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2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
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Mike Mohring (links) und Bernhard Vogel © Joerg Glaescher für DIE
ZEIT
DIE ZEIT: Herr Vogel, Herr Mohring, wie wichtig ist Macht für einen Politiker?
Bernhard Vogel: Macht, dieses Wort hat keinen guten Ruf. Dabei ist die Macht
allein weder gut noch böse. Sie kann gebraucht und sie kann missbraucht
werden.
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30.1.2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
ZEIT: Herr Vogel, Sie haben viel Erfahrung mit Macht. Sie waren
Ministerpräsident von zwei Bundesländern: von 1976 bis 1988 in Rheinland-
Pfalz, von 1992 bis 2003 in Thüringen. Herr Mohring würde 2019 gerne in
Thüringen in dieses Amt gewählt werden. Was muss er tun, um das zu
schaffen?
Vogel: Sechsmal.
Vogel: Du hast recht. Das erste Mal wurde ich mitten in der Legislatur
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, das habe ich nicht mitgezählt.
ZEIT: Welche?
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30.1.2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
Vogel: Im Grunde fing es schon zwei Jahre vorher an. Als Helmut Kohl 1973
Bundesvorsitzender der CDU wurde und den Landesvorsitz in Rheinland-Pfalz
aufgab, favorisierte er eigentlich Heiner Geißler als seinen Nachfolger.
Vogel: Ja, ich trat gegen Geißler an, obwohl wir gute Freunde waren. Und ich
war erfolgreich.
Mohring: Es gibt politische Freundschaften, aber die Frage ist: Hält so eine
Freundschaft auch dann, wenn man nicht mehr über Ämter und Einfluss
verfügt? Für mich ist aber auch klar, dass die besten, intensivsten
Freundschaften in meinem Leben mit Politik nichts zu tun haben. Ich habe
meine besten Freunde außerhalb der Politik.
Vogel: Bei Freundschaften in der Politik ist Vorsicht geboten: Die Gefahr, dass
manche Leute Kontakt zu einem suchen, weil man wer ist, ist besonders groß.
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30.1.2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
Mohring: Na, und seit du SMS schreiben kannst, kann man sich sogar auf
diesem Weg verabreden. Manchmal schickt er mir eine leere SMS. Da weiß ich
dann: Er hat’s gelesen, und es gibt Redebedarf.
ZEIT: Haben Sie Interesse daran, über Thüringer Politik auf dem Laufenden zu
sein, Herr Vogel?
Vogel: Also bitte! Natürlich! Wenn man elf Jahre lang Regierungschef war in
einem Land – und noch dazu unter den Bedingungen der Nachwendezeit, in
der die Jahre ja mehrfach zählen –, dann verliert man das Interesse nicht.
Natürlich interessiert mich brennend, was in Thüringen vor sich geht. Ich lese
täglich eine Thüringer Zeitung und bin oft hier.
Vogel: Einen Tag später. Aber den Pressespiegel des Thüringer Landtags lese ich
auf dem iPad am selben Tag. Das kann ich technisch sogar. So weit bin ich.
Mohring: Er ist immer auf dem Laufenden, weiß vieles. Der Rat von Bernhard
Vogel und auch seinem Nachfolger Dieter Althaus ist mir wichtig.
Vogel: Heute! Als du rebellisch und jung warst, war das anders! Da saßt du in
meinem Büro.
Mohring: Das war 1997, im Vorfeld der Bundestagswahl 1998. Ich war 25
Jahre alt, Kreisvorsitzender der Jungen Union in Apolda und fand mich
plötzlich in der Staatskanzlei wieder.
Mohring: Vera Lengsfeld, die Bürgerrechtlerin, war von den Grünen zur CDU
übergetreten und sollte in Thüringen einen Wahlkreis bekommen. Und meine
damaligen CDU-Oberen in Apolda, meiner Heimatstadt, haben nach Erfurt
gemeldet: "Wir sind bereit, Vera Lengsfeld unseren Wahlkreis zu geben!" Weil
sie den damaligen Abgeordneten loswerden wollten.
Vogel: Das Angebot aus Apolda war mir willkommen. Die Frage, wie es mit
Vera Lengsfeld weitergeht, bewegte die ganze Bundesrepublik.
Mohring: Aber wir von der Jungen Union hatten was dagegen, einer Frau aus
Berlin einfach so unseren Wahlkreis zu überlassen. Deshalb habe ich
beschlossen, gegen sie zu kandidieren. Das brachte mir nicht nur bei dir einen
Termin ein.
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Mohring: Ich sagte sinngemäß zu Bernhard Vogel: Jetzt bin ich schon einige
Jahre Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag, dafür haben Sie sich nicht
interessiert. Aber weil ich gegen Vera Lengsfeld kandidiere, habe ich endlich
einen Termin bei meinem Parteivorsitzenden.
Vogel: Ich habe dem grundsätzlich immer einsichtsvollen Mike Mohring die
Lage genügend gründlich erläutert.
Vogel: Nun: Er ist dann nicht mehr für den Wahlkreis angetreten. Dafür ist er
nicht sehr lange später ja erfolgreich Mitglied des Landtags geworden.
ZEIT: Haben Sie ihn im Gegenzug für seinen Verzicht mit einem
Landtagsmandat versorgt?
Vogel: Das war am 6. Februar 1992, ich weiß das Datum noch genau. Am Tag
vorher hatte der Landtag mich zum Ministerpräsidenten gewählt. Ich wollte
eine Stadt sehen, die ich nicht schon von Reisen aus der DDR-Zeit kannte. In
Apolda ballten sich die Probleme der Nachwendezeit in besonderem Maße. Es
gab eine hohe Arbeitslosigkeit. Ich weiß noch, wie wir eine Firma besuchten, in
der Dutzende Frauen mit der Hand Knöpfe an Strickjacken annähten. Mitten in
Deutschland! Da war mir klar, was uns bevorsteht. Man konnte doch damals
kein Geld mehr verdienen, indem man Knöpfe mit der Hand annähte.
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30.1.2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
Mohring: Ich war 20 und habe nach meinem Zivildienst und einem Job als
Wahlkampfkoordinator für das Neue Forum ein Jurastudium begonnen – und
war eben im Kreistag. Dass ich dort saß, war eine Folge der friedlichen
Revolution. Im Spätsommer 1989 war ich ins Neue Forum eingetreten, hatte
zuvor eine Schülergruppe gegründet. Da war ich 17. Mit dem Moped fuhren wir
zu Friedensgebeten des Neuen Forums nach Weimar.
Mohring: Das hatte ich zu der Zeit nicht vor. Ich wollte einfach was tun.
ZEIT: Sie, Herr Vogel, hatten zur Wendezeit wohl nicht im Sinn, noch mal
Premier zu werden.
Vogel: In der Tat. 1988 war ich in Rheinland-Pfalz zurückgetreten, nach zwölf
Jahren im Amt und einigen parteiinternen Querelen.
Mohring: Zwei Jahre nach Bernhard Vogels Abschied hat die CDU in
Rheinland-Pfalz die Wahl verloren. Seitdem regiert dort durchgehend die SPD.
Es reicht eben nicht, sich nur von innerparteilichen Interessenlagen leiten zu
lassen.
Vogel: Dann dachte ich, die Sache sei erledigt. Am Montag, dem 27. Januar
1992, bin ich in München gewesen, bei meinem Kollegen Fritz Pirkl, dem
Vorsitzenden der Hanns-Seidel-Stiftung. Ich wurde von ihm begrüßt mit den
Worten: Im Radio hört man, Sie würden nach Thüringen gehen! Da antwortete
ich: Dass ich nicht nach Thüringen gehe, sehen Sie ja. Ich bin hier. Aber später,
beim Mittagessen in einem Lokal, kam eine urbayerische Kellnerin zu uns an
den Tisch und rief: "Heißt hier oanna Vogel?" Das konnte ich ja nun nicht
leugnen. Sie führte mich daraufhin zum Telefon, und da war Helmut Kohl am
Apparat.
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Vogel: Er hatte bei der Stiftung anrufen lassen, die Leute hatten ihm gesagt, wo
wir zu Tisch sind.
Vogel: Bernd, sagte er, ich sitze hier mit den Verantwortlichen aus Thüringen
im Kanzleramt; unter anderem dem Landesparteichef Böck, der Ministerin
Christine Lieberknecht, dem zurückgetretenen Ministerpräsidenten Josef
Duchač. Man habe intensiv beraten – der einzige Kandidat, auf den man sich
einvernehmlich einigen könne, sei ich. Fahr sofort nach Thüringen, sagte er.
Vogel: Es gab keine Möglichkeit, Nein zu sagen. Daraufhin bin ich noch mal zu
meinem Tisch, habe mich verabschiedet und bin nach Erfurt.
Vogel: Von Aufregung konnte keine Rede sein: Besorgt war ich.
ZEIT: Sehen Sie, Herr Mohring: So einfach kann man Regierungschef werden.
Mohring: Das war der besonderen Situation geschuldet, dass Bernhard Vogel
schon einmal Ministerpräsident gewesen war – und es in den turbulenten
Wendejahren jemanden mit seiner Erfahrung in Thüringen brauchte. In
Sachsen mit Kurt Biedenkopf war das ähnlich. Seither hat sich vieles verändert.
Worüber wir neulich noch gesprochen haben, Bernhard Vogel und ich: Zu
seiner Zeit war die Regierungsbildung einfacher. Heute haben wir fünf, sechs
Fraktionen in den Parlamenten. Regierungen zu bilden ist schwieriger
geworden.
Vogel: Vergiss nicht, dass wir am Anfang der Bundesrepublik auch schon eine
Zeit erlebt haben, in der es viele Parteien in den Parlamenten gab. Vieles
unterscheidet sich heute nicht von damals: Die Anstrengung dieses Berufes.
Der Umgang mit der eigenen Partei. Das Entwickeln von Programmen. Das
Durchhalten von Versprechungen. All das ist heute so entscheidend, wie es
immer entscheidend war.
Mohring: Aber wenn ihr damals etwas gesagt habt in Rheinland-Pfalz, gab’s
wenigstens kein Google, wo man sofort überprüfen konnte, ob das schon
immer eure Meinung war. (lacht) Heute bekommt man innerhalb einer Sekunde
vorgehalten, was man vor zehn Jahren mal gesagt hat. Aber die Prozesse sind
noch ähnlich. Deshalb bin ich ja auch dankbar, dass man die Erfahrenen um Rat
fragen kann.
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30.1.2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
Mohring: Wir haben zum Beispiel intensiv darüber gesprochen, wie man sich
im Landtag verhalten könnte, am Tag der Wahl des Ministerpräsidenten.
Vogel: Sie können sich vorstellen, dass mich die Möglichkeit, einen
Repräsentanten der Linken als Ministerpräsident von Thüringen zu bekommen,
aufs Tiefste beunruhigt hat. Die Frage, wie man das vielleicht verhindern
könnte, hat mich beschäftigt.
ZEIT: Sie haben es nicht verhindern können. Aber die Welt ist ja auch nicht
untergegangen.
Vogel: Ein Weltuntergang ist es in der Tat nicht. Die Welt geht so schnell nicht
unter. Das ist so eine Erfahrung, die man hat, wenn man Ministerpräsident war.
Nun ist Mike Mohring eben der erste CDU-Vorsitzende in Thüringen, der
Oppositionsführer ist.
Mohring: Regieren macht sicher mehr Spaß. Aber der Perspektivwechsel hat
uns auch geholfen, manche Dinge anders zu sehen. Die CDU in Thüringen hatte
seit 1990 regiert. So eine Phase, in der man sich neu orientieren, auch viel über
sich nachdenken kann – so eine Phase schadet überhaupt nicht. Aber dauerhaft
in der Opposition bleiben – das haben wir auch gelernt – lohnt sich nicht.
Vogel: Eine Opposition ist dazu da, zu kritisieren. Aber sie darf sich nicht aufs
Wadenbeißen konzentrieren, Mike, sondern muss Alternativen aufzeigen. Die
Menschen müssen davon überzeugt werden, dass wir wissen, was wir zu tun
haben, wenn wir am Ruder sind.
Mohring: Das stimmt beides. Es gibt ein schönes Zitat von Jaques Chirac:
Aufgabe der Opposition ist es, die Regierung abzuschminken, solange sie auf
der Bühne steht.
Vogel: Das ist gut. Bei Bodo Ramelows Kreisgebietsreform ist euch das
gelungen. Da zeigte die CDU, dass das nicht gut geplant war. Am Ende wurde
das Vorhaben abgesagt.
Mohring: Jedenfalls nicht alles. Ich habe für mich ein Bild gefunden, das es
vielleicht ganz gut beschreibt: Man kann mit dem gepackten Koffer am
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Bahnhof stehen, pünktlich sein, die richtigen Sachen dabeihaben – und dann
hält der Zug nicht an, in den man einsteigen möchte. Es gibt eine Endlichkeit
aller Planung in der Politik.
Vogel: Aber selbstverständlich muss man Pläne haben. Was ich dagegen
anprangere: Momentan gibt es in der deutschen Politik eine Kultur des
planlosen Versprechens. Ich beklage, dass Politiker zu viel versprechen. Ich
beklage aber auch, dass Wähler zu oft auf solche Versprechungen hereinfallen.
Die Wähler sollten ihre Politiker mehr nach ihren Haltungen bewerten und
weniger danach, ob sie für oder gegen irgendeine Tempo-30-Zone sind.
Mohring: Nein, die Politiker selbst. Viele Politiker glauben, der Wahltag sei wie
Weihnachten – dass man ein Geschenk bekommt für das, was man geleistet
hat. Aber das stimmt nicht. Am Wahltag geht es immer um die Zukunft.
Vogel: Dass Politiker auf der Beliebtheitsskala so weit unten stehen, beunruhigt
mich. Auch den Wählern muss klar sein: Politik ist die Kunst des Möglichen,
nicht die des Unmöglichen. Aber es ist auch falsch zu jammern. Politiker kann
man nur mit Leidenschaft werden. Wer Geld verdienen will, sollte lieber den
Beruf eines Sparkassendirektors anpeilen. Der ist nicht ganz so belastend und
finanziell interessanter.
ZEIT: Politik kann süchtig machen. Wie, Herr Vogel, sind Sie 2003 zur Einsicht
gekommen, das Amt in Thüringen an einen Jüngeren zu übergeben?
Vogel: Es war mir klar, dass die Zeit gekommen ist. Man spürt es. Mit Dieter
Althaus hatte ich einen Nachfolger, der reif für das Amt war.
Mohring: Aber erst der gereifte Bernhard Vogel in Thüringen war in der Lage,
diese Lehre zu ziehen. In Rheinland-Pfalz war er noch nicht so weit, den
richtigen Zeitpunkt zu erkennen.
Vogel: Entschuldige mal! 1988 sah ich noch keine Notwendigkeit, mein Amt
abzugeben. Ich hatte eine Wahl gewonnen. Nach einer gewonnenen Wahl, mit
einer Fülle von Aufgaben, in verhältnismäßig jungen Jahren muss man ja nicht
aufhören.
Mohring: Das Verrückte in der Politik ist ja: Es gibt Erwartungen. Das hat dich
damals getroffen.
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30.1.2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE
Mohring: Dir ist passiert, was später, in Bayern, auch Edmund Stoiber passiert
ist. Du bekamst den Fluch der eigenen Leistung, eines starken Wahlergebnisses,
zu spüren. Du hattest zweimal die absolute Mehrheit in Rheinland-Pfalz. Und
musstest dann eine Koalitionsregierung mit der FDP bilden – wann war das?
Vogel: 1987.
Mohring: Und weil es keine absolute Mehrheit mehr gab, sind Enttäuschungen
entstanden.
Vogel: Ich sage dir was: Absolute Mehrheiten sind am Abend, an dem man sie
gewinnt, eine ungewöhnlich schöne Sache. Und vom Tag danach an sind sie
eine ungewöhnlich schwierige Sache. Denn ab diesem Tag fällt kein Ziegel
mehr von einem Dach im ganzen Land, ohne dass du selbst schuld daran bist.
Und wehe, wenn Sie das nächste Mal nicht wieder die absolute Mehrheit
erreichen! Dann heißt es: So gut ist er auch nicht mehr! Absolute Mehrheiten,
Mike, sind mit Vorsicht zu genießen – bei aller Freude.
Mohring: Das denke ich mir. Ich kann beim nächste Mal wie aus einem Lexikon
alles dazu wiederholen, versprochen. Wie du sagtest: Absolute Mehrheiten sind
gut an dem Tag, an dem man sie hat. Und dann eine Belastung.
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