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Die kleine Meerjungfrau

1 Die kleine Meerjungfrau wohnte mit ihrer Familie und ihren


Freunden, den Fischen und Krebsen, unten auf dem Meeresgrund.
Da wuchsen viele Pflanzen und sogar Bäume. Alle kleinen und
großen Fische schwammen da herum so wie die Vögel oben auf
der Erde fliegen.
Die Meerjungfrau war sehr hübsch. Ihre Augen waren blau und
ihre Haare wie Gold. Sie hatte keine Füße, sondern einen
Fischschwanz.

2 Die kleine Meerjungfrau war ein stilles Kind. Wenn die anderen
Schwestern mit den Sachen von den Schiffen spielten, wollte sie
nur eine Marmorstatue ansehen. Das war ein Königsohn, der auf
den Meeresboden gefallen war. Sie pflanzte bei der Statue eine
schöne Pflanze.

3 „Wenn ihr fünfzehn seid”, sagte die Großmutter, „dann dürft ihr
im Mondschein auf den Klippen sitzen und die großen Schiffe
ansehen.“
Manchmal kam ein Anker herunter, dann wussten die
Meerjungfrauen, dass oben ein Schiff mit vielen Menschen war.
Aber die dachten ja nicht daran, dass da unten Meerjungfrauen
waren und ihre Hände nach ihnen ausstreckten.

4 Der Geburtstag der zweiten Schwester war im Winter. Das Meer


sah eisblau aus und es gab große Eisberge. Sie hatte sich auf
einen Eisberg gesetzt und sang, ihre langen Haare wehten im
Wind. Den Gesang hörten auch die Seeleute und der Königssohn
auf dem Segelschiff.
Am Abend wurde der Himmel grau, es blitzte und donnerte. Es
kam ein Sturm und das Segelschiff zerschellte an den Felsen und
ging unter.

5 Die jüngste Schwester, die kleine Meerjungfrau, stand allein, sah


das Unglück und weinte. Sie sah den schönen Königssohn. Sie
sah ihn herabstürzen. Sie hielt ihn und brachte ihn an einen
Strand. Die kleine Meerjungfrau küsste seine Stirn und berührte
sein nasses Haar. Er gefiel ihr sehr, doch sie musste wieder
zurück auf den Meeresboden.

6 Die kleine Meerjungfrau konnte den hübschen Prinzen nicht


vergessen. Deshalb ging sie heimlich zur Meerhexe.
Die Hexe hatte rote Haare und einen grünen Schwanz. Eine fette
Kröte frass aus ihrem Mund.
„Ich weiß schon, was du willst“, sagte die Meerhexe. „Der Prinz
wird dich ins Unglück stürzen. Du willst deinen Fischschwanz los
sein und wie die Menschen gehen, damit der junge Prinz sich in
dich verliebt!“ Dabei lachte die Hexe laut.
Ich bereite dir einen Zaubertrank, dann wirst du Beine
bekommen, aber es tut sehr weh; es ist, als ob du auf scharfen
Messern läufst.
Die kleine Meerjungfrau willigte ein.
„Aber du musst auch bezahlen“, sagte die Hexe, „Du hast die
schönste Stimme, diese Stimme musst du mir geben!“
Da schnitt sie der kleinen Seejungfrau die Zunge ab.

7 Die kleine Meerjungfrau trank das Getränk und fiel in Ohnmacht.


Als die Sonne aufging, erwachte sie und fühlte einen Schmerz.
Vor ihr stand der schöne, junge Prinz. Der Prinz fragte sie, wer sie
ist und wie sie hierher gekommen war, und sie sah ihn an, aber
sprechen konnte sie nicht. Da nahm er sie bei der Hand und
führte sie in sein Schloss.

8 Er liebte sie wie eine Schwester, aber er heiratete doch eine


andere Prinzessin aus dem Nachbarland.
„Liebst du mich nicht?“ fragten ihre Augen, wenn der Prinz sie in
seine Arme nahm und ihre schöne Stirn küsste.
„Ja, du bist mir die Liebste“, sagte der Prinz, „denn du hast das
beste Herz von allen. Du erinnerst mich an ein junges Mädchen,
das ich einmal sah, aber sicher nie wiederfinde. Ich war auf einem
Schiff, das unterging. Sie kam und brachte mich an Land. Sie ist
die einzige, die ich in dieser Welt lieben kann.“

9 Da verabschiedete sich die kleine Meerjungfrau traurig vom


Prinzen und kehrte zu ihren Geschwistern und ihrem Vater zurück
in das Meer.
Dort schwamm sie fröhlich zwischen ihren Freunden den Fischen
und spielte mit den Muscheln, doch konnte sie den jungen Prinzen
nie vergessen.

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