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2018 Bernhard Vogel und Mike Mohring: "Ich sage dir was" | ZEIT ONLINE

Bernhard Vogel und Mike Mohring

"Ich sage dir was"


Was zählen Ratschläge in der Politik? Thüringens CDU-Chef Mike Mohring
will Ministerpräsident werden. Bernhard Vogel hat das sogar zweimal
geschafft. Ein Gespräch über Erfahrung, die Tücken der Macht – und die
geheimen Botschaften leerer SMS

Interview: Martin Machowecz


13. Januar 2018, 16:30 Uhr / 27 Kommentare

AUS DER ZEIT NR. 03/2018 [h p://www.zeit.de/2018/03?

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fix&utm_source=zeitde_zonpme_int&utm_campaign=wall_abo&utm_content=premiu

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Mike Mohring (links) und Bernhard Vogel © Joerg Glaescher für DIE
ZEIT

DIE ZEIT: Herr Vogel, Herr Mohring, wie wichtig ist Macht für einen Politiker?

Bernhard Vogel: Macht, dieses Wort hat keinen guten Ruf. Dabei ist die Macht
allein weder gut noch böse. Sie kann gebraucht und sie kann missbraucht
werden.

Mike Mohring: Aber Machtlosigkeit beraubt einen der Möglichkeit, Einfluss zu


nehmen. Wer nicht nach Einfluss strebt, kann nicht Politiker werden.

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ZEIT: Herr Vogel, Sie haben viel Erfahrung mit Macht. Sie waren
Ministerpräsident von zwei Bundesländern: von 1976 bis 1988 in Rheinland-
Pfalz, von 1992 bis 2003 in Thüringen. Herr Mohring würde 2019 gerne in
Thüringen in dieses Amt gewählt werden. Was muss er tun, um das zu
schaffen?

Mohring: Du bist es siebenmal geworden, Bernhard! Du musst es wissen.

Vogel: Sechsmal.

Mohring: Nein, siebenmal!

Vogel: Du hast recht. Das erste Mal wurde ich mitten in der Legislatur
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, das habe ich nicht mitgezählt.

ZEIT: Also, wie wird man Ministerpräsident?

Vogel: Auch wenn das banal klingen mag: Zunächst


muss man in seiner Partei eine Position erreicht
haben, die einen in den engeren Kreis möglicher
Spitzenkandidaten bringt. Wäre ich nicht länger
schon Kultusminister in Rheinland-Pfalz gewesen,
hätte ich nicht Ministerpräsident werden können.
Und wäre ich nicht Ministerpräsident in Rheinland-
Dieser Artikel stammt aus der Pfalz gewesen, wäre ich Jahre später nicht
ZEIT Nr. 03/2018. Hier Ministerpräsident in Thüringen geworden. Dafür sind
können Sie die gesamte
Ausgabe lesen.
einige Fähigkeiten unabdingbar.

ZEIT: Welche?

Vogel: Das richtige Gespür dafür, mit Parteifreunden


umzugehen. Das richtige Gespür dafür, mit Wählern umzugehen. Und am
allerwichtigsten ist: dass man Vertrauen schenkt und Vertrauen genießt. Nur ist
meine Situation anders gewesen als die, in der sich Mike, noch jung an Jahren,
heute befindet.

ZEIT: Inwiefern anders?

MIKE MOHRING, Mohring: In Thüringen regieren heute die Linken, es


46, stammt aus Apolda. gibt mehr Fraktionen im Parlament, und wir sind
Seit 2014 ist er Thüringer erstmals in der Opposition.
CDU-Chef und
Oppositionsführer. Vogel: Eben, die CDU ist heute in Thüringen in der
Opposition und will wieder an die Regierung. Dafür
muss Mike Mohring eine Wahl gewinnen. Ich bin nie
aus der Opposition heraus zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Ich habe
das Amt in Rheinland-Pfalz 1976 mitten in der Legislatur von Helmut Kohl
übernommen.

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ZEIT: Wie lief das?

Vogel: Im Grunde fing es schon zwei Jahre vorher an. Als Helmut Kohl 1973
Bundesvorsitzender der CDU wurde und den Landesvorsitz in Rheinland-Pfalz
aufgab, favorisierte er eigentlich Heiner Geißler als seinen Nachfolger.

ZEIT: Geißler war damals Kohls Sozialminister. Sie waren Kultusminister.

Vogel: Ja, ich trat gegen Geißler an, obwohl wir gute Freunde waren. Und ich
war erfolgreich.

BERNHARD VOGEL, ZEIT: Es heißt, Kohls vehemente Unterstützung für


85, war 1976 bis 1988 Geißler hätte Ihnen beim Parteitag 1974 viele
Premier in Rheinland-Pfalz Stimmen eingebracht. Hat er seine Macht
– und 1992 bis 2003 in
überschätzt?
Thüringen.
Vogel: Das mag sein. Oder er hat sie zu brachial
eingesetzt. In jedem Fall war meine Wahl zum
Landesvorsitzenden die entscheidende Weichenstellung für mich: Als Kohl
zwei Jahre später Oppositionsführer im Bundestag wurde und dafür das Amt
des Ministerpräsidenten abgab, konnte ich sein Nachfolger werden. Die heftige
Auseinandersetzung in der CDU um den Landesvorsitz hat übrigens die
Freundschaft zwischen Heiner Geißler und mir nie infrage gestellt,
erfreulicherweise. Sie hat bis zum Tod von Heiner Geißler weiterbestanden.

ZEIT: Gibt es echte Freundschaft in der Politik?

Mohring: Es gibt politische Freundschaften, aber die Frage ist: Hält so eine
Freundschaft auch dann, wenn man nicht mehr über Ämter und Einfluss
verfügt? Für mich ist aber auch klar, dass die besten, intensivsten
Freundschaften in meinem Leben mit Politik nichts zu tun haben. Ich habe
meine besten Freunde außerhalb der Politik.

Vogel: Bei Freundschaften in der Politik ist Vorsicht geboten: Die Gefahr, dass
manche Leute Kontakt zu einem suchen, weil man wer ist, ist besonders groß.

"Manchmal schickt er mir eine leere SMS"


ZEIT: Sie kennen und schätzen einander schon seit vielen Jahren. Wie oft
tauschen Sie beide sich aus?

Mohring: Sehr regelmäßig. Ich schätze ihn.

Vogel: Wir haben ein freundschaftliches und offenes Verhältnis miteinander.


Wir nehmen Kontakt zueinander auf, wenn ein Anlass da ist – und wir sorgen
dafür, dass wir uns unabhängig davon regelmäßig treffen. Das ist aber in keiner
Weise ein Problem. Wenn ich etwas habe, rufe ich ihn an. Wenn er etwas hat,
ruft er mich an. Und wenn ich nach Thüringen komme, frage ich ihn, ob er eine
Stunde Zeit für mich hat, weil ich mich gern mit ihm unterhalte.

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Mohring: Na, und seit du SMS schreiben kannst, kann man sich sogar auf
diesem Weg verabreden. Manchmal schickt er mir eine leere SMS. Da weiß ich
dann: Er hat’s gelesen, und es gibt Redebedarf.

ZEIT: Haben Sie Interesse daran, über Thüringer Politik auf dem Laufenden zu
sein, Herr Vogel?

Vogel: Also bitte! Natürlich! Wenn man elf Jahre lang Regierungschef war in
einem Land – und noch dazu unter den Bedingungen der Nachwendezeit, in
der die Jahre ja mehrfach zählen –, dann verliert man das Interesse nicht.
Natürlich interessiert mich brennend, was in Thüringen vor sich geht. Ich lese
täglich eine Thüringer Zeitung und bin oft hier.

ZEIT: Sie leben heute im rheinland-pfälzischen Speyer. Kommt die Thüringer


Presse pünktlich an?

Vogel: Einen Tag später. Aber den Pressespiegel des Thüringer Landtags lese ich
auf dem iPad am selben Tag. Das kann ich technisch sogar. So weit bin ich.

Mohring: Er ist immer auf dem Laufenden, weiß vieles. Der Rat von Bernhard
Vogel und auch seinem Nachfolger Dieter Althaus ist mir wichtig.

Vogel: Heute! Als du rebellisch und jung warst, war das anders! Da saßt du in
meinem Büro.

Mohring: Das war 1997, im Vorfeld der Bundestagswahl 1998. Ich war 25
Jahre alt, Kreisvorsitzender der Jungen Union in Apolda und fand mich
plötzlich in der Staatskanzlei wieder.

ZEIT: Wie kam das?

Vogel: Er hat Ärger gemacht! (lacht)

Mohring: Vera Lengsfeld, die Bürgerrechtlerin, war von den Grünen zur CDU
übergetreten und sollte in Thüringen einen Wahlkreis bekommen. Und meine
damaligen CDU-Oberen in Apolda, meiner Heimatstadt, haben nach Erfurt
gemeldet: "Wir sind bereit, Vera Lengsfeld unseren Wahlkreis zu geben!" Weil
sie den damaligen Abgeordneten loswerden wollten.

Vogel: Das Angebot aus Apolda war mir willkommen. Die Frage, wie es mit
Vera Lengsfeld weitergeht, bewegte die ganze Bundesrepublik.

Mohring: Aber wir von der Jungen Union hatten was dagegen, einer Frau aus
Berlin einfach so unseren Wahlkreis zu überlassen. Deshalb habe ich
beschlossen, gegen sie zu kandidieren. Das brachte mir nicht nur bei dir einen
Termin ein.

ZEIT: Und wie war das?

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Mohring: Ich sagte sinngemäß zu Bernhard Vogel: Jetzt bin ich schon einige
Jahre Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag, dafür haben Sie sich nicht
interessiert. Aber weil ich gegen Vera Lengsfeld kandidiere, habe ich endlich
einen Termin bei meinem Parteivorsitzenden.

ZEIT: Wie haben Sie reagiert, Herr Vogel?

Vogel: Ich habe dem grundsätzlich immer einsichtsvollen Mike Mohring die
Lage genügend gründlich erläutert.

ZEIT: Was bedeutet das?

Vogel: Nun: Er ist dann nicht mehr für den Wahlkreis angetreten. Dafür ist er
nicht sehr lange später ja erfolgreich Mitglied des Landtags geworden.

ZEIT: Haben Sie ihn im Gegenzug für seinen Verzicht mit einem
Landtagsmandat versorgt?

Mohring: Nein! Um das Landtagsmandat musste ich kämpfen! Auf dem


Parteitag, der die Landesliste aufstellte, bin ich per Kampfkandidatur
angetreten und hatte Erfolg. Wusstest du übrigens, Bernhard, dass wir uns
schon an deinem ersten Tag im Amt als Thüringer Ministerpräsident zum
ersten Mal begegnet sind?

Vogel: Ja, natürlich.

ZEIT: Was für eine Begegnung war das?

Mohring: 1992, an Bernhard Vogels allererstem Arbeitstag als Thüringer


Ministerpräsident, hatte er beschlossen, eine typische Thüringer Stadt zu
besuchen. Und kam nach Apolda. Ich war damals Kreistagsmitglied für das
Neue Forum, und es gab ein Frühstück mit Vertretern der Wirtschaft und
politisch Verantwortlichen. Dazu wurde ich mit eingeladen.

Vogel: Das war am 6. Februar 1992, ich weiß das Datum noch genau. Am Tag
vorher hatte der Landtag mich zum Ministerpräsidenten gewählt. Ich wollte
eine Stadt sehen, die ich nicht schon von Reisen aus der DDR-Zeit kannte. In
Apolda ballten sich die Probleme der Nachwendezeit in besonderem Maße. Es
gab eine hohe Arbeitslosigkeit. Ich weiß noch, wie wir eine Firma besuchten, in
der Dutzende Frauen mit der Hand Knöpfe an Strickjacken annähten. Mitten in
Deutschland! Da war mir klar, was uns bevorsteht. Man konnte doch damals
kein Geld mehr verdienen, indem man Knöpfe mit der Hand annähte.

"Fahr sofort nach Thüringen, sagte Kohl"


ZEIT: Was haben Sie damals, 1991, beruflich gemacht, Herr Mohring?

Vogel: Jugendlich sein! (lacht)

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Mohring: Ich war 20 und habe nach meinem Zivildienst und einem Job als
Wahlkampfkoordinator für das Neue Forum ein Jurastudium begonnen – und
war eben im Kreistag. Dass ich dort saß, war eine Folge der friedlichen
Revolution. Im Spätsommer 1989 war ich ins Neue Forum eingetreten, hatte
zuvor eine Schülergruppe gegründet. Da war ich 17. Mit dem Moped fuhren wir
zu Friedensgebeten des Neuen Forums nach Weimar.

ZEIT: Da wollten Sie schon Politiker werden?

Mohring: Das hatte ich zu der Zeit nicht vor. Ich wollte einfach was tun.

ZEIT: Sie, Herr Vogel, hatten zur Wendezeit wohl nicht im Sinn, noch mal
Premier zu werden.

Vogel: In der Tat. 1988 war ich in Rheinland-Pfalz zurückgetreten, nach zwölf
Jahren im Amt und einigen parteiinternen Querelen.

Mohring: Zwei Jahre nach Bernhard Vogels Abschied hat die CDU in
Rheinland-Pfalz die Wahl verloren. Seitdem regiert dort durchgehend die SPD.
Es reicht eben nicht, sich nur von innerparteilichen Interessenlagen leiten zu
lassen.

Vogel: Anfang 1989 bin ich zum Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung


gewählt worden. Die Zeiten waren spannend für politische Bildung. Aber dann
kam Freitagnachmittag, der 24. Januar 1992: Der damalige Thüringer CDU-
Chef Willibald Böck rief mich unvermittelt an. Ob ich bereit wäre, nach Erfurt
zu kommen. Der Ministerpräsident Josef Duchać war zurückgetreten. Ich solle
dessen Nachfolger werden, man brauche jemanden mit Erfahrung. Ich habe
sehr ausweichend geantwortet. Am Wochenende, am späten Sonntagabend,
habe ich mit Helmut Kohl [h p://www.zeit.de/thema/helmut-kohl] telefoniert,
der wiederum aber nicht wollte, dass ich in Thüringen Ministerpräsident
werde. Das war mir recht. Wir haben uns einvernehmlich verständigt, dass ich
nicht nach Thüringen gehe.

Mohring: Und dann?

Vogel: Dann dachte ich, die Sache sei erledigt. Am Montag, dem 27. Januar
1992, bin ich in München gewesen, bei meinem Kollegen Fritz Pirkl, dem
Vorsitzenden der Hanns-Seidel-Stiftung. Ich wurde von ihm begrüßt mit den
Worten: Im Radio hört man, Sie würden nach Thüringen gehen! Da antwortete
ich: Dass ich nicht nach Thüringen gehe, sehen Sie ja. Ich bin hier. Aber später,
beim Mittagessen in einem Lokal, kam eine urbayerische Kellnerin zu uns an
den Tisch und rief: "Heißt hier oanna Vogel?" Das konnte ich ja nun nicht
leugnen. Sie führte mich daraufhin zum Telefon, und da war Helmut Kohl am
Apparat.

ZEIT: Der hatte sich durchstellen lassen?

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Vogel: Er hatte bei der Stiftung anrufen lassen, die Leute hatten ihm gesagt, wo
wir zu Tisch sind.

ZEIT: Was sagte Kohl?

Vogel: Bernd, sagte er, ich sitze hier mit den Verantwortlichen aus Thüringen
im Kanzleramt; unter anderem dem Landesparteichef Böck, der Ministerin
Christine Lieberknecht, dem zurückgetretenen Ministerpräsidenten Josef
Duchač. Man habe intensiv beraten – der einzige Kandidat, auf den man sich
einvernehmlich einigen könne, sei ich. Fahr sofort nach Thüringen, sagte er.

ZEIT: Er fragte gar nicht, ob Sie wollen?

Vogel: Es gab keine Möglichkeit, Nein zu sagen. Daraufhin bin ich noch mal zu
meinem Tisch, habe mich verabschiedet und bin nach Erfurt.

ZEIT: Waren Sie aufgeregt?

Vogel: Von Aufregung konnte keine Rede sein: Besorgt war ich.

ZEIT: Sehen Sie, Herr Mohring: So einfach kann man Regierungschef werden.

Mohring: Das war der besonderen Situation geschuldet, dass Bernhard Vogel
schon einmal Ministerpräsident gewesen war – und es in den turbulenten
Wendejahren jemanden mit seiner Erfahrung in Thüringen brauchte. In
Sachsen mit Kurt Biedenkopf war das ähnlich. Seither hat sich vieles verändert.
Worüber wir neulich noch gesprochen haben, Bernhard Vogel und ich: Zu
seiner Zeit war die Regierungsbildung einfacher. Heute haben wir fünf, sechs
Fraktionen in den Parlamenten. Regierungen zu bilden ist schwieriger
geworden.

Vogel: Vergiss nicht, dass wir am Anfang der Bundesrepublik auch schon eine
Zeit erlebt haben, in der es viele Parteien in den Parlamenten gab. Vieles
unterscheidet sich heute nicht von damals: Die Anstrengung dieses Berufes.
Der Umgang mit der eigenen Partei. Das Entwickeln von Programmen. Das
Durchhalten von Versprechungen. All das ist heute so entscheidend, wie es
immer entscheidend war.

Mohring: Aber wenn ihr damals etwas gesagt habt in Rheinland-Pfalz, gab’s
wenigstens kein Google, wo man sofort überprüfen konnte, ob das schon
immer eure Meinung war. (lacht) Heute bekommt man innerhalb einer Sekunde
vorgehalten, was man vor zehn Jahren mal gesagt hat. Aber die Prozesse sind
noch ähnlich. Deshalb bin ich ja auch dankbar, dass man die Erfahrenen um Rat
fragen kann.

ZEIT: Als Thüringens CDU 2014 das Ministerpräsidentenamt an die Linke


verlor, Bodo Ramelow Nachfolger von Christine Lieberknecht (CDU) wurde und
Sie neuer CDU-Landesparteichef wurden, haben Sie da Bernhard Vogels Rat
eingeholt?

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Mohring: Ja, natürlich.

ZEIT: Was haben Sie ihn gefragt?

Mohring: Wir haben zum Beispiel intensiv darüber gesprochen, wie man sich
im Landtag verhalten könnte, am Tag der Wahl des Ministerpräsidenten.

Vogel: Sie können sich vorstellen, dass mich die Möglichkeit, einen
Repräsentanten der Linken als Ministerpräsident von Thüringen zu bekommen,
aufs Tiefste beunruhigt hat. Die Frage, wie man das vielleicht verhindern
könnte, hat mich beschäftigt.

ZEIT: Sie haben es nicht verhindern können. Aber die Welt ist ja auch nicht
untergegangen.

Vogel: Ein Weltuntergang ist es in der Tat nicht. Die Welt geht so schnell nicht
unter. Das ist so eine Erfahrung, die man hat, wenn man Ministerpräsident war.
Nun ist Mike Mohring eben der erste CDU-Vorsitzende in Thüringen, der
Oppositionsführer ist.

"Die Opposition darf sich nicht nur aufs Wadenbeißen


konzentrieren"
ZEIT: Macht Opposition Spaß, Herr Mohring?

Mohring: Regieren macht sicher mehr Spaß. Aber der Perspektivwechsel hat
uns auch geholfen, manche Dinge anders zu sehen. Die CDU in Thüringen hatte
seit 1990 regiert. So eine Phase, in der man sich neu orientieren, auch viel über
sich nachdenken kann – so eine Phase schadet überhaupt nicht. Aber dauerhaft
in der Opposition bleiben – das haben wir auch gelernt – lohnt sich nicht.

Vogel: Eine Opposition ist dazu da, zu kritisieren. Aber sie darf sich nicht aufs
Wadenbeißen konzentrieren, Mike, sondern muss Alternativen aufzeigen. Die
Menschen müssen davon überzeugt werden, dass wir wissen, was wir zu tun
haben, wenn wir am Ruder sind.

Mohring: Das stimmt beides. Es gibt ein schönes Zitat von Jaques Chirac:
Aufgabe der Opposition ist es, die Regierung abzuschminken, solange sie auf
der Bühne steht.

Vogel: Das ist gut. Bei Bodo Ramelows Kreisgebietsreform ist euch das
gelungen. Da zeigte die CDU, dass das nicht gut geplant war. Am Ende wurde
das Vorhaben abgesagt.

ZEIT: Wie viel kann man in der Politik planen?

Mohring: Jedenfalls nicht alles. Ich habe für mich ein Bild gefunden, das es
vielleicht ganz gut beschreibt: Man kann mit dem gepackten Koffer am

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Bahnhof stehen, pünktlich sein, die richtigen Sachen dabeihaben – und dann
hält der Zug nicht an, in den man einsteigen möchte. Es gibt eine Endlichkeit
aller Planung in der Politik.

Vogel: Aber selbstverständlich muss man Pläne haben. Was ich dagegen
anprangere: Momentan gibt es in der deutschen Politik eine Kultur des
planlosen Versprechens. Ich beklage, dass Politiker zu viel versprechen. Ich
beklage aber auch, dass Wähler zu oft auf solche Versprechungen hereinfallen.
Die Wähler sollten ihre Politiker mehr nach ihren Haltungen bewerten und
weniger danach, ob sie für oder gegen irgendeine Tempo-30-Zone sind.

ZEIT: Die Wähler sind schuld?

Mohring: Nein, die Politiker selbst. Viele Politiker glauben, der Wahltag sei wie
Weihnachten – dass man ein Geschenk bekommt für das, was man geleistet
hat. Aber das stimmt nicht. Am Wahltag geht es immer um die Zukunft.

ZEIT: Sind wir Bürger zu hart zu unseren Politikern?

Vogel: Dass Politiker auf der Beliebtheitsskala so weit unten stehen, beunruhigt
mich. Auch den Wählern muss klar sein: Politik ist die Kunst des Möglichen,
nicht die des Unmöglichen. Aber es ist auch falsch zu jammern. Politiker kann
man nur mit Leidenschaft werden. Wer Geld verdienen will, sollte lieber den
Beruf eines Sparkassendirektors anpeilen. Der ist nicht ganz so belastend und
finanziell interessanter.

Mohring: Eine alleinerziehende OP-Schwester, die einen Wochenenddienst


nach dem anderen hat und nicht weiß, was sie mit dem Kind machen soll – die
hat es sehr viel schwerer, als ich es habe.

ZEIT: Politik kann süchtig machen. Wie, Herr Vogel, sind Sie 2003 zur Einsicht
gekommen, das Amt in Thüringen an einen Jüngeren zu übergeben?

Vogel: Es war mir klar, dass die Zeit gekommen ist. Man spürt es. Mit Dieter
Althaus hatte ich einen Nachfolger, der reif für das Amt war.

Mohring: Aber erst der gereifte Bernhard Vogel in Thüringen war in der Lage,
diese Lehre zu ziehen. In Rheinland-Pfalz war er noch nicht so weit, den
richtigen Zeitpunkt zu erkennen.

Vogel: Entschuldige mal! 1988 sah ich noch keine Notwendigkeit, mein Amt
abzugeben. Ich hatte eine Wahl gewonnen. Nach einer gewonnenen Wahl, mit
einer Fülle von Aufgaben, in verhältnismäßig jungen Jahren muss man ja nicht
aufhören.

ZEIT: Warum sind Sie dann gegangen?

Mohring: Das Verrückte in der Politik ist ja: Es gibt Erwartungen. Das hat dich
damals getroffen.

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Vogel: Wie meinst du das?

Mohring: Dir ist passiert, was später, in Bayern, auch Edmund Stoiber passiert
ist. Du bekamst den Fluch der eigenen Leistung, eines starken Wahlergebnisses,
zu spüren. Du hattest zweimal die absolute Mehrheit in Rheinland-Pfalz. Und
musstest dann eine Koalitionsregierung mit der FDP bilden – wann war das?

Vogel: 1987.

Mohring: Und weil es keine absolute Mehrheit mehr gab, sind Enttäuschungen
entstanden.

Vogel: Ich sage dir was: Absolute Mehrheiten sind am Abend, an dem man sie
gewinnt, eine ungewöhnlich schöne Sache. Und vom Tag danach an sind sie
eine ungewöhnlich schwierige Sache. Denn ab diesem Tag fällt kein Ziegel
mehr von einem Dach im ganzen Land, ohne dass du selbst schuld daran bist.
Und wehe, wenn Sie das nächste Mal nicht wieder die absolute Mehrheit
erreichen! Dann heißt es: So gut ist er auch nicht mehr! Absolute Mehrheiten,
Mike, sind mit Vorsicht zu genießen – bei aller Freude.

Mohring: Das denke ich mir. Ich kann beim nächste Mal wie aus einem Lexikon
alles dazu wiederholen, versprochen. Wie du sagtest: Absolute Mehrheiten sind
gut an dem Tag, an dem man sie hat. Und dann eine Belastung.

Vogel: Ich wünsche sie dir trotzdem eines Tages.

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