Sie sind auf Seite 1von 2

Des einen Freud, des andern Leid

Es war an einem Abend im Spätsommer.


Die Sonne war eben dabei, sich zu verabschieden. Kalt und dunkel krochen die
Schatten die Berghänge hinan. Nur hier oben, im Lahnstrich, an der Waldgrenze,
war`s noch hell und wohlig warm.
Wir waren glücklich und unbeschwert, ich und mein junger Gatte. Wir naschten hier
und naschten dort zwischen den jungen, aufstrebenden Fichten, den vom Atem der
Lawine in halber Höhe abgerissenen Baumstämmen, dem umherliegenden Holzwerk
und den vielen Steinen.
Beim letzten Mond hatten wir Hochzeit. Was war das für ein Sturm und Drang, wenn
er mich vor Lust und Begierde drängend und schnaubend um den großen Stein
jagte, bis ich mich ihm hingab!
Eben hielt ich inne und betrachtete seine sehnige Gestalt, seine langen, schlanken
Beine, sein rotes Kleid, sein Köpfchen mit dem knorrigen Krönlein. Ich fühlte seine
Wärme , seine Nähe , seine Zuneigung , und ich war überaus glücklich !
Da! Wir schreckten zusammen- über uns, im Steilhang, kollerten Steine.bergab. Wir
lauschten und warteten, was da wohl kommen würde.
Plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ein ohrenbetäubender Knall, ein
Donnergrollen ringsum in den Bergen!, -Zutode erschrocken fuhr ich zusammen und
sah nach meinem Gatten.Ich sah, wie er zwei Schritte vor, zwei zurück machte und
langsam zu Boden ging, sich streckte, als sei er furchtbar müde !
Entsetzt, außer mir vor Schreck, stürzte ich kopfüber davon, hinunter in den
schützenden Wald. Es ließ mir keine Ruhe!, Sofort machte ich kehrt, um nach
meinem Gatten zu sehen.
Da lag er regungslos vor mir.,lang ausgestreckt, das schmucke Köpfchen auf einen
Wust roter Beeren gebettet Seine schönen braunen Augen sahen mich groß an und
sie schienen mich zu fragen:“ Was ist geschehen? Ich kann mich nicht bewegen,
alles ist so entsetzlich schwer !- Wer hat mir das angetan, habe ich doch niemandem
etwas zuleide getan ! Wie gern wäre ich noch ein bißchen bei dir geblieben, mit dir
durch den Wald getollt !
Wieder rollten Steine und Zweibein kam den Hang herunter-das Donnerrohr über der
Schulter und weißen Rauch aus der Nase blasend. Er hielt inne, schaute mich
verwundert an.
Ich aber rannte Hals über Kopf davon. Die ganze Nacht über hab ich kein Auge
zugemacht, bin ziellos im Wald umhergeirrt- hoffend, daß alles nur ein böser Traum
gewesen wäre. Als es dämmerte, kehrte ich an den Platz des Grauens zurück- Mein
Gatte war nicht mehr da, nur ein Haufen schwarzer Vögel zankte sich laut lärmend
um etwas, das ich nicht erkennen konnte.
Der schöne Traum war entschwunden! Ich war allein und sehr traurig. Immer wieder
kehrte ich an den Platz zurück, wo wir zuletzt beisammen waren—im Glauben und in
der Hoffnung, daß er eines Tages hierher zurückkommen und nach mir suchen
würde ! Vergebens ! Ich hab ihn nie wieder gesehen

Wie gut, daß Mutter Ricke nicht mitansehen mußte, wie das schmucke Köpfchen
ihres Geliebten, das Köpfchen mit dem knorrigen Krönlein, den großen braunen
Augen und dem schwarzen Näschen, einen Fichtenzweig im Mund, am
Wirtshaustisch aufgebahrt wurde, wie viele Hände sich huldigend und bewundernd
Dem bösenMann entgegenstreckten!
Nachdem ich glaube, daß auch das Tier eine Seele- den Atem des Schöpfers- in sich
trägt, und nachdem ich zutiefst davon überzeugt bin, daß auch das Tier- ohne den
menschlichen Verstand- Wärme, Zuneigung und Liebe und Angst, Schmerz und
Trauer empfindet, kann ich mir vorstellen, daß auch Mutter Ricke die ganze
Traurigkeit ihres Schicksals wie dargestellt oder ähnlich, empfunden haben mag.

Rudolf Permann

Das könnte Ihnen auch gefallen