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22.1.2020 Die Wahrheit über die Trump-Wirtschaft by Joseph E.

Stiglitz - Project Syndicate

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Die Wahrheit über die Trump-


Wirtschaft
Jan 17, 2020 | JOSEPH E. STIGLITZ

NEW YORK – Es drängt sich angesichts des Jahrestreffens der weltweiten


Wirtschaftselite in Davos eine simple Frage auf: Hat sie ihre Affenliebe zu US-
Präsident Donald Trump überwunden?
Vor zwei Jahren machten sich nur wenige Unternehmensführer Gedanken über
den Klimawandel oder störten sich an Trumps Frauenfeindlichkeit und Bigotterie.
Die meisten jubelten über seine Steuersenkungen für Milliardäre und Konzerne
und freuten sich auf seine Bemühungen zur Deregulierung der Wirtschaft, die es
den Unternehmen erlauben würden, die Luft noch stärker zu verschmutzen, noch
mehr Amerikaner von Opioiden abhängig zu machen, noch mehr Kinder dazu
anzuhalten, ihre Diabetes verursachenden Lebensmittel zu essen, und jener Art
von Betrügereien nachzugehen, die die Krise von 2008 ausgelöst hatten.

Auch heute reden viele Konzernbosse noch immer über das fortgesetzte BIP-
Wachstum und die Rekordstände bei den Aktienkursen. Doch sind weder BIP
noch Dow Jones gute Messgrößen für die Wirtschaftsleistung. Beide sagen nichts
über die Entwicklung des Lebensstandards der Normalbürger oder über die
Nachhaltigkeit aus. Tatsächlich ist die Wirtschaftsentwicklung der vergangenen
vier Jahre Beweisstück Nr. 1 der Anklage gegen den Verlass auf diese Kennzahlen.

Um einen guten Eindruck von der wirtschaftlichen Gesundheit eines Landes zu


erhalten, sollte man bei der physischen Gesundheit seiner Bürger ansetzen. Wenn
sie zufrieden und wohlhabend sind, sind sie gesünder und leben länger. Unter
den entwickelten Ländern nehmen die USA in dieser Hinsicht einen Platz ganz
unten ein. Die ohnehin schon niedrige Lebenserwartung im Lande ist in den
ersten beiden Jahren von Trumps Präsidentschaft jeweils gesunken, und 2017
erreichte die Mortalität von Personen im mittleren Alter ihren höchsten Stand seit
dem Zweiten Weltkrieg. Dies überrascht nicht, da kein Präsident mehr getan hat,

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damit mehr Amerikaner ohne Krankenversicherung dastehen. Millionen


Menschen haben ihren Versicherungsschutz verloren, und der Anteil der
Unversicherten ist in nur zwei Jahren von 10,9% auf 13,7% gestiegen.

Ein Grund für die sinkende Lebenserwartung in den USA sind „Tode aus
Verzweiflung“ (so die Bezeichnung von Anne Case und dem
Wirtschaftsnobelpreisträger Angus Deaton). Verursacht werden sie durch Alkohol,
Drogenüberdosen und Suizide. In 2017 (dem aktuellsten Jahr, für das gute Daten
vorliegen) lag die Zahl derartiger Todesfälle fast viermal so hoch wie 1999.

Mir ist eine derartige gesundheitliche Verschlechterung außerhalb von Kriegen


oder Epidemien bisher erst einmal begegnet, und zwar während meiner Zeit als
Chefökonom der Weltbank. Damals stellte ich fest, dass Mortalitäts- und
Morbiditätsdaten bestätigten, was unsere wirtschaftlichen Kennzahlen über den
düsteren Zustand der postsowjetischen russischen Wirtschaft nahelegten.
Für die obersten 1% – und besonders für die obersten 0,1% – mag Trump ein guter
Präsident sein. Doch für alle anderen ist er das nicht. Bei vollständiger Umsetzung
wird die Steuersenkung von 2017 für die meisten Haushalte im zweiten, dritten
und vierten Einkommensquintil zu Steuererhöhungen führen.

Angesichts von Steuersenkungen, von denen die Ultrareichen und die Konzerne
überproportional profitieren, sollte niemand überrascht sein, dass es zwischen
2017 und 2018 (dem diesbezüglich aktuellsten Jahr mit guten Daten) keine
wesentliche Veränderung beim Medianeinkommen der US-Haushalte gegeben hat.
Auch der Löwenanteil der BIP-Zunahme geht an die da oben. Die medianen
wöchentlichen Realeinkommen liegen nur 2,6% über ihrem Niveau bei Trumps
Amtsantritt. Und die langen Phasen stagnierender Löhne werden durch diese
Anstiege nicht ausgeglichen. So liegt etwa der Medianlohn vollzeitbeschäftigter
männlicher Arbeiter (und wer vollzeitbeschäftigt ist, ist gut dran) nach wie vor
über 3% unter dem Stand vor 40 Jahren. Auch gab es kaum Fortschritte beim
Abbau von Unterschieden zwischen den verschiedenen Ethnien: Im dritten
Quartal 2019 lag das wöchentliche Medianeinkommen vollzeitbeschäftigter
schwarzer Männer bei unter drei Vierteln des Niveaus weißer Männer.

Was die Sache noch schlimmer macht: Das erzielte Wachstum war bisher
ökologisch nicht nachhaltig und ist es heute noch weniger, weil die Trump-
Regierung Regulierungsbestimmungen abgeschafft hat, die stringente Kosten-
Nutzen-Analysen bestanden hatten. Die Verschmutzung der Luft und des
Trinkwassers sowie die Auswirkungen des Klimawandels auf den Planeten
nehmen zu. Tatsächlich haben die durch den Klimawandel bedingten Verluste in
den USA, die größere Sachschäden erlitten haben als jedes andere Land, mit rund
1,5% vom BIP 2017 einen neuen Höchststand erreicht. 

Die Steuersenkungen sollten angeblich eine neue Investitionswelle auslösen.


Stattdessen führten sie zu Aktienrückkäufen in nie dagewesener Höhe (etwa 800
Milliarden Dollar in 2018) durch einige von Amerikas profitabelsten
Unternehmen sowie zu Rekorddefiziten für Friedenszeiten (fast eine Billion
Dollar im Haushaltsjahr 2019) – und das in einem Land, in dem angeblich nahezu

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Vollbeschäftigung herrscht. Und trotz schwacher Investitionen mussten sich die


USA massiv im Ausland verschulden: Die jüngsten Daten zeigen Auslandskredite
von fast 500 Milliarden pro Jahr, und die US-Nettoverschuldung ist in nur einem
Jahr um mehr als 10% gestiegen.

Genauso haben Trumps Handelskriege trotz all ihres Getöses das US-
Handelsdefizit nicht verringert. Es lag 2018 um ein Viertel höher als 2016. Das
Defizit beim Warenhandel war 2018 das größte seit Beginn der Aufzeichnungen.
Selbst das Handelsdefizit gegenüber China lang fast ein Viertel höher als 2016.
Und während die USA ein neues nordamerikanisches Handelsabkommen erreicht
haben, enthielt dieses weder die vom Business Roundtable gewünschten
Investitionsvereinbarungen noch die von der Pharmaindustrie angestrebten
Bestimmungen über Preiserhöhungen für Medikamente, dafür aber bessere
Arbeits- und Umweltbestimmungen. Trump, der selbsterklärte
Verhandlungskünstler, hat bei seinen Verhandlungen mit den Demokraten im
Kongress in fast allen Punkten nachgeben müssen, was zu einem leicht
verbesserten Handelsübereinkommen führte.

Und trotz Trumps großer Versprechungen, Industriearbeitsplätze in die USA


zurückzuholen, hat die Beschäftigung in der produzierenden Industrie weniger
stark zugenommen als sie das ab Beginn der an die Krise von 2008
anschließenden Erholung unter seinem Vorgänger Barack Obama taten, und sie
liegt noch immer deutlich unter dem Niveau vor der Krise. Selbst die
Arbeitslosenquote, die auf ihrem tiefsten Stand seit 50 Jahren liegt, verbirgt
wirtschaftliche Schwächen. Die Beschäftigungsquote für Männer und Frauen im
Erwerbsalter ist zwar gestiegen, aber nicht so stark wie während der Erholung
unter Obama, und sie liegt noch immer deutlich unter der anderer entwickelter
Länder. Das Tempo, mit dem neue Arbeitsplätze geschaffen werden, ist ebenfalls
deutlich langsamer als unter Obama.

Um es noch einmal zu sagen: Diese niedrige Beschäftigungsquote ist keine


Überraschung, nicht zuletzt, weil Kranke nicht arbeiten können. Zudem werden
Personen, die eine Behindertenrente erhalten, Gefängnisinsassen – und die
Inhaftierungsrate in den USA hat sich seit 1970 versechsfacht, sodass derzeit rund
zwei Millionen Menschen hinter Gittern sitzen – oder Menschen, die so mutlos
sind, dass sie sich nicht aktiv um Arbeit bemühen, nicht als „arbeitslos“ gezählt,
obwohl sie natürlich unbeschäftigt sind. Ebenso wenig überrascht, dass in einem
Land, das weder eine bezahlbare Kinderversorgung bietet noch Elternzeit
garantiert, weniger Frauen beschäftigt sind als in anderen entwickelten Ländern
(in Relation zur Einwohnerzahl über zehn Prozentpunkte weniger).

Selbst gemessen am BIP wird die Trump-Wirtschaft den Ansprüchen nicht


gerecht. Das Wachstum betrug im letzten Quartal lediglich 2,1%, deutlich weniger
als die von Trump versprochenen 4%, 5% oder gar 6% und sogar weniger als die
durchschnittlich 2,4% während Obamas zweiter Amtszeit. In Anbetracht der vom
eine Billion Dollar schweren Haushaltsdefizit und ultraniedrigen Zinsen
ausgehenden Konjunkturimpulse ist das eine bemerkenswert schlechte

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Entwicklung. Und das ist weder Zufall noch einfach Pech: Trumps Markenzeichen
sind Unsicherheit, Volatilität und Tatsachenverdrehung, während für Wachstum
Vertrauen, Stabilität und Zuversicht sowie (laut Internationalem Währungsfonds)
Gleichheit unverzichtbar sind.

Trump verdient also nicht nur bei so wichtigen Aufgaben wie der Bewahrung der
Demokratie und dem Erhalt unseres Planeten eine Sechs. Auch im Fach Wirtschaft
sollte er ein „Nicht bestanden“ erhalten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Featuring newly-minted Nobel laureates Esther Duflo and Abhijit Banerjee,


Moon Jae-in, Shoshana Zuboff, Francis Fukuyama, Lawrence Summers, and
other leading thinkers, The Year Ahead, 2020: (De)Reconstruction closely examines
the economic and political challenges facing the world. The Year Ahead magazine
is included in the Project Syndicate annual subscription. To receive
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JOSEPH E. STIGLITZ
Writing for PS since 2001
270 Commentaries

Joseph E. Stiglitz, a Nobel laureate in economics, is University Professor at


Columbia University and Chief Economist at the Roosevelt Institute. His most

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recent book is People, Power, and Profits: Progressive Capitalism for an Age of
Discontent.

https://prosyn.org/5Wv5EPmde;

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