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Paul Sommer-Weisel
Matrikel-Nummer: 2964537
Anschrift: Karl-Liebknecht-Straße 82, 04275 Leipzig
E-Mail: paulsommerweisel@gmail.com
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
5 Quellenverzeichnis 12
6 Literaturverzeichnis 14
1 Einleitung
Das Phänomen der Romane in der Komnenenzeit ist diejenige Gattung, welche im
Verlauf ihrer Bewertung die fundamentalste Umdeutung erfahren hat.
1
2 Der byzantinische Roman der Komnenenzeit
Das Phänomen der Wiederbelebung der antiken Literaturgattung des Romans nach
einem achthundertjährigen Hiat fällt in die byzantinische Kulturepoche der
Komnenenzeit. Diese Neubelebung antiker Literaturgattung ist aus dem Kontext der
hellenistisch geprägten Rückbesinnung byzantinischer Intellektueller der Epoche auf
die Literatur der Antike erklärlich. Der Roman der Komnenenzeit1 erscheint
demgemäß im Unterschied zu den in späterer Zeit unter der Palaiologen-Dynastie
entstandenen fiktionalen Werken als stark mimetisch orientierte Adaption der antiken
Vorläufer der Gattung. Die Literatur der von außenpolitischer Unsicherheit und
Rückschlägen geprägten komnenischen Epoche ist durch eine Rückbesinnung auf
den Hellenismus gekennzeichnet. Intellektuelle der Epoche propagierten vor dem
Hintergrund außenpolitischer Bedrohung das Modell der heidnischen Antike als
Alternative zur offiziellen christlich-orthodoxen Staatsdoktrin des byzantinischen
Reiches. Dieses gesteigerte antiquarische Interesse, welches vorrangig an
philologischen Gesichtspunkten orientierte, stellt die Grundvoraussetzung des
Wiederauflebens mehrerer antiker Literaturgattungen dar, welche der ideologische
Rigorismus früherer Epochen unterdrückt hatte. Die Selbstgenügsamkeit des
christlich-orthodoxen Weltverständnisses der Byzantiner hatte unter dem Eindruck
des Kontaktes zum mittelalterlich-höfisch geprägten Westeuropa eine Erschütterung
erfahren, wie beispielsweise der Niedergang der komplementären Gattung des
byzantinischen Heiligenromans im 12. Jahrhundert verdeutlicht2. Die literarische
Neuorientierung der Epoche speiste sich dabei jedoch nicht unwesentlich aus
vorhandenen, originär dem byzantinischen Kulturkreis zuzuordnenden literarischen
Tendenzen3. Das Überwiegen philologischen Interesses über religiös-moralischen
Bedenken in der byzantinischen Bildungselite der Komnenenzeit ermöglichte einen
1
Zu den hier besprochenen Romanen gehört des Werk des Eustathios Makrembolites sowie die stilistisch und
thematisch eng verwandten Romane des Theodore Prodromos und Niketas Eugenianos. Ein vierter Roman des
Konstantin Manasses ist nur fragmentarisch überliefert.
2
The Medieval Greek Romance, S. 2.
3
The Novel in the Ancient World, S. 719. Hierbei scheint dem byzantinischen Volksepos, insbesondere der
akritischen Dichtung der frühbyzantinischen Jahrhunderte, eine bedeutende Rolle zuzukommen. Darüber
hinaus begegnen Ansätze einer auf das Schildern amouröser Eskapaden abzielenden Erzählweise bereits im
Geschichtswerk des Niketas Choniates, der in seinen tendenziösen Darstellungen jedoch stets bemüht bleibt,
eine auf der orthodoxen Morallehre basierende kritische Haltung gegenüber den romanhaft geschilderten
Liebesabenteuern seiner Protagonisten zu wahren. Vgl. Plotting with Eros: Essays on the Poetics of Love and
the Erotics of Reading, S. 221.
2
unvoreingenommenen, antiquarischen Zugang zu den heidnischen Texten der
Antike. So ist auch im Bereich des Klerus eine philologisch motivierte Hinwendung
zur Gelehrsamkeit der Antike feststellbar4. Mitunter diente antike, heidnische Literatur
geistlichen Würdenträgern als argumentative Fundgrube für Debatten zu Problemen
der orthodoxen Dogmatik.5 Die bereits durch Photios geförderte Erhebung antiker
Romane zu rhetorischen Stilmustern ließ die Frage nach deren moralischem Gehalt
in den Hintergrund rücken. Die Romane der Komnenenzeit sind ähnlich wie die
übrigen literarischen Erzeugnisse der Epoche in besonderem Maße vom Phänomen
des Aufblühens der Rhetorik geprägt. In seiner Eigenart als beständige Zitation und
Anspielung auf die Antike ist er als literarisches Spiel einer eng definierten
Bildungselite interpretiert worden, die sich in ihrem Rückgriff auf antike Rhetorik über
die christliche Kargheit der vorangegangenen literarischen Epoche zu erheben
suchte. Bereits im neunten Jahrhundert hatten die antiken Liebesromane eine
literarische Rezension auf der Grundlage ihres moralischen Gehaltes durch den
Patriarchen Photios erfahren, welche sich jedoch zusätzlich an der stilistischen
Raffinesse der beurteilten Romane orientierte.6 Jedoch entwickelte sich erst in
komnenischer Zeit eine rege intellektuelle Debatte über die jeweiligen Vorzüge der
umfangreich rezipierten spätantiken Romane des Heliodor bzw. des Achilles Tatios.
Dieser Frage widmete beispielsweise der komnenische Universalgelehrte Michael
Psellos einen eigenständigen Aufsatz7.
4
Byzantinisches Erotikon, S. 138.
5
Hellenism in Byzantium: The Transformations of Greek Identity and the Reception of the Classical Tradition, S.
256.
6
In seiner behandelt der Patriarch die beiden Werke zunächst in Form einer Literaturkritik unter rein
ästhetischen Gesichtspunkten und spricht in der Folge eine Leseempfehlung für die Lektüre des Romans
Heliodors mit seiner christlichen Moralvorstellungen konvergenteren Schilderungen gegenüber dem Werk des
Achilles Tatios aus.
7
The Ancient Novel and Beyond, S. 372.
3
3 Der komnenische Roman als neopagane Fiktion
8
9
4
mit einem negativen Rollenverständnis behaftet. Den klassischen Göttern, welche
sich häufig durch Rachsucht auszeichnen, wird oftmals kaum mehr als die Initiierung
der eigentlichen Romanhandlung zugestanden. Insgesamt erscheinen die Götter der
klassischen Antike im spätantiken Roman bisweilen leblos und lassen das soziale
und kulturelle Phänomen des graduellen Verblassens überlieferter
Glaubensvorstellungen erfahrbar werden. Eine weitaus umfangreichere Rolle kommt
im spätantiken Roman vielmehr der Schicksalsgöttin Tyche zu. Als wichtigstes
Element im Bereich des Numinosen prüft die Schicksalsgöttin die anderweitig von
der klassischen Götterwelt entfremdeten Protagonisten mit den in den Romanen
geschilderten Wechselfällen. Die in der Charakteristik der Göttin angelegte
Unberechenbarkeit diente den hellenistischen Autoren der antiken Romane als
Rechtfertigung inhaltlicher Inkonsistenzen sowie logischer Ungereimtheiten der
Romanhandlung. Symbolhaft hierfür steht der modifizierte Wiederaufgriff der
treibenden Kräfte des antiken Liebesromans in Gestalt des paganen Liebesgottes
Eros10. Die Adaption des Ἔρως βασιλεύς an den christlichen Kontext der
Verfasserzeit liegt dabei vor allem in der hagiographischen Konzeption des
begründet.11 Demgemäß scheint auch die Schilderung der „Bekehrung“ der vormals
unberührten Romanhelden zum Liebesgott auf die in der frühchristlichen
Hagiographie geschilderten Konversionen der frühen Heiligen zur Liebe Gottes
(αγαπη) zurückzugreifen12. Ähnlich wie in der Hagiographie dienen von göttlicher
Instanz gesandte Träume der Vermittlung Botschaften sowie tieferer Wahrheiten13.
Auffälligstes Merkmal des Romans der Komnenenzeit im Bereich religiöser Motivik ist
das demonstrative Verharren in den Glaubensvorstellungen und der Religionspraxis
seiner antiken Vorläufer. Demgemäß wurde die oberflächliche, auffällige
Abwesenheit explizit christlicher in der historischen Forschung als Emanzipation der
Romanautoren von der orthodoxen Mehrheitskultur des zeitgenössischen
Literaturbetriebes interpretiert. Das absichtsvolle Festhalten an der Götter- und
Religionssymbolik der Antike erscheint als Versuch einer kleinen Literatengruppe zur
unkritischen Rekonstruktion der fernliegenden antiken Götterwelt. Die byzantinischen
Romane als Ausfluss dieses klassizistischen Bestrebens sind in der Folge als
polytheistisch und beinahe bemüht pagan charakterisiert worden.
10
Eros the King and the King of Amours: Some Observations on Hysmine and Hysminias, S. 1.
11
12
Greek Fiction, S. 282.
13
Beck, Byzantinisches Erotikon, S. 144.
5
Ausgehend von der Beobachtung der scheinbaren Vertrautheit der antiken Romane
mit den Themenfeldern und Riten diverser populärer Mysterienkulte wurde eine
Verbindung der Texte mit diesen vermutet. Den antiken Romanen fiel dabei die Rolle
einer allegorischen Einführung in die Riten der vorwiegend orientalischen Kulte zu.
Der Fokus dieser Mysterienkulte liegt auf dem Erlösungsgedanken. Die
Protagonisten der Romane sind bisweilen als Diener bestimmter Gottheiten
charakterisiert. Aufgrund der Umdeutung der antiken Romanen zu religiös-kultischen
Texten wurden die Werke mit den Hymnen der antiken Aretalogie parallelisiert. Mit
dem in der Spätantike wachsenden Einfluss christlicher Glaubensvorstellungen auf
lässt sich eine Aufspaltung des novellistischen Potentials antiker Literatur in die
literarisch geschiedenen Sujets der Hagiographie für die Massen und pagane
Romane für die Oberschicht feststellen. Obgleich die hagiographische Gattung
populäre ebenso wie hochliterarische Werke umfasst, richtet sich der überwiegende
Teil der in volkstümlichen, kaum klassizisierenden Duktus gehaltenen Erzählungen
an ein populäres Publikum. Die Hagiographie als dominierender Erzählgattung der
byzantinischen Literatur übernahm dabei die Funktion der antiken Trivialliteratur.
Protagonisten der volkstümlichen byzantinischen Heiligenviten sind dabei zumeist
Vertreter niederer Gesellschaftsschichten. Diese Volksheiligen zeichnen sich oftmals
durch Bedürfnislosigkeit aus und fungieren nicht selten als Vertreter der Armen und
Entrechteten. Insbesondere der Vergleich der apokryphen Apostelgeschichten mit
den Gattungsmerkmalen des paganen Romans zeigt parallele Muster und
Techniken. Ihre früheste Ausprägung erhalten diese christlichen Romane in den
Berichten der Acta Apostolorum. So enthält beispielsweise die Schilderung der Vita
des Apostels Paulus vielfache Hinweise auf literarische Gestaltungskonzepte des
antiken Romans. Insbesondere lassen sich derartige Elemente in den lebensecht
geschilderten apokryphen Evangelien ausmachen, welche in ihrer Frühzeit kaum
einer gattungseigenen Stilisierung unterlagen. Die christliche Morallehre konnte sich
in der Entwicklung einer eigenständigen erotisierenden Tradition auf biblische
Bezüge stützen, wie sie beispielsweise im Hohelied der Liebe anklingen.
Hinzutretende Elemente wurden in einem synkritischen Verfahren in die
vorhandenen Erzählmuster des antiken Romans integriert. So erfährt die
Personifizierung der Liebe in ihrer heidnischen Figur des Eros eine Umdeutung hin
zu einer ἐπιθυμία bzw. dem pothos im Sinne der christlichen Morallehre. Diese
christlichen Liebesromane nehmen oft ihren Ausgangspunkt vom Motiv der
6
Jungfräulichkeit und entwickeln aus dieser Thematik ein. Beispielhaft erscheint die
erotische Dimension der christlichen Literatur in der den apokryphen Schriften
zugeordneten Darstellung der Lebensgeschichte der Heiligen Thekla. Beispielhaft für
die Parallelismen der Mechanismen des antiken Romans sowie seiner christlichen
Evolution steht eine , der sog. Pseudo-Clementinus. Die Schilderung der Heiligenvita
übernimmt dabei , etwa der Irrfahrten und Der christlichen Vita liegt dabei eine
pagane Bedeutungsebene zugrunde. In dieser Hinsicht kann der Roman des
Clementinus als Antwort der im Prozess der Formierung begriffenen christlichen
Literatur auf die antike Romantradition begriffen werden. Die klar religiöse Intention
der Apostelakten sowie die Propagierung unterschiedlicher, konkurrierender
christlicher Weltbilder und Sekten setzen die neuentstandene Gattung jedoch von
ihren antiken Vorgängern ab. Hierin erscheinen die Apostelakten vielmehr als
Fortsetzung der antiken Liebesliteratur, sie sind somit Apostelromane. Jedoch ergibt
sich aus der Unterordnung der romanhaften Erzählung unter den Skopos einer
Ideologie ein fundamentaler Unterschied, das Romanhafte erscheint als Mittel zum
Zweck. Hagiographische Berichte und Erzählungen nehmen hierbei die Funktion
einer Brücke zwischen den antiken Romanen und dem erneuten Aufleben der
Gattung in der Komnenenzeit ein. Der Roman der Komnenenzeit zeichnet sich
ungeachtet seiner mimetisch-synthetisierenden Kompositionsweise jedoch durch
seine erkennbare Einbettung in die gesellschaftlichen Verhältnisse des elften und
zwölften Jahrhunderts aus. Diese behutsamen Anpassungen sind in der Forschung
als Aktualisierungsversuche des antiken Genres gewertet werden. Demgegenüber
erscheint der byzantinische Roman in der heutigen Perspektive als Versuch zum
emanzipierten Umgang mit den der antiken Literaturgattung.
7
4 Zeitgenössisches im Roman der Komnenenzeit
14
Der griechische Roman und seine Vorläufer, S. 539.
15
Fester Schönheitskodex der byzantinischen Romane (vgl. Prodromos Rhod. et Dos. I 39 ff., Eugenianos (I 123
ff.)) in der Antike noch nicht vorhanden.
- Frauenraub in der Antike Merkmal der Antagonisten, bei Prodromos ausgeführt durch Protagonisten S. 1
- Prodromos bringt in seinen Roman Realien des byzantinischen Kriegswesens ein S. 144
- z.B. Rhodante u. Dosikles vom Ehrenkodex des komnenischen Militäradels geprägt S. 131
8
Phänomene stellen eine Abweichung von der antiken Kulisse dar. Diese
mannigfaltigen Anklänge und Entlehnungen aus der byzantinischen
Gegenwartskultur sind. Beispielhaft für die Verarbeitung christlicher Glaubenspraxis
im Gewand einer antikisierend-heidnischen Kulisse steht das christliche Ritual der
Fußwaschung, welches im Roman des Makrembolites beschrieben wird: Wenngleich
die rituelle Waschung der Füße zur bereits in der Antike bezeugt ist, erhält die
geschilderte Szene durch das Detail der eine eminent christliche Konnotation und
scheint hierbei die biblische Szene der Fußwaschung durch zum Vorbild zu haben.16
Eine weitere bedeutende Reminiszenz an die christliche Kultur der byzantinischen
Epoche stellt die Verarbeitung der christlichen Abendmahlsmotivik im Roman des
Prodromos dar17. Anlässlich eines Festmahles schildert der Autor den symbolischen
Verzehr von Fleisch und Blut. Hierin scheint eine bewusste Parallele zum christlichen
Sakrament der Eucharistie gezogen zu werden18. Die Symbolik des rituellen
Verzehrs von Fleisch und Blut durchzieht den Roman auch weiterhin, etwa wenn der
Protagonist Dosikles seine Anhänger auffordert: See, here I am: whip me, punish me,
I glut yourself on my flesh, drink up my blood19. Die Verbindung der
Abendmahlsthematik mit der rekurriert möglicherweise auf eine lebhafte theologische
Debatte, welche die Zeitgenossen der Romanschriftsteller entzweite. Die
Formulierung in 8.58-68 scheint den symbolischen Verzehr des Leib und Bluts Christi
in Rahmen der Eucharistie abzulehnen. In der Schilderung der Szene 6.122-123 wird
die Abendmahlsmotivik mit der genuin christlichen Thematik der spirituellen Opferung
verbunden. Möglicherweise wird in der Äußerung des Kratandros die christliche
Absage an Menschenopfer verarbeitet20. Ungeachtet dieser Absage erscheint die
freiwillige Aufopferung des Nausikrates als antikisiertes Idealbild eines christlichen
Märtyrers, dessen Glaubensfestigkeit von den Umstehenden mit verglichen wird.
Gemäß der seit frühchristlicher Zeit überlieferten Tradition schildert der Autor
anschließend den Eingang des Märtyrers ins Paradies21. Auch der Protagonist im
Roman des Makrembolites weist die Qualitäten eines christlichen Märtyrers auf,
wenn er in 3.4.1. Die Rolle des glaubensstarken Märtyrers ist jedoch nicht allein den
Romanhelden vorbehalten. Vielmehr fungieren in offensichtlichem Anachronismus zu
16
Vgl. Lukas 7.36-50: . S. Reviving the pagan Greek noval in a Christian world, S. 209.
17
Burton, S. 183.
18
Vgl. 8.232-241.
19
Rhodante 9.294-295.
20
Vgl. Burton, S. 187.
21
1.485-501.
9
antiken Religions- und Rollenvorstellungen ebenfalls Frauen als glaubensstarke
Märtyrerinnen. Diesen Zug im Frauenverständnis hatte das im hellenistischen Roman
noch unbekannte literarische Motiv weiblicher Entsagung in den Jahrhunderten des
Frühchristentums gewonnen. Wichtige Voraussetzung der stellte hierbei die
Entsagung der Protagonistin von irdischen Gütern zur Betonung ihrer spirituellen
Reinheit dar. Diese begegnet beispielsweise im Roman des Prodromos, der seine
Heroine die zurückweisen lässt. Der Wunsch zur Wiedervereinigung mit dem
Geliebten parallelisiert hierbei mit dem Verlangen der christlichen Märtyrer nach der
spirituellen Vereinigung mit Christus. Die Einbettung der byzantinischen Romane in
zeitgenössische Kontexte wird auch an zahlreichen Unstimmigkeiten geringeren
Umfangs innerhalb der antikisierenden Atmosphäre deutlich. Diese
anachronistischen Details zeugen von der Dominanz christlicher Religionspraxis in
der Lebenswelt der Verfasser. Beispielsweise wird die obligate Hochzeitsszene als
Abschluss des byzantinischen Romans von den Autoren durchgängig in die
Gegebenheiten eines antiken Heiligtums bzw. Tempels verlegt. Im Unterschied zu
antiken Eheverständnis dient die Hochzeit der Protagonisten im byzantinischen
Roman vorrangig der Zeugung von Nachkommen. Diese Sichtweise reflektiert den
Ehebegriff der orthodoxen Kirche, wie er zum Ausdruck kommt.22 Die Anwesenheit
eines Priesters, der den Ehebund der beiden Protagonisten im Roman des
Prodromos bezeugt, steht ebenfalls beispielhaft für die anachronistische Übertragung
zeitgenössischer Lebensumstände auf die Glaubenspraxis der Antike, die von den
Vorstellungen und Lehren der orthodoxen Reichskirche geprägt sind. In Anlehnung
an diese geht beispielsweise der Schriftsteller Eugenianos von der Existenz einer
verbindlichen, griechisch-paganen Religion aus. Die religiöse Pluralität innerhalb
individuellen Kulte des antiken griechischen Kulturkreises wird in der Fiktion der
byzantinischen Romane durch einen uniformen Paganismus ersetzt23. Eine
eingehende Betrachtung der Schilderung antiker Gottheiten in den byzantinischen
Romanen offenbart deren anachronistische Anlage, die auf den Vorstellungen der
mittelalterlich-christlichen Geisteswelt basiert. Der unter dem Einfluss der christlichen
Theologie vollzogene Wandel eines hin zu einer streng patriarchalischen Kultur24
erscheint als Erklärung für das Fehlen weiblicher Gottheiten in den byzantinischen
Romanen. Eine weitere Parallele christlicher Glaubensvorstellungen markiert die
22
23
24
10
auffällige Betonung der Vater-Sohn Beziehung der im Roman maßgeblichen Gottheit
Dionysos mit seinem göttlichen Vater Zeus durch Eugenianos, welche die christliche
Lehre widerzuspiegeln scheint. Die Hervorhebung dieser Relation korrespondiert mit
der seit der Spätantike bewusst Gleichsetzung des Dionysos mit dem Christus25. Die
Figur des kann somit als Christusallegorie interpretiert werden. Jedoch ergeben sich
in der Terminologie Unterschiede, welche das ausgeprägte Bewusstsein der
byzantinischen Autoren für die stilistischen Differenzen der von ihnen mimetisch
nachgeahmten Sprache vom Sprachgebrauch ihrer Zeitgenossen bezeugen.
Demgemäß wird der Gott Dionysos im Roman des Eugenianos konsequent mit der
heidnisch konnotierten Anrede anax intituliert, die christliche Ansprache als kyrios
wird vom Autor dabei bewusst vermieden26. Die für die Glaubenswelt des
byzantinischen Schriftstellers zentrale Motivik der Christusfigur begegnet in allen
Romanen aus der Komnenenzeit zumeist in allegorischer Verarbeitung. Hierbei
werden Attribute entlehnt und auf die Akteure der antikisierenden Mythenwelt
übertragen. Ein eminentes Beispiel dieser Praxis ist die Schilderung der
Wiederauferstehung der Figur des Piratenkönigs Mystilos im Roman des Prodromos
vom scheinbaren Tode. Ebenfalls christlich unterlegt sind die an dessen
wundersamer Wiederbelebung geäußerten Zweifel, wie sie das Matthäusevangelium
dem Apostel Thomas in den Mund legt.27 Derselbe Charakter wird von Prodromos
mit der Fähigkeit zur mystischen Wandelung von Substanzen ausgestattet, welche
an die übermenschlichen Kräfte des Gottessohnes Jesus gemahnen muss.28 Kaum
erstaunlich wirkt daher der Rückgriff auf die der Bibel, deren Weisheit dabei in die
antike Kulisse zurückprojiziert wird. Biblische Aphorismen sind in den byzantinischen
Romanen in der Form gnomenhafter Sentenzen omnipräsent. Byzantinische Autoren
mimetischer Liebesromane durchsuchten auf ihrer Suche nach thematisch
geeignetem Material neben den Florilegien antik-heidnischer Gelehrsamkeit ebenso
die Erzeugnisse ihrer christlichen Epoche. Insbesondere die erotischen
Darstellungen des Alten Testamentes eigneten sich hierbei als lebhafte Vorlage
allegorischer Liebesdichtung29. Im Roman des Eugenianos wird beispielsweise in der
Beschreibung der Geliebten des Protagonisten das Hohelied der Liebe des Salomon
25
26
27
28
4.134-143
29
11
mitsamt seiner Verzehrungs-Symbolik imitiert30. Die wörtlich-explizite Interpretation
des erotischen Gehaltes der Passage wandte sich dabei gegen die offizielle
orthodoxe Lehrmeinung, welche die allegorische Auslegung der expliziten
Schilderungen bevorzugte. Augenfällige Gemeinsamkeiten zwischen den pseudo-
antiken Romanen der byzantinischen Autoren mit dem offiziellen Sprachgebrauch
ihrer christlichen Zeitgenossen begegnen auch in der Verwendung religiöser Begriffe.
Das moraltheologische Vokabular findet auch in der Beschreibung explizit erotischer
Stellen Anwendung, wenn z.B. Hierin wird die merklich größere Befangenheit im
Umgang expliziter Nacktheit deutlich31, die mit der freizügigeren Auffassung antiker
Vorstellungen kontrastiert. Der Einfluss christlicher Doktrinen und Wertvorstellungen
auf die byzantinische Gesellschaft manifestiert sich auch in dem gegenüber den
spätantiken Romanen gewandelten Bedeutung und Prägnanz gesellschaftlicher
Werte und Normen wie Tugend und Keuschheit erfahrbar, welche in den
byzantinischen Romanen eine zentrale Rolle einnehmen32. Der Fokus auf Sittlichkeit
in den byzantinischen Romanen findet jedoch bereits in den antiken Romanen seine
Entsprechung, in welchen die strengere Moralpolitik der Kaiserzeit den christlichen
Rigorismus späterer Jahrhunderte vorwegnimmt. Auch die gegenüber den
spätantiken Romanen gestärkte Autorität der Vaterfiguren des byzantinischen
Romans reflektieren die patriarchalische Gesellschaftsstruktur der byzantinischen
Epoche. Diese väterliche Autorität wird im byzantinischen Roman nur von der
priesterlichen übertroffen33. Hierin spiegelt sich die Oberhoheit der orthodoxen Kirche
im byzantinischen Moraldiskursen wieder.
30
31
32
33
12
Deutung ihres Werkes nicht nahe. Diese konformistische Deutung als Allegorie
bedeutete allerdings eine Verengung der Intention der Werke. Das in der
byzantinischen Literatur beliebte und verbreitete Spiel mit verschiedenen
Bedeutungsebenen ließe die christliche Interpretation als Möglichkeit bestehen, ohne
ihr jedoch den Vorrang vor anderen, explizit auch paganen Deutungen zu
gewähren34. Auf diese Multidimensionalität35 ist möglicherweise die fehlende
Reaktion der orthodoxen Kirche zurückzuführen. Der byzantinische Roman der
Komnenenzeit hat in der orthodoxen keinen feststellbaren Widerhall gefunden 36. Die
Autoren der vorliegenden komnenischen Romane mussten die offizielle Zensur der
orthodoxen Kirche offensichtlich nicht befürchten. Ein bedeutender Faktor dieser
stellen dabei das verfeinerte Sprachniveau sowie die voraussetzungsreiche
Komposition der Romane dar, welche den Leserkreis auf einen kleinen Zirkel
literarischer Connaisseurs begrenzen mussten und in den Augen moralisierender
orthodoxer Eiferer möglicherweise als heidnisch verwirrte antike Machwerke
durchgingen. Ein weiterer Grund dieser auffälligen Nichtbeachtung erotisierender
Literatur, welche in Teilen im Widerspruch zum moralischen Dogma der orthodoxen
Lehren stand, ist die schlussendliche weitgehende Wahrung der Konventionen durch
die Autoren der Komnenenzeit angeführt worden, insbesondere in Hinblick auf die
imperative Wahrung der Jungfräulichkeit der Protagonistinnen. Für diese
Interpretation spricht auch die letztendlich fehlende Explizität der byzantinischen
Romane, welche in der Schilderung erotischer die Schwelle nie überschritten.
Wenngleich der Liebesthematik in orthodoxen Augen ein ungebührlich umfangreicher
Raum eingeräumt wird, ist die stete Rückbesinnung auf Kerninhalte orthodoxer
Moralvorstellungen feststellbar. Wichtiger als die heidnisch angelegten Wirrungen der
byzantinischen Romane ist demnach der Ausgang der Romanhandlung in
geordneten, mit den Vorstellungen der orthodoxen Morallehre kongruierenden
Bahnen. Die bewirkte eine osmotische Verschmelzung antiken Kulturgutes mit
zeitgenössisch christlichen Glaubensgrundsätzen. Das Spannungsverhältnis
zwischen der auf der grundsätzlich heidnischen παιδεια fußenden literarischen
Bildung des gebildeten Byzantiners und den moralischen Grundsätzen des
orthodoxen Klerus konnte letztendlich durch die Einhaltung grundlegender
Konventionen der durch die Verfasser der byzantinischen Romane der
34
35
36
13
Komnenenzeit überbrückt werden und somit als affirmative37 gedeutet werden. Diese
affirmative staatstragende Haltung sollte erst in der Endphase des Byzantinischen
Reiches mit dem öffentlichen Aufbegehren des Philosophen Plethon gegen die
orthodoxe Basis der byzantinischen Kultur einen Bruch erfahren.
37
14
4 Quellenverzeichnis
15
5 Literaturverzeichnis
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20