Sie sind auf Seite 1von 4

DIE ZEIT, 16.04.2009 Nr. 17 - 16.

April 2009
http://www.zeit.de/2009/17/PD-Illouz

WER DENKT FÜR MORGEN?

Am Seelenmarkt
Die Soziologin Eva Illouz untersucht, was der Kapitalismus mit den Gefühlen anstellt.
Und umgekehrt

VON ELISABETH VON THADDEN

Eine Frau sitzt allein in einem Café in der Großstadt Berlin, sie hat einen Kaffee
getrunken. Sie schaut aus dem Fenster, spiegelt sich in der Scheibe. Man sieht
der Frau ins Gesicht. Sie fällt auf. Ein Passant könnte sich im Vorbeigehen für sie
interessieren. Nur umsonst ist das nicht. Der Kaffee hat etwas gekostet.

Diese Szene hat unser Fotograf inszeniert, um die Soziologin Eva Illouz in ein
Bild zu setzen, das ihr Forschungsthema illustriert. Aber ebenso gut könnte man
sagen: Der moderne Kapitalismus hat die Szene möglich gemacht. Das wäre
vor 1900 kaum denkbar gewesen: eine Frau allein im Café, wo sie sich etwas
Wahrnehmbarkeit kauft und auch andere wahrnehmen kann. Dies ist ein Ausdruck
jener europäischen Emanzipationsgeschichte der Neuzeit, in der Individuen freier
werden und unverwechselbar sein wollen. Besonders in ihren privaten Gefühlen.
Sie wollen der Welt mal entkommen. Und ausgerechnet die Welt der käuflichen
Güter hilft ihnen dabei.

Was macht die moderne Ökonomie mit unseren Gefühlen, fragt Eva Illouz,
Professorin für Soziologie in Jerusalem, wie prägt sie unsere Individualität, wie
machen wir uns für andere und am Markt interessant? Die Quellen, die Illouz
durchforstet, sind vor allem solche westlicher Gesellschaften, sie reichen von
der Belletristik über klassische Interviews, Frauenzeitschriften, Werbeblätter und
Fernsehshows bis zu den Kontaktbörsen im Netz. Illouz zeigt empirisch: Die
Konsumkultur, die sozialen Beziehungen und die unverwechselbare Individualität
sind heute so eng ineinander verwoben, dass Ökonomie und Gefühle nicht mehr
zu trennen sind.

Besonders ist die Liebe verstrickt: Als die Soziologin vor ein paar Jahren, bei den
Arbeiten zu ihrem Buch Konsum der Romantik, mit dem sie weltbekannt wurde,
herausfinden wollte, was Menschen als einen romantischen Augenblick empfinden,
haben die Befragten ihr geantwortet, als habe sie sich nach dem ökonomischen
Verhalten erkundigt. Romantisch sei es, sagten die Interviewpartner, das
alltäglich Übliche hinter sich zu lassen, um einzigartig zu zweit zu sein, und diese
Erfahrungen von Einzigartigkeit beschrieben sie als Formen des Konsums von
Verbrauchsgütern, von Produkten der Freizeitindustrie.

Wer verliebt ist, kauft Kinokarten, fährt mit dem alten Saab und einem Rotwein an
eine einsame Flussböschung, überreicht einen Ring auf der Spitze des Eiffelturms
oder öffnet bei Chopin-Klängen eine kostspielige Flasche, je nach Milieu und
Geldbeutel. Oder in den Worten eines Arztes, den Illouz befragte und der im Buch
wie viele andere zu Wort kommt: »Romantik ist diese Art von Scheißrestaurant
in der Park Avenue, Wein und Rosen und Blumen.« Man kauft das alles, um des
persönlichen Glücks willen.

Man könnte Eva Illouz eine Utopieforscherin nennen, denn sie will verstehen,
wie die persönlichen Utopien des Glücks, der seelischen Gesundheit und des
Wohlstands im »emotionalen Kapitalismus«, wie sie ihn nennt, funktionieren.
Welche Ungleichheiten sie schaffen. Und warum sie so viel Leid und Zerrissenheit
erzeugen. Bisher, sagt Illouz, hat man in der Sozialforschung, etwa der Frankfurter
Schule, die Utopie eher gesellschaftlich und politisch verstanden. Sie sollte die
bessere Zukunft einer Gesellschaft entwerfen. Überdies war die Forschung
zumeist normativ angelegt, sie wusste also vorab, was das Glück ist, das
Menschen erlangen sollten.

Als empirisch arbeitende Soziologin befragt Illouz hingegen die Menschen


selbst, was sie anstreben und für ihr Glück halten, woran sie leiden und was sie
gewinnen. Potenziell gewinnen sie durch den emotionalen Kapitalismus sehr viel:
Einzigartigkeit, Wohlstand, Arbeit, Bildung, Liebe, Gesundheit, Freunde, Freiheit.
Faktisch aber strampeln sie, in lauter leidvolle Widersprüche verstrickt, durch ihr
Leben und suchen die Ursachen dafür meist bei sich selbst.

Mit ihrer Forschung trifft Illouz einen hochempfindlichen Nerv. Denn inzwischen
stehen auf den entgrenzten Märkten Milliarden Menschen vor der Frage, wie
sie sich unverwechselbar machen könnten. Natürlich, sagt Illouz, geht jede
Gesellschaft der Welt auf andere Weise einen Weg in ihre künftige Form des
Kapitalismus, und doch gibt es Muster, die den brasilianischen Jungen in Rio mit
dem Mädchen in Peking verbinden. Beiden geht es darum, sich als Individuum zu
entfalten und bemerkbar zu machen. Die globalen Gefühls- und Arbeitskraftbörsen
im Netz, die Illouz untersucht, entwickeln gemeinsame Muster. Weltweit, immer
zahlreicher, will der Homo oeconomicus seine Besonderheit unter Beweis stellen.
Und, fernab von allen Routinen, Ruhe finden.

Solche Paradoxa spürt Eva Illouz mit Vorliebe auf. Jetzt ist sie in Berlin, für ein
paar Forschungsmonate am Wissenschaftskolleg, und will über das Leiden an der
Liebe nachdenken, ein Buch soll draus werden. Die Tür des Gäste-Appartements
am Halensee steht beim Klingeln schon offen, »kommen Sie bitte rein«, ruft eine
Stimme aus dem Hintergrund. Dann taucht auf dem Flur eine zierliche Frau auf, in
warme Brauntöne gekleidet, ihr Wickelrock betont die Taille, sie trägt Stiefel. Sie
hat nichts von der verbreiteten Androgynität amerikanischer Intellektueller. Erzählt
gleich von schwierigen Visumsanträgen für Indien, setzt Wasser auf für den Kaffee
und ist ganz präsent. Bar jeder Attitüde.

Löslicher Kaffee ist am praktischsten, zwei Gläser Wasser dazu. Im Regal Bücher
zum Thema, auf dem Tisch ein paar Tulpen. Hier wohnt ein Mensch, der dankbar
ist, ungestört arbeiten zu dürfen. Wissenschaft ist für sie, im fast mönchischen
Sinne ihres Lehrmeisters Max Weber, Beruf. »Worte, Begriffe, Analysen können
in ihrer Wirksamkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden«, sagt Illouz. Die
Moderne sei nur erfindungsreich, wenn man sie klug kritisiere. Und was würde
für die Zukunft mehr gebraucht, als der modernen Rationalität ihre Grenzen zu
zeigen? Eine Soziologie, die das soziale Handeln von innen heraus verstehen
will, stellt fest, dass Gefühle die vermeintlich rationalen Handlungen »einfärben«.
Die Soziologin Illouz entwirft keine Zukünfte, sie ist skeptisch, was sich über
Zukünftiges überhaupt sagen lässt. Aber ihre Forschung liefert eine Menge
Indizien, womit zu rechnen ist, wenn Milliarden von Menschen sich freier auf
Märkten bewegen, die sie miteinander verbinden und auf denen das Management
der Gefühle als Motor der Konsumkultur wirkt.

Eva Illouz spricht konzentriert, in einem nuancenreichen amerikanischen Englisch.


Gegen Abend wird sie ins Französische wechseln, ihre Muttersprache, mit der
sie in den sechziger Jahren im marokkanischen Fes groß geworden ist. Als
Tochter eines Juweliers, in einer jüdischen Familie mitten in einer muslimischen
Gesellschaft. Vor allem aber lebte sie inmitten von Büchern, Licht, Musik, von
Geschwistern. Als sie zehn war, 1971, ging die Familie nach Paris. Deutsch, sagt
sie höflich bedauernd, könne sie kaum. Ihre Umgangssprache aber, zu Hause in
Jerusalem, ist Hebräisch, das spricht sie mit ihrem Mann, ihren drei Söhnen. Der
älteste ist 14, der jüngste ist vier. Nach Berlin ist die Familie nicht mitgekommen.
Es wäre mit der Sprache in der Schule schwierig geworden.

»Mutterschaft ist einer der letzten Mythen«, sagt Illouz ruhig, als gelte
es, einer Frage zuvorzukommen. Vor Kurzem erst hat eine angesehene
Philosophieprofessorin sich bei ihr besorgt erkundigt, wie sie den kleinen Sohn
denn in Jerusalem allein lassen konnte. »Als wäre er nicht bei seinem Vater in
besten Händen, und als käme ich nicht regelmäßig nach Haus.«

Eva Illouz lebt in einer jener Forscherehen, in denen alle Aufgaben geteilt werden.
Ihr Mann ist Professor für Ökonomie. Im Nachwort zu ihrem Buch Konsum der
Romantik, das in den Jahren entstand, in denen sie zwei Kinder bekam, hatte sie
ihm für seine »harte Arbeit im Haushalt«, seine »nie nachlassende Unterstützung«
gedankt. Zehn Jahre später ist ihm ihr jüngstes Buch über die Errettung der
modernen Seele gewidmet. »Wie immer«, heißt es da, »meinem Mann und besten
Freund«.

Die Bücher von Illouz sind in zehn Sprachen übersetzt, sie hat in Princeton,
in Paris, in Frankfurt gelehrt, und ihre Popularität hat auch einen paradoxen
Grund. Sie hat ein Gespür für die Konflikte, die sich leichter beschreiben als
auflösen lassen und die jeder kennt: Die Ökonomie erfordert die fortgesetzte
Selbstwerdung, es bleibt einem nichts anderes übrig, als hochindividuell zu sein,
vor dem Originalitäts-Stress will man sich durch Bindung in Sicherheit bringen
– und eines Tages trennt man sich, um der Freiheit willen, die neue Originalität
verheißt, sodass man die Haut wieder zu Markte trägt. »Ich glaube nicht, dass
die Liebe etwas ist, das in natürlicher Weise mit der Zubereitung des Frühstücks
oder dem Wäschewaschen oder solchem Zeug in Einklang zu bringen ist«, hat im
Interview eine Befragte ernüchtert über diesen Mechanismus gesagt.

Das moderne Individuum benimmt sich also ebenso vernünftig wie närrisch,
kurzum: unmöglich. So fühlt es sich auch, mitsamt den Widersprüchen, die sich
auf der Bühne des Selbst austoben und nach balancierendem Management
schreien. Und weil heute der emotionale therapeutische Stil das Leben regiert,
versteht man sich stets als reparaturbedürftig. Deshalb kauft man Heilmittel ein.
Klassisch: den Therapeuten. Aber ebenso: eine Illustrierte, einen Coach, eine
Creme, Schokolade. Noch ein Paar Chucks. Das ist teuer. Ungerecht. Ein derart
aufwendiges Selbst kann sich nicht jeder leisten. Aber das ist nicht alles. Jeder
spricht die Sprache der seelischen Heilung, und demgegenüber hält Illouz fest:
»Der therapeutische Diskurs ist von bitterer Ironie. Je mehr Ursachen von Leid im
Selbst lokalisiert werden, desto stärker wird das Selbst im Zeichen seiner Notlagen
verstanden.« Das menschliche Leid, das einmal die Gesellschaftsutopien und
Weltreligionen als Gerechtigkeitsfrage umgetrieben habe, werde dabei banal,
gerinne zu einer »Folge schlecht verwalteter Gefühle oder einer dysfunktionalen
Seele«. Der Einfluss des therapeutischen Ethos auf unsere Kultur, schreibt Illouz in
der Errettung der modernen Seele, sollte uns deshalb beunruhigen.

Wie kommt eine Forscherin auf solche Gedanken? Zunächst durch


Selbstbeobachtung, sagt Eva Illouz sehr trocken. Irgendwann, etwa mit zwanzig,
merkte sie, dass alle Frauen um sie herum, sie selbst natürlich eingeschlossen,
eine ähnliche Sprache sprachen, die ebenso viel verhüllte wie neu verschleierte,
die psychologische. »Irgendwann habe ich dieser Sprache kein Wort mehr
geglaubt«, bilanziert Illouz, sie hat sich zu langweilen begonnen, und dann war die
Distanz da, die man zum Forschen braucht.

Sie hat sich dafür in allen theoretischen Instrumentarien zusammengesucht,


was für ihre Zwecke zu brauchen war: Vom Nationalökonomen Max Weber
hat sie die Frage nach der Rationalität im sozialen Handeln geerbt, von dem
französischen Soziologen Luc Boltanski den Respekt vor dem kritischen Potenzial
jedes Menschen, aus Émile Durkheims Religionssoziologie übernimmt sie das
Verständnis der Liebe als irdischer Sphäre des Heiligen, bei Pierre Bourdieu findet
sie die Mittel, um die soziale Ungleichheit in der menschlichen Ausstattung zu
beschreiben. Und unter den lebenden Zeitgenossen hält sie sich methodisch an
den Pariser Wissenssoziologen Bruno Latour, bei dem man lernen kann, sich
moralischer Urteile über soziale Akteure zu enthalten. Es ist aus alledem eine
nüchterne, sehr menschenzugewandte, eine besorgte und doch der Freiheit des
Individuums gewogene Theorie des emotionalen Kapitalismus geworden. Sie weist
auf die Widersprüchlichkeit im menschlichen Handeln hin, auf eine Kreativität,
die destruktiv sein kann. Und die doch so vielversprechend wirkt, dass sie sich
weltweit ausdehnt.

Am Ende kommt es einem nur kapitalistisch-natürlich vor, dass der Kongress, zu


dem Eva Illouz nun aufbricht, um dort über die Liebe zu sprechen, im indischen
Delhi stattfindet, wo circa 15 Millionen Menschen wohnen, die kapitalistische
Zukünfte vor sich haben, die sie auch durch ihre Gefühle antreiben werden. Aber
wenn der Kongress um ist, fährt Illouz nach Hause, nach Jerusalem, zu Mann und
Söhnen, zu ihren Studenten, an das Zentrum zur Erforschung der Rationalität.

ZEIT ONLINE 2009

Das könnte Ihnen auch gefallen