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1.

Kapitel
Ein Kauz wird geboren

V
erdammt, ist das eng hier drin, in der winzigen
Eierschale. Meinen Dottersack habe ich auch
schon bald aufgefuttert. Es ist an der Zeit, dass
ich mich durch die harte Eierschale picke. Ich bin neu-
gierig, was dort draußen auf mich wartet. Also beginne
ich wie blöde mit meinem Schnabel gegen die Schale
zu hämmern. Sie bekommt einige Risse und ein kleines
Loch. Puh! Ein kalter Luftzug trifft auf meinen feuchten
Körper. So kalt habe ich mir die Welt nicht vorgestellt.
Doch jetzt gibt es kein zurück mehr. Noch ein paar
kräftige Schnabelhiebe und schon erblicke ich, durch
das Ausflugsloch der Bruthöhle, die Sterne am Himmel.
Mich fröstelt leicht. Neben den Resten meiner Eierhülle
liegen noch zwei intakte Eier. Die Beiden haben’s gut in
ihrer warmen Behausung, denke ich so. Einsam sitze ich
im hohlen Baumstamm. Der Nachtwind rauscht durch
die Blätter. Das Knarren der alten Bäume ist sehr laut
für meine empfindlichen Ohren. Langsam bekomme
ich einen mordsmäßigen Hunger. Vor lauter Knast kna-
bbere ich am morschen Holz meiner Bruthöhle.

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Pfui, wie ekelig dieses Zeug schmeckt!
Meine Zunge ist vom modrigen Holz ganz pelzig
geworden.
Doch plötzlich höre ich in der Dunkelheit ein vertrautes
Geräusch. Kuwi, iwi, quä - tönt es wiederholt. Es ist
meine Mutter. Ich antworte, so laut ich kann mit: Pssih!
Plötzlich sehe ich die Sterne nicht mehr. Mutter hat
mich unter ihre Flügel genommen. Herrlich warm ist
mir jetzt. Ich schlafe ein.
Von einem lauten Huu huh huuh werde ich wach. Es
ist Vater, der Futter bringt. Ein fetter Engerling kringelt
sich in seinem Schnabel.
Er wirft ihn mir hin. Kräftig beiße ich hinein. Schmeckt
gut! Aber warum nur ein Engerling? Ich habe Hunger
und muss wachsen. Laut schreie ich: Pssieh!
Vater sagt: Was ist denn das für ein kleiner Teufel? Wie
laut er schreien kann! So nennen wir ihn Loki.
Der Name Loki gefällt mir. Loki hat Hunger!, schreie
ich den Vater an. Der fällt vor Schreck fast aus der
Baumhöhle. Er sagt, ich fliege ja schon und jage, dass du
futtern kannst. Mutter lächelt mich an und sagt zu sich
selbst: Das ist der stärkste Nestling. Der wird einmal ein
starker Kauz.
Draußen ist ein lautes Kuwit zu hören - der Jagdruf des
Vaters. Er hat also Beute gemacht. Schon kommt er mit

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einer Maus im Schnabel an die Bruthöhle und übergibt
sie der Mutter.
Die Mutter zerteilt die Maus in kleine Stücke für mich.
Ich schlinge gierig das Futter hinunter und merke, wie
ich langsam schläfrig werde. Fressen ist so anstrengend.
Ich gähne ganz lange und schlafe ein.

Meine Mama

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2. Kapitel
Loki und der Igel

D
ie Nacht hat gerade begonnen, dunkel zu
werden, als sich meine Geschwister um den
letzten Mäuseschwanz in der Bruthöhle
streiten. Ich habe großen Hunger. Der laue Nachtwind
trägt viele fremde Gerüche zu mir. Die Geschwister
nerven wie immer und von den Eltern ist nichts zu
sehen. So klettere ich zum Ausflugsloch und schaue
in die dunkle Nacht hinaus. Als ich meine Flügelchen
ausbreite, spüre ich, wie der Wind mir einen leichten
Auftrieb gibt. Fliegen ist bestimmt ganz einfach. Vater
und Mutter habe ich schon oft beim Fliegen beobachtet.
Mein Entschluss steht fest: Heute fliege ich hinaus in die
Welt.
Meine Geschwister haben mich jetzt am Ausflugloch
endeckt und rufen aufgeregt, ich solle dort wegkommen.
Ich schaue mich zu ihnen um und strecke die Zunge
heraus, doch dabei verliere ich das Gleichgewicht und
falle aus der Bruthöhle. Mehrmals überschlage ich mich
in der Luft, purzelte immer tiefer und habe Angst. Ins-
tinktiv breite ich meine Flügel aus. Ich fliege!
Der Nachtwind trägt mich und sanft schwebe ich dahin.

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Vor mir erkenne ich eine große Birke. Oje, was nun?
Am besten wegschauen, denke ich mir, drehe meinen
Kopf nach links, und fliege auch nach links. Aha, so
funktioniert das also. Muss ich gleich noch einmal aus-
probieren. Ich schaue nach rechts, zu einer Waldlich-
tung, und fliege nach rechts. Prima, ich kann fliegen!
Über der Waldlichtung weht plötzlich kein Wind mehr.
Oje, ich falle! Aufgeregt flattere ich mit den Flügelchen
und falle nicht mehr. Aha, so funktioniert das also bei
Windstille. Auf der Waldlichtung sehe ich etwas im
Mondlicht glänzen. Ein dicker Käfer krabbelt da auf der
Wiese. Langsam gleite ich hinab. Doch plötzlich läuft
etwas aus dem Gebüsch zum Käfer. Vor Schreck schlage
ich bei der Landung einige Purzelbäume. Neben mir
rollt sich ein erschrockener Igel zusammen. Das ist mein
Käfer!, rufe ich dem Igel zu und verspeise den Käfer.
Nach einer Weile rollt sich der Igel wieder auseinander
und schaut mich verdattert an.
Du bist ein Waldkauz, sagt er zu mir.
Das weis ich selber, sage ich ihm. Ich heiße Loki.
Als sich der Igel von seinem Schreck erholt hat, sagt er,
dass er Schnuff heiße. Schnuff ist etwas verärgert, weil
ich ihm den dicken Käfer vor der Nase weggeschnappt
habe. Der Igel kann schlecht sehen. Er geht nur seiner
Nase nach auf Futtersuche. Ich sage zu Schnuff, dass er

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nicht traurig sein soll, denn ich werde ihm einen neuen
Leckerbissen aus der Luft zeigen. Ich fliege also über die
Waldlichtung und entdecke eine fette Raupe, die gerade
an einem Grashalm hochklettert. Dem Schnuff rufe ich
von oben zu, dass er nur ein paar Schritte geradeaus
gehen muss. Schnuff läuft zu der Raupe und freut sich.
Als ich neben ihm lande, schmatzt er genüsslich und
sagt: Lass uns doch Freunde sein.
Ich schaue in seine treuen Kulleraugen und sage: ja.
Prima, jetzt habe ich einen Freund.

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Plötzlich sehe ich vor mir ein Paar grüne Augen leuchten.
Erschrocken fliege ich auf einen hohen Baum.

Mein Freund Schnuff rollt sich zu einer Stachelkugel


zusammen. Von meinem Ast aus sehe ich, dass es ein
Fuchs ist, der mir mit seinen leuchtenden Augen einen
Schreck eingejagt hat. Meinem Freund rufe ich zu: Es ist
der Fuchs!
Der Fuchs schaut mich böse an, aber hier oben auf dem

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Baum kann er mich nicht erreichen. Dem armen Schnuff
geht es nicht so gut.
Der Fuchs stupst den Igel an und rollt ihn auf der Wiese
hin und her. Ich rufe zum Fuchs: Eh, lasse meinen
Freund in Ruhe, sonst bekommst du es mit mir zu tun!
Der Fuchs lässt kurz vom Igel ab und lacht ganz laut.
Du bist doch nur ein kleines Waldkäuzchen! Was willst
du denn gegen mich unternehmen? Ich bin Vulpo, der
Fuchs, der vor niemandem Angst hat! Ich habe scharfe
Zähne und Krallen mit denen ich Beute mache. Ein Igel
schmeckt mir nicht besonders gut, aber ich habe Hunger
und da fresse ich, was ich kriegen kann.

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Der Fuchs beginnt nun wieder, meinen Freund Schnuff
auf der Wiese hin und her zu rollen.
Dem Schnuff rufe ich zu: Halte aus! Ich helfe dir!
Nun war guter Rat teuer. Schnell muss ich mir etwas
einfallen lassen, um meinen Igelfreund zu retten. Ich
schaue mich hilfesuchend um.
Es ist aber niemand Anderes zu sehen, der mir und dem
Igel zu Hilfe eilen kann.
In meiner Not versuche ich, den Fuchs durch Zurufe
vom Igel abzulenken. Ich rufe: He, Vulpo! Wenn Du
wirklich so ein toller Jäger bist, dann fange mich doch.
Der Fuchs sagt nur: Aus einem kleinen Käuzchen mache
ich mir nichts.
Du hast es mit Loki, dem unerschrockenen Flieger zu
tun. Ich fliege zu einer Kiefer und pflücke einen Kie-
fernzapfen ab. Mit dem Kiefernzapfen in meinen Fängen
fliege ich über den Fuchs und lasse ihn auf seine Nase
fallen.
Aua!, ruft der Fuchs und fängt laut zu winseln an. Er
rennt vor Schmerz heulend davon.
Nun fliege ich zu meinem Freund, dem Igel, und sage
ihm, dass der Fuchs weggerannt ist. Schnuff rollt sich
langsam aus. Er möchte mich zum Dank umarmen, aber
ich lehne ab, denn er stachelt mir zu sehr. Wir lachen
gemeinsam über den Fuchs, wie er so gejammert hat.

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Ein leises Knacken aus dem Wald lässt uns aufhorchen.
Ist der Fuchs etwa wiedergekommen? Angespannt schaue
ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

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