Ein unvergeßlicher Stein

Ich war ein Bub von etwa 13 Jahren. Ich durfte 14 Tage lang bei Peter, einem
befreundeten Berufsjäger, auf dessen Jagdhütte verbringen und ihn auf seinen
Pirschgängen begleiten. Ich war schon als Bub leidenschaftlicher Waldläufer und mit
Leib und Seele der Jagd verschrieben.

Es war an einem Herbstabend. Wir pirschten leise und langsam einen schmalen
Jägersteig entlang. Über uns himmelragende Felsen, unter uns senkrechter
Abgrund.

Eben bliebPeter einen Augenblick stehen und bückte sich um ein besonders
schönes Edelweiß. Ich war etwa zwei Meter hinter ihm. Ich blieb natürlich auch
stehen. Just in dem Augenblick, wo Peter sich nach mir umdrehte, um mir das
Edelweiß zu zeigen- ich werde diesen Augenblick mein Leben lang nicht vergessen
– sauste eine Steinplatte wie vom Himmel gefallen, genau zwischen uns auf den
Jägersteig, genau vor meinem Gesicht und verschwand krachend hinunter über die
Wand unter uns !
Ich erinnere mich: Peter sah mich an und sprach kein Wort. Ich schaute ihn an und
sprach auch kein Wort. Stumm und leise setzten wir unseren Pirschgang fort.

Ich habe in meinem Leben viele Steine in der Hand gehalten. An keinen Einzigen
kann ich mich auch nur annähend so haargenau erinnern wie er ausgesehen hat,
wie an diesen einen, der eine halbe Armlänge vor meinen Augen, den denkbar
winzigsten Bruchteil einer Sekunde, vor meinen Schuhspitzen aufschlug und der
mich zermalmt hätte, wenn Peter sich nicht um das Edelweiß gebückt hätte und ich
einen Schritt weiter gegangen wäre :rund und groß und dick, glatt geschliffen und
von brauner Farbe, ganz wie ein großer Käselaib !

Sooft ich heute, nach fast 7o Jahren, in diese Gegend komme, schaue ich hinüber
auf die Bergseite, die voll von Felswänden und Steilhängen ist und suche mit den
Augen die Wand, unter der uns das Erzählte passiert ist.

Und da drängt sich mir stets wieder die Frage auf: Wer war wohl der Schutzengel,
der mich zurückhielt, daß ich, der 13jährige Bub, nicht zu Tode kam ?!

Rudolf Permann...