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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement

Christiane Lindenberg

Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement


Handwerkliche und digitale Produktionsmethoden im Vergleich

von Christiane Lindenberg

Seminararbeit Sommer 2009


Institut für Kunst und Gestaltung | Technische Universität Wien

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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

1. Kurzfassung

In der hier vorliegenden Arbeit wird Sicht-Ziegelmauerwerk unter dem Aspekt der
Ornamentik untersucht. Der dekorative Einsatz von Ziegelsteinen wird dabei sowohl an
historischen als auch an zeitgenössischen Sicht- Ziegelbauten betrachtet und miteinander
verglichen. Im ersten Abschnitt der Arbeit werden die verschiedenen Traditionen und
Möglichkeiten formal-ästhetischer Gestaltung, die sich aus der Kombination der
Einzelelemente, ihrer Verfugung und Farbigkeit ergeben, am Beispiel von historischen
Bauten im deutschen Sprachraum überblicksmäßig dargestellt. Im zweiten Teil erfolgt eine
Behandlung zeitgenössischer Bauten. Konkret handelt es sich um das Haus Aggstall des
Architekturbüros Hild und K aus München und das Weingut Gantenbein in Fläsch der
Architekten Bearth & Deplazes, bei dem erstmals digitale Entwurfs- und
Produktionsmethoden in der Verarbeitung von Ziegeln am Bau zur Anwendung kam. Die
Gebäude werden in Hinblick auf Konstruktion und Funktion, im Besonderen aber
hinsichtlich der Gestaltungsprinzipien und Produktionsweise (analog-handwerklich vs.
digital-maschinell) untersucht. Transformationen im Handwerk und im Umgang mit dem
Baustoff Ziegel werden deutlich gemacht.

1. Abstract

In this paper, brick facades will be analysed in their ornamental qualitlies. Using bricks as
decor will be studied with historic and contemporary buildings. In the first part of the paper,
different methods of creating ornaments with brick in traditional technical manners will be
abstracted. For examples the use of different brick colours or joint manners. Most
examples are located in the german language area with a focus on traditional areas such
as Northern Germany. In the second part of the paper, two contemporary examples of
modern brick buildings will be compared with each other. The House Aggstall by the
architects Hild und K from Munich and the Vinery Gantenbein in Fläsch from the studio
Bearth & Deplazes. The latter is using digital methods in design and production. Both
buildings will be compared in the principle of construction, function and the ornamental
effect. Especially to have a closer look in the production manners (analog - traditional vs.
digital- automatic) of the brick facades. The process of transformation in the use of the
material brick will be revealed.

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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

2. Inhaltsverzeichnis

Seite

1. Abstrakt 2

2. Inhaltsverzeichnis 3

3. Einleitung 4

4. Gestaltungsmöglichkeiten mit Ziegeln bei historischen Bauten 5

4.1 Farbigkeit von Ziegeln 5

4.2 Verbandmuster 8

4.2.1 Standardverbände 9

4.2.2 Zierverbände 12

4.2.3 Aussergewöhnliche Verbände 13


4.3 Fugengestaltung 16

4.4 Sonderformen der Gestaltung mit Ziegel 17

4.4.1 Fachwerkausfachung mit Ziegel 17

4.4.2 Flächengestaltung mit farbigen Ziegel 18

4.4.3 Formziegel 20

4.4.4 Bauelemente aus Ziegel zur dekorativen Gestaltung 21

5. Vergleich der zeitgenössischen Bauten 23


5.1 Entwurfsprinzipien und Konstruktion 23

5.2 Entwicklung des Ziegeldekors 26

5.3 Funktion des Ornaments 28

6. Schlussfolgerung 30

7. Literatur - und Abbildungsverzeichnis 32

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3. Einleitung

Die Faszination am Ziegel ist nach wie vor ungebrochen. Das Prinzip des Schichtens und
Fügens von Steinen, als eines der ältesten Bauprinzipien der Welt, ist auch in der heutigen
Zeit ein gern verwendetes Mittel zur Konstruktion und Gestaltung. In den
zeitgenössischen Publikationen finden sich zahlreiche Entwürfe, mit Sicht-Ziegelfassaden,
die zum Teil hoch dotierte Preise gewinnen.
Der deutsche Sprachraum ist mit einer ganz besonders intensiven Verbreitung der
Ziegelbauten verbunden. Die historischen Städte im Norden Deutschlands stehen ganz im
Zeichen des Backsteins und der Klinkerfassaden. Hochblüten des Backsteinbaus in Zeiten
der Gotik und des Barocks haben ihre Spuren hinterlassen. In jüngerer Vergangenheit
findet man immer häufiger Sicht-Ziegelbauten mit ganz unterschiedlichen gestalterischen
Wirkungen ihrer Fassaden. Im Vergleich zum historischen Handwerk des Maurers werden
zum Teil neue Methoden des Schichtens erprobt und Einflüsse des Übergangs ins digitale
Zeitalter werden auch hier deutlich. Eines dieser Projekte, das Weingut Gantenbein in
Fläsch von den Architekten Bearth& Deplazes findet besonders in der Fachpresse
Beachtung, da der Einsatz von digitaler Produktionsmethodik ein neues Kapitel in der
Ziegelverarbeitung zu eröffnen scheint. Gerade diese zeitgenössischen Entwicklungen an
der Ziegelfassade sollen in der hier vorliegenden Arbeit untersucht und mit historisch-
handwerklichen Methoden verglichen werden. So kann erstmals eine Einschätzung der
neuen Produktionsweisen im Kontext der bisherigen Verarbeitung erfolgen.

Zunächst müssen die einzelnen Begriffe klar voneinander getrennt werden um


Verwirrungen zu vermeiden. Unter einem Ziegel versteht man einen künstlich hergestellten
Stein, dessen Hauptbestandteile aus Lehm oder Ton bestehen. Durch Trocknen an der
Luft entsteht der so genannte Luftziegel. Durch das Brennen im Ofen entsteht der
eigentliche Ziegel. Seine Größe und Abmessungen wechselten von Zeit und Ort.1 Der
Begriff des Backsteins bezeichnet die Ziegel von der Zeit der Römer bis ca. 1950.2 Er
bezeichnet die historischen Ziegel und Herstellungsweisen, die heute nicht mehr
gebräuchlich sind und im Gegensatz zum modernen Ziegel andere Eigenschaften
aufweisen.3 In der hier vorliegenden Arbeit wird also nur der Begriff des Ziegels
verwendet, es sei denn besondere historische Gegebenheiten verlangen nach der
Begrifflichkeit des Backsteins zur Erläuterung.

Neben der Bezeichnung des Ziegels, gibt es noch die des Mauerziegels, die sich aber
inhaltlich nur insoweit unterscheidet, als dass diese Ziegel speziell für das Vermauern
geeignet sind. Der Klinker wiederum ist ein Ziegel, der durch seine Wetterfestigkeit
speziell für die Fassaden geeignet ist. Durch höhere Brenntemperaturen im Ofen
verschmelzen die Poren des Steins. Dieser Vorgang wird Sintern genannt. Dadurch
werden die Ziegelsteine härter und wasserabweisender.4 So wird im Ziegelbau
grundsätzlich zwischen Mauerziegel, Vormauerziegel und den eben erläuterten Klinkern
unterschieden. Mauerziegel werden in der reinen Konstruktion von Gebäuden verwendet.

1 Vergl. Günther Wasmuth, (Hrsg.), Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin (Wasmuth), 1932, S. 742
2Vergl. F.A. Brockhaus (Hrsg.),Brockhaus - Die Enzyklopädie in 30 Bänden 21. Aufl., Leipzig, München
(Brockhaus), 2006, Band , S. 97

3Vergl. Petra Zadel-Sodtke, Wahrnehmungsorientiertes Gestalten von Ziegel-Sichtmauerwerk im


Aussenraum, Berlin, 2006, S. 17
4 Vergl. Petra Zadel-Sodtke, 2006, S. 18
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Wenn der Entwurf aber eine so genannte Sichtziegelfassade, eine Fassade bei der die
Ziegel im Verband gezeigt werden, ohne dass sie verputzt oder verblendet werden,
beinhaltet, wurde bei den historischen Fassaden eine weitere Schicht spezieller
Vormauerziegel vor die Konstruktion gesetzt und mit dieser durch entsprechende
Fügetechniken verbunden. Diese Ziegel waren in ihrer Qualität und Wetterbeständigkeit
für dekorative Zwecke im Aussenbereich geeigneter.

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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

4. Gestaltungsmöglichkeiten mit Ziegeln bei historischen Bauten

Über die Jahrhunderte hinweg haben die Architekten und Handwerker im deutschen
Sprachraum ihre Formenvielfalt und dekorativen Fähigkeiten im Umgang mit dem
Werkstoff Ziegel entwickelt und variiert. Die ersten gebrannten Ziegel waren von den
Römern in den deutschen Kulturraum gebracht worden.5 Die frühesten Funde von
Brennöfen und Ziegelfabriken gehen auf diese Zeit zurück. Zuvor war der Ziegel nur in
seiner ungebrannten, luftgetrockneten Version verwendet worden. Durch entsprechendes
Fügen und Schichten erreichten die Handwerker konstruktiv feste und tragende
Wandstrukturen, die wiederum andere konstruktive Bauelemente tragen oder stützen
konnten. In ihrem Werk, „Ziegel in der Architektur“ bemerken Andrew Plumridge und Wim
Meulenkamp, dass das Ziegeldekor „fast gleichzeitig mit dem Ziegel selbst auftaucht“ 6
und verweisen auf die frühe Verwendung von Verblendziegel in Mesopotamien. Von da an
zieht sich eine Spur an unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten an Sicht-
Ziegelfassaden durch die Geschichte.

4.1 Farbigkeit von Ziegeln

Da der Ziegel ein reines Naturprodukt ist und in wesentlichen Teilen aus Lehm und Ton
besteht, kommen regionale Unterschiede in der Färbung der Steine zustande. Je nach
Zusammensetzung des Tons werden andere Farbspektren erreicht. Rolf Rancke schreibt
„vorherrschend sind zwei Farbskalen: die Rotskala, die von dunklem Violett über alle
Rottöne bis ins Orange reicht und die Gelbskala, die von dunklem Lederbraun über
Braunrot, Braungelb, Ocker bis ins helle Gelbrosa, Siena, Beige ins Gelb wechselt.“ 7 Der
Grundstoff Ton in reiner Form nimmt beim Brennvorgang eine weiße Färbung an. Durch
die in Lehm und Ton aber enthaltenen natürlichen Mineralien und Metalle, meist
Eisenverbindungen, färbt sich der Stein dann entweder in den rötlichen oder gelben
Bereich.8 Die dunkelroten Steine wurden vor allem im Bereich Norddeutschland,
Niederlande, Skandinavien und in den nördlichen Regionen Polens hergestellt und
verwendet. Die gelben Ziegelsteine werden in Mitteldeutschland und hellrote Steine in
Süddeutschland hergestellt.
Durch Zuschlagsstoffe lässt sich die Farbe des Ziegels allerdings beeinflussen. So sind
neben dem natürlichen Farbenspektrum eine Reihe weiterer Färbungen möglich.
Weiter besteht die Möglichkeit vor dem Brennvorgang durch Auftragen von Glasuren und
Engoben auf den ungebrannten Ziegel die Farbigkeit, optische Wirkung und Oberfläche zu
beeinflussen. Engoben sind „ eine Mischung aus feingemahlener Tonmasse, färbenden
Zusatzstoffen und frühschmelzenden Tonzusätzen.“9 Mithilfe dieser Mischungen werden
die Ziegel veredelt. Glasuren hingegen sind „glasartige, glänzende, durchsichtige oder
undurchsichtige, meist glatte Überzüge“10 Durch Beimischen von unterschiedlichem

5Vergl. Rolf Rancke, „Mauerwerk in der Architektur“, in: Walter Belz (Hrsg.), Mauerwerks- Atlas, Basel
(Birkhäuser- Verlag), 2001, S. 15
6Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, Ziegel in der Architektur, Stuttgart (Deutsche Verlags- Anstalt
GmbH), 1996, S. 126
7 Vergl. Rolf Rancke, 2001, S. 30
8 Vergl. Petra Zadel-Sodtke, 2006, S. 214
9 Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 218
10 Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 218
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Oxydverbindungen in die Glasur oder Engobe können die Ziegel grün, grau und blau
gefärbt werden. Beim Glasieren eines Ziegels kann die sonst raue Oberfläche, in eine
glatte, fliesenähnliche Struktur verändert werden. Dadurch zeigt der Stein bei Lichteinfall
eine andere Wirkung.

Zuschlagstoff Farbgebung

Eisenoxid Roter Ton wird dunkler,


Gelber Ton kippt ins Rote

Feldspat Hellgelber Ton behält gelbliche Farbe

Reiner Quarzsand Brandfarbe wird heller


Gelber Ton wird heller, bis zu völligem Weiß

Mangan Brandfarbe wird dunkler


Gelber Ton wird Grau bis Braun
Roter Ton wird dunkelrot bis Braun und Schwarz

Manganoxyd Roter Ton wird dunkler,


Gelber Ton wird heller, bis Sandsteinfarben

Calciumoxyd Brandfarbe wird heller,


Rote Tone werden gelb, bei Sinterung gelbgrün

Magnesia Brandfarbe wird heller


Rote Tone werden gelb, bei Sinterung gelbgrün

Abb. 1 | Gängige Zuschlagstoffe (nach Petra Zadel- Sodtke; 2006, S. 215)

Ein wichtiger Faktor bei der Farbigkeit und Oberfläche der Ziegel ist der Brennofen und
dessen Temperatur. Durch unterschiedliche Temperaturen lassen sich die Färbungen
verstärken und die Oberflächenbeschaffenheit verändern. Die Brennatmosphäre, also der
Sauerstoffgehalt, Luftfeuchtigkeit und Temperatur verändert die Ziegeloberfläche so, dass
innerhalb eines Brennvorgangs unterschiedliche Färbungen entstehen können11. In den
historischen Öfen war eine konstante Brennatmosphäre nicht immer garantiert. Dadurch
kam es zum Teil zu stark unterschiedlichen Ziegelfarben bei gleicher Behandlung. Durch
die Erfindung des Ringofens steigerten die Ziegeleien ihre Produktion um ein Vielfaches
und garantierten konstantere Brennbedingungen12, die sich aber immer noch deutlich zu
den heutigen industrialisierten Verfahren unterscheiden.

Abb. 2 | Ziegel unterschiedlicher Brenntemperatur (Petra Zadel - Sodtke, 2006)

11 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 216


12 Vergl. Rolf Rancke, 2001, S. 22
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„Bei der Brenntemperatur unterscheidet man in „Schwachbrandziegel“, „Garbrandziegel“,


„Klinker“ und „Schmolzziegel“13, so Petra Zadel- Sodtke in ihrer Dissertation. Ihr Aussehen
geht von fast ungebranntem Ziegel zum Fehlbrand mit Deformationen.
Beim Klinker kommt es wie schon oben erwähnt zur Sinterung der einzelnen
Tonbestandteile, die ihm eine festere Oberfläche und einen wasserabweisenden
Charakter geben. Diese Ziegel wurden vor allem in Norddeutschland bei historischen
Fassaden verwendet.

Abb.3 | Oberflächenbehandlung bei Ziegel (Petra Zadel- Sodtke, 2006)

Die Oberfläche der Ziegel wurde auch durch die Nähe der Steine zum Feuer, durch
Abdrücke der Lageroberfläche im Ofen und durch die Herstellungsmethoden verändert.
Ein im Handstrich-Verfahren hergestellter Ziegel weist andere Oberflächenspuren auf, als
ein Sandstrich-Verfahren, oder ein Wasserstrich-Verfahren. Je feiner die
Bearbeitungsmethoden, desto feiner sind die Oberflächen. Ähnlich der Behandlung von
Natursteinen entwickelten Handwerker Techniken zur Bearbeitung der Ziegel mit
Werkzeugen, die ein feines Oberflächenrelief erzeugten.
Je nach Lagerung im Ofen während des Brennens und der Verwendung von
unterschiedlichem Brennmaterial, wie Torf, Kohle oder Holzbefeuerung kann es auf der
Oberfläche des gebrannten Ziegels zu Rußspuren und schwarzen Abdrücken kommen. Im
Vergleich zur heutigen Befeuerung der Öfen mit Gas oder Öl, bewirken die traditionellen

13 Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 222


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und historischen Brennmaterialien ausdrucksstärkere Ziegel und eine größere


Nuancenvielfalt in der Farbigkeit.
Die unterschiedlich behandelten Ziegel wirken in der Fassade vielfältig und jede Methode
bewirkt andere Lichtreflexionen und somit das Aussehen des Gebäudes. Durch die
genannten Verfahren wurden Ziegel unterschiedlicher Qualität erzeugt, die in Klassen
eingeteilt wurden. Je höher die Klasse, desto geeigneter für dekorative Zwecke. Wobei
auch durch drittklassige Qualität optisch eindrucksvolle Bauten, wie das Chilehaus in
Hamburg von Fritz Höger, gelungen sind.14 Zum Teil wurden die durch die Befeuerung
oder Herstellung nicht optimal aussehenden Ziegel verwendet, um der Fassade oder dem
Gebäude ein rustikaleres Aussehen zu verleihen.

4.2 Verbandmuster

Grundsätzlich gilt, dass durch das Vermauern einzelner Ziegel zu einem Verband, bei
besonderer Beachtung der hierfür geltenden Regeln, ein Mauerwerk erst die gewünschte
Stabilität und konstruktive Tragkraft erhält. Aus dem ursprünglich rein konstruktiven
Mauerwerk abgeleitet galten die Verbandregeln dann auch für die Sicht- Ziegelfassaden.
Durch die Verbandregeln entstehen bestimmte Oberflächenmuster, die als Verbandart
bezeichnet werden, wie z.B. der Gotische Verband, der Märkische Verband oder der
Blockverband. Durch das geregelte Überlappen, im Mauerwerk Überbinden genannt, der
einzelnen Ziegelschichten werden die Kräfte innerhalb der Mauer gleichmäßig auf das
Mauerwerk verteilt und bei konstruktiv tragenden Bauteilen nach unten z.B. in ein
Fundament abgeleitet. Erst das Verbinden der einzelnen geschichteten Ziegel mit Mörtel
in den Fugen führt zu einem festen und beständigen Mauerwerk.
Zur folgenden Erläuterungen der einzelnen historischen Verbänden wird zunächst aber
eine genauere Betrachtung der Ziegelausrichtung und Ziegelschichten nötig.
„Die Benennung der Ziegelseiten und der Ziegelmaße richten sich nach dem Ziegel selbst.
Die Benennung der Mauerfuge dagegen richtet sich nach der Lage des Ziegels im
Mauerwerk“15, so Petra Zadel- Sodtke. Je nachdem, welche Seite der Ziegel im
Mauerwerk dem Betrachter zeigt wird er als Läufer, Binder, Roller, Grenadier, Breitläufer
oder Steher benannt. Diese Bezeichnung erleichtert später die Erläuterungen der
unterschiedlichen Verbandsmuster.

Abb 4 | Bezeichnung der Ziegellagen (Petra Zadel- Sodtke, 2005)


a Binder, b Roller, c Läufer, d Grenadier, e Breitläufer, f Steher

Die Fuge zwischen zwei Ziegelschichten im Mauerwerk wird Lagerfuge genannt. Innerhalb
einer Schicht werden die vertikalen Fugen Stoß- und Längsfuge genannt, wobei
Stoßfugen senkrecht zur Ansichtsfläche und Längsfugen parallel dazu verlaufen.
Neben der Schichtung der Ziegel parallel zur Ansichtsfläche innerhalb eines Mauerwerks
können die Ziegel auch schräg dazu geschichtet werden. Somit sind dem Betrachter zwei
der Ziegelseiten sichtbar. Diese Art wird „Schwalbenschwanzmauerung“ genannt. Die

14Claudia Turtenwald (Hrsg.),Fritz Höger (1877 - 1949), Moderne Monumente, Hamburg (Dölling und Galitz
Verlag GmbH München), 2003, S. 153
15 Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 108
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Oberfläche der Fassade bekommt einen gezackten Charakter. Wie weit der Ziegel aus der
Wand herausragt bestimmt die gewünschte Gradzahl der Drehung (meist 30°, 45°, 60 °
Winkel).

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Proportion des Ziegels. Nur durch geeignete
Maße kann ein Verbandmuster konstruktiv erzeugt werden. Das Verhältnis von Steinbreite
zu Steinlänge ist von wesentlicher Bedeutung. Nur wenn z.B. ein Läufer der Länge von
zwei Bindern und einer Stoßfuge entspricht, kann ein Verband logisch aufgebaut werden.
Grundsätzlich wird bei den Mauerverbänden im visuellen Bereich (also
Schornsteinverbände und Pfeilerverbände ausgenommen) zwischen Standardverbänden,
Zierverbänden und so genannten Aussergewöhnlichen Verbänden unterschieden16.
Einer der historisch ältesten Verbände, der „Wilde Verband“ lässt sich in die oben
genannte Kategorisierung nicht einordnen und wird daher separat geführt. Bei ihm handelt
es sich um die willkürliche Verwendung von Läufern und Bindern innerhalb einer
Mauerfassade. Diese Verbandart wurde vor allem in Deutschland in der Zeit des
Mittelalters häufig verwendet.17 Je nach Region und Bautypologie wurden andere
Parameter innerhalb des Verbandmusters für die Ecklösungen gewählt. Somit gibt es
keine einheitlichen übergeordneten Regeln für diesen Verband.

4.2.1 Standardverbände

Unter Standardverbänden versteht man die gängigsten Weisen Ziegel nach festgelegten
Gestaltungsregeln zu schichten. Walter Meyer-Bohe nennt in seinem Buch
„Mauerwerksbau“ den Holländischen oder Flämischen Verband, den Gotischen oder
Polnischen Verband, den Märkischen oder Wendischen Verband für ornamentale
Ausführungen einer Fassade als besonders geeignet.18 Je nach Region werden die
einzelnen Verbände anders benannt. Im Folgen werden die wichtigsten unter den
Standardverbänden näher erläutert.

Läuferverband
Beim Läuferverband, historisch auch Welscher Verband genannt bestehen alle Schichten
aus Läufern, die „von Schicht zu Schicht um eine halbe Steinlänge (mittiger Verband) oder
1/3 bis 1/4 der Steinlänge (schleppender Verband) gegeneinander versetzt sind.“19 Der
Läuferverband eignet sich besonders gut für einschalige Mauerwerke (1-Stein
Mauerwerk), da er ein großes Überbindemaß hat und so hohe Festigkeit erlangt. Das sich
durch alle Schichten ziehende Ziegel/Fugen-Bild wirkt gesetzt und betont die horizontale
Wirkung des Verbands.

Binderverband
Beim Binderverband, auch Kopfverband genannt, bestehen alle Schichten aus Bindern.
Die Stoßfugen der einzelnen Schichten sind jeweils um einen 1/2-Stein versetzt.
20Dadurch entsteht ein regelmäßiges, kompakt wirkendes Bild. Durch seine Schichtart

neigt der Verband bei Sichtfassaden zur optischen Rautenbildung, die zum Teil von den

16 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 108


17 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 117
18 Vergl. Walter Meyer- Bohe, Mauerwerksbau, Stuttgart (Verlagsanstalt A. Koch GmbH), 1973, S. 20
19 Walter Belz (Hrsg.), Mauerwerks- Atlas, Basel (Birkhäuser Verlag), 2001, S. 79
20 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 123
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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Architekten besonders hervorgehoben wird. Durch sein geringes Überbindemaß eignet


sich der Verband ebenfalls gut für ein 1-Stein-Mauerwerk und für dekorative Zwecke an
Fassaden.

Blockverband
Der Blockverband besteht aus Läufer - und Binderschichten, die sich regelmäßig
abwechseln. In der Ansicht liegen jeweils alle Binder und alle Läufer senkrecht
übereinander. Die Überbindung beträgt 1/4- Stein, bei dieser Verbandsart.21

Kreuzverband
Hier werden ähnlich zum Blockverband Läufer- und Binder sich regelmäßig abwechselnd
schichtend verwendet. Wobei die Stoßfugen sich durch das Einfügen eines halben Läufers
an den Mauerenden um eine halbe Steinlänge versetzt.22 In der Fassadenansicht bilden
sich aus jeweils zwei Bindern und einem Läufer kreuzähnliche Formen, die dem Verband
ihren Namen geben.

Gotischer Verband
Diese Verbandart wurde in den verschiedenen Epochen auch unter den Namen
Polnischer Verband, Wendischer Verband, Mönchs- oder Wechselverband ausgeführt.
Beim Gotischen Verband wechseln sich Läufer und Binder innerhalb einer Ziegelschicht
immer ab. Die Binder jeder Schicht liegen zentriert zwischen den Läufern der darüber und
darunter liegenden Ziegelschicht.23 Durch das Abwechseln der Ziegelseiten innerhalb
einer Schicht wirkt der Verband in der Fläche gesehen aufstrebend und vertikal geordnet.

Holländischer Verband
Der Holländische Verband ist eine Mischung aus Binder- und Gotischem Verband. Auf
eine Binderschicht folgt eine Binder- Läuferschicht. Die Binder dieser Binder-
Läuferschicht liegen mittig auf den Stoßfugen der darüber und darunter liegenden
Binderschicht.24

Märkischer Verband
Beim Märkischen Verband folgen in jeder Schicht regelmäßig zwei Binder auf zwei Läufer.
Die Binder liegen immer mittig auf der Stossfuge der darüber und darunter liegenden
Läufer. Vor allem in der Mitte eines Mauerwerks oder einer Fassade kommt es durch die
Gesetze des Verbands zu einem sehr regelmäßigen Aussehen. Wegen seines flächigen
Charakters war der Märkische Verband weit verbreitet und beliebt.

Zusätzlich zu den hier genannten Verbänden gibt es noch eine Reihe weiterer
Ziegelverbände, die zum Teil durch die Ecklösungen, wie die Verwendung von
Viertelsteinen und Längshalben, unterscheiden. Einige Verbände haben sich aber auch
durch regionale und demographische Weitergabe verändert.
Die einzelnen Verbandarten machen deutlich, dass der durch die gesamte
Mauerwerksgeschichte hindurch weitergegebene Aspekt der Flächenbildung bei
gleichzeitiger Massenentwicklung eines der Grundprinzipien des Sicht-Ziegelverbands

21 Vergl.Walter Belz (Hrsg.), 2001, S. 80


22 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 210
23 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 133
24 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 134
11
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

ist25. Und dass neben den konstruktiven Entscheidungen beim Entwurf immer auch die
gestalterischen Aspekte grundlegend bedacht werden mussten, da aus dem Verband
heraus sich jegliche Gestaltung entwickelte.

Abb 5 | Übersicht über die Verbandarten (Petra Zadel- Sodtke, 2005)

4.2.2 Zierverbände

Ausgehend von den Standardverbänden haben sich die Zierverbände entwickelt. Mit der
Grundlage eines konstruktiven Mauerwerks konnten durch die Verwendung einer weiteren
Mauerschale, die der dekorativen Gestaltung der Fassade diente, die Ziegel die starren
Verbandregeln verlassen. Von den statischen Aufgaben enthoben, hatten die
Zierverbände rein ornamentale Wirkung. Durch das Vor- und Zurückspringen von Binder -
und Läuferschichten, oder einzelnen Steinen, das Schrägstellen von Ziegeln wurde das
Vokabular der Standardverbände ergänzt. Diese Art der Ornamentbildung an der Fassade
wurde erhabenes Ziegeldekor genannt. Seinen Höhepunkt erreichte die
Fassadengestaltung im 18. Jahrhundert, als die Maurer sich bemühten ihre
Handwerkskunst den Steinmetzen in ihrer Qualität gleich zu stellen.26 Durch dieses
Ziegeldekor entstehen unregelmäßige Oberflächen, die durch das Weglassen von

25 Vergl. Rolf Rancke, 2001, S. 26


26 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 136
12
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Steinen, beim durchbrochenen Ziegelmauerwerk, bis hin zur Auflösung des


Mauercharakters führen. Beim durchbrochenen Mauerwerk wurden optisch die besten
Ergebnisse erzielt, wenn die Löcher in regelmäßiger Folge angeordnet sich, oder ein
geometrisches Muster bilden. Zum einen wurden Mauerwände durchlöchert um weniger
Ziegel zu verbrauchen, aber auch um eine bessere Durchlüftung zu erreichen.27 Durch die
Betonung von bestimmten Fugenbildern kann der Fassade ein vertikaler oder ein
horizontaler Charakter zugeordnet werden.

Auch das Verwenden von einzelnen verschieden farbigen Steinen im Verband wird zu den
Zierverbänden gezählt. So kann zum Beispiel durch das Einsetzen von einigen farbigen
Bindern in eine Fassade eine ornamentales Wirkung erzeugt werden.

In der Vorsatzschale einer Sicht-Ziegelfassade können die vorgeschriebenen


Überbindemaße verändert werden, da die Mauerschale keine Last abzutragen hat. In den
historischen Mauerwerken wurde selten eine komplette Trennung der einzelnen
Mauerschalen vollzogen. Stattdessen wurde die dekorative Verblendschale in das
tragende Mauerwerk rückverankert und konstruktiv eingebunden. Erst mit der späteren
Einführung der Stahlskelett- oder Betonskelettbauten war eine Trennung der Wandschalen
möglich.

27 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 139


13
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Abb 6 | Übersicht über die Zierverbände (Petra Zadel- Sodtke, 2005)

4.2.3 Aussergewöhnliche Verbände

Dass die Variationsmöglichkeiten zur dekorativen Gestaltung einer Ziegelfassade nicht nur
aus Varianten von Läufern und Bindern bestehen, zeigen die aussergewöhnlichen
Verbände. Hier kann der Handwerker durch das Einsetzen von Roller, Grenandier,
Breitläufern und Stehern einer Fassade eine ornamentale Wirkung geben. Neben der
Grundausrichtung im Verband können die Steine axial oder in die Tiefe des Mauerwerks
ausgerichtet werden. Im Zusammenspiel mit den Läufer- und Binderzierverbänden kann
eine große Vielfalt an Aussergewöhnlichen Verbände entwickelt werden. „Einige
Aussergewöhnliche Verbände haben ornamentale Verbandmuster [...], andere scheinbar
regellose und chaotische Ansichtsflächen [...].“28, so Petra Zadel-Sodke in ihrer
Dissertation. Viele der zunächst ungeordnet wirkenden Verbände werden aber ebenfalls
nach einem übergeordneten Muster gestaltet.

28 Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 156


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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Abb 7 | Beispiele der Aussergewöhnlichen Verbände Teil 1 (Petra Zadel- Sodtke, 2005)

Die hier aufgeführten kleine Auswahl an Beispielen zeigt die gestalterische Vielfalt, die mit
Aussergewöhnlichen Verbänden erreicht wurden. Durch den entstehenden Schattenwurf
und die Reflexionen bei Lichteinfall entsteht eine reliefartige Wirkung der Sicht-
Ziegelfassade. Gerade Fritz Höger setzte bei dem von ihm geplanten Chilehaus in
Hamburg auf die Gestaltung mit Licht und Schatten an der dunkelroten Ziegelfassade, die
mit diversen Zierverbänden gestaltet ist.29 Die Klinker formen dabei je nach Fassadenseite
und Höhe mehr oder weniger flächige Muster, wobei in den Innenhöfen grobmaschige
Rautenmuster, die Sockelbereiche zum Teil mit reliefartigen nach vorne springenden
kleine Ziegelpyramiden und in den oberen Bereichen der Fassade schlichte
Verbandmuster des Märkischen Verband, der für Kontorhäuser obligatorisch war30 , gezeigt
werden. Die flächenwirkenden Aussergewöhnlichen Verbände muten zum Teil orientalisch
und exotisch, aber auch mathematisch fraktal an. Hinter jedem Muster verbirgt sich aber
genaue Berechnung der Steintransformationen, die durch die Wiederholung des einzelnen
Musterfragments erst ihre Wirkung erhalten.

29Vergl. Manfred F. Fischer, Das Chilehaus in Hamburg, Architektur und Vision, Berlin (Gebr. Mann), 1999,
S. 85
30Vergl. Manfred F. Fischer, 1999, S. 85 ff.
15
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Abb 8 | Beispiele der Aussergewöhnlichen Verbände Teil 2 (Petra Zadel- Sodtke, 2005)

Eine besondere Form des Zierverbands ist die des Fischgrätmusters. Bei dieser
Verbandart werden die einzelnen Ziegelschichten meist als Steher schräg gestellt. Von
Schicht zu Schicht wird aber die Richtung der Schräge gewechselt, so dass ein Muster
ähnlich einer Fischgräte entsteht. Zum Teil werden dazwischen noch waagrechte
16
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Ziegelschichten angeordnet. Archäologische Funde aus der Zeit der antiken Architekturen
der Römer belegen die Verwendung des Verbandes. Zu dieser Zeit war der Verband unter
dem Namen „opus spicatum“ bekannt.31 1974 verwendete der Architekt Heinz Bienefeld
diese Art der ornamentalen Gestaltung bei seinem Entwurf der Pfarrkirch St. Bonifacius
erneut.

Abb 9 | Fischgrätmuster links: Opus Spicatum ; rechts: Pfarrkirche St. Bonifacius

4.3 Fugengestaltung

Ebenso wichtig, wie die Wahl der Ziegelfarbe, des Verbandes und des Formats, ist die der
Mörtelfuge. „Die Fuge hat dabei eine konstruktive, eine praktische und eine gestalterische
Funktion.“32 Nur im Zusammenspiel aus Ziegel und Mörtel ist ein fester Wandverbund
möglich. Neben den bautechnischen Anforderungen an einen Mörtel, wie die Festigkeit
und die Abbindegeschwindigkeit, spielt die Wahl der Mörtelfarbe, Körnung und
Verarbeitung eine wichtige Rolle.
Wegen des Flächenanteils von mindesten 17 % an einer Wand 33 muss die Mörtelfarbe
bewusst gewählt werden. Sie kann sich der Ziegelfarbe anpassen, oder sich von dieser
abheben und den Kontrast erhöhen. Je nachdem tritt dann der Ziegel oder das Fugenbild
in den Vordergrund. Durch Zugabe von Pigmenten kann auch beim Mörtel fast jede
Farbigkeit erreicht werden. In der Norddeutschen Backsteingotik des 12./13. Jahrhunderts,
wurde überwiegend mit weißen Mörtelfugen und dunkelroten Ziegelsteinen gearbeitet. So
entstand ein dreidimensional wirkendes Gewebe mit der Fuge im Vordergrund. Hingegen
benutzen die Architekten der Hamburger Heimatschutzbewegung Anfang des 20.
Jahrhunderts, wie Fritz Höger und Fritz Schumacher, dunkle Mörtelfarben, die die gleiche
Farbe wie die der verwendeten Ziegel hatten. Durch den geringeren Kontrast tritt der
einzelne Ziegel dadurch optisch nicht in den Vordergrund und die Flächenwirkung der
Ziegelfassaden wird verstärkt.

Neben den von der DIN vorgeschriebenen Mindestdicken der Fugen ist es möglich bei rein
dekorativen Mauerwerken, oder bei genauer Berechnung und zusätzlicher Armierung der
Wände, die Fugenstärke gestalterisch einzusetzen. Durch die Dicke von Stoß- und
Lagerfuge kann einem Sichtmauerwerk eine vertikale oder horizontale, bzw. „lagerhafte“
und „aufstrebende“ Gestalt gegeben werden. Durch die Kombination von breiten
Lagerfugen und schmalen Stoßfugen wirkt ein Mauerwerk kompakt lagernd, umgekehrt

31 Vergl. Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 160


32 Petra Zadel- Sodtke, 2006, S. 235
33 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 174
17
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

nach oben aufstrebend. Ebenso kann innerhalb einer Sicht-Ziegelfassade mit


unterschiedlichen Stoß- und Lagerfugen gearbeitet werden.

Abb 10 | Wirkungen von Fugenformen (Petra Zadel- Sodtke, 2005)

Die Fugenform ist ein weiteres Gestaltungsmittel. Aus dem handwerklichen Können der
Maurer und den technischen Anforderungen der jeweiligen Zeit entwickelte sich eine
variantenreiche Formensprache der Fugenform. Eine Fuge kann mit den Ziegelschichten
bündig sein, aus der Wand hervor- oder auch zurücktreten. Die Wirkung der Sicht-
Ziegelfassade wird dadurch entscheidend beeinflusst. Zu den flächenhaften Fugenformen
gehören die Knirschfuge, Bündige Fuge, Ausgeglättete Fugen, Verschmierte Fugen. Bei
den zurückgesetzten Fugen kann neben dem einfach auskratzen auch mittels Fugeisen,
speziellen Werkzeugen zum Gestalten einer Fuge, eine weitere Gestaltung durchgeführt
werden. Zu den zurückgesetzten Fugenarten gehören unter anderem die ausgekratzte
Fuge, Schattenfuge, Hohlkehlfuge, Fugen mit konkaven Mittelfugen und schräge Fugen.
Bei den hervortretenden Fugen muss immer mit speziellen Fugeisen gearbeitet werden,
die das Negativ der gewünschten Fuge abbilden, oder z.B. mit halbierten Schläuchen um
Rundungen der Fuge zu erzeugen. Zu den hervortretenden Fugen gehören die Rohrfuge,
Rippenfuge, Rundgekehlte Fuge, Rückenfugen, Hamburger Fuge und die Quellfuge.
Zusätzlich zählt man die mit Steinen oder mit dünnen Ziegelplatten dekorierten Fugen
dazu.

4.4 Sonderformen der Gestaltung mit Ziegel

4.4.1 Fachwerkausfachung mit Ziegel

Neben den reinen Sicht-Ziegelfassaden gibt es die Möglichkeit der Kombination von
Baustoffen an einer Fassade. In den ländlichen Gebieten Europas war im 16. Jahrhundert
eine Gestaltungsvariante entstanden, bei der Ziegel die Gefache eines Holzfachwerks
füllten.34 Statt wie sonst üblich ein mit Lehm beschichtetes Flechtwerk zu verwenden
wurden feuer-und witterungsfestere Ziegel benutzt. Die mit Ziegel gefüllten Gefache
wurden Ausfachungen genannt. Ein konstruktiv funktionierender Verbund war als
Ausfachung nicht unbedingt nötig, da die eigentliche Lastabtragung über das
Holzfachwerk geleistet wurde. So war es die Aufgabe der Maurer, meist spezialisierte
Handwerker auf Fachwerke, die Ausfachung luftdicht und dekorativ zu gestalten. Neben

34 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 146


18
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

einfachen Anordnungen der Ziegel im Läufer- oder Binderverband, war in Nordeuropa vor
allem das oben erwähnte Fischgrätmuster beliebt35. Diese Verwendung von Ziegel
entwickelte sich zum Teil zur Kunstform. Durch die Verwendung von verschiedenfarbigen
Steinen, unterschiedlichen Formaten und weißen Mörtelfugen wurde an einem
Fachwerkgiebel jedes Gefach frei gestaltet. Diese Kunstformen waren in den Bereichen
der Unterelbe und der Westküste Schleswig- Holsteins verbreitet.36 Durch die
unterschiedlichen Muster gleicht der ornamentale Charakter der Hausfassaden einem
textilen Patchworkmuster. Die Handwerker waren frei in der Gestaltung und konnten ihre
Ideen umsetzen. Meist waren die Ziegel so geschichtet, dass das Muster auch in den
Innenräumen zu sehen war.

a b

c
Abb 11 | Beispiele für Ziegelausfachungen (a Sussex, England, b Plön, Deuschland, 17. Jhd., c Steinkirchen,
Deutschland, 16. Jhd. )

4.4.2 Flächengestaltung mit farbigen Ziegel

Bei der Gestaltung einer Fassade aus Sichtziegeln kann, abgesehen von der Wahl der
Steinfarbe für die Wand, oder der Verwendung von einigen anders farbigen Ziegeln, die
gesamte Fassade als ein polychromes Bild aufgefasst werden. Hierbei werden ähnlich der
Textilkunst und der Technik des Teppichwebens ornamentale Muster auf die Fassade
gebracht. Diese dekorative Variante der Fassadengestaltung entwickelte sich im 15.
Jahrhundert in Frankreich bei Rouen37 und fand ihre Blüte in der Tudorzeit im 15./16.
Jahrhundert in England.

35 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 146


36 Vergl. Hohe Warte, 3. Jahrg., 1906/07, S. 350
37 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 126
19
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Die polychromen Muster entwickelten sich aus Verbänden, wie dem flämischen Verband,
besonders gut, da durch die regelmäßige Verwendung von Bindern eine horizontale
Wirkung erzielt wird, die sich für geometrische Muster eignete. Die zum Teil komplexen
Muster setzten ein hohes handwerkliches Können voraus. Zum einen mussten die
Ziegelfarben stimmig gewählt werden und das Muster musste mit dem Verband in
Einklang gebracht werden. Ein weit verbreitetes Muster, war das des Kantenmusters, ein
rautenförmiges sich wiederholendes Muster. Alternativ dazu entwickelte sich das
Karomuster, dessen Wirkung von der Farbwahl abhängig ist. Dunkle Farben lassen die
Fassade massiv erscheinen, während helle Farben eine gegenteilige Wirkung haben.
Das Bandmuster war in vielen Variationen ausführbar. Es wurde zur zusätzlichen
Gliederung einer Fassade eingesetzt.
Im 19. Jahrhundert erfährt das polychrome Ziegelmauerwerk einen erneuten Höhepunkt.
Die Varianten an Verbandmuster und Details für Fassadenöffnungen und die reiche
Auswahl an Schmuck- und Ziermotiven boten den zeitgenössischen Architekten und
Handwerker viele Gestaltungsmöglichkeiten.38 Der französische Architekt Lacroux Chabat
schreibt in seinem Buch „La brigue ordinaire“ (1878): „am wichtigsten ist die Darstellung
von dekorativen Mustern wie Querstreifen, Wellen- und Zick-zacklinien, Reihen von
Kreuzen und Karomuster. All diese Ziegeldekors können leicht mit dem eigentlichen
Mauerverband gelegt werden, lassen sich aber auch als Friese, auf einfarbigen Wänden
und für kunstvollere überstehende Abdeckungen, Gesimse und Giebel verwenden.“39

Abb 12 | Schokoladenfabrig Menier (1871) Frankreich (Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996)

38 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 134


39 Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 134
20
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

4.4.3 Formziegel

Um das Repertoire der Architekten und Gestalter zu erweitern, wurden die so genannten
Formziegel entwickelt. Da der rechteckige Ziegelstein trotz seiner vielen Varianten der
Gestaltung, durch Schichten, Färben und Transformationen der Verbandart an Grenzen
stößt, erweiterten die Formziegel das Vokabular. Heutzutage wird ein großes Angebot an
Formziegeln maschinell hergestellt. Früher hingegen mussten diese Ziegel vor Ort auf der
Baustelle von den Maurern selbst hergestellt werden. Diese historischen Ziegel wurden im
Handstrichverfahren gefertigt und erforderten ein hohes Maß an handwerklichem Können.
Zum Teil wurden auch Standardziegel in die gewünschte Form geschnitten und danach
abgeschliffen.40
Diese Formziegel unterscheiden sich vom gewöhnlichen Ziegel dadurch, dass sie von der
„normalen“ Form abweichen. Zum Teil sind sie abgerundet, Ecken abgeschlagen, oder
kunstvolle Ornamente eingeschnitzt. Bei einigen Entwürfen wurden ganze Gesimse in
einem Ziegel nachgebildet. Neben einigen Grundformen sind durch das individuelle
Anfertigen von Ziegelformaten und Formziegeln weitere Bauformen aus Ziegel möglich
und das Spektrum der dekorativen Gestaltung erweitert. Durch gerundete Formziegel sind
Entwürfe in Ziegel realisierbar, die engere Rundungen, gebogene Linien und Säulen
enthalten. Je nach Situation und gewünschter Wirkung kann ein Ziegel ausgesucht oder
hergestellt werden. Gerundete Flächen erhalten ein gleichförmigeres Aussehen bei der
Verwendung von Formziegeln, statt wie mit quaderförmigen Ziegeln geschichtete
Rundungen.

Abb 13 | Grundformen der Formziegel (Petra Zadel- Sodtke, 2005)

Aus den Formziegeln heraus entwickelte sich das Reliefziegelmauerwerk, welches für
architektonische Elemente wie Kapitelle verwendet wurde. Ähnlich einem Bildhauer oder
Steinmetz wurden die Ziegel mit Hammer, Meißel oder Drahtsäge bearbeitet und in die
gewünschte Formen gebracht.
„Relief- und Formziegel waren nach ihrer Blüte im 19. Jahrhundert immer weniger gefragt
und erreichten den Tiefpunkt in den fünfziger und sechziger Jahren.“41 Heutzutage werden

40 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 141


41 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 143
21
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Formziegel von Architekten meist nur noch für Restaurierungen historischer Gebäude bei
den Ziegelherstellern angefragt.

4.4.4 Bauelemente aus Ziegel zur dekorativen Gestaltung

Zu den oben genannten Varianten und Techniken zur Gestaltung einer Sicht-
Ziegelfassade besteht weiters die Möglichkeit, eine Fassade mit aus Ziegeln hergestellten
Bauelementen zu dekorieren. Diese Bauelemente, wie Bögen, Konsolen, Kragsteine
entspringen konstruktiven Ursprüngen, und andere, wie Lisenen und Wandvorlagen rein
dekorativen Gestaltungsvorstellungen.
Da die Bogenkonstruktionen im Ursprung entwickelt wurden um Öffnungen in der
Mauerkonstruktion zu überdecken, ohne andere Materialien zu Hilfe zu nehmen, entstand
eine Reihe verschiedener Techniken. Kleine Fenster ließen sich im Mauerwerksbau noch
durch kragende Steine überdecken, doch sobald Fenster -oder Türöffnungen größer
wurden waren andere technische Lösungen notwendig. Durch die Wölbtechnik konnten
diese Spannweiten überdeckt werden. Zum Teil wurde aber schon zu Zeiten der Römer
die Bögen als rein dekorative Überdeckung vor die eigentlich tragende Konstruktion
gesetzt um die Herstellung zu erleichtern42 . Neben der Durchsetzung des Segmentbogens
als Konstruktionselement setzte sich der scheitrechte Bogen durch. Eine Bogenform, die
eine senkrechte Überdeckung einer Öffnung ermöglichte. Diese Bauform war in
Nordeuropa eine weit verbreitete Methode zur Konstruktion und Gestaltung von
Bürgerhäusern.
In den 1920er Jahren, mit dem aufkommen der Stahlbetonkonstruktionen mussten die
Vorsatzschalen aus Ziegel keine tragenden Kräfte mehr aufnehmen. Somit war die
Verwendung von scheitrechten Bögen zur Fenster- und Türüberdeckung überflüssig
geworden. In Vollmauerwerkfassaden wurden statt der Bogenkonstruktionen Stürze aus
Beton verwendet. Erst in neueren Zeiten wird die Verwendung von Bogenformen in der
dekorativen Gestaltung einer Fassade wieder aufgenommen.

Abb 14 | Beispiele Scheitrechter Sturz (Mauerwerkatlas, 2001)

42 Vergl. Walter Belz (Hrsg.) , 2001, S. 43


22
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Mittels Lisenen, Ziegelstapel und auskragenden Steinverbänden, die vor- und


zurückspringen, konnte eine zusätzliche Gliederung der Fassade erreicht werden. Weitere
Ebenen schaffen eine reliefartige Wirkung. Die plastische Gliederung erzeugt durch ihre
Höhen und Tiefen eine stärkere Schattenwirkung.
In klimatisch kargen Regionen war es üblich Außenwände flächig mit aussenbündigen
Fenstern zu gestalten. Je nach Reichtum und Stand des Hausbesitzers, aber auch nach
Mode wurden die Fassaden aufwendiger oder einfacher gestaltet.
Die Kleinteiligkeit eines Ziegelmauerwerks ist für Auskragungen von Vorteil. Durch das
Zusammenspiel der einzelnen Ziegelsteine, die korrekt geschichtet und durch Versetzung
ein tragkräftiges Ganzes bilden, wird eine plastische Gestaltung möglich ohne andere
Materialien in der Konstruktion zu verwenden zu müssen. Beachtet werden muss hierbei
nur die „Ein- Drittel- Regel“, die besagt, dass ein Stein nie mehr als ein Drittel seiner
Länge aus einem Verband auskragen darf um noch tragfähig zu bleiben.43

Abb 15 | Vor und Rücksprünge im Mauerwerk (Mauerwerkatlas, 2001)

43 Vergl. Andrew Plumridge, Wim Meulenkamp, 1996, S. 103


23
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

5. Vergleich der zeitgenössischen Bauten

Es scheint, dass heute die Architekten bei der Fassadengestaltung wieder häufiger zum
Baustoff Ziegel greifen. Dabei wird er auch abseits der historischen Backsteinhochburgen
in Regionen verwendet, in denen das Arbeiten mit Sichtziegeln eher unüblich ist. Zwei
zeitgenössische Beispiele, wie das Weingut Gantenbein in Fläsch und das Haus Aggstall
in Bayern sollen nun als Beispiele für den Gebrauch von Ziegeln in der
Gegenwartsarchitektur besprochen werden. Es handelt sich dabei um zwei vom
Baumaterial sehr ähnliche, aber in ihrer Produktionslogik grundverschiedene Gebäude.
Während der Entwurf der Architekten Hild und K weiterhin auf analoge und handwerkliche
Fassadengestaltung basiert, verwenden die Architekten Bearth& Deplazes erstmals
digitale Methoden zur Gestaltung einer Sichtziegelfassade.
Im Folgenden werden die Entwurfsprinzipien und die Herstellung der Fassaden erläutert
und miteinander in Konstruktionsweisen, Funktion und Bedeutung des Ornaments
verglichen. Da vor allem der Unterschied zwischen „analoger“ und „digitaler“
Produktionsweise interessiert, werden die beiden Neubauten auch im Vergleich zu den
oben genannten, historischen Methoden der dekorativen Fassadengestaltung erörtert.

a b
Abb 16 | a Haus Aggstall | Hild und K, b Weingut Gantenbein | Bearth & Deplazes

5.1 Entwurfsprinzipien und Konstruktion

Das vom Büro Hild und K entworfene Haus Aggstall, in der Nähe von Freising in Bayern
wurde für die Bauherrschaft als explizites Landhaus, also als Zweitwohnsitz, entworfen
und gebaut. Die in der Region vorherrschende Land- und Forstwirtschaft bestimmt das
Bild der Landschaft. Das Grundstück des freistehenden Hauses grenzt an Weiden. Es
ersetzt ein abgetragenes Anwesen, das durch zahlreiche Erweiterungen an Qualität
verloren hatte. Durch Auflagen der Behörde waren Firsthöhe und Raummaße des alten
Gebäudes durch den Neubau wieder einzunehmen. In der äußeren Form erinnert das
Haus an die traditionellen, meist vernakularen Bauformen der Region mit seinem leicht
abgewandelten Satteldach und seiner rechtwinkligen Kubatur. Farblich wurde die gesamte
Aussenhaut, also Fassade und Dach, in einem kornfarbenen Farbton gehalten, der je
nach Lichteinwirkung gräulich schimmert. Die Fassade selbst besteht aus geschlämmten
Sichtmauerwerk. Die dekorative Wirkung wird von einem sich aus der Geometrie der
Ziegelsetzung ergebenden Rautenmusters bestimmt. Bei genauerer Untersuchung des
Verbands wird deutlich, dass es sich um keinen der oben genannten traditionellen
24
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Ziegelverbände handelt. Hier wurde eine Eigenkreation der Architekten verwendet, die
sich besonders gut für die Ausbildung von geometrischen Mustern eignet. Es gibt drei
Schichtungstypen, die sich dann nach oben hin in einer bestimmten Reihenfolge
abwechseln um das Muster zu ergeben. Auf eine Ziegelschicht, in der sich ein Binder und
jeweils zwei 3/4-Steine abwechseln folgt eine reine Läuferschicht. Danach kommt eine
reine Binderschicht, der wieder eine reinen Läuferschicht folgt. Nach diesen vier
Ziegelschichten wiederholen sich die Schichttypen regelmäßig. Im Vergleich zu den
bekannten historischen Verbänden, bei deren Entwicklung Wert darauf gelegt wurde keine
geometrische Zufälligkeiten entstehen zu lassen, um eine größere Flächenwirkung zu
erzielen, wird durch die hier verwendete Verbandart eine textilähnlich Struktur über die
Aussenhaut des Gebäudes gelegt. Das Muster wird über die Gebäudekanten hinweg
fortlaufend über alle vier Fassadenseiten geführt. Die Hälfte der Rauten enden exakt an
den Gebäudekanten, wohingegen die andere Hälfte mittig um die Gebäudekante geklappt
werden. Auch die Fassadenöffnungen werden passend in das Fassadenmuster gesetzt.
Die Steine, die das Rautenmuster an der Fassade bilden sind zusätzlich noch zwei
Zentimeter aus der Wand gerückt. Dadurch wird das Muster leichter sichtbar und
Schattenkanten bilden sich. Die eigentliche Ziegelfarbe ist nicht erkennbar, da die
gesamte Fassade in Korngelb geschlämmt wurde.

Abb 17 | Fassadenansicht mit Darstellung Rautenmuster Haus Aggstall

Bei genauerem Betrachten der Fassadenkonstruktion wird deutlich, dass kein


Vollmauerwerk aus Ziegel verwendet wurde. Die Fassade wurde zwei-schalig ausgeführt.
Die hintere, tragende Schale besteht aus modernen Hochloch- Ziegelsteinen, der eine
Schicht von Verblendern aus geschlämmten Vollziegeln vorgesetzt ist. Die äußere Schale
hat nur dekorative Zwecke. Sie wird in regelmäßigen Abständen in das dahinter liegende
Mauerwerk rückverankert. Im Schnitt sind deutlich die vorspringenden Steine zu erkennen,
die das Ziegelrelief formen. Diese Ziegel können aber nicht als Kragsteine bezeichnet

werden, da das Maß um das sie verrückt wurden nur sehr gering ist und sie auch keine
Kräfte aufnehmen. Im Gegensatz zu historischen Mauerwerken, wo die Sichtziegel in das
dahinter liegende Vollmauerwerk vermauert wurden bleiben die beiden Schichten hier
getrennt. Der Ziegel wird hier gemäß der aktuellen Techniken zur Fassadenkonstruktion
verwendet, die konstruktiven und klimatischen Standards entsprechen. Prinzipiell hätte
aber auch ein anderes Material als Fassadenelement dienen können.
25
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Abb 18 | Fassadenschnitt Haus Aggstall

Die Erweiterung des Weinguts Gantenbein in Fläsch von den Architekten Bearth&
Deplazes zeigt ebenfalls eine Sicht-Ziegelfassade. Hier wurde allerdings statt
handwerklicher Tradition ein modernes digitales Entwurfs- und Produktionsverfahren
angewendet. Die beiden Architekten stehen über ihre gemeinsame Arbeit an der ETH
Zürich mit dem Lehrstuhl für Digitale Entwurfsmethoden der Architekten Fabio Gramazio
und Mathias Kohler in Kontakt. Schon vor dem Neubau der Erweiterung des Weinguts
erprobten die beiden Architekten gemeinsam mit Studenten an ihrem Lehrstuhl das
Umsetzen von digital entworfenen Wandelementen, die dann mittels eines Roboters in
Ziegel umgesetzt wurden. Hierbei schichtet der Roboter nach genauer Anweisung eines
Computerprogramms die gewünschte Wandform. Wo in historischen Beispielen nur mit
Formsteinen und entsprechenden Radien Rundungen im Ziegelmauerwerk erreicht
werden konnte, setzt der Roboter die Steine so präzise und exakt, dass eine Ziegelwand
als doppelt gekrümmtes Flächengebilde ausgeführt werden kann. Grundsätzlich arbeitet
er ähnlich wie ein Maurer, in dem er nach genau vorgeschriebener Anleitung die Steine
schichtet und fügt. Durch seine ihm technisch immanente Fähigkeit des exakten Ablegens
eines Steins in genauer Winkellage erreicht er eine viel höhere Präzision, als der
menschliche Handwerker.
„Der Roboter ist eine Versuchsanlage, mit der wir die Kriterien einer kompletten digitalen
Kette vom Entwurf bis zur Fertigung durchspielen können“,44 erläutern die Architekten ihre
Arbeit. Gemeinsam mit den Studenten wurden die Parameter für die Wandverformungen
festgelegt, über ein dafür entwickeltes Zusatzmodul eines CAD- Programms in die
Sprache des Roboters übersetzt und schließlich im Versuchslabor der ETH umgesetzt.
Hierbei wurden Freiformen und in drei Ebenen verschobene Wellenformen umgesetzt.
Jeder der mit Ziegeln aufgemauerten Wände unterliegt mathematisch fassbaren Regeln
und lässt sich somit programmieren.45 Durch das Festlegen von Verbundregeln,

44 Caspar Schärer, „Ungeheurer präzis“, in: Hochparterre 6-7/2006, Zürich (Hochparterre AG), 2006, S. 64
45Vergl. Tobias Bonwetsch, „Die Programmierte Wand“, in: Fabio Gramazio / Matthias Kohler, Die
Programmierte Wand, Zürich (Gramazio & Kohler, ETH Zürich), 2007, S. 5
26
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Standfestigkeit und einem gewünschten Erscheinungsbild konnten anhand der


experimentellen Versuchsreihe Lichtdurchlässigkeit, Durchsichtigkeit und Wirkung der
Ziegelwände getestet werden.

a b
Abb 19 | a Roboter im DFAB Studio der ETH, b digital programmierte Wand

Das Weingut Gantenbein war das erste konkrete Bauvorhaben bei dem diese Art der
Entwicklung und Produktion der Ziegelwände eingesetzt wurde. Durch die spezifischen
Bedürfnisse der Weinlagerung und der Räumlichkeiten zur Fermentierung der Trauben
verlangten die Bauherren nach einer Fassadenlösung, die dem Innenraum die
klimatischen Bedingungen des Aussenraums erlauben, aber dennoch vor direkter
Sonneneinstrahlung geschützt bleibt. Die eigentliche konstruktiv tragende Aufgabe
übernimmt ein Stahlbetonskelett, das ähnlich einem traditionellen Fachwerkbau Gefache
entwickelt, die dann mit den in den Forschungseinrichtungen der ETH vom Roboter
aufgemauerten Wandelementen gefüllt wurden. Diese Ziegelelemente übernehmen also
ähnlich wie die dekorative Ziegelfassade des Haus Aggstall keinerlei tragende Funktionen
im Gesamtsystem, sondern stellt eine Ausfachung dar. Die insgesamt 400qm Fassade
setzt sich aus 72 Ziegel-Wandelementen zusammen, die im Ganzen gesehen ein Motiv
bilden.46 Jeweils vier Elemente werden innerhalb eines Zwischenraums zwischen zwei
Betonstützen geschichtet. In Zusammenarbeit mit einer Schweizer Ziegelmanufaktur
wurde als Ersatz für die klassische Mörtelverbindung ein Zwei-Komponenten-Kleber
entwickelt, der ebenfalls vom Roboter exakt auf die berechnenden Stellen aufgetragen
wurde. In ersten Belastungstest erwies er sich als stabiler als die traditionelle
Verbindungsmethode.47 Durch die speziellen Schichtungswinkel der Steine, die
zusammenhängend ein über die gesamte Fassade laufendes Muster ergeben, gelangt
das Tageslicht gestreut in das Innere des Gebäudes. Da die Ziegelwand durch das
programmierte Schichten nicht vollständig geschlossen ist, erreicht das Außenklima
gefiltert den Innenraum und garantiert optimale Bedingungen für die Verarbeitung der
Trauben. Der Innenraum ist zusätzlich mit einer hinter der Ziegelschicht montierten
transparenten Polycarbonatplatte gegen Wind geschützt und behält das Außenraumklima.

46Vergl. Fabio Gramazio / Matthias Kohler, Digital Materiality in Architecture, Baden (Lars Müller Publishers),
2008, S. 98
47 Vergl. Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 98
27
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

a b
Abb 20 | a Fassadendetail Weingut Gantenbein, b Montage der Ziegelelemente

5.2 Entwicklung des Ziegeldekors

Da beide Gebäude in Regionen Europas stehen, die für die Verwendung von Sichtziegeln
eher untypisch sind, muss die Wahl des Fassadenmaterials andere Gründe haben. Beide
Bauten stehen in eher ländlichen Gebieten. Das Weingut selbst steht außerhalb einer
Ortschaft und auch das Haus Aggstall ist städtebaulich nur locker mit der umliegenden
Baustruktur verbunden.

Im Fall des Haus Aggstall in Bayern wurde von der Bauherrschaft explizit ein Landhaus
gewünscht. Dies lässt darauf schließen, dass neben diesem Wohnsitz ein weiterer, mehr
städtischer Wohnsitz existiert. In der kurzen Entwurfserläuterung der Architekten Hild und
K ist zu lesen, dass die Fassade „eine Reflexion über die Unregelmäßigkeit und das
Lichtspiel traditionell verputzter Mauerwerksflächen“ sein soll. „Es soll eine Oberfläche
gefunden werden, welche die handwerkliche Zufälligkeit geometrisiert und dadurch
herstellbar macht.“48 Ein bewusster Bezug also auf traditionelle handwerkliche
Herstellungsweise soll hier überspitzt und dem Betrachter als besonders auffällig
dargestellt werden. Das Fassadenornament entwickle sich aus den natürlichen
Unebenheiten einer verputzen Mauerfassade, diese Unregelmäßigkeiten würden in eine
geometrische Form gezwängt, was ein Muster ergibt, das über die Fassade läuft. Dieser
von den Architekten vorgebrachte Bezug zur Putzfassade ist jedoch nur bedingt auf
moderne Fassaden passend, da diese aufgrund der relativ hohen handwerklichen
Präzision und dem gewählten Putz nur wenig Unregelmäßigkeiten aufweisen und durch
die Wahl des Granulats und der Farbigkeit ein geringes Lichtspiel zulassen. Zu
historischen, verputzten Fassaden lässt sich der Bezug noch eher ziehen, da diese durch
meist nicht ganz in einer Ebene gemauerten Ziegelmauern Unregelmäßigkeiten
aufweisen.

Das geometrische Muster wirkt auf den/die BetrachterIn wie ein weitmaschiges textiles
„Fassadenkleid“, das an einen Stickpullover erinnert. Die Wirkung des von den Architekten
analog- also durch empirische Versuche mit Ziegelmaßen und Gebäudekanten-
entwickelten Ornaments hängt stark von den Wetter- und Lichtbedingungen ab. Je
geringer der Lichteinfall, desto weniger plastisch wirkt das Rautenmuster. Entfernung und
Blickwinkel sind ebenso entscheidend für die Reliefwirkung der Fassade. In einigen

48 www.hildundk.de, Aug. 2008


28
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Winkeln wirkt die Fassade viel plastischer, als in anderen Einstellungen. Und beim Blick
auf die Konstruktion wird deutlich, dass allein der Schattenwurf der aus der Wandebene
gerückten Steine für diese Wirkung verantwortlich ist, da das Auskragen der Ziegel selbst
relativ gering ist.

Die Architekten des Neubaus der Weinguterweiterung in Fläsch, Bearth& Deplazes,


entwickeln das Fassadendekor im Gegensatz zum Beispiel Aggstall digital. Als Grundlage
des Ornaments diente die Idee, dass das Gebäude mit seinem Stahlbetonskelett einem
mit Früchten gefüllten Korb entspricht. Dieser Korb wird am Computer mit
überdimensionalen Weintrauben unterschiedlicher Größe befüllt. „We digitally simulated
gravity to make the grapes fall into this virtual basket, until they were closely packed“,49 so
die Architekten. Nach dem digitalen Prozess des Einfüllens der Weintrauben in den Korb
wurde das Ergebnis an den Fassadenseiten mit dieser Ebene geschnitten und in ein
Programm für den Roboter umgeschrieben, so dass er die einzelnen Steine so setzen
konnte, dass an der Fassade das plastische Bild der sich im Gebäude gelagerten
Weintrauben entsteht. “On the built facades, the visitor discerns gigantic, synthetic grape,
which were virtually inside the building as we developed our design“,50 erklären die
Designer ihren Fassadenentwurf am Weingut.

Statt eines zweidimensionalen Bildes von Weintrauben wird die Information von einem mit
Weintrauben gefüllten Korb in die Fassade selbst eingeschrieben. Durch den Prozess des
digitalen Setzens der Ziegelsteine wird der Stein, der zunächst nur reines Baumaterial ist,
mit Informationen aufgeladen, die an den Betrachter weitergegeben werden. Neben dem
dekorativen Zweck findet eine zusätzliche Informationsvermittlung statt, das Gebäude
„spricht“, erzählt von seiner Funktion.
Auch hier spielt der Standpunkt des/der BetrachterIn eine wesentliche Rolle bei der
Wahrnehmung des Fassadenornaments. Ähnlich wie beim Haus Aggstall können Wetter-
und Lichtbedingungen die plastische Wirkung der Fassade verändern. Durch das Setzen
der Ziegelsteine in unterschiedlichen Winkeln öffnet und schließt sich die Fassade. Durch
die Reflexion des Sonnenlichts auf den Oberflächen der Ziegelsteine und dem
dazugehörigen Schattenwurf wird das Weintraubenmuster deutlicher sichtbar. Die
einzelnen Streben der Konstruktion werden vom Auge des Betrachters kaum
wahrgenommen. Das menschliche Gehirn verbindet die Einzelbilder, ähnlich wie
Pixelbilder am Computer, zu einem Gesamtbild und sieht nur die Trauben. Die Pixel sind
hier die Ziegelsteine, die streng genommen in einer Art Läuferverband gesetzt wurden, der
allerdings praktisch gesehen wenig mit einem klassischen Verband gemein hat. Beim
Betrachten der Fassade aus geringer Distanz scheint es, als ob sich durch das Verdrehen
der einzelnen Steine in exakt berechneten Winkeln die Ziegelfassade an einigen Stellen
aufschuppt. Dieser Effekt wird durch die Schattenwirkung noch verstärkt.

49 Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 95


50 Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 95
29
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

a b
Abb 21 | a digitales Einfüllen der Weintrauben, b gefüllter Korb als Grundlage für das Ornament

Bei beiden Beispielen gilt es anzumerken, dass das Fassadenornament entgegen der
Definition von Ornamenten bei Hans Koepf51 keinerlei applizierten Charakter besitzt. Statt
dessen entwickelt es sich beim Weingut, als auch beim Haus Aggstall aus dem Material
selbst heraus. Die Gebäudehülle wird zum Ornament und erhält neben der Funktion der
Raumbildung und des klimatischen Abschlusses auch noch die Funktion des
Schmückens. Oder anders gesagt überwindet das Ornament hier seinen das Objekt
begleitenden Charakter und übernimmt Funktion. Es zeigt sich, dass bei diesen beiden
Beispielen an Sicht-Ziegelbauten die Kritik der Ornamentdebatte wenig greift, auch wenn
es sich, wie von Jörg H. Gleiter im Bezug auf den Entwurf des Weinguts Gantenbein
erwähnt, um eine Fassadengestaltung handelt, die „in der Tradition des klassischen
Ornaments steht“52. Er erläutert weiter, dass die hier verwendete Weise der
Fassadengestaltung nur über ausführende digitale Technologien stattfinde und die
Bildeffekte jederzeit hätten empirisch ermittelt werden können53. Diese Aussage trifft auf
die Herstellung der Ziegelwände mittels Roboter als Handwerker zu, vernachlässigt aber
die oben erwähnte Methode der Generierung der digitalen Traubenmodelle, die mittels
digitalen Programme entwickelt wurden, die z.B. Gravitation simulieren.

5.3 Funktion des Ornaments

Der ursprüngliche Zweck der Ornamentierung von Fassaden und Wohnräumen bestand
laut Vitruv, dem Verfasser der ältesten Schrift über Architektur der Antike, in der
angemessenen Darstellung des Standes und des Vermögens eines Bauherren.54 Über die
Jahrhunderte hinweg hat sich die Verwendung von Fassadenornamenten, deren
Herstellung und Bedeutung(szuschreibung) geändert. Heute sind Bauornamente in den
wenigsten Fällen auf eine Sozialschicht festgeschrieben, sondern vielmehr Ausdruck einer
persönlichen Gestaltungsvorliebe. Es gibt keine normierten Gestaltungsregeln mehr, die

51Vergl. Hans Koepf, Bildwörterbuch der Architektur, 3. Auflage überarbeitet von Günther Binding, Stuttgart
(Kröner), 1999, S. 340
52Vergl. Jörg H. Gleiter, „Das neue Ornament“, in: Sabine Kraft/ Nikolaus Kuhnert/ Günther Uhlig (Hrsg.)
ArchPlus 189, Zeitschrift für Architektur und Städtebau 41. Jahrgang, Aachen (ArchPlus Verlag GmbH),
2008, S. 82
53 Vergl. Jörg H. Gleiter, 2008, S. 82
54 Vergl. Günther Fischer, Vitruv Neu, Oder was ist Architektur?, Basel (Birkhäuser Verlag), 2009, S. 119
30
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

soziale Gruppen voneinander unterscheiden. Stattdessen wird es jedem Bauherren selbst


überlassen, wie viel ihm die Gestaltung seines Gebäudes wert ist. Durch die industrielle
Verarbeitung sind viele Materialien und Produktionsweisen heute deutlich erschwinglicher,
als zu früheren Zeiten. Da die Zeit heute aber als ein Luxusgut gesehen werden kann,
also Arbeitszeit teuer ist, ist der Wert eines Fassadendekors an seine Herstellungszeit, die
Material- und Arbeitskosten gekoppelt. Eine über das Notwendige hinausgehende
dekorative Gestaltung gibt damit also indirekt Auskunft über die finanzielle bzw.
sozioökonomische Situation der Bauherr- bzw. BewohnerInnenschaft.
Die in den 1980er Jahren verstärkt in den Architekturdiskurs eingebrachte Methode der
semiotischen Betrachtung, also das Verständnis von Architektur als Zeichensprache und
deren kommunikative Wirkung auf den Betrachter,55 lässt sich auf die gesamte Architektur
übertragen. Auch wenn die bloße Reduktion auf das Zeichenhafte einer Fassade,
ungenügend für die Betrachtung und die Bewertung der Architektur wäre - weil eben
neben der Kommunikationsfunktion von Architektur auch gesellschaftliche, Zweck- und
Nutzungsaspekte wesentlich sind - liegt bei Ziegelfassaden neben einer formanalytischen
auch eine semantische Betrachtung nahe, weil der Zeichenfaktor hier manchmal eine
besondere Rolle spielt.

Bei den hier gezeigten zeitgenössischen Beispielen ist es im Besonderen das Weingut
Gantenbein, das Information über das Gebäude durch seine Fassadengestaltung
transportiert. Die mit Ziegeln dargestellten Weintrauben erfüllen Zeichenfunktion, sie
verweisen auf die Funktion des Gebäudes - zeigen den Zusammenhang zum Weinbau.
Diese aufwändige Art und Weise der Informationsvermittlung übertrifft die Einfachheit
eines applizierten Plakates oder einer Anzeigetafel, indem es den Informationsgehalt in
das Material selbst schreibt.
Das von den Architekten des Büros Hild und K entworfene Haus Aggstall zeigt einen
spielerischen Umgang mit dem Ziegelornament in einer viel einfacheren Weise. Zum einen
ist die Entwicklung des Ornaments durch die analogen Methoden weit simpler, als die
digitalen Prozesse beim Weingut Gantenbein. Zum anderen verlangt die traditionelle
handwerkliche Herstellung der Sicht-Ziegelwand einen viel geringeren
Produktionsaufwand. Der Entwurf will mit seiner traditionellen Kubatur, seiner Dachform
und der Wahl des Materials für die Aussenhaut betonen, dass es ein „einfaches“ Landhaus
ist, sowohl in der Form, als auch im Material. Durch die Verwendung von Ziegeln, die zwar
durch die Schlämme homogenisiert, aber gleichzeitig durch die Vorsprünge reliefiert
werden, wird dem Gebäude ein gewisser rustikaler Charakter verliehen. Das von den
Architekten entwickelte Rautenmuster betont mit seinem textilen Charakter diese Wirkung.
Das bewusste Nichtverwenden eines historischen Verbands an der Fassade macht
deutlich, dass die Architekten sehr reflektiert das Ziegeldekor entwickelt haben. Der
Wunsch nach einer sich im Licht verändernden Fassade mit dem archaischen Baustoff
Ziegel lässt allerdings nur Spielraum für Ornamente, die sich aus der Lageänderung der
einzelnen Steine ergeben. Die Architekten wählten mit den minimalen Vorsprüngen der
Ziegel, die somit einfachste Methode zur Reliefbildung der Fassade. Durch diese simple
Vorgehensweise wird ein großer, weithin sichtbarer Effekt möglich. Der Wunsch nach
Anknüpfen an traditionelle Gestaltungsmethoden bei den Sicht- Ziegelfassaden ist für den
Betrachter spürbar. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass ein Bauornament in früheren
Zeiten neben dem Aspekt des Schmückens auch die Funktion des Gliederns einer

55Vergl. Michael Müller, Die Verdrängung des Ornaments, Zum Verhältnis von Architektur und Lebenspraxis,
Frankfurt a.M. (Suhrkamp Verlag), 1977, S. 76 ff
31
Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Fassade zukam,56 fällt auf, dass dieser Aspekt bei beiden genannten Beispielen nicht
mehr zum Tragen kommt,. Durch das flächige Muster beim Haus Aggstall erhält die
Fassade keinerlei Gliederung durch das Ornament, statt dessen legt es sich wie eine
zweite „Haut“ über die Fassade. Die moderne Dekorationspraxis hat also nur mehr bedingt
etwas mit der alten Vorstellung von Bauornament zu tun.
Das Rautenmuster, welches bei historischen Gebäuden gerne in farbigen Ziegeln
innerhalb des Ziegelverbands als Dekor diente, wird zitiert. In einem größeren Maßstab ist
es auch an Teilen der Fassade des Chilehauses von Fritz Höger in Hamburg zu sehen.
Hier entwickelte es sich aber aus dem traditionellen Verband heraus und ist deshalb viel
weitmaschiger.

Beim Neubau des Weingut Gantenbeins findet ein ähnlich zeichenhafter Prozess an der
Fassade statt. Hier greift allerdings die digitale Produktionstechnik erstmalig in den
Gestaltungsprozess ein. „Materials do not appear primarily as a texture or surface, but are
exposed and experienced in their whole depth and plasticity. Even familiar materials - such
as brick. which have been known for over 9000 years - appear in new ways“ 57,
verdeutlichen die Architekten Gramazio & Kohler die neue Produktionsmethodik. Hier liegt
auch ein bedeutender Unterschied zu allen traditionellen historischen
Herstellungsverfahren von dekorativen Ziegelmauern. Bisher, war es nur möglich die Tiefe
eines Mauerwerks über entsprechend tief gemauerte Nischen, oder Leibungen dem
Betrachter erfahrbar zu machen. Die Plastizität war immer an die Regeln des
konstruktiven Mauerbaus gebunden. Durch den Einsatz von digitalen
Berechnungsprogrammen und dem exakt schichtenden Roboter sind neue Formen und
Lesarten des Fassadenornaments möglich.
Neben der Vermittlung von Weintrauben in einem Gefäß und der Identität des Gebäudes
als Weingut, wird die Prozesshaftigkeit der Fassade deutlich. Die unterschiedlichen
Prozesse von der Entwicklung des Ornaments über das digitale Umsetzen und die
Herstellung der Fassade wird im Material sichtbar. Der Roboter ist gleichzeitig Werkzeug
und Handwerker. Er verbindet die Welt der immateriellen Entwurfslogik mit der materiellen
Konstruktion.58 Zwar setzt er nach einem ihm vorgeschriebenen Ablauf die Ziegelsteine,
so wie das Programm es von ihm verlangt, aber doch ist er es, der die Umwelt durch
seinen Roboterarm verändert.59
Die Wirkung des Gebäudes wird dem Betrachter sowohl vom Außenraum her, als auch im
Innenraum deutlich. Denn hier ist das Ornament noch genauso zu sehen, nur, ähnlich dem
Negativ eines Bildes, in seiner umgekehrten Form. Selbst im Schnitt der Fassade wird die
Arbeitsweise des digitalen Entwurfsprozesses deutlich: „We can not limited to the design
of their surfaces but can manipulate the entire cross- section of an element. Architecture is
thus „informed“ right down to the level of the material.“60 Anders als bei historischen
Fassaden, die durch entsprechende Verbände, durch Steher-, Roller- oder
Grenadierschichten horizontal oder vertikal gegliedert und akzentuiert werden, findet hier
ein tiefergreifendes Bedeuten von Baumaterial, in diesem Fall der Ziegel, mit
Informationen statt.

56Vergl. Hans Koepf, Bildwörterbuch der Architektur, 3. Auflage überarbeitet von Günther Binding, Stuttgart
(Kröner), 1999, S. 57
57 Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 7
58 Vergl Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 9
59 Vergl. Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 9
60 Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 61
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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

Im Grunde geht zwar auch die beim Weingut Gantenbein angewandte Methode zurück auf
die alte ursprüngliche Form des Ziegelornaments, bei der über die Anordnung von
gleichen Elementen eine Fassadenfläche dekorativ gestaltet wurde. Auch hier wird ohne
Formsteine und ohne applizierte Terrakotten, nur mit dem Grundelement Ziegel gestaltet.
Doch der Einsatz von Computerwerkzeugen und der digitalisierte Herstellungsprozess
erlaubt es Architekten mittels eines codierten Bildes - hier dem der Weintrauben - die/den
BetrachterIn anzusprechen. Vereinfacht gesprochen wird ein Bild an einer Fassade
dargestellt. Im Gegensatz dazu zeichnet sich beim Haus Aggstall das Dekor nicht nur
durch Regelmäßigkeit und Wiederholung, sondern vor allem durch seine Nicht-Bildlichkeit
aus und ist daher nicht so offensichtlich zu deuten.

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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

6. Schlussfolgerung

Beide Beispiele an Sicht-Ziegelfassaden machen deutlich, dass bei den Architekten und
Designern der Wunsch mit digitalen Entwürfen und digitaler Produktionen die Erweiterung
der Gestaltungsmöglichkeiten und nach einem alternativen Umgang mit dem Ziegel
besteht. Die Möglichkeit sowohl analog, wie beim Haus Aggstall, oder digital, wie beim
Weingut Gantenbein, Ornamente mit Ziegeln zu entwickeln, macht deutlich, dass im
Material selbst großes Potential liegt. Historische Ziegelfassaden werden zitiert,
transformiert und fragmentiert. Die vielfältigen Eigenschaften des Ziegels werden nun
auch vermehrt in Regionen verwendet, die keinen traditionellen Bezug zur Ziegelindustrie
haben. Durch die große Vielfalt an unterschiedlichen Ziegeln, sei es in Farbe, Form und
Bearbeitung, schöpft der Architekten aus einem großen Vokabular für seine eigene
Formensprache, bzw. einen individuell aus der Bauaufgabe heraus entwickelten Entwurf.
Und mit der Überwindung von historischen Regeln im Verband können ganz neue
Fassadenwirkungen erzeugt werden.
Die digitalen Entwurfsmethoden und die Umsetzung durch den Roboter werden aber in
naher Zukunft sicher ein Sondergebiet bei der Gestaltung von Sicht-Ziegelfassaden
bleiben. Obwohl vom Lehrstuhl der Architekten Gramazio & Kohler aus ein mobiler
Roboter R.O.B.61für den Außeneinsatz entwickelt wurde, der in einem entsprechend für
ihn gestalteten Container per Lastwagen von Baustelle zu Baustelle transportiert werden
kann, bleibt diese Methode eine eher exklusive und momentan nicht für den
kommerziellen Markt zugängliche Ziegelverarbeitungsmethode. Die entwickelnden
Architekten wünschen sich, dass in Zukunft mehr digitale Entwurfs- und
Produktionsverfahren eingesetzt werden, da somit individuellere Designs und präziseres
Arbeiten möglich sind.62 Bis jetzt fand die „Robotic Fabrication Unit“ aber nur innerhalb
akademischer Programme und bei diversen Messeausstellungen Verwendung. So fand
der Roboter seinen Weg zur 11. Architektur Biennale in Venedig, wo er für den Schweizer
Pavillon in Zusammenarbeit mit der Schweizer Ziegelmanufaktur einzelne
Ziegelwandmodule erstellte, die dann im Pavillon selbst ausgestellt wurden63. Es zeigt sich
deutlich, dass diese Art der digitalen Materialverarbeitung zunächst im Rahmen von
experimentellen und künstlerischen Projekten verwendet wird. Die Fassade des Weinguts
Gantenbein ist ein erster Schritt in Richtung des tatsächlichen Einsatzes digital
entwickelter und produzierter Ziegelmauern am Gebäude selbst.
Im „Zeitalter der Digitalisierung“ liegt es nahe, traditionelle Verfahren zu reflektieren und
die Produktionsverfahren weiterzuentwickeln. Gleichzeitig werden die alten historischen
Methoden nicht zwangsläufig vergessen, denn viele der denkmalgeschützten Bauten und
die Entwürfe mancher Architekten und Designer verlangen immer wieder auch eine
Ziegelverarbeitung nach früheren handwerklichen Methoden. Der Schritt, Entwurf und
Herstellung zu „digitalisieren“, bietet für ArchitektInnen nicht nur einen Anreiz, neue
Dekorationsformen zu entwickeln und zu erschließen, er verlangt auch die Adaptierung
und Weiterentwicklung überkommener Ornamentvorstellungen. Wie die besprochenen
Beispiele einer zeitgenössischen Dekorationspraxis mit dem Material Ziegel aber auch
belegen, kann sich Dekor aus dem Material heraus entwickeln und somit frei von jenem
applikativen Charakter sein, der seit 1900 immer wieder zu Kritik und Ablehnung des
Ornaments geführt hat.

61 Vergl. Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 57


62 Vergl. Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 9
63 Vergl. Fabio Gramazio / Matthias Kohler, 2008, S. 103
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Der Ziegel als dekoratives Fassadenelement Christiane Lindenberg

7. Literatur - und Abbildungsverzeichnis

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Abbildungsliste

Abb 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 10, 13
ZADEL - SODTKE ,Petra, Wahrnehmungsorientiertes Gestalten von Ziegel-
Sichtmauerwerk im Aussenraum

Abb 9a,
www.ar.fh-koeln.de/projekte/archf/koeln/architek/bienefel Aug. 09

Abb 11 a, 12
PLUMRIDGE, Andrew, MEULENKAMP, Wim, Ziegel in der Architektur

Abb 11c
Autor unbekannt, „Hohe Warte“, 3. Jahrg.

Abb 11b
MEYER- BOHE, Walter, Mauerwerksbau

Abb 14, 15
BELZ, Walter (Hrsg.), Mauerwerk Atlas

Abb 16b, 19a, 19b, 20a, 20b, 21a, 21b,


http://www.dfab.arch.ethz.ch/ Aug. 09

Abb 16a, 17, 18


HILD, Andreas, OTTL, Dionys, „Hild und K, House in Aggstall“, in: „Architecture and
Urbanism“ Nr. 373

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