Verhältnis zu den Kosten der Beitrags- Mittel aufzubringen hat, gibt das Gesetz diesen
einziehung stehen würde (§ 11 Abs. 1 Satz 4). Die Kassen einen Anspruch auf einen Zuschuß in Höhe
Berufsgenossenschaften sähen es lieber, wenn sich der fehlenden zwei Drittel (§ 14 Abs. 1). Diese Zu-
der Gesetzgeber mit der Vorschrift begnügt hätte, schüsse sind vom Gesamtverband auf die bei den
wonach die Satzung der Familienausgleichskasse gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie bei der
Gruppen von Beitragspflichtigen von der Beitrags- See-Berufsgenossenschaft errichteten Familienaus-
pflicht befreien kann, wenn die Aufbringung der gleichskassen in angemessener Weise umzulegen
Mittel für die Familienausgleichskasse hierdurch und an die landwirtschaftlichen Familienausgleichs
nicht gefährdet werde. Für die Erhebung von Bei- kassen abzuführen (§ 14 Abs. 2). Die Frage der An-
trägen und Vorschüssen sind die für die Berufs gemessenheit der auf die zuschußpflichtigen
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2143
(Dr. Jentzsch)
Familienausgleichskassen entfallenden Umlage- ausgleichskasse als selbständige Körperschaft des
beträge wird, falls eine Einigung im Rahmen des öffentlichen Rechts errichtet. Es werden mithin in
Gesamtverbandes nicht möglich ist, die über den vielen Fällen bei landesunmittelbaren Berufs-
Gesamtverband die Aufsicht führende Stelle, das genossenschaften (Bayrische und Württembergische
ist z. Z. der Bundesminister für Arbeit, zu ent- Bau-Berufsgenossenschaft, Westfälische landwirt-
scheiden haben. schaftliche Berufsgenossenschaft, Landwirtschaft-
liche Berufsgenossenschaft Oberbayern, Nieder-
Führt die Aufbringung der Mittel für den Bedarf bayern-Oberpfalz, Hessen-Pfalz, Oberf ranken-
der bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften Mittelfranken, Unterfranken, Schwaben und
sowie bei der See-Berufsgenossenschaft errichteten Württemberg, Badische landwirtschaftliche Berufs-
Familienausgleichskassen zu unzumutbaren Unter- genossenschaft, Land- und Forstwirtschaftliche
schieden der durchschnittlichen Belastung der Bei- Berufsgenossenschaft für den Regierungsbezirk
tragspflichtigen bei den verschiedenen Familien- Darmstadt, Braunschweigische landwirtschaft-
ausgleichskassen, so hat der Gesamtverband einen liche Berufsgenossenschaft und Lippische land-
angemessenen Ausgleich vorzunehmen (§ 14 Abs. 3). wirtschaftliche Berufsgenossenschaft) bundesunmit-
Auch hier hat über die Frage der Unzumutbarkeit, telbare Körperschaften des öffentlichen Rechts
falls eine Einigung im Gesamtverband nicht erfolgt, errichtet. Diese Errichtung der Familienaus-
die für die Aufsicht über den Gesamtverband zu- gleichskassen bei den Berufsgenossenschaften
ständige Stelle zu entscheiden (§ 14 Abs. 4). erfolgte aus Gründen der Verwaltungsverein-
Scheitert der Gesamtverband bei seinen Bemühun- fachung. Die Berufsgenossenschaften verfügen
gen, die Zuschüsse in angemessener Weise umzule- über die notwendigen Unternehmerverzeichnisse
gen oder einen angemessenen Ausgleich vorzuneh- und Beitragskataster; sie sind, wie gehofft wird, in
men, so kann die für die Aufsicht über ihn zustän- der Lage, mit einem relativ geringen Personal-
dige Stelle die Maßstäbe und die Berechnungsgrund- aufwand die gesamte Verwaltungsarbeit zu
lagen festlegen, nach denen die Zuschüsse für die meistern, und haben dies selbst bestätigt. Der Aus-
landwirtschaftlichen Familienausgleichskassen auf schuß will nicht verschweigen, daß die Einbezie-
die bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften hung aller selbständigen Erwerbspersonen in diese
sowie bei der See-Berufsgenossenschaft errichteten Regelung erhebliche zusätzliche Verwaltungsarbeit
Familienausgleichskassen umzulegen sind. Sie kann bereiten wird. Auch die landwirtschaftlichen Be-
ferner die Voraussetzungen bestimmen, unter rufsgenossenschaften werden ihren gesamten Ver-
denen ein Unterschied in der durchschnittlichen Be- waltungsapparat und vor allem ihr Beitragsein-
lastung der bei den gewerblichen Berufsgenossen- zugssystem auf einen den Erfordernissen des Ge-
schaften sowie bei der See-Berufsgenossenschaft er- setzes entsprechenden Stand zu bringen haben. Die
richteten Familienausgleichskassen als unzumutbar Verwaltungskosten, die den Berufsgenossenschaften
anzusehen ist. Hierbei kann sie die Maßstäbe be-
stimmen, die für die Feststellung der durchschnitt- auf Grund dieses Gesetzes entstehen, sind ihnen
lichen Belastung zugrunde zu legen sind. Die für von den Familienausgleichskassen zu erstatten
die Aufsicht zuständige Stelle kann ferner die Maß- (§ 13).
stäbe und die Berechnungsgrundlagen festsetzen, Die Aufsicht über die Familienausgleichskassen
nach denen der Ausgleich unter den verschiedenen führt die für die Aufsicht über die Berufsgenossen-
bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften so- schaft, bei der die Familienausgleichskasse errichtet
wie bei der See-Berufsgenossenschaft errichteten ist, zuständige Stelle (§ 16).
Familienausgleichskassen durchzuführen ist, und
sie kann endlich das Verfahren der Umlage und Die Vorschrift, daß die Organe der Selbstver-
des Ausgleichs bestimmen. Der Ausschuß hat sich waltung der Familienausgleichskassen die Organe
mit den Fragen des Ausgleichs besonders ein- der Berufsgenossenschaften sind (mit Ausnahme
gehend beschäftigt. Er hat überlegt, ob die Zu- der Versicherungsältesten und Vertrauensmänner),
schüsse im Verhältnis des Solls der Beitragsauf-
- bei denen sie errichtet sind (§ 17), dient ebenso der
kommen der Familienausgleichskassen umgelegt Verwaltungsvereinfachung wie die Vorschrift, daß
werden sollten oder im Verhältnis der Lohn- der jeweilige Geschäftsführer der Berufsgenossen-
summen der Berufsgenossenschaften. Der Ausschuß schaft auch Geschäftsführer der Familienausgleichs-
war nach reiflicher Überlegung mit Mehrheit der kasse ist (§ 18). Diese verwaltungsvereinfachenden
Ansicht, daß die Festlegung des Umlageschlüssels Bestimmungen bringen es allerdings mit sich, daß
der Selbstverwaltung überlassen bleiben soll, daß in den Organen der Familienausgleichskassen nicht
jedoch hierbei beachtet werden müsse, daß die Zu- alle vom Familienausgleichskassensystem Erfaßten
schüsse in angemessener Weise umgelegt werden. vertreten sind, sondern lediglich die Kreise, die den
Auch in der Frage des Ausgleichs würde der Selbst- Berufsgenossenschaften als versicherte Arbeit-
verwaltung in starkem Maße freie Hand gelassen. nehmer, Arbeitgeber und Selbständige ohne
Die Absicht, jeder bei einer gewerblichen Berufs- fremde Arbeitskräfte angehören. So sind z. B. in
genossenschaft oder bei der See-Berufsgenossen- den Organen der Familienausgleichskassen die ver-
schaft errichteten Familienausgleichskasse einen sicherungsfreien Berufe, insbesondere die freien
Ausgleichsanspruch zuzubilligen, wenn ihre Be- Berufe, nicht vertreten, es sei denn, daß sie frei-
lastungsquote 20 v. H. über einem bestimmten willig versichert sind.
Richtsatz liegt, wurde fallengelassen. Dem Gesamt-
verband wurde lediglich aufgegeben, immer dann Wie bereits oben aufgeführt wurde, sieht das
Gesetz zur Förderung der Erledigung der gemein-
einen Ausgleich herbeizuführen, wenn unzumutbare samen Aufgaben der Familienausgleichskassen so-
Unterschiede der durchschnittlichen Belastung der wie als Träger des Ausgleichs zwischen ihnen die
Beitragspflichtigen bei den verschiedenen Familien-
Errichtung eines Gesamtverbandes der Familien-
ausgleichskassen eintreten. ausgleichskassen vor (§ 19 Abs. 1). Der Gesamt-
Das Gesetz bestimmt als Träger der Kindergeld- verband ist aus Gründen der Verwaltungsverein-
zahlung die Familienausgleichskassen (§ 15 Abs. 1). fachung beim Hauptverband der gewerblichen
Bei jeder Berufsgenossenschaft wird eine Familien Berufsgenossenschaften, einer Gesellschaft des
2144 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Jentzsch)
bürgerlichen Rechts, als Körperschaft des öffent- genossenschaften und des Geschäftsführers des Ge-
lichen Rechts errichtet (§ 19 Abs. 2). Gegen samtverbandes Rechnung getragen.
die Verleihung des Status einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts an den Gesamtverband Das Kindergeld wird, wie bereits eingangs be-
merkt wurde, nur auf Antrag gewährt (§ 1); hat
machten die Vertreter der SPD sowie ein Ver- das Kind das 18. Lebensjahr vollendet, so ist ein
treter des Bundesrats Bedenken geltend, da hier- besonderer Antrag erforderlich (§ 4 Abs. 3); der
durch für das kommende Verbandswesen uner- Antragsteller muß in diesem Falle nachweisen, daß
wünschte Präjudizien geschaffen würden. Auch das Kind auf seine Kosten unterhalten und für
wird von dieser Seite auf das Problem der Misch- einen Beruf ausgebildet wird (§ 2 Abs. 1 Satz 2).
verwaltung hingewiesen. Der Ausschuß ist jedoch Der Antrag ist bei der Familienausgleichskasse zu
der Ansicht, daß staatsrechtliche Gründe die Zu- stellen oder, falls der Unternehmer das Kindergeld
erkennung des Status einer Körperschaft des öffent- auszahlt, bei diesem (§ 25 Abs. 1 Satz 1).
lichen Rechts erforderlich machen.
Die Aufsicht über den Gesamtverband führt die Die Vorschrift, daß auf jeden Antrag ein schrift-
nach Bundesrecht für die Aufsicht über bundes- licher Bescheid zu erteilen ist (§ 26 Abs. 1 Satz 1),
unmittelbare gewerbliche Berufsgenossenschaften dürfte eine erhebliche Verwaltungsarbeit erfordern.
zuständige Stelle, also z. Z. der Bundesminister für Im Ausschuß wurde daher zuletzt angeregt, nur
Arbeit. Diese Stelle hat, wie bereits oben erwähnt dann einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, wenn
wurde, die Zuschüsse zu den landwirtschaftlichen der Antrag ganz oder z. T. abgelehnt oder das
Berufsgenossenschaften in angemessener Weise um- Kindergeld entzogen oder die Zahlung eingestellt
zulegen und einen angemessenen Ausgleich bei un- wird.
zumutbarer unterschiedlicher Durchschnittsbe- Außerdem wurde angeregt, einen schriftlichen
lastung der Beitragspflichtigen bei verschiedenen Bescheid nur dann zu erteilen, wenn er besonders
Familienausgleichskassen vorzunehmen, falls eine beantragt werde. Der ablehnende, der entziehende
Einigung über eine entsprechende Regelung im Ge- und der einstellende Bescheid ist zu begründen
samtverband nicht zustande kommt (§ 14). und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.
Hierdurch wird der über den Gesamtverband Bescheide kann nur die Familienausgleichskasse
aufsichtführenden Stelle die Möglichkeit gegeben, erteilen.
in die Autonomie der Familienausgleichskassen, die Die Auszahlung des Kindergeldes soll für Arbeit-
z. T. der Aufsicht der Länder unterstehen werden, nehmer im Regelfalle durch den Unternehmer
einzugreifen. erfolgen (§ 27 Nr. 1). Die Satzung der Familien-
Als Organe der Selbstverwaltung des Gesamt- ausgleichskasse kann eine andere Regelung, ins-
verbandes sieht das Gesetz die Vertreterversamm- besondere die Auszahlung durch sie vorschreiben.
lung und den Vorstand vor (§ 21). Die Vertreter- Alle übrigen Berechtigten erhalten das Kindergeld
versammlung besteht aus insgesamt 108 Personen. durch die Familienausgleichskasse.
und zwar werden von jeder Familienausgleichs- Gegen die Auszahlung des Kindergeldes durch
kasse zwei Mitglieder ihres Vorstandes, je ein Ar- die Unternehmer wandten die Vertreter der SPD
beitgeber oder ein Selbständiger ohne fremde Ar- ein, daß hierdurch die Gefahr einer indirekten An-
beitskräfte und ein Arbeitnehmer entsandt (§ 21 rechnung des Kindergeldes auf den Leistungslohn
Abs. 1 Satz 1). Zu den Aufgaben der Vertreter- erwachsen und eine Benachteiligung von kinder-
versammlung gehört insbesondere die Aufstellung reichen Arbeitnehmern eintreten könne. Die Oppo-
und Änderung der Satzung (§ 22 Abs. 2 Nr. 2). sition trat daher für eine Auszahlung des Kinder-
Auch hier kann die über den Gesamtverband geldes durch die Post ein. Dieser Auffassung hat
aufsichtführende Stelle und auch der Gesamt- sich die Mehrheit des Ausschusses nicht anzuschlie-
verband durch die Satzung in die Autonomie der ßen vermocht, da sich der Anspruch auf Kinder-
landesunmittelbaren Familienausgleichskassen und geld immer nur gegen die Familienausgleichskasse
den Willen der sie beaufsichtigenden Stelle ein- richte.
greifen. -
Das zweite Organ des Gesamtverbandes ist der Streitigkeiten in Angelegenheiten dieses Gesetzes
Vorstand, der aus neun von der Vertreterversamm- entscheiden die neugeschaffenen Gerichte der
lung des Gesamtverbandes aus seiner Mitte zu Sozialgerichtsbarkeit (§ 28 Abs. 1), also die gleichen
wählenden Mitgliedern besteht. Er vertritt den Ge- Gerichte, die in Streitigkeiten der Sozialversiche-
samtverband gerichtlich und außergerichtlich. Die rung und der Arbeitslosenversicherung zuständig
Zusammensetzung des Vorstandes bürgt dafür, daß sind (§ 51 Abs. 1 SGG).
den Belangen der Landwirtschaft ausreichend Das Ordnungsstrafrecht (§ 30) schließt sich eng
Rechnung getragen wird (§ 23 Abs. 1). Der Vor- an das Ordnungsstrafrecht in der Sozialversiche-
stand des Gesamtverbandes hat die Zuschüsse für rung an; ebenso finden die Strafbestimmungen der
die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossen- Reichsversicherungsordnung über die unbefugte
schaften errichteten Familienausgleichskassen um- Offenbarung und Verwertung von Geschäfts- oder
zulegen und zu erheben sowie den Aus- Betriebsgeheimnissen durch Mitglieder eines
gleich unter den Familienausgleichskassen bei un- Organs einer Familienausgleichskasse oder durch
zumutbarer unterschiedlicher Durchschnittsbela- Beschäftigte der Familienausgleichskasse ent-
stung der Beitragspflichtigen bei den verschiedenen sprechende Anwendung (§ 31).
Familienausgleichskassen vorzunehmen (§ 23
Abs. 2). Die laufenden Geschäfte des Gesamtver- Die bisher in der Wirtschaft auf freiwilliger
bandes führt ein vom Vorstand gewählter Ge- Grundlage geschaffenen Einrichtungen von Wirt-
schäftsführer (§ 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2). Mit der schafts- oder Berufsgruppen sowie die überbetrieb-
Vorschrift, daß die Tätigkeit des Geschäftsführers lichen Regelungen, die dem Ausgleich der Fami-
nebenamtlich ausgeübt werden kann (§ 24 Abs. i lienlast ihrer Beschäftigten dienen, können weiter-
Satz 3), wurde dem Wunsche der Berufsgenossen- bestehen bleiben; es können auch weitere Einrich-
schaften nach Personalunion des Geschäftsführers tungen geschaffen und Regelungen getroffen wer-
des Hauptverbandes der gewerblichen Berufs den. Auf Antrag können die aus diesen Einrichtun-
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2145
(Dr. Jentzsch)
gen für Kinder gewährten Leistungen von der den sogenannten Ostgängern im Berliner Bereich
zuständigen Familienausgleichskasse als Kinder- geholfen werden. Am 31. März 1954 waren unter
geldleistungen im Sinne dieses Gesetzes anerkannt den 15 650 Grenzgängern 14 250 Auspendler, von
werden (§ 32 Abs. 1). Die Anerkennung, die eine denen 10 400 in der Schweiz und 2200 in den Nie-
Befreiung von der Beitragspflicht zur Familien- derlanden arbeiteten. Außerdem waren rund 10 000
ausgleichskasse bewirkt, ist an folgende Voraus- Auspendler in das Saargebiet vorhanden; Berlin
setzungen geknüpft (§ 32 Abs. 2): hatte 26 500 Ostgänger.
1. Der Antragsteller muß an einer derartigen Ein- Entgegen den Vorschriften der Reichsversiche-
richtung oder Regelung als Beitragspflichtiger rungsordnung, nach denen Ansprüche auf Leistun-
beteiligt sein; gen grundsätzlich erst nach vier Jahren verjähren,
2. es muß gewährleistet sein, daß im Betrieb des beträgt die Verjährungsfrist für Ansprüche auf
Antragstellers die Einstellung oder Beschäfti- Kindergeld zwei Jahre (§ 35 Abs. 1).
gung Kinderreicher nicht erschwert oder ge-
fährdet ist; Das Kindergeld ist beim Empfänger steuerfrei
und gilt nicht als Einkommen, Verdienst oder Ent-
3. der Antragsteller muß sich verpflichten, etwaige gelt im Sinne der Sozialversicherung und der
Ausgleichsbeiträge an die Familienausgleichs Arbeitslosenversicherung; es wird mithin dem Be-
kassen zu entrichten. Die Ausgleichsbeiträge rechtigten netto ausgezahlt (§ 36 Abs. i Satz 1). Das
entsprechen der Höhe des Unterschiedes zwi- gleiche gilt für von einer Familienausgleichskasse
schen den eigenen Aufwendungen des Antrag- als Leistungen des Kindergeldgesetzes anerkannte
stellers für solche Leistungen für Kinder, die Leistungen für Kinder, die von Einrichtungen und
unter das Gesetz fallen, und den Beiträgen, die auf Grund von Regelungen gewährt werden, soweit
auf die Antragsteller entfallen würden, wenn sie die in dem Kindergeldgesetz gestellten Voraus-
sie nicht befreit wären. Bei Wegfall der Voraus- setzungen erfüllen und den Betrag von 25,— DM
setzungen hat die Familienausgleichskasse die monatlich pro Kind nicht übersteigen (§ 36 Abs. 1).
Anerkennung zurückzunehmen. Soweit Beiträge zu den Familienausgleichskassen,
zum Gesamtverband und zu den anerkannten Ein-
Der Anspruch des Kindergeldberechtigten, dessen richtungen oder Regelungen nicht Betriebsaus-
Unternehmer wegen seiner Beteiligung an einer gaben oder Werbungskosten sind, sind sie Sonder-
derartigen Einrichtung oder Regelung befreit ist, ausgaben im Sinne des Einkommensteuergesetzes
richtet sich zunächst gegen seinen Unternehmer; (§ 36 Abs. 2 Satz 1). Die in diesem Gesetz enthal-
erst wenn dieser den Kindergeldanspruch ganz tenen Vorschriften über die steuerliche und sozial-
oder teilweise ablehnt oder wenn er ihn nicht er- versicherungsrechtliche Behandlung des Kinder-
füllt, kann der Berechtigte das Kindergeld von der geldes und der Beiträge machen das vor den Par-
Familienausgleichskasse fordern (§ 32 Abs. 4). In lamentsferien ergangene Gesetz über die steuer-
einem Rechtsstreit kann der befreite Unternehmer rechtliche und sozialversicherungsrechtliche Be-
auf Antrag beigeladen werden (§ 28 Abs. 2 Nr. 2). handlung von Kindergeld überflüssig.
Das Urteil gegen die Familienausgleichskasse
würde in diesem Falle für und gegen ihn gelten. Der Bundesminister für Arbeit hat die zur
Durchführung des Gesetzes erforderlichen Verwal-
Personen, die im Geltungsbereich des Gesetzes tungsvorschriften zu erlassen (§ 37 Abs. 1). Die
weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Bundesregierung hat mit Zustimmung des Bundes-
Aufenthalt haben (§ 34 Abs. 1), erhalten ebenso- rats bis spätestens zum 1. Oktober 1955 zur Er-
wenig Kindergeld wie Angehörige fremder Staaten leichterung des Nachweises der Berechtigung und
für Kinder, die nicht im Geltungsbereich des Ge- zur Vermeidung einer mehrfachen Zahlung von
setzes wohnen oder sich dort nicht gewöhnlich auf- Kindergeld Rechtsverordnungen zu erlassen über
halten, es sei denn, daß für diese in zwischen- die Ausstellung einer Kindergeldkarte, ihre Vor-
staatlichen Abkommen etwas Abweichendes be- lage bei der Empfangnahme von Leistungen, ihre
stimmt ist (§ 34 Abs. 2). Die Bundesregierung wird Aufbewahrung und Aushändigung sowie die Ein-
jedoch ermächtigt, durch Rechtsverordnung - die tragungen auf ihr, über die Voraussetzungen, unter
Gewährung von Kindergeld an diese Personen- denen die Zahlung an den Inhaber der Kinder-
kreise zuzulassen (§ 34 Abs. 3); sie hat durch diese geldkarte befreiende Wirkung hat, und endlich über
Vorschrift die Möglichkeit, den rund 1400 Einpend- die Regelung des Verfahrens sowie der Kosten
lern unter den Grenzgängern, von denen rund 800 (§ 37 Abs. 2). Das Gesetz enthält die Berlin-Klausel
aus den Niederlanden, 280 aus der Schweiz und (§ 38).
260 aus Österreich kommen, sowie den 30600 West-
gängern im Berliner Bereich Kindergeld zukom- Als Zeitpunkt des Inkrafttretens sieht das Gesetz,
men zu lassen, und kann bei fremden Staaten auf soweit es sich um die Aufbringung der Mittel han-
eine Gleichbehandlung ihrer dort tätigen Angehö- delt, den 1. Oktober 1954 vor. Als Zeitpunkt des
rigen mit den Angehörigen dieser fremden Staaten Beginns der Anspruchsberechtigung und der Zah-
hinwirken. lung des Kindergeldes ist der 1. Januar 1955 be-
stimmt. Dieser Vierteljahreszeitraum erschien dem
Die Bundesregierung wird weiter ermächtigt, Ausschuß zur Ansammlung der für die Auszahlung
durch Rechtsverordnung die Zahlung von Kinder- des Kindergeldes notwendigen Mittel und der
geld im Rahmen dieses Gesetzes an solche erwerbs- Schaffung einer Rücklage notwendig. Alle übrigen
tätigen deutschen Staatsangehörigen zu regeln, die Vorschriften des Gesetzes treten am Tage nach
außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes seiner Verkündung in Kraft (§ 39).
erwerbstätig sind und nach den Gesetzen ihrer
Tätigkeitsorte keine den Leistungen des Gesetzes
entsprechenden Leistungen für Kinder erhalten II. Im einzelnen
(§ 34 Abs. 4).
Mit dieser Vorschrift soll vor allem den Aus- Im einzelnen ist zu den vom Ausschuß gegenüber
pendlern unter den deutschen Grenzgängern und dem Entwurf auf Drucksache 319 getroffenen Ab-
2146 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954
(Dr. Jentzsch)
änderungen folgendes zu bemerken: Die Einteilung Zu § 11
in acht Abschnitte ist beibehalten worden. Die Zahl
der Paragraphen ist von 35 auf 39 erweitert In Abs. 1 wurde die Beitragsfreiheit für
worden. Selbständige mit einem geringeren Jahreseinkom-
men als 3600,— DM neu eingeführt. Ebenfalls neu-
geschaffen ist die Möglichkeit, weitere Gruppen
ERSTER ABSCHNITT von der Beitragspflicht zu befreien, wenn die Ver-
waltungskosten in keinem angemessenen Verhält-
Berechtigung nis zum Beitragsaufkommen stehen. Weiterhin
§ 1 des Gesetzentwurfs — Drucksache 319 — ist regelt dieser Paragraph die Beitragspflicht, wenn
in 3 Paragraphen auseinandergezogen worden, um ein Selbständiger mehreren Familienausgleichs
eine möglichst eindeutige Definition aller Tat- kassen angehört.
bestände zu geben.
Zu § 14
Zu §2 Abs. 3 bringt gegenüber § 18 Abs. 3 — Druck-
Neu aufgenommen sind die Bestimmungen des sache 319 — einen obligatorischen Ausgleich an-
§ 2, wonach Streikende und Kranke anspruchs- stelle des fakultativen Ausgleichs. Nach Abs. 4 ist
berechtigt sind. Diese erweiterte Bestimmung (§ 1 die Möglichkeit des Eingreifens der Aufsichts-
Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfs — Drucksache behörde vorgesehen.
319 — beschränkt sich auf Erwerbstätige) soll
in bezug auf Kranke besonderen sozialen Umstän-
den Rechnung tragen.
VIERTER ABSCHNITT
Zu §3
Familienausgleichskassen
Im § 3 ist durch die Einschaltung des Vormund-
schaftsgerichtes bei der Auswahl eines von mehre- In diesem Abschnitt sind im wesentlichen Berei-
ren Berechtigten ein Gedanke aus dem § 9 des nigungen von überflüssigen Bestimmungen vorge-
SPD-Entwurfs — Drucksache 318 — übernommen nommen worden. So sind z. B. die Aufzählungen
worden. Dieser Gedanke ist im § 8 noch einmal über die Aufgaben der Vertreterversammlung und
wiederholt worden, nach dem das Vormundschafts- die Satzung fortgelassen, da die Anwendung der
gericht einen anderen Berechtigten bestimmen entsprechenden Bestimmungen der Reichsversiche-
kann, wenn der an sich Berechtigte nicht die nötige rungsordnung ohnehin eindeutigen Normen unter-
Gewähr für Zuverlässigkeit bietet. Der Gedanke liegt.
der SPD ist also dahingehend erweitert, daß im Ebenso wurde die Überschrift des Abschnitts
§ 3 eine größere Zahl in der Rangfolge der Berech- durch Streichen der Worte „der Berufsgenossen
tigten festgelegt ist, das Vormundschaftsgericht schaften" vereinfacht.
unter ihnen auswählen oder aber auch einen nicht
in der Rangfolge aufgezählten Berechtigten be-
stimmen kann.

FÜNFTER ABSCHNITT
ZWEITER ABSCHNITT Gesamtverband der Familienausgleichskassen
Kindergeld
Die Organisation des Gesamtverbandes wurde
Zu §4 umgebaut und den Grundsätzen der Selbstverwal-
-
In den dem Ausschuß vorliegenden Gesetz- tung stärker angepaßt.
entwürfen war ein Satz von monatlich 20,— DM
vorgesehen, der auf 25,— DM erhöht wird. Zu § 21
An Stelle des bisherigen einzigen Organs „Ver-
Zu §5 waltungsausschuß" treten die auch sonst in der
Die im § 3 der Drucksache 319 vorliegende Lücke Selbstverwaltung üblichen zwei Organe „Vertre-
wird geschlossen. Die nunmehrige Fassung verhin- terversammlung" und „Vorstand".
dert eine gleichzeitige Berechtigung bei mehreren
Familienausgleichskassen, die bei mehreren Be- Zu § 22
rufsgenossenschaften errichtet sind. Die Besetzung der Vertreterversammlung bot
besondere Schwierigkeiten; während bei den ge-
werblichen Berufsgenossenschaften die bestimmen-
DRITTER ABSCHNITT den Organe paritätisch zusammengesetzt sind,
Aufbringung der Mittel findet sich bei den landwirtschaftlichen Berufs-
Zu § 10 genossenschaften eine Dreigliederung, und zwar in
Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Selbständige ohne
Die Vorschriften der Meldepflicht sind im In- fremde Arbeitskräfte. Für die Zwecke der Fami-
teresse der schnelleren und besseren Erfassung der lienausgleichskassen hat der 28. Ausschuß entschie-
Meldepflichtigen praktikabler gestaltet worden. den, daß immer ein Arbeitnehmer von der land-
Der § 10 enthält gegenüber § 8 — Drucksache 319 - wirtschaftlichen Berufsgenossenschaft zu entsenden
keine materielle Änderung. Es sind lediglich ist, während der zweite Vertreter entweder ein
gesetzestechnisch besser durchdachte und formu- Arbeitgeber oder ein Selbständiger ohne fremde
lierte Wendungen niedergelegt. Arbeitskräfte zu sein hat.
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2147
(Dr. Jentzsch)
SECHSTER ABSCHNITT mäßigeren Handhabung dieser Bestimmungen
wurde wieder auf das Ordnungsstrafrecht der
Verfahren bei Gewährung von Kindergeld, RVO, so wie es von den Berufsgenossenschaften
Rechtsweg, Anwendung sonstiger Vorschriften gehandhabt wird, zurückgegriffen.
Zu § 25
Zu § 30
§ 21 — Drucksache 319 — sah eine Antrag-
stellung lediglich bei der Familienausgleichskasse § 30 zählt im übrigen die Tatbestände auf, die
vor. Nachdem die Auszahlung des Kindergeldes in der allgemeinen Zusammenfassung nicht ent-
durch den Unternehmer vorgesehen ist, wurde auch halten sind, d. h. die Tatbestände, welche die RVO
dem Unternehmer die Annahme des Antrages nicht kennt.
zugestanden.
Zu § 31
Zu § 26 § 31 der Ausschußvorlage beschränkt sich ent-
Im Gegensatz zu § 22 — Drucksache 319 - gegen § 26 Abs. 1 und 2 — Drucksache 319 — nur
ermächtigt § 26 der Ausschußvorlage auch den noch auf Vergehen der Organe bzw. der bei einer
Arbeitgeber zur Erteilung eines Bescheides, wenn Familienausgleichskasse Beschäftigten.
der Antrag von ihm für berechtigt angesehen
wird. Diese Berechtigung ist als „argumentum
e contrario" aus Abs. 3 zu folgern, da der Unter- ACHTER ABSCHNITT
nehmer nur dann die Entscheidung der Familien-
ausgleichskasse herbeizuführen hat, wenn er den Übergangs- und Schlußbestimmungen
Antrag für unbegründet hält. Zu § 32
Zu § 27 § 32 beläßt der Familienausgleichskasse das
alleinige Recht zur Entscheidung über die Aner-
§ 3 — Drucksache 319 — hat insofern eine Aus- kennung besonderer Einrichtungen, während bis-
weitung erfahren, als nach § 27 der Ausschuß- her nach § 27 Abs. 3 — Drucksache 319 — diese Ent-
vorlage auch eine Auszahlung durch die Post er- scheidung der Aufsichtsbehörde überlassen blieb.
folgen kann. Der Ausschuß will durch diese Bestimmung die
Zu § 28 volle Selbstverantwortungsaufgabe der Familien-
ausgleichskasse unterstreichen.
§ 28 bringt keine materiellen Änderungen gegen-
über § 23 — Drucksache 319 —, sondern nur allge- Zu § 34
meine Ausführungen. § 34 ersetzt die in § 1 Abs. 2 Satz 1 — Druck-
sache 319 — enthaltene Verweisung. Die jetzige
Zu § 29 Fassung stellt sicher, daß erwerbstätige deutsche
§ 29 faßt die zahlreichen früheren Verweisungen Staatsangehörige der sowjetisch besetzten Zone,
auf die Reichsversicherungsordnung zusammen. soweit sie in den Westzonen beschäftigt sind, auch
Der Ausschuß ist der Auffassung, daß ein solches für ihre in der Sowjetzone lebenden Kinder die
Gesetz ohne Verweisungen unpraktikabel ist. Es Beihilfe nach diesem Gesetz erhalten.
können nicht alle Bestimmungen wörtlich aufge-
führt werden, da sonst die Übersichtlichkeit nicht Zu § 36
mehr gegeben sein würde. Im übrigen sind Ver- § 36 der Ausschußvorlage ist gegenüber § 32 —
weisungen auf andere Gesetze als die RVO weit- Drucksache 319 — nur redaktionell geändert und
gehend vermieden worden. klarer gefaßt und dem Gesetz über die steuerliche
und sozialversicherungsrechtliche Behandlung von
SIEBENTER ABSCHNITT Kindergeld vom 12. August 1954 (Bundesgesetzbl. I
S. 257) angepaßt.
Ordnungsstrafen, Vergehen
In der Überschrift dieses Abschnittes ist der Bonn, den 12. September 1954
Begriff „Ordnungswidrigkeit" durch „Ordnungs- Dr. Jentzsch
strafe" ersetzt worden. Aus Gründen der zweck- Berichterstatter
2148 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Namentliche Abstimmungen

zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld
und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Drucksachen 708, 318, 319) :
1. über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu § 1 (Umdruck 147 Ziffer 1)
2. über den Änderungsantrag der Fraktionen der FDP und DP zu § 1 (Umdruck
157 Ziffer 1)
3. über den § 1 in der Fassung des Ausschußantrags (Drucksache 708)

Abstimmung
Name 1 2 3

CDU/CSU
Frau Ackermann . . . . Nein Nein Ja
Dr. Adenauer — — —
Albers Nein Nein Ja
Arndgen Nein Nein Ja
Barlage Nein Nein Ja
Dr. Bartram Nein Nein Ja
Bauer (Wasserburg) . . entschuld. entschuld. entschuld.
Bauereisen entschuld. entschuld. entschuld.
Bauknecht Nein Nein Ja
Bausch Nein Nein Ja
Becker (Pirmasens) . . Nein Nein Ja
Berendsen entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Bergmeyer Nein Nein Ja
Fürst von Bismarck . . entschuld. entschuld. entschuld.
Blank (Dortmund) . . . — — —
Frau Dr. Bleyler
(Freiburg) Nein Nein Ja
Bock Nein Nein Ja
von Bodelschwingh . . . Nein Nein Ja
Dr. Böhm (Frankfurt) . Nein Nein Ja
Brand (Remscheid) . . . Nein Nein Ja
Frau Brauksiepe . . . . Nein Nein Ja
Dr. von Brentano . . . . — Nein Ja
Brese Nein enthalten enthalten
Frau Dr. Brökelschen . . Nein Nein Ja
Dr. Brönner Nein Nein Ja
Brookmann (Kiel) . . Nein Nein Ja
Brück Nein Nein Ja
Dr. Bucerius krank krank krank
Dr. von Buchka . . . . Nein Nein Ja
Dr. Bürkel Nein Nein Ja
Burgemeister Nein Nein Ja
Caspers Nein Nein Ja
Cillien krank krank krank
Dr. Conring Nein enthalten enthalten
Dr. Czaja Nein Nein Ja
Demmelmeier Nein Nein Ja
Diedrichsen Nein Nein Ja
Frau Dietz — — —
Dr. Dittrich Nein Nein Ja
Dr. Dollinger Nein Nein Ja
Donhauser Nein Nein Ja
Dr. Dresbach Nein enthalten enthalten
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2149

Abstimmung
Name 2 3
1

Eckstein Nein Nein Ja


D. Dr. Ehlers Nein Nein Ja
Ehren Nein Nein Ja
Engelbrecht-Greve . . . Nein Nein Ja
Dr. Dr. h. c. Erhard . . . — — —
Etzenbach . Nein Nein Ja
Even Nein Nein Ja
Feldmann Nein Nein Ja
Finckh Nein Nein Ja
Dr. Franz Nein Nein Ja
Franzen Nein Nein Ja
Friese Nein Nein Ja
Fuchs Nein Nein Ja
Funk Nein Nein Ja
Dr. Furler Nein Nein Ja
Gedat Nein Nein Ja
Geiger (München) . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Frau Geisendörfer . . . Nein Nein Ja
Gengler . entschuld. entschuld. entschuld.
Gerns entschuld. entschuld. entschuld.
D. Dr. Gerstenmaier . . entschuld. entschuld. entschuld.
Gibbert Nein Nein Ja
Giencke . Nein Nein Ja
Dr. Glasmeyer Nein Nein Ja
Dr. Gleissner (München) Nein Nein Ja
Glüsing Nein Nein Ja
Gockeln . — —
Dr. Götz Nein Nein Ja
Goldhagen Nein Nein Ja
Gontrum Nein Nein Ja
Dr. Graf Nein Nein Ja
Griem Nein Nein Ja
Günther Nein Nein Ja
Gumrum Nein Nein Ja
Häussler Nein Nein Ja
Hahn Nein Nein Ja
Harnischfeger Nein Nein Ja
von Hassel entschuld. entschuld. entschuld.
Heix Nein Nein Ja
Dr. Hellwig entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Graf Henckel . . . Nein Nein Ja
Dr. Hesberg Nein Nein Ja
Heye entschuld. entschuld. entschuld.
Hilbert Nein Nein Ja
Höcherl Nein Nein Ja
Dr. Höck Nein Nein Ja
Höfler entschuld. entschuld. entschuld.
Holla Nein Nein Ja
Hoogen Nein Nein Ja
Dr. Horlacher entschuld. entschuld. entschuld.
Horn Nein Nein Ja
Huth krank krank krank
Illerhaus Nein Nein Ja
Dr. Jaeger Nein Nein Ja
Jahn (Stuttgart) . . . . Nein Nein Ja
Frau Dr. Jochmus . . . Nein Nein entschuld.
Josten Nein Nein Ja
Kahn Nein Nein Ja
Kaiser Nein Nein Ja
Karpf Nein Nein Ja
Kemmer (Bamberg) Nein Nein Ja
Kemper (Trier) Nein Nein Ja
Kiesinger entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Kihn (Würzburg) . Nein Nein Ja
Kirchhoff Nein Nein Ja
Klausner Nein Nein Ja
Dr. Kleindinst . . . . . Nein Nein Ja
2150 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Name
1
I Abstimmung
2 3

Dr. Kliesing Nein Nein Ja


Knapp . Nein Nein Ja
Knobloch Nein enthalten Ja
Dr. Köhler Nein Nein Ja
Koops Nein Nein Ja
Dr. Kopf entschuld. entschuld. entschuld.
Kortmann . . Nein Nein Ja
Kramel Nein Nein Ja
Krammig Nein Nein Ja
Kroll entschuld. entschuld. entschuld.
Frau Dr. Kuchtner . . Nein enthalten Ja
Kühlthau Nein Nein Ja
Kuntscher Nein Nein Ja
Kunze (Bethel) Nein Nein Ja
Lang (München) . . . Nein Nein Ja
Leibfried enthalten enthalten enthalten
Dr. Leiske entschuld. entschuld. entschuld.
Lenz (Brühl) Nein Nein Ja
Dr. Lenz (Godesberg) . — — —
Lenze (Attendorn) . . Nein Nein Ja
Leonhard Nein Nein Ja
Lermer Nein Nein Ja
Leukert Nein Nein Ja
Dr. Leverkuehn . . . . krank krank krank
Dr. Lindenberg . . . . Nein Nein Ja
Dr. Lindrath Nein -- Ja
Dr. Löhr Nein Nein Ja
Dr. h. c. Lübke . . . Nein Nein Ja
Lücke Nein Nein Ja
Lücker (München) . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Lulay Nein Nein Ja
Maier (Mannheim) Nein Nein Ja
Majonica entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Baron Manteuffel-
Szoege Nein Nein Ja
Massoth Nein Nein Ja
Maucher .. Nein Nein Ja
Mayer (Birkenfeld) . Nein enthalten Ja
Menke Nein Nein Ja
Mensing Nein enthalten enthalten
Meyer (Oppertshofen) . Nein Nein Ja
Meyer-Ronnenberg . . Nein Nein Ja
Miller . . Nein Nein Ja
Dr. Moerchel Nein Nein Ja
Morgenthaler Nein Nein Ja
Muckermann Nein Nein Ja
Mühlenberg Nein Nein Ja
Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) Nein Nein Ja
Müller-Hermann . . . Nein Nein Ja
Müser Nein Nein Ja
Naegel Nein Nein Ja
Nellen Nein Nein Ja
Neuburger entschuld. entschuld. entschuld.
Niederalt Nein Nein Ja
Frau Niggemeyer . . Nein Nein Ja
Dr. Oesterle entschuld. entschuld. entschuld.
Oetzel Nein Nein Ja
Dr. Orth entschuld. entschuld. entschuld.
Pelster Nein Nein Ja
Dr. Pferdmenges Nein Nein Ja
Frau Pitz entschuld. entschuld. entschuld.
Platner Nein Nein Ja
Dr. Pohle (Düsseldorf) . entschuld. entschuld. Ja
Frau Praetorius . . . . Nein Nein Ja
Frau Dr. Probst . . . . Nein Nein Ja
Dr. Dr. h. c. Pünder . . entschuld. entschuld. entschuld.
Raestrup Nein Nein Ja
Rasner Nein Nein Ja
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2151

Abstimmung
Name 1 3

Frau Dr. Rehling . . . . entschuld. entschuld. entschuld.


Richarts Nein Nein Ja
Frhr. Riederer von Paar Nein Nein Ja
Dr. Rinke Nein Nein Ja
Frau Rösch Nein Nein Ja
Rösing Nein Nein Ja
Rümmele Nein Nein Ja
Ruf Nein enthalten Ja
Sabaß Nein Nein Ja
Sabel Nein Nein Ja
Schäffer Nein — —
Scharnberg Nein Nein Ja
Scheppmann Nein Nein Ja
Schill (Freiburg) . . . Nein Nein Ja
Schlick Nein Nein Ja
Schmücker Nein Nein Ja
Schneider (Hamburg) . . — Nein Ja
Schrader Nein Nein Ja
Dr. Schröder (Düsseldorf) — — —
Dr.-Ing. E. h. Schuberth Nein Nein Ja
Schüttler Nein Nein Ja
Schütz entschuld. entschuld. entschuld.
Schuler Nein Nein Ja
Schulze-Pellengahr . . krank krank krank
Schwarz entschuld. entschuld. entschuld.
Frau Dr. Schwarzhaupt entschuld. entschuld. enischuld.
Dr. Seffrin Nein Nein Ja
Seidl (Dorfen) Nein Nein Ja
Dr. Serres Nein Nein Ja
Siebel Nein Nein Ja
Dr. Siemer Nein Nein Ja
Solke Nein Nein Ja
Spies (Brücken) . . . . Nein Nein Ja
Spies (Emmenhausen) Nein Nein Ja
Spörl Nein Nein Ja
Graf von Spreti . . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Stauch Nein enthalten enthalten
Frau Dr. Steinbiß . . Nein Nein Ja
Stiller Nein Nein Ja
Storch — Nein Ja
Dr. Storm Nein Nein Ja
Strauß Nein Nein Ja
Struve Nein enthalten Ja
Stücklen entschuld. entschuld. entschuld.
Teriete Nein Nein Ja
Unertl Nein Nein Ja
Varelmann Nein Nein Ja
Frau Vietje Nein Nein Ja
Dr. Vogel Nein Nein Ja
Voß entschuld. entschuld. entsehuld.
Wacher (Hof) Nein Nein Ja
Wacker (Buchen) . . . . Nein ri' iw Nein Ja
Dr. Wahl Nein Nein Ja
Walz Nein Nein Ja
Frau Dr. Weber (Aachen) entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Weber (Koblenz) . Nein Nein Ja
Wehking Nein Nein Ja
Dr. Welskop krank krank krank
Frau Welter (Aachen) . entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Werber Nein Nein Ja
Wiedeck Nein Nein Ja
Wieninger Nein Nein Ja
Dr. Willeke Nein Nein Ja
Winkelheide Nein Nein Ja
Wittmann Nein Nein Ja
Wolf (Stuttgart) entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Wuermeling . . . Nein Nein Ja
Wullenhaupt Nein Nein Ja
2152 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Abstimmung
Name 1 I 2 3

SPD
Frau Albertz Ja Nein enthalten
Frau Albrecht Ja Nein enthalten
Altmaier entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Arndt Ja Nein enthalten
Arnholz Ja Nein enthalten
Dr. Baade Ja Nein enthalten
Dr. Bärsch Ja Nein enthalten
Bals Ja Nein enthalten
Banse Ja Nein enthalten
Bauer (Würzburg) Ja Nein enthalten
Baur (Augsburg) Ja Nein enthalten
Bazille Ja Nein enthalten
Behrisch Ja Nein enthalten
Frau Bennemann . . . . Ja Nein enthalten
Bergmann . Ja Nein enthalten
Berlin Ja Nein enthalten
Bettgenhäuser Ja Nein enthalten
Frau Beyer (Frankfurt) Ja Nein enthalten
Birkelbach entschuld. entschuld. entschuld.
Blachstein Ja Nein enthalten
Dr. Bleiß entschuld. entschuld. entschuld.
Böhm (Düsseldorf) . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Bruse Ja Nein enthalten
Corterier Ja Nein enthalten
Dannebom Ja Nein enthalten
Daum Ja Nein enthalten
Dr. Deist Ja Nein enthalten
Dewald Ja Nein enthalten
Diekmann Ja Nein enthalten
Diel Ja Nein enthalten
Frau Döhring Ja Nein enthalten
Erler entschuld. entschuld. entschuld
Eschmann Ja Nein enthalten
Faller Ja Nein enthalten
Franke Ja Nein enthalten
Frehsee Ja Nein enthalten
Freidhof Ja Nein enthalten
Frenzel Ja Nein enthalten
Gefeller Ja Nein enthalten
Geiger (Aalen) Ja Nein enthalten
Geritzmann Ja Nein enthalten
Gleisner (Unna) . . . . krank krank krank
Dr. Greve Ja Nein enthalten
Dr. Gülich Ja Nein enthalten
Hansen (Köln) entschuld. entschuld. entschuld.
Hansing (Bremen) Ja Nein enthalten
Hauffe Ja Nein enthalten
Heide Ja Nein enthalten
Heiland Ja Nein enthalten
Heinrich Ja Nein enthalten
Hellenbrock Ja Nein enthalten
Hermsdorf Ja Nein enthalten
Herold Ja Nein enthalten
Höcker Ja Nein enthalten
Höhne Ja Nein Nein
Hörauf Ja Nein Nein
Frau Dr. Hubert Ja Nein Nein
Hufnagel Ja Nein enthalten
Jacobi Ja Nein enthalten
Jacobs — — —
Jahn (Frankfurt) Ja Nein enthalten
Jaksch Ja Nein Nein
Kahn-Ackermann Ja Nein Nein
Kalbitzer entschuld. , entschuld. entschuld.
Frau Keilhack Ja Nein enthalten
Frau Kettig Ja Nein enthalten
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2153

Abstimmung
Name 1 2 3

Keuning . . . . . . . Ja Nein enthalten


Kinat — Nein enthalten
Frau Kipp-Kaule . . . Ja Nein enthalten
Könen (Düsseldorf) . . . Ja Nein enthalten
Koenen (Lippstadt) . . krank krank krank
Frau Korspeter . . . . krank krank krank
Dr. Kreyssig Ja Nein Nein
Kriedemann Ja Nein enthalten
Kühn (Köln) Ja Nein enthalten
Kurlbaum Ja Nein enthalten
Ladebeck Ja Nein enthalten
Lange (Essen) Ja Nein Nein
Frau Lockmann . . . Ja Nein enthalten
Ludwig Ja Nein enthalten
Dr. Lütkens entschuld. entschuld. entschuld.
Maier (Freiburg) . . . Ja Nein enthalten
Marx entschuld. entschuld. entschuld.
Matzner Ja Nein enthalten
Meitmann Ja Nein enthalten
Mellies Ja Nein enthalten
Dr. Menzel Ja Nein enthalten
Merten Ja Nein enthalten
Metzger Ja Nein enthalten
Frau Meyer (Dortmund) Ja Nein enthalten
Meyer (Wanne-Eickel) . Ja Nein enthalten
Frau Meyer-Laule . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Mißmahl entschuld. entschuld. entschuld.
Moll Ja Nein enthalten
Dr. Mommer entschuld. entschuld. entschuld.
Müller (Erbendorf) . . Ja Nein enthalten
Müller (Worms) . . . Ja Nein enthalten
Frau Nadig Ja Nein enthalten
Odenthal Ja Nein Nein
Ohlig entschuld. entschuld. entschuld.
Ollenhauer Ja Nein enthalten
Op den Orth Ja Nein Nein
Paul entschuld. entschuld. entschuld.
Peters entschuld. entschuld. entschuld.
Pöhler Ja Nein enthalten
Pohle (Eckernförde) Ja Nein enthalten
Dr. Preller Ja Nein enthalten
Priebe krank krank krank
Pusch Ja Nein Nein
Putzig Ja Nein enthalten
Rasch Ja Nein enthalten
Regling Ja Nein enthalten
Rehs Ja Nein enthalten
Reitz Ja Nein enthalten
Reitzner Ja Nein enthalten
Frau Renger krank krank krank
Richter Ja Nein enthalten
Ritzel Ja Nein enthalten
Frau Rudoll Ja Nein enthalten
Ruhnke Ja Nein enthalten
Runge Ja Nein enthalten
Sassnick Ja Nein enthalten
Frau Schanzenbach . . Ja Nein enthalten
Scheuren Ja Nein enthalten
Dr. Schmid (Frankfurt) entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Schmidt (Gellersen) . Ja Nein enthalten
Schmidt (Hamburg) . . Ja Nein enthalten
Schmitt (Vockenhausen) . Ja Nein enthalten
Dr. Schöne Ja Nein enthalten
Schoettle Ja Nein enthalten
Seidel (Fürth) Ja Nein enthalten
Seither Ja Nein enthalten
2154 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Abstimmung
Name 1 2 3

Seuffert Ja Nein enthalten


Stierle Ja Nein enthalten
Sträter Ja Nein enthalten
Frau Strobel Ja Nein enthalten
Stümer Ja Nein enthalten
Thieme Ja Nein enthalten
Traub Ja Nein enthalten
Trittelvitz entschuld. entsehuld. entschuld.
Wagner (Deggenau) . . Ja Nein enthalten
Wagner (Ludwigshafen) entschuld. entschuld. entschuld.
Wehner Ja Nein enthalten
Wehr Ja Nein enthalten
Welke Ja Nein enthalten
Weltner (Rinteln) . . . Ja Nein enthalten
Dr. Dr. Wenzel . . . Ja Nein enthalten
Wienand entschuld. entschuld. entschuld.
Wittrock Ja Nein Nein
Ziegler Ja Nein enthalten
Zühlke Ja Nein enthalten

FDP
Dr. Atzenroth Nein Ja Nein
Dr. Becker (Hersfeld) . . entschuld. entsehuld. entschuld.
Dr. Blank (Oberhausen) . entschuld. entschuld. entschuld.
Dr.h.c.Blücher . . . — — —
Dr. Bucher Nein Ja Nein
Dannemann entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Dehler Nein Ja Nein
Dr.-Ing. Drechsel . . Nein Ja Nein
Eberhard Nein Ja Nein
Euler Nein Ja —
Fassbender entschuld. entschuld. entschuld.
Frau Friese-Korn . . Nein Ja Nein
Frühwald Nein Ja Nein
Gaul Nein Ja Nein
Dr. Hammer krank krank krank
Held Nein Ja Nein
Hepp Nein Ja Nein
Dr. Hoffmann entschuld. entschuld. entschuld.
Frau Dr. Ilk Nein Ja Nein
Dr. Jentzsch Nein Ja Nein
Kühn (Bonn) Nein Ja Nein
Lahr Nein Ja Nein
Lenz (Trossingen) . . . Nein Ja Nein
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Lö-
wenstein entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Luchtenberg . . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Maier (Stuttgart) . . entschuld. entschuld. entschuld.
von Manteuffel (Neuß) Ja Ja Nein
Margulies Nein Ja Nein
Mauk Nein Ja Nein
Dr. Mende entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Miessner entschuld. entschuld. entschuld.
Neumayer — — —
Onnen Nein Ja Nein
Dr. Pfleiderer entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Preiß Nein Ja Nein
Dr. Preusker — — —
Rademacher entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Schäfer Nein Ja enthal ten
Scheel entschuld. entschuld. entschuld.
Schloß Nein Ja Nein
Dr. Schneider (Lollar) Nein Ja Nein
Schwann Nein Ja Nein
2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954 2155

Abstimmung
Name 1 2 3

Stahl Nein Ja Nein


Dr. Stammberger . . . Nein Ja Nein
Dr. Starke Nein Ja Nein
Dr. Wellhausen . . . . entschuld. entschuld. entschuld.
Wirths — — —

GB/BHE

Bender enth alten Nein enthalten


Dr. Czermak Ja Nein enthalten
Dr. Eckhardt Ja Nein enthalten
Elsner Ja Nein enthalten
Engell Ja Nein enthalten
Feller Ja Nein enthalten
Gräfin Finckenstein . . entschuld. entschuld. entschuld.
Frau Finselberger . . Ja Nein enthalten
Gemein Ja Nein enthalten
Dr. Gille Ja Nein enthalten
Haasler entschuld. entschuld. entschuld.
Dr. Kather Ja Nein enthalten
Dr. Keller Ja Nein enthalten
Dr. Klötzer Ja Nein enthalten
Körner Ja Nein enthalten
Kraft — — —
Kunz (Schwalbach) Ja Nein enthalten
Kutschera Ja Nein enthalten
Dr. Mocker krank krank krank
Dr. Oberländer .. . — — —
Petersen Ja Nein enthalten
Dr. Reichstein Ja Nein enthalten
Samwer Ja Nein enthalten
Seiboth Ja Nein enthalten
Dr. Sornik Ja Nein enthalten
Srock Ja Nein enthalten
Dr. Strosche Ja Nein enthalten

DP

Becker (Hamburg) . . . Nein Ja Nein


Dr. Brühler Nein Ja Nein
Eickhoff Nein Ja —
Dr. Elbrächter Nein Ja Nein
Hellwege — —
Matthes Nein Ja Nein
Dr. von Merkatz . . — — Nein
Müller (Wehdel). . Nein Ja Nein
Dr. Schild (Düsseldorf) . Nein Ja Nein
Schneider (Bremerhaven) krank krank krank
Dr. Schranz Nein Ja Nein
Dr. Seebohm — — —
Walter Nein Ja Nein
Wittenburg Nein Ja Nein
Dr. Zimmermann . . . Nein Ja Nein

Fraktionslos

Brockmann (Rinkerode) entschuld. entschuld. entschuld.


Stegner Ja Nein Nein
2156 2. Deutscher Bundestag — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. September 1954

Zusammenstellung der Abstimmungen

Abstimmung
1 2 3

Abgegebene Stimmen 380 382 382


Davon :
Ja 148 39 189
Nein 230 332 49
Stimmenthaltung . 2 11 144
Zusammen wie oben . 380 382 382

Berliner Abgeordnete

Name 2 3
1

CDU/CSU

Dr. Friedensburg . . . . Nein Nein Ja


Dr. Krone Nein Nein Ja
Lemmer — — —
Frau Dr. Maxsein . Nein Nein Ja
Stingl Nein Nein Ja
Dr. Tillmanns — — —

SPD
Brandt (Berlin) . — — —
Frau Heise Ja Nein Nein
Klingelhöfer Ja Nein —
Dr. Königswarter . Ja Nein enthalten
Mattick Ja Nein Nein
Neubauer Ja Nein Nein
Neumann Ja Nein Nein
Dr. Schellenberg .. . Ja Nein enthalten
Frau Schroeder (Berlin) . krank krank krank
Schröter (Wilmersdorf) . Ja Nein Nein
Frau Wolff (Berlin) . Ja Nein Nein

FDP
Dr. Henn — — —
Hübner Nein Ja Nein
Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Nein Ja Nein
Dr. Reif Nein Ja Nein
Dr. Will Nein Ja Nein

Zusammenstellung der Abstimmungen der Berliner Abgeordneten

Abstimmung
1 2 3

Abgegebene Stimmen 17 17 16
Davon:
Ja 9 4 4
Nein 8 13 10
Stimmenthaltung . — — 2
Zusammen wie oben . . 17 17 16

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