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"Simplicissimus" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

1668 erscheint bei dem Nürnberger Verleger Wolff Eberhard Felßecker der Abentheuerliche
Simplicissimus Teutsch. 

Es ist Grimmelshausens Sprache, seine Ironie und sein abgründiger Humor, die den
Simplicissimus zu einem der, wie Clemens Brentano meint, "vortrefflichsten" Bücher
machen. Bunt, roh, wild, derb, niemals gekünstelt oder gar schlüpfrig, tritt das Leben in
bildhafter Plastizität aus ihm hervor, das Leben des Krieges allerdings, so wie
Grimmelshausen es wohl selbst unzählige Male erfahren hat.

Simplicius wird Teil dieser Welt. Als Narr, ja sogar im Kalbskostüm erfährt er die
Unbarmherzigkeit und Schadenfreude der Mächtigen und ihrer Dienerschaft; als Jäger von
Soest und als Soldat erlebt er die Widerwärtigkeiten und Grausamkeiten des Krieges, die
ständig wiederkehrende Abfolge von Raub, Plünderung, Verwüstung und Mord, die die
Soldateska über das Land bringt. Die Welt ist verkehrt, will sagen, jede Ordnung ist außer
Kraft gesetzt, es regieren Gesetzlosigkeit, Willkür, Torheiten und Verbrechen. Das Leben ist
Chaos, ohne Sinn, ohne Ziel. Dass es sich bei diesem von Grimmelshausen so
bezeichneten 'Teutschen Krieg' um einen Glaubenskrieg handelt, erfährt der Leser nicht,
ebenso wenig, dass Großmächte – Habsburg, Frankreich, Schweden – um die Vorherrschaft in
Deutschland kämpfen.

Der Raum, in dem die Geschehnisse sich ereignen, ist Niemandsland, ohne feste Ordnung,
ohne feste Fronten, die Kriegsparteien operieren mit kleinen und kleinsten Einheiten, die, je
nach Lage, auseinanderfallen und neu formiert werden. Man wechselt von einem Lager ins
andere oder bildet, wie Simplicius als Jäger von Soest, eine eigene Partei. Wohin die Reise
des Simplicius geht, erfährt der Leser bis zum Ende des vierten Buches nicht.

Zu Beginn des fünften Buches unternimmt Simplicius, Besserung seines unchristlichen


Treibens gelobend, mit Herzbruder eine Wallfahrt nach Einsiedeln. Schon als sie die Grenze
zur Schweiz überschreitet, wähnt sie sich im Paradies. Ein Land im Frieden muss der seit
Jahrzehnten kriegsgeplagten deutschen Bevölkerung tatsächlich so fremd erscheinen wie
Brasilien oder China oder wie das Paradies selbst. Zwar hält die Bekehrung Simplicius' nicht
lange an, und er verfällt wieder den alten Lastern, die Richtung ist jedoch nun gewiesen; der
verkehrten Welt – ein Motiv der christlichen Askese – zu entgehen, gelingt nur, wenn man ihr
gänzlich entsagt.

Die sich anschließende Continuatio, das sechste Buch des Romans, zeigt Simplicius als
alleinigen Herrn über eine Südseeinsel, wo er sein einsiedlerisches Leben wieder aufnimmt,
das er bereits ganz zu Anfang als unverständiger Narr beim Einsiedler im Wald geführt hat.
Der Kreis schließt sich; einem holländischen Schiff, das zufällig anlegt, übergibt er seine
Lebensaufzeichnungen. Dies sind seine letzten Worte. Simplicius bricht in dieser ersten
deutschen Robinsonade in eine christlich bestimmte Utopie aus. Wiewohl sie
Grimmelshausens christlicher Überzeugung entspricht, spürt er, wie literarisch unbefriedigend
diese Lösung ist; in späteren Werken, vor allem im Springinsfeld und im wunderbarlichen
Vogelnest, tritt Simplicius daher, nach Europa zurückgekehrt, wieder auf. Grimmelshausen
konnte (und wollte) nicht ohne die Figur des Simplicius Simplicissimus auskommen.

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