Krankheit und Glauben im Alten Testament
Krankheit und Glauben
im Alten Testament
Von Hartmut Schmid,
Studienleiter am Albrecht-Bengel-
Haus in Tübingen
 Woher kommt Krankheit?
Warum sind die einen betroffen
und andere nicht? Wie gehe ich als
Christ mit Krankheit um? Solche
und ähnliche Fragen werden häufig
gestellt und sind besonders bedrän-
gend bei persönlicher Betroffenheit.
Ich möchte versuchen, ein paar
Hilfen vor allem aus dem Alten Tes-
tament (AT) zu geben.
Krankheit gehört zur
Wirklichkeit einer
gefallenen Welt
Die ersten Seiten der Bibel zeigen
uns eine sehr spannungsvolle Wirk-
lichkeit. Zunächst hören wir von der
Entstehung der Welt. Gott selber
spricht über sie das Urteil „sehr gut“.
Vom Leben ohne Beeinträchtigung
lesen wir, von Harmonie zwischen
Gott und den Menschen, von un-
begrenzter Offenheit zwischen den
Menschen ohne gegenseitige Aus-
nützung und Scham - kurz gesagt:
diese Welt ist gesegnet.
Aber schon wenig später begeg-
nen wir einer anderen Beschreibung
(1. Mose 3, 14 - 24). Wir lesen von
Fluch und Feindschaft, Schmerzen
und Mühsal, Vergänglichkeit und
Tod und zuletzt von der Trennung
von Gott. Die Menschen sind aus-
gewiesen aus dem Paradies und ab-
geschnitten vom Baum des Lebens.
Der aufmerksame Bibelleser
könnte jetzt einwenden, dass in den
genannten Versen die Krankheit
nicht ausdrücklich genannt ist.
Das ist richtig. Aber es ist in die-
sen wenigen Versen mit wenigen
Beispielen exemplarisch die ganze
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Das Fundament 3/2005
Wirklichkeit dieser Welt und des
menschlichen Lebens beschrieben,
wozu auch Krankheit gehört.
Nun darf allerdings die Wirk-
lichkeit der Welt von 1. Mose 3, 14ff
her auch nicht einseitig negativ
beschrieben werden. Sie ist höchst
spannungsvoll: Segen und Fluch,
Glück und Leid, Leben und Tod,
Fürsorge Gottes und Vertreibung
aus dem Paradies - und eben auch
Gesundheit und Krankheit stehen
nebeneinander.
Wir sehen in diesen Versen, dass
Gott selbst für diese Weltzeit eine
neue Ordnung setzt, zu der diese
Spannung wesenhaft dazugehört.
Gott ist der Handelnde. Er lässt
sich seine Schöpfung, auch wenn
sie gefallen ist, nicht aus der Hand
nehmen. Gott reagiert damit auf die
Wirklichkeit des Bösen: des Versu-
chers, der gelungenen Versuchung
und der Sünde des Menschen. Die-
ser spannungsvollen Ordnung ist die
gesamte Schöpfung unterworfen.
Sie trifft in einer unberechen-
baren Weise irgendwie alle und
alles, Gläubige und Ungläubige.
Die ganze Kreatur seufzt. In die-
ser spannungsvollen Ordnung
erhält Gott die Welt bis zum heuti-
gen Tag auf seine Erlösung hin (ver-
gleiche 1. Mose 3, 15).
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Das Leiden unter Krankheit
und die Erfahrung von
Gottes Hilfe
Der einzelne Glaubende, der von
Krankheit betroffen ist, erfährt nun
an sich selbst die spannungsvolle
Wirklichkeit. Er findet sich jedoch
damit nicht einfach ab, sondern
bringt die Not seines Lebens - das
gilt nicht nur für Krankheit - vor
Gott. Der Gott des Lebens und des
Segens unterwirft ihn diesem Lei-
den, das ist die eigentliche Not. In
der Klage schreit der Betroffene die-
se Not mit seinem Gott vor diesem
Gott selbst hinaus.
Die Erfah-
rung der
Hilfe
Gottes
ist in
den
per-
sönlichen Zeug-
nissen des AT
unterschiedlich.
In Psalm 88 lesen wir ein Klagelied

eines chronisch Kranken. Der Psalm
geht über die Klage (noch) nicht
hinaus und lässt (noch) keine Hilfe
erkennen. Im bekannten
Psalm 73 findet der ver-
mutlich kranke Beter die
Hilfe nicht in der Hei-
lung, sondern in der Gewiss-
heit, dass Gott ihn in der Krankheit
hält und er Anteil an Gottes Ewig-
keit hat. In Psalm 103 bekennt Da-
vid, dass Gott die Gebrechen heilt.
Die Erfahrung von Gottes Hilfe
in diesem irdischen Leben ist also
höchst unterschiedlich.
Die Unverrechenbarkeit der
Krankheit mit dem Glauben
Ist die persönlich erlittene Krankheit
Folge einer konkreten Sünde? Diese
Frage wird oft gestellt und unter-
schiedlich beantwortet (vergleiche
Johannes 9, 2f ). Im AT wird dieser
Zusammenhang am ausführlichsten
im Buch Hiob zwischen Hiob und
seinen Freunden diskutiert.
Zunächst hat Krankheit ganz
allgemein und umfassend mit Sün-
de zu tun. Diesen Zusammenhang
zeigt 1. Mose 3. Alles Leid der Welt
steht von der Bibel her gesehen in
Krankheit und Glauben im Alten Testament
einem ursächlichen Zusammen-
hang mit der Sünde. Deshalb wird
in Krankheit,
Vergänglichkeit und Tod der Zorn
Gottes erfahren (Psalm 90, 7 - 10).
Deshalb sollte Krankheit auch
nicht nur beim Kranken selbst
Betroffenheit und anteilnehmende
Klage auslösen. „Wenn ein Glied
leidet, dann leiden alle Glieder mit“
(1. Korinther 12, 26). Weil es diesen
ursächlichen Zusammenhang gibt,
schließt die Erlösung von der Sünde
letztlich auch die Befreiung von der
Krankheit ein. Gottes umfassendes
Heil kennt keine Krankheit mehr.
Im persönlichen Leben kann
Krankheit (oder anderes Leid)
Folge einer Sünde sein - muss aber
nicht. David bringt in Psalm 103, 3
Vergebung und Heilung und somit
Sünde und Krankheit in ganz engen
Zusammenhang; in Psalm 73 und
88 fehlt dagegen dieser Bezug. In
Psalm 73 wird vom Beter sogar um-
gekehrt festgestellt: Den Gottlosen
geht es gut!
 
Das Fundament 3/2005
Der direkte Zusammenhang von
Krankheit und Sünde im persönli-
chen Leben wird an vielen Stellen
aber abgewiesen. Hiob wird nicht
wegen seiner Sünde, sondern wegen
seiner Frömmigkeit versucht. Und
Hiob leidet entsetzlich darunter, dass
seine Freunde den Zusammenhang
mit einer Sünde herstellen wollen.
Das Hiobbuch warnt vor vorschnel-
len und falschen Urteilen, vor allem
durch außenstehende Personen.
Dieser wichtige Punkt lässt sich
auch am Beispiel Elias und Elisas
vertiefen. Bei Elia erfahren wir kein
Wort über eine Krankheit. Er leidet
persönlich auf andere Weise unter
der Sünde seines Volkes: Flucht,
Einsamkeit, Anfeindung, Verfol-
gung (1. Könige 17 - 19). Bei seinem
Aufenthalt bei der Witwe in Zarpat
wird deren Sohn krank und stirbt.
Die Frau selbst stellt einen Bezug
zu einer Sünde her und Elia wider-
spricht dieser Erklärung nicht. Er
klagt jedoch vor Gott über diesen
Tod, und dem Kind wird wieder
das Leben geschenkt (1. Könige
17, 17 - 24). Anders beim Sohn des
Königs Ahab, Ahasja. Auch er wird
krank, wendet sich aber in seiner
Krankheit nicht an den Gott Israels,
sondern an eine Baals-Gottheit. Elia
kündigt ihm daraufhin an, dass er
von seiner Krankheit nicht genesen
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wird, was nur als Strafe verstanden
werden kann (2. Könige 1). Der
krasse Gegensatz dazu ist das Ende
Elias. Nicht nur, dass wir von keiner
Krankheit hören, sondern Elia stirbt
keines irdischen Todes. Er wird zu
Gott entrückt (2. Könige 2). Ganz
anders wird dagegen vom Lebens-
ende Elisas berichtet (2. Könige
13, 14 - 21). Er wurde krank und
starb an dieser Krankheit. Krank-
heit und Tod Elisas werden an kei-
ner Stelle in den Zusammenhang
einer Sünde gebracht; dies wird
dadurch unterstrichen, dass ein an-
derer Leichnam, der in Kontakt mit
Elisas Leichnam kam, zum Leben
erweckt wurde. Elisa selber wird
von Gott nicht davor verschont,
aber noch der tote Gottesmann wird
zum Segen für einen anderen. Elia
und Elisa, beide Propheten Gottes,
durch beide hat Gott gewirkt, durch
beide geschahen Wunder - der ei-
ne wird entrückt, der andere wird
krank und stirbt. So verschieden
sind Gottes persönliche Führungen.
Durch ihr Leben und durch ihr so
verschiedenes Lebensende hat Gott
geredet und gehandelt. Bei Elia und
Elisa begegnet uns fast die ganze
Bandbreite von Krankheit und ihrer
Deutung bzw. Bedeutung. Wir er-
kennen vor allem, dass wir nicht in
einer einfachen und schematischen

Weise Krankheit, Sünde und Glau-
ben verrechnen können.
Gottes Ziel: Wirken seines Sohnes gezeigt, der
das umfassende Heil
Wir haben oben die spannungsvolle
Wirklichkeit des Lebens in dieser
Weltzeit festgestellt. Dies ist jedoch
kein Dauerzustand, sondern Durch-
gangsstadium. Gott ist mit der
Weltgeschichte unterwegs zu seinem
Ziel, dem umfassenden Heil. Die
von Gott festgelegte spannungsvolle
Ordnung, wie sie in 1. Mose 3, 14ff
beschrieben wird, wird bis zur Wie-
derkunft Jesu nicht grundsätzlich
aufgehoben, auch nicht im Leben
der Glaubenden. Auch sie sind der
Wirklichkeit von Krankheit und
Tod unterworfen (vergleiche Römer
8, 18 - 25). Und doch gibt es schon
in dieser Zeit Zeichen von Gottes
heilsamem Handeln. Der Prophet
Elia ist ein solches Zeichen. Gottes
Ziel ist das Leben und nicht Krank-
heit und Tod. Der Prophet Elisa
ist ein solches Zeichen. Obwohl
er selbst noch Krankheit und Tod
unterworfen ist, geht von seinem
Leben als Bote Gottes Segen aus.
Gott hat schon im alten Bund vie-
len Menschen geholfen, die sich
vertrauensvoll an ihn gewandt
Krankheit und Glauben im Alten Testament
haben. Er hat damit unterstrichen,
dass er der lebendige Gott ist und
letztlich heilsames Leben geben
möchte. Besonders klar hat er es im
viele Kranke geheilt hat. Und seit
Jesus haben es unzählige Menschen
erfahren: Gott kann helfen und
heilen. Aber es bleibt dabei: Gottes
heilende Hilfe aus Krankheit ist uns
für dieses Leben nicht grundsätzlich
verheißen. Wir dürfen Gott um
Hilfe bitten und er kann das Wun-
der der Heilung tun. Aber er kann
uns auch anders führen. Dann gilt
die Verheißung: Ich bin bei dir und
bringe dich zum Ziel. Fest steht:
Gottes letztes Ziel ist das umfassen-
de Heil, der neue Himmel und die
neue Erde; ein Leben ohne Krank-
heit und Tod. 
Aus: theologische Orientierung,
Nr. 129, 2003.