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2010
„Das Denken tut etwas und sagt dann: ich war es nicht“. Diese folgenreiche
Einsicht in eine spezifische Funktionsweise von Denkprozessen hat den
Quantenphysiker David Bohm vor ca. 1 ½ Jahrzehnten veranlasst, das
menschliche Denken und seine mögliche Selbstwahrnehmung
(„Propriozeption“) intensiv zu erforschen. Zu seiner eigenen Überraschung
entdeckte Bohm, dass eine solche Untersuchung nur in DIALOGFORM möglich
ist.
Ziel einer „freien“ – d.h. spielerischen, weil von äußerlich vorgegeben Zwecken
freien - Dialoggruppe ist die Selbsterforschung der Denkprozesse durch die
Denkenden selber.
„Das Denken tut etwas und sagt dann: ich war es nicht“. Im Alltag gehen wir
zumeist davon aus, dass unsere Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken
ungebrochen „die ganze Wirklichkeit“ erfassen. Dem ist aber nicht so. Unser
Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln ist konstruktiv und selektiv – wir
merken das aber im Moment einer Wahrnehmung, einer gedanklichen
Äußerung, einer Handlung nicht.
Die üblichen Diskussionen führen daher nur ganz selten zur Selbstwahrnehmung
der gerade ablaufenden Denkvorgänge. Damit dieser Prozess überhaupt in Gang
kommen kann, muss etwas zwischen den Gesprächspartnern wirksam sein, das
man gewöhnlich mit den Worten „Wohlwollen“ und „Freundlichkeit“ und
„Vertrauensvorschuss“ bezeichnet. Also etwas, das alle Gesprächspartner
verbindet und durchströmt. Das ist der tragende Grund einer Dialoggruppe.
Jedes Gespräch setzt diesen tragenden Grund bis zu einem gewissen Grad
ohnehin voraus, andernfalls wäre und wird Verständigung unter Menschen
unmöglich. In einer Dialoggruppe aber erkunden die Dialogpartner, wie weit
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Dialog ist also die Öffnung des je eigenen Denkens auf das Denken der Anderen
hin, die feinfühlige Überwindung der Egozentrik des Denkenden. Dialog ist die
einzige Form von Vergesellschaftung, die letztlich nicht auf Gewalt und
Willkür, also auf unhinterfragbare Autorität hinausläuft (womit auch klar ist,
warum diese Fähigkeit allgemein so unterentwickelt ist).
Dialog ist Läuterung, ständige Erneuerung des Denkens vom seinem Ursprung
her (und damit „subversiv“, „hinterfragend“).
Dialog ist über weite Strecken mühsam und anstrengend. Solange wir in unseren
Gedankengängen reflexartig kreisen, verfehlen wir einander - wir verstehen
einander nicht, weil wir uns selbst nicht verstehen. Gedankliche und emotionale
Fixierungen sind Ausdruck sozialer Prägungen. Sie blockieren das „freie Hin-
und Herpendeln zwischen unterschiedlichen Perspektiven“. Diese Hemmungen
werden in einer freien Dialoggruppe unverfälscht erlebbar, was einem
manchmal bis an den Rand der Verzweiflung führen kann.
Aber erst dieses volle Erleben und aufmerksame Aushalten der „enttäuschenden
Blockierungen“ - also die Einsicht in diese Blockaden – befreit das Denken von
seinen illusionären und damit isolierenden Annahmen über „die Wirklichkeit“.
Eine Dialoggruppe spricht also vor allem Menschen an, die ihre existentielle
Einsamkeit bewusst erleben und ohne Selbsttäuschung leben wollen. Eine
Dialoggruppe hat neben dem Ziel der freien Selbsterforschung des Denkens
keine weiteren Zielsetzungen, auch keine therapeutischen, obwohl ein solcher
Dialog durchaus therapeutische Wirkungen zeitigen kann. Eine freie
Dialoggruppe erkundet und erfindet tendenziell eine Form von sozialer
„Wirklichkeit“, die sich in Form freier Selbstorganisation permanent erneuert:
(Aus einem Vortrag von Christiane Geiser an der Universität Zürich, März 2000: Der Dialog nach David Bohm. Eine
Einführung.)
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Ein Dialog lässt sich nicht erzwingen. Es lassen sich aber, wie immer bei
Selbstorganisationsprozessen, förderliche Bedingungen verwirklichen. Dazu
gehören:
• Der Zweck des Unternehmens muss klar sein: wir wollen diese Art von
gemeinsamer Erkundung erproben. Der Dialog kann nicht funktionieren,
wenn diese Vorgabe nicht von allen geteilt wird.
• Ziel ist der freie ("generative") Dialog: d.h. es gibt kein Thema, kein Ziel,
nichts Bestimmtes soll erreicht oder gelöst werden, nichts vorher
Festgelegtes muss herauskommen.