Sie sind auf Seite 1von 3

Thema 2: Das Fremde und das Eigene

Aufgabe 1

Heimat

Verfassen Sie eine Meinungsrede.

Situation: An Ihrer Bildungsinstitution findet eine Fotoausstellung unter dem Motto


Heimat und Fremde statt. Zur Eröffnung halten Sie eine Rede mit dem Titel Heimat –
überholt oder gerade heute wieder aktuell?. Eingeladen sind Schüler/innen bzw. Kurs-
teilnehmer/innen, Lehrkräfte und interessierte Besucher/innen.

Lesen Sie den Artikel Die Veränderung des Heimatbegriffs: vom mittelalterlichen Heimatrecht bis
zum Designerschick von Elisabeth Turek aus der Zeitschrift polis aktuell 4/2010 (Textbeilage 1).

Verfassen Sie nun die Meinungsrede und bearbeiten Sie dabei die folgenden Arbeitsaufträge:

■ Geben Sie kurz die Veränderung des Heimatbegriffs im Laufe der Geschichte wieder, wie in
der Textbeilage dargelegt.
■ Vergleichen Sie Ihren eigenen Heimatbegriff mit von Ihnen ausgewählten Vorstellungen von
Heimat, die im Text angeführt werden.
■ Nehmen Sie Stellung dazu, wie viel Heimat wir in unserer globalisierten Welt brauchen. Be-
rücksichtigen Sie dabei auch den Titel Ihrer Rede.

Schreiben Sie zwischen 540 und 660 Wörter. Markieren Sie Absätze mittels Leerzeilen.

9. Jänner 2019 / Deutsch S. 1/39


Aufgabe 1 / Textbeilage 1

Die Veränderung des Heimatbegriffs:


vom mittelalterlichen Heimatrecht bis
zum Designerschick
Von Elisabeth Turek vertraute Umgebung verlassen die „Volksgemeinschaft“ oder das
mussten. Eine Antwort auf diesen „Völkische“, das als Heimat defi-
Das Wort Heimat leitet sich Entwurzelungsprozess war die niert wurde. Wer nicht dazu-
vom althochdeutschen (heimouti) romantische Verklärung der Hei- zählte, sollte schon bald aus ihr
bzw. mittelhochdeutschen (hei- mat in Musik und Dichtung. Wer verschwinden.
müete) Wort für Niederlassung kennt sie nicht, die Lieder und
und Wohnsitz ab. Im Mittelal- Gedichte von den Tälern oder Wer gehört zu einer bestimmten
ter bezeichnete es das Elternhaus dem schönsten Wiesengrund und „Heimat“, wer nicht?
und die nächste Umgebung des von dem, der weggehen muss? [...]
Geburts- oder Wohnortes – im Diese Frage wurde im Lauf der
Gegensatz zu elilenti, dem Elend Das Heimweh und die Sehnsucht Geschichte je nach politischem
und der Fremde, in der man seiner nach der „guten Heimat“ erfuhren Kontext unterschiedlich beant-
Heimat beraubt war. Der Älteste in den Jahren des Wiederaufbaus wortet. Eigen- oder Fremddefi-
blieb „auf der Heimat“, war erbbe- nach dem Zweiten Weltkrieg nitionen gingen dabei oft ausei-
rechtigt, die anderen wurden hei- noch einmal einen Aufschwung nander. Was sich jedoch wie ein
matlos – ebenso wie die anderen (wenn auch unter anderen Vor- roter Faden bis in die Gegenwart
Besitzlosen und die BettlerInnen. zeichen). Dieser spiegelt sich u.a. zieht, ist die Charakteristik eines
Heimat war demnach der Besitz in Heimatfilmen, Groschenheften statischen Konzepts von Heimat:
an Haus bzw. Grund und Boden, und in der Populärmusik wider. die Abgrenzung eines WIR von
den jemand erwarb bzw. in einer […] einem ANDEREN und AUS-
Gemeinde hatte, daraus leite- SEN. […]
ten sich das Heimatrecht und die Zurück zum 19. und Beginn des
Einbürgerung in eine bestimmte 20. Jahrhunderts: Eine weitere Im Gegensatz zu einem sta-
Gemeinde ab. Diese stellte bis markante Entwicklung war die tisch-unbeweglichen Heimat-
ins 19. Jahrhundert hinein einen Entstehung der Nationen. Was konzept gibt es noch einen ganz
Versorgungsanspruch im Alter, in bedeutet das für den Heimatbe- anderen und viel dynamischeren
Notfällen oder bei Krankheit dar. griff ? Zur Heimat sollte nun statt Zugang. Seit den 70er-Jahren des
der Wiesen und Täler die schick- 20. Jahrhunderts rücken die The-
Die Umbrüche der ländlichen salsbetonte Zugehörigkeit zu men Migration, Einwanderung
und städtischen Gesellschaft im einem Nationalstaat, einem Terri- oder Asyl und damit die Aus-
19. Jahrhundert und die Indust- torium mit klaren Grenzen, wer- einandersetzung mit unterschied-
rialisierung mit all ihren Folgen den. Das „Vaterland“ galt es zu lichen, oft auch widersprüchli-
(Bevölkerungswachstum, Auf- verteidigen. Symbole, National- chen Lebenszusammenhängen in
lösung feudaler und bäuerlicher hymnen, Denkmäler und Mythen den Vordergrund. Für Menschen,
Strukturen, Abwanderung in die beschworen diese Bindung an die die ihre Heimat verlassen muss-
Städte usw.) gaben den Ausschlag Nation. In der Zeit des National- ten, für Vertriebene und Flücht-
dafür, dass viele Menschen ihre sozialismus war es in erster Linie linge, wird die soziale Anbindung

10
9. Jänner 2019 / Deutsch S. 2/3
an eine neue Heimat zu einer oder Heimat“ übersetzt werden? Arti- Von Heimat-Krimiserien im
gar zu DER zentralen Frage. Hei- kel  14 und 15 der Allgemeinen Fernsehen bis zu Magazinen
mat erhält in diesem Zusammen- Erklärung der Menschenrechte und Heimat-Designerläden –
hang nicht nur eine emotionale von 1948 betreffen Fragen von „authentisch und lebensnah“ soll
Färbung, sondern sie hat auch Staatsangehörigkeit und Asyl. An es sein, selbstbewusst, heiter und
einen politischen und rechtlichen konkreten und aktuellen Beispie- entspannt, gewürzt mit Ironie
Gehalt. len von Flüchtlingen, die an Mau- statt Rustikalkitsch. Das Regio-
ern und Staatsgrenzen scheitern, nale mit seinen besonderen Qua-
Ein wesentlicher Punkt ist in die- mangelt es jedenfalls nicht. […] litäten, z. B. lokalen kulinarischen
sem Zusammenhang die Zuge- Genüssen und Ressourcen, erfährt
hörigkeit zu einer Rechtsgemein- Was aber klar ist: Eine Gleichset- ebenfalls eine Aufwertung. […]
schaft – das „Recht, Rechte zu zung von Staatsbürgerschaft mit
haben“, wie es Hannah Arendt vor Heimat greift zu kurz. Die Verän- Aus welchen Gründen auch
mehr als 60 Jahren bezeichnet hat. derungen, die ein Mensch durch immer: Heimat boomt. Und
Sie meinte damit das Recht jedes Migration erfährt, sind so ein- zwischen den Zeilen könnte
Menschen, überhaupt unter recht- schneidend, dass für Heimatver- man lesen: Je stärker die Folgen
lichen Verhältnissen leben zu kön- lust und Heimatfindung häufig der Wirtschaftskrise, je größer
nen. Unter dem Eindruck totalitä- die Metapher der Wurzel verwen- die Verlustängste (z. B. um den
rer Regime und der Massenflucht det wird – die Entwurzelung an Arbeitsplatz) und das Gefühl, den
im 20. Jahrhundert galten für sie einem alten Ort und die Verwur- Dingen ohnehin machtlos gegen-
der Heimat- und Staatsbürger- zelung an einem neuen Ort. Die- überzustehen, desto größer wird
schaftsverlust als die größten denk- ser Prozess zieht sich meist über die Sehnsucht nach Harmonie
baren Menschenrechtsverletzun- mehrere Generationen. und überschaubaren Lebenszu-
gen (bereits 1935 waren übrigens sammenhängen. n
durch das Nürnberger Reichsbür- Soweit ein Streifzug zum Hei-
gergesetz alle Juden und Jüdinnen matbegriff und einigen Bedeu-
zu „Staatsangehörigen“ deklassiert, tungsinhalten, die er zu verschie-
im Unterschied zu den „Reichs- denen Zeiten erfahren hat.
bürgerInnen“).
„Heimat ist neuerdings überall“,
Kann dieses „Recht, Rechte  zu ist in einem Artikel des Goethe-
haben“, nicht auch im über- Instituts (2009), der sich auf
tragenen Sinn mit „Recht auf Deutschland bezieht, zu lesen.

Quelle: polis aktuell 4/2010, S. 3 – 4.

INFOBOX

Arendt, Hannah (1906 – 1975): geboren bei Hannover, 1933 Flucht nach Paris und später New
York; politische Theoretikerin, Philosophin und Schriftstellerin, die unter anderem zur Entrechtung
und Verfolgung der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus publiziert hat

11

9. Jänner 2019 / Deutsch S. 3/3

Das könnte Ihnen auch gefallen