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Publiziert: academia.

edu (April 2016)

Altuigurische Wörter (11)

Peter Zieme

1983 hatte G. Kara einen wichtigen Beitrag zur Erklärung einiger altuigurischer Wörter aus dem
Chinesischen geleistet,1 wo er als neuntes Wort twʾnycyk, lies: tuančig, “Seidenstoff ” erörtert. Er
schreibt: “Wenn das Wort Nominativ und chinesischer Herkunft ist, kann man vermuten, daß unser
Wort eine Zusammensetzung aus 緞 duan, mittelchin. tuan, ‘Seide’, und 織 zhi, mittelchin. tśi ̯ək,
‘weben, Textilstoff ’ ist, das dem Muster des Kompositums 絲織 sizhi ‘Seidenstoff ’ (vgl. Morohashi
27448:48) folgt.”2 Dies war eine überzeugende Lösung, doch die Lesung der ersten Silbe ist der
springende Punkt, denn es bleibt festzuhalten, daß statt ʾn doch eher q zu lesen ist. Der graphische
Unterschied ist minimal: ʾn [1] gegen q [2]. Allenfalls könnte diese Verwechslung passiert sein, weil
der Schreiber das Wort nicht gut kannte.
In der neuen Edition der Xuanzang-Biographie V lesen die Autoren entsprechend tugčik [3]3,
gehen jedoch einen Schritt zurück, indem sie keine Übersetzung geben und nur “Tugčik (?)”4
schreiben. Die Autoren verweisen in ihrer Anmerkung ausführlich auf die Schwierigkeiten,
allerdings ohne Bezug auf Karas Vorschlag. Sie schreiben: “Das erste Zeichen nach 㲲 die (G. 11140),
das Zeichen 工 gong (G. 6553), kommt weder für atü. tug noch für čik in Frage. Das darauf folgende
Zeichen 績 ji (G. 832) hat bei Pulleyblank die mittelchin. Aussprache (L) tsiajk, die gut zu dem uig. čik
passen würde. Von zweisilbigen chin. Fremdwörtern des Uig. findet man im chin. Text meist nur ein
Zeichen, und zwar das zweite (vgl. HT VIII Einleitung S. 5-8). Es ist deshalb schwierig, das chin.
Vorbild für das uig. Wort zu finden.”5
Da aber dieses ji kein Terminus für einen Stoff ist, kann es hier eigentlich nicht in Frage
kommen, auch wenn es phonetisch passen würde. Da liegt nun seit langem Karas Vorschlag auf dem
Tisch, für die zweite Silbe 織 zhi “Textilstoff ” in Anspruch zu nehmen, das phonetisch und
semantisch glänzend paßt.
An dieser Stelle ist ein Szenenwechsel notwendig. Maḥmūd al-Kāšgarī, unser großer
Meister, verzeichnet ein Wort [4], das man bisher tahčik, taḥčäk o. ä. gelesen hat.6 Es ist mit

1
Kara 1983.
2
 Kara 1983, 51.
3
 Dietz & Ölmez & Röhrborn 2015, 204 (Z. 1893).
4
 Dietz & Ölmez & Röhrborn 2015, 205.
5
 Dietz & Ölmez & Röhrborn 2015, 354.
6
DTS 527b; Brockelmann 1928, 200 u.a.

-1-
Sicherheit der Name einer bestimmten chinesischen Seide, wie das Wörterbuch mitteilt (harīr al-
sīn). Dennoch bezweifelt G. Clauson7 die Herkunft des Wortes aus dem Chinesischen.
Als einziger hat bisher Han-Woo Choi versucht, dem vermuteten chinesischen Ursprung
des Wortes im Dīvān beizukommen. Allerdings scheitert sein Versuch daran, daß die
vorgeschlagenen chinesischen Zeichen in der Kombination nicht belegt sind. Für die zweite Silbe
präsentiert Choi das Zeichen ! *t́ śiak “raw silk”, für die erste *dʿiek, ebenfalls “raw silk”. Es folgt
eine mir nicht verständliche Erläuterung: “The word ACh. dʿiek is not found in Sino-Korean
dictionaries. It also does not occur in the main vocabulary listing of the Kangxi dictionary, but it
does occur as a synonym of the word ACh. *t́ śiak.”8
Wenn man nun das HT V-Wort mit der vermeintlichen Lesung tugčik und al-Kāšgarīs Beleg
zusammen bringt, kann man selbst bei der bisherigen Annahme, sein Wort sei tahčäk o.ä.
gesprochen worden, eine große Ähnlichkeit feststellen, die allerdings wesentlich größer wird, wenn
man dem Umstand Rechung trägt, daß die Schreibung ‫ ت " " " " " "ح " "ج " "ك‬tḥǧk sozusagen nur das Gerüst
darstellt. Setzt man für die erste Silbe ein damma und für die zweite ein kasra ein, erhält man
zwanglos die Lesung tuhčik. Es bleibt ein geringer Unterschied in der Aussprache des -q- // ḥ. Da
aber sowieso ein chin. Fremdwort anzunehmen ist, läßt sich auch über die Aussprache des
vermeintlichen Gutturals nichts Präzises sagen.
Als phonetisches Muster kann für die erste Silbe auf tug, Umschrift von 獨 du “only”,
verwiesen werden9. Eine ähnliche Aussprache kann man für chin. 鍍 du “gild” postulieren. Daß
dieses du in Kleidungsstücken vorkommt, zeigt Mathews’ Eintrag 鍍首飾 “gilt head-ornaments”10.
Für die zweite Silbe käme das von Kara vorgeschlagene 織 zhi in Betracht, das ergäbe phonetisch
und semantisch eine ansprechende Lösung. Was jedoch fehlt, ist eine Bestätigung für 鍍織 duzhi als
“mit Gold belegte Textilien”.
In eine andere Richtung würde das Wort 篤 du “Firm, solid, thick” mit einer älteren
Aussprache touk, tûk11 weisen. Aber leider kann ich auch hier keinen Beleg *duzhi nachweisen.12
Damit bleibt die Frage der Etymologie offen. Sicher ist aber, daß der altuigurische Beleg und al-
Kāšgarīs Wort zusammengehören.

7
ED 467b: “obviously a l[oan]-w[ord] fr[om] an unidentifiable language; the -x- ist not very likely to occur in a Chinese
l[oan]-w[ord]”.
8
Choi 1992, 195 (Nr. 33).
9
Shōgaito et alii 2015, 193.
10
Mathews 6506:6.
11
Schuessler 2007, 217.
12
An dieser Stelle danke ich herzlich S. Karashima, den ich um eine Recherche bemüht habe, sowie den Kollegen H.
Umemura und A. Yoshida für Hilfe und Beratung.

-2-
Literaturangaben
C. Brockelmann, Mitteltürkischer Wortschatz nach Maḥmūd al-Kāšγarīs Dīvān luγāt at-turk,
Budapest 1928.
H.-W. Choi, Newly Identified Chinese Loan-words in Dīvānü Luġat-it-Türk, in: Central Asiatic Journal
36 (1992), 188-198.
S. Dietz & M. Ölmez & K. Röhrborn, Die alttürkische Xuanzang-Biographie V, Wiesbaden 2015.
DTS = V. M. Nadeljaev et alii, Drevnetjurkskij slovar’, Leningrad 1969.
ED = G. Clauson, An Etymological Dictionary of Pre-Thirteenth-Century Turkish, Oxford 1972.
G. Kara, Sino-uigurische Worterklärungen, in: Sprachen des Buddhismus in Zentralasien. Vorträge
des Hamburger Symposions vom 2. Juli bis 5. Juli 1981, hrsg. von K. Röhrborn & W. Veenker,
Wiesbaden 1983, 44-52.
Mathews = Mathews’ Chinese-English Dictionary. Revised American Edition 1975.
A. Schuessler, ABC. Etymological Dictionary of Chinese, Honolulu 2007.
M. Shōgaito et alii, The Berlin Chinese Text U 5335 Written in Uighur Script. A reconstruction of the
Inherited Uighur Pronunciation of Chinese, Turnhout 2015 (Berliner Turfantexte XXXIV).

-3-
Abbildungen [1] bis [4]

[1]

[2]

[3]

[4]

-4-

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