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Originalveröffentlichung in: Enchoria 31, 2008, S.

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Christian leitz

Zu einigen astronomischen Aspekten im sogenannten Nutbuch


oder Grundriß des Laufes der Sterne1

Einleitung
Äußerer Anlaß des hier vorgelegten Beitrags war das Erscheinen der mittlerweile dritten
Edition des hieratisch-demotischen Papyrus Carlsberg I durch Alexandra von Lieven. Der
Rezensent kann sich eigentlich nicht vorstellen, daß es in naher oder mittlerer Zukunft noch
eine vierte Edition geben wird; hierfür müßten schon ganz außergewöhnliche Funde in
einem Museum oder in Ägypten gemacht werden. Interessanterweise handelt es sich auch
bei den beiden Vorgängereditionen von Lange und Neugebauer bzw. Neugebauer und
Parker um hochgelobte Werke. Die hier zu besprechende Ausgabe bringt dennoch die
Forschung in zwei Bereichen noch einmal entscheidend voran. Zum einen hat die
Verfasserin vor allem in Kopenhagen und Berlin noch etliche teilweise substantielle Text­
zeugen (insbesondere zum schlecht bezeugten Mond- und Planetenkapitel2) hinzufinden
können, die alle in einem großformatigen Tafelband publiziert sind. Zum anderen, und dies
verdient eigentlich noch mehr Lob, sieht sie den Text nicht nur als eine Art Steinbruch zur
Gewinnung astronomischer Informationen, sondern beschäftigt sich mit dem ganzen
Phänomen Nutbuch unter einem viel umfassenderen Blickwinkel,3 der die religiösen
Aspekte und gattungsgeschichtlichen Fragen genauso miteinschließt wie text- und
redaktionsgeschichtliche Überlegungen und Gedanken zur Datierung des Textes. Letztere
werden eingeleitet durch einen fast 30-seitigen methodologischen Exkurs zur Datierung

1 Besprechungsartikel zu ALEXANDRA von Lieven: Grundriss des Laufes der Sterne. Das sogenannte
Nutbuch. The Carlsberg Papyri 8, CNI Publications 31. Copenhagen: Museum Tusculanum Press 2007.
2 Bände Text und Tafeln, 463 Seiten, 25 doppelseitige Tafeln. 850 DKK, 155 $, 121 EUR, 85 £. ISBN
978 87 635 0406 5.
2 In der Terminologie der Verf., siehe dazu freilich die weiter unten vorgebrachten Zweifel an der Richtig­
keit der Denomination „Planetenkapitel“.
3 Die einzige Inkonsequenz ist die Nichtberücksichtigung des Schattenuhrtextes, der nach ihren eigenen
Aussagen (S. 12-13) höchstwahrscheinlich Bestandteil der Gesamtkomposition „Nutbuch“ ist. Die Be­
gründung, daß es für diesen Text außerhalb des Osireions keine Parallele gebe, so daß auf eine Neu­
bearbeitung verzichtet werden könne, überzeugt den Rez. aus zwei Gründen nicht: Zum einen ist das
hier besprochene Buch die definitive Ausgabe, nach der in Zukunft zitiert werden muß, und dann ist es
ärgerlich, wenn ein Teil fehlt. Außerdem ist es unwahrscheinlich, daß man über 70 Jahre nach der Erst­
publikation nun gar nichts Neues zu einem solchen Text beitragen kann. Zum anderen wäre es ein natür­
licher Untersuchungsgegenstand, wie es denn im einzelnen um das Verhältnis des Schattenuhrtextes zu
den übrigen Teilen des Nutbuchs bestellt ist.

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altägyptischer Texte (S. 223-250), der die derzeit beste und auch ausführlichste und
materialreichste Darstellung eines Forschungsgebietes darstellt, das in den nächsten Jahren
und Jahrzehnten wohl noch einen erheblichen Aufschwung vor sich hat und so manche
bisweilen auch heftige Debatte auslösen wird.4 Wie auch immer solche Diskussionen im
Einzelfall ausgehen mögen, eines kann man jetzt schon prophezeien: Es wird im Laufe der
Zeit immer schwieriger werden, sich als Forscher auf eine bestimmte Epoche zu
spezialisieren, da man immer damit rechnen muß, daß eine unbestimmte Anzahl von
Texten, deren erste Bezeugung aus jeweils späteren Epochen stammt, in Wirklichkeit um
mehrere Hundert oder im Extremfall 1000 oder auch 2000 Jahre älter ist. Dieser gedanken­
reiche und auf hohem Niveau durchgeführte Exkurs, der die möglichen Probleme detailliert
und differenziert beschreibt und dabei mit mehr als nur einem Klischee aufräumt, sei auch
den Ägyptologen ans Herz gelegt, die sich weder für einen astronomischen Traktat noch
speziell für demotische Literatur interessieren. Jeder, der sich im Rahmen einer Text­
bearbeitung zum Entstehungsalter seines oder seiner Texte äußern möchte, sollte, bevor er
zur Feder greift, erst einmal diese knappen 30 Seiten lesen.
Um es nicht bei einer solch allgemeinen Bemerkung zu belassen, sondern um dem Leser
einen Eindruck zu vermitteln, was in dieser Arbeit alles zu finden ist, seien in aller Kürze
einige wesentliche Punkte genannt, mit denen man - geht man nur vom Titel des Buches
aus - nicht rechnen würde, die aber dennoch allgemeines Interesse beanspruchen dürfen:
- Ein Literaturüberblick nicht nur, aber vor allem zu älteren kryptographischen Texten (S.
27-34).
- Eine Untersuchung der insgesamt seltenen Fälle, bei denen Monumentalinschriften in
Kursivschriften ausgeführt sind. Damit verbunden sind zwei unterschiedliche Stil­
richtungen bei der Ausgestaltung von Vignetten; die einen sind „normal“ gehalten, die
anderen im von der Verf. sogenannten „Strichmännchenstil“. Die Verf. bringt Argumente,
daß letzterer ein älteres Phänomen ist, das zu Beginn des Neuen Reiches aus der Mode kam
und danach nur noch auftritt, wenn ältere Vorlagen kopiert wurden - was im Ergebnis als
ein Datierungskriterium verwendet werden kann (S. 205-217).

Um das Problembewußtsein der Ägyptologen für die doch wichtige Fragestellung nach einer
einigermaßen korrekten Bestimmung des Alters der jeweiligen Texte zu schärfen, wäre es sicher
sinnvoll, einmal eine längere Aufstellung zu den Belegzeiträumen mehrfach bezeugter altägyptischer
Texte zu veröffentlichen. Rez. gesteht, daß er diesbezüglich zwar so einiges im Kopf hat, aber solche
Fälle nie systematisch gesammelt hat - und so wird es wohl den meisten gehen. Vielleicht wäre es ein
praktikabler Vorschlag, wenn ein oder zwei Wissenschaftler (von Lieven, Quack?) ein diesbezügliches
Vorhaben der Fachwelt bekannt geben würden und dann über einen Zeitraum von zwei, drei Jahren die
eingehenden Informationen zusammen mit ihren eigenen Sammlungen für einen doch etwas
vollständigeren Überblick nutzen würden.

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Zu einigen astronomischen Aspekten 3

- Innerhalb des schon erwähnten Exkurses zur Methodik der Datierung ägyptischer Texte
(S. 223-250) ist u.a. folgendes zu finden: Begründete Zweifel an der Meinung,
Mittelägyptisch sei die klassische Literatursprache und für die Abfassung religiöser Texte
verpflichtend gewesen; Ablehnung der verbreiteten These, die ägyptischen Priester seien in
griechisch-römischer Zeit selbstverständlich in der Lage gewesen, Texte in perfektem
Mittelägyptisch zu verfassen (letzteres eher ein Indiz für einen älteren Text); Problematik
der Patchworktexte; die Amarnazeit sei bezüglich der Entwicklungszeit des Neuägyp­
tischen nicht der alles entscheidende Bruch mit dem Mittelägyptischen, der Grund für die
zu beobachtende Zunahme der neuägyptischen Texte liege vielmehr darin, daß neue Inhalte
formuliert wurden, für die keine älteren Vorlagen existierten; Problematik der Textkopien
vom Original (seltene Ausnahme) oder von Papyri in Archiven (die Regel).
- Argumente zur Datierung des Denkmals memphitischer Theologie (Schabakastein) ins
Alte Reich (S. 255-257).
- Überblick zu den innerägyptischen Übersetzungen (S. 258-262) und Kommentaren (S.
263-267).
- Überblick zur Gattung der Dramatischen Texte und zum Vorkommen der nach
Auffassung der Verf. altägyptischen Konstruktion sw sdmf{S. 274-283).

Die nachfolgenden Bemerkungen, die der besseren Nachvollziehbarkeit halber nach der
praktischen Paragrapheneinteilung der Verf. geordnet sind, beschäftigen sich im wesent­
lichen nur mit einem Teilaspekt dieser in den Augen des Rez. ausgezeichneten und auch
sehr sorgfältig ausgearbeiteten Dissertation. Da die Kommentare des Rez. von nicht ganz
unbeträchtlicher Länge sind, seien ihnen noch einige Worte vorausgeschickt, um beim
Leser nicht den unwillkürlichen Eindruck zu hinterlassen, das Buch sei wohl doch nicht so
gut. Das ist falsch. Das Buch ist gut. Da aber der zugrundeliegende Text alles andere als
einfach ist, ist es nur normal, daß man an einer Reihe von Stellen auch anderer Meinung
sein kann. Und weil es nicht die Aufgabe einer Rezension oder eines Besprechungsartikels
ist, all die Dinge zu wiederholen, denen man ohnehin zustimmt, sondern im Gegenteil sich
mit den Punkten auseinanderzusetzen, wo die Ansichten von Rez. und Verf. auseinander­
gehen, kommt man nahezu zwangsläufig zu einem etwas höheren Anteil kritischer
Bemerkungen, die der astronomisch interessierte Rez. durch das gerade Gesagte jedoch in
den richtigen Rahmen stellen möchte.

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Astronomische (und mythologische) Einzelbemerkungen

S. 42-43: Es ist sicher eine Unsitte von Rezensenten, gerade dann besonders kritisch zu
sein, wenn sie selbst irgendwie involviert sind und die Autoren sich irgendwelchen
früheren Meinungen der Rezensenten nicht anschließen können oder wollen - was doch ihr
gutes Recht ist. Auch der Rez. dieses Buches kann sich davon nicht ganz frei machen, aber
er will die folgende Bemerkung doch kurz gestalten. Zur Zuordnung der Datenliste des
Nutbuches mit der Erwähnung des Sothisaufgangs am IV. prt 16 ins Mittlere Reich oder in
die ägyptische Vorgeschichte: Hätte der Rez. tatsächlich nur die zwei von der Verf.
referierten Argumente gehabt, hätte er sich nie getraut, ein Datum -3323 oder -3322
vorzuschlagen. Das ganze Modell wird doch erst durch das (von der Verf. nicht genannte)
Argument 3 überhaupt diskutabel, nämlich daß nur in diesen Jahren zur 70-tägigen
Unsichtbarkeit der Sothis und dem heliakischen Aufgang am IV. prt 16 auch noch eine fast
auf die Minute korrekte Kulmination der Sothis um Mitternacht in der Nacht vor dem
Neujahrstag (I. iht 1) hinzukommt. Da die Wahrscheinlichkeit, daß dies ein zufälliges
Ergebnis ist, sehr gering ist, hatte Rez. seinerzeit die Existenz eines antiken Kalenders
postuliert (was nota bene mit einer möglichen Entstehungszeit des Nutbuches im Alten
Reich überhaupt nichts zu tun hat). Der andere Punkt ist die lapidare Mitteilung der Verf.,
daß nach den neuesten Untersuchungen die Dekansternuhren im Alten Reich nach dem
System aufgehender Dekane operierten. Da diese neuesten Untersuchungen die 2003
abgeschlossene, aber leider noch unpublizierte Habilitationsschrift von Quack sind und
gleichzeitig der Rez. - was der Verf. selbstverständlich bekannt ist - ausführlich für ein
System der Zeitmessung mit Hilfe untergehender Dekansterne argumentiert hat,5 wäre es
doch ein fairer Kompromiß gewesen, wenn sie die Argumentation von Quack wenigstens in
knapper Form zusammengefaßt hätte. So wird die Verantwortung nur weitergereicht, und
eine Auseinandersetzung ist eigentlich unmöglich.

S. 124 (§ 0): Zur Idee, daß Isis und Nephthys als Partnerinnen des Orion bzw. des Großen
Wagens eine Beziehung zu den Himmelsrichtungen haben könnten: Dies ist natürlich
möglich. Man müßte aber hinzufügen, daß nach der Vignette im pSalt 8256 Nephthys
gerade nicht im Norden steht, sondern im Südosten. Hiermit korreliert Totenbuch-Spruch
161, nach dem Isis mit dem Westwind und Nephthys mit dem Ostwind in Verbindung
gebracht wird (für den Nordwind steht Osiris).

Chr. Altägyptische Sternuhren, OLA 62, Leuven 1995, 64—70.


Leitz,
PH. DERCHAIN, Le papyrus Salt 825 (BM 10051), rituel pour la Conservation de la vie en Egypte,
Bruxelles 1965, Tf. 23* mit Kommentar auf S. 48-51.

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Zu einigen astronomischen Aspekten 5

S. 128-130 (§§ 5-6): Nechbet die ferne Göttin und identisch mit Sothis: Als
astronomischen Hintergrund des Mythos von der fernen Göttin sehen die meisten
Ägyptologen nicht wie Quack und Verf. die Unsichtbarkeitsdauer des Sirius und den darauf
erfolgenden heliakischen Aufgang (= Heimkehr), sondern die jährliche Verschiebung der
Sonnenbahn von Nordost als Aufgangsort im Sommer bis zum Südost als Aufgangsort im
Winter. Dies kann hier aber nicht näher ausgeführt werden, siehe dazu demnächst Rez. in
einer Festschrift. Was im Zusammenhang mit dem Nutbuch jedoch problematisiert werden
muß, ist die Interpretation der Verf., daß die große Darstellung mit der Nut den Neujahrstag
mit dem unmittelbar vorausgehenden heliakischen Aufgang des Sirius festhalte (wäre in
einem julianischen Kalender Mitte Juli)7. In der großen Liste (§ 44) sind ja die ganzen
Daten genannt und danach erfolgt der heliakische Aufgang der Sothis am IV. prt 16, d.h.
mitnichten am Neujahrstag. Am III. >ht 6 ist tpt, nach der Verf. die achronychische
Kulmination8, vorsichtiger gesagt die Kulmination in der 1. Nachtstunde. Am I. :ht 1
würde die Sothis in der 7. Nachtstunde kulminieren, d.h. etwa um Mitternacht, ihr Aufgang
erfolgt zu Beginn der Nacht, ihr Untergang am Ende, Details sind hierfür im Moment ohne
Belang. Diese Situation sollte sich auch auf den Text des § 39 anwenden lassen, und Rez.
sieht hier auch bei mehrfacher Lektüre keine Schwierigkeiten. Der Text spricht lediglich
vom Aufgang (prt) der Sothis im I. iht (ohne exakte Datumsangabe, in einem julianischen
Kalender wäre dies ungefähr der Dezember mit einem Neujahrstag am Anfang des
Dezember), und ein solcher Aufgang ist jedenfalls beobachtbar in einem Kalenderjahr, in
dem der heliakische Aufgang auf den IV. prt 16 fällt. An dieser Stelle muß man über eine
astronomische Information sprechen, deren Tragweite der Verf. nicht klar geworden ist. In
§ 3 steht ganz klar, daß sich der Sonnengott kurz vor seinem Aufgang auf der südöstlichen
Seite befindet (wnn ntr pn m gs.s rsy i’bty, dies auch die Auffassung der Verf. in ihrem
Kommentar auf S. 127). Dieser Aufgang im Südosten beschreibt eine Situation, die nur im
Winter zutrifft, im Hochsommer, zur Zeit des Siriusfrühaufgangs, geht die Sonne hingegen
schätzungsweise 40° weiter nördlich, jedenfalls im Nordosten auf. Diese Information macht
eine Datierung des Nutbildes in den Hochsommer zur Zeit des heliakischen Aufgangs des
Sirius unmöglich, korreliert jedoch mit der Datierung des Rez. in den Winter, die sich
wieder auf die im Text genannte kalendarische Angabe IV. prt 16 = Siriusfrühaufgang
stützt. Im Ergebnis bedeutet dies, daß damit auch die Interpretation der Nechbet als ferne
Göttin auf tönernen Füßen steht; ein Umstand, den die Verf. selbst am Anfang ihres

7 Dies wird auch an anderen Stellen des Kommentars noch thematisiert, vgl. S. 131 (§ 14), 132-133 (§
15).
8 Siehe hierzu den Kommentar weiter unten zu § 44.

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Kommentars als ungewöhnlich bezeichnet und der durch einen Blick in H. Junker, Die
Onurislegende, Wien 1917 und D. Inconnu-Bocquillon, Le mythe de la Deesse
Lointaine ä Philae, BdE 132, Le Caire 2001 bestätigt wird: Nechbet erscheint eben nicht in
der Rolle der fernen Göttin. Was für eine Bedeutung hat die Darstellung dann? Wie so oft
ist es leichter, eine bereits vorgetragene Meinung abzulehnen als selbst etwas Tragfähiges
vorzuschlagen. Rez. könnte sich aber vorstellen, daß die auf einem Korb stehende Nechbet,
unter dem sich wiederum die oberägyptischen Wappenpflanzen befinden, schlicht für
Oberägypten und damit für den Süden steht, was zum unmittelbar danebenstehenden
Begleittext (gs.s rsy iibty, vgl. Tf. 2 und 6) paßt.
S. 132 (§ 15): Der Aussage der Verf., daß der Text enorme Verständnisprobleme bereite, ist
unbedingt zuzustimmen - dem Rez. ging es hier ursprünglich auch nicht anders. Da
vermutlich nie zu klären sein wird, welcher Stern oder welches Sternbild sich hinter knmt,
(b-stw und stw verbirgt, läßt sich nur ganz allgemein sagen, daß in diesem Abschnitt die
konstanten Aufgangsorte der Sterne den im Jahresverlauf sich kontinuierlich ändernden der
Sonne gegenüber gestellt werden. Mit anderen Worten: Die Sonne wird nur - abgesehen
von den Solstitien - an zwei Tagen des Jahres ihren Aufgangsort im Horizont mit einem
bestimmten Stern x teilen.9 D.h. es ist theoretisch denkbar, daß ein ganz bestimmter
Jahrestag, der hier im Text hrw ki: „hoher (langer?) Tag“ genannt wird, dergestalt definiert
wird, daß an ihm die Sonne am gleichen Ort wie ein bestimmter Stern aufgeht. Im
vorliegenden Fall ist dies der Dekan stw. Zugleich enthält der Text die Information, daß
knmt am gleichen Ort aufgeht wie 'b. Die Information des Textes, daß dies am hrw k:
geschehe, ist astromomisch nur bedingt sinnvoll, da es sich ja beim Aufgangsort von
Sternen um Konstanten handelt. Auch wenn man beide Sterne nicht identifizieren kann,
ergibt sich die astronomische Schlußfolgerung, daß die beiden Sterne die gleiche De­
klination besaßen. Noch präziser gesprochen: Sie besaßen die gleiche Deklination zum
Zeitpunkt der Textentstehung, über Jahrhunderte gesehen handelt es sich dabei nicht um
eine Konstante. Im weiteren Textverlauf wird noch eine astronomische Information
geliefert. Der Aufgangsort des Re verändert sich vom Aufgangsort des stw hin zu dem Ort,
an dem knmt und (b-stw aufgehen. Da weiter oben festgestellt wurde, daß das Nutbild

Da sich der Sonnenaufgangsort von einem Tag zum anderen natürlich nur minimal und auch je nach
Jahreszeit in unterschiedlicher Intensität ändert, sei hier einmal dahingestellt, wieweit nicht in der Praxis
immer mehrere Tage in Frage kämen. Nur für einen Überschlag, damit sich der Leser das besser
vorstellen kann: Zwischen dem Aufgangsort zur Zeit der Sommer- und Wintersonnenwende liegen rund
50°, die während eines halben Jahres zurückgelegt werden, also vereinfacht gesprochen alle drei bis vier
Tage 1° oder 60’. Eine Vollmondscheibe im Horizont hat einen Durchmesser von rund einem halben
Grad oder 30’.

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jahreszeitlich an den Anfang des Dezember zu setzen ist, nimmt die Deklination der Sonne
in dieser Jahreszeit von Tag zu Tag ab. Hieraus ergeben sich zwei astronomische
Schlußfolgerungen: (1.) Die Deklination von stw muß größer sein als die von knmt und (b-
stw und der Aufgangsort muß entsprechend weiter im Norden liegen. Wie weit, kann man
nicht sagen, was auch bedeutet, daß der hrw k> nicht näher bestimmbar ist. (2.) Über den
Aufgangsort der Sonne am IV. prt 16 ließe sich cum grano salis die Deklination der Sonne
und damit auch die von knmt und (b-stw bestimmen.
Zuletzt müßte man sich noch einmal dem Anfang des § 15 zuwenden, demzufolge das
Leben von knmt zusammen mit (b-stw das Leben des Horus bedeutet. Hierzu vergleiche
man zunächst die Darstellung (Tf. 2 und §§ 41-42), bei der sich die Sonne im Horizont
befindet, die Aussage (nh stw oberhalb des Horizonts und die Aussage (nh knmt unterhalb.
stM’ und knmt sind nach § 44 Nachfolger der Sothis, d.h. sie erreichen die gleiche Position,
z.B. den Aufgang, 10 bzw. 20 Tage später. Auf den gleichen Tag bezogen heißt das: Wenn
beispielsweise Sirius um 18.00 Uhr aufgeht, so geht stw eine Dekanstunde ä 40 min später
um 18.40 Uhr auf und knmt zwei Dekanstunden später um 19.20.10 Da weiter oben schon
gesagt wurde, daß in dem vorliegenden Kalender am Anfang des I. iht Sirius nahezu die
ganze Nacht sichtbar ist, würde dies bedeuten, daß 10 Tage später stw und 20 Tage später
knmt (jedenfalls auch noch im I. tht) ebenfalls diese optimalen Sichtbarkeitsbedingungen
hätten. Nach Ansicht des Rez. liegt hierin die Bedeutung des Satzes (nh knmt hn( ‘b-stw
lnh hr pw. „Das Leben von knmt zusammen mit (b-stw ist das Leben des Horus“, d.h. des
Sonnengottes.11 Diese beiden Sterne sind nur im I. iht, dem Zeitpunkt, auf den sich die
Darstellung des Nutbuches bezieht, während der ganzen Nacht sichtbar (sie leben, vgl. zum
Sprachgebrauch von (nh § 44a), da diese Phase etwas anhält, wurde vom Autor in § 39
bewußt nur der Monat und kein bestimmtes Tagesdatum genannt.

S. 133 (§§ 16-17): Zur Geburt des Sonnengottes, der sich - auf die Erde gefallen - aus der
ihn noch umgebenden Fruchtblase befreit, wobei die dabei hervorquellende Flüssigkeit im
nächsten Satz zur Erklärung der Morgenröte dient: Vermutlich das gleiche Bild liegt vor in
einer Inschrift aus Athribis (C 2, 1), die im ersten Textband publiziert wird: deine Mutter
hat dich [= das Sonnenkind] geboren auf dem Blut des Allherrn im Horizont der
Morgenbarke des Re im Umkreis ...?... (ms tw mwt.k hr wtr n nb-r-dr m-hnw n :ht m 'ndt n
R' m snw ...?...)“, das Wort für Blut/Röte (w)tr ist dabei das gleiche.

10 D.h. knmt folgt stw, was in der Darstellung mit der Position ober- bzw. unterhalb des Horizont
angegeben ist.
11 Dies auch die sicher zutreffende Meinung der Verf. auf S. 132.

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S. 142 (§ 39): zum idealen Neujahrsbeginn: Siehe hierzu oben die Kommentare zu S.
128-130 und 132. Ergänzend wäre hier noch folgendes anzuführen: Wenn es sich um den
idealen Neujahrstag am I. >ht 1 handelt, so findet der Sothisfrühaufgang jedenfalls
kalendarisch am 5. Epagomenentag statt, ein Umstand, der von den Ägyptern durchaus
thematisiert wurde, vgl. die berühmte Nacht des Kindes in seinem Nest als Bezeichnung
des 5. Epagomenentages,12 was der Verf. selbst auch bewußt war (vgl. ihre Äußerungen auf
S. 287). Dies paßt nicht zur Angabe des Textes, der von einem prt spät bzw. h( n spät im I.
>ht ohne Tagesangabe spricht. Noch wichtiger ist ein zweiter Umstand: Die Einteilung der
Verf. in §§ ist ohne jeden Zweifel ein praktisches und sinnvolles Verfahren, um sich in dem
insgesamt sehr komplizierten Text zu bewegen. Man muß sich aber im vorliegenden
Zusammenhang klar machen, daß das Ende von § 39 unmittelbar, und das heißt in der
gleichen Zeile von Kol. II, 41 des pCarlsberg I, fortgesetzt wird vom Text des § 44. In
diesem § 44 werden an Hand eines Beispieldekans die Positionen der einzelnen Dekane
erklärt, und die dabei zugrundegelegten Daten sind die, die zu einem heliakischen Aufgang
der Sothis am IV. prt 16 führen. Nach Ansicht des Rez. scheint es eine naheliegende
Schlußfolgerung (so auch Verf. auf S. 142) zu sein, daß sowohl die Überschrift von § 39
(„Die Schriften, die auf der Oberseite der Männerfigur sind, deren Hand unter dem Himmel
ist“) wie auch die „Frage nach den Schwierigkeiten all dieser Sterne (sniw itnw n nly sbiw
dr.w)“ sich auch auf den § 44 und die darauf folgenden Abschnitte beziehen. Zwei
unterschiedliche kalendarische Bezugspunkte in einem einzigen fortlaufenden Textab­
schnitt scheinen dem Rez. dann aber nur noch schwer akzeptabel zu sein, gerade wenn -
wie oben ausgeführt - der ganze Text vor dem Hintergrund eines einzigen und auch im
Text genannten Datums verständlich ist.

S. 144 (§ 44a): zur Übersetzung von tpt als „akronychische Kulmination“13: Dies ist
natürlich ungefähr richtig und die von der Verf. gegebene Definition des astronomischen
Terminus als Bahnhöchststands eines Sterns zu Beginn der Nacht ist zutreffend, aber um
der Korrektheit willen sollte man hinzufügen, daß „Kulmination in der ersten Nachtstunde“
eine bessere Übersetzung des altägyptischen Terminus wäre. Der entscheidende Punkt ist,
daß durch eine Messung der Nachtstunden mit Hilfe von Dekansternen egal nach welchem
System (Aufgang, Untergang, Kulmination) nur knapp acht Stunden abgedeckt werden. Im
Sommer kommt das mit rund 10 Stunden ä 60 min pro Nacht noch ganz gut hin, da

12 Vgl. Rez., in: ZÄS 120, 1993, 136-165 und 181.


13 Man muß der Verf. zu Gute halten, daß H.O. LANGE und O. Neugebauer, Papyrus Carlsberg No. I. Ein
hieratisch-demotischer kosmologischer Text, Kopenhagen 1940, 62-64 den Begriff „akronychische
Kulmination“ ebenfalls nicht ganz korrekt verwenden.

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während der allerdings recht kurzen Dämmerungszeiten ja keine Sterne zu sehen sind. Im
Winter mit rund 14 Stunden Nacht führt dies aber dazu, daß die Position tpt nicht zu
Beginn der Nacht, sondern wesentlich später (im Extremfall 2 Stunden später) erreicht
wird14, so daß es keine auch nur annähernde Deckungsgleichheit zwischen dem modern­
astronomischen Terminus akronychische Kulmination und dem altägyptischen Begriff tpt
gibt.
S. 151 (§ 57): Möglicherweise ist gemeint, daß die Sterne normalerweise wie die Sonne
untergehen, außer während ihrer längeren fJnsichtbarkeitsperiode. Rez. ist sich
nicht sicher, ob die Verf. den Inhalt des § 57 richtig erfaßt hat. Das Suffixpronomen von ru­
ht/bezieht sich auf den Sonnengott, ntr pn in § 55, der in pCarlsberg I mit pi R f glossiert
wird (dies wohl auch die Auffassung der Verf.). Wenn jetzt gesagt wird, daß diese Sterne
mit ihm untergehen und wieder aufgehen und man sie in der Zeit nicht sehen könne, weil
sie üblicherweise (hr) hinter ihm aufgingen und hinter ihm untergingen, so kann dies
astronomisch nur eines bedeuten: Dem Kommentator des pCarlsberg I war klar, daß die
Sterne immer auf- und untergehen, daß sie aber wegen der Sonnennähe nicht zu sehen
sind.15
S. 151 (§ 58): Zur Kulmination der Sterne: Was auch immer der genaue Inhalt dieses
Abschnitts ist, so scheint es doch dem Rez. völlig klar zu sein, daß es hier um den
Untergang und nicht die Kulmination der Sterne geht. § 58 ist Teil eines Textes, der in § 55
beginnt und sich direkt vor dem Mund der die Sonne verschluckenden Nut befindet.
Sowohl das Suffixpronomen sn in hpp.sn wie das Demonstrativum nn in (k nn beziehen
sich auf die nn sb>w des § 57, von denen im demotischen Kommentar explizit gesagt wird,
daß sie zusammen mit der Sonne unter- und später wieder aufgehen. Mit ihren Plätzen
(.dmiw.sn), zu denen sie eilen, müßten demzufolge die Orte in der Duat gemeint sein, an
denen die Sterne während ihrer Unsichtbarkeitsphase nicht zu sehen sind (vgl. hierzu §§
92ff). Interessant ist jetzt der demotische Kommentar, weil hier noch weitere Termini
eingeführt werden. Das hieroglyphische dmi wird übersetzt mit (d, was das alte (d :

14 Unter der Annahme, daß sich die Nachtstunden ungefähr gleichmäßig um Mitternacht herum gruppieren
(Würde man diese Annahme nicht machen, hätte man im Sommer Probleme. Eine andere Möglichkeit
wäre eine Herleitung dieser Annahme mit Hilfe von § 44c). Eine Antwort auf diese „Konstruktions-
schwäche“ der Messung der Nachtstunden mit Hilfe von Dekansternen waren die ramessidischen
Sternuhren, siehe hierzu Rez., Altägyptische Sternuhren, OLA 62, Leuven 1994, 262.
15 Das ist auch der Inhalt der §§ 88-89: „Wenn sie tagsüber in ihrem Innern fahren, erscheinen sie nicht
und werden nicht gesehen“ (was in diesem Zusammenhang von der Verf. auf S. 165 auch entsprechend
gewürdigt wird; siehe zuvor schon H.O. LANGE und O. NEUGEBAUER, Papyrus Carlsberg No. I. Ein
hieratisch-demotischer kosmologischer Text, Kopenhagen 1940, 45-46 und 57). § 90 ist nahezu der
gleiche Text wie die Passage in § 57.

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„Gebiet am Wüstenrand“ (Wb I, 239, 6) ist. Im vorliegenden Zusammenhang kann damit


eigentlich nur der Untergangsort der Dekansterne im Westen gemeint sein. Dies wird im
Kommentar noch genauer erklärt. „Das ist pi (d, an dem sie Arbeit leisten ([nty-iw].w ir
bik n.im.f), denn einige16 gehen unter, nachdem ihnen andere nachgefolgt sind“. Die
Schwierigkeiten der Verf. mit der Stelle rühren daher, daß sie unter bik ausschließlich
„kulminieren“ versteht, eine Bedeutung, die bik nach § 44a-c ganz zweifelsfrei hat.
Genauer gefaßt bedeutet bik aber auch nach § 44a nicht generell „kulminieren“, sondern
nur „kulminieren in der 1. Nachtstunde“. Dies geht aus dem Text des Beispielsdekans phwy
dit, in dem die Daten genannt werden, mit Sicherheit hervor: „beim 1. Monat prt Tag 6, das
heißt, daß er aufhört, Arbeit zu leisten am 1. Monat prt Tag 6. Es geschieht, daß er anfängt,
Arbeit zu leisten am IV. Monat iht, Tag 26“. Was bedeutet das für die Stelle in § 58? Nach
Ansicht des Rez. gibt es nur eine logische Schlußfolgerung: bik bedeutet gar nicht
„kulminieren“, sondern „Stunden anzeigen, als Dekanstem fungieren“. Da das Nutbuch das
System kulminierender Dekansteme beschreibt, ist bik: „als Dekanstern fungieren“ in den
meisten Fällen (und so sicher in § 44a-c) identisch mit „kulminieren (in der 1.
Nachtstunde)“. Daneben gibt es aber noch zwei andere Positionen, nämlich sn dwit und
mst, die sowohl in den Monumentalversionen listenartig erfaßt sind wie in den
Papyrusversionen beispielhaft, aber detailliert beschrieben sind. Mit jeder dieser Positionen
lassen sich Nachtstunden ablesen, was rein praktisch gesprochen bei einem teilweise
bedeckten Himmel durchaus Vorteile haben kann, da man dann drei unterschiedliche
Möglichkeiten an drei ganz verschiedenen Orten des Himmels hat. In § 58, dessen
Generalthema ja beginnend mit § 55 der Untergang der Sterne ist, würde dann bik: „als
Dekanstern fungieren“ nicht „kulminieren“, sondern „die Stunde durch den Untergang
anzeigen“ bedeuten.

S. 152 (§ 67): „daß Sothis auch sonst gern mit der geiergestaltigen Nechbet verbunden
wird“: Weder bei D. Valbelle, Satis et Anoukis, Mainz 1981 noch in LGG VIII, 305b und
651b findet sich eine einzige sichere Stelle für die Behauptung, daß Nechbet jemals mit
Sothis gleichgesetzt wurde oder umgekehrt. Dies beruht nur auf der Ansicht von Quack und
Verf., daß (a) die ferne Göttin Sothis sei und sodann (b) Nechbet auch eine Erscheinungs­
form der fernen Göttin wäre - was in dieser Rezension angezweifelt wird (s.o. die Bemer­
kungen zu §§ 5-6 = S. 128-130).
S. 153 (§ 69): Zum Springen zwischen Tag und Nacht, Sonnenauf- und -Untergang und der
Schlußfolgerung der Verf., daß sich der Autor nicht allzu sehr mit der sinnvollen

16 Nach Textverständnis des Rez. die nn sb iw des § 57.

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Zu einigen astronomischen Aspekten 11

Anordnung aufgehalten habe: Rez. würde dies doch differenzierter sehen. Zunächst einmal
kann man festhalten, daß vom Dekorateur des Osireions und des Grabes Ramses’ IV. die §§
60-69 (Aa+Cc) genauso wie die §§ 55-58 (Bb) als ein zusammengehörender Text
aufgefaßt wurden, die ihrerseits wieder in unmittelbarer räumlicher Nähe stehen und deren
gemeinsames Thema allein auf Grund ihrer Position die Unsichtbarkeitsdauer der Dekan­
sterne sein sollte, an deren Anfang und Ende der Untergang und der Wiederaufgang der
Dekane stehen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der letzte Satz in § 69, nach dem der
Sonnengott im Leib der Himmelsgöttin = der Duat fährt, indem diese Sterne in seinem
Gefolge sind (sk nn n sbtw m-ht.f). Dieser letzte Teilsatz ist ein Rückverweis auf § 57:
„Diese Sterne treten ein in seinem (= des Sonnengottes) Gefolge und sie kommen heraus in
seinem Gefolge ((k nn (n) sb>w m-ht.f pr.sn m-ht.f)“. Schon weiter oben im Kommentar zu
§§ 57 und 58 war gesagt worden, daß mit diesen nn sbtw die Sterne gemeint sind, die
wegen ihrer Sonnennähe 70 Tage lang nicht zu sehen sind, und vor diesem Hintergrund läßt
sich auch der gesamte Text von § 55 bis § 69 verstehen, ohne daß es dabei zu inhaltlichen
Brüchen kommt. Das auf den ersten Blick Verwirrende ist dabei lediglich die Tatsache, daß
der Text im ersten Abschnitt (§§ 55-58, insbesondere ab § 57) diese Situation aus der Sicht
der Dekansterne beschreibt und im zweiten (§§ 60-69) noch einmal aus der Sicht des
Sonnengottes. Noch anders ausgedrückt: Der Text der §§ 57-58 ließe sich verstehen als
eine Beschreibung des (den schematischen Angaben zufolge) 70-tägigen Zustands der
Unsichtbarkeit der Dekansterne. In dieser Zeit, und das wird in den §§ 60-69 beschrieben,
sind sie während der Nacht nicht am Himmel zu sehen, sondern begleiten den Sonnengott
in der Unterwelt. Dessen nächtliche Reise (bei der die nicht sichtbaren Dekansterne immer
mit hinzuzudenken sind) wird in diesem zweiten Abschnitt von seinem Eintritt in die
Unterwelt (§ 60) über den Beginn der unterweltlichen Fahrt (§ 63: 2. Nachtstunde), seinem
Wirken in der Unterwelt ähnlich wie im Amduat (§ 64) bis hin zu seinem Wiederaufgang
am Morgen (§§ 65-67?) beschrieben. § 69 mit der Angabe, daß die nn sb>w in seinem
Gefolge sind, rekapituliert die ganze Situation ähnlich wie die vorhin zitierte Passage in §
58. Vor diesem Hintergrund sollte man das Urteil mit der nicht sinnvollen Anordnung noch
einmal überdenken.
S. 155 (§ 70): Zur Interpretation des „Weltbildes“ (Clere, in: MDAIK 16, 1958, 31): Rez.
wäre grundsätzlich der Meinung, daß Emendationen bei singulären Darstellungen und
Texten eher unterlassen werden sollten: Einer dieser Fälle wäre die Korrektur von 14
Sternen in 12, nur damit diese den 12 kulminierenden Dekanstemen entsprechen können.
S. 157 (Vorbemerkung zu §§ 85-143): Zur Vermutung der Verf., daß das Nutbild und das
Dekankapitel ursprünglich nicht zusammengehörten: Der Verf. ist sicherlich beizustimmen,

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12 Christian Leitz

wenn sie betont, daß es dabei um zwei ganz unterschiedliche Textsorten handelt, aber Rez.
sieht keine Schwierigkeiten darin, daß ein Text aus mehreren Textsorten bestehen kann. In
der nachfolgenden Tabelle sind die teilweise sehr ähnlichen Passagen aus dem Nutbild und
dem Dekankapitel zusammengestellt, was nach Auffassung des Rez. doch eher auf eine
Einheit des Textes hindeutet.

Nutbild Dekankapitel
§ 68: skd [hm n ntr pn] r drw hii n pt: „Die Majestät § 85: skd nn n sblw r drw pt (var.: r r drw r bi! n pt):
dieses Gottes fährt dahin bis zu den Grenzen des „Diese Sterne fahren bis zu den Grenzen des Himmels
Firmaments des Himmels“. (var. bis zu den Grenzen des Firmanents des Him­
mels)“.
§ 57: ‘k nn n sb!w m-htf prr.sn mh-tf: „Diese Sterne § 90: ‘k.sn m-ht ntr pn prr.sn m-htf: „Sie treten ein
treten hinter ihm ein und gehen hinter ihm hervor“. hinter diesem Gott, und sie gehen hinter ihm hervor“.
§ 58: hpp.sn r dmiw.sn: „Sie eilen zu ihren Plätzen“. §§ 92-93: htp<.sn> hr dmiw m-ht htp hm.f m !ht
Var.: hpt.sn r dmiw.sn i.ir n!y htp iw.w mh‘ r nly.w imntt: „<Sie> ruhen an ihren Plätzen, nachdem seine
‘t: „Sie eilen zu ihren Plätzen. Diese gehen unter, Majestät im Westhorizont untergegangen ist“.
wenn sie zu ihren Plätzen ziehen“.
§ 55: (k hm n ntr pn m r'.s m-hnw dwlt: „Die § 94: ‘k.sn m rl.s m bw tp.s m imntt: „Sie treten ein in
Majestät dieses Gottes tritt ein in ihren Mund in der ihren Mund an dem Ort, wo sich ihr Kopf im Westen
Duat“. befindet“.
§ 50: mwt w‘ 'nh ky r tp 10 hrw: „Einer stirbt und ein § 112: hpr mwt w‘ ‘nh ky tp hrw 10: „Es geschieht,
anderer lebt am Beginn einer Dekade“. daß einer stirbt und ein anderer lebt am Beginn einer
Dekade“.

S. 164 (§ 99b): Das Verbot der Nennung der Namen der jeweils sieben sich in der
Unterwelt befindlichen Dekane liege an der Tatsache, daß diese identisch seien mit den
gefährlichen hityw-Dämonen: Niemand möchte der Autorin das Recht nehmen, für ihre
Überzeugungen einzutreten, aber manche Aussagen werden doch ein wenig apodiktisch
vorgetragen und sind auch nicht ganz leicht nachzuprüfen. Im vorliegenden Fall wird der
Leser mit Anm. 939 zu A. VON Lieven, Der Himmel über Esna, 50-55 geschickt. Dort
findet er dann auf S. 51 die Anm. 188, die ihn wieder an zwei andere Stellen schickt. Die
eine ist D. Meeks und Chr. Favard-Meeks, La vie quotidienne des dieux egyptiens, Paris
1993, 302, Anm. 70. Dort findet sich auch kein Text, dafür aber zwei neue Literatur­
verweise. Der eine ist Y. Koenig, Le Papyrus Boulaq 6, BdE 87, Le Caire 1981, 28, Anm.
f. Dies ist ein Kommentar zu einer Stelle, nach der die Sterne auf die Erde fallen (iw n>

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Zu einigen astronomischen Aspekten 13

sb>w hiy r p> iwtn). Koenig überlegt in diesem Zusammenhang, ob es sich um die Sterne
des kurz danach genannten Stierschenkels handelt, entscheidet sich dann aber unter
Verweis auf pCarlsberg I für die sieben aktuell nicht sichtbaren Dekansterne, die die Sonne
begleiten. Rez. hätte keine Schwierigkeiten damit, dies als eine mögliche Interpretation zu
bezeichnen, aber genauso gut kann es sich auch um etwas anderes handeln, z.B. eine
Metapher für eine kosmische Katastrophe. Der andere Literaturhinweis ist A. Gutbub,
Textes fondamentaux de la theologie de Kom Ombo, BdE 47, Le Caire 1973, 242-243 und
246, Anm. 1. In diesen Fußnoten geht es - wie häufig bei Gutbub - um alle möglichen
Themen, aber ein klares Argument für eine Identifikation der sieben unsichtbaren
Dekansterne mit den sieben /t/ryw-Dämonen läßt sich daraus nicht entnehmen. Der zweite
Verweis bei VON Lieven, Der Himmel über Esna betrifft die Rezension von Quack zur
Habilitationsschrift des Rez. in LingAeg 5, 1997, 283-284. Dort argumentiert Quack
durchaus überzeugend, daß in einigen Pyramiden- und Sargtextstellen die httyw parallel zu
den /'Äww-sUSternen (= Zirkumpolarsternen) auftreten, folglich nicht mit diesen identisch
sein können - was sie sein müßten, wären sie in allen Fällen identisch mit den sieben
Sternen des Großen Wagen, die den (schwarzen) Stierschenkel bewachen (dies der
damalige Vorschlag von Leitz, der in dieser absoluten Form nicht mehr zu halten ist). So
weit - so gut. Betrachtet man aber die Vielzahl der Stellen zu diesen Wesen über
mindestens 2500 Jahre ägyptischer Textgeschichte,17 so überkommen einen doch Zweifel,
ob man die hltyw über diesen ganzen Zeitraum hinweg mit einem einzigen astronomischen
Phänomen identifizieren kann oder ob sich diese Wesen nicht fallweise in allen möglichen
Himmelskörpern manifestieren können. Was den Rez. zögern läßt, die Identifikation mit
den sieben jeweils unsichtbaren Dekanen zu übernehmen, ist der Widerspruch zwischen der
potentiellen Gefährlichkeit der hityw und ihrer völligen Inaktivität während ihres
Aufenthalts in der Duat, wenn sie in den 70 Tagen Unsichtbarkeit tot in der Balsamierungs-
halle liegen (so pCarlsberg I §§ 104-106).

S. 168 (§ 113): zum Paradigmencharakter von Orion und Sothis, der für Orion nicht
zutreffe: Bezieht man die Aussage der 70-tägigen Unsichtbarkeit auf das ganze ägyptische
Sternbild s>h, so wäre der Interpretation der Verf. recht zu geben. Es scheint aber denkbar
zu sein, daß s>’h: „Zehe“ fallweise auch nur den Hauptstern ß Orionis (Rigel) bezeichnet,
nach dem das ganze Sternbild benannt wurde.

17 Hierzu sehr lesenswert ist auch der ausführliche Kommentar zu Esna 406 von A. von Lieven, Der
Himmel über Esna, ÄA 64, Wiesbaden 2000, 46-55.

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14 Christian Leitz

S. 171 (§§ 129-130): Zum Fischen (h>m) der Köpfe der Dekane: Die Stelle würde bei
Gelegenheit einen ausführlicheren Kommentar verdienen. Ein Ansatzpunkt für die
Interpretation könnte dabei pEbers 360 sein, ein Heilmittel für die Beseitigung der weißen
Stellen (shdw = Albugines) in den Augen, dessen Anfang in der Übersetzung von
Westendorf18 lautet: „Es ist Lärm am südlichen Himmel seit dem Anbruch der Nacht {iw
hrw m pt rsyt dr h!w, ein klarer Hinweis auf einen astronomischen Hintergrund) und
Unwetter am nördlichen Himmel. Eine Anhäufung (von Leichen) ist ins Wasser gefallen.
Die Rudermannschaft des Re ist dabei, ihre Landepflöcke einzuschlagen, weil die
(abgeschlagenen) Köpfe ins Wasser gefallen sind. „Wer ist es denn, der ihn (den einzelnen
Kopf) bringen wird (und) ihn finden wird {gm.f sw)T - „Ich bin es, der ihn bringen wird.
Ich bin es, der ihn finden wird“. - Ich habe nun eure Köpfe gebracht; ich habe (nun) eure
Nacken geknotet. Ich habe eure Abgeschnittenen (wieder) befestigt an ihrer (richtigen)
Stelle. ...“. Der Sinn dieses Zauberspruches ist jedenfalls, daß durch das Finden und
Anknüpfen des Kopfes die Sehbehinderung des Patienten beseitigt wird. Der Text weist
mehrere Gemeinsamkeiten mit dem Nutbuch auf:
(a) einen astronomischen Hintergrund.
(b) Köpfe (tpw) treiben im Wasser (mw im pEbers, im Nutbuch offenkundig wegen der
Verwendung des Verbs him: „fischen“ in § 129 und teilweise 130).
(c) Die Köpfe werden gefunden (gmi, sowohl im pEbers wie in S, § 13019).
(d) Die Vereinigung von Kopf und Rumpf führt im pEbers zum Wiedererlangen der Seh­
kraft des unbekannten Himmelskörpers und nach dem Analogieprinzip auch des Patienten.
Im Nutbuch bedeutet dies den Wiederaufgang des Dekans nach seiner Phase der Unsicht­
barkeit.20 Das zugrundeliegende Prinzip ist die Vorstellung, daß ein Himmelskörper nur
dann zu leuchten vermag, wenn er über seinen Kopf verfügt. Umgekehrt ist der Kopflose
(Akephalos) eine Bezeichnung des Neumondes, wenn der Mond eben gerade nicht zu sehen
ist.21

18 W. WESTENDORF, Handbuch der altägyptischen Medizin, HdO 36, Leiden u.a. 1999, 613-614.
19 Die Verf. (S. 92, Anm. 500) sieht in gmi: „finden“ nur eine orthographische Variante zu htm, diese
Emendation scheint aber im Lichte des verwandten Textes pEbers 360 nicht nötig zu sein.
20 Dies wohl auch die Meinung der Verf., die m.E. zu Recht auf die §§ 119-121 verweist, d.h. auf die
Episode mit der Entstehung eines Sterns als Fisch im Wasser.
21 Vgl. hierzu die Bemerkungen von FlSCHER-ELFERT zum pDeir El-Medineh I, in: Würzburger medizin­
historische Mitteilungen 19, 2000, 122 und 124 mit dem Verweis auf Meeks, in: Archeo-Nil 1, 1991,
5-15. Interessanterweise spielt in dem gleichen Spruch auch das Fischfett (mrht rmw) eine Rolle. Dieses
wiederum ist einer der Schlüsselbegriffe im § 18 des Deltapapyrus (D. MEEKS, Mythes et legendes du
Delta d'apres le papyrus Brooklyn 47.218.84, MIFAO 125, Le Caire 2006, 17). Dort dient es zum
Brennen einer Lampe (r htbs), was immerhin eine Anspielung auf die Sterne (r hibts) sein könnte (vgl.
dazu A. VON Lieven, Der Himmel über Esna, ÄA 64, Wiesbaden 2000, 167-171). Meeks verweist in

Enchoria 31,2008/9
Zu einigen astronomischen Aspekten 15

S. 176 (§§ 145-150): Zum Monatsanfang und der letzten Sichtbarkeit des Altlichts: Rez.
denkt, daß das Eisen für die Kalenderdiskussion so heiß nun auch wieder nicht ist. Der
entscheidende Punkt ist, daß die Entscheidung über den Beginn eines neuen Mondmonats
nicht auf einem beobachtbaren Phänomen dieses neuen Monats beruht, sondern auf einem
des zu Ende gehenden Mondmonats. Dieses Phänomen ist das sogenannte Altlicht, das -
wie die Verf. richtig schreibt - entweder auf den 28. oder (etwas häufiger) auf den 29.
ägyptischen Mondmonatstag fällt. Anders ausgedrückt: Der 28. Mondmonatstag (hb-sd
Nwt) ist der Tag, an dem der Mond mit Sicherheit noch einmal zu sehen ist. Für den 29.
Mondmonatstag gibt es hingegen zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Altlicht in der
letzten Stunde dieses Tages zu sehen, dann hat der Monat 30 Tage, oder es ist nicht mehr zu
beobachten, dann hatte der Monat nur 29 Tage und mit Sonnenaufgang beginnt der psdntyw
des neuen Monats.22

S. 178, Anm. 987 (§ 153): Zur Darstellung des Schweins auf den astronomischen Decken
von Dendara: Diese Darstellungen haben allenfalls indirekt etwas mit dem Mond zu tun, da
es sich dabei jeweils um Sternbilder handelt.23

S. 180-182 (§ x+9 - x+14): Rez. hat gewisse Schwierigkeiten mit der Interpretation der
Verf., es handele sich bei diesen (zugegebenermaßen recht kryptischen) Passagen um den
Tag der letztmaligen Sichtbarkeit des Mondes (= Altlicht).24 Zunächst einmal geht es um
das Fahren in der Tagbarke (m (ndt), die in § x+5 und x+14 explizit genannt wird. Altlicht
bezeichnet hingegen die letztmalige Sichtbarkeit des abnehmenden Mondes in der
Morgendämmerung, wäre also ein Phänomen, das der Nachtbarke (msktt) zuzuordnen
wäre.25 Nach Sonnenaufgang, so die freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Klaus Werner,
Direktor des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen, ist das

seinem Kommentar (auf S. 230) auch auf den 22. Thoth des Tagewählkalenders, und der Rez. wäre
abschließend der Meinung, daß man den ganzen Komplex trotz der ablehnenden Haltung der Verf. (S.
170 mit Verweis auf die unpublizierte Habilitationsschrift von J. Quack) doch noch einmal genauer
untersuchen müßte (Tb. Spruch 134 [= Text 2 bei Chr. Leitz, Tagewählerei, ÄA 55, Wiesbaden 1994,
40] mit der Nennung der Barke des Re und den abgeschnittenen Köpfen, die dann zum Himmel als
Vögel fliegen, während ihre Rümpfe sich in Fische verwandeln, scheint dabei ein wichtiges Bindeglied
zwischen den einzelnen Texten zu sein).
22 Für Einzelheiten siehe Leitz, in: BSEG 18, 1994,49-60.
23 Leitz, in: SAK 34, 2006, 302^104.
24 Die Formulierung der Verf. („Das Ausbleiben des Mondes in der Nacht am Tag seiner letztmaligen
Sichtbarkeit“) ist zumindest eine unglückliche Formulierung. Wenn der Mond nicht zu sehen ist, handelt
es sich um die Tage nach Altlicht, ist er jedoch letztmalig sichtbar, ist an diesem Tag Altlicht.
25 Die Zuordnung m ‘ndt = Tagbarke und msktt = Nachtbarke durch die Verf. dürfte wegen § x+7 - x+8
kaum zweifelhaft sein. Werden diese Barken auf Sonne und Mond verteilt, so fährt wenig überraschend
die Sonne in der Tagbarke (alt m 'ndt, später msktt) und der Mond in der Nachtbarke (alt msktt, später
m 'ndt), vgl. z.B. die beiden Barkentexte aus Dendara (D X, 238, 12 - 239, 9).

Enchoria 31, 2008/9


16 Christian Leitz

Altlicht nicht mehr sichtbar. Die zwei Sätze in § x+9 und x+10 sprdr hiwy sm hms m pr.f
n pr.n.fr hl scheinen eine Anspielung auf den 3. und 4. Mondmonatstag mspr und prt sm
zu enthalten,26 *wobei der negierte Ausdruck n pr.n.f doch wohl sagen will, daß sich das prt
sm, d.h. der 4. Mondmonatstag noch nicht ereignet hat. Das dürfte bedeuten, daß der
chronologische Hintergrund eher der 3. Mondmonatstag ist, also der Tag, an dem Neulicht
spätestens zu beobachten ist. In § x+12 ist dann davon die Rede, daß die Kraft des Mondes
zunimmt (sw di\.f (s(l) (?) phty.f)21 und in § x+14, daß Horus mächtig wird, nachdem ihm
sein Auge gegeben worden war. All das spricht stark dafür, daß die Rückerstattung des
Mondauges an Horus mit dem Beginn der Sichtbarkeit nach Neumond stattfindet, d.h. am
2. (ibd) oder spätestens 3. Mondmonatstag (mspr) und nicht, wie die Verf. schreibt, bereits
am Ende der abnehmenden Phase noch vor Neumond. Der Vergleich mit einem
„heliakischen Frühaufgang“ hinkt, selbst wenn man dies wie die Verf. nur übertragen in
einem nichttechnischen Sinne versteht. Bei einem heliakischen Frühaufgang verbessert sich
in den darauf folgenden Tagen die Sichtbarkeit des Himmelskörpers kontinuierlich,
während sie sich bei einem Altlicht dramatisch verschlechtert, da der Mond zwei oder drei
Kalendertage gar nicht zu sehen ist.

Das Voranstehende ist eine Argumentation allein auf der Basis des Nutbuches. Da mittler­
weile eine überaus erhellende Parallele (in anderer, aber viel klarerer Reihenfolge der
einzelnen Sätze) im § 13 des Deltapapyrus publiziert wurde, bewegt man sich bei der
Interpretation jetzt auf viel sichererem Eis. Diese Parallele wurde von der Verf. auch noch
in einem Nachtrag (S. 455^463) erfaßt, aber man muß fairerweise sagen, daß sie in diesem
Stadium der Drucklegung keine Möglichkeit mehr hatte, ihren Kommentar im Hauptteil
umzuschreiben. Unabhängig davon, wie man in diesem Text die Erwähnung des hhs-tp-
Festes erklären kann,28 geht es bei dieser Geschichte um den 3. und 4. Mondmonatstag,29
nachdem zuvor Horus wütend30 in seinem Haus saß und um seine beiden Augen trauerte.
Dies belegt allein schon der Schlußsatz: „Auszug des Sempriesters sagt man darüber am
Tag 4 von jedem Fest des 1. Mondmonatstages (prt sm hr.tw r.fhr hrw 4 n psdntyw nh)“.

26 So auch schon DE BUCK, bei H. FRANKFORT, The Cenotaph of Seti I at Abydos, EM 39, Vol. I Text, 84,
Anm. 31.
22 Verf. (S. 98, Anm. 547) liest [n] 's mit Ausfall des Subjekts.
28 Siehe dazu die Diskussion bei D. MEEKS, Mythes et legendes du Delta d’apres le papyrus Brooklyn
47.218.84, MIFAO 125, Le Caire 2006, 78-79 (Anm. 176).
29 Die Ausdrücke hr hrw 3 (oder 4) n psdntyw würde ich so verstehen, daß psdntyw jeweils mitgezählt
wird.
30 Vermutlich ein Wortspiel mit sp: „blind sein“.

Enchoria 31, 2008/9


Zu einigen astronomischen Aspekten 17

S. 185 (§ x+52): Zum Halbmond am 6. Tag und dem Füllen des Mondauges, bis es wieder
heil ist: Rez. nimmt diese Bemerkung zum Anlaß, einmal offen sein Unverständnis zu
bekennen (und vielleicht irgendjemanden zu motivieren, sich des Problems einmal
anzunehmen). Natürlich ist ihm der auch von der Verf. zitierte, schon klassisch zu
nennende Aufsatz von Junker in ZÄS 48, 1910, 101-106 bekannt, der die sechs Teile des
Udjatauges mit dem snwt-Fest (= 6. Mondmonatstag) dergestalt in Verbindung bringt, daß
im Verlauf der ersten sechs Tage eines Mondmonats die sechs Teile des Mondauges wieder
zusammengefügt werden - diese Theorie wird immer und immer wieder in ägyptologischen
Beiträgen angeführt. Verstanden hat Rez. dies nie. Eine Füllung des Mondauges mit all
seinen Teilen sollte zum Vollmond führen. Am 6. Mondmonatstag ist jedoch noch lange
nicht Halbmond, zu sehen ist je nach Monat etwas mehr oder sogar etwas weniger als ein
Viertel der Mondfläche, siehe die nachfolgende Abbildungen.31

Am ersten Tag (psdntyw) und häufig auch am zweiten (ibd) ist der Mond noch gar nicht zu
sehen, während er nach der Theorie von Junker schon zu 2/6 gefüllt sein sollte. Die
Untergangszeiten am 6. Mondmonatstag schwanken in einem gewissen Rahmen, sie
bewegen sich etwa zwischen der 4. und 6. Nachtstunde. Mit anderen Worten: Es ist ganz
unstrittig, daß das Fest des 6. (und auch des 7.) Mondmonatstages eine große Rolle in
Ägypten spielte, astronomisch ist aber der 6. Mondmonatstag mitnichten ein markantes
Ereignis.32
S. 190-201 (§§ x+75 - x+178): Das Planetenkapitel: Der Rez. würde bezweifeln, daß das
eine adäquate Bezeichnung dieses durch einen doppelten Trennstrich ja deutlich vom
Vorhergehenden abgegrenzten Abschnitts ist. Es könnte gut sein, daß die Planeten gar nicht
Vorkommen und der Hauptprotagonist weiterhin der Mond ist. Liest man den Kommentar

31 http://www.rodurago.de/index. php?month=6&year—2008&geodata=30.03%2C31.15%2C2&site=details
&link=calendar#showcalendar. - Der astronomische Halbmond dürfte im ägyptischen Mondkalender auf
den 8. oder 9. Mondmonatstag fallen.
32 Ein anderer Punkt, der kommentierungsbedürftig wäre, ist der doch merkwürdige Umstand, daß
ausgerechnet in Heliopolis, der Stadt des ägyptischen Sonnenkultes, zwei Mondmonatsfeste (snwt und
dnit) eine so herausragende Rolle spielen, vgl. dazu schon Junker, in: ZÄS 48, 1910, 104 und die späten
kulttoporaphischen Listen (z.B. Edfou I, 333, 13; dort auch noch Nennung des Festes des 15. Mond­
monatstages).

Enchoria 31,2008/9
18 Christian Leitz

der Verf. zu diesem fragmentarischen und häufig kryptischen oder unverständlichen


Kapitel, so führt sie drei Passagen an, die ihrer Ansicht nach verschiedene Planeten
erwähnen. Die erste Stelle stünde in § x+132: „So (wurde?) Horus zu dem Stier im Himmel
(sw Hr m k>33 m pt)“. Da später noch Venus genannt werde, solle es sich auch an dieser
Stelle trotz des lunaren Kontextes um Saturn handeln, der in der Tat ägyptisch Hr kl pt
heißt. Bei einer solchen Stelle merkt man, daß es sich um eine Arbeit handelt, die - auch
wenn sie später noch überarbeitet wurde - im Grunde genommen schon 2001
abgeschlossen war und 2002 dann als Dissertation angenommen und verteidigt wurde. Ein
oder zwei Jahre später hätte die Verf. wahrscheinlich standardmäßig noch einen Blick in
das seinerzeit noch nicht erschienene Lexikon der ägyptischen Götter und Götter­
bezeichnungen geworfen und dann in LGG VII, 255b-c eine quantitative Einschätzung
erhalten, wie häufig k> (n) pt: „Stier des Himmels“ auch eine Bezeichnung des Mondes ist.
Vielleicht wäre sie dann wegen § x+163: „Es entstand Horus zusammen mit dem Phönix
(hpr Hr hn! bnw)“ immer noch der Meinung gewesen, es könne sich um Planeten handeln.
Ein erneuter Blick in das zitierte Nachschlagewerk, diesesmal LGG II, 795a - 799a hätte
ihr aber dann gezeigt, daß auch der Phönix keineswegs auf den Planeten Venus ein­
geschränkt ist, sondern vermutlich häufiger auch mit dem Mond34 oder dem Sonnengott
identifiziert werden kann. Dieser Befund hätte dann bei dem unklaren Zusammenhang, in
dem der Phönix genannt ist, eigentlich nur zu der Schlußfolgerung führen können, daß man
einfach nicht weiß, wer sich in § x+163 hinter bnw verbirgt. Bleibt noch die letzte Stelle zu
überprüfen, die nach Ansicht der Verf. eine Erwähnung des Merkur enthält, was alles in
allem mit dann drei Planeten die Interpretation dieses Abschnitts als Planetenkapitel
absichere. Merkur soll in § x+158 zu finden sein: „Die Gefolgsleute des Seth waren auf der
Westseite (imyw-ht Sth m gs imntt)“. Auch hier ist der Kontext mehr als bruchstückhaft.
Auch wenn man sich der Interpretion der Verf. anschließt, daß hier ein kosmischer Kampf
zwischen Horus und Seth geschildert sei, so kann es sich dabei doch um alles mögliche
handeln. Ihre Aussage, das Horusauge in § x+156 sei der Mond, der in § x+152 genannte
Horus hingegen der Planet Saturn, überfordert schon deutlich den lückenhaften Text. Ihre
nächste Schlußfolgerung, die Gefolgsleute des Seth müßten sich in dessen Nähe befinden
und auf Grund der Positionsangabe „im Westen“ käme dann nur noch Merkur in Frage,
würde doch nur gelten, wenn es sich tatsächlich um einen kosmischen Kampf zwischen
Horus und Seth handelte (steht in dieser Eindeutigkeit auch nicht im Text) und gleichzeitig

33 Merkwürdigerweise mit zwei Stieren determiniert.


34 Ein klares Beispiel bei J-Cl. GOYON, Le papyrus d'Imouthes fils de Psintaes, New York 1999, 86 und
Kol 42, 12 (= Tf. 35): bnn.k m bnw r pt ntk iwn: „Du bewegst dich als Phönix zum Himmel, denn du bist
der Pfeiler (d.h. der Mond, determiniert mit der Mondhieroglyphe)“.

Enchoria 31, 2008/9


Zu einigen astronomischen Aspekten 19

Seth nur mit dem Großen Wagen35 und Merkur identifiziert werden könnte. Da es im
Vorfeld aber immer um den Mond ging, könnte Seth natürlich auch seine Rolle als dunkle
Seite des Mondes einnehmen,36 und dann würde die Interpretation keineswegs direkt auf
die Planeten hinauslaufen.
Betrachtet man umgekehrt, was alles in diesem Kapitel für den Mond spricht, so kommt
man mindestens auf das Folgende: In § x+80 wird das Fest des 15. Mondmonatstages
(.smdtl) explizit genannt. In § x+86 wird die Mehit des Stoffes des Anubis (Mht dtiw n
’lnpw) genannt, der weiter oben im Mondkapitel schon einmal thematisiert wurde (§ x+19)
und von der Verf. auf S. 183 mit dem Auszug des Sem (= Name des 4. Mondmonatstages)
in einen (den Rez. überzeugenden) Zusammenhang gebracht wurde.37 In § x+89 und x+90
wird zweimal Thoth erwähnt, d.h. ziemlich sicher der Mond. In § x+94 ist die Rede von der
Erhebung des Himmels38 am Fest des 2. Mondmonatstages (>'bd), indem er (= Horus?) lebt
bei seinem Hervorgehen, und die Verf. bezieht in ihrem Kommentar auf S. 191 die ganze
Passage auch auf den Mond. § x+112 lautet mit gewissen Unsicherheiten: Srr w(y) Hr n
Srr: „Wie klein ist Horus für (?) den Kleinen“. Da in den unmittelbar vorangehenden §§
x+109 und x+110 von der Geburt und dem Stillen des Horus die Rede war, spricht doch
alles dafür, diese Passage mit dem bekannten Zitat aus Totenbuch-Spruch 114 zu
verbinden: „Ich kenne das, was klein ist am 2. Mondmonatstag und das, was groß ist am 15.
Mondmonatstag (iw.i rh.kw srt m >’bd (>t m smdt).39 § x+115 nennt explizit den Mond
(i‘ Tz). Die ganze Passage § x+131 - x+133: „[...] in der Hitze (?). So (wurde?) Horus zu
dem Stier im Himmel. So wurde sein Auge groß", spricht für eine Situation bei Vollmond,
die sich vermutlich bis § x+143: „Seine Kraft wurde groß auf der Nut (s(> phtyfhr Nwt)“
und § x+146 („So wurde groß (sw (> [...])“ erstreckt. Das Größer- und Kleinerwerden ist
eine spezielle Eigenschaft des Mondes, nicht der Planeten. Die Passagen in § x+148 - §
x+149, in denen Horus sich vor Seth rettet, nachdem er sein Auge ergriffen hatte, wären
ebenfalls vor einem lunaren Hintergrund völlig unproblematisch zu verstehen.
Fazit in den Augen des Rez.: Das angebliche Planentenkapitel ist in Wirklichkeit ein
zweites Mondkapitel.

35 Der wegen seiner Position am Nordhimmel dann ausscheiden muß.


36 Vgl. Spruch 112 des Totenbuches und CHR. Leitz, Tagewählerei, ÄA 55, Wiesbaden 1994, 269-270
sowie D. MEEKS, Mythes et legendes du Delta d’apres le papyrus Brooklyn 47.218.84, MIFAO 125, Le
Caire 2006, 218-220.
Es wäre naheliegend, auch § x+173 und § x+175 mit der Erwähnung von Mehit und Anubis ganz am
Ende dieses Kapitels damit zu verbinden.
38 (h pt (im Glossar weder bei lh noch bei tw>) gefunden (vgl. dazu Berlandini, in: RdE 46, 1995, 9-41).
39 Sethe u. Gen., in: Z4S 57, 1922,48^)9 und Text auf S. 10*.

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20 Christian Leitz

Philologische und andere Kleinigkeiten

S. 44, Anm. 155: Zur Aussage, daß der sog. Dramatische Dendaratext sporadisch Passagen
enthält, die wörtlich mit dem sog. Planentenkapitel des Nutbuches übereinstimmen: Wenn
das so ist, dann wäre es eigentlich Aufgabe der Verf. (und nicht die jedes einzelnen Lesers)
gewesen, diese Übereinstimmungen etwa in einer kleinen Tabelle zusammenzustellen.

S. 47, Anm. 165: Zur Übersetzung siehe Quack, Miscellany of Demotic Texts: Dies ist kein
ideales Zitat, da das Literaturverzeichnis zum einen chronologisch und zum anderen
wiederum nach den tatsächlichen Buch- oder Aufsatztiteln geordnet ist, so daß es bei
immerhin 55 verschiedenen Beiträgen von Quack doch etwas dauert, bis man das genaue
Zitat (auf S. 336) aufgefunden hat.

S. 48, Anm. 176 (§ 1): Zur Lesung s?w: „Decke, Deckenbalken“ und zur Verbindung mit
dem nur einmal in einem Pyramidentext belegten Wort (Wb. IV, 17, 1) und dem
Koptischen coi: Letzteres leitet sich natürlich her von dem häufigen siw (zlw): „Balken“
(Wb III, 419, 14-17), von dem das fragliche Wort der Pyramidentexte wegen des anderen s-
Lautes wohl zu trennen ist. Eine Übersetzung „Deckenbalken“ ergibt sich nicht aus dem
Nutbuch, sondern ist nur ein interpretatorischer Rückschluß (vgl. S. 126). Die etwas
kryptische Passage sollte man bis auf weiteres r hr r s> hnt: „nach unten und nach außen
und vorne“ transliterieren, was immer das genau heißen mag. Eine Emendation der Nase in
ein Balkendeterminativ (so Verf.) scheint bei so viel Unsicherheiten viel zu gewagt zu sein.

S. 50, Anm. 190 (§ 4): zum Weg der Finsternis und dem Vorschlag, den auffliegenden
Vogel zusammen mit dem Wegzeichen als hrf. „Weg“ zu lesen: Da der Lautwert hr für die
auffliegende Gans bislang nicht belegt ist, ist es keine gute Idee, ihn nur ad hoc für diese
auf den ersten Blick unklare Stelle einzuführen. In all den dem Rez. über die Querverweise
in LGG VII, 297b-c bekannten Stellen scheint der feste Ausdruck wl(w)t kkw zu sein, was
inhaltlich ja auch sehr gut paßt. Koptisch ist das fern, wlt zu mask.. oyo(e)ie u.ä. geworden
(Westendorf, KHwB, 268), so daß man insgesamt bei einer Lesung p> wlt kkw bleiben
sollte.

S. 61: auf der Oberseite der Männerfigur: Gerade da die Lesung von r(.t als Schreibung für
ri.t (= Wb II, 400, 4-13) nicht so offenkundig ist, sondern erst einer Miszelle durch Quack
bedurfte, wäre es bei einem 460-Seiten Buch doch hilfreich gewesen, wenn einem die Verf.
die richtige Lesung direkt mitgeteilt hätte und den Leser nicht nur mit Fußnote 276 zu
einem Aufsatz von Quack geschickt hätte.

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Zu einigen astronomischen Aspekten 21

S. 105 (§ x+66a und Anm. 601): Trotz des Tierfell-Determinativs dürfte es sich mit
ziemlicher Sicherheit um h>yty: „die beiden Leuchtenden (= Sonne und Mond)“ handeln,
vgl. LGG V, 7c-8b mit mehreren Belegen zur Verbindung der beiden Himmelskörper zum
Fest snsn k>wy.
S. 106 (§ x+71): „Das ist ein Ergreifen von Sachen im Auge Rez. würde es nicht
ausschließen, daß die alte Übersetzung von de Buck der Variante S den Sachverhalt besser
trifft: „it is that a day (hrw) was taken away from the eye ...“.40

S. 433 (§ x+5): Es handelt sich am Ende nicht um das Zeichen sondern um ®=s .

Schlußbemerkung
Wenn jetzt nach so vielen zumeist astronomischen Randbemerkungen den Leser Zweifel an
der Güte des hier besprochenen Werkes überkommen, so kann ihn der Rezensent nur auf
die Worte von Richard Jasnow in seinem Grundsatzreferat auf dem 10. Internationalen
Ägyptologenkongreß in Rhodos bezüglich des Buches von Alexandra von Lieven ver­
weisen: „Go and buy it!“. Diesem Ausruf des geschätzten Kollegen aus Baltimore kann der
Rez. nur beipflichten: Es handelt sich um eine insgesamt sehr gelungene Arbeit, aus der der
Rez. viel gelernt hat und die er auch in Zukunft noch oft zu Rate ziehen wird. Was jetzt so
übersichtlich vorliegt, muß in der Herstellung sehr mühsam gewesen sein. Damit ist nicht
nur die langwierige und aufwendige Suche selbst nach kleinsten Fragmenten in den
verschiedenen Museen Europas gemeint, sondern auch die Erstellung eines Kommentars zu
einem Text, der auf Grund seines nicht selten kryptischen Inhalts und teilweise lücken­
haften Erhaltungszustands der Verf. doch sehr viel abverlangt hat. Dies hat ein großes Lob
verdient.

40 De Buck, bei H. Frankfort, The Cenotaph of Seti I at Abydos, EM 39, Vol. I Text, 86 mit Anm. 49
(Vermutung, daß damit die Tage des abnehmenden Mondes gemeint sind).

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