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Susanne Eggert
Heimaterleben mit Medien
Mediale Unterstützung eines Heimatgefühls von Menschen mit
Migrationshintergrund
Wenn Menschen ihren Herkunftsort verlassen und sich an einem anderen Ort nieder-
lassen, müssen sie vieles von dem zurücklassen, was für sie Heimat bedeutet. Medien
können dazu beitragen, einen Teil dieser Heimat zu bewahren oder eine neue Heimat
zu finden.
In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 26.08.2014 über die Situation heuti-
ger Matrosen findet sich folgende Passage: „Sobald die Matrosen hier [im Duckdal-
ben, dem ‚Internationalen Seemannsclub’ im Hamburger Hafen; S. E.] ankommen,
eilen sie an die Computer und skypen mit ihren Familien. Dann dauert es nicht lang,
und Babygeschrei tönt aus den Lautsprechern. Danach sind sie anders, sagt Maike Pu-
chert, die Seemannsdiakonin, ‚gelöst, als wäre eine Last von ihnen abgefallen’” (Wid-
mann 2014, S. 3). Seeleute sind Reisende, Migranten auf Zeit. Die meisten von ihnen
verlassen ihre Familien und ihre Heimat für einen kürzeren oder längeren Zeitraum,
um Geld zu verdienen und wieder zurückzukehren, wenn sie ihren Arbeitsauftrag
erfüllt haben. Insbesondere wenn sie länger unterwegs sind, beschleicht nicht wenige
das Gefühl von Heimweh und sie sind froh, wenn sie einen Hafen anlaufen, in dem sie
die Möglichkeit haben, mit ihren Familien Kontakt aufzunehmen und für eine kurze
Zeit diejenigen zu sehen und zu hören, die für sie Heimat bedeuten.
Was Heimat eigentlich ist, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Nur so
viel: Heimat ist heute ein Konstrukt, mit dem Unterschiedliches verbunden wird. Es
ist etwas, womit wir uns verbunden fühlen und das unsere Identität prägt. Meistens
hat Heimat auch mit Orten und Menschen zu tun, mit denen Erfahrungen verknüpft
werden. Heimat kann außerdem sehr sinnlich sein: ein besonderer Geruch, ein be-
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1 Hepp, Bozdag und Suna haben drei Medienaneignungstypen bei Menschen mit Migrationshinter-
grund festgestellt. Die „Herkunftsorientierten”, die „Ethnoorientierten” und die „Weltorientierten”
(vgl. Hepp / Bozdag / Suna 2011)
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schätzt es sehr, dass sie mittlerweile die Möglichkeit hat, über Skype zu kommunizie-
ren, „sich visuell nahe zu sein und ein Gefühl von Gemeinschaft aufrecht[zu]erhalten”
(Schlör 2012, S. 63). Obwohl sie räumlich weit entfernt sind, haben sie trotzdem Teil
an den Entwicklungen in der Heimat ihrer Eltern und Großeltern, mit der auch sie Hei-
matgefühle verbinden. Um am Familienleben teilzuhaben, nutzt auch ein Vater diesen
Dienst, „der für mehrere Monate beruflich bedingt von der Familie getrennt leben
muss, [ihm] bietet Skype die einzige Möglichkeit, Erziehungsaufgaben wahrzunehmen
und seiner Rolle als Vater gerecht zu werden” (ebd., S. 61). Damit macht er sich ei-
nerseits selbst deutlich, wo er hingehört und sich zugehörig fühlt. Aber auch aus der
Perspektive seiner Familie ist er dabei und nimmt am Alltagsleben teil.
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gemacht haben wie sie selber und sich in einer ähnlichen Situation befinden, helfen
ihnen bei der Entwicklung ihrer eigenen Identität in einer neuen Heimat.
Dieses Verhalten ist aber nicht nur
bei Jugendlichen zu beobachten.
„Tsaliki beschreibt beispielswei-
se einen internationalen Internet
Relay Chat (IRC), in dem weltweit
verstreute Griechen sich auf Eng-
lisch über ihren Alltag austauschen.
In dieser virtuellen Gemeinschaft
entsteht ein Gefühl von ,Brüder-
lichkeit’, das sich auf eine Heimat
bezieht, der alle entstammen. Ein
Gefühl von Heimat wird also medial
vermittelt und die Erfahrung der
Mithilfe der Medien holen Migrantinnen und Migranten Diaspora nicht nur durch das Mit-
einen Teil ihres früheren Lebens in ihren Alltag zurück hören oder Mitansehen der Kultur,
CC BY-SA 2.0_Arne Krueger @flickr sondern durch aktiven Austausch
gemildert” (Reutter et al. 2009, S. 16). Was Tsaliki als „Brüderlichkeit” bezeichnet, ist
bei Hugger und Özcelik die „national-ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit”. Sie stellen
fest, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund
ethnische Internetportale nutzen, um sich hier ihrer national-ethnisch-kulturellen
Zugehörigkeit – die nach Paul Mecheril als „prekär” bezeichnet werden kann (zit. nach
Hugger / Özcelik 2010, S. 139 ff.) – zu versichern (vgl. ebd.). Im [37] Rahmen einer
Untersuchung von 20 jungen Erwachsenen mit türkischem Migrationshintergrund in
der zweiten Generation konnten fünf verschiedene Wege identifiziert werden, diese
werden beschrieben als „Der Versuch, ...
––erst mithilfe des Agierens in der Online-Community biografische wie gemeinschaft-
liche türkische Wurzeln zu entdecken. [...]
––[...] Zugehörigkeit mithilfe der Vergewisserung biografischer wie gemeinschaftlicher
Wurzeln [...] zu vereindeutigen. [...]
––mithilfe des Agierens in der Online-Community biografische wie gemeinschaftliche
türkische Wurzeln zu bewahren. [...]
––mithilfe der Vergewisserung biografischer und gemeinschaftlicher Wurzeln in der
Online-Community [...] Zugehörigkeit zu festigen und anderen zu vermitteln. [...]
––mithilfe der Vergewisserung biografischer wie gemeinschaftlicher türkischer Wur-
zeln [...] biografische Kontinuität herzustellen” (ebd., 139 f.; Hervorheb. im Orig.).
Hugger und Özcelik weisen darauf hin, dass es den jungen Frauen und Männern nicht
immer gelingt, durch ihre Aktivitäten auf der Plattform tatsächlich ein stärkeres Zu-
gehörigkeitsgefühl zur ethnischen Gruppe zu entwickeln. Sie sehen hier aber nicht in
erster Linie einen Zusammenhang mit dem Medium, sondern führen dies auf die ge-
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Literatur
Eggert, Susanne (2010). Medien im Integrationsprozess: Motor oder Bremse? Die Rol-
le der Medien bei der Integration von Heranwachsenden aus der ehemaligen Sowjet-
union. München: kopaed.
Eggert, Susanne (2013). Gut hin – und nicht ganz weg. Wie Medien im Integrations-
prozess unterstützen können. In: Hartung, Anja / Lauber, Achim / Reißmann, Wolf-
gang (Hrsg.), Das handelnde Subjekt und die Medienpädagogik. Festschrift für Bernd
Schorb. München: kopaed, S. 187-195.
Hepp, Andreas / Bozdag, Cigdem / Suna, Laura (2011). Mediale Migranten. Mediati-
sierung und die kommunikative Vernetzung der Diaspora. Wiesbaden: VS Verlag.
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