Der Orthopäde

Leitthema

Orthopäde F. Geiger · A. Wirries

https://doi.org/10.1007/s00132-019-03742-5 Wirbelsäulenzentrum, Orthopädische Fachkliniken, Hessing Kliniken Augsburg, Augsburg, Deutschland

© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von

Springer Nature 2019
Spondylolisthese im
Wachstumsalter

Unter einer Spondylolisthese
versteht man eine Verschiebung
zweier Wirbel gegeneinander,
die unterschiedliche Ursachen
haben kann. Im Wachstumsalter
liegt meist eine anlagebedingte
oder erworbene Veränderung
der Interartikularportion oder
der dorsalen Strukturen, wie z. B.
Facettengelenksdysplasie oder
Spina bifida occulta, vor. Es gibt
weitere Krankheitsbilder, die ein
ähnliches radiologisches Bild bieten,
jedoch gänzlich andere Ursachen
und klinische Symptome beinhalten.
Der Begriff Spondylolisthesis ist rein de-
skriptiv. Das Wort setzt sich aus den
beiden griechischen Wörtern Spondylos
(Wirbel) und Olisthenein (Gleiten) zu-
sammen. Hiervon abgrenzen muss man
die Spondylolyse, also die Unterbrechung
der Interartikularportion, die nicht im-
mer mit einem Wirbelgleiten einhergeht.
Umgangssprachlich benutzen viele Ärzte
die Kurzform und reden nur von „Lyse“
oder „Olisthese“, darauf vertrauend, dass
der Gesprächspartner weiß, dass es sich
dabei um einen Wirbel handelt. Vermei-
den sollte man das Wort „Listhese“, da es
demonstriert, dass man den griechischen
Wortursprung nicht kennt.
Inzidenz
In einer prospektiven Reihenuntersu-
chung von 500 Erstklässlern fand Fre-
drickson [2] eine Prävalenz von Spon-
dylolysen bei 6-Jährigen von 4,4 %, die
bis zur Volljährigkeit auf 6 % anstieg.
Kinder mit Rückenschmerzen hatten
häufiger Spondylolysen. Bis zum 18. Le-
bensjahr entwickelten 74 % der Patienten
mit Spondylolyse eine Olisthese, bei den
6-jährigen waren es noch 68 %. Die Pro-
gression des Gleitens nahm bei diesen
Patienten mit zunehmendem Alter ab
[1]. Aktuellere Reihenuntersuchungen
weisen bei Verwendung einer Schicht-
bildgebung eine höhere Inzidenz von
11,3 % Spondylolysen in der asympto-
matischen, erwachsenen Bevölkerung
nach [9]. Es scheint aber auch erbli-
che oder umweltbedingte Faktoren zu
geben, die womöglich mit der Wirbel-
säulenform zusammenhängen. So ist
die Prävalenz bei Inuit in Alaska mit
bis zu 54 % [29] deutlich höher als bei
afrikanischen Frauen (1 %) [23].
Klassifikation und Historie
Erstmalig beschrieben wurde die Spon-
dylolisthese 1782 von dem belgischer
Geburtshelfer Herbiniaux als Geburts-
hindernis [6]. Die Bezeichnung Spon-
dylolisthese wurde 1853 von H. F. Kilian
eingeführt, ebenfalls als geburtstechni-
sches Problem [10]. Die Spondylolyse als
Ursache der höhergradigen Spondylo-
listhese wurde 1881 in der Doktorarbeit
von Franz Ludwig Neugebauer erwähnt.
Er konnte schon über 100 Fälle nachun-
tersuchen und beschrieb zum ersten Mal,
dass sich bei der kindlichen Olisthese le-
diglich der Wirbelkörper, nicht aber der
gesamte Wirbel mitsamt Wirbelbogen
verschiebt [19]. Auf Meyerding (1932)
geht eine sehr einfache Einteilung des
Abkürzungen
ALIF „Anterior lumbar interbody fusion“

Tab. 1 Wiltse-Klassifikation Tab. 2 Marchetti-Bartolozzi-Klassifikati- BWS Brustwirbelsäule

Klassi- Beschreibung on CT Computertomographie
fikation Angeboren Erworben
ICD International Statistical Classifi-
Typ 1 Dysplastisch („developmental“) („aquired“)
cation of Diseases and Related
Typ 2 Isthmisch Hochgradig Traumatisch Health Problems
dysplastisch – akut
A – lytisch – mit Lyse – Stressfraktur LWS Lendenwirbelsäule
B – elongierte Pars interarticularis – mit Elongation Postoperativ MRT Magnetresonanztomographie
C – akute Fraktur der Pars interarticu- – direkt
laris – indirekt PI „Pelvic incidence“
Typ 3 Degenerativ Geringgradig Pathologisch PLIF „Posterior lumbar interbody
Typ 4 Traumatisch dysplastisch – lokal fusion“
– mit Lyse – systemisch
Typ 5 Pathologisch – mit Elongation SS „Sacral slope“
Degenerativ
– primär TLIF „Transforaminal lumbar interbody
– sekundär fusion“

Der Orthopäde
 Leitthema
Tab. 3 Klassifikation nach Mac-Thiong [15]
Olisthese Geringgradig (<50 % Dislokation)
Dysplasie Gering dysplastisch
– Minimale lumbosakra-
le Kyphose
– L5 nahezu rechteckig
– Minimale sakrale Dys-
plasie
– Normale Ausprägung
des Os sacrum
– Minimal dysplastische
dorsale Strukturen
(z. B. Spina bifida oc-
culta)
– Relative normale Quer-
fortsätze
Sakropelvine Geringe PI Große PI
Balance SS ≤40° SS >40°
Typ 1 Typ 2
PI „pelvic incidence“, SS „sacral slope“
Gleitgrades zurück, bei der die Deckplat-
te des kaudalen Wirbels in 4 Sektoren
eingeteilt wird. Ein vollständiges Ab-
rutschen des oberen Wirbels vor den
unteren, auch Spondyloptose genannt,
entspricht Grad V [17].
Wiltse führte 1976 eine Klassifikation
entsprechend der möglichen Ursachen
für ein Wirbelgleiten ein [30]. Er unter-
schied 5 Typen, von denen Typ 1 und
Typ 2 (a–c) die kindlichen Olisthesen
subsumieren, während Typ 3 bis 5 oft in
späteren Lebensphasen erworben wer-
den (. Tab. 1). In einer früheren Form
dieser Klassifikation von Newman [20]
wurde Typ 1 noch als „kongenital“ defi-
niert. Eine Spondylolyse wurde aber noch
nie bei einem Neugeborenen oder Unge-
borenen beobachtet. Gemeint sind ange-
borene Dysplasien, die im späteren Ver-
lauf zu einer Spondylolyse oder Olisthese
führen können. Umso verwunderlicher,
dass es bis heute auch in Deutschland
noch die ICD-Nummer Q76.22 für „an-
geborene Spondylolyse“ gibt.
Typ 1 wurde von Wiltse daher als
Dysplasie der dorsalen Elemente, d. h.
Gelenke und Wirbelbogen, definiert,
während Typ 2 eine Pathologie in der In-
terartikularportion meint. Da beides oft
gemeinsam vorkommt, haben Marchetti
und Bartolozzi [16] in ihrer Klassifika-
tion Typ 1 und Typ 2 als kongenital/
Der Orthopäde
Hochgradig (>50 % Dislokation)
Stark dysplastisch Gering dysplastisch
– Lumbosakrale – Minimale lumbosakrale Kyphose
Kyphose – L5 nahezu rechteckig
– L5 trapezoidför- – Minimale sakrale Dysplasie
mig – Normale Ausprägung des Os sacrum
– Ausgeprägter – Minimal dysplastische dorsale Struk-
sakraler Dom turen (z. B. Spina bifida occulta)
– Kyphose und – Relative normale Querfortsätze
Dysplasie des Os
sacrum
– Dysplasie der dor-
salen Strukturen
– Hypoplastische
Querfortsätze
Geringe PI Große PI Becken balanciert Becken
SS ≤40° SS >40° – Sakrum unbalanciert
balanciert – Sakrum vertikal
– SS ≥50° – SS <50°
– „Pelvic tilt“ ≤35° – „Pelvic tilt“ ≥25°
Typ 3 Typ 4 Typ 5 Typ 6
entwicklungsbedingt zusammengefasst
und sie den erworbenen Olisthesen
gegenübergestellt (. Tab. 2). Auch hier
ist mit angeboren/kongenital wiederum
gemeint, dass die Anlage angeboren
ist, nicht jedoch die Spondylolisthese
selbst. Innerhalb der angeborenen For-
men wird wiederum zwischen „high
dysplastic“ und „low dysplastic“ unter-
schieden. Mit dysplastisch sind hier aber
nicht Gelenkdysplasien, eine beteiligte
Spina bifida oder die Interartikularpor-
tion gemeint, da diese in beiden Formen
vorkommen können, sondern vor al-
lem die sekundären Veränderungen der
beteiligten Wirbelkörper (meist L5 und
S1). Bei den hochdysplastischen Formen
findet sich eine Kyphosierung zwischen
L5 und S1, ein trapezoider Wirbelkörper
L5, hypoplastische Querfortsätze, eine
domförmige Verformung des Sakralpla-
teaus, Vertikalisierung des Sakrums und
Veränderung des lumbosakralen Profils.
All dies sind Risikofaktoren für eine
rasche Progredienz und erfordern daher
eine andere Behandlung.
Natürlich können erworbene Spon-
dylolisthesen durch Tumor oder Trau-
ma auch im Kindesalter vorkommen, sie
sind aber eher selten (. Abb. 1). Degene-
rative Olisthesen sind eine ganz eigene
Entität. Der große Unterschied zu den
kindlichen liegt darin, dass sich hier der
Stark dysplastisch
– Lumbosakrale Kyphose
– L5 trapezoidförmig
– Ausgeprägter sakraler Dom
– Kyphose und Dysplasie des Os sa-
crum
– Dysplasie der dorsalen Strukturen
– Hypoplastische Querfortsätze
Becken balanciert Becken
– Sakrum unbalanciert
balanciert – Sakrum vertikal
– SS ≥50° – SS <50°
– „Pelvic tilt“ ≤35° – „Pelvic tilt“ ≥25°
Typ 7 Typ 8
gesamte Wirbel verschiebt, was in der
Regel mit einer Einengung des Spinalka-
nales einhergeht, während bei der kind-
lichen Spondylolisthese der Spinalkanal
erweitert ist, da ja der Abstand zwischen
Wirbelbogen und Wirbelkörper bei zu-
nehmendem Gleitprozess immer größer
wird. Aus demselben Grund besteht das
Sprungschanzenphänomen bei degene-
rativen Olisthesen immer auf Höhe der
Pathologie, während es bei kindlichen
eine Etage höher zu finden ist.
»sen Erworbene Spondylolisthe-
können auch im Kindesalter
vorkommen, sind aber eher
selten
Patienten mit hochgradiger Olisthese
klagen oft auch über Beschwerden in
den Beinen. Diese können zum einen
durch die Einengung der L5-Wurzel im
Neuroforamen bedingt sein, jedoch auch
durch die Ventralisierung des Körper-
schwerpunktes. Die Veränderung des sa-
gittalen Profils wird in der Klassifikation
von Mac-Thiong [14, 15] berücksich-
tigt (. Tab. 3). Eingeteilt wird zunächst
nach Abrutschgrad (kleiner oder größer
50 %), anschließend in hoch oder nied-
rig dysplastische Formen und zuletzt

nach sagittaler sakropelviner Balance
(hoher oder niedriger „pelvic incidence“
[PI] und „sacral slope“ [SS]). Auf diese
Weise entstehen 8 Untergruppen mit
steigendem Schweregrad [15].
Ursachen
Da eine Spondylolyse nochnie beiNeuge-
borenen oder Vierbeiner gefunden wur-
de, wird angenommen, dass sie Folge des
aufrechten Ganges und der damit ver-
bundenen Anpassung des sagittalen Pro-
fils ist [24]. Bei Geburt ist die Wirbelsäule
C-förmig. Erst wenn das Kind anfängt
den Kopf zu heben und zu krabbeln, ent-
wickelt sich die zervikale Lordose. Die
lumbale Lordose entwickelt sich später
und ist Voraussetzung für den aufrech-
ten Gang. Als Folge der Lordose kann es
zu einem Kontakt der Facettengelenke
mit den darunterliegenden Interartiku-
larportionen kommen. Dieser als Nuss-
knackerphänomen bekannte Mechanis-
mus (. Abb. 2) tritt auch bei Patienten mit
normaler PI auf. Durch repetitive Mikro-
traumen im Bereich der Pars interarti-
cularis kommt es hier entweder zu einer
Unterbrechung oder einer Schwächung
und Elongation. Dafür spricht auch, dass
dieses Problem bei Athleten mit repeti-
tiven Reklinationen (z. B. Turner, Speer-
werfer) überdurchschnittlich häufig vor-
kommt [8, 28].
Bei sehr hochgradigen Olisthesen
oder Spondyloptosen findet man meist
nicht nur eine Lyse der Interartikular-
portion, sondern eine Dysplasie der
dorsalen Elemente, die dann wiederum
zu Anpassungsvorgängen und dysplasti-
schen Veränderungen der Wirbelkörper
führt. Durch den fehlenden stabilisieren-
den Effekt der Facettengelenke müssen
die Bandscheiben höhere Scherkräfte
auffangen, was zu einer frühzeitigen De-
generation und damit wiederum einer
veränderten Belastung der Wirbelkörper
führt. Diese Patienten haben meist auch
eine deutlich höhere PI in Korrelation
mit einem hohen SS und einer großen
lumbalen Lordose, was die Scherkräfte
auf den lumbosakralen Übergang weiter
erhöht [11].
Zusammenfassung · Abstract
Orthopäde https://doi.org/10.1007/s00132-019-03742-5
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
F. Geiger · A. Wirries
Spondylolisthese im Wachstumsalter
Zusammenfassung
Hintergrund. Eine Spondylolisthese (grie-
chisch für Wirbelgleiten) bei Kindern ist meist
Folge einer Unterbrechung (Lyse) oder einer
Elongation der Interartikularportion. Ursache
können eine angeborene Dysplasie der dorsal
stabilisierenden Strukturen oder Druck der
Facette auf die Interartikularportion sein.
Diese ist Folge des aufrechten Ganges und
der dafür notwendigen lumbalen Lordose.
Therapie. Die Therapie richtet sich nach
den Beschwerden und der Progressions-
wahrscheinlichkeit. Diese hängt mit der
Gleitstrecke, dem Grad der sekundären
Dysplasie der Wirbelkörper und dem
sagittalen Profil zusammen, was in der
Klassifikation von Mac-Thiong berücksichtigt
Spondylolisthesis in the growing spine
Abstract
Background. Spondylolisthesis (Greek for
sliding vertebra) in children is usually the
result of a defect (=lysis) or an elongation of
the interarticular portion. The cause can be
a congenital dysplasia of the dorsal stabilizing
structures or pressure of the facet on the
interarticular portion. This is a consequence
of lumbar lordosis which is necessary for an
upright posture.
Treatment. The treatment depends on the
symptoms and the risk of progression. This is
related to the sliding distance, the degree of
secondary dysplasia of the vertebral bodies
and the sagittal profile, which is considered
Klinik
Spondylolysen fallen häufig durch be-
lastungsabhängige Kreuzschmerzen auf.
Auch isthmische Spondylolisthesen mit
geringerem Gleitgrad (Meyerding 1–2)
bieten oft keine andere Symptomatik.
Nicht selten werden diese Patienten erst
auffällig, wenn es im Erwachsenenalter
zu einer frühzeitigen Bandscheibende-
generation und dadurch z. B. zu einer
Osteochondrose oder einer Verengung
des Neuroforamens kommt.
Bei der klinischen Untersuchung im-
poniert bei höhergradigen Olisthesen
eine Stufenbildung zwischen den Dorn-
wird. Bei geringgradigen Olisthesen ist
eine konservative Therapie möglich, bei
symptomatischen Lysen ohne Bandschei-
bendegeneration ein „pars repair“, bei
höhergradigen Olisthesen wird in der
Regel eine Reposition und Spondylodese
angestrebt. Die Reposition verbessert die
Fusionsrate und das sagittale Profil, erhöht
jedoch das Risiko von Nervenschäden,
weshalb eine vollständige Reposition nicht
erzwungen werden sollte.
Schlüsselwörter
Instabilität · Dysplasie · Haltung · Wirbelfusion ·
Spondylolyse
in the Mac-Thiong classification. For low-
grade olistheses, conservative therapy is
an option; for a symptomatic lysis without
disc degeneration, pars repair should be
considered. In higher-grade olistheses,
repositioning and spondylodesis are usually
recommended. Repositioning improves the
fusion rate and sagittal profile, but increases
the risk of nerve root damage, so complete
repositioning should not be forced.
Keywords
Instability · Dysplasia · Posture · Spinal fusion ·
Spondylolysis
fortsätzen, die als Sprungschanzenphä-
nomen beschrieben wird. Dieses findet
sich bei isthmischen Olisthesen immer
eine Etage oberhalb des Gleitniveaus.
D. h. bei einem kindlichen Wirbelgleiten
L5-S1 findet sich die Stufe zwischen den
Laminae L4 und L5, da die Lamina L5
mit S1 verbunden ist, nicht aber mit
dem Wirbelkörper L5. Bei degenerati-
ven Olisthesen gleitet der Wirbelkörper
mitsamt Lamina, weshalb die Stufe auf
Höhe der Pathologie zu finden ist.
Bei hochgradigen und dysplastischen
Spondylolisthesen sind die Veränderun-
gen vielfältiger. Durch die oben beschrie-
bene Veränderung des sagittalen Pro-
Der Orthopäde
 Leitthema
Abb. 1 8 Traumatische Pedikelfraktur eines ju-
gendlichen Eishockeyspielers
Abb. 3 8 Typischer Habitus bei hochgradiger Olisthese (Phalen-Dickson-Zeichen). Die glutealen und
ischiokruralen Muskeln müssen die Kyphosierung von L5 und die Ventralisierung des Körperschwer-
punktes ausgleichen, was zu einer Steilstellung des Sakrums und leicht gebeugten Beinen führt
fils und Ventralisierung des Körpers ist
der Patient gezwungen gegenzuarbeiten.
Dies führt zu einer Lordosierung der
oberen LWS und BWS sowie einer Re-
klination des Beckens, Überlastung der
ischiokruralen Muskulatur und pseudo-
radikulären Schmerzen. Der hierdurch
entstehende typische Habitus (. Abb. 3)
ist als Phalen-Dickson-Zeichen bekannt
[22]. Auch wenn es typischerweise nicht
zu einer Spinalkanalstenose kommt, kön-
Der Orthopäde
Abb. 2 8 Druck der Facette L4 auf die Interar-
tikularportion L5 als mögliche Ursache für eine
Spondylolyse (Nussknackerphänomen)
nen die Nervenwurzeln L5 im Neurofo-
ramen eingeengt werden.
Diagnostik
Nach der klinischen Untersuchung wird
zumeist ein Röntgenbild der LWS ange-
fertigt. Bei der Erstdiagnostik ist sicher
ein Bild der gesamten LWS – evtl. sogar
mit Hüftköpfen, um die Beckenparame-
ter zu bestimmen – gerechtfertigt. Wenn
im Verlauf das Operationsergebnis kon-
trolliert wird, sollte überlegt werden,
ob aus strahlenhygienischen Gründen
nicht eine Aufnahme des lumbosakra-
len Überganges ausreicht. Schrägauf-
nahmen, um die Interartikularportion
darzustellen („Hundehalsband“) sollten
generell unterbleiben, da hier der Zen-
tralstrahl direkt auf das Becken zielt
und die Gonadendosis unverhältnis-
mäßig hoch ist. Meist wird ohnehin
eine MRT durchgeführt, um zu sehen,
wie weit die Bandscheiben degene-
riert oder die Neuroforamina eingeengt
sind.
Lysen können auch einseitig auftreten
und sind dann im seitlichen Röntgenbild
oft nicht zu sehen. In der MRT findet sich
aber im akuten Stadium oft ein Ödem
der Interartikularportion. Im Zweifels-
fall sollte eine CT durchgeführt werden.
Präoperativ ist dies bei höhergradigen
und dysplastischen Olisthesen empfeh-
lenswert, um die Pedikelmorphologie zu
bestimmen. Nicht selten sind die Pedikel
L5 dysplastisch oder gar nicht angelegt.
Progressionsrisiko
Junges Alter bei Erstmanifestation, noch
ausstehendes Wachstum, weibliches Ge-
schlecht, dysplastischer Typ, Wirbel-
körperdysplasie und vor allem eine
hohe lumbosakrale Kyphose gehen mit
einem deutlich erhöhten Progressions-
risiko einher [27]. Dahingegen haben
Olisthesen vom isthmischen Typ, die bei
Erstmanifestation und nach Wachstums-
abschluss um weniger als 30 % geglitten
sind, nur ein geringes Progressionsrisiko
und können zunächst auch konservativ
behandelt werden.
Therapie
Bei einer symptomatischen, isthmischen
Spondylolyse ohne hochgradige Spon-
dylolisthese kann zunächst ein konser-
vativer Therapieversuch unternommen
werden. Pseudoradikuläre Beschwer-
den können durch eine Detonisierung
der ischiokruralen Muskulatur vorüber-
gehend gebessert werden. Bei starken
Schmerzen kann eine kurzzeitige Ruhig-
stellung für 6–8 Wochen in einem Brace
helfen. Durch konsequente Ruhigstel-

Abb. 5 8 Insuffizienzfraktur des Sakrums (Pfeil)
bei vorbestehender Spondylolisthese L5/S1 und
Ventralisierung des Körperschwerpunktes
lung kann nicht nur Schmerzfreiheit,
sondern sogar eine Ausheilung erreicht
werden. Allerdings liegt die Rückfallrate
bei 26 % [26]. Der Ruhigstellung sollte
rumpfstabilisierende Krankengymnas-
tik mit Bauchmuskeltraining folgen.
Sollten die Beschwerden wiederkom-
men, kann die Lysezone probatorisch
mit Lokalanästhetikum angespritzt wer-
den. Wenn die Beschwerden darauf-
hin verschwinden, ist dies ein guter
Indikator, dass ein „pars repair“ er-
folgreich sein kann. Voraussetzung ist
allerdings, dass in der MRT noch keine
Bandscheibendegeneration zu sehen ist.
Intraoperativ wird die Lysezone ange-
frischt, Spongiosa angelagert und der
Spalt komprimiert. Hierfür gibt es ver-
schiedene Methoden mit Kompressions-
schrauben oder Laminahaken (. Abb. 4).
Die Erfolgsaussichten sinken mit stei-
gendem Alter. Bei unter 20-Jährigen
werden – je nach Operationstechnik –
Pseudarthroseraten von 10–20 % berich-
tet [4, 7].
»siko,Jedesto
höher das Progressionsri-
eher wird man sich
zu einer operativen Korrektur
entschließen
Je höher das Progressionsrisiko und
je ausgeprägter die Spondylolisthese
ist, desto eher wird man sich zu ei-
ner operativen Korrektur entschließen.
Hier sollten auch die Spätfolgen durch
die Veränderung des sagittalen Profils
berücksichtigt werden. Durch die Ven-
tralisierung des Körperschwerpunktes
und Steilstellung des Beckens kann es
zu einer Verbiegung des Sakrums und
osteoporotischen Insuffizienzfrakturen
kommen (. Abb. 5). Als Folge der kom-
pensatorischen Lordose der LWS können
die Anschlusssegmente degenerieren.
Während isthmische Spondylolisthe-
sen Grad I–II nach Meyerding meist
unproblematisch mit einem normalen
PLIF, TLIF oder ALIF monosegmen-
tal versorgt werden können (. Abb. 6),
sind höhergradige und dysplastische
Spondylodesen eine Herausforderung.
Hauptproblem ist, dass es durch die Re-
position zu einem Zug an der L5-Wurzel
kommen kann. Diskutiert wird, ob eine
vollständige Reposition immer notwen-
dig ist, da sie wohl keinen zwingenden
Einfluss auf die Patientenzufriedenheit
Abb. 4 9 Zwei Möglichkei-
ten des „pars repair“ mit La-
minahaken (a) oder kanü-
lierten Zugschrauben (b)
hat [5, 12]. Durch die Reposition er-
höht sich allerdings die Fusionsrate, da
die Auflagefläche größer wird, und sie
verbessert das sagittale Profil [13].
Es gibt verschiedene Techniken der
Reposition. Diese kann z. B. über Schanz-
Schrauben erfolgen, mit denen eine sehr
schonende Reposition und gute Lordo-
sierung möglich ist (. Abb. 7 und 8). Ein
anderes Verfahren, das von Harms und
Ruf (2006) beschrieben wurde, bildet ei-
ne Brücke zwischen S1 und L4. Zwischen
diesen beiden Wirbeln wird distrahiert,
wodurch sich L5 häufig erst soweit re-
poniert, dass er problemlos pedikuliert
werden kann. Anschließend wird L5 nach
dorsal gezogen und über ein Hypomoch-
lion lordosiert [25]. Sehr wichtig ist da-
bei die Kontrolle der L5-Wurzeln, die
von allen bindegewebigen Strängen be-
freit werden und deren Spannung ständig
kontrolliert werden muss. Unter Umstän-
den muss auf einen zusätzlichen Cage
verzichtet werden, wenn gleichzeitig die
Neuroforamina weit genug sind (. Abb. 9
und 10). Da durch die zweite Hälfte der
Reposition der größte Stress auf die L5-
Wurzeln entsteht, sollte die vollständige
Reposition nicht erzwungen werden [21].
Aufpassen muss man zudem, dass durch
die Reposition nicht Bandscheibengewe-
be nach dorsal verlagert wird, das dann
wiederum auf die Nervenwurzeln oder
die Cauda equina drückt. Die Bandschei-
be muss sehr sorgfältig entfernt und die
Grund- und Deckplatten von L5 und S1
begradigt werden. In der Regel können
die L4-Schrauben nach erfolgter Kno-
chenheilung wieder entfernt und das Seg-
Der Orthopäde
 Leitthema

Abb. 6 9 a,b Monoseg-

mentale Versorgung einer
mittelgradigen Olisthese
mit geringer Dysplasie mit-
tels „posterior lumbar inter-
body fusion“

Abb. 7 8 Reposition einer hochgradigen dysplastischen Olisthese (a) mittels Schanz-Schrauben: Ein Teil der Reposition er-
folgte schon durch die Lagerung auf einem Wilson-Rahmen (b), anschließend wurden die Schrauben gesetzt (c), die Band-
scheibe und ein Teil des S1-Doms reseziert (d) und vorsichtig reponiert (e). Vorteil der Schanz-Schrauben ist, dass die Reposi-
tion jederzeit unterbrochen werden kann. Abschließend wurde lordosiert (f)

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Abb. 8 8 Verbesserung des lumbopelvinen Alignements durch Reposition der Spondylolisthese: Im Vergleich zum präope-
rativen Bild (a,b) sieht man, wie sich die Reklination des Beckens und Kyphosierung von L5 verbessert hat (c,d)
mentfreigegebenwerden. Eine komplette
Metallentfernung sollte unterbleiben, da
es auch nach abgeschlossener Knochen-
heilung noch zu einer Verbiegung der
Fusionsmasse und damit einem Reposi-
tionsverlust kommen kann.
Lässt sich keine gefahrlose Repositi-
on erreichen, so besteht die Möglich-
keit, L5 komplett zu entfernen und L4
auf S1 zu stellen (Gaines-Prozedur) [3].
Dies wird meist kombiniert ventrodor-
sal durchgeführt und ist schweren Spon-
dyloptosen vorbehalten. In der Vergan-
genheit wurden auch rein posterolate-
rale Fusionen ohne Reposition durch-
geführt. Hier muss aber immer L4 mit
fusioniert werden und vor allem bei dys-
plastischen Querfortsätzen und hohem
Stress auf die dorsale Fusionsmasse wa-
ren Pseudarthrosen häufig [18].
Abb. 9 9 RepositionL4-S1
nach Harms/Ruf mit tem-
porärer Fixation von L4: (a)
Zeichen des umgekehrten
Napoleonhutes im a.p. Bild,
(b) Spondyloptose von L5
mit Ventralisierung der Wir-
belsäule und Steilstellung
des Sacrums. (c) Postopera-
tive Kontrolle mit vollstän-
diger Reposition von L5 auf
S1 und temporärer Fication
von L4
Fazit für die Praxis
4 Die Therapie der Spondylolisthese
erfolgt stadienabhängig, je nach
Beschwerden und zu erwartender
Progression.
4 Geringgradige Olisthesen und reine
Spondylolysen können konservativ
therapiert werden.
Der Orthopäde
 Leitthema
Abb. 10 8 Operationsschritte nach Harms/Ruf: Es wird in Kyphosierung gelagert (a) und zunächst die Schrauben L4 und S1
gesetzt (b). Durch leichte Distraktion taucht L4 unter L5 hervor und kann einfacher pedikuliert werden (c). Nach vollständiger
Diskektomie werden die dysplastischen Grund- und Deckplatten begradigt (d), bevor L5 vorsichtig reponiert wird (e). In der
postoperativen Computertomographie-Aufnahme sieht man, wie L5 plan auf S1 steht (f)
4 Ein „pars repair“ ist nur in jungen
Korrespondenzadresse
Jahren und bei fehlendem Gleiten
erfolgversprechend.
Prof. Dr. F. Geiger
4 Klassifikationen helfen, die Progres- Wirbelsäulenzentrum,
sionswahrscheinlichkeit und den Orthopädische Fachkliniken,
Hessing Kliniken Augsburg
Schweregrad festzustellen.
Hessingstraße 17,
4 Da bei zunehmender Olisthese die 86199 Augsburg,
Operation aufwendiger und risikorei- Deutschland
cher wird, sollte diese vor allem bei Florian.Geiger@hessing-
stiftung.de
dysplastischen Olisthesen mit hoher
Progressionswahrscheinlichkeit nicht
zu lange aufgeschoben werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. F. Geiger und A. Wirries geben
an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine
Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt.
Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort
angegebenen ethischen Richtlinien.
Der Orthopäde
Literatur
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(2003) The natural history of spondylolysis and
spondylolisthesis: 45-year follow-up evaluation.
Spine 28:1027–1035 (discussion 1035)
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In: Kinderorthopädie in der Praxis, S 101–108
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Posterolateral, anterior, or circumferential fusion
in situ for high-grade spondylolisthesis in young
patients: along-termevaluationusingtheScoliosis
Research Society questionnaire. Spine 31:190–196
6. Herbiniaux G (1782) Traité sur divers accouche-
mens laborieux, et sur les polypes de la matrice;
ouvrage dans lequel on trouve la description d’un
nouveau levier, imité de celui de Roonhuysen, &
mis en parallele avec le forceps: ainsi que d’un
nouvelinstrument,propreàlaligaturedespolypes,
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Der Orthopäde