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Werner Jaeger: Wissenschaft, Bildung, Politik

Philologus

Zeitschrift für antike Literatur und ihre Rezeption /


A Journal for Ancient Literature and its Reception

Supplemente /
Supplementary Volumes

Herausgegeben von / Edited by


Sabine Föllinger, Therese Fuhrer, Jan Stenger,
Martin Vöhler, Katharina Volk

Band 9
Werner Jaeger:
Wissenschaft,
Bildung, Politik
Herausgegeben von
Colin Guthrie King und Roberto Lo Presti
Gedruckt mit Mitteln, die das August-Boeckh-Antike-Zentrum und die Alexander von Humboldt-Professur für
Altertumswissenschaften und Wissenschaftsgeschichte zur Verfügung gestellt haben.

ISBN 978-3-11-054803-7
e-ISBN (PDF) 978-3-11-054898-3
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-054810-5
ISSN 2199-0255

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston


Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany

www.degruyter.com
Vorwort

In diesem Band, der teils aus Beiträgen zu einer gleichnamigen Konferenz in Berlin
im September 2013 hervorgeht und auch weitere und ergänzende Beiträge enthält,
werden Aspekte von Werner Jaegers philosophiehistorischem Werk sowie von
seinem bildungstheoretischem Wirken evaluiert. Das Ziel der Tagung sowie dieses
Bandes ist es, zu differenzierten Urteilen über die durchaus gemischte Bilanz von
Jaegers Werk und Wirken zu kommen. Die Wissenschaftsgeschichte (zumal des
19. Jahrhunderts) wird oft als Heldengeschichte geschrieben; wir waren darum
bemüht, dieser Tendenz entgegenzuwirken.
Für die überaus großzügige Unterstützung dieses Unternehmens müssen wir
uns bei vielen herzlich bedanken. Insbesondere: ohne die finanzielle und wis-
senschaftliche Unterstützung der De Gruyter-Stiftung, der Berlin-Brandenburgi-
schen Akademie der Wissenschaften, des August-Boeckh-Antike-Zentrums (ABAZ)
und der Alexander von Humboldt-Stiftung hätten die Tagung und dieser Band das
Licht der Welt nie erblickt. Deshalb ist es den Heraugebern eine angenehme
Pflicht, den genannten Institutionen an dieser Stelle herzlich zu danken. Unser
herzlicher Dank gilt auch Frau Dorothea Keller, die uns bei der redaktionellen
Bearbeitung des Manuskripts sehr geholfen hat, sowie den Herren Patrick
Kappacher und Benedek Kruchio, deren Zuarbeit am ABAZ für das Gelingen auch
dieses Projekts entscheidend war. Zuletzt und mit größtem Nachdruck möchten
wir dem Herausgebergremium der Supplemente-Reihe von Philologus für die
Aufnahme unseres Bandes in diese Reihe danken.

Colin Guthrie King & Roberto Lo Presti


Providence & Berlin, 31. März 2017
Inhalt

Vorwort V

Colin Guthrie King


Einführung 1

Manfred Landfester
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung als Ausdruck des
Zeitgeistes 5

Wolfgang Rösler
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 51

Stefan Kipf
Paideia und die Folgen – Die Bedeutung des Dritten Humanismus für den
altsprachlichen Unterricht nach 1945 83

Giuseppe Cambiano
Werner Jaeger and the Presocratics 111

Dorothea Frede
Jaegers Platon 139

Mirjam E. Kotwick
The Entwicklungsgeschichte of a Text: On Werner Jaeger’s edition of
Aristotle’s Metaphysics 171

Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk


Werner Jaeger und die antike Medizin 209

Christoph Markschies
Werner Jaegers Blicke auf das antike Christentum 245

Sachregister 259

Namenregister 263
Colin Guthrie King
Einführung
In einem vielbeachteten Aufsatz des US-amerikanischen Indologen Sheldon
Pollock wurde vor nicht allzu langer Zeit eine Krise der Philologie beschrieben, die
für ein Verständnis von Werner Jaeger und dem Schicksal seines Werkes einige
wichtige Hinweise gibt.¹ Unter dem fragenden Titel „Future Philology?“ erzählt
Pollock eine Art Verfallsgeschichte der Philologie als wissenschaftlicher Disziplin
und gibt zugleich ein Programm für deren Rettung in der „harten Welt“ eines
ökonomisierenden Wissenschaftsmanagements vor. Das verhängnisvolle Ereignis
in ihrer Geschichte verortet Pollock in einer goldenen Zeit und an einem wun-
dersamen Ort: in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dort und
damals sei die Klassische Philologie auf ihrem Zenit gewesen: „one of the hardest
sciences on offer, the centerpiece of education, the sharpest exponent if not the
originator of „critical“ thinking, and the paradigm of other sciences such as
evolutionary biology“ (Pollock (2009) 931). Den Beginn ihres Verfalls datiert
Pollock mit der beißenden Rezension des jungen Wilamowitz von Nietzsches
Geburt der Tragödie. Nietzsche steht in gewisser Hinsicht, laut Pollock, für alles,
was Philologie hätte sein können: humanistisch, bildungsorientiert, im Dienst
einer lebendigen Kultur und in deren Mitte.Wilamowitz dagegen stellt den „kalten
Teufel des Wissens“ dar und exemplifiziert einen verwissenschaftlichten und
lebensleeren Umgang mit Texten, der in der Diagnose von Pollock die Disziplin
heute – in ihrem letzten Verfallsstadium – charakterisiert.
Dieses Bild ist romantisierend und wissenschaftshistorisch schief: Die Ent-
idealisierung der Antike durch positiv verfahrende Wissenschaft war lange vor
Wilamowitz in vollem Gange, und kann als Paradigma kaum nur seinem Wirken
zugeschrieben werden. Es ist zudem unklar, inwiefern die Verwissenschaftlichung
der Antike mit ihrem kulturellen Bedeutungsverlust zusammenhängt, wie und
wann auch immer man diesen ausmachen möchte. Im Übrigen muss man fest-
stellen, dass Nietzsches Schriften zwar eine Kritik der Antike und der Wissen-
schaft, aber keine klar formulierte Alternative zum wissenschaftlichen Leitbild der
Klassischen Philologie bereithalten. Doch ist es richtig, eine Spannung zwischen
den Normen der Wissenschaft und der Bildung in gerade dieser Zeit in der Wis-
senschaftsgeschichte der Philologie auszumachen. Im Falle von Werner Jaeger
gibt genau dieser Kontext vielleicht den Schlüssel für ein Verständnis seines Werks
und Werdegangs.

 Pollock (2009) 931– 961.

DOI 10.1515/9783110548983-001
2 Colin Guthrie King

Das Buch, für das Jaeger über Fachkreise hinaus bekannt geworden ist, kann
als normativ konzipierter Versuch gelten, die Altertumswissenschaften für das
Leben nützlich zu machen. Allerdings erscheint seine Paideia heute nicht nur alt
und veraltet, sondern in manchen Passagen unerträglich. Auf einer einzigen Seite
des 1933 geschriebenen Vorworts kommt das Wort „Kampf“ zweimal vor. Jaeger
benutzt den Ausdruck zum Beispiel in folgendem denkwürdigen Satz: „Die Dar-
stellung wendet sich nicht nur an die gelehrte Welt sondern an alle, die in dem
Kampfe unserer Zeit um den Bestand unserer mehrtausendjährigen Kultur heute
wieder den Zugang zum Griechentum suchen.“² Das griechische Bildungskonzept
und griechische Bildungspraktiken seien aufgrund „rassischer Verwandtschaft“
naheliegende Vorbilder im besagten „Kampf“.³ Griechenland sei zwar in mancher
Hinsicht fremd, „aber zwischen dieser Art des Andersseins und derjenigen, die wir
gegenüber den ausgesprochen rasse- und geistesfremden Völkern des Orients
empfinden“, bestehe ein großer Unterschied.⁴ Diese unerträglichen Äußerungen
macht Jaeger in Zusammenhang mit einer abstrusen Theorie der Kultur, die be-
sagt, dass nur denjenigen „Völkern“ Kultur zugesprochen werden dürfe, die über
den Begriff „Kultur“ verfügten. Kultur sei zudem durch Natur, näherhin durch
Rasse bedingt: „wir gehen … von der rassemäßigen Formanlage des griechischen
Geistes aus“.⁵ Gerade in dieser Theorie sollten wir Schüler der Griechen sein, denn
die Griechen hätten „einen angeborenen Sinn für das,was der ‚Natur‘ entspricht“.⁶
Der Anschluss an zeitgenössische nationalsozialistische Rhetorik ist un-
überhörbar. Zum Glück sind Einleitung und Vorwort zu Jaegers Paideia für die
Substanz des Buches belanglos; das Buch hat aber auch andere Schwächen. Als
ein Beispiel der Historiographie der antiken Philosophie können die Bände zwei
und drei, die fast ausschließlich Platon zum Gegenstand haben, auch nicht mit
Wohlwollen als gute Forschung gelten: sie enthalten eine Mischung aus Nacher-
zählungen von Texten und einer Art spekulativer Interpretation, die von unge-
deckten Vorannahmen etwa in Bezug auf „antikes“ und „modernes“ Denken li-
beral Gebrauch macht. Der Versuch, durch die Auslegung von Platon normative
Empfehlungen für die politische und kulturelle Gegenwart zu formulieren, erin-
nert an einen anderen ausgewanderten deutschen Geisteswissenschaftler: Leo
Strauss. Doch im Vergleich zu Strauss agiert Jaeger in diesem Modus der Inter-
pretation eher ungeschickt.

 Jaeger (1934) i.
 Ebenda, 4.
 Ebenda.
 Ebenda, 9.
 Ebenda, 10.
Einführung 3

Dieser Befund ist nicht neu, aber für Historiker der antiken Philosophie und
Wissenschaft immer noch enttäuschend, denn mit seinen Arbeiten zu Aristoteles –
insbesondere mit seiner Dissertation über die Rekonstruktion des Zusammen-
hangs der aristotelischen Metaphysik – hat Jaeger Arbeit geleistet, die viel besser
ist als ihr Ruf. Hier findet man immer noch hilfreiche Interpretationen, die gestützt
werden durch gut dokumentierte und genaue Lektüre; und viele von diesen
können auch dann überzeugend sein, wenn man das entwicklungsgeschichtliche
Modell für die Aristotelesinterpretation ablehnt. Wenn seine Arbeiten in diesem
Bereich heute weitgehend ungelesen bleiben, liegt das eher an einem Wechsel in
den philosophischen Vorannahmen der Aristoteles-Exegese. Als Aristoteles im
Laufe der 1960er Jahre vor dem Hintergrund der analytischen Philosophie zu ei-
nem primär dialektischen und d. h. mitunter auf einzelne Positionen reagierenden
Philosophen wurde, erschien eine zentrale Aufgabe von Jaegers Interpretation,
nämlich die Kohärenz seines Denkens genetisch und historisch zu erklären, ob-
solet. Zu Recht hat man das Genetische in Jaegers Aristotelesdeutung proble-
matisiert; aber für diejenigen, die Aristoteles auch historisch und philologisch
verstehen möchten, ist eine Auseinandersetzung mit Jaegers Werken nicht nur
sinnvoll, sondern gehört immer noch mit zum Besten, was es gibt.
Auch in anderen Hinsichten war Jaeger innovativ: etwa in seiner Erweiterung
des Studiums der antiken Philosophie, um auch die Wissenschaftsgeschichte der
antiken Medizin einzuschließen, oder auch in seiner Integration christlicher und
hellenistischer Autoren in das Studium der Antike. Auch nach seiner Emigration
in die USA blieb Jaeger nicht unbekannt. Das gibt Fragen über seine relative
Wirkungslosigkeit im US-amerikanischen Umfeld auf. Steht es im Zeichen des
allgemeinen Verfalls der Philologie als Leitdisziplin, wie Pollock uns glauben
machen möchte? Oder waren vielmehr die Werte jener Wissenschaft, die Jaeger in
seiner wissenschaftlichen Sozialisierung in Berlin erwarb, einfach nicht mehr in
den angelsächsischen Kontext übertragbar? Will man Jaegers Karriere sozialhis-
torisch erfassen, so scheint es darin ein doppeltes Scheitern zu geben. Als junger
Wissenschaftler im auserwählten privaten Kreis um Wilamowitz und leitend in
den wichtigsten Wissenschaftsinstitutionen seiner Zeit musste er nicht nur deren
Demontage durch die Nationalsozialisten erleben, sondern auch seinen Lebens-
abend in einer Kultur fristen, die dem Beruf des Altertumswissenschaftlers nie
besonders viel Anerkennung geschenkt hat. Man vergleiche sein Schicksal in den
Vereinigten Staaten mit jenem seines Akademiekollegen Albert Einstein. William
Calder fand in seinen Studien zur Berufungspolitik in der Klassischen Philologie
einen weiteren Grund für Jaegers ausbleibende Wirkung, trotz prominenter Stel-
lung in Harvard: als Schüler von ihm hatte man auf dem US-amerikanischen Markt
4 Colin Guthrie King

nicht die besten Karrieremöglichkeiten.⁷ Als Leser seiner Schriften in Englisch und
in Deutsch fällt einem vergleichenden Leser etwas anderes auf: wie hölzern und
umständlich sein Englisch wirkt im Vergleich zu seinem zwar ausschweifenden,
aber durchaus präzisen deutschen Schreibstil.
Wie auch immer man den Fall Jaeger rekonstruiert, bleibt durch das Studium
seiner Schriften noch einiges zu lernen über das wechselseitige Verhältnis von
Altertumswissenschaft, Bildung und Politik beim Ausklang des sehr langen
19. Jahrhunderts. Auch nach den verdienstvollen Beiträgen in dem von William
Calder herausgegebenen Band Werner Jaeger Reconsidered können die politischen
Umstände von Jaegers Versuch, als Bildungspolitiker aufzutreten, näher geprüft
werden. Auch das noch Anschlussfähige in seinen Beiträgen zur Geschichte der
antiken Philosophie und Wissenschaft kann gesucht werden. Dies ist kein Beitrag
zur Denkmalpflege, sondern eine prüfende Bestandaufnahme – die gerade dort
nötig ist, wo die Bilanz einer Forschungspersönlichkeit so vielfältig und durch-
mischt ist wie im Falle Jaegers.

Literaturverzeichnis
Calder (1992): William Calder M. III (Hg.), Werner Jaeger Reconsidered (Proceedings of the
second Oldfather conference, held on the campus of the university of Illinois at
Urbana-Champaign, April 26 – 28, 1990), Atlanta.
Jaeger (1934): Werner Jaeger, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Bd. 1, Berlin.
Pollock (2009): Sheldon Pollock, „Future philology? The Fate of a Soft Science in a Hard
World“, Critical Inquiry 35.4, 931 – 961.

 Siehe Calder (1992).


Manfred Landfester
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft
und Bildung als Ausdruck des Zeitgeistes

1 Die Kulturkrise vom Ende des 19. Jahrhunderts


bis 1933¹
Als Werner Jaeger 1907 sein Studium der Klassischen Philologie und Philosophie
in Marburg begann, wucherte in Deutschland eine diffuse Kulturkrisenstimmung,
die auch in die Felder der Wissenschaft und höheren Bildung eingedrungen war
und von dem Bewusstsein bestimmt wurde, dass das herrschende und in den
Altertumswissenschaften entwickelte Wissenschaftsmodell des Historismus mit
seinem positivistischen Realismus und der Relativierung und Neutralisierung der
Werte der Antike sowie der in die Gefangenschaft des Historismus mit seinem
Realismus geratene Humanismus ein wesentlicher Teil der Krise seien, weil die
antike Tradition und der Umgang mit ihr keinen Beitrag zur Gestaltung der Le-
benswirklichkeit der Gegenwart leisten könnten. Der antiklassizistische Stolz des
Historismus, „vor allem die Alten herabsteigen zu machen von dem phantasti-
schen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums erscheinen, sie in die reale
Welt, wo gehaßt und geliebt, gesägt und gehämmert, phantasiert und ge-
schwindelt wird, den Lesern zu versetzen“ (Mommsen an seinen Freund Wilhelm
Henzen 26.11.1854),² wurde jetzt zum Ziel der Polemik und der Kritik. Geburts-
helfer dieses Krisengefühls war der Baseler Klassische Philologe und Philosoph
Friedrich Nietzsche, der in seiner zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung: Vom Nut-
zen und Nachtheil der Historie für das Leben (1874) die Altertumswissenschaften
mit ihrem Historismus und die Praxis der humanistischen Bildung mit ihrer
Orientierung am Historismus verhöhnt hatte.³ Er verspottete den Realismus des
Historismus als Trivialität und die historistische Wissenschaftspraxis mit der
unendlichen und ziellosen Vermehrung von methodisch gesichertem Wissen als
nutzlos für das Leben: „Jene naiven Historiker nennen ‚Objectivität‘ das Messen
vergangener Meinungen und Thaten an den Allerwelts-Meinungen des Augen-
blicks: hier finden sie den Kanon aller Wahrheiten; ihre Arbeit ist, die Vergan-

 Oexle (2007) 11– 116.


 Rebenich (2002) 90.
 Henrichs (1995) 455.

DOI 10.1515/9783110548983-002
6 Manfred Landfester

genheit der zeitgemässen Trivialität anzupassen.“⁴ Und gegen die Trivialität des
Historismus und die Nutzlosigkeit ihres Wissens setzte er auf eine Wissenschaft,
die sich auf die besondere Größe ihrer Gegenstände besinnen solle, um damit dem
Leben zu dienen: „Nur soweit die Historie dem Leben dient, wollen wir ihr die-
nen.“⁵ Einen Ausweg aus dem Dilemma des Historismus und Humanismus wies
Nietzsche mit seiner Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
(1872),⁶ mit der er dem Historismus untreu und zum Philosophen geworden war.
An die Stelle des modernen historistischen Humanismus und des alten Huma-
nismus der deutschen Klassik forderte er eine neue Klassizität der Griechen ein,
die bestimmt war von der Polarität des Apollinischen und Dionysischen als
Ausdruck des griechischen Geistes.
Die Wirkung Nietzsches war zunächst gering. Erst im letzten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts wurden seine Denkmotive zu Faktoren des Krisenbewusstseins
und beflügelten vor allem die junge Generation, die die historischen Wissen-
schaften zu Lebenswissenschaften (Bildungswissenschaften/Weltanschauungs-
wissenschaften) umbilden wollte. Obwohl das Krisenbewusstsein wesentlich
bestimmt war durch den Geltungsverlust der antiken Traditionen, wurden deren
Anwälte selbst, die Altertumswissenschaftler und Humanisten, von diesem Kri-
sengefühl kaum angesteckt. Sie waren unter dem Schutzschirm ihres staatlich
garantierten Bildungsideals und der auch international anerkannten außerge-
wöhnlichen Leistungsfähigkeit des historistischen Wissenschaftssystems, die sich
in der umfangreichen Vermehrung positivistischen ‚objektiven‘ Wissens doku-
mentierte, immun gegen neue Konzepte in Wissenschaft und Bildung.
Die Kulturkrisenstimmung der Jahrhundertwende wurde dann unter dem
Eindruck der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und ihrer politischen
Folgen mit der Ablösung der Monarchie durch eine parlamentarische Demokratie
von einem politischen und gesellschaftlichen Krisengefühl überlagert und da-
durch noch verstärkt. Die Auflösung etablierter kultureller, weltanschaulicher,
gesellschaftlicher und politischer Traditionen und Formen wurde als Kern der
Krise bestimmt. Die Ursache dafür war die enge Symbiose von Politik, Gesellschaft
und Kultur, die in allen kriegführenden Ländern das Bewusstsein der Intellek-
tuellen bestimmte. Der Erste Weltkrieg wurde nicht nur als ein Kampf um die
Macht in Europa, sondern auch als ein Kampf der Verfassungssysteme und Kul-
turen verstanden. Rasant setzte sich nicht nur der politische, sondern auch der
kulturelle Chauvinismus durch, und binnen Kurzem brach die internationale

 Nietzsche (1980) 289.


 Nietzsche (1980) 245.
 Nietzsche (1994b) 95 – 238.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 7

Gelehrtenrepublik zusammen. An der nationalistischen Aufwallung war in


Deutschland beinahe die Gesamtheit der Hochschullehrer beteiligt. Auf deutscher
Seite wie auch bei den westeuropäischen Gegnern entstand ein kulturelles wie
politisches Überlegenheitsgefühl, in Deutschland vor allem konzentriert auf die
Wissenschaft, das zugrundeliegende humanistische Bildungssystem, die klassi-
sche Literatur sowie auf die militärische Leistungsfähigkeit und die Überlegenheit
des halbkonstitutionellen deutschen monarchisch gestützten Verfassungssystems
(mit der Begrenzung demokratischer Elemente) über die konstitutionellen par-
lamentarischen Demokratien Westeuropas. Großen Anteil an dem kulturellen
Überlegenheitsgefühl hatte das Bewusstsein, dass wesentliche deutsche Kultur-
leistungen durch die Rezeption der Antike bedingt seien. Damit wurde die Vor-
stellung des Neuhumanismus erneuert, nach der die ‚Nachahmung‘ der Griechen
den Vorrang deutscher Kultur in Europa begründet hätte. Auf deutscher Seite
wurde der Kampf der Kulturen begrifflich zu einem Kampf zwischen deutscher
idealistischer Kultur und westlicher dekadenter Zivilisation.
Aus der engen Verzahnung von Kultur, militärischer Leistungsfähigkeit und
Politik folgte, dass angesichts einer seit 1916/17 möglichen Niederlage Deutsch-
lands im Ersten Weltkrieg sich ein komplexes Krisengefühl ausbreitete und sich in
allen Schichten einnistete, das dann, als das Undenkbare wirklich eintrat, ge-
steigert wurde durch die politische Revolution mit dem Übergang zur parlamen-
tarischen Demokratie (Oktoberverfassung von 1918) und durch die anschließen-
den Revolten im November 1918. Alle Traditionen, nicht nur die politischen und
die gesellschaftlichen, sondern auch die kulturellen, erschienen brüchig und in
Frage gestellt. Man deutete die Erschütterungen durch die Niederlage im Ersten
Weltkrieg und durch die folgende politische Revolution als Epochenschwelle, die
man auch pathetisch übertreibend als „Weltenwende“ oder„welthistorische Kri-
sis“ stilisierte.⁷
Diese gesteigerte Krisenstimmung wurde bis zum Ende der Weimarer Repu-
blik zum Dauerzustand und konnte apokalyptische Formen annehmen. Typisch
war die Diagnose der Zeit durch Hugo von Hofmannsthal:⁸

Die Unruhe ist nach wie vor allgemein, der Zweifel und die Verworrenheit eher im Wachsen
als im Abnehmen. Die materiellen Auswirkungen der Katastrophe, durch die wir gegangen
sind, bleiben ungeheuer; aber wir gewahren, daß die geistigen noch furchtbarer und noch
folgenreicher sind. Wir versuchen uns zur Klarheit durchzuringen, zu erkennen, was da-
hingestürzt und was noch aufrecht ist; aber der ordnende Sinn in uns selber, der allein zu
solchen Urteilen fähig wäre, ist im tiefsten beschädigt.

 Giesecke-Teubner u. Norden (1919) III.


 Hofmannsthal (1928) 99.
8 Manfred Landfester

Mit den weichen Begriffen wie „Werteverfall“, „Kulturverfall“, „Orientierungslo-


sigkeit“, „Amerikanisierung“ (im Sinne von Oberflächlichkeit der Bildung und
Kultur), „Dekadenz“ und „Materialismus“ wurden die Verirrungen der Moderne
schlagwortartig erfasst.

2 Die Kulturkrise und der Untergang des


Abendlandes
Diese Krisenstimmung wurde der geeignete Nährboden für die Geschichtsphilo-
sophie Oswald Spenglers in der Schrift Der Untergang des Abendlandes (1918/22),
die das traditionelle lineare Geschichtsverständnis mit der Vorstellung der euro-
päischen Geschichte als einer zusammenhängenden „Kette von Ursachen und
Wirkungen“ von der Antike bis zur Gegenwart durch eine zyklische Geschichts-
theorie einer Weltgeschichte mit der Vorstellung von acht autonomen Kulturen
ohne Wirkungszusammenhang und nach dem biologischen Muster von Wachs-
tum und Verfall ersetzte. Indem er dabei die europäische Geschichte in zwei au-
tonome Epochen, in eine antike Epoche (1100 v.Chr. bis 500/900 n.Chr.) und eine
abendländische Epoche (ab 500/900 bis zu ihrem natürlichen Ende in der Ge-
genwart) gliederte, die nicht durch „Einfluß, Fortdauer und Fortwirkung“⁹ be-
stimmt waren und von denen die aktuelle abendländische Epoche in der Ge-
genwart zu ihrem „natürlichen“ „Untergang“ ohne Einwirkung durch die Träger
der Kultur kam, büßte die Antike nicht nur ihre Bedeutung für die zu Ende gehende
abendländische Geschichte ein, sondern erst recht für jede neue Epoche. Der
Ablehnung der Geschichtsgläubigen stand die begeisterte Zustimmung derer ge-
genüber, die sich von der Last der Geschichte befreit fühlten und auf eine Zukunft
ohne Herkunft setzten.

3 Die Überwindung des Historismus durch


eine neue Hermeneutik
Die Krise wirkte aber nicht nur lähmend, sondern setzte auch neue Ideen frei. So
wurde der Antihistorismus angefeuert durch die aktuelle wissenschaftstheoreti-
sche Diskussion, die geprägt war von dem radikalen Unterschied von Naturwis-
senschaften und historischen Wissenschaften. Hatte sich der Historismus durch

 Spengler (1918/22) 617.


Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 9

seinen Objektivitätsanspruch erkenntnistheoretisch den Naturwissenschaften


angeglichen, so wurde dieser Anspruch jetzt aufgekündigt. Die historischen
Wissenschaften wurden zu einem Wissenschaftstyp, für den die Subjektivität der
Erkenntnis ein positives Merkmal war. Verantwortlich für diese antihistoristische
Entwicklung waren vor allem Wilhelm Dilthey (Einleitung in die Geisteswissen-
schaften, 1883; Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin,
1906; Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, 1910),
Georg Simmel (Die Probleme der Geschichtsphilosophie, 1892), dann die Neukan-
tianer Wilhelm Windelband (Geschichte und Naturwissenschaft, 1894) und Hein-
rich Rickert (Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1896). Aller-
dings gab es keine klaren Lösungen. Stattdessen vagabundierten mehr oder
weniger systematisch miteinander verbundene Begriffe in der Theoriediskussion,
die auch in der geisteswissenschaftlichen Praxis eingesetzt wurden. Folgenreich
war vor allem Dilthey, der mit der Opposition Erklären und Verstehen die Un-
terschiede von Natur- und Geisteswissenschaften erfasste und mit dem Begriff
des Verstehens die spezifische Form historischer Erkenntnis bestimmte: „Die
Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“¹⁰ Der Begriff des Erklärens
konnte auch durch den Begriff des Erkennens ersetzt werden. „Die Natur erken-
nen wir, aber verstehen sie nicht. Das Reich des Geistes verstehen wir, aber der
Gedanke durchdringt und erschöpft es niemals.“¹¹ Der Verstehensbegriff wurde
durch den Erlebnisbegriff (Erlebnis/Erleben/Nacherleben/Intuition/Anschau-
ung/Schau) erläutert. Es waren gerade diese Begriffe, die die Rückkehr der Sub-
jektivität in den Erkenntnisprozess förderten. Fundamentale Bedeutung erhielt in
diesen Zusammenhängen die Rückkehr des Wertebegriffs in die historischen
Wissenschaften der Literatur und Kunst. Gegenstand der Wissenschaft sollte „das
Wertvolle“, „das Große, das Bedeutende“¹² sein. Indem die Werke der Literatur
und Kunst wieder Ausdruck von Werten wurden, konnten sie ihre Vorbildhaftig-
keit und Klassizität zurückgewinnen, die sie durch den Historismus mit seiner
Werteneutralität eingebüßt hatten. Die historischen Literatur- und Kunstwissen-
schaften wurden dadurch zu Wissenschaften von Werten und ihrer Geltung, zu
Lebenswissenschaften. Die Unbestimmtheit der meisten Begriffe und ihre extreme
Definitionsabhängigkeit, dazu die eher offene und mäandrierende Art der Theo-
riebildung Diltheys, erschwerten allerdings einen rationalen Diskurs, was die
Erfolgsgeschichte einiger Begriffe nur begünstigte. Die Begriffe, herabgesunken zu
Schlagwörtern, entwickelten eine eigene Dynamik. Der Umgang mit ihnen ver-

 Dilthey (1982b) 144.


 Dilthey (1982c) 360.
 Schefold (2005) 13.
10 Manfred Landfester

schleierte dabei häufig die wissenschaftliche Problematik. So blieb etwa unge-


klärt, welchen Beitrag die Wissenschaft zur Bestimmung von Werten und ihrer
Geltung leisten kann. Der Versuch des Soziologen Max Weber, den Wertebegriff
aus der Wissenschaft zu verbannen, blieb weitgehend folgenlos. Er war der
Meinung, „daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein kann,
bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte
ableiten zu können.“¹³ Es ist „intellektuelle Rechtschaffenheit: einzusehen, daß
Tatsachenfeststellungen, Feststellung mathematischer oder logischer Sachver-
halte oder der inneren Struktur von Kulturgütern einerseits, und andererseits die
Beantwortung der Frage nach dem Wert der Kultur und ihrer einzelnen Inhalte und
danach: wie man innerhalb der Kulturgemeinschaft und der politischen Verbände
handeln solle, – daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme sind.“¹⁴ „Das
Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist es,
wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so
sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können, sondern
ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, daß ‚Weltanschauungen‘ niemals
Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also die
höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf mit
anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die
unseren.“¹⁵ „Die Geltung solcher Werte zu beurteilen ist Sache des Glaubens,
daneben vielleicht eine Aufgabe spekulativer Betrachtung und Deutung des Le-
bens und der Welt auf ihren Sinn hin, sicherlich aber nicht Gegenstand einer
Erfahrungswissenschaft.“¹⁶ Zwar waren die Einwände Webers hermeneutisch
zutreffend, aber sie blieben weitgehend folgenlos; vielmehr provozierten sie
entschiedenen Widerspruch.
Im Zeichen der neuen Hermeneutik profilierten sich zunächst vor allem Stefan
George und seine Anhänger als Gegner und Verächter des Historismus.¹⁷ Sie
setzten nicht mehr auf die historische Rekonstruktion als Mittel der ‚objektiven‘
Erkenntnis des „Griechentums“, sondern auf ‚Intuition‘, ‚Erleben‘, ‚Erlebnis‘,
‚Gefühl‘, ‚Anschauung‘, ‚Erleuchtung‘ oder ‚Schau‘ als alternative subjektive und
zugleich irrationale Formen der ‚Erkenntnis‘. Allerdings erkannten einige Ge-
orgeaner bald, dass sie mit diesem Wissenschaftsverständnis keine Chance hat-
ten, ihr Ziel zu erreichen, sich im Rahmen der Wissenschaften an den Universi-
täten durchzusetzen. Heinrich Friedemann wies in seiner Dissertation über Platon

 Weber (1985a) 148; Germer (1994) 92.


 Weber (1985b) 601– 602.
 Weber (1985a) 154; Germer (1994) 95.
 Weber (1985a) 152; Germer 92– 93.
 Kolk (2012) 585 – 606.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 11

(1914) zumindest theoretisch einen Weg aus diesem Dilemma, indem er dem
historistischen Wissen als Vorbereitung des Verstehens durch Intuition propä-
deutischen Wert beimaß. Das historistische Wissen wurde als „weg zur pforte“ des
„geistigen Lebens“ gewertet: „Wie das leben selber der sammlung von tatsachen
entgleitet und sich nur dem glühenden herzen bietet, so ist auch das griechentum
mit wissen nicht zu fassen.Wissen schafft den weg zur pforte, den einlass gewährt
nur die verwandtschaft des geistigen lebens.“ Und diese Verwandtschaft wird
erkannt oder erfasst durch intuitives Nacherleben. Dieses Nacherleben hat Folgen
für das Leben, denn die Metapher „einlass“ bedeutet Einlass ins Leben: „So will
auch diese rede ein bild, nicht nur ein wissen sein, nicht kenntnis mehren sondern
das leben verwandeln, wo es noch fähig ist wahrhaft platonisch zu werden: ge-
dachtes geschautes verdichten zu werk und tat.“¹⁸ Die neue Wissenschaft als
„Führer zur Tat“ wurde zur Bildungs- und Lebenswissenschaft. George selbst hat
bei aller Skepsis gegenüber dem Wert des Historismus Friedemanns Rettung des
Positivismus zwar mehr oder weniger deutlich unterstützt und die positivistische
Quellenarbeit als Mittel wissenschaftlicher Diskursfähigkeit anerkannt, aber auch
immer wieder vor einer Überbewertung philologischer Arbeit gewarnt, so auch in
dem Gedicht An Gundolf (1899),¹⁹ in dem das historische Wissen zugunsten der
Darstellung durch die Dichtung abgewertet wurde: „Warum so viel in fernen
menschen forschen und in sagen lesen […] / Wenn selber du ein wort erfinden
kannst.“ Auf jeden Fall wies Friedemann mit der Unterscheidung von traditio-
nellem historistischem Wissen und neuem intuitivem Verstehen den Georgeanern
einen Weg, sich im Bereich der traditionellen Wissenschaftskultur der Universi-
täten einzunisten. Und es gelang nach dem Weltkrieg eine Unterwanderung der
Universitäten. Friedrich Gundolf hatte bereits 1916 eine außerordentliche Pro-
fessur in Germanistik in Heidelberg übernommen, wo er auch 1920 zum ordent-
lichen Professor ernannt wurde. Und an derselben Universität konnte sich Edgar
Salin für das Fach Nationalökonomie mit der Schrift Platon und die griechische
Utopie (1921) habilitieren und sich darin auf Grundüberzeugungen des George-
kreises berufen.²⁰ Allerdings gab es auch erhebliche Widerstände. Nun machten
die Georgeaner in der Tat den Hütern der bewährten auf Rationalität und Argu-
mentation aufbauenden Wissenschaftspraxis die Abwehr bisweilen zu leicht, da
sie das historische Wissen nicht immer zur Kontrolle und Korrektur ihrer Intui-
tionen einsetzten und die bewährte wissenschaftliche Redlichkeit ihrer ‚Er-
leuchtung‘ opferten.

 Friedemann (1914) 139.


 Groppe (1997) 627– 629; Stiewe (2011) 138 – 145.
 Böschenstein u. a. (2005).
12 Manfred Landfester

4 Der neue Philhellenismus


4.1 Der Irrgarten der Weltanschauungen

Unter dem Eindruck der Kulturkrisenstimmung und zu ihrer Überwindung kam es


seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zur Entfesselung des weltanschaulichen
Denkens, die zu ganz heterogenen, vor allem idealistischen und utopischen
Weltanschauungslehren führte. Es setzte ein offener Wettbewerb neuer und bisher
wenig erfolgreicher oder unterdrückter Weltanschauungen ein. Die alten Modelle
hatten ausgespielt. Die neuen Lehren verstanden sich entweder als reaktualisierte
traditionelle Modelle oder als Gegenmodelle zu traditionellen historisch be-
gründeten Mustern. Was da aus der Pandorabüchse der Weltanschauungen als
Heilmittel zur Überwindung der Krise angeboten wurde, war äußerst schillernd,
versetzt meistens mit antiken Anleihen. Es konkurrierten u. a. synkretistische
religiöse Weltanschauungen mit antikem hermetischem Hintergrund sowie ori-
entalische, dezidiert antieuropäische Weisheitslehren buddhistischer und hin-
duistischer Prägung miteinander. Zum Angebot gehörten etwa der Monismus von
Ernst Haeckel, die Theosophie von Helena Petrowna Blavatsky (mit Isis unveiled,
1875, und mit The Secret Doctrine, 3 Bde., 1888 – 1897), die Anthroposophie von
Rudolf Steiner, Die Schule der Weisheit von Hermann Graf Keyserling, die Le-
bensreformbewegung als Gesellschaftreform,²¹ vor allem aber der Sozialismus in
unterschiedlichen Spielarten, aber auch expressionistische und futuristische
Modelle. Außerdem formierten sich generationsspezifische Rückgriffe auf die
Antike, so die Jugendkulturbewegung um den Schulreformator Gustav Wyneken in
der Freien Schulgemeinde Wickersdorf ²² und die Jugendbewegung des Wander-
vogels ²³. Ihnen allen war der Traum von einem neuen Menschen gemeinsam.
Angesichts der Fülle heterogener Weltanschauungslehrern als Ausdruck eines
Wertepluralismus stellte Wilhelm Dilthey bereits 1903 ratlos die Frage: „wo sind
die Mittel, die Anarchie der Überzeugungen, die hereinzubrechen droht, zu
überwinden?“²⁴
Eine bedeutende Rolle in diesem Weltanschauungswettbewerb spielten seit
Ende des Jahrhunderts explizite philhellenistische Modelle von unterschiedlicher
Art. Einflussreich waren besonders der antiklassizistische Philhellenismus Hugo
von Hofmannsthals, der Platonismus des Marburger Neukantianismus sowie der

 Sünderhauf (2004) 139 – 239.


 Groppe (2005).
 Cancik (2001).
 Dilthey (1982a) 9.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 13

Neoklassizismus Stefan Georges und der Georgeaner, der auch wesentlich ein
Platonismus war. Andere an der Antike orientierte Zugriffe wie der archaistische
Philhellenismus eines Rainer Maria Rilke mit dem Sonett Archaischer Torso
Apollos (1908) und der Reise-Philhellenismus eines Gerhart Hauptmann (Grie-
chischer Frühling, 1908) oder eines Hugo von Hofmannsthal (Augenblicke in
Griechenland [1908 – 1914], 1924) zeigen das weite Spektrum der neuen Grie-
chenrezeption.
Bei allen Unterschieden im Einzelnen waren sich die modernen Philhellenen
einig in der Ablehnung des Historismus als eines Mittels zur Erkenntnis der Antike
und in dem Bekenntnis zu dem Stammvater des Antihistorismus Friedrich
Nietzsche. Geradezu modisch wurden Modelle, die Nietzsches neue Klassizität der
Griechen in der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik mit der Polarität des
Apollinischen im Sinne von Maß, Form und Harmonie und des Dionysischen im
Sinne von Entgrenzung, Orgiasmus und Ekstase als Zauberformel für das Ver-
ständnis der griechischen Kultur entdeckten und produktiv adaptierten, dabei
häufig dem Phänomen des Dionysischen als Merkmal der griechischen Kultur den
Vorzug gaben. Zwar hatte der Historismus mit der Erschließung einer unendlichen
Fülle von Sachverhalten und Tatsachen die Kenntnis dieser ‚dionysischen‘ Phä-
nomene gefördert, aber nach seinem Selbstverständnis hatte er kein Interesse
daran, sie als besonderes Merkmal für das Verständnis der griechischen Kultur
einzusetzen. Das taten die Außenseiter der Altertumswissenschaften und die
wissenschaftlich Verfemten. Auf sie stützte sich Hofmannsthal ausdrücklich. So
zählte er Johann Jakob Bachofen, Jacob Burckhardt, Fustel de Coulanges und
Erwin Rohde unter die „großen Intellektuellen des letzten Jahrhunderts, die uns
eine dunklere und wildere Antike enthüllt haben“, „unvergleichliche Interpreten
des dunklen Untergrundes der griechischen Seele, starke Fackeln, die eine Grä-
berwelt aufleuchten ließen.“ ²⁵ Sie alle hatten das Ihre dazu beigetragen, den
Glauben an die Idealität der Griechen im Sinne des Neuhumanismus zu er-
schüttern und die alte Sehnsucht nach den Griechen zu vertreiben. Da diese in der
Mehrzahl – mit Nietzsche an der Spitze – im Namen der Wissenschaft aus dem
Reich der Wissenschaft verstoßen waren, nahmen die Altertumswissenschaftler
und Humanisten den neuen Philhellenismus kaum wahr oder lehnten ihn kate-
gorisch ab. Zwar wurde diese Ausgrenzung im Namen des Historismus ausge-
sprochen, da sich der neue Philhellenismus nicht um die ‚objektiven‘ Erkenntnisse
der Wissenschaft geschert habe, aber sie war auch wesentlich begründet durch
den Verrat Nietzsches und Burckhardts am Griechenbild des Klassizismus, denn
die innere emotionale Bindung der Altertumswissenschaftler an den Klassizismus

 Hofmannsthal (1924) Kap.1.


14 Manfred Landfester

hatte sich unter der Oberfläche gehalten. Gerade Wilamowitz zeigte diesen Wi-
derspruch seit seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche, dem er den Abfall von
Winckelmanns Griechenbild vorgeworfen hatte. In seinem Herzen war er ein
Klassizist geblieben, für den „das reine beglückende Anschauen des in seiner
Wahrheit und Schönheit Verstandenen“ höchstes Ziel der Wissenschaft blieb²⁶
und der für diese „Wahrheit und Schönheit“ auch immer wieder warb.
Unter solchen Voraussetzungen befremdete die traditionellen Anwälte der
Antike der Antiklassizismus eines Hugo von Hofmannsthal, der mit der Rezeption
der fremden ‚dionysischen‘ Antike in der Elektra (nach der Elektra des Sophokles)
(1903) einen Gegenentwurf zu der nach dem Modell Winckelmanns gestalteten
‚apollinischen‘ Iphigenie Johann Wolfgang von Goethes in der Iphigenie auf Tauris
auf die Bühne brachte, dessen ‚dionysischer‘ Charakter in der Vertonung als Oper
von Richard Strauss (1909) noch einmal verstärkt wurde. Das ‚Dionysische‘ wurde
zum Pathologischen. Und die „hysterische und ekstatische“, „gleichermaßen
grausam-archaische wie neurotisch-moderne“ Elektra wurde zum Beispiel für die
Zerrissenheit des modernen Lebens²⁷ und dadurch Ausdruck der modernen Sinn-
krise.

4.2 Der Platonismus im Rahmen des


Marburger Neukantianismus
Der Platonismus des Marburger Neukantianismus trug durch Hermann Cohen und
Paul Natorp direkt und indirekt wesentlich zur Entwicklung des modernen päd-
agogischen Platonismus bei, der durch die Georgeaner und Jaeger regelrecht
pädagogische Mode wurde. Unabhängig von der im Schatten Nietzsches stehen-
den Rezeption der Antike führte der Neukantianismus gegen den Historismus zur
Erneuerung des Platonismus. Der Neukantianismus gab sich nicht damit zufrie-
den, dass die antike Philosophie zur Philosophiegeschichte herabgesunken war
und dass Platon im Laufe des Jahrhunderts in die unphilosophischen Niede-
rungen positivistischer Textkonstitution abgedriftet war und dabei sein geistiges
Potential für die Gegenwart eingebüßt hatte. In Marburg stand Platon – so die
Erfahrung des 18jährigen Jaeger im ersten Semester – im Mittelpunkt des geistigen
Lebens der Universität. Unter dem Einfluss dieses Platonismus vollzog sich die
„Wendung“ Jaegers zur Philosophie.²⁸ Der zeitgenössischen Wahrnehmung nach

 Wilamowitz (1921) 1; Stiewe (2011) 180.


 Riedel (2000) 278.
 Jaeger (1960) XIII.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 15

war der Platonismus zwar bestimmt durch die Erkenntnistheorie auf der Grund-
lage der platonischen Ideenlehre,²⁹ aber Natorp hatte auch eine auf der Er-
kenntnistheorie gründende Sozialpädagogik entworfen, mit der er an die päd-
agogischen Grundvorstellungen Platons in der Politeia anknüpfte.³⁰ In der
Bindung des Staates an die Idee des Guten erkannte er das Besondere der Phi-
losophie Platons. Für Natorp war Platon der „tiefste Pädagog des Altertums.“ ³¹
Damit erneuerte er ausdrücklich das Urteil Jean-Jacques Rousseaus in Émile ou De
l’éducation (1762) (B.1) über Platons Politeia: „C’est le plus beau traité d’éducation
qu’on ait jammais fait.“ Ein solches Urteil verhinderte aber nicht eine grundle-
gende Kritik an Platon,³² nämlich an der Beschränkung des „Erziehungsplans“ auf
die „regierende Klasse“.
Gegen den Historismus forderte Natorp programmatisch die Erneuerung der
modernen Kultur durch die Rezeption der griechischen Kultur:³³

In der That nicht darin allein erkennen wir den Grund, unsere höhere Allgemeinbildung auf
die Kenntnis der alten und vorzugsweise der griechischen Kultur geradezu zu gründen, daß
sie eine der historischen Quellen unserer Kultur und zwar eine der hauptsächlichsten ist;
sondern darin zugleich, daß genau die inhaltlichen Grundelemente, aus denen die
menschliche Kultur, wie wir sie auf dem heute erreichten Standpunkt überhaupt nur zu
begreifen vermögen, sich aufbaut und gleichsam konstruieren läßt, nirgends so rein, so
einfach und zugleich so vollzählig zu Tage liegen wie in ihr. Man darf ruhig sagen, daß ihr
darin eine typische Bedeutung zukomme. […] [Wir sehen daher] die Vollendung mensch-
heitlicher Kultur [nicht] hinter uns, in dem verlorenen Paradies der Griechenwelt, sondern sie
liegt, als die ewige Aufgabe des Menschengeschlechts, allzeit vor uns; aber die erzeugenden
Kräfte dieser menschheitlichen Kultur, so wie wir sie bisher zu begreifen vermögen, sind an
keiner anderen Epoche ihrer Entwicklung in gleicher Reinheit und Ursprünglichkeit auf-
zuweisen und zur Erkenntnis zu bringen, wie an der Kultur der Griechen.

Natorps Aktualisierung der platonischen Philosophie gab der Rezeption Platons


neue Impulse. Jaeger fand hier seinen Weg zu einer philosophischen Philologie
bzw. zu einer philologischen Philosophie. Und unter dem wissenschaftlichen
Schutzschild von Natorp konnten die Georgeaner Heinrich Friedemann³⁴ und Kurt
Hildebrandt³⁵ durch ihre philosophischen Dissertationen ihr Platonverständnis
wissenschaftlich legitimieren und die Platonrezeption im George-Kreis steuern.

 Natorp (1903).
 Natorp (1899); Natorp (1922); Follak (2005) 53 – 115.
 Natorp (1901) 10.
 Natorp 1899, 158 – 159.
 Natorp (1901) 11– 12.
 Friedemann (1914).
 Hildebrandt (1922).
16 Manfred Landfester

4.3 Der Neoklassizismus und Platonismus Stefan Georges und


der Georgeaner³⁶
Der Philhellenismus Stefan Georges und seines Kreises – u. a. mit Friedrich
Wolters, Friedrich Gundolf, Kurt Hildebrandt, Kurt Singer und Heinrich Friede-
mann – bedeutete eine Reaktualisierung des neuhumanistischen Griechenbildes
und war daher konsequent antihistoristisch eingestellt. Im Unterschied zu Hof-
mannsthals Präferenzen für die ‚dionysische‘ Antike, die für einen idealistischen
Humanismus nicht recht verwertbar war, hatten George und die Georgeaner we-
sentlichen Anteil an der Entstehung eines neuen idealistischen Humanismus und
leiteten wieder die „Ehrfurcht“ vor den Griechen ein, die der Historismus verloren
hatte. Zwar war der George-Kreis keineswegs homogen, aber er erhielt durch
seinen charismatischen Führer George einen ideologischen Zusammenhalt.
Mit George kehrten die Griechen eines Winckelmann, eines Goethe und eines
Wilhelm von Humboldt wieder zurück. Das waren die alten ‚apollinischen‘ Grie-
chen des Neuhumanismus. Aus ihnen wurden jetzt die neuen ‚apollinischen‘
Griechen Nietzsches, die die ‚dionysischen‘ Kräfte des Griechentums gebändigt
hatten. Zum Interpreten des Griechenverständnisses Georges im Sinne Nietzsches
wurde Gundolf:³⁷ „Alles bei George drängt zur gestalt, ja zur organisation. Für ihn
sind die Griechen nicht so sehr das volk der Titanen und der dionysische taumel
als die ausbildner der vollendeten leiblichkeit: wobei er freilich weiss“ – und hier
paraphrasiert Gundolf Nietzsche³⁸ – „wie sehr zu diesem höchsten vorausge-
gangenes ringen nötig war und wie sehr gestalt und schönheit erst preis furcht-
barer kämpfe und überwältigungen ist. […] George kommt vom chaos zur form.“
Gestalt gewann dieses Griechentum für George in der griechischen Skulptur,
die als die „bisher reinste Form des ‚ewigen Menschentums‘ „ zu gelten habe.³⁹
Dabei erhielten die archaischen Statuen, repräsentiert v. a. durch die sog. Ägi-
neten, die Skulpturen des Aphaia-Tempels in Ägina aus der Zeit um 500 v.Chr.
(München, Glyptothek), eine herausragende Bedeutung, mit ihnen auch die
spätarchaische Dichtung (Pindar, Aischylos)⁴⁰ und schließlich auch der Philosoph
Platon. Die ‚apollinischen‘ Begriffe Nietzsches „Schönheit“ und „Maß“ wurden
zentrale Begriffe, mit Verweis auf die griechische Kalokagathia als vollkommene
Einheit von Körper/Leib und Geist/Seele.

 Seubert (2010).
 Gundolf (1910) 26 – 27.
 Nietzsche (1994 120 – 123.
 Sünderhauf (2004) 219.
 Stiewe (2011) 105.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 17

Programmatische schwärmerische und enthusiastische Äußerungen vor al-


lem von George selbst in den Blättern für die Kunst über die Art und Funktion des
Griechentums erhielten für den Kreis dogmatische Bedeutung. Dieses sollte Me-
dium der Erneuerung der Bildung werden:⁴¹

Dass ein strahl von Hellas auf uns fiel: dass unsre jugend jezt das leben nicht mehr niedrig
sondern glühend anzusehen beginnt: dass sie im leiblichen und geistigen nach schönen
maassen sucht: dass sie von der schwärmerei für seichte allgemeine bildung und beglückung
sich ebenso gelöst hat als von verjährter lanzknechtischer barbarei: dass sie die steife
gradheit sowie das geduckte lastentragende der umlebenden als hässlich vermeidet und
freien hauptes schön durch das leben schreiten will: dass sie schliesslich auch ihr volkstum
gross und nicht im beschränkten sinne eines stammes auffasst: darin finde man den um-
schwung des deutschen wesens bei der jahrhundertwende.

Als „Losung“ galt „Hellas ewig unsre liebe“ (Teppich des Lebens, Vorspiel VII, vor
August 1899). Dieses Suchen „im leiblichen und geistigen nach schönen maassen“
bildete auch die Grundlage des allerdings nicht von George gezeichneten Merk-
spruchs Das Hellenische Wunder, ⁴² der mit pathetischer Konnotation die Griechen-
Rezeption des Klassizismus als eine „durchdringung, befruchtung, eine Heilige
Heirat“ zwischen Griechen und Deutschen bezeichnete.
Indem das Griechentum zur normativen Lebensform einer neuen deutschen
Jugend wurde,⁴³ erhielt es als Medium der Bildung eine zentrale Bedeutung der
ästhetischen und kulturreformerischen Bewegung der Georgeaner. Mit ihrer
Konzeption des Griechentums besetzten die Georgeaner altes humanistisches
Terrain neu. Sie übten damit seit der Jahrhundertwende eine heterogene Wirkung
aus und polarisierten gleichzeitig den öffentlichen Diskurs.
Dieser allgemeine und eher abstrakte Philhellenismus wurde ideologisch
durch einen Platonismus aufgerüstet.⁴⁴ Dabei musste man sich von der zwie-
spältigen Bewertung Platons durch Nietzsche lösen.
Vorbereitet wurde der neue Platonismus durch George selbst, der sich seit
etwa 1907, dem Erscheinungsjahr des Siebenten Ring, zunehmend als Wieder-
gänger Platons, als ein Plato redivivus, stilisierte oder als solcher stilisiert wurde.
Sein Freundeskreis verstand sich zunächst auf Anregung von Wolters nach der
Politeia Platons als „Der Staat“, woraus später das „Geheime Deutschland“ wurde.
Die Gesprächskultur des Kreises spiegelte die Gesprächskultur der platonisch-

 Blätter für die Kunst (1897) 4.


 Blätter für die Kunst (1910) 2.
 Gert Mattenklott (2001).
 Rebenich (2008).
18 Manfred Landfester

sokratischen Dialoge.⁴⁵ Und der Erkenntnisprozess des Philosophierens wurde am


Beispiel der Platonischen Ideenschau zur erlebnishaften Schau.⁴⁶
Dieser neue Platonismus erhielt seine wissenschaftliche Grundierung durch
die Platon-Dissertation von Friedemann,⁴⁷ der, gleichaltrig mit Jaeger, zwar in
Marburg bei Natorp studiert hatte, aber gegen diesen ein neues Platonbild ent-
worfen hatte. Diese Dissertation, wenige Tage nach Ausbruch des Ersten Welt-
krieges erschienen und damit kurz vor der Baseler Antrittsvorlesung Jaegers
(18. Dezember 1914), erhielt dogmatische Bedeutung für die Georgeaner und
steuerte ihr Selbstverständnis. Platon wurde als Dichter gefeiert, dessen Denken
nicht so sehr durch die Vernunft, als vielmehr durch die μανία (manía), durch den
dichterischen ‚Wahnsinn‘ bestimmt war. Platon wurde „der sänger und seher“.⁴⁸
Und der Entwurf seines Staates in der Politeia wurde verstanden als „kultische
Gemeinschaft“ von Philosophenkönig und Jüngern, die durch den Eros zusam-
mengehalten wird. Platons Schrift Politeia wurde unter dem Leitbegriff der Pai-
deia/Erziehung zur Programmschrift eines neuen politischen Denkens. Platon-
Sokrates, der Dichter, Erzieher, Staatsdenker und ‚Erotiker‘, wurde der „unver-
gängliche vater geistigen reiches.“⁴⁹ Friedemanns Platonbuch leitete einen neuen
pädagogischen Platonismus ein, dem dann in den Zwanziger Jahren Jaeger ver-
pflichtet war.

5 Die Altertumswissenschaften und


der Humanismus in der Zeit der Kulturkrise
5.1 Bis zum ersten Weltkrieg

Obwohl die Altertumswissenschaften und der Humanismus als Teil der Krise
galten, hatten diese lange und beharrlich dem zeittypischen Krisengefühl wi-
derstanden. Die Gründe lagen einmal in der Geltung des historistischen Wis-
senschaftsideals, außerdem nicht unwesentlich in den dominanten Wissen-
schaftlern, die dem Historismus ein Gesicht gegeben hatten, an Mommsen und
seinem Schwiegersohn Wilamowitz, die durch ihre Leistung und ihre Persön-
lichkeit regelrecht einschüchternd wirkten, zum andern an den Gegnern des

 Mattenklott (2001) 243 – 244.


 Hildebrandt (1911) 91; Groppe (2002) 39.
 Friedemann (1914).
 Friedemann (1914) 138.
 Friedemann (1914) 138.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 19

Historismus und den Leitfiguren des neuen Denkens, namentlich an Friedrich


Nietzsche und Jacob Burckhardt, die ihr wissenschaftliches Prestige nach dem
Verständnis der Historisten verspielt hatten. Mit Nietzsches philosophischer
Deutung des Griechentums in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
(1872) hatte der 21jährige gerade promovierte Wilamowitz im Namen der histo-
ristischen Wissenschaft hochmütig in einem Pamphlet abgerechnet und ihn aus
der Wissenschaft exkommuniziert (1872/73), und Burckhardt, einem Erzfeind
Mommsens, hatte er postum bescheinigt, dass seine Griechische Culturgeschichte
(1898 – 1902) „für die Wissenschaft nicht existiert“, weil sie „veraltet“ sei.⁵⁰ Und da
viele auch noch bei Wilamowitz in die Lehre gegangen waren, war dieser zum
wissenschaftlichen Übervater geworden. Ein Bekenntnis zu den Schlüsselfiguren
des Antihistorismus hielt man für wissenschaftlichen Selbstmord und zugleich für
Vatermord.
Auch der Humanismus war gegen das Krisenvirus immun. Er hatte sich unter
dem wissenschaftlichen Protektorat des Historismus gut eingerichtet und durch
die programmatische Implementierung realistischer Bildungsinhalte seine be-
währte Anpassungsfähigkeit bewiesen, so dass vorübergehend für Entspannung
an der Bildungsfront gesorgt schien. Diese realistischen Bildungsinhalte waren
durch den Historismus sichtbar geworden, der den Realismus der Antike zu Lasten
des alten Idealismus entdeckt hatte und den Wilamowitz durch sein Griechisches
Lesebuch (1902) für eine modernisierte humanistische Bildung stark gemacht
hatte. So war die humanistische Bildung als höhere Allgemeinbildung trotz der
Einschränkungen seit der Preußischen Schulkonferenz von 1900 nicht wirklich
gefährdet.
Wenn auch Wissenschaft und Humanismus zunächst kein Krisenbewusstsein
entwickelten, so nahmen sie seit der Jahrhundertwende, als die Kritik an Wis-
senschaft und Humanismus anschwoll, doch immer häufiger den Antihistorismus
wenigstens wahr, ohne allerdings seine Ursachen zu erkennen oder auf ihn zu
reagieren. So erkannte der bedeutende Berliner Klassische Philologe Hermann
Diels⁵¹ in Nietzsche den „Bekämpfer der Wissenschaft“ und plädierte gegen den
modischen Trend, die historischen Wissenschaften in Bildungswissenschaften zu
transformieren, entschieden für „die gelehrte Forschung um ihrer selbst willen
ohne praktische und pädagogische Nebenabsichten.“
Aber trotz der Abschottung drang der Antihistorismus in das geistige Umfeld
des Historismus ein. Das geschah vor allem in Berlin, der Kapitale des Historismus
durch die Universität und vor allem durch die Akademie, einen Großbetrieb des

 Griechische Tragödien (1900) 6 – 7.


 Diels (1902), 30 – 31; 42.
20 Manfred Landfester

Historismus. Hier berührten sich schon räumlich der expansiv-subversive Anti-


historismus Nietzsches und der Nietzscheaner – mit den Georgeanern an der
Spitze – und der Historismus, für den nicht nur in der wissenschaftlichen Öf-
fentlichkeit, sondern auch in der allgemeinen kulturellen Öffentlichkeit Wil-
amowitz durch Vorträge und durch Aufführung griechischer Tragödien stand.
Dieser geriet daher seit der Jahrhundertwende zunehmend ins Visier der Anti-
historisten.
Als Jaeger nach einem einsemestrigen Studium in Marburg seit dem Winter-
semester 1907/8 sein Studium in Berlin als Schüler von Wilamowitz fortsetzte,
konnte er diese antihistoristischen Tendenzen nicht ignorieren. So veröffentlichte
1908 Ludwig Hatvany das Pamphlet Die Wissenschaft vom Nicht Wissenswerten,
eine literarisch gelungene Satire auf die historistische Philologie in Lehre und
Forschung in Berlin mit ihren älteren und jüngeren Protagonisten Adolf Kirchhoff,
Johannes Vahlen (unter dem Pseudonym Woepke), Diels und Wilamowitz.
Grundlage der Satire waren Hatvanys Erfahrungen während seines einsemestrigen
Studiums in Berlin (SS 1906), für das sich der nach einem Studium in Budapest
und Freiburg 1905 in historistischer Klassischer Philologie promovierte österrei-
chische Ungar einschrieb, um sich für die wissenschaftliche Karriere zu qualifi-
zieren. Seine frühere Skepsis gegenüber dem Sinn historistischer Philologie kam
aber erst angesichts der Vorlesungspraxis in Berlin voll zum Durchbruch. Er
verzichtete auf eine weitere wissenschaftliche Qualifizierung zu Gunsten der Sa-
tire. Indem er in Übereinstimmung mit Kategorien des modernen Dichtungsver-
ständnisses eines Dilthey und George den Erlebnis- und Kunstcharakter der Li-
teratur sowie den Genuss des Lesers zum Maßstab des Verständnisses machte,
hatte er leichtes Spiel, mit der Praxis des historistischen Umgangs mit Literatur
abzurechnen:⁵²

[…] zum Teufel mit […] all jenen Trödlern der Wissenschaft, Dichternervenspaltern, Doku-
mentenschnüfflern, Radizesrasplern! Die ganze Bande muß ich mir erst vom Hals schaffen,
damit ich an den Dichter selbst gelange, ihn von Angesicht zu Angesicht sehe, sein Lachen
höre.

Während das Pamphlet in der außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit begeistert


und mit Befriedigung aufgenommen wurde, gab es in den Altertumswissen-
schaften keine nennenswerten öffentlichen und veröffentlichten Reaktionen,
auch keine entrüsteten.
Hatte Hatvany in seiner Satire Wilamowitz noch einigermaßen geschont, so
gingen die Georgeaner seit 1910 aggressiv mit Wilamowitz um, als sie sich mit der

 Hatvany (1908) 4.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 21

Gründung des Jahrbuchs für die geistige Bewegung, einer exklusiven Zeitschrift zu
aktuellen Problemen der Literatur und Kunst, der Philosophie, der Geschichte und
der Wissenschaften, u. a. als Speerspitze des Antihistorismus formierten.⁵³ Es
setzte eine wissenschaftliche Fehde ein, die bis zum Tode von Wilamowitz an-
dauerte. Es war der Georgeaner Hildebrandt, ausgebildeter Mediziner und
Psychiater, zunächst autodidaktischer Philosoph, dann 1922 in Philosophie pro-
moviert, der sie einleitete und auch am Leben erhielt.⁵⁴ Er hatte im 16. Lebensjahr
bei der Lektüre von Nietzsches Geburt der Tragödie „einen Erweckungsrausch
empfunden“, und danach war ihm – trotz Nietzsches Vorbehalten gegen Platon-
Sokrates – „Platon zum Erlebnis“ geworden. Vorbelastet durch das Pamphlet des
jungen Philologen Wilamowitz (1872/73) gegen Nietzsches Geburt der Tragödie
(1872) rechnete als späte Rache Hildebrandt 1910 in dem Jahrbuch für die geistige
Bewegung ⁵⁵ in dem Rezensionsaufsatz Hellas und Wilamowitz. Zum Ethos der
Tragödie mit Wilamowitz ab, als er bei seinen Tragödienstudien die seit 1899
erschienenen Tragödienübersetzungen des Philologen⁵⁶ auf ihr dem „Ethos der
Tragödie“ angemessenes Verständnis überprüfte und sie wegen der Trivialisierung
und Banalisierung des „Ethos der Tragödie“ für misslungen verhöhnte. Mit dem
Begriff des Trivialen schloss Hildebrandt an Nietzsche an, der den Historisten, – in
der Polemik Nietzsches: den ‚naiven Historikern‘– vorgeworfen hatte, „die Ver-
gangenheit der zeitgemäßen Trivialität anzupassen.“⁵⁷ Eine solche Philologie sei
nicht die Bewahrerin „göttlichen erbguts“, sondern „unfromme gelehrsamkeit“,
sie sei „frevelhaft gegen Hellas“. Nicht sie stehe „an der pforte von Hellas“,
sondern „Winckelmann, Herder, Goethe, Jean Paul, Hölderlin: In ihnen wirkten
Dionysos und Apollo selbst, und darum sollen uns noch ihre irrtümer heiliger sein
als unfromme gelehrsamkeit.“⁵⁸ Der Aufsatz, in verkürzter Form zuvor in den
Grenzboten, einer meinungsbildenden national-liberalen Zeitschrift für Politik,
Literatur und Kunst erschienen,⁵⁹ erregte in der literarischen und wissenschaftli-
chen Öffentlichkeit eine erhebliche Aufmerksamkeit, da sich ein philosophischer
und altertumswissenschaftlicher Laie mit dem anerkannten König der Griechi-
schen Philologie in einer außerordentlich aggressiven Form anlegte. Hildebrandt
schickte den ganzen Band des Jahrbuchs sofort nach Erscheinen an Wilamowitz

 Kolk (1998) 362– 375.


 Goldsmith (1985) 600 – 610.
 Hildebrandt (1910b).
 Griechische Tragödien (1899).
 Nietzsche (1980) 289.
 Hildebrandt (1910b) 70, 117.
 Hildebrandt (1910a).
22 Manfred Landfester

und verschärfte in seinem Begleitschreiben noch einmal den Ton: „[…] so sehr ich
Ihre geistige Potenz bewundere, so verhasst sind mir Ihre geistigen Ziele.“⁶⁰
Mit dieser Polemik hatte Hildebrandt nicht nur „einen großen Gelehrten tief
verletzt und empört“,⁶¹ sondern die Auseinandersetzung Georges und der Ge-
orgeaner mit dem Historismus um das richtige Verständnis der griechischen
Antike hatte jetzt auch die wissenschaftliche Öffentlichkeit erreicht. Allerdings
blieben zustimmende öffentliche Reaktionen angesichts des Prestiges von Wila-
mowitz aus, aber immerhin gab es positive mündliche und briefliche Reaktionen,
vor allem aus dem Kreis der Kollegen, die nicht mehr bedingungslos zum Histo-
rismus standen und auch mit George als Dichter und neuidealistischem Denker
sympathisierten. So teilten offensichtlich einige Kollegen von Wilamowitz das
Urteil Hildebrandts über die Übersetzungen von Wilamowitz,⁶² so der Germanist
und mit Wilamowitz befreundete Gustav Roethe, der George „als den größten
Dichter der Zeit“ ansah und der die Promotion des bekennenden Georgeaners
Gundolf mit der Arbeit Caesar in der deutschen Literatur (1903) gefördert hatte,
dann auch der dem Historismus distanziert gegenüberstehende Historiker Hans
Delbrück, Inhaber des Lehrstuhls von Heinrich von Treitschke, der Germanist
Erich Schmidt, der den Wettstreit mit Wilamowitz um das prestigeträchtige Rek-
torat für das Jubiläumsjahr 1909/10 gewann, die Philosophen Max Dessoir und
Georg Simmel „und andere“. Solche Zustimmungen zeigten, dass sowohl der
Historismus als auch Wilamowitz selbst nicht mehr unumstritten war und dass
George nicht mehr als exzentrischer Sonderling wahrgenommen wurde. Die
Universität war infiziert von dem neuen Geist. Aus der Zunft der Altertumswis-
senschaftler schrieb immerhin der Münchener Gräzist Otto Crusius „einen im-
pulsiv und herzhaft zustimmenden Brief“,⁶³ ging aber bald auf Distanz, als er
erfuhr, dass Hildebrandt kein junger Zunftkollege, sondern Mediziner war. Dass
Georgeaner ihre Freude an dem Pamphlet hatten, versteht sich von selbst. Be-
sonders Gundolf war begeistert von der Polemik. Er schrieb Hildebrandt noch oft
weitere „geistreiche Urteile und Scherze über Wilamowitz und verlangte, daß er
noch im diesseitigen Leben seine Strafe haben müsse.“⁶⁴ Der Antihistorismus war
in der Burg des Historismus angekommen.
Unter dem Eindruck des Erfolgs des neuen Denkens in den Wissenschaften
wich man gelegentlich doch ab von der Generallinie, den neuen Geist als Mode
abzutun und guten Gewissens zu ignorieren. So empfahl von den Universitäts-

 Goldsmith (1985) 589.


 Hildebrandt (1965) 55.
 Hildebrandt (1965) 57.
 Hildebrandt (1965) 56 Anm. 13.
 Hildebrandt (1965) 55 Anm. 11.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 23

philologen der Gießener Otto Immisch, die „Gedankengänge und Neigungen der
modernen Seele“ zur Kenntnis zu nehmen, um im Namen der Wahrheit „auf-
klärend und berichtigend“ zu wirken.⁶⁵ Gönnerhaft bescheinigte ihm daher Hil-
debrandt, dass er „ehrlich bemüht“ sei, „die neue Bewegung und die alte Methode
der Philologie zum Ruhme der Antike zu vereinen.“⁶⁶

5.2 Seit dem Ersten Weltkrieg

Es waren vor allem die begabtesten Schüler von Wilamowitz, die unter dem
Eindruck des Erlebnisses des Ersten Weltkriegs in Übereinstimmung mit dem
Zeitgeist von dem umfassenden Krisenvirus erfasst wurden und dazu beitrugen,
dass die Krise in Wissenschaft und Humanismus jetzt wahrgenommen wurde.⁶⁷
Jaeger, der unter dem Eindruck der Wissenschaftskrise ohnehin schon 1914 das
Konzept einer neuen Philologie entworfen hatte, geriet in eine existentielle Krise,
die er dann durch seine rastlose Tätigkeit nach dem Krieg mit der Weiterent-
wicklung der neuen Philologie und der Erneuerung des Humanismus überwand.
Sein Brief vom 24. Juli 1917 an seinen Lehrer Wilamowitz zeigt diese existentielle
Krise:⁶⁸

Von Woche zu Woche reißt dieser Krieg tiefer die Fundamente auf, darauf das Leben bisher
gebaut war, und je prinzipieller und quälender ich persönlich als junger Mensch die Pro-
bleme durchleben und kämpfen muß, je weniger ich irgendwo Festes um mich und in mir
gewahr werde, desto mehr verfalle ich dem Schweigen. […] Wenn ich hoffen darf, des inneren
Widerstreits einmal glücklich mich [zu] entledigen durch eine feste Stellungnahme in der
Welt, zu der ich mich durcharbeite, dann hoffe ich auch, in diesen Jahren des inneren Krieges
u. des endlosen Lernens u. Belehrtwerdens etwas Nützliches erlebt zu haben.

Ähnlich wurde für Paul Friedländer, ebenfalls Schüler von Wilamowitz, der Krieg
zu einem Schlüsselerlebnis. In einem Brief vom 4. Juli 1921 an seinen Lehrer
formulierte er die Folgen der Krise für sein Wissenschaftsverständnis. In diesem
Brief bekannte er seinen Verrat am Historismus und machte dabei Wilamowitz
regelrecht zum Beichtvater:⁶⁹

 Immisch (1911) 11.


 Hildbrandt (1930/33) 194.
 Vogt (1985).
 Calder (1983) 168.
 Calder (1980) 94– 96.
24 Manfred Landfester

Viel von dem Besten was ich habe, habe ich durch Sie. Aber was ich jetzt geworden bin – und
das ist nun die Kehrseite – bin ich in vielen Jahren im Kampf gegen Sie oder vielleicht besser
gegen den Wilamowitz in mir geworden. Hätte ich mich Ihnen früher nicht so stark ergeben,
so wäre die Lösung nicht so schmerzlich gewesen. […] Soll ich die Namen nennen die diese
Wendung brachten, so sind das (‚natürlich‘ werden Sie mit Recht bei den meisten sagen):
Nietzsche, der seit meiner Jugend allmählich in mich eindringend meinen Gesamtblick auf
das Leben bestimmte, dann im Besonderen meine Ansicht vom ‚Historischen‘ formen half.
Dann Wölfflin und hinter ihm Burckhardt, die eine mir ganz neue in der Philologie mir nicht
gebotene Forderung an das Begreifen eines ‚Werkes‘ stellten und in der bildenden Kunst die
Erfüllung wiesen […]. Es sind noch andere verwandelnde Kräfte zu nennen, im allgemeinen
die ‚Philosophie‘. Und in den letzten Jahren ist es [Stefan] George der die größte Erschütte-
rung und die stärkste Umlagerung aller Kräfte gebracht hat. […] Vor allem aber weiß ich, daß
die Philologie über der Mikroskopie des Einzelnen und dem Aufsuchen von Beziehungen […]
arg versäumt hat nach dem Ganzen eines ‚Werkes‘ [und] einer ‚Gestalt‘ zu fragen. […] Dann
aber hat der Krieg mich doch sehr verwandelt und ich konnte nicht wie andere 1919 da
einsetzen wo ich 1914 aufgehört hatte. Ich stelle jetzt viel höhere Anforderungen an die
Notwendigkeit die die Dinge für mich haben müssen. Auch möchte ich nichts mehr sagen was
nicht in sich rund ist und Gewicht hat, möchte nicht Miscellen und Aufsätze schreiben weil
gerade der Zufall mir irgend eine Beobachtung in den Weg geworfen hat.

Was Jaeger noch unterlassen hatte und was er auch später nicht tat, das holte
Friedländer hier nach: Er nannte namentlich seine neuen geistigen Vorbilder und
bekannte sich zu ihnen.
Nicht nur die Altertumswissenschaftler verloren ihre alte Selbstsicherheit und
gerieten in eine Sinnkrise, sondern auch die Träger der humanistischen Bildung,
was bei der häufigen Personenidentität von Wissenschaftlern und Humanisten
nicht überraschen kann. Allerdings war das Bewusstsein einer Krise im Huma-
nismus stärker ausgebildet als in der Wissenschaft, weil für die aktuelle politische
Krise der Nachkriegszeit mit Vorliebe die Bildung, und damit vor allem die hu-
manistische Bildung, verantwortlich gemacht wurde. Dazu hatte sie selbst er-
heblich beigetragen, weil sie sich zu Beginn des Weltkrieges als Garantin der
politischen und militärischen Überlegenheit Deutschlands eingebracht hatte.
Dieser Anspruch der Bildung wurde nach der militärischen Niederlage und po-
litischen Revolution zur schweren Erblast. Jetzt stand die humanistische Bildung
als Allgemeinbildung, vor allem das Griechische als ihr „Herzstück“⁷⁰, auf dem
Prüfstand, weil diese Bildung jetzt von den alten Gegnern in die Verantwortung für
die Situation genommen wurde und zum Sündenbock wurde. Hier rächte sich die
Überfrachtung der Bildung mit Ansprüchen, die sie nicht erfüllen konnte. Aber
diese Überfrachtung entsprach der zeittypischen Überschätzung der Leistungen
der Bildung für Gesellschaft und Staat. Dadurch geriet die Bildung 1918/1919 sofort

 Giesecke-Teubner (1919) 3.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 25

ins Zentrum politischen Handelns. Carl Heinrich Becker, ursprünglich Orientalist


mit dauerhafter Sympathie für die Georgeaner, seit 1919 Unterstaatssekretär im
preußischen Kultusministerium, 1921 und von 1925 – 1930 Kultusminister, forderte
als wichtigstes „Heilmittel der gegenwärtigen Krise“ eine neue Erziehung, die
wichtiger erschien als alle „politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen.“⁷¹ Als
notwendige Bildung wurde vor allem eine neue nationale und politische Bildung
gefordert. Dafür sollte nicht nur die Schule, sondern auch die Universität Ver-
antwortung übernehmen.
Bedroht war die humanistische Bildung aber nicht nur wegen ihres ver-
meintlichen Versagens, sondern auch weil sie den traditionellen staatlichen
Schutz verloren hatte. Mit der Revolution war auch die Bildungspolitik in die
Zuständigkeit des Reichstags und damit der weltanschaulich disparaten und
unberechenbaren kontroversen Parteipolitik gefallen. Vor allem sah man in den
sozialistischen Parteien zu Recht einen Gegner, und das um so mehr, als der neue
Reichspräsident stolz darauf war, in „den Anschauungen des Sozialismus“
„aufgewachsen“ zu sein. Bisher war der Bildungssektor dem Zugriff des Reichstags
entzogen und eine Angelegenheit der recht autonom handelnden Institutionen
der Reichsverwaltung gewesen, die zwar dem Kaiser gegenüber verantwortlich
war, aber trotz gelegentlicher Steuerungsversuche von dessen Seite für eine
Kontinuität der Bildung gesorgt hatte. Jetzt war dieser Schutzschirm fortgefallen.
Institutionell war unmittelbar vor allem die humanistische Bildung gefährdet,
mittelbar aber auch die Altertumswissenschaften, deren starke Stellung in der
Universität wesentlich eine Folge ihrer Verbindung mit den Bildungsinstitutionen
war. Eine drohende Reichsschulkonferenz verhieß auch nichts Gutes. Auf jeden
Fall formierten sich die Gegner und rüsteten auf.
Die Bedrohung wurde im Lager des Humanismus als Herausforderung ak-
zeptiert. Die Hüter der Tradition fanden schnell ihre Sprache wieder. Da hatten sie
in ihren Vorgängern ein Vorbild, denn auch im 19. Jahrhundert war die huma-
nistische Bildung kein Selbstläufer, sondern musste immer wieder gegen ihre
Verächter legitimiert werden. Vielfältige Initiativen zur Rettung des Gymnasiums
formierten sich jetzt zu einer gesamtdeutschen Bewegung. Eine regelrechte
Kampagnenmaschine lief in kurzer Zeit an. So wurde bereits am 6. Januar 1919 ein
Reichsausschuß zum Schutze des humanistischen Gymnasiums gegründet, dessen
Entschließung zur Rettung des Gymnasiums bis zum 1. Mai von 100.000 Unter-
zeichnern befürwortet wurde;⁷² in vielen Städten entstanden nach einzelnen
früheren Gründungen seit Anfang des Jahrhunderts jetzt vermehrt neue Vereini-

 Preuße (1988) 104.


 Giesecke-Teubner (1919) 214.
26 Manfred Landfester

gungen der Freunde des humanistischen Gymnasiums, die auf lokaler Ebene öf-
fentlich tätig wurden; auch die humanistischen Gymnasien selbst machten sich
öffentlich bemerkbar. Außerdem entwickelten sich in den Universitäten und im
Umfeld der Universitäten unterschiedliche Aktivitäten, die der Sicherung der
humanistischen Tradition dienten. Schon 1919 erschien auf Initiative des Verlegers
Christian Alfred Giesecke-Teubner der Sammelband Das Gymnasium und die neue
Zeit, der 88 „Fürsprachen und Forderungen für seine Erhaltung und seine Zu-
kunft“ präsentierte, sowohl von professionellen Anhängern der humanistischen
Bildung wie von Professoren der Klassischen Philologie, Schulräten und Gym-
nasialdirektoren als auch von Wissenschaftlern unterschiedlicher geistes- und
naturwissenschaftlicher Disziplinen, außerdem von Vertretern der Kunst, des
Theaters, der höheren Staatsverwaltung, der Ingenieurwissenschaften, der Kirche,
der Gerichte und des Bankwesens.
Als Gegenstück der Wissenschaftler erschien noch im selben Jahr der Band
Vom Altertum zur Gegenwart, der – so der Untertitel – „die Kulturzusammenhänge
in den Hauptepochen und auf den Hauptgebieten“ von der Antike bis zur Ge-
genwart in 29 Skizzen plakativ formulierte und aus dem Wirkungszusammenhang
zwischen Antike und Gegenwart die Geltung der Antike für die Gegenwart ein-
forderte.⁷³ Mit dieser Funktion wurde der Band zur „Gegenrede“ zu Spenglers
Geschichtsmodell im Untergang des Abendlandes, das die Kontinuität der Ge-
schichte von der Antike bis in die Gegenwart leugnete und damit auch die Mög-
lichkeit der Zukunftsbedeutung der Antike ausschloss:⁷⁴

Die Zukunft muß lehren, ob die im vorliegenden Werke vertretene Anschauung, daß die
Kultur der europäischen Menschheit einer Kette gleicht, deren Glieder ineinander greifen,
nicht doch den Vorzug vor der anderen verdient, daß die von eherner Notwendigkeit ge-
schmiedete Kette zerreißt und an ihre Stelle eine fadenartige Parallelität auftauchender und
versinkender Kulturphänomene treten läßt.

Der humanistische Diskurs der Zwanziger Jahre entwickelte sich dann verdeckt
oder offen im Horizont und als Gegenrede von Spenglers Geschichtsphilosophie.⁷⁵
Aufgeboten zum Nachweis des Wirkungszusammenhangs zwischen Antike
und Moderne wurden bewährte Leistungsträger der Wissenschaften, jüngere wie
ältere. Eingeleitet wurde der Band durch Jaegers programmatischen Vortrag aus
dem Winter 1919 Der Humanismus als Tradition und Erlebnis. ⁷⁶ Die übrigen 25
Beiträge behandelten die „Zusammenhänge im allgemeinen“ und „auf den ein-

 Giesecke-Teubner u. Norden (1919).


 Giesecke-Teubner u. Norden (1919) VII.
 S. oben Kap. 2.
 Jaeger (1960) 17– 30.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 27

zelnen Gebieten“ der Kultur, von Staat, Wirtschaft, Recht, Bildung, Sprache, Ge-
schichte über Literatur, Kunst, Religion, Philosophie bis zu Mathematik, Physik,
Astronomie, Geographie, Biologie, Chemie, Medizin und Technik.
An den Bemühungen, mit der Krise konstruktiv umzugehen, war Wilamowitz
nicht mehr beteiligt, obwohl er sich besonders seit seiner Berufung an die Berliner
Universität im Jahre 1897 für die Geltung der Altertumswissenschaften in der
Gegenwart und für ihre Bedeutung in der Bildung massiv und erfolgreich einge-
setzt hatte. Er stellte sich, wie auch etliche Angehörige seiner Generation, trotzig
gegen die neue politische und geistige Situation der Zeit:⁷⁷

Ich habe die Selbstzerstörung, Selbstentmannung meines Volkes erleben müssen. In der
Ochlokratie und unter den feigen und feilen Schmeichlern, die sie in allen Ständen findet, ist
für einen alten Mann, der sich seine Preußenehre von keinem Gott und keinem Menschen aus
dem Herzen reißen läßt, kein Platz mehr. Er hat nur abzusterben. Aber das Reich der ewigen
Formen, das Platon erschlossen hat, ist unzerstörbar, und ihm dienen wir mit unserer
Wissenschaft: in seinen reinen Äther dringen die Miasmen der Verwesung nicht; […] Unter
dem Zeichen Platons werde ich fechten, solange ich atme.

Und unter dem Zeichen seines Wissenschaftsverständnisses wurde er in den


Zwanziger Jahren noch einmal außergewöhnlich produktiv⁷⁸ und setzte sich in der
Universität gegen die neue Wissenschaft zur Wehr. So verhinderte er 1920 zu-
sammen mit sechs weiteren Kollegen durch eine Art Sondervotum die Berufung
des Georgeaners Gundolf auf einen germanistischen Lehrstuhl in Berlin mit der
Begründung, dieser sei kein Wissenschaftler. Zwar konnte er noch als Emeritus
1927, zusammen mit seinem Nachfolger Jaeger, mit derselben Begründung die
Habilitation in Philosophie seines Intimfeindes Hildebrandt gegen starke Wi-
derstände in der Fakultät vereiteln, aber nicht dessen Ernennung zum Honorar-
professor für Philosophie durch den georgeanisch gesinnten Kultusminister Be-
cker. Wilamowitz und der Historismus waren unzeitgemäß geworden. Wilamowitz
erkannte das auch selbst. So schrieb er mit leichter Selbstironie in einem Brief vom
26. Februar 1931 an Stenzel, einen wissenschaftlichen Freund Jaegers: „Ich gehöre
ja wohl noch in das gescholtene Jahrhundert des Historismus.“⁷⁹

 Wilamowitz (1919) Nachwort.


 Henrichs (1995) 448 – 449.
 Calder (1979) 95 – 96.
28 Manfred Landfester

6 Werner Jaeger im Banne der Krise


Jaeger war der erste aus der Zunft der Klassischen Philologen, der die Kritik des
Antihistorismus vor dem Ersten Weltkrieg ernstnahm und auf sie mit der Kon-
zeption einer neuen Philologie als Geistesgeschichte antwortete. Sein program-
matischer Entwurf in der Baseler Antrittsvorlesung von 1914 wurde nach einer
Revision im Jahre 1919 in der Zeit der Weimarer Republik wirksam und sicherte der
Klassischen Philologie eine neue Modernität. Daneben wurde Jaeger in dieser Zeit
zu einer Schlüsselfigur bei der Überwindung der Humanismus-Krise und gab dem
Humanismus eine neue Chance. Jaegers Konzeptionen einer neuen Philologie und
eines neuen Humanismus bedeuteten eine Reaktualisierung neuhumanistischer
Positionen durch Elemente des aktuellen zeitgenössischen geistigen Umfeldes. Zu
Ideengebern wurden vor allem Nietzsche, Burckhardt, Dilthey sowie George und
die Georgeaner. Dabei stand er mit der Bewegung der Georgeaner in einer dau-
ernden, aber eher verdeckten Konkurrenz um Anerkennung und Geltung.

6.1 Die Konzeption der neuen Philologie als


Weltanschauungsphilologie in der Baseler
Antrittsvorlesung (1914)
Wenn auch die Kulturkrisenstimmung der Jahrhundertwende keine unmittelbare
Wirkung auf das Studium Jaegers hatte, so war doch die Aufnahme des Studiums
der Klassischen Philologie zusammen mit dem Studium der Philosophie,vor allem
der Philosophie Platons, in Marburg ein Zeichen dafür, dass der Historismus, der
sich dezidiert antiphilosophisch oder zumindest philosophiefern durchgesetzt
hatte, seinen „existentiellen“⁸⁰ Bedürfnissen nicht genügte. Jaeger suchte nicht
den antiken Realismus, sondern im Sinne eines idealistischen Humanismus die
Antike wieder als Medium der Bildung, einen antiken „Führer“ für das Leben.⁸¹
Einen solchen Führer konnte der Historismus nicht aufbieten, da er den Idealis-
mus des Neuhumanismus dem Realismus geopfert hatte. Aber Jaeger konnte sich
nicht mit der in Marburg ohne historisches Netz betriebenen Philosophie an-
freunden und wechselte bereits nach einem Semester nach Berlin, angelockt
durch das Prestige und die Werke des Erzhistoristen Wilamowitz, dem das Phi-
losophische fremd war, und bald gefangen von dessen Charisma. Die in Marburg
sichtbar gewordene Spannung zwischen der historistischen Wissenschaft und

 Jaeger (1960) XI.


 Jaeger (1960) XIII.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 29

dem Humanismus wurde unter der beherrschenden Gestalt von Wilamowitz


verdeckt, bestimmte aber die weitere Entwicklung Jaegers und entwickelte sich
begrifflich zur Auseinandersetzung zwischen Philologie und Philosophie. Dabei
nahm Jaeger in den nächsten Jahren die antihistoristische Bewegung, die Fülle
von heterogenen und miteinander konkurrierenden Weltanschauungen um einen
Platz in der Bildung sowie die Konzepte einer neuen Wissenschaft und ihre Ver-
bindung mit der Bildung wahr. Und ausgerechnet er, von Wilamowitz über-
schwänglich als außergewöhnliche wissenschaftliche Begabung – „unsere große
Hoffnung“⁸² – im Sinne des Historismus gelobt, schwor dem Historismus als erster
der aufstrebenden Wissenschaftler öffentlich ab. Das geschah in der Vorlesung
Philologie und Historie ⁸³, die Jaeger beim Antritt seiner außerordentlichen Pro-
fessur in Basel am 18. Dezember 1914 hielt, räumlich getrennt von Wilamowitz und
dem Zentrum des Historismus. Bemerkenswert waren Ort und Anlass, denn am
selben Ort, der Aula des Museums in Basel, hatte am 28. Mai 1869 Nietzsche als
außerordentlicher Professor für Klassische Philologie, frei vom Druck seines
Leipziger Lehrers und Förderers Friedrich Ritschl, seine Antrittsvorlesung Homer
und die Klassische Philologie (1869)⁸⁴ gehalten, die seinen Antihistorismus ein-
geleitet hatte und die mit der Umkehrung eines Satzes von Seneca (Epistulae
morales 108,23) als Resümee endete: philosophia facta est quae philologia fuit (Zur
Philosophie ist geworden, was Philologie gewesen ist). Auch sie bedeutete eine Art
Vatermord, verübt an seinem Lehrer Ritschl, einem Frontmann des Historismus,
der den 24 Jahre alten unpromovierten und unhabilitierten Nietzsche 1868 als
wissenschaftliche Jahrhundertbegabung im Sinne des Historismus der Baseler
Universität für eine Professur der Klassischen Philologie empfohlen hatte.⁸⁵
45 Jahre später stand Jaeger im Alter von 26 Jahren nach Promotion und Habili-
tation an derselben Stelle und versuchte den Historismus aus der Krise zu führen,
indem er der Klassischen Philologie ein neues Wissenschaftskonzept verordnete
und dabei der Philologie wieder eine idealistische philosophische Grundlage gab,
die ihr in der Zeit des Neuhumanismus Prestige verschafft hatte. Die Philologie
wurde zur Geistesgeschichte. In dieser Funktion steuerte sie auch seinen neuen
Humanismus.
Die Konzeption war bestimmt durch die Herauslösung der Klassischen Phi-
lologie aus den Altertumswissenschaften als Geschichtswissenschaften, durch
ihre spezifischen Objekte und ihre Funktion als eine von der Geschichtswissen-
schaft kategorial verschiedene Wissenschaft. Jaegers Ziel war, das verschüttete

 Henrichs (1995) 452.


 Jaeger (1960) 1– 16.
 Nietzsche (1994) 9 – 30.
 Nietzsche (1994) 379 – 393.
30 Manfred Landfester

und durch den Historismus verlorengegangene idealistische neuhumanistische


Bildungspotential der Antike zu reaktivieren, ohne den Historismus aufzugeben.
Dabei usurpierte er zentrale Begriffe aus dem aktuellen Diskurs über die Grund-
lagen und Leistungen der Geisteswissenschaften im Unterschied zu den Natur-
wissenschaften. So übertrug er die Opposition vom „Erklären/Erkennen“ der
Naturwissenschaften und „Verstehen“ der Geisteswissenschaften auf die von ihm
eingeführte Polarität der Geschichtswissenschaft mit ihrem „Erklären/Erkennen“
und der Philologie mit ihrem „Verstehen“, die auf dem unterschiedlichen Umgang
mit den antiken Texten beruhte. Mit dem Verstehensbegriff verband er in Über-
einstimmung mit der neuen Hermeneutik der Geisteswissenschaften gegen den
Historismus den Wertebegriff.⁸⁶ Während für die Geschichtswissenschaft die Texte
Quellen für „Tatsachen“ sind, repräsentieren sie für die Philologie geistige
„Werte“, und zwar „gewisse unvergängliche Werte der alten Kultur“⁸⁷ und be-
gründen die Sonderstellung und auch den Vorrang der Philologie. Bei diesen
Werten handelt es sich um „urbildliche“ „Schöpfungen des Menschenge-
schlechts“, „die die griechische Kultur zu reiner und ewiger Grundgestalt alles
wahrhaft Menschlichen und Menschheitlichen geformt hat.“⁸⁸ Im Verstehen
werden sie als Werte „anerkannt“ und „angeeignet“ und üben dadurch eine
„erzieherische Wirkung“ aus.⁸⁹
Durch die neue Konzeption wurde die Philologie zu einer idealistisch hu-
manistischen Wissenschaft, zu einer Bildungs- und Lebenswissenschaft, die
wieder das „Große“ als Gegenstand der Wissenschaft sicherte und die Restituie-
rung des Klassikbegriffs bedeutete. Die griechische Literatur der „klassischen“
Zeit, insbesondere die Dichtung und Philosophie, erhielten ihre Klassizität zurück.
Das war ganz im Sinne Nietzsches und der modernen Nietzscheaner, unter ihnen
vor allem der Georgeaner, durch die die ‚klassischen‘ Werke eine neue Klassizität
gewonnen hatten.
Mit der Anerkennung der Klassizität der griechischen Literatur erhielt diese
Literatur den Charakter einer „Religion“⁹⁰, die, ganz im Sinne von Leitbegriffen der
Georgeaner, „Verehrung“ und „Ehrfurcht“ einforderte, wie sie „dem Andächtigen
vor dem Heiligtum“ ziemen,⁹¹ und die Philologie bzw. den Philologen zu ihrer
„Priesterin und Wächterin“ machte.⁹² So erhielt die Philologie dieselbe Aufgabe,

 S. oben Kap. 3.
 Jaeger (1960) 13.
 Jaeger (1960) 15.
 Jaeger (1960) 15, 13.
 Jaeger (1960) 16.
 Jaeger (1960) 29.
 Jaeger (1960) 15.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 31

die die Georgeaner ihrem Führer George als Dichter mit auf die Antike zurück-
gehenden Bezeichnungen wie Führer, Seher, Prophet, Priester zugewiesen hatten
und die die Georgeaner auch für ihre Tätigkeit als Vertreter einer neuen Wissen-
schaft beanspruchten.⁹³
Das Verstehen der „unbegreiflich hohen Werke“ (Goethe, Faust I, 249) be-
zeichnete Jaeger⁹⁴ mit dem modischen, besonders von den Georgeanern einge-
setzten hermeneutischen Begriff der „Schau“, der eine lange Vorgeschichte hat,
nicht nur platonisch als Ideenschau (Schau des Schönen: Platon, Symposion
209e–212e) und aristotelisch als νόησις (noesis) im Sinne einer Erkenntnis durch
unmittelbares „Erblicken“ und „Erfassen“ des ‚Wesens‘ von geistigen Werten,
sondern auch mystisch mit antiintellektualistischer Tendenz: „Unmittelbar
haucht das Leben das Leben an.“⁹⁵
Wenn auch das Verstehen als Schau das höchste Ziel der neuen Philologie
war, so waren die Erkenntnisse des Historismus doch nicht wertlos. Das histori-
sche „Erkennen“, das „ganze historische Erkenntnismaterial“ war ein „Gerüst“⁹⁶,
ein „Hilfsbau“, eine Voraussetzung zum Verstehen der Werte, dem „höchsten Ziel“
der neuen Philologie, und „zur höchsten Verlebendigung und Veranschaulichung
der Überlieferung und ihrer ideellen Werte.“⁹⁷ Der Weg der Philologie führte also
vom niedrigwertigen „Erkennen“ historischer Tatsachen zum höherwertigen
„Verstehen“ der „ideellen Werte“.
Hermeneutisch war allerdings die Verbindung des Historismus (Erkennen) mit
dem Humanismus (Verstehen) zu einer neuen Philologie waghalsig, da vom Er-
kennen historischer Sachverhalte kein direkter Weg zu aktuellen Werten und
Normen führt, wie Weber erkannt hatte.⁹⁸ Die Bewertung historistischen Wissens
als eines nur propädeutischen Wissens teilte Jaeger mit den wissenschaftlich
ambitionierten Georgeanern, so mit Hildebrandt, der in seiner Auseinanderset-
zung mit Wilamowitz behauptet hatte, dass Platon „mit bloßem Wissen nicht
beizukommen“ sei,⁹⁹ vor allem aber mit Friedemann, der in der zu Beginn des
Ersten Weltkrieges und damit kurz vor der Antrittsvorlesung erschienenen Platon-
Dissertation¹⁰⁰ formuliert hatte, dass „das griechentum“ „mit wissen nicht zu
fassen“ sei. „Wissen schafft den weg zur pforte, den einlass gewährt nur die

 Aurnhammer u. a. (2012) 517– 522.


 Jaeger (1960) 14.
 Jaeger (1960) 15.
 Jaeger (1960) 14.
 Jaeger (1960) 13.
 S. oben Kap. 3.
 Hildebrandt (1910b) 149.
 Friedemann (1914) 139.
32 Manfred Landfester

verwandtschaft des geistigen lebens.“ Zwar forderte Jaeger wie die Georgeaner als
Aufgabe der Wissenschaft die „Verlebendigung und Veranschaulichung der
Überlieferung und ihrer ideellen Werte“¹⁰¹ zur Überwindung der „intellektualis-
tischen Einöde“¹⁰², aber anders als der Georgeaner Hildebrandt¹⁰³ schreckte er in
der hermeneutischen Praxis jedoch davor zurück.

6.2 Die Entwicklung der neuen Philologie zur


Paideia-Philologie
Angesichts der radikalen politischen Veränderung sowie der massiven Angriffe
und des Abgesangs auf die anerkannten und wirkenden geistigen antiken Tra-
ditionen als Potential für die Gegenwart erkannte Jaeger nach Kriegsende schnell,
dass die Rettung und Sicherung dieser Tradition gegen ihren Geltungsverlust
zugunsten nationaler Traditionen und außereuropäischer „östlicher“ Weisheits-
lehren¹⁰⁴ nicht nur über eine Neukonzeption der Philologie, sondern auch über
eine Erneuerung des Humanismus führen müsse.
Für die Erneuerung der Philologie hatte er bereits 1914 plädiert. Diese Kon-
zeption übernahm er mit einer kaum bemerkbaren, aber wichtigen Revision nach
dem Weltkrieg, durch die er die Philologie als historische Wissenschaft rettete und
sich von den Georgeanern absetzte. Gegenüber der Antrittsvorlesung gliederte er
in dem Vortrag Der Humanismus als Tradition und Erlebnis (1919)¹⁰⁵ den Verste-
hensbegriff aus der Philologie aus und machte die Philologie durch Rehabilitie-
rung des Erkenntnisbegriffs in Übereinstimmung mit der Wissenschaftstradition
wieder zu einer rein historischen Wissenschaft. Damit hob er ihre Sonderstellung
in den historischen Wissenschaften wieder auf. Die Erkenntnisse des Historismus
wurden daher als Teil der historischen Erkenntnis der Antike anerkannt. Der
Erkenntnisbegriff wurde der Kernbegriff der Philologie, der das historische Ver-
ständnis der Antike in all ihren Äußerungen erschloss. Der Verstehensbegriff
wurde – und darin liegt die Revision – nicht mehr der Philologie, sondern dem
Humanismus als Weltanschauungslehre zugeordnet. So wurde das Verstehen
charakterisiert als etwas,was über „die geschichtliche Betrachtung“ „hinausgeht“
und was unter Verwendung des Erlebnisbegriffs von Dilthey und von den Geor-

 Jaeger (1960) 13.


 Jaeger (1960) 104.
 Hildebrandt (1911) 91, Groppe (2002) 39.
 Jaeger (1960) 185.
 Jaeger (1960) 17– 30.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 33

geanern als „Intuition und Erlebnis“, als „Glauben“¹⁰⁶ bezeichnet wurde: „Jede
wissenschaftliche Betrachtung […] baut das geschichtliche Leben von unten, von
den erdigen Bestandteilen und bodenfesten Wurzeln her auf und steigt schließlich
hinauf zu den geistigen Blüten des Volksbaumes, den Leistungen der großen
Einzelnen, der Repräsentanten der Nation und ihres Stils. Die Wissenschaft,
welche so vorgeht, kann von dieser Grundlage aus niemals zu einem geschichtlich
beweisbaren Werturteil kommen, das die tatsächlich vorhandene Ausnahme-
stellung eines vereinzelten geschichtlichen Komplexes wie der griechischen Kultur
für das Wertbewußtsein der Nachwelt axiomatisch begründet.“¹⁰⁷ Das war ganz im
Sinne Webers eine hermeneutisch korrekte Lösung. In Übereinstimmung mit
dieser Veränderung bestimmte er in weiteren Vorträgen das Verhältnis zwischen
Philologie als historischer Wissenschaft und Humanismus als Weltanschau-
ungslehre. In seiner begrifflich unpräzisen Sprache wies Jaeger der Philologie die
„wissenschaftliche Erkenntnis der antiken Kultur“ zu und beanspruchte gleich-
zeitig für sie – gegen die Georgeaner als konkurrierende Humanisten – die Zu-
ständigkeit für den Humanismus: Der Philologie falle „zwangsläufig“ „alle hu-
manistische Initiative“ zu.¹⁰⁸ Ohne die richtige historische Erkenntnis war für ihn
ein Humanismus nicht denkbar.
Zum Schlüsselbegriff der neuen Philologie und des neuen Humanismus
wurde der Paideia-Begriff. Für die Philologie setzte er gegen den alten Historismus
auf eine historische Wissenschaft, die auf die Erkenntnis eines einheitsstiftenden
Prinzips der antiken, insbesondere der griechischen geistigen Kultur sowie ihres
Wertes setzte statt auf die ufer- und endlose wertfreie enzyklopädische Vermeh-
rung des Tatsachenwissens. Die griechische Kultur wurde zu einem „System der
παιδεία“¹⁰⁹ und die Philologie zu einer Paideia-Philologie. Deren Aufgabe bestand
darin, „das Ganze“ der griechischen „geistigen Kultur“¹¹⁰ bzw. die „Gesamtten-
denz des griechischen Geistes“¹¹¹ zu erkennen. Dieses Ganze war für Jaeger die
Paideia als „Menschenbildung“, repräsentiert durch die Literatur: „In dieser Li-
teratur lebt die Geisteswelt der Antike als ein ideelles Ganzes fort. Sie stellt eine
geschichtlich-geistige Einheit, eine organisch entfaltete, in sich vollkommene
Bildungswelt, einen Stufenbau der menschlichen Werte dar.“¹¹² Das „System“ der
Paideia mit der Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze des Staates wurde

 Jaeger (1960) 26.


 Jaeger (1960) 26.
 Jaeger (1960) 167.
 Jaeger (1960) 47.
 Jaeger (1960) 44.
 Jaeger (1960) 142.
 Jaeger (1960) 160.
34 Manfred Landfester

der höchste Wert der Antike. Damit wurde die Paideia primär politisch definiert,
was durch den griechischen Sprachgebrauch von παιδεία nicht gedeckt wurde.
Das „System“ der Paideia leitete Jaeger aus dem Selbstverständnis der
„geistigen Führer und Repräsentanten“ der griechischen Kultur, „der Dichter,
Philosophen und Gesetzgeber“, ab, die sich „ganz als Lehrer und Erzieher ihres
Volkes“ fühlten. „Der Erziehertrieb ist offenbar ein Grundzug des griechischen
Ethos.“¹¹³ Die Konzentration auf den Paideiabegriff als einen das Griechentum
erschließenden Begriff führte Jaeger dann zu Platon, dessen Philosophie als
Paideia verstanden wurde und der dadurch zum Repräsentanten der griechischen
Paideia wurde.¹¹⁴
Mit der Konstruktion der Paideia als eines ‚ideellen Ganzen‘ rehabilitierte
Jaeger wissenschaftstheoretisch den philosophisch-ideengeschichtlichen An-
spruch der neuhumanistischen Philologie eines Friedrich August Wolf und August
Boeckh, über die Einzeltatsachen der griechischen Antike das ‚Wesen‘ oder den
‚Geist‘ des Griechentums zu erfassen. Dieser neuhumanistische Zugriff war durch
das Wissenschaftsideal des Historismus verlorengegangen, das in der Vermeh-
rung ‚objektiven‘ und zugleich heterogenen Wissens bestand und in den Einzel-
tatsachen nichts Allgemeines suchte. Dieses historistische Ideal hatte zur Ver-
treibung der Philosophie aus der Philologie geführt. Jaegers Versuch, das
Griechentum durch ein charakteristisches Prinzip zu erfassen, blieb hermeneu-
tisch freilich ein riskantes Unternehmen, da es von der problematischen Vor-
aussetzung ausging, dass eine Kultur auf ein einziges Prinzip reduziert werden
könne.Verschärft wurde das Problem der Reduktion noch dadurch, dass der Inhalt
des Begriffes im Wesentlichen durch die Politeia Platons bestimmt wurde.
Indem Jaeger die Paideia mit den Form-Begriffen „System“, „ Stufenbau“ oder
„Architektonik“¹¹⁵ charakterisierte, wurden Platon und mit ihm die ‚Griechen‘ in
der Sprache Nietzsches zu reinen ‚apollinischen‘ Griechen in der Tradition des
Neuhumanismus. In diesem Griechenbild hatte das ‚Dionysische‘ keinen Platz.
Der Rigorismus Jaegers, Platons Philosophie auf eine ‚apollinisch‘ verstandene
Paideia zu reduzieren, übertraf den Reduktionismus der Georgeaner, die im
Wettbewerb um das ‚richtige‘ Verständnis der Paideia Platons ausdrücklich
‚dionysische‘ Aspekte einsetzten, so die ‚Erotik‘ des Symposion und des Phaidros
sowie die künstlerisch-dichterische Darbietung der Dialoge unter dem Aspekt der
Mania, des dichterischen ‚Wahnsinns‘.

 Jaeger (1960) 45.


 Jaeger (1960) 158 – 177.
 Jaeger (1960) 150 – 151.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 35

In welcher Weise Jaeger dazu beigetragen hat, die Loslösung vom Historismus
einzuleiten, ist im Einzelnen schwer zu erkennen. Manifest ist zumindest, dass der
Antihistorismus als Antwort auf die Krise schlagartig 1919 innerhalb der Alter-
tumswissenschaften wissenschaftsfähig wurde. Zu den ersten öffentlichen Re-
negaten des Historismus gehörte Paul Friedländer, der sich offensichtlich unter
dem Eindruck von Jaegers Baseler Antrittsvorlesung und von Gedanken Georges in
dem Aufsatz Die Idee des Gymnasiums (1919)¹¹⁶ zu Nietzsches Ideen über das
Griechentum gegen die „Krankheiten“ des Historismus bekannte. Ein Bekenntnis
zur „monumentalischen Historie“ Nietzsches mit der Konzentration auf die gro-
ßen Gestalten als wirkungsmächtigen Potenzen, die von den Georgeanern bereits
reaktiviert waren, verbunden mit der Wiedergewinnung von Werten, die zu „En-
thusiasmus und Ehrfurcht“ führen, zeigte das neue antihistoristische Denken.
Und die Vorstellung, dass die „Triebe“ der „griechischen Schöpfung“, „die dio-
nysische Wildheit des komischen Spiels, die tiefe Erschütterung des tragischen
[Spiels], die Leidenschaft des Eros“, „in strenge Form gebunden und gebändigt
sind“, zeigte, dass Nietzsches Kategorien des ‚Dionysischen‘ und ‚Apollinischen‘
nicht mehr wissenschaftlich verfemt waren. Sie behielten für Friedländer ihre
Geltung.¹¹⁷ Friedländers späteres Platonwerk¹¹⁸ ist zwar ironischerweise Wil-
amowitz gewidmet, aber im Geiste der Stichwortgeber Nietzsche und George
konzipiert.

6.3 Der neue Humanismus als Paideia-Humanismus¹¹⁹

Da Jaeger erkannte, dass die Herausforderungen der Zeit eher auf der Ebene des
Humanismus lagen, konzentrierte er seine Energie vor allem auf dessen Er-
neuerung. Zentrum des neuen Humanismus wurde für Jaeger seit 1920 der Pai-
deiabegriff, vorgestellt zum ersten Mal in Berlin in dem Vortrag Humanismus und
Jugendbildung am 27. November 1920.¹²⁰ Er war hellenozentrisch statt griechisch-
römisch, idealistisch statt realistisch, deutsch-national und gleichermaßen
„übernational“¹²¹ statt deutsch-nationalistisch, außerdem politisch sowie elitär
(als Medium der Bildung der gesellschaftlichen Eliten). Eingefordert wurde die
Geltung der griechischen Tradition, weil ihre „unbegreiflich hohen Werke“ mit der

 Friedländer (1919).


 Friedländer (1925) 8.
 Friedländer (1928/30).
 Näf (1990), Schmidt (2003), Stiewe (2011).
 Jaeger (1960) 41– 67.
 Jaeger (1960) 162– 163.
36 Manfred Landfester

Darstellung der „Urphänomene“¹²² des menschlichen Lebens einen unver-


gleichlichen Wert darstellen würden. Mit diesen „Urphänomenen“ hätten sie die
geistige Prägung des Abendlandes bis in die Gegenwart bestimmt und so aufgrund
des Traditionszusammenhangs („Wurzelverbundenheit“)¹²³ – und nicht im Sinne
der Georgeaner und des Neuhumanismus aufgrund einer vergleichbaren „hohe[n]
Schöpferkraft“¹²⁴ – eine geistige Verwandtschaft zwischen Antike und Gegenwart
geschaffen. Diese „Wurzelverbundenheit“ sichere die erzieherische Wirkung
dieser Tradition, die durch den Akt des Erlebnisses, „durch die spontane innere
Ergriffenheit des Empfangenden“, erreicht werde.¹²⁵
Ganz in der Konsequenz der Paideia-Philologie wurde seit Mitte des Jahr-
zehnts die platonische Paideia zum Kern des neuen Humanismus: „[…] im Mit-
telpunkt steht unbestritten Plato für uns. Plato hat eine Auferstehung erlebt wie
kein zweiter großer Vertreter des Altertums. Er steht eben wie kein zweiter im
Brennpunkt unserer Auseinandersetzung mit der Antike überhaupt, denn er ist
der umfassendste politische, dichterische und philosophische Repräsentant
derjenigen Gestaltungskräfte, die für die lebendige Dauer der Antike im Aufbau
unserer Kulturwelt bis heute ausschlaggebend sind und immer bleiben werden:
der menschenbildnerischen Schöpferkräfte des griechischen Genius.“¹²⁶ Diese
Kräfte machen „das Wunder der griechischen Form“¹²⁷ aus. „So wird Plato uns
nicht nur der ewige Führer zur Philosophie und Wissenschaft in ihrem wahren und
geistigen Sinne, sondern er ist uns der Erzieher zum Staat und zum bewußten
Lebensaufbau, der gesetzgebende Schöpfer und Hüter des europäischen Kultur-
gedankens.“¹²⁸
Der Hymnus auf die Paideia und Platon ist durchsetzt von Denkmotiven
Georges und seiner geistigen Vorfahren, die auch sprachlich manifest sind: Jaegers
„Wunder der griechischen Form“ nimmt Georges Merkspruch „Das Hellenische
Wunder“ auf. Sein „griechischer Genius“ ist ein idealistischer Wiedergänger aus
der Sprache und dem Denken Friedrich Schillers (Gedicht: Der griechische Genius),
Friedrich Hölderlins (Hymne an den Genius Griechenlands) und Friedrich Nietz-
sches¹²⁹. Platon als „Führer“ der Philosophie war das Gegenstück zu George als
„Führer“ der Dichtung.

 Jaeger (1960) 55.


 Jaeger (1960) 30.
 Stiewe (2011) 162.
 Jaeger (1960) 26.
 Jaeger (1960) 168.
 Jaeger (1960) 173.
 Jaeger (1960) 176 – 177.
 Nietzsche (1994) 127, 290.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 37

Indem Jaeger eine Erneuerung der modernen Kultur ausschließlich aus dem
Geist der griechischen Paideia mit der Erziehung des politischen Menschen für
möglich hielt, suchte er mit ihr ein geistiges Bollwerk gegen konkurrierende
moderne Weltanschauungslehren zu errichten. Sein Humanismus mit der Lehre
von der Macht und Unausweichlichkeit der antiken Tradition wurde damit die
Antithese zur geschichtsphilosophischen Theorie Spenglers vom unaufhebbaren
Traditionsbruch zwischen Antike und Gegenwart.¹³⁰
Jaeger wurde seit 1919 schnell zu einer Schlüsselfigur der humanistischen
Sammlungsbewegung. Sein idealistischer Humanismus wurde als ein Medium der
geistigen Aufrüstung binnen Kurzem ein großer Erfolg in Teilen der jüngeren
Generation der Klassischen Philologen und Humanisten. Bereits sein erster pro-
grammatischer Vortrag Humanismus und Jugendbildung hatte die Wirkung einer
Erweckungspredigt. Als der 20jährige Student der Klassischen Philologie Wolf-
gang Schadewaldt, Schüler von Wilamowitz, Jaeger in Berlin hörte, steckten ihn
„der persönliche Zauber“ und das humanistisch-erzieherische Sendungsbe-
wusstsein an,¹³¹ mit dem Jaeger in georgischer Emphase des strahls von Hellas ¹³²
schloss:¹³³

Wir hoffen, daß aus unserer Jugend dort Führer erwachsen, die weder zu bloßen Gelehrten
und Buchmenschen, noch zu Technikern und Spezialisten, noch zu Literaten und Ästheten
gezüchtet sind, sondern erzogen zur Sicherheit im Stehen und Gehen, jener höchsten Stärke
des Griechentums, zu klarem Urteilen und Denken, zur Erkenntnis des Allgemeinen im
Besonderen und des Gegenwärtigen aus dem Vergangenen, zum Wollen gerechter und un-
eigennütziger Ziele […] und Glauben an die unzerstörbare Macht des Geistes.

Es gelang Jaeger, das Selbstwertgefühl der Jüngeren zu erhöhen, indem er sie als
Anwälte der antiken Erzieher und Führer „kraft“ ihres „Charisma“¹³⁴ selbst zu
Erziehern und Führern ernannte. Die Philologen als Heilsbringer! Aus den Prü-
gelknaben und Sündenböcken für die Krise der Nation sollten sie die Führer der
Nation werden. Hier wirkte wohl der zeittypische und religiös konnotierte Cha-
risma-Begriff in Verbindung mit dem Führer- und Erzieherbegriff des George-
Kreises.

 S. oben Kap. 2.


 Schadewaldt (1970) 707; Flashar (2015) 419 – 420.
 S. oben Kap. 4.3.
 Jaeger (1960) 67.
 Jaeger (1960) 54.
38 Manfred Landfester

7 Der neue Humanismus und Die Antike


Jaegers Einsatz für einen neuen Humanismus führte 1925 zur Gründung der
Zeitschrift Die Antike (mit 350 Abonnenten 1925)¹³⁵, die er als ein humanistisches
Organ der Altertumswissenschaften verstand. Aufgabe der Zeitschrift sollte nicht
sein, die „wissenschaftliche Erkenntnis“ des Altertums zu erweitern, sondern das
„Große“ des Altertums mit ihren „überdauernden Menschheitswerten“ für das
Geistesleben der Gegenwart fruchtbar zu machen.“¹³⁶ Damit setzte er die Klassi-
zität der Antike wie selbstverständlich voraus. Diese zu vermitteln gegen eine
„wahllose mechanische Popularisierung der wissenschaftlichen Ergebnisse“ und
gegen eine „äußerliche Vereinfachung und Trivialisierung des Gegenstandes“¹³⁷ in
der Art des Historismus, gehörte zum Programm der Antike. So knüpfte er mit dem
Begriff der Trivialisierung an das Vokabular Nietzsches und der Georgeaner an,
das vor allem Hildebrandt als Waffe gegen Wilamowitz eingesetzt hatte.¹³⁸ Und
ausgerechnet im ersten Beitrag des ersten Bandes, einem Text – nach dem Urteil
Jaegers – in „recht literatenhaft-stephan georgischer“ Manier,¹³⁹ wollte Friedlän-
der zeigen,¹⁴⁰ dass die griechische Tragödie nicht trivial, nicht „gemein“ ist: „[…]
so zeigt Tragödie das Tragische, das in uns angelegt, aber verkümmert, unvoll-
endet, unentfaltet ist, in Reinheit und Ganzheit. So rettet die Tragödie das Leben,
daß es nicht gemein werde.“
Das Besondere an der Antike war nicht so sehr, dass sich Altertumswissen-
schaftler und Humanisten hier mit Denkmotiven Georges profilieren konnten, als
vielmehr, dass die Zeitschrift als eine Werbeschrift für den neuen Humanismus
gegen den verwandten Humanismus der Georgeaner konzipiert war. Sie war
Ausdruck für die Konkurrenz zwischen Jaeger und den Georgeanern. Ohne direkt
die Konkurrenten zu nennen, setzte sich Jaeger gegen sie ab:¹⁴¹

Solange uns der bestimmende Repräsentant, der Dichter und geistige Führer fehlt, bleibt uns
die letzte Sicherheit der Erkenntnis des ‚Klassischen‘ auch im Vergangenen, Ererbten un-
erreichbar. Das Altertum soll deshalb in der neuen Zeitschrift nicht in irgendwelche dog-
matische Beleuchtung gerückt, sondern es sollen zunächst einfach in reichem Wechsel
Werke, Menschen, Schicksale und Umwelt der Antike dargestellt werden.

 Mensching (1991) 93.


 Jaeger (1925) 1, 4.
 Jaeger (1925) 3.
 S. oben 5.1.
 Mensching 1991, 95/97.
 Friedländer (1925) 6.
 Jaeger (1925) 3.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 39

Die Kernsätze waren gegen George und die Georgeaner gerichtet: Was Jaeger in der
Gegenwart vermisste, einen geistigen Führer, den sahen die Georgeaner in George.
Diese Spitze gegen die Georgeaner verstärkte Jaeger in dem Prospekt, in dem für
die neue Zeitschrift geworben wurde, paradoxerweise in der Sprache der Ge-
orgeaner: es gebe heute keinen Dichter, der uns die Antike „verleibliche“.¹⁴² Und
was Jaeger nicht erstrebte, allerdings durch die Reduktion des Griechentums auf
den Paideia-Gedanken faktisch erreichte, die „dogmatische Beleuchtung“, sie war
charakteristisch für die Georgeaner.
Ausdruck der Konkurrenz durch Absetzung und Anlehnung waren auch die
Buchkunst und die Textform der Antike. Mit der Ausstattung in Typographie
(Format, Satzspiegel, Durchschuss, Überschriften), Papierqualität und Textform
antwortete Jaeger auf die Buchkunst der Georgeaner. Während er in der Typo-
graphie anstatt der typographischen Exzentrik Georges auf bewährte, allerdings
für wissenschaftliche Bücher untypische künstlerische Elemente der Buchkunst
setzte, verwies die hochwertige Papierqualität auf die Bücher Georges. Vor allem
die Textform der Aufsätze spiegelte die Praxis der Georgeaner, die in Nietzsches
Geburt der Tragödie ihr Vorbild hatte. Sie sprengte die strenge wissenschaftliche
Konvention auf, indem sie auf Anmerkungen, Literaturangaben und präzise
Quellenangaben verzichtete sowie die griechischen und lateinischen Quellen nur
durch deutsche Übersetzungen vorstellte. Auf diese Weise entsprach Die Antike
„dem Bedürfnis des gebildeten Deutschen.“¹⁴³ Dass die antiken Quellen nur in der
Übersetzung wiedergegeben wurden, entsprach zwar der Praxis der Georgeaner,
war aber nicht deren Bekenntnis zum eigenen Wert einer deutschen Übersetzung
zuzurechnen, sondern eher eine praktische Notmaßnahme mit schlechtem wis-
senschaftlichen und humanistischen Gewissen, damit auch Leser ohne Grie-
chischkenntnisse erreicht werden konnten.
Die Georgeaner nahmen Die Antike in ihrer Besonderheit sofort wahr und
sahen in deren Programm der „neubelebung der antike“ auch eine Öffnung zu den
Zielen des Kreises;¹⁴⁴ allerdings erkannten sie auch, dass die Zeitschrift kein Organ
des George-Kreises werden wollte, dass sie im Gegenteil den Philologen eine
Plattform bieten sollte, „der Georgeschen Bewegung den Wind aus den Segeln“ zu
nehmen.¹⁴⁵ Angesichts der Vorbehalte Jaegers gegen jegliche „dogmatische Be-
leuchtung“ entstand im Kreis eine Diskussion über mögliche Mitarbeit an der
Zeitschrift oder ihren Boykott. George selbst, der Führer und Meister, sollte nach

 Hildebrandt (1930/31) 198.


 Jaeger (1925) 1.
 Groppe (1997) 648.
 Hildebrandt (1965) 189 – 190. Anm. 27.
40 Manfred Landfester

dem Wunsch von Wolters entscheiden: „wie soll man sich […] verhalten? Ich bin
für völlige enthaltsamkeit aber andere freunde meinten man solle die zeitschrift
durch die besten beiträge von unserer seite einfach umstempeln und die absicht
der philologen umkehren.“¹⁴⁶ Der Rat Georges ist unbekannt. Beiträge von Mit-
gliedern des Kreises sind freilich nicht erschienen.

8 Der Streit um die Deutungshoheit über Platon


Obwohl Jaeger schon seit seiner Baseler Antrittsvorlesung in Denkmotiven und in
der Sprache den Georgeanern selektiv verpflichtet war, verwies er öffentlich nie auf
solche Verbindungen, sondern setzte sich immer wieder indirekt von den Geor-
geanern ab. Er sah bei seinem Einsatz für die Erneuerung der Antike in ihnen keine
Bundesgenossen, sondern Konkurrenten und Gegner. Diese sahen ihn vor allem
wegen seines humanistischen Idealismus als potentiellen Mitstreiter, der als
Nachfolger von Wilamowitz und als neuer Princeps philologorum in Berlin unter
ständiger Beobachtung der Georgeaner stand. Als er „seine Vorlesung nach dem
Weltkrieg [wohl die Platon-Vorlesung in Berlin im WS 1921/22] […] mit einem George-
Gedicht“ begann, hielten die Studenten ihn „für einen Anhänger Georges.“ Aber
dieser erste Eindruck trog, denn – so die Vermutung Hildebrandts¹⁴⁷ – obwohl
Jaeger Georges Dichtung „schätzte“, ging sein Streben „auf eigene geistige Herr-
schaft“.
Zu direkten Berührungen und Auseinandersetzungen mit den Georgeanern
kam es dann im Zuge der Entdeckung Platons als der zentralen Gestalt des neuen
Humanismus. Es wurde ein Streit um die Deutungshoheit über Platon. Den Kampf
um Platon hatten die Georgeaner als einen Kampf gegen den Platon des Histo-
rismus begonnen und konzentrierten sich dabei seit dem Erscheinen des Platon-
Buchs von Wilamowitz (1919) auf diesen als ihren Erzfeind. Hildebrandt, inzwi-
schen philosophisch durch eine Promotion mit einer Platon-Arbeit¹⁴⁸ in Marburg
bei Paul Natorp nobilitiert, erneuerte in einer Rezension des Buches die alte Fehde
um die Tragödienübersetzungen von Wilamowitz¹⁴⁹ und sah in dem neuen Buch
„überall die Mühe, Erlebnisse der höchsten Sphäre in die Niederung bürgerlich-
seelischer Konflikte hinabzuziehen“,¹⁵⁰ das daher „an Banalität und Kleinbürger-

 Groppe (1997) 648.


 Hildebrandt (1965) 189 Anm. 27.
 Hildebrandt (1922).
 S. oben 5.1.
 Hildebrandt (1921) 270.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 41

Sentiment seinesgleichen“ suche.¹⁵¹ Gundolf hatte seine Freude an dieser Polemik


und verspottete das Platonbuch als „Platon für Dienstmädchen.“¹⁵² Stattdessen
sahen die Georgeaner in Platon den „König eines geistigen Reiches“,¹⁵³ vor allem
den Dichter, Erzieher und ‚Erotiker‘, dessen Geistesart durch den Paideia-Begriff
bestimmt war.
In die Nähe des georgeanischen Platon geriet Jaeger zum ersten Mal in seinem
Aristoteles-Buch.¹⁵⁴ Dort bestimmte er bei der Analyse des Lehrer-Schüler-Ver-
hältnisses von Platon und Aristoteles umrissartig das „Wesen“ „platonischer
Geistesart“.¹⁵⁵ Platon wurde als Dichter, Künstler und Prophet wahrgenommen,
sein Philosophieren insgesamt als „bildnerische“ „Gestaltung“ bezeichnet, ge-
steuert nicht durch rationale Erkenntnis, sondern im „Erlebnis“ durch Schau, für
die Jaeger den Neologismus „Schaunis“ einsetzte, der der eigenwilligen Sprach-
gestaltung der Georgeaner verwandt war. Platon als Erzieher war hier noch kein
Thema. Das änderte sich offensichtlich erst in seiner Platonvorlesung im WS 1926/
27, in der er die Paideia zum ersten Mal ins Zentrum seines Platonverständnisses
stellte, wie Wolters, seit 1923 Ordinarius für Geschichte in Kiel, nach einem Auf-
enthalt in Berlin seinem „Meister“ George in einem Brief vom 14. Februar 1927¹⁵⁶
triumphierend mitteilte. Dort schrieb er, der parteiische Anwalt georgeanischen
Denkens, dass

in diesem winter Jaeger in seinem Platokolleg zum ersten male völlig umgeschwenkt ist, Plato
plötzlich als grossen staatsdenker und -schöpfer, den erzieher der jugend aus dem göttlichen
eros usw. darstellt und das heisst: Friedemann und Hildebrandt ausschreibt, ohne sie zu
nennen – auch Nietzsche wurde nur ein mal in einem nebensatz gestreift, aber sein gut um so
eifriger ausgemünzt.

Damit setzte ein offener Kampf um die Deutungshoheit über Platon sowie um den
πρῶτος εὑρετής (prótos heuretés), den „Erfinder“ der neuen Platondeutung ein,
die zu einem Streit zwischen philosophischer und philologischer Deutung wurde.
In demselben Brief schrieb Wolters, wie er seinen eng mit Jaeger wissenschaftlich
verbundenen philosophischen Kollegen Julius Stenzel nach seinem Vortrag im
Januar 1927 in Kiel über Platon als Erzieher zum Staate, möglicherweise einem

 Hildebrandt 1930/31, 201– 202.


 Hildebrandt (1965) 55 Anm. 11.
 Hildebrandt (1921) 270.
 Jaeger (1923).
 Jaeger (1923) 10.
 Groppe (1997) 644, Philipp (2008) 218 – 220.
42 Manfred Landfester

Konzentrat des kurz danach erschienenen Buches Platon der Erzieher,¹⁵⁷ „kurz und
bündig“ gesagt habe:

‚Na endlich!‘ Auf seine verwunderte frage, ‚wieso‘, sagte ich ihm dass er und Jaeger ja nun das
von Platon lehrten was wir schon seit Jahrzehnten lehren, worauf er murmelte: ja er und
Jaeger seien unabhängig jezt zu dieser meinung gelangt. Ich schaute ihn an und sagte: ‚Also
wir siegen!‘ worauf er kleinlaut antwortete: ‚es scheint so‘. Aber es liess ihm keine ruhe und
am sonntag kam er zu mir und suchte mir zu beweisen, dass doch ein gewisser unterschied
zwischen unserer und der philologischen auffassung von Platon herrsche. Ich gab ihm das
gern zu: indem die philologen glaubten die welt noch einmal mit Platons Dialektik retten zu
können, während wir dieses mittel nach 2000 jahren für erschöpft hielten und bessere losung
und lockung [= den platonisierenden George] für die jugend hätten. So schlich er davon. –
Nun möchten sie die gestohlenen gedanken für sich allein fruchtbar machen, da nur Phi-
lologen über Platon reden und urteilen können – so sagt Jaeger. Es wird zeit sein den
Friedemann wieder zu drucken [was 1931 mit einem Nachwort von Kurt Hildebrandt ge-
schah], Meister, und jenen in einem kurzen vorwort die maske abzureissen.

Das Letztere gelang freilich nicht, denn in der wissenschaftlichen und huma-
nistischen Öffentlichkeit wurde Jaegers Georgeanismus nicht wirklich wahrge-
nommen. Und als der Kampf um Platon 1927 im Zusammenhang mit dem Habi-
litationsgesuch Hildebrandts für das Fach Philosophie zu einer hitzigen und
kontroversen universitären Angelegenheit wurde, blieb Jaegers Verhalten un-
durchsichtig. Jaeger verhinderte zusammen mit Wilamowitz, der als Emeritus nur
mit beratender Stimme, allerdings „mit Leidenschaft“ an den Sitzungen teilnahm,
dessen Habilitation mit der Arbeit Platons Weltverneinung und Weltbejahung, ¹⁵⁸
indem er ihm fachliche Kenntnisse absprach und ihn als „Dilettanten“ „ohne
wissenschaftliche Schulung“ bezeichnete.¹⁵⁹ Letztlich führte diese Verhinderung
aber zum Erfolg, denn sie brachte Hildebrandt durch Verfügung des den Geor-
geanern geistig nahestehenden Kultusministers Becker 1928 eine Honorarpro-
fessur für Philosophie ein.¹⁶⁰
Der Kampf um Platon war ein Kompetenzstreit zwischen Philologen und
Philosophen bzw. Nicht-Philologen geworden. Dabei beharrten die Philologen auf
ihrem Deutungsmonopol. Kennzeichnend war die Diskussion anlässlich der Ha-
bilitation Hildebrandts in Berlin, über die der offensichtlich gut informierte Hil-
debrandt selbst berichtete: Auf die negativen Beurteilungen durch Jaeger und
Wilamowitz erwiderte Spranger den Philologen,¹⁶¹

 Stenzel (1928).


 Hildebrandt (1965) 189.
 Groppe (1997) 648, Tilitzki (2002) 336.
 Hildebrandt (1965) 189, Groppe (1997) 557– 560.
 Hildebrandt (1965) 189.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 43

bei derartigen philologischen Ansprüchen würde kein Philosoph je über Platon arbeiten
dürfen. ‚Das ist es ja, was wir wollen‘, antwortete Wilamowitz aufrichtig. (Spranger hat mir
schon vorher erzählt, in Leipzig habe er gern über Platon gelesen. In Berlin dürfe er sich das
nicht erlauben). Sombart warf ein: ‚Und wenn Platon selbst käme, würde man ihn bei solchen
Anschauungen abweisen‘. Worauf ihm erwidert wurde, immerhin habe Platon solide
Kenntnisse in der Mathematik gehabt. […] Die Fakultät verschloß sich nicht der Einsicht, daß
die Einwände nicht sachlich waren.

Der Kompetenzstreit war aber nur ein Scheingefecht. Jaegers Konzept der Paideia
war ein philosophisches Konzept und war durchaus im Grundsätzlichen und in
Einzelheiten verwandt mit dem Konzept der Georgeaner. Die Gemeinsamkeiten
blendete Jaeger aus, er hob offensichtlich ab auf die spezifische Kompetenz der
Philologie zur Erkenntnis Platons im Zusammenhang der Geschichte und des
Aufbaus des griechischen Geistes. Eine direkte Auseinandersetzung mit den Geor-
geanern vermied er. „Wenn er früher Friedemanns Buch gelobt hatte, so schwieg er
jetzt von ihm, von Wilhelm Andreae, von Kurt Singer, von Salin.“¹⁶² Hildebrandt
dagegen belebte die Auseinandersetzung noch einmal in dem Aufsatz „Das neue
Platonbild“¹⁶³ in den Blättern für deutsche Philosophie durch eine Polemik gegen
Jaegers Ansprüche, der Entdecker des Paideia-Prinzips zu sein, gegen das Monopol
der Philologie auf die Platon-Deutung, vor allem aber gegen seinen engen Paideia-
Begriff ohne Eros und Sokrates. Darüber „entrüstete“ sich Jaeger und „drohte“ den
Blättern für deutsche Philosophie „mit Entzug seiner Mitarbeit.“¹⁶⁴
Die Auseinandersetzung zwischen Georgeanern und Jaeger war keine Aus-
einandersetzung zwischen Philosophen und Philologen, sondern vor allem eine
solche um die philosophische Deutung der platonischen Paideia, an der sich
Jaeger selbst erst später im Rahmen seiner Paideia ¹⁶⁵ wieder beteiligte. Dabei
differenzierte er auch den Paideiabegriff und ordnete ihm z. B. bei der Analyse des
Symposion auch den Erosbegriff ganz im Sinne und in der Metaphorik der Ge-
orgeaner zu: „Die Vermählung von Eros und Paideia ist der Grundgedanke des
Symposion.“¹⁶⁶ Denkmotive und Sprache blieben insgesamt weiterhin den Geor-
geanern verpflichtet.

 Hildebrandt (1965) 190.


 Hildebrandt (1930/31).
 Hildebrandt (1965) 190.
 Jaeger (1933 – 1947).
 Jaeger (1933 – 1947) Bd. 2,248.
44 Manfred Landfester

9 Die Bedeutung Jaegers für die Überwindung


der Krise
In der Zeit der Weimarer Republik wurde Werner Jaeger durch ein neues Konzept
der Klassischen Philologie und des Humanismus zu einer bedeutenden Figur der
Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Mit seinen Konzepten antwortete er als
erster auf die Krise der historischen Wissenschaften als Historismus und des
Humanismus als realistischer Bildung. Diese Krise, wie üblich primär ein Gefühls-
und Bewusstseinsphänomen, entstand als Kulturkrise im letzten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts und wurde überlagert von der politischen Krise, die durch die
Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die politische Revolution mit
der Gründung der Demokratie eingeleitet wurde. Wie kein anderer Altertums-
wissenschaftler erkannte Jaeger die Zeichen der Krise als Gefährdung für die
Geltung der Wissenschaft und des Humanismus. Gegen die Wissenschaftskrise
des Historismus setzte er als Sechsundzwanzigjähriger mit seiner Baseler An-
trittsvorlesung von 1914 auf ein Wissenschaftsmodell, mit dem er der Literatur der
Antike ihre Idealität und Klassizität sicherte sowie ihre Bedeutung für die Le-
benspraxis der Gegenwart garantierte. Darin fühlte er sich den Zielen der ideen-
geschichtlich orientierten neuhumanistischen Wissenschaft verpflichtet, die er
unter veränderten Voraussetzungen mit modernen hermeneutischen Mitteln und
Begriffen insbesondere von Nietzsche, Dilthey und den Georgeanern reaktuali-
sierte. All dies hat er ganz selektiv ins eigene Denken und Sprechen integriert.
Dabei hat er den Historismus zu retten versucht, indem er ihn als Vorbereitung
oder Teil der Erkenntnis des Geistes der Antike und insbesondere seines geistigen
Zentrums der Antike, der Paideia, wertete. Diese Aussage hatte aber nur eine
verbale Bedeutung; für die Erkenntnis der Paideia als eines geistigen Zentrums
benötigte er selbst den Historismus nicht mehr, wie seine große Monographie
Paideia ¹⁶⁷ zeigt. Zwar hat Jaeger mit seinem programmatischen Konzept wichtige
Impulse für eine Geistes- und Ideengeschichte der Antike gegeben und hat auch
Jüngeren geholfen, sich vom Historismus zu lösen, aber die ältere Generation
stand dieser ideengeschichtlichen Philologie mit der Konzentration auf „die
höchsten Werte, Gestalten und Formen“ skeptisch, ratlos oder ablehnend ge-
genüber und bezeichnete sie – so Eduard Schwartz – als „Seuche“, „die in unsere
Wissenschaft kriecht.“¹⁶⁸ Sie blieb dem Historismus treu, meist aus Gewohnheit,
bisweilen aber auch aus Trotz gegen die neue politische und geistige Situation der

 Jaeger (1934– 1947).


 Preuße (1988) 138.
Werner Jaegers Konzepte von Wissenschaft und Bildung 45

Zeit. Aber auch in der jüngeren Generation fand Jaeger keine durchschlagende
Anerkennung in den Fachwissenschaften, denn sein rigoroser Versuch, die ge-
samte griechische Kultur unter einem einheitlichen Prinzip, der Paideia, zu ver-
stehen, wurde zu Recht als ein dogmatischer Reduktionismus auf Kosten der
Vielfalt und Heterogenität griechischer geistiger Äußerungen wahrgenommen.
Allerdings erhielt sein Griechenbild in der Paideia in der außerwissenschaftlichen
Öffentlichkeit bis in die frühe zweite Nachkriegszeit hinein beinahe kanonische
Bedeutung, wie die Übersetzungen des Werkes in die gängigen Kultursprachen
dokumentieren.
Erfolgreicher war Jaeger jedoch mit seiner idealistischen Bildungstheorie.
Diese bestimmte, flankiert durch die verwandte Theorie seines Berliner Pädago-
gik- und Philosophie-Kollegen Eduard Spranger, maßgeblich den humanistischen
Diskurs in der Zeit der Weimarer Republik, der, begonnen unmittelbar nach
Kriegsende, in Preußen im Zusammenhang mit der Schulreform von 1924/25
(Richertsche Schulreform) anschwoll.¹⁶⁹ Diese Reform sicherte gegen alle Be-
fürchtungen in dem maßgeblich von der traditionell Humanismus-feindlichen
SPD geführten Preußen das Gymnasium als Schulform mit den alten Sprachen,
wenn auch deren Umfang zum Verdruss vor allem der Altphilologen reduziert
wurde. Da die preußische Reform Vorbild für die meisten anderen Länder des
Deutschen Reichs wurde, gelang noch einmal eine Konsolidierung der alten
Sprachen im Bildungswesen. Die humanistische Bildung war noch einmal
glimpflich davongekommen. Allerdings fand das Paideia-Konzept keine unein-
geschränkte Zustimmung, denn es vertrug sich weder so recht mit der kultur-
kundlichen Ausrichtung der Schulreform noch mit dem teilweise verwandten
realistischen Humanismus, einem Humanismus für „Nüchterne“, für die die
Kenntnis der antiken „Fahrstuhlanlage auf dem Palatin“ (Hans Lamer)¹⁷⁰ Vorrang
hatte vor dem Glauben an das Klassische der Antike. Sie konnten mit der neuen
Zeitschrift Die Antike so wenig anfangen wie der alte Wilamowitz:¹⁷¹

Immer wenn ich Die Antike lese, geht mir ein Mühlrad im Kopfe herum, aber Mehl mahlt das
Mühlrad nicht, für mich nicht. […] Ich habe mit dem Wort ‚klassisch‘, das mir ein Greuel ist,
nie etwas anfangen können, und so erwarte ich auch nicht, daß andere es tun. Aber nichts für
ungut, wie der Berliner sagt, oder zu meiner Zeit gesagt hat, die vorbei ist.

Aber bereits die unmittelbar folgende Umsetzung des Reformprogramms in den


Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen Preußens von 1925 verwies auf das

 Preuße (1988) 128 – 144.


 Preuße (1988) 131.
 Henrichs (1995) 447.
46 Manfred Landfester

neue Humanismus-Konzept. Der neue Humanismus setzte sich im bildungspoliti-


schen und bildungstheoretischen Diskurs durch, wie schließlich der Altsprachliche
Lehrplan für das deutsche humanistische Gymnasium des Deutschen Altphilolo-
genverbandes von 1930 zeigte. Und als der Altphilologenverband im September 1933
Leitsätze zur Neugestaltung des humanistischen Bildungsgedankens auf dem Gym-
nasium formulierte, wurde der Kern des Humanismuskonzepts mit einigen An-
passungen an den Nationalsozialismus erneuert und konnte sogar in Lehrplänen
bis 1938 überleben. Ausdrückliche Kollaborationsangebote blieben allerdings fol-
gen- und chancenlos, da der neue Humanismus entweder zu zentralen Ideologemen
des Nationalsozialismus keine Beziehung hatte oder ihnen sogar widersprach und
daher von vornherein abgelehnt oder auch bekämpft wurde.¹⁷²

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Berlin (Ndr. 1998, mit einem Vorwort von Albert Henrichs).
Wolfgang Rösler
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus
Werner Jaeger nahm mit dem Wintersemester 1921/22 seine Lehrtätigkeit in Berlin
als Nachfolger von Wilamowitz auf. Er war an den Ort zurückgekehrt, an dem er
studiert,¹ promoviert und sich habilitiert hatte. Wilamowitz hatte ihn nach der
Habilitation als ein Talent bezeichnet, „wie ich (und Diels ebenso) es bisher unter
unsern Schülern nicht gehabt haben.“ ² Jaeger war im Sommer 1921 33 Jahre alt
geworden. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Extraordinariat in Basel (1914)
und einen Lehrstuhl in Kiel (seit 1915³) innegehabt, dazu einen Ruf nach Hamburg
abgelehnt.⁴ Nachdem dann 1923 auch sein großes, als bahnbrechend empfun-
denes Buch über Aristoteles (mit dem Untertitel: Grundlegung einer Geschichte
seiner Entwicklung) erschienen war, und nach seiner Aufnahme in die Preußische
Akademie der Wissenschaften im folgenden Jahr befand sich Jaeger auf der Höhe
seines wissenschaftlichen Ruhmes, der auch weit über die Grenzen Deutschlands
ausstrahlte. Einen Eindruck von der Fülle ausländischer Ehrungen in den fol-
genden Jahren vermitteln die ihn betreffenden Personalia-Einträge in der seit 1925
erscheinenden Rezensionszeitschrift Gnomon, die er selbst gegründet hatte: Er-
wähnt sind die Würde eines Ehrendoktors der Universität Manchester (1926), die
Wahl in die British Academy als korrespondierendes Mitglied (1927), die Ernen-
nung zum Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Lund (1928), die Wahl
zum Ehrenmitglied der Society for the Promotion of Hellenic Studies in London
(1931) und die Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Cambridge (1932).
In Deutschland nutzte Jaeger das Prestige seiner Stellung ab Mitte der
zwanziger Jahre zu einer dichten Serie von Gründungen, die seine wissenschaft-
lichen und bildungspolitischen Ziele zu fördern bestimmt waren. Zu nennen sind
zum einen die Initiierung von Vereinigungen – „Gesellschaft für antike Kultur“

 Abgesehen von seinem ersten Semester, das er in Marburg verbracht hatte.


 In einem Brief an Walter F. Otto (bei Calder 1992b, 3).
 Aus diesem Jahr stammt ein Porträt (Lithographie) Jaegers von Max Liebermann (im Internet:
http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Jaeger#mediaviewer/File:Liebermann_Werner_Jaeger.jpg
[Stand 28.10. 2016]).
 Leistungen und Karriere Jaegers vor der Übernahme des Berliner Lehrstuhles sind dargestellt
von Mensching (1989) 60 – 80 und Calder (1992b) 2– 6. Sein wissenschaftliches Werk bis zum Jahre
1923 wird aus zeitgenössischer Sicht in dem Wahlvorschlag für die Aufnahme in die Preußische
Akademie gewürdigt, der u. a. von Wilamowitz, Norden und Eduard Meyer unterzeichnet ist
(abgedruckt in Kirsten 1985, Nr. 67).

DOI 10.1515/9783110548983-003
52 Wolfgang Rösler

(1924), „Deutscher Altphilologenverband“ (1925; im Folgenden DAV)⁵ – sowie von


„Fachtagungen der klassischen Altertumswissenschaft“ (erste Tagung 1925 in
Weimar), zum anderen die Gründung einer Zeitschrift – Die Antike (erster Jahrgang
1925) –, eines speziellen Rezensionsorgans – des schon genannten Gnomon – und
einer vornehmlich für Arbeiten seiner Schüler bestimmten Schriftenreihe – Neue
Philologische Untersuchungen (die ersten drei Hefte erschienen 1926) –. Zumal die
vierte „Fachtagung“ zum Thema „Das Problem des Klassischen und die Antike“,
die 1930 in Naumburg stattfand und deren Vorträge mit einer Einführung Jaegers
publiziert wurden, hatte eine unerhörte Wirkung, die nicht auf die Altertums-
wissenschaften beschränkt war.⁶ Ein junger Gast auf der Tagung, der damals noch
ganz am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere stand, war der 30-jährige
Hans-Georg Gadamer. Er beschreibt die Ausstrahlung Jaegers:⁷

Was mich an der Naumburger Szene verwunderte, war die geradezu maßlose Autorität, die
Werner Jaeger genoß. Glänzende Philologen wie Eduard Fraenkel oder Friedländer blickten
bei jedem Satz ihres eigenen Vortrags fragend und besorgt auf Jaeger, der nach außen hin
wirklich nicht wie ein Despot wirkte.

In dieser Zeit stand Jaeger auf dem Gipfel seines Ansehens und Einflusses,
nachdem zu seinem wissenschaftlichen Ruhm auch noch jenes philologische
Imperium hinzugekommen war, das, wie gerade ausgeführt, im Wesentlichen ja
erst vor kurzem, in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, Gestalt angenommen
hatte. Und auch trug eben die persönliche Faszination, die von Jaeger ausging,
nicht unwesentlich zu seiner herausgehobenen Stellung bei.⁸ Diese war intakt

 Die Gründung erfolgte in Kooperation von Fachvertretern von Universität und Schule unter
maßgeblicher Mitwirkung Jaegers, dessen inhaltliche Vorstellungen von Anfang an auf große
Resonanz in dem neuen Verband stießen. Näheres bei Burck/Clasen/Fritsch (1987) 5 – 7.
 Dazu Landfester (1995). Der Aufsatz ist im Ganzen wichtig für die zugrunde liegenden Motive
und den inneren Zusammenhang des Programms, das Jaeger in den zwanziger und frühen
dreißiger Jahren verfolgte.
 Gadamer (2012) 47– 48. Gadamer gibt irrtümlich an, die Naumburger Tagung habe 1929 statt-
gefunden.
 Jaegers gewinnende Ausstrahlung teilte sich auch im Berliner Institut mit, wie Solmsen (1989)
128 – 129 ausführt: „Once for all it must be said that to those not personally acquainted with Jaeger,
it is impossible to convey the magnetism and charm of his personality. One aspect that stands out
and in which he differed from all others – from Wilamowitz, Norden, Fraenkel, Regenbogen und
Deubner – was his patience and quiet, unhurried tempo. This was as characteristic of his teaching
as of conversations in his office. In his lecture courses and even more in seminar and proseminar,
he seldom presented firm and fixed opinions. Calling on him in his office, one found him invariably
relaxed and ready to give unstintingly of his time. He listened patiently to everything that was
brought up,waiting to the end before he came forward with an opinion or perhaps a decision of his
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 53

auch noch zum Zeitpunkt der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zu


Beginn des Jahres 1933. Dreieinhalb Jahre später verließ Jaeger Deutschland,
nachdem er zum 1. Oktober 1936 einen Ruf an die Universität Chicago ange-
nommen hatte.
Ein wesentlicher Faktor bei dieser Entwicklung erwuchs im Jahre 1931 aus
einer Veränderung in den privaten Lebensverhältnissen von Jaeger: der Trennung
und Scheidung von seiner ersten Frau Theodora (Dora), geb. Dammholz, mit der er
seit 1914 verheiratet gewesen war und mit der er drei Kinder hatte,⁹ und, noch im
selben Jahr, der Verheiratung (am 29. Dezember 1931) mit der Studentin Ruth, geb.
Heinitz. Aus ihrer Ehe ging eine Tochter,Theresa (geb. am 19. Oktober 1935), hervor.
Ruth Jaeger war nach späterer nationalsozialistischer Gesetzesterminologie „Jü-
discher Mischling ersten Grades“, d. h. sog. Halbjüdin.¹⁰
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten resultierte aus dieser
Konstellation zwar einstweilen keine konkrete Bedrohung, doch musste nach der
unerwartet raschen Etablierung eines nationalsozialistischen Staates und mit der
Verschärfung von dessen judenfeindlicher Politik, zu der es in den folgenden
Jahren kontinuierlich kam, dann doch mit Entwicklungen gerechnet werden,
denen rechtzeitig zuvorzukommen sich empfahl. In der Tat wurden in dem Jahr,
das auf die Übersiedlung Jaegers und seiner Familie nach Amerika folgte, 1937,
auch Professoren wegen „nichtarischer“ Ehepartner von der Universität vertrie-

own. (These decisions were never apodictic or authoritarian but were always accompanied by
convincing arguments.) He noticed a great deal about the colleague or (much more frequently)
student who came to consult him. No change in temperament, enthusiasm, or (speaking more
generally) physical and mental condition escaped him. He also sensed likes and dislikes between
individuals in the Institut für Altertumskunde without having received a hint about them. No less
astonishing was his capacity to understand human problems and conditions, many of which one
would consider quite foreign to his own experience. The understanding and the sympathy that
accompanied it proved comforting and often helped a person to shake off his discouragement.“
 Die Hintergründe der Scheidung wurden von Wilamowitz, so dessen Tochter Hildegard in ihren
Erinnerungen, als skandalös empfunden (Wilamowitz-Moellendorff 1974, 163): „In den Tagen kam
Frau Jäger zu meiner Mutter, er [der Vater] konnte es gar nicht abwarten, bis meine Mutter wieder
zu ihm kam. Als sie die Nachricht von der Ehescheidung mit Prof. Jäger brachte, sagte mein Vater
‚Bis dahin habe ich ihn gegen alle andern immer noch verteidigt, nun sehe ich doch, er ist ein
Schuft‘“. Eine Vermutung über den Grund der Entrüstung bei Calder (2002– 2003) 180 Anm. 16.
Zum weiteren Schicksal von Theodora Jaeger s. u. Anm. 17.
 Ihr Vater war Leiter des Mosse-Stifts, eines interkonfessionellen Waisenhauses im Berliner
Bezirk Wilmersdorf; ihr Bruder Ernst Heinitz, der als junger Richter 1933 sogleich entlassen wurde
und nach Italien emigrierte (Näheres bei Jescheck 1999), lehrte nach dem Krieg an der Freien
Universität Berlin. Als Rektor ernannte er 1963 John F. Kennedy bei dessen legendärem Besuch in
West-Berlin zwei Jahre nach dem Mauerbau („Ich bin ein Berliner!“) zum Ehrenbürger der Uni-
versität.
54 Wolfgang Rösler

ben.¹¹ Die Grundlage dafür stellte das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar
1937 bereit, dessen § 59 festlegte, dass ein Beamter zu entlassen sei, „wenn sich
nach seiner Ernennung herausstellt, dass er oder sein Ehegatte nicht deutschen
oder artverwandten Blutes ist.“ Dies wurde willkürlich auch auf „Altfälle“ ange-
wandt, bei denen sowohl Ernennung als auch Eheschließung vor 1933 lagen. In der
kürzlich erschienenen Geschichte der Berliner Universität wird in dem Unterab-
schnitt, der diese Entwicklung behandelt („Die letzte Phase antisemitisch moti-
vierter Entlassungen“) denn auch ausdrücklich festgestellt:¹²

Dagegen kam der Altphilologe Werner Jaeger (1888 – 1961), der in zweiter Ehe mit einer
„Halbjüdin“ verheiratet war, durch seine 1936 erfolgte Emigration in die USA mit großer
Wahrscheinlichkeit einer Entlassung zuvor.

In der Situation, in der Jaeger über einen Weggang aus Deutschland nachzu-
denken begann – aus dem Folgenden wird deutlich werden, dass dies ab dem
letzten Viertel des Jahres 1933 der Fall gewesen sein dürfte –, wurde wichtig, dass
er (ganz unabhängig von der neuen, bis vor kurzem unvorstellbaren Entwicklung,
die ihn nun an eine Auswanderung denken ließ) früher als andere deutsche
Forscher der damaligen Zeit damit begonnen hatte, sich in seinen wissenschaft-
lichen Kontakten auf die englischsprachige Welt hin zu orientieren und sich
kommunikativ entsprechend zu präparieren. Davon berichtet Marie Norden in
ihren (an ihre Kinder adressierten) Erinnerungen (das Folgende bezieht sich auf
die Mitte der zwanziger Jahre):¹³

 Rudolf Helm, Professor in Rostock, dessen Emeritierung 1937 aus Altersgründen ohnehin
erfolgt wäre, wurde nach seinen Angaben zusätzlich mit dem Hinweis auf seine jüdische Ehefrau
konfrontiert und nach erfolgter Emeritierung unverzüglich aus dem Dozentenverzeichnis der
Universität Rostock gestrichen (Buddrus/Fritzlar 2007, 183 – 184; vgl. den Eintrag über Helm im
Catalogus Professorum Rostochiensium (im Internet: http://cpr.uni-rostock.de/nav?
path=left.search.simple.searchresult-simple.docdetail&id=cpr_person_00001140&offset=1&res-
ultid=53up79pg06sai415 l7i3&fromWF=false&tab=data [Stand 23.12. 2014]). Im Fall von Ernst
Kapp, Professor in Hamburg, war „nichtarische“ Abstammung seiner Frau ausschließlicher
Grund, ihn 1937 als 49-jährigen aus dem Dienst zu entfernen (Obermayer 2014, 307– 310; die
wesentlichen Fakten bereits bei Lohse 1991, 783 – 784).
 Kinas (2012) 356. Das sog. „Blutschutzgesetz“ vom 15. September 1935 hatte dagegen Jaeger
noch nicht unmittelbar bedroht (anders Obermayer 2014, 30).
 Norden (1942– 1944) 29. (In diesen Jahren – Eduard Norden war 1941 verstorben – schrieb
Marie Norden die erst 1993 publizierten Erinnerungen nieder; vgl. Mensching 1993, 67 Anm. 1.) Das
Ehrendoktorat der Universität Manchester, von dem die Verfasserin in merklich verschnupftem
Ton spricht, erhielt Jaeger 1926, den Ruf nach Chicago bereits 1935 (s. u. Anm. 85).
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 55

Als Euer Vater von Prof. Conway in Manchester zu Vorträgen aufgefordert, sie aber ablehnte,
trat Jaeger ein, und holte sich darauf den Ehrendoktor. Er befasste sich energisch vorher mit
der englischen Sprache, führte dies auch weiter fort mit einer Engländerin, wie nützlich sollte
es für ihn werden, als er im Jahre 1936 den Ruf nach Chicago erhielt und annahm […].

Jaeger hatte die Verbindungen in die USA schon einige Zeit vorher intensiviert, vor
allem im Jahre 1934, für dessen zweite Hälfte er einer Einladung als „Sather
Professor“ nach Berkeley folgte.¹⁴ Die Abhaltung der „Sather Lectures“¹⁵ ließ ihm
genug Zeit für ausgedehnte Reisetätigkeit: Allein für die Zeit von November bis
Anfang Dezember (dem vorgesehenen Zeitpunkt der Abreise aus den USA), über
die Angaben vorliegen, ergibt sich, dass Vorträge in Stanford und Los Angeles
vereinbart und weitere Einladungen nach Baltimore, Cornell und Harvard aus-
gesprochen waren, von denen er jene nach Baltimore aus Zeitgründen gar nicht
mehr annehmen zu können meinte.¹⁶
Es ist ein geradezu zwingender Schluss, dass er im Zuge seines halbjährigen
Aufenthaltes in den USA von seinen Besorgnissen und seiner Unzufriedenheit mit
den Verhältnissen in Deutschland gesprochen hat und dass daraus eine Wei-
chenstellung für die weitere Entwicklung resultierte. Im Verlauf des Jahres 1935
muss dann für Jaeger durch die Verschärfung der einschlägigen nationalsozia-
listischen Gesetzgebung – das „Reichsbürgergesetz“ erweiterte den Personenkreis
der zu entlassenden Beamten noch einmal ganz wesentlich gegenüber dem
„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 – endgültig klar
geworden sein, dass die Spirale antijüdischer Verfolgung und Drangsalierung sich
weiterbewegte und keine Hoffnung auf Änderung bestand. Somit muss der Ruf
nach Chicago, den er noch im selben Jahr erhielt, von ihm als erlösend empfunden
worden sein. Die familiäre Situation hatte sich im selben Jahr insofern beträchtlich
verändert, als an dessen Anfang Jaegers erste Frau Theodora verstorben war –
erschütternderweise in einer Nervenheilanstalt¹⁷ – und seine drei Kinder aus

 Die 1912 eingerichtete, renommierte Gastprofessur war nach ihrem Stifter, einem Bankier,
benannt. Jaeger nahm den – von ihm so bezeichneten – „Ruf“, wie er in den Personalnachrichten
des Gnomon mitteilen ließ (10, 1934, 112), „für die Dauer des Semesters von August bis Dezember
1934“ an.
 Die Vorlesung Jaegers behandelte das Thema „Demosthenes: the Origin and Growth of his
Policy“. Sie erschien, wie bei den „Sather Lectures“ üblich, 1938 als Buch, ein Jahr später auch auf
Deutsch (Jaeger 1939).
 Aus der Korrespondenz Jaegers rekonstruiert von Mensching (1991) 107. – Rätselhaft, dass
Calder (1996) 213 es so darstellt, als sei der Aufenthalt in Berkeley anlässlich der „Sather Lectures“
die erste Station Jaegers in den USA nach seiner Emigration gewesen.
 Theodora Jaeger hatte aufgrund des Scheiterns ihrer Ehe eine schwere Depression erlitten, die
sich zu einer dauernden Erkrankung auswuchs. Mit ihrem Tod endete eine vierjährige Leidens-
56 Wolfgang Rösler

dieser Ehe nun definitiv in die neue Familie ihres Vaters integriert wurden.¹⁸ Somit
waren es sechs Personen, die im folgenden Jahr in die USA übersiedelten.¹⁹
Der zuvor aus den Umständen abgeleitete Grund für den Wegzug aus
Deutschland ist von Jaeger in vorliegenden Zeugnissen nie angesprochen worden,
auch nicht im Nachhinein, d. h. nach dem Krieg. Begreiflicherweise betrachtete er
die Konstellation seiner Ehe mit einer „Halbjüdin“ als seine Privatangelegenheit.
Sich dazu zu äußern hätte u. U. eine Erörterung über theoretisch mögliche
Handlungsoptionen wie eine Scheidung nach sich gezogen. Das wollte Jaeger
offenbar im Ansatz ausschließen. Sein Schweigen erscheint somit als Akt von
Weisheit. Wo er sich äußerte, beschränkte er sich darauf, allgemein Konflikte
anzusprechen, die aus der nationalsozialistischen Herrschaft erwuchsen, und
verwies dabei allenfalls auf die Behinderung seiner akademischen Tätigkeit. Ihm
Nahestehende wussten freilich um die Komplexität der Gründe. Beides vermittelt
die folgende Erinnerung seines Schülers Johannes Götte:²⁰

[…] als er uns, seine Schüler der zweiten Generation sozusagen – zur ersten gehörten
Solmsen,Walzer, Schadewaldt –, zum letzten Male zu sich eingeladen hatte, um Abschied zu

geschichte. Näheres zu diesem erst neuerdings bekannt gewordenen, da von den Zeitgenossen mit
Diskretion behandelten Sachverhalt bei Rösler (2017) 259 – 260.
 Die menschlich nicht einfache neue Familienkonstellation muss gerade von Ruth Jaeger mit
großem Einfühlungsvermögen und nachhaltigem Erfolg bewältigt worden sein. Die Anzeige ihres
Todes werden mehr als ein halbes Jahrhundert später neben dem Bruder Ernst Heinitz auch „die
Kinder“ zu viert unterzeichnen (im Berliner Tagesspiegel vom 2. August 1992; abgebildet in Meis/
Optendrenk 2009, 70). Günstig mag sich ausgewirkt haben, dass der Altersunterschied nicht sehr
groß war und eher dem zwischen Geschwistern entsprach. Ruth Jaeger wurde am 17. Juni 1911
geboren (das – in der Forschungsliteratur ungenannt bleibende – Geburtsdatum ist hier dem vom
regierungsamtlichen Census Bureau der USA veröffentlichten und im Internet zugänglichen Da-
tenmaterial entnommen: http://www.locateancestors.com/ruth-jaeger/ [Stand 25.12. 2015]; es
handelt sich um diejenige unter mehreren aufgeführten Trägerinnen von Vor- und Nachnamen, die
in Watertown bei Boston gelebt hatte [vgl. Meis/Optendrenk 2009, 64– 69]; dass sie dort auch
starb, geht aus der erwähnten Todesanzeige hervor). Bei der Übersiedlung in die USA im Sommer
1936 (s. u. Anm. 86) war sie also gerade 25 Jahre alt (s. auch Meis/Optendrenk 2009, 64– 65). Zu
diesem Zeitpunkt war Erhard, das älteste Kind Jaegers, bereits zum – nach Abschaffung während
der Weimarer Republik soeben (1935) wieder eingeführten – Wehrdienst einberufen, also min-
destens 18 Jahre alt.
 Allerdings folgte Erhard Jaeger, den seine Einberufung zunächst in Deutschland festhielt, erst
mit gewisser Verzögerung, nachdem es mit Hilfe des deutschen Konsuls in Chicago gelungen war,
seine Entlassung zu erreichen. Später nahm er als amerikanischer Offizier im Nachrichtendienst
(First Lieutenant in Intelligence) am Zweiten Weltkrieg teil. Diese Einzelheiten zitiert Hallett (1992)
55 aus der von Ruth Jaeger verfassten biographischen Skizze über Jaeger in einem Buch von Karl
J. R. Arndt et al., Germans in Boston, Boston 1981, 19 – 22, das im Original nicht zugänglich war.
 Götte (1993) 221.
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 57

nehmen, sagte er: „Bitte, meine Freunde, glauben Sie nicht, ich sei ein autómolos! Aber Sie
sehen ja selbst, hier in Deutschland, in Berlin, wo ich so lange Zeit fruchtbar und mit viel
Freude gelehrt habe, kann ich unter dem nationalsozialistischen Regime nicht mehr wirken,
wenn ich mir selbst und meinem Ziele treu bleiben will.“ Wir sahen es und mußten ihm, auch
unsererseits schweren Herzens, zustimmen.²¹

Götte rekapituliert dann aber auch noch die konkreten Gründe, wie sie sich ihm
darstellten. Jaeger sei nach 1933 mehr und mehr Anfeindungen ausgesetzt ge-
wesen,

einmal deswegen, weil seine Schüler, die Privatdozenten Dr. Friedrich Solmsen und Dr. Ri-
chard Walzer, ‚Nichtarier‘ waren und auch seine Frau nur ‚halbarisch‘ war, zum anderen, weil
Jaeger dem Nationalsozialismus und seiner Ideologie keine Zugeständnisse machte.

Mit dem Weggang Jaegers aus Deutschland und dem Neubeginn in den USA war
eine folgerichtige Entwicklung zum Abschluss gelangt, die, so muss es bis hierher
scheinen, geradlinig auf diesen Ausgang hingesteuert hatte: Vor allem die Le-
benskonstellation, die 1931 durch die Ehe Jaegers mit Ruth Heinitz entstanden war,
hatte, wie sich aufdrängt, alles Weitere vorgegeben. Um so irritierender ist nun
aber, dass Jaeger sich auf der anderen Seite, ganz entgegen der Feststellung von
Götte, den massiven Vorwurf zugezogen hat, er habe sich 1933 in eine geistige Nähe
zum Nationalsozialismus begeben. Was es damit auf sich hat, soll im Folgenden –
gemäß dem Titel dieses Beitrages – in differenzierter Rekonstruktion und Analyse
geklärt werden. In der vorausliegenden Zeit, vor 1933, gibt es nichts, was auf eine
diesbezügliche Anfälligkeit Jaegers hindeuten würde. Seine Berufung nach Berlin
war mit ungewöhnlich großem Einsatz von dem Staatssekretär im preußischen
Kultusministerium Carl Heinrich Becker gefördert worden, mit dem sich sogar eine
enge persönliche Freundschaft entwickelte.²² Im Gefolge dieser Freundschaft
bewohnten beide zwei benachbarte Grundstücke am Steglitzer Fichtenberg, einem
noch heute noblen Wohnquartier im Südwesten Berlins. Becker, seit 1925 dann
sogar preußischer Kultusminister im Kabinett des sozialdemokratischen Minis-
terpräsidenten Otto Braun, war selbst parteilos, verfolgte jedoch hochschulpoli-
tisch einen demokratischen Reformkurs, der ihm die dezidierte Gegnerschaft der

 Noch abstrakter ist die eigene Darstellung Jaegers in Jaeger (1960) 484– 485. Auch Ruth Jaeger
befolgte naheliegenderweise die Zurückhaltung ihres Mannes; im Sommer 1988 teilt sie in einem
Brief an Uvo Hölscher mit, Jaeger sei „aus freiem Entschluß emigriert, weil es ihm unmöglich
gewesen sei, weiterhin in Hitlerdeutschland zu leben“ (zitiert von Schmidt, in Borchardt/Jaeger
2007, 290 – 291). Nahestehende wie Schadewaldt und Solmsen hielten sich ebenfalls an diese
Diskretion (Calder 1983, 111– 112).
 Die Dokumente in Calder/Schrage (2009).
58 Wolfgang Rösler

konservativen Professorenschaft der älteren Generation, z. B. eines Wilamowitz,


eintrug. Offenbar sah Becker in Jaeger einen Mann seiner politischen Richtung. Die
Teilung der Professorenschaft in eine ältere, konservativere Gruppe, die ihre
Prägung noch im Kaiserreich erfahren hatte, und eine der Jüngeren, die in den –
wenn auch instabilen – politischen Verhältnissen der Weimarer Republik ver-
ankert waren, bestand auch in der Berliner Klassischen Philologie, wo, wie
Solmsen im Rückblick berichtet,²³ Jaeger und Deubner zumeist gemeinsame Po-
sitionen gegenüber Wilamowitz und Norden vertraten.
Als dunkler Fleck auf seiner Biographie gilt ein gut sechs Seiten langer Beitrag
von Jaeger in Heft 3 des ersten Jahrganges der im Frühjahr 1933 von dem natio-
nalsozialistischen Bildungsideologen Ernst Krieck gegründeten und in der Fol-
gezeit herausgegebenen Zeitschrift Volk im Werden. Er hat den Titel „Die Erziehung
des politischen Menschen und die Antike“. Jaeger hatte während der zwanziger
Jahre sein Programm eines neuen, am Konzept der Paideia ausgerichteten Hu-
manismus entwickelt (für den sich rasch die Bezeichnung „Dritter Humanismus“
durchsetzte).²⁴ Nach Flashar stand dieses Programm 1923 in den Grundzügen
fest.²⁵ Zumindest seit dem Spätsommer 1931²⁶ arbeitete Jaeger mit größter Inten-
sität am ersten Band des Werkes, in dem er die Geschichte der griechischen Li-
teratur von Homer bis Demosthenes (mit dem später der dritte Band endet), eben
im Sinne des Paideia-Konzepts, als Entfaltung eines der griechischen Kultur in-
newohnenden Bildungsprogramms darzustellen gedachte. Den Begriff Paideia,
der dem Werk auch den Namen geben sollte, verstand Jaeger im Unterschied zu
dem am Individuum orientierten Bildungsbegriff des Neuhumanismus dezidiert
politisch. Jaeger definiert Erziehung im Einleitungskapitel sogleich als „Sache der
Gemeinschaft“ (2):

Nirgendwo kommt der bestimmende Einfluß der Gemeinschaft auf ihre Glieder stärker zur
Geltung als in ihrem Bestreben, die beständig aus ihr hervorwachsenden neuen Individuen
durch Erziehung bewußt in ihrem Sinne zu formen.

 Solmsen (1989) 134.


 Die Bezeichnung stammt nicht von Jaeger selbst, wurde aber von ihm übernommen (Land-
fester 1999, 877– 878; Fritsch 2001a, 119 – 131; Schmidt 2003, 197– 200 und in Borchardt/Jaeger
2007, 208 – 209, 290 – 292). Vgl. auch die aus fachfernerer Sicht gegebenen Darstellungen von
Mehring (1999) und, entwicklungsgeschichtlich sehr weit ausholend, Stiewe (2011).
 Flashar (2015) 421– 426.
 Die Zeitangabe ist erschlossen aus folgender Aussage Jaegers im Brief an Borchardt vom 19.11.
1931: „[…] mitten aus der Arbeit an meinem Buche heraus mußte ich mich Anfang Oktober noch
einmal in die Fluten der Dekanatgeschäfte [sic] stürzen […]“ (Borchardt/Jaeger 2007, 42).
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 59

Ein entsprechendes Bestreben sieht er in exemplarischer Weise in der Kultur der


Griechen angelegt (14):

Die Prägung des Einzelnen durch die Form der Gemeinschaft, die wir als das Wesen der
Erziehung erkannten, geht bei den Griechen in immer zunehmender Bewußtheit von einem
solchen Bild des Menschen aus […].

Dies mache die „weltgeschichtliche Bedeutung der Griechen als Erzieher“ aus (8).
Daraus folgt für das Werk, das diese Einleitung zu eröffnen bestimmt war (16):
„Eine Geschichte der griechischen Literatur, abgekapselt von der sozialen Ge-
meinschaft, aus der ihre Werke hervorgegangen, an die sie gerichtet und von der
sie getragen sind, ist für uns nicht mehr möglich.“
Jaeger arbeitete, wie gesagt, zumindest seit dem Spätsommer 1931 intensiv an
Paideia, Bd. 1. Dazu lehnte er alle Vortragseinladungen ab. Bald übernahm Ruth
Jaeger die diesbezügliche Korrespondenz:²⁷

Nach unserer Heirat [Ende 1931] benutzte ich sein großes Vertrauen in mich dazu, jede Bitte
um einen Vortrag, einen Artikel etc. sogleich in seinem Namen (von mir getippt, aber von ihm
unterschrieben) abzulehnen.

Doch verhinderte die große Arbeitsbelastung nicht, dass Jaeger von einem Buch
Kenntnis nahm, das 1932 erschien: Ernst Krieck, Nationalpolitische Erziehung. ²⁸ In
dieser Kampfschrift ist die folgende Entwicklung bereits vorausgesetzt (9):

Der symbolische Name des Kommenden heißt: das Dritte Reich. Sein Sieg schreitet fort in
dem Maße, als der Gegner auf allen Gebieten überwunden und das revolutionäre Prinzip in
Bewußtsein, Haltung und Lebensordnung durchgedrungen ist.

Für diese Zukunft entwirft der Autor das Programm einer nationalsozialistischen
Erziehung,²⁹ in dem „Jugendbünde“ eine wichtige Rolle spielen (36):

Die Jugendbünde aber sind die erzieherischen Vorstufen der politischen und wehrhaften
Männerbünde […]. Durch sie wird dem künftigen Staat eine Auslese, eine tragende Schicht
vorbereitet, die mit erhöhter Pflichtleistung an Staat und Volkstum erhöhte politische Be-
rechtigung erhält. Den Wehrverbänden und den ihnen verwandten oder angegliederten Ju-
gendbünden wohnt die nationalpolitische Erziehung als ihr eigentlichster Sinn ein. Die
nationalsozialistische Massenbewegung besitzt in ihren Wehrverbänden und Jugendbünden
nicht nur das Rückgrat, die tragende Auslese und Zuchtform, sondern auch das Formprinzip

 Mensching (1991) 116 Anm. 216; vgl. ebd. 106, dazu 115 Anm. 203.
 Krieck (1932).
 Eine detaillierte Einführung findet sich bei Rittner (2012) 387– 421.
60 Wolfgang Rösler

des künftigen Staates nach seiner politischen und allgemein wehrhaften Seite hin, den Kern
seiner Machtbildung und die Vorform seiner politischen Ausleseschicht. Hier vor allem muss
Rasse aus Anlage und Zucht Wirklichkeit, sieghafte Form und Richtung werden.

Man liest dieses im nationalsozialistischen Jargon geschriebene Buch mit Wi-


derwillen (das Zitat ist noch in einem vergleichsweise moderaten Ton gehalten),
und man fragt sich, was Jaeger – zumal in der schwierigen Arbeitssituation, in der
er sich befand – veranlasst hat, anstatt es zu ignorieren, mit seinem Autor sogar in
einen Dialog zu treten. Denn eben dies geschieht in Jaegers Artikel in der von
Krieck herausgegebenen Zeitschrift, deren Titel – Volk im Werden – die erzie-
hungspolitische Perspektive ihres Gründers exakt widergibt.
Jaeger geht zunächst auf Angriffe von nationalsozialistischer Seite gegen den
traditionellen Humanismus³⁰ ein, für die er durchaus Verständnis aufbringt (43 –
44). Dessen Ziel sei die ästhetische und formale Selbstbildung des Individuums
gewesen. „Eine Verbindung mit dem Leben der Gemeinschaft war nicht vorhan-
den oder nur lose hergestellt“ (44). Der tiefere Grund für diese Einseitigkeit gehe
nicht etwa bereits auf die Antike selbst zurück, sondern habe „in dem gänzlich
unpolitischen Charakter unserer klassischen deutschen Kultur der Weimarer Zeit“
gelegen (ebd.). Jaeger wird im Folgenden dann sein Programm als Angebot prä-
sentieren, das die Defizite des traditionellen Humanismus zu überwinden geeignet
ist (45): Das neue Geschichtsbild

geht überall aus von einem neuen Durchstoßen durch die Schicht des äußerlich Tatsa-
chenmäßigen zu der eigentlichen Wesensstruktur des antiken Menschen. Da steht in erster
Linie die Erkenntnis, daß der antike Mensch in allen entscheidenden Phasen seines ge-
schichtlichen Lebens der politische Mensch ist.

Darauf beruhe „seine ‚humanitas‘, weil der Staat noch den gesamten Umkreis des
Lebens und Geistes umspannt“ (ebd.). Jaeger kann dazu sogar ein passendes Zitat
aus dem Buch von Krieck anführen (ebd.):

Uns ersteht jetzt als Vorbild und zur Erhellung unseres eigenen Weges der Mensch griechi-
scher Zucht, musischer und wehrhafter Erziehung im Zusammenhang frühgriechischer
Polisordnungen, weil er aus unseren eigenen Nöten und Bewegungen heraus verstehbar und
darum ‚gegenwärtig‘ ist³¹.

Krieck bezieht sich in seinem Buch auch sonst gelegentlich auf die griechische
Antike. Zwar stellt er fest (30 – 31), dass dem „Deutschtum“

 Zu deren Zielrichtung vgl. Fritsch (2001b) 154– 157; Kuhlmann (2006) 421– 425.
 Bei Krieck (1932) 7: „wird“.
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 61

mit dem altnordischen […] Schrifttum ein eindringliches und plastisches […] Bild verwandten
Rassetums […] gegeben ist, das in mindestens ebenso hohem Grad wie das Griechentum die
Bedeutung eines Vorbildes für uns besitzt […].

Doch gewinnt er das historische Modell für die Jugendbünde, deren Wiederbe-
lebung er propagiert, dann ganz überwiegend aus der griechischen Kultur. Die
Richtung weist ihm Hermann Usener mit seiner Abhandlung „Über vergleichende
Sitten- und Rechtsgeschichte“³² (auf die Krieck ausdrücklich Bezug nimmt [52]):

Ehedem hat die heranwachsende männliche Jugend in festgeschlossenen, straff gebundenen


Vereinen sich selbst zu Ordnung und Sittlichkeit erzogen. Wir begegnen dieser Einrichtung,
soweit wir nachkommen können, überall bei den europäischen Völkern […].

Usener demonstriert das Funktionieren dieser Institution vor allem an den atti-
schen Epheben,³³ woraus wiederum Krieck unter Verwendung eigener Zutaten
folgende Beschreibung und Übertragung gewinnt (58 – 59):

Wie im Erziehungswesen der altgriechischen Polis wird der junge Mensch als Ganzes erfaßt
von der gymnastischen und der musischen Seite her, also durch ein System von Übungen, das
ihm die Prägung, die charakterliche Haltung geben soll. […] Der Jugendbund ist damit
gleicherweise Wehrverband im kleinen, vielmehr erzieherische Vorstufe eines solchen, wie
auch musisch-kultischer Chor mit enger Gemeinschaftsbindung. […] So wird der Jugendbund
Träger eines hohen und erlesenen geistigen Gehaltes, aufnahmebereit für die Schöpfungen
erzieherischer Dichtung und Musik, womit die Haltung der Jungen geprägt, ihr Rasse- und
Volksbewußtsein ausgerichtet wird, indem sie diese Werte als geistigen Dauerbesitz in sich
aufnehmen.

Man muss hier anmerken, dass der eigene Bildungshintergrund von Krieck, je-
denfalls für solche historischen Exkurse, kaum zureichend war.³⁴ Er hatte kein
Studium absolviert, sondern war über den Beruf des Volksschullehrers, in den er
nach dem Besuch von Realschule und Lehrerseminar im Alter von 18 Jahren
eintrat, und eine dann parallel zum Beruf betriebene autodidaktische Weiterbil-
dung sowie die Tätigkeit als Publizist und Schriftsteller über bildungspolitische
und pädagogische Themen 1928 auf eine Stelle an der Pädagogischen Akademie
Frankfurt a. M. berufen worden. Eine Pädagogische Akademie war eine in den
zwanziger Jahren neugeschaffene Stätte der Lehrerbildung, für die sich übrigens
besonders der preußische Kultusminister Becker eingesetzt hatte und aus der

 Usener (1907).
 Usener (1907) 121– 124.
 Zur Biographie (bis zum Beginn der dreißiger Jahre) und zur intellektuellen Entwicklung von
Krieck s. Giesecke (1999) 33 – 44.
62 Wolfgang Rösler

später die Institution der Pädagogischen Hochschule hervorging. Kriecks päd-


agogische Werke waren zunächst in politisch-ideologischer Hinsicht unauffällig
gewesen. Für seine Philosophie der Erziehung von 1922, in der er ein Verständnis
von Erziehung ausarbeitete, das nicht auf einer individualpädagogischen Kon-
stellation, den Rollen von Erzieher und Zögling, aufbaut, sondern auf Erzie-
hungsleistungen, die in und von Gemeinschaften erbracht werden, erhielt er ein
Jahr später sogar die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg. Krieck ent-
wickelte sich erst Anfang der dreißiger Jahre zum nationalsozialistischen Bil-
dungsideologen und -agitator, wobei allerdings die Verbindungslinien, die zwi-
schen den Grundgedanken des gerade erwähnten Buches von 1922 und dem
Programm einer bündischen Formierung der Jugend in jenem von 1932 liegen,
deutlich sind.³⁵ 1931 wurde er nach einem Zwischenfall, der Zweifel an seiner
demokratischen Gesinnung aufkommen ließ, an die Pädagogische Akademie
Dortmund strafversetzt und 1932 – Anfang des Jahres war er Mitglied der NSDAP
geworden – in Verbindung mit eben dem Werk, das Jaegers Aufmerksamkeit er-
regte, unter Einleitung eines Disziplinarverfahrens beurlaubt; jedoch konnte er
nach dem sog. „Preußenschlag“, der Absetzung der preußischen Regierung unter
Ministerpräsident Braun im Juli 1932, wieder nach Frankfurt zurückkehren.³⁶ Nicht
lange nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde er am
25. April 1933 als Professor für Pädagogik an die Frankfurter Universität berufen
und bereits am folgenden Tag zu deren Rektor gewählt.³⁷ Zum 1. April 1934 folgte er

 Krieck stand zunächst Ideen der Jugendbewegung, insbesondere der nach dem Ersten Welt-
krieg aufkommenden Bündischen Jugend nahe (ein frühes Zeugnis bei Niemeyer 2013, 132), an die
später die Hitlerjugend einerseits anknüpfte (Krieck bezeichnete sie als „jüngste Welle der Ju-
gendbewegung“ [1932, 51]), von der sie sich anderseits aber, im engeren Sinne der NS-Ideologie,
auch wieder nachdrücklich abgrenzte (Krieck, ebd. 48 – 51). Vgl. Niemeyer (2013) 192– 205.
 Zu den Ereignissen der Jahre 1931 und 1932 s. Giesecke (1999) 44– 46, dazu auch die ergän-
zenden Angaben in der Krieck-Biographie in Munzinger Online/Personen – Internationales Bio-
graphisches Archiv (www.munzinger.de/document/00000002778 [Stand 30.10. 2016]).
 S. den Krieck-Artikel auf USE, der universitätsgeschichtlichen Internetseite der Johann Wolf-
gang Goethe-Universität: http://use.uni-frankfurt.de/ton/guerel-krieck (Stand 1. 2. 2015). – Karl
Reinhardt erinnerte sich später (1947, als er den Text abfasste, der dann aber erst 1955 gedruckt
wurde; hier zitiert nach Reinhardt 1960, 389), wie er nach Ostern 1933 von einer Reise nach
Süditalien zurückkehrte: „An der Universität war der Herausgeber des Revolverblättchens ‚Volk im
Werden‘, der Pädagoge Krieck, der Kopf der Volksschullehrerschaft, eine programmentwerfende
Null, auf den vorübergehend – nichts passiert bei Pädagogen leichter – einmal der treffliche
Kultusminister Becker hereingefallen war, einstimmig bei sieben Enthaltungen (ein paar waren
verreist) zum Rektor gewählt worden. Seine Photographie, in Großformat, mit Hakenkreuz und
Eichenlaub geschmückt, stand in den Schaufenstern der Buchläden, die hergerichtet waren wie zu
einer Goethehundertjahrfeier“. Die Bemerkung zu Becker gründet sich darauf, dass dieser es war,
der seinerzeit Krieck an die Pädagogische Akademie Frankfurt berufen hatte. – Es ist der Er-
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 63

einem Ruf an die Universität Heidelberg als Professor für Philosophie und Pä-
dagogik und amtierte 1937/38 auch dort als Rektor.³⁸
Nachdem die Positionen von Krieck und die von Jaeger dazu angestellten
Überlegungen skizziert worden sind, muss endlich die Frage, was Jaeger veran-
lasst hat, mit Krieck in einen Dialog zu treten, wiederaufgenommen und ver-
suchsweise beantwortet werden. Wie sich zeigen wird, ist es erforderlich, den
zeitlichen Ablauf der Ereignisse genau zu erfassen und auch die zu erschließende
Bewusstseinslage der beteiligten Personen in die Betrachtung einzubeziehen.
Kriecks optimistische Erwartung in dem Buch von 1932, das Dritte Reich werde
kommen, ging schon im folgenden Jahr in Erfüllung, beginnend mit Hitlers Er-
nennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Krieck muss danach das Er-
scheinen der von ihm zweifellos länger geplanten Zeitschrift energisch vorange-
trieben haben. Das erste Heft von Volk im Werden ist offenkundig im April 1933
erschienen, von Krieck auf S. 1 mit einer Eingangsbetrachtung „Die große Stunde
Deutschlands“ eröffnet, die mit dem Satz beginnt: „Der März 1933 hat den
Dammbruch gebracht […].“ Krieck bezieht sich damit auf die Ereignisse am 21. und
23. März, zunächst den „Tag von Potsdam“, als die konstituierende Sitzung des
neuen Reichstages von dem neuberufenen Reichspropagandaminister Goebbels
zur Inszenierung einer Vereinigungsfeier des nationalkonservativen Lagers mit
Hindenburg an der Spitze und der Partei Hitlers benutzt wurde, und, zwei Tage
später, die Annahme des Ermächtigungsgesetzes, wodurch die verfassungsmäßige
Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive für vier Jahre aufgehoben
wurde.
Krieck stellt am Ende seiner Betrachtung fest: „Hinter der politischen Ent-
scheidung, die gefallen ist, hat sich nun die neue Front der deutschen Kultur-
politik zu formen. Hier ist die Entscheidung noch nicht gefallen […].“ Jaeger
scheint dies als Anstoß zur Eröffnung einer Diskussion verstanden zu haben, an
der teilzunehmen auch Nichtnationalsozialisten eingeladen waren, und in der Tat
ist sein Aufsatz ja auch in Kriecks Zeitschrift erschienen. Allerdings zeigt ein Blick
in die folgenden Hefte von Volk im Werden, dass die Zeitschrift weitestgehend der
internen nationalsozialistischen Diskussion diente. Man wird Jaeger zubilligen

wähnung wert, dass Krieck sich in seiner Frankfurter Rektoratsrede vom 23. Mai 1933 für die
Einführung einer „Dozentenakademie“ für den Hochschullehrernachwuchs einsetzte und damit
eine Einrichtung mit initiierte, die in der Folgezeit in Verbindung mit einem vorgeschalteten
„Gemeinschafts-“ oder „Dozentenlager“ zu einem wesentlichen Steuerungsinstrument der na-
tionalsozialistischen Hochschulpolitik wurde (dazu Losemann 1980, 87– 88).
 Über die Heidelberger Zeit und die Gründe von Kriecks vorzeitigem Rücktritt vom Rektorenamt
s. Giesecke (1999) 53 – 59.
64 Wolfgang Rösler

müssen, dass er, als er seinen Beitrag übersandte, noch nicht wissen konnte, in
was für eine Gesellschaft er sich damit begab.
Zu berücksichtigen ist unbedingt auch folgender Sachverhalt: Als Hitler am
30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, mit nur zwei weiteren Natio-
nalsozialisten neben sich im elfköpfigen Kabinett (einer von ihnen Göring als
Minister ohne Geschäftsbereich), war den wenigsten Zeitgenossen die Tragweite
dieses Ereignisses bewusst. Die Rechtskonservativen um Papen und Hindenburg
waren sich sicher, den Kurs der Politik weiter bestimmen zu können. Doch machte
Göring von seiner Macht als preußischer Innenminister, der er geblieben war,
schon im Februar regen Gebrauch. Am einschneidendsten war die Aufstellung
einer 50.000 Mann starken bewaffneten Hilfspolizei, die sich aus Mitgliedern der
SA, der SS und des „Stahlhelm“ rekrutierte. Die reguläre Polizei wurde ange-
wiesen, mit diesen Kräften das beste Einvernehmen herzustellen. Der Reichs-
tagsbrand am 27. Februar ergab dann die Gelegenheit, dieses staatliche Gewalt-
potential massiv zum Einsatz zu bringen. Gestützt auf die einen Tag später von
Hindenburg unterzeichnete „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, die
elementare Grundrechte außer Kraft setzte, überrollte eine Verhaftungswelle das
Land, die Tausende von politischen Gegnern erfasste, was für die Betroffenen
Haft, Verhör, oft auch Folter bedeutete. Begleitet von Gewaltaktionen gegen Op-
positionelle und antijüdischen Ausschreitungen vergingen die folgenden vier
Wochen bis zum „Tag von Potsdam“ und zur Verabschiedung des Ermächti-
gungsgesetzes. Für den 1. April 1933 wurde zum Boykott jüdischer Geschäfte
aufgerufen. Eine die eigene materielle Existenz unmittelbar gefährdende Bedro-
hung bedeutete dann für die hiervon Betroffenen das „Gesetz über die Wieder-
herstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April, das die Entlassung jüdischer
Beamter festlegte. Doch dauerte es danach noch einige Monate, bis der Vollzug
tatsächlich einsetzte und das Ganze in seiner Tragweite erfahren wurde.
Dass mit der Ernennung Hitlers nichts Geringeres als eine fundamentale Zäsur
vollzogen worden war und dass die judenfeindliche Programmatik in Mein Kampf
alles andere als „Propagandagerede“ darstellte,³⁹ wurde nur zögerlich realisiert.
Man nahm die Gefahr vielfach nicht ernst und ließ sich die auf Hitler projizierten
Hoffnungen – energische Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher
Not, dazu nationale „Erneuerung“ – nicht nehmen. Es sind gerade zwei Beispiele
bedeutender Klassischer Philologen, die das auf erschütternde Weise belegen.
Eduard Norden, der später in der Folge der Rassegesetzgebung in die Emigration
getrieben wurde, kommentierte (nach einem Bericht des – gerade schon in Zu-
sammenhang mit Jaeger erwähnten – Johannes Götte) in seiner Vorlesung am

 Sie als solches missverstanden zu haben, räumte Norden später ein (Götte 1993, 280).
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 65

31. Januar 1933, dem Tag nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch
Hindenburg, zur Verblüffung des Auditoriums die politische Situation durch einen
abgewandelten Ennius-Vers: unus homo nobis audendo restituit rem, „ein einziger
Mensch hat uns durch sein Wagen den Staat wiederhergestellt.“ Diese Äußerung
pflegt (seit Götte) als direkte Verbeugung Nordens vor Hitler verstanden zu wer-
den, doch, so ergibt genauere Analyse, ist das abgewandelte Zitat unbedingt auf
Hindenburg zu beziehen,⁴⁰ was jedoch an einer positiven Einschätzung Hitlers,
die es im gegebenen Zusammenhang ebenfalls, allerdings implizit, zum Ausdruck
bringt, nichts ändert.⁴¹ Felix Jacoby, der dann schon bald aufgrund der Rasse-
gesetze vorzeitig aus seinem Amt gezwungen und später ebenfalls in die Emi-
gration getrieben wurde, eröffnete im Sommersemester 1933 seine Horaz-Vorle-
sung an der Universität Kiel sinngemäß mit folgenden Worten: Er habe seit 1927
Hitler gewählt und preise sich glücklich, im Jahr der nationalen Erhebung über
den Dichter des Augustus lesen zu dürfen. Dieser sei die einzige Gestalt der
Weltgeschichte, die man mit Hitler vergleichen könne.⁴²
Auch für Jaeger dürfte gelten, dass er die Tragweite der in rasendem Tempo
ablaufenden aktuellen Vorgänge noch nicht zur Gänze erfasst hatte, als er, ver-
mutlich noch im April 1933, auf das vermeintliche Angebot Kriecks zur Diskussion
in Volk im Werden reagierte und seinen – wahrscheinlich schnell geschriebenen –
Beitrag einreichte. Man kann nun annehmen, dass er in Krieck einen ebenso

 Hitler war gerade erst am Vortag ernannt worden; er hatte in der Funktion des Reichskanzlers
noch gar nichts unternommen, geschweige denn gewagt. Hindenburg dagegen, der sich in der
andauernden Staatskrise dazu durchgerungen hatte, den von ihm lange abgelehnten „böhmi-
schen Gefreiten“, den Anführer der Partei, die die stärkste Fraktion im Reichstag stellte, zum
Reichskanzler zu ernennen, hatte gehandelt. So betrachtet, entbehrt das abgewandelte Zitat, das
sich bei Ennius auf den römischen Feldherrn Quintus Fabius Maximus, den „Cunctator“, bezieht
und dessen viertes Wort dementsprechend cunctando, „durch sein Zögern“, lautet, nicht eines
subtilen Witzes: Hindenburg, auch er einst ein bedeutender Feldherr („der Sieger von Tannen-
berg“, 1914), hatte sein Zögern aufgegeben und Wagemut gezeigt.
 Vollends unfassbar ist dann die Äußerung Nordens in einem Brief an seinen Schüler Kös-
termann (überliefert von Mensching 1992, 122), immerhin schon vom 22. April 1934. Nachdem er
zuvor seine Lage illusionslos geschildert und Sorge um das künftige Los seiner Kinder zum
Ausdruck gebracht hat, fährt er fort: „Aber was ist am Einzelnen gelegen,wenn nur das Volksganze
gefestigt wird. Ich denke manchmal an die Horazode O navis. Den Steuermann Hitler liebe ich,
trotz allem, wie Sie.“ Hinter Norden lag inzwischen die Erfahrung von mehr als einem Jahr na-
tionalsozialistischer Herrschaft.
 Berichtet aus eigener Erinnerung von Georg Picht (1977) 199 – 200. Zu Zweifeln, die an der
Glaubwürdigkeit der Jacoby zugeschriebenen Äußerung erhoben wurden, s. Wittram (2004) 102–
104 und Chambers (2009) 18 – 20. Sie erwuchsen vor allem aus einzelnen auf die Goldwaage
gelegten Formulierungen des Zitats. Doch bedient sich Picht der direkten Rede offenkundig als
einer darstellerischen Form, der Anspruch einer wörtlichen Authentizität ist damit nicht erhoben.
66 Wolfgang Rösler

einflussreichen wie potentiell bereitwilligen Verbündeten zu gewinnen hoffte, der


dann als Anwalt sowohl für sein, Jaegers, humanistisches Konzept als auch für ein
darauf gegründetes Modell des altsprachlichen Unterrichts eintreten könnte. Auch
wenn ihm der plump agitatorische Charakter des Auftretens von Krieck in dem
Buch von 1932 nicht entgangen sein kann, mochte die Hoffnung berechtigt er-
scheinen, dass ein Autor, der in einer nationalsozialistischen Programmschrift
ohne Abwertung und Polemik auf die Antike Bezug nahm,⁴³ geeignet und bereit
sein könnte, diese Flanke abzusichern. Vielleicht würde er sich ja sogar geehrt
fühlen. Man musste ihm, begleitet von gewissen Gesten der Übereinstimmung, nur
zeigen, dass Jaegers Konzept seinen eigenen Vorstellungen im Grunde entsprach
und er sich ohne Risiko darauf einlassen konnte.
Neben einer solchen, rein taktisch motivierten Annäherung an Krieck kommt
allerdings auch die Möglichkeit in Betracht, dass Jaeger sogar Anlass zu haben
glaubte, in Krieck mehr als nur ein Werkzeug, nämlich einen ihm in wesentlicher
Hinsicht Gleichgesinnten zu sehen. Auch wenn sich das, wie vorweg gesagt sei,
nicht eindeutig nachweisen lässt, ist der folgende, in der Forschung zu Jaeger
anscheinend unbemerkt gebliebene Sachverhalt, aus dem diese Möglichkeit er-
wächst, so interessant, ja verblüffend, dass er kurz dargestellt zu werden verdient.
Krieck war auf das antike Griechenland bereits in den zwanziger Jahren in drei
kürzeren Publikationen, gleichwohl aber, im Verhältnis zu deren Umfang, recht
ausführlich eingegangen.⁴⁴ Während er in den Schriften Musische Erziehung (1928)
und Staat und Kultur (1929) in tendenziell vergleichbarer Weise wie im Buch
Nationalpolitische Erziehung die Institution der Jugendbünde und deren musische
Dimension behandelt,⁴⁵ hatte er bereits 1924 in ein schmales Bändchen mit dem
Titel Dichtung und Erziehung einen Exkurs zur griechischen Dichtung von Homer
bis zur Tragödie aufgenommen, der deren politisch-lehrhafte Funktion betont und
anerkennt.⁴⁶ Dort findet sich der erstaunliche Satz: „Im homerischen Epos ist die

 Im August 1933 verfasste Krieck für die späteren Auflagen ein Vorwort, das in seinem letzten
Satz noch einen weiteren Antikebezug herstellte (beim folgenden Zitat ist hinzuzudenken: „dank
der Führerschaft Adolf Hitlers“): „So wird aus dem deutschen Volke der platonische Zucht- und
Erziehungsstaat auf der Grundlage eines rassisch-völkischen Weltbildes und im Zusammenhang
eines neu erstehenden Geschichtsbildes errichtet werden.“ Das Werk gelangte bis zur 25. Auflage
(1943), mit der das „75.–80. Tsd.“ an Exemplaren erreicht wurde.
 Krieck ließ diese Arbeiten 1933 mit politisch aktualisierenden Vorworten neu erscheinen (s.
Krieck 1933 bzw. 2. Aufl. von Krieck 1924).
 Krieck (1928) 12– 19 (= Krieck 1933, 17– 27); Krieck (1929) 59 – 76 (= Krieck 1933, 32– 46). Das
Thema wird in den beiden Schriften von unterschiedlichen Ausgangspunkten her in Angriff ge-
nommen, worauf aber hier nicht näher einzugehen ist.
 Krieck (1924) 102– 110 (in der 2. Aufl.: 67– 72).
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 67

erzieherische Funktion ganz unverkennbar […].“⁴⁷ Das hätte – wenige Jahre


später – auch Jaeger im ersten Band von Paideia schreiben können, wo dafür ein
Abschnitt „Homer als Erzieher“ überschrieben ist.⁴⁸ Schwerlich ist Jaeger selbst
auf diese Abhandlung Kriecks aufmerksam geworden, aber dass ihm z. B. ein
Gewährsmann aus den Reihen des DAV einen entsprechenden Hinweis gegeben
haben könnte, als er 1933 etwas für Volk im Werden zu schreiben erwog und
darüber auch mit anderen sprach, ist nicht ganz abwegig.⁴⁹
Als Jaegers Aufsatz zum Druck akzeptiert und erst recht als er, wie sich re-
konstruieren lässt, ungefähr Mitte Juli 1933 publiziert worden war, schien, was die
erhoffte Wirkung angeht, Optimismus gerechtfertigt. Es fällt auf, dass der Artikel
nun vom DAV gewissermaßen übernommen wurde und so etwas wie offiziösen
Charakter erhielt, woran Jaeger selbst als 2. Vorsitzender natürlich Anteil hatte.⁵⁰
Als einziger Referenztext neben dem „Altsprachlichen Lehrplan für das deutsche
humanistische Gymnasium“, den der DAV 1930 vorgelegt hatte,⁵¹ wurde er im
Anhang zu den im Sommer 1933 vom Vorstand erarbeiteten Leitsätzen des Ver-
bandes „Zur Neugestaltung des humanistischen Bildungsgedankens auf dem

 Krieck (1924) 104 (in der 2. Aufl.: 68).


 Jaeger (1934) 63.
 Möglicherweise war die Neuauflage der Krieck’schen Schrift zu dem anzunehmenden Zeit-
punkt auch bereits erschienen oder mindestens angekündigt.
 Der 1. Vorsitzende des DAV Emil Kroymann hatte seinerseits bereits am 13. April in einem
Rundschreiben „die Vorsitzenden der Landesverbände ersucht, auf einer kurzen Tagung über das
Thema: ‚Die alten Sprachen und die nationale Erhebung‘ als wesentlichste Punkte: National-
bewußtsein, Gemeinschaftswille, Opferbereitschaft, Führergedanke, Wehrhaftigkeit, Frömmig-
keit, wirkliches Wissen und Können herauszustellen und zu prüfen, in welchem Sinne der alt-
sprachliche Unterricht der Verwirklichung dieser Gedanken dienen kann und will, und zwar
grundsätzlich durch bewußte Menschenformung und sachlich durch die Vertiefung in das Werk
der Antike, das nationale Selbstbehauptung, Macht der Staatsidee, Bedeutung der Führerper-
sönlichkeit in den großen Männern des Altertums, heroischen Idealismus und geistige Lebens-
haltung im Kampfe gegen Materialismus und mechanisch-technische Verflachung predigt“
(Mitteilungen des DAV 7, 1933, Heft 2, 12). Von dieser Initiative muss Jaeger als 2. Vorsitzender des
DAVgewusst haben. Der Gedanke drängt sich auf, dass die beiderseitigen Aktivitäten, Kroymanns
Initiative und Jaegers Artikel, abgestimmt gewesen sein könnten. Der Vortrag, den der Vorsitzende
des Landesverbandes Berlin-Brandenburg-Grenzmark Paul Babick, Kroymanns Anregung fol-
gend, dann unter dem von Kroymann vorgegebenen Titel am 10. Juni 1933 in der Berliner Uni-
versität hielt, ist im selben Heft der Mitteilungen publiziert (3 – 12). Es handelt sich um das Do-
kument einer bedrückenden Unterwürfigkeit gegenüber den neuen Machthabern. An der
Themenliste Kroymanns fällt auf, dass die Rassethematik nicht vorkommt. Babick hingegen, zwei
Monate später, widmet sich ihr ausführlich (8 – 9).
 Es handelt sich also nicht um einen amtlichen Lehrplan, wie der Begriff heute ausschließlich
verwendet wird. Die 35-seitige Ausarbeitung erschien als Separatpublikation bei Weidmann in
Berlin.
68 Wolfgang Rösler

Gymnasium“ aufgeführt. Bereits vorher, „Anfang Juli“, waren die beiden Vorsit-
zenden des Verbandes, der pensionierte Gymnasialdirektor Kroymann und Jaeger,
vom preußischen Kultusminister Bernhard Rust (selbst ehedem Lehrer für alte
Sprachen und Deutsch am Ratsgymnasium in Hannover)⁵² empfangen worden,
dem sie, wie es in den Mitteilungen des DAV sibyllinisch heißt, die „die Altphi-
lologenschaft bewegenden Fragen“ vortragen durften.⁵³
Auf der Vertreterversammlung des DAV am 30. September 1933 kommt es zum
letzten Auftritt Jaegers in dieser Angelegenheit. Er erläutert noch einmal Inhalt
und Funktion der „Leitsätze“⁵⁴ und arbeitet in einer Kommission mit, die am

 Zum Aufstieg von Rust und zu seinem Wirken als Minister, ab 1934 zusätzlich auch als
Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, s. Nagel (2012) pass.
 So der Bericht des 1. Geschäftsführers des DAV A. Krause („Zur Lage“) in den Mitteilungen des
DAV 7 (1933) Heft 2, 12. Dabei dürfte es, wie der Zusammenhang im Bericht von Krause nahelegt,
zuvörderst um die Frage gegangen sein, ob die Schulform des Gymnasiums gefährdet sei. Im
Ganzen ergibt sich für die Ereignisse ab Anfang Juli der folgende Ablauf: Am Beginn steht das
Gespräch mit Rust. Jaegers Artikel erscheint Mitte Juli, war aber natürlich vorher schon im Ma-
nuskript dem Vorstand des DAV zur Kenntnis gebracht worden. Deshalb kann Krause, etwas
missverständlich, berichten, die von Jaeger in seinem Aufsatz ausgeführten Gedanken seien
Anfang Juli in dem Gespräch mit Rust vorgetragen worden. (Den gleichen Zusammenhang, doch in
entgegengesetzter Reihenfolge nimmt Irmscher 1965/66, 238 an, danach Fritsch 2001b, 161: Jaeger
habe das „Fazit“ aus dem Gespräch mit Rust in seinem Artikel in Volk im Werden veröffentlicht.
Dies aber entspricht weder der Genese noch dem Inhalt,wie gerade behandelt, und erst recht nicht
dem Schicksal des Artikels, von dem sogleich die Rede sein wird. Vielmehr scheint sich Rust bei
dem Treffen, im Einklang mit dem Bericht von Krause, im Wesentlichen auf das Anhören der
beiden Verbandsvertreter beschränkt und sich eigener Festlegungen weitgehend enthalten zu
haben. Erst dadurch ermöglichte er es dann Krieck, sich in seiner Antwort an Jaeger autoritativ als
Stimme der nationalsozialistischen Bildungspolitik – „Unser Verhältnis zu Griechen und Rö-
mern“ – in Szene zu setzen. Vollends aus der Luft gegriffen ist, was Calder 1989, 357 [und ent-
sprechend 1990, 221] über das Ergebnis des Gesprächs mit Rust im Juli 1933 mitzuteilen weiß: Auf
Rusts Verlangen „legte Jaeger, gemeinsam mit dem Verbandspräsidenten Kroymann, den deut-
schen Latein- und Griechischlehrern das Programm vor, das die neue Regierung von ihnen er-
wartete. Das heißt: Jaeger willigte ein, für das neue Regime gegenüber seinen Berufsgenossen als
Sprachrohr zu fungieren.“) Da die „Leitsätze“ in ihrer ersten Fassung (sie wurden später, Ende
September, noch überarbeitet) bereits auf Jaegers Artikel mit Heft- und Seitenangabe verweisen,
sind sie nach dessen Erscheinen, aber nicht wesentlich später abgeschlossen worden. Denn sie
sind im selben Heft der Mitteilungen des DAV erstmals abgedruckt (1– 3) – nicht erst im Deutschen
Philologen-Blatt vom 13.9.1933 (so der bei Fritsch 2001b, 161 u. 178 entstehende Eindruck) –, in dem
auch der gerade herangezogene Bericht von Krause steht, der im Ganzen die Situation im Sommer
1933 nicht lange nach dem Gespräch mit Rust voraussetzt (auf diesen Zeitpunkt verweist auch die
Stellung des Heftes – als Nr. 2 – innerhalb des Jahrgangs, der dann im Herbst mit dem Doppelheft
3/4 [vgl. Anm. 54, dazu Anm. 81] abgeschlossen wurde).
 Auch diesmal berichtet A. Krause, Mitteilungen des DAV 7 (1933) Heft 3/4, 8 – 9: „In der Aus-
sprache gibt W. Jaeger grundlegende Erklärungen ab: Nicht innere Umstellung, sondern äußere
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 69

folgenden Tag die endgültige Fassung formuliert.⁵⁵ Dabei wird ein Schlussabsatz
hinzugefügt, der die Anpassung an die ideologischen Verhältnisse dokumentiert,
die der DAV in den zurückliegenden Monaten durchlaufen hatte:

Diese deutsche humanistische Erziehung ist eine im eigentlichen Sinne deutsche Angele-
genheit und von allen ausländischen Formen gleichen Namens unterschieden. Sie hat nichts
zu tun mit Kosmopolitismus oder mit erneuertem Heidentum. Sie strebt danach, die besten
Kräfte des deutschen Menschen zu wecken und auszubilden durch die Beschäftigung mit den
artverwandten Völkern des Altertums und ihn dadurch seines eigenen volksgebundenen
Wesens nur um so fester zu versichern.

Immerhin ist auch dieses Bekenntnis auf relativ zurückhaltende Weise formuliert.
Bei der Eröffnung der Versammlung hatte der 1.Vorsitzende Kroymann eine andere
Tonart angeschlagen, wie dem Bericht in den Mitteilungen des DAV zu entnehmen
ist: „Mit warmen Worten würdigt er dann das große Werk des nationalsozialisti-
schen Umbruchs und seines gottgesandten Schöpfers und schließt mit einem
dreifachen Sieg Heil auf unseren Führer Adolf Hitler.“⁵⁶ Man wüsste gern, wie
Jaeger dabei zumute war. Seinen Schülern Solmsen und Walzer war zu Beginn des
Monats, am 2. September, aus „rassischen“ Gründen die Lehrbefugnis entzogen
worden.
Alle Hoffnung, die sich mit Jaegers Artikel verbunden hatte, zerplatzte schon
ein Vierteljahr nach seinem Erscheinen und nur einen halben Monat nach der
definitiven Verabschiedung der „Leitsätze“. In einer knappen (nur gut eine Seite
lang), inhaltlich und argumentativ dürftigen, aber in der Aussage klaren Antwort
in Heft 5 des Jahrgangs („Unser Verhältnis zu Griechen und Römern“, 77– 78), die
ungefähr Mitte Oktober 1933 erschien, ließ Krieck Jaeger wissen, dass „unser
Verhältnis zur Antike“ einer „Zwischenschaltung des Begriffs der ‚Humanität‘ –
auch in Gestalt des Dritten Humanismus –“ mit seiner Orientierung am „Litera-
risch-Ethisch-Ästhetischen“ nicht bedürfe. Unter Einbeziehung auch von Rom und

Umformung sei nötig. Freilich müsse man den Begriff der humanistischen Bildung richtig fassen
im Sinne politischer Bildung; so habe Plato den Begriff paideia verstanden: im Gegensatz zu den
engen Grenzen der Fachwissenschaften als lebenzugewandte, nationalsozialpolitische Erziehung.
Für die Masse seien die Leitsätze zu akademisch; sie seien aber hauptsächlich als Grundlage für
Besprechungen an maßgebenden Stellen gedacht. Das Lateinische trete hinter dem Griechischen
zurück, weil jenes nicht bedroht sei und dieses in erster Linie als unentbehrlich habe hingestellt
werden sollen.“
 Beide Versionen in Paralleldruck bei Fritsch (2001b) 178 – 183. Die endgültige Fassung auch in
Burck/Clasen/Fritsch (1987) 10 – 12.
 Mitteilungen des DAV 7 (1933) Heft 3/4, 8.
70 Wolfgang Rösler

in enger Anlehnung an das, was er in seinem Buch von 1932 über die Bedeutung
der Jugendbünde ausgeführt hatte, stellte er nunmehr klar:

Was uns von der Antike heute angeht, weil es unsere eigene Aufgabe betrifft, ist 1. die Le-
bensganzheit und Lebensordnung der frühen Polis, 2. die politisch-wehrhafte Zucht der
Staatsbürger und der Jugend, insbesondere die römische Staatszucht, 3. die bündisch-kör-
perschaftliche Lebensform der wehrhaften Männer und des Nachwuchses in den aufstei-
genden Altersklassen, 4. das gymnastisch-musische Bildungssystem.⁵⁷

Kehrt man nun vom Herbst 1933 wieder zurück zu dem vorauszusetzenden Zeit-
punkt der Abfassung von Jaegers Beitrag für Volk im Werden, d. h. in die Zeit des
April 1933, könnte eine zurückhaltende Bewertung der Jaeger’schen Aktion ver-
tretbar, ja angebracht erscheinen.⁵⁸ In der Voraussicht auf Veränderungen im
deutschen Erziehungswesen, die sich in der gegebenen politischen Situation
abzeichneten, aber noch keine konkrete Gestalt annahmen, wollte er mit der ihm
eigenen Geschmeidigkeit die Chance nutzen, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt
der Antike einen Platz auch unter den neuen Verhältnissen, wenn sie sich denn
tatsächlich etablieren und stabilisieren sollten, zu sichern. Dabei konvergierten
seine eigenen Interessen und die der Vertreter des altsprachlichen Unterrichts. Das
Buch von Krieck als Anknüpfungspunkt und Kriecks Zeitschrift als Diskussions-
forum schienen sich als geeignete Instrumente für diese Operation anzubieten.
Das alles ist gewiss nicht ohne Anstoß – die rasche, ja überhastete Reaktion
schloss die Preisgabe gewachsener Standards und Prinzipien ein, die ehedem als

 In den beiden nächsten Jahrgängen von Volk im Werden erschienen dann passenderweise zwei
aufeinander bezogene Aufsätze von Wolfgang Aly (1934 und 1935), die mit Sätzen wie den fol-
genden das Schlusswort zu dem „Dialog“ zwischen Jaeger und Krieck sprachen: „Damit lehnen
wir den Leitgedanken des Humanismus ab“ (1934, 229). „Die unzeitgemäße Form des Unter-
richtens ist der sogenannte Humanismus. Denn er predigt Menschentum vor Volkstum. Das ist
verkehrte Welt“ (1935, 428). Aly, habilitierter Lektor am Philologischen Seminar der Universität
Freiburg, der 1931 in die NSDAP eingetreten war, war der „dienstälteste“ Parteigenosse im Lehr-
körper seiner Universität (Näheres bei Malitz 2006, 4). Auch bereits bei Krieck klingt an der zi-
tierten Stelle an, dass der Begriff „Humanismus“ als solcher auf nationalsozialistischer Seite
starke Aversion auszulösen geeignet war. Das war eine verbreitete Einstellung (vgl. Landfester
2011, 214– 215), gegen die Jaeger und mit ihm der DAV trotz aller Bemühung um eine Neudefinition
(wie sie doch Jaeger in seinem Beitrag in Volk im Werden soeben entworfen zu haben meinte) auf
verlorenem Posten kämpften.
 Ein Beispiel einer solchen Bewertung findet sich bei Ludwig (1984) 168: „Jaeger hatte 1933
auch, anscheinend ohne damals den Charakter der nationalsozialistischen Herrschaft voll
wahrzunehmen und wohl auch in Überschätzung seiner persönlichen Wirkungsmöglichkeiten,
den Beweis zu führen gesucht, daß seine Auffassung von Humanismus im Sinne einer Erziehung
zum heroisch-politischen Menschen sehr gut zu der neuen Ära passe und geeignet sei, die
Gymnasien zu einer Stätte der humanistisch-politischen Bildung für den neuen Staat zu machen.“
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 71

verpflichtend gegolten hatten –, doch kann man die Entscheidung, das Risiko
einzugehen, aus der gegebenen Situation heraus auch wieder nachvollziehbar
finden. Jedenfalls sollte, wer nie in eine derartige Lage geraten ist, mit einer
Verurteilung zurückhaltend sein.
Doch erfährt, was sich bisher ergeben hat, noch eine Fortsetzung, durch die
sich die Bewertung nicht unwesentlich verändert. Ausgangspunkt ist folgender
Sachverhalt: William M. Calder hat zusammen mit Maximilian Braun 1996 die
Anstreichungen und Randnotizen publiziert, die Paul Friedländer in seinem Ex-
emplar von Jaegers Paideia vorgenommen hat.⁵⁹ Friedländer (1882– 1968), Pro-
fessor in Marburg und Halle, 1930 auch einer der Vortragenden auf der von Jaeger
veranstalteten Naumburger Tagung, wurde 1935 aus dem Amt vertrieben; er
emigrierte 1939 in die USA.⁶⁰ Im ersten Band von Paideia wurde er von Beginn an
auf Anklänge an nationalsozialistisches Sprach- und Gedankengut aufmerksam.
So kontrastiert Jaeger ein, wie er zu verstehen gibt, alles in allem vorhandenes
„Nähegefühl rassischer Verwandtschaft“ gegenüber Griechen (und auch Römern)
mit der sehr viel ausgeprägteren Distanz („riesengroßer Unterschied“), „die wir
gegenüber den⁶¹ ausgesprochen rasse- und geistesfremden Völkern des Orients
empfinden“ – Friedländers Kommentar dazu: „die Nähe Hitlers!“⁶² An anderer
Stelle räsoniert Jaeger über die Gemeinsamkeit, die Homer und die Griechen der
Folgezeit miteinander verbinde, und erkennt „ihren tieferen Grund […] in den
verborgenen Erbeigenschaften der Rasse und des Blutes“; unmittelbar darauf ist
im gleichen Zusammenhang von „dem für uns nur gefühlsmäßig und intuitiv zu
erfassenden Moment des Volkstums und der Rasse“ die Rede. Hierzu merkt
Friedländer zwar an: „das Übliche, schon vor 33 Übliche, jetzt angefrischt!“⁶³ Aber
Jaeger jedenfalls hatte früher nicht so geschrieben. Zu einer pathetischen Äuße-
rung, in der Jaeger auf die eigene Zeit eingeht – „Doch in dem gegenwärtigen
Augenblick, wo unsere gesamte Kultur aufgerüttelt durch ein ungeheures eignes
Erleben der Geschichte in eine neue Prüfung ihrer Grundlagen eingetreten ist […]“
–, findet sich der lapidare Kommentar „Nazi!“.⁶⁴ Den noch verfänglicheren Satz

 Calder/Braun (1996). Notizen Friedländers befinden sich in allen drei Bänden des Werkes
(Jaeger 1934, 1944 und 1947), überwiegend aber im ersten Band.
 Über die komplizierten Abläufe bis zum Eintreffen Friedländers in den USA am 20. August 1939
s. die erschöpfende Rekonstruktion von Obermayer (2014) 601– 643, durch die Mensching (2003)
überholt ist.
 Nach dem Artikel muss gedanklich ein „uns“ eingeschoben werden.
 Jaeger (1934) 4, Friedländer in Calder/Braun (1996) 218. Friedländer bezieht sich durch Un-
terstreichung nur auf das zweite, die Völker des Orients betreffende Zitat; das erste ist hier um der
Vollständigkeit des Gedankens willen hinzugefügt.
 Jaeger (1934) 88, Friedländer in Calder/Braun (1996) 221.
 Jaeger (1934) 19, Friedländer in Calder/Braun (1996) 219.
72 Wolfgang Rösler

„Es wird das Ziel des modernen Führerstaates sein müssen, diesen neuen Weg zu
finden, der zwischen der demokratisch unterbauten Führerstellung des Perikles
und der rein militärisch gestützten Alleinherrschaft des Dionysios hindurch-
führt“ – hierzu notierte Friedländer: „tell it Hitler! Ecco!“⁶⁵ – entfernte Jaeger
stillschweigend in der zweiten Auflage von 1936, dem Jahr seines Wegganges in die
USA. Er tat dies, wie nahe liegt, in dem vorauseilenden Bestreben, sich nun nicht
mehr mit einer politischen Zielvorstellung zu exponieren, die nach amerikani-
schen Maßstäben leicht als inkorrekt empfunden werden konnte.⁶⁶ Nur wortlos
bzw. mit dem Zusatz „NB!“ unterstrichen hat Friedländer die folgenden beiden
Stellen in Paideia I, die den gewonnenen Eindruck vertiefen:⁶⁷ „Wir gehen dazu
wohl am besten von der rassemäßigen Formanlage des griechischen Geistes
aus“⁶⁸ – gemeint ist: um „die Stellung des griechischen Geistes in der Bildungs-
geschichte des Menschen […] in prinzipieller Schärfe [zu] erfassen“ – und „In

 Jaeger (1934) 511, Friedländer in Calder/Braun (1996) 235.


 Eine der ersten Arbeiten, die Jaeger in den USA verfasste, war dann der Aufsatz „Greeks and
Jews. The First Greek Records of Jewish Religion and Civilization“ (Jaeger 1938a). Mit diesem
Hinweis verbindet sich, wie betont sei, nicht die Unterstellung, dass auch hier taktische Über-
legungen mitgespielt haben. Doch verdient das Faktum im gegebenen Zusammenhang erwähnt zu
werden. Jaeger veröffentlichte einen Teil der Ergebnisse unter dem Titel „Theophrast und der
älteste griechische Bericht über die Juden“ auch auf deutsch als „Exkurs II“ zum Theophrast-
Kapitel seines Buches Diokles von Karystos (Jaeger 1938b, 134– 153).
 Da Friedländer bei der Emigration in die USA seine Privatbibliothek mitnehmen durfte (Cal-
der/Braun 1996, 214; Obermayer 2014, 643), stellt sich die Frage, wo und damit auch wann er seine
Notizen in den ersten Band von Paideia eingetragen hat – nach Obermayer, ebd. 27 Anm. 83, „mit
hoher Wahrscheinlichkeit noch vor Friedländers erzwungenem Entpflichtungsgesuch (3.11.
1935)“. Da Friedländer seine Kritik an nationalsozialistischem Gedankengut bei Jaeger mit größter
Offenheit, mitunter auch sarkastisch formuliert – was ihn in Deutschland bei einer Verkettung
unglücklicher Umstände, wenn der Band in falsche Hände geraten wäre, in zusätzliche Gefahr
gebracht hätte –, liegt indes die Annahme näher, dass er solcher Gefährdung wohl wissend aus
dem Weg ging und die Eintragungen erst in den USA vornahm (wie bei den ebenfalls annotierten
Bänden 2 und 3, die ja erst später erschienen [s. o. Anm. 59 bzw. u. Anm. 77]).Vom ersten Band, so
wäre weiter zu präzisieren, hätte er die 1. – und nicht die inzwischen erschienene 2. – Aufl. be-
nutzt, da er sie besaß und mitgebracht hatte. In ihr war die von ihm mit ätzender Ironie missbilligte
Stelle (s. o. Anm. 65) noch enthalten, die Jaeger in der inzwischen erschienenen 2. Aufl. getilgt
hatte. Zu dem hier vertretenen Spätansatz passt, dass Jaeger in zwei Randbemerkungen (Calder/
Braun 1996, 223 und 235 [letztere ist oben zitiert]) ins Englische fällt, mithin in die Sprache seiner
neuen Heimat, was demgegenüber bei einer Abfassung in Deutschland völlig unmotiviert gewesen
wäre. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass er einmal die Übersetzung des ersten Bandes von
Paideia von Highet erwähnt (Calder/Braun 1996, 221), die erst 1939 erschien; man müsste also
einen späteren Nachtrag konstruieren, um mit diesem Problem fertigzuwerden.
 Jaeger (1934) 9, Friedländer in Calder/Braun (1996) 218.
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 73

diesen Worten liegt das ureigenste Lebensgefühl des Griechen ausgesprochen, in


dem wir uns ihm art- und rasseverwandt fühlen, der Heroismus.“⁶⁹
Um die von Friedländer gemachten Beobachtungen bewerten zu können,
muss man wissen und berücksichtigen, dass Jaeger den in diesem Zusammenhang
zentralen Begriff der Rasse auch noch an weiteren Stellen von Paideia, Bd. 1,
benutzt.⁷⁰ Allerdings ist zwischen verschiedenen Verwendungen zu differenzie-
ren. So spricht Jaeger vom „Rassenzuchtgedanken“ (bzw. vom „Rassen- und
Zuchtwahlgedanken“) des griechischen Adels und von seiner Gefährdung, die
Theognis geißelt, wenn er „seine Stimme gegen törichte und gesinnungslose
Standesgenossen“ erhebt, „die glauben ihrem herabgekommenen Besitz durch
Heirat mit den Töchtern reicher Plebejer aufhelfen zu können oder ihre Töchter
den Söhnen von Emporkömmlingen geben“, und er paraphrasiert dazu die Verse,
in denen Theognis die Widersprüchlichkeit solchen Verhaltens daran veran-
schaulicht, dass man doch bei der Schaf-, Esel- und Pferdezucht genau darauf
achtet, edle Zuchttiere auszuwählen.⁷¹ Hier zieht ersichtlich die Wiedergabe der
vom antiken Autor hergestellten Analogie zwischen standesbewusster, sorgfälti-
ger Partnerwahl zum Ziel der Erzeugung echtbürtiger Nachkommen und der
Züchtung edler Tierrassen die Anwendung des Begriffs Rasse auf Menschen nach
sich. An einer späteren Stelle des Bandes ist entsprechend vom „aristokratischen
Rassestandpunkt“ die Rede.⁷² Jaeger hatte aber auch bereits in der Anfangspartie
des Bandes emphatisch festgestellt: „Die Geschichte der griechischen Bildung,
dieser für die ganze Welt bedeutsame Vorgang der Gestaltwerdung der nationalen
Persönlichkeit des Hellenentums, beginnt mit der Entstehung eines bestimmten
Bildes des höheren Menschen, zu dem die Auslese der Rasse emporgezüchtet
wird, in der althellenischen Adelswelt.“⁷³ Auch die Kennzeichnung der Dorer in
Sparta als „Herrenrasse“⁷⁴ wird man als zeitverhaftete Ausdrucksweise mit rein
historischem Bezug hinnehmen. Dass Ähnliches, wenn auch mit stark zurück-
gehender Tendenz, auch in den Bänden 2 und 3 begegnet,⁷⁵ welche Jaeger doch

 Jaeger (1934) 36, Friedländer in Calder/Braun (1996) 219.


 Für die Analyse von Jaegers Sprachgebrauch leistet die 2010 herausgegebene elektronische
Edition von Paideia nützliche Dienste.
 Jaeger (1934) 270 – 271 (Thgn. 183 – 190).
 Jaeger (1934) 365.
 Jaeger (1934) 25. Auch in diesem Zusammenhang fehlt nicht der Hinweis auf die Analogie der
Züchtung edler Tierrassen (ebd. 24).
 Jaeger (1934) 139.
 Vgl. Jaeger (1944) 271 (in der Politeia kein Interesse Platons am „Gesamtvolk als Rasse“) und
324– 330 (mit „Rassenauslese und Erziehung der Besten“ überschriebener Abschnitt – von
Friedländer stirnrunzelnd mit einem Fragezeichen versehen [in Calder /Braun 1996, 245] –, der die
im Vergleich mit dem hier abermals erwähnten Theognis noch weit radikalere Auslese potentieller
74 Wolfgang Rösler

unter Bedingungen verfasste, die eine bewusste Annäherung an nationalsozia-


listisches Denken ganz und gar ausschlossen,⁷⁶ legt den Eindruck nahe, dass er
gegenüber einer solchen – für uns Heutige schwer erträglichen – Wortwahl an und
für sich eine gewisse Unempfindlichkeit ausgebildet hatte.⁷⁷
Mit diesen Äußerungen wird also ungeachtet ihres Vokabulars die Grenze zu
einer nationalsozialistisch infizierten Rassenideologie noch nicht überschritten,
weshalb, wie sich vermuten lässt, auch Friedländer über sie hinweggegangen ist.
Doch liegt diese Überschreitung, wie gesehen, manifest an den von Friedländer
beanstandeten Stellen vor, besonders dort, wo sich mit der Attestierung einer
„unsererseits“ bestehenden Rassenverwandtschaft (mit den Griechen) bzw. Ras-
senferne (gegenüber den Völkern des Orients) zugleich Wertung bzw. Abwertung
ausgedrückt findet.⁷⁸

Eltern einer künftigen Führungselite im Staat Platons behandelt; innerhalb weniger Seiten werden
außer „Rassenauslese“ noch die Komposita „Rassenmischung“, „Herrenrasse“, „Rassenethik“,
„Rassenzüchtung“, „Rassenpolitik“ und „Rassenadel“ verwendet). In Jaeger (1947) vgl. 131– 144
(nach Isokrates erreicht, so Jaeger 132– 133, 140 – 141, die „griechische Rasse“ ungeachtet der
andauernden politischen Zersplitterung die neue Stufe eines auf gemeinsame Kultur und Bildung
gegründeten griechischen Nationalbewusstseins) und 230 – 241 („Xenophons soldatisch-aristo-
kratische Neigungen“ [237] fanden einerseits in Persien, andererseits in Sparta Entsprechungen,
wobei seine Beobachtungen sich nach Jaegers Darstellung [231– 233, 240] auch an den jeweiligen
Rassen orientierten).
 Jaeger bezeichnet sein Buch über Diokles von Karystos von 1938 in der auf „September 1937“
datierten Vorrede als „eine Vorarbeit zum zweiten Band meiner ‚Paideia‘“ (Jaeger 1938b, V).
Demnach hat er den zweiten Band von Paideia, der nach einer Einführung in das 4. Jahrhundert
mit einem Kapitel zur griechischen Medizin beginnt (speziell ihm kam die erwähnte Vorarbeit
zugute), ganz nach seiner Übersiedlung in die USA geschrieben.
 Möglich ist freilich auch, dass er das vorgesehene Erscheinen jedenfalls des zweiten Bandes in
Deutschland, zu dem es 1944 kam, für den Fall als gefährdet ansah, dass er den Stil des ersten allzu
radikal verändern würde. Da er mit offizieller Genehmigung in die USA übersiedelt war, konnte er
weiter bei de Gruyter publizieren (vgl. Jaeger 1938b und 1939). Mit dem Verlag war zweifellos schon
Anfang der dreißiger Jahre oder noch früher ein Vertrag über die Publikation des gesamten Werkes
geschlossen worden, der sukzessive erfüllt wurde. Bd. 3 erschien dann erst nach Kriegsende
(1947).
 Auf weitere Stellen in der Einleitung von Paideia, Bd. 1, an denen sich eine Abwertung der
kulturellen Leistung der orientalischen Völker artikuliert, verweist Ulf (2001) 329 – 330. In An-
betracht der mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse über orientalische Einflüsse auf die Formung
der griechischen Kultur in archaischer Zeit – als Wegbereiter sind vor allem Walter Burkert und
Martin West zu nennen – liest man die Darlegungen Jaegers auch unabhängig von den Anleihen an
seinerzeitige Rassenideologie mit Irritation. Doch verbietet es sich, ihm den seinerzeitigen defi-
zitären Wissensstand anzulasten. Zur wissenschafts- und ideologiegeschichtlichen Dimension der
Frage in größerem Zusammenhang s. Burkert (1984) 7– 14.
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 75

Nicht weniger alarmierend ist dazu Folgendes: Die soeben zitierte Äußerun-
gen über den „gegenwärtigen Augenblick, wo unsere gesamte Kultur aufgerüttelt
durch ein ungeheures eignes Erleben der Geschichte in eine neue Prüfung ihrer
Grundlagen eingetreten ist“, die sich unverhohlen auf die erfolgte Machtüber-
nahme Hitlers bezieht, steht auf S. 19, also in der Einleitung des Bandes, an dem
Jaeger doch mindestens seit dem Spätsommer 1931 intensiv arbeitete. Andererseits
stimmt der Zusammenhang, in dem diese Äußerung fällt, gedanklich auf das
engste mit dem Anfang des Aufsatzes von Jaeger in Kriecks Zeitschrift überein, wo
er über die „durch die nationale Umwälzung gestellte Aufgabe des Neubaues der
deutschen Erziehung“ und die erforderliche Besinnung „auf die erzieherischen
Grundkräfte, die die geschichtliche Substanz unseres Volkes uns […] bietet“,
spricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Jaeger in dem Aufsatz da, wo er seine
eigene humanistische Konzeption als eine solche vorstellt, die die von Krieck
erhobenen Anforderungen ganz und gar erfülle, anfügt, dass er eine entspre-
chende Darstellung, eben Paideia, Bd. 1, „noch vor Ende dieses Jahres“ vorlegen
werde. Auch wenn der Band das Erscheinungsjahr 1934 auf dem Titelblatt trägt,
waren erste Exemplare schon Ende 1933 gedruckt.⁷⁹ Die Ankündigung wurde also
exakt umgesetzt. Daraus ergibt sich, dass der erste Band von Paideia in der Gestalt,
in der er letztlich erschien, beginnend bereits mit der Einleitung, eng mit Jaegers
Absichten im Jahre 1933 in Verbindung stand. Offenkundig erfuhr er – wie nahe
liegt: ab dem Zeitpunkt, als Jaegers Artikel zur Publikation angenommen worden
war – zusammen mit der Abfassung des noch Ausstehenden in denjenigen Teilen
des Manuskripts, die an sich bereits fertig waren, an geeigneten Stellen eine ak-
tualisierende Überarbeitung, gewissermaßen ein Update, und zwar gerade auch in
der für die Leserlenkung besonders wichtigen Anfangspartie des Buches.⁸⁰ Der
Zweck lässt sich dem Aufsatz Jaegers in Volk im Werden leicht entnehmen: Ent-

 Dies ergibt sich daraus, dass Borchardt am 28.12.1933 einen Brief an die Feuilleton-Redaktion
der Neuen Zürcher Zeitung entwarf, in dem er darum bittet, den Band, den er „soeben als Geschenk
des Verfassers“ erhalten habe, anzeigen zu dürfen (Schmidt 2007, 172– 173). Der Entwurf eines
Briefes, in dem Borchardt Jaeger seine Lektüre-Eindrücke mitteilt, ist nicht datiert (Schmidt,
ebd. 69 – 70). Auch beim Copyright auf der Rückseite des Titelblatts erscheint die Jahreszahl 1933.
 Letzteres trifft auch auf die in den Anm. 62, 63, 64 und 69 genannten Stellen zu. Dagegen steht
der (in der 2. Aufl. getilgte) Satz über „das Ziel des modernen Führerstaates“, der ebenso deutlich
die Machtübernahme Hitlers voraussetzt, erst auf der drittletzten Seite von Bd. 1, wurde also
überhaupt erst 1933 verfasst. Kalkuliertheit und Gelingen der Jaeger’schen Strategie bezeugt noch
Jahrzehnte später der evangelische Pfarrer Matthias Engelke, der 2003/2004 die Pfarrstelle in
Jaegers Heimatort Lobberich übernahm, sich durch die Lektüre von Jaegers Paideia über den
„großen Sohn“ der Gemeinde sachkundig machen wollte und der dann, in Unkenntnis der Um-
stände, zu seinem Befremden darauf aufmerksam wurde, dass „schon auf den ersten paar Seiten
so oft von Rasse gesprochen“ wird (in Meis/Optendrenk 2009, 81).
76 Wolfgang Rösler

sprechend der dort gegebenen Ankündigung musste dafür Sorge getragen werden,
dass die geweckten Erwartungen, und sei es nur vordergründig und äußerlich,
auch eingelöst wurden. Ein besonderes Problem war dabei, dass Jaeger in der
ursprünglichen Konzeption von Paideia keinen Anlass gehabt hatte, auf den As-
pekt der „Rasse“ einzugehen, der nun jedoch, mit der nationalsozialistischen
Machtübernahme, auf einmal im Zentrum der Staatsideologie stand.⁸¹ Deshalb
musste besonders hier energisch „nachgebessert“ werden, was Jaeger, wie die
betreffenden Stellen zeigen, denn auch unverzüglich in Angriff nahm. Als darauf
durch Kriecks abweisende Reaktion die Hoffnung Jaegers zerplatzte und die dem
Werk zugedachte Funktion unerreichbar war, befand sich wohl Paideia, Bd. 1,
schon im Druck oder stand unmittelbar vor der nicht mehr anzuhaltenden
Drucklegung.⁸² So blieb die zugedachte, aber am Ende verfehlte Funktion in den
Text eingeschrieben.⁸³

 Über den Anpassungsdruck, der von den neuen politischen Verhältnissen auf die Alter-
tumswissenschaften ausging, s. Landfester (2011) 213 – 216. Das Problem, mit dem Jaeger kon-
frontiert war, war durchaus ein generelles; vgl. Kuhlmann (2006) 424: „Für die Nationalsozialisten
war nun höchst suspekt, dass von humanistisch-altertumskundlicher Seite der Rasse überhaupt
kein Wert an sich beigemessen wurde.“ Es war insofern zweifellos kein Zufall, dass in den Mit-
teilungen des DAV nun jedoch binnen kurzem ein einschlägiger Aufsatz erschien (Scharold 1934),
dessen Verfasser sich am Schluss seiner Ausführungen geflissentlich gegen den Verdacht ver-
wahrt, dass „diese rassischen Probleme […] aus bloßem historischem Interesse in der Schule
betrachtet werden“ sollten (12). Mit größtem Nachdruck und in immer neuen Anläufen samt Hitler-
Zitat schärft er vielmehr ein, dass es ihm dabei um „Erziehung zum Rassenbewußtsein und
Rassenstolz“ gehe (ebd.). Den DAV als Vereinigung konnte das freilich nicht retten: Das Doppelheft
mit diesem Aufsatz war der letzte Faszikel des Periodikums, der noch erschien; der Verband selbst
wurde bald darauf „gleichgeschaltet“ und in den Nationalsozialistischen Lehrerbund eingeglie-
dert (vgl. Burck/Clasen/Fritsch 1987, 12– 17).
 Kriecks Absage erschien, wie gesagt Mitte Oktober, das Vorwort zu Paideia, Bd. 1, ist mit der
Zeitangabe „Oktober 1933“ versehen.
 Unnötig zu betonen, dass eine öffentliche Kritik an Jaegers Avancen gegenüber dem Natio-
nalsozialismus in Paideia, Bd. 1, auch wenn sie mit größter Zurückhaltung artikuliert worden wäre,
in Deutschland selbst ausgeschlossen war. Snell, den es innerlich gedrängt haben mag, in seiner
Rezension des Buches auch dazu etwas zu sagen, enthält sich jeder für Außenstehende er-
kennbaren Andeutung (Snell 1935). Aus privater Korrespondenz ist eine verhüllte Äußerung
Friedländers in einem Brief an Rudolf Bultmann vom 5. 5.1935 überliefert, in dem er sich über
Jaegers Einladung zu den Gifford Lectures mokiert: „Und dies eben jetzt, wo er sich durch seine
Paideia I endgültig decouvriert hat“ (bei Obermayer 2014, 605 Anm. 30). Verharmlosend, wenn
auch ironisch-distanziert Ernst Abrahamsohn ebenfalls in einem Brief, gerichtet an Paul Oskar
Kristeller, vom 10.4.1934: „Hast Du schon Jaeger’s Paideia gelesen? Es sind ganz lustige NS’ismen
drin!“; gleicher Haltung verdankt sich ein durch die Parodie eines Wiegenliedes gewonnener Witz,
der auf Erwin Panofsky zurückgeht (in einem undatierten Manuskript von Panofsky „Alte Witze“):
„Eia, Paideia, was raschelt im Stroh?“ (die Zitate aus Abrahamsohn und Panofsky in Schiller 2005,
132, 138 Anm. 41 u. 42; das zweite nur in englischer Übersetzung, deutsch bei See 2003, 85). Zur
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 77

Jaeger hat dann keinen weiteren Versuch unternommen, sich mit der natio-
nalsozialistischen Bildungspolitik zu arrangieren. Er hatte offenkundig seine
Lektion gelernt. Zuvor aber hatte er eine Grenze überschritten, die ein Gelehrter
seiner Statur unbedingt hätte beachten müssen: Was im Fall des Artikels in Volk im
Werden, der keine wissenschaftliche Arbeit, sondern ein publizistischer Beitrag
zur aktuellen bildungspolitischen Diskussion war, als taktischer Schachzug
vielleicht hinnehmbar erscheint, durfte keinesfalls auf ein Werk übertragen
werden, das Jaeger selbst als „ein Werk geschichtlicher Forschung“ betrachtete
und ausdrücklich bezeichnete. Was er tat, war nichts Geringeres als die partielle
Preisgabe seiner wissenschaftlichen Integrität zugunsten des Ziels, mit dem
überarbeiteten Buch bei nationalsozialistischen Funktionären Akzeptanz zu fin-
den. Jaeger muss sich tatsächlich nach der Machtübernahme durch Hitler für
einige Monate, wohl ein gutes halbes Jahr, der Illusion hingegeben haben, es
bestünde für ihn die Möglichkeit, mit gewissen Konzessionen die Stellung, die er
sich seit Mitte der zwanziger Jahre aufgebaut hatte, und die Rolle, die er in Wis-
senschafts- und Bildungspolitik spielte, zu erhalten. Dies misslang, und wohl
schon im späteren Verlauf des Jahres 1933, als die Entlassungen wirksam wurden
(unter den ersten Betroffenen eigene Schüler, die zu großen Hoffnungen be-
rechtigten, aber auch sein Schwager Ernst Heinitz, der als Richter amtierte)⁸⁴,
muss ihm immer klarer geworden sein, dass seine Zukunft nicht in Deutschland
liegen konnte. So nutzte er dann 1934 den halbjährigen Aufenthalt in den USA
dazu, die erforderlichen Kontakte zu knüpfen, erhielt 1935 den Ruf nach Chicago⁸⁵
und übersiedelte im Folgejahr.⁸⁶ Im Grunde musste er Krieck dafür dankbar sein,

Freundschaft zwischen Abrahamsohn und Kristeller s. Obermayer (2014) 521– 561; eine offen-
kundig anekdotische, ohne Quellenangabe referierte Kontextualisierung des Witzes von Panofsky
bei See a. O.: Panofsky habe Snell das ausgeliehene Exemplar von Paideia, Bd. 1, mit jener Notiz
zurückgegeben. In der Nachkriegszeit beschäftigte sich die Auseinandersetzung mit der an-
fänglichen Nähe Jaegers zum Nationalsozialismus mehr mit dem Artikel in Volk im Werden als mit
den problematischen Partien in Paideia, Bd. 1, die bis zur Publikation der Randnotizen Fried-
länders auch nicht zusammengestellt waren (Ausnahmen bilden etwa Müller 1978, 106 – 107 und
Näf 1992, 137– 139). Aber auch nach Calder/Braun (1996) ist es zur Auswertung der einschlägigen
Paideia-Stellen für eine Rekonstruktion ihrer Entstehung samt deren Chronologie nicht gekom-
men. Dem abzuhelfen ist ein Anliegen dieses Aufsatzes.
 S. o. Anm. 10.
 Hallett (1992) 55 („received the invitation to join the Chicago Faculty in 1935“).
 Weil sich über das Jahr der Übersiedlung in die USA unterschiedliche Angaben in der Literatur
finden – Götte schwankt zwischen 1936 und 1937, in der Wiedergabe eines Briefes von Ruth Jaeger
an Uvo Hölscher durch Schmidt (s. o. Anm. 21) erscheint, gewiss durch ein Versehen, 1935 –, ist
klarzustellen, dass die wesentlichen Belege das Jahr 1936 sichern. Entsprechend ließ Jaeger in den
Personalnachrichten des Gnomon mitteilen (12, 1936, 400), er habe den Ruf zum 1. Oktober 1936
angenommen. In ihren Erinnerungen berichtet Marie Norden davon (Norden 1942– 1944, 53 – 56),
78 Wolfgang Rösler

dass er ihn frühzeitig davor bewahrt hatte, sich auf einem Irrweg einzurichten, aus
dem er selbst später wohl nicht mehr leicht herausgefunden hätte.

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bewerkstelligt.“ Vor allem bestätigt Ruth Jaeger selbst dieses Jahr (in ihrer in Anm. 19 erwähnten
biographischen Skizze über Jaeger, zitiert von Hallett 1992, 55): „when he left Germany in 1936.“
Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 79

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Werner Jaeger und der Nationalsozialismus 81

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Stefan Kipf
Paideia und die Folgen –
Die Bedeutung des Dritten Humanismus für
den altsprachlichen Unterricht nach 1945
Humanismus ist ein heißes Eisen. Diese Bildungsidee, die über Jahrhunderte die
pädagogischen Diskurse maßgeblich prägte, ist heute im Bereich von Schule und
Universität – wenn nicht zu einem Unwort – so doch zu einem Begriff geworden,
den man nur noch mit spitzen Fingern zu berühren scheint. So weiß man in einer
zuvörderst sozialwissenschaftlich ausgerichteten Erziehungswissenschaft kaum
noch etwas mit diesem Begriff anzufangen, er erhält bestenfalls als vergangene
bzw. überwundene historische Größe Aufmerksamkeit. Nur noch wenige Bun-
desländer berufen sich in ihren Gymnasiallehrplänen auf den Humanismus,
selbst in den Rahmenlehrplänen der Fächer Latein und Griechisch bleibt der
Begriff Humanismus die Ausnahme. Fast kann man den Eindruck gewinnen, man
vermeide – gewissermaßen peinlich berührt – nicht nur den Kontakt mit der ei-
genen Vergangenheit, sondern wolle daraus auch nichts für die Zukunft gewinnen.
Gleichwohl ist Humanismus als i. d. R. positiv besetztes Schlagwort in unse-
rem Alltag durchaus präsent, allerdings ohne Bezug zu einem bestimmten Bil-
dungskonzept, was sich auch daran bemerkbar macht, dass Humanismus allzu
gern mit Humanität verwechselt wird. Niemand hat etwas dagegen, Humanist zu
sein, sei es als Mitglied des Humanistischen Verbandes, als stolzer Besitzer eines
Großen Latinums oder gar eines Graecums. Zu Recht darf man wohl davon aus-
gehen, „dass der Begriff keine klaren Konturen und Grenzen mehr aufweist, nicht
selten nur noch als Appellformel funktioniert, sich dem Menschen gemäß zu
verhalten.“¹ Offensichtlich gibt es für dieses definitorische Vakuum schon eine
gewisse Tradition. So soll der bedeutende Pädagoge Eduard Spranger bereits in
den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts resignierend bemerkt haben: „Je älter ich
werde, desto weniger weiß ich, was Humanismus ist.“² Man darf daher mit
ziemlicher Sicherheit behaupten, dass derzeit nach drei Vorgängern ein vierter
Humanismus nicht in Sicht ist, obwohl man sich entsprechende Schwerpunkt-
setzungen im Fremdsprachenunterricht durchaus vorstellen könnte.³

 Tenorth u. Tippelt (2007) 329.


 Vgl. Fritsch (2001) 241, mit verschiedenen Belegen.
 Hierzu ausführlich Kipf (2012).

DOI 10.1515/9783110548983-004
84 Stefan Kipf

Dieses aktuelle bildungstheoretische Vakuum verschafft einen passenden


Übergang zum eigentlichen Thema, denn Werner Jaegers erneuerter Humanismus,
der nicht zuletzt seit einer Bemerkung des schon erwähnten Eduard Spranger im
Jahr 1921 besser unter dem Terminus Dritter Humanismus ⁴ bekannt ist, stellte im
Kern den Versuch dar, eine als defizitär empfundene wissenschaftliche und
pädagogische Leerstelle mit einer übergreifenden sinnstiftenden Idee zu füllen.
Dass diese Idee eines erneuerten Dritten Humanismus in den zwanziger und
frühen dreißiger Jahren eine nicht unbeträchtliche Wirkung an Universität und
Schule entfalten konnte, ist bekannt und in der Forschung detailliert belegt.⁵ Weit
weniger deutlich ist hingegen, wie die Ideen Jaegers, vor allem in dem von ihm mit
Nachdruck adressierten schulischen Bereich, nach dem Ende des Zweiten Welt-
krieges weiterwirkten. Zwar wird gerne pauschal darauf verwiesen, das der Dritte
Humanismus „in den Anfangsjahren des schulischen Wiederaufbaus […] eine
bemerkenswerte Spätwirkung“ gezeigt habe.⁶ Was dies jedoch konkret für Fach-
didaktik und altsprachlichen Unterricht bedeutete, ist bisher kaum systematisch
erforscht. Bevor diese Frage beantwortet werden kann, müssen zunächst die
historischen Bedingungen geklärt werden, unter denen Werner Jaeger sein Kon-
zept eines erneuerten Humanismus propagierte, da diese unmittelbare Auswir-
kungen auf die Fortwirkung auf den altsprachlichen Unterricht nach 1945 hatten.

1 Kulturkunde versus Humanismus


In der Weimarer Republik sollte der altsprachliche Unterricht unter politischen
Vorgaben erfolgen, die weitgehende Auswirkungen auf seinen didaktischen
Stellenwert, sein Selbstverständnis und seine Inhalte haben mussten: Ihm wurde
die Aufgabe zugewiesen, im Sinne der sog. Deutsch- bzw. Kulturkunde dazu bei-
zutragen, das Verständnis für die deutsche Kultur zu verbessern und das durch
den Ersten Weltkrieg ramponierte Nationalgefühl zu fördern.⁷ Deutsches Bil-
dungsgut sollte (in den sog. kulturkundlichen Fächern Deutsch, Geschichte,
Erdkunde, Religion) die gemeinsame Mitte jeglicher schulischer Bildung dar-
stellen. Die nicht kulturkundlichen Fächer, also z. B. die modernen und alten
Sprachen, verfügten unter dieser Prämisse zwangsläufig über keinen spezifischen

 Vgl. Fritsch (2001) 226; Spranger verwendete den Begriff auf der 53.Versammlung der deutschen
Philologen und Schulmänner am 27.9.1921 in Jena.
 Hierzu vor allem die Arbeiten von Fritsch (1993, 2001). Ferner Apel und Bittner (1994), Kipf (1999,
2006), Kuhlmann (2006) und Preuße (1988).
 Maier (1984) 36.
 Vgl. Kipf (1999) 181– 184.
Paideia und die Folgen 85

Eigenwert, sondern erst durch kulturkundliche Ausrichtung sollten sie zu einem


anerkannten Teil des Fächerkanons werden. Dieses neue Prinzip sollte dann ab
1925 mit Hilfe der Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen in Preußen in
die Praxis umgesetzt werden. Zwar wurde eine durchaus ansehnliche Zahl von
kulturkundlich ausgerichteten Unterrichtsvorschlägen zum Latein- und Grie-
chischunterricht veröffentlicht, darunter auch Schriften wie Mauriz Schusters
umfangreiche Monographie Altertum und deutsche Kultur (1926). Gleichwohl
machte sich in der schulischen Altphilologenschaft ein wachsendes Unbehagen
darüber bemerkbar, dass das eigene Bildungskonzept von der Kulturkunde
überlagert und ihres eigentlichen humanistischen Gehalts entkleidet würde. In
dieser Situation, in der das Prinzip des Humanismus seine prägende Bedeutung
für das höhere Bildungswesen endgültig zu verlieren drohte, hatte das von Jaeger
entwickelte Konzept für den altsprachlichen Unterricht ganz erheblich an Be-
deutung gewonnen, da es auf wissenschaftlicher Basis ein in sich geschlossenes
und daher ungemein attraktives Gesamtkonzept zur Verfügung stellte. Im Ge-
gensatz zu dem von Wilamowitz vertretenen positivistischen Historismus, der den
Wert der Antike vor allem am Nachweis ihrer Wirkung abzuleiten versuchte,⁸
stellte Jaeger bekanntlich den bildenden Effekt einer Auseinandersetzung mit der
Antike in den Vordergrund. Jaeger, der im Gegensatz zu Wilamowitz auch keinen
Zweifel an seiner Verantwortung als Hochschullehrer für den altsprachlichen
Unterricht ließ, ging dabei von einem von der Antike ausgehenden Substrat aus,
das auch die Gegenwart umfasst; er bezeichnete dieses Substrat als „Kulturbe-
wußtsein, die bewußte Idee der Kultur als höchster und zentraler Wert in der
Sphäre alles irdischen Daseins“.⁹ In diesem Zusammenhang verstand er Kultur als
„Erziehung zum Menschen“,¹⁰ sichtbar im System der griechischen Paideia. ¹¹ Sie
bildet das Kernstück seiner Humanismuskonzeption mit dem Menschen im Mit-
telpunkt, es in ihr geht um „Bildung als Bildung zum Menschen“ ¹²:¹³

Im Mittelpunkt ihrer Erziehung steht der Mensch, nicht als Berufswesen, als nutzbares Glied
einer Zweckgemeinschaft, wie für die soziale Pädagogik unserer Zeit, sondern rein als
Mensch. Die griechische Erziehung ist darin schlechthin einzigartig, daß sie alle Rücksicht
auf Beruf und praktische Nutzbarkeit ausschaltet […] und daß sie einzig und allein den
Menschen zu bilden gebietet. In den Dienst der Menschenbildung stellt sie den ganzen
Reichtum der objektiven Kultur: Homer, das Urbild aller menschlichen Existenz, die tragische

 Vgl. Preuße (1988) 134.


 Jaeger (1927) 127.
 Jaeger (1921) 46.
 Vgl. Jaeger (1921) 49.
 Remme (2000) 524.
 Jaeger (1921) 47.
86 Stefan Kipf

Bühne, die das Herz in Furcht und Mitleid erschüttert und reinigt, die Lehren und Sprüche
weiser Dichter wie Pindar und Simonides, Solon und Theognis, die Macht der Musik und der
Gymnastik, die Körper und Seele ‚rhythmisieren‘, die Disziplin der Rede und des Denkens
durch Stil und Wissenschaft. Alle diese formenden Kräfte schließen sich für griechisches
Denken zusammen zu einem natürlichen Erziehungssystem […].

Entscheidend für den Ansatz Jaegers ist die Pädagogisierung kultureller Aktivität:¹⁴

Die geistigen Führer und Repräsentanten dieser Kultur, Dichter, Philosophen und Gesetz-
geber, fühlen sich ihrerseits ganz als Lehrer und Erzieher ihres Volkes, in deren Händen die
schwerste Verantwortung am Ganzen ruht.

Auf dieser Grundlage definierte Jaeger Humanismus folgendermaßen:¹⁵

Humanismus ist 1. der eigentümliche, auf dem Gedanken der reinen Menschenbildung be-
ruhende Kulturbegriff, den die Griechen auf der Höhe ihrer Entwicklung ausgeprägt haben.
Er ist für alle Völker des hellenozentrischen Kulturkreises […] klassisch geworden und be-
zeichnet in diesem Sinne 2. die Kultur- und Bildungs-Synthese dieser Völker mit dem
Griechentum, nicht also eine bloße historische und kausale ‚Abhängigkeit‘, sondern die
bewußte Idee einer geistigen Durchdringung mit griechischer Kultur, wie sie von den Römern
typisch zuerst verwirklicht worden ist.

Humanismus ist somit¹⁶

im strikten Sinne […] eine spezifische Bildungswirkung, die von einem bestimmten Objekt
geschichtlich ausgegangen und nach aller geschichtlichen Erfahrung und Tradition an dieses
Objekt gebunden ist: das griechische Bildungserlebnis.

Dies führt Jaeger zu einer absolut verstandenen Vorrangstellung der Griechen als
Kultur- und damit Erziehungsbringer:¹⁷

Die Griechen sind die Meister der übrigen Völker, weil sie das bewegende Prinzip der
abendländischen Geisteswelt entdeckt haben, durch das sie sich von allen anderen Welten,
die wir kennen, unterscheidet: Diese causa movens unserer Geschichte ist das Prinzip der
Kultur. […] Kultur ist Erziehung zum Menschen.

 Jaeger (1921) 47.


 Jaeger (1925) 114– 115.
 Jaeger (1925) 14.
 Jaeger (1921) 46.
Paideia und die Folgen 87

Im Unterschied zum Neuhumanismus des 19. Jahrhunderts, den Jaeger in seinem


ästhetischen Idealismus für unpolitisch, ja sogar für eine „Last“¹⁸ hielt,verstand er
die Griechen „als Vorbild für ethisches und politisches Handeln im Alltag des
20. Jahrhunderts“.¹⁹ Er²⁰

integrierte die prinzipiellen Fragen seiner politischen Gegenwart nach dem Staat, dem
Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, nach Erziehung und Bildung in seinen
theoretischen Ansatz. Zwangsläufig mußten dann seine Antworten für das Griechentum den
Fragen seiner Zeit entsprechen.

Jaeger betrachtete den griechischen Menschen als eine Versöhnung von Individuum
und Gemeinschaft; Kategorien wie Volk, Staat und Gemeinschaft spielen deshalb
eine zentrale Rolle, was allerdings durchaus im Zug der Zeit lag und gerade in
bildungspolitischen Debatten keine Ausnahme darstellte. Jaeger erstrebte somit
einen ethisch-politisch gefärbten Humanismus, der zu einer elitär fundierten
Staatsgesinnung erziehen sollte – eine politische Absicht, die ohne Frage als Ant-
wort auf die ebenfalls staatspädagogischen Ziele der Kulturkunde eingestuft werden
kann. Entsprechend bemerkt Jaeger gleich zu Beginn des ersten Bandes der Paideia
mit dem ihm eigenen und für uns schwer erträglichen Pathos:²¹

Die größten Werke des Griechentums sind Monumente einer Staatsgesinnung von einzig-
artiger Großartigkeit, deren Ringen sich in einer lückenlosen Reihe durch alle Stufen der
Entwicklung entfaltet vom Heroentum der Gedichte Homers bis zu Platos autoritärem Staat
der herrscherlichen Wissenden, in dem Individuum und soziale Gemeinschaft auf dem
Boden der Philosophie ihren letzten Kampf ausfechten. Ein künftiger Humanismus muß
wesentlich an der Grundtatsache alles griechischen Erziehertums orientiert sein, daß die
Humanität, das ‚Menschsein‘, von den Griechen stets wesenhaft an die Eigenschaft des
Menschen als politisches Wesen geknüpft worden ist.

 Jaeger (1921) 45; Jaeger setzte sich recht kritisch mit dem Neuhumanismus Humboldt’scher
Prägung auseinander. So entspreche Humboldts idealistisches Griechenbild in seiner Harmonie
und Totalität nicht der historischen Realität, deren Bild die moderne Altertumswissenschaft
aufgrund ihrer Forschung entworfen habe. Es könne nicht darum gehen, „von neuem […] zeitlose
Idole aufzurichten“ (Jaeger (21936) 15). Jaeger hält den Neuhumanismus für unpolitisch: „Die
griechische Erziehung ist nicht eine Summe privater Künste und Veranstaltungen, deren Endziel
die selbstgenügsame Vervollkommnung des Individuums bildet. […] Es ist erklärlich, daß der
Philhellenismus einer noch unpolitischen Zeit des deutschen Volkes, wie es unsere Klassik war,
diesen Weg zunächst weiter verfolgt hat.“ (Jaeger (21936) 16)
 Wegeler (1996) 55.
 Preuße (1988) 145.
 Jaeger (21936) 16.
88 Stefan Kipf

So kann man die Paideia eben auch als „prononciert politische Interpretation der
griechischen Geistesgeschichte“ verstehen.²² Manfred Landfester hat diese poli-
tische Ausrichtung zu Recht als Versuch bewertet, mit den Gegnern des Huma-
nismus fertig zu werden:²³

Die Deuter und Vermittler der Antike hatten sich in einer Art kollektiver Psychose zum po-
litischen Humanismus bekehrt, um den Vorwurf der Humanismusgegner ins Leere laufen zu
lassen, die Krise Deutschlands sei das Ergebnis der alten humanistischen Individualbildung.

Der Klassischen Philologie war von Jaeger in diesem Zusammenhang eine be-
sondere Aufgabe zugedacht: Sie sollte „Priesterin und Wächterin“²⁴ dieser Idee
sein, ein Anspruch, der nicht ohne Widerspruch bleiben sollte.
Diese Ansätze Jaegers wurden nicht nur umgehend, sondern auch nachhaltig
kritisiert: In Bezug auf den „paideutischen Humanismus“²⁵ als ewig wiederkeh-
rendes Grundprinzip abendländischer Kultur ließ Bruno Snell in seiner „höchst
ungeduldigen Kritik“²⁶ aus dem Jahr 1935 keinen Zweifel daran, dass dieser
Konzeption als ideologischer Grundierung der Klassischen Philologie keine Zu-
kunft beschieden sein sollte. Mit Nachdruck kritisierte Snell das Paideia-Prinzip
als einseitigen Kulturschematismus und ironisierte ihn entsprechend:²⁷

Der Geist erweist seine Existenz nur im Erziehen, und nach Schopenhauer als Erzieher, nach
Rembrandt als Erzieher, Platon als Erzieher tritt jetzt das Griechentum in seiner Gesamtheit
und in all seinen Einzelheiten als Erzieher auf.

Auch die politische Färbung des Dritten Humanismus fand bei Snell keine Un-
terstützung, da er ihn durch politischen Missbrauch gefährdet sah:²⁸

Wie der ästhetische Humanismus sich ausgewiesen hat durch künstlerische Leistungen, so
müßte der politische und ethische Humanismus sich ausweisen durch den politischen
Einsatz und durch die Tat. […] So genügt es nicht für einen Humanismus, die Antike ‚politisch‘
zu sehen und festzustellen, daß der Grieche ‚politischer Mensch‘ ζῷον πολιτικόν gewesen sei.
Einem politischen und ethischen Humanismus ist es sogar ungleich verhängnisvoller, keiner
sachlichen Leistung verpflichtet zu sein, denn zum Politischen und Ethischen gehört auf
noch wesentlichere Art praktische Verantwortung und konkreter Einsatz. […] Aber ein Hu-

 Stiewe (2011) 212.


 Landfester (1995) 27.
 Jaeger (1914) 16.
 Remme (2000) 519.
 Hölscher (1988) 19.
 Snell (1935) 46.
 Snell (1935) 53 – 54.
Paideia und die Folgen 89

manismus mit bloßer ‚Hexis‘ und reinem ‚Ethos‘ ist geradezu unpolitisch, weil er nicht der
Politik dient – oder weil er sich jeder Politik dienstbar machen kann; das heißt aber, daß er
ständig in Gefahr ist, Literatentum zu werden.

Diese Äußerungen Snells, der bekanntlich dem nationalsozialistischen Regime


gegenüber äußerst kritisch eingestellt und nach Hölscher „der wahrhaft humane
und unbeschädigte Kopf der Altertumswissenschaft in der Nachkriegszeit“ war,²⁹
sind zu Recht auch als Kritik an Jaegers Versuchen verstanden worden, Einfluss
auf nationalsozialistische Politik zu nehmen. Daher kann man davon ausgehen,
dass die Paideia, trotz breiter Zustimmung in der Gräzistik,³⁰ bereits kurz nach
ihrem Erscheinen wissenschaftlich entscheidend geschwächt war.³¹

2 Paideia und das humanistische Gymnasium


Dieses also in Teilen der Fachwissenschaft durchaus umstrittene Konzept einer
„Wiederbesinnung auf die unvergänglichen erzieherischen und ethischen Kräfte
der Antike“³² stieß jedoch bei der Mehrzahl der Vertreter des gymnasialen Grie-
chisch- und Lateinunterrichts auf große Zustimmung, da man sich damit nun
wieder auf den humanistischen Kern der alten Sprachen konzentrieren konnte,
der durch die Dominanz der Kultur- bzw. Deutschkunde gefährdet schien. Diese
positive Haltung wurde ebenfalls dadurch unterstützt, dass Jaeger im Gegensatz
zu seinem Vorgänger Wilamowitz mit Nachdruck die Verantwortung der Wis-
senschaft für die gymnasiale Bildung betonte: Die Altertumswissenschaft habe
nämlich die Pflicht, „das Kapital von Einfluß, das sie, besonders durch die
Schulen und Universitäten, bei den gebildeten Schichten besitzt, als wertvollstes
Unterpfand ihrer Wirksamkeit zu hüten.“³³ Jaegers Schulbezug war von einer
elitären Beschränkung auf nur wenige Auserwählte am altsprachlichen Gymna-
sium geprägt.³⁴ Daher ist es „begreiflich, daß eine Ideologie, die so hohe Würden

 Hölscher (1988) 19; ferner vgl. Joho 2012, 1170 – 1171. und Wegeler (1996) 202– 203.
 Vgl. Landfester (1995) 36.
 Zu den unterschiedlichen Reaktionen auf das Paideia-Konzept vgl. Landfester (1995) 29 – 40.
 Jaeger (1933) 44.
 Jaeger (1914) 16.
 Jaeger (1921) 51– 52: „Es hilft nichts, wir müssen eingestehen, daß das höchste Ziel in der
überlieferten Form des humanistischen Unterrichts wohl selten erreicht worden ist. […] Der Hu-
manismus in seiner geistbefreienden Kraft, als innere persönliche Renaissance, ist ein Erlebnis,
das immer nur wenigen Auserwählten zuteil werden kann. […] Ich bin kein Linguist und Gram-
matiker in meiner Wissenschaft, um so unverdächtiger bin ich als Zeuge, wenn ich erkläre, daß
90 Stefan Kipf

zu vergeben hatte, vor allem von den Erziehern und Lehrern der alten Sprachen
damals gern ergriffen wurde“,³⁵ wenngleich diese aristokratische Ausrichtung in
der Nachkriegszeit zum Problem werden sollte.
Dieser von Jaeger postulierte Zusammenhalt von Schule und Universität erhielt
dann im Jahre 1925 durch die Gründung des Deutschen Altphilologenverbandes
(DAV) einen neuen institutionellen Rahmen, wobei sich Jaeger von 1925 zehn Jahre
lang bis zur Zwangsauflösung des DAV durch die Nationalsozialisten als zweiter
Vorsitzender engagierte. In diesem Rahmen wurden vom DAV verschiedene Doku-
mente veröffentlicht, die vom Geist des Dritten Humanismus geprägt sind und auch
für die Zeit nach 1945 bedeutsam werden sollten. So nimmt die „Idee des Huma-
nismus als dem geschichtlich-übergeschichtlichen Form- und Aufbauprinzip der
abendländischen Kultur“³⁶ eine zentrale Rolle im vom DAV im Jahr 1927 formulierten
Bildungsziel des Humanistischen Gymnasiums ein. Das durch die Kulturkunde be-
drohte Gymnasium altsprachlicher Prägung sollte diese Idee³⁷

ins Bewusstsein erheben und die ihr innewohnenden Formkräfte zur Entfaltung des ju-
gendlichen Geistes wirksam machen, auch über die Schule hinaus. […] Diese Formen und
Werte sind vornehmlich in den repräsentativen Werken der griechischen und römischen
Literatur verkörpert. […] Aus ihnen sie deutend zu entbinden, sie nach Wesen und Ursprung
bewußt zu machen und durch diesen Akt des Verstehens und Zueignens die Kräfte des ju-
gendlichen Geistes zu wecken und zu bilden, ist die Hauptaufgabe des altsprachlichen
Unterrichts.

Auch der vom DAV im Jahr 1930 veröffentlichte Altsprachliche Lehrplan für das
deutsche humanistische Gymnasium wurde von den Latein- und Griechischlehr-
kräften stark beachtet und trug zur Verbreitung des Dritten Humanismus bei,
obgleich er nicht die Funktion einer offiziellen Richtlinie hatte. Dieser Text kann
als die direkte Umsetzung des Paideia-Prinzips in den gymnasialen Kontext ver-
standen werden, wenn es etwa heißt:³⁸

Der klassische Wert des antiken Werkes im erzieherischen Sinne kommt zur lebendigen Wir-
kung erst dort, wo seine Deutung getragen ist von der doppelten Erkenntnis: a) daß das antike
Literaturwerk seinem Wesen nach […] künstlerische Gestaltung ist; b) daß der Schöpfer des
großen Literaturwerkes bei den Alten zugleich immer der Erzieher seines Volkes ist.

sich ein echter Humanismus nur aufbauen läßt, wenn Schüler und Lehrer wirklich Griechisch und
Lateinisch können.“ Vgl. Näf (1990) 141.
 Hölscher (1965) 74; vgl. Landfester (1995) 26 – 27.
 Preuße (1988) 134.
 Krüger (1930) 207.
 Deutscher Altphilologenverband (1930) 12.
Paideia und die Folgen 91

Als ein zentrales pädagogisches Ziel wird ebenfalls die Einordnung des einzelnen
in die „Staats- und Volksgemeinschaft“³⁹ erstrebt.

3 Dritter Humanismus und Nationalsozialismus


Noch bis in die jüngste Zeit hinein wird Jaeger vorgeworfen, wenn nicht Wegbe-
reiter, dann doch „Zuarbeiter“⁴⁰ des Nationalsozialismus gewesen zu sein. Man
nimmt in diesem Zusammenhang direkten Bezug auf Jaegers in der Tat be-
fremdlichen Artikel Die Erziehung des politischen Menschen und die Antike, den er
1933 in der nationalsozialistischen Zeitschrift Volk im Werden veröffentlichte.
Dieser als „Kniefall vor der NS-Diktatur, als Sündenfall des Dritten Humanis-
mus“⁴¹ verstandene Aufsatz darf wohl mit Manfred Fuhrmann zu Recht als Ver-
such bewertet werden, den Dritten Humanismus den Nationalsozialisten „anzu-
dienen“⁴², ermuntert durch „ihre antidemokratische Einstellung“ und „ihr
positives Verhältnis zur Gemeinschaft“.⁴³ Ganz im Sinne der nun vorherrschenden
Ideologie wies Jaeger darauf hin, dass der antike Mensch „politisch“ sei, bei den
homerischen Helden glaubte er den „Heroismus des Vaterlandsverteidigers“ und
in Perikles eine „Führergestalt“⁴⁴ zu erkennen. Die frühe und klassische grie-
chische Literatur sei „eine Galerie unvergleichlicher Denkmäler des heroisch-
politischen Menschentums“.⁴⁵
Für diese aus heutiger Position höchst problematische „Anpassung“⁴⁶ gab es
aus Jaegers Sicht durchaus nachvollziehbare Gründe, die aber nicht in einer na-
tionalsozialistischen Gesinnung, sondern nicht zuletzt in Jaegers DAV-Position als
mit Abstand prominentester Lobbyist der alten Sprachen gesucht werden dürfen:
Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war eine
intensive Legitimationsdebatte über den Wert des altsprachlichen Unterrichts
entstanden, wobei „die Anhänger des humanistischen Gymnasiums zwischen
Furcht vor der totalen Beseitigung dieser Schulform und der Hoffnung auf ihre
Sanktionierung durch den neuen Staat“ schwankten.⁴⁷ Jaeger fügte sich in seinem

 Deutscher Altphilologenverband (1930) 6.


 Schiller (2006) 89.
 Fritsch (2001) 234.
 Fuhrmann (1984) 152.
 Fuhrmann (1984) 152.
 Jaeger (1933) 46.
 Jaeger (1933) 46 – 47.
 Vgl. Näf (1990) 129 – 132.
 Ludwig (1984) 168.
92 Stefan Kipf

Artikel einem Zug der Zeit, in der „Apologetik und Anbiederung hervorstechende
Grundzüge vieler Publikationen“ waren.⁴⁸ Tatsächlich waren die politischen Si-
gnale von Seiten des Nationalsozialismus alles andere als positiv: So hatte Alfred
Rosenberg (1893 – 1946) in seinem berüchtigten Mythus des 20. Jahrhunderts die
„blutlos-humanistische“ Bildung vernichtend kritisiert, da sie „durch Fernblicke
in die Vergangenheit und schematische Gedächtnisschulung den echten Auftrieb
des Lebens drosselte“.⁴⁹ Diese Position kann nicht überraschen, da das huma-
nistische Bildungsideal für einen bekennenden Nationalsozialisten eine Provo-
kation darstellte: Humanismus widersprach dem rassisch ausgerichteten Weltbild
der Nationalsozialisten diametral und drohte daher „zum Unwort“ zu werden, „da
es den individuellen Menschen, die Menschenwürde und gleiche Menschenrechte
für alle, unabhängig von völkischer und rassischer Zugehörigkeit, als Ideal an-
deutet“.⁵⁰ Dies hatte spürbare Folgen für die Diskussion um die künftige Aus-
richtung des Unterrichts, die sich nun „auf Fragen der Rasse, der Volksgemein-
schaft, der Kampfbereitschaft für Führer, Volk und Vaterland“ verschob.⁵¹
Ganz offensichtlich wollte Jaeger einer durchaus realen Bedrohung durch die
Nationalsozialisten entgegenwirken. Dies darf jedoch als politisch naiver Versuch
verstanden werden, in deutlicher Überschätzung der eigenen Möglichkeiten
Einfluss zu nehmen, „ohne den Charakter der nationalsozialistischen Herrschaft
voll wahrzunehmen“.⁵² So bemerkte Uvo Hölscher anlässlich des 100. Geburtsta-
ges Jaegers im Jahr 1988, dass dieser „einen Augenblick lang in dem ehrgeizigen
Wahn befangen war, der neuen ‚Bewegung‘ die pädagogische Weltanschauung
liefern zu können“.⁵³ Jaegers Versuch zu beweisen,⁵⁴

daß seine Auffassung von Humanismus im Sinne einer Erziehung zum heroisch-politischen
Menschen sehr gut zu der neuen Ära passe und geeignet sei, die Gymnasien zu einer Stätte
der humanistisch-politischen Bildung für den neuen Staat zu machen,

scheiterte jedoch auf ganzer Linie und markierte das Ende seiner bildungspoli-
tischen Aktivitäten überhaupt.⁵⁵ Der erwähnte Artikel verschwand schnell in der
Versenkung, bereits in den 1937 veröffentlichten Humanistischen Reden und Vor-

 Fritsch (1982) 22.


 Alfred Rosenberg (49–501935), 624– 625. Zu Rosenbergs Mythus ausführlich bei Schneider (2000)
199 – 220.
 Fritsch (2006) 216.
 Fritsch (2006) 216.
 Vgl. Fritsch (2001) 236.
 Hölscher (1988) 19.
 Ludwig (1984) 168.
 Vgl. Fritsch (2001) 236.
Paideia und die Folgen 93

trägen taucht er nicht mehr auf. In der Folge kam es dann bekanntlich zur end-
gültigen publizistischen Eliminierung des Dritten Humanismus, wobei Hans
Drexlers Schmähschrift Der Dritte Humanismus. Ein kritischer Epilog aus dem Jahr
1942 besonders hervorzuheben ist. Spätestens seit dieser Zeit galt der Dritte Hu-
manismus nicht nur an der Universität, sondern auch an der Schule als ge-
scheitert, da ja bereits in den neuen Lehrplänen von 1938 die grundsätzliche
Distanz des altsprachlichen Unterrichts zu humanistischen Bildungsidealen
herausgestellt worden war. Der Dritte Humanismus, so Walter Eberhardt in seiner
nazistischen Tendenzschrift Die Antike und Wir von 1935,⁵⁶

ist nicht die Altertumswissenschaft, die wir brauchen. Er ist ‚zu gedanklich, zu wenig vital‘
[…]. Er ist nicht getragen von den Kräften unserer deutschen Gegenwart. Im Grunde ist er eine
Angelegenheit der verflossenen, liberalen Zeit.

4 Die Lage des altsprachlichen Unterrichts


nach 1945
In den fünfziger Jahren war es durch Anknüpfung an die Traditionen des deut-
schen Humanismus zu einem deutlichen Aufschwung des altsprachlichen Un-
terrichts gekommen, wobei zunächst ein breiter gesellschaftlicher Konsens über
die Unverzichtbarkeit altsprachlicher Schulbildung herrschte. Diese Situation
erwies sich jedoch als wenig stabil: Einerseits führten fast alle bildungspolitischen
Reformen, die bis Mitte der sechziger Jahre eingeleitet worden waren, zu nicht
unerheblichen Einschränkungen für den altsprachlichen Unterricht, da er sich mit
der wachsenden Konkurrenz der modernen Fremdsprachen auseinandersetzen
musste: Hierdurch wurde das ‚Flaggschiff‘ altsprachlicher Bildung, das huma-
nistische Gymnasium, als Schulform allmählich marginalisiert. Zusätzlich wurde
der altsprachliche Unterricht grundsätzlich in Frage gestellt: Neben dem topi-
schen Vorwurf der mangelnden Orientierung an den Bedürfnissen von Kindern
und Jugendlichen wurden Gegenwartsferne, methodisch und didaktische Veral-
tung des Unterrichts sowie die offensichtliche Auslesefunktion der alten Spra-
chen, insbesondere des Lateinischen, kritisiert. Der altsprachliche Unterricht
stand somit im Widerspruch zu einer Schule, die allen Schülerinnen und Schülern
gleiche Bildungschancen einräumen sollte. Die Fachvertreter reagierten auf diese
Vorwürfe mit z.T. drastischer Kritik an der demokratischen Industriegesellschaft,
tadelten trotzig modernen Bildungsutilitarismus und damit einhergehenden

 Eberhardt (1935) 5.
94 Stefan Kipf

Werteverfall, um gleichzeitig mit pädagogischem Pathos auf den angeblich un-


bestrittenen Bildungswirkungen des altsprachlichen Unterrichts zu beharren.
Kulturpessimismus wurde somit zum identitätsstiftenden Programm in einer
Gesellschaft, der man die Vernachlässigung humanistischer Bildung nicht
nachzusehen bereit war.⁵⁷

5 Brüche und Kontinuitäten nach 1945


Unter diesen Voraussetzungen zeigen sich Kontinuitäten und Brüche in Bezug auf
die Rezeption des Dritten Humanismus, auf die in zwei Abschnitten näher ein-
gegangen wird.
1. Die nach 1945 einsetzende fachwissenschaftliche Diskussion um die
künftige Ausrichtung der Klassischen Philologie knüpfte mehr oder weniger
nahtlos an den Vorkriegsstand, d. h. an die schon bekannten Jaeger-kritischen
Positionen an, wobei der Dritte Humanismus als wissenschaftlich und bil-
dungspolitisch unwirksam betrachtet wurde. So bezeichnete Otto Regenbogen,
der in den 30er Jahren zu den prominentesten Anhängern Jaegers gezählt hatte, im
Jahr 1947 den Dritten Humanismus mit kaum unterdrückter Resignation als
„kleinen Impuls der zwanziger Jahre, der […] durch die politischen Ereignisse in
seinen Wirkungen zerschlagen worden ist.“⁵⁸ Auch die weitere inhaltliche Kritik
an Jaegers Konzept bewegte sich im bereits bekannten Rahmen, wobei Regen-
bogen den Begriff des „historischen Humanismus“⁵⁹ verwendete. Wie schon Snell
hielt auch Harald Patzer das Paideia-Konzept als „historisches Strukturprinzip“
für fragwürdig. So werde „im abendländischen Kreis […] die lebendige Geschichte
zur monotonen Wiederkehr des gleichen Themas, der Tradition, die kaum viel
mehr zum Inhalt hat als sich selbst.“⁶⁰ Patzer betrachtete Jaegers Konzept als
gescheitert, an Schule und Universität.⁶¹ In vergleichbarer Weise äußerten sich
hierzu Bruno Snell (1947/48), Otto Regenbogen (1947), Max Zepf (1951) und Uvo
Hölscher (1965), ferner der Philosoph Paul Wilpert (1948) und der Pädagoge Walter
Rüegg (1954). Zusätzlich fällt auf, dass Jaeger in zahlreichen Beiträgen im Rahmen
der umfangreichen Humanismusdebatten der fünfziger und sechziger Jahre aus-
gespart blieb (etwa bei Kaegi 1959 und bei Spranger/Haag 1960). Man kann also

 Hierzu ausführlich Kipf (2006) 20 – 35.


 Regenbogen (1947) 466 – 467.
 Vgl. Regenbogen (1947) 465, Anm. 2; Harald Patzer (1948) 263.
 Patzer (1948) 267.
 Vgl. Patzer (1948) 269.
Paideia und die Folgen 95

davon ausgehen, dass das Paideia-Konzept nach 1945 in der wissenschaftlichen


Community ohne spürbaren Rückhalt blieb.
Gleichwohl erhielten Jaegers Gedanken eine bemerkenswerte, sogar eminent
breite Fortwirkung, und zwar durch die Aktivitäten seines wohl prominentesten
Schülers Wolfgang Schadewaldt.⁶² Beide stimmen in der Hochschätzung und der
dauernden Fortwirkung der Griechen überein: Wie Jaeger glaubte auch Schade-
waldt an die unbedingte Bindung der europäischen Kultur an die Griechen, wobei
er den Begriff der Entelechie prägte:⁶³

Die griechisch-römische Kultur ist ‚Grundlage‘ unserer Kultur im Sinne der Entelechie –
Entelechie als die geprägte Grundform, die sich doch lebendig in fortwährender Um- und
Ausgestaltung befindet und eben in dieser beständig lebendigen Fortgestaltung und nur in
ihr ihr unverwechselbares Grundwesen ebenso bewahrt wie auch bewährt.

Gleichwohl trennen sich an dieser Stelle die Wege von Lehrer Jaeger und Schüler
Schadewaldt, indem Schadewaldt einen weiteren, noch einflussreicheren Begriff
in die Diskussion einführte. Für Schadewaldt haben die Griechen „Modelle von
größter, einfachster Formklarheit, Faßlichkeit und vor allem Weltgemäßheit
hingestellt.“⁶⁴ Mit diesem Modell-Konzept – der Begriff der Paideia spielt dabei
übrigens keine Rolle – will Schadewaldt den wissenschaftlich überholten und
gesellschaftlich kaum noch vermittelbaren Gedanken einer zur Nachahmung
verpflichtenden Vorbildlichkeit der Antike bildungstheoretisch überwinden, und
zwar durch das Modell als Impuls zur aktiven, ergebnisoffenen Auseinanderset-
zung: „Das Modell […] ist […] auf die Sache ausgerichtet, die es instruktiv ver-
einfachend darstellt, und es will nicht ‚befolgt‘ werden, sondern es entbindet,
fordert auf zur Ausgestaltung und weiteren Fortentwicklung.“⁶⁵ Schadewaldt hat
diese Position eingängig zusammengefasst: „Nicht ‚Regeln‘ gibt die Antike, sie
gibt richtungsweisende Impulse.“⁶⁶ Auf dieser Grundlage verändert sich auch die
Funktion der antiken Schriftsteller; sie sind nicht mehr Erzieher nach Jae-
ger’schem Modell, sondern „Anthropologen“, sie haben „den Menschen und seine
Welt mit höchst gesammelter Kraft durchlebt, durchlitten, durchgemacht,
durchgeprobt, durchklärt.“⁶⁷

 Vgl. Kipf (2006) 104– 108.


 Schadewaldt (1956) 305.
 Schadewaldt (1956a) 938; zum in der Literatur weit verbreiteten Gedanken der „Einfachheit“
bzw. „Übersichtlichkeit“ der Antike vgl. u. a. Luther (1953) 575 – 576, Bork (1954) 23, Lehmann-
Leander (1954) 76 und Borucki (1960) 16.
 Schadewaldt (1956) 305.
 Schadewaldt (1958) 931.
 Schadewaldt (1959) 948.
96 Stefan Kipf

Dieser Ansatz Schadewaldts erwies sich für die weitere didaktische Begrün-
dung des altsprachlichen Unterrichts als ungemein einflussreich und stellt im
Kern eine sich der veränderten Gesellschaft öffnende Weiterentwicklung des
Paideia-Konzepts dar. Schadewaldts Modellbegriff war für viele Fachvertreter
ungemein attraktiv, da die altsprachliche Bildungsprogrammatik nun endlich vom
Anspruch der normativen Vorbildlichkeit der Antike befreit schien, gleichzeitig
jedoch das Ziel einer überzeitlich gültigen Fundamentalbildung im Sinne einer
leitbildstiftenden „geistigen Selbsterhellung“ bzw. einer „Selbstorientierung und
Selbstbestimmung des Menschen in unserer Zeit“⁶⁸ nicht aufgegeben werden
musste.⁶⁹ Gleichwohl konnten argumentative Schwachstellen nicht ausgeräumt
werden, da die Antike auch unter den Auspizien eines Modells „der erste Aus-
gangspunkt, durchaus mit einem normativen Einschlag“ blieb.⁷⁰ Dabei wurde
nach wie vor den Griechen die entscheidende kulturelle Vorrangstellung zuge-
billigt, in verdächtiger Nähe zum tradierten humanistischen Ideal, was dann
zwangsläufig von einem Fundamentalkritiker des altsprachlichen Unterrichts wie
Saul B. Robinsohn auch so verstanden und angeprangert wurde.⁷¹ Die alt-
sprachliche Fachdidaktik setzte sich mit dem Modell-Konzept Schadewaldts erst
in den siebziger Jahren kritisch auseinander, wobei dann die fruchtbare Kategorie
des Denkmodells entwickelt wurde.⁷²
2. Sehr viel deutlicher treten die Kontinuitäten im genuin fachdidaktischen
Bereich hervor. Hier spielte vor allem der 1951 wiedergegründete Deutsche Alt-
philologenverband eine zentrale Rolle, da man inhaltlich direkt an die in den
zwanziger Jahren entwickelten Konzepte anknüpfte, und zwar bereits in den
ersten einschlägigen Veröffentlichungen des DAV, namentlich in den program-
matischen Erklärungen Das Bildungsziel des altsprachlichen Gymnasiums und Das
Unterrichtsziel der alten Sprachen aus dem Jahre 1951.⁷³ Diese Erklärungen beruhen
auf der im Jahr 1927 publizierten Göttinger Definition und dem vom DAV im Jahr
1930 publizierten Altsprachlichen Lehrplan für das Deutsche humanistische Gym-
nasium; eindringlich wird im Sinne Jaegers auf die elitär geprägte gesellschaftliche
Leitbildfunktion der Antike hingewiesen,⁷⁴ ferner „auf die geformten und form-

 Schadewaldt (1956) 305.


 Vgl. Kipf (2006) 107.
 Heilmann (1979) 65.
 Vgl. Kipf (2006) 180.
 Vgl. Maier (1984) 105 – 130.
 Vgl. Kipf (2006) 38 – 40.
 Vgl. Deutscher Altphilologenverband (1951) 383: „Dabei vermitteln die Griechen vornehmlich
ein Leitbild der erkennenden und schöpferischen Persönlichkeit, die Römer vornehmlich ein
Leitbild des im Bereiche der Geschichte Recht und Ordnung schaffenden Menschen, beide aber
Paideia und die Folgen 97

gebenden Kräfte der Antike, die für den Aufbau der abendländischen Kultur
grundlegend und immer wieder befruchtend gewesen sind.“⁷⁵
So kann es nicht verwundern, dass diese vom Dritten Humanismus geprägte
Programmatik des DAV in Lehrplänen vielfach rezipiert wurde: So heißt es z. B. im
Entwurf eines Bildungsplanes für die Oberschule Wissenschaftlichen Zweiges (1954)
in Berlin:⁷⁶

Der altsprachliche Unterricht hat zum Ziel, den jugendlichen Menschen durch die Formkräfte
der Antike zu einer in sich gefestigten und geistig selbständigen, der Gemeinschaft ver-
bundenen und von echter Menschlichkeit erfüllten Persönlichkeit zu bilden. Die Formung
vollzieht sich in der Begegnung des Schülers mit Schöpfungen der Griechen und Römer von
überzeitlichem Wert.

Dabei wird nachdrücklich die Sonderstellung der Griechen betont, wenn es ganz
im Sinne des Dritten Humanismus heißt: „Die Griechen treten dem jungen Men-
schen dabei als die Schöpfer derjenigen Werte entgegen, die das unterscheidende
Merkmal aller abendländischen Kulturen sind.“⁷⁷ An anderer Stelle des Plans wird
noch expliziter Bezug auf den Dritten Humanismus genommen: So wird bereits im
Vorwort den Lehrkräften ans Herz gelegt, im Unterricht neben Winkelmann,
Herder und Nietzsche auch Jaegers Paideia zu lesen, und zwar „für die Verge-
genwärtigung des deutschen Griechenbildes“.⁷⁸ Auch bei den didaktischen Hin-
weisen in diesem Bildungsplan lässt die (gleichwohl schlagwortartige) Verwen-
dung eindeutiger Schlüsselbegriffe keine Unklarheit über die Bezugsquelle
aufkommen: So sollen die Schüler bei der Lektüre von möglichst zwei Tragödien
„erfassen, wie sich die Tragiker als Erzieher ihres Volkes fühlen.“⁷⁹ Ganz offen-
sichtlich ging man davon aus, dass die Griechischlehrkräfte den ideologischen
Hintergrund dieser Aufgabe einordnen konnten. Dies soll insgesamt dazu bei-
tragen, dass „der Schüler aus dem griechischen Unterricht ein geschlossenes und
vertieftes Bild des Griechentums mitnehmen muß, das als lebendige Kraft durchs

gemeinsam eine ethisch-politische Grundhaltung, die das auf das Gemeinwohl gerichtete Denken
und Tun ihrer Besten kennzeichnet.“
 Deutscher Altphilologenverband (1951) 383. Diese Erklärungen wurden im Jahre 1958 mit
geringfügigen Änderungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht, und zwar in einer
Schrift der bildungspolitisch einflussreichen Arbeitsgemeinschaft Deutsche Höhere Schule. Vgl.
hierzu ausführlich Kipf (2006) 39 – 40.
 Senator für Volksbildung (1954) 109. In den Richtlinien für den Unterricht in den alten Sprachen
an Gymnasien im Landes Nordrhein-Westfalen (1952) wurden die entsprechenden Passagen des
DAV dem Lehrplan vorangestellt (5 – 6).
 Senator für Volksbildung (1954) 109.
 Senator für Volksbildung (1954) 118.
 Senator für Volksbildung (1954) 129.
98 Stefan Kipf

Leben begleitet.“⁸⁰ Schließlich wird sogar direkt mit Jaeger argumentiert, wenn
etwa der Berliner Lateinlehrer Herbert Hohensee (1907– 1982) im Vorwort zum
Lehrplan für den altsprachlichen Unterricht am Canisius-Kolleg unter Verwendung
eines Zitats aus dem ersten Band der Paideia bemerkt:⁸¹

Bildung […] ist im Abendland am frühesten und zugleich am reinsten im hellenischen Wesen
wirksam geworden: ‚So hoch wir auch die künstlerische, religiöse und politische Bedeutung
der früheren Völker schätzen mögen, beginnt doch die Geschichte dessen, was wir als Kultur
in unserem bewußten Sinne bezeichnen können, nicht eher als bei den Griechen‘.

Unter direkter Bezugnahme auf Werner Jaegers Aufsatz Humanism and Theology
aus dem Jahr 1943 wird ganz deutlich, dass der Dritte Humanismus für Hohensee
von aktueller Bedeutung ist, wenngleich er dessen Zukunftsaussichten durchaus
skeptisch beurteilt:⁸²

Eine Wiedergeburt der Antike vom Bilde des politisch und theologisch gebundenen Men-
schen her […], versucht der dritte Humanismus unserer Tage. Ob dieser Humanismus in der
freien Luft einer neuen westlichen Kultur zu wirklicher Blüte gedeihen wird, ist letztlich eine
Frage der Regierenden.

Auch in fachdidaktischen Unterrichtsvorschlägen zeigen sich deutliche Einflüsse


des Dritten Humanismus: So soll nun z. B. Herodot unter dem Label „Erzieher“ im
griechischen Lektüreunterricht Berücksichtigung finden.⁸³ Die Beschäftigung mit
Herodot sollte⁸⁴

ein affektiv ausgerichtetes, die ganze Persönlichkeit umfassendes Bildungserlebnis sein, das
Einsichten in grundsätzliche Bedingungen menschlicher Existenz und Geschichte ermögli-
chen sollte […] Herodot ist nicht nur Geschichtenerzähler, eine Quelle einer Fülle interes-
santer Realien oder ausschließlich Chronist der Perserkriege, sondern – im Sinne des hier
sicherlich nachwirkenden Jaegerschen Paideia-Konzepts – vor allem Erzieher: Die bildende
Kraft des allgemein menschlich Gültigen bestimmt Inhalt und Auswahl der Lektüre.

Auch für die Platon-Lektüre, insbesondere die Apologie, spielten die Ausführun-
gen Jaegers im zweiten Buch der Paideia eine nicht unerhebliche Rolle.Wenn Max
Krüger in seiner vielgelesenen Methodik auf den didaktischen Wert der platoni-
schen Texte hinweist, dann selbstverständlich unter Verweis auf Werner Jaegers

 Senator für Volksbildung (1954) 130.


 Canisius-Kolleg (1953) 1.
 Canisius-Kolleg (1953) 3 – 4.
 Ausführlich hierzu Kipf (1999) 264– 282.
 Kipf (1999) 275.
Paideia und die Folgen 99

berühmtes Dictum: „Wohl niemand wird meinen, Platon habe unserer Jugend
nichts mehr zu bieten. Werner Jaeger hat Sokrates ‚das mächtigste erzieherische
Phänomen in der Geschichte des Abendlandes’ genannt.“⁸⁵ Auch Friedrich
Walsdorffs Grundlagenartikel zu Sokrates in Platons Apologie aus dem Jahr 1962
fußt in wesentlichen Teilen auf dem zweiten Band der Paideia,⁸⁶ auf den z.T. bis in
die neunziger Jahre hinein immer wieder in Schultextausgaben hingewiesen
wird.⁸⁷ Eine Distanzierung von Sokrates als Erzieher ist erst zu Beginn der
neunziger Jahre spürbar. „Heiligenverehrung wider Willen“ sei nicht mehr gefragt,
da dies bei Schülern Abwehr erzeuge.⁸⁸
Die enge Beziehung des DAV zu Jaeger als einem seiner Gründungsväter
spielte in den fünfziger Jahren ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. So
wurde auf der ersten Seite des Hefts 2/3 1958 des DAV-Mitteilungsblatts auf eine
Ehrung Jaegers an der Universität Tübingen zu dessen 70. Geburtstag aufmerksam
gemacht: „Am 30. Juli, dem Tage des 70. Geburtstags, gedachte der DAV mit be-
sonderer Herzlichkeit seines unvergeßlichen Lehrers.“⁸⁹ Der damalige Bundes-
vorsitzende Erich Haag sprach „dem verehrten Lehrer den Dank der klassischen
Philologen der deutschen Gymnasien für seine wegweisende, auch den Gymna-
sialunterricht so befruchtende Forschung“ aus.⁹⁰
Im Verlauf dieser Veranstaltung würdigte der Berliner Studienrat Arnold Bork
(1888 – 1963) Jaegers herausragenden Einfluss. Borks kurze Rede ist ein bemer-
kenswertes Zeitdokument für die Fortwirkung des Dritten Humanismus, die auf
ungebrochener persönlicher Kontinuität beruht. So dankt Bork dem Jubilar Jaeger
zunächst im Namen mehrerer Institutionen für seine „lange Berliner Wirksamkeit“
und betont ausdrücklich Jaegers enge Beziehung zum Berliner Gymnasium Ste-
glitz und dessen Schulleiter Fritz Sommer, verbunden „durch den Kampf für das
humanistische Bildungsideal“.⁹¹ Mit sichtlichem Stolz verweist Bork auf die po-
sitive Entwicklung dieser Schule, an der er selbst bis zu seiner Pensionierung im
Jahr 1953 unterrichtet hatte, und erklärt dies mit den Auswirkungen der spezifi-
schen Verhältnisse der zwanziger Jahre: Diese waren geprägt durch eine Verbin-

 Krüger u. Hornig (1959) 229.


 Vgl. Roloff (1972) 64.
 Vgl. die Apologie-Ausgabe von Fiedler (21966), 17, in der die Paideia unter „Literatur zur Er-
gänzung und Vertiefung“ genannt wird. In Eckstein u. Mendner (61992) wird im Lehrerkommentar
zur Schulausgabe zu Apologie, Kriton und der Rahmenpartie des Phaidon auf Band 2 der Paideia
verwiesen (94).
 Quack (1993) 8.
 Vgl. Haag (1958) 1.
 Haag (1958) 1.
 Bork (1958) 2.
100 Stefan Kipf

dung der Jugendbewegung (in der der Gemeinschaftsgedanke, die Selbsterziehung


und reformpädagogische Konzepte bedeutsam waren) mit dem neo-romantischen
George-Kreis⁹² und einer allgemeinen Griechenbegeisterung:⁹³

Wenn wir uns die Jahrgänge der Eltern unserer heutigen Gymnasiasten vergegenwärtigen und
bedenken, daß sie im allgemeinen im Alter um das 50. Lebensjahr herum stehen, so haben
wir damit eine Schicht vor uns, die in den zwanziger Jahren von der Elite der Jugendbewegung
gebildet wurde oder sich doch wenigstens von deren Geist und Haltung bestimmen ließ. Es
waren jene jungen Menschen, die in liebender Verehrung sich zu Hölderlin und Stefan George
bekannten und die das hohe Griechentum in ihrer Weise spontan erlebten, ohne von der
Schule dazu gedrängt zu sein.

Nach Bork konnte Werner Jaeger auf eben dieser Grundlage seine folgenreiche
Tätigkeit entfalten und zunächst im engeren fachlichen Kreis begeisterte An-
hänger für den Dritten Humanismus gewinnen:⁹⁴

Solche in den zwanziger Jahren noch jungen Menschen, dem Erlebnis des Griechentums
schon von sich aus hingegeben, waren nun damals Ihre Schüler. Es war eine glückliche
Sternenstunde, in der sie einer empfänglichen Schülerschaft begegneten, die von Ihnen nicht
nur die vorbildliche philologische Schulung mit ins Leben nahm, sondern auch mit einem
neuartigen humanistischen Geist erfüllt wurde, der sie zu Kämpfern für die hellenistische
Kultur des Abendlandes werden ließ.

Darüber hinaus weist Bork seinem Lehrer Jaeger eine über die Fachschaft wir-
kende gesellschaftliche Wirkung zu: So seien seine „grundlegenden Abhand-
lungen und das krönende Werk, die gewaltige Paideia, […] von den Gebildeten
aller Schichten und Richtungen aufgenommen“ worden. Insgesamt glaubt Bork,
dass Jaeger eine Generation geformt habe,⁹⁵

die sich heute allem Utilitarismus zum Trotz zum humanistischen Bildungsideal bekennt und
ihren Kindern diesen hohen Wert nicht vorenthalten will […]. All diesen Abwegigkeiten
gegenüber […] bekennen wir uns zu dem Humanismus, wie er sich tatsächlich historisch im
Abendland entwickelt hat […] und dem Sie unter Entdeckung ganz neuer Wesenszüge wieder
einen gewaltigen Auftrieb gegeben haben.

Insgesamt reiht sich Bork mit dieser Rede nahtlos in die in dieser Zeit üblichen
kulturpessimistischen Äußerungen anderer Altphilologen ein, die Bildungsprag-

 Zur Bedeutung des George-Kreises für den Dritten Humanismus vgl. Fritsch (1993); ferner
Stiewe (2008) passim.
 Bork (1958) 2.
 Bork (1958) 2.
 Bork (1958) 2– 3.
Paideia und die Folgen 101

matismus, Werteverlust und industrielle Vermassung beklagten und mit er-


staunlichem Sendungsbewusstsein den altsprachlichen Unterricht als Heilmittel
gegen die Zeitkrankheiten empfahlen.⁹⁶ So wendet sich Bork in martialischer
Sprache, in der immer wieder von „Kampf“ die Rede ist, aggressiv gegen einen
„äußere[n] Feind, mit den Begriffen westlicher Verflachung und Verödung ei-
nerseits und dem Bilde von der gefahrdrohenden östlichen Steppe andererseits
kurz angedeutet“, angesichts einer um sich greifenden Diffusion des Begriffes
Humanismus aber auch gegen innere Gegner, wie sie auch von Eduard Spranger
beklagt worden war.⁹⁷
Borks Rede hat somit ohne Zweifel exemplarischen Wert, muss jedoch auch
vor dem Hintergrund der Biographie des Autors gelesen werden: Letztlich be-
schreibt Bork auch seinen persönlichen Werdegang als Anhänger des Dritten
Humanismus, der durch die Nähe zum George-Kreis, schier grenzenlose Grie-
chenbegeisterung und eine feste Orientierung an Platon geprägt wurde. Dass
ausgerechnet Bork diese Festrede hielt, war somit gewiss kein Zufall. Arnold Bork,
1888 in Berlin geboren, hatte in den Jahren 1908 bis 1913 an der Berliner Uni-
versität Klassische Philologie studiert und wurde von Wilamowitz mit einer Arbeit
zu Aischylos promoviert. Bork unterrichtete dann an verschiedenen Gymnasien in
Berlin, Potsdam und Prenzlau. Nach Ende des Krieges wurde Bork Lehrer am
Gymnasium Steglitz, wo er bis zu seiner Pensionierung im Oktober 1953 unter-
richtete. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die bildungsbezo-
gene Sozialisation Borks:⁹⁸

Ohne zum eigentlichen George-Kreis zu gehören […] hat er sich dessen Geist zugehörig gefühlt
und als junger Lehrer in einer ‚georgisch‘ beeinflußten Formation der Jugendbewegung die
Rolle eines aufmerksam beobachtenden, vorgehenden und schützenden älteren Freundes
gespielt. Literarische Frucht dieser Erfahrungen waren drei Bücher: ‚Lehrer und Schüler von
1924‘[…], ‚Der junge Grieche, Ein Beitrag zur vergleichenden Jugendpsychologie ([…] 1959)
und die […] 1962 […] erschienene ‚Praktische Jugendpsychologie für Lehrer und Eltern‘.

Bork verstand dies als „‚freie‘ Form der Jugendforschung aus reiner Anschauung
der Phänomene“,⁹⁹ ganz im Gegensatz zur sich damals entfaltenden empirischen
Psychologie. Im Zeichen der Jugendbewegung verfasste Bork bereits in den
zwanziger Jahren verschiedene Aufsätze, etwa Vom Deutschtum zur Jugendbe-
wegung (1920) oder Lehrerberuf und Jugendbewegung (1923). Überdies pflegte Bork

 Vgl. Kipf (2006) 31– 35.


 Vgl. Bork (1958) 2.
 Lennert (1963) 3.
 Lennert (1963) 3.
102 Stefan Kipf

persönlichen Umgang mit Eduard Spranger¹⁰⁰ und Otto Regenbogen, die entweder
dem Dritten Humanismus nahestanden oder zu ihren Vertretern gehörten. Ganz
offensichtlich war Bork begeisterter Gräzist und hatte bereits in den zwanziger
Jahren verschiedene fachdidaktische Artikel verfasst, und zwar mit einem deutlich
platonischen Einschlag: Die Gestalt des Sokrates im griechischen Unterricht (1926),
Der jugendliche Mensch in Platons Werk (1941), Platon als Mensch (1942). Diese
Platonbegeisterung Borks – er wurde sogar als „Platonjünger“¹⁰¹ bezeichnet –
wird auch immer wieder in Sprangers Briefen thematisiert und später auch in
einem Nachruf auf Bork pathetisch bestätigt: „Der Geist, der dem Verewigten in
seinem Erdenleben die Wege wies, war der in alle Ewigkeit wirkende platonische
Eros, der mit dämonischer Kraft den edlen Menschen zum wirklich Wahren, zum
wahrhaft Guten und Schönen zwingt […].“¹⁰² Dabei findet sich auch bei Bork die
weit verbreitete Anbiederung an die Nationalsozialisten, wie Andreas Fritsch
deutlich herausgestellt hat. Bork versuchte ganz offensichtlich, Griechen und
Römer durch die Betonung einer vermeintlichen Rassenverwandtschaft den neuen
Machthabern schmackhaft zu machen.¹⁰³
Auch nach 1945 war Bork mit zahlreichen Beiträgen¹⁰⁴ und einer umfang-
reichen Vortragstätigkeit in Berlin und darüber hinaus öffentlich präsent. So hielt
er anlässlich des DAV-Kongresses in Berlin im März 1951 den Festvortrag Griech-
entum und Abendland (1952), einen programmatischen, vom Dritten Humanismus
grundierten Beitrag zur Humanismusdebatte. Auch in anderen Artikeln widmete
er sich diesem Thema, so z. B. in Jugend und Humanismus (1954) und in Theodor
Litts Angriff auf das humanistische Bildungsideal (1955). In allen Publikationen
zeigte er sich dabei als kompromissloser und kämpferisch auftretender Vertreter
eines an der Paideia orientierten Schulhumanismus.
Trotz aller Bekenntnisse zu Jaeger finden sich an anderer Stelle Äußerungen
Borks, die pessimistisch sind im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Hu-
manismus: So gäben die noch in den zwanziger Jahren wirksamen Faktoren keine
Impulse mehr, da sie an Persönlichkeiten wie Spranger, Jaeger und George ge-

 Vgl. Zeidler (1958) 2; hierzu weitere Belege im Briefwechsel zwischen Eduard Spranger und
Käthe Hadlich (http://bbf.dipf.de/digitale-bbf/editionen/spranger-hadlich/spranger-hadlich
„Stand 21.03. 2017“) .
 Sommer (1963) 2.
 Sommer (1963) 1.
 Fritsch (1993) 168: „Der Berliner Schulmann Arnold Bork vertrat 1934 die Ansicht, ‚daß die
Griechen die unserer Rasse gemäße Kultur geschaffen und die rasseverwandten Römer diese als
erstes Volk übernommen, weitergebildet und weitergegeben haben.‘“
 Ein ausführliches Verzeichnis der Schriften Borks findet sich in: MDAV Berlin 3/1963, 4– 6.
Paideia und die Folgen 103

bunden waren.¹⁰⁵ Zudem zeige sich ein schwerwiegender Generationenkonflikt:


Eltern wünschten sich für ihre Kinder eine humanistische Bildung, da sie sich
„vielfach aus den erwähnten Schichten der Jugendbewegungs-Elite zusammen-
setzen, in denen das Erlebnis des Humanismus lebendig geblieben ist.“¹⁰⁶ Auf die
Kinder wirkten hingegen gesellschaftliche Kräfte, die er wie alle Humanismus-
Apologeten dieser Zeit als negative Einflüsse begreift, nämlich „Vermassung,
Verödung, Verpöbelung“.¹⁰⁷ Bork fordert daher zweierlei: Im Sinne Jaegers die
Einheit von Wissenschaft und Humanismus, wobei er zugleich scharfe Kritik an
den Kritikern Jaegers übt. Er wünscht einen politisierten Altphilologen,¹⁰⁸

der leidenschaftlichen Anteil an den Problemen der eigenen Zeit nimmt und gewillt ist, mit
den Werten, die er vertritt, an ihrer Lösung mitzuarbeiten. Das muß ausdrücklich betont
werden, da heute gelegentlich von seltsamen Gegnern Werner Jaegers betont wird, diese
Vereinigung von historischer und gegenwartsbezogener Einstellung sei unmöglich. […] Als ob
nicht Jaeger selber in seiner Paideia bewiesen hätte, daß beides durchaus vereinbar sei!

Um dem Humanismus wieder eine größere gesellschaftliche Wirkung zu ver-


schaffen, fordert er im Gegensatz zu Jaeger, der altsprachlichen Unterricht als
Form der Elitebildung betrachtete, eine „soziale Wendung“. Man solle „das Er-
lebnis des Altertums in einfacherer Form in weitere Kreise […] tragen – bis zur
Begegnung des letzten Volksschülers der höheren Klassen mit antiker Literatur in
guten Übersetzungen […].“¹⁰⁹
Borks Ausführungen zeigen ein grundsätzliches Dilemma, das für die Nach-
wirkung des Dritten Humanismus und seine notwendige Begrenzung charakte-
ristisch war: Selbst ein so überzeugter Jaeger-Humanist wie Bork musste erken-
nen, dass der Dritte Humanismus keine unmittelbare Wirkung aus sich selbst
heraus mehr entfalten konnte, da die Bedingungen der zwanziger Jahre nicht mehr
gegeben waren. So fehlten die großen Persönlichkeiten als ideologische Schritt-
macher: Ein zweiter George war nicht in Sicht und Spranger zweifelte, was Hu-
manismus sein könnte. Jaegers Möglichkeiten zur Einflussnahme waren durch die
räumliche Trennung zu Deutschland erschwert; zusätzlich wollte Jaeger wohl
aufgrund seiner Erfahrungen ganz bewusst keinen Einfluss mehr auf die Öffent-
lichkeit nehmen, wie er schon im Jahr 1948 in einem Brief an Eduard Spranger
bemerkte:¹¹⁰

 Vgl. Bork (1954) 24– 25.


 Bork (1954) 25.
 Bork (1954) 25.
 Bork (1954) 26.
 Bork (1954) 27.
 Overesch (1982) 121.
104 Stefan Kipf

Ich habe oft das Gefühl, als ob ich zu den gegenwärtigen Problemen Europas, die die meisten
Menschen nur als Europäer und Amerikaner sehen, aus meiner eigenen Erfahrung und
Kenntnis heraus etwas zu sagen hätte. Trotz dieses natürlichen Gefühls, habe ich es mir zum
Prinzip gemacht, mich nicht in die Angelegenheiten Deutschlands vom Ort meiner gegen-
wärtigen Tätigkeit einzumischen.

Resigniert tauschte Jaeger „seinen politischen Bildungsbegriff gegen einen reli-


giös fundierten aus …“,¹¹¹ wohl ohne jede Resonanz in Deutschland. So war der
Dritte Humanismus im Grunde zu einem antiquarischen Phänomen geworden, das
aus der Zeit gefallen war, zumal Impulse von seinem geistigen Haupt nicht mehr zu
erwarten waren. Die Weiterwirkung war somit an die Aktivitäten derjenigen ge-
bunden, die in den zwanziger und dreißiger Jahren unter dem direkten Einfluss
des Dritten Humanismus persönlich und beruflich sozialisiert worden waren.
Neben Bork galt dies für so prominente Schulhumanisten wie Max Krüger (1886 –
1970), Eduard Bornemann (1894 – 1976) sowie Ernst R. Lehmann-Leander (1901–
1981), in deren fachdidaktischen Beiträgen der Einfluss des Dritten Humanismus
nachgewiesen werden kann.
Das Ende dieser zumindest in den fünfziger Jahren relativ weitreichenden
Nachwirkung des Dritten Humanismus war somit vorhersehbar, wenn man von
Schadewaldts Modell-Konzept einmal absieht, das sich als prägendes program-
matisches Element durchgesetzt hatte und erst in den siebziger Jahren an Einfluss
verlor. Mehr war auch nicht zu erwarten, da Werner Jaeger bis zum seinem Tod im
Jahr 1961 als notwendiger Impulsgeber (auch bei seinen mehrfachen Deutsch-
landbesuchen) nicht mehr auftrat. Stattdessen mehrten sich im Laufe der fünf-
ziger Jahre kritische Stimmen, die das Paideia-Konzept für die Schule als nicht
mehr zeitgemäß einstuften. So hatte bereits 1955 der prominente Pädagoge (und
ehemalige Lateinlehrer) Theodor Litt in seiner Streitschrift Das Bildungsideal der
deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt dem Humanismus eine scharfe
Absage erteilt, da es aufgrund seiner Ausrichtung auf die Innerlichkeit des
Menschen, getragen von einer unhistorischen Antikenidealisierung, unvereinbar
mit den Anforderungen der modernen Gesellschaft sei. Arnold Bork hatte sich
übrigens intensiv mit Litt auseinandergesetzt und ihm energisch vorgehalten, dass
„der echte Humanist […] seit den Tagen der Römer und der Renaissance ein von
Problemen der Gegenwart erfüllter Kämpfer“ gewesen sei.¹¹² Seine Kritik blieb
wohl ohne Erfolg, da Litts Schrift in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit
erhielt.

 Stiewe (2011) 300.


 Bork (1957) 400.
Paideia und die Folgen 105

Auch in der seit dem Ende der 50er Jahre einsetzenden Debatte um die Stu-
dienschule spielte der Dritte Humanismus als theoretische Grundlage keine Rolle
mehr; allenfalls war er nur indirekt durch Schadewaldts Modell präsent. Beson-
ders deutlich wurde dieser allgemeine Bedeutungsverlust im Rahmen der Enquete
Abschied von der Antike? Eine Enquete über die Rolle des griechisch-lateinischen
Geisteserbes in der Bildungsgesellschaft von morgen im Jahr 1964 in der Zeitschrift
Wort und Wahrheit. Unter den zahlreichen prominenten Diskutanten berief sich
Hartmut von Hentig, der sich in den sechziger Jahren stark für den altsprachlichen
Unterricht engagiert hatte,¹¹³ zwar direkt auf Schadewaldt, erteilte aber zugleich
dem Vorbild Antike eine Absage, die wie ein Abgesang vom Dritten Humanismus
klingt:¹¹⁴

Die Antike behält auch in der heutigen Bildung ihre Funktion als Modell eines menschlichen
Lebenszusammenhangs, an dem sich viele Chancen, Gefahren, Bedingungen ablesen lassen,
die man in der Komplexheit der modernen Welt nicht mehr erkennen kann; das ist ihre
pädagogische Hilfe. Die Antike ist damit zugleich ein Arsenal von Hypothesen und Fragen,
die wir kritisch oder heuristisch an unsere Welt herantragen können; das ist ihre Erkennt-
nishilfe.

So kann man vielleicht auch von Hentigs epochemachendes Werk Platonisches


Lehren als direkte Antwort auf die Paideia verstehen, allerdings mit einem völlig
veränderten, weiten Humanismusbegriff,¹¹⁵ ohne Antikenidealisierung und mit
einem neuen Fokus auf dem Lateinunterricht, der ideologisch stets im Schatten
des Griechischen gestanden hatte. Dies lag im Zug der Zeit: Der seit 1964 durch
Stundenkürzungen deutlich geschwächte Griechischunterricht verlor in den
Wirren der Curriculumreform zu Beginn der siebziger Jahre endgültig seine
ideologische Führungsrolle im altsprachlichen Unterricht. So wurde auch Scha-
dewaldts Modellbegriff aufgrund seiner immanent angelegten Griechenideali-
sierung durch das deutlich neutralere Denkmodell ersetzt. Daher existierte keine
Basis mehr, um einem Konzept wie der Paideia in der fachdidaktischen Kon-
zeptionierung des altsprachlichen Unterrichts noch Raum zu geben. Gleichwohl
müssen wir davon ausgehen, dass die Paideia in der Unterrichtspraxis der mit ihr

 Vgl. Kipf (2006) 51– 54.


 Von Hentig (1964) 33.
 Von Hentig (1966) 48: „Humanismus ist eine Methode der Selbstorientierung des Menschen,
die ihm anhand der Überlieferung immer wieder Vor-Urteile sichtbar macht, unter denen die
Gegenwart steht, und die damit immer wieder die Freiheit schafft, sich zu ihnen zu bekennen oder
sich von ihnen zu lösen. Das Kriterium solcher Entscheidung ist die Offenheit zu weiterer Ent-
scheidung, weiterer Erkenntnis, weiterer Erfahrung. Das eigentliche Mittel des Humanismus ist
damit die Frage – die Frage nach dem, was fragenswert ist.“
106 Stefan Kipf

groß gewordenen Altphilologen noch weiter wirkte. Für diejenigen Lehrkräfte, bei
denen der Autor dieses Artikels in den siebziger und frühen achtziger Jahren
Griechisch lernte, war Sokrates ohne jede Frage der größte Lehrer des Abend-
landes.

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Giuseppe Cambiano
Werner Jaeger and the Presocratics
Jaeger produced two written reconstructions of Presocratic thought after his
books on Aristotle, a chapter in the first volume of Paideia (1934) and the
book-length work, The Theology of the Early Greek Philosophers (1947). Are
there continuities between the positions taken in these two works or are matters
radically different? The first part of this paper analyzes the features of Presocrat-
ic thought which are emphasized by its treatment in a general history of Greek
paideia in the context of the polis. This approach will highlight juridical and po-
litical dimensions of Presocratic thought which are peculiar to Jaeger’s interpre-
tation. To explain this aspect of Jaeger’s view, it is necessary to explore its rela-
tionship to alternative interpretations advanced by the foremost authorities on
Presocratic philosophy, above all by Zeller, Tannery, Gomperz and Burnet, all
of whom Jaeger targets explicitly in his writing. The second part of the paper
deals with the Theology of the Early Greek Philosophers and tries to detect
those elements consistent with Jaeger’s previous position, but also those
which diverge from it. The sum of these observations brings a very different in-
tellectual context to the question of how Jaeger’s trans-Atlantic migration at the
beginning of the Third Reich impacted his perspective. Discussion of Gregory
Vlastos’ immediate reception of Jaeger’s interpretations will, in conclusion,
shed further light on this issue and permit us to make a general evaluation of
Jaeger’s contribution to the study of the Presocratics.

1
Jaeger generally avoids the word ‘Presocratics’, using instead expressions such
as ‘Naturphilosophen’ in Paideia or ‘early Greek philosophers’ in Theology, here-
by endorsing a usage prevailing in the English-speaking world thanks to John
Burnet’s influential work, Early Greek Philosophy. The term ‘Naturphilosophen’
implies that the defining interest of Presocratic philosophers is nature. As a mat-
ter of fact Jaeger writes: “Der Ausgangspunkt des naturphilosophischen Denkens
des 6. Jhrh. war die Frage nach dem Ursprung, der ‘Physis’, die deshalb der gan-
zen geistigen Bewegung und der von ihr erzeugten Form der Spekulation den
Namen gegeben hat.”¹ By identifying the relevant ‘Grundbegriffe’, Jaeger confers

 Jaeger (1934) 212.

DOI 10.1515/9783110548983-005
112 Giuseppe Cambiano

a measure of unity on the first Greek philosophical inquiries. He thus adopts a


scheme already formulated in antiquity according to which Greek philosophy
started by focusing on nature and the external world and only from Socrates on-
ward considered mankind the most important question. In Germany this scheme
was expounded above all by Hegel in his complex theory of the opposition be-
tween ‘Natur’ and ‘Geist’, and received the authoritative support of Eduard Zeller,
the most important historian of Greek philosophy in the nineteenth century. Zel-
ler saw the unbreakable unity of the spiritual and the natural as the distinctive
character of Greek mind; in the Christian world, by contrast, the mind attained
complete freedom from nature.² This is particularly evident at the beginnings of
Greek philosophy:³

Beim Beginn der griechischen Philosophie ist es zunächst die Außenwelt, welche die Auf-
merksamkeit auf sich zieht und die Frage nach ihren Ursachen hervorruft; man unternimmt
die Lösung dieser Frage ohne vorgängige Untersuchung der menschlichen Erkenntnistä-
tigkeit, und man sucht die Gründe der Erscheinungen in dem, was uns durch die äußere
Wahrnehmung bekannt oder ihr wenigstens analog ist. Andererseits aber werden, gerade
weil man zwischen der Außenwelt und der Welt des Bewußtseins noch nicht genau unter-
scheidet, den körperlichen Stoffen und Formen auch wieder Eigenschaften beigelegt und
Wirkungen von ihnen entwartet, wie sie in Wahrheit nur geistigen Wesen zukommen. Diese
Züge bezeichnen die griechische Philosophie bis auf Anaxagoras herab.

In the second part of his life, Zeller’s position approached Neo-Kantianism, lead-
ing him to view early Greek philosophy as a “physikalischer Dogmatismus”, in
that it immediately angled its attention towards the knowledge of objective real-
ity, without first mounting an inquiry into the conditions of knowledge.⁴ For
early Greek thinkers, the basic question became finding the principle or primor-
dial substance that would explain all perceivable natural phenomena. The Ion-
ians derived all things from matter that lives and moves by its own force, the Py-
thagoreans assigned this role to numbers, and the Eleatics understood Being as
an immovable unity. But none of these theories distinguished incorporeal prin-
ciples from corporeal phenomena, a view which also persisted in Empedocles.
Heraclitus offered a new intervention, envisioning movement as the essential
property of this primordial substance, but still identified this substance with
the fire. According to Zeller, only Anaxagoras represented a partial exception
to the naturalism of the first philosophers, but he too conceived of the mind
as a less consequential matter. Not by chance, Zeller concluded his reconstruc-

 Zeller (51892) 126, 131– 132. On Zeller’s Hegelian heritage, see Isnardi Parente (1989).
 Zeller (51892) 137.
 Zeller (51892) 159, 164, 179; see also 469 – 470 on the Pythagoreans.
Werner Jaeger and the Presocratics 113

tion of Presocratic thought with Anaxagoras instead of the atomists: with Anax-
agoras, early natural philosophy reached both its apex and its end.⁵
Independent from Hegelian or Neo-Kantian influences, the idea that Greek
philosophy begins by investigating nature may also be found in Theodor Gom-
perz and John Burnet. Both emphasize how the Presocratics identify principles
with material substances. Gomperz claims that cosmogony freed itself from the-
ogony and that the problem of matter was of central importance not only for the
Ionians, but also for Parmenides, in whose doctrine Gomperz found the assertion
that matter is permanent and unchangeable.⁶ But his conclusion is less radical
than Zeller’s: “Die Lehre des Parmenides hat dem dogmatischen Materialismus
einige seiner stärksten Waffen geliefert, aber er ist selbst nicht folgerichtiger Ma-
terialist gewesen. […] Das Stoffwesen des Parmenides war ohne Zweifel zugleich
ein Geistwesen.”⁷ For his part, Burnet asserts that Milesian scientific thinkers
“gave up the hopeless task of describing what was when as yet there was noth-
ing” – as was once the case in ancient cosmogonies – “and asked instead what
all things really are now”. From this point, he argues that for the early philoso-
phers “the only things that were real and eternal were the original matter which
passed through all these changes”. He maintains that the term physis expresses
the idea of a permanent and primary substance and, perhaps following Zeller,
that the distinction between matter and spirit was neither felt nor formulated
at the time. Reality, self-existent and indestructible, was a body – or even mat-
ter – but not in the sense of something opposed to spirit.⁸ Burnet understands
Parmenides’ concept of “that which is” primarily as what, in popular language,
is called matter or body and is regarded as spatially extended, like a sphere.
Therefore we can not, according to Burnet, refer to Parmenides as the “father
of idealism”; “on the contrary, all materialism depends on his view of reality.”⁹
The first grounds of Greek science were hence established through observation
and experiment. Burnet’s interpretation has been radically challenged, as we
know, by Popper. “Of course” – Burnet remarked –¹⁰

the pioneers of Greek thought had no clear idea of the nature of scientific hypothesis, and sup-
posed themselves to be dealing with ultimate reality. That was inevitably before the rise of

 Zeller (51892) 172, 174– 175; 197– 198 and 218 – 219 on Anaximander; 382– 383 on the Pythagor-
eans; 563 – 564 on Parmenides and 646 – 647 on Heraclitus.
 Gomperz (1896) 37.
 Gomperz (1896) 146; see also 139 – 140.
 Burnet (21908) 9 – 11, 15 – 16, 60 – 61 on Anaximander and 160 on Heraclitus.
 Burnet (21908) 203 and 208.
 Burnet (21908) 16 – 17; see also 29 – 33 and Popper, Back to the Presocratics (1958/9), repub-
lished with additions in Popper (1970).
114 Giuseppe Cambiano

Logic. […] It is, therefore, to those men that we owe the conception of an exact science which
should ultimately take in the whole world as its object. […] It is still knowledge of the kind fore-
seen and attempted by the Greeks that they [contemporary scientists] are in search of.

This emphasis on the connection between early Greek philosophy and science
was extraneous to Zeller, and Burnet did not indulge in analogies with specific
discoveries of modern science. It is instead Gomperz who emphasizes this com-
parison, e. g. with modern chemistry or evolutionism, pointing out that “die
Grenze zwischen Philosophie und Wissenschaft” appears to him “als eine
fließende” and that each science carries its philosophy within itself. While dis-
cussing the forerunners of modern science, Gomperz asserts that nearly “unsere
ganze Geistesbildung ist griechischen Ursprungs”, a claim that presents some
concordance with Jaeger’s view.¹¹ For his part, Paul Tannery articulates an
even more drastic thesis. He argued that the early Greek thinkers were not phi-
losophers, but savants, i. e. scientists or, following the Aristotelian term, physio-
logoi. He said that “le noyau des systèmes des anciens physiologues n’ a jamais
été une idée mètaphysique, mais la conception générale que chacun d’ eux se
formait du monde, d’après l’ensemble de ses connaissances particulières”. The
history of the Presocratics should, therefore, investigate their views on particular
points of their physics, views which are habitually neglected by the philosoph-
ical histories.¹²

2
In the chapter of Paideia concerning these early thinkers, Jaeger carefully avoids
any point of contact to modern science. The themes of the ‘Kulturkrise’ and the
‘Streit um die Technik’ as well as discussions provoked in Germany by Oswald
Spengler’s post-war book, The Decline of Western Civilization, form the back-
ground for Jaeger’s discourse. In these years he wrote numerous essays ad-
dressed to a wider audience, where he resuscitated the traditional opposition be-
tween ‘Zivilisation’, founded on the power of technology, and ‘Kultur’, which he
identified with the Greek ‘Bildung’, i. e. the conscious effort to shape a man to his
fullest: in that sense the ancient Greeks were for Jaeger the founders of European
culture. Jaeger equates the “Überordnung der Menschenbildung über den ganzen
Bereich des Technischen im heutigen Sinne dieses Wortes, der Zivilisation” with

 Gomperz (1896) 419 – 422 and for analogies with modern science see for example 38, 45, 47,
196, 264– 5. For a portrait of Gomperz in his intellectual context see Timpanaro (1980).
 Tannery (21930) 11– 12.
Werner Jaeger and the Presocratics 115

a “grundsätzliche und klare Scheidung zwischen dem technischen Können und


Wissen und der eigentlichen Bildung”, which he claims became the “Grundlage
des Humanismus”.¹³ On the contrary, the essential feature of Greek philosophy
and more generally of the Greek mind was the clear vision of the permanent
order of all events and changes both in nature and the human world. The Platon-
ic idea, the simultaneity of form and norm, is the most accomplished expression
of ‘Bildung’ as an all-pervading “thirst for form”. According to Jaeger, this idea
also characterized early Greek philosophy:¹⁴

Schon die Kosmosanschauung der ältesten Naturphilosophen ist eine solche Schau im Ge-
gensatz zur rechnenden und experimentierenden Naturwissenschaft unserer Zeit. Sie ist
nicht eine bloße Summierung von Einzelbeobachtungen und methodischen Abstraktionen,
sondern etwas darüber Hinausgehendes, ein Deuten der Einzelheiten aus einem Bilde, das
ihnen ihre Stellung und ihren Sinn als Teil eines Ganzen verleiht.

This encompassing vision gave a metaphysical dimension to the term physis,


such that it must be distinguished from the notion of nature in modern physics,
even though it represented the beginnings of a rational science of nature. The
Greek concept of physis contained two ideas which had not yet been teased
apart: the origin itself, which carries thought beyond perceptible phenomena,
and all things arising from that origin.¹⁵
In his influential book on Parmenides, Karl Reinhardt had already chal-
lenged the priority of the problem of nature in the Presocratics and the suppo-
sition that they were unable to distinguish between subject and object. He ar-
gued that the core of Parmenides’ philosophy was the discovery of the law of
thought, the ‘Denkgesetz’, the logical necessity that enchained Being. Moreover,
he claimed that Heraclitus should be treated separately from Milesian cosmology
and instead connected to Parmenides, since Heraclitus’ physics was informed by
the same logic that provided the solution to the Parmenidean problem of the
contraries.¹⁶ But Jaeger did not relinquish Zeller’s view or the positivistic inter-
pretations of the Presocratics in order to endorse Reinhardt’s position, which
was connected to the epistemological context of Neo-Kantianism. He tried in-
stead to show that the notion of the world put forward by the Presocratics
was construed with concepts pertaining to the human world, above all with con-

 Jaeger (1934) 380. See the collection of his essays in Jaeger (1937). For the intellectual context
Dessauer (21958). Näf (1992), White (1992) and Cambiano (2010) 19 – 42.
 Jaeger (1934) 11– 12.
 Jaeger (1934) 212– 213.
 See Reinhardt (1985), especially 201– 220, for the claim that logos in Heraclitus means ‘Denkge-
setz’ and 250 – 257 on Reinhardt’s rejection of the mystical interpretation of Presocratic thought.
116 Giuseppe Cambiano

cepts expressing norms and ideals, such as kosmos, dike, harmonia and logos. In
Paideia, he developed a view already formulated in an essay on Solon published
in 1926. Here, he established a parallel between Solon’s consciousness of law
being immanent in the social life of men and Anaximander’s assertion, in the
famous Fragment 1, of justice and retribution being immanent in nature.¹⁷ The
same parallel was drawn again in Paideia and extended backwards to Hesiod.¹⁸
The chapter on the Presocratics, entitled ‘Das philosophische Denken und die
Entdeckung des Kosmos’, is constructed entirely around this idea. In a certain
measure, Jaeger still maintains the framework that Greek philosophy began
with natural and not human inquiries, but this idea is substantially modified
by his thesis that some elements peculiar to the human world were transferred
to theories about the cosmos. In seeking to explain the priority of natural inquiry
in Greek philosophy, scholars who attempted to find the sources of Presocratic
thought in religious mysticism – for example, Karl Joel, whose work Der Ur-
sprung der Naturphilosophie aus dem Geist der Mystik (Jena 1906) drew inspira-
tion from Nietzsche – were deemed by Jaeger to be mistaken. For Jaeger this error
was a consequence of restricting the scope of evidence to the history of philos-
ophy; in his opinion, Archilochus and Solon, sharing the milieu of the early
Greek philosophers, also contribute to this discussion constructively.¹⁹
Anaximander is the pioneering hero of Jaeger’s chapter. The philosopher’s
image of the world is a triumph of the geometrical mind, and his ‘Urprinzip’,
the apeiron, is characterized, according to Aristotle, by the epithets ‘immortal’
and ‘unchangeable’, which clearly convey a sense of activity. For Jaeger, this im-
plies the notion that only a God could have these properties and rule the world.
According to ancient evidence, Anaximander called the divine or God the apeir-
on. Jaeger translated Fragment 1 of Anaximander as follows: “Woraus aber dem
Seienden sein Ursprung sei, dahinein müsse auch sein Untergang sein nach
Schicksalsbestimmung. Denn es müsse eines dem andern (allelois) Strafe und
Buße zahlen nach dem Richterspruch der Zeit.” The presence of the term allelois
in the manuscript of Simplicius showed that the interpretation of ‘viel Mystisch-
es’ in this fragment, a view also supported by Nietzsche and Rohde, was errone-
ous. Under their reading, the original sin in need of expiation is the coming into
existence of things as individual things.²⁰ The fragment shows instead that the
struggle between things is similar to the struggle in a law-court of an Ionian

 The essay is reprinted in Jaeger (1960), vol. I, 315 – 337: see especially 330 – 332.
 Jaeger (1934) 195 and 136, 150 for Hesiod.
 Jaeger (1934) 209.
 Jaeger (1934) 217, where the limits of Burnet’s interpretation are noted. On the interpretive
history of Anaximander’s fragment see Mansfeld (2009), especially 30 – 32.
Werner Jaeger and the Presocratics 117

polis, together with a judge imposing a penalty. But Anaximander discerned that
this eternal atonement works not only in human life, but in the whole world and
that both domains are characterized by an immanent ‘Rechtsordnung’. From a
modern point of view, this could be interpreted as the precursor of the concept
of a universal lawfulness, ‘Gesetzmässigkeit’, in nature, but, as Jaeger specified,
“es handelt sich nicht um die bloße Gleichförmigkeit des Kausalablaufs im ab-
strakten Sinne unserer heutigen Wissenschaft”. According to Jaeger, Anaximand-
er describes a ‘Weltnorm’ rather than a law of nature in the modern sense, i. e. a
mere description of facts, since for the philosopher the world presents itself as a
Kosmos, a “Rechtsgemeinschaft der Dinge”, and the recognition of this norm in
natural events has an immediate religious sensibility. This was the contribution
of the early philosophy of nature to the history of Greek paideia. We have no evi-
dence of the use of the term kosmos by Anaximander, but it is used by his im-
mediate successor Anaximenes, and in any case the ‘Kosmosidee’ is contained
in the representation of eternal justice ruling the natural world. For Jaeger this
idea could only be discovered in the depths of the human mind, not by
means of telescopes and observatories. The idea produced a ‘Bruch’, breaking
off from traditional religious representations, but at the same time achieved a
‘Durchbruch’, opening a new conception of the divinity of Being. Anaximander’s
cosmic justice draws our attention to the fact that the Greek concept of cause,
aitia, was originally connected strictly with the concept of guilt, ‘Schuld’, in
the context of legal responsibility and was later transferred to physical causality:
thus, the problem of causality arose from theodicy.²¹
Jaeger asserted that Pythagoreanism must also be distinguished from mod-
ern science: “Mit mathematischer Naturwissenschaft im heutigen Sinne hat die
pythagoreische Lehre nichts zu tun.” Theorizing numbers as principles does not
mean that natural phenomena are reduced to quantitative ratios, since they also
express the qualitative essence of different things, such as heaven or marriage or
justice. For the Pythagareans, the world is shaped by harmony as a ratio between
numbers, at first comprehended in musical sounds and then extended to the
movements of the celestial spheres. The concept of harmony contains a norma-
tive idea, to which the notions of proportion, beauty, measure and rhythm are
connected.²² Only Xenophanes was left out from this line of thought, because
in Jaeger’s opinion he was not a genuine thinker, but a poet, even if his acquaint-

 Jaeger (1934) 218 – 220; see also 154– 155. In contrast, Reinhardt (41985) 50, 174– 177 rejected
that the term kosmos meant ‘das Weltgefüge’ or ‘Bau der Welt’ for the Milesians, who used it in
the plural.
 Jaeger (1934) 223 – 225.
118 Giuseppe Cambiano

ance with the new philosophy of nature that entailed a detachment from poly-
theism and anthropomorphism allowed him to construe a new concept of divin-
ity.²³ In contrast, the thought of both Parmenides and Heraclitus was deemed but
the continuation and development of Anaximander’s view. In Parmenides, a
third ‘Grundform’ of Greek thought emerges next to the Milesian philosophy of
nature and the Pythagorean speculation on numbers, namely ‘das Logische’.
In its perpetual becoming and passing away under the governance of eternal
Dike, Anaximander’s Kosmos was understood intuitively rather than conceptual-
ly. For Parmenides, logical necessity assumes the function of Anaximander’s
Dike. Parmenides’ Dike, in contrast, shields Being from all becoming and passing
away and expresses the necessity of Being as an impossibility of contradiction.
For Jaeger, Parmenides is the first thinker who consciously posed the question of
philosophical method, but in the philosopher’s picture of the transition from
opinion to truth he displays a religious pathos that goes beyond ‘das Logische’.²⁴
Jaeger ends his chapter with Heraclitus. Heraclitus too is redeemed from the
narrow scope of natural philosophy. Of course, he too adopts the Milesian rep-
resentations of nature and the Pythagoream concept of harmony, but his starting
point is an intuition grounded in human life that brings the notion of war, po-
lemos, to a cosmic scale. The human world is no longer dissolved within the
image of nature, but becomes the center of all cosmic forces. For Jaeger, this
is confirmed by the function that Heraclitus assigns to the Logos, which is not²⁵

das begriffliche Denken (noein, noema) des Parmenides, dessen reine analytische Logik die
bildliche Vorstellung einer inneren seelischen Grenzenlosigkeit ausschließt. Der Logos He-
raklits ist eine Erkenntnis, aus der gleichermaßen ‘Reden und Tun’ entspringt.

Heraclitus characterizes Logos as omnipresent because it does not merely have


universal logical validity, but also is the highest good for the polis as for the
world: laws governs the whole world, just as in the polis. In Jaeger’s view,
three connected concentric rings constitute Heraclitus’ thought: an anthropolog-
ical ring, wrapped by a cosmological ring, which is in turn is enveloped by a
theological one. The early philosophy of nature did not yet pose the religious
question explicitly, but in developing the idea of cosmos, for which Anaximand-
er had laid the foundation, Heraclitus produced the notion of a divine law
(nomos) and a sort of ‘Kosmosreligion’, grounding the norm of the philosopher’s

 Jaeger (1934) 231– 232.


 Jaeger (1934) 236 – 237, 239 – 240.
 Jaeger (1934) 243; see also 241– 2, where against Reinhardt he emphasizes the dependence of
Heraclitus on his predecessors in the use of the term kosmos and also 244– 246.
Werner Jaeger and the Presocratics 119

life in the cosmic norm. Religious and cosmological thought, at odds with one
another in the sixth century BC, were synthesized in Heraclitus.²⁶ In a subse-
quent chapter on the sophists Jaeger emphasizes that the natural inquiries
made by the fifth century BC inheritors of Milesian philosophy became increas-
ingly specialized not only in the work of Democritus, but also of Anaxagoras.
Recognizing the Mind as an organizing power, Anaxagoras exhibited an anthro-
pocentric tendency typical of the sophists, but in general developed a mechan-
ical view of nature, without reaching a union of nature and spirit.²⁷

3
Individual facets of Jaeger’s reconstruction of Presocratic thought were not en-
tirely new. Rather, his innovation was a general framework in which human no-
tions of law and order were projected onto the cosmic scale. Zeller, for example,
had already remarked that following Anaximenes the Pythagoreans used the
word kosmos to denote an ordered world and conceived of the cosmic system
as harmonious. This, however, did not mean that they found the scientific prin-
ciples of their system in human activity. Instead, the perception of musical tones
formed the root of their view. Even moral concepts were reduced by the Pytha-
goreans to mathematical and metaphysical characters: “nicht die Physik wird
hier ethisch, sondern die Ethik wird physikalisch behandelt.”²⁸ Likewise, Zeller
remarked that logos meant for Heraclitus not only his discourse, but also the
truth expressed in it that an eternal order of things exists ruled by the law of con-
traries. Therefore war, polemos, is ‘das Weltgesetz’, which is also the divine law.
But according to Zeller, this law was not distinct from the primordial fire.²⁹ The
idea that the Presocratics construed the concepts of kosmos, dike or logos for the
world using characteristics of human life is absent in Zeller. Paradoxically, the
positivist Gomperz was closer to Jaeger’s perspective. He understood the notion
of a universal order of nature in Anaximander as a universal juridical order (‘Re-
chtsordnung’) and remarked: “Als ‘göttlich’ erschien ihm einzig der anfangslose,
kraftbegabte Stoff, der allein ‘unsterblich und nicht alternd’ ist” and this convic-

 Jaeger (1934) 247– 8. In this chapter of Paideia there is only a slight reference to Empedocles,
who is defined as ‘a philosophical centaur’ because he tried to connect the Orphic belief in the
soul to the Ionian philosophy of nature (ib., 229 – 230).
 Jaeger (1934) 374– 375; see also 428.
 Zeller (51892) 433 – 434, 467– 469, 473 – 474; see 441 n., where he says that Xen. Mem. I,1,11
shows that the term kosmos was still not commonly used in the fourth century BC.
 Zeller (51892) 665 – 667; see also 654– 655, 671– 672.
120 Giuseppe Cambiano

tion gave Anaximander a sort of satisfaction (‘Befriedigung’) that we can charac-


terize as “sittlich-religiöse”, “ethical-religious”.³⁰ Gomperz also emphasized Her-
aclitus’ dependence on Anaximander for conceiving a natural order in juridical
terms. He moreover acknowledged that Heraclitus was the first to intertwine the
life of nature and the life of spirit, assuring that this relationship would no lon-
ger remain split and consequently approaching the notion of a single universal
law, namely “the absolute rule of causality”. Furthermore Gomperz asserted that
Heraclitus called the original principle, i. e. fire, ‘divine’, understanding it as
“der Träger der Weltintelligenz…die bewußt gewordene Norm allen Daseins”,
even if it should not be understood as a divinity aiming at an end.³¹ Burnet
also recalled that the term kosmos, used at first to denote the marshalling of
an army and then the ordered constitution of a state,³²

was transferred from this to the world because in early days the regularity and constancy of
human life was far more clearly seen than the uniformity of nature. Man lived in a charmed
circle of law and custom, but the world around him still seemed lawless. That, too, is why,
when the regular course of nature was first realized, no better word for it could be found
than dike. It is the same metaphor which still lives on in the expression ‘natural law’.

This passage shows clearly that for Burnet the notions of kosmos and dike,
though derived from the observation of the human world, did not have a norma-
tive meaning in the Jaegerian sense, but coincided with the notion of ‘regularity’
pertaining to the laws of nature.
For his peculiar interpretation of the Presocratics, Jaeger might have ap-
pealed to Francis Macdonald Cornford’s From Religion to Philosophy (1912), a
work inspired by the French school of sociologists and the thought of Émile Dur-
kheim. At the core of this book is the view that the roots of philosophical con-
cepts are religious representations, which in turn reflect the social structure of
the community from which they emerge. Philosophy inherits the ideas of God,
Soul, Destiny and Law from these collective representations. For Cornford, this
was true in Greece both for the ‘scientific’ tendency that culminated in Atomism
and for the ‘mystic’ tendency that began with Heraclitus – whom Cornford, like
Jaeger later on, treated separately from the Milesians – continued through the Py-
thagoreans, Parmenides, and Empedocles, and culminated with Plato in “the
last and greatest attempt to formulate the mystical faith in rational terms”, by

 Gomperz (1896) 46.


 Gomperz (1896) 52– 53, 61, 63.
 Burnet (21908) 32, where he, like Zeller, recalls the passage of Xenophon, and 168, where he
rejects that logos in Heraclitus meant ‘reason’: it was simply Heraclitus’ own discourse.
Werner Jaeger and the Presocratics 121

means of his theory of Forms. Obviously each of the two tendencies functions
differently:³³

Ionian science supersedes theology, and goes on its own way, without drawing any fresh
supply of inspiration from religion, whereas the mystic tradition is continually inspired
by living religious faith and tries to translate a certain view of life, of God, and of the
soul and its destiny, into terms of a physical system.

Nevertheless in both cases, physis was understood as a material continuum that


is alive and divine, “a substance, therefore, invested with mythical properties”. It
was “a metaphysical entity; not merely a natural element, but an element en-
dowed with supernatural life and powers, a substance which is also Soul and
God”.³⁴ In Cornford’s book, Jaeger could also have found the nexus between cos-
mology and moral ideas, particularly with regard to Anaximander, who “in moral
language” describes the processes of birth and perishing as a “transgression of a
moral order” followed by punishment. For Cornford this was a renewal of the
religious representations of Destiny and Justice and not a theory “independently
deduced from observation of the world and its natural processes”. And like
Anaximander, most of the early philosophers regarded “the order of the world
not only necessary but right or just because it is a projection of the social con-
straint imposed by the group upon the individual, and in the constraint ‘must’
and ‘might’ are identical.”³⁵
Notwithstanding these similarities, there is no reference to Cornford’s book –
if I am not mistaken – either in Paideia or in Jaeger’s later Theology. However, in
1939, Cornford addressed a letter to Jaeger, inviting him to become his successor
in the ‘Lawrence Professorship of Ancient Philosophy’ at Cambridge University,
but Jaeger declined.³⁶ Already in the first pages of Paideia, Jaeger contrasted
‘Kultur’ – in his view, ‘Bildung’ patterned after the Greeks – with modern ‘Zivi-
lisation’ and rejected any conflation of true culture with the merely descriptive
concept of culture used by anthropologists. Evidently, he could not accept Corn-

 Cornford (1991) 158 – 159; see also 214– 215 (with emphasis on Parmenides’ proem), 224– 225
(on Empedocles) and 242 (on Plato).
 Cornford (1991) xiii, xvi, 7, 123, 134– 138, 187– 188 (on Heraclitus). For the differences between
Greek natural philosophy and modern science see his 1936 Cambridge lecture in Cornford (1967)
81– 94.
 Cornford (1991) 10 – 11, 43 – 71 and 191– 192 on Heraclitus. However Cornford, 188 – 190, em-
phasized also the differences between Anaximander and Heraclitus, who was thought to belong
to the mystical tradition.
 Calder (1998) 140. Jaeger (1947) 223 n. 39 quotes only Cornford’s 1936 essay on the invention
of soul.
122 Giuseppe Cambiano

ford’s view, which was grounded in a comparative approach including not only
the cultures of the ancient Near East, but also the so-called ‘primitive’ cultures,
and which employed categories like totemism or connected the Greek scientific
tendency to magic. Jaeger’s reaction to The Greeks and the Irrational (1951) by
Eric Dodds, as reported by William Calder, is meaningful. He disapproved of
this book, because it “emphasised what was trivial and irrelevant. We study
the Greeks to learn about the rational.”³⁷ In contrast, Dodds applied the category
of shamanism to several Presocratics. In this practice he had a forerunner in Her-
mann Diels, who in his 1897 essay on Anaximander introduced precisely this cat-
egory and, following his teacher Hermann Usener, stressed the relevance of ‘die
vergleichende Religionswissenschaft’ for the study of the Presocratics.³⁸ Jaeger,
however, was silent on Diels, who had been one of his teachers in Berlin and
helped to initiate him into the study of Greek philosophy.
We are now in the position to ask about the impact of Jaeger including the
Presocratics in a general history of Greek Paideia. First of all, the pivotal Preso-
cratic concepts of kosmos, dike or logos were placed in a wider context, where
art, religion and philosophy constituted an inseparable unity. According to Jaeg-
er, leadership during the Presocratic age, “die Führerrolle der Bildung der Na-
tion”, was still indisputably in the hands of the poets, before the lawgivers
and politicians.³⁹ However, inclusion had the additional effect of inscribing
the Presocratics into a sort of Hegelian teleological history, relegating them, con-
sequently, to a marginal position compared to the main branch of Greek paideia
that reached its peak with Plato. Whereas Jaeger emphasized the close link be-
tween Pindar’s aristocratic paideia and the educational spirit informing both
the Platonic forms and Plato’s ideal of a universal political arete, the philosophy
of nature remained entirely outside of this progression.⁴⁰ This can explain Jaeg-
er’s selective treatment of the Presocratics in its omission of the last philoso-
phers of nature. Jaeger appealed to the Hegelian assumption that Minerva’s
owl takes flight at twilight, i. e. great spiritual achievements arise at the decline
of historically great human communities: “so bringt im Untergang die griechi-
sche Adelskultur Pindar hervor, so der griechische Polis-staat Plato und Demos-
thenes”, says Jaeger.⁴¹ Thus, the importance of the Presocratics could be dimin-

 Calder (1998) 284.


 Diels (1897) especially 233 – 237 = 18 – 22.
 Jaeger (1934) 206, 317 and 438: “Alle griechischen Dichter waren echte Philosophen in dem
Sinne der noch ungeschiedenen Einheit von Denken, Mythos und Religion”.
 Jaeger (1934) 159 and 310, where Aeschylus is presented as an intermediate link between Pin-
dar and Plato.
 Jaeger (1934) 291; see also 209 – 210, 385.
Werner Jaeger and the Presocratics 123

ished, because they were active during periods before decline. But at the same
time, his Hegelian, i. e. teleological, view of history helped to keep Jaeger away
from Nietzsche’s or Bachofen’s idealization of ‘Frühzeit’, “vor dem Erwachen
der ratio … etwa in die mythischen Anfänge, in den Homer oder in das tragische
Zeitalter”. Jaeger objected that “diese romantische Verabsolutierung der Frühzeit
ist doch unmöglich, denn die Entwicklung des Geistes der Nationen wie der In-
dividuen hat ihr unüberschreitbares Gesetz in sich selbst.”⁴²
Jaeger, thus, seemed to position himself outside the imposing plethora of
Presocratic studies in Germany in the 1920s.⁴³ His tendency to marginalize
early natural philosophy is confirmed by the fact that his chapter in the second
volume of Paideia on ancient medicine – a longtime interest – connected Hippo-
cratic medicine to Socrates and Plato rather than to the early philosophy of na-
ture. At first a mere practice, early Greek medicine was only afterwards perme-
ated by the new Milesian outlook on nature, a view grounded in observations
and the search for ‘natural’ explanations of phenomena. Without this influence,
medicine could never have become “eine methodisch bewußte Kunst und Wis-
senschaft”.⁴⁴ But extant writings in early medical literature show opposition to
these new ideas. Above all, Jaeger supports his view with evidence from On An-
cient Medicine and draws a parallel between the opposition to philosophy of na-
ture found in this work and Socrates’ disdain for cosmological and physical
speculations and his summons to explore the details particular to human life.
If we are looking for some form of empiricism in ancient thought, we should
refer to Hippocratic medicine, rather than Ionian natural philosophy:⁴⁵

Eine exakte Naturwissenschaft gab es eben noch nicht. Die Naturphilosophie jener Periode
war der Inbegriff des Unexakten. Es gab auch keinen philosophischen Empirismus. Alle
grundsätzliche Besinnung auf die Erfahrung auf der Grundlage jeder exakten Wirklich-
keitserkenntnis war im Altertum stets mit der Medizin verbunden, die daher eine philoso-
phische Stellung in dem ganzen Geistesleben einnahm. Sie ist es auch, die diese Gedanken
der modernen Philosophie vermittelt hat. Der philosophische Empirismus der Neuzeit ist das
Kind der griechischen Medizin, nicht der griechischen Philosophie.

 Jaeger (1934) 385.


 See Most (1995).
 Jaeger (31959) Bd. II,13.
 Jaeger (31959) Bd. II,70; see also 25 – 27.
124 Giuseppe Cambiano

4
After Jaeger fled Germany and settled in the United States, he emphasized the-
ology as the core of early Greek philosophy. Of course, this was not a new
theme. In the first volume of Paideia he had already remarked that before the
sophists Greek education did not recognize the modern split between culture
and religion; it had its roots instead in a religious element.⁴⁶ However, at the cen-
ter of Paideia I were two facets which were not easy to acclimatize to the United
States: the thesis of an essential political dimension of Greek ‘Bildung’ and an
élitist, not at all democratic perspective. These words are meaningful: “Für
unser heutiges Bewußtsein sind Politik und Moral zwei weithin getrennte Berei-
che geworden”, while for the Greeks⁴⁷

ist der Staat überhaupt die einzige Quelle aller sittlichen Normen, und es ist nicht abzusehen,
welche andere Ethik es außer der Staatsethik, das heißt außer dem Gesetz der Gemeinschaft,
in der der Mensch lebt, noch geben sollte. Eine von ihr unterschiedene Privatmoral ist für den
Griechen ein unvollziehbarer Gedanke.

Plato, first and foremost as the author of the Republic, is depicted as intent on
the renewal of the State, which is conceived of as the highest norm and form
of human life. In the second volume of Paideia, published in the United States
in 1942, the political aspects of Plato were no longer in focus. Jaeger preferred
to emphasize Plato’s function as the forerunner of Christianity, which absorbed
the apex of Greek paideia represented by Plato. Soul and inner life became more
relevant than the polis. This marked a substantial depoliticization of Plato’s phi-
losophy. The true aim of the Platonic State is now “der Staat in uns”, i. e. in the
soul. At last, theology became the foundation of both ethics and politics,
grounded in the idea of the Good coinciding with the supreme Being. Therefore
Plato could be acknowledged as “der Theologe der klassischen Welt”, as Augus-
tine had astutely realized.⁴⁸ However Jaeger’s change of perspective did not con-
stitute a break in the development of an essential line of his studies. Since 1908
Wilamowitz had suggested he undertake a critical edition of Gregory of Nyssa’s
Contra Eunomium, which Jaeger published in 1921. In his introduction to his
Scripta minora from 1960, Jaeger asserted: “War ich auf dem Gymnasium
schon ein halber Theologe.” The central problem of his life was the link between

 Jaeger (1934) 382.


 Jaeger (1934) 411– 412.
 Jaeger (31959) Bd. III,8, 20, 86 – 90.
Werner Jaeger and the Presocratics 125

antiquity and Christianity. This also became the framework of his book on the
theology of the early Greek thinkers, which aimed to oppose the widespread in-
terpretation that Greek philosophy began with a perspective akin to the modern
science of nature. His book, rather, foregrounded the theological function of the
early cosmologies as an impulse for the philosophical theology of Plato and sub-
sequent ages.⁴⁹
The target of the book on Theology continued to be the scholars whom Jaeger
described with the label of ‘positivism’. Whereas Zeller, who despite his increas-
ing interest in the scientific element of the Presocratics was undergirded by a He-
gelian framework, was still conscious of the metaphysical implications of Preso-
cratic thought, positivists, like Burnet and Gomperz, focused only on its
empirical and scientific character in a modern sense. Jaeger regarded this one-
sided emphasis as the result of 19th-century scientism’s “horror of everything
metaphysical”, leading it to neglect or minimize the theological elements.⁵⁰ Jaeg-
er no longer mentioned Tannery, but there are, of course, differences among the
authors whom he grouped under the label of Positivism. Whereas Tannery ap-
pealed above all to Comte, Gomperz followed rather the thought of Stuart Mill.
The characterization of Burnet as positivist is also very doubtful. In Early
Greek Philosophy, he uses the notion of progress in his interpretation of Parme-
nides’ theory; philosophy after Parmenides, as Burnet writes, “must now cease
to be monistic or cease to be corporealist.” But, he continues, it “could not
cease to be corporealist; for the incorporeal was still unknown. It therefore
ceased to be monistic.” The attempts to reconcile these two ideas, for example
by Hippo or Diogenes of Apollonia, were for Burnet “one of the periodical ‘bank-
ruptcies of science’, which mark the close of one chapter in its history and an-
nounce the beginning of a new one.” After resolving this struggle, philosophy
ceased to be corporealist, and could be monistic once more:⁵¹

Fresh life must be given to the speculative impulse by the raising of new problems, those of
knowledge and conduct, before any further progress was possible; and this was done by
the ‘Sophists’ and Sokrates. Then, in the hands of Demokritos and Plato, philosophy
took a new form, and started on a fresh course.

 Jaeger (1960) Bd. I,xxi–xxii. See Jaeger’s letter to Kirsopp Lake (16 January 1042), quoted by
Calder (1992), 6 n. 13, where he says: “I had come to Greek philosophy from the theological in-
terests.” On Jaeger’s book Christianity and Greek Paideia (1961) see Keyser (1992), especially 89,
where it is rightly remarked that this book “can be seen not as merely volume four of Paideia (or
worse, as merely an afterthought) but as the telos or entelechy of the whole of not only Paideia,
but of Jaeger’s life.”
 Jaeger (1947) 7 and 195 n. 25 on Zeller.
 Burnet (21908) 200, 227– 228, 406.
126 Giuseppe Cambiano

In his later work Greek Philosophy (1914), Burnet asserted that he understood
‘philosophy’ as “all Plato meant by it, that is neither mythology, nor positive sci-
ence”. Even if from the Platonic point of view, “there can be no philosophy
where there is no rational science”, philosophy “is not to be identified” with sci-
ence. Greek philosophy was “based on the faith that reality is divine” and tried
to do for men what the mysteries could accomplish only in part. Therefore it “in-
cludes most of what we should now call religion”, and this perspective was fully
achieved in Socrates and Plato.⁵² And if we read Burnet’s chapter on philosophy
in the volume The Legacy of Greece (1921), we see that for Burnet the true past
was the Platonic tradition, where fields now divorced, such as philosophy and
science, intellect and mysticism, philosophy and the interests of life, were
once harmonized.⁵³
The name of Diels was not mentioned in Jaeger’s list of the authors who ne-
glected the theological aspects of Presocratic thought and exclusively dwelled
upon its scientific elements. Yet this had been the dominant tenor of a lecture
on Anaximander delivered by Diels before his death in 1922. According to
Diels, Anaximander belonged entirely to the Ionian tradition and conceived of
the apeiron as a material principle. He was not a ‘schwärmerischer Prophet’,
but a universal genius who sowed seeds in all fields of science, mathematics,
physics, astronomy, geography, anthropology. Diels, like Gomperz, did not hesi-
tate to find analogies and anticipations to modern discoveries in Anaximander’s
thought.⁵⁴ Perhaps Jaeger would be amazed at discovering in Nietzsche a similar
nexus between the Presocratics and modern science. Of course, in Philosophie im
tragischen Zeitalter der Griechen Nietzsche affirmed that mysticism is the source
of many views of the Presocratics. Already Thales’ claim that water is the prin-
ciple of all things was for Nietzsche a metaphysical statement originating in the
mystical intuition that all is one.⁵⁵ But in his lectures on the Preplatonic philos-
ophers, delivered in Basel, but only published unabridged in 1995, Nietzsche
contrasted Presocratic materialism to Plato’s dualism of body and soul. Follow-
ing above all the Geschichte des Materialismus by Albert Lange, who adhered to a
form of Neo-Kantianism, Nietzsche found a more developed expression of the

 Burnet (1914) 5, 11– 13, 34.


 Burnet (1921).
 Diels (1923) 65 – 76. However the name of Diels was mentioned by Jaeger together with those
of Tannery, Heiberg and Gomperz as representatives of the tendency to emphasize the links of
the Presocratics with modern science in a review of the third volume of Gomperz’s Griechische
Denker (see Jaeger 1960, Bd. II, 119 – 124). Jaeger judged the “neutralere und farblosere Werk” of
Zeller more efficacious than that of Gomperz.
 Nietzsche (1973) 3. A supporter of this interpretation was, above all, Joel (1903).
Werner Jaeger and the Presocratics 127

ancient materialism in atomic theory, which perpetually overcame “die gesamte


anthropomorphische Weltbetrachtung des Mythus” and is “die Grundhypothese
der wissenschaftlichen Naturbetrachtung der Alten, die, gründlich fortgesetzt,
sich über sich selbst hinaushebt: wie wir dies bei unseren modernen Wissen-
schaften erlebt haben.” Therefore, materialism has always been extremely use-
ful: “Es ist die nüchternste Betrachtung: sie geht von wirklichen Eigenschaften
der Materie aus […]. Die nach den allgemeinsten Gesetzen sich bewegende Ma-
terie bringt durch eine blinde Mechanik Folgen hervor, die der Entwurf einer
höchsten Weisheit zu sein scheinen.”⁵⁶ Nietzsche too indulged in outlining par-
allels between Presocratic doctrines and modern views.
We can now test whether Jaeger’s reproach of the authors he mentions are
well-founded. As for Zeller, we can confirm Jaeger’s critique. Zeller claims that
religious elements are either absent in the Presocratics or, when present, they
are wholly disconnected from cosmology and natural philosophy. Thus, he inter-
preted Thales’ saying that all things are full of gods as a simple personification
of the living character of all things. Likewise in Zeller’s opinion, the attribution to
Anaximenes, as well as to Anaximander and even more to Parmenides, of the
assertion that the primordial substance or Being is a divinity seemed unlikely.⁵⁷
Anaxagoras too did not understand the Mind as god, nor were the Mind’s prop-
erties befitting a personal and merely spiritual being: even in this respect Anax-
agoras’ interest was solely physical.⁵⁸ Zeller acknowledged that the original con-
cern of the Pythagoreans was moral and religious and that their unquestionable
belief in the gods followed the footsteps of Xenophanes’ monotheism. But the
central point was that the Pythagoreans “aller Wahrscheinlichkeit nach ihre The-
ologie gleichfalls mit ihrem philosophischen Prinzip in keine wissenschaftliche
Verbindung gebracht haben” and that the object of their science was the same as
that of the other Presocratic systems, i. e. “die Naturescheinungen und ihre
Gründe”.⁵⁹ Empedocles, in his turn, regarded the four elements, the two forces
of Love and Strife, as well as the Sphairos, as gods and with them formulated

 Nietzsche (1995) 327 and 334. On his acquaintance with Lange’s book, see Salaquarda (1992).
In a Kantian perspective, Nietzsche (1995), 339 – 340 objected that materialism entailed assum-
ing the properties of matter in their immediacy, without a preliminary analysis of the conditions
for the possibility of knowledge, a practice he compared to behaving like the baron of
Münchhausen.
 Zeller (51892) 191, 243, 563.
 Zeller (51892) 996 – 998.
 Zeller (51892) 456 and 465, see also 370, 375 – 6. He interpreted Xenophanes’ view of god as a
form of pantheism nevertheless disconnected from his philosophical views (ib. 524, 533 – 534,
541).
128 Giuseppe Cambiano

religious precepts, but according to Zeller “auch diesem reineren Götterglauben


fehlt es jedoch an einer wissenschaftlichen Verknüpfung mit seinen philosophi-
schen Ansichten.”⁶⁰
Paradoxically it is Gomperz once again who gave a meaningful place to re-
ligion both in the introduction of his work and in a chapter dedicated to Orphic
cosmogonies, where he even acknowledged the aforementioned book of Karl
Joel. On Anaxagoras he followed Zeller, remarking that the Mind, though not or-
dinary matter, is still not a divinity.⁶¹ But in several cases, he showed a tendency
to connect the religious elements of the Presocratics with their properly philo-
sophical views. For example, he emphasized the unity of Pythagoras’ original
system, which only afterward was divided in two courses, the one attuned to
the system’s positive and scientific aspects, and the other cultivating its “reli-
gious or superstitious” practices and rules. Like Zeller, Gomperz calls Xeno-
phanes a pantheist who worships a supreme Being that wavers between spirit
and matter, but contrary to Zeller, he also deems Xenophanes a first-rate man
of science. He additionally emphasizes that Empedocles, like his predecessors
and contemporaries, was moved by “no less religious impulses than by scientific
interests” and that Empedocles’ theology succeeded in blending the two sides of
his system in a unitary harmony, since divine beings were considered parts of the
physical world.⁶² I think that Jaeger’s judgement of Gomperz’ work was compro-
mised by his prejudiced and simplified view of positivism. On these issues, Bur-
net seems more akin to Zeller. He too noted the absence of any connection be-
tween the philosophical and scientific views of the early thinkers and their
religious beliefs, as was the case for Thales, the Pythagoreans, and Empedocles.
This claim is informed by Burnet’s view that ritual, more than any doctrine, is
the essential element of religious belief. Empedocles, for example, called the el-
ements by the names of divinities, but he did not use them in religious sense: he
“did not pray or sacrifice to the elements, and the use of divine names is in the
main an accident of the poetical form.” Burnet concludes generally: “All through
this period, there seems to have been a gulf between men’s religious beliefs, if
they had any, and their cosmological views.”⁶³

 Zeller (51892) 816. Also for Heraclitus the divinity or cosmic law is the primordial fire: his
view consists of an explicit pantheism, akin to that of Xenophanes (ib. 671– 672).
 Gomperz (1896) 174.
 Gomperz (1896) 83 on Pythagoras, 130 – 132 on Xenophanes, 201– 203 on Empedocles.
 Burnet (21908) 289 and 51 on Thales, 107– 109 on the Pythagoreans, 232 and 264– 165 on Em-
pedocles; but see also 74– 75, 82, 141 on Anaximander, Anaximenes and Xenophanes and 194–
195 on Parmenides.
Werner Jaeger and the Presocratics 129

5
However, Jaeger claimed to open a new field in his Theology of the Early Greek
Philosophers, where he developed his Gifford Lectures delivered at St Andrews
in 1936. He opposed the positivist interpretation of the Presocratics, nor did he
concur with those who interpreted cosmological thought as “an outgrowth of
mysticism and Orphism, something quite irrational.” In Jaeger’s view, theology
is a rational enterprise, strictly connected to the importance that Greek thinkers
attributed to logos: “To the Greeks God became a problem”,⁶⁴ even though the
term ‘theology’ was likely coined by Plato. Jaeger’s first move was to assert
that the Milesian naturalists take as a point of departure the given realities of
human experience – ta onta, ‘the things which exist’. He explains that the ex-
pression ta onta was used “rather commonly, even in later times, to denote a
man’s household goods and property; in philosophical language its scope is
now widened to include everything that human perception finds in the
world”, but no longer describes “the heavenly forces piously reported in the ear-
lier myths”. This, however, does not entail that from the beginning ta onta was a
metaphysical term, as in Parmenides. Rather, it was also used in the sense of all
natural existence by Heraclitus, Melissus and Empedocles.⁶⁵ But in turn, our
translation of the term physis with ‘nature’ “fails to do justice to the Greek mean-
ing and is definitely wrong”. Physis is an abstract formation with the suffix –sis
and “denotes quite plainly the act of phynai – the process of growth and emer-
gence […] of the things we find about us”, but also “their source of origin – that
from which they have grown, and from which their growth is constantly re-
newed – in other words, the reality underlying the things of our experience.”⁶⁶
Whereas reducing the meaning of physis only to the sense of ‘primary substance’
supports a naturalistic interpretation of the Presocratics, the wider meaning that
includes a sense of origin indeed opens room for a theological dimension.
Jaeger maintains his previous attribution to Anaximander of an idea of jus-
tice “as an immanently effective norm inherent in reality itself” which is ex-
pressed by the term kosmos,⁶⁷ and in doing so he emphasizes the continuity be-
tween Anaximander and Heraclitus. With Heraclitus the idea of law appears for
the first time in philosophic thought and is regarded as the object of the highest
and most universal knowledge. But, as Jaeger writes, “this shift of meaning had

 Jaeger (1947) V and 4.


 Jaeger (1947) 18 – 19 and 197 n. 2.
 Jaeger (1947) 20 and 198 n. 5, for the criticism to Burnet.
 Jaeger (1947) 35.
130 Giuseppe Cambiano

already been foreshadowed by the designation of the world as an ordering-to-


gether or kosmos”, an idea which we find in Anaximander.⁶⁸ Jaeger also under-
scores the nexus of political and social elements with cosmological imagery in
Empedocles, but adds an important qualification that is absent in Paideia. Em-
pedocles called his gods all “equal and of the same age”, but not in a quantita-
tive sense pertinent to those “who try to understand the Greek philosophy of na-
ture in terms of modern physics or chemistry.” In Empedocles⁶⁹

the aristocratic order of the older theogonic thought which was all based on difference of
rank, age, and genealogy, is superseded now by the democratic equality of all the elemen-
tary and moving forces which make up Empedocles’ cosmos. They are, however, bound to-
gether by the law of a higher unity to which their individual functions and characters are
subordinate. This view suits perfectly Empedocles’ social ideal. But the relationship of the
social element in Greek thought to the cosmological was always a reciprocal one: as the
universe was understood in terms of political ideas such as dike, nomos, moira, kosmos,
equality, so the political structure was derived throughout from the eternal order of the cos-
mos. It is of deep interest to the historian of the Greek mind to trace the changing social
ideals in the development of this mutual relation, and to appreciate the importance for
the democratic age, in the second half of the fifth century, of a new cosmo-theogony
which expressed the trend of the time to discover the origin of its favourite ideas in the di-
vine nature of the world.

In this long passage, which deserved to be quoted here in full, two aspects must
be stressed. The first is the explicit connection of Empedocles’ view to a specific
form of government, namely democracy, through the notion of equality. Precisely
this feature can explain why Gregory Vlastos’ reading of how the Paideia inter-
prets the Presocratics found favour in the United States. In an article published
in 1947, the same year of the Theology, Vlastos pointed out the importance of the
notion of cosmic justice as “a conception of nature at large as a harmonious as-
sociation, whose members observe, or are compelled to observe, the law of the
measure”, but remarked that the traditional interpretation of this topic⁷⁰

leaves out the additional postulate of equality; for clearly, it is quite possible to think of
harmony and non-encroachment as a relation between unequals. […] But the founders of
Greek scientific thought generally made the opposite assumption: they envisaged harmony
in terms of equality. Cosmic equality was conceived as the guaranty of cosmic justice: the
order of nature is maintained because it is an order of equals. To my knowledge, this has
never been established.

 Jaeger (1947) 115 – 116.


 Jaeger (1947) 139 – 149.
 Vlastos (1970a) 56 – 57. see also Vlastos (1953). On the political analogy in the Presocratics,
see also Lloyd (1966) Part II, chap. IV, § 1.
Werner Jaeger and the Presocratics 131

Clearly Vlastos had not yet encountered Jaeger’s Theology, where he could have
found a useful parallel concerning Empedocles. But Vlastos emphasized the im-
portance of equality not only in Empedocles, but also in certain Hippocratic writ-
ings and in other Presocratics. In particular, at the end of his paper he examined
Anaximander in the light of the previous theories. In him Vlastos found a view of
injustice as the encroachment of one power upon another and justice as the re-
storation of the equilibrium between equals. This signified what Vlastos called
‘the naturalization of justice’, i. e. a “philosophical concept of nature as a self-
regulative equilibrium, whose order was strictly immanent, guaranteed through
the fixed proportions of its main constituents.” The consequence for this was
that “the equality of the constituents of this new commonwealth of nature …
meant the abolition of distinctions between two grades of being – divine and
mortal, lordly and subservient, noble and mean, of higher and lower honour.”⁷¹
The democratic implications of Vlastos’ interpretation are clear: of the four phys-
iologoi he studied, Heraclitus alone appears estranged from democratic politics.
There remains, however, a point in Vlastos’ interpretation which Jaeger could not
approve, namely the opposition between this line of Presocratic thought and
Plato; for Vlastos, Plato represented the counter-revolution, i. e. the “negation
of Anaximander’s egalitarian universe”.⁷²
In Jaeger’s book, the political analogy was strictly linked with the theologi-
cal view of a divine order in the world, as we have seen in the longer quotation
above. This is especially apparent in the pages dedicated to Heraclitus, for whom
the law of all laws that coincides with the logos according to which everything
occurs is something divine. But, whereas in Paideia the theological ring was
but one of three concentrics, in the Theology the theological aspects of the
scheme come to the forefront: “[Heraclitus’ theology] must rather be thought
of as forming with the cosmology an indivisible whole, even if we lay the
chief emphasis on the theological side.”⁷³ The theological element existed
from the beginning in Ionian natural philosophy and the true root of Heraclitus’
idea of God was in Anaximander’s dike rather than in the God of Xenophanes.
Paradoxically Xenophanes, who explicitly dealt with the problem of God, was
relegated to a minor role. According to Jaeger, Xenophanes articulated neither
a real philosophy of nature nor a positive theology, but limited himself to the de-
struction of the anthropomorphism responsible for the traditional gods. In his
theology nothing is really philosophical or founded on logical proofs. What Jaeg-

 Vlastos (1970a) 82 and 85.


 Vlastos (1970a) 85 – 86.
 Jaeger (1947) 116 – 117.
132 Giuseppe Cambiano

er concedes to Xenophanes is only “an immediate sense of awe at the sublimity


of the Divine” and a feeling of reverence.⁷⁴
In detecting the theological core of Presocratic thought, Jaeger focuses chief-
ly on three factors: their use of terms and epithets which denote gods and the
divine; their use of stylistic forms (e. g. hymnodic) which are appropriate for
the religious sphere; and their adoption of attitudes which are endowed with
a religious character. Once again Anaximander provides the first evidence for
these observations. He assumed that the Boundless, from which the world be-
gins, is identical “with none of the given substances, and yet is capable of giving
rise to the vast immensity of them all”. Moreover, to the Boundless he gave the
epithets ‘immortal’ and ‘indestructible’ and the predicate ‘governing’ and ‘en-
compassing’ all things.⁷⁵ Now, Aristotle says that the apeiron is the divine, to
theion, and Jaeger comments:⁷⁶

The substantivization of the adjective with the definite article shows … that this is intro-
duced as an independent concept, essentially religious in character, and now identified
with the rational principle, the Boundless. That this expression is of epoch-making impor-
tance in Greek philosophy is clear from the frequency with which we encounter similar
statements both in the other pre-Socratics and in later philosophers.

As far as Jaeger knows, “the concept of the Divine as such does not appear be-
fore Anaximander.” Referencing a paper of Karl Deichgräber who detected lan-
guage befitting a religious hymn above all in Anaxagoras and Diogenes of Apol-
lonia, Jaeger claims that this was pioneered by Anaximander.⁷⁷ Additionally, the
peculiarities of Heraclitus’ language can be seen as expressions of his religious
attitude: his aphoristic and oracular style is in line “with his whole prophetic

 Jaeger (1947) 49 and 232 n. 55; see in general 42– 44. See also the drastic statement of Cher-
niss (1970) 18: “The theology of Xenophanes and the doctrine of metempsychosis arose outside
of the main current of Greek philosophy.”
 Jaeger (1947) 24 and 29. See the criticism of Cherniss (1970) 9 on Jaeger’s view that Anax-
imander’s system “is in fact a theology, theogony, and theodicy in one.” This conclusion appears
to Cherniss “at very least unwarranted, not at all assured by the evidence.”
 Jaeger (1947) 31 and 203 – 206 n. 44, where he admits, however, that there is little evidence
for the use of to theion by the Presocratics.
 Jaeger (1947) 30. See Deichgräber (1933) and Jaeger (1947) 161 (see also 163 – 164): Anaxago-
ras, by his use of the epithets ‘infinite’, ‘self-ruling’, ‘unmixed’ and of hymnic style in his state-
ments about Nous, follows “an established stylistic tradition which can be shown to have been
followed by almost all the pre-Socratic philosophers” and this is particularly important in the
case of Anaxagoras, “for in none of the surviving fragments is there any direct evidence that
he ever referred to Mind as the Divine”. Jaeger (1947) 184 finds traces of hymnodic language
even in Democritus.
Werner Jaeger and the Presocratics 133

bearing”. When he proclaims polemos as ‘father of all and king of all’ his “style
of predication becomes quite hymn-like”.⁷⁸ Hence the “religious sense of his mis-
sion prevails”, since “he is sustained by knowing that he is the bearer of the
logos”, whose contents are the divine law and God working as the unity which
maintains itself in opposites. Heraclitus’ innovation is “the mystical approach
to the concept of unity”.⁷⁹
Particularly revealing for Jaeger’s perspective is his attempt additionally to
rescue Parmenides from an exclusively epistemological and metaphysical inter-
pretation. This opposed the view of Reinhardt, who saw in Parmenides only an
intellectual impulse without moral and a religious complication. For Jaeger, Par-
menides was “quite innocent of our formal logic”, but like the first philosophers
he too connected the knowledge of existence – what he calls Being – with the
sphere of religion, even though he did not identify Being with God. Jaeger con-
cludes his chapter, significantly entitled ‘Parmenides’ Mystery of Being’, with the
following words: “At this time the strongest religious motive for viewing the
world philosophically still lies in the concept of unity. But Parmenides gives it
new strength by endowing this unity with the properties of completeness, immo-
bility, and limitation.” Hence, Jaeger took notice of the prologue to Parmenides’
poem, which proves that “his mysterious vision in the realm of light is a genuine
religious experience.”⁸⁰ Empedocles too in the prologue to his poem presents
himself to his countrymen as a religious teacher, even as ‘an immortal god’.
This “exaggerated self-assurance” necessarily had a religious root, stemming
“from his certainty of a divine salvation which he proclaims and expects for him-
self – the salvation that comes when the soul is reunited with its divine
source.”⁸¹ This permits us to understand the importance of Orphic beliefs on
the soul’s immortality and transmigrations not only for the Pythagoreans, but
also for Empedocles.
In his 1952 review of Jaeger’s book, Gregory Vlastos wrote: ⁸²

There is a kind of poetic justice in the fact that Professor Jaeger’s Theology of the Early Greek
Philosophers should have been delivered as the Gifford Lectures (1936) at St Andrews where
Burnet had held for many years the chair in Greek, for it is the strongest reply Burnet’s the-
sis has yet received.

 Jaeger (1947) 118 and 121.


 Jaeger (1947) 114– 115, 119, 124.
 Jaeger (1947) 96, 107– 108.
 Jaeger (1947) 143 – 144.
 Vlastos (1970b) 97.
134 Giuseppe Cambiano

Even for Vlastos, who considered the Presocratic concept of nature as a self-reg-
ulative system “the intellectual foundation of science” and who thought these
thinkers could rightly be called “pioneers of the scientific spirit”,⁸³ Burnet’s in-
terpretation of the Presocratics “as mere naturalists, bracketing off their specu-
lations from religious beliefs and feeling”, represented “a very anachronistic
view” and a distortion of their thought. There is indeed a religious undercurrent
in many things said by the Presocratics, in their use of the term ‘god’ and hym-
nodic style, as well as in the sense of revelation expressed by Parmenides and
Empedocles, as Jaeger rightly emphasized. But Vlastos also deems anachronistic
the application of the term ‘theology’ to the Presocratics, since Jaeger himself
considers Plato the creator of the idea of theology and notes that Aristotle distin-
guished the ancient theologians from the philosophers.⁸⁴ But above all, Vlastos
maintains that if we are looking for a philosophical theology in the Presocratics,
we would properly find it in the speculations of Pherecydes, the Orphics and the
Pythagoreans, to which Jaeger devoted only limited space. Among this group,
suggests Vlastos, we would encounter a system of thought which “must have
served to justify the beliefs and practices of a religious thought. And this is pre-
cisely what we do not get in any system of natural inquiry from Anaximander to
Democritus.”⁸⁵ What Jaeger neglected was the historical relations between the
beliefs of the Presocratics and those of contemporary religion and the connec-
tion of these beliefs to forms of cult. According to Vlastos the unique achieve-
ment of the Presocratics as religious thinkers was instead that they alone in
the Mediterranean world “dared transpose the name and function of divinity
into a realm conceived as a rigorous natural order and, therefore, completely
purged of miracle and magic”, while “miracle remained a permanent feature
of Hebraic as of Greek and later, Christian piety.”⁸⁶ Here a gulf separated Vlastos
from Jaeger, who featured the continuity between Greek theology and Christian-
ity as both the presupposition and the aim of his inquiry into Presocratic theol-
ogy. As Jaeger says explicitly: “The philosophical theology of the early Greek

 Vlastos (1970b) 93 and 96 – 97, also against Cornford’s interpretation.


 Vlastos (1970b) 98 – 99. For a more recent assessment of Presocratic theology, see Broadie
(1999), especially 205 – 206, who assumes that there is theology only where we find an explicit
reflection on god; therefore neither theogony nor the physical theories of Anaximander, Anax-
agoras and Diogenes, “who all apply epithets signifying divinity to their fundamental principle”,
are properly theology: “Anaximander’s Infinity is not said to be the first principle because it is
divine, but to be divine because it is the primary physical principle.”
 Vlastos (1970b) 113 and 114– 115, where he says that “there is no good conclusive evidence
that either Anaximander or Anaxagoras called their cosmogonic principle ‘god’ or even ‘divine’.”
 Vlastos (1970b), 119.
Werner Jaeger and the Presocratics 135

thinkers, as St. Augustine in his De civitate Dei clearly recognised and emphati-
cally enounced, marks the starting point of this gradually developing universal
theology”, which through the concepts construed in Greek philosophy reached
its peak in the transformation of Christian faith into the form of dogma.⁸⁷

Conclusion
Jaeger’s interpretation of the Presocratics was undoubtedly marked by his polit-
ical and religious commitments, which were formed in the German cultural con-
text of the beginnings of XX Century. But, in spite of both these commitments
and the weaknesses already remarked by Vlastos, it is possible to give a more
balanced assessment of some still positive aspects of his study of the Presocrat-
ics. It is to Jaeger’s credit that he emphasized the need to reconstruct the thought
of the Presocratics in a way not insulated from the rest of the contemporary
Greek culture. This allowed him to shed light on connections between philosoph-
ical language and concepts and the wider background of the political and jurid-
ical vocabulary. Above all, he formulated questions concerning the connection
between the early Greek thinkers and the religious sphere, even if he did not
focus on the multiplicity and variety of Greek religious experiences, but limited
his attention, perhaps unilaterally and anachronistically, to the theological di-
mension. However, this particular line of investigation remains replete with
still open questions, as it has recently surfaced for example through the publica-
tion of the important Derveni Papyrus (dated perhaps to IV Century BC), where
Orphic doctrines are allegorically interpreted by means of language and con-
cepts going back to Presocratic thinkers.

Bibliography
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Dorothea Frede
Jaegers Platon
Vorbemerkungen zur Problemlage

Jeder, der sich näher mit Jaegers philosophiehistorischem Hauptwerk beschäftigt,


seiner Rekonstruktionen von Aristoteles’ Entwicklung,¹ sollte sich eigentlich zugleich
vor die Frage gestellt sehen: Wer ist denn eigentlich Jaegers Platon? Denn Platon ist
nicht nur der Ausgangspunkt in dem, trotz aller Kritik, bis heute noch immer ein-
flussreichen Werk. Vielmehr bleibt Platon in gewisser Weise durchweg Jaegers Ori-
entierungspunkt, da er davon ausgeht, dass Aristoteles nicht nur anfangs Platoniker
und in seiner Entwicklung wesentlich durch die Auseinandersetzung mit Platon
geprägt war, sondern dass er in gewisser Weise immer auf dem Boden der platoni-
schen Philosophie geblieben ist. Platon ist daher in Jaegers Rekonstruktion von
Aristoteles’ Entwicklung allgegenwärtig. Aus diesem Grund ist es wichtig zu erfahren,
worin Jaeger das Wesentliche an Platons Philosophie gesehen hat.
Dies zu ermitteln ist jedoch keine einfache Angelegenheit. Denn Jaeger hat
keine Monographie über Platons Philosophie als solche verfasst. Zwar ist Platon die
Zentralfigur in seinem späteren enzyklopädischen Hauptwerk Paideia. Die Per-
spektive, aus der Platon dort behandelt wird, ist aber die der Erziehung bzw. der
politischen Bildung. Und Jaeger liefert dazu auch keine philosophische Diskussion
der Erziehungsvorstellungen Platons und ihrer metaphysischen und erkenntnis-
theoretischen Voraussetzungen, sondern vielmehr eine Art Geistesgeschichte des
Erziehungsgedankens, die in der archaischen Zeit ansetzt und in Platon ihren
Kulminations- und Endpunkt findet. Dieser Thematik gilt auch das Gros von Jaegers
Aufsätzen und Vorträgen über Platon, die zugleich dem Anliegen dienen, die Re-
levanz der platonischen Konzeption von politischer Bildung auch für die Gegenwart
deutlich zu machen. Dass dabei Platons Philosophie und ihre Grundzüge nur
schattenhaft deutlich werden, erklärt, warum die Nachwelt bis heute zwar immer
wieder mit Jaegers Aristoteles befasst ist, aber kaum jemand auf Jaegers Platon
rekurriert, zumal Jaegers konservativ geprägtes, seiner eigenen Zeit verhaftetes
Bildungsideal seine Anziehungskraft verloren hat. So dürften es vielen ähnlich
gehen wie Charles Kahn, der einen Vortrag über Jaegers Platonbild mit folgenden
Worten eröffnet hat: „I begin my report with a small confession.When I was invited

 Jaeger (1923); Dieser ‚Grundlegung‘ sind Jaegers (1912) Studien zur Entstehungsgeschichte der
Metaphysik des Aristoteles vorangegangen.

DOI 10.1515/9783110548983-006
140 Dorothea Frede

to speak on Jaeger’s portrayal of Plato, I was delighted but momentarily perplexed. I


could not recall a single word that Jaeger had written about Plato.“²
Angesichts dieser Verlegenheit unterzieht Kahn insbesondere das dreibändige
Werk Paideia einer kritischen Würdigung, die dessen Gesamtanliegen ebenso gilt
wie dem sich in ihm manifestierenden Verständnis von Politik.³ Den Grund für das
mangelnde Interesse an Jaegers Paideia unter Philosophen fasst Kahn dann wie
folgt zusammen:

In short, Jaeger shows no interest in the fundamental issues of ethics and politics as they
are debated by philosophers […]. We must read him as a historian, not as a philosopher.
More precisely, Jaeger is an historian of culture whose tools are those of philology – a ‘grie-
chische Geistesgeschichte’.

Kahn unternimmt zwar auch eine positive Würdigung des Anliegens von Paideia,
sieht aber eine grundsätzliche Schwäche in Jaegers mangelndem Interesse an
politischer und ethischer Theorie, sowohl was Platon wie auch was Jaegers eigene
Zeit angeht. Auch konstatiert Kahn eine gewisse Blindheit für politische Reali-
täten, die für falsche Bewertungen oder ein Übersehen wichtiger Faktoren auf
Jaegers Seite verantwortlich sind. So ist z. B. für Kahn der Platon der Politeia kein
der Wirklichkeit gegenüber so resignierter Utopist, wie Jaeger meint. Und wenn
Jaeger die Nomoi in eine Linie mit der Politeia stellt, so übersieht er etwa die
Bedeutung der Tatsache, dass Platon Menschen dort grundsätzlich nicht mehr mit
absoluter Macht betrauen will, sondern anstelle von Philosophenkönigen eine
Gesetzesherrschaft vorsieht, eine Nomokratie, in der die Menschen nur als Diener
und Hüter der Gesetze fungieren.
Eine solche, auch im politischen Sinn kritische Würdigung ist hier nicht be-
absichtigt.Vielmehr werden zunächst Hinweise aufgenommen, die sich in Paideia
darüber finden, was Jaeger als charakteristisch für diejenigen Aspekte in Platons
Philosophie ansieht, für die insbesondere die Politeia zentral ist. Anschließend
werden Jaegers Ausführungen in der Grundlegung erörtert; denn dabei geht Jaeger
von einer Bestandaufnahme von Platons Philosophie zur Zeit von Aristoteles’
Eintritt in die Akademie im Jahr 367 aus, hat also in erster Linie den späteren
Platon zum Gegenstand. So lässt sich wie aus Mosaiksteinen ein ungefähres Bild
davon zusammensetzen, worin Jaeger das Charakteristische an Platons Philoso-
phie sieht.

 Kahn (1992) 72.


 Kahn (1992) ibid.
Jaegers Platon 141

1 Die Darstellung von Platons Entwicklung


in Paideia
Daran, dass es für Jaeger eine Entwicklung in Platons Philosophie gegeben hat,
kann eigentlich aufgrund der Tatsache kein Zweifel bestehen, dass er es sich in der
Grundlegung zur Aufgabe gemacht hat, angesichts der überbordenden Literatur
über Platons Werdegang im 19. Jh. endlich die Frage der Entwicklung des Ari-
stoteles aufzunehmen, dessen Philosophie man damals immer noch wie einen
Monolith behandelte:⁴

Während die Entwicklungsgeschichte Platons die Menschen allmählich blind zu machen


droht für den konstruktiven Trieb, der eine der Grundkräfte seines Denkens ausmacht […], hat
man sich umgekehrt daran gewöhnt, die Frage nach der Chronologie und Entwicklung der
aristotelischen Lehre und ihrer Quellen fast für ein Zeichen philosophischer Verständnis-
losigkeit zu halten. Denn die Monade, die zeitlos den Keim zu allem Einzelnen in sich trägt,
sei eben das System.

In diesem monadischen Systemdenken Aristoteles’ sieht Jaeger wohl nicht zu


Unrecht das Erbe der Scholastik, das er selbst durch ein dynamisches Bild ersetzen
will, im dem neben Kontinuitäten auch Brüche mit wesentlichen Elementen von
Platons Philosophie zu sehen sind. So sagt er über Aristoteles:⁵

Zwischen der ersten, dogmatisch-platonischen Periode seines geistigen Werdegangs und der
letzten, vollendeten Form seines Denkens in den Meisterjahren steigt eine Übergangszeit auf
und nimmt in zahlreichen Einzelheiten festumrissene Gestalt an, eine Zeit der Loslösung, der
Kritik und des Umbaus, die man bisher nicht geahnt hat und die von der endgültigen Form
der aristotelischen Philosophie noch deutlich verschieden ist, wenn sie deren Entelechie
auch bereits in allen wesentlichen Zügen enthüllt.

Nun versteht Jaeger unter ‚Entwicklung‘ aber eine Art von ‚organischem zu-sich-
selbst-Kommen‘. So ist zunächst die Frage aufzunehmen, ob er auch für Platon
selbst von einer Entwicklung ausgeht, die zugleich ‚Kritik und Umbau‘ enthält.
Denn grundsätzlich geht Jaeger von einer Entwicklung der platonischen Philo-
sophie aus dem Geist des Sokrates aus und zeichnet diese in Paideia 2 und 3 auch
nach, von den Frühschriften bis zur Politeia und den Nomoi. Zudem stellt er klar,

 Jaeger (1923) 2.
 Jaeger (1923) 126.
142 Dorothea Frede

dass er Platon ebenso wenig wie Aristoteles die Errichtung eines festen Lehrge-
bäudes, eines ‚Systems‘ unterstellt, sondern nur die Absicht,⁶

die wahre Gemeinschaft [zu] verwirklichen als den Rahmen für die Verwirklichung der
höchsten menschlichen Tugend. Sein reformatorisches Werk ist beseelt von dem erzieheri-
schen Geist der Sokratik, der nicht nur das Wesen der Dinge schauen, sondern das Gute
schaffen will.

Aus diesem Grund geht Jaeger in Paideia zwar auf die Genese von Platons Phi-
losophie aus ihren sokratischen Anfängen ein, beschränkt sich aber weitgehend
auf die Darstellung von Platons pädagogischem Anliegen, das seine vollste Ma-
nifestation in der Politeia und in den Nomoi findet.Wie seine Diskussion der Nomoi
zeigt, sieht Jaeger keine grundsätzlichen Veränderungen in Platons Vorstellung
vom besten Staat, sondern nur eine Verschiebung der Perspektive: Das Gute wird
durch Gott und das Eine ersetzt (Jaeger (1947) 261).
Platons frühere Werke werden dagegen nur in Auswahl und unter dem Aspekt
behandelt, inwiefern sie eine Vorbereitung und Vorwegnahme bestimmter Ele-
mente seiner politischen Philosophie enthalten. Trotz dieser Kontinuität meint
Jaeger, dass „der Wandel der Dialogform in Sprache, Stil und Komposition vom
‚Laches‘ und ‚Euthyphron‘ bis zu den ‚Gesetzen‘ ein ungeheurer [ist]“ und folgert:
„So müssen wir anerkennen, daß nicht nur der Dichter und seine Form, sondern
auch der Denker und sein Gedanke sich gewandelt haben“ (Jaeger (1944) 149).
Jaeger verwirft aber sowohl die Vorstellung, die frühen Dialoge seien reine in-
tellektuelle Spielereien, wie auch die, sie seien Ausdruck einer rein sokratischen
Periode.Vielmehr sieht er sie als Vorstufen zu dem Bau, den die Politeia darstellt:⁷

Die Begründung der wahren Politeia auf dieselben Tugenden nimmt hier ihren Anfang, und
das Zentralproblem des ‚Staats‘, das sich später als der Höhepunkt des platonischen Er-
ziehungswerks enthüllen wird, die Erkenntnis der Idee des Guten, wirft seine Strahlen bis in
die ersten platonischen Schriften voraus.

Die Schriftkritik im Phaidros wertet Jaeger – in klarer Antizipation der Tübinger


Platon-Interpretation − als ein Zeichen dafür, dass die Lehre Platons nur in An-
deutungen in den Dialogen enthalten ist. Grundsätzlich ist Platons Philosophie
eine ‚philosophische Theologie‘ (Jaeger (1947) 194: ‚theozentrisch‘), die in der
Schau ‚des Absoluten‘ kulminiert und nicht aussprechbar ist (ebd. 208 – arrheton,

 Jaeger (1944) 139.


 Jaeger (1944) 152.
Jaegers Platon 143

mystagogia). Auch unterstellt er Platon die Überzeugung, dass der Idealstaat nur
im Jenseits verwirklicht werden kann.
Eine eingehendere Interpretation von Platons Philosophie, was ihren philo-
sophischen Gehalt und dessen Voraussetzungen angeht, insbesondere die
Ideenlehre, will Jaeger nicht liefern, sondern er beschränkt sich diesbezüglich auf
sehr allgemeine Kennzeichnungen. Diese lassen erkennen, dass er drei Phasen in
Platons Philosophie unterscheidet. In der frühen, sokratischen Phase, verwendet
Platon die Technik sokratischen Fragens, mit aporetischem Ausgang, um das
Bewusstsein für die Problematik zu wecken, die mit dem Begriff der Tugend und
ihren verschiedenen Arten verbunden ist. Die mittlere Phase besteht in dem
Entwurf der großen Staatsutopie, deren Absicht Jaeger als ‚Erziehungsphiloso-
phie‘ begreift und bei der es Platon in erster Linie um die Bildung der Seele der
Philosophenkönige zu tun ist (Jaeger (1944) 338 – 360). Die Problematik der Idee
des Guten, ihres Status’ und ihrer Erkennbarkeit wird dabei nur indirekt ange-
sprochen. Über eine Nachzeichnung der Bedingung der Vollkommenheit der ge-
rechten Seele als Manifestation des Guten geht Jaeger nicht hinaus: „Der voll-
kommene Mensch kann nur in einen vollkommenen Staat hineingeformt werden
und umgekehrt: die Bildung eines solchen Staates ist ein Problem der Formung
des Menschen.“⁸
Die Ideenlehre betreffend schwankt Jaeger in Paideia zwischen einer subjektiven,
idealistischen, und einer objektiven, realistischen Deutung. So spricht er den Ideen
zwar objektiven Gehalt zu, zugleich aber auch eine Abhängigkeit vom erkennenden
Subjekt, „das den Gegenstand immer als Ganzes in seiner ‚Idea‘, d. h. als geschaute
Idee erfaßt.“ (Jaeger (1934) 11) Jaeger spricht von einer „Ontologie, die in der Idee des
Guten gipfelt“ und nennt sie die „Metaphysik der Paideia“, erklärt aber zugleich auch,
dass dieses „Sein nicht ohne Beziehung zum Menschen und seinem Wollen“ ist.
Umgekehrt stellt diese Idee auch das Ziel des Menschen dar:⁹

Die Idee des Guten, die die platonische Ideenwelt mit Sinn und Wert erfüllt, erscheint als das
natürliche Ziel alles Strebens; ihre Erkenntnis fordert vom Menschen und seinem Tun eine
entsprechende Haltung. Aber dieses Ziel liegt jenseits der unmittelbar gegebenen Erschei-
nungswelt und ist wie durch mehrfache Verhüllungen vor dem Auge der sinnlichen
Menschheit verborgen.

Zugleich behandelt Jaeger die Erkenntnis der Ideen als ‚schöpferischen Akt‘, als
eine „innigste Wesensbegründung mit dem Gegenstand“ und postuliert eine
„Wahlverwandtschaft zwischen dem empfangenden Ich und der gegenständli-

 Jaeger (1944) 339.


 Jaeger (1947) 11.
144 Dorothea Frede

chen Macht, die sich ihm vermählt, eine Art geistigen Zeugungsvorgangs“. Ferner
spricht er von einem ‚tieferem Verstehen und genialer Neudeutung bei Platon‘. Die
philosophische Bildung ist daher ‚ein höherer Grad des Seins‘ – eine ‚Verähnli-
chung mit Gott‘ (Jaeger (1947) 20, unter Berufung auf die Bestimmung des Phi-
losophen im Theaitetos).
Die Ideenlehre in ihrer klassischen Form, wie sie vom Menon an zutage tritt,
wird nur in groben Zügen behandelt (230 – 237). So tadelt Jaeger die ‚modernen
Logiker‘¹⁰ dafür, dass sie die Ideen als Allgemeinbegriffe ansehen und das „Mehr,
welches in der Idee darüber hinaus noch steckt, als eine bloß störende und
problematische Zutat empfinden.“ Dieses ‚Mehr‘ besteht anscheinend darin, dass
für Platon „das logisch Allgemeine und das ontologisch Reale absolut eins sind“
(233). Den Fehler, den Aristoteles Platon ankreiden wird, dem Allgemeinen eine
unabhängige Existenz zuzuschreiben, hat Platon nach Jaeger nicht begangen, weil
Platon beides nicht getrennt, sondern das „Vordringen von den Erscheinungen
zum Wesen“ als eine Synopsis, als „Akt geistiger Anschauung“ verstanden hat, die
„im Vielen das Eine erfasst“ (234). Zugleich präsentiert Jaeger diese Synopsis als
das Ergebnis der dialektischen Untersuchung, weil diese Einsicht der Nachprü-
fung durch andere nicht entzogen sein darf, und mutmaßt, dass bereits der Menon
von „allgemeinen logischen Regeln“ ausgegangen ist.
Die Existenz von begrifflich Fassbarem ist dadurch garantiert, dass „der
Grieche sich keine Anschauung ohne realen Gegenstand zu denken vermag“ und
so „deutet Platon ihr potentiales Vorhandensein in der Seele als ein Schaunis, das
ihr in einem früheren Leben zuteil geworden ist“ (237). Gelegentlich vermerkt
Jaeger zwar, dass Platon, anders als Aristoteles, die „abstrakte Natur des Allge-
meinbegriffs nicht erkannt“ habe (159). Ob Jaeger darin aber einen Fehler sieht,
sagt er nicht. Vielmehr scheint er in der Idee eine Sache sui generis zu sehen, die
nur durch Nachempfindung des originär Griechischen Denkens zu erfassen ist. Die
Idee ist für ihn ‚geschaute Gestalt‘ (Jaeger (1934) 11): „die platonische Idee, die ein
völlig einzigartiges, spezifisch griechisches Denkgebilde ist, [gibt] uns für die
Geistesbeschaffenheit der Griechen auch auf den anderen Gebieten einen
Schlüssel.“ Die Idee sei zugleich ‚bleibende Ordnung‘ und ‚Wesensgesetz des
Menschen‘ (13). Dies erklärt zugleich die Art des ‚Humanismus‘, den Jaeger Platon
unterstellt: der Mensch ist als ‚allgemeingültiges und verpflichtendes Bild der
Gattung‘ zu verstehen und in diesem Sinn ein politisches Wesen.

 Wie am Anfang des 20. Jh. noch vielfach üblich, besteht für Jaeger ‚Logik‘ vor allem in der
Untersuchung begrifflicher Verhältnisse. Seine Kritik gilt daher nicht der formalen Logik, sondern
der idealistischen Platon-Deutung der ‚Marburger Schule‘, vgl. Jaeger (1944) 237 Anm. 20.
Jaegers Platon 145

Grundsätzlich ist Jaeger also darauf bedacht, für Platons Ideenlehre eine
Unterscheidung und Trennung zwischen geistig Erfasstem und seinem funda-
mentum in re zu verneinen. Ob dies in Platons Sinn ist, muss dahingestellt bleiben;
es sei dazu jedoch auf die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten von
Gedanken und den dazugehörigen Objekten etwa im Liniengleichnis verwiesen
(Resp. VI 509d−511e). Jaegers ‚Einheitsvorstellungen‘ helfen ihm darüber aber
ebenso hinweg wie etwa über die Frage, für welche Arten von Dingen Platon
überhaupt Ideen annimmt.¹¹
Wie diese Zusammenfassung zeigt, liegt ein grundsätzliches Problem bei der
Rekonstruktion von Jaegers Platon in seiner Neigung zu Generalisierungen und zu
einem eklektischen Umgang mit den Texten. Erklärungen, wie das Angedeutete
genau zu verstehen ist, sind selten. So wird auch eher vorausgesetzt als erklärt,
was es mit Platons Hinwendung zur Mathematik auf sich hat. Denn Jaeger verweist
in Paideia zwar auf die Mathematisierung der Ideenlehre in Platons Spätphilo-
sophie und charakterisiert sie als eine Art Geheimlehre. Auf ihre Verträglichkeit
mit der ‚klassischen‘ Ideenlehre geht er aber nicht weiter ein und fragt sich auch
nicht, ob Platon der Mathematisierung der Weltordnung mehr als einen meta-
phorischen Sinn geben wollte (Jaeger (1944) 161– 162). Aus diesem Grund ist nicht
klar, inwieweit er in dieser ‚Mathematisierung‘ auch nur eine Evolution der pla-
tonischen Philosophie sieht, geschweige denn eine fundamentale Veränderung.

2 Die Darstellung von Platons Entwicklung


in Jaegers ‚Grundlegung‘
Die Grundlegung (1923) liegt zwar der Paideia zeitlich weit voraus, da sie aber die
Rekonstruktion von Aristoteles’ Entwicklung im Ausgang von Platon zum Ziel hat,
steht hier nicht der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt, sondern die Situation der
Akademie zum Zeitpunkt des Eintritts des jungen Aristoteles. In seiner Be-
schreibung dieser Situation geht Jaeger daher auch kurz auf Besonderheiten von
Platons späterer und später Philosophie ein:¹²

 Eine Kritik an der Uneindeutigkeit und Unklarheit in Jaegers Darstellung des platonischen
Ideenbegriffs in Paideia und ihrem pathetischen Tonfall liefert Follak (2005) 138−142: „Der Begriff
der Idee wird bei Jaeger in so vielen Kontexten verwendet, dass er im Grunde semantisch entwertet
ist – etwas Irrationales und Religiöses, an das man glauben muss, um an ihm teilzuhaben.“ Auch
der Gegenstandsbereich der Ideen bleibt unklar: „ […] es findet sich eine Idee des Staates, aber
auch die Idee des Menschen, die Idee als ‚Kosmos der höchsten menschlichen Werte‘.“
 Jaeger (1923) 12.
146 Dorothea Frede

Die Akademie, in die Aristoteles 367 eintrat, war nicht mehr die der Zeit des Symposion, um
dessen Tafel Platon einst im Überschwang des Enthusiasmus die Häupter der Künste und
Wissenschaften und die Vertreter der hellenischen Jugend versammelt denken durfte, um aus
dem Munde der Seherin das große Mysterium von der Geburt des Geistes aus dem Eros zu
vernehmen. Das Wesen der Philosophie Platons deckte sich schon seit langem nicht mehr mit
dem Symbol, das sie sich in den Werken der Frühzeit geschaffen hatte, der zentralen Philo-
sophengestalt des Sokrates. Ihr Inhalt und ihre Methode überschritten weit den sokratischen
Problemkreis.Was Sokrates dem Platon und der frühplatonischen Schule gewesen war, erfuhr
Aristoteles nur noch aus der Lektüre, nicht aus der lebendigen Gegenwart des sokratischen
Geistes in der Akademie der 60er Jahre. Phaidon und Gorgias, Politeia und Symposion ragten
als die nun schon klassischen Zeugen einer abgeschlossenen Lebensphase des Meisters hoch
über der geschäftigen Wirklichkeit des Schulbetriebs wie stille Götter. […] Aber die klassischen
Lehren Platons von den Ideen, von Einheit und Vielheit, von Lust und Unlust, vom Staat, von
der Seele und der Tugend, waren für die Diskussionen der Schüler keineswegs unantastbare
Heiligtümer, sondern wurden unaufhörlich in scharfer Unterscheidung der Begriffe und
peinlicher Untersuchung ihrer logischen Tragfähigkeit geprüft, verteidigt und umgemodelt.
Das Entscheidende war, dass auch die Schüler an dieser gemeinsamen Denkarbeit Anteil
hatten. Die Gestalten und Mythen der Dialoge waren und blieben Platons eigenste, unwie-
derholbare Schöpfung; dagegen die Begriffsdiskussion ward, neben dem religiösen Zug der
Akademie, das eigentlich schulbildende Prinzip, denn nur diese beiden Elemente in Platons
Geist waren übertragbar. Je mehr Schüler er anzog, desto größer wurde ihr Übergewicht über
die künstlerische Seite seiner Natur. Die Unterdrückung des Dichters durch den Dialektiker in
Platon war zwar an sich in der Mischung dieser entgegengesetzten Kräfte begründet, aber vor
allem die Schule zog ihn unwiderstehlich in diese Richtung.

Auf die ‚sokratische Frage‘ geht Jaeger in der Grundlegung nur hin und wieder ein.
Er sieht es als Tatsache an, dass der junge Platon ein ‚Sokratiker‘ gewesen ist, so
wie der junge Aristoteles ein ‚Platoniker‘ war, und dass beide sich nur schwer von
ihrem Lehrer gelöst haben. Obwohl Jaeger die Frage der Entwicklung Platons in
dieser Hinsicht nicht eigens thematisiert, lassen seine Äußerungen schließen,
dass er drei Phasen in Platons Philosophieren unterschieden hat. Eine sokrati-
sche, eine mittlere, in der Platon schon seine eigene Lehre entwickelt hat, diese
aber noch von Sokrates vortragen lässt, und eine spätere, in der Sokrates all-
mählich durch andere Sprecher ersetzt wird. Von der sokratischen Phase meint
Jaeger, sie sei zurzeit von Aristoteles’ Eintritt in die Schule Gegenstand intensiver
Auseinandersetzungen gewesen:¹³

In der Akademie scheint damals das Problem des platonischen und des geschichtlichen
Sokrates zuerst aufgeworfen worden zu sein, weil man sich des Abstandes vom sokratischen
Typus mehr und mehr bewusst wurde. Natürlich hat man dem geschichtlichen Sokrates bei
diesem ersten Versuch, seinen Anteil von dem Platons zu unterscheiden, zunächst fast alles

 Jaeger (1923) 98.


Jaegers Platon 147

abgesprochen, was ihm in Platons Dialogen an philosophischen Erkenntnissen beigelegt


wird. Später folgte dann eine Gegenwirkung gegen diesen Radikalismus.

Auf eine Merkwürdigkeit, die in derartigen ‚innerakademischen‘ Diskussionen von


Platons Philosophie liegt, weist Jaeger nicht hin, die allerdings auch von vielen
anderen Interpreten zumeist mit Schweigen übergangen wird. Diese Merkwür-
digkeit besteht darin, dass die Mitglieder der Akademie Platon selbst anscheinend
in strittigen Fragen nicht konsultiert haben, oder dass er, falls man es versucht hat,
dazu keine Erklärungen abgeben wollte. Dies gilt nicht nur für die von Jaeger
angesprochenen Diskrepanzen zwischen Sokratischem und Platonischem, son-
dern auch für andere Fragen zu Platons Philosophie, über die keine Einigkeit unter
seinen Schülern bestand. Dazu sei nur auf zwei Beispiele verwiesen: Uneinigkeit
bestand offensichtlich über die Frage, ob die Schöpfungsgeschichte des Timaios in
einem wörtlichen oder einem allegorischen Sinn gemeint ist.¹⁴ Zumindest Unsi-
cherheit bestand auch in der Frage, wie Platons ‚Selbstkritik‘ im Parmenides zu
deuten ist und welche Lösung er für diese Schwierigkeit vorsieht, wie im Text doch
gefordert wird (Parm. 129a – 135c).¹⁵ Da Platon weiterhin an seiner Schule gewirkt
hat und sie eine kleine Institution war, ist diese Unsicherheit über zentrale Fragen
jedenfalls bemerkenswert, so wie es auch bemerkenswert ist, dass viele von
Platons Schüler zwar unter den Zuhörern seiner berühmten Vorlesung ‚Über das
Gute‘ waren und sich angeblich Notizen gemacht haben, von ihm selbst aber
anscheinend keine Auskunft über Sinn des Gesagten gefordert und erhalten ha-
ben.¹⁶ Vielleicht gab es in der Akademie die Übereinkunft, dass man Platons
Dialoge und Lehre zwar studierte und diskutierte, den Meister aber diesbezüglich
nicht mit Fragen behelligte.
Eine wichtige Abweichung Platons von Sokrates, auf die Jaeger eingeht,
enthält Aristoteles’ Bericht in Metaph. A 6, 987b1– 4. Danach hat Sokrates keine
Trennung der Ideen von den Einzeldingen vollzogen, sich aber um Definitionen
bemüht und die induktive Methode eingeführt.¹⁷ Platons eigene Kreation war
dagegen das, was Jaeger als die ‚klassische‘ Ideenlehre bezeichnet, wie er sie im
Phaidon und der Politeia vertritt. Auf diese Theorie geht Jaeger aber auch in der

 Während Xenokrates, Platons Schüler von früh an und sein zweiter Nachfolger als Schulhaupt,
für eine allegorische Deutung plädiert zu haben scheint, geht Aristoteles von einer wörtlichen
Deutung aus und kritisiert sie mit Nachdruck (Cael. I 10, 280a24– 33).
 So erwähnt Aristoteles verschiedentlich das Problem vom ‚Dritten Menschen‘ (Metaph. A 9,
990b17; Z 13, 1038b35 – 1039a2; SE 22, 178b36 – 39), jedoch ohne einen Verweis darauf, dass Platon
dieses Problem selbst im Parmenides eingeführt und anscheinend für lösbar gehalten hat.
 Vgl. Aristoxenos Harmonica 39.9; Simplicius In Physicam 543,25 – 545,11.
 Zu diesem Bericht vgl. Steel (2012).
148 Dorothea Frede

Grundlegung nicht näher ein, sondern deutet nur schemenhaft an, was er als die
Merkmale dieser Lehre angesehen hat: die Unabhängigkeit der Ideen von der
Sinnenwelt, eine gewisse Körperfeindlichkeit, sowie die Abhängigkeit der Ideen
von der obersten Idee des Guten, die zugleich ‚Sein‘ und ‚Wert‘ ist. Insbesondere
der Frage, ob diese ‚klassische‘ Ideenlehre eine einheitliche Theorie war, welche
Dialoge sie repräsentieren und welche nicht, geht Jaeger nicht weiter nach. Dass er
das nicht tut, beruht wohl auch darauf, dass er sich auf die Phase in Platons
Philosophieren zur Zeit von Aristoteles’ Eintritt in die Akademie konzentriert, und
damit auf eine Zeit, in der man sich Jaeger zufolge nicht mehr an Sokrates, sondern
vielmehr an Pythagoras orientiert hat: „Nicht Sokrates heißt das Vorbild dieses
neuen Philosophentums, sondern Pythagoras, Parmenides werden im Protrepti-
kos als die Archegeten genannt (Jaeger (1923) 98).“
Nun behauptet Jaeger nicht, dass die Ideenlehre damit aufgegeben wäre; er sieht
sie vielmehr einer bestimmten Verwissenschaftlichung unterzogen: „Sie führt zur
stärkeren Betonung des Methodischen und zur Zurückdrängung,wenn auch nicht zur
Leugnung des Seinscharakters der Idee.“ (Jaeger (1923) 98) Nun geht es, wie gesagt,
Jaeger nicht so sehr um Platon selbst, sondern um die Bedingungen, die der junge
Aristoteles vorfand, als er im Jahr 368/7 in Athen sein Studium aufnahm.¹⁸ Dass
Aristoteles zunächst ein reiner Platoniker war, gilt für Jaeger als ausgemacht. Denn
nur so lasse sich erklären, dass Aristoteles zwanzig Jahre in Platons Schule geblieben
ist und diese erst nach dessen Tod verlassen hat:¹⁹

Dem Erlebnis der Welt Platons und dem an ihr vollzogenen Durchbruch zu sich selbst ver-
dankt er die wunderbar gesteigerte Bogenspannung des Intellektes, deren elastische
Schnellkraft sein Denken trotz der spezifischen Verschiedenheit zwischen seiner begrenzten
und Platons unbegrenzter Genialität zu einer fortgeschritteneren Stufe macht, von der her-
abzusteigen von nun an so viel heißt wie: das Rad der Ananke rückwärts drehen.

Was steckt nun hinter diesem Urteil, Aristoteles verfüge im Unterschied zu Platons
unbegrenzter Genialität nur über eine begrenzte Genialität? Jaeger stellt gleich zu
Anfang klar, dass Aristoteles nicht etwa blind und taub für das Wesentliche an
Platon war:

Absolut verständnislos ist der alte Streit, ob Aristoteles den Platon verstanden habe. Er ringt
mit ihm, scheinbar auf gleichem Boden stehend, um die bessere Erkenntnis, aber er über-
windet ihn nicht, indem er ihn widerlegt.

 Auf die zur Zeit der Abfassung der Grundlegung gängige Sekundärliteratur zu Platon finden
sich nur ganz wenige Verweise. Jaeger scheint vielmehr die Platon-Kontroversen seiner Zeit
grundsätzlich gemieden zu haben.
 Jaeger (1923) 9.
Jaegers Platon 149

Auch behauptet Jaeger nicht, Aristoteles habe keinen Sinn für das gehabt, „was in
Platon Gestaltung, Schaunis, Mythos“ war. Es war Aristoteles nur nicht gegeben,
es in dieser Hinsicht Platon gleichzutun. Besonders vermisst Jaeger bei ihm ‚das
Anschauliche‘:²⁰

Es war seiner Geistesart nicht verliehen, den weltanschaulichen Gehalt seiner Philosophie zu
eindrucksvollen Symbolen zu verdichten wie Platon in seinen Mythen und Gleichnissen […].
Nur an einzelnen Stellen werden wir fast betroffen inne, dass hinter dem subtilen Netzwerk
der Begriffe ein Anschauungsganzes in lebendiger Gegenwärtigkeit steht. […] So kommt es,
dass beide sich uns nur in der indirekten Form des Begriffs und der Methode mitteilen, in der
er um sie ringt, und dass die religiöse und weltanschauliche Kraft seiner Philosophie nur dort
in der Geschichte lebendig geworden ist, wo man nicht nur ästhetische Intuitionen suchte,
sondern selbst etwas von diesem Ringen wusste.

Jaeger hat also den Anspruch, dass Philosophie religiös und ‚weltanschaulich‘
sein soll. Letzterem Begriff gibt er freilich einen eigenen Sinn: Es geht ihm nicht
um persönliche Weltbilder, sondern um eine Art intellektueller Anschauung, um
ein philosophisches Welterfassen im Sinn einer „in beherrschenden Wertideen
sich konzentrierende Innerlichkeit, die leidenschaftlich am Leben teilnimmt“
(Jaeger (1923) 434). Daher schätzt Jaeger auch besonders Platons visionäres Er-
fassen des Guten als eines objektiven Prinzips, als übersinnlicher Quelle aller
Dinge: „Die geistige Spannweite, die zugleich die Schau der übersinnlichen We-
senheiten im reinen nous […] umfasst“ (Jaeger (1923) 433). Dennoch oder vielleicht
auch deshalb meint Jaeger, Aristoteles sei für lange Jahre ganz „im Banne Platons“
gestanden, bis ihn die Arbeit an den Problemen in Platons Philosophie über diese
hinausgeführt habe:²¹

Nach anfänglichen Versuchen naiver Nachbildung und Fortsetzung des platonischen Typus
folgt eine Periode,wo er zwischen dem bleibenden Wesen des platonischen Erbes und dessen
zeitbedingter oder individuell unwiederholbarer Formulierung unterscheiden gelernt hat, die
er nun abzustreifen sucht, während er das Wesen treu zu bewahren bemüht ist. Die Philo-
sophie Platons wird ihm jetzt aus einer fertigen Form zur hyle für etwas Neues, Höheres.

Aus dieser Kennzeichnung könnte man nun schließen, dass Jaeger, was Platon
angeht, im Wesentlichen ‚Unitarier‘ war. Das trifft jedoch so nicht zu; vielmehr
trägt Jaeger in seiner Rekonstruktion der Entwicklung des jungen Aristoteles vor
allem der Entwicklung in Platons späteren Jahren Rechnung. Er unterstellt Platon
zwar keine Revision seiner Lehre, wohl aber eine erhebliche Umorientierung und
Neusetzung von Schwerpunkten. Denn das Vorherrschen von Begriffsdiskussio-

 Jaeger (1923) 414.


 Jaeger (1923) 11.
150 Dorothea Frede

nen und die ‚Unterdrückung von Platons künstlerischer Seite‘ sind nicht gleich-
bedeutend damit, dass er den Kern seiner Lehre revidiert hat.Wohl aber hatte diese
Umorientierung Einfluss auf den jungen Aristoteles. Denn wie Jaeger ausführt, war
die Akademie schon vor Aristoteles’ Eintritt zu einer Art ‚wissenschaftlicher An-
stalt‘ geworden. Und eben dies schlägt sich in Platons ‚Methodendialogen‘ nieder:
„dem Theaitetos, Sophistes, Politikos, Parmenides und Philebos.“²²

Es ist für Verständnis des Aristoteles und seines Verhältnisses zu Platon wesentlich, dass man
nicht von der verschwommenen Gesamtvorstellung ‚Platon‘ ausgeht, sondern an ihrer Stelle
den scharfumgrenzten Begriff der abstrakten, auf das Methodische gerichteten Periode
Platons seit 369 (sc. das für die Verfassung des Theaitet nach Sachs²³ angenommene Datum)
setzt. Damit war dem Aristoteles eine eindeutige Richtung gewiesen und seiner speziellen
Veranlagung ein Feld fruchtbarer eigener Arbeit gewiesen.

3 Veränderungen in der Ideenlehre


Der Theaitet stellt für Jaeger eine Art Wasserscheide in Platons Werk dar: denn dort
wird seiner Meinung nach der sokratische Philosoph durch ein neues ‚Theoretiker-
ideal‘ ersetzt, der sich nicht um die Menschen kümmert, sondern vielmehr um das,
was ‚am Himmel und unter der Erde‘ ist. Dazu hebt Jaeger hervor, dass der Theaitetos
unmissverständlich auf den Parmenides und dessen Ideenkritik verweist:²⁴

Der Dialog ist ein Beleg dafür, wie weit die Akademie schon vor Aristoteles in der Kritik der
ontologischen und abstrakten Zwittereigenschaften der Ideen gekommen war; eine Schei-
dung beider konnte auf die Dauer nicht ausbleiben.

Dass der junge Aristoteles der Urheber der Ideenkritik unter den ‚Akademikern‘
gewesen ist, die sich im Parmenides manifestiert, scheidet Jaeger, wie mir scheint,
zu Recht aus. Denn es ist undenkbar, dass der siebzehnjährige Aristoteles gleich
nach seinem Schuleintritt gewissermaßen mit beiden Beinen in diese Diskussion
gesprungen sein oder sich gar zu ihrem Sprecher und Vorreiter gemacht haben
sollte. Falls Platon im zweiten Teil des Parmenides mit der Namensgebung ‚Ari-
stoteles‘ und der Kennzeichnung dieses Jungen, der kaum mehr als ‚ja‘ und ‚nein‘
sagen darf, auf seinen aufmüpfigen Schüler Aristoteles abzielen wollte, dann muss
dies das Resultat einer späteren Überarbeitung gewesen sein. Denn wie Dionysius
von Halikarnass einmal anmerkt, soll Platon seine Dialoge wieder und wieder

 Jaeger (1923) 13.


 Sachs (1914).
 Jaeger (1923) 14
Jaegers Platon 151

überarbeitet haben. „Er hat nie aufgehört, sie bis zu seinem achtzigsten Jahr zu
kämmen, ihnen Locken zu drehen und sie auf alle Weise zusammenzuflechten
(ktenizon kai bostrychizon kai panta tropon anaplekon).“ (Comp. 25,210)
Jaeger ist jedenfalls der Auffassung, dass die innerakademische kritische
Auseinandersetzung mit Platons Ideenlehre der Anlass für die Spätdialoge Platons
gewesen ist und nicht etwa ihr Ergebnis. Allerdings äußert sich Jaeger, wie bereits
oben bemerkt, nicht darüber, ob er Platon eine Lösung für das Problem des sog.
‚Dritten Mann Arguments‘ unterstellt, welches Platon im Parmenides vorstellt.
Vielmehr beschränkt sich Jaeger auf die Bemerkung:²⁵

Platon selbst glaubte zwar der Schwierigkeit Herr werden zu können, aber er hat die peinliche
logische und ontologische Untersuchung der Ideen, wie sie hier und später geübt wird,
prinzipiell als berechtigt anerkannt und dadurch selbst die folgende Entwicklung angebahnt.
An den Phaidon oder den Staat und ihre Ideenlehre könnte man schwerlich die aristoteli-
schen Spekulationen anknüpfen.

Auch mit dieser Behauptung scheint mir Jaeger völlig im Recht zu sein, denn die
Kritik an Platons Ideenlehre in Metaphysik A und M und in den Fragmenten von
Peri Ideon geht weit über die Art der Ideenlehre hinaus, wie sie in Platons mittleren
Dialogen zu finden ist.
Jaeger bestätigt auch die Anziehungskraft, welche die Akademie auf Gelehrte
anderer Provenienz ausübte, wie etwa auf den Mathematiker Theaitetos und den
Astronomen und Mathematiker Eudoxos, und räumt ein, dass damit eine Ausweitung
der Forschertätigkeit an der Akademie verbunden war, die gerade für den jungen
Aristoteles wichtig werden sollte. Auch meint er, dass diese Ausweitung einen Wi-
derhall in Platons Timaios gefunden hat. Gleichwohl sieht Jaeger Platons eigenes
Interesse nicht in der Entwicklung einer Universalwissenschaft: „Der Umfang, in dem
der Timaios die Ergebnisse der neuen Medizin, Mathematik und Astronomie ver-
wendet, darf nicht darüber täuschen, wie souverän Platon mit dem Stoff umgeht, aus
dem er seine Weltschöpfungsgeschichte dichtet.“ (Jaeger (1923) 16– 17)
Vielen Ansätzen zu einem differenzierteren Bild des späteren Platon zum Trotz
geht Jaeger aber letztlich doch von einen einheitlichen, im Wesentlichen ‚vor-
kritischen‘ Platon aus und sieht in Aristoteles’ Abweichen davon eine Art von
geistigen Abstiegs. So kommentiert er die ‚Intellektualisierung der platonischen
Denkgebilde‘:²⁶

Das Beispiel (phronêsis) zeigt, wie sich bei solcher Betrachtungsweise die platonischen
‚Begriffe‘ sich alsbald in ihre analytischen Bestandteile auflösen und dann unwiederbring-

 Jaeger (1923) 15 – 16.


 Jaeger (1923) 387.
152 Dorothea Frede

lich dahin sind. Was umfasste phronêsis bei Platon alles, die Idee als Gegenstand und das
Schauen der Idee als Erkenntnisvorgang, die theoretische Wendung zur Erkenntnis des Guten
und die praktische Erfüllung der Gesinnung und des Tuns mit diesem Schaunis, kurz den
ganzen philosophos bios. Die Idee, die anschauliche intelligible Einheit des Mannigfaltigen,
die gleichzeitig sittliches Ideal, ästhetische Form, logischer Begriff und wesenhaftes Sein in
noch ungeschiedener Einheit war, zersetzt sich in katholou, ousia, morphê, ti ên einai, ohne
dass einer dieser Begriffe ihr entfernt an Kapazität gleichkommt. […] Alle die Dinge, die
Platons Geist berührt hat, haben etwas von plastischer Rundung, nichts aber widerstrebt so
sehr wie sie dem analytischen Trieb des aristotelischen Denkens, welches sich zum plato-
nischen verhält wie der anatomische Atlas zur plastischen Menschengestalt. Für den äs-
thetischen und religiösen Menschen mag das erschreckend sein. Jedenfalls ist es für Ari-
stoteles charakteristisch.

Dies bestätigt einmal mehr, dass die ‚unbegrenzte Genialität‘ Platons für Jaeger in
seiner Fähigkeit zur Zusammenschau, die begrenzte Genialität des Aristoteles in
ihrer Zergliederung besteht. Und eben Letzteres kennzeichnet nach Jaeger die
Geburtsstunde der Wissenschaft, trotz seines Eingeständnisses, dass die Akade-
mie sich schon zur Zeit von Aristoteles’ Eintritt als Siebzehnjähriger zu einer Art
wissenschaftlicher Anstalt gewandelt hatte und dass das Zersetzen und Zerglie-
dern – anscheinend mit Billigung Platons, oder doch ohne seine explizite Miss-
billigung – bereits zuvor eingesetzt hatte.

4 Platon und die Wissenschaft


In Jaegers Augen ist Platon also nicht zum Wissenschaftler mutiert.Vielmehr bleibt
sein „ausschließliches Bemühen auf das Seiende gerichtet“ und steht damit in der
„Tradition der ousia-Spekulation […], der er durch die Ideenlehre eine neue
Wendung gab, ja die er eigentlich überhaupt erst wieder zum Leben erweckte.“
(Jaeger (1923) 17) Und daher meint Jaeger auch, Platon sei zunächst an die Vielheit,
die empirische Welt, gar nicht herangekommen, da er nur die Einheit, das
Übersinnliche, gesucht habe. Die Richtung seines Forschens gehe von der Er-
scheinungswelt fort ‚nach oben‘. Auf die dialektische Methode von Zusammen-
führung und Aufteilung sei Platon „rein durch die Notwendigkeiten der Be-
griffsspekulationen gekommen“ (18), also nicht durch ein Interesse an
empirischen Fragen. Um die Systematisierung der Einzelwesen, unterhalb der
Ebene des eidos, sei es ihm dagegen nicht gegangen, vielmehr habe er sich der
Erscheinungswelt gegenüber abgrenzen wollen. Auch die durch den Komiker
Epikrates karikierte Bemühung der Studenten an Platons Akademie um Eintei-
Jaegers Platon 153

lungen in der Pflanzenwelt, etwa durch die Bestimmung der Gattung des Kürbis’,²⁷
hält Jaeger folglich für keinen Ausdruck eines echten naturforscherlichen Inter-
esses an den wahrgenommenen Objekten, sondern er sieht darin nur eine Be-
stätigung des Interesse an Begriffsverhältnissen (Jaeger (1923) 18).
Dass diese von idealistischen Platon-Deutungen des 19. und frühen 20. Jh.
beeinflusste Auffassung Platons Spätdialogen gerecht wird, kann man mit Fug
bezweifeln. Und dies aus zwei Gründen. Zum einen sprechen philosophische
Gründe dagegen, dass Platon nicht von einer Verankerung der begreifbaren
Ordnung in der Erscheinungswelt ausging. Von ‚reinen Begriffsverhältnissen‘
könnte man allenfalls für die ‚megista gene‘ – die besonders wichtigen Begriffe im
Sophistes und anderswo – sprechen, weil Sein, Identität, Differenz, Ähnlichkeit
und Unähnlichkeit, Bewegung und Ruhe in der Tat allgemeine Begriffe sind, die
überall ihre Anwendung finden und deren Beziehungen man durch Reflexion
findet. Aber auch von diesen sagt Platon, sie seien in der Wirklichkeit ‚aufge-
spalten‘ (Sph. 257c; 258e: katakekermatismena) – und er sieht auch den Philoso-
phen gehalten, sie dort entsprechend zu erfassen, wenngleich er es im Sophistes
als die größte Leistung des Philosophen bezeichnet, Licht in das Dunkel der
allgemeinen Verhältnisse dieser Begriffe zueinander gebracht zu haben.
Neben diesen grundsätzlichen philosophischen Gründen sprechen aber auch
bestimmte Texte dagegen, dass Platon gemeint hat, man könne und solle sich rein
im Bereich des Begrifflich-Allgemeinen aufhalten. Dagegen spricht z. B. die Be-
schreibung der Entdeckung der Buchstaben durch den ägyptischen Schreiber-Gott
Theuth in Platons Philebos (18b–d). Nach Platons Darstellung hat Theuth nämlich
die Buchstaben entdeckt, indem er den Leuten gewissermaßen gut Lutherisch
‚aufs Maul geschaut‘ hat. Es sind gerade die geordneten Einheiten in der un-
endlichen Vielheit, die Platon dort interessieren, denn es ist die gesprochene
Sprache, die sich so klassifizieren und auf 24 Typen von Elementen, d. h. auf die
Buchstaben, zurückführen lässt. Das Gleiche gilt für die Musik und die Systeme
der verschiedenen Tonarten. Die dihäretische Methode ist folglich keine auf das
rein Begriffliche beschränkte Übung.²⁸ Sie dient vielmehr der Erfassung der
Wirklichkeit, und zwar auch und gerade der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit.²⁹
Eben darum geht es nämlich im Philebos: Es soll sich zeigen, ob die Lust oder das
Wissen derjenige Seelenzustand ist, der den Menschen zu einem glücklichen
Leben verhilft. Und dazu, so der Vorschlag des dort ‚wiedererstandenen‘ Sokrates,
bedarf es eigentlich der ‚dialektischen‘ Behandlung von Lust und Wissen: man

 Athenaeus Deipnosophistae II, 59d–f.


 Auch die Beschreibung der dialektischen Methode von Zusammenfassung und Aufteilung im
Phaidros spricht gegen die Annahme, es gehe um reine Begriffszergliederungen, 265d–266c.
 Zum dialektischen Verfahren im Philebos vgl. Frede (1997) 130 – 167.
154 Dorothea Frede

muss sehen, was ihre Einheit konstituiert und welche Art Vielheit sie enthalten,
um entscheiden zu können, ob und welche von ihnen gut und schlecht sind.
Schon allein dieses ‚praktische‘ Interesse zeigt, dass es Platon nicht um reine
Begriffsverhältnisse geht, und die Tatsache, dass die Lust als Wiederherstellung
des natürlichen harmonischen Gleichgewichts in Körper und Seele definiert wird,
zeigt an, dass die Sinnenwelt hier nicht verlassen wird, sondern es vielmehr um
die Struktur geht, auf der die Sinnendinge beruhen. Analoges gilt auch für den
Timaios, der ja gerade die Sphären des Veränderlichen und des Unveränderlichen
zusammen bringt und erklärt, dass die Menschen für dieses Verständnis von den
Göttern mit den Augen ausgestattet worden sind (Tim. 47a–e).³⁰
Jaeger hält dagegen nicht nur an der Vorstellung von zwei Welten bei Platon
fest, sondern meint zudem, dass sich daran auch in seinem Spätwerk letztlich
nichts geändert hat: „So ernstlich Platon in seiner letzten Periode mit der Frage der
doxa gerungen hat, er vermochte von der Idee aus das individuelle Sein der Er-
fahrung nicht zu erfassen. Die Physik war für ihn eine bloße Anhäufung von ei-
kotes mythoi.“ (Jaeger (1923) 407) Dass Platon für die veränderliche Welt nur
‚wahre und verlässliche Meinungen‘ angenommen hat, ist für den Timaios aus
nicht zu bestreiten (37b). Ob er den Menschen aber sicherere Erkenntnisse der
unveränderlichen Grundprinzipien zusprechen will, ist ungewiss, wie seine Zu-
rückhaltung in Hinblick auf die tatsächlich herrschenden mathematischen Ver-
hältnisse zeigt.
Dieser kritische Einwand ändert nun nichts an der Berechtigung von Jaegers
Einschätzung, dass Platon an eine Universalwissenschaft nicht gedacht hat, d. h.
er das dialektische Verfahren überall in derselben Weise anwenden und die
Einzelwissenschaften in einer einzigen Wissenschaft aufgehen lassen wollte. Man
muss vielmehr die jeweilige Materie kennen, um dieses Zergliederungs- und Zu-
sammenführungsverfahren anwenden zu können – und selbst wenn es einen
‚überall erfahrenen Menschen‘ geben sollte, der dazu in der Lage wäre, dies auf
allen Gebieten durchzuführen, so würde das dennoch die Unterschiede etwa
zwischen Musik, Grammatik und Mathematik nicht aufheben. Wie Jaeger es
ausdrückt:³¹

Eine vollständige Durchdringung aller Wissenschaften, die doch jede ein eigenes Form-
prinzip und eine Seele für sich haben, mit dem Universalgeist einer bestimmten Philosophie
ist in Perioden, wo die Forschung lebendig sich entwickelte, niemals Wirklichkeit gewesen.

 Zu Platons naturwissenschaftlichem Interesse and ihren empirischen Grundlagen vgl. Joh-


ansen (2004) und Schäfer (2005).
 Jaeger (1923) 19.
Jaegers Platon 155

Die Entstehung der aristotelischen Metaphysik führt Jaeger auf eine ‚innere
Spannung zwischen intellektuellem Gewissen und religiösem Weltanschau-
ungstrieb‘ zurück, in der er das Neue und Problematische in der philosophischen
Persönlichkeit des Aristoteles sieht (403). Dieser Zwiespalt bei Aristoteles ent-
springe aus dem „Zusammenbruch der wissenschaftlichen Form, in der Platon die
neue Realität des Übersinnlichen begründet hatte und in der sich einen Augen-
blick lang überschwänglichstes Erlebnis des Unerfahrbaren mit exakter Wissen-
schaft restlos zu decken schien.“ (Jaeger (1923) 404) So meint Jaeger, „die oberste
Monade, für Platon die exakteste Norm und der denkgewissteste Gegenstand des
Geistes, werde für Aristoteles das letzte und schwierigste der Probleme.“ (ibid.
404) Es ist aber schwer zu sehen, wie die Behauptung einer solchen ‚Deckung‘ bei
Platon mit dessen Erklärung über die schwere Fassbarkeit der Idee des Guten
vereinbar ist (Resp.VII 517c ‚mogis horatai‘) wie auch mit der Tatsache, dass Platon
noch im Philebos sagt, das Gute lasse sich nicht in einer Form fassen, sondern nur
als Dreiheit – als Schönheit, Maß und Wahrheit (Phil. 64e–65a).
Auch für Aristoteles will Jaeger aber nur von einer ‚teilweisen Durchdringung‘
durch die Metaphysik sprechen. Auch darin ist ihm Recht zu geben, denn Ari-
stoteles sieht zwar in der Metaphysik die Lehre ‚vom Seienden qua Seiendem‘,
meint aber nicht, dass damit mehr als das Fundament für die Erfassung der
Wirklichkeit in ihren allgemeinen Zügen gegeben ist. Die Eigenständigkeit der
einzelnen Wissenschaften, die es mit verschiedenen Arten von Seiendem zu tun
haben, wird dadurch nicht aufgehoben, im Gegenteil. Bekanntlich zeichnen sich
für Aristoteles die verschiedenen Wissenschaften durch ihre je eigenen Gegen-
stände aus und nach ihnen richten sich sowohl die Prinzipienforschung wie auch
die Methodenlehre.
Mit den Texten Platons und Aristoteles’, auf die er sich beruft, nimmt Jaeger es
oft nicht so genau, wie sich aus einzelnen Behauptungen nachweisen ließe. So
meint er, je nach der platonischen Problemstellung bestehe die Eudaimonie
entweder in der arete oder in der hedone oder in der phronesis. Der Philebos zeige,
wie sich in der philosophischen Untersuchung bei Platon das Problem der hedone
verselbständigt und einen eigenen Kreis gebildet hat, den die Frage nach der
phronesis, der arete und der eudaimonia nur tangential berühre. (401) Dabei steht
im Philebos doch gerade das Verhältnis von Lust und Vernunft als den Konstitu-
enten der eudaimonia im Mittelpunkt und wird auch einer Lösung zugeführt.³²
Außerdem ist es ein altes Thema bei Platon, das erklärt, warum Sokrates hier noch
einmal als Gesprächsführer auftritt.

 Zur Thematik des Philebos – dem Wettstreit zwischen Lust und Wissen (Phil. 11a–14b) und
seiner Lösung (Phil. 59d, 67b) vgl. Frede (1997) 98 – 111; 342– 372.
156 Dorothea Frede

Auch sonst spricht Jaeger von einer Verselbstständigung gewisser Fragestel-


lungen in Platons Dialogen wie etwa in der Behandlung der Freundschaft, von der
er meint, sie manifestiere sich auch noch in der Separierung der Erörterung der
Freundschaft bei Aristoteles (Eth. Nic. VIII, IX). Dass Aristoteles gute sachliche
Gründe hat, die Freundschaft nicht als eine Charaktertugend zu behandeln, sie
aber durchaus mit ihr verbinden will, berücksichtigt Jaeger dabei nicht.
Obwohl Jaeger das Visionäre an Platon immer wieder hervorhebt, lehnt er es
doch ab, in ihm eine Art von Mystiker zu sehen. Er betont vielmehr nur den
‚Abstand‘, den man bei Platon gegenüber der gesamten damaligen Wissenschaft
spürt. Auch sei Platon durch Sokrates mit dem Element der phronesis in den ‚von
griechischer Wissenschaft und Philosophie bis dahin unentdeckten Bereich des
absoluten sittlichen Normbewusstseins‘ vertraut gemacht worden, der einen
neuen ‚überempirischen Begriff der inneren Anschauung‘ erforderte:³³

Indem Platon die sokratische phronêsis auf ein übersinnliches Sein als Objekt bezog und
dieses als ‚Gestalt‘ fasste, führte er zwei weitere Elemente in die sokratische Gedankenwelt
ein, die der damaligen Wissenschaft fremd waren. Das eine war das Eidos, das Ergebnis einer
langen künstlerischen und visuellen Entwicklung des griechischen Geistes, das andere war
die längst abgetane begriffliche ousia-Spekulation, der er durch das Problem des Einen und
Vielen neue Nahrung und durch die Konzeption der Ideen einen lebensvoll anschaulichen
Inhalt gab.

Jaeger sieht also in der Idee des Guten, mit gewissem Recht, die wichtigste Erb-
schaft des Sokrates bei Platon und in der Konzeption von Eidos/Idea eine bereits in
der griechischen Tradition angelegte Tendenz, die Platon mit der – auf Parmenides
zurückgehenden – Seins-Spekulation verband. Es ist keine Frage, dass diese drei
Begriffskreise – 1. absolute Norm, 2. Eidos/Idea. 3. Ousia – auch von Aristoteles
aufgenommen und in je eigener Weise umgestaltet worden sind. Als 4. Faktor
bringt Jaeger noch den von ihm als ‚orphisch‘ bezeichneten Seelenmythos ins
Spiel: „dem Platon nach seiner ganzen Lebensstimmung zuneigte und der in dem
Nährboden des neuen, übersinnlichen Seinsbegriffs kräftige Wurzeln schlug,
getränkt von Platons mythenbildender Phantasie.“ (21) Vor allem diese Seite
Platons hat, so Jaeger, ihren Einfluss auf Aristoteles nicht verfehlt:³⁴

[…]zunächst gab er sich dem unteilbaren Ganzen dieser unvergleichlichen Welt, wie die Reste
seiner ersten Schriften zeigen, mit ungeteilter Seele hin, und gerade die nichtwissen-
schaftlichen Elemente in Platons Philosophie, das Metaphysische und das Religiöse, haben
am tiefsten und dauernd ihre Spur in sein Innerstes eingegraben. […] Seine spätere Pro-

 Jaeger (1923) 20.


 Jaeger (1923) 21– 22.
Jaegers Platon 157

blematik erwuchs größtenteils aus dem inneren Widerstreit mit seiner methodisch-wissen-
schaftlichen Anlage, in die sie ihn versetzten, und ihre Stärke zeigt sich am schönsten darin,
dass er sie niemals geopfert hat,während er wissenschaftlich überall über Platon hinausging.

Die Verbindung von Metaphysik und Theologie ist Aristoteles in gewisser Weise
geblieben. Denn dass es im Universum wie im Menschen etwas Göttliches gibt –
und dass dieses Göttliche, der Unbewegte Beweger, zugleich der Urgrund aller
Dinge ist, hebt Aristoteles in der Tat verschiedentlich hervor und stellt für die
menschliche Fähigkeit höheren Denkens zumindest eine Verwandtschaft mit dem
Göttlichen fest.
Auf die Zeugnisse für eine Mathematisierung von Platons Ideenlehre und die
Prinzipienlehre des Einen und der Unbestimmten Zweiheit geht Jaeger auch in der
Grundlegung nicht weiter ein, wenn er sie auch im Folgenden gelegentlich er-
wähnt. Auch die sog. Esoterik lässt er daher beiseite, obwohl er mit dieser The-
matik aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit der Metaphysik bestens ver-
traut war.³⁵ Denn die Metaphysik enthält dafür nicht nur die frühesten, sondern
auch die umfangreichsten Zeugnisse, vor allem wenn man dazu noch die Frag-
mente aus Alexander von Aphrodisias’ Kommentar heranzieht. Jaeger sieht aber in
der Beschäftigung mit der Mathematik eine besondere Tätigkeit, der Platon zwar
Interesse entgegengebracht hat, die aber – von gewissen Anleihen abgesehen −
keine besonderen Auswirkungen auf den Kern seiner Philosophie hatte. Von
Aristoteles meint Jaeger überdies seltsamerweise: „Für die in der Akademie ge-
pflegten mathematischen Studien fehlte ihm Neigung und Anlage, soweit es sich
nicht um das Elementare handelt.“ (19 – 20) Woraus Jaeger das schließt, bleibt
unklar. Denn da Aristoteles die Mathematik in den Analytica Posteriora als die
paradigmatische strenge Wissenschaft behandelt hat, sind ihre Auswirkungen auf
ihn offensichtlich. Der Umgang mit bedeutenden Mathematikern wie Theaitetos,
Eudoxos und anderen dürfte allerdings sowohl bei Platon wie bei Aristoteles das
Bewusstsein dafür geschärft haben, dass kreative Mathematik Sache einer be-
sonderen Begabung ist.³⁶ Wenn Aristoteles einmal sagt, ein Kind könne Mathe-
matiker werden, weil Mathematik eine abstrakte Wissenschaft ist, die anders als
die Philosophie keine Erfahrung erfordert, so meint er sicher nicht, Mathematik sei

 Auf Jaeger (1912) wird hier nicht rekurriert, weil er sich dort weitgehend auf Aristoteles kon-
zentriert.
 Von Theaitetos, dem jüngeren Freund und Kollegen Platons, stammte u. a. die ‚Entdeckung‘
der fünf ‚platonischen‘ regelmäßigen Körper. Eudoxos hat anscheinend für Platon die Aufgabe
gelöst, die Bewegungen der Planeten mit Hilfe konzentrischer zusammengesetzter Kreisbahnen
darzustellen.
158 Dorothea Frede

ein Kinderspiel (Eth. Nic. VI 9, 1142a17). Vielmehr hat er sich, so wie Platon, in
Fachfragen auf Fachleute verlassen.
Die Entwicklungsgeschichte Platons vom ‚Mythenbildner‘ zum ‚Organisator
der Wissenschaften‘ spiegelt sich für Jaeger auch in der Form der Dialoge wider:³⁷

In Platon ist der Gestaltungstrieb ursprünglich das Primäre. Er schreibt nicht um der in-
haltlichen Darstellung seiner Lehre willen. Ihn reizt es, den philosophischen Menschen in
dem dramatisch fruchtbaren Moment des Suchens und Findens, der Aporie und des Konflikts
sichtbar zu machen. […] Philosophie ist, wie Platon sie ursprünglich versteht, nicht ein Feld
theoretischer Entdeckungen, sondern Neubildung aller grundlegenden Lebenselemente.
Man denke z. B. an das Duell zwischen dem Sokrates des ‚Gorgias‘ mit Kallikles, dem Vertreter
der egoistisch-machtpolitischen Staats- und Gesellschaftsauffassung oder an die paradoxe
Philosophenschilderung des Theätet. […] Niemals gibt er bloß theoretische Meinungsver-
schiedenheiten in stilistischer Maske, wie es die Nachahmer tun.

Zur Zeit des Eintritts des jungen Aristoteles in die Akademie waren Platons Dialoge
nun nicht mehr das, was sie früher gewesen waren:³⁸

In der Entwicklung der Form Platons ist die Gruppe von Dialogen, die durch den dem Eintritt
des Aristoteles in die Akademie gleichzeitigen Thaeätet eingeleitet wird, durch eine Kluft von
den früheren getrennt, wie sie inhaltlich eine Verschiebung des Schwergewichts seiner
Philosophie nach einer Seite des Methodischen und analytisch Abstrakten ankündigt. Das
harmonische Gleichgewicht des künstlerischen und des philosophischen Elements ist in
diesen späteren Werken zugunsten des wissenschaftlichen Inhalts gestört. Im Theätet steigen
zuerst Disharmonien auf, feineren Ohren vernehmbar. […] Wer auch im Methodischen und in
abstrakter Gedankenentwicklung eine Schürzung des Knotens zu empfinden weiß, wird zwar
auch hier den Dramatiker in Platon wiederfinden. Aber bei aller Zuspitzung des logischen
Aufbaus ist es verdächtig, dass der Theätet den modernen Philosophen meist als das ‚wis-
senschaftliche Hauptwerk‘ Platons erschienen ist. (24 f.)

Wie man sieht, ist es in Jaegers Augen eigentlich bedauerlich, dass bei Platon
schließlich die Systematik über die Dramatik gesiegt hat. Nun lässt sich in der Tat
nicht bestreiten, dass in manchen der Spätdialoge das Interesse an Begriffsklä-
rung und Methodenüberlegungen so sehr überwiegt, dass die Dialogform nur
noch pro forma aufrechterhalten wird. Im Timaios wird sie ganz aufgegeben, denn
nach dem Eingangsgespräch hält Timaios schlicht einen Vortrag. Es ist aber an-
zumerken, dass auch der überwiegende Teil der Politeia monologischen Charakter
hat und von dramatischer Spannung dort nichts mehr zu merken ist. Glaukon und
Adeimantos greifen in die Diskussion nur am Anfang des zweiten Buchs aktiv ein.
Platon hat sich also schon sehr viel früher, als Jaeger behauptet, die Freiheit

 Jaeger (1923) 24.


 Jaeger (1923) 24– 26.
Jaegers Platon 159

genommen, den Dialogcharakter zugunsten des Inhalts einzuschränken.³⁹ Das sei


nur nebenbei erwähnt, um daran zu erinnern, dass Platon auch in manchem
seiner früheren Werke auf Dramatik keinen Wert legt, sondern fortlaufende Er-
klärungen liefert. Man erinnert sich freilich eher an das Dramatische als an das
Undramatische.
Dennoch wird man Jaeger zugeben, dass sich Platon zunehmend um Be-
griffsklärungen bemüht, wie etwa im zweiten Teil des Parmenides, im Sophistes
und Politikos, bzw. um das Abschreiten großen Themenkreise, wie im Timaios und
in den Nomoi. Wie Jaeger dazu anmerkt: „Das Absterben der großen Kunst des
klassischen platonischen Gesprächsthemas war nur eine Frage der Zeit, seine
Wurzel war nicht mehr lebendig. An diesem Punkt setzt der junge Aristoteles ein.“
(26) Freilich sei damit zunächst noch keine sachliche Distanz gegeben, sondern
Aristoteles hat wie alle ‚Akademiker‘ Dialoge geschrieben und die Dialogform
fortgebildet – allerdings in der Form von wissenschaftlichen Dikussionsdialogen,
die das wissenschaftliche Leben in der Akademie widerspiegelt. (27) Es war also
nicht Aristoteles, der den Verfall des Dialogs zu verantworten hatte, sondern
vielmehr Platon selbst, weil „das Wissenschaftliche in Platon seine Form zum
Schluss gesprengt und sich dienstbar gemacht hat.“(28)
Den Dialogen des jungen Aristoteles wie dem Eudemos und dem Gryllos
schreibt Jaeger eine Vielfalt an Formen zu, wie auch das Aufnehmen von Mythen
und die Konstruktion elenktischer Gespräche, und schließt aus der Tatsache, dass
Alexander von Aphrodisias mit diesen Dialogen nichts anzufangen wusste, dass
sie keine Vorformen der aristotelischen Lehre gewesen sind. Überhaupt will Jaeger
von einem ‚Abfall‘ des jungen Aristoteles von seinem Lehrer nichts wissen (33 –
34). Vielmehr besteht für Jaeger bei ihm eine starke Affinität zu Platon und er
meint, dieser Einfluss habe Jahrzehnte angehalten. Dies gilt auch in religiöser
Hinsicht: In der religiösen Bewegung des Hellenismus hätten Aristoteles’ Früh-
schriften „fast mehr bedeutet als Platons durchaus unerbauliche, unnahbar ob-
jektive Kunst“. (31)

5 Der Einfluss Platons auf den jungen Aristoteles:


Eudemos und Protreptikos
Obwohl Jaeger von starken Veränderungen in Platons Philosophie zum Analy-
tisch-Begrifflichen hin ausgeht, sieht er in Aristoteles’ frühen Werken, Eudemos

 Auch der Gorgias endet mit einem langen Selbstgespräch des Sokrates, nachdem Kallikles
nicht mehr mitspielen will (Gorg. 506c–527e).
160 Dorothea Frede

und Protreptikos, keine Zeugnisse für diese Veränderung. Der Eudemos nahm
Elemente aus Platons Phaidon auf, da Aristoteles dort für die Unsterblichkeit der
Seele plädiert und auch andere Argumente verwendet hat, die stark an den
Phaidon erinnern:⁴⁰

Die Welt des Phaidon, Todesbereitschaft und Weltflucht, lebt in der Schrift des jungen Ari-
stoteles wieder auf. Das irdische Leben der Seele in den Fesseln der Leiblichkeit, das der
Phaidon mit einem Gefängnis vergleicht, wird ihm zu einer Zeit der Verbannung der Seele aus
dem ewigen Vaterland.

Nun übergeht Jaeger bei seiner Rekonstruktion des Eudemos aber nicht nur, dass
er selbst anfangs den Geist der Akademie zur Zeit von Aristoteles’ Eintritt in die
Akademie ganz anders gekennzeichnet hat und ihn von wissenschaftlich-syste-
matischem Forschungsinteresse geprägt sieht, das sich auch in Platons Spätwerk
manifestiert. Davon ist aber in der Rekonstruktion des Eudemos gar keine Rede.
Denn Jaeger behandelt ihn als Zeugnis für die ungebrochene Anhängerschaft von
Aristoteles an den Platon des Phaidon, auch was die metaphysischen Vorausset-
zungen angeht. Zudem geht er auf ein wichtiges Problem nur nebenbei ein: Ari-
stoteles’ Dialog kann nämlich deswegen kein wirkliches ‚Frühwerk‘ gewesen sein,
weil er erst nach dem Tod von Eudemos im Jahr 354 verfasst worden ist. Zu dieser
Zeit war aber Aristoteles bereits 34 Jahre alt und seit siebzehn Jahren Mitglied der
Akademie, d. h. er hat philosophisch gesehen längst eigene Wege eingeschlagen.
So erscheint Jaegers Unterstellung höchst problematisch, dass Aristoteles hier
fraglos noch den Dualismus von Leib und Seele, die Einheit der Seele und ihre
persönliche Unsterblichkeit sowie die Wiedererinnerungslehre des Phaidon ver-
treten haben soll. Denn Jaeger meint, dass Aristoteles’ Eudemos sich nur insofern
von Platon unterscheidet, als er die Kontinuität der persönlichen Seele mit dem
Bewusstsein verknüpft hat: die Seele erinnert sich zwar nach ihrer Wiederein-
körperung nicht mehr an das, was sie früher erlebt hat, nach ihrem Tod nimmt sie
aber die Erinnerung an das Diesseits mit ins Jenseits.
Diese Lehren passen jedoch schlecht zu Platons Spätwerk. Denn von der
Einheit der Seele kann schon in der Politeia nicht mehr die Rede sein. Kritische
Leser fragen sich daher bei der Lektüre des Schlussmythos in Buch X, ob es
wirklich die dreigeteilte Seele ist, die den Tod überlebt, und wie das zugehen soll.
Zwar vertritt Platon in seinen ‚mittleren‘ Dialogen in dieser Frage keine eindeutige
Haltung, wie etwa der Vergleich der Seele mit einem Wagenlenker und zwei
Pferden im Phaidros zeigt, die auch den Göttern zugeschrieben werden. Der Ti-

 Jaeger (1923) 38.


Jaegers Platon 161

maios ist jedoch in dieser Hinsicht eindeutig: nur die Vernunft ist unsterblich, die
beiden niedrigeren Seelenteile dagegen vergehen mit dem Körper (Tim. 69c–71e).
Auch über die anamnesis-Lehre hört man nach dem Phaidon nichts mehr. Und
es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Platon diese Lehre danach nicht mehr
vertreten hat. So findet sich in der Politeia keine Andeutung, dass der be-
schwerliche Weg aus der Höhle etwa durch Wiedererinnerung erleichtert wird.
Wozu sollte das sorgfältige Training der Philosophenkönige erforderlich sein – ein
Studium von insgesamt 15 Jahren, mit 10 Jahren mathematischer Vorstudien und 5
Jahren Dialektik –, wenn es auch einfacher ginge, weil geschicktes Fragen, wie im
Menon oder Phaidon, die Wiedererinnerung an vorgeburtliches Wissen wachrufen
kann? Vielmehr scheint es, als habe Platon die dialektische Methode als Ersatz für
die anamnesis-Lehre entwickelt. Statt von Wiedererinnerung spricht Sokrates im
Phaidros voll Bewunderung von denjenigen, die das dialektische Verfahren be-
herrschen, und schreibt ihnen einen gottartigen Status zu:⁴¹

Hiervon bin ich ein Liebhaber, Phaidros, von den Zerlegungen und Zusammenfassungen,
damit ich imstande bin, zu sprechen und zu denken. Und halte ich einen anderen für fähig,
die von Natur gegebene Einheit und Vielheit zu sehen, so folge ich auf seinen Spuren, als
wäre er ein Gott. Und ob ich nun die, die das können, richtig bezeichne oder nicht, das weiß
Gott, doch nenne ich sie bis zum heutigen Tag Dialektiker.

Und im selben Tenor spricht Platon auch noch im Philebos: ⁴²

Es ist ein Geschenk der Götter an die Menschen, oder so scheint es mir jedenfalls. Es wurde
einstens durch einen Prometheus mit einem hell strahlenden Feuer vom Himmel herabge-
schleudert […]. Die Götter haben uns aufgetragen, auf diese Weise zu forschen, zu lernen und
einander zu belehren.

Platon lässt dort keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Suche nach dem Einen
und der geordneten Vielheit um das philosophische Verfahren schlechthin han-
delt. Und schließlich: Im Timaios wird der Seele nur ein formales Gerüst mitge-
geben: es ist ein komplexes Gerüst aus Sein, Identität und Verschiedenheit. Dieses
Gerüst ist in der Seele der Menschen beim Eintritt in den Körper vorhanden; es
gerät zwar bei der Geburt in Unordnung und muss erst wieder in ein harmonisches
Verhältnis gebracht werden; von einem darüber hinausgehenden inhaltlichen
angeborenen Wissen ist aber nicht die Rede.
Diese platonischen Dialoge sind teils vor, teils während Aristoteles’ Studi-
enzeit entstanden. Als er den Eudemos geschrieben hat, müssen sie ihm aber alle

 Platon Phaidros 266b–c.


 Platon Philebos 16c–e.
162 Dorothea Frede

vorgelegen haben, denn Platon war damals bereits 76 Jahre alt. Aristoteles konnte
also eigentlich nicht über die gravierenden Veränderungen bei Platon hinweg-
gesehen haben. Dennoch unterstellt Jaeger den aristotelischen Dialogen das
konventionelle, einheitliche Platonbild, vor dem er selbst zuvor gewarnt hat. Dies
begründet er damit, dass Aristoteles auch in dieser Zeit, vor allem in religiöser
Hinsicht, weiterhin unter dem Einfluss Platons gestanden hat.⁴³
Die Ideenkritik und die Entwicklung der aristotelischen Seelenlehre verlegt
Jaeger daher erst in Aristoteles’ sogenannte ‚Wanderjahre‘, also in die Zeit nach
Platons Tod. Das ist aber angesichts der Tatsache wenig plausibel, dass die Ide-
enkritik in Metaphysik A9 noch während Aristoteles’ Akademiezeit verfasst wor-
den sein muss. Denn dort formuliert er seine Kritik an der Ideenlehre noch in der
‚Wir‘-Form und gibt damit zu verstehen, dass er sich selbst dieser Schule zu-
rechnet.⁴⁴ Zugleich zeugt dieses Buch jedoch davon, dass Aristoteles bereits den
Grundstock zu seiner eigenen Philosophie gelegt hatte; denn er rekurriert auf seine
Unterscheidung der vier Ursachen (Metaph. A 3, 983a24– b6) ebenso wie auf die
Kategorienlehre (A 8, 989b11– 12). Auch die beiden ‚exoterischen‘ Schriften Über
die Ideen und Über das Gute haben sich offensichtlich kritisch mit der platoni-
schen Ideenlehre und mit der Rolle der Idee des Guten im Besonderen ausein-
andergesetzt; sie dürften aus derselben, relativ frühen Zeit stammen.
Wie steht es dann aber mit Platonischem bei dem ansonsten Platon-kritischen
noch jungen Aristoteles? Dazu ist bemerken, dass wir über den Inhalt des Eudemos
nur wenig Information haben, außer dass Aristoteles dort eine Art kosmologi-
schen Gottesbeweises vorgeschlagen, der Seele im Angesicht des Todes prophe-
tische Gaben zugesprochen und wohl auch das vom Körper losgelöste Leben der
Seele gepriesen hat. Ob es sich dabei aber nur um den Geist handelt, wie beim
späteren Aristoteles, ist schwer zu sagen. Wenn dem so wäre, so stimmte Aristo-
teles darin völlig mit dem Platon des Timaios überein. Und wenn der Eudemos eine
Art Trostschrift war, dann mag Aristoteles es überhaupt offen gelassen haben, in
welchem Zustand die Seele sich nach ihrer Trennung vom Körper befindet und mit
welchen Gegenständen sie es zu tun hat.Von einer anamnesis-Lehre und von Ideen
ist jedenfalls in den wenigen eindeutig dem Eudemos zuzuordnenden Fragmenten
nicht die Rede.

 „Nichts zeigt deutlicher, wie tief Aristoteles im Spiritualismus wurzelt, als daß er auch nach
der Preisgabe der Ideenlehre noch eine Zeitlang den Seelenbegriff Platons und mit ihm ohne
Zweifel die Unsterblichkeitslehre festhält.“ Jaeger (1923) 166.
 In seiner Ausgabe der Metaphysik, Oxford 1957 versucht Jaeger dem allerdings entgegenzu-
treten, indem er in A 9 die ‚Wir‘-Form tilgt und der späteren Version in M 4 angleicht (vgl. dazu
Frede (2012) 269 – 270.
Jaegers Platon 163

Auch den Protreptikos betreffend, muss man zur Vorsicht raten, obwohl das
Material da viel reicher ist (Jaeger (1923) 53 – 102). Jaeger geht davon aus, dass diese
an den zyprischen Fürsten Themison adressierte ‚Werbeschrift‘ insofern ganz auf
dem Boden der platonischen Auffassung steht, als sie die Philosophie mit dem
bios theoretikos gleichsetzt, so dass auch ein Herrscher ‚metaphysische An-
fangsgründe‘ zu studieren hat.⁴⁵ Es spricht nun viel dafür, dass Aristoteles damit
auf die Schrift Antidosis des Isokrates geantwortet hat (353/2), in der dieser die
Vorzüge seiner eigenen, dem praktischen, politischen Leben zugewandten ‚Bil-
dungsphilosophie‘ hervorhebt und Kritik an der angeblich nutzlosen abstrakten
Philosophie der Akademie übt.⁴⁶ Angesichts dieses Angriffs musste es Aristoteles
daran gelegen sein, die ‚wahre‘ Philosophie mit einer Stimme sprechen zu lassen.
Für eine Diskussion strittiger Fragen innerhalb der Akademie war diese Schrift
daher nicht der Ort. Auch musste ihm an dem Nachweis gelegen sein, dass der
Besitz der höchsten Art von Wissen auch für die Politik und für die Lebensführung
überhaupt von größter Bedeutung ist. Das rechtfertigt aber nicht Jaegers Schluss,
dass Aristoteles damit die in der Politeia für die Philosophenkönige anvisierte
Ausbildung auf der Basis der Idee des Guten im Auge hat. Der Protreptikos setzt
vielmehr das metaphysische Prinzipienwissen von Metaphysik A als die letzte für
die Menschheit erreichbare Stufe mit dem Wissen vom höchsten Gut gleich. Denn
Aristoteles ist daran gelegen, auch die Nützlichkeit des Prinzipienwissens für das
Leben hervorzuheben. Von einem Philosophenkönig und dessen erhabenem
Wissen von einer jenseitigen Idee des Guten ist nicht die Rede. Das Prinzipien-
wissen wird vielmehr als die Grundlage der besten für den Menschen erreichbaren
Lebensweise und daher zugleich auch der lustvollsten dargestellt.

 „In seiner entschiedensten Form bleibt der bios theoretikos ein Postulat des geborenen
Forschertums, das nur immer wieder erlebt, aber wohl niemals vor dem gemeinen Menschen-
verstand gerechtfertigt werden kann.“ Jaeger (1923) 81. Ob das Lob des theoretischen Lebens in Eth.
Nic. X auf platonischen Einfluss zurückzuführen ist (73 Anm. 1) ist ebenso fraglich wie die Be-
hauptung, die junge Generation sei „ausschließlich in dieser Lebensferne aufgewachsen und
musste sich daher die Frage nach dem Wert des theoretischen Lebens von neuem stellen, so dass
„das ursprünglich so reformfreudige platonische Ideal so eine Wendung ins Kontemplativ-Reli-
giöse“ erhält. (83)
 Für eine viel spätere Datierung des Protreptikos plädiert Schneeweiß (2010) aufgrund des
Verweises auf die Grabinschrift des Sardanapal, die angeblich erst nach Alexanders Eroberungen
in Griechenland bekannt wurde, also frühestens im Jahr 332. Es fragt sich allerdings, warum
Aristoteles so spät und gewissermaßen unter den Augen Alexander d. Gr. eine solche Werbeschrift
an einen Kleinfürsten auf Zypern gerichtet haben sollte, der auch nach Schneeweiß’ Rechnung
damals erst 16 Jahre alt war. Die angebliche Grabinschrift dürfte eine frühere griechische Erfin-
dung gewesen sein, keine ‚Entdeckung‘ durch Alexander d. Großen (vgl. etwa die ‚Grabinschrift‘
für König Midas bei Platon, Phaidr. 264c–d).
164 Dorothea Frede

Aristoteles muss sich nun in diesem Punkt weder in völliger Übereinstimmung


noch in scharfem Gegensatz zu Platon gesehen haben. Denn in Platons Spätwerk
findet sich kein Philosophenkönig mehr. So weist der Politikos dem Staatsmann
die eher bescheidene Aufgabe zu, als ‚königlicher Weber‘ das Gewebe des Staates
zusammenzuknüpfen, indem er die Temperamente der Bürger auf die richtige
Weise zusammenflicht. (Polit. 305e–311c) Zwar muss der Staatsmann die richtige
Ordnung und ihre Prinzipien kennen, dass er aber zugleich auch der Philosoph ist,
der sich laut Sophistes auf die Beziehungen zwischen den megista gene versteht,
ist eher unwahrscheinlich. (Soph. 253b–254b) Nicht nur das: in den Nomoi ver-
zichtet Platon, wie gesagt, auf ein metaphysisches Herrschaftswissen ganz. Die
‚Hüter der Gesetze‘ müssen zwar über eine gute Bildung verfügen. Sie haben aber
weder alle Macht in den Händen, noch sind sie Philosophenkönige. (Leg.VI 751a–
752e) Vielmehr sollen alle Bürger hinreichend gebildet sein, um zu verstehen, dass
das Universum ein durch Vernunft geordnetes Ganzes ist.
Auch diese Einschränkungen von Platons Seite dürfte Aristoteles nicht ent-
gangen sein. Warum aber empfiehlt er dann einem Fürsten überhaupt einen bios
theoretikos? Auf Einzelheiten muss hier verzichtet werden. Wenn Aristoteles im
Protreptikos die theoria als Basis des Herrschaftswissens empfiehlt, so dürfte dies
den schlichten Hintergrund haben, dass es Aristoteles nicht daran gelegen ist,
seinem Adressaten etwa das Studium nur eines Teils der Philosophie zu emp-
fehlen, nämlich den der praktischen Philosophie. Es muss schon die ganze Phi-
losophie sein, einschließlich ihrer ersten Prinzipien. Dass diese ersten Prinzipien
sehr abstrakt und schwer zu verstehen sind, will er aber einem Laien nicht in aller
Deutlichkeit vor Augen führen. Mit anderen Worten, aus der unbestreitbaren
Platon-Nähe dieser Schrift, einschließlich ihrer Sprache, lässt sich nicht schlie-
ßen, dass Aristoteles in allen Punkten noch ein überzeugter Platoniker war. Ins-
besondere lässt sich nicht schließen, dass er noch der platonischen Lehre der
mittleren Jahre anhing, wie die von der Identität von höchstem Sein und höchstem
Gut oder von der Unsterblichkeit der Seele.
In gewissem Umfang räumt das auch Jaeger ein, denn er ignoriert ja die
Veränderungen der späteren Ideenlehre nicht, insbesondere was die Mathema-
tisierung der Ideenlehre angeht, die sich in der Platon-Kritik in Aristoteles’ Me-
taphysik widerspiegelt. Auch erwähnt Jaeger Unstimmigkeiten innerhalb der
Akademie in dieser Frage (Jaeger (1923) 96 – 97). Dennoch meint er, der Protrep-
tikos enthalte das für Aristoteles an der Arbeit der Akademie Wesentliche. Und
damit erklärt er auch, warum das Sokratische im Protreptikos nicht zum Ausdruck
Jaegers Platon 165

kommt, sondern vielmehr andere Philosophen wie Pythagoras, Anaxagoras oder


Parmenides als Archegeten genannt werden:⁴⁷

In diesem Forscherkreise ist das aristotelische Lebensideal, der theoretikos bios geboren,
nicht in der buntbewegten Palästra des Lysis und Charmides, sondern in der kalybe im
abgeschiedenen Garten der Akademie. […] Der platonische Sokrates war eine Schöpfung des
künstlerischen Gestaltungstriebes gewesen, der Pythagoraskult der Akademie, eines der
merkwürdigsten Beispiele religiöser Autosuggestion, war eine Spiegelung der Akademie und
ihrer Zahlenmetaphysik in der halb mythischen Persönlichkeit des Pythagoras, den man als
den Stifter des bios theoretikos pries und auf den man bald auch die Anschauungen der
eigenen Zeit und Schule frei übertrug.

Von einer besonderen Pythagoras- Verehrung kann im Protreptikos aber gar nicht
die Rede sein. Zwar verweist Aristoteles auf die Pythagoreer als Zeugen dafür, dass
das Studium der Weltordnung als das Wichtigste im Menschenleben anzusehen
ist. Entsprechendes schreibt er in Eth. Eud. und Eth. Nic. aber unter anderen auch
Anaxagoras zu; zu philosophischen Vorbildern kat’ exochen macht er sie jedoch
nicht.⁴⁸
Folglich gibt es keinen Grund, den Protreptikos als besonders Platon-nah und
sehr früh, Metaphysik Buch A dagegen als Platon-kritisch in eine wesentlich
spätere Zeit zu verlegen und Aristoteles, was seine eigene Philosophie angeht, zum
Spätentwickler zu machen, der erst im zarten Alter von 40 Jahren zu seiner eigenen
Philosophie gefunden hat. Vielmehr ist der Protreptikos eine allgemein gehaltene
Schrift, im Geiste der Akademie aus der Zeit kurz vor Platons Tod, in der Aristoteles
sich nicht gescheut hat, auch seine eigene Terminologie zu verwenden und eigene
Gedanken vorzustellen, soweit ihm das angemessen erscheint.

6 Die Unvermeidlichkeit des ‚Platonismus‘


Abschließend sei festgestellt, dass Jaeger generell dazu neigt, in seiner Rekonstruk-
tion der Entwicklung des Aristoteles von einem einheitlicheren Platonbild auszuge-
hen als es seiner ursprünglichen Einschätzung der Vielfalt von Platons Philosophie
entspricht. Denn er sieht zwar, dass in den Spätdialogen, vor allem im Philebos, mit
peras und apeiron eine neuartige Basis für die Ideenlehre eingeführt wird. Weiter-

 Jaeger (1923) 98 – 99.


 In Eth. Nic. werden nur die Pythagoreer, nicht Pythagoras teils zustimmend, teils kritisch
angesprochen (I 4, 1096b5 – 6; II 5, 1106b29 – 30; V 8, 1132b21– 28); Anaxagoras dient als Zeuge für
die Vorzüge der theoretischen Lebensweise (X 9, 1179a13 – 16). In Eth. Eud. wird auf die Pythagoreer
gar nicht, auf Anaxagoras in derselben Weise verwiesen wie in Eth. Nic. X.
166 Dorothea Frede

gehende Schlüsse zieht er daraus jedoch nicht. So sieht er z. B. in der Unterscheidung


zwischen Werden und Sein im Philebos einen Beleg für die grundsätzliche Unter-
scheidung zwischen Werden und dem ‚reinem Sein der Ideenwelt‘: ⁴⁹

Der Genesis setzt der Philebos (53c ff.) zugleich als höchstes Ziel und als vollendeten Ge-
gensatz das reine Sein der Ideenwelt entgegen. Aller Wert, alles Vollkommene, alle Abso-
lutheit ist auf Seiten des Seins, alles Schlechte, Mangelhafte, Bedingte ist beim Werden.

Dabei übersieht Jaeger jedoch, dass an dieser Stelle im Philebos das ‚Sein‘ das Ziel
von Werdeprozessen verstanden wird, wie etwa das Beispiel des Schiffsbaus und
des Schiffs veranschaulicht. (Phil. 54a) Es gibt also auch im Bereich von Verän-
derlichem – jedenfalls temporär – harmonisch geordnetes, stabiles Seiendes. Von
der Schlechtigkeit des Werdens und der Vollkommenheit ‚transzendenter Ideen‘
ist hier gar nicht die Rede. Auch unterstellt Jaeger Platon aufgrund des Philebos,
dass er das ‚reine Philosophieren‘ ebenso wie Aristoteles für eine besonders
lustvolle Angelegenheit hält:⁵⁰

Dass in einem Protreptikos, der die platonische Erkenntnis als die wahre Seligkeit nach-
weisen will, die in der Akademie herkömmliche Auseinandersetzung über das Verhältnis von
phronesis und hedone gehört, ist eigentlich selbstverständlich, da die These auf anderem Weg
nicht zu beweisen ist […]. Dieses Problem, das schon im Staate und dann im Philebos
ausführlich gehandelt worden war, ließ sich bei der Begründung eines Lebensideals des
reinen Schauens gar nicht ausschalten.

Jaeger übersieht dabei, dass Platon im Philebos die Lust als Ausgleich für einen
Mangel bzw. als eine Wiederherstellung eines harmonischen Gleichgewichts versteht
und daher nur im Lernen, nicht im Wissen eine lustvolle Angelegenheit sieht.⁵¹ Eben
darin unterscheidet sich Platons Lustbegriff im Philebos von der aristotelischen
Konzeption der Lust als ‚ungehinderter Tätigkeit‘ in Eth. Nic. VII 12– 15.
Für Jaeger ist es eine ausgemachte Sache, dass Aristoteles zunächst ‚den
dualistischen und absolutistischen Standpunkt Platons’ geteilt hat, um sich erst
sehr viel später davon abzuwenden. Dass der sehr junge Aristoteles dies zunächst
getan hat, ist zwar möglich, über seine Anfangsjahre wissen wir aber schlicht gar
nichts. Nicht nur war Platons Lehre Gegenstand von Auseinandersetzungen in-
nerhalb der Akademie, wie auch Jaeger betont, sondern Platon war nicht der
einzige Lehrer an der Akademie und zur Zeit von Aristoteles’ Eintritt in die Schule

 Jaeger (1923) 47.


 Jaeger (1923) 67.
 Jaeger überträgt offensichtlich die Darstellung der Lust in der Politeia IX, wo dem Philoso-
phenkönig 729 mal mehr Lust zugesprochen wird als dem Tyrannen (587a–e) auf den Philebos.
Jaegers Platon 167

für längere Zeit in Sizilien. Ob und wie lang Aristoteles ein bedingungsloser An-
hänger der Lehre Platons gewesen ist, bleibt daher eine offene Frage.
Da Jaeger darauf verzichtet, bei seiner Rekonstruktion der Entwicklung des
jungen Aristoteles auf die Veränderungen näher einzugehen, die nach seiner ei-
genen Darstellung für Platons Philosophie zur Zeit von Aristoteles’ Eintritt in die
Akademie charakteristisch waren, lässt sich auch aus der Grundlegung nur
schemenhaft rekonstruieren, wie Jaeger die spätere und späte Lehre Platons in-
terpretiert und beurteilt hat. Eines ist Jaeger freilich einzuräumen: Auch Aristo-
teles selbst hat in seiner Kritik die Ideenlehre des Phaidon und der Politeia nie ganz
aus den Augen verloren. Denn seine berühmte Ideenkritik in Metaph. A 9 ist eine
seltsame Kombination: Ihr erster Teil gilt weitgehend der frühen Form der
Ideenlehre und betrifft deren ‚Abtrennbarkeit‘ und ‚Vorbildhaftigkeit‘. (bis 991b9)
Ihr zweiter Teil dagegen gilt der Mathematisierung der Ideenlehre, deren Zu-
sammenhang mit der Ideenlehre bis heute Gegenstand von Kontroversen ist.⁵² In
seiner Bearbeitung dieses Textstücks in Met. M gibt Aristoteles aber zu verstehen,
dass es sich dabei um zwei verschiedene Theorien handelt, die ursprünglich gar
nichts mit einander zu tun hatten: (Met. M 4, 1078a9 – 12)

Was nun aber die Ideen angeht, so müssen wir als erstes die Ideenlehre selbst untersuchen,
ohne sie mit der Natur der Zahlen in Verbindung zu bringen, sondern so, wie sie am Anfang
diejenigen verstanden, die als erste behaupten, es gebe Ideen.

Jaeger ist also in guter, aristotelischer Gesellschaft, wenn er es schwer findet, dem
späten Platon etwas anderes als die Ideenlehre seiner frühen Jahre zu unterstellen.
Die einzelnen Ur-Disziplinen bei Aristoteles, die für Jaegers Entwicklungs-
geschichte zentral sind, und die Frage ihrer Fundierung bei Platon sind hier nicht
weiter behandelt worden. Das hätte eine allzu weitläufige Diskussion erfordert.
Stattdessen sollte nur der Nachweis erbracht werden, dass Jaeger sich zwar der
großen Veränderungen bei Platon bewusst war, von denen die späten Dialoge
zeugen, aber gleichwohl doch auch dem traditionellen Platonbild verhaftet ge-
blieben ist. Jaeger steht damit natürlich nicht allein, sondern befindet sich in guter
Gesellschaft. Denn so wie Aristoteles sich immer wieder auf die Ideenkonzeption
des früheren Platon bezieht, so tun das die meisten von uns auch heute noch. Das
liegt nun nicht allein an der Hartnäckigkeit einer einmal etablierten Kanonik,
sondern auch daran, dass sich Platon in seinen späteren Werken nicht mehr klar
über den Status der Ideen geäußert hat. Inwiefern mit seinen Methodenüberle-
gungen und der Untersuchung mathematischer Strukturen auch Veränderungen
seiner Konzeption des Wesens der Dinge, d. h. der Ideen, einhergegangen ist, ist

 Vgl. Crubellier (2012).


168 Dorothea Frede

daher Sache von Spekulation, in der Aristoteles uns anscheinend nicht sehr viel
voraushatte. Daher bleibt Platon für uns in dieser Hinsicht das Rätsel, das er
anscheinend auch für seine Zeitgenossen und Mitstreiter war.
Wenn hier vielfach kritische Töne an Jaegers Platon angeschlagen worden
sind, weil er kein Philosoph nach dem Herzen der meisten Philosophen ist und oft
sehr großzügig mit den Texten umgeht, so darf man doch zweierlei nicht aus dem
Auge verlieren: Da ist zum einen der Zeitgeist: Vollmundig anmutende Generali-
sierungen und Beurteilungen liegen Jaegers Zeit näher als der unsrigen. Daher
sollte man diese Auswüchse nicht überbewerten und darüber vor allem nicht
Jaegers großes Verdienst aus den Augen verlieren. Er hat dem auch zu Anfang des
20. Jh. noch dominanten Bild von Aristoteles als einem ‚Systembildner‘ ein Ende
gemacht und in detaillierter Feinarbeit nachgewiesen, dass dessen vielschichtige
Texte keine fertigen Lehrmeinungen, sondern vielmehr die Ergebnisse von jahr-
zehntelangen Forschungen und Reflexionen enthalten, mit Einschüben und
Nachträgen, für die Aristoteles nirgends den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Dass Aristoteles’ Leben eine Akademiezeit, Wanderjahre und eine Meisterzeit
umfasst, in der er seine eigene Schule geleitet hat, wird niemand bestreiten
wollen, auch wenn in dieser Dreiteilung die Gefahr von Stereotypisierungen und
problematischen Zuschreibungen liegt, die jeweils durch das eigene Urteil über
plausible Entwicklungslinien bestimmt werden.
So unterschiedlicher Meinung man daher über die Resultate von Jaegers
Untersuchungen im Einzelnen sein kann, sollte man nicht vergessen, dass er
Pionierarbeit geleistet hat. Dies wird oft in der Jaeger-Kritik nicht mehr hinrei-
chend berücksichtigt. Zudem hat er auch in vielen seiner einzelnen Beobach-
tungen bzw.Vermutungen Recht, eine Tatsache, die Interpreten oft entweder nicht
mehr zur Kenntnis nehmen oder doch nicht sagen wollen, weil sie das Stigma der
Jaeger-Anhängerschaft fürchten. Eine solche ‚Stigmatisierung‘ sollte sich aber auf
diejenigen beschränken, die Jaeger unkritisch folgen.

Literaturverzeichnis
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Frede (2012): Dorothea Frede, „The Doctrine of Forms under Critique – Part I“, in: Carlos Steel
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Werner Jaeger reconsidered. (Proceedings of the second Oldfather conference, Held on
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Schneeweiß (2010): Gerhard Schneeweiß, „Die Überlieferungen von Themison und
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Steel (2012): Carlos Steel: „Plato as seen by Aristotle“, in: C. Steel (Hg.), Aristotle’s
Metaphysics Alpha. Symposium Aristotelicum, Oxford, 167 – 200.
Mirjam E. Kotwick
The Entwicklungsgeschichte of a Text:
On Werner Jaeger’s edition of Aristotle’s
Metaphysics
Immer nur zu werden, nie zu sein
war höchste Bestimmung dieser Schriften.
Jaeger 1912

1 Introduction
Aristotle’s Metaphysics pervades and marks Werner Jaeger’s academic life like no
other work: the first part of his 1911 dissertation contains emendations of passag-
es of the Metaphysics; the second part appears in 1912 as Studien zur Entste-
hungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles. With this study Jaeger lays the
foundation for his own conception of Aristotle’s work and, in particular, of its
genesis. Two articles with critical notes on and emendations of the text of the
Metaphysics follow in 1917 and 1923. In his 1923 study, Aristoteles, Grundlegung
einer Geschichte seiner Entwicklung, the Metaphysics is portrayed as a work
whose divergent parts reveal different stages of Aristotle’s intellectual develop-
ment. These studies represent crucial steps in Jaeger’s own development as a
scholar on the way to his edition of the Metaphysics for the Oxford Classical
Texts series, which is published in 1957. And, finally, it is a passage in Metaphy-
sics A 9 on which Jaeger works until his death in 1961—with his article “We say in
the Phaedo” appearing posthumously in 1965.
In this paper, I will trace Jaeger’s own development as an editor of the Meta-
physics with a view to analyzing the principles upon which his edition rests.
I will show how Jaeger’s evolutionary interpretation of Aristotle’s thought is crys-
talized in his edition of the Metaphysics. In short, I argue that Jaeger projects his
idea of an Entwicklungsgeschichte onto the history of the text of the Metaphysics.
In order to illustrate this, I will first reconstruct the development of Jaeger’s con-
ception of the Metaphysics text and its genesis by going through his relevant
publications (sections 2– 4). This will then bring me to Jaeger’s edition of the
Metaphysics itself and the question of its editorial foundations (section 5). My in-
vestigation will come to a close with an evaluation of Jaeger’s views on the Meta-
physics text and his edition from the perspective of more recent developments in
the research on the text of the Metaphysics (section 6).

DOI 10.1515/9783110548983-007
172 Mirjam E. Kotwick

2 Jaeger on the compositional genesis


of the Metaphysics
In 1911, the first part of Jaeger’s dissertation appears under the title Emendatio-
num aristotelearum specimen. This study comprises a concise summary of the ar-
guments laid out in the second part of the dissertation (published as the Studien
zur Entstehungsgeschichte),¹ and a series of emendations of passages from vari-
ous works of Aristotle, most prominently three passages from the Metaphysics. ²
The three emendations that Jaeger discusses anticipate the characteristics of his
later engagement with the text of the Metaphysics. In the first case, concerning
line A 9, 992b7, Jaeger argues for the correction of the words περί τε κινήσεως,
εἰ μὲν ἔσται ταῦτα κίνησις, δῆλον ὅτι κινήσεται τὰ εἴδη· (“And regarding move-
ment, if these [sc. the great and the small (?)] are to be movement, evidently the
Forms will be moved”)³ into the words περί τε κινήσεως, εἰ μὲν ἔστ’ ἐνθαῦτα
κίνησις, δῆλον ὅτι κινήσεται τὰ εἴδη· (“And regarding movement, if there is
movement in the sensible world, evidently the Forms will be moved”). Jaeger fur-
ther defends this textual intervention⁴ in his 1917 article on the text of the Meta-
physics,⁵ but he changes his mind and does not accept it in his 1957 edition.
The situation is different in the case of the second and third emendations. In
Z 8, 1033b17, Jaeger replaces the transmitted σύνοδος with the word σύνολος.⁶
This emendation is certainly correct.⁷ Ross adopts Jaeger’s correction in his
1924 edition.⁸ Jaeger’s third emendation is more controversial. Here, Jaeger re-
gards the phrase ἂν μὴ ᾖ τοῦ συνειλημμένου (Z 10, 1035a23) on the basis of con-

 Jaeger (1911) 1– 7.
 Jaeger (1911) 8 – 19.
 Translations of the Metaphysics are by Ross (in Barnes 1984), but modified.
 Jaeger (1911) 10 – 13 argues that the transmitted reading represents Plato’s concept of matter
incorrectly, and that his correction finds support in the paraphrase of the late antique commen-
tator Asclepius (105,23 Hayduck).
 Jaeger (1917) 482– 483.
 The relevant sentence (1033b16 – 8) reads φανερὸν δὴ ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τὸ μὲν ὡς εἶδος ἢ
οὐσία λεγόμενον οὐ γίγνεται, ἡ δὲ σύνολος (σύνοδος mss.) ἡ κατὰ ταύτην λεγομένη γίγνεται …/
“It is obvious then from what has been said that the thing, in the sense of form or substance, is
not produced, but the concrete thing which gets its name from this is produced…”. Jaeger (1911)
14– 6.
 The corruption from ΣΥΝΟΛΟΣ to ΣΥΝΟΔΟΣ is a typical error in majuscule script. Cf. Christ
(1886) VII. Jaeger does not argue from paleography, however, but from the content of the passage
and parallel passages in Aristotle. For a more critical view on Jaeger’s emendation see Apelt
(1913) 101.
 Ross (1924b) 188: “Jaeger is almost certainly right in reading σύνολος.”
The Entwicklungsgeschichte of a Text 173

tent and diction as a later addition and deletes it.⁹ Ross does not follow Jaeger in
this regard.¹⁰ Jaeger himself in his edition adheres to his assessment of the
phrase as a later addition, yet with a significant modification: he puts the
words into double-brackets, thereby indicating that Aristotle himself added
the words at a later stage.¹¹
These three emendations give us a taste of the divinatio that Jaeger employs
on the text of the Metaphysics in subsequent years: his emendations are often
ingenious, sometimes compelling and sometimes refuted by Jaeger himself
later on. In turning to the second part of Jaeger’s dissertation, we can recognize
another specific characteristic of his engagement with the Metaphysics text,
namely, his interest in the close ties between text-critical issues and the
work’s origin in Aristotle’s way of thinking, writing and teaching.¹²
The second part of Jaeger’s dissertation appears in 1912 under the title Stud-
ien zur Entstehungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles. Jaeger himself de-
scribes his study as the radicalization of a scholarly trend of a growing suspicion
against the unified character of the Metaphysics. ¹³ Scholars before him were op-
posed to the idea of a meaningful unity of the Metaphysics,¹⁴ yet their analysis

 Jaeger (1911) 16 – 19. The sentence in question is (Z 10, 1035a21– 25): τῷ μὲν οὖν ἐνέσται ὁ τῶν
τοιούτων μερῶν λόγος, τῷ δ’ οὐ δεῖ ἐνεῖναι, ἂν μὴ ᾖ τοῦ συνειλημμένου· διὰ γὰρ τοῦτο ἔνια μὲν
ἐκ τούτων ὡς ἀρχῶν ἐστὶν εἰς ἃ φθείρονται, ἔνια δὲ οὐκ ἔστιν. / “Therefore of some things the
formula of such parts will be present, but in others it must not be present, where the formula
does not refer to the concrete object. For it is for this reason that some things have as their con-
stituent principles parts into which they pass away, while some have not.”
 Ross (1924b) 198. Frede/Patzig (1988) agree with Ross in not following Jaeger’s suggestion.
 In his praefatio, Jaeger (1957) xviii introduces the double-brackets as markers of those later
additions to the text of the Metaphysics which Aristotle himself is supposed to have made; yet, in
this particular case, he is more cautious about the authorship, and so states in the apparatus ad
loc.: ἂν … συνειλημμένου nota ab Ar.(?) postea addita vid.
 In 1960, Jaeger writes in retrospect (1960) XVIII: “Die ständige Arbeit an dem Text, zu dessen
Herausgabe ich erst Jahrzehnte später kommen sollte, machte den geistigen Umweg der histor-
ischen Erfassung der philosophischen Art und Methode des Aristoteles unumgänglich, nicht
bloss für die Metaphysik, sondern für dessen Pragmatien. Es musste von der inneren Form
seines Philosophierens ausgegangen werden, aus der die scheinbaren Mängel der überlieferten
Textgestalt und Komposition seiner Schriften sich erklären liessen. Sie waren das Produkt lang-
jähriger wiederholter Arbeit an den Problemen und an ihrer uns erhaltenen mündlichen Darstel-
lung für die Lernenden…”
 On Jaeger’s relation to earlier and contemporary scholars and their methods and debates see
Schütrumpf (1990); see also Witt (1996) 73 – 4 and Rapp (2006) 181– 183; on Jaeger’s 1912 study in
particular see Schütrumpf (1990) 210 – 213.
 Jaeger (1912) 2 names as pioneers for his own approach Christian August Brandis, Hermann
Bonitz and Albert Schwegler. He describes as ‘Unitarier’ Karl Ludwig Michelet, Wilhelm Brum-
merstädt and Johann Zahlfleisch (1912) 3.
174 Mirjam E. Kotwick

and explication of the work’s genesis did not, according to Jaeger’s view on the
matter, go far enough.¹⁵ Furthermore, it had come into fashion to athetize whole
books from the Metaphysics: ¹⁶ Wilhelm von Christ athetizes book K, for instance,
in his 1886 edition of the Metaphysics,¹⁷ whereas Valentin Rose, editor of Aristo-
tle’s fragments (all of which he regards as spurious),¹⁸ declares books Δ, Κ, Λ, M,
and N to be inauthentic.¹⁹
It is against this scholarly background that Jaeger sets out to reveal the Meta-
physics as a conglomerate of Aristotle’s own lecture notes that were combined
into one ‘work’ only after Aristotle’s death. To that end, Jaeger attempts to ac-
complish two objectives in his study. He first refutes the idea of there being a uni-
fied work by drawing attention to those features of the Metaphysics that make it
impossible to regard the work as Aristotle’s own composition. In a second step,
he explains these features as the result of the work’s genesis within the historical
context of Aristotle’s school. Jaeger reconstructs this genesis as follows: over
many years of teaching, Aristotle composed and reworked his notes for a variety
of lectures on first philosophy;²⁰ some of these lectures Aristotle had already
compiled into larger units, but it was only after his death that his teaching ma-
terial was compiled into a larger composition. The formation of the Metaphysics
therefore happened over a longer period of time—first by Aristotle’s students and
later by “redactors”, such as Andronicus of Rhodes in the first century BCE.
The most prominent features that speak against there being a unified com-
positional character of the Metaphysics are doublets,²¹ erratic pieces²² and ad-

 Jaeger (1912) 4 describes the situation as follows: “Bei Titze [Franz Niklas Titze, 19th century]
haben wir schon die völlige Zerstückelung der Metaphysik. Aber seine konstruktiv begabte Zeit
forderte von der Kritik nun auch einen Neubau nach dem Abbruch, eine Restauration der ur-
sprünglichen Metaphysik.” (Jaeger 1912) 8 acknowledges also that Brandis already interpreted
the Metaphysics genetically (“genetische Auffassung”). Against this background, Jaeger presents
himself as a strict analytic dissector, one who is not seduced by tendencies to harmonize gen-
uinely detached parts of the Metaphysics, but who also has in view the historical circumstances
and hence genealogy of the Metaphysics. On Jaeger’s self-stylization see Schütrumpf (1990) 214.
 Jaeger (1912) 10.
 Christ (1853) and Christ (1886).
 Rose (1886).
 Rose (1854).
 Jaeger (1912) 31 describes it as a “Corpus von Vorlesungsschriften … über verschiedene Prob-
lemgebiete der Grundwissenschaft” or (1912) 40 “ein Vorrat von Schriften, die von der Vor-
lesungstätigkeit, deren Substrat sie waren, durch Spuren unausgesetzter Umarbeitung und
Wandlung (…) deutliches Zeugnis ablegen.”
 Jaeger (1912) 14– 37 and 63 – 89.
 Jaeger (1912) 38 – 62.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 175

denda.²³ Let us have a look at what Jaeger understands as a doublet. The Meta-
physics contains passages that reappear elsewhere in the corpus Aristotelicum.
Clear examples are Metaphysics Δ 2, which is, apart from minor textual differen-
ces, identical to Physics B 3,²⁴ and parts of Metaphysics A 9, which reappear (with
minor textual changes) as Metaphysics M 4– 5.²⁵ In addition to those evident
doublets, Jaeger points to further passages that, according to him, are alternative
versions of the same account, written by Aristotle at different occasions and post-
humously integrated into the Metaphysics ‘file’.
Jaeger’s argument that A 10 is an alternative version of A 7 provides a good
case study in which to explore how Jaeger treats these doublets. He points to
striking similarities between the two chapters in their wording, structure, and
function within book A.²⁶ Metaphysics A consists of two main parts (leaving
aside the introductory chapters 1– 2). In the first part (chapters 3 – 6), Aristotle
asks whether his predecessors found a cause that goes beyond the four causes
he himself stated in the Physics. Aristotle concludes the investigation into earlier
thinkers in chapter A 7, where he first recapitulates that none of his predecessors
stated a cause that does not fall under the four causes,²⁷ then states that his
predecessors expressed their views on causation obscurely (ἀμυδρῶς),²⁸ and fi-
nally bridges over to the next two chapters,²⁹ i. e. A 8 – 9, in which he critically
engages those aspects of his predecessors’ theories (ἀπορίας) that are relevant
for his own view on the matter of first principles.³⁰
Comparing this with A 10, Jaeger points out that in A 10, just as in A 7, Aris-
totle first states that no predecessor found a cause outside his own four cause

 Jaeger (1912) 114– 130.


 Jaeger (1912) 37.
 Jaeger (1912) 28 – 37. On the temporal priority of the A-passage over the M-passage see Jaeger
(1912) 32– 33 and recently Primavesi (2012a) 412– 424.
 Jaeger (1912) 19: “Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich in A 10 eine zweite Fassung von A 7
erkenne.”
 Arist. Metaph. A 7, 988a20 – 22: ὅμως δὲ τοσοῦτόν γ’ ἔχομεν ἐξ αὐτῶν, ὅτι τῶν λεγόντων περὶ
ἀρχῆς καὶ αἰτίας οὐθεὶς ἔξω τῶν ἐν τοῖς περὶ φύσεως ἡμῖν διωρισμένων εἴρηκεν, … / “but yet we
have learnt this much from them, that of those who speak about principle and cause no one has
mentioned any principle except those which have been distinguished in our work on nature, …”
Cf. also 988b16 – 19.
 Arist. Metaph. A 7, 988a22– 23: … ἀλλὰ πάντες ἀμυδρῶς μὲν ἐκείνων δέ πως φαίνονται θιγ-
γάνοντες. / “but all evidently have some inkling of them, though only vaguely.”
 Arist. Metaph. A 7, 988b20 – 21: πῶς δὲ τούτων ἕκαστος εἴρηκε καὶ πῶς ἔχει περὶ τῶν ἀρχῶν,
τὰς ἐνδεχομένας ἀπορίας μετὰ τοῦτο διέλθωμεν περὶ αὐτῶν. / “Let us next discuss the possible
difficulties with regard to the way in which each of these thinkers has spoken, and with regard to
his views about the first principles.”
 Jaeger (1912) 16.
176 Mirjam E. Kotwick

scheme,³¹ then says that the earlier thinkers expressed themselves obscurely
(ἀμυδρῶς)³² and finally, makes a transition to a further investigation into the
problems (ἀπορήσειεν ἄν τις) that their theories pose.³³ In addition, A 10
seems to be silent about Aristotle’s critical discussion of Anaxagoras, Empedo-
cles,³⁴ the Pythagoreans, and especially the Academic theory of Forms in the im-
mediately preceding chapters A 8 – 9. This fact taken together with the striking
parallels between A 7 and A 10 lend credence to Jaeger’s thesis. Of course,
there are differences between A 7 and A 10, and Jaeger does point to these,³⁵
but he attributes them to the fact that Aristotle wrote the two pieces at different
times. An especially important difference is that in A 10 alone we find in the final
sentence not only a hint of the critical discussion of Aristotle’s predecessors in—
according to Jaeger—A 8 – 9,³⁶ but also a reference to book B (“for perhaps we
may get some help towards our later difficulties [= book B]”).³⁷ According to Jaeg-
er, this reference reveals that A 10 was written later than A 7. Rather than seeing
in it an indication that this chapter was meant to be the final chapter of book A,
Jaeger interprets it as a later version of A 7 that Aristotle himself wrote when he
intended to connect book A with B. For Jaeger, in fact, the original book A (with-
out A 10) had been composed as an autonomous piece.³⁸ It was then, as Jaeger

 Arist. Metaph. A 10, 993a11– 13: Ὅτι μὲν οὖν τὰς εἰρημένας ἐν τοῖς φυσικοῖς αἰτίας ζητεῖν ἐοί-
κασι πάντες, καὶ τούτων ἐκτὸς οὐδεμίαν ἔχοιμεν ἂν εἰπεῖν, δῆλον καὶ ἐκ τῶν πρότερον εἰρημέ-
νων· / “It is evident, then, even from what we have said before, that all men seem to seek the
causes named in the Physics, and that we cannot name any beyond these.”
 Arist. Metaph. A 10, 993a13 – 15: … ἀλλ’ ἀμυδρῶς ταύτας, καὶ τρόπον μέν τινα πᾶσαι πρότερον
εἴρηνται τρόπον δέ τινα οὐδαμῶς. / “but they seek these vaguely; and though in a sense they
have all been described before, in a sense they have not been described at all.”
 Arist. Metaph. A 10, 993a24– 27: περὶ μὲν οὖν τῶν τοιούτων δεδήλωται καὶ πρότερον· ὅσα δὲ
περὶ τῶν αὐτῶν τούτων ἀπορήσειεν ἄν τις, ἐπανέλθωμεν πάλιν· τάχα γὰρ ἂν ἐξ αὐτῶν εὐπορή-
σαιμέν τι πρὸς τὰς ὕστερον ἀπορίας. / “On such questions our views have been expressed be-
fore; but let us return to enumerate the difficulties that might be raised on these same points;
for perhaps we may get some help towards our later difficulties.”
 Aristotle does refer to Empedocles in A 10, but in a way in which he could have referred to
him after A 3 – 6. For another view on the matter see Cooper (2012) 339 – 343.
 Jaeger (1912) 19 – 20 speaks of different accentuations in the middle parts of A 7 and A 10.
 On this see Cooper (2012) 351– 354.
 Jaeger (1912) 17– 18 precisely distinguishes between the two mentions of aporiae in the last
sentence of A 10. The words ὅσα δὲ περὶ τῶν αὐτῶν τούτων ἀπορήσειεν ἄν τις, ἐπανέλθωμεν
πάλιν· refer to A 8 – 9, whereas the words τάχα γὰρ ἂν ἐξ αὐτῶν εὐπορήσαιμέν τι πρὸς τὰς
ὕστερον ἀπορίας refer to book B. See Jaeger (1912) 17: “A 10 scheint dann auf den ersten Blick
zu rekapitulieren, um mit dem letzten Satz zu den Problemen des B hinüber zu leiten.”
 Jaeger (1912) 20: “Andererseits gibt der Hinweis auf das nachfolgende B, der A 7 fehlt, uns
den Wink, daß wahrscheinlich diese zweite Fassung zu A 7 erst im Hinblick auf die Anfügung
dieses Problembuches entstanden ist, während doch ursprünglich das A eine für sich stehende
The Entwicklungsgeschichte of a Text 177

speculates, only a redactor who misunderstood the final sentence of A 10 as a


direct segue to book B³⁹ and who therefore placed A 10 at the end of book A.⁴⁰
Jaeger is eager to reveal the disjointedness of the parts of the Metaphysics,
yet he defends these disjointed parts as having been written by Aristotle, who
did not intend to bring them together in the way they are combined in our Meta-
physics. It is for this reason, then, that Jaeger defends the authenticity of those
parts of the Metaphysics that previous scholars regarded as spurious. K 1– 8 is
an illustrative example of this.⁴¹ Even today the authenticity of K is still dis-
cussed among scholars.⁴² Jaeger argues extensively against Natorp’s claims
that un-Aristotelian and Platonizing elements in K 1– 8 reveal it to be inauthen-
tic.⁴³ Jaeger further discusses the objection against K’s authenticity put forward
by Spengel, whose objection points to the un-Aristotelian particle combination
γε-μήν, which appears seven times in K 2,⁴⁴ but nowhere else in the authentic
part of Aristotle’s works. Jaeger likewise acknowledges these foreign linguistic
traces in K 1– 8, but offers a different explanation for them, which can be seen
as characteristic of his views on the Metaphysics as a whole. According to Jaeger,
debates about the authenticity of K 1– 8 have to distinguish between the authen-
ticity of its content and its form.⁴⁵ The content, as Jaeger argues by refuting Spen-
gel’s claims, is a lecture by Aristotle.⁴⁶ The form of this lecture, however, together
with its un-Aristotelian linguistic features, Jaeger explains by the fact that it had

Abhandlung aus sicherlich sehr früher Zeit gewesen sein muß, wie der Fortgang der Untersu-
chung erweisen wird.”
 Originally book B was intended to follow directly upon book A, but then, according to Jaeger,
as late as in the first century BCE, α was inserted in between (on the status of book α ἔλαττον
ἔλαττον see Jaeger (1912) 114– 118 and below).
 Jaeger (1912) 20; see also 38. In his exposition of chapter A 10, Cooper (2012) 339 argues
against Jaeger’s thesis, taking A 10 as a recapitulation of chapters A 3 – 9 all together.
 K’s last four chapters (from the final passage of chapter 8, 1065a26, onwards) contain ex-
cerpts from the Physics. On K 1– 8 see Jaeger (1912) 63 – 89; on book α see Jaeger (1912) 114– 118.
 See Kenny 1983 and Rutten 1992, both using stylometric analysis and arguing for K’s authen-
ticity. Aubenque 1985 argues for the inauthenticity of K on the basis of its content, Décarie 1985
for its authenticity, on the basis of style and content.
 See Natorp (1888); Jaeger (1912) 63 – 86; 86: “Die Bedenken und Einwände Natorps haben wir
so wohl ohne Ausnahme behoben. … Wir haben somit das Recht, K 1– 8 als vollgültige Quelle
aristotelischer Philosophie zu betrachten.”
 See Arist. Metaph. K 2, 1060a5, 1060a17, 1060a20, 1060b3, 1060b12, 1061b8, 1062b33.
 Jaeger (1912) 87.
 In (1923) 216, Jaeger reaffirms that K 1– 8 is “als Quelle aristotelischer Lehre (…) eine Urkunde
von goldener Echtheit.”
178 Mirjam E. Kotwick

been written out for Aristotle by one of his students.⁴⁷ In Jaeger’s view, K 1– 8 is
the manifestation of an Aristotelian lecture that, though differing in some re-
spects from BΓE, can still be described as a doublet or shorter version of
BΓE.⁴⁸ Jaeger assumes K 1– 8 to be earlier than BΓE.⁴⁹ Jaeger thus depicts Aristo-
tle as having reworked his lecture notes over and over again, and the notes that
have been collected and put together in the Metaphysics after his death included
some of those that had been written out by his students.⁵⁰
Jaeger’s analysis of the Metaphysics with its diverse parts and peculiar fea-
tures is closely connected to his understanding of Aristotle’s method of working
and teaching and of what happened to Aristotle’s writings after his death. His
particular methodological approach becomes apparent also in Jaeger’s analysis
of book α. Jaeger takes book α, just as book Δ and book Λ, as an originally in-
dependent piece of Aristotelian philosophy that was added to the Metaphysics
rather late. In the case of book α, according to Jaeger, we are dealing with the
remnant of a transcript of an Aristotelian lecture written down by Pasicles, the
nephew of Aristotle’s student Eudemus of Rhodes.⁵¹ Book α, thereby shares
with K 1– 8 the fate of being a lecture transcript written by an Aristotelian stu-
dent that later became part of the Metaphysics, even if the lecture that is repre-
sented by book α was originally an introduction to the Physics. ⁵²
In the second part of his Studien zur Entstehungsgeschichte, Jaeger asks
about the literary character of the Metaphysics. To that end he contextualizes
his observations on the composition of the different parts of the Metaphysics
made in the first part of his study by giving an account of the publishing prac-
tices in Aristotle’s time.⁵³ The works of Aristotle that have come down to us all
bear the mark of the specific purpose for which they were written: teaching in
the Lyceum. The recipients of Aristotle’s lectures were the members, and the
members only, of the Lyceum. According to Jaeger, Aristotle’s works were ‘pub-

 Jaeger (1912) 87: “Aber es finden sich unter diesen Schriftenmassen auch ὑπομνήματα, die
von Schülern zu ich weiß nicht welchen Zwecken für den Meister angefertigt worden sind
und nachher unter seinem Nachlaß kursieren, teils weil Aristoteles sie unter seinen Vorlesungs-
papieren aufgenommen hatte, teils weil spätere Redaktion des Nachlasses sie diesem eingeglie-
dert.”
 That the sequence of BΓE leaves out book Δ shows, according to Jaeger, that Δ is an inde-
pendent treatise (Jaeger (1912) 118 – 122), which was added to the Metaphysics perhaps only by
Andronicus in the first century BCE (see Jaeger 1957 app. ad loc.).
 Aubenque (1985) argues for the opposite view.
 Jaeger (1912) 88 – 89.
 Cf. also Jaeger (1923) 174.
 I will come back to Jaeger’s dealing with book α below.
 Jaeger (1912) 131– 148.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 179

lished’ (ἔκδοσις) whenever Aristotle gave lectures,⁵⁴ and his students circulated
their apographa within the school circle. Jaeger stresses that Aristotle’s lecture
transcripts as well as the notes taken by the hearers were regarded as “school
property”,⁵⁵ and so it easily happened that the notes that students had taken
on Aristotle’s lectures were later compiled into a compendium together with Ar-
istotle’s own notes. In any case, it is incorrect in Jaeger’s view to hold that Aris-
totle’s works such as the Metaphysics were ‘published’ for the first time only after
Aristotle’s death.
Jaeger’s analysis of the historical circumstances of Aristotle’s teaching fur-
thermore allows him to reveal the genetic disposition of the Metaphysics as
the result of Aristotle’s method of writing his lectures in the form of individual
methodoi and logoi. ⁵⁶ Jaeger argues that our division of Aristotle’s works into
books represents these originally individual treatises, which might share a com-
mon σκοπός and therefore might have been grouped together by Aristotle him-
self, but which were compiled under collective terms such as Ethica, Physica,
Metaphysica only after Aristotle’s death. This process of compiling Aristotle’s
methodoi together into (collective) works came to a conclusion, according to
Jaeger, only in Andronicus’ time (first century BCE).⁵⁷
According to Jaeger’s reconstruction, the Metaphysics consists of 12 original-
ly individual methodoi: A, B, Γ, Δ, E, Z–H, Θ, I, K 1– 8, Λ, M, N.⁵⁸ Jaeger distin-
guishes three different stages of compilation of these individual methodoi into
larger groups. The primary compilation goes back to Aristotle himself, who al-
ready connected AΒΓΕ and probably also MN and I. These treatises were all
parts of his main lecture course (“Hauptvorlesung”) on being.⁵⁹ Z and H (filling
three rolls, but originally composed as one lecture unit) were reconnected in the
secondary compilation, executed by Aristotle’s immediate successors. At the
same stage, Θ was joined to ZH, and the whole group of ZHΘ was inserted
into the ‘Metaphysics’ after E.⁶⁰ Later additions, such as the methodoi Δ, α,

 Jaeger (1912) 143: “Aber die Publikation selbst, die ἔκδοσις, bestand bei beiden [Platon und
Aristoteles] in der Vorlesung des λόγος durch den Verfasser.”
 Jaeger (1912) 142 describes it as “Gemeinschaftlichkeit geistiger Arbeit und geistigen ‚Eigen-
tums’ in den geschlossenen Schulen”; on p. 144, he writes, “diese λόγοι sollen ἔσω bleiben, im
Hause, am Herde der strengen Wissenschaft: Schuleigentum.”
 Jaeger (1912) 150 – 155.
 Jaeger (1912) 155 – 163.
 Jaeger (1912) 164– 174.
 Jaeger (1912) 109 – 112.
 Jaeger (1912) 168 – 169 points to the marks that this compilation process left behind at the
end of book E. There, we find a free reproduction of the first sentence of book Z. Although al-
ready Christ (1886) VII (considering it a further example of reclamantes, on which see below)
180 Mirjam E. Kotwick

and K (and most likely Λ), go back to a tertiary compilation stage, executed by
(or at the time of) Andronicus of Rhodes, in the first century BCE.⁶¹
In sum, according to the view presented in the Studien zur Entstehungsge-
schichte, the Metaphysics is a later compilation of Aristotle’s lecture notes,
most of which he originally had composed as independent methodoi. Jaeger
points to numerous signs within the Metaphysics that are supposed to show
the posthumous composition of the work, but also the authenticity of its
parts. He furthermore reconstructs the historical circumstances, such as the writ-
ing and publishing practices in Aristotle’s school, which can explain many fea-
tures of the Metaphysics as it is known to us. With this analysis, on the one hand,
Jaeger presents himself as a modern and radical analytic who is free of any wish
to depict the separate parts of the Metaphysics as a harmonious unity. On the
other hand, Jaeger’s analysis strives for something more. In a sense, Jaeger offers
a harmonious interpretation of the work such that he can claim that all its parts
are to be regarded as authentic and that many of its peculiarities can be ascribed
to Aristotle’s own teaching practice.
With his Studien, Jaeger offers brilliant observations on individual passages
and also general features of the Metaphysics. Yet Jaeger too quickly draws from
his observations conclusions that are often too wide reaching, conclusions which
in the end cast suspicions on his reconstruction. It is the boldness with which he
claims to be able to explain the genesis of the Metaphysics and to know the pre-
cise conditions under which it developed that made scholars immediately ques-
tion the text-history that he presents in this study.⁶²

3 Jaeger on the transmission of the Metaphysics


Jaeger’s early study on the Metaphysics’ genesis focuses on the production of the
work by Aristotle, his students and later redactors. Through this approach Jaeger
strives to explain many features of the Metaphysics by looking at a very early
point of the work’s history. In his 1912 study, he does not (apart from the emen-

pointed to this, it is Jaeger who interprets the final sentence of book E as a redactor’s attempt to
connect book E with book Z. In his 1957 edition, Jaeger athetizes book E’s final sentence (as does
Ross in 1924).
 Jaeger (1912) 170 – 174.
 For example, Paul Shorey (1913) 238 says in response to Jaeger’s interpretation of A 7 and A
10 (see above): “But he often finds such doublets where we probably have nothing more than the
natural self-repetition of a hurried metaphysician possessed of some fixed ideas, but uncertain
of his goal.”
The Entwicklungsgeschichte of a Text 181

dations he discusses in his 1911 dissertation) yet analyze the Metaphysics text as
a result of a transmission process that took place in the centuries after Androni-
cus (and his colleagues) produced the first edition of our Metaphysics. Jaeger
does turn to this aspect of the history of the Metaphysics in two subsequent pa-
pers, published in 1917 and 1923, both entitled “Emendationen zur Aristoteli-
schen Metaphysik”. In these papers, Jaeger discusses textual problems and sug-
gests emendations, thereby forming his views on the more recent development of
the Metaphysics text. His 1917 article deals, after some general remarks on the
state of the text of the Metaphysics, with passages from books A–Δ, whereas
the 1923 article treats passages from the following books (E–N). These two arti-
cles were written in the prospect of bringing forth a new critical editio minor of
the Metaphysics for B. G. Teubner⁶³ and can therefore be seen as providing the
editorial foundations upon which Jaeger’s later edition rests.
In his 1917 article, Jaeger starts off by pointing to the current misconception
that our text of the Metaphysics is uniform in character and that the matter of the
work’s text is settled.⁶⁴ Jaeger claims that it is possible to reveal the earlier his-
tory of the Metaphysics text that lays underneath the uniform Byzantine edition
(Π), on which our ‘vulgate’ text of the Metaphysics is based (as represented by
the two manuscripts E, Parisinus gr. 1853, and J, Vindobonensis phil. gr. 100). Es-
pecially important witnesses for these earlier stages of the Metaphysics text are
the ancient commentators, most of all Alexander of Aphrodisias (ca. 200 CE).⁶⁵
The text of the Metaphysics that Alexander used when writing his commentary
bears witness to an exemplar that is much older than the Byzantine redaction
Π (represented by E and J, and nowadays referred to as the α-version of the Meta-
physics), in which Jaeger sees the basis of the text for our manuscripts of the
Metaphysics. Jaeger claims that Alexander’s commentary helps us to recognize
manuscript Laurentianus 87.12, Ab (representing what is today called the β-ver-
sion of the Metaphysics), as a faithful witness to the Metaphysics text and, in-
deed, despite its occasional disfiguration, as an often more authentic witness

 Jaeger had been commissioned to prepare a Teubner edition of the Metaphysics in 1916 (see
Walzer (1959) 586 – 7 and Renehan (1990) 150).
 Jaeger (1917) 481: “Aber wie es Aberglaube wäre, von einer äußerlichen Einheitlichkeit der
Textform unserer sophokleischen Tragödien auf das Alter und den Wert dieses Textes zu
schließen … so ist auch bei Aristoteles diese schon an sich verdächtige Glätte nur trügerischer
Schein, den die Textgeschichte aufdecken kann und muß.”
 Jaeger (1917) 482. With this Jaeger stands in a tradition of Metaphysics editors—whose most
important representative is Hermann Bonitz—who proclaim the importance of Alexander’s tes-
timony; yet, it seems that Jaeger was unsatisfied with the former usage of this important source.
182 Mirjam E. Kotwick

than the vulgate version in E and J.⁶⁶ With this view on the matter, Jaeger intends
to uncover the true importance of Ab, whose value was underrated by Bekker and
Bonitz.⁶⁷ Jaeger’s 1957 edition will be based on the three manuscripts E, J (togeth-
er called Π), and Ab, which represent the two distinct branches in which the
Metaphysics is transmitted to us. Wilhelm von Christ already regarded the manu-
scripts E and Ab as main representatives of the two branches of the Metaphysics
text.⁶⁸ Yet after Gercke had discovered manuscript J (Vindobonensis phil. gr. 100)
in 1892, and with it a second independent witness to the branch that E repre-
sents,⁶⁹ Jaeger was the first to collate fully this new independent witness to
the Metaphysics and make use of its evidence.⁷⁰ Jaeger finally announces a fu-
ture study on the relation of Alexander’s commentary and the versions in Π
and Ab—a study that, as it turns out, Jaeger never brought to the public.⁷¹ Jaeger
will state his view on the matter, however briefly, in the praefatio to the 1957 ed-
ition (on which see below).
In the remainder of the 1917 article, Jaeger presents “samples of textual criti-
cism” (“Proben der Textkritik”) in order to illustrate how much needs to (and
can) be done to improve the Metaphysics text. Jaeger first detects phrases or pas-
sages that he explains as later incorporations of glosses, as well as other types of
later additions to the text. He then presents newly identified lacunae and other
types of corruption in the transmitted texts, for which he proposes sometimes

 On the manuscripts of Aristotle’s Metaphysics see Harlfinger (1979) and below.


 Jaeger (1917) 482: “Erst durch Alexander wurde der Wert eines von der Vulgata sich isolier-
enden Zweiges der Überlieferung, mit welchem Bekker nicht recht etwas anzufangen wußte, und
gegen den selbst Bonitz stets voreingenommen blieb, in das richtige Licht gerückt, der cod. Laur.
87,12 (Ab).” Jaeger is surprisingly silent about Christ, who based his edition of the Metaphysics
(1886) solely on E and Ab, taking them as the representatives of the two branches of the trans-
mission. Jaeger did not think very highly of Christ’s edition, calling it an “unimportant Teubner
text” (Jaeger (1925b) 177).
 Christ (1886).
 Gercke (1892) 147.
 Jaeger (1917) 490 and Jaeger (1923a) 257– 258. Ross’ edition published in 1924 also made use
of a complete collation of J (see Ross (1924a) clv; Ross himself collated parts of J in 1904 and
later had it fully collated by S. Eustratiades).
 Jaeger (1917) 482: “Die nähere Untersuchung des Verhältnisses von Ab zu Alexander und
beider zu der byzantinischen Recension Π, die einer anderen Stelle überlassen bleiben soll, be-
weist den hohen Wert Alexanders als Quelle für die antike … Überlieferung. … Die nächste Auf-
gabe der Kritik wird sein, Alexander sorgfältig durchzuinterpretiren und den Bestand der Lesart-
en aufzustellen, keine ganz einfache Sache, da man sich nie an das offen zutage liegende
Material in den Lemmata oder den (…) sogenannten direkten Citaten halten darf, vielmehr
durch peinliche Interpretation des umfangreichen Commentars erst jedesmal die von ihm vor-
ausgesetzte Lesart feststellen muß.”
The Entwicklungsgeschichte of a Text 183

daring, sometimes ingenious solutions. When reflecting on his own work in the
introduction to his collected Scripta minora of 1960, Jaeger (1960) XVII describes
his attitude as follows:

Die Kunst der Emendation schien in der Philologie unserer Tage weitgehend verloren ge-
gangen zu sein, teils weil das Beste durch frühere Generationen schon vorweggenommen
war, teils aus Unbegabtheit für diese Dinge und abergläubischer Buchstabentreue, die sich
für gesunden Konservatismus hält.

Jaeger’s strong impetus to improve the text by means of emendation and conjecture,
which is so characteristic of his 1957 edition, is vivid already in his samples of 1917.
In order to get a sense of Jaeger’s method, we should look at an example. In
A 4, 985b4– 10, we read the following text:⁷²

Aristotle, Metaphysics A 4, 985b4– 10⁷³


Λεύκιππος δὲ καὶ ὁ ἑταῖρος [5] αὐτοῦ Leucippus and his associate Democritus
Δημόκριτος στοιχεῖα μὲν τὸ πλῆρες καὶ say that the full and the empty are the el-
τὸ κενὸν εἶναί [6] φασι, [λέγοντες τὸ ements, [calling the one being and the
μὲν ὂν τὸ δὲ μὴ ὄν,] τούτων δὲ τὸ μὲν other non-being], but of these the full
[7] πλῆρες καὶ στερεὸν τὸ ὄν, τὸ δὲ and solid being, the empty non-being
κενὸν τὸ μὴ [8] ὄν (διὸ καὶ οὐθὲν μᾶλλον (that is why they say that what is is no
τὸ ὂν τοῦ μὴ ὄντος εἶναί φασιν, [9] ὅτι more than what is not, because the void
οὐδὲ τὸ κενὸν τοῦ σώματος), αἴτια δὲ is no more than the body); and they
τῶν ὄντων ταῦτα [10] ὡς ὕλην. make these the material cause of things.
 τὸ Ab Bekker Christ Ross, cf. Al.p , –, : οἷον τὸ Ε Bonitz Primavesi |  τὸ δὲ κενὸν Ab Ross
Jaeger Primavesi, cf. Al.p , (om. et στερεὸν et μανὸν) : τὸ δὲ κενὸν τε καὶ μανὸν Ε (τὸ δὲ κενὸν
καὶ μανὸν EsEbVd Jc Christ) : τὸ δὲ κενὸν γε καὶ μανὸν Bekker Bonitz |  τὸ κενὸν τοῦ σώματος E Ab
Bekker Bonitz Christ Jaeger : τοῦ κενοῦ τὸ σῶμα Schwegler Ross Primavesi, cf. Al.p , – et Ascl.p
, –  : τὸ κενὸν <ἔλαττον> τοῦ σώματος Zeller Diels ||  ὡς E edd. : γε ὡς Ab

Jaeger argues that the words τε καὶ μανὸν / “and the rare” (985b7) must be re-
garded as a later addition, because the term μανὸν (“rare”) is neither in accord-
ance with the Atomistic nor the Aristotelian view on the full and the empty.⁷⁴

 Jaeger (1917) discusses this passage on pp. 483 – 488.


 The Greek text follows Jaeger’s edition. Line numbers are added. The English translation is
by Ross, but has been modified. The apparatus displays the readings in E and Ab (i. e. the manu-
scripts evaluated by Jaeger) and where appropriate additional manuscripts (drawn from the ed-
ition by Primavesi 2012b), information on the ancient commentators, and other editors.
 Jaeger (1917) 483 – 486. As Jaeger points out in 484– 485, the term κενόν cannot be taken as
equivalent to μανόν—while the former is deprived of body, the latter presupposes the existence
of a body as well as of the κενόν.
184 Mirjam E. Kotwick

Having looked at the philosophical aspect of the passage, Jaeger then looks at it
from a philological perspective. Only E (and its derivatives) transmit the words τε
καὶ μανὸν (985b7),⁷⁵ whereas Ab and the texts presupposed by Alexander and
Asclepius do not attest to them.⁷⁶ The words τε καὶ μανὸν are thus to be regarded
as a later addition to the original text, which is preserved by Ab and indirectly
confirmed by the ancient commentators. The words should therefore not be
read.⁷⁷ Previous editors (Bekker, Bonitz, Christ) had kept μανὸν;⁷⁸ yet, Ross in
his 1924 edition did also follow the reading of Ab.⁷⁹
Concerning the sentence διὸ καὶ οὐθὲν μᾶλλον τὸ ὂν τοῦ μὴ ὄντος εἶναί
φασιν, ὅτι οὐδὲ (sc. μᾶλλον) τὸ κενὸν τοῦ σώματος / “that is why they say
that what is is no more than what is not, because the void is no more than
the body” (985b8 – 9), Jaeger defends the reading as it is found in E and Ab, de-
spite its apparent oddity.⁸⁰ Would we not expect it to read “because the body is
no more than the void”?⁸¹ Jaeger’s argument for keeping the text is surprising. He
adduces parallel passages from the Metaphysics and the Meteorology to show
that the phrase οὐθὲν μᾶλλον / “no more than”, which is to be added in thought
in line b9, sometimes actually means οὐθὲν ἔλαττον / “no less than”. Yet Jaeger’s
parallel passages are not parallel enough to provide convincing evidence.⁸² Jaeg-
er’s optimism in keeping the transmitted reading is not shared by any of the
other Metaphysics editors, who proposed different solutions to the problem
(see apparatus above).
This is Jaeger’s view on the passage in 1917. In his 1957 edition, he makes one
further modification and athetizes the phrase (b6) λέγοντες οἷον τὸ μὲν ὂν τὸ δὲ
μὴ ὄν / “calling the one being and the other non-being.” In his apparatus, he
briefly gives the following reason for his deletion: “sunt altera recensio verborum
τούτων … 7 μὴ ὄν.” Thus Jaeger regards the phrase in question as a (shorter)
double version of what is more explicitly said in the following words (b6 – 8):
τούτων δὲ τὸ μὲν πλῆρες καὶ στερεὸν τὸ ὄν, τὸ δὲ κενὸν τὸ μὴ ὄν / “of these
the full and solid being, the empty non-being.” Jaeger is right in that the phrase

 J does not contain the first book of the Metaphysics. See Primavesi (2012a) 390 – 399.
 Jaeger (1917) 486.
 Cf. Primavesi (2012a) 446.
 See the apparatus above.
 Primavesi (2012b) follows Jaeger’s specific assessment that the words τε καὶ μανὸν are a later
addition to the text and prints them in italics and brackets.
 Jaeger (1917) 486 – 488.
 Cf. Alex. In Metaph. 36,2– 3.
 These are Arist. Metaph. A 8, 990a14, Metaph. B 2, 996b33, Meteor. B 2, 356a15 – 16. See Ross
(1924a) 139.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 185

appears like an odd anticipation (and hence reduplication) of what follows,


much like a marginal comment that has crept into the text. It was Jaeger who
first recognized this oddity. In doing so, he demonstrates a high sensitivity to
(often inconspicuous) irregularities in the Metaphysics text—something that is
apparent throughout his edition. Yet the conclusion he draws here points to
something more. The words “altera recensio”, which he uses to describe the sta-
tus of the phrase, hints to his larger theory about the history of the Metaphysics
text that Jaeger is developing in these years. According to this theory, Aristotle’s
lecture notes that were posthumously compiled (to become the Metaphysics)
were full of remarks and additions from the frequent re-use for teaching. Such
notes go either back to Aristotle himself or to his students and redactors of
the text. According to Jaeger, the double versions of phrases or even whole sec-
tions in our Metaphysics (see the cases discussed above) lead us back to the
text’s original status as one that is in constant flux. It was later redactors or com-
pilers, then, who often included the double versions in the text.⁸³
Jaeger also points to several lacunae in the transmitted text and proposes
conjectures for them;⁸⁴ in many cases, he is the first to detect a missing word
or phrase in a passage. Yet sometimes Jaeger’s intuition leads him to make
claims that seem to lack sufficient evidence. Jaeger’s method in detecting lacu-
nae is often purely philological, that is to say, he refers to Aristotle’s general dic-
tion and formulations in parallel passages. For example, Jaeger argues for insert-
ing the preposition ἐν in B 2, 996a23. The text as it is transmitted in our
manuscripts reads (996a22– 23): τίνα γὰρ τρόπον οἷόν τε κινήσεως ἀρχὴν εἶναι
τοῖς ἀκινήτοις ἢ τὴν τἀγαθοῦ φύσιν, … / “For how can a principle of change
or the nature of the good be present in (or: pertain to) unchangeable things…”
Jaeger argues that the preposition ἐν is missing in front of τοῖς ἀκινήτοις, and
in his edition he prints: … εἶναι <ἐν> τοῖς ἀκινήτοις… With this reading, Aristo-
tle’s question is then how there could be an efficient cause among unmovable
things. If that is Aristotle’s question, then it is indeed very reasonable to have
him express this thought by the Greek <ἐν> τοῖς ἀκινήτοις. Yet one might
argue, as Ross did,⁸⁵ that Aristotle wants to ask how unmovable things could

 This view on the matter of doublets that are attested in both branches (E and Ab) of the
transmission will in certain ways come into conflict with other views that Jaeger holds about
the genesis of the Metaphysics text, on which see below.
 Jaeger (1917) 491– 498.
 Ross (1924) 227– 228: “Jaeger argues that Aristotle would not have asked ‘how can unmoved
things have a cause of movement?’, and that the meaning must be ‘how can there be among
unmoved things one which causes movement in other things?’. He therefore reads ἐν τοῖς ἀκι-
νήτοις, which may have been read by Alexander (…). But the argument in ll. 23 – 27 implies the
186 Mirjam E. Kotwick

have an efficient cause, and therefore chose the pure dative to express this
thought.⁸⁶ Ross reads the text as it is transmitted, without the preposition ἐν.⁸⁷
However, Jaeger does not argue for inserting the ἐν on the grounds of a shift
in sense, but on the grounds of the wording in (i) parallel passages in the Meta-
physics and (ii) the paraphrase in Alexander’s commentary.
Regarding the first set of evidence, he points to the way in which Aristotle
expresses the same thought only a few lines below, where he says (996a27–
28): αἱ δὲ πράξεις πᾶσαι μετὰ κινήσεως; ὥστ᾽ ἐν τοῖς ἀκινήτοις οὐκ ἂν ἐνδέχοιτο
ταύτην εἶναι τὴν ἀρχὴν …/ “and all actions imply change; so that in unchange-
able things this principle could not exist …” Jaeger further points to a similar for-
mulation that Aristotle gives in Λ 7, 1072b1: ὅτι δ᾽ ἔστι τὸ οὗ ἕνεκα ἐν τοῖς ἀκινή-
τοις, ἡ διαίρεσις δηλοῖ· / “That that for the sake of which is found among the
unmovables is shown by making a distinction.”
Regarding the second, Jaeger adduces Alexander’s paraphrase of the pas-
sage in question. Alexander paraphrases Aristotle’s words as follows (In Metaph.
181,35 – 37 Hayduck): πῶς γὰρ ἂν εἴη ἐν τοῖς ἀγενήτοις καὶ ἀκινήτοις αἴτιον ποι-
ητικὸν καὶ κινητικόν; ἀλλ’ οὐδὲ ἡ τοῦ ἀγαθοῦ φύσις (…) ἐν τούτοις ἐστίν. / “For
how could a productive, i. e. a moving cause pertain to things that are ungener-
ated and unmoved? But neither does the nature of the good, i. e. the end, that-
for-the-sake-of-which pertain to these things.”⁸⁸
One may question whether this evidence is sufficient to claim, as Jaeger
does, that Aristotle wrote ἐν τοῖς ἀκινήτοις in line 996a23. Alexander could
just have inserted the ἐν, as it is his job as commentator to elaborate on Aristo-
tle’s phrases and expand them in a way that suits his own understanding of
them. Although the parallel passages from the Metaphysics that Jaeger cites
are strong, one might still argue that the slight difference in sense between
these passages was intended. The construction of εἶναι + simple dative smoothly
continues the construction in the preceding sentence, where we find ὑπάρχουσι +
dative (“pertain to sth.”) (996a21– 22). One might therefore object to Jaeger that
he tends to over-correct Aristotle.
The view on the Metaphysics that Jaeger displays in his conjectural notes in
the 1917 and 1923 articles and which is at the foundation of his 1957 edition can

question ‘how can unmoved things have a final cause?’, an ἐν τοῖς ἀκινήτοις in l. 27 only puts
this in another way, ‘how can there be a final cause in the case of unmoved things?’”
 To put it grammatically, the question is whether the dative is taken as dative of the possessor
(‘do unmoved things have an efficient cause?’), or as a locative dative (‘is there an efficient cause
among unmoved things?’), which would (in a prose text) require the insertion of a preposition.
 Yet Ross later translates “be present in unchangeable things”. See Barnes (1984) 1574.
 Translation by A. Madigan.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 187

be captured as follows: we do not have a unified text of the Metaphysics that can
be restored from our medieval manuscripts by means of recensio. What we have
is, on the one hand, the version of a Byzantine edition represented by the manu-
scripts E and J, which together Jaeger calls Π. This version presents the text more
or less as it was revised and edited by the hands of Byzantine scholars. On the
other hand, there are traces of an earlier state of the text, attested to by the hith-
erto underrated codex Ab. In comparison to Π, the Metaphysics text in Ab is in a
raw state, but includes some considerate corruption. Jaeger draws this conclu-
sion from the fact that Alexander, bearing witness to an older version of the
text, at many instances agrees with Ab, or with a reading that can be reconstruct-
ed with the help of Ab.⁸⁹
Jaeger stresses that the text of the Metaphysics poses the problem that the
vulgate version of our manuscripts does not bring us any further back in time
than to a Byzantine redaction.⁹⁰ Jaeger proposes to meet this challenge with
two remedies: first, by evaluating Alexander’s commentary as a witness to a
much earlier state of the Metaphysics text; second, by then emending the text
to restore the original reading. There is a third remedy, which becomes more ap-
parent in his 1957 edition, but which is implicit in these early writings on the
Metaphysics text as well. This third solution is to see the text of the Metaphysics
itself as the result of an Entwicklungsgeschichte—an insight that allows Jaeger in
turn to explain quite a few of the textual peculiarities of the Metaphysics. ⁹¹

 See, for example, the case discussed in Jaeger (1917) 499 – 500.
 Jaeger (1917) 518: “Es ist ein Wahn, wenn man sich der Hoffnung hingeben wollte, als könnte
man in diesen so viel reicher als etwa die Poetik überlieferten Büchern durch eine wenn auch
noch so extensive Durchforschung der mittelalterlichen Überlieferung etwas anderes wiederge-
winnen als höchstens den Text der byzantinischen Editoren um das X. oder XI saec.”
 The implicitness of this idea is visible, for example, when Jaeger considers whether or not it
is justified to see the intrusions in the Metaphysics text as additions that stem from Aristotle him-
self, who constantly reworked his lecture notes. See Jaeger (1923a) 270: “Es ist durchweg schwer
zu sagen, ob solche Zusätze nachträgliche Randnotizen des Aristoteles selbst sind, was bei der
Natur dieser Schriften nicht ausgeschlossen und in vielen Fällen noch nachweisbar ist, oder
bloss erklärende Bemerkungen von Lesern.”
188 Mirjam E. Kotwick

4 Jaeger on the evolution of the Metaphysics


in Aristotle’s thought
Jaeger’s most influential study on Aristotle is his 1923 book Aristoteles. Grundlegung
einer Geschichte seiner Entwicklung.⁹² In the first chapter (“Problem”), Jaeger de-
scribes his study as intrinsically connected to his editorial work on the Metaphysics.
Yet he stresses that here philology remains in the background while the primary
concern is the reconstruction of the development of Aristotle’s thoughts, which
can be brought to light through a close philological analysis of his writings:⁹³

Es wird (…) eine erste und unabweisliche Aufgabe dieses Buches sein, an Hand der Reste der
verlorenen Werke und durch die Analyse der wichtigsten Lehrschriften zuerst einmal zu
zeigen, daß eine Entwicklung ihnen zugrunde liegt, wie denn die vorliegende Arbeit aus der
Interpretation der Lehrschriften und Fragmente anläßlich der Herausgabe der Metaphysik
entstanden ist. Die philologische Kritik tritt jedoch unmittelbar in den Dienst philosophi-
scher Fragestellung, weil es sich nicht nur um die Erklärung des äußeren Zustandes der
Schriften als solchen handelt, sondern darum, wie sich in ihm die treibende Kraft des ari-
stotelischen Denkens offenbart.

Jaeger’s study rests upon the basic assumption that contradictions in Aristotle’s
work point to different stages in the development of the philosopher’s

 Jaeger’s study was quickly regarded as a classic, but it also immediately attracted many op-
ponents. Cf. Dodds (1924). The English version of Aristotle. Fundamentals of the History of his De-
velopment (transl. by R. Robinson) appeared in 1934. Early critical discussions are, e. g. Shorey
(1927); von Arnim (1928); Gohlke (1928) 79 – 89; Mure (1932) 253 – 274; Cherniss (1935). For more
recent discussions of Jaeger’s influential approach to Aristotle see Lachtermann (1990), Wians
(1996) and Rapp (2006).
 Jaeger (1923b) 5. Cf. also Jaeger’s assessment in his “Zur Einführung” (1960) XVIII: “…auch in
den späteren textkritischen Arbeiten zur Metaphysik, die neben meinem grösseren Buch Aristo-
teles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, einhergingen, waltete dasselbe Verhält-
nis von Textkritik und Analyse, ja das Buch ist geradezu aus dem Ringen mit den schwierigen
Problemen der Textüberlieferung jenes Werkes erwachsen. … Die ständige Arbeit an dem
Text, zu dessen Herausgabe ich erst Jahrzehnte später kommen sollte, machte den geistigen
Umweg der historischen Erfassung der philosophischen Art und Methode des Aristoteles unum-
gänglich, nicht bloss für die Metaphysik, sondern für dessen Pragmatien. Es musste von der in-
neren Form seines Philosophierens ausgegangen werden, aus der die scheinbaren Mängel der
überlieferten Textgestalt und Komposition seiner Schriften sich erklären liessen. Sie waren
das Produkt langjähriger wiederholter Arbeit an den Problemen und an ihrer uns erhaltenen
mündlichen Darstellung für die Lernenden…”.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 189

thoughts.⁹⁴ According to Jaeger, such an intellectual development becomes espe-


cially apparent in Aristotle’s dealing with Plato and the Platonic principles.⁹⁵
Jaeger distinguishes three phases.⁹⁶ In the first phase—of which we can gather
information only through the fragments of the dialogue Eudemus and the treatise
Protrepticus—Aristotle was a whole-hearted follower of Plato’s doctrine. After
Plato’s death, Jaeger identifies a second phase, in which Aristotle begins to de-
part from his teacher and to criticize the theory of Forms extensively and pas-
sionately.⁹⁷ Together with the scarcely preserved dialogue On Philosophy, it is
the early parts of the Metaphysics, which Jaeger calls the Urmetaphysik, that pro-
vide evidence for Aristotle’s intellectual outlook in this period. Jaeger regards as
early books A, α, B,⁹⁸ K 1– 8, M 9 – 10 and N.⁹⁹ In this earlier period, Aristotle re-
gards metaphysics, still within a Platonic frame of mind and including himself
among the members of the Academy (“we”),¹⁰⁰ as the study of the supersensible
reality (“übersinnliche Wirklichkeit”).¹⁰¹ It is only in the third phase of his intel-
lectual evolution, that Aristotle’s concept of what metaphysics is shifts from a
study of transcendental to a study of immanent forms and thereby to a study
on the various senses of being and on being qua being.¹⁰² Jaeger finds character-
istics of this latest stage in books Ζ, Η, Θ, and M 1– 8, whereas he sees in E 2– 4

 Such a developmental approach is in itself readily subject to objection (see Lachtermann


(1990) and the discussions in Witt (1996) and Rapp (2006)) and is today rather out of fashion
(cf., however, other forms of developmental interpretations of Aristotle’s philosophy defended
by G. E. L. Owen, for which see Code (1996) and Witt (1996), or T. H. Irwin, for which see
Witt (1996)). What I am concerned with here, however, is how Jaeger’s developmental approach
on Aristotle’s thought influenced and shaped his own view on the textual history of the Meta-
physics and its transmission.
 See Jaeger (1923b) 31– 36 and passim. See also Dorothea Frede’s paper in this volume, espe-
cially pp. 161– 167.
 On the problematic implications of this three-phase-model see Rapp (2006) 183 – 186.
 Jaeger (1923b) 199.
 According to Jaeger (1923b) 221– 222, parts of book B have been revised and adjusted in the
later phase and to the terminology and understanding of the Metaphysics predominant in it.
 See Jaeger (1923b) 175 – 181, 194– 195, 203 – 204.
 Jaeger (1923b) 179 – 181. Already in (1912) 32– 33 Jaeger draws attention to the fact that Ar-
istotle more than once includes himself among the adherents of the theory of Forms by using
first person plural forms (“we are maintaining the theory of Forms” in 990b9, “we assertors
of the Forms” in 990b16). Jaeger sees in this use of words of Aristotle an important clue
about his intellectual development. See especially Jaeger (1965). Yet one might ask whether
this tells us something about Aristotle’s expected audience rather than about his allegiance
with his teacher.
 Jaeger (1923b) 217– 223.
 Jaeger (1923b) 223 – 228.
190 Mirjam E. Kotwick

the intention to provide a link between the two parts that resulted from different
phases.¹⁰³ Book Λ, originally composed as an independent lecture (“Einzelvor-
trag”), contains the complete system of the Metaphysics. Jaeger dates it (with
the exception of chapter 8)¹⁰⁴ to the earlier, Platonic phase of the Metaphysics. ¹⁰⁵
The first part deals with sensible reality, the second contains Aristotle’s theology,
namely, his replacing of dualism by the “absolute monarchy of mind”.¹⁰⁶ Jaeger
further points to passages in Λ that are similar to passages in book N, and con-
cludes that Aristotle used the early book N when composing the lecture Λ.¹⁰⁷
Comparing Jaeger’s claims about the development of the Metaphysics with
the results of his 1912 study, the following conceptual difference comes to
light.¹⁰⁸ In 1912, Jaeger’s focus is on the genesis of the Metaphysics as a (in
part posthumously) combined compilation of Aristotelian lecture notes—and
therefore on the history of the text and the ‘book’ of the Metaphysics. In 1923,
Jaeger is interested instead in the genesis of the work in respect to the develop-
ment of Aristotle’s thoughts on being. Rather than asking how and when the dif-
ferent books of the Metaphysics were combined, he is now asking how and when
the different thoughts and arguments expressed in them were conceived in Aris-
totle’s mind. Here, in his 1923 work, Jaeger wants to connect the different strata
(“Schichten”) of the Metaphysics with different phases of Aristotle’s intellectual
evolution.¹⁰⁹
Although there is a clear shift in perspective, Jaeger’s results of 1923 do have
important implications on his editorial work on the text.¹¹⁰ For, Jaeger begins to
detect signs of Aristotle’s evolution of thought not just in the different views ex-
pressed in various parts of the Metaphysics, but in the very text-material that has

 Jaeger (1923b) 211.


 According to Jaeger (1923b) 367– 373, since Λ 8 assumes a plurality of unmoved movers, the
chapter belongs to the last stage of Aristotle’s development (see Frede (1971) 66 – 70).
 Jaeger (1923b) 230.
 Jaeger (1934) 227; Jaeger (1923b) 236.
 Jaeger (1923b) 231– 236.
 For Jaeger’s own reflections on the relationship of the two studies see (1923b) 172– 173.
 The results that Jaeger attains by looking at the Metaphysics from these two different per-
spectives overlap at certain points; e. g. the parts of the Metaphysics that Jaeger in 1912 attributes
to the torso of the compilation, such as books A and B, reveal themselves as having been com-
posed early in Aristotle’s career. Since the perspective of the two studies diverges, however,
books that turn out to have been composed late can still be an integral part of the Metaphysics
compilation, since they were grouped together with early books by Aristotle himself, such as
AΒΓ and MN.
 As pointed out above, Jaeger’s edition of the Metaphysics was originally planned to be fin-
ished and appear about this time.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 191

come down to us. This means, for example, that Jaeger is now interested in iden-
tifying passages that can be explained as later additions by Aristotle himself,
such as E 1, 1026a23 – 32. According to Jaeger, Aristotle added this passage in
order to discuss and possibly remove a contradiction between the two concep-
tions of metaphysics which he had given so far:¹¹¹ In Γ 1 (and E 1), Aristotle pres-
ents first philosophy as the study of being qua being and, due to this universal
scope, as distinct from all other special sciences; yet, in E 1, he defines first phi-
losophy by its specific subject matter, namely, unmoved transcendent being,
thereby making it a special science after all. Jaeger claims that it is undeniable
that these two conceptions of metaphysics come from two very distinct trains of
thought (“zwei grundverschiedene Gedankengänge”) – the first conception (met-
aphysics as special science) reveals its Platonic background, while the second
(metaphysics as universal science) is part of the last and most idiosyncratic de-
velopmental stage of Aristotle’s thought.¹¹² On Jaeger’s reconstruction, when Ar-
istotle eventually became aware of the discrepancy between the two definitions
of Metaphysics, he added E 1, 1026a23 – 32, a passage in which he tries (unsuc-
cessfully from Jaeger’s point of view) to resolve the contradiction by declaring
that metaphysics is universal because its particular subject matter is the very
‘first’ object and therefore comprehends all other kinds of being.
What matters for my present purpose is not to argue for or against Jaeger’s
attribution of supposed contradictions in the Metaphysics to different stages of
Aristotle’s intellectual maturation process;¹¹³ rather, I aim to show how Jaeger
here links two divergent research areas by connecting his interpretation of two
distinct phases in Aristotle’s intellectual development with his own work as a
textual critic. Jaeger identifies a passage of text as having been added by Aristo-
tle himself at a later, more mature stage of his thought on metaphysics. And even
more, according to Jaeger, this passage displays Aristotle’s awareness of the fact
that his own intellectual development entails contradicting positions. In other
words, it seems that, in Jaeger’s estimation, Aristotle’s intellectual development
came to be reflected in the physical text of the Metaphysics itself. For Jaeger,
therefore, the Metaphysics does not just contain arguments that stand in oppo-
sition to each other, but its very text brings to light the fact that Aristotle worked
on it at different stages in his life. Such a connection between Jaeger’s hypothesis
of an Entwicklungsgeschichte of Aristotle’s mind and an Entwicklungsgeschichte
of the body of text is, as we will see, one of the most distinct features of Jaeger’s

 Jaeger (1923b) 223 – 228.


 Jaeger (1923b) 227. On this crucial argument see Code (1996) 303 – 308.
 For an early criticism see Cherniss (1935) 265. See also Witt (1996) and Rapp (2006).
192 Mirjam E. Kotwick

edition of the Metaphysics. ¹¹⁴ Yet this is only one of two steps that Jaeger takes in
applying his concept of Entwicklungsgeschichte onto the text of the Metaphysics.

5 Jaeger’s principles of editing the Metaphysics


As Jaeger states in his 1923 paper on the Metaphysics text (see above), the diffi-
culty of the times forced upon him a delay of the publication of his Teubner-ed-
ition of the Metaphysics. ¹¹⁵ This unfortunate delay becomes even more painful
when in 1924 his English colleague Sir David Ross, who also worked on the Meta-
physics text, publishes his new text.¹¹⁶ Jaeger writes two reviews of Ross’s edi-
tion, one in German (1925a) and one in English (1925b). Looking at what Jaeger
says in response to the editorial work by Ross will help us to clarify Jaeger’s own
conception of the task of editing Aristotle’s Metaphysics. In both cases, Jaeger
prefaces his review with a statement about his own bearing in the field of editing
the Metaphysics. In the English version, he plainly states: “for some years past I
have had in readiness a critical edition of the text of the treatise. The need for
such an edition is of course not removed by Ross’s work.”¹¹⁷ The important
word here is “critical”. Jaeger implies that the edition he is preparing will, in
contrast to Ross’s, be a critical edition of the text, that is to say, an edition
based on a consideration of all extant manuscripts of the Metaphysics. For
after Ross’s edition appears Jaeger abandons his original plan to base his edition
on the three most important manuscripts E, J, and Ab, as well as the evidence in

 Interestingly enough, Jaeger in his 1957 edition will not include the passage in E 1,
1026a23 – 32 among the passages that he marks (by double-brackets) as later additions by Aris-
totle himself.
 Jaeger (1923a) 263: “Ich lege nunmehr meine Beiträge zu den übrigen, z.T. wenig durch-
forschten Büchern der Metaphysik vor in der Hoffnung, damit einen gewissen Ersatz für die
von mir seit Jahren vorbereitete Ausgabe zu bieten, die durch die Zeitverhältnisse am Erscheinen
verhindert wird. Sie kann durch die Verzögerung gewiss nur gewinnen, wenn das nonum prema-
ture in annum auch unfreiwillig längst an ihr erfüllt ist.” The Teubner-edition had been commis-
sioned in 1916 (Walzer (1959) 586).
 Jaeger (1925a) 5: “Das Bedürfnis nach einem kritisch begründeten Text [der Metaphysik] …
soll befriedigt werden durch die von mir seit Jahren vorbereitete Ausgabe, die durch die Ungunst
der Kriegsverhältnisse zunächst unmöglich geworden schien, seither aber wieder aufgenommen
werden konnte und in absehbarer Zeit zum Abschluß gebracht werden wird.”
 Jaeger’s next remark contains a certain irony of fate. He says: “but perhaps he [Ross] is him-
self undertaking a smaller edition for the Oxford Classical Series.”
The Entwicklungsgeschichte of a Text 193

the ancient commentaries (because this was exactly what Ross did).¹¹⁸ He alters
his plan so that he would now prepare an editio maior, a full critical edition
based on all available manuscripts. It is this new plan of preparing a critical ed-
ition that makes Jaeger highlight in his 1925 review the importance of the remain-
ing Metaphysics manuscripts (deteriores), which Ross had not taken into ac-
count, and even question the two-branch theory of the transmission of the
Metaphysics. ¹¹⁹ Things do not go according to plan, though, since Jaeger’s idea
for a critical edition is cancelled out by the temporum iniquitas. ¹²⁰
The other views on the transmission of the Metaphysics that Jaeger expresses
in his reviews are less contingent on his changing editorial plans, and are in
agreement with his earlier stance on the matter: E and J are both representatives
of a Byzantine diorthosis (Π) and present the text in a revised form. Ab, on the
other hand, “though extremely faulty … goes back … to an ancient recension
which alone offers the right reading in many places.”¹²¹ The exemplar Π con-
tained marginal glosses including some of the readings in Ab. Alexander’s com-
mentary holds a position “intermediate” between the other two versions of
text.¹²² In this respect, Jaeger follows Ross’s view, even in his wording.¹²³ In
fact, Ross and Jaeger share the view that the separation of the two versions of
the text of the Metaphysics happened at a time before Alexander.¹²⁴ However,
Ross does not go so far as Jaeger will when the latter claims that Alexander
had both versions at his disposal.
Between Jaeger’s assessment of Ross’s edition of the Metaphysics and the ap-
pearance of his own lay more than 30 years. Within these years, the Second
World War takes place, and Jaeger immigrates to the United States;¹²⁵ he com-

 Jaeger (1957) v: fuit tum hoc mihi consilium, ut hos tres codices diligenter conferrem necnon
commentaria Alexandri Aphrodisiensis et reliquorum interpretum graecorum quam accuratissime
iterum excuterem.
 Jaeger (1925b) 178: “A ‘critical edition’ of the Metaphysics cannot refuse place to the deter-
iores any more than an editor of Aeschylus or Sophocles can be found to-day to take his stand
solely on the Laurentianus. A reduction of the deteriores to the two traditions mentioned is im-
possible. … Thus it is hardly open to doubt that the text of the Metaphysics has come to us
through more than two channels.” (emphasis added) There is no comparable statement in Jaeg-
er’s German review (1925a).
 Jaeger (1957) v.
 Jaeger (1925b) 177. See also Jaeger (1925a) 61.
 Jaeger (1925b) 177; Jaeger (1925a) 61: “Mischtext.”
 Ross (1924a) clxi: “Alexander (fl. 200 A.D.) represents a tradition intermediate between the
two.”
 Ross (1924) clxiii: “The facts point to the existence in Alexander’s time of three texts of ap-
proximately equal correctness, represented now by EJ, Ab, and Alexander’s commentary.”
 On Werner Jaeger’s academic life in the US see Malgarini (1992).
194 Mirjam E. Kotwick

pletes works such as the three volumes of his Paideia and his monograph on De-
mosthenes. The next publication on the Metaphysics is in 1956, a short article in
memory of Giorgio Pasquali, in which Jaeger discusses “contemporary evidence
on the text of the first chapters” of the Metaphysics. This discussion sounds the
bell for Jaeger’s edition that is to finally appear in the Oxford Classical Text Series
in 1957. The short paper and even more so the praefatio of the edition indicate the
editorial principles upon which Jaeger’s Metaphysics text rests.
Jaeger bases his editio minor,¹²⁶ exactly as his editorial forerunner Ross, on
the three direct witnesses E (Parisinus gr. 1853), J (Vindobonensis phil. gr. 100) and
Ab (Laurentianus 87.12), with a very occasional look at the later manuscripts T
(Vaticanus 256) and S (Laurentianus 81.1).¹²⁷ Jaeger refers to the common ancestor
of E and J as Π, which he describes as a Byzantine edition. Ab is, according to
Jaeger, the sole witness of another version of the text. He furthermore adduces
as indirect witnesses (as Ross did) ancient commentators, most notably Alexand-
er and Asclepius,¹²⁸ and the medieval Latin translation by William of Moer-
beke.¹²⁹ In contrast to Ross, Jaeger could make use of the Arabic evidence for
the Metaphysics text, since Maurice Bouyges published his critical edition of
Averroes’s Long Commentary on the Metaphysics (Tafsīr Mā ba‛ad at-Tabī‛at) in
1938 – 1948 including a list of errores separativi between the Arabic version
and the Greek version of the text.¹³⁰ Jaeger’s references to the Arabic evidence
are limited to that list.¹³¹
The most significant aspect of Jaeger’s view on the two versions of the Meta-
physics, represented by Ab on the one hand, and Π on the other, is his argument
that it is possible to trace their origins back as far as to Aristotle’s desk itself.
Jaeger holds that Π was revised by Byzantine scholars, yet that it goes back to
an ancient Peripatetic edition, whose history Jaeger finds revealed by a scholium
in E that is placed at the end of Theophrastus’ ‘Metaphysics’ (which follows Ar-

 The term editio minor does not imply a value judgment, but still Renehan (1990): 147 reas-
sures “it has … every right to be pronounced a major edition.”
 Both T and S belong to the same branch of tradition as E and J. See Harlfinger (1979).
 In his 1956 article, Jaeger highlights the important role that indirect witnesses play in con-
stituting the Metaphysics text. He discusses passages from the first book of the Metaphysics,
where the indirect evidence in Alexander’s commentary, but also in Theophrastus’ writings or
even Aristotle’s earlier works (esp. the Protrepticus) help to restore the text.
 Jaeger’s evaluation of the medieval Latin translations of the Metaphysics is restricted to the
one by William of Moerbeke. Since the first critical edition of all four extant Latin translations of
the Metaphysics by Gudrun Vuillemin-Diem (published between 1970 and 1995) we know that
William used J as his main source manuscript. Cf. Primavesi (2012a) 403 – 405.
 Bouyges (1952) CLXI–CLXXV. See also Jaeger (1957) xx and Primavesi (2012a) 399 – 403.
 Primavesi (2012a) 402. Cf. also Walzer (1959) 587– 588.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 195

istotle’s Metaphysics in E).¹³² The scholium states (among other things) that An-
dronicus did not know Theophrastus’ ‘Metaphysics’.¹³³ From this statement,
Jaeger infers that E stems from an edition that had augmented Andronicus’ edi-
tion with Theophrastus’ work.¹³⁴ Therefore, Jaeger calls the edition ‘Andronicum
auctum’. He furthermore considers it a likely possibility that book α was added to
this version of the Metaphysics together with and as late as Theophrastus’ work,
since the name α ἔλαττον – Little Alpha – reveals that it was included in the
Metaphysics only after the other books had already received their place and
name.¹³⁵
The other version, represented by Ab, contains at the ends of certain books
the first words of the following books,¹³⁶ as was first pointed out by Christ.¹³⁷
These so-called reclamantes are traces of an ancient papyrus edition, in which
they functioned as catchwords that would help to identify the right roll. This
leads Jaeger to conclude that Ab goes back to an edition of a time before the
codex had replaced the papyrus roll at about 400 CE.¹³⁸ Regarding Ab’s relation-
ship to the text that Alexander used, Jaeger states that (as was first indicated by
Bonitz) Alexander confirms several of the readings in Ab against the reading in
E.¹³⁹ This fact, Jaeger points out, cannot be explained by a revision in which Ab
would have been adjusted to Alexander’s commentary, because Alexander also
oftentimes agrees with E against Ab.¹⁴⁰ From these observations, then, Jaeger
concludes that Alexander must have had access to both versions of the text¹⁴¹
—and hence that Ab must be at least as old as the 2nd century AD, but was
most likely extant already at the beginning of the common era or even before.¹⁴²
The idea that Alexander already used both versions of the Metaphysics text has

 Jaeger (1957) vi.


 On the scholium see Gutas (2010) 9 – 25 and 158 – 159. See also Jaeger (1932).
 For a reevaluation of this view see Hecquet-Devienne (2004).
 Jaeger (1957) vii. See also Jaeger (1932) 290. I will come back to the problematic implications
of this hypothesis below.
 Jaeger (1912) 181; Jaeger (1957) ix–x; Primavesi (2012a) 390 – 391.
 Christ (1886) VII.
 Jaeger (1912) 181; Primavesi (2012a) 393; Kotwick (2016) 4– 5. That this terminus ante quem
holds not just for Ab, but the whole of what is now called the β-tradition of the Metaphysics, was
first pointed out by Alexandru (2000).
 Jaeger (1957) ix.
 Jaeger (1957) ix. Jaeger here does not consider the possibility that someone adjusted Ab to
Alexander’s commentary only selectively. On the question of contamination of the β-branch by
Alexander’s commentary see Primavesi (2012a) 424– 439 and Kotwick (2016) 207– 241.
 Jaeger (1957) x: Al certe suo usus iudicio utramque versionem adhibuit.
 Jaeger (1957) x: si autem Al hac recensione saeculo II usus est, apparet eam initio aetatis
Christianae exstitisse, nisi fuit etiam antiquior.
196 Mirjam E. Kotwick

some rather important implications for Jaeger’s evaluation of Alexander as a wit-


ness to the text. For if Alexander could more or less choose between the readings
given in (a predecessor of) Ab and in (a predecessor of) Π his testimony to one or
the other does not necessarily point us to the older reading but to the reading
Alexander liked most. Although Jaeger does not make these implications explic-
it,¹⁴³ he inevitably decreases the value of the readings testified by Alexander’s
commentary. Yet Jaeger finds himself forced to assume that the versions repre-
sented by Π and Ab were both extant at Alexander’s time, because he wants
to trace both versions back even further in time, that is, to Aristotle’s life time
or to a time shortly after his death.
In other words, Jaeger fancies the idea that the two Metaphysics versions that
have come down to us reflect Aristotle’s teaching methods and in a way the sit-
uation on Aristotle’s own desk. As Jaeger argued in 1912, since Aristotle constant-
ly rewrote his lecture notes, it seems almost natural to attribute the phenomenon
that our two versions often offer two different, yet viable readings¹⁴⁴ to the fact
that more than one version of Aristotle’s lecture notes were found after his
death.¹⁴⁵ Jaeger connects the version represented by Ab with the first edition
that, as Asclepius informs us, was prepared by Aristotle’s student Eudemus of
Rhodes.¹⁴⁶ Eudemus, so Jaeger speculates, used another version of the text
than the version Andronicus used and which later would become Π.¹⁴⁷ With
this explanation of the two divergent versions of our Metaphysics, Jaeger
seems to apply his idea of an Entwicklungsgeschichte of the Metaphysics in Aris-
totle’s mind not just to the constitution of the Metaphysics as a ‘book,’ as pointed
out above, but even to the transmission of the work in (two) different versions,
which, according to Jaeger, correspond to the developmental story he tells about
the Metaphysics’ origins.

 It seems to be implicit when Jaeger (1957) xi writes: quae Al non interpretatur neque legisse
videtur, maiorem igitus fidem habebat hoc loco versioni Ab.
 Jaeger (1957) xi describes the version in Ab as often expressing the same thought as the ver-
sion in Π, but shorter.
 Jaeger (1957) xi: sed magis credo potius utramque versionem vere Aristotelis esse, nam con-
sentaneum est eum multa addidisse, cum has σχολάς, ut rei natura fert, iterum et saepius coram
discipulis legeret. … nec vero Ab omnibus locis puriorem vel antiquiorem memoriam praebet quam
Π, sed complures versiones plus minusve politas vel correctas ἐν κηρῷ ab Aristotele relictas esse
veri simile est. See also Jaeger (1957) xvii.
 Asclepius, In Metaph. 4,4– 16 Hayduck. See also Jaeger (1912) 175, where he had taken a
more skeptical view on the evidence given in Asclepius’ commentary: “Was die Kommentatoren
von einer Redaktion der Metaphysik durch Eudem wissen, macht einen wenig zuverlässigen Ein-
druck, wenigstens der Bericht bei Asklepios.”
 Jaeger (1957) xi.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 197

By holding that Aristotle’s methods of working and teaching resulted in the


existence of more than one version of the same lecture course, Jaeger expands on
the view envisioned already in his Aristoteles (1923). He maintains the view that
Aristotle’s teaching left traces in the very format of these versions, and so he sees
the Metaphysics text as full of parenthetical remarks and examples that Aristotle
added over the course of time to his lecture materials.¹⁴⁸ These sentences or
paragraphs that Jaeger marks as later, though often authentic, additions to the
Metaphysics are one of the most distinct features of Jaeger’s edition. Most signif-
icant are the additions that Jaeger claims to have been made by Aristotle himself,
which he indicates by means of double brackets (“[[…]]”).¹⁴⁹
A typical example of an addition that Aristotle made himself and in which
Jaeger sees the teacher at work is the very first one, given in A 1, 981a11– 12.¹⁵⁰
Aristotle describes it as a matter of art (techne) rather than experience (empeiria)
when a doctor recognizes that for all patients of a certain constitution a certain
cure has shown to have a healing effect.¹⁵¹ In the text of Π, we find two examples
of such classes of patients, marked by a certain constitution: “e. g. to phlegmatic
or bilious people when burning with fever.” In the version represented by Ab,
this illustrative remark is absent.¹⁵² According to Jaeger, Aristotle included this

 Jaeger (1957) xi. I already discussed an example of such an addition by Aristotle above,
p. 192– 193.
 On these Jaeger writes in (1923b) 175: “Jede dieser Urkunden eines jahrzehntelang unabläs-
sig mit den gleichen Fragen ringenden Nachdenkens repräsentiert einen fruchtbaren Augen-
blick, eine Stufe der Entwicklung, ein Stadium der Lösung, einen Anlauf zu neuer Formulier-
ung.” Apart from that, Jaeger detects additions, especially in Π, which he does not attribute
to Aristotle himself, but rather to the intrusion of marginal glosses added in the course of the
transmission by someone other than Aristotle. See Jaeger (1957) x. These additions to Π
(which is called the α-version today) are especially interesting in light of Primavesi’s thesis
that α contains several later and inauthentic “α-supplements” (see Primavesi (2012a) 439 – 456).
 On this passage see Jaeger (1957) x–xi and Primavesi (2012a) 436 – 437.
 Arist. Metaph. A 1,981a10 – 12: τὸ δ᾽ ὅτι πᾶσι τοῖς τοιοῖσδε κατ᾽ εἶδος ἓν ἀφορισθεῖσι, κάμ-
νουσι τηνδὶ τὴν νόσον, συνήνεγκεν, [[οἷον τοῖς φλεγματώδεσιν ἢ χολώδεσι [ἢ] (ἢ del. Jackson)
πυρέττουσι καύσῳ,]] τέχνης. / “But to judge that it has done good to all persons of a certain
constitution, marked off in one class, when they were ill of this disease, [[e. g. to phlegmatic
or bilious people when burning with fever,]]—this is a matter of art.”
 As to the evidence in Alexander’s commentary, who in fact seems to have found the med-
ical examples in his text (In Metaph. 5,5 – 7 Hayduck), Jaeger says in his praefatio that Alexander
non interpretatur neque legisse videtur the examples given in Π. In order to fully understand
what Jaeger means here one also has to take into consideration his subsequent explanation
that Alexander maiorem igitur fidem habebat hoc loco versioni Ab and his remark in the appara-
tus criticus ad loc, where he actually states exempla legit Al Ascl. Primavesi (2012a) 436 – 437, dis-
regarding these additional statements, holds that Jaeger wrongly claims that Alexander did not
find the line in question in his text. However, what Jaeger actually means is that Alexander,
198 Mirjam E. Kotwick

explanatory addition at some later time and, presumably, only in the version that
later would become the exemplar of Andronicus’ version and hence Π.
Jaeger marks 23 such [[…]]-additions in his text:¹⁵³ 19 of them are found in
both versions, two of them are found in Π only, and two in Ab only. The diversity
in the occurrence of these notably Aristotelian additions raises the question of
how we are supposed to imagine that many were included into the text of
both versions, but some only in one of the two. If the two versions were distinct
already among Aristotle’s lecture material, it seems strange that some of his own
later additions were made (by Aristotle himself?) in both versions, whereas oth-
ers occur only in one of the two. It seems that Jaeger’s enthusiasm for detecting
later Aristotelian additions in the text as part of its Entwicklungsgeschichte made
him overlook the complications that such detection brings about for the explan-
ation of their origins.
In highlighting this difficulty, we are touching upon a more general tension
within Jaeger’s theory of the textual history of the Metaphysics, in which he
blends his own developmental analysis of Aristotle’s thought with the recon-
struction of the text’s history and even its transmission. This tension becomes
apparent also at another point of his explanation, even if Jaeger shows himself
aware of it and in fact offers a solution to it. In his praefatio, Jaeger pushes the
time when book α ἔλαττον was included in the Metaphysics compendium to a
point when all the other books were already combined and labeled. Jaeger spec-
ulates about whether it may even have been after Andronicus had prepared his
standard edition.¹⁵⁴ This speculation, however, immediately raises the question
of how it then happened that book α is included in both versions Π and Ab of the
Metaphysics. Jaeger has an answer ready: There has been a considerate amount
of contamination between the two versions, in the course of which the versions
were adjusted to each other as far as book number and content are concerned.¹⁵⁵
However, this explanation is uneconomical. For in order to explain the diver-
gence between the two versions as a result of early separation, Jaeger has to ex-
plain their actual congruence as the result of later contamination.
What about the evidence provided by Alexander’s commentary, which Jaeger
promised to evaluate thoroughly for his edition? It was Bonitz in the middle of

since he had both versions at his disposal, was indeed aware of the existence of the examples in
the Π-version, but decided to follow, i. e. to read the text according to the Ab-reading.
 Cf. the list in Renehan (1990) 155 – 156 n. 30.
 Jaeger (1957) vii. Cf. my comments above.
 Jager (1957) xii: exstant et alia vestigia, quae breviorem recensionem [i. e. Eudemus’ version,
represented by Ab] ad ampliorem [i. e. the version represented by Π] postea assimulatam esse os-
tendunt, velut librorum ordo et numerus qui in omnibus nostris codicibus iam idem est.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 199

the 19th century who made the first important steps toward a proper evaluation of
Alexander’s commentary as an indirect witness to the Metaphysics text.¹⁵⁶ Jaeger
and Ross continue on this path and pay particular attention to the evidence stor-
ed in Alexander’s comments on the text. Many of Jaeger’s, in Walzer’s words,
“stimulating and thought provoking suggestions”¹⁵⁷ are in fact inspired by
Alexander’s commentary.¹⁵⁸
For example, Jaeger is the first editor who takes seriously Alexander’s testi-
mony to the opening of book α ἔλαττον. Alexander testifies indirectly that his
own Metaphysics exemplar reads the conjunction ὅτι as the very first word of
book α (α 1, 993a29 – 30).¹⁵⁹ Rather than reading Ἡ περὶ τῆς ἀληθείας θεωρία
τῇ μὲν χαλεπὴ τῇ δὲ ῥᾳδία (“The investigation of the truth is in one way hard,
in another easy”), as we find it in our manuscripts, Alexander’s text reads ὅτι
ἡ περὶ τῆς ἀληθείας θεωρία… (“That the investigation of the truth …”) as the
first words of α ἔλαττον. As Jaeger rightly points out in his apparatus criticus,
the word ὅτι marks book α as an excerpt,¹⁶⁰ since ὅτι in the initial position of
a text signals that it is an excerpt taken from another context.¹⁶¹ We might all
agree that it was most likely not Aristotle himself who wrote ὅτι and so it is
not the ‘original’ reading, but the evidence in Alexander’s commentary clearly
indicates that this was the older reading, which most likely and quite under-
standably had been deleted in the text of our manuscripts. In taking Alexander’s

 In 1847, Bonitz prepared the first edition of the entire commentary transmitted under
Alexander’s name. He furthermore was the first editor of the Metaphysics who made ample
use of the evidence available in Alexander’s commentary.
 Walzer (1959) 588.
 Cf. e. g. A 2, 982b23, A 8, 989b20 – 21, α 1, 993b17, α 1, 993b27, B 2, 996b19 – 20, B 3, 998b21,
B 3, 999a19, Γ 4, 1008a25 – 26, Γ 7, 1011b35; Δ 15, 1021a3. I do not include here any examples from
the text of books E–M, in which Jaeger’s conjectures are based on the evidence of Ps.-Alexander,
i.e. Michael of Ephesus, who is the author of books E–N of “Alexander’s” commentary on the
Metaphysics. On this see below.
 Alex. In Metaph. 138,26 – 28 Hayduck: Γράφεται καὶ χωρὶς τοῦ ὅ τ ι , ἡ περὶ τῆς ἀληθείας
θεωρία· καὶ μᾶλλον δοκεῖ ἐκεῖνο ἀρχὴ εἶναι, τὸ δὲ μετὰ τοῦ ‘ὅτι’ οὐκ ἀρχὴ ἀλλ’ ἑπόμενον προει-
ρημένῳ τινί. / “This text is also written without ὅτι, thus: ‘The investigation of the truth’. And
this reading seems more clearly to be a beginning [of the book], whereas the one introduced
by ὅτι is not a beginning, but a sequel to something said before it.” (transl. by Dooley, but modi-
fied.) See also Alex. In Metaph. 137,2– 5 Hayduck. For a more detailed discussion of this passage
see Kotwick 2016: 78 – 83.
 Jaeger 1957: 33 vel excerpta vel notas indicat.
 There are various examples of this usage of ὅτι in preserved ancient Greek works. For a
helpful overview of the different usages of ὅτι at the beginning of a passage see Reis 1999:
49 – 50. For examples see also Kotwick 2016: 82.
200 Mirjam E. Kotwick

testimony seriously, Jaeger restores the ancient reading and prints ὅτι in his
text.¹⁶²
Yet there are several cases where one can challenge Jaeger’s appeal to
Alexander’s commentary as evidence for a more authentic text. In Γ 4,
1008a25, for example, Jaeger inserts in the Metaphysics text the words καὶ
λίθος (“and stone”), which he claims to be testified by Alexander as the reading
of his text. According to my view on the passage in Alexander’s commentary,
Jaeger’s conclusion is quite daring. In the passage in question, Aristotle exam-
ines the absurdities that result from the denial of the principle of non-contradic-
tion by pointing out that it would make everything one and the same—human
being, God, trireme.¹⁶³ In Jaeger’s text, “and stone” (<καὶ λίθος>) is added after
trireme. In the apparatus, Jaeger justifies this addition by saying καὶ λίθος ex
Alp addidi qui bis sic citat. When looking at the relevant passage in Alexander’s
commentary (In Metaph. 295,25 – 26), we see that it is true that Alexander adds
“stone” in his free paraphrase, which is not a citation, of this passage from
the Metaphysics. Yet this by no means testifies that he read λίθος in his text,
for it is his habit as a commentator to expand the examples given in Aristotle’s
text. In fact, Alexander adds λίθος also when commenting on an earlier passage
of Γ 4 (290,29 – 32), where Aristotle makes the same point by equating trireme,
wall, and human being (1007b20 – 21). In that instance, however, Jaeger does
not add <καὶ λίθος> to his text, although the state of evidence is exactly the
same.
Another problematic aspect of Jaeger’s usage of Alexander’s commentary de-
serves mentioning. Jaeger does not sufficiently distinguish between the authentic
part of Alexander’s commentary, i. e., books A–Δ, and the inauthentic (in fact
only Byzantine) part of the commentary, books E–N, which were written by Mi-
chael of Ephesus.¹⁶⁴ This is especially striking because the commentary by Mi-
chael was written only in the 12th century AD, that is, about 300 years later
than our earliest Metaphysics manuscript J. Therefore, the textual evidence stor-
ed in Michael’s commentary is fundamentally different from the evidence in

 After having identified book α as an excerpt, Jaeger continues in the apparatus: quod cum
scholio de Pasicle huius libelli auctore consentit. With this remark, Jaeger links the excerpt char-
acter of the book to the so-called Pasicles-scholium, preserved in E. According to Jaeger 1912:
114– 8, this scholium together with Asclepius’ report that some doubt the authenticity of book
α (Ascl. 113,5 – 9) evince that the book is in fact a transcript (ὑπόμνημα) by a student of Aristotle.
Yet Vuillemin-Diem 1983 has shown that the scholium, which does not even refer to α but rather
to A, is only based on a remark by Asclepius (Ascl. 4,17– 24).
 Arist. Metaph. Γ 4, 1008a20 – 27.
 See Byden (2005) 105 – 106.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 201

Alexander’s authentic commentary, written around 200 CE. Scholars as early as


in the 15th century suspected the second part of Alexander’s commentary to be
inauthentic.¹⁶⁵ Praechter 1906 showed it to be by Michael of Ephesus,¹⁶⁶ after
Freudenthal in 1885 had already argued successfully that Ps.-Alexander did
not even have access to the authentic commentary on books E–N.¹⁶⁷ Jaeger
must have been aware, then, of the fact that the evidence he adduces as “Al.”
on the text of books E–N differs significantly from the evidence of “Al.” on
books A–Δ. Still, he adduces Michael’s late evidence in just the same way as
Alexander’s,¹⁶⁸ not even mentioning the difference in his praefatio. ¹⁶⁹
On the whole, the evidence provided by Alexander’s commentary is at odds
with Jaeger’s application of the Entwicklungsgeschichte to the textual history of
the Metaphysics. In his last paper, published posthumously in 1965, Jaeger
makes use of Alexander’s testimony on A 9, 991b3 and restores the authentic
reading on the basis of Alexander’s comments, thereby reconsidering his deci-
sion on the passage in his edition.¹⁷⁰ This reconsideration of Jaeger, however,
brings to the surface a tension inherent in his theory: on the one hand, Jaeger
believes that the two versions Π and Ab go back to two different versions of Ar-
istotle’s lecture notes, whose split he dates to a time as early as the fourth cen-
tury BCE. On the other, Alexander in 200 CE had at his disposal (and through his
commentary preserves) a more ancient or “purer text”¹⁷¹ of these two versions
than our manuscripts. This raises the question of how it comes about that
both versions (Π and Ab) share the same incorrect reading (λέγεται), whereas
Alexander’s text(s) preserve(s) the correct reading (λέγομεν). If the corruption
(λέγομεν ‘corrected’ to λέγεται) is later than Alexander, how do both versions

 Sepúlveda (1527) f. A.i.r.


 Praechter (1906) 863 n. 3 and 882– 907. Luna (2001) proved Praechter’s conclusions to be
valid.
 Freudenthal (1885) 3 – 64 argues that the fragments of Alexander’s commentary on book Λ,
which are preserved in Averroes’s Metaphysics commentary, are incompatible with the directly
preserved commentary on book Λ.
 See e. g. the cases in Δ 29, 1025a5, H 3, 1044a4; K 6, 1063a37, b4.
 Jaeger does give some rather scarce hints of this difference in the apparatus of book Λ,
where we have both the (Arabic) fragments of Alexander’s authentic commentary and Michael’s
commentary. See e. g. the apparatus on Λ 1, 1069a32, where Jaeger makes his reader aware of the
difference between the two ‘Alexander’: Al (qui dicitur): om. Al genuinus (sed γρ) apud Averroem
et Them… In his 1923 article on the Metaphysics text, Jaeger uses both names, “Alexander” and
“Ps.-Alexander”, to refer to Ps.-Alexander (see Jaeger (1923) 260 and 271– 272).
 Reading ἐν δὲ τῷ Φαίδωνι οὕτω λέγομεν (“In the Phaedo we say such”) instead of ἐν δὲ τῷ
Φαίδωνι οὕτω λέγεται (“In the Phaedo it is said such”). In his 1957 edition, Jaeger reads the lat-
ter in the text, yet notes “λέγομεν Alexander Asclepius, an recte?” in the apparatus.
 Jaeger (1956) 408.
202 Mirjam E. Kotwick

share it? The answer can only be that in both versions—as separate as their trans-
missions were—the reading had been changed. Such a scenario is certainly pos-
sible, yet the hypothesis is uneconomical, since it requires several steps to ex-
plain the conjunctive error (Bindefehler) in Π and Ab as the result either of a
later contamination between the two or independent corruption. Such an ex-
planation is especially uneconomical when taking into account that the Meta-
physics text contains several conjunctive errors between Π and Ab against
Alexander’s commentary.¹⁷² However, Jaeger does not (in his unfinished and
posthumously published paper) link his defense of the correct reading preserved
in Alexander’s commentary and his own stance on the separation of the two ver-
sions outlined in his 1957 praefatio.
In concluding this survey of Jaeger’s conception of the textual history of the
Metaphysics, we can state that Jaeger applies his understanding of Aristotle’s in-
tellectual development to the very format in which the Metaphysics is composed.
This is made explicit in part by Jaeger himself.¹⁷³ However, there is a further step
in Jaeger’s application, which is more implicit than explicit: the application of
the idea of an Entwicklungsgeschichte of the intellectual development of Aristo-
tle’s mind to the transmission process of the two versions of the Metaphysics
text. This second step is taken only implicitly, because it conflicts, as pointed
out above, with other evidence Jaeger himself adduces.

6 Some remarks on Jaeger’s edition


of the Metaphysics from today’s perspective
There has been a good deal of progress in the study of the text of the Metaphysics
text since Jaeger published his edition in 1957.¹⁷⁴ In 1979, Dieter Harlfinger of-
fered a complete stemma codicum of the manuscripts that contain the Metaphy-
sics. ¹⁷⁵ His research has shown that Ab is not the only representative of what is
now called the β-version of the text. There are four further independent manu-
scripts of the β-text.¹⁷⁶ What Jaeger called the Byzantine edition Π is now refer-

 See Kotwick (2016) 99 – 124.


 Cf. Jaeger (1923b) 5 and Jaeger (1960) XVIII.
 Short overviews are offered by Byden (2005) 105 – 107, Primavesi (2012a) 387– 412 and Kot-
wick (2016) 1– 19.
 Harlfinger (1979).
 The fragment Y (Parisinus Suppl. 687), the mss. M (Ambrosianus F 113 sup.), Vk (Vaticanus
gr. 115) and C (Taurinensis B.VII.23).
The Entwicklungsgeschichte of a Text 203

red to as the α-version of the text.¹⁷⁷ In a way, then, Jaeger’s clear separation of
two independent and divergent “versions” of the text has been confirmed. Yet his
evaluation of these versions has been revised in more than one respect. Whereas
Jaeger claims to have further rehabilitated the version of Ab (the β-version) as
often preserving the older reading, recent studies, quite to the contrary, see
the β-version as a revised version of the text, in which Aristotle’s text had
been ‘smoothed out’ from sparse phrases still extant in α.¹⁷⁸ Parallel to this re-
evaluation of the β-version, the α-version has been taken as the more authentic
witness to the text.¹⁷⁹ This is in a way opposite to Jaeger’s view that α is an edi-
tion that had been corrected in Byzantine times. On the other hand, Primavesi
points to several later additions in the α-version (called “α-supplements”) and
thereby speaks of instances of later interventions occurring to the α-version.¹⁸⁰
What about Jaeger’s application of his concept of an Entwicklungsgeschichte
of the Metaphysics to the history of the text itself? Today’s reception of Jaeger’s
developmental theory is characterized by a great doubt about the validity of such
an approach to explaining possible contradictions within Aristotle’s writings. I
argued above that Jaeger projects his developmental view on the work’s genesis
in Aristotle’s mind onto the textual history of the Metaphysics. Should we then
conclude that since the developmental view on Aristotle’s works is to be regard-
ed as invalid, Jaeger’s claim that the two versions of the text go back to different
stages in Aristotle’s teaching career is obsolete too?
As a final point in this article I would like to provide a more substantive cri-
tique of Jaeger’s extremely early dating of the split of the two versions α (Π) and
β (Ab). Jaeger’s thesis that the two manuscript versions of the Metaphysics go
back to two different versions of Aristotle’s lecture notes met with approval
early on. Walzer writes in his 1959 review of Jaeger’s edition: “It is a very attrac-
tive guess to derive the two families – through intermediates which most likely

 E and J are not the only independent witnesses of the α-version. The α-branch that had
been represented by J is to be reconstructed by J and the hyparchetype γ (constituted by eleven
independent manuscripts). On this see Primavesi (2012a) 393.
 Frede/Patzig (1988) 13 – 17 first argued for this view on the basis of book Z. This has been
confirmed in respect to book Γ by Cassin/Narcy (1989). Primavesi (2012a) 424– 439, concentrat-
ing on book A, adduces Alexander’s commentary as further evidence for the view that the β-ver-
sion is the result of a revision process.
 Cassin/Narcy (1989) follow the α-version of the text in Γ wherever possible (and even in
those cases, where it seems impossible, or at least not advisable). In his edition of book A, Pri-
mavesi (2012b) follows α in most cases of divergence between α and β.
 Furthermore, and as I argue in Kotwick (2016) 241– 266, Alexander’s commentary also in-
fluenced various parts of the α-version.
204 Mirjam E. Kotwick

we shall never know – from different phases in Aristotle’s lecturing activity.”¹⁸¹


Renehan (1990) 155, after quoting Walzer, states: “Such a revision of lectures is
not a merely hypothetical situation; it has happened elsewhere in antiquity.”
It seems quite reasonable to hold that in antiquity, just as today, revision was
a scholar’s daily task in academic writing. One might raise doubts, however, about
how clearly the results of such an authorial revision can be preserved through the
long transmission process. And still, what makes Jaeger’s hypothesis highly doubt-
ful indeed is not so much that it is obviously very speculative, but rather that it is
inconsistent with the evidence that can be deduced from Alexander’s commentary.
As I recently have argued in an extensive study on Alexander of Aphrodisias’ tes-
timony to and influence on the transmission of the Metaphysics, Alexander’s com-
mentary is the terminus post quem for the split of the common ancestor of α and β
into these two versions.¹⁸² Since the common ancestor of α and β shows clear
traces of contamination by Alexander’s commentary,¹⁸³ the two versions separated
only after Alexander’s commentary became influential. Given that the β-version,
as Jaeger himself pointed out, goes back to an ancient papyrus edition, which
as a medium of literature was outdated by 400 CE, the time span in which the
split into α and β could have occurred can be set between 225 and 400 CE. There-
fore, Jaeger’s assumption that Aristotle’s intellectual development is intrinsically
connected with and even mirrored by the two versions of the Metaphysics text
can no longer be sustained.
And so we can conclude that Jaeger’s enthusiasm for Entwicklungsgeschichte
made him sacrifice Alexander as a textual witness. This holds true in more than
one respect. Instead of writing a study on Alexander (as envisioned in 1917),
Jaeger concentrated on the reconstruction of Aristotle’s intellectual development
and having completed this task he fit Alexander into that same reconstructed
picture. Furthermore, this procedure made Jaeger disregard a number of features
in Alexander’s commentary that do not match up with Jaeger’s view—such as,
for instance, the way that Alexander provides clues to the fact that he used
only one text of the Metaphysics. That he knew both versions of the Metaphysics
is also very unlikely because there are in total only two instances where Alexand-
er seems to display knowledge about the two distinct readings in α and β in the
sense that he knows both readings as clearly distinct versions of the text.¹⁸⁴ But

 Walzer (1959) 588.


 Kotwick (2016).
 See Kotwick (2016) 178 – 206.
 See Alex. In Metaph. 347,19 – 25, 348,5 – 8 on Δ 1, 1013a21– 23 and Alex. In Metaph. 145,8 – 12,
19 – 146,4 on α 1, 993b22 – 24. For a detailed discussion of these passages see Kotwick (2016) 266 –
278.
The Entwicklungsgeschichte of a Text 205

even these cases by no means force the conclusion that Alexander knew of both
α and β. Rather, the evidence in Alexander’s commentary on the whole clearly
points to a date of the split at a time after Alexander, rendering Jaeger’s projec-
tion of his idea of an Entwicklungsgeschichte onto the text untenable.
This allows me to conclude that Jaeger’s edition is characterized in several
ways by his own idea of the traceability of the intellectual development of Aris-
totle’s thought—not just in the content of the various parts of the Metaphysics,
but even in the history and transmission of its very text. From today’s perspec-
tive, this approach appears untenable. What makes Jaeger’s edition nevertheless
so valuable to readers of Aristotle’s Metaphysics—and what I have tried to illus-
trate by a few examples above—is his instinct for finding and pointing to prob-
lems and oddities in the argument and the text, as well as the (sometimes ingen-
ious) way that he offers solutions and emendations for them. Jaeger’s studies on
the Metaphysics as a whole points to the many challenges that this work poses to
its readers. Most of the modern scholars and readers agree with Jaeger that Ar-
istotle did not intend the Metaphysics as a composition in the form in which it is
transmitted by our direct and indirect sources. However, we should not infer
from this the bolder claim that it is possible to reconstruct securely the steps
of Aristotle’s intellectual development and their expression in the different
parts of the Metaphysics.

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208 Mirjam E. Kotwick

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Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk*
Werner Jaeger und die antike Medizin
Werner Jaegers Forschungen im Bereich der griechisch-römischen Medizin stehen
in engem Zusammenhang mit seinen wissenschaftlichen Interessen an der anti-
ken Philosophie und mit seinen breiteren bildungsgeschichtlichen und bil-
dungspolitischen Vorstellungen im Rahmen des sog. Dritten Humanismus. Letz-
teres kommt vor allem in der Bedeutung, die Jaeger der Medizin im zweiten Band
seiner Paideia zuschreibt, zum Ausdruck: Dieser wird der zweite Teil unserer
Arbeit gewidmet sein. Zuerst aber sei auf Jaegers Beschäftigung mit der antiken
Medizin in anderen Publikationen und auch kurz auf seine Rolle als Leiter des
Corpus Medicorum Graecorum eingegangen, wobei insbesondere einige Aspekte
seiner Interpretationen zur Geschichte der griechischen Medizin erörtert werden,
die in der bisherigen Forschung weniger Beachtung gefunden haben.

I
I.1 Der Pneuma-Begriff und seine Bedeutung
für die antike Medizin und Philosophie
Jaegers Interesse an der Schnittstelle zwischen antiker Medizin und (vor allem
aristotelischer) Philosophie kommt schon in seiner frühen Schaffensperiode zum
Ausdruck. In dem klassischen Aufsatz ‚Das Pneuma im Lykeion‘ (1913) konzen-
triert sich Jaeger auf die umstrittenen und von der damaligen Aristotelesforschung
als marginal und sogar inauthentisch betrachteten psychophysiologischen
Schriften De motu animalium und De spiritu, deren Bedeutung er rehabilitieren
möchte (und von denen er im selben Jahr im Teubner Verlag eine kritische Ausgabe
veröffentlichen wird).¹ Die Untersuchung dieser Schriften steht aber im Rahmen
weitergreifender kulturgeschichtlicher Betrachtungen zur Rolle des Pneumabe-

* Der erste Teil dieser Arbeit stammt von Philip van der Eijk und wurde nach der Tagung im
September 2013 überarbeitet und erweitert; der zweite Teil stammt von Roberto Lo Presti und stellt
die leicht angepasste und gekürzte Fassung seines Aufsatzes „Werner Jaegers Paideia. Die Stellung
der antiken Medizin in seiner Auffassung der Geisteswissenschaften“ dar, der als Lo Presti (2013)
zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Der Alexander von Humboldt-Stiftung danken wir für die
finanzielle Unterstützung des Forschungsvorhabens, aus dem diese Arbeit hervorgegangen ist.
 Jaeger (1913a). Über Jaegers allgemeinen Ansatz zur aristotelischen Philosophie besonders in
Bezug auf die Metaphysik siehe den Aufsatz von Kotwick oben in diesem Band.

DOI 10.1515/9783110548983-008
210 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

griffs (der in den beiden Schriften prominent vertreten ist) von den frühesten
Anfängen des antiken Denkens bis in die Spätantike und die frühchristliche Zeit.
Mit der Geschichte dieses einzelnen Begriffs ist für Jaeger nämlich eine viel um-
fassendere Geschichte des menschlichen Denkens und Fühlens verbunden, wie
aus den folgenden Zitaten hervorgeht:²

Das naive Denken vorwissenschaftlicher Naturerfahrung erkennt aus dem Stillstand der
Atmung, der die Schwelle zwischen Leben und Tod bildet, das innere Band, welches Leben
und Atmen aneinander knüpft. Das unwiederbringlich Entfliehende, mit dem alle Bewegung
und die Lust der immer regsamen Empfindung dem sterbenden Körper entweicht, ist der Gott
des Lebens, und sein Wesen ist die Kraft des Hauches, das πνεῦμα. Es ist die Seele, und Seele
ist Hauch (…).
Kaum eine andere Lehre, welche die Philosophie aus der medicinischen Physiologie
gezogen hat, wurde für diese Allianz ein stärkeres Bindeglied, aber auch keine für die ra-
tionale Psychologie, den Panpsychismus und die ganze Wissenschaft des spätern Altertums
so fatal wie die vom Pneuma. Aus dem religiösen Vorstellungsnebel gewisser Volksschichten
und aus der Orphik aufsteigend, okkupirte diese Anschauung das Gebiet der ältern Medicin
mindestens seit Empedokles, bei dem ein reiner Forschergeist und die Phantastik der ka-
thartischen Religion in einem Hirn beisammen wohnten. Sie griff in die Philosophie hinüber,
am stärksten in die Psychologie des Diogenes, Demokrit, Aristoteles, Theophrast, ward dann
durch die Stoa zum Weltprincip und zur allesdurchdringenden Gottheit erhoben, um durch
die Verbindung hellenistischer Popularphilosophie mit dem Aberglauben der Menge endlich
wieder in die dumpfe Sphäre der sakramentalen Spekulation und der Konventikelreligionen
des hellenistischen Vorderorients hinabzusinken, aus der erst die lebensvolle Deutung des
Paulus von Tarsos sie wieder hervorzog und ihrer weltgeschichtlichen Zukunft im Trini-
tätsdogma der Christen entgegenführte. So vollendete sie ihren historischen Kreislauf.
Pneuma bei Empedokles, bei den Ärzten der sikelischen Schule, oder bei den Koern, bei
Platon, Aristoteles, Chrysipp, bei Athenaios von Attalia, bei Philon, Paulus, Origenes, Basilius
markert ebensoviele verschiedene Etappen der Geistesgeschichte, und doch läßt sich die
Continuität der Entwicklung nicht bestreiten.

Diese Aussagen verleihen dem Aufsatz einen gewissermaßen programmatischen


Charakter, indem sie die Linien eines großen Forschungsvorhabens skizzieren,
worin der Pneumabegriff ein Leitmotiv darstellt, das die intellektuelle Geschichte
über Jahrhunderte hinweg als ‚Bindeglied‘ mitbestimmen wird. Es wird auch
sofort klar, dass es die Bedeutsamkeit der antiken Medizin für diese allgemeineren
und umfassenderen geistesgeschichtlichen Fragen – die ‚Allianz‘ zwischen Phi-
losophie und ‚medicinischer Physiologie‘³ – ist, die von Anfang an Jaegers in-
tensive Beschäftigungen in diesem Bereich motiviert hat.

 Jaeger (1913b) 29, 30 – 31.


 Vgl. Jaeger (1913b) 29 – 30: „Wie für die ältere Religionsgeschichte, gewinnt die Erforschung der
Medicin jener Periode [d. h. der Zeitraum der ‚Lehren und führenden Köpfe der Medicin und
Werner Jaeger und die antike Medizin 211

Der Gedanke einer ‚Vollendung‘ der diesbezüglichen griechischen Denkan-


sätze im hellenistisch-jüdischen Denken des Philon und in den theologischen
Vorstellungen des Apostels Paulus und der griechischen Kirchenväter stellt ein
weiteres Thema und ein verbindendes Element mit dem antiken Christentum dar,
das ebenfalls von Anfang an in Jaegers Werk eine wichtige Rolle spielt, z. B. in
seiner Habilitationsschrift über die Schrift De natura hominis des christlichen
Bischofs Nemesios von Emesa, die aus derselben Zeit stammt und 1914 veröf-
fentlicht wurde. Jaegers Beschäftigung mit dieser stark von der antiken Medizin
geprägten Schrift, die in der handschriftlichen Überlieferung manchmal auch
Gregor von Nyssa zugeschrieben wird,versteht sich teilweise aus seinem lebhaften
und bis Ende seines Lebens fortdauernden Interesse am Kirchenvater aus Kapp-
adozien, teilweise auch daraus, dass Nemesios in der Quellenforschung, die im
späten 19. und frühen 20. Jh. in der klassischen Philologie das vorherrschende
Paradigma war, für einen wichtigen Baustein für die Rekonstruktion des verlo-
renen Kommentars des Poseidonios zum platonischen Timaios gehalten wurde.
Die starke Präsenz des Aristoteles im Werk des Nemesios und die enge Verbindung
von Gedanken aus der aristotelischen Philosophie mit der griechischen Medizin
(vor allem Hippokrates und Galen) sowie Nemesios’ Thematisierung des Ver-
hältnisses zwischen Metaphysik und Biologie werden für Jaeger jedoch gewiss
auch reizvolle, sein Interesse weiter motivierende Elemente gewesen sein. Diese
Schrift handelt ja von der Stellung des Menschen im Kosmos und vom Verhältnis
zwischen dem Seelischen und dem Natürlichen sowohl in seinen kognitiven als
auch in seinen moralischen Aspekten, also gerade demjenigen Bereich, der mit
dem griechischen Ausdruck φύσις ἀνθρώπου angedeutet wird. Nemesios’ Aus-
führungen zu medizinischen und physiologischen Themen dienen hier der Ver-
anschaulichung der Funktionsbezogenheit der körperlichen Teile und Mecha-
nismen, durch die die Seele den Leib als ‚Werkzeug‘ (ὄργανον) benutzt, wobei es
auch bei Nemesios ganz konkret das Pneuma ist, das die Funktion des Vermittlers
zwischen Seele und Körper erfüllt.⁴ Von diesem Pneuma im Kontext der Ab-
handlung durch den Bischof von Emesa ist es nur ein kleiner Schritt zum ἅγιον
πνεῦμα, einem Thema, dem Jaeger später im Rahmen seiner intensiven Bemü-
hungen um die kritische Ausgabe der Werke Gregors von Nyssa seine letzte

Naturwissenschaft des 6. und 5. Jhdts.‘] für die Entwicklung der Philosophie in der Folgezeit
neuerdings ein erhöhtes Interesse.“ Die Forschung sei „zu einem in vielen Einzelzügen faßbaren,
konkreten Geschichtsbild von der ältern Medicin vorgedrungen, das unsere Einsicht in die engen
Bande zwischen Philosophie und Medicin wesentlich vertieft und der Forschung an den Philo-
sophen und Systemen bis weit über Aristoteles herab frische Kräfte und Tendenzen zugeführt hat.“
Etwas später spricht Jaeger von einer „wirksamen κοινωνία der Mediciner und Philosophen“ (30).
 Siehe dazu Sharples u. van der Eijk (2008) 7– 14.
212 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

(postum 1966 von Heinrich Dörries veröffentlichte) Monographie zu Gregors Lehre


vom Heiligen Geist widmen wird.⁵

I.2 Jaeger und das Corpus Medicorum Graecorum

In seinen Publikationen der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre beschäftigt sich


Jaeger vorwiegend mit der antiken Philosophie und mit philosophischen Aspekten
der griechischen Dichtung.⁶ In diesem Zeitraum gibt es aber einen anderen, eher
praktisch-organisatorischen Rahmen, in dem sein Interesse an der antiken Me-
dizin zum Ausdruck kommt: die Preußische Akademie der Wissenschaften, deren
ordentliches Mitglied er im Jahre 1924 geworden ist⁷ und ihre Kommission für die
Herausgabe der griechischen Mediziner, die das vom 1922 verstorbenen Hermann
Diels begründete, an der Berliner Akademie angesiedelte Corpus Medicorum
Graecorum weiter betreut.⁸ Nach einer kurzen Übergangsphase unter Wilamowitz
übernimmt Jaeger 1925 die Leitung dieses medizinhistorischen Vorhabens, und
obwohl er sich selbst mit der tatsächlichen Editionsarbeit nicht direkt inhaltlich
beschäftigt, erweist er sich als ein zielführender Geschäftsführer und Wissen-

 Jaeger (1966). In diesem Zusammenhang sei auch Jaeger (1961) erwähnt, eine Sammlung von
Vorträgen, die er an der Harvard University gehalten hatte (dazu Keyser (1992) 83 – 105). In dieser
großen Bandbreite von Jaegers Interessen, von der Medizin und Philosophie im 4. Jh. v.Chr. bis zur
christlichen Philosophie in der Spätantike, in der Konzentration auf die Schnittstelle zwischen
Seele und Natur, in der Einschätzung der Medizin als wichtiges Zeugnis für diese philosophischen
Theorien und schließlich auch in methodologischer Hinsicht in der engen Verbindung zwischen
Geistesgeschichte und Editionsphilologie (Jaeger war ja auch Herausgeber von kritischen Aus-
gaben zu Aristoteles und Gregor von Nyssa) könnte man in Jaeger vielleicht eine deutsche, pro-
testantische Parallele zum französischen Dominikaner André-Jean Festugière sehen, dessen Werk
vergleichbare Tendenzen aufweist, wobei im Fall von Festugière die Medizin eher in ihren Be-
ziehungen zur Theologie und Religionsgeschichte gesehen wird. Zu Jaegers Ansatz zum Frühen
Christentum siehe unten den Beitrag von Markschies.
 Hier ist vor allem an sein Aristotelesbuch zu denken (Jaeger (1923)). Für kleinere Schriften und
Vorträge aus diesem Zeitraum siehe Jaeger (1960a); Jaeger (1960b).
 Siehe Kirsten (1985) 176.
 Zu Jaegers Rolle in der Akademie siehe Schlicker (1975) 347– 348 (der Name des Verfassers dieser
Seiten wird nicht erwähnt); s. auch Rebenich (2013) 70 und Seidensticker (2013). Eine spätere
Charakterisierung von Jaegers Tätigkeiten im Rahmen des CMG bietet K. Deichgräber (1957) 104–
117. Deichgräber stützt sich hier wohl teilweise auf den Bericht, den Jaeger während einer Sitzung
der Berliner Akademie am 21. Januar 1932 erstattet hatte (gedruckt in SB Berlin 1932, XXIX–XXXII).
Für Hilfe bei der Forschung zu Jaegers Tätigkeit als Leiter des CMG danken wir Frau Dr. sc. Jutta
Kollesch und Herrn Dr. Roland Wittwer von der Arbeitsstelle des CMG an der Berlin-Branden-
burgischen Akademie der Wissenschaften, Frau Wiebke Witzel vom Archiv der Akademie und
Herrn Prof. Dr. Wolfgang Rösler.
Werner Jaeger und die antike Medizin 213

schaftsmanager, der energisch für das Vorhaben neue Mitarbeiter rekrutiert und
sich um die Erweiterung der Sammlung von Kollationen bemüht.⁹ Was alles in den
insgesamt zwölf Jahren von Jaegers Direktorschaft (bis zu seinem Weggang nach
Chicago im Jahre 1936) unter immer schwierigeren wirtschaftlichen Umständen im
Rahmen des CMG an Vorarbeiten für Veröffentlichungen von kritischen Editionen
griechischer medizinischer Texte und an anderen, im Umfeld des Vorhabens
entstandenen Studien geleistet wurde, belegen die von Jaeger gezeichneten (al-
lerdings weitgehend von anderen, vor allem Johannes Mewaldt und Karl Deich-
graeber, erstellten) Jahresberichte.¹⁰ Mindestens ebenso interessant ist aber die
Vision, die Jaeger in diesen Jahren von der Rolle des CMG im breiteren Rahmen der
Erforschung der Geschichte der Medizin und der antiken Wissenschaften im
Allgemeinen entwickelt. Jaeger schwebt das Ideal eines an der Berliner Akademie
angesiedelten Institutes für die Geschichte der Wissenschaften vor, das in seinem
Ansatz nicht allein historisch, sondern auch am Bildungsgedanken orientiert sein
soll.¹¹ In dieser Vision nimmt Aristoteles eine zentrale Stellung ein: Eine neue

 Man vergleiche etwa Jaegers Klage (in SB Berlin 1932, XXXI) über den „Kreis von nur noch ganz
wenigen Mitarbeitern… die von den 29 ursprünglichen Mitarbeitern übriggeblieben waren“, den er
bei seinem Antritt als Leiter des Vorhabens 1925 vorfand, mit der auch im Umfang beeindru-
ckenden „Liste der Mitarbeiter am CMG 30.5.32“, die im Archiv des CMG aufbewahrt wird. Auch in
der „Denkschrift“ der Akademie aus 1930 (s. unten, Anm. 12) 5 – 7, ist davon die Rede, dass für das
CMG „in den letzten anderthalb Jahren … eine Reihe neuer tüchtiger Mitarbeiter gewonnen
wurde“.
 SB Berlin (1925) LXV–LXVII; SB Berlin (1926) LXVI; SB Berlin (1927) XLV; SB Berlin (1928) XLIV–
XLV; SB Berlin (1929) LXVIII–LXIX; SB Berlin (1930) LV; SB Berlin (1931) LXXIII; SB Berlin (1932)
XXIX–XXXII, LXII–LXIII; SB Berlin (1933) LVIII–LIX; SB Berlin (1934) LV–LVI; SB Berlin (1935)
LXIX–LXX; SB Berlin (1936) LII–LIV (jetzt alle auf der Homepage des CMG zugänglich: siehe http://
cmg.bbaw.de/project-office/berichte). Als Publikationen sind insbesondere die Editionen von
Soranos (durch Ilberg), von mehreren hippokratischen Schriften (durch Ilberg), von Oribasius’
Collectiones medicae (durch Raeder), von Galens Kommentar zu den hippokratischen Epidemien
(durch Wenkebach und Pfaff) und von Aetius Amidenus’ Libri medicinales I–IV (durch Olivieri)
hervorzuheben; auch Deichgräbers Monographie Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum
(1933) und sein Kommentar zur hippokratischen Schrift De carnibus (1935) entstehen in diesem
Kontext und Zeitraum. Zu erwähnen ist noch die Gründung (im Jahr 1935) des Supplementum zum
CMG („eine Reihe von Arbeiten, die als Ergänzung der Editionen des Corpus betrachtet werden
können, in erster Linie Fragmentsammlungen und Rekonstruktionen verlorener Schriften der im
Corpus vorgesehenen Autoren“, SB Berlin (1935) LXIX), in dem als erster Band die Fragmente von
Galens Kommentar zum Timaios (herausgegeben von Schroeder) im gleichen Jahr erscheinen.
 Zu diesem Institut siehe die Denkschrift der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin über die Erweiterung ihrer Tätigkeit (Zentrales Archiv der Akademie der Wissenschaften der
DDR, II: Ia, Bd. 12, Bl. 79), Berlin 1930. Dieses Memorandum, das von der Kommission zur Re-
formierung und Umstrukturierung der Akademie erstellt wurde, enthält auf S. 5 – 7 eine Moti-
vierung für ein neu zu gestaltendes Institut für Geschichte der Wissenschaft im Altertum, die
214 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

kritische Gesamtedition seiner Werke sieht Jaeger als eine der Hauptaufgaben
dieses Instituts.¹² Für das Corpus Medicorum Graecorum ist in diesem Zusam-
menhang aber auch eine „ideelle, dem neuen Humanismus entsprechende all-
gemeine Basis“ vorgesehen:¹³ Es ist die Rede von einer „Eingliederung des Corpus
Medicorum Graecorum in ein Institut, das sich die Aufgabe stellt, der Erforschung
dieses geistigen Ganzen – und zwar über den Rahmen der Edition hinaus – zu
dienen“; auch die Aufarbeitung der orientalischen Überlieferung der medizini-
schen Texte wird in diesem Zusammenhang als wünschenswerte Erweiterung ins
Auge gefasst.¹⁴ Das Institut wurde niemals realisiert und Jaeger selbst verließ das

vermutlich von Jaeger inspiriert ist. Bezeichnend ist, dass Jaeger fast zur gleichen Zeit (1931) mit
der Abfassung der Paideia begann.
 Aristoteles ist „der Brennpunkt, der alle Strahlen des wissenschaftlichen Lebens der Griechen
in sich vereinigte und von dem seit 2000 Jahren die wissenschaftliche Bewegung des Morgen- und
Abendlandes ausstrahlt“ (Denkschrift, 5).
 Deichgräber (1957) 105: „Mit der Besinnung auf die Frage, wo die klassische Philologie stände,
mit der Auffassung, daß sie Trägerin eines bildenden, nicht rein historisierenden Humanismus sein
müsse, bekam Diels’ großer Plan, der keineswegs aufgegeben werden sollte, in gewissem Sinn einen
zweitrangigen Charakter, mindestens in der Gedankenwelt, die das Zeichen ihres Begründers, eben
Werner Jaegers, deutlich an sich trug. Diels wollte längst erforderliche, zuverlässige Texte als die
unentbehrliche Grundlage für die Geschichte der Medizin, inbesondere für ein historisch haltbares
Hippokratesbild, nichts weiter, Jaeger hatte sich ein Jahr vor seinem Bericht um die Einrichtung
eines Instituts für Geschichte der Wissenschaften an der Akademie bemüht – vergeblich, und so
spürt man noch an seinem Bericht das schmerzliche Gefühl, den eigenen Plan zurückstellen zu
müssen. Aber das Entscheidende in Jägers Überlegung über das CMG war doch, dass dieses Un-
ternehmen überhaupt aus seiner Isolierung in eine neue Art von philologischer Forschung eingebaut
werden sollte. Sein Buch über Diokles von Karystos, den Arzt, der von ihm als Peripatetiker erkannt
war, zeigt am konkreten Beispiel, wie nun die Akzente gesetzt werden sollten, Wertakzente und
Wertrelationen. Mit der Losung eines geschichtlich sehenden, aber erzieherischen Humanismus
ergab sich, dass Aristoteles (nicht Platon) Mittelpunkt aller Überlegungen wurde, in die auch das
Corpus einzubeziehen war. Wenn Aristoteles allen wissenschaftlichen Einzelgebieten ihre Stellung
in einem Ganzen der Forschung gegeben hatte, wenn gerade dieser Philosoph mit alten und neuen
Fragen und Antworten etwas wie einen Kosmos darstellte, so sollte das von Jaeger geplante Institut
durch die gleiche Weite, aber auch durch eine bestimmte Rangordnung der Einzelunternehmungen
gekennzeichnet sein, sollte das Corpus Medicorum Graecorum damit eine ideelle, dem neuen
Humanismus entsprechende allgemeine Basis erhalten.“
 Denkschrift (wie oben, Anm. 12), 5. Neben dem Institut für Wissenschaftsgeschichte waren auch
noch ein Institut für griechisch-römische Epigraphik, ein Institut für Patristik und ein Institut für
Buddhistische Forschung geplant, alles im Sinne,wie es in der Denkschrift ausdrücklich heißt, einer
„erweiterten Altertumswissenschaft, wie sie Boeckhs geistigem Auge vorschwebte, als die Wis-
senschaft von der gesamten geistigen und materiellen Kultur der Antike“. All dies blieb ein Wunsch,
das Memorandum blieb unverwirklicht und wurde in den Jahren 1933 – 1934 ad acta gelegt.
Werner Jaeger und die antike Medizin 215

CMG im Jahr 1936, als er in die USA übersiedelte;¹⁵ seine Vision einer Betrach-
tungsweise der antiken Medizin, die zum Ideal des „geschichtlich sehenden, aber
erzieherischen Humanismus“ passte,¹⁶ blieb aber bestehen und fand ihren wohl
kräftigsten Ausdruck in Jaegers eingehender Beschäftigung mit Diokles von Ka-
rystos, dem berühmten griechischen Arzt aus dem 4. Jh., der in der Antike schon
als ‚zweiter Hippokrates‘ galt und dem Jaeger ab 1938 eine Reihe von Publika-
tionen widmete.¹⁷

I.3 Diokles, Aristoteles und die Aristotelisierung


der antiken Medizin
Diokles war für Jaeger interessant, weil er glaubte, in ihm ein schlagendes Beispiel
der Wechselwirkung zwischen Medizin und Philosophie more aristotelico sehen zu
können: Diokles stellte die medizinische Endstation von Aristoteles’ Entwicklung
vom platonischen Metaphysiker zum empirischen Naturforscher dar, der Ent-
wicklung zu einer Art philosophisch inspiriertem Empirismus, den Jaeger u. a. in
dem sogenannten ‚großen Methodenfragment‘ des Diokles verkörpert sah.¹⁸ Für
diese Interpretation war es aber notwendig, dass Diokles erheblich später datiert
würde, als bisher angenommen wurde, also nicht in der Generation unmittelbar
nach Hippokrates, sondern ganz am Ende des 4. und am Anfang des 3. Jh. v.Chr.,
und dass Diokles sogar zum Schüler des Aristoteles gemacht wurde. Diese In-

 Roland Wittwer macht mich noch auf einen Bericht über die Zeit aus der Feder des Orientalisten
Martin Plessner aufmerksam (Plessner (1966)), aus dem folgendes zitierenswürdig ist (245): „Der
Mann, dem die Betreuung des Corpus nach seinem [i.e. Diels’] Tode zufiel, Werner Jaeger, hat zwar,
wie ich diesem Kreise nicht auseinanderzusetzen brauche, in seinen beiden Büchern Nemesios von
Emesa und Diokles von Karystos sowie in einigen Aufsätzen bahnbrechende eigene Beiträge zur
Geschichte der Medizin geliefert; es gelang ihm jedoch nicht, unter seinen Schülern jemand zu
finden, der die Sorge für das Corpus hauptamtlich übernahm. Zwei von ihnen haben mir selbst
erzählt, dass er sie damit betrauen wollte, und zwar im Rahmen des von ihm geplanten wissen-
schaftsgeschichtlichen Instituts. Die Ereignisse des Jahres 1933 zwangen nicht nur diese beiden
Schüler, sondern auch ihn selbst zur Auswanderung aus Deutschland.“ Wer die beiden Schüler
waren, die Jaeger bevorzugt hätte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen; es liegt aber nahe, an Ludwig
Edelstein und Richard Walzer zu denken, die beide bereits 1933, drei Jahren vor Jaeger, emigrierten.
 Der Ausdruck stammt von Deichgräber (1957).
 Jaeger (1938a), (1938b), (1940), (1951), (1952).
 Fr. 112 Wellmann, Fr. 176 van der Eijk. Siehe Jaeger (1938a) 222: „Die Philosophie lehrt jetzt den
Arzt die Kunst des methodischen Schließens, sie lehrt, wie man eine Wissenschaft auf Erfahrung
logisch aufbaut, und sie gibt dem Objekt des ärztlichen Forschens, dem Menschen, als universalen
Hintergrund die Lehre von der Gesamtheit des organischen Lebens, deren eigentlicher Schöpfer
Aristoteles ist.“
216 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

terpretation verteidigte Jaeger in einer Reihe von Publikationen aus den dreißiger,
vierziger und fünfziger Jahren,von denen eine auch in der englischen Übersetzung
des Aristotelesbuches von 1948 als Anhang nachgedruckt wurde.¹⁹
Von den Einzelheiten und den Problemen von Jaegers Beschäftigung mit
Diokles ist anderswo schon ausführlich die Rede gewesen,²⁰ wobei die metho-
dischen Schwächen in Jaegers Argumentation den Blick auf die Plausibilität ei-
niger seiner Annahmen von engen Beziehungen zwischen Diokles und dem Ly-
keion übrigens nicht verdunkeln sollten. Hier sei aber auf zwei andere Aspekte von
Jaegers Interpretationen zur antiken Medizin eingegangen, die er im Umfeld seiner
Beschäftigung mit Diokles entwickelt hat und die bisher weniger Beachtung ge-
funden haben. Diese Aspekte veranschaulichen erneut die Kontinuität seines
Denkens und die überaus zentrale Rolle, die das Pneuma darin spielt. Außerdem
haben sie, wie wir noch sehen werden, eine gewisse Aktualität für die heutige
medizinhistorische Forschung. Es geht hier um die intellektuellen Beziehungen
zwischen Medizin und Philosophie im ausgehenden 4. und frühen 3. Jh. v.Chr. und
um die Rolle der aristotelischen Philosophie darin. In diesem Zusammenhang
interessieren auch die Problematik des aristotelischen Hippokratesbildes und die
aristotelisch-peripatetische Wahrnehmung der geschichtlichen Entwicklung der
Medizin. Einige Zitate aus Jaegers Werk bringen seine Auffassungen zu diesen
Themen klar zum Ausdruck:²¹

Die Wahrheit ist jedoch, daß er [Aristoteles] in der medizinischen Wissenschaft seiner Zeit
eine geschichtlich hochbedeutsame Rolle gespielt hat. Er hat geradezu ein neues Zentrum für
sie geschaffen, das maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung der Medizin ausgeübt hat und
neben dem die älteren Schulen zurücktraten. Die größten Namen der griechischen Medizin
des 4. und 3. Jhrh.v.Chr. sind Diokles von Karystos, Praxagoras von Kos, Erasistratos von Keos
und Herophilos von Chalkedon. Von diesen sind die beiden bedeutendsten Köpfe, Diokles
und Erasistratos, in der Schule des Aristoteles ausgebildet worden. Herophilos ist ohne sie
nicht denkbar. Praxagoras aber ist von Diokles notorisch in so hohem Grade beeinflußt, daß
er als sein Schüler erscheint. Diese Tatsache erhält jetzt eine neue, geschichtlich symbolische
Bedeutung. Das Verhältnis des Praxagoras, des Hauptes der koischen Schule, zu Diokles wird

 Jaeger (1948) 407– 425: „Diocles. A new pupil of Aristotle.“


 Siehe die Übersicht in von Staden (1992), der eine verheerende Analyse der ernsthaften
Schwächen von Jaegers Dioklesbuch bietet. Siehe auch van der Eijk (2000) ix und (2001) xxxi (mit
Anm. 72 für Hinweise auf Probleme in Jaegers Einzelinterpretationen). Das Jaeger’sche Paradigma
war mehr als vierzig Jahre später immer noch dominant: Denn obwohl die meisten Wissen-
schaftler, die sich mit Diokles beschäftigten, den Ansichten von Jaeger ausgesprochen kritisch
gegenüber standen, wurde die Diskussion noch lange von der Frage der Datierung des Diokles und
seines Verhältnisses zu Aristoteles beherrscht, einer Frage also, die Jaeger angeregt hatte; siehe
z. B. Kudlien (1971); Heinimann (1955); Flashar (1966) 50 – 59; Longrigg (1993) 162– 164.
 Jaeger (1938a) 225.
Werner Jaeger und die antike Medizin 217

gleichsam zur Verkörperung der Herrschaft des Peripatos über die griechische Medizin. Die
peripatetische Wissenschaft ergreift geistig Besitz von der Schule des Hippokrates.

Jaeger entwirft hier eine komplizierte Genealogie der Medizingeschichte des aus-
gehenden 4. Jh. Praxagoras von Kos gilt als Nachfolger des Hippokrates und als das
neue Schulhaupt der koischen Schule; er stehe aber ebenfalls unter dem Einfluss
des Diokles und somit des Aristoteles; Diokles habe seinerseits auf Herophilos von
Chalkedon eingewirkt; und auch Erasistratos füge sich in dieses Bild.²² Was hier
skizziert wird, ist das Bild einer Art von Aristotelisierung der Medizin, die sich in
Diokles und Praxagoras und über Straton auch in Erasistratos und Herophilos
manifestiert hat und die über die pseudo-aristotelische Schrift De spiritu in die Stoa
und in die sogenannte pneumatische Schule weiter gewirkt hat.²³
Diese genealogisch-geistesgeschichtliche Theorie kommt noch deutlicher in dem
späteren Aufsatz in englischer Sprache („Diocles of Carystus: A new pupil of Ari-
stotle“) zum Ausdruck, der einerseits dieselben Gedanken wie im Dioklesbuch auf-
greift,²⁴ andererseits ganz besonders die überragende Rolle des Pneumas hervor-
hebt:²⁵

 „Seine Lehre erscheint als Produkt der Verschmelzung von Gedanken der Medizin des Diokles
und der Physik des Straton“ (Jaeger (1938a) 227; siehe auch 233: „Diese enge Beziehung der
Schulen wirkt sich bei Erasistratos eine Generation später bereits in der Weise aus, daß er einen
Teil seiner ärztlichen Ausbildung in Kos erhält und dann von dort nach Athen geht, um sein
Studium im Peripatos unter Metrodoros zu beenden.“)
 Siehe die kritische Betrachtung dieser genealogischen Auffassungen durch von Staden (1992)
231– 232.
 „If our conclusions are sound, as I think they are, we have succeeded in reconstructing an
important but hitherto unknown part of Aristotle’s school and philosophy which had disappeared,
together with the ideal of scientific life from which this school had sprung. Medicine was one of the
most authoritative and respected members of the large family of sciences united in the Peripatos.
The medical department of the Peripatetic school had in Diocles its greatest representative.
Metrodorus belonged to it. Erasistratus, like Diocles one of the greatest medical figures of all times,
studied in it. The influence of Diocles on Praxagoras of Cos, in his main theories as well as in many
details, was noted long ago, but it remained unexplained since almost a century lay between them.
Now we suddenly see that Praxagoras was a contemporary, only a little younger than Diocles.
Since Praxagoras was the head of the Hippocratic school, his dependence upon Diocles means
that about twenty years after Aristotle’s death the Hippocratic school at Cos was under the do-
minating influence of the medical department of Aristotle’s school. Herophilus, the head of the
new medical school at Alexandria during the reign of Ptolemies I and II, was a pupil of Praxagoras.
He developed anatomy, on which Diocles had written the first systematic work and enriched it by
many new discoveries. He also developed the dialectical and logical element in medicine, which
Diocles had introduced, and therefore was called the dialectician. It was a pupil of his who
founded the empirical school of medicine in the late third century.“ (Jaeger (1940) 424)
 Jaeger (1940) 424– 425.
218 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

The Peripatetic biologists all adhered to the theory of the pneuma, which was Diocles’ fun-
damental idea in physiology and pathology. The fact that Theophrastus and Strato are
linked very closely with Diocles’ medical theory has seemed rather strange heretofore,
but now becomes easily understandable, as does the important part which the theory of
the pneuma plays in Stoic psychology and physiology and even in Stoic metaphysics. It
goes back to the Sicilian school of medicine and was adopted by Plato and Aristotle. In Ar-
istotle’s school it experienced a renaissance in Diocles’ medical system and was blended by
him with elements of Hippocratic and Cnidean medicine, for, like Aristotle’s philosophy at
large, Diocles’ medicine is characterized by a strongly synthetic tendency. It unites within
itself the historical schools of Greek medicine and tries to link them into greater unity. It is
the new historical and synthetic consciousness which gives Diocles his key position in the
history of Greek medicine.

Zu diesen Aussagen ist zu bemerken, dass Jaegers Annahme der weitgehenden


Bedeutung der aristotelischen Philosophie für die hellenistische Medizin an sich
durchaus eine gewisse Plausibilität hat, wie die modernere Forschung bestätigt
hat,²⁶ obwohl diese Bedeutung auch, und wohl eher, in anderen Bereichen als in
dem Pneumabegriff zu suchen ist. Auf der anderen Seite fällt auf, wie sehr Jaegers
Interpretationen von naiven Voraussetzungen über Einfluss und Lehrer-Schüler-
Verhältnisse geprägt sind – Interpretationen, für die das Beweismaterial meistens
sehr karg und fragwürdig ist – und wie grob seine Charakterisierungen der ver-
schiedenen Lehren sind. Viele Begriffe, die er in Anspruch nimmt, sind höchst
kompliziert und problematisch, z. B. „the theory of the pneuma“, oder das Konzept
der „Sicilian school of medicine“, für das Max Wellmann sich in seiner Edition der
Fragmente von Diokles stark gemacht hatte. Mit solchen groben Verallgemeine-
rungen kann die heutige Forschung wenig anfangen.
In diesem Zusammenhang bespricht Jaeger aber auch die Frage nach dem
Verhältnis von Aristoteles und seiner Schule zur hippokratischen Medizin sowie
die Frage, wie sie zu ihrem Hippokratesbild gekommen sind und welche der so-
genannten hippokratischen Schriften im Lykeion bekannt gewesen sein dürften.
Ein weiteres Zitat veranschaulicht Jaegers Vorgehensweise in der Beantwortung
dieser Fragen:²⁷

Furthermore, it makes it clear why it was this generation which produced the first history of
medicine in the work of Meno. He obviously belonged to the same medical department of
the Aristotelian school. The work was not written by Aristotle himself, as traditionally be-
lieved in classical antiquity, but under his guidance, as were Theophrastus’ history of the

 Siehe z. B. von Staden (1997), Lonie (1964) und (1965), Lewis (2014), Leith (2015a), Leith
(2015b), Oikonomopoulou (2015), Thomas (2015), Ulacco (2011), Lewis u. Gregoric (2015), Gregoric
u. a. (2015).
 Jaeger (1940) 425.
Werner Jaeger und die antike Medizin 219

earlier physical systems and Eudemus’ famous works on the history of geometry, astrono-
my, and theology. When large excerpts from Meno’s history of medicine were discovered
some decades ago, the most difficult problem which scholars had to face was the picture
which he gives of Hippocrates. He represents him as a pneumatic and this misrepresenta-
tion seemed hardly understandable. For us it no longer offers a serious problem. Meno,
Diocles, and the Peripatetic school obviously saw the history of medicine in the light
and perspective of their own theory. They tried to find the first indications of it in Hippo-
crates and this is only an evidence of their high regard for this great physician.

Jaeger bezieht sich hier auf den Anonymus Londiniensis, den unbekannten Ver-
fasser einer auf Papyrus überlieferten medizindoxographischen Schrift, die 1893
entdeckt und einige Zeit später von Hermann Diels ediert wurde.²⁸ In diesem Text,
dessen Veröffentlichung das Bild der Medizingeschichte im 5. und 4. Jh. v.Chr.
weitgehend verändert hat, wird explizit auf Aristoteles als Quelle für die Doxo-
graphie über die Ursachen von Gesundheit und Krankheit verwiesen, obwohl
Jaeger der damaligen Forschung in der Zuweisung dieser Medizindoxographie an
Aristoteles’ Schüler Menon folgt.²⁹ Jaeger geht von einem hohen Grad von Be-
kanntheit der hippokratischen Schriften im Lykeion aus,³⁰ ohne jedoch so weit zu
gehen, die Schule des Aristoteles als den Geburtsort und ganz konkret Diokles als
den ersten Herausgeber des sogenannten Corpus Hippocraticum anzusehen (wie
es 1901 Max Wellmann behauptet hatte)³¹ und ohne zu beanspruchen, dass all
diese Schriften bereits unter dem Namen des Hippokrates zirkulierten.³² Er möchte
nicht einmal von einer ‚Sammlung‘ von Schriften reden.³³
Diese Ausführungen von Jaeger haben eine bemerkenswerte Aktualität, da
gerade auch in der Forschung der letzten Jahre wieder viel Interesse an der Ge-
staltung des Corpus Hippocraticum und an der Frage, welche hippokratischen
Schriften in der Schule des Aristoteles bekannt gewesen sein dürften, besteht.³⁴

 Diels (1893).
 Zu den Einzelheiten dieser Zuschreibung siehe Manetti (1999) 98 – 99.
 „Die Entlehnungen des Diokles aus einer größeren Zahl hippokratischer Schriften sprechen
dafür, daß schon unter Aristoteles im Peripatos die Möglichkeit bestand, sie zu lesen, und daß sie
nicht nur einzeln vorhanden waren, sondern als Schriftgruppe zusammen existierten.“ (Jaeger
(1938a) 233)
 Wellmann (1901) 64.
 „Diese Schriften waren zweifellos zum guten Teil bereits vorhanden, das beweist Diokles
unwiderleglich. Unter welchem Namen sie im einzelnen gingen, und wie weit ihre Verbreitung
reichte, wissen wir nicht.“ (Jaeger (1938a) 231– 232)
 „Das war natürlich keine Ausgabe des Hippokrates, sondern Material, das man sich aus Kos zu
Studienzwecken beschafft hatte. Wieweit die Leute in Kos selbst authentische Auskunft über das
Alter und die Herkunft der Schriften geben konnten, ist unsicher.“ (Jaeger (1938a) 233)
 Siehe dazu z. B. Oser-Grote (2004), Nelson (2015), van der Eijk (2015), van der Eijk (2012).
220 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

Auch Jaegers Beobachtungen zur aristotelisch-peripatetischen Bestimmung der


Schrift De flatibus als der hippokratischen Abhandlung über die Ursachen von
Krankheiten schlechthin, wie es der Anonymus Londiniensis nahelegt, verdienen
in diesem Zusammenhang nähere Betrachtung. Diese Zuschreibung hat die mo-
derne Hippokratesforschung immer wieder vor Probleme gestellt, da die Schrift De
flatibus lange Zeit eher als eine Sophistenprunkrede galt, deren medizinischer
Inhalt des großen koischen Arztes unwürdig erschien. In Jaegers Auffassung ist die
peripatetische Zuschreibung eben dieser Schrift an Hippokrates aber daraus zu
erklären, dass Hippokrates von Aristoteles bzw. Menon als ein pneumatischer Arzt
dargestellt wird. Hier meldet sich also wieder das alles beherrschende Pneuma.
Wie es so weit kommen konnte, sagt Jaeger gegen Ende seines Dioklesbuches:³⁵

Die gegenwärtige Richtung der peripatetischen Medizin war naturgemäß bestimmend für den
Grad des Interesses, das man den einzelnen koischen Schriften entgegenbrachte.Wir können
uns also nicht wundern, daß man im Lykeion diese Werke mit den Augen des pneumatischen
Physiologen und Pathologen las, sagen wir es rund heraus: mit den Augen des Diokles und
seiner Schule. Ebenso begreiflich ist es, daß man meist nur ‚Vorahnungen‘ der im Peripatos
für wahr gehaltenen Lehre bei den älteren Hippokratikern feststellen konnte. So hat Ari-
stoteles selbst in den Lehren der vorsokratischen Physiker die „stammelnden“ ersten An-
deutungen der Philosophie gefunden, die ihm als Wahrheit feststand. Daß es in der Medi-
zingeschichte, die Menon auf seine Anregung schrieb, nicht anders liegt, hat der Londoner
Papyrus uns enthüllt. Hippokrates erscheint bei Menon als pneumatischer Arzt.

Jaegers Suche nach einer Erklärung für die aristotelisch-peripatetische Wahr-


nehmung von De flatibus als derjenigen Schrift, die Hippokrates’ Auffassungen zu
den Ursachen von Gesundheit und Krankheit zum Ausdruck bringt bzw. ihnen am
nächsten kommt, kann auch heutzutage noch als ein an sich durchaus berech-
tigter Ansatz gewertet werden, obwohl seine Vermutungen über die entscheidende
Rolle des Diokles weit über das Beweismaterial hinausgehen. Problematischer
wird es allerdings, wenn Jaeger ganz am Ende seines Dioklesbuches darauf zu
sprechen kommt, wie es mit diesem peripatetischen Verständnis von Hippokrates
als pneumatischem Arzt in der hellenistischen Zeit weiterging:³⁶

Das weiterschreitende Leben hatte das Band zerschnitten, das die Gegenwart an die Ver-
gangenheit knüpfte … Man betrachtete ihn [Diokles] wie Hippokrates als einen Hauptre-

 Jaeger (1938a) 234.Vgl. Jaeger (1948) 425: „Meno, Diocles and the Peripatetic School obviously
saw the history of medicine in the light and perspective of their own theory (d. h. die Theorie des
Pneumas). They tried to find the first indications of it in Hippocrates and this is only an evidence of
their high regard for this great physician.“
 Jaeger (1940) 236.
Werner Jaeger und die antike Medizin 221

präsentanten der „dogmatischen“ Medizin, obgleich er alles Dogmatische Zeit seines Lebens
im echten Geiste aristotelischer Erfahrungswissenschaft bekämpft hatte.

Worauf Jaeger hier abzielt, ist nicht ganz klar, vermutlich denkt er an Alexander
Philalethes und Soran. Auffällig und äußerst problematisch ist aber seine Be-
nutzung des Begriffs ‚dogmatisch‘. Denn nach dem antiken Verständnis eines
‚dogmatischen‘ Arztes, in dem ‚dogmatisch‘ im Sinne von λογικός, rationalis, also
‚theoretisch begründet‘ gemeint ist, kann der Autor von De flatibus als der Vor-
läufer par excellence der ‚dogmatischen‘ Medizin betrachtet werden, da er alle
Merkmale, für die die dogmatische Schule später ausgezeichnet wurde, explizit
vertritt.³⁷ Auch die Annahme der herausragenden Rolle des Pneumas passt allzu
gut zu dieser Charakterisierung von Hippokrates als ‚dogmatischem‘ Arzt. Ähn-
liches gilt übrigens auch für Diokles, der in der hellenistischen und frühkaiser-
zeitlichen Medizin als eines der Häupter der dogmatischen hairesis galt, eine
Bezeichnung, die durchaus einleuchtend ist, wenn man Diokles’ Physiologie und
Pathologie in Betracht zieht.³⁸
Es ist kaum anzunehmen, dass Jaeger sich nicht dessen bewusst gewesen ist,
dass er das Wort ‚dogmatisch‘ hier in einem anderen Sinne benutzt, als es in der
Antike gemeint war. Man könnte meinen, dass es sich hier lediglich um eine
rhetorische Floskel handelt. Im Hintergrund spielt aber ein weiteres, eher in-
haltliches Problem eine Rolle, das mit Jaegers Auffassung von Diokles als Schüler
des Aristoteles – und indirekt auch mit seiner Auffassung von Aristoteles selbst –
zusammenhängt. Denn in Jaegers Interpretation des sogenannten Methoden-
fragmentes des Diokles wird derselbe Scheingegensatz kreiert: In der Einleitung
zu diesem Fragment bei Galen heißt es nämlich, dass Diokles, „obschon er
Dogmatiker war“ (καίτοι δογματικὸς ὦν, Fr. 176,11 vdE), die Auffassung vertreten
hat, dass die Vermögen der Nahrungsmittel „nur aufgrund von Erfahrung“ er-
kannt werden können (ἐκ πείρας μόνης, Fr. 176,38 vdE). Jaegers empiristische
Interpretation dieses Dioklesfragmentes ((1938a) 25 – 30) und die Ablehnung des
Etiketts dogmatikos sind aus vielerlei Gründen sehr fragwürdig, wie an anderer
Stelle ausführlicher dargelegt worden ist;³⁹ hier aber interessiert uns der Hinter-
grund dieser Interpretation, die in Jaegers Auffassung von Aristoteles als Erfah-
rungswissenschaftler liegt. Denn dass diese eigentlich ganz schlecht zur aristo-
telischen Wahrnehmung von Hippokrates, wie sie der Anonymus Londiniensis
belegt, passt, hätte Jaeger sicher realisieren müssen, genauso wie seine Auffas-

 Siehe dazu van der Eijk (2012) 1510 – 1522.


 Siehe dazu van der Eijk (2001) xxii–xxxviii.
 van der Eijk (1996).
222 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

sung von Diokles als empirischem Aristoteliker in etwas problematischem Ver-


hältnis zu seiner Bezeichnung von Diokles als ‚pneumatischem Physiologen und
Pathologen‘ steht: Der Verfasser von De flatibus kann ja schwerlich als ein em-
pirischer Arzt gesehen werden, im Gegenteil, er gilt, wie gesagt, eher als ein ἰατρὸς
λογικός. Stärker noch: In dieser Weise könnte man auch die aristotelische Wert-
schätzung dieser Schrift besser verstehen. Denn der aristotelische Hippokrates,
wie er im Anonymus Londiniensis erscheint, entspricht weitgehend Aristoteles’
eigener Auffassung des idealen Arztes, die gerade darin besteht, dass er die Me-
dizin zu mehr als einer bloßen Erfahrungswissenschaft macht. Obwohl für Ari-
stoteles die Erfahrung (empeiria) einen ganz wesentlichen Bestandteil der medi-
zinischen Kunst ausmacht, bewertet er letzten Endes doch den Arzt, der aufgrund
von theoretischem Universalwissen vorgeht, höher als denjenigen, der lediglich
aufgrund von Erfahrung operiert.⁴⁰ Die ‚geistig hochstehenden Ärzte‘ (τῶν ἰατρῶν
οἱ χαρίεντες), die in der Nikomachischen Ethik (1095b19 ff.) und in den Parva
Naturalia (463a4– 5, vgl. 436a17– 21, 480b27– 29) erwähnt werden, sowie die
‚Meisterärzte‘ (ἰατροὶ ἀρχιτέκτονες, ἰατροὶ ἀρχιτεκτονικοί) aus Metaphysik I,1
(981a30, 982a1) und aus Politik 1282a3 sind philosophisch angehauchte Ärzte, die
an Ursachenforschung interessiert sind – auch wenn diese Ursachen nicht direkt
empirisch wahrnehmbar sind – und die erklären möchten, warum ein gewisses
Nahrungs- oder Heilmittel im einen Fall wirkt und im anderen Fall nicht wirkt; es
sind Ärzte, deren medizinische Praxis auf Grundsätzen basiert, die der Natur-
philosophie entnommen sind und die ihre ärztliche Tätigkeit ausdrücklich in den
Rahmen einer allgemeinen Theorie über die Natur stellen; Ärzte, die die Be-
handlung einzelner Körperteile und Orte auf den ganzen Körper abstimmen; und
es sind Ärzte, die den Menschen biologisch als ein zoion erfassen und in ihrer
Untersuchung des menschlichen Körpers den Vergleich zu denen der anderen
Lebewesen heranziehen.⁴¹ Gerade diese Tendenzen sind es, die in der Schrift De
flatibus im Mittelpunkt stehen, und ebendiese Tendenzen sind es auch, die der
Charakterisierung von dogmatischen Ärzten bei späteren Autoren entsprechen:
die Behandlung durch entgegengesetzte Heilmittel, die Spekulation über ver-
borgene Ursachen, die inferenzielle Schlussfolgerung auf innere Zustände auf-
grund äußerer Zeichen, und die Benutzung des Konzeptes der natürlichen
Funktionen.⁴²

 Dies geht eindeutig aus der Erwähnung der Medizin und der verschiedenen Ärztegruppen in
Metaphysik I,1, Rhetorik I,2– 3, Politik 1282a3– 4 und Nikomachische Ethik X,9 hervor. Siehe die
Ausführungen von Chiaradonna (2013) und Cambiano (2012).
 Siehe dazu van der Eijk (2012) 1510 – 1519.
 Siehe Celsus, De medicina, Praefatio, 13 – 26; Pseudo-Galen, Introductio sive medicus 3,1 (95,6 –
14 Petit, XIV,678 K.).
Werner Jaeger und die antike Medizin 223

All diese Aspekte der Schrift De flatibus machen ihre Attraktivität für einen
Leser, der sie mit aristotelischen Augen liest, besser verständlich. Dass eine
Schrift, die die Rolle der Luft (in De flatibus übrigens als physai, nicht als pneumata
bezeichnet) zentral stellt, bei Aristoteles so gut ankommt,⁴³ dass sie von ihm als
die hippokratische Schrift par excellence angesehen wird, lässt sich darum viel
besser verstehen, wenn man Aristoteles gerade nicht als den Erfahrungswissen-
schaftler betrachtet, den Jaeger in ihm sieht, sondern eher als einen Wegbereiter
der ‚dogmatischen‘, d. h. rationalistischen Medizin.⁴⁴ Es liegt hier eine innere
Spannung in Jaegers Auffassung von Aristoteles – und von Diokles – vor, die auch
in seinem späteren Aufsatz „Aristotle’s use of medicine as a model in his ethics“
von 1957 wieder auftaucht.⁴⁵ In diesem Beitrag betont Jaeger, dass Aristoteles sich
vielmals auf die Medizin – genauer gesagt, auf die hippokratische Medizin – als
methodisches Modell der Ethik bezieht, ohne jedoch zu spezifizieren, um welche
hippokratischen Schriften es geht.⁴⁶ Nach Jaeger benutzt Aristoteles die Parallele
zwischen Ethik und Medizin als praktischen Wissensformen, um hervorzuheben,
dass diese Disziplinen sich mit einzelnen Umständen beschäftigen und demzu-
folge weder die Medizin noch die Ethik den höchsten Genauigkeitsgrad erreichen
können. Jaeger geht aber in seiner Betrachtung der Rolle der Medizin als episte-
mologischen Modells der Ethik im aristotelischen Denksystem noch einen Schritt

 Hier ist zu beachten, dass nach Aristoteles das Pneuma keineswegs der einzige pathogene
Faktor ist: Die Aitiologie von Krankheiten ist bei ihm durchaus komplizierter. Siehe Tracy (1969)
157– 200.
 So haben auch etwa Galen und nach ihm die arabische Medizin Aristoteles gesehen; siehe
Klein-Franke (1982) 81– 83, Gutas (2003).
 Jaeger (1957). Man könnte diesen Aufsatz in gewissem Sinne als einen Nachtrag zur Paideia
betrachten, insbesondere zur Abteilung „Die griechische Medizin als Paideia“, in dem Aristoteles
selbst merkwürdigerweise kaum behandelt wird (Paideia, Band II,11– 58; dazu unten); dies geht
aus den folgenden Zitaten hervor: „The medical example, far from being a casual analogy, is
present to the philosopher’s mind throughout. It belongs to the very foundation of his ethical
science, at least in the form it has taken in the Nicomachean Ethics. Once we have recognized this
function of the medical pattern, we can easily see how, in the light of it, Aristotle tries to justify
almost every important step he takes in his ethical philosophy … This medical parallel leads
Aristotle to a similar observation with regard to the growth of man’s moral qualities: they too are
susceptible to the negative effect of excess and defect, but are developed and preserved by what he
calls mesotes. Here we have a germ of the doctrine of the mean. This is indeed evident, but we may
add that apparently this germ grows out of Aristotle’s awareness of the biological parallel offered
by medicine.“ (56 – 57)
 Abgesehen von einem Verweis auf „the Hippocratic school“ (55) findet sich nur ein Hinweis
(56, Anm. 28 und 30) auf die Schrift De vetere medicina – eine Schrift, in der ebenfalls (wie in
Diokles) neben angeblich ‚empirischen‘ Tendenzen auch durchaus spekulative Elemente (Säfte-
lehre, Mutmaßungen zu den inneren Körperteilen) spürbar sind; siehe Schiefsky (2005).
224 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

weiter, indem er behauptet, dass Aristoteles, um den Begriff der Tugend als me-
sotes zu bestimmen, das medizinische Prinzip des Gleichgewichts der körperli-
chen Qualitäten und Säfte benutzt hat – also offensichtlich ein ‚dogmatisches‘
Prinzip, dessen Stellung im angeblich praktisch-empirischen Rahmen von Jaeger
nicht weiter geklärt wird.⁴⁷
Fassen wir die Ergebnisse des ersten Teils unserer Arbeit zusammen: Jaegers
Interesse galt nicht so sehr der antiken Medizin an und für sich, sondern der
Medizin in ihrer Beziehung zur Philosophie und zu weitergreifenden geistesge-
schichtlichen Themen. Und wenn seine Aufmerksamkeit einzelne medizinische
Schriften und Autoren betraf, wie im Fall des Diokles, geschah dies immer
gleichzeitig auch im Rahmen einer gewissen Agenda: Es ging nicht um Diokles als
solchen, sondern als Schüler des Aristoteles, als empirischen Wissenschaftler in
aristotelischem Sinne und als denjenigen, der den hellenistischen medizinischen
Schulen den Pneumabegriff in derartiger Weise vermittelt hat, dass dieser sich zu
einem allumfassenden und alleserklärenden Konzept entwickeln konnte.
Viel von Jaegers Arbeit zur antiken Medizin kann aus heutiger Sicht nur als
höchst problematisch angesehen werden. Nichtsdestotrotz steckt in einigen seiner
Thesen, z. B. der der engen Beziehungen zwischen Aristoteles und Diokles und der
des wichtigen Einflusses der aristotelischen Philosophie auf die Entwicklung der
Medizin in der hellenistischen und frühen Kaiserzeit (insbesondere bei Galen)
durchaus etwas Anregendes. Insbesondere verdienen sie Beachtung, weil sie
wichtige, longue durée Perspektiven ins Auge fassen, die von der philologischen
Forschung zu einzelnen medizinischen Texten und Autoren oft unberücksichtigt
geblieben sind.

 Auch in diesem Aufsatz gibt es mit dem Ausklang des Dioklesbuches vergleichbare Aussagen,
z. B. 56: „This give and take in the mutual relationship of science and philosophy is a remarkable
feature of the intellectual life of his [Aristotle’s] time, which was a period of creative exchange of
ideas and was to remain so for several generations, until philosophy became self-contented and
dogmatic and the sciences lost that keen philosophical interest in their own methodical and
axiomatic foundations.“ Auf S. 57 wird in Bezug auf Nikomachische Ethik I,13 anerkannt, dass
„physicians who possess a higher scientific training always study the human organism as a
whole“, aber obwohl zugestanden wird, dass „We find here a new aspect of the parallel of politikos
and iatros that runs through the whole of the ethics“, wird gerade diese Parallele in Jaegers Aufsatz
nicht weiter verfolgt.
Werner Jaeger und die antike Medizin 225

II
Es ist jetzt an der Zeit zu versuchen, Jaegers allgemeine Auffassung der Medizin
und ihrer Beziehungen zur Philosophie ans Licht zu bringen, wie wir sie in seinem
Hauptwerk, der dreibändigen Studie über die Formung des griechischen Men-
schen (Paideia), finden können. Zuerst werden wir einige kurze einführende Be-
merkungen über Jaegers Verständnis des Begriffes der Paideia und über seine Idee
der humanisierenden Funktion der Altertumswissenschaft machen. Dann werden
wir die wichtigsten Punkte des der Medizin gewidmeten Kapitels des zweiten
Bandes der Paideia und die sich daraus ergebenden Betrachtungen der Bezie-
hungen zwischen dem medizinischen Wissen und der philosophischen Lehre von
Sokrates und Platon besprechen. Zum Schluss werden wir die Frage stellen, ob
Jaegers Auffassung der griechischen Medizin nur als Ergebnis einer wissen-
schaftlichen Betrachtung der antiken Textquellen zu betrachten ist oder ob wir
ausgehend von dieser Auffassung einen breiteren intellektuellen Kontext rekon-
struieren können, in dem die historiographischen und interpretativen Kategorien
des Philologen und des Historikers sich in gewissem Zusammenhang mit der
zeitgenössischen Ideologie des sogenannten ärztlichen Humanismus⁴⁸ und mit
der Selbstdarstellung gewisser medizinischer Kreise entwickeln.
Diese Frage ist besonders wichtig, denn mit seiner Darstellung der griechi-
schen Paideia wollte Jaeger auch eine Kritik des zeitgenössischen deutschen
Bildungssystems ausdrücken und die theoretischen Voraussetzungen seines ei-
genen Bildungsprojektes schaffen.⁴⁹ Diese Überschneidung zweier unterschied-

 Der ärztliche Humanismus als medizinisch-wissenschaftliche Ideologie verbreitete sich schon


seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland insbesondere im Rahmen der
psychiatrischen Untersuchung. Wichtige Figuren für die Definierung und Entwicklung des ärzt-
lichen Humanismus waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Psychiater und Neu-
rologe Wilhelm Griesinger (vgl. Verwey (2004)) und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der
Neurologe Viktor von Weizsäcker, über den wir im letzten Paragraphen dieses Beitrags weitere
Bemerkungen machen werden.
 Die Schwerpunkte der Kritik, die Jaeger auf das zeitgenössische deutsche Bildungssystem
richtet, sind in einer Passage der Rede „Antike und Humanismus“ nachzulesen, die Jaeger am
6. April 1925 in Berlin zur Eröffnung der Tagung „Das Gymnasium“ hielt (Jaeger (1960b) 20): „Beide
Mächte unserer Zeit, die Überzivilisation und die Zivilisationsflucht, vernichten in ihrer letzten
Übersteigerung die Kultur. Denn Kultur ist nicht äußerer Apparat, ist auch nicht formlose In-
nerlichkeit. Sie ist hellstes Wissen des Geistes um sich selbst und sicheres Ruhen in seiner Form,
zweckfreies Sein und Können. Nur in dieser interessefreien Sphäre ist wahre Bildung zu Hause.
Alle echte Bildung ist daher humanistisch, Bildung des Menschen zum Menschen. Alles andere ist
doch nur Ausbildung, Durchbildung, Vorbildung, Fortbildung, nicht Bildung, Formation, Her-
ausgestaltung der als „Idee“ über dem Menschen stehenden, als „Entelechie“ in ihm wirksamen
226 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

licher Diskurspläne – des geschichtlichen und des politisch-kulturell engagier-


ten – wurde von einer tiefen Übereinstimmung ermöglicht, die Jaeger zwischen
dem griechischen Begriff von paideia und dem deutschen Begriff von Bildung
wahrzunehmen glaubte. In diesem Zusammenhang ist ein Abschnitt des Vor-
wortes der Paideia von besonderer Bedeutung:⁵⁰

Den Griechen tagte zum ersten Mal die Erkenntnis, dass auch die Erziehung ein Prozess
bewussten Aufbauens sein muss. Auf diese Art der Erziehung allein ist das Wort Bildung im
eigentlichen Sinne anwendbar, wie es denn auch bei Plato zuerst als bildlicher Ausdruck für
das erzieherische Tun begegnet. Unser deutsches Wort Bildung bezeichnet das Wesen der
Erziehung am anschaulichsten im griechischen platonischen Sinne. Es enthält in sich die
Beziehung auf das künstlerisch Formende, Plastische wie auf das dem Bildner innerlich
vorschwebende normative Bild, die „Idea“ oder den „Typos“.

Andererseits betrachtet Jaeger die Übereinstimmung der griechischen und deut-


schen Bildungserlebnisse als Erzeugnis jener „geistlichen“ Erfahrung, die „Hu-
manismus“ genannt werden kann. Dies geht aus einer Passage in der Rede „Antike
und Humanismus“ hervor, die Jaeger 1925 in Berlin zur Eröffnung der Tagung „Das
Gymnasium“ hielt:⁵¹

Humanismus ist die Kultur- und Bildungs-Synthese dieser Völker [d. h. der modernen Völker]
mit dem Griechentum, nicht also eine bloße historische und kausale „Abhängigkeit“, son-
dern die bewusste Idee einer geistigen Durchdringung mit griechischer Kultur, wie sie von der
Römern typisch zuerst verwirklicht worden ist.

II.1 Der Begriff der paideia

Aber worin besteht nach der Meinung Jaegers dieser erzieherische Prozess des be-
wussten Aufbauens, den man auf Griechisch paideia und auf Deutsch Bildung nennt?
Und in welchem Sinne ist das medizinische Wissen Teil eines solchen Prozesses?
Natürlich ist es nicht möglich, in wenigen Worten einen derart facettenreichen Begriff
zu erklären.⁵² Wir möchten uns hier daher auf einen bestimmten Aspekt der von

Form seiner selbst. Humanist sein heißt den Selbstwert geistigen Seins, innerer Form des Men-
schen empfinden und bejahen, wie wir den Wert eines Kunstwerks empfinden und bejahen.“
 Jaeger (1934) 12– 13.
 Jaeger (1960b) 23. Zum Jaeger’schen Humanismus-Begriff siehe Kipfs Beitrag zu diesem Band.
 Siehe dazu Landfesters Beitrag zu diesem Band.
Werner Jaeger und die antike Medizin 227

Jaeger gegeben Definition von paideia konzentrieren, nämlich auf die Idee, dass
Erziehung und Natur im menschlichen Dasein eng verbunden sind:⁵³

Die Natur des Menschen als eines leiblich-geistigen Wesens schafft für die Erhaltung und
Übertragung seiner Artform besondere Bedingungen und fordert besondere leibliche und
geistige Veranstaltungen, deren Inbegriff wir mit dem Wort Erziehung bezeichnen. In der
Erziehung,wie der Mensch sie übt, wirkt derselbe plastische und zeugerische Lebenswille der
Natur, der spontan jede lebendige Art in ihrer Form fortzupflanzen und zu erhalten strebt,
aber er ist auf dieser Stufe zur höchsten Intensität gesteigert durch die Zielstrebigkeit des
bewussten menschlichen Wissens und Wollens. Hieraus ergeben sich gewisse allgemeine
Folgerungen. Erziehung ist zunächst keine individuelle Angelegenheit, sondern ihrem Wesen
nach Sache der Gemeinschaft.

Es lohnt sich, drei Punkte dieser Definition zu unterstreichen: 1) die Erziehung


wird als Werkzeug der menschlichen Natur und in gewisser Weise als Natur des
Menschen an seinem höchsten Punkt bestimmt. In Jaegers Auffassung gibt es
deshalb keine Trennung zwischen Natur und Kultur, denn die Funktionen der
Erziehung sind die Übertragung und die Erhaltung eines Wesens, nämlich des
Menschen, dessen Beschaffenheit durch eine Zusammensetzung von leiblichem
und geistlichem Stoff charakterisiert wird; 2) die Erziehung soll als plastische und
zeugerische Kraft betrachtet werden, in der der unbewusste und spontane Le-
benswille der Natur, welcher im Benehmen der anderen Tiere zu beobachten ist,
sich als im menschlichen Wissen und Wollen verkörperte Zielstrebigkeit mani-
festiert; 3) da die Erziehung einen Beitrag zur Formung und Erhaltung eines
komplexen leiblich-geistigen Wesens leistet, kann sie keine individuelle Angele-
genheit sein; vielmehr ist sie gleichzeitig Erzeugnis und Grundlage eines Systems
interindividueller Beziehungen, worauf sich Jaeger mit dem Ausdruck „Sache der
Gemeinschaft“ bezieht.

II.2 Die wesentlichen epistemologischen Aspekte der Medizin


nach Jaeger
Im Zusammenhang mit seiner Definition von Bildung und innerhalb des allge-
meinen Interpretationsparadigmas, das die Stichworte dieser Definition andeu-
ten, müssen wir Jaegers Betrachtung der griechischen Medizin verstehen und
auswerten. Denn das der Medizin gewidmete Kapitel des zweiten Bandes von der
Paideia beginnt mit einem wahrhaften Loblied dieser Wissensart als eines we-
sentlichen Teiles der allgemeinen Bildung (ἐγκύκλιος παιδεία) der Griechen und

 Jaeger (1934) 1– 2.
228 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

sogar als – wir zitieren – „der führenden Kulturmacht im Leben des griechischen
Volks“.⁵⁴ Ausgehend von dieser Behauptung, die eher eine schon festgestellte
Voraussetzung seines ganzen Arguments als eine noch zu beweisende These zu
sein scheint, entwickelt Jaeger ein Begriffspaar – Heilen und Bilden – und stellt
dazu ein Prinzip fest – jede Art von Heilung sei bei den Griechen auch eine Art von
Bildung –, das er als methodologisches Fundament sowie als theoretische Ent-
deckung des griechischen medizinischen Wissens betrachtet. Was den metho-
dologischen Aspekt betrifft, basiert die Rekonstruktion Jaegers vor allem auf einer
berühmten Passage der Gesetze Platons (857c–d). Hier wird das autoritäre Ver-
hältnis zwischen dem Sklavenmediziner und seinen Patienten von der dialogi-
schen und erzieherischen Beziehung unterschieden, die der Mediziner der freien
Menschen mit seinen Patienten gründe.⁵⁵ Was die theoretischen Implikationen
des oben erwähnten Prinzips der Äquivalenz zwischen Heilung und Bildung an-
geht, basiert Jaegers Argument auf zwei Voraussetzungen: 1) Bei den Griechen sei
die Medizin das Wissensgebiet, innerhalb dessen das genaue Konzept der
menschlichen Natur in seinen einzelnen Bestimmungen systematisch definiert
wird;⁵⁶ 2) bei den Griechen materialisiere sich die Bildung in einem formenden

 Jaeger (1944) 11: „Wenn wir von der älteren medizinischen Literatur der Griechen überhaupt
nichts besäßen, müssten wir rein auf Grund der lobenden Aussprüche Platos über den Arzt und
seine Kunst zu dem Schlusse gelangen, dass die Zeit des ausgehenden 5. und des 4. Jahrhunderts
ein Gipfel der sozialen und geistigen Achtung in der Geschichte des ärztlichen Standes gewesen
ist. Der Arzt erscheint hier einmal als der Träger eines speziellen Wissens von hoher methodischer
Verfeinerung; aber zugleich ist er die Verkörperung eines Berufsethos, das für die Beziehung des
Wissens auf ein praktisch-ethisches Ziel beispielgebend ist, und das deshalb wieder und wieder
angeführt wird, um Vertrauen in die schöpferische Fruchtbarkeit des theoretischen Wissens für
den Aufbau des menschlichen Lebens zu erwecken. Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, dass
die ethische Wissenschaft des Sokrates, die in Platos Dialogen im Mittelpunkt der Auseinan-
dersetzung steht, ohne das Vorbild der Medizin, auf das Sokrates sich beruft, nicht denkbar ge-
wesen wäre. Sie ist ihr von allen damals bekannten Arten menschlichen Wissens am verwand-
testen. Aber nicht nur als geistesgeschichtliche Vorstufe der sokratischen, platonischen und
aristotelischen Philosophie bedarf die griechische Medizin hier der Würdigung, sondern deshalb,
weil sie in ihrer damaligen Form zum erstenmal über die Grenzen eines bloßen Handwerks
hinausgewachsen und zu einer führenden Kulturmacht im Leben des griechischen Volkes ge-
worden ist. Die Medizin wurde von jetzt an mehr und mehr zu einem wenn auch nicht unbe-
strittenen Bestandteil der allgemeinen Bildung.“
 Jaeger (1944) 21– 23.
 Jaeger (1944) 15: „Völlig eindeutig liegt dagegen die Sache bei dem Begriff der Natur (physis)
selbst, der allbeherrschend ist. Wir haben schon bei der Würdigung der Sophisten und ihrer Er-
ziehungstheorie den Gedanken, dass die menschliche Physis die Grundlage des Erziehungspro-
zesses ist, in seiner epochemachenden Bedeutung erkannt. Bei Thukydides fanden wir den
gleichen Begriff im historischen Sinne verwandt und sahen, wie sein ganzes geschichtliches
Denken aus der Voraussetzung einer sich in ihren Grundzügen zu allen Zeiten gleichbleibenden
Werner Jaeger und die antike Medizin 229

und gestaltenden Prozess, durch den die menschliche Natur verwirklicht wird und
ihre höchste Erscheinungsform erreicht. Aber dies hat in dem Deutungsrahmen
von Jaegers Paideia zur Folge, dass nicht nur jede Heilung in einer gewissen Art
von Bildung besteht, sondern auch dass jeder Bildungsprozess durch medizini-
sche Kategorien bestimmt werden kann, insofern als ein solcher Prozess die
Formung und die Behandlung der menschlichen Natur zum Ziel hat:⁵⁷

Die ärztliche Wissenschaft weckt nicht nur Verständnis für medizinische Probleme und
medizinisches Denken in weiteren Kreisen, sondern sie gelangt in ihrer Konzentration auf ein
Teilgebiet des menschlichen Daseins, das des Körpers, zu Erkenntnissen, die von ent-
scheidender Wichtigkeit sind für den philosophischen Aufbau eines neuen Bildes der
menschlichen Natur und damit für die vollkommenere Formung des Menschen.

Man kommt also zum Kernpunkt von Jaegers Auffassung der griechischen Me-
dizin, nämlich zur Behauptung, die Medizin sei das wesentliche epistemologische
Modell aller Wissensarten, die eine erzieherische Funktion in irgendeiner Weise
erfüllen, und insbesondere der Philosophie. Wir werden diese Behauptung in
Bezug auf Jaegers Verständnis von Sokrates’ und Platons Beziehung zur Medizin
eingehender diskutieren. Aber ein Punkt muss schon jetzt unterstrichen werden:
Jaeger legte großen Wert auf die in vielen hippokratischen Schriften zu findende
Bestimmung der Gesundheit als eines körperlichen Zustands, der durch eine
Symmetrie der Elemente oder eine proportionierte Mischung der Substanzen,
Qualitäten, Kräfte oder Säfte, aus denen die menschliche Natur besteht, zu cha-
rakterisieren ist. Diese Bestimmung wurde von Jaeger im Lichte seines eigenen
Konzeptes der „Harmonie“ erklärt und hervorgehoben: „Harmonie“ sei bei den
Griechen zum einen das letztendliche Ziel des im Allgemeinen betrachteten
Geisteslebens sowie das dominierende Merkmal aller politischen und ethischen
Theorien. Zum anderen sei das „Harmonisch-Sein“ die beherrschende Eigenschaft
jeder Gesellschaft – der griechischen sowie der ihm zeitgenössischen umzubil-
denden deutschen Gesellschaft –, die als organische Einheit aufgefasst werde.
Wohl ausgehend von diesen Voraussetzungen stellte Jaeger die folgende Be-
hauptung auf:⁵⁸

Wenn aber Gleichheit und Harmonie das Wesen der Gesundheit und aller anderen leiblichen
Vollkommenheit ausmachen, so erweitert sich das „Gesunde“ zu einem allumfassenden

„menschlichen Natur“ entspringt. Sowohl die Sophisten wie Thukydides sind in diesem Punkte
wie auch sonst vielfach von der zeitgenössischen Medizin bestimmt, die den Begriff der Natur des
Menschen geschaffen hat und beständig zugrunde legt.“
 Jaeger (1944) 37.
 Jaeger (1944) 58.
230 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

Wertbegriff, der auf die Welt und alles Leben in ihr Anwendung findet; denn seine Grund-
lagen, Gleichheit und Harmonie, sind die Mächte, die nach der hier zugrunde liegenden
Anschauung in jedem Bereich das Gute und Richtige stiften. Die griechische Medizin ist
ebenso sehr Wurzel wie Frucht dieser „Weltanschauung“. […] Sie ist deshalb zu einer so
repräsentativen Stellung im Ganzen der griechischen Kultur aufgestiegen, weil sie auf dem
der unmittelbaren Erfahrung am nächsten liegenden Gebiet die unverletzliche Geltung dieser
Grundidee der griechischen Seele am sichtbarsten offenbarte. In diesem höheren Sinne kann
man das griechische Ideal der menschlichen Bildung auch als das Ideal des gesunden
Menschen bezeichnen.

Wie sich die Koinzidenz dieser zwei Ideale in den Hauptfiguren der griechischen
Philosophie tatsächlich manifestierte, welche Aspekte des medizinischen Wissens
von der Philosophie insbesondere aufgenommen wurden und wie sie im Lichte
verschiedener theoretischer Ziele und methodologischer Probleme uminterpre-
tiert wurden, sind tatsächlich Fragen, die Jaeger sein ganzes Leben hindurch zu
beantworten versuchte.

II.3 Sokrates

Wir wollen jetzt untersuchen, wie Jaeger diese Fragen beantwortete und wie sich
die Betrachtung des Verhältnisses der Medizin zur Philosophie in Jaegers allge-
meine Darstellung der griechischen τέχνη ἰατρική einfügt. In manchen seiner
wichtigsten Werke wie der Paideia und der Monographie über Diokles von Ka-
rystos sowie in vielen anderen Beiträgen analysiert Jaeger verschiedene historisch
gegebene Formen der Beziehung zwischen Medizin und Philosophie mit beson-
derem Verweis auf die Figuren Sokrates, Platon und Aristoteles. Eigentlich be-
schränkt Jaeger sich nicht darauf, die Existenz dieser Beziehung anzudeuten,
sondern er definiert die Medizin ganz ausdrücklich als „geistesgeschichtliche
Vorstufe der sokratischen, platonischen und aristotelischen Philosophie“ (vgl.
Anm. 52). Zuerst sollen die Bemerkungen Jaegers über die Stellung der Medizin in
der Gedankenwelt des Sokrates betrachtet werden, die in dem ihm gewidmeten
Kapitel der Paideia zu lesen sind.
Die Ansicht, dass gewisse Hauptpunkte der sokratischen Lehre eine medizi-
nische Herkunft haben, stützt Jäger zunächst auf zwei Passagen der Memorabilien
des Xenophon (I,4; IV,3): In diesen legt Sokrates seine Auffassung von der Struktur
des Kosmos dar. Hier behauptet Sokrates, die Natur als Ganzes werde von einer
allgemeinen zielorientierten Tendenz sowie von einem ordnenden und gestal-
tenden Prinzip beherrscht. Interessanterweise werden diese Eigenschaften des
Kosmos im Zusammenhang mit – und im Lichte von – den Eigenschaften und
Tätigkeiten des menschlichen Körpers von Sokrates erklärt: Dies interpretiert
Werner Jaeger und die antike Medizin 231

Jaeger als Beispiel der sokratischen Kritik des abstrakten naturalistischen Den-
kens sowie als Ergebnis der anthropozentrischen Weltanschauung des Sokrates.
Tatsächlich rückt bei Jaeger die Medizin in den Blickpunkt, wenn er sich auf die
Quellen des Anthropozentrismus des Sokrates bezieht. Denn nach Meinung Jae-
gers finden wir in den medizinischen Schriften der Zeit, z. B. in der hippokrati-
schen Schrift Über die alte Heilkunst dieselbe methodologische Umkehrung der
Beobachtungsordnung zwischen Mensch und Kosmos und deshalb dieselbe
Aufwertung der induktiven Untersuchungsmethode gegenüber den abstrakten
Spekulationen der physiologoi, die der sokratischen Lehre eigen sind:⁵⁹

Auch einem Arzt wie dem zeitgenössischen Autor „Über die alte Medizin“ gilt die ärztliche
Kunst als der bisher einzige Teil der Naturerkenntnis, der auf wirklicher Erfahrung und ex-
akter Beobachtung beruht. Er denkt, dass die Naturphilosophen mit ihren Hypothesen ihn
nichts lehren können, sondern allenfalls von ihm etwas zu lernen hätten. Diese anthropo-
zentrische Wendung ist für die Zeit der späteren attischen Tragödie und der Sophisten ganz
allgemein charakteristisch; verbunden ist mit ihr, wie Herodot und Thukydides zeigen,
derselbe empirische Zug, der sich in der Emanzipation der Medizin von den Welthypothesen
der Naturphilosophen ankündigt. Wir haben hier [in der Medizin] die schlagendste Parallele
zu der Abkehr des sokratischen Denkens von den hochfliegenden Spekulationen der Kos-
mologie, dieselbe nüchterne Hinwendung zu den Tatsachen des menschlichen Lebens. Wie
die gleichzeitigen Mediziner findet er in der Natur des Menschen, als dem uns bekanntesten
Teile der Welt, die feste Grundlage seiner Analyse der Wirklichkeit und den Schlüssel zu
ihrem Verständnis.

Aber Jaeger beschränkt sich nicht darauf, eine auf einen bestimmten intellektu-
ellen Kontext zurückgehende Gemeinsamkeit der medizinischen und der sokra-
tischen Lehre zu identifizieren. Er geht weiter und behauptet, dass Sokrates die
Medizin als sein privilegiertes epistemologisches Modell betrachtete. In dieser
Hinsicht stellt Jaeger die sokratische Auffassung der Natur als Bindeglied zwi-
schen einer noch impliziten Form von Teleologie – nämlich der hippokratischen –
und dem systematischen Finalismus des Aristoteles dar:⁶⁰

Sokrates ist ein wirklicher Arzt. Doch vor allem ist er der Arzt des inneren Menschen. Der
Beweis für die Zweckmäßigkeit des Kosmos lässt in der Art, wie Sokrates hier die körperliche
Natur des Menschen betrachtet, deutlich erkennen, dass auch die teleologische Wendung bei
ihm mit jener empirisch-ärztlichen Haltung eng zusammenhängt.

Im Lichte dieser Betrachtungen kann Jaeger die Bestimmung der Philosophie als
„Heilung der Seele“, θεραπεία τῆς ψυχῆς, die man in der Apologie des Sokrates

 Jaeger (1944) 79 – 80.


 Jaeger (1944) 81.
232 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

findet (29d und 30b), im ganz konkreten und nicht metaphorischen Sinne ver-
stehen, denn die θεραπεία, die Sokrates als Ziel und Substanz der Philosophie
vorschlägt, werde durch zwei Eigenschaften charakterisiert, die direkt aus dem
medizinischen Begriff therapeia hervorgehen: 1) In beiden Fällen geht es um Tä-
tigkeiten, in denen bestimmte Formen von Heilung (des Körpers sowie der Seele)
auf einem bildenden und erzieherischen Prozess beruhen; 2) unabhängig von dem
spezifischen Objekt jeder dieser beiden Arten von Heilung (dem Körper für die
Medizin, der Seele für die Philosophie) sei die Betrachtung des Individuums als
Zusammensetzung von Körper und Seele die Voraussetzung des ganzen heilen-
den/erzieherischen Prozesses, wie Jaeger in einer weiteren Passage ausdrücklich
behauptet:⁶¹

Die Seelenpflege zeigt sich zunächst nicht etwa in der Vernachlässigung des Leibes.Wie wäre
das auch möglich bei dem Manne, der die Notwendigkeit einer besonderen „Behandlung“
der Seele, der gesunden wie der kranken, von dem Arzt des Körpers gelernt hat. Seine Ent-
deckung der Seele bedeutet nicht ihre Trennung vom Leibe, wie so oft fälschlich gesagt wird,
sondern ihre Herrschaft über den Leib. Aber um der Seele richtig dienen zu können, muss der
Leib selbst gesund sein. Das mens sana in corpore sano ist Ausdruck echt sokratischen
Geistes.

II.4 Platon

Es wäre aber nicht möglich, von Sokrates zu reden, ohne zu berücksichtigen, dass
die uns bekannte Figur des Sokrates in hohem Maße eine literarisch-philoso-
phische Konstruktion Platons ist, was auch erklärt, warum Jaegers Darstellung des
Verhältnisses der sokratischen Erziehungsmethode zur Medizin sich als Einfüh-
rung in eine Betrachtung der Medizin bei Platon anbietet.⁶² Um die wesentlichen
Aspekte solcher Betrachtung einzuleiten, kann eine Stelle eines späteren Beitra-
ges Jaegers über die medizinische Herkunft des platonischen Begriffes des
θυμοειδές – „des Muthaften“ – zitiert werden:⁶³

I have tried in my Paideia to reinterpret Plato’s philosophy as a whole, and especially the
structure of the Republic, in the light of the medical analogy, after the pattern of which
Plato in the Gorgias had conceived his own politike techne. Philosophy pretends to do for
the soul what medicine does for the body, he had stated in the Gorgias. The Republic is

 Jaeger (1944) 95 – 96.


 Für eine eingehende Betrachtung des Jaeger’schen Ansatzes zu Platon siehe Dorothea Fredes
Aufsatz oben in diesem Band.
 Jaeger (1946) 125 – 26.
Werner Jaeger und die antike Medizin 233

the work in which Plato carries out this program of a new philosophy. Just as the Gorgias
defines Plato’s philosophy, the Republic is the perfect illustration of the politike techne of
the philosopher, which is a kind of medical art concerned not with the body but with
the soul. The state discussed in it is the state of man’s soul. The political art corresponding
to the art of the physician which Plato establishes in this work is the Socratic education.

Das Beeindruckendste an dieser Behauptung ist ihr Absolutheitsanspruch. Denn


Jaeger beschränkt sich nicht darauf, zu unterstreichen, dass Platon die Medizin als
analogisches Modell oder als metaphorischen Verweis auf manche Aspekte des
philosophischen Diskurses verwendet. Jaeger geht tatsächlich viel weiter, indem
er behauptet, Platon beschreibe die Philosophie als Ganzes und insbesondere ihre
erste Materialisierung als erzieherische Tätigkeit – nämlich die τέχνη πολιτική –
als eine Art Heilkunst. ⁶⁴ Ein gutes Beispiel dieser Tendenz zur Verabsolutierung der
Rolle der Medizin im platonischen Diskurs wird vom Gorgias geboten, auf den
Jaeger so oft Bezug nimmt. Hier definiert Platon das menschliche Leben als Zu-
sammensetzung von Körper und Seele und unterscheidet deshalb zwischen der
Behandlung des Körpers und der Behandlung der Seele. Auf der Basis einer
solchen Unterscheidung bezieht sich Platon tatsächlich auf die Medizin, aber im
Rahmen einer breiteren analogischen Beweisführung (464b–c): Wie es eine Be-
handlung des gesunden Körpers – nämlich die Gymnastik – und eine des kranken
Körpers – die Medizin – gibt, so unterscheidet sich auch die Heilung der Seele in
zwei Disziplinen, die eine normative bzw. berichtigende Funktion haben: in die
Gesetzgebung (deren Ziel es ist, die Tätigkeiten der gesunden Seele zu regeln) und
in die Rechtsprechung, die sich mit den pathologischen Formen von Seelentä-
tigkeit beschäftigt. In dieser Hinsicht ist es ohne Zweifel korrekt zu behaupten,
dass Medizin und Rechtsprechung als parallele oder analogische Wissensformen
von Platon betrachtet werden. Aber Jaegers Behauptung, dass Platons Gorgias die
Darstellung der τέχνη πολιτική als Art von Heilkunst zuerst begründe, ist etwas
radikaler und beschränkt sich nicht auf die Betrachtung der von Platon vorge-
schlagenen analogischen Beweisführung.
Hier geht es uns nicht so sehr darum, die allgemeine Gültigkeit dieser Be-
hauptung zu diskutieren: einer Behauptung, die in gewisser Weise wesentliche
Aspekte der platonischen Lehre ans Licht brachte, dieselben Aspekte, die Jacques
Jouanna vor einigen Jahren in einem Beitrag über le médecin comme modèle du
legislateur fokussierte.⁶⁵ Es geht uns eher um die drei Hauptpunkte, auf die Jaegers
Behauptungen über Platons Anwendung der Medizin als Paradigma der Philo-
sophie und der Politik beruhen: 1) Die Gerechtigkeit wird von Platon vor allem als

 Über Jaegers Darstellung des Platon vgl. Kahn (1992).


 Jouanna (1978) 77– 91.
234 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

innerer Zustand einer Seele bestimmt, in den ihre drei Teile – das Begehrende, das
Muthafte und das Vernünftige – harmonisch zusammengesetzt sind. Der abstrakte
Begriff von „Recht“ wäre deshalb nur die Projektion und gleichzeitig das Ergebnis
dieser inneren individuellen Gerechtigkeit, die mit der harmonischen Formung der
menschlichen Natur zu tun hat. Die Medizin sei das epistemologische Modell
sowie die theoretische Voraussetzung dieses Begriffes von Gerechtigkeit aus den
folgenden Gründen: Die hippokratischen Kreise hatten eine Definition von Ge-
sundheit als harmonische Mischung der körperlichen Elemente entwickelt; die
Medizin konnte der Philosophie eine normative Bestimmung der menschlichen
Natur bieten. 2) Die Philosophie als entscheidender Weg zur Formung des per-
fekten politischen Menschen besteht aus einer positiven und einer negativen
Wissenschaft der Tugend – Jaeger spricht von einer Physiologie und einer Pa-
thologie der Tugend –, insofern als die Philosophie sich nicht nur die Erreichung
der Tugend, sondern auch die Berichtigung ihrer degenerierten Formen zum Ziel
macht. In dieser Hinsicht, behauptet Jaeger, entspräche die epistemologische
Struktur der Philosophie der des medizinischen Wissens. 3) Nach Meinung Jaegers
sei auch die platonische Theorie der Seelendreiteilung in hohem Maße von einer
medizinischen Quelle – der hippokratischen Schrift Über die Umwelt – inspiriert
worden. Denn in eben dieser Schrift wurde der von Platon so oft benutzte Begriff
des thymoeides zum ersten Mal in den übrig gebliebenen Texten der griechischen
Literatur angewandt, um den Geist des europäischen Menschen zu bestimmen,
und in eben dieser Schrift finden wir einen Vergleich zwischen dem heftigen
Charakter der europäischen und dem zur Lust neigenden der asiatischen Völker.
In welcher Weise Jaeger tatsächlich den hippokratischen Ursprung der platoni-
schen Seelendreiteilung auf solchen textuellen Voraussetzungen zu gründen
versuchte, kann man aus der folgenden Passage des schon zitierten Beitrages „A
new Greek word in Plato’s Republic“ entnehmen:⁶⁶

It is evident that Plato took from Hippocrates not only the word thumoeidês for his concept
of the spirited part of the soul, but also the characteristic features of that aspect of the life
of the soul. […] As is clear now, it was Hippocratic medicine that suggested to him the idea
of treating the thumoeidês as an independent part of the soul. And as Hippocrates had de-
rived the war-like character of the peoples of Europe from the fact that the thumoeidês pre-
vailed in their mental and emotional structure, so Plato chose his warrior class or guards
from those citizens of his ideal state in whose nature the thumoeidês was the predominant
feature. It is equally clear that his epithumetikon and the class of society corresponding to it
have certain traits on common with Hippocrates’ Asiatic type, which is tame, peaceful, cul-
tivates the crafts, and loves gain and sensual pleasure.

 Jaeger (1946) 129 – 30.


Werner Jaeger und die antike Medizin 235

Es ist hier nicht möglich, Jaegers Argumentation ausführlich zu diskutieren. Es


geht uns darum, dass es in der Struktur dieser Argumentation einen Kurzschluss
gibt zwischen den Schlüssen, zu denen Jaeger kommt, und den Voraussetzungen,
auf denen die ganze Betrachtung des vorgeschlagenen Themas basiert. Denn
beide von Jaeger angewandten Argumente – das sprachliche und das theoreti-
sche – sind relativ schwach, wenn man nicht zunächst einmal zugibt, dass die
Medizin das erste und wichtigste Modell der platonischen Philosophie ist.Was das
sprachliche Argument betrifft, ist die Tatsache an sich, dass das Adjektiv
thymoeides nicht in anderen früheren erhaltenen Texten zu finden ist, kein un-
bestreitbarer Beweis dafür, dass dieser Begriff ein originäres Erzeugnis des hip-
pokratischen Autors von De aëre aquis locis ist⁶⁷ und dass Platon ihn unbedingt
direkt aus dieser Schrift entnommen haben muss.Was das theoretische Argument
angeht, scheint Jaeger die Tatsache zu übergehen, dass der Vergleich zwischen
den geistigen sowie körperlichen Eigenschaften des europäischen/griechischen
Menschentyps und denen des asiatischen Menschentyps ein Leitmotiv der grie-
chischen ethnologischen Untersuchung des 5. Jahrhunderts war: auch in Herodot
z. B. finden wir ein ähnliches Interpretationsschema.⁶⁸ Andererseits scheint es
schwerlich akzeptabel, dass die Theorie der Seelendreiteilung direkt oder sogar
ausschließlich aus diesen sogenannten „ethnologischen“ Untersuchungen
stammte und nicht aus einer langen griechischen Denktradition – die wir schon
auf die homerische Darstellung des menschlichen Körpers zurückführen können,
die die Lokalisierung von verschiedenen kognitiven und emotionalen Fähigkeiten
sowie von verschiedenen Verhältniseigenschaften des Menschen in bestimmten
Körperteilen zum Ziel hatte.⁶⁹

 Das Adjektiv θυμοειδής kommt dreimal in der hippokratischen Schrift Über die Umwelt vor: im
Kap. 12 (222,2 Jouanna) in Bezug auf das Temperament der Ägypter und der Libyer: „Dieses Land
kommt begreiflicherweise dem Frühling sehr nahe in seiner Natur und der Mäßigung seines
Klimas. Tapferkeit aber, Abhärtung, Arbeitsamkeit und Mut (θυμοειδές) kann in solcher Natur
nicht entstehen“; im Kap. 16 (228,5 Jouanna) noch in Bezug auf das Temperament der asiatischen
Menschen: „Infolgedessen tritt keine Erschütterung des Geistes oder starke Umstellung des
Körpers ein, wodurch die Menschen natürlich in ihrem Temperament erregt werden und mehr
Tollkühnheit und Mut (θυμοειδές) haben, als wenn sie immer unter den gleichen Verhältnissen
leben“; im Kap. 23 (243,4 Jouanna), dieses Mal in Bezug auf das Temperament der europäischen
Menschen: „Wildheit, Unzugänglichkeit, Mut (θυμοειδές) und Zorn zeigt sich in derartigen Na-
turen.“
 Vgl. Althoff (1993) 1– 16, Thomas (2000) 28 – 101, Sassi (2000) 137– 62 und (2001) 101– 11, Lo
Presti (2012) 189 – 95.
 Schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat Onians (1954) 13 – 91 einen systematischen
Überblick über die homerischen und vorsokratischen Theorien bezüglich der Erkenntnisprozesse,
ihrer physiologischen Grundlagen und Lokalisierung geboten. Onians zeigt, dass die Leber schon
bei Homer als körperliches Zentrum oder Quelle bestimmter Emotionen betrachtet wurde, und
236 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

II.5 Jaegers Auffassung der griechischen Medizin und


der ärztliche Humanismus
An diesem Punkt scheint es deutlich, dass die Untersuchung der Beziehungen
zwischen Medizin und Philosophie im klassischen Altertum ein wesentlicher Teil
von Jaegers breiterer geistesgeschichtlichen Rekonstruktion des griechischen
Bildungsideals war. Aber diese Rekonstruktion war auch die geschichtliche Pro-
jektion eines militanten erzieherischen Vorhabens, das sich am geistigen Wie-
deraufbau der zeitgenössischen deutschen Gesellschaft orientierte und für das
Jaeger sich engagierte. Ein Zeichen, dass Jaegers Darstellung der Medizin in ge-
wissem Maße zweckmäßig für die Definierung seines eigenen kulturellen Pro-
jektes war, ist die Tendenz zur Generalisierung und Verabsolutierung der Unter-
suchungsergebnisse, die er in diesem Bereich erreichte, als ob er eine präformierte
These hätte, die in Bezug auf jede Hauptfigur der griechischen Philosophie zu
verteidigen und zu bestätigen wäre. In dieser Hinsicht ist es an der Zeit, uns auf die
Frage zu konzentrieren, auf welchen ideologischen, theoretischen und rhetori-
schen Voraussetzungen Jaegers stark idealisierte Auffassung der Medizin als
privilegierter Weg zur Bildung beruht. Anders und noch genauer formuliert:
Entstand die Darstellung der Medizin als Paradigma der Formung des griechi-
schen Menschen zuerst und hauptsächlich aus Jaegers eigenem Verständnis der
griechischen Gedankenwelt? Oder wurden die Grundlagen solcher Darstellung
auch in anderen intellektuellen Kontexten – z. B. innerhalb bestimmter medizi-
nischer Kreise – entwickelt und als in der geistigen Krise der deutschen Eliten
verlorene und wieder aufzunehmende Ideale nachvollzogen und verteidigt?
Unser Eindruck ist tatsächlich, dass wir nicht zu einem richtigen Verständnis
von Jaegers Ideen zur griechischen Medizin kommen können, ohne dass wir uns
die Fragen stellen, in welchem Maße das medizinische Wissen der Zwanziger- und
Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts an den radikalen Transformationen
des deutschen Kultursystems teilhatten und durch welche Umgestaltungsprozesse
Teile dieses Wissens auf solche Transformationen reagierten. Denn interessan-
terweise wurden dieselben Gefühle von Krise, Dekadenz und Sinnlosigkeit, die
Jaeger als Charakteristikum der humanistischen Studien präsentierte, auch von
einer langen Reihe von medizinischen Schriften und öffentlichen Debatten über
die Natur und die gesellschaftliche Rolle der Medizin widergespiegelt. Dies ist z. B.
der Fall bei einem Artikel über „Das Problem des Menschen in der Medizin“, der
von dem Neurologen und Begründer der psychosomatischen Medizin Viktor von

analysiert, aus welchen Gründen die Herzregion bzw. das Gehirn als Primärorgane des Wahr-
nehmungs- und des Denkvermögens angenommen wurden.
Werner Jaeger und die antike Medizin 237

Weizsäcker geschrieben wurde. So schrieb von Weizsäcker bezüglich des Begriffes


der Behandlung:⁷⁰

Behandlung wäre also Teilnahme an der Ermöglichung menschlicher Gesellschaft. In diesem


Falle muss hinzugefügt werden, dass ärztliche Behandlung der menschlichen Gesellschaft
sich wiedereinschränkt auf solche Störungen, welche diese Gesellschaft als krankhaft be-
zeichnet, ohne jedoch zu wissen, was dahinter steckt.

Aber man findet diese Parallele auch in einer Vorlesung, die 1928 vom Rektor der
Universität München zum Thema „Die Krise der Medizin“ gehalten wurde. In
dieser Vorlesung wurden die folgenden Tendenzen und Transformationen des
medizinischen Wissens als Ursachen seiner Krise gedeutet: die getrennte Be-
handlung des Körpers und der Seele, die Spezialisierung und Technisierung der
Heilung, die die humanistische Dimension der Medizin verdunkele, die gestiegene
Unfähigkeit der Ärzte, eine integrale Wahrnehmung des Körpers als organisches
Ganzes zu entwickeln und eine erzieherische Kommunikation mit dem Patienten
zu etablieren.⁷¹
In diesen Texten, die von akademischen Ärzten für ein medizinisches Pu-
blikum geschrieben wurden, findet man manche der Stichworte, die Jaeger in
seinen polemischen und programmatischen Schriften über den Sinn und die
Perspektiven der altertumswissenschaftlichen Studien so oft benutzte. Das ist
überhaupt nicht überraschend, denn, wie Fritz Ringer – der Autor eines sehr gut
dokumentierten Buchs über den Niedergang der deutschen Bürokraten in den
Jahren der großen Krise – bemerkt hat, „Synthesis, the whole, understanding,
viewing, forming, educating: the slogans were always the same.“⁷² Aber jenseits
der Verwendung derselben allgemeinen Schlagwörter ist eigentlich die Tatsache
bemerkenswert, dass die Selbstdarstellung gewisser Medizinkreise auf einer Be-
stimmung der Medizin als „philosophischer, heilender und bildender Tätigkeit“
beruhte und dass eine solche Bestimmung ihrerseits eine Genealogie des medi-
zinischen Wissens implizierte, die ihren Ursprung sowohl in der Lehre des Hip-
pokrates als auch in der erzieherischen Methode von Sokrates und Platon hatte.
Ein perfektes Beispiel dieser in deutschen Medizinkreisen verbreiteten Tendenz,
die Medizin und die Philosophie als miteinander verbundene Disziplinen und
eigentlich als einheitliche Art des Denkens zu betrachten, ist noch einmal in einer

 Von Weizsäcker (1987a) 368.


 Diese Vorlesung wird von Ringer (1969) 385 erwähnt.
 Ringer (1969) 387.
238 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

Schrift von Weizsäckers zu finden. Bezeichnenderweise geht es um eine 1926


verfasste Schrift mit dem Titel Helfen und Bilden: Hippokrates und Paracelsus: ⁷³

Denn der Arzt ist ein geistig durchgebildeter, ein wissender, ein nicht an Einzelheiten kle-
bender, sondern das Ganze erwägender und kennender Mann. Und indem er dies Ganze der
Einzelheiten erkennt (dies holon), ist er im Sinne des Griechen des fünften Jahrhunderts eben
unter allen Umständen der Überlegene. Totalität und Ganzheit seiner Bildung, Ganzheit
seiner Weltanschauung sind es,was ihn über die Masse erhebt, wodurch er seinen Platz unter
den ersten der polis hat, wie ein Botschafter, ein Diplomat, wird er auch bezahlt; er ist ein
vornehmer Mann, d. h. einer, dem die Eigenschaften des Philosophen zukommen.

Weiter schreibt von Weizsäcker in einem 1929 veröffentlichten Beitrag:⁷⁴

Ich meine, als Arzt darf ich die Frage stellen, ob nicht die Erkenntnis der Wahrheit eben doch
dort erst beginne, wo sie den Denker gesund macht – gesund freilich nun im ersten und im
letzten Sinne von der naivsten Daseinsfreude am Lichte bis zu der Gesundheit, welche So-
krates meint, als er bei schon erkaltetem Unterkörper die Freunde ermahnt, dem Äskulap
einen Hahn zu opfern. Dieselbe Wahrheit, die ihn tötet, macht ihn eben damit auch gesund.
Wo freilich also der Philosoph in solcher Weise dem Arzte Verehrung zollt, da darf der Arzt
dem Philosophen gerne und bedingungslos den Vortritt gewähren. Gesundheit und Wahrheit
sind dann wirklich dieselben geworden.

Diese Zitate Viktor von Weizsäckers sind bedeutungsvoll und bemerkenswert, weil
diese Artikel viele Jahre früher als der erste Band von Jaegers Paideia veröffentlicht
wurden, und in jedem Fall gehen sie Jaegers wichtigsten Beiträgen über die Be-
ziehung zwischen Philosophie und Medizin voran. Von Weizsäckers Ideen über
das philosophisch-erzieherische Potential und die paradigmatische Funktion der
griechischen Medizin müssen deshalb unabhängig von Jaegers geistesgeschicht-
lichen Untersuchungen entwickelt worden sein. Aus welchen Quellen stammten
diese Ideen dann? Primär aus von Weizsäckers tiefer Bekanntschaft mit der
Freud’schen Psychoanalyse, die das Griechentum als unerschöpfliche Quelle
archetypischer Benehmens- und Denkschemata des abendländischen Menschen
dargestellt hatte; zweitens aus von Weizsäckers großer Sensibilität für die zeit-
genössische philosophische Debatte und insbesondere aus seiner Bekanntschaft
mit Heideggers phänomenologischen Untersuchungen über die Neudefinierung
der Menschlichkeit in der Zeit der Technisierung – Untersuchungen, die auf einer

 Von Weizsäcker (1987b) 144.


 Von Weizsäcker (1987c) 244.
Werner Jaeger und die antike Medizin 239

durchgehenden Betrachtung und oft auf einer philosophisch und ideologisch


orientierten Umgestaltung des Weltbildes der Griechen basierten.⁷⁵
Allerdings ist es nicht möglich, einen direkten und dokumentierbaren Einfluss
von Weizsäckers auf Jaeger zu belegen, denn es gibt in Jaegers Schriften keinen
festen Beweis für einen direkten Kontakt zwischen ihnen. Trotzdem ist es schwer
vorstellbar, dass die Übereinstimmung zwischen Jaegers und von Weizsäckers
Behauptungen über die Stellung der Medizin im Rahmen der Natur- und Geist-
wissenschaft rein zufällig wären. Jaeger und von Weizsäcker gehörten der
höchsten Elite der deutschen akademischen Gemeinschaft an – der eine als
Philologe und Professor an der Berliner Universität, der andere als berühmter
Professor für Neurologie an der Universität Heidelberg – und es ist deshalb
möglich und sogar plausibel, dass der eine die Möglichkeit hatte, mit den Ideen
des anderen – oder zumindest mit den Quellen dieser Ideen – in einem gewissen
Maße bekannt zu werden. Ferner gehörten sie beide zu einem breiten intellek-
tuellen Milieu, innerhalb dessen das Griechentum als „ideales Maß“ des neu zu
definierenden deutschen Kultursystems und die Bildung als Kernstück dieses
Systems betrachtet wurden.⁷⁶ Es kann keinen Zweifel daran geben, dass ihre
Zugehörigkeit zu diesem Milieu eine wichtige Rolle dafür spielte, dass sie eine
ähnliche Auffassung der Verbindung zwischen Medizin und Philosophie sowie die
gleiche Sensibilität für das erzieherische Potential des Dialoges zwischen Arzt und
Patient entwickelten: Im Fall von Jaeger ergab die Anerkennung einer solchen
Verbindung einen Schlüssel zum Verständnis des griechischen Bildungsideals,
wohingegen dieselbe Anerkennung für von Weizsäcker die geschichtlich-theore-
tische Voraussetzung für die Begründung einer neuen humanistischen und zwar
wissenschaftlichen Medizin war.
Abschließend ist also zu sagen, dass Jaegers Auffassung der griechischen
Medizin als ein paradigmatisches Beispiel der Weise gelten kann, wie Wissen-
schaft und Ideologie sich bei der Betrachtung des griechisch-römischen Altertums
gegenseitig beeinflussen. Eine genauere Untersuchung der unterliegenden
Struktur und der Folgen solcher gegenseitigen Beeinflussung in Jaegers paideia-
Begriff wird es ermöglichen, die Stellung der Medizin im Rahmen seiner geistes-
geschichtlichen Betrachtung des Griechentums besser zu verstehen. Dies bedeutet

 Über das Leben und das Werk Viktor von Weizsäckers vgl. Benzenhöfer (2007), Dressler (1989),
Emondts (1993), Gadamer (1996) 83 – 102, Masullo (1992) und die Webseite der Viktor von Weiz-
säcker-Gesellschaft: http://viktor-von-weizsaecker-gesellschaft.de.
 Als weiteren Beweis dafür, dass die humanistische Bildung als Zentrum des Bildungsprozesses
auch in Bezug auf den ärztlichen Beruf anerkannt wurde, kann man auch einen Vortrag erwähnen,
der 1912 in der Versammlung der Vereinigung der Freunde des humanistischen Gymnasiums in
Berlin vom Mediziner Berthold Kern gehalten wurde (Kern (1913)).
240 Roberto Lo Presti und Philip van der Eijk

einerseits, den Grad historiographischer Genauigkeit von Jaegers Darstellung der


antiken Medizin zu bestimmen; andererseits bedeutet es auch, das kulturelle
Projekt der Historisierung der humanen Wertewelt und Humanisierung der eu-
ropäischen Historie besser aufzuklären, zu dessen Entwicklung eine solche Dar-
stellung in direkter oder indirekter Weise auch beigetragen hat.

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Christoph Markschies
Werner Jaegers Blicke auf das antike
Christentum
Auf den ersten Blick ist zu befürchten, dass mein Beitrag eine schlichte Dublette
darstellt – wobei ich in unseren Zusammenhängen das Drama natürlich vor-
nehmer formulieren könnte: Es ist zu befürchten, dass meine Ausführungen
bestenfalls eine παλινῳδία werden können. Paul T. Keyser, heute als Informatiker
tätig, hat auf der Konferenz „Werner Jaeger reconsidered“ von 1990 über „Werner
Jaeger’s Early Christianity and Greek Paideia“ gehandelt,¹ aber in diesem Beitrag
weit mehr besprochen als die Carl Newell Jackson-Vorlesungen, die Jaeger 1960
unter eben diesem Titel in Harvard gehalten hat und die 1963 unter dem Titel „Das
frühe Christentum und die griechische Bildung“ im Verlag Walter de Gruyter in
Berlin erschienen sind.² Das schmale, aber gehaltvolle Büchlein war Jaegers letzte
Veröffentlichung, am 19. Oktober 1961 ist er gestorben; wir werden auf den Text am
Ende dieser Ausführungen zurückkommen.
Eine schlichte Repetition der Ausführungen von Keyser oder eben eine
παλινῳδία muss freilich nicht befürchtet werden, weil doch für ein Gesamtbild
allerlei weitere Quellen heranzuziehen sind, die im genannten Beitrag fehlen, und
zudem alles stärker im Lichte der Geschichte der Beschäftigung mit dem antiken
Christentum in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesehen werden
muss. Hinzu kommt das Problem fehlender Quellen: Keyser hat nicht nur Äuße-
rungen Jaegers über das antike Christentum aus diversen Lebensepochen und
literarischen Kontexten zusammengestellt, sondern auch nach deren Wurzeln in
Jaegers religiöser Mentalität aus Kinder- und Jugendtagen gesucht.³ Freilich muss
man sich klarmachen, dass die Quellen, auf die sich Keyser bezieht, doch relativ
spät zu datieren sind: In einem „Zur Einführung“ überschriebenen Vorwort für
seine beiden Bände der „Scripta Minora“ von 1960 hat Jaeger mit knappen Worten
das Kempener Gymnasium Thomaeum charakterisiert, an das er im Jahre 1902
nach vier Jahren auf der katholischen höheren Knabenschule seines nahe gele-
genen Geburtsortes Lobberich wechselte:⁴

Der Patron unseres Gymnasiums war der grosse Mystiker Thomas a Kempis, der Verfasser der
Imitatio Christi, des nächst der Bibel meist verbreiteten und übersetzten Buchs der Weltli-

 Keyser (1992).
 Jaeger (1963) = Jaeger (1961).
 Keyser (1992) 83 – 89.
 Jaeger (1960b) X.

DOI 10.1515/9783110548983-009
246 Christoph Markschies

teratur. Die Stille und Innerlichkeit seiner Weltbetrachtung, die noch in der Frömmigkeit des
Niederrheins zu spüren war, passte zu der Schönheit der heimischen Seenlandschaft.

Kempen gehörte seit napoleonischen Zeiten zu den preußischen Rheinlanden,


aber die Mehrheit der Stadt war katholisch. Die Familie Jaeger dagegen war seit
Generationen durch ihre evangelisch-lutherische Konfession geprägt und lebte am
Niederrhein, wie Jaeger selbst in anfänglichen, aber ebenfalls späten Notizen für
eine Autobiographie schreibt, „the age-old, deeply rooted legacy of their Protes-
tant faith“.⁵ Freilich: Von einer gefestigten evangelischen Identität mit antika-
tholischer Spitze ist bei Jaeger weder in den späten autobiographischen Texten
noch in anderen Veröffentlichungen (jedenfalls so weit ich sie kenne) etwas zu
spüren; wenn Jaeger seine Mentalität in den späten autobiographischen Notizen
als eine Synthese aus der Frömmigkeit seiner Großeltern und der Rationalität
seiner Eltern beschreibt, wirkt dieser Dual nicht wenig konstruiert. In Wahrheit
bilden schon die genannten Großeltern im Blick auf ihre religiösen Mentalitäten
keine Einheit: Der Großvater Johann Ludwig Birschel wird von Jaeger als liberaler
kaiserzeitlicher Protestant portraitiert: Er war „entirely non political and non
church-going [and had] an enlighted outlook“,⁶ während die Großmutter Pauline
Birschel offenbar vom rheinischen Pietismus in Wuppertal geprägt war, den Jaeger
für ein englisches Publikum (historisch nicht vollständig zutreffend) als „a ge-
nuine theocracy, like those in the Puritan Commonwealths of New England where
the Pastor ruled and theology penetrated all thought and earthly conduct“⁷ be-
schreibt. Jaeger selbst charakterisiert sich in den letzten Schuljahren in jenem
späten Essay als halben Theologen: „Even in the Gymnasium I was half a theo-
logian, and my graduation certificate specified that I would go on to the study of
both classical philology and theology.“⁸ Rückschlüsse auf die persönliche
Frömmigkeit von Werner Jaeger erlauben aber alle diese (meist, wie gesagt, sehr
späten Zeugnisse) im Unterschied zu Annahmen von Paul Keyser nicht. Die
spannende Frage, wie er mit seiner zweiten, jüdischen Frau zusammenlebte,
vermag ich nicht zu beantworten; jedenfalls ist er nach der Ordnung eines me-
morial service beerdigt worden.⁹
Auch wenn wir so wenig über Jaegers persönliche Haltung zur Religion und
seine Frömmigkeit wissen, scheint mir deutlich, dass die Äußerungen über die
starke theologische Prägung während der Kempener Gymnasialzeit eher auf ein

 Jaeger (1966) 11.


 Jaeger (1966) 11.
 Jaeger (1966) 15.
 Jaeger (1966) 38.
 Order of Funeral Service, Harvard University Memorial Church, 22.10.1961.
Werner Jaegers Blicke auf das antike Christentum 247

wissenschaftliches Interesse am Christentum hindeuten als auf eine besonders


intensive Religiosität. Denn spätestens beim Studium in Marburg und Berlin er-
folgte die endgültige Entscheidung für die klassische Philologie. Laut der Vita, die
der Dissertation beigefügt ist, studierte Jaeger allerdings auch bei Theologen
(wobei es mir nicht gelungen ist aufzuhellen, bei welchen).¹⁰ Manches spricht für
Harnack: William Calder III berichtet, dass im Büro Jaegers in Harvard „the twin
icons“ von Wilamowitz und Harnack hingen; Wilamowitz war ohne Zweifel die
prägende philologische Lehrgestalt des Berliner Studiums der Jahre 1907 bis 1911
und dann der Jahre bis zur Habilitation im Jahre 1914: „Die grösste Erscheinung im
Leben der Philologie um die Jahrhundertwende war unstreitig Wilamowitz, sein
Name traf unser Ohr schon im Schulunterricht, dessen geschichtlichen Horizont
sein griechisches Lehrbuch zu erweitern suchte.“¹¹ Wenn man sich allerdings
klarmacht, dass der Gräzist Wilamowitz seinen kirchenhistorischen Kollegen
Harnack wegen angeblich mangelnder philologischer Kompetenz nicht sonderlich
schätzte und zudem offenbar von tiefem Neid auf die engen Beziehungen zwi-
schen dem Schwiegervater Mommsen und dessen liberalem Ersatzschwiegersohn
Harnack erfüllt war, stellte das Bilderpaar im Büro eine durchaus kühne Nach-
barschaft dar. Man kann sich angesichts der deutlichen Vorbehalte, die Wil-
amowitz in Briefen an Jaeger über den Schwiegervater Mommsen äußerte,¹²
schwer vorstellen, dass man gleichzeitig Wilamowitz und Harnack nahe stehen
konnte. Gleichwohl spricht Jaeger einmal brieflich „von dem persönlich Bestri-
ckenden an Harnack“.¹³ Wie nahe sich Harnack und Jaeger wirklich standen, ist –
im Unterschied zu dem Verhältnis zwischen Wilamowitz und Jaeger – trotzdem
schwer zu sagen; der Berliner Nachlass Harnacks überliefert keine Korrespondenz
zwischen beiden und die große Biographie der Tochter erwähnt den gräzistischen
Kollegen nicht.¹⁴ Manches spricht für eher lose Kontakte und leichte Distanz:
Mitglied der berühmten Kirchenväterkommission der preußischen Akademie, die
unter Harnacks Leitung die „Griechischen Christlichen Schriftsteller“ herausgab,
wurde Jaeger erst im Jahre 1927 (gemeinsam mit Erich Klostermann [1870 – 1963]),
drei Jahre vor Harnacks Tod.¹⁵ Im folgenden Jahr 1928 trat die Kommission erst-
mals wieder zusammen, nachdem sie seit 1924 wegen Mangels an Geldmitteln
aufgrund der Inflation nicht mehr getagt hatte; Jaeger nahm an dieser Sitzung
nicht teil und bei der geplanten Umgestaltung der traditionsreichen Kirchenvä-

 Jaeger (1911) 61; der Text der Diss. ohne die Vita: Jaeger (1960a) 1– 38; vgl. auch ders. (1966) 38.
 Jaeger (1960b) XI.
 Rebenich (1997) 235 – 237.
 Calder (1983) 185 Anm. 105.
 Zahn-Harnack (1936).
 Harnack (2000) 159.
248 Christoph Markschies

terkommission in eine „Kommission zur Förderung der kirchlichen und religi-


onsgeschichtlichen Studien im Rahmen der römischen Kaiserzeit“ sollte auch
nicht der amtierende Ordinarius, sondern sein Vorgänger Wilamowitz-Moellen-
dorff helfen, beim preußischen und Reichs-Finanzministerium weiteres Geld zu
besorgen.¹⁶
Deutlich anders verhielten sich die Dinge offenbar zwischen Jaeger und einem
anderen kaum weniger prominenten Berliner Kirchenhistoriker: Ein sehr
freundlicher Brief an Harnacks Nachfolger, den Kirchenhistoriker Hans Lietzmann
(1875 – 1942), den Jaeger an Bord der „New York“ am 29. November 1936 schreibt
und der allerlei Eindrücke über die Lage in Oxford enthält,¹⁷ deutet darauf hin,
dass beide Gelehrte sich besser verstanden als Harnack und Jaeger. Allerdings
beschäftigen sich die erhaltenen Briefe mit dem Schicksal vom Berliner Unter-
nehmen Jaegers nach dessen Emigration, mit der Zeitschrift „Antike“ und der
Ausgabe der Werke Gregor von Nyssas, so dass hier auch interessengeleitete
Höflichkeit im Spiel gewesen sein mag. Lietzmanns Freund, der damals längst in
München wirkende Eduard Schwartz, bezeichnete den später in Tübingen leh-
renden Berliner Altphilologen Jürgen Kroymann (1911– 1980) wenig freundlich als
eine „Jaegerkreatur“¹⁸ und nannte kurz darauf den Berliner Doktorvater Kroy-
manns im Blick auf seine Akademieabhandlung „Tyrtaios über die wahre
APETH“¹⁹ „in der Hauptsache ein Blender …; das Problem war von Wilamowitz
richtiger gesehen.“²⁰ Sicher ist, dass Jaeger und Lietzmann Aufsätze austauschten:
Als Gegengabe zu einem Aufsatz Lietzmanns, der sich mit der Authentizität der
Traditionen über ein römisches Martyrium des Apostels Petrus beschäftigte,²¹
sendete Jaeger den englischen Aufsatz über die ersten griechischen Berichte über
die Juden;²² auf dieses Problem war er, wie er schreibt, durch sein Diokles-Buch
gestoßen.²³ Ein wunderschöner Brief Lietzmanns mit einer Lobeshymne für Jae-
gers Demosthenes aus dem Jahr 1940 schließt die erhaltene, aber sicher nur
fragmentarisch überlieferte Korrespondenz ab; Lietzmann hofft in dem Brief auf
„einen gerechten Frieden und wirkliche Freiheit“²⁴ – vergeblich, wie wir wissen: er
starb kaum zwei Jahre später.

 Harnack (2000) 160.


 Jaeger an Lietzmann, 29.11.1936, in: Aland (1979) Nr. 975, 863 – 864.
 Schwartz an Lietzmann, 19.03.1937, in: Aland (1979) Nr. 991, 875 – 876.
 Jaeger (1932).
 Schwartz an Lietzmann, 01.04.1937, in: Aland (1979) Nr. 994, 878 – 879.
 Lietzmann (1936).
 Jaeger (1938a).
 Jaeger an Lietzmann, 19.07.1938, in: Aland (1979) Nr. 1051, 923 – 924. – Vgl. Jaeger (1938b).
 Lietzmann an Jaeger, 19.07.1938, in: Aland (1979) Nr. 1135, 989 – 990. – Vgl. Jaeger (1939).
Werner Jaegers Blicke auf das antike Christentum 249

Doch zurück zum jungen Berliner Studenten Werner Jaeger. Es spricht viel
dafür, dass er schon sehr früh durch den verehrten Lehrer auf die Spur desjenigen
antiken christlichen Theologen gesetzt wurde, der ihn zeitlebens beschäftigen
sollte: Gregor von Nyssa,²⁵ möglicherweise in einem Augenblick, als Jaeger nach
der Dissertation im Jahre 1911 nicht genau wusste, welchem Autor er sich nun
zuwenden solle.²⁶ Drei Jahre später erschien die Habilitation über den spätantiken
Bischof Nemesius von Emesa,²⁷ im Vorwort ist berichtet, dass schon 1911 in Rom
ein Zufall und seine „handschriftlichen Untersuchungen zur Vorbereitung der
kritischen Erstausgabe des Gregor von Nyssa zu Nemesios geführt hatten“.²⁸ Blicke
auf das antike Christentum enthält das kleine Büchlein praktisch nicht, sondern,
wie der Titel verspricht, Bemerkungen über Poseidonius, Galen und den älteren
Neuplatonismus.
Jaeger hat immer wieder gesagt, dass er zum Studium der Texte antiker
christlicher Autoren durch die textkritische Arbeit gekommen sei – also (und diese
Selbstaussage muss man ernst nehmen) nicht durch seine schon früh ausge-
prägten Interessen an einer Geistesgeschichte des Platonismus. Das wird zunächst
einmal deutlich in der Antrittsrede, die Jaeger nach der Zuwahl in die Preußische
Akademie der Wissenschaften am 17. Januar 1924, drei Jahre nach der Berufung als
Nachfolger von Wilamowitz an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität,²⁹ am
Leibniztag (3. Juli 1924) hielt. Dabei sagte er:³⁰

Meine textkritische Arbeit, die einer seit früher Jugend betätigten Neigung zu sprachlichen,
wort- und stilgeschichtlichen Untersuchungen entspringt, empfing, wie ich mich deutlich
erinnere, einen entscheidenden Impuls durch die unerwartete handschriftliche Bestätigung
mehrerer Emendationen, die ich Diels als junger Student in einer Preisarbeit vorlegte. Meine
Ausgaben mehrerer aristotelischer Schriften, von denen die der Metaphysik noch ungedruckt
liegt, sowie der beiden ersten Bände des Kirchenvaters Gregor von Nyssa führten mich
mehrfach und z.T. für längere Zeit an die Stätten der antiken Kultur und erfüllten mich mit
realer Anschauung des historischen Lebens und jeglicher Art der Überlieferung, besonders
der handschriftlichen Geschichte der Texte. So etwas lernt man nicht, wenn man es nicht
selbst gemacht hat, und trotz anders gerichteter moderner Meinungen gestehe ich, daß ich
mir den Philologen ohne dies enge Verhältnis zu den Texten und den Problemen der
Überlieferung nicht zu denken vermöchte.

 Jaeger (1966) 38.


 Keyser (1992) 86 Anm. 28.
 Jaeger (1914).
 Jaeger (1914) V.
 Vgl. den Zuwahlvorschlag von Wilamowitz, den E. Norden, W. Schulze, E. Meyer, K. Holl, U.
Stutz, Th. Wiegand, H. Maier u.U. Wilcken zeichnen, bei: Kirsten (1985) 176.
 Jaeger (1924) LXXXVII.
250 Christoph Markschies

Interessanterweise wird die Edition der Werke des Gregor von Nyssa einfach bei
den Akademie-Mitgliedern als bekannt vorausgesetzt und zunächst nicht näher
erläutert. Es handelt sich um die beiden Bände des Werks Contra Eunomium, die in
erster Auflage 1920 mit einem Vorwort des Lehrers Wilamowitz erschienen und die
von Jaeger herausgegebene Reihe der Gregorii Nysseni Opera begründeten, die
inzwischen über fünfzehn Bände umfasst und immer noch nicht abgeschlossen
ist.³¹ In der Berliner Kirchenväterausgabe der Preußischen Akademie, den von
Harnack begründeten „Griechischen Christlichen Schriftstellern“, konnten die
Werke Gregors nicht erscheinen, weil diese Reihe den Schriftstellern der ersten
drei Jahrhunderte vorbehalten war, Gregor aber im vierten Jahrhundert lebte. Im
Unterschied zu Wilamowitz und Jaeger hielt Harnack die vornizänische Epoche
des antiken Christentums für die maßgebende „paläoontologische Schicht“ der
neuen Religion, die zentrale Phase einer ebenso problematischen wie unver-
meidlichen „Hellenisierung“ des Christentums.³² Der Unterschied zu den Bänden
der Berliner Kirchenväterausgabe Harnacks ist mit Händen zu greifen; die Sprache
der praefationes und des Apparates ist bei der Gregor-Ausgabe lateinisch, bei den
„Griechischen Christlichen Schriftstellern“ bestand Harnack auf dem von ihm als
modern empfundenen Deutsch.³³ Wilamowitz stellte zur Finanzierung der Gregor-
Edition Mittel einer Sammlung zu Ehren seines sechzigsten Geburtstags zur Ver-
fügung. Jaeger hat in seiner späten Einleitung zu den „Scripta minora“ be-
schrieben, was diese Aufgabe von anderen editorischen Projekten unterschied:³⁴

Wegen ihrer reichen handschriftlichen Tradition haben die Kirchenväter mich als Philologen
auch abgesehen von ihrem inhaltlichen Interesse stets angezogen. Als Herausgeber des
Gregor von Nyssa, dessen zahlreiche Schriften in weit über tausend Handschriften überliefert
sind, sah ich mich vor ganz neue Aufgaben gestellt, wie die klassische Philologie sie bisher
kaum in Angriff genommen hatte. Darüber berichten die ausführlichen Prolegomena der
einzelnen Bände. Es zeigte sich, dass auch bei der reichsten Überlieferung eines Textes mit
der Methode der recensio allein nicht auszukommen ist und dass der emendatio darüber
hinaus stets ihr Platz erhalten bleibt, zumal bei Texten, die wie die der christlichen Väter
nicht durch Grammatikerhände gegangen und dadurch normalisiert sind. Die Kunst der
Emendation schien in der Philologie unserer Tage weitgehend verloren gegangen zu sein,
teils weil das Beste durch frühere Generationen schon vorweggenommen war, teils aus
Unbegabtheit für diese Dinge und abergläubischer Buchstabentreue, die sich für gesunden
Konservatismus hält.

 Hörner (1971).
 Markschies (2009) 538 – 549 sowie ders. (2012) 48 – 58.
 Markschies (2004).
 Jaeger (1960b) XVI f.
Werner Jaegers Blicke auf das antike Christentum 251

Aber natürlich interessierte sich Jaeger nicht nur deswegen, weil die Textkritik bei
den Werken der spätantiken Kirchenväter spannender war als bei denen klassi-
scher Schriftstellern, für Autoren wie Nemesius von Emesa oder Gregor von Nyssa.
Selbstverständlich reizten ihn angesichts seines Interesses für die Geistesge-
schichte des Platonismus auch die Inhalte. Auch das zeigt die erwähnte An-
trittsrede als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften am Leib-
niztag 1924, allerdings auf recht besondere Weise. Es gehört zwar zum Genre
solcher Antrittsreden, neben einer Erläuterung des wissenschaftlichen Werde-
ganges und einer Reverenz für die akademischen Lehrer die Programmatik
künftiger Jahre mit klaren Worten zu entwickeln. Doch Jaeger nahm so offen-
kundig gegen Harnack und dessen Programm einer Edition vornizänischer Kir-
chenväter durch Theologen Stellung, dass diese Frontstellung jedem auffallen
musste, der einigermaßen über die Tätigkeiten der Akademie orientiert war. Jaeger
sagte:³⁵

Das Studium der Kirchenväter und der Dogmengeschichte führte mich auch inhaltlich tief in
die altchristliche Welt und in ihre Zusammenhänge mit dem Altertum hinein. Ein von jeher
reges Interesse für alle Formen und Äußerungen des Religiösen, das bei mir nicht wie bei den
meisten Philologen vor dem Christentum haltmachte, verband sich mit der Liebe zur antiken
Philosophie und reizte mich, der geistigen Kontinuität zwischen antikem und christlichem
Denken nachzugehen. Der Ausgangspunkt zu meinem Büchlein Nemesios von Emesa war der
Umstand, daß das anthropologische Werk dieses christlichen Bischofs, eine wichtige Quelle
mittelalterlicher Philosophie, zum Teil unter dem Namen des Gregor von Nyssa überliefert ist.
Die Erforschung der Nachwirkung antiker Weltanschauung und Philosophie in der christ-
lichen Spätantike steht noch in den Anfängen. Sie stand bisher zu ausschließlich unter dem
Zeichen der theologischen Dogmengeschichte und der philologischen Jagd nach Quellen und
Fragmenten.Wenn die Ausbeutung der christlichen Literatur nach dieser Richtung auch noch
große Überraschungen verspricht, so ist es doch an der Zeit, ein mehr organisches Ver-
ständnis jenes großen geistigen Prozesses anzubahnen und die durch das Christentum be-
wirkte Umlagerung der inneren Struktur der antiken Welt als eine große geschichtliche
Aufgabe der Altertumswissenschaft ins Auge zu fassen, in die wir uns mit den Theologen
teilen müssen.

Auch wenn hier kein Name fällt, ist deutlich, wer im Blick ist, wenn Jaeger davon
spricht, dass die „Erforschung der Nachwirkung antiker Weltanschauung und
Philosophie in der christlichen Spätantike“ bislang „zu ausschließlich unter dem
Zeichen der theologischen Dogmengeschichte und der philologischen Jagd nach
Quellen und Fragmenten“ gestanden habe – gemeint ist natürlich Harnack,
dessen Bild der christlichen Antike ganz stark von seinem Konzept einer Dog-

 Jaeger (1924) LXXXVII-LXXXVIII.


252 Christoph Markschies

mengeschichte (wie es im Motto seines magistralen Werks heißt)³⁶ als einer Kritik
des Dogmas bestimmt war. Da Harnack als Maßstab seiner Kritik das angeblich
dogmenfreie Urchristentum heranzog und die ebenso angeblich schlichte fromme
Botschaft Jesu über den Vater, interessierte ihn (mit einem zeitgenössischen
Terminus gesprochen) die Rezeptions- oder besser Transformationsgeschichte
antiker Philosophumena im antiken Christentum im Grunde nur als Verfallsge-
schichte. Der Vorwurf, bisher sei zu viel der philologischen Jagd nach Quellen und
Fragmenten geschehen, den Jaeger gleichfalls in seiner in Wahrheit höchst po-
lemischen Antrittsrede erhebt, trifft ebenfalls Harnack und sein großes Inven-
tarwerk „Geschichte der altchristlichen Literatur“, das als Quellen- und Frag-
mentensammlung der Ausgabe der „Griechischen Christlichen Schriftsteller“
vorausging.³⁷ Nun könnte man denken, antike christliche Autoren seien für Jaeger
nur deswegen interessant, weil sie platonisches und neuplatonisches Denken
rezipieren. Doch dem ist nicht so. In seinen späten einführenden Bemerkungen zu
den „Scripta Minora“ beschreibt Jaeger diese Zusammenhänge folgendermaßen:³⁸

Die Einheit (discordia concors) klassischer und spätantik-christlicher Geschichte war mir, wie
gesagt, als selbstverständlich überliefert, und der Weg von der Antike zur christlichen Re-
ligion war mir seit meiner Kindheit natürlich. Ich wurde auf katholischen Schulen gross, die
für mich keine religiöse Belehrung boten, denn ich war protestantisch, obwohl in einem
religiös nicht positiv interessierten Elternhause aufgewachsen. Ich musste mir daher die
Einsicht in die Ursprünge des Christentums grossenteils selbst erwerben. Ich tat dies, wie ich
es mit der Antike gemacht hatte, durch das fortgesetzte Eindringen in die Quellen. So war ich
auf dem Gymnasium schon ein halber Theologe, und in meinem Abiturientenzeugnis hiess es
denn auch, dass ich entlassen würde zum Studium der klassischen Philologie und der
Theologie. Auf der Universität führte ich meine theologischen Studien in der Tat ständig
weiter, aber in derselben Weise wie vorher, nämlich privatim durch Lektüre der altchristli-
chen wie der modernen theologischen Literatur. Theologische Vorlesungen habe ich freilich
nur wenige gehört. Doch verfolgte ich die religiösen Bewegungen meiner Zeit mit tiefer
Anteilnahme und war in der Kirche aller Jahrhunderte zu Hause, ohne aktiv im Leben irgend
einer Kirche darinzustehen. Der geschichtliche Weg zu dem jüdisch-christlichen Erbe war der
mir gemässe. Ich sah ein gleiches, wenn auch in verschiedenem Grade, bei Philologen wie P.
Wendland, Ed. Schwartz u. a. sich vollziehen. Daher fühlte ich mich sogleich in meinem
Element, als mich Wilamowitz nach meinem Berliner Doktorexamen für den Gedanken zu
gewinnen suchte, an der Herausgabe des Gregor von Nyssa einen führenden Anteil zu
nehmen.

 Harnack (1909) passim; vgl. Basse (2001) 123 – 146.


 Harnack (1893); ders. (1958).
 Jaeger (1960b) XXII f.
Werner Jaegers Blicke auf das antike Christentum 253

Es geht also nicht um eine schlichte Rezeptions- (oder meinetwegen auch:


Transformations‐) Beziehung zwischen paganem und christlichem Erbe, sondern
gleichsam in angewandter platonischer Philosophie um „die Einheit (discordia
concors)“ zwischen zwei als Entitäten gedachten geistesgeschichtlichen Phäno-
menen.Wie früh sich diese Orientierung auf solche Linien im Werk Werner Jaegers
zeigt, wird deutlich, wenn man die umfangreiche Rezension zu Eduard Nordens
Werk „Agnostos Theos“ zur Hand nimmt, die er 1913 veröffentlicht hat, ein Jahr vor
seiner Berliner Habilitation.³⁹ Da Keyser sie ausführlich besprochen hat,⁴⁰ können
wir es in unserem Zusammenhang bei einem Hinweis belassen. Keyser macht auch
auf die Reste eines Briefwechsels zwischen Jaeger und dem Marburger Neutes-
tamentler Rudolf Bultmann (1884 – 1976) aufmerksam, die sich im Besitz von
William Calder III befinden.⁴¹
In den folgenden Jahren hat Werner Jaeger sich bei der Beschäftigung mit
spätantiken christlichen Theologen vor allem auf Gregor von Nyssa konzentriert.
Wenn er beispielsweise in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der
Wissenschaften einen „neuentdeckten Kommentar zum Johannesevangelium“
behandelt, dann hat ihn offenbar länger die Frage beschäftigt, ob Gregor der Autor
des Textes ist, und er teilt nun mit, warum er diese Position zwar erwogen, aber
nun verworfen hat.⁴²
In den Jahren 1952 und 1953 beschäftigte sich Jaeger in Harvard nochmals mit
der Edition dreier asketischer Schriften des Gregor, De instituto Christiano, De
professione Christiana sowie De perfectione. ⁴³ Dabei fiel ihm auf, dass die erste
Schrift Gregors nahe Verwandtschaft zu einem Text aufweist, den der Göttinger
Kirchenhistoriker Hermann Dörries (1895 – 1977) entdeckt hatte, der Epistula
magna des Pseudo-Macarius/Symeon. Die drei Schriften Gregors erschienen im
ersten Teil des achten Bandes der Werkausgabe Gregors. Das im folgenden Jahr
1953 als Supplement der Reihe veröffentlichte Buch „Two Rediscovered Works of
Ancient Christian Literature: Gregory of Nyssa and Macarius“ aus dem Jahre 1953
enthält nicht nur einen vorläufigen Text der Epistula magna, den die Überlieferung
einem Asketen namens Macarius, dem Ägypter, (fälschlicherweise) zuschreibt,
sondern eine Untersuchung der literarischen Beziehungen dieses Briefs zur Schrift
De instituto Christiano des Gregor von Nyssa. Diese Schrift, mit einem deutschen
Titel „Über das gottgewollte Ziel und die wahre Askese“, hatte Jaeger, wie gesagt,
im Jahr zuvor als achten Band seiner Gregor-Ausgabe ediert. Die Epistula magna

 Jaeger (1913) = ders. (1960a) 115 – 161.


 Keyser (1992) 89 – 90.
 Keyser (1992) 90 – 92.
 Jaeger (1930) 584– 585.
 Jaeger (1952) 1– 89, 91– 142, 143 – 214.
254 Christoph Markschies

erschien ihm als eine Bearbeitung des Traktates von Gregor; heute ist deutlich,
dass man die literarischen Beziehungen genau umgekehrt rekonstruieren muss:
Gregor bearbeitete in Wahrheit den großen Brief. Es ist sicher nicht zu viel psy-
chologisierende Interpretation Werner Jaegers, wenn man vermutet, dass die
Begeisterung über das Werk Gregors den nun in Amerika lebenden Gräzisten dazu
führte, die Abhängigkeitsrelationen (jedenfalls nach unserer heutigen Perspek-
tive) genau falsch herum zu rekonstruieren. So hat es jedenfalls Reinhart Staats
vor nunmehr dreißig Jahren im Vorwort seiner Neu-Edition des großen Briefes
formuliert:⁴⁴

Jaeger hatte gemeint, daß dem großen Kappadozier mit De instituto Christiano als einem
reifen Alterswerk die von ihm angestrebte Synthese von Antike und Christentum besonders
glücklich gelungen war. Jaeger … liebte nächst Gregor von Nyssa kaum einen Theologen so
sehr wie den Humanisten Erasmus von Rotterdam. Hier wie dort fand er das Zusammen-
wirken von Gnade und Werk, den klassischen Synergismus, den Jaeger tief bejahte, er selbst
war ja ein Gegner von Augustins und Luthers Gnadenlehre. Was Theologen wie Adolf von
Harnack als Hellenisierung der christlichen Religion abwerteten, bekam bei Werner Jaeger
eine positive Deutung. Statt von einer Hellenisierung des Christentums sprach er von
Übernahme eines Leitmotivs seines Hauptwerkes ‚Paideia‘ … von der ‚Paideia Christi‘.

Ausgeführt hat Werner Jaeger diese Gedanken in seinem letzten, bereits erwähnten
Buch, mit dem wir auch schließen wollen – in den Carl Newell Jackson-Vorle-
sungen, die Jaeger 1960 unter dem Titel „Early Christianity and Greek Paideia“ in
Harvard hielt. Sie wurden auf Anregung seines damals in Tübingen als Kirchen-
historiker tätigen Berliner Schülers Walther Eltester (1899 – 1976)⁴⁵ ins Deutsche
übersetzt, Eltester besorgte selbst die Übertragung und die Vorlesungen erschie-
nen 1963 unter dem Titel „Das frühe Christentum und die griechische Bildung“ im
Verlag Walter de Gruyter in Berlin.⁴⁶ Paul T. Keyser hat dieses Büchlein sehr
pointiert in seinem Beitrag für das Kolloquium „Werner Jaeger reconsidered“ „not
as merely volume four of Paideia (or worse, as merely an afterthought) but as the
telos or entelechy of the whole of not only Paideia but of Jaeger’s life“ bezeichnet.⁴⁷
Aber kann man bei einer „Einheit (discordia concors) klassischer und spätantik-
christlicher Geschichte“, die Jaeger noch einmal in der Einleitung seiner gesam-
melten Schriften aus dem Jahre 1960 beschwört, wirklich von einer derartigen
Entelechie in Richtung einer der beiden Pole der Einheit sprechen? Oder wird die
spannungsvolle Einheit der Gegensätze bei solcher Interpretation nicht in eine

 Staats (1984) 11– 12.


 Andresen (1977) 1.
 Jaeger (1963) = ders. (1961).
 Keyser (1992) 89.
Werner Jaegers Blicke auf das antike Christentum 255

große Denkbewegung hin in den erneuerten christlichen Platonismus aufgeho-


ben, mithin mehr Beierwaltes⁴⁸ als Jaeger in dieser Interpretation präsentiert? Im
Jahr 1930 schreibt Jaeger an Bultmann, dass das Christentum zwar in die Antike
eintreten und sie durchdringen konnte, aber sie nicht überwinden und durch
einen anderen Aufbau zu ersetzen vermochte.⁴⁹ Eine Entelechie besteht nach der
Aussage dieses Briefes also nicht in Richtung des Christentums, sondern allenfalls
in Richtung der Antike. Da diese aber durch das Christentum transformiert ist, gilt
zugleich eben das Wort von der Einheit der Gegensätze, der discordia concors.
Der Autor der Vorlesungen unter dem Titel „Early Christianity and Greek
Paideia“ (oder eben deutsch „Das frühe Christentum und die griechische Bil-
dung“) beweist gleich auf den ersten Seiten seine gute Kenntnis der zeitgenös-
sischen Debatten innerhalb der theologischen Wissenschaft, wenn er festhält,
dass Religion und Kultur entgegen der Positionen von Karl Barth und Emil Brunner
nicht separiert werden können wie dürfen.⁵⁰ Eine ausführliche Würdigung dieses
Werks ist in unserem Rahmen nicht notwendig; auch hier hat Keyser wichtige
Vorarbeiten geleistet. Trotz einer chronologisch vom Neuen Testament über den
ersten Clemensbrief, die Apologeten, die christlichen Alexandriner Clemens und
Origenes sowie Gregor von Nyssa geordneten Abfolge bleiben Lücken. Jaeger war
sich bewusst, dass er mit seinen Veröffentlichungen und den Carl Newell Jackson-
Vorlesungen in Harvard 1960 die Brücke vom antiken zum christlichen Denken
noch nicht vollständig geschlagen hatte. In der Einführung in den ersten Band
seiner „Scripta Minora“ schreibt er wenig später:⁵¹

Die in meinem Buch über die Theologie der frühgriechischen Denker verheissene Ausfüllung
der Lücke zwischen der frühgriechisch-vorsokratischen und der platonisch-christlichen
Theologie eines Origenes und Clemens bleibt eine wichtige Aufgabe der Zukunft.

So viel Selbstrelativierung beeindruckt, da der, der sich dort relativiert, dies auf
einem relativ hohen Niveau vollzieht. Denn er ist mit den christlichen Autoren, die
er als Beispiele seines Rezeptions- und Transformationsprozesses analysiert, wohl
vertraut. Beispielsweise mit dem ersten Clemensbrief, einem Gemeindebrief der
stadtrömischen Christenheit an die Schwestergemeinde in Korinth vom Ende des
ersten Jahrhunderts. Werner Jaeger hat sich einmal in einem bereits erwähnten
Brief an den Berliner Kirchenhistoriker Hans Lietzmann aus dem Jahre 1938 „als

 Beierwaltes (2014).
 Keyser (1992) 91– 92.
 Jaeger (1963) 1.
 Jaeger (1960b) XXII.
256 Christoph Markschies

alter Clemensfreund“ bezeichnet;⁵² man wird angesichts der einschlägigen Pas-


sagen in „Early Christianity and Greek Paideia“ nicht widersprechen wollen.
Die Zeiten der großen Kultursynthesen und der großen Konzepte zum Thema
„Antike und Christentum“ sind unwiederbringlich vorbei; „Christentum ist auch
Antike“ hat Jacques Fontaine⁵³ vor einiger Zeit pointiert formuliert, um das Pro-
blem derartiger Vergleiche zwischen zwei scheinbar stabilen Entitäten aufzu-
spießen. Aber Werner Jaeger sah sich nicht nur aufgrund seines Interesses am
Fortwirken des Platonismus zum antiken Christentum gedrängt, sondern auch
wegen seiner Leidenschaft für die Textkritik ganz bestimmter Überlieferungen.Vor
unserem geistigen Auge erscheinen die imponierenden Bände der Werkeausgabe
Gregor von Nyssas und das Lexicon Gregorianum – und plötzlich wird deutlich:
Hier ist nun wirklich nicht alles vergangen, ganz im Gegenteil.

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Zahn-Harnack (1936): Agnes von Zahn-Harnack, Adolf von Harnack, Berlin-Tempelhof.
Sachregister

(Begriffe auf deutsch)


Akademie: 140, 145-8, 150-2, 157-60, 163-7 Dialektik/Dialektisch: 3, 42, 144, 146, 152-4,
Akademiezeit: 162, 168 161
Altertumswissenschaften: 2-6, 13, 18-27, 29, Dionysisch-apollinisch: 6, 13, 14, 16, 34, 35
35, 38, 44, 52, 76, 87, 89, 93, 214, 225, Dogmengeschichte: 251
237, 251 Doxographie: 219
Anonymus Londiniensis: 219, 220, 221, 222 Dritter Mann: 151
Anschauung/anschaulich: 9, 10, 14, 18, 25, Dualismus: 160, 166
26, 31, 32, 43, 73, 101, 115, 144, 149,
152, 156, 165, 166, 210, 211, 216, 218, Empirismus: 101, 123, 152, 154, 215, 221-4,
226, 230, 249; s. a. Weltanschauungen 231
Antihistorismus: 8, 9, 13, 16, 19-22, 28, 29, Entwicklung/Entwicklungsgeschichte: 3, 58,
35 141-50, 158, 167, (171-205)
Antike als Modell: 12-14, 61, 95-96, 104, 105, Erscheinungswelt: 143, 152, 153
s. a. Denkmodell Erster Weltkrieg: 6, 7, 11, 18, 23, 24, 28, 31,
Aristotelisierung der antiken Medizin: 216-24 32, 40, 44, 62, 84
Ärztlicher Humanismus: 225, 236-240 Esoterik: 157

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wis- Fachdidaktik: 84, 96, 98, 102, 104, 105
senschaften: 3, 19, 51, 212-4, 247, 249- Finalismus: 231
51, 253
Bildung (= Erziehung; Paideia): 1, 2, 4-46, 51, Geisteswissenschaften/Geisteswissenschaft-
58-62, 65-77, 83-106, 111, 114, 115, 117, liche Hermeneutik: 9, 30, 209
121, 122, 124, 139, 142-5, 163, 164, 209, George-Kreis: 10, 11, 13-8, 20-2, 25, 27, 28,
213, 225-30, 232, 236, 238, 239, 245, 30-44, 100, 101
254-6 Geschichtsphilosophie: 8, 9, 26, 37
– humanistische: 1, 26, 45, 67, 69, 70, 83- Geschichtswissenschaft: 29, 30
106, 209, 225, 239 Griechentum: 2, 10, 11, 16, 17, 19, 31, 34, 35,
politische: 70, 104, 139, 163 37, 39, 61, 86-8, 97, 100, 102, 226, 238,
realistische: 83-93 239
Bios theoretikos: 163-5 Gymnasium, humanistisches: 25, 26, 35, 45,
46, 67, 68, 70, 89-93, 96, 97, 99-101,
Christentum: 3, 112, 124, 125, 134, 135, 195, 124, 239, 245, 246, 252
210-2, 245-256
Corpus Hippocraticum: 219 Harmonie: 13, 87, 154, 158, 161, 166, 174,
Corpus Medicorum Graecorum: 209, 212-5 180, 229, 230, 234
Curriculumreform: 105 Heilung: 228, 229, 231, 232, 233, 237
Hellenisierung des Christentums: 250, 254
Denkmodell: 96, 105 Hippokratesbild: 214, 216, 218
Deutscher Altphilologenverband (DAV): 46, Historismus: 5-46, 85
52, 90, 91, 96, 97
260 Sachregister

Humanismus: 1, 5-46, 58, 60, 66, 67, 69, 70, Philhellenismus: 12-8, 87
75, 76, 83-106, 225, 226, 236, 237, 239, Philosophenkönig: 18, 140, 143, 163, 164,
254 166
– Dritter: 58, 69, 83-106 Pietismus: 246
Platonismus: 12-8, 165-8, 249, 251, 255, 256
Idee des Guten: 15, 142, 143, 148, 155, 156, – Neuplatonismus: 249, 252
162, 163 Pneuma: 209-12, 216-8, 220, 221, 223, 224
Ideenkritik: 162, 167 Preußische Akademie der Wissenschaften: s.
Ideenlehre: 15, 143-57, 162-8 u. Berlin-Brandenburgische Akademie
Intellektualisierung: 151 der Wissenschaften
Psychosomatische Medizin: 236
Jugendbewegung: 12, 62, 100, 101, 103
Reformpädagogik: 100
Kategorienlehre: 162
Kirchenväter: 211, 247, 249-51 Schriftkritik: 142
Klassische Philologie: 1, 3, 5, 11, 15, 19-24, Seelendreiteilung: 160, 234, 235
26, 28-35, 39-46, 52, 54, 58, 64, 68, 70, Selbstkritik: 147
84, 85, 88, 90, 91, 94, 96, 97, 99-101, Sokratiker/Sokratisch: 18, 142, 143, 146, 147,
103, 106, 183, 188, 211, 212, 214, 224, 150, 156, 164, 228, 230-2
225, 239, 247-52 System/Systemdenken/Systembildner: 33,
– neue: 23, 28-35 34, 85, 128, (132, 134), 141, 142, 152,
Klassizismus: 13, 14, 17 153, 158, 160, 168, (217-9), 223, 228,
Kulturkrise: 5-8, 12, 18-37, 114 231
Kulturkunde: 45, 84-90
Teleologie: (122, 123), 231
Marburger Schule: 144 Tragödie, griechische: 1, 6, 13, 19-21, 38-40,
Mathematik: 10, 27, 43, 117, 119, 145, 151, 66, 97, 181, 231
154, 157, 161, 164, 167
Medizin: 21, 22, 27, 74, 151, 209-240 Übersinnlich: 149, 152, 155, 156, 189
– als Modell der Ethik: 223, 233-5 Unsterblichkeit: 119, 160-2, 164
Metaphysik: 139, 143, 155-7, 160, 163-5, 173, Unterricht, altsprachlicher: 66, 67, 70, 83-
211, 215 106, 247
Methode/Methodik: 5, 23, 93, 98, 105, 115,
123, 146-50, 152, 153, 155, 157, 158, 161, Verwissenschaftlichung: 1, 148
167, 173, 188, 212, 215, 216, 221, 223,
228, 230-2, 237, 250 Weltanschauungen: 6, 10, 12-4, 25, 28-33, 37,
Monade: 141, 155 92, 149, 155, 230, 231, 238, 251, s. a.
Anschauung
Nationalsozialismus: 1, 3, 46, 51-78, 89-93, Wertephilosophie: 9-12 ?
102 Wiedererinnerung/Anamnesis: 160, 161
Naturwissenschaften: 8, 9, 26, 30, 115, 117, Wissenschaftskrise: 1, 19, 23-37, 44-6, 236,
123, 154, 211 237
Naumburger Tagung (1930): 52, 71
Neoklassizismus: 13, 16-8 Zweiweltenlehre: 154
Neuhumanismus: 7, 13, 16, 28-30, 34, 36, 44,
58, 87
Neukantianismus: 9, 12, 14, 15
Sachregister 261

(Begriffe auf englisch)


Academy, academic: 189 Medicine: 123, 217-20, 223, 232, 234
Apparatus, critical: 173, 183, 184, 197, 199- Metaphysics: 115, 119, 121, 125, 126, 129, 133,
201 218
Authenticity: 174, 177, 180, 181, 197, 200, Metaphysics, α-version of, β-version of the:
201, 203 171-205
Mysticism: 115, 116, 120, 121, 126, 129, 133
Being: 112, 115, 117, 118, 124, 127, 128, 133,
179, 183, 184, 189-91 Nature: 111-3, 115-23, 125, 127, 129-31, 134,
175, 180, 185, 186, 196, 234,
Christianity: 112, 124, 125, 134, 135
Commentators, ancient / commentary on the Phases, of Aristotle’s development: 189-91,
Metaphysics: 172, 181-7, 193-205 204
Conjecture: 183, 185, 186, 199 Philology, philological: 1, 140, 184, 185, 188,
Contamination: 195, 198, 202, 204 246,
Philosophy, philosophical: 111-35, 174, 178,
Divinatio: 173 184, 189, 191, 217, 218, 223, 224, 232,
233
Edition critical, editio minor, major: 124, 171- Politics: 111, 122, 124, 130, 131, 135, 140, 233,
205 246
Emendation: 171-3, 181, 183, 205 Praefatio: 173, 182, 194, 197, 198, 201, 202
Equality: 130, 131
Recensio: 184, 185, 187, 193, 195, 198
Genesis: 171-80, 185, 190, 203 (Verweis auf Religion: 116-8, 120-2, 124, 126-8, 132-5
development?)
God: 116, 120, 121, 127, 129-34, 200 Science: 1, 113-5, 117, 121, 125-8, 134, 191,
217, 223, 224
Harmony: 117-9, 126, 128, 130, 174, 180, Soul: 119-21, 124, 126, 133, 232-4
State (political): 120, 124, 233, 234
Justice: 116, 117, 121, 129, 130, 131 State (I. q. condition in which sth. Or sb. is):
181, 187, 200
Kosmos: 116-20, 122, 129, 130
Textual criticism: 124, 171, 173, 181, 182, 188,
Lacuna (textual): 182, 185 191-4, 197, 199,
Law: 115-20, 122, 128-31, 133 Textual witness: 181, 182, 187, 194, 196, 199,
Logic: 113, 115, 118, 131, 133, 217 203, 204
Logos: 115, 116, 118-20, 122, 129, 131, 133 Theology: 111, 118, 121, 124-6, 128-35, 190,
211, 219, 246
Manuscripts, medieval: 116, 181-3, 185, 187, Theory of Forms: 121, 176, 189
192-4, 199-203 Transmission: 172, 179-87, 189, 193, 196-9,
Matter: 112, 113, 127, 128, 172, 191 202, 204, 205
Namenregister

Antike Namen
Aeschylos: 16, 101, 122, 193 Galen: 211, 221, 223, 224, 249
Aetius von Amida: 213 – pseudo-Galen: 222
Alexander der Große: 163 Gregor von Nyssa: 124,211, 212, 248-55
Alexander Philalethes: 221
Alexander von Aphrodisias: 157, 159, 181, Heraklit: 112, 114, 115, 118-21, 128, 129, 131-3
182, 184-7, 193-205 Herodot: 98, 231, 235
Anaxagoras: 112, 113, 119, 127, 128, 132, 134, Herophilos von Chalkedon: 216, 217
165, 176 Hesiod: 116
Anaximander: 113, 116, 117-22, 126-32, 134 Hippo: 125
Anaximenes: 117, 119, 127, 128 Hippokrates: 123, 131, 211, 213-23, 229, 231,
Andronikos von Rhodos: 174, 178-81, 195, 234, 235, 237, 238
196, 198 Homer: 29, 58, 66, 67, 71, 85, 87, 91, 123,
Archilochos: 116 235
Aristoteles: 3, 31, 41, 51, 111, 114, 116, 132,
134, 139-42, 144-68, 170-205, 209-24, Isokrates: 74, 163
228, 230, 231, 249
Aristoxenos: 147 Makarios der Ägypter: 252
Asklepios von Tralleis: 172, 184, 194, 196, – pseudo-Makarios (Symeon): 253
197, 200 Melissos von Samos: 129
Athenaios von Attalia: 210 Menon: 219, 220
Athenaios von Naukratis: 153 Metrodoros: 217
Augustinus: 124, 135, 254 Michael von Ephesus: 199-201
Midas: 163
Clemens von Alexandria: 255
Nemesios von Emesa: 211, 215, 249, 251
Demokrit: 119, 125, 132, 134, 183, 210
Demosthenes: 55, 58, 122, 194, 248 Oribasios: 213
Diogenes der Kyniker: 134 (?), 210 Origines: 210, 255
Diogenes von Apollonia: 125, 132
Diokles von Karystos: 72, 74, 214-24, 230, Parmenides: 113, 115, 118, 120, 121, 125, 127-
248 9, 133, 134, 148, 156, 165
Dionysios II. von Syrakus: 72 Paulus von Tarsos: 210, 211
Dionysios von Halikarnassus: 150 Pherecydes: 134
Philon: 210, 211
Empedokles: 112, 119-21, 127-31, 133, 134, Pindar: 16, 86, 122
176, 210 Platon: 16-8, 21, 27, 28, 31, 34-6, 40-3, 66,
Epikrates: 152 69, 73, 74, 87, 88, 98, 99, 101, 102, 105,
Erasistratos von Keos: 216, 217 115, 120-6, 129, 131, 134, 139-68, 172,
Erasmus von Rotterdam: 254 177, 179, 189-91, 210, 211, 214, 215, 218,
Eudemos von Rhodos: 178, 196, 198, 219 225, 226, 228-30, 232-5, 237, 252, 253,
Eudoxos (Astronom/Mathematiker): 151, 157 255
264 Namenregister

Poseidonios: 249 Thales: 126-8


Praxagoras von Kos: 216, 217 Theaitetos: 151, 157
Ptolemaios I: 217 Themison: 163
Ptolemaios II: 217 Theognis: 73, 86
Pythagoras: 128, 148, 165 Theophrast: 72, 194, 195, 210, 218
Theuth: 153
Sardanapall: 163 Thomas von Kempen: 245
Simplikios: 116, 147 Thukydides: 228, 229, 231
Sokrates: 125, 141-3, 146-8, 150, 153, 155,
156, 158, 161, 164, 165, 225, 228-31 Xenokrates: 147
Solon: 86, 116 Xenophanes: 117, 127, 128, 131, 132
Soranos von Ephesos: 213, 221 Xenophon: 74, 120, 230
Straton von Lampsakos: 217, 218
Symeon: s. u. pseudo-Makarios

Moderne Namen
Abrahamsohn, Ernst: 76, 77 Calder, William M. III: 3, 4, 23, 27, 51, 53, 55,
Aly, Wolfgang: 70 57, 68, 71-3, 77, 121, 122, 125, 247, 253
Christ, Wilhelm v.: 172, 174, 179, 182, 184,
Babick, Paul: 67 195
Bachofen, Johann Jakob: 13, 123 Cohen, Hermann: 14
Barth, Karl: 255 Comte, Auguste: 125
Becker, Carl Heinrich: 25, 27, 42, 57, 58, 61, Cornford, Francis Macdonald: 120, 121, 134
62 Coulanges, Fustel de: 13
Bekker, Immanuel: 182, 184 Crusius, Otto: 22
Birschel, Johann Ludwig: 246
Birschel, Pauline: 246 Deichgräber, Karl: 132, 212-5
Blavatsky, Helena Petrowna: 12 Delbrück, Hans: 22
Boeckh, August: 34, 214 Dessoir, Max: 22
Bonitz, Hermann: 173, 181, 182, 184, 195, Deubner, Ludwig: 52, 58
198, 199 Diels, Hermann: 19, 20, 51, 122, 126, 212,
Borchardt, Rudolf: 57, 58, 75 214, 215, 219, 249
Bork, Arnold: 95, 99-104 Dilthey, Wilhelm: 9, 12, 20, 28, 32, 44
Bornemann, Eduard: 104 Dodds, Eric R.: 122, 188
Brandis, Christian August: 173, 174 Dörries, Heinrich: 212
Brunner, Emil: 255 Dörries, Hermann: 212, 253
Brummerstädt, Wilhelm: 173 Drexler, Hans: 93
Bultmann, Rudolf: 76, 253, 255 Durkheim, Émile: 120
Burckhardt, Jacob: 13, 19, 24, 28
Burnet, John: 111, 113, 114, 116, 120, 125, 126, Eberhardt, Walter: 93
128, 129, 133, 134 Einstein, Albert: 3
Eltester, Walther: 254
Namenregister 265

Festugière, André-Jean: 212 Jacoby, Felix: 65


Fraenkel, Eduard: 52 Jaeger, Erhard: 56
Friedemann, Heinrich: 10, 11, 15, 16, 18, 31, Jaeger, Ruth: 53, 56, 57, 59, 77, 78
41-3 Jaeger, Theodora (Dora): 53, 55
Friedländer, Paul: 23, 24, 35, 38, 52, 71-4, 76, Joel, Karl: 116, 126, 128
77 Johansen,Thomas: 154
Fritsch, Andreas: 52, 58, 60, 68, 69, 76, 100, Jouanna, Jacques: 233
102
Kaegi, Werner: 94
Gadamer, Hans-Georg: 52, 239 Kahn, Charles: 139, 140, 233
George, Stefan: 10, 11, 13, 16, 17, 20, 22, 24, Kapp, Ernst: 54zahlfleisch
28, 31, 35, 36, 38-42, 100, 102, 103 Keyser, Paul T.: 125, 212, 245, 246, 249, 253-
Giesecke-Teubner, Christian Alfred: 7, 24-6 5
Goebbels, Josef: 63 Keyserling, Hermann Graf: 12
Goethe, Johann Wolfgang von: 14, 16, 21, 31 Kirchhoff, Adolf: 20
Gomperz, Theodor: 111, 113, 114, 119, 120, Klostermann, Erich: 247
125, 126, 128 Krieck, Ernst: 58-63, 65-70, 75-7
Göring, Herrmann: 64 Kristeller, Paul Oskar: 76, 77
Götte, Johannes: 56, 57, 64, 65, 77 Kroymann, Emil: 67-69
Griesinger, Wilhelm: 225 Kroymann, Jürgen: 248
Gundolf, Friedrich: 11, 16, 22, 27, 41 Krüger, Max: 90, 98, 99, 104

Haag, Erich: 94, 99 Lake, Kirsopp: 125gomperz


Haeckel, Ernst: 12 Landfester, Manfred: 52, 58, 70, 76, 88-90
Harnack, Adolf von: 247, 248, 250-2, 254 Lange, Albert: 126, 127
Hatvany, Ludwig: 20 Lehmann-Leander, Ernst R.: 95, 104
Hauptmann, Gerhart: 13 Liebermann, Max: 51
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: 112, 113, 122, Lietzmann, Hans: 248, 256
123, 125 Litt, Theodor: 102, 104
Heiberg, Johann Ludwig: 127 Lloyd, Geoffrey E.R.: 130
Heidegger, Martin: 238
Heinitz, Ernst: 53, 56, 77 Mansfeld, Jaap: 116
Helm, Rudolf: 54 Mewaldt, Johannes: 213
Hentig, Hartmut von: 105 Meyer, Eduard: 51, 249
Herder, Johann Gottfried: 21, 97 Michelet, Karl Ludwig: 173
Hildebrandt, Kurt: 15, 18, 21-3, 27, 31, 32, 38- Mill, John Stuart: 125
43 Mommsen, Theodor: 5, 18, 19, 247
Hindenburg, Paul von: 63-5 Most, Glenn: 123
Hitler, Adolf: 63-6, 69, 71, 72, 75-7
Hofmannsthal, Hugo von: 7, 12, 13, 14, 16 Näf, Beate: 35, 77, 90, 91, 115
Hohensee, Herbert: 98 Natorp, Paul: 14, 15, 18, 40, 177
Hölderlin, Friedrich: 21, 36, 100 Nietzsche, Friedrich Wilhelm: 1, 5, 6, 13, 14,
Hölscher, Uvo: 57, 77, 88-90, 92, 94 16, 17, 19-21, 24, 28-30, 34-6, 38, 39,
Humboldt, Wilhelm von: 16, 87 41, 44, 97, 116, 123, 126, 127
Norden, Eduard: 7, 26, 51, 52, 54, 58, 64, 65,
Immisch, Otto: 23 249, 253
Isnardi Parente, Margherita: 112 Norden, Marie: 54, 77
266 Namenregister

Onians, Richard B.: 235 Sommer, Fritz: 99, 102


Otto, Walter F.: 51 Spengler, Oswald: 8, 26, 37, 114
Spranger, Eduard: 42, 43, 45, 83, 84, 94,
Panofsky, Erwin: 76, 77 101-3
Papen, Franz von: 64 Steel, Carlos: 147
Patzer, Harald: 94 Steiner, Rudolf: 12
Paul, Jean: 21 Stenzel, Julius: 27, 41, 42
Pollock, Sheldon: 1, 3 Strauss, Leo: 2
Popper, Karl R.: 113 Strauss, Richard: 14

Regenbogen, Otto: 52, 94, 102 Tannery, Paul: 111, 114, 125, 126
Reinhardt, Karl: 62, 115, 117, 118, 133 Timpanaro, Sebastiano: 114
Rickert, Heinrich: 9 Treitschke, Heinrich von: 22
Rilke, Rainer Maria: 13
Ringer, Fritz: 237 Usener, Hermann: 61, 122
Ritschl, Friedrich: 29
Robinsohn, Saul B.: 96 Vahlen, Johannes (=Woepke, Johannes): 20
Roethe, Gustav: 22 Vlastos, Gregory: 130, 131, 133-5
Rohde, Erwin: 13, 116
Rose, Valentin: 174 Walsdorff, Friedrich: 99
Rosenberg, Alfred: 92 Walzer, Richard: 56, 57, 69, 194, 199, 203,
Ross, Sir William David: 172, 173, 180, 182-6, 204, 215
192-4, 199 Weber, Max: 10, 31, 33
Rousseau, Jean-Jacques: 15 Weizsäcker, Viktor von: 225, 237-9
Rust, Bernhard: 68 Wellmann, Max: 218, 219
Wendland, Paul: 252
Sachs, Eva: 150 White, D. O.: 115
Salaquarda, Jörg: 127 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: 1, 3, 14,
Schadewaldt, Wolfgang: 37, 56, 57, 95, 96, 18-24, 27-9, 31, 35, 37, 38, 40, 42, 43,
104, 105 45, 51-3, 58, 85, 89, 101, 212, 247-50,
Schäfer, Lothar: 154 252
Schiller, Friedrich: 36 Winckelmann, Johann Joachim: 14, 16, 21, 97
Schmidt, Erich: 22, 35, 57, 58, 75, 77 Windelband, Wilhelm: 9
Schneeweiß, Gerhart: 163 Wolf, Friedrich August: 34
Schuster, Mauriz: 85 Wolters, Friedrich: 16, 17, 40, 41
Schwegler, Albert: 173 Wyneken, Gustav: 12
Schwartz, Eduard: 44, 248, 252
Simmel, Georg: 9, 22 Zahlfleisch, Johann: 173
Singer, Kurt: 16, 43 Zahn-Harnack, Agnes von: 247
Snell, Bruno: 76, 77, 88, 89, 94 Zeller, Eduard: 111-5, 119, 120, 125-8
Solmsen, Friedrich: 52, 56-8, 69 Zepf, Max: 94

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