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Der Besuch der alten Dame: Interpretation

„Der Besuch der alten Dame“ ist ein Drama, daher praktisch wie ein Drehbuch geschrieben:
verschiedene Personen führen Dialoge, Monologe etc. Das Buch wird in drei Akte geteilt, die
zum Höhepunkt hinführen.

Was einem gleich an diesem Buch auffällt, das sind die Wiederholungen des Gesagten. Z.B.:
Die Frauen bestätigen Ill, wie fest man zu ihm stehe: „Felsenfest, Herr Ill, felsenfest…
Todsicher, Herr Ill, todsicher“ Gleich drei Güllener wiederholen, dass der Postbeamte ein
„Ehrenmann“ ist. Was die Sätze betrifft, so hat man hier von allem etwas. lakonisch (kurz
und treffend) z.B.: „Ruiniert. Die Wagnerwerke zusammengekracht. Bockmann bankrott…
Leben? Vegetieren. Krepieren“ Pathetisch (mit großer innerer Anteilnahme): Der Pfarrer:
„Flieh! Wir sind schwach, Christen und Heiden. Flieh, die Glocke dröhnt in Güllen, die Glocke
des Verrats.“ Lyrisch: Alle Szenen, in denen sich Klara und Alfred ihrer Liebe erinnern und
Ills Schilderung der Güllener Umgebung: „Ein schönes Land, überschwemmt vom
Abendlicht.“

Vieles im Buch ist symbolisch gemeint. Zum Beispiel der schwarze Sarg wird als
psychologisches Druckmittel auf die Güllener benutzt. Er macht den Tod und den Mord an
Alfred Ill greifbar. Der Sarg als Zeichen des Todes befindet sich nun – im Hotel – mitten im
Dorf. Damit befindet sich auch der Tod unmittelbar bei den Einwohnern von Güllen. Durch
das tägliche Bringen von neuen Kränzen für den Sarg wird den Güllern alltäglich deutlich
gemacht, dass Claire Zachanassian es ernst meint und dass Alfred Ill – zumindest
gedanklich – schon tot ist.

Auch die Namen der Charaktere werden von symbolischen Bedeutungen bestimmt. Klara
bedeutet die Berühmte, Helle und Reine;

Wäscher betont die kleinbürgerliche Herkunft der Milliardärin.

Ihr jetziger Vorname Claire bedeutet reinwaschen, reinigen oder säubern; also Unrecht
korrigieren und Gerechtigkeit wiederherstellen.

Der jetzige Familienname Zachanassian wird nach Dürrenmatt aus Namen verschiedener
Wirtschaftsführern zusammengesetzt.

Ill bedeutet krank auf Englisch; also das krankhafte Unrecht. Ironischerweise ist Ill der
einzige Güllener, der einen individuellen Namen hat.
Der Besuch der alten Dame: Interpretation

Die anderen Güllener bleiben anonym. Sie werden nur nach ihrer sozialen Funktion genannt.
Der Name des Städtchen Güllen deutet Gülle oder Jauche an. Das Städtchen soll nach der
Hochkonjunktur in Gülden, also Goldene, verändert werden.

Wirtschaftsaufschwung und Wohlstand sind wichtige Motive in diesem Stück. Ganz am


Anfang des Stückes sieht man, dass das Städtchen sehr arm ist. Die vorbeirasenden Züge
sind ein Symbol dafür. Die Milliardärin ist zwar keine Repräsentantin des Wohlstandes,
sondern vielmehr ein Symbol des Luxus; sie ist jedoch ein Schlüssel, diesen verpassten
Wirtschaftsaufschwung und Wohlstand wieder zurückzugewinnen. Deshalb sagt der
Bürgermeister, dass sie die einzige Hoffnung der Stadt sei. Die Handlung des Stückes läuft
also deutlich auf das Aufholen dieses vermissten Wirtschaftsaufschwungs hin. Das bessere
Essen und Trinken, der Genuss der teureren Zigarren, das Tragen neuer gelber Schuhe,
gepflegterer Kleidung und goldener Zähne, die Anschaffung neuer Autos, die Sanierung der
Kulturstadt, und Ausgaben für Literaturstudium und Tennis sind alle Symbole, die auf den
endlichen wiedergewonnenen Wohlstand des Städtchens hinweisen.

Eine tragische Komödie nennt Dürrenmatt das Stück Der Besuch der alten Dame. Es gibt
tatsächlich viele komische Momente. Das synchrone und wiederholte Sprechen der beiden
blinden Männer wirkt vor allem komisch. Komisch ist auch, dass Claire ständig neue Ehen
schließt, die sie jedoch sehr bald wieder aufhebt. Sie versteht sich, sich charmant
aufzuführen. Zugleich verhält sich grausam und kaltschnäuzig. Obwohl sie körperlich und
geistig so unnatürlich und erledig ist, wird sie komischerweise doch wie eine Göttin
angesehen. Am Ende des dritten Aktes nimmt der Ill sein Schicksal an, lehnt jedoch
entschieden den Selbstmordvorschlag des Bürgermeisters ab. Aus all diesen Erscheinungen
ist eine Verbindung des Komisch-Unheimlichen mit dem Tragischkomischen ersichtlich.
Indem Claire mittels ihrer Milliarde ihre Terrorherschaft über Ill durchsetzt, beruft sie sich
doch auf lächerliche, absurde und komische Weise auf die Gerechtigkeit.

Das Groteske ist das Besondere an diesem Stück. Viele Dinge, die im Alltag
unwahrscheinlich oder nur im extremen Fall möglich sind, tauchen in diesem Stück auf.
Dürrenmatts Einfälle sind vom Grotesken bestimmt. Die Ankunft der Milliardärin durch
Notbremse ist grotesk, d.h. zugleich überraschend und einmalig. Dass sie einen schwarzen
Panther und einen Sarg mit sich bringt, ist mehr als schockierend, kein Wunder, dass der
Lehrer sein Gefühl so ausdrückt: „…doch was Gruseln heißt…weiß ich erst seit einer
Stunde. Schauerlich….“ Dass sie zusätzlich fast wie aus Prothesen montiert ist, ist kaum
vorstellbar. Das Groteske gipfelt schließlich in die Milliardenspende als die Waffe eines
Der Besuch der alten Dame: Interpretation

angestifteten Mordes. Solche Fälle können kaum noch als Zufälle bezeichnet werden, wenn
sie auf einmal das Städtchen überfallen. Das Unheimliche bedeutet jedoch nicht Zerstörung,
es bringt den unmittelbaren Wohlstand, der allen Güllenern teilhaft ist. Die individuelle Rache
wird durch Gemeinnutz gerechtfertigt. Damit ist das Allerhöchste erreicht: Das Groteske, das
aus der Verbindung des einmaligen, unerhörten, unfassbaren, bodenlosen und monströsen
Schrecklichen mit der möglichen Bewunderung und Überraschung entsteht. Das Gefolge der
Milliardärin ist auch voll von grotesken Einfällen: Eingeblendete Kastraten mit ihrem
synchronen wiederholten Sprechen, die vorübergehenden Gatten der Milliardärin.

Interpretation des Lehrers

In der tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt rücken die
beiden Hauptpersonen Ill und Claire in den Mittelpunkt. Deren Treffen löst einen Konflikt aus
dessen Lösung die Bürger in Güllen suchen. Die Einwohner repräsentieren verschieden
gesellschaftliche Gruppen, die in unterschiedlicher Weise mit ihren ethischen Grundsätzen
umgehen. Der Lehrer stellt die Gruppe der Intellektuellen dar. Das wirft die Frage auf, wie
sich der Lehrer im Verlauf der Geschichte verändert.

Der Lehrer leidet wie die anderen Bürger Güllen’s an der Armut, was man an seiner
schäbigen Kleidung (vgl. S. 16) sehen kann, ist jedoch gebildet, eine Anlage, die vor allem
an seiner Sprache deutlich wird. So lässt er in seine Vergleiche Personen der griechischen
Mythologie, wie Klotho und Lais (vgl. S.34) mit einfließen. Von den Einwohnern wird er
wegen seines Amtes als Rektor des Güllener Gymnasiums (vgl. S. 27) geschätzt.

Zum einen ist der Lehrer loyal gegenüber Ill, da es Ill’s Persönlichkeit schätzt und ihm auch
Verantwortung anvertrauen würde. Das zeigt sich besonders an der Szene, als der
Bürgermeister Ill als Nachfolger für dein Amt vorschlägt und der Lehrer einhellig zustimmt
(vgl. S. 20). Andrerseits ist er misstrauisch gegenüber Claire, weil ihr Charakter auf ihn bizarr
wirkt. So bezeichnet er sie als schauerlich (vgl. S. 34) und meint sogar sie „ [solle] Klotho
heißen, nicht Claire, der traut man noch zu, dass sie Lebensfäden spinnt.“ (S. 34), während
er ihr ungewöhnliches Gepäck betrachtet.
In der Mitte des Buches fängt er auch an, Claire etwas vorzuheucheln, denn er versucht ihre
Sympathie zu gewinnen, obwohl er sich verstellen muss. Beweis dafür ist seine
Aufdringlichkeit bei dem Trauermarsch für den toten Panther, wo er Claire persönlich sein
Mitgefühl ausdrückt, indem er den Tod als „ [...] tragisches Dilemma“ (S. 77) beizeichnet.
Außerdem bemüht er sich durch eine Trauerode einzuschmeicheln (vgl. S. 77).
Der Besuch der alten Dame: Interpretation

Zudem assimiliert er sich ans Kollektiv, hier die Bewohner von Güllen, dadurch dass er sich
in seinem Verhalten angleicht und sich ebenso gegen Ill stellt. Dies wird eindeutig belegt
durch die Szene am Güllener Bahnhof, als der Lehrer mit in dem Kreis der Persönlichkeiten
steht und Ill daran hindert den Zug zur Flucht zu betreten. (vgl. S. 81 – 84) Darüber hinaus
leugnet er die Tatsache, dass sich die Güllener mit dem Gedanken an seinen Mord
befassen, so sagt der Lehrer zu Ill „Ihr Misstrauen ist unbegreiflich,“ (S. 81) und „Ihre Furcht
ist einfach lächerlich.“ (S: 84). Den letzten Versuch Ill zu retten unternimmt der Lehrer
gemeinsam mit dem Arzt beim Treffen mir Claire in der Peterschen Scheune. Bei dieser
Zusammenkunft plagt ihn ein schlechtes Gewissen, deshalb weil er spürt wie die Einwohner
der Versuchung langsam erliegen. So legt er offen die Verhältnisse der Stadt dar und
verlangt einhundert Millionen von ihr. (vgl. 88/89) Obendrein fordert er von ihr: „Lassen Sie
den unheilvollen Gedanken der Rache fallen, treiben Sie uns nicht zum Äußersten, helfen
Sie armen, schwachen, aber rechtschaffenen Leuten, ein etwas würdigeres Leben zu führen,
ringen Sie sich zur reinen Menschlichkeit durch!“ (S.90/91)

Der Lehrer zeigt sich gegen Ende des Buches verführbar, weil er der Versuchung des
Angebots von Claire nicht widerstehen kann. Das zeigt er insbesondere bei seiner Rede in
Ill’s Laden, als er in betrunkenem Zustand zugibt: „Man wird Sie töten. [...] Die Versuchung
ist zu groß und unsere Armut zu bitter, [...] auch ich werde mitmachen. Ich fühle, wie ich
langsam zu einem Mörder werde. Mein Glauben an die Humanität ist machtlos.“ (S.103) Die
letzte Station seiner Veränderung durchläuft der Lehrer bei seiner Rede vor der Gemeinde,
in der er sich dem Willen von Claire unterwirft. Diese Verletzung der Menschlichkeit versucht
er zu rechtfertigen, da er sich selber Gerechtigkeit vorlügt. Dies wird ersichtlich, als er von
dem wahren Grund in seiner Rede, der sie von der Schuld an Ill’s Tod freisprechen soll,
nämlich der Geldgier und der unerträglichen Armut, ablenkt und das, in diesem Fall
vernunftwidrige, Argument der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Ideale anführt. Denn
genau wegen dieser beiden Punkte machen sich die Bürger schuldig. Der Lehrer steht als
Symbol von Intelligenz und Weisheit. Trotz seines humanen Denkens und seines Gewissens
kann er jedoch der Versuchung des Geldes nicht widerstehen. Dürrenmatt will damit zeigen,
dass Intelligenz nicht ausreicht um einer Verführung standzuhalten. Obwohl der Intellektuelle
die Gerechtigkeit erkennen kann, vermag er sie nicht automatisch zu befolgen. Hier wird
sehr deutlich, dass selbst die Gelehrtesten bestechlich sind, besonders wenn dir Armut bitte
ist.

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