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DAS BUCH DER MÄRCHEN

von Torsten Schwanke

DIE MEERJUNGFRAU

ERSTER GESANG

Liebe Margarethe Schwanke,


Du Großmutter eines Dichters,
Komm, erzähle uns dein Märchen
Von der Meerjungfrau der Nordsee!

Margarethe Schwanke also


Hob das dünne Zitterstimmchen.
Ihre Lesebrille ruhte
Auf der Bibel deutscher Sprache.

Sieh, es war einmal in Norddeich,


Lebte da ein armer Fischer,
Der zwölf schöne Töchter hatte,
Drunter auch zwei Dioskuren.

Diese wunderschönen Mädchen


Waren all gesund und zierlich.
Bei der lieben Eltern Armut
Unbegreiflich war die Reinheit.

Immer hatten sie zu essen,


Ja, selbst Butter auf dem Brote,
Trugen allzeit saubre Kleider,
Sonntags ihre schönsten Kleider,

Weil sie sonntags immer gingen


In der Gotteskirche Arche,
Gott zu singen und zu hören
Ihren Pfarrer Weisheit lehren.

Aber böses Volk in Norddeich


Sprach: Der arme Fischer sicher
Ist ein alter Hexenmeister,
Murmelt immer Zauber-Runen.

Aber nein! Die Frau des Fischers


Hatte heimlich eine Freundin,
Die ihr diesen Segen schenkte,
Die die lieben Kinder pflegte,

Wickelte die kleinen Kinder,


Putzte ihre Rotzenasen,
Sang den Kindern Wiegenlieder,
Las auch aus der Kinderbibel.

Als die Frau des Fischers nämlich


War ein junges schönes Mädchen,
Träumte sie zu Sankt Johannis,
Sah im Traume eine Dame,

Sprach die Dame in dem Traume,


Daß das Mädchen zu Johannis
An die Nordsee treten solle.
Dann vergaß den Traum das Mädchen.

In der Sommernacht die Menschen


Am Johannisfeuer saßen,
Hört das Mädchen leis ein Stimmchen
Etwa wie ein Bienensummen:

Geh zur Nordsee, liebes Mädchen,


Von der Nordsee kommt dir Segen!
Zwar erschrak das junge Mädchen,
Aber trat doch an die Nordsee.

Auf dem Deiche vor der Nordsee


Sah sie sitzen jene Dame,
Königlich, in weißen Kleidern,
Um den Hals ein Perlenkettchen.

Sah die Dame, wie das Mädchen


Sich entsetzte, sprach die Dame:
Habe keine Angst, mein Mädchen,
Denn ich bring dir Gottes Segen!

Schau, im Märzen wirst du freien,


Wird dein Freier sein ein armer
Fischer, nimm ihn doch zum Manne,
Stör dich nicht an seinem Branntwein.

Weil du gut bist, liebes Mädchen,


Bringe ich dir Gottes Segen.
Sei nur fleißig, sie nur sittsam,
Ohne Tugend keine Freude.

Hast du dann ein Kind geboren,


Brings zur Taufe in die Kirche.
Wirf ein Steinchen in die Nordsee,
Dann erscheine ich dir wieder.

Und ich komme in die Kirche


Gottes zu des Kindes Taufe,
Werde deines Kindes Patin,
Deines Kindes Patenmutter.
Damit schwand die schöne Dame.
Und das Mädchen hätt gezweifelt
An der Dame, hielte sie nicht
In der Hand ein weißes Steinchen.

Doch im Märzen kam der Freier,


Wie die Dame prophezeite,
Hochzeit wurde bald gefeiert
Unterm Orgelspiel der Sturmflut.

Siehe da, neun Monde später


Hat ein Kind geborn die Gattin,
Eine Tochter, und sie dachte
An die Dame von Johannis.

Und sie eilte an die Nordsee,


Warf ins Meer das weiße Steinchen,
Da erschien die schöne Dame,
Weißverschleiert, weißgekleidet.

Dank, dass du mich nicht vergessen,


Sprach zur Frau die schöne Dame,
Bring die Tochter nur zur Taufe,
Ich komm dann als Patenmutter.

An dem Tag der Taufe nahte


Nun fürwahr die schöne Dame,
Nahm die Tochter in die Arme,
Gab ein Küsschen auf die Stirne,

Legte in das weiße Taufkleid,


In die weiße Linnenwindel
Einen Taler mit dem Bilde
Der Meerjungfrau ganz aus Silber.

Also wars bei jeder Taufe,


Bis zwölf Töchter sind geboren.
Bei Geburt des letzten Kindes
Sprach zur Frau die schöne Dame:

Fortan wirst du mich nicht sehen,


Aber ungesehen will ich
Deine Kinder stets begleiten
Und mit Gottes Gnade segnen.

Feiern deine Töchter Hochzeit,


Gib als Brautgeschenk den Taler
Ihnen, den ich bei der Taufe
Legte in die Linnenwindel.

Sorge, dass die Töchter allzeit


Schöne saubre Kleider tragen,
Schönste Kleider tragen sonntags,
Gehen zu dem Gottesdienste.

O die Kinder waren herrlich,


Eine wahre Lust und Wonne!
Lebten zwar in großer Armut,
Aber stets in Gottes Gnade.

Nun die erste Tochter freite


Einen schönen reichen Wirtssohn
Und als Brautgeschenk das Mädchen
Brachte mit der Taufe Taler.

Als die Männer nun den Koffer


Mit des Mädchens Sachen hoben,
War er schwer vom vielen Golde,
Hunderttausend goldnen Talern.

Alle andern Töchter fanden


Eilends ebenfalls Gemahle,
Da ihr Reichtum weitberühmt war,
Nannte man sie goldne Schätzchen.

Einer dieser Schwiegersöhne


Aber war ein Mammonsklave,
Gierig nach dem gelben Gelde,
Nicht zufrieden mit der Liebe.

Ging der Schwiegersohn zum Vater,


Sprach: Gib mir noch mehr vom Golde,
Unersättlich bin ich, durstig
Nach dem Segensstrom des Geldes.

Sprach der Vater: Ach ich armer


Fischer, habe nichts zu geben,
Alles war ja reine Gnade
Nur der lieben Patenmutter.

Doch der Schwiegersohn voll Geldgier


Glaubte nicht dem armen Vater,
Sprach vorm Pöbel, dieser Fischer
Sei ein alter Hexenmeister,

Habe durch den Pakt mit Satan


Große Truhen voll des Goldes.
Doch der Fischer, fromm und gläubig,
Bangte nicht vor Satans Listen.

Doch die Obrigkeit von Norddeich,


Staat und Kirche, hörten beide
Von dem alten Hexenmeister,
Untersuchten diese Sache.

Und der Schwiegersohn und alle


Schwiegersöhne aller Töchter
Und die Obrigkeit von Norddeich
Kamen zu dem Haus des Fischers.

Plötzlich war da großer Lichtglanz,


Über Bäumen goldne Wolken,
Sichtbar ward ein Schloß von Golde,
Buntglas, Spiegeln, Perlen, Kerzen.

Vor dem Tor zwei Helden standen,


Hohe blonde Friesenhünen,
Goldne Schwerter in den Händen,
In den Händen Feuerschwerter.

Trat ein Jüngling vor im Samtkleid,


Sprach: Die Königin gebietet,
Daß der Richter zu ihr trete.
Und der Richter folgt dem Jüngling.

Wer beschreibt die Herrlichkeiten


In der Königin Palaste?
Der Palast schien eine Kirche,
Schien ein großer Tempel Gottes.

In der Mitte auf dem Throne


Saß in Gold die schöne Dame
Und dabei auf goldnen Thronen
Zwölf Jungfrauen hochentzückend!

Da der Richter sich verneigte,


Sprach die Königin, die Dame:
Warum kommt ihr wie die Räuber,
Den Gerechten zu ermorden?

Antwort wollt der Richter geben,


Aber Angst lähmt ihm die Zunge.
Sprach die Königin: Ich kenne
Eure Listen, Trügereien!

Und der schönen Dame Diener


Nun den Schwiegersohn in Fesseln
Und die Schwiegersöhne alle
Sie in Eisenketten brachten.

Sprach die Königin, die Dame:


Meerjungfrau von Gottes Gnade
Bin ich, Königin der Meere,
Nymphe Gottes, Stern der Meere!
Meine lieben Patenkinder
Stehen unter meinem Schutze,
Meine liebe Frau, das Mädchen,
Und der treue arme Vater,

Alle meine Kinder, alle


Töchter und die Dioskuren,
Die ich in der Taufe annahm,
Daß sie meine Kinder seien!

Ihnen soll kein Unglück, Unheil


Widerfahren, sondern freudig
Sollen sie in Licht und Schatten
Meiner Liebe sich erfreuen!

Aber ihr, der Geldgier Sklaven,


Ihr, die lästerlichen Zungen,
Ihr sollt siebenhundert Jahre
In dem Fegefeuer schmoren!

Da verschwand die schöne Dame,


Die Taufkinder dieser Dame
Aber gingen in das Kloster,
Das Marienkloster Nordens.

Also die Großmutter sagte,


Lächelnd Margarethe Schwanke
Sagte zu dem Enkelsohne,
Welcher die Großmutter liebte:

Komm, trink mit mir vom Liköre,


Nasche von dem Salzgebäcke,
Schon dein Nachthemd auf dem Ofen
Angewärmt ist für die Nachtruh,

Daß in Frieslands Federbetten


Du gemütlich schlafen mögest
Und in deinen Träumen schauen
Gottes Gnade, Gottes Mutter!

ZWEITER GESANG

Liebe Margarethe Schwanke,


Du Großmutter eines Dichters,
Tröste deinem Enkelsohne
Alle Leiden seiner Seele!

Und entrücke in die Reiche


Schöner Märchen seine Seele,
Komm, du große Mutter Muse,
Singe uns dein Lied zum Troste!

Lieber Enkelsohn, mein Dichter,


Hör prophetisch nun mein Märchen:
War einmal ein frommer Jüngling,
Suchte Gott von ganzem Herzen.

Liebte er ein junges Mädchen,


Siebzehn Jahre jung das Mädchen,
Trug das Mädchen auch den Namen
Unsrer Lieben Frau Maria.

Und der Jüngling liebt das Mädchen,


So als sei sie selbst Maria,
Unsre Liebe Frau Maria,
Doch sie war ja nur ein Mädchen.

Sah der Jüngling nun das Mädchen


An dem Strand der Insel Baltrum
In der Nordsee, wo das Mädchen
Muscheln sammelte am Strande.

Weht der Wind in ihre Locken,


Lange, dunkelbraune Locken,
Ging sie in dem weißen Kleide,
Seide, weiß wie Schaum des Meeres.

Sah der Jüngling an sein Mädchen,


Sah er von des Strandes Ende
An dem Strand am andern Ende
Stehn sein vielgeliebtes Mädchen.

Winkte gar das schöne Mädchen,


Lächelnd lieblich voll Verheißung,
Schien ihm eine Himmelsjungfrau,
Eine himmlische Erscheinung.

Plötzlich sah der Jüngling aber


Mitten in der Mordsee Nordsee
Vor dem Strand der Insel Baltrum
In dem Meere seine Amme.

Sah der Jüngling seine Amme


Kämpfen mit der Mordsee Nordsee,
Mit dem blanken Hans, dem Tode,
Sah er seine Amme ringen.

Und die liebe Kinderamme


Ward verschlungen von den Fluten!
Doch der Jüngling, blind vor Liebe,
Eilte zu dem jungen Mädchen.
Zwar vernahm er noch die Stimme
Seiner lieben Kinderamme
Hilfe rufen: O mein Liebling,
Mich verschlingt die Mordsee Nordsee!

Doch der Jüngling wie ein Tauber


Hörte nicht der Amme Stimme,
Hörte nur in seinen Ohren
Seines Blutes Liebe rauschen.

So versank die liebe Amme


In der Flut der Mordsee Nordsee,
Aber nur drei Augenblicke,
Tauchte wieder auf die Amme,

War nicht mehr die alte Amme,


War Meerjungfrau jetzt der Nordsee,
Meeres Mädchen schönster Jugend,
Eine Göttin, Baltrums Venus!

War die allerschönste Jungfrau,


Schlank und weiß wie eine Birke,
Nur in einem Schaumgewande
Und geschmückt mit Perlenketten,

Nur im Lichtkleid weißen Schaumes


Sie spazierte auf dem Wasser,
Wie dereinst der Christus Jesus
Auf dem Meer von Galiläa!

Schöner war des Meeres Jungfrau


Wandelnd auf dem Wasserspiegel
Als das schlichte deutsche Mädchen
Stehend an dem Strand von Baltrum.

Da ergriff den frommen Jüngling


Solche Sehnsucht nach der Jungfrau,
Nach des Meeres Göttermädchen,
Sankt Meerjungfrau, seiner Göttin,

Daß er ganz das deutsche Mädchen


An dem Meeresstrand von Baltrum
Und die Minnelust vergessen
Und die sterbliche Geliebte,

Daß der fromme Jüngling einzig


Sankt Meerjungfrau, seiner Göttin,
Nachsah voller heißer Sehnsucht
Und Verlangen nach der Jungfrau,

Nur Verlangen nach der Jungfrau,


Nur Verlangen nach der Göttin
In der frommen Seele, alle
Seine Minne galt der Meermaid!

Sankt Meerjungfrau, schönstes Mädchen,


Wie der Schöpfer sie gebildet,
Schwamm sie stolz wie eine Schwanin,
Weiße Schwanin, auf dem Schaume,

Badete den Schwanenbusen


In dem weißen Meeresschaume,
Mit dem langen Schwanenhalse
Taucht sie in den Wasserspiegel.

Immer weiter schwamm die Schwanin,


Immer weiter in die Ferne,
Bis dahin, wo sich die Nordsee
Mit dem Horizont vereinigt.

Nur von Zeit zu Zeit die Schwanin


Wendete zum frommen Jüngling
Liebevoll ihr Jungfraun-Antlitz,
Voller Zauber, Charme und Schönheit!

Und der Jüngling voller Sehnsucht,


Ins Unendliche ihr folgend,
Schwand dahin in Meer und Himmel,
Schwand in den Unendlichkeiten.

Aber du, mein lieber Junge,


Sagte Margarethe Schwanke,
Sei nun länger nicht mehr traurig.
Aber bist du einmal traurig,

Denke an Großmutters Märchen,


An Großmutters Mutterliebe,
In der Mitternacht der Trauer
Schreib als Dichter auf das Märchen,

Und du merkst, die Trauer schwindet


Mit dem Singen dieses Märchens.
Aber nun, mein lieber Junge,
Segne dich die Mutter Gottes!

DRITTER GESANG

Muse, Margarethe Schwanke,


Leg die Brille auf die Bibel,
Auf die Bibel deutscher Sprache
Des Poeten Martin Luther.
Wende dich zu mir, dem Dichter,
Der schon längst im Himmelreiche
Zu der Seraphinen-Harfe
Gott Jehowah preisen möchte!

Ach, mein lieber Junge, lächelt


Meine Muse, Margarethe
Schwanke, bleibe noch auf Erden,
Ruhm zu schaffen der Madonna!

In den guten alten Zeiten,


Ach, da lebten bessre Menschen,
Denen auch der Herr des Himmels
Manches Wunder offenbarte,

Die verborgen heutzutage


Oder nur von Sonntagskindern
Noch erfahren werden, Wunder,
Die der Herr des Himmels wirkte.

Vögel singen zwar noch heute,


Tauben gurren auch noch heute,
Doch die Menschenkinder leider
Nicht verstehen mehr die Sprache,

Wie sie weiland Salomonis


Weisheit oder auch Franziskus’
Armut sie verstanden, all das
Gotteslob der Nachtigallen.

Bei der Herrlichkeit von Dornum


An dem grauen Meer der Nordsee
Lebte einst des Meeres Mädchen,
Die sich oft den Menschen zeigte.

Wahrlich, noch mein Urgroßvater


Sah als Seemann diese Meermaid,
Seine Base, das Mariechen,
Oftmals sah des Meeres Jungfrau.

Manchmal kam die Jungfrau Kindern


Nah als kleines schwarzes Lämmchen
Oder auch als kleines Pony
Oder auch als Turteltaube.

Oftmals ließ sie sich’s gefallen,


Daß die Kinder mit ihr spielten,
Denn die Jungfrau liebte Kinder
Fast so wie die Engel Gottes.

Wie mein Urgroßvater sagte


Und Mariechen dies bestätigt,
Saß die Jungfrau sonntagsmorgens
An dem Meer besonders strahlend,

Wehte in dem Wind ihr Schleier,


In der Hand die Perlenkette,
Sah sie auf das Meer als auf den
Ozean der Gnaden Gottes!

Sang die Jungfrau solche Lieder


Von der güldnen Sonne Gottes,
Daß die Menschenherzen schmolzen
Von dem süßen Stil der Jungfrau.

Aber scheu und schüchtern war sie,


Duldet nur noch kleine Kinder,
Die erwachsnen Menschen floh sie,
Deren Herzen waren steinern.

Nur die lieben Kinderherzen


Sind so rein wie Engelherzen
Und allein die reinen Herzen
Werden Gottes Schönheit schauen!

In der Herrlichkeit von Dornum


Lebte einst ein Schornsteinfeger,
Seine Ehefrau war fleißig,
Die zwei Söhne ihm geboren,

Einer war, der Erstgeborne,


Wie der Vater und die Mutter
Fleißig, er wird einst auch werden
Wie der Vater Schornsteinfeger.

Doch der Jüngere der Söhne


War ein Taugenichts und Träumer,
Ein Poet und Grillenfänger,
Haschte immer nach dem Winde,

Haschte nur nach Luftgespinsten,


Nach der Träume Seifenblasen,
Nach dem Wolkenkuckucksheime,
Wandelte im Schlaf mondsüchtig,

Sprach im Wald mit Turteltauben,


Küsste Frösche, haschte Falter,
Sammelte am Strand die Muscheln,
Lebte wie im Arm der Götter!

War er aber unter Menschen,


War er schweigsam. Die Erwachsnen
Nannten ihn den Träumer, nannten
Ihn den Taugenichts, den Toren.

Aber wenn im Herbst die Stürme


Wühlten auf die Meeresbrandung,
Lief er nackend an die Nordsee
Wie ein Barfußmönch des Meeres,

Und er warf sich in den Nachen,


Lachte laut wie eine Möwe,
Fuhr dahin wie eine Wildgans,
Schaukelnd auf dem Schaum des Meeres,

Jauchzte in der Meeresbrandung,


Sprach zum Wind: O Gott, wie herrlich,
Wie gewaltig deine Sprache,
Gott, dein Wort ist Windes Brausen!

Aber faul war dieser Knabe,


Jede Arbeit ließ er liegen,
Ob der Vater mit der Rute
Ihn auch oftmals drum gezüchtigt.

Gab der Vater ihn als Diener


Einem alten Seemann, aber
Lange hielts nicht aus der Jüngling
In der Sklaverei der Arbeit.

Zählte eben siebzehn Jahre,


Als er von dem Schiffe kehrte
In die Herrlichkeit von Dornum,
Doch das Haus des Vaters meidend.

War fürwahr ein schöner Jüngling,


War so schlank wie eine Birke,
Pfirsichweich die glatte Wange,
Goldblond seine wilden Haare.

Zwar zuhause bei dem Vater


Und der Mutter war er schweigsam,
Doch er wusste schön zu reden
Von der Schönheit junger Mädchen.

Seine Märchen von der Nordsee,


Seine süßen Liebeslieder
Manch ein Mädchen wohl betörten,
Er war Magier des Wortes.

Aber doch zum Ehemanne


Wollt ihn keins der schönen Mädchen:
Taugenichts, du bist ein Träumer,
Du liebst ja nur eine Traumfrau,
Liebst nicht mich, das arme Mädchen,
Staub vom Staub, des Lehmes Rippe,
Liebst ja nur die schöne Traumfrau,
Liebst ja nur der Nordsee Venus!

Also sprachen alle Mädchen,


Eine nach der andern, immer
Sagten alle sie das gleiche.
Trat der Träumer an die Nordsee,

War ein schöner Sommerabend,


Schon versunken war die Sonne,
Einsam schien der Stern der Venus
Auf dem Ozean des Himmels.

An dem Strande ging der Träumer,


Hörte die Meerjungfrau singen,
Dachte er: Sie ist ein Mädchen,
Wird sie mir ja niemals schaden.

Nach ging er dem Lied der Jungfrau,


Schaute an die schöne Möwe,
Stieg er auf den Deich und schaute
Die Meerjungfrau in der Nordsee

Mit dem Schleier auf dem Haupte,


Quollen draus die langen Haare,
Sang ein wunderschönes Lied sie,
Sang das Lied der Schmerzensmutter:

Ach, dahin ist meine Ruhe,


Wehe, wehe, wehe, wehe,
Du allein kennst meine Schmerzen,
O du Mater Dolorosa!

Wünschte sich der Jüngling tausend


Ohren, dieses Lied zu hören,
Wünschte sich der Jüngling tausend
Augen, diese Frau zu schauen!

Sah die Jungfrau zwar den Träumer,


Doch sie floh nicht vor dem Träumer,
Kam sie lächelnd ihm entgegen,
Reichte ihm das schlanke Händchen,

Sagte: Lang hab ich gewartet,


Daß du kommst, geliebter Träumer,
Weil der Herrgott mir in Träumen
Deine Ankunft prophezeite.

Keiner liebt dich von den Menschen,


Keine liebt dich von den Frauen,
Fremd bist du im Elternhause,
Fremd auch unter allen Leuten.

Aber ich war immer mit dir,


Ungesehen deine Schutzfrau,
Komm mit mir, mein kleiner König,
Sei der Königin Geliebter!

Jeden Wunsch will ich erfüllen


Deiner Seele, will dich hüten
Wie den Apfel meiner Augen,
Sollst der Mann sein der Meerjungfrau!

Dieses Wort der schönen Jungfrau


Traf als Feuerpfeil im Herzen,
Sprach der Träumer zu der Jungfrau:
Jungfrau, wo ist deine Wohnung?

Sprach die Jungfrau: Komm, mein Träumer,


Eilen wir mit Sturmes Eile,
Habe du nur fest Vertrauen,
Kommst so bald in meine Wohnung.

Da bedachte sich der Träumer,


Zweifel bang ihn überfielen,
Dachte er, was Menschen reden
Von der Meerjungfrau der Nordsee.

Sprach er: Laß mich nur bedenken,


Mich bedenken nur drei Tage.
Gab sie ihm von reinem Golde
Einen Ring an seinen Finger.

Mögest du mich nie vergessen,


Sprach sie, kommst du aber wieder,
Wird aus diesem Freundschaftsringe
Gar ein Ringlein der Verlobung.

Dann zerfloß sie in den Lüften,


Stand der Träumer wie im Traume,
Glaubte seinem Traume nimmer,
Wär da nicht der Ring gewesen.

Aber mit dem Ring der Jungfrau


War der Geist in ihn gefahren,
Ließ ihn ruhen nicht noch rasten,
Saß er bald am Meere wieder.

Saß er hungrig da und durstig,


Klebt die Zunge ihm am Gaumen,
Harrt er träumend auf den Abend,
Daß die Jungfrau ihm erscheine.
Sank die Sonne an dem Abend,
Wer nicht kam, das war die Jungfrau.
Möwen bargen ihre Schnäbel
Müde in dem Federkleide.

Weinen musste da der Träumer.


Ach, er wollte gerne sterben,
Hätt sich selber fast ermordet
Gar aus Sehnsucht nach der Jungfrau!

Trübsal war die Nacht der Seele,


Öde war der Tag, der folgte,
Abends saß er voller Trauer
Auf dem Deich am Rand der Nordsee.

Kommt sie heute nicht, die Jungfrau,


Ach dann will ich nicht mehr leben!
Sei willkommen, Tod, mein Heiland,
Zeige sich das Jenseits freundlich!

Lang saß er in Gram versunken,


In den Ängsten seiner Seele,
Tief beschattet von den Schatten,
Trunken von dem dunklen Kummer.

Plötzlich fühlt er eine weiche


Hand auf seiner Träumerstirne,
Schlug er auf die feuchten Augen,
Sah er hochentzückt die Jungfrau.

Ach ich kenne deinen Kummer,


Sprach sie, hörte deine Seufzer!
Lang die roten Lockenfluten
Um den nackten weißen Körper,

Ihre langen roten Locken


Deckten keusch die nackten Brüste,
Trug sie auch ein kurzes Röckchen
Mit den Mustern von Mäandern.

O Madonna Aphrodite,
Ach verzeih und hab Erbarmen,
Daß ich lang gezögert habe,
Bin nun dein in Ganzhingabe!

Lachte die Meerjungfrau heiter,


Girrte wie ein junges Mädchen:
Taugenichts, du sollst nicht sterben,
Ich will dich zum Ehemanne!

Nahm den Jüngling bei den Händen,


Führte ihn zum Meere, plötzlich
Stürzten sie und er ins Wasser,
Da verlor er sein Bewusstsein,

War entrückt, ich aber weiß nicht,


War die Seele noch im Leibe,
War sie außerhalb des Leibes,
Schwamm er in dem Meer der Liebe!

Fand er sich in weichen Kissen,


Sich auf einem seidnen Bette,
Das Gemach von Glas und Spiegeln,
Roter Samtstoff an den Wänden.

Lebte er noch, war er tot schon?


Ah, er reckte seine Glieder,
Fasst die Nase mit den Fingern,
Rieb die Nase: Ja, er lebte!

Angetan mit weißem Hemde,


Angetan mit blauer Hose,
Dehnte er sich in dem Bette,
Ja fürwahr, er war lebendig!

Traten ein zwei schöne Mädchen:


Herr, was möchtet Ihr zum Frühstück?
Gab es Lachssalat und Schwarzbrot,
Eine große Kanne Kaffee.

Und der Taugenichts im Bette


So ekstatisch faul sich reckte
Und sich streckte, und die Mädchen
Kamen wieder zu dem Träumer.

Herr, nun wandelt in den Garten,


Bis die Frau sich angekleidet,
Sich gekämmt die langen Haare
Und das Frühstück eingenommen.

Fand der Taugenichts im Garten


Lauter Schönheit, Tannenzapfen,
Silberbirnen, goldne Äpfel,
Vögel auch mit goldnen Flügeln.

Die zwei Mädchen zu dem Träumer


Traten in dem Wundergarten,
Ihn herumzuführen, alle
Zier und Schönheit ihm zu zeigen.

Kam er an den Rand des Teiches,


Spielten dort verliebte Enten
Und als Ehemann und Gattin
Höckerschwan und Höckerschwanin.

Schimmerglanz der Morgenröte!


Rosenarmige Aurora
Streute mit den Rosenfingern
Rote Rosen auf die Erde.

Große goldne Honigbienen


Flogen um die Lindenblüten.
Und die beiden Mädchen sprachen,
Daß die Frau ihn nun erwarte.

In der Halle großen Kirche


Thronten wunderschön zwölf Jungfraun,
Auch zwei Throne da von Golde
Strahlten, königliche Throne.

In dem einen saß die Herrin,


Saß die Königin des Meeres,
Doch der andre Thron, der leere,
War der Königsthron des Träumers.

Sprach die Königin des Meeres:


Dieser Träumer ist mein Gatte!
Meine Mädchen, ehrt den Träumer,
Ehrt den Taugenichts, ihr Mädchen!

Nahm die Königin des Meeres


An die schlanke Hand den Träumer,
Führte ihn durch alle Kammern,
In die siebte Kammer schließlich.

Hier erkannte er die Jungfrau,


Die Meerjungfrau seiner Seele,
Nacktes Weib mit roten Locken,
Weib mit rötlichblonder Haarflut.

O Madonna Aphrodite,
Rief der Taugenichts ekstatisch.
Sprach die Herrin: Lieber Träumer,
Nenn mich nicht mehr Aphrodite,

Nenne mich den Meerestropfen


Oder auch den Stern des Meeres,
Nenne Meer mich der Erleuchtung,
Ozean der Gnaden Gottes!

Ich blieb immer reine Jungfrau,


Unverletzt am Mädchentume,
Bin die Königin des Meeres,
Königin der Schönen Liebe!
Stumm vor Seligkeit der Träumer,
Bis das Bier die Zunge löste,
Speiste er auch gut und lecker,
Hering, Brot und Rote Beete.

Konnte er sich unterhalten


Mit der Königin der Liebe
Und begann auch übermütig
Einen Witz ihr zu erzählen.

Abends sprach zu ihm die Jungfrau:


Morgen, lieber Mann, am Freitag
Muß ich beten, muß ich fasten,
Christus such ich am Karfreitag!

Du darfst mich beim Freitagsfasten


Nicht beschaun, laß mich alleine,
Meine beiden Dienerinnen,
Meine Mädchen, solln dich trösten.

Also an dem Freitagmorgen


Sah der Taugenichts die Jungfrau
Nirgends. Zwar die Mädchen scherzten,
Herzten, aber er blieb traurig.

Und so ging es jeden Freitag.


Zweifel wuchs im Herz des Träumers,
Speise wurde ihm zum Ekel
Und der Schlummer ihm zum Alptraum.

An dem Freitag im Aprile


Trat er vor der Jungfrau Kammer,
Wo sie einsam hielt ihr Fasten,
Einsam betete zu Christus.

Spionierte nun der Träumer


Durch das Schlüsselloch der Pforte.
O Mysterium des Schreckens,
Faszinierendes Geheimnis!

Sah er doch des Meeres Jungfrau


Nackt mit schönen bloßen Brüsten,
Aber statt des Unterleibes
Sah er eine goldne Schlange!

Dreimal hörte er das Krähen


Eines Hahnes auf dem Miste.
Traurig war er, voller Schwermut,
Tief verwirrt an seinem Geiste.

Abends kam des Meeres Jungfrau,


Doch in schwarzen Trauerkleidern,
Vor dem kummervollen Antlitz
Trug sie einen schwarzen Schleier.

Sprach sie voller Schmerz und Jammer:


Weh dir, Tor! Wir müssen scheiden,
Siehst mich heut zum letzten Male,
Mußt zurück du auf die Erde.

Riß der Himmel auf mit Blitzen,


Sprach der Himmel Donnerworte,
Bebte Meer und Mutter Erde,
Wie ins Nichts versank der Träumer!

Fand sich wieder an dem Strande


Bei der Herrlichkeit von Dornum
An dem grünen Deich der Nordsee,
Saß er da in Bettlerlumpen.

In der Herrlichkeit von Dornum


Sucht bei der Allee der Birken
Er das Haus des Schornsteinfegers,
Aber leer war diese Wohnung.

In der Herrlichkeit von Dornum


Bei dem Schloß und bei der Kirche,
Nirgendwo war ein Bekannter,
Er war fremd auf dieser Erde.

Frug er einen Rinderhirten


Nach dem Schornsteinfeger, aber
Staunend sprach der Rinderhirte:
Was fragst du nach diesem Manne,

Der seit dreißig Jahren tot ist?


Und wer bist du selber, Alter?
Auch des Schornsteinfegers Kinder
Alle sind schon längst begraben!

Was fragst du nach längst vergangnen


Zeiten, Greis in Bettlerlumpen,
Alter mit dem grauen Barte?
Laß doch das Vergangne ruhen!

Schaute nun der arme Träumer


Sein Gesicht in einem Spiegel:
Lebensmüde seine Augen,
Rot von Rotwein seine Nase,

Schwarz im Maul die Stummelzähne,


Braun von Tabak seine Lippen,
Sorgenfurchen auf der Stirne,
Grau der Bart und grau das Haupthaar.
In derselben Nacht verschwand er,
Ward nicht mehr gesehen, aber
Doch die graue Mordsee Nordsee
An den Strand warf seinen Leichnam.

Die Meerjungfrau aber meidet


Fortan die erwachsnen Menschen.
Nur die Kinder reinen Herzens
Manchmal die Meerjungfrau schauen.

Oma Margarethe Schwanke,


Muse eines deutschen Dichters,
Schwieg und faltete die Hände
Auf der Bibel Martin Luthers.

Oma Margarethe Schwanke,


Sprach der Enkelsohn, der Dichter,
Ach, mich schaudert vor der Schwermut
Und mich ekelt an das Leben!

Ach mein Junge, Lieblingsenkel,


Auf dem Ofen liegt dein Schlafrock,
Geh im warmen Rock zu Bette,
Schlaf den Schlummer des Gerechten.

VIERTER GESANG

Meine Gottheit, große Mutter,


Trösterin mit Mutterliebe,
Schließ mir auf das Haus der Weisheit,
Alte Weisheit schöner Märchen.

O mein wilder lieber Junge,


Sagte Margarethe Schwanke,
Höre noch ein Friesenmärchen
Von der Liebe eines Schwanes.

War es einst im Städtchen Norden


Bei dem Hügel der Druiden
Neben der Ludgeri-Kirche
Und beim Haine der Druiden,

Da, wo heut der Teich der Schwäne


Schlummert unter Trauerweiden,
Stand ein Wasserschloß, ein goldnes,
Lebten Gatte dort und Gattin,

Stolze weiße Höckerschwäne,


Höckerschwan und Höckerschwanin,
Strahlend weiße Eheleute,
Stolze Schwanenmajestäten.

Königin und König hatten


Sieben schöne Schwanenkinder,
Die drei weißen Schwanensöhne,
Die drei weißen Schwanentöchter,

Waren all der Stolz des Königs


Und der Königin, sie stammten
Von der Schwanengöttin Leda,
Lohengrin, der Schwanenritter,

War ihr Schutzpatron im Himmel.


Doch das siebte ihrer Kinder
War ihr Sorgenkind, ihr Kummer,
Eine schwarze Trauerschwanin!

Warben viele stolze Prinzen


Um die schwarze Trauerschwanin,
Weil sie schön war, schwarze Schönheit,
Wie dereinst die Sulamithin

Und die Königin von Saba.


Aber Königin und König
Waren stolz wie weiße Schwäne,
Wiesen ab die Freier alle.

Rief die Königin, die stolze:


Ehe so ein Prinz vermählt sich
Unsrer Trauerschwanin, werden
Alle wir zu wilden Schwänen!

Ach mein lieber wilder Junge,


Das war in den alten Zeiten,
Da der Herrgott die Gebete
Kaum gesprochen schon erhörte.

Königin und König wurden,


Schwanensöhne, Schwanentöchter,
Alle wurden wilde Schwäne,
Ungezähmte freie Schwäne.

Und das Wasserschloß, das goldne,


Stürzte ein und sank in Trümmer
Und an seiner Stelle schlummert
Still der Schwanenteich von Norden.

Schwamm die schwarze Trauerschwanin


In dem stillen Schwanenteiche
Unter grünen Trauerweiden,
Grüner, grüner Weiden Schleier,

Kam ein Trauerschwan von Osten


Aus dem fernen Morgenlande,
Minneritter, Minnesänger,
Warb er um die schwarze Schwanin.

Waren sie ja vor der Schöpfung


In dem Ozean der Gnaden
Gottes schon vorherbestimmte
Ewigliche Eheleute.

Da sie sich im Teich erkannten,


Gleich erkannten sie sich wieder,
Liebten sich wie vor der Schöpfung
In dem Schwanenteich zu Norden.

Flog der Trauerschwan im Maien,


Im Marienmond, spazieren,
Flog zum Teuteburger Walde,
Zu dem Teich der Externsteine.

Ging am Schwanenteich zu Norden


Unbeweibt ein armer Fischer,
In dem Schwanenpfad sein Hüttchen,
Schmutzig war es ohne Hausfrau.

Von dem Schwanenpfad der Fischer


Ging allein am Schwanenteiche,
Sah die schwarze Trauerschwanin,
Fing er sie mit einem Netze,

Nahm sie mit sich in sein Häuschen,


Lebte dort mit ihr verborgen,
Sprach nur mit der Trauerschwanin,
Denn er sprach die Schwanensprache.

Seine Wohnung wurde sauber,


Wurde das Geschirr gewaschen,
Fortgebracht die leeren Flaschen,
Staub gewischt auch unterm Sofa.

Sah der Fischer nämlich einmal,


Daß um Mitternacht die Schwanin
Sich in eine Frau verwandelt,
Schwarze Schönheit, Sulamithin,

Zierlich schlank die schwarze Schönheit,


Braun die Haut von Hals und Busen,
Schwarzer Onyxstein die Augen,
Schwarz die Lockenkunst ägyptisch,
Eine schwarze Weisheitsgöttin
Der Mysterien Ägyptens.
Von der Gegenwart alleine
War des Fischers Haus so reinlich.

Da der Fischer dieses schaute,


Diese schlanke schwarze Jungfrau,
Nahm er fort das Kleid der Schwanin,
Fort das Federkleid der Schwanin

Und verbarg es in der Truhe


Seines alten Urgroßvaters,
Eines Seemanns Schiffertruhe,
Einer Bundeslade Frieslands.

Also blieb die schwarze Jungfrau


Bei dem hochbeglückten Fischer
In dem Schwanenpfad beim Teiche
Und vergaß, dass sie ein Schwan war.

Ja, sie lebte mit dem Manne


Wie ein liebevolles Mädchen,
Eine vielgeschickte Hausfrau,
Eine Dame voller Weisheit.

Ganz vergessen war für Jahre,


Daß in Wirklichkeit die Jungfrau
Eine schwarze Trauerschwanin
War von Wesen und Bestimmung.

Doch in einem Herbste schaute


Sie die wilden Schwäne fliegen
An dem winddurchbrausten Himmel,
Diese waren ihre Brüder.

Hörte sie die Schwanenbrüder


Rufen: Komm, o Trauerschwanin,
Wilde Schwanin, in die Freiheit,
Diesen Sterblichen verlasse,

Laß den sterblichen Geliebten,


Der zur Hausfrau dich erniedrigt,
Tochter du der Göttin Leda,
Wilde Schwanin, Himmelstochter!

Zwar die schwarze Jungfrau hörte


Diesen Ruf der Schwanenbrüder,
Doch alleine mit den Ohren,
Hörte nicht mit ihrem Herzen.

In dem nächsten Herbste schaute


Sie am winddurchbrausten Himmel
Fliegen ihre Schwanenschwestern,
Die sie riefen in die Freiheit:

Bist du eines Mannes Hausfrau,


Sollst du ihm die Wohnung putzen?
Deine Mutter in dem Himmel
Ist die Große Schwanen-Göttin!

Doch die schwarze Jungfrau hörte


Mit den Ohren nur die Worte,
Nicht mit ihrem Herzen, aber
Es erwachte süße Sehnsucht.

In dem dritten Jahre schaute


Durch den Sturm die schwarze Jungfrau
Ihre Schwaneneltern segeln,
Königin und König adlig.

Schwarze Jungfrau, schwarze Jungfrau,


Bist du Sklavin eines Narren?
Du bist Königin von Adel,
Denk an deine Schwanenwürde!

Doch die schwarze Jungfrau hörte


Mit den Ohren nur die Worte,
Hörte nicht mit ihrem Herzen,
Was ihr sang die Schwanenmutter.

O du große Mutter Weisheit!


Wahrlich, in dem Herbst am Himmel
Durch den Wettersturm in Friesland
Flog ein wilder Schwan alleine,

War der Trauerschwan, der schwarze,


Trauerschwan vom Morgenlande,
Der vorherbestimmte Gatte
Er der schwarzen Trauerschwanin.

Rief er in dem Wettersturme:


O bei Jesus und Maria!
Komm, Geliebte, komm, Geliebte,
Wo der Geist weht ist die Freiheit!

Jesus schenkt den Geist der Freiheit!


Sei nicht Sklavin eines Sünders!
Unsre Liebe Frau Maria
Ist der Dichter Göttin Freiheit!

Komm, Geliebte, komm, Geliebte,


Ewigkeiten Ewigkeiten
Sind vor Gott wir Eheleute,
Trauerschwan und Trauerschwanin!
Diese Worte aber hörte
Unsre schöne schwarze Jungfrau
Mit dem Herzen in dem Busen,
Es erwachte in ihr Liebe.

Und sie schleicht sich zu der Truhe,


Zu der Bundeslade Frieslands,
Nimmt das Federkleid der Schwanin,
Und sie fliegt zu dem Geliebten!

Trauerschwan und Trauerschwanin


Über Friesland in der Freiheit
Fliegen selig wie die Götter
Zu dem Meer im Morgenlande.

Aber einsam blieb der Fischer


In dem Schwanenpfad im Häuschen,
Aber oftmals sah am Himmel
Er die wilde Schwanin fliegen.

Sie besuchte ihn noch manchmal


Und erinnerte den Fischer,
Daß die schönste Schwanenjungfrau
Einst in seinem Hüttchen lebte.

Und der Fischer denkt voll Wehmut


An die selig schönen Zeiten,
Da die Jungfrau bei ihm wohnte,
Bei ihm war die schwarze Jungfrau.

Oma Margarethe Schwanke


Schwieg und lächelte so zärtlich,
Ihre blauen Augen Himmel,
Ihre Silberhaare Wolken,

Und sie sprach zum Enkelsohne:


Speise ein gebratnes Hähnchen,
Iß dazu die Bratkartoffeln,
Geh dann, spiele mit den Kindern!

FÜNFTER GESANG

Meeresperle, Margarethe
Schwanke, o Großmutter-Schwanin,
Sing dem Schwanensänger Schwanke
Noch ein Märchen von der Schwanfrau!

Schwanensänger, deutscher Dichter,


Sagte Margarethe Schwanke,
Heut muß ich ans Sterben denken,
Will dich weihn der Mutter Gottes.

Ach, mein Enkelsohn, mein Junge,


Was wird aus dem wilden Jungen,
Wenn Großmutter stirbt? Maria
Möge dich behüten, Liebling!

Will zu Ehren der Madonna


Und des Rosenkranzes heute
Und der Sankt-Marien-Kirche
Dieses Märchen dir erzählen.

Oldenburg im Oldenburger
Land hat eine weisheitsfromme
Universität, studierte
Ein Student dort Platons Schriften.

Der Student ging nachts spazieren,


Zu erholen sich vom Denken,
Kam er zu dem Flötenteiche,
Silbern schimmernd in dem Mondlicht.

War führwahr ein runder Vollmond,


Prall und drall, ganz weiß und marmorn,
Die jungfräuliche Diana
Schien ein wahres Weib der Wonne!

Klar und rein und licht, kristallen


Schien der Vollmond wie ein Spiegel
Gottes, wie des Urlichts Spiegel,
Also Hagia Sophia.

Und die Mondin weiß sich badet


Nackt und schön im dunklen Wasser,
In dem dunklen Flötenteiche,
Diesem Teiche holder Schwermut.

In dem Schilfrohr an dem Rande


Dieses Teiches ruhen Vögel,
Erpel, Enten, Entenküken,
Auch im Schilf die Möwen ruhten.

Aber auf dem Flötenteiche


Schwamm ein Paar von Trauerschwänen,
Trauerschwan und Trauerschwanin,
Leib an Leib und engumschlungen.

Auf dem Paar der Trauerschwäne


Saß das weiße Weib des Wassers,
Lang das Seidenkleid von Lichtglanz,
Silberseide, Wassergaze.

Überm Haupt der Jungfraunschleier,


Schleier einer Nymphe Gottes,
Quoll hervor das Haar, das schwarze,
Doch mit hennaroten Strähnen.

Auf dem Haupte mit dem Schleier


Trug sie einen Kranz von Blumen,
Mohn und Malven, rote Rosen,
Blaue Iris goldnen Kelches.

Schwamm die Dame auf den Schwänen


An den Rand des Flötenteiches,
Hielt in ihrer Hand ein Zepter,
Einen Eichenzweig mit Eicheln.

Und des Flötenteiches Nymphe


Reichte dem Studenten Platons
Nun den Eichenzweig mit Eicheln,
Lächelt keusch, zugleich erotisch,

Schwamm dann auf den Trauerschwänen


Wieder in die Nacht, die dunkle.
Der Student, er ging nach Hause
Mit dem Eichenzweig der Nymphe,

Doch zuhause sah der Jüngling,


Daß der Eichenzweig der Nymphe
Eicheln trug von reinstem Golde,
Hochkarätig goldne Eicheln.

Und er ging zum Juweliere


In der Innenstadt und tauschte
Diese goldnen Eicheln gegen
Schmuck für seine Vielgeliebte.

Denn beim Flötenteiche wohnte


Seine Freundin im romantisch
Wilden Garten in dem alten
Bauernhäuschen hoch romantisch.

Dieser schenkte er nun Schmuckstück


Über Schmuckstück, goldne Spangen
Für die langen schwarzen Haare,
Silberreifen für die Arme,

Schlangenringe für die Finger


Ihrer schlanken weißen Händchen,
Einen Mondstein an dem Ohrring
Für das Muschelohr der Schönen,
Lapislazuli am Kettchen
In der Art des Jugendstiles
Für die hochgebenedeiten
Brüste seiner Vielgeliebten,

Einen liebreizreichen Gürtel


Für die Hüfte der Geliebten,
Silberkettchen leise klingelnd
Für der Freundin schlanke Fesseln.

Also schön geschmückt die Schönheit


Saß als Meisterwerk des Schöpfers,
Als ein Kunstwerk des Erzkünstlers,
Gottes Tochter, vor dem Minner.

Saßen sie allein im Zimmer,


Fiel er nieder auf die Kniee,
Betet an der Herrin Schönheit,
Spricht von Liebe in Äonen,

Von dem Anbeginn der Schöpfung


Liebt er sie im Geiste Gottes
Und auch in der Weltvollendung
Ewigkeit wird er sie lieben!

Sieh, da trat herein die Nymphe


Von dem Flötenteich, die Jungfrau,
In dem Arm ein nackter Knabe,
Lieblich wie ein Page Gottes.

Trat des Flötenteiches Nymphe


Still zu des Studenten Freundin,
Trat die Jungfrau zu der Freundin,
Gab ihr eine Schnur von Perlen.

Ja, die lichte weiße Jungfrau,


Dame von dem Flötenteiche,
Trug die fromme Schnur von Perlen
Oft in benedeiten Händen,

Aber nun das Weib des Wassers


Legte diese Schnur von Perlen
In die schlanke Hand der Freundin
Des Studenten, Platons Jünger.

Dann verschwand die weiße Dame


Mit dem Kind, dem Pagen Gottes.
Eine feuchte Spur am Boden
Blieb zurück nach dem Besuche.

Aber des Studenten Freundin


Lebte in dem Aberglauben,
Diese Perlen seien Tränen,
Einer Liebesgöttin Tränen.

Daß die Tränen aber keinen


Schaden stiften, Unglück bringen,
Wünschte sich die schöne Freundin
Von dem Engel, dem sie glaubte.

Sagte der Student, der fromme


Jünger Platons, Jünger Christi:
Bringen wir die Schnur der Perlen
Gottes Mutter dar als Opfer!

Weihen wir die Schnur der Perlen


Unsrer Lieben Frau Maria
In der Sankt-Marien-Kirche,
Die dort steht am Flötenteiche.

Traten der Student, die Freundin,


In die Sankt-Marien-Kirche.
Warf sich der Student aufs Antlitz
Nieder vor der großen Mutter!

Weihte des Studenten Freundin


Ihre Perlenschnur Maria.
Gottes Mutter segnet liebreich
Den Verliebten und die Schöne!

Lob und Ruhm sei Gottes Mutter,


Große Mutter der Großmütter
Ist Maria, wahre Mutter!
Sagte Margarethe Schwanke.

SECHSTER GESANG

Ach Großmutter meiner Seele,


Ach wie traurig ist der Alltag,
Ach wie böse sind die Träume,
Komm und singe mir ein Märchen!

Sagte Margarethe Schwanke:


Wenn die Frau ihr Kind nicht lieb hat,
Gott liebt dich mit Liebe ewig,
O mein Enkelsohn. Nun höre!

War es auf der Insel Baltrum,


Die Großmutter eines Dummchens
Lebte mit dem Idioten
Still in einem Haus im Ostdorf.
Leider war das Dummchen hässlich,
Schielte seltsam mit den Augen,
Flohn ihn alle schönen Mädchen,
Sprach man auch vom bösen Blicke.

Gut der Idiot von Herzen


War, zu gut für diese Erde,
Gab er noch sein letztes Brötchen
All den armen kleinen Kindern.

Nannten ihn die Leute Dummchen,


Einen armen Idioten,
Weil er mehr noch als sich selber
Seinen Nächsten tätig liebte.

Vor der Hässlichkeit die schönen


Jungen Mädchen alle flohen
Und die alten frommen Leute
Sprachen von dem bösen Blicke.

Eines Tages die Großmutter


Sagte zu dem Idioten:
Balde wird vom Lebensbaume
Abgetrennt die Frucht des Lebens

Und der Apfel meines Lebens


Fällt der Großen Mutter Erde
In den Schoß zur Auferstehung,
Wird ein Baum im Paradiese!

Aber du, mein süßer Liebling,


Kleines Närrchen, holdes Dummchen,
Sei nicht bange, sei nur mutig,
Gottes Mutter wird dich schützen!

Nur in meinem Testamente


Will ich dich beschwören, Liebling,
Nimm dir keine Frau zur Ehe,
Denn die Ehe ist die Hölle!

Fürchte Gott und lies die Bibel,


Bete morgens, bete abends,
Nie Großmütterchen vergesse,
Will ich dir dein Engel werden!

Also starb die weise Alte.


Traurig ging das arme Dummchen
In den großen grünen Garten
Der Natur der Insel Baltrum.

Schaute an die Heckenrosen,


Immer schöner all die Blüten,
Immer schöner ward der Garten,
Hagebutten immer röter.

Also kam er an die Nordsee,


Saß am Strande eine Jungfrau,
Strahlend wie die Frau der Sonne,
Nackig wie sie Gott geschaffen.

Sprach die Jungfrau zu dem Dummchen:


Bade du nur in der Nordsee,
Denn ich hab das blaue Wasser
Hier in lauter Licht verwandelt!

Wenn du badest in dem Wasser,


Das von meinem Lichtglanz Licht ist,
Wirst du schön wie König David,
König Salomo und Samson!

Tauchte ein das liebe Dummchen


In das lichte Bad der Nordsee,
War er weiß und rot, erlesen,
Schönster unter Myriaden!

Sprach der wunderschöne Jüngling


Zu dem Sonnenweib, der Jungfrau:
O du Schönste aller Schönen!
Willst du mich zum Manne nehmen?

Sprach das Sonnenweib, die Jungfrau,


Nackend in der Nordsee badend:
Ich, die Meerjungfrau, ich nehme
Mir zum Mann nur einen Weisen,

Willst du also mein Gemahl sein,


Suche du der Weisheit Quelle,
Trinke von der Weisheit Quelle,
Werde weise, mein Geliebter!

Aber, sprach der schöne Jüngling,


Wo ist diese Weisheitsquelle?
Sprach die Meerjungfrau, die nackte:
Kennst du nicht dies Wort von Jesus:

Suche, also wirst du finden,


Klopfe an, dir wird geöffnet,
Bitte und dir wird gegeben!
Also mach dich auf die Wallfahrt.

Und die Jungfrau ward unsichtbar,


Blieb zurück nur Schaum des Meeres
Und die Muscheln an dem Strande.
Fing der Jüngling an zu pilgern.

Kam der Jüngling zu den Deutschen,


Zu den Deutschen auf dem Festland,
Sah er eine schöne Dame
Dort in goldenen Gewändern.

Sprach die Dame: Ich, die Goldfrau,


Bringe Segen dir des Reichtums,
Bade nur in meinem Blute,
Kriegst du goldene Paläste.

Also sprach die goldne Dame,


Biß sich in den eignen Busen
Und verschlang den eignen Busen,
Schlang das eigne Fleisch hinunter.

Wie entsetzt entfloh der Jüngling!


Floh ins Land der leichten Liebe,
In das sinnlich-süße Frankreich,
In das Reich der Troubadoure.

Dort in der Provinz der Minne


Irrte in des Lebens Mitte
Er in einem dunklen Walde
Und verirrte sich im Dickicht.

Da erschien ein Hirsch dem Jüngling,


Im Geweih das Kreuzeszeichen,
Floh der Hirsch mit großen Sprüngen,
Folgt der Jüngling nach dem Kreuze.

Kam zum Fuß der Pyrenäen,


Dort in das berühmte Heilbad,
In den Wallfahrtsort der Jungfrau,
Lourdes der Unbefleckt Empfangnen!

Sah er dort die Quelle sprudeln,


Saß daran der Heil’ge Vater,
Saß daran der Papst der Kirche,
Der so sehr Maria liebte!

Sprach der Diener aller Diener


Gottes: Trink von dieser Quelle!
Wer der Lieben Frau geweiht ist,
Der wird alsbald weise werden!

Trank der Jüngling von der Quelle,


Keusche Küsse der Madonna
Sind vergleichbar dieser Quelle
Mit dem Labetrunk der Weisheit.
Also weise ward der Jüngling.
Kam er wieder heim nach Baltrum,
Auf der Insel zu verkünden
Gottes Weisheit allen Menschen.

Trat er an den Strand der Nordsee,


Zu dem Sonnenweib, der Jungfrau,
Zu der Meerjungfrau, der nackten,
Zu der Schönsten aller Schönen!

Hatte ihr in einem Fläschchen


Etwas Wasser von der Quelle
Mitgebracht, das sie getrunken
Und ein Weib der Ehe wurde

Für drei wunderschöne Tage...


Die drei wunderschönen Tage
Lebten glücklich in der Ehe
Die Meerjungfrau und der Jüngling!

SIEBENTER GESANG

Aber du, o Herr!... sprach leise


Oma Margarethe Schwanke,
Lehre meinen Lieblingsenkel
Deine Weisheit durch ein Märchen.

Lebte einst im Oldenburger


Land in Oldenburg ein frommer
Mann, der jeden Sonntagmorgen
In die Kirche ging zur Messe.

Zwischen seiner stillen Wohnung


Und der heiligen Kapelle
War ein kleines grünes Wäldchen,
Da er gerne ging spazieren.

Im Advent am vierten Sonntag


Ging er durch das grüne Wäldchen,
Wollte zu dem Gottesdienste,
Ging zur Kirche trotz des Regens.

Aber in dem grünen Wäldchen


Strömten nieder Regenströme
Und im Regen ist erschienen
Eine Jungfrau, rein wie Wasser.

Sprach die Jungfrau in dem Regen:


Danke, dass du trotz des Regens
In die Kirche gehst, Geliebter,
Ich belohne deinen Glauben.

Sieh, ich will dich heut erwählen


Zum Gemahle meiner Liebe!
Wollen wir uns heut verloben
Und die Ehe uns versprechen!

Aber solcher Gnadengabe


Ist kein andrer jemals würdig,
Als wer gläubig jede Prüfung
Treu besteht und wahrt die Liebe.

Willst du dich mit mir verloben,


Mußt du aber sieben Jahre
In der Fremde dienen, siehe,
Sei ein Diener aller Menschen.

In den Krieg muß ich dich schicken,


Aber nicht des Teufels Kriege,
Sondern kämpfen um die Seelen
Sollst du mit der Liebe Waffen.

Karitas! sei deine Losung,


Karitas! sei deine Fahne!
Ich vertraue deiner Liebe
An die kleinen Waisenkinder.

Sei du Kindern wie ein Vater,


Sei dem Heil’gen Vater ähnlich,
Dann wird Gott der Herr dich lieben
Mehr als deiner Mutter Mutter! –

So verschwand die Regen-Jungfrau.


Und der Mann ging in die Kirche
Und verfolgte die Gebete
Aufmerksam mit wachem Geiste,

Sprach die Liturgie der Kirche:


Josef, du Gerechter, Frommer,
Nimm Maria, die Verlobte,
In dein Haus als Ehegattin!

Ging der Fromme an die Nordsee,


Auf die Insel Sylt, die schöne,
Dort im Waisenkinderheime
Nährte, pflegte er die Kleinen.

Ward zu einem Pelikane,


Einem Mutterpelikane,
Mit dem Blut des eignen Herzens
Nährte er die kleinen Küken.
Wurde eine Vogelmutter,
Breitete die Vogelschwingen,
Barg die Küken im Gefieder
An dem Pochen seines Busens.

Wurde eine Mutterglucke,


Wie die Große Glucke Jesus,
Sammelte die kleinen Küken,
Barg sie unter seinem Fittich.

War wie Jesus zu den Kindern,


Lud sie ein in seinen Himmel,
Herzte, streichelte, liebkoste,
Legte segnend auf die Hände.

Ward zu einem lieben Papa,


Den die Kleinsten Mama nannten,
Den die frommen kleinen Kinder
Für den lieben Gott gehalten.

Doch verwundet in dem Kriege,


Blutend an dem offnen Herzen,
Schrie der Fromme zu der Jungfrau,
Taucht sie lächelnd aus der Nordsee,

Schaumgeborne, Meergeborne,
Mutter sie der schönen Liebe,
Schlich sie sich in seine Kammer,
Schenkte Wein ein in den Becher.

Dieser Wein, der Jungfrau Tränen,


Wirkte wunderbare Heilung.
Und so rasch genas der Fromme,
Daß die Christenbrüder staunten.

Saß er bei den Christenbrüdern


In dem Oldenburger Lande
Und im Herzogtum Rastede,
Trank er mit den Christenbrüdern.

Sprachen seine Christenbrüder:


Sprich dich aus von dem Geheimnis
Deiner großen Kinderliebe
Und der Weisheit deiner Liebe!

Sprachen seine Christenbrüder:


Eben offen deine Wunde,
Blutete wie Wein im Becher,
Nun schon lachst du wie ein Engel!

Sprach der Fromme, der Verlobte


Jener wundervollen Jungfrau:
Der Geheimnisse Geheimnis
Ehrt man nur durch tiefe Stille

Und durch Schweigen, das ist Mystik,


Augen schließen, Lippen schließen,
Sagt ich doch von dem Geheimnis
Nicht der Mutter meines Leibes,

Nicht den Menschen dieser Erde,


Aber auch den Christenbrüdern
Sag ich nichts von dem Geheimnis,
Dem Geheimnis meiner Liebe.

Machten ihn die Christenbrüder


Trunken mit dem Wein der Franken,
Trank er allzu viel vom Weine,
Ward er wie ein Narr betrunken.

Aber Wein und wilde Weiber,


Sie betören auch die Weisen,
Leidenschaft in ihm erwachte
Und wollüstige Begierde.

Zwar des Frommen Geist ist willig,


Aber schwach das Fleisch des Menschen.
Sah er an ein Weib der Wollust,
War ein Weib wie eine Venus.

Lud der Vater dieses Weibes


Und die Mutter dieses Weibes
Ein den Frommen zur Verlobung
Mit der schaumgebornen Venus.

Und sie feierten auf Rügen,


Standen an dem Kap Arkona.
Sprach die wunderschöne Venus:
Frommer, willst du mich zum Weibe?

Sprach der Fromme: Aber, Venus,


Ich bin doch ein Gottverlobter!
Venus schüttelte die Brüste,
Ihren großen Wonnebusen!

Venus, wildes Weib voll Wollust,


Wollustvolles Weib der Wonne,
Sie entblößte ihren Busen,
Rührt den Frommen an der Lende!

Schwankend eben ward der Fromme,


Schwankend, wankend, voller Zweifel.
War es in dem siebten Jahre
Der Verlobung mit der Jungfrau.

Saß der Fromme nachts im Zelte,


Hörte er die Ostsee rauschen,
Meeresrauschen, Gottes Stimme,
Donnerte voll Macht der Himmel!

Öffnete mit lichten Blitzen


Sich der Himmel, lichte Blitze
Strahlten bis zum Throne Gottes,
Meeresrauschen, Donnerschläge!

Kam herab des Himmels Jungfrau


In dem Regen überm Zelte,
Trat die Jungfrau zu dem Frommen,
Schloß mit ihm den Bund der Ehe:

Ich will dich zum Manne nehmen,


Ist vor Gott die Ehe gültig,
Nenn mich HAGIA SOPHIA,
Gottes Frau sollst du erkennen!

Und die Jungfrau stieg gen Himmel,


Und der Fromme wie ein Singschwan
Flog zur Jungfrau in den Himmel,
Dort vollzogen sie die Ehe. –

Schau, das war mein Schwanenmärchen,


War die Mär von der Meerjungfrau,
Sagte Margarethe Schwanke,
Gottes Mutter sei dir gnädig.

TORSTEN

ERSTER GESANG

Muse, Torsten sollst du singen,


Torsten, Enkelsohn der Edda,
Singe Torstens Abenteuer
Zu dem Ruhme Jesu Christi!

War ein Mann mit Namen Helge,


Seine Frau hieß Ran mit Namen,
Helge lebte mit der Gattin
In der kalten Bucht der Sonne.

Jene von der Bucht der Sonne


Lagen früher oft im Streite
Mit den Leuten von der Kreuzbucht,
Doch inzwischen herrschte Frieden.

Lebte in der Bucht des Kreuzes


Edda mit der Tochter Dagmar,
Dagmar mit dem Ehemanne
Torarin, dem Vater Torstens.

Torarin war alt und seine


Augen waren fast erblindet.
Wikinger in seiner Jugend,
War er grob in seinem Alter.

Torsten war sehr groß und kräftig,


Dabei auch von sanftem Wesen,
Er half auf dem Hof des Vaters,
Fleißig wie der Männer sieben.

Torarin war arm, doch Waffen


Hatte viele er im Hause,
Hatte starke schnelle Pferde,
Die zum Pferdekampfe taugten.

Und bei Helge auf dem Hofe


Lebte Tord, der war der Großknecht,
Pferde-Tord ward er gerufen,
Grober Mann von großem Grimme.

Auch bei Helge auf dem Hofe


Waren noch zwei üble Kerle,
Torhall hieß der eine Maulheld,
Torwald hieß der andre Maulheld.

Pferde-Tord und Torsten aber


Kämpften in dem Pferdekampfe,
Ließen ihre Pferde kämpfen,
Kämpften selbst als gute Reiter.

Pferde-Tord schlug Torstens Renner


Mit der Peitsche auf die Augen,
Torsten schlug des andern Renner
Drauf zurück mit starkem Hiebe.

Pferde-Tord schlug mit der Lanze


Nach der Augenbraue Torstens,
Torstens Auge hing herunter,
Torsten nähte fest das Auge.

Torsten sprach zu allen Leuten,


Nichts zu sagen seinem Vater.
Torhall doch und Torwald nannten
Torsten fortan Lanzennarbe.

Winter war es vor der Weihnacht,


Der Geburt des Christus Jesus,
Frauen gingen an die Arbeit,
Torsten schlief noch in der Stube.

Torarin, der Vater Torstens,


Sagte: Tut dir weh dein Schädel?
Bist du nicht geschlagen worden?
Torsten, räche deine Ehre!

Torsten nahm sich seine Waffen,


Ritt zu Pferde-Tord, dem Großknecht,
Sagte: War es ein Versehen
Oder war es böse Absicht?

Pferde-Tord zu Torsten sagte:


Blase du nur heiße Worte!
Ob Versehen oder Absicht,
Tu ich dennoch keine Buße.

Torsten sagte: Deine Buße


Fordr’ ich nicht zum zweiten Male.
Und mit einem Todeshiebe
Schlug er Pferde-Tord zu Boden.

Da kam eine Frau gegangen,


Torsten sprach zu jenem Weibe:
Sage Helge, Tord ist tot nun,
Totgeschlagen von dem Stiere.

Sprach das Weib zu Torsten also:


Ich sags ihm, wenn ich dran denke,
Aber du geh nur nach Hause.
Torsten also ging nach Hause.

Helge aber sprach zum Weibe:


Wo ist Pferde-Tord, mein Großknecht?
Sprach das Weib: Wir armen Weiber,
Wie sind wir doch so vergesslich,

Ist kein Denken in den Weibern,


Nur ein Plappern und ein Schwätzen,
Wir vergessen unsern Hintern,
Wenn wir drauf nicht eben sitzen!

Sprach doch Torsten Lanzennarbe


Vor dem Stall, dass Tord nun tot sei,
Totgestoßen von dem Stiere,
Und ich sollte dir es sagen.
Helge ließ den Tord begraben,
Torsten vor Gericht verklagen.
Torsten saß zu Hause ruhig
Bei dem Bier und bei der Grütze.

Herbst kam mit dem Erntedankfest,


Torhall saß und Torwald bei ihm
An dem Feuer mit dem Braten,
Helge hörte beide reden.

Torhall sprach zu Torwald also:


Wir hier speisen kleine Lämmer,
Torsten aber einen Hammel,
Wann wird ihm zuteil die Strafe?

Hat er Pferde-Tord erschlagen,


Dafür ward ihm keine Strafe.
Wie will er des Mordes Flecken
Waschen ab von seiner Ehre?

Aber Torwald sprach zu Torhall:


Wird doch Helge sich nicht rächen
Und nicht Torarin, dem Vater,
Nehmen seines Alters Stütze.

Helge hörte diese Rede,


Sprach zu Torhall, sprach zu Torwald:
Reitet in die Bucht des Kreuzes,
Bringt herbei den Schädel Torstens!

Bringt vom Rumpf getrennt den Schädel


An die Tafel mir zum Frühstück,
Dann will ich aus Torstens Schädel
Mich mit Honigmet besaufen!

Torhall ritt mit Torwald also


Eilends in die Bucht des Kreuzes.
Torsten stand vor seiner Wohnung,
Spielte dort mit seinem Messer.

Torhall sprach und Torwald sagte:


Torsten, wo sind deine Pferde?
Zeig uns deine starken Rosse,
Zeig uns deine schnellen Renner.

Auf dem Weg zur Pferdeweide


Torhall rannte gegen Torsten,
Torsten schlug ihm an die Beine,
Torhall fiel und ward erstochen.

Auf dem Weg zur Pferdeweide


Torwald rannte gegen Torsten,
Torsten schlug ihm an die Beine,
Torwald fiel und ward erstochen.

Torsten nahm die Toten beide,


Band sie an den Pferdesattel,
Schickte dann das Pferd nach Hause,
Lief das Pferd zum Hofe Helges.

Helge gleich begrub die Toten


Unter der gefrornen Erde.
Still vorüber ging die Weihnacht,
Helge lag bei seinem Weibe.

Ran sprach, Helges Ehegattin:


Wovon reden so die Leute?
Was glaubst du, wovon man redet?
Hörst du nicht die Leute reden?

Alle sagen: Dieser Torsten!


Erst schlug er den Pferde-Tord tot,
Dann erstach er unsern Torhall,
Dann erstach er unsern Torwald!

Alles Volk in der Gemeinde


Will vor Torsten Lanzennarbe
Schutz durch ihren Herren Helge,
Du sollst dich an Torsten rächen!

Helge aber sprach zum Weibe:


Unverdient ward nie getötet
Einer von den Opfern Torstens,
Dennoch werde ich dir folgen.

Und so schlief der Mann beim Weibe.


Aber in der Morgenstunde
Nahm sich seine Waffen Helge,
Schwert und Schild, zu nehmen Rache.

Als das sah die Ehegattin,


Sprach sie zu dem Ehegatten:
Wo sind deine Heeresscharen,
Die du führst zum Krieg der Rache?

Helge sprach zu seinem Weibe:


Ich alleine will mich rächen!
Sprach das Weib zu ihrem Manne:
Du alleine gegen Torsten?

Helge sprach zu seinem Weibe:


Närrin, gestern Abend sprachst du,
Ich soll mich an Torsten rächen,
Heute morgen sprichst du anders.
Aber so seid ja ihr Weiber,
Abends weinen, morgens lachen,
Einmal rückwärts, einmal vorwärts,
Schwankend wie ein Schilf im Sturme.

Auch will ich davon nichts hören,


Daß ich wär zu schwach zum Kampfe,
Du sollst mich nicht länger schmälern
Und absprechen mir die Ehre!

Helge also ritt zu Torsten,


Der war in der Bucht des Kreuzes.
Torsten stand vor seiner Wohnung,
Fragte, warum Helge komme.

Helge sprach: Die Leute sagen,


Ich soll mich an Torsten rächen.
Also fordr’ ich dich zum Zweikampf,
Mög der Bessere gewinnen.

Torsten sprach: O Herre Helge,


Ich soll mich mit Helge schlagen?
Wurm bin ich und nicht ein Mensch mehr,
Fort will ich von dieser Erde!

Helge sprach: Nun komm zum Zweikampf.


Torsten sprach: Doch vor dem Zweikampf
Laß mich bitte Abschied nehmen
Noch von Torarin, dem Vater.

Torsten trat zu seinem Vater:


Helge fordert mich zum Zweikampf.
Sprach der Vater zu dem Sohne:
Lieber tot sein als ein Feigling!

Lieber will ich dich verlieren,


Als zum Sohne einen Feigling
Mir zur bittern Schmach zu haben,
Aber Helge ist der Stärkre.

Torsten kämpfte nun mit Helge,


Aber in der Abendröte
Helge sprach ermattet, dürstend:
Durstig macht mich dieser Zweikampf.

Torsten sprach zu Helge freundlich:


Trink doch Wasser aus dem Brunnen.
Helge Wasser trank vom Brunnen,
Torsten spielte mit dem Schwerte.

Wieder kämpften sie mit Schwertern,


Aber Helge sprach zu Torsten:
Halt, die Senkel meiner Schuhe
Lösten sich, ich muß sie binden.

Torsten sprach: Die Senkel binde.


Helge band die Senkel wieder,
Torsten spielte dabei friedlich
Mit dem Schwert in seinen Händen.

Und die beiden kämpften weiter.


Helges Schneide seines Schwertes
Wurde stumpf vom vielen Schlagen
Auf den Schild des starken Torsten.

Torsten sagte: Eine Pause!


Torsten holte aus dem Hause
Nun ein neues Schwert für Helge,
Neues Schwert mit scharfer Schneide.

Torsten sprach dabei zu Helge:


Über mir mein Unstern waltet,
Darum werde ich nicht siegen,
Über dir dein Glücksstern waltet.

Hätte ich dich töten können,


Ich bewies dir meine Treue,
Will dir meine Jugend weihen,
Treu dir dienen als dein Kämpfer.

Helge sprach: Erlaube aber,


Daß ich red mit deinem Vater.
Und zu Torarin, dem Vater,
Helge trat in seine Kammer.

Torarin, der Vater, fragte,


Wer in sein Gemach gekommen.
Helge sagte, Helge käme,
Torstens Tod dem Vater melden.

Hat mein Sohn sich gut geschlagen?


Also frug der Vater Helge.
Helge sprach: Ein starker Krieger
War in seinem Leben Torsten.

Aber du, o alter Vater,


Sollst an meinem Hofe leben,
Ich will wie ein Sohn dir werden
Und dich lieber Vater nennen.

Torarin, der Vater, sagte:


Von der Gunst des Herrn zu leben
Ist wohl gut im ersten Jahre,
Aber dann wird man zum Bettler.

Aber willst du mich zum Vater,


Dann tritt näher an mein Bette.
Helge trat heran ans Lager,
Torarin griff nach dem Messer.

Helge rief: Du alter Glatzkopf!


Torsten lebt, der starke Krieger,
Torsten will mir fortan dienen,
Dich will immer ich versorgen.

Torsten diente also Helge


In den stolzen Jugendtagen,
Bis er später diente besser
Seinem heilgen König Olaf.

ZWEITER GESANG

Torsten war ein Mensch voll Güte,


Allen gab er viele Gaben,
Gerne schenkte er Geschenke,
Gerne gab er all sein Geld hin.

In der Lust zu schenken maßlos,


Mahnte immer ihn sein Vater,
Seines Vaters schärfsten Vorwurf
Mußte Torsten stets ertragen.

Alles unternahm sein Vater


Zur Absicherung für Torsten,
Stets der Tadel seiner Klugheit
War: Du bist verschwendungssüchtig!

Als nun Torarin verstorben


Und vor Christus trat der Vater,
Da war Torsten überglücklich:
Muß ich ihn nun nicht mehr hören!

Vaters Rat muß ich nicht hören,


Ich kann mich nun selbst beraten.
Torsten dachte, seine Mutter
Dagmar denke auch wie Torsten.

Seine Mutter Dagmar hatte


Stets geschwiegen voller Demut,
Aber auch die Mutter Dagmar
Immer tadelte nun Torsten.
Torsten, ich bin deine Mutter,
Und als deine Mutter sag ich:
Die Verschwendungssucht macht arm dich,
So wirst du zu einem Bettler!

Aber da half keine Mahnung,


Torsten gab noch immer gerne,
Alles gab er, was er hatte,
Und er sang vom Glück des Schenkens.

Nun starb bald auch seine Mutter,


Auch die Mutter trat vor Christus,
Da war Torsten überglücklich,
Daß die Mutter nicht mehr tadelt.

Nun bin ich allein auf Erden,


Kann nun leben wie mein Herz will.
Jedem gab er Geld und Silber
Und verschenkte all sein Erbe.

Das muß ich nicht breit erzählen,


Kurz, zum Armen wurde Torsten.
Nur sein Pferd besaß noch Torsten
Und ein Beutelchen voll Silber.

Seine Freunde ihn verließen,


Arme haben keine Freunde.
Torsten ließ die falschen Freunde,
Fort ritt er auf seinem Pferde.

Torsten ritt nun öde Wege,


Seine Seele war voll Trauer,
Sicher muß er hier verlassen
Dieses Leben auf der Erde.

Wandern, wandern, weiter wandern,


Das ist alles, was er tun muß.
Auf dem Hofe eines Bauern
Bat um Unterkunft der Wandrer.

Schlief er in der Nacht sehr ruhig,


Aber morgens war der Hof leer,
Sah er vor dem Hof den Bauern
Grimmig auf dem Friedhof graben.

Warum gräbst du auf dem Friedhof?


Fragte Torsten nun den Bauern.
Sprach der Bauer: Diese Tote
Ist mir noch ihr Silber schuldig.

Unten in dem Grab des Sarges


Ist ihr Ring mit Amethysten,
Ruhen soll sie nicht im Grabe,
Soll im Jenseits Ruh nicht finden.

Torsten sprach: Darf ich bezahlen


Dir die Schulden dieser Toten?
War der Bauer einverstanden,
Ruhte weiter still die Tote.

Torsten gab sein letztes Silber,


Frug den Bauern dann des Weges
Zu den Siedlungen der Menschen,
War zu einsam seine Seele.

Wies der Bauer ihm die Straße


Zu den Siedlungen der Menschen:
Kommst du aber an den Kreuzweg,
Reite südwärts und nicht nordwärts.

Torsten kam bald an den Kreuzweg,


Ritt ein wenig Richtung Süden,
Dachte, wie es lustig wäre,
In den Norden doch zu reiten.

Ritt er also in den Norden,


Kam zu einem leeren Schlosse,
Sieben Betten in dem Schlosse
Und ein Tisch mit sieben Tellern.

Torsten deckte alle Teller


Mit der Speise aus der Küche
Und bereitete die Betten
Auch mit frischgewaschnen Laken.

Schließlich ruhte er im Winkel,


Wartend auf die Schlossbewohner.
Schließlich knarrte laut die Pforte
Und die Schlossbewohner kamen.

Riesen kamen in die Schlossburg


Und der erste Riese sagte:
Hier ist einer, dem ich werde
Wohl mitspielen müssen übel!

Doch der andre Riese sagte,


Der da war der größte Riese:
Nein, der machte uns das Essen
Und bereitete die Betten,

Der steht unter meinem Schutze,


Und ich bin der stärkste Riese.
Und der Riese sprach zu Torsten:
Bleibe bei uns eine Woche!
Bleib nicht nur an diesem Tage,
Sondern bleibe eine Woche,
Mach du uns ein leckres Essen
Und bereite unsre Betten.

Torsten sagte zu dem Riesen:


Gut, ich bleibe eine Woche.
Aber Torsten blieb drei Jahre
In der Schlossburg bei den Riesen,

Machte ihnen leckres Essen


Und bereitete die Betten.
Überfiel ihn Langeweile,
Trank er eine Flasche Rotwein.

Alle Räume anzuschauen


In der Schlossburg war erlaubt ihm,
Bis auf das verbotne Zimmer,
Das er nicht betreten durfte.

Nur der größte aller Riesen


Konnte diesen Raum betreten,
Denn um seinen Hals am Kettchen
Trug zum Raume er den Schlüssel.

Torsten sprach zum großen Riesen:


Treu war ich in kleinen Dingen,
Laß nun auch in großen Dingen
Meine Treue dir beweisen,

Laß mich ins verbotne Zimmer!


Doch der große Riese sagte:
Treu warst du in großen Dingen,
Doch das Zimmer ist verboten.

Was in dem verbotnen Zimmer


Sich befindet, das ist nichtig,
Nichts sind alle Kreaturen,
Sein alleine hat die Gottheit.

Torsten aber listig, heimlich


Machte vom geheimen Schlüssel
Einen Abdruck sich im Brotteig
Und er feilte einen Schlüssel.

Und er trat ins dunkle Zimmer


Und entzündete die Kerze,
Sah ein Mädchen angebunden
An kastanienbraunen Haaren,

Dürr das Mädchen, abgemagert,


Dem Skelett gleich eines Toten.
O wer bist du, liebes Mädchen?
Fragte Torsten dieses Mädchen.

Ich bin May-Britt, bin die Tochter


Eines Königs und mein Vater
Ist in Dänemark der König,
Aber ich bin hier gefangen,

Weil der Riese mich zur Frau will,


Aber ich will ihn zum Mann nicht.
Torsten liebte jenes Mädchen,
Dänemarks Prinzessin May-Britt.

Und er schlich sich alle Tage


Heimlich ins verbotne Zimmer
Und gab May-Britt Wabenhonig,
Bis sie wieder kräftig wurde.

Torsten sprach zum großen Riesen:


Ich war treu in großen Dingen,
Gib als Lohn mir, mein Gebieter,
Was da im verbotnen Zimmer.

Zwar das wollte nicht der Riese,


Torsten aber konnte betteln,
Konnte bitten, konnte flehen,
Also sagte Ja der Riese.

Und nach einem schönen Sommer


Tat der Riese auf das Zimmer,
Staunte, wie so schön sei May-Britt,
Welche Wohlgestalt der Körper!

Torsten aber nahm sich May-Britt


Und entfloh der düstern Schlossburg.
May-Britt, dieses schöne Mädchen,
Schien die Seele seiner Seele.

May-Britt aber, die Prinzessin


Dänemarks, sprach so zu Torsten:
Riesen werden dich verfolgen,
Nimm die Rüstung, nimm die Waffen.

Wahrlich, sieben Riesen eilten,


Zu bekämpfen Torsten grimmig.
Torsten rang mit allen Riesen,
Sechs der Riesen schon bezwingend,

Lag er unterm siebten Riesen!


May-Britt nahm das Schwert des Helden
Torsten, schlug dem siebten Riesen
Seinen Schädel ab vom Rumpfe!

Torsten nahm Prinzessin May-Britt,


Eilte zu dem Strand des Meeres,
Sahen sie ein Schiff sich nahen,
Gingen sie an Bord des Schiffes.

Auf dem Schiff war der Minister,


Der dem Vater May-Britts diente,
Ihm versprach der Vater May-Britts
Ehelich die Hand der Tochter.

Der Minister aber Torsten


Setzte aus im kleinen Boote
Und erklärte sich zum Retter
Seiner dänischen Prinzessin.

Torsten in dem kleinen Boote


Trieb in aufgewühlter Ostsee
Und die Macht des Elementes
Drohte ihm mit frühem Tode!

Da erschien der Toten Seele,


Der einst Torsten in dem Grabe
Ihre Grabesruhe wahrte
Und bezahlte ihre Schulden,

Dankbar war der Toten Seele


Und sie führte in dem Boote
Torsten bis hinauf nach Norweg
Zu dem heilgen König Olaf!

DRITTER GESANG

Einst der heilge König Olaf


War bei einem Festgelage
Auf der Blumeninsel Öland,
Torsten war bei ihm, sein Krieger.

Abends an dem Tisch beim Trinken


Sprach der heilge König Olaf:
Will im Freien einer pissen,
Soll er nicht alleine gehen,

Sonst geschehen wird ein Unglück,


Sprach der heilge König Olaf.
Alle tranken fleißig weiter
Von dem besten roten Weine.
Die Germanen trinken wenig,
Aber oft Germanen trinken,
Wenn Germanen aber trinken,
Trinken reichlich die Germanen.

Dann ging jedermann zu Bette.


In der Nacht in seinem Bette
Torsten wach ward vom Bedürfnis,
Torsten wollte draußen pissen.

Aber alle andern schliefen,


Torsten wollte keinen wecken,
Also ging er in das Freie
Einsam, ohne sich zu fürchten.

Sah er aber in dem Freien


Stehen einen runden Steintisch,
Um den Tisch zwölf Stühle standen,
Torsten setzte sich auf einen.

Plötzlich kam herbei ein Toter,


Der sich setzte an den Steintisch.
Torsten sprach zum Totengeiste:
Toter, sag mir deinen Namen!

Ich bin Torkel, auch geheißen


Werde ich der dünne Torkel.
Einst mit König Harald Kriegszahn
Fiel ich auf dem Schlachtgefilde.

Woher kommst du, fragte Torsten.


Aus der Hölle, sprach der Tote.
Torsten sprach: Wie ist die Hölle?
Und wem geht es dort am besten?

Siegfried geht es dort am besten,


Denn er heizt dort einen Ofen.
Torsten sprach: Das ist nichts schlimmes.
Sprach der Geist: Er ist das Feuer!

Torsten sprach: Wie ist die Hölle,


Wem geht’s dort am meisten übel?
Sprach der Geist: Dem alten Starkard
Geht es übel in der Hölle,

Sein Gebrüll ist selbst für Teufel


Sehr unangenehm zu hören,
Alle Toten, alle Teufel
Finden darum keine Ruhe.

Warum schreit er so, sprach Torsten,


Was denn leidet er für Qualen?
Sprach der Geist: Der alte Starkard
Zu den Knöcheln steht im Feuer.

Das ist nicht so schlimm, sprach Torsten,


Für so einen großen Helden.
Sprach der Geist: Sein ganzer Leib brennt,
Ragen nur heraus die Füße!

Ja, sprach Torsten, das ist schrecklich,


Schrei doch einmal seine Schreie.
Sprach der Tote: Nun, so schrei ich.
Und er schrie ein lautes Schreien.

Torsten hielt sich zu die Ohren,


Ward ihm übel von dem Schreien.
Also schreit der alte Starkard,
So am lautesten schreit Starkard?

Nein, so schreien kleine Teufel,


Sprach der Geist, die Schreie Starkards
Sind noch schrecklicher und stärker.
Und der Tote schrie entsetzlich!

Torsten staunte, dass der Tote


Solche Schreie schreien konnte.
Torsten beinah fiel in Ohnmacht
Vor dem widerlichen Schreien.

So am lautesten schreit Starkard?


Frug den Geist des Toten Torsten.
Nein, sprach der, das ist sein Flüstern,
Seine Schreie sind noch lauter.

Torsten sprach zum Geist des Toten:


Also schrei die Schreie Starkards,
Wie am lautesten schreit Starkards,
Also sollst du einmal schreien.

Torsten hielt sich zu die Ohren,


Atem holte nun der Tote
Und er brüllte so entsetzlich –
Da erklang die Kirchenglocke.

Da verschwand der Geist des Toten.


Torsten aber ging zu Bette.
Morgens sprach der heilge Olaf:
War alleine jemand draußen?

Schlechte Laune hatte Olaf.


Torsten sprach: Ja, ich war draußen,
Aber es ist nichts geschehen,
Jedenfalls nichts allzu Schlimmes.
Sprach der heilge König Olaf:
Eigensinnig sind Germanen,
Übertreten die Gebote.
Aber was hast du gesehen?

Torsten alles nun erzählte.


Sprach der heilge König Olaf:
Warum ließest du ihn schreien
In der Nacht, den Geist des Toten?

Torsten sprach zum heilgen Olaf:


Hattest du uns doch geboten,
Nicht allein heraus zu gehen,
In der dunklen Nacht zu pissen.

Draußen war ich nun alleine,


Aber als ich schaute Torkel,
Ließ ich diesen Geist so schreien,
Daß du davon wach wirst, König.

Denn ich dachte: Wird mein König


Wach, der heilge König Olaf,
Dann ist mir auch gleich geholfen.
König Olaf sprach: So wars auch,

Denn ich wurde wach vom Schreien,


Ließ die Kirchenglocke läuten,
Nichts vermochte sonst zu helfen
Als Geläut der Kirchenglocke.

VIERTER GESANG

Torsten war beim König Olaf,


Bei dem heilgen König Olaf,
In Thor-Hammerstadt in Norweg
Residierte König Olaf.

Torsten ward Gefolgsmann Olafs,


Der hielt ihn für einen Helden.
An dem Hof die andern Leute
Meinten, Torsten sei barbarisch.

Olaf gab ihm manchen Auftrag,


Schickte ihn auf manche Seefahrt,
Oft auch Schätze zu erwerben,
Manches Kleinod für den König.

Einmal Torsten war in Finnland,


Irgendwo im Land der Lappen.
Als die Sonne stand im Osten,
Torsten stand an einem Hügel.

Sah er einen kleinen Knaben,


Sprach der Knabe: Liebe Mutter,
Gib mir meinen Zauber-Krummstab,
Will ins Land der Toten fliegen.

Und da kamen aus dem Hügel


Hände, einen Krummstab reichend.
Ritt der Knabe auf dem Krummstab,
Flog er in das Land der Toten.

Torsten drauf sprach auf dem Hügel:


Mutter, gib mir meinen Krummstab!
Sprach die Mutter: Wer denn bist du?
Torsten sprach: Dein zweites Söhnchen.

Torsten ritt dem kleinen Knaben


Auf dem Krummstab nach, im Fluge
Kamen sie zur Welt der Toten,
Kamen zu dem Fluss aus Feuer,

Kamen zu der Lebensquelle,


Kamen zu dem goldnen Schlosse,
Da der Toten-König lebte
Mit der Königin der Toten.

Alle saßen an der Tafel,


Tranken aus den goldnen Bechern
Alten allerbesten Rotwein
Und berauschten sich am Rotwein.

Torsten aber und der Knabe


Waren unsichtbar den Toten.
Und der Knabe, Speise sammelnd,
Lief von einem Tisch zum andern.

Eben kam ein neuer Toter,


War aus Indien ein König,
Brachte er dem Totenkönig
Einen Ring von Gold und Silber.

Torsten sah auch auf dem Tische


Schön das seidenweiße Tischtuch,
Rings besetzt mit Edelsteinen.
Torsten wollte Ring und Tischtuch.

Torsten betend mit dem Herzen


Betete zum heilgen Olaf,
Nahm den Ring von Gold und Silber
Und das seidenweiße Tischtuch.

Torsten floh, die Toten folgten,


Torsten kam zum Feuerflusse,
Alle Toten ihn umringten,
Torsten tötete viel Tote.

Da kam auch der kleine Knabe,


Reichte Torsten seinen Krummstab,
Kamen sie zur Welt des Lichtes,
Stand dort schon des Knaben Mutter.

Sprach die Mutter: O mein Knabe,


Wer ist der an deiner Seite?
Sprach der Knabe: Das ist Torsten,
Und ein großer Held ist Torsten.

Torsten ging zu König Olaf,


In Thor-Hammerstadt in Norweg
Torsten überreichte Olaf
Ring und Tischtuch als Geschenke.

Torsten wollte noch nach Öland,


Dieser blauen Blumeninsel
Schwedens, aber über Winter
Blieb beim König er in Norweg.

Aber als der Frühling nahte,


Da fuhr Torstens Schiff nach Oslo.
Da sah einen Zwerg er sitzen,
Bis zum Boden ging der Bart ihm.

Doch der Zwerg mit langem Barte


Weinte: Weh mir! Gottes Adler
Hat entführt mein kleines Söhnchen,
Der soll Mundschenk Gottes werden!

Torsten gleich mit Pfeil und Bogen


Schoß den Adler ab vom Himmel,
Trug das goldne Zwergensöhnchen
Wieder zu dem Zwergenvater.

Torsten sprach zum Zwergenvater:


Tröste nun dein Zwergensöhnchen!
Sprach der Zwerg: Was willst du haben
Für die große Tat der Rettung?

Torsten sprach zum Zwergenvater:


Gutes tut man, weil es gut ist.
Das braucht keiner zu belohnen.
Lohn ist in sich selbst das Gute.
Sprach der Zwerg: Nimm meinen Mantel,
Der ist aus dem Fell des Lammes,
Trägst du ihn, wird dir nichts schaden,
Trag du nur den Lammfellmantel.

Nimm auch meinen Ring von Silber,


Stets hast du genug des Geldes,
Immer reichlich Öre-Münzen,
Dich wird nicht das Elend plagen.

Nimm du auch dies schwarze Steinchen,


Reibst du es mit deinen Händen,
Bist du unsichtbar den Menschen,
Bist du unsichtbar den Riesen.

Nimm auch dieses bunte Dreieck,


Weißer, goldner, roter Farbe.
Das sei deine Macht und Stärke
Und in großen Nöten Rettung.

Schlägst du auf die weiße Stelle,


Kommen harte Hagelkörner.
Schlägst du auf die goldne Stelle,
Kommt die große Sonnenhitze.

Schlägst du auf die rote Stelle,


Blitze kommen dann und Donner.
Und des Zwergenvaters Gaben
Torsten nahm entgegen dankbar.

Torsten fuhr mit seinen Leuten


Übers Meer in seinem Schiffe,
Bis in einem Fjord geankert
Sie und frische Lachse aßen.

Torsten ließ dort seine Männer


Bei dem Schiffe, ging alleine,
Ging allein durch finstre Wälder,
Sah er hohe Riesen reiten.

Sah er in der Morgenröte


Drei sehr große Männer reiten,
Zwei in scharlachroten Kleidern,
Ritten schnell auf grauen Hengsten.

Einer ritt in goldnen Kleidern


Schnell auf einem weißen Pferde.
Sprach der eine zu den beiden:
Was denn lebt dort bei der Eiche?

Wer denn bist du? Torsten sagte:


Ich bin Torsten, Olafs Krieger.
Sprach der Mann: Ein Krieger bist du?
Ich nenn lieber dich ein Kindlein!

Torsten sprach: Wie ist dein Name?


Sprach der Mann: Ich heiße Godmund,
Bin der Sohn von einem König
Und mir dient das Land der Riesen.

Ich will in das Land der Heiden,


Denn dort herrscht der König Gerhard,
Er soll mich an Vaters Stelle
Nun zu einem König machen.

Zwischen unserm Lande aber


Und dem kalten Land der Heiden
Fließt ein Fluß, der breit und kalt ist,
Eiskalt ist des Flusses Wasser.

Diese zwei an meiner Seite,


Das sind meine besten Helden,
Ist des einen Name Vollkraft,
Ist des andern Name Allkraft.

Torsten sprach: Ich möchte gerne


Mit euch reiten in den Norden.
Godmund sprach: Du aber, Torsten,
Bist doch einer von den Christen,

Die an Jesus Christus glauben!


Aber gut ist es und sicher,
Wenn uns schützt der heilge Olaf,
Darum reite mit uns, Torsten.

Also kamen sie zum Flusse,


Dessen Wasser kalt wie Eis war.
Godmund ritt auf seinem Schimmel
Durch die eisigkalten Fluten.

Torsten auch saß auf dem Schimmel,


Doch berührte mit dem Fuße
Torsten jenes kalte Wasser,
War als ob ein Blitz ihn träfe.

Als sie also drüben waren,


Schlug sich Torsten eine Zehe
Von dem Fuße. Godmund staunte,
Er hielt Torsten für sehr mutig.

Torsten sprach zu Godmund aber:


Ich will unsichtbar begleiten
Euch zum Königreich der Heiden.
Da war einverstanden Godmund.
So sie kamen zu der Halle
In der Burg des Heidenkönigs,
Aßen Fleisch und tranken Rotwein
Und dann gingen sie zu Bette.

Aber an dem nächsten Morgen


Godmund trat zum Heidenkönig.
Gab der Heidenkönig Gerhard
Godmund einen Königsmantel.

Godmund aber hob das Kuhhorn


Voll mit Honigmet und trank es
Aus in Einem Zug und sagte:
Treue schwöre ich dem König!

Unter Gerhards Leuten aber


Waren zwei verstockte Sünder.
Jörkul hieß der eine Sünder,
Frosti hieß der andre Sünder.

Jörkul nun und Frosti fingen


An zu zanken und zu streiten
Und sie stritten sich mit Vollkraft
Und sie stritten sich mit Allkraft.

Sie bewarfen sich mit Knochen,


Sie bewarfen sich mit Schädeln,
Warfen Feuereisenkugeln
Und begannen dann zu ringen.

Groß und stark war wahrlich Vollkraft,


Aber Jörkul war noch stärker,
Groß und stark war wahrlich Allkraft,
Aber Frosti war noch stärker.

Ihre Bosheit ihre Stärke


Und sie hätten auch gewonnen,
Wenn nicht unsichtbar noch Torsten
Seinen Freunden beigestanden.

Torsten siegte mit den Knochen,


Torsten siegte mit den Schädeln,
Mit den Feuereisenkugeln
Und im Ringkampf siegte Torsten.

Aber da kam König Gerhard


An mit einem Menschenschädel,
Der war voll mit schwerem Rotwein,
Gerhard forderte nun Godmund:

Kannst du diesen Menschenschädel


Mit dem schweren roten Weine
Trinken leer in Einem Zuge,
Dann will ich dich gehen lassen.

Aber unsichtbar stand Torsten


Bei dem jungen König Godmund.
Und den Wein des Menschenschädels
Trank er leer in Einem Zuge.

Torsten war ein Held im Kämpfen,


Mehr noch als ein Held im Kämpfen
War ein Held im Trinken Torsten,
Keiner trank so viel wie Torsten!

Godmund, Torsten, Vollkraft, Allkraft,


Gingen nun zu ihren Pferden.
Doch der Heidenkönig Gerhard
Wollte sie nicht gehen lassen.

Torsten aber machte Hagel,


Harte Hagelkörner schlugen
Nun in Stücke Gerhards Halle
Und verletzten auch den König.

Torsten machte Sonnenhitze,


Sonnenhitze schmolz den Hagel,
Überflutete das Wasser
Nun die Burg des Heidenkönigs.

Torsten aber machte Donner,


Torsten aber machte Blitze,
Funken, Flammen, Feuerpfeile,
Und so starb der Heidenkönig.

Aber da erblickte Torsten


Einen großen Apfelgarten.
Godmund Abschied nahm von Torsten,
Sagte: Lob sei Jesus Christus

Und dem heilgen König Olaf!


Wenn du kommst zum heilgen Olaf,
Gib ihm diesen goldnen Becher
Und dies seidenweiße Tischtuch.

Aber in dem Apfelgarten


Torsten schaute eine Jungfrau,
Siv war dieser Jungfrau Name,
Torsten liebte Siv von Herzen

Gleich vom ersten Augenblicke.


Siv und Torsten nun gemeinsam
Nach Thor-Hammerstadt sie zogen
Zu dem heilgen König Olaf.

Heilger Olaf, sagte Torsten,


Lehre Siv den Christenglauben,
Nimm sie auf in Christi Kirche
Durch das Sakrament der Taufe.

Und dann segne unsre Ehe.


Siv ward Torstens Ehegattin
Und sie lebten auf der Insel
Öland in vertrauter Liebe.

Siv ward schwanger dann von Torsten


Und gebar ein süßes Mädchen,
Diese ward genannt mit Namen
Tordis in der Taufe Gottes.

Und dass nicht Gespenster, böse


Geister seine Tordis plagten,
Brachte Torsten an am Hause
Segensreich die Kreuze Christi.

FÜNFTER GESANG

Torsten lebte mit der Gattin


Siv in Thorhallstadt im Seetal.
Ihre kleine Tochter Tordis
War entwöhnt schon von den Brüsten.

Torsten hatte viele Tiere,


Eine große Herde Schafe,
Auf der Weide aber schaurig
Lebte ein Gespenst und Spukgeist.

Keiner wollte Schafe hüten,


Hirte sein bei Torstens Herde.
Torsten ging zum alten Manne
Torodson, sich zu beraten.

Torodson der Alte sagte:


Ich kenn aber einen Hirten,
Der ist grob und ohne Bange
Vor den spukenden Gespenstern,

Gram sein Name, er ist grausam,


Darum fürchten ihn die Leute.
Gram ist leider auch voll Streitsucht,
Stiftet Zank oft unter Leuten.
Aber den nimm dir zum Hirten,
Der nicht bangt vor den Gespenstern.
Torsten ging vom alten Manne
Fort und wollte Gram zum Hirten.

Doch zwei Eselshengste waren


Fortgelaufen, Torsten suchte
Seine beiden Eselshengste,
Da traf er auf Gram, den groben.

Gram war groß und dick wie Ochsen.


Doch sein Haar war wie vom Grauwolf,
Seine Augen kalt und eisern,
Torsten war es fast zum Gruseln.

Was ist deine Lieblingsarbeit?


Fragte Torsten. Gram gab Antwort:
In dem Winter in dem Froste
Andrer Leute Herden hüten.

Torsten sprach: Mich hat beraten


Torodson, ich soll dich nehmen.
Gram der Grobe aber sagte:
Ich behalte meine Freiheit..

Wenn mich überfällt der Ärger,


Werde grimmig ich und zornig.
Torsten sagte: Doch ich nehm dich.
Doch bei meiner Herde spukt es.

Gram der Grobe aber sagte:


Spukgespenster sind mir lieber
Als die Menschen dieser Erde,
Ja, ich mag die Spukgespenster.

Torsten fand die Eselshengste,


Dankte Torodson dem Alten,
Ging dann heim zu Frau und Tochter
Und da kam die schöne Weihnacht.

Gram gekommen war zur Herde,


Weidete im Winter Schafe,
Brüllte donnernd wie der Nordsturm,
Niemand hatte lieb sein Wesen.

Siv auch liebte nicht den Groben,


Siv vor allen, ihn verachtend,
Sagte: Nie traut sich der Unhold
In die liebe Kirche Gottes!

Ohne Glauben, eigensinnig,


Ohne Freundlichkeit des Herzens,
Ohne Lächeln, ohne Liebe,
Stets war grimmig Gram der Grobe.

An dem Tage vor der Weihnacht


Gram verlangte nach dem Essen.
Siv sprach aber, Torstens Hausfrau:
Morgen ist das Fest der Weihnacht,

Und daß Gottes Sohn geboren


Wird in seiner Frommen Herzen,
Wollen wir vorm Feste fasten,
Fasten Gott zum Wohlgefallen.

Grimmig sagte Gram der Grobe:


Besser waren noch die Menschen,
Als sie wilde Heiden waren,
Konnten fressen, konnten saufen!

Siv sprach aber, Torstens Hausfrau:


Dir wird es noch schlecht ergehen!
Gram fraß aber Fleisch in Menge
Und es roch sein Atem übel.

Draußen aber war ein Schneesturm


Und es heulte in den Lüften
Und die Nacht war undurchdringlich,
Gram war ganz alleine draußen.

Torsten, Siv und Tordis gingen


In den Gottesdienst der Weihnacht,
Unsre Liebe Frau zu grüßen,
Die den Gottessohn geboren.

Gram der Grobe blieb verschwunden,


An dem Tage nach der Weihnacht
Suchten alle aus dem Dorfe
Draußen nach dem wilden Heiden.

Und sie fanden nicht die Herde,


Fanden nur noch auf den Bergen
Knochen von den toten Schafen,
Schenkelknochen, Widderschädel.

Sahen eine rote Blutspur,


Gram der Grobe blieb verschwunden.
Wohl das Spukgespenst des Ortes
Hat getötet Gram den Groben.

Später fanden sie die Leiche


Grams, sie wollten seine Leiche
Tragen in die Kirche Gottes,
Konnten doch sie nicht bewegen,
War so schwer des Toten Leiche,
Denn selbst seine Leiche wollte
Christlich nicht begraben werden
In der lieben Kirche Gottes.

Wollten sie die Heidenleiche


Draußen auf dem Feld begraben,
Sollt ein Kreuz auf seinem Grabe
Stehen durch die Hand des Priesters,

Kam der Priester zwar gegangen,


Fand doch nicht des Heiden Leiche,
Sich verbarg die Heidenleiche
Vor dem gottgeweihten Priester.

Nur die Bauern ihn begruben


Unter einem Haufen Steine,
Wandten schauernd sich vom Grabe
Und entflohen mit Entsetzen.

Seit dem Tage seines Todes


Aber spukte Gram der Grobe,
Ritt sein Totengeist im Winter
Immer auf den Häuserdächern,

Ging sein Totengeist im Winter


Durch die Dörfer, durch die Felder
Und zerstörte viele Häuser
Und erschreckte viele Seelen.

Aber in der Zeit des Frühlings


Kam ein großes Schiff gefahren,
Torgaut war darauf der Seemann,
Unbeweibt, allein war Torgaut.

Torsten trat herauf zum Schiffe


Und er sprach zum Schiffer Torgaut:
Willst du meine Herde hüten?
Aber Vorsicht, es gespenstert!

Torgaut aber sprach zu Torsten:


Ich will deine Herde hüten,
Hab nicht Angst vor den Gespenstern,
Was man auch am Abend munkelt.

Also auf der Sommerweide


Torgaut hütete die Schafe,
Aber als die Herbstzeit nahte
Gram der Grobe wieder spukte.

Gram ritt auf den Häuserdächern,


Aber Torgaut sprach zum Toten:
Komm mir einmal nahe, Spukgeist,
Dann will ich dich Saures lehren.

Wieder kam heran die Weihnacht.


Torsten ging mit Siv, der Hausfrau,
Und der jungen Tochter Tordis
In der Weihnacht in die Kirche.

Torgaut aber bei der Herde


Hütete die Schafe draußen,
Schneesturm brüllte an dem Himmel,
Frostigklar die Sterne glänzten.

Siv, die Hausfrau, sprach zu Torsten


Leise in der Kirche Gottes:
Daß nur Torgaut nicht auch sterbe
Und ermordet wird vom Spukgeist.

An dem schönen Weihnachtsfeste


Speisten die gebratne Ente
Siv und Torsten und die Tochter,
Torsten trank vom roten Weine.

An dem Tage nach der Weihnacht


Torsten sprach zur Dorfgemeinschaft:
Laßt uns jetzt nach Torgaut schauen,
Ob er lebt noch bei den Schafen.

Torsten und die Dorfbewohner


Suchten auf der Weide Torgaut,
Fanden nur noch Menschenknochen,
Nur zerbrochne Knochenreste.

Trauernd trugen sie die Knochen


In die liebe Kirche Gottes
Und beerdigten die Knochen
Unter einem Kreuze Christi

Und der Priester weihte Torgaut


Gott dem Herrn und seinem Sohne
Und empfahl die Seele Torgauts
Unsrer Lieben Frau Maria!

Torgaut fand im Himmel Frieden,


Ruhte in dem Schoße Gottes,
Ging nicht um auf dieser Erde
Als Gespenst und böser Spukgeist.

Alle Bauern aus dem Dorfe


Nun verließen ihre Hütten.
Torsten, Siv und Tordis blieben
Ganz allein in ihrem Hause.

Nur ein alter Rinderhirte


Blieb im treuen Dienst bei Torsten.
Eines Tages in dem Winter
Siv ging hin, die Kuh zu melken.

Da sah sie den Rinderhirten,


Tot lag er, entzweigebrochen
Seines Leichnams Menschenknochen
Von dem Spukgeist, Gram dem Groben.

Pferde, Esel, Kühe, Schafe,


Alle mordete der Spukgeist,
Torsten ging mit der Familie
Traurig fort aus seinem Dorfe.

Torsten blieb bei seinen Freunden,


Bis der Winter war vorüber.
Als der Frühling wiederkehrte,
Ist zurückgekommen Torsten.

Frühling kam und Sommersonne,


Aber als die Herbstzeit nahte,
Nahte wiederum der Spukgeist,
Krank ward Tordis, Torstens Tochter!

Tordis starb, die Tochter Torstens,


Durch das Wirken des Gespenstes!
Da kam aus dem fernen Finnland
Hilfe, kam der heilge Torfinn!

Torfinn blieb bei Siv und Torsten,


Die um ihre Tochter klagten.
Torfinn kämpfte mit dem Geiste
Und er siegte in der Weihnacht!

Frostigklar die Sterne strahlten,


Torfinn mit dem Geiste kämpfend
Sah dem Geiste in die Augen
Und entsetzte sich vor Schrecken!

Als des Geistes Sterben nahte,


Sprach der Geist zum heilgen Torfinn:
Du hast mich besiegt durch Stärke,
Durch die Stärke deines Glaubens.

Doch bevor ich ganz vergehe,


Will ich dich verfluchen, Torfinn:
Völlig einsam sollst du leben,
Außenseiter, allen fremd sein,
Immer deine Seele schaue
Meine Augen voll Verachtung,
Immer sollst du leiden, trauern,
Deine Seele bleibt voll Schwermut!

So besiegte diesen Spukgeist


Torfinn durch die Macht des Glaubens.
Torsten und der heilge Torfinn
Brannten das Gespenst zu Asche.

Nie mehr spukte dieser Spukgeist.


Doch der heilge Torfinn wurde
Außenseiter der Gemeinschaft,
Stets war traurig seine Seele.

Aber Torsten und die Hausfrau


Siv beklagten ihre Tochter:
Gott hat Tordis uns gegeben!
Gott hat Tordis uns genommen!

Gottes Name sei gepriesen!


Nackt sind wir zur Welt gekommen!
Nackt wir gehen zu den Toten!
Halleluja! Halleluja!

PETER

ERSTER GESANG

Singe, märchenhafte Muse,


Singe meinen Helden Peter,
Seine Hochzeit mit Maria
Zu dem Ruhme Jesu Christi.

An der Grenze Frieslands lebte


Einst ein Mann mit Namen Bernhard,
Der nahm sich zum Eheweibe
Seine schöne Dorothea.

Dorothea, arm geboren,


War zwar arm, doch auch gebildet,
War voll Tugend und voll Sitte
Und sie liebte ihren Gatten.

Beide hätten gerne Kinder


Von dem lieben Gott empfangen,
Aber Gott gewährte leider
Nicht die Gnade eines Kindes.

Schließlich sie beschlossen beide,


Einen armen Waisenknaben
Als ihr Kind zu adoptieren,
Peter war im vierten Jahre.

Peter, lieblicher und schöner


Als die andern Waisenkinder,
Ward von ihnen großgezogen
Wie die eigne Frucht des Leibes.

Bald geschah es aber dennoch,


Daß die Mutter Dorothea
Schwanger ward vom Gatten Bernhard
Und gebar ein eignes Söhnchen.

Beide Eltern voller Freude


Nannten Valentin das Söhnchen
Nach dem Schutzpatron der Liebe,
Waren sie vor Liebe närrisch.

Doch die Zwietracht (die die Griechen


Eris nannten), sie, die Feindin
Aller Harmonie und Liebe,
Streit sie stiftet unter Brüdern.

Valentin im Kinderspiele
Konnte Peter gar nicht leiden,
Neidisch war er sehr, weil Peter
Schöner war und vielmals klüger.

Valentin im Zorne einmal


Nannte Peter einen Bastard,
Immer wieder rief er Peter
Bastard, immer wieder Bastard!

Peter sprach: Ich bin ein Bastard?


Meine Mutter Dorothea,
Bist du wirklich meine Mutter,
Bernard, bist du auch mein Vater?

Mutter Dorothea sagte:


Nein, ich hab dich nicht geboren.
Diese Worte seiner Mutter
Stachen Peter in die Seele!

Peter war so voll des Jammers,


Hätt sich beinah selbst ermordet!
Dann beschloß er fortzuwandern,
Seine Eltern zu verlassen.
Als das Dorothea hörte,
Da verfluchte sie den Bastard:
Möge eine Meeresnixe
Ihn hinab ziehn in den Abgrund!

Peter aber zog des Weges,


Wanderte hinab gen Süden,
Kam er in den Wald der Fichten,
In die Teuteburger Waldnacht.

Sah er einen Wolf im Walde,


Einen Adler bei dem Wolfe,
Die Ameise war die dritte,
Stritten um den Hirsch, den toten.

Peter aber voller Weisheit


Teilte nun des Hirsches Körper,
Wolf, Ameise, Adler waren
Ganz zufrieden mit dem Urteil.

Da der Undank ist der Welt Lohn,


Doch die Tiere waren dankbar,
Gaben Peter sie die Gabe,
Je nach Wunsch sich zu verwandeln.

Wollte er ein Adler werden,


Spricht er: Wär ich doch ein Adler,
Also gleich wird er zum Adler,
Gleich drauf wird er wieder menschlich.

Also auch mit Wolf, Ameise.


So die Tiere sich bedankten.
Peter wanderte durch Deutschland,
Kam ins Ammerland, das grüne,

Kam nach Oldenburg. Dort sah er


Die Prinzessin voll der Weisheit,
Unsre Liebe Frau Maria,
Die er wollt zur Ehegattin.

Aber auch ein schwarzer Moslem


Wollte freien Sankt Maria.
Sankt Maria wollte lieber
Einen Christen zum Gemahle.

Zum Turnier geladen waren


Graf und Herzog und die Ritter,
Auch der schwarze Moslem kämpfte
Um die Hand der reinen Jungfrau.

Peter aber sah Maria


Droben stehn auf dem Balkone
Mit den andern Edelfrauen,
Vollmond sie im Kreis der Sterne.

Sagte Peter: Wär ich Adler!


Also Adler wurde Peter,
Flog als Adler in die Kammer
Unsrer Lieben Frau Maria.

Hörte Unsre Frau das Rauschen


Seiner Flügel in der Kammer,
Rief sie: Vater in den Himmeln,
Suchst du heim die Tochter Gottes?

Peter sprach: Wär ich Ameise!


Und Ameise wurde Peter,
Krabbelte im langen schwarzen
Haare Unsrer Frau Maria.

Dann stand Peter da als Peter,


Sprach zur Lieben Frau Maria:
Jungfrau, ich will sein dein Sklave,
Mehr dein eigen als ein Sklave!

Wie soll ich bei dem Turniere


Um die Hand der reinen Jungfrau
Als dein Held vor dir erscheinen,
Welche Kleider soll ich tragen?

Sprach Maria: Weißes Linnen


Sollst du tragen, Weiß des Glaubens.
Und Maria schenkte Peter
Edelsteine, Gold und Silber.

An dem Tage des Turnieres


Peter kam im weißen Linnen,
Peter kam im Weiß des Glaubens,
Ritt auf einem weißen Pferde.

Peter kämpfte mit dem Moslem


Um den Ruhmeskranz des Sieges.
Peter siegte. Alle staunten:
Wer ist dieser Unbekannte?

Unsre Liebe Frau Maria


War sehr froh, dass Peter siegte
Und sie dankte Gott im Himmel:
Vater, Danke dir für Peter!

Als die Nacht herbeigekommen,


Setzte Unsre Frau Maria
Sich allein an ihre Tafel,
Speiste Rinderfleisch und Rotkohl,

Hatte vor sich auf dem Tische


Einen roten Wein aus Frankreich.
Stand die Tür zu dem Balkone
Offen, kam herein der Adler,

Setzte Peter sich zu Tische,


Speiste mit der reinen Jungfrau,
Trank mit ihr vom roten Weine,
Der berauschend war wie Liebe.

Sagte Peter zu Maria:


Wie denn soll ich morgen kommen?
Und Maria sprach zu Peter:
Komm im grünen Kleid der Hoffnung!

Peter kam im grünen Kleide,


Wieder im Turniere siegte
Peter in dem Kleid der Hoffnung
Über jenen schwarzen Moslem.

Und am Abend wieder Peter


Speiste mit der reinen Jungfrau,
Trank mit ihr vom roten Weine,
Der berauschend war wie Liebe.

Sagte Peter zu Maria:


Wie denn soll ich morgen kommen?
Und Maria sprach zu Peter:
Komm im roten Kleid der Liebe!

Peter sagte: Meine Herrin,


Wenn ich morgen nicht erscheine,
So darfst du doch nicht verzweifeln,
Sondern weiter an mich glaube.

Und am dritten Tag des Kampfspiels


Nicht erschien im roten Kleide
Seiner Liebe Ritter Peter,
Sondern Peter war verschwunden.

Unsre Liebe Frau Maria


Aber ging im roten Kleide,
Aber ging im roten Rocke,
Unsre Frau der Schönen Liebe!

Peter wanderte zur Nordsee


Und bestieg ein Schiff im Hafen
Norddeich, fuhr zur Insel Baltrum,
Weiter fuhr er auf die Nordsee,
Denn der Fluch der Mutter Peters
Mußte sich zuerst erfüllen.
Aus dem grauen Meer der Nordsee
Tauchte auf die nackte Nixe,

Lang die rötlichblonden Locken,


Klein und straff die Mädchenbrüste,
Vor die Scham hielt sie das Händchen,
Und sie stand auf einer Muschel.

Halb sie zog ihn, halb versank er


In der nackten Nixe Armen.
Doch der Seemann Ulrich Ulrichs
Sah es, sagte es Maria.

Und Maria voller Kummer


Mit dem kleinen Jesuskinde,
Der vier Jahre zählte eben,
Fuhr im Schiffe auf die Nordsee.

Unsre Liebe Frau Maria


Hatte einen Bronze-Apfel,
Hatte einen Silber-Apfel,
Hatte einen goldnen Apfel.

Und Maria kam zur Stelle,


Wo die schöne nackte Nixe
Peter in das Meer gezogen,
Jesulein begann zu weinen.

Unsre Frau, den Herrn zu trösten,


Gab ihm ihren Bronze-Apfel.
Tauchte auf die nackte Nixe,
Sprach die Nixe zu Maria:

Gib mir deinen Bronze-Apfel,


Gib ihn mir zum Preis der Schönheit,
Dann will ich dir Peter zeigen,
Zeige dir das Haupt des Mannes.

Unsre Frau gab Jesu Spielzeug


Nun der Nixe in dem Meere,
Peter tauchte aus dem Meer auf,
Voll sein Bart und dicht sein Haupthaar.

Jesulein begann zu weinen,


Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Reichte ihm den Silber-Apfel,
Sprach die Nixe zu Maria:

Gib mir deinen Silber-Apfel,


Bin die Schönste doch der Frauen,
Dann will ich dir Peter zeigen,
Zeig dir seinen Oberkörper.

Unsre Frau gab Jesu Spielzeug


Nun der Nixe in dem Meere,
Peter tauchte aus dem Meer auf
Mit dem runden Oberkörper.

Jesulein begann zu weinen,


Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Gab ihm ihren goldnen Apfel,
Sprach die Nixe zu Maria:

Gib mir deinen goldnen Apfel,


Sollst den ganzen Peter sehen.
Unsre Frau gab ihr die Goldfrucht,
Und so ward gerettet Peter.

Unsre Frau Maria sagte:


Freund, zur Strafe deiner Sünden
Will ich eine Zeit verschwinden,
Aber suche mich von Herzen!

ZWEITER GESANG

Peter lebte nun in Friesland


In der Burg des Grafen Frieslands,
Bei dem frommen Grafen Ulrich
In der festen Burg von Berum.

Ulrich hatte schöne Töchter,


Drei der Gräfinnen voll Hochmut,
Elsa, Frauke, Kunigunde
Waren voller Stolz und Hoffart,

Aber Annchen war die Jüngste,


Die war hübsch und nett und niedlich,
Die war freundlich, herzlich, lieblich,
War wie eine Schwester Peters.

Aber Unsre Frau Maria


Lebte in dem Ammerlande
Ganz verborgen ihre Kindheit
Träumend unter den Zigeunern.

Ja, sie lebte unter Blumen


Vor der ganzen Welt verschlossen
Und sie sprach nur mit den Pferden,
Spielte mit Zigeunerkindern.
Nichts von dieser Welt gesehen
Hat Maria in der Kindheit,
Blumen, Pferde, Kinder, Engel
Waren ihre Spielgefährten.

So behütet in dem Garten


Der Natur des lieben Gottes
Wuchs sie auf in aller Unschuld,
Rein wie Kinder, schön wie Engel!

Als sie siebzehn Jahre zählte,


Ging im Garten sie spazieren,
War geschmückt mit Gold und Perlen,
Einer Krone auf dem Haupte,

Denn als Fürstin der Zigeuner


Trug sie Schmuck von Perlenketten
Und als Königin der Armen
Eine goldne Himmelskrone.

Doch da kam herab ein Adler


Und aus Gottes stillem Garten
Er die Königin Maria
Riß hinan zum Vater Äther

Und entführte durch den Himmel


Sie, die Fürstin der Zigeuner,
Bis er sich hernieder senkte
Über einem Baum in Berum.

Dieser Baum war eine Eiche,


Die stand vor der Burg von Berum,
Auf der Eiche grünem Wipfel
Stand die Königin Maria.

Und des Grafen Ulrich Gattin


War die fromme Gräfin Folka,
Folka eben stand mit Peter
In dem grünen Park von Berum.

Sprach die Königin Maria:


Himmelskrone, Perlenkette,
Alles möchte ich euch schenken,
Will als schlichte Magd euch dienen.

Zwar ich bin die Himmelsfürstin


Der Zigeuner und der Armen,
Doch vor allem Magd des Höchsten,
Menschendienerin voll Demut.

Also nahm die Gräfin Folka


Unsre Liebe Frau Maria
Auf in ihrer Burg von Berum
Als geringe Magd voll Demut.

Leise sprach die Magd voll Demut:


Ich bin sehr geschickt in Künsten
Und im Handwerk, gib mir Arbeit,
Laß mich weben, spinnen, sticken.

Und die schlichte Magd voll Demut


So geschickt war in den Künsten,
Machte aus den schönen Perlen
Solche schönen Perlenketten,

Daß von Lütetsburg die Fürstin


Zu der Gräfin sprach von Berum:
Diese schlichte Magd voll Demut
Ist wohl eine Himmelsfürstin!

Aber Peter, unerleuchtet,


Nicht erkannte die Geliebte,
Doch dann gingen ihm die Augen
Auf vor Unsrer Frau Maria,

Als er eines Nachts alleine


Trat in ihre stille Kammer,
Sah er Unsre Frau Maria
Stehn in reinem weißen Linnen

Und das Linnen ihres Kleides


Straffte über ihren Brüsten
Sich wie eine weiße Rose!
Schaute er der Jungfrau Antlitz

Von so femininer Anmut,


Aber auch zugleich voll Trauer,
Und er schaute ihre Augen
An wie Doppel-Abendsterne,

Und aus ihren Augenquellen


Strömten Menschentränen, tropften
Auf die straffen vollen Brüste,
Rannen in den Schoß der Jungfrau!

Eben in dem Augenblicke,


Da die Tränentropfen rannen
Strömend in den Schoß der Jungfrau,
Sah er einen Pfeil aus Feuer,

Schaute Peter einen Seraph,


Der den spitzen Pfeil aus Feuer
Peter schleuderte entgegen
Und durchbohrte so das Herz ihm,

Daß gestorben ist aus Liebe


Peter von dem Pfeil des Engels,
Von dem Feuerpfeil des Seraphs,
Von der Schönheit der Madonna!

Nun kam Gottes Magd Maria


Vors Gericht des Grafen Ulrich,
Richterinnen seine Töchter
Elsa, Kunigunde, Frauke.

Elsa sprach, Maria solle


Büßen siebzig lange Jahre,
Kunigunde grimmig sagte,
Büßen soll sie vierzig Jahre,

Frauke sprach von sieben Jahren.


Aber Annchen war voll Güte:
Büßt Maria sieben Jahre
In dem Turm der Burg von Berum,

Soll des toten Peter Leiche


Bei ihr liegen in dem Kerker.
So saß nun die Magd gefangen,
Bei ihr lag der tote Peter.

Weinte Gottes Magd drei Jahre


Um des toten Peter Leiche,
Kam vom Himmel her der Adler
Und erschien vorm Kerkerfenster,

Fallen ließ er sieben kleine


Adlerjungen, tote Vögel,
Ließ ein Kraut hernieder fallen,
Das die Toten auferweckte.

Gottes Magd verstand die Botschaft


Und sie nahm das Kraut vom Boden
Und erweckte Peters Leiche,
Er erwachte, sah Maria!

Da kam Ulrichs Tochter Annchen,


Brachte Trank und brachte Speise,
Brachte Peter die Gitarre,
Die sonst Gräfin Folka spielte.

Peter in dem Arm Mariens


Spielte jede Nacht Gitarre
Und die blauen Töne schluchzten
Aus der Einsamkeit des Kerkers.
Als vergangen sieben Jahre
In der Einsamkeit des Kerkers,
Kam von Lütetsburg der Häuptling
Und er hörte die Gitarre.

Sprach er: Wer lässt die Gitarre


Solche blauen Tönen weinen?
Herzenstrauer ist kein Übel,
Sondern Bitternis und Härte,

Aber die Gitarrentöne


Sind voll Zärtlichkeit der Seele
Und die blauen Töne weinen
Weiche Wehmut sanfter Liebe!

So Maria kam mit Peter


Hand in Hand aus dem Gefängnis.
Elsa, Kunigunde, Frauke
Aber mochten nicht Maria.

Sprach Maria: Was begehrt ihr?


Elsa sagte: Milch und Honig!
Kunigunde sagte: Käse!
Frauke sagte: Brot und Knoblauch!

Und Maria schenkte Elsa


Einen Krug von Rosenquarze
Mit geschmolznem Gold als Honig
Und die Milch war weiße Jade.

Gottes Magd gab Kunigunde


Einen Brocken Gold als Käse,
Als Gewürz, statt Petersilie,
Dienten Splitter von Smaragden.

Und Maria schenkte Frauke


Statt des Brotes eine Truhe
Ganz aus Silber und statt Knoblauch
Schenkte sie ihr einen Jaspis.

Aber Unsre Frau Maria


Schenkte Annchen diese Gnade:
Jesus kam, berührte Annchen,
Heilte sie an Leib und Seele!

Doch zu Peter sprach Maria:


Nie vergiß die Todesstunde
Und wer dich erweckt vom Tode!
Suche mich von ganzem Herzen!
DRITTER GESANG

Peter lebte nun in Norddeich


Mit der Lieben Frau Maria
In der allerbesten Freundschaft,
Auch war Jesulein bei ihnen.

Peter und Maria oftmals


Gingen Hand in Hand spazieren.
Sahen sie drei Rosen stehen,
Eine weiße, rote, goldne.

Peter pflückte eine rote


Rose für die reine Jungfrau
Und Maria tat die Rose
Im Gemach in eine Vase.

In der Mitternacht im Dunkel


Hörte Peter eine Stimme:
Peter, öffne meine Blüte,
Schließe auf den Kelch der Rose!

Peter sprach zur reinen Jungfrau:


Jungfrau, hast du mich gerufen?
Sprach die Liebe Frau zu Peter:
Nein, ich hab dich nicht gerufen.

Da trat Peter zu der Vase,


Zu der roten Rosenblüte.
Aus der Rose stieg ein Mädchen,
Sprach: Ich bin die Herrin Rosa!

Ich will deine Liebste werden,


Aber Unsre Frau Maria
Sollst du töten, o mein Peter,
Mich zum Eheweibe nehmen!

Peter aber wollte niemals


Unsre Frau Maria töten!
Doch er warf sie in den Kerker
Und vergnügte sich mit Rosa!

Aber an dem Morgen nahte


Jesulein, da sah er Rosa,
Sprach er: Wo ist meine Mutter?
Rosa ist nicht meine Mutter!

Herrin Rosa sprach zu Jesus:


Ich bin aber Herrin Rosa,
Ich bin wahrlich deine Mutter,
Ich bin wahrlich deine Herrin!
Ich, die schönste Herrin Rosa,
Bin die Herrin aller Leute,
Ich bin auch die Herrin Peters,
Alle Menschen meine Sklaven!

Gab ihr einer Widerworte,


Ward sie wild wie eine Wölfin.
Jesus aber hörte weinen
Seine Mutter in dem Keller.

Und Maria weinte bitter:


Gib mir nur ein Stück des Brotes!
Jesus reichte durch das Gitter
Ihr ein kleines Stück des Brotes.

Aber krank ward Herrin Rosa,


Tod bedrohte Herrin Rosa,
Also sagte sie zu Jesus:
Jesus, reise du nach Frankreich

Und in Lourdes geh zu der Quelle


Und vom Wasser schöpf ein Fläschchen,
Daß der Quell von Lourdes mich heile,
Geh du fort und komm bald wieder!

Jesus nahm zuerst noch Abschied


Von Maria, seiner Mutter,
Dann nahm er ein Schiff nach Frankreich,
Fuhr zum Golfe von Gascogne.

An dem Fuß der Pyrenäen


Sah er seinen Pflegevater,
Josef mit den grauen Haaren,
Josef mit dem grauen Barte.

Josef stand mit einer Flasche


Rotwein von Bordeaux am Fuße
Des Gebirges melancholisch
Und er sprach zum Pflegesohne:

O mein Liebling! O mein Liebling!


Schöpfe nur in Lourdes das Wasser,
Aber kehrst du heim nach Friesland,
Geh zuerst in jene Kammer,

Die verschlossen ist mit Siegeln,


Die bewacht wird von den Schwestern
Rosas. Diese Schwestern heißen
Schwester Blanka, Schwester Aura.

Kommst du aber in die Kammer,


Tu was du nur immer möchtest,
Liebe Gott und alle Seelen
Und dann du was du nur möchtest.

Jesus mit dem Fläschchen Wasser


Von der Quelle kehrte wieder,
Kam zur Burg der Schwestern Rosas,
Grüßte er die beiden Schwestern.

Schwester Blanka, weißgekleidet,


Sie glich einer weißen Rose.
Schwester Aura, goldgekleidet,
Sie glich einer goldnen Rose.

Dann trat Jesus in die Kammer,


Die verschlossen war mit Siegeln,
Dort sah er drei Kerzen brennen,
Eine weiße, rote, goldne.

Und er wusste, wenn er ausbläst


Diese Kerzen, werden sterben
Rosa und die beiden Schwestern,
Waren ihre Lebenslichter.

Ausblies er die weiße Kerze,


Schwester Blanka ist gestorben,
Ausblies er die goldne Kerze,
Schwester Aura ist gestorben!

Dann nahm er die rote Kerze


Mit der Lebensflamme Rosas,
Jesus eilte so zu Peter
Und zu Peter sagte Jesus:

Welches Leben ist dir lieber,


Welche Liebe ist dein Leben,
Hier die stolze Herrin Rosa
Oder dort die Muttergottes?

Peter sprach: Die Muttergottes


Ist die Liebe meines Lebens!
Jesus sagte drauf zu Peter:
Also lösch die rote Kerze!

So verlosch die Herrin Rosa.


Schwarzer Qualm stieg in die Lüfte.
Kam Maria aus dem Keller,
Jesus reichte ihr das Fläschchen,

Und Maria gab das Fläschchen


Peter und sie sprach zu Peter:
Trink du stets aus diesem Fläschchen,
Jeden Abend leer das Fläschchen,

Nie wird leer sein dieses Fläschchen,


Immer wieder will ich’s füllen!
Hüte dich vor fremden Frauen!
Wandre fort von diesem Orte,

Später will ich dir begegnen,


Sollst in Oldenburg mich suchen,
Bleib mir treu und treu bleib Jesus,
Zieh nach Oldenburg, Geliebter!

VIERTER GESANG

Anna und Joachim waren


Alte Leute, unfruchtbare,
Hatten leider keine Kinder,
Gott versagte ihnen Kinder.

Eines Tages aber Anna


Schaute Gabriel, den Engel,
Gabriel zu Anna sagte:
Anna, du wirst schwanger werden.

Anna aber sprach zum Engel:


Ich, die unfruchtbare Alte?
Und der Engel sprach zu Anna:
Wirst gebären einen Apfel!

Wahrlich, Anna wurde schwanger,


Schwanger Anna war neun Monde,
Dann gebar sie einen Apfel,
Allerschönste Paradiesfrucht.

Und Joachim tat den Apfel


Fromm auf eine Silberschale,
Die lag auf dem Gartentische
In dem Oldenburger Garten.

Gegenüber diesem Garten


Lebte Peter mit dem Freunde
Mark, sie lasen in der Bibel,
Sangen früh und spät den Lobpreis.

Eines Abends hörte Peter


Mark ihn von der Dachterrasse
Rufen: Peter, komm, ein Wunder!
Schau, ein Mädchen wie ein Wunder!
Peter von der Dachterrasse
Sah hinüber in den Garten.
Auf der Schale lag der Apfel,
Aus dem Apfel stieg ein Mädchen!

Wusch das Mädchen sich mit Wasser,


Kämmte sich die langen Haare!
Also schaute König David
Aphrodisisch die Bathseba!

Die geboren aus dem Apfel,


Nannte Peter theologisch
Neue Eva, dritten Himmels
Königin des Paradieses!

Dann verschwand die Neue Eva


Wieder in der Paradiesfrucht.
Peter aber voller Liebe
War fortan zur Neuen Eva.

In der ersten Morgenröte


Peter ging zur alten Anna:
Anna, höre meine Bitte,
Bitte gib du mir den Apfel!

Aber Anna sprach erschrocken:


Bei den Schmerzen meiner Wehen,
Wer ist würdig zu empfangen
Diese süße Paradiesfrucht?

Aber Peter bat mit Flehen


Und er bettelte so lange,
Bis ihm Anna gab den Apfel.
Peter brachte ihn nach Hause.

Peter schloß in seiner Zelle


Ein sich mit der Paradiesfrucht,
Schaute allezeit das Mädchen
Waschen sich, die Haare kämmen,

Ihre langen schwarzen Haare


Kämmen, die noch feucht vom Bade,
Legen an die Hauchgewande
Und den Muschel-Liebreizgürtel!

Wie ein Mystiker verschwiegen


Peter lebte in der Zelle
Nur mit seiner Paradiesfrau,
Mit des Apfels Neuer Eva.

Zu der Zeit sprach Dorothea,


Die sich Peters Mutter nannte,
Zu dem Freunde Mark: Mein Söhnchen
Will mich gar nicht mehr besuchen

Und nicht speisen mehr den Rotkohl


Und nicht mehr den Rinderbraten
Mit Kartoffeln, sondern einsam
Bleibt er nur in seiner Zelle.

Peter aber ward gerufen


In den schönen Süden Deutschlands
Und in Heidelberg im Schlosse
Er studiert die Minnehandschrift

Und studierte Ich und Nicht-Ich


Und die absolute Freiheit
Bei dem roten Wein des Südens
Aus dem Heidelberger Fasse.

Da kam aber Dorothea


Aus dem Norden zu der Wohnung
Peters, sprach zu Mark: Mein Söhnchen
Will, dass ich die Kammer putze.

Mark gab also ihr den Schlüssel.


Dorothea in der Zelle
Sah den Apfel auf der Schale.
Eifersüchtig auf den Apfel

Nahm den Dolch sie aus der Scheide


Und erstach die Paradiesfrucht!
Da verblutete der Apfel
Und voll Blut war Peters Kammer!

Dann zog Dorothea wieder


In den hohen Norden. Aber
Mark sah in der Kammer Peters
Nun die Frucht in ihrem Blute!

Mark rief: Wehe, weh dir, Lilith,


Du Dämonenbraut des Teufels!
Mark verließ die Wohnung eilig
Und er wanderte nach Hamburg.

Aber auf dem Wege schaute


Mark Sankt Gabriel, den Engel,
Sprach zu Mark der Engel Gottes:
Kehre um zu deinem Freunde,

Nimm mit dir den Balsam Gottes,


Mit dem Balsam heil den Apfel,
Wecke auf die Paradiesfrau,
Die der Herr bestimmt für Peter.
Mark kam wieder in die Wohnung,
Wo er sonst mit Peter lebte,
Er belebte nun den Apfel,
Gab der Neuen Eva Wasser.

Da kam aber Peter wieder


Von der Heidelberger Brücke
Und dem Neckar und er grüßte
Liebevoll die Neue Eva.

Sprach die Neue Eva lächelnd:


Dorothea wollt mich töten,
Mark gab mir das neue Leben,
Und nun bin ich reif zur Hochzeit!

Peter gingen auf die Augen:


Diese schöne Neue Eva
In der Frucht des Paradieses
War die Liebe Frau Maria!

FÜNFTER GESANG

Als in Oldenburg war Peter,


Liebte er drei schöne Frauen,
Freundinnen der Seele Peters,
Seine lieben Seelenschwestern.

Marianne war die erste,


War die älteste von dreien,
Katharina war die zweite,
Eva aber war die Jüngste.

Kamen in der Mittagsstunde


Drei gemeine grobe Kerle,
Nahmen sich die Seelenschwestern
Peters rasch zu Ehefrauen.

Kam ein Schweinehirte, stinkend,


Der nahm sich die Marianne,
Kam ein Jäger, mordbegierig,
Der nahm sich die Katharina,

Kam zuletzt ein Totengräber,


Der nahm sich die junge Eva.
Peters Seelenschwestern haben
Alle ihn sogleich verlassen.

Peter war allein in seiner


Oldenburger Zelle, betend
Schlief er ein und träumte: Selig,
Wen küsst die geheime Rose!

Rosa Mystica, dein Küssen


Ist berauschender als Rotwein!
Peter wachte auf und wollte
Küssen die geheime Rose.

Peter suchte allerorten


Der geheimen Rose Lippen,
Wanderte von Land zu Lande,
Kam nach Lourdes im schönen Frankreich.

Und in Lourdes an seiner Quelle


Sah er einen kleinen Knaben,
Sah ihn weinen, tat ihn trösten,
Rief der Knabe seine Mutter.

Seine Mutter Marianne


War, die Seelenschwester Peters,
Die begrüßte ihren Bruder
Froh mit großen Mondenaugen.

Auch ihr Schweinehirt inzwischen


War veredelt von der Liebe
Und der Schweinehirte schenkte
Peter goldne Schweineborsten.

Peter wanderte nach Russland


Und dort traf er Katharina,
Die ihn drückte an den Busen,
Weinte große Kullertränen.

Und ihr Jäger war inzwischen


Auch veredelt von der Liebe
Und der wilde Jäger schenkte
Peter goldne Vogelfedern.

Peter wanderte nach China


Und er traf die junge Eva,
Er war ganz entzückt von Eva,
Seiner Seelenschwestern Schönsten.

War dieweil der Totengräber


Auch veredelt von der Liebe
Und er schenkte Peter Knochen,
Goldenes Gebein von Toten.

Eva aber sprach zu Peter:


Rosa Mystica? Ich hörte
Schon von der geheimen Rose,
In Jerusalem ihr Schloß steht!

Willst du die geheime Rose


Einmal sehen, einmal küssen,
Wende dich an ihre Amme,
Santa Paula Margarethe!

Peter wallte Psalmen singend


Nach Jerusalem, begrüßte
Santa Paula Margarethe,
Der geheimen Rose Amme.

Peter fand der Amme Wohnung,


Santa Paula Margarethe
Nahm ihn auf wie einen eignen
Sohn, geborn auf ihrem Schoße.

Und der lieben Amme Wohnung


Gegenüber lag dem Schlosse,
Wo nun die geheime Rose
Früh auf dem Balkon erschienen.

O der transparente Körper


In kristallner Zauberseide!
O die süßen Rosenlippen!
Küssen will ich, küssen, küssen!

Peter wäre fast vor Wonne


Hingestürzt zur Mutter Erde,
Doch die liebe alte Amme
Hielt ihn fest mit Mutterarmen.

Die geheimnisvolle Rose


Will ich freien, sagte Peter.
Sprach die Amme: Du musst wissen,
Wer die Rose freien möchte,

Wird geprüft vom Vater König.


Oder scheints dir ein geringes,
Röschens Ehemann zu werden
Und ein Schwiegersohn des Königs?

Peter sprach: Ich möchte sterben,


Um die Rose zu gewinnen,
Für den Ehebund mit Röschen
Geb ich hin mein ganzes Leben!

Und die Amme sprach zu Peter:


Röschen liebt Musik, vor allem
Die Klaviermusik von Schubert,
Das romantische Piano.
Peter kaufte ein Piano,
Schenkte das Klavier dem König,
Peter aber sich versteckte
In dem Schoße des Piano.

Und der König Vater schenkte


Seiner Tochter das Piano,
In dem Schlafgemach der Rose
Tönte das Klavier im Mondschein.

Peter stieg aus dem Piano:


O geheimnisvolle Rose,
Rosa Mystica Maria,
Ich will küssen, sag ich, küssen!

Mit dem roten Mund Maria


Küsste Peter auf die Lippen!
Scharlachrote Schnur der Lippen,
Wie benetzt mit rotem Weine!

O die Wonne dieses Kusses!


Die Ekstase dieses Kusses!
Unaussprechlich weiß zu küssen
Unsre Liebe Frau Maria!

Sprach Maria leise lächelnd:


Freund, der Vater wird dich prüfen,
Er wird mich verbergen heimlich,
Du musst mich alleine finden.

In der siebenten, geheimen


Wohnung in dem Königsschlosse
Wird der Vater mich verbergen,
Doch ich helf dir, mich zu finden.

Trag dies Medaillon am Halse,


Dann wirst du mich sicher finden.
In der siebten Kammer aber
Wartet deine letzte Prüfung.

Sind dreihundert Königinnen,


Siebenhundert Konkubinen,
Schön wie Göttinnen des Himmels,
Lustvoll in dem Brautgemache!

Königinnen, Konkubinen
Sollst du schaun, doch widerstehen!
Und erwählen dir die Eine,
Deine Feine, deine Reine!

Wirst du unter all den Frauen


Auch die Liebe Frau erkennen?
Küss das Medaillon am Halse,
Dann will ich mich offenbaren.

Sprach die Liebe Frau Maria,


So geschah es, wie sie sagte,
Peter die geheime Rose
Fand, erwählte und erkannte!

Nun der Vater König prüfte


Peter: War gefüllt ein Zimmer
Bis zum obern Rand mit Früchten:
Iß sie auf an Einem Tage!

Peter nahm die Schweineborsten


Von dem Manne Mariannes,
Warf sie in das volle Zimmer,
Schweine fraßen auf die Früchte.

Nun der Vater König prüfte


Peter: Schläfre die Verlobte
Ein mit einem süßen Singsang,
Daß sie früh am Abend einschläft!

Peter nahm die Vogelfedern


Von dem Manne Katharinas,
Warf sie in die Lüfte, Vögel
Sangen süß ein Wiegenliedchen!

Nun der Vater König prüfte


Peter: Soll ein kleiner Knabe
Über Nacht fünf Jahre alt sein,
Peters und Mariens Kindlein!

Peter nahm den Totenknochen


Von dem Mann der schönen Eva,
Wurde draus ein kleiner Knabe,
War fünf Jahre alt der Knabe.

Sprach der Knabe zu Maria:


Meine liebe Himmelsmutter!
Sprach das liebe Kind zu Peter:
O mein vielgeliebter Pate!

Peter legte zu Maria


Zärtlich sich aufs Ehelager,
Zärtlich streichelnd ihren Rücken,
Zärtlich streichelnd ihre Hüfte.

AVE MARIA!

*
DIE PRINZESSIN VON ZYPERN

War einmal ein deutscher König


In dem Königreich der Friesen,
Ulrich war des Königs Name,
Seine Königin hieß Frauke.

Aber krank ward seine Frauke


Und die weisen Ärzte sprachen,
Beste Medizin für Frauke
Seien Apfelbaumes Äpfel.

Vor dem Fenster seines Schlosses


Wuchsen immer im September
In dem schönen Schlosspark Äpfel,
Mondenrund mit roten Wangen.

König Ulrich ließ bewachen


Diesen Apfelbaum im Garten,
Ließ die Äpfel alle zählen,
Kaum dass sie so groß wie Kiesel.

Einmal in dem Mond September,


Da die Äpfel prächtig reiften,
Wachte nachts der König Ulrich
Auf von lautem Flügelrauschen.

Sah er in dem Apfelbaume


Sitzen eine goldne Taube
Und der goldnen Taube Nacken
War von bunten Edelsteinen.

Eben als die goldne Taube


König Ulrich sah im Nachthemd,
Nahm sie sich vom Apfelbaume
Einen Apfel, flog vondannen.

Wozu hab ich denn den Gärtner?


Rief voll Zorn der König Ulrich,
Soll der Gärtner doch bewachen
Fraukes Apfelbaum im Garten.

Schlafen konnte König Ulrich


Diese Nacht nicht mehr im Bette
Und am Morgen in der Frühe
Rief er Eberhard, den Gärtner.

Majestät, o Hoheit Ulrich,


Habt Erbarmen, habt Erbarmen,
Wird kein Apfel mehr gestohlen,
Dafür sorgen meine Söhne.

Meine Söhne sind Joachim,


Stephanus und Peter Torstein,
Sind die besten Bogenschützen
In dem ganzen freien Friesland.

Immer nachts beim Apfelbaume


Werden meine Söhne wachen
Und bewachen Fraukes Äpfel,
Ihrer Herrin Fraukes Äpfel.

Als die Nacht hereingebrochen,


Zog Joachim auf die Wache,
Aber zu der zwölften Stunde
Kam heran die goldne Taube.

König Ulrich hörte Rauschen


Von den goldnen Taubenflügeln,
Sah, Joachim schlief im Garten
Und ein Apfel ward gestohlen.

Voller Zorn war König Ulrich,


Eberhard ward ausgescholten
Und Joachim ward getadelt,
Dann ging König Ulrich schlafen.

In der nächsten Nacht bewachte


Stephanus mit Pfeil und Bogen
Fraukes Äpfel in dem Garten,
Doch auch er versagte schmählich.

Nun sprach aber König Ulrich:


Holt mir her den Peter Torstein,
Daß er seiner Herrin Frauke
Äpfel hüte in dem Garten.

Aber Eberhard der Gärtner


Sprach zu seinem König Ulrich:
Peter Torstein ist ein Träumer,
Taugenichts und Grillenfänger!

Aber König Ulrich sagte:


Peter Torstein ist sehr freundlich,
Immer mild zu allen Leuten,
Ehrerbietig zu den Damen.

Peter Torstein also wachte


Nachts in Fraukes Apfelgarten.
O die Äpfel an dem Baume
Herrlich sind wie Fraukes Brüste!
Eben schlug die Kirchturmglocke
Mitternacht, da kam die Taube,
Rauschte in des Baumes Krone,
Peter Torstein schoß den Pfeil ab.

O das Rauschen dieses Pfeiles


War so laut, dass man es hörte
Auf dem ganzen langen Wege
Gar von Berum bis nach Hage.

Und der Pfeil fiel auf den Boden


Hin mit einer goldnen Feder.
Fortgeflattert war die Taube,
Blieb zurück die goldne Feder.

Diese goldne Taubenfeder


War von reinem Gold, geläutert
Und purgiert im Feuerofen,
Doch so schwer wie Blei der Schwermut.

In der nächsten Nacht im Garten


Wachte wieder Peter Torstein,
Doch es nahte keine Taube,
Keine Taube sieben Nächte.

Sprach der milde Friesenkönig:


Peter Torstein, treuer Diener,
Schlaf dich richtig aus und schlafe
Ruhig bis in alle Puppen.

Peter Torstein schlief ein wenig,


Da sprach Friesenkönig Ulrich:
Wer mir bringt die goldne Taube,
Soll ein Friesenhäuptling werden.

Also Eberhards Joachim


Wanderte davon, zu holen
Seinem Herrn die goldne Taube.
Eingebildet war Joachim.

Kam Joachim in dem Walde


Auf dem Weg an eine Buche,
Die da hatte rote Blätter,
Saß ein Fuchs beim Buchenstamme.

Da Joachim eben speiste


Fladenbrot und Hammelkeule,
Sprach der Fuchs: Gegrüßet seist du,
Gibst du etwas einem Bettler?

Sprach Joachim: Scher dich, Satan,


Satan lehrte dich das Betteln!
Und Joachim mit dem Pfeile
Schoß den Fuchs, doch schoß daneben.

Sprach der Fuchs mit weisem Lächeln:


Gott zum Gruß, dir sei vergeben!
Einen Rat will ich dir geben,
Bist du klug, wirst du ihm folgen.

Dort in jener Stadt, da findest


Eine Schenke du, da trinken
Trinker, spielen Kartenspieler
Und die leichten Dirnen tanzen.

Doch daneben ist ein Häuschen,


Wohnt ein Zimmermann darinnen
Mit der wunderschönen Gattin
Und dem liebevollsten Kindlein.

Meide du die wüste Schenke,


Trank und Tanz und Kartenspiele,
Kehre ein beim Zimmermanne
Und der Mutter mit dem Kinde.

Doch Joachim war so eitel,


Folgte nicht dem Rat des Fuchses,
Zechte mit den wüsten Zechern,
Hurte mit den leichten Mädchen.

Sieben Tage später aber


Stephanus begann zu wandern,
Ebenso ergings dem zweiten
Narren wie dem ersten Narren.

Wieder sieben Tage später


Peter Torstein in dem Walde
Bei dem Baum mit roten Blättern
Traf den Fuchs im dunklen Walde.

Peter Torstein eben speiste


Von dem Weißbrot, trank den Rotwein,
Von der Wurst gab er dem Fuchse,
Folgte dann dem Rat des Fuchses,

Hielt sich fern von Kartenspielen


Und vom hemmungslosen Trinken
Und von Unzucht mit den Dirnen,
Kehrte ein im frommen Hause,

Speise eine leckre Mahlzeit


In dem Haus des Zimmermannes,
Das Holdseligste der Weiber
Machte ihm zurecht das Lager

Und das liebe kleine Kindlein


Schlief im Bett bei Peter Torstein.
In der nächsten Morgenröte
Zog er fromm gesegnet weiter.

Wieder auf dem Wanderwege


Traf er auf den Fuchs, der sagte:
Wo willst du die Taube finden?
Rechten Pfad will ich dir weisen.

Möchtest du die goldne Taube


Finden, reise du nach Frankreich,
Nach Paris zum Kaiser Ludwig,
Denn dort wohnt die goldne Taube.

Aber Peter Torstein sagte:


Ach von Friesland ganz nach Frankreich
Wandre ich wohl sieben Tage,
Das ist eine weite Strecke.

Sprach der Fuchs zu Peter Torstein,


Lächelnd wie Odysseus listig:
Darfst auf meinen Schwanz dich setzen,
Meinen Schwanz nimm du als Sattel.

Auf den Schwanz soll ich mich setzen,


Deinen Schwanz als Sattel nehmen?
Fragte Peter Torstein, tat so,
Und im Flug ging es nach Frankreich.

Rascher als der Sturm der Nordsee


Kamen nach Paris die beiden,
Blieben erst in einem Walde
Vorm Pariser Kaiserschlosse.

Und der Fuchs gab gute Weisung,


Welcher Weise Peter Torstein
Holen kann die goldne Taube
Aus dem Schloß des Kaisers Ludwig.

Peter Torstein trat alleine


In das goldne Schloß des Kaisers.
Vierundzwanzig Wachen wachten
In dem ersten goldnen Saale.

Zwölf Soldaten wachten aber


In dem zweiten goldnen Saale.
In dem innersten Gemache
Aber wachte keine Wache.
In dem innersten Gemache
War ein Tisch, drei goldne Äpfel
Auf dem Tisch, ein goldner Käfig,
Ein Holzkäfig mit der Taube.

Aber Peter Torstein dachte:


Diese schöne goldne Taube
Leben soll im goldnen Käfig!
Da schrie auf die goldne Taube.

Durch den Ruf der goldnen Taube


Eilten nun herbei die Wächter,
Erst die zwölf, dann vierundzwanzig,
Schließlich ganze Heeresscharen.

Und des Kaisers Ludwig Wachen


Nahmen ihn gefangen, führten
Ihn gefangen vor den Kaiser,
Vor den frommen Kaiser Ludwig.

Sprach der fromme Kaiser Ludwig:


O mon Pierre! Willst du die Taube,
Hole mir die schwarze Stute
Von dem König von Marocco!

Peter Torstein schlich vondannen,


Ganz verzagt kam er zum Fuchse.
Sprach der Fuchs zu Peter Torstein:
Nimm du meinen Schwanz als Sattel.

Also auf dem Schwanz des Fuchses


Peter Torstein wie ein Adler
Flog ins Königreich Marocco
Zu dem milden König Hassan.

Und sie blieben in der Wüste


Nah dem Schloss des Königs Hassan.
Gab der Fuchs noch gute Weisung
Seinem Schützling Peter Torstein:

Findest du die schwarze Stute,


Darf sie in dem Pferdestalle
Nichts berühren als die Erde,
So nur kannst du sie entführen.

Peter Torstein also schlich sich


Heimlich in die Pferdeställe.
Frauen, die die Hengste striegeln,
Waren sämtlich eingeschlafen.

Aber nicht die schwarze Stute!


Schwarze Mähne, schwarze Flanken,
Sie trug einen Ledersattel,
Nahe hing ein goldner Sattel.

Dachte Peter Torstein aber:


Auf der schwarzen Stute Rücken
Schöner wär der goldne Sattel!
Da schrie auf die schwarze Stute.

König Hassans Leibgardisten


Nahmen ihn gefangen, führten
Ihn gefangen vor den König,
Vor den milden König Hassan.

König Hassan nun, der schwarze


Mohrenkönig der Muslime,
Aller Afrikaner König,
Sagte so zu Peter Torstein:

Du verdienst die Todesstrafe,


Aber bei Allahs Erbarmen,
Ich geb dir die schwarze Stute
Für die Königin von Zypern!

Diese zyprische Prinzessin


Mit den rötlichblonden Locken
Und dem hochgebenedeiten
Lilienweißen schlanken Körper,

Diese sollst du mir entführen.


Dann darfst du die schwarze Stute
Reiten, wie du es begehrtest,
Sporen in die Flanken jagen!

Peter Torstein schlich vondannen,


Ganz verzagt in seiner Seele,
Kam voll Kleinmut zu dem Fuchse,
Gab der Fuchs ihm gute Weisung.

Sprach der Fuchs zu Peter Torstein:


Sollst auf meinem Schwanze reiten,
Dir mein Schwanz als Sattel diene,
Fliegen wir zur Insel Zypern.

Kamen sie am Strand von Zypern


An um Mitternacht am Meere,
So behend wie der Gedanke,
So behende wie das Denken.

An dem Strand von Paphos-Ktima


Stand im Meer der Fels der Römer.
Petra war der Fels geheißen.
Dort wohnt wie Prinzessin Zyperns.
Peter Torstein schlich ins Schößchen,
Alle Wächter schliefen, träumten,
Also in dem Schlafgemache
Sah er die Prinzessin Charis!

O wie schön Prinzessin Charis!


Wenn sie lächelt, ist sie Venus,
Wenn sie wandelt, ist sie Juno,
Wenn sie spricht, ist sie Minerva!

O wie schön Prinzessin Charis


In dem langen goldnen Schlafrock,
In dem weißen Himmelsbette,
Wie Maria fuhr gen Himmel!

Peter Torstein schaute Charis,


Amor traf ihn mit dem Pfeile,
An des Pfeiles Spitze Honig,
Brannt der Pfeil in seinem Herzen!

Wars der kleine Knabe Amor


Oder wars der Jüngling Eros,
Der die Feuerfackel schüttelt,
Mit dem Pfeil das Herz durchbohrte?

Peter Torstein nahm das Händchen


Seiner lilienweißen Dame
Und der Schläferin im Bette
Küsste er das weiße Händchen.

Schlug sie auf die schönen Augen,


Hob sie auf die langen Wimpern,
Strahlte aus den blauen Augen:
Mandelaugen! Venussterne!

Fragte sie: Was willst du, Sklave?


Da erzählte er das Märchen
Seines Lebens immer wieder,
Bis sie seinen Geist erkannte.

Willst du mich dem Mohrenkönig


Von Marocco denn vermählen?
Soll ich seines Harems Huri
Werden, willst du das? sprach Charis.

Aber Peter Torstein sagte:


Nein, den König der Muslime
Überwinde ich durch Liebe,
Ich will selbst zur Frau dich haben!

Wenn ich dich zur Frau bekomme,


Bin ich alle Tage glücklich,
Lebe schon auf dieser Erde
Wie im Paradiese Gottes!

Charis sagte: Eh wir eilen,


Muß ich aber Abschied nehmen
Von dem Vater, der mich zeugte,
Der schon alt und lebensmüde.

Peter Torstein aber sagte:


Nimm nicht Abschied von dem Vater,
Sondern eil mit mir vonhinnen
Als mir anverlobte Freundin!

Aber Charis, lieblich lächelnd,


Sprach zu Peter Torstein also:
Ehre du auch meinen Zeuger,
Bitte um des Vaters Segen!

Charis küsste ihren Vater,


Wachte auf vom Schlaf der Vater,
Schaute Peter Torstein, brüllte,
Peter Torstein ward gefangen!

Sprach der Vater zu dem Freier:


Willst du meine Tochter freien,
Mußt du auch dem Vater dienen
Als ein Held und starker Kämpfer.

Schau, vor meinem Schlosse lagert


Eine Schlange mit neun Köpfen,
Schlägt man einen Kopf der Schlange,
Wachsen nach zwei Schlangenköpfe.

Du besiege diese Schlange,


Dann erlangst du meine Tochter.
Peter Torstein nahm ein Schwert sich,
Kämpfte gegen jene Schlange.

Schlug er einen Kopf der Schlange,


Wuchsen nach zwei Schlangenköpfe.
Abends von dem Kampf ermüdet,
Lag er müde bei dem Fuchse.

Gab der Fuchs ihm gute Weisung:


Morgen in der Morgenröte
Binde an den Schwanz des Fuchses
Eine Fackel, Peter Torstein.

Also in der Morgenröte


Peter Torstein mit dem Schwerte
Schlug den Schädel ab der Schlange,
Doch bevor gewachsen waren

Wiederum zwei Schlangenköpfe,


Kam der Fuchs mit seinem Schwanze,
Mit der Fackel er verbrannte
Jene Schlange, die verwundet.

Sprach der Vater nun zu Charis:


Ziehe hin mit Peter Torstein.
Nehmt die Pferde und die Kutsche,
Ziehet hin mit Gold und Silber.

Aber Peter Torstein sagte:


Nein, o Vater, sondern lieber
Möchte ich mit Herrin Charis
Reiten auf dem Schwanz des Fuchses!

Und am Abend saßen alle


Bei dem König von Marocco
In dem Afrikanerlande
Beim gebratnen Hirn vom Affen.

Sprach der König von Marocco:


Danke schön für die Prinzessin!
Nimm als Dankeschön des Königs
In Empfang die schwarze Stute!

Peter Torstein sprach zum König:


Laß mich bitte der Prinzessin
Einmal noch die Hände drücken,
Abschied nehmen von der Schönen.

Sprachs, griff der Prinzessin Hände,


Riß sie auf die schwarze Stute,
Eilig ritten sie vondannen,
Peter Torstein ritt mit Charis.

Kamen sie zu Frankreichs Kaiser,


Ludwig sprach zu Peter Torstein:
Danke für die schwarze Stute!
Nun empfang die goldne Taube!

Peter Torstein sprach zu Ludwig:


Laß mich von der schwarzen Stute
Abschied nehmen, zärtlich streicheln
Ihren Hals und feuchten Rücken!

Sprachs und schwang sich in den Sattel


Mit der zyprischen Prinzessin,
Rasch ritt er die schwarze Stute,
In dem Arm die goldne Taube!
Sprach Prinzessin Charis lächelnd:
Schau, wir zwei sind Adler Gottes,
Schauend in die Sonne Gottes,
Schwebend an dem Himmel Gottes!

Peter Torstein sprach zu Charis:


Du versprichst den Garten Eden,
Das ist deine Gnade, Herrin,
Hinweis bist du auf die Gottheit!

Auf dem Heimweg sie erlösten


Auch die zwei versoffnen Brüder.
Hob der Fuchs nun seine Stimme:
Schlagt mir meinen Schwanz vom Leibe!

Peter Torstein schlug dem Fuchse


Ab den Schwanz von seinem Leibe.
Schau, da stand vor ihm sein Engel
Mahanajim von dem Jabbok!

Friesenkönig Ulrich aber


Nun bekam die goldne Taube.
Frauke, Königin von Friesland,
Ward gesund vom süßen Apfel.

Peter Torstein nun mit Charis


Reiste auf die Insel Zypern,
Hochzeit feiernd auf dem Gipfel
Des Olymp im Jungfraunkloster!

Bei dem Gürtel Sankt Mariens


Schworen sie sich ewig Treue!
Und der Papst gab seinen Segen
Und sie lebten wie im Himmel!

TOM DER REIMER

Tom der Reimer war ein Dichter,


Manche nannten ihn den Seher,
Konnt er doch Gedanken lesen
Und die Zukunft prophezeien.

Kleine Knaben hörten gerne


Toms des Reimers Wundersagen,
Sagten, seines Wortes Gabe
Habe er von schönen Elfen.
Nämlich eines Tages lag er
In der grünen Wiese träumend,
Schaute der Zitronenfalter
Hochzeitstänze in den Lüften.

Da kam eine schöne Dame


An auf einem weißen Pferde,
Hoheitvoll wie Sankt Maria,
Herrlich wie die Jungfrau Gottes!

Auch wie Artemis, die Göttin


Der Jungfräulichkeit, die Dame,
Um die Schulter ihren Bogen,
An der Hüfte Pfeil und Köcher.

Artemis, du keusche Göttin,


Sang die Hymne Tom der Reimer,
Gib du deinem edlen Hirsche
Eine kurze Zeit zum Atmen!

Tom der Reimer fiel aufs Antlitz


Vor der makellosen Dame,
Huldigte der Göttin-Herrin
Sklavisch als ein Minne-Freier.

Doch die hohe Herrin Jungfrau


Sich verbat die Huldigungen!
Willst du dienen mir, so sprach sie
Zornig, diene mir als Sklave!

Schon in Tom dem Reimer glühte


Unbefriedigte Begierde
Und so wurde er zum Sklaven
Dieser makellosen Jungfrau.

Und sie sprach zu ihm: Nimm Abschied


Von den Feldern und den Wäldern,
Abschied von den kleinen Knaben,
Abschied nimm von deiner Wohnung.

Und er folgte als ihr Sklave


Seiner hohen Göttin-Herrin.
Da verwandelte die Jungfrau
Sich in eine graue Greisin!

Silberlocken auf dem Haupte,


Runzelfalten in dem Antlitz,
Eine Brille auf der Nase,
Strickzeug in den Zitterhänden!

Und es ging in eine Höhle,


Wo drei Tage und drei Nächte
Waren sie im Schoß der Erde
Wie im Bauche eines Wales.

Und sie hörten Ozeane


Branden, Wogenbrausen brüllen,
Donner hörten sie wie Pauken,
Blitze sahen sie wie Waffen.

Und sie sahen Ströme Blutes


Strömen von den Totenleichen
Und die roten Tropfen Blutes
Hörten sie gen Himmel schreien.

Schließlich in das Licht des Tages


Kehrten sie zurück und fanden
Sich im grünen Garten Eden,
In dem Paradies der Erde.

Und die hohe Göttin-Herrin


War nun wieder makellose
Jungfrau, etwa siebzehnjährig
Oder vierundzwanzigjährig.

Und sie lagen auf der Wiese


In dem grünen Garten Eden
Wie in einem Himmelsbette
Auf dem Schaum der Wolkenkissen.

Tom der Reimer sanft liebkoste


Zart die Königin der Elfen,
Streichelte den nackten Rücken
Von der Schulter zu den Hüften.

Dann erhob sie sich vom Bette


Grünen Grases in dem Garten
Eden, sprach im Paradiese
Leise zu dem Tiefbeglückten:

Halte das Geheimnis teuer,


Wahre du der Mystik Schweigen,
Plaudre deiner Göttin Gnade
Aus nicht vor den hohlen Narren!

Tom der Reimer aber schaute


In dem Paradiesesgarten
Apfelbäume an mit Äpfeln,
Die wollüstig anzuschauen.

Wollte er die Früchte pflücken


Von den Apfelbäumen Edens:
Herrin, alle diese Äpfel
Preisen deine Apfelbrüste!
Doch die hohe Göttin-Herrin
Sagte voll Erkenntnis weise:
Pflück vom Baume nicht den Apfel,
Solches hat der Herr verboten.

Sinds doch Bäume der Erkenntnis


Mit von Gott verbotnen Früchten.
Eva sündigte hier weiland,
Adam sündigte mit Eva.

So erhob sich Tom der Reimer,


Sah zu seiner Göttin-Herrin,
Gingen sie ein Stück des Weges,
Kamen sie zu einem Kreuzweg.

Schaue hier die rechte Straße


Zu dem Paradies des Himmels,
Die die Heiligen der Kirche
Gradeaus zu Gott gewandelt.

Sind sie nun im Himmel Gottes


In Unsterblichkeit der Seele,
Freuen sich glückselig ewig
Auf des Fleisches Auferstehung.

Schaue hier die Mittelstraße


Aufwärts in das Fegefeuer.
Arme Seelen, zwar gerettet,
Leiden sie doch Schmerz der Buße.

Die Gebete ihrer Lieben


Und der Kirche Seelenmessen
Werden sie alsbald befreien
In das Paradies des Himmels.

Aber ach! die linke Straße


Führt hinunter in die Hölle,
Zu der ewigen Verdammnis
Aller toten Söhne Satans.

Heulend dort und zähneklappernd


Quälen dort sich die Verdammten,
Die die Liebe Gottes hassen,
Die auf Erden Jesus hassten!

Tom erschrocken sah zur Herrin,


Als er in die Hölle schaute.
Hatte er doch sonst die Hoffnung
Auf der Welten Allversöhnung.

Aber seine milde Herrin


Mit dem schönsten Mädchenlächeln
Wies den vierten Weg am Kreuzweg:
Dieser führt zur Welt der Elfen.

Geh mit mir den Weg der Elfen!


Schau, die Königin der Elfen
Bin ich, du bist mein Geliebter,
Komm und schaue, wo ich wohne.

Und die Königin der Elfen


Führte ihn zum Märchenschlosse
In der Elfen Zaubergarten,
Jenseits sie von Gut und Böse.

O du Königin der Elfen,


Wie doch nach der Nacht des Todes
Du begrüßt mich mit dem schönsten
Lächeln, zauberhaftem Lächeln!

In den Tod geht man ja einsam,


Einsam stirbt das Herz an Schmerzen,
Schmerzlich ist das Herz verblutet
In der bittern Nacht des Todes!

Aber in der Morgenröte


Lächelt über Tom dem Reimer
Süß die Königin der Elfen,
Göttin, die das Lächeln lieb hat!

Die Dämonen unsres Elends


Plagen alle unsre Mühen,
Doch die Himmlischen voll Güte
Mögen voller Gnade lächeln.

Lächelnliebende Prinzessin,
Wie der Mona Lisa Lächeln
Ist das zauberhafte Lächeln
Dieser Königin der Elfen.

O das Lächeln Sankt Mariens!


Unaussprechlich süßes Lächeln!
O das Lächeln der Madonna,
Wie charmant Madonna lächelt!

Und die Königin der Elfen


Führte Tom den Reimer lächelnd
In die Küche ihres Schlosses,
Reichte ihm die beste Speise,

Die sie selber zubereitet


Und es schmeckte diese Speise
Wie die Königin der Elfen,
Appetitlich wie die Liebe!

Tom der Reimer sah im Brote


In geheimnisvoller Weise
Gegenwärtig seine Herrin,
Diese makellose Göttin.

Nach dem Mahl begannen Mädchen


Voller Liebreiz mit dem Bauchtanz,
Zymbeln schwangen, Flöten bliesen,
Mädchen schaukelten die Becken.

Diese Paradiesesmädchen,
Fleischgewordne Männerträume,
Waren alles Ideale,
Die im Tanze sich bewegten.

Doch der Gipfel aller Wonne


War die Königin der Elfen
Selber, sie war die Verheißung
Der Glückseligkeit der Seele.

Ja, die Königin der Elfen


War im Paradiesesleibe
Mit dem süßen Himmelsherzen
Wie ein ewiges Versprechen.

Dieser weiße Elfenkörper


Im gehauchten Elfenkleidchen
War Verkörperung des Himmels,
War ein Paradies auf Erden.

Tom der Reimer ward begnadet,


Ihren Körper zu betrachten,
Ihre Brüste zu bewundern,
Ihre Hüften zu umschlingen!

Himmlisch in dem Himmelsbette


Lag er über seiner Göttin,
Streichelte die nackte Göttin,
Spürte Paradieses Wollust!

Da erhob die nackte Göttin


Aus dem Schaum sich ihres Bettes,
Lächelte mit süßen Lippen,
Mit den süßesten der Lippen:

Sag, wie lange warst du bei mir?


Sieben Tage, sprach der Freier.
Sieben Jahre, sprach die Dame,
Aber heute musst du scheiden.
Kehr zurück in deine Wohnung,
Diene Gott als Dichter-Seher.
Weil sich unsre Zungen küssten,
Singst du nun in Engelszungen!

Also Tom der Reimer kehrte


Wieder in die Menschen-Heimat.
Was er kündete prophetisch,
Das ereignete sich wirklich.

Lange lebte er als Seher,


Diente als Prophet des Höchsten,
Gottes Worte voller Wahrheit
Sprach er aus in reinen Reimen.

Aber eines Tages nahte


Eine Hirschkuh seiner Wohnung,
Ohne Scheu die Hirschkuh nahte
Tom dem Reimer früh am Morgen.

Tom der Reimer sah die Hirschkuh,


Da erkannte er das Zeichen,
Und der keuschen Hirschkuh folgend
Er verschwand im dunklen Walde.

Er verschwand im dunklen Walde,


Ward fortan nicht mehr gesehen.
Aber seine Lieder sangen
Kinder noch und Kindeskinder.

DER KÖNIG DER AFFEN

Nichtigkeit, das war des Affen Name,


Welcher mit den andern Affen spielte,
Alle ganz anarchisch miteinander,
Orang-Utan, Pavian, Schimpanse.
Ja, wir wollen einen Affenkönig!
Affenkönig aber soll uns werden,
Wer begeht die Regenbogenbrücke
Und durchdringt den Wasserfall des Schleiers
In die Grotte mit der Blauen Blume.
Also Nichtigkeit, der heitre Affe,
Tanzte auf der Regenbogenbrücke
Lachend, singend, mit den Armen wedelnd,
Drang dann durch den Wasserfall des Schleiers
Ohne sich das dunkle Fell zu netzen,
Hüpfte lustig in der dunklen Grotte
Und betrachtete die Blaue Blume
Und erkannte in der Blauen Blume
Lächelnd sie, die Mutter des Erbarmens,
Unsre Himmelskönigin Maria.
So nun trat er wieder zu den Affen.
Heil dir, Nichtigkeit, der Affen König!

Michael und Gabriel, die Engel,


Jener mit dem Schwert, der mit der Lilie,
Nahten Nichtigkeit, dem Affenkönig.
Was ist dein Begehr vom Herrn des Himmels,
Was erbittest du von Jesus Christus?
Möchte wohl im Paradies spazieren
Unter Heiligen und klugen Jungfraun
Und die Lebensfrucht vom Lebensbaume
Speisen in der Kommunion des Himmels
Und betrinken mich mit alten Weinen
Auf dem Hochzeitsfest im Himmelreiche.
Michael und Gabriel, die Engel,
Zungenredeten in Engelszunge,
Beteten zum Herrn im dritten Himmel.

Schau, Frau Venus auf dem Abendsterne


Ist geschwebt herab zum Affenkönig.
Sanft um Nichtigkeit ein süßes Säuseln
Und ein holder Hauch blies in den Schleier,
Zart gewoben aus des Äthers Seide,
Purpurrot. Frau Venus warf den Schleier
Über Nichtigkeit, den Affenkönig.
Schau, er schwebte auf dem Abendsterne
Sphäre über Sphäre in den Himmel.
Dort im Süden war die Himmelspforte.
Pförtner war der Papst mit seinem Schlüssel.
Aber dieser Papst war ein Verehrer
Universellen Allerbarmens Gottes.

Als der Papst Johannes Paul der Große


Einließ Nichtigkeit, den Affenkönig,
Wandelte Frau Venus sich und wurde
Ganz zum Morgenstern des Paradieses,
Garten Edens auf dem Morgensterne,
Ganz zur Himmelssphäre aller Minner,
So wie Goethe sie geschaut und Dante.
Aber Nichtigkeit, der Affenkönig,
Wandelte allein im Garten Eden
Einsam an dem schönen Nachmittage.
Schau, zwei Heilige sind da gewandelt
Leise singend durch den Garten Eden,
Beide trugen leuchtend weißes Linnen,
Aber nackend waren ihre Füße.
Salve, Selige! Sagt eure Namen!
Ich, ich bin Johannes von dem Kreuze,
Meine Seele ist die Sulamithin,
Die den Christus-Salomo gefreit hat!
Ich die Magdeburger Mechthild heiße
Und ich schrie in heißer Gier der Liebe,
Nackte Seele in der Glut der Minne,
Jesus liebe oft mich, lang und heftig!
Und wohin des Weges nun, ihr Geister?
Schau, die Herrin auf dem Venussterne
Ist Maria Magdalena, Fürstin
Aller Liebenden im Himmelreiche.
Unsre Liebesfürstin Magdalena
Lädt die Minner Christi ein zur Feier
Des Agapemahls im Paradiese,
Sprachen sie und wallten selig weiter.

Nichtigkeit, der Affenkönig, eilte


Eilig in den Magdalenengarten,
Der entgegenschwieg dem Abenddämmer.
Aber in den alten Apfelbäumen
Mit den köstlich süßesten der Äpfel
Saßen Seelen abgetriebner Kinder,
Putti-Engelein mit Falterflügeln,
Naschten von der Süßigkeit der Früchte,
Tranken Apfelsaft, mit Tau gemischten,
Sangen leis vom süßen Paradiese
Ihre ewiglichen Wiegenlieder.
Nichtigkeit sah unter einem Baume
Große Tonnen stehn mit altem Weine,
War der gute Hochzeitswein von Kana,
Besser als Bordeaux, den Mayer liebte.
Nichtigkeit rasch leerte alle Tonnen,
Tonne über Tonne niederstürzend
In den gierig aufgerissnen Rachen.
Taumelnd so vom Wein des Paradieses,
Torkelte der Affenkönig trunken
Durch das Paradies zu einer Hütte,
Eremitenhütte Jakob Böhmes.
Teller waren dort von Zinn und Kolben
Mit Homunculi und mit Alraunen.
Aber was zumeist den Affenkönig
Faszinierte, war die Wunderspeise,
Speise der Unsterblichkeit, Oblaten
Oder Hostien ewiglichen Lebens.
Eine große Schale voller Hostien
Speiste Nichtigkeit, der Affenkönig,
In dem sophianischen Labore
Jakob Böhmes in dem Garten Eden.
Wahrlich, nun war Nichtigkeit unsterblich!
Aber da erschien ihm Magdalena,
Jüngerin Sophias in der Gnosis,
Mit dem treuen Freunde Jakob Böhme,
Und sie beide jagten heilig-zornig
Nichtigkeit aus ihrem Paradiese!

Nichtigkeit nun stürzte in die Hölle!


Und er trat vor Satanas und Lilith,
Königin und König in der Hölle.
Und er sprach zum Fürst der Finsternisse
Gebt mir meine Brüder frei, die Affen,
Und die Schwestern auch, die Affenmütter!
Siehe, Satanas und Lilith bebten
Voller Angst und Furcht vorm Affenkönig
Nichtigkeit: Er war noch voll von Hostien!
Zitternd reichten Satanas und Lilith
Nichtigkeit das Buch der Todgeweihten.
Und mit einem raschen Pinselstriche
Strich der Affenkönig aller Affen
Aller Brüder, aller Schwestern Namen
Aus dem Buch des Todes in der Hölle.
Satan aber, der Verkläger, fluchte
Zornig Lästerung zum Herrn des Himmels
Und beschwor bei dem gerechten Zorne
Gottes Christus, Nichtigkeit zu reißen
Aus der Hölle Satanas' und Liliths,
Denn es sei an ihm Geruch von Eden
Und Geschmack des Paradiesesmannas.
Und die Todesengel Gottes rissen
Nichtigkeit heraus aus finstrer Hölle,
Warfen den Erschöpften auf die Erde,
Wo er erst mal schlief für sieben Stunden.
7

Nichtigkeit nun stiftete auf Erden


Eine Monarchie der Affenkinder.
Nichtigkeit war Kaiser aller Äffchen,
Landesvater aller Affenkinder.
Vater, Vater, gib uns mehr Bananen,
Denn es fehlt den Kindern an Bananen,
Machen doch allein Bananen glücklich,
Aber unfruchtbar sind alle Stauden!
Riefen seine kleinen Äffchen also,
Nun, lieb Kinderlein, ich geb euch Zucker,
Weiß doch, kleine Äffchen naschen gerne!
Also, fehlts dem Volke an Bananen,
Öffne ich die Zuckerspeicher allen!

Aber von dem Himmel kam Sankt Georg,


Lichter Ritter, reitend auf dem Schimmel,
Sollte Nichtigkeit, den Affenkönig,
Wieder bringen in den Garten Eden.
Aber Nichtigkeit, der Affenkönig,
Hing an der Geliebten, Mutter Erde,
Wie an einem lieben Eheweibe,
Ist das Weib auch eine arme Närrin,
Hat sie doch so schöne große Brüste!
Vor Sankt Georg floh der Affenkönig,
Nahm Gestalt an einer weisen Schlange,
Nahm Gestalt an einer frommen Taube,
Nahm Gestalt an eines klugen Fuchses,
Nahm Gestalt an eines edlen Hirschen,
Nahm Gestalt an eines zarten Falters,
Nahm Gestalt an eines blinden Maulwurfs
Und verkroch sich in der Mutter Erde.
Doch Sankt Georg war ein guter Bauer,
Nahm in Ritterhände seinen Spaten,
Grub den Affenkönig aus der Erde,
Setzte Nichtigkeit auf seinen Schimmel,
Flog mit seinem Flügelross gen Himmel.

Frau Maria ließ vom dritten Himmel,


Von dem Himmel aller Himmel nieder
Ihre Perlenschnur des Rosenkranzes,
Fesselte damit den Affenkönig,
So wie eine irdische Geliebte
Den Geliebten fesselt mit der Haarflut,
Zog den Affenkönig in den Himmel
Aller Himmel, Christi Empyreum,
Wo Maria Herrin war des Himmels
Aller Himmel, Empyreums Herrin!

10

Also Nichtigkeit, der Affenkönig,


Trat zum Jade-Thronstuhl Jesu Christi,
Sei gebenedeit, o Jesus Christus!
Jesus Christus sprach: Ich will dein Herr sein!
Aber Nichtigkeit, der Affenkönig,
Sagte: O wie sehr lieb ich die Freiheit!
Ich allein will selbst mein eigner Herr sein!
Wer denn dürfte Herr mir sein, wie müsste
Der denn sein, wie groß, der mir der Herr sei?
Geh spazieren hier im Paradiese,
Wandele von All zu All und wandle
Von Äonen zu Äonen, nimmer,
Du entkommst der Herrschaft Christi nimmer!
Nichtigkeit, der Affenkönig, lachte
Und spazierte durch die Himmelsweiten,
Wie von der Weltseele zu dem Weltgeist,
Durchs Äon der Anastasis, aufwärts
Alle Stufen, Himmel über Himmel,
Durch die schönste Harmonie des Sphäros,
Durch das Empyreum, bis zum Berge
Zion – wo er lustvoll onanierte!
Dann ging er, befriedigt an der Seele,
Wieder zu dem Jade-Thronstuhl Jesu Christi.
Nichtigkeit, in welcher Ferne warst du?
Nichtigkeit berichtete ihm alles
Und gestand dem Christus ohne Schamrot,
Daß er onaniert am Himmelsberge.
Aber Jesus Christus lachte heiter-weise:
Nichtigkeit, mein Vielgeliebter! Siehe,
Meine Hand ist feucht noch von dem Samen,
An der Wurzel meines Mittelfingers
Sind noch Spuren deines Onanierens.
Da sah Nichtigkeit, der Affenkönig,
Dass die Herrschaft Christi nimmer endet!
Er, er hält das All in seinen Händen!
Da sprach Nichtigkeit: Mein Herr ist Jesus!

11
Wonne aller Wonnen! Frau Maria
Herrlich ist erschienen in dem Himmel!
Unbefleckte Jungfrau, rein wie Jade,
Einen Ring an deinen Ehefinger
Tu ich, geb dir einen neuen Namen,
Du sollst Toto heißen, mein Geliebter!
Schau, sie schwebte überm Meer des Himmels
Auf dem Muschelwagen ihrer Schönheit,
Ihre schwarzen Haare fein wie Seide,
Ihre schwarzen Augen Meteore,
Ihr Gewand war lange feine Seide,
Licht umfloss den Leib sie, niederrauschend,
Um die Lenden trug sie einen Gürtel,
Trug sie einen goldnen Zaubergürtel,
Lang fiel ihr die Seide auf die Füße,
Nackte Füße, weiß wie Lotosblüten.
Immer Jungfrau blieb sie, rein wie Jade,
Universellen Allerbarmens Göttin!

SUN WU KUNG

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(China. Die Insel Peng-lai-shan im Gelben Ostmeer Huang-hai. Der Berg der Blumen und Früchte.
Der Herr des Himmels und Sun Wu Kung.)

DER HERR
Ich will dich schaffen, Affe Sun Wu Kung,
Ich trage dich als Urbild schon im Geist
Von Ewigkeit zu Ewigkeit, dein Urbild
In meinem Geist will aus dem Nichts ich schaffen
Und aus der potentiellen Möglichkeit
Wirst du zur aktuellen Wirklichkeit!

(Der Herr streckt seine rechte Hand aus und legt ein steinernes Ei auf die Insel der Seligen.)

Hier ist der Urkeim aller Wirklichkeit.


In diesem Ei aus Stein beschlossen sind
Die potentiellen Möglichkeiten all
Der Myriaden Wesen dieser Welt.
Und eingeschlossen in dies Ei aus Stein
Ist auch die Weisheit, die wir Tao nennen,
Die Mutter der zehntausend Dinge ist,
Die jedem idealen Urbild sagt
Die Stunde und den Ort, wo dieses Urbild
Sich dann konkretisieren soll als Ding.
In diesem Ei aus Stein beschlossen sind
Ideen, die Idee des Affen und
Verschieden die Idee des Menschenkindes.
Jetzt also ist die Zeit, hier ist der Ort,
Da ich dich schaffe, Affe Sun Wu Kung.
Jetzt ordnet es die Mutter Tao an,
Die immanent ist in dem Ei aus Stein,
Daß jetzt das Stein-Ei aufbricht und erscheint
Der Affe Sun Wu Kung. Erscheine, Affe!

(Das Stein-Ei bricht auf und Sun Wu Kung springt als vollendeter Affe hervor.)

SUN WU KUNG
Ich preise dich, o Herr des höchsten Himmels,
Dich, Jadekaiser in der Nephritstadt,
Der Phönixstadt an der Milchstraße Ende,
Der mich geschaffen hat, weil er mich wollte!

ZWEITE SZENE

(Die Götter Tausendmeilenauge und Feinohr schweben durch den Himmel über der Erde.)

TAUSENDMEILENAUGE
Gott Feinohr, Bruder, hörst du Sun Wu Kung?
FEINOHR
Gott Tausendmeilenauge, siehst du ihn?
TAUSENDMEILENAUGE
Ich sehe China, von der Großen Mauer
Gegürtet an den Lenden des Gemütes,
Die Jungfrau China seh ich, eine Mutter,
Die mit der leeren Schale betteln geht
Um Reis vorm Heiligtum der Großen Leere.
FEINOHR
Ich höre den Gesang von Chinas Muse,
Vielleicht ist Chinas Muse die Tschang O,
Die weiße Königin des weißen Mondes,
Denn alle Dichter dichten von dem Mond.
TAUSENDMEILENAUGE
Reisfelder seh ich unter Wasser stehen.
FEINOHR
Yak-Rinder hör ich brüllen hoch in Tibet.
TAUSENDMEILENAUGE
Ich seh den Strand der Südmeerinsel Sanya.
FEINOHR
Ich höre Mönche ihre Mantren murmeln:
Gegrüßet seiest du, o Guan Yin!
TAUSENDMEILENAUGE
Ich seh den jungen Himmelssohn, den Kaiser,
Den Knaben im Verbotenen Palast,
Der Milch trinkt an den Brüsten seiner Amme.
FEINOHR
Ich hör der Philosophen Streitgespräche,
Ob gut sei oder böse von Natur
Der Mensch, da streiten sich die Schulen noch.
TAUSENDMEILENAUGE
Ich seh die heiligen Gebirge Chinas,
Fünf heilige Gebirge Chinas seh ich.
FEINOHR
Ich hör den Gong, den Klangstein und die Pipa.
TAUSENDMEILENAUGE
Ich sehe einen Dichter, der betrunken
Den Mond umarmen will, sein Spiegelbild
Im Dung-ting-See, und der ertrinkt betrunken.
FEINOHR
Doch Sun Wu Kung, den hab ich nicht gehört!
Ich habe kein Gebet gehört vom Affen!
TAUSENDMEILENAUGE
In keinem Tempel sah ich je den Affen!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung und eine wilde Affenherde vor einem Wasserfall.)

CHOR DER AFFEN


Wer schreiten kann durch diesen Wasserfall,
Doch ohne dass sein Fell ihm naß wird, der
Soll König sein der ganzen Affenherde,
Ja, Kaiser und zugleich der Hohepriester!
SUN WU KUNG
Ich wage es, ich spring so schnell hindurch,
Daß mir kein Wassertropfen netzt das Fell.
CHOR DER AFFEN
O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger!
Bedenke, dass kein Affe je gedrungen
Durch dieses Wasserfalles dichten Schleier!
Es weiß kein Affenhirn im Affenkopf
Und auch kein Affenherz im Affenbusen,
Was jenseits dieses Wasserfalls befindlich.
SUN WU KUNG
Ich sollte fürchten mich vorm bloßen Nichts?
Ha, Todesfurcht ist was für Menschenkinder.

(Sun Wu Kung springt durch den Wasserfall.)

CHOR DER AFFEN


O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger,
Der du vorangeschritten bist ins Nichts,
Sag, kannst du uns im Jenseits auch noch hören?
SUN WU KUNG
(aus dem Innern einer Höhle hallend)
Ich höre euch, geliebte Affenkinder!
Hier stehe ich vor einem Wasserschloß
In einer großen Grotte, welche heißt:
Der Höhlenhimmel hinterm Wasserschleier.
CHOR DER AFFEN
Doch trauen wir uns nicht, dir nachzufolgen.
Wir armen und verirrten Affenkinder,
Getrieben von Begierden und dem Jucken
Des Triebes der Geschlechtlichkeit! O hör uns,
O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger,
Und komm zurück zu deiner Affenherde!
SUN WU KUNG
(aus dem Innern der Höhle)
Ich komme bald! Ich komme wie ein Dieb!
CHOR DER AFFEN
Die ganze Affenherde brüllt es laut
Und Jungfrau China bittet dich im Geiste:
Komm, hohepriesterlicher Affenkaiser!
SUN WU KUNG
(Wieder aus dem Wasserfall erscheinend)
Ich bin ja da, seid nicht mehr traurig, Kinder!

VIERTE SZENE

(Sun Wu Kung und die Affenherde.)

CHOR DER AFFEN


O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger,
Der du den Wasserfall durchdrungen hast
Und dir nicht naß gemacht das Affenfell,
Du sollst jetzt unser Affenkönig sein!
SUN WU KUNG
Meerkatzen, ihr, versammelt euch zum Chor,
Euch mache ich zu Hütern meiner Schätze.
DIE MEERKATZEN
Ja, tausend Millionen Kokosnüsse
Sind mehr wert als zehn Millionen Käsch.
SUN WU KUNG
Ihr Menschenaffen, sammelt euch zum Chor,
Ihr sollt mir meine Oberbonzen sein.
DIE MENSCHENAFFEN
Ein Mensch ist nicht nur Homo sapiens
Und ist erst recht nicht nur der Homo faber,
Der Mensch, er ist der Homo religiosus.
SUN WU KUNG
Gorilla, sammelt euch zu einem Chor,
Ihr seid Minister der Familie mir.
DIE GORILLA
Die alternden Gorillamütter sitzen
Im Schatten alter Bäume, schwatzen, plaudern,
Die alternden Gorillaväter furzen,
Gorillakinder hangeln in den Ästen
Und schaukeln jauchzend wild auf den Lianen,
Die eheliche Treue der Gorillas
Ist vorbildhaft für die Schimpansenmännchen.
SUN WU KUNG
Schimpansenmännchen, sammelt euch zum Chor,
Studenten ihr der Universität.
DIE SCHIMPANSENMÄNNCHEN
Gorillamännchen leben in der Ehe
Und haben darum einen kleinen Penis,
Schimpansenmännchen und Studentenburschen
In freier Liebe rammeln einfach alles
Und haben darum einen großen Penis.
SUN WU KUNG
Ihr Orang-Utan, sammelt euch zum Chor,
Ihr seid mein Außenministerium.
DIE ORANG-UTAN
Wir wilden Männer kommen aus den Wäldern
Und brechen in die Menschendörfer ein
Und rauben uns die schönen jungen Mädchen,
Die vergewaltigen wir dann zu Tode!
SUN WU KUNG
Gut eingerichtet ist mein Affenreich.

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Sun Wu Kung und ein kleiner Kreis auserwählter Affen, darunter besonders ein alter bärtiger Affe.)

SUN WU KUNG
Ich weine, weine über, ach, den Tod!
Wie grausam ist der Tod, der letzte Feind!
Ein Affenweib mit schönen Affentitten
Gestorben ist: Wo ist die Äffin hin?
Was soll das Affenleben, noch so lustig,
Das heitre Spiel mit Kokosnüssen und
Das Fummeln am Geschlecht, wenn doch zuletzt
Der Tod das ganze Sein zunichte macht?
Ja, kommen wir nicht aus dem ewgen Nichtsein
Und kehren schließlich heim ins ewge Nichtsein?
Was ist denn da der Sinn des Affenlebens?
ALTER AFFE
In dir erwacht ist das Verlangen nach
Der Weisheit, wie die Philosophen sagen.
Die Weisheit ist Geschmack am Ewigen
Und ist die Einsicht in die reine Wahrheit.
SUN WU KUNG
Gibt es denn eine absolute Wahrheit?
Es gibt so viel verschiedne Meinungen!
ALTER AFFE
Begib dich auf die Suche, Sun Wu Kung!
Es heißt bereits bei einem alten Meister:
Wer sucht, der wird zuletzt die Wahrheit finden.
SUN WU KUNG
Ein Künstler aber sagte, dass er finde,
Er finde einfach, ohne je zu suchen.
ALTER AFFE
Ja, mit der Suche hat es etwas auf sich:
Du stellst dir etwas vor, das du dann suchst,
So läufst du einem Irrbild hinterher,
Irrst immer weiter von der Wahrheit ab.
SUN WU KUNG
So irre ich umher, ein Irrtums-Meister,
Von Irrtum irre ich zu Irrtum weiter,
Ja, gibt es eine Hoffnung noch für mich?
ALTER AFFE
Es gibt nur eine Hoffnung für den Sucher,
Die Hoffnung, dass die absolute Wahrheit
Sich plötzlich offenbart und dich erleuchtet.
SUN WU KUNG
Bevor ich geh auf meine Pilgerreise
Der Wahrheitssuche, ist es mein Verlangen,
Mit euch, geliebte Affenbrüder mein,
Den Pfirsich der Unsterblichkeit zu essen,
Des langen Lebens grünen Wein zu trinken.

(Sun Wu Kung und die auserwählten Affenbrüder essen und trinken feierlich.)

ZWEITE SZENE

(Saubere Stadt. Sun Wu Kung im gutbürgerlichen Anzug, ein Kleinbürger und eine Kleinbürgerin.)

SUN WU KUNG
Ich kam auf einem kleinen Kiefernfloß,
Ich ruderte mit einer Bambusstange,
So kam ich in die Stadt auf dem Kanal
Und kaufte mir ein Haus bei andern Häusern.
KLEINBÜRGER
Das ist des Menschen größtes Glück, ein Haus,
Denn meine Wohnung, das ist meine Burg.
KLEINBÜRGERIN
Hast du denn immer auch geputzt dein Haus?
KLEINBÜRGER
Und hast du immer auch am Wochenende,
Wenn du von deiner Arbeit kommst im Amt,
Das Hausdach renoviert und den Balkon?
SUN WU KUNG
Ich liebe nicht die Hausarbeit, das Putzen,
Da hab ich eine Putzmagd mir bestellt.
Auch lieb ich nicht die Renovierungsarbeit,
Da ließ ich kommen einen Zimmermann.
KLEINBÜRGERIN
Du könntest selber deine Wohnung putzen,
Da braucht es keine Putzfrau in dem Haus.
Was tust du denn den ganzen Tag zuhause?
SUN WU KUNG
Ich denke über Schöpfer und Geschöpf.
Ich dachte sonst, in Gott sei reiner Akt,
Doch sei in Gott auch alles in Potenz.
Die Möglichkeiten aller Wesenheiten
Als Ideale seien schon in Gott.
Jetzt aber denk ich, Gott ist purer Akt
Und die Materia ist die Potenz,
Die bloße nackende Materia
Ist eine unverwirklichte Potenz.
KLEINBÜRGERIN
Potenz bedeutet doch die Manneskraft
Und Akt die eheliche Einigung.
Du solltest dir ein Weib zur Gattin nehmen,
Dann wärs vorbei mit deinen Grübeleien.
KLEINBÜRGER
So denkst du also müßig vor dich hin?
Was bringt das denn? Das bringt dir doch kein Geld!
SUN WU KUNG
Beinahe hätte ich ein Weib genommen
Und wär geworden auch zum Kindervater,
Dann hätte ich auch Geld verdienen müssen.
Ich wäre gerne so wie ihr gewesen,
Doch leider suche ich geheime Weisheit.
Geboren bin ich, ach, zum Philosophen!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung auf seinem Kiefernfloß, mit seiner Bambusstange rudernd, er landet am Strand des
Westlandes. Nahe am Strande im Pinien- und Fichtenwalde singt ein Holzfäller.)

SUN WU KUNG
Nun weiter, weiter auf der Pilgerreise,
Wie grün, wie grün sind doch die Pinienwälder!
Holzfäller, sag, wo ich gelandet bin!
HOLZFÄLLER
Im Westland bist gelandet an dem Strand,
Nah an dem Strande sind die Pinienwälder.
SUN WU KUNG
Was sangest du doch für ein schönes Lied?
Die Melodie gefiel mir. Sings noch einmal!
HOLZFÄLLER
(singt)
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens,
Oh wie allein dort!
SUN WU KUNG
Das Lied, das Lied, ach, das geht mir zu Herzen,
Ich bin doch auch ein Waisenkind im All!
Wenn ich in Not und Jammer bin, so schrei ich:
O Mutter, Mutter, komm und steh mir bei!
Dann aber schweigt das ganze Universum.
Ich bin ja so allein in dieser Welt,
Ich glaube gar, ich wäre unsichtbar,
Und sehen mich die Menschen äußerlich,
So sind sie mir im Innern alle fremd.
HOLZFÄLLER
Das Lied, das lehrte mich ein weiser Meister,
Der lebte in dem fernen schönen Südland,
Er lebte auf dem heiligen Gebirge,
Das Berg des Herzens heißt. Dort sang er mir
Von seiner Einsamkeit und wie sein Atem
Jetzt mit dem Winde wandert durch die Welt.
SUN WU KUNG
Ach bitte, sing noch einmal dieses Lied!
HOLZFÄLLER
(singt)
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens,
Oh wie allein dort!
SUN WU KUNG
Allein, allein, ich bin ja so allein!
Der weise Meister, der dies Lied erfunden,
Der könnte mich verstehen, glaube ich,
Ich will ein Schüler seiner Einsicht werden!
HOLZFÄLLER
So zieh zum weisen Meister in das Südland!
SUN WU KUNG
Der Süden ist die Himmelsrichtung Gottes.

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Der weise Meister sitzt vor seiner Hütte auf einer Bambusmatte und meditiert. Aus der Ferne naht
ihm Sun Wu Kung.)

MEISTER
Ich bin der Meister der geheimen Weisheit,
Du, mein Besucher, was willst du von mir?
SUN WU KUNG
Was tust du grade, o du weiser Meister?
MEISTER
Ich meditiere an der Perlenschnur
Die Weisheit ewiger Barmherzigkeit,
Daß das Juwel steckt in der Lotosblüte.
Doch das wirst du wohl nicht verstehen, Affe.
SUN WU KUNG
Ich bin ja gar kein rechter Affe mehr,
Denn ich bewundere die weisen Meister.
Ach, wäre ich doch auch ein weiser Meister!
Doch gibt es Meister, die in Sünde leben
Und Knaben schänden oder kleine Mädchen!
MEISTER
Die Stunde kommt, die Spreu und Weizen trennt.
Willst du in meine Weisheitsschule kommen?
SUN WU KUNG
Erst möchte ich ein bisschen mit dir plaudern.
MEISTER
Ich plaudre nicht, ich sprech nur von der Lehre.
SUN WU KUNG
Bedenke, dass ich noch ein Affe bin
Und hab noch nicht gespeist das Brot der Weisheit.
MEISTER
Der Gott der Weisheit und Barmherzigkeit
Lädt dich in meine Weisheitsschule ein.
Ich sehe deine Demut, deinen Hunger
Nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit auf Erden.
Kannst du die alten Schriften denn verstehen?
SUN WU KUNG
Wir Affen lieben auch die alten Schriften.
Doch wenn wir euch, die weisen Meister, sehen
Mit Weihrauch huldigen den alten Schriften,
Befällt uns doch ein wenig scheeler Neid.
MEISTER
Tritt ein in meine Hütte, komm und sieh,
Und wenn ich bring das Soma-Opfer dar
Dem Himmelsgott, darfst du dabei sein, Bruder,
Und stehen in der Gegenwart des Gottes.
SUN WU KUNG
Vielleicht ich werde selbst noch weiser Meister?
MEISTER
Ich danke dir, dass du gekommen bist.

ZWEITE SZENE

(Der Meister, seine zwölf Jünger, und Sun Wu Kung in der Hütte der Einsiedelei.)

MEISTER
Du bist in meine Schule eingetreten,
Du möchtest meine tiefe Weisheit kennen,
Entschlossen bist du, willst ein Jünger sein
Und mir auf meinem Himmelswege folgen.
Ein jeder Jünger, der in meiner Schule
Geht den geheimnisvollen Weg nach innen,
Legt ab den bürgerlichen Vatersnamen
Und wird genannt von mir mit neuem Namen.
SUN WU KUNG
Wie soll ich heißen, mein geliebter Meister?
MEISTER
Erwachender, der leer für Gott geworden!
SUN WU KUNG
Erwachender, der leer für Gott geworden?
Ist denn mein altes Affen-Ich gestorben,
In mir erstanden die Natur des Buddha?
EIN JÜNGER
Erwachender, der leer für Gott geworden,
Die sündige Natur des Affen ist
Im Bad der Reinigung ersoffen, aber
Der alte Affe ist ein guter Schwimmer.
ZWEITER JÜNGER
Nein, jetzt wo wir geworden zur Natur
Des Buddha, ist das ganze alte Ich
Gestorben, wir sind neue Kreatur!
Was frag ich da nach meinem alten Ich,
Nach meines Vaters, meiner Mutter Karma?
Ich bin ja jetzt zum Buddha-Gott geworden!
DRITTER JÜNGER
Sie beten alle zu Gautama Buddha,
Die Toren, dieser Pöbel in den Tempeln!
Ich bin genau so groß wie Buddha, ich
Bin von dem Ewigen Urbuddha Teil,
Ein Stück von Gott, ein menschgewordner Gott!
VIERTER JÜNGER
Erst dachte ich, wenn ich ein Mönch erst bin,
Dann bin ich eine neue Kreatur,
Die alten Sünden der Vergangenheit
Hab ich schon alle abgelegt, jedoch
Jetzt werd ich weise erst in Altersmilde,
Jetzt wieder mir gefallen junge Mädchen,
Die lüstern tanzen, und Musik und Wein!
MEISTER
Ihr Toren alle seid noch unerleuchtet!
SUN WU KUNG
Doch ich bin der Erwachende, erwacht
Zum Großen Vakuum für Gottes Weisheit!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung allein im Garten der Einsiedelei.)

SUN WU KUNG
Hier hab ich neulich Nesseln ausgerissen
Und habe alte Dornen fortgetragen.
Dann habe ich den Acker umgegraben
Und acht gegeben, dass ich mit dem Spaten
Nicht einem Regenwurm das Leben nehme,
Dort hinten pflanzt ich Kräuter, dort Salat,
Dort Erdbeerbüsche und dort Pfirsichbäume,
Kirschbäume, Apfelbäume, Pflaumenbäume
Und dort lass rauschen ich den Bambusbusch.
Nur, Weisheit, was mach ich nur mit den Schnecken?
Ich darf sie nicht mit Salz bestreuen, denn
Ein Tier zu töten, ist ein großes Laster.
Nun, Weisheit, halte ich mir eben Enten,
Die Enten fressen dann die Schnecken auf.
Doch hier, dies kleine Beet, hab ich besonders
Gepflegt, hier sorge ich mich um die Rose,
Beschneiden muß im Frühling ich die Rose,
Auf dass im Sommer sie auch Blüten trägt.
Hier diese Gartenbank im Bambusschatten
Ist meine Ruhestelle, hier zu lesen,
Hol ich das Buch aus meiner Manteltasche.

(Er holt ein winzigkleines Exemplar des Tao-te-king von Lao Tse aus der Tasche und beginnt zu
lesen.)

O Frühling! Alle Menschen sind so froh


Und ziehn hinan die heiligen Terrassen
Zum Frühlingsopfer, darum sind sie fröhlich.
Nur ich allein bin, ach, so grundlos traurig,
Ich treibe wie ein Schiff auf wildem Meer
Und weine wie ein Kind nach seiner Mutter.
Die Menschheit nennt mich einen Taugenichts
Und Grillenfänger, Tunichtgut, Verrückten,
Die Menschen sind so klug in dieser Welt,
Ich aber bin so töricht wie ein Kindchen,
Ein kleines Kindchen bin ich und vertraue
Dem reinen absoluten Sein, das trägt mich,
Trägt meine flüchtige Vergänglichkeit,
Wie eine Amme trägt ihr kleines Kindchen.
Das reine absolute Sein allein
Ehr ich als liebe Mama, die mich stillt.

(Er schlägt das Buch wieder zu und steckt es zurück in die Manteltasche.)

Ja, wer erkannt die Große Mutter und


Sein eignes Kindsein vor der Großen Mutter,
Der ist im Untergang des eignen Leibes
Befreit von aller tödlichen Gefahr!

VIERTE SZENE

(Der Meister und Sun Wu Kung unterm Feigenbaum – ficus religiosa – vor der Hütte.)

MEISTER
Erwachender, ich will dich Weisheit lehren!
SUN WU KUNG
Ach, Weisheit! Ich will tanzen, tanzen, sag ich!

(Sun Wu Kung führt einen wilden erotischen Tanz auf.)

MEISTER
Ich lehr dich das Geheimnis der Magie,
Der Zauberverse und der Amulette,
Verbrannte Texte, Talismane, Zahlen
Und Zeichen, Signaturen der Magie.
SUN WU KUNG
Ach was, Magie! Ich will nur tanzen, tanzen!

(Er tanzt einen bengalischen Hochzeitstanz.)

MEISTER
Ich lehre dich, Orakel zu verstehen,
Das Stechen in den Büchern und das Losen,
Wahrsagen aus den Karten, Staatsorakel
Von Tibet und das Lesen im I Ging.
SUN WU KUNG
Ach was, Orakel! Tanzen will ich, tanzen!

(Er tanzt einen Fruchtbarkeitstanz.)

MEISTER
Ich lehre dich geheime Wissenschaft,
Naturerkenntnis, Alchemie, die Sprache
Der Vögel, Elixiere, Pillen, Drogen.
SUN WU KUNG
Ach Wissenschaft! Ich will nur tanzen, tanzen!

(Er tanzt einen orgiastischen Regenzauber.)

MEISTER
Ich lehre dich den Yoga der Aktion,
Almosengeben und Barmherzigkeit.
SUN WU KUNG
Ach was, Aktion! Ich möchte tanzen, tanzen!

(Er tanzt den Tanz von Phönixmännchen und Zaubervogelweibchen.)

MEISTER
Ich lehre dich den Weg des rechten Atmens,
Qi Gong, wie man den Atem reguliert.
SUN WU KUNG
Qi Gong! Das schützt nicht vor dem Sterbenmüssen!

FÜNFTE SZENE

(Der Meister, Sun Wu Kung und drei kleine Knaben aus dem nahen Dorf.)

MEISTER
Willst du jetzt Philosophenweisheit hören?
Ich sage dir: Der Mensch ist selber Gott!
SUN WU KUNG
(lacht)
Ich bin kein Mensch, kein Mensch, ein Affe
Bin ich und möchte Purzelbäume machen!

(Er macht Purzelbäume, die kleinen Knaben quietschen vor Vergnügen.)

DIE KNABEN
Ja, kannst du denn auch einen Handstand machen?
SUN WU KUNG
Ich wills versuchen, meine kleinen Götter!

(Sun Wu Kung macht einen Handstand.)

MEISTER
Was sollen diese tollen Kindereien?
Ich lehre dich geheime Wissenschaft!
DIE KNABEN
Ach spiel doch bitte, bitte, mit uns Ball!
SUN WU KUNG
Ich bin der Ball! Ihr Götter spielt das Ballspiel!

(Sun Wu Kung rennt durch den Garten, die Knaben lachend lärmend hinterher.)

MEISTER
Ehrwürdige geheime Wissenschaft,
Du bist nichts für die blinden Kindermenschen!
Erwachender, du bist ein Narr geworden!
DIE KNABEN
O bitte, spiele du mit uns Verstecken!

(Sun Wu Kung hält sich die Augen zu.)

SUN WU KUNG
Ich seh nichts mehr! Jetzt bin ich unsichtbar!

(Die Knaben lachen. Der Meister spricht todernst.)

MEISTER
Unwürdig bist du meiner Weisheit, geh,
Du Narr mit ruhelosem Affenherzen,
Verlasse meine Philosophenhütte!

(Sun Wu Kung geht lachend fort.)

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Sun Wu Kung auf der Insel der Affen. Um ihn grauhaarige Affenmütter und Affenväter.)

DIE ALTEN AFFEN


Du bist zurück, verehrter Affenkönig,
Wie sind wir froh, dass du zurückgekehrt.
Wir müssen alle unsre Leiden klagen,
Denn unsre Affenkinder sind dahin!
SUN WU KUNG
Wo sind sie hin, die lieben kleinen Äffchen?
DIE ALTEN AFFEN
Im hohen Norden hinterm Chaos wohnt
Im Nebelland der böse Teufelskönig,
Der hat geraubt uns unsre Affenkinder,
Er raubte sie, und er erlaubt uns nicht,
Daß wir die kleinen Äffchen wiedersehen.
SUN WU KUNG
Bei Gott, ich fluch dem bösen Teufelskönig!
DIE ALTEN AFFEN
Kannst du besuchen unsre kleinen Äffchen
Und sie erlösen von dem Teufelskönig?
SUN WU KUNG
Der böse Teufelskönig ist sehr mächtig,
Ankläger ist er aller meiner Brüder
Vor dem Gericht, der böse Staatsanwalt,
Der anklagt und verleumdet meine Brüder.
Wer sind denn meine Brüder auf der Erde?
Nicht jene, die sich wagen einzubilden,
Sie seien mir verwandt dem Blute nach,
Nein, Gottes vielgeliebte kleine Kinder
Sind meine Brüder in dem Geist der Liebe.
Und wenn der böse Teufelskönig raubte
Mir meine vielgeliebten kleinen Brüder,
Dann muß ich alles unternehmen, um
Die Kindlein von dem Teufel zu befreien!
DIE ALTEN AFFEN
Der böse Teufelskönig ist sehr mächtig,
In welcher Vollmacht willst du mit ihm streiten?
SUN WU KUNG
Weil ich gedrungen durch den Wasserfall
Und mir dabei benetzte nicht mein Fell,
Drum bin ich jetzt der reine Affenkönig,
Ich bin der Weise auch der wahren Weisheit,
Denn ich bin der Erwachende, erwacht
Zum Großen Vakuum für Gottes Weisheit.
DIE ALTEN AFFEN
O König, rette unsre Affenkinder!

ZWEITE SZENE

(Sun Wu Kung im Wasserschloß des Ostmeerdrachens. Der Ostmeerdrache als Meereskönig und
seine wunderschöne Tochter als Prinzessin des Meeres. Der Meereskönig und Sun Wu Kung trinken
grünen Tee vom Himalaya.)

DRACHENKÖNIG
Zusammen sind gerollt die Blätter Tee,
Wir legen sie ins Porzellan der Tasse
Und gießen drüber kochend heißes Wasser,
Sodann entfalten sich die grünen Blätter,
Die lang und schmal wie Mädchenfinger sind
Und geben ihr erquickendes Aroma
Dem heißen Wasser, den Geschmack von Tee.
SUN WU KUNG
Verehrter Ostmeerdrachenkönig, ich
Besitze nur ein kleines scharfes Messer,
Mit dem muß ich den Teufelskönig töten.
DRACHENKÖNIG
Der Teufelskönig ist sehr stark, du wirst
Mit einem Messer ihn nicht töten können.
PRINZESSIN
Verzeihe, Herr, du großer Affenkönig,
Daß ich zu dir erhebe meine Stimme.
SUN WU KUNG
Prinzessin, wunderschön und voller Anmut,
Wenn ich dich sehe, liebliche Prinzessin,
Ich schließe gleich zurück auf Gottes Schönheit!
PRINZESSIN
Im Ostmeer, mitten in der tiefsten Tiefe,
Da weiß ich stecken eine Kupferstange,
Wenn du herausziehst diese Kupferstange,
Kannst du mit ihr den Teufelskönig töten.
SUN WU KUNG
Prinzessin, Weisheit aus dem Land des Lächelns,
Was ist denn das für eine Kupferstange?
PRINZESSIN
An dieser Kupferstange in dem Meer,
Der Axis Mundi mitten in dem Ostmeer,
An ihr hing einst die weiße Himmelsschlange.
SUN WU KUNG
Ich sehe ein Gesicht, und was ich sehe,
Ist dieses: Ziehe ich die Kupferstange
Aus ihrem Grund im Ostmeer, überflutet
Das Meer das Wasserschloß des Drachenkönigs!
PRINZESSIN
Mit meinem zauberhaften Lächeln ich
Gebiete dir: Nimm du die Kupferstange
Und schlag mit ihr den Teufelskönig tot!

DRITTE SZENE

(Zwei weißgekleidete Männer führen Sun Wu Kung in den unterirdischen Palast der Todesgötter.)

SUN WU KUNG
Ihr Männer in den weißen Leinenkleidern,
Wohin entführt ihr mich? Was seid ihr schweigsam!

(Sie erscheinen vor den Thronen der Todesgötter. Die Todesgötter springen erschrocken auf.)
DIE TODESGÖTTER
O Herr des Himmels! Was hat das zu sagen?
Warum kommt zu uns her der Affenkönig?
SUN WU KUNG
Nennt mich nicht mehr mit Namen Sun Wu Kung,
Nennt mich auch nicht den Affenkönig mehr,
Nennt mich auch nicht mehr den Erwachenden,
Erwacht zur Leere für die Weisheit Gottes,
Nennt mich des Himmels Eingeborenen
Und Heiligsten von allen Heiligen!
DIE TODESGÖTTER
Was forderst du von uns, du Eingeborner
Des Himmels, Heiligster der Heiligen?
SUN WU KUNG
Ich sage: Reicht mir her das Buch des Todes!

(Die Todesgötter reichen ihm das Buch des Todes, er schlägt es auf und sucht nach Namen darin.)

SUN WU KUNG
Hier, in dem Buch des Todes sehe ich
Die Namen aller meiner Affenkinder
Geschrieben kalligraphisch schön mit Tusche
Und angegeben ihre Todesstunde.
Gebt einen Pinsel mir und schwarze Tusche!

(Die Todesgötter reichen ihm ein Tintenfass und einen Pinsel. Er taucht den Pinsel in das Fass.
Dann streicht er im Buch des Todes die Namen seiner Affenkinder aus.)

DIE TODESGÖTTER
Der Affenkinder Namen streichst du aus?
SUN WU KUNG
Ja, ich entreiß dem Tode meine Kinder!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Himmel. Der Herr des Himmels, zu seiner Rechten steht der Genius Morgenstern. Vor ihm
erscheinen der Ostmeerdrachenkönig und die Todesgötter.)

OSTMEERDRACHE
O Herr, die Affen werden allzu frech!
Jetzt fordern doch bereits die Menschenaffen
Verbürgt ihr heilig Menschenaffenrecht!
Bald gehen Affenweibchen gar zur Wahl
Und wählen einen Affenpräsidenten
In einer Menschenaffendemokratie!
Ihr Führer ist der wilde Sun Wu Kung,
Der mit dem Beistand meiner schönen Tochter
Die Kupferschlange aus dem Ostmeer zog
Und überflutete mein Wasserschloß!
DIE TODESGÖTTER
O Herr, du ewige Gerechtigkeit!
Die Tiere müssen alle, alle sterben,
Doch Sun Wu Kung kam in das Totenreich
Und strich der Affenkinder Namen aus
Dem Buch des Todes vor dem Weltgericht!
DER HERR
Verkläger! Hören will ich Morgenstern!
GENIUS MORGENSTERN
O Herr, die ewige Gerechtigkeit
Wird überwunden nur durch deine eigne
Barmherzigkeit, die dir im Busen wühlt.
Liebhaber bist du aller Lebewesen!
Wenn etwas wäre in der Welt, das du
Nicht liebtest, hättest du es nicht geschaffen.
Die Götter brauchen deine Gnade nicht,
Jedoch die ruhelosen Affenherzen
Bedürfen deines herzlichen Erbarmens!
DER HERR
O Morgenstern, du Genius der Liebe,
Was soll ich tun mit diesem Sun Wu Kung?
GENIUS MORGENSTERN
Herr, hab Erbarmen! Zwar er ist ein Sünder,
Ist ein Rebell, ein Schwätzer und ein Spötter,
Doch hab Erbarmen, Herr, doch hab Erbarmen
Und nimm ihn auf in deine Himmelshallen!
DER HERR
Gut, Morgenstern, du Genius der Liebe,
Führ du mir Sun Wu Kung ins Paradies!
GENIUS MORGENSTERN
Dein Wille, Ewiger, ist mir Befehl.

ZWEITE SZENE

(Sun Wu Kung allein auf dem Gipfel des Affenberges. Der Genius Morgenstern erscheint vor ihm.)

GENIUS MORGENSTERN
O Sun Wu Kung, ich habe gute Nachricht.
SUN WU KUNG
Zu mir jetzt kommen gar die Himmelsgötter?
Wo sind die Göttinnen mit vollem Busen
Und schönen Haaren in den Schwangewändern?
GENIUS MORGENSTERN
Statt Himmelsgöttinnen mit vollem Busen
Jetzt kommt zu dir der Genius Morgenstern,
Ich lade dich in Gottes Himmel ein!
SUN WU KUNG
Soll ich jetzt selbst ein Gott des Himmels werden?
GENIUS MORGENSTERN
Vorbei ist jetzt die Zeit von Stolz und Hochmut.
Der Affe stellte sich den Menschen gleich,
Die Menschen stellten sich den Göttern gleich.
Erkenne jetzt: Du bist ein Knecht des Herrn,
Berufen, um auf Knieen anzubeten.
SUN WU KUNG
Ja, guter Schutzgott, führ mich in den Himmel!

(Eine goldene Wolke verhüllt den Genius Morgenstern und Sun Wu Kung, sie schweben aufwärts
zur östlichen Himmelspforte. Dort erwartet sie der Wächter der Himmelspforte, der himmlische
Fischer.)

HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Wer klopft hier an die Paradiesespforte?
GENIUS MORGENSTERN
Der Affenkönig Sun Wu Kung klopft an.
HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Wie? Soll ein Affe in den Himmel kommen?
SUN WU KUNG
Auch Esel kommen doch ins Paradies!
GENIUS MORGENSTERN
Der Herr des Himmels will, dass alle Affen
Gerettet werden, auch der Affenkönig.
HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Was, Sun Wu Kung, was hast du anzubieten?
SUN WU KUNG
Ach, leider hab ich gar nichts anzubieten,
Ich hab nicht die Verdienste frommer Menschen,
So bin ich ärmer als die Bettelmönche.
GENIUS MORGENSTERN
O Wächter du der Himmelspforte, öffne!
HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Komm, Sun Wu Kung! Der Herr ist zu barmherzig!

DRITTE SZENE

(Im Himmel. Sun Wu Kung ist Guter Hirte der himmlischen Schafe und Lämmer und weidet die
Herde auf den Bergen des Herzens in Einsamkeit.)

SUN WU KUNG
Der Herr des Himmels fragte: Liebst du mich?
Ich sagte: Ja, o Herr, ich liebe dich!
Da sprach der Herr: So weide meine Lämmer!
Der Herr des Himmels fragte: Liebst du mich?
Ich sagte: Ja, o Herr, ich liebe dich!
Da sprach der Herr: So weide meine Schafe!
Dann fragte mich der Herr: Bist du mir Freund?
Ich sagte: Herr des Himmels, du weißt alles,
Du weißt, ich will mit dir befreundet sein!
Da sprach der Herr: So weide meine Schafe!
Und so bin ich geworden zu dem Hirten,
Dem guten Hirten, und die Lämmer alle,
Sie kennen meine Stimme, folgen mir.
Ist da ein Mietling, der die Herde hütet,
Sieht der die Wölfe kommen, flieht der Mietling,
Doch nicht der gute Hirte, der bleibt da.

(Er holt eine Hirtenflöte aus der Tasche und bläst auf der Flöte.)

So bin ein Hirte also ich geworden,


Ein Hirte, der ich einst ein König war!
Ach, wenn ich wieder auf der Erde wäre
Bei meinen Affenbrüdern, Affenschwestern,
Den Affenschwestern mit den Affentitten!
Was soll ich denn ein Hirte sein im Himmel,
Kann ich ein König auf der Erde sein!
Einst war ein Held in einem großen Kriege,
Der sagte, lieber wär er Hund auf Erden,
Als dass er Löwe wär im Totenreiche!
Ich war auf Erden doch ein Affenkönig,
Im Himmel bin ich nur ein Lämmerhirte.
Nein, Affenkönig sein, ist mein Beruf,
Schimpansen und Gorillas, Orang-Utan
Und Menschenaffen möchte ich beherrschen
Und noch auf Erden richten auf das Reich
Der Menschenaffenrechte und der Freiheit,
Wo Affenweibchen gleich den Affenmännchen,
Wo die Schimpansen haben auch das Recht,
In freier Liebe sich zu einigen,
Wie die Gorillas ehlich sich vereinen.
Deklaration der Menschenaffenrechte
Will ich verkündigen und die vereinten
Nationen aller freien Affenvölker!

(Er springt durch das südliche Himmelstor zurück auf die irdische Insel der Affen.)

VIERTE SZENE

(Sun Wu Kung auf der Insel der Affen. Zwei Teufel legen ihm den Kaisermantel um.)

SUN WU KUNG
Ich bin der Kaiser aller Affen Chinas,
Doch bin ich nicht der Himmelssohn geworden
Durch das Mandat des Himmels, unsres Vaters,
Ich habe selbst zum Kaiser mich gekrönt.
DIE BEIDEN TEUFEL
Du bist ja nicht von Gottes Gnaden Kaiser,
Ein autonomer Herrscher du des Volkes,
Auch nicht durch das Mandat des Volkes Kaiser,
Selbstherrlich du dein eigner Kaisermacher.
SUN WU KUNG
Ich, großer Affenkaiser aller Affen,
Bestimme, dass der Homo sapiens,
Der Mensch, der denkt, soll hingerichtet werden!
DIE BEIDEN TEUFEL
Vor allem alle Menschensöhne, die
Auf ihrer Nase eine Brille tragen!
SUN WU KUNG
Allein der Homo faber bleibt bestehen,
Der Mensch der Arbeit soll im Reiche dienen.
DIE BEIDEN TEUFEL
Was aber mit dem Homo religiosus?
SUN WU KUNG
Die Bettelmönche mit dem Aberglauben?
Die Bonzen aller Tempel sollen sterben!
Das Gold der Tempel für die Menschengötter
Gehört dem Affenkaiser jetzt allein.
DIE BEIDEN TEUFEL
Was soll geschehen mit den Menschenbüchern,
Die von den Menschengöttern Kunde geben?
SUN WU KUNG
Ich werde selbst ein Weisheitsbuch verfassen,
Ich nenne es die Bibel Sun Wu Kungs,
Man wird sie Blinden auf die Augen legen
Und so gewinnen sie die Sehkraft wieder.
DIE BEIDEN TEUFEL
Wie soll dein Name sein, o großer Führer?
SUN WU KUNG
Ich bin der himmelgleiche Heilige!
DIE BEIDEN TEUFEL
Nun braucht das Affenvolk nicht mehr den Himmel,
Denn auf der Erde gegenwärtig ist
Der himmelgleiche Heilige, ihr Kaiser.
SUN WU KUNG
Den Himmel überlassen wir den Göttern.
Auf Erden gibt’s genügend Kokosnüsse,
Genug Bananen gibt’s für alle Affen!

FÜNFTE SZENE

(Der Kriegsgott Notscha kommt in voller Rüstung vom Himmel geritten und verfolgt den
fliehenden Sun Wu Kung.)

NOTSCHA
Der Kriegsgott muß dich holen in den Himmel?
Ja, wollt ihr Affen nicht freiwillig kommen?
Muß man euch drohen erst mit eurem Tod?
SUN WU KUNG
Wo du mich jetzt mit meinem Tod bedrohst,
Da wär es doch nicht adlige Gesinnung,
Wenn jetzt ich an die Himmelspforte klopfte.
NOTSCHA
Ja, wenn nicht in der Stunde deines Todes,
Wann willst du dann um das Erbarmen flehen?
SUN WU KUNG
Ach, allzu schön ist doch die Mutter Erde,
So grüne Bäume gibt’s doch nicht im Himmel.
NOTSCHA
Wenn ich dir drohe mit dem Schwert des Todes,
Was nützen dir dann noch die grünen Bäume?
SUN WU KUNG
Erst möchte ich auf Erden Abschied nehmen
Von allen meinen lieben Affenkindern.
Ich kann jetzt noch nicht in den Himmel kommen,
Wer soll für meine Affenkinder sorgen?
NOTSCHA
Der Herr im Himmel sorgt sich um die Vögel
Und sollte sich ums Affenvolk nicht kümmern?
Du sorge dich nur um dein Seelenheil!
SUN WU KUNG
Die Klappe zu, so ist der Affe tot.
NOTSCHA
Das gibt ein schreckliches Erwachen noch,
Wenn ich dich töte mit dem Schwert des Krieges
Und deine Seele tritt dann vor den Herrn,
Den du dein Leben lang geleugnet hast!
SUN WU KUNG
Geh weg von mir, o Kriegsgott, ich verstecke
In einem Tempel mich auf einem Berge
Und lebe als ein Eremit allein
In den chinesischen Gebirgeshöhen
Und pflanze Reis an für den heißen Reiswein.
NOTSCHA
Jetzt hab ich dich! Jetzt musst du mit mir kommen!
SUN WU KUNG
Ihr Götter, Göttin oder Gott, Erbarmen!

SECHSTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Himmel. Der Herr des Himmels, der Genius Morgenstern und Sun Wu Kung.)

DER HERR
So bist du also jetzt im Himmelreich,
Weil du ein Narr gewesen bist, ein Narr,
Drum musste ich mich über dich erbarmen.
Ich will dir einen neuen Namen geben,
Auf einer weißen Jade steht der Name.
SUN WU KUNG
O Herr, wie soll mein neuer Name sein?
DER HERR
O Morgenstern, du Genius der Liebe,
Wie soll des Narren neuer Name sein?
GENIUS MORGENSTERN
Er heiße: Himmelgleicher Heiliger.
DER HERR
O himmelgleicher Heiliger, bist du
Zufrieden mit dem neuen Namen, Närrchen?
SUN WU KUNG
Ich bin der himmelgleiche Heilige!
Wo aber soll ich leben in dem Himmel?
Ich will nicht wieder nur ein Hirte sein,
Ich will genießen die Glückseligkeit!
DER HERR
O Morgenstern, du Genius der Liebe,
Wo ist ein Platz für ihn im Paradies?
GENIUS MORGENSTERN
Ich schaute gestern noch im Paradies
Ein weißes Schloß in einem großen Park.
DER HERR
Wo ist das weiße Schloß mit seinem Park
Gelegen in dem weiten Paradies?
GENIUS MORGENSTERN
O Herr, denk an den himmlischen Palast
Der Hsi Wang Mu, der Königin und Mutter
Des Westgebirges, östliche vom Palast
Ist dieses weiße Schloß mit seinem Park
Gelegen und durch Wege zu erreichen.
DER HERR
Gefällt dir deine neue Wohnung, Kindchen?
SUN WU KUNG
Ja, Herr. Ich bin erschöpft vom Erdeleben.
Ich hab zuviel vom heißen Wein getrunken
Und hab zuviel geraucht vom Opium.
Jetzt brauch ich Ruhe, Herr, jetzt brauch ich Ruhe,
Jetzt will ich schlummern nur im Paradies
Und ab und an gemütlich dann spazieren
Und Hsi Wang Mu besuchen im Palast.

ZWEITE SZENE

(Sun Wu Kung geht im Paradies spazieren. Er sieht den Gott des nördlichen Polarsterns mit dem
Gott des südlichen Polarsterns zusammen sitzen beim Schachspiel.)

GOTT DES NÖRDLICHEN POLARSTERNS


Mein lieber Gott, das erste Spiel hast du
Gewonnen, jetzt gewinne ich das Spiel.
GOTT DES SÜDLICHEN POLARSTERNS
Jetzt könnt ich schlagen deinen schwarzen Stein,
Dann hätte ich gewonnen, lieber Gott,
Dann aber wirst du wütend wieder weinen
Und mit den Füßen treten an den Tisch.
GOTT DES NÖRDLICHEN POLARSTERNS
Jetzt setz ich meinen schwarzen Stein ins Ziel,
Jetzt habe ich gewonnen, lieber Gott.
GOTT DES SÜDLICHEN POLARSTERNS
Ich habe dich gewinnen lassen, Lieber,
Nur um des lieben Friedens willen, Gott,
Sag, freust du dich an deinem Siege auch?
GOTT DES NÖRDLICHEN POLARSTERNS
Vorm Abendmahle spielen wir noch einmal,
Da will ich dich vernichtend schlagen, Lieber.
GOTT DES SÜDLICHEN POLARSTERNS
Jetzt aber gibt es erst mal Abendbrot.

(Sun Wu Kung wandert weiter durch das Paradies und kommt zum Stern des Rinderhirten und zum
Stern der Weberin.)

RINDERHIRTE
Geliebte, einmal nur im Jahre kommen
Zusammen wir, weil zwischen unsern Sternen
Der weiße Sternenstrom galaktisch strömt.
WEBERIN
Mein Freund, doch heute ist der Feiertag,
Da bauen Elstern hilfreich uns die Brücke.
RINDERHIRTE
Ich hab dir ein Geschenk auch mitgebracht,
Schau, dieses Joch des Ochsen schenk ich dir.
WEBERIN
Ich auch hab ein Geschenk dir mitgebracht,
Schau, diese Spindel leg ich dir zu Füßen.
RINDERHIRTE
Nun, darf ich dich auch küssen, Vielgeliebte?
WEBERIN
Ich bitte um ein Küsschen auf die Wange!

(Sun Wu Kung wandert weiter.)

DRITTE SZENE

(Im Paradies. Der Pfirsichgarten der Hsi Wang Mu. Hsi Wang Mu und Sun Wu Kung.)

SUN WU KUNG
O Hsi Wang Mu, o Königin und Mutter,
Was soll ich tun in deinem Pfirsichgarten?
HSI WANG MU
O Sun Wu Kung, der Laster Anfang ist
Der Müßiggang. Die Muße stürzte Staaten
Und stürzte Könige von ihren Thronen.
Der Müßiggang begann die schlimmsten Kriege.
SUN WU KUNG
O Göttin Muße, sei von mir gegrüßt!
HSI WANG MU
Allein aus deinem Müßiggang vielleicht
Verliebst du dich und du verwirrst dein Herz!
Allein aus Muße wählst du einen Freund,
Der einem schlimmen Finger ähnlich sieht!
SUN WU KUNG
Die Arbeit aber hab ich nie geliebt.
Im Schweiße seines Angesichtes Arbeit
Zu tun, war immer mir ein Fluch des Herrn.
HSI WANG MU
Doch will ich, dass du in dem Himmelsgarten
Ein Gärtner bist, ein Herrscher bist im Garten,
Der Himmelsgarten sei dir untertan,
Du herrsche wie ein kleiner Gott im Garten!
SUN WU KUNG
Und darf ich denn auch von den Pfirschen naschen?
HSI WANG MU
Die Himmelspfirschen der Unsterblichkeit
Sind dir verboten! Achte das Tabu!

(Hsi Wang Mu ab.)

SUN WU KUNG
Wie schön am Pfirsichbaum die Blüten sind!
Ich seh die Blüten von den Mandelbäumen,
Kirschblüten sah ich einst am Fujiyama,
Sah Apfelblüten und sah Pflaumenblüten,
Die schönsten sind die Pfirsichblüten doch!
Und diese Pfirschen! Diese roten Bälle,
So samtweich ist die Haut wie eine Wange
Der Urgroßmutter eines Bettelmönches,
Und wenn ich diese süßen Bälle schaue
Und denken muß an feste Mädchenbrüste,
Dann möcht ich ihren Nektar schlecken, saugen!

(Sun Wu Kung pflückt sich einen der verbotenen Pfirsiche der Unsterblichkeit und verspeist ihn mit
sündigem Genuß.)

VIERTE SZENE

(Im Pfirsichgarten. Drei sechzehnjährige Feen in transparenten Regenbogenkleidchen tanzen im


Garten. Sun Wu Kung hat sich in einem Wipfel versteckt und schläft.)

ERSTE FEE
O liebe Schwester, süßes Himmelsmädchen,
Wie schön das Leben ist im Paradies!
ZWEITE FEE
O Mädchen, schau, in unsrer Mädchenschönheit
Bricht sich wie im Kristall das Licht der Schönheit.
DRITTE FEE
Die Wesenheit der Schönheit sei gegrüßt,
Der Schönheit Urform und der Schönheit Urbild,
Die himmlische Idee der Schönheit grüß ich.
ERSTE FEE
Die Wesenheit der Schönheit ist in Gott,
Urschönheit ist die Gottheit, alle Schönen
Sind wie die Sonnenstrahlen einer Sonne.
ZWEITE FEE
Und darum gibt es auch im Paradies
Kein altes fettes Weib mit Falten, Runzeln,
Kein altes Weib mit Warzen im Gesicht.
Hier ist kein alter Mann mit dickem Bauch,
Mit grauem Bart und Ansatz einer Glatze.
Das alles sind die Zeichen nur des Todes.
DRITTE FEE
Im Paradies der Wesenheit der Schönheit
Sind Himmelsmädchen nur von sechzehn Jahren.
ERSTE FEE
Und darum werden sich die Künstler freuen,
Die Maler, die die Guan Yin gemalt,
Die Dichter, die besungen junge Mädchen,
Die, wenn sie kommen in das Paradies,
Die werden sehn, dass sie das Paradies
Schon manchmal auf der Erde vorverkostet,
Wenn sie ein junges Mädchen lächeln sahn.
ZWEITE FEE
Erwache, Südwind, blase in den Garten!

(Sun Wu Kung erwacht.)

DRITTE FEE
Die Hsi Wang Mu, die Königin und Mutter,
Sie gibt in ihrem himmlischen Palast
Ein Fest, und alle Götter sind geladen.

(Feen ab. Sun Wu Kung schüttelt seine Schlaftrunkenheit ab und reibt sich den Schlaf aus den
Augen.)

SUN WU KUNG
Geladen alle Götter! Und ich nicht?

FÜNFTE SZENE

(Sun Wu Kung begegnet im Himmel dem Unbeschuhten Gott.)

SUN WU KUNG
Wohin des Weges, Unbeschuhter Gott?
UNBESCHUHTER GOTT
Ich will zum Fest der Mutter Hsi Wang Mu,
Sie lud die Götter ja zum einem Festmahl.
SUN WU KUNG
Bin ich allein, nur ich nicht eingeladen?
UNBESCHUHTER GOTT
Ich will die Mutter und die Königin
Des Westgebirges bitten, dich zu laden.
Ja, lieber will ich fasten, will ich hungern,
Als dass das Himmelreich wär unharmonisch!
Wir sind hier eine göttliche Familie.
SUN WU KUNG
Familie? Was ich von Familien sah
Auf Erden, das war einfach ekelhaft!
Ich sah Gorillaweibchen, alt und fett,
Mit schlaffen Affentitten unterm Baum
Bei Kokosnüssen sitzen, sinnlos schwatzen,
Gorillamännchen sah ich, grau ihr Haar,
Sie furzten vor sich hin voll Langeweile,
Gorillakinder in Lianen schaukelnd
Laut kreischten voller Neid und Eifersucht.
Das soll ich alles hier im Himmel finden?
UNBESCHUHTER GOTT
Das Himmelreich ist anders als die Erde.
Wir werden hier erst zur Familie Gottes,
Nachdem wir durch das Haus der Reinigung
Gegangen und uns badeten im Feuer.
SUN WU KUNG
Wenn einer nun sein Leben lang gelitten
An seinem Vater und an seiner Mutter,
Soll ihnen er im Paradies begegnen?
UNBESCHUHTER GOTT
Wer durch das Haus der Reinigung gegangen
Und von dem Wasser des Vergessens trank,
Vergisst die Bösen und die Übeltäter,
Denkt nur noch an die schönsten Liebeswonnen!
SUN WU KUNG
Ich möchte auch zum Mahl der Königin.
UNBESCHUHTER GOTT
Wir Götter in dem Paradies sind alt,
Wir brauchen einmal wieder junge Götter!
SUN WU KUNG
Wenn ich dich anschau, Unbeschuhter Gott,
So scheinst du alt an Tagen mir zu sein
Und doch so lieblich wie ein junges Mädchen.
UNBESCHUHTER GOTT
Das Herz der Königin sei mit dir, Kindchen!

SECHSTE SZENE

(Im Palast der Königinmutter Hsi Wang Mu. Die Götter sitzen an einer langen Tafel und speisen
Ambrosia und trinken Nektar. Sun Wu Kung lässt das Ambrosia weg und trinkt einen Becher Nektar
nach dem andern.)

HSI WANG MU
Ja, habt ihr alle auch genügend Nektar?
DER RINDERHIRTE
Das war auf Erden unser Wunsch gewesen,
Wenn wir dereinst zu einem Sternbild werden,
Dann trinken wir mit Hsi Wang Mu den Nektar.
Auf Erden uns bekam der Nektar nicht,
Ich denke an den heißen gelben Reiswein,
Uns taten immer unsre Schädel weh
Und manchmal mussten wir uns auch erbrechen.
Wie schön, dass wir jetzt in dem Paradies
Als Götter leckern Nektar trinken dürfen.
SUN WU KUNG
Beim ersten Becher Nektar bin ich noch
Erleuchtet nicht, da leugne ich die Wahrheit,
Wenn ich jedoch den ganzen Krug geleert,
Erkenne ich sie ganz, die nackte Wahrheit.
RINDERHIRTE
Du säufst zuviel! Anstatt dich zu besaufen,
Laß lieber dich vom reinen Geist erleuchten!
SUN WU KUNG
Ihr trinkt den Nektar mit den Götterbrüdern
Im himmlischen Palast der Hsi Wang Mu.
Ich aber trinke Gottes Trunkenheit,
Ich selber bin zum Nektar schon geworden,
In meinen Adern fließt kein Affenblut,
In meinen Adern fließt der Nektar Gottes!
RINDERHIRTE
Der Affe bleibt ein Affe allezeit.
SUN WU KUNG
In meinen Adern fließt der Nektar Gottes
Und dieser Nektar mich verklärt zum Gott.
Ist auf dem Monde doch ein Nektarmeer,
Ich Nektartrunkener versinke trunken
Im Nektarmeer des Gottes auf dem Mond.
RINDERHIRTE
Ja, bist du denn auch einmal nüchtern, Narr?
SUN WU KUNG
Ich Trunkenheit von Gottes Trunkenheit
Versink ekstatisch in dem Rausch der Liebe
Und schlafe trunken mit dem Schlaf des Gottes!
RINDERHIRTE
Ach, was du sagst, ist nichts als purer Wahnsinn!

SIEBENTE SZENE

(Im Himmel. Sun Wu Kung taumelt betrunken in die Einsiedlerhütte von Lao Tse. Dort hat der
abwesende Lao Tse sein alchemistisches Laboratorium und stellt die Pillen des ewigen Lebens her.)

SUN WU KUNG
Dies also ist das Haus von Lao Tse,
Hier ist sein alchemistisches Labor.
Die Menschen und die Götter wollen alle
Die Pillen der Unsterblichkeit verspeisen.
Sie möchten sammeln sich in großen Hallen
Beim Taoistenpapst im Gelben Turban,
Und wenn sie ihre Mantren dann gemurmelt
Und haben ihren Atem reguliert,
Dann möchten sie in heiliger Versammlung
Die Pillen der Unsterblichkeit verspeisen.
Doch auch erleuchtet bleiben Narren Narren,
Die Pille der Unsterblichkeit verwechseln
Sie mit dem Elixier des langen Lebens.
Sie wollen alle hundert Jahre leben
Und noch der Greis von siebzig Jahren will
Dem sechzehn Jahre jungen Mädchen gleich sein
An Lebensfrische und an Blütenanmut.
Die Narren sind nicht wert der Lebenspillen!
Hier aber in der Zelle der Erleuchtung
Bereitet Lao Tse das Elixier
Des langen Lebens und die Pillen der
Unsterblichkeit. Und ich bin hier allein.
Ich nehme alle länglichen Phiolen
Mit dem berühmten Elixier des Lebens
Und alle Schalen mit den weißen Pillen
Und dann besauf ich mich am Elixier
Des langen Lebens und ich stopf mich voll
Mit Pillen der Unsterblichkeit, sie alle
Beschenken mich mit der Unsterblichkeit.

(Sun Wu Kung leert die Flaschen mit dem Elixier alle und isst alle Pillen auf.)

Was habe ich getan? Wenn Lao Tse


Nun wiederkommt in seine Einsiedlei
Und sieht, die Elixiere und die Pillen
Sind alle aufgetrunken, aufgegessen,
Wird er mich nicht beim höchsten Herrn verklagen?
Wenn dann noch Hsi Wang Mu, die Königin,
Dem Herrn berichtet, dass ich bei dem Festmahl
Zu tief geschaut hab in zu viele Becher,
Muß wieder ich reumütig Buße tun!

SIEBENTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Himmel. Der Herr des Himmels im weißen Jadethron. Lao Tse und Hsi Wang Mu stehen vor
dem Herrn.)

HSI WANG MU
Ach Herr, ich muß von Sun Wu Kung vermelden,
Daß er beim Liebesmahl der Königin,
Beim Abendmahl im himmlischen Palast,
Nicht nur ein Bröcklein aß Ambrosia
Und nur die Lippen netzte mit dem Nektar,
Nein, dass er sich besoffen hat, besoffen,
Getaumelt und getorkelt ist der Säufer!
LAO TSE
O Herr, in meiner Zelle in dem Himmel
War er im alchemistischen Labor
Und hat das Elixier des langen Lebens
Und alle Pillen der Unsterblichkeit
Verschlungen gierig, als wenn’s Zucker wäre.
DER HERR
Wo ist jetzt Sun Wu Kung? Er möchte kommen,
Reumütig soll er seine Buße tun!
LAO TSE
Er wusste, aß du Reu und Buße forderst,
Doch ist er ja so stolz auf seine Sünden
Und rühmt sich seiner frechen Heldentaten!
HSI WANG MU
Und darum hielt er’s nicht im Himmel aus
Und hat das Gartenparadies verlassen
Und kehrte zu der Erde, zu den Affen
Zurück, ein Herr der Affen dort zu sein.
LAO TSE
Ja, lieber wollt er Herr auf Erden sein
Als Gottes Diener in dem Himmelreich.
DER HERR
Ruft ihn zurück, ich will ihn bei mir haben!
HSI WANG MU
Er, der schon war in meinem Paradies,
Die Pfirschen der Unsterblichkeit gekostet,
Vom Becher mit dem Götternektar trank,
Der ist unsterblich schon und noch auf Erden!
LAO TSE
Er, der das Elixier des Lebens trank
Und aß die Pillen der Unsterblichkeit,
Der ist unsterblich schon und doch auf Erden!
DER HERR
Ruft ihn zurück, ich will ihn bei mir haben!
Ich habe meine Freude an dem Kindchen!

ZWEITE SZENE

(Der Herr in seinem weißen Jadethron. Vor ihm steht die Göttin Guan Yin, die Mutter der
Barmherzigkeit.)

DER HERR
O Guan Yin, du Mutter des Erbarmens,
Nur du kannst jetzt den Affen Sun Wu Kung
Durch dein Erbarmen in den Himmel holen!
GUAN YIN
In meiner herzlichen Barmherzigkeit
Ist alles eingeschlossen in der Welt,
So wie ein Embryo im Uterus!
DER HERR
So geh du zu dem Himmelstor im Süden,
Von dort aus hole Sun Wu Kung zurück!
GUAN YIN
Ich fange ihn mit meinem Diamant-Ring,
Des Tao Diamant-Ring hat die Macht,
Den Affen an das Himmelreich zu binden.
DER HERR
Wenn du den Diamant-Ring angelegt,
Dann ziehe ihn hinauf ins Paradies!
GUAN YIN
Ich ziehe ihn mit meiner Perlenschnur
Des Mutter-Mantras in das Paradies!
DER HERR
Wenn Menschen sterben, in der Todesstunde
Sie lallen oftmals nur noch: Mama, Mama!
GUAN YIN
Ich bin die Mutter aller Sterbenden,
Ich bin der Todesstunde liebe Mama!

(Guan Yin geht zur südlichen Himmelspforte und wirft den Diamant-Ring des Tao auf die Erde.
Damit fängt sie Sun Wu Kung.)

SUN WU KUNG
(auf Erden, auf der Insel der Affen)O Guan Yin, das ist dein Diamant-Ring!
Ich bin verlobt mit dir, o Guan Yin!

(Guan Yin senkt ihre Perlenschnur vom Himmel zur Erde.)

GUAN YIN
Freund, halt dich fest an meiner Perlenschnur!

(Sie zieht mit der Perlenschnur Sun Wu Kung in den Himmel.)

SUN WU KUNG
O Göttin, Göttin, ich bin ganz dein eigen!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung ist wieder im Himmel. Er steckt jetzt in dem Läuterungsofen des Lao Tse. Flammen
schlagen aus dem Ofen.)

SUN WU KUNG
Wie lange muss ich noch im Ofen brennen?
LAO TSE
Bis alle deine Sünden abgebüßt!
SUN WU KUNG
O weh, ich hab mein Leben lang gesündigt!
LAO TSE
Doch bist du auserwählt fürs Paradies!
Die Gnadengöttin Guan Yin, gerettet
Hat deine Seele sie fürs Paradies!
SUN WU KUNG
O wär ich endlich schon im Paradies!
Wie heiß doch diese Feuerflammen brennen!
LAO TSE
Jetzt komm hervor, du bist jetzt Gold geworden.
Die Sehnsuchtsglut hat dich purgiert,
Da abgefallen alle Schlacken sind,
Bist du geworden jetzt ein goldner Affe.

(Sun Wu Kung steigt aus dem Läuterungsofen, er ist zu einem goldenen Affen der Weisheit
geworden.)

SUN WU KUNG
Geläutert bin ich, o jetzt bin ich rein,
Ich bin bereit, dem Kaiser zu begegnen!
LAO TSE
Der Jadekaiser auf dem Jadethron
Hat dich dem großen Buddha übergeben.
Der Ewige Urbuddha ist im Himmel
Der große Buddha von dem Reinen Land.
SUN WU KUNG
Ich möchte aber lieber nicht verlöschen
Im bloßen Nichts der absoluten Leere!
LAO STE
Dein wartet eine Arbeit noch, jedoch
Zuerst will dich der große Buddha prüfen.
SUN WU KUNG
Wie lange dauert noch die Prüfungszeit?
LAO TSE
Auch Buddha musste Myriaden Jahre
Auf seinen Eingang ins Nirwana warten.
Jetzt geh, Siddharta wartet schon auf dich!

VIERTE SZENE

(Der Ewige Urbuddha, riesengroß, und Sun Wu Kung, der in der Hand Buddhas ist.)

BUDDHA
Du fandest dich in meiner rechten Hand,
Ich sagte dir, dass niemand dich entreißen
Aus meinen Händen könnte und dass du
Entfliehen könntest zwar, wohin du willst,
Du wärest immer doch in meiner Hand.
SUN WU KUNG
Das glaube ich dir nicht, Gautama Buddha,
Ich bin gewandelt hunderttausend Meilen
Und kam zu einem mächtigen Gebirge,
Fünf Gipfel standen steil da in die Höhe.
Ich sah dich nicht, ich war dir ja entkommen.
So stellte ich mich vor den mittlern Gipfel
Und pisste lachend diesen Gipfel an
Und schrieb mit meinem Strahle des Urin
An jenen mittlern Gipfel: Ich war hier!
BUDDHA
Du wusstest nicht, du warst in meiner Hand.
Fünf Gipfel schautest du? In Wahrheit waren
Fünf Finger das von meiner rechten Hand.
Die Wurzel schau du meines Mittelfingers,
Hier sind die Tropfen noch von deinem Pipi.
SUN WU KUNG
O Ewiger Urbuddha, der du bist
Verkörpert in dem Buddha Reinen Landes,
Ich konnte deinen Händen nicht entkommen?
BUDDHA
In meiner rechten Hand ist alle Kraft,
Von meinen Händen strömt Barmherzigkeit.
Mein Universales Allerbarmen alles
Umfängt, der Universen Universum
Ruht sicher in der rechten Hand des Buddha.
SUN WU KUNG
So geb ich mich geschlagen und ergeb mich
Freiwillig dir in deine rechte Hand,
Bewahre mich in deiner rechten Hand
Und laß mich leben in dem Reinen Land!
BUDDHA
Das Paradies ist noch das Höchste nicht!
Die Götter suchen alle selbst Erlösung!
Die Götter und die Paradiesbewohner,
Sie wollen alle sich vermischen mit
Dem Ozean der Allbarmherzigkeit,
Wo sie erlöst von ihrem alten Ego
Vergottet werden in dem Ungewordnen!

FÜNFTE SZENE

(Die Göttin Guan Yin, Mutter der Barmherzigkeit, und Sun Wu Kung, der goldene Affe der
Weisheit, der an seiner rechten Hand den Diamant-Ring des Tao trägt.)

GUAN YIN
Mein vielgeliebter Affe Sun Wu Kung,
Du bist ganz mein in Gottes Paradies!
SUN WU KUNG
Ich liebe dich vor allem, meine Göttin,
Dich, Guan Yin, die Mutter meines Heiles!
GUAN YIN
Ich habe einen Wunsch und eine Bitte.
SUN WU KUNG
Sprich, meine Mutter und Gebieterin!
Im Himmel ist es aller Götter Freude,
Dir liebevoll zu dienen, Heilige!
GUAN YIN
Auf Erden drunten in dem Reich der Mitte
Ein großer Hunger ist nach Gottes Wort!
Ich habe einen meiner treusten Jünger
Erwählt, als Mönch nach Israel zu pilgern,
Das Evangelium von Gottes Wort
Zu bringen in das gelbe Reich der Mitte.
Mein vielgeliebter Affe Sun Wu Kung,
Du bist zu einem Heiligen geworden,
Steig du als Boddisattwa des Erbarmens
In meinem Namen wieder auf die Erde
Und hilf du meinem auserwählten Jünger,
Das Buch der Evangelien zu holen
In mein zumeist geliebtes Reich der Mitte!
SUN WU KUNG
Was ist denn das, ein Evangelium?
GUAN YIN
Die Freudenbotschaft ists für die Chinesen,
Daß Gott, der höchste Herr des höchsten Himmels,
Der Gott der Götter, ist ein Mensch geworden
Und wanderte als Gottmensch auf der Erde.
Das Evangelium gibt davon Kunde.
SUN WU KUNG
O vielgeliebte Göttin Guan Yin,
Ich will erfüllen alle deine Wünsche!
Mein größtes Glück im Paradiese ist,
Von jenen deinen mitleidsvollen Augen
Dir alle deine Wünsche abzulesen!
GUAN YIN
Bereite dich! Das gelbe Reich der Mitte
Verdurstet fast nach dieser Freudenbotschaft!
SUN WU KUNG
Hat dieser Gottmensch einen Namen auch?
GUAN YIN
Ye-su Ji-du!

DIE ZIGEUNER

ERSTER GESANG

Es war einst eine schöne Königin,


Von ihrer Jugend bis zum hohen Alter
Trug diese Königin nicht Einen Sohn.
Und doch, ihr Sohn, der war ein starker Held.
Als er geboren wurde, sagte er
Zum Vater: Papa, hast du Schwert und Knüppel?

Nein, sprach der Vater, nein, mein liebes Kind,


Doch will ich einen Knüppel machen lassen,
Der nur für dich wird angefertigt werden.
Da sprach der Sohn: Bestelle keinen Knüppel,
Ich gehe ohne Waffen, wie ich bin.

So ging der Junge, reiste lange Zeit,


Er achtete auf nichts, bis er gekommen
In einen großen Wald. In diesem Walde
Er streckte faul sich unter einem Baum,
Ein wenig auszuruhn, denn er war müde.
Und also saß er eine Weile da.
Da kamen Gott und Petrus zu dem Jungen,
Er hatte noch empfangen nicht die Taufe.
Da fragte ‚Gott: Wo gehst du hin, mein Junge?

Ich suche Heldentaten, alter Knabe!


So sprach der junge Sohn zum lieben Gott.

Da dachte Gott und dachte lange nach,


Und da hat Gott ein Gotteshaus gebaut,
Er ließ den Jungen ruhn und bat den Petrus,
‚Ihn hoch zu heben, und er ging mit ihm
Ins Gotteshaus und gab den Namen ihn:
Du sollst nun Hannak heißen. Und der Gott
Zu Hannak sprach: Dem lieben Gott sei Dank,
Ein Held wie du wird nie ein Feigling sein,
Und nimmst du dir zur Frau die Tochter Gottes?

Es gab da eine Jungfrau, die heroisch


Und tapfer war und war von Gott getauft.
Und sie war Gottes erstgeborne Tochter.
Da sagte Gott zu seinem Patensohn,
Er solle nehmen diese Gottestochter.
Er gab ihm einen Zauberstab des Glücks,
Er gab ihm auch ein scharfes Schwert und Kraft
Und setzte hin ihn auf den Waldesboden.
Der Pate aber ging hinauf gen Himmel,
Der Patenonkel, der der liebe Gott war.

Und Hannak sah, dass Gott ihm Kraft gegeben,


Und er begab sich weiter auf die Suche
Nach Heldentaten, reiste lange Zeit,
So kam er einst in einen großen Wald,
Da war ein Drache, hundert Jahre alt,
Und seine Wimpern reichten bis zum Boden
Und seine Haare reichten bis zum Boden.
Der Knabe trat zu ihm und sagte: Heil!

Und als der Drache seine Stimme hörte,


Er wusste: Das ist Gottes Patenkind.

Und Hannak fragte: Ist denn Gottes Tochter


In weiter Ferne oder ist sie nahe?
Der Drache sprach: Sie wohnt nicht weit von hier,
Drei Tagereisen braucht die Wanderung.

Der Junge ging und wanderte drei Tage,


Bis er zur allerschönsten Jungfrau kam.
Da sah das Mädchen ihn, und sie erkannte
Das Patensöhnchen ihres eignen Paten.
Sie ließ ihn in ihr Haus, und sie servierte
Ihm Essen, aß mit ihm und fragte ihn:
Was suchst du hier bei mir, mein lieber Hannak?

Ich bin gekommen, dich zur Frau zu nehmen.

Wen? Wen denn soll ich nehmen zum Gemahl?

Mich selber, liebe Jungfrau, nimm zum Mann.

Ich geb mich ohne Kämpfe dir nicht hin.

Da sagte Hannak: Komm und lass uns kämpfen.

Sie kämpften, kämpften, kämpften sieben Tage.


Der Junge überwältigte die Jungfrau.
Er nahm sie, ging zu ihrem Patenonkel.
Der krönte sie und segnete die Ehe.
Sie wurden Herrscher über alle Länder.
Ich selber kam von ihrem Hochzeitsfest
Und hab betrunken dieses Lied gedichtet.

ZWEITER GESANG

Es war der Rote König, und er kaufte


Für zehn Dukaten leckre Lebensmittel,
Er kochte sie und tat sie in die Kammer,
Er sperrte zu die Kammer, und er schickte
Volk, zu bewachen diese Lebensmittel.

Am Morgen fand er seine Kammer leer,


Hat keine Lebensmittel drin gefunden.
Er sprach: Ich will die Hälfte meines Reiches
Dem geben, der die Kammer mir bewacht,
Damit die Speisen werden nicht geraubt.

Drei Söhne hatte nun der Rote König.


Der Älteste bedachte in sich selber:
Was gilt das halbe Reich denn einem Fremden?
Es wäre besser, dass ich selber zuseh.
Geschehe mir nur stets nach Gottes Willen.

Er ging zu seinem Vater: Alles Gute!


Gib nicht das Reich des Königs einem Fremden!
Es wäre besser, säh ich selbst danach.

Der Vater sagte: Wie der Herrgott will,


Doch fürcht dich nicht vor dem, was du wirst sehen.

Der Sohn sprach: Mir gescheh nach Gottes Willen.

Er ging und legte sich in den Palast.


Da legte er sein Köpfchen auf das Kissen
Und blieb so liegen bis zum Morgengrauen.
Und eine warme müde Brise kam
Und hüllte ein den Sohn in tiefen Schlummer.
Und da erhob sich seine kleine Schwester.
Sie machte einen Salto. Ihre Nägel,
Sie wurden ihr zu einer scharfen Axt,
Und ihre Zähne wurden große Schaufeln.
Sie öffnete die Kammer und fraß alles.
Dann wurde wieder sie zum kleinen Kindchen
Und kehrte wieder heim in ihre Wiege,
Sie war ein Baby an der Mutterbrust.
Da stand der Junge auf und sprach zum Vater,
Er habe nichts gesehen. Und sein Vater
Sah in die Kammer, und er fand sie leer.
Er sprach: Da braucht es einen bessern Mann
Als dich, und dem auch könnte nichts gelingen.

Da sagte auch der zweite Sohn zu ihm:


Ich, Vater, schau heut Abend nach der Kammer.

Geh, Liebling, spiel du nur den starken Mann.

O Vater, mir gescheh nach Gottes Willen.

Er ging und legte sich in den Palast.


Da legte er sein Köpfchen auf das Kissen
Und blieb so liegen bis zum Morgengrauen.
Und eine warme müde Brise kam
Und hüllte ein den Sohn in tiefen Schlummer.
Und da erhob sich seine kleine Schwester.
Sie machte einen Salto. Ihre Nägel,
Sie wurden ihr zu einer scharfen Axt,
Und ihre Zähne wurden große Schaufeln.
Sie öffnete die Kammer und fraß alles.
Dann wurde wieder sie zum kleinen Kindchen
Und kehrte wieder heim in ihre Wiege,
Sie war ein Baby an der Mutterbrust.
Da stand der Junge auf und sprach zum Vater,
Er habe nichts gesehen. Und sein Vater
Sah in die Kammer, und er fand sie leer.
Er sprach: Da braucht es einen bessern Mann
Als dich, und dem auch könnte nichts gelingen.
Da sprach der jüngste Sohn zu seinem Vater:
Heil Vater! Gib du mir auch die Erlaubnis,
Nach deiner Kammer heute Nacht zu sehen.

Schatz, fürcht dich nicht vor dem, was du wirst sehen.

O Vater, mir gescheh nach Gottes Willen.

Und er ging hin und ging in den Palast,


Er nahm vier Nadeln und er legte sich
Mit seinem Köpfchen auf das Kissen und
Vier Nadeln steckte er ins weiche Kissen.
Als nun der Schlaf ihn griff, schlug mit dem Kopf
Er an die Nadeln, und so blieb er wach
Bis Mitternacht. Und seine kleine Schwester
Erhob sich von der Wiege, und er sah,
Sie machte einen Salto, und er sah es,
Und ihre Zähne wurden große Schaufeln
Und ihre Nägel wurden große Äxte,
Sie fraß die Lebensmittel aus der Kammer
Und kehrte heim in ihre Kinderwiege.
Da zitterte der jüngste Sohn vor Angst,
Zehn Jahre schiens ihm bis zum Morgenrot.
Und er stand auf und ging zu seinem Vater
Und wünschte seinem Vater alles Gute.

Der Vater sprach: Was sahst du, Peterchen?

Was ich gesehen? Was ich nicht gesehen?


Gib Geld mir und ein Pferd, das Geld zu tragen,
Denn ich bin weg, will freien eine Frau.

Sein Vater gab ihm einen Sack Dukaten,


Der Junge legtre dieses auf sein Pferd.
Er grub ein Loch dann an der Landesgrenze,
Er tat das Geld in eine Truhe und
Begrub das Geld und tat darauf ein Kreuz
Und ging und reiste sieben Jahre, bis
Er kam zur schönen Königin der Vögel.

Da sprach die Königin: Wohin, mein Lieber?

Ich will dort hin, wo weder Tod nich Alter,


Dort will ich eine Frau zur Ehe nehmen.

Da sprach die Königin der Vögel dies:


Hier, Peterchen, ist weder Tod noch Alter.

Da sagte Peterchen zu ihr: Wie kommt es,


Dass hier nicht Tod noch Alter sind, o Frau?

Da sprach die Königin der Vögel dies:


Wenn alle Bäume dieses Waldes fallen,
Dann kommen Tod und Alter, mich zu rauben.

Da sagte Peterchen zur Königin:


Ach, eines Tages, eines Morgens kommen
Das Alter und der Tod, um mich zu rauben.

Und er ging weiter und er wanderte


Und kam in einen kupfernen Palast.
Und eine Jungfrau kam aus dem Palast,
Umarmte ihn und küsste ihn sehr zärtlich
Und sprach: Ich habe lang auf dich gewartet.

Sie nahm das Pferd und bracht es in den Stall.


Der Junge blieb im kupfernen Palast
Und blieb dort über Nacht, erhob sich morgens
Und tat den Sattel auf sein treues Pferd.

Doch da begann das Mädchen laut zu weinen


Und sprach: Wo willst du hin, mein Peterchen?

Ich will dort hin, wo weder Tod noch Alter.

Da sprach das Mädchen dies zu Peterchen:


Hier, Lieber, hier ist weder Tod noch Alter.

Da fragte Peterchen: Wie kommt es denn,


Mein Schatz, dass hier sind weder Tod noch Alter?

Wenn diese Berge eingeebnet werden,


Und wenn die Bäume dieser Wälder stürzen,
Dann wird auch kommen der Gevatter Tod.

Das ist kein Ort für mich, sprach da der Knabe,


Und er ging weiter, reiste sieben Jahre.

Was aber sprach sein treues Pferd zu ihm?


O Meister, peitsch mich viermal, peitsch mich zweimal,
Denn du bist in die Ebene der Reue
Gekommen, Reue wird dich hier ergreifen
Und wird dich weinend werfen auf die Erde,
Dann stürzt dein Pferd mit deinen Siebensachen.
So sporne du dein Pferd an und entfliehe.

Er kam zu einer Hütte. In der Hütte


Sah einen Jungen er, zwölf Jahre alt,
Der frug: Was suchst du hier, mein Peterchen?

Ich such den Ort, wo weder Tod noch Alter.

Da sprach der Junge: Hier ist weder Tod


Noch Alter. Und ich bin der freie Wind.
Da sagte Peterchen: Ich werde niemals
Hier diesen Ort verlassen. Und er wohnte
Dort hundert Jahre und er ward nicht älter.

Der Junge aber täglich gingen hinaus,


Er jagte in den Bergen Gold und Silber,
Er konnte kaum den Tand nach Hause tragen.

Was hatte da der Wind zu ihm gesagt?


O Peterchen, geh du zu allen Bergen
Und jage in den Bergen Gold und Silber,
Doch geh du nicht in das Gebirg der Reue
Und geh du nicht ins Tal der Traurigkeit.

Er hörte nicht darauf, vielmehr er ging


In das Gebirg der Reue und ins Tal
Der Traurigkeit. Und Kummer warf ihn nieder,
Er weinte, seine Augen überflossen.

Da ging er zu dem Wind: Ich geh nach Hause


Zu meinem Vater, werd nicht länger bleiben.

Geh nicht, mein Freund, dein Vater ist schon tot


Und deine Brüder auch sind lang schon tot
Und du hast niemand mehr in deinem Hause.
Denn Millionen Jahre sind gekommen
Und Millionen Jahre sind gegangen.
Der Ort ist heute nirgends mehr bekannt,
Wo der Palast gestanden deines Vaters.
Sie haben dort Melonen drauf gepflanzt,
Es ist nur eine kleine Stunde her,
Seit ich allein bin diesen Weg gegangen.

Der Knabe aber dennoch ging von dannen,


Da kam er zu dem kupfernen Palast
Und zu dem Mädchen, das da drinnen wohnte.
Ein Zweig war nur geblieben, und sie schnitt ihn
Mit einer Schere ab und wurde alt.
Und als er an die Tür der Halle klopfte,
Da fiel der ‚Zweig herab, das Mädchen starb.
Und er begrub sie und er ging von dannen.
Da kam er zu der Königin der Vögel
Im großen Wald. Ein Zweig war nur noch übrig.

Und als ihn sah die Königin der Vögel,


Da sprach sie: Peterchen, du bist noch jung.

Da sagte Peterchen zur Königin:


Erinnerst du dich noch, wie du gesagt,
Ich solle bleiben hier in deinem Wald?‘
Da fasste sie den Zweig und brach ihn durch,
So fiel und starb die Königin der Vögel.

Er kam zu dem Palast des Vaters. Nichts!


Da staunte er: O Gott, du bist allmächtig!
Doch seine kleine Schwester, diese Hexe,
Als sie ihn sah, da sagte sie zu ihm:
Ich habe lang auf dich gewartet, Hund!
Da eilte sie zu ihm, um ihn zu fressen,
Er aber machte schnell das Kreuzeszeichen,
Da ging die Hexe also gleich zugrunde.

Er ging von dort von dannen und er kam


Zu einem alten Mann mit langem Bart:
O Väterchen, wo ist denn der Palast
Des Roten Königs? Denn ich bin sein Sohn.

Du sagst, der Alte sprach, dass du sein Sohn bist?


Der Vater meines Vaters hatte mir
Erzählt vom Roten König. Seine Stadt
Ist nicht mehr da. Du siehst, sie ist verschwunden.
Wie sagst du, dass du bist des Königs Sohn?

Es sind doch keine zwanzig Jahre, Alter,


Seit ich von meinem Vater weg gegangen.
Und du willst meinen Vater gar nicht kennen?
(Es waren aber Millionen Jahre,
Seit er das Haus des Vaters hat verlassen.)
So folg mir, wenn du mir nicht glauben willst.

Er ging zum Kreuz, das einst er aufgestellt,


Da grub er tief, die Truhe auszugraben,
Drei Tage lang er grub in tiefer Erde.
Und als die Truhe er heraus gehoben,
Da saß Gevatter Tod in einer Ecke,
Da saß das Alter in der andern Ecke,
Und beide ächzten, krächzten, seufzten, stöhnten.

Was aber sagte da das schwache Alter?


O Bruder Tod, den Knaben schnappe dir!

Der Tod sprach: Fessle du ihn selbst, o Alter!

Da griff das Alter Peterchen von vorn,


Der Tod ergriff das Peterchen von hinten.

Der alte Mann begrub das Peterchen


Und stellte auf sein Ehrengrab ein Kreuz
Und nahm das Geld und nahm das treue Pferd.

DRITTER GESANG
Es waren König einst und Königin,
Die hatten lange Zeiten keine Kinder.
Der König dacht: Wir haben niemals welche.
Da weinte er und klagte immer laut:
Was wird aus uns wohl ohne Kinder werden?
Da sprach der König zu der Königin:
O meine vielgeliebte Königin,
Ich gehe fort und werde dich verlassen,
Und wenn bei meiner Rückkehr ich zu dir
Nicht einen eingebornen Sohn hier finde,
Dann werd ich dich mit eignen Händen töten,
Vielleicht auch schicke ich dich weg von mir
Und will mit dir nicht mehr zusammen leben.

Da kam ein andrer König in das Land,


Der forderte ihn auf zu Kampf und Krieg,
Denn wenn der König nicht aufs Schlachtfeld gehe,
Dann kommt der andre König in das Land,
Um ihn auf seinem Throne zu erschlagen.
Da sprach der König zu der Königin:
Hier hat ein König mich herausgefordert
Zum Kampf. Wenn ich nun einen Sohn gehabt,
Dann wäre ich von dir nicht fortgegangen
Und wäre fein bei dir im Haus geblieben.

Sie sagte: Wie kann ich dir helfen, König,


Da Gott verschlossen meinen Mutterschoß,
Mir keinen Sohn gibt. Was kann ich dafür?

Er sprach zu ihr: Erbitte nichts von Gott.


Doch wenn ich komm und finde keinen Sohn,
Von dir geboren, werde ich dich töten.

Da ging der König fort in ferne Länder.

Da überlegten klüglich Gott und Petrus,


Was mit der Königin geschehen solle.
Da sprach der liebe Gott zum Papste Petrus:
Hier, Petrus, geh hinab mit dieser Feige
Und tritt vors Fenster unsrer Königin
Und rufe laut: Ich habe eine Feige,
Und wer die Feige ist, der wird empfangen.
Sie wird dich hören. Denn es wäre schade,
Wenn käm der König heim, um sie zu töten.

Da nahm nun Petrus diese Feige, ging


Hinab und tat, wie Gott es ihm gesagt.
Er rief vorm Fenster laut der Königin.
Sie hörte das und kam zu ihm heraus,
Sie rief ihn zu sich und sie fragte ihn:
Was willst du Geld für diese Feige haben?
Er sagte: Gib mir einen Beutel voll.

Die Königin gab Petrus einen Beutel


Voll Geld und nahm die Feige und sie aß sie.
Als sie gegessen hatte, war sie schwanger.
Und Petrus hat den Beutel da gelassen.
So kam die Zeit, ein Baby zu gebären.
Am Tage, da sie ihren Sohn geboren,
Da kam des Sohnes Vater aus dem Krieg,
Er hatte in dem Krieg die Schlacht gewonnen.

Und als der König nun nach Hause kam


Und hörte, dass die Königin geboren
Ihm einen Sohn, da ging er in die Schenke
Und trank in Menge vom Wacholderschnaps,
Bis er betrunken war. Und als er kam
Nach Hause von der Schenke, vor der Tür,
Da fiel er hin und blies den Atem aus.

Da hörte das der Knabe und erhob sich


Von seiner Mutter prallen Mutterbrüsten
Und ging zum Gastwirt und er schlug ihn tot.
Die Adligen und auch das Volk, die sahn ihn,
Die sahen, dass er war ein starker Held
Und staunten über seine Kraft der Faust.

Doch fiel ein Böser Blick auf diesen Helden,


Drei Tage lag er krank in seinem Bette,
Dann starb der Held, er starb am Bösen Blick.

VIERTER GESANG

Ein großer Kaiser hatte einst drei Söhne.


Da gab er einen Ball, und alle kamen.
Ein Nebel kam herab, da kam ein Drache,
Ergriff die Kaiserin und trug sie fort
In tiefe Wälder hoch auf einem Berg
Und setzte dort die Dame auf die Erde.
Dort in der Erde, dort war ein Palast.
Jetzt aber nach dem Ball im Kaisersaal
Die Fraun und Männer gingen all nach Haus.

Der jüngste der drei Söhne war ein Seher,


Die andern sprachen: Du bist ja verrückt!
Er sagte: Lasst uns unsre Mutter suchen.
Die Brüder machten gleich sich auf den Weg,
Da kamen schließlich sie an einen Kreuzweg.
Er sagte: Brüder, wohin wollt ihr gehen?

Der Erste sprach: Ich gehe grade aus.


Der Zweite sprach: Ich geh den linken Weg.
Der Jüngste sprach: Ich geh den rechten Weg.

Der erste Bruder kam in eine Stadt,


Der zweite Bruder kam auf einen Hof,
Der jüngsten Bruder kam in einen Wald.

Ein bisschen waren sie gegangen schon,


Der jüngste Bruder kehrte schon zurück
Und sagte: Wie denn sollen wir erfahren,
Wenn einer unsre Mutter hat gefunden?
Lasst drei Posaunen mit uns nehmen, Brüder,
Wer immer unsre liebe Mutter findet,
Der blase mit Gewalt in die Posaune.
Wir hören ihn und kommen rasch nach Hause.

Der jüngste Sohn ging in die tiefen Wälder.


Und er war hungrig und da fand er dort
Ein Apfelbäumchen voll mit roten Äpfeln,
Da aß er einen Apfel, und zwei Hörner
Ihm wuchsen aufrecht an der weißen Stirn.
Er sprach: Was Gott tut, das ist wohl getan.
Er ging, er überquerte einen Strom,
Da fiel das Fleisch von seinen Knochen ab.
Er sprach: Was Gott tut, das ist wohl getan.
Gepriesen sei der Name meines Gottes.
Er ging, er fand noch einen Apfelbaum
Und sagte: Ich ess noch ein Äpfelchen,
Und wenn mir auch vier Hörner wachsen sollten.
Und als er aß, da fielen ab die Hörner.
Er ging, da fand er wieder einen Strom
Und sagte: Ist das Fleisch von mir gefallen,
Nun fallen meine Knochen von mir ab,
Und dennoch überquere ich den Strom.
Und schöner ward sein Fleisch als je zuvor.
Da ging er nun hinauf auf einen Berg.
Da war ein Stein auf einer Waldeslichtung.
Da sah er in der Erde tief ein Loch.
Da blies er mit Gewalt in die Posaune.

Die Brüder hörten ihn und kamen an:


Hast du die liebe Mutter denn gefunden?

Ich habe sie gefunden. Kommt und seht!

Sie gingen auf den Berg und zu dem Stein.

Entfernt ihr zwei den Stein von seinem Ort!

Wir können nicht, der Stein ist viel zu schwer.

Er legte seinen kleinen Finger drauf


Und schob den Stein sehr leicht von seiner Stelle.
Ha, sprach er, hier ist unsre liebe Mutter.
Wer wird enttäuscht sein, dass ich sie gefunden?
Die Brüder sprachen: Wir sind nicht enttäuscht.

Der Jüngste sprach: Kommt mit mir in den Wald,


Wir werden Rinde von den Bäumen streifen
Und werden machen daraus einen Korb
Und von den Fasern machen wir ein Seil.

Sie taten es und machten Korb und Seil.

Ich lasse mich hinunter in das Loch,


Und reiße ich am Seil, dann zieht mich hoch.

So ließ er fallen sich ins tiefe Loch


Und kam im Loch zum Hause Nummer eins,
Dort fand er eine schöne Kaiserstochter,
Die hielt gefangen dort der böse Drache.

Sie sagte: Warum bist du hergekommen?


Der Drache wird dich töten, wenn er kommt.

Er fragte sie: Hat denn der böse Drache


Nicht eine alte Dame hergebracht?

Sie sprach: Ich weiß es nicht, mein lieber Freund,


Doch weiter geh zum Hause Nummer zwei,
Denn dort ist meine Schwester auch gefangen.

Er kam im Loch zum Hause Nummer zwei,


Dort fand er eine schöne Kaiserstochter,
Die hielt gefangen dort der böse Drache.

Sie sagte: Warum bist du hergekommen?


Der Drache wird dich töten, wenn er kommt.

Er fragte sie: Hat denn der böse Drache


Nicht eine alte Dame hergebracht?

Sie sprach: Ich weiß es nicht, mein lieber Freund,


Doch weiter geh zum Hause Nummer drei,
Denn dort ist meine Schwester auch gefangen.

Er kam im Loch zum Hause Nummer drei,


Dort fand er eine schöne Kaiserstochter,
Die hielt gefangen dort der böse Drache.

Sie sagte: Warum bist du hergekommen?


Der Drache wird dich töten, wenn er kommt.

Er fragte sie: Hat denn der böse Drache


Nicht eine alte Dame hergebracht?

Sie sprach: Ich weiß es wohl, mein lieber Freund,


Nur weiter geh zum Hause Nummer vier,
Denn dort ist deine Mutter auch gefangen.

Er ging zu seiner Mutter und sie sagte:


Mein Sohn, warum bist du hierher gekommen?
Der Drache wird dich töten, wenn er kommt.

Er sagte: Hab nur keine Angst, o Mutter,


Komm mit mir. - Und er führte sie zum Korb
Und legte seine Mutter in den Korb
Und sagte dann zu seiner lieben Mutter:
Du sage meinen Brüdern, dass sie müssen
Drei Jungfraun ziehen aus dem Loch ans Licht.
Er riss am Seil, sie zogen hoch die Mutter.
Die erste Jungfrau tat er in den Korb,
Sie zogen an das Licht die erste Jungfrau.
Die zweite Jungfrau tat er in den Korb,
Sie zogen an das Licht die zweite Jungfrau.
Dann aber sprach er zu der jüngsten Jungfrau:
Nimm keinen Ehemann dir, bis ich komme.
Sie schwor: Ich nehme keinen, bis du kommst.
Da tat er auch die Jüngste in den Korb,
Die Brüder zogen sie hinauf ans Licht.

Da fand er einen Stein, tat in den Korb


Den Stein und zerrte an dem Seil und dachte:
Wenn meine Brüder ziehn den Stein hinauf,
Dann ziehen sie ans Licht auch ihren Bruder.
Sie zogen nun das Seil zur halben Höhe,
Da riss das Seil, die beiden Brüder dachten,
Der jüngste Bruder sei im Korb am Seil
Und ließen fallen ihn hinab zur Tiefe.
Da fing er an zu weinen. Und er ging
In den Palast hinein, des Drachen Wohnung,
Da zog er eine Kiste vor und fand
In dieser Kiste einen Ring voll Rost.
Er putzte dieser Ring, da trat hervor
Ein Herr und sprach: Was möchtest du, mein Meister?

Er sprach: Bring mich hinauf ans Licht der Welt.

Da nahm der Herr den Jüngling auf die Schultern


Und trug hinaus ihn an die freie Luft.
Da nahm der Jüngling einen Eimer Wasser
Und wusch sein Angesicht mit diesem Wasser,
Da ward sein Antlitz weiß und strahlend rein.
Der Herr dann brachte diesen reinen Jüngling
Zu einem Schneider in der Vaterstadt.
Er wusch sich wieder mit dem Wasser und
Da hat sich sein Gesicht verändert und
Er ging verändert zu dem Schneider, der
War Angestellter bei des Jünglings Vater.
Ein Dutzend Mitarbeiter hatte er.
Doch er erkannte nicht des Kaisers Sohn
Und auch erkannte er die Brüder nicht.

Der erste Bruder sprach zur dritten Jungfrau,


Sie solle nehmen ihn zum Ehemann.
Die jüngste Jungfrau aber sagte: Nein,
Geschworen habe ich, so lang zu warten,
Bis zu mir kommt mein eigner Bräutigam.
Der zweite Bruder sprach zur dritten Jungfrau,
Sie solle nehmen ihn zum Ehemann.
Die jüngste Jungfrau aber sagte: Nein,
Geschworen habe ich, so lang zu warten,
Bis zu mir kommt mein eigner Bräutigam.

Der erste Bruder nahm zur Ehefrau


Die erste Jungfrau, eine Kaiserstochter.
Der zweite Bruder nahm zur Ehefrau
Die zweite Jungfrau, eine Kaiserstochter.
Da riefen sie den Schneider aus der Stadt,
Er solle schöne Hochzeitskleider schneidern,
Sie gaben ihm dazu den besten Stoff.

Da sprach der Sohn des Kaisers zu dem Schneider:


Gib mir die Arbeit an den Hochzeitskleidern.

Der Schneider sprach: Ich werde das nicht tun,


Du würdest nicht die Stoffe richtig schneiden.

Gib mir den Stoff. Ich zahle dir den Schaden,


Wenn ich das Hochzeitskleid nicht richtig mache.

Der Schneider gab dem Jüngling nun den Stoff,


Der rieb den Ring, da kam der Herr hervor
Und fragte: Was begehrst du, o mein Meister?

Nimm diesen Stoff, geh zu dem ersten Bruder,


Nimm Maß, damit es nicht zu breit, zu eng,
Und nähe, dass nicht sichtbar wird der Faden.

Er nähte es, die Naht war nicht zu sehen,


Er brachte dann die Kleider zu dem Schneider.

Der Schneider sprach zum jüngsten Kaisersohn:


Trag diese Kleider zu den beiden Brüdern.

Als nun die Brüder diese Kleider sahen,


Da sprachen sie: Wer hat dies Kleid gemacht?
So gute Arbeit tatest du noch nie.

Die Arbeit hat ein Knecht von mir getan.

Die jüngste Jungfrau wollte uns nicht haben,


So geben wir sie deinem Knecht zur Frau,
Damit er unser treuer Hausknecht werde.

Der erste Bruder nahm die erste Jungfrau,


Der zweite Bruder nahm die zweite Jungfrau,
Sie haben froh das Hochzeitsfest gefeiert.
Und nach der Hochzeit riefen sie den Knecht,
Sie riefen auch die dritte Jungfrau her,
Sie baten sie, den Knecht zum Mann zu nehmen.

Sie sagte Nein, denn sie erkannt ihn nicht.

Der erste Bruder griff sie, sie zu schlagen.

Du musst den Knecht zu deinem Manne nehmen.

Nein, nein, und wenn du mir die Kehle durchtrennst.

Da sprach der Jüngste: Höre zu, o Prinz,


Lass mich mit ihr ins Nebenzimmer gehen
Und heimlich reden mit der jüngsten Jungfrau.

Er führte sie zur Seite, und er wusch sich,


Und er veränderte sein Angesicht,
Dass sie erkannte ihren Bräutigam.

Komm, Mädchen, nun ich nehme dich zur Frau.

Er wusch sich wieder mit dem reinen Wasser


Und sein Gesicht veränderte sich wieder.
Er ging zum Kaiser. Und der frug die Jungfrau:
Willst du den Jüngling hier zum Manne nehmen?

Ich will, so wie ichs ihm versprochen habe.

Zwölf Tage noch, dann wird die Hochzeit sein.

Da riefen sie den Schneider und befahlen:


Zwölf Tage noch, dann sei bereit zur Hochzeit.
Sie gingen jeder dann allein nach Hause.

Sechs Tage waren da vergangen, dann


Sind zehn vergangen, zwei sind noch geblieben.
Der Schneider rief den jungen Bräutigam:
Was tun wir, wenn nichts ist bereit zur Hochzeit?

Ach! Ärger wohnt im Busen eines Toren.


Hab keine Angst. Gott wird für alles sorgen.

Jetzt blieb ein Tag nur noch. Der Bräutigam


Ging aus dem Haus und rieb erneut am Ring.
Da kam hervor der Herr und fragte ihn:
Was ist es, was du willst, mein lieber Meister?

Mein Knecht, erschaffe mir an einem Tag


Den herrlichsten Palast im Sonnenlicht,
Das Dach soll sein aus Glas, der Sonne offen,
Und lass dort Teiche sein mit vielen Fischen.
Die Herren sollen schauen von dem Dach
Und sollen staunen über all die Pracht.
Gib Speise auch und goldenes Geschirr
Und einen leeren, einen vollen Becher.

An einem Tag war alles so geworden.

Und gib auch eine Kutsche und dazu


Sechs Pferde, Hunderte Soldaten, Reiter,
Zweihundert Mann auf jeder Seite da.

Am Morgen dann begann er für die Hochzeit


Zu wirken, er auf einem Platz und sie
Auf einem andern Platz. Zusammen gingen
Sie in die Kirche zu dem Sakrament
Der Ehe, waren nun vermählt und gingen
Nach Hause. Und sie tranken und sie aßen
Und schauten fröhlich auf das goldne Dach.

Als sie gegessen und getrunken hatten,


Da fragte er die Herren, was geschehn soll
Mit Brüdern, die den Bruder morden wollten.

Und seine Brüder hatten dies gehört


Und sprachen: Solche Sünder müssen sterben!

Da wusch er wieder sich mit reinem Wasser


Und er veränderte sein Antlitz wieder.
Und so erkannten seine Brüder ihn.
Er sagte: Guten Tag, geliebte Brüder.
Ihr habt geglaubt, ich wäre umgekommen.
Ihr habt das eigne Schicksal grad verkündigt.
Kommt mit mir raus, werft in die Luft die Schwerter,
Wenn ihr gerecht gehandelt habt, so werden
Die Schwerter euch vor eure Füße fallen,
Doch wenn ihr ungerecht gehandelt habt,
Dann fallen eure Schwerter euch aufs Haupt.

Und alle waren ihre Schwerter hoch,


Das Schwert des Jüngsten fiel vor seine Füße,
Der Brüder Schwerter fielen auf ihr Haupt,
So starben die verräterischen Brüder.

FÜNFTER GESANG

Es war einst ein Zigeuner, der war arm,


Doch hatte eine wunderschöne Tochter,
Die er bewacht wie seinen Augenstern,
Er wollte einem Häuptling sie vermählen.
Und so behielt er immer sie im Zelt,
Wenn Jungs und Mädchen an dem Feuer saßen
Und schaurige Geschichten sich erzählten
Und sich ergötzten auch an Spiel und Tanz.
Ein Hund nur war der ständige Begleiter
Des armen, aber wunderschönen Mädchens.
Doch niemand wusste, wem der Hund gehörte,
Und niemand wusste auch, woher er kam.
Er hatte sich der Bande angeschlossen
Und war fortan Gefährte jenes Mädchens.

Einst ging ihr Vater in die ferne Stadt,


Um zu verkaufen Besen, Körbe, Tröge.
Er ließ die Tochter mit den andern Frauen
Zurück in ihren Zelten auf der Heide
Und zog mit all den Männern in die Stadt.
Das arme Mädchen hatte große Angst,
Die andern Frauen waren voller Neid
Auf ihre Schönheit, hassten ihren Anblick.
Allein der Hund, der blieb ihr treu. Und einmal,
Als eben traurig sie vorm Zelte saß,
Da sagte er: Komm, gehn wir auf die Heide.
Dann sage ich dir, wer ich wirklich bin.
Das Mädchen war erschrocken, denn sie hatte
Noch nie von einem Hund gehört, der fähig
Gewesen wäre, wie ein Mann zu sprechen.
Der Hund nun seine Bitte wiederholte,
Da ging das Mädchen mit ihm auf die Heide.
Der Hund sprach: Küss mich und ich werd ein Mann!
Das Mädchen küsste ihn und vor ihr stand
Ein Mann von wahrhaft wunderbarer Schönheit.
Er setzte neben sie sich in das Gras,
Erzählte, dass ihn eine Fee verwandelt
In einen Hund, weil er versucht, zu stehlen
Der Fee die goldnen Äpfel, und erzählte,
Wie er die menschliche Gestalt zurück
Erlangen könnte, küsste ihn ein Mädchen.
Noch vieles hatten sie sich zu erzählen,
Die ganze Nacht im Grase sich liebkosend.
Da dämmerte die junge Morgenröte,
Das Mädchen mit dem Hund ging heim ins Zelt.
Sie waren nun die allerbesten Freunde.
Der Vater kam nun aus der Stadt zurück
Und freute sich, er hatte Geld gemacht.
Er wollte wieder gehen in die Stadt,
Um zu verkaufen Besen, Töpfe, Löffel,
Da blieb das Mädchen mit dem Hund zurück.
Und eines Nachts, da hatte sie geboren
Und schenkte Leben einem kleinen Welpen.
In ihrem Schrecken und in ihrer Angst
Sie rannte an den Fluss und sprang ins Wasser.
Die Leute zwar versuchten, sie zu retten,
Doch konnten sie die Leiche nirgends finden.
Der Vater hätte sich hinein gestürzt
Ins Wasser, wenn da nicht ein hübscher Herr
Heraufgekommen wäre, und der sprach:
Ich werde bald des Mädchens Leiche bringen.
Er nahm ein bisschen Brot und küsste es
Und warf es in das Wasser. Und da tauchte
Das tote Mädchen aus dem Wasser auf.
Die Leute zogen gleich an Land die Leiche
Und brachten sie zurück zu ihren Zelten,
Um würdig dieses Mädchen zu begraben.
Da sprach der hübsche Herr: Ich will erwecken
Die Liebste, dass sie aufersteht vom Tode.
Er nahm den Welpen, jenes Mädchens Sohn,
Und legte ihn der Leiche an den Busen.
Der Welpe fing gleich an, mit Kraft zu saugen,
Und als er voll gesogen war von Milch,
Erwachte seine Mutter. Und das Mädchen
Sah an den hübschen Herrn und flog zu ihm,
Er war ihr Vielgeliebter, war ihr Hund.

Wie freuten da sich alle die Zigeuner,


Als sie von diesem Wundermärchen hörten,
Und niemand dachte an den kleinen Welpen,
Den Sohn des reizenden Zigeunermädchens.
Da plötzlich hörten sie ein Baby weinen,
Sie sahn ein kleines Kind im Grase liegen.
Da war die Freude wirklich übergroß.
Der kleine Hundewelpe war verschwunden
Und hatte menschliche Gestalt bekommen.
Sie feierten das Sakrament der Ehe,
Sie feierten das Sakrament der Taufe,
Und lebten glücklich bis zu ihrem Ende.

SECHSTER GESANG

Es war mal irgendwo ein guter König,


Der hatte drei Prinzessinnen als Töchter.
Die Schwestern gingen, Teufel nachts zu treffen,
Der Vater wusste nicht, wohin sie gingen.
Da aber war ein Jüngling namens Janko,
Das Mädchens namens Lenka half ihm immer.

Der König fragte eines Tages Janko:


Weißt du nicht, wohin meine Töchter gehen?
Nicht Eine Nacht sind sie zuhaus geblieben,
Und doch, sie tragen immer neue Schuhe.

Da legte Janko nachts sich vor die Tür,


Hielt Wache, um zu sehn, wohin sie gingen.
Doch Lenka sagte alles ihm, sie half ihm:
Sie werden, wenn sie kommen, Feuer auf
Dich werfen und mit Nadeln dich durchstechen.
Und Lenka sagte ihm: Du rühr dich nicht,
Bleib du nur still wie eine Leiche liegen.

Die Teufel kamen zu den hübschen Mädchen,


Die gingen mit den Teufeln in die Hölle.
Sie gingen weiter, aber Janko blieb
Dicht hinter ihnen. Als die Mädchen in
Die Hölle gingen, ging er ihnen nach,
Doch so, dass sie davon nichts wussten. Er
Ging durch den Diamantenwald und schnitt
Sich einen Diamantenzweig vom Baum.
Da schrieen sie laut auf, die hübschen Mädchen:
Der dumme Janko folgt uns in die Hölle!
Denn als er brach den Diamantenzweig
Vom Baum, da gabs ein krachendes Geräusch.
Die dummen hübschen Mädchen hörten das
Und riefen: Janko folgt uns in die Hölle!

Die Teufel sagten nur: Was macht das schon?

Als nächstes gingen sie durch den Kristallwald


Und wieder schnitt er einen Zweig sich ab.
Jetzt hatte er schon zwei Jetons bei sich.
Dann gingen sie durch einen goldnen Wald
Und wieder schnitt er einen Zweig sich ab.
Jetzt hatte er schon drei Jetons bei sich.
Da sagte Lenka zu dem Jüngling Janka:
Ich will in eine Fliege dich verwandeln,
Und wenn du in das Reich der Hölle kommst,
Dann schleiche dich als Fliege unters Bett,
Versteck dich dort und siehe, was passiert.

Da tanzten nun die Teufel mit den Mädchen,


Die Mädchen sich zerrissen ihre Schuhe,
Sie tanzten nämlich da auf Messerklingen,
So mussten alle Schuhe sie zerreißen.
Dann warfen sie die Schuhe unters Bett,
Wo Janko in die Hände nahm die Schuhe,
Um sie zuhaus dem Könige zu zeigen.
Nachdem die Teufel mit den Mädchen tanzten,
Warf jeder hin sein Mädchen auf das Bett
Und legte sich mit seinem Mädchen drauf,
Zwei Teufel taten so mit ihren Mädchen,
Das dritte wollt sich nicht beschlafen lassen.
Dann kehrte Janko in das Königshaus zurück
Und legte schlafend sich vor dessen Tür,
Dass sie nicht merkten, dass er sie gesehen.

Die Mädchen kamen erst nach Mitternacht


Und gingen schlafen in den eignen Zimmern,
Als wäre nichts geschehen in der Nacht.
Doch Janko wusste, was geschehen war,
Er ging zu ihrem Vater hin, dem König,
Und zeigte ihm die ganz gewissen Zeichen.
Ich weiß wohin die Töchter gehn: zur Hölle!
Die Mädchen waren in dem Höllenfeuer.
Ist es nicht wahr? Seid ihr nicht dort gewesen?
Ich werde, König, dir die Zeichen zeigen,
Das Zeichen aus dem Diamantenwald,
Aus dem Kristallwald und dem goldnen Wald,
Und hier die Schuhe von dem Teufelstanz.
Zwei waren mit den Teufeln in dem Bett,
Die dritte wollt sich nicht beschlafen lassen.

Sofort der König griff nach dem Gewehr


Und schoss die Königstöchter alle tot.
Er nahm ein Messer dann mit scharfer Schneide
Und schlitzte allen ihre Bäuche auf,
Da wurden gleich die Teufel aus den Bäuchen
Hinaus getrieben unter großem Schreien.
Dewr König dann begrub die Königstöchter
Im Gotteshause vor dem Hochaltar.
Und ein Soldat bewachte ihre Särge.
Die beiden Mädchen, diese Teufelsbräute,
Zerrissen jede Nacht den Wachsoldaten,
So starben mehr als hundert Wachsoldaten.
Doch dann kam ein Rekrut als Wachsoldat.
Da kam ein alter Mann mit weißem Bart,
Es war mein Gott, der Vater in dem Himmel.
Und Janko war dort mit dem Wachsoldaten.
Da sprach der alte Mann: Und wenn es Zwölf schlägt,
Und wenn die Mädchen aus den Särgen kommen,
Dann springt hinein und legt euch in die Särge,
Verlasst den Sarg nicht, denn das wird sie ärgern,
Geht nicht hinaus, und wenn sie betteln, flehen,
Und wenn sie Feuer schleudern auf euch nieder,
Sie werden anflehn euch, heraus zu kommen.

Sie lagen bis zum Morgen in den Särgen.


Am Morgen aber waren beide Mädchen
Lebendig wieder, knieten vorm Altar,
Sie waren schöner noch als je zuvor.
Da nahm sich der Rekrut das eine Mädchen
Und Janko sich die andere zur Frau.
Als sie mit ihnen dann nach Hause kamen,
Da war der väterliche König froh.
Dann haben Jano und der Wachrekrut
Geheiratet die Mädchen in der Kirche.
Und sind sie tot nicht, leben sie noch heute.

SIEBENTER GESANG

Ein König hatte einst drei Königssöhne


Und wusste nicht, wer soll das Reich verlassen.
Da schossen sie mit Pfeil und Bogen, das
Sollt ihnen sein ein heiliges Orakel.
Da musste gehn der jüngste Königssohn.
Er suchte lang den abgeschossnen Pfeil
Und fand ihn schließlich nah vor einer Glastür.
Er trat hinein und war in dem Palast
Der Königin der Feen, Gloriana,
Er nahm die Feenkönigin zur Frau.
Dann kehrte er mit seiner Frau zurück
Ins heimatliche Königreich des Vaters.
Im Garten lebte eine alte Hexe,
Die sprach zum König: Bitte du die Fee,
Ein Taschentuch dir zu besorgen, dass
Den ganzen königlichen Garten zudeckt.
Das tat die Fee. Und dann ward sie gebeten,
Sie solle ihren Bruder kommen lassen.
Das tat die Fee. Da kam der Elfenbruder.
Da zitterte der König sehr vor Furcht,
Vor lauter Furcht er konnte nicht mehr reden.
Da tötete der Elfenbruder ihn,
Den König, und die alte Hexe auch.
Die Königin der Feen und der Prinz,
Sie lebten selig in geheimer Ehe.

SWANTJE

ERSTER GESANG
DIE SCHWANEN-KÖNIGIN

War einmal ein alter Mann,


War einmal ein altes Weib.
Jeden Morgen gingen sie
In das Morgenlicht hinaus,
Um den nahen Wald zu räumen
Von den Zweigen, von den Blättern,
Und in jenem Augenblick,
Als sie grad ihr Haus verließen,
Kam ein schöner weißer Schwan.
Und die Schwanenjungfrau legte
Ihre Flügel auf die Seite,
Sich verwandelnd in ein Mädchen,
Sie entzündete den Ofen,
Briet ein leckres Abendmahl,
Reinigte und wusch das Haus,
Ist dann wieder weg geflogen.

Jene Alten waren sorglos,


Ohne Sorgen in der Welt,
Denn sie kamen jeden Tag,
Fanden alles schon getan.
Aber sie erstaunten sehr,
Wer denn ihre Hilfe sei.

Eines Tags der alte Mann


Blieb allein in seinem Haus,
Er versteckte sich im Schutze
Einer großen Badewanne,
Wartete, auf dass er sehe,
Was alsbald passieren würde.
Etwas Zeit, da kam geflogen
Etwas in das Haus, ein Schwan!
Und sie faltete die Schwingen,
Legte sie an ihre Seite,
Ging, verwandelt in ein Mädchen,
Holte Wasser von dem Brunnen,
Und der Alte nahm die Flügel
Und verbrannte sie zu Asche.

Kam das Mädchen mit zwei Eimern


Wasser in das Haus zurück,
Kam und sah, und was sie sah:
Ihre Flügel waren weg!
Und sie weinte, und sie weinte,
Und sie weinte lang und bitter,
Denn sie hatte sich getrennt
Von der Mutter, von dem Vater,
Auch von ihrer eignen Liebe.
Doch sie konnte nichts mehr tun,
Und so blieb sie bei den Alten.

Jetzt der König war auf Jagd


In der Nähe jenes Waldes,
Nicht sehr weit vom Haus entfernt.
Und er sah das schöne Mädchen
Und er mochte sie sehr gerne
Und er sprach zu jenen Alten:
Dieses Mädchen muss ich haben!
Gebt sie mir und nehmt so viel
Goldne Münzen, wie ihr wollt.

Und so gaben jene Alten


Gern dem König jenes Mädchen.
Und es brachte sie der König
In den funkelnden Palast
Und sie feierten die Hochzeit
Und neun schwere Monde später
Hat die Braut ein Kind geboren.

Eines Tags die Königin


Kam mit ihrem kleinen Sohn
In den Garten am Palast
Und sie sah, und was sie sah,
Das war eine Herde Schwäne.
Vor der Herde flog ihr Vater
Und er sang sehr schön im Flug:

Hier in diesem grünen Garten


Seh ich meine liebe Tochter,
Leider hat sie keine Flügel,
Dennoch ist sie eine Schwanin.
Ihre schlanken Finger sind
Reich besteckt mit goldnen Ringen,
Ihrem Sohn singt sie ein Lied,
Und aus einem kleinen Goldbuch
Liest sie ihm ein Märchen vor,
Und sie trägt ein Seiden-Halstuch,
Weiße Flügel geb ich ihr,
Und sie lässt den Sohn zurück,
Und sie schwingt sich in die Freiheit!

Ach das Herz der Königin


Wurde schwer, die Tränen strömten
Aus den Augen, und sie sang:

Gib mir nicht die weißen Flügel,


Vater, denn du kommst zu spät.
Nein, ich lass nicht meinen Sohn,
Nicht des Waisenkindes Schicksal.

Just da kam zu ihr der König.

Und er fragte seine Braut:


Warum denn sind deine Augen
Rot vom Weinen, liebes Mädchen?

Unser kleines Söhnchen weinte,


Und das brachte mich zum Weinen,
Sagte da die Königin.

Aber an dem nächsten Tag


Ihre Mutter flog am Himmel,
Darauf in den Folgetagen
Ihre Brüder, ihre Schwestern,
Jeder sang das gleiche Lied.
Doch das Mädchen weigerte
Sich, das Singen zu beachten.

Dann am Himmel ist geflogen


Über ihr der Vielgeliebte,
Und der Liebling hat gesungen,
Ist geflogen, hat gesungen:

Hier in diesem grünen Garten


Seh ich meine liebste Freundin,
Leider hat sie keine Flügel,
Dennoch ist sie eine Schwanin.
Ihre schlanken Finger sind
Reich besteckt mit goldnen Ringen,
Ihrem Sohn singt sie ein Lied,
Und aus einem kleinen Goldbuch
Liest sie ihm ein Märchen vor,
Und sie trägt ein Seiden-Halstuch,
Weiße Flügel geb ich ihr,
Und sie lässt den Sohn zurück,
Und sie schwingt sich zum Geliebten!

Und da konnte sich das Mädchen


Nicht beherrschen mehr und sang:

Gib mir weiße Schwanenflügel,


Mit dir flieg ich übers Meer!

Und der Schwan, der Vielgeliebte,


Warf ihr zu die weißen Flügel,
Sie verließ den kleinen Sohn,
Floh mit ihrem Vielgeliebten.
Aber bald ist er gestorben
Und ihr Herz war voller Trauer.

Doch der König wartete,


Ja, es wartete ihr Mann.
Da sie nicht zurückgekommen,
Nahm er Lamia, die Hexe,
Nahm er Lamia zur Frau.

Aber Lamia nicht liebte


Ihren Stiefsohn, quälte ihn.
Doch die Schwanin, seine Mutter,
Nachts sie flog zu dem Palast,
Faltete die weißen Schwingen,
Streichelte den lieben Sohn,
Flog dann wieder weg und sang:

Nun der König und sein Weib


Ruhen in dem Ehebett,
Und es ruhn die Wächter auch,
Schlafen tiefen Schlaf der Toten.
Aber in der Mitternacht
Weint mein Sohn und schluchzt und jammert!

Doch bevor sie weg geflogen,


Wiegte sie den Sohn in Schlummer,
Er erwachte nicht vom Traum,
Bis die Mutter wieder kam.

Wie der König aber staunte,


Dass sein Sohn so lange schlief!

Eines Nachts sah er den Schwan


Fliegen still in den Palast,
Und der Schwan verwandelte
Sich in menschliche Gestalt
Und sie lullte ihren Sohn
In den Schlummer süßer Träume,
Drehte sich und ward zum Schwan,
Schließlich ist sie fort geflogen.

Und der König dachte nach,


Überlegte angestrengt,
Wie er sie behalten könne,
Doch ihm fiel rein gar nichts ein.

Einmal kam ein alter Mann


In den funkelnden Palast
Und der König fragte ihn,
Was er tun soll, um den Schwan,
Um die Schwanenmaid zu fangen.

Sprach der alte Mann zum König:


Sieh dir an, aus welchem Fenster
Fort die Schwanenjungfrau fliegt,
Teer leg auf die Fensterbank.
Ihre Flügel kleben fest,
Dann du greifst mit deiner Linken,
Reißt sie ab mit deiner Rechten,
Nimmt sie wieder ihre Form
Eines schönen Mädchens an.

Tat der König nach dem Rat


Jenes alten weisen Mannes.
Teer tat auf die Fensterbank
Er, die Flügel klebten fest,
Griff er sie mit seiner Linken,
Riss sie los mit seiner Rechten,
Und der Schwan verwandelte
Wieder sich ins schöne Mädchen,
Seine liebe Königin.

Und die schwarze Lamia


Ward verbrannt, die alte Hexe,
Und drei Tage später hielt
Froh der Herr ein großes Fest ab,
Nah und ferne Völker kamen,
Mit dem König froh zu feiern.

Ich war auch bei diesem Fest,


Rotwein lief mir in den Bart,
Lief hinab den langen Bart,
Kam kein Tropfen in den Mund!

Eine große Ladung Brennholz


Hab gewinnreich ich verkauft,
Tat in meine neuen Schuhe
Alle meine goldnen Münzen,
Habe alle dann verloren.
Du hast zwei und drei gefunden
Und du bringst sie mir zurück,
Wenn du ein betörter Narr bist!

ZWEITER GESANG
DIE SECHS SCHWÄNE

Einmal wars, okay, der König


Sich verlor im dunklen Walde,
Da er traf auf eine Hexe,
Die ihm zeigen wollt den Weg
Aus dem Labyrinth des Waldes,
Wenn er ihre Tochter freit.
Er stimmt zu, vermutet zwar,
Dass die Tochter böse sei.

Das ist eine Ehe, die


Sicherlich nicht funktioniert.

Aus der großen Sorge um


Seiner Kinder Sicherheit,
Denn er war schon mal vermählt,
Aber war ein Witwer nun,
Hat die Kinder er versteckt,
Eine Tochter und sechs Söhne,
Barg sie in geheimer Burg.
Aber ach, kein Liebesspiel!
Dieser König tut mir leid.

Er kann nur das Schloss erreichen,


Folgt er einer Zauberkugel,
Einem magischen Kristall.

Wirklich? Wars ein Zauberball,


Drer aus Fäden war gewoben?
Das ist nun ein schönes Schloss,
Weißt du, so ein Prachtgebäude.
Das ist eine Reverenz
An den Griechenkönig Theseus
Und der Ariadne Faden,
Der ihn aus dem Labyrinth
Kretas führte in die Freiheit.
Aber konnte er nicht einfach
Stellen sich auf einen Hügel,
Auszuschauen nach dem Schloss?

Er verbringt viel Zeit damit,


Seine Kinder zu besuchen.

Lieber Papa aus dem Märchen,


Du bist nicht gestorben, du
Bist nicht immer bei der Arbeit
Und du bist kein Kannibale.
Wie erfrischend solch ein Papa!

Seine Frau, der Hexe Tochter,


Traut ihm nicht, wird eifersüchtig,
Und sie stiehlt den roten Faden
Und sie folgt ihm zu dem Schloss.
Als sie dort war angekommen,
Eilten sie geliebten Königssöhne
Aus des Schlosses Pforte, dachten,
Dass ihr Papa sei gekommen.
Doch das junge schöne Mädchen
War da skeptisch, war da kritisch
Vor der kommenden Figur
Und so blieb die Maid verborgen.

Liebe Knaben! Euer Vater


Ist ein Mann nach Gottes Herzen,
Aber eure Pflegemutter
Weib nach dem Geschmack des Teufels.
Da gibts große Unterschiede,
Lasst uns mal darüber sprechen.

Nun die böse Königin


Sechs verzauberte Gewänder
Auf die Königsknaben wirft,
Und da werden sie zu Schwänen.
Und die böse Hexe geht,
Ohne zu bemerken das
Sie die Tochter nicht gesehen.

Gut, dass sie den Stapel Hemden


Bei sich hatte in der Tasche.
Was war noch in ihrer Tasche?
Sicherlich ein kleiner Spiegel,
Eine Tüte Taschentüchter,
Etwas Puder, etwas Schminke,
Sicher auch ein Lippenstift,
Ein Flakon mit Rosenöl
Und ein kleines Telephon.
Tragen böse Königinnen
Denn nicht immer Spiegel mit sich,
Spiegel voll der Schmeichelverse,
Oder tragen in der Tasche
Einen Apfel, der vergiftet,
Falls sie plötzlich Hunger spüren?

Als der gute König kommt,


Seine Kinder zu besuchen,
Da erzählt das junge Mädchen,
Dass die Brüder sind verwandelt,
Dass sie Schwäne sind geworden.
Ach da war der König traurig,
Doch er ahnt nichts von der Bosheit
Seiner neuen Ehefrau.

Warum ahnt er aber nichts?


Was dran hat er nicht verstanden?
Meine Brüder sind verwandelt,
Die zu Schwänen sind geworden,
Wasserfürsten, Seelenvögeln
Majestätischer Erscheinung!
Und er schöpfte nicht Verdacht?
Hat das Mädchen sich vielleicht
Nur aus Eigensinn versteckt,
Spielte sie Verstecken nur?
Aber warum kein Verdacht
Auf die Hexengattin fiel,
Die mit Fäden oft gewoben
Und die Hexensprüche kannte?

Und der König hat beschlossen,


Seine Tochter in sein Haus
Und in Sicherheit zu bringen,
Um das Mädchen zu beschützen.

Schlechter Plan, sehr schlechter Plan!


Aber nun beschließt das Mädchen,
Ihre Brüder zu erlösen,
Und sie läuft vom Vater fort.

Und im Walde findet sie


Eine Hütte, sieben Betten...

Nein, das war ein andres Märchen.

Eine Hütte mit sechs Betten,


Sie hat Angst, darin zu liegen,
Also kriecht sie unter eins
Und sie schlummert auf dem Boden.

Kluges Mädchen. Nun, ich mag sie.


Klar, sie weiß, wenn du im Märchen
Stößt auf eines Fremden Bett,
Einschläfst in des Fremden Bett,
Wachst du auf und findest Bären
Oder Zwerge neben dir,
Die im Bette bei dir liegen.

In der Nacht sechs Schwäne fliegen,


Die verwandeln sich in Menschen.

Ist das nicht ein schöner Zufall?

Sie taucht auf aus dem Versteck.


Die Geschwister sich umarmen.
Und die Brüder ihr erzählen:
Eine Möglichkeit nur gibt es,
Uns vom Zauber zu erlösen,
Du musst sieben Jahre lang
Sieben lila Astern flechten
In die schönsten Astern-Hemden,
Darfst nicht sprechen, darfst nicht lachen.

Das ist nicht das große Glück.


Diese Arbeit macht die andern
Märchenwerke einfach leicht.
Linsen picken aus der Asche?
Ruf herbei die Turteltaube!
Einen Hügel Sand abtragen
Mit der Hilfe eines Löffels?
Ruf herbei das Ameis-Völkchen!
Aber diese Arbeit? Wo
Findet sie genügend Astern?
Ist es denn die Jahreszeit?
Astern blühen doch im Herbst.
Wie verhindert sie der Astern
Welken in den sieben Jahren?
Woher wissen denn die Brüder,
Wie der Zauber ist zu heilen?
Hat die Hexe dies verraten,
Als sie überwarf die T-Shirts?
Das wär eine dumme Hexe!
So was hörte man noch nie
In den spannenden Geschichten
Vom Agenten 007,
Den Elisabeth die Große
Schickte zu dem Prager Rudolf
Und zu seinen Alchemisten,
Auszuspionieren, wie
Sei aus Scheiße Gold zu machen!

Und sie steigt auf eine Eiche


Mitten in dem dunklen Wald,
Mit Geduld beginnt zu stricken.

Eine Eiche in dem Wald?


Warum nicht auf einem Stuhl?
Und was soll sie oben essen
Auf dem Aste einer Eiche?
Diese Schwanenbrüder sollten
Ihr ein leckres Mahl bereiten.
Was denn aber essen Schwäne?
Viele grüne Wasserpflanzen
Von dem Grunde eines Teiches,
Gern auch etwas Ufergras,
Auch Insekten, welche tanzen
Auf der Wasseroberfläche,
Und Amphibien, Mollusken
Und ein wenig kleine Fische.
Nun, zu diesem Mittagessen
Geb der Himmel Appetit!

Eines Tages jagt der König


Dieses seines Königreiches
(nicht ihr königlicher Vater)
Und er jagt im dunklen Wald.
Seine Jäger finden das
Mädchen auf der Eiche sitzen
Und sie fragen, wer sie sei.
Hoffend, dass man sie in Ruh lässt,
Lässt sie fallen ihre Kette
Und ihr Strumpfband und ihr Kleid.

Ist das nun der beste Plan?


Das ist nicht die beste Art,
Junge Männer los zu werden,
Sich vor ihnen auszuziehen.

Und die Jäger holten sie


Von dem Sitze in der Eiche
Und sie brachten sie zum König,
Der verliebte sich in ihre
Schönheit eines nackten Mädchens,
Brachte sie nach Haus zur Mutter
Und er schloss mit ihr die Ehe.

Das hat immer mich gestört.


Mochte doch das Mädchen nur
Sitzen droben in der Eiche,
Immer Astern-Hemden nähen.
Blieb ihr eine andre Wahl?
Doch ich hoffe, dass der König
Ihr die Möglichkeit gelassen,
Leise ihm ihr Ja zu flüstern.

Doch die Mutter hat missbilligt


Ihres Königssohnes Ehe.

Und ich kanns ihr nicht verdenken.


Also, Sohn, wo fandst du sie?
Auf der Eiche in dem Walde.
Aber wer ist ihre Sippe?
Nun, sie stammt von Schwänen ab.

Mit der Zeit das junge Mädchen,


Eine junge Königin,
Hat ein kleines Kind geboren.
Und die Königsmutter nimmt
Sich das Kind und sagt zu jedem,
Dass die junge Königin
Hat ihr eignes Kind ermordet.

Wie! Nun sagen junge Frauen,


Dass sie mit der Schwiegermutter
Nicht im Guten leben können.

Doch der König hat verteidigt


Seine Braut und ihre Unschuld,
Dass sie sich verteidigte,
Wenn sie etwas sprechen täte,
Während schweigsam sie und still
Weiter Aster-Hemden nähte.

Wie wärs mit Gebärdensprache?


Oder einfach etwas schreiben?
Schüttle du nicht deinen Kopf,
Zeigend auf des Königs Mutter.

Als das dritte Kind des Mädchens


Wurde von ihr weggenommen...
Drittes Kind? Zum dritten Mal?
Und sie näht nur schweigend weiter?
Finde das nur ich allein
Oder ist das wirklich seltsam?

Kann der König seine Frau


Nun nicht mehr verteidigen.
Das Gesetz verlangt des Staates,
Dass sie auf dem Scheiterhaufen
Wird als Kindermörderin
Von der Feuersglut verbrannt.
Doch sie trägt die Astern-Hemden
Mit sich auf den Scheiterhaufen.
Sieben Jahre sind vorüber.
Sie hat jedes Hemd genäht
Und es fehlt nur noch ein Ärmel.

Komm schon, jetzt versuche doch


Etwas Kommunikation!
Wie denn wär es mit Charaden?
Klar, du findest einen Weg.
Tanze etwas Tanztheater,
Mache eine Pantomime,
Tanze ein Ballett zum Thema
Jesus bei der Kreuzigung. - -
Deine Mutter ist psychotisch,
Sie hat mir geraubt die Kinder,
Unsre Ehe zu zerstören,
Ach dass du dich scheiden lässt!

Da erschienen die sechs Schwäne.

He, ihr lieben Schwanenbrüder!


Konntet ihr nicht eher kommen?
Etwa vor dem Kinderraub?
Wo denn seid ihr nur gewesen?
Wart Migranten im Asyl?

Und das Mädchen wirft die Hemden


Über ihre lieben Schwäne,
Die in Menschen sich verwandeln.
Nur dem Jüngsten fehlt ein Flügel,
Denn dem fehlte noch der Ärmel.

Armes Kindchen! Kleines Püppi!


Was machst du mit Einem Flügel?

Jetzo, da sie sprechen darf,


Da erklärt die Königin,
Wie der König sich getäuscht.
Und die Mutter wird bestraft.
Und die Kinder findet man.
Alle leben froh und glücklich
Bis ans Ende ihrer Tage.

Warte mal! Was ist denn mit dem


Knaben mit nur Einem Flügel?
Was geschah denn mit dem Vater
Seiner Söhne, seiner Tochter?
Was geschah auch mit der Hexe?
Und die Kindlein dieses Mädchens,
Wehe, welche Traumata!
Königin und König hatten
Wohl Probleme in der Ehe,
Da er sie verbrennen wollte?
O das Land des ewgen Glückes
Hat wohl viele Therapeuten?

DRITTER GESANG
DER ZAR SALTAN UND DIE SCHWANENPRINZESSIN

War vor langer, langer Zeit


Einst im fernen Königreich,
Sprachen Schwestern drei im Hof
Draußen in der freien Luft,
Stellten vor sich, was sie täten,
Wären sie des Zaren Frau.
Eine sagte, das sie wolle
Aller Welt ein Fest bereiten.
Eine andre, dass sie wolle
Leinen weben für die Welt.
Und die dritte, jüngste Sagte,
Dass sie wollt dem Zaren schenken
Einen tüchtig-schönen Knaben.

Doch der Zar Saltan vernahm


Heimlich dieser Schwestern Reden,
Da er draußen an dem Zaun stand.
Als er da das Wort vernahm
Von dem dritten, jüngsten Mädchen,
Er verliebte sich in sie,
Bat sie, seine Frau zu werden.
Siehe, in der selben Nacht
Wurde sie zur Frau gemacht
Und empfing von ihm ein Kind.
Und die erste von den Schwestern
Wurde Köchin an dem Hof
Und die zweite ward des Hofes
Ober-Leinenweberin.

Ein paar Monde später zog


Zar Saltan in einen Krieg
Und so musste er sich trennen
Von der vielgeliebten Gattin.
Während er im Kriege war,
Da gebar die Frau ein Söhnchen.
Reiter schickte man zum Zaren,
Freudenbotschaft kund zu tun.
Doch die beiden andern Schwestern
Und die Freundin Babarike
Waren bitter eifersüchtig
Auf das Glück der jüngsten Schwester.
So entführten sie die Reiter
Und ersetzten deren Botschaft
Durch die eigne Unheilsbotschaft,
Unheilsbotschaft an den Zaren:
Deine Frau, die höchste Zarin,
Hat geboren keinen Sohn,
Hat geboren keine Tochter,
Hat geboren keine Maus,
Hat geboren keinen Frosch,
Nein, ein unbekanntes Monstrum!

Als er diese Botschaft las,


War der Zar Saltan beschämt,
Schickte einen Brief zurück,
Darin sagte er der Zarin,
Dass sie sollt geduldig warten
Auf des Zaren Wiederkunft,
Sollte sonst nichts unternehmen.
Doch die intriganten Schwestern
Fingen ab des Zaren Reiter
Mit dem lieben Brief des Zaren,
Machten ihn betrunken sehr
Und ersetzten dann den Brief
Durch ein andres, falsches Schriftastück,
Darin Zar Saltan befahl,
Dass die Zarin und ihr Baby
Sollen gleich in einem Fass
Werden in dem Meer versenkt.

Da gabs keine Möglichkeit,


Dem Befehl sich zu verweigern,
Also des Palastes Wächter
Taten nun die höchste Zarin
Und den kleinen Baby-Sohn
In ein großes leeres Fass
Und versenkten es im Meer.
Als das Fass ins Wasser fiel,
Weint die Zarin große Tränen,
Davon wurde groß der Sohn,
Wuchs Minute um Minute,
War an einem Tag ein Jüngling.
Und er flehte an die Wellen,
Sie an trocknes Land zu spülen.
Und die Wellen ihm gehorchten,
Er und seine Mutter fanden
Sich gespült an eine Insel.

Aber da sie waren hungrig,


Schnitzt der Sohn sich Pfeil und Bogen,
Nutzte eines Baumes Zweige,
Ging auf Jagd. Da nah am Meere
Hörte er ein schrilles Schreien,
Und da sah er einen Schwan,
Kämpfte gegen einen Falken.
Grade als der große Falke
Seinen Schnabel wollt vergraben
In den schlanken Hals des Schwanes,
Schoss der Jüngling einen Pfeil,
Tötete den großen Falken
Und versenkte dessen Blut
In der tiefen Meeresflut.
Und da schwamm der weiße Schwan
Auf den Heldenjüngling zu,
Dankte ihn von Herzen, sagte:
Dieser Falke war kein Falke,
War ein böser Magier,
Den du nun getötet hast.
Da mein Leben ward gerettet,
Heldenjüngling, so durch dich,
Will ich immerdar dir dienen.

Kehrt der Sohn zu seiner Mutter


Und erzählt der Mutter alles,
Sagt sein ganzes Abenteuer,
Schliefen beide tief und fest,
Zwar noch durstig, zwar noch hungrig.
In dem Morgenrot erwachten
Sie und sahen eine Stadt,
Eine wunderbare Stadt,
Wo sonst nichts gewesen war.
Sohn und Mutter staunten über
Zwiebelkuppeln, Kirche, Klöster
In den Mauern dieser Stadt.
Lieber Gott, das tat der Schwan,
Dachte sich der Heldenjüngling.
Beide gingen in die Stadt,
Mitten in die Menschenmenge,
Die da jubelten und jauchzten
Und den Heldenjüngling krönten
Zu dem Landesfürsten Gwidon.

Eines Tages kam ein Schiff,


Segelte ein Handelsschiff,
In die Nähe dieser Insel,
Die Matrosen sahen staunen
Dort die wunderbare Stadt.
Die Kanonen von der Mauer
Gaben das Signal dem Schiff,
Dass man darf das Land betreten.
Gwidon hieß sie nett willkommen,
Reiche Speise, Brot und Salz,
Reichte Becher, Met und Wein.
Was denn wollten sie verkaufen,
Wohin wollten sie, so fragt er.
Unser Handel ist in Pelzen
Und wir fahren an der Insel
Bunjan in dem Meer vorbei,
Unser Ziel ist Zar Saltan.

Gwidon bat die Handelssegler,


Zar Saltan von ihm zu grüßen.
Doch die Mutter ihrem Sohn
Hatte von dem Brief erzählt,
Jenem falschen Brief des Zaren,
Der sie aus dem Reich vertrieben.
Dennoch dachte Gwidon jetzt
Von den Leuten nur das Beste
Und er konnte nie ganz glauben,
Dass sein Vater so was tat.

Als die reichen Handelssegler


Nun sich vorbereitet hatten,
Diese Insel zu verlassen,
Ward der Fürst betrübt, voll Kummer,
Als er an den Vater dachte.
Warum bist du denn so traurig?
Fragte ihn der weiße Schwan.
Möchte meinen Vater sehen,
Zar Saltan auf seinem Thron,
Gab der Jüngling ihm zur Antwort.
Da verwandelte der Schwan
Zauberisch den Fürsten Gwidon
Rasch mit einem Wasserstrahl
Und der Fürst ward eine Mücke.
Auf dem Weg zu Zar Saltan
Er verbarg in einer Spalte
Sich des Mastes auf dem Schiff.

Als das Schiff im Königreich


Von dem Vater Zaren ankam,
Da begrüßte Zar Saltan
Freundlich nett die Handelssegler
Und er bat sie, von den Ländern
Ihrer Fahrten zu erzählen.
Die Matrosen gern erzählten
Von der Insel mit der Stadt
Und vom lieben Fürsten Gwidon.
Doch es wusste nicht der Zar,
Dass der Fürst sein eigner Sohn war.
Dennoch wollte er ihn sehen.
Doch die beiden ältern Schwestern
Und die Freundin Babarike
Wollten ihn nicht ziehen lassen.
An dem Fürsten und der Insel,
An der Stadt mit Kirchen, Klöstern
Sei ja nichts Bewundernswertes,
Da sind andre Dinge seltsam.
Was in Wahrheit ist erstaunlich,
Ist ein kleines braunes Eichhorn,
Welches unter einer Tanne
Sitzt und goldne Nüsse knackt,
Deren Kerne sind Smaragde.
Das ist extraordinär.

Als die Mücke dieses hörte,


Ward sie wütend und sie stach
In das Auge Babarike.
Als dann Gwidon kam zurück
Auf die Insel mit der Stadt,
Da erzählte er dem Schwan
Die Geschichte von dem Eichhorn.
Und der Fürst trat in den Hof,
Und da sang ein braunes Eichhorn,
Welches unter einer Tanne
Saß und goldne Nüsse knackten,
Deren Kerne aus Smaragden.
Und da freute sich der Fürst,
Er ließ ein Kristallhaus bauen
Für das kleine braune Eichhorn,
Stellte eine Wache auf,
Dieses Eichhorn zu bewachen,
Dann befahl er seinem Schreiber,
Alle Nüsse aufzuschreiben.
Ein Profit wars für den Fürsten,
Für das Eichhorn eine Ehre.

Später kam ein zweites Schiff


Auf die Insel zu dem Fürsten,
Und da sagte wieder Gwidon
Zu dem schönen weißen Schwan:
Möchte meinen Vater sehen,
Zar Saltan in seinem Thron.
Da verwandelte der Schwan
Gwidon gleich in eine Wespe,
Dass er sich im Riss des Schiffes
Auf dem Meer verstecken konnte.

Als das Schiff war angekommen


Bei Saltan im Zarenreich,
Da erzählten die Matrosen
Von dem wunderbaren Eichhorn.
Zar Saltan begehrte wieder,
Diesen großen Fürst zu sehen,
Aber er ward abgehalten
Von den beiden ältern Schwestern
Und der Freundin Babarike,
Die verspotteten die Sage
Der Matrosen von dem Eichorn.
Ha, da gibt es größre Wunder!
Dreiunddreißigtausend Ritter,
Alles schöne junge Männer,
Angeführt von Tschernomor,
Tauchen aus dem Meeresschaum.
Als die Wespe dieses hörte,
Ward sie wütend und sie stach
In das Auge Babarike.

Und zu Hause angekommen,


Gwidon gleich erzählte dies
Seinen schönen weißen Schwan:
Dreiunddreißigtausend Ritter,
Alles schöne junge Männer,
Angeführt von Tschernomor,
Tauchen aus dem Meeresschaum.
Und da sprach der weiße Schwan:
Diese kommen aus dem Meer,
Das ich kenne, sprach der Schwan,
Sei nicht traurig, lieber Fürst,
Diese Ritter nämlich sind
Deines weißen Schwanes Brüder,
Werden gerne zu dir kommen.

Später ging der Fürst zurück


Und er stieg auf einen Turm
Des Palastes, sah aufs Meer.
Da erhob sich eine Welle
Hoch und tief und kam ans Ufer,
Als die Welle sich zurückzog,
Da erschienen junge Männer,
Dreiunddreißigtausend Ritter,
Angeführt von Tschernomor,
Um dem Fürsten treu zu dienen.
Sie versprachen, dass sie täglich
Aus dem Meere steigen werden,
Um die Insel zu beschützen.

Etwas später kam ein Schiff


Auf die Insel mit der Stadt.
Auf gewohnte Weise ließ
Gwidon die Matrosen grüßen
Und willkommen heißen freundlich.
Und er sagte den Matrosen:
Grüßt von mir doch Zar Saltan.
Als nun die Matrosen sich
Vorbereitet auf die Reise,
Sprach der Fürst zum weißen Schwan:
Ich muss an den Vater denken
Und ich will ihn wiedersehen.
Da verwandelte der Schwan
Gwidon rasch in eine Hummel.

Kam das Schiff ins Zarenreich,


Da erzählten die Matrosen
Von der wunderbaren Stadt,
Und wie täglich aufgetaucht
Dreiunddreißigtausend Ritter,
Angeführt von Tschernomor,
Um die Insel zu beschützen.

Zar Saltan bestaunte dies,


Wollte sehen diese Insel,
Doch die beiden ältern Schwestern
Und die Freundin Babarike
Wollten ihn nicht ziehen lassen.
Und sie sagten, die Geschichte
Der Matrosen sei nicht wichtig,
Sondern nur erstaunlich sei,
Dass da hinter sieben Meeren
Lebt die herrlichste Prinzessin,
Die des Atems dich beraubt,
Die so schön und strahlen ist,
Dass man stets sie schauen will.
Gegen ihre lichte Schönheit
Dunkel ist das Licht der Sonne,
Und die Dunkelheit der Nacht
Sie erleuchtet durch ihr Licht.
Wenn sie spricht, ists wie das Plätschern
Eines Baches im Gebirge.
Diese ist ein wahres Wunder!
Sprach die Freundin Babarike.
Und die Hummel wurde wütend,
Stach in Babarikes Nase.
Sie versuchte sie zu fangen,
Konnte fangen nicht die Hummel.
Gwidon sicher fuhr nach Hause.

Nach der Ankunft in der Heimat


Gwidon ging zur Meeresküste,
Bis er fand den weißen Schwan.
Warum denn so traurig heute?
Fragte da der Schwan den Fürsten.
Er sprach, dass er traurig sei,
Weil er keine Gattin habe.
Er erzählte die Geschichte
Von der herrlichen Prinzessin,
Die des Atems dich beraubt,
Die so schön und strahlen ist,
Dass man stets sie schauen will.
Gegen ihre lichte Schönheit
Dunkel ist das Licht der Sonne,
Und die Dunkelheit der Nacht
Sie erleuchtet durch ihr Licht.
Wenn sie spricht, ists wie das Plätschern
Eines Baches im Gebirge.
Diese ist ein wahres Wunder! -
Eine Weile schwieg der Schwan.
Aber eine Frau, der Schwan sprach,
Ist kein weißer Handschuh, den
Wagt man einfach wegzuwerfen.
Gwidon sprach, dass er verstehe
Und bereit sei, treu zu bleiben
Und mit seiner Frau zu gehen
Bis ans Ende dieser Erde.

Und der Schwan im Stillen seufzte:


Du musst nun nicht länger suchen,
Nicht ermüden, nicht ermatten,
Denn die Frau, die du begehrst,
Die Prinzessin, das bin ich!

Und sie flattert mit den Flügeln


Und verwandelte sich rasch
In die Frau, von der der Fürst
Hörte an dem Zarenhof.
Sie umarmten zärtlich sich,
Küssten sich mit Leidenschaft,
Gwidon brachte sie zur Mutter,
Und der Fürst und seine Jungfrau
In der selben Nacht die Ehe
Feierten in aller Liebe.

Später kam ein andres Schiff


Auf die Insel mit der Stadt.
Wie gewöhnlich hieß der Fürst
Die Matrosen nett willkommen,
Als sie gingen, bat er sie,
Zar Saltan von ihm zu grüßen,
Und er wolle ihn besuchen.
Gwidon war glückselig mit
Seiner Braut, der Schwanen-Jungfrau,
Wollt die Insel nicht verlassen.

Als das Schiff im Zarenreich


Ankam bei dem höchsten Zaren,
Da erzählten die Matrosen
Zar Saltan von jener Insel,
Von dem kleinen braunen Eichhorn,
Das da goldne Nüsse knackt,
Dreiunddreißigtausend Rittern,
Welche stiegen aus dem Meer,
Von der herrlichen Prinzessin,
Deren Schönheit himmlisch war.

Diesmal hörte nicht der Zar


Auf der Schwestern böse Reden
Und der Babarike Lästern.
Er rief seine Flotte und
Setzte Segel zu der Insel.

Als er nun erreicht die Insel,


Gwidon traf den höchsten Zaren.
Gwidon aber sagte nichts,
Sondern führte ihn zusammen
Mit den beiden Schwägerinnen
Und der Freundin Babarike
In den fürstlichen Palast.
Auf dem Wege sah der Zar
Alles, was er oft gehört.
Dreiunddreißigtausend Ritter
Hielten unter Tschernomor
Wache an des Fürsten Halle,
Dort im Hof war das Kristallhaus
Mit dem kleinen braunen Eichorn,
Welches sang und Nüsse knackte,
Deren Kerne wie Smaragde,
Dort im Garten war die Jungfrau,
Gewidons Braut, die Schwan-Prinzessin.
Neben der Prinzessin stand
Gwidons Mutter, und der Zar
Fand so seine Gattin wieder.
Freudentränen weinte er
Und der Kummer war vergessen.
Er erkannte, dass der Fürst
Gwidon war sein eigner Sohn.
Sohn und Vater sich umarmten.

Ward ein feuchtes Fest gefeiert.


Und die beiden ältern Schwestern
Und die Freundin Babarike
Brachen aus in Reuetränen,
Alles haben sie gebeichtet.
Aber Zar Saltan war glücklich,
Sprach die Sünderinnen frei.
Und der Zar und seine Zarin
Und der Fürst und die Prinzessin
Lebten für den Rest der Tage
Glücklich und lobpriesen Gott.

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