Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Wenn der Teufel einen Güterzug voll Lügen durch die Welt bringen will, dann spannt er eine
Lokomotive der Wahrheit davor. An uns ist es, nicht über den Zug, der so stolz und kühn durch
die Welt fährt und überall seine Ware ablädt, uns zu entsetzen und zu lamentieren, sondern
dem Teufel die gestohlene Lokomotive der Wahrheit abzuhaken und seinen großen Güterzug
der Lüge irgendwo auf totem Gleis ihm stehen zu lassen, bis er zusammenkracht und all seine
Ware ihm verdirbt. Die abgehakte Lokomotive aber spannen wir vor unseren eigenen Zug und
fahren künftig etwas besser und schneller durch die Welt.1
Dieses Zitat des Hamburger Pfarrers Eduard Juhl aus dem Jahr 19262 koppelt wun-
dervoll bildhaft zwei Dinge aneinander, welche die historische Forschung bis in
die 1990er Jahre hinein sorgfältig voneinander zu scheiden suchte: den Teufels-
glauben als Ausdrucksform magisch-religiösen Denkens und die Metaphern der
Moderne. Kaum eine Etikettierung der vielfältigen Muster und Strömungen der
Aufklärung zu einem stringenten, zielorientierten Globalprozess3 hat sich einen so
nachhaltigen Platz im historischen Gedächtnis verschaffen können wie ihre Be-
wertung als fundamentaler Säkularisierungsprozess und umfassende „Entzaube-
rung der Welt“ (Max Weber). Formen eines modernen Magieglaubens fanden in
solchen Modellen keinen Platz.
Seit einiger Zeit sind jedoch gegen die Proklamation der Aufklärung als religiö-
sem Rationalisierungsprozess überaus kritische Töne zu hören.4 Mit dem neuen
Anspruch der Geschichtswissenschaften Begrifflichkeiten kritischer in ihrer Zeit-
gebundenheit zu hinterfragen, verabschiedete sich die Wissenschaft in den vergan-
genen Jahren weitgehend von modernisierungstheoretischen Konstrukten, identifi-
ziert und entziffert zunehmend eigene Geschichtsbilder und -mythen. Seither ver-
weist die Forschung zunehmend auf die Brüchigkeit dogmatischer Begrifflichkei-
1 Eduard Juhl: Im Ringen mit Satans Reich. Aberglaube und Zauberei. Berlin 1926, S. 19.
2 Zu dieser Zeit war Juhl Pfarrer der evangelischen Auferstehungsgemeinde St. Pauli. Birgit
Siekmann: Eduard Juhl. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Hg. v. Friedrich-
Wilhelm Bautz (†), fortgef. v. Traugott Bautz. Bd. 21. Nordhausen 2003, Sp. 733–739.
3 Vgl. Fred E. Schrader: Soziabilitätsgeschichte der Aufklärung. Zu einem europäischen For-
schungsproblem. In: Francia 19 (1992), S. 177–194, bes. S. 179f.
4 Olaf Blaschke: Abschied von der Säkularisierungslegende. Daten zur Karrierekurve der Reli-
gion (1800–1970) im zweiten konfessionellen Zeitalter. Eine Parabel. In: Zeitenblicke 5/1
(2006), URL: http://www.zeitenblicke.de/2006/1/Blaschke/index_html, URN: urn:nbn:de:
0009-9-2691 [01.06.2011]; Nils Freytag, Diethard Sawicki: Verzauberte Moderne. Kulturge-
schichtliche Perspektiven auf das 19. und 20. Jahrhundert. In: Wunderwelten. Religiöse Eks-
tase und Magie in der Moderne. Hg. v. dens. München 2006, S. 7–24; Monika Neugebauer-
Wölk: Esoterik im 18. Jahrhundert – Aufklärung und Esoterik. Eine Einleitung. In: Aufklärung
und Esoterik. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarb. v. Holger Zaunstöck. Hamburg
1999 (Studien zum 18. Jahrhundert 24), S. 1–37.
5 Monika Neugebauer-Wölk: Wege aus dem Dschungel. Betrachtungen zur Hexenforschung. In:
Geschichte und Gesellschaft 29/2 (2003), S. 316–347, hier S. 322.
6 Als größere Studien vor allem: Nils Freytag: Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und
seine Rheinprovinzen zwischen Tradition und Moderne (1815–1918). Berlin 2003; Felix Wie-
demann: Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuhei-
dentum und Feminismus. Würzburg 2007.
7 Dazu ausführlich: Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im
Spiegel ihrer Aberglaubenskritik. Tübingen 1992, hier bes. S. 262–265.
8 Eva Labouvie: Verbotene Künste. Volksmagie und ländlicher Aberglaube in den Dorfgemein-
den des Saarraumes (16.–19. Jahrhundert). St. Ingbert 1992, S. 211, 302–312.
9 Johannes Dillinger: Hexen und Magie. Eine historische Einführung. Frankfurt a.M., New York
2007, S. 143.
10 August Ludwig von Schlözer: Abermaliger JustizMord in der Schweiz. In: Stats-Anzeigen 2/7
(1783), S. 273–277, hier S. 273.
11 Pott: Aufklärung (wie Anm. 7), S. 262.
12 Georg Schwaiger: Das Ende der Hexenprozesse im Zeitalter der Aufklärung. In: Teufelsglaube
und Hexenprozesse. Hg. v. dems. München 1987, S. 150–180, hier S. 161; Elisabeth Korrodi-
Aebli: Auf den Spuren der ‚letzten Hexe‘. Anna Göldi – Der Fall – Die Presseberichte. Wis-
senschaftliche Qualifizierungsarbeiten zum Hexen- und Magieglauben. In: Historicum.net
2010. URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/7443/ [01.06.2011].
Kurfürsten von Köln. Göttingen 1991, S. 153–169; Wolfgang Behringer: Hexen, Glaube, Ver-
folgung, Vermarktung. München 2009, S. 84–91; Dillinger: Hexen (wie Anm. 9), S. 144–148;
Boris Fuge: Das Ende der Hexenverfolgungen in Lothringen, Kurtrier und Luxemburg im 17.
Jahrhundert. In: Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Hg. v. Rosmarie Beier-de Haan. Wolfrats-
hausen 2002, S. 164–175.
25 Robert Zagolla: Art. Folter. In: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. Hg. v. Gudrun
Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen Michael Schmidt. In: Historicum.net (URL: http://
www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/4012/ [21.02.2011]).
26 Winfried Trusen: Rechtliche Grundlagen der Hexenprozesse und ihrer Beendigung. In: Das
Ende der Hexenverfolgung (wie Anm. 21), S. 203–226, hier S. 203.
27 Jeanne Favret: Hexenwesen und Aufklärung. In: Die Hexen der Neuzeit. Hg. v. Claudia
Honegger. Frankfurt a.M. 1978, S. 336–366, hier S. 345f.
stützten sich also auf ganz andere Deutungs- und Interpretationsebenen.28 Man
könnte daher argumentieren, es sei diesen Protagonisten leichtgefallen, Forderun-
gen und Schlussfolgerungen zu ziehen, die ihren eigenen Deutungshorizont nicht
berührten. Allerdings scheint wenig eingängig, dass hier an die Stelle des gesell-
schaftlich Unsagbaren (Ablehnung des Hexenglaubens) nun ein wohl kaum weni-
ger umstrittenes gesellschaftliches Konfliktfeld (Abschaffung der Folter im He-
xenprozess) trat, selbst wenn die Gegnerschaft zu Hexenprozess und Folter am
Ende des 17. Jahrhunderts häufig in Personalunion betrieben wurde.29
Ähnlich unscharf fällt die Diskussion bei einem zweiten großen Ursachenkom-
plex aus, nämlich der Verknüpfung von Klimawandel, Agrarkrise und Hexenglau-
ben, der gleichermaßen für den Beginn wie für das Ende der Hexenverfolgung als
entscheidende Argumentation herangezogen wird. Dass es hier Wechselwirkungen
mit dem Einsetzen des Klimawandels gab, scheint – trotz der bedenkenswerten
Einsprüche von Rainer Walz30 und Monika Neugebauer-Wölk31 – angesichts der
zahlreichen Forschungsergebnisse evident. Dasselbe gilt für große Seuchenzüge.
Der Vorwurf des Schadenszaubers an Mensch und Tier repräsentiert die Konstante
des Verbrechens, die als Transferleistung der mittelalterlichen Zaubereidefinition
ihren Platz im inhaltlich erweiterten Hexereiverbrechen fand und gerade für die
populäre Verdachtsgenese konstitutiv blieb. Überaus deutlich lässt sich dieser
Zusammenhang in den großen Hexenverfolgungen der 1570er bis 1620er Jahre in
Augenschein nehmen, wo einzelne Subsistenzkrisen und Epidemien nach einer
anfänglichen Etablierungsphase der Hexenverfolgung tatsächlich zum Anstieg der
Verfolgungen führen konnten.32 Mit dem Siegeszug des Hexenverbrechens und
seiner Normalisierung oder Veralltäglichung veränderten sich jedoch zugleich die
Rahmenbedingungen, unter denen Verdächtigungen entstanden. Beschuldigungs-
szenarien koppelten sich zunehmend von der tatsächlichen individuellen Ver-
dachtsgenese ab, die auf konkreten Mutmaßungen bei Krankheit beruhten. Der
‚Massenprozess‘ des 17. Jahrhunderts hatte kaum noch etwas mit dem auf Scha-
denszauber orientierten Verfahren des 16. Jahrhunderts gemein.33 Wolfgang
Behringer spricht in diesem Zusammenhang von der Spiritualisierung des Hexerei-
delikts,34 welches sich rasch vom Boden der Zaubereiverfolgung entfernte und
zwar ideell, jedoch kaum substantiell weiterhin auf das Schadenszauberkonzept
aufsattelte. Barbara Groß hat jüngst zusätzlich auf den unterschiedlichen Charakter
von sozialer Kommunikation der Verdächtigungen und sozialer Logik der Prozesse
verwiesen.35 Es wirkt daher fast paradox, dass gerade der Schadenszauberglaube in
der wissenschaftlichen Ursachensuche für die Einstellung der Hexereiverfolgung
als markanter Faktor gilt. Wer zur Erklärung mit dem strukturellen agrarischen und
sozialen Wandel argumentiert, müsste erst einmal glaubhaft nachweisen, dass
Erntekrisen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an Häufigkeit und vor allem
an Schrecklichkeit – z.B. in Form sinkender Mortalitätsrisiken – verloren und die
prozessinitiierende Verknüpfung mit der Schadenszauberimagination tatsächlich
noch eine vitale Funktionalität besaß.36 Bereits eine sehr holzschnittartige Aneinan-
derreihung von Erkenntnissen der Wirtschafts- und Demografiegeschichte erbringt
hier ebenso wichtige Einsprüche wie für den Beginn der Verfolgungen.
Die ‚Kleine Eiszeit‘ entließ Mitteleuropa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun-
derts keineswegs aus ihrem Klammergriff, sondern sorgte gerade zwischen den
entscheidenden Jahren zwischen 1670 und 1710 für eine zweite große Kälteperi-
ode, zumal nun vor allem die für die empfindliche Aussaat wichtigen Frühlings-
monate überaus eisig ausfielen. Die Klimadaten vermitteln jedenfalls den Ein-
druck, dass man in der Rückschau die erste Kältephase zwischen 1570 und
1600/31 vielleicht sogar noch als vergleichsweise milde bezeichnen könnte.37 Wie
fundamental unterschied sich also das frühe 18. Jahrhundert in demografisch-kli-
mahistorischer Sicht vom 17. Jahrhundert?
Zwar verschwand die – anders als in die Judenverfolgung nie direkt in den
Hexenglauben verwobene – Pest nicht zuletzt aufgrund verbesserter Präventions-,
Isolations- und Hygienemaßnahmen. Fundamentale Auswirkungen auf eine allge-
mein höhere Lebenserwartung oder sinkende Sterblichkeit besaß dies jedoch nicht,
da sich nun unter anderem ‚neue‘ epidemische Krankheiten (Pocken, Masern)
ausbreiteten.38 Wirklich einschneidende Wandlungsprozesse erkennt die Demogra-
fie- und Wirtschaftsgeschichte erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Gerade das
Alte Reich ist bekannt für den relativ spät einsetzenden Prozess der demografi-
schen Transition, der Hinweise auf eine grundlegend veränderte Mortalität gibt.39
Besonders sinnfällig erweist sich die Grobschlächtigkeit solcher Argumentationen
an der unterschiedlichen Lebenserwartung in Stadt und Land. Zum bis heute in der
Hexenforschung gern bemühten Topos von der ländlich-bäuerlichen Prägung des
Hexenglaubens40 scheint nun gar nicht zu passen, dass die Bäuerin durchschnittlich
zwanzig Jahre länger lebte als ihre historische Weggefährtin aus der städtischen
Oberschicht, der eine kritischere Distanz zum Hexenglauben zugesprochen wird.41
Dass die dramatischen strukturellen Veränderungsprozesse in den dörflichen
und städtischen Gemeinden nach dem Dreißigjährigen Krieg keineswegs zielge-
richtet zu einer neuen zurückhaltenden Einstellung zum Hexenprozess führen
mussten, zeigen die Beispiele ausgedehnter Hexenverfolgungen in den 1650er bis
1680er Jahren, die vor allem im Norden und Osten Europas stattfanden. Besonders
intensive und ideell übersteigerte Verfolgungswellen fanden unmittelbar im An-
schluss an den Krieg statt. Pintschovius hat diesen Zusammenhang selbst für die
Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges nachgewiesen.42 Insgesamt festhalten darf
man daher wohl, dass sich die Änderungen, die zu einer allmählichen Entkrimina-
lisierung der Hexerei geführt haben, weniger als fundamentale Transformations-
prozesse von Klima, Urbanisierung, Wirtschaft und Demografie darstellen. Was
sich vielmehr änderte, war der Bewertungs- und Deutungszusammenhang, in dem
sich Hexerei als gesellschaftliches Bedrohungspotential konstituierte oder eben
nicht.
Zentrales Problem der skizzierten Argumentationsstränge bleibt, dass sie sich
nicht mit dem Kern des Hexenglaubens selbst beschäftigen, sondern Wechselwir-
kungen zu anderen gesellschaftlichen Krisenphänomenen herstellen und diese zur
ursächlichen Erklärung heranziehen. Ob sich jedoch einzelne Wechselwirkungen
tatsächlich voneinander separieren und dann auch noch in ein Ursache-Wirkung-
Modell einordnen lassen, scheint mehr als fraglich. Zudem bleibt offen, welche
direkten Auswirkungen die Veränderungen beispielsweise im Recht auf den He-
xenprozess einerseits und auf den Hexenglauben andererseits hatten. Für viele
Territorien wurde festgestellt, dass die Verfolgungen durch eine rechtliche Ein-
schränkung von Folter und Kriminalprozessen ihr Ende fanden. Gleichzeit kann
man beobachten, dass die Hexenverfolgungen nicht einfach allmählich ausliefen.
Meist erfolgte das Ende der Verfolgungen relativ abrupt von einem hohen Verfol-
gungsniveau aus.
Diese Beobachtung verweist auf den Selbstperpetuierungsmechanismus des
Sektenverbrechens, der die Hexenverfolgung einerseits anfachte, andererseits aber
auch sozial unattraktiv machte. Die Verfolgungen selbst stießen jeweils einen,
wenn auch lokal begrenzten, innergesellschaftlichen Erkenntnisprozess an, der
nicht so sehr vom Hexenglauben als vielmehr von der sozialen Destruktion durch
die Prozesse bestimmt war. Die soziale Sprengkraft, mit der sich ein individuelles
Verbrechen in einen umfassenden gesellschaftlichen Flächenbrand verwandeln
konnte, Bezichtigungen gesicherte Mechanismen sozialer Distinktion, Macht- und
Prestigewahrnehmung außer Kraft setzten und ein eklatantes Konflikt- und Eska-
lationspotential über alle gesellschaftlichen Schranken hinweg entfalteten, ist durch
zahlreiche Studien zur Hexenverfolgung minutiös nachgezeichnet worden. Die
unersättliche Logik des Ausnahmeverbrechens, die zur Generierung immer neuer
Verbrechenskomplizen führte, erzeugte einen Sog, der nicht nur Vertreterinnen der
Unterschichten, sondern im 17. Jahrhundert zunehmend auch Akteure aus der
sozialen Mitte oder gar Eliten mit in den Abgrund riss. Was insgesamt für die
historische Entwicklung der Hexenverfolgung gilt, findet sich als typisches Muster
lokaler Abläufe der Hexenjagd wieder.43 Dörfliche und städtische Gesellschaften
standen nach den intensiven Treibjagden gegen die Hexerei vor den Trümmern
ihres Gemeinwesens. Es wäre in dieser Hinsicht vielleicht nützlich, die Hypothese
vom historischen Gedächtnis der lokalen Gesellschaften einmal genauer zu unter-
suchen, die ein Auftreten von Hexenjagden in lokalen Gemeinschaften in einem
Abstand von einer Generation nahelegt. Immer dann, wenn das Wissen um die
gemeinschaftsschädlichen Folgen der Hexenverfolgung in Vergessenheit geraten
sei, hätten sich neue Chancen für die Akzeptanz eines Magieverdachts eröffnet.44
Innerhalb der Hexenverfolgung setzte über die ‚Massenprozesse‘ ein Entkopp-
lungsvorgang ein, der die realen Schadenszauberprozesse vom Hexenglauben
löste. Interessanterweise mehrten sich am Ende des 17. Jahrhunderts Fälle, die
Schadenszauberdelikte ohne die umfängliche Kopplung eines Hexenprozesses
abhandelten, da sie mit zahlreichen Verweisen auf die ‚natürliche Magie‘ agier-
ten.45 Daneben gab es zunehmend Prozesse, die dezidierte Teufelsbündner aburteil-
ten, bei denen Schadenszaubervorwürfe lediglich eine untergeordnete Rolle spiel-
ten46 oder aber Teufelsbündner über religiöse Rituale von ihrem Pakt befreit wur-
den, ohne dass eine Kriminalisierung erfolgte.47 Hier setzte also eine differenzierte
Behandlung von Zauberei als ‚natürlicher Magie‘ einerseits und Hexerei anderer-
seits ein, die sich nicht unmittelbar mit der rechtlichen Einschränkung von Hexen-
prozessen erklären lässt, sie aber begleitete. Sowohl im sozialen Bezugsrahmen des
Rechts wie der gemeindlichen Verdachtsgenese lassen sich so Wandlungsprozesse
ausmachen, die vielleicht ebenfalls eher nebeneinander existierten als unmittelbar
direkt interagierten. Um hier nach den Wechselwirkungen zwischen beiden Teil-
systemen zu fragen, ist eine genaue Analyse der neuen Bilder von Magie, Zauberei
und Hexerei notwendig.
Auf gleiche Weise wäre damit auch definierbar, wie weit sich die Aufklärung
überhaupt als Rationalisierungsleistung in den Hexenglauben integrieren konnte.
Diese Frage lässt sich vermutlich am genauesten untersuchen, wenn man nicht so
sehr die sozialen Funktionen betrachtet, die der Hexenglaube annehmen konnte
(aber ja nicht zwangsläufig musste), sondern die verschiedenen Wahrnehmungs-
und Deutungsmuster der Hexerei im 18. Jahrhundert untersucht. Immerhin ist der
Forschungsstand zum modernen Hexenglauben mittlerweile so weit gediehen, dass
sich hier eine erhebliche Diversifizierung hexereispezifischer Deutungen und
Handlungen im 18. und 19. Jahrhundert ausmachen lässt. Der Hexenglaube ver-
schwand nicht zugleich mit den Hexenprozessen, er veränderte sich jedoch erheb-
lich. Durch die Entkriminalisierung des Delikts der Hexerei seit dem späten
17. Jahrhundert eröffneten sich neue Möglichkeiten zu einer positiv besetzten Be-
schäftigung mit Magie. Es gehört zu den historischen Konstellationen des
18. Jahrhunderts, dass es zur Entwicklung magischer Vorstellungen kam, die zwar
inhaltlich mit Themen der vormaligen Hexerei verknüpft, in ihren äußeren Formen
und Begrifflichkeiten jedoch so gar nicht mehr als Hexenglauben zu identifizieren
sind. In diesem Sinne wirkte der aufklärerische Diskurs ausdifferenzierend auf
hexereiaffine Handlungen, die nun aber nicht mehr als Hexerei wahrgenommen
wurden. Problematisch für eine genaue definitorische Scheidung von ‚weißer‘ und
‚schwarzer‘ Magie waren die strikte Kompression und das negative Konnotieren
jeglicher Magie durch die Hexereiverfolgung. Dies galt vordergründig für die
gesamtgesellschaftlich ‚ungefährlichen Varianten‘ magischer Rituale, die zwar
während der Hexenverfolgung als ‚Hexerei‘ subsummiert wurden, letztlich jedoch
wenig mit schwarzmagischen Ritualen gemein hatten. Die sich in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts herausbildenden Strömungen etwa des Mesmerismus,48
47 Katrin Moeller: Art. Andreas Weiss und das ‚Wunder von Muskau‘. In: Lexikon (wie Anm.
25), URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/6963/ [01.06.2011].
48 Frank A. Pattie: Mesmer and animal magnetism. A chapter in the history of medicine. Hamil-
ton, NY 1994; Gereon Wolters: Mesmer und sein Problem. Wissenschaftliche Rationalität. In:
Franz Anton Mesmer und der Mesmerismus. Wissenschaft, Scharlatanerie, Poesie. Hg. v.
dems. Konstanz 1988, S. 121–138.
der Homöopathie49 und des Spiritismus50 grenzten sich deutlich von hexereispezifi-
schen Terminologien und Techniken ab und eröffneten ganz neue Diskurse. Dem-
gegenüber erlebten schwarzmagische Handlungsfelder offenbar eine erheblich
längere Abstinenzphase, bevor sie erneut gesellschaftliche Attraktivität entfalte-
ten.51
49 Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventio-
nellen Therapien von heute. München 1996, S. 179–220. Alternative Medizin basiert auf dem
Ähnlichkeitsprinzip des Lehrkonzepts von Sympathie und Antipathie, welches gleichfalls als
ein Erklärungsansatz von Schadenszauberpraktiken diente.
50 Corinna Treitel: A Science for the Soul. Occultism and the Genesis of the German Modern.
Baltimore, London 2004; Diethard Sawicki: Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Ent-
stehung des Spiritismus in Deutschland 1770–1900. Paderborn u.a. 2002.
51 Dagmar Fügmann: Zeitgenössischer Satanismus in Deutschland. Eine religionswissenschaftli-
che Untersuchung bei Mitgliedern satanistischer Gruppierungen und gruppenunabhängigen
Einzelnen. Hintergründe und Wertvorstellungen. Würzburg 2008, S. 19.
52 Gerd Schwerhoff: Rationalität im Wahn. Zum gelehrten Diskurs über die Hexen in der frühen
Neuzeit. In: Saeculum 37 (1986), S. 45–82, 60ff.
grundsätzlich zur Debatte,53 wie insgesamt die Reichweite magischen Denkens des
16./17. Jahrhunderts im Vergleich mit anderen Epochen kritisch hinterfragt wird.54
Interpretationen reichen hier von der Konstitution eines umfassenden animisti-
schen Weltbildes als Kennzeichen jeder vormodernen Gesellschaft55 bis hin zur
Wiederentdeckung antiker Magietraditionen in der Renaissance, die erst ab dieser
Zeit zu einer umfassenden Entfaltung magischen Denkens in Mitteleuropa führ-
ten.56 Aus diesem Forschungsdesign muss man nun die Konsequenz ziehen, dass
die Trennung von Schadenszauber und dämonischer Magie seit dem späten 17. Jahr-
hundert wiederum eine neue Fassung des Begriffes repräsentiert, die einer neuen
Bezeichnung bedürfte.
Die Dämonologie des 15. bis 17. Jahrhunderts hatte sich umfänglich bemüht,
den Hexenglauben als religiöses Bezugssystem zu etablieren, welches sich trotz
erheblicher Widersprüche mit dem christlichen Monotheismus vereinbaren ließ.57
Permissio Dei – also Gottes Zulassung der Hexerei – und die erheblich angewach-
senen Mächte des Teufels formten aus der noch im Spätmittelalter selbstbewusst
aus eigener Kraft agierenden Zauberin ein entmachtetes Werkzeug in Teufels bzw.
Gottes Händen. Damit gelang die Einpassung von Hexe und Teufel in den christli-
chen Glauben als Agenten des göttlichen Heilsplans. Man wird festhalten dürfen,
dass die selbstbestimmte Hinwendung zu schwarzmagischen Praktiken damit er-
heblich an Attraktivität verlor. Diese Tatsache potenzierte sich aufgrund der radi-
kalen Kriminalisierung und Verfolgung von Hexerei, die zudem eine intensive
Standardisierung von Narrativen und Imaginationen mit sich brachte. Das vormals
wahrscheinlich (!) ambivalente Deutungssystem magischer Wunderpraktiken, das
negative ebenso wie positive Wirkungen kannte, reduzierte sich zunehmend auf
den Schadenszauber.
Im Hexenmotiv eingelagert finden sich somit zahlreiche Elemente der Deindivi-
dualisierung, die aus der Selbstermächtigung des Magiers nun einen abhängigen
Akteur formten. Nicht nur in dieser Hinsicht bildete der Hexenglaube mit seinen
Motiven des Teufelspaktes und Hexensabbats mehr als eine Verkehrung katholi-
scher Kirchlichkeit ab, die der klassischen Häresieverfolgung und später dem indi-
viduellen Glaubensverständnis der Reformation als Argumentationsfolie diente,58
sondern entfaltete darüber hinaus ein auffälliges Gegenprogramm zur Hermetik.
Während die Selbstbestimmung und damit die Steuer- und Beherrschbarkeit
übernatürlicher Kräfte ein wesentliches Argument der frühneuzeitlichen Esoteriker
zur Legitimation ihres Wirkens blieb, schuf die Dämonologie mit der machtlosen,
wenig willensstarken Hexe als Spielball zwischen Himmel und Hölle das Inversi-
onsmotiv hermetischen Selbstverständnisses.59
Eine weitere wichtige Aufgabe bleibt es, die verschiedenen Impulse dieser Neu-
definition als gegenläufige Verchristlichungs- und Entchristlichungsprozesse60 im
Kontext der reformatorischen Strömungen des 15. und 16. Jahrhunderts noch ein-
mal neu zu systematisieren und zu interpretieren. Allein der Anspruch auf die
Einordnung des Magieverständnisses in christliche Referenzsysteme verweist auf
die gewachsenen Legitimationsbedürfnisse im vorreformatorischen und reformato-
rischen Diskurs, der kaum geradlinig ausfiel. Auf der einen Seite unterhöhlte der
faktische Dualismus von Gott und Teufel den christlichen Monotheismus, behin-
derten magische Denkformen abseits kirchlicher Magie die stringente Dominanz
der christlichen Religion. Auf der anderen Seite führte die umfassende Auseinan-
dersetzung um den Teufels- und Hexenglauben und die Einordnung in das christli-
che Deutungsschema zu einer genaueren begrifflich-rituellen Scheidung von Ma-
gie und Religion, die sich auf allen Handlungsebenen der Gesellschaft beobachten
lässt. Die Impulse des Hexenglaubens für das religiöse Denken blieben daher wi-
dersprüchlich, gegenläufig und somit von überaus individueller Performanz. Die
religionsphänomenologische sorgfältige Einordnung von Elementen und Erklä-
rungskonzepten des Schadenszauberglaubens auf dem Weg in die Moderne bietet
daher einen anders gelagerten Blick auf die Sog- und Prägekraft des Christentums.
Obwohl der Hexenglaube somit zur Konjunktur eines sehr eng gefassten magi-
schen Denkens führte, beinhaltete der Diskurs zugleich eine fundamentale gesell-
schaftliche Auseinandersetzung, die insofern zur Rationalisierung führte, als Magie
und Religion schließlich sehr rigide als zwei verschiedene Deutungsebenen fixiert
wurden. Es ist daher überaus kurzschlüssig, lediglich die Aufklärung als Rationali-
sierungsprozess des Magischen zu begreifen.61
58 Kathrin Utz Tremp: Von der Häresie zur Hexerei. ‚Wirkliche‘ und imaginäre Sekten im Spät-
mittelalter. Hannover 2008, S. 384ff.
59 Vgl. Hermeticism and the Renaissance. Intellectual History and the Occult in Early Modern
Europe. Hg. v. Ingrid Merkel u. Allen G. Debus. Washington, London u. Toronto 1988, bes.
die Beiträge v. Brian Copenhaver, Paola Zambelli u. Leland L. Estes.
60 Keith Thomas: Religion and the decline of magic. Studies in popular beliefs in sixteenth and
seventeenth century England. Harmondsworth 1978, S. 469ff.; Robert Muchembled: Die Kul-
tur des Volks, die Kultur der Eliten. Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung. Stuttgart
1982, S. 158ff.; Neugebauer-Wölk: Wege aus dem Dschungel (wie Anm. 5), S. 340f.
61 Dazu schon Schwerhoff: Rationalität (wie Anm. 52), passim.
Die Genese des Hexen- und Schadenszaubers im 18. Jahrhundert zu verfolgen, fällt
abseits des dämonologischen Diskurses um die Realpräsenz des Teufels und trotz
der intensiven aufklärerischen Debatte aus zwei wesentlichen Gründen nicht leicht.
Der Hexenglaube, der noch im frühen 17. Jahrhundert scheinbare Lösungen für
soziale Konflikte geboten hatte, entfaltete im späten 17. Jahrhundert in dieser Hin-
sicht kaum noch Prestige. Somit hinterließ er auch weniger überlieferte Spuren.
Erst am Ende des 18. Jahrhunderts eröffnete die Entkriminalisierung des Delikts
eine selbstbestimmte, aktive Magienutzung, die wiederum vermehrt Egodoku-
mente und Beschreibungen von Magiesystemen hervorbrachte. Mit dem Versiegen
der klassischen Quellen der Hexenprozesse endete ein breiter, systematischer In-
formationsstrom über angebliche magische Rituale. Grundsätzlich blieb zwar die
gängige Täter-Opfer-Konstellation im Rahmen von Hexereiverdächtigungen exis-
tent, im Kontext der juristischen Verfolgung vollzog sich seit dem späten 17. Jahr-
hundert aber ein erheblicher Perspektivwechsel. Standen zuvor die imaginierten
Akteure von Hexerei im Zentrum der Untersuchung, zielten Strafverfolgungen
jetzt vorwiegend auf das Milieu der Hexereibeschuldiger und vor allem Hexenban-
ner, die in zivilgerichtlichen Injurienprozessen Rede und Antwort stehen mussten.
Streitgegenstand war damit nicht mehr das eigentliche Hexereidelikt, sondern die
Beschimpfung oder Verdächtigung. Sie thematisierten häufig weder die Hinter-
gründe und Ursachen noch die damit zusammenhängenden Rituale der vermuteten
Zauberei. Dennoch lassen sich über die Injurienfälle, Verfahren um Totenruhe,
63 Bisher vor allem für das 20. Jahrhundert: Inge Schöck: Hexenglaube – noch heute? In: Hexen
heute (wie Anm. 42), S. 41–54; Herbert Schäfer: Der Okkulttäter. Hexenbanner – Magischer
Heiler – Erdenstrahler. Hamburg 1959.
64 Hier vor allem für das 19. und 20. Jahrhundert die informative Studie von Wiedemann: Rassen-
mutter (wie Anm. 6).
65 Owen Davies: Witchcraft, magic and culture 1736–1951. Manchester, New York 1999; Bengt
Ankarloo, Stuart Clark: Witchcraft and Magic in Europe. Bd. 5: The Eighteenth and Nineteenth
Centuries. Philadelphia 1999; Beyond the witch trials. Witchcraft and magic in Enlightenment
Europe. Hg. v. Owen Davies u. Willem de Blécourt. Manchester 2004; Freytag: Aberglauben
(wie Anm. 6), bes. S. 165–189.
66 Dazu auch: Stephan Bachter: Anleitung zum Aberglauben. Zauberbücher und die Verbreitung
magischen ‚Wissens‘ seit dem 18. Jahrhundert. Hamburg 2007. URN: urn:nbn:de:gbv:18-
32213, S. 162.
67 Labouvie: Verbotene Künste (wie Anm. 8), S. 300f.
Schriften Überbetonung erfuhr.72 Dass die Assoziierung der Juden als Stifter des
Hexenglaubens letztlich auch die Übertragung des Motivs der langen Nase von den
Juden auf die Hexen initiierte, bleibt an dieser Stelle allerdings eine reine Mutma-
ßung.73 Die Motivbildung der physischen Markierung der Hexe hebt sich deutlich
von Narrativen aus der Zeit der Hexenverfolgung ab. Dort war zwar die körperli-
che Zeichnung der Hexen durch das Teufelsmal ebenfalls präsent, dieses war je-
doch weder öffentlich sichtbar noch vom bloßen Augenschein her zu beurteilen
und symbolisierte damit den okkulten Charakter der Hexerei. Vor allem die
Schmerzunempfindlichkeit dieser Körperzeichen taugte in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts lokal begrenzt als gerichtliches Indiz. Dabei war die Rotäugigkeit
der Hexen durchaus gelegentlich Diskussionsgegenstand der antiken und frühneu-
zeitlichen Dämonologie:74 Für den öffentlichen Diskurs oder gar die nachbar-
schaftliche Verdachtsgenese blieb das Aussehen der Hexen jedoch völlig unterge-
ordnet.
Die hässliche Hexe lediglich als Metapher für ihre Bösartigkeit im Sinne der
Märchen zu lesen, ginge allerdings an den Interpretationsansätzen des 18. Jahrhun-
derts vorbei. Die Neuausrichtung des Hexereistereotyps steht für eine ganz sub-
stantiell gedachte Pathologisierung und Pädagogisierung des Magieglaubens. Die
falsche Erziehung führte im neuen Verständnis zur Unordnung der Körpersäfte und
-strömungen, die ihrerseits wiederum eine Verwirrung des Geistes und damit zum
magischen Denken als einer Geisteskrankheit führte.75 Das Immaterielle ließ sich
auf diese Weise weiterhin in materielle Daseinsformen überführen. Nicht die
Existenz materieller und imaginärer Sphären findet sich daher aufgehoben, sondern
lediglich der Mechanismus der Konvertierung von der einen Daseinsform in die
andere. Bereits am Ende des 17. Jahrhunderts finden sich Argumentationsmuster,
welche diese Pathologisierung betrieben und Hexerei als Produkt falscher Erzie-
hung mit eklatant wahrnehmbaren psychisch-physischen Folgen deuteten.76
Die Einfallschneise solcher Erklärungsansätze bildeten zunächst die im Hexe-
reidiskurs intensiv betriebenen Systematisierungsbemühungen von magischen und
natürlichen Krankheiten. Wie auch in England lässt sich im deutschsprachigen
Raum eine klarer werdende Ausdifferenzierung spezifisch magisch verursachter
Krankheiten ausmachen, deren sorgfältige Herleitung zur Legitimierung von Hexe-
reiverdächtigungen im späten 17. Jahrhundert betrieben wurde. Dies betraf etwa
83 C. U. Grupen: Anmerkung von der Hexenfahrt nach den Broccen. In: Hannoverische Gelehrte
Anzeigen 1 (1751), S. 829f.; J. St. Tychsen: Aberglauben in Holstein. In: Schleswig-Holsteini-
sche Provinzialberichte 11/2 (1797), S. 234–245.
84 Thomas P. Becker: Mythos Walpurgis. URL: http://www.thomas-p-becker.de/TPB/Hexen/
walpurgis.html, 2007 [01.06.2001].
85 Gerd Treige: Hexen – Opfer theologischer Konstruktion und sozialer Alltagskonflikte. In:
Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Hg. v. Bernd-Ulrich Hergemöller. Waren-
dorf 1990, S. 277–315. Dem widersprechend bereits Walz: Hexenglaube (wie Anm. 30),
S. 513f.
86 Vgl. hierzu beispielsweise: Macht der Vorurtheile und des Aberglaubens. In: Journal von und
für Franken 3 (1791), S. 333–340; Aberglauben und Mißbräuche am Mittelrhein. In: Journal
von und für Deutschland 7, 10. St. (1790), S. 348–350; Ein Beytrag zur Geschichte des Aber-
glaubens. In: Hannoverisches Magazin 16 (1778), S. 533–544; G. F. Palm: Die Schazgräber.
Ein Auszug aus Criminalakten. In: Deutsches Magazin 15 (1798), S. 200–210; Versuch an mo-
ralischen Schilderungen. In: Hannoverische Beyträge zum Nutzen und Vergnügen 3 (1761),
S. 1305–1314; D. Nootnagell: Vorschlag Aberglauben und Vorurtheile auszurotten. In: Deut-
sches Museum 1 (1778), S. 148–155; A. F. E. Langbein: Kriminalgeschichten. In: Für Aeltere
Litteratur und Neuere Lectüre 3/7 (1785), S. 68–72; K. W. Brumbey: Etwas über Revolutionen
schen Zustand, der die physische Existenz des Individuums unterminierte. Die
geistige Verfassung bestimmt damit die Materie.
Besonders gut belegt ist für das 18. bis 20. Jahrhundert die Tätigkeit von
Hexenbannern,87 die oftmals im Zentrum von Beleidigungsklagen standen oder
deren Tätigkeit mediales (aufklärerisches) Interesse erfuhr. In der Zaubereiliteratur
dieser Zeit stellen Gegenzaubermaßnahmen und Hexereiidentifikation häufig die
einzigen Bezüge zum Schadenszauber überhaupt her,88 sieht man von den unter
rigider Zensur stehenden dezidierten Zauberbüchern ab.89 Bemerkenswert sind die
stark individualisierten und damit überaus spezifischen Verhaltensregeln, die zur
Identifikation von Hexerei und Bannung derselben dienen.90 Sie deuten auf das
stark kriminalisierte Umfeld, in dem Hexenbannerei nunmehr stattfand. Eine An-
knüpfung an einen überregional geformten Berufsstand mit normierten und tra-
dierten Praktiken war unter solchen Umständen offenbar weniger möglich.
Fast paradox wirkt es aufgrund dieser Stigmatisierung des Hexenglaubens, dass
die Aufklärung zugleich das weiträumige, temporeiche Zurückweichen der schädi-
genden Hexerei gegenüber zahlreichen Formen des Hilfs- und Heilzaubers fort-
schrieb. Selbst aus der Perspektive der Aufklärer bildete der Schadenszauber in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum noch Anlässe, um sich mit der Thematik
der Hexerei zu beschäftigen. Schwarze Magie gehörte damit nicht mehr in erster
Linie zu den Anknüpfungspunkten des Hexenglaubens, obwohl gerade dieser ja
dazu geeignet war, sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen. Dennoch bot das
gleichzeitige Ziel der Entkriminalisierung des Hexereiverbrechens hier offenbar
wenig argumentativen Spielraum.
Weit mehr Raum als schwarzmagische Künste nehmen so positiv besetzte For-
men der Heilmagie, des Hilfszaubers oder des Schutzzaubers ein, die sich rasch
weiter ausdifferenzierten und neue ‚moderne‘ Spielarten (etwa Kaffeesatzleserei
der Gemüther bey jetzigen Revolutionen der Erde und dahin einschlagenden Sachen. In: Aller-
neueste Mannigfaltigkeiten 3 (1784), S. 465–476.
87 Johann Kruse: Hexen unter uns? Magie und Zauberglauben in unserer Zeit. Hamburg 1951;
Inge Schöck: Hexen heute. Traditioneller Hexenglaube und aktuelle Hexenwelle. In: Hexen-
welten. Magie und Imagination. Hg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt a.M. 1987, S. 282–305;
Hexen heute (wie Anm. 42); Thomas Hauschild: Hexen in Deutschland. In: Der Wissenschaft-
ler und das Irrationale. Hg. v. Hans Peter Duerr. Bd. 1: Beiträge aus Ethnologie und Anthro-
pologie. Frankfurt a.M. 1981, S. 537–564; Willem de Blécourt: Four Centuries of Frisian
Witch Doctors. In: Witchcraft in the Netherlands from the fourteenth to the twentieth century.
Hg. v. Marijke Gijswijt-Hofstra u. Willem Frijhoff. Rotterdam 1991, S. 157–166; Jürgen
Scheffler: Hexenglaube in der ländlichen Gesellschaft. Lippe im 19. und 20. Jahrhundert. In:
Hexenverfolgung und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich. Hg. v. Gisela
Wilbertz, Gerd Schwerhoff u. Jürgen Scheffler. Bielefeld 1994, S. 263–296, hier S. 271–276.
88 Bibliothek der Zauber=Geheimniß und Offenbarungs-Bücher und der Wunder-Hausschatz=Li-
teratur aller Nationen in allen ihren Raritäten und Kuriositäten. Hg. v. Johann Scheible. Bd. 15:
Die sympathetisch-magnetische Heilkunde in ihrem ganzen Umfange oder die Lehre von der
Transplantation der Krankheiten […]. Stuttgart 1851, S. 308–314.
89 Freytag: Aberglauben (wie Anm. 6), S. 157f.
90 Dazu auch Davies: Hexereivorwürfe (wie Anm. 80), S. 148f.
oder Liebeszauber) entwickelten. Dies gilt sowohl für die Durchsicht der Zauber-
literatur des 18./19. Jahrhunderts,91 als auch für einschlägige Ritualpraktiken.92
Insgesamt gibt es wohl mehr Neuansätze, als dass an älteren Formen des Magieri-
tuals angeknüpft wurde. Der Klassiker des frühneuzeitlichen Schadenszauberritu-
als, der Unwetterzauber, scheint im späten 18. Jahrhundert etwa kaum noch ir-
gendeine Attraktivität zu entfalten. In den Beiträgen der Aufklärungszeitschriften
erscheint er überaus selten, vor allem noch im Kontext von Ausführungen zur
Aufstellung von Blitzableitern ab 1769.93 Stattdessen richten sich die aufklärenden
Stimmen gelegentlich gegen den aufkommenden Zweig der ‚Wetterpropheten‘,
deren Bemühungen zur Vorhersage des Wetters als einem der abergläubischen
Praxis fast analogen Verfahren disqualifiziert werden.94 Ansonsten dienen
Wetterzeichen allenfalls als sehr allgemeines Prognostikum für Epidemien95 oder
taugen zur Erläuterung als natürliche Phänomene, was nicht heißt, dass sich diese
von modernen Erklärungen nicht deutlich unterschieden.96
Auch andere typische Schadenszaubergebräuche lassen sich in den öffentlichen
Medien des 18. Jahrhunderts nicht mehr antreffen. Ist vor allem im 16. Jahrhundert
der Zauberguss – als phänomenologische Herleitung aus der Vergiftung97 – gän-
gige Methode des von der Hexe eigenmächtig verübten Schadenszaubers, verän-
derten sich die Imaginationen hier bereits im 17. Jahrhundert erheblich. Sukzessiv
übernahm der Teufel den eigentlichen magischen Akt, indem er über das Anblasen,
Stoßen oder Zermartern ein nicht eindeutig definiertes Gemisch von physisch-
magischen Gewalttaten gegen die Opfer richtete. Hier lässt sich im 18. Jahrhundert
eine wesentliche Humanisierung des Schadenszauberwirkens ausmachen: Magi-
sche Gewaltakte wichen, wie auch von Eva Labouvie herausgestellt, der nun klas-
sisch werdenden fernmagischen Beschreiung und Berufung durch die Hexe bzw.
wurden nun unter Rückgriff auf den Vorwurf der Vergiftung erklärt.98
Mit dieser Neuformatierung erfolgte eine Ordnung von Schadenszauberanläs-
sen, die sich vor allem an demografisch wichtigen Ereignissen von Geburt, Hoch-
zeit und Tod festmachten. Alle drei Lebensstationen galten nun als Einflugschnei-
sen ‚abergläubischen‘ Handelns, sind sie doch häufig mit besonderen Verhaltens-
maßregeln und Sinnsprüchen versehen. Auch hier entwickelte das Aufklärungs-
zeitalter eine systematischere Imagination der Schadenszauberanlässe als die Zeit
der Hexenverfolgung. War Schadenszauber zuvor unberechenbar, da er letztlich in
jeder Lebenssituation Anwendung finden konnte, konzentrieren sich magische
Handlungen nun auf einschneidende Lebensereignisse. Bereits hier lässt sich eine
Art Vorformulierung der These von der Hebamme als weiser Frau finden, die
allerdings eher einer rigiden Kritik am latent magieaffinen Berufsstand gleicht.99
Der Teufel, wiewohl im späten 18. Jahrhundert selbst in zahlreichen Berichten
der Aufklärer präsent, wird durch eine Motivik ersetzt, die für die Zeit der Hexen-
verfolgung häufig ohne jeden Beleg vermutet wird: Er findet seinen diesseitigen
Doppelgänger im Betrüger. Eine drastische Erzählung im Hannoverischen Maga-
zin berichtet etwa von einer Tochter aus durchaus gutem Hause, die über falsche
Erziehung auf die ‚wahnhafte‘ Bahn des Aberglaubens geriet. Ihre Vermählung
fand schließlich nicht mit dem Teufel, sondern mit einem ‚realen‘ Betrüger und
Hochstapler statt, der sie anschließend nicht nur um ihren Besitz, sondern zugleich
um Ehre und Anstand brachte.100 Die Symbolik gleicht damit dem typischen
Teufelspakt, der hier aber vollkommen auf die diesseitige Handlungsebene verla-
gert wird. Insgesamt ist erstaunlich, wie oft das Wirken des Teufels in einer reinen
Umdefinition als Gespenster- bzw. Geisterglauben gipfelt, der seinerseits durch
zahlreiche natürlich-magische Phänomene zu erklären war. Unter Verweis auf
Optik, Mechanik, Elektrizität und Akustik entstanden zahlreiche Aufklärungs-
schriften, die nicht das Vorkommen von ‚Gespenstererscheinungen‘ demontierten,
sondern die Phänomene mittels eines natürlich-magischen anstelle eines dämo-
nisch-magischen Erklärungsmodells deuteten.101 Auf diese Weise umging die
aufklärerische Publizistik noch im späten 18. Jahrhundert anhaltende Debatten
welche die Schwangern, Kindbetterinnen, und die zartesten Kinder betreffen. Erfurt 1780.
100 Folgen (wie Anm. 76).
101 Bachter: Anleitung (wie Anm. 66), S. 189f.
über die Präsenz des Teufels, indem sie das neue Motiv des Gespenstes radikal in
andere Sinnbezüge einpasste.102
In den aufklärerischen Schriften taucht das Motiv des Teufels als Akteur des
Schadenszaubers nicht mehr auf. Auch hier findet keine Auseinandersetzung mit
dem Diskurs des christlichen Schadenszaubers statt, sondern man ersetzt diesen
stattdessen durch natürlich-magische Repräsentationsformen, die weitgehend seit
dem späten 17. Jahrhundert kursieren. Der tendenziell antiklerikale Diskurs der
Aufklärung befeuert auf diese Weise zusätzlich die Entchristlichung der Magiebe-
gründung, weil er strikt auf solche Erklärungsansätze baut.103
Ein geläufiger Erzähltopos des Schadenszaubers im späten 18. Jahrhunderts ist
der Federkranz, der sich im Bett der Geschädigten findet und das Symbol der Ver-
hexung repräsentiert. Gelegentlich bleibt es nicht allein bei dieser Verballung der
Bettfedern, sondern es finden sich zusätzlich Fremdkörper und Materialien, die
kaum etwas in einem weichen Kissen zu suchen haben und damit die bewirkte
Magie exemplarisch symbolisieren. In einem aus dem Münsterland stammenden
Fall zählt der Berichterstatter etwa neben den gebundenen Kränzen Holzsplitter,
kleine Nägel und Knochen sowie Kohlen auf.104 Solche Imaginationsformen äh-
neln in bemerkenswerter Weise Schilderungen von Besessenen aus dem 17./18.
Jahrhundert.105 Diese relativ neue Form des Schadenszaubers bot zweierlei Vor-
teile. Einerseits lässt sich hier problemlos die negative mechanisch-physische
Wirkung des Phänomens darstellen, andererseits konnte das Wirken von Magie
unabhängig von dämonischen Einflüssen erklärt werden. Konstruiert sind solche
Wirkungsweisen analog der physischen Veränderungen durch den moralisch ver-
werflichen Hexenglauben.
Ganz ähnliche Grundzüge zeigen sich im Übrigen in den späten Hexenprozes-
sen, obwohl hier der Teufel immerhin eine Nebenrolle besetzt. Überaus exempla-
risch fielen etwa die Hexereibeschuldigungen und ihre Bewertungen gegen Daniel
Schleyermacher, Mitbegründer der radikal-pietistischen Sekte der Zioniten in
Ronsdorf (Wuppertal) und Großvater des berühmten Theologen Friedrich Schlei-
ermacher, im Jahr 1750 aus.106 Diese gipfelten im Vorwurf, er hätte „mit einem
102 Ulrich Stadler: Gespenst und Gespenster-Diskurs im 18. Jahrhundert. In: Moritz Baßler, Bet-
tina Gruber u. Martina Wagner-Egelhaaf: Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien.
Würzburg 2005, S. 127–140.
103 Ähnlich beobachtet für das 19. Jahrhundert: Wiedemann: Rassenmutter (wie Anm. 6), S. 40–
50.
104 G. A. Gramberg: Krankheit aus Aberglauben. In: Blätter vermischten Inhalts 1 (1787), S. 128–
beklagt. Elias Eller, Prophet der Sekte, steuerte danach die Anschuldigungen gegen Schleyer-
macher und andere Abtrünnige der Sekte über einen Kinderprozess. 160 kurpfälzische Soldaten
sollten schließlich die tumultuarischen Zustände in Ronsdorf beenden und die Verdächtigen
verhaften. Diese entflohen jedoch in die Niederlande. Johann Werner Knevels: Geheimnis der
großen Dorn in der Hand, oder mit einer Mistgabel sich zu Ronsdoff auf die
Schornsteine“ gesetzt und Gift in die Häuser, Brunnen und Gärten geworfen. Teil-
weise schrieben die Denunzianten diese Variation des Brunnenvergiftungsmotivs
auch dem Teufel zu. Überdies verdächtigte man Schleyermacher der Tierver-
wandlung. Die beiden gutachtenden Instanzen, die Juristenfakultät Marburg und
die Theologische Fakultät Herborn, kamen hier zu höchst unterschiedlichen Er-
gebnissen, indem sie einerseits die physische Existenz des Teufels bekräftigten
(Marburg), andererseits verneinten (Herborn). Beide jedoch bestätigten die Un-
möglichkeit der Bewirkung eines Schadens durch Zauberei oder die Tierverwand-
lung. In Berufung auf Spener argumentierten etwa die Marburger Juristen, dass
„die Zauberer nicht anders als durch Beibringung gewissen Gifts in den Leib oder
mit äusserlicher Applicirung, nicht aber aus blosem Anwünschen Schaden zu thun
vermögen“.107 Überaus plastisch erweist sich in solchen und ähnlichen Argumenta-
tionen, dass Teufels- und Schadenszauberglauben hier nicht nur vollkommen
auseinanderfallen, die Ablehnung des Schadenszauberglaubens erfolgte weit kon-
sequenter als die der physischen Existenz des Teufels.
Ebenso wie sich die Formen und Rituale des Schadenszaubers verändern, gelten
nunmehr auch neue Bestandteile als Ingredienzen der Magie. Fanden noch im 16.
Jahrhundert vor allem Gifte bzw. als Gifte imaginierte Substanzen Verwendung,
waren dies im 17. Jahrhundert meist dämonisch geweihte spezifische Mittel wie
Teufelsdreck oder Neunerleikraut. Die Aufklärer dagegen verweisen dezidiert auf
menschlichen und tierischen Kot und Urin als wichtige Zutaten der Heil- und
Schadenszaubermagie.108 Hier bleibt allerdings unklar, ob sich diese Analogie eher
neueren alternativmedizinischen bzw. naturalmagischen Konzepten109 oder der von
der Aufklärung durchaus inszenierten Diskreditierung der ‚Aftermedizin‘ verdankt.
Zusammenfassend lässt sich eine dezidierte Rückführung des Schadenszaubers auf
das Vergiftungsmotiv aus dem Blickwinkel der aufklärerischen Publizistik bele-
gen. Nicht zuletzt erweist dies etwa die Präsentation eines Vergiftungsprozesses,
dem zwar alle Elemente eines Hexenprozesses fehlen, der in seiner Logik jedoch
sehr exakt einem Liebeszauberprozess folgt.110 Zwar erinnern diese Prozesse stark
an die Anfänge der Verfolgung in puncto veneficii [wegen Vergiftung] im 15. und
16. Jahrhundert, in denen eine klare Zuordnung als Vergiftungs- oder Zaubereifall
Bosheit der Ellerianischen Secte zu Ronsdorff im Herzogtum Berg, worinnen derselben Irrtü-
mer, Ursprung, Wachstum und Verfall entdeckt werden. Marburg 1751, S. 618f.
107 Ebd., S. 657.
108 Osterödisches Wunderkind. In: Journal von und für Deutschland 3/9 (1786), S. 237–240, hier
S. 239: „man trinkt seinen Urin auf echt Tibertanisch“; Aberglauben in medicinischen Dingen.
In: Almanach für Aerzte und Nichtaerzte (1782), S. 151–178; Tychsen: Aberglauben (wie
Anm. 84), S. 234–245; A. W. Roth: Vom Vieh, das bezaubert seyn soll. In: Blätter vermischten
Inhalts 2 (1788), S. 131–138.
109 Jütte: Geschichte (wie Anm. 49), S. 23–26.
110 E. F. Klein: Urthel über die Vergifterin Frickin, nebst Anmerkungen des Herausgebers über
diesen Rechtsfall. In: Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit 15 (1797), S. 3–30.
111 Friedrich Eberhard von Rochow: Beantwortung der Frage, welche die Academie der Wissen-
schaften zu Berlin fürs Jahr 1783 aufgegeben hat. In: Braunschweigisches Journal 1 (1788),
S. 45–64, hier S. 59.
112 Siehe dazu den Aufsatz von Markus Meumann in diesem Band.
113 Wolfgang Behringer: Der ‚Bayerische Hexenkrieg‘. Die Debatte am Ende der Hexenprozesse.
In: Das Ende der Hexenverfolgung (wie Anm. 21), S. 287–313; Geffarth: Von Geistern und
Begeisterten (wie Anm. 81); ders.: Teufel, Geister, Dämonen (wie Anm. 62).
dem Wesen des ‚Afterglaubens‘ an. D.h. auch jetzt folgten die Symboliken und
Signaturen der spezifischen Vorstellung als Entsprechungen eines ganzen Deu-
tungskosmos und damit Prinzipien spiritueller Vorstellungen. Das äußerliche We-
sen der Hexen im Aufklärungszeitalter repräsentierte eine Offenbarung.114 Insofern
könnte man das Hexenbild der Aufklärung zwar als Produkt einer entchristlichten
oder entdämonisierten Projektion bezeichnen, es erfuhr aber eine neue spirituelle
Signierung. Die Diskussion um den Hexenglauben bewegte sich damit immer auch
in einem religiösen Kontext. Während sich in der christlichen und spirituellen
Deutung teuflischer Mächte und Kräfte die pluralen Stimmen der Aufklärung bei
verschiedenen religiösen Protagonisten und Strömungen markant abzeichneten,
war im Kontext der ‚natürlichen‘ Deutung des Schadenszaubers offenbar mehr
Übereinstimmung herzustellen.
Den markantesten Bruch erfuhr der Hexenglaube jedoch weder auf der Ebene
von Teufelspaktvorstellungen noch auf der Ebene von Schadenszaubertheorien,
sondern in seiner Interpretation als häretisches Kollektivverbrechen. Während über
den Teufelspakt und mit deutlichen Abstrichen über den Schadenszauber das ganze
18. Jahrhundert intensiv gestritten wurde, geriet der Aspekt des Sektenverbrechens
nach Einstellung der ‚Massenverfolgung‘ im 17. Jahrhundert scheinbar spurlos ins
Abseits. Im Kontext religiöser Devianz verwob der Hexenprozess völlig neu ge-
wichtete Elemente des kollektiven Sammelverbrechens (Häresie) mit Elementen
der individuellen Zuschreibung. Künftige Forschungen zur religiösen Devianz der
Frühen Neuzeit sind daher aufgefordert, die Genese vom Kollektiv- zum Individu-
alverbrechen aufzuzeigen, was vermutlich wesentliche Einsichten im Zusammen-
hang mit generellen Prozessen der Individualisierung erbringen dürfte.115
Der Dämonen- bzw. Schadenszauberglaube ‚alten‘ Typs, also im Sinne der zuge-
schriebenen Hexerei, verschwand zwar nicht – wie sich am Beispiel von Hexen-
bannern, Besessenheit und Exorzismus, kommerziell motiviertem Betrug sowie
Beleidigungsklagen wegen Hexerei bis in die Gegenwart zeigt. Ihm gesellten sich
jedoch sukzessiv Varianten der selbstermächtigenden Hexerei hinzu, die sich ge-
rade nicht an traditionelle Formen der Hexereivorstellung anschlossen. Im Gegen-
satz zu den Teufelsbündnern des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts weisen
neuere Bezüge auf den Hexenglauben seit dem frühen 19. Jahrhundert weitgehend
auf das positiv gedeutete und zunehmend romantisch-mythisch verklärte ‚okkulte‘