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Zen ist Zazen

Wenn ihr versteht, dass Zazen das große Tor des Dharma ist, so werdet
ihr sein wie der Drache, der in den Ozean eintaucht, oder wie der Tiger,
der zurückkehrt in seinen tiefen Wald.

- Eihei Dogen (1200-1253)

Zen ist die lebendige Erfahrung der Erweckung Buddhas, die sich in der
Praxis von Zazen verwirklicht und von da aus in allen Bereichen des
Lebens fortwirkt. Das Wort Zen (Sanskrit: dhyana) bezeichnet die
Klarheit des nicht begrenzten Geistes, in der alle dualistischen Kate-
gorien aufgehoben sind: Ich und Welt, Geist und Materie, Form und
Essenz, Existenz und Zeit. Zen ist weder eine Theorie noch das
Erlernen einer Methode. Es ist nichts anderes als die Rückkehr zum
Normalzustand von Körper und Geist, die Verwirklichung des ursprüng-
lichen Gleichgewichts unserer Existenz. Zwar hat sich das Zen innerhalb
einer der ältesten Traditionen der Menschheit entwickelt, dem
Buddhismus, doch ist die Essenz seiner Botschaft von universaler
Bedeutung. Frei von jeglichen Dogmen, nicht gebunden an einen
bestimmten kulturellen oder historischen Kontext, richtet es sich direkt
und unmittelbar an das Herz des Menschen, der in der Stille des Zazen
tief vertraut wird mit sich selbst, mit seiner wahren Natur, und so zu tiefer
innerer Freiheit findet - dem wahren Glück, das von nichts abhängig ist.

Die Lehre Buddhas

Die Blumen fallen, obwohl wir sie lieben. Das Unkraut wächst, obwohl
wir es nicht mögen.

- Eihei Dogen (1200-1253)

Die Lehre Buddhas hat ihren Ursprung in der gelebten Erfahrung. Zur
Zeit Shakyamunis gab es in Indien zahllose philosophische Systeme und
Religionen, die Gegensätze und Dispute mit sich brachten. Buddha
verwarf solche Auseinandersetzungen als einseitig und hohl. Von
metaphysischen Diskussionen hielt er Abstand, da diese ihm nicht den
Kern einer authentischen Suche nach Weisheit zu berühren schienen,
sondern einen Zwiespalt schafften zwischen dem Menschen und dem
Weg der Befreiung vom Leiden. Die Argumente Buddhas gründeten tief
in der menschlichen Erfahrung und folgten zwei Kriterien: nichts
behaupten, was nicht sicher ist; nichts behaupten, was für die Menschen
nicht nützlich ist. Buddha hatte nicht die Absicht, eine neue Religion zu
erschaffen, sondern er wollte dem Menschen helfen, die Quelle seines
Leidens zu verstehen und sich davon zu befreien. Der Ausdruck dukkha
(wörtlich: schwer zu ertragen) bezeichnet im Sanskrit dieses Leiden als
die grundlegende Unerfülltheit subjektiven Daseins. Der Wirklichkeit von
Unbeständigkeit und wechselseitiger Abhängigkeit unterworfen, sind
Glück und Unglück menschlicher Existenz gleichermaßen durchdrungen
von dukkha - der ersten der Vier Edlen Wahrheiten der Lehre Buddhas.

Unbeständigkeit und Leerheit

In allen Phänomenen wirken das Eine und die zehntausend


Unterscheidungen zusammen. Alles wird zu dem Einen und das Eine
löst sich auf in allem, und dieses Zusammenwirken ruht nicht einen
einzigen Augenblick lang.

- Kodo Sawaki (1880-1965)

Die Daseinsmerkmale der Unbeständigkeit und der Leerheit, bzw. des


Nicht-Selbst, zählen zu den Siegeln einer Unterweisung, die der Lehre
Buddhas entspricht. Unbeständigkeit bedeutet nicht einfach nur
Vergänglichkeit, sondern sie ist ein Merkmal des Seins selbst - der
Einheit von Existenz und Zeit. Nicht-Selbst oder Leerheit bedeutet:
Existenz ohne eigenen Wesenskern. Nichts existiert für sich oder aus
sich selbst heraus. Den Wellen an der Oberfläche eines unermesslichen
Ozeans der Wirklichkeit vergleichbar, entgeht nichts auch nur für einen
Augenblick dem Wesen ewiger Veränderung und wechselseitiger
Abhängigkeit. Unbeständigkeit und Leerheit sind universale
Gegebenheiten, deren Wahrheit alle physischen und psychischen
Phänomene durchdringt und nie verborgen ist. Sie sind die Wirklichkeit
blühender Zweige im Frühling, und sie sind die Wirklichkeit fallender
Blätter im Herbst. Jenseits der Dualität vom Einen oder Vielen, vom
Werden oder Vergehen, verwirklicht sich in allem die Grenzenlosigkeit
des Seins. Der Mensch leidet, weil er am tiefen natürlichen Vorurteil
getrennter Existenz festhält. An den Erscheinungsformen zu haften, sie
zu verneinen - beides ist Ausdruck dieser Befangenheit, des Leidens am
Widerspruch zur ungeteilten Wahrheit des Seins.

Der Weg der Befreiung

Der Charakter der Wirklichkeit hat keine Grundlage in etwas anderem.


Sie ist friedlich, ohne Hindernis, ohne Unterscheidung, ungeteilt.

- Nagarjuna (2. Jh. n. Chr.)

Jenseits der Frustration menschlicher Selbstbezogenheit, sind


Unbeständigkeit und Leerheit nichts anderes als die  Merkmale der
grundlegenden Freiheit und Weite des Seins. Weder verborgen noch
fassbar, weder von Dauer noch durch irgendetwas begrenzt, ist jeder
Augenblick selbst schon die vollkommene Erfüllung und Offenbarung der
Ewigkeit und des Unendlichen, die Verwirklichung des ursprünglichen
Friedens aller Existenz. Daran zu zweifeln, ist die Essenz der
Leidhaftigkeit im Sinn von dukkha: verblendet durch das tiefe natürliche
Vorurteil getrennten Daseins, haftet der Mensch an Wünschen und
Abneigungen, und bleibt gefangen im Konflikt mit dem Wesen der
Wirklichkeit, im Widerspruch zur Erfüllung seiner eigenen wahren Natur.
Shikantaza, einfach nur sitzen, bedeutet diesen tiefen Zweifel
aufzugeben und sich dem zu öffnen, was man den wahren Körper des
Menschen nennt: die ungeteilte Wahrheit des Seins selbst. Erweckung
bedeutet nicht, etwas Spezielles oder Verborgenes zu erreichen oder zu
begreifen. Zazen ist selbst schon Ausdruck der Erweckung Buddhas, der
Rückkehr zum ursprünglichen Gleichgewicht. Es ist die Essenz der
vierten Edlen Wahrheit seiner Lehre, der Wahrheit vom Weg der
Befreiung.

Zazen selbst ist Buddha

Menschen des Weges vergessen nie, dass Zazen das Herz des Weges
ist. Zazen bedeutet einfach nur zu sitzen, Körper und Geist vollkommen
zu öffnen, sich einzig in der Wirklichkeit zu konzentrieren, und die
Gewohnheiten des Karma fallen zu lassen.

- Tendo Nyojo (1163-1228)

Zazen zu praktizieren, bedeutet das Herz der Unterweisung Buddhas zu


erfassen. Es ist die Essenz des von ihm formulierten achtfachen Wegs
der Befreiung - der Handlung im Einklang mit dem ursprünglichen
Gleichgewicht aller Dinge. Begründet in der gelebten Einheit von Geist
und Körper, ist dabei jedes Detail der Haltung von tiefer Bedeutung. Im
richtigen Gleichgewicht, ohne etwas zu suchen oder vor etwas zu
fliehen, bleibt der Geist präsent in der reinen, unbegrenzten Gegenwart
des Seins, der Einheit von Existenz und Zeit. Der Körper ist unbewegt,
die Haltung aufrecht und stabil, aber zugleich innerlich vollkommen frei,
restlos hingegeben an das Fließen der Atmung, ohne Trennung und
ohne Hindernis. An nichts haftend, findet der Mensch in der Erfahrung
der grundlegenden Einheit zurück zum ursprünglichen Frieden. Auf
natürliche Weise, über die Befangenheit der Anschauungen und des
Wollens hinaus, verwirklichen sich von da aus Weisheit, Energie und
wahres Mitgefühl - die Merkmale eines Handelns, das in Harmonie ist
mit dem kosmischen Leben.

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