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Gutachtenforum:

Ulrich Kobbe
Zur Biologik der Deiinquenz - Kasuistik eines gutachterlichen Monologs1
Im Rahmen einer Kasuistik wird exemplarisch aufgezeigt, auf welche Weise aus der unreflektiert-interessierten Position des Gut-
achters die Vermischung und Aufgabe der regulären Diskursebenen resultieren kann. Die (ver)wechselnde Konvergenz von For-
schung, Hilfe, Kontrolle und Bestrafung gerät damit zur forensischen Fehlbeurteilung, zur gerichtlichen Fehleinweisung, zur indi-
viduellen Verstrickung und zum institutionellen Dilemma.

Schlüsselwörter:
Fehlbegutachtung, Fehleinweisung, Biologismus

Tatvorwurf 3. ca. 5 Monate später eine Frau gewürgt, verletzt und ihr
gedroht zu haben, sie nach Haftentlassung umzubringen,
Es handelt sich um die Begutachtung eines zum Tatzeitpunkt 4. weitere 6 Monate später eine Frau zum Geschlechtsverkehr
33- bis 34-jährigen Mannes, Herrn G.2, dem zur Last gelegt genötigt und mißhandelt zu haben,
wurde, 5. knapp einen Monat später einem Mann mit einer Pistole
1. bei einer versuchten Vergewaltigung den Täter durch Zu- die Stirn blutig geschlagen, ihn zur Herausgabe von Klei-
rufe unterstützt und einen Dritten mit einem Messer von dungsstücken und Distraneurin gezwungen zu haben.
der Hilfeleistung abgehalten zu haben,
2. dem hilflosen Opfer Personalpapiere und Wertsachen ent- Soweit der Tatvorwurf in den Akten der Staatsanwaltschaft.
wendet zu haben,

22 R&P 1994, 12Jg.


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Gutachten und Soziopathie verhaltensgestört, wobei aus seinem Verhal-


ten eine hohe AfFekdabilität und Affektinkontinenz mit ex-
Etwa 9 Monate nach der letzten Tat lagen ein neuropsycho- plosiven Reaktionen hervorgeht, die zu einer langen Reihe
logisches, ein neurophysiologisches, ein neuroradiologisches aktenkundiger brutaler Tätlichkeiten geführt haben. ... Dar-
Zusatzgutachten sowie das nervenärztli;che Hauptgutachten überhinaus liegt ein bis heute andauernder Abusus von Al-
vor. kohol, Drogen und Medikamenten vor. Ob sein Verhalten
Krankheitsanamnestisch fasste der Hauptgutachter zusam- ... durch die Erbanlage der Huntington-Krankheit beeinflußt
men, Herr G. stamme »aus einer mit Morbus Huntington wird, ist ... ohne eine molekulargenetische Untersuchung ...
schwer belasteten Familie«, wodurch »für ihn das a priori Ri- nicht möglich.«
siko, Merkmalsträger zu sein, 50 %« betrage. Es müsse erwo- Nicht nur daß der Gutachter ein Institut für Humange-
gen werden, »ob seine delinquenten Verhaltensweisen im Zu- netik um eine DNA-Untersuchung ersuchte - er suchte so-
sammenhang mit der Huntington-Krankheit stehen«. gar, die Genom-Untersuchung per Gerichtsbeschluß zu er-
Differentialdiagnostisch heißt es dann, Herr G. biete »in zwingen, da das Institut gestützt auf internationale Richdi-
körperlicher Hinsicht ... keinerlei Anzeichen für Chorea nien zur molekulargenetischen Diagnostik die Untersuchung
Huntington«, dies ebensowenig in der neuroradiologischen im Kontext des Strafverfahren ablehnte.
Untersuchung des Gehirns, der neurophysiologischen Unter- Forensisch stellte der Gutachter fest, »das Ausmaß der psy-
suchung des ZNS oder der neuropsychologischen Diagno- chischen Veränderungen unter Berücksichtigung der Intoxi-
stik. kation zu den Tatzeiten« habe »einen solchen Schweregrad,
Psychiatrisch erhebt der Gutachter folgenden Befund: daß der 21 StGB bei G. zur Anwendung kommen muß«.
»Der Pat. ist äußerlich gepflegt und ordentlich gekleidet; Zwei Sätze weiter setzt er bereits ein »sich manifestieren-
kräftiger Körperbau. Im Auftreten wirkt er insgesamt selbst- de^)«, die Gehirnfunktion fraglich beeinträchtigendes
bewußt und fordernd. Mimik und Gestik sind unauffällig. »Huntington-Gen« voraus. Daher »muß - indubio pro reo -
Der emotionale Kontakt ist oberflächlich gut, ... Die Stim- unter Berücksichtigung der medizinisch gut dokumentierten
mung ist situationsadäquat, bezüglich seiner Lebensgeschich- frühen Affektstörungen der Hunrington-Pat. angenommen
te wirkt der Pat. verbittert und anklagend, z.T. erregt. ... Es werden, daß zum Tatzeitpunkt 20 StGB zur Anwendung
besteht eine erhebliche AfFekdabilität, die Stimmung kann kommen muß«, so seine gutachterliche Ausführung in einem
ziemlich schnell umschlagen, emotionaler Tiefgang fehlt. Die Schreiben an das Landgericht zur Frage der aufgehobenen
Impulskontrolle und Frustrationstoleranz sind vermindert. Schuldfähigkeit bereits 5 Wochen vor Erstellung des Gutach-
Antrieb: Es besteht deudicher Rededrang, der Pat. wirkt an- tens.
gespannt und unter innerem Druck stehend.Bewußtseins- Prognostisch ging er von einer »extrem hohen Rückfallge-
klar, voll orientiert, Auffassung und Aufmerksamkeit nicht fahr« aus, da Herr G. »die Verantwortung für sein soziopa-
beeinträchtigt. Die Konzentrationsfähigkeit ist etwas vermin- thisches Verhalten« an andere delegiere. Intoxikiert sei er »in
dert, das Gedächtnis bei grober Prüfung intakt. ...Keine seinem Verhalten unberechenbar und so ungesteuert, daß es
Wahrnehmungsstörungen oder Ich-Störungen.Inhaldiches zu schwersten Tädichkeiten« komme. Er sei nicht an gültigen
Denken: Keine Wahnideen, aber leicht paranoid gefärbte sozialen Normen und Wertvorstellungen orientiert und »ab-
Verarbeitung belastender Erlebnisse. ...Der formale Gedan- solut nicht gewillt ..., sich mit einem bescheidenen Lebens-
kengang ist weitschweifig und manchmal schwer auf eine standard durch redliche Arbeit zufrieden zu geben.«
Frage fixierbar. Die Intelligenz ist im oberen Durchschnitts- Perspektivisch könne eine Gefängnisstrafe Herrn G. »mit
bereich. Kritik- und Urteilsfähigkeit sind merklich herabge- hoher Wahrscheinlichkeit nur zum Negativen D
beeinflussen«,
setzt. Der Pat. kann seinen eigenen Anteil an der Entstehung sodaß er »wegen seiner Wesens- und Verhaltensstörungen
von für ihn unangenehmen Situationen nicht erkennen oder über einen längeren Zeitraum — nicht unter zwei Jahren — in
er verharmlost seine Rolle dabei, er sieht sich als Opfer wid- einer geschlossenen forensisch-psychiatrischen Abteilung be-
riger Umstände und böswilliger Behandlung durch andere. handelt werden« müsse. Der letzte Satz des Gutachtens lau-
G. ist nur sehr begrenzt in der Lage, die Menschen seiner tet: »Sollte sich sein Zustand als nicht therapierbar erweisen,
Umgebung als eigenständige Wesen mit eigenen Bedürfnis- ist Sicherheitsverwahrung angezeigt.«
sen und Vorstellungen adäquat wahrzunehmen und sich in
sie einzufühlen. ...«
Diagnostisch sei Herr G. »ein haldoser, charakterschwa- Urteil
cher Psychopath mit soziopathischem Verhalten, der seine Das Gericht ging davon aus, Herr G. habe die Taten zumin-
Minderwertigkeitskomplexe durch überzogene Größenvor- dest im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit
stellungen von sich und seiner Familie kompensiert. Er be- begangen, jedoch sei eine Schuldunfähigkeit nicht auszu-
zieht sein Selbstwertgefühl nicht aus dem, was er leistet (de schließen. Psycho- und Soziopathie seien als pathologische
facto nichts Positives), sondern aus dem, was er sich leisten seelische Störungen im Sinne des 20 StGB zu gewichten. Da
kann (Feuerzeug für 800 DM, Rolex-Uhr für 18.000 DM, Herr G.
Körperpflegemittel von Aramis bzw. Guhl, Seidenhemden, • in der Vergangenheit mehrfach insbesondere wegen Ge-
Lederjacken).« waltdelikten verurteilt wurde,
Zusammenfassend konstatiert der Gutachter, Herr G. sei • zuletzt ohne Unterbrechung eine achtjährige Freiheitsstra-
»seit seiner frühesten Jugend im Sinne einer Psychopathie fe verbüßte,

fl & P 1994, 12Jg. 23


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• in der Haft zweimal wegen Gewaltdelikten verurteilt wur- einer schweren Soziopathie« bot, allerdings mit bereits 9 Ver-
de und urteilungen wegen
• die Taten nur einen Monat nach Haftentlassung beging, • Diebstahl,
wurde nach Auffassung der Kammer »allzu deutlich, daß ohne • Hausfriedensbruch,
eine therapeutische Behandlung auch in Zukunft mit weite- • Fahren ohne Führerschein in alkoholisierten Zustand,
ren erheblichen Straftaten solcher Art zu rechnen ist.« • Nötigung,
• Waffenbesitz,
• vorsätzlicher Körperverletzung und
Kritik • Totschlag
Auf die hochbrisante Macht-Ohnmacht-Dynamik in der fol- zur Gruppe der Kriminellen in den Haftanstalten gehört und
genden Unterbringung gem. 63 StGB soll an dieser Stelle dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus - so
nicht eingegangen werden. In die kritische Betrachtung ist ein der spätere Zweitgutachter — »unter dem Gesichtspunkt eines
späteres psychologisch-psychiatrisches Gutachten zur Frage 'Mißbrauchs der Psychiatrie'« betrachtet werden muß.
einzubeziehen, ob Herr G. »weiterhin an einer die Unterbrin-
gung nach 20, 21 StGB rechtfertigenden Erkrankung leidet,
infolge derer von ihm erhebliche rechtswidrige Taten zu er- Diskussion
warten« seien. Die persönliche Ausgangsbasis des Gutachters für diese dia-
Zum Gutachten fällt auf, daß - so der spätere Zweitgut- gnostischen, prognostischen und forensisch-psychiatrischen
achter — »in ungewöhnlichem Umfang« von einem sonst Feststellungen waren:
auch epidemiologisch forschenden Behandler gutachterlich a) sein Interesse als sonst wohl nicht gutachterlich tätiger Arzt
»nach Anhaltspunkten oder Mikrosymptomen oder nach ei- an dem Gebiet der Chorea-Forschungö einschließlich Fa-
ner genetischen Belastung gefahndet« wurde, ohne daß sich milienuntersuchungen von Angehörigen,
hierbei Hinweise auf eine choreatische Erkrankung oder b) die ursprüngliche Behandlung der manifest erkrankten
Merkmalsbelastung ergaben. Dennoch wird im Gutachten Mutter des Angeklagten, sowie
wiederholt benannt, Angehörige einer 'Chorea-Familie' seien c) das Ausfindigmachen und Untersuchen aller Familienmit-
zu 50% erblich belastet und häufig symptomatisch krimina- glieder des Angeklagten unter sozialmedizinisch-präventi-
litätsbelastet. Die gewählten Formulierungen aber lassen die ven Gesichtspunkten.
50%ige Wahrscheinlichkeit nicht mehr eindeutig als Wahr- Vor diesem persönlichen Hintergrund fand die spätere Begut-
scheinlichkeit erkennen, sondern »den Verdacht aufkom- achtung statt, von dem sich Herr G. offensichtlich Vorteile
men«, jedes Familienmitglied und somit auch Herr G. sei zu durch eine psychiatrische Unterbringung zur Umgehung einer
50% belastet bzw. erkrankt. Hier gerade aber sprachen alle längerjährigen Haftstrafe versprach - eine Fehlkalkulation, die
erhobenen Befunde eindeutig dafür, daß Herr G. nicht er- er später als »Teufelsspiel mit dem Gutachter« bezeichnet. In
krankt ist. der Tat hielt der ambivalente Gutachter Herrn G. offensicht-
Bei kritischer Betrachtung der Störungsdiagnostik sind lich
zudem im zweischrittigen differentialdiagnostischen Vorge- • einerseits für so behandlungsbedürftig, daß er ihn im Gut-
hen nach ICD-10 zwar die Merkmale des zweiten Schritts achten bereits als »Pat.« bezeichnet,
für die spezielle Persönlichkeitsstörung F60.2 vorhanden, je- • andererseits für derart gefährlich, daß ihm die Fehlleistung
doch liegen die vorab im ersten Schritt zu erfüllenden Krite- unterläuft, als ultima ratio »Sicherheitsverwahrung« (statt
rien der diagnostischen Leitlinien für die Störung als solche Sicherungsverwahrung) zu empfehlen.
nicht vor. D. h. es handelt sich bei der dissozialen Persön-
lichkeit keineswegs schon um eine Persönlichkeitsstörung, Erstattet wurde ein relativ kurzes Gutachten (4l Seiten), in
somit auch nicht um eine sog. »schwere andere seelische Ab- dem auf die gängigen Klassifikations- und Diagnosesysteme
artigkeit« im Sinne des 20 StGB. Dementsprechend läßt in keiner Weise bezug genommen wurde. Stigmatisierende
sich schwerlich nachvollziehen, daß hieraus eine Unterbrin- Etikettierungen durch Vorgutachter (»isolierter Psychopath«)
gung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgeleitet und blieben als Zitat unkommenriert. Ebensowenig wurden die
gleichzeitig wegen der »prognostisch ... extrem hohen Rück- konkret zur Last gelegten Straftaten differenziert im Kontext
faUgefahr« bei Therapieunfähigkeit nach zweijähriger Unter- der Biografie und der psychosozialen Entwicklung betrachtet,
bringung die Sicherungsverwahrung angeregt wurde. die ihrerseits ohne erkennbare Systematik meist aus Fremdbe-
Ebensowenig gibt es ausreichend objektivierbare Hinweise richten (Straf-, Jugendamtsakten, Gutachten) und Briefen des
darauf, daß es sich bei der Suchtproblematik tatsächlich um Herrn G. zitierend rekapituliert wurde. Dies verhinderte
eine behandlungsbedürftige Abhängigkeit oder einen chroni- auch, daß die als widersprüchlich bewerteten Angaben von
schen Mißbrauch im Sinne einer Erkrankung oder krankhaf- Herrn G. zur Lebens- und Familiengeschichte vom Gutachter
ten Störung handelt. als mystfizierende Umschreibungen des 'Familienromans'
Faßt man diese Kritikpunkte zusammen, so wurde durch (Freud 1909) erkannt und als neurotische Phantasie auf dem
eine mißverständlich-irreführende Persönlichkeits- und Stö- Boden einer ödipalen Problematik erörtert werden konnten.
rungsdiagnostik im Zusammenhang mit der unterstellten Stattdessen wird vom Gutachter pauschal festgestellt, »daß G.
quasi 50%igen Chorea-Erkrankung die Exkulpierung eines selten bei der Wahrheit bleibt, sondern seine Aussagen von
Mannes vorgenommen, der zwar vermeintlich »alle Zeichen dem Bemühen geprägt sind, sich reinzuwaschen«. Darüber

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hinaus erfolgten längere Ausführungen zur Epidemiologie und Darüberhinaus ist diese Analyse u.E. insofern von Bedeu-
Pathologie der (nicht vorliegenden!) choreatischen Erkrankung. tung, als sich die gutachterlichen Ausführungen mit ihrer
Im Ergebnis resultierten auf Seiten des Gutachters psych- vermutenden Unterstellung eines genetischen Defektes nicht
iatrische Fehlbegutachtung und forensische Fehlbeurteilung, mehr nur auf ein »wissenschaftliches Wissen«, sondern par-
auf Seiten von Herrn G. ohnmächtige Wut und Angst, die tiell auf ein »Nichtwissen« des biologisch-psychiatrischen
er in der Sackgasse der Unterbringung mit einem hochag- Pragmatismus stützen und damit »nach einem distanzierten
gressiv-kontraphobischen Veitstanz (Fightstanz) ganz anderer kritischen Urteil rufen« (Mouloud in Foucault 1978, 49).
Art ausagierte. Deutlich wird an diesem Fall, der - so der Denn mit dieser Argumentation gerät der Gutachter unwei-
letzte Gutachter - sicherlich »kein Einzelfall, aber ... gewiß gerlich in die Nähe eines nichtlegitim(iert)en willkürlichen
ein besonders exemplarischer Fall« ist, daß hinsichtlich Per- Machtdiskurses, der in seiner Reduktion des gesamten Men-
sönlichkeitsdiagnostik und abzuleitender forensisch-psychia- schen auf das biologische Substrat als zutiefst inhuman (im
trischer oder -psychologischer Beurteilungen ausreichende Originalzitat <fasciste> = »faschistoid«) zu charakterisieren
Kenntnisse und Erfahrung vorliegen müssen, jedoch entwe- ist: So nämlich, als <reduction de l'existence humaine au bio-
der nicht ausreichend vorlagen oder nicht genutzt wurden logique dans les divers domaines vitales> (Legendre), wurden
bzw. werden konnten. 1993 auf der Tagung der Internationalen Gesellschaft für
Die fachliche Eignung und Kenntnis des Gutachters vor- Criminologie in Budapest Verbrechen gegen die Menschlich-
ausgesetzt, kam es zu einer Verquickung von Ebenen, die als keit definiert...
juristische, medizinische und psychotherapeutische Diskurse
benannt und unterschieden werden müssen (Lacan 1969/70;
Anmerkungen
Widmer 1983).
Der Gutachter aber pendelte zwischen diesen Ebenen, er- 1) Überarbeiteter Vortrag "während der 8. Forensischen Herbsttagung der
örterte Notwendigkeiten der Gefahrenabwehr und versteckt Universität München (Kobbe 1993)
2) Name anonymisiert
auch der juristischen Sanktion, weitete die Diagnostik in prä-
ventive Bereiche jenseits des Gutachtenauftrags aus, befaßte
sich mit der Behandlungsmöglichkeit bzw. -Unmöglichkeit, Literatur
ohne deren Notwendigkeit ausreichend zu klären und diese Dilling, H.; Mombour, W.; Schmidt, M.H. (Hrsg.) 1991: Internationale
in den Kontext der forensischen Fragestellung zu rücken. Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F), Klinisch-dia-
Wesentlich an dieser verkürzten Darstellung und diskurs- gnostische Leitlinien. Huber, Bern/Götringen/Toronro 1991
theoretischen Einordnung ist hinsichdich der Kasuistik, daß Foucault, M. 1978: Was ist Kritik? Merve, Berlin 1992
Freud, S. 1909: Der Familienroman der Neurotiker. in: GW VII,Imago,
sich der Gutachter in diesem legitim(iert)en Analyseraster London (1955) 227-231
der Macht-AWissendiskurse mehrfach und derart verfangen Kobbe, U. 1993: Veitstanz und Soziopathie. Vom »Teufelsspiel mitdem Gut-
hat, daß dies nicht nur zur Aufgabe unparteilicher Position achter« zum »Mißbrauch der Psychiatrie«. Vortrag. 8. Forensische Herbst-
geriet, sondern zum partiellen Ersatz der normativ-regelbe- tagung, Universität München, 15.-16.10.93
Lacan, J. 1969/70: L'envers de la psychanalyse. Le se'minaire XVII. Seuil, Pa-
zogenen wie wissenschaftlichen Diskurse durch einen u.E.
ris 1991
pseudowissenschaftlichen Diskurs des Biologisierens. Das Widmer, P. 1983: Medizinischer, psychotherapeutischer und psychoanalyti-
heißt scher Diskurs, in: Psyche 37 (1983) 193-203
• jenseits anamnestischer sozialisations- und deliktbezoge-
ner Daten aus Selbstschilderung und Fremdberichten, Anschrift des \ferfassers
• trotz sorgfältig-pluridisziplinärer Differentialdiagnostik Westf. Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt
durch Dritte entglitt dem Gutachter sein Fall so weit, daß Eickelbomstr. 21
von ihm 59556 Lippstadt
• persönlich-faszinierte Nähe passagenweise durch diskrimi-
nierend-moralisierende Distanzierungen abgewehrt,
• wissenschaftliche Redlichkeit durch selektiv-fehlerbehaf-
tete Schlußfolgerungen eskamotiert und somit
• partiell ein willkürlich-bemächtigender Diskurs einge-
führt wurde, der in dieser Tendenz redukrionistisch auf
das Biologische im Individuum abzielt.

Somit zielt diese Kritik in keiner Weise auf die Diskreditie-


rung einer exkulpierenden Position, geschweige denn des
Gutachters selbst, sondern vielmehr auf die (Auf-) Klärung
und Kritik eines gutachterlichen Lapsus: Denn speziell in der
diskursiven Verflechtung der Ebenen gutachterlichen Urtei-
lens muß es u.E. darum gehen, einen »Nexus von Macht-Wis-
sen« (Foucault) zu charakterisieren, der die Akzeptanz oder
Ablehnung eines psychiatrischen/psychologischen/juristi-
schen Systems maßgeblich mitbedingt.

R&P 1994, 12.JQ. 25

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