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Vorlesung
Stilistische Lexikologie (Fortsetzung)

1. Stilistisch undifferenzierter Wortbestand. Stilistisch differenzierter


Wortbestand
2. Charakterologische Lexik. Kolorit
3. Stilistische Möglichkeiten von Archaismen und Historismen
4. Stilistische Möglichkeiten von Neologismen und Okkasionalismen
5. Stilistische Möglichkeiten des Fremdwortes
6. Fachwortschatz
7. Nationale Varianten der deutschen Sprache. Dialektismen

1. Stilistisch undifferenzierter Wortbestand. Stilistisch differenzierter


Wortbestand
Man unterscheidet 2 große Gruppen des gesamten Wortbestands nach seiner
Zugehörigkeit zu den einzelnen Stilen der deutschen Gegenwartssprache:
1) den stilistisch undifferenzierten Wortbestand – Wörter und Wendungen,
die in sämtlichen kommunikativen Bereichen und Situationen von allen
Deutschsprachigen verstanden und gebraucht werden;
2) den stilistisch differenzierten Wortbestand – Wörter und Wendungen,
deren Verwendungsmöglichkeiten durch bestimmte inner- und außerlinguistische
Faktoren eingeengt sind.
Zwei Untergruppen lassen sich hier voneinander absondern: die stilistisch
vollständig oder partiell kolorierte Lexik – Wörter und Wendungen, deren
absolute Stilfärbung im Sprachsystem schon den Gebrauchswert in der Rede
vorausbestimmt und dadurch gewisse Schranken der Verbreitung errichtet, und die
charakterologische Lexik – die Wörter und Wendungen unterschiedlicher
Stilfärbung, die nicht allen Sprachbenutzern gleicherweise bekannt sind, da sie
zeitliche, territoriale, berufliche, soziale und nationale Gegebenheiten
charakterisieren.
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2. Charakterologische Lexik. Kolorit


Charakterologische Lexik verleiht der Aussage ein bestimmtes Kolorit,
versieht den Text mit den typischen Merkmalen einer bestimmten Zeit,
Bevölkerungsgruppe und anderer gesellschaftlicher Faktoren.
Kolorit ist die für konkrete Ereignisse, Sachverhalte und Situationen
charakteristische Atmosphäre, die dank der sprachlichen Eigenart ihrer
Wiedergabe fühlbar wird.
Man muss bewusste Koloritzeichnung und das natürliche Kolorit der
Aussage unterscheiden.
Die Koloritzeichnung ist Resultat einer gezielten Absicht, den realistischen
Hintergrund, auf dem sich die Ereignisse abspielen, dem Empfänger klar vor
Augen zu führen.
Das natürliche Kolorit lässt uns ohne Dazutun des Senders lebenswahre
Abbilder einer bestimmten Epoche, einer bestimmten Nation, d. h.
unterschiedliche gesellschaftliche Zustände und Ereignisse erkennen.
Es gibt folgende Kolorite:
1) typisierende Kolorite (hierher gehören das historische Kolorit, das
nationale Kolorit im engeren und weiteren Sinn, das soziale Kolorit);
2) individualisierende Kolorite, die Einzelmenschen nach ihrer
persönlichen Eigenart im Ganzen, aber vor allem nach ihrer Sprechweise
charakterisieren, wobei dem gesellschaftlichen Moment eine wichtige Rolle
zukommt.

3. Stilistische Möglichkeiten von Archaismen und Historismen


Archaismen sind altertümliche Ausdrücke, die durch andere Wörter ersetzt
worden sind.
Historismen – Wörter, die aus dem Sprachgebrauch mit dem Verschwinden
entsprechender Erscheinungen verschwunden sind.
Stilistische Funktionen der Archaismen und Historismen sind:
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1. In belletristischen Texten (z. B. in historischen Romanen) dienen veraltete


Ausdrücke der Gestaltung des zeitlichen Kolorits mit der ordinären Post: z.B. ich
hatte mir die Freiheit … salviert (Th. Mann „Lotte in Wemar”)
2. Archaische Konstruktionen finden Verwendung als Mittel der Ironie und
Satire, z. B. um Rückständigkeiten anzugreifen.
Ironisch wirkt in H. Heines Gedicht „Minnegruß“ die Anrede wunnevolles
Magedein. In Presse und Publizistik werden entsprechend konnotierte Ausdrücke
bevorzugt zur Erzeugung pejorativer Expressivität verwendet: Häscher, Kerker.
3. Veraltetes Wortgut kann auch als Mittel der Poetisierung, der Feierlichkeit
oder Pathetik gebraucht werden. Z. B.: Strauß (Schlacht), Oheim (Onkel), itzo (jetzt).

4. Stilistische Möglichkeiten von Neologismen und Okkasionalismen


Neologismen (Neuwörter und Neubildungen) bezeichnen neue
Erscheinungen und Einsichten.
Von stilistischer Relevanz ist die Einführung von Benennungen, die – aus
der Sicht des Autors – als neu oder für den Adressatenkreis als nicht ausreichend
bekannt angesehen werden.
Unter Neologismen sind einige Gruppen zu unterscheiden:
allgemeinsprachliche, kolloquiale und okkasionelle. Allgemeinsprachliche
Neologismen dienen der Nomination von neuen Begriffen.
Kolloquiale Neologismen entstehen oft auf dem Wege der Wortbildung
nach produktiven Modellen oder als semantische Derivate und stellen emotional-
expressive Synonyme der bereits vorhandenen Wörter dar.
Stilistisch relevant sind Okkasionalismen, stilistische Einmalbildungen, die
auf der Grundlage vorhandenen Sprachmaterials und Gesetzmäßigkeiten der
Wortbildung der jeweiligen Sprache gebildet werden.
Ihre Funktionen sind unterschiedlich:
1) sie können der Verstärkung der Expressivität dienen: z.B.
Asylantenflut, Einwandererwelle, Flüchtlingswelle, Wahlbonbons,
Eisschrankpartei, Bananenrepublik;
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2) sie heben den ästhetischen Wert eines Werkes (ästhetische Funktion): z.B.
Seht den Felsenquell, Freudenquell (J. R. Becher);
3) Autorenneologismen verleihen den Texten Feierlichkeit;
4) Neologismen zeugen oft von Nichtalltäglichkeit, dienen der poetisierten
Wiedergabe von Gefühlen;
5) Neologismen finden Verwendung als Mittel von Witz und Satire: z.B.
Es meistersingerte, pilgerchörte, feuerzauberte in ihm (L. Feuchtwanger),
Universitätspyramide (H. Heine).

5. Stilistische Möglichkeiten des Fremdwortes


Fremdwörter sind vielfältig stilistisch zu nutzen.
Fremdwörter können: a) Gefühlswerte übermitteln: sensibel; b) in der
Alltagsrede als Ausrufe der subjektiven Wertung vorkommen: Das ist ja
katastrophal! Prima! Phänomenal!; c) Geringschätzung bis zur krassen Ablehnung
hervorrufen: Gazette, Literat, Okkupant, Revanchismus, Chaos; d) positive
Gefühle umfassen: Solidarität, Perspektive.
Besonders vielfältig sind die stilistischen Aufgaben der Fremdwörter in der
schöngeistigen Literatur:
1. Das Fremdwort kann als stoffisch-thematischer Stützbegriff eingesetzt
werden, es kann fremdländisches Kolorit schaffen. Wenn die Handlung in einem
anderen Land spielt, sind entsprechende Personen- und Ortsnamen, Titel und
andere Realienbezeichnungen unentbehrlich (fr. Nicolas, Bastille, Louvre,
Mademoiselle; engl. City, Break, American Way of Life).
2. Das Fremdwort kann im literarischen Werk in den Redeäußerungen der
Figuren fremdländisches Kolorit hervorbringen. Der Autor kann den Figuren
fremde Wörter in den Mund legen, um die Herkunft der Person zu zeigen.
3. Es können auch falsch gebrauchte oder falsch ausgesprochene
Fremdwörter sein, die zur negativen Charakteristik beitragen, die diese Person als
lächerlich erscheinen lassen.
4. Das Fremdwort steht als Mittel von Humor und Satire: z.B.
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Noch einmal will ich dich sehen. Madame, ich liebe Sie! (H. Heine).

6. Fachwortschatz
Unter Fachlexik fasst man folgende Untergruppen zusammen: heimische
und fremdsprachige Termini, funktionalstilistisch gefärbte Lexik
nichtterminologischer Art, deren Gebrauch sich auf bestimmte Stile beschränkt
(besonders Adverbien, Präpositionen), z. B.: verbindlichst danken, behilfs, zwecks.
Fachwörter sind Ausdrücke innerhalb eines bestimmten Fachgebietes mit
einer weitgehend festgelegten Bedeutung. Die spezifische Funktion des Terminus
besteht darin, dass er einen Text als wissenschaftlich kennzeichnen kann.
Termini können als thematische Stützbegriffe dienen, die Aussage
konkretisieren, Arbeitskolorit erzeugen oder im Dienste der Personencharakteristik
verwendet werden. Sie können der expressiven Gestaltung der Überschrift als
Leseanreiz dienen: Biologische Fabriken in Coli-Bakterien (Es geht um
Gentechnik), Sprachuhr (Armbanduhr, die durch menschliche Stimme gesteuert
werden kann).

7. Dialektismen
Ethnographische Dialektismen bezeichnen nur für einen bestimmten
Sprachraum verbreitete Realien (verschiedene Arten von Kleidung, Geschirr,
Speisen usw.).
Semantische Dialektismen sind Wörter, die im Dialekt eine andere
Bedeutung als in der Allgemeinsprache haben: z.B. Sessel = Stuhl.
Diese Lexik bezeichnet die feinsten Einzelheiten von Gegenständen und
Sachverhalten, sie ist typisch in der schöngeistigen Literatur für die Schaffung des
Lokalkolorits und Typisierung der Charaktere von Vertretern verschiedener
Gesellschaftsschichten. Dialektismen werden in der Personen- und Autorensprache
verwendet: z.B. Die Moosplacken (Moosflecken) auf den Rohrdächern … spritzte
ihm eine Göps (Handvoll) Wasser ins Gesicht (H. Nachbar „Die Liebe des
Christoph B.”)

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