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J.B.

METZLER
METZLER
KUNSTHISTORIKER
LEXIKON
210 Porträts deutschsprachiger Autoren
aus vier Jahrhunderten

Von Peter Betthausen, Peter H. Feist und Christiane Fork


unter Mitarbeit von Karin Rührdanz und Jürgen Zimmer

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Verlag J.B. Metzler


Stuttgart · Weimar
111 haftsllerzeicllllis

VorwOrt V
Artikel UlldAutorcn VI I I
Abkürzungen (Orle; Zeitschriften, Periodika.
S,ullmclbällde; Sonstiges; Autoren) X I
Artikel A-Z V
Bibli ographie 535
N :l1l1Cnrcgisler 546

Bibliogr.llischl' Information dN D~lItsdl<'n Nalionalbibliotlwk


Dir Oe'lUsche NationalbibliOthek wr2l'ichnct di"s<' Publikation in d~r OCUls.chcn
Natioua lbibliog",lic'; dl,tailli~nl' bibliogralis.clw Date'n sind im Inwrnet
iibcr <hn p lldnd.d-nh.de> abrntl:m .

ISBN 978-3-476-02183-0
ISBN 978-3-476-05262-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-05262-9

Die~ \l;'erk einschließlich aller se iner Teile ist ",heberTI.'dulich gc'SCh ül~t,
Jede Vcrwertung Jußcrha lb der cngen Gren~en dcs Vrheberrecht.sge!-et~l" ist
oh nc Zu~tillllllung dC5 Verbgc's unzul~ssig und >trafh,r. [),,, gi lt in~besondcre fiir
Ven';eH:ihigungen. Übersetzungen, MikroverfilnHlllgen und die Ein>peichc"rtlllg
nndVcrJrbeilllllg in ckktronischen Syslen,,:n.

© 2007 Springer-Verlag GmbH Deutschland


Ursprünglich erschienen bei J . B. Mctz1crsche Verlagsbuchhandlung
und earl Ernst Poesehcl Verlag GmbH in Stuttgart 1999/ 2007
Vorwort

Wer sich mit Kunstgeschichte beschäftigt, wird sehr oft nicht nur nach der jeweils
neuesten Fachliteratur greifen, sondern zum Vergleich auch ältere Publikationen
heranziehen. Die unterschiedlichen Urteile über ein Kunstwerk, die einander ab-
lösten, gehören untrennbar zu dessen heutigem Verständnis, und jedes neue Erklären
des Verlaufs der Kunstgeschichte hat immer bestimmte ältere Erklärungsvorschläge
zur Voraussetzung.
Das Kunsthistorikerlexikon möchte – auch durch umfängliche Literaturnachweise –
über Leben und Leistungen von Kunstforschern informieren und dadurch zum
Verständnis der Wissenschaftsgeschichte beitragen, indem es zeigt, wie die wechseln-
den, aufeinander Bezug nehmenden und gelegentlich sogar überraschend wieder-
auflebenden kunst- und kunstgeschichtstheoretischen Grundsätze und Methoden
wissenschaftlicher Arbeit auch in den biographischen Bedingungen ihrer Urheber
oder Verfechter, in bestimmten kultur- und geistesgeschichtlichen Situationen ver-
ankert waren.
Dafür wurden zweihundert Personen ausgewählt, die das Erforschen, Bewahren,
Sammeln, Verstehen und Verbreiten von bildender Kunst, eingeschlossen die Archi-
tektur und die sogenannte angewandte Kunst, folgenreich vorangebracht oder in
einer für ihre Zeit typischen Weise betrieben haben, und deren Lebenswerk abge-
schlossen vorliegt. Die Auswahl reicht von den Vorstufen einer im strengeren Sinne
wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kunstgeschichte über die einzelnen Etappen
der Herausbildung einer selbständigen Kunstgeschichtswissenschaft bis in unsere
Tage. Um einen gegebenen Gesamtumfang des Buches nicht zu sprengen, die ein-
zelnen »Porträts« möglichst lesbar gestalten zu können, und außerdem Raum für
ausführliche Literaturhinweise zu haben, beschränkt sich diese Auswahl auf deutsch-
sprachige Autoren, einschließlich jener, die vom NS-Regime in die Emigration
getrieben wurden und in anderen Sprachen weiterveröffentlichen mußten. Trotz des
inzwischen weitestgehend internationalen Charakters der Kunstwissenschaft läßt
sich diese Eingrenzung disziplingeschichtlich rechtfertigen. In vielen Jahrzehnten
nach dem internationalen »Ersten kunstwissenschaftlichen Congress« in Wien 1873
spielten Gelehrte aus deutschen, österreichischen und schweizerischen Museen und
Universitäten, nächst denen aus Italien und Frankreich, eine allerseits anerkannte,
maßgebliche Rolle sowohl in der Sachforschung, wie ganz besonders in der Metho-
denentwicklung.
Bei der Entscheidung, welche Personen aufzunehmen seien, wurde bedacht, daß
die verschiedenen Berufszweige und speziellen Arbeitsfelder vertreten sein sollten,
die sich im Verlauf der Zeit herausbildeten, und daß neben den unstrittigen Größen
des Faches auch einige weniger Bekannte besser ins Licht gerückt werden sollten.
Bei Universitätslehrern, Museumsmitarbeitern und Denkmalpflegern wie Kunst-
publizisten und Kunstkritikern wurden diejenigen bevorzugt, die nicht nur ein
Spezialgebiet erfolgreich bearbeiteten und die täglichen Aufgaben verdienstvoll
vi vorwort

erfüllten, sondern den Blick auf weitere Zusammenhänge der Kunstentwicklung


oder neue Gegenstände richteten und die Prinzipien und Methoden der fachlichen
Arbeit bewußt reflektierten und zu erneuern strebten. Ästhetiker fanden nur dann
Aufnahme, wenn sie sich ausdrücklich auch zur Geschichte der bildenden Kunst
äußerten. Von den Schriftstellern und Dichtern konnten nur ganz wenige berück-
sichtigt werden, die das Geschehen im Bereich der bildenden Kunst und die Vorstel-
lungen von Kunstgeschichte maßgeblich und damit unübersehbar beeinflußten. Aus
dem Bereich der »Künstlerästhetiken«, die vorzugsweise das eigene Schaffen kom-
mentieren, war nur auf den Architekten Gottfried Semper mit seiner weitreichenden
Stiltheorie nicht zu verzichten. Die große Zahl der mit der antiken Kunst befaßten
Archäologen, von denen gewiß viele auch die Methoden auf dem Gebiet der »mitt-
leren und neueren Kunstgeschichte« mitbestimmten, war nicht unterzubringen; für
sie gibt es allerdings bereits entsprechende Nachschlagewerke. Winckelmann mußte
aber seinen Platz in diesem Buch bekommen, weil er auch Begründer der Wissen-
schaft von nachantiker Kunst war. Um das Streben nach einer Weltgeschichte der
Kunst, das vielen der interessantesten Kunsthistoriker am Herzen lag, wenigstens
anzudeuten, wurden einige herausragende Spezialisten für einzelne Bereiche der
älteren außereuropäischen und der frühgeschichtlichen Anfänge der Kunst behan-
delt. Insgesamt ist den Verfassern wohl bewußt, daß die hier vorgestellten Kunsthi-
storiker eine durchaus subjektive Auswahl bilden und es keine zwingenden Argu-
mente gibt, warum viele fehlen, deren Leistungen für die international belangvolle
Entwicklung der deutschen, österreichischen und schweizerischen Kunstwissen-
schaft um nichts geringer waren als die mancher ihrer Kollegen, die Berücksichti-
gung fanden.
Das Personenlexikon kann die Darstellung der Disziplingeschichte nicht ersetzen.
Wir haben eine Auswahlbibliographie von zusammenfassenden wissenschaftsge-
schichtlichen Arbeiten ergänzend hinzugefügt. Die Literaturhinweise zu den einzel-
nen Kunsthistorikern sind so ausgewählt, daß sie eine Vorstellung von deren
Arbeitsgebieten und individueller Entwicklung vermitteln. Vorhandene Personal-
bibliographien werden verzeichnet. Neuauflagen und Übersetzungen in andere
Sprachen sind nur angegeben, wenn sie besondere Schlüsse auf die Ausstrahlungs-
kraft einer wissenschaftlichen Leistung erlauben. Rezensionen wurden unter dem
gleichen Gesichtspunkt erfaßt. Der Widerhall, den Publikationen in den Arbeiten
anderer Forscher fanden, konnte ebensowenig dokumentiert werden wie die Aus-
einandersetzung mit Person und Leistung eines Gelehrten in solchen Veröffentli-
chungen, die ihn nicht ausdrücklich in ihrem Titel erwähnen. Auch dazu darf auf die
disziplingeschichtlichen Darstellungen verwiesen werden. Biographische Artikel in
allgemeinen und fachspezifischen Lexika und in biographischen Sammelwerken
werden aus Platzgründen nicht aufgelistet.
Beim Kunsthistorikerlexikon haben Kunsthistoriker aus drei Generationen und aus
Berlin und Bochum zusammengearbeitet und in den Darstellungen ihres Interesses
an der spannenden Geschichte des kunstwissenschaftlichen Denkens und Tuns viel
Übereinstimmung festgestellt. Die Erarbeitung einiger Artikel übernahmen dan-
kens-werterweise Dr. Karin Rührdanz (Halle) und Dr. Jürgen Zimmer (Berlin). Den
freundlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Bibliotheken, in denen wir
vorwort vii

arbeiteten, den Fachkollegen, die uns wertvolle Hinweise gaben, und besonders
unserem Lektor Dr. Oliver Schütze und Irene Kahlau danken wir aufrichtig. Wir
hoffen auf eine produktive, kritische Benutzung unseres Lexikons, auf Nachfragen,
Anregungen, auch Widerspruch von seiten möglichst vieler Kollegen, Studenten,
Praktiker der Kunstvermittlung und anderer, die neugierig auf die Kunstgeschichte
und die Protagonisten ihrer Erschließung sind.

Peter Betthausen, Peter H. Feist, Christiane Fork

Vorwort zur zweiten Auflage

Das Kunsthistorikerlexikon fand erfreuliche Resonanz und Zustimmung. Für die


vorliegende Neuauflage haben wir den Text vollständig durchgesehen und gemein-
sam mit den Bibliographien zu Werken und Sekundärliteratur auf den aktuellen
Stand gebracht. Hinweise und kritische Einwände unserer Leser haben wir berück-
sichtigt, so weit uns dies möglich war.Wir sind dabei geblieben, fachliche Leistungen
auch solcher Wissenschaftler anzuerkennen, die sich zeitweise in den Dienst des
NS-Regimes stellten. Die entsprechenden Vorgänge wurden meist erst in jüngster
Zeit erforscht und sollen nicht vertuscht, sondern angemessen beurteilt werden.
Die Neuauflage verzeichnet erfreulicherweise auch zehn Neueinträge, nämlich
Artikel zu Gertrud Bing, Sir Ernst Gombrich, Werner Haftmann, Richard Hamann-
Mac Lean, Julius Held, Heinrich Klotz, Erica Tietze-Conrat, Jörg Traeger, Kurt
Weitzmann und Rudolf Zeitler.

Peter Betthausen, Peter H. Feist, Christiane Fork


Artikel und Autoren

Antal, Friedrich phf Frey, Dagobert phf


Badt, Kurt phf Friedlaender, Walter phf
Bandmann, Günter phf Friedländer, Max Jacob jz
Bartsch, Adam von cf Gall, Ernst cf
Bauch, Kurt pb Gantner, Joseph pb
Baum, Julius cf Gerson, Horst pb
Bayersdorfer, Adolf pb Gerstenberg, Kurt pb
Beenken, Hermann phf Giedion, Sigfried phf
Behne, Adolf phf Glaser, Curt cf
Benesch, Otto phf Goethe, Johann Wolfgang von pb
Bezold, Gustav von cf Goldschmidt, Adolph pb
Bing, Gertrud cf Gombrich, Sir Ernst phf
Bloch, Peter phf Gosebruch, Martin phf
Bode, Wilhelm von pb Grimm, Herman pb
Boisserée, Sulpiz und Melchior cf Grisebach, August pb
Braunfels, Wolfgang cf Gurlitt, Cornelius pb
Brinckmann, Albert Erich pb Haftmann, Werner pb
Burckhardt, Jacob pb Hagedorn, Christian Ludwig von cf
Burger, Fritz phf Hagen, Ernst August cf
Christ, Johann Friedrich cf Hager, Werner pb
Clasen, Karl-Heinz phf Hahnloser, Hans Robert pb
Clemen, Paul jz Hamann, Richard phf
Dehio, Georg pb Hamann-Mac Lean, Richard phf
Demus, Otto phf Hartlaub, Gustav Friedrich phf
Diez, Ernst kr Haseloff, Arthur pb
Dohme, Robert cf Hausenstein, Wilhelm phf
Drost, Willi pb Hauser, Arnold phf
Dvoák, Max phf Heidrich, Ernst pb
Eberlein, Kurt Karl pb Heineken, Carl Heinrich von pb
Einem, Herbert von phf Heinse, Johann Jakob Wilhelm cf
Einstein, Carl phf Heise, Carl Georg pb
Eitelberger, Rudolf von phf Held, Julius Samuel cf
Ettlinger, Leopold cf Hempel, Eberhard pb
Evers, Hans Gerhard cf Hentzen, Alfred phf
Falke, Jakob von phf Herzfeld, Ernst kr
Fernow, Carl Ludwig pb Hess, Walter cf
Feulner, Adolf pb Hetzer, Theodor pb
Fiedler, Konrad pb Heydenreich, Ludwig Heinrich pb
Fiorillo, Johann Dominicus pb Hotho, Heinrich Gustav pb
Förster, Ernst pb Imdahl, Max cf
Fraenger, Wilhelm cf Jahn, Johannes phf
Frankl, Paul phf Janitschek, Hubert pb
Artikel und Autoren ix

Jantzen, Hans pb Passavant, Johann David pb


Jordan, Max cf Pauli, Gustav phf
Justi, Carl pb Pecht, Friedrich phf
Justi, Ludwig phf Pevsner, Sir Nikolaus phf
Kallab, Wolfgang cf Pinder, Wilhelm pb
Kauffmann, Hans phf Raczynski, Athanasius Graf pb
Kaufmann, Emil phf Raphael, Max phf
Kautzsch, Rudolf cf Rave, Paul Ortwin cf
Keller, Harald pb Reidemeister, Leopold cf
Kinkel, Gottfried cf Riegel, Herman cf
Klotz, Heinrich pb Riegl, Alois phf
Kohlhaussen, Heinrich cf Rintelen, Friedrich pb
Kolloff, Eduard cf Rosenberg, Adolf phf
Kraus, Franz Xaver cf Rosenberg, Jakob cf
Krautheimer, Richard cf Rumohr, Karl Friedrich von pb
Kugler, Franz Theodor pb Sandrart, Joachim von pb
Kühn, Herbert phf Sauerlandt, Max cf
Kühnel, Ernst kr Saxl, Fritz cf
Ladendorf, Heinz phf Schardt, Alois phf
Lehrs, Max jz Scheffler, Karl phf
Lichtwark, Alfred cf Schlegel, August Wilhelm und Friedrich pb
Lippmann, Friedrich jz Schlosser, Julius Ritter von phf
Löffler, Fritz pb Schmalenbach, Fritz phf
Lorck, Karl von pb Schmarsow, August pb
Lübke, Wilhelm pb Schmid, Heinrich Alfred cf
Lützeler, Heinrich cf Schmidt, Georg phf
Lützow, Karl von cf Schmitt, Otto cf
Martin, Kurt cf Schnaase, Karl pb
Mayer, August Liebmann cf Schorn, Ludwig pb
Meder, Joseph cf Schrade, Hubert pb
Meier-Graefe, Julius phf Schubring, Paul cf
Merck, Johann Heinrich cf Schürer, Oskar phf
Metz, Peter cf Sedlmayr, Hans phf
Meyer, Erich cf Seidlitz, Woldemar von pb
Meyer, Johann Heinrich pb Semper, Gottfried pb
Meyer, Julius cf Simson, Otto von cf
Morelli, Giovanni pb Singer, Hans Wolfgang pb
Muther, Richard phf Springer, Anton pb
Neumann, Karl pb Stange, Alfred pb
Neumeyer, Alfred phf Stechow, Wolfgang pb
Novotny, Fritz phf Strzygowski, Josef phf
Osten, Gert von der cf Swarzenski, Georg pb
Paatz, Walter pb Swarzenski, Hanns pb
Pächt, Otto phf Swoboda, Karl Maria phf
Panofsky, Erwin pb Thausing, Moriz phf
x Artikel und Autoren

Thieme, Ulrich cf Warburg, Aby cf


Thode, Henry pb Weigert, Hans pb
Tietze, Hans phf Weisbach, Werner phf
Tietze-Conrat, Erica cf Weise, Georg cf
Tintelnot, Hans phf Weitzmann, Kurt phf
Traeger, Jörg pb Westheim, Paul phf
Tschudi, Hugo von phf Wickhoff, Franz phf
Vischer, Robert pb Wilpert, Josef cf
Vitzthum, Georg Graf pb Winckelmann, Johann Joachim cf
Vöge, Wilhelm pb Wind, Edgar cf
Volbach, Wolfgang Fritz phf Winkler, Friedrich jz
Voss, Hermann pb Wittkower, Rudolf phf
Waagen, Gustav Friedrich pb Woermann, Karl pb
Wackenroder, Wilhelm Heinrich pb Wölfflin, Heinrich pb
Wackernagel, Martin pb Woltmann, Alfred pb
Waetzoldt, Wilhelm pb Worringer, Wilhelm phf
Wagner-Rieger, Renate phf Wulff, Oskar phf
Waldmann, Emil phf Zeitler, Rudolf phf
Abkürzungen

1. Orte

Au Augsburg Lo London
BB Baden-Baden Lpz Leipzig
Bie Bielefeld Lü Lübeck
Bln Berlin Mar Marburg/Lahn
Br Breslau Mh Mannheim
Bschw Braunschweig Mü München
Cam Cambridge Nü Nürnberg
Ch Chicago NY New York
Da Darmstadt Ox Oxford
Dr Dresden Pad Paderborn
Dü Düsseldorf Pd Potsdam
Fl Florenz Phi Philadelphia
FrB Freiburg i.Br. Pr Princeton
Frf Frankfurt/Main Ra Ravensburg
Gö Göttingen Sa Salzburg
Gü Gütersloh St Stettin
Ha Hannover Ste Stendal
HaS Halle/Saale Stg Stuttgart
Hbg Hamburg Str Straßburg, Strasbourg
Hei Heidelberg Tü Tübingen
Hil Hildesheim Wa Washington
Ka Kassel Wb Wiesbaden
Kö Königsberg Wei Weimar
KöT Königstein im Taunus Zü Zürich
Kr Karlsruhe

2. Zeitschriften, Periodika, Sammelbände

ABKK Amtliche Berichte aus ACIB Atti del XXIV Con-


den kgl. Kunstsammlun- gresso Internazionale di
gen (Berlin) Storia dell’ Arte. Bolo-
ACA Atti del I Convegno gna 1979, Bologna
sulle arti minori in 1982–84
Toscana. Arezzo 1971, ACIF Il Vasari storiografo e
Florenz 1973 artista. Atti del Con-
ACIA Actes du XVIIe Congrès gresso Internazionale
International d’ histoire nel IV Centenario della
de l’ art. Amsterdam morte. Arezzo/Florenz
1952, Den Haag 1955 1974, Florenz 1976
xii Abkürzungen

ACIP Actes du XIXe Congrès AKbl Aachener Kunstblätter


International d’histoire AMI Archäologische Mittei-
de l’art. Paris 1958, lungen aus Iran
Paris 1959 AnK Alte und neue Kunst
ACIR Atti del X Congresso ArchKg Archiv für Kulturge-
Internazionale di storia schichte
dell’arte. Rom 1912, ArsIs Ars Islamica
Rom 1922 ArtB The Art Bulletin
ACIRo Atti del Convegno ArtHist Art History
Internazionale sul tema: ArtI Art International
Tardo antico e alto ArtJ Art Journal
medioevo. La forma ArtQu Art Quarterly
artistica nel paesaggio AschJb Aschaffenburger
dall’ antichità al me- Jahrbuch für Geschichte,
dioevo. Rom 1967, Landeskunde und Kunst
Rom 1968 des Untermaingebiets
ACIS Actes du XXVIIe AWar Aby Warburg. Akten des
Congrès International internationalen Symposi-
d’histoire de l’Art. ons Hamburg 1990,
Strasbourg 1989, Weinheim 1991
Strasbourg 1990–92 BAMAM Bulletin des Allen
ACISt Actes du XIIIe Congrès Memorial Art Museums
International d’histoire in Oberlin
de l’art, Stockholm 1933 BdA Bolletino d’Arte
ACIV Atti del XVIII Con- BJAe The British Journal of
gresso Internazionale di Aesthetics
storia dell’ arte. Venedig BK Bildende Kunst
1955, Venedig 1956 bk bildende kunst
AGNM Anzeiger des Germani- BKbl Berliner Kunstblatt
schen Nationalmuseums Bm Bulletin monumental
Nürnberg BM The Burlington Maga-
AHA Acta Historiae Artium zine
AIKB Akten des XXI. Interna- BMB Berliner Museen.
tionalen Kongresses für Berichte aus den ehem.
Kunstgeschichte. Bonn preußischen Kunstsamm-
1964, Berlin 1967 lungen (seit 1951)
AIKBa Akten des XIV. Interna- BMFAB Bulletin of the Museum
tionalen kunstgeschicht- of Fine Arts Boston
lichen Kongresses. BPall Bollettino del Centro
Schweiz 1936, Basel 1938 Internazionale di Studi
AIKW Akten des 25. Internatio- di Architettura Andrea
nalen Kongresses für Palladio
Kunstgeschichte. BschWK Bibliothek der schönen
Wien 1983, Wien/Köln/ Wissenschaften und der
Graz 1984–86 freien Künste
Abkürzungen: Zeitschriften, periodika, sammelbände xiii

ByzZ Byzantinische Zeit- HeiJbb Heidelbergische


schrift Jahrbücher
BZfGA Basler Zeitschrift für HJbGG Historisches Jahrbuch
Geschichte und Alter- der Görres-Gesellschaft
tumskunde HkSUMü Hefte des kunsthistori-
CArtJ College Art Journal schen Seminars der
CdA Critica d’Arte Universität München
Ci Der Cicerone HZ Historische Zeitschrift
DJbVk Deutsches Jahrbuch für JAAC The Journal of Aesthetics
Volkskunde and Art Criticism
DKbl Das Kunstblatt JBAA Journal of the British
DKDpf Deutsche Kunst und Archaelogical Association
Denkmalpflege JbÄaK Jahrbuch für Ästhetik
DKuD Deutsche Kunst und und allgemeine Kunst-
Dekoration wissenschaft
DLZ Deutsche Literatur- JbAdW Jahrbuch der Deutschen
zeitung Akademie der Wissen-
Dpfl Die Denkmalpflege schaften zu Berlin
DtKbl Deutsches Kunstblatt JbAsKunst Jahrbuch der Asiatischen
DVjS Deutsche Vierteljahrs- Kunst
schrift für Literaturwis- JbBAdW Jahrbuch der Bayeri-
senschaft und Geistes- schen Akademie der
geschichte Wissenschaften
DWdK Das Werk des Künstlers JbbdG Jahrbücher der deut-
EGA Erbe als Gegenwartsauf- schen Geschichte
gabe. Referate der JbBM Jahrbuch der Berliner
Arbeitstagung des Museen
Bereichs Kunstwissen- JbDAI Jahrbuch des Deutschen
schaft der Humboldt- Archäologischen Instituts
Universität 16.–18. 4. JbFDH Jahrbuch des Freien
1975, 2 Teile, Bln 1975 Deutschen Hochstifts
FuB Forschungen und JbGHK Jahrbuch der Gesellschaft
Berichte. Staatliche Hamburgischer Kunst-
Museen zu Berlin freunde
FuF Forschungen und JbGoe Jahrbuch der Goethe-
Fortschritte. Nachrich- Gesellschaft
tenblatt der deutschen JbHK Jahrbuch der Hamburger
Wissenschaft und Kunstsammlungen
Technik JbHKh Idea. Jahrbuch der
GBA Gazette des Beaux Arts Hamburger Kunsthalle
GöGA Göttingische gelehrte JbhVk Jahrbuch für historische
Anzeigen Volkskunde
GrK Die graphischen Künste JbKDr Jahrbuch der Staatlichen
GRM Germanisch-romanische Kunstsammlungen
Monatsschrift Dresden
xiv Abkürzungen

JbkSAK Jahrbuch der kunsthisto- KBLit Kritische Berichte zur


rischen Sammlungen des kunstgeschichtlichen
Allerhöchsten Kaiser- Literatur
hauses KChr Kunstchronik
JbkSW Jahrbuch der kunsthisto- KF Kunstwissenschafliche
rischen Sammlungen in Forschungen
Wien KfA Kunst für Alle
JbKw Jahrbuch für Kunstwis- KJbBH Kunstgeschichtliches
senschaft Jahrbuch der Bibliotheca
JbLiturW Jahrbuch für Liturgiewis- Hertziana
senschaft KMRB Kunsthistorische
JbPK Jahrbuch der Königl. Mededelingen van het
Preußischen Kunst- Rijksbureau voor
sammlungen kunsthistorische
JbPKB Jahrbuch der Stiftung Documentatie
Preußischer Kulturbesitz KschH Die Kunst und das
JbrhD Jahrbuch der rheinischen schöne Heim
Denkmalpflege Ktid Konsthistorisk tidskrift
JbRUB Jahrbuch der Ruhr- KtKtler Kunst und Künstler
Universität Bochum Ktw Das Kunstwerk
JbSchIKw Jahrbuch des Schweizeri- KuOr Kunst des Orients
schen Instituts für LZB Literarisches Zentralblatt
Kunstwissenschaft für Deutschland
JbZIfKg Jahrbuch des Zentralin- MarJb Marburger Jahrbuch für
stituts für Kunstge- Kunstwissenschaft
schichte MD Master Drawings
JbZk Jahrbuch der k.k. MDAI Mitteilungen des
Zentralkommission zur Deutschen Archäologi-
Erforschung und schen Instituts
Erhaltung der Baudenk- MdG Museum der Gegen-
male wart
JKg Journal für Kunst- MfKw Monatshefte für
geschichte Kunstwissenschaft
JSAH Journal of the Society of MGNM Mitteilungen aus dem
Architectural Historians Germanischen National-
JWCI Journal of the Warburg museum Nürnberg
and Courtauld Institutes MGvK Mitteilungen der
KA Kunstgeschichtlicher Gesellschaft für verglei-
Anzeiger (Beihefte zu chende Kunstforschung
den Mitteilungen des MIfÖG Mitteilungen des
Instituts für Österr. Instituts für Österreichi-
Geschichtsforschung) sche Geschichtsfor-
KB Kritische Berichte schung
Kbl Kunstblatt. Morgenblatt MJbbK Münchner Jahrbuch der
für gebildete Stände bildenden Kunst
Abkürzungen: Zeitschriften, periodika, sammelbände xv

MKhIF Mitteilungen des UKd Unsere Kunstdenkmäler


Kunsthistorischen VBW Vorträge der Bibliothek
Instituts in Florenz Warburg
MZk Mitteilungen der k.k. VSWG Vierteljahrschrift für
Zentralkommission zur Sozial- und Wirtschafts-
Erforschung und geschichte
Erhaltung der Baudenk- WB Weimarer Beiträge
male WJbfKg Wiener Jahrbuch für
MÖMKI Mitteilungen des k.k. Kunstgeschichte
österreichischen WMh Westermanns illustrierte
Museums für Kunst und deutsche Monatshefte
Industrie WRJb Wallraf-Richartz-
MusJ Museumsjournal Jahrbuch
NdtBKg Niederdeutsche Beiträge WZHU Wissenschaftliche
zur Kunstgeschichte Zeitschrift der Hum-
NHeiJbb Neue Heidelberger boldt-Universität Berlin
Jahrbücher WZUH Wissenschaftliche
NKJb Nederlands Kunsthisto- Zeitschrift der Universi-
risch Jaarboek tät Halle
OH Oud Holland WZUL Wissenschaftliche
OMD Old Master Drawings Zeitschrift der Universi-
ÖZKD Österreichische Zeit- tät Leipzig
schrift für Kunst und ZDMG Zeitschrift der Deut-
Denkmalpflege schen Morgenländischen
PhJb Philosophisches Jahrbuch Gesellschaft
PJbb Preußische Jahrbücher ZDVKw Zeitschrift des deutschen
RA Revue de l’Art Vereins für Kunstwissen-
RACr Rivista di Archeologia schaft
Cristiana ZfÄaK Zeitschrift für Ästhetik
RdA Rivista d’Arte und allgemeine Kunst-
RfKw Repertorium für wissenschaft
Kunstwissenschaft ZfBf Zeitschrift für Bücher-
RhVjBl Rheinische Vierteljahrs- freunde
blätter ZfbK Zeitschrift für bildende
RJbKg Römisches Jahrbuch für Kunst
Kunstgeschichte ZfBw Zeitschrift für Bauwesen
RQu Renaissance Quarterly ZfchK Zeitschrift für christliche
SberKgG Sitzungsberichte. Kunst
Kunstgeschichtliche ZfdB Zeitschrift für deutsche
Gesellschaft Berlin Bildung
StG Studium Generale ZfdGw Zeitschrift für deutsche
StJb Städel-Jahrbuch Geisteswissenschaft
SvLitg Studien zur vergleichen- ZfdKph Zeitschrift für deutsche
den Literaturgeschichte Kulturphilosophie
TM Der Teutsche Merkur ZfK Zeitschrift für Kunst
xvi Abkürzungen

ZfKg Zeitschrift für Kunstge- geschichte, St. Gallen


schichte 1992
ZfKw Zeitschrift für Kunstwis- Jahn 1924 Jahn, Johannes (Hrsg.):
senschaft Die Kunstwissenschaft
ZfPhK Zeitschrift für Philoso- der Gegenwart in
phie und philosophische Selbstdarstellungen,
Kritik Leipzig 1924
ZfRGg Zeitschrift für Reli- KgNS 2005 Doll, Nicola/Fuhrmei-
gions- und Geistesge- ster, Christian/Sprenger,
schichte Michael H. (Hrsg):
ZSchAK Zeitschrift für Schweize- Kunstgeschichte im
rische Archäologie u. Nationalsozialismus,
Kunstgeschichte Weimar 2005
Sitt 1990 Sitt, Martina (Hrsg.):
Altmeister Dilly, Heinrich (Hrsg.): Kunsthistoriker in
1990 Altmeister moderner eigener Sache, Berlin
Kunstgeschichte, Berlin 1990
1990 Waetzoldt Waetzoldt, Wilhelm:
Archäologen- Lullies, Reinhard/Schie- 1921, 1924 Deutsche Kunsthistori-
bildnisse 1988 ring, Wolfgang (Hrsg.): ker. Bd. 1: Von Sandrart
Archäologenbildnisse. bis Rumohr, Leipzig
Porträts und Kurzbiogra- 1921; Bd. 2: Von
phien von Klassischen Passavant bis Justi,
Archäologen deutscher Leipzig 1924
Sprache, Mainz 1991 Wendland Wendland, Ulrike:
(2. Aufl.) 1999 Biographisches Hand-
Hüttinger Hüttinger, Eduard: Por- buch deutschsprachiger
1992 träts und Profile. Zur Kunsthistoriker im Exil,
Geschichte der Kunst- München 1999

3. Sonstiges

Abh. Abhandlung ausgew. ausgewählte


AdW Akademie der Wissen- Bd., Bde Band, Bände
schaften Ber. Bericht(e)
Akad. Akademie Bibl. Bibliothek
AKat. Ausstellungskatalog Bibliogr. Bibliographie
Anh. Anhang dass. dasselbe
Anz. Anzeiger ders. derselbe
a.o. außerordentlicher/s dies. dieselbe
(Professor, Mitglied) Diss. Dissertation
Aufl. Auflage dt. deutsch
Ausg. Ausgabe ebd. ebenda
Abkürzungen xvii

Einl. Einleitung Mitt. Mitteilung(en)


engl. englisch Nd. Neudruck
Erg. Ergänzung ndld. niederländisch
erw. erweitert N.F. Neue Folge
F. Folge o. ordentlicher/s (Professor,
frz. französisch Mitglied)
FS Festschrift o.O. ohne Ort
Ges. Gesellschaft o.S. ohne Seitenangabe
ges.wiss. gesellschaftswissen- österr. österreichisch
schaftlich phil. philosophisch
Gesch. Geschichte R. Reihe
H. Heft Res. Resumé
Hdb. Handbuch Rez. Rezension
hist. historisch Sber. Sitzungsbericht(e)
hl. heilig Slg. Sammlung
Hrsg., hrsg. Herausgeber, herausge- Sp. Spalte
geben u.Z. unserer Zeitrechnung
Inst. Institut Univ. Universität
internat. international v.u.Z. vor unserer Zeitrechnung
ital. italienisch Verf. Verfasser
Jb., Jbb. Jahrbuch, Jahrbücher Veröff. Veröffentlichung
Jh. Jahrhundert Verz. Verzeichnis
Kat. Katalog Vorw. Vorwort
kgl. königlich Wiss. Wissenschaft, wissen-
Kgr. Königreich schaftlich
Kl. Klasse Ztschr. Zeitschrift

4. Autoren

PB Peter Betthausen KR Karin Rührdanz


PHF Peter H. Feist JZ Jürgen Zimmer
CF Christiane Fork
Antal 1

Antal, Friedrich (Frigyes, Frederick)


Geb. 21. 12. 1887 in Budapest; gest. 4. 4. 1954 in London

Die Umbrüche und Widersprüche unseres Jahrhunderts bestimmten A.s Leben und
Werk in beispielhafter Weise. Ungarn, Österreich, Deutschland, wo er etwa ein
Viertel seines Arbeitslebens ansässig war, und England, das ihn 1934 einbürgerte,
könnten den Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie jeweils zu den ihren
zählen. Seine Wissenschaftssprache wurde aber zunächst Deutsch. In ihr schrieb er
ursprünglich auch sein wichtigstes Buch Die Florentinische Malerei und ihr sozialer
Hintergrund, das 1949 sogar ein Kritiker zahlreicher Einzelheiten, der Amerikaner
Millard Meiss (1904–75), »geistreich« und ein »Ereignis« für das Fach nannte, weil es
»einer der ersten Versuche war, die Ursprünge einer ausgedehnten Kunstperiode in
der zeitgenössischen Sozialstruktur zu verfolgen«.
Auf Wunsch des Vaters absolvierte A. ein Jurastudium, ging dann aber zur Kunst-
geschichte über, die er in Budapest, Freiburg und Paris, bei  Wölfflin in Berlin
und bei  Dvoák in Wien studierte, wo er 1914 promovierte. 1914/15 war er Vo-
lontär im Graphischen Kabinett des Budapester Museums der bildenden Künste.
1916 stieß er zu dem als »Sonntagskreis« berühmt gewordenen Diskussionszirkel
von Geistes- und Sozialwissenschaftlern, Schriftstellern, Journalisten und Künstlern
um den Philosophen und Literaturwissenschaftler Georg Lukács (1885–1971), den
Soziologen Karl Mannheim und Béla Balász, den späteren Filmwissenschaftler, dem
auch  Hauser und die Kunsthistoriker Johannes Wilde (1891–1970) und, noch als
Gymnasiast, Karl von Tolnai (Charles de Tolnay, 1899–1981) angehörten. Den idea-
listisch und utopisch Gestimmten schwebte eine vollständige geistige und ethische
Erneuerung vor. Als der Kreis 1917 zwei Semester lang eine »Freie Schule der
Geisteswissenschaften« betrieb, las A. über Cézanne und über die Entstehung der
Komposition und der Inhalte der modernen Malerei, mit der er sich in Paris ver-
traut gemacht hatte. Die Räterepublik vom 21. März 1919 faßte A. als Verwirkli-
chung seiner Hoffnungen auf. Er und andere katalogisierten mit Hilfe  Beneschs,
den er aus Wien herbeirief, die sofort verstaatlichten Privatsammlungen für eine
schon drei Monate später eröffnete große Ausstellung; er übernahm bald den Vorsitz
des Kunstdirektoriums, das viele Neuerungen in der künstlerischen Allgemeinbil-
dung und Künstlerförderung einleitete, wirkte im Denkmalschutz mit und las an
der Universität. Die Konterrevolution im Sommer 1919 zwang A. in die Emigration
nach Wien. Seit 1922 lebte er in Berlin, aber offenbar ohne wissenschaftliche Kon-
takte zum Beispiel zu  Raphael, der ähnliche methodologische Überlegungen
anstellte, oder bereiste Italien, um die Renaissancemalerei zu studieren. 1926–31 war
er mit Bruno Fürst (1896–1978) Redakteur der Kritischen Berichte zur kunstgeschicht-
lichen Literatur, in denen sich damals ein wesentlicher Teil der Methodendiskussion
abspielte. Eine Reise durch Museen der Sowjetunion verschaffte A. 1932 starke
Eindrücke von neuen Museumsausstellungen, die den Zusammenhang der Kunst-
geschichte mit Produktionsverhältnissen und Klassenideologien veranschaulichten.
In einem erst 1976 gedruckten Vortrag darüber vermerkte er aber als Gefahr, daß
nur nach der Ideologie ausgesuchte schwache Werke eine »unerziehliche Wirkung«
ausüben oder andererseits wieder L’art pour l’art zur Geltung käme. Vor der NS-
2 Antal

Herrschaft in Deutschland mußte A. abermals fliehen. In England, wo er »linke«


Freunde wie den später geadelten Kunsthistoriker Anthony Blunt (1907–83) fand,
schrieb er bis 1938 seine sozialgeschichtlich angelegte Florentinische Malerei, die dann
erst 1947 auf Englisch erschien und später in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
An der Universität London konnte er gelegentlich Vorlesungen halten, im  War-
burg-Institut von einer anderen Methode der Renaissanceforschung als der seinen
Kenntnis nehmen. A. wandte sich zunächst der französischen Malerei des Klassizis-
mus und der Romantik und ihren Beziehungen zu Revolution und Restauration
zu und dann zwei Hauptgestalten des englischen 18. Jahrhunderts, Hogarth und
Füßli, die er höher zu schätzen lehrte. Hogarth war ein geeigneter Gegenstand, die
Kunstauffassungen verschiedener Schichten der aufstrebenden Bourgeoisie darzule-
gen. Das etwas fragmentarisch gebliebene Füßli-Buch war laut Gert Schiff die erste
Gesamtdarstellung von ungewöhnlichem Inhaltsreichtum, großer Geschlossenheit
und tiefdringender Gedankenarbeit, ungeachtet einiger irriger Zuschreibungen und
Bestimmungen von Bildstoffen. A.s Buchmanuskripte zu beiden Malern konnten
erst postum zum Druck gegeben werden. Der marxistische Ansatz A.s und sein
Bekenntnis zum Kommunismus hatten bewirkt, daß er im Kalten Krieg ab 1948
zunächst aus der Fachwelt ausgegrenzt worden war. Nur der kommunistische
Freund John Berger konnte ihm einen kurzen Nachruf im Burlington Magazine
schreiben.
Der Dvoák-Schüler A. faßte zu Anfang Kunststile als eigenständige Symptome
bestimmter geistiger Möglichkeiten auf, wobei er in Abgrenzung zu seinem ande-
ren Lehrer Wölfflin hervorhob: »Form und Inhalt zusammen bilden einen Stil«
(Studien zur Gotik im Quattrocento, 1925). Seine genaue, feinfühlige Erfassung des
jeweils eigentümlichen Charakters von Gestaltungsweisen ermöglichte ihm Zu-
und Abschreibungen wie stilkritisch gewonnene Datierungen von Bildern. Er trug
zu einer neuen Ansicht von der Renaissancekunst und besonders zur positiveren
Bewertung des Manierismus, speziell des niederländischen, bei, indem er abwei-
chend von älteren Meinungen  Schmarsows und  Hamanns spätgotische Stil-
elemente als eine durchgängige Tendenz in der Quattrocentomalerei und überdies
als eine Quelle für die nach der Hochrenaissance einsetzende manieristische Gestal-
tung auswies.
Indem A. zunehmend den marxistischen dialektischen Materialismus, soweit
dieser damals bekannt war, zum Erklären von Geschichte und Kunstgeschichte
nutzte, richtete sich vor allem nach 1933 sein Interesse darauf, Stile als den Ausdruck
der Weltsicht und der Ideologie, also vornehmlich der politischen Interessen einer
sozialen Klasse oder einer Schicht in ihr, zu bestimmen. Damit lenkte er die Auf-
merksamkeit auch auf das Nebeneinander verschiedener Stile in einer Zeit und
begründete dieses anders, als es  Pinder mit seiner Generationen-Theorie getan
hatte. Das Neue dieser soziologischen Formenerklärung, die wichtige Einsichten
erbrachte, verführte A. jedoch dazu, eine allzu direkte Determination künstlerischer
Eigenarten durch gesellschaftliche Verhältnisse zu behaupten. Er unterschätzte die
Variabilität der Auftraggeber bei der Stilwahl und Künstlerförderung, worauf Meiss
besonders hinwies, und fragte nicht, welche Stufen von ideellen Vermittlungen sich
zwischen die gesellschaftliche Basisstruktur und die künstlerische Gestaltung schie-
Antal 3

ben. Trotz seines reichen Wissens um künstlerische Individualität identifizierte A.


die Künstler allzu sehr mit ihren Auftraggebern und deren Klasse oder mit den
Rezipienten ihrer Werke; er vernachlässigte damit, um das gängige L’art pour l’art-
Konzept zurückzudrängen, die Eigenständigkeit ihrer subjektiven Schaffensantriebe.
Erst in den Bemerkungen über Girolamo da Carpi (1948), einen ferraresischen Porträt-
maler »zwischen Klassizismus und Manierismus«, suchte er das zu korrigieren.
A.s Materialismus wurde von Kritikern entweder a priori abgelehnt, oder man
rügte, daß er nicht erst beweise, weshalb andere Erklärungsweisen unzureichend
blieben. Seine gelegentlich verwirrende, sprunghaft wechselnde und dabei auf zu
wenige Stilbegriffe beschränkte Terminologie sowie Oberflächlichkeiten im wis-
senschaftlichen Apparat seiner Texte erschwerten die Wirksamkeit seiner Argumente.
Seine Bemerkungen zur Methode der Kunstgeschichte (1948), in denen der richtige Satz
steht: »Methoden der Kunstgeschichte können ebenso wie Bilder datiert werden«,
waren in erster Linie eine Antwort an die Kritiker seiner Florentinischen Malerei, zu
der er eine Fortsetzung über die Kunst des 16. Jahrhunderts plante. Als »westlicher«
jüdischer Marxist und Freund von Lukács war A. in den 1950er Jahren für die
Kunstwissenschaft in den sozialistischen Staaten, besonders der Sowjetunion, ebenso
suspekt, wie es seine revolutionäre Überzeugung für die auf der anderen Seite der
Welt war. Wenn A. aber meinte, »innerhalb der nächsten zwei oder drei Generatio-
nen werde ein neues Gesamtmodell der stilistischen Entwicklungen herausgearbei-
tet werden«, so unterschätzte er, wie sehr seine eigenen faktenreichen und anregen-
den Arbeiten, die noch vor der aufsehenerregenden Sozialgeschichte der Kunst und
Literatur (1951, dt. 1953) seines einstigen Budapester Kollegen Hauser erschienen,
dazu beitrugen, daß dies wesentlich rascher erfolgte.
Werke: Die neuerworbenen ungarischen Kunstgeschichte); The Maenad under the
Bilder im Museum für Bildende Kunst in Cross, in: JWCI, 1, 1937/38, 71–73; Hogarth
Budapest, in: ZfbK, 53 (29), 1918, 215–222; and his Borrowings, in: ArtB, 29, 1947, 36–48;
Zwei flämische Bilder der Wiener Akademie, Florentine Painting and its Social Back-
in: JbPK, 1923, 57–72; Gedanken zur Ent- ground. The Bourgeois Republic before Co-
wicklung der Trecento- und Quattrocento- simo de’ Medicis’s Advent to Power, Lo 1947
Malerei in Siena und Florenz, in: JbKw, (dt. 1958); Observations on Girolamo da
1924/25, 207–239; Studien zur Gotik im Carpi, in: ArtB, 30, 1948, 81–103; Remarks on
Quattrocento. Einige italienische Bilder des the Method of Art History, in: BM, 91, 1949,
Kaiser-Friedrich-Museums, in: JbPK, 1925, 49–52, 73–75;The Moral Purpose of Hogarth’s
3–32; Concerning some Jan Steen Pictures in Art, in: JWCI, 15, 1952, 169–197; Fuseli-Stu-
America, in: Art in America, 1925, 107–116; dies, Lo 1956 (dt. 1973); Hogarth and his
Beiträge zu Gaudenzio Ferrari, in: StJb, 5, Place in European Art, Lo 1962 (dt. 1966);
1926, 43–48; Zum Problem des niederländi- Über Museen in der Sowjetunion (1932), in:
schen Manierismus, in: KBLit, 2, 1928/29, KB, 4, 1976, 2/3, 5–13; Raffael zwischen Klas-
207–256; Neuere kunsthistorische Literatur sizismus und Manierismus. Einführung in die
über die italienische Kunst des 16. Jh.s, in: mittelitalienische Malerei des 16. und 17. Jh.s,
ZfKg, 2, 1933, 136–138; Reflections on Classi- Gießen 1980
cism and Romanticism, in: BM, 66, 1935; 68, Literatur: Meiss, Millard: Rez. von »Flo-
1936; 77, 1940; 78, 1941 (Nd. in: Classicism rentine Painting«, in: ArtB, 31, 1949, 2, 143–
and Romanticism, with other Studies in Art 150; Berger, John: F.A., in: BM, 96, 1954, 617,
History, Lo 1966, dt. 1975, enthält u. a. Studien 259 f.; Lankheit, Klaus: Rez. von »Fuseli-Stu-
zur Gotik, Probleme des niederländischen dies«, in: KChr, 11, 1958, 21–26; Schiff, Gert:
Manierismus, Bemerkungen über Girolamo dass., in: ZfKg, 23, 1960, 71–76; Eastham, Mi-
da Carpi, Bemerkungen zur Methode der chael: Rez. von »Classicism and Romanti-
4 Antal

cism«, in: BJAe, 7, 1967, 295–297; Neumeyer, 113; Olbrich, Harald: Gotik im Quattrocento
Alfred: dass., in: CArtJ, 27/2, 1967/68, S. 230; oder der ausgebliebene Dialog zwischen F.A.
Wessely, Anna: Die Aufhebung des Stilbe- und Aby Warburg, in: Friedrich Möbius
griffs. F.A.s Rekonstruktion künstlerischer (Hrsg.), Stil und Gesellschaft, Dr 1984, 199–
Entwicklungen auf marxistischer Grundlage, 225; Zänker, Jürgen: Mänaden unterm Kreuz.
in: KB, 4, 1976, 2/3, 16–35 (Bibliogr.); Strinati, Die Metamorphose der Magdalena bei A.,
Claudio: Un’idea del Manierismo. Il punto di Wind und Picasso, in: FS Konrad Hoffmann,
vista di F.A. nell’ambito degli studi attuali, in: Bln 1998, 301–311; Wendland 1999, 3–6.
Colloquio del Sodalizio, 7/8, 1980–84, 99– PHF

Badt, Kurt
Geb. 3. 3. 1890 in Berlin; gest. 22. 11. 1973 in Überlingen/Bodensee

Obwohl er ein Außenseiter der kunsthistorischen akademischen Zunft war, löste B.


im Alter einen lebhaften Disput über Grundprobleme des Kunstverständnisses und
der Methodik kunsthistorischer Forschung aus und wirkte anregend auf wichtige
Fachvertreter. Er war anfangs auch Maler und Plastiker, was verständlich macht, daß
er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auf den einzelnen Künstler und dessen
spezifisches, Bilder schaffendes Verhältnis zur Welt konzentrierte. Gleichzeitig be-
faßte er sich gründlich mit Philosophie, einschließlich der Ästhetik. Sein Hauptan-
liegen war, das Besondere der künstlerischen Aneignung von Realität zu ermitteln
und es als unersetzbar notwendig neben dem rationalen, begrifflichen und prakti-
schen Verhalten zu beweisen. Folgerichtig wandte er sich gegen jede Unterordnung
von Kunstforschung unter allgemeine Geschichts- oder Kulturwissenschaft.
Nachdem der Bankierssohn B. in Berlin, München und Freiburg studiert und
1913 bei  Vöge über den Renaissancemaler Andrea Solario promoviert hatte, lebte
er als Privatgelehrter am Bodensee und widmete sich vornehmlich der Philosophie
Hegels, Diltheys, Heideggers und Ludwig Wittgensteins, mit dem er befreundet war,
schrieb aber gelegentlich auch über Gegenwartskunst, unter anderem 1920 über
Lehmbruck. Er war mit der Schwester des Kunstpsychologen Rudolf Arnheim
verheiratet. Schon damals empfand B., daß die Kunst in einer »arm gewordenen und
sehnsüchtig nach allem Großen ausschauenden Epoche« einsam unter den Men-
schen sei und distanzierte sich von aktuellen künstlerischen Neigungen wie der zur
»kunstgewerblich dekorierten Fläche«. Als Jude vom Nazismus verfolgt, emigrierte
B. 1939 nach England, wo er weiterhin ohne Anstellung vorwiegend im  War-
burg-Institut arbeitete und das Material und die Gedanken zu den Publikationen
sammelte, die er nach seiner Rückkehr nach Überlingen im Jahre 1952 in rascher
Folge herausbrachte. Dem nicht habilitierten B. ermöglichte das restaurative Wis-
senschaftssystem der 1950er Jahre keine universitäre Wirksamkeit. Erst 1968 luden
ihn die Literaturwissenschaftler um Hans Robert Jauss an die neugegründete Uni-
versität Konstanz zu Gastvorlesungen ein, und 1970 erhielt der 80jährige eine Ho-
norarprofessur, obwohl seine Kunstauffassung in einem herausfordernden Gegensatz
zur dort betriebenen Wirkungsforschung (Rezeptionsästhetik) stand.Vorwiegend als
Gesprächspartner beeindruckte »Mister B.« Gertrude Berthold (geb. 1920), den
 Sedlmayr-Schüler Lorenz Dittmann (geb. 1928),  Gosebruch, Werner Gross
(1901–82),  Imdahl und Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth (geb. 1915).
Badt 5

B.s Kunstbegriff bestimmte die Wahl seiner Forschungsgegenstände. Ihm ging es


um nichtzeitgebundene, humanisierend weiterwirkende Werte, die im »Anblick der
Dinge selbst in den Kunstwerken« erscheinen. Ein Kunstwerk sei »Wirklichkeits-
Darstellung« (»Modell und Maler« von Vermeer). Besonders empfänglich war B. für die
inhaltliche Bedeutung von Farben und für das »konkrete Erscheinen des Räumli-
chen« in Gemälden oder Aquarellen (Raumphantasien und Raumillusionen). Folge-
richtig arbeitete er besonders über Poussin,Vermeer, Constable, Delacroix, Cézanne,
van Gogh, zuletzt Veronese. Allerdings wurden selbst die umfangreichen Bücher
keine abgerundeten Monographien, sondern von Einschüben unterbrochene Pro-
blemstudien über das spezifisch Künstlerische. Ihn interessierte nur der »Höhen-
kamm einsamer Meisterwerke« (Jauss, 1975). Darin ähnelte er Benedetto Croce,
dem Leitstern von  Schlosser. Für ihn zählten Künstler, die »die Welt als einen
geschlossenen, sinnvollen Zusammenhang der Erscheinungen widerspiegeln«, wie
er in Die Kunst Cézannes, einem besonders schönen und für das Verständnis dieses
Künstlers grundlegenden Buch, schrieb. Ein Kunstwerk solle ein in sich zusammen-
hängendes Ganzes aus wertmäßig abgestuften Teilen sein und nicht zuletzt durch
Wahl und Behandlung des Dargestellten ein humanistisches Ethos zur Anschauung
bringen. So konnte er definieren: »Die Kunst feiert ihren Gegenstand, indem sie ihn
rühmt« (Wissenschaftslehre). B. stritt damit gegen Entgrenzungen der Kunstgebilde in
zeitgenössischen Kunstströmungen und die Preisgabe eindeutiger Wertungen, ver-
sperrte sich aber auch den Zugang zu kritischen oder ihre Gegenstände nur diskur-
siv befragenden Gestaltungsweisen. Er verkannte, daß Rühmung auch inhumane
Herrschaft verschleiern kann, zeigte aber, wie die von ihm bewunderten Kunst-
werke einen Widerstand gegen die »oft namenlose Leidensgeschichte der Mensch-
heit« (Jauss, 1975) bezeugen, den andere Geschichtsquellen verschweigen.
Von B. läßt sich viel über das Interpretieren von Kunstwerken lernen, weil ihm
das Verstehen von Kunstwerken als einzige Begründung für kunstwissenschaftliches
Bemühen erschien. Seine Methode führte er in »Modell und Maler« von Vermeer vor,
das als Eine Streitschrift gegen Hans Sedlmayr starke Beachtung fand. Die tiefliegende
politische Gegnerschaft blieb unausgesprochen, als B. – durchaus wie Sedlmayr – die
letztlich nicht beweisbare, divinatorische Interpretation zur höchsten Aufgabe und
Leistung des Kunstforschers erhob, aber in stärkerem Maße werkbezogen blieb und
die richtige Reihenfolge bestimmte, in der die Elemente eines Bildes anzuschauen
und zu verstehen seien.
Seine abschließende Wissenschaftslehre der Kunstgeschichte lehnte B. äußerlich
an Johann Gustav Droysens Historik (1868) an, wie es in ähnlicher Weise  Tietze
mit Bernheims Lehrbuch der Geschichtsschreibung getan hatte. B. wollte aber ei-
nen scharfen »Gegensatz zwischen Kunstgeschichte und politischer, sozialer und
wirtschaftlicher Geschichte« herausarbeiten, der auf seinem Begriff vom »Werk« –
im Unterschied zur »Tat« – und dessen sinnlich evident werdender Wahrheit beruht.
Viele seiner Einsichten und methodischen Empfehlungen sind produktiv, anderes
verwirrt sich in Widersprüchen. B. lehnte autonome Stilgeschichte auf Grund eines
»Kunstwollens«, Gruppierung nach »Schulen«, Biographik und anderes ab; die wert-
volle Ikonographie sei »selbst noch nicht Kunstgeschichte«. Er bestritt Gesetzlich-
keiten der Kunstgeschichte, wie sie etwa  Wölfflin annahm, und eine Behandlung
6 Badt

von Kunstwerken als bloße Belege für Strömungen, Zeitstile oder als Illustrationen
allgemeingeschichtlicher Sachverhalte. Da er ins entgegengesetzte Extrem verfiel,
das Schöpferische des genialen Künstlers als unerklärbar zu mystifizieren, Kunstver-
stand nur einer auserwählten Minderheit zubilligte und alle Erklärungen von Kunst
aus Voraussetzungen für allenfalls zweitrangig hielt, brachte er sich in Gegensatz
zum gleichzeitigen Paradigmenwechsel zu einer sozialhistorisch orientierten Kunst-
forschung wie auch zur Rezeptionsästhetik. »Die parareligiöse Verklärung des Pro-
fessors zum Magier«, der allein die richtige Deutung geben kann (Werckmeister,
1973), erschien Kunsthistorikern inakzeptabel, die Kunstgeschichte im autoritäts-
freien Diskurs erkunden wollten.
Werke: Andrea Solario, Lpz 1914; Die Plastik Neumünster 1971; Eine Wissenschaftslehre
Wilhelm Lehmbrucks, in: ZfbK, 55 (31), 1920, der Kunstgeschichte, Köln 1971; Das Spät-
169–182; Die Gestalt Gauguins, in: ebd., 56 werk Cézannes, Konstanz 1971; Paolo Vero-
(32), 1921, 120–128; Cézanne-Ausstellung bei nese, Köln 1981
Paul Cassirer, in: ZfbK (Beilage), 57 (33), Literatur: FS K.B., Bln 1961; Béke, Lászlo:
1921/22, 179–182; Delacroix’ Drawings, Ox Zwei Bücher von K.B., in: AHA, 14, 1968,
1946; Constable’s Clouds, Lo 1950; Eugène 99–102; FS K.B., Köln 1970; Dittmann, Lo-
Delacroix. Zeichnungen, BB 1951; Die Kunst renz: Die Kunsttheorie K.B.s, in: ZfÄaK,
Cézannes, Mü 1956; Drei plastische Arbeiten 16/1, 1971, 56–78; Werckmeister, Otto Karl:
von Leone Battista Alberti, in: MKhIF, 8, 1958, Kunstgeschichte als Divination. Zu K.B. Eine
2, 78–87; Raphael’s »Incendio del Borgo«, in: Wissenschaftslehre der Kunstgeschichte, in:
JWCI, 22, 1959, 35–59; Vier Städte. Geist und KChr, 26, 1973, 266–275; Einem, Herbert
Gestalt, Bln 1959; Wolkenbilder und Wolken- von: K.B., in: KChr, 27, 1974, 203–210;
gedichte der Romantik, Bln 1960; »Modell Schneckenburger, Manfred: Rez. von »Eine
und Maler« von Vermeer. Probleme der In- Wissenschaftslehre der Kunstgeschichte«, in:
terpretation. Eine Streitschrift gegen Hans Pantheon, 32, 1974, S. 114; Jauss, Hans Robert:
Sedlmayr, Köln 1961; Die Farbenlehre van K.B.s Apologie der Kunst, in: Vorträge K.B.
Goghs, Köln 1961; Raumphantasien und zu Ehren, Konstanz 1975, 5–17; Mengden,
Raumillusionen. Das Wesen der Plastik, Köln Lida von:Vermeers »De Schilderconst« in den
1963; Eugène Delacroix. Werke und Ideale. Interpretationen von K.B. und Hans Sedl-
Drei Abhandlungen, Köln 1965; Kunsttheore- mayr. Probleme der Interpretation, Frf/
tische Versuche. Ausgewählte Aufsätze, Köln Bern/NY 1984; Wendland 1999, 21–24
1968; Die Kunst des Nicolas Poussin, 2 Bde., PHF
Köln 1969; Ernst Barlach. Der Bildhauer,

Bandmann, Günter
Geb. 10. 9. 1917 in Duisburg; gest. 24. 2. 1975 in Bonn

Für die Architektur-Ikonologie gilt zumindest in Deutschland B.s Bonner Habili-


tationsschrift Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger (1949) als das klassische
Werk, das bisher zehn Auflagen erfuhr. Obwohl er sich auf Vorgänger beziehen
konnte, vornehmlich  Evers,  Sedlmayr und andererseits  Krautheimer, der
1942 den Begriff »Ikonologie der Architektur« geprägt hatte, eröffnete der erst
32jährige B. eine Alternative zu der nach 1945 wieder besonders vorherrschenden,
auf autonome Formentwicklungen fixierten Stilgeschichte. Er wies nach, daß Bau-
typen und einzelne Bauglieder inhaltliche Bedeutungen haben, die nicht zuletzt auf
langen Traditionen beruhen, und daß es einzeln oder kollektiv auftretende Auftrag-
geber sind, die »bestimmte Formen aus dem überlieferten Typenvorrat wählen,
Bandmann 7

fördern oder ablehnen«. Damit werde »die schlichte Frage, daß überhaupt ein be-
stimmter Grundriß, eine Wölbung, eine Säule, eine Galerie ist, zum Gegenstand des
Fragens«, und »bei der Wahl des Typus sind Fakten der Menschheitsgeschichte, reli-
giöse, politische, soziologische und andere entscheidend«. B.s disziplingeschichtliche
Stellung umriß unter anderem Friedrich Möbius (Buticum in Centula, Abh.n d.
Sächs. AdW, philolog.-hist. Kl., 71, 1985). Er würdigte dessen Aufmerksamkeit für
jahrhundertelang weitergedachte »Baugedanken« wie etwa den »Thronsaalgedan-
ken« und kritisierte, daß nicht untersucht werde, welche geistigen Operationen sich
im künstlerischen Schaffensprozeß selber abspielen und zwischen Gesellschaft und
Individuum vermitteln.
B. wuchs in Essen auf. Was er nach 1933 noch an moderner Kunst im Museum
Folkwang sehen konnte, bewog ihn zum Studium der Kunstgeschichte, das er 1942
bei  Kauffmann in Köln mit einer Monographie über die Abteikirche von Werden
abschloß. Sie war der Ausgangspunkt für seine Forschungen zum Bautypus »West-
werk«. Er wurde Assistent an der Universität Bonn und dort 1949 Privatdozent,
1955 a.o. Professor. Auf das Ordinariat in Tübingen (1965–70) folgte das in Bonn, wo
er Nachfolger  von Einems wurde. Sein ausgeprägtes Interesse an grundsätzlichen
kunst- und geschichtstheoretischen Problemen hielt B. nicht ab von der »Kärrner-
arbeit« an einem Corpus deutscher Doppelkapellen, an Lexikonbeiträgen, Literatur-
referaten über das Fach hinaus (1953–73 in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft
und Unterricht) und an der Organisation des Faches im Verband deutscher Kunsthi-
storiker. Schon mit 57 Jahren verstarb er noch vor seinen Lehrern.
B. stellte sich in dem Streit, der vor allem nach 1968 um die gesellschaftliche
Rolle und die Methoden der Kunstwissenschaft ausgetragen wurde, gegen die kri-
tischen Reformer und deren politische Schlußfolgerungen, aber auch sie konnten
seine wissenschaftlichen Resultate aufgreifen. Er trug zu der neuen Einschätzung
der historisierenden Kunst und Architektur des 19. Jahrhunderts bei, die in den
1960er Jahren einsetzte, und fragte auch bei moderner Kunst, der gegenüber sich
die universitäre Fachdisziplin noch reserviert verhielt, nach inhaltlichen Aspekten.
Seine Hauptverdienste lagen darin, daß er in gründlichen Analysen den engen
Zusammenhang kunstgeschichtlicher Sachverhalte mit allgemeingeschichtlichen –
allerdings vorwiegend ideen-, nicht sozialgeschichtlichen – Vorgängen und Faktoren
(»Zeitmächten«) ebenso herausarbeitete wie die Geschichtlichkeit des Kunstbegriffs
und überdies rezeptionsästhetische Gesichtspunkte einführte, die erst später in der
Kunstgeschichtsforschung, zum Beispiel durch seinen Schüler Wolfgang Kemp (geb.
1946), zur Geltung gebracht wurden. Es war auch neu, daß B. die nach Bedeutun-
gen fragende Methode der Ikonologie auf Ornamentik und sogar auf die in Kunst-
werken verwendeten Materialien anwendete.
B. widersprach eingefahrenen Auffassungen, die aus einem modernen Begriff
von der Kunst und vom Künstlerindividuum herrührten, den  Bauch und  Go-
sebruch gegen ihn ins Feld führten. Letzterer warf ihm eine antikünstlerische Ten-
denz, ein Verkennen des Gewichts der eigenständigen Stilentwicklung und eine nur
Teile herausgreifende »Abzeichenlehre« vor, mit der man nicht zum Wesen und zur
Ganzheit des Kunstwerks gelange. Für B. war Kunst ein »Instrument in einer gesell-
schaftlichen Ordnung« (Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger), das Kunstwerk
8 Bandmann

ein »Mittel des Menschen, die Wirklichkeit nach seinen Wünschen zu bestimmen«
(Zum Wirklichkeitsbegriff). B. nannte es eine Fiktion, »daß es eine immanente Ent-
wicklung der Form gebe, daß die Architektur etwas Lebendiges sei, das sich ent-
wickle, während es doch die Menschen sind, die zu verschiedenen Zeiten verschie-
dene Formen vortragen, um etwas auszusagen«. »Die Formveränderungen, die wir
unter dem Begriff der Entwicklung zusammensehen [...], sind die in der Form
aufbewahrten Entscheidungen des Menschen zu einem neuen Vorbilde, das er sich
zu vergegenwärtigen trachtet« (Zur Bedeutung der romanischen Apsis). Im Mittelalter
habe man nicht künstlerische Originalität angestrebt, sondern die teilweise bis in
den Alten Orient zurückreichenden symbolischen und geschichtlichen Bedeutun-
gen von Bauformen dargestellt. Der architektonische »Raum« sei noch keine be-
wußte und demzufolge auch nicht angestrebte Qualität gewesen. Man habe sich
auch nicht an der »Steinhaftigkeit des (Bau-)Materials« delektiert, sondern den Stoff
sublimieren wollen. »Renaissancen« beruhten nicht auf Wachstumsparallelen, son-
dern auf Rezeption als »Versuch der Legitimierung, Identifizierung, Aneignung«.
Kunstlandschaftliche Eigenarten sind trotz »immanenter Neigungen des Volkstums«
in erster Linie nicht ethnisch begründet, sondern Reflex von geschichtlichen Aus-
einandersetzungen, zum Beispiel zwischen rivalisierenden Territorialherren. Im
sinnbildlichen Verweisen auf Außerkünstlerisches in der Lebenspraxis, das andere als
unerheblich für das Eigentliche des Kunstwerks abtaten, sah er eine konstitutive
Voraussetzung aller Kunst, und obwohl seit der Renaissance der formalen Phantasie
immer mehr Spielraum gegeben wurde, unterstrich er das Problem der Gegen-
ständlichkeit auch in der modernen Kunst und fand noch in gegenstandsloser Ma-
lerei, deren Qualität er im Unterschied etwa zu Sedlmayr nicht bestritt, eine instru-
mentale Schicht, die jedem Kunstwerk eigen sei, wirksam beteiligt.

Werke: Die Bauformen des Mittelalters, Einheit seines Geistes, Ha 1968, 126–147; Be-
Bonn 1949; Das Kunstwerk als Geschichts- merkungen zu einer Ikonologie des Materi-
quelle, in: DVjS, 24, 1950, 454–469; Mittelal- als, in: StJb, 1969, 75–100; Der Wandel der
terliche Architektur als Bedeutungsträger, Bln Materialbewertung in der Kunsttheorie des
1951; Ikonologie der Architektur, in: JbÄaK, 19. Jh.s, in: Beiträge zur Theorie der Künste
1951, 67–109; Das Problem der Gegenständ- im 19. Jh., Frf 1971, 129–157; Kirchliche Kunst
lichkeit in der modernen Kunst, in: StG, 5, im 19. und 20. Jh., in: Hdb. d. Kirchengesch.,
1952, 543–553; Zur Bedeutung der romani- 4, FrB/Basel/Wien 1973, 297–315; Das Kunst-
schen Apsis, in: WRJb, 1953, 28–46; Zur Deu- werk und die Wirklichkeit, in: G.B. u. a., Zum
tung des Mainzer Kopfes mit der Binde, in: Wirklichkeitsbegriff, Mainz 1974 (AdW u. d.
ZfKw, 10, 1956, 153–174; Ikonologie des Or- Lit. Mainz, Abh.n d. geistes- u. sozialwiss. Kl.,
naments und der Dekoration, in: JbÄaK, 1973, Nr. 4), 27–46
1958/59, 232–258; Melancholie und Musik. Literatur: Gall, Ernst: Rez. von »Baufor-
Ikonographische Studien, Köln 1960; Das men des Mittelalters« in: KChr, 3, 1950, 73–
Kunstwerk als Gegenstand der Universalge- 76; Aubert, Marcel: Rez. von »Mittelalterliche
schichte, in: JbÄaK, 1962, 146–166; Früh- und Architektur als Bedeutungsträger«, in: Bm,
hochmittelalterliche Altaranordnung als Dar- 110, 1952, 98–99; Lehmann, Edgar: dass., in:
stellung, in: Das Erste Jahrtausend, Textbd. 1, DLZ, 73, 1952, 610–614; Schramm, Percy
Dü 1962, 371–411; Pablo Picasso. Les Demoi- Ernst: dass., in: HZ, 174, 1952, 568–571; Bran-
selles d’Avignon, Stg 1965; Die Galleria Vitto- ner, Robert: dass., in: ArtB, 35, 1953, 307–310;
rio Emanuele II zu Mailand, in: ZfKg, 29, Gosebruch, Martin: dass., in: GöGA, 1954,
1966, 81–110; Über das Deutsche in der deut- 3/4, 265–277; Hartlaub, Gustav F.: Rez. von
schen Kunst, in: Das deutsche Volk. Von der »Melancholie und Musik« in: KChr, 13, 1960,
Bandmann 9

248–257; Hausherr, Rainer: G.B., in: KChr, deutungsträger, Gedenkschrift für G.B., Bln
28, 1975, 413–419; Urban, Günter: G.B. zum 1978 (darin: Lützeler, Heinrich: Zur Kunst-
Gedächtnis, in: WRJb, 1975, 7–10; Einem, theorie von G.B., Bibliogr.)
Herbert v.: Nachruf auf G.B., in: Jb. d. AdW PHF
u. Literatur, Mainz 1975, 61–66; Kunst als Be-

Bartsch, Adam (Ritter von)


Geb. 17. 8. 1757 in Wien; gest. 21. 8. 1821 in Wien

Die Anfänge des systematisch-kritischen Sammelns und Dokumentierens von


Druckgraphik waren eng mit der Tätigkeit des Kupferstechers B. an der Kaiserli-
chen Hofbibliothek in Wien verbunden. Die von ihm, seit 1806 als zweiter und seit
1816 als leitender Kustos der Kupferstichsammlung, eingeführten, bis heute rich-
tungsweisenden Prinzipien zur Ordnung, Führung und Benutzung eines Graphik-
kabinetts zeugen von einem auf Erkenntnis gerichteten Ansatz. Eine solche Samm-
lung sollte »für die Kunstsammler und Kunstforscher, für die Maler, welche sich Rat
holen wollen, Kupferstecher und Kunstlehrlinge, um sich zu üben« da sein, nicht
für »jene Müßiggänger, die sich bloß mit Bilderanschauen unterhalten wollen«.
B. lernte das Kupferstecherhandwerk bei Jakob Schmuzer an dessen neugegrün-
deter Kupferstecherakademie. Seit 1777 war er als »Scriptor« an der Hofbibliothek
tätig und betreute ab 1791 gleichzeitig deren Kupferstichsammlung. Sie war vor
allem durch Pierre Jean Mariette (1694–1774) für den Prinzen Eugen von Savoyen
zusammengetragen und nach Schulen, Perioden und Künstlern (in alphabetischer
Folge) geordnet worden – ein System, das B. im wesentlichen übernahm. B. hatte
auch Kontakte zur seit 1768 entstehenden graphischen Sammlung des Herzogs Al-
bert von Sachsen-Teschen, der Albertina. Mehrere Reisen führten B. in den 1780er
Jahren nach Paris; 1784 bemühte er sich vergeblich um den Kauf der Rembrandt-
Sammlung von Johann Anton de Peters. Der Nutzen dieser Reisen, die ihn auch
nach Brüssel, Amsterdam, Den Haag und Leyden führten, war für B. und das Wiener
Kupferstichkabinett unschätzbar; sie weiteten seinen Horizont und stellten wert-
volle Kontakte zu Künstlern, Kupferstichsammlern und -händlern her. B. wurde
1792 Mitglied der Wiener Akademie der bildenden Künste und 1812 vom Kaiser in
den erblichen Ritterstand erhoben.
Die umfänglichen Erwerbungen, die B. für die Sammlung tätigte, waren auf de-
ren Komplettierung ausgerichtet. B. kaufte nicht nur in Paris, sondern auch bei
Frauenholz in Nürnberg, Artaria in Mannheim, Halm in München, Grünling und
Stöckl in Wien vor allem frühe deutsche und italienische Graphik, Blätter von
Marcantonio Raimondi, Aldegrever, Hollar, Rembrandt, Callot, Lorrain und, mög-
lichst komplett, von den Zeitgenossen.
Von 1794 an begann B. mit der Veröffentlichung werkkritischer Kataloge; auf das
Verzeichnis der Handzeichnungen aus der Sammlung des Fürsten Charles de Ligne
und einzelne Meister-Kataloge (Waterloo, Reni, Rembrandt, Leyden) folgte sein
Hauptwerk Le Peintre Graveur, das 1803–21 in 21 Bänden erschien und noch heute
zum unentbehrlichen Instrumentarium der Graphikforschung gehört. Im Unter-
schied zu Nachfolgelexika (A.P.F. Robert-Dumesnil/Prosper de Baudicour, Peintre-
10 Bartsch

graveur français, 1835–71;  Passavant, Peintre-graveur, 1860–64; Andreas Andresen, Die


deutschen Maler-Radierer des 19. Jahrhunderts, 1864–74), die sich auf nationale Über-
sichten der Kupferstecher und ihrer Schulen spezialisierten, bot B. eine Zusammen-
fassung der wichtigen Namen aller Länder und Schulen. Große Bedeutung erlang-
ten auch die von ihm kommentierten großen Holzschnittwerke von Dürer und
Burgkmair d.Ä., die seinerzeit für Kaiser Maximilian geschaffen worden waren.
B. forderte schon früh eine strikte Trennung von Stecher-Werken nach Vorlagen
und graphischen Blättern freier Künstler, der »peintres graveurs«; den Begriff des
Originals wollte er nur solchen Arbeiten vorbehalten wissen, die »entweder unmittel-
bar nach der Natur oder aus dem Kopf sogleich auf [die] Platte übertragen« oder
aber »nach einem Gemälde oder einer Zeichnung« gestochen worden waren. Als
Kopie bezeichnete er hingegen ausschließlich Stiche nach anderen Stichen. Die
Hauptkriterien für die Qualität eines Blattes sah er in der Neuartigkeit der künst-
lerischen Idee und deren technischer Bewältigung. Seine Erkenntnisse faßte B. in
der als Sammlerhandbuch konzipierten Anleitung zur Kupferstichkunde (1821) zusam-
men.
Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit widmete sich B. seinem eigenen gra-
phischen Werk, wobei er überwiegend Reproduktionen nach Zeichnungen alter
Meister herstellte. Seit etwa 1800 faksimilierte er auch zeitgenössische Künstler wie
Wilhelm von Kobell. Sein Sohn Friedrich B. (1798–1873) folgte ihm im Amt des
Kustos der Kupferstichsammlung der Hofbibliothek.
Werke: Catalogue raisonné des dessins origi- 1799; Le Peintre Graveur, 21 Bde., Wien
naux des plus grands maitres du Cabinet de 1803–21; Catalogue raisonné de l’œuvre
feu le pr. Charles de Ligne, Wien 1794; Cata- d’estampes de Molitor, Nü 1813; Anleitung
logue raisonné des estampes gravées à l’eau zur Kupferstichkunde, 2 Bde., Wien 1821
forte par Guido Reni, Wien 1795; Le Triom- Literatur: Bartsch, Friedrich von: Cata-
phe de l’Empereur Maximilien I., en une logue des estampes de J.A.B., Wien 1818;
suite de cent trente-cinq planches gravées en Hormayr, Josef Freiherr von: J.A.B., in: Ar-
bois d’après les dessins de Hans Burgkmair, chiv f. Geographie, Historie, Staats- u. Kriegs-
Wien 1796; Catalogue raisonné de toutes les kunst, 12, 1821, 537–540; Meder, Joseph: A.
estampes qui forment l’œuvre de Rembrandt v.B. zum 100. Todestag, in: Der Kunstwande-
et ceux de ses principaux imitateurs, 2 Bde., rer, 1, 1921, 467–469; Stix, Alfred: A.B. 1757–
Wien 1797; Catalogue raisonné de toutes les 1821, in: GrK, 44, 1921, 87–103; ders.: Pariser
estampes qui forment l’œuvre de Lucas de Briefe des A.B. aus dem Jahre 1794, in: FS
Leyde, Wien 1798; Tableau des principaux Max Friedländer, Lpz 1927, 312–351; Ko-
évènements de la vie et du règne de schatzky, Walter: A.B. An Introduction to his
l’Empereur Maximilien I., Wien 1798; Images Life and Work, in: The Illustrated B., hrsg. v.
des Saints et Saintes issus de la Famille de Walter L. Strauss, Bd. 1, NY 1978, VII–XVII
l’Empereur Maximilien I., Wien 1799; Arc CF
triomphal de l’Empereur Maximilien I.,Wien

Bauch, Kurt
Geb. 25. 11. 1897 in Neustadt-Glewe; gest. 1. 3. 1975 in Freiburg i.Br.

Kunstgeschichte verband sich für B. mit Europa. Er war ein universaler Gelehrter,
seine Schriften umfassen das Mittelalter, die Neuzeit, Italien, Deutschland und die
Niederlande, und er hinterließ eine durch ihre Stringenz nach fast 50 Jahren immer
Bauch 11

noch lesenswerte Geschichte der Abendländischen Kunst (1952). B. hatte aber auch
seine Neigungen: Rembrandt und die niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts
ziehen sich als roter Faden durch sein Lebenswerk, begleitet von einer unablässigen
theoretischen und methodologischen Reflexion, die, in den 1930er Jahren be-
ginnend, sich zum Ende hin intensivierte und ihr philosophisches Fundament in der
Phänomenologie und der Ontologie, in Husserl und vor allem in Heidegger, fand.
Das Einzelne, von dem wir zu viel, und das Ganze, von dem wir zu wenig wüßten,
in der Balance zu halten, erschien B. als das Ziel jeder wissenschaftlichen Arbeit.
Der Sohn eines mecklenburgischen Amtsrichters diente 1916–18 als Kadett und
Leutnant in der kaiserlichen Marine, bevor er nach einem Volontariat am Schweri-
ner Museum 1919–21 in Rostock bei  Brinckmann, in Berlin bei  Goldschmidt
und in München bei  Wölfflin Kunstgeschichte studierte; einige Wochen ver-
brachte er auch in Wien, wo es seit 1909 zwei kunstgeschichtliche Institute gab, die
 Schlosser und  Strzygowski leiteten. Den stärksten Einfluß auf B. hatte jedoch
 Jantzen. Nach einer kurzen Anstellung am Lübecker Sankt Annen-Museum
promovierte B. 1922 bei ihm in Freiburg i.Br. über Jakob Adriaensz Backer, einen
Schüler Rembrandts. Von Rembrandt selbst handelt die Habilitationsschrift (Die
Kunst des jungen Rembrandt, 1927), ebenfalls von Jantzen betreut und der Freiburger
Universität vorgelegt; sie erschien 1933 in den Heidelberger Kunstgeschichtlichen Ab-
handlungen und widmete sich dem bis dahin in dieser Ausschließlichkeit noch nicht
behandelten Frühwerk des Künstlers. Als Vorbereitung auf diese Arbeit hatte 1924–26
ein Aufenthalt in Den Haag als Assistent Hofstede de Groots gedient. Als Privatdo-
zent lehrte B. »mittlere und neuere« Kunstgeschichte 1927–31 in Freiburg und 1932
in Frankfurt, 1933 erhielt er in Freiburg eine a.o. und 1939 eine o. Professur. 1962
ging B. in den Ruhestand.
Die Separierung der Leidener Jahre Rembrandts 1626–32 beruhte im wesentli-
chen auf der in der Einleitung der Arbeit aus dem Geist des ontologischen Denkens
entwickelten Prämisse, daß jedes einzelne Kunstwerk »vollgültig, ja allein gültig [ist].
Es ist so erschöpfend und einzig, daß es eigentlich jede Vergleichung, jede Zusam-
menstellung ausschließt [...], es will nur aus sich selbst verstanden werden, nämlich
in den Kategorien, die es selbst erzeugt, enthält und aufgibt«. Später, 1960, in einer
Monographie über den jungen Rembrandt, wird es dann heißen, daß sich die Ju-
gendwerke der großen Meister – B. beschäftigte sich auch mit den Frühstilen von
Giotto, Schongauer, Dürer, Lastman, Caravaggio – »von den ›reifen‹ Leistungen ei-
nes Künstlers« nicht dadurch unterscheiden, daß sie »noch weniger gelungen« seien.
»Ein Frühstil hat vielmehr sein besonderes Wesen: die eigene Sphäre dieser Kunst ist
schon vollkommen da.« Bezeichnend für B.s Denkweise ist die Unterscheidung
von zwei »Sphären« der Kunstgeschichte. Der ersten, dem »eigentlich Geschichtli-
chen«, gehören »Zeiten, Persönlichkeiten und Schöpfungen«, der zweiten »Jahres-
zahlen, Registernamen und Ölfarbe« an, und deshalb untersucht und interpretiert
er zunächst Rembrandts Leidener Werke unter rein künstlerischen Aspekten, wobei
sowohl Formfragen als auch – und dies zeigt den Abstand zur formanalytischen
Kunstgeschichtsschreibung des Lehrers Wölfflin – Gegenständliches und die Ikono-
graphie zur Sprache kommen. Den zweiten Teil, der eher ein Anhang ist, bildet ein
chronologisch geordnetes Werkverzeichnis der Jahre 1626–31; hier ist alles vermerkt,
12 Bauch

was über den jungen Rembrandt bekannt war. Während in der Habilitationsschrift
Rembrandts Vorläufer und die kunstgeschichtliche Wirkung seines Frühstils bewußt
unberücksichtigt blieben, stellte B. 30 Jahre später in seiner bedeutendsten Arbeit
diesen Zusammenhang her, zeigte die Beziehungen zum Gesamtwerk, zur hollän-
dischen und zur europäischen Kunst auf. Rechtzeitig zum 300. Todestag des Künst-
lers erschien 1966 noch ein voluminöser Band, der alle als gesichert geltenden
Gemälde abbildete. B., der sich auf die Werkverzeichnisse von Hofstede de Groot,
Abraham Bredius (Rembrandt. Schilderijen, Wien 1935; von  Gerson überarbeitete
Ausgabe 1969) stützte, hatte ungefähr 70 Werke nicht mehr aufgenommen. An seine
Forschungen knüpfte das 1968 in Amsterdam begründete Rembrandt Research
Project an (bisher 4 Bde., 1982–2005).
Die Sachforschung hielt B. freilich nur für den »Weg zum Kunstwerk«, erst des-
sen »Vergegenwärtigung«, dessen Interpretation als unveränderliche, endgültige
Schöpfung sei das Ziel kunsthistorischer Tätigkeit. Ihr ausschließlich gab sich B. in
der Abendländischen Kunst hin, die »Auge in Auge mit den Kunstwerken« geschrie-
ben ist. Auf alles kulturelle und gesellschaftliche »Beiwerk« wurde verzichtet, »der
Sinn im Geschehen der Kunst [...] nur in ihr selbst gesucht«. Die aus dem gesell-
schaftlichen Kontext herausgelösten Kunstwerke stehen, wie B. ausdrücklich sagt, in
einem »diskontinuierlichen« historischen Zusammenhang; obwohl Werke und Stile
aufeinander wirken, gibt es keine »durchlaufenden Linien oder Kausalitäten«.
Diese ahistorische Einstellung, mit der B. in den 1940er und 1950er Jahren nicht
alleinstand, korrelierte mit einer zu jener Zeit verbreiteten Konzentration auf die
Werkinterpretation. In einem Beitrag zur Festschrift für Martin Heidegger anläßlich
seines 60. Geburtstags (1949) sprach B. von der »Einzelnheit« der Kunst, die sich
einer theoretischen Verallgemeinerung und daher auch der Geschichtsschreibung
entzöge; Erklärbares am Kunstwerk finde der Kunsthistoriker nur bis zu jenem
Punkt, »wo dann das Unerklärbare beginnt, die Form selbst«. Sie lasse sich nicht
analysieren oder definieren; man könne nur versuchen, sie zu »zeigen« (Kunst als
Form, 1952). In kritischer Auseinandersetzung mit der Formanalyse und der Ikono-
logie faßte B. seinen Formbegriff sowohl strukturell als auch inhaltlich; reine Form
erschien ihm ebenso unvorstellbar wie ungeformter Gehalt. Schon in seiner ersten
Arbeit über Rembrandt hatte er die Verflechtung von Form und Inhalt in dessen
Stilentwicklung nachgewiesen. Dieses Thema griff er später noch einmal auf und
legte, über die Rembrandt-Problematik hinausgehend, überzeugend die Obsolet-
heit einer auf den formalen Aspekt reduzierten Stilanalyse dar (»Ikonographischer
Stil«, 1966).

Werke: Jakob Adriaensz Backer, FrB 1922; rer Lastmans, in: OH, 55, 1938, 254–265;
Jakob Adriaensz Backer. Ein Rembrandtschü- Rembrandt und Lievens, in: WRJb, 1939,
ler aus Friesland, Bln 1926; Schongauers 239–268; Über die Herkunft der Gotik, FrB
Frühwerke, in: Oberrhein. Kunst, 5, 1932, 1939; Klassik, Klassizität, Klassizismus, in:
171–183; Dürers Lehrjahre, in: StJb, 1932, 80– DWdK, 1, 1939/40, 429–440; Straßburg, Bln
115; Die Kunst des jungen Rembrandt, Hei 1941; Hans Jantzen, in: DWdK, 2, 1941, 1–3;
1933; Die Gemälde des Jan Pynas, in: OH, 52, Das Eiserne Kreuz 1813/1939, Bln 1941; Die
1935, 145–158; Die Zeichnungen von Jan Py- Kunstgeschichte und die heutige Philosophie,
nas, in: ebd., 193–204; Freiburg im Breisgau, in: Martin Heideggers Einfluß auf die Wis-
FrB 1937; Gerrit Pietersz Swelinck, der Leh- senschaften, Bern 1949, 88–93; Georg Dehio,
Bauch 13

in: Das Münster, 3, 1950, 369–371; Ein ober- 85 Jahre alt, in: Freiburger Universitätsblätter,
rheinischer Glasmaler, in: FS Otto Schmitt, 1966, 13–15; Walter Friedländer, in: KChr, 19,
Stg 1950, 217–224; Frühwerke Pieter Last- 1966, 377–379; Zum Werk des Jan Lievens, in:
mans, in: MJbbK, 1951, 225–237; Abendländi- Pantheon, 25, 1967, 160–170, 259–269; Rem-
sche Kunst, Dü 1952; Freiburg im Breisgau, brandt. Gemälde, Bln 1966; Studien zur
Mü/Bln 1953; Die geschichtliche Bedeutung Kunstgeschichte, Bln 1967 (darin: Imago;
von Giottos Frühstil, in: MKhIF, 7, 1953, 43– Kunst als Form; Klassik, Klassizität, Klassizis-
64; Zur Ikonographie von Caravaggios Früh- mus; Die Kunstgeschichte und die heutige
werken, in: FS Hans Kauffmann, Bln 1956, Philosophie; Anfänge der neuzeitlichen
252–261; Anfänge der neuzeitlichen Kunst, in: Kunst; »Ikonographischer Stil«. Zur Frage der
Vorträge der Joachim-Jungius-Gesellschaft, Inhalte in Rembrandts Kunst, 1966); Das
Hbg 1957, 118–139; Wilhelm Vöge, in: Johan- mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmä-
nes Vincke (Hrsg.), Freiburger Professoren ler des 11.–15. Jh.s in Europa, Bln/NY 1976;
des 19. und 20. Jh.s, FrB 1957, 183–190; Giotto, Meinungen über Schönheit. Ein Versuch, an
Bln/Da/ Wien 1959; Jugendstil. Der Weg ins sie zu erinnern, in: ZfÄaK, 22, 1977, 5–31
20. Jh., Hei 1959 (Einleitung); Imago, in: FS Literatur: FS K.B. (Bibliogr.), Bln 1957; FS
Wilhelm Szilasi, Mü 1960, 9–28; Der frühe K.B. (Bibliogr.), Mü/Bln 1967; Sauerländer,
Rembrandt und seine Zeit. Studien zur ge- Willibald: K.B., in: KChr, 28, 1975, 375– 379;
schichtlichen Bedeutung seines Frühstils, Bln Hüttinger 1992, 136–141; Papenbrock, Mar-
1960; Ein Selbstbildnis des frühen Rem- tin: K. B. in Freiburg 1933–45, in: Jutta Held
brandt, in: WRJb, 1962, 321–332; Kunst als (Hrsg.), Kunstgeschichte an den Universitä-
Form, in: JbÄaK, 1962, 167–188; Deutsche ten im Nationalsozialismus, Gö 2003, 195–
Kultur am Kap, Kapstadt 1964; Das Branden- 215
burger Tor, Köln 1966; Prof. Dr. Hans Jantzen PB

Baum, Julius
Geb. 9. 4. 1882 in Wiesbaden; gest. 27. 10. 1959 in Stuttgart

Der Schwerpunkt von B.s Forschungstätigkeit lag auf der deutschen Kunst des
Mittelalters; er befaßte sich aber auch mit merowingischer Kunst, französischer
Romanik, der italienischen Frührenaissance und dem deutschen Barock. Seine Ge-
schichte der mittelalterlichen Malerei und Plastik nördlich der Alpen, die 1930 als
letzter Band des Handbuchs der Kunstwissenschaft erschien, gehört zu den ersten zu-
sammenfassenden Darstellungen zu diesem Thema. Die oberdeutsche und die
schweizerische Kunst der Spätgotik kannte der »Nestor« der schwäbischen Kunst-
geschichte wie kein zweiter; diesem Thema widmete er zahlreiche Einzel- und
Gesamtdarstellungen.
B. studierte Kunstgeschichte an den Universitäten München, Berlin und Tübin-
gen, wobei er vor allem durch Karl Voll (1867–1917) und  Wölfflin in die stilkri-
tische Forschung eingeführt wurde. 1905 promovierte er in Tübingen über Die
Kirchen des Baumeisters Heinrich Schickhardt bei Konrad Lange (1855–1921). 1908 ar-
beitete er als Lehrer für Kunstgeschichte an der Kunstgewerbeschule, 1911–24 als
Dozent an der Kunstakademie in Stuttgart. 1911 erfolgte die Habilitation mit einer
Arbeit über die Ulmer Plastik um 1500, die bereits die Anerkennung älterer Fachge-
nossen wie  Clemen,  von Falke und Philipp Halm (1854–1923) gefunden hatte,
an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Im gleichen Jahr erhielt B. dort eine
a.o. Professur für mittelalterliche Kunstgeschichte. Mit Unterbrechung durch den
Ersten Weltkrieg, an dem er als Freiwilliger teilnahm, arbeitete B. 1908–23 als Assi-
14 Baum

stent und Konservator im Württembergischen Amt für Denkmalpflege und im an-


geschlossenen Landesmuseum in Stuttgart; aus dieser Tätigkeit ging der große Ka-
talog über die Deutschen Bildwerke des 10.–18. Jahrhunderts (1931) hervor. 1923 wurde
B. als Direktor an das Museum der Stadt Ulm berufen, wo er sich der lokalen
Kunstgeschichte und der künstlerischen Volksbildung widmete.
In seinen Veröffentlichungen zur schwäbischen Kunstgeschichte untersuchte B.
vor allem Stilentwicklung und Ikonographie der mittelalterlichen Plastik, sowohl
der monumentalen Steinplastik als auch der Holz- und Elfenbeinschnitzerei und
der Goldschmiedekunst. B. sah eine mehrstufige Entwicklung vom Körperideal der
Stauferzeit zu einer Anfang des 14. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Mystik
einsetzenden Betonung des seelischen Ausdrucks, der um 1350 eine Zurückdrän-
gung des Linearen und Flächigen zugunsten einer mehr auf Tiefenwirkung bedach-
ten Kompositionsweise folgte, um schließlich Anfang des 15. Jahrhunderts in eine
gesteigerte Wirklichkeitstreue einzumünden. Indem B. Stilfragen als »Zeitfragen«
auffaßte, distanzierte er sich von einem Anfang der 1920er Jahre zunehmenden
Trend in der Kunstwissenschaft ( Gerstenberg,  Pinder, Oskar Hagen: Deutsches
Sehen, 1921; Eugen Kurt Fischer: Deutsche Kunst und Art, 1924), »deutsches Wesen«
in der Kunst aufzuspüren und als eine von historischen Faktoren unabhängige psy-
chische Disposition zu definieren; B. dagegen hielt die Gotik vor allem für die
»Angelegenheit einer Epoche, nicht die Sache eines Volkes«.
Als typischer Vertreter der nachformanalytischen Kunsthistorikergeneration sah
B., der bewußt an  Burckhardt anknüpfte, die Kunstentwicklung im Kontext der
Kultur- und Geistesgeschichte. In Zwölf deutsche Dome des Mittelalters (1955) unter-
suchte er jedes einzelne Bauwerk und dessen plastischen Schmuck vor dem Hinter-
grund der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse in den Städten und Bistümern.
Er betonte die Eigenständigkeit der deutschen Bauwerke, in denen sich zwar neben
den französischen auch Einflüsse aus dem antiken und mittelalterlichen Italien,
selbst aus Byzanz, manifestierten, aber assimiliert von einem starken Stilwillen. Die
Behandlung der Wand hob er als charakteristisches Indiz für die unterschiedliche
Formensprache in Deutschland und Frankreich hervor: »Das Bedürfnis des deut-
schen Menschen nach Umhegung, nach steinerner Wand, ist [...] deutlich spürbar,
während der französische Hang zur Mystik im Zeitalter Ludwigs des Heiligen die
Entwertung des Steines, die farbige Glaswand verlangte.«
Nach Hitlers Machtantritt wurde B. wegen »nichtarischer Abstammung« entlas-
sen. 1933–38 betätigte er sich als Privatgelehrter in Stuttgart und hielt, immer von
der Gestapo bespitzelt, kunsthistorische Vorträge. Als Erleichterung seiner Lage
empfand er eine von Johnny Roosval (1879–1965), dem damaligen Ordinarius für
Kunstgeschichte, bewirkte Einladung der Universität Stockholm zu einer Vorle-
sungsreihe im Wintersemester 1935, deren Text 1937 in Paris veröffentlicht werden
konnte (La sculpture figurale en Europe à l’époque mérovingienne). 1938 wurde B. in das
Konzentrationslager Welzheim deportiert; ein Forschungsauftrag des Historischen
Museums in Bern aus dem Jahre 1936 ermöglichte jedoch 1939 die Ausreise in die
Schweiz, wo er bis Kriegsende lebte und unter anderem für das Luzerner Staats-
archiv über die Bildhauerkunst des Mittelalters arbeitete (Frühmittelalterliche Denk-
mäler der Schweiz und ihrer Nachbarländer, 1943). Nebenher verdiente er sich ein
Baum 15

Zubrot durch journalistische Tätigkeit u. a. für die Neue Zürcher Zeitung. 1946 kehrte
B. nach Deutschland und, auf Initiative des damaligen württembergischen Kultus-
ministers Theodor Heuß, an seine frühere Wirkungsstätte in Stuttgart zurück. Dort
war er an der Wiederherstellung des zerstörten Alten Schlosses beteiligt; 1947–52
leitete er das Landesmuseum, wo er für die Rückführung der Sammlungen aus den
Auslagerungsorten und deren Neuaufstellung zuständig war.
Werke: Die Kirchen des Baumeisters Hein- Frankreich und Britannien, Pd 1930; Deut-
rich Schickardt, Stg 1905; Drei Mainzer Hal- sche Bildwerke des 12.–18. Jh.s, Mü 1931;
lenkirchen, FrB 1906; Die Bauwerke des Elias Romantische Malerei Oberschwabens, Ulm
Holl, Str 1908; Stuttgart. Staatssammlung va- 1932; La sculpture figurale en Europe à
terländischer Kunst- und Altertumsdenkmale, l’époque mérovingienne, Paris 1937; Inventar
Esslingen 1908; Beiträge zur Charakteristik der kirchlichen Bildwerke des Bernischen
der deutschen Renaissancebaukunst, in: ZfbK, Historischen Museums, Bern 1941; Frühmit-
44 (20), 1909, 149–158; Romanische Baukunst telalterliche Denkmäler der Schweiz und ih-
in Frankreich, Stg 1910 (frz. 1911); Ulmer rer Nachbarländer, Bern 1943; Martin Schon-
Kunst, Stg/Lpz 1911; Die Ulmer Plastik um gauer, Wien 1948; Museen und Kunstpflege,
1500, Stg 1911; Die Kunst- und Altertums- Mü 1948; Die Heiligen in der Plastik, Stg
denkmale im Donaukreis, Esslingen 1911; Die 1950; Eine Statue des hl. Georg von Mult-
Stuttgarter Kunst der Gegenwart (mit Max scher und die Ulmer Rathausfiguren, in:
Diez u. a.), Stg 1913; Württembergische Für- Schwäbische Heimat, 1, 1950, 17–21; Die
stensitze, Stg 1913; Friedrich Herlin, in: schwäbische Kunst im 19. und 20. Jh. (mit
MfKw, 7, 1914, 323–329; Die Zehngebotstafel Werner Fleischhauer u. Stina Kobell), Stg
des Johann Krafft im Museum zu Allerheili- 1952; Kraft und Innigkeit. Ulmer Bildwerke
gen Schaffhausen, in: Schaffhauser Beiträge der Blütezeit, Leinfelden 1953; Unbekannte
zur vaterländischen Geschichte, 21, 1914; Bildwerke alter deutscher Meister, Stg 1954;
Brüssel als Kunststätte, Str 1915; Forschungen Zwölf deutsche Dome des Mittelalters, Zü/
über die Hauptwerke des Baumeisters Hein- FrB 1955; Meister und Werke spätmittelalter-
rich Schickardt in Freudenstadt, Mömpelgard licher Kunst in Oberdeutschland und der
und Stuttgart sowie über die Schlösser in Schweiz, Lindau/Konstanz 1957; Ein Ulmi-
Weikersheim und Aschaffenburg, Str 1916; sches Hausaltärlein aus dem Jahre 1484, in:
Schaffner und Mauch, in: ZfbK, 51 (27), 1916, Heilige Kunst, 1957/58, 24–30
290–301; Deutsche Bildwerke des 10.–18. Literatur: Deutsch, Werner: Rez. von »Nie-
Jh.s, Stg 1917; Karl und Maria Caspar, in: derschwäbische Plastik des ausgehenden Mit-
ZfbK, 54 (30), 1918/19, 137–148; Baukunst telalters«, in: Belvedere, 7, 1925, S. 100; Esche-
und dekorative Plastik der Frührenaissance in rich, Mela: Rez. von »Die Bildwerke der
Italien, Stg 1920; Gotische Bildwerke Schwa- Rottweiler Lorenzkapelle«, in: JbKw, 1930,
bens, Au/Stg 1921; Der Meister von Eriskirch, S. 100; Strieder, Peter: Rez. von »Martin
Frf 1922; Rez. von Max Dvoák, Idealismus Schongauer«, in: KChr, 1949, 195–196; Neue
und Naturalismus in der gotischen Skulptur Beiträge zur Archäologie und Kunstge-
und Malerei (1918), in: RfKw, 43, 1922, 111– schichte Schwabens. J.B. zum 70. Geburtstag,
113; Altschwäbische Kunst, Au 1923; Deutsche Stg 1952; Fleischhauer,Werner/Volbach, Fritz:
Bildwerke des Mittelalters, Stg/Bln 1923; Nachwort, in: J.B., Meister und Werke spät-
Niederschwäbische Plastik des ausgehenden mittelalterlicher Kunst in Oberdeutschland
Mittelalters, Tü 1925; Süddeutschland, Mü und in der Schweiz, Lindau/Konstanz 1957,
1925; Kloster Blaubeuren, Au 1926; Aus der 119–122; Heye, Eva: Rez. von »Zwölf deut-
Lorenz-Kapelle zu Rottweil, Stg 1927; Die sche Dome des Mittelalters«, in: KChr, 1957,
Bildwerke des Hochaltars von Blaubeuren, 45–47; Salm, Christian Altgraf: Rez. von
Stg 1927; Die Bildwerke der Rottweiler Lo- »Meister und Werke spätmittelalterlicher
renzkapelle, Stg 1929; Frühmittelalterlicher Kunst in Oberdeutschland und in der
Bischofsstuhl in Trier, in: Pantheon, 4, 1929, Schweiz«, in: KChr, 11, 1958, 68–69; Schmid,
374–378; Vesperbild aus dem Kreise Rogiers Alfred A.: In memoriam J.B., in: UKd, 11,
van der Weyden, in: ebd., 563–569; Die Male- 1960, 20–22; Fleischhauer, Werner: Zum Tode
rei und Plastik des Mittelalters. Deutschland, von J.B., in: Schwäbische Heimat, 11, 1960,
16 Baum

25–27; Deutsch, Werner: J.B., in: Ztschr. (AKat. Ulmer Museum), Ulm 1993, 48–55;
f. Württembergische Landesgeschichte, 19, Wendland 1999, 27–31
1960/61, 184–185; Das Ulmer Museum unter CF
J. B., in: Kunst und Kultur in Ulm 1933–45

Bayersdorfer, Adolf
Geb. 7. 6. 1842 in Erlenbach/Main; gest. 21. 12. 1901 in München

Ausgestattet mit einem visuellen Gedächtnis und einer formanalytischen Sensibilität


von hohen Graden, mit besonderer Empfänglichkeit für das Individuelle der Mei-
ster und der Werke, durch viele Reisen mit den bedeutenden Gemäldegalerien
Europas vertraut, profilierte sich B. zu einem der großen Kenner seiner Zeit. Der
historischen Methode und der Einbeziehung außerkünstlerischer Faktoren wie
natürliche Umwelt, soziales Milieu, kulturelle Verhältnisse stand er skeptisch gegen-
über: »Die Kunst läßt sich in ihrem Grunde nicht mit bloßen elementaren Faktoren
aller möglichen Disziplinen zusammensetzen: sie hat eine eigene Basis.« Ein Form-
Inhalt-Problem stellte sich für B. nicht. Den künstlerischen Mitteln sprach er eine
»autochthone Kraft« zu; sie trügen »das psychologische Gesetz ihres Wirkens« bereits
in sich; so wie es keine ausdrucksleeren Formen geben könne, trete künstlerischer
Ausdruck nur in Kunstgestalt zum Vorschein. Im Gegensatz zu  Morelli, der sei-
nen kennerschaftlichen Ansatz auf die Annahme gründete, daß sich die Identität
einer Handschrift in nebensächlichen Details enthülle, behauptete B., daß in der
Technik (Formgebung, Kolorit, Lichtbehandlung,Vortragsweise,Vorbehandlung des
Materials) die »feinsten, kompliziertesten, oft unbewußten Regungen der Künstler-
seele« zum Ausdruck kämen; sie sei der »fast einzig untrügliche Faktor der moder-
nen Gemäldeerkenntnis«.
B. kam 1853 nach München; nachdem er die Medizin aufgegeben hatte, studierte
er dort seit 1862 Philosophie, Kunstgeschichte, auch Nationalökonomie, aber ohne
zu einem Abschluß zu gelangen. Bis 1870 schlug er sich als Journalist durch; in diese
Zeit fallen auch seine ersten Erfolge als begnadeter Schachspieler. Er schrieb für
Münchner und Wiener Blätter Theater- und Musikkritiken – unter anderem über
die Uraufführungen von Richard Wagners Meistersinger und Walküre 1868/70 – und
nicht zuletzt über bildende Kunst. Auch später, als für ihn die alten Meister in den
Vordergrund traten, bewahrte er sich sein Interesse am zeitgenössischen Kunstschaf-
fen. Ende der 1860er Jahre freundete sich B. mit Victor Müller, Hans Thoma, Karl
Haider, Wilhelm Trübner, später auch mit Arnold Böcklin an. Er gehörte zum Vor-
bereitungskomitee der I. Internationalen Kunstausstellung, die 1869 im Glaspalast
stattfand. Bei dieser Gelegenheit lernte er Gustave Courbet kennen. Als einer der
ersten deutschen Kunsthistoriker, die die moderne französische Kunst zu würdigen
wußten, sagte er in seiner Ausstellungsbesprechung über Courbet, Corot, Millet
und Manet: »Diese Männer haben mit kühner Hand die alte Form zerschlagen, ihre
Kunst wird nun tiefer erregen als die traditionelle, da sie bestimmt ist, wenn auch
noch unvollkommen, einen Ausdruck für die geistige Bewegung der Neuzeit zu
finden.«
Seinem bis dahin unsteten Leben gab ein Staatsstipendium von 600 Gulden, das
Bayersdorfer 17

B. einen Italienaufenthalt 1874–80 erlaubte, eine neue Richtung. Von Florenz aus,
wo er mit Giovanni Battista Cavalcaselle zusammentraf und im Kreis von Adolf von
Hildebrand, Hans von Marées, dem baltischen Arzt und Kunstkenner Karl Eduard
von Liphart (1808–91) und dem Publizisten Karl Hillebrand verkehrte und wo ihn
Böcklin 1875 (Kunstmuseum Basel) malte, durchforschte B. die italienischen Gale-
rien und machte dabei eine Reihe von aufsehenerregenden Entdeckungen. Nach-
dem sich Anstellungen an anderen Museen wie dem in Breslau zerschlagen hatten
– eine Berufung an die Universität Straßburg hatte er abgelehnt –, kam B. 1880 als
Kurator an die Gemäldegalerie in Schleißheim und 1884 an die Alte Pinakothek. In
publizistischer Hinsicht beschränkte ihn diese Tätigkeit auf das Abfassen von Be-
stands- und Museumskatalogen. Gemeinsam mit Franz von Reber gab er die Heft-
reihen Klassischer Bilderschatz (seit 1889) und Klassischer Skulpturenschatz (seit 1896)
heraus. B. gehörte – neben Max Georg Zimmermann und  Schmarsow – zu den
Begründern des Deutschen Kunsthistorischen Instituts in Florenz (1895). Die Uni-
versität Leipzig verlieh ihm auf Antrag Schmarsows 1897 die Ehrendoktorwürde.
Auf Linderung seines Herzleidens hoffend, verbrachte B. die beiden letzten Lebens-
jahre meist in Florenz, in der Nähe seines seit 1895 in San Domenico bei Fiesole
lebenden Freundes Böcklin.
B. gehörte zu den Hauptakteuren des Anfang der 1870er Jahre kulminierenden
Holbein-Streits und den Unterzeichnern der Dresdner Erklärung namhafter Kunst-
historiker ( Woltmann,  Thausing,  Lützow,  Lübke), die das Darmstädter
Exemplar der Madonna des Bürgermeisters Meyer als Original erkannt und sich gegen
das Laienurteil von »ein paar Dutzend Malern und Journalisten« durchgesetzt hat-
ten. Zur Holbein-Frage hatte sich B. schon 1869 anläßlich der Münchner Ausstel-
lung geäußert und die Ansicht vertreten, daß das hochgeschätzte Dresdner Bild, das
seit 1855 in der Semper-Galerie der Sixtinischen Madonna gegenüberhing, nicht von
Holbeins Hand sein könne. 1872 faßte er in einem brillanten Aufsatz den Verlauf der
fast 40jährigen Debatte und die entscheidenden Argumente in einer auch dem
Nichtfachmann verständlichen Weise zusammen; dabei betonte er – und dies macht
B. zu einem Anwalt der noch jungen Kunstwissenschaft und seine Schrift zu einem
Dokument ihrer Emanzipation zu einer gesellschaftlich anerkannten universitären
Disziplin –, daß jene »Frage« eine ausschließlich »gelehrte« gewesen wäre, die nur
von der »gelehrten Kunstforschung« beantwortet werden konnte: »An dem endli-
chen Resultate hing das mühevolle und jahrelange Studium einer nicht großen
Zahl von Männern, denen die Kenntnis der Kunst- und Künstlergeschichte, die
Analyse der Kunstwerke nach Geist und Technik, Entstehungszeit und Material
neben der Pflege der erläuternden Hilfswissenschaften zur Lebensaufgabe geworden
ist.«
Werke: Aufführung Lisztscher Kompositio- Freie Presse, 1872; Holbein-Streit. Geschicht-
nen, in: Münchener Blätter, Nr.1, 1866; Die liche Skizze der Madonnenfrage und kriti-
internationale Kunstausstellung in München, sche Begründung der auf dem Holbein-Kon-
in: Propyläen, Nr.31, 1869; Über Lortzing, in: greß in Dresden abgegebenen Erklärung der
Walhalla, Nr.87, 1869; Über Kaulbach, in: Kunstforscher, Mü/Bln 1872; Ein elementa-
Walhalla, Nr.94, 1870; Die »Walküre« von rer Lyriker. Martin Greif. Ästhetische Be-
Richard Wagner, in: Neue Freie Presse, 1870; trachtungen, Wien 1872; Karl Rottmann.
Gustave Courbet. Ein Steckbrief, in: Neue Biographische Skizze, 1873; Pietro da Mes-
18 Bayersdorfer

sina, in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Venturi, Adolfo: A.B., in: L’arte, 4, 1901, S. 75;
1874; Neue Kunstbestrebungen in München, Seidlitz, Woldemar von: A.B., in: RfKw, 24,
in: Neue Freie Presse, 1874; Über florentini- 1901, 1–6; Mackowsky, Hans u. a. (Hrsg.): A.
sche Kunst der Gegenwart, in: Karl Hil- B.s Leben und Schriften, Mü 1902; Muther,
lebrands »Italia«, Bd.3, 1876; Orvieto, in: Neue Richard: B., in: ders., Aufsätze über bildende
Freie Presse, 1876; Spanische Bilder auf der Kunst, Bd. 3, Bln 1914, 95–100; Beyrodt, Wolf-
internationalen Kunstausstellung, in: Süd- gang: A.B. – der Holbein-Streit, in: Werner
deutsche Presse v. 9. 8. 1883; Leben und Busch/Wolfgang Beyrodt (Hrsg.): Kunst-
Schriften, hrsg. v. Hans Mackowsky u. a., Mü theorie und Kunstgeschichte des 19. Jh.s in
1902; Zur Kenntnis des Schachproblems, Pd Deutschland, I, Stg 1982, 347–351; Käss, Sieg-
1907 fried: Der heimliche Kaiser der Kunst. A.B.,
Literatur: Schmid, Heinrich Alfred: A.B., seine Freunde und seine Zeit, Mü 1987
in: ZfbK (Beilage), 36 (12), 1901, 273–278; PB

Beenken, Hermann
Geb. 2. 2. 1896 in Bremen; gest. 6. 4. 1952 in Madrid

Durch seine Ausbildung zum »›Stilanalytiker‹ reinsten Wassers« geworden, als den
ihn der zeitweilige Leipziger Kollege Werner Gross (1901–82) im Nachruf charak-
terisierte, gehörte B. dennoch zu jenen Kunsthistorikern, die in den 1920er Jahren
nach einer neuen, »geistesgeschichtlichen« Fragestellung suchten und angesichts der
tiefen Krise jener Gesellschaft und Kultur, in der die Wissenschaftsmodelle von
 Riegl,  Wölfflin und  Schmarsow entstanden waren, nach grundsätzlich an-
deren Bedingungen und Aufgaben für Kunst und Kunstwissenschaft strebten. Den
negativ bewerteten Wirkungen, die Kapitalismus, Individualismus und Materialis-
mus auch auf Kunstschaffen und Denkweisen ausgeübt hatten, sollte eine neue
Bindung an »Gemeinschaft« abhelfen, wie sie B. schließlich, obwohl skeptisch, auch
von einem nationalen Sozialismus erhoffte. Er wünschte, daß mehrere Kulturwis-
senschaften zusammenwirkten, um Grundstrukturen der geistigen Kultur jeder
Geschichtsepoche festzustellen, aus denen sich ein Gesamtbild auch der Kunstge-
schichte wie der Gesetzlichkeiten ihrer als autonom angesehenen Entwicklung er-
geben könne. B.s spezieller Denkansatz war dabei, die jeweiligen Möglichkeiten zu
ermitteln, die in einer historischen Situation gegeben waren, und zu fragen, welche
von ihnen verwirklicht wurde.
Der Kaufmannssohn studierte in München und Freiburg i.Br. und promovierte
1920 bei Wölfflin mit einer unveröffentlicht gebliebenen Dissertation über Das all-
gemeine Gestaltungsproblem in der Baukunst des deutschen Klassizismus. Er wandte sich
dann aber der deutschen mittelalterlichen Plastik zu und habilitierte sich 1922 mit
Die Rottweiler, eine deutsche Bildhauerschule des 14. Jahrhunderts bei  Pinder in Leip-
zig. Dort lehrte er mit Begeisterung für diese Tätigkeit als damals jüngster deutscher
Privatdozent und 1927–48 als a.o. Professor neben Leo Bruhns (1884–1957) und
 Hetzer. 1949 erhielt er ein Ordinariat an der Technischen Hochschule Aachen.
Der Tod ereilte ihn während einer Studienreise.
Mit stilkritischen Datierungen gelangte B. im Wettstreit mit gleichzeitigen Arbei-
ten  Pinders,  Hamanns,  Panofskys und  Jantzens zu neuen Erkenntnissen
über Entwicklungen der mittelalterlichen Bildhauerkunst und über einzelne Werke
Beenken 19

wie das Heilige Grab in Gernrode. Die geplante Fortsetzung seines Buches Romani-
sche Skulptur in Deutschland (11. und 12. Jahrhundert) mit einem Band über das 13.
Jahrhundert kam nicht zustande. Das spätere Buch über den Meister von Naumburg
(1939) verband feinfühliges Begreifen von Gestalteigentümlichkeiten und bemer-
kenswerte Gedanken zum Verhältnis von nachahmbarer, daher wirksamer Stilkon-
vention zur einzigartigen, persönlichen Schöpfung mit einer heute erschreckend
wirkenden, mystifizierenden Deutschtümelei.
B.s Streben nach einer Gesamtvorstellung von abendländischer Kunstgeschichte
führte ihn aber auch auf mehrere andere Gebiete; als Stipendiat am Deutschen
Kunsthistorischen Institut in Florenz (1925) bearbeitete er die florentinische Archi-
tektur des 11. Jahrhunderts, studierte Masaccio und die Brüder van Eyck, die ande-
ren »großen Entdecker des Sichtbaren« (Hubert und Jan van Eyck, 1941) in einem
jahrelangen Meinungsstreit mit Panofsky, sowie die Malerei Rogier van der Wey-
dens. Er rezensierte intensiv und mit weitgespannten Interessen, darunter in Zeit-
schriften, die sich nicht nur an die engeren Fachkollegen wandten, ebenso wie er
1945–48 im Sender Leipzig allgemeinbildende Kunstvorträge hielt. Seine Auffassung
von der Entwicklung der Kunst, einem Begriff, an dem er gegen verbreitete Auf-
fassungen ausdrücklich festhielt, trug er mehrfach vor, zum Beispiel in der Gedenk-
schrift für den amerikanischen Romanik-Forscher Arthur Kingsley Porter (1883–
1933), wozu ihn das kunstgeschichtliche Institut der Harvard Universität neben
 Strzygowski, Hamann,  Frankl,  Goldschmidt, Panofsky und anderen einge-
laden hatte. B. übersah keineswegs die Rolle äußerer Bedingungen, zum Beispiel
konkreter Aufträge, glaubte aber vor allem an eine innere Folgerichtigkeit sinnvol-
ler, stufenweiser Entwicklung des Geistigen und Sittlichen und wies der Kunstfor-
schung die Aufgabe zu, dies strikt an der Gestalt von Werken abzulesen. B. erweiterte
den Begriff des Stiles, der »Personal-, National-, Regional-, Schulstile, über denen
als allem Übergeordnetes der Stil der Rasse und der von ihr getragenen Kulturwelt
als Ganzes steht« (Die Mittelstellung der mittelalterlichen Kunst zwischen Antike und
Renaissance, 1939), um die Komponenten der Absichten, Aufgaben, Gehalte und
Werkfunktionen; er konzentrierte sich aber darauf, »die sichtbare Form ganz auf
ihren ureigensten Sinn hin zu betrachten, der ist, Räumlichem eine bestimmte
Ordnung für das Auge und dem Auge wieder eine bestimmte Orientierung im
Raum zu geben«. So konnte er Stile, Stilstufen, Stilwandlungen genau charakteri-
sieren und empfahl dazu, nicht nur zeitlich benachbarte Stile wesensmäßig zu un-
terscheiden, sondern »Alles mit Allem [zu] vergleichen! Warum nicht Reims mit
Tell el Amarna, warum nicht einen Cézanne mit einer karolingischen Miniatur?«
(Konsequenzen und Aufgaben der Stilanalyse, 1925).
Seit den 1930er Jahren beschäftigte sich B. auch mit dem 19. Jahrhundert, dem
»Zeitalter, gegen das wir Heutigen in der Abwehr stehen«. 1943–44 beendete er
eine Arbeit über Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, die erst 1952 erschien,
und das umfangreiche und gehaltvolle Buch Das neunzehnte Jahrhundert in der deut-
schen Kunst, das infolge der Zeitumstände zu wenig Beachtung fand und bald durch
 Sedlmayrs spektakulären Verlust der Mitte (1948) aus der Diskussion verdrängt
wurde. B. legte in einem Nachwort noch einmal seine ganze Kunst- und Ge-
schichtstheorie sowie unsichere Zukunftserwartungen dar; er rechnete offen mit
20 Beenken

der Niederlage Deutschlands; als Sieger wären die Deutschen vermutlich »verant-
wortungslos-übermütig« geworden. B. begrenzte sich auf die »Aufgaben und Ge-
halte« in der Kunst des 19. Jahrhunderts, die Formgeschichte wollte er gesondert
darstellen. Er urteilte, wie auch gegenüber der Kunst des 20. Jahrhunderts, unge-
wohnt sachlich. So konnte er beispielsweise (erstmals 1937) das historistische Kunst-
schaffen nach dessen Prinzipien erklären und auch einzelne Leistungen würdigen,
obwohl er die Gesamtentwicklung für verhängnisvoll für die Kunst als Einheit von
Form und Inhalt hielt und das Entstandene auf Grund seiner subjektiven ästheti-
schen Wertvorstellungen ablehnte. Im Lichte heutiger Einsichten in die Geschichte
der Moderne erwies er sich als »einer der großen Eroberer von Neuland in der
Kunstgeschichte« (Werner Gross, 1952).
Werke: Bildwerke Westfalens, Bonn 1923; 72, 1938, 171–175; Die Mittlerstellung der
Der Skulpturenschmuck des Heiligen Grabes mittelalterlichen Kunst zwischen Antike und
in der Stiftskirche zu Gernrode, in: JbPK, Renaissance, in: Medieval Studies in Memory
1923, 1–25; Romanische Skulptur in Deutsch- of Arthur Kingsley Porter, Cam/MA 1939, 1,
land (11. und 12. Jh.), Lpz 1924; Dürers Kunst- 47–77; Der Meister von Naumburg, Bln 1939;
urteil und die Struktur des Renaissance-Indi- Hubert und Jan van Eyck, Mü 1941; Die
vidualismus, in: FS Heinrich Wölfflin, Mü Landschaftsschau Jakob van Ruisdaels, in: FS
1924, 183–193; Bildwerke des Bamberger Wilhelm Worringer, Kö 1943, 1–12; Das
Doms aus dem 13. Jh., Bonn 1925; Konse- neunzehnte Jahrhundert in der deutschen
quenzen und Aufgaben der Stilanalyse, in: Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer
ZfÄaK, 18, 1925, 417–437; Rez. von Erwin Rechenschaft, Mü 1944; Rogier van der
Panofsky, Deutsche Plastik 11.–13. Jh. (1924), Weyden, Mü 1951; Zur Entstehungsge-
in: ZfbK (Beilage), 59 (35), 1925/26, 1–6; Ma- schichte der Felsengrottenmadonna in der
saccio, in: Belvedere, 9/10, 1926, 167–178; Londoner Nationalgalerie, in: FS Hans Jant-
Schreine und Schranken, in: JbKw, 1926, 65– zen, Bln 1951, 132–140; Figura cuncta viden-
107; Die Florentiner Inkrustationsarchitektur tis, in: KChr, 4, 1951, 266–269; Schöpferische
des 11. Jh.s, in: ZfbK, 60 (36), 1926/27, 221– Bauideen der deutschen Romantik, Mainz
230, 245–255; Bildhauer des 14. Jh.s am Rhein 1952
und in Schwaben, Lpz 1927; Zum Werke des Literatur: Panofsky, Erwin: Rez. von »Ro-
Masaccio, in: ZfbK, 63 (39), 1929/30, 112–119, manische Skulptur«, in: JbKw, 1924/25, 244–
156–165; Geistesgeschichte als System geisti- 246; Troescher, Georg: dass., in: ZfbK (Bei-
ger Möglichkeiten. Ideen zu einer Ordnungs- lage), 58 (34), 1924/25, 119–120; Porter, Arthur
lehre der Stile in den Kulturwissenschaften, Kingsley: dass., in: Speculum, 1, 1926, S. 233;
in: Logos, 19, 1930, 213–263; Die Krise der Gantner, Joseph: dass., in: Das Werk, 1926, S.
Malerei, in: DVjS, 11, 1933, 421–444; Zur Ent- 104; Jantzen, Hans: Rez. von »Bildhauer des
stehungsgeschichte des Genter Altars von 14. Jh.s«, in: Oberrhein. Kunst, 3, 1928, 17–18;
Hubert und Jan van Eyck, in: WRJb, 1933/34, Gross, Werner: H.B., in: KChr, 5, 1952, 153–
176–232; Zu Dürers Italienreise im Jahre 1505, 156; Sulzberger, Susanne: Rez. von »Rogier
in: ZDVKw, 1936, 91–126; Rez. von Hubert van der Weyden«, in: Erasmus, 6, 1953, 17/18,
Schrade, Ikonographie der christlichen Kunst, 598–600; Röthel, Hans Konrad: dass., in:
Bd. 1: Die Auferstehung Christi (1932) u. KChr, 7, 1954, 73–75; Gross, Werner: Rez. von
Herbert von Einem, Das Problem des Mythi- »Schöpferische Bauideen der deutschen Ro-
schen in der christlichen Kunst (1935), in: mantik«, in: ZfKg, 17, 1954, 95–100; Wort-
ZfKg, 5, 1936, 55–60; Die Bauaufgabe. Zu ih- mann, Reinhard (Hrsg.): Verzeichnis der
rer Geschichte in Deutschland seit dem Ende Schriften von Prof. Dr. H.B., Lpz 1956
des Barock, in: DVjS, 15, 1937, 544–577; Der (Kunsthist. Inst. d. Univ., Typoskript)
Historismus in der Baukunst, in: HZ, 157, PHF
1937, 27–68; Caspar David Friedrich, in: BM,
Behne 21

Behne, Adolf
Geb. 13. 7. 1885 in Magdeburg; gest. 23. 8. 1948 in Berlin

Immer wieder gab es im 20. Jahrhundert Kunsthistoriker, die sich sowohl einer
breiten Bildungsarbeit als auch der publizistischen Förderung neuer Kunstbestre-
bungen widmeten. Bei B. war dies eng mit Hoffnungen auf eine sozialistische
Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse verknüpft. Herkunft, Ausbildung
und die Erkenntnis, wieviel lebenswirkliche Bedeutung die Gestaltung der Umwelt
besitzt, ließen ihn sich dabei auch der Architektur zuwenden.
B. war Sohn des Architekten Carl B., studierte zunächst zwei Jahre lang Architek-
tur an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, ehe er zur Kunstge-
schichte wechselte und nach einer Italienreise 1911 bei  Wölfflin über den Inkru-
stationsstil in der Toskana promovierte. Danach lebte er als freier Autor, Vortragender
und zeitweiliges Redaktionsmitglied einiger Zeitschriften in Berlin. Schon 1910
schrieb er in der Zeitschrift Die Hilfe des linksliberalen Sozialpolitikers Friedrich
Naumann, dann aber in sozialdemokratischen Zeitschriften wie Arbeiter-Jugend und
vor allem, bis 1933, in den Sozialistischen Monatsheften. In diesen Zeitschriften und
mit Lichtbildervorträgen suchte er bei kulturell ausgegrenzten Schichten das Ver-
ständnis für Kunst zu wecken. Er wurde 1913 Mitglied im Deutschen Werkbund,
dessen Arbeit er aber auch kritisierte, äußerte sich zur zeitgenössischen Architektur
und trat in mehreren Zeitschriften und im Umkreis von Herwarth Waldens (1878–
1941) Galerie und Verlag »Der Sturm« für expressionistische Bestrebungen ein. 1919
gründete er mit den Architekten Bruno Taut, Walter Gropius und anderen den
Berliner »Arbeitsrat für Kunst«, der bis 1921 bestand und dessen Geschäftsführer er
wurde. Das Gremium strebte mit großem Enthusiasmus neue Kunstverhältnisse in
der jungen Republik an. B. lenkte die Aufmerksamkeit auf die künstlerischen Ex-
perimente in Sowjetrußland. Er lehrte an der 1920 gegründeten Groß-Berliner
Volkshochschule und der freien Humboldt-Hochschule, war Mitbegründer der
Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland und wirkte nach einer Reise 1923
nach Sowjetrußland bei der Zusammenstellung der folgenreichen Ersten Deutschen
Kunstausstellung mit, die 1924–25 von der »Internationalen Arbeiterhilfe« in Mos-
kau, Saratow und Leningrad gezeigt wurde. In Aufsätzen und Büchern leitete B.
zum Verstehen künstlerischer Gestaltung an und warb für eine sozial wirksame
Kunst. 1929 war er Schriftleiter der nur ein Jahr lang bestehenden Zeitschrift Das
neue Berlin. Er wurde mit vielen Künstlern bekannt, darunter Heinrich Zille, auf
dessen Trauerfeier er 1929 sprach. Weil er keine Parteipolitik betrieb, Kunst nicht
nur als »Waffe« ansah und von ihr auch keine »soziale Predigt« verlangte, sondern
auf die ideelle Wirksamkeit von Formen setzte, wurde er 1926 und 1931 von radi-
kalen Künstlern und Kritikern wie John Heartfield und Alfred Keményi gen. Durus
(1895–1945) angegriffen. B. rang, wie ein Manuskript Sozialistische Kunst um 1932
zeigt, mit den Problemen einer »sozialen Mission« der Kunst, die von der Masse
nicht geliebt werde, und konnte sich im Grunde nicht zwischen stilistisch ganz
verschiedenen Angeboten entscheiden. Er kritisierte 1933 zusammen mit
 Westheim die Museumspolitik  Ludwig Justis als germanophil.
An der Architektur interessierte B. besonders der Zweckbau, dem er 1925 sein
22 Behne

wichtigstes Buch (Der moderne Zweckbau) widmete. Er betonte die größere Bedeu-
tung des Grundrisses gegenüber Aufriß (Fassade) und Querschnitt. Er lehnte die
»zweckverachtenden Barockgenies« und ihre historisierenden Nachahmer ab und
bevorzugte »Rationalisten«, die »für den allgemeinen Bedarf das möglichst gut Pas-
sende, die Norm« suchten, gegenüber den »Funktionalisten«, die zu überspitzten,
individualistischen Sonderlösungen und der »Tyrannei des selbstherrlich geworde-
nen Zweckes« neigten. Ähnliche Tendenzen verfolgte er für die Malerei (Von Kunst
zur Gestaltung). Die utopische Hoffnung auf eine lebensverändernde Kraft des Ästhe-
tischen ließ ihn die Wirksamkeit lebenserklärender, zum Beispiel kritisch-realisti-
scher Darstellungen unterschätzen.
In der NS-Zeit mußte sich B. auf die Tätigkeit als Berliner Korrespondent der
englischen Zeitschrift The Studio und das Schreiben populärer kunsthistorischer
Bücher für die Deutsche Buchgemeinschaft zurückziehen. Wenige Tage nach
Kriegsende hielt er in Berlin einen Lichtbildervortrag über die »Hitlerlüge« von der
»entarteten Kunst«. Er schrieb wieder über Zille, Carl Hofer und andere Maler, gab
in Potsdam die Reihe Kunst der Gegenwart heraus und wurde 1947 von Hofer an der
Seite seines Freundes, des Architekten Max Taut, für die kurze Zeit bis zu seinem
Tod durch Tbc als Professor für Kunstgeschichte an die wiedereröffnete Berliner
Hochschule für bildende Künste berufen.
B. hatte seine etwas unentschiedene Auffassung von Kunst, Kunstgeschichte und
den Methoden ihrer Erforschung noch einmal in dem Vorwort zusammengefaßt,
das er für den Katalog der Ausstellung 150 Jahre soziale Strömungen in der bildenden
Kunst schrieb, die 1947 während der Kulturwoche des Gewerkschaftsbundes veran-
staltet wurde. Die Architektur und die bildenden Künste seien lange gegen die von
unten kommenden sozialen Strömungen in der Gesellschaft abgeschlossen gewesen,
nicht zuletzt weil weder die Machthaber noch die Massen selbst Kunstwerke pro-
duzierten. Die Masse »bedarf des Künstlers als ihres Anwaltes. Der Künstler wie-
derum kann solche Funktion nur ausüben, wenn er sich selbst Freiheit errungen hat
[...]«. Die Kunst sei durch ihre »Berufsproblematik«, eine ideale oder absolute Form
zu gewinnen, in gewisser Distanz zum Leben. Aber »ohne immer weiter getriebene
Arbeit an der Form müßte auch die soziale Kunst verarmen und verdorren«. Des-
halb dürfe eine »wissenschaftliche Soziologie der Kunst nicht nur den Inhalten der
Kunstwerke nachspüren. Erst als eine Soziologie der Formen ist sie wirklich eine
Soziologie der Kunst [...]«.
Werke: Fortschritte in der Kunstkritik, in: beitsrates für Kunst), Bln 1920; Die Bedeu-
Kunstgewerbeblatt, 24, 1913, 46–50; Die ästhe- tung Cézannes, in: Sozialist. Monatshefte, 29,
tischen Theorien der modernen Baukunst, in: 1923, 166–171; Die Überfahrt am Schrecken-
PJbb, 1913, 274–283; Zur neuen Kunst, Bln stein. Eine Einführung in die Kunst, Bln
1915; Die Kunst Asiens, Bln 1915; Das repro- 1924; Vorwort zum AKat. Erste Allgemeine
duktive Zeitalter, in: Marsyas, 1917, 215–226; Deutsche Kunstausstellung. Moskau, Saratow,
Oranienburg als Beispiel für Stadtbetrachtung Leningrad 1924–25; Der moderne Zweckbau,
dargestellt, Mü 1917; Kritik des Werkbundes, Bln 1925 (Nd. 1964, engl. Santa Monica 1996);
in: Die Tat, 9. 1. 1917, 430–438; Ja! Stimmen Blick über die Grenzen. Baukunst des Aus-
des Arbeitsrates für Kunst in Berlin, Bln 1919 landes, Bln 1925; Von Kunst zur Gestaltung.
(Hrsg.); Die Wiederkehr der Kunst, Mü 1919; Einführung in die moderne Malerei, Bln
Das politische Plakat, Bln 1919; Ruf zum 1925; Neues Wohnen – neues Bauen, Lpz
Bauen, Vorwort (Zweite Publikation des Ar- 1927; Max Taut, Bauten und Pläne, Bln/Lpz/
Behne 23

Wien/Ch 1927; Heinrich Zille, in: Graphik durchgeführt vom Schutzverband bildender
der Gegenwart, Bln 1928, 147–159; Die frü- Künstler, Bln 1947, 5–10
hen Meister. Eine Einführung in die Schön- Literatur: A.B., in: bk, 2, 1948, 8, S. 19; Fre-
heit alter Bilder, Bln 1928; Die Stile Europas. cot, Janos: Kurzbiographie und Bibliographie,
Von den Griechen bis zum Ausgang des Ba- in: Werkbundarchiv, 1, Bln 1972 (mit Abdruck
rocks, Bln 1938; In Stein und Erz. Meister- einiger Texte); Lindner, Bernd: Mut machen
werke deutscher Plastik von Theoderich bis zu Phantasie und Sachlichkeit. Zum 100. Ge-
Maximilian, Bln 1940; Alte deutsche Zeich- burtstag von A.B., in: BK, 1985, 292–293;
ner. Meisterwerke deutscher Graphik von Frank, Tanja: A.B., in: AKat. Revolution und
den Karolingern bis zum Barock, Bln 1943; Realismus, Bln 1978, S. 95; Lindner, Bernd:
Heinrich Zille, HaS 1946; Heinrich Ehmsen, »Auf diesen Berg [...]« A.B. – Vermittler der
Pd 1946; Karl Hofer, Pd 1947; Entartete Moderne, in: Henrike Junge (Hrsg.), Avant-
Kunst, Bln 1947;Vorwort zum AKat. 150 Jahre garde und Publikum, Köln/ Wei/Wien 1992,
soziale Strömungen in der bildenden Kunst, 7–15
PHF

Benesch, Otto
Geb. 29. 6. 1896 in Ebenfurth (Niederösterreich); gest. 16. 11. 1964 in Wien

Der Österreicher B. trug auf unspektakuläre Weise Bedeutendes zu nahezu allem


bei, was kunsthistorische Arbeit für die Kultur leisten kann. Hauptsächlich im Mu-
seum wirkend, erarbeitete er grundlegende Corpus-Werke. Seine Kenntnisse und
sein Urteilsvermögen gab er als Hochschullehrer und in gut lesbaren Büchern auch
über Fachkreise hinaus weiter. Spezialistische Konzentration auf »altdeutsche« Ma-
lerei und Zeichnung sowie auf Rembrandt verband er mit dem Eintreten für mo-
derne Kunst vor allem aus seiner österreichischen Heimat. Er lernte diese schon in
jungen Jahren kennen, da sein Vater Kunst sammelte, und schrieb als 18jähriger den
Katalogtext zur ersten großen Einzelausstellung Egon Schieles. Im Studium wurde
er durch  Dvoák und 1920 durch Johnny Roosval (1879–1965) in Stockholm
geprägt. 1919 half er  Antal im Museumswesen der ungarischen Räterepublik.
1921 promovierte er in Wien über Rembrandt-Zeichnungen. 1935 schrieb er dann
den Rembrandt-Artikel für das  Thieme-Beckersche Künstlerlexikon, der auch
gesondert veröffentlicht wurde, und legte 1954–57 das erste vollständige Verzeichnis
der Zeichnungen Rembrandts vor, nachdem er in den Sammlungen vieler Länder
nahezu alle Blätter im Original geprüft hatte.
B. trat 1920 als Volontär in die Gemäldegalerie des Wiener Kunsthistorischen
Museums ein, war 1923–38 Assistent, später Kurator in der Graphischen Sammlung
Albertina, die er schließlich 1947–61 als Direktor leitete. So wurde er zu einem
hervorragenden Kenner, dem zahlreiche Zuschreibungen und Datierungen ver-
dankt werden, und »Kommentator der Einzelleistung« (Regteren Altena, 1965). Er
stürzte sich nicht wie seine Wiener Kollegen  Pächt,  Frey und  Sedlmayr in
die theoretisch-methodologische Grundsatzdiskussion. Eine Ausnahme bildete der
Aufsatz von 1924 über Dvoáks Modifikation des entwicklungsgeschichtlichen
Denkens. Er ist erfüllt vom Erschrecken über »Entgeistigung der Welt [...] und
Kapitalismus«. B. edierte die niederländischen Zeichnungen des 15./16. Jahrhunderts
und die deutschen Manieristen in der Albertina. Der Anschluß Österreichs an das
NS-Reich trieb B. und seine jüdische Frau Eva B., die mehrmals Mitautorin seiner
24 Benesch

Veröffentlichungen war, in die Emigration. Über die Schweiz, Frankreich, die Nie-
derlande und England (Gastdozentur in Cambridge) kam er 1940 an das Fogg Art
Museum der Harvard University in Cambridge/MA, wo er auch, wie zeitweise am
Wellesley College und in New York, Vorlesungen hielt. Im Krieg arbeitete er an
Denkmalschutzlisten für Österreich und die Tschechoslowakei und schrieb für die
Jugendgruppe der österreichischen Exilbewegung eine Einführung in die Kunstge-
schichte Österreichs zur Verwendung in Schulen. Mit einem Guggenheim-Stipen-
dium und 1945 als Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton vollen-
dete er das Rembrandt-Corpus.
Nach Wien zurückgerufen, würdigte B. Schiele als Zeichner, gewann den Nach-
laß Alfred Kubins für die Albertina, lehrte 1948–61 als a.o. Professor an der Univer-
sität, wo Werner Hofmann (geb. 1928) bei ihm über Daumier promovierte, und
beschrieb die deutsche Malerei der Dürerzeit in einer aus Vorlesungen hervorge-
gangenen Gesamtdarstellung, die er am Tag vor seinem Tode vollendete.
B.s Auffassung von Kultur und Kunst war nach dem Vorbild Dvoáks durch die
Hoffnung auf eine humanisierende und volkserziehende Herrschaft des Geistes
bestimmt. In seiner Kleinen Geschichte der Kunst in Österreich ging er bis zu den
Anfängen »menschlicher Kulturtätigkeit auf österreichischem Boden« zurück und
suchte spezifische Züge des Österreichischen innerhalb oder gegenüber der deut-
schen Kunst aus einer als national bezeichneten angeborenen Wesensart schon seit
dem Altertum zu erklären.  Riegls Begriff des »Kunstwollens« übernahm er wi-
derspruchslos. Kunstformen würden sich »in Einklang mit soziologischen Vorausset-
zungen, nicht aber in strikter Abhängigkeit von ihnen entwickeln, da sie wie die
religiösen und andere geistige Triebkräfte ihre eigene Gesetzmäßigkeit haben«.
In Deutsche Malerei von Dürer bis Holbein setzte B. das Besondere dieser »Hochre-
naissance«-Periode, die es nur in Italien und Deutschland, nicht in den Niederlan-
den und Frankreich gegeben habe, scharf vom spätgotischen 15. Jahrhundert ab. Sie
gehöre nicht zu den Zeiten, »in denen das künstlerisch Wesentliche von einer brei-
ten Front schöpferischer Kräfte geleistet wurde«, sondern zu jenen, »die von großen
Einzelpersönlichkeiten getragen wurden«, wobei sie »die Kräfte einer Nation in
einigen Brennpunkten« sammelten. Den Zusammenhang der Kunst mit politischer
Geschichte, mit »sozialrevolutionären Massenbewegungen«, zeigte er an Grünewald
auf. »Es nimmt nicht wunder, daß solche Vorgänge einen höchsten Subjektivisten
und Extremisten der künstlerischen Mitteilung [...] ergreifen, ja erschüttern muß-
ten«. Der Maler habe zuletzt eine »›primitive‹, aber unmittelbar ergreifende« Form
gewählt, um einfache Gläubige zu erreichen. In Kunstauffassung und »wortgewalti-
ger Sprache« (Hüttinger) trat hier wie andernorts B.s bis ins Alter bewahrte innere
Verbundenheit mit den Expressionisten, seinen Generationsgefährten, zutage.
Seine kenntnisreiche Wertschätzung gegenwärtiger Kunst, aus der er Picasso wie
auch Orozco hervorhob, hinderte B. 1958 nicht daran, eine »tiefe allgemeine Kul-
turkrise«, eine »Krankheit der Zeit«, wahrzunehmen, für die auch die Kunst anfällig
sei. Idealistisch vertraute er auf »wirkliches Schöpfertum«, welches das Krankhafte
durch Schaffung neuer künstlerischer Werte überwinde, die Wahrheiten offenbaren
und deshalb auch als ethische Werte anzuerkennen seien.
Benesch 25

Werke: Rembrandts zeichnerische Entwick- Ktid, 26, 1957, 21–42; Die Historia Friderici
lung bis 1634, Wien 1921; Rembrandt und et Maximiliani, Bln 1957 (mit Erwin M.
die Fragen der neueren Forschung, in: WJb- Auer); Die großen flämischen Maler als
fKg, 1921/22, 65–102; Franz Anton Maul- Zeichner, in: JbkSW, 1957, 9–32; Moderne
bertsch. Zu den Quellen seines malerischen Kunst und das Problem des Kulturverfalls, in:
Stils, in: StJb, 1924, 107–176; Max Dvoák. Ein DVjS, 32, 1958, 263–285; Rembrandt’s Artistic
Versuch zur Geschichte der historischen Gei- Heritage, 2, in: GBA, 56, 1960, 101–116; Ed-
steswissenschaften, in: RfKw, 44, 1924, 159– vard Munch, Köln 1960; Schütz und Rem-
197; Die Handzeichnungen der niederländi- brandt, in: FS Otto Erich Deutsch, Ka 1963,
schen Schulen des 15. und 16. Jh.s, Wien 1928; 12–19; Meisterzeichnungen der Albertina, Sa
Die Zeichnungen der deutschen Schulen des 1964 (mit Eva B.); Neuentdeckte Zeichnun-
Manierismus, Wien 1933, 9–12, 47–71; Rem- gen von Rembrandt, in: JbBM, 1964, 105–150;
brandt. Werk und Forschung, Wien 1935; Die deutsche Malerei von Dürer bis Holbein,
Cézanne. Zur 30. Wiederkehr seines Todesta- Genf 1966; Collected Writings, hrsg. v. Eva
ges, in: Die Kunst, 75, 1937, 65–74; Der Maler B., 4 Bde., Lo/NY 1970–73; From an Art
Albrecht Altdorfer, Wien 1939; The Art of the Historian’s Workshop, hrsg. v. Eva B., Luzern
Renaissance in Northern Europe. Its Rela- 1979
tions to the Contemporary Spiritual and In- Literatur: B., Eva/Kornfeld, E.W.: O.B.
tellectual Trends, Cam/MA 1945; Kleine Ge- Verzeichnis seiner Schriften, Bln 1961; Reg-
schichte der Kunst in Österreich, Wien 1950; teren Altena, Jan Q. van: O.B., in: KChr, 18,
Egon Schiele als Zeichner, Wien 1950; The 1965, 79–81; Tolnay, Charles de: O.B., in: BM,
Drawings of Rembrandt, 6 Bde., Lo 1954–57; 107, 1965, 206 ff.; Hüttinger 1992, 110–116;
Rembrandt, Genf 1957; Hieronymus Bosch Wendland 1999, 32–39.
and the Thinking of the Late Middle Ages, in: PHF

Bezold, Gustav von


Geb. 17. 7. 1848 in Kleinsorheim; gest. 22. 4. 1934 in Frankfurt/Main

Als B. 1894 zum Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg beru-


fen wurde, konnte er nicht nur praktische Erfahrungen als Architekt vorweisen,
sondern auch auf eine Hochschullaufbahn als Kunst- und Architekturhistoriker
zurückblicken. Diese Voraussetzungen kamen ihm bei der Entwicklung eines die-
sem großen und bedeutenden Geschichtsmuseum angemessenen modernen Ge-
samtkonzepts, das den Werdegang deutscher Kultur und Kunst von vorgeschichtli-
cher Zeit bis zur Gegenwart umfasste, und bei der Planung und Beaufsichtigung
notwendiger Erweiterungsbauten zugute. In die Disziplingeschichte eingegangen
ist B. aber vor allem durch seine Zusammenarbeit mit  Dehio, aus der mehrbän-
dige Dokumentationen über europäische Kirchenarchitektur (1884–1901) und
deutsche Bildhauerkunst (1905–26) hervorgingen.
B. studierte 1868–73, unterbrochen durch Kriegsdienst 1870/71, an der Techni-
schen Hochschule München Architektur und Kunstgeschichte. Seit 1873 war er als
Architekt und technischer Assistent, 1886/87 als Abteilungsingenieur, bei der Gene-
raldirektion der bayerischen Eisenbahn angestellt. 1887–94 lehrte er als Privatdozent
an der Technischen Hochschule München und leitete mit Berthold Riehl (1858–
1911) zeitweilig die Inventarisierung der Kunstdenkmäler Bayerns.
B. ging von der konkreten Erscheinungsform der Kunstwerke aus. In Die Bau-
kunst der Renaissance in Deutschland, Holland, Belgien und Dänemark (1900) faßte er
26 Bezold

die Baudenkmäler unter topographischen Gesichtspunkten zusammen und be-


schrieb ihre stilistischen Eigenheiten, der Devise folgend, daß der Leser – wobei er
vor allem an Architekten dachte – »Würdigungen der Kunstwerke, keine genealo-
gischen Ableitungen« erwarte. Im Unterschied zur späteren Kunstgeographie
( Gerstenberg,  Grisebach, Paul Pieper) ging er nicht so weit, in den geographi-
schen Besonderheiten einer Region eine formschaffende Kraft zu sehen.
B. war der erste Direktor des Germanischen Nationalmuseums, der tatsächlich als
Kunsthistoriker bezeichnet werden kann. Er engagierte sich für eine Reform des
Ausstellungs- und Sammlungskonzeptes, indem er unter anderem – wohl als Reak-
tion auf den veränderten Publikumsgeschmack und die zeitgenössische Wertschät-
zung des Empire- und Biedermeierstils – Objekte des 18. und frühen 19. Jahrhun-
derts zu erwerben begann. Überzeugt davon, daß nur »Echtes« als kunsthistorische
Quelle dienen könne, forderte B. die strikte Trennung von Original und Kopie, was
sein Vorgänger August von Essenwein(1831–1892) zwar schon angestrebt, aber noch
nicht verwirklicht hatte. Zu seinen bedeutendsten Erwerbungen gehörte die über-
lebensgroße Tumbafigur des 1247 verstorbenen Grafen Sayn, die sonst in Privatbe-
sitz gelangt wäre. Im ersten Tätigkeitsbericht seiner Amtszeit umriß B. präzise die
ihn leitenden Grundsätze und führte aus, daß das Museum zwar »Anschauungsma-
terial für die deutsche Kunstgeschichte« im weitesten Sinne sammle, jedoch die
kunsthandwerklichen Exponate dabei nicht überhandnehmen dürften; der Samm-
lungsschwerpunkt des Germanischen Nationalmuseums müsse bei künstlerisch
herausragenden Stücken der verschiedensten historischen Epochen liegen und sich
von der Gebrauchskunst in den Gewerbe- und Kunstgewerbemuseen deutlich un-
terscheiden. Er legte besonderen Wert darauf, daß nicht die im 19. Jahrhundert stark
favorisierte »Ereignisgeschichte«, sondern die »materielle Kultur« im Mittelpunkt
der Sammeltätigkeit stand.
Nach B.s Plänen wurde 1899 –1902 – unter denkmalpflegerischer Einbeziehung
des Stadtmauerbereichs – dem Museum der Südwestbau hinzugefügt, in dem die
Waffensammlung und die Sammlungen zur bäuerlichen Kultur ihren Platz fanden.
Sein größtes Bauprojekt, für das er mehrfach geänderte Entwürfe vorlegte, eine
Gemäldegalerie mit verbesserten Ausstellungsmöglichkeiten für Skulpturen und
Spitzenstücke des Kunsthandwerks, konnte B. hingegen nicht realisieren.
1920 trat B. in den Ruhestand, nicht zuletzt weil sich Kritik an seiner Amtsfüh-
rung zu äußern begonnen hatte; dem Verwaltungsrat des Museums stellte er sich
aber weiterhin als Berater zur Verfügung.

Werke: Die kirchliche Baukunst des Abend- donna, in: ebd., 1896, 29–32; Wissenschaftliche
landes (mit Georg Dehio), 3 Bde., Stg 1884– Instrumente im Germanischen Nationalmu-
1901; Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, seum, Nü 1897; Die Baukunst der Renaissance
Dü 1889; Die Entstehung und Ausbildung der in Deutschland, Holland, Belgien und Däne-
gotischen Baukunst in Frankreich. Beiträge zur mark, Stg 1900; Ein Orgelgehäuse aus dem
Denkmalkunde und zur Entwicklungsge- Ende des 16. Jh.s, in: MGNM, 1900, 138–141;
schichte des Stils, Bln 1891; Die Kunstdenk- Die Denkmäler der deutschen Bildhauerkunst
male des Regierungsbezirkes Oberbayern (mit (mit Georg Dehio), Bln 1905–26; Zwei Grab-
Berthold Riehl), 5 Bde., Mü 1895–1908; Deut- denkmäler aus der Frühzeit des 14. Jh.s in St.
sche Grabdenkmale, in: MGNM, 1895, 75–81 Elisabeth zu Marburg, in: MGNM, 1911, 11–18;
u. 109–113; Der Meister der Nürnberger Ma- Nochmals die Marburger Grabmäler, in: ebd.,
Bezold 27

1912, S. 165; Erläuterungen zu dem Entwurf Literatur: FS G.v.B., Nü 1918; Rothenfel-


der Erweiterung des Germanischen National- der, Ludwig: G.v.B., in: AGNM, 1934/35, 5–
museums, Nü 1913; Die Tätigkeit der Beamten 18; G.v.B., in: Zentralblatt der Bauverwaltung,
des Germanischen Museums, in: ZfbK (Bei- 5, 1934, S. 289; G.v.B., in: DKDpf, 36, 1934,
lage), 55 (31), 1919/1920, 303–304; Die Anord- S. 92
nung der Sammlungen des Germanischen CF
Museums, Nü 1920

Bing, Gertrud(e)
Geb. 7. 6. 1892 in Hamburg; gest. 3. 7. 1964 in London

Daß die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg wie kaum eine andere geistes-
geschichtliche Forschungseinrichtung des 20. Jahrhunderts eine derart starke Wir-
kungsgeschichte entfalten konnte, ist nicht allein das Verdienst ihres Gründers
Warburg und seiner Mitarbeiter  Saxl und Wind, sondern in besonderem
Maße mit der Arbeitsleistung und dem Wissenschaftsethos B.s verknüpft. Ihr intel-
lektueller wie professioneller Werdegang verweist auf das typische Schicksal gelehr-
ter Frauen im ersten Jahrhundertviertel; trotz umfassender Bildung und Promotion
waren die Möglichkeiten einer universitären Laufbahn äußerst eingeschränkt.
B. hatte zunächst ein Lehrerexamen abgelegt, bevor sie 1916–18 und mit kriegs-
bedingter Unterbrechung 1919–21 in München und Hamburg Philosophie, Litera-
turgeschichte und Psychologie studierte. 1921 wurde sie von Ernst Cassirer in
Hamburg promoviert. In einer Arbeit über Lessing erörterte sie die Rolle von Zu-
fall und Notwendigkeit im menschlichen Handeln sowie Lessings Ästhetik, Ge-
schichts- und Religionsphilosophie. B. empfand es als großes Glück, als sie 1922 auf
Empfehlung Cassirers eine Anstellung als wissenschaftliche Bibliothekarin an der
Bibliothek Warburg erhielt. Damit Saxl sich wieder seinen eigenen Forschungen
widmen konnte, leitete sie den bibliothekarischen Tagesbetrieb. Sie nahm eine
Neukatalogisierung der Bestände nach einem von Saxl entwickelten Ordnungs-
prinzip vor und war maßgeblich an einer neuen Klassifizierung beteiligt, worüber
sie auch ein Seminar in der Bibliothek hielt. Während dieser Jahre wurde sie zur
Expertin für alle Publikationen des Hauses (Studien der Bibliothek Warburg,Vorträge der
Bibliothek Warburg), die sie für den Druck vorbereitete und mit einem aufwendigen
System von Indices erschloß.
Warburg schätzte B.s ebenso kritische wie konstruktive Mitarbeit. Sie wurde
1924 seine persönliche Assistentin, begleitete ihn auf Forschungsreisen u. a. nach
Italien und machte sich sein Verständnis von Kulturwissenschaft, in dessen Zentrum
das Verhältnis von Wort und Bild stand, immer mehr zu eigen. 1927 wurde B. stell-
vertretende Direktorin der Bibliothek. 1929, nach Warburgs Tod, übernahm sie die
Herausgabe seiner Schriften.
Ihr Anteil am Transfer der Bibliothek von Hamburg nach London 1933 kann
nicht hoch genug bemessen werden. Das Londonder Warburg Institute wurde unter
Saxl und B. zur zentralen Anlaufstelle für verfolgte Geisteswissenschaftler aus
Deutschland und Österreich, denen die selbst Vertriebenen neben praktischer Le-
benshilfe, Visa und Aufenthaltsgenehmigungen auch kleine Jobs an der Bibliothek
28 Bing

oder anderen englischen Instituten vermittelten. Walter Solmitz, Ernst Kitzinger,


Adolf Katzenellenbogen und Hugo Buchthal gehörten zu den Begünstigten, die
sich durch B.s und Saxls Starthilfe in den angelsächsischen Wissenschaftsbetrieb
eingliedern konnten. B.s eigene wissenschaftliche Arbeit trat dagegen ganz in den
Hintergrund. Lediglich zwei Aufsätze, in denen sie sich im Sinne von Warburgs
Methodik mit ikonographischen Problemen befasste, stammen aus der Londoner
Zeit. Nach Saxls frühem Tod 1948 machte sie sich an die Herausgabe seiner hinter-
lassenen Vorträge und widmete ihm 1957 ein einfühlsames Porträt.
Als Nachfolgerin von Saxl und Henri Frankfort wurde B. 1955 Direktorin des
Warburg Institute und Professor of the History of the Classical Tradition an der
Londoner Universität; gleichzeitig konnte sich das Institut auch räumlich im Uni-
versitätsviertel etablieren. Als B. 1959 aus dem aktiven Berufsleben ausschied, hatte
sie noch große Pläne; eine Arbeit über italienische Deckenmalerei blieb jedoch
ebenso unvollendet wie eine umfassende Warburg-Biographie, deren Vorarbeiten
Eingang gefunden haben in  Gombrichs Aby M. Warburg. Eine intellektuelle Biogra-
phie.
B. hat Warburgs Ideen erst dem deutschen, dann dem englischen Publikum zu-
gänglich gemacht. Ihre eigene wissenschaftliche Hinterlassenschaft blieb schmal.
Ihre Arbeit ging im Werk vieler anderer Wissenschaftler auf, für die sie als Zuarbei-
terin und Korrektorin gewirkt hat. Ihre intellektuelle Großzügigkeit und persönli-
che Hingabe werden bezeugt in dem Band In memoriam G.B., der sie als »selbstlose
inspirierende Anima erst ihres Meisters, dann vieler jüngerer Weggenossen« be-
schrieben hat.
Werke: Der Begriff des Notwendigen bei Literatur: Gombrich, Ernst H.: G.B. zum
Lessing. Ein Beitrag zum geistesgeschichtli- Gedenken, in: JbHK, 10, 1965, 7–12; Gram-
chen Problem Leibniz-Lessing, Diss. Hbg berg, Werner: G.B., in: MkhIF, 11, 1963–65,
1921; The Warburg Institute, in: The Library 293–295; Heise, Carl Georg: G.B., in: KChr,
Association Record, 4, I, 1934, o. S.; Aby War- 17, 1964, 258–259; In memoriam G.B., in:
burg. Gesammelte Schriften, 2 Bde., Lpz 1932 JWCI, 27, 1964, o. S.; G.B. 1892–1964, Lo
(Hrsg.); Nugae circa veritatem. Notes on 1965; Götz, Bettina: G.B. Verein zur Förde-
Anton Francesco Doni, in: JWCI, 1, 1937, rung von Frauenforschung in Kunst- und
304–312; The Apocalypse Block-Books and Kulturwissenschaften e. V., in: AWar, 299–304;
their Manuscript Models, in: JWCI, 5, 1942, Wendland 1999, 56–59; Tagebuch der Kultur-
143–158; Fritz Saxl. Lectures, Lo 1957 (Hrsg.); wissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Mit
Fritz Saxl. A Memoir, in: Fritz Saxl. A Volume Einträgen von G.B. u. Fritz Saxl, hrsg. v. Ka-
of Memorial Essays, hrsg. v. D.J. Gordon, Lo ren Michels u. Charlotte Schoell-Glass, Bln
1957, 1–46; Studies of the Warburg Institute, 2001; Lange, Wolf-Dieter: Rez. von »Tage-
21–25, 1957–60 (Hrsg.); Aby M. Warburg.Vor- buch d. Kulturwissenschaftlichen Bibliothek
trag anläßlich der feierlichen Aufstellung von Warburg. Mit Einträgen von G.B. und Fritz
Aby Warburgs Büste in der Hamburger Saxl«, in: ZfKg, 65, 2002, 584–592; Michels,
Kunsthalle am 31. 10. 1958, Hbg 1959; Studies Karen/Schoell-Glass, Charlotte: Die Litera-
of the Warburg Institute, 27–28, 1962–63 tur- und Kulturwissenschaftlerin G.B., in:
(Hrsg.); Oxford Warburg Studies (Hrsg.), 1–4, Frauen im Hamburger Kulturleben, hrsg. v. d.
Lo 1963–66; A.M. Warburg, in: JWCI, 28, Elsbeth Weichmann Gesellschaft, Hbg 2002,
1965, 299–313 27–29
CF
Bloch 29

Bloch, Peter
Geb. 11. 7. 1925 in Berlin; gest. 5. 11. 1994 in Berlin

In den ersten Jahren nach 1945 blühte die Forschung zur früh- und hochmittelal-
terlichen Kunst, weil sich an ihr die Herausbildung des »christlichen Abendlandes«
ablesen ließ; seit den 1960er Jahren setzte eine Neubewertung der vorwiegend bür-
gerlichen Kunst des 19. Jahrhunderts ein, die eine ganze Reihe von Kunsthistori-
kern auf dieses Arbeitsfeld wechseln ließ. B. vollzog diesen Wechsel mit, allerdings
ohne seine ergebnisreiche Beschäftigung mit mittelalterlicher Kunst – Buchmalerei,
Plastik und kunsthandwerklichen Metallarbeiten – aufzugeben. Er wurde – im
Museum, als überaus produktiver Autor und daneben als Hochschullehrer, der eine
große Zahl Schülerinnen und Schüler für seine Vorhaben zu begeistern vermochte
– zum Pionier der Erforschung, Bewahrung und neuen Würdigung von Plastik des
19. Jahrhunderts hauptsächlich an seinen beiden Wirkungsstätten: im Rheinland
und in Berlin.
Der Sohn eines Berliner Verlagsbuchhändlers mit einem jüdischen Urgroßvater
wurde als Soldat im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet und war bis 1948 in
Belgien in Gefangenschaft. 1948–50 studierte er an der Berliner Humboldt-Univer-
sität Philosophie bei Ernst Niekisch, klassische Archäologie sowie Kunstgeschichte
bei  Hamann,  Metz und Willy Kurth (1881–1963), bis ihn die politische Ent-
wicklung in Ost-Berlin veranlaßte, das Studium in Basel bei Karl Jaspers und
 Gantner fortzusetzen. Bei letzterem promovierte er 1954 über Das Hornbacher
Sakramentar und seine Stellung innerhalb der frühen Reichenauer Buchmalerei. 1954–57
war B. Assistent bei  Lützeler am Kunsthistorischen Institut in Bonn. Die Ergeb-
nisse wiederholter Studienreisen durch Italien setzte er in Reiseführer um, die
Lützeler herausgab. Nach einem achtmonatigen Volontariat 1957–58 am Berliner
Kupferstichkabinett folgte er dem Angebot Hermann Schnitzlers (1905–76), der
ihm zum Mentor und Freund wurde, am Schnütgen-Museum in Köln zu arbeiten
(seit 1963 als Kustos), das 1956 in der einstigen Cäcilienkirche neu eingerichtet
worden war. Gemeinsam legten sie ein erstes Corpus der Kölner ottonischen Buch-
malerei vor. Weitere Untersuchungen B.s galten karolingischen, ottonischen, roma-
nischen und gotischen Bildwerken sowie Emailarbeiten. Er beriet auch Privat-
sammler und veröffentlichte ihren Besitz. Erstmals stellte er die erhaltenen oder
nachweisbaren hochmittelalterlichen siebenarmigen Leuchter zusammen, die ein
Beleg für den »typologischen« Bezug der christlichen (neutestamentlichen) Ikono-
graphie auf die jüdische (alttestamentliche) sind – eine Fragestellung, die B. stark
beschäftigte. Mit dieser Arbeit habilitierte er sich 1962 bei  Ladendorf in Köln; er
wurde Privatdozent und 1967 a.o. Professor. Sein Text Nachwirkungen des Alten Bun-
des in der christlichen Kunst im Aufsatzband zu der fundamentalen Kölner Ausstellung
Monumenta Judaica (1963) behandelte dieses Thema zum erstenmal zusammenfas-
send. 1967 kehrte B. in seine Heimatstadt zurück, um als Nachfolger seines Lehrers
 Metz die Skulpturensammlung (Skulpturengalerie) der Staatlichen Museen
Preußischer Kulturbesitz bis 1990 zu leiten. Er erweiterte ihren Bestand und stellte
ihn auf neue Weise aus. Seit 1970 lehrte er auch an der Freien Universität Berlin.
In Köln hatte B. bereits begonnen, sich mit der jahrzehntelang geringgeschätzten
30 Bloch

Plastik aus dem 19. Jahrhundert zu beschäftigen. Dies setzte er nun in Berlin, dem
bedeutendsten deutschen und international gewichtigen Zentrum der Bildhauer-
kunst dieser Epoche, fort. Er initiierte entsprechende Bestandsaufnahmen auf Fried-
höfen sowie von Denkmal- und Bauplastik und legte seine Wiederentdeckungen
und Neubewertungen in Aufsätzen, einem großen Buch (1978) und zuletzt einer
bahnbrechenden Ausstellung dar (Ethos und Pathos, 1990). Die Museumsarbeit wie
die Beschäftigung mit der historisierenden Kunst des 19. Jahrhunderts führte ihn
auch dazu, sich intensiv mit den Problemen von Kopien und Fälschungen zu befas-
sen, wozu er seit 1974 ein Forschungs- und Dokumentationsprojekt leitete. 1978
wurde er Vorsitzender des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft. Für dessen
Denkmäler deutscher Kunst betreute er als Nachfolger von  Erich Meyer das Cor-
pus der Bronzegeräte des Mittelalters (1981ff.) und bearbeitete selbst die Romanischen
Bronzekruzifixe (1992). Nach der Wiedervereinigung der Berliner Museen stritt B.,
nun pensioniert, für die Bewahrung des  Bodeschen Konzepts einer integrierten
Darbietung von Plastik, Malerei und Kunsthandwerk. Noch auf dem Krankenbett
nahm er die letzten Doktorprüfungen ab.
B. ging es immer wieder darum, überkommenes Denkmälermaterial umfassend
zu dokumentieren. Die einschlägigen Schriftquellen wie die Fachliteratur waren
ihm wie selbstverständlich präsent. Die mittelalterlichen Buchmalereien, Metallar-
beiten und Skulpturen mußten in erster Linie stilkritisch datiert und in Zusam-
menhänge gebracht werden. Die Periodisierung der Stilentwicklung leitete B. aus
dem jeweiligen Material, nicht aus kunstgeschichtstheoretischen Konzepten ab. An
den romanischen Bronzekruzifixen beobachtete er, daß ihr Formenwandel nur
selten Parallelen zu anderen Werkgattungen aufwies, nicht einmal zu den Holzkru-
zifixen. Großes Gewicht legte er aber auch auf ikonographische Fragen, auf die
Funktion der Werke und demzufolge auf allgemein- und geistesgeschichtliche, be-
sonders »frömmigkeitsgeschichtliche« Bedingungen, sowie auf die Wirksamkeit be-
stimmter zugänglicher Vorbilder. »Von entscheidender, schulbildender Wirkung« für
die Kölner ottonische Buchmalerei »war, daß von Anfang an eine bestimmte Hand-
schrift vorlag und immer wieder aufgegriffen wurde, nämlich das Trierer Evangeliar
des Gregormeisters«, der »zweifellos einer der bedeutendsten Maler seiner Epoche
war« (Die ottonische Kölner Malerschule, 1967–70). Den Kunstbegriff des Mittelalters
formulierte B. später so: »Seit frühchristlicher Zeit war ein Kunstwerk stets ein
›Gerät‹, das bestimmte liturgische oder politische Aufgaben besaß. Dieser Gerätcha-
rakter war allerdings – im Gegensatz zum schlichten Werkzeug – nicht materieller,
sondern spiritueller Natur. Er [...] machte ein exemplarisches Handeln durch be-
deutsame Formen anschaulich. Die Durchdringung von Funktion und Form und
das Maß, in welchem spirituelle Sinngebung ihre materielle Gestalt gefunden hat,
bestimmen ein mittelalterliches Kunstwerk und seine Qualität« (Ex aere solido, 1983).
Seine umfassenden Kenntnisse erlaubten B. stets, die für das Erfassen einer Ent-
wicklung und die Qualitätsbestimmung notwendigen Vergleiche heranzuziehen
und bewährten sich auch bei seiner komprimierten Darstellung der europäischen
Plastik des 16. Jahrhunderts für die neue Propyläen-Kunstgeschichte (1970).
Sein Verständnis des mittelalterlichen Kunstschaffens und Kunstgebrauchs kam B.
bei seiner Behandlung der Plastik des 19. Jahrhunderts zugute, die er gegen die
Bloch 31

»hemdsärmelige Spontaneität in heutiger Beurteilung« zu rehabilitieren wünschte


(Kölner Skulpturen des 19. Jahrhunderts, 1967). Die Berliner Plastik gliederte er »pro-
visorisch« nach Generationen und charakterisierte Werke und Künstler geistvoll
und unfeierlich. An Rauchs Feldherrendarstellungen beobachtete er: »Nicht einer,
der kämpft, schreit, leidet, liebt oder stirbt. Es sind vollkommene Vertreter eines
vernunftbegabten, sittenstrengen Menschengeschlechtes, fern jeder abgründigen
Leidenschaft, Gentlemen in preußischer Montur« (Die Berliner Bildhauerschule im 19.
Jahrhundert, 1978). Über den lange verachteten Begas bemerkte er, daß die Früh-
werke mit ihrem vitalen Elan eine »Bereicherung von durchaus emanzipatorischen
Qualitäten« für die Bildhauerkunst waren (Denkmäler in Berlin, 1976). Er unterstrich
die für jene Epoche selbstverständliche Einbindung des plastischen Schaffens in die
gesellschaftlichen Kunstverhältnisse und Ideengeschichte, die Beziehungen der
Künstler zu Auftraggebern sowie zum Kunstmarkt und den grundsätzlich mögli-
chen künstlerischen Wert eines Gestaltens nach älteren, überlieferten Mustern. Auch
die auftragsfreie Kunst für den Markt »hatte in der Regel eine Zielgruppe im Blick«,
deren ideelle Erwartungen sie berücksichtigte, und die weitgehende Autonomie der
Künstler beim Übergang zur Moderne war nur »um den Preis einer inhaltlichen
Aussage [zu erlangen], die bislang Kunst und Konsumenten verbunden hatte« (1990,
Bd. 2). B.s Auffassung vom Historismus, von »Benutzung der Geschichte«, hat sich
mittlerweile weitestgehend durchgesetzt: »›Renaissancen‹ gibt es von der Antike bis
in die Neuzeit. Und spätestens seit  Bandmanns Buch Architektur als Bedeutungs-
träger wissen wir, daß auch die Wahl der Vorbilder zu den schöpferischen Leistungen
gehört. Wichtig ist die Erkenntnis, daß Stilzitate des Historismus keineswegs nur
Mangel an Phantasie und Potenz dokumentieren, sondern jeweils geschichtliche
Assoziationen transportieren, die der Funktion des künstlerisch Gestalteten zuzu-
ordnen sind« (Stil-Zitate und die Logik der Funktion, 1977).

Werke: Das Hornbacher Sakramentar und (mit Erich Kubach), BB 1964; Eine Dia-
seine Stellung innerhalb der frühen Reiche- logdarstellung des frühen 12. Jh.s, in: FS
nauer Buchmalerei, Basel 1956; Die Türflügel Eduard Trautscholdt, Hbg 1965, 54–62; Ein
von St. Maria im Kapitol, Mönchengladbach ottonisches Kreuz in der Minoritenkirche zu
1959; Die beiden Reichenauer Evangeliare Köln, in: FS Peter Metz, Bln 1965, 124–134;
im Kölner Domschatz, in: Kölner Domblatt, Die ottonische Kölner Malerschule (mit
16/17, 1959, 9–40; Die Pietà Schnütgen, in: FS Hermann Schnitzler), 2 Bde., Dü 1967–70;
Otto H. Förster, Köln 1960, 211–214; Kölner Novum opus facere me cogis. Zum Hierony-
Madonnen, Mönchengladbach 1961; Sieben- musbild im Kölner Evangeliar der Ambro-
armige Leuchter in christlichen Kirchen, in: siana, in: FS Karl Hermann Usener, Mar 1967,
WRJb, 1961, 55–190; Ein romanisches Wid- 119–128; Kölner Skulpturen des 19. Jh.s, in:
mungsblatt aus Gladbach, in: FS Heinrich WRJb, 1967, 243–290; Der Freiherr vom
Lützeler, Dü 1962, 403–411; Zum Dedikati- Stein und der Kölner Bildhauer Peter Joseph
onsbild im Lob des Kreuzes des Hrabanus Imhoff, in: AGNM, 1967, 89–116; Der Darm-
Maurus, in: AKat. Das erste Jahrtausend, Dü städter Hitda-Codex, Bln 1968; Typologische
1962, Textbd. 1, 471–494; Der Stil des Essener Kunst, in: Miscellanea Mediaevalia, 6, Bln
Leuchters, in: ebd., 534–548; Nachwirkungen 1969, 127–142; Das Grab Friedrich Over-
des Alten Bundes in der christlichen Kunst, becks und sein Meister, in: FS Gert von der
in: AKat. Monumenta Judaica. 2000 Jahre Osten, Köln 1970, 221–227; Der Düsseldorfer
Geschichte und Kultur der Juden am Rhein, Bildhauer Julius Bayerle, in: FS Heinz Laden-
Köln 1963, 735–781; Das Sakramentar von St. dorf, Köln/Wien 1970, 115–122; Anmerkun-
Gereon, Mü 1963; Früh- und Hochromanik gen zu Berliner Skulpturen des 19. Jh.s, in:
32 Bloch

JbPKB, 1970, 162–190; Die Muttergottes auf aus dem Biedermeier, in: FS Eduard Trier,
dem Löwen, in: JbBM, 1970, 253–294; Eine Bln 1981, 185–197; Aquamanilien, Mailand/
Marienverkündigung der Dunklen Zeit, in: Genf 1981; Ein romanischer Bronzekruzifixus
FS Hanns Swarzenski, Bln 1973, 379–389; in Lüttich, in: Mélanges Jacques Stiennon,
Bronzekruzifixe in der Nachfolge des Reiner Lüttich 1982, 49–56; Gotisierende Skulpturen
von Huy, in: AKat. Rhein und Maas, Köln in Deutschland, in: ACIB, Bologna 1982, 6,
1973, Bd. 2, 251–262; Amor und Psyche. Ein 143–151; AKat. Ex aere solido. Bronzen von
Frühwerk von Reinhold Begas, in: AGNM, der Antike bis zur Gegenwart, Münster/Saar-
1973, 136–147; Ein »Œuvrekatalog« von Chri- brücken/Ha 1983; Eine Muttergottes im Lie-
stian Daniel Rauch, in: FS Klaus Lankheit, bieghaus, in: StJb, 1983, 220–226; Eine Berli-
Köln 1973, 207–209; Das Kreuzberg-Denk- ner Verkündigung, in: FS Heinrich Lützeler,
mal und die patriotische Kunst, in: JbPKB, Bonn 1987, 327–331; Niedersächsische Bron-
1973, 142–159; AKat. »Gestern noch auf ho- zekruzifixe, in: FS Hans Wille, Ha 1989, 21–
hem Sockel«, Bln 1974; Representation of the 27; Bildwerke 1780–1910 aus den Beständen
Madonna about 1200, in: The Year 1200. A der Skulpturengalerie und der Nationalgale-
Symposium, NY 1975, 497–508; Skulpturen rie, Bln 1990; AKat. Ethos und Pathos. Die
des 19. Jh.s im Rheinland, Dü 1975; Denkmä- Berliner Bildhauerschule 1786–1914 (mit Si-
ler in Berlin. Rehabilitierung und Restaurie- bylle Einholz u. Jutta von Simson), 2 Bde.,
rung, in: JbPKB, 1976, 45–70; Hermann Bln 1990; Romanische Bronzekruzifixe, Bln
Schnitzler, in: KChr, 30, 1977, 4, 220–223; 1992; Alexander Schnütgen und die neugoti-
Vom Ende des Denkmals, in: FS Wolfgang sche Skulptur, in: Alexander Schnütgen, Köln
Braunfels, Tü 1977, 25–30; Stil-Zitate und die 1993, 163–175; Nachruf auf Otto von Simson,
Logik der Funktion, in: Beiträge zum Pro- in: ZDVKw, 47, 1993, 94–95; Wie Adam und
blem des Stilpluralismus, Mü 1977, 159–162; Eva sich schürzten, in: AKbl, 60, 1994, 246–
Neugotische Statuetten des Nikolaus El- 248 (FS Hermann Fillitz); Der Deutsche Ver-
scheidt, in: FS Otto von Simson, Bln 1977, ein für Kunstwissenschaft. Ein Rückblick, in:
504–515; Das klassische Berlin. Die Berliner ZDVKw, 48, 1994, 91–94
Bildhauerschule im 19. Jh. (mit Waldemar Literatur: FS P.B., Mainz 1990 (Bibliogr.);
Grzimek), Bln 1978 (Nd. 1994); Gefälschte Schülergabe für P.B., Bln 1990; Kötzsche,
Kunst, in: ZfÄaK, 23, 1978, 52–75; Bemer- Dietrich: Erinnerung an P.B., in: JbPKB, 1994,
kungen zu Hagar und Ismael, in: Gedenk- 39–50 (Bibliogr.); Theuerkauff, Christian: P.
schrift f. Günter Bandmann, Bln 1978, 479– B., in: BM, 137, 1995, S. 321; Ders.: »Selbstver-
490; Die Berliner Bildhauerei des 19. Jh.s und ständlichkeit ohne große Worte«, P.B. zum
die Antike, in: AKat. Berlin und die Antike, Gedenken, in: MusJ, 9, 1995, 6–7; Eeuw,
Bd. 2, Bln 1979, 395–429; Staufische Bronzen. Anton von: Gedenken an die Kölner Jahre P.
Die Bronzekruzifixe, in: AKat. Die Zeit der B.s, in: Kölner Museums-Bulletin., 1995, 43–
Staufer, Stuttgart 1979, Bd. 5, 291–330; Origi- 44; Westermann-Angerhausen, Hiltrud; P.B.,
nal – Kopie – Fälschung, in: JbPKB, 1979, in: WRJb, 1995, 9–12; Einholz, Sibylle: Zum
41–72; Heroen der Kunst, Wissenschaft und Tode des Kunsthistorikers P.B., in: Mitt. d.
Wirtschaft. Zierbrunnen und »freie« Kunst, Vereins f. d. Geschichte Berlins, 91, 1995, 354–
in: Kunst des 19. Jh.s im Rheinland, Plastik, 355
Dü 1980, 281–348; Georg Kneip. Ein Maler PHF

Bode,Wilhelm von
Geb. 10. 12. 1845 in Calvörde; gest. 1. 3. 1929 in Berlin

Mit B.s Dienstantritt als »Direktorialassistent« in der Antikensammlung am 2. Au-


gust 1872 begann nicht nur eine beispiellose Kunsthistorikerkarriere, sondern auch
eine neue Ära in der Geschichte der Berliner Museen. Während B.s Amtszeit, seit
1890 als Direktor der Gemäldegalerie und seit 1905 als Generaldirektor, entwickel-
ten sich die königlich-preußischen Kunstsammlungen zu einem der Hauptstadt des
Bode 33

deutschen Kaiserreiches würdigen, die gesamte Spreeinsel einnehmenden Muse-


umskomplex, dessen Reichtum an Kunstwerken aller Zeiten und Völker mit Wien,
Paris und London wetteifern konnte. Das Geheimnis von B.s Erfolg lag in seinem
»überaus zuverlässigen visuellen Gedächtnis« (Friedländer); er gehört in die Reihe
der großen Kenner des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von  Passavant und
 Waagen bis Mündler,  Morelli und  Woltmann, Crowe und Cavalcaselle,
Hofstede de Groot und Berenson,  Max J. Friedländer und  Voss. Und er war
der geborene Jäger, ausgestattet mit Leidenschaft und Entschlußkraft. Friedländer
spricht von einem »genial einseitig auf Bereicherung der staatlichen Sammlungen
gerichteten Ehrgeiz«. In dieses Charakterbild und das geistige Klima der Gründer-
zeit paßt auch die Herrscherattitüde; B. wurde mit Cäsar, Napoleon, Bismarck
verglichen.  Karl Scheffler beschreibt ihn so: »[...] halb preußischer Geheimrat,
halb ein Konquistador der Renaissance, ein schmaler großflächiger Kopf mit allen
Kennzeichen verfeinerter Willenskraft, mit einem Falkenprofil, stark ausgebildetem
Unterkinn und kühlen hellen Augen«, er wirkte »[...] wie ein großer Herr, der zu
nachlässig ist, Hoheit zu mimen [...], bis ins hohe Alter blieb er [...] jugendlich vital
und übermütig«. B. war ein Repräsentant des neuen deutschen Reiches; er mehrte
dessen Ansehen und artikulierte auf einem exponierten Wirkungsfeld das Welt- und
Selbstverständnis der in ihm Herrschenden. Dafür ist der führende Museumsmann
im kaiserlichen Deutschland mit Ehrungen reich bedacht worden. 1910 wurde B.
Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz, 1913 erhielt er den Kronen-
orden Erster Klasse, ein Jahr später verlieh ihm Wilhelm II. den erblichen Adel, und
nur wenige Wochen vor seinem Tod wurde er mit dem Orden Pour le Mérite
ausgezeichnet.
B. studierte 1864–67 in Berlin und Göttingen zunächst Jura. Der Impuls zum
Fachwechsel kam von  Schnaase. Auf dessen Rat hin begann B. 1869 mit dem
Kunstgeschichtsstudium in Berlin. 1870 ging er nach Wien, wo er  Eitelberger
und den Archäologen Alexander Conze hörte. Wegen seiner schwachen Gesundheit
zu seinem Leidwesen vom Militärdienst suspendiert, schrieb er noch im gleichen
Jahr eine Doktorarbeit über Frans Hals und seine Schule. Ehe B. der schicksalhafte
Ruf nach Berlin erreichte, unternahm er 1871 seine erste Italienreise, besuchte im
Frühjahr 1872 London, Paris und Holland. Im Herbst begab er sich nach St. Peters-
burg. Seinen Kontrahenten auf dem Kunstmarkt war er durch diese Reiselust
oft einen Schritt voraus. Am häufigsten reiste er nach Italien, meist mit  Burck-
hardts Cicerone im Gepäck, den er von der 4. Auflage (1879) an betreute, nach
Holland und nach England. Während England vor allem wegen seiner Sammlungen,
der öffentlichen und der nicht weniger interessanten privaten, und als Kunsthan-
delsplatz wichtig war, fand B. jenseits der Alpen und jenseits des Rheines seine
beiden kunstgeschichtlichen Forschungsfelder: die italienische Renaissanceplastik
und die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Ihnen sind die wichtigsten
seiner mehr als 500 Publikationen gewidmet. Wenn man von wenigen Ausnahmen
wie der Geschichte der deutschen Plastik (1887), der ersten ihrer Art, und der als 8.
Band der Propyläen-Kunstgeschichte erschienenen Kunst der Frührenaissance in Italien
(1923) absieht, richteten sich B.s Forschungen, wie bei seiner kennerschaftlichen
Orientierung nicht anders zu erwarten, auf die Bestimmung des Meisters und die
34 Bode

Einordnung des Werkes in einen stilistischen Kontext. Heute ist davon vieles über-
holt, vor allem in bezug auf Rembrandt, in dessen Rezeptionsgeschichte B. in der
Nachfolge  Kolloffs, Bürger-Thorés,  Springers und neben seinen Zeitgenossen
Hofstede de Groot, Bredius und  Neumann dennoch einen geachteten Platz
einnimmt. Es ist symptomatisch für den sich von den klassischen Idealen abwen-
denden Kunstgeschmack des ausgehenden 19. Jahrhunderts, daß B. Rembrandt als
einen modernen Künstler empfand und ihn höher schätzte als Raffael und Michel-
angelo.
B.s schriftliche Hinterlassenschaft stand indessen schon in den Augen der Zeitge-
nossen im Schatten seiner Leistung als Museumsmann. Friedländer überspitzt, hat
aber im Kern wohl recht: »Liest man einen Aufsatz von B., so lernt man daraus, daß
er jenes Bild für ein Werk Rembrandts hält [...], die Sätze aber, mit denen er den
Leser von der Richtigkeit seines Urteils überzeugen möchte, enthalten so gut wie
nichts, von dem, was jenes Urteil bestimmt hat, sie klingen trivial, wie geschrieben
von jemandem, der sehr viel weniger vor Rembrandts Werken erlebt hatte als B.«
Als Erklärung hätte Friedländer anführen können, daß für B. die kunsthistorische
Forschung ganz im Dienst der Museumsarbeit stand.
Irrtümer sind B. nicht erspart geblieben – 1909 saß er einer Flora-Büste aus dem
19. Jahrhundert auf, die er für eine Arbeit Leonardos hielt –, sie stehen jedoch in
keinem Verhältnis zu seinen grandiosen Erwerbungen wie die der Sammlung Suer-
mondt, der Büsten aus dem Palazzo Strozzi, der Mschatta-Fassade. Die Mittel für
seine Ankäufe erhielt B. zum größten Teil aus der Staatskasse, weitsichtig erkannte
er jedoch die wachsende Bedeutung privater Spenden und Schenkungen. B. selbst
betätigte sich als Mäzen und schenkte den Berliner Museen aus seinem Privatbesitz
Gemälde, Skulpturen und andere Kunstgegenstände, so 1904, anläßlich der Eröff-
nung des Kaiser-Friedrich-Museums (seit 1956 Bode-Museum), seine Sammlung
orientalischer Teppiche, die zum Grundstock einer eigenständigen Islamischen Ab-
teilung wurde.
1925 trat B. in den Ruhestand. Ihm, der drei Kaisern gedient hatte, blieb die
Weimarer Republik fremd; 1924 hatte er sich der konservativen Deutschnationalen
Volkspartei angeschlossen. Auch zur Moderne, über die er sich in den 1920er Jahren
gelegentlich äußerte, stand B. in entschiedener Opposition.
Werke: Frans Hals und seine Schule, Lpz zu St. Petersburg, Paris 1884; Italienische
1871; Kgl. Museen Berlin. Verzeichnis der Bildhauer der Renaissance, Bln 1887; Ge-
ausgestellten Gemälde und Handzeichnun- schichte der deutschen Plastik, Bln 1887; Kgl.
gen aus den im Jahre 1874 erworbenen Museen Berlin. Beschreibung der Bildwerke
Sammlungen des Herrn Barthold Suermondt, der christlichen Epoche, Bln 1888 (mit Hugo
Bln 1875 (mit Julius Meyer); Kgl. Museen. v. Tschudi); Die Großherzogliche Gemälde-
Gemäldegalerie. Beschreibendes Verzeichnis, Galerie zu Oldenburg, Wien 1888; Die Groß-
Bln 1878 (mit Julius Meyer); Adam Elsheimer, herzogliche Gemälde-Galerie zu Schwerin,
der Römische Maler Deutscher Nation, in: Wien 1891; Die italienische Plastik, Bln 1891;
JbPK, 1880, 51–78, 245–262; Studien zur Ge- Denkmäler der Renaissance-Skulptur Toska-
schichte der holländischen Malerei, Bschw nas, 12 Bde., Mü 1892–1905; Die Fürstlich
1883; Die Ausstellung von Gemälden älterer Liechtensteinsche Galerie in Wien, Wien
Meister im Berliner Privatbesitz, in: JbPK, 1896; Die Kunstsammlungen ihrer Majestät
1883, 130–151, 191–256 (mit Robert Dohme); der Kaiserin und Königin Friedrich in Schloß
Kaiserliche Gemälde-Galerie der Eremitage Friedrichshof, Bln 1896; Rembrandt. Be-
Bode 35

schreibendes Verzeichnis seiner Gemälde. Mit Waetzoldt, Wilhelm: Trilogie der Museums-
den heliographischen Nachbildungen. Ge- leidenschaft. B., Tschudi, Lichtwark, in: ZfKg,
schichte seines Lebens und seiner Kunst, 8 1, 1932, 5–12; Winkler, Friedrich: Zum Ge-
Bde., Paris 1897–1905 (mit Cornelis Hofstede dächtnis an W.v.B., Bln 1935; Friedländer,
de Groot); Ausstellung von Kunstwerken des Max J.: Erinnerungen an B., in: ders., Erinne-
Mittelalters und der Renaissance aus Berliner rungen und Aufzeichnungen, Mainz/Bln
Privatbesitz, Bln 1899; Kunst und Kunstge- 1967, 11–14; Scheffler, Karl: Erinnerungen an
werbe am Ende des 19. Jh.s, Bln 1901; Vor- W.v.B. (1930), in: ders., Eine Auswahl seiner
derasiatische Knüpfteppiche aus älterer Zeit, Essays aus Kunst und Leben 1905–1950, Hbg
Lpz 1901; Florentiner Bildhauer der Renais- 1969; Geismeier, Irene: W.v.B.s Renaissance-
sance, Bln 1902; Die italienischen Hausmöbel bild. Zu den Beziehungen von Kunsttheorie
der Renaissance, Lpz 1902; Altpersische und Museumspraxis, in: EGA, Bln 1975, Teil
Knüpfteppiche, Bln 1904; Rembrandt und 2, 86–94; Waetzoldt, Stephan: Museumspoli-
seine Zeitgenossen, Lpz 1906; Die italieni- tik. Richard Schöne und W.v.B., in: Kunstver-
schen Bronzestatuetten der Renaissance, 3 waltung, Bau- und Denkmalpflege im Kai-
Bde., Bln 1906–12; Gemälde alter Meister im serreich, Bln 1981, 481–490; Kultzen, Rolf:
Besitze S.M. des Deutschen Kaisers und Kö- Otto Mündler als Briefpartner W.v.B.s, in: FS
nigs von Preußen, Bln 1909 (mit Max J. Martin Gosebruch, Mü 1984, 184–191; Alt-
Friedländer); Collection of John Pierpont meister 1990, 19–34; Krahn, Volker: W.v.B.
Morgan. Bronzes of the Renaissance and und die italienische Skulptur, in: JbBM, 1992,
Subsequent Periods, 2 Bde., Paris 1910; Die 105–119; Ohlsen, Manfred: W.v.B. Zwischen
Anfänge der Majolikakunst in Toskana, Bln Kaisermacht und Kunsttempel, Bln 1995; W.
1911; Die Meister der holländischen und flä- v.B. Museumsdirektor und Mäzen, Bln 1995;
mischen Malerschulen, Lpz 1917; Sandro Künzel, Friedrich/Götze, Barbara:Verzeichnis
Botticelli, Bln 1921; Studien über Leonardo des schriftlichen Nachlasses von W.v.B., Bln
da Vinci, Bln 1921; 50 Jahre Museumsarbeit, 1995; Kennerschaft. Kolloquium zum 150.
Bie 1922; Die Kunst der Frührenaissance in Geburtstag von W.v.B. (JbBM, 1996, Beiheft);
Italien, Bln 1923; Adriaen Brouwer, Bln 1924; Dieckvoss, Stephanie: Rez. von »Mein Le-
Fritz Klimsch. Eine Auswahl seiner Werke, ben«, in: BM, 140, 1998, 399–400; Seidel, Max:
FrB 1924; Bertoldo und Lorenzo dei Medici, Das Renaissance-Museum. W. B. als »Schüler«
FrB 1925; Der Bildhauer Joseph Thorak, Bln Jacob Burckhardts, in: ders. (Hrsg.), Storia
1929; Mein Leben, 2 Bde., Bln 1930 (Nd. Bln dell’ arte e politica culturale intorno 1900, Fl
1997) 1999, 51–109; Ziegler, Hendrik: B. und das
Literatur: Beth, Ignaz: Verzeichnis der Colmarer Museum. Zum Einfluß der deut-
Schriften W.v.B.s, Bln 1915; Waetzoldt, Wil- schen Museologie im Reichsland Elsaß-
helm: W.v.B., in: RfKw, 50, 1929, 1–6; Koet- Lothringen, in: JbBM, 45, 2003 (2004), 131–
schau, Karl: W.v.B. – Versuch einer Charakte- 156
ristik, in: ZfbK, 63 (39), 1929/30, 1–3; Demm- PB
ler, Theodor: W.v.B., in: JbPK, 1930, I–VII;

Boisserée, Sulpiz/Boisserée, Melchior


Geb. 2. 8. 1783 in Köln; gest. 2. 5. 1854 in Bonn/
Geb. 23. 4. 1786 in Köln; gest. 14. 5. 1851 in Bonn

Der »Typus des romantischen Sammlers und Forschers« ( Waetzoldt) hat in den
Brüdern B. zwei herausragende Vertreter gefunden. Ursprünglich für ganz andere
Berufe bestimmt – Sulpiz sollte als Kaufmann die Familientradition weiterführen,
Melchior hatte zunächst Naturwissenschaften studiert –, machten sie ihre Vorliebe
für gotische Architektur, »altdeutsche« und »altniederländische« Malerei zur lebens-
bestimmenden Berufung.
36 Boisserée

Nach einer abgebrochenen Lehre in Hamburg kehrte Sulpiz B. 1799 nach Köln
zurück, wo er sich fortan, durch seinen Freund Johann Baptist Bertram (1776–1841)
gefördert, ganz der bildenden Kunst widmete. Ein großes ererbtes Vermögen machte
es ihm möglich, gotische Baudenkmäler vor Ort zu studieren. Auf eine Reise nach
Holland, die er 1803 zusammen mit seinem Bruder und Bertram unternahm, folgte
im gleichen Jahr ein gemeinsamer längerer Aufenthalt in Paris, um dort die von
Napoleon auf seinen Kriegszügen geraubten Kunstschätze zu besichtigen. In der
französischen Hauptstadt waren die B.s und Bertram auch Gäste  Friedrich
Schlegels, der ihnen Privatvorlesungen über die Geschichte der Philosophie, der
Kunst und Literatur hielt und den sie mit ihrer Mittelalterbegeisterung so sehr be-
eindruckten, daß es 1804/05 zu einer gemeinsamen Erkundungsreise nach Belgien,
an den Rhein und in die Schweiz kam.
Nach 1804 begannen die B.s Kunstwerke, die im Zuge der Säkularisation zu Tau-
senden aus den Kirchen und Klöstern am Niederrhein entfernt wurden, zusammen-
zutragen und eine Sammlung aufzubauen, die die spätmittelalterliche deutsche und
niederländische Kunst gegenüber der seit Vasari als Norm gepriesenen italienischen
Renaissance demonstrativ aufwertete. Gerade in der »altdeutschen« und »altnieder-
ländischen« Malerei spiegelte sich für sie das idealisierte Bild eines glaubensstarken
christlichen Mittelalters, das sie als Kontrastepoche zur eigenen Gegenwart stilisier-
ten. Die Sammlung wuchs bald auf über 200 Exponate an, die die B.s nach Schulen
und Meistern ordneten. Sie war Anziehungspunkt für viele, vor allem für Künstler,
Dichter und Gelehrte, darunter Schinkel, Canova, Jean Paul, die Brüder Grimm,
Ranke, Uhland,  Rumohr und  Schnaase. Ihre Bedeutung für die deutsche Kul-
turgeschichte, die Romantik im besonderen – vergleichbar derjenigen von Grimms
Märchen oder Achim von Arnims Des Knaben Wunderhorn –, und für das Verständnis
von Kunstgeschichte ist kaum zu ermessen. Das Sammlerethos der B.s, ihr ausgepräg-
tes Bildungs- und Sendungsbewusstsein, widersprach dabei keineswegs einem dezi-
diert wissenschaftlichen Interesse, mit dem sie Kunstwerke historisch zu erforschen
und eine gesicherte Faktenbasis für deren Beurteilung zu gewinnen suchten.
Obwohl sich die B.s als Antiquare verstanden und sich gemeinsam in den Dienst
lange vergessener Kunst stellten, herrschte zwischen ihnen eine gewisse Arbeitstei-
lung. Melchior B.s kaufmännisches und organisatorisches Talent bewährte sich im
Aufspüren und Aufkaufen der Kunstwerke. Während sein Bruder in späteren Jahren
sein Hauptarbeitsfeld in der Architekturforschung fand, bemühte er sich mit seiner
eigens angelegten Sammlung alter Farbfenster auch um eine Wiederbelebung der
Glasmalerei in Deutschland. Ihm ist zudem das großangelegte lithographische Werk
von Johann Nepomuk Strixner über die Bildersammlung zu danken, das ab 1821
und 1840 in 114 Blättern erschien.
In den Jahren 1810–19 ließen sich die B.s mitsamt ihren Gemälden zunächst in
Heidelberg nieder, übersiedelten dann nach Stuttgart, bis schließlich Ludwig I. von
Bayern 1827 die Sammlung für 240 000 Gulden aus seiner Privatschatulle erwarb.
Seit 1836 ist sie ein Herzstück der Alten Pinakothek in München. Die B.s wurden,
wie auch Bertram, in München ansässig, wo Sulpiz B. 1835 zum Oberbaurat und
Generalkonservator der plastischen Denkmäler in Bayern (bis 1837) ernannt wurde.
Für die auf historische Authentizität drängende Architekturgeschichte war Sulpiz
Boisserée 37

B. ebenso bedeutsam. Das Formensystem der »alten Kirchenbaukunst, welche man


sehr dunkel und irrig die gotische nennt«, hatte für ihn einen »vegetabilischen
Charakter«; diesen erklärte er mit dem »tiefen Naturgefühl, wodurch die germani-
schen Völker sich von jeher ausgezeichnet haben«. Er beeinflußte  Goethes wie-
dererwachende Aufmerksamkeit für gotische Baukunst und für Denkmalpflege und
schrieb 1817 für diesen einen Aufsatz über Altdeutsche Baukunst, den der Dichter mit
einer Vorrede ergänzte. B.s Tafel-Publikation und Schrift über den Kölner Dom gab
der Restaurierung wie auch der endgültigen Fertigstellung entscheidenden Auf-
trieb; darüber hinaus wurde damit eine neue Praxis in den neugotischen Bauhütten
initiiert, die sich statt stimmungshafter »malerischer« Ansichten um eine sachliche
Wiedergabe des Baubestandes bemühte. Sulpiz B. konnte die Grundsteinlegung
zum Vollendungsbau des Kölner Doms 1842 noch persönlich miterleben. 1845
kehrte er mit seinem Bruder endgültig in die rheinische Heimat zurück, nachdem
Bertram schon 1841 in München verstorben war.
Werke: Altdeutsche Baukunst (mit Goethe), Tagebücher, Bd. 2, Gö 1970 (Nd.), 33–58;
in: Über Kunst und Altertum in den Rhein- Grätsch, Annie: Die Auseinandersetzung S. B.
und Main-Gegenden, 1. Bd., 2. H., 1817; An- s mit der Pariser Geisteswelt, in: Kölner
sichten, Risse und einzelne Teile des Doms Domblatt, 38/29, 1974, 161–164; Feldhaus,
von Köln, Stg 1822–31; Geschichte und Be- Irmgard: Die Sammlung mittelalterl. Gemälde
schreibung des Doms von Köln, Stg 1824–31, der Brüder S. und M. B., in: AKat. Gemälde
Mü 1842; Die Sammlung alt-, nieder- und der Sammlung B., lithographiert v. J. N. Strix-
oberdeutscher Gemälde der Brüder B. und ner, Clemems-Sels-Museum, Neuss 1980;
Bertram, Stg/Mü 1826–31; Denkmale der Fleischhauer, Werner: Die B. und Stuttgart, in:
Baukunst am Niederrhein vom 7.–13. Jh., Mü Ztschr. f. Württemberg. Landesgeschichte, 45,
1831–33; Über die Kaiser-Dalmatika in der 1986, 229–283; Strack, Doris u. Friedrich:
St. Petruskirche zu Rom, Mü 1840; S.B. Kunst und Kulturgeschichte in Wechselwir-
Briefwechsel, Tagebücher, 2 Bde., Stg 1862 kung. Ein unbekanntes Manuskript S. B.s zur
(Nd. 1970); S.B., Tagebücher 1808–54, hrsg. v. altdeutschen Malerei, in: JbFDH, Frf 1989,
H.-J. Weitz, 4 Bde., Da 1978–85 156–201; Gombrich, Ernst H.: Goethe und
Literatur: Hütter, Hermann: Goethe und die Kunstsammlung der Brüder B. – Gewinn
B., in: Monatsschr. f. rhein.-westfäl. Ge- und Verlust in der Emanzipation von der by-
schichtsforschung, 1, 1875, 1–30; Hütter, Her- zantinischen Überlieferung, in: ders., Gast-
mann: Die Gemäldesammlung der Brüder B. spiele. Aufsätze eines Kunsthistorikers zur
im Jahre 1810, in: Annalen des histor. Vereins deutschen Sprache und Germanistik, Wien/
für den Niederrhein, 62, 1896, 2–10; Seidler, Köln/Wie 1992, 69–87; Gethmann-Siefert,
Oskar: Die Brüder B. in ihrem Verhältnis zu Annemarie (Hrsg.): Kunst als Kulturgut. Die
den Brüdern Schlegel, Diss., Zü 1915; Firme- Bildersammlung der Brüder B., Bonn 1995;
nich-Richartz, Eduard: S. und M. B. als Kunst- Gethmann-Siefert, Annemarie/Collenberg,
sammler, Jena 1916; Waetzoldt 1921, 272–283; Bernadette: Die Kunstsammlung auf dem
Brieger, Lothar: Köln rettet die Kunst. Baron Weg ins Museum – Anspruch und Wirkung
Hüpsch, Wallraf, die Brüder B., in: Die gro- der Bildersammlung der Brüder B., in: AKat.
ßen Kunstsammler, Bln 1931, 243–256; Poens- Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen
gen, Georg: Die Begegnung Goethes mit der Trikolore und Preußenadler, hrsg. v. Hiltrud
Sammlung B. in Heidelberg, Hei 1949; Rych- Kier u. Frank Günter Zehnder, Josef-
ner, Max: Goethe und S. B., in: Sphären der Haubrich-Kunsthalle, Köln 1995, 183–191;
Bücherwelt, Zü 1952, 48–59; Rode, Herbert: Bisky, Jens: Poesie der Baukunst – Architek-
Der Kölner Dom in der Anschauung S. B.s, turästhetik von Winckelmann bis B., Wei
in: Jb. des Köln. Geschichtsvereins, 1957, 260– 2000; Heckmann, Uwe: Die Sammlung B. –
290; Lohmeyer, Hans: Die Sammlung der Konzeption und Rezeptionsgeschichte einer
Brüder B., in: JbPKB, 1963, 187–190; Klotz, romantischen Kunstsammlung zwischen 1804
Heinrich: Nachwort, in: S. B. Briefwechsel, und 1827, Mü 2003
CF
38 Braunfels

Braunfels,Wolfgang
Geb. 5. 10. 1911 in München; gest. 5. 3. 1987 in Krailing

Im Mittelpunkt von B.s Veröffentlichungen zur Stadt- und Klosterarchitektur sowie


zur karolingischen Kunst stehen die großen Strukturzusammenhänge, in denen sich
Kunst entfaltet. B. gelang der Bogenschlag zwischen einer detailgenauen und quel-
lenorientierten Analyse und einer auf den gesellschaftlichen und sozialen Kontext
bezogenen Deutung. In seine Fragestellungen bezog er andere Disziplinen wie
Geschichte, Soziologie, politische Wissenschaften, Stadtplanung und Semantik ein.
Die Fähigkeit zur Synthese und universalen Betrachtung konnte B. während
seines Studiums der Kunst- und Literaturgeschichte und der allgemeinen Geschichte
an den Universitäten Köln, Paris, Florenz und Bonn unter anderem bei Henri Fo-
cillon, Ernst Robert Curtius und  Paul Clemen ausbilden. 1937 promovierte er
mit einer Arbeit über François de Cuvilliés in Bonn. 1938–39 folgte ein längerer
Forschungsaufenthalt in Italien, wo B. in den Archiven von Florenz und Siena Ma-
terial für seine Habilitationsschrift über den toskanischen Städtebau des Mittelalters
zusammentrug, die jedoch infolge des Krieges erst 1950 an der Universität Köln
eingereicht werden konnte. 1945–53 war B. Assistent am Wallraf-Richartz-Museum
in Köln. Anschließend erhielt er einen Ruf als o. Professor an die Technische Hoch-
schule Aachen, wo er bis 1965 das kunstgeschichtliche Institut leitete. Von 1965 bis
zu seiner Emeritierung 1978 lehrte er als Nachfolger  Sedlmayrs in München.
Mit seinem Beitrag zur italienischen Stadtbaukunst, für die er den Begriff »Kom-
munalgotik« prägte, leistete B. Pionierarbeit, indem er systematisch die literarischen
Quellen nach Mitteilungen zum mittelalterlichen Bauwesen durchforschte. Nach
Robert Davidsohns Forschungen zur Geschichte von Florenz (1896–1908) und  Weis-
bachs Die italienische Stadt der Renaissance (1922) führte er an toskanischen Städten
wie Lucca, Pisa, Pistoia,Volterra und vor allem Siena exemplarisch vor, wie sich die
kommunale Bauhoheit und die Blütezeit der Stadtbaukunst gegenseitig bedingten.
Er belegte die Abhängigkeit allen Baugeschehens von den Baugesetzen, die in den
Stadtstatuten verankert waren, und machte vor allem deutlich, daß seit dem 13.
Jahrhundert das Selbstverständnis einer mittelalterlichen Stadt über ihre politisch-
administrative Funktion hinausging, daß sie ihre soziale Ordnung und die sie tra-
genden Ideen auch in der architektonischen Gestalt des Ganzen wie einzelner
Bauwerke repräsentiert sehen wollte.
In Abendländische Klosterbaukunst thematisierte B. das Verhältnis zwischen Ordens-
regeln und deren architektonischer Repräsentation sowie das Bestreben der
Mönchsorden, eine innere Ordnung, eine Lebens- und Geisteshaltung auch nach
außen sichtbar zu machen. In seiner Untersuchung, die von den Anfängen des be-
nediktinischen Klosterschemas über den Idealplan von St. Gallen und die ersten
Bauten der Cluniazenser und Zisterzienser bis hin zu Le Corbusiers Klosteranlage
von La Tourette reicht, zeigte er die enge Verflechtung der Mönchsorden mit der
Christianisierung Europas und der abendländischen Kunst- und Kulturgeschichte.
Im Laufe der Jahrhunderte hätten sich die verschiedenen Orden wie Kunststile in
ihrer führenden Position abgelöst; entscheidend für die Prägung der Bau- und Bild-
werke seien die jeweiligen Frömmigkeitsideale gewesen; jedes bedeutende Kloster
Braunfels 39

habe danach gestrebt, sich auch in seiner ästhetischen Erscheinung als ein Organis-
mus darzustellen, durch den das Leben nach der Regel ermöglicht, rationalisiert
und symbolisiert werden konnte.
Während seiner 12jährigen Tätigkeit an der Technischen Hochschule Aachen
widmete B. der karolingischen Kunst zahlreiche Veröffentlichungen. Er gehörte zu
den Initiatoren der Aachener Ausstellung, die 1965 unter der Schirmherrschaft des
Europarates stattfand (AKat. Karl der Große; Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben,
1965–68). In Die Welt der Karolinger (1968) entwarf er ein Gesamtbild der karolingi-
schen Epoche und ihrer Kunst, die er als »Modellfall« für die Kultur des Abendlan-
des bezeichnete. Das Glanzstück dieses betont historischen Buches bildet das Kapi-
tel über Karl den Großen und dessen Hof. B. verglich seine Aufgabe mit der eines
Restaurators, der ein seit »langem zerstörtes Mosaik aus wenigen, durch glückvolle
Zufälle erhaltenenen Steinen wiederherzustellen sucht«. Dabei fesselte ihn beson-
ders die in der karolingischen Kunst hervortretende Synthese von lokaler Tradition,
Spätantike und Christentum, in der er den Nukleus der späteren französischen,
deutschen und italienischen Geschichte sah.
Seine nach der Emeritierung begonnene mehrbändige Kunst im Heiligen Römi-
schen Reich Deutscher Nation gliederte B. nach politischen Institutionen und Ord-
nungseinheiten (Territorien, Städte, reichsritterschaftliche Gebiete, Klöster, Stifte),
gemäß seiner Maxime, Kunstgeschichte von den Auftraggebern her zu schreiben
und – mit kritischem Blick auf die stilanalytische Kunstgeschichte – die Kunstwerke
»in die Geschichte« zurückzutragen. Bauten, Plätze und Straßen waren für B. keine
»zeitlosen Erfahrungsbereiche der Ästhetik«. Auch betonte er, daß Kunstgeschichte
nicht die Vergangenheit illustriere. Ihre Meisterwerke seien die »Moleküle, aus de-
nen das Bild der Jahrhunderte gestaltet ist«, da sie »von sich aus die Summe aus den
geistigen Energien« gezogen hätten, »die die Jahrhunderte belebten«.

Werke: François de Cuvilliés. Ein Beitrag 1953; Die Kultur der Intellektuellen und die
zur Geschichte der künstlerischen Beziehun- Kultur der Geschäftsleute, in: Neues Abend-
gen zwischen Deutschland und Frankreich land, 8, 1953, 515–525; Die heilige Dreifaltig-
im 18. Jh., Wü 1938; Der Dom von Florenz, Fl keit. Lukasbücherei zur christlichen Ikono-
1938; S. Maria Novella in Florenz, Fl 1938; S. graphie, Bd. 6, Dü 1954; Rembrandt, Da 1954;
Croce in Florenz, Fl 1938; S. Pietro in Vati- Der Kölner Hildebrandbrunnen, in: WRJb,
cano, Fl 1938; S. Marco. Venezia, Fl 1938; Der 1955, 189–210; Giovanni Bellinis Paradiesgärt-
Dom zu Siena, Fl 1938; Kleine italienische lein, in: Das Münster, 9, 1956, 1–13; Tizians
Kunstgeschichte (mit Eckart Peterich), Frf Augsburger Kaiserbildnisse, in: Kunstge-
1939; Unsere liebe Frau. Radolfzell, Mü 1940; schichtliche Studien für Hans Kauffmann,
Perseus und Medusa von Benvenuto Cellini, Bln 1956, 192–207; Das Rheinland, Dü 1956;
Bln 1948; Giottos Campanile, in: Das Mün- Toskana-Umbrien, Dü 1956; Meisterwerke
ster, 1, 1948, 193–210; Die Verkündigung. Lu- der Weltmalerei, Bln 1957; Industrielle Früh-
kasbücherei zur christlichen Ikonographie, zeit im Gemälde. Erzbergbau und Eisenhüt-
Bd. 1, Dü 1949; Zur Gestaltikonographie der ten in der europäischen Malerei 1500–1850,
Kanzeln des Nicola und Giovanni Pisano, in: Dü 1957; Meisterwerke europäischer Plastik
Das Münster, 2, 1949, 321–349; Nimbus und von der Antike bis zur Gegenwart, Zü 1958;
Goldgrund. Zur Entwicklung des Heiligen- Drei Jahrtausende Weltmalerei. Meisterwerke
scheins, in: Das Münster, 3, 1950, 321–334; der Weltmalerei, Bd. 2, Da 1959; Anton Won-
Die Auferstehung. Lukasbücherei zur christ- sams Kölnprospekt von 1531 in der Ge-
lichen Ikonographie, Bd. 3, Dü 1951; Mittel- schichte des Sehens, in: WRJb, 1960, 115–136;
alterliche Stadtbaukunst in der Toskana, Bln Tizians Allocutio des Avalos und Giulio Ro-
40 Braunfels

mano, in: Mouseion. Studien aus Kunst und telalterliche Stadtbaukunst in der Toskana«,
Geschichte für Otto H. Förster, Köln 1960, in: ÖZKD, 8, 1954, 123–124; Boeck, Wilhelm:
108–111; Tizian, Da/Bln 1961; Die moderne dass., in: DKDpf, 1954, S. 148; Krönig, Wolf-
Kunst und der technische Fortschritt, in: gang: dass., in: Das Münster, 7, 1954, 267–268;
JbÄaK, 1961, 17–43; Vincent van Gogh, Da Lotz, Wolfgang: dass., in: ArtB, 37, 1955, 65–67;
1962; Ein Sammler des deutschen Expressio- Fuhrmann, Franz: dass., in: Jahresschrift des
nismus. In memoriam Joseph Haubrich, in: Salzburger Museums Carolino Augusteum, 5,
WRJb, 1962, 375–380; Die Inventio des 1959, 343–344; Beckwith, John: Rez. von
Künstlers. Reflexionen über den Einfluß des »The Lorsch Gospels« (NY 1967), in: Apollo,
neuen Schaffensideals auf die Werkstatt Raf- 88, 1968, 500–501; Hausherr, Reiner: Rez.
faels und Giorgiones, in: FS Ludwig Heyden- von »Karl der Große. Lebenswerk und Nach-
reich, Mü 1963, 20–28; Der Dom von Flo- leben«, in: RhVjBl, 31, 1967, 525–531; Elbern,
renz, Olten/Lausanne/FrB 1964; Denkmals- Victor H.: Rez. von »Die Welt der Karolinger
pflege der Denkmalspflege, in: FS Willy und ihre Kunst«, in: ZfKg, 32, 1969, 324–329;
Weyres, Köln 1964, 323–330; Gerhard Marcks. Hahnl, August: Rez. von »Abendländische
Das Aachener Pferd, in: AKbl, 29, 1964, 329– Klosterbaukunst«, in: KuK, 1971, 97–98; Har-
337; Ein Tizian nach Cranach, in: FS Herbert vey, John H.: Rez. von »Monasteries of We-
von Einem, Bln 1964, 44–48; Drei Bemer- stern Europe. The Architecture of the Or-
kungen zur Konstruktion der Florentiner ders«, Lo 1972, in: JBAA, 36, 1973, 120–121;
Domkuppel, in: MKhIF, 11, 1965, 203–226; Conant, Kenneth John: dass, in: ArtB, 58,
AKat. Karl der Große. Werk und Wirkung, 1976, 287–288; Dogaer, Georges: Rez. von
Dü 1965; Karl der Große, Lebenswerk und »Der Hedwigs-Codex von 1353. Sammlung
Nachleben (mit Helmut Beumann u. a.), 5 Ludwig«, in: Scriptorium, 30, 1976, 129–130;
Bde., Dü 1965–68; Das Lorscher Evangeliar, FS W. B., hrsg. v. Friedrich Piel und Jörg Trae-
Mü 1967; Die Welt der Karolinger, Mü 1968; ger, Tü 1977; Carlson, Eric Gustav: Rez. von
Bemerkungen zur Elfenbeinwerkstätte Karls »Monasteries of Western Europe«, Pr. 1973, in:
des Großen, in: FS Werner Gross, Mü 1968, Architectura, 7, 1977, 84–86; Gardner, Ste-
45–54; Abendländische Klosterbaukunst, Köln phen: dass., in: JSAH, 36, 1977, 42–44; Boock-
1969; Adolf von Hildebrand. Artist of Tran- mann, Hartmut: Rez. von »Die Kunst im
quillity, in: Apollo, 1971, 356–365; Karl der Heiligen Römischen Reich Deutscher Na-
Große in Selbstzeugnissen und Bilddoku- tion«, Bd. 1, in: ZfKg, 43, 1980, 219–221; ders.:
menten, Hbg 1972; Mittelalterliche Sozial- dass., Bd. 2, ebd, 43, 1980, 414–416; Peroni,
pflege im Spiegel ihrer Bauten, in: Das Mün- Adriano: Rez. von »Mittelalterliche Stadtbau-
ster, 26, 1973, 49–60; Die Kirchenbauten der kunst in der Toskana«, in: Studi medievali, 22,
Ottonenäbtissinnen, in: FS Hans Wentzel, Bln 1981, 225–228; Boockmann, Hartmut: Rez.
1975, 33–40; Das Stadtzuhause und die Schön- von »Die Kunst im heiligen Römischen
heit. Urbanistik als politische Wissenschaft, in: Reich Deutscher Nation«, Bd. 3, in: ZfKg, 45,
Jahres- u. Tagungsber. d. Görresges., 1976, 5– 1982, 208–211; Glaser, Hubert: dass., Bde. 1–3,
20; Abendländische Stadtbaukunst. Herr- in: Pantheon, 40, 1982, 77–79 und 354–356;
schaftsform und Baugestalt, Köln 1976; Sankt Traeger, Jörg: Kunstgeschichte im histori-
Georg. Legende, Verehrung, Symbol (mit Si- schen Horizont. Laudatio auf W. B. zum 70.
grid Braunfels-Esche), Mü 1976; Nimbus und Geburtstag, in: Das Münster, 35, 1982, 58–60;
Goldgrund. Wege zur Kunstgeschichte, Mit- Traeger, Jörg: W. B., Kunsthistoriker, in: Chri-
tenwald 1979; Die Kunst im Heiligen Römi- stenleben im Wandel der Zeit, 2, 1987, o. S.;
schen Reich Deutscher Nation, 6 Bde., Ballon, Hillary: Rez. von »Urban Design in
1979–89; Brunelleschi und die Kirchenbau- Western Europe. Regime and Architecture,
kunst des frühen Humanismus, Basel/Frf 900–1900«, Chi/Lo 1988, in: Speculum, 65,
1981; François Cuvilliés. Der Baumeister der 1990, 949–951
galanten Architektur des Rokoko, Mü 1986 CF
Literatur: Schmeller, Alfred: Rez. von »Mit-
Brinckmann 41

Brinckmann, Albert Erich


Geb. 4. 9. 1881 in Norderney; gest. 10. 8. 1958 in Köln

Neben  Gurlitt,  Wölfflin,  Dohme,  Schmarsow,  Riegl und  Feulner


steht B. in der ersten Reihe der Historiker des Barock; was die Plastik betrifft, kann
er sogar den Anspruch erheben, von ihr endlich das von den Klassizisten ausgespro-
chene Verdikt genommen zu haben. Mitbegründet hat er auch die Städtebaufor-
schung. Als Sohn eines Architekten kam B. früh mit der Baukunst in Berührung. Er
besaß eine für einen Theoretiker außergewöhnlich umfassende Kenntnis von der
Sache selbst, und er hat bis an sein Lebensende über dieses Thema nachgedacht und
geschrieben, wobei es ihm weniger darum ging, das Kommen und Gehen der Stile
festzuhalten, als die europäische Architektur als Ganzes systematisch darzustellen. B.
gehört zu jener Generation von Kunsthistorikern, die den Historismus des 19. Jahr-
hunderts und dessen Reduzierung der Kunstwissenschaft auf Kunst-Geschichte zu
überwinden suchten.
B. studierte in Berlin und München Kunstgeschichte und Archäologie. Seine von
Wölfflins Anschauungen geprägte Dissertation (1905) demonstriert die »Entwick-
lungsreihe eines Darstellungselementes«, die sich folgerichtig wandelnde Formen-
sprache der mittelalterlichen Malerei, die auf psychologische Gesetze, eine »Verän-
derung im optischen Sehen«, aber auch auf fundamentale Faktoren wie
»Rasseveranlagung« zurückgeführt wird. 1909 erhielt B. eine Assistentenstelle an der
Technischen Hochschule Aachen, ein Jahr später habilitierte er sich dort mit einer
Wölfflin gewidmeten Arbeit über Städtebau seit der Renaissance. Sein kritischer
Ansatz wandte sich gegen den »gesinnungslosen Schematismus« des 19. Jahrhun-
derts; Städtebau sei früher immer eine gestaltende Tätigkeit gewesen, erst seit dem
Klassizismus habe sich die künstlerische Einheit von Platz und Monument aufge-
löst. An Wölfflins Frühschriften anknüpfend, sah B. den »psychophysischen« Ur-
sprung des architektonischen Gestaltens im Raum- und Körpergefühl; das Ableiten
architektonischer Formen aus historischen Vorbildern betrachtete er als Symptom
kulturellen Verfalls.
Wie sich B. 1956 erinnerte, fanden diese Forschungen damals nur bei den Archi-
tekten ein Echo; 1912 sei er deshalb gern der Berufung auf den Lehrstuhl für Bau-
geschichte der Technischen Hochschule Karlsruhe gefolgt. Diese voruniversitäre
Lebensphase endete 1919, als B. nach Rostock ging, um dort, als erster o. Professor,
ein kunstgeschichtliches Institut zu gründen. Die gleiche Aufgabe übernahm er
1921 an der Universität in Köln, wo er bis 1931 als Ordinarius wirkte. Einen ab-
schließenden Höhepunkt fand diese vorzüglich der Architektur gewidmete Periode
1922 mit der Veröffentlichung von Plastik und Raum als Grundformen künstlerischer
Gestaltung. Einen »Willen zu Raum und Plastik« in der zeitgenössischen Architektur
in Ansätzen konstatierend, untersuchte B. die Entwicklung von der Gotik bis zum
19. Jahrhundert, um den strukturellen Zusammenhang zwischen beiden Grundfor-
men der architektonischen Gestaltung exemplarisch zu demonstrieren: zwischen
»Plastik«, das heißt Wand, Decke, Stützen, Öffnungen, und »Raum«. »Plastik« und
»Raum« erhalten dabei den Charakter von Grundbegriffen, wie sie B. bei Riegl,
Schmarsow, Wölfflin,  Wulff und anderen fand.
42 Brinckmann

Das Problem kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe behandelte er noch einmal


in Spätwerke großer Meister. Aber anders als Wölfflin, dessen Begriffspaare auf die
Form und ihre historische Entwicklung abzielten, betrachtete B. Kunstgeschichte
als »Geschichte des schöpferischen Geistes« und die »Untersuchung geistiger Struk-
turveränderung der schöpferischen Persönlichkeit« als ein zentrales Problem kunst-
wissenschaftlicher Forschung. Angeregt durch Eduard Sprangers Typisierung der
menschlichen Individualität fand B. Konstanten in der geistigen Entwicklung des
Künstlers: Jeweils um das 35. und das 65. Lebensjahr verändere sich der Personalstil;
der noch unentschiedenen Frühphase folge der reife Stil des mittleren Lebensab-
schnitts mit der für ihn typischen Abgrenzung der Formen untereinander und vom
Raum und schließlich der Altersstil, bei dem die entgegengesetzte Tendenz zum
Zusammenfließen und Verschmelzen zu beobachten sei. Zur Kennzeichnung dieser
zweiten und dritten Lebensphase des Künstlers führte B. die Begriffe »Relation«
und »Verschmolzenheit« ein. Wie  Pinder mit seiner kurz darauf veröffentlichten
Generationslehre (Das Problem der Generation, 1926) wollte B. zeigen, daß der kunst-
geschichtliche Prozeß keine homogene Stilgeschichte, sondern ein vielschichtiges,
mit der Geistesgeschichte verwobenes, von Künstlerindividuen getragenes Gesche-
hen sei. Anders als das 19. Jahrhundert ( Carl Justi,  Thode) beurteilte er den
Altersstil großer Meister nicht mehr negativ als Niedergang, sondern als »eine Um-
formung einstiger Geistigkeit, die ehrfurchtgebietend und erschütternd ist. Die
Schöpferkraft des Menschen neigt sich zur Ruhe, doch sie tut es mit einem letzten
weiten Blick im Angesicht der Ewigkeit«.
Als Nachfolger des im Krieg gefallenen  Burger übernahm B. 1916 die Heraus-
gabe des Handbuches der Kunstwissenschaft. Er selbst veröffentlichte in dieser Reihe
die erste Gesamtdarstellung der Barockskulptur überhaupt, an die sich eine vierbän-
dige Geschichte der Barock-Bozzetti anschloß, und eine Geschichte der Baukunst
des 17. und 18. Jahrhunderts in den germanischen Ländern. Große Verdienste erwarb
er sich auch um die Barockarchitektur Piemonts und Savoyens, besonders um Fi-
lippo Juvarra. B.s besondere Zuneigung galt dem 18. Jahrhundert, vor allem dem
Rokoko, das noch keiner so überschwenglich charakterisiert hatte wie er: »Wie
lichtester Glanz steht die Kunst des 18. Jahrhunderts vor dem entzückten Auge. Sie
erscheint als zauberhafte Zusammenfassung aller künstlerischen Fähigkeiten und
Möglichkeiten der vorhergehenden Jahrhunderte.«
Als Nachfolger  Goldschmidts wurde B. 1931 auf den Berliner Lehrstuhl beru-
fen, den er allerdings 1935 für Pinder räumen mußte. Anschließend wirkte er bis zu
seiner Emeritierung 1946 als Ordinarius in Frankfurt/Main. Während dieser Zeit
schrieb der überzeugte Europäer B. sein populäres Buch Geist der Nationen über ein
damals nicht nur unter deutschen Kunsthistorikern beliebtes Thema; der internatio-
nale Kunstgeschichtskongreß 1933 in Stockholm, auf dem Pinder und B. die Haupt-
referate von deutscher Seite gehalten hatten, war diesem Thema gewidmet. Wieder
kritisch an die Adresse der formanalytischen Kunstgeschichtsschreibung gerichtet,
bedauerte B., daß das Fach nicht Wilhelm Dilthey und Ernst Troeltsch gefolgt sei,
»die in der Forschung die Lebensidee selbst zu vertiefen versuchten«. Die vordring-
liche Aufgabe der Kunstgeschichte sei es jetzt, an einem »neuen Weltbild« mitzuwir-
ken, das der »nationalen Haltung« entspreche. Wie B. später im Vorwort zu Geist im
Brinckmann 43

Wandel (1946) behauptete, sei er aber in Opposition zu dem damals in Nazideutsch-


land herrschenden »übersteigerten Germanismus« für eine »europäische Schicksalge-
meinschaft« eingetreten; er habe gezeigt, »daß nicht Rassenreinheit und Autarkie,
sondern Rassenmischung und Austausch den fruchtbaren Kulturboden« schaffen. In
Geist der Nationen wird der Anteil Italiens, Frankreichs und Deutschlands an der
abendländischen Kunst umschrieben und den typologischen Begriffen »Sinnlich-
keit«, »Vernünftigkeit« und »Vergeistigung« zugeordnet. In einer für das kunstge-
schichtliche Denken der Zeit charakteristischen statischen Auffassung von der euro-
päischen Kunstgeschichte bezeichnet sie B. als »Gemeinschaftsleistung«; sie sei »kein
Staffellauf [...]. Sinnlichkeit, Vernünftigkeit, Vergeistigung sind keine Abfolgen, son-
dern sie bestehen nebeneinander bei der Interpretation der großen abendländischen
Themen«. Unter europäischer Kunstgeschichte verstand B. allerdings nur die westeu-
ropäische seit dem Mittelalter. Die Antike und den Osten ließ er unberücksichtigt.

Werke: Baumstilisierungen in der mittelal- sull’architettura in Germania nell’ 700, in: Atti
terlichen Malerei, Bln 1905; Platz und Monu- della Società piemontese di archeologia e
ment. Untersuchungen zur Geschichte und belle arti, 15, 1933, 348–374; Landschaften
Ästhetik der Stadtbaukunst in neuerer Zeit, deutscher Romantiker, Bln 1935; Filippo Ju-
Bln 1908; Deutsche Stadtbaukunst in der Ver- varra. I Disegni, Mailand 1937; Geist der Na-
gangenheit, Frf 1911; Dürer-Briefe (Hrsg. mit tionen. Italiener, Franzosen, Deutsche, Hbg
Ernst Birkner), Aachen 1911; Stadtbaukunst 1938 (ndld. 1929, frz. 1930); Die Kunst des
des 18. Jh.s, Bln 1914; Baukunst des 17. und Rokoko, Bln 1940; Giotto bis Juvarra. Ewige
18. Jh.s in den romanischen Ländern, Bln Werte italienischer Kunst, Hbg 1940; Jean
1915–17; Baukunst und Baumeister in Petro- Antoine Watteau, Wien 1943; Michelangelo.
grad von seiner Gründung bis zur Mitte des Vom Ruhme seines Genius in fünf Jahrhun-
19. Jh.s, Bln 1916; Barockskulptur. Entwick- derten, Hbg 1944; Geist im Wandel. Rebel-
lungsgeschichte der Skulptur in den romani- lion und Ordnung, Hbg 1946; Europageist
schen und germanischen Ländern seit Mi- und Europäer, Hbg 1948; Europäische Hu-
chelangelo bis zum Beginn des 18. Jh.s, Bln manitas. Dürer bis Goya, Mü 1950; Porträt-
1917–19; Stadtbaukunst. Geschichtliche Quer- darstellungen als Symbole des Europäischen,
schnitte und neuzeitliche Ziele, Bln 1920; Ba- in: FS Henrik Cornell, Stockholm 1950, 165–
rock-Bozzetti, 4 Bde., Frf 1920–25; Entwick- 171; Welt der Kunst. Künstlerische Anschau-
lung und Ziele der heutigen Stadtbaukunst, ung, Schöpfung, Wirkung, BB 1952; Bau-
in: PJbb, 1922, 167–181; Plastik und Raum als kunst. Die künstlerischen Werte im Werk des
Grundformen künstlerischer Gestaltung, Mü Architekten, Tü 1956
1922; Kunst des Barock und Rokoko, Bln Literatur: Landsberger, Franz: Rez. von
1923; Süddeutsche Bronzebildhauer des Früh- »Spätwerke großer Meister«, in: RfKw, 47,
barock, Mü 1923; Spätwerke großer Meister, 1926, 179–182; Grautoff, Otto: dass., in:
Frf/Bln 1925; Michelangelo-Zeichnungen, ZfÄaK, 20, 1926, 360–361; Keller, Harald:
Mü 1925; Schöne Gärten, Villen und Schlös- Rez. von »Theatrum Novum Pedemontii, in:
ser aus fünf Jahrhunderten, Mü 1925; Die DLZ, 1936, 1535–1539; Wingler, Hans Maria:
Funktion der Kuppelwölbung, in: ZfbK, 59 A.E.B. zum 70. Geburtstag, in: Ktw, 5, 1951, S.
(31), 1925/26, 10–18, 43–48; Theatrum No- 65; Köllmann, Erich: In memoriam A.E.B.,
vum Pedemontii. Ideen, Entwürfe und Bau- hrsg. v. Hildegard Brinckmann, Köln 1958;
ten von Guarini, Juvarra,Vittone wie anderen Sirén, Johan S.: A.E.B. in memoriam, in: Ark-
bedeutenden Architekten des piemontesi- kitehti Arkitekten, 9, 1958, 20–21; Medding,
schen Hochbarock, Dü 1931; Der Stockhol- Wolfgang: Prof. A.E.B., in: DKDpf, 1959, 87–
mer Kunsthistorikerkongreß mit Bericht 88; Ladendorf, Heinz/Brinckmann, Hildegard
über den Vortrag »Der nationale Charakter in (Hrsg.): A.E.B.Verzeichnis der Schriften, Köln
der deutschen Kunst des 18. Jh.s«, in: Hoch- 1961; Arend, Sabine: A.E.B. (1881–1958), in:
schule und Ausland, 11, 1933, 34–38; La gran- Jutta Held (Hrsg.), Kunstgeschichte an den
dezza di Guarino Guarini e la sua influenza Universitäten im Nationalsozialismus, Gö
2003, 123–142
PB
44 Burckhardt

Burckhardt, Jacob
Geb. 25. 5. 1818 in Basel; gest. 8. 8. 1897 in Basel

B. gehört zu den bedeutenden Geschichtsschreibern des 19. Jahrhunderts. Seine


bleibende Tat für die Kunstgeschichte war – befähigt durch »eine neue Sinnlichkeit,
eine neue Formenempfindlichkeit« ( Wölfflin) – die Entdeckung der italienischen
Renaissance in ihrer kulturellen Ganzheit und künstlerischen Eigenart. B. war ein
konservativer Denker, »ein abendlicher Mensch« ( Hager), der die Französische
Revolution und die von ihr ausgelösten tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwäl-
zungen ablehnte. Obwohl nach eigener Einschätzung in einer 1889 verfaßten
Selbstbiographie sein äußeres Leben bis ins hohe Alter »fast ungetrübt« dahingeflos-
sen war, habe er schon früh die »große Hinfälligkeit und Unsicherheit alles Irdi-
schen« erfahren und den »einzigen Trost« in der Erkenntnis und im Genuß der
Geschichte und der Kunst gefunden. Aber im Gegensatz zur politischen Ereignis-
geschichte des Historismus und dessen Verherrlichung der »großen Männer« schrieb
B. Kulturgeschichte, zu der für ihn als ein »Hauptteil« die Kunstgeschichte gehörte;
ihn interessierten die strukturellen Konstanten, das »sich ewig Wiederholende« im
Ablauf der Menschheitsgeschichte. B. hielt sich für einen unphilosophischen Men-
schen, der, wie er Nietzsche gegenüber gestand, »in den Tempel des eigentlichen
Denkens [...] nie eingedrungen« sei, sondern sich an das Bildliche im weitesten
Sinne des Wortes gehalten habe. B.s Erkenntnismethode war die in seiner künstle-
rischen Begabung wurzelnde sinnliche Anschauung. Obenan standen für ihn des-
halb die Werke der Kunst, die ihm am deutlichsten sagten, was die Menschheit »war,
wollte, dachte, schaute und vermochte«. Die Kunstgeschichtsschreibung verfolgte
nach B.s Überzeugung ihren höchsten Zweck in der »Anleitung zum Genuß« der
großen Kunstwerke.
Obwohl ihn »die Betrachtung der Kunst von jeher mächtig angezogen« hatte,
widmete sich B. 1837–39 in Basel zunächst der Theologie und in Berlin sowie
während eines Bonner Semesters 1841 der Geschichte. Prägend waren für ihn vor
allem Leopold von Ranke, August Boeckh, Jacob Grimm und die Kunsthistoriker
 Kinkel,  Schnaase und nicht zuletzt  Franz Kugler, »eine edle Persönlichkeit,
[die] Horizonte weit über die Kunstgeschichte hinaus« eröffnete. 1843 promovierte
B. über Karl Martell, verbrachte anschließend einige Monate in Paris mit Quellen-
studium und ging 1844 als Dozent (seit 1845 als Professor) für Geschichte an die
heimatliche Universität in Basel. 1846–48 hielt er sich wieder in Berlin auf, half
Kugler bei der Überarbeitung seiner beiden Handbücher und reiste zweimal nach
Italien. In den Vormärz-Jahren stand B. der Romantik nahe, fühlte als Liberaler und
als Deutscher und entdeckte für sich die großen mittelalterlichen Kirchen am
Rhein, die Kölner und die frühe niederländische Malerei (Die Kunstwerke der bel-
gischen Städte, 1842). Die revolutionären Erschütterungen in Berlin und anderswo
beendeten diese noch von politischen Hoffnungen getragene Lebensphase. B. zog
es nun immer stärker nach Italien, in das »Kastanien- und Freskenland«, wo es keine
Eisenbahnen und keinen Fortschritt gab. An die Stelle des deutschen Mittelalters
und der Romantik trat die Klassik; aus dem patriotischen Dichter wurde der kon-
servative »Alteuropäer«, der Historiker der Antike und der italienischen Renais-
sance.
Burckhardt 45

1848 verließ B. Berlin und versah bis 1853 eine schlechtbezahlte Lehrerstelle in
Basel. Danach lebte er vorübergehend von literarischer Tätigkeit. In diese Zeit fiel
eine weitere Italienreise (1853/54), auf der er das Material für den Cicerone (1855)
sammelte. 1855 erfolgte die Berufung zum Professor für Kunstgeschichte ans Poly-
technikum in Zürich, und 1858–93 lehrte er schließlich an der Baseler Universität
Geschichte und mehr und mehr Kunstgeschichte. Nach der Kultur der Renaissance
(1860) und der Baukunst der italienischen Renaissance (1867) hat B. nichts mehr veröf-
fentlicht; die postum erschienenen Werke zur griechischen Kulturgeschichte, zu
Rubens, zur Ästhetik und die Weltgeschichtlichen Betrachtungen gehen meist auf Vor-
lesungsmanuskripte zurück.
Eine auf den philosophischen Idealismus, namentlich den Hegelschen, gegrün-
dete Kunstgeschichtsschreibung lag B. fern. Während Schnaase in seine Niederländi-
schen Briefe von 1834 weitausgreifende theoretische und methodologische Reflexio-
nen eingeflochten hatte, die oft die Kunstbeschreibungen überdeckten, ließ B. seiner
Begeisterung für die gotische Architektur und bildende Kunst in der Schilderung
seiner belgischen Reiseeindrücke acht Jahre später freien Lauf; er wollte nicht zum
Nachdenken, sondern zum anschauenden Genießen der Kunst des Mittelalters an-
regen. Diesem Anliegen diente ausdrücklich und auf noch vollkommenere Weise
der Franz Kugler gewidmete Cicerone. Gegliedert nach Gattungen, Regionen, Stilen
und Künstlern stellte B. die Kunst auf italienischem Boden von der Antike bis zum
17. Jahrhundert vor. Er schöpfte aus der eigenen Anschauung, hielt sich mit Fakten,
aber nicht mit seinem Urteil zurück; B. wertete, versuchte aber stets, auch Künstlern
wie Michelangelo und Bernini, die seinem Schönheitsempfinden widersprachen,
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Die Spätantike, eine kunstgeschichtliche »Verfallszeit« wie der Barock, war einige
Jahre früher der Gegenstand der ersten großen kulturgeschichtlichen Monographie
B.s gewesen, der Zeit Konstantins des Großen (1853). Was er dort über die Kunst sagt,
beschränkt sich auf wenige Seiten, ist aber für sein Kulturverständnis grundlegend:
Erst von dem Zeitpunkt an, da auch der Verfall von Kunst und Poesie evident wird,
ist für B. der Untergang der Antike besiegelt. Die hier der Kunst zugestandene
Sonderrolle zieht sich durch B.s ganzes Denken. Kultur- und Kunstgeschichte ver-
liefen für ihn nicht synchron. Er hielt es deshalb für möglich und auch erforderlich,
eine eigenständige Kunstgeschichte zu schreiben, die »lebendigen Gesetze der Form
in möglichst klare Formen zu bringen«, womit aber keine Formengeschichte im
Sinne Wölfflins gemeint war. An anderer Stelle ist die Rede von einer »Kunstge-
schichte nach Aufgaben«, die den Sachverhalt besser kennzeichnete. Faßbar wird
das, was B. vorschwebte, in seiner Geschichte der italienischen Renaissancearchitek-
tur von 1867, wo nicht die Künstler und der Kunstprozeß im Mittelpunkt stehen,
sondern die systematische Darstellung der »Triebkräfte«: der Auftraggeber und Stif-
ter, der stilistisch-technischen Bedingungen, der Bauaufgaben.
Das dritte und bedeutendste seiner großen Italien-Bücher ist die Kultur der Re-
naissance in Italien (1860), das, ohne auf die bildende Kunst einzugehen, das kunsthi-
storische Denken – und darüberhinaus das allgemeine Verständnis der europäischen
Kultur – bis weit ins 20. Jahrhundert beeinflussen sollte. Für B., der dem Renais-
sance-Begriff seinen vollen Klang verliehen hat, war die italienische Renaissance
46 Burckhardt

nach und neben Antike und Gotik das dritte Goldene Zeitalter, das Zeitalter der
»Entdeckung der Welt und des Menschen« und der Beginn der Neuzeit.
Unter den nachgelassenen Schriften nehmen die Erinnerungen aus Rubens (1898),
die keine Biographie sind, einen besonderen Platz ein. B. gedenkt hier in essayisti-
scher Form eines Begleiters von Jugend an, des strahlenden Aristokraten unter den
alten Meistern und Gegenpols zu dem Plebejer Rembrandt, dem B. seine Bewun-
derung nicht versagen konnte, dessen Licht-Malerei und angebliche Vorliebe für das
Häßliche er jedoch mißbilligte. Seine Attacken gegen Rembrandt richteten sich
unausgesprochen auch gegen den Impressionismus und die in der zeitgenössischen
Kunst immer deutlicher werdende Tendenz einer Verselbständigung der künstleri-
schen Mittel.
B. gehörte zu den großen Stilisten unter den Historikern, und er war, wie seine
Zuhörer einhellig bezeugen, auch ein faszinierender Redner. Sein bedeutendster
Schüler Heinrich Wölfflin erinnerte sich 1936 der »einzigartigen Ergriffenheit«,
wenn B. »in seinen Vorlesungen auf das ganz Große und Wunderbare zu reden kam
[...]. Er senkte dann die Stimme und sprach leise und vibrierend. Seltsam, das ist
nun fünfzig Jahre her, aber der Ton klingt mir noch im Ohr. Ich habe niemals mehr
über Kunst so sprechen hören seither«. B. hielt auch gern Vorträge, die wie seine
Bücher für die »denkenden Leser aller Stände« gedacht waren. Mehr als 170 Texte
zu den unterschiedlichsten Themen sind überliefert.
Werke: Vorträge. 1844–87, Basel 1918; Unbe- Bln 1847; Andeutungen zur Geschichte der
kannte Aufsätze J.B.s aus Paris, Rom und christlichen Skulptur, in: Kbl, 1848, H. 33, 35;
Mailand, Basel 1922; Gesamtausgabe, 14 Bde., Bearbeitung von Franz Kuglers »Handbuch
Stg/Bln/Lpz 1929–34; J.B. und Heinrich der Kunstgeschichte«, 2. Aufl., Stg 1848; Die
Wölfflin. Briefwechsel und andere Doku- Zeit Konstantins des Großen, Basel 1853; Der
mente 1882–1897, Basel 1948 (Nd. 1988); Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der
Briefe. Vollständige Ausg., 10 Bde., Basel Kunstwerke Italiens, Basel 1855; Die Kultur
1949–86; Gesammelte Werke, 10. Bde., Basel/ der Renaissance in Italien. Ein Versuch, Basel
Stg 1955–59; Werke. Kritische Gesamtausgabe, 1860; Die Baukunst der Renaissance in Ita-
27 Bde., Mü 2000 ff. lien (Bd. 4 der »Geschichte der Baukunst«
Bemerkungen über schweizerische Kathe- von Franz Kugler), Stg 1867 (mit Wilhelm
dralen – Die Kathedrale von Genf. Die Ka- Lübke); Erinnerungen aus Rubens, Basel
thedrale von Lausanne, in: Ztschr. f. d. ge- 1898; Beiträge zur Kunstgeschichte Italiens.
samte Bauwesen, 2, 1836/37, 421–427 u. 3, Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die
1839, 50–54, 79–84, 241–219; Die Kathedrale Sammler, Basel 1898; Griechische Kulturge-
von Basel. Über den Kreuzgang des Münsters schichte, Bde. 1 u. 2, Bln/Stg 1898, Bde. 3 u.
zu Basel. Das Großmünster zu Zürich; Be- 4, Stg 1900–02; Weltgeschichtliche Betrach-
schreibung der Münsterkirche und ihrer tungen, Stg 1905; Über Murillo. Kunststudien
Merkwürdigkeiten zu Basel, Basel 1842; Be- aus dem Louvre, in: Atlantis, 9, 1937, 481–487;
richt über die Kunstausstellung zu Berlin im Ästhetik der bildenden Kunst, Da 1992
Herbst 1842, in: Kbl, 1843, H. 1–4, 20–25; Literatur: Gothein, Eberhard: J.B., in: PJbb,
Kunstwerke belgischer Städte, Dü 1842; Kon- 1897, 1–33; Joël, Karl: J.B. als Geschichtsphilo-
rad von Hochstaden. Erzbischof von Köln. soph, Basel 1918; Waetzoldt, Wilhelm: B.s Vor-
1238–61, Bonn 1843; Über die vorgotischen träge, in: ZfbK (Beilage), 54 (30), 1918/19, 8–
Kirchen am Niederrhein, in: Niederrhein. Jb. 15; Markwart, Otto: J.B. Persönlichkeit und
f. Geschichte, Kunst und Poesie, Bonn 1843, Jugendjahre, Basel 1920; Waetzoldt 1924, 172–
177–192; Die Kirche zu Ottmarsheim im El- 209; Neumann, Karl: J.B., Mü 1927; Neu-
saß, Basel 1844; Bearbeitung von Franz Kug- mann, Karl: Der unbekannte J.B. und das
lers »Handbuch der Geschichte der Malerei Mittelalter, in: DVjS, 9, 1931, 201–239; Neu-
seit Konstantin dem Großen«, 2. Aufl., 2 Bde., mann, Karl: Ranke und B. und die Geltung
Burckhardt 47

des Begriffs Renaissance, insbesondere für 290; Ganz, Peter: J.B.s »Kultur der Renais-
Deutschland, in: HZ, 150, 1934, 485–496; Ha- sance in Italien«. Handwerk und Methode, in:
ger, Werner: J.B. Ein Lebensbild, in: Geistige DVjS, 62, 1988, 24–59; Flaig, Egon: Ange-
Arbeit, 1934, 16, S. 12; Löwith, Karl: J.B. Der schaute Geschichte – eine Untersuchung der
Mensch inmitten der Geschichte, Luzern Struktur von J.B.s »Griechischer Kulturge-
1936; Waetzoldt, Wilhelm: J.B. als Kunsthisto- schichte«, FrB 1988; Ganz, Peter: J.B.s »Kultur
riker, Lpz 1940; Rehm, Walter: J.B.s Mitarbeit der Renaissance in Italien« und die Kunstge-
am Konversationslexikon von Brockhaus, in: schichte, in: Saeculum, 40, 1989, 193–212; Sie-
ArchKg, 30, 1940/41, 106–141;Wölfflin, Hein- bert, Irmgard: J.B. Studien zur Kunst- und
rich: J.B. und die Kunst (1936), J.B. und die Kulturgeschichtsschreibung, Basel 1991; Sitt,
systematische Kunstgeschichte (1930), J.B. Martina: Kriterien der Kunstkritik. J.B.s un-
zum 100. Geburtstag 25. 5. 1918, alles in: ders., veröffentliche Ästhetik als Schlüssel seines
Gedanken zur Kunstgeschichte. Gedrucktes Rangsystems, Wien/Köln/ Wei 1992; Sitt,
und Ungedrucktes, Basel 1941, 135–163; Kap- Martina: J.B. as Architect of a New History,
hahn, Friedrich: J.B.s Neubearbeitung von in: JWCI, 57, 1994, 227–242; Karge, Henrik:
Kuglers Malereigeschichte, in: HZ, 166, 1942, Die Kunst ist nicht das Maß der Geschichte.
24–56; Gantner, Joseph: J.B.s Urteil über Karl Schnaases Einfluß auf J.B., in: ArchKg,
Rembrandt und seine Konzeption des Klassi- 78, 1996, 393–431; Noll, Thomas: Vom Glück
schen, in: FS Heinrich Wölfflin zum 80. Ge- des Gelehrten. Versuch über J.B., Gö 1997;
burtstag, Basel 1944, 83–114; Kaegi, Werner: Große, Jürgen: Typus und Geschichte. Eine J.
J.B. Eine Biographie, 7 Bde., Basel 1947–82; B.-Interpretation, Köln/Wei/Wien 1997;
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Wien 1954; Kauffmann, Hans: J.B.s »Cice- rer, Emil: J.B.s »Wundermensch« Correggio,
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Flaig, Egon: Ästhetischer Historismus. Zur secolo. A proposito di Gottfried Kinkel e J.B.,
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48 Burckhardt

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2004; Boch, Stella von: J.B.s »Die Sammler«. Middle Ages and the Renaissance. 2. Archi-
Kommentar und Kritik, Mü 2004; Hofmann, tecture and Sculpture,Venedig 2005, 777–819;
Werner: J.B. Gesichtspunkte für Jegliches, in: Burckhardt, Leonhard/Gehrke, Hans-Joachim
ders., Die gespaltene Moderne, Mü 2004, (Hrsg.): J.B. und die Griechen, Basel 2006
49–57; Cesana, Andreas/Gossmann, Lionel PB
(Hrsg.): Begegnungen mit J.B., Basel 2004;

Burger, Fritz
Geb. 10. 9. 1877 in München; gest. 22. 5. 1916 bei Verdun

In der kleinen Phalanx der Kunsthistoriker, die sich als erste vehement für die neue
Kunst des frühen 20. Jahrhunderts einsetzten, nimmt B. einen wichtigen Platz ein,
geriet aber nach seinem frühen Tod bald in den Schatten anderer. Auch das von ihm
initiierte, vielbändige Handbuch der Kunstwissenschaft, eine Spitzenleistung der deut-
schen Kunstforschung, mußte von seinem Partner  Brinckmann verwirklicht
werden.
Der künstlerisch begabte Sohn eines Bankkaufmanns, der malte, modellierte und
dichtete, begann 1896 ein Architekturstudium in München, das er wegen des Mili-
tärdienstes im folgenden Jahr unterbrach und dann nach Reisen durch Frankreich
und Italien nicht wieder aufnahm. Er studierte stattdessen ab 1900 Kunstgeschichte
in Heidelberg. Die neuen Stilkunstbestrebungen in Darmstadt wurden 1902 Ge-
genstand seiner ersten Veröffentlichung. Im gleichen Jahr heiratete er die Tochter
des Archäologen Friedrich von Duhn. 1903 promovierte er bei  Thode. Seine
Dissertation ging in das umfängliche Buch Geschichte des Florentiner Grabmals von
den ältesten Zeiten bis Michelangelo (1904) ein, das formanalytische Stilgeschichte und
Quellenauswertung unter Einbeziehung des soziokulturellen Hintergrunds mitein-
ander verband. In den Folgejahren beteiligte sich B. mit rasch aufeinander folgenden
Büchern und Aufsätzen an der damals von vielen, genannt sei  Bode, intensiv
betriebenen Forschung zur italienischen Renaissancekunst und bald auch zur deut-
schen Kunst des 16. Jahrhunderts. Nach der Übersiedlung nach Freiburg und einem
längeren Studienaufenthalt in Florenz (1904–1906), zu dem Reisen durch ganz
Italien gehörten, konnte er sich 1906 mit Vitruv und die Renaissance in München
habilitieren. 1907–1914 hielt er als Privatdozent Vorlesungen und Übungen vor
Originalen an der Universität und der Akademie der bildenden Künste. Seit 1909
rückten dabei die Kunst des 19. Jahrhunderts und die aktuellen Kunstrichtungen in
den Vordergrund. Spätestens 1912 entwickelte er ohne den Rückhalt eines Lehr-
stuhls oder einer namhaften Institution den Plan zum Handbuch der Kunstwissenschaft,
das er mit einer Systematik der Kunstwissenschaft ergänzen wollte, von der nur
Manuskriptfragmente im Nachlaß zeugen. Sie hätte theoretisch-methodologische
und praxisorientierte Ausführungen zu Kunstbetrachtung, Kunstkritik, Museumsar-
Burger 49

beit und künstlerischen Techniken umfaßt. Im Unterschied zu der dreibändigen


Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker (1900–11) von  Woermann und der seit
1905 erscheinenden 17bändigen Histoire de l’art von André Michel setzte B. – mit
Erfolg – auf zahlreiche aufstrebende Spezialisten. Schon ab 1913 kamen Lieferungen
zu den ersten Bänden heraus, darunter die zu B.s eigenem Beitrag Die deutsche
Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, den Hermann
Schmitz und Ignaz Beth vollendeten.
Die Behandlung des kunsthistorischen Stoffes sollte ausdrücklich den Belangen
der Gegenwart dienen, was damals eine Reihe jüngerer Wissenschaftler im Ge-
gensatz zu einem für objektiv gehaltenen historischen Positivismus der älteren
Generation zum theoretischen Prinzip erhoben. B. wollte wie kurz zuvor die etwas
jüngeren  Worringer und  Hausenstein die Kunstgeschichte von den Schaffens-
prinzipien der neuesten Kunst her durchdenken und machte diese selbst zum
Thema: Cézanne und Hodler. Einführung in die Probleme der Malerei der Gegenwart
(1913). Auf dem Hohen Meißner, dem Festplatz der neuidealistisch und national
gesinnten deutschen Jugendbewegung, hielt er im selben Jahr eine Rede vom gei-
stigen Aufbruch in der Kunst. Für die Behandlung des 19. und 20. Jahrhunderts im
Handbuch, die er sich mit  Georg Swarzenski und  August Grisebach teilen
wollte, die aber später Hans Hildebrandt (1878–1957) übernahm, schrieb er eine
schwungvolle, theoretisch prinzipielle Einführung in die moderne Kunst, die kurz nach
seinem Tod erschien. Brinckmann, der das Handbuch allein weiterführte, nahm in
die Einführung die Abbildung eines abstrakten Gemäldes B.s auf, das dieser am To-
destag seines Freundes Franz Marc und ganz in dessen Art gemalt hatte. Die Einfüh-
rung erreichte bis 1931 eine Gesamtauflage von fast 50 000 Exemplaren und wurde
damit wohl zum seinerzeit am weitesten verbreiteten deutschen Buch über die
neuen Kunstauffassungen. B. war bei Kriegsbeginn eingezogen worden und wäre
gern Offizier geworden. 1915 erlebte er noch die Berufung zum a.o. Professor in
München; die Hoffnung des Kritikers der etablierten »Zunftkollegen« auf ein Or-
dinariat wurde enttäuscht. In Ruhepausen an der Front schrieb er an kulturphilo-
sophischen Texten; 39jährig wurde er auf dem Schlachtfeld um Verdun getötet.
Der solide Renaissanceforscher meinte am Ende, mit bisherigen kunsthistori-
schen Methoden, die er bibliothekarisch und kulturhistorisch nannte, sei das Ei-
gentliche der Kunst nicht zu erkennen (Cézanne und Hodler). Er trieb die geistesge-
schichtliche und subjektzentrierte Erklärung von künstlerischen und kulturellen
Phänomenen bis zu dem Punkt, daß er sich, wie es in einem Brief heißt, als ein von
geheimnisvollem Geisteswillen angetriebenes Instrument einer höheren Macht
fühlte. Die Aufmerksamkeit für außereuropäische, für wirkliche Welt-Kunst, die
nach B.s Auffassung der Kunstwissenschaft guttat, sollte belegen, daß das künstleri-
sche Denken stets gleichbleibende Formen habe, von der die »sogenannten histori-
schen Stilformen« nur Variablen seien (Deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter
bis zum Ende der Renaissance). B. war im Einklang mit einer Zeitströmung, wenn er
vom Weiterwirken des Mittelalterlichen, seinem Wiederaufleben in der Romantik
und nun in der jüngsten Kunst schrieb und darin obendrein die weltgeschichtliche
Bedeutung deutschen Geistes und deutscher Kunst sowie der nordischen Völker
erblickte. Die »patriotisch-sentimentale Schwärmerei« der 1911–12 gegen ausländi-
50 Burger

sche Kunst eifernden Heimatkunst-Vertreter war ihm allerdings zu beschränkt. Er


erwartete, daß nach dem selbstverständlich siegreichen Krieg der – stillschweigend
als überlegen angesehene – deutsche Geist den Völkern zurufen werde: »Mensch-
heitsgemeinschaft«, was auch die negativen Seiten der modernen bloßen »Zivilisa-
tion« (im Gegensatz zur »Kultur«) überwinden werde.
B.s Einsicht, daß sich die für objektiv gehaltenen Entwicklungsschilderungen der
»historischen Gelehrsamkeit« ebenfalls »auf ganz subjektive Interessen und erkennt-
nistheoretische Voraussetzungen gründen« und daß »jede neue Kunstbewegung
dem, was Überlieferung heißt, einen neuen Inhalt verleiht«, ist heute ebenso theo-
retisch-methodisches Allgemeingut, wie seine These, daß »die Form als anschauliche
Verwirklichung bestimmter Denkinhalte, nicht als Mittel zum Zwecke der bloßen
Verräumlichung einer sinnlichen Vorstellung« zu werten ist (Einführung). B.s em-
phatische Umschreibungen künstlerischer Gehalte, in die Abbildungen nur sugge-
stiv eingestreut wurden, machten ihn zum bald überholten Typ des »wissenschaftli-
chen Expressionisten« (Brinckmann). Seine eindringlichen Bildanalysen und
historisch weit ausgreifenden Gegenüberstellungen von Werken bleiben aber päd-
agogisch vorbildlich, und von den Künstlern von Blake und Runge bis Picasso, die
er als bedeutend hervorhob, behielt nahezu jeder einen hohen Rang in dem Bild
von der neueren Kunstgeschichte, das noch heute allgemein vorherrscht. B. irrte
sich jedoch in der Einschätzung von Hodlers Bedeutung für die weitere Kunstent-
wicklung.
Werke: Gedanken über die Darmstädter telalter bis zum Ende der Renaissance, Bln
Kunst, Lpz 1902; Geschichte des Florentiner 1920 (mit Hermann Schmitz, Ignaz Beth u.
Grabmals von den ältesten Zeiten bis Michel- Albert Erich Brinckmann); Meisterwerke der
angelo, Str 1904; Studien zu Michelangelo, Plastik Bayerns, 2 Mappen, Mü 1914; Einfüh-
Str 1907; Francesco Laurana. Eine Studie zur rung in die moderne Kunst, Bln 1915–17
italienischen Quattrocentoskulptur, Str 1907; Literatur: Brinckmann, Albert Erich: F.B.,
Donatello und die Antike, in: RfKw, 30, 1907, in: Ci, 8, 1916, 293–294; AKat. Der Kunsthi-
1–13; Die Villen des Andrea Palladio. Ein Bei- storiker F.B., 1877–1916, Kurpfälz. Museum,
trag zur Entwicklungsgeschichte der Renais- Hei 1986 (Bibliogr.); Hüttinger 1992, 338–
sancearchitektur, Lpz 1909; Vitruv und die 353; Burkhardt, Liane: »[...] bei aller Wissen-
Renaissance, in: RfKw, 32, 1909, 199–218; Die schaftlichkeit lebendig [...].« Zu einzelnen
Schackgalerie in München, Mü 1912; Positionen des Kunsthistorikers F.B., in: KChr,
Cézanne und Hodler. Einführung in die Pro- 51, 1998, 169–173
bleme der Malerei der Gegenwart, Mü 1913; PHF
Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mit-

Christ, Johann Friedrich


Geb. 26.(?) 4. 1700 in Coburg; gest. 3. 9. 1756 in Leipzig

Ch. gehörte zu den unmittelbaren Vorläufern  Winckelmanns. Als Professor für


Geschichte und Poesie 1735–56 in Leipzig ebnete er der Kunstgeschichte den Weg
zu einem eigenständigen akademischen Lehrfach. Ch. hielt nicht nur Vorlesungen
über Universalgeschichte, Natur- und Völkerrecht und antike Literatur, sondern
auch über antiquarische und kunsthistorische Gegenstände wie Inschriften- und
Münzkunde, Diplomatik, Geschichte des gedruckten Buches, Kupferstichkunde; er
Christ 51

interpretierte Kunstobjekte, meist archäologisches Material (Skulpturen, Reliefs,


Vasen, Münzen) aus der eigenen Kunstsammlung, die er seinem Auditorium an-
schaulich vor Augen führte. Ch. war am Einzelwerk interessiert, das er empirisch
nach den Regeln der philologisch-kritischen Methode untersuchte.
Ch. entstammte einer begüterten Beamtenfamilie und genoß eine vielseitige
Erziehung und Ausbildung – auch im Malen, Radieren und Steinschneiden –, ehe
er ab 1720 in Vorbereitung auf den Staatsdienst in Jena Philosophie, Geschichte und
die Rechte studierte. Als Geheimer Kabinettssekretär von Sachsen-Meiningen setzte
er 1726 in Halle sein Studium fort und promovierte dort 1728 zum Baccalaureus
Philosophiae und Bon. Artium Magister. 1731 erhielt er in Leipzig eine a.o. und
1739 eine o. Professur. 1733–35 bereiste er mit dem gelehrten Grafen Heinrich von
Bünau, dessen Bibliothekar später Winckelmann wurde, Deutschland, Holland,
England und Italien. Zu Ch.s Hörern in Leipzig gehörten Lessing und der Alter-
tumsforscher Christian Gottlob Heyne (1729–1812).
Ch.s Kunsturteil war im Kern klassizistisch. Das Exemplarische und Singuläre
der antiken Kultur und Kunst stand für ihn außer Frage; auch teilte er das allge-
meine Vorurteil der Zeit gegenüber den Kunstdenkmälern des Mittelalters, die er
für »albern und ungeschickt, ganz ungründlich« hielt. Im Unterschied zu den meist
auf die italienische Renaissance fixierten Kunstschriftstellern seit dem 15. Jahrhun-
dert – auch zu seinem unmittelbaren Vorgänger  Sandrart – wollte Ch. die »vater-
ländische« Kunst dem Vergessen entreißen. Er wagte den ersten Versuch einer zeit-
lichen Gliederung der nachmittelalterlichen deutschen Kunstgeschichte, indem er
drei Perioden unterschied: um 1500 bis 1580, 1580 bis 1680, seit 1680. Als Autor
debütierte Ch. 1726 mit der ersten Monographie über seinen fränkischen Lands-
mann Lucas Cranach d.Ä., die den Künstler in die deutsche Kunstgeschichte ein-
ordnete und dessen »goût« zu bestimmen suchte. Ihm schwebte auch eine Ge-
schichte der Malerei nach Nationen und Schulen vor. Aus der Praxis seines
Graphiksammelns ergab sich für Ch. die Beschäftigung mit Künstlersignaturen;
diese »unschuldige Zeichendeuterei« brachte die 1747 publizierte Anzeige und Aus-
legung der Monogrammatum hervor, das erste nennenswerte Lexikon seiner Art. Ch.
warnte jedoch vor einer Überschätzung der Signatur und empfahl, die Werke der
Meister vorwiegend »aus dem gar deutlichen Unterschied des Geistes, der Regel,
des Risses und der Manieren« zu erkennen.
Werke: Ruhe des jetztlebenden Europa, Co- Abhandlung über die Literatur- und Kunst-
burg 1726; Lucas Cranach. Leben des be- werke, vornehmlich des Altertums, Lpz 1776
rühmten Malers, in: Fränkiche Acta erudita et Literatur: Dörffel, Emil: J.F.C., sein Leben
curiosa, Nü 1726, 1. Bd., 5. Slg., 338–355; und seine Schriften, Lpz 1878; Waetzoldt,
Noctes Academicae, HaS 1727–29; Anzeige Wilhelm: Die Begründung der deutschen
und Auslegung der Monogrammatum ein- Kunstwissenschaft durch Ch. und Winckel-
zeln und verzogenen Anfangsbuchstaben der mann, in: ZfÄaK, 15, 1920/21, 165–186; Waet-
Namen, auch anderer Züge und Zeichen, zoldt 1921, 45–51; Archäologenbildnisse 1988,
unter welchen berühmte Maler, Kupferste- 3–4
cher und andere dergleichen Künstler auf ih- CF
ren Werken sich verborgen halten, Lpz 1747;
52 Clasen

Clasen, Karl-Heinz
Geb. 9. 7. 1893 in Remscheid; gest. 16. 4. 1979 in Mettmann

Vor allem mit Arbeiten zur gotischen Architektur und Plastik, durch Hervorhebung
der kunstgeschichtlichen Bedeutung von Profanarchitektur im Mittelalter und
durch Erschließung der vorher nur wenig bekannten Kunst im ost- und westpreu-
ßischen Gebiet des einstigen Deutschen Ritterordens nahm C. an der Entwicklung
des Faches teil. Sein für die 1920er und 1930er Jahre charakteristisches Bestreben,
die »entwicklungstreibenden Kräfte, vielleicht auch Gesetze« zu erfassen, die das als
Formentwicklung genau beobachtete künstlerische Geschehen »binden« (Gotische
Baukunst, 1930), blieb etwas unentschieden zwischen Erklärungen aus Volkstum,
geschichtlichen Vorgängen, Geistesgeschichte, Produktionsbedingungen und indivi-
dueller Schöpferkraft.
C. studierte seit 1913 in München bei  Wölfflin und seit 1918 in Berlin bei
 Goldschmidt; 1921 promovierte er bei  Haseloff in Kiel mit einer ungedruckt
gebliebenen Arbeit über Wehrbau und Kirchenbau, ein Thema, das für ihn weiterhin
wichtig blieb. 1923 habilitierte er sich in Königsberg mit Der Hochmeisterpalast der
Marienburg und schrieb als Privatdozent in den folgenden Jahren seinen Beitrag zum
Handbuch der Kunstwissenschaft: Die gotische Baukunst. 1930 wurde C. Professor neben
 Worringer, mit dessen Denk- und Arbeitsweise es nicht viel Gemeinsamkeiten
gab. 1939–40 konzipierte er ein kunstgeschichtliches Seminar an der im eroberten
Polen eingerichteten Reichsuniversität Posen. 1941 kam er an die Universität Ro-
stock, 1949 erhielt er den Lehrstuhl in Greifswald. 1951 war er unter den ersten
Mitgliedern der Deutschen Bauakademie der DDR. In mehreren Veröffentlichun-
gen setzte er seine Forschungen besonders zur mittelalterlichen Architektur des
Ostseeraums fort. Nach seiner Emeritierung lehrte er 1958–68 als Gastprofessor an
der Humboldt-Universität in Berlin und schrieb eine für eine breitere Leserschaft
gedachte zweibändige Würdigung der Gemälde im Pariser Louvre. In erster Linie
konzentrierte er sich auf eine mit vielen Reisen und eigenen Photographien seit
Jahrzehnten vorbereitete Monographie zu einem vieldiskutierten Problem der Pla-
stik des 14. Jahrhunderts (Der Meister der Schönen Madonnen, 1974), die er nach seiner
Übersiedlung in den Westen Deutschlands vollendete.
Seine Absicht, den »formenstarken und eigenartigen Schöpfungen des Profan-
und Wehrbaues« breiteren Platz als gewöhnlich einzuräumen, konnte C. in seiner
Geschichte der gotischen Architektur, die 1930 erschien, nicht ganz verwirklichen;
er hob aber den Gedanken hervor, daß »den Stilwandlungen der Architektur ein
Geltungswandel der Baugattungen parallel geht. Er beruht auf Veränderungen der
geistigen Gesamtstruktur«. Die Gotik sah C. als eine Einheit, die – im Gegensatz zu
der Auffassung, die  Graf Vitzthum in seinem Handbuch-Band zur Geschichte der
bildenden Kunst in Italien vertreten hatte – in »Absichten und Mitteln« gänzlich
von der voraufgegangenen Romanik wie der nachfolgenden Renaissance geschie-
den sei. Im Verständnis des »Wesens der Gotik«, das »hinter den Erscheinungen
begründet sein muß«, suchte er zwischen konstruktiven und ästhetischen Antrieben
der Gestaltung zu vermitteln. Er sah nicht wie  Jantzen im Raum, sondern in
dessen fortschreitend aufgelockerter Ummantelung das »entwicklungsführende
Clasen 53

Element«; er meinte, »daß die Gotik in Frankreich entstehen mußte, weil dort die
alten Elemente [...] und das neue Volkstum am glücklichsten zusammentrafen«. In
nachfolgenden Arbeiten zur Architektur, insbesondere zum Wehr- und Städtebau
und zu Gewölbeformen, sowie zur Plastik erschloß C. vornehmlich das nordost-
deutsche Material. Er befaßte sich auch mit der Spätgotik, die für ihn schon im 13.
Jahrhundert einsetzte. Er sah in ihr eine deutsche Sonderleistung mit europäischer
Ausstrahlung, ohne auf  Gerstenbergs voraufgegangene Darstellung der deutschen
»Sondergotik« einzugehen (Deutschlands Anteil am Gewölbebau der Spätgotik, 1937).
Zu Formanalysen, Wertung nach »Ausdruckshöhe« und Nachzeichnung einer Stil-
entwicklung nach immanenten Gesetzen, die Wölfflinsches Erbe waren, kam eine
betonte und letztlich bewußt irrationale Erklärung aus dem Volkstum. Daher be-
schäftigte sich C. auch mit Volkskunst und »Volksbauweise«. Er suchte allerdings
zwischen einem blutsmäßig »durch alle Zeiten gleichbleibenden Wesen« und der
»Umlagerung in der Wesensstruktur durch besondere geschichtliche Umstände«
soziologischer Art oder die Verbindung mit anderen Volkstumselementen zu ver-
mitteln und unterstrich außerdem »die Fülle von Möglichkeiten einer Stilabwand-
lung, die sich auch im Mittelalter dem einzelnen Künstler oder seiner Werkstatt
bot«, seine – wohl zu modern aufgefaßte – »geistige Freiheit zu dauernden stilisti-
schen Abwandlungen seiner Gestaltungen« (Die mittelalterliche Bildhauerkunst im
Deutschordensland Preußen, 1939).
Während C. in seinen an Beobachtungen reichen Arbeiten zum Städtebau, die
teilweise an  Brinckmann anknüpften, von einem Kollektivwillen sprach, von
einer Menschengemeinschaft, die »aus dunkler Tiefe heraus, unbewußten Gesetzen
gehorchend« gestaltete, wofür »die letzten Gründe [...] in biologischen Vorausset-
zungen liegen« (Die ordenspreußische Stadt als Kunstwerk, 1943), vertrat er in seinen
Publikationen zur spätgotischen Bildhauerkunst die Vorstellung vom Wirken eines
»Meisters der Schönen Madonnen«, die schon bald auf Widerspruch stieß. Dieser
Künstler sei aus dem niederländisch-rheinischen Gebiet durch verschiedene Terri-
torien gewandert und habe zwischen um 1390 und 1420–30 sechs erhaltene Ma-
donnen dieses Typs und einige andere Skulpturen geschaffen, von denen eine ganze
Stilbewegung innerhalb des internationalen »weichen oder schönen Stils« ausgegan-
gen sei. Nach Meinung anderer Forscher hat C. stilistische Unterschiede zwischen
diesen Werken ebenso wenig erkannt wie die Arbeitsweisen und -bedingungen von
Bildhauern in dieser Zeit. Darum sei dieser Meister »getrost als eine Fiktion zu
bezeichnen« (Gerhard Schmidt, 1978). Durch die biologistische Auffassung vom
Reifen eines persönlichen Stils, die Vernachlässigung sowohl der Tatsache, daß es
durchaus mehrere Künstler gleichen Ranges zur selben Zeit an einem Ort geben
könne, als auch der Kunstpolitik der Auftraggeber (Robert Suckale, 1976) erwies
sich C.s materialreiche letzte große Arbeit als Nachkömmling einer theoretisch und
methodisch überholten Wissenschaftstradition.

Werke: Entwicklung, Ursprung und Wesen gotische Baukunst, Pd 1930; Schinkel und
der Deutschordensburg, in: JbKw, 1926, 1–37; Ostpreußen, in: Ostdeutsche Monatshefte, 12,
Die mittelalterliche Kunst im Gebiet des 1932, 659–665; Deutschlands Anteil am Ge-
Deutschordensstaates Preußen, 1. Die Burg- wölbebau der Spätgotik, in: ZDVKw, 4, 1937,
bauten, Kö 1927; Ostpreußen, Mü 1928; Die 163–185; Die mittelalterliche Bildhauerkunst
54 Clasen

im Deutschordensland Preußen. Die Bild- Literatur: Schürenberg, Lisa: Rez. von »Die
werke bis zur Mitte des 15. Jh.s, 2 Bde., Bln gotische Baukunst«, in: KBLit, 5, 1932/33,
1939; Zehn deutsche Dome, Bln 1939 (mit 22–32; Wentzel, Hans: Rez. von »Die mittel-
Peter Metz); Die ordenspreußische Stadt als alterliche Bildhauerkunst in Preußen«, in: Zt-
Kunstwerk, in: FS Dagobert Frey, Br 1943, schr. d. Vereins f. Lübeckische Geschichte u.
9–44; Die Überwindung des Bösen. Ein Bei- Altertumskunde, 30, 1940, 388–392; Aspekte
trag zur Ikonographie des frühen Mittelalters, zur Kunstgeschichte von Mittelalter und
in: FS Wilhelm Worringer, Kö 1944, 13–36; Neuzeit. FS K.-H.C. zum 75. Geburtstag,
Schinkel und die Tradition, in: Über Karl Wei 1971 (Biogr. v. Hans Müller, Bibliogr.);
Friedrich Schinkel, Bln 1951, 29–52; Die Suckale, Robert: Rez. von »Meister der Schö-
»Schönen Madonnen«, ihr Meister und seine nen Madonnen«, in: KChr, 29, 1976, 244–255;
Nachfolger, KöT 1951; Die Baukunst an der Ringshausen, Gerhard: dass., in: KB, 4, 1976,
Ostseeküste zwischen Elbe und Oder, Dr 25–35; Schmidt, Gerhard: dass., in: ZfKg, 41,
1955; Deutsche Gewölbe der Spätgotik, Bln 1978, 61–92; Schenkluhn, Wolfgang: Wieder-
1958; Die Gemäldegalerie des Louvre, 2 Bde., gelesen. »Die gotische Baukunst« von K.-H.
Lpz 1962/65; Die Anfänge der Ziergewölbe C., in: KB, 10, 1982, 3, 61–66; Labuda, Adam
in Frankreich, in: FS Willy Kurth, Bln 1964, S.: Das kunstgeschichtliche Institut an der
118–123; Der Meister der Schönen Madon- Reichsuniversität Posen 1941–45, in: ZfKg,
nen. Herkunft, Entfaltung und Umkreis, Bln/ 65, 2002, 387–399 und in: Kunst und Politik,
NY 1974 5, 2003, 143–160.
PHF

Clemen, Paul
Geb. 31. 10. 1866 in Sommerfeld (heute Leipzig); gest. 8. 7. 1947 in Bad Endorf

C.s Name ist untrennbar mit der rheinischen Denkmalpflege verknüpft, als deren
bahnbrechender Organisator er gilt. 1890 von der »Kommission für die Denkmäler-
statistik« mit der Inventarisierung der Kunstdenkmäler in der Rheinprovinz beauf-
tragt, publizierte er seit 1891 das erste umfassende Verzeichnis der regionalen Denk-
mäler; 1893 wurde er zum ersten Provinzialkonservator der Rheinprovinz ernannt.
C. war gleichermaßen Forscher, akademischer Lehrer und praktischer Denkmal-
pfleger, der Schlüsselpositionen im kulturellen Leben der Rheinprovinz innehatte.
Als Ordinarius leitete er über 30 Jahre das Kunsthistorische Institut der Universität
Bonn, wo er neben einer Photothek und einer Sammlung von Gipsabgüssen eine
der reichsten Fachbibliotheken einrichtete.
»Augensinnlichkeit« hielt C. für das oberste Gebot kunsthistorischer Arbeit; an-
gesichts der unerschöpflichen Individualität eines Kunstwerkes erschien ihm jedes
aufdringliche »Steckbriefeabfragen eines starren Systems«, wie es nach seiner Mei-
nung die Wiener Schule praktizierte, unangemessen. C. trieb aus tiefer Überzeugung
ausschließlich regionale Kunstgeschichte. In den erhaltenen Denkmälern, wie er sie
zu Fuß, später mit dem Fahrrad im Rheingebiet erkundete, sah er »monumentale
Urkunden«, aus denen zu ihm die Vergangenheit mit besonderer Eindringlichkeit
sprach.
C. studierte Kunstgeschichte und deutsche Philologie in Leipzig, Bonn und
Straßburg. Durch  Springer und  Carl Justi wurde er in die kunsthistorische
Methode eingeführt. Sein Interesse für das Mittelalter weckte der Historiker Karl
Lamprecht, auf dessen Anregung er über Die Porträtdarstellungen Karls des Großen
Clemen 55

1889 bei  Janitschek in Straßburg promovierte. 1893 erfolgte die Habilitation in


Bonn, wo C. 1898 eine a.o. Professur für Kunstgeschichte erhielt. Seit 1899 lehrte er
auch Kunst- und Literaturgeschichte an der Kunstakademie in Düsseldorf. 1902–35
war C. als Nachfolger Carl Justis Ordinarius in Bonn und 1907–08 Gastprofessor an
der Harvard University in den USA.
Mit den Kunstdenkmälern der Rheinprovinz schuf C. einen Inventartyp, der nicht
nur die nobilitierten Meisterwerke, sondern auch die scheinbar unbedeutenden
Durchschnittsarbeiten sowie Erzeugnisse der Kleinkunst verzeichnete und der – in
Fortführung der ersten wissenschaftlichen Denkmälersammlungen von  Kraus
über Elsaß-Lothringen (ab 1876) und das Großherzogtum Baden (ab 1887) – weit-
hin vorbildlich werden sollte. Unter C.s Leitung erschienen 56 Bände der Kunst-
denkmäler; die Städte und Kreise Düsseldorf, Mülheim/Ruhr, Essen, Euskirchen,
Bonn sowie den Kölner Dom bearbeitete er selbst. Anders als der von ihm ge-
schätzte John Ruskin (1819–1900), der die Auffassung vertrat, daß man die »Denk-
mäler in Schönheit sterben« lassen solle, plädierte C. für eine behutsame und werk-
gerechte Instandsetzung und Restaurierung. C. hatte zahlreiche Ämter inne, die er
auch nutzte, um seine denkmalpflegerischen Ideen zu popularisieren und zu ver-
wirklichen: seit 1893 war er rheinischer Provinzialkonservator, 1906 gehörte er zu
den Mitbegründern des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz,
und seit 1911 führte er den Vorsitz des neu gegründeten Denkmalrates der Rhein-
provinz. Seit 1900 beeinflußte C. als stellvertretender und 1919–33 als erster Vorsit-
zender auch den über Deutschland hinaus repräsentativen »Tag für Denkmal-
pflege«.
Verdienste erwarb sich C. auch um die Erforschung der mittelalterlichen Malerei
der Rheinlande. Seine mehrbändigen Werke über romanische und gotische Wand-
malerei (1905, 1930) zählen zur Standardliteratur. In der 1916 publizierten Arbeit Die
romanische Monumentalmalerei der Rheinlande erörterte C. vornehmlich ikonographi-
sche Probleme, bezog in seine Untersuchung aber auch historische Zusammen-
hänge und vor allem die Baugeschichte der entsprechenden Kirchen mit ein.
Neben seinen Arbeiten zum Mittelalter verfaßte C. einige bemerkenswerte Stu-
dien zur zeitgenössischen Kunst; persönlichen Kontakt hatte er zu Rodin, Hilde-
brand, Maillol, Renoir und Thoma. Mit Ausstellungen zur rheinischen und westfä-
lischen Kunst – 1902 und 1904 in Düsseldorf anläßlich der großen Industrie- und
Gewerbeschau und 1925 in Köln während der Rheinischen Jahrtausendausstellung
–, die auf ein breiteres Publikum zielten, erwarb sich C. auch Verdienste um die
Popularisierung kunstgeschichtlichen Wissens.
Während des Ersten Weltkrieges wurde C. mit dem Kunstschutz betraut, zunächst
für die Westfront, seit 1915 auch für die Ostfront und seit 1917 für alle Kriegsschau-
plätze, wo deutsche Truppen aktiv waren. In Belgien führte C. 1917/18 eine voll-
ständige bildliche Inventarisation der Kunstdenkmäler durch (Kunstschutz im Kriege,
1919; Belgische Kunstdenkmäler, 1923).
Während seiner langen akademischen Lehrtätigkeit bildete C. zahlreiche Kunst-
historiker aus, zu den bekanntesten zählen  Bandmann,  Braunfels und  Lüt-
zeler. Zu seinem Gedächtnis stiftete der Landschaftsverband Rheinland ein C.-Sti-
pendium zur Förderung rheinischer Kunstforschung.
56 Clemen

Werke: Beiträge zur Kenntnis älterer Wand- 1919; Die Abwanderung des deutschen
malerei in Tirol, in: MZk, 15, 1889, 11–18, Kunstbesitzes und die neue Kunstschutzver-
82–88, 185–192, 237–244; Die Porträtdarstel- ordnung, in: Ci, 12, 1929, 193–205; Das Stadt-
lungen Karls des Großen, Aachen 1890; Stu- haus zu Stockholm und die europäischen
dien zur Geschichte der karolingischen Monumentalbauten in alter und neuer Zeit,
Kunst, in: RfKw, 13, 1890, 1–3, 123–125; Der in: Stockholms Stadshus, T. 1, Stockholm
karolingische Kaiserpalast zu Ingelheim, Trier 1923, 134–143; Belgische Kunstdenkmäler,
1890; Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Mü 1923 (Hrsg.);Von den Wandmalereien auf
Dü 1891ff.; Merowingische und karolingische den Chorschranken des Kölner Domes, in:
Plastik, in: Bonner Jbb., 1892, 1–146; Tiroler WRJb, 1924, 29–61; Tausend Jahre deutscher
Burgen, Wien/Lpz 1894; Die Denkmalpflege Geschichte und deutscher Kultur am Rhein
in der Rheinprovinz, Dü 1896; Die Denk- (mit Max Braubach u. a.), Dü 1925; Aristide
malpflege in Frankreich, Bln 1898; John Ru- Maillol und die französische Plastik von
skin, in: ZfbK, 35 (11), 1900, 156–164, 186–194; heute, in: Die Kunst, 55, 1927, 41–54; Die
Der Düsseldorfer Schloßplan des Grafen spätgotischen Wandmalereien der Stiftskirche
Matthäus Alberti, in: Beiträge z. Gesch. d. zu St. Goar, Bonn 1928; Die gotischen Mo-
Niederrheins, 17, 1902, 181–187; Die rheini- numentalmalereien der Rheinlande (mit
sche und westfälische Kunst auf der kunsthi- Burkhard Frhr. von Lepel u. Margot Remy),
storischen Ausstellung zu Düsseldorf 1902, 2 Bde., Dü 1930; Kunst und Künstler in Not.
Lpz 1903; Das Kaiser-Friedrich-Museum zu Ein Dreiergespräch, Lpz 1932; Der Denkmal-
Berlin (mit Adolph Goldschmidt, Ludwig Ju- begriff und seine Symbolik. Eine Rede zum
sti, Paul Schubring), Lpz 1904; Auguste Ro- 18. 1. 1933, Bonn 1933; Carl Justi. Gedächtnis-
din, in: Die Kunst, 11, 1905, 289–307, 321–335; rede zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages,
Die romanischen Wandmalereien der Rhein- Bonn 1933; Die deutsche Kunst und die
lande, Dü 1905; Contemporary German Art, Denkmalpflege. Ein Bekenntnis, Bln 1933;
in: AKat. Contemporary German Art, Metro- Lob der Stille, Dü 1936; Gotische Kathedra-
politan Museum of Art New York, Bln 1908, len in Frankreich. Paris, Chartres, Amiens,
5–33; Der Clarenaltar im Kölner Dome, in: Reims, Zü/Bln 1937 (Nd. 1951); Eduard von
ZfbK (Beilage), 44 (20), 1909, 129–136; Samm- Gebhardt. Zu seinem 100. Geburtstag, in:
lung deutscher Kunstwerke, Brüssel 1910; Zur Beiträge zur Kunde Estlands, Tallinn, 21, 1938,
Erhaltung und Wiederbelebung des nieder- 75–78; Strawberry Hill und Wörlitz. Von den
rheinischen Backsteinbaues, in: Mitt. d. Rhein. Anfängen der Neugotik, in: FS Wilhelm
Vereins f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, 6, Worringer, Kö 1943, 37–60; Rheinische Bau-
1912, 159–166; Der Schutz der Kunstdenkmä- denkmäler und ihr Schicksal, Dü 1946; Ge-
ler im Kriege, in: ebd., 8, 1914, 191–203; Der sammelte Aufsätze, hrsg. v. Heinrich Lützeler,
Zustand der Kunstdenkmäler auf dem westli- Dü 1948; Auswahl aus seinen Schriften, Ge-
chen Kriegsschauplatz, in: ZfbK, 51 (27), 1916, denkrede von Heinrich Lützeler, Bonn 1948;
49–96; Die romanische Monumentalmalerei Aufgaben der Denkmalpflege von heute und
in den Rheinlanden, Dü 1916; Die Kloster- morgen, in: ZfK, 1, 1949, 36–44; Der Rhein
bauten der Zisterzienser in Belgien (mit ist mein Schicksal geworden. Fragment einer
Cornelius Gurlitt), Bln 1916; Antwort auf Lebensbeschreibung, hrsg. v. Gisbert Knopp
Émile Mâle, in: Otto Grautoff (Hrsg.), Émile u. Wilfried Hansmann, Worms 2006
Mâle. Studien über die deutsche Kunst. Mit Literatur: P.C. Ehrung, in: Ztschr. d. Rhein.
Entgegnungen v. P.C., Kurt Gerstenberg, Vereins f. Denkmalpflege u. Heimatschutz,
Adolf Götze, Cornelius Gurlitt, Arthur Ha- 19, 1926; FS zum 60. Geburtstag von P.C., Dü
seloff, Rudolf Kautzsch, Heinrich Alfred 1926; Metternich, Franz Graf Wolff: P.C. zu
Schmid, Josef Strzygowski, Geza Supka, Os- seinem 70. Geburtstage, in: DKDpf, 3, 1936,
kar Wulff, Lpz 1917, 63–67; Zerstörte Kunst- 278–280; Neu, Heinrich: P.C. zum 70. Ge-
denkmäler an der Westfront, Wei 1917; Kunst- burtstag, in: FuF, 12, 1936, 387–388; Neu,
schutz im Kriege. Berichte über den Zustand Heinrich/Kisky, Hans/Kurthen, Josef u. a.: P.
der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen C. Gedenkblatt zu seinem 80. Geburtstage
Kriegsschauplätzen und über die deutschen am 31. 10. 1946, Euskirchen 1946; Frey, Dago-
und österreichischen Maßnahmen zu ihrer bert: P.C., in: ÖZKD, 1, 1947, S. 95; Metter-
Erhaltung, Rettung, Erforschung, 2 Bde., Lpz nich, Franz Graf Wolff: P.C., in: ebd., 1, 1947,
Clemen 57

95–96; Nathan, Walter L.: P.C., in: CArtJ, in den Rheinlanden, in: Kunst, Kultur und
1947/48, 216–218; Lützeler, Heinrich: Zum Politik im Deutschen Kaiserreich, hrsg. v. Ek-
Gedächtnis von P.C., in: Das Münster, 2, kehard Mai u. Stephan Waetzoldt, Bln 1981,
1948/49, 59–61; Metternich, Franz Graf Wolff: 383–398; Pommerin, Reiner: P.C. in Harvard,
P.C. und die Idee der Denkmalpflege, in: in: JbrhD, 1983, 13–16; Wolf, Irmgard: P.C.
WRJb, 1952, 226–233; Ders.: P.C. Skizze eines und seine Neusser Rede 1946, in: Denkmal-
Lebensbildes. Zur 100. Wiederkehr seines pflege im Rheinland, 4, 1987, 1–3; Knopp,
Geburtstages am 31. 10. 1966, in: Rhein. Hei- Gisbert/ Hansmann, Wilfried: Vor 125 Jahren
matpflege, 4, 1967, 6–12; Wesenberg, Rudolf: wurde P.C. geboren.Vorausblick auf eine Ge-
P.C., in: ebd., 24–33; Brües, Otto: In Kempen dächtnisausstellung, in: Rhein. Heimatpflege,
hat’s begonnen – P.C. zum Gedächtnis, in: 28, 1991, 3–4; P.C. Zur 125. Wiederkehr seines
Der Niederrhein, 34, 1967, 5–6; Verbeek, Al- Geburtstages, in: JbrhD, 1991 (Bibliogr.);
bert: P.C., in: Rheinische Lebensbilder, hrsg. AKat. P.C. 1866–1947. Erster Provinzialkon-
v. d. Ges. f. Rhein. Geschichtskunde, Bd. 7, servator der Rheinprovinz, Bonn 1991; P.C.
Köln 1977, 181–202; Lützeler, Heinrich: Ein Zur 125. Wiederkehr seines Geburtstages,
Bewahrer und Erretter. P.C., in: Persönlich- Köln 1991; Brush, Kathryn: P.C. and Art His-
keiten, FrB 1978, 61–81; Verbeek, Albert: P.C. tory in America 1907–39, in: JbrhD, 39, 2004,
und die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, 9–22
Dü 1980 (Beilage zum Nd.); Hilger, Hans Pe- JZ
ter: P.C. und die Denkmäler-Inventarisation

Dehio, Georg
Geb. 22. 11. 1850 in Reval (Tallin, Estland); gest. 19. 3. 1932 in Tübingen

Durch sein Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler erlangte D. weit über das Fach
hinaus Bekanntheit. Wie viele Kunsthistoriker seiner Generation kam er von der
allgemeinen Geschichte zur Kunstgeschichte. Er studierte in Dorpat (Tartu) und
1869–71 in Göttingen bei dem Ranke-Schüler Georg Waitz (seit 1875 Leiter der
Monumenta Germaniae Historica), promovierte 1872 in München über den Bremer
Erzbischof Hartwig von Stade und habilitierte sich 1877 in München über die
Geschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen. Den Übergang zur Kunstgeschichte
förderte die erste Italienreise im Jahre 1876/77, die auch das vorläufige kunstge-
schichtliche Arbeitsfeld absteckte. In den folgenden Jahren erschienen Aufsätze über
Alberti, Raffael und die frühchristliche Basilika. 1883 wurde D. a.o. Professor und
1884 Ordinarius für Kunstgeschichte in Königsberg. In den Mittelpunkt seines In-
teresses rückte nun die mittelalterliche Kunst – als einer der ersten deutschen
Kunsthistoriker untersuchte er die Beziehungen zwischen den Skulpturen des
Bamberger Doms und denen der Kathedrale von Reims –, vor allem aber die Sa-
kralarchitektur Deutschlands und Frankreichs, was auch einen Ortswechsel ratsam
machte: 1892 trat D. als Nachfolger  Janitscheks an die Spitze des Straßburger
Instituts, dem im selben Jahr das seit dem Fortgang von  Kraus verwaiste Institut
für christliche Archäologie angeschlossen wurde. Unter den Veröffentlichungen der
frühen Jahre an der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg steht die schon in
Königsberg begonnene Gemeinschaftsarbeit mit  Gustav von Bezold Die kirchliche
Baukunst des Abendlandes (1887–1901) an erster Stelle. Seinem Titel wurde das nun
vollständige, aus 2 Text- und 7 Tafelbänden bestehende Werk, zu dem die beiden
Autoren teilweise die Grund- und Aufrisse selbst zeichneten, allerdings nicht ge-
58 Dehio

recht: Wegen der geographischen Größe des bearbeiteten Gebiets, das Frankreich,
England, Deutschland, Italien, Spanien und Skandinavien einschloß, ist es über das
Mittelalter nicht hinausgelangt. Für D. war das Architekturdenkmal sowohl eine
»Geschichtsquelle ersten Ranges«, die die »Zustände der Volksseele« beleuchte und
»Geheimnisse« an den Tag« bringe, wozu keine andere Quellengattung fähig sei, als
auch ein künstlerisches Raumgebilde, dessen Beschreibung und Analyse für den
Kunsthistoriker im Vordergrund stehe. D.s Sprache ist, wie  Pinder treffend sagte,
»gesättigt von Sachlichkeit«; gerade von der Kirchlichen Baukunst scheine »die groß-
artige Kühle steinerner Werke auszugehen«.
Zum eigentlichen Thema dieses Kunsthistorikerlebens wurde schließlich die
deutsche Kunst. 1899 faßte D. den Plan zu seinem Handbuch der Deutschen Kunst-
denkmäler, den er seit 1901 ausführte, unterstützt durch den »Ersten Tag für Denk-
malpflege« 1900 in Dresden. Dieses Nachschlagewerk, das 1905–12 in fünf Bänden
erschien und zum Muster vieler ähnlicher Vorhaben auch außerhalb Deutschlands
wurde, ist ein knappgefaßter, doch »ganz beseelter« (Pinder) Kunstführer, der sich
als eine Quelle des Wissens und der Bildung an Fachleute und Laien gleichermaßen
wandte. Erfaßt wurden auf der Grundlage der amtlichen Inventare, so weit sie da-
mals schon vorlagen, unter Ausschluß der Museen und Sammlungen das kunstge-
schichtliche Erbe von den frühmittelalterlichen Anfängen bis zum Ausgang des 18.
Jahrhunderts.
Mit dem Gedanken, eine deutsche Kunstgeschichte zu schreiben, trug sich D.
spätestens seit 1908, als er in einem in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Auf-
satz (Deutsche Kunstgeschichte und deutsche Geschichte) feststellte, daß trotz des fünf-
bändigen Werkes von  Dohme,  Bode,  Lützow und  Falke (1887/91) dies
immer noch ein Desiderat sei. D. schwebte eine andere, eine synthetische Art von
Kunstgeschichte vor; sie »kann nicht durch Assoziation entstehen. Sie wird das Werk
eines Einzelnen sein müssen«, der möglichst Historiker und Kunsthistoriker in ei-
nem ist, denn »kein Historiker kann den Seelenzustand des deutschen Volkes am
Vorabend der Reformation kennen, er hätte denn die Bilderwelt dieser Zeit aufs
gründlichste sich zu eigen gemacht. Und ebenso wird kein Kunsthistoriker glauben
dürfen, sein Gegenstand sei hier mit Forschungen über Schulzusammenhänge und
Stilprobleme erschöpft«. Dies richtete sich gegen eine auf Politik oder Wirtschaft
reduzierte Geschichte und gegen die formanalytische Kunstgeschichte. D. kam es
aber »nicht auf etwas mehr oder weniger ›kunstgeschichtlichen Hintergrund‹« an,
sondern darauf, »das Verhältnis der Nation zur Kunst in seiner Ganzheit, in seinen
Bedingungen wie in seinen Wirkungen, nach der produktiven wie nach der rezep-
tiven Seite hin historisch zu erfassen«.
An seiner dreibändigen Geschichte der deutschen Kunst (1919–26; 1934 ein 4. Bd.
von  Gustav Pauli) arbeitete D. seit 1913. Der Erste Weltkrieg verzögerte die
Drucklegung. Als der erste Band erschien, lebte D. bereits in Tübingen; er hatte
1918, als das Elsaß an Frankreich zurückgefallen war, Straßburg verlassen müssen
und danach kein neues Lehramt angetreten. D., der seine Leser nicht unter den
Fachleuten, sondern unter den »Gebildeten« suchte, wollte »deutsche Geschichte im
Spiegel der Kunst« darstellen; ihn interessierte nicht das »Wesen der Kunst«, sondern
er stellte die Frage: »Was offenbart uns die Kunst vom Wesen der Deutschen?« D.s
Dehio 59

»wahrer Held ist das deutsche Volk«. Dabei ging sein ganzheitliches Denken von
einer über die Jahrhunderte hinweg konstanten geistigen Identität des deutschen
Volkes aus, die in der Geschichte lediglich Variationen erfahren habe. Authentischer
als anderswo offenbarte sich dieses »deutsche Wesen« für D. in der Gotik, im Barock
und in der Romantik; alle diese künstlerischen Ausdrucksweisen seien jedoch nur
»Namen für die selbe Sache«.
D. beschloß seine Darstellung mit dem 18. Jahrhundert. Daß die deutsche Kunst-
geschichte für ihn hier aufhörte, begründete er 1926 im Schlußwort: »Es gibt im 19.
Jahrhundert nur Künstlergeschichte, unter Umständen sehr interessante, – keine
Kunstgeschichte als organische Problementwicklung.« So betrachtete er die gesell-
schaftliche Entwicklung ab 1830, die unaufhaltsame innere Veränderung Deutsch-
lands durch »Liberalismus und Kapitalismus, Wissenschaft und Technik« mit Unbe-
hagen.
Dieser Konservatismus, der frei von engstirnigem Nationalismus war, bestimmte
auch D.s reges politisches Denken, das sich besonders seit Kriegsbeginn in zahlrei-
chen Zeitungsartikeln kritisch zur »Zivilisation« der »geschichtsfeindlichen« westli-
chen Demokratien und der Weimarer Republik artikulierte; das deutsche Volk sah
er einer düsteren Zukunft entgegengehen (Kleine Aufsätze, 1930).
Werke: Hartwig von Stade. Erzbischof von 16, 1893, 217–229; Untersuchungen über das
Hamburg-Bremen, Gö 1872; Waldemar. Bi- gleichseitige Dreieck als Norm gotischer
schof von Schleswig, Erzbischof von Bremen, Bauproportionen, Stg 1894; Rez. von Richard
in: HZ, 30, 1873, 222–238; Geschichte des Muther, Geschichte der Malerei im 19. Jh.
Erzbistums Hamburg-Bremen bis zum Aus- (1893/94), in: PJbb, 1894, 122–133; Ein Pro-
gang der Mission, 2 Bde., Bln 1877; Die Bau- portionsgesetz der antiken Baukunst und sein
projekte Nikolaus des Fünften und L.B. Al- Nachleben im Mittelalter und in der Renais-
berti, in: RfKw, 3, 1880, 241–257; Zur Ge- sance, Str 1895; Rez. von Wilhelm Vöge, Die
schichte der Buchstabenreform in der Anfänge des monumentalen Stils im Mittel-
Renaissance. Dürer, Pacioli, Leonardo, in: alter (1894), in: RfKw, 18, 1895, 279–282; Die
RfKw, 4, 1881, 269–279; Die Komposition Anfänge des gotischen Baustils. Zur Kritik
von Raffaels Spasimo di Sicilia und ihre Vor- des gegenwärtigen Standes der Forschung, in:
läufer, in: ZfbK, 16, 1881, 253–260; Die Gene- ebd., 19, 1986, 169–185; Über die Grenze der
sis der altchristlichen Basilika, in: Sber. d. Renaissance gegen die Gotik, in: ZfbK (Bei-
phil.-philolog. u. hist. Klasse der kgl. Bayer. lage), 35 (11), 1899/1900, 273–277, 305–310;
AdW zu München, 1882, Bd. 2, 301–341; Alt- Was wird aus dem Heidelberger Schloß wer-
italienische Gemälde als Quelle zum Faust, den?, Str 1901; Über den Einfluß der franzö-
in: JbGoe, 1886, 251–264; Romanische Re- sischen auf die deutsche Kunst im 13. Jh., in:
naissance, in: JbPK, 1886, 129–140; Die kirch- HZ, 86, 1901, 385–400; Konrad Witz, in: ZfbK,
liche Baukunst des Abendlandes, 2 Text- und 37 (13), 1902, 229–233; Denkmalschutz und
7 Tafel-Bde., Stg 1887–1901 (mit Gustav von Denkmalpflege im 19. Jh., Str 1905; Hand-
Bezold, Nd. 1969); Das Verhältnis der ge- buch der deutschen Kunstdenkmäler, 5 Bde.,
schichtlichen zu den kunstgeschichtlichen Bln 1905–1912 (Mitteldeutschland 1905, Nord-
Studien, in: PJbb, 1887, 279–286; Zu den ostdeutschland 1906, Süddeutschland 1908,
Skulpturen des Bamberger Domes, in: JbPK, Südwestdeutschland 1911, Nordwestdeutsch-
1890, 194–198; Zwei Zisterzienserkirchen. land 1912); Die Denkmäler der deutschen
Ein Beitrag zur Geschichte der Anfänge des Bildhauerkunst, Bln 1905–26; Deutsche
gotischen Stils, in: ebd., 1891, 91–103; Rez. Kunstgeschichte und deutsche Geschichte, in:
von August Schmarsow, Die Kunstgeschichte HZ, 100, 1908, 473–485; Der Meister des
an unseren Hochschulen (1891), in: GöGA, Gemmingendenkmals im Mainzer Dom, in:
1892, 1–7; Zwei Probleme zur Geschichte der JbPK, 1909, 139–152; Kunsthistorische Auf-
Anfänge des romanischen Baustils, in: RfKw, sätze, Mü/Bln 1914; Geschichte der deut-
60 Dehio

schen Kunst, 3 Bde., Bln/Lpz 1919–1926; Das kunsthistorische Aufsätze, Siegen 1982,
Straßburger Münster, Mü 1922; Der Bamber- XXIX–XL; Frodl-Kraft, Eva: Der »Dehio« –
ger Dom, Mü 1924; Kleine Aufsätze und An- Erbe im Wandel, in: ÖZKD, 36, 1982, 70–81;
sprachen, Mü 1930; Aus Skizzenbüchern und Hubala, Erich: G.D. 1850–1932. Seine Kunst-
Briefen. Mit Handzeichnungen des Verfassers, geschichte der Architektur, in: ZfKg, 46, 1983,
hrsg. v. Gertrude D., Hameln 1947; G.D. Drei 1–13; Hubala, Erich: G.D. – ein deutscher
kunsthistorische Aufsätze. Zur Erinnerung an Kunsthistoriker, in: Deutsch-Baltische Lands-
den 50. Todestag des großen deutschen balti- mannschaft, Darmstädter Vorträge 1982, Ha
schen Gelehrten 1982, Siegen 1982 1983, 50–83; Herrbach, Brigitte: G.D. Ver-
Literatur: Wölfflin, Heinrich: Rez. von zeichnis seiner Schriften, in: ZfKg, 47, 1984,
»Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler«, 392–399; Hüttinger 1992, 58–67; Meier, Mi-
in: DLZ, 34, 1913, 228–229; Pinder, Wilhelm: chael: Zur Geschichte des D.-Handbuchs, in:
Rez. von »Geschichte der deutschen Kunst«, Deutscher Kunstverlag 1921–96. Geschichte
Bd. 1, in: PJbb, 1920, 91–93; Wölfflin, Hein- und Zukunft, Mü/Bln 1996, 40–46; Hubala,
rich: dass., in: DLZ, 47, 1921, 641–645; Polac- Erich: Der Architekturhistoriker G.D. (1850–
zek, Ernst: G.D. Zu seinem 75. Geburtstag, 1932), in: Deutsche im Nordosten Europas,
Bln/Lpz 1925; Pinder, Wilhelm: G.D. zu sei- Köln 1991, 253–269; G.D. (1850–1932). 100
nem 70. Geburtstag (1920/21), in: ders., Ge- Jahre Handbuch der deutschen Kunstdenk-
sammelte Aufsätze aus den Jahren 1907–35, mäler, Mü 2000; Igersheim, François: Un in-
Lpz 1938, 50–59; Kauffmann, Hans: Rez. von ventaire des monuments historique d’Alsace
»Geschichte der deutschen Kunst«, in: DLZ, qui ne verra pas le jour. L’inventaire de G.D.
6, 1927, 266–272; Fischel, Oskar: Zu G.D.s 80. et Hugo Rahtgens, in: Melanges offerts a
Geburtstag, in: RfKw, 51, 1930, 245–246; Pin- Roger Lehni (Cahiers alsaciens d’archéologie,
der, Wilhelm: G.D., in: JbBAdW, 1931/32, d’art et d’histoire), 46, 2003, 127–136; Bett-
61–64;Vitzthum, Georg Graf: G.D., in: Nach- hausen, Peter: G.D. Ein deutscher Kunsthisto-
richten d. Ges. d. Wiss.n zu Göttingen, Ge- riker, Mü 2004; Scheurmann, Ingrid (Hrsg.):
schäftl. Mitt., 1931/32, 1–5; Leber, Hermann Zeitschichten. Erkennen und Erhalten. Denk-
R.: Zu G.D.s Tod, in: Belvedere, 11, 1932, malpflege in Deutschland. 100 Jahre Hand-
81–82; Clemen, Paul: Zum Gedächtnis an buch der deutschen Kunstdenkmäler von G.
G.D., in: Dpfl, 1932, 76–78; Gall, Ernst: G.D., D. (AKat. Dresden, Residenzschloß), Mü
in: ZfKg, 1932, 2–4; Jantzen, Hans: Rez. von 2005; Kunze, Max (Hrsg.): Augen unterwegs.
»Geschichte der deutschen Kunst«, 4. Aufl., Reisebilder – Aquarelle und Zeichnungen
in: DLZ, 21, 1934, 985–992; Clemen, Paul: Ein von G.D., Ruhpolding 2005 (AKat. der
Lebensbild. G.D., in: Geistige Arbeit, 1934, Winckelmann-Gesellschaft Stendal); Grunsky,
Nr. 24, S. 14; Eberl, Hans: G.D. und sein Werk, Eberhard: Kunstgeschichte und die Wertung
in: Balt. Monatshefte, 1936, 369–375; Bauch, von Denkmalen bei G.D. und Alois Riegl, in:
Kurt: G.D. geboren vor 100 Jahren am 22. 11. Brandenburg. Denkmalpflege, 15, 2006, 1, 5–
1850, in: Das Münster, 3, 1950, 369–371; 11; Badstübner, Ernst: Zum Wandel der
Strauss, Gerhard: Das »Handbuch der Kunst- Kunstgeschichte und Denkmalpflege unter
denkmäler der DDR« als gesellschaftl. Auf- dem Einfluß des Diktums »konservieren,
trag, in: Spektrum (Mitt.blatt f. d. Mitarbeiter nicht restaurieren« von G.D., in: ebd., 11–18;
d. Dt. AdW zu Berlin ), 8, 1962, 111–119; Drachenberg, Thomas: Was sagt uns G.D.
Hausherr, Rainer: G.D.s Handbuch der deut- heute? Das Denkmodell G.D.s und die heu-
schen Kunstdenkmäler, einst und jetzt, in: tige Praxis der Denkmalpflege im Land Bran-
RhVjBl 33, 1969, 486–491; Appuhn, Horst: denburg, in: ebd., 19–29; Paschke, Ralph: Der
G.D. Handbuch der deutschen Kunstdenk- Denkmalbegriff seit G.D. Wie viele Denk-
mäler. Was sagt der »Dehio« dazu, in: Pan- male verkraftet die schrumpfende Gesell-
theon, 39, 1981, 368–370; Hubala, Erich: G.D. schaft, in: ebd., 30–34
Geschichte der deutschen Kunst. Überlegun- PB
gen zu einer fünften Auflage, in: G.D. Drei
Demus 61

Demus, Otto
Geb. 4. 11. 1902 in Harland (Niederösterreich); gest. 17. 11. 1990 in Wien

Mit sicherem Blick für Formeigentümlichkeiten und außerordentlich reichen


Denkmälerkenntnissen erweiterte der Österreicher D. das Fachwissen über jeden
Gegenstand, dessen er sich mit einer gleichbleibenden Sorgfalt annahm, seien es
spätgotische Altäre oder barocke Wandbilder, die ihm als Denkmalpfleger anvertraut
waren, oder das weit ausgedehnte Gebiet der byzantinischen wie der romanischen
bildenden Kunst, dem seine forscherische Leidenschaft galt.
Der Arztsohn promovierte in Wien bei  Strzygowski über San Marco in Vene-
dig, woraus für ihn ein lebenslanges Arbeitsthema wurde. Nach kurzer Assistenz am
Institut seines Lehrers ging D. 1929 als der erste hauptamtliche Landeskonservator
nach Klagenfurt und untersuchte vor allem die mittelalterlichen Wandmalereien in
Kärnten. Gleichzeitig wurde er, der in den 1920er Jahren die mittelbyzantinischen
Mosaiken in Griechenland als erster farbig photographiert hatte, von  Diez zum
Mitautor eines Buches über diese Werke ausgesucht, das dank D.s Stilanalyse grund-
legend wurde. 1936 kam er nach Wien in die Zentralstelle für Denkmalschutz, das
vormalige Bundesdenkmalamt, und lehrte nach der Habilitation bei  Sedlmayr
1937–39 als Privatdozent an der Universität. Da er sich mit der NS-Herrschaft in
seiner Heimat nicht abfinden wollte, kehrte er 1939 von einem Kongreß in Palermo
nicht zurück und emigrierte nach London. Nach Kriegsausbruch wurde er zu-
nächst in Kanada interniert, konnte dann aber am Londoner  Warburg-Institut als
Bibliothekar arbeiten und am Courtauld-Institut unterrichten. 1947–64 leitete er in
Wien als Präsident das Bundesdenkmalamt, war seit 1963 o. Professor an der Uni-
versität, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und 1949–78
mehrmals Gastprofessor der Harvard University. 1984 erschien seine monumentale
Gesamterfassung der Mosaiken des Markusdomes in Venedig, postum das Corpus
großformatiger byzantinischer Mosaikikonen.
D. trug besonders viel dazu bei, die mittel- und spätbyzantinische Wandmalerei
und Mosaikkunst genauer bekanntzumachen und ihre große Bedeutung für die
westeuropäische Kunstgeschichte zu erschließen. Er schuf die Voraussetzungen zu
einem neuen Verständnis für die Bildprogramme von Kirchenausstattungen, wobei
ihn deren ästhetischer Sinn, das spezifisch Künstlerische stärker beschäftigte als die
herkömmliche textfixierte Ikonographie und Ikonologie, und er öffnete den Blick
für differenzierte Qualitäten und reiche Entwicklungen, wo man bis dahin nur
Einförmigkeit oder Erstarrung gesehen hatte. Die Mosaiken von San Marco wie die
in Sizilien aus der Zeit der normannischen Herrscher verlangten in besonderem
Maße ein Eingehen auf die Folgen einer Begegnung von kulturell wie ethnisch
unterschiedlichen Traditionen. Dies leistete D. ohne jeden Nationalismus. Seine
Auffassung von Zeit- wie Lokalstil und Stilentwicklung, die auf  Riegl wie auch
auf  Wölfflin beruhte, hatte sich an einem äußerst lückenhaft erhaltenen und
quellenmäßig wenig gesicherten Denkmälermaterial zu bewähren, bei dem oft nur
aus den Nachwirkungen auf verlorengegangene Schlüsselwerke zu schließen war.
D. arbeitete vor allem die Vorbildhaftigkeit und Lehrfunktion der byzantinischen
Kunst für die »abendländische« Kunst heraus, ein Gedanke, der auch in seine stoff-
62 Demus

reiche Darstellung der romanischen Wandmalerei im Gebiet zwischen Spanien und


Westdeutschland einging. Gestützt auf seine viel bewunderten Werkkenntnisse, die
auch die Plastik einschlossen, vermochte er die Behandlung großer Zusammen-
hänge und durchgehender Entwicklungslinien stets mit der Berücksichtigung von
Sonderfällen und Einzelleistungen wie mit energischer Kritik von künstlerischen
Schwächen zu vereinen. In den Wrightman-Vorlesungen, die er 1966 im New Yor-
ker Metropolitan Museum hielt (Byzantine Art and the West, 1970), spannte er mit
einer Fülle von Beobachtungen zu dem, was westeuropäische Künstler zu ihrem
eigenen Nutzen den ostchristlichen Bildkompositionen, Figurendarstellungen und
Modellierungsweisen absehen konnten, einen großen Bogen bis zur »modernen
Malerei«, das heißt der westlichen Malerei von Masaccio bis Cézanne. Er wollte sich
»nicht mit allen byzantinischen Elementen beschäftigen [...], sondern nur mit de-
nen, die etwas mit Kunst im eigentlichen Sinn und vor allem mit der Schöpfung
und Entwicklung der künstlerischen Sprache in den bildenden Künsten zu tun
haben«.
Werke: Byzantine Mosaics in Greece. Hosios handschriften, 5. Bde., Stg 1977 ff. (mit Irm-
Lukas and Daphni, Cam/MA 1931 (mit Ernst gard Hutter); The Mosaics of San Marco in
Diez); Die Mosaiken von San Marco in Vene- Venice, 4 Bde. Wa/Ch/Lo 1984; Die byzanti-
dig, Wien 1935; The Mosaics of Norman Si- nischen Mosaikikonen, 1. Die großformati-
cily, Lo 1950; Gebundenheit und Freiheit in gen Ikonen, Wien 1991; Die spätgotischen
der byzantinischen Kunst, in: AnK, 1, 1952, Altäre Kärntens, Klagenfurt 1991
2–7; Die Entstehung des Paläologenstils in Literatur: FS O.D. (Jb. d. Österr. Byzantini-
der Malerei, in: Berichte zum 11. Internat. stik, 1972; Bibliogr.); Frodl-Kraft, Eva: O.D.
Byzantinistenkongreß, Mü 1958, Bd. 4/2, 1– zum 75. Geburtstag, in: ÖZKD, 31, 1977, S.
63; Karl M. Swoboda als Forscher, in: FS Karl 143; Bibliographie mit Nachtrag ebd., 45,
M. Swoboda, Wien/Wb 1959, 7–11; The 1991, 128–129; Hutter, Irmgard/Frodl, Wal-
Church of San Marco in Venice, Wa 1960; By- ter/Buschhausen, Helmut: In memoriam
zantine Mosaic Decoration, Lo 1964; Kopie O.D., in: Kunsthistoriker, 7, 1990, Sondernr.,
und Illusion, in: ÖZKD, 19, 1965, 131–144; 5–9; Frodl, Walter: O.D., in: ÖZKD, 45, 1991,
Vorbildqualität und Lehrfunktion der byzan- 126–129; Belting, Hans: O.D., in: Dumbarton
tinischen Kunst, in: AIKB, Bln 1967, 1, 92–98; Oaks Papers, 45, 1991, VII–XI; Wendland
Romanische Wandmalerei, Mü 1968 (engl. 1999, 113–121
NY 1970); Byzantine Art and the West, Lo PHF
1970; Corpus der byzantinischen Miniaturen-

Diez, Ernst
Geb. 27. 11. 1878 in Lölling (Österreich); gest. 8. 7. 1961 in Wien

Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Archäologie in Graz promovierte D.


1902 bei  Strzygowski mit einer Arbeit über die frühbyzantinische Wiener Dios-
kurides-Handschrift. In den folgenden Jahren war er am Österreichischen Museum
für Kunst und Industrie in Wien tätig, beschäftigte sich mit europäischer Kunst des
16. Jahrhunderts und unternahm Studienreisen nach Rom und Istanbul. 1909–11
war er in der Islamischen Abteilung der Berliner Museen an der Vorbereitung und
Durchführung der Münchener Ausstellung Meisterwerke der muhammedanischen Kunst
beteiligt, was seinen weiteren Weg nachhaltig beeinflußte. Als er 1911 als Assistent zu
Diez 63

Strzygowski nach Wien ging, wandte er sich ganz der Erforschung der orientali-
schen Kunst zu. 1912–14 folgten ausgedehnte Studienreisen nach Ägypten, Indien
und dem Iran.Vor allem die Bekanntschaft mit den Denkmälern des östlichen Teils
der islamischen Welt prägte seine kunsthistorische Sicht. So ist sein Band zur isla-
mischen Kunst im Handbuch der Kunstwissenschaft eigentlich eine problemorientierte
Architekturgeschichte, die die östlichen Einflüsse betont. 1923 folgte eine systema-
tische Darstellung der Entwicklung der ostiranischen Architektur, die den Schwer-
punkt auf die ökologischen, materiellen und technischen Voraussetzungen legte
(Persien. Islamische Baukunst in Churasan).
1919 habilitierte sich D. in Wien, wurde dort 1924 a.o. Professor und zuständig
für »Westasien«. Mit seinem Lehrer Strzygowski verband D. das Ziel, dem Orient zu
dem ihm gebührenden Platz in der kunstgeschichtlichen Forschung zu verhelfen,
wobei er darunter die drei »asiatischen Kunstprovinzen«, die islamische, die indische
und die ostasiatische, faßte. Im Verständnis der Architekturentwicklung von  Sem-
per beeinflußt, bemühte er sich zugleich, Architektur und Kunst im Kontext religiös
geprägter Weltbilder zu begreifen. Als Autor mehrerer Gesamtdarstellungen, unter
anderem für das Handbuch der Kunstwissenschaft und die Propyläen-Kunstgeschichte,
konnte D. die Auffassungen von orientalischer Kunst im deutschsprachigen Raum
mitprägen.
1926 folgte D. einem Ruf an die Universität von Bryn Mawr/PA. Während dieses
USA-Aufenthalts bis 1939 bereiste er mehrere Länder Ostasiens, schrieb über per-
sische Architektur (Survey of Persian Art, 1938) und verfaßte Beiträge für die Enzy-
klopädie des Islam. In Artikeln für die gerade gegründete Zeitschrift Ars Islamica
unternahm er den Versuch einer Einordnung der islamischen Kunst in eine univer-
sale Stilgeschichte; der historische Hintergrund wurde dabei auf Grundaussagen des
orthodox-islamischen Glaubens reduziert.
1939 kehrte D. an die Wiener Universität zurück, ging 1943 als Professor für isla-
mische und türkische Kunst an die Universität Istanbul, wo er ein kunsthistorisches
Institut aufbaute, bis er 1948 abermals in Wien tätig wurde. Nachdem D. bereits in
früheren Arbeiten auf den Anteil künstlerischer Traditionen der türkischen Noma-
denstämme an regionalen Ausprägungen und an bestimmten Zweigen der islami-
schen Kunst hingewiesen hatte, wandte er sich nun verstärkt der Erforschung von
Denkmälern der islamischen Periode auf türkischem Boden zu. Die eigentliche
Leistung seiner späten Schaffensjahre liegt jedoch in seinem Beitrag zur Ausbildung
und Erziehung des Kunsthistorikernachwuchses in der Türkei.

Werke: Die Miniaturen des Wiener Diosku- Kunst, in: JbPK, 1910, 231– 244, u. 1911, 117–
rides, in: Byzantinische Denkmäler, 3, hrsg. v. 142; Kunst und Gesellschaft in Nordpersien,
Josef Strzygowski, Wien 1903, 1–70; Der Hof- in: Österr. Monatsschrift f. d. Orient, 40, 1914,
maler Bartholomäus Spranger, in: JbkSAK, 211–221; Die Kunst der islamischen Völker,
1909/10, 91–151; Ein Karton der »Giuochi di Bln 1915; Isfahan, in: ZfbK, 50 (26), 1915, 90–
Putti« für Leo X. Beitrag zur Geschichte der 104, 113–128; Kunst und Gesellschaft in Ost-
Raffaelwerkstätte, in: JbPK, 1910, 30–39; Zur persien, in: Österr. Monatsschrift f. d. Orient,
Ausstellung von Meisterwerken muhamme- 42, 1916, 101–111; Churasanische Baudenk-
danischer Kunst in München, in: Kunstge- mäler, Bln 1918; Alt-Konstantinopel, Mü 1920
werbeblatt, 21, 1910, 221– 228; Bemalte El- (mit Heinrich Glück); Die Elemente der per-
fenbeinkästchen und Pyxiden der islamischen sischen Landschaftsmalerei und ihre Gestal-
64 Diez

tung, in: Kunde, Wesen und Entwicklung, Sanati (mit Oktay Aslanapa), Istanbul 1946;
hrsg. v. Josef Strzygowski,Wien 1922, 116–136; Josef Strzygowski – Biographisches, in: Fel-
Einführung in die Kunst des Ostens (China sefe Arkivi, 2, 1947, 13–25; The Zodiac Reliefs
und Japan), Wien/Hellerau 1922; Persien. Is- at the Portal of the Gök Medrese in Sivas, in:
lamische Baukunst in Churasan, Hagen/Da/ Artibus Asiae, 12, 1949, 99–104; Die Sieges-
Gotha 1923; Orientalische Gotik, in: FS Josef türme in Ghazna als Weltbilder, in: KuOr, 1,
Strzygowski, Wien/Hellerau 1923, 168–177; 1950, 37–44; Das Erbe der Steppe in der
Afghanistan (mit Oskar von Niedermayer), turco-iranischen Baukunst, in: Symbolae in
Lpz 1924; Die Kunst des Islam (mit Heinrich honorem Zeki Velidi Togan, Istanbul 1950–55,
Glück), Bln 1925; Die Kunst Indiens, Pd 1925; 331–338; Die Kunst des indischen Kulturkrei-
Abschied von Heinrich Glück, in: Wiener ses, in: Atlantisbuch der Kunst, Zü 1952, 552–
Beiträge zur Kunst- u. Kulturgeschichte Asi- 568; Zentralasien und der eurasische Kunst-
ens, 5, 1929/30, 9–14; Byzantine Mosaics in kreis, ebd., 602–615; Die Kunst des Islam, in:
Greece, Hosios Lukas and Daphni (mit Otto Kleine Kunstgeschichte der außereuropä-
Demus), Cam/MA 1931; Sino-Mongolian ischen Hochkulturen, Stg 1957, 159–213; Ak-
Temple Painting and its Influence on Persian bar. Gottsucher und Kaiser, Wien 1961; Die
Illumination, in: ArsIs, 1, 1934, 160–175; A Sty- Sprache der Ruinen, Wien 1962; Zur Kritik
listic Analysis of Islamic Art, in: ebd., 3, 1936, Strzygowskis, in: KuOr, 4, 1963, 98–109 (Bi-
201–212, 5, 1938, 36–45; Simultaneity in Isla- bliogr.)
mic Art, in: ebd., 4, 1937, 185–189; The Archi- Literatur: Kühnel, Ernst: E.D., in: KuOr, 4,
tecture of the Islamic Period. Principles and 1963, S. 110; Beiträge zur Kunstgeschichte
Types, in: Survey of Persian Art, 2, Ox 1938, Asiens. In memoriam E.D., hrsg. v. Oktay
916–929; Entschleiertes Asien, Wien 1940; Aslanapa, Istanbul 1963
Shan Shui. Chinesische Landschaftsmalerei, KR
Wien 1943; Iranische Kunst, Wien 1944; Türk

Dohme, Robert
Geb. 17. 6. 1845 in Berlin; gest. 8. 11. 1893 in Konstanz

In den überwiegend architekturgeschichtlichen Studien D.s manifestiert sich die


Überzeugung, daß jedes Kunstwerk für sich und aus seinen jeweiligen technischen
und künstlerischen Voraussetzungen heraus erfaßt werden müsse. Allgemein kultur-
geschichtliche Exkurse – von ihm als »Hintergrundmalerei« bezeichnet – lehnte D.
entschieden ab, da sonst die »sachliche Nüchternheit fachmännischer Erörterungen«
unweigerlich in den Hintergrund gedrängt würde. Dem spekulativen Denken
ebenso abgeneigt, vertrat er die Auffassung, daß gerade der Architekturhistoriker
seine Studien direkt am Bauwerk betreiben und die baukünstlerischen Entschei-
dungen vor dem Hintergrund des praktischen Baugeschehens verstehen müsse.
Der Architekt D. schloß sein Studium in Berlin 1869 mit einer Arbeit über Die
Kirchen des Zisterzienserordens in Deutschland ab. Bei einer Italienreise 1869/70, dem
prägenden Bildungserlebnis seiner Jugend, lernte er die Meisterwerke sowohl der
antiken römischen als auch der Renaissance- und Barockarchitektur kennen, die er
zeitlebens gleichermaßen schätzen sollte. Besonders intensiv beschäftigte er sich mit
Brunelleschi, Bramante, Raffael und Michelangelo, die er für unübertreffbar hielt
und die ihm Richtmaß für die Beurteilung späterer Architekten, zum Beispiel An-
dreas Schlüters, wurden.Von Andrea Palladios Werken würdigte D. vor allem dessen
neuartige Villenbauten: Den Rang von Brunelleschi oder Michelangelo habe er
aber nicht erreicht, da es seinen Bauten an eindeutig individuellem Gepräge man-
gelte (Kunst und Künstler, Bd. 3, 1879).
Dohme 65

1870 wurde D. Bibliothekar des preußischen Königs, 1875 Direktorialassistent bei


 Jordan an der Nationalgalerie und 1882 erster ständiger Sekretär der Akademie
der Künste. Ab 1884 leitete D. das Hohenzollern-Museum und hatte die Aufsicht
über den königlichen Kunstbesitz. 1887 gründete er mit  Lippmann und  Bode
die Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin. Mehrere Veröffentlichungen wid-
mete D. der Kunst und Architektur seiner Heimatstadt Berlin. In seinem Buch Das
königliche Schloß zu Berlin (1876) beschrieb er die Entstehungsgeschichte des vielge-
staltigen Baus und wies auf die Bedeutung Schlüters hin. Durch genaue Stilanalysen
und -vergleiche fand er eine auffällige strukturelle Verwandtschaft des Berliner
Schlosses mit einzelnen Partien des Torgauer Schlosses Hartenfels heraus. Er unter-
schied diese Stilrichtung als »sächsischen Provinzialismus« von anderen Strömungen
der deutschen Frührenaissance und wies nach, daß ihre Eigenheiten nicht, wie
bislang angenommen, auf italienische, sondern auf französische Vorbilder zurückzu-
führen waren.
In seiner Geschichte der deutschen Baukunst (1886) ging D. über die ältere, auf die
Beschreibung der Monumente fixierte deutsche Architekturgeschichtsschreibung
(wie  Lübkes Geschichte der deutschen Renaissance, 1873) hinaus, indem er durch die
»Schilderung des allmählichen Ausreifens und Wechselns der baukünstlerischen
Gedanken« sein Augenmerk auch auf immanente Aspekte der Architekturentwick-
lung lenkte.
Auch als Herausgeber machte sich D. verdient. In Kunst und Künstler des Mittelal-
ters und der Neuzeit. Biographien und Charakeristiken, die 1877–1886 in mehreren
Bänden erschienen, sollten die Fortschritte der noch jungen Disziplin veranschau-
licht werden. Er verpflichtete angesehene Autoren wie  Springer,  Jordan und
 Adolf Rosenberg, die über ihre Spezialgebiete schrieben, betraute aber auch
jüngere Wissenschaftler wie  Janitschek und  Woltmann mit der Abfassung von
Künstlerbiographien. D. beabsichtigte, durch die lockere Reihung der einzelnen
Beiträge, die ganz unterschiedliche Künstler des europäischen Kunstraumes behan-
delten und sich wie »Mosaikstücke« am Ende zu einem geschlossenen Bild zusam-
mensetzen sollten, außer den Fachleuten auch ein breiteres Publikum anzuspre-
chen.

Werke: Die Kirchen des Zisterzienserordens Bln 1884–92; Geschichte der deutschen Bau-
in Deutschland, Lpz 1869; Die Werner-Aus- kunst, Bln 1886; Das englische Haus, Bschw
stellung in Berlin, in: ZfbK (Beilage), 9, 1874, 1888; Möbel aus den kgl. Schlössern zu Berlin
345–354; Das Königliche Schloß zu Berlin, und Potsdam, Bln 1889; Unter fünf preußi-
Lpz 1876; Die Masken sterbender Krieger im schen Königen. Lebenserinnerungen, hrsg. v.
Hofe des ehemaligen Zeughauses zu Berlin Paul Lindenberg, Bln 1901
von Andreas Schlüter, Bln/Lpz 1877; Kunst Literatur: Rosenberg, Adolf: Rez. von »Das
und Künstler des Mittelalters und der Neu- Königliche Schloß zu Berlin«, in: ZfbK, 12,
zeit. Biographien und Charakteristiken, 1877, 85–89; Anonyme Rez. von »Kunst und
8 Bde., Lpz 1877–86 (darin: Filippo Brunelles- Künstler des Mittelalters und der Neuzeit.
chi, Bd. 1, 1878, 3–34; Andreas Schlüter, Dritte Abteilung. Kunst und Künstler Spani-
Bd. 2, 1878, 3–20; Daniel Chodowiecki, Bd. 2, ens, Frankreichs und Englands bis gegen das
1878, 15–32; Andrea Palladio, Bd. 3, 1879, 33– Ende des 18. Jh.s«, in: ebd., 17, 1882, 94–97;
48; Lorenzo Bernini, Bd. 3, 1879, 23–40); Ma- Jordan, Max: R.D., in: JbPK, 1894, 3–4
lerische Ansichten aus Nürnberg, Bln 1882; CF
Barock- und Rokoko-Architektur, 3 Bde.,
66 Drost

Drost,Willi
Geb. 10. 9. 1892 in Danzig (Gdańsk, Polen); gest. 10. 11. 1964 in Bonn

Es ist D.s bleibendes Verdienst, die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirchen des
alten Danzig vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Bei seiner Ausweisung 1945
konnte der ehemalige oberste Denkmalpfleger in Westpreußen das gesamte Photo-
material und alle Unterlagen des Denkmalamtes nach Schweden mitnehmen, so
daß die fünfbändige Dokumentation Kunstdenkmäler der Stadt Danzig (1957–72)
möglich wurde. D. selbst hat seine Hauptleistung als Kunsthistoriker wohl eher in
der mit  von Lorck begründeten norddeutschen Richtung der Strukturanalyse
gesehen, einer Interpretationsmethode, die, ausgehend von Wilhelm Diltheys und
Eduard Sprangers geisteswissenschaftlicher Psychologie, die Einseitigkeit der form-
analytischen und geistesgeschichtlichen Methode  Wölfflins und  Dvoáks
überwinden wollte, indem sie »die Struktur der Werke als Analogon des menschli-
chen Seins und Wirkens« verstand und in »wissenschaftlich exakter Weise« deutete.
Im Unterschied zu der etwa gleichzeitig aufkommenden gestaltpsychologisch und
genetisch orientierten Strukturanalyse der Wiener Schule um  Sedlmayr,  Pächt
und dem Archäologen Guido von Kaschnitz-Weinberg (1890–1958) nahmen D. und
Lorck einen eher naturwissenschaftlich-analytischen Standpunkt ein. Sie zerglieder-
ten die Form des Kunstwerks bis in kleinste Teile und deuteten sie physiognomisch
aus; außerdem gingen sie von einer alle kulturellen Manifestationen einer Epoche
bestimmenden Grundstruktur aus.
Nachdem sich D. 1908–10 in Musik und Malerei praktisch versucht hatte, begann
er, ebenfalls in Leipzig, 1914 Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und Spra-
chen zu studieren. Nach Kriegsdienst 1916–18 folgte schon 1919 die Promotion bei
 Schmarsow über das damals aktuelle Thema des Rhythmus in der bildenden
Kunst ( Pinder 1904, 1905; Russack, 1910). 1926 habilitierte sich D. in Königsberg
mit seiner ein Jahr vorher als Band 19 des Handbuchs der Kunstwissenschaft publizier-
ten Barockmalerei in den germanischen Ländern. In der Nachfolge dieses bedeutenden
Werkes stehen die Elsheimer-Monographie von 1933, die erste kritische ihrer Art,
eine Arbeit über den Zeichner Elsheimer und eine Reihe von Aufsätzen (Elsheimer
oder Goudt, 1964); das geplante Rembrandt-Buch wurde nicht geschrieben.
Im Barock, auf den ihn Schmarsow gelenkt hatte, fand D. seinen kunstgeschicht-
lichen Gegenstand und eine ihm verwandte geistige Haltung. Es ist zu vermuten,
daß das Weltbild des 17. und 18. Jahrhunderts mit seiner Rationalität und Harmonie
im Ganzen wie im Individuellen, wie es D. in Leibnizens Philosophie exemplarisch
ausformuliert fand, bei der Konzipierung der Strukturanalyse Pate gestanden hat. Es
war D.s Anliegen, den Barock nicht mehr in Relation zur Renaissance zu verstehen,
sondern eigenständig und »positiv«. Zu diesem Zweck verwies er wiederum auf
Leibniz, der gefunden habe, daß die »Welt erfüllt ist von unendlich vielen, unend-
lich kleinen Teilchen, die jedes in seiner Weise das Universum spiegeln und die sich
in größtmöglicher Anpassung zu größeren Organismen zusammenschließen«. Die-
ses Ordnungsprinzip fand D. auf exemplarische Weise in der Bildflächenstruktur der
Barockmalerei verwirklicht, sie wurde für ihn zum Spiegel eines vollkommenen
Universums. D. ging so weit, den Barock als neue Norm zu postulieren: »In Wahr-
Drost 67

heit bedeutet die Form des Barock jedoch gegenüber dem schroffen Dualismus der
Renaissance ein weitaus tieferes Verstehen und In-Beziehung-Setzen aller Elemente
des Lebens und des Seins.« Auch glaubte D. in einer Zeit zu leben, in der ein neues
Weltbild »mit wesentlichen Momenten der Geschlossenheit des Barock« im Entste-
hen begriffen war. Erst jetzt sei es möglich, Rembrandt, den das 19. Jahrhundert
trotz seiner Liebe zu ihm als Realisten mißverstanden habe, als Maler des Barock,
sein »hohes Selbstbewußtsein« und die »freie Überlegenheit« seines Geistes zu be-
greifen.
Nach einem Romaufenthalt 1928/29 kam D. 1930 als Kustos an das Danziger
Stadtmuseum, das er von 1937 an leiten sollte. Gleichzeitig wurde er Privatdozent
an der Technischen Hochschule, 1932 dort a.o. und 1938 o. Professor. Während
dieser Jahre schrieb D. eine Geschichte der Danziger Malerei, der er eine ausführli-
che Darstellung seiner Strukturanalyse anfügte. Zum erstenmal hatte sich D. explizit
zu seinen theoretischen und methodologischen Auffassungen auf dem 3. Kongreß
für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1927 in Halle geäußert (Form als
Symbol), in einer Sektion zum Problemkreis »Symbol«; Ernst Cassirer hielt das
Hauptreferat. D. behauptete einen fundamentalen Gegensatz zwischen Geschichte
und Kunstgeschichte. Während erstere es mit einem Geschehen zu tun habe, gehe
es dem Kunsthistoriker um die »systematische Versenkung in das noch bestehende
Einzelwerk«, um dessen Ausdeutung. Die Kunstgeschichte war für D. in erster Linie
eine systematische Wissenschaft, die zuverlässige Aussagen über die »seelisch-geistige
Beschaffenheit« des Künstlers und der »allgemeinen Kräfte, die in ihm wirksam
waren«, machen könne. Er gab vor, die Struktur eines Bildes wie die Physiognomie
eines Menschen lesen zu können und zu den Formensprachen der Vergangenheit
einen direkten, das heißt nicht durch historisches Wissen erst eröffneten, Zugang zu
haben; die abgedunkelten Bildecken der Barockmalerei, ihre Oval-Struktur, ließen
ihn auf ein zusammenhängendes, geschlossenes und endliches Weltbild und die
scharfe, horizontale Zweiteilung der Bildfläche in Klassizismus und Romantik auf
ein dualistisches und unendliches Weltbild schließen. Romanische und gotische
Architektur verstand D. als Analogon zum Begriffsrealismus der frühmittelalterli-
chen Philosophie und zum Nominalismus der Hochscholastik (Romanische und go-
tische Baukunst, 1944).
Eine neue Heimat fand D. nach dem Krieg in Tübingen, wo er seit 1947 an der
Universität lehrte. Den nördlichen Regionen blieb er durch einen Forschungsauf-
trag der Universität Hamburg, durch Vorlesungen in Stockholm und Uppsala und
langjährige Mitarbeit an der schwedischen Konsthistorisk tidskrift verbunden.
Werke: Die Lehre vom Rhythmus in der Elsheimer und sein Kreis, Pd 1933; Polen und
heutigen Ästhetik der bildenden Künste, Lpz die Kunst des Westens während der Renais-
1919; Über Wesensdeutung von Landschafts- sance und Barockzeit, Kö 1934; Das Kreuzi-
bildern, gezeigt an der holländischen Land- gungsfresko in Pelplin. Ein Hauptwerk der
schaftsmalerei des 17. Jh.s, in: ZfÄaK, 15, 1921, Wandmalerei des Ostens, in: Pantheon, 15,
272–304; Barockmalerei in den germanischen 1935, 133–137; Danziger Malerei vom Mittel-
Ländern, Pd 1925; Form als Symbol, in: alter bis zum Ende des Barock. Ein Beitrag
ZfÄaK, 21, 1927, 358–371; Motivübernahme zur Begründung der Strukturforschung in
bei Jakob Jordaens und Adriaen Brouwer, Kö der Kunstgeschichte, Bln/Lpz 1938; Fritz
1928; Goethe als Zeichner, Pd 1932; Adam Pfuhle. Ein Danziger Maler der Gegenwart,
68 Drost

Bln 1938; Das Jüngste Gericht des Hans 69–72; Kunstdenkmäler der Stadt Danzig, 5
Memling in der Marienkirche zu Danzig, Bde., Stg 1957– 1972 (Bd. 5 mit Franz Swo-
Wien 1941; Die Danziger Gemäldegalerie. boda); Strukturwandel von der frühen zur
Neuerwerbungen, Danzig 1943; Der Danzi- hohen Renaissance, in: Ktid, 27, 1958, 30–51;
ger Maler Salomon Adler (1630 bis nach Eine Handzeichnungsgruppe aus der Rem-
1691), in: FS Wilhelm Worringer, Kö 1943, brandtwerkstatt um 1655. Zum Problem der
101–105; Romanische und gotische Baukunst. Beteiligung zweier Hände am selben Blatt, in:
Der Wandel des mittelalterlichen Denkens FS Hubert Schrade, Stg 1960, 212–229; Schlü-
und Gestaltens, Pd 1944; Ornamentik an ter und der Berliner Barock, in: Tübinger
Danziger Kirchen, in: FS Henrik Cornell, Studien zur Geschichte u. Politik, 14, 1961,
Stockholm 1950, 123–142; Tizian und Tinto- 12–24; Die Marienkirche in Danzig und ihre
retto. Eine Epochenwende, in: Ktid, 24, 1955, Kunstschätze, Stg 1963; Elsheimer oder
1–46; Danzig – ein Kulturzentrum im deut- Goudt, in: Ktid, 33, 1964, 30–42
schen Osten, in: Tübinger Studien zur Ge- Literatur: Eimer, Gerhard: W.D., in: Ktid,
schichte u. Politik, 4, 1955, 47–59; Adam Els- 34, 1965, 124–125; Grundmann, Günther: In
heimer als Zeichner. Goudts Nachahmungen memoriam W.D., in: Kunstdenkmäler der
und Elsheimers Weiterleben bei Rembrandt, Stadt Danzig, Bd. 5, Stg 1972, V–VII
Stg 1957; Umbruch der Spätromanik und des PB
Spätbarock, in: FS Johannes Jahn, Lpz 1957,

Dvořák, Max
Geb. 24. 6. 1874 in Raudnitz (Roudnice, Tschechien);
gest. 8. 2. 1921 in Grusbach (Hrušovany, Tschechien)

Der Tscheche D. trug als zeitweiliges Haupt der Wiener Schule maßgeblich dazu
bei, daß die Geschichte der Kunst als Teil einer dezidiert antimaterialistischen Gei-
stesgeschichte begriffen und beschrieben wurde. Als Sohn des Fürstlich Lobkovitz-
schen Schloßarchivars wurde er früh mit den Kunstschätzen in Schloß Raudnitz
vertraut. Er studierte in Prag bei Jaroslav Goll, dann 1895 in Wien Geschichte,
hauptsächlich bei Theodor von Sickel am Institut für Österreichische Geschichts-
forschung, und wandte sich dort unter dem Eindruck  Wickhoffs der Kunstge-
schichte zu. Neben seiner historischen Dissertation schrieb er eine kunsthistorische
Institutsarbeit über den byzantinischen Einfluß auf die italienische Miniaturmalerei
des Trecento. Er habilitierte sich mit Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt,
wurde 1902 Privatdozent an der Wiener Universität und 1905 a.o. Professor als
Nachfolger  Riegls. Wie Wickhoff war er an der Gegenwartskunst interessiert,
schrieb einen Aufsatz über die Entwicklung des Realismus in der tschechischen
Malerei und polemisierte gegen historisierende Architektur. Nach dem frühen Tod
Riegls übernahm D. 1905 auch die kunsthistorische Leitung in der Zentralkommis-
sion für die Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale und orientierte das
Bemühen der Denkmalpflege auf eine verständnisvolle Mitarbeit von einflußrei-
chen Laien wie Lehrern und Pfarrern. Die praktische Wirksamkeit, die sorgfältige
Inventarisierung in der 1907 von D. begründeten Österreichischen Kunsttopographie
und die Publikation des Kunstgeschichtlichen Jahrbuchs der Zentralkommission (seit
1907) machten die österreichische Denkmalpflege zu einem Vorbild für andere
Länder. Indem D. allem einen Wert zuerkannte, was jemals existiert habe, und es
keine Kunst gäbe, die nicht auf Menschen und nachfolgende Kunst gewirkt hätte,
Dvořák 69

überforderte er allerdings die praktischen Möglichkeiten von Inventarisation und


Bewahrung der Denkmale.
Nach Wickhoffs Tod erhielt D. 1909 einen neugeschaffenen zweiten Lehrstuhl
für Kunstgeschichte, nachdem der erste mit  Strzygowski besetzt worden war.
Seitdem gab es an der Wiener Universität zwei kunsthistorische Institute, die ge-
gensätzliche theoretisch-methodologische Positionen vertraten. Einen Ruf nach
Köln lehnte D. ab. Er ging auch nicht in seine 1918 unabhängig gewordene tsche-
chische Heimat, deren Kunstwissenschaft sich später stark an seinem Vorbild orien-
tierte. Schon die allgemeine Krise und dann der Zerfall des Habsburgerreiches lie-
ßen D. nach neuen theoretischen Positionen suchen. Seine wichtigsten Arbeiten
entstanden seit 1915. Geradezu missionarisch vertrat er zum Schluß die Überzeu-
gung, daß nach dem »Zusammensturz« der materialistisch handelnden Kultur die
Geisteswissenschaften die Führung in ein neues, geistiges Weltalter übernommen
hätten. Krank und überarbeitet erlag er während einer kurzen Erholungsreise in
den Semesterferien schon mit 47 Jahren (wie Riegl) einem Schlaganfall. Um die
Tradition der Wiener Schule gegen Strzygowski zu sichern, trat  Schlosser seine
Nachfolge an der Universität an.
D. setzte Wickhoffs und Riegls Bemühungen um den Nachweis einer eigenge-
setzlichen, folgerichtigen Entwicklung künstlerischer Formen fort und suchte, wie
damals alle wichtigen Kunsthistoriker, eine neue, eigene Gesamtvorstellung der
Kunstgeschichte zu gewinnen. Diese war polyphoner, damit historisch genauer,
operierte nicht mit zeitlosen polaren Prinzipien oder Grundtypen der Gestaltung
und grenzte sich entschieden von klassizistischen ästhetischen Normen ab. Zunächst
hing D. noch einem der Naturwissenschaft nachgebildeten Positivimus an. In einer
großen Arbeit über die Brüder van Eyck (1904) unterstrich er die Rolle langzeitli-
cher Stilentwicklung auch in Phasen kunstgeschichtlicher Umbrüche. Brüsk lehnte
er die Erklärung von Stilen und Stilwandlungen durch die damaligen Auffassungen
der Soziologie ab, hob stattdessen die historisch veränderlichen psychischen Bedin-
gungen für das Kunstschaffen und dessen Entwicklung sowie die Wechselwirkungen
der verschiedenen Bereiche des Geisteslebens hervor. In seinem Hauptwerk, den
Vorlesungen von 1915/16 über Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur
und Malerei, charakterisierte er unter Verzicht auf einzelne Werkanalysen sehr fein-
fühlig und überzeugend die gestalterischen Eigentümlichkeiten in verschiedenen
Kunstperioden. Er weitete vor allem die Behandlung eines Teilproblems zu einer
neuen Kennzeichnung des eigenen Charakters der ganzen mittelalterlichen Kunst
und ihrer Stellung zwischen Antike und Neuzeit aus. Sie sei prinzipiell anders und
dennoch Teil eines Kontinuums. Er gab ältere Auffassungen vom Fortschritt auf,
ohne diesen Begriff völlig zu verabschieden. Ausdrücklich mittels der dialektischen
Erkenntnismethode erhellte er das Verhältnis und den widerspruchsvollen Ausgleich
entgegengesetzter Tendenzen, vor allem von Idealbildung und Wirklichkeitserfas-
sung. Er konzentrierte sich auf die »Weltsicht«, die geistige Kultur, die er für das
Mittelalter hauptsächlich an Religion und theologischen Schriften festmachte. Er
kam zu der wichtigen Erkenntnis der Historizität des spezifisch künstlerischen
Verhaltens zur Welt, was einen für verschiedene Zeiten unterschiedlichen Begriff
des Kunstwerks erforderte. Spätestens seit Giotto sei das »autonome Kunstwerk«
70 Dvořák

eine selbständige Quelle der Weltanschauung, »die dritte geistige Weltmacht« neben
religiöser Transzendentalität und »individuellrezeptiver« Naturbeobachtung.
D. kannte den zum Marxisten gewordenen Ästhetiker und Revolutionär Georg
Lukács, mit dem auch seine Schüler  Hauser und  Antal verbunden waren. In
seinen letzten Arbeiten trug D. wesentlich zum neuen Verständnis für den bislang
geringgeschätzten Manierismus des 16. Jahrhunderts, die Kunst einer Krisenzeit, bei,
was mit ästhetischen und gestalterischen Tendenzen des Expressionismus überein-
stimmte. Er schrieb das Vorwort zu einer Lithographienfolge Oskar Kokoschkas, der
ähnlich wie er in der Multinationalität des Habsburgerreiches wurzelte. In einem
Vortrag über El Greco (1920) verglich er reformatorische Bewegungen des 16. Jahr-
hunderts mit aktuellen gegen den Kapitalismus. Wenige Wochen vor seinem Tod
nannte er in einem Vortrag Dürers Apokalypse ein »Revolutionslied« ebenso wie ein
»persönliches geistiges Bekenntnis« des Künstlers. Dieser habe die allgemeine gei-
stige Erneuerung höhergestellt als »die Sonderaufgaben der Kunst«. Damit kenn-
zeichnete D. auch sich selbst.
Werke: Byzantinischer Einfluß auf die Mi- 29; Gesammelte Aufsätze zur Kunstgeschichte,
niaturmalerei des Trecento, in: MIfÖG, 6. Mü 1929 (darin: Die Illuminatoren des Jo-
Erg.-Bd., 1900, 792–820; Die Illuminatoren hann von Neumarkt, 1901; Les Aliscans, 1903;
des Johann von Neumarkt, in: JbkSAK, 1901, Alois Riegl, 1905; Francesco Borromini als
35–127; Rez. von Josef Strzygowski, Orient Restaurator, 1907; Franz Wickhoff, 1909;
oder Rom (1901), in: GöGA, 164, 1902, 1, Denkmalkultus und Kunstentwicklung, 1910;
693–711;Von Mánes zu Švabinský, in: GrK, 27, Eine illustrierte Kriegschronik [Goya], 1916;
1904, 12–24; Das Rätsel der Kunst der Brüder Zur Entwicklungsgeschichte der barocken
van Eyck, in: JbkSAK, 1904 (als Buch Mü Deckenmalerei in Wien, 1919; Die kunstge-
1925); Alois Riegl, in: MZk, 4, 1905, 255–276; schichtliche Bedeutung der Mosaiken in der
Francesco Borromini als Restaurator, in: Markuskirche zu Rom); Studien zur Kunst-
JbZk, 1907, Beiblatt, 89–98; Franz Wickhoff, geschichte, Lpz 1989; Idealismus und Realis-
in: Biograph. Jb. u. dt. Nekrolog, 14, 1909, mus in der Kunst der Neuzeit. Die Entwick-
317–326; Rez. von Friedrich Rintelen, Giotto lung der modernen Landschaftsmalerei. Aka-
und die Giotto-Apokryphen (1912), in: KA, 7, demische Vorlesungen, Alfter 1993
1911, 90–98; Über die dringendsten methodi- Literatur: Tietze, Hans: M.D., in: ZfbK (Bei-
schen Erfordernisse der Erziehung zur kunst- lage), 56 (32), 1920/21, 441–444; Frey, Dag-
geschichtlichen Forschung, in: Die Geistes- obert: M.D.s Stellung in der Kunstgeschichte,
wissenschaften, I, 1913/14, H. 34, 932–936, H. in: WJbfKg, 1921/22, 1–21 u. in: M.D. zum
35, 958–961 (Nd. mit Einl. v. Otto Pächt in: Gedächtnis, Wien 1922; Baum, Julius: Rez.
WJbfKg, 1974, 7–19); Katechismus der Denk- von »Idealismus und Naturalismus in der go-
malpflege, Wien 1916; Kunstgeschichte als tischen Skulptur und Malerei«, in: RfKw, 43,
Geistesgeschichte. Studien zur abendländi- 1922, 111–113; Benesch, Otto: M.D. Ein Ver-
schen Kunstentwicklung, Mü 1923 (darin: such zur Geschichte der historischen Geistes-
Idealismus und Naturalismus in der gotischen wissenschaften, in: RfKW, 44, 1924, 159–197;
Skulptur und Malerei, 1918; Katakombenma- Kautzsch, Rudolf: Rez. von »Kunstgeschichte
lereien. Die Anfänge der christlichen Kunst, als Geistesgeschichte«, in: Belvedere, 7, 1925,
1919; Pieter Bruegel d.Ä., 1920; Über die ge- 6–16; Sybel, Ludwig von: dass., in: RfKw, 45,
schichtlichen Voraussetzungen des niederlän- 1925, 200–205; Bertalanffy, Ludwig von: dass.,
dischen Romanismus, 1920; Über Greco und in: ZfÄaK, 20, 1926, 375–381; Dell’Acqua,
den Manierismus, 1920; Schongauer und die Gian Alberto: L’Arte italiana nella critica di
niederländische Malerei, 1920/21; Dürers M.D., Fl 1935; Böckelmann, Walter: Grund-
Apokalypse, 1921); Kunstbetrachtung, in: Bel- begriffe der Kunstbetrachtung bei Wölfflin
vedere, 6, 1924, 85–91; Geschichte der italie- und D., Dr 1938; Sedlmayr, Hans: Kunstge-
nischen Kunst im Zeitalter der Renaissance. schichte als Geistesgeschichte. Das Vermächt-
Akademische Vorlesungen, 2 Bde., Mü 1927/ nis M.D.s, in: Wort und Wahrheit, 4, 1949,
Dvořák 71

264–277 (Nd. in: ders., Kunst und Wahrheit, 26, 1980, 125–142; Busse, Hans-Berthold:
Hbg 1958, 71–86); Pešina, Jaroslav: M.D. und Kunst und Wissenschaft. Untersuchungen zur
der heutige Stand der Eyckforschung, in: Ästhetik und Methodik der Kunstgeschichts-
Umní, 9, 1961, 576–607; Neumann, Jaromír: schreibung bei Riegl, Wölfflin und D., Mit-
Das Werk M.D.s und die Gegenwart, in: tenwald 1981; Rosenauer, Artur: Das Rätsel
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gene: Geistesgeschichte and Art History, in: lung zu Wickhoff und Riegl, in: AIKW, Wien
CArtJ, 30, 1970/71, 148–153; Swoboda, Karl 1984, Bd. 1, 45–52; Emmrich, Irma: M.D. und
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Hugo: M.D. und seine Schule in den böhmi- 311–358; Schmitz, Norbert M.: M.D.s Kunst-
schen Ländern, in: ebd., 81–89; Frodl, Walter: geschichte der Moderne, in: M.D. Idealismus
M.D.s Katechismus der Denkmalpflege, in: und Realismus, Alfter 1993, 71–98; Auren-
ebd., 90–105; Hajos, Géza: Riegls Gedanken- hammer, Hans H.: M. D. und die moderne
gut in D.s Einleitung zur Österreichischen Architektur, in: WJbfKg, 50, 1997, 23–39;
Kunsttopographie, in: ebd., 138–143; Chad- Rampley, Matthew: M. D. Art History and the
raba, Rudolf: M.D. und die Grundlagen der Crisis of Modernity in: ArtHist. 26, 2003,
nachantiken Kunstentwicklung, in: EGA, Bln 214 ff.; Bakoš, Ján: M.D. – a Neglected Revi-
1975, Teil 1, 95–103; Radnóti, Sándor: Die Hi- sionist, in: WJbfKg, 53, 2004, 55–71
storisierung des Kunstbegriffs, M.D., in: AHA, PHF

Eberlein, Kurt Karl


Geb. 15. 8. 1890 in Rastatt; gest. 1944/45 an der Ostfront (?)

Die Kenntnis vom Lebenslauf E.s ist spärlich, über das Ende wird gemutmaßt. Sei-
nen intellektuellen Werdegang dokumentieren indessen in aller Klarheit etwa 30
Aufsätze, Essays und Artikel zur Geschichte der Kunstwissenschaft, der Kunstpflege
und in besonderem Maße zur deutschen Romantik; gelegentlich schrieb er auch
über zeitgenössische Kunst. Diese Hinterlassenschaft in ihrem Erkenntniswert ge-
recht zu beurteilen, erschwert die nationalistische, später offen nationalsozialistische
Einstellung des Verfassers, der in der Tat »zum Verräter wurde«, wie  Rave 1949
rückschauend schrieb: E. war »ein begabter, allerdings einseitig sprachlich begabter,
charakterlich zweifelhafter Kunsthistoriker, der die nationalen Lehren im Sinne ei-
ner Säuberung auf die deutsche Kunst angewendet wissen wollte, doppelt verwerf-
lich, weil er als Geistiger [...] es besser hätte wissen können und es auch besser
wußte« (Kunstdiktatur im Dritten Reich). Rave hatte hier besonders das Pamphlet
Was ist deutsch in der deutschen Kunst von 1933 im Auge, in dem E. unter Berufung
auf Herder,  Goethe, Fichte, Spengler, seine älteren Kollegen  Thode,  Neu-
mann und  Dehio und schließlich auf Hitler Partei ergreifen wollte für die natio-
nalsozialistische »Revolution« und eine neue deutsche Kunst jenseits des Expressio-
nismus. Er propagierte auch einen neuen Typ von Kunsthistoriker, der kein
empirisch arbeitender Forscher, kein »Spezialist« mehr sein sollte, sondern »natio-
nale Persönlichkeit, Seher, Deuter, Dolmetscher«. Disziplinhistorische Bedeutung
erhielt diese Schrift durch die scharfe Reaktion  Pinders, der sich zweifellos auch
für E.s Kritik (1928) an seiner Generationstheorie zu revanchieren gedachte, denn
E. hatte den »Würfen der Natur« eine kunsthistorische Relevanz weitgehend abge-
sprochen. Pinder warf nun seinem Widersacher »Marxismus« vor, weil dieser die
72 Eberlein

Kunst des Hofes und der Kirche wegen ihrer traditionell internationalen Ausrich-
tung als nicht zur deutschen Kunstgeschichte gehörend betrachtet und diese auf die
Kunstäußerungen des »Volkes« reduziert hatte. Auch die angeblich im Entstehen
begriffene neue Kunst konnte nach E.s Auffassung nur im Volk verwurzelt sein,
wobei er vor allem an die Landbevölkerung dachte. Anders als der gefeierte aristo-
kratische Akademiker Pinder vertrat E. eine Art plebejischer Variante nationalsozia-
listischer Welt- und Kunstanschauung. Ob freiwillig oder nicht, läßt sich nicht
entscheiden, bezeichnend ist, daß E. seine Auffassung von Kunstgeschichte, die
schon früh heilsbotschaftliche Züge annahm, an mittleren Lehranstalten und in
öffentlichen Vorträgen verkündete, während er zur Universität auf Distanz blieb
und auch keine höhere Museumslaufbahn einschlug.
E. studierte seit 1908 Kunstgeschichte, Archäologie, Ägyptologie und Literatur-
wissenschaft in Heidelberg, München, Bonn und 1910–12 bei  Goldschmidt in
Halle, dem er 1912 nach Berlin folgte. Während des Kriegsdienstes promovierte er
dort mit einer rein empirischen Arbeit über die deutsche Kunstliteratur des 18.
Jahrhunderts und arbeitete anschließend an der Badischen Kunsthalle in Karlsruhe.
In einem Beitrag zur ersten Festschrift (1923) für seinen damals noch verehrten
jüdischen Lehrer – an der zweiten zum 70. Geburtstag (1933) beteiligte er sich dann
nicht mehr – untersuchte E. anknüpfend an seine Doktorarbeit die Anfänge der
nationalen Kunstgeschichtsschreibung in ihren Beziehungen zur Gedankenwelt der
nazarenischen Künstler in Rom. Zu dieser Zeit fühlte er sich noch der »Zunft«
zugehörig und in den allgemeinen kunstwissenschaftlichen Diskurs eingebunden.
Nach 1933 mochte sich E. dann nur noch auf  Strygowski und dessen abwegige
kunstgeographische Ideen berufen, sonst auf Philosophen wie Alfred Bäumler und
Erich Jung oder den Rassenpsychologen Ludwig Ferdinand Clauß und auf Hitler.
E. glaubte, die Tür zu einer neuen Kunstwissenschaft aufgestoßen zu haben, die eine
»Wertgeschichte« der deutschen Kunst sein sollte; bisher hätten sich die »Form- und
Stilgeschichtler der sog. Grundbegriffe« mit dem »Wesen der Werte […] entspre-
chend der herrschenden [auf Antike und Renaissance ausgerichteten] Südkunstwis-
senschaft nur kunst-ästhetisch beschäftigt, denn andere Werte als die Erscheinungs-
werte kannten« sie kaum.
E.s Wertepyramide bekrönten die Kunst der Germanen, das deutsche Mittelalter
und nicht zuletzt die deutsche Romantik. Ihren Hauptmeister Caspar David Fried-
rich feierte er 1939 in einem nationalsozialistischen Erbauungsbuch – man verglei-
che es mit der ein Jahr früher publizierten Monographie  von Einems – als Per-
sonifikation deutscher Innerlichkeit, pries dessen Landschaften als »Widerstandskunst
des Nordens gegen die Darstellungskunst des Südens«. Der »monologischen« Ich-
Kunst Friedrichs, Runges, Kerstings, Richters und Schwinds stellte E. die Gemein-
schaftskunst Overbecks und der süddeutschen Nazarener zur Seite. Durch sie wäre
nach dem Mittelalter wieder eine »Gesamtkunst, eine Nationalkunst, eine Volks-
kunst geschaffen worden«, die auch für die Gegenwart wegweisend sei (Kunst und
Kunstgeist der Nazarener, 1928). Als Autor zuletzt greifbar ist E. in Artikeln für die
Leipziger Illustrierte Zeitung, 1943 zum Heldengedenktag und zu Stalingrad und
1944 über den Bildhauer Arno Breker, dem Albert Speer und der Gauleiter der
Mark Brandenburg gerade die erste große Personalausstellung ausgerichtet hatten.
Eberlein 73

Aus E.s Leben ist noch bekannt, daß er 1925–27 die Arbeitsgemeinschaft für
deutsche Handwerkskultur leitete und seitdem als Privatgelehrter auch kunstge-
schichtliche Vorlesungen an Berliner Fachschulen hielt.
Werke: Die deutsche Litterärgeschichte der 146; Geschichte des Kunstvereins für die
Kunst im 18. Jh., Kr 1919; Zur »Neuroman- Rheinlande und Westfalen 1829–1929, Dü
tik«, in: ZfbK (Beilage), 55 (31), 1919/20, 413– 1929; Vorgeschichte und Entstehung der Na-
414; Die Karlsruher Ehrenurkunde, in: ebd., tionalgalerie, in: JbPK, 1930, 250–261; Win-
259–263; Zur Neudeutschen Zeichenkunst, ckelmann und Frankreich. Zur Geschichte
in: ebd., 265–276; Deutsche Maler der Ro- des deutschen Kultureinflusses im französi-
mantik, Jena 1920; Friedrich Weinbrenner. schen Klassizismus, in: DVjS, 11, 1933, 592–
Denkwürdigkeiten aus seinem Leben, Pd 610; Was ist deutsch in der deutschen Kunst?,
1920; Johann Friedrich Böhmer und die Lpz 1934; Idee und Entstehung der deutschen
Kunstwissenschaft der Nazarener, in: FS Nationalmuseen, in: WRJb, 1934, 269–281;
Adolph Goldschmidt, Lpz 1923, 126–138; Franz Kugler, in: Pommersche Lebensbilder,
Caspar David Friedrich. Bekenntnisse, Lpz Bd. 1, St 1934, 123–140; Deutsches Silber, Stg
1924; Caspar David Friedrich in seinen Mei- 1937; Werner Peiner, Bln 1938; Caspar David
sterwerken, Bln 1925; Hartmann und Runge, Friedrich der Landschaftsmaler. Ein Volks-
in: FS Paul Clemen, Bonn 1926, 485–491; buch deutscher Kunst, Bie/Lpz 1939; Gold-
Nazarenische Kunst, Dü 1926; Friedrichs schmiedekunst als Kulturpolitik, Bln 1942;
Hochgebirgslandschaft in der Nationalgalerie, Das Opfer. Zum Heldengedenktag, in: Illu-
in: JbPK, 1927, 152–155; Kunst und Kunstgeist strierte Zeitung Leipzig, 100, März 1943,
der Nazarener, in: Carl Georg Heise, Over- 123–125; Was deutscher Erfindergeist Europa
beck und sein Kreis, Mü 1928, 17–26; Goethe und der Welt gab, in: ebd., 101, März 1944,
und die bildende Kunst der Romantik, in: 464–466; Arno Breker, in: ebd., 102, August
JbGoe, 1928, 1–77; Rez. von Wilhelm Pinder, 1944, 52–53
Das Problem der Generation in der Kunstge- Literatur: Pinder, Wilhelm: Was ist deutsch
schichte Europas (1926), in: HZ, 137, 1928, in der deutschen Kunst. Zu der Schrift von
257–266; Adolf Senff und sein Thorvaldsen- K.K.E., in: ZfKg, 2, 1933, 405–407
Bildnis, in: FS Karl Koetschau, Dü 1928, 138– PB

Einem, Herbert von


Geb. 16. 2. 1905 in Saarburg; gest 5. 8. 1983 in Göttingen

Seine »Wirksamkeit als akademischer Lehrer und Schriftsteller« sah E. »unlöslich


verknüpft« und verstand dabei die Kunstwissenschaft »immer zugleich als einen
Beitrag zur Kunde des Menschen«. Den verbindenden Sinn seiner Arbeiten, die der
Malerei und Plastik aus Mittelalter, Renaissance, Barock und dem 19. Jahrhundert
galten und »zu ihrem Teil dazu beitragen [wollten], der Erhaltung des abendländi-
schen Bewußtseins zu dienen, das in den Strukturverschiebungen der Moderne
mehr und mehr sein Gewicht und seine Kraft zu verlieren droht«, legte er in ruhi-
ger Klarheit selbst dar (Rückblick, 1971). E., der in die Verirrungen des Faches wäh-
rend der NS-Zeit nicht verstrickt gewesen war, wurde nach 1945 zu einer integrie-
renden Leitfigur der traditionellen deutschen Kunstgeschichtswissenschaft. 1964
konnte er nach über fünf Jahrzehnten wieder einen internationalen Kongreß für
Kunstgeschichte in Deutschland begrüßen und inhaltlich mitgestalten, kurz bevor
die neuen theoretisch-methodischen Fragen, die vorwiegend von einer jüngeren
Generation gestellt wurden, den Charakter der Disziplin zu verändern begannen.
74 Einem

Der Sohn eines Offiziers suchte schon im Gymnasium ein geistiges Fundament
im klassischen Humanismus. Dabei lenkte ihn als älterer Freund  Graf Vitzthum,
den er sich in Berufsauffassung und Methode zum Vorbild nahm. Bei ihm studierte
er – nach einem kurzen Jurastudium (1923) – in Göttingen, zeitweise auch in Ber-
lin und München, Kunstgeschichte und promovierte 1928. Bis 1936 arbeitete E. im
Landesmuseum Hannover. 1935 habilitierte er sich mit einer Arbeit über den Klas-
sizisten  Carl Ludwig Fernow bei  Waetzoldt in Halle und im Folgejahr noch-
mals in Göttingen, wo er aus politischen Gründen erst mit Verspätung eine Privat-
dozentur bekam. 1943 wurde er o. Professor in Greifswald, kehrte aber nach
Militärdienst und Gefangenschaft im Juli 1945 nicht dorthin zurück, sondern vertrat
das durch Vitzthums Tod verwaiste Ordinariat in Göttingen, ging kurz an die Uni-
versität Frankfurt/Main und übernahm 1947 neben  Lützeler einen der beiden
Lehrstühle in Bonn, den er bis zur Emeritierung 1970 innehatte. Den Ruf, als
Nachfolger  Sedlmayrs 1963 nach München zu kommen, lehnte er ab. Aufge-
schlossen für andere Wissenschaften, war er 1952–58 Mitherausgeber der Zeitschrift
Studium generale. Seit 1974 lebte E. wieder in Göttingen, wo ihn 1953 die Akademie
der Wissenschaften, wie ebenso die Akademien in Düsseldorf, München, Mainz und
Stockholm, zum Mitglied gewählt hatte. 1960–68 leitete er den Verband Deutscher
Kunsthistoriker. Seit 1950 wirkte er im deutschen Nationalkomitee für Kunstge-
schichte und war 1964–69 Präsident des Internationalen Komitees für Kunstge-
schichte (CIHA).
Für E. war die Kunstwissenschaft immer ein Zweig der Geschichtswissenschaft,
weil es ihm um die Funktion der Kunstwerke im Leben der Menschen ging.
Gleichzeitig betonte er als ein Bewunderer Ernst Cassirers: »Kunstphilosophie ist
ohne Kunstgeschichte ebensowenig fruchtbar wie Kunstgeschichte ohne Kunstphi-
losophie« und »ohne lebendige Kunsterfahrung« in der Gegenwart. Daher fragte er
danach, wie sich die einzelnen Epochen mit dem Wesen der Kunst vertrugen, das
er ganz im Geiste  Goethes auffaßte; zu dessen Schriften über bildende Kunst
publizierte er seit 1936 immer wieder. Da für E. der geschichtliche Ursprung der
Kunst – als einer besonderen »Sprache« – im mythischen Weltverständnis und ge-
meinschaftsbildenden Kultus lag, mußte ihm – wie vielen anderen – die Entwick-
lung seit dem Rationalismus der Aufklärung und dem Schwinden der Verbindlich-
keit des christlichen Mythos als Krise der Kunst erscheinen. »Mit dem Mythos
verliert die Kunst ihren eigentlichen Auftrag. Der Formtrieb, vom Aussagetrieb
getrennt, ist in Gefahr, zu verkümmern oder zur Spielerei zu entarten«, schrieb er,
ohne vor dem Wort »entarten« zu erschrecken (Fragen kunstgeschichtlicher Interpreta-
tion, 1952).
E. versuchte immer wieder, eine Summe aus den Prinzipien und Methoden der
voraufgegangenen Forschung zu ziehen. Er betrachtete die vergleichende Stilge-
schichte als unentbehrliche Grundlage, wollte aber vor allem »das scheinbar Äußer-
liche wieder einbeziehen«, um »den Formwert der außerkünstlerischen zeitlichen
Faktoren für die verschiedenen Epochen« zu ermitteln (Aufgaben der Kunstgeschichte
in der Zukunft); er ging dabei immer geistesgeschichtlich vor und ließ alle materia-
listischen Erklärungsversuche unberücksichtigt. Angesichts der politischen Lage
mußte E. in seinem Aufsatz von 1936 die von ihm bewunderte  Warburg-Schule
Einem 75

unerwähnt lassen, er betonte aber die streng zu wahrende Autonomie der Wissen-
schaft und stellte die neuen Theorien von »rassen- oder volksgebundener Kunst«
geschickt in Frage.
Im Anschluß an seine Dissertation und durch die Tätigkeit im Museum von
Hannover forschte E. anfangs über mittelalterliche Kunst, zu der er auch später
wiederholt wichtige Einzelstudien vorlegte. Mit der Habilitationsschrift begannen
die Arbeiten zur Kunst um 1800. Seine Monographie über Caspar David Friedrich
(1938) hatte der Verlag als allgemeinverständliches Buch geplant; sie enthält aber
zahlreiche neue Fakten und Gesichtspunkte und versagt sich vor allem der damals
besonders durch  Eberlein forcierten nationalistischen Deutung des Malers. Fried-
rich und Runge galten auch spätere Werkanalysen, bis E. zuletzt noch in einer in
kurzen, klaren Sätzen geschriebenen Gesamtschau auf die deutsche klassizistische
und romantische Malerei seine ästhetische und kunsthistorische Bilanz der Epoche
zog. Nach 1945 veröffentlichte er außerdem eine Fülle kürzerer Arbeiten zu Haupt-
meistern der europäischen Kunst der Renaissance und des 17. Jahrhunderts, die
durch feinfühlige Gestaltanalysen einzelner Meisterwerke grundsätzliche Stand-
punkte darlegten. Im gleichen Sinne schrieb er eine Michelangelo-Monographie –
dies alles, um die Kunstgeschichtswissenschaft »in den Dienst einer philosophischen
Anthropologie zu stellen«, an der Schaffung einer neuen Wertlehre zu beteiligen
und dem »Lebensbedürfnis« der Menschen nachzukommen, »durch den Nachweis
historischer Kontinuität [nämlich der abendländischen Kultur und Kunst, d. Verf.]
metaphysischen und moralischen Halt zu finden« (Eröffnungsansprache der von den
Universitäten Köln und Bonn initiierten Ersten Deutschen Kunsthistorikertagung
1948, die zur Gründung des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker führte). E.s Auf-
sätze zu Michelangelo, Dürer, Rembrandt, Rubens wie zu Cornelius und Rethel
förderten das Verständnis für die Leistungen dieser Künstler. Die Annahme, daß das
Wesen des Menschen immer gleich bliebe, daher auch »das Rätsel Kunst« zeitunab-
hängig wirken könne, geriet aber in gewisse Widersprüche zu E.s historischen
Einsichten, die ihm sagten: »Erst wenn wir das Denkmal in alle jene Bezüge wieder
hineinstellen, denen es sein Dasein und seine Gestalt verdankt, dürfen wir hoffen, es
auch als Kunstwerk ganz zu begreifen« (Zur Deutung des Magdeburger Reiters, 1953).
An neuerer, zunehmend subjektiver werdender Kunst nahm er einen geistigen und
ethischen Substanzverlust wahr. Deshalb bejahte er zwar, daß auch die kunsthistori-
sche Forschung nur durch innere Beziehung zur Gegenwartskunst lebendig bleiben
könne und diese an den Universitäten behandelt werden müsse, entschloß sich aber
schon in einer frühen Auseinandersetzung mit dem engagiert für die Moderne
streitenden  Gantner für eine »überparteiische Erkenntnis der Kunst unserer Zeit«,
für ein »unbefangenes und leidenschaftsloses Bild über die Möglichkeiten und Un-
möglichkeiten der Gegenwart«. Dazu könnten gerade kunsthistorische Untersu-
chungen Erhellendes beitragen. Abstraktion in ägyptischer Plastik sei etwas anderes
als moderne abstrakte Plastik (Revision der Kunstgeschichte?, 1931/32).
E.s ausgleichende, unpolemische Art sicherte ihm die Achtung nicht nur seiner
vielen, sich selbständig entwickelnden Schüler; andere kritisierten seine Fixierung
auf die vergangenen Höhepunkte abendländischen Kunstschaffens, die noch echte
schöpferische Leistungen gewesen seien, als elitär und kulturpessimistisch.
76 Einem

Werke: Die Plastik der Lüneburger Golde- Mü 1957, 193–204; Asmus Jacob Carstens: Die
nen Tafel, Hil 1929; Das Problem der Her- Nacht mit ihren Kindern, Köln/Opladen
kunft des Hannoverschen Bertramaltares, in: 1958; Der Auftrag der bildenden Kunst in un-
RfKw, 52, 1931, 169–177; Revision der Kunst- serer Zeit, in: Kunst der Gegenwart, Bschw
geschichte?, in: KBLit, 3, 1931–32, 185–192; 1959, 84–103; Unvollendetes und Unvollend-
Das Problem des Mythischen in der christli- bares im Werk Michelangelos, in: Josef Adolf
chen Kunst, in: DVjS, 13, 1935, 260–292; Der Schmoll gen. Eisenwerth (Hrsg.), Das Un-
Torso als Thema der bildenden Kunst, in: vollendete als künstlerische Form, Bln/Mü
ZfÄaK, 29, 1935, 331–334; Carl Ludwig Fer- 1959, 69–82; Michelangelo, Stg 1959; Karl V.
now. Eine Studie zum deutschen Klassizis- und Tizian, Köln/Opladen 1960; Holbein.
mus, Bln 1935; Gedanken und Bilder von Christus im Grabe, Wb 1960; Das Abendmahl
Caspar David Friedrich und Philipp Otto des Leonardo da Vinci, Köln/Opladen 1961;
Runge, Mü 1935; Aufgaben der Kunstge- Anmerkungen zur Bildhauerdarstellung des
schichte in der Zukunft, in: ZfKg, 5, 1936, 1– Nanni di Banco, in: FS Hans Sedlmayr, Mü
6; Goethes Kunstphilosophie, in: Imprimatur, 1962, 68–79; Castagno ein Mörder? in: FS
7, 1936/37, 60–78; Rez. von Hans Rose, Klas- Heinrich Lützeler, Dü 1962, 433–442; Das
sik als künstlerische Denkform des Abend- Stützengeschoß der Pisaner Domkanzel. Ge-
landes (1937), in: GöGA, 200, 1938, 396–408; danken zum Alterswerk des Giovanni Pisano,
Zur Hildesheimer Bronzetür, in: JbPK, 1938, Köln/Opladen 1962; Fragen um den Bam-
3–19; Caspar David Friedrich, Bln 1938; Was- berger Reiter, in: FS Theodor Müller, Mü
silij Andrejewitsch Joukowski und Caspar 1965, 55–62; Die »Verklärung Christi« und
David Friedrich, in: DWdK, 1, 1939/40, 169– die »Heilung des Besessenen« von Raffael,
184; Entwicklungsfragen bei Hugo van der Wb 1966; Poussins »Madonna an der Treppe«,
Goes, in: DWdK, 2, 1941/42, 153–199; Rez. in: WRJb, 1966, 31–48; Rubens’ »Abschied
von Joseph Gantner, Romanische Plastik des Adonis« in Düsseldorf, in: WRJb, 1967,
(1941), in: GöGA, 204, 1942, 169–193; Gedan- 141–156; Hans von Marées, Mü 1967; Masac-
ken zur Geschichte der deutschen bildenden cios »Zinsgroschen«, Köln/Opladen 1967;
Kunst des 19. und 20. Jh.s, in: Die Sammlung, Das Auge, der edelste Sinn, in: WRJb, 1968,
1, 1945/46, 169–179; Georg Graf Vitzthum 275–286; Bonner Lehrer der Kunstgeschichte
zum Gedächtnis, in: ebd., 265–269; Zum von 1818 bis 1935, in: 150 Jahre Rheinische
Werk Wilhelm Lehmbrucks, in: ebd., 2, Friedrich-Wilhelm-Universität zu Bonn.
1946/47, 38–54; Die Monumentalplastik des Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte
Mittelalters und ihr Verhältnis zur Antike, in: der Wissenschaften in Bonn, Geschichtswis-
Antike und Abendland, 3, 1948, 120–151; senschaften, Bonn 1968, 410–431; Erwin Pa-
Philipp Otto Runge. Das Bildnis der Eltern, nofsky zum Gedächtnis, in:WRJb, 1968, 7–11;
Bln 1948; Rembrandt. Der Segen Jakobs, Bln Die Tragödie der Karlsfresken Alfred Rethels,
1948; Goethe und die bildende Kunst, in: Köln/Opladen 1968; Dürers »Vier Apostel«,
StG, 2, 1949, 375–402; Eröffnungsansprache, in: AGNM, 1969, 89–103; Der Weg Wilhelm
in: Beiträge zur Kunst des Mittelalters. Vor- Lehmbrucks (1961), in: Siegfried Salzmann
träge der 1. Deutschen Kunsthistorikertagung u. a. (Hrsg.), Wilhelm Lehmbruck. Sieben
auf Schloß Brühl 1948, Bln 1950, 9–15; Rem- Aufsätze, Duisburg 1969, 1–14; Stil und Über-
brandt und Homer, in: WRJb, 1952, 182–205; lieferung. Aufsätze zur Kunstgeschichte des
Die Kunst der Deutschrömer, Bln 1952; Fra- Abendlandes, Dü 1971 (darin: Rückblick);
gen kunstgeschichtlicher Interpretation, in: Goethe-Studien, Mü 1972; Giorgione der
StG, 5, 1952, 95–105; Zur Deutung des Mag- Maler als Dichter, Wb 1972; Der Strukturbe-
deburger Reiters, in: ZfKg, 16, 1953, 43–60; griff in der Kunstwissenschaft, in: Der Struk-
Peter Cornelius, in: WRJb, 1954, 104–160; turbegriff in den Geisteswissenschaften, Wb
Der Mainzer Kopf mit der Binde. Zur Deu- 1973 (AdW u. Lit. Mainz, Abh. d. geistes- u.
tung der Gewölbefigur des Westlettners, sozialwiss. Klasse, 2); Die Medicimadonna
Köln/Opladen 1955; Die »Menschwerdung Michelangelos, Opladen 1973; Thorwaldsens
Christi« des Isenheimer Altares, Köln/Opla- »Jason«. Versuch einer historischen Würdi-
den 1956; Michelangelo. Die Pietà im Dom gung, Mü 1974; »Die Folgen des Krieges«.
zu Florenz, Stg 1956; Michelangelos Fresken Ein Alterswerk von Peter Paul Rubens, Opla-
in der Cappella Paolina, in: FS Kurt Bauch, den 1975; Zur Deutung des Heuwagentripty-
Einem 77

chons von Hieronymus Bosch, Gö 1975; ZfÄaK, 33, 1939, 178–182; Swarzenski, Hanns:
Deutsche Malerei der Klassik und der Ro- Rez. von »Zur Hildesheimer Bronzetür«, in:
mantik. 1760–1840, Mü 1978; Tizians Grab- ArtB, 24, 1942, S. 290; Dussler, Luitpold: Rez.
bild, Mü 1979 von »Michelangelo«, in: KChr, 16, 1963, 304–
Literatur: Beenken, Hermann: Rez. von 310; FS H.v.E., Bln 1965 (Bibliogr.); In me-
»Das Problem des Mythischen«, in: ZfKg, 5, moriam H.v.E., Reden von Willi Hirdt, Til-
1936, 55–60; Ladendorf, Heinz: Rez. von man Buddensieg, Thomas Gaehtgens, Bonn
»Carl Ludwig Fernow«, in: ZfKg, 5, 1936, 1984; Bloch, Peter: H.v.E., in: ZDVKw, 38,
327–331; Lützeler, Heinrich: dass., in: DLZ, 1984, S. 123
58, 1937, 112–114; Hartlaub, Gustav Friedrich: PHF
Rez. von »Caspar David Friedrich«, in:

Einstein, Carl
Geb. 26. 4. 1885 in Neuwied; gest. 5./7. 7. 1940 in Boeil-Bézing (Frankreich)

Der »extrem komplizierte, weil auf bizarre Weise widersprüchliche Schriftsteller«,


als den ihn 1992 der Kritiker Fritz J. Raddatz charakterisierte, war einer der ersten
und hellsichtigsten Historiker, Theoretiker und später auch Kritiker der modernen
Kunstentwicklung im 20. Jahrhundert.
E.s Vater war jüdischer Kantor und Lehrer; die Familie lebte ab 1888 in Karlsruhe,
wo E. zunächst Bankkaufmann werden sollte. 1904–08 hörte er an der Berliner
Universität unregelmäßig Vorlesungen über Philosophie (bei Georg Simmel), Ge-
schichte, klassische Philologie und Kunstgeschichte (bei  Wölfflin), konnte jedoch,
da er kein Abitur besaß, nicht promovieren. Sein Verhältnis zur etablierten Kunsthi-
storikerschaft blieb von daher gespannt. 1907 reiste er zum erstenmal nach Paris
und lernte Picasso, Braque, Gris und andere Künstler kennen. Er begann Lyrik,
politische Glossen und Prosa zu schreiben und schloß sich dem radikalen Kreis um
seinen Schwager Franz Pfemfert und dessen Zeitschrift Die Aktion an. 1912 erschien
im gleichnamigen Verlag E.s sprachgewaltiger, expressionistischer und wahrneh-
mungstheoretisch bemerkenswerter Roman Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders.
Einem Buch über Lehmbrucks Graphik (1913), der ersten größeren Veröffentli-
chung E.s über bildende Kunst, folgte 1915 die zeittypische Beschäftigung mit dem
Problem des »Primitivismus« in der theoretisch anspruchsvollen Arbeit Negerplastik,
die sofort von dem jungen Philosophen Ernst Bloch, den Schriftstellern Hermann
Hesse und Hanns Johst wie von Kunsthistorikern (Hedwig Fechheimer,  Glaser,
 Hausenstein,  Tietze) kontrovers diskutiert wurde. E. war zu dieser Zeit Soldat;
nach der Novemberrevolution 1918 wurde er in Brüssel in den Soldatenrat gewählt.
1919–28 lebte er in Berlin, arbeitete 1919 an der von Wieland Herzfelde und George
Grosz edierten Zeitschrift Die Pleite mit und gab mit Grosz die kurzlebige satirische
Wochenschrift Der blutige Ernst heraus. Wie schon vor 1914 führte er in der Folge-
zeit ein teilweise exaltiertes Leben, wurde mit vielen avantgardistischen Künstlern
und Autoren bekannt und betätigte sich nebenbei auch als Kunsthändler. Er schrieb
einige kürzere Monographien über aktuelle Kunst in  Westheims Das Kunstblatt,
in Der Querschnitt, in Action (Paris), später in Die neue Rundschau. Wegen »Gotteslä-
78 Einstein

sterung« in seinem Drama Die schlimme Botschaft wurde er 1922 zu einer Geldstrafe
verurteilt. Mit Westheim gab er 1925 den Europa-Almanach über moderne Bestre-
bungen in allen Künsten heraus. Seit 1922 arbeitete er an seinem Hauptwerk Die
Kunst des 20. Jahrhunderts für die Propyläen-Kunstgeschichte. Es erschien 1926 und in
Überarbeitungen 1928 und 1931. Für die Materialbeschaffung waren seine Kontakte
mit Kunsthändlern wie Daniel-Henry Kahnweiler und Sammlern wichtig, die ih-
rerseits für die Aufwertung ihres Besitzes durch eine repräsentative Veröffentlichung
und die Etablierung eines neuen künstlerischen Wertekanons dankbar waren. 1928
übersiedelte E. nach Paris. Er gab mit Georges Bataille und anderen 1929–31 die
interdisziplinäre Zeitschrift Documents heraus, fühlte sich aber trotz seiner Kenntnis
der französischen Sprache zunehmend heimatlos und ohne Leser, »denn ich träume
und sinniere deutsch« (1933). Seine Braque-Monographie (1934) war nicht eigent-
lich ein Buch über diesen Maler, dessen Name auf der siebzehnten Textseite zum
erstenmal fällt und von dessen Leben kaum etwas mitgeteilt wird, sondern eher
eine kunsttheoretische Arbeit. Dabei trat eine neue »halluzinativ-metamorphoti-
sche« Auffassung vom Kunstschaffen (Ebel, 1989) zutage, die dem Surrealismus na-
hekam, ohne daß E. diesen Begriff benutzte. Bildanalysen trug er nicht vor, weil er
sie im Grunde als unmöglich ansah: »Sprechen und Malen – jedes hat seine Art«.
Unter dem Eindruck der politischen und kulturellen Entwicklung hatte E. seine
Einschätzung der Gegenwart und ihrer Kunst in dem nach 1930 entstandenen,
unvollendeten und erst 1973 veröffentlichten Text Fabrikation der Fiktionen zu revi-
dieren begonnen und ein Handbuch der Kunst und eine neue Kunstgeschichte der
Moderne in ersten Zügen entworfen. Obwohl er schon nicht mehr auf eine kom-
munistische Gesellschaft hoffte, nahm er 1936–37 als Freiwilliger in den Reihen der
anarchistischen Kolonne Durruti am spanischen Bürgerkrieg gegen die Putschisten
unter General Franco teil. Von Paris aus schrieb er dann bis 1939 für deutsche
Emigrantenzeitungen in Prag. 1940 wurde er von den Franzosen für kurze Zeit im
Lager Gurs interniert, konnte danach nicht aus Frankreich entkommen und beging
im Fluß Gave de Pau verzweifelt Selbstmord. Seit den 1960er Jahren begann die
Forschung den inzwischen nahezu Vergessenen wiederzuentdecken. Hauptsächlich
Literaturwissenschaftler gründeten 1984 in Bayreuth die E.-Gesellschaft, die inter-
nationale Kolloquien veranstaltet.
Die afrikanische Skulptur (Negerplastik, 1915) interessierte E., weil er in ihr ein
bestimmtes »plastisches Sehen«, einen Umgang mit dem Raumproblem bildlicher
Darstellung vorfand, das die Kubisten beschäftigte. Die kulturhistorischen Umstände
der Entstehung von stilistisch sehr unterschiedlichen Richtungen schwarzafrikani-
scher Skulpturen erörterte er überhaupt nicht; die Abbildungen blieben ohne An-
gaben zu Herkunft, Größe, Material, Farben und Aufbewahrungsort. Methodolo-
gisch bekannte sich E. radikal dazu, daß das aktuelle Kunstgeschehen die
»entsprechende Geschichte bilde«; was vordem sinnlos erschien, erhalte erst dadurch
eine Bedeutung: »Das geschichtlich Wirkende ist stets Folge der unmittelbaren Ge-
genwart.«
Die Kunst des 20. Jahrhunderts schrieb E., als erst ein Viertel dieses Jahrhunderts
verstrichen war. Für ihn stand offenbar fest, daß ihr grundsätzlich neuer Charakter
schon zu Beginn unwiderruflich zutage getreten war. Bis zur 3. Auflage überarbei-
Einstein 79

tete er seine Ansichten, schloß auch zunächst genannte Künstler wieder als unwe-
sentlich aus. Verglichen mit vorausgegangenen oder gleichzeitigen Behandlungen
des Stoffes durch  Woermann, Max Osborn, Paul Ferdinand Schmidt und Hans
Hildebrandt würdigte E. ohnehin nur wenige Künstler, die er als echte Neuerer
ansah. Für ihn war der französische Kubismus mit seinen Übereinstimmungen mit
der »Negerplastik« die ergiebigste Neubestimmung von Kunst; andere Strömungen,
so den deutschen Expressionismus, beurteilte er teilweise äußerst kritisch. Seine
knappen Charakterisierungen von Künstlern konnten – auch in ironischem Tone
– rücksichtslos scharf sein. E.s Verständnis für künstlerische Problemstellungen und
-lösungen wirkt noch heute ungemein anregend. Seine Auffassung von Kunst und
Kunstgeschichte blieb dabei widersprüchlich. Obwohl er die Unbedingtheit indivi-
dueller, subjektiver Formentscheidungen und das Einzigartige des Kunstschaffens
betonte, verwies er häufig auf vergleichbare Vorgänge in Philosophie, Wissenschaft,
Gesellschaft oder Lebensweise. Er ging aber auf etwaige Ursachen solcher Zusam-
menhänge nicht ein. Es fällt auch auf, daß er Neuerungen zuerst verallgemeinernd,
unter häufiger Verwendung des Wortes »man« kennzeichnete, ehe er näher auf die-
jenigen Künstler einging, denen er die Erfindung dieser Neuerungen zuschrieb.
E. ließ nur zögernd von der »Fiktion« ab, daß eine ganz neue Bild-Realität, wie
sie mit der kubistischen Gestaltungsweise entstanden war, auch die gesellschaftliche
Realität ändern würde. Ihm enthüllte sich aber, daß die individuelle künstlerische
Produktion wirkungslos in die kapitalistische Marktgesellschaft, die er überwinden
wollte, eingebunden blieb. Seine Suche nach einem wirksamen Realismus, der sich
mit dem »kollektiv Realen« verbindet, blieb in Ansätzen stecken, so wie auch, ganz
abgesehen von ihrer geringen Zuneigung zu moderner Kunst, jene gesellschaftli-
chen Kräfte scheiterten, die eine Revolution hätten bewerkstelligen können.

Werke: Gesammelte Werke, hrsg. v. Ernst Literatur: Heißenbüttel, Helmut: Ein Halb-
Neef, Wb 1962; Die Fabrikation der Fiktio- vergessener. C.E., in: ders., Über Literatur,
nen, hrsg. v. Sibylle Penkert, Reinbek 1973; Olten 1966; Penkert, Sibylle: C.E., Beiträge
Werke, 3 Bde., hrsg. v. Rolf-Peter Baacke, zu einer Monographie, Gö 1969; Penkert, Si-
Marion Schmid u. Liliane Meffre, Bln/Wien bylle: C.E., Existenz und Äshetik, Wb 1970;
1980–85; Werke. Berliner Ausgabe, hrsg. v. Oehm, Heidemarie: Die Kunsttheorie C.E.s,
Hermann Haarmann u. Klaus Siebenhaar, 5 Mü 1976; Dethlefs, Hans-Jürgen: Bildverbot
Bde., Bln 1991–96; C.E., Prophet der Avant- und Bildersturm. C.E., Mar 1979; Laude, Jean:
garde. Anthologie, Bln 1991. Un portrait de C.E., in: Cahiers du Musée
Negerplastik, Lpz 1915 (Nd. 1992); Afrikani- Nationale d’Art Moderne, 1, 1979, 7–13;
sche Plastik, Bln 1921; Moise Kisling, Lpz Baacke, Rolf-Peter: C.E., Biographische No-
1922; Der frühe japanische Holzschnitt, Bln tiz. Erinnerung an den Kunsttheoretiker und
1923; Rudolf Belling, Skulpturen, Pd 1924 Schriftsteller zu seinem 40. Todestag, in: KB,
(mit Paul Westheim); Europa-Almanach. Ma- 8, 1980, 6, 48–53; Schiller, Dieter: C.E.s Fa-
lerei, Literatur, Musik, Architektur, Plastik, brikation der Fiktionen, in: Exil in Frank-
Bühne, Film, Mode, Pd 1925 (mit Paul reich, hrsg. v. Dieter Schiller u. a., Lpz/Frf
Westheim); Die Kunst des 20. Jh.s, Bln 1926 1981, 306–311; Schubert, Dietrich: C.E. – por-
(Nd. 1988, 1996); Leon Bakst, Bln 1927; Do- trätiert von Benno Elkan, in: Pantheon, 43,
cuments. Doctrines, Archéologie, Beaux-Arts, 1985, 144–154; Arnold, Heinz Ludwig: C.E.
Ethnographie, Paris 1929–31 (Hrsg. mit Geor- (Text u. Kritik, H. 95), Gö/Mü 1987; Ru-
ges Bataille, Georges Wildenstein, Georges- mold, Rainer: C.E. und Buenaventura Dur-
Henri Rivière); Georges Braque, Paris 1934 ruti. Die Poesie und die Grammatik des An-
(dt. in: Werke, Bd. 3, 1985) archismus, Spanien 1936/37, in: Jutta Held
80 Einstein

(Hrsg.), Der Spanische Bürgerkrieg und die land 1999, 129–136; Meffre, Liliane: C.E., iti-
bildenden Künste, Hbg 1989, 41–52; Ebel, Sa- néraires d’une pensée moderne, Paris 2002;
bine: Engagement und Kritik. C.E., ein Ver- Dahm, Johanna: Der Blick des Hermaphrodi-
mittler zwischen Deutschland und Frank- ten. C.E. und die Kunst des 20. Jhs., Würz-
reich, Bonn 1989; Meffre, Liliane: C.E., Bern burg 2004; Zeidler, Sebastian (Hrsg.): C.E. A
u. a. 1989; Baacke, Rolf-Peter/Fietzek, Gerti Special Issue, in: October, 107, 2004
(Hrsg.): C.E., Materialien, Bd. 1. Zwischen PHF
Bebuquin und Negerplastik, Bln 1990; Wend-

Eitelberger, (Edler) von Edelberg, Rudolf


Geb. 14. 4. 1817 in Olmütz (Olomouc, Tschechien); gest. 18. 4. 1885 in Wien

E. war maßgeblich für die erste Phase der Wiener Schule der Kunstgeschichte, die
museale, universitäre und denkmalpflegerische Arbeit, strenge historische Forschung
und engagiertes Einwirken auf die aktuelle Kunst- und Kulturpraxis zu verbinden
wußte. Auch spezielle kunsthistorische Fragen und Vorhaben leiteten sich wie
selbstverständlich aus Interessen am Fortschritt von Gesellschaft, Kultur und Wirt-
schaft ab.
Der Offizierssohn E. studierte ab 1832 in Olmütz Jura, dann in Wien klassische
Philologie und war bis 1840 Assistent des Lehrstuhlinhabers, der auch über antike
Ästhetik arbeitete. Anschließend wirkte er als Hauslehrer und lernte in einem Kreis
um den Sammler Joseph Daniel Böhm ältere Kunst kennen, für die er 1846 eine
Ausstellung organisieren half. 1847 wurde er für kurze Zeit der erste Privatdozent
für Theorie und Geschichte der Kunst an der Universität Wien. Gleichzeitig redi-
gierte er das literarische Beiblatt der Wiener Zeitung. 1848 trat er radikal und ȟber-
deutsch« für die demokratische Revolution ein und forderte die Entnationalisierung
und Entkirchlichung des Staates. In einer Streitschrift kritisierte er die Malerausbil-
dung an der Kunstakademie, wo er dann 1851, nach einem kurzen Lehrauftrag am
Polytechnischen Institut, über Kunstgeschichte las. Minister Graf Leo Thun sah in
ihm den Geeignetsten für eine Reform der kunstgeschichtlichen Ausbildung,
schickte ihn auf eine Studienreise nach Italien, Frankreich und England und über-
wand die Vorbehalte Kaiser Franz Josephs gegen den 48er Demokraten, so daß
dieser 1852 a.o. und 1864 o. Professor für Kunstgeschichte und »Kunstarchäologie«
an der Universität Wien werden konnte. Eine solche Professur hatte es im Habsbur-
gerreich vorher nicht gegeben. E. benutzte in den Vorlesungen Anschauungsmaterial
und hielt Seminare in Museen ab. Er unterrichtete auch am neuen Institut für
Österreichische Geschichtsforschung, das für die enge methodische Verbindung der
Wiener Kunstgeschichte mit der allgemeinen Geschichte bestimmend wurde. Bei
ihm studierten  Thausing,  Wickhoff und mehrere angehende Kunsthistoriker
aus Deutschland. Gleichzeitig war er weiter publizistisch und als Berater des Mini-
steriums aktiv und reorganisierte 1872 die Kunstakademie. Gemeinsam mit Gustav
Adolf von Heider (1819–1897) aus dem Unterrichtsministerium veröffentlichte er
1858–1860 die erste große deutschsprachige Kunsttopographie. Ein besonderes In-
teresse galt aber stets der Gegenwartskunst. Unter dem Eindruck der Londoner
Weltausstellung 1862 und des später so genannten Victoria-and-Albert-Museums
Eitelberger 81

erwirkte er 1864 im Auftrag des Ministerpräsidenten Erzherzog Rainer die Grün-


dung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. Dieses erste Kunst-
gewerbemuseum außerhalb Englands, das wie alle derartigen Einrichtungen zu-
nächst vorwiegend der Gewerbeförderung durch Geschmacksbildung an historischen
Mustern diente, leitete E. bis zu seinem Tode. Seit 1865 erschienen die Mitteilungen
des Museums. 1867 wurde eine Schule angegliedert, die weitere Gewerbeschulen in
der Provinz anleitete und in Deutschland Nachahmung fand. Im Museum traf sich
1873 der erste (internationale) kunsthistorische Kongreß. E. wurde korrespondie-
rendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und geadelt. Mit der Herausgabe
von Quellenschriften aus Mittelalter und Renaissance seit 1871 und der Mitbe-
gründung des Jahrbuches der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhau-
ses (ab 1883) rundete er sein Werk ab, die Schaffung tragender Säulen für kunsthi-
storisches Arbeiten, wie es bis heute weitgehend das Profil der Disziplin bestimmt,
aber längst nicht mehr von einzelnen Personen bewältigt werden kann.

Werke: Die Reform des Kunstunterrichts Kongresses in Wien, Wien 1874; Die Plastik
und Professor Waldmüllers Lehrmethode, Wiens in diesem Jahrhundert, Wien 1877; Die
Wien 1848; Mittelalterliche Kunstdenkmäler Kunstbewegung in Österreich seit der Pariser
des österreichischen Kaiserstaates, 2 Bde., Stg Weltausstellung 1867, Wien 1878; Kunst und
1858–60 (mit Gustav Adolf Heider); Briefe Künstler Wiens der neueren Zeit, Wien 1879;
über moderne Kunst in Frankreich, bei Gele- Gesammelte kunsthistorische Schriften, Wien
genheit der Pariser Ausstellung 1855, Wien 1879–84
1858; Wie steht die Kunst in Österreich? Eine Literatur: Lützow, Karl von: R.v.E., in:
Betrachtung aus Anlaß der Londoner Kunst- ZfbK (Beilage), 20, 1885, 469–471; Janitschek,
ausstellung, Wien 1862; Mitteilungen des Hubert: R.v.E., in: RfKw, 8, 1885, 398–404;
K.K. Österreichischen Museums für Kunst Falke, Jakob von: R.v.E., Wien 1885; Borodaj-
und Industrie, 1865–85 (Hrsg.); Quellen- kewycz, Taras von: Aus der Frühzeit der Wie-
schriften für Kunstgeschichte und Kunsttech- ner Schule der Kunstgeschichte. R.E. und
nik des Mittelalters und der Renaissaance, Leo Thun, in: FS Hans Sedlmayr, Mü 1962,
Wien 1871ff. (Hrsg.); Die Resultate des er- 321–348
sten internationalen kunstwissenschaftlichen PHF

Ettlinger, Leopold David


Geb. 20. 4. 1913 in Königsberg (Kaliningrad, Rußland);
gest. 4. 7. 1989 in Oakland/CA (USA)

Für E. war die Kunstgeschichte Teil der Geschichtswissenschaft. Sein in Opposition


zum »Leerlauf Wölfflinscher Formbetrachtung« entwickeltes methodisches Vorge-
hen läßt sich jedoch nicht auf »Kunstgeschichte als Geistesgeschichte« oder auf die
Erklärung der Kunst als Manifestation des »Zeitgeistes« einengen; unter Berufung
auf  Warburg, dessen »feinsinniges Formverstehen und historisch fundierte Bild-
erklärung« E. bewunderte, betrieb er eingehende Kontextforschung, um die ur-
sprüngliche Funktion von Kunstwerken zu erhellen. Seine Arbeiten zur italienischen
Renaissance, seinem Hauptgebiet, machen diesen interdisziplinären Ansatz beson-
ders deutlich. Nach der Flucht aus Deutschland fand E. schon als junger Mann den
Weg zur britischen Kunstgeschichtsschreibung, zu deren Aufschwung nach dem
Zweiten Weltkrieg er einen beachtenswerten Beitrag leistete.
82 Ettlinger

E. studierte Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Halle, wo schon


sein Vater als Bibliothekar gearbeitet hatte. Er katalogisierte die Sammlung der
Gipsabdrücke kretischer und mykenischer Siegel und ordnete die Photo- und Dia-
sammlung des Archäologischen Instituts neu. Nach einigen Zwischensemestern in
Marburg promovierte E. 1937 in Halle mit einer Arbeit über  Semper und die
Antike, worin er die »geistigen Wurzeln« des Künstler-Theoretikers erörterte. An-
fang 1938 gelangte E. über die Niederlande nach England. Er betreute zunächst
deutsche Flüchtlingskinder, bis er 1941 eine Anstellung als Lehrer an der King Ed-
ward School in Birmingham fand. 1940 ermöglichten  Saxl und  Bing die
Veröffentlichung seines ersten Aufsatzes in englischer Sprache im Journal des War-
burg-Instituts (The Duke of Wellington’s Funeral Car). 1948 erhielt E. dort eine Assi-
stentenstelle in der photographischen Abteilung und 1956 einen Lehrauftrag. 1959
trat er als Nachfolger  Gombrichs die Durning Lawrence-Professur für Kunstge-
schichte der Universität London an.
Für E. war es ein Grundsatz kunstgeschichtlichen Forschens, das einzelne Kunst-
werk nicht isoliert zu betrachten, sondern es in einen Zusammenhang zu stellen. In
diesem Sinne referierte er auch in der disziplingeschichtlich wichtigen Sektion
»Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung« des Deutschen
Kunsthistorikertages 1970 in Köln über Kunstgeschichte als Geschichte. Ein Verharren
im rein Stofflichen oder die Beschränkung auf formale Qualitäten hielt er für un-
zureichend; er behandelte Inhalt und Form als gleichwertige Komponenten eines
Kunstwerkes, wobei er die Form als Symbol ihres Sinnes begriff. Nach seiner Über-
zeugung sollte das »Lesen« von Bildern und Bauten wie eine Sprache erlernbar sein.
Ein Kunstwerk, als Aussage oder Mitteilung abgefaßt, könne vom modernen Be-
trachter jedoch nur dann in seinem ursprünglichen Sinn erfaßt werden, wenn er es
in allen seinen Erscheinungen begreifen lerne, als Ergebnis jener Zeitumstände, in
denen es entstanden sei. Erst der weitere Zusammenhang, der Stil und Ikonogra-
phie, Form und ihren Symbolwert als gleichrangig umgreife, führe zur Funktion
der Werke und zum Verständnis ihrer Genese. Die durch den Warburg-Kreis ent-
wickelte Ikonologie schien E. zwar in hohem Maße für eine weitreichende Unter-
suchung der Funktion eines Kunstwerkes sowohl zum Zeitpunkt seiner Entstehung
als auch während seiner Wirkungsgeschichte geeignet, jedoch nur unter der Prä-
misse, daß die ikonologische Methode nicht als bloße Inhaltserklärung oder gelehrte
»Auflösung eines Bilderrätsels« betrieben werde.
In seiner wichtigen Arbeit über die Malerei der Sixtinischen Kapelle (1965) wid-
mete sich E. den 1481–83 von Perugino, Botticelli, Ghirlandaio, Rosselli und Signo-
relli gemalten Wandbildern, die durch Michelangelos spätere Fresken fast in Verges-
senheit geraten waren. E.s ikonologische Deutung der Papst-Porträts im Obergaden
und der Moses- und Christus-Zyklen darunter stellte klar, daß in diesen Bildern das
Papsttum, vertreten durch den Förderer von Kunst und Wissenschaft Sixtus IV.,
seine geistliche und weltliche Macht demonstrieren wollte, die es Ende des 15.
Jahrhunderts nach langen Kämpfen wiedererlangt hatte. Für E. handelte es sich hier
um ein besonders anschauliches Beispiel der Verflechtung der Kunstgeschichte mit
gesellschaftlichen Prozessen.
Neben Künstler-Monographien zu Botticelli (1976) und Raffael (1987), die er
Ettlinger 83

zusammen mit seiner Frau Helen E. verfaßte, publizierte E. 1978 ein Verzeichnis der
Werke Antonio und Piero Pollaiuolos. Sein besonderes Anliegen war es, die Lei-
stung Pieros als Maler, der bis dahin im Schatten des berühmteren Bruders gestan-
den hatte, neu zu bewerten. Unter Berufung auf zeitgenössische Quellen konnte er
zeigen, daß Piero ein sehr viel größerer Anteil an der malerischen Produktion der
Werkstatt zukommt, als Vasari und die moderne Stilkritik, allen voran Bernard Be-
renson (1865–1950), angenommen hatten. In kleineren Arbeiten befaßte sich E.
immer wieder mit der deutschen Kunst, mit der Walhalla und dem deutschen
Denkmalkult des 19. Jahrhunderts (1962), mit Hans von Marées (1972) und mit
 Winckelmann (1981).
1970 folgte E. einem Ruf nach Berkeley an die University of California, wo er
bis zu seiner Emeritierung 1980 lehrte. Gastprofessuren führten ihn an die Yale
University, nach Bonn, Melbourne, Stanford und die National Gallery in Washing-
ton D.C.; er war Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton.

Werke: Gottfried Semper und die Antike. from Herrad of Landsberg’s Hortus Deli-
Beiträge zur Kunstanschauung des Klassizis- ciarum, in: Essays in the History of Art, pre-
mus, HaS 1937; The Duke of Wellington’s Fu- sented to Rudolf Wittkower, Lo 1967, 29–39;
neral Car, in: JWCI, 3, 1939/40, 254–259; AKat. Handzeichnungen alter Meister. Aus
Compliments of the Seasons (mit Robert G. dem University College London, Kunstmu-
Holloway), Lo 1947; The Pictorial Source of seum Düsseldorf, Dü 1967; German Expres-
Ripa’s »historia«, in: JWCI, 13, 1950, 322–323; sionism and Primitive Art, in: BM, 110, 1968,
A Fifteenth-Century View of Florence, in: 191–201; Rez. von Edgar Wind, Michelangelo’s
BM, 94, 1952, 160–167; With all Convenient Prophets and Sibyls, in: Italian Studies, 23,
Speed to Rome, in: English Miscellany, 4, 1968, 169–172; The Complete Paintings of
1953, 133–146; Pollaiuolo’s Tomb of Pope Six- Michelangelo, Lo 1969; Kunstgeschichte als
tus IV., in: JWCI, 16, 1953, 239–274; Virtutum Geschichte, in: JbHK, 1971, 7–19; Hans von
et viciorum adumbracio, in: ebd., 19, 1956, Marées and the Academic Tradition, in: Yale
155–156; A Note on Raphael’s Sibyls in S. University Art Gallery Bulletin, 23, 1972, 67–
Maria della Pace, in: ebd., 24, 1961, 222–223; 84; Winckelmann, in: AKat. The Age of Neo-
Art History Today. An Inaugural Lecture De- Classicism, Lo 1972, XXX–XXXIV; Hercules
livered at London 9 March 1961, Lo 1961; Florentinus, in: MKhIF, 16, 1972, 119–142; Ju-
Kandinsky´s »At Rest«, Lo 1961; Exemplum lius Meier-Graefe. An Embattled German
Doloris. Reflections on the Laocoon Group, Critic, in: BM, 117, 1975, 672–674; Botticelli
in: FS Erwin Panofsky, NY 1961, Bd. 1, 121– (mit Helen E.), Lo 1976; Antonio and Piero
126; Reflections on German Painting, in: Pollaiuolo. Complete Edition with a Critical
BM, 103, 1961, 132–138; The Nineteenth- Catalogue, Ox 1978; The Liturgical Function
Century Pelican, in: ebd., 104, 1962, 84–85; of Michelangelo’s Medici Chapel, in: MKhIF,
Walhalla und der Denkmalkult, in: KChr, 15, 22, 1978, 278–304; Winckelmann, or Marble
1962, 283–284; Caspar David Friedrich, Mai- Boys Are Better, in: Art, the Ape of Nature.
land 1963; Kandinsky, in: L’Oeil, 114, 1964, Studies in Honor of Horst W. Janson, NY
11–17; The Sistine Chapel before Michelan- 1981, 505–511; Raphael (mit Helen E.), Ox
gelo. Religious Imagery and Papal Primacy, 1987
Ox 1965; Reflections on a New History of Literatur: Hayes, John: Rez. von »Botti-
Italian Sculpture, in: BM, 107, 1965, 139–142; celli«, in: Journal of the Royal Society for the
Denkmal und Romantik. Bemerkungen zu Encouragement of Arts, Manufactures and
Leo von Klenzes Walhalla, in: FS Herbert von Commerce, 126, 1978, 302–303; Turner, Gail:
Einem, Bln 1965, 60–70; The North transfor- Rez. von »Antonio and Piero Pollaiuolo«, in:
med. Art and Artists in Northern Europe, in: The Connoisseur, 200, 1979, S. 67; Dodge,
The Age of the Renaissance, Lo 1967, 279– Barbara: dass., in: Racar, 7, 1980, 134–135;
316; Muses and Liberal Arts. Two Miniatures Frank, Eric M.: dass., in: Apollo, 112, 1980,
84 Ettlinger

358–360; Ames-Lewis, Francis: dass., in: BM, L.D.E., in: BM, 131, 1989, 851–852; Wendland
122, 1980, 198–199; Passavant, Günter: dass., 1999, 139–142
in: KChr, 33, 1980, 453–464; Trapp, Joseph B.: CF

Evers, Hans Gerhard


Geb. 19. 3. 1900 in Lübeck; gest. 8. 4. 1993 in Hofgeismar

E. interessierten die unendlichen Wandlungen der Künste im Verlauf der Mensch-


heitsgeschichte. Er beschäftigte sich mit der Skulptur des alten Ägyptens, dem
griechischen Tempel, der frühchristlichen Basilika, der Malerei von Rubens sowie
mit moderner Kunst und Photographie. Er wollte keine konventionellen Pfade
begehen, sondern in vergessene oder marginale Bezirke der Kunstgeschichte ein-
dringen. Seine Schriften zum Historismus entstanden zu einer Zeit, als es noch
mutig war, sich solcher Kunst überhaupt zuzuwenden.
E. studierte in Göttingen zuerst Literaturwissenschaft und promovierte 1924 mit
einer Arbeit über Winckelmann und Lessing. Danach ging er nach Heidelberg,
wo er in intensivem Gedankenaustausch mit dem Archäologen Ludwig Curtius,
dem Ägyptologen Hermann Ranke und mit Friedrich Gundolf aus dem Stefan-
George-Kreis stand und sich der Kunstgeschichte zuwandte. 1932 habilitierte er
sich bei  Pinder in München mit Die Breitrichtung der Basilika. 1933 wurde E.
Privatdozent; da er mit einer Jüdin verheiratet war, geriet sein berufliches Fortkom-
men aber bald ins Stocken. 1937 von seinem Dekan vor die Alternative gestellt, sich
entweder aus der »jüdischen Versippung« zu lösen oder den Hochschuldienst aufzu-
geben, ließ sich E. scheiden und trat bald darauf auch der SA und dem NS-Dozen-
tenbund bei. Durch Vorträge und Publikationen versuchte er sich zu rehabilitieren.
Unter maßgeblicher Beteiligung von  Jantzen wurde E. 1942 zum a.o. Professor
ernannt. Während des Krieges war er »Beauftrager des OKW für Kunstschutz« in
Italien, was eine Zusammenarbeit mit der Wehrmacht voraussetzte. Nach Kriegs-
ende und amerikanischer Gefangenschaft wurde er zunächst aus dem bayerischen
Staatsdienst entlassen. 1948 erfolgte die Wiedereinstellung zunächst als a.o., dann als
o. Professor und Nachfolger von  Schürer an der TH Darmstadt, wo E. bis zu
seiner Emeritierung 1968 lehrte. Er engagierte sich für zahlreiche Ausstellungen
und war einer der Initiatoren der »Darmstädter Gespräche«.
In seiner ersten großen Arbeit, dem Sammelband Tod, Macht und Raum als Berei-
che der Architektur (1939), der dem Kunstgeschichtsbild des Nationalsozialismus teil-
weise besonders nahe kam, erörterte E. Grundprobleme der Architektur während
mehrerer Jahrtausende ihrer Geschichte. Er bezog so unterschiedliche Phänomene
wie den Grabbau Theoderichs in Ravenna, die Gerichtsportale des Mittelalters
oder seine Kirchen, die er von der Funktion her als »Breiträume« interpretierte,
sowie das Schloß Ludwigs II. in Herrenchiemsee ein. Mit Hilfe der Begriffe »Tod«,
»Macht« und »Raum« suchte er auszuloten, inwieweit Architektur als gesetzte Ord-
nung Formen erschafft, mit denen sich der Fortbestand einer Gemeinschaft von
Menschen bewahren läßt. E. glaubte an eine »Bewährungsfrist« für Bauten, über die
hinweg sie ihre Kraft behaupten oder verlieren könnten.
Evers 85

Aufgrund seiner Auffassung von der Baukunst entdeckte er auch im Historismus


eine kreative Strömung und machte auf die folgenreiche Wandlung des Wohnens in
dieser Zeit aufmerksam. Mit seinem Buch Vom Historismus zum Funktionalismus
(1967) leitete er eine Rehabilitierung dieser Bau- und Dekorationskunst ein und
würdigte auch Ingenieursbauten, darunter die Eisenkonstruktionen der Brücken,
Hallen und Schiffe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als »organische Ergänzun-
gen« zum Historismus. So assoziierte er mit Charles Garniers 1875 gebauter Pariser
Grand Opéra Elemente des Schiffbaus, da die Eisenträger neben dem üppigen De-
kor sichtbar blieben und die Etagen sich übereinanderschichteten wie in einem
Ozeanriesen.
E.s Hauptbestreben galt nie allein der stilkritischen oder kennerhaften Erfor-
schung eines Werkes, sondern der »Ergründung des Zusammenhangs mit dem Le-
bensprozeß«. Mit seiner Arbeit über Rubens (1942) gab er die geläufige Form der
kunstgeschichtlichen Monographie auf und berichtete, einem historischen Roman
ähnlich, auch von dem Bürger, Hof- und Staatsmann Rubens. In den großen Me-
dici- und Heinrich-Zyklen erkannte E. »politische Kundgebungen«, aus denen ein
Wissen des Künstlers hervorgehe, »daß seine Kunst im letzten Sinn dem Staat, aber
nicht der Person dienen soll«. Gleichwohl sah er zwischen Rubens’ Rückzug aus
der Öffentlichkeit und dem schöpferischen Höhenflug seines letzten Schaffensjahr-
zehnts einen inneren Zusammenhang; er verwies auf die psychologischen Hinter-
gründe und den privaten Charakter der späten großen Bilder.
Sein letztes bedeutendes Werk widmete E., anknüpfend an das entsprechende
Kapitel in Tod, Macht und Raum, Ludwig II. von Bayern. 1986 erschien zum 100.
Geburtstag des Königs die mit eigenen Photographien bebilderte Arbeit, in der E.
die Bauleistungen Ludwigs als selbständige Phantasieleistungen und seine Rolle als
Mäzen und Theaterfürst würdigte; er nutzte dabei Dokumente des Geheimen
Staatsarchivs der Wittelsbacher und Auszüge aus Tagebüchern des Königs, die er
noch hatte exzerpieren können, bevor sie größtenteils im Krieg verbrannten. E.
betrachtete Ludwig II. als letzten Monarchen in einer bereits bürgerlichen Epoche,
der in einer Zeit, als das L’art-pour-l’art die große Mode war, mit der hartnäckigen
Besessenheit eines Genies und Visionärs in seinen Bauten der Einheit von Inhalt
und Form entschieden Ausdruck verlieh. E. zufolge hatten Kunsthistoriker wie
 Lübke die »erste Regel« des Faches verletzt, indem sie Bauten des Königs nicht
an Leistungen seiner eigenen Zeit, sondern an längst vergangenen Epochen gemes-
sen hatten, Schloß Herrenchiemsee zum Beispiel am Versailles Ludwigs XIV.

Werke: Winckelmann und Lessing, Gö 1924; communications, 14–15; Tod, Macht und
Staat aus Stein. Denkmäler, Geschichte und Raum als Bereiche der Architektur, Mü 1939;
Bedeutung der ägyptischen Plastik während Die Niederlage Sanheribs von Rubens, in:
des Mittleren Reiches, Mü 1929; Nachleben DWdK, 1, 1939/40, 400–410; Schlachtenbil-
der ägyptischen Löwen-Gestaltung, in: Zt- der von Rubens, in: Pantheon, 13, 1940, 103–
schr. f. ägyptische Sprache, 67, 1931, S. 31; Zu 111; Zu Selbstbildnissen und Bildnissen von
den Konstantinsbauten am Heiligen Grabe Rubens, in: JbPK, 1942, 133–170; Perseus und
zu Jerusalem, in: ebd., 75, 1939, 53–60; Berni- Andromeda von Rubens, in: DWdK, 2,
nis »Scala Regia« als Hoheitstreppe des Vati- 1941/42, S. 200; Maria von Medici, Königin
kans, in: XVe Congrès International d’ his- von Frankreich und Peter Paul Rubens, in:
toire de l’art, London 1939, Resumés des De Vlag, 4, 1942, S. 441; La galerie d’art du
86 Evers

bourguemestre Rockox, in: Apollo, 15, 1942, rismus und Bildende Kunst, Mü 1965, 25–42;
11–15; Simson et Delila de Pierre Paul Ru- Zum Gedächtnis. Gedenkrede auf Friedrich
bens, in: ebd., 17, 1942, 5–9; »Frierende Venus« Gerke, in: Kleine Schriften der Ges. f. bil-
von Rubens, in: Pantheon, 15, 1942; 83–86; dende Kunst, Mainz 1966, H. 33, S. 38; Zur
»Samson und Delila« von Rubens in der »Scala Regia« des Vatikan, in: Rendiconti
Sammlung August Neuerburg in Hamburg, della Pontificia Accademia di Archeologia, 39,
in: ebd., 16, 1943, 65–68; Rubens und sein 1966/67, 189–215; Entstehung des Würfelka-
Werk. Neue Forschungen, Brüssel 1943; pitells, in: FS Karl Oettinger, Erlangen 1967,
L’arrestation de Samson de P.-P. Rubens, in: 71–92; Vom Historismus zum Funktionalis-
Apollo, 24, 1943, 17–20; Die Engelsbrücke in mus, BB 1967; Selbstbildnisse von Rubens;
Rom von G. Lorenzo Bernini, Bln 1948; Rubens als Bürger, in: AKat. Peter Paul Ru-
Brief über die Architektur-Photographie, in: bens, Siegen 1967, 38–47; Gedanken zur Neu-
Baukunst und Werkform, 7, 1954, 522–548; bewertung der Architektur des 19. Jh.s, in:
Der griechische Tempel in der Sicht des Bibliographie zur Kunstgeschichte des 19.
»imaginären Museums«, in: KChr, 11, 1958, Jh.s, Mü 1968, 41–45; Architektur, Hanau
297–298; Der griechische Tempel, in: FS Hu- 1969; Dürer bei Memling, Mü 1972; Schrif-
bert Schrade, Stg 1960, 1–35; Zu einem Blatt ten, Da 1975; Ludwig II. von Bayern. Thea-
mit Zeichnungen von Rubens im Berliner terfürst, König, Bauherr. Gedanken zum
Kupferstichkabinett, in: Pantheon, 19, 1961, Selbstverständnis, hrsg. v. Josef Adolf Schmoll
93–97 u. 136–140; In der Ausstellung Francis gen. Eisenwerth, Mü 1986
Bacon in der Kunsthalle Mannheim, in: Literatur: Kieser, Emil: Rez. von »Peter
Mannheimer Hefte, 3, 1962, 8–15;Versuch ei- Paul Rubens«, in: ZfKg, 13, 1950, 134–140;
ner Ehrenrettung des Historismus, in: Ktw, Beiträge für H.G.E. anläßlich der Emeritie-
16, 1962/63, 2–4; AKat. Zeugnisse der Angst rung im Jahre 1968, Da 1968; Bruyn, John:
in der modernen Kunst (Vorwort und Nach- Rez. von »Dürer bei Memling«, in: OH, 90,
wort). Ausstellung zum 8. Darmstädter Ge- 1976, S. 132; Fuhrmeister, Christian: Optio-
spräch, Da 1963, 7–15; Rotes und weißes nen, Kompromisse, Karrieren. Überlegungen
Kloster bei Sohag. Probleme der Rekon- zu den Münchner Privatdozenten H.G.E.,
struktion (mit Rolf Romero), in: Christen- Harald Keller und Oskar Schürer, in: KgNS
tum am Nil, hrsg. v. Klaus Wessel, Reckling- 2005, 219–242
hausen 1964, 175–199; Historismus, in: Histo- CF

Falke, Jakob (Ritter von)


Geb. 21. 6. 1825 in Ratzeburg; gest. 8. 6. 1897 in Lovrana (Italien)

F. war ein Pionier des musealen Sammelns von angewandter Kunst und der Öffent-
lichkeitsarbeit von Kunsthistorikern, um Urteilskompetenz in ästhetischen Fragen
auszubilden und zu verbreiten. Er studierte klassische Philologie in Erlangen und
Göttingen und arbeitete als Hauslehrer, bis er 1855 als Kustos im neuen Germani-
schen Nationalmuseum Nürnberg und 1858 als Bibliothekar und Betreuer der
Kunstsammlung des Fürsten von Liechtenstein in Wien angestellt wurde.
In Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln (Wiener Zeitung ab 1860, Westermanns
Monatshefte 1862, Gewerbehalle ab 1863) griff er in die Diskussion eines Problems ein,
das große praktische Bedeutung für die Entwicklung der Industrie, des kapitalisti-
schen Weltmarktes und der bürgerlichen Klasse, ihrer Lebensweise und ihres Be-
wußtseins, besaß: F. stritt für besseren Geschmack in der Gestaltung der alltäglichen
Umwelt, zog dazu wie schon die Klassizisten kunsthistorische Muster heran und
bemühte sich um theoretische Grundlagen der Formgebung. Die gute Form von
Gebrauchsgegenständen leitete F. aus Zweck, Material und Verarbeitungstechnik ab;
Falke 87

hegelianisch formulierte er: »Was schön sein soll, muß auch vernünftig sein.« Wie-
derverwendung historischer Stile war ihm selbstverständlich, sie sollte jedoch mo-
dernen Bedürfnissen dienen und unpraktischen Prunk ebenso vermeiden wie stil-
losen Naturalismus. F. nahm sich englische Reformbestrebungen (Charles Eastlake)
zum Vorbild. 1864 wurde er  Eitelbergers Stellvertreter und erster Kustos im neu
gegründeten Österreichischen Museum für Kunst und Industrie in Wien und nach
Eitelbergers Tod dessen Nachfolger (1885–1895). Der Kaiser adelte ihn 1873.
Mit Die Kunst im Haus veröffentlichte F. den ersten deutschsprachigen Einrich-
tungsratgeber, der auf beispielgebende Abbildungen verzichtete und statt dessen
argumentativ das Qualitätsempfinden der Käufer schulen wollte. Obwohl »die Re-
naissance unserem modernen Auge am nächsten liegt«, trat F. der seit 1876 von
München aus propagierten Wiederbelebung der deutschen Renaissance entgegen.
Er lehnte die politische Funktionalisierung von Stilrezeption ab und sah auch für
die »plumpen« Formen deutscher Renaissancemöbel und -geräte keine Chancen
auf dem Weltmarkt. F.s historistische Handlungsempfehlungen für Produzenten und
Rezipienten wurden mit dem Aufkommen des Jugendstils obsolet. Sein Sohn Otto
von Falke (1862–1942) wurde ein namhafter Kunsthistoriker in Berlin.
Werke: Kunstgewerbe, Wien 1860; Zur Ko- Wien 1873; Ideen zu einer Geschichte des
stümgeschichte im Mittelalter, in: MZk, 5, Wohnhauses in Österreich, in: MZk, 1, 1875,
1860, 213–222, 265–272 und 6, 1861, 1–14, 18–20;Ästhetik des Kunstgewerbes. Ein Hand-
33–44; Über Fensterverglasung im Mittelalter, buch für Haus, Schule und Werkstätte, Stg
in: MZk, 8, 1863, 1–11; Das englische Haus 1883; Lebenserinnerungen, Lpz 1897
im Mittelalter, in: MZk, 8, 1863, 89–96; Die Literatur: Ottillinger, Eva B.: J.v.F. und die
Kunstindustrie der Gegenwart. Studie auf der Theorie des Kunstgewerbes, in: WJbfKg,
Pariser Weltausstellung 1867, Lpz 1868; Die 1989, 205–223
Kunst im Haus, Wien 1871; Die Kunstindu- PHF
strie auf der Wiener Weltausstellung 1873,

Fernow, Carl Ludwig


Geb. 19. 11. 1763 in Blumenhagen bei Pasewalk; gest. 3. 12. 1808 in Weimar

Die erste Künstlerbiographie in deutscher Sprache, die das Schematische und Anek-
dotenhafte der älteren Viten-Literatur überwand, erschien 1806 in Leipzig unter
dem weitschweifigen Titel Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, ein Beitrag zur
Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts von C.L.F. Wie ihr heute fast vergessener
Autor im Vorwort bemerkt, war es ihm um den »Gang der Entwicklung und Bil-
dung [...], den ästhetischen und artistischen Charakter« des 1798 in Rom verstorbe-
nen Künstlers zu tun. Der Kunstwelt, vor allem den jungen, aufstrebenden Kunst-
jüngern sollte ein Künstlerleben beispielhaft vor Augen geführt werden. Carstens
personifizierte für F. den gebildeten, unabhängigen – den modernen – Künstler par
excellence und ebenso beispielhaft den Verfechter einer auf die Antike ausgerichte-
ten Kunst. Wie die ein Jahr früher erschienene Schrift  Goethes Winckelmann und
sein Jahrhundert ist allerdings auch F.s Carstens-Buch im Namen eines Klassizismus
geschrieben, der seinen Höhepunkt bereits überschritten hatte.
88 Fernow

Nicht zuletzt erfüllte er mit seiner Veröffentlichung eine Freundespflicht. 1786


hatte der neun Jahre jüngere Apotheker F., der davon träumte, selbst Künstler zu
werden, mit Carstens in Lübeck Freundschaft geschlossen. 1788 ging Carstens nach
Berlin, um sein Glück an der Kunstakademie zu suchen; F. dagegen nach Ratzeburg,
wo er sich als Zeichenlehrer durchschlug, bis er schließlich 1791 nach Jena übersie-
delte. Dort hörte er die Vorlesungen des Kantianers Karl Leonhard Reinhold, der in
seinem Kopfe »gewaltig aufräumte«. F. wurde zu einem glühenden Anhänger des
Philosophen in Königsberg; fortan, besonders seit der Ankunft in Rom im Septem-
ber 1794, interessierte ihn nur noch die theoretische Seite der Kunst. In der »freien
Künstlerrepublik« am Tiber fand er auch den Freund wieder, mit dem er zeitweilig
die Unterkunft und dann das Atelier teilte, er schreibend, jener zeichnend. Im Win-
ter 1795/96 begann F. in der Wohnung des Prinzen August von England Vorträge
über die Kunst »nach kantischen Prinzipien« für Kunstfreunde, Gelehrte, vor allem
aber Künstler zu halten – zur Erhellung ihres »öden und wüsten« Verstandes. Um
deren Bildung zu fördern, richtete er außerdem eine Bibliothek und einen Lesezir-
kel in der Villa Malta ein. In diese Zeit fallen auch Pläne, ein Handbuch über Ästhe-
tik und eine Geschichte der neueren Kunst zu schreiben. Nach Carstens› Tod trieb
F. vermehrt Studien zur italienischen Sprache und Literatur. Dürftige finanzielle
Verhältnisse und eine schwache Gesundheit veranlaßten ihn, 1803 eine Berufung an
die Universität Jena anzunehmen. 1804 erhielt er schließlich die Stelle eines Biblio-
thekars der Herzogin Anna Amalia in Weimar. Freundschaftlichen Umgang pflegte
F. dort vor allem mit Schiller, dessen ästhetische Schriften ihn neben Kants Kritik der
Urteilskraft am nachhaltigsten beeinflußt hatten. Goethe begrüßte F.s Ankunft in
Weimar als »höchst schätzbar«, weil er »für Kunst und italienische Sprache viel An-
regendes« und als einen »bedeutenden Schatz« den Nachlaß von Carstens mitge-
bracht hatte. Als seine letzte Arbeit begann F. 1806 eine Gesamtausgabe der Werke
 Winckelmanns, von der zu seinen Lebzeiten noch zwei Bände erschienen.
Daß aus dem geplanten Kunstgeschichtsprojekt nichts wurde, kann kaum als
Zufall gelten. Wie die klassizistischen Theoretiker seit Vasari betrachtete F. das
Kunstwerk primär als Kritiker unter dem Gesichtspunkt eines überzeitlichen Ideals,
das im Laufe der Kunstgeschichte bald mehr, bald weniger eingelöst worden war,
vorbildhaft für alle Zeiten in der griechischen Antike und dann wieder, nach tau-
send Jahren mittelalterlichen Kunstverfalls, allerdings weniger vollkommen, in der
italienischen Hochrenaissance durch Raffael, Michelangelo und Leonardo. Dem
Genie, in dessen Seele das »Ideal der Vollkommenheit und Schönheit« lebte, fällt
dabei die Hauptrolle zu; Kunstgeschichte würde ausschließlich von großen Künst-
lern gemacht, die allerdings zu ihrer Entfaltung günstiger äußerer Verhältnisse be-
dürften, wenn sie nicht, wie es Carstens ergangen war, verkümmern sollten. Kunst-
perioden, die wie der noch in seine Lebenszeit hineinreichende Barock jenem
klassischen Ideal fernstanden, galten F. als Zeiten eines allgemeinen kulturellen Nie-
derganges.
Hoffnungen auf eine Wende zum Besseren verband F. mit den politischen Ereig-
nissen seit 1789 in Frankreich, die für einige Jahre auch der Ewigen Stadt eine re-
publikanische Verfassung gebracht hatten, mit der Aufklärung und vor allem der
Kantschen Philosophie, nicht zuletzt mit dem Auftreten von außergewöhnlichen
Fernow 89

Individuen nicht nur in Dichtkunst und Philosophie, sondern auch in der bilden-
den Kunst. Während Carstens nicht über Ansätze hinausgekommen war, hatten
nach F.s Überzeugung Jacques-Louis David in der Malerei und Antonio Canova in
der Bildhauerkunst eine Entwicklung eingeleitet, die wieder dem Ideal des »reinen
Geschmacks« – der Antike – nachstrebte. Die beispielgebenden Verdienste Canovas
veranlaßten F. zu einer weiteren Schrift über einen lebenden Künstler, die sich wie
jene über Carstens durch ihr Bemühen um Sachkenntnis und Sachlichkeit aus-
zeichnet. Auch Canova war ihm nicht nur der geniale Künstler, sondern auch der
schätzenswerte Mensch. F. lobt Canovas Bescheidenheit, Güte und Milde, denn es
sei ja »dasselbe Gemüt, aus welchem die ästhetische und die sittliche Stimmung«
hervorgehe. Für F. entwuchsen das Wahre, Gute und Schöne demselben Boden.
Werke: Sitten- und Kulturgemälde von Würzburg 1936; Luck, Georg: C.L.F., Bern/
Rom, Gotha 1802; Leben des Künstlers As- Stg/Toronto 1984; Sbrilli Eletti, Antonella:
mus Jakob Carstens, ein Beitrag zur Kunstge- Neoclassicismo trascendentale. C.L.F., il sub-
schichte des 18. Jh.s, Lpz 1806; Über den lime e la Pallade di Velletri, in: Anna Germano
Bildhauer Canova und dessen Werke von C. (Hrsg.), Pallade di Velletri, Rom 1999, 49–57;
L.F., Zü 1806; Römische Studien, Bde. 1–3, Tausch, Harald: Entfernung der Antike. C.L.F.
Zü 1806–08 (in Bd. 1: Über den Bildhauer im Kontext der Kunsttheorie um 1800, Tü
Canova und dessen Werke; in Bd. 2.: Über die 2000; Verspohl, Franz-Joachim: C.L.F.s Win-
Landschaftsmalerei; Über den ästhetischen ckelmann. Seine Edition der Werke, Ste 2004;
Eindruck der Peterskirche; in Bd. 3: Über Auf der Heyde, Alexander: Bossi e la »lega
den Zweck, das Gebiet und die Grenze der settentrionale«. Un dialogo con Carstens e F.,
dramatischen Malerei, Über Raffaels Teppi- in: Ricerche di storia dell’arte, 82/83, 2004,
che) 165–176; Wegner, Reinhard (Hrsg.): Kunst als
Literatur: Schopenhauer, Johanna: C.L.F.s Wissenschaft. C.L.F. – ein Begründer der
Leben, Tü 1810; Einem, Herbert von: C.L.F. Kunstgeschichte, Gö 2005
Eine Studie zum deutschen Klassizismus, Bln PB
1935; Fernow, Irmgard: C.L.F. als Ästhetiker,

Feulner, Adolf
Geb. 23. 8. 1884 in Schwabhausen bei Dachau; gest. 21. 8. 1945 in Wiesentheid

Die Anfänge einer eigenständigen Barock- und Rokokoforschung im deutschspra-


chigen Raum sind mit den Namen  Brinckmann und F. verbunden. Beide gehör-
ten derselben Generation an und teilten dieselben konservativen weltanschaulichen
und kunstphilosophischen Überzeugungen, so von der Französischen Revolution
als dem Beginn des Zeitalters des Subjektivismus und des Niedergangs der europä-
ischen Kultur. Für F. gab es – dies schrieb er 1940 oder 1941 – Übereinstimmungen
zwischen dem »gemeinschaftsbewußten, autoritären« Absolutismus und der Gegen-
wart, die in der »Volksgemeinschaft« eine neue gesellschaftliche Ordnung gefunden
habe. Es drängt sich hierbei die Vermutung auf, daß das seit den 1920er Jahren allge-
mein wachsende Interesse am 17. und 18. Jahrhundert von einem antiliberalen, anti-
kapitalistischen Geschichts- und Gesellschaftsverständnis genährt wurde.
Während Brinckmann die Baukunst und die romanischen Länder bevorzugte,
spezialisierte sich F. auf die deutsche Plastik. Als er 1929 in Band 22 des Handbuchs
der Kunstwissenschaft seine Geschichte der Skulptur und Malerei des 18. Jahrhunderts
90 Feulner

in Deutschland veröffentlichen konnte, lag die von Brinckmann und  Wackerna-


gel verfaßte zweibändige Architekturgeschichte des 17./18. Jahrhunderts und
 Drosts Barockmalerei in den germanischen Ländern (1925) schon seit längerer Zeit
vor.
1904–08 studierte F. in München Kunstgeschichte. 1910 promovierte er über
einen bayerischen Maler des Rokoko und betrat damit selbstbewußt eine bisher
wenig beachtete kunstgeschichtliche Periode. Seine umfangreiche Materialkenntnis
erwarb er sich als Mitarbeiter der Denkmalpflege, für die er noch nach dem Wech-
sel ins Münchner Residenzmuseum (1919) tätig war. F. hatte wesentlichen Anteil an
der vor dem Ersten Weltkrieg begonnenen Inventarisierung der Kunstdenkmäler
Bayerns. Auf seinen ungezählten Exkursionen entdeckte er den völlig unbekannten
Ignaz Günther, den »feinsten unter den deutschen Bildhauern des Rokoko«, dem er
zwei Publikationen (1920, 1947) widmen sollte. Als Konservator, später Hauptkon-
servator (1923) im Residenzmuseum verfaßte F. seine Hauptwerke über die Ge-
schichte des bayerischen Rokoko (1923) und des Möbels (1927) sowie den schon
erwähnten Band über das 18. Jahrhundert (1929).
Ob und wie sich deutsche Volksstämme und Landschaften in der Kunstgeschichte
artikulieren, untersuchten in den 1920er und 1930er Jahren zahlreiche Kunsthisto-
riker ( Dehio,  Gerstenberg,  Grisebach, Wackernagel), für F. ging es aber
letztlich um das Rokoko als europäischen Stil. Die Zeit von 1730 bis 1770 stellte für
ihn das letzte Kapitel des europäischen Barock dar, das sich aufgrund einer beson-
deren Konstellation, zu der auch die Stammeseigenart der Bevölkerung beigetragen
habe, nur in Bayern ereignen konnte. Das Rokoko, zwar ein »germanisch-romani-
scher« Mischstil, sei in Frankreich als Reaktion auf den Klassizismus nur eine Epi-
sode gewesen; erst Bayern hätte jener »Strömung die Möglichkeit der Entfaltung
gegeben«, weil es dort eine Disposition für Spätstile gäbe. In Skulptur und Malerei des
18. Jahrhunderts, diesem noch »dunklen Kapitel«, bemühte sich F. um eine erste Zu-
sammenfassung des Materials in großen Entwicklungslinien; zu einer Deutung und
Bewertung der Epoche sah er sich aber noch außerstande.
In die späten 1920er Jahre fällt auch ein bedeutender Beitrag F.s zum Kunsthand-
werk. Im Anschluß an die Arbeiten von  Bode,  Sauerlandt und  Falke zu
einzelnen Perioden der Möbel-Geschichte glückte F. ein Standardwerk, erschienen
als Ergänzungsband zur ersten Propyläen-Kunstgeschichte 1927, das die Entwicklung
des Möbels in Europa und Nordamerika vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert
als Teil einer allgemeinen Formengeschichte beschrieb.
1930–37 wirkte F. als Direktor des Kunstgewerbemuseums und des Historischen
Museums in Frankfurt, anschließend in Köln als Leiter der Kunstgewerbe-Samm-
lungen und seit 1940 als Professor an der Universität. Aus dort gehaltenen Vorlesun-
gen entstand eine »Anleitung zum kunstgeschichtlichen Denken« (Kunst und Ge-
schichte, 1942), in der sich F. gegen Expressionismus und abstrakte Kunst sowie die
formanalytische Kunstgeschichte  Riegls,  Wölfflins,  Frankls und  Panofs-
kys aussprach. Er forderte eine der Gesellschaft dienende Kunst, die allgemeinver-
ständlich zu allen spreche, und eine »völkische« Kunstwissenschaft, die, wie sie sich
schon in Wölfflins Spätwerk (Italien und das deutsche Formgefühl, 1931) andeute, das
Kunstwerk nicht länger als Lösung formaler Probleme betrachte, sondern als Resul-
Feulner 91

tat »geschichtlichen Lebens«, und sich selbst wieder als ganzheitlich denkende histo-
rische Wissenschaft. Eine »innere Logik« der Kunstgeschichte könne es nicht geben;
wenn sich die Entwicklungsrichtung ändere, gehe dies immer auf gesellschaftliche
Ursachen zurück. Der Einfluß der NS-Ideologie ist in diesem Spätwerk spürbar,
nicht zuletzt in F.s Erörterungen zum Verhältnis von Kunst und Rasse.
Postum erschien 1953 als 2. Band der vom Bruckmann-Verlag publizierten Deut-
schen Kunstgeschichte eine Geschichte der Plastik, zu der F. nur noch die Mittelalter-
Kapitel schreiben konnte. Wie Theodor Müller (1905–96), der zweite Autor, im
Vorwort mitteilte, seien F.s allgemeingeschichtliche Betrachtungen sehr ausführlich,
fast weitschweifig, gewesen, was starke Kürzungen erforderlich gemacht habe. Die
Kunstgeschichte war in diesem typischen Vertreter der nach-formanalytischen und
nach-geistesgeschichtlichen Generation zur Kulturgeschichte zurückgekehrt.
Werke: Christian Wink. Der Ausgang der Jh.s, Mü 1926; Die Sammlung Hofrat Sig-
kirchlichen Rokokomalerei in Südbayern, mund Röhrer im Besitze der Stadt Augsburg,
Mü 1912; Die Klosterkirche in Wiblingen, in: Au 1926; Rott am Inn, Au 1927; Kunstge-
MfKw, 7, 1914, 94–103; Christoph Murmann, schichte des Möbels seit dem Altertum, Bln
ein unbekannter Augsburger Bildhauer der 1927; Beiträge zum Werk Hans Leinbergers,
Renaissance, in: MfKw, 7, 1914, 219–222; Un- in: JbPK, 1927, 121–130; Skulptur und Malerei
bekannte Bauten Johann Michael Fischers, in: des 18. Jh.s in Deutschland, Pd 1929; Der
MJbbK, 1914/15, 41–66; Beiträge zu Tiepolos Bildhauer Andreas Lackner von Hallein, in:
Tätigkeit in Würzburg, in: MfKw, 8, 1915, JbPK, 1929, 186–194; Bayerns Fürstenhäuser,
128–135; Ein ländlicher Baumeister der Ro- Stg 1930; Farbige Raumkunst der Vergangen-
kokozeit in Franken, in: MfKw, 8, 1915, 329– heit, Stg 1930; Die Wies, Au 1931; Der junge
336; Lille. Ein Führer durch die Baudenkmä- Goethe und die Frankfurter Kunst, Frf 1932;
ler der Altstadt, Lille 1918; AKat. Münchner Die Asamkirche in München, Mü 1931; Das
Malerei um 1800, Mü 1920; Ignaz Günther. Toskanazimmer der Würzburger Residenz, in:
Kurfürstlich Bayerischer Hofbildhauer (1725– ZfKg, 3, 1934, 104–108; Frankfurter Fayencen,
75), Wien 1920; Die Zick. Deutsche Malerei Bln 1935; Der deutsche Mensch des Barock,
des 18. Jh.s, Mü 1920; Hans Krumpers Nach- in: Der deutsche Mensch, Stg/Bln 1935, 65–
laß, in: MJbbK, 1921/22, 61–89; Münchner 110; Frankfurt/Main, Bln 1938; Karl Berthold.
Barockskulptur, Mü 1922; Schloß Nymphen- Ein deutscher Goldschmied, Lpz 1940; Kunst
burg, Wien 1921; Johann Michael Fischer. Ein und Geschichte. Eine Anleitung zum kunst-
bürgerlicher Baumeister der Rokokozeit geschichtlichen Denken, Lpz 1942; Ignaz
(1691–1766), Wien 1922; Januaris Zicks Früh- Günther. Der große Bildhauer des bayeri-
werke, in: StJb, 1922, 87–92; Das Residenz- schen Rokoko, Mü 1947; Geschichte der
museum in München, Mü 1922; Bayerisches deutschen Plastik, Mü 1953 (mit Theodor
Rokoko, Mü 1923; Peter Vischers Sebaldus- Müller)
grab in Nürnberg, Mü 1924; Katalog der Ge- Literatur: Lill, Georg: Rez. von »Skulptur
mälde im Residenz-Museum München und und Malerei des 18. Jh.s in Deutschland«, in:
in Schloß Nymphenburg, Mü 1924; Kloster Die christliche Kunst, 32, 1935, H. 2, S. 62
Wiblingen, Au 1925; Die deutsche Plastik des PB
16. Jh.s, Mü 1926; Die deutsche Plastik des 17.

Fiedler, Konrad
Geb. 23. 9. 1841 in Oederan; gest. 3. 6. 1895 in München

Die Bedeutung F.s für die Disziplingeschichte liegt in seiner Mittlerrolle zwischen
der älteren, noch in die allgemeine Geschichte eingebundenen Kunstgeschichts-
92 Fiedler

schreibung und der theoretisch und methodologisch selbständigen Fachwissenschaft


des 20. Jahrhunderts. In Auseinandersetzung mit Kant, Schopenhauer,  Goethe
und dem Positivismus entwickelte er eine Kunstphilosophie, die das Kunstschaffen
als eine genuine Form der Erkenntnis und das Kunstwerk als das einer eigenen
Realität angehörende Produkt künstlerischen »Sehens« interpretierte. Er trug so zur
Begründung der formanalytischen Kunstgeschichte bei, namentlich zur Lehre von
der »doppelten Wurzel des Stils« mit ihrem zentralen Begriff »Bildform«, die
 Wölfflin in der Klassischen Kunst (1899) und den Kunstgeschichtlichen Grundbegrif-
fen (1915) entwickeln sollte. Im Gedächtnis der Kunstwissenschaft des 20. Jahrhun-
derts lebt F. als ein Bahnbrecher fort, der wie kein anderer Denker seiner Zeit er-
kannte, daß es die Bestimmung der Malerei sei, »zu einem immanent geregelten
und ganz aus sich selbst verständlichen System vorzudringen« ( Imdahl: Cézanne-
Braque-Picasso, 1974).
Die akademische Kunstgeschichtsschreibung unterzog F. einer radikalen Kritik,
indem er ihr vorhielt, daß sie die Kunst einseitig historisch und daher nur ihre
»Nebenseiten« sehe, während »eine Geschichte der Kunst im eigentlichen Sinne,
[...] eine Geschichte der durch die Kunst vermittelten, offenbarten Erkenntnis« erst
noch zu schreiben sei. Not tat nach F.s Überzeugung, unter Auslassung aller äuße-
ren, inhaltlichen Gesichtspunkte und ästhetischen Werturteile das Kunstwerk als ein
autonomes Gebilde reiner Sichtbarkeit zu begreifen.
F. wuchs auf dem Rittergut Crostewitz bei Leipzig auf, besuchte 1856–61 die
Fürstenschule in Meißen und studierte bis 1865 in Heidelberg, Berlin und Leipzig
Jura. Der Wohlstand der Familie gestattete ihm die Existenz eines »Rentnerschrift-
stellers« (Faensen); nach nur einjähriger Berufspraxis konnte er sich ganz seinen
philosophischen und künstlerischen Ambitionen hingeben. Er unternahm zahlrei-
che Bildungsreisen durch ganz Europa, den Vorderen Orient und Ägypten. Im
Winter 1866/67 lernte F. in Rom Hans von Marées und Adolf von Hildebrand
kennen, zu denen er eine für alle Beteiligten fruchtbare intellektuelle und persön-
liche Beziehung entwickelte. F. unterstützte beide Künstler über viele Jahre finanzi-
ell in großzügiger Weise, wie er auch Arbeiten von bis dahin wenig beachteten
Malern wie Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin und Hans Thoma kaufte. In den
Ateliers der künstlerisch Schaffenden fühlte sich F. in seinem Element, sie waren
seine Inspirationsquelle. Ein Leben als Kunstbeamter im Museum – 1874 wurde
ihm die Leitung des Leipziger Museums und 1875 die des Berliner Kupferstichka-
binetts angetragen – lag ihm fern; er fürchtete, so die lebendige Nähe zum Kunst-
schaffen und die Distanz zum Staat und dessen Kulturpolitik zu verlieren. 1876
heirate F. die Tochter  Julius Meyers, des Direktors der Berliner Gemäldegalerie,
die ihn in den Kreis um Richard Wagner in Bayreuth einführte. Seit 1880 lebten,
abgesehen von häufigen Italienreisen, die F.s in München; in ihrem gastfreundlichen
Haus verkehrten Wölfflin,  Bode,  Thode und  Semper, auch Hermann Hett-
ner, Hermann Helmholtz, Clara Schumann und Anton Bruckner. Auf Anregung F.s
kam 1891 eine Gedenkausstellung für den 1887 verstorbenen Marées im Münchner
Glaspalast zustande; Wölfflin schrieb über den umstrittenen Künstler einen gewich-
tigen Aufsatz. Das Echo, das seine Schriften bald finden sollten, hat F. nicht mehr
erreicht. Er starb vor der Zeit an den Folgen eines Unfalls.
Fiedler 93

F.s Lebenswerk besteht nur aus einigen Aufsätzen. Seine Kunsttheorie legte er
dezidiert 1876 in Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst dar und ausführ-
licher noch einmal 1887 in Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit. Diese beiden
Schriften sind rein erkenntnistheoretischer Natur; sie knüpfen nicht an Kants Äs-
thetik, sondern an seine Kritik der reinen Vernunft an. Das künstlerische Sehen inter-
pretierte F. als eine Erkenntnisweise, die sich wie die Sprache, die nicht »ein Sein
bedeutet, sondern [...] ein Sein ist«, selbst zum Gegenstand hat und frei von allem
Ausdruckshaften und Inhaltlichen ist. F. leugnete freilich nicht die ästhetischen und
inhaltlichen Seiten des Kunstwerkes; in seinem Kern stellte es jedoch für ihn nicht
eine Interpretation der Wirklichkeit dar, sondern das künstlerische Form gewordene
menschliche Vorstellungsvermögen; das Kunstwerk bringe der Künstler in besonde-
ren Stunden als Produkt seiner geistigen Tätigkeit hervor, die »eine beständige un-
abhängige Arbeit des Geistes [sei], die Welt der Erscheinungen [...] zu immer rei-
cherer Entfaltung, zu immer vollendeterer Gestaltung zu bringen«. Der Künstler
wurde für F. so zum Schöpfer einer zweiten Realität, einer eigenen Welt des Visu-
ellen.
Eine zum reinen Sehen geläuterte Kunst bot sich F. weder in der Vergangenheit
noch in der Gegenwart dar. Er sprach gelegentlich, historisch unbestimmt, von
»guten Zeiten der Kunst« und meinte damit Antike und Renaissance; Ansätze sah
er bei den zeitgenössischen Naturalisten und Realisten in Kunst und Literatur, bei
Courbet und Flaubert etwa (Moderner Naturalismus und künstlerische Wahrheit, 1881).
Am weitesten fortgeschritten »zu immer höherer Klarheit« schien ihm sein Schütz-
ling und Freund Marées: »Indem Marées seinem künstlerischen Ausdrucksbedürfnis
eine Form suchte, die von keinerlei gegenständlichem Inhalt bestimmt war, tat er
einen neuen Schritt; er erhob sich über das hergebrachte Dienstverhältnis, in dem
der bildende Künstler zu allen möglichen Gebieten menschlichen Empfindens,
Denkens und Handelns steht, er macht die Kunst zu einem ganz unzweideutigen
Ausdruck sichtbarer Wirklichkeit und stellt sie damit als etwas Selbständiges, sich
selbst Genügendes neben die anderen großen Betätigungsarten des menschlichen
Geistes.« Merkwürdig ist, daß F. den Postimpressionismus der 1880er Jahre in Frank-
reich nicht reflektierte, denn was er in Marées’ Werken zu sehen meinte, war bei
Seurat, Gauguin, van Gogh und Cézanne schon viel weiter gediehen; diese Künstler
hatten in der Tat eine Kunst-Sprache entwickelt, die mit reinen Formelementen,
»vorgegenständlichen Sichtbarkeitswerten« (Imdahl), operierte. Die bald darauf auf
die Kunstgeschichtsbühne tretende abstrakte Kunst lag vermutlich außerhalb von
F.s Vorstellungsvermögen.
Werke: Über die Beurteilung von Werken ten, 41, 1882, 244–249; Ein Vermächtnis von
der bildenden Kunst, Lpz 1876; Bemerkun- Anselm Feuerbach, in: Wissenschaftl. Beilage
gen über Wesen und Geschichte der Bau- der Leipziger Zeitung, 1882, Nr. 5; Die Hil-
kunst, in: Deutsche Rundschau, 5, 1878, 361– debrand-Ausstellung in Berlin, in: Die Grenz-
383; Über Kunstinteressen und deren För- boten, 43, 1884, 232–237; Über den Ursprung
derung, in: Deutsche Rundschau, 21, 1879, der künstlerischen Tätigkeit, Lpz 1887; Hans
49–70; Moderner Naturalismus und künstle- von Marées, Privatdruck 1889;Vorwort zu Ju-
rische Wahrheit, in: Wissenschaftl. Beilage der lius Meyer, Zur Geschichte und Kritik der
Leipziger Zeitung, 1881; Ein Künstler über modernen deutschen Kunst, Lpz 1895; Schrif-
Kunst und Kunstgeschichte, in: Die Grenzbo- ten über Kunst, 2 Bde., hrsg. v. Hermann
94 Fiedler

Konnerth, Mü 1913/14; Adolf von Hilde- Cézanne. Bilder und Zitate, in: FS Benno von
brands Briefwechsel mit K.F., hrsg. v. G. Jach- Wiese, Bonn 1963, 142–195; Decker, Elisa-
mann, Dr 1927; Briefwechsel Hans Thoma – beth: Zur künstlerischen Beziehung zwischen
K.F., Kr 1939;Vom Wesen der Kunst. Auswahl Hans von Marées, K.F. und Adolf Hildebrand,
aus seinen Schriften, hrsg. v. Hans Eckstein, Basel 1967; Jochims, Reimer: Der Begriff der
Mü 1942; Hans von Marées. Seinem Anden- Erkenntnis in der Kunsttheorie K.F.s, Diss.
ken gewidmet, Frf 1969; Schriften zur Kunst, Mü 1968; Bock, Henning: Problematische
2 Bde., hrsg. v. Gottfried Boehm, Mü 1971 Formtheorie. Adolf von Hildebrand-K.F., in:
Literatur: Bode, Wilhelm: K.F., in: RfKw, Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jh.,
18, 1895, 331–335; Marbach, Hans: K.F. Ein Bd. 2, Frf 1972, 230–237; Lange, Klaus-Peter:
Lebensbild, in: Die Grenzboten, 54, 1895, 1– K.F., in: ebd., 69–78; Scheer, Brigitte: K.F.s
19; Konnerth, Hermann: Die Kunsttheorie Kunsttheorie, in: Ekkehard Mai u. a. (Hrsg.),
K.F.s. Eine Darlegung der Gesetzlichkeit der Ideengeschichte und Kunstwissenschaft. Phi-
bildenden Kunst, Mü 1909; Janner, Arminio: losophie und bildende Kunst im Kaiserreich,
Adolf von Hildebrands und K.F.s Kunsttheo- Bln 1983, 133–144; Boehm, Gottfried: Sehen
rie, Locarno 1912; Utitz, Emil: Rez. des 1. lernen ist Alles. K.F. und Hans von Marées, in:
Bandes der F.-Ausgabe von Hermann Kon- AKat. Hans von Marées, Neue Pinakothek
nerth (1913), in: ZfÄaK, 13, 1913, 501–505; München, Mü 1987, 145–150; Majetschak,
Worringer, Wilhelm: dass., in: MfKw, 6, 1913, Stefan (Hrsg.): Auge und Hand. K.F.s Kunst-
173–175; Tross, Ernst: Das Raumproblem in theorie im Kontext, Mü 1997; Boehm, Gott-
der bildenden Kunst. Kritische Untersuchun- fried: Hildebrand und F. im Florentiner Kon-
gen zur F.-Hildebrandschen Lehre, Mü 1914; text, in: Max Seidel (Hrsg.), Storia dell’arte e
Braun, Siegfried: Wirklichkeit und Kunst bei politica culturale intorno al 1900, Venedig
K.F., Köln 1921; Klose, Georg: Die Kunstphi- 1999, 131–141; Kultermann, Udo: K.F. und
losophie K.F.s, Bln 1922; Paret, Hans: K.F. und die Kunsttheorie der Gegenwart, in: AHA,
das Wesen der künstlerischen Tätigkeit, in: 42, 2001, 187–196; Cohn, Daniéle (Hrsg.):
ZfÄaK, 16, 1922, 320–367; Eckstein, Hans: K. K.F. Sur l’origine de l’activité artistique, Paris
F., der Kunsthistoriker, in: Ktw, 3, 1949, 25–32; 2003; Lichtenstern, Christa: Sguardo nel la-
Podro, Michael: The Parallel of Linguistic and boratorio interiore. K.F., Hans von Marées ed
Visual Formation in the Writing of K.F., in: il loro rapporto con Goethe, in: Lea Ritter-
Filosofia, 1961, 628–640; Ragghianti, Carlo L.: Santini (Hrsg.), Arte come autobiografie,
L’opera di K.F., in: CdA, 10, 1963, 1–24; Hans von Marées, Neapel 2005, 81–120
Imdahl, Max: Marées, F., Hildebrand, Riegl, PB

Fiorillo, Johann Dominicus


Geb. 13. 10. 1748 in Hamburg; gest. 10. 9. 1821 in Göttingen

Wie Jean-Baptiste Séroux d’Agincourt (1730–1814) in Frankreich oder Luigi Lanzi


(1732–1810) in Italien gehörte F. in den deutschsprachigen Ländern zu den Wegbe-
reitern der positivistischen – auf Quellen und Tatsachen gegründeten, nach Klarheit
und Objektivität strebenden – Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts.
Disziplinhistorisch besonders ins Gewicht fällt dabei F.s Verhältnis zu seiner Haupt-
quelle, den Viten Giorgio Vasaris, die er als einer der ersten kritisch hinterfragte. Für
ihn kam eine Kunstgeschichte als Künstlergeschichte nicht mehr in Betracht. An
Lanzis Storia pittorica della Italia (1792, 1795/96, 1809) bemängelte er die Zersplitte-
rung der Kunstgeschichte in isolierte regionale Schulen. F. war dagegen auf größere
Zusammenhänge aus, er berief sich auf  Winckelmann, dessen Konzept einer
Kunstgeschichte als Stilgeschichte seiner neunbändigen Geschichte der europä-
Fiorillo 95

ischen Malerei vom Ausgang der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zugrun-
deliegt. Auch wollte er anders als die meisten seiner Vorgänger von den Kunstwerken
selbst sprechen und aus eigener Anschauung urteilen, in dem »Maler nicht den
Bürger, den Liebhaber, den Gatten, den Hausvater, den Freund, sondern den Künst-
ler [...] zeigen« und die Kunstentwicklung im Kontext der Geschichte der Politik
und der Religion darstellen.
Wie die meisten Kunstschriftsteller seiner Zeit war F. von Haus aus Maler. Eine
künstlerische Ausbildung erhielt er in Prag und Bayreuth, seit 1761 in Rom bei
Pompeo Batoni und seit 1765 in Bologna. Als wenig erfolgreicher Historienmaler
kam er 1781 nach Göttingen, wo er bis zu seinem Tode an der Universität als Zei-
chenlehrer, Leiter des Kupferstichkabinetts und der Gemäldegalerie und als einer
der ersten akademischen Kunstgeschichtslehrer in Deutschland wirkte. 1799 wurde
F. a.o., 1813 o. Professor für Philosophie.
Im ersten, dem wichtigsten Band seiner Geschichte der zeichnenden Künste (1798)
behandelte F. die florentinische und römische Malerei, jedoch nicht ohne ihre ent-
wicklungsgeschichtliche Position zu bestimmen. Noch ganz dem Denkmuster Vasa-
ris folgend, betrachtete er die griechische Antike als den Gipfel und das Mittelalter,
das für ihn bereits im spätantiken Rom einsetzt, als den Tiefpunkt der bisherigen
Kunstgeschichte. Beachtenswert ist das über Vasari hinausgehende Verständnis und
der Kenntnisreichtum, mit dem er dieses »dunkle« Kapitel beschreibt. In Überein-
stimmung mit der traditionellen Kunstliteratur ist F. wieder, wenn er den Beginn
der neueren Kunstgeschichte in das 13. Jahrhundert legt und die fernere Entwick-
lung in drei Phasen gliedert: von Cimabue bis Raffael, von Raffael bis zu den
Carracci und von diesen bis zu Mengs. Raffael gilt als der Inbegriff der Malerei, als
der größte Künstler überhaupt, durchaus ebenbürtig den griechischen Bildhauern
der Antike. Diese neue Sicht auf die Kunstgeschichte, die die absolute Normativität
der antiken Plastik, wie sie Winckelmann vertreten hatte, nicht mehr hinnahm, fiel
besonders bei den Romantikern auf fruchtbaren Boden, und so war es wohl kein
Zufall, daß  Wackenroder und Tieck von F. in Göttingen ein »Privatissimum in
Kunstgeschichte« erhielten und  August Wilhelm Schlegel an der Herausgabe der
ersten beiden Bände von F.s Werken beteiligt war.
Nach der französischen, spanischen und englischen Malerei handelte F. von 1815
an in vier abschließenden Bänden die Geschichte der Malerei in Deutschland und
den Niederlanden ab, wobei ihm, auch darin den Romantikern nahestehend, be-
sonders daran lag, die deutsche Kunstgeschichte aufzuwerten, den »Franzosen und
Italienern [...] den törichten Glauben« zu nehmen, als ob Deutschland im Mittelal-
ter oder gar seit dem 15. Jahrhundert, als auch dort wie in Italien eine neue Kunst-
blüte begann, »nur ein Wohnplatz wilder Tiere« gewesen sei.
Im letzten Band (1820) äußerte sich F. auch zur Gegenwartskunst, ohne allerdings
für eine der beiden Hauptrichtungen, die klassizistische oder die romantische, Partei
zu ergreifen; ihm behagte weder die »Ideal-Epidemie« der Weimarer Kunstfreunde
noch die »religiös-patriotische« Kunst der Nazarener. Im Herzen Klassizist – neben
Raffael bewunderte er vor allem Mengs –, andererseits auch im Barock wurzelnd
und dadurch dem romantischen Denken und Fühlen nicht allzu fernstehend, wollte
er als Gelehrter sich wohl von den Tageshändeln fernhalten. Von beiden Seiten hat
96 Fiorillo

sein Werk als zu akademisch und »ohne Anschauung in der Sache« ( J.H. Meyer)
Kritik erfahren. Als Wissensquelle wurde es jedoch vielfach und dankbar benutzt.
Werke: Sämtliche Schriften, Bde. 1–12, Hil/ Literatur: Waetzoldt 1921, 287–292; Vogt,
Zü/NY 1997/98 Wilhelm: F.s Kampf um die Professur, in: Bei-
Geschichte der zeichnenden Künste von ih- träge zur Göttinger Bibliotheks- und Gelehr-
rer Wiederauflebung bis auf die neuesten tengeschichte, Gö 1928, 91–107; Hölter,
Zeiten, 5 Bde., Gö 1798–1808; Kleine Schrif- Achim: Goethe, Meyer und der Kunsthistori-
ten artistischen Inhalts, 2 Bde., Gö 1803/06 ker J.D.F., in: JbGoe, 1992, 115–130; Middel-
(in Bd. 1: Fragmente zur Geschichte der Ma- dorf Kosegarten, Antje (Hrsg.): J.D.F. – Kunst-
lerei und Bildhauerei in Deutschland, von geschichte und die romantische Bewegung
Zeiten Karls des Großen bis zum Anfang des um 1800, Gö 1997; Meyer, Susanne Adina: La
15. Jh.s; Über die Quellen, welche Vasari zu storia delle arti del disegno (1798–1820) di J.
seinen Lebensbeschreibungen der Maler, D.F., San Giorgio di Piano 2001; Schrapel,
Bildhauer und Architekten benutzt hat; in Claudia: J.D.F. Grundlagen zur wissenschafts-
Bd. 2: Versuch einer Geschichte der bilden- geschichtlichen Beurteilung der »Geschichte
den Künste in Rußland); Beschreibung der der zeichnenden Künste in Deutschland und
Gemälde-Sammlung der Universität zu Göt- den vereinigten Niederlanden«, Hil 2004
tingen, Gö 1805; Geschichte der zeichnenden PB
Künste in Deutschland und den Vereinigten
Niederlanden, 4 Bde., Ha 1815–20

Förster, Ernst
Geb. 8. 4. 1800 in Münchengosserstädt; gest. 29. 4. 1885 in München

F. war einer der letzten »gelehrten« akademischen Maler, die in der Nachfolge Vasa-
ris einen bedeutenden Beitrag zur Kunstliteratur und zur Entstehung der Kunstge-
schichtsschreibung leisteten, ehe sie im Laufe des 19. Jahrhunderts von den Fach-
Kunsthistorikern verdrängt wurden. Diesem disziplinhistorischen Standort
entspricht eine idealistische Auffassung von Kunstgeschichte, die sich vor der mo-
derneren Sachforschung eines  Rumohr,  Waagen oder  Kugler konservativ
ausnimmt. F. verfolgte mit seinen zahlreichen, um Verständlichkeit bemühten Über-
blicksdarstellungen die Verbreitung eines weltanschaulich gefärbten Bildungswissens.
Während der allgemeine Trend auf eine Eliminierung von ästhetischen Normen
zielte, die Bewertung von Kunstwerken als Aufgabe des Kunsthistorikers immer
mehr in den Hintergrund trat, war F.s kunsthistorisches Denken noch auf Antike
und Renaissance fixiert. In der in den 1860/70er Jahren erschienenen Geschichte der
italienischen Kunst heißt es: »Das Schönste, was die neue Zeit der Welt vor Augen
gestellt, verdankt sie der italienischen Kunst, und ihre Werke üben auf die Menschen
von Gefühl [...] den selben Zauber aus [...], hier hat der menschliche Geist eine
Aufgabe gelöst, die weit über die Grenze eines Volkes, hoch über die Schranken der
Zeit hinausreicht«; in der italienischen Kunst habe das »Ewig-Schöne und Geistig-
Wahre« seine Verwirklichung gefunden.
F. studierte 1818/19 in Jena Theologie und Philosophie, bis er 1820 in München
Peter Cornelius traf, der seine künstlerische Begabung entdeckte. Zunächst wurde
F. jedoch in Berlin Schüler Wilhelm Schadows und Wilhelm Wachs, bis er sich in
München Cornelius anschloß und 1823/24 an den Fresken der Bonner Universität
mitwirkte. 1825 holte ihn Cornelius nach München, wo er weiterhin künstlerisch
Förster 97

tätig blieb (Fresken in den Hofgartenarkaden und im neuen Königsbau), sich zu-
nehmend aber als Kunstschriftsteller betätigte.
F. schrieb für Zeitungen, verfaßte Reiseführer, eine deutsche und eine italienische
Kunstgeschichte und publizierte schließlich den schriftlichen Nachlaß von Peter
Cornelius. Diese zweibändige Quellensammlung ist seine bleibende Leistung; sie
lag ihm besonders am Herzen. In Cornelius und der nazarenischen Spätromantik
sah F. auch als Kunsthistoriker das Ziel seines Wirkens. Kunstgeschichtsschreibung
verband sich für ihn mit Kunstkritik, mit Stellungnahme zum aktuellen Kunstge-
schehen. Von den fünf Bänden seiner Geschichte der deutschen Kunst behielt er die
beiden letzten allein den zurückliegenden hundert Jahren vor; hier berichtete er aus
eigenem Erleben und aus eigener künstlerischer Perspektive: Seit dem Ausgang des
18. Jahrhunderts sei die deutsche Kunst in ein neues Zeitalter eingetreten; während
in Frankreich die »Freiheit« gesiegt habe, »warf sich der Genius unserer Nation auf
das Gebiet seiner geistigen Tätigkeiten, um hier für Kunst und Wissenschaft, für
Religion und Philosophie Freiheit und Selbständigkeit zu erringen und damit
Schätze zu sammeln und Vesten zu erbauen, die kein Despot mehr nehmen, keine
Revolution mehr zerstören kann«.
Die italienische Kunstgeschichte verfolgte F. nur bis zum 16. Jahrhundert, beson-
ders fesselte ihn das Quattrocento, von dem schon die Beiträge zur neueren Kunstge-
schichte (1835) gehandelt hatten. Die meisten Denkmäler kannte er von seinen
zahlreichen Italien-Reisen aus eigener Anschauung. Als wegweisend für seine Arbeit
galten ihm Rumohrs Italienische Forschungen (1827), die gemeinsamen Veröffentli-
chungen von Joseph Crowe (1825–96) und Giovanni Battista Cavalcaselle (1817–97)
zur italienischen Malerei (History of Painting in Italy, from the Second to the Fifteenth
Century, 3 Bde., London 1864–66) und in theoretischer Hinsicht  Schnaases kul-
turhistorisches Konzept; ihre »letzte und vollkommenste Erklärung« fand die Kunst-
geschichte nach F.s Auffassung in der »Geschichte der allgemeinen Bildung«.
Nach dem Tod  Ludwig Schorns im Jahre 1842 übernahm F. mit Franz Kugler
die Redaktion des Kunstblattes und führte die deutsche Übersetzung der Viten Va-
saris (Bde. 3–6 erschienen 1843–49) weiter. Als Schwiegersohn Jean Pauls war er
auch an der Herausgabe von dessen Nachlaß beteiligt.

Werke: Beiträge zu vorbereitenden Studien Kunst im Bereich des Protestantismus, Bln


für Künstler, welche in Italien reisen, in: Kbl, 1840; Die Wandgemälde der Georgs-Kapelle
1830, H. 16–19; Untersuchungen über den in Padua, Bln 1841; Die Bedeutung des Do-
Unterschied zwischen Genre und Historie in mes in Köln in der Entwicklungsgeschichte
der bildenden Kunst, in: Kbl, 1830, H. 68–71; der neueren Kunst, in: Kbl, 1842, H. 57–59;
Leitfaden zur Betrachtung der Wand- und Handbuch für Reisende in Deutschland, Mü
Deckenbilder des neuen Königsbaues in 1847; Denkmale deutscher Baukunst, Bildne-
München, Mü 1834; Beiträge zur neueren rei und Malerei, 12 Bde., Lpz 1855–69; Leben
Kunstgeschichte, Lpz 1835; Briefe über die und Werke des Fra Beato Angelico da Fiesole,
Malerei in bezug auf die Gemäldesammlun- Regensburg 1859; Geschichte der deutschen
gen in Berlin, Dresden und München, Stg Kunst, 5 Bde., Lpz 1860;Vorschule zur Kunst-
1838; München. Ein Handbuch für Fremde geschichte, Lpz 1861; Werke der Kunst um
und Einheimische mit besonderer Berück- einen Groschen. Phantasie über die Münch-
sichtigung der Kunstschätze dieser Residenz- ner Bilderbögen, in: ZfbK, 2, 1867, 216–223,
stadt, Mü 1838; Handbuch für Reisende in 249–253; Reise durch Belgien nach Paris und
Italien, Mü 1840: Über die Aufgaben der Burgund, Lpz 1865; Raffael, 2 Bde., Lpz
98 Förster

1867–68; Geschichte der italienischen Kunst, 97–99, 223–226; Regnet, Carl Albert: E.F., in:
5 Bde., Lpz 1869–78; Denkmale italienischer ZfbK (Beilage), 20, 1885, 603–605; Hellwig,
Malerei, 4 Bde., Lpz 1869–82; Peter von Cor- Karin: E.F. und die Künstlerbiographik in der
nelius. Ein Gedenkbuch aus seinem Leben 1. Hälfte des 19. Jh.s, in: Christian Drude
und Wirken, Bln 1874; Aus der Jugendzeit, (Hrsg.), 200 Jahre Kunstgeschichte in Mün-
Stg 1887 chen, Mü 2003, 68–81
Literatur: Mündler, Otto: Einige Worte PB
über Dr. E.F.s »Raffael«, in: ZfbK, 2, 1867,

Fraenger,Wilhelm
Geb. 5. 6. 1890 in Erlangen; gest. 19. 2. 1964 in Potsdam

Die Abkehr von traditionsgebundener Lehre und Forschung ist kennzeichnend für
F.s vielseitige Arbeiten, in denen der Zusammenhang der einzelnen Wissenschafts-
gebiete transparent wird. Ob Kunstwissenschaft, Volkskunde oder Literaturge-
schichte, F. war stets an den Wechselwirkungen und -beziehungen zwischen den
Disziplinen interessiert und hat seine Tätigkeit als Kunsthistoriker nicht nur auf die
Erörterung von Stilproblemen begrenzen wollen. Verschüttete Quellen aus dem
Spätmittelalter und der frühen Neuzeit freizulegen sowie Künstler von ihren geisti-
gen Grundlagen her zu erfassen, war charakteristisch für F.s Forschungen zu Dürer,
Grünewald, Bosch, Bruegel, Weiditz, Ratgeb und Rembrandt. Neben nordischer
Renaissance, Symbolismus und der Moderne des 20. Jahrhunderts rückte F. kunst-
historische Randerscheinungen wie den Schweizer Maler und Dichter Ernst Krei-
dolf ebenso ins Blickfeld wie die Neuruppiner Bilderbögen und weitere Hervor-
bringungen der Volkskunst, die für ihn ebenso zum Wertgefüge einer Epoche
gehörten wie nobilitierte Meisterwerke.
Schon in Der Bauern-Bruegel und das deutsche Sprichwort (1922) versuchte der lite-
rarisch hochgebildete F. durch wechselseitige Erhellung des Malers Bruegel und des
Dichters Rabelais zu zeigen, daß beide Künstler tief im Denken und Fühlen des
Volkes verwurzelt waren. Gerade die Werke Bruegels galten F. als »Bilder-Enzyklo-
pädien« bäuerlicher Lebensformen und volkstümlicher Glaubensvorstellungen, die
er vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Literatur – Folengo, Rabelais, Fischart
– sowohl kunstwissenschaftlich als auch volkskundlich analysierte. 1957 nahm F.
dieses Thema in einem Aufsatz über Bruegel (Die fette und magere Küche Pieter Brue-
gels) wieder auf; er belegte, daß der erste deutsche Rabelais-Übersetzer Fischart die
sozialsatirischen Bilderbogen Bruegels gekannt und paraphrasiert hat. Daraus ergab
sich für F. die Möglichkeit einer vergleichenden Betrachtung der Zeit- und Gesell-
schaftskritik Bruegels, Rabelais’ und Fischarts.
In seinem Hauptwerk, dem 1947 veröffentlichten, äußerst kontrovers diskutierten
Buch über Hieronymus Bosch, analysierte F. das große Madrider Triptychon, das bis
dahin als »Garten der Lüste« tituliert worden war. Er nannte es »Das Tausendjährige
Reich« und zeigte, daß es sich keineswegs um eine Darstellung im Sinne der christ-
lichen Ikonographie, sondern um die allegorische Schilderung sozialutopischer
Vorstellungen der »Brüder und Schwestern des freien Geistes« handelt, einer häre-
tischen Sekte, die, wie F. herausfand, von dem holländischen Ketzertheologen Jakob
van Almaengien angeführt worden war. Mit umfassendem Quellenmaterial, darun-
Fraenger 99

ter erstmals veröffentlichten Inquisitionsprotokollen, suchte F. den Beweis zu führen,


daß die gesamte hieroglyphisch-symbolische Zeichensprache des Bildwerkes Aus-
druck der Ideale dieser Sekte sei, für die der Hochmeister als Ideengeber und der
Künstler Bosch als bildnerischer »Leibgeber« fungiert habe. Für die Interpretation
des Brauchtums jenes freikirchlichen Geheimbundes zog er volkskundlich relevante
Kupferstiche nach Bruegel heran und öffnete auf diese Weise den Blick für die
Kunst der Häretiker, die in der Forschung bis dahin keine Berücksichtigung gefun-
den hatte. Diesem Thema widmete sich F. noch einmal in seiner erst postum veröf-
fentlichten Monographie über Jörg Ratgeb (1972), der ersten Gesamtdokumenta-
tion der für den Künstler gesicherten und ihm zugeschriebenen Werke, in der er
dessen Zugehörigkeit zum radikal politischen Sektentum (Waldenser und Wieder-
täufer) aus bis dahin wenig beachteten Quellen nachwies.
F. studierte Kunstgeschichte in Heidelberg, arbeitete 1915–19 am dortigen kunst-
historischen Institut und promovierte 1917 mit einer Arbeit über Die Bildanalysen
des Roland Fréart de Chambray bei  Neumann. 1912 begann F. für die Heidelberger
Zeitung über Ausstellungen zeitgenössischer Künstler, insbesondere bislang unbe-
kannter, im Heidelberger Kunstverein zu berichten. Sein reges Interesse für Volks-
kunde veranlaßte ihn 1925 zur Gründung des Jahrbuchs für historische Volkskunde.
1927–33 bekleidete er das Amt des Direktors der Stadt- und Hochschulbibliothek
in Mannheim, bis er von der NS-Diktatur seines Amtes enthoben und aus der
Schriftleitung des Jahrbuchs gedrängt wurde. 1938–43 gehörte F. dem künstlerischen
Beirat des Berliner Schiller-Theaters an; diese Tätigkeit setzte er 1947 am Renais-
sance-Theater fort, dessen regulärer Mitarbeiter er 1952 wurde. Bei Kriegsende
befand sich F. in Päwesin im Westhavelland, wo er zunächst das Amt des Bürgermei-
sters übernahm und 1946 zum Stadtrat und Leiter des Volksbildungsamtes sowie der
Volkshochschule in Brandenburg ernannt wurde. Seit 1952 war F. stellvertretender
Direktor des Instituts für deutsche Volkskunde an der Deutschen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin. Als Nachfolgeorgan des Jahrbuchs für historische Volkskunde
gründete er 1955 das Deutsche Jahrbuch für Volkskunde und gab seit 1960 die Zeit-
schrift Demos heraus. 1992 wurde die W.-F.-Gesellschaft in Potsdam gegründet, die
es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Archiv F.s für die wissenschaftliche Forschung
zu erhalten und weiter zu erschließen.
Werke: Drei merkwürdige künstlerische An- Lpz 1921; Die apokalyptische Landschaft des
regungen bei Runge, Manet und Goya (mit Hercules Seghers, in: Genius, 1921, 83–89;
Karl Neumann), in: Sber. der Heidelberger Die Radierungen des Hercules Seghers. Ein
AdW, phil.-hist. Kl., 1916, 14–20; Die Bild- physiognomischer Versuch, Zü/Lpz 1922
analysen des Roland Fréart de Chambray. (Nd. Lpz 1984 m. Nachwort v. Hilmar Frank);
Der Versuch einer Rationalisierung der Der Bauern-Bruegel und das deutsche
Kunstkritik in der französischen Kunstlehre Sprichwort, Zü/Lpz 1922; Denkmale der
des 17. Jh.s, Hei 1917; Ernst Kreidolf. Ein Volkskunst, Bln 1924; Max Beckmann. Der
Schweizer Maler und Dichter, Zü 1917; Zur Traum. Ein Beitrag zur Physiognomik des
Geschichte der Kunstkritik und Kunsttheo- Grotesken, in: Max Beckmann, hrsg. v. Curt
rie, in: RfKw, 42, 1918, 40–50; Der junge Glaser, Julius Meier-Graefe, W.F. u. Wilhelm
Rembrandt. Johann Georg van Vliet und Hausenstein, Mü 1924, 35–38; Goyas Träume,
Rembrandt, Hei 1920; Zu einem Selbstbild- in: Der Spiegel. Jb. d. Propyläen-Verlages,
nis von Edvard Munch, in: Ci, 12, 1920, 837– 1924, 48–57; Deutscher Humor aus fünf Jahr-
840; Der Bildermann von Zizenhausen, Zü/ hunderten, 2 Bde., Mü 1925; Materialien zur
100 Fraenger

Frühgeschichte des Neuruppiner Bilderbo- 5–25; Humor der Nationen. Aus fünf Jahr-
gens, in: JbhVk, 1925, 232–206; Deutsche Vor- hunderten europäischer Dichtung, Bln 1957;
lagen zu russischen Volksbilderbogen des 18. Der vierte König des Madrider Epiphanias-
Jh.s, in: ebd., 2, 1926, 126–173; James Ensor. Altars von Hieronymus Bosch, in: DJbVk,
Die Kathedrale, in: GrK, 49, 1926, 4, 81–98 1957, 169–198; Die fette und die magere Kü-
(Nd. in: James Ensor. FS zur ersten deutschen che Pieter Bruegels, in: BK, 11, 1957, 234–236;
Ensor-Ausstellung, Ha 1927, 53–68); Altdeut- Die Natursymbolik des Hieronymus Bosch,
sches Bilderbuch. Hans Weiditz und Sebastian in: ebd., 306–308; Jörg Ratgeb und sein Her-
Brant. Denkmale der Volkskunst, Bd. 2, Bln renberger Altarwerk, in: ebd., 12, 1958, 309–
1930; Eurydike. Beschworene Schatten abge- 317; Hieronymus Bosch. Die Versuchung des
schiedener Frauen, Mh 1933; Clemens Bren- hl. Antonius. Madrid, in: Hessische Blätter zur
tanos Alhambra. Eine Nachprüfung, Bln 1935; Volkskunde, 49/50, 1958, 20–27; »Das Lied
Schock schwere Not! Drei Dutzend Morita- des Moses« als Zentralmotiv der Lissaboner
ten, Hbg 1936; Matthias Grünewald in seinen »Versuchungen des hl. Antonius« von Hie-
Werken, Bln 1936; Matthias Grünewald. Der ronymus Bosch, in: DJbVk, 1963, 240–290;
Isenheimer Altar, Basel 1937; Andacht zum Jakob Grimm zur 100. Wiederkehr seines To-
Kinde. Auslegung eines Bildes von Hierony- destages, Bln 1963; Jörg Ratgeb. Ein Maler
mus Bosch, in: Die neue Rundschau, 1943, und Märtyrer aus dem Bauernkrieg, Dr 1972;
221–226; Hieronymus Bosch. Das Tausend- Hieronymus Bosch, Dr 1975; Von Bosch bis
jährige Reich. Grundzüge einer Auslegung, Beckmann. Ausgewählte Schriften, Dr 1977;
Coburg 1947; Hieronymus Bosch. Johannes Formen des Komischen. Vorträge 1920–21,
der Täufer. Eine Meditationstafel des »Freien Dr 1995
Geistes«, in: ZfK, 2, 1948, 163–175; Hierony- Literatur: Meder, Joseph: Rez. von »Die
mus Bosch. Johannes auf Patmos. Eine Um- Radierungen des Hercules Seghers«, in: Bel-
wendtafel für den Meditationsgebrauch, in: vedere, 2, 1922, 48–50; Braun, Edmund W.:
ZfRGg, 2, 1949/50, 327–345; Die Hochzeit Rez. von »Der Bildermann von Zizenhau-
zu Kana. Ein Dokument semitischer Gnosis sen«, in: ebd., 4, 1923, S. 32; Schwaiger, Georg:
bei Hieronymus Bosch, Bln 1950; Hierony- Rez. von »Die Radierungen des Hercules
mus Bosch. Der Tisch der Weisheit, bisher Seghers«, in: ZfÄaK, 20, 1926, 361–366; Gall,
»Die sieben Todsünden« genannt, in: Psyche. Ernst: Rez. von »Hieronymus Bosch. Das
Ztschr. f. Tiefenpsychologie u. Menschen- Tausendjährige Reich«, in: ZfKg, 12, 1949,
kunde, 5, 1951, 355–384; Hieronymus Bosch. 129–131; Hartlaub, Gustav Friedrich: Rez.
Der verlorene Sohn, in: Castrum peregrini, 1, von »Die Hochzeit zu Kana«, in: ZfKg, 15,
1951, 27–39; Hieronymus Bosch in seiner 1952, 82–86; FS W.F., Bln 1960; Bushart,
Auseinandersetzung mit dem Unbewußten, Bruno: Rez. von »Jörg Ratgeb«, in: Pantheon,
in: Schweizerische Monatsschrift DU, 11, 33, 1975, S. 80; Anhalt, Christine: dass., in:
1951, 6–18; Dürers Gedächtnissäule für den ZfKg, 39, 1976, 236–239; Baier-Fraenger, In-
Bauernkrieg, in: Beiträge zur sprachlichen geborg (Hrsg.): Der Kunsthistoriker W.F. Eine
Volksüberlieferung, Bln 1953, 126–140; Rem- Sammlung von Erinnerungen mit der Ge-
brandts »Verschwörung des Claudius Civilis«, samt-Bibliographie seiner Veröffentlichungen,
in: BK, 1954, H. 5/6, 33–35; Der Teppich von Amsterdam/Bonn 1994; Weckel, Petra: W.F.
Michelfeld, in: DJbVk, 1955, 183–211; Jörg (1890–1964). Ein subversiver Kulturwissen-
Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem schaftler zwischen den Systemen, Pd 2001
Bauernkrieg, in: Castrum peregrini, 29, 1956, CF

Frankl, Paul
Geb. 22. 4. 1878 in Prag; gest. 30. 1. 1962 in Princeton/NJ (USA)

Zu Unrecht wird F., den Walter Passarge 1930  Wölfflins bedeutendsten Schüler
nannte, nur noch wenig beachtet. Er gehörte zu den Kunsthistorikern, die die kon-
kurrierenden paradigmatischen Leistungen Wölfflins,  Riegls und  Schmarsows
Frankl 101

für eine spezielle, ganz von ihrem Gegenstand bestimmte Methode der Kunstge-
schichtswissenschaft kritisch weiter ausbauen wollten, damit die Eigenständigkeit
des Faches wie auch dessen anregende Wirkung auf andere Disziplinen gestärkt
würden. Mit einer ausgeprägten Neigung zu umfassender, strenger Systematik und
mit genauen, dadurch oft etwas ausgefallenen Begriffen strebte er lebenslang – im
Verbund mit Arbeiten vornehmlich zur Architekturgeschichte und zur Glasmalerei
– nach einem Verständnis der Kunstgeschichte als einer nach eigenen, allzeit gülti-
gen Gesetzen immanent verlaufenden Stilentwicklung. Sein analytisches Instru-
mentarium fördert das anschauende Begreifen von Gestalt und Gehalt besonders
von Bauwerken, selbst wenn man seiner Erklärung des kunstgeschichtlichen Pro-
zesses nicht zustimmt.
F., einer jüdischen Gelehrtenfamilie entstammend, war Architekt, ehe er in Mün-
chen Kunstgeschichte studierte und 1910 bei Berthold Riehl (1858–1911) mit einer
materialreichen stilkritischen Arbeit über spätgotische Glasmalerei promovierte.
Dieser schwierig zu untersuchenden Gattung widmete er jahrzehntelang immer
wieder monographische Studien. Einen von ihm entdeckten, in der Dissertation
Hans Wild genannten Glasmaler identifizierte er später als Peter Hemmel. Glasma-
lerei war für F. ein integraler, nur durch die Technik unterschiedener Bestandteil der
Malerei und ihrer Stilgeschichte. Seine Auffassung vom Bauwerk und dessen Ana-
lyse und von der Kunstgeschichte legte F. erstmals in Die Entwicklungsphasen der
neueren Baukunst dar, womit er sich 1914 bei Wölfflin habilitierte und Privatdozent,
dann 1920 a.o. Professor in München wurde. 1916 begann er seinen Beitrag über
frühmittelalterliche Architektur zum neuen Handbuch der Kunstwissenschaft. 1921
erhielt er den Lehrstuhl in Halle, wo er seine Schüler wie  von der Osten,
 Krautheimer, Hans Junecke (1901–95) und andere auf ganz unterschiedliche
Arbeitsfelder führte und auch mit Künstlern wie Lyonel Feininger und Käthe Koll-
witz Bekanntschaft schloß. Seine theoretische Neigung brachte er 1927 auf dem 3.
Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Halle zum Tragen. Das
NS-Regime vertrieb ihn als Juden 1934 von der Universität. Einige Zeit lehrte er
in Istanbul, wollte aber unbedingt in Deutschland bleiben. Sein umfassendes System
der Kunstwissenschaft erschien 1938 in kleiner Auflage in der Tschechoslowakei und
fand infolge der politischen Ereignisse nur wenig Beachtung. Im gleichen Jahr
wurde F. während einer Vortragsreise in die USA von einer schweren Erkrankung
erfaßt und blieb dann dort, so der in Deutschland einsetzenden Judenverfolgung
entgehend. Aus bitterer Armut retteten ihn Kollegen und 1940 die Berufung an das
Institute for Advanced Study in Princeton. Zeitweilig lehrte er auch an der Yale
University.
Nach 1945 besuchte F. sofort und mehrmals Europa, auch Deutschland, wo er
wieder publizierte. 1948 hielt er Gastvorlesungen in Berlin und Halle und setzte
sich in einem umfänglichen Buch für eine Weltregierung ein. Nach einer funda-
mentalen Darstellung aller seit dem 12. Jahrhundert verfaßten Beschreibungen und
Deutungen der gotischen Bauweise, die sich zu einer pointiert wertenden Ge-
schichte der Ästhetik und Kunstgeschichtsschreibung ausweitete (The Gothic),
schrieb er für die Pelican History of Art den Band über die gotische Architektur, der
erst kurz nach seinem Tode herauskam. Die unvollendete Neufassung seines theo-
102 Frankl

retischen Hauptwerks wollte er nicht übersetzen lassen, weil seine Begriffe nur auf
deutsch eindeutig seien. Er gab Kopien des Manuskripts an einige amerikanische
Kollegen wie George Kubler, Robert Branner und James Ackerman weiter, die an
ihn anknüpften. Erst 1985 konnte Ernst Ullmann (geb. 1928) eine Veröffentlichung
in Leipzig erwirken (Zu Fragen des Stils), die sich bis 1988 verzögerte und deren
Verbreitung abermals durch die Zeitereignisse eingeschränkt wurde.
F. suchte nach Methoden, sowohl das Wesen, das heißt »die gesamte Möglichkeit«
der Kunst, als auch deren historische Entwicklung zu verstehen, wenn auch nur
ansatzweise zu erklären – ein Unterschied, den er selbst machte. Sein kompliziertes,
sehr hegelianisches System der Kunstwissenschaft kommt durch Abstraktheit und um-
ständlich-übergenaue Sprache den Lesegewohnheiten von Kunsthistorikern nicht
entgegen, steckt aber voller wichtiger Einsichten: »Alle Kunstwerke sind ästhetische
Werke, mithin entweder Schmuck oder Spiel, also entweder Nur-Schmuck bzw.
Nur-Spiel, oder es sind profane, theoretische, sakrale Werke, die durch ästhetische
Gestaltung des freien Restes zu Auch-Schmuck und Auch-Spiel werden. Daraus
folgt, es gibt zwei Künste, in denen die sinnleere Form unmittelbar Symbol ihres
Sinnes (entweder Schmuck oder Spiel zu sein) ist: Ornament und Tanz.« Den offen-
kundigen Zusammenhang von Architektur, Plastik und Malerei mit anderen Berei-
chen der Kultur bestimmte er so: »Kunst ist Form als der Ausdruck oder – genauer
– das Symbol des geistigen Inhalts, der ihr innewohnt«, was für den Beginn der
Gotik der erhöhte religiöse Eifer jener Generation war, der Bauherr wie Baumeister
angehörten, oder anders ausgedrückt: »Kunst ist ein Zweig der Kultur neben Gesell-
schaft, Staat, Wirtschaft, Technik, Angriff und Verteidigung, Mythos, Religion (und
in späteren Epochen Wissenschaft, Philosophie), denn die Kunst steht allen diesen
Zweigen als ein Spiegel gegenüber. Dieser Spiegel ist selbst ein Zweig der Kultur,
aber das Gespiegelte hat seine autonome Bedeutung« (Fragen des Stils).
Die Entwicklung von Kunst als Form faßte F. stets unter dem Begriff des Stils,
»der jeweiligen Gesamtheit von Prinzipien, welche das Ganze eines Objekts durch-
greifend beherrschen«, wobei er diesem Begriff einen sehr weit gespannten und
immer wieder neu untergliederten Inhalt gab. Entwicklung war für ihn die Folge
von Problemlösungen oder der sich in Stufen klärenden Vorstellungen, die aber
weder kausal noch final zu erklären, vielmehr dialektisch und kritisch zu verstehen
sei. Die biologische Analogie von Jugend, Reife und Alter lehnte er als Erklärungs-
muster ab. Von Belang seien auch nicht »Personengenerationen«, wie sie  Pinder
zusammenstellte, sondern »Sachgenerationen«, die vor einer gemeinsamen Problem-
lage stehen. Sie drängen jeweils zu einem bestimmten Stil, weil einzelne Menschen
zur inneren Einheit der Gesinnung drängen und soziologisch gesehen die Gesell-
schaft nach einem Gleichgewicht streben muß, um sich zu erhalten. F. untersuchte
regionale Stile innerhalb eines Zeitraums; die Annahme von nationalen oder gar
rassischen Konstanten des Kunstschaffens widerlegte er aber am kunsthistorischen
Befund. Am Ende schlug er vor, »membrologische« (Werkglieder-) Stile, die auch
die Ikonographie einbezögen, und die »Limitologie« zu untersuchen, die die polaren
Gegensätze bestimmt, zwischen denen sich die Form- und Sinngebung bewegt.
Seine Methode der Stilkritik, die er mit der Typologie der Archäologen verglich
und nach vorausgegangener Topographie, Schriftquelleninterpretation und mono-
Frankl 103

graphischer Untersuchung der Objekte als letzte Vorbereitung auf »die Kunstge-
schichte im prägnanten Sinn: die erzählende Darstellung des Verlaufes« ansah, er-
probte er 1914 an der – nach dem Vorbild  Burckhardts so benannten – »neueren
Baukunst« von um 1420 bis 1900. Für die vier Elemente jedes Bauwerks, nämlich
Raum, Körper, Licht (oder Bildform), Zweck (oder Gesinnung), analysierte er »aus
der Beschreibung heraus« deren jeweilige Zustände zwischen den Polen Addition-
Division, Ausstrahlung eigener Kräfte-Durchlaß fremder Kräfte, Einbildigkeit-Viel-
bildigkeit, Freiheit-Gebundenheit der Persönlichkeit und faßte das später in die
Bestimmung der Renaissance (und der Romanik) als Seins- oder Totalitätsstil, des
Barock (und der Gotik) als Werdens- oder Partialitätsstil zusammen. Die Übertra-
gung seiner Kriterien auf Bildwerke gelang nicht in gleicher Weise, was Kritiker
sehr bald vermerkten, und F. hob selbst hervor, daß das Tempo der Stilentwicklung
in Architektur und Plastik, zum Beispiel beim Übergang von romanischem zu go-
tischem Stil, nicht stets das gleiche sei.
Werke: Beiträge zur Geschichte der süd- Memory of A. Kingsley Porter, Cam/MA
deutschen Glasmalerei im 15. Jh., Str 1911; 1939, 2, 503–535; The Early Works of Erasmus
Die Glasmalerei des 15. Jh.s in Bayern und Grasser, in: ArtQu, 5, 1942, 242–258; The Ear-
Schwaben, Str 1912; Die Entwicklungsphasen liest Jewish Portrait, in: Historia Judaica, 5,
der neueren Baukunst, Lpz/Bln 1914 (engl. 1943, 155–164; The »Crazy Vaults« of Lincoln
1968); Sustris und die Münchener Michaels- Cathedral, in: ArtB, 35, 1953, 95–107; Peter
kirche, in: MJbbK, 1916–18, 1–63; Meinungen Hemmel. Glasmaler von Andlau, Bln 1956;
über Herkunft und Wesen der Gotik, in: Wal- The Chronology of Chartres Cathedral, in:
ter Timmling, Kunstgeschichte und Kunst- ArtB, 39, 1957, 33–47; Die Glasmalereien der
wissenschaft, Lpz 1923, 9–25; Der Beginn der Wilhelmerkirche in Straßburg. Rekonstruk-
Gotik und das allgemeine Problem des Stil- tion, Datierungen, Attributionen, BB/Str
beginnes, in: FS Heinrich Wölfflin, Mü 1924, 1960; The Gothic. Literary Sources and Inter-
107–125; Stilgattungen und Stilarten, in: pretations through Eight Centuries, Pr 1960;
ZfÄaK, 18, 1925, 101–109; Die frühmittelal- Boucher’s Girl on the Couch, in: FS Erwin
terliche und romanische Baukunst, Pd 1926; Panofsky, NY 1961, Bd. 1, 138–152, u. 2, 46–
Nation und Kunst, in: Herman Aubin u. a., 51; Lincoln Cathedral, in: ArtB, 44, 1962, 29–
Der Deutsche und das Rheingebiet, HaS 37; Die Italienreise des Glasmalers Hans Ak-
1926, 175–185; Der Dom in Modena, in: ker, in: WRJb, 1962, 213–226; The Gothic
JbKw, 1927, 39–54; Die Rolle der Ästhetik in Architecture, Harmondsworth 1962; Zu Fra-
der Methode der Geisteswissenschaften, in: gen des Stils, hrsg. v. Ernst Ullmann, Lpz
ZfÄaK, 21, 1927, 137–151; Die Aufgaben der 1988
Kunstgeographie, in: ZfKg, 2, 1933, 410–414; Literatur: Kautzsch, Rudolf: Rez. von
Das Vesperbild im Naumburger Dom, in: »Frühmittelalterliche und romanische Bau-
JbPK, 1934, 1–8; Der Meister des Astalerfen- kunst«, in: KBLit, 1927/28, 3–11 (Replik von
sters von 1392 in der Münchener Frauenkir- P.F., ebd., 97–108); Wentzel, Hans: Rez. von
che, Bln 1936; Rez. von Frederick Adama van »Peter Hemmel«, in: KChr, 11, 1958, 100–110;
Scheltema, Die Kunst unserer Vorzeit (1936), Osten, Gert von der: P.F., in: WRJb, 1962, 7–
in: KBLit, 6, 1937, 73–93; Das Passionsfenster 14; ders.: Baukunst und Staatskunst. Zum Ge-
im Berner Münster und der Glasmaler Hans dächtnis von P.F., in: ZfÄaK, 14, 1969, 92–117;
Acker von Ulm, in: Anz. f. schweizer. Alter- Kostof, Spiro: P.F.’s Principles of Architectural
tumskunde, 40, 1938, 217–242; Die Perse- History, in: Porphyrios, D. (Hrsg.): On the
phone-Bilder von Lambert Sustris, Rubens Methodology of Architectural History, Lo
und Rembrandt, in: OH, 55, 1938, 156–171; 1981, 20–23; Wendland 1999, 152–157; Cross-
Das System der Kunstwissenschaft, Brünn/ ley, Paul: Der Soldat der Wissenschaft. P.F. und
Lpz 1938 (Bln 1998 m. Nachw. v. Heinrich die gotische Kathedrale, in: 100 Jahre Kunst-
Dilly); Die Stellung der Westtürme des geschichte an der Universität Halle-Witten-
Naumburger Domes, in: Medieval Studies in berg, HaS 2004, 71–82
PHF
104 Frey

Frey, Dagobert
Geb. 23. 4. 1883 in Wien; gest. 13. 5. 1962 in Stuttgart

Eine universelle Philosophie der Kunst, wie sie bis weit ins 19. Jahrhundert noch als
selbstverständlich angesehen wurde, eigentlich eine »Geschichte der Bewußtwer-
dung der Menschheit« (Autobiographie, 1951), strebte der Österreicher F. noch
einmal an, ohne sie vollenden zu können. Er griff dazu Gesichtspunkte und Ergeb-
nisse benachbarter Disziplinen wie der Musik- und Theatergeschichte, der Völker-
psychologie wie der Naturwissenschaften auf und forschte – bei Konzentration auf
Renaissance und Barock – auch auf weit auseinanderliegenden Gebieten der Kunst-
und speziell Architekturgeschichte, während er gleichzeitig abwechselnd in der
Denkmalpflege und als Hochschullehrer arbeitete. Er versuchte nicht nur, die Auf-
fassungen seines Lehrers  Dvoák mit denen des Wiener Gegenspielers  Strzy-
gowski zu vereinen, sondern reagierte auch aufgeschlossen auf die Konzepte anderer
Zeitgenossen, von  Pinder bis zu  Warburg.
F. beendete 1909 das Studium des Architektenberufs an der Technischen Hoch-
schule Wien mit einer inventarisierend-architekturhistorischen Dissertation und
verband anschließend Arbeit in der Denkmalpflege mit einer Privatdozentur (1914)
an der Technischen Hochschule. Als Kunsthistoriker promovierte er 1916 an der
Universität Wien, wurde 1921 a.o. Professor an der Technischen Hochschule, an der
er auch über Ästhetik der bildenden Kunst lehrte. 1924 veröffentliche er den ersten
seiner fünf Inventarbände der Österreichischen Kunsttopographie und wurde 1925
Dvoáks Nachfolger als Leiter des Kunsthistorischen Instituts des Bundesdenkmal-
amtes. Seine gleichzeitigen theoretischen Überlegungen mündeten zunächst in
Aufsätzen und in dem Buch Gotik und Renaissance als Grundlagen der modernen Welt-
anschauung (1929), das voller Fragen nach den Ursachen für Veränderungen der
künstlerischen Vorstellungsweisen und nach einer Methodik geistesgeschichtlicher
Entwicklungserklärung steckt. Die zeittypische Suche nach durchgängigen nationa-
len Wesenszügen in Kunstwerken aus verschiedenen Zeiten und andererseits nach
dem Verständnis des individuellen Schöpfungsaktes des Künstlers (Das Kunstwerk als
Willensproblem, vorgetragen beim Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwis-
senschaft 1930) sollte ihn lebenslang beschäftigen.
1931 ging F. nach Deutschland und übernahm bis 1945 den kunstgeschichtlichen
Lehrstuhl der Universität Breslau. 1944 wurde er korrespondierendes Mitglied der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Als er sich im Zweiten Weltkrieg mit
Kunstdenkmälern im eroberten Polen wie mit der Kunstgeschichte Englands be-
faßte, verbanden sich Sachkenntnis und gute Beobachtungen mit Unterstützung
der NS-Eroberungspolitik und des Rassismus. Ungeachtet dessen erhielt er 1945–50
wieder die Leitung des Kunsthistorischen Instituts des Wiener Denkmalpflegeamtes
(ehrenamtlich noch bis 1952), wurde 1949 Honorar-Professor an der Universität
und 1950 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften. 1951 übersiedelte F. nach Stuttgart, wo er kurze Zeit an der Technischen
Hochschule lehrte. Die Akademien in Mainz (1951) und Göttingen (1953) wählten
ihn zum korrespondierenden Mitglied.
Frey 105

F. belebte immer wieder die Diskussion um den Begriff der Kunst und um die
Methodik der Kunstwissenschaft, weil er verbreiteten Auffassungen über vorausset-
zungslose, theoriefreie Objektivität in der künstlerischen Abbildung von Realität
ebenso wie im Erklären von Kunstgeschichte zu Recht entgegentrat: »Man kann
kein Bild beschreiben, nicht zwei Werke vergleichen, keine geschichtliche Tatsache
herausheben, keine geschichtlichen Zusammenhänge aufstellen ohne ein bestimm-
tes Bezugssystem, ohne bestimmte Kategorien, ohne bestimmte Fragestellungen
anzunehmen, mit Hinblick auf die man beschreibt, vergleicht, heraushebt, ver-
knüpft« (Kunstwissenschaftliche Grundfragen, 1946). Er unterstrich, daß ein Kunstwerk,
hervorgebracht im schöpferischen Akt eines Subjekts, selbst zu einer neuen objek-
tiven Realität wird und – bespielsweise in der Renaissance – die bildende Kunst
einen »geschichtlichen Vorsprung« gegenüber Wissenschaft und Philosophie im
Erkennen der Welt erlangen kann. Bei seinem Bemühen, die tragenden Kräfte der
von ihm vorwiegend geistesgeschichtlich verstandenen Kunstgeschichte auszuma-
chen, das Verhältnis des Individuellen zu übergreifenden Gemeinschaften zu be-
stimmen und Epochen als einheitliche Wesenheiten mit der Wirksamkeit nationaler
oder stammesmäßiger Konstanten zu vermitteln, kam F. freilich zur Überbetonung
des »Völkischen«: »Erst völkische und rassische Zusammensetzung und sozialer Auf-
bau ergeben die entscheidende völkische Strukturform als ein dreidimensionales
System« (Englisches Wesen in der bildenden Kunst, 1942).
Werke: Bramantes St.-Peter-Entwurf und zu einer Kunstphilosophie, Wien 1946; Zum
seine Apokryphen, Wien 1915; Michelangelo- Problem der Symmetrie in der bildenden
Studien, Wien 1920; Max Dvoáks Stellung in Kunst, in: StG, 2, 1949, 268–278; Raum und
der Kunstgeschichte, in: WJbfKg, 1921/22, Zeit in der Kunst der afrikanisch-eurasischen
1–21; J.B. Fischer von Erlach, Wien 1923; Die Hochkulturen, in: WJbfKg, 1949, 173–288;
Denkmale des politischen Bezirkes Baden Autobiographie, in: Österreichische Ge-
(Österr. Kunsttopographie, 18), Wien 1924 schichtswissenschaft in Selbstdarstellungen,
(Bde. 19, 1926; 21, 1927; 24, 1932; 32, 1958); Bd. 2, 1951, 47–77; Dämonie des Blickes, Wb
Wesensbestimmung der Architektur, in: 1953; Geschichte und Probleme der Kultur-
ZfÄaK, 19, 1925, 64–77; Die Architektur- und Kunstgeographie, in: Archaeologia Geo-
zeichnungen der Österreichischen National- graphica, 4, 1955, 90–105; Probleme einer Ge-
bibliothek, Wien 1926; Architettura Barocca, schichte der Kunstwissenschaft, in: DVjS, 32,
Rom 1927; Das Burgenland, seine Bauten 1958, 1–37; Zur Deutung des Kunstwerks, in:
und Kunstschätze in Gotik und Renaissance, FS Erich Rothacker, Bonn 1958, 377–394;
Wien 1929; Gotik und Renaissance als Manierismus als europäische Stilerscheinung.
Grundlagen der modernen Weltanschauung, Studien zur Kunst des 16. und 17. Jh.s, Stg
Au 1929; Das Kunstwerk als Willensproblem, 1964 (mit Kurzbiogr.); Bausteine zu einer
in: ZfÄaK, 25, 1931, 231–244; Der Realitäts- Philosophie der Kunst, Da 1976; Bibliogra-
charakter des Kunstwerkes, in: FS Heinrich phie in: ÖZKD, 16, 1962, 154–157 u. 17, 1963,
Wölfflin, Dr 1935, 30–67; Die Entwicklung S. 42
nationaler Stile in der mittelalterlichen Kunst Literatur: Wulff, Oskar: Rez. von »Gotik
des Abendlandes, in: DVjS, 16, 1938, 1–74 und Renaissance«, in: ZfÄaK, 25, 1931, 70–90;
(Nd. 1970); Österreichische Kunst als groß- FS D.F., Br 1943; Demus, Otto: D.F., in: Alma-
deutsche Kunst, in: DKDpf, 1938, 114–118; nach d. Österr. AdW Wien, 113, 1962, 389–
Kunstdenkmäler im besetzten Polen, in: 400; D.F., eine Erinnerungsschrift (Vorw. v.
DKDpf, 1939, 98–103; Neue Aufgaben der Hans Tintelnot, Bibliogr.), Kiel 1962; Sedl-
Kunstwissenschaft, in: Geistige Arbeit, 7, 1940, mayr, Hans: D.F., in: JbBAdW, 1963, 176–179;
2, 1–2; Krakau, Bln 1941; Englisches Wesen in Gantner, Joseph: D.F., in: JbÄaK, 10, 1965, 7–
der bildenden Kunst, Stg/Bln 1942; Kunst- 13; Gensbauer-Bendler, Ulrike: D.F. Lebens-
wissenschaftliche Grundfragen. Prolegomena philosophische Grundlagen seiner Kunst-
106 Frey

theorie, in: WJbfKg, 1989, 53–79; Störtkuhl, historiographien in Ostmitteleuropa und der
Beate: Paradigmen und Methoden der kunst- nationale Diskurs, Bln 2004, 155–172
geschichtlichen »Ostforschung« – der »Fall« PHF
D.F., in: Robert Born u. a. (Hrsg.), Die Kunst-

Friedländer, Max Jacob


Geb. 5. 6. 1867 in Berlin; gest. 11. 10. 1958 in Amsterdam

Neben seinen Berliner Kollegen  Bode und  Voss gehörte F. zu den großen
Kunstkennern der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts; auf dem Gebiet der deut-
schen und niederländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts galt er als maßge-
bender Fachmann. Wie Bode, mit dem er viele Jahre hindurch fruchtbar, wenn auch
nicht spannungslos, zusammenarbeitete, sagte F. von sich, daß es ihm an einer »streng
wissenschaftlichen Grundlage« mangele. Nach eigener Einschätzung verdankte er
Kennern wie  Bayersdorfer, Ludwig Scheibler,  Lippmann und Bode mehr als
seinen akademischen Lehrern. Von  Morellis angeblich naturwissenschaftlicher
Methode der Identifizierung von Künstlerhandschriften hielt F. wenig, für ihn be-
ruhte Kunstkennerschaft auf Intuition und Spontaneität.
Der einer jüdischen Berliner Bankiersfamilie entstammende F. studierte Kunstge-
schichte in München, Florenz und Leipzig und promovierte 1891 bei  Springer
über Albrecht Altdorfer. Er volontierte am Berliner Kupferstichkabinett, wo er zum
erstenmal mit dem von ihm geschätzten Lippmann in Kontakt kam. Anschließend
ging er an das Wallraf-Richartz-Museum in Köln, bis ihn Bode 1896 an die Berliner
Museen zurückholte. Dort war er meist an der Gemäldegalerie tätig, zunächst als
wissenschaftliche Hilfskraft, 1897–1904 als Assistent, 1905–29 als Stellvertreter Bodes
und nach dessen Tod bis zu seiner Amtsenthebung als »Nichtarier« gemäß dem
»Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« im Jahr 1933 als Direktor.
Außerdem leitete er seit dem Weggang von  Max Lehrs 1908 nach Dresden bis
1930 das Kupferstichkabinett. Bis zu seiner Emigration 1939 nach Amsterdam be-
tätigte sich F. als Experte für den Kunsthandel, gelegentlich auch für Hermann
Göring.
F. hinterließ mehr als 800 Einzelarbeiten, bei denen die »altdeutschen« und »alt-
niederländischen« Themen überwiegen. Sein besonderes Interesse galt Altdorfer,
Dürer, Grünewald, Multscher und Cranach d.Ä.; unter den Niederländern dem
Meister von Flémalle, Hugo van der Goes, Jan Gossaert, Joos van Cleve und Mem-
ling. Seine Hauptleistung war Die altniederländische Malerei (1924–37), ein bis heute
gültiges 14bändiges Standardwerk, das der Verleger und Kunsthändler Paul Cassirer
angeregt hatte. Im Vorwort erinnerte F. an die erste Geschichte der altniederländi-
schen Malerei von Crowe und Cavalcaselle (1857), betonte aber, daß es ihm um die
»Monumente« ginge: »Und wenn Geschichte direkt oder unmittelbar sich aus mei-
nen Vorstellungen ergibt, um so besser, suchen aber will ich den Zusammenhang
nicht, weil ich tief durchdrungen bin von der Überzeugung, daß den Zusammen-
hang suchen schon fast so viel ist wie ihn – erfinden.« Beginnend mit dem Genter
Altar unterzog F. Band für Band die Werke großer, kleiner und anonymer Meister
Friedländer 107

der stilkritischen Analyse, wies auf Urkunden hin und beschloß seine Ausführungen
meist mit einer in einem persönlichen Ton gehaltenen Interpretation. Über Hugo
van der Goes heißt es: Er »bildete aus Erfahrung den Ausdruck der Ekstase, des
grübelnden Ernstes und näherte sich der dunklen Pforte des Wahnsinns. Seine Fä-
higkeit, die Erlebnisse zu objektivieren, wäre ausgelöscht worden, wenn er die
dunkle Pforte betreten hätte, oder wurde ausgelöscht, als er sie betrat. Ein Besesse-
ner vermag Besessenheit nicht darzustellen«. Neben weiteren zusammenfassenden
Darstellungen zur niederländischen Kunst (Von Eyck bis Bruegel, 1916; Die niederlän-
dische Malerei des 17. Jahrhunderts, 1923), auch zur Landschaftsmalerei (1947) und zur
Druckgraphik (Der Holzschnitt, 1917; Die Radierung, 1921), verfaßte F. eine Reihe
von Künstlermonographien (Dürer, 1921; Bruegel, 1921; Liebermann, 1923; Lucas van
Leyden, 1924) und reflektierte über seine Arbeit »am Objekt« (Der Kunstkenner, 1919;
Echt und Unecht, 1929; On Art and Connoisseurship, 1942). F. schrieb eine Prosa von
seltener Klarheit und Einfachheit.  Panofsky bewunderte das »Auslassen« und das
Andeuten »zwischen den Zeilen«: »Wenn – um bei F.s Generationsgenossen zu
bleiben – der Stil  Wölfflins ein klassischer, der  Vöges ein expressionistischer
und der  Warburgs ein (im höchsten Sinne) manieristischer genannt werden darf,
so stellt der seine einen Triumph des Impressionismus dar.«
F. war maßgeblich am Aufbau der Sammlungen der Berliner Gemäldegalerie und
des Kupferstichkabinetts beteiligt. Während seiner Amtszeit wurden Schlüsselwerke
der niederländischen Malerei wie der Monforte-Altar des Hugo van der Goes
(1914) sowie Meisterzeichnungen Dürers, Altdorfer s, Hubers, Grünewalds (aus der
Sammlung Savigny) und der Niederländer, vor allem Pieter Bruegels d.Ä., erwor-
ben, später auch italienische und französische Zeichnungen des 18. Jahrhunderts
(Tiepolo, Guardi). Gegenüber der zeitgenössischen Graphik war F. kritischer einge-
stellt als sein Vorgänger Lehrs; er gehörte jedoch zu den engagierten Förderern der
deutschen und französischen Impressionisten.
Werke: Albrecht Altdorfer, der Maler von gen tot S. Jans, in: JbPK, 1903, 62–70; Deut-
Regensburg. Lpz 1891; Zum Meister des Am- sche und niederländische Holzbildwerke im
sterdamer Cabinets, in: RfKw, 17, 1894, 270– Berliner Privatbesitz, Bln 1904; Pieter Brue-
273; Ein Entwurf Dürers zu einer Wanddeko- gel d.Ä. im Hofmuseum in Wien, Bln 1904;
ration, in: JbPK, 1894, 240–243;Von den Kup- Altdeutsche und altniederländische Schulen,
ferstichsammlungen in Italien, in: RfKw, 18, in: Gemälde alter Meister im Besitz S.M. des
1895, 408–409; Hans der Maler zu Schwaz, in: deutschen Kaisers und Königs von Preußen,
ebd., 411–423; Die Votivtafel des Etienne hrsg. v. Paul Seidel u. Wilhelm Bode, Bln
Chevalier von Fouquet, in: JbPK, 1896, 206– 1906, 45–77; Albrecht Altdorfers Landschafts-
217; Dürers Bildnisse seines Vaters, in: RfKw, radierungen, Bln 1906; Grünewalds Isenhei-
19, 1896, 12–19; Georg Pentz, Jörg Bentz, der mer Altar, Mü 1908; Bernaert van Orley I–IV,
Meister J.B., in: ebd., 20, 1897, 130–132; Dü- in: JbPK, 1908, 225–246, u. 1909, 9–34, 89–
rers Bilder von 1506 und 1507 in der Berliner 107, 155–178; Des Dodes Dantz Lübeck 1489,
Galerie, in: JbPK, 1899, 263–270; Die Bln 1910; Ambrosius Benson als Bildnismaler,
Cranach-Ausstellung in Dresden, in: RfKw, in: JbPK, 1910, 139–148; Die deutsche Malerei
22, 1899, 236–249; Hans Multschers Altar von von Meister Wilhelm von Köln bis Adam Els-
1437, in: JbPK, 1901, 253–266; Die Ausstellung heimer, Bln 1913; Ein neues Bild von Pieter
älterer Kunstwerke in München, in: ZfbK, 37 Bruegel, in: ZfbK, 49 (25), 1914, 9–12; Von
(13), 1902, 27–32; Meisterwerke der nieder- Eyck bis Bruegel. Studien zur Geschichte der
ländischen Malerei des 15. und 16. Jh.s auf der niederländischen Malerei, Bln 1916 (engl.
Ausstellung zu Brügge 1902, Mü 1903; Geert- 1956, ndld. 1957); Der Holzschnitt, Bln 1917;
108 Friedländer

Die Holzschnitte der Lübecker Bibel von de Loo, Brüssel/Paris 1931, 182–186; Flé-
1494 zu den fünf Büchern Mose, Bln 1917; malle-Meister-Dämmerung, in: Pantheon, 8,
Die Meister von Frankfurt, in: JbPK, 1917, 1931, 353–355; Die Gemälde von Lucas
135–150; Jan Wellens de Cock, in: ZfbK, 53 Cranach, Bln 1932; Der Rogier-Altar aus Tu-
(29), 1918, 67–74; Albrecht Dürer, der Kupfer- rin, in: Pantheon, 11, 1933, 7–13; Van Orleys
stecher und Holzschnittzeichner, Bln 1919; Altar des Heiligen Kreuzes zu Furnes, in:
Der Kunstkenner, Bln 1919; Max Lieber- Pantheon 12, 1933, 297–304; Dürer’s Connec-
manns graphische Kunst, Dr 1920; Albrecht tion with Italy, and the Portrait of a Woman
Dürer, Lpz 1921; Pieter Bruegel, Bln 1921; in the Bache Collection, in: Art in America,
Der Genter Altar der Brüder van Eyck, Mü 23, 1935, 41–46; Eine Zeichnung von Hugo
1921; Die Radierung, Bln 1921; Die nieder- van der Goes, in: Pantheon, 15, 1935, 99–104;
ländischen Manieristen, Lpz 1921; Dürer als On Copies – On Forgeries, in: BM, 78, 1941,
Schriftsteller, in: Das Inselschiff, 2, 1921, 258– 143–151, 192–196; On Art and Connoisseur-
264; Albrecht Altdorfer, Bln 1922; Holz- ship, Ox 1942 (dt. 1946, schwed. 1948; ndld.
schnitte von Hans Weiditz, Bln 1922; Der 1952; ital. 1955; dt. Nd. Lpz 1992 m. Nachw.
Kupferstich im 18. Jh., Bln 1922; Der Kupfer- v. Hilmar Frank); Von den Grenzen der
stich und der Holzschnitt Albrecht Dürers, Kunstwissenschaft (Privatdruck), ’s-Graven-
Bln 1922; Die Lithographie, Bln 1922; Die hage 1942; Noch etwas über das Verhältnis
niederländischen Maler des 17. Jh.s, Bln 1923; Roger van der Weydens zu Memling, in: OH,
Max Liebermann, Bln 1923; Der Bilddruck 61, 1946, 11–19; The Death of the Virgin by
in den Niederlanden, Bln 1923; Die altnie- Petrus Christus, in: BM, 88, 1946, 159–163;
derländische Malerei, 14 Bde., Bln/Leiden Essays über die Landschaftsmalerei und an-
1924–37 (engl. 1967–76); Lucas van Leyden, dere Bildgattungen, Den Haag 1947 (engl.
Lpz 1924; Der Meister der Barbaralegende, in: 1949, schwed. 1951); Frans Pourbus der Ältere,
JbKw, 1924, 20–25; Der Kölnische Meister in: OH, 62, 1947, 60–67; Albrecht Altdorfer en
des Aachener Altars, in: WRJb, 1924, 101–108; de Donaukunst, in: Phoenix, 3, 1948, 113–121;
Von Schongauer zu Holbein. Zeichnungen Erinnerungen und Aufzeichnungen. Aus dem
deutscher Maler des 16. Jh.s aus dem Berliner Nachlaß, Mainz/Bln 1967 (engl. 1969)
Kabinett, Mü 1925; Über Privatsammlungen Literatur: FS M.J.F. zum 60. Geburtstag,
in Amerika, in: KtKtler, 23, 1925, 209–218; Lpz 1927; Blumenreich, Leo: Verzeichnis der
Die Grünewald-Zeichnungen der Sammlung Schriften M.J.F. Vorw. v. W. Bode, Bln 1927;
von Savigny, Bln 1925; Honoré Daumier, in: Aan M.J.F. (FS), ’s-Gravenhage 1942 (Bi-
KtKtler, 24, 1926, 272–276; Neues über den bliogr.); FS M.J.F. ter ere van zijn negentigste
Meister des Bartholomäus-Altars, in: WRJb, verjaardag, ’s-Gravenhage 1957 (Bibliogr.);
1926, 174–182; Die Zeichnungen von Mat- Rosenberg, Jakob: F. and the Berlin Museums,
thias Grünewald, Bln 1927; Neues zu Quen- in: BM, 101, 1959, 83–89; Winkler, Friedrich:
tin Massys, in: Ci, 19, 1927, 1–7; Über das M.J.F., in: JbBM, 1959, 161–167; Hüttinger
Wesen der Kennerschaft, in: ebd., 719–723; 1992, 86–96; Arndt, Karl: Konstellationen.
Memlings Persönlichkeit, in: ebd., 20, 1928, Bode, Tschudi, F., Winkler, in: JbBM, 1996
653–661; Echt und unecht. Aus den Erfah- (Beiheft), 57–71; Geismeier, Irene: Der Kunst-
rungen des Kunstkenners, Bln 1929 (engl. forscher hat »mehrere Instrumente«. M.J.F.
1930); Neues über den Meister Michiel und (1867–1958), in: Berlinische Monatsschrift,
Juan de Flandes, in: Ci, 21, 1929, 249–254; 1998, 10, 45–51; Wendland 1999, 162–173;
Original und Reproduktion, in: KtKtler, 28, Ridderbos, Bernhard: From Waagen to F., in:
1929, 3–6; Graphologie und Kunstkenner, in: ders. (Hrsg.), Early Netherlandish Painting,
ebd., 91–96; Über die Anfänge des Malers Amsterdam 2005, 218–251
Lucas van Leyden, in: Ci, 22, 1930, 493–499; JZ
Über die Frühzeit Jan Gossarts, in: FS Hulin
Friedlaender 109

Friedlaender,Walter
Geb. 10. 3. 1873 in Glogau (Glogów, Polen); gest. 6. 9. 1966 in New York

Das Lebenswerk F.s zeigt beispielhaft, wie fruchtbringend für eine beharrliche, spe-
zialisierte Erforschung älterer Kunstperioden, in diesem Fall der Barockmalerei, das
vergleichende Studium jüngerer Prozesse der Kunstgeschichte und eine wache
Beobachtung des zeitgenössischen Kunstschaffens sein kann. Ebenso eindrucksvoll
ist es, wie ein anscheinend ganz in seine Forschungen eingesponnener Gelehrter,
dessen wissenschaftliche Texte nichts von den schwerwiegenden politischen Vor-
gängen spüren lassen, die auch in sein Leben tief eingriffen, zu einem verehrten und
ethische Maßstäbe setzenden Lehrer für bedeutende Schüler wurde, die er laut
Craigh Hugh Smith (Essays in Honor of W.F.) danach beurteilte, »ob sie eine neue
Provinz erobert haben«.
F. studierte in Berlin zunächst Indologie und promovierte 1899 mit der Überset-
zung eines Sanskrit-Textes. Nach einem Studienaufenthalt in London wandte er
sich bei  Wölfflin,  Haseloff und  Georg Swarzenski der Kunstgeschichte zu.
1907–11 untersuchte er als Stipendiat am Deutschen Historischen Institut in Rom
das manieristische Kasino Pius IV. und verfolgte gleichzeitig das aktuelle Kunstge-
schehen, über das er sich auch später stets gründlich informierte. Zu ersten Studien
über Poussin ging er 1912 nach Paris, referierte über diesen Maler schon im selben
Jahr beim 10. Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte in Rom und habilitierte
sich 1914 mit einem bahnbrechenden Buch über ihn bei dem von ihm verehrten
 Vöge in Freiburg i.Br. Seine Antrittsvorlesung über Die Entstehung des antiklassi-
schen Stiles in der italienischen Malerei um 1520, erst 1925 gedruckt, gehörte zu den
ersten und grundlegend gebliebenen Würdigungen des in den 1920er Jahren man-
nigfaltig, unter anderem von  Weisbach,  Pevsner,  Dvoák,  Voss und Lili
Fröhlich-Bum, diskutierten Manierismus. Als Privatdozent, ab 1920 als a.o. Professor
neben  Bauch, las er über sein Hauptforschungsgebiet, die Barockmalerei, aber
auch über Grünewald und vor allem die von ihm als ausschlaggebend für die Ge-
genwartskunst angesehene französische Malerei des 19. Jahrhunderts und der frühen
Moderne. Ein Teil dieser Vorlesungen wurde 1930 in bescheidener Form veröffent-
licht und bereicherte auch noch in der amerikanischen Ausgabe von 1952 das Ver-
ständnis für die jüngere Kunstgeschichte.
Als Jude wurde der 60jährige F. 1933 aus seiner Stellung vertrieben. Eine von
 Heydenreich und Werner Gramberg veranlaßte Festschrift mit eindrucksvoller
internationaler Beteiligung (Giulio Carlo Argan,  Frey, Paul Jamot, Roberto Lon-
ghi, Johannes Wilde neben  Badt,  Bauch,  Panofsky,  Saxl,  Georg und
Hanns Swarzenski,  Wittkower und anderen) blieb Manuskript. Es gelang F., nach
den USA zu emigrieren. 1935 begann er am Institute of Fine Arts der New York
University neben der Vollendung seiner Forschungen besonders zum Corpus der
Zeichnungen Poussins eine Lehrtätigkeit, die viel zur Entfaltung der amerikani-
schen Forschung über europäische Renaissance- und Barockkunst beitrug und
über seine Emeritierung 1942 hinaus als unverzichtbar angesehen wurde. Interna-
tional hoch geachtet, »gehörte er zu den Gelehrten, die eine höhere Instanz in
unserer Disziplin darstellten«, und zwar nicht zuletzt, weil ihm »das Methodische
[...] fruchtbarer erschien als Trouvaillen« (Lotz, 1967).
110 Friedlaender

F. verband stets stilkritische Formanalyse mit quellenkundlicher Sachforschung,


um den künstlerischen Wert von Kunstwerken als die Ursache ihrer Bedeutung für
den weiteren Verlauf der Kunstgeschichte herauszustellen. Nur mit einer festen
Methode, nicht mit »mißverstandener Philosophie« oder mit geistreichen Essays, sei
Kunst zu erklären. Deshalb griff er  Burger scharf an, der den qualitativen Unter-
schied zwischen dem fast provinziellen Hodler und Cézanne, dem für ganz Europa
entscheidenden Vorläufer einer neuen Gesinnung, nicht erkannt habe (Zur Kunstge-
schichtsschreibung der Moderne, 1919). In klaren Formulierungen definierte F. in seiner
Poussin-Monographie von 1914 sowohl das Wesen von »klassizistischer« Kunst, der
stets F.s besondere Zuneigung galt, als auch die kulturellen Bedingungen dafür, daß
sich die Kunst des 17. Jahrhunderts nur von Rom aus entwickeln konnte.  Tietze
warf ihm aber ein zu mechanisches Kunstkonzept vor. Nach 1957 begann F. noch-
mals eine Gesamtdarstellung von Poussins Entwicklung, das heißt der in den ein-
zelnen Lebensabschnitten wechselnden Absichten des Künstlers, eine bestimmte Art
von Eindrücken bei den Betrachtern hervorzurufen, für die er seine Bilder schuf.
Das Buch vollendte F. erst kurz vor seinem Tod unter Berücksichtigung der neuen
Erkenntnisse, die die fundamentale Pariser Poussin-Ausstellung von 1960 gebracht
hatte.
Auch zum Verständnis der Malerei von Claude Lorrain (1921) und Caravaggio
(1955) trug F. Wertvolles bei. Er sah Parallelen zwischen den Entwicklungsstadien
sowie der Vielfalt nebeneinander herlaufender oder sich durchdringender Strömun-
gen der italienischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts und der »kunsthistori-
schen Struktur« der französischen Malerei zwischen David und Delacroix, für die
gerade diese ältere Kunst Anknüpfungspunkte geboten hatte: »Das in dem Künstler
überindividuell wirkende, schicksalsmäßig an die Zeitentwicklung gebundene
Kunstgefühl läßt ihn mit Notwendigkeit ein ganz bestimmtes künstlerisches Ideal
in der Vergangenheit suchen und finden. Auch die Reihenfolge der so von den
einzelnen Künstlern oder Kunstgruppen bevorzugten Vorbilder kann keine zufällige
sein, sondern geschieht nach immanenten Kunstentwicklungsgesetzen.« Der genau
sehende und bewundernde Monograph großer Maler erkannte entgegen verbreite-
tem modernistischen Denken: »Eine Künstler-Persönlichkeit wird nicht dadurch
herabgesetzt oder weniger verstanden, wenn man sie den immanenten Gesetzen der
Zeit und der Entwicklung einordnet – sie zeigt ihre Größe durch die Kraft und die
Art, mit der sie sich mit ihnen auseinandersetzt« (Hauptströmungen der französischen
Malerei von David bis Delacroix, 1930).

Werke: Römische Kunstausstellungen, in: RfKw, 46, 1925, 49–86; Contributo alla cro-
WMh, 111, 1911/12, 431–443; Das Kasino nologia e all’iconografia di Lodovico Car-
Pius IV., Lpz 1912; Nicolas Poussin. Die Ent- racci, in: Cronache d’arte, 3, 1926, 133–147;
wicklung seiner Kunst, Mü 1914; Rez. von Der antimanieristische Stil um 1590 und sein
Julius Meier-Graefe, Cézanne und sein Kreis Verhältnis zum Übersinnlichen, in: VBW
(1918), in: MfKw, 12, 1919, 145–147; Zur (1928/29), 1930, 214–243; Rez. von Hermann
Kunstgeschichtsschreibung der Moderne, in: Voss, Malerei des Barock (1920), in: RfKw, 49,
MfKw, 12, 1919, 286–297; Claude Lorrain, 1928, 138–146; Rez. von Kurt Gerstenberg,
Bln 1921; Römische Barockbrunnen, Lpz Ideale Landschaftsmalerei (1923), in: ebd.,
1922; Die Entstehung des antiklassischen Sti- 146–149; Rez. von Erwin Panofsky, Idea
les in der italienischen Malerei um 1520, in: (1924), in: JbKw, 1928, 56–64; Hauptströmun-
Friedlaender 111

gen der französischen Malerei von David bis Mü 1964, 65–82; Nicolas Poussin. A New Ap-
Cézanne, Teil 1. Von David bis Delacroix, Bie proach, Lo 1966
1930 (engl. 1952, Nd. 1977); Some Carracci- Literatur: Tietze, Hans: Rez. von »Poussin«,
Studies, in: BM, 61, 1932, 258–265; La tintura in: RfKw, 39, 1916, 181–192; Cassirer, Kurt:
delle rose (The Sacred and Profane Love) by Rez. von »Claude Lorrain«, in: RfKw, 45,
Titian, in: ArtB, 20, 1938, 320–324; The Dra- 1925, 242–244; Lee, Rensselaer W.: Rez. von
wings of Nicolas Poussin, 4 Bde., Lo 1939–63 »The Drawings of Nicolas Poussin«, in: ArtB,
(mit Rudolf Wittkower, Anthony Blunt, Ellis 35, 1953, 158–159; W.F. zum 90. Geburtstag.
K. Waterhouse, Jane Costello); The »Crucifi- Eine Festgabe seiner europäischen Schüler,
xion of St. Peter«. Caravaggio and Reni, in: Freunde und Verehrer, Bln 1965 (Bibliogr.);
JWCI, 8, 1945, 152–160; Gericault. Romantic Essays in Honor of W.F., NY 1965; Bauch,
Realist, in: Magazine of Art, 45, 1952, 260– Kurt:W.F., in: KChr, 19, 1966, 377–379; Posner,
269; Caravaggio-Studies, Pr 1955; Hymenaea, Donald: W.F., in: CArtJ, 26, 1967, 258–260;
in: FS Erwin Panofsky, NY 1961, Bd. 1, 153– Lotz, Wolfgang: Zur Erinnerung an W.F., in:
156; Early to full Baroque. Cigoli and Ru- MKhIF, 13, 1967/68, S. 194; Wendland 1999,
bens, in: FS Ludwig Heinrich Heydenreich, 174–179
PHF

Gall, Ernst
Geb. 17. 2. 1888 in Danzig (Gdańsk, Polen); gest. 5. 8. 1958 in München

Im gleichen Jahr wie  Wölfflins Kunstgeschichtliche Grundbegriffe erschien 1915 G.s


Dissertation, eine phänomenologisch ausgerichtete Entwicklungsgeschichte über
Niederrheinische und normännische Architektur im Zeitalter der Frühgotik, als Buch. Die
Parallelität ist unübersehbar; wie Wölfflin suchte auch G. mit Hilfe von kategorialen
Charakterisierungsbegriffen wie das »Plastische« und das »Malerische«, das »Ruhe-
volle« und das »Bewegte« die Erscheinungsformen frühgotischer Architektur zu
erfassen und die Gotik-Forschung über rein technische Fragestellungen hinauszu-
führen. G. widersprach der bis dahin vertretenen Lehrmeinung, daß das Kreuzrip-
pengewölbe der Ausgangspunkt für die gotische Architektur sei; der Stilwandel habe
sich zuerst in der Wandgliederung vollzogen. Nicht »konstruktive Rechnung« – so
 Hans Kauffmann in der Gedenkschrift von 1965 –, sondern ein rein künstleri-
sches Bedürfnis habe zur Übertragung der Wandgliederung in die Gewölbe geführt.
G. vertrat außerdem die Auffassung, der Dienst sei wesentlich früher als das Rip-
pen-, sogar als jedes Mittelschiffsgewölbe dagewesen und habe die formverwandte
Rippe nachfolgen lassen, so daß sich das Gewölbe dem »Gestäbe« der Hochschiff-
wand assimiliert habe. Diese neue Baugesinnung sei zuerst in den normannischen
Kirchen des 11. und 12. Jahrhunderts verwirklicht worden. Seine systematische Ana-
lyse der Bauformen führte G. des weiteren zu der Einsicht, daß der Übergang von
der normannischen zur eigentlichen französischen Architektur keine scharfe Zäsur,
sondern ein zusammenhängender kontinuierlicher Wandlungsprozeß gewesen sei.
G. weitete seine Forschungen in Die gotische Baukunst in Frankreich und Deutschland
(1925) zu einer Geschichte der Frühgotik aus und lieferte damit nach  Dehios
und  Bezolds Geschichte der europäischen Kirchenbaukunst einen der wichtig-
sten Beiträge der deutschen Forschung zur französischen Architektur des 12. Jahr-
hunderts. Eine im wesentlichen einheitliche Stilepoche war für G. die Zeit von
1050 bis etwa 1190, wo eine gleichbleibende Raumform, die Emporenbasilika, vor-
112 Gall

herrschte. Einen wirklichen Einschnitt stellte für ihn der dreigeschossige Aufbau
der Kathedrale von Chartres (um 1190) dar; sie manifestierte für ihn den Beginn der
Gotik, einer ganz und gar neuen Periode in der Architekturgeschichte. Alles Frü-
here nannte G. »spätromanisch« und sah darin nach dem Maßstab des »allgemeinen
westeuropäischen Zeitstils« eine Parallele zur rheinischen Architektur des 12. Jahr-
hunderts.
G. studierte zunächst Rechtswissenschaften, dann Kunstgeschichte in Grenoble,
Paris und Berlin und promovierte bei  Goldschmidt. Nach der Rückkehr aus
dem Krieg trat er eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Provinzialkon-
servator in Halle an. 1920 übernahm er im preußischen Kultusministerium das
Referat für Ostfragen, moderne Kunst, Denkmalpflege und Schlösser. Von 1930 an
leitete G. als Nachfolger von Paul Hübner die nach dem Ersten Weltkrieg geschaf-
fene Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Berlin, die den einstigen
Hohenzollernbesitz denkmalpflegerisch und kunsthistorisch betreute. Da ihm eine
Zusammenarbeit mit der sowjetischen Besatzungsmacht widerstrebte, legte G. sein
Amt noch 1945 nieder und wurde für das amerikanische Hauptquartier in Berlin
als Berater für Kunst und Denkmalpflege tätig. 1946 wurde er zum Direktor der
Bayerischen Schlösserverwaltung ernannt. Zudem erhielt G. 1947 eine Honorar-
professur für die Geschichte der Baukunst an der Universität München. Seine
umfassenden Kenntnisse konnte er für das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler
fruchtbar machen, mit dessen Neubearbeitung ihn noch  Dehio betraut hatte.
Neben seinem Engagement für Forschung und Lehre hat G. sich besonders im
Bereich der wissenschaftlichen Publizistik verdient gemacht. Er begründete 1923
das Jahrbuch für Kunstwissenschaft, das er bis 1930 herausgab, und rief 1932 gemeinsam
mit  Waetzoldt die Zeitschrift für Kunstgeschichte als Nachfolgeorgan des Repertori-
ums für Kunstwissenschaft ins Leben. Der Berichterstattung in Sammelreferaten und
Einzelbesprechungen lag als Vorbild die Historische Zeitschrift zugrunde. G. war seit
1948 Mitglied des Redaktionsausschusses der Kunstchronik und führte 1954–58 das
von  Schmitt begründete Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte fort.

Werke: Neue Beiträge zur Geschichte vom konstruktionsversuch, in: WJbfKg, 1926, 59–
Werden der Gotik. Untersuchungen zur 71; Karolingische und ottonische Kirchen,
Baugeschichte der Normandie, in: MfKw, 4, Burg 1930; Die historischen Wohnräume im
1911, 309–323; Studien über das Verhältnis der Berliner Schloß, Bln 1935; Handbuch der
niederrheinischen und französischen Archi- deutschen Kunstdenkmäler, Bln/Mü 1935–56
tektur in der ersten Hälfte des 13. Jh.s, Bln (Niedersachsen und Westfalen, 1935; Die
1915; Niederrheinische und normännische Rheinlande von der holländischen Grenze
Architektur im Zeitalter der Frühgotik, Bln bis zum Rheingau, 1938; Hessen-Nassau ein-
1915; Die Apostelreliefs im Mailänder Dom. schließlich Rhön und Siegerland, 1942;
Ein Beitrag zur Geschichte der oberitalieni- Rheinfranken, 1943; Nördliches Hessen, 1950;
schen und provenzalischen Plastik im 12. Jh., Südliches Hessen, 1950; Pfalz und Rheinhes-
in: MfKw, 14 , 1921, 1–13; St. Georg in Lim- sen, 1951; Deutschordensland Preußen, 1952;
burg a.d. Lahn und die nordfranzösische Oberbayern, 1952; Östliches Schwaben, 1954;
Frühgotik, in: FS Adolph Goldschmidt, Lpz Westliches Schwaben, 1956); Schloß Sans-
1923, 7–24; Die gotische Baukunst in Frank- souci, Bln 1938; Danzig und das Land an der
reich und Deutschland, Lpz 1925 (Nd. 1955); Weichsel, Mü/Bln 1953; Rothenburg ob der
Die Marienkirche zu Danzig, Burg 1926; Die Tauber, Mü/Bln 1955; Dome und Klosterkir-
Abteikirche St. Lucien bei Beauvais. Ein Re- chen am Rhein, Mü 1956
Gall 113

Literatur: Kautzsch, Rudolf: Rez. von Kubach, Hans Erich: Rez. von »Dome und
»Niederrheinische und normännische Archi- Klosterkirchen am Rhein«, in: KChr, 10, 1957,
tektur im Zeitalter der Frühgotik«, in: RfKw, 253–255; Kühn, Margarete: E.G. 1888–1958,
40, 1917, 281–284; Kautzsch, Rudolf: Rez. in: ZfKg, 21, 1958, 105–106; McKnight Crosby,
von »Karolingische und ottonische Kirchen«, Sumner: Rez. von »Die gotische Baukunst in
in: ZfKg, 1, 1932, S. 76; Keller, Harald: Rez. Deutschland und Frankreich«, in: ArtB, 43,
von »Die gotische Baukunst in Frankreich 1961, 255–256; Gedenkschrift E.G., hrsg. v.
und Deutschland« (Nd. 1955), in: KChr, 9, Margarete Kühn u. Louis Grodecki, Mü/Bln
1956, 325–326; Aubert, Marcel: dass., in: Bm, 1965
114, 1956, 76–77; ders.: Rez. von »Dome und CF
Klosterkirchen am Rhein«, in: ebd., 300–301;

Gantner, Joseph
Geb. 11. 9. 1896 in Aargau (Schweiz); gest. 7. 4. 1988 in Basel

Für G. und nicht wenige seiner Generationsgenossen ging mit dem Ersten Welt-
krieg die Blütezeit der deutschen Kunstgeschichtsschreibung zu Ende; sie vermochte
nicht mehr »Augen und Herz des modernen Menschen« zu fesseln. 1932 löste G.
eine lebhafte Diskussion mit seiner Schrift Revision der Kunstgeschichte aus, in der er
eine Erneuerung des Fachs, das allzu lange in einer »starren historischen ›Verwis-
senschaftlichung‹« verharrt habe, aus dem Geiste der Gegenwart und der modernen
Kunst forderte. Während G. die traditionellen kultur-, geistes- und formgeschichtli-
chen Methoden obsolet erschienen, sollte nun die Psychologie einen »Weg nach
Innen« bahnen: Dem Künstler »gilt unsere Liebe und unsere Verehrung und das
Bewußtsein, daß einzig von [...] einer klaren Erkenntnis seiner seelischen Situation
und seiner menschlichen Haltung unsere Wissenschaft ihre Kreise ziehen kann«. Im
Mittelpunkt von G.s ästhetischem und kunsttheoretischem Denken stand der Prä-
figurationsbegriff; mit ihm bezeichnete er die »vorbereitenden Formen, die der
Künstler in sich und aus sich entwickelt« – von der ersten Intuition bis zum reifen
Entwurf – und die der materiellen Ausführung vorausgehen. Die Faszination des
künstlerischen Schaffensprozesses führte G. zu Leonardo, Michelangelo, Rembrandt,
Goya und Rodin und die abstrakten Kompositionen Kandinskys, die G. 1919 in
München kennenlernte, auch zur Architektur und Kunst des Mittelalters.Vor allem
zur romanischen Plastik, die er als eine in ihren Anfängen »objektfreie« Kunst be-
griff, die sich schließlich ihres ornamentalen Charakters entledigt und der Darstel-
lung religiöser Themen zugewandt habe. Der Moderne stand sie seiner Auffassung
nach deshalb nahe, weil die ungegenständliche Grundform, aus der jede künstleri-
sche Konzeption hervorgehe, in ihren Werken auch nach der technischen Vollen-
dung sichtbar bleibe.
G. gehörte zu den engsten Schülern, später Freunden  Wölfflins. 1915 begann
er bei ihm in München mit dem Studium, das er in Zürich, Basel, Genf fortsetzte
und fünf Jahre später mit einer Doktorarbeit über Michelangelos Wirkungsge-
schichte abschloß. Im Wintersemester 1919/20 hörte er in Rom bei Adolfo Venturi.
1921/22 durfte G. Wölfflin (»Lesen Sie zur Vorbereitung Homer!«) nach Sizilien
begleiten. Nach einer kurzen Assistenzzeit bei Paul Ganz (1872–1954) an der Uni-
114 Gantner

versität Basel arbeitete er 1922–27 als Redakteur beim Werk, der Zeitschrift des
1913 gegründeten Schweizer Werkbundes. Während dieser Zeit, die ihm »einen
tiefen Einblick [...] in die Arbeit des schaffenden Künstlers« gewährte, widmete er
sich besonders der Geschichte des Städtebaus, einem damals noch jungen For-
schungsgebiet, schrieb einen kurzen Text über die schweizerische Stadt (1925) und
anschließend eine Geschichte der europäischen Stadtentwicklung von der griechi-
schen Antike bis 1800, die jedoch vorrangig das methodologische Ziel verfolgte, die
zeitliche Begrenzung der Wölfflinschen Grundbegriffe auf das italienische 16. und
17. Jahrhundert aufzuheben. G. unterschied zwischen zwei planimetrischen Grund-
typen der Stadt, einem »regelmäßigen« und einem »unregelmäßigen«, und versuchte
so, die »unselige Trennung« zwischen Archäologie und Kunstgeschichte überwin-
dend, die europäische Stadtbaukunst systematisch zu gliedern und ihre Geschichte
mit einem adäquaten methodologischen Instrumentarium zu beleuchten. 1926 ha-
bilitierte sich G. mit dieser Arbeit in Zürich. Die mit einer Vorlesung über  Sem-
per und Le Corbusier begonnene Universitätsdozentur dauerte nur wenige Monate;
vom Herbst 1927 an lehrte G. an der neugegründeten Frankfurter Kunstschule, wo
ihm schon bald die Redaktion der von Ernst May gegründeten Zeitschrift Das
Neue Frankfurt oblag, die bis Anfang 1933 für die funktionelle Architektur und die
Moderne eintrat. Später, ab 1952, gab er mit  Lützeler das Jahrbuch für Ästhetik und
allgemeine Kunstwissenschaft heraus.
Der mit einer Jüdin verheiratete G. kehrte im April 1933 nach Zürich zurück
und nahm seine Dozentur wieder auf. Um sich der Unwägbarkeit der politischen
Entwicklung in Europa zu entziehen, wandte er sich, dazu ermutigt von Wölfflin,
nun der heimatlichen Kunstgeschichte zu, die zum erstenmal Rudolf Rahn (1841–
1912) in seinem fünfbändigen Werk von 1876 zusammengefaßt hatte. Schon 1936
erschien der erste Band von G.s Kunstgeschichte der Schweiz, erst 1947 der zweite. Die
Darstellung der nachmittelalterlichen Entwicklung in zwei weiteren Bänden (1956,
1962) überließ G. seinem Schüler Adolph Reinle. Seit der Berufung 1938 auf den
Baseler Lehrstuhl galt G.s Interesse zunehmend kunsttheoretischen Fragen; es be-
gann sein »Suchen nach den Formen des Ursprungs in der künstlerischen Gestal-
tung«. Bedeutung gewann für sein Denken die Auseinandersetzung mit Henri Fo-
cillon (1881–1941), einem Formanalytiker wie Wölfflin und Pionier der europäischen
Romanik-Forschung (L’art des sculpteurs romans, 1931). Anders als Focillon und des-
sen Schüler Jurgis Baltrusaitis (La stylistique ornamentale dans la sculpture romane, 1931),
die die formale Erscheinung der romanischen Plastik aus der Architektur ableiteten,
ging G. von einer Formidee aus, die sowohl dem architektonischen Gehäuse zu-
grundeliege als der Fähigkeit der Plastik, »jede noch so skurrile Rahmenform mit
[ihren] Bildungen zu erfüllen« (Romanische Plastik, 1941). G. berief sich mit seinem
»synthetischen« Stilbegriff auf Wölfflins Lehre von der doppelten Wurzel des Stils,
ging aber deutlich darüber hinaus, indem er seinen Stilbegriff als Einheit von »Form-
elementen« und »Inhalten« definierte.
Nach Wölfflins Tod widmete sich G. der Herausgabe von dessen kleinen Schrif-
ten, Aufsätzen und Reden (1946) sowie des Briefwechsels mit  Burckhardt (1948).
Aus eigenen Vorträgen entstand wenig später die vielgelesene Broschüre Schönheit
und Grenzen der klassischen Form, die neben Texten über Burckhardt und Benedetto
Gantner 115

Croce, den G. 1951/52 zweimal in Neapel besuchen sollte, auch die erste Wölfflin-
Biographie enthält. In dieser Zeit der Besinnung auf Wölfflin prägte G. den Begriff
»Präfiguration«, als dessen Vorläufer er neben Wölfflins »Vorstellungsformen« auch
 Fiedlers »Anschauungsbilder«,  Riegls »Kunstwollen«, Croces »intuizione« und
Focillons »Strukturlinien« als »Baustein zu einer Lehre vom Vollendeten und Un-
vollendeten« reklamierte. Einsichten in die Psychologie des Schaffensprozesses, be-
sonders in das Problem des »Non-finito«, versuchte G. zunächst bei Michelangelo
und Rodin, dann bei Leonardo zu finden, dessen »Vision vom Ende der Welt« in
einer großen Monographie (1958) beschrieben wurde. Einen Bogen zu Rembrandt
schlug 1964 eine Arbeit über dessen jahrelangen künstlerischen Dialog mit Leonar-
dos Abendmahl, der im Falkner des Göteborger Kunstmuseums ausklang, einer »letz-
ten Metamorphose« des verratenen Christus auf dem Mailänder Fresko. Am Ende
der Reihe stand Goya, wie Michelangelo ein »dynamischer« Künstler, dessen Werke
G. als Dokumente der Psychologie des künstlerischen Schaffens von besonderem
Wert erschienen.
Werke: Zum Schema der Sixtinischen Decke Seminario di Storia dell’Arte, Pisa/Viareggio
Michelangelos, in: MfKw, 12, 1919, 1–9; Mi- 1953, 47–61; Gallia Romanica. Die hohe
chelangelo. Die Beurteilung seiner Kunst von Kunst der romanischen Epoche in Frank-
Leonardo bis Goethe, Mü 1920; Die Schwei- reich, Wien 1955 (mit Marcel Pobé u. Jean
zer Stadt, Mü 1925; Semper und Le Corbu- Roubier); Erinnerungen an Heinrich Wölff-
sier, in: Annales I, 1927, 481–490, 561–567; lin und Benedetto Croce, in: JbÄaK, 1955–57,
Grundformen der europäischen Stadt. Ver- 129–152; Leonardos Visionen von der Sintflut
such eines historischen Aufbaus in Genealo- und vom Untergang der Welt. Geschichte ei-
gien, Wien 1928; Revision der Kunstge- ner künstlerischen Idee, Bern 1958; Schick-
schichte. Prolegomena zu einer Kunstge- sale des Menschenbildes. Von der romani-
schichte aus dem Geiste der Gegenwart, schen Stilisierung zur modernen Abstraktion,
Wien 1932; Kunstgeschichte der Schweiz von Bern 1958 (jap. 1965, darin: Das Bild des
den Anfängen bis zum Beginn des 20. Jh.s, Menschen in der romanischen Kunst, 1938;
Bd. 1, Frauenfeld/Lpz 1936 (frz. 1938), Bd. 2, Das Problem der Persönlichkeit in der bil-
Frauenfeld 1947 (frz. 1956); Die Galluspforte denden Kunst, 1954; Klassische Ästhetik und
am Basler Münster. Beiträge zu einer forma- moderne Abstraktion, 1954; Formen des Un-
len Analyse, in: BZfGA, 36, 1937, 433–450; vollendeten in der neueren Kunst, 1956);
Romanische Plastik. Inhalt und Form in der Heinrich Wölfflin und die moderne Kunst,
Kunst des 11. und 12. Jh.s, Wien 1941; Konrad in: Merkur, 13, 1959, 937–949; Formen des
Witz, Wien 1942; Jacob Burckhardts Urteil Unvollendeten in der neueren Kunst, in: Das
über Rembrandt und seine Konzeption des Unvollendete als künstlerische Form, hrsg. v.
Klassischen, in: FS Heinrich Wölfflin, Basel J.A. Schmoll gen. Eisenwerth, Bern 1959,
1944, 83–114; Jacob Burckhardt und Heinrich 47–67; Heinrich Wölfflins Baseler Jahre und
Wölfflin. Briefwechsel und andere Doku- die Anfänge der modernen Kunstwissen-
mente ihrer Begegnung 1882–97, Basel 1948 schaft, in: Gestalten und Probleme aus der
(Hrsg.); Schönheit und Grenzen der klassi- Geschichte der Universität Basel, Basel 1960,
schen Form. Burckhardt, Croce, Wölfflin, 79–97; Kunsthistorische Beiträge zum ästhe-
Wien 1949; Philosophische und historische tischen Urteil, in: Atti del simposio di estetica
Kunstbetrachtung. Diskussion mit Benedetto Venezia 1958, Padua 1961, 195–204; Die ro-
Croce, in: Universitas, 6, 1951, 981–985; Ro- manische Kunst und ihre Bedeutung für die
din und Michelangelo, Wien 1953; Rodin Ästhetik der Gegenwart, in: Akten d. IV. In-
und der Impressionismus, in: Universitas, 8, ternat. Kongresses f. Ästhetik Athen 1960,
1953, 365–373; Das Problem der Persönlich- Athen 1962, 712–721; Rembrandt und das
keit in der bildenden Kunst. Rektoratsrede, Abendmahl des Leonardo, in: FS Friedrich
Basel 1954; Il problema del »non finito« in Gerke, BB 1962, 179–184; Rembrandt und
Leonardo, Michelangelo e Rodin, in: Atti del die Verwandlung klassischer Formen, Bern
116 Gantner

1964 (jap. 1968); Michelangelos Ruhm, in: FS ZfKg, 6, 1937, 337–339; Meyer, Peter: dass., in:
Edgar Bonjour, Basel 1968, Bd. 2, 761–778; Das Werk, 24, 1937, 215–216, 218–222; Fischer,
Konrad Witz. Der Heilspiegelaltar, Stg 1969; Otto: Rez. von »Romanische Plastik«, in:
Präfiguration und Wesenheit im Kunstwerk, Pantheon, 16, 1943, 6, S. 148; Formositas Ro-
in: Actes du VIe Congrès International d’ manica. Beiträge zur Erforschung der roma-
Esthétique Uppsala 1968, Uppsala 1977, 29– nischen Kunst J.G. zugeeignet, Frauenfeld
36; Zur Frage der Vollendung in der Kunst, in: 1958; Nicodemi, Giorgio: Rez. von »Schick-
ZfÄaK, 29, 1974, 57–62; Goya. Der Künstler sale des Menschenbildes«, in: L’Arte, 58, 1958,
und seine Welt, Bln 1974; Der Unterricht in 399–400; Clasen, Karl-Heinz: dass., in: Eras-
Kunstgeschichte an der Universität Basel mus, 13, 1960, 741–745; Barash, Moshe: G.s
1844–1938, in: Kunstwissenschaft an Schwei- Theory of Prefiguration, in: BJAe, 3, 1963,
zer Hochschulen, 1, Zü 1976, 9–25; Bemer- 148–156; Lützeler, Heinrich: Vom Werden des
kungen zum Begriff des Pluralismus bei Or- Kunstwerkes. Zur Kunsttheorie J.G.s, in:
tega y Gasset, in: FS J.A. Schmoll gen. Eisen- ZfÄaK, 11, 1966, 87–108; Zeitler, Rudolf: Pre-
werth, Mü 1977, 119–122; Das Bild des figuration. J.G.s konstteori, in: Ktid, 49, 1980,
Herzens. Über Vollendung und Unvollen- 132–134; Held, Jutta: Rez. von »Goya. Der
dung in der Kunst, Bln 1979; Heinrich Wölff- Künstler und seine Welt«, in: ZfÄaK, 27, 1982,
lin. Autobiographie, Tagebücher und Briefe 26–29; Braunfels, Sigrid: Rez. von »Das Bild
1864–1945, Basel 1982 (Hrsg.) des Herzens«, in: ZfÄaK, 29, 1984, 233–239;
Literatur: Kautzsch, Rudolf: Rez. von Sitt 1990, 133–166
»Kunstgeschichte der Schweiz«, Bd. 1, in: PB

Gerson, Horst (Karl)


Geb. 2. 3. 1907 in Berlin; gest. 10. 6. 1978 in Groningen (Niederlande)

Durch den Weggang G.s aus Deutschland – als einer von vielen wegen rassistischer
Diskrimierung – verlor die deutschsprachige Kunstgeschichtsschreibung ihren bril-
lantesten Nachwuchsforscher auf einem ihrer Paradegebiete, der holländischen und
flämischen Malereigeschichte. Nach der Doktorarbeit (1936) und dem ersten gro-
ßen Buch über die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts und ihren internatio-
nalen Einfluß (1942), die beide noch in der Muttersprache abgefaßt waren, bediente
sich G. fast ausschließlich des Holländischen und Englischen. Seine Veröffentlichun-
gen umfassen die Malerei von den Brüdern van Eyck bis zu Vincent van Gogh;
disziplinhistorische Bedeutung erlangte aber vor allem sein Beitrag zur Erforschung
des Rembrandtschen Gemälde-Œuvres, zu dessen besten Kennern er neben
 Bode,Valentiner, Hofstede de Groot, Bredius,  Jakob Rosenberg und  Bauch
gehörte. Wenn es für die Kunstgeschichtsschreibung überhaupt festen Grund gab,
dann war es für G. die auf formaler Analyse und historischen Quellen basierende
Kennerschaft: »Sprechen ist Silber, aber Sehen ist Gold.« Sein fundamentaler er-
kenntnistheoretischer Skeptizismus ließ eine Annäherung an andere Methoden wie
die kultur- oder geistesgeschichtlich orientierte Kunstgeschichte und die Ikonolo-
gie kaum zu, was ihn nicht hinderte, die Diskussion darüber aufmerksam zu verfol-
gen. Die Kunstgeschichte betrachtete G. als einen niemals aufhörenden Dialog, aus
dem keine Gewißheit zu gewinnen sei; das Bild, das sich jedes Zeitalter von Rem-
brandt mache, könne nur begrenzt und parteilich sein. Diese überwache Bewußt-
heit der Subjektivität und Historizität des Tuns des Kunsthistorikers verlieh G.s
Rembrandt-Bild selbst etwas barock Bewegtes.
Gerson 117

Das in Wien begonnene, aber bereits nach wenigen Monaten aus Geldmangel
abgebrochene Studium setzte G. in Berlin fort. Durch Vermittlung seines dortigen
Lehrers  Kauffmann kam er 1928 nach Den Haag und assistierte – wie schon
vorher  Stechow, Bauch, Kauffmann und andere – Cornelis Hofstede de Groot
bei dessen zehnbändigem kritischen Verzeichnis der holländischen Maler des 17.
Jahrhunderts (1907–28). 1930 setzte G. sein Studium in Göttingen fort, wo ihn
 Graf Vitzthum, Stechow und  Pevsner für sich einnahmen, wohl auch in welt-
anschaulichen und gesellschaftlichen Fragen. Von Einfluß auf ihn war auch der
phänomenologische Philosoph Moritz Geiger, der von 1923 bis zu seiner Emigra-
tion 1933 in Göttingen lehrte und seine »gegenstandsorientierte« Ästhetik als eine
Methode postulierte, die »weder aus einem obersten Prinzip heraus ihre Gesetzmä-
ßigkeiten gewinnt, noch durch die induktive Häufung einzelner Beispiele, sondern
dadurch, daß sie am einzelnen Beispiel das allgemeine Wesen, die allgemeinen Ge-
setzmäßigkeiten erschaut« (Zugänge zur Ästhetik, 1928). Zur niederländischen Kunst-
geschichte kam G. nicht zuletzt durch Hofstede de Groot; dem Autor des 1928 im
 Thieme-Becker-Künstlerlexikon erschienenen Textes über Philips Koninck ver-
dankte G. auch das Thema seiner Dissertation und großzügige Unterstützung durch
Überlassung der Aufzeichnungen und Photographien. In den Mittelpunkt seiner
Arbeit, die Stechow betreute, stellte G. die von ihm bewunderten panoramahaften
Landschaftsgemälde Konincks. Darüber hinaus versuchte er als erster, das gesamte
Œuvre zu definieren und der holländischen Stilentwicklung des 17. Jahrhunderts
einzuordnen. Für seine weiteren Forschungen belangvoll wurde auch die Erörte-
rung des Verhältnisses von Konincks Frühwerk zu Rembrandt.
1935 wurde G. in das Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie berufen,
das als staatliche Institution 1932 aus dem Privatarchiv Hofstede de Groots hervor-
gegangen war; 1954–66 stand er diesem Bildarchiv, das heute zu den weltweit größ-
ten gehört, als Direktor vor. Unter den Veröffentlichungen dieser Zeitspanne, dar-
unter zahllose Beiträge für den »Thieme-Becker«, die Encyclopaedia Britannica, die
italienische und amerikanische Kunstenzyklopädie und Kindlers Malerei-Lexikon,
eine große Geschichte der holländischen Malerei (1951–61), eine belgische Kunst-
und Architekturgeschichte in der Pelican History of Art (1960) und ein Bestandskata-
log für das Fitzwilliam Museum in Cambridge (1960), fand nicht zuletzt die weit-
ausgreifende Untersuchung über die Ausbreitung und Nachwirkung der holländischen
Malerei des 17. Jahrhunderts große Beachtung. Vergleichbar der Histoire de l’expansion
de l’art français (1924–33) von Louis Réau umfaßte sie, beginnend mit dem benach-
barten Flandern, ganz Europa, Asien, Afrika und Amerika. Bemerkenswert ist, daß
G. dem Zeitgeist widerstand und sich nicht mit der Erörterung völkerpsychologi-
scher und kunstgeographischer Fragen belastete; er ging der »holländischen Schu-
lung« der Künstler in aller Welt nur insoweit nach, als sie in der Kunstgeschichte des
entsprechenden Landes ein »stilbildender Faktor« war, und begnügte sich mit der
Beschreibung der Stilentwicklung.
1966 wurde G. auf den Lehrstuhl in Groningen berufen, den er bis 1975 inne-
hatte. Anläßlich des 300. Todestages von Rembrandt gab er 1969 das 1935 zum er-
stenmal erschienene Verzeichnis der Gemälde des Künstlers von Abraham Bredius
in einer Neuauflage heraus. G. tastete den Charakter des damals schon klassischen
118 Gerson

Werkes nicht an; er behielt die vollständige Bebilderung und die alte Numerierung
bei. Von den 630 Gemälden erschienen ihm jedoch nur noch etwa zwei Drittel als
von Rembrandts Hand. Diese radikale Reduktion ging manchen Fachleuten noch
nicht weit genug, andere wiederum kritisierten sie als »bilderstürmerisch« und als
»dogmatischen Skeptizismus«. Seinen bedeutendsten Beitrag zur Rembrandt-Eh-
rung leistete G. mit einem üppigen Band über die Gemälde, der auf bewegende
Weise einer rätselhaften Bildwelt habhaft zu werden versuchte (Rembrandt. Paintings,
1968).
Im Ruhestand plante G. eine Umarbeitung seiner Wirkungsgeschichte der hol-
ländischen Malerei von 1942 zu einem auch für den Laien lesbaren Buch. G. sah in
ihm eine Art Pendant zu Johan Huizinga (1872–1945) und dessen Konzept von
holländischer Kulturgeschichte (1932). Mit Huizinga, der 1905–15 in Groningen
mittelalterliche und moderne Geschichte gelehrt hatte, teilte er die Auffassung, daß
die Vergangenheit nur verstanden werden kann, wenn man sich ihr in ihren indivi-
duellen Erscheinungen empirisch nähert. Huizingas Vorstellung von der Kunstge-
schichte als Teil einer allgemeinen Kulturgeschichte lehnte er jedoch ab: »Die
Kunstgeschichte muß ihren eigenen Weg gehen, ihre eigene Wissenschaftstheorie
begründen. Sie darf sich nicht begnügen mit dem Platz und dem Raum, den die
Kulturgeschichte ihr zugewiesen hat.«

Werke: Philips Koninck. Ein Beitrag zur Er- OH, 73, 1958, 183–186; Art and Architecture
forschung der holländischen Malerei des 17. in Belgium 1600 to 1800, Harmondsworth
Jh.s, Bln 1936; E.A. van Beresteyn. Genealo- 1960 (mit Engelbert H. ter Kuile); Fitzwil-
gie van het Geslacht Beresteyn, ’s-Gravenhage liam Museum. Catalogue of Paintings, Bd. 1,
1941; Ausbreitung und Nachwirkung der Dutch and Flemish, Cam 1960, 1–147 (mit J.
holländischen Malerei des 17. Jh.s, Haarlem W. Goodison); Seven Letters by Rembrandt,
1942; Die systematische Ordnung niederlän- The Hague 1961 (mit J.H. van Eeghan); Le-
discher Zeichnungen, in: FS Max J. Friedlän- ben und Kunst des Vincent van Gogh, in:
der, ’s-Gravenhage 1942, 70–75; Rez. von Fritz Erpel, Die Selbstbildnisse Vincent van
Kurt Erich Simon, Jacob van Ruisdael (1930), Goghs, Bln 1964, 5–8; Frits Lugt als Boeken-
in: BM, 65, 1943, 76–80; De Meester P.N., in: verzamelaar en Schrijver, in: Frits Lugt. Zijn
NKJb, 1947, 95–101; Een Hobbema van 1665, levenen zijn verzamelingen 1949–64, ’s-Gra-
in: KMRB, 2, 1947, 43–47; Overzicht van de venhage 1964, 33–39; Italy through Dutch
Literatur betreffende Nederlandsche Kunst. Eyes, in: ArtQu, 27, 1964, 342–353; Jacob van
Duitschland, in: OH, 62, 1947, 213–216; 63, Ruisdael, Mailand 1966; Das Jahrhundert von
1948, 128–144; 64, 1949, 199–218; Eugène Rubens. Ausstellung in Brüssel 1965, in:
Fromentin, The Masters of Past Time, Dutch KChr, 19, 1966, 58–64; De Taal von de Kunst-
and Flemish Painting from Van Eyck to Rem- historicus, Groningen 1966; Rembrandt.
brandt, Lo 1948 (Hrsg.); Landschappen van Paintings, Amsterdam/NY 1968; Rez. von
Jan Steen, in: KMRB, 3, 1948, 50–56; Jacob Kurt Bauch, Rembrandt. Gemälde (1966), in:
Burckhardt, Recollections of Rubens, Lo GBA, 110, 1968, 207–208; Rembrandt. The
1950 (Hrsg.); De Nederlandse Schilderkunst, Complete Edition of the Paintings by A. Bre-
3 Bde., Amsterdam 1951–61 (1962 in einem dius, Lo 1969 (Hrsg.); Rembrandt en de
Bd.); Die Ausstellung »Caravaggio und die Schilderkunst in Haarlem, in: Miscellanea Jo-
Niederlande«, in: KChr, 5, 1952, 287–293; han Quirin van Regteren Altena, Amsterdam
Cornelis Vermeulen (1732–1813), in: KMRB, 1969, 138–142; Rembrandt. Oratio pro Domo,
9, 1954, 247–250; Rembrandt in Poland, in: in: GBA, 113, 1971, 193–200; Rembrandt. La
BM, 98, 1956, 280–283; Probleme der Rem- Ronde de Nuit, Fribourg 1973; Huizinga
brandt-Schule, in: KChr, 10, 1957, 121–124; und die Kunstgeschichte, in: Bijdragen en
Max J. Friedländers »Holländische Jahre«, in: mededelingen betreffende de geschiedenis
Gerson 119

der Nederlanden, 88, 1973, 348–364; Wolfgang 1978, 756–759; Anonym: In memoriam H.G.,
Stechow, in: KChr, 28, 1975, 216–222; Nach- in: OH, 92, 1978, 225–226; Vries, Lykle de:
wort zu Johan Huizinga, Holländische Kultur H.K.G., in: Jaarboek van de Maatschappij der
im 17. Jh., Frf 1977; An Unknown Evangelist Nederlandse Letterkunde te Leiden, 1978/79,
Series by Terbrugghen, in: BM, 120, 1978, 49–57; Gelder, Jan Gerrit van u. a.: Redes uit-
754–756 gesproken bij de herdenking van H.G., Gro-
Literatur: Nederlands Kunsthistorisch Jaar- ningen 1981; Warnke, Martin: Laudando
boek, 23, 1972 (FS H.G. zum 65. Geburtstag); praecipere. Der Medici-Zyklus des P.P. Ru-
Boon, Karel G.: Herdenking van H.K.G., in: bens. Vortrag zur Erinnerung an H.G. (1907–
Jaarboek der Koninklijke Nederlandse Aka- 78), Groningen 1993; Wendland 1999, 190–
demie van Wetenschappen, 1978, 163–172; 194
Gelder, Jan Gerrit van: H.G., in: BM, 120, PB

Gerstenberg, Kurt
Geb. 23. 7. 1886 in Chemnitz; gest. 2. 11. 1968 in Würzburg

Die Themen von G.s Schriften lassen sich bis auf wenige Ausnahmen zwei kunst-
geschichtlichen Epochen zuordnen, die gegensätzlicher nicht sein können: Spätgo-
tik und Klassizismus. Gedanklich vermittelt werden sie durch die in der deutschen
Kunstwissenschaft zu Anfang des 20. Jahrhunderts weitverbreitete Vorstellung von
der Kunstgeschichte als einem zwischen zwei Polen ablaufenden Prozeß ( Riegls
Optisch-Haptisch-,  Dvoáks Idealismus-Realismus- oder  Panofskys Fülle-
Form-Antithetik). Für G. bewegte sich die europäische Kunstgeschichte seit dem
Mittelalter in einem Spannungsfeld, das von der über die Jahrhunderte fortwirken-
den Antike und der Gotik als historischen Objektivationen zweier Grundhaltungen
bestimmt wurde. Auch die Geburt der Kunstgeschichte als Wissenschaft stand, wie
er 1928 in einem Vortrag zum 100. Geburtstag des Deutschen Archäologischen In-
stituts in Rom darlegte, im Zeichen der »Vermählung« dieser beiden geistigen
Mächte; durch  Winckelmann, der »selber im Innersten des Tempels seine Fackel
[entzündete]«, habe sich »deutscher Geist« mit »antiker Form« verbunden.
G. studierte bei  Wölfflin in Berlin und ging 1912 als sein Assistent mit ihm
nach München. Im selben Jahr machte er mit einer Dissertation (Deutsche Sondergo-
tik) auf sich aufmerksam, die  Kuglers und  Dehios »naturgeschichtliche« Be-
trachtung der deutschen Architekturgeschichte zwischen 1350 und 1550 und deren
negative Bewertung als »Verfall« überwinden wollte und von einem eigenständigen,
in der Hallenkirche seinen exemplarischen Ausdruck findenden Baustil sprach, »der
sich von der französisch-gotischen Tradition losgelöst hat und sich gegenüber dem
in akademischer Starrheit befangenen 14. Jahrhundert hauptsächlich im 15. Jahr-
hundert unter Vorwalten des spezifisch germanischen Formgefühls ausbildet«. Wie
Wölfflin forderte G. eine Fundierung der Kunstgeschichtsschreibung durch eine
exakte Psychologie und begriff die Geschichte der Architektur als gesetzmäßige
Folge von optischen Anschauungsformen, die jedoch einen »Ausdrucksgehalt« be-
säßen, in dem sich Völker und Rassen artikulierten. So habe die »französische Rasse«
die gotischen Formen geschaffen und die »deutsche Rasse« sie in der Spätgotik zu
etwas Eigenständigem umgebildet. In seiner Antwort auf Émile Mâles Diffamierung
120 Gerstenberg

der deutschen Kunst als bloße Nachahmung, die G. als Soldat an der Westfront
(1915–18) abfaßte, äußerte er die einem verbreiteten Denkklischee entsprechende
Ansicht, daß die französische und die deutsche Kunst zwei wesensverschiedene, die
Kunstgeschichte als konstante Faktoren begleitende Typen repräsentieren. Im Un-
terschied zur »rationalen« romanischen Kunst sei die der germanischen Völker »ir-
rational« und »stimmungsmäßig«. Seit den 1920er Jahren widmete sich G. auch der
spätgotischen Plastik und leistete den wohl wichtigsten Beitrag zur sogenannten
Multscher-Frage (Hans Multscher, 1928); es folgten Arbeiten über Konrad von Ein-
beck und Riemenschneider (1929, 1934, 1941).
In seiner von  Waetzoldt in Halle betreuten Habilitationsschrift über Claude
Lorrain von 1919 und der Wölfflin gewidmeten Monographie über die ideale Land-
schaftsmalerei von 1923 kam schließlich die »klassische« Kunst zur Sprache. G. lag
vor allem daran, eine Typologie der idealen Landschaft zu entwickeln und deren
einzelne Erscheinungsweisen – die idyllisch-arkadische, die heroische und die natu-
ralistische Landschaft – auf »verschiedene seelische Grundeinstellungen«, auf »Welt-
anschauungstypen« zurückzuführen. G. sah in der Zuordnung von »Erlebnisarten«
und »Gestaltungstypen«, mit der er in jenen Jahren nicht allein stand (erinnert sei
an die vielgelesene Schrift Die Weltanschauung der Malerei, 1908, des von Diltheys
Lebensphilosophie ausgehenden Pädagogen Herman Nohl), eine der Hauptaufga-
ben der Kunstwissenschaft. In diesen Zusammenhang gehören auch G.s zahlreiche
Veröffentlichungen seit Beginn der 1920er Jahre zu den Deutsch-Römern, zu
Mengs und Winckelmann, zu  Goethe, den Lukasbrüdern, Feuerbach und zu
Böcklin (Die großen Deutsch-Römer und der Geist der Antike, 1954).
Gleichsam den Fluß der Geschichte durch »Konstanten« zu brechen und zu zei-
gen, daß es neben den sich ablösenden »Zeitstilen« auch an einen Ort gebundene,
quasi unwandelbare »Raumstile« gab, war eine der Grundannahmen der sogenann-
ten Kunstgeographie der 1920er und 1930er Jahre, zu deren Vertretern G. neben
 Strzygowski, Kingsley Porter,  Grisebach,  Stange und Paul Pieper (Kunstgeo-
graphie. Versuch einer Grundlegung, 1936) gehörte; der Stockholmer Kongreß 1933
befaßte sich ausführlich mit dieser Thematik. Anknüpfend an die Anthropogeogra-
phie (Friedrich Ratzel, Hugo Hassinger) behauptete G., daß »die physikalische
Gliederung der vielarmigen Gestalt Europas von Bedeutung gewesen ist auch für
die Kunst, die dort erwuchs«. Er unterschied fünf »Zonen gemeinsamer Optik« in
Europa, denen er, unabhängig von den dort lebenden Völkern, einen bestimmten
gleichbleibenden Kunstcharakter zuschrieb. Aber so wie die Kunstgeographie im
ganzen disparat und in Ansätzen stecken blieb, mangelte es trotz interessanter Ein-
zelbeobachtungen auch G.s Beitrag an innerer Geschlossenheit.
Mehr als 20 Jahre wirkte G. an der Universität Halle, seit 1919 als Privatdozent,
seit 1924 als a.o. und 1937–45 als o. Professor. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er
nach Westdeutschland und beendete 1954 seine akademische Laufbahn als Ordina-
rius in Würzburg. Unter seinen späten Arbeiten ragt die durch den Krieg verzögerte
Monographie über Velázquez hervor – seine erste Spanienreise, der 1953/54 weitere
folgten, hatte G. 1930 unternommen –, welche nach  Carl Justis und  Mayers
Büchern als bis dahin wichtigster deutschsprachiger Beitrag zur Velázquez-For-
schung galt. Anders als Justi, der Velázquez in einen kulturellen Kontext stellte,
Gerstenberg 121

wollte G. vor allem die Werke als Repräsentationen eines sich kraft innerer Not-
wendigkeit entfaltenden künstlerischen Bewußtseins interpretieren. Velázquez war
für ihn der Lichtmaler par excellence, der in seinem Spätwerk »ganz neue Begriffe
vom Wesen und der Funktion der Farbe« entwickelt habe. Das Buch über den
spanischen Barockmaler steht in G.s Werk nur scheinbar isoliert, denn Velázquez
besaß »rein ursprüngliche Naivität. Seine Malerei war ebensowenig gefühlsbetont
wie die Natur und gerade darin war, so merkwürdig es klingen mag, sein künstle-
risches Denken der Antike verwandt«.

Werke: Dürer in Arco, in: MfKw, 3, 1910, ebd., 2, 1933, 77–88; Riemenschneider und
434–435; Dürers Hand, in: ebd., 5, 1912, 524– der niederländische Realismus, in: ZDVKw,
526; Deutsche Sondergotik. Eine Untersu- 34, 1934, 37–48; Die Wandgemälde der deut-
chung über das Wesen der deutschen Bau- schen Romantiker im Casino Massimo zu
kunst im späten Mittelalter, Mü 1913; Ant- Rom, Bln 1934 (mit P.O. Rave); Über ein
wort auf Émile Mâle, in: Otto Grautoff verschollenes Gemälde von Ouwater, in:
(Hrsg.), Émile Mâle. Studien über die deut- ZfKg, 5, 1936, 133–138; Ein Altar von Baburen
sche Kunst. Mit Entgegnungen von Paul Cle- in Bamberg, in: ebd., 6, 1937, 147–170; Gio-
men, K.G., Adolf Götze, Cornelius Gurlitt, vanni Pietro Bellori. Die Idee des Malers,
Arthur Haseloff, Rudolf Kautzsch, Heinrich Bildhauers und Baumeisters erlesen aus na-
Alfred Schmid, Josef Strzygowski, Geza türlicher Schönheit doch der Natur überle-
Supka, Oskar Wulff, Lpz 1917, 68–69; Alfred gen, Bln 1939; Tilman Riemenschneider,
Rethel. Der Künstler und Mensch, Mü 1917; Wien 1941; Die italienische Landschaftskunst
Claude Lorrain und die Typen der idealen der Renaissance, in: Ktw, 3, 1949, 39–47;
Landschaftsmalerei, HaS 1919; Ideen zu einer Claude Lorrain, BB 1952; Die naturwissen-
Kunstgeographie Europas, Lpz 1922; Goethe schaftliche Richtung in der deutschen Blu-
und die italienische Landschaft, in: DVjS, 1, menmalerei des 18. Jh.s, in: ZfKw, 7, 1953,
1923, 636–664; Kunstgeschichtliche Literatur 85–94; Die großen Deutschrömer und der
über Klassizismus und Romantik in Deutsch- Geist der Antike, Offenbach/Main 1954;
land, in: ebd., 2 1924, 646–664; Beiträge zur Diego Velázquez, Mü 1957; J.v. Sandrart –
Claude Lorrain-Forschung, in: JbKw, 1923, Deutscher und Europäer, in: Mitt. d.Vereins f.
283–287; Gaspar Dughet gen. Poussin 1613– Geschichte d. Stadt Nürnberg, 50, 1960, 352–
75, in: ebd., 193–202; Die ideale Landschafts- 373; Die deutschen Baumeisterbildnisse des
malerei, ihre Begründung und Vollendung in Mittelalters, Bln 1960; Italienische Dichtun-
Rom, HaS 1923; Anselm Feuerbach. Aus un- gen und Wandgemälde deutscher Romanti-
bekannten Skizzenbüchern der Jugend, Mü ker in Rom, Mü 1961; Schwankende Waage.
1925; Das Ulmer Münster, Burg b. Magde- Gefängniserinnerungen aus dem Herbst 1944
burg 1926; C.G. Carus. Neun Briefe über aufgeschrieben 1945, Mü 1964
Landschaftsmalerei. Geschrieben in den Jah- Literatur: Marholz, Kurt: Prof. G. zum 70.
ren 1815–24. Zuvor ein Brief von Goethe als Geburtstag, in: Hallesches Monatsheft, 3, 1956,
Einleitung, Dr 1927 (Hrsg.); Die St. Lorenz- 275–280; Bibliographie K.G. Verzeichnis der
Kirche in Nürnberg, Burg b. Magdeburg bis zum 1. 6. 1961 erschienenen Schriften,
1928; Hans Multscher, Lpz 1928; Konrad von Mü 1961; Baxandall, Michael: Rez. von »Die
Einbeck, HaS 1929; J.J. Winckelmann und A. deutschen Baumeisterbildnisse des deutschen
R. Mengs; HaS 1929; Ein Frauenbildnis des Mittelalters«, in: BM, 109, 1967, 40–41; Mö-
Hausbuchmeisters, in: RfKw, 52, 1931, 65–69; bius, Friedrich: dass., in: BK, 1968, S. 387;
Schnitzaltäre aus der Zeit Kardinal Albrechts Frings, Marcus: K.G. und die deutschen Bau-
in der Umgebung Halles, in: Jb. d. Denkmal- meisterbildnisse, in: Wolfgang Schenkluhn
pflege in d. Prov. Sachsen u. in Anhalt, 1932, (Hrsg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der
5–34; Rubens im Kreise seiner römischen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
Gefährten, in: ZfKg, 1, 1932, 99–109; Die HaS 2004, 117–128
künstlerischen Anfänge des A.R. Mengs, in: PB
122 Giedion

Giedion, Sigfried
Geb. 14. 4. 1888 in Prag; gest. 10. 4. 1968 in Zürich

Die architekturhistorische Legitimation des rationalen, konstruktivistischen Neuen


Bauens im 20. Jahrhundert war die Pionierleistung G.s, der sich außerdem durch
praktisches und organisatorisches Wirken in den Dienst einer modernen Architek-
tur und Umweltgestaltung stellte. Er stammte aus einer schweizerisch-jüdischen
Industriellenfamilie, studierte zunächst Maschinenbau in Wien und Zürich und
dichtete expressionistisch. Sein Schauspiel Arbeit, das von einem Architekten han-
delt, wurde 1918 von Max Reinhardt in Berlin inszeniert. Dann wandte sich G. bei
 Wölfflin und dem Privatdozenten  Frankl in München der Kunstgeschichte
zu. Mit Carola Welcker, seiner späteren Frau, Hans Curjel, Franz Roh und anderen
Studenten begeisterte er sich 1918/19 für Revolution und Räterepublik. In seiner
Dissertation Spätbarocker und romantischer Klassizismus (1922) schlug er neue Stilbe-
zeichnungen vor, die aber wenig Anklang fanden. Schon hier verriet sich G.s Ein-
stellung, Kunstgeschichte ausdrücklich unter dem Blickwinkel gegenwärtiger
künstlerischer und kultureller Bestrebungen zu behandeln und dazu auch mit Ge-
genüberstellungen, besonders von Abbildungen, polarisierend-vereinfachend über-
zeugen zu wollen. G. bekannte sich dazu, die entscheidenden Impulse, besonders zu
einer neuen Raumauffassung, von zeitgenössischen Kunst- und Bauwerken emp-
fangen zu haben. Der Bauhausausstellung 1923 in Weimar galt sein erster architek-
turkritischer Artikel, der einen Streit mit traditionalistischen Schweizer Architekten
auslöste. 1925 folgte die Begegnung mit Le Corbusier und dessen Vorstellungen von
neuer Architektur. Folgerichtig untersuchte G. am Beispiel Frankreichs die Entste-
hung des Bauens mit Eisen und Beton seit dem 19. Jahrhundert. Ab 1927 war er
Architektur-Redakteur der Zeitschrift Cicerone, schrieb bald auch für die Pariser
Cahiers d’Art. Ihm lag ein funktionaler und preiswerter Wohnungsbau besonders am
Herzen. Dazu beteiligte er sich auch entwerfend, finanziell und publizistisch an der
Möbel- und Lampenindustrie, an der Wohnbedarf-AG Zürich und beim Bau von
Mehrfamilienhäusern in Zürich-Doldertal (1936).Vor allem diente er 1928–56 dem
von ihm mit Corbusier und anderen Architekten gegründeten Internationalen
Kongreß für Neues Bauen (CIAM) als unbezahlter Generalsekretär. 1931 reiste er
nach Moskau, wo CIAM 1933 tagen sollte. Der Wettbewerb zum Sowjetpalast von
1932 führte jedoch zum Bruch mit der stalinistischen Sowjetunion, und CIAM
verfaßte 1933 die Charta von Athen, die Programmschrift der modernen Architektur
und Urbanistik während der folgenden Jahrzehnte. Walter Gropius, der Begründer
des Bauhauses, holte den 50jährigen G. 1938/39 an die Harvard-Universität zu
Vorlesungen, auf deren Grundlage 1941 Space, Time, and Architecture erschien (dt.
1965). In sechzehn amerikanischen Auflagen und acht Übersetzungen wurde es zu
»einem der wichtigsten Lehrbücher der zeitgenössischen Architektur« (Vittorio M.
Lampugnani, AKat. Das Abenteuer der Ideen, Berlin 1984).
Als zweites Hauptwerk folgte 1948 Mechanization Takes Command (dt. 1982), dem
sich noch einige weit in die Vergangenheit zurückgreifende historisch-theoretische
Problemstudien anschlossen. 1948–58 lehrte G. als Privatdozent an der Eidgenössi-
schen Technischen Hochschule in Zürich; seine eigensinnigen funktionalistischen
Auffassungen trafen aber keineswegs auf allgemeine Zustimmung.
Giedion 123

G. entschied sich für eine eingreifende und parteilich auswählende Kunstge-


schichtsschreibung; er behandelte Kunst und Architektur als Erscheinungen, die in
einen übergreifenden Kultur- und Lebenszusammenhang eingebettet sind, und er
begriff und bejahte die Zeitgebundenheit jedes Blicks auf vergangene Kunst, noch
ehe die Rezeptionsästhetik dies zur allgemein akzeptierten Prämisse machte. Er
beschrieb die Kunstgeschichte »rückblickend-zukunftsgerichtet« (Georgiadis), weil
er sich »als Historiker mitverantwortlich für den Entwurf einer Lebensform der
Zukunft« fühlte, wie Stanislaus von Moos 1968 in einem Nachruf der Neuen Züri-
cher Zeitung schrieb. Sein erstes Buch begann G. 1928 mit dem Satz: »Auch der
Historiker steht in seiner Zeit, nicht über ihr«, und in Space, Time, and Architecture
betonte er ganz ähnlich wie 20 Jahre früher  Burger: »Der Blick zurück verwan-
delt sein Objekt; jeder Betrachter [...] verwandelt unvermeidlich [...] die Vergan-
genheit«, und zwar um Züge, die von früheren Blickpunkten aus noch nicht sicht-
bar waren.
G. erblickte im Rationalismus das Kunstwollen im Sinne  Riegls: die »tonan-
gebende Idee, welche die [seine eigene, d.Verf.] Zeit insgesamt charakterisiert« und
ließ andere Tendenzen wie den Expressionismus seiner meisten Generationsgefähr-
ten unberücksichtigt, was ihm berechtigte Kritik eintrug. Das Verhältnis von Körper
und Raum, das er anders als sein Lehrer Wölfflin auffaßte, und das Studium der
Bewegungen von Menschen und Dingen beschäftigten ihn besonders. Hierzu
suchte er die ganze Kunstgeschichte nach anthropologischen Konstanten und histo-
rischen Wandlungen, nach dem Verhältnis von »konstituierenden« und »transitori-
schen«, das heißt bloß modischen, Gestaltungsproblemen und -lösungen ab. Beson-
ders neuartig und erhellend war die zu Recht mit Walter Benjamins Vorgehen
verglichene Materialsammlung zu den verändernden Wirkungen der Mechanisie-
rung und Industrialisierung von Produktion, wobei er in knappen Textabschnitten
und mit Abbildungsvergleichen Beobachtungen an landwirtschaftlicher Arbeit oder
am Brotbacken ebenso wie an der Herstellung von Möbeln und anderen Ge-
brauchsgegenständen als Lehrbeispiele für historische Wandlungen – und Kontinui-
täten – von architektonischer wie bildkünstlerischer Gestaltung und ästhetischen
Grundeinstellungen heranzog.

Werke: Spätbarocker und romantischer Klas- tektur und das Phänomen des Wandels. Die
sizismus, Mü 1922; Bauhaus und Bauhauswo- drei Raumkonzeptionen in der Architektur,
che zu Weimar, in: Das Werk, 9, 1923, 232–234; Tü 1969; Wege in die Öffentlichkeit. Aufsätze
Bauen in Frankreich. Bauen in Eisen, Bauen und unveröffentlichte Schriften aus den Jah-
in Eisenbeton, Lpz/Bln 1928; Befreites Woh- ren 1926– 56, Zü 1987
nen, Zü/Lpz 1929; Walter Gropius, Pd 1931; Literatur: Rykwert, Joseph: S.G. and the
Space, Time, and Architecture. The Growth of Notion of Style, in: BM, 96, 1954, 123–124;
a New Tradition, Cam/MA 1941 (dt. 1965); Hommage à G. Profile seiner Persönlichkeit,
Mechanization Takes Command. A Contri- Basel/Stg 1971 (Bibliogr.); Suter, Ursula: G. –
bution to Anonymous History, NY 1948 (dt. umstritten und doch unumgänglich, in: ar-
1982); Walter Gropius, Mensch und Werk, chithese, 18, 1988, 5, 81–83; Shane, Grahame:
Teufen/Stg 1954; Architecture, You and Me. S.G. und der Mythos der Moderne, in: ebd.,
The Diary of a Development, Cam/MA 1956 6, 40–44 u. 74; AKat. S.G. Der Entwurf einer
(dt. 1956); Ewige Gegenwart. Die Anfänge modernen Tradition, Zü 1989; Georgiadis,
der Kunst, Köln 1964; Ewige Gegenwart. Die Sokratis: S.G. Eine intellektuelle Biographie,
Anfänge der Architektur, Köln 1965; Archi- Zü 1989; Curtis, Penelope: 1937 – Maillart, G.
124 Giedion

and the Reading of Time in Contemporary Avantgarde, in: ders., Die Hunde bellen, die
Sculpture, in: Sculpture Journal, 8, 2002, 54– Karawane zieht weiter, Zü 2006, 268–272
61; Vogt, Adolf Max: S.G., Inszenierung der PHF

Glaser, Curt
Geb. 29. 5. 1879 in Leipzig; gest. 23. 11. 1943 in Lake Placid/NY (USA)

Das Lebenswerk G.s vereint so vielfältige und weit auseinanderliegende Themenfel-


der wie die deutsche Kunst des Spätmittelalters, die Malerei und Graphik der Mo-
derne und nicht zuletzt die Kunst Ostasiens. Zusammen mit  Diez und Ernst
Grosse gebührt ihm das Verdienst, die theoretischen Grundlagen einer eigenständi-
gen ostasiatischen Kunstgeschichte geschaffen und ihr in Deutschland den Weg
geebnet zu haben.
1897–1907 studierte G. zunächst Medizin, dann Kunstgeschichte in Freiburg
i.Br., München und Berlin. 1907 promovierte er bei  Wölfflin mit einer Arbeit
über Hans Holbein d.Ä., die den Beginn seiner Beschäftigung mit der Kunst des
späten Mittelalters markiert. Es schlossen sich Monographien über Lucas Cranach
d.Ä. (1921), Holbein d.J. (1924) und die Überblicksdarstellung Zwei Jahrhunderte
deutscher Malerei (1916) an, die in erweiterter Form unter dem Titel Die altdeutsche
Malerei 1924 noch einmal aufgelegt wurde. Mit der Wahl dieses Themas folgte G.
einem etwa mit dem Ersten Weltkrieg einsetzenden Trend in der deutschen Kunst-
geschichtsschreibung, die bisher bevorzugte italienische durch die nationale Kunst-
geschichte zu ersetzen. Methodisch grenzte sich G. ausdrücklich vom Positivismus
ab, namentlich von  Janitscheks Handbuch zur Geschichte der deutschen Malerei
(1890); nicht das gesamte erreichbare Wissen, sondern die großen Entwicklungsli-
nien sollten dargeboten und die stilprägenden Künstler charakterisiert werden. G.
behandelte die Zeit vom ausgehenden 14. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert als
einheitliche Stilphase, in der sich das »spezifisch Deutsche« für ihn deutlicher als
anderswo manifestierte.
Der Kunstkritiker G. äußerte sich vor allem in seinen zahlreichen Beiträgen für
Kunst und Künstler und den Berliner Börsen-Curier. Dieser Tätigkeit setzte das Jahr
1933 ein unfreiwilliges Ende. Einer der letzten Artikel galt dem noch wenige Tage
vor Hitlers Machtergreifung eröffneten Jüdischen Museum in Berlin, das für den
protestantisch getauften Juden G. bezeichnenderweise nur als ein »kultur- und reli-
gionshistorisches Museum« vorstellbar war; denn »auf der anderen Seite muß man
die Frage stellen, wohin es führt, wenn irgendein Stilleben oder eine Landschaft
eines deutschen Malers jüdischer Konfession hier unter dem Titel jüdischer Kunst
vorgeführt wird [...]. Eine jüdische Kunst gibt es außerhalb des Kultbereiches heute
so wenig, wie es eine katholische oder evangelische Kunst gibt«.
G. engagierte sich für die Moderne auch als Sammler, hatte jedoch bei weitem
nicht die Ambitionen eines  Meier-Graefe, sondern erwarb Kunst aus Liebhabe-
rei; besonders erfreute es ihn, Werke von zeitgenössischen Künstlern, über die er
arbeitete, zu besitzen. G. unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Ernst Ludwig
Kirchner und Max Beckmann, denen die G.sche Wohnung in Berlin ein beliebter
Glaser 125

Treffpunkt zum Meinungsaustausch mit Museumsleuten und Schriftstellern war. Er


selbst schätzte besonders die Arbeiten Edvard Munchs, der auch in seiner Samm-
lung am häufigsten vertreten war. G. hatte den Künstler zum erstenmal 1912 in
Köln anläßlich der Sonderbund-Ausstellung getroffen; seitdem stand er mit ihm in
regem Briefkontakt. Als 1913 in Berlin bei Paul Cassirer, Fritz Gurlitt und auf der
26. Sezessionsausstellung Graphiken und Gemälde Munchs zu sehen waren, veröf-
fentlichte er einen Aufsatz über das graphische Schaffen des Künstlers, mit dem er
sich gegen die damalige, stark von Wölfflin beeinflußte Kunstbetrachtung stellte.
Statt für stilkritische Analysen mit Hilfe »kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe«
plädierte G. für »intuitives Erfassen« und »unmittelbares Verstehen«, um dem »Aus-
druck des Seelischen« in Munchs Kunst gerecht zu werden. In seiner Munch-Bio-
graphie von 1918, der ersten in deutscher Sprache, suchte er den »Mut zur eigenen
Form« in detaillierten Bildbetrachtungen nachzuweisen.
Zum Verständnis der Kunstanschauung des Fernen Ostens, den er 1907/08 berei-
ste, trug G. vor allem durch seine Übersetzung der Sechs Prinzipien des Hsieh Ho,
eines chinesischen Malers und Kunsttheoretikers des 5./6. Jahrhunderts, bei, in de-
nen die früheste Formulierung ästhetischer Normen der chinesischen Malerei
überliefert ist. G.s Veröffentlichungen zum japanischen Holzschnitt, zum japani-
schen Theater oder zur ostasiatischen Plastik machten zahlreiche kaum zugängliche
Denkmäler fernöstlicher Kunst in Deutschland bekannt; sie legen noch heute be-
redtes Zeugnis von der Fähigkeit ihres Autors zum vorurteilslosen Sehen und Be-
urteilen außereuropäischer Kunst und Lebensart ab.
Während seiner Tätigkeit als Kustos am Berliner Kupferstichkabinett 1909–24
verfaßte G. ein Standardwerk zur europäischen Graphik (Die Graphik der Neuzeit
vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, 1922), die erste zusammenfassende
Darstellung ihrer Geschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart,
die aber insofern ein unvollständiges Bild entwarf, als G.s Aufmerksamkeit aus-
schließlich der eigenständigen künstlerischen Graphik von Goya bis Beckmann galt;
er ging weder auf die Reproduktionsgraphik noch auf technische Aspekte ein.
Seit 1924 leitete G. die Bibliothek der Berliner Museen. Ende 1933 verließ er
Deutschland und emigrierte nach Aufenthalten in der Schweiz, Frankreich und
Italien 1940 in die USA.
Werke: Hans Holbein d.Ä., Lpz 1908; Aus- ebd., 49 (25), 1914, 61–66; Chinesische Skulp-
stellung von Werken französischer Kunst des turen, in: KtKtler, 12, 1914, 235–236; Die Zer-
18. Jh.s in der Kgl. Akademie der Künste zu störung von Brüssel im Jahre 1695, in: ebd.,
Berlin, in: ZfbK, 45 (21), 1910, 129–138; Ed- 13, 1914/15, 234–236; Italienische Bildmotive
vard Munch als Graphiker, in: KtKtler, 11, in der altdeutschen Malerei, in: ZfbK, 49 (25),
1912/1913, 570–578; Von den Formen des ja- 1914, 145–158; August Gaul als Radierer, in:
panischen Schauspiels, in: Dt. Japan-Post, ZfbK, 50 (26), 1915, 168–169; Munch, in:
1912/1913, 229–231; Ausstellung alter ostasia- KtKtler, 15, 1916/17, 530–539; Gustave Doré,
tischer Kunst in der Kgl. Akademie der Kün- in: ebd., 16, 1917/18, 50–62; Zwei Jahrhun-
ste zu Berlin, in: Ostasiat. Ztschr., 2, 1912/13, derte deutscher Malerei, Mü 1916; Edvard
335–359; Die Kunst Ostasiens. Der Umkreis Munch, Bln 1918; Das neue Haus der Natio-
ihres Denkens und Gestaltens, Lpz 1913; Zu nalgalerie, in: ZfbK (Beilage), 54 (30), 1918/19,
Liebermanns graphischem Werk, in: ZfbK, 48 929–933; Edgar Degas als Graphiker, in: KtKt-
(24), 1913, 9–16; Edvard Munchs Wandge- ler, 18, 1919/1920, 520–528; Lucas Cranach,
mälde für die Universität in Kristiania, in: Lpz 1921;Vincent van Gogh, Lpz 1921; Degas
126 Glaser

als Bildhauer, in: KtKtler, 20, 1920/21, 123– öffentlichtes Manuskript im Leo Baeck Insti-
128; Edouard Manet 1832–1883. Faksimiles tute, NY)
nach Zeichnungen und Aquarellen, Mü 1922; Literatur: Baum, Julius: Rez. von »Hans
Die Graphik der Neuzeit vom Anfang des 19. Holbein« d.Ä., in: MfKw, 3, 1910, 33–35;
Jh.s bis zur Gegenwart, Bln 1922; Paul Cohn, William: Rez. von »Die Kunst Ostasi-
Cézanne, Lpz 1922; Gotische Holzschnitte, ens«, in: ebd., 7, 1914, 28–30; Haseloff, Arthur:
Bln 1923; Ernst Ludwig Kirchner, in: KtKtler, Rez. von »Zwei Jahrhunderte deutscher Ma-
22, 1923/24, 163–165; Die altdeutsche Male- lerei«, in: DLZ, 68, 1917, 1089–1091; Clemen,
rei, Mü 1924; Max Beckmann (mit Arthur Paul: Rez. von »Die altdeutsche Malerei«, in:
Haseloff, Julius Meier-Graefe,Wilhelm Fraen- JbKw, 1924/25, 161–162; Grisebach, August:
ger), Mü 1924; Hans Holbein d.J. Zeich- Rez. von »Hans Holbein d. J. Zeichnungen«,
nungen, Basel 1924; Der Buddhismus in in: ebd., 310–311; Scheffler, Karl: C.G. zu sei-
China, in: KtKtler, 23, 1924/25, 52–59; Toni nem 50. Geburtstag, in: KtKtler, 26, 1927/1928,
Straus-Negbaur. Frühe japanische Holz- 324–325; Anonyme Rez. von »Les Peintres
schnitte, Bln 1925; Ostasiatische Plastik, Bln Primitives Allemands du XIV Siècle à la Fin
1925; Otto Dix, in: KtKtler, 25, 1926/27, 130– du XV Siècle«, Paris 1931 (frz. Übersetzung
134; Die Geschichte der Berliner Secession, von »Zwei Jahrhunderte deutscher Malerei«),
in: ebd., 26, 1927/28, 14–20, 66–70; Die ost- in: Pantheon, 9, 1932, 143–144; Schmidt-Burk-
asiatische Kunst, in: Anton Springer, Hand- hardt, Astrit: C.G. Skizze eines Munch-
buch der Kunstgeschichte, Bd. 6, Lpz 1929, Sammlers, in: ZfKw, 42, 1988, 63–75; Walra-
3–228; Die van Gogh-Affäre, in: KtKtler, vens, Hartmut: C.G. (1879–1943). Zum Leben
28, 1929/30, 131–136, 206; Japanisches Thea- und Werk eines Berliner Museumsdirektors,
ter, Bln 1930 (Hrsg. mit Fritz Rumpf u. a.); in: JbPKB, 1989, 99–121; Walravens, Hartmut:
Junge Künstler, in: KtKtler, 29, 1930/31, 245– C.G. Ein vorläufiges Schriftenverzeichnis, in:
249; Tschi-Bai-Shi, in: ebd., 69–71; Amerika FS Werner Schochow, Mü 1990, 231–266;
baut auf!, Bln 1932; Für die Kunst!, in: KtKt- Wendland 1999, 197–200; Strobl, Andreas: C.
ler, 31, 1932, 101–105; Das neue jüdische G. Kunsthistoriker – Kunstkritiker – Samm-
Museum, in: Berliner Börsen Curier, 25. 1. ler. Eine deutsch-jüdische Biographie, Köln
1933, S. 2; Materialien zu einer Kunstge- 2006
schichte des Quattrocento in Italien (unver- CF

Goethe, Johann Wolfgang von


Geb. 28. 8. 1749 in Frankfurt/Main; gest. 22. 3. 1832 in Weimar

Keinem deutschsprachigen Dichter von Rang hat die bildende Kunst so viel be-
deutet wie G. Sein Leben lang war sie ihm Gegenstand des Forschens und Nach-
denkens, nicht zuletzt auch ein praktisches Metier. Noch 1786, auf dem Wege nach
Rom, konnte er sich eine Zukunft als Maler vorstellen. Seine künstlerische Bega-
bung, dazu eine starke Empfänglichkeit für Anschauliches, erklären, warum für G.
das individuelle, konkrete Kunstwerk stets obenan stand; aus seiner Deutung und
Bewertung ergaben sich, wenn überhaupt, erst die kunstgeschichtlichen Fragen.
Wie die akademische Kunsttheorie seit der Renaissance ging G. von einem an der
griechischen Antike gebildeten überzeitlichen Kunst-Ideal als dem zentralen Be-
zugspunkt für die Analyse und Bewertung von Kunstwerken aus. G. war außerdem
zu sehr schöpferischer Dichter und Künstler, um ein Kunst-Historiker wie sein
Intimus  Johann Heinrich Meyer sein zu können, dennoch hat er der wissen-
schaftlichen Beschäftigung mit der bildenden Kunst und der Kunstgeschichte im
engeren Sinne Impulse gegeben.
Unter dem Einfluß Herders entdeckte der junge G. als einer der ersten in
Goethe 127

Deutschland während seiner Straßburger Zeit 1770/71 die Architektur der Gotik, er
verstand sie als eine »charakteristische«, eine deutsche Nationalkunst. In Erwin von
Steinbach, dem legendären Erbauer des Münsters, verehrte er wie in Ossian, Shake-
speare, Rembrandt, Raffael, Rubens und Dürer die große Künstlerpersönlichkeit,
das »Originalgenie«, das unbelastet von Regeln Kunstwerke als subjektiven, natürli-
chen Lebensausdruck in die Welt setzt. Diese Begeisterung für die Gotik hatte in-
dessen nicht die Antike verdrängt. Sie war und blieb der Fixstern seines Kunstver-
ständnisses, vor allem seit er 1769 im berühmten Mannheimer Antikensaal zum
erstenmal mit den Hauptwerken der antiken Plastik, dem Apoll von Belvedere, dem
Laokoon, dem Torso vom Belvedere, in Gestalt von Gipsabgüssen in Berührung ge-
kommen war.
Die geschichtliche Seite der Kunst, ihre »Tradition«, wurde G. in Italien deutli-
cher. Er fand heraus, daß die Kunstwerke »nicht allein von verschiedenen Künstlern,
sondern aus verschiedenen Zeiten herrühren, und daß sämtliche Betrachtungen des
Ortes, des Zeitalters, des individuellen Verdienstes zugleich angestellt werden müs-
sen«. Allerdings war nach dem Vorbild  Winckelmanns eine historische Betrach-
tung der Kunst nur auf der Grundlage des »höchsten und genauesten Begriffs von
Kunst« denkbar, einer quasi aus dem »ewigen« Wesen der Kunst deduzierten, Re-
geln und Gesetzesaussagen enthaltenden Kunsttheorie und in Kenntnis der für die
gesamte Kunstgeschichte normativen Meisterwerke der Antike und der Renais-
sance. In den 1790er Jahren planten G. und Johann Heinrich Meyer nach dem
Vorbild von Winckelmanns Kunstgeschichte der Antike ein umfassendes Werk über
Italien und die Renaissance, in dessen Kontext G.s Übersetzung der Autobiographie
Cellinis gehört. Das ehrgeizige Projekt zerschlug sich. Für die Weimarer Kunst-
freunde, zu denen neben G. noch Meyer und Schiller gehörten, blieb die Theorie
weiterhin vorrangig (Über einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil; Einleitung zu
den Propyläen). Einen gewissen Schlußpunkt setzte unter diese Phase der Sammel-
band Winckelmann und sein Jahrhundert, ein Bekenntnis zur Antike und einer auto-
nomen, nur sich selbst verpflichteten Kunst; auch eine Kampfschrift gegen die
Romantik, allerdings ohne die offene Polemik, der sich später Meyer – in Überein-
stimmung mit G. – in seinem aus der Sicht der Romantiker berüchtigten Aufsatz
Neudeutsche religiös-patriotische Kunst (1817) bediente.
Besonders relevant für die Disziplingeschichte, für Theorie und Methode der
Werkanalyse, sind G.s Beschreibungen von Kunstwerken, des Laokoon, Leonardos
Abendmahl, Mantegnas Triumphzug des Julius Cäsar. Auch zur Künstlerbiographie
leistete er einen Beitrag, wofür seine Versuche über Cellini, Hackert und in gewisser
Weise auch Winckelmann stehen. G.s Äußerungen zur Kunstgeschichte finden sich
verstreut in seinem gesamten Werk. Nach den Sturm-und-Drang-Jahren mit ihrer
Begeisterung für das »Charakteristische« in der Kunst und der mit der italienischen
Reise einsetzenden Wendung zur klassischen Form fand im letzten Lebensdrittel
eine gewisse Harmonisierung statt. G. urteilte nun zurückhaltender über die Gotik,
doch mit gewachsener Sachkenntnis. Dies läßt sich auch von seinen Äußerungen
über Antike und Renaissance sagen. Die Überlegenheit der klassischen Kunst ver-
stand sich aber nun von selbst, der Wettstreit zwischen dem Norden und dem Süden
war entschieden. G. und auch Meyer betrachteten das Mittelalter weiterhin als ein
128 Goethe

dunkles Zeitalter, verweigerten ihm aber nicht mehr die wissenschaftliche Auf-
merksamkeit und die Erhaltung seiner Denkmäler. G. entwickelte nicht nur ein
lebhaftes Interesse für die vorraffaelische Kunst in Italien – Giotto entbehre zwar
des »guten Geschmacks«, aber in »kunsthistorischem Betracht« seien seine Werke »in
hohem Grade schätzbar« –, sondern auch für die früh- und hochmittelalterliche
deutsche Kunst.
Die Reisen der Jahre 1814/15 ins Rheinland erweiterten den kunsthistorischen
Gesichtskreis erheblich. Bei der Besichtigung der Kirchen Kölns empfand G. lebhaft
den Mangel einer Architekturgeschichte des Mittelalters, die diese Denkmäler in
eine entwicklungsgeschichtliche Beziehung setzen könnte. Auch angesichts der
überwältigenden Sammlung mittelalterlicher Malerei der Brüder  Boisserée in
Heidelberg fühlte er vor allem ein Bedürfnis nach historischer Erkenntnis. Der
»Bezug« der Werke »untereinander« erschien ihm wichtiger und ihnen angemesse-
ner als eine kunstkritische Bewertung, die nur hätte konstatieren können, daß trotz
beachtlicher Einzelleistungen das Mittelalter an die Idealität der Kunst der Antike
und der Renaissance nicht heranreichte. Diese Hierarchie wollte G. nicht angetastet
wissen, und so empfahl er, ein auch für ihn unstrittiges Meisterwerk wie Stephan
Lochners Altarbild im Kölner Dom »historisch-kritisch« zu betrachten, das heißt,
nicht überzubewerten und – dies an die Adresse der Romantiker – mit »Hymnen«
zu »umräuchern« (Kunst und Altertum am Rhein und Main). Ein letztes gewichtiges
Wort zur Kunstgeschichte galt der Landschaftsmalerei (1829). G. skizzierte hier in
der Tat »das zarte Umrißbild einer Geschichte der Landschaftskunst von Giotto bis
Hackert« (Waetzoldt).
Werke: G.s Werke (Weimarer Ausgabe), 133 cena, pittura in muro di Giotto, 1823; Die Ex-
Bde., Wei 1887–1919; G.s Briefwechsel mit ternsteine, 1824; Landschaftliche Malerei,
Heinrich Meyer, 4 Bde., Wei 1917–32; G. 1829
(Berliner Ausgabe), 22 Bde. u. Suppl.-Bd., Literatur: Linke, Oskar: Grundzüge einer
Bln 1965–1978; G.s Werke (Hamburger Aus- Kunstwissenschaft im Sinne G.s, HaS 1877;
gabe), 14 Bde., Hbg 1948–64 Harnack, Otto: G. und J. H. Meyer, in: PJbb,
Von deutscher Baukunst. D.M. Ervini a 1889, 529–543; Heusler, Andreas: G. und die
Steinbach, 1773; Nach Falconet und über italienische Kunst, Basel 1891; Volbehr,
Falconet, 1775; Einfache Nachahmung der Theodor: G. und die bildende Kunst, Lpz
Natur, Manier, Stil, 1789; Ältere Gemälde. 1895; Waetzoldt 1921, 138–144, 155–179; Mei-
Neuere Restaurationen in Venedig, betrachtet nert, Günther: G.s Beitrag zur Entstehung
1790; Baukunst, 1795; Über Laokoon, 1797; der Kunstwissenschaft, in: G., Viermonats-
Leben des Benvenuto Cellini, 1796/97; Pro- schrift der G.-Ges., 3, 1938, 194–207; Benz,
pyläen. Einleitung, 1798; Der Sammler und Richard: G. und die romantische Kunst, Mü
die Seinigen, 1798/99; Polygnots Gemälde an o.J. (1941); Grumach, Ernst (Hrsg.): G. und
der Lesche zu Delphi, 1803; Über Magdebur- die Antike, 2 Bde., Pd 1949; Einem, Herbert
ger Kunstsachen, 1805; Winckelmann und von: Beiträge zu G.s Kunstauffassung, Hbg
sein Jahrhundert, 1805; Philipp Hackert, 1811; 1956; Jolles, Matthijs: G.s Kunstanschauung,
Ruisdael als Dichter, 1813; Nachricht von alt- Bern 1957; Scheidig, Walther: G.s Preisaufga-
deutschen, in Leipzig entdeckten Kunstschät- ben für bildende Künstler 1799–1805, Wei
zen, 1815; Über Kunst und Altertum am 1958; Hempel, Eberhard: G. zur Aufgabe der
Rhein und Main, 1816; Joseph Bossi über Kunstgeschichte, Bln 1964; Holtzhauer, Hel-
Leonardo da Vincis »Abendmahl« zu Mailand, mut: Die Weimarischen Kunstfreunde, in: Jb-
1817/18; Antik und modern, 1818; Julius Cä- Goe, 1967, 1–26; Böschenstein, Bernhard:
sars Triumphzug, gemalt von Mantegna, Winckelmann, G. und Hölderlin als Deuter
1820–23; Von deutscher Baukunst, 1823; La antiker Plastik, in: Hölderlin-Jb., 1967/68,
Goethe 129

158–179; Einem, Herbert von: G.-Studien, G.-Society, 60, 1989–90 (1991), 1–19; Oster-
Mü 1972; Irmscher, Johannes: Antikebild und kamp, Ernst: Im Buchstabenbilde. Studien
Antikeverständnis in G.s Winckelmann- zum Verfahren G.scher Bildbeschreibungen,
Schrift, in: JbGoe, 1978, 85–11; Gage, John: G. Stg 1991; Hölter, Achim: G., Meyer und der
on Art, Lo 1980; Robson-Scott, William Kunsthistoriker J.D. Fiorillo, in: JbGoe, 1992,
Douglas: The Younger G. and the Visual Arts, 115–130; Jacobs, Angelika: G. und die Renais-
Cam/Lo 1981; Chapeaurouge, Donat de: G. sance, Mü 1997; Forssman, Erik: G. als Bio-
und der Bildgegenstand, in: Johann Heinrich graph und die Ursprünge der Kunstge-
Tischbein. G.s Maler und Freund, Neumün- schichte, in: Ktid, 68, 1999, 137–153; Busch,
ster 1986, 111–131; Van Selm, Jutta: Zwischen Werner: Begriffsbildung durch Anschauung
Bild und Text. G.s Werdegang zum Klassizis- und Praxis. G.s Umgang mit Kunst auf der
mus, NY/Bern/Frf 1986; Miller, Norbert: G.s italienischen Reise, in: Gilbert Lupfer (Hrsg.),
Begegnung mit Jakob Philipp Hackert. Der Bau + Kunst. FS Jürgen Pau, Dr 2000, 47–
Jahreszeiten-Zyklus des Malers und die 55; Thoenes, Christof: Incontro a Vicenza.
»Landschaft nach der Natur« als klassizisti- Sguardi su Palladio nel Viaggio in Italia di G.,
sches Programm, in: Die Vier Jahreszeiten im in: Guido Beltramini (Hrsg.), Studi in onore
18. Jh., Hei 1986, 185–224; Mattenklott, Gert: di Renato Cevese, Vicenza 2000, 459–471;
Mantegnas »Doppelleben« als Muster für G.s Forssman, Erik: Von deutscher Baukunst. G.
spätere Ästhetik, in: Paolo Chiarini (Hrsg.), und Schinkel, in: Reinhard Wegner (Hrsg.),
Bausteine zu einem neuen G., Frf 1987, 135– Deutsche Baukunst um 1800, Köln 2000, 7–
147; Busch, Werner: Die »große, simple Linie« 25; Klauß, Jochen: Der »Kunschtmeyer« J.
und die »allgemeine Harmonie« der Farben. H.Meyer. Freund und Orakel G.s, Wei 2001;
Zum Konflikt zwischen G.s Kunstbegriff, Wolf, Norbert Christian: Streitbare Ästhetik.
seiner Naturerfahrung und seiner künstleri- G.s kunst- und literaturtheoret. Schriften
schen Praxis auf der italienischen Reise, in: 1771–89, Tü 2001; Hellersberg, Hendrik: Er
JbGoe, 1988, 144–164; Fischer, Bernhard: gab mir einige Anleitung. O.B.Scamozzi und
Kunstautonomie und Ende der Ikonographie. G. Neue Aspekte zu G.s Palladio-Rezeption,
Zur historischen Problematik von »Allego- in: JbFDH, 2005, 37–55; Forssman, Erik: Ein-
rie« und »Symbol« in Winckelmann, Moritz’ fache Nachahmung der Natur, Manier, Stil.
und G.s Kunsttheorie, in: DVjS, 64, 1990, G.s kunstgeschichtliche Grundbegriffe, FrB
247–277; Gombrich, Ernst H.: G. and the His- 2005
tory of Art, in: Publications of the English PB

Goldschmidt, Adolph
Geb. 15. 1. 1863 in Hamburg; gest. 6. 1. 1944 in Basel

Wie kaum ein anderer Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts hat G. schulbildend
gewirkt und dadurch nachhaltig die Entwicklung des Faches beeinflußt. Zu seinen
Schülern, die über Deutschland und Europa hinaus vor allem in den USA eine
fruchtbare Tätigkeit entfalteten, gehörten später so namhafte Kunsthistoriker wie
 Adolf Behne, Max Deri, Alexander Dorner, Hermann Giesau,  Hans Jantzen,
 Erwin Panofsky,  Carl Georg Heise,  Kurt Weitzmann. Der Kreis der fast
ausschließlich männlichen Studenten, der sich um G. während dessen fast 30jähriger
Universitätslaufbahn bildete, scheint ein starkes Gruppenbewußtsein gepflegt zu
haben; man möchte fast von einer Jüngerschaft sprechen. G. war ohne Zweifel ein
pädagogisches Genie. Er vereinte souveräne Fachkompetenz und kristallene Klar-
heit des Denkens mit Fingerspitzengefühl und Engagement für seine Schüler. Die
monologische Vorlesung lag ihm weniger, er bevorzugte das Gespräch im Seminar.
Hier hatte der Student das Gefühl, daß er, wie  Waldmann bemerkt, »wirklich
130 Goldschmidt

Wissenschaft, historische Wissenschaft« betrieb, »daß man arbeitete« und sich nicht
einem weit verbreiteten »ästhetisierenden Kunstdilettantismus« hingab.
Mit G. kam ein kräftiger Schub naturwissenschaftlicher, empiristischer Gesin-
nung in die Kunstgeschichte, die sich, wie er sie verstand, auf die Analyse des Ein-
zelwerkes beschränken, jeder Theoriebildung und jeder ästhetischen Wertung ent-
halten sollte. In seinen Lehrveranstaltungen vermied der künstlerisch hochbegabte
G. – er war Maler und Pianist – bewußt das Wort »schön«; ästhetisches Erleben
gehöre nicht in den Hörsaal. Ebensowenig lehrbar erschienen ihm theoretische
Prinzipien, vermitteln wollte er das methodische Rüstzeug und nichts als Tatsa-
chen.
G. kam aus einer jüdischen Bankiersfamilie. Dort und in der nüchternen Atmo-
sphäre der Heimatstadt hatte wohl diese Denkungsart ihre Wurzeln; vielleicht läßt
sich auch die Vorliebe für das Mittelalter, das sein Hauptforschungsgebiet werden
sollte, aus dem prägenden Erlebnis der norddeutschen Backsteingotik verstehen.
Eine Banklehre in London blieb zwar Episode, hat aber gewiß auch formend ge-
wirkt und das Rationale in ihm gefördert. Nach Jena und Kiel kam G. zu  Sprin-
ger nach Leipzig, wo er 1889 über Lübecker Malerei und Plastik des Mittelalters
promovierte. Die norddeutsche Kunstgeschichte blieb eines seiner Forschungsfelder.
Das Hauptthema machte sich zum erstenmal mit der Habilitation über den Alba-
nipsalter 1892 bei  Grimm in Berlin geltend: die mittelalterliche Buchmalerei.
Während die Handschriftenforschung bis dahin vor allem ein Feld für Historiker
gewesen war, entzündete sich an den illuminierten Büchern des Mittelalters zu
Beginn des 20. Jahrhunderts nun auch das Interesse der Kunsthistoriker.
Zu G.s reifsten Leistungen gehört bis heute sein zweibändiges Werk von 1928
über die karolingische und die ottonische Buchmalerei. Ohne die Ergebnisse sol-
cher Wissenschaften wie der Paläographie oder der Ikonographie, die die dargestell-
ten Objekte und Themen erforschen, gering zu achten, betrachtete G. die Stilanalyse
als sein methodisches Hauptinstrument. Sie gestattete ihm, ähnliche Werke in
Gruppen zusammenzufassen und Entwicklungsreihen aufzustellen, die mit jeder
Einzeluntersuchung spezifiziert und bereichert wurden. In der Buchmalerei sah G.
den Schlüssel zum Verständnis der mittelalterlichen Kunst; sie erschien ihm als die
»festeste Grundlage für die Beurteilung der mittelalterlichen künstlerischen Aus-
drucksweise«, vor allem aber als »Konserve der Antike«, denn in der Buchmalerei sei,
vermittelt durch Byzanz, das antike Erbe lebendig geblieben, als Muster und Her-
ausforderung für die mittelalterliche Kunst in West- und Mitteleuropa.
Nach der Habilitation blieb G. als Privatdozent für mittelalterliche Kunst an der
Berliner Universität. 1904 erfolgte die Berufung als Ordinarius nach Halle, wo es bis
dahin kein Kunstgeschichtliches Seminar gegeben hatte. Neben seiner Lehrtätigkeit
engagierte sich G. im Hallenser Kunstleben. 1908 gehörte er zu den Gründern des
Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, der es sich zur Aufgabe machte, die deut-
schen Kunstdenkmäler – vergleichbar den Monumenta Germaniae Historica – syste-
matisch zu erfassen. Durch seine Forschungen zur sächsischen Bildhauerkunst, zur
Goldenen Pforte des Freiburger Doms, hatte sich G. für die Leitung der Skulptur-
Abteilung empfohlen. In der Folgezeit bearbeitete er die karolingischen, ottoni-
schen und romanischen Elfenbeine, veröffentlicht in vier Bänden (1914, 1918, 1923,
Goldschmidt 131

1926); zwei weitere Bände zu den byzantinischen Elfenbeinskulpturen des 10.–13.


Jahrhunderts entstanden in Zusammenarbeit mit Kurt Weitzmann (1930, 1934). Bei
dieser über ganz Europa verstreuten, äußerst vielfältigen mittelalterlichen Klein-
kunst konnten G.s phänomenales Formengedächtnis und seine Fähigkeit, aus der
Fülle der Daten Stilmuster herauszufiltern, ihre volle Leistungskraft entfalten. Wie
seine Arbeiten zur Buchmalerei betrachtete er das Elfenbein-Corpus als einen
grundlegenden Beitrag zur Mittelalterforschung. Das dritte Gebiet, auf dem sich G.
vornehmlich betätigte, war die niederländische Malerei des 15.–17. Jahrhunderts; 17
der von ihm betreuten Dissertationen hatten sie zum Thema.
Die Hauptarbeit zur Elfenbeinskulptur bewältigte G. unter den schwierigen Be-
dingungen des Ersten Weltkrieges und während der langen Zeit als Nachfolger
 Wölfflins auf dem Berliner Lehrstuhl (1912–32). In diese Periode fallen mehrere
USA-Reisen (1927/28, 1930/31, 1936). G. lehrte als Gastprofessor an der Harvard
University, wo er mit Arthur Kingsley Porter (1883–1933), den er wohl 1922 in
Spanien zum erstenmal getroffen hatte, Umgang pflegte; wenig später rezensierte er
das Hauptwerk des amerikanischen Kollegen über die romanische Plastik entlang
der Pilgerstraßen (1923). G. arbeitete auch in Princeton, wo ihm 1931 die Ehren-
doktorwürde verliehen wurde, und in New York. Mehrere Angebote, sich in den
USA niederzulassen, lehnte er ab, obwohl nach 1933 die Arbeitsbedingungen in
Deutschland für ihn immer schwieriger wurden. Nach dem Machtantritt der Na-
tionalsozialisten wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag zogen es einige seiner
Schüler vor, ihre Beiträge zu einer Festschrift zurückzuziehen. 1938 mußte G. die
Preußische Akademie der Wissenschaften verlassen, der er seit 1914 angehört hatte;
er durfte Bibliotheken, Museen und die Universität nicht mehr betreten. 1939 emi-
grierte er nach Basel.
G. kann als Antipode Wölfflins angesehen werden. Während dieser nach den gro-
ßen kunstgeschichtlichen Zusammenhängen fragte und das einzelne Kunstwerk als
Stil-Beleg behandelte, war G.s Ansatz positivistisch; ihn – wie auch den befreunde-
ten  Vöge – interessierte das Kunstwerk in erster Linie als Individualität. Im Ge-
gensatz zu Wölfflins »Kunstgeschichte ohne Namen« stand auch G.s Auffassung, daß
»ein neuer Stil [...] natürlich nur durch eine Persönlichkeit geschaffen« werde, daß
er »nicht aus der Luft entstehen« könne, das heißt im Sinne Wölfflins aus im Kunst-
prozeß wirkenden Gesetzmäßigkeiten. Allerdings war sich G. stets dessen bewußt,
daß seine Methode nur eine von vielen sein konnte, er war kein Dogmatiker. Was
Wölfflin tat, erachtete er als legitim, für ihn selbst aber, sei es aus Neigung oder
Einsicht, war dies kein gangbarer Weg. Die Zeit für Theorien schien ihm noch nicht
gekommen.
Werke: Lübecker Malerei und Plastik bis ZfbK, 36 (12), 1901, 31–39, 55–60; Die Frei-
1530, Lpz 1889; Der Albanipsalter in Hildes- burger Goldene Pforte, in: JbPK, 1902, 20–33;
heim und seine Beziehung zur symbolischen Wilhelm Buytewech, in: ebd., 100–117; Stu-
Kirchenskulptur des 12. Jh.s, Bln 1892; Fran- dien zur Geschichte der sächsischen Skulptur
zösische Einflüsse in der frühgotischen Skulp- in der Übergangszeit vom romanischen zum
tur Sachsens, in: JbPK, 1899, 285–300; Die gotischen Stil, Bln 1902; Die Geburt Christi
Stilentwicklung der romanischen Skulptur in von Hugo van der Goes in der Gemäldegale-
Sachsen, in: ebd., 1900, 225–241; Rode und rie Berlin, in: SberKgG, 2, 1903, 9–12; Die
Notke. Zwei Lübecker Maler des 15. Jh.s, in: Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolin-
132 Goldschmidt

gischen und sächsischen Kaiser 8.–11. Jh., Bd. mann, Emil: A.G.s 70. Geburtstag, in: KtKtler,
1, Bln 1914; Ein Altarschrein Meister Frankes 32, 1933, 72–73; FS A.G. zu seinem 70. Ge-
in Finnland, in: ZfbK, 50 (26), 1915, 17–23; burtstag, Bln 1935; Homburger, Otto: A.G.,
Die Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der ka- in: Phoebus, 1, 1946, 73–75; Mode, Heinz: Hi-
rolingischen und sächsischen Kaiser 8.–11. storiker und Kenner der Kunst, A.G. (Halle
Jh., Bd. 2, Bln 1918; Die Elfenbeinskulpturen 1904–12), in: 450 Jahre Univ. Halle 1952, 325–
der romanischen Zeit 11.–13. Jh., Bd. 3, Bln 328; Heise, Carl Georg (Hrsg.): A.G. zum Ge-
1923; Das Nachleben der antiken Form im dächtnis, Hbg 1962; Neumeyer, Alfred: Four
Mittelalter, Lpz/Bln 1923; Der Stil der hol- Art Historians Remembered. Wölfflin, G.,
ländischen Malerei des 17. Jh.s, in: Opgang, 3, Warburg, Berenson, in: CArtJ, 31, 1971, 33–36;
1923, 2–13; Die Skulpturen von Freiberg und Weitzmann, Kurt: A.G. und die Berliner
Wechselburg, Bln 1924; Die Elfenbeinskulp- Kunstgeschichte, Bln 1985; Niehr, Klaus: Das
turen der romanischen Zeit, Bln 1926; Die Magedeburger »G.-Portal«, in: Herbert Beck
deutschen Bronzetüren des frühen Mittel- (Hrsg.), Studien zur Geschichte der europä-
alters, Mar 1926; Die deutsche Buchmalerei, ischen Skulptur im 12./13. Jh., Frf 1994, 311–
2 Bde., Fl/Mü 1928; Kunstgeschichte, in: Aus 320; Brush, Kathryn: The Shaping of Art His-
fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft, hrsg. v. tory. Wilhelm Vöge, A.G. and the Study of
Gustav Abb, Bln/FrB/Mü/Lpz 1930, 192–197; Medieval Art, Cam 1996; Niehr, Klaus: Rez.
Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen 10.– von Kathryn Brush, The Shaping of Art His-
13. Jh., 1, Kästen (mit Kurt Weitzmann), Bln tory. Wilhelm Vöge, A.G. and the Study of
1930; Die Bronzetüren von Nowgorod und Medieval Art (1996), in: JKg, 1, 1997, 5–9;
Gnesen, Mar 1932; Die byzantinischen Elfen- Wendland 1999, 211–218; Brandl, Heiko: A.G.
beinskulpturen 10.–13. Jh., 2, Platten (mit und das »G.-Portal«, in: Wolfgang Schenkluhn
Kurt Weitzmann), Bln 1934; Lebenserinne- (Hrsg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der
rungen. Hrsg. v. Marie Roosen-Runge- Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
Mollwo, Bln 1989 HaS 2004, 21–40; Schenkluhn, Wolfgang: A.G.
Literatur: Haseloff, Arthur: Rez. von »Stu- und die Hallesche Kunstszene 1904–12, in:
dien zur Geschichte der sächsischen Skulptur Katja Schneider (Hrsg.),Vom Kunstwerk aus-
in der Übergangszeit vom romanischen zum gehen, HaS 2004, 12–26
gotischen Stil«, in: DLZ, 25, 1904, 2120–2124; PB
FS A.G. zum 60. Geburtstag, Lpz 1923; Wald-

Gombrich, Sir Ernst H(ans Josef)


Geb. 30. 3. 1909 in Wien; gest. 3. 11. 2001 in London

Das weltweite Ansehen, das sich G. mit einer außergewöhnlichen publizistischen


Produktivität erwarb, beruht auf der Fülle seiner Gedanken zur Kunst, die in enger
Beziehung zu Ergebnissen anderer Wissenschaften, vornehmlich der Psychologie,
entstanden, und seiner besonderen Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken. Er
wurde hauptsächlich durch kürzere, oft auf Vorträgen beruhende Einzelstudien, die
er bearbeitet zu Sammelbänden zusammenfaßte und die stets auch kunsttheoreti-
sche und methodologische Probleme berührten, zu einem großen Anreger.
G.s jüdische Eltern, ein Rechtsanwalt und eine Pianistin, waren zwar protestan-
tische Christen geworden, aber für rassistische Antisemiten blieb G. ein Jude, wes-
halb er in Österreich schon vor dessen Anschluß an Nazideutschland nur geringe
berufliche Aussichten hatte. Er befaßte sich schon als Gymnasiast mit Kunsttheorie,
studierte 1928–35 in Wien Kunstgeschichte und klassische Archäologie bei Tietze,
 Swoboda und vor allem  Schlosser, aber auch bei ihrem Kontrahenten  Strzy-
gowski, sowie ein Semester in Berlin bei Wölfflin, Weisbach und Wulff.
Gombrich 133

Seine Dissertation über den Palazzo del Tè in Mantua war ein eigenständiger Bei-
trag zur damals lebhaften Erörterung des Manierismus. Um Geld zu verdienen,
schrieb er eine Weltgeschichte für Kinder, die heute in zehn Sprachen vorliegt.
Durch Schlosser lernte er den Kunsthistoriker und Psychoanalytiker Ernst Kris
(1900–57) aus dem Kreis um Sigmund Freud kennen, mit dem er ein Buch über
Karikatur, einen damals noch ungewöhnlichen Stoff für einen Kunsthistoriker, be-
gann. Kris empfahl ihn  Saxl, dem Direktor der 1933 aus Hamburg nach London
emigrierten Warburg-Bibliothek, an der G. 1936 Mitarbeiter von Gertrud  Bing
bei der Bearbeitung von Warburgs Nachlaß wurde. Er wechselte 1938 als Lehr-
kraft ans Courtauld Institut der Universität London, diente im Krieg als Auswerter
deutscher Rundfunksendungen für den Geheimdienst und kehrte 1946 als Forscher
an das nun ebenfalls zur Universität gehörende Warburg Institute zurück. 1948
wurde er dort Lehrkraft und 1959–76 Direktor. Er versuchte das Profil des Instituts
durch mehr Aufmerksamkeit für Psychologie und Wahrnehmungstheorie zu erwei-
tern, hatte aber nur wenige direkte Schüler.
Eine ursprünglich für junge Leser gedachte einbändige Geschichte der Kunst
(1950) wurde in 16 überarbeiteten Auflagen bis 1995 und durch Übersetzungen in
17 Sprachen zur wohl weltweit meistgelesenen Darstellung. G. erwähnte grundsätz-
lich nur Kunstwerke, die auch abgebildet waren, und beschränkte sich auf wenige
Beispiele, um seine Ansicht der Kunstgeschichte gut verständlich darzulegen. Er
berücksichtigte auch islamische, ostasiatische und präkolumbianische Kunst und
erwähnte beiläufig byzantinische und altrussische Kunst, aber nicht die russische des
19. Jahrhunderts. Sowjetische wie nazistische Kunst verabscheute er.
G. hielt Vorlesungen in Oxford (1950–53), Washington (1956), am University
College London (1956–76), in Harvard (1959), Cambridge (1961–63), am Royal
College of Art London (1967–68), in Ithaka (1970–77) und, auch bei Tagungen
anderer Wissenschaften, zahllose Vorträge. Er wurde 1972 geadelt, 1976 Mitglied des
Ordens Pour le mérite, 1988 des britischen Order of Merit, empfing von 1975 bis
1994 hohe österreichische und deutsche Preise und war Mitglied mehrerer Akade-
mien sowie elfmal Ehrendoktor.
G., verheiratet mit einer Pianistin aus Prag, war mit Musik und Literatur bestens
vertraut, hatte sogar etwas Chinesisch gelernt und nutzte die Gestaltpsychologie vor
allem Wolfgang Koehlers für sein Kunstverständnis. Er stimmte mit der antihegelia-
nischen und antimarxistischen Geschichtsphilosophie seines Freundes Karl Popper
überein und verstand sich als Rationalist. Ihm ging es um das Besondere und die
psychologischen Grundlagen von bildlichen Darstellungen, um ihr Verhältnis zur
Realität sowie zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und um ihre verschiede-
nen und sich historisch wandelnden Funktionen im Leben der Menschen. Er be-
tonte die eigenständige Rolle des Bildes an Stelle einer Abhängigkeit von verbal
formulierten Vorgaben. Darum unterstrich er auch die Grenzen von  Panofskys
Ikonologie und betonte die Variabilität von Bedeutungen. Er untersuchte Bezie-
hungen des Bildes zum Ornament und fand Argumente für seine Theorie auch bei
modernen Plakaten, Comics, Karikaturen und Witzzeichnungen.
G. hatte fast die ganze Weltgeschichte der Kunst im Blick, mit besonderer Zunei-
gung zur italienischen Renaissance. Abstrakte Kunst beurteilte er sehr skeptisch. Die
134 Gombrich

Absage der modernen Kunst an gesellschaftliche Funktionserwartungen und Wert-


konventionen faßte er als Verlust auf. Totalitäre Steuerung und Nutzung von Kunst
lehnte er noch entschiedener ab als die Folgen kapitalistischer Marktwirtschaft. Er
war strikt gegen Ansichten von gesetzmäßig verlaufenden Stilentwicklungen und
einheitlichen Zeitstilen, für die einzelne Kunstwerke nur Belege, nicht aber kon-
krete Schöpfungen individueller Künstler wären. Er verlangte vom Historiker und
Kritiker, formale Neuerungen an menschlichen Werten zu messen. Seinen Alterna-
tivvorstellungen zum Bestehenden lag aber kein anderes Gesellschaftsmodell zu
Grunde.
G. entwickelte seine Ansichten meist in Form einer Übernahme oder höflichen
Kritik von Resultaten anderer und überzeugte Zuhörer und Leser durch verblüf-
fend kombinierte Beispiele und eine leicht faßliche Anwendung seiner enormen
Gelehrsamkeit.

Werke Eine verkannte karolingische Pyxis History of Art, NY, 1963, Bd. 2, 163–173;
im Wiener Kunsthistorischen Museum, in: Norm and Form. Studies in the Art of the
JbkSW, 7, 1933, 1–14; Zum Werk Giulio Ro- Renaissance, Lo 1966 (dt. Stg 1985); Aby War-
manos, in: ebd., 8, 1934, 79–104 u. 9, 1935, burg zum Gedenken, in: JbHK, 11, 1966, 15–
121–150; Wertprobleme in mittelalterlicher 27; The Leaven of Criticism in Renaissance
Kunst, in: KBLit., 6, 109–116; Weltgeschichte Art, in: Art, Science and History in the Re-
von der Urzeit bis zur Gegenwart, 2 Bde., naissance, hrsg. von C. S. Singleton, Baltimore
Wien 1936; Goethe’s »Zueignung« and 1968, 3–42; In Search of Cultural History, Ox
Bieniveni’s ‚Amore‘, in: JWCI, 2, 1938, 331– 1969; The Evidence of Images, in: Interpreta-
339; Caricature, Harmondsworth 1940 (mit tion, hrsg. v. C. S. Singleton, Baltimore 1969,
Ernst Kris); Botticelli’s Mythologies, in: 35–104; Aby Warburg: An Intellectual Biogra-
JWCI, 8, 1945, 7–60; The Story of Art, Lo/ phy, Lo 1970 (dt. Frf 1981); The Ideas of Pro-
NY 1950; Meditations on a Hobby Horse, or gress and their Impact on Art, NY 1971 (dt.
the Roofs of Artistic Form, in: Aspects of Köln 1978, Bibliogr.); The State of Art Hi-
Form, hrsg. v. L. L. Whyte, Lo 1951; Kunstwis- story. A Plea for Pluralism, in: American Art
senschaft, in: Atlantisbuch der Kunst, Zü 1952, Journal, 3, 1971, 83–87; Symbolic Images: Stu-
653–664; Renaissance Artistic Theory and the dies in the Art of the Renaissance, Lo 1972
Development of Landscape Painting, in: GBA, (dt. Stg 1986); Illusion in Art, in: Illusion in
41, 1953, 335–360; The Renaissance Concep- Nature and Art, hrsg. v. R. Gregory u. E. H.
tion of Artistic Progress and its Consequences, G., Lo 1973, 193–243; Art History and the
in: ACIA, 291–307; The Social History of Art, Social Sciences, Ox 1975; The Heritage of
in: ArtB, 35, 1953, 79–84 (dt. in: Meditationen Apelles. Studies in the Art of the Renaissance,
über ein Steckenpferd, 1973); Psycho-Analy- Ox/Ithaka 1976 (dt. Stg 1987); Kunst, Wahr-
sis and the History of Art, in: Internat. Journal nehmung, Wirklichkeit, Frf 1977; A Sense of
of Psycho-Analysis, 33, 1954, 401–411; André Order, Ox/Ithaka 1979 (dt. Stg 1982); Ideas
Malraux and the Crisis of Expressionism, in: and Idols, Ox 1979 (dt. Stg 1983); The Image
BM, 74, 1954, 374–378; Visual Metaphors of and the Eye, Ox 1982 (dt. Stg 1984); Ideal
Value in Art, in: Symbols and Values, hrsg. v. und Typus in der italienischen Renaissance-
Lyman Bryson u. a., NY 1954, 225–281; malerei, Köln 1983; New Light on Old Ma-
Raphael’s Madonna della Sedia, Lo 1956; Art sters, Ox, Ch 1986 (dt. Stg 1988); Hegel und
and Scholarship, Lo 1957; Art and Illusion, die Kunstgeschichte, in: Gedanken und Ge-
NY/Lo 1960 (dt. Köln 1967); The Early Me- wissen, hrsg. v. G. Busch u. J. H. Freund, Frf
dici as Patrons of Art, in: Italian Renaissance 1986, 485–525; Kokoschka in his Time, Lo
Studies, hrsg. v. E. F. Jacob, 279–311); Medita- 1986; Reflections on the History of Art, Ox
tions on a Hobby Horse, and other Essays on 1987 (dt. Stg 1993); Wege zur Bildgestaltung,
the Theory of Art, Lo 1963 (dt. Meditationen Opladen 1989; Wenn’s euch Ernst ist, was zu
über ein Steckenpferd, Wien 1973, Frf 1978); sagen, in: Sitt 1990, 63–100; Magic, Myth, and
Mannerism, in: Acts 20th Internat. Congress Metaphor, in: ACIS, 23–66; Topics of our
Gombrich 135

Time, Lo 1991; Ce que l’image nous dit, Paris 91–96; Hazan, Olga: An Analysis of G.‘s Wri-
1991; Das forschende Auge, Frf/NY 1994; tings on the Palazzo del Tè, in: Rutgers Art
Shadows, Lo 1995; The Essential G. Selected Review, 9/10, 1988/89, 43–59; Lepsky, Klaus:
Writings, hrsg. v. Richard Woodfield, Lo E. H. G. Theorie und Methode, Köln 1991;
1996; G. on Art and Psychology, hrsg. v. Sight and Insight. Essays on Art and Culture
Richard Woodfield, Manchester 1996; The in Honour of E. H. G. at 85, hrsg. v. John
Uses of Images: Studies in the Social Func- Onians, Lo 1994; Warnke, Martin: Laudatio,
tion of Art and Visual Communication, Lo in: Goethe-Preis 1994 d. Stadt Frankfurt/
1999; Aby Warburg: His Aims and Methods, Main, Frf 1994; Woodfield, Richard: G.‘s
in: JWCI, 62, 1999, 268–282; The Preference Story of Art, in: BJAe, 36, 1996, 313–316;
for the Primitive, Lo 2002 Wendland 1999, 221–233; Trapp, Joseph B.: E.
Literatur: Berliner, Rudolf: Die Rechtfer- H. G. A Bibliography, Lo 2000; Belting, Hans:
tigung des Menschen, in: Münster, 20, 1967, Gedenkworte für Sir. E. G., in: Orden Pour le
227–238; Previtali, Giovanni: E. H. G., con- mérite. Reden und Gedenkworte, 31,
servatore viennese, in: Paragone, 19, 1968, 2001/2002, 115–123
22–40; Carrier, David: G. on Art Historical PHF
Explanations, in: Leonardo, 16, 1983, H. 2,

Gosebruch, Martin
Geb. 20. 6. 1919 in Essen; gest. 17. 9. 1992 in Braunschweig

Seinen Kunstbegriff leitete G. unbeirrbar von Spitzenleistungen aus der Geschichte


der westeuropäischen Hochkunst ab, und seine Forschungsgegenstände und Me-
thoden blieben den wichtigsten Traditionen der Kunstgeschichtswissenschaft aus
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbunden. Obwohl also durchaus konserva-
tiv, wurde G. dennoch zu einem eigensinnigen Außenseiter innerhalb der Fachdis-
ziplin, indem er weder institutionalisierter Autorität, noch dem, was er für schädliche
bloße Moden hielt, nachgab.
Sein Vater Ernst Gosebruch (1872–1953) gehörte als Direktor des Museums in
Essen, des späteren Folkwang-Museums, zu den wichtigen Förderern der damals
modernen Kunst. Er selbst verlor zehn Lebensjahre durch Militärdienst und Kriegs-
gefangenschaft. Erst fast 30jährig konnte er 1947–50 in München Kunstgeschichte
und Archäologie bei Werner Gross (1901–82) und Ernst Buschor (1886–1961) stu-
dieren und bei  Jantzen mit einer Arbeit Über die Bildmacht der burgundischen
Skulptur im frühen 12. Jahrhundert. Beiträge zu einer Bestimmung des Stils promovieren.
Einer kurzen Assistenz am kunsthistorischen Institut der Universität Hamburg
(1952–53) folgte ein Stipendium an der Bibliotheca Hertziana in Rom (1954–55),
das G.s Blick auf Giotto lenkte und das er für eine Stilanalyse florentinischer Kapi-
telle aus der Frührenaissance nutzte. Mit ihr habilitierte er sich 1958 in Freiburg i.
Br. Dort wurde er, inzwischen Professor, zu einem der »Privatschüler« von  Badt,
dem methodenkritischen Einzelgänger, dem er geistig eng verbunden blieb. Auf
dessen Rat hin nahm G. 1965 die Berufung an die etwas abseits gelegene Technische
Hochschule Braunschweig an, um das Kunsthistorische Institut nach seinen Vorstel-
lungen aufbauen zu können und mit sehr sorgfältiger, auch ausgefallener Wortwahl
bei den Werkanalysen das verstehende Sehen zu lehren. Die angemessene Beschäf-
tigung auch mit der regionalen Kunstgeschichte galt in Braunschweig einer Kunst,
die im Hochmittelalter höchsten Rang und weitreichende entwicklungsgeschicht-
136 Gosebruch

liche Bedeutung besessen hatte. Für dieses Forschungsgebiet konnte G. schließlich


1981 an der akademieähnlichen Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft
eine Kommission für Niedersächsische Bau- und Kunstgeschichte begründen und
leiten, die auch über die damalige Grenze zur DDR hinweg zu wirken suchte, bis
Krankheit seine Arbeitskraft lähmte.
G. war überzeugt, daß weder »voraussetzungslose Sachforschung« noch »sach-
ferne Voraussetzungsforschung« zum Wesentlichen der Kunst und ihrem Wert für
die Menschen vordringen können. In seinen Arbeiten, die fast ausnahmslos Aufsätze
waren, verband er darum detaillierte und feinfühlige Formanalysen, auf die er auch
stilkritische Datierungen stützte, mit einer nachdrücklichen Darlegung von ästhe-
tisch-kunsttheoretischen Grundsätzen und aufs Ganze der Kulturentwicklung zie-
lenden Wertungen sowie mit daraus abgeleiteten, forschungsmethodisch wichtigen
Schlußfolgerungen. Schon bevor G. eigene Forschungsergebnisse vorgelegt hatte,
kritisierte er 1954 selbstbewußt die ihm zu »modern« erscheinende Auffassung vom
mittelalterlichen Kunstschaffen sowohl des »Altmeisters«  Sedlmayr, mit dessen
Kritik an der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts er durchaus sympathisierte, als
auch seines bereits habilitierten Generationsgefährten  Bandmann. Es entsprach
dem damals tonangebenden Idealismus, wenn er dabei »das ›Absolute‹ Ziel und
Grund aller Geschichtsbewegung« nannte. In einem Aufsatz über Leon Battista Al-
berti und den Renaissancebegriff trat 1957 erstmals zutage, daß G. die wirklichkeits-
erkennende und weltbildschaffende Leistung der Kunst, »die jeweilig gelebten
menschlichen Intensitäten, die als Ganzes im Kunstwerk Abbild finden«, höher
stellte als das begriffliche Denken der Wissenschaft. Er maß auch dem Urteil von
Künstlern wie  Goethe und Delacroix über Kunst mehr Gültigkeit bei, als dem
von Kunsthistorikern, unter denen er die künstlerisch empfindenden wie  Carl
Justi,  Rintelen,  Vöge höher schätzte als die nach einer systematischen Ge-
schichtstheorie strebenden wie  Riegl oder  Wölfflin. G. tadelte ein positivisti-
sches bloßes Beschreiben anstelle von »Würdigen als synthetischem geistigen Akt«
(Giotto und die Entwicklung des neuzeitlichen Kunstbewußtseins, 1962). Gleicherweise
lehnte er, entgegen  Antal, ein »Kausalverhältnis Gesellschaft – Kunst« ab. Von
Marx beeinflußte kunsthistorische Fragestellungen und künstlerische oder wissen-
schaftliche Aufgabenstellungen waren ihm bloße Ideologien, die das Wesentliche an
der Kunst verfehlten. Seine Auffassung von der »höheren Wahrheit der Kunst« und
von deren Interpretation als einem »durch Begreifen artikulierten Verstehen« legte
er 1970 in Methodik der Kunstwissenschaft dar. Wiederholt betonte er, der Kunsthisto-
riker solle nicht nur stilistische Eigenarten feststellen, sondern stets auch die Rang-
höhe einer künstlerischen Leistung beurteilen. Neuester Kunst nach dem Expres-
sionismus von Nolde und Beckmann und deren wissenschaftlicher Behandlung
fehlte es seiner Meinung nach meistens an solchem Rang und an Maßstäben für das
Urteil.
In seinen Studien zu romanischer und frühgotischer Plastik verfocht G. gegen
»Stilstufendenken und Ikonographismus« beharrlich die Rolle des nur an die objek-
tiven Gesetze einer vorgefundenen Werkgattung gebundenen künstlerischen Sub-
jekts, diese Gattung selbst zu verwandeln und auch »einen neuen Stil hervorzubrin-
gen, einen für andere vorbildlichen, der nach und nach Epochenstil zu werden
Gosebruch 137

vermochte«. Er meinte, daß wir das Auftreten solchen schöpferischen Geistes »über-
haupt nicht zu erklären vermögen, denn weder aus der Zeit noch der Gesellschaft
heraus ist es zu folgern« (Epochenstile, 1981). In Auseinandersetzung mit Willibald
Sauerländer (geb. 1924) hob G. hervor, daß beispielsweise die eigenständige Verar-
beitung französischer Anregungen bei der Herausbildung der deutschen Frühgotik
nicht mit dem Denkmodell des Pluralismus zu erklären sei, sondern »einheitliche
Akte des schöpferischen Geistes erfordert«. Das besage auch: »Zu Vorbildern muß
erst hingefunden werden. Dazu bedarf es der eigenen Originalität.« Andererseits
könnten geschichtlich folgenreiche Neuerungen nicht auf durchschnittliche Lei-
stungen zurückgeführt werden, sondern nur von einem Künstler ersten Ranges
herstammen: »Ohne Qualitätsbestimmung keine genetischen Erklärungen in der
Kunstgeschichte!« (Vom oberrheinisch-sächsischen Weg der Kathedralgotik nach Deutsch-
land, 1983).

Werke: Rez. von Hans Sedlmayr, Die Ent- Documenta, in: Neue Rundschau, 1972, 634–
stehung der Kathedrale (1950) und Günter 649; Die Anfänge der Frühgotik in Nieder-
Bandmann, Mittelalterliche Architektur als sachsen, in: NdtBKg, 14, 1975, 9–58; Die Mag-
Bedeutungsträger (1951), in: GöGA, 208, deburger Seligpreisungen, in: ZfKg, 38, 1975,
1954, 232–277; »Varietà« bei Leon Battista Al- 97–126;Vom Bamberger Dom und seiner ge-
berti und der wissenschaftliche Renaissance- schichtlichen Herkunft, in: MJbbK, 1977, 28–
begriff, in: ZfKg, 20, 1957, 229–238; Emil 58; Von der Verschiedenheit der Vorbilder in
Nolde. Aquarelle und Zeichnungen, Mü der sächsischen Kunst der Frühgotik, in: Ndt-
1957; Donatello. Das Reiterdenkmal des BKg, 16, 1977, 9–26; Unmittelbarkeit und
Gattamelata, Stg 1958; Vom Aufragen der Fi- Reflexion. Erprobung der kunstwissenschaft-
guren in Dantes Dichtung und Giottos Male- lichen Begriffe auf dem Neuland des 19.–20.
rei, in: FS Kurt Badt, Bln 1961, 32–65; Giottos Jh.s, in: ZfÄaK, 23, 1978, 7–30; »Documenta«
Stefaneschi-Altarwerk aus Alt-St. Peter in und die Erweichung der Begriffe, in: Schei-
Rom, in: Miscellanea Bibliothecae Hertzia- dewege, 8, 1978, 266–276; Unmittelbarkeit
nae, Mü 1961, 104–130; Giotto und die Ent- und Reflexion. Methodologische Beiträge
wicklung des neuzeitlichen Kunstbewußt- zur Kunstgeschichtswissenschaft, Mü 1979;
seins, Köln 1962; Von der Fruchtlosigkeit der Die Braunschweiger Gertrudiswerkstatt. Zur
Stilformeln und einem Neubeginn in der spätottonischen Goldschmiedekunst in Sach-
Kunst, in: Akten der IV. Internationalen Ta- sen, in: NdtBKg, 18, 1979, 9–42; Historismus,
gung dt.-ital. Studien, Meran 1963, 389–401; ein Phänomen historischer Diskontinuität, in:
Paul Cézanne, in: Meilensteine europäischer Materialien zur Wiss. Konferenz zur Proble-
Kunst, Mü 1965, 391–414; AKat. Wolfgang matik des Historismus in der Kunstentwick-
Klähn, FrB 1965; Von wesentlicher Dante-Il- lung des 19. Jh.s, Wernigerode 1979 (Typo-
lustration, in: Dante Alighieri, Persönlichkeit skript);Von der Aposteltafel im Baseler Mün-
und Werk, Bd. 2, Würzburg 1966, 169–243; ster, ihrer Verwandtschaft mit dem Goldenen
Vom Burglöwen und seinem Stein, in: 800 Antependium und der dafür nötigen Erklä-
Jahre Braunschweiger Burglöwe, Bschw 1967, rung, in: FS Wilhelm Messerer, Köln 1980,
35–60; Zur »Ordnung der Dinge« in der 75–85; Die Kunst des Nikolaus – von Königs-
Kunstgeschichtswissenschaft, in: FS Werner lutter aus in den Blick genommen, auf ihre
Gross, Mü 1968, 363–389; Figur und Gestus provenzalischen Wurzeln hin untersucht und
in der Kunst des Giotto, in: Giotto di Bon- im Verhältnis zur Kathedralgotik erläutert, in:
done, Würzburg 1970, 7–168; Methodik der NdtBKg, 19, 1980, 63–124; Der Braunschwei-
Kunstwissenschaft, in: Enzyklopädie der gei- ger Dom und seine Bildwerke, KöT 1980;
steswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, 6. Die Zeichnungen des Wolfenbütteler »Mu-
Lieferung, Mü/Wien 1970, 3–68; Zur Bedeu- sterbuches«. Ihre westlichen Beziehungen,
tung des Gerichtsmeisters am südlichen ihre byzantinische Vorlage, in: NdtBKg, 20,
Querhaus der Kathedrale von Chartres, in: FS 1981, 25–59; Epochenstile – historische Tat-
Kurt Badt, Köln 1970, 142–163; Ein Nein zur sächlichkeit und Wandel des wissenschaftli-
138 Gosebruch

chen Begriffs, in: ZfKg, 44, 1981, 9–14; Glück Salvini, Fl 1984; Bernwardinische Kunst
und Unglück des Qualitätsbegriffes in der (Hrsg.), Gö 1988 (mit Frank Neithart Stei-
bildenden Kunst, in: Pantheon, 39, 1981, 120– gerwald)
122; Vom oberrheinisch-sächsischen Weg der Literatur: FS M.G., Mü 1984 (Bibliogr.);
Kathedralgotik nach Deutschland, Gö 1983; Augen-Blicke. Kunstgeschichtl. Aufsätze für
Luther und Michelangelo Buonarroti, in:Von M.G. zu seiner Emeritierung dargebracht, Gö
der Macht der Bilder, Beiträge des CIHA- 1986; Poeschke, Joachim: M.G., in: ZfKg, 56,
Kolloquiums »Kunst und Reformation« (Ei- 1993, 592–596; M. G. Gedenkband, Bschw.
senach), Lpz 1983, 87–98; Giotto und die 2000 (Bibliogr.)
Buchmalerei der Dantezeit, in: FS Roberto PHF

Grimm, Herman
Geb. 6. 1. 1828 in Kassel; gest. 16. 6. 1901 in Berlin

Keiner hat G. so knapp und treffend und, wenn man die Unvereinbarkeit ihrer
Grundpositionen bedenkt, mit solcher Souveränität charakterisiert wie  Wölfflin,
sein Amtsnachfolger an der Berliner Universität. Drei Aspekte wurden von ihm
hervorgehoben: Kunstgeschichte war für G. Künstlergeschichte und Künstlerbio-
graphie, »und dabei galten nur die ganz Großen.[...] die Kleinen und Anonymen
ließ er gern bei Seite«; am Künstler interessierte G. in erster Linie das außerge-
wöhnliche Individuum, »die Kunstwerke sind wertvoll als Ausdruck dieser Persön-
lichkeit«; daraus erklärt sich, daß G. keine »Formanalysen« machte, »es fällt ihm
nicht ein, ein Kunstwerk nach seinen formalen Kompositionen systematisch ausein-
anderzulegen [...]. Man darf nicht sagen, daß ihm der Sinn dafür fehlte, allein die
geistige Auffassung im Kunstwerk, die persönliche Stimmung darin ist ihm das
Wesentliche, seine Kunstbetrachtung geht auf den poetischen Inhalt«. Seine Vorliebe
für die Biographie teilte G. mit anderen Kunsthistorikern seiner Generation
( Springer,  Thausing,  Woltmann,  Carl Justi); sie entsprach dem Welt- und
Gesellschaftsverständnis der Gründerzeit, ihrer kultischen Verehrung des »großen«
Menschen. »Wenn wir von den Völkern reden«, sagt G. 1865 in seiner Zeitschrift
Über Künstler und Kunstwerke, »wir ein Doppeltes meinen: eine ungeheure Masse
und vor ihr hergehend eine Anzahl bestimmter Individuen. [...] ihre Gedanken zu
erforschen und in Bezug auf sie die Taten der Völker darzustellen, ist Geschichte
schreiben«. Angewendet auf die Kunstgeschichte hieß dies für ihn, das Leben der
großen Künstler zu erforschen, »welche sich der bildenden Kunst als Mittel bedien-
ten, ihren Geist zu offenbaren«. Am höchsten standen G. die Dichter: Homer, Dante,
Shakespeare und  Goethe; ihnen folgten Raffael und Michelangelo.
G.s Vater war Wilhelm, sein Onkel Jakob G.; nicht zu vergessen der zweite Onkel
Ludwig Emil, ein bildender Künstler. In ihrem Dunstkreis wuchs der Knabe auf, im
Geist der klassischen und romantischen Literatur, Goethe vor sich als Leitstern. Als
Wilhelm und Jakob 1840 von Friedrich Wilhelm IV. an die preußische Akademie
der Wissenschaften berufen wurden, kam G. nach Berlin, studierte dort und an-
schließend in Bonn Jura und Philologie. Anfangs widmete er sich allein der Litera-
tur, schrieb Gedichte, Romane, Dramen und seit 1855 auch Essays für das Cottasche
Morgenblatt, später auch für die Preußischen Jahrbücher und die Deutsche Rundschau.
Grimm 139

1857 reiste G. nach Italien, wo er in den Bann der Kunstgeschichte geriet; er ver-
kehrte dort auch im Kreis von Peter Cornelius, dem nach seiner Auffassung bedeu-
tendsten lebenden Künstler. Nach der Promotion 1868 in Leipzig und der Habili-
tation 1870 in Berlin mit dem schon zehn Jahre früher publizierten Leben
Michelangelos wurde G. 1873 zum ersten Ordinarius für Kunstgeschichte an die
Berliner Universität berufen. Seine Antrittsvorlesung galt jedoch Goethe. An dieser
germanistisch-kunsthistorischen Zweigleisigkeit hielt G. sein Leben lang fest; nicht
zufällig befindet sich eine große Publikation über Homer (1890/95) unter seinen
Spätwerken. In G.s Selbstverständnis vereinigten sich der Kunst- und Literaturhisto-
riker zu einer Art Verkünder historischer Größe schlechthin, einem »interpreter of
spiritual ideals of mankind« – wie man ihn in den USA, wo er viele Freunde hatte,
nannte (Correspondence, 1903) –, der auch ein Dichter und »philosophischer Künst-
ler« war. Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Poesie erwiesen sich ihm als
fließend.
Michelangelo ist der Held von G.s erster großer Biographie. Sie hat ihren Verfas-
ser populär gemacht und noch zu dessen Lebzeiten zehn Auflagen erreicht. Sie
entwirft ein grandioses Historiengemälde, auf dem sich vor dem Hintergrund eines
farbenprächtigen Zeitpanoramas das außergewöhnliche Leben des Michelangelo,
alles um sich her erleuchtend, entfaltet; sein Werk, die Skulpturen und Fresken, er-
scheinen eher am Rande und bleiben merkwürdig blaß.
Der bildende Künstler, der G. seit seiner Kindheit begleitete und für den er sich
forschend zuerst interessierte, war Raffael. Wie er selbst sagt, habe er wegweisende
Anregung dazu durch die Künstlerbriefe (1854–56) Ernst Guhls erhalten, die die
Kunstgeschichtsschreibung wieder auf die Künstlerbiographie gelenkt hätten. Im
Raffael-Buch (1872/86) erreichte G.s Heroenkult seinen Höhepunkt. Anders als
 Springer (Raffael und Michelangelo, 1878), für den die beiden größten Renaissan-
cekünstler der Vergangenheit angehörten, waren sie für G. ganz gegenwärtig: »Raf-
fael ist zu einem der Elemente geworden, auf dem die höhere Bildung des mensch-
lichen Geistes beruht.[...] wir möchten ihm nähertreten, weil wir seiner zu unserem
Wohlsein bedürfen.« Diese behauptete Aktualität der großen Männer der Weltge-
schichte, zu denen G. auch Bismarck zählte, wurzelte in einem ausgeprägten Ge-
genwartsbewußtsein, das sich mit einem für die Gründerzeit typischen Kulturopti-
mismus verband. G., der sich als Schüler Rankes empfand und ein intimer Freund
Heinrich von Treitschkes war, schrieb Geschichte nicht in erster Linie um der Er-
kenntnis willen, sondern um bei den Zeitgenossen zukunftsfrohen Enthusiasmus zu
erzeugen. Diese Haltung hat nicht wenig zu G.s öffentlicher Anerkennung beige-
tragen. Hof und Regierung hatten immer ein offenes Ohr für ihn. 1884 wurde G.
zum Regierungsrat ernannt, und 1896 erhielt er den Pour le mérite (Friedens-
klasse).
Auf scharfe Kritik stießen G.s Bücher im »antiquarischen« Lager, bei solchen
empirisch arbeitenden Fachkollegen wie Springer und Woltmann. G. ließen diese
Angriffe ungerührt. Er vertrat die Auffassung, daß es nicht nur Kunsthistoriker ge-
ben müsse, die wissenschaftliche Œuvre-Kataloge verfassten, sondern auch solche,
die, vor allem wenn sie Lehrer wären, Begeisterung für die Kunst erweckten.
G. war ein virtuoser Redner; die meisten seiner Bücher basieren auf Vorlesun-
140 Grimm

gen. Als erster verwendete er im Hörsaal Diapositive, allerdings nur um seine Rede
zu untermalen. Das neue Medium war auch schon in G.s kurzlebiger Zeitschrift
Über Künstler und Kunstwerke präsent; in die beiden Jahrgänge (1865/67) sind insge-
samt 15 Photographien eingeklebt.
Werke: Armin (Drama), Lpz 1851; Demetrius stern Ringseis, Bln 1905; Aufsätze zur Kunst,
(Drama), Lpz 1854; Ein ewiges Geheimnis Gü 1915; Aufsätze zur Literatur, Gü 1915; Es-
(Novelle), Bln 1855; Essays, Ha 1859; Die Aka- says, Nü 1964
demie der Künste und das Verhältnis der Literatur: Springer, Anton: Raffaelstudien
Künstler zum Staate, Bln 1859; Leben Michel- (Rez. von »Das Leben Raffaels von Urbino«),
angelos, 2 Bde., Ha 1860/63 (engl. 1865, frz. u. in: ZfbK, 8, 1873, 65–80; Schmidt, Julian:
ital. 1864); Neue Essays über Kunst und Lite- H.G., in: Neue Bilder aus dem geistigen Le-
ratur, Bln 1865; Unüberwindliche Mächte ben unserer Zeit, 3, Lpz 1873, 248–342; Wil-
(Roman), Bln 1867; Zehn ausgewählte Essays denbruch, Ernst von: Zur Erinnerung an
zur Einführung in das Studium der neueren H.G., Bln/Stg 1901; Spiero, Heinrich: H.G.
Kunst, Bln 1871 (darin: Raffael und Michel- und Heinrich von Treitschke, in: Hermen,
angelo, 1857; Albrecht Dürer, 1866; Goethes Hbg/Lpz 1906, 177–186; Waetzoldt 1924,
Verhältnis zur bildenden Kunst, 1871; Berlin 214–239; Wölfflin, Heinrich: H.G., in: Kleine
und Peter von Cornelius, 1859; Schinkel, Schriften, Da 1946, 194–197; Jenkel, Gertrud;
1867); Die Holbeinsche Madonna, in: PJbb, G. als Essayist, Diss. Hbg 1948; Strasser, René:
1871, 418–431; Das Leben Raffaels von Ur- H.G. Zum Problem des Klassizismus, Zü
bino, Bln 1872/86 (engl. 1889); Zur Abwehr 1972; Feist, Peter H.: 100 Jahre nach H.G., 30
gegen Herrn Prof. Dr. Springers Raffaelstu- Jahre seit der Befreiung vom Faschismus. Die
dien, Bln 1873; Fünfzehn Essays. Erste Folge, Entwicklung der Kunstwissenschaft an der
Bln 1874; Fünfzehn Essays. Neue Folge, Bln Berliner Universität 1875–1975, in: Künstleri-
1875; Goethe. Vorlesungen, 2 Bde., Bln 1877; sches und kunstwissenschaftliches Erbe als
Dürers Großer Satyr, in: PJbb, 1877, 595–605; Gegenwartsaufgabe, Bln 1975, 1–38; Mey,
Die Sarkophage der Sakristei von S. Lorenzo, Hans Joachim: Die Italienreise H.G.s im Jahre
in: JbPK, 1880, 17–29; Bemerkungen über 1857, in: Brüder G.-Gedenken (Schriften d.
den Zusammenhang von Werken Albrecht Brüder-G.-Ges. Kassel, 5), Mar 1981, 445–456;
Dürers mit der Antike, in: ebd., 2, 1881, 186– Moritz, Werner: H.G., Mar 1986; Hubert,
191; Fünfzehn Essays. Dritte Folge, Bln 1882; Hans W.: August Schmarsow, H.G. und die
Aus den letzten fünf Jahren. Fünfzehn Essays, Gründung des Kunsthistorischen Instituts in
Gü 1890; Homer. Ilias, 2 Bde., Bln 1890/95; Florenz, in: Max Seidel (Hrsg.), Storia
Beiträge zur deutschen Kulturgeschichte, Bln dell’arte e politica culturale intorno al 1900,
1897; Correspondence between Ralph Waldo Venedig 1999, 339–358
Emerson and H.G., Boston/ NY 1903; Briefe PB
von Herman und Gisela G. an die Schwe-

Grisebach, August
Geb. 4. 4. 1881 in Berlin; gest. 24. 3. 1950 in Heidelberg

Schüler  Wölfflins zu sein, galt G. bis ins hohe Alter als Auszeichnung und Ver-
pflichtung. Wölfflin war für ihn eine »Führer«-Gestalt; er habe der Einsicht allge-
meine Geltung verschafft, daß man die Kunstgeschichte nicht als »Ausdrucksge-
schichte«, sondern als eine selbständige Entwicklung des künstlerischen Sehens und
Formens begreifen müsse. G. praktizierte die Wölfflinsche Formanalyse in allen
seinen Arbeiten als die zentrale kunstgeschichtliche Methode, allerdings nicht ohne
sie zu modifizieren. Dabei konnte er sich auf Wölfflin selbst berufen, der in den
1920er Jahren den äußeren Bedingungen der Kunstgeschichte mehr Bedeutung
Grisebach 141

beizumessen begann, indem er ihre nationale Komponente untersuchte (Italien und


das deutsche Formgefühl, 1931); nicht zuletzt folgte G. damit auch einem allgemeinen
Trend in der Kunstwissenschaft der Zeit ( Dehio,  Pinder,  Gerstenberg,
 Eberlein). Für G. hatte die »deutsche Symphonie« jedoch viele Stimmen. Im
Mittelpunkt seines Interesses standen die deutschen Stämme und ihre Siedlungs-
räume, soweit sie kunsthistorisch relevant waren. Mit Gerstenberg, einem anderen
Wölfflin-Schüler, wurde G. so zu einem der Begründer der Kunstgeographie, wobei
sich für ihn Stammeseigentümlichkeiten in der Kunst nicht auf landschaftliche
Gegebenheiten reduzieren ließen. Im Sinne Wölfflins ging G. von der konkreten
Erscheinungsform der Kunstwerke aus, »behutsam und andeutend« ( Gall), ver-
mied theoretische Generalisierungen, auch war wissenschaftliche Exaktheit nicht
sein oberstes Ziel. G. war seiner Einstellung nach eher ein Künstler, der Abstraktio-
nen wie Stammescharaktere nur als ein »Transzendierendes« hinnehmen konnte.
G.s Großvater Heinrich August G. war ein bedeutender Botaniker, der Begrün-
der der modernen Pflanzengeographie, sein Vater Hans G. ein angesehener Berliner
Architekt. G. studierte in München und Berlin und promovierte 1906 bei Wölfflin
mit Das deutsche Rathaus der Renaissance, einer brillanten formanalytischen Untersu-
chung der Wandlung der Fassade im 16. Jahrhundert, für die er den  Herman-
Grimm-Preis erhielt.
Die Architekturgeschichte blieb bis um 1930 G.s Hauptbetätigungsfeld. Auf einen
Zeitabschnitt kam er dabei immer wieder zu sprechen: das ausgehende 18. und
frühe 19. Jahrhundert. In der Geschichte der Gartenkunst von der Renaissance bis
zum Ende des 18. Jahrhunderts, der G.s erste größere wissenschaftliche Arbeit ge-
widmet ist – 1912 habilitierte er sich mit ihr an der Technischen Hochschule Karls-
ruhe –, vollzog sich seiner Auffassung nach in jenem Zeitraum eine revolutionäre
Umwälzung: Der architektonische »formale« Barockgarten wurde vom romanti-
schen Landschaftsgarten verdrängt. Im Gegensatz etwa zu  Pevsner bewertete G.
dies negativ, an die »Stelle der realistischen Betrachtung der sichtbaren Welt tritt die
ideologische. Welchen Gewinn auch Musik und Dichtung aus der Romantik ge-
schöpft haben; für die bildende Kunst bedeutet sie ein Verhängnis«. Auch die für das
Handbuch der Kunstwissenschaft geschriebene Architekturgeschichte des 19. und 20.
Jahrhunderts, von der nur die erste Lieferung erschienen ist, stellt die Romantik als
Zeit des Niedergangs dar. Als besonders »krasses« Beispiel für deren Unvermögen,
Raum und Körper mit der Funktion des Bauwerkes in Deckung zu bringen, emp-
fand G. die von Friedrich August Stüler und Johann Heinrich Strack nach Ideen
Friedrich Wilhelms IV. von Preußen erbaute Berliner Nationalgalerie. In diesen
Zusammenhang gehört auch das 1924 erschienene Schinkel-Buch. Nach  Kuglers
und  Waagens Biographien (1842, 1844) und dem von Alfred von Wolzogen und
Hans Mackowsky edierten Nachlaß (1862–64, 1922) war es die erste »grundlegende«
Arbeit über den Künstler, in dessen Meisterwerken für G. noch die architektonische
Gesinnung des 18. Jahrhunderts nachklang, der aber in eine Zeit hineingeboren
worden sei, »die aus einem grundsätzlichen anderen, sentimentalisch sich hingeben-
den Verhältnis zur Natur die Umgebung eines Hauses nicht mehr streng gegen die
Landschaft« abgrenzte, sondern »gleichsam ein lebendig sich entwickelndes Land-
schaftsbild zu gestalten trachtete«. Im Kapitel »Neue Wege« würdigte G. als erster
142 Grisebach

die modernen Zweckbauten Schinkels, das Feilner-Haus, den Packhof, die Bauaka-
demie. Als am 13. März 1931 das Schinkelmuseum im Prinzessinnenpalais wiederer-
öffnet und das von  Rave im Auftrag der Akademie des Bauwesens konzipierte
Schinkel-Lebenswerk angekündigt wurde, hielt G. die Festrede.
Nach einer Privatdozentur an der Technischen Hochschule Karlsruhe und der
Berliner Universität (1912–18), einer o. Professur an der Technischen Hochschule
Hannover und der Universität Breslau (1919–29) sowie einem Studienaufenthalt an
der Bibliotheca Hertziana in Rom trat G. 1930 die Nachfolge  Neumanns in
Heidelberg an. Im selben Jahr erschien seine letzte und bedeutendste architekturge-
schichtliche Arbeit. Ihr »Held« war das »anonyme Bürgerhaus« in der mittelalterli-
chen deutschen Stadt. Es ist nicht die Entwicklungsgeschichte, die den Autor inter-
essiert, sondern das durch den Stammescharakter bedingte Konstante der Wohnform,
wie es sich seit dem späten Mittelalter in den deutschen Regionen ausgebildet
hatte. Auf die gesamte Kunst dehnte G. seine Fragestellung in seiner umfangreichen
Arbeit Die Kunst der deutschen Stämme und Landschaften aus. Sie entstand nach der
demütigenden Amtsenthebung im Jahre 1937 durch die Nationalsozialisten, unter
ihnen  Schrade, in der Abgeschiedenheit von Potsdam. Neben geographischen
spielten für G. auch eine Reihe anderer Faktoren – politische, soziale, psychologi-
sche – eine formschaffende Rolle bei der Ausbildung regionaler Besonderheiten.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts, als das alte Städtebürgertum von der historischen
Bühne abtrat, sei die regionale Vielfalt schließlich aus der deutschen Kunstgeschichte
verschwunden. G. vergleicht diesen Vorgang mit der Verdrängung der Mundarten
durch die »deutsche Gemeinsprache«, wie er überhaupt der Germanistik durch Josef
Nadlers einflußreiche Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (1912–
28) manche Anregung verdankte.
Seit 1946 lehrte G. wieder an der Universität Heidelberg. Die Kunstgeschichte
als Wissenschaft mit ihren generalisierenden Aussagen trat für ihn aber immer mehr
hinter dem »unmittelbaren Erlebnis« der singulären Kunstwerke zurück.
Werke: Das deutsche Rathaus der Renais- rer Stammeseigenart, Bln 1930; Deutsche
sance, Bln 1907; Danzig, Lpz 1908; Die deut- Dome, in: Geistige Arbeit, 1934, 16, S. 6; Rö-
sche Baukunst um 1600. Eine Parallele, in: mische Porträtkunst der Gegenreformation,
KtKtler, 8, 1909/10, 452–458; Der Garten, Lpz 1936; Sanssouci, Bln 1944; Heinrich
eine Geschichte seiner künstlerischen Gestal- Wölfflin. Ein Gedenkzeichen, in: Die Wand-
tung, Lpz 1911; Architekturen auf niederlän- lung, 1945/46, 893–898; Die Kunst der deut-
dischen und französischen Gemälden des 15. schen Stämme und Landschaften, Wien 1946;
Jh.s, in: MfKw, 5, 1912, 207–215, 254–272; Die Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46,
Baukunst im 19. und 20. Jh., Bln 1915 (nur 1 Bln/Hei 1947; Grundzüge der französischen
Lieferung erschienen); Deutsche Baukunst Kunst, Hei 1947; Potsdam, Bln 1947; Im An-
im 17. Jh., Lpz 1921; Karl Friedrich Schinkel. gesicht der Ruinen. Betrachtungen über die
Architekt, Städtebauer, Maler, Lpz 1924; Ein- zerstörten Städte, in: Die Gegenwart, 1948,
leitung zum AKat. Oskar Moll. Jubiläumsaus- Nr. 58/59, 23–24
stellung, Br 1925; Zur Baugeschichte Schlesi- Literatur: Gramberg, Werner: Rez. von
ens, in: Die Kunst in Schlesien, Bln 1927, 55– »Römische Porträtkunst der Gegenreforma-
127; Rez. von Wilhelm Pinder, Das Problem tion«, in: ZfKg, 6, 1937, 44–52; Gall, Ernst:
der Generation in der Kunstgeschichte Euro- Rez. von »Die Kunst der deutschen Stämme
pas (1926), in: RfKw, 49, 1928, 247–250; Die und Landschaften«, in: ZfKg, 12, 1949, 105–
Universität zu Breslau, Bln 1928 (mit Fried- 106; Regenbogen, Otto: A.G., in: Sber. d.
rich Andreae); Die alte deutsche Stadt in ih- Heidelberger AdW (1943/55), 1959, 85–88;
Grisebach 143

Gall, Ernst: A.G., in: KChr, 3, 1950, 113–114; denken an A.G., in: Ruperto-Carola, 3, 1951,
Weidhaas, Hermann: A.G. zum Gedächtnis, S. 18
in: ZfK, 4, 1950, 243–244; Paatz, Walter: Ge- PB

Gurlitt, Cornelius
Geb. 1. 1. 1850 in Nischwitz bei Wurzen; gest. 25. 3. 1938 in Dresden

Weder Kunstwissenschaftler noch Fachgelehrter wollte G. sein; er sah sich vielmehr


als Architekten, als schöpferischen Künstler, der frei von ästhetischen Normen und
den Regeln der »Zunft« empirische Kunstgeschichtsforschung treibt, stets auf der
Suche nach Entdeckungen abseits des allgemein begangenen Weges und in enger
Fühlung zur eigenen künstlerischen Praxis und den Bedürfnissen der Gegenwart.
G. strebte nicht in erster Linie nach wissenschaftlicher Objektivität; er wollte
Kunstgeschichte aus persönlicher Sicht schreiben. In dieser Haltung zum Fach und
zur Erkenntnistätigkeit des Kunsthistorikers muß man eine der Voraussetzungen für
G.s disziplinhistorische Leistung sehen: Er schrieb die erste Geschichte der europä-
ischen Barockarchitektur und trug – wie  Wölfflin (Renaissance und Barock, 1888)
und später  Riegl, der seit 1894/95 zu diesem Themen Vorlesungen hielt – ent-
scheidend dazu bei, dem Barock das Stigma der »Verfalls«-Kunst zu nehmen.
Sein Künstlerblut hatte G. wohl vom Vater, dem Landschaftsmaler Louis G.; sein
Bruder Fritz wurde in Berlin ein bedeutender Galerist. Um Architekt werden zu
können, lernte G. Zimmermann und Feldmesser, bis er 1867 zur Berliner Bauaka-
demie zugelassen wurde. 1869–72 besuchte er das Polytechnikum in Stuttgart, wo
ihn der Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer und  Lübke in seinen kunstge-
schichtlichen Neigungen bestärkten. 1873 zerschlugen sich die Hoffnungen auf
eine freie Architektenexistenz; G. begann, sich der Kunstgeschichte, zunächst der
sächsischen Architektur und dem Kunstgewerbe, zuzuwenden. 1879 wurde er Assi-
stent im Dresdner Kunstgewerbemuseum, das zur Förderung des deutschen Kunst-
handwerks gerade gegründet worden war. In die Dresdner Zeit 1879–87 fiel die
Hauptarbeit an einer dreiteiligen Architekturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
Ursprünglich hatte sich G. nur mit der Dresdner Baukunst befassen wollen, die ihn
aber weiter zum deutschen und dieser schließlich zum italienischen und europä-
ischen Barock führte. G. reiste nach Prag, Warschau und, um Andreas Schlüters
Hauptwerke kennenzulernen, nach Berlin, besuchte Frankreich, England und die
Niederlande, vor allem aber Italien, wo der Ausgangspunkt der bisher verachteten
und daher unbeachtet gebliebenen Architekturentwicklung »zwischen Hochrenais-
sance und dem Beginn der modernen-empirischen Kunstrichtung« zu suchen war.
Diese »klaffende Lücke« mit einer Überblicksdarstellung auszufüllen, die nicht auf
Einzelforschung, »sondern auf die Feststellung der kunstgeschichtlichen Entwick-
lung in ihren im 17. und 18. Jahrhundert so vielfach verschlungenen Wegen« aus
war, schwebte G. als Ziel vor. Seine richtungsweisenden Monographien (Geschichte
des Barockstiles in Italien, 1887; Geschichte des Barockstiles, des Rokoko und des Klassizis-
mus in Belgien, Holland, Frankreich, England, 1888; Geschichte des Barockstiles und des
Rokoko in Deutschland, 1889) erschienen als Band 5 der Geschichte der neueren Bau-
144 Gurlitt

kunst von  Burckhardt und Lübke, den ursprünglich der erkrankte  Dohme
hatte schreiben sollen.
G.s Ansatz unterschied sich von dem seiner Vorgänger durch einen engen Praxis-
und Gegenwartsbezug. Zwar vermochte auch er sich noch nicht ganz über einge-
fleischte ästhetische Vorbehalte hinwegzusetzen; in den Werken Borrominis vermißte
er die »innere Würde«, die »Übereinstimmung zwischen Maß und Absicht«; dies
wäre das »Krankhafte an denselben«. Aber mit Blick auf die moderne Architektur
sah er in dem römischen Architekten einen geistesverwandten Künstler, der »für
neue Materialien und neue Aufgaben der Konstruktion neue Ausdrucksformen
selbstschöpferisch« gefunden habe. Und über Bernini, bis dahin für alle Anhänger
des Klassischen der Inbegriff des Kunstverfalls, sagte er lapidar: »Wir haben ihn nur
im Rahmen seiner Zeit zu schildern, und nur zu erklären, wie er zu Ruhm und wie
zu Unruhm kam.« Die Architekturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts sah G.
von zwei Grundtendenzen, personifiziert in Michelangelo und Palladio, bestimmt,
die beide von der Antike ausgingen; die eine wollte sich von der Antike befreien
und »für neue Ideen eine neue Sprache« ausbilden, die andere suchte »die Antike
neu zu beleben« und sich »ganz mit dem Wesen der Klassizität« zu erfüllen. Im 17.
Jahrhundert, dem Zeitalter des »Könnens«, triumphierten der Barock und im fol-
genden Jahrhundert, einem Zeitalter des »Wollens«, der Klassizismus, mit dem sich
für G. die Lücke in der Kunstentwicklung zwischen der Renaissance und der Ge-
genwart, in der er eine Wiederbelebung des barocken Formgefühls konstatieren
konnte, geschlossen hatte.
1887 ging G. nach Berlin und wurde Dozent für Kunstgeschichte an der Techni-
schen Universität. Vorher hatte er, ohne je ein Examen abgelegt zu haben, bei
 Springer in Leipzig promoviert. Er galt jetzt als der »Barockmann«, widmete sich
aber nun anderen Themen wie dem protestantischen Kirchenbau, dem Wohn- und
Städtebau sowie der Denkmalpflege und verfaßte eine Weltgeschichte der Kunst
(1902).
Von 1895 bis zu seinem Tod wirkte G. an der Technischen Hochschule in Dres-
den, seit 1899 als o. Professor, 1904/05 und 1915/16 als Rektor. In dieser Zeit reiste
er wiederholt in die Türkei und auf den Balkan. Die byzantinische und osmanische
Kunst (Die Baukunst Konstantinopels, 1907/12) hielt er für ein wichtiges Bindeglied
zwischen Antike und Renaissance. Als Denkmalpfleger machte G. auf dem ersten
»Tag für Denkmalpflege« 1900 in Dresden auf sich aufmerksam, indem er forderte,
»daß wir dem Alten [...] als einem unbedingt in seiner Eigenart Erhaltenswerten
gegenübertreten« und das, was die Gegenwart einem alten Bau anfügt, nicht ka-
schieren.
G.s Interesse für Malerei und Plastik galt vor allem den Zeitgenossen und dem
19. Jahrhundert, wobei ihm allerdings die Moderne des 20. Jahrhunderts fremd
blieb. Er schrieb zahlreiche Artikel für die Zeitschrift Die Gegenwart, über Anselm
Feuerbach, Fritz von Uhde, Hans Thoma, Arnold Böcklin und den Bildhauer Adolf
von Hildebrand, und machte in Westermanns Monatsheften die englischen Präraffae-
liten in Deutschland bekannt. Wir verdanken G. auch die erste zusammenfassende
Darstellung der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts (1899), die, ausdrücklich par-
teilich und polemisch geschrieben, helfen wollte, einer neuen Kunst den Weg zu
Gurlitt 145

ebnen. Ihren Nährboden – hier erweist sich G. als ein später Nachfahre der Ro-
mantik – sollte sie in der wiederzugewinnenden »Gemeinschaft«, in der »geistigen
Einheit« des Volkes finden.
Werke: Das Schloß zu Meißen, Dr 1881; Ge- Clemen, Kurt Gerstenberg, Adolf Götze,
schichte des Barockstiles in Italien, Stg 1887; C.G., Arthur Haseloff, Rudolf Kautzsch,
Geschichte des Barockstiles, des Rokoko und Heinrich Alfred Schmid, Josef Strzygowski,
des Klassizismus in Belgien, Holland, Frank- Geza Supka, Oskar Wulff, Lpz 1917, 70–71;
reich, England, Stg 1888; Möbel deutscher Warschaus Bauten aus der Zeit der sächsi-
Fürstensitze, Bln 1888; Im Bürgerhause, Dr schen Könige, Bln 1917; Sächsische Denk-
1888; Geschichte des Barockstiles und des malpflege. Erinnerungen und Erfahrungen,
Rokoko in Deutschland, Stg 1889; Das Ba- Dr 1919; Von deutscher Art und Kunst, Bln
rock- und Rokokoornament Deutschlands, 1919; Handbuch des Städtebaus, Bln 1920;
Bln 1889; Kunst und Künstler am Vorabend Die Pflege der kirchlichen Kunstdenkmäler,
der Reformation, HaS 1890; Andreas Schlü- Lpz 1921; August der Starke, 2 Bde., Dr 1924;
ter, Bln 1891; Die Präraffaeliten. Eine briti- Selbstbiographie, in: Jahn 1924, 1–32; Das
sche Malerschule, in:WMh, 72, 1892, 106–136, Grab Christi in der Grabeskirche in Jerusa-
253–282, 327–345, 480–496; Beschreibende lem, in: FS Paul Clemen, Bonn 1926, 189–
Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler 199
im Königreich Sachsen, H. 16–41, Dr 1894– Literatur: Clemen, Paul: Zum 70. Geburts-
1921; Die Kunst unter Kurfürst Friedrich tag von C.G., in: ZfbK (Beilage), 55 (31),
dem Weisen, Dr 1897; Die Baukunst Frank- 1919/20, 277–285; Klopfer, Paul: C.G. zu sei-
reichs, Dr 1899; Die deutsche Kunst des 19. nem 100. Geburtstag, in: ZfK, 1950, 1, 86–87;
Jh.s, ihre Ziele und Taten, Bln 1899; Histori- Schrön, Barbara: C.G. Versuch einer biogra-
sche Städtebilder, Bln 1901ff.; Die Lutherstadt phischen und fachgeschichtlichen Darstel-
Wittenberg, Bln 1902; Geschichte der Kunst, lung seiner Persönlichkeit unter Berücksich-
2 Bde., Stg 1902; Dresden, Bln 1907; Die tigung seines Werkes als Kunsthistoriker,
Baukunst Konstantinopels, 3 Bde., Bln Hochschullehrer und Denkmalpfleger, Diss.
1907/12; Andrea Palladio, Bln 1914; Hand- Lpz 1987; Magirius, Heinrich: C.G. (1850–
zeichnungen von Watteau, Bln 1915; Der 1938), in: ders. (Hrsg.), Denkmalpflege in
Schutz der Kunstdenkmäler im Kriege, Bln Sachsen, Dr 1997, 15–24; Paul, Jürgen: C.G.
1916; Antwort auf Émile Mâle, in: Otto Grau- Ein Leben für Architektur, Kunstgeschichte,
toff (Hrsg.), Émile Mâle. Studien über die Denkmalpflege und Städtebau, Dr 2003
deutsche Kunst. Mit Entgegnungen von Paul PB

Haftmann,Werner
Geb. 28. 4. 1912 in Glowno (Westpreußen, heute Polen); gest. 28. 7. 1999 in Waakirchen

Das Lebenswerk H.s verklammern zwei grundlegende Bücher: eine Entwicklungs-


geschichte der europäischen Malerei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1954/55)
und eine weitausgreifende Darstellung der von der NS-Diktatur ins äußere und
innere Exil gedrängten deutschen Moderne, publiziert 1986 zum 50. Jahrestag der
Ausstellung Entartete Kunst 1937 in München. Dazwischen liegen wegweisende
Monographien über Klee, Nay, Nolde, Chagall, Lipchitz, Kasper und Guttuso. Her-
ausragende Vertreter der Kunst des 20. Jahrhunderts standen auch im Mittelpunkt
seiner Ausstellungstätigkeit an der Neuen Nationalgalerie in Berlin (West) 1967–
1974. Kunst war für H., wie Dieter Honisch, der nachfolgende und letzte Direktor
der Nationalgalerie-West, bezeugt, dasjenige, was große Künstler hervorbringen; für
H. zählte nur die schöpferische Leistung.
146 Haftmann

H. studierte 1933–36 Kunstgeschichte und Archäologie in Berlin und Göttingen.


1936 promovierte er bei Vitzthum in Göttingen über das italienische Säulenmo-
nument und ging anschließend bis 1940 an das Kunsthistorische Institut in Florenz,
wo mehrere Arbeiten über italienische Renaissance-Kunst entstanden. Nach dem
Krieg, den er als Soldat am Montecassino erlebte, und amerikanischer Gefangen-
schaft arbeitete H. seit 1946 in der Feuilleton-Redaktion der Zeit und 1950/51 beim
Bayerischen Rundfunk. 1951–55 lehrte er Kunstgeschichte an der Hochschule für
bildende Künste in Hamburg. Damals entstand die zweibändige Malerei im 20. Jahr-
hundert, die, auch unter Berücksichtigung der Entwicklung in den USA, zum ersten
Mal alle Strömungen innerhalb der europäischen Moderne seit 1890 zusammen-
faßte und einem Bekenntnis zu dem an Kandinsky, Mondrian und Klee anknüpfen-
den Abstraktionismus als dem der Kunst der Gegenwart einzig möglichen »Stilaus-
druck« gleichkam; dieser erscheine in »die Erlebnis- und Seinsweise des modernen
Menschen« evozierenden Bildern »als eine Konfiguration bildnerischer Rapporte
auf der farbig akkordierten und bewegten Fläche«. Am Beispiel von Renato Gut-
tusos Landnahme in Sizilien (1949/50) demonstriert H. die vermeintliche künstleri-
sche Unfruchtbarkeit des sozialistischen Realismus, schließt eine Fortentwicklung
des »Gegenstandsbildes« aber nicht grundsätzlich aus. Als Vorbilder empfiehlt er
Picasso, Beckmann und Leger, zwanzig Jahre später auch Guttuso, mit dem er seit
1942 befreundet war.
Bedeutung erlangte H. auch als Ausstellungsmacher. Er war einer der Mitbe-
gründer der documenta in Kassel, die 1955 im Zeichen der »entarteten« Kunst stand.
Auch an den beiden folgenden Ausstellungen 1959 und 1964, die sich der zeitge-
nössischen Kunst, vor allem dem Informel und der Pop Art zuwandten, war H.
noch beteiligt, ehe er sich auf Grund unüberwindbarer konzeptioneller Gegensätze
aus Kassel zurückzog.
Mehr Spielraum bot sich an der Westberliner Nationalgalerie, an die H. 1967 als
zweiter Direktor nach  Reidemeister berufen wurde. Ihm fiel die Aufgabe zu, wie
seit 1958 im Stammhaus auf der Museumsinsel in Berlin-Ost bereits geschehen, den
von den Siegermächten zurückgegebenen Altbestand mit den Nachkriegserwer-
bungen in dem von Mies van der Rohe entworfenen und 1968 eröffneten Neubau
am Tiergarten zu vereinen und auf diesem Fundament weiterzubauen. H. akzentu-
ierte von Anfang an die internationale Avantgarde, verlor die deutsche Entwicklung
aber nicht aus dem Blick. Als nationale Sammlung internationaler zeitgenössischer
Kunst präsentierte sich die Galerie unter H. auch durch Sonderausstellungen zum
Schaffen von Mondrian, Gabo, Rothko, Jorn, Wols, Tapies, Hartung und Warhol. H.
stand im regen Verkehr mit Künstlern und erlebte die Entstehung von Bildern
unmittelbar mit, die er später für die Galerie erwarb.
1974 zog sich H. aus gesundheitlichen Gründen aus der Öffentlichkeit an den
Tegernsee und nach San Casciano bei Florenz zurück. Er betätigte sich aber wei-
terhin schreibend. Seine letzte große Publikation über Verfemte Kunst, ein Auftrag
der Bundesregierung, war jenen deutschen Künstlern gewidmet, die, wie es in ei-
nem Geleitwort von Bundeskanzler Helmut Kohl heißt, in einer schweren Zeit den
Glauben an das andere Deutschland wach erhalten hätten. H. verstand die Arbeit an
diesem Buch auch als persönliche Trauerarbeit eines »Noch-Lebenden«, dem es ein
Haftmann 147

Anliegen war, den Widerstand der Künstler gegen das NS-Regime in allen Facetten
vom Abstraktionismus bis zum »linken Polit-Realismus« aufzuzeigen.
Werke Das italienische Säulenmonument, der, Frf/Bln/Wien 1973; Hans Uhlmann. Le-
Lpz/Bln 1939; Die Bernwardsäule in Hildes- ben und Werk (mit Ursula Lehmann-Brock-
heim, in: ZfKg, N.F. 8, 1939, 151–158; Toskani- haus), Bln 1975; Nationalgalerie 1967–74. Ein
sche Malerei des Cinquecento. Die Mostra Rückblick, in: JbPKB, XII, 1976, 33–53; Willi
del Cinquecento Toscano im Palazzo Strozzi Baumeister. Das Gilgamesch-Epos, Köln 1976;
in Florenz, in: Pantheon, 26, 1940, 181–189; Der Bildhauer Ludwig Kasper, Frf/Bln/Wien
Ein Mosaik der Ghirlandaio-Werkstatt aus 1978; Der Mensch und seine Bilder. Aufsätze
dem Besitz des Lorenzo Magnifico, in: und Reden zur Kunst des 20. Jh.s, Köln 1980;
MKhIF, 6, 1940/41, 1/2, 98–108; Der Glaube Verfemte Kunst. Bildende Künstler der inne-
an die Krise, in: Geistige Welt, 2, 1947, 3, 112– ren und äußeren Emigration in der Zeit des
115; Der Weg der italienischen Moderne, in: Nationalsozialismus, Köln 1986; Der Bild-
BK, 2, 1948, 11/12, 16–23; Europäische Male- hauer Martin Mayer, Mü 1988; E.W.Nay,
rei heute, in: Ci, 1, 1949, 55–63; Paul Klee. Köln 1991
Wege bildnerischen Denkens, Mü 1950; Ma- Literatur: Hentzen, Alfred: Rez. von »Paul
lerei im 20. Jh., Mü 1954 (Tafelband 1955); Klee«, in: KChr, 4, 1951, 298–301; Hofmann,
Painting, in: Andrew C. Ritchie (Hrsg.), Ger- Werner: Rez. von »Malerei im 20. Jh.«, in:
man Art of the Twentieth Century. The Mu- Merkur, 9, 1955, 7, 681–686; Sedlmayr, Hans:
seum of Modern Art, NY 1957; Emil Nolde, dass., in: Wort und Wahrheit, 1955, 306–308;
Köln 1958; Skizzenbuch. Zur Kultur der Ge- Berefelt, Gunnar: dass., in: Ktid, 26, 1957, 1/2,
genwart. Reden und Aufsätze, Mü 1960; E.W. 69–71; Honisch, Dieter: W.H., in: Die Natio-
Nay, Köln 1960; Asger Jorn, in: Quadrum, nalgalerie Berlin, Recklinghausen 1979, 67–
1962, 12, 61–84; Emil Nolde. Ungemalte Bil- 69; Merkert, Jörn: W.H. und die Nationalga-
der. Aquarelle und »Worte am Rande«, Köln lerie am Kulturforum, in: Claudia Rückert/
1963; Von den Traditionen und vom Stand Sven Kuhrau, Der Deutschen Kunst. Natio-
der Neuen Nationalgalerie, in: JbPKB,V, 1967, nalgalerie und nationale Identität 1876–1998,
169–185; Das Museum in der Gegenwart, in: Amsterdam 1998, 152–170; Presler, Gerd:
Gerhard Bott (Hrsg.), Das Museum der Zu- Zum Tode von W.H., in: Weltkunst, 69, 1999,
kunft, Köln 1970, 107–115; Die großen Mei- S. 1541; Non sono uno storico dell’arte; sono
ster der Lyrischen Abstraktion und des Infor- un testimone. W.H., in: Il giornale dell’arte,
mel, in: Seit 45, 1970, 13–49; Marc Chagall, 17, 1999, Nr. 180, S. 8
Köln 1972; Guttuso. Autobiographische Bil- PB

Hagedorn, Christian Ludwig von


Geb. 14. 2. 1712 in Hamburg; gest. 24. 1. 1780 in Dresden

Der Bruder des Dichters Friedrich von H. (1708–54) war kein Kunstgelehrter wie
seine Generationsgenossen  Winckelmann und  Heineken, sondern Diplomat,
Akademiedirektor, Galerieleiter, auch dilettierender Radierer und vor allem begei-
sterter Kunstsammler; mehr als die antike Bildhauerkunst, die H.s Freund Winckel-
mann in Rom bewegte, und die von seinem Intimfeind Heineken im Dresdner
Kupferstichkabinett verwaltete Graphik schätzte H. die Farbenkunst der Malerei. Er
war nie in Italien, was ihm Winckelmann als fundamentalen Mangel anrechnete; sein
Interesse galt besonders der deutschen, niederländischen und französischen Malerei
des Barock und Rokoko. Für die Kunstgeschichte und das kunsttheoretische Den-
ken dieses Zeitraums stellen seine Schriften bis heute eine wichtige Quelle dar.
Nach dem Jurastudium in Jena trat H. als Legationsrat 1735 in den sächsischen
148 Hagedorn

diplomatischen Dienst, der ihn nach Wien, Kassel, Mainz, Dresden, Frankfurt,
Mannheim, Düsseldorf und Bonn führte und vielfältige Möglichkeiten bot, seinen
Horizont zu erweitern und Kunstwerke, in der Hauptsache Gemälde zeitgenössi-
scher Künstler sowie ältere Graphik, zu erwerben. Als H. 1752 in Dresden seßhaft
wurde, umfaßte seine Sammlung 220 Gemälde vornehmlich deutscher Zeitgenos-
sen und Niederländer des 17. Jahrhunderts. Um ihren Marktwert zu erhöhen, ver-
faßte er die 1755 anonym publizierte Schrift Lettre à un amateur de la peinture, die
Ansätze zu einer kritischen Geschichte der nachmittelalterlichen deutschen Male-
rei, kunsttheoretische und kunstkritische Anmerkungen und nach dem Vorbild von
 Sandrarts Teutscher Academie zahlreiche Lebensbeschreibungen deutscher Künstler
des 18. Jahrhunderts enthält. Der geplante Verkauf der Sammlung – H. verband
Kunstliebe ganz im Sinne des Merkantilismus stets auch mit Nützlichkeitserwägun-
gen – zerschlug sich; seine Schrift, die er unter anderem Winckelmann nach Rom
und dem Kupferstecher und Kunsthändler Johann Georg Wille nach Paris geschickt
hatte, fand jedoch in ganz Europa eine positive Aufnahme. 1757 wurde H. Mitarbei-
ter von Friedrich Nicolais Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste,
für die er unter anderem The Analysis of Beauty (1753) von William Hogarth be-
sprach; dort erschien auch der Vorabdruck seiner zweiten, jetzt in deutsch abgefaß-
ten Schrift Betrachtungen über die Malerei (1762), in der er zum Verdruß Winckelmanns
die neue empiristische französische (Roger de Piles, Jean Baptiste du Bos) und
englische Kunsttheorie (Jonathan Richardson) nicht nur umfassend rezensierte,
sondern auch zur Grundlage seines Verständnisses von Malerei nahm, als einer Kunst
des Auges und der Empfindung. Statt verstandesmäßiger Ergründung der Form
suchte er generell in der Kunstbetrachtung »Bildung des Herzens«. Auch lag für ihn
eine wesentliche Voraussetzung für große Kunst in der gefühlsmäßigen Verbunden-
heit des Künstlers mit seiner Schöpfung. Anders als Winckelmann und Anton Ra-
phael Mengs, dessen theoretisches Hauptwerk Gedanken über die Schönheit und den
Geschmack in der Malerei auch 1762 veröffentlicht wurde, galt für H. die Mustergül-
tigkeit der Antike nur noch in bezug auf die Zeichnung; das Kolorit in der Malerei
sollte dagegen der Natur entsprechen. Diese ästhetische Einstellung erwuchs aus
einem intensiven Umgang mit der barocken Malerei des Nordens und trug rück-
wirkend zu deren Aufwertung gegenüber der italienischen Malerei bei. H. behan-
delte als erster Kunsttheoretiker die Landschaft als eine den großen akademischen
Sujets ebenbürtige Gattung und wurde so ein Vorläufer des Sturm und Drang und
der Romantik. Entgegen dem Italien-Kult des Klassizismus verschaffte H. deutschen
Künstlern wie Dürer, Holbein d.J. und Cranach wieder allgemeine Aufmerksamkeit
und regte die Beschäftigung mit Rubens an; von Rembrandt sprach er als »einem
Kometen, der seine eigene Bewegung hat«. H., dessen kunstgeschichtliches Denken
in der Tradition der Zyklentheorie Vasaris stand, skizzierte in den Betrachtungen eine
»kritische Geschichte der Farbgebung«, deren Etappen Namen wie Bellini, Gior-
gione, Tizian und Rubens markieren; parallel dazu dachte er sich eine Entwick-
lungslinie der Zeichenkunst mit Mantegna, Perugino, Schongauer und schließlich
Michelangelo und Raffael.
1763 wurde H. zum Generaldirektor der Künste, Kunstsammlungen und Kunst-
akademien berufen; ihm unterstanden die Gemäldegalerie, die Akademien in Dres-
Hagedorn 149

den und Leipzig und die Zeichenschule in Meißen. Er holte unter anderem Anton
Graff an die Dresdner Akademie.

Werke: Lettre à un amateur de la peinture Rolf: Das Schicksal der H.schen Gemälde-
avec des eclaircissements historiques sur un sammlung, Mü 1993; Zelle, Carsten: Kunst-
cabinet et les auteurs des tableaux, qui le markt, Kennerschaft und Geschmack. Zu
composent, Dr 1755; Die Mittel der gelehrten Theorie und Praxis in der Zeit zwischen
Welt berühmt zu werden, o.O. 1756; Betrach- Barthold Heinrich Brockes und Ch.L.v.H.,
tungen über die Malerei, 2 Bde., Lpz 1762 in: Kunstsammlungen und Geschmack im 18.
(Nd. 1997); Briefe über Kunst von und an H., Jh., hrsg. v. Michael Nord, Bln 2002, 217–238;
hrsg. v. Torkel Baden, Lpz 1797 Griener, Pascal: La connoisseurship euro-
Literatur: Stübel, Moritz: Ch.L.v.H. Ein péenne au service de la creation artistique
Diplomat und Sammler des 18. Jh.s, Lpz 1912; allemande, les lettres de Ch. L. v. H., in: Théo-
Waetzoldt, Wilhelm: Ch.L.v.H.s »Betrachtun- rie des arts et création artistique dans l’Europe
gen über die Malerei«, in: ZfbK (Beilage), 54 du Nord du XVIe au début du XVIIIe siècle,
(30), 1918/19, 765–771; Waetzoldt 1921, 94– hrsg. v. Michèle-Caroline Heck, Lille 2002,
103; Cremer, Claudia Susannah: H.s Ge- 333–352
schmack. Studien zur Kunstkennerschaft in CF
Deutschland im 18. Jh., Bonn 1989; Wiecker,

Hagen, Ernst August


Geb. 12. 4. 1797 in Königsberg (Kaliningrad, Rußland); gest. 16. 2. 1880 in Königsberg

H. studierte seit 1816 in Königsberg zunächst Medizin und Naturwissenschaften,


bevor er sich der Literatur und der bildenden Kunst zuwandte. Nach der Habilita-
tion (1823) und einer a.o. Professur (1825) wurde er 1831 der erste Ordinarius, der,
wenn auch noch in Verbindung mit der Germanistik, das Fach Kunstgeschichte an
einer deutschen Universität vertrat. Er lehrte vorwiegend »mittlere« und »neuere«
Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der regionalen Entwicklung,
was wohl in der Absicht geschah, auch das Interesse der Öffentlichkeit zu gewin-
nen.
H. beaufsichtigte auch die Königsberger Kunstsammlungen und engagierte sich
für das Kunstleben der Stadt, indem er einen Kunstverein (1831) gründete und in
der neuen städtischen Gemäldegalerie Ausstellungen veranstaltete. Dabei kamen
ihm seine durch  Schnaase vermittelten Kontakte zu Wilhelm von Schadow, dem
Düsseldorfer Akademiedirektor, zugute, der sich mit seinen Schülern an diesen
Ausstellungen beteiligte. Auch war es H.s stetigen Bemühungen zu danken, daß
1845 eine nach Düsseldorfer Vorbild organisierte Kunstakademie eröffnet werden
konnte. H. betreute auch das Münzkabinett, das er mit eigenen Grabungsfunden
bereicherte, sowie die Antikensammlung der Albertus-Universität und richtete gro-
ßenteils aus eigenen Mitteln ein Kupferstichkabinett ein. An der Restaurierung der
verfallenen Marienburg nahm er begeistert Anteil und traf sich dort regelmäßig mit
Eichendorff , Schnaase und den Brüdern Alfred und Rudolf Auerswald zu einem
»Lesekränzchen«. 1844 gehörte H. zu den Mitbegründern der Altertumsgesellschaft
»Prussia« und des gleichnamigen Museums.
H.s wissenschaftliche Arbeit konzentrierte sich im wesentlichen auf zwei Schwer-
punkte; neben regionalgeschichtlichen Themen wie der Geschichte des Doms zu
150 Hagen

Königsberg, der er 1835 eine zusammen mit dem Kirchenhistoriker August Ru-
dolph Gebser verfaßte Studie widmete, galt seine besondere Neigung der italieni-
schen Kunstgeschichte; sie war ihm durch häufige Reisen seit Studententagen ver-
traut. Für H., und insofern kann er als unmittelbarer Vorläufer  Thausings,  Carl
Justis und  Grimms bezeichnet werden, kulminierte die Kunstgeschichte in den
großen Künstlern. Er verfaßte heroisierende, an Vasaris Viten erinnernde Lebensbe-
schreibungen über Leonardo und Michelangelo, zu denen er alle verfügbaren Do-
kumente heranzog.
Neben seiner Tätigkeit für Forschung und Lehre schrieb H. Novellen, Dramen
und Romane im Geiste der Spätromantik; aber nur sein 1820 publiziertes Versepos
Olfried und Lisena ist in die Literaturgeschichte eingegangen. Seine theoretischen
Arbeiten zum Theater, in denen er sich unter anderem mit der Shakespeare-Rezep-
tion auf deutschen und insbesondere auf preußischen Bühnen beschäftigte, sind
auch heute noch von Interesse.
Werke: Olfried und Lisena. Ein romantisches eine Komposition. Gesetz und Gnade von
Gedicht in zehn Gesängen, Kö 1820; Ge- Lukas Cranach d.Ä., Kö 1853; Geschichte des
dichte, Kö 1822; Christian Theodor Ludwig Theaters in Preußen, Kö 1854; Untersuchun-
Lucas. Über Klopstocks dichterisches Wesen gen über römische Geschichte. Catilina, Kö
und Wirken. Vorausgeschickt ist eine Ode 1854; Die deutsche Kunst in unserem Jahr-
von E.A.H., Kö/Bln 1824; Shakespeares er- hundert. Eine Reihe von Vorlesungen mit
stes Erscheinen auf den Bühnen Deutsch- erläuternden Beischriften, 2 Bde., Bln 1857;
lands und insbesondere auf der Königsbergs, Die Chronik seiner Vaterstadt Florenz von
in: Preußische Provinzialblätter, 7, 1832, 284– Lorenzo Ghiberti, Lpz 1861; Max von Schen-
300, 313–336, 409–432; Über drei geschichtli- kendorfs Leben, Denken und Dichten, Bln
che Gemälde der Düsseldorfer Schule, Kö 1863; Acht Jahre aus dem Leben Michelan-
1833; Der Dom zu Königsberg in Preußen, gelo Bonarrotis. Nach Berichten von Gior-
Kö 1835 (mit August Rudolph Gebser); gio Vasari, Bln 1869; Norica. Das sind Nürn-
Leonhard da Vinci in Mailand, Lpz 1840; Die bergische Novellen aus alter Zeit, Lpz 1872
Wunder der heiligen Katharina von Siena, Literatur: Hagen, Heinrich: A.H. Eine Ge-
Lpz 1840; Künstler-Geschichten, 4 Bde., Lpz dächtnisschrift zu seinem 100. Geburtstage,
1840–61; Über Albrecht von Thorwaldsen. Kö 1897
Eine Vorlesung, Kö 1844; Über Peter von CF
Cornelius. Eine Vorlesung, Kö 1844; Über

Hager,Werner
Geb. 13. 7. 1900 in Dresden; gest. 9. 5. 1997 in Oberhausen (Oberbayern)

Die beiden zentralen Bücher in H.s Bibliographie, eines über die Historienmalerei
(1939), das andere über die deutsche Barockarchitektur (1942), verbindet ein emi-
nent »historischer Sinn«, der, wie in den Erinnerungen (1995) nachzulesen ist, schon
früh erwachte. In die Gedankenwelt des Historismus wurde H. durch die prägende
Lektüre  Burckhardts eingeführt.Von ihm, seinem »Mentor«, lernte er Geschichte
als eine reale Kraft und die Welt des Künstlerischen als Teil einer historischen Tota-
lität, eines »Lebensganzen«, begreifen. Deutlich beeinflußt wurde H.s Denken auch
durch die geistesgeschichtlich orientierte Kunstgeschichtsschreibung  Dvoáks
Hager 151

und durch  Warburgs ikonologische Methode. H.s Arbeiten zum Ereignisbild


gehören in den Kontext der ikonographischen Forschungen der Nachfolger War-
burgs, seiner Altersgenossen  Bauch,  Wind,  Wittkower,  Pächt. Im Unter-
schied zu den ebenfalls gleichaltrigen  Schrade und  Weigert, die dem NS-
Regime sehr nahe kamen, hielt sich H. wie der für ihn richtungsweisende  Dehio
in den Grenzen einer aus nationaler Perspektive interpretierten, doch von »völki-
schen« Überspanntheiten freien Kunstgeschichte.
Der einer sächsischen Offiziersfamilie entstammende H. besuchte die Schule in
Straßburg, Dresden und Aarau. Seit 1920 studierte er in Genf Geschichte, Literatur
und Philosophie und seit 1921 bei  Rintelen in Basel Kunstgeschichte, daneben
Archäologie bei Ernst Pfuhl und Philosophie bei Karl Joël. Rintelen, an den H.
später immer in »Ehrfurcht und Liebe« zurückdachte, riet 1922 zu einem Universi-
tätswechsel; H. ging daraufhin ein Semester zu  Wölfflin nach München und
anschließend über Basel nach Berlin, wo er sich »als Deutscher unter Deutschen«
fühlte; einer seiner Kommilitonen wurde  Alfred Neumeyer, mit dem er lebens-
lang befreundet blieb.Während ihm Rintelen den »strengen Kunstbegriff« vermittelt
hatte, lernte H. bei  Goldschmidt das Handwerk. Archäologie hörte er bei Ferdi-
nand Noack und Philosophie bei Eduard Spranger. 1925/26 hielt sich H. an der
Bibliotheca Hertziana in Rom zur Vorbereitung seiner Doktorarbeit auf, die
 Heinrich Alfred Schmid in Basel betreute und die 1927 von der Fakultät ange-
nommen wurde. Dank eines Stipendiums konnte H. an die Hertziana zurückkeh-
ren, wo zu dieser Zeit auch Peter Brieger arbeitete (Die deutsche Geschichtsmalerei im
19. Jahrhundert, 1930). Ohne Aussicht auf eine bezahlte Anstellung kam H. 1928 als
Volontär zu  Voss an die Berliner Gemäldegalerie. In der Hauptstadt traf er »auf
eine Kunst, wie sie in Rom nicht vorgekommen war, auf eine Gewalt der Bilder,
die mich erschreckte und entzückte«. Dies blieb jedoch ohne Folgen; die Moderne
hat in H.s Texten kaum Spuren hinterlassen. Aus der Lage des »arbeitslosen Akade-
mikers« befreite ihn eine durch  Waetzoldt vermittelte Anstellung als Assistent des
aus Göttingen stammenden Oskar Hagen (1888–1957) an der Universität von Wis-
consin. 1930 kehrte H. nach Deutschland zurück; das Angebot, unter guten materi-
ellen Bedingungen zwei weitere Jahre in den USA zu bleiben, hatte er abgelehnt.
1931 fand H. eine Stelle als Assistent von  Grisebach in Heidelberg, wo in den
folgenden fünf Jahren die Habilitationsschrift über das geschichtliche Ereignisbild
und kleinere Texte wie die Biographien von Fischer von Erlach, Hildebrandt und
Prandtauer für den 5. Band des biographischen Lexikons Die großen Deutschen (1937)
entstanden; sie können auch als Vorarbeiten zum Barock-Buch von 1942 gelten.
1937–65 gehörte er der Universität Münster an, zunächst als Dozent, seit 1943 als
a.o. Professor und seit 1950, nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft (1947), als
Ordinarius und Nachfolger  Wackernagels.
H.s Untersuchungen zur Ikonographie der Geschichtsdarstellung schlossen an-
fangs das 19. Jahrhundert aus. Ihn interessierten vor allem Spätrenaissance und
Manierismus, als, gleichsam auf den Historismus vorausgreifend, Künstler wie Vasari
Geschichte nicht mehr religiös, sondern »als solche«, als Ergebnis »ausschließlich
menschlichen Handelns«, deuteten. Obwohl H. eine eigenständige Entwicklung des
Geschichtsbildes seit der Antike grundsätzlich bestritt, da die »Wirkung historischer
152 Hager

Vorstellung auf das Kunstschaffen« stets einer »Gebundenheit an allgemein herr-


schende Vorstellungen« unterlegen habe, erschien ihm das moderne Ereignisbild,
wie es im Manierismus entstanden war, dennoch nicht voraussetzungslos. Er unter-
schied vier Typen des Geschichtsbildes (Denkmal, Allegorie, Bildnis, Ereignisbild),
die ihm an keine bestimmte Periode gebunden schienen. Das Ereignisbild entdeckte
H. auch in der Spätantike und im Spätmittelalter. Optimale Bedingungen hatte es
seiner Auffassung nach aber erst seit dem 16./17. Jahrhundert gefunden, als die Ge-
schichtsdarstellung die Fesseln der Religion abzustreifen begann; in Goyas Erschie-
ßung der Madrider Aufständischen von 1808 habe das Ereignisbild endgültig triumphiert;
in ihm manifestiere sich der Sieg der an die »Geschichtsgebundenheit der Lebens-
mächte glaubenden Weltanschauung über die symbolische, metaphysische«. Im 19.
Jahrhundert sah H. die Geschichtsmalerei auf einem Irrweg, was ihn aber nicht
hinderte, fast 50 Jahre später einen umfangreichen Band mit Studien zu diesem
Thema (Geschichte in Bildern, 1989) zu publizieren. Von der »Zunft« kaum zur
Kenntnis genommen, stellt dieser dennoch den nach  Gurlitt,  Beenken,
 Evers, Werner Hofmann (Das irdische Paradies, 1960) markantesten Beitrag zum
Historismus in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts dar.
H.s Barockforschungen, mit denen er in der Nachfolge Gurlitts, Wölfflins,
 Riegls,  Schmarsows,  Pinders und  Weisbachs stand, überschritten nach
1945 die nationalen Grenzen. Während sich sein Buch von 1942 auf deutsche Mei-
ster und Landschaften konzentriert hatte und dem Barock eine zentrale Bedeutung
»auf dem Wege der Selbstfindung der deutschen Nation« zugesprochen worden war,
schrieb H. später mehrere Aufsätze über Guarini, den italienischen Manierismus
(Zur Raumstruktur des Manierismus in der italienischen Architektur, 1958) und eine zwei-
bändige Geschichte des europäischen Barock, des seiner Auffassung nach letzten
geschlossenen Kulturkreises, in dem »Alteuropa bis an die Schwelle der Revolution«
ausblühte.
H. war ein hochgeschätzter akademischer Lehrer, der über seine speziellen For-
schungsgebiete hinaus Kunstgeschichte von Giotto bis Picasso als integralen Be-
standteil europäischer Geschichte vermittelte. Zu seinen Schülern gehörten  Max
Imdahl, Helmut Buschhausen, Alexander Dückers, Klaus Herding, Dieter Honisch
und Anna Maria Kesting.
Werke: Die Ehrenstatuen der Päpste, Lpz (1941) u. Hans Jantzen, Deutsche Plastik des
1929; Jacob Burckhardt, in: Geistige Arbeit, 13. Jahrhunderts (1941), in: Das innere Reich,
1934, 16, S. 12; Karl Neumann, in: Pantheon, 1941/42, 609–610; Die Bauten des deutschen
14, 1934, S. 386; Die Meister von Straßburg, Barocks 1690–1770, Jena 1942; Der letzte Stil
Bamberg und Naumburg, in: Die großen des Ersten Reiches, in: Das 20. Jh., 4, 1942,
Deutschen, Bd. 1, Bln 1935, 205–214; Fischer 318–325; Vom Raumgefühl des Barocks, in:
von Erlach, in: Die Tat, 29, 1937, 371–384; Fi- Der getreue Eckart, 20, 1943, 4, 83–87; Über
scher von Erlach, Hildebrandt, Prandtauer, in: den Rhythmus in der Kunst, in: StG, 2, 1949,
Die großen Deutschen, Bd. 5, Bln 1937, 70– 153–160; Ein Spiegelmotiv bei Jan van Eyck
85; Albrecht Altdorfer, in: Das innere Reich, 5, und das gotische Raumsymbol, in:W. H./Max
1938, 426–438; Das geschichtliche Ereignis- Imdahl/Günther Fiensch (Hrsg.), Studien zur
bild, Mü 1939; Meisterbildnisse der Dürerzeit, Kunstform, Mü/Köln 1955, 41–70; Diego
Wien 1940; Rez. von Josef Strzygowski, Das Velázquez. Die Übergabe von Breda, Stg
indogermanische Ahnenerbe des deutschen 1956; Über Raumbildung in der Architektur
Volkes und die Kunstgeschichte der Zukunft und in den darstellenden Künsten, in: StG, 10,
Hager 153

1957, 630–645; Zum Verhältnis Fischer-Gua- 452;Vergleichendes zu Elias Holl, in: AKbl, 41,
rini, in: KChr, 10, 1957, 206– 208; Zur Raum- 1971, 231–235; Schlaun. Versuch eines Umris-
struktur des Manierismus in der italienischen ses, in: Johann Conrad Schlaun, Schlaunstudie
Architektur, in: FS Martin Wackernagel, I, Textteil, Landesmuseum Münster 1973, 13–
Köln/Graz 1958, 112–140; Guarinis Thea- 45; Vier Historienbilder, in: Beiträge zum
tinerfassade in Messina, in: FS Hubert Schrade, Problem des Stilpluralismus (Hrsg. mit Nor-
Stg 1960, 230–240; Münster in Westfalen, bert Knopp), Mü 1977, 134–140; Über das
Mü/Bln 1961; Guarini. Zur Kennzeichnung ältere Schlachtenbild, in: Boreas, 5, 1982, 181–
seiner Architektur, in: Miscellanea Bibliothe- 190; Geschichte in Bildern. Studien zur Hi-
cae Hertzianae, Mü 1961, 418–428; Nova storienmalerei des 19. Jh.s, Hi/Zü/NY 1989;
Roma. Manierismus und Barock im römi- Walter Scott über historische Darstellung, in:
schen Stadtbau, in: FS Max Wegner zum 60. Ekkehard Mai (Hrsg.), Historienmalerei in
Geburtstag, Münster 1962, 105–118; Barock- Europa, Mainz 1990, 209–212; Ein Weg zur
Plastik in Europa, Frf 1964 (mit Eva-Maria Kunstgeschichte am Beginn des Jahrhunderts,
Wagner); Andreas Schlüter, in: FS Kurt von in: WJbfKg, 1995, 223–238
Raumer, Münster 1966, 308–323; Vermeer Literatur: Rez. von »Das geschichtliche Er-
van Delft. Die Malkunst, Stg 1966; Strutture eignisbild« in: Pantheon, 14, 1941 (Sept., Bei-
spaziali del manierismo nel l’architettura ita- lage I); Christoffel, Ulrich: Rez. von »Die
liana, in: BPall, 9, 1967, 257–272; Uno studio Bauten des deutschen Barock«, in: Die Kunst,
sul Palladianesimo di Elias Holl, ebd., 84–95; 1942/43, 157–158; FS W.H., hrsg. v. Günther
Barock. Architektur, BB 1968; Barock. Skulp- Fiensch u. Max Imdahl, Recklinghausen
tur und Malerei, BB 1969; Guarini e il mondo 1966; Gross, Friedrich: Rez. von »Geschichte
tedesco, in: Atti del convegno internazionale in Bildern«, in: KChr, 50, 1997, 428–432
»Guarino Guarini e l’internazionalità del Ba- PB
rocco« Torino 1968, Bd. 2, Turin 1970, 439–

Hahnloser, Hans Robert


Geb. 13. 12. 1899 in Winterthur; gest. 7. 11. 1974 in Bern

Unter den schweizerischen Kunsthistorikern des 20. Jahrhunderts, die den epocha-
len Gestalten  Burckhardt und  Wölfflin nachfolgten, erlangte neben  Giedion
und  Gantner vor allem H. disziplinhistorische Bedeutung. Als Spezialist für Ar-
chitektur und Kunsthandwerk des Mittelalters verkörperte er exemplarisch den
Typus des vom Sichtbaren ausgehenden, auf das konkret erfahrbare Einzelwerk
ausgerichteten Empirikers, der seine Aussagen möglichst auf kritisch gesichtete
schriftliche Quellen gründet. Zu den singulären Meisterwerken hielt H. wohl des-
halb Distanz, weil er sie wie sein Lehrer  Schlosser, der sich auch gern mit »Rand-
gebieten« befaßte, nur für erlebbar, aber nicht für erklärbar hielt. Seinen Studenten
ist H. allerdings besonders als Interpret im Gedächtnis geblieben, der außerhalb des
Hörsaales vor den Originalen, oft ganz der Intuition folgend, seinen Zuhörern die
Augen zu öffnen vermochte. Bezeichnend für sein Verständnis von Kunstgeschichte
ist ein brillanter Aufsatz für den befreundeten  Erich Meyer über einen im Ham-
burger Museum für Kunst und Gewerbe aufbewahrten bronzenen Löwenkopf des
frühen 13. Jahrhunderts, den er, ausgehend von einer Urkunde des Klosters Rüeg-
gisberg, zum Anlaß nahm, den Sinngehalt des Ringes im Löwenrachen, wie er bis
zum Ende der Gotik häufig an Kirchenportalen vorkommt, weitausgreifend zu er-
örtern. Im Mittelpunkt standen dabei weniger stilgeschichtliche Gesichtspunkte als
die »geistigen Beweggründe« für das lange Festhalten an dem Löwenring, der sich
154 Hahnloser

H. als ein in seiner Bedeutung vielschichtiges Symbol mittelalterlicher Rechtsauf-


fassung darstellte (Urkunden zur Bedeutung des Türrings, 1957).
Der Arztsohn H. wuchs inmitten einer der reichsten Privatsammlungen zeitge-
nössischer französischer und schweizerischer Kunst auf; seine Eltern verkehrten mit
Bonnard,Vuillard, Roussel, Manguin,Vallotton, Giovanni Giacometti, Hodler, Amiet.
Diese Nähe zur Moderne blieb ihm sein Leben lang; im Gegensatz zu Gantner hielt
er es jedoch für unzulässig, mit ihren Maßstäben die Kunstgeschichte zu beurteilen,
das Mittelalter auf diese Weise zu aktualisieren.
H. studierte in Zürich, in Basel bei  Rintelen und seit 1921 – als Kommilitone
von  Sedlmayr,  Pächt, Charles de Tolnay,  Gombrich und Ernst Kris – in
Wien bei Julius von Schlosser, dessen Persönlichkeit und strenge, auf philologisch-
historische Quellenkritik basierende Ausbildung für ihn prägend wurde. Nach der
Promotion 1926 arbeitete H., unterbrochen vom Militärdienst, als Privatdozent und
Assistent Schlossers, wurde dessen Freund, mit dem er als begabter Bratschist in
einem Streichquartett spielte und ausgedehnte Autoreisen durch Europa unternahm.
1934 trat H. die Nachfolge von Arthur Weese (1868–1934) als Ordinarius in Bern
an. 1956/57 amtierte er als Rektor, 1968 ging er in den Ruhestand.
1935 veröffentlichte H. seine Doktorarbeit über das sogenannte Skizzenbuch des
Villard de Honnecourt, nach französischen und englischen Faksimileausgaben des
19. Jahrhunderts der erste Versuch einer umfassenden philologischen und kunsthi-
storischen Analyse von Bild und Text und die erste deutsche Übertragung der um
1220/30 entstandenen Handschrift. In den späten 1930er und 1940er Jahren, zum
Teil bedingt durch die während des Krieges eingeschränkten Reisemöglichkeiten,
trat für H. die schweizerische Kunstgeschichte in den Vordergrund. Seit 1935, dem
Beginn seiner langjährigen Tätigkeit im Dienst der 1880 gegründeten Gesellschaft
für schweizerische Kunstgeschichte, 1957–66 als ihr Präsident, engagierte er sich für
den Kunstführer durch die Schweiz, der an Hans Jennys Kunstführer der Schweiz (1934)
anknüpfte, und leitete 1938–47 die Ausgrabungen des Cluniazenserklosters auf dem
Rüeggisberg bei Bern. Zur gleichen Zeit arbeitete er an einer Publikation über das
Berner Münster und dessen Chorfenster und Altäre (1950). H. nannte sie eine »me-
thodische Anleitung zum Genuß von Kunstwerken«. Jedes Objekt befragte er nach
Funktion und Gegenstand, nach dem historischen Hintergrund, den Quellen, nach
der künstlerischen Qualität und schließlich nach dem individuellen Stil seines
Schöpfers und dem Stil der Zeit. In dem großformatigen Bildband wies sich H.
auch als Kenner der Glasmalerei aus, die in den folgenden Jahren zu einem seiner
Arbeitsschwerpunkte wurde. Er rief zudem ein auf 70 Bände berechnetes Gemein-
schaftsprojekt europäischer Glasmalereiforschung ins Leben, das seit 1956 erschei-
nende Corpus Vitrearum Medii Aevi. In den 1950er Jahren kam H. von der Glasmale-
rei zum Hartsteinschliff des hohen und späten Mittelalters. Er erkannte die zentrale
Stellung Venedigs und des Rhein-Maas-Gebiets in der Geschichte dieses Kunst-
handwerkszweiges (Corpus der Hartsteinschliffe des 12.–15. Jahrhunderts, 1985). Als be-
deutende Materialedition muß auch das den Päpsten Johannes XXIII. und Paul VI.
gewidmete zweibändige Werk über den Schatz von San Marco in Venedig (1965,
1971) gelten; H. war der Herausgeber, bearbeitete selbst die Stücke des 12.–14. Jahr-
hunderts und schrieb einen Beitrag über die Goldschmiedearbeiten der Pala
d’Oro.
Hahnloser 155

In seinen letzten Jahren kam H. auf ein Thema zurück, das ihn schon bei seiner
Doktorarbeit beschäftigt hatte: die Wiedergabe dreidimensionaler Objekte in der
mittelalterlichen Bildkunst. Im Gegensatz zum zentralperspektivischen »Sehbild«,
wie es mit der Renaissance aufkam, sei das »Gedankenbild« des Mittelalters das
Resultat der Zerlegung einer dreidimensionalen optischen Wahrnehmung und der
Zusammensetzung ihrer Elemente zu einer zweidimensionalen Einheit durch das
Bewußtsein: »Dem mittelalterlichen Auge – das durch die Brille des Verstandes sah
– erschien ein Fenster nur dann als quadratisch, wenn es wieder durch ein Quadrat
wiedergegeben wurde« (Das Gedankenbild im Mittelalter und seine Anfänge in der
Spätantike, 1968).
Werke: Bibliographie der bis zum 23. 9. 1927 tesoro di San Marco, 2 Bde., Fl 1965/71 (mit
erschienenen Schriften von Julius Schlosser, W.F. Volbach, A. Pertusi, B. Bischoff, G. Fioc-
in: FS J.v. Schlosser, Zü/Lpz/ Wien 1927, co, A. Grabar, E. Steingräber u. a.); Début de
274–284; Das Musterbuch von Wolfenbüttel, l’art des cristalliers aux pays Mosans et Rhén-
Wien 1929; Das Pferd in der Kunst, in: Belve- ans, in: Les Monuments Historique de la
dere, 1931, 125–130; Villard de Honnecourt. France, 1966, H. 1/2, 18–23; Prof. Dr. Erich
Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbu- Meyer 1897–1967, in: UKd, 18, 1967, 15–17;
ches ms. fr. 19093 der Pariser Nationalbiblio- Das Gedankenbild im Mittelalter und seine
thek, Wien 1935 (2. erw. Aufl. Graz 1972); Anfänge in der Spätantike, in: ACIRo, Roma
Zum Gedächtnis von J.v. Schlosser, in: Belve- 1968, 255–266; Einleitung zu AKat. Europä-
dere, 1938, 137–141; Chorfenster und Altäre ische Meisterwerke aus Schweizer Sammlun-
des Berner Münsters, Bern 1950; Die Armen- gen, Mü 1969, VII–XIX; Theophilus Presby-
bibel in den Händen Bernischer Auftragge- ter und die Inkunabeln des mittelalterlichen
ber, in: FS Henrik Cornell, Stockholm 1950, Kristallschliffs an Rhein und Maas, in: AKat.
172–188; Das Werkstattproblem, in: Emil Rhein und Maas. Kunst und Kultur 800–
Maurer, Die Kunstdenkmäler der Schweiz. 1400, Bd. 2, Köln 1973, 287–296; Johannes
Kanton Aargau, Bd. 3. Das Kloster Königsfel- Petrus de Medicis, Crema. Zum Graduale
den, Basel 1954, 275–277; Das Venezianer Kri- eines verschollenen lombardischen Miniators,
stallkreuz im Bernischen Historischen Mu- in: FS Arnold Geering, Bern/Stg 1972, 159–
seum, in: Jb. des Bernischen Historischen 165; Künstlerfreunde um Hedy und Arthur
Museums, 1954, 35–47; Scola et artes cristella- Hahnloser-Bühler. Erinnerungen und
riorum de Veneciis 1284–1319. Opus venetum Briefauszüge, in: AKat. Künstlerfreunde um
ad filum, in: ACIV, Venedig 1956, 157–165; Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler, Kunst-
Urkunden zur Bedeutung des Türrings, in: museum Winterthur 1973, 21–32; Opere di
FS Erich Meyer, Hbg 1957, 125–146; Kunst tagliatori veneziani di cristallo di rocco e di
und Staat, Bern 1957; Ein arabischer Kristall pietre dure del medioevo in Toscana, in: ACA,
in venezianischer Fassung aus der Wiener Fl 1973, 155–159; Adolf Herbst, Zü 1974; Cor-
geistlichen Schatzkammer, in: FS Karl Maria pus der Hartsteinschliffe des 12.–15. Jh.s, Bln
Swoboda, Wien 1959, 133–140; Pietro Calzet- 1985 (mit Susanne Brugger-Koch)
tas Heiligblutaltar im Santo zu Padua. Nic- Literatur: Keller, Harald: Rez. von »Chor-
colò Pizzolo und das Berner Hostienmühle- fenster und Altäre des Berner Münsters«, in:
fenster, in: Scritti di Storia dell’arte in onore DLZ, 74, 1953, 103–105; FS H.R.H. zum 60.
di Mario Salmi, Bd. 2, Rom 1962, 377–393; Geburtstag, Basel/Stg 1961; Wirth, Karl Au-
Der Schrein der unschuldigen Kindlein im gust/Frodl-Kraft, Eva: H.R.H., in: ÖZKD,
Kölner Domschatz und Magister Gerardus, 28, 1974, 4, 219–220; Rez. von »Villard de
in: Miscellanea pro arte Hermann Schnitzler, Honnecourt« (2. Aufl. 1972), in: Pantheon, 23,
Dü 1965, 218–223; Magistra latinatis und pe- 1975, 79–80; Masoni, Franco: Nachruf auf
ritia greca, in: FS Herbert von Einem, Bln Prof. Dr. H.R.H., in: UKd, 26, 1975, 10–11;
1965, 77–93; Souvenir rédigés par H.R.H. H.R.H. 1899–1974, o.O.u.J. (1975); Steingrä-
avec de notes de Mme. Hedy Hahnloser- ber, Erich: H.R.H., in: KChr, 28, 1975, 32–33;
Bühler, in: Annette Vaillant, Bonnard ou le Hüttinger 1992, 171–175
bonheur de voir, Neuchatel 1965, 163–184; Il PB
156 Hamann

Hamann, Richard
Geb. 29. 5. 1879 in Seehausen/Börde; gest. 9. 1. 1961 in Immenstadt

Eine weitausgreifende, große Lebensleistung und eine im Vergleich dazu nur einge-
schränkte Nachwirkung, einerseits bedeutende Beiträge zu praktischen und organi-
satorischen Voraussetzungen des kunstgeschichtlichen Arbeitens und zu dessen
volksbildnerischer Ausstrahlung und andererseits ein eigensinniges ästhetisch-kunst-
theoretisches Systematisierungsstreben, schließlich sowohl unkonventionelle, streit-
bare Neuerungen im Kunsturteil, als auch das lebenslange spezialistische Verfolgen
weniger Probleme durch gründliche Detailforschung kennzeichnen H.s Platz in der
Disziplingeschichte.
Der Sohn eines kleinstädtischen Briefträgers gelangte als einer der ersten in der
Sozialgeschichte der Kunsthistoriker nur durch harte Arbeit »von unten herauf« in
die akademische Sphäre. Das bestimmte dauerhaft seine wissenschaftliche Haltung
und seinen Blick auf die Kunstgeschichte. Er studierte in Berlin vor allem Philoso-
phie und Literaturgeschichte wie auch Kunstgeschichte bei  Goldschmidt und
promovierte schon nach sechs Semestern 1902 bei Wilhelm Dilthey über Das Sym-
bol. In der Folgezeit beeinflußten ihn die sozialpsychologische Sichtweise des Hi-
storikers Karl Lamprecht und die Kunstphilosophie Max Dessoirs, mit dessen Zeit-
schrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft er verbunden blieb. Nach kurzen
einführenden Veröffentlichungen zur Ästhetik konzentrierte er sich später auf die
Unterscheidung des (Bild-)Künstlerischen vom Ästhetischen. Während er im Berli-
ner Arbeiterbildungsverein unterrichtete, betrat er rasch hintereinander die For-
schungsfelder, auf denen er sich lebenslang bewegen sollte: die Kunst Rembrandts
(1906), die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts (1906), die romanische Bauplastik
(1909). Gleichzeitig befaßte er sich mit Quattrocentomalerei (1909), wobei er be-
reits seine neuartige Auffassung von sich in der Geschichte regelmäßig wiederho-
lenden Stilentwicklungen darlegte.
Mit einer stilkritischen Untersuchung der Kapitelle im Magdeburger Dom habi-
litierte sich H. 1911 bei  Wölfflin in Berlin und wurde Professor an der Akademie
im westpreußischen Posen, dann 1913–49 der erste Lehrstuhlinhaber in Marburg.
Dort begründete er das Bildarchiv »Photo Marburg«, für das er als »Kuli der Kunst-
geschichte« mit seinen Studenten zahllose Photoexkursionen in viele Länder unter-
nahm, sowie einen Verlag und ein Jahrbuch des kunsthistorischen Seminars, das
1927 zusammen mit dem Kunstmuseum der Universität ein eigenes Haus als »eine
gebaute Kunstwissenschaft« (Warnke, 1981) bekam und 1929 um das Preußische
Forschungsinstitut für Kunstgeschichte erweitert wurde. 1933 erschien erstmals die
preiswerte einbändige Geschichte der Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegen-
wart, die in Bearbeitungen bis 1965 in etwa 360 000 Exemplaren wirksam wurde,
und die H. nach Vorabveröffentlichungen der Kapitel über ägyptische und griechi-
sche Kunst 1952 mit dem Band Geschichte der Kunst von der Vorgeschichte bis zur
Spätantike (bald etwa 90 000 Exemplare) ergänzte. Gegen Nationalismus blieb der
protestantische Gesinnungssozialist immun. Er machte aber im Urteil über Gegen-
wartskunst Zugeständnisse an NS-Auffassungen und arbeitete im Krieg mit der
Wehrmacht zusammen, um in eroberten Ländern Kunstwerke photographieren zu
Hamann 157

können, wozu Mitarbeiter vom Fronteinsatz freigestellt blieben. 1947–57 übernahm


H. zusätzlich eine Gastprofessur auf dem verwaisten Lehrstuhl an der Berliner
Humboldt-Universität und beeinflußte die Entwicklung des Faches in der DDR,
bis er aus politischen Gründen entlassen wurde. Als Mitglied der Berliner Akademie
der Wissenschaften seit 1949 konnte er 1952 an dieser eine Forschungsstelle für
Kunstgeschichte begründen, die nach seinem Tod Edgar Lehmann (1909–97) wei-
terführte, bis sie 1971 aufgelöst wurde. H. brachte seine Forschungen zur Abteikir-
che von St. Gilles zum Abschluß. Die Bedeutung dieses Baus für den Übergang von
der Romanik zur Gotik hatte er seit 1922 gegen verbreitete Ansichten französischer
Gelehrter herausgearbeitet. Er hinterließ eine Theorie der bildenden Künste und fand
für seine fünfbändige Darstellung der Deutschen Kunst und Kultur von der Gründerzeit
bis zum Expressionismus einen literaturwissenschaftlichen Partner in Jost Hermand
(geb. 1930), dem die Formulierung der letzten Bände allein überlassen blieb. We-
sentliche Hilfe leistete ihm seit langem sein Sohn  Hamann-Mac Lean, der auch
nachgelassene Manuskripte herausgab.
H. nannte es »sachlich« (sein Lieblingswort), daß er die Kunstgeschichte nicht
wie  Wölfflin »als eine Geschichte rein formaler Werte, das heißt als eine Ent-
wicklung des von allen Zeitbedingtheiten unabhängigen künstlerischen Sehens«
verstehen wollte, sondern die »dargestellten Inhalte ebenso wichtig« nahm, weil
»alle Formen aus dem Lebensgehalt einer Zeit heraus geboren werden« (Geschichte
der Kunst, 1933). Für die Geschichte der europäischen Kunst und ihre Voraussetzun-
gen seit der Steinzeit – die außereuropäische Kunst ließ er im Unterschied zu
manchen Zeitgenossen unbeachtet – sah er dabei einen Zusammenhang, der auf
der mehrfachen, periodischen Wiederkehr eines folgerichtigen Rhythmus von Stil-
entwicklungen, aber stets unter Verarbeitung des zuvor Geleisteten beruht. Ohne
daß er bestimmte historische Kunstformen zu normativen Mustern erklärte, ge-
hörte seine Sympathie nie dem Höfischen, Repräsentativen oder Verfeinerten,
sondern allen rebellischen Neuanfängen, die immer ein »naturalistischer« Zugriff
auf neue Realität, vor allem auf eine neue soziale Realität seien. Diese Einstellung
führte ihn zu Rembrandt, dem einzigen Künstler, den er monographisch behan-
delte, und an dem er unter anderem seine Methode der Untersuchung von Bildthe-
men und des Wandels ihres Gehaltes beispielhaft demonstrierte (Hagars Abschied bei
Rembrandt und im Rembrandt-Kreise, 1936). Zur deutschen hochmittelalterlichen
Plastik erbrachten seine stilkritischen und motivkundlichen Untersuchungen eine
Reihe wichtiger neuer Erkenntnisse. Seit seiner Auseinandersetzung mit der »Jahr-
hundertausstellung« deutscher Kunst von 1906 und der kritischen Bilanz der im-
pressionistischen Einstellung und Sichtweise in bildender Kunst, Literatur, Musik,
aber auch in Wissenschaft, Philosophie und Lebensweise, an deren Stelle eine lei-
stungsorientierte, konstruktive »Sachlichkeit« treten müsse, arbeitete H. mit zuneh-
mender Deutlichkeit heraus, wie die künstlerische Kultur einer Periode stets von
Gegensätzen geprägt wird, die letztlich auf sozialen Gegensätzen beruhen, nicht auf
dem Nebeneinander verschiedener Generationen, wie  Pinder meinte. Unter
Verwendung neuer Begriffe oder ungewöhnlicher Verwendung geläufiger Stilna-
men lenkte er die Aufmerksamkeit auf das zeitliche Nebeneinander zum Beispiel
von »Prunkstil und Naturalismus« im 15. Jahrhundert wie von »Biedermeier und
158 Hamann

Stimmungsnaturalismus« oder »Neu-Renaissance und Impressionismus« im 19.


Jahrhundert und kennzeichnete Mantegna als »volkstümlichen Vorbarock« oder
Raffael als »Frühbarock« (Geschichte der Kunst, 1933).
H.s geschichtsphilosophischer Drang, die ganze Kunstgeschichte als einen sinn-
vollen Verlauf zu verstehen, um auch in der Gegenwart für den Sinn und den Wert
der Kunst im Leben einzutreten, hatte die Vorzüge wie die zwangsläufige Wider-
sprüchlichkeit einer energischen, mitreißend und im manchmal provokanten »Vo-
kabular der gewöhnlichen Lebenserfahrung« (Zeitler) vorgetragenen Parteilichkeit.
Dementsprechend bewunderte H. an dem in politischer Hinsicht konträren Pinder,
wie dieser – ungerecht, aber kämpfend – mit unverbrauchten Ausdrücken »in erster
Linie Anwalt« der Kunst gewesen sei (Nachruf auf W. Pinder). H.s einstiger Student
 Zeitler urteilte 1983: »Was er im Beschreiben von Kunstwerken geleistet hat, ist
nicht lehrbar, aber es setzt ein Maß, das hoffentlich vorbildlich bleibt.«

Werke: Das Symbol, Gräfenhainichen 1902; der mittelalterlichen Plastik Deutschlands, in:
Rembrandts Radierungen, Bln 1906; Ein MarJb, 1924, 1–48; Die deutsche Malerei vom
Gang durch die Jahrhundert-Ausstellung Rokoko bis zum Expressionismus, Lpz/Bln
(1775–1875). Betrachtungen über Entwick- 1925; Die Bonner Pietà, in: FS Paul Clemen,
lung und Zusammenhänge in der deutschen Bonn 1926, 365–374; Die Holztür der Pfarr-
Malerei, 3 Bde., Bln 1906; Der Impressionis- kirche zu St. Maria im Kapitol, Mar 1926;
mus in Leben und Kunst, Köln 1907; Die Motivwanderung von West nach Ost, in:
Frührenaissance der italienischen Malerei. WRJb, 1926/27, 49–73; Die Salzwedeler Ma-
200 Nachbildungen mit geschichtlicher Ein- donna, in: MarJb, 1927, 77–144; Die Elisabeth-
führung und Erläuterungen, Jena 1909; Die kirche zu Marburg und ihre künstlerische
Kapitelle im Magdeburger Dom, in: JbPK, Nachfolge, Mar 1929 (mit Karl Wilhelm
1909, 56–80, 108–138, 193–218, 236–270; Der Kästner); Studien zur Ottonischen Plastik, in:
Magdeburger Dom. Beiträge zur Geschichte StJb, 1930, 5–19; Der Schrein des Heiligen
und Ästhetik mittelalterlicher Architektur, Ägidius, in: MarJb, 1931, 114–136; Kunst und
Ornamentik und Skulptur, Bln 1910 (mit Können. Die »Kategorie« des Künstlerischen,
Felix Rosenfeld); Rez. von Wilhelm Worrin- in: Logos, 22, 1933, 1–36; Geschichte der
ger, Abstraktion und Einfühlung (1908), in: Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur
ZfÄaK, 5, 1910, 276–281; Ästhetik, Lpz/Bln Gegenwart, Bln 1933; The Façade of St. Gil-
1911; Die deutsche Malerei im 19. Jh., Lpz/ les. A Reconstruction, in: BM, 64, 1934, 19–
Bln 1914; Zur Begründung der Ästhetik, in: 29; Das Grab Clemens II. im Bamberger
ZfÄaK, 10, 1915, 113–160; Rez. von Wilhelm Dom, in: ZDVKw, 1, 1934, 16–36; Hagars Ab-
Worringer, Formprobleme der Gotik (1911), schied bei Rembrandt und im Rembrandt-
in: ZfÄaK, 10, 1915, 357–361; Die Methode Kreise, in: MarJb, 1936, 471–578; Das Tier in
der Kunstgeschichte und die allgemeine der romanischen Plastik Frankreichs, in: Me-
Kunstwissenschaft, in: MfKw, 9, 1916, 64–78, dieval Studies in Memory of Arthur Kingsley
103–114, 141–154; Krieg, Kunst und Gegen- Porter, Cam/MA 1939, 2, 413–452; Masaccio
wart. Aufsätze, Mar 1917; Kunst und Kultur und Filippino Lippi, in: FS Wilhelm Waet-
der Gegenwart, Mar 1922; Deutsche und zoldt, Bln 1941, 81–89; Ägyptische Kunst. We-
französische Kunst im Mittelalter, I. Südfran- sen und Geschichte, Bln 1944; Rembrandt,
zösische Protorenaissance und ihre Ausbrei- Leben und Werke, Bln 1948 (Nd. 1969, m.
tung in Deutschland auf dem Wege durch Anm. von Werner Sumowski); Griechische
Italien und die Schweiz, II. Die Baugeschichte Kunst. Wesen und Geschichte, Mü 1949; Na-
der Klosterkirche zu Lehnin und die nor- tionalsozialismus und bildende Kunst, in: bk,
mannische Invasion in der deutschen Archi- 1, 1949, 25–26; Tierplastik im Wandel der
tektur des 13. Jh.s, Mar 1922/23; Olympische Zeiten, Bln/Mar 1949; Nachruf auf Wilhelm
Kunst, Mar 1923; Die Skulptur des Zeustem- Pinder, in: JbAdW, 1946–49, Bln 1950, 213–
pels zu Olympia, Mar 1924 (mit Ernst 216; Ottonische Kapitelle im Chor der Ka-
Buschor); Grundlegung zu einer Geschichte thedrale von Sens, in: FS Hans Jantzen, Bln
Hamann 159

1951, 92–96; Geschichte der Kunst von der auf R.H., in: JbAdW, 1963, 205–206; Jansen,
Vorgeschichte bis zur Spätantike, Mü 1952; Elmar: R.H. Über einige Voraussetzungen,
Die Abteikirche von St. Gilles und ihre Leitlinien und Wirkungen seiner Forschungs-
künstlerische Nachfolge, 3 Bde., Bln 1955; methodik zum 19. Jh., in: EGA, Bln 1975, Teil
Otto Nagel. Berliner Bilder, Bln 1955; Deut- 1, 110–120; Feist, Peter H.: Beiträge R.H.s zur
sche Kunst und Kultur von der Gründerzeit Methodik der Kunstgeschichtsschreibung, in:
bis zum Exressionismus, 5 Bde., Bln 1959–75 Sber. d. AdW d. DDR, 1980, Nr. 1/G;Warnke,
(mit Jost Hermand); Christentum und euro- Martin: R.H., in: MarJb, 1981, 11–20; Feist,
päische Kultur, in: R.H. in memoriam, Bln Peter H.: History of Art and History of Cul-
1963, 19–77; Kunst als Protest in: ebd., 79– ture. On the Occasion of R.H.’s 100th Birth-
100; Theorie der bildenden Künste (m. Vorw. day, in: ACIB, Bologna 1982, 10, 63–68; Zeit-
von Richard Hamann-Mac Lean u. Nachw. ler, Rudolf: R.H.s Buch »Der Impressionis-
von Peter H. Feist), Bln 1980; Kunst und As- mus in Leben und Kunst« (1907). Notizen
kese. Bild und Bedeutung in der romanischen zur Ideengeschichte, in: Ekkehard Mai/Ste-
Plastik in Frankreich, Worms 1987 phan Waetzoldt/Gerd Wolandt (Hrsg.), Ide-
Literatur: Schürer, Oskar: Rez. von »Kunst engeschichte und Kunstwissenschaft, Bln
und Kultur der Gegenwart«, in: ZfbK (Bei- 1983, 293–311; Sprenger, Michael H.: R.H.
lage), 57 (33), 1922, 513–518; Goldschmidt, und die Marburger Kunstgeschichte zwi-
Adolph: Rez. von »Geschichte der Kunst«, in: schen 1933 und 1945, in: Kunst und Politik, 5,
ZfKg, 2, 1933, 221–222; Ladendorf, Heinz: R. 2003, 61–91; Badstübner, Ernst: R.H., ein fast
H., in: ZfK, 3, 1949, 140–142; Vogel, Hans: R. vergessener Kunsthistoriker des 20. Jh.s., in:
H. zum 70. Geburtstag, in: Ci, 1, 1949, S. 36; FS Hubert Faensen, Bln 2003, 267–284; Feist,
Keller, Harald: Rez. von »Die Abteikirche Peter H.: R. H., in: Sber. Leibniz-Sozietät, 74,
von St. Gilles und ihre künstlerische Nach- 2004, 145–150; Niehr, Klaus: Standpunkt und
folge, in: GöGA, 212, 1958, 110–122; Leh- Überschau – R.H. betrachtet die Kunst, in:
mann, Edgar: R.H. zum 80. Geburtstag, in: KgNS 2005, 183–197; Tralles, Judith: Die Fo-
FuF, 33, 1959, 156–158; Feist, Günter: R.H. tokampagnen des Preußischen Forschungsin-
zum Gedächtnis, in: BK, 9, 1961, 199–200; stituts für Kunstgeschichte während des
R.H. in memoriam. Mit zwei nachgelassenen Zweiten Weltkriegs, in: ebd., 263–282
Aufsätzen und einer Bibliographie der Werke PHF
R.H.s, Bln 1963; Fraenger, Wilhelm: Nachruf

Hamann-Mac Lean, Richard H. L.


Geb. 19. 4. 1908 in Berlin; gest. 19. 1. 2000 in Mainz

Ein absoluter Gesichtssinn, vergleichbar dem absoluten Gehör, habe ihn ausge-
zeichnet, schrieb Peter Cornelius Claussen. H. vereinte genaues Untersuchen von
Bau- und Bildwerken mit akademischer Lehrtätigkeit und die Konzentration auf
einige zentrale Fragen mittelalterlicher Kunst mit der Aufmerksamkeit für aktuelles
Kunstschaffen. Wie sein Vater  Richard Hamann, der sich jahrzehntelang um eine
Neubewertung der Kirche von Saint-Gilles bemühte, wählte er sich zum Objekt
beharrlicher Forschung die »in der herrschenden Lehrmeinung nicht minder ver-
kannte« Kathedrale von Reims.
Daß H. seinem Familiennamen den seiner schottischen Mutter hinzufügte, deu-
tet die Schwierigkeit an, nach dem gleichnamigen Vater im selben Beruf eigenes
Ansehen zu gewinnen. H.-ML studierte Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie
und Romanistik in Marburg, München, Paris, Berlin (bei  Goldschmidt und dem
Archäologen Gerhard Rodenwaldt) und Frankfurt. Dort nahm  Jantzen 1932
160 Hamann-mac lean

seine Dissertation über das Lazarusgrab von Autun an. 1934–38 unterrichtete er
schlecht bezahlt an der Kunstschule des Städel in Frankfurt, wo er bald die bewun-
derte moderne Kunst nicht mehr behandeln durfte, an der Volkshochschule wie
auch vor Gruppen der NS-Organisation »Kraft durch Freude«. Gleichzeitig arbei-
tete er als Photograph für die Denkmälerinventarisation und das vom Vater begrün-
dete Bildarchiv »Photo Marburg« und forschte über französische mittelalterliche
Plastik und ihre Bedeutung für die Geschichte der deutschen Skulptur. Stilkritisch
wies er nach, daß der Naumburger Meister, der ihn noch jahrzehntelang beschäf-
tigte, an der Kathedrale von Noyon mitgearbeitet hatte. In damals seltener Zusam-
menarbeit mit einem Franzosen wandte er sich, ebenfalls jahrelang, der frühmittel-
alterlichen Kunst zu. Mit einer ikonographischen Untersuchung habilitierte er sich
1939 bei Waetzoldt in Halle und behandelte im Kolloquium den noch wenig
beachteten Jugendstil. Gleich danach musste er Soldat werden, wurde zunächst zu
Photokampagnen abgestellt, die das Marburger Institut nach Vereinbarung mit der
Wehrmacht an Kunstdenkmälern im Baltikum und danach im eroberten Frankreich
unternahm, kam jedoch 1942 zur Flak. Ab 1945 arbeitete er am Kunstgeschichtli-
chen Seminar und Museum in Marburg, wurde 1949 a.o. Professor und leitete da-
neben die Volkshochschule. Berufungen nach Leipzig, Halle und Berlin lehnte er ab.
1967–73 folgte er Friedrich Gerke (1900–66) auf dem Lehrstuhl in Mainz; seine
Antrittsvorlesung galt Picasso. Als Forscher war er bis zuletzt tätig.
Der Vöge gewidmete, auf einem Vortrag von 1947 beruhende Aufsatz über die
verschiedenen Arten, in denen sich mittelalterliche Kunst mit der Antike auseinan-
dersetzte, zählt auf Grund außerordentlicher Denkmälerkenntnisse und besonderer
Aufmerksamkeit für ein individuelles »Aufräumen« mit überkommenem Formen-
vorrat schon im 13. Jahrhundert »zu den bedeutendsten kunsthistorischen Untersu-
chungen der Antikerezeption« (Arnold Nesselrath). Die vom Vater stammende An-
nahme, daß die stilistische Entwicklung in griechischer Antike und Gotik parallel
verlaufen sei und eine Geistesverwandtschaft bestünde, wird man allerdings nicht
mehr mit der »gemeinsamen indogermanischen Abstammung und damit gleichen
Uranlagen« von Griechen und Germanen erklären. H. dehnte seine Forschungen
auf die byzantinische Kunst aus und erlernte dazu Russisch, Bulgarisch und Serbo-
kroatisch. An jugoslawische Forscher anknüpfend, machte er gemeinsam mit seinem
Schüler Horst Hallensleben (1928–98) die byzantinischen und byzantinisch beein-
flußten Kirchen in Serbien und Makedonien und ihre Wandmalereien besser be-
kannt, um unter anderem den Anteil einer Malerwerkstatt an der Entstehung eines
Epochenstils zu ermitteln und überhaupt das Studium der byzantinischen Kunst in
Deutschland wieder zu beleben.
H. sah die Stilkritik mittels des an vielen Werken und auch durch das Photogra-
phieren geschulten Auges als »wichtigstes Instrument seines kunsthistorischen Er-
kenntniswillens« an. Allein durch vergleichende Werkanalysen ermittelte er, wie
einzelne, darunter auch deutsche Bildhauer, deren Individualität er betonte, nach-
einander an einer oder mehreren französischen Kathedralen gearbeitet hatten. Er
unterbreitete in vielen, zu seinem 80. Geburtstag nochmals gedruckten Aufsätzen
neue Ansichten zur Arbeitsteilung in Werkstätten und zur Rolle besonders kreativer
Meister in Architektur, Plastik und Goldschmiedekunst. Er schlug Korrekturen an
Hamann-mac lean 161

Daten der Baugeschichte der Kathedrale von Reims vor, die für die Gesamtauffas-
sung von der französischen und deutschen Kunstgeschichte von Belang sind. Denn
»keiner von den großen deutschen Meistern des 13. Jahrhunderts hat Reims nicht
gekannt, und alle müssen dort mitgearbeitet haben« (1981). Seine seit Ende der
1950er Jahre veröffentlichten Hypothesen zu Reims bekräftigte und präzisierte er in
einer gemeinsam mit seiner Schülerin Ise Schüssler erarbeiteten monumentalen
Monographie, die durch seinen Tod unvollendet blieb.

Werke Der Naumburger Meister in Noyon, Miloji, Hei 1974, 21–34; Der Dreikönigen-
in: ZDVKw, 1, 1935, 425–429; Das Lazarus- schrein im Kölner Dom, in:: Kölner Dom-
grab in Autun, in: MarJb, 8/9, 1936, 182–328; blatt, 33/34, 1971, 43–78; Die Anfänge des
Das ikonographische Problem der »Friedber- monumentalen Stils, in: Archives de l’art fran-
ger Jungfrau«, in: MarJb, 10, 1937, 37–86; çais, 25, 1978, 57–67; Nikolaus von Verdun
Frühe Kunst im Westfränkischen Reich, Lpz und seine Mitarbeiter, in: Zbornik radova
1939 (mit Jean Verrier); Antikenstudium in Narodog Muzeja u Beogradu, 9/10, 1979,
der Kunst des Mittelalters, in: MarJb, 15, 257–269; Die Kathedrale von Reims. Bild-
1949/50, 157–250; Ein ottonisches Kruzifix, welt und Stilbildung, in: MarJb, 20, 1981, 21–
in: ZfKw, 6, 1952, 115–136; Merowingisch 54; Die Reimser Denkmale des französischen
oder frühromanisch? Zur Stilbestimmung der Königtums im 12. Jh., in: Nationes, 4, 1983,
frühmittelalterlichen primitiven Steinskulp- 93–259; Künstlerlaunen im Mittelalter, in:
tur und zur Geschichte des Grabmals im frü- Skulptur des Mittelalters – Funktion und
hen Mittelalter, in: Jb. des Röm.-German. Gestalt, hrsg. v. Friedrich Möbius u. Ernst
Zentralmuseums Mainz, 4, 1957, 161–199; Die Schubert, Wei 1987, 384–452; Stilwandel und
Monumentalmalerei in Serbien und Make- Persönlichkeit. Gesammelte Aufsätze 1935–82,
donien vom 11. bis zum frühen 14. Jh. (mit Stg 1988; Die Kathedrale von Reims, Bde.
Horst Hallensleben), Gießen 1963/76; Stil- 1–3, 5–8, Stg 1993/96 (mit Ise Schüssler); Au-
wandel und Persönlichkeit. Der Reimser beterre und Georgien. Kleinasiatisches in der
»Priester-Meister«, in: FS Veljko Petrovi, Bel- romanischen Baukunst Westfrankreichs, in: FS
grad 1964, 243–253; Die Baugeschichte der Kurt Weitzmann, Pr 1995, 163–168
Kathedrale von Reims, in: Gedenkschrift f. Literatur: Chatzedakes, Manoles: Rez. von
Ernst Gall, Mü/Bln 1965, 195–234; Die Burg- »Die Monumentalmalerei in Serbien u. Ma-
kapelle von Iben, in: FS W. F. Volbach, Mainz kedonien«, in: ByzZ, 61, 1968, 104–108; Pra-
1966, 233–272; Der Berliner Codex graecus che, Anne: Rez. von »Die Kathedrale von
4° 66 und seine nächsten Verwandten als Bei- Reims«, in: Cahiers de civilisation médiévale,
spiele des Stilwandels, in: FS K. H. Usener, 40, 1997, 283–284; Claussen, Peter Cornelius:
Mar 1967, 225–250; Byzantinisches in der Zum Tode von R. H., in: ZfKg, 63, 2000, 3,
Werkstatt des Nikolaus von Verdun (russ.), in: 443–447; Nesselrath, Arnold: R. H., in: Pega-
FS V. N. Lazarev, Moskau 1973 (dt. erw. in: sus, 3, 2001, 165–176; Tralles, Judith: Die Foto-
Kölner Domblatt, 42, 1977, 243–266 u. 43, kampagnen des Preußischen Forschungsinsti-
1978, 57–67); Zum Problem der karolingi- tuts für Kunstgeschichte Marburg während
schen Großplastik, in: Kolloquium über früh- des 2. Weltkrieges, in: KgNS 2005, 263–282
mittelalterliche Skulptur, hrsg. v. Vladimir PHF

Hartlaub, Gustav Friedrich


Geb. 12. 3. 1884 in Bremen; gest. 30. 4. 1963 in Heidelberg

H. ist der Begriff »Neue Sachlichkeit« zu verdanken, den er 1925 für auffällige
Tendenzen in der nachexpressionistischen deutschen Malerei prägte; die wissen-
schaftliche Arbeit des ungemein produktiven, geistesgeschichtlich vorgehenden
162 Hartlaub

Gelehrten galt aber großenteils der Rolle von magischen, mystischen und mytho-
logischen Denkweisen und Traditionen, besonders in der Renaissancekunst, und
dem Vergleichen verschiedener Künste, wie der bildenden Kunst und der Musik, im
Gesamtrahmen der Kultur und ihrer Entwicklung. Die Methode der Motivkunde,
die Kunstpsychologie und »Grenzprobleme« der Kunstgeschichtswissenschaft zu
anderen Disziplinen verdankten dem »vorzüglichen Kenner und geistvollen Deuter
der Kunst unserer Tage« und der Universalität seines Wissens (Walter Passarge, 1930)
wertvolle Impulse. Da er seinem Wesen nach »immer Künstler bleibt, dagegen nur
in Grenzen Kunsthistoriker ist« (Miller, 1991), entfaltete er seine Erklärungen eher
in der Weise von anregenden Beobachtungen, als daß er nach festen Definitionen
und einem geschlossenen methodischen System gestrebt hätte.
H. studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Freiburg i.Br.,
Berlin, Wien, München und Göttingen, wo er 1910 über Siena im Quattrocento bei
 Robert Vischer und dem Philosophen Edmund Husserl promovierte. Dazu be-
trieb er sorgfältige Archivstudien und wertete auch später literarische Quellen in
großem Umfang aus. Nach einer Assistenz bei  Pauli an der Kunsthalle seiner
Heimatstadt und Arbeiten zu norddeutscher spätgotischer Skulptur wurde er 1913
Kustos und Vortragsredner an der neu eingerichteten Städtischen Kunsthalle Mann-
heim, der eine »Akademie für Jedermann« angeschlossen war, und 1923 Nachfolger
von Fritz Wichert (1878–1951) als Direktor. Wegen seines Eintretens für die nun als
»entartet« angesehene Kunst wurde er 1933 entlassen, konnte aber – wie auch
 Hausenstein – 1934–43 für das Feuilleton der Frankfurter Zeitung und als Privat-
gelehrter weiterarbeiten. Seit 1940 lebte er in Heidelberg, wo er nach dem Ende des
Nationalsozialismus im Kulturbund tätig war und 1945 einen Lehrauftrag, 1946, fast
60jährig, eine Honorarprofessur an der Universität erhielt. Ab 1947 gab er eine
kurzlebige ikonographische Schriftenreihe Der Kunstspiegel heraus, für die er auch
eigene Texte schrieb, und veröffentlichte mehrere Bücher und Sammelbände, zu-
letzt eine populär gehaltene Bild- und Kulturgeschichte des Zwerges.
Schon H.s frühe Arbeiten zur Quattrocentokunst, auf die er später mehrmals
zurückkam, berücksichtigten durch ikonographische und die Werkfunktion betref-
fende Gesichtspunkte einen weiteren, kulturgeschichtlichen Zusammenhang des
Kunstschaffens. Im patriotischen Geist der Jahre des Ersten Weltkriegs behandelte er
als erster die architektonischen Denkmalentwürfe Caspar David Friedrichs, der ihn
immer wieder beschäftigte. Durchaus zeittypisch war dann die Aufmerksamkeit für
die Kunst von Kindern, woraus auch im Zusammenhang mit der Museumsarbeit
Vorschläge für die Kunsterziehung erwuchsen. H. setzte sich um Verständnis wer-
bend für die moderne Kunst seiner Zeit ein. Die kurze Einleitung in dem schmalen
Katalog seiner Ausstellung Neue Sachlichkeit (1925), an der er in Kontakt mit Franz
Roh (1890–1966), Autor von Nach-Expressionismus – Magischer Realismus (1925),
gearbeitet hatte, und deren Bedeutung zuletzt in der Berliner Ausstellung Stationen
der Moderne (1988) und ihrem von Jörn Merkert herausgegebenen Katalog gewür-
digt wurde, betonte ausdrücklich, daß damit der Expressionismus nicht abgewertet
werden solle. Jede »Richtung« sei als Weltanschauung und als künstlerische Hand-
schrift an eine Generation gebunden, sei nichts anderes als »der Anteil der spezifisch
künstlerischen Zielbildungen an der allgemeinen Bewußtseinslage einer Generation
Hartlaub 163

überhaupt«, und »die Maßstäbe, mit denen Höhen gemessen werden, bleiben sich
gleich, sind zeitlos«. Auch sei von der visionären Phantastik der Expressionisten
selbst im »Verismus« der jüngeren Maler viel bewahrt. H. ging als Museumsleiter
nicht auf Provokation des Publikums aus; das Museum habe sich »im Dienst – sagen
wir nüchtern –: am Steuerzahler« täglich »mit Besucherziffern, Anziehung von
Fremden, Beachtung in der auswärtigen Presse« zu beweisen. Eine Ausstellung im
Februar 1933 unter dem Titel Deutsche Provinz, 1. Teil: Beschauliche Sachlichkeit be-
wahrte ihn dann doch nicht vor der Entlassung.
Er widmete sich nun den Vergleichen zwischen den »Sprachen« der Musik und
der bildenden Kunst, rezensierte intensiv neue Fachliteratur und konzentrierte sich
vor allem darauf, die von der Kunstgeschichtswissenschaft trotz  Warburg zu we-
nig beachtete Rolle des »Wunderglaubens« zu untersuchen, der erst mit der Re-
naissance in das nur fiktiv Bezaubernde des Ästhetischen übergegangen sei.
Seit dem »frühen Geniestreich« (Norbert Miller) über Giorgiones Geheimnis (1925)
ging H. mit einem weit gefaßten Begriff des Magischen möglichen Erklärungen
von Kunstwerken aus den Denkweisen der Astrologie, der Kristallomantie und an-
deren Orakelpraktiken sowie der Wirksamkeit esoterischer Gemeinschaften vor al-
lem unter den Auftraggebern von Kunstwerken nach. In vielen ikonographischen
oder motivkundlichen Einzelstudien schlug er neue Deutungen und dementspre-
chend auch Bildtitel, zum Beispiel für Werke Dürers oder Tizians, vor.  Fraengers
Interpretation von Hieronymus Bosch fand er epochemachend und widmete ihm
später seinen Aufsatz Der Todestraum des Hans Baldung Grien (1960). Eine bis ins Al-
tertum ausholende Geschichte des Spiegelmotivs war 1944 druckfertig, wurde aber
– nach Kriegszerstörung des Abbildungsteils – erst 1951, nun um die modernen
Beispiele (Beckmann, Picasso) erweitert, veröffentlicht.
H. bestritt nicht Kausalität, wohl aber mechanische Kausalität bei der Entstehung
von Kunst und beim Verlauf der Kunstgeschichte. Gegenüber einem materialisti-
schen Konzept von der Leib-Seele-Einheit vertrat er in Übereinstimmung mit dem
Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung die selbständige »Wirklichkeit der Seele«. Für
das Verstehen alter Kunst beanspruchte er das Recht des späteren Betrachters auf
etwas, was mit dem Namen einer Kunstrichtung der Nachkriegszeit als »private
Mythologie« bezeichnet werden kann.
Werke: Matteo da Siena und seine Zeit, Str Mystik der Renaissance, Mü 1925; AKat.
1910; Zur hanseatischen Kunst des Mittelal- Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit
ters, in: ZfbK, 48 (24), 1912/13, 127–141 u. 55 dem Expressionismus, Städt. Kunsthalle, Mh
(31), 1920, 57–71; Caspar David Friedrich und 1925; Giorgione und der Mythos der Akade-
die Denkmals-Romantik der Freiheitskriege, mien, in: RfKw, 48, 1927, 233–257; Das ewige
in: ebd., 51 (27), 1916, 201–212; Beiträge zu Handwerk im Kunstgewerbe der Gegenwart,
Francesco di Giorgio, in: ebd., 52 (28), 1917, Bln 1931; Musik und Plastik bei den Grie-
63–69, 83–97; Kunst und Religion. Ein Ver- chen. Beitrag zur vergleichenden Entwick-
such über die Möglichkeit neuer religiöser lungsgeschichte der Künste, in: ZfÄaK, 30,
Kunst, Lpz 1919; Der Genius im Kinde. 1936, 135–178; Signa Hermetis. Zwei alte al-
Zeichnungen und Malversuche begabter chemistische Bilderhandschriften, in: ZDVKw,
Kinder, Bln 1922; Vincent van Gogh, Lpz 4, 1937, 93–112, 144–162; Arcana Artis. Spuren
1922; Gustav Doré, Lpz 1924; Die schöne alchemistischer Symbolik aus der Kunst des
Maria von Lübeck und ihr Kreis, Bremen 16. Jh.s, in: ZfKg, 6, 1937, 289–324; Das Pro-
1924; Giorgiones Geheimnis. Ein Beitrag zur blem der Vergleichbarkeit. Vorbemerkungen
164 Hartlaub

zu einer vergleichenden Stilgeschichte von sen, Willsbach/Hei 1949; Tizians »Liebesora-


Musik und bildender Kunst, in: ZfÄaK, 31, kel« und seine »Kristallseherin«. Ein Beitrag
1937, 209–224; Die Musik im Generalbaß- zur weltlichen Ikonographie der Renaissance,
zeitalter und ihr Verhältnis zum Barockstil, in: in: ZfK, 4, 1950, 35–49; Zauber des Spiegels.
DVjS, 16, 1938, 184–218; Zum Problem der Geschichte und Bedeutung des Spiegels in
Wiederholung in der Geistesgeschichte, in: der Kunst, Mü 1951; Das Unerklärliche. Stu-
ZfÄaK, 32, 1938, 69–79; Hans von Marées dien zum magischen Weltbild, Stg 1951; L’art
und die Überlieferung, in: ZfÄaK, 33, 1939, graphique moderne, in: Documents, 1, 1951,
1–14; Rez. von Gotthard Jedlicka, Pieter Brue- 59–68; Rez. von Wilhelm Fraenger, Die
gel (1938), in: ebd., 62–73; Rez. von Martin Hochzeit zu Kana (1950), in: ZfKg, 15, 1952,
Wackernagel, Der Lebensraum des Künstlers 82–86; Zur Symbolik des Skulpturen-
in der florentinischen Renaissance (1938), in: schmucks am Ottheinrichsbau, in: WRJb,
ebd., 174–178; Rez. von Herbert von Einem, 1952, 165–181; Rez. von Hans Weigert, Ge-
Caspar David Friedrich (1938) und von Fritz schichte der europäischen Kunst (1951), in:
Nemitz, Caspar David Friedrich. Die unend- KChr, 5, 1952, 61–65; Über die Manessische
liche Landschaft (1938), in: ebd., 178–182; Liederhandschrift, in: Graphis, 8, 1952, 306–
Rez. von Karl Scheffler, Form als Schicksal 317; Zu den Bildmotiven des Giorgione, in:
(1938), in: ebd., 267–270; Rez. von Hermann ZfKw, 7, 1953, 57–84; Das Selbstbildnerische
Beenken, Der Meister von Naumburg (1939), in der Kunstgeschichte, in: ZfKw, 9, 1955,
in: ebd., 321–324; Rez. von Wilhelm Waet- 97–124; Der Stein der Weisen. Wesen und
zoldt, Hans Holbein d.J. (1939), in: ebd., 324– Bildwelt der Alchemie, Mü 1959; Der Todes-
327; Francesco di Giorgio und seine »Allego- traum des Hans Baldung Grien, in: Antaios, 2,
rie der Seele« im Kaiser-Friedrich-Museum, 1960, 13–25; Wie werde ich ein Kunstkritiker,
in: JbPK, 1939, 197–211; Albrecht Dürers in: FS Otto H. Förster, Köln 1960, 246–250;
»Aberglaube«. Zu einigen Handzeichnungen Hans Baldung Grien. Hexenbilder, Stg 1961;
und graphischen Blättern, in: ZDVKw, 7, Der Gartenzwerg und seine Ahnen. Eine iko-
1940, 167–196; Caspar David Friedrichs Me- nographische und kulturgeschichtliche Be-
lancholie, in: ebd., 8, 1941, 261–268; Antike trachtung, Hei 1962; Kunst und Magie. Ge-
Wahrsagungsmotive in Bildern Tizians, in: sammelte Aufsätze, hrsg. v. Norbert Miller,
Pantheon, 28, 1941, 250–253; Die Spiegel-Bil- Hbg/Zü 1991
der des Giovanni Bellini, in: ebd., 30, 1942, Literatur: Eckstein, Hans: Rez. von »Gra-
235–241; Das Symbol des Spiegels, in: DWdK, phik des Expressionismus«, in: Kunstwerk, 2,
2, 1941/42, 219–256; Ein unbekanntes Haupt- 1948, S. 80; Passarge, Walter: Rez. von »Fragen
werk des Francesco di Giorgio Martini von an die Kunst«, in: ZfK, 4, 1950, 240–242; Ett-
Siena, in: Pantheon, 31, 1943, 174–181; Das linger, Leopold D.: dass., in: BM, 93, 1951, S.
Paradiesgärtlein von einem oberrheinischen 305; Passarge, Walter: Rez. von »Zauber des
Meister um 1410, Bln 1947; Lucas Cranach Spiegels« in: KChr, 6, 1953, 136–138; Muchall-
d.J. Der Jungbrunnen, Bln 1946; Die Graphik Viebrook, Thomas: dass., in: KschH, 50,
des Expressionismus in Deutschland, Stg/ 1951/52, 171–174; Birkmeyer, Karl M.: dass.,
Calw 1947; Alchimisten und Rosenkreuzer. in: ArtB, 35, 1953, 254–256; Zahn, Leopold:
Sittenbilder von Petrarca bis Balzac, von Brue- Abschied von G.F.H., in: Kunstwerk, 16,
gel bis Kubin, Willsbach/Hei 1948; Die gro- 1962/63, 11/12, S. 87; Wechssler, Albrecht:
ßen englischen Maler der Blütezeit. 1730– G.F.H., in: Ruperto-Carola, 15, 1963, 135–138;
1840, Mü 1948; Saturnisches bei Michelan- Poensgen, Georg: G.F.H., in: KChr, 17, 1964,
gelo, in: ZfK, 2, 1948, 175–178; Rez. von 51–52; Witzleben, Elisabeth v.: G.F.H., in: Das
Wilhelm Fraenger, Hieronymus Bosch. Das Münster, 17, 1964, 75–76; Hille, Karoline: Mit
tausendjährige Reich (1947), in: ebd., 135– heißem Herzen und kühlem Verstand. G.F.H.
139; Rez. von Alfred Roth, Die Gestirne in und die Mannheimer Kunsthalle 1913–33, in:
der Landschaftsmalerei des Abendlandes Henrike Junge (Hrsg.), Avantgarde und Pu-
(1945), in: ebd., 3, 1949, 135–137; Fragen an blikum, Köln 1992, 129–138
die Kunst. Studien zu Grenzproblemen, Stg PHF
1949; Geheime Sinnbilder des Steins der Wei-
Haseloff 165

Haseloff, Arthur
Geb. 28. 11. 1872 in Berlin; gest. 31. 1. 1955 in Kiel

Nach der Architektur und der Bildhauerkunst begann man gegen Ende des 19.
Jahrhunderts auch hochmittelalterliche Malerei systematisch zu erforschen. An-
knüpfend an  Springer,  Janitschek und  Goldschmidt, seine Lehrer in Leipzig
und Berlin, und im kritischen Dialog mit seinem Altersgenossen  Vöge leistete H.
dazu einen noch heute gültigen Beitrag auf dem Gebiet der Buchmalerei. Unter
den deutschsprachigen Kunsthistorikern seiner Generation genoß kaum einer sol-
che internationale Anerkennung wie er: H. wurde als einzigem Ausländer die Ehre
zuteil, ein Kapitel, dasjenige über die Buchmalerei nördlich der Alpen, für André
Michels Standardwerk zur europäischen Kunstgeschichte (1905/06) und einen ähn-
lichen Beitrag für die Encyclopaedia Britannica (1929) zu schreiben. Dieses Speziali-
stentum verband sich mit Universalität. H. hinterließ auch Arbeiten über mittelal-
terliche Plastik und Architektur; seine Monographie über die Bauten der
Hohenstaufen in Süditalien wurde noch vor wenigen Jahren ins Italienische über-
setzt. Während seiner Kieler Zeit gab er der Erforschung der norddeutschen und
schleswig-holsteinischen Kunst und ihrer Beziehungen zu Skandinavien kräftige
Impulse.
H. studierte Kunstgeschichte in Berlin, Leipzig und München. 1895 promovierte
er über den Bildschmuck der Psalterien des Landgrafen Hermann von Thüringen. Auf
diesen ersten eigenständigen Forschungsergebnissen basierte seine immer noch
aktuelle Arbeit über die Buchmalerei in Thüringen und Sachsen (1897). Sie sollte
ein »Baustein zu einer Geschichte der deutschen Malerei des 12.–13. Jahrhunderts«
werden. In ihrem Mittelpunkt steht der Stilwandel von der Romanik zur Gotik
und die Rolle, die dabei der byzantinische Einfluß spielte. H. gilt allgemein als der
Entdecker des sogenannten Zacken-Stils, der die rundlich-flächige Formensprache
der Romanik verdrängte. Ihn allein mit dem massenhaften Import östlicher Kunst
als Folge der Kreuzzüge und der Eroberung Konstantinopels (1204) in Zusammen-
hang zu bringen, lehnte H. ab; er ging vielmehr von einem eigenständigen allge-
meinen Geschmackswandel in Westeuropa als einer der Hauptbedingungen für die
Entstehung der Gotik aus, der lediglich die Akzeptanz byzantinischer Formen be-
günstigt habe. Auch machte H. eine gewisse immanente Regelmäßigkeit der west-
und mitteleuropäischen Kunstentwicklung geltend: jene »Unruhe und Scharfbrü-
chigkeit« des Zacken-Stils sei in abgewandelter Gestalt von der Antike bis zur Gotik
wiederholt aufgetreten. Obwohl sich also H. des byzantinischen – auch des franzö-
sischen – Einflusses auf die deutsche Kunst klar bewußt war, sah er den Stilwandel
zur Gotik in die Kontinuität einer eigenständigen Entwicklung eingebunden.
In seiner Berliner Habilitationsschrift (Der Psalter Erzbischof Egberts von Trier, 1901)
gelang es H. überzeugend, eine Gruppe von Handschriften, die Vöge (1891) als eine
nicht näher definierte Schule zusammengefaßt hatte, mit der Insel Reichenau und
ihren Klöstern in Verbindung zu bringen, wodurch auch andere Schulen wie Köln,
Fulda, Regensburg, Hildesheim ein schärferes Profil erhielten. Ihre Zusammenfas-
sung fanden H.s Forschungen zur Buchmalerei schließlich in jenem Beitrag für
André Michels Kunstgeschichte.
166 Haseloff

1900–05 arbeitete H. an den Berliner Museen und als Privatdozent an der Uni-
versität. Die anschließende Berufung zum Sekretär der neugegründeten kunstge-
schichtlichen Abteilung des Preußischen Historischen Instituts in Rom gab seinem
Leben eine neue Richtung. H. erhielt den Auftrag, die architektonischen Zeugnisse
der Hohenstaufenzeit in Unteritalien zu erforschen. 1905/06 entstanden zunächst
zwei Gelegenheitsarbeiten anläßlich des Besuchs von Wilhelm II. in Italien und der
Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares: Eine sollte die Frage klären, ob zwei Gemah-
linnen Friedrichs II. in Andria begraben waren; die andere war ein Prachtband über
das von Wilhelm II. besuchte Kastell von Bari. In den Jahren bis 1914 widmete sich
H. – zeitweilig unterstützt von  Wackernagel – den Schloß- und Kastellbauten
Friedrichs II. und Karls von Anjou. Er wußte sich dabei in einer hundertjährigen
Forschungstradition. Im Vorwort erinnerte er an die zweimalige Entdeckung Süd-
italiens und Siziliens durch den Klassizismus im 18. Jahrhundert und die Romantik,
durch Schinkel und durch Heinrich Wilhelm Schulz (1808–55), den Verfasser der
ersten Monographie über Denkmäler der Kunst des Mittelalters in Unteritalien (1860).
H.s Werk, dessen Drucklegung durch den Ersten Weltkrieg verzögert wurde, ist
auch in methodischer Hinsicht eine gewisse Retrospektivität eigen. Gemäß der
Ausrichtung des Instituts auf die Erforschung der deutsch-italienischen Beziehun-
gen in ihrer Gesamtheit behandelte H. die architektonischen Denkmäler vornehm-
lich als Zeugnisse staufischer Geschichte.
Nachdem 1915 das römische Institut wegen des Krieges geschlossen worden war,
kehrte H. in den Universitätsdienst zurück. Bis 1917 war er in Halle, anschließend
in Berlin, und 1920 wurde er auf den Kieler Lehrstuhl berufen, den er bis zu seiner
Emeritierung im Jahre 1937 innehatte. Mit diesem Amt war die Leitung der Kunst-
halle und des schleswig-holsteinischen Kunstvereins verbunden. Sein Engagement
für die moderne Kunst demonstrierte H. durch eine Reihe von Ankäufen, die je-
doch zum großen Teil im Zuge der nationalsozialistischen Aktion »Entartete Kunst«
1937 beschlagnahmt wurden. In die Kieler Jahre fielen eine Gastprofessur 1932 in
New York und 1932–35 das kommissarische Direktorat des Deutschen Kunsthisto-
rischen Instituts in Florenz. Auch die italienischen Themen verschwanden nicht aus
H.s Schriften. Mit einer Arbeit über die vorromanische Plastik in Italien (1930)
näherte er sich einem bis dahin wenig erforschten, schwierigen Abschnitt mittelal-
terlicher Kunstgeschichte, die H. hier als Stilgeschichte praktizierte und als ein
Spiegelbild der politischen, kulturellen und künstlerischen Auseinandersetzungen
zwischen dem byzantinisch-islamischen Osten und dem römisch-christlichen We-
sten verstand.
Werke: Der Bildschmuck der Psalterien des XIIIe siècle en France (1898), in: ZfbK (Bei-
Landgrafen Hermann von Thüringen, Mü lage), 37 (13), 1902, 133–135; Ein altchristli-
1895; Eine thüringisch-sächsische Maler- ches Relief aus der Blütezeit römischer El-
schule des 13. Jh.s, Str 1897; Codex Purpureus fenbeinschnitzerei, in: JbPK, 1903, 47–61;
Rossanensis. Die Miniaturen der griechi- Rez. von Georg Swarzenski, Die Regensbur-
schen Evangelien-Handschrift in Rossano, ger Buchmalerei des 10. und 11. Jh.s (1901),
Bln/Lpz 1898; Les psautières de S. Louis, Paris in: GöGA, 165, 1903, 877–904; Die Vorläufer
1899; Der Psalter Erzbischof Egberts von der van Eyck in der Buchmalerei, in: Sber-
Trier. Codex Gertrudianus in Cividale, Trier KgG, 1903, 1–6 u. 1905, S. 28; Die mittelalter-
1901; Rez. von Émile Mâle, L’art religieux du liche Kunst auf der Erfurter Ausstellung, in:
Haseloff 167

SberKgG, 1903, 40–44; Rez. von Adolph Denkmäler der Ikonenmalerei in kunstge-
Goldschmidt, Studien zur Geschichte der schichtlicher Folge (1925), in: RfKw, 51, 1930,
sächsischen Skulptur in der Übergangszeit 50–52; Die vorromanische Plastik in Italien,
vom romanischen zum gotischen Stil (1902), Lpz 1930; Die Kieler Kunsthalle, in: MdG, 2,
in: DLZ, 25, 1904, 2120–2124; Die mittelalter- 1930/31, 62–70; Die Glasmalereien in der
liche Kunst in Sachsen und Thüringen, in: Kirche zu Breitenfelde und die deutsch-nor-
Meisterwerke der Kunst in Sachsen und Thü- dischen künstlerischen Beziehungen im 13.
ringen, hrsg. von Oskar Döring und Georg Jh., in: FS Anton Schifferer, Br 1931, 1–20;
Voß, Magdeburg 1904, 87–109; Campanische Begriff und Wesen der Renaissancekunst, in:
Plastik, in: SberKgG, 1904, 1–4; La miniature MKhIF, 3, 1931/32, 373–392; Zur Frage des
dans les pays cisalpins depuis le commence- Meisters des Kielmannseck-Epitaphs im Dom
ment du XIIe jusqu’au XIVe siècle, in: André zu Schleswig, in: Nordelbingen, 12, 1936,
Michel, Histoire de l’art depuis les premiers 102–104; Kunst und Kunstforschung an der
temps chrétiens jusqu’à nos jours, Paris 1905– Universität Kiel im 17. Jh., in: FS zum 275jäh-
06, I, 2, 711–755, II, 1, 297–371; Die Kaiserin- rigen Bestehen der Christian-Albrechts-Uni-
nengräber in Andria, Rom 1905; Das Kastell versität in Kiel, Lpz 1940, 403–446; Die Ho-
zu Bari, Rom 1906; Rez. von Antonio heitszeichen der Universität Kiel, in: Kieler
Muñoz, Il codice purpureo di Rossano e il Blätter, 1942, 201–227
frammento sinopense (1907), in: L’Arte, 10, Literatur: Martius, Lilli: A.H. zum Ge-
1907, 466–472; Die Glasgemälde der Elisa- dächtnis, in: Nordelbingen, 23, 1955, 7–10;
beth-Kirche in Marburg, Bln 1907; I mosaici Kauffmann, Hans: A.H., in: KChr, 9, 1956,
di Casaranelle, in: BdA, 1907, 12, 22–27; Ant- 111–115; Schlee, Ernst: A.H., in: Kunst in
wort auf Émile Mâle, in: Otto Grautoff Schleswig-Holstein. Jb. d. Schleswig-Holstei-
(Hrsg.), Émile Mâle. Studien über die deut- nischen Landesmuseums, 1957, 180–181; Da-
sche Kunst. Mit Entgegnungen von Paul Cle- vid-Sirocko, Karen u. a. (Hrsg.): A.H. (1872–
men, Kurt Gerstenberg, Adolf Götze, Corne- 1955). Italien im Norden, in: Hans-Dieter
lius Gurlitt, A.H., Rudolf Kautzsch, Heinrich Nägelke (Hrsg.), Kunstgeschichte in Kiel,
Alfred Schmid, Josef Strzygowski, Geza Kiel 1994, 38–44; Willemsen, Carl Arnold:
Supka, Oskar Wulff, Lpz 1917, 104–107; Rez. A.H. (1872–1955), in: Alexander Knaak
von Kurt Glaser, Zwei Jahrhunderte deut- (Hrsg.), Kunst im Reich Kaiser Friedrichs II.
scher Malerei (1916), in: LZB, 68, 1917, 1089– von Hohenstaufen, Bd. 2, Mü 1997, 219–232;
1091; Bauten der Hohenstaufen in Unterita- Holdorf, Martina (Hrsg.): Bilder und Bauten
lien, 2 Bde., Lpz 1920 (ital. 1992); Rez. von Unteritaliens zur Zeit der Normannen und
Heinrich Zimmermann, Vorkarolingische Staufer. Auf den Spuren des Kieler Kunsthi-
Miniaturen (1916), in: RfKw, 42, 1920, 164– storikers A.H. in Apulien, in: Burgen und
220; Rez. von Raymond Koechlin, Les ivoi- Schlösser, Kiel 2001; Albrecht, Uwe (Hrsg.):
res gotiques françaises (1924), in: RfKw, 47, AKat. A.H. und Martin Wackernagel. Mit
1926, 239–245; Illuminated Manuscripts, in: Maultier und Kamera durch Unteritalien,
The Encyclopaedia Britannica, Bd. 12, Lo/ UB Kiel 2005 (Rez. von Alexander Knaak, in:
NY 1929, 95–100; Die Manessische Lieder- KChr, 59, 2006, 55–65)
handschrift, Lpz 1929 (mit R. Sillib u. F. Pan- PB
zer); Rez. von Oskar Wulff/Michail Alpatov,

Hausenstein,Wilhelm
Geb. 17. 6. 1882 in Hornberg (Schwarzwald); gest. 3. 6. 1957 in München

Als Kunstkritiker und Verfasser zahlreicher populärer Monographien, zeitweiliger


Verfechter einer am Marxismus orientierten soziologischen Auffassung von Kunst-
geschichte und zuletzt als Diplomat nahm H. auf vielbeachtete Weise an der Mei-
nungsbildung vor allem über die moderne Kunst wie über die Rolle von Kunst
und Kunstwissenschaft in der Gesellschaft teil.
168 Hausenstein

In Heidelberg, Tübingen und München studierte H. 1900–05 Philosophie, Phi-


lologie, Geschichte, Nationalökonomie und – angeregt durch Karl Voll – zuletzt
Kunstgeschichte. Anschließend war er in Paris Vorleser bei der exilierten Königin
von Neapel. 1907–19 lebte er als Publizist in München und war nach eigenen
Worten »militantes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei« bis zum »Bankrott
der Revolution«. Er hielt Vorträge an Volkshochschulen, wie der »Akademie für
Jedermann« an der Kunsthalle Mannheim, und edierte literarische Werke. Im Ersten
Weltkrieg lernte er in Belgien seine Frau Margot kennen; bei der Hochzeit 1919
waren die Schriftsteller Rilke und Emil Preetorius Trauzeugen. Seit 1917 schrieb H.
in  Westheims Kunstblatt und in der Frankfurter Zeitung. 1919–22 war er Mither-
ausgeber der Berliner Zeitschrift Neuer Merkur; 1921–25 redigierte er die Nummern
3–5 von Ganymed, einer gehobenen modernen Kunst- und Literaturzeitschrift. Bis
1933 war er in der Redaktion der Münchener Neuesten Nachrichten, und 1922–24 gab
er Das Bild. Atlanten zur Kunst teilweise mit eigenen Nachworten heraus. Zahlreiche
Monographien zu Künstlern und Epochen der europäischen Kunstgeschichte sowie
Reisebücher erschienen in angesehenen Verlagen. 1934–43 redigierte er die Litera-
tur- und Frauenbeilage der Frankfurter Zeitung, bis ihm, den das NS-System schon
1936 aus der Reichsschrifttumkammer ausgeschlossen hatte, alle journalistische
Tätigkeit verboten wurde. Seit 1932 im oberbayerischen Tutzing ansässig, verlegte
sich H. auf das Übersetzen Baudelaires. 1946 hielt er nach 13 Jahren erstmals wieder
einen öffentlichen Vortrag – über Max Beckmann, für den er schon 1924 eingetre-
ten war –, griff bald in die aktuelle Kunstdiskussion ein und schrieb auch kunstge-
schichtliche Essays für die Zeitschrift Merian. Nach der Gründung der Bundesrepu-
blik Deutschland wurde H. zu seiner Überraschung 1950 deren Generalkonsul und
dann bis 1955 der erste Botschafter in Paris, ohne auf dem diplomatischen Parkett
richtig heimisch zu werden. Zuletzt war er Präsident der Akademie der schönen
Künste in München.
H.s frühe Versuche, eine soziologisch fundierte Erklärung der Kunst und ihrer
Geschichte zu entwerfen, die sich auf die Methode des historischen Materialismus
und die Auffassung von einem dialektischen Verlauf des Geschichtsprozesses stützte,
verbanden sich engstens sowohl mit seiner Wertung gegenwärtiger Kunstrichtungen
und seiner Kritik der herrschenden Kunst des 19. Jahrhunderts als auch mit seinen
Hoffnungen auf neue, von einer sozialen Gemeinschaft getragene Kunstverhältnisse
an Stelle der »verzerrenden Überbetonung des Individuums und seiner klassischen
Geltungszeiten«. Da er die Bedeutung des Sozialen für die Kunst nicht auf deren
Themenwahl beschränken, sondern die Stile als »Produkte der Kultur« ausweisen
wollte, demonstrierte H. die Stilgeschichte seit der Urzeit an einem anscheinend
sozial neutralen Gegenstand, den Darstellungen des nackten Menschen, des ele-
mentarsten Daseins. Der nackte Mensch in der Kunst aller Zeiten erschien nach kurzer
Zeit neu unter dem Titel Die Kunst und die Gesellschaft, und etwa gleichzeitig schrieb
er den Versuch einer Soziologie der bildenden Kunst, der einige Jahre später als Bild und
Gemeinschaft neu gedruckt wurde. 1928 legte H. den kühnen Überblick Kunstge-
schichte »für das Bedürfnis Aller« vor. Es war eine »Kunstgeschichte für Jedermann«,
die vom Alten Orient bis zur europäischen Gegenwart, anschließend durch Indien,
China, Mexiko, Afrika führte. Der Leser sollte sich zwei- bis dreimal die Abfolge
Hausenstein 169

der Abbildungen ansehen, die nur schöne und gültige Werke zeigten. Dabei waren
gelegentlich neueste Kunstwerke zwischen die älteren eingeblendet; die letzte Ab-
bildung gab eine paläolithische Höhlenmalerei aus Altamira wieder. Der Text suchte
»die künstlerischen Erscheinungen in die Bedingnisse der allgemeinen Menschen-
geschichte einzuknüpfen: der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, der politi-
schen, der geistigen, der religiösen«. Als sich H. in der NS-Zeit weigerte, das Buch
zu überarbeiten, wurde die Restauflage eingestampft. H.s auch begriffliche Gleich-
setzungen von Gesellschaftsformen und Stileigentümlichkeiten fielen allerdings so
schematisch aus, daß sie nicht nur von der »zünftigen« Kunstforschung abgelehnt
oder ignoriert wurden, sondern auch von soziologisch orientierten Gelehrten wie
 Hauser als irrig angesehen und zum Beispiel von  Georg Schmidt gar nicht
erwähnt wurden.
In seiner Kunst der Gegenwart (1914), die er seit 1911 für Karl Lamprechts Samm-
lung Das Weltbild der Gegenwart schrieb und bis zuletzt in einigen Einschätzungen,
zum Beispiel des Kubismus und Futurismus, überarbeitete, verzichtete er auf alle
biographischen Details, gab vielmehr kurze Charakterisierungen und pointierte
Wertungen vieler Künstler wie auch anderer Kunstschriftsteller, deren Bekanntheit
er bei den Lesern voraussetzte. In Marées sah er den größten deutschen Maler des
19. Jahrhunderts, Cézanne war die alles überragende Größe; Hodler lehnte er, an-
ders als  Burger, als »gespreizte Unmalerei« ab. Schon damals hielt er, ähnlich wie
 Hamann, die Entwicklung eines »sachlichen Stils« für das Wichtigste. In weiteren
Arbeiten trat zunehmendes Unbehagen bei der Beurteilung der Gegenwartskunst
zutage; H. unterschied stets zwischen Richtung und individueller Leistung; Beck-
mann faszinierte ihn sehr. Er vermutete hellsichtig, daß »die Kunst mit der Kinema-
tographie einen Kompromiß schließen werde, der eine letzte Grimasse bedeutet«
(Die Kunst in diesem Augenblick, 1920). Da ihn nach dem Bankrott des Sozialismus
alle politischen Richtungen abstießen, sah er auch für Kunst und Kunstschriftstel-
lerei nur Krisen. Der Künstler stehe endgültig außerhalb der Gesellschaft (Vom Wert
des Bildes. Notizen zur Überschätzung der Kunst, 1930). Nach dem Zweiten Weltkrieg
bekräftigte H. sein kritisches Urteil über die neue Kunst des 20. Jahrhunderts, die
gesellschaftlich funktionslos geworden und nur Symptom des Verfalls der bürgerli-
chen Gesellschaft und eines unbewußten Nihilismus sei. Seit der »Prätension« des
Symbolismus, nicht die Dinge, sondern nur deren unklare Bedeutungen zu malen,
und bis zur »2. Auflage« des unergiebigen Experiments einer abstrakten Kunst er-
blickte er fast nur Unerfreuliches. Ähnlich wie  Sedlmayr, der aber im Unterschied
zu ihm nie für moderne Kunst eingetreten war, fand er nun im christlichen Men-
schenbild und in der alten Kunst den einzigen rettenden Halt.
Werke: Der Körper des Menschen in der und Gemeinschaft, Entwurf einer Soziologie
Geschichte der Kunst, Mü 1906; Der Bauern- der bildenden Kunst, Mü 1920); Vom Künst-
Bruegel, Mü 1910; Der nackte Mensch in der ler und seiner Seele. Vier Vorträge, Hei 1914;
Kunst aller Zeiten, Mü 1911 (Nd. Die Kunst Die bildende Kunst der Gegenwart. Malerei,
und die Gesellschaft, Mü 1916); Rokoko. Plastik, Zeichnung, Stg/Bln 1914; Albert
Französische und deutsche Illustratoren des Weisgerber, ein Gedenkbuch, Mü 1918; Der
18. Jh.s, Mü 1912; Versuch einer Soziologie Isenheimer Altar des Matthias Grünewald,
der Kunst, in: Archiv f. Sozialwissenschaft u. Mü 1919; Vom Geist des Barock, Mü 1919;
Sozialpolitik, 36, 1913, 758–794 (als Buch: Bild Über Expressionismus in der Malerei, Bln
170 Hausenstein

1919; Die Kunst in diesem Augenblick, Mü Tellus Bavarica, in: FS Hans Ludwig Held,
1920; Max Unold, Lpz 1921; Kairouan oder Mü 1950, 66–70; Abendländische Wanderun-
eine Geschichte vom Maler Klee und von gen. Städte und Kirchen, Landschaften und
der Kunst dieses Zeitalters, Mü 1921; Barba- Figuren in Reisebildern, Mü 1951; Rem-
ren und Klassiker. Exotische Kunst, Mü 1922; brandt, Bern 1951; Goethe und die Macht der
Tafelmalerei der deutschen Gotik, Mü 1922; Kunst, in: FS Emil Preetorius, Wb 1953, 100–
Die Bildnerei der Etrusker, Mü 1922; Die 109; Deutschland und Frankreich, in: FS Ed-
Malerei der frühen Italiener, Mü 1922; Ro- win Redslob, Bln 1955, 234–237; Vom Genie
manische Kunst, Mü 1923; Tafelmalerei der des Barock, Mü 1956; Die Kunst in diesem
alten Franzosen, Mü 1923; Giotto, Bln 1923; Augenblick. Aufsätze und Tagebuchblätter aus
Fra Angelico, Mü 1923; Das deutsche Bild des 50 Jahren, hrsg. v. Hans Melchers, Mü 1960;
16. Jh.s (mit Hermann Esswein), Mü 1924; Licht unter dem Horizont. Tagebücher 1942–
Vermeer (mit Benno Reifenberg), Mü 1924; 46, hrsg. v. Wilhelm Emanuel Süskind, Mü
Max Beckmann (mit Curt Glaser, Julius 1967; Impressionen und Analysen. Letzte Auf-
Meier-Graefe, Wilhelm Fraenger), Mü 1924; zeichnungen, Mü 1969; Ausgew. Briefe, hrsg.
Das Werk des Vittore Carpaccio, Stg/Bln/Lpz v. Hellmut H. Rennert, Oldenburg 1999
1925; Venezianische Augenblicke, Dr 1925; Literatur: Voss, Hermann: Rez. von »Was
Rembrandt, Stg/Bln/Lpz 1926; Kunstge- bedeutet die moderne Kunst«, in: Dt. Bei-
schichte, Bln 1928; Die Welt um München, träge, 4, 1950, 215–221; Zahn, Leopold: dass.,
Mü 1929; Meister und Werke. Gesammelte in: Kunstwerk, 4, 1950, 47–48; Westphal, Con-
Aufsätze zur Geschichte und Schönheit bil- rad: dass., in: ZDVKw, 4, 1950, 62–66; Myers,
dender Kunst vom Mittelalter bis zur Gegen- Bernard: Rez. von »Max Beckmann«, in:
wart, Mü 1930 (darin: Vom Wert des Bildes); CArtJ, 10, 1950, 85–87; Festgabe für W.H. zum
Europäische Hauptstädte, Erlenbach/Zü 1932; 70. Geburtstag, Mü 1952 (Bibliogr.); Reifen-
Das Land der Griechen. Fahrten in Hellas, berg, Benno: In memoriam W.H., in: Die Ge-
Mü 1933; Eine Pariser Kirche von einem genwart, 12, 1957, 359–363; Zahn, Leopold: In
Deutschen gemalt, in: Kunstwerk, 1, 1946/47, memoriam W.H., in: Kunstwerk, 11, 1957,
6, 19–21; Lux perpetua. Summe eines Lebens 37–38; AKat. W.H., Wege eines Europäers,
aus dieser Zeit (unter d. Pseudonym Johannes Marbach 1967; Sulzer, Dieter: Der Nachlaß
Armbruster), Mü 1947; Begegnungen mit W.H. Mit einem unveröffentlichten Essay,
Bildern, Mü 1947; Adolf Hildebrand, Mü Briefen und einer Erinnerung von Paul
1947; Edgar Degas, Bern 1948; Max Beck- Frank, Marbach 1982; Werner, Johannes: Der
mann (mit Benno Reifenberg), Mü 1949; Was Kunstschriftsteller W.H., in: Aus dem Anti-
bedeutet die moderne Kunst? Ein Wort der quariat, 1995, 8, A 287–A 290
Besinnung, Leutstetten 1949; Meißel, Feder PHF
und Palette. Versuche zur Kunst, Mü 1949;

Hauser, Arnold
Geb. 8. 5. 1892 in Temesvár (Ungarn, heute Rumänien); gest. 28. 1. 1978 in Budapest

Als einer, der in mehrfacher Hinsicht ein Außenseiter war, leistete der fast immer
auf deutsch schreibende jüdische Ungar H. im letzten Drittel seines Lebens einen
bedeutenden, international wirksamen und dabei heftig umstrittenen Beitrag zur
Entwicklung des Verständnisses für die Kunst und ihre Geschichte und die dazu
taugliche Forschungsmethodik. Seine in etwa 20 Sprachen übersetzte Sozialge-
schichte der Kunst und Literatur wirkte bahnbrechend für seither geläufig gewor-
dene Denk- und Arbeitsweisen.
H., der Sohn armer Eltern, studierte in Budapest vor allem Germanistik und
Romanistik, aber auch in Paris, unter anderen bei Henri Bergson, und geriet 1916
in den Budapester »Sonntagskreis« um seinen Freund und Universitätskollegen Karl
Hauser 171

Mannheim und den Ästhetiker Georg Lukács, dem auch  Antal angehörte. Er
hielt 1917 Vorlesungen in der vom »Sonntagskreis« eingerichteten Freien Hoch-
schule für Geisteswissenschaften, ehe er – nach der Promotion 1918 über deutsche
romantische Ästhetik – unter der Räterepublik Professor an der Universität Buda-
pest und Leiter des Reformrates für künstlerische Erziehung wurde. Nach der
Konterrevolution 1919 flüchtete er nach Italien, wo er sich intensiv mit bildender
Kunst beschäftigte, ging dann 1922 nach Berlin, wo er Vorlesungen bei  Gold-
schmidt wie dem Historiker Ernst Troeltsch hörte und im Verlagswesen und Buch-
handel seinen Unterhalt bestritt. 1924 wurde er Werbeleiter einer Filmgesellschaft
in Wien, bis er 1938 vor der NS-Herrschaft mittellos nach England emigrieren
mußte. Auf Anregung Mannheims begann er 1941 neben Brotarbeit für eine Film-
firma eine Anthologie über Kunstsoziologie zusammenzustellen, woraus aber dank
der Fürsprache von Herbert Read (1893–1963) als Verlagslektor sein eigenes Haupt-
werk The Social History of Art wurde, das 1951 erschien und zwei Jahre später auch
in Deutschland herauskam. Damit trat der 60jährige H., der 1951–57 Lehrbeauftrag-
ter an der Universität Leeds wurde, endgültig in die wissenschaftliche Sphäre ein
und wurde von Theodor W. Adorno zu einem Vortrag nach Frankfurt, danach auch
von anderen deutschen Universitäten eingeladen. 1958 vollendete er sein zweites
Buch Philosophie der Kunstgeschichte, das die theoretisch-methodischen Prinzipien
der Sozialgeschichte gleichsam nachreichte. Als Gastprofessor an der Universität
Brandeis in den USA (1957–59) schrieb er die Geschichte eines einzelnen Stils, des
Manierismus, der gerade in der Diskussion um Gegenwartskunst eine große Rolle
spielte, und nach 1962 als Gastprofessor der State University of Ohio sein letztes
Buch, die Soziologie der Kunst. Kurz vor seinem Tode kehrte H. als Ehrenmitglied
der Ungarischen Akademie der Wissenschaften nach Budapest zurück.
H.s Sozialgeschichte der Kunst und Literatur begann ohne jede methodologische
Einleitung oder Programmatik, wie sie beispielsweise  Hamann seiner Kunstge-
schichte voranstellte, sofort mit den vorgeschichtlichen Anfängen der Kunst. In
großen Schritten führte sie bis zum 20. Jahrhundert, das erst nach dem Ersten
Weltkrieg begonnen habe, so wie das 19. Jahrhundert erst um 1830. H. stellte es
unter die Überschrift »Im Zeichen des Films«, nannte aber Picasso den »repräsenta-
tivsten Künstler der Gegenwart«. Daß er die Architektur und die Musik nur wenig
behandelte, obwohl er selbst viel Musik hörte und Klavier spielte, wurde ihm von
Kritikern ebenso vorgehalten wie die Tatsache, daß seine Kenntnisse der Spezialli-
teratur zu verschiedenen Epochen im wesentlichen auf dem Stand der 1930er Jahre
geblieben waren. Die Charakterisierung einzelner Werke als künstlerische Gebilde
kam in dem weitgespannten Überblick zu kurz.  Gombrich zweifelte geradezu,
ob H. sich die Bilder überhaupt ansehe, wie sie sind, oder nur seinen Hypothesen
folge. Gombrich war ein grundsätzlicher Kritiker von theoretischen Abstraktionen
zur Erklärung von Kunstgeschichte, die jedem Nicht-Hegelianer nur als Phantasie-
welt erscheinen müßten, und die in die »Mausefalle des dialektischen Materialis-
mus« von Marx führen würden. Auf diesen bezog sich H. aber immer wieder, um
in den gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen die letzten Ursachen für
die Stilgeschichte und besonders für die jeweils progressiven Neigungen zu Natu-
ralismus und Rationalismus zu ermitteln. H.s Korrektur oder Ergänzung der imma-
172 Hauser

nenten Form- und Stilgeschichte  Riegls und  Wölfflins, wie auch der Geistes-
geschichte, erfolgte durch Fragen nach gesellschaftlichen, besonders weltanschau-
ungsbildenden Funktionen und sozialen Triebkräften des Kunstgeschehens. Das
wurde nach einiger Zeit als ein Aufbruch aus idealistischer und formalistischer
Sterilität begrüßt, von orthodoxen Marxisten aber wegen ungenügender Konzen-
tration auf die Probleme des Klassenkampfes scharf angegriffen. H. machte später
deutlich, daß er zwar den Marxismus als wissenschaftliche Methode anwandte und
auch auf eine sozialistische oder klassenlose Gesellschaft hoffte, aber nicht am poli-
tischen Kampf dafür teilnahm und sich mit der tatsächlichen Entwicklung nach
sowjetischem Muster nicht identifizieren konnte.
Seine Theorie der Kunst und der Kunstgeschichte und daraus abgeleitete wissen-
schaftliche Methodologie legte H. erst in Philosophie der Kunstgeschichte, vor allem in
dem zentralen Kapitel über »Kunstgeschichte ohne Namen«, dar. Sorgsam abwä-
gend setzte er sich mit den in Österreich und Deutschland voraufgegangenen wis-
senschaftlichen Richtungen und auch deren historisch konkreten ideologischen
Rollen auseinander, wobei nur die Ignorierung der Ikonologie der  Warburg-
Schule auffällt, die inzwischen, wie H. selbst, nach London oder den USA emigriert
war. Er hielt daran fest, daß Stilwandel und Stilbeginn die Hauptprobleme der
Kunstgeschichte seien, erklärte aber – gegen Wölfflin – die stilistische Einheit einer
Periode, die Immanenz und zwingende Gesetzmäßigkeit der Formentwicklung
und die periodische Wiederkehr von Stilstufen zu Fiktionen, und betonte – gegen
Riegl –, daß es durchaus Wertunterschiede zwischen Kunstperioden gebe und
Künstler keineswegs immer auch können, was sie wollen. Sinn und Wert von
Kunstwerken bleiben nicht unverrückbar, sondern werden durch nachfolgende
Kunst verändert.  Pinders »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen« korrigierte er
zutreffend in »Gleichzeitigkeit des Ungleichaltrigen«, auch was das Verhältnis der
einzelnen Künste zueinander anbetrifft. Um den Stilwandel zu begreifen, gäbe es
nur eine psychologische oder soziologische Erklärung, und bei aller Aufmerksam-
keit für Psychologie und Tiefenpsychologie entschied er sich für die Soziologie.
Dabei hob er, wohl auch unter dem Eindruck der Kritik an seinem ersten Buch, die
Rolle des individuellen Schöpfungsaktes, die sich seit der Renaissance ständig er-
höht habe, nachdrücklich hervor. So sehr er betonte, daß »die künstlerischen For-
men [...] zugleich die Ausdrucksformen einer sozial bestimmten Weltanschauung
sind«, so entschieden verwies er darauf, daß Kunst keine unmittelbare Widerspiege-
lung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sei und daß ein Stil, obwohl
nicht »vollkommen neutrales Werkzeug«, doch keine eindeutige soziale Funktion
erfülle, sondern »verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Zielen dienstbar
gemacht werden kann«. In seiner letzten zusammenfassenden Darstellung einer
Soziologie der Kunst formulierte dann H. seine Auffassung von einer kritischen Ideo-
logiefunktion sowohl von Kunstwerken als auch von wissenschaftlichen Urteilen
über sie sogar noch etwas zurückhaltender.
Werke: The Social History of Art, 2 Bde., Lo 1958; Der Manierismus. Die Krise der Re-
1951 (dt.1953); Rez. von Gerstle Mack, Gu- naissance und der Ursprung der modernen
stave Courbet (1951), in: ArtB, 35, 1953, 161– Kunst, Mü 1964; L’ambiente spirituale del
166; Philosophie der Kunstgeschichte, Mü Manierismo, in: BPall, 9, 1967, 187–197; So-
Hauser 173

ziologie der Kunst, Mü 1973; Im Gespräch Künstler, Kunsthistoriker, Museen, Luzern/


mit Georg Lukács, Mü 1978 Frf 1979, 71–73; Scharfschwerdt, Jürgen: A.H.,
Literatur: Gombrich, Ernst H.: Rez. von in: Alphons Silbermann (Hrsg.), Klassiker der
»The Social History of Art«, in: ArtB, 35, 1953, Kunstsoziologie, Mü 1979, 200–222; Werck-
79–84; Kuhn, Hugo: Kritische Reflexionen meister, Otto Karl: The Depoliticized, At-
zu A.H.s Sozialgeschichte der Kunst und Li- tenuated Version (Rez. von »The Sociology
teratur, in: VSWG, 43, 1956, 19–43; Zentai, of Art«), in: ArtHist, 7, 1984, 345–348; Beyer,
Loránd: Rez. von »Der Manierismus«, in: Hans-Ulrich: Sozialgeschichte und Kunstge-
AHA, 15, 1969, 367–370; Barlay, Lászlo: Wis- schichte. Zur Kritik der theoretischen Kon-
sensoziologie als Kulturgeschichte? Zu A. H.s zeption einer Kunstgeschichtsscheibung von
»Sozialgeschichte der Kunst und Literatur«, A.H., Diss. Lpz 1985 (Typoskr.); Lebus, Klaus-
in: Sinn u. Form, 1972, 632–644; Timar, Ar- Jürgen: Zum Kunstkonzept A.H.s, in: WB, 36,
pad: A.H.s Early Career, in: Ars Hungarica, 2, 1990, 910–928; Wendland 1999, 267–270;
1974, 191–204; Mai, Ekkehard: Kunst, Kunst- Steele, Tom; A.H., Herbert Read and the So-
wissenschaft und Soziologie. Zur Theorie- cial History of Art in Britain, in: Gyula Er-
und Methodendiskussion in A.H.s »Soziolo- myey, Britain und Hungary, Budapest 1999,
gie der Kunst«, in: Kunstwerk, 29, 1976, 1, 3– 200–213; Hohendahl, Peter Uwe: A.H., in:
10; Klein, Peter K.: A.H.s Theorie der Kunst, Klaus Garber (Hrsg.), Kulturwissenschaftler
in: KB, 6, 1978, 3, 18–27; Warnke, Martin: Er- des 20. Jh.s, Mü 2002, 245–262
fahrungen eines Jahrhunderts: A.H., in: ders., PHF

Heidrich, Ernst
Geb. 5. 7. 1880 in Nakel (Nakło, Polen); gest. 4. 11. 1914 bei Dixmuiden (Belgien)

H.s früher Tod im Ersten Weltkrieg wurde allgemein als schmerzlicher Verlust für
das Fach betrauert. In einer patriotischen Rede gedachte  Wölfflin am 7. Dezem-
ber 1914 seines Lieblingsschülers als eines Mannes – ohne wissen zu können, daß
 Dehio zu diesem Zeitpunkt den 1. Band seiner Geschichte der deutschen Kunst
bereits abgeschlossen hatte –, der fähig gewesen wäre, die »deutsche Kunstgeschichte
zu schreiben, nach der alle verlangen und die noch nicht da ist«. Als zukunftswei-
send sah Wölfflin auch H.s Beitrag zur Theorie und Methodologie der Kunstge-
schichte an. Während er selbst noch der älteren, Italien und der Antike zugewandten
Denkrichtung angehörte und sein großes Ziel darin gesehen hatte, die Kunstge-
schichte als Formgeschichte von der allgemeinen Geschichte zu emanzipieren,
schien für ihn jetzt die Stunde der jungen Generation gekommen, »wo die abge-
zweigte Disziplin wieder mehr in den Zusammenhang des allgemeinen historischen
Lebens gebracht werden darf«. H.s Bedeutung für die Disziplingeschichte liegt in
der Tat in seinem Beitrag zu diesem Paradigmenwechsel; er war einer der Wegbe-
reiter  Dvoáks und der geistesgeschichtlich orientierten Kunstgeschichtsschrei-
bung der 1920er Jahre.
H. studierte in Leipzig und Berlin zunächst Geschichte und legte 1902 das Leh-
rerexamen für höhere Lehranstalten ab. Dann wandte er sich der Kunstgeschichte
zu. 1905 – im selben Jahr, als Wölfflins Dürer-Buch erschien – promovierte er über
die Geschichte des Dürerschen Marienbilds und setzte deutlich andere Akzente; so auch
in der ebenfalls unter Wölfflins Augen verfaßten Habilitationsarbeit Dürer und die
Reformation (1909), die die Inschriften auf Dürers Vier Apostel religionsgeschichtlich
zu deuten versuchte, ohne allerdings den künstlerischen Kontext zu vernachlässi-
174 Heidrich

gen: ihre Eindringlichkeit erhalte Dürers Botschaft an den Nürnberger Rat erst
durch die »Wucht« der Bilder. H. widmete diese Untersuchung einem seiner Leh-
rer, dem 1890–1914 als Professor in Berlin wirkenden Historiker Max Lenz, dem
Verfasser einer populären Luther-Monographie (1883).
Nicht zuletzt der historischen Schulung verdankte H. den über die Kunstge-
schichte hinausreichenden offenen Blick für gesamtgesellschaftliche Zusammen-
hänge. Wegweisend scheint für seinen geistesgeschichtlichen Ansatz aber vor allem
die Lebensphilosophie Wilhelm Diltheys gewesen zu sein, der 1882–1906 in Berlin
lehrte. Wie Dilthey in bezug auf die Geisteswissenschaften insgesamt sah H. keinen
Sinn im Suchen nach kunstwissenschaftlichen Gesetzen und im »Erklären« künstle-
rischer Tatsachen; die bildende Kunst war für ihn Teil eines lebendigen kulturellen
Ganzen, sie konnte nur »verstanden« werden. Diese methodologische Einstellung
entsprach H.s Auffassung von einer modernen Kunstwissenschaft, die ihren Elfen-
beinturm verläßt und sich an der Volkserziehung beteiligt.
Diesem Anliegen sind die drei Bildbände über die »altdeutsche«, »altniederländi-
sche« und die flämische Malerei des 16./17. Jahrhunderts verpflichtet, die 1909, 1910
und 1913 im Eugen Diederichs Verlag erschienen; geplant war ein weiterer Band
über Rembrandt und seine Zeitgenossen. H. schrieb in diesen gediegen gestalteten
Büchern über kunstgeschichtliche Gebiete, die seiner Auffassung nach allzu lange
im Schatten von Antike und Renaissance gestanden hatten. Mit »größter Wärme«
(Wölfflin) widmete er sich der deutschen Kunstgeschichte des 15./16. Jahrhunderts,
die er als Gegenpol zur »klassischen« Form der italienischen Renaissance auffaßte,
als eine im Volk verwurzelte, soziale Aufgaben erfüllende Ausdrucks-Kunst; ihre
Schöpfungen seien Reflex »einer in aller Gebundenheit naiven, ebensowohl treu-
herzigen wie großartigen Bildphantasie«, aus der man immer noch »neue Erfri-
schung des eigenen Empfindens gewinnen könne«. Seinen Lesern – und nicht zu-
letzt sich selbst – die Eigenart ihrer nationalen Kunstgeschichte bewußt zu machen,
um sich dazu bekennen zu können, war H.s Anliegen. Sein ehrliches Ringen um
Erkenntnis bewahrte ihn dabei vor nationalistischer Engstirnigkeit.
Die Aufmerksamkeit der Fachkollegen erweckte H. mit seiner Besprechung einer
Monographie von  Jantzen über das niederländische Architekturbild (1910), die
zu einer Generalabrechnung mit der formalistischen Kunstgeschichtsschreibung,
vor allem der  Rieglschen, geriet. H. kritisierte die Reduzierung der niederländi-
schen Kunstgeschichte auf die Geschichte eines quasi apriorischen »Raumproblems«
und des einzelnen Kunstwerkes auf ein Stildokument und sagte abschließend:
»Kunstgeschichte ist mehr als nur Problemgeschichte und Stilgeschichte, sie muß
unbefangener und freier, aus einer volleren und mehr erlebten Anschauung der
Kunst und ihres Zusammenhanges mit dem Leben selbst geschrieben werden.«
In zwei postum veröffentlichten Vorträgen (Die Anfänge der neueren Kunstgeschichts-
schreibung; Karl Schnaase und Jacob Burckhardt) – der eine die Baseler Antrittsvorlesung
vom 12. Dezember 1911, der andere eine wenige Wochen später gehaltetene öffent-
liche Vorlesung – resümierte H. die Entwicklung des kunstgeschichtlichen Denkens
seit Vasari;  Winckelmann betrachtete er als den Begründer der modernen Kunst-
wissenschaft und  Schnaase und  Burckhardt als die exemplarischen Repräsen-
tanten der beiden Pole der Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, der
Heidrich 175

Spekulation und der Anschauung. In ihrer Synthese, zu der er einen Beitrag zu


leisten beabsichtigte, sah H. das Ziel der zukünftigen Kunstwissenschaft.
1912 wurde H., von Wölfflin empfohlen, auf den Lehrstuhl Burckhardts nach
Basel berufen. Bevor er in den Krieg zog, am Ende des Sommersemesters 1914,
erreichte ihn noch die Nachricht aus Straßburg, daß er als Nachfolger Dehios im
Gespräch war.
Werke: Geschichte des Dürerschen Marien- Basel 1917 (Die Anfänge der neueren Kunst-
bildes, Lpz 1906; Zur Chronologie des Dü- geschichtsschreibung, 1911; Karl Schnaase
rerschen Marienlebens, in: RfKw, 29, 1906, und Jacob Burckhardt, 1912; Zur Methoden-
227–241; Zur Datierung von Dürers Münch- lehre: Besprechung von H. Jantzen, Das nie-
ner Selbstporträt, in: RfKw, 30, 1907, 373– 374; derländische Architekturbild, 1913; Nd. 1968)
Albrecht Dürers schriftlicher Nachlaß, Bln Literatur: Brinckmann, Albert Erich:
1908 (Vorw. v. Heinrich Wölfflin); Dürer und Nachruf auf E.H., in: Ci, 6, 1914, S. 660; Zur
die Reformation, Lpz 1909; Rez. von Her- Erinnerung an E.H. Mit Beiträgen von Hein-
mann Nohl, Die Weltanschauung der Malerei rich Wölfflin, Christoph A. Bernoulli, Fried-
(1908), in: Zentralblatt f. kunstwiss. Literatur rich Rintelen, Hans Tietze, Julius Petersen,
u. Bibliographie, Bd. 1, 1909, 287–289; Die Franz Roh, Walter Jäger, Privatdruck Basel
altdeutsche Malerei, Jena 1909; Altniederlän- 1925; Rintelen, Friedrich: Nachruf auf E.H.,
dische Malerei, Jena 1910; Vlämische Malerei, in: ders., Reden und Aufsätze, Basel 1927,
Jena 1913; Rez. von Hans Jantzen, Das nie- 192–205; Meier, Nikolaus: E.H. (1880–1914).
derländische Architekturbild (1910), in: Zur Grundlegung der Kunstwissenschaft, in:
ZfÄaK, 8, 1913, 117–131; Beiträge zur Ge- ZfÄaK, 25, 1980, 19–50
schichte und Methode der Kunstgeschichte, PB

Heineken, Carl Heinrich von


Geb. 24. 12. 1707 in Lübeck; gest. 23. 1. 1791 in Altdöbern

Das Hauptverdienst dieses typischen Kunstgelehrten der Aufklärung liegt in der


Katalogisierung, Unterbringung und Erweiterung der Bestände des Dresdner Kup-
ferstichkabinetts, das sich durch H.s organisatorische Fähigkeiten, seine ungewöhn-
liche Kennerschaft und wissenschaftliche Akribie zu einer oft nachgeahmten Mu-
stersammlung profilierte. Seine Grundgedanken zur Systematik des Graphiksammelns
äußerte H. in Idée générale d’une collection complette d’estampes (1771), wo auch wich-
tige Anmerkungen zum frühen deutschen Holzschnitt und zu Inkunabeldrucken
zu finden sind; beigefügt ist ein Monogrammverzeichnis. Als Quellenmaterial noch
heute wertvoll sind die Nachrichten von Künstlern und Kunst-Sachen und die Neuen
Nachrichten von Künstlern und Kunst-Sachen (1768/69, 1786), die Aufsätze und Werk-
verzeichnisse enthalten und vielerlei Erlebtes mit Persönlichkeiten der Zeit mittei-
len. Zum größten Teil als Manuskript hinterließ H. ein 30bändiges Künstlerlexikon
– das erste alphabetische in deutscher Sprache –, von dem bis zu seinem Tod nur
vier Bände gedruckt vorlagen. Neu war auch, daß den einzelnen Texten Verzeich-
nisse der gestochenen Werke angefügt waren. H. verarbeitete in diesem Riesenwerk
die gesamte ältere Vitenliteratur von Giorgio Vasari, Eustachio Zanotti, Filippo Bal-
dinucci, Arnold Houbraken, Karel van Mander, Jean Pierre Mariette und  Sandrart
und verfaßte zahlreiche Texte selbst.
176 Heineken

H. entstammte einer Lübecker Malerfamilie. Schon während der Schulzeit be-


faßte er sich intensiv mit Leibniz und Christian Wolff; philosophische Fragen
standen daher nicht zufällig im Mittelpunkt seines frühen Denkens. Seit 1724
studierte H. in Leipzig und Halle Jura und nebenher Literatur. 1739 trat er als Pri-
vatsekretär und Bibliothekar in den Dienst des Grafen Brühl. Als Nachfolger des
Hofarztes Johann Heinrich Heucher wurde H. Direktor des Dresdner Kupfer-
stichkabinetts. Während des Siebenjährigen Krieges von den Preußen gefangenge-
setzt, stellte man ihn 1762 wegen angeblicher Veruntreuung kurfürstlichen Besitzes
vor Gericht. Er wurde verurteilt, mußte daraufhin Dresden verlassen und lebte
seitdem als Landwirt, Kunstsammler und Kunstschriftsteller auf seinem Gut in der
Niederlausitz.
Seine Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit in künstlerischen Fragen erwarb sich H.
nicht zuletzt auf Reisen durch Deutschland, Polen, Holland und Frankreich. Beson-
ders prägend waren die Besuche von 1754 und 1761 in Paris, für H. der Ort höchster
Sammelkultur und geballter Kennerschaft. In den Neuen Nachrichten von Künstlern
und Kunst-Sachen erinnerte er sich später dankbar: »Ein Urteil also, welches bloß ein
Gelehrter in Kunstsachen fällt, ist nicht eher anzunehmen, als bis man überzeugt
worden, daß er auch ein Kenner ist. Wenn ein Wille in Paris mir seine Gedanken
von einem Kupferstiche, von einer Zeichnung, von einem Gemälde sagt, und ich
komme in sein Haus, wo ich an den Wänden und in seinen Sammlungen nichts als
Meisterstiche finde; wenn ich bei Mariette, wo ich mich hinwandte, besonders
schöne und auserlesene Kunstsachen erblickte: so erweckte dies in mir ein Ver-
trauen, ihren Lehren Glauben beizumessen, und ich bin niemals von diesen und
dergleichen Männern, ohne etwas gelernt zu haben, fortgegangen; sonderlich muß
ich bekennen, daß ich letzterem vieles von dem, was ich weiß, schuldig bin.«
Als Intendant des Grafen Brühl nahm H. auch Einfluß auf die Ankäufe für die
Gemäldegalerie; in die 1740/50er Jahre fielen so wichtige Erwerbungen wie die des
Morette von Hans Holbein d.J. und der Sixtinischen Madonna. H. selbst kaufte in
Holland und Hamburg Werke von Elsheimer, Rembrandt und van Dyck. 1753 ver-
öffentlichte er einen prächtigen Galerieband, zu dem 40 Stecher in Frankreich,
Italien, Holland und Deutschland die Gemäldereproduktionen geliefert hatten.
Doch nicht weniger erfolgreich war H. auf seinem eigentlichen Feld: Für das Kabi-
nett erwarb er während seiner Amtszeit mehr als 80 000 französische, niederländi-
sche, italienische und deutsche Blätter.
Werke: Die wahren Absichten des Menschen tation sur l’origine de la gravure et sur les
und die dazu gehörenden Mittel, Dr/Lpz premiers livres d’image, Wien/Lpz 1771; Dic-
1732; Dionysius Longin vom Erhabenen, Dr tionnaire des artistes, dont nous avons des
1737; Recueil d’estampes d’après le plus célè- estampes, 4 Bde., Lpz 1778–90; Neue Nach-
bres tableaux de la Galerie Royale de Dresde, richten von Künstlern und Kunst-Sachen,
2 Bde., Dr 1753/57; Recueil d’estampes, gra- Dr/Lpz 1786
vées d’après les tableaux de la galerie et du Literatur: Dittrich, Christian: C.H.v.H.s
cabinet de S.E.M. Le Comte de Brühl, Dr kunsthistorische Schriften, in: JbKDr, 1965/66,
1754; Nachrichten von der Beschaffenheit 79–85; ders.: H. und Mariette. Eine Untersu-
der Niederlausitz, Pförten 1760; Nachrichten chung zur Erwerbspolitik des Dresdner Kup-
von Künstlern und Kunst-Sachen, 2 Bde., ferstichkabinettes im zweiten Drittel des 18.
Lpz/Wien 1768/69; Idée générale d’une col- Jh.s, in: JbKDr, 1981, 43–66; Alschner, Chri-
lection complette d’estampes avec une disser- stian: Die Inkunabelsammlung C.H.v.H.s, in:
Heineken 177

Marginalien. Ztschr. f. Buchkunst u. Biblio- denkblatt für C.H.v.H., in: Dresdner Kunst-
philie, 81, 1981, 21–33; Lettres a C.H.v.H. blatt, 35, 1991, 6–14
1772–89, Paris 1988; Dittrich, Christian: Ge- PB

Heinse, Johann Jakob Wilhelm


Geb. 15. 2. 1746 in Langewiesen; gest. 22. 6. 1803 in Aschaffenburg

»Was ich lediglich von der Malerei verlange, [ist] Genuß und Täuschung«, schrieb
der als Schriftsteller zum Sturm und Drang gehörende H. – eine Aussage, die ein
bezeichnendes Licht auf sein Denken wirft. Kunst, insbesondere die Malerei, war
ihm sinnliche Darstellung der wirklichen, ihrerseits nur sinnlich erfahrbaren Natur;
sie sollte im Betrachter »leidenschaftliche Erregung« hervorrufen. In den von Kraft
und Leben erfüllten Gemälden des Peter Paul Rubens, höchste Vergegenwärtigun-
gen des Genies, sah H. dieses Ideal exemplarisch verwirklicht. Nur wenige seiner
Zeitgenossen teilten diese Bewunderung, wenngleich auch  Winckelmann und
andere Klassizisten dem Barockmaler ihren Respekt nicht versagen konnten. Mit H.
begann die Vorgeschichte der Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Rubens-For-
schung.
Nach dem Studium der Rechte 1766–68 an der Universität Jena war H., seinen
literarischen Interessen nachgebend, dem Ästhetiker Friedrich Just Riedel nach
Erfurt gefolgt, wo er Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Christoph Martin Wie-
land kennenlernte, die ihm weitreichende Kontakte ermöglichten. Über Halber-
stadt, wo H. 1772–73 eine Hofmeisterstelle innehatte, kam er 1774 nach Düsseldorf.
Dort fand er als Mitherausgeber der Zeitschrift Iris Zugang zum Kreis der Brüder
Johann Georg und Friedrich Heinrich Jacobi. Der erste kritische Niederschlag
seiner Beschäftigung mit Malerei findet sich in den 1776–77 verfaßten und im
Teutschen Merkur seines Mentors Wieland publizierten Gemäldebriefen aus der Düs-
seldorfer Galerie. Die an Gleim adressierten Texte enthalten neben systematischen
Kapiteln über Ästhetik und über Künstlerausbildung Beschreibungen der italieni-
schen und niederländischen Bilder, die damals in der Düsseldorfer Galerie zu be-
sichtigen waren (seit 1806 in München, heute Alte Pinakothek). Im Mittelpunkt
stehen die Gemälde von Rubens; in ihm huldigte H. einem Meister der Farbe und
großen Landschaftsmaler, der für ihn auch den Renaissancemenschen, den »uomo
universale«, exemplarisch verkörperte. H. stand im Bann des Genie-Kults des Sturm
und Drang, sah alle Kunst durch die sozialen Verhältnisse bedingt und opponierte
entschieden gegen die klassizistische Forderung, die Antike und Raffael nachzuah-
men: »Alle Kunst ist nicht griechisch, sondern menschlich.« Als Antipode Winckel-
manns legte H. den Schwerpunkt seiner Kunstauffassung auf Natur, Gefühl und
Originalität.
1780–83 konnte H. seine langerstrebte Reise nach Italien unternehmen. Über
die Schweiz und Südfrankreich, Genua,Venedig, Bologna und Florenz kam er nach
Rom, wo er sich zwei Jahre aufhielt und seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen
verdiente. In Rom lernte er Ferdinand Kobell und Friedrich Müller (Maler Müller)
kennen, in Neapel kreuzten Philipp Hackert und Angelika Kauffmann seinen Weg.
178 Heinse

H.s Kunstempfinden erfuhr in Italien durch das Studium der antiken Plastik eine
wesentliche Bereicherung. Im Gegensatz zu Winckelmann stellte H. auch hier die
psychologische Einfühlung in schöpferische Künstlerpersönlichkeiten und ihre
Werke sowie das Kunstwerk als Ausdruck des sinnlichen Menschen in den Vorder-
grund. Seine Beschreibungen und theoretischen Erörterungen verarbeitete er auch
in seinem 1787 veröffentlichten Hauptwerk Ardinghello, das den Beginn des
Künstlerromans markiert und mit seiner »dionysischen« Interpreation der Renais-
sance auf Nietzsche,  Burckhardt und  Warburg vorausweist. In den nachitalie-
nischen Jahren befaßte sich H. unter anderem mit Opern- und Kirchenmusik.
Nachdem er in Düsseldorf vergeblich eine Anstellung gesucht hatte, trat er 1787 als
Vorleser und Privatbibliothekar in den Dienst des Mainzer Erzbischofs Friedrich
Karl von Erthal und beschloß sein Leben mit anatomischen und medizinischen
Studien.
Werke: Sämtliche Schriften, 10 Bde., Lpz nische Reise, in: DVjS, 41, 1967, 82–97; Zeller,
1838; Sämtliche Werke, 10 Bde., Lpz 1902–25; Hans: W.H.s Italienreise, in: ebd., 42, 1968,
Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlaß, 23–54; Keller, Otto: W.H.s Entwicklung zur
hrsg. v. Markus Bernauer u. a., Mü 2003 Humanität, Mü 1972; Terras, Rita: W.H.s Äs-
Sinngedichte, Halberstadt 1771; Über einige thetik, Mü 1972; Wiecker, Rolf: W.H.s Be-
Gemälde der Düsseldorfer Galerie, in: TM, IV, schreibung römischer Kunstschätze. Palazzo
1776, 3–46, 106–119 u. II, 1777, 117–135; Das Borghese, Villa Borghese, Kopenhagen 1977;
befreite Jerusalem von Torquato Tasso, 4 Bde., Dick, Manfred: Der junge H. in seiner Zeit,
Mh 1781; Roland der Wütende, ein Helden- Mü 1980; Schramke, Jürgen: W.H. und die
gedicht v. L. Ariost, 4 Bde., Ha 1782/83; Ar- Französische Revolution, Tü 1986; Boehm,
dinghello und die glückseligen Inseln. Eine Gottfried: »Esser uno e divenire tutto«. W.H.
italienische Geschichte aus dem 16. Jh., 2 e l’arte figurativa, in: Rivista di estetica, 29,
Bde., Lemgo 1787; Hildegard von Hohenthal, 1989, 5–22; ders.: Anteil. W.H.s »Bildbeschrei-
3 Bde., Bln 1795/96 bung«, in: Helmut Pfotenhauer (Hrsg.),
Literatur: Jessen, Karl D.: H.s Stellung zur Kunstliteratur als Italienerfahrung, Tü 1991,
bildenden Kunst und ihrer Ästhetik, Bln 1901; 21–39; Pfotenhauer, Helmut/Bernauer, Mar-
Utitz, Emil: J.J.W.H. und die Ästhetik zur kus/Miller, Norbert (Hrsg.): Frühklassizismus.
Zeit der deutschen Aufklärung, HaS 1906; Position und Opposition. Winckelmann,
Waetzoldt, Wilhelm: Kunstkritik aus Sturm Mengs und H., Frf 1995; Elliott, Rosemarie:
und Drang. J.J.W.H.s Briefe aus der Düssel- W.H. in Relation to Wieland, Winckelmann,
dorfer Gemäldegalerie, in: Ci, 11, 1919, 42–47; and Goethe, Frf 1996; Baeumer, Max L.:
Waetzoldt 1921, 117–131; Zippel, Albert: W.H. Winckelmann und H. Die Sturm- und
und Italien, Jena 1930; Leitzmann, Albert Drang-Anschauung von den bildenden Kün-
(Hrsg.): W.H. in Zeugnissen seiner Zeitge- sten, Ste 1997; Gaethgens, Thomas W.: J.J.W.
nossen, Jena 1938; Harnisch, Käthe: Deutsche H. Une lecture particulière de Rubens, in: Le
Malererzählungen. Die Art des Sehens bei H., rubénisme en Europe aux XVIIe et XVIIIe
Tieck, Hoffmann, Stifter und Keller, Bln siècles. Colloque international organisé par le
1938; Koch, Herbert: Zu W.H.s Antikenbe- Centre de Recherches en Histoire de l’Art
schreibungen, in: FS Wilhelm Waetzoldt, Bln pour l’Europe du Nord, hrsg. v. Michèle-Ca-
1941, 244–285; Baeumer, Max L.: H.-Studien, roline Heck, Turnhout 2005, 197–206
Stg 1966; Kruft, Hanno-Walter: W. H.s italie- CF
Heise 179

Heise, Carl Georg


Geb. 28. 6. 1890 in Hamburg; gest. 11. 8. 1979 in Hamburg

Neben  Ludwig Justi,  Georg Swarzenski,  Max Sauerlandt,  Gustav Fried-


rich Hartlaub, Karl Ernst Osthaus und anderen gehörte H. zu jenen deutschen
Museumsdirektoren, die den Expressionisten die Türen ihrer Sammlungen öffneten
und anfingen, deren Werke zu erwerben. Schon während des Studiums – 1912 er-
lebte er die Kölner Sonderbund-Ausstellung mit ihren mehr als 100 Gemälden von
Vincent van Gogh – hatte ihn die nachimpressionistische Gegenwartskunst in ihren
Bann gezogen, und als 1920 seine Berufung an die Spitze der Lübecker Museen
erfolgte, scheint ihm das Ziel, Kunstgeschichte und Tradition den Herausforderun-
gen der Moderne auszusetzen, bereits deutlich vor Augen gestanden zu haben. Das
Museum sollte ein »echter Bildungsfaktor unseres gegenwärtigen Lebens« sein, aber
nicht im Sinne eines »Forschungsinstituts«, sondern »einer Stätte der künstlerischen
Erziehung und Selbsterziehung der Allgemeinheit«. Der lebendige Umgang mit der
Kunst im Museum brachte es wohl mit sich, daß kunst- und stilgeschichtliche Zu-
sammenhänge für H. im Laufe der Jahre etwas in den Hintergrund traten; sein
elementares Interesse galt dem individuellen Kunstwerk. Auf H.s Anregung rief der
Gebr. Mann-Verlag 1939 den Kunstbrief ins Leben. Für diese Reihe wie für die
Werkmonographien zur bildenden Kunst des Reclam-Verlags (seit 1956) schrieb er ex-
emplarische Interpretationen. Auch H.s Forschungen zur alten Kunst, sowohl die
Dissertation über die norddeutsche Malerei des Spätmittelalters (1915) als auch die
daran anknüpfenden späteren Aufsätze über Notke (1937) und seine Einleitung zum
Nazarener-Bildband (1928), markieren disziplingeschichtliche Etappen.
Wegweisend für den Hamburger Kaufmannssohn wurde die Begegnung mit
 Aby Warburg, der 1906 oder 1907 sein Mentor wurde und ihm dazu riet, mit der
Kunstgeschichte bei  Vöge in Freiburg zu beginnen. Anschließend studierte H.
bei  Goldschmidt in Halle, gegen den Willen Warburgs bei  Wölfflin in Mün-
chen, während des Krieges – den H. als Freiwilliger mitmachen wollte, aber abge-
wiesen wurde – in Berlin und schließlich in Kiel; dort promovierte er 1915 bei
 Graf Vitzthum. 1910 und 1912 hatte er an der Seite Warburgs zwei Italienreisen
unternehmen dürfen, die erste, an der auch  Waetzoldt teilnahm, führte nach
Venedig, Ferrara, wo Warburg die Fresken im Palazzo Schifanoia untersuchte, und
nach Ravenna; die zweite 1912 zum Kunsthistorikerkongreß nach Rom, auf dem
Warburg sein berühmtes Referat zur Ikonologie hielt.
H. widmete seine Doktorarbeit Warburg, ging zu dessen Enttäuschung jedoch
andere Wege. Unbekannte »hamburgische Altarmalereien« hatten ihn veranlaßt,
eine Entwicklungsgeschichte der norddeutschen Malerei des 15. Jahrhunderts auf
topographischer Grundlage zu entwerfen. In ihren Mittelpunkt stellte er Hamburg
und Meister Francke, zu dessen Erforschung H. insofern einen Beitrag leistete, als
er ihn nicht aus einer lokalen Tradition abzuleiten versuchte; eine »landeseigentüm-
liche Entwicklung«, wie sie anderswo stattgefunden hatte, konnte er in Hamburg
ohnehin nicht erkennen. Die Beschäftigung mit den alten Meistern dauerte auch in
der folgenden Zeit an. 1916 wurde H. Mitarbeiter der Hamburger Kunsthalle und
erhielt von  Gustav Pauli den Auftrag, einen Bestandskatalog zur alten Kunst zu
180 Heise

erarbeiten. In Lübeck, wo H. 1920–33 wirkte, mußte er fast zwangsläufig auf Bernt


Notke stoßen, dessen malerisches Werk bis dahin kaum beachtet worden war; auf
H.s langjährige Forschungen stützte sich später die erste umfassende Monographie
über den Künstler (1939) von  Paatz, der 1925 H.s Assistent wurde. 1926, anläßlich
der 700-Jahr-Feier der städtischen Reichsfreiheit, widmete H. dem in Lübeck 1789
geborenen Friedrich Overbeck und dessen Kreis eine Ausstellung, die erste bedeu-
tende ihrer Art überhaupt. H.s Vorwort zu einem zwei Jahre später erschienenen
Bildband, der auch einen Text von  Eberlein enthält, gehört zum Besten, was bis
heute über die Kunst der Nazarener gesagt worden ist. H., der sich von ihrer »Ver-
höhnung« durch  Gurlitt (Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts, 1899) ausdrück-
lich distanzierte, glaubte eine gewisse Verwandtschaft mit der »jüngsten Kunstent-
wicklung« zu erkennen. Die Stilcharakteristika der nazarenischen Kunst scheinen in
ihrem Lichte gesehen, wenn er schreibt: »Gleichmäßige Zurückführung aller Bild-
elemente auf klare Flächigkeit, bis zum Symbolhaften getrieben, gemütsbetonte
Auswahl der Farbe, Wirkung nicht durch Helldunkel, Valeurs, Gesamtton, sondern
durch klar einprägsame Kontraste oder deren kühne neuartige Harmonie bis zur
gewagtesten Kombination«. Als Warnung wollte er jedoch das Scheitern der nazare-
nischen Kunst verstanden wissen, »ein ethnisierendes Bemühen um Festigung ent-
schwundener künstlerischer Werte« gefährde »fast immer den Kontakt [...] mit den
fruchtbarsten Antrieben des eigenen Jahrhunderts«.
Die Lübecker Zeit stand auch im Zeichen des Kampfes für den Expressionismus.
Bereits 1921 eröffnete H. in der Katharinenkirche eine Ausstellung mit religiösen
Bildern von Emil Nolde, die teilweise auf heftigen Widerstand stieß; 1919 hatte H.
in der von ihm und Hans Mardersteig gegründeten Zeitschrift Genius über den
Künstler geschrieben: »Mag sein, daß dieses glückliche Einströmen seiner schöpfe-
rischen Phantasie in die ewig unverbrauchte, symbolkräftige Bildersprache der
heiligen Geschichte der Höhepunkt seines Schaffens bleibt.« Weitere Ausstellungen
galten in den folgenden Jahren Masereel, Munch, Schmidt-Rottluff , Modersohn-
Becker, Marc, Heckel, Kirchner. 1928 kaufte H. als erster Museumsdirektor ein Bild
von Ernst Wilhelm Nay, als dessen Entdecker er gelten kann. Seine besondere Zu-
neigung zu Ernst Barlach ließ ihn 1929/30 den gewagten Entschluß fassen, den
Künstler mit acht überlebensgroßen Figuren für die leeren Nischen der Kathari-
nenkirche zu beauftragen (drei wurden vollendet und 1947 aufgestellt).
Zu H.s Entlassung 1933 trug neben dem Engagement für die Moderne auch
seine politische Einstellung bei; außerdem wurde er verdächtigt, »Halbjude« zu sein.
1924 hatte er in einem offenen Brief an Hindenburg vor der drohenden Gefahr des
Nationalismus gewarnt. Seit 1935 lebte H. in Berlin, schrieb Kunstkritiken für die
Frankfurter Zeitung und arbeitete als Lektor im Gebr. Mann-Verlag. In den letzten
Kriegstagen entstanden dort seine Erinnerungen an Warburg. 1945–55 leitete H. die
Hamburger Kunsthalle; zu seinen größten Verdiensten gehört der Wiederaufbau
ihrer während der Aktion »Entartete Kunst« 1937 ausgeplünderten modernen Ab-
teilung.
Werke: Norddeutsche Malerei. Studien zu ten Meister der Hamburger Kunsthalle, Hbg
ihrer Entwicklungsgeschichte im 15. Jh. von 1918 (2. Aufl.); Katalog der Sammlung August
Köln bis Hamburg, Lpz 1918; Katalog der Al- von der Heydt in Elberfeld, Mü 1918; Lübek-
Heise 181

ker Plastik, Bonn 1926; Overbeck und sein Stg 1961; Oskar Kokoschka. Thermopylae
Kreis, Mü 1928; Ein unbekanntes Bildnis von 1954, Stg 1961; Das Museum in Gegenwart
Ph.O. Runge, in: ZDVKw, 3, 1936, 437–444; und Zukunft, Köln 1961; Adolph Gold-
Fabelwelt des Mittelalters. Phantasie- und schmidt zum Gedächtnis 1863–1944, Hbg
Zierstücke lübeckischer Werkleute, Bln 1936; 1963; Wilhelm Vöge zum Gedächtnis, FrB
Zur Charakteristik der Malerei Bernt Not- 1968; Persönliche Erinnerungen an Aby War-
kes. I. Die Gregorsmesse in der Lübecker burg, hrsg. v. Björn Biester u. Hans-Michael
Marienkirche. II. Der Lübecker Totentanz Schäfer, Wb 2005
von 1463, in: ZDVKw, 4, 1937, 76–92, 187– Literatur: Ansprachen zur Verabschiedung
202; Altdeutsche Meisterzeichnungen von von C.G.H. und Amtseinführung von Alfred
Dürer bis Holbein, Mü 1942; Bernt Notke. Hentzen, Hbg 1955; Traeger, Jörg: C.G.H., in:
St. Jürgen zu Stockholm, Bln 1942; Hans ZfKg, 43, 1980, 113–115; Hofmann, Werner:
Holbein. Die Gesandten, Bln 1944; Die Gre- C.G.H., in: JbHK, 1980, 7–10; Hentzen, Al-
gorsmesse von Bernt Notke, Hbg 1941; Per- fred: C.G.H., in: Den Mitgliedern und Freun-
sönliche Erinnerungen an Aby Warburg, Hbg den zur Jahreswende 1980/81. Für die Ernst
1947; Der Lübecker Passionsaltar von Hans Barlach-Gesellschaft, hrsg. v. Hans Harmsen,
Memling, Hbg 1950; Ernst Barlach. Zwischen Hbg 1980, 75–79; Howoldt, J.E.: Krise des
Erde und Himmel, Mü 1953; Edvard Munch. Expressionismus. Anmerkungen zu vier Brie-
Die vier Söhne des Dr. Max Linde, Stg 1956; fen W. Worringers an C.G.H., in: JbHKh,
Ernst Barlach. Der Figurenschmuck von St. 1989, 159–173; Traeger, Jörg: Genius. Erinne-
Katharinen zu Lübeck, Stg 1956; Lovis Co- rung an C.G.H. zum 100. Geburtstag, in: Idea.
rinth. Bildnis der Frau des Künstlers, Stg 1958; Werke, Theorien, Dokumente (JbHKh), 9,
Thomas Gainsborough. Die Töchter des 1990, 13–36; Nikolov, Russalka: C.G.H. in
Künstlers, Stg 1958; Große Zeichner des 19. Lübeck 1920–33, in: Henrike Junge (Hrsg.),
Jh.s, Bln 1959; Der gegenwärtige Augenblick. Avantgarde und Publikum. Zur Rezeption
Reden und Aufsätze aus vier Jahrzehnten avantgardistischer Kunst in Deutschland
zum 70. Geburtstag, Berlin 1960 (darin: Emil 1905–33, Köln/Wei/Wien 1992, 139–148;
Noldes religiöse Malerei, 1919; Edvard Munch Traeger, Jörg: Aus dem Lübecker Umfeld von
und seine Beziehungen zu Lübeck, 1927;Vom Thomas Mann. Der Kunsthistoriker C.G.H.
Sinn der Sammlung der Lübecker Kathari- und die Schriftstellerin Ida Boy-Ed, in: Ger-
nenkirche, 1928; Arnold Böcklin, 1936; Carl hard Hahn/Ernst Weber, Zwischen den Wis-
Friedrich v. Rumohr als Briefschreiber, 1943; senschaften. Beiträge zur deutschen Litera-
Erinnerungen an Aby Warburg, 1945; Käthe turgeschichte, Regensburg 1994, 413–426;
Kollwitz, 1948; Zur Umgestaltung des Muse- Wendland 1999, 278–284; Osterkamp, Ernst:
umswesens, 1951; Deutsche Zeichenkunst – C.G.H. und Albert Renger-Patzsch. Unver-
Deutsches Weltbild, 1956; Ansprache zur Er- öffentlichte Briefe, in: Karl Möseneder
öffnung der Nolde-Ausstellung, 1957; Ars (Hrsg.), FS Jörg Traeger, Regensburg 2002,
una. Zum Gedächtnis Max Sauerlandts, 1959); 247–254
Paula Modersohn-Becker. Mutter und Kind, PB

Held, Julius Samuel


Geb. 15. 4. 1905 in Mosbach (bei Heidelberg); gest. 22. 12. 2002 in Bennington/Vt (USA)

H. gehörte zu jenen Kunsthistorikern, denen es gelang, in den USA Fuß zu fassen


und renommierte Professuren zu erhalten, nachdem Nazi-Deutschland sie in die
Emigration gezwungen hatte. Der durch die deutsche Tradition der Kunstgeschichte
geprägte Wissenschaftsbegriff, die methodischen Verfahrensweisen wie die große
Kenntnis europäischer Originale haben auch H. Zugangsmöglichkeiten zum ame-
rikanischen Wissenschaftsbetrieb ermöglicht. Als Spezialist für deutsche, vor allem
aber holländische und flämische Kunst begründete er in Amerika seinen internatio-
nalen Ruf.
182 Held

H. studierte in Heidelberg, Freiburg i.B., Berlin und Wien Kunstgeschichte, Phi-


losophie und Archäologie. 1930 promovierte er mit Dürers Wirkung auf die niederlän-
dische Kunst seiner Zeit bei  Jantzen in Freiburg. 1930–31 war er privater Assistent
von  Antal in Berlin, 1931–33 unbezahlter wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an den
dortigen Staatlichen Museen. Eine private Einladung annehmend, emigrierte er
1934 in die USA, wo er zunächst als Privatlehrer arbeitete. 1937 begann seine Lehr-
tätigkeit an dem der Columbia University angegliederten Barnard College. Dort
lehrte H. – seit 1954 als o. Professor – bis zur Emeritierung 1970. 1937–41 war er
zusätzlich am Institute of Fine Arts tätig; Gastprofessuren führten ihn an die New
School for Social Research in New York, nach Yale sowie die Universitäten von
Williamstown/MA und Pittsburgh. 1967 wurde H. Mitglied des Institutes of Ad-
vanced Study in Princeton. Er war zeitweise Mitherausgeber der Zeitschriften Art
Bulletin, Art Quarterly und Master Drawings.
Die zentrale Gestalt von H.s Forschungsarbeit war Rubens. Zu den großen
Rubens-Katalogwerken von Egbert Haverkamp-Begemann (1953) und Ludwig Bur-
chard (1956) steuerte er 1959 Rubens. Selected Drawings bei, eine erste wissenschaft-
liche Aufarbeitung, in der er das zeichnerische Œuvre des Künstlers unter werkge-
rechten Gesichtspunkten auswählte, ordnete und auf seine Beziehungen zu
benachbarten Blättern, zugehörigen Ölskizzen und Gemälden hin prüfte. Entgegen
vielen Einzelstudien zu figürlichen Motiven (Glück/Haberditzl, Die Handzeichnun-
gen von Peter Paul Rubens, 1928) stellte H. mit der Einführung von 79 Kompositions-
skizzen den besonderen Rang des zeichnerisch festgehaltenen ersten Bildgedankens
heraus und suchte die Entwicklung von Rubens’ Zeichenkunst in mehreren Stil-
phasen zu verdeutlichen. Er entdeckte Verbindungen zum niederländischen Kupfer-
stich des späten 16. Jahrhunderts und zu Entwurfskizzen der italienischen Cinque-
cento-Meister, die Rubens während seines Italienaufenthaltes kennengelernt hatte,
und hinter der oft beschriebenen barocken Rhetorik und dem malerischen Über-
schwang bei Rubens eine an den Werken der antiken Kunst und der Renaissance
geschulte »Intelligenz und Kontrolle«, wie sie schon  Burckhardt für den Künstler
eingenommen hatten.
Sein Hauptwerk legte H. mit The Oil Sketches of Peter Paul Rubens (1980) vor, das
Martin Warnke als die »Arbeit eines Einzelnen« bezeichnete, »der gegen alle Cor-
pora sein eigenes Corpus verfaßt hat«. Für H. waren es gerade die Ölskizzen, die
Eigentümlichkeiten von Rubens’ Produktivität erkennen ließen, Einblicke in Ge-
staltungsabläufe und die Formen seiner künstlerischen Sinnfindung insbesondere
für die großen historischen, religiösen und mythologischen Zyklen der 1620er und
1630er Jahre erlaubten. Während Leo van Puyvelde in seinem Katalog der Ölskizzen
von 1940 nur 103 Nummern verzeichnet hatte, erweiterte H. die Anzahl auf über
400. H. hat auch Rubens’ Ikonographie erstmals umfassend behandelt. Er über-
prüfte die historischen wie politischen Voraussetzungen einer Bildbestellung, wobei
er in zahlreichen Fällen neue ikonographische Traditionen entdeckte und Allego-
rien entschlüsselte, so bei einem für Philipp IV. gemalten siebenteiligen Jagdzyklus.
Methodisch rekurrierte H. zunächst auf die den Themen zugrundliegenden Text-
quellen. Durch akribische Nachlektüre gelangen ihm zahlreiche präzisierende An-
gaben; so ermittelte er, daß Rubens für die Darstellung des Raubs der Proserpina
Held 183

nicht nur Nachzeichnungen eines antiken Sarkophags herangezogen, sondern sich


genauestens mit Claudianus’ De raptu Proserpinae vertraut gemacht hatte. Die me-
thodische Nähe zum Warburg-Kreis ist hier besonders augenfällig, auch zu Witt-
kower und Meyer-Schapiro, die an der Columbia University zu H.s Kollegen
zählten.
Jahrzehntelang forschte H. auch zu Rembrandt, wobei ebenfalls ikonographische
Probleme im Vordergrund standen. Daneben widmete er in Rubens and his Circle
(1982) auch weniger berühmten Vertretern der flämischen Kunst wie Abraham van
Veen, Theodor van Loon oder Jacob van Oost seine Aufmerksamkeit.
Werke Dürers Wirkung auf die niederländi- 247–270; Flora, Goddess and Courtesan, in:
sche Kunst seiner Zeit, Diss., Haag 1931; An- De artibus opuscula. Essays in Honour of Er-
sichten von Paris beim Meister des Heiligen win Panofsky, NY 1961, 201–218; Rembrandt
Aegidius, in: JbPK, 53, 1932, 3–15; Burgkmair and the Book of Tobit, Northampton/MA
and Lucas van Leyden, in: BM, 60, 1932, 308– 1964; Notes on Jacob Jordaens, in: OH, 80,
313; Notizen zu einem niederländischen 1965, 112–122; Joseph Floch (mit Jean Casson
Skizzenbuch in Berlin, in: OH, 50, 1933, 273– u. Laurence Schmeckebier), NY 1968;
288; Zum Meister der Darmstädter Passion, Rembrandt’s Aristotle and Other Rembrandt
in: ZfKg, 3, 1934, 53–54; A Diptych by Mem- Studies, Pr 1969; Jordaens at Ottawa, in: BM,
ling, in: BM, 68, 1936, 176–179; Rubens’ »King 111, 1969, 265–272; Rubens and Vorstermann,
of Tunis« and Vermeyen’s »Portrait of Mulay- in: ArtQu, 32, 1969, 111–129; Die Ausstellung
ahmad«, in: ArtQu, 3, 1940, 173–181; Jordaen’s »Rembrandt and his Pupils« in Montreal und
Portraits of his Family, in: ArtB, 22, 1940, 70– Toronto, in: Pantheon, 27, 1969, 384–388; Ru-
82; Rembrandt. The Self-Education of an Ar- bens’ Glynde Sketch and the Installation of
tist, in: Art News, 50, 1942, 10–14; Corot in the Whitehall Ceiling, in: BM, 112, 1970, 274–
Castel Sant’Elia, in: GBA, 23, 1943, 183–186; 281; Das gesprochene Wort bei Rembrandt,
Rembrandt’s Polish Rider, in: ArtB, 26, 1944, in: Neue Beiträge zur Rembrandt-Forschung,
246–265; AKat. Rubens in America (mit Jan hrsg. v. Otto von Simson und Jutta Held, Bln
Albert Goris), NY 1947; Rez. von Otto Be- 1973, 111–125; Some Rubens’ Drawings –
nesch, Rembrandt. Selected Drawings (1947), Unknown or Neglected, in: MD, 12, 1974,
in: CArtJ, 8, 1948/1949, 234–236; Holbein 249–260; On the Date and Function of Some
and his Contemporaries. A Loan Exibition of Allegorical Sketches by Rubens, in: JWCI, 38,
Painting in France, the Netherlands, Ger- 1975, 218–233; Zwei Rubensprobleme, in:
many and England, Indianapolis 1950; Fle- ZfKg, 39, 1976, 34–53; Rubens’ Sketch of
mish Painting, NY 1953; Peter Paul Rubens, Buckingham rediscovered, in: BM, 118, 1976
NY 1953; Walker Art Center Minneapolis, 547–551; Rubens and the Book. Title Pages
Minneapolis 1953; A propos de l’exposition by P.P. Rubens, Williamstown/MA 1977;
Rubens à Bruxelles, in: Arts plastiques, 6, Rembrandt’s Juno, in: Apollo, 105, 1977, 478–
1953, 107–116; Hans Tietze 1880–1954, in: 485; 17th and 18th Century Art. Baroque
CArtJ, 14, 1954, 67–69; Notes on Flemish Se- Painting, Sculpture and Architecture, NY
venteenth-Century Painting: Jacob van Oost 1979; Rubens and Aguilonius: New Points of
and Theodor van Loon, in: ArtQu, 18, 1955, Contact, in: ArtB, 61, 1979, 257–264; The Oil
147–156; Rez. von Erwin Panofsky, Early Sketches of Peter Paul Rubens. A Critical
Netherlandish Painting (1953), in: ArtB, 37, Catalogue, 2 Bde., Pr 1980; Der blinde Tobias
1955, 205–234; Paintings by Rembrandt, NY und seine Heilung in Darstellungen Rem-
1956; Artis Pictoriae Amator. An Antwerp Art brandts, Hei 1980; Was Abraham left-handed?,
Patron and His Collection, in: Essays in Ho- in: Print Collector’s Newsletter, 11/5, 1980,
nour of Hans Tietze 1880–1954, hrsg. v. J.H., 161–164; Apropos Some Rubens’ Sketches, in:
Ernst H. Gombrich u. Otto Kurz, Paris 1958, Pantheon, 39, 1981, 143–156; Noch einmal
317–348; Masterpieces of Flemish Painting, Artus Wolffort, in: WRJb, 42, 1981, 143–156;
Lo 1959; Rubens. Selected Drawings, 2 Bde., AKat. Flemish and German Paintings of the
Lo 1959 (dt. 1960); Rubens’ Designs for Se- 17th Century. The Collection of the Detroit
pulchral Monuments, in: ArtQu, 23, 1960, Institute of Arts, Detroit 1982; Rubens and
184 Held

His Circle. Studies, Pr 1982; Rubens-Studien, national, 180, 1970, S. 62; Lewis, Francis A.:
Lpz 1987; New Oil Sketches by Peter Paul dass., in: BJAe, 11, 1971, S. 104; Białostocki,
Rubens, in: BM, 129, 1987, 572–583; A Ru- Jan: dass., in KChr, 24, 1971, 369–373; Larsen,
bens Palimpsest?, in: FS Erich Fischer, Euro- Erik: Rez. von »17th and 18th Century Art:
pean Drawings from Six Centuries, Kopen- Baroque Painting, Sculpture, Architecture«,
hagen 1990, 205–210; Rembrandt Studies, Pr in: ArtJ, 32, 1973, 474–482; Downes, Kerry:
1991; Constantijn Huygens and Susanna van Rez. von »The Oil Sketches of Peter Paul
Baerle: A Hitherto Unknown Portrait, in: Rubens«, in: ArtI, 24, 1980/1981, S. 148; Al-
ArtB, 73, 1991, 653–668; Rubens Cantoor. pers, Svetlana: dass., in: RQu, 35, 1982, 113–
The Drawings of Willem Panneels: A Critical 117; Jaffé, Michael: dass., in: Apollo, 115, 1982,
Catalogue, in: MD, 29, 1991, 416–430; Two 61–65; Warnke, Martin: dass., in: KChr, 35,
Lost Drawings Formerly in Dresden, in: Shop 1982, 446–450; Publications by J.H., zusam-
Talk. Studies in Honour of Seymour Slive mengest. v. Edith Howard, in: »Rubens and
presented to his 75th Birthday, hrsg. v. Cyn- His Circle«, Pr 1982, 185–194; Muller, Jeffrey
thia P. Schneider, Cam/MA 1995, 103–104; M.: Rez. von »Rubens and his Circle», in: Si-
Carolus Scribanius’s Observation on Art in miolus, 14, 1984, 227–230; Logan, Anne-Ma-
Antwerp, in: JWCI, 59, 1996, 174–204 rie S.: Rez. von »Rubens. Selected Drawings»,
Literatur: Friedländer, Walter: Rez. von in: MD, 15, 1987, 63–82; Sooeding, Ulrich:
»Rubens in America«, in: ArtB, 33, 1951, 200– dass., in: ZfKg, 50, 1987, 564–571; Renger,
201; Benesch, Otto: dass., in: KChr, 7, 1954, Konrad: dass., in: KChr, 41, 1988, 566–572;
75–77; Henderson, Hanford: Rez. von »Ru- Fels, Thomas W.: Student and Teacher: An In-
bens. Selected Drawings«, in: CArtJ, 19, 1960, terview with John Walsh & J.H., in: Print
286–288; Müller-Hofstede, Justus: dass., in: Collecter‘s Newsletter, 21, 1990, 169–174;
KChr, 14, 1961, 309–310; ders.: Rez. von Ru- Boon, Karel G.: Rez. von »The Netherlan-
bens’ Handzeichnungen. Eine Auswahl«, in: dish and German Drawings of the 15th and
KChr, 15, 1962, 129–137; Holzmann, Eduard: 16th Centuries of the Frits Lugt Collection«,
Rez. von »Rubens. Selected Drawings«, in: in: MD, 33, 1995, 324–333; Wendland 1999,
Pantheon, 20, 1962, 323–324; Jaffé, Michael: 284–289; Logan, Anne-Marie S.: J.S.H., in:
dass., in: BM, 107, 1965, 372–381; Fox, Chri- MD, 41, 2003 411–414; White, Christopher:
stopher: Rez. von »Rembrandt’s Aristotle and J.H., in: BM, 145, 2003, 219–220
Other Rembrandt Studies«, in: Studio Inter- CF

Hempel, Eberhard
Geb. 30. 7. 1886 in Dresden; gest. 16. 9. 1967 in Dresden

H.s Vorliebe für die Baukunst des Barock, die das Leitthema eines langen Kunsthi-
storikerlebens wurde, wurzelte in der im alten Dresden verbrachten Kindheit und
Jugend. Nach dem Abitur 1907 studierte H. jedoch erst zwei Semester Jura in Hei-
delberg und Berlin, bevor er sich, ebenfalls in Berlin, der Kunstgeschichte zuwandte.
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den H. als Offizier bis zum Ende mit-
machte, folgten mehrere Semester in Wien, Berlin und schließlich München. Den
für ihn wegweisenden Lehrer fand er in  Wölfflin, bei dem er 1916, während eines
Genesungsurlaubs von der Front, über den römischen Barockarchitekten Carlo
Rainaldi promovierte. Im Vorwort verwies H. pflichtschuldig auf Wölfflins bahnbre-
chende Arbeit Renaissance und Barock (1888), wußte sich aber auch in Übereinstim-
mung mit den Bestrebungen der Wiener Schule, wo vor allem  Riegl (Die Entste-
hung der Barockkunst in Rom, 1908) der Barockforschung starke Impulse gegeben
hatte. Aber weder Wölfflin noch Riegl, auch nicht H.s sächsischer Landsmann
Hempel 185

 Gurlitt (1887) oder  Frankl (Entwicklungsphasen der neueren Baukunst, 1914) und
 Brinckmann, der Verfasser des entsprechenden Bandes des Handbuchs der Kunst-
geschichte (1915–17), hatten bisher einzelne Vertreter der Barockarchitektur mono-
graphisch untersucht. Wölfflin habe den stilgeschichtlichen Entwicklungsgang auf-
gezeigt, der eine barocke Fassade wie die von S. Maria di Campitelli, Rainaldis
Hauptwerk in Rom, möglich gemacht habe, nun müsse man, wie H. sagt, die »Ab-
sichten und Ziele« der einzelnen Künstler ergründen. H. interessierten nicht die
großen historischen Abläufe, er beschränkte sich vielmehr auf die Entstehungsge-
schichte der einzelnen Werke, um so ein Gesamtbild von Rainaldis Persönlichkeit
zu gewinnen, wobei der gesamte historische Kontext und alle erreichbaren Quellen
herangezogen wurden.
1921–23 arbeitete H. an der Wiener Albertina, wo er, anknüpfend an die For-
schungen von Hermann Egger und Oskar Pollak und unter Heranziehung des
reichen Bestandes an Handzeichnungen aus dem Nachlaß des Künstlers, sein archi-
tekturgeschichtliches Hauptwerk, die erste Borromini-Monographie, verfaßte. In
Francesco Borromini sah H. den letzten Vertreter einer mit Michelangelo begin-
nenden Epoche der Architekturgeschichte und den »Bahnbrecher« einer neuen, bis
in die Gegenwart nachwirkenden Entwicklung. H. äußerte sich zu diesem Thema
ausdrücklich als Deutscher: »Das Streben Borrominis ist dem unseren in mancher
Hinsicht verwandt.« Sein Einfluß auf die deutsche und österreichische Architektur
des 17. und 18. Jahrhunderts habe eine befreiende Wirkung auf die »besten Kräfte
Deutschlands« gehabt. In Borromini hätten sie sich selbst gefunden: »Einen Bau mit
der gleichen Gefühlsbewegung zu erfüllen, Architektur, Dekoration und Skulptur
zu einem organisch zusammenhängenden Ganzen zu vereinen, das an Reichtum
und individuellem Charakter einem Naturgebilde ähnelt, mit der gleichen Liebe
das geringste Detail, in dem schon die Form des Ganzen beschlossen liegt [...]: alles
dies ist durchaus deutsch, wie es vorher in Borrominis Schaffen italienisch war.«
Anders als Bernini, der Zeitgenosse und Rivale, dem die Architektur Träger der
Skulptur war, habe Borromini die Fassade seiner römischen Kirche S. Carlo alle
quattro fontane (1638–41) wie eine Plastik geformt; darin sei ihm Pöppelmann mit
dem Dresdner Zwingerpavillon (1711–28) gefolgt, wo auch »das organische Leben
direkt aus den architektonischen Gliedern« emporsteige.
Mit dem Borromini-Buch habilitierte sich H. 1924 an der Universität Graz; 1931
erhielt er dort eine a.o. Professur. Neben seiner Lehrtätigkeit leitete H. bis 1945 die
Arbeit an den Bänden zur Steiermark und zum Burgenland des  Dehio-Hand-
buchs der deutschen Kunstdenkmäler. In diesen Jahren des Wanderns und Reisens
durch Österreich entstand auch die bis heute gültige Monographie über den Maler
und Bildschnitzer Michael Pacher (1931), in dem H. einen Wegbereiter der deut-
schen Renaissance sah. Durch die Berührung mit der oberitalienischen Kunst
(Mantegna, Lippi, Bellini) sei in seinem Werk, ohne daß der »nordische« und »deut-
sche« Grundcharakter verlorengegangen wäre, eine »überraschende Ausbildung des
Raumes« erreicht worden. In ihm habe der spätgotische Flügelaltar, dessen Einheit
aus Architektur, Plastik und Malerei H. als geistesgeschichtliche Parallele zur Lehre
des Nicolaus Cusanus vom »Zusammenfallen der Gegensätze« in Gott verstand,
seine reife Ausprägung gefunden.
186 Hempel

Die Gefahren einer rein geistesgeschichtlichen Kunstgeschichtsschreibung sah H.


jedoch deutlich. In einem Aufsatz zu theoretischen und methodologischen Grund-
fragen (Ist eine strenge Kunstwissenschaft möglich?, 1934) setzte er sich wenige Jahre
später mit  Sedlmayrs und  Pächts Strukturanalyse auseinander und kritisierte
unter anderem Sedlmayrs Arbeit über Borromini von 1930, die seiner Auffassung
nach ins Psychologische abgedriftet sei. Die Kunstgeschichte sei eine autonome
Disziplin. Sie müsse »ihre Methode aus den eigenen, sehr eigentümlichen Vorbedin-
gungen selbständig gestalten [...], wobei die enge Verbindung mit der Geschichts-
forschung, der Philologie und den einschlägigen technischen Wissenschaften dafür
zu sorgen habe, daß der Boden des Historischen und Tatsächlichen nicht verlassen«
werde.
1933 erreichte H. ein Ruf an die Technische Hochschule in Dresden, wo schon
sein Vater einen Lehrstuhl für Chemie innegehabt hatte. Bis zu seiner Emeritierung
1955 leitete er die Institute für Kunstgeschichte und Geschichte der Baukunst. Nach
dem Krieg engagierte sich H. für den Wiederaufbau seiner Heimatstadt. In diesem
Kontext standen die meisten seiner späten Publikationen wie die schon zu Beginn
der 1940er Jahre begonnene Geschichte der deutschen Baukunst (1949) – die es im
Angesicht ungeheurer Trümmerberge zur Pflicht erklärte, das Vergangene »beim
Neuschaffen nie aus den Augen zu verlieren« –, das Buch über Chiaveri (1955), den
Erbauer der Katholischen Hofkirche, und die Monographie über den ebenfalls in
Schutt und Asche liegenden Dresdner Zwinger (1961). H.s letzte große Arbeit galt
der Kunst des Barock in Mitteleuropa, das für ihn selbstverständlich Polen, die
Tschechoslowakei und Ungarn einschloß.
Werke: Carlo Rainaldi. Ein Beitrag zur Ge- seinen Beziehungen zur bildenden Kunst,
schichte des römischen Barock, Mü 1919; Bln 1953; Die katholische Hofkirche zu Dres-
Francesco Borromini, Wien 1924; Die Spani- den im Wiederaufbau, in: Wiss. Ztschr. d. TH
sche Treppe. Ein Beitrag zur Geschichte der Dresden, 3, 1953/54, 341–344; Bonaventura
römischen Stadtbaukunst, in: FS H. Wölfflin, Genellis Umrisse zu Dantes Göttlicher Ko-
Mü 1924, 273–290; Moritz von Schwind. mödie, in: Dt. Dante-Jb., 1954, 62–86; Gaetano
Unbekannte Skizzenbücher des Meisters, in: Chiaveri. Der Architekt der Katholischen
GrK, 48, 1926, 13–30; Michael Pacher, Wien Hofkirche zu Dresden, Dr 1955; Der Zwinger
1931; Die neuesten Ergebniss der Pacherfor- zu Dresden, Bln 1961; Der Dresdner Zwin-
schung, in: Belvedere, 11, 1932, 116–122; Her- ger, Lpz 1964; Goethe zur Aufgabe der Kunst-
mann Eggers kunsthistorisches Institut an der geschichte, Bln 1964; Baroque Art and Archi-
Universität Graz in seinem methodischen tecture in Central Europe, Harmondsworth
Aufbau, in: FS Hermann Egger, Graz 1933, 1965; Wiederaufbau der katholischen Hofkir-
104–109; Ist eine strenge Kunstwissenschaft che in Dresden, in: Stil und Überlieferung in
möglich?, in: ZfKg, 3, 1934, 155–163; Das der Kunst des Abendlandes, 3. Theorien und
böhmische Mittelgebirge in seiner Bedeu- Probleme, Bln 1967, 313–318
tung für die Kunst von Ludwig Richter und Literatur: Weidhaas, Hermann: Rez. von
Rudolf Schuters, Dr 1937; Die Kunst Josef »Geschichte der deutschen Baukunst«, in:
Thaddäus Stammels, in: WJbfKg, 1937, 69–78; ZfK, 4, 1950, 83–84; Gall, Ernst: dass., in:
Das Werk Michael Pachers, Wien 1937; Die ZfKg, 14, 1951, 182–183; Reuther, Hans: E.H.
Bozener St. Michaelsstatue von Michael Pa- 70 Jahre alt, in: Baumeister, 53, 1956, S. 521;
cher, in: JbPK, 1940, 48–56; Studieren die Frey, Dagobert: E.H. zum 70. Geburtstag, in:
jungen Architekten mit Recht Kunstge- ÖZKD, 10, 1956, 76–77; FS E.H. zum 70. Ge-
schichte?, Dr 1944; Ruinenschönheit, in: ZfK, burtstag. Wiss. Ztschr. d. TH Dresden, 6,
2, 1948, 76–91; Geschichte der deutschen 1956/57, H. 1–3; Lehmann, Edgar: E.H. zum
Baukunst, Mü 1949; Nikolaus von Cues in 80. Geburtstag, in: FuF, 40, 1966, 220–222;
Hempel 187

Franz, Heinrich Gerhard: E.H., in: KChr, 20, Lane: dass., in: Journal of the Society of Ar-
1967, 386–388; Lynton, Norbert: Rez. von chitectural Historians, 29, 1970, 195–199
»Baroque Art and Architecture in Central PB
Europe, in: BM, 109, 1967, S. 545; Faison, S.

Hentzen, Alfred
Geb. 12. 5. 1903 in Lennep (heute Remscheid); gest. 8. 1. 1985 in Hamburg

Durch und durch ein Mann des Museums, das für ihn die Aufgabe hatte, »den Be-
griff des Vollendeten wachzuhalten« (Meisterwerke der europäischen Malerei, 1940), und
ein Aussteller von Gegenwartskunst mit hohem und strengem Qualitätsanspruch,
war H. kein Entwerfer neuer Geschichtsbilder oder Forschungsmethoden. Er trug
nachdrücklich dazu bei, daß die »klassische« Moderne zum festen Bestandteil des
Kunstbegriffs eines breiten Publikums in Deutschland wurde, indem er sie zeigte
und ihre gestalterischen Werte mit sparsamen Worten würdigte.
H. beendete das Studium von Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Ar-
chäologie in München, Bonn und Berlin mit der Promotion 1926 bei  Pinder in
Leipzig, der ihn die Barockarchitektur Magdeburgs bearbeiten ließ, so wie er zwei
Jahre zuvor  Pevsner auf den Leipziger Barock angesetzt hatte. 1927–45 arbeitete
H. an den Berliner Museen, zunächst unter dem Kustos Ludwig Thormaehlen in
der Abteilung für neueste Kunst der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais als
 »Justis getreuer Adlatus« ( Heise) und Redakteur der Zeitschrift Museum der
Gegenwart. 1933 wurden die Leiter versetzt, die Abteilung wurde verändert, 1937
geschlossen. H. rezensierte in einer Tageszeitung im November 1933  Eberleins
Was ist deutsch in der deutschen Kunst? ablehnend. Anläßlich der Olympischen Spiele
1936 gestaltete H. gemeinsam mit Niels von Holst vom Außenamt, der Öffentlich-
keitsabteilung der Museen, die Ausstellung Die Großen Deutschen im Bild, begleitete
anschließend eine Ausstellung älterer deutscher Kunst nach den USA, wurde 1937
zum Kustos ernannt und im Folgejahr in die Gemäldegalerie versetzt. Für diese
stellte er 1940 einen seit langer Zeit fehlenden Bildband mit Werken des 13. bis 18.
Jahrhunderts zusammen. Kurz danach mußte er deren kriegsbedingte Auslagerung
organisieren, ehe er 1942 zum Militär eingezogen wurde und 1943 in Nordafrika in
britische Gefangenschaft geriet. Im Lager in Ägypten hielt er Kurse ab. 1948–55 war
er Kustos der wiederbelebten Kestner-Gesellschaft in Hannover und machte eine
dichte Folge von Ausstellungen moderner Kunst zu einem für ganz Deutschland
maßstabsetzenden Faktor des Kunstlebens. 1955–69 setzte er als Nachfolger Heises
den Ausbau der Hamburger Kunsthalle zu einem »entwicklungsgeschichtlichen
Ordnungsmuseum großen Stils« (Heise) erfolgreich fort und erwirkte 1956 die für
die Anschaffung von Meisterwerken entscheidende, von Senat und Privaten getra-
gene Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen. Das Gebäude
wurde umgebaut, die Sammlung neu geordnet und zielstrebig erweitert. Bis 1962
leitete H. auch den Kunstverein, ehe dieser von der Kunsthalle getrennt wurde und
einen benachbarten Neubau bezog. Für den internationalen Museumsrat ICOM,
der in Hamburg tagte, konnte er 1968 das Museumswesen der Bundesrepublik und
188 Hentzen

dessen Arbeitsweise zusammenfassend erläutern. 1969 folgte ihm der Wiener Werner
Hofmann (geb. 1928), einer der anregendsten Kunsthistoriker der nächsten Genera-
tion, als Direktor der Kunsthalle. Er würdigte zum 80. Geburtstag H.s in der Frank-
furter Allgemeinen Zeitung dessen Begeisterung, diplomatisches Talent und das
Gleichgewicht von Pragmatischem und Programmatischem.
H. äußerte sich immer auf der Grundlage dessen, was seine an vielen Werken
geschulten Augen wahrnahmen, arbeitete aber auch sorgfältig mit Schriftquellen,
wie sich beispielsweise in seiner Argumentation zur Echtheit der Berliner Fassung
von van Goghs Der Garten Daubignys und später seinen Beiträgen zur miterlebten
Berliner Museumsgeschichte zeigte. Sein Verständnis der Kunstgeschichte, beson-
ders der Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, wie es noch am Führer durch die
Hamburger Kunsthalle von 1962 abzulesen ist, entsprach den um 1900 etablierten
Kriterien. Dazu gehörte nicht die Frage nach Ikonologie oder Sozialgeschichte,
wohl aber Aufmerksamkeit für das Nationale und Bodenständige – ohne Nationa-
lismus oder gar Rassismus – wie für das Religiöse. In Deutsche Bildhauer der Gegen-
wart behandelte er 1934 knapp 50 Künstler, unter denen er Barlach, Lehmbruck und
Marcks deutlich hervorhob. Wie mancher andere Zeitgenosse verurteilte er die
»Katastrophe des plastischen Schaffens im 19. Jahrhundert«, als »sich der Individua-
lismus zu einer völligen Auflösung der inneren geistigen Ordnung, der Grundbe-
griffe des religiösen und staatlichen Lebens entwickelte«, und meinte, »ein erfreuli-
ches Zeichen für die beginnende Wiederherstellung eines richtigen Verhältnisses
zwischen Kunst und Volk« sehen zu können. Er riskierte aber zu schreiben, daß der
Staat den Formwillen nicht diktieren dürfe, und warnte vor dem »Versuch, die
Forderung nach ›deutscher Kunst‹ auf eine einseitige Formel zu bringen«. Das Buch
wurde 1936 aus dem Verkehr gezogen. In Meisterwerke der europäischen Malerei (1940)
schrieb er: »Es ist das Wesen der abendländischen Kultur, sich ständig zu wandeln
und mit ihr die Ausdrucksformen der Kunst. Wir sprechen nicht mehr gern von
Primitivität, Klassik und Verfall, sondern sehen in jeder Ausdrucksform zum wenig-
sten die Möglichkeit, Unvergängliches zu sagen und zu formen. Wir werten nicht
den Zeitstil als solchen, sondern die Kraft, mit der der einmalige Künstler ihn ge-
staltet.«
H.s Ausstellungen in Hannover setzten im Oktober 1948 mit einer Präsentation
Emil Noldes ein, dem er dann auch 1957 in Hamburg die erste Gesamtausstellung
einrichtete. Seine Grablegung von 1915 (Seebüll) sei »wohl das größte und erschüt-
terndste Bild der christlichen Kunst unseres Jahrhunderts«. Die Folge der 50 Aus-
stellungen der Kestner-Gesellschaft war beeindruckend. Als erster zeigte H. 1948/49
Picassos neue Lithographien; 1951 schrieb er dann das Vorwort zum Katalog der in
Paris vorbereiteten, aber für München, Köln und Hamburg modifizierten ersten
umfassenden Picasso-Ausstellung in Deutschland; er wußte: »Für die deutsche
Kunstwelt wird diese Ausstellung ein einschneidendes Ereignis werden.« Den Bild-
hauer Marino Marini stellte er 1951 erstmals in Deutschland vor; später analysierte
er dessen Druckgraphik. Bezeichnenderweise hob er hervor: »Marini war zu keiner
Zeit ein Revolutionär. Das erregend Neue, das seinem Werk einen zentralen Platz
in der Kunst unseres Jahrhunderts sichert, erwuchs organisch aus abendländischen
Traditionen.«
Die behutsame, konservative Sorge H.s um Kontinuität wie um Aufmerksamkeit
Hentzen 189

für Qualität in jeder Ausdrucksform ließ ihn, obwohl Verehrer der Expressionisten,
1964–67 erstmals wieder auch Bilder des 19. Jahrhunderts, das heißt die damals
hochgeschätzten Werke, in der Hamburger Kunsthalle ans Licht holen. »Wir müssen
das Phänomen dieser Kunst als einen Ausdruck des Geistes ihrer Zeit gelten lassen
[...], uns bewußt bleiben, daß das Urteil über Kunstwerte einem ständigen Wechsel
unterworfen ist, [...] das leichthin Beiseitegeschobene noch einmal kritisch sichten
und vielleicht doch manche vergessene Werte wiederentdecken.« Für wirklich we-
sentlich in der Gegenwart hielt er freilich solche Kräfte mit »innerer Konsequenz
der Entwicklung und der Wesenseinheit in der Vielheit der Erscheinungsformen«
wie Henry Moore, der eine neue Epoche der abendländischen Plastik heraufgeführt
habe. »Ob wir diese Werke gegenständlich oder abstrakt nennen, wird gleichgültig.
Keine naturalistische Form könnte ähnliche Wirkung erreichen. Alle große Kunst
bildet nicht Wirkliches ab, sondern schafft neue Wirklichkeit« (Henry Moore, 1960).

Werke: Magdeburger Barockarchitektur, Years of German Painting 1850–1950 (Einlei-


Dessau 1927; Neu erworbene Bilder deut- tung), Lo 1956; Emil Nolde zum Gedächtnis,
scher Maler um 1800 in der Nationalgalerie. in: Kontrapunkte, Jb. d. Freien Akad. d. Kün-
Zu einer Ausstellung, in: ZfbK, 63 (39), ste, Hbg 1956, 33–36; AKat. Gedächtnisaus-
1929/30, 29–37; Deutsche Bildhauer der Ge- stellung Emil Nolde (Vorwort), Hbg 1957;
genwart, Bln o.J. (1934); Der Garten Daubi- Ludwig Justi (Nachruf), in: KChr, 11, 1958,
gnys von Vincent van Gogh, in: ZfKg, 4, 1935, 257–260; AKat. Henry Moore (Vorwort),
325–333; Nochmals »Der Garten Daubignys« Hbg 1960; Ein Briefwechsel zwischen Rainer
von Vincent van Gogh, in: ZfKg, 5, 1936, 252– Maria Rilke und Alfred Lichtwark, in: JbHK,
259; AKat. Die Großen Deutschen im Bild 1960, 69–86; Malerei des 20. Jh.s in der Ham-
(mit Niels von Holst), Bln 1936; Meister- burger Kunsthalle, Hbg. o.J. (1962); Führer
werke der europäischen Malerei. 220 Bilder durch die Hamburger Kunsthalle, Hbg 1962;
der Berliner Gemäldegalerie, Bln 1940; AKat. Neuordnung der Abteilung Neuerer Meister
Ernst Ludwig Kirchner, Hbg/Ha/Bremen II, in: JbHK, 1963, 137–142; Emil Nolde. Das
1950; AKat. Der antike Mythos in der neuen Abendmahl, Stg 1964; Selten gezeigte Bilder
Kunst, Ha 1950; AKat. Lyonel Feiniger, Aqua- der Hamburger Kunsthalle I–III, Hbg 1964–
relle, Ha 1950/51; AKat. Plastik im Garten 67; Lebensbericht des Verfassers, in: Paul Ort-
und am Bau, Ha 1951; La sculpture, in: Docu- win Rave, Kunst in Berlin, Bln 1965; AKat.
ments, 1, 1951, 50–59; Kunst und Publikum. Nolde. Unpainted Pictures, NY 1966; Les
Erfahrungen der Kestner-Gesellschaft Han- musées et la recherche dans la République
nover, in: Jb. TH Hannover, 1950/51, 153–159; féderale d’Allemagne, 8e confér. génerale de
AKat. Marino Marini, Ha 1951; Rez. von l’ICOM (Introduction), in: Museum, 21,
Werner Haftmann, Paul Klee. Wege bildneri- 1968, 103–112; Katalog der Meister des 19.
schen Denkens (1950), in: KChr, 4, 1951, 298– Jh.s in der Hamburger Kunsthalle (Vorwort),
301; AKat. Der christliche Inhalt in der neuen Hbg 1969; Katalog der Meister des 20. Jh.s in
Kunst, Ha 1952; AKat. Paul Klee, Ha 1952; der Hamburger Kunsthalle (Vorwort), Hbg
AKat. Karl Schmidt-Rottluff, Ha 1952; Ge- 1969; Das Ende der Neuen Abteilung der
danken über das Verhältnis von Plastik und National-Galerie im ehemaligen Kronprin-
Malerei im 19. und 20. Jh., in: FS Eduard v. d. zen-Palais, in: JbPKB, 1970, 24–89 (auch als:
Heydt, Zü 1952, 72–78; AKat. Erich Heckel, Die Berliner National-Galerie im Bilder-
Ha 1953; AKat. Karl Hartung, Ha 1953; AKat. sturm, Köln/Bln 1971); Die Entstehung der
Emy Roeder, Ha 1953; AKat. Oskar Schlem- Neuen Abteilung der National-Galerie im
mer, Ha 1953; AKat. Paul Klee/Max Beck- ehemaligen Kronprinzen-Palais, in: JbPKB,
mann, Ha 1954; AKat. Lyonel Feiniger, Ha 1972, 8–75; AKat. Marino Marini, Druckgra-
1954; AKat. Hans Arp/S. Taeuber-Arp, Ha phik. Werkkatalog (Einführung), Mü 1976;
1955; AKat. Ernst Wilhelm Nay, Ha 1955; Einführung, in: Gustav Seitz. Das plastische
AKat. Ernst Ludwig Kirchner, Ha 1955; AKat. Werk, Hbg 1980; Wolfgang Schöne an der
Farbige Graphik, Ha 1955; AKat. A Hundred Berliner National-Galerie. Erinnerung an
190 Hentzen

unsere Zusammenarbeit in den Jahren 1937 tas, 11, 1956, 780–781; Heise, Carl Georg: A.H.
und 1938, in: FS Wolfgang Schöne, Bln/NY zum 60. Geburtstag, in: JbHK, 1963, 7–10;
1986, 269–289 Museum und Kunst, Beiträge für A.H., Hbg
Literatur: Hess, Hans: Rez. von »A Hundred 1970; Löwe, Regina: Zum Tode von A.H., in:
Years of German Painting«, in: BM, 98, 1956, Weltkunst, 55, 1985, S. 221
203–204; Grohmann, Will: dass., in: Universi- PHF

Herzfeld, Ernst
Geb. 23. 7. 1879 in Celle; gest. 21. 1. 1948 in Basel

H. gehörte zu jenen Gelehrten, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts
die Erforschung von Architektur und Kunst des islamischen Kulturkreises auf eine
wissenschaftliche Basis stellten. Sein Interesse galt der Archäologie des Vorderen
Orients in ihrer ganzen Breite, von den prähistorischen Kulturen bis in das islami-
sche Mittelalter. Mit einem Studium an den Universitäten in München und Berlin
sowie an der Technischen Hochschule Berlin erwarb er sich eine vielseitige Ausbil-
dung als Archäologe, Historiker, Architekt, Philologe und Epigraph. Gleich im An-
schluß daran nahm er 1903–06 an der Ausgrabung der Deutschen Orient-Gesell-
schaft in Assur teil. 1907 promovierte er an der Universität Berlin über Pasargadae,
eine persische Königsresidenz des 6. Jahrhunderts v. Chr. Auf der Suche nach einem
geeigneten Grabungsobjekt, von dem sich wesentliche Aufschlüsse über Kultur und
Kunst der frühislamischen Periode erwarten ließen, bereiste er mit Friedrich Sarre
(1865–1945), dem Direktor der Islamischen Abteilung der Berliner Museen, 1907–08
das Euphrat- und Tigrisgebiet. Daraus erwuchs ein vierbändiges Überblickswerk zu
den Denkmälern dieses Territoriums. Derartige dringend notwendige Erschlie-
ßungsarbeiten für die noch in den Anfängen steckende islamische Kunstgeschichte
hat H. auch später immer wieder erbracht, so mit seinen Forschungen im Iran und
mit seinen Reisen in Syrien und den daraus resultierenden Publikationen zu Bau-
ten und Inschriften der jeweiligen Region. Bahnbrechendes leistete er gemeinsam
mit Sarre auch durch seine Ausgrabungen in Samarra (1911–13), der Hauptstadt des
arabischen Kalifats während des 9. Jahrhunderts; sie gehören bis heute zu den we-
nigen Stadtgrabungen zur islamischen Periode.
1909 habilitierte sich H. an der Berliner Universität und wurde dort 1920 Ordi-
narius für Orientalische Archäologie. Diese Professur wurde ihm als Juden 1935
entzogen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich H. in England, von wo aus er 1936 in
die USA ging. Dort wurde er bald an das Institute for Advanced Study in Princeton
berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1944 tätig war. Gleichzeitig lehrte er an
der New York University.
Seit den 1920er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der Forschungsarbeit H.s
wieder auf den Iran. Er unternahm zahlreiche längere Reisen dorthin. 1928 grub er
in Pasargadae und 1929 in Kuh-i Khwaja in Ostiran. Im Auftrag des Oriental Insti-
tute der University of Chicago übernahm er 1931–35 die Leitung der archäologi-
schen Arbeiten in Persepolis. Seit 1929 publizierte er ihre Ergebnisse in den von
ihm begründeten, in lockerer Folge über neun Jahre erschienenen Archäologischen
Herzfeld 191

Mitteilungen aus Iran. Sie enthalten Untersuchungen zu Kernproblemen der irani-


schen Kultur- und Geistesgeschichte wie Mythos und Geschichte und Zarathustra,
parallel dazu Analysen einzelner Denkmäler und Fundorte. Die Absicht, iranische
Kultur- und Kunstgeschichte in ihrer Kontinuität zu betrachten, drückte sich auch
im Konzept der Serie Iranische Denkmäler aus.Von dieser systematischen Darstellung
des Denkmalbestandes erschienen jedoch nur die ersten vier Lieferungen zu vorge-
schichtlichen Objekten.
Seine Bemühungen, die Herausbildung der islamischen Kunst zu verstehen, be-
zogen H. in die Kontroverse über das Verhältnis des Orients zu Rom ein, in der er
die Rolle der hellenistischen Kunst als wesentliche Voraussetzung für spätere Ent-
wicklungen betonte und,  Riegl folgend, die Veränderungen eher als gesetzmäßige
innere Weiterentwicklung von Einzelformen begriff. Zugleich hob er die Bedeu-
tung der materiellen Bedingungen der Kunstproduktion für die Umwandlung von
Kunstformen hervor. Obwohl er  Strzygowskis Meinung von der dominierenden
Rolle eines im schroffen Gegensatz zur Antike gesehenen »Orients« in der spätan-
tiken und frühmittelalterlichen Kunst ablehnte, wandte er sich später gerade der
systematischen Erschließung und Bearbeitung iranischer Denkmäler zu. H. verstand
sich dabei als Historiker, der sich der ganzen Vielfalt des Quellenmaterials vom
Kunstgegenstand über die Inschrift bis zum Handwerksprodukt bediente, ohne den
spezifischen Charakter der jeweiligen Kategorie von Objekten zu vernachlässigen.
Werke: Pasargadae. Aufnahmen und Unter- 1–24, 103–147; Mshatt, H ra und Bdiya. Die
suchungen zur persischen Archäologie, Bln Mittelländer des Islam und ihre Baukunst, in:
1907; Reise durch Lristn, Arbistn und ebd., 1921, 104–146; Khorasan. Denkmalsgeo-
Frs, in: Petermanns Mitt.en, 53, 1907, 49–63, graphische Studien zur Kulturgeschichte des
73–90; Smarr, Aufnahmen und Untersu- Islam in Iran, in: Der Islam, 11, 1921, 107–174;
chungen zur islamischen Archäologie, Bln Die Gumbadh-i-’Alawiyyn und die Bau-
1907; Untersuchungen über die historische kunst der Ilkhane in Iran, in: A Volume of
Topographie der Landschaft am Tigris, klei- Oriental Studies, Presented to E.G. Browne,
nen Zb und ebel amr n, in: Memnon, 1, Cam 1922, 186–199; Der Wandschmuck der
1907, 89–143; Pasargadae, in: Klio, 8, 1908, 1– Bauten von Samarra und seine Ornamentik,
68; Iranische Felsreliefs, Bln 1910 (mit Fried- Bln 1923; Paikuli. Monument and Inscription
rich Sarre); Die Genesis der islamischen of the Early History of the Sasanian Empire,
Kunst und das Mshatta-Problem, in: Der Is- Bln 1924; Reisebericht, in: ZDMG, 5, 1926,
lam, 1, 1910, 27–63, 105–146; Archäologische 225–284; Die Malereien von Samarra, Bln
Reise im Euphrat- und Tigris-Gebiet, 4 Bde., 1927; La sculpture rupestre de la Perse sassa-
Bln 1911–20 (mit Friedrich Sarre); Die Qub- nide, in: Revue des Arts Asiatiques, 5, 1928,
bat al- akhra, ein Denkmal frühislamischer 129–142; Zarathustra, in: AMI, 1, 1929/30,
Baukunst, in: Der Islam, 2, 1911, 235–244; Er- 76–123, 125–185 u. 2, 1930, 1–112; Die vorge-
ster vorläufiger Bericht über die Ausgrabun- schichtlichen Töpfereien von Samarra, Bln
gen von Samarra, Bln 1912; Hatra, in: ZDMG, 1930; Kushano-Sasanian Coins, Calcutta 1930;
68, 1914, 655–676; Die Tabula ansata in der Sakastan. Geschichtliche Untersuchungen zu
islamischen Epigraphik und Ornamentik, in: den Ausgrabungen am Kh i Khwja, in:
Der Islam, 6, 1916, 189–199; Vergangenheit AMI, 4, 1931/32, 1–116; Iranische Denkmäler,
und Zukunft der Erforschung Vorderasiens, Lieferungen 1–4, Bln 1932–33; Mythos und
in: Der neue Orient, 4, 1919, 313–323; Am Tor Geschichte, in: AMI, 6, 1933, 1–109; Archaeo-
von Asien. Felsdenkmale aus Irans Helden- logical History of Iran, Lo 1935; Die Kunst
zeit, Bln 1920; Der Thron des Khosr . Quel- des zweiten Jahrtausends in Vorderasien, in:
lenkritische und ikonographische Studien AMI, 8, 1937, 103–160 u. 9, 1938, 1–79; Khus-
über Grenzgebiete der Kunstgeschichte des rau Parw z und der q i Vastn, in: AMI, 9,
Morgen- und Abendlandes, in: JbPK, 1920, 1938, 91–158; Altpersische Inschriften, Bln
192 Herzfeld

1938; Iran in the Ancient East, Lo/NY 1941; and Ethnography of the Ancient Near East,
Damascus. Studies in Architecture, I–IV, in: Wb 1968
ArsIs, 9, 1942, 1–53, 10, 1943, 13–70, 11–12, Literatur: Ettinghausen, Richard: E.H., in:
1946, 1–71, 13–14, 1948, 118–138; Zoroaster ArsIs, 15/16, 1951, 261–266 (Bibliogr., ebenso
and his World, 2 Bde., Pr 1947; Geschichte in: ArsIs, 7, 1940, 82–92); Archaeologica Ori-
der Stadt Samarra, Hbg 1948; Materiaux pour entalis. In memoriam E.H., NY 1952; Rice,
un Corpus Inscriptionum Arabicarum. Deu- David S.: Rez. von »Archaeologica Orienta-
xième partie, Syrie du Nord. Monuments et lis«, in: Ars orientalis, 1, 1954, 216–220
inscriptions d’Alep, 2 Bde., Kairo 1954–56; KR
The Persian Empire. Studies in Geography

Hess,Walter
Geb. 29. 3. 1913 in Bochum; gest. 14. 4. 1987 in Fürstenfeldbruck

Die Schriften  Worringers und  Riegls führten H., den Sohn eines Malers und
Zeichenlehrers, der anfangs selbst künstlerisch tätig war, zur Kunstgeschichte. Ge-
prägt von der Moderne der Zeit zwischen den Kriegen fand er das Hauptthema
seiner Forschungsarbeit in der Sinnerhellung der zunächst praktisch erfahrenen
aktuellen Kunstsituation. In seinen Publikationen beschäftigte sich H. mit zeitge-
nössischen Künstlern (Hoelzel, Kandinsky, Marc, Picasso), vor allem mit deren
theoretischen Reflexionen, die er dokumentierte, und nicht zuletzt mit Problemen
der Farbentheorie.
Von 1932 bis zur Einberufung zum Militärdienst 1938 studierte H. Kunstge-
schichte und Philosophie an den Universitäten Rostock, Bonn und München.
Nach Krieg und amerikanischer Gefangenschaft arbeitete er zunächst in einem
Kunstauktionshaus. 1947 wandte er sich erneut der Kunstgeschichte zu und promo-
vierte 1950 bei  Jantzen in München über Das Farbproblem in den Selbstzeugnissen
französischer und deutscher Maler im Ausgang des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhun-
derts. 1953 konzipierte H. im Auftrag des Stuttgarter Museumsvereins eine Gedächt-
nisausstellung für Adolf Hoelzel, die in Stuttgart und München gezeigt wurde.
Beteiligt war er auch an der Schlemmer-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst
aus Anlaß des 10. Todestages des Künstlers. 1954 erhielt H. durch Vermittlung
 Sedlmayrs, bei dem er studiert hatte, einen Lehrauftrag über Geschichte der
neueren Malerei an der Universität München, und 1959 berief man ihn als Profes-
sor für Kunstgeschichte an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin, wo er bis
1978 tätig war.
Schon in seiner 1953 publizierten Doktorarbeit erörterte H. anhand theoretischer
Äußerungen von Künstlern zwischen 1885 und 1925 die komplexen Wirkungsmög-
lichkeiten einer autonomen Farbe. Seine Interpretationen ließen ihn immer wieder
bei der Frage ansetzen, wie sich der Ausdrucks- und Symbolgehalt der Farbe mit
der Darstellung des Körperhaft-Dinglichen, des Raumes, des Lichtes und der stoff-
lichen Oberfläche verbindet, wie sich das Kolorit überhaupt zum gegenständlichen
Bildinhalt verhält.
H. interessierten besonders die künstlerischen Äußerungen, die frei von erzähle-
rischen, gedanklichen, allegorischen, überhaupt von vorgegebenen Bedeutungsin-
Hess 193

halten waren; die »kleine Welt des Kunstwerkes und seine Struktur«, die alles Ein-
zelne sinnvoll zu einer höheren Ganzheit verbinde, sei sein Thema. Seine
nachdrückliche Betonung des singulären Werkes und seiner Anlage lassen deutlich
den Einfluß Sedlmayrs erkennen. Wie jener sah H. in Kunstwerken nicht einfach
ästhetische Gebilde, in deren formalem Aufbau sich Intention, Handschrift und
Stilwille ihrer Produzenten fassen ließe, sondern er betrachtete sie als substanziell
anschauliche Qualitäten, in denen sich bestimmte Geschehensstrukturen einer Zeit
ein Ausdrucksmittel geschaffen hatten. Kunstwerke zeichneten sich für H. – auch
hier ist die Nähe zu Sedlmayr evident – durch ihre Sprachvalenz aus, die auch dann
noch Wirksamkeit besaß, wenn sie nichts mehr abbildeten.
Der immer wieder gesuchte werkimmanente Bezug zur Kunst stand für H. nicht
im Widerspruch zu seinen »Künstlertheorien« (Dokumente zum Verständnis der moder-
nen Malerei, 1956). Dabei beschäftigte ihn vor allem die umstrittene Frage, inwieweit
das Selbstzeugnis des Künstlers das Verständnis seiner eigenen Werke fördern oder
diesem eher abträglich sein könne. Für ihn waren Künstlertheorien nicht Vorweg-
nahmen von bildlich umgesetzten Ideen, sondern nachträgliche Anstrengungen,
eine Art Rechenschaft über eine Arbeit, die nicht vorweg begriffen war. Er glaubte
an den Erkenntniswert dieser das Phänomen der modernen Kunst begleitenden
Dokumente, nicht weil er von ihnen eine verbindliche, objektive Deutung erwar-
tete, sondern weil für ihn die Dokumente und Manifeste selbst zur Erscheinung der
modernen Kunst gehörten. Beides, Werke und Theorien, sah er der gleichen ge-
schichtlichen Lage entspringen, deren möglichst umfassendes Verstehen das Ziel
seiner kunstgeschichtlichen Bemühungen war.
Werke: Das Farbproblem in den Selbstzeug- (Hrsg.); Kommentar und Bibliographie zu
nissen französischer und deutscher Maler im »Leben des Benvenuto Cellini«, übersetzt u.
Ausgang des 19. und im ersten Viertel des 20. m. einem Anh. hrsg. v. Goethe, Hbg 1957; Die
Jh.s, Mü 1950; Darmstädter Gespräch 1950. große Abstraktion und die große Realistik.
Das Menschenbild in unserer Zeit, in: KChr, Zwei von Kandinsky definierte Möglichkei-
3, 1950, 166–169; Zur Biographie der befrei- ten moderner Bildstruktur, in: JbÄaK, 1960,
ten Farbe, in: Ktw, 6, 1952, 12–15; Das Pro- 7–32; Geschichte der Ästhetik, Köln 1962
blem der Farbe in den Selbstzeugnissen mo- (Hrsg. m. Ernesto Grassi); Zu Hoelzels Lehre,
derner Maler, Mü 1953 (Nd. als »Das Problem in: Der Pelikan, 65, 1963, 18–34; Giambattista
der Farbe in den Selbstzeugnissen der Maler Vico. Die neue Wissenschaft über die ge-
von Cézanne bis Mondrian«, Mittenwald meinschaftliche Natur der Völker, Hbg 1966
1981); Aus Aufzeichnungen und Selbstgesprä- (Hrsg. m. Ernesto Grassi); Zur Lehre Hoel-
chen von Adolf Hoelzel, in: AKat. der Ge- zels, in: AKat. Adolf Hoelzel. Bilder, Pastelle,
dächtnisausstellung zum 100. Geburtstag von Zeichnungen, Collagen, Kestner-Ges. Han-
Adolf Hoelzel, Stg 1953, 25–28; Hoelzel zum nover, Ha 1982, 109–133
100. Geburtstag, in: Die Kunst, 59, 1953, 414– Literatur:Wankmüller, Rike: Rez. von »Das
415; AKat. Paul Klee, Haus der Kunst, Mü Problem der Farbe in den Selbstzeugnissen
1954; Crónica de Munich, in: Goya, 7, 1955, moderner Maler«, in: Ktw, 10, 1956/57, S. 58;
49–61; Picasso und die anderen, in: Ktw, 9, Berefelt, Gunnar: dass., in: Konstrevy, 33, 1957,
1955/56, 8–18; Ernst Wilhelm Nay, in: KschH, S. 132; Grützmacher, Curt: dass., in: Christli-
54, 1956, 248–251; AKat. Paul Cézanne (Vor- che Kunstblätter, 95, 1957, 29–30; ders.: Rez
wort), Haus der Kunst, Mü 1956; Dokumente von »Dokumente zum Verständnis moderner
zum Verständnis der modernen Malerei, Hbg Malerei«, in: ebd., 29–30
1956; Paul Cézanne. Über die Kunst. Gesprä- CF
che mit Gasquet und Briefe, mit einem Essay
»Zum Verständnis des Werkes«, Hbg 1957
194 Hetzer

Hetzer,Theodor
Geb. 16. 7. 1890 in Charkow; gest. 27. 12. 1946 in Überlingen/Bodensee

Am Anfang war für H. das Anschauen. Im Vorwort zu seinem Dürer-Buch (1939)


hielt er sich etwas darauf zugute, keine neuen Tatsachen ans Licht gebracht zu ha-
ben; die kunsthistorischen Fragestellungen hätten sich erst allmählich, aus der
Freude an der Betrachtung von Dürers Werken, ergeben. Wie viele seiner Genera-
tionsgenossen ( Worringer,  Jantzen,  Rintelen) stand H. in kritischer Distanz
zu einer Kunstwissenschaft, die sich in »Forscherarbeit« erschöpft und die »univer-
salen Betrachtungen« vernachlässigt hatte. Unmittelbar von den Werken ausgehend,
wollte er dagegen das kunsthistorische Material unter bestimmten Gesichtspunkten
zusammenfassen, »Einzelnes zu einem ›vorgedachten‹ Ganzen in Beziehung [...]
setzen und dieses Ganze am Einzelnen sichtbar [...] machen«.
H.s Bibliographie beherrschen die Maler-Götter Tizian, Raffael, Dürer,Veronese,
Giotto, Rembrandt, Tiepolo, Lorrain und Rubens. H., der selbst Talent zum Malen
hatte, faszinierten die großen Bilder, und es war das höchste Glück seines durch
eine schwere Herzkrankheit früh beendeten Lebens, durch die »herrlich geschmück-
ten Räume der europäischen Malerei« zu streifen. Ihre Blütezeit begann für ihn um
1300 und endete mit der Französischen Revolution; am Anfang stand Giotto und
am Ende Tiepolo. Innerhalb dieses Zeitraumes habe die Malerei eine Bedeutung
erlangt wie nie zuvor und nie wieder, indem sie eine Bildvorstellung realisierte, die
auf der »Bildfläche als einem begrenzten, gegliederten, durch mannigfache Bezie-
hungen ineinander gewebten Gebilde« und einer inhaltlich-formalen Ganzheit
beruhte, die Antike und Mittelalter noch nicht gekannt hatten und die im 19. Jahr-
hundert wieder verlorengehen sollte, als die »Bildkunst« in das »natürliche Sehen«
verlegt wurde und das gemalte Bild zu »einem mehr oder minder geschickt und
witzig gewählten Ausschnitt aus dem allgemeinen optischen Zusammenhang« her-
untersank. Jene neue Auffassung vom Bild stand für H. in einem direkten Zusam-
menhang mit dem gesellschaftlichen Aufstieg des Künstlers seit dem Ende des
Mittelalters, der von da an seine Individualität auch auf das Kunstwerk übertragen
und dem Bildfeld den Charakter eines Ganzen, einer »Persönlichkeit«, verliehen
habe.
Für H. oblag dem Kunsthistoriker die Aufgabe, dieses versunkene Goldene Zeit-
alter der Malerei, als der menschliche Geist durch die großen Maler im Bild sein
adäquates Ausdrucksmittel fand, vor dem geistigen Auge wiedererstehen zu lassen,
doch in der schmerzlichen Gewißheit, daß die alte Einheit von »Sinnlichem« und
»Sittlichem«, vom Künstler und einem allgemeinverbindlichen Stil für immer ver-
loren war. In Cézannes formbewußter Malerei bewunderte H. den heroischen
Versuch, gewissermaßen auf eigene Faust eine neue umfassende geistige Ordnung
zu schaffen, die der Kunst die Richtung weisen konnte.
Seine Kinderjahre verlebte H. in Rußland. Nach dem Tod des Vaters kam er in
die Schweiz und später nach Freiburg i.Br., wo er für kurze Zeit Schüler  Vöges
wurde. Seit 1910 studierte er in München, Berlin und Basel vor allem bei  Wölff-
lin und dem hochverehrten Rintelen. Unter Rintelens Aufsicht entstand 1914 die
noch stilkritisch angelegte Dissertation über Tizian (Die frühen Gemälde des Tizian),
Hetzer 195

der zum Zentralpunkt seines Denkens werden sollte. Es folgte die der Leipziger
Universität eingereichte Habilitationsschrift über Tizians Stil (1923), 1929 die Beru-
fung zum a.o. Professor und 1935 als Nachfolger  Pinders zum Ordinarius. Im
selben Jahr erschien H.s Hauptwerk, die erste zusammenfassende Darstellung zum
europäischen Kolorismus und eines der bedeutendsten kunstgeschichtlichen Bü-
cher des 20. Jahrhunderts: Tizian. Geschichte seiner Farbe. Von Tizian und der Hoch-
renaissance führten ihn seine Forschungen zu Giotto, der seit der erhellenden und
prägenden Lektüre von Rintelens Buch im Jahre 1912 H. nicht wieder losgelassen
hatte, und von dort zum Barock und zu Lorrain und Tiepolo, über die zwei Arbei-
ten 1947 postum erschienen; vor allem aber zu den großen Koloristen, die Tizians
Erbe antraten und weiterentwickelten. Wie sein Lehrer Wölfflin dachte H. immer
wieder über das Verhältnis zwischen dem Norden und dem Süden nach, vertrat aber
eine etwas andere Auffassung. Während Wölfflin die innere Kontinuität der italieni-
schen Entwicklung bei der Herausbildung der Hochrenaissancemalerei betonte, sah
H. die neue ganzheitliche »Gestaltung der Bildfläche« auch schon in der deutschen
Kunst des späten 15. Jahrhunderts vorbereitet. Mit Blick auf Tizians Farben und den
europäischen Kolorismus fand er schon bei Michael Pacher »den Willen zu einem
freien und bewegten Spiel farbiger Beziehungen zwischen Figuren und Umge-
bung«.
Mit seinem Giotto-Buch (1941) knüpfte H. an Rintelen an, wollte bei der stil-
kritischen Werkanalyse aber nicht stehenbleiben. In Giotto verband sich für ihn das
Genie mit der größten kunstgeschichtlichen Wirkung. Giotto stand zwischen Mit-
telalter und Renaissance. Seine Fresken in der Arena-Kapelle von Padua galten H.
als die Geburtsurkunde der neuzeitlichen Malerei und ihr tragendes Fundament für
fünfhundert Jahre. Die neuen Gestaltungsprinzipien stellte H. systematisch dar, be-
ginnend mit der für den nachmittelalterlichen Künstler exemplarischen Persönlich-
keit Giottos, dem Erfinder des neuen Bildkonzepts; er zeigte den Zusammenhang
zwischen Fläche, Raum und Körper auf, erörterte die grundlegende Funktion der
Zeichnung in diesem Prozeß und entdeckte in Giottos Werk, in den Arena-Fresken
und denen der Bardi-Kapelle von Sta. Croce in Florenz, zwei polare Grundhaltun-
gen (Gestaltung – Komposition), die sich seiner Auffassung nach als Entwicklungs-
richtungen der europäischen Malerei bis ins 19. Jahrhundert fortsetzten.
Wie Zeitzeugen berichten, vermochte es H., seinen Studenten während der
Leipziger Vorlesungsjahre 1923–43 und den Besuchern vieler öffentlicher Vorträge
das Gefühl zu geben, die Meisterwerke der Vergangenheit mit neuen Augen zu se-
hen und in ihrer Vollkommenheit und Würde zu begreifen. Als ihr Deuter fühlte
sich H. zu einer inneren Haltung verpflichtet, vergleichbar der »hohen Warte«, von
der aus Dürer, »der etwas wunderbar Mildes, Klares und Versöhnliches hat [...], zu
einem Einblick in die Welt und ihre Ordnung« gelangte (Dürers Bildhoheit, 1939). H.,
der gestand, Dürer besonders zu lieben, beschrieb sich hier auch selbst. Ebendiese
Weltsicht schützte ihn davor, dem Zeitgeist der 1930er und 1940er Jahre Zugeständ-
nisse zu machen.
Werke: Schriften, 9 Bde., hrsg. v. Gertrude 322; Die frühen Gemälde des Tizian. Eine
Berthold, Stg 1981–98 stilkritische Untersuchung, Basel 1915; Das
Tizian und Carpaccio, in: MfKw, 7, 1914, 317– Marmorpalais bei Potsdam, Bln 1921; Studien
196 Hetzer

über Tizians Stil, in: JbKw, 1923, 202–248; burger Residenz, Frf 1947; Die Sixtinische
Über Tizians Gesetzlichkeit, in: ebd., 1928, Madonna, Frf 1947; Claude Lorrain, Frf 1947;
1–20; Das deutsche Element in der italieni- Erinnerungen an italienische Architektur,
schen Malerei des 16. Jh.s, Bln 1929; Gedan- Godesberg 1951; Aufsätze und Vorträge, 2
ken um Raffaels Form, Frf 1932; Dürers Bde., Lpz 1957
deutsche Form, in: Rasse, 2, 1935, 134–148; Literatur: Wulff, Oskar: Tizians Kolorit in
Die schöpferische Vereinigung von Antike seiner Entfaltung und Nachwirkung (Rez.
und Norden in der Hochrenaisssance, in: von »Tizian. Geschichte seiner Farbe«), in:
Neue Jbb. f. Wiss. u. Jugendbildung, 1935, ZfÄaK, 31, 1937, 117–142; Wilde, Johannes:
292–305; Tizian. Geschichte seiner Farbe, Frf Rez. von »Tizian. Geschichte seiner Farbe«,
1935; Über das Verhältnis der Malerei zur Ar- in: ZfKg, 6, 1937, 52–55; Klingner, Friedrich:
chitektur, in: Neue Jbb. f. dt. Wiss., 1937, 525– Th.H. Gedächtnisrede. Gehalten am 15. 1.
542; Dürers Bildnisse, in: ZfdGw, 1, 1938, 1947 in der Universität Leipzig, Frf 1947;
412–431; Vom Plastischen in der Malerei, in: Berthold, Gertrude; Th.H. Gedanken zu sei-
FS Wilhelm Pinder, Lpz 1938, 28–64; Dürers nem Werk, in: FS Kurt Badt, Bln 1961, 292–
Bildhoheit, Frf 1939; Gutenberg und seine 300; Olbrich, Harald: Th.H.s Humanismus,
Kunst, Lpz 1940; Paolo Veronese, in: RJbKg, in: Hundert Jahre Kunstwissenschaft in Leip-
1940, 1–58; Über Dürers Randzeichnungen zig, Lpz 1974, 50–54; Schlink, Wilhelm: Rez.
im Gebetbuch Kaiser Maximilians, in: ZfdGw, von »Zur Geschichte des Bildes von der An-
3, 1941, 178–200; Giotto. Seine Stellung in der tike bis Cézanne« (Schriften, Bd. 9, 1998), in:
europäischen Kunst, Frf 1941; Rembrandt JKg, 4, 2000, 3–6
und Giotto, in: Italien-Jb. 1941, Essen 1943, PB
61–103; Die Fresken Tiepolos in der Würz-

Heydenreich, Ludwig Heinrich


Geb. 23. 3. 1903 in Leipzig; gest. 14. 9. 1978 in München

Kaum einer der maßgeblichen deutschsprachigen Kunsthistoriker der 1. Hälfte des


20. Jahrhunderts widmete sich so ausschließlich Italien und der Renaissance wie H.
Er scheint  Burckhardt,  Grimm und  Thode näherzustehen als seinen Zeit-
genossen, die die Kunst nördlich der Alpen, das Mittelalter, die niederländische und
deutsche Kunst zwischen 1350 und 1550 und schon seit den 1880er Jahren den
Barock als Forschungsgegenstand bevorzugten. Dieses unzeitgemäße Festhalten am
Klassischen erhält vor dem Hintergrund einer in den 1920er und 1930er Jahren sich
auf die nationale Kunst verengenden und chauvinistische Züge annehmenden
Kunstgeschichtsschreibung Bekenntnischarakter. Aus der Kultur der italienischen
Renaissance sprach für H. der Geist der Aufklärung und der Menschlichkeit. Über
den Nationalsozialismus machte er sich keine Illusionen, emigrierte jedoch nicht
und versuchte auf seine Weise zu widerstehen.
H. studierte am kunsthistorischen Seminar der 1919 gegründeten Universität
Hamburg; seine Lehrer waren  Panofsky, seit 1926 Ordinarius, und  Saxl, neben
seiner Tätigkeit an der Bibliothek  Warburg seit 1927 a.o. Professor. In diesem
Umfeld verstand sich Begeisterung für die Renaissance von selbst, H. wurde jedoch
kein Anhänger Panofskys im eigentlichen Sinne; die Ikonologie und ihre Sicht auf
Antike und Renaissance lagen ihm fern. 1928 promovierte H. über ein Architektur-
Thema, das schon die Verbindung zu Leonardo da Vinci, dem Zentralpunkt seines
Forscherdaseins, herstellte (Die Sakralbau-Studien Leonardo da Vincis). Als Stipendiat
am Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz setzte er seine Studien zur
Heydenreich 197

toskanischen Baukunst fort. 1931 erschien eine Arbeit über Brunelleschis Spätwerke,
in der H. an Kuppel und Chor des Domes in Florenz und der unvollendeten Kirche
Santa Maria degli Angeli eine neue raumgreifende Körperlichkeit der Wandbe-
handlung aufzeigte, die auf die Architektur der Hochrenaissance (Bramante, Leo-
nardo) vorauswies.
Nachdem Panofsky und Saxl – mit ihnen auch die Bibliothek Warburg – 1933
Hamburg in Richtung New York und London verlassen hatten, bemühte sich H. als
einer von zwei noch verbliebenen Privatdozenten unter großen Schwierigkeiten,
den Lehrbetrieb weiterzuführen, bis ihn  Pinder 1937 an die Berliner Universität
holte. Als ein Jahr später in Hamburg der kunstgeschichtliche Lehrstuhl neu besetzt
werden sollte, suchte man einen Kunsthistoriker »dessen Blickrichtung mehr der
germanischen Welt als der italienischen […] zugewandt« war.
In Berlin entstand H.s wichtigste Arbeit, das Leonardo-Buch. Es erschien 1943,
kaum bemerkt, mitten im Krieg. Erst die erweiterte 2. Auflage und die englische
Übersetzung elf Jahre später machten es einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In
der deutschsprachigen Leonardo-Literatur waren das zweibändige Werk von
 Seidlitz (1909) und  Bodes Leonardo-Studien (1921) vorausgegangen. H. wußte
sich auch den Forschungen von Eugène Müntz (1899) und besonders von Gabriel
Séailles (Léonard de Vinci. L’Artiste e le savant, 1892) verpflichtet, der wie er Leonardos
künstlerisches und wissenschaftliches Wirken »als ein einheitliches, sich gegenseitig
bedingendes Ganzes zu begreifen und darzustellen« versuchte. Mit diesem ganzheit-
lichen Ansatz befand sich H. in der Tradition der deutschen »Kunstgeschichte als
Geistesgeschichte«, während Kenneth Clark (1903–83), 1934–39 Direktor der Na-
tionalgalerie in London, nur vier Jahre früher eine Monographie (Leonardo da Vinci.
An Account of his Development as an Artist, 1939) veröffentlicht hatte, die den Wissen-
schaftler und Theoretiker Leonardo den Spezialisten überließ und sich auf den
Künstler beschränkte.
1943 übernahm H. die Leitung des Deutschen Kunsthistorischen Instituts in
Florenz; sein Vorgänger Friedrich Kriegbaum war bei einem Luftangriff ums Leben
gekommen. Unter den Bedingungen des Krieges bewährte sich H. in schwierigen
Situationen. Als seine glücklichste Tat betrachtete er die Rettung der großen Flo-
rentiner Renaissance-Bronzen, die in einem Apennin-Tunnel, der gesprengt werden
sollte, deponiert waren.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft engagierte sich H. für einen Neubeginn der
Kunstgeschichte in Deutschland. 1947–70 war er Direktor des Zentralinstituts für
Kunstgeschichte in München, das zu einer internationalen Begegnungsstätte wurde
und wo eine der ehrgeizigsten lexikalischen Unternehmungen des Faches 1951 ihre
neue Heimstatt fand: das von  Schmitt begründete Reallexikon zur deutschen
Kunstgeschichte (1937ff.); H. war einer der Herausgeber der Bände 3–5. Trotz der
großen Belastungen, die sein Amt ihm auferlegte, hörte H. nicht auf, wissenschaft-
lich tätig zu sein. Er hinterließ Material zu einem Buch über Leonardo als Zeichner,
an dem er bis kurz vor seinem Tode gearbeitet hatte.
Werke: Die Sakralbau-Studien Leonardo da Tribuna der SS. Annunziata in Florenz, in:
Vincis. Untersuchungen zum Thema »Leo- MKhIF, 3, 1930, 268–285; Spätwerke Brunel-
nardo da Vinci als Architekt«, Lpz 1929; Die leschis, in: JbPK, 1931, 1–28; Der XIII. Inter-
198 Heydenreich

nationale Kongreß für Kunstwissenschaft in mahls von Leonardo da Vinci, in: MJbbK,
Stockholm, in: ZfKg, 2, 1933, 410–414; La 1965, 217–228; Bemerkungen zu den Ent-
Sainte-Anne de Léonard de Vinci, in: GBA, würfen Leonardos für das Grabmal des Gian
10, 1933, 205–219; Studi archeologici di Leo- Giacomo Trivulzio, in: FS Theodor Müller,
nardo da Vinci a Civitavecchia, in: Raccolta Mü 1965, 179–194; Bemerkungen zu den
Vinciana, 14, 1934, 39–53; Rez. von Kenneth zwei wiedergefundenen Manuskripten Leo-
Clark, A Catalogue of the Drawings of Leo- nardo da Vincis in Madrid, in: KChr, 21, 1968,
nardo da Vinci in the Collection of His Ma- 85–100; Italienische Renaissance. Anfänge
jesty the King at Windsor (1935), in: ZfKg, 4, und Entfaltung in der Zeit von 1400 bis 1460,
1935, 340–344; Pius II. als Bauherr von Pi- Mü 1972; Leonardo. The Last Supper, Lo
enza, in: ZfKg, 6, 1937, 105–146; Gedanken 1974; Architecture in Italy 1400 to 1600, Har-
über Michelozzo di Bartolomeo, in: FS Wil- mondsworth 1974 (mit Wolfgang Lotz); Der
helm Pinder, Lpz 1938, 264–290; Der Apoka- Festungsbaumeister, in: Leonardo. Künstler,
lypsenzyklus im Athosgebiet und seine Be- Forscher, Magier, Frf 1974, 136–165; Die gro-
ziehungen zur deutschen Bibelillustration der ßen Meister in der Zeit von 1500 bis 1540,
Reformation, in: ZfKg, 8, 1939, 1–40; Leo- Mü 1975 (mit Günter Passavant); Studien zur
nardo-Ausstellung in Mailand, in: ebd., 159– Architektur der Renaissance. Ausgewählte
169; Considerazioni intorno a recenti ricer- Aufsätze, Mü 1981; Leonardo-Studien, hrsg. v.
che su Leonardo da Vinci, in: La Rinascità, 5, Günter Passavant, Mü 1988
1942, 161–173; Leonardo, Bln 1943 (engl. Literatur: FS L.H.H., Mü 1964 (Bibliogr.);
1954); Die künstlerische und wissenschaftli- Sauerländer, Willibald: L.H.H., in: JbBAdW,
che Zeichnung Leonardo da Vincis, in: Gra- 1979, 234–240; Zöllner, Frank: Rez. von
phis, 8, 1952, 186–201, 264; Marc Aurel und »Leonardo-Studien«, in: BM, 131, 1989, 301–
Regisole, in: FS Erich Meyer zum 60. Ge- 302; Satzinger, Georg: Rez. von »Architecture
burtstag, Hbg 1957, 146–159; Leonardos »Sal- in Italy 1400–1500« (Nd. 1996), in: Annali di
vator Mundi«, in: Raccolta Vinciana, 20, 1964, architettura, 9, 1997 (1998), 270–272
83–109; André Dutertres Kopie des Abend- PB

Hotho, Heinrich Gustav


Geb. 22. 5. 1802 in Berlin; gest. 24. 12. 1873 in Berlin

Seit den Anfängen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit bildender Kunst


in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestanden lange zwei Grundrichtungen,
eine empirisch-kennerschaftliche, auf das individuelle Kunstwerk orientierte, und
eine theoretische, die nach übergreifenden Zusammenhängen fragt und erklären
will. Zu den ersten deutschen Kunsthistorikern, die diese Denkweisen als Antipo-
den exemplarisch vertraten, gehören zwei der Gründerväter der sogenannten Ber-
liner Schule der Kunstgeschichte:  Waagen und H. Während sich Waagens positi-
vistische Einstellung im Laufe seines Lebens eher verstärkte, stand für H. außer
Frage, daß seine »spekulative« Kunstgeschichte auf historischen Tatsachen gegründet
sein mußte. Nicht zuletzt aus diesem Grunde suchte er sein Gelehrtendasein an der
Universität durch praktischen Dienst an der Kunst im Museum zu ergänzen. 1832
wurde H. Assistent an der 1830 gegründeten, von Waagen geleiteten Berliner Ge-
mäldegalerie, ohne daß ihm dabei seine philosophische Natur abhanden gekommen
wäre. Hegel, der von 1818 bis zu seinem Tode im Jahre 1831 an der Berliner Uni-
versität lehrte, hatte sie geweckt. H. wurde einer seiner bekanntesten Schüler und
machte sich später als Herausgeber der Vorlesungen zur Ästhetik (3 Bde., 1835, 1837,
1838) einen Namen.
Hotho 199

In die Geschichte des Faches ging H. als einer der ersten und bedeutendsten
Vertreter einer hegelianischen Kunstgeschichtsschreibung ein. Hegels Geschichts-
philosophie und seine Auffassung von der Kunst als etwas Vergangenem, sich dem
direkten Zugang Entziehendem legitimierte nicht nur die Kunst-Wissenschaft,
sondern entzog jeder normativen Kunstgeschichte endgültig den Boden. Während
Klassizismus und Romantik noch von Goldenen Zeitaltern der Kunstgeschichte
wie Antike, Renaissance und Spätmittelalter ausgegangen waren, war H. der Über-
zeugung, daß »dieser ganze Traum von Gipfelepochen, die alle Schönheit zusam-
menfassen [...] auf Irrtum und barer Täuschung« beruhe. Die Kunst verlange »Ent-
wicklung, Stufenfolge, Geschichte; ihr Grundsatz sei die Beschränkung, die jeden
neuen Sieg mit neuer Einbuße ausgleicht«.
H. studierte seit 1821 an der Berliner Universität zunächst Jura, dann Philosophie,
promovierte 1826 über Descartes und habilitierte sich ein Jahr später über Heraklit;
das Thema des Probevortrags war die niederländische und deutsche Malerei des 15.
Jahrhunderts. Im Mittelpunkt seiner Vorlesungstätigkeit, die im Wintersemester
1827/28 begann, standen zunächst Ästhetik und Literatur, später trat die bildende
Kunst immer mehr in den Vordergrund. An den Mann am Katheder erinnerte sich
einer der damals noch wenigen Kunstgeschichtshörer: »Wir saßen da im Bann einer
halb romantischen, halb mystischen Suggestion [...], er sprach wunderschön, mit
einer sanften, leisen, verschleierten Stimme, völlig frei [...]. H. hatte gleichsam eine
Liebe zu den Bildern, über die er sprach, als ob er selber ihr Schöpfer gewesen wäre
[...], er erfüllte uns mit seiner Begeisterung für den Gegenstand seines Vortrags und
machte ihn für uns zu einem innerlichen geistigen Eigentum.«
H.s Publikationen über die spätmittelalterliche Malerei in Deutschland und den
Niederlanden, die auf diesen Vorlesungen beruhen, zeichnen sich durch eine sach-
liche, doch immer noch geschmeidige Sprache aus. Die beiden Bände von 1842/43
zeigen die Nähe Hegels schon äußerlich; dem historischen ist ein systematisch-
theoretischer Teil vorangestellt. H. begründet hier seine hermeneutische Methode,
wobei er sich auf  Winckelmann sowie auf Schelling, Solger und Hegel beruft. Er
wolle versuchen, seine Leser »in den künstlerischen Sinn und Geist jener Zeiten
und Meister zu versetzen, und dadurch zur Würdigung und zum frohen Genuß der
einzelnen Werke [...] hinzuführen«. Anders als die »historische Kritik« eines  Ru-
mohr, die sich bei den äußeren Fakten aufhalte, sei es seine Absicht zu »erklären«:
»Uns nämlich muß es hauptsächlich auf das ankommen, was nach der religiösen wie
nach der weltlichen Seite hin in jeder Epoche die allgemeine Weltanschauung aus-
macht, [...] wie [...] dieselbe von den einzelnen Schulen und hervorstechenden
Meistern künstlerisch gefaßt und malerisch herausgearbeitet worden.« Als Grund-
voraussetzung jeder Art von Kunsterkenntnis betrachtete H. jedoch die Empfäng-
lichkeit für das Schöne und die sinnliche Seite der Kunst.
Auch die spätere Neubearbeitung des Themas (1855/58), die den historischen
Rahmen bis in die Spätantike ausdehnte, folgte noch jenen Prämissen, allerdings
wurde hier der ästhetische Teil fortgelassen. Es scheint, als habe sich H.s Standort im
Laufe der Jahre zugunsten der empirischen Kunstgeschichte etwas verschoben. Ge-
fördert wurde diese Entwicklung zweifellos durch seine Tätigkeit an der Gemälde-
galerie und seit 1860 als Direktor des Kupferstichkabinetts. H.s Wirken an der
200 Hotho

Universität, das auch aus materiellen Gründen daneben weiterging, scheint aller-
dings bei den Zeitgenossen mehr Aufmerksamkeit gefunden zu haben, denn in den
Annalen zur Geschichte der Berliner Museen taucht der Name H. auffällig wenig
auf.
Werke: Vorstudien für Leben und Kunst, DKbl, 7, 1856, 9–12; Waetzoldt 1924, 53–70;
Stg/Tü 1835; Geschichte der deutschen und Gethmann-Siefert, Annemarie: H.G.H. Kunst
niederländischen Malerei, 2 Bde., Bln 1842/ als Bildungserlebnis und Kunsthistorie in sy-
43; Die Malerschule Hubert van Eycks nebst stematischer Absicht – oder die entpolitisierte
deutschen Vorgängern und Zeitgenossen, 2 Version der Erziehung des Menschen, in:
Bde., Bln 1855/58; Eyck-Album, Bln 1861; Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin
Dürer-Album, Bln 1863; Geschichte der Hegels (hrsg. v. Otto Pöggeler u. Annemarie
christlichen Malerei in ihrem Entwicklungs- Gethmann-Siefert), Bonn 1983, 229–261;
gang, Stg 1867 Ziemer, Elisabeth: H.G.H. (1802–73). Ein
Literatur: Kugler, Franz: Rez. von »Vorstu- Berliner Kunsthistoriker, Kunstkritiker und
dien für Leben und Kunst«, in: ders., Kleine Philosoph, Bln 1994; Stockhausen, Tilmann
Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, von: Rez. von Elisabeth Ziemer, H.G.H.
Bd. 1, Stg 1853, 409–415; Guhl, Ernst: Rez. (1994), in: KB, 23, 1995, 72–75
von »Die Malerschule Hubert van Eycks« in: PB

Imdahl, Max
Geb. 6. 9. 1925 in Aachen; gest. 11. 10. 1988 in Bochum

I. nimmt eine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Nachkriegskunst-


wissenschaft ein, die vor allem in seiner entschiedenen Option für die Moderne
begründet ist. Es ist zweifelsohne sein Verdienst, die zeitgenössische Kunst als Ge-
genstandsbereich akademischer Forschung maßgeblich mitgestaltet zu haben. Sein
Forschungs- und Interessenfeld reichte jedoch weiter; es umfaßte die ottonische
Kunst, Giotto und die Niederländer des 17. Jahrhunderts; er gab Perraults Parallèle
des Anciens et des Modernes heraus, untersuchte die historische Entwicklung des Bild-
verständnisses. Früh wandte er sich der gegenstandslosen Kunst zu, die, fernab von
gattungsspezifischen Unterscheidungen, ohne Rückbezug auf etwas außerbildlich
Vorgegebenes zu beurteilen war. Bei der Entzifferung der Eigentümlichkeiten des
Visuellen im Bild galt ihm die »Augenarbeit« als oberstes Gebot. Gedankliche Re-
flexionen verknüpfte er stets mit der Anschauung. Mit  Sedlmayr teilte I. die
Auffassung, daß es zur »Gewahrung ausschließlich bildmöglicher Informationen
und Evidenzqualitäten« einer Hinwendung zum einzelnen Werk bedarf. Fragen
nach Schulen, Vorbildern, möglichen Einflüssen sowie die soziale Funktion von
Kunstwerken oder ihr geschichtsphilosophisch interpretierbarer Gehalt wurden in
seinen Arbeiten kaum thematisiert. Ein Wissenschaftsbegriff, der sich vorrangig
über Datierung, Traditionsableitung und Werkzuschreibung definierte, war ihm
problematisch. I. ging in seinen Arbeiten nicht von einer generellen Prämisse aus,
derzufolge ein Werk in einer bestimmten historischen Situation auf eine kanoni-
sierte Weise zu behandeln wäre. Bei der Vergegenwärtigung von Kunstwerken galt
sein vordringlicher Anspruch dem Herstellen von »Präsenz« als Akt einer Selbstver-
ständigung des Betrachters und dem Aufspüren von Erfahrungen, die nur durch
Anschauung möglich sind.
Imdahl 201

Vor diesem Hintergrund entwickelte I. die Methode der Ikonik, die auf der
Grundannahme beruht, daß sich der künstlerische Gehalt in der Anschauung des
einzelnen Kunstwerkes erschließt.Von der Struktur des Bildes ausgehend, versuchte
er, dessen Sinn bildimmanent zu fassen, ein an  Fiedler und Adolf von Hildebrand
orientierter Ansatz, der in besonderer Weise auf die gegenstandslose Kunst zuge-
schnitten und als eine Alternative zur ikonologischen und ikonographischen Be-
trachtungsweise gedacht war. Der hauptsächlich von  Panofsky entwickelten
ikonologischen Interpretationsmethode hielt I. entgegen, daß sie auf Grund vieler
verschiedener historischer Tiefenschnitte keinen Blick für die genuine Sprache und
Ausdruckskraft des Einzelwerkes habe, während die Ikonik das Bild als eine uner-
setzbare Vermittlung von Sinn thematisiere. In einer paradigmatischen Analyse zu
Giottos Fresken in der Paduaner Arena-Kapelle (1980) konzentrierte I. seine Frage-
stellung vorrangig auf das Ereignis im Bild, um daran anknüpfend »Fragen zur In-
szenierung und Choreographie von Bildtaten, Formen und Motiven« (Gundolf
Winter) zu erörtern. Die sprachliche Übersetzung des optischen Angebots verstand
I. als »Aufführung« des Werkes, wobei er sich um eine möglichst genaue Bestim-
mung des Wechselverhältnisses zwischen Text-, Ereignis- und Gegenstandsreferenz
bemühte. Ihn interessierte dabei die Frage, inwieweit das Instrument der Sprache
überhaupt in der Lage ist, die »Totalevidenz einer Bildgegebenheit« zu erfassen.
Immer wieder befaßte sich I. am Beispiel ganz unterschiedlicher Künstler mit
den Gestaltungsmitteln der Malerei, vor allem mit der Farbe. In einer 1987 publi-
zierten Studie zu diesem Thema spricht er von der künstlerisch verstandenen Farbe
als einem selbstreferentiellen, durch nichts zu ersetzenden Sichtbarkeitswert und
verfolgt dessen historische Entwicklung vom sogenannten Akademiestreit zwischen
Poussinisten und Rubenisten im 17. Jahrhundert in Frankreich bis zum Orphismus.
Charakteristisch für I.s Schriften ist die pointierte Einzelanalyse, in der der Künstler,
sein Problemfeld und seine Lösungen beispielhaft präsentiert werden. I. pflegte
Kontakte zu vielen Künstlern und begleitete den Werdegang von Günter Fruhtrunk,
Norbert Kricke und Richard Serra als Interpret.
I. war selbst künstlerisch begabt. Parallel zu Kunstgeschichte, Archäologie und
Germanistik studierte er seit 1945 in Münster auch Malerei, erhielt für eines seiner
Bilder 1950 sogar den Blevin-Davis-Preis für junge deutsche Künstler. Ein Jahr
später promovierte er jedoch über Farbenprobleme spätkarolingischer Buchmalerei. Nach
kurzer Tätigkeit als Tutor in dem von seinem Lehrer  Hager gegründeten Aasee-
haus-Kolleg wurde er Assistent an der Universität Münster, wo er sich 1961 mit
einer Arbeit zu ottonischen Ereignisbildern habilitierte. Nach einer Gastdozentur
an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg wurde I. 1965 zum o. Professor
an die neugegründete Ruhr-Universität Bochum berufen, deren kunstgeschichtli-
ches Institut er bis zu seinem Tode leitete.
Seit Mitte der 1970er Jahre betreute I. auch die moderne Abteilung der Kunst-
sammlung der Ruhr-Universität, die aus einer Schenkung des Kunstkritikers Albert
Schulze-Vellinghausen hervorgegangen war. Lange bevor er sich im akademischen
Bereich etablierte, hatte er sich schon im Ausstellungs- und Museumswesen betätigt;
in den Jahren 1966–68 gehörte I. dem Documenta-Rat an. Auch außerhalb der
Universität warb er für die zeitgenössische Kunst. Die in den 1980er Jahren von ihm
202 Imdahl

mitorganisierten Seminare mit Arbeitern des Bayerwerkes Leverkusen gelten heute


als Musterbeispiele der Kunstpädagogik.
Werke: Gesammelte Schriften, 3 Bde., hrsg. 1974, 325–365; Moderne Kunst. Bochum,
v. Angeli Jahnsen-Vukievi, Gundolf Winter Kunstsammlung Ruhr-Universität, in: ebd.,
u. Gottfried Böhm, Frf 1996 1977, 264–265; Moderne Plastik der Samm-
Farbenprobleme spätkarolingischer Buchma- lung Dierichs, in: JbRUB, 1977, 40–46;
lerei, Münster 1951; Die Miniaturen des karo- Fruhtrunk (mit Eugen Gomringer u. Gabriele
ling. Malers Liuthard, in: Studien zur Kunst- Sterner), Starnberg 1978; Giotto. Zur Frage
form, Münster/Köln 1955, 1–40; Die Farbe der ikonischen Sinnstruktur, Mü 1979; Giotto.
als Licht bei August Macke, in: AKat. August Arenafresken. Ikonographie-Ikonologie-Iko-
Macke, Münster 1957, 17–19; Baumstellung nik, Mü 1980; Kontingenz-Komposition-
und Raumwirkung. Zu verwandten Land- Providenz. Zur Anschauung eines Bildes von
schaftsbildern von Domenichino, Claude Giotto, in: Hefte für Philosophie 18/19, 1980,
Lorrain und Frans van Bloemen, in: FS Mar- 151–177; Bildautonomie und Wirklichkeit.
tin Wackernagel, Köln/Graz 1958; 153–184; Zur Begründung moderner Malerei, Mitten-
Studien zu ottonischen Ereignisbildern, wald 1981; Arbeiter diskutieren moderne
Münster 1961; Ein Beitrag zu Meindert Hob- Kunst, Bln 1982; Bild – Totalität und Frag-
bemas »Allee von Middelharnis«, in: FS Kurt ment, in: Fragment und Totalität, hrsg. v. Lu-
Badt, Bln 1961, 173–183; Ernst Wilhelm Nay. cien Dällenbach u. Christiaan L. Hart Nib-
Akkord in Rot und Blau, Stg 1962; Regie brig, Frf 1984, 115–123; Caritas und Gnade.
und Struktur in den letzten Gruppenbildnis- Zur ikonischen Zeitstruktur in Poussins
sen von Rembrandt und Frans Hals, in: FS »Mannalese«, in: Französische Klassik. Theo-
Max Wegner, Münster 1962, 119–126; Kunst- rie, Literatur, Malerei, hrsg. v. Fritz Nies u.
geschichtliche Exkurse zu Perraults »Parallèle Karlheinz Stierle, Mü 1985, 137–166; Picassos
des Anciens et des Modernes«, in: Charles »Guernica«, Frf 1985; Der hermeneutische
Perrault, Parallèle des Anciens et des Moder- Ansatz. Bildanschauung als Sinnvermittlung,
nes, Mü 1964, 65–79; Das Gerokreuz im Köl- in: Funkkolleg Kunst, Weinheim/Basel 1985,
ner Dom, Stg 1964; Die Rolle der Farbe in 138–148; Anschauungssinn und Vorstellungs-
der neueren französischen Malerei. Abstrak- sinn. Zur Deutung der Szene in Holbeins
tion und Konkretion, in: Immanente Ästhe- Darmstädter Madonna, in: FS Manfred
tik. Ästhetische Reflexion, hrsg. v. Wolfgang Wundram, Frf 1986, 89–109; Edouard Manets
Iser, Mü 1966, 195–226; Rembrandts »Nacht- »Un Bar aux Folies-Bergère«. Das Falsche als
wache«. Überlegungen zur ursprünglichen das Richtige, in: Wie eindeutig ist ein Kunst-
Bildgestalt, in: FS Werner Hager, Reckling- werk?, Köln 1986, 75–102; Farbe. Kunsttheo-
hausen 1966, 103–121; Probleme der Optical retische Reflexionen in Frankreich, Mü 1987;
Art. Delaunay, Mondrian, Vasarely, in: WRJb, Pose und Indoktrination. Zu Werken der Pla-
1967, 291–308; Jacob van Ruisdael. Die Mühle stik und Malerei im Dritten Reich, in: Aratro
von Wijk, Stg 1968; Vier Aspekte zum Pro- corona messoria, Bonn 1988, 355–369; Sitt
blem der ästhetischen Grenzüberschreitung 1990, 245–272; Erläuterungen zur modernen
in der bildenden Kunst, in: Die nicht mehr Kunst, Bochum 1990; Ikonik. Bilder und ihre
schönen Künste, hrsg. v. Hans Robert Jauss, Anschauung, in: Was ist ein Bild?, Mü 1994;
Mü 1968, 493–505; Die Sammlung moderner Die unterschiedliche Art, sich ein Bild zu
Kunst an der Ruhr-Universität Bochum, in: machen (mit Eberhard Weise), in: Das Kunst-
JbRUB, Bochum 1969, 73–80; Die Moment- werk und die Wissenschaften, Ostfildern
fotographie und »Le Comte Lepic« von Edgar 1994, 9–26
Degas, in: FS Gert von der Osten, Köln 1970, Literatur: Lützeler, Heinrich: Rez. von
228–234; Frank Stella. Sanbornville II, Stg »Giotto. Arenafresken. Ikonographie-Ikono-
1970; Barnett Newman, Who’s Afraid of Red, logie-Ikonik«, in: ZfÄKw, 27, 1982, 7–10;
Yellow and Blue III, Stg 1971; Über einige Growe, Bernd: Rez. von »Arbeiter diskutie-
narrative Strukturen in den Arenafresken ren moderne Kunst«, in: Weltkunst, 54, 1984,
Giottos, in: Geschichte, Ereignis und Erzäh- 215–216; Hoppe Sailer, Richard: Kunstwerk
lung, Mü 1973, 155–173; Cézanne, Braque, und Erkenntnis. Zum Tode von M.I., in: Das
Picasso. Zum Verhältnis zwischen Bildauto- Kunstwerk, 41, 1988, 194–195; Zuchowski, Ta-
nomie und Gegenstandssehen, in: WRJb, deusz Jozef: Rez. von »Giotto. Arenafesken.
Imdahl 203

Ikonographie-Ikonologie-Ikonik«, in: Artium der Professionalisierung, hrsg. v. Doris Rot-


quaestiones, 4, 1990, 130–133; Plath, Carina: hauer u. Harald Krämer, Wien 1996, 167–177;
Situation Kunst für M.I., Kunstsammlungen Pichler, Wolfram: Rez. von »Gesammelte
der Ruhr-Universität Bochum, in: Struktur Schriften«, in: JKg, 1, 1997, 10–17
und Strategie im Kunstbetrieb. Tendenzen CF

Jahn, Johannes
Geb. 22. 11. 1892 in Orlandshof (Gmurowo, Polen); gest. 17. 2. 1976 in Leipzig

In ihrer genauen und eher nüchternen Sprache und in der zurückhaltenden Unter-
scheidung des Beweisbaren von nur vielleicht möglichen Erklärungen und Deu-
tungen erscheinen Texte von J. gerade heute als ein wertvolles Gegengewicht zu
kühnen Theorien über Kunstgeschichtliches. Der Leipziger Universitätsgelehrte
und Museumsdirektor stellte sein umfassendes Wissen immer als eine Hilfe zu ver-
ständnisvoller Annäherung an Kunstwerke zur Verfügung, ohne sich als subjektiver
Interpret dazwischen- und aufzudrängen. Sein Wörterbuch der Kunst (1939) war ver-
mutlich häufiger als jedes andere Buch die grundlegende Informationsquelle für
deutsche Studenten und Kunstfreunde.
Der humanistisch gebildete, lesehungrige und auch naturwissenschaftlich interes-
sierte Stiefsohn eines Landschaftsmalers und Sohn einer Pianistin entschloß sich erst
während seines Studiums ab 1913 in Leipzig endgültig für das Hauptfach Kunstge-
schichte. Er beendete es schon nach drei Jahren bei  Schmarsow, dessen Hilfsassi-
stent er geworden war, mit einer vom Lehrer vergebenen Dissertation über den Stil
der drei Westfenster der Kathedrale von Chartres. Die Erstlingsarbeit weist bereits alle
Züge der genauen Formbeschreibung, der Nutzung aller vorhandenen Literatur,
der Feststellung von stilistischen Übereinstimmungen wie Unterschieden beim
Vergleich mit anderen Werken und der behutsamen Erklärung ihres Zustandekom-
mens auf, die für J. kennzeichnend blieben. 1917–18 leistete er Kriegsdienst in der
deutschen Bibliotheksverwaltung in Brüssel. Mit einem  Anton-Springer-Stipen-
dium ging er Anfang 1919 als Volontär an die Dresdner Gemäldegalerie, legte aber
zugleich noch das Examen für den Schuldienst als Lehrer ab. 1920 wurde er  Pin-
ders Assistent an der Leipziger Universität und befreite sich vom Odium eines
Schülers des von vielen kritisierten Schmarsow, nach dessen Kunsttheorie er noch
die Kompositionsgesetze französischer Reliefplastik des 12. und 13. Jahrhunderts
dargestellt hatte, und dem er achtungsvolle Dankbarkeit bewahrte. Wie schon als
Student betätigte er sich auch in der Laien- und Jugendbildung, im Verein für
Volkswohl und als Volkshochschuldozent. Eifrig rezensierte er für Organe wie die
Zeitschrift für Bücherfreunde und die Deutsche Pressekorrespondenz. Gleichzeitig befaßte
er sich intensiv mit der Methodik der Kunstgeschichtswissenschaft und ihrer Ge-
schichte. Er gewann wichtige Fachvertreter für die Darlegung ihrer Positionen in
einem Sammelband (Kunstwissenschaft in Selbstdarstellungen, 1924) und erweiterte
seine zusammenfassende Einleitung 1927 zu seinem Habilitationsvortrag (Methoden
und Probleme der neueren Kunstwissenschaft). Er hatte sich mit Beiträge zur Kenntnis der
ältesten Einblattdrucke habilitiert, dem Auftakt zu späteren Veröffentlichungen über
204 Jahn

frühe deutsche Graphik. Nachdem J. zehn Jahre lang zahlreiche Artikel für das Le-
xikon Großer Brockhaus geschrieben hatte, verfaßte er in 20 Monaten das in seinen
prägnanten Formulierungen unübertroffene Wörterbuch der Kunst, mit Unterstüt-
zung des Archäologen Robert Heidenreich und des Prähistorikers Wilhelm von
Jenny. Sein Positivismus ermöglichte es J., den Text weitgehend von den herrschen-
den NS-Anschauungen freizuhalten; in sparsamen Überarbeitungen erschien er
immer wieder. 1934 war J. a.o. Professor neben  Hetzer und  Beenken gewor-
den. Für den Deutschen Verein für Kunstwissenschaft begann er 1936, die hervorra-
gende Bauornamentik des Naumburger Doms zu erfassen, während andere in der
Interpretation der dortigen Figurenplastik wetteiferten.
Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm J. die Berufung zum Direktor
des Museums der bildenden Künste in Leipzig an, lehrte aber nach Wiedereröff-
nung der Universität auch weiter an dieser, wo er 1956, mit 64 Jahren, o. Professor
und 1958, nach dem Weggang des methodisch ganz gegensätzlichen  Ladendorf ,
Institutsdirektor wurde. 1964 erfolgte die Emeritierung. 1952–59 las J. auch an der
Universität Halle und danach an der Medizinischen Akademie in Erfurt. Das im
Krieg zerstörte Leipziger Museum richtete er in zwei Behelfsunterkünften neu ein
und leitete es bis 1968. J. verantwortete als Vorsitzender einer kunsthistorischen
Kommission beim Kulturministerium der DDR (Lucas-Cranach-Kommission)
1953–62 acht wichtige Ausstellungen und vertrat ab 1968 als Präsident des Nationa-
len Museumsrates die DDR im Internationalen Museumsrat ICOM, in dem er seit
1962 mitgearbeitet hatte. Für zahlreiche Bildermappen schrieb er knappe Einleitun-
gen.
Kunstgeschichte war für J. »der geschichtliche Ablauf der bildenden Künste«, zu
denen er auch Baukunst und Kunstgewerbe zählte, und Kunstwissenschaft seit der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das »selbständige geisteswissenschaftliche Fach«,
das diesen untersucht und »die Gesamtmasse des überkommenen Kunstgutes nach
bestimmten Gesichtspunkten ordnet«. Den Wechsel der jeweils »bestimmten Art
künstlerischen Gestaltens«, den die Stilanalyse feststellt, führte er auf das nur auf
Zeiten und Völker, nicht auf Einzelpersonen zu beziehende Kunstwollen (nach
 Riegl) und dessen bestimmende Faktoren zurück. Letztere fand er ganz allge-
mein im Zusammenhang der Kunst mit dem jeweiligen Leben. »Werturteile, deren
Maßstäbe bevorzugten Stilen entnommen werden, müssen dabei völlig zurückge-
drängt werden« (Wörterbuch der Kunst). Die Grundsätze, Methoden und dementspre-
chend gewonnenen Erkenntnisse der einzelnen Richtungen der Kunstwissenschaft,
die immer ganz stark von der »allgemeinen Bewußtseinslage der Zeit« abhingen,
verfolgte er sachlich bilanzierend in Methoden und Probleme der neueren Kunstwissen-
schaft (1928) und späteren forschungsgeschichtlichen Untersuchungen. Es war für
ihn »eine gewisse wissenschaftsökonomische Nützlichkeit«, die überlieferten Stilbe-
griffe weiter zu benutzen, auch wenn sie nicht mehr zur Erfassung der »Wirklich-
keit des tatsächlichen geschichtlichen Ablaufs« ausreichten. Die Herausbildung der
Formvorstellungen, die in ihrer Gesamtheit einen Zeitstil ausmachen, aus Lebens-
gefühl und Bewußtseinslage einer Epoche, geschichtlichen, wirtschaftlichen und
sonstigen Bedingungen zu »erklären«, werde »wohl immer ein irrationales Unter-
fangen bleiben«. Von Begriffen wie »spätgotischer Barock« oder »romantischer
Jahn 205

Klassizismus« ( Giedion) hielt er gar nichts (Die Problematik der kunstgeschichtlichen


Stilbegriffe, 1966).
J. stellte seinen Lesern besonders gern große Künstlerpersönlichkeiten der Re-
naissance vor. Er bewunderte Künstler um ihrer Neuerungen willen und suchte
diese mit Vorliebe im »kleinen Format, das gegenüber den großen gern seine eige-
nen Wege geht«, das heißt besonders in der Zeichnung. Der Künstler stehe dabei,
wie er 1958 im Vorwort zu einem Ausstellungskatalog schrieb, dem Stilzwang seiner
Zeit unabhängiger gegenüber, »stößt mitunter kühn in Bereiche vor, die er als Ma-
ler nicht zu betreten wagte«. Andererseits unterstrich J. bei seiner Darlegung der
fortschreitenden Erfassung der sichtbaren Welt in der Landschaftsmalerei der Früh-
renaissance, wie lange zur Wiedergabe bestimmter Details antike, byzantinisch tra-
dierte Formeln benutzt wurden (Antike Tradition in der Landschaftsdarstellung bis zum
15. Jahrhundert, 1975).
Obwohl J. die Rolle von zeitgenössischer Kunst und Kunstauffassung für das
Begreifen älterer Kunst nicht übersah, lehnte er aktualisierende, rezeptionsästheti-
sche Interpretationen ab.Von der »Deutung und Bewertung von Werken zeitgenös-
sischer Kunst«, der Kunstkritik, wofür es »einen objektiven Maßstab nicht gibt«
(Wörterbuch der Kunst), hielt er sich weitestgehend zurück. Dazu sollte sich jeder
Betrachter sein eigenes Urteil bilden, »und wenn er selbst Künstler ist, werden [...]
Vergleiche als stille Diskussion mit den Meistern vergangener Tage ihn in seiner
Arbeit weiterbringen«.
Werke: Der Stil der drei Westfenster der Ka- 81; Rez. von Oskar Wulff, Lebenswege und
thedrale zu Chartres, Weida 1917; Rez. von Forschungsziele (1936), in: DLZ, 59, 1938,
Erwin Panofsky, Idea (1924), in: ZfBf, 17, 1925, 99–200; Wörterbuch der Kunst (mit Robert
212–213; Kompositionsgesetze französischer Heidenreich u. Wilhelm von Jenny), Stg 1939;
Reliefplastik im 12. und 13. Jh., Lpz 1922; Schmuckformen des Naumburger Domes,
Rez. von Fritz Burger u. a., Deutsche Malerei Lpz 1944; AKat. Mitteldeutsche Kunst. Male-
im ausgehenden Mittelalter (1920), in: MfKw, rei, Graphik, Plastik der Gegenwart, Lpz
15, 1922, 326–328; Rez. von Heinrich Lütze- 1946/Chemnitz 1947; Die Wiederentdeckung
ler, Formen der Kunsterkenntnis (1924), in: der antiken Kunst und Goethe, in: JbGoe,
ZfbK (Beilage), 59 (35), 1925/26, 72–73; Rez. 1947, 168–190; Ein Beitrag zur Frage der Wir-
von Ernst Kühnel, Die Kunst des Orients kung Dürers auf Italien, in: ZfKw, 2, 1948,
(1924), in: ZfBf, 18, 1926, 227–228; Zur 26–28; Das künstlerische Leipzig und Goe-
Kenntnis der ältesten Einblattdrucke, Str the, in: JbGoe, 1950, 31–52; Leonardos Auf-
1927; Methoden und Probleme der neueren zeichnungen, in: Leonardo da Vinci. Zur 500.
Kunstwissenschaft, in: ArchKg, 18, 1928, 129– Wiederkehr seines Geburtstages, Bln 1952,
147; Rez. von Paul Westheim, Oskar Ko- 57–70; Lucas Cranach. Der Weg des Künst-
koschka (1925), in: ZfbK (Beilage), 62 (38), lers, in: Lucas Cranach d.Ä. Der Künstler und
1928/29, S. 49; Rez. von August Schmarsow, seine Zeit, Bln 1953, 17–81; Albrecht Dürer.
Italienische Kunst im Zeitalter Dantes (1928), Sendung und Persönlichkeit, in: Albrecht
in: ZfbK (Beilage), 63 (39), 1929/30, 3–5; Rez. Dürer. Die künstlerische Entwicklung eines
von Theodor Hetzer, Gedanken um Raffaels großen Meisters, Bln 1954, 9–44; Die Früh-
Form (1932), in: DLZ, 54, 1933, 1136–1138; zeit des Holzschnitts, Dr 1954; Lucas Cranach
August Schmarsow zum Gedächtnis, in: als Graphiker, Lpz 1955; Deutsche Eigenart in
ZfÄaK 30, 1936, 179–182; Rez. von Rudolf mittelalterlicher Plastik, in: BK, 3, 1955, 198–
Kaufmann, Der Renaissancebegriff in der 202; Der Magdeburger Dom, ein großartiges
deutschen Kunstgeschichtsschreibung (1932), Denkmal deutscher Baukunst, in: ebd., 344–
in: DLZ, 57, 1936, 932–934; Rez. von Hans 348; Die deutsche Form des gotischen Stils,
Weigert, Die heutigen Aufgaben der Kunst- in: BK, 4, 1956, 314–318; Rembrandt, Lpz
wissenschaft (1935), in: ZfÄaK, 32, 1938, 80– 1956; Correggio und die Wandlung seiner
206 Jahn

Kunst, Dr 1958; Hundert Jahre im Dienste rer. Seine Leistung in Bildnis- und Land-
der Kunst. Zur Geschichte des Verlages (See- schaftsmalerei, in: Albrecht Dürer, Zeit und
mann), Lpz 1958; Die Stellung des Künstlers Werk. Eine Sammlung von Beiträgen, Lpz
im Mittelalter, in: FS Friedrich Bülow, Bln 1971, 103–119; Lucas Cranach d.Ä. Das ge-
1960, 151–168; Museum der bildenden Kün- samte graphische Werk (Einführung), Mü
ste Leipzig, Lpz 1961; Der Barock und die 1972; Antike Tradition in der Landschaftsdar-
deutsche Kunstwissenschaft. Zur Geschichte stellung bis zum 15. Jh., Bln 1975; Kunstwerk,
seiner Erschließung, in: FS George Oprescu, Künstler, Kunstgeschichte. Ausgew. Schriften,
Bukarest 1961, 309–317; Michelangelo, Lpz hrsg. v. Ernst Ullmann, Lpz 1982
1963; Die Bildwerke des Naumburger Doms, Literatur: Gall, Ernst: Rez. von »Komposi-
Lpz 1964; Die Erschließung der Bildwerke tionsgesetze französischer Reliefplastik« in:
des Naumburger Meisters. Ein Beitrag zur JbKw, 1923, 299–300; FS J.J., Lpz 1958 (Bi-
Geschichte der Kunstwissenschaft, Bln 1964; bliogr.); Heiland, Susanne: J.J. zum 70. Ge-
Dichtung und bildende Kunst. Vornehmlich burtstag, in: WZUL, 12, 1963, ges.-u. sprach-
am Beispiel Goethes, in: FS Willy Kurth, Bln wiss. R. 2, 273–276 (Bibliogr.-Erg.); Ullmann,
1964, 28–37; Michelangelos Persönlichkeit, in: Ernst: J.J., in: FuF, 41, 1967, 349–350 u. BK, 15,
Michelangelo heute (WZHU, Sonderband), 1967, S. 556; Nündel, Harri: J.J. zum 80. Ge-
Bln 1965, 37–51; Der Prado, Lpz 1965; Die burtstag, in: Neue Museumskunde, 15, 1972,
Problematik der kunstgeschichtlichen Stilbe- 256–261; Werner, Roland: J.J., in: KChr, 30,
griffe, Bln 1966; Ein Kompositionsprinzip der 1977, 30–33; Roch-Lemmer,Irene: J. J. und das
Natur- und Innenraumdarstellung der Re- ›Johannesevangelium‹, in: Hallesche Beiträge
naissance, in: AHA, 13, 1967, 17–24; Deutsche zur Kunstgeschichte, 5/6, 2004, 191–200
Renaissance, Lpz 1969; Entwicklungsstufen PHF
der Dürerforschung, Bln 1971; Albrecht Dü-

Janitschek, Hubert
Geb. 30. 10. 1846 in Troppau (Opava, Tschechien); gest. 21. 6. 1893 in Leipzig

Der heute zu Unrecht fast vergessene J. gehört zu den exemplarischen Vertretern


der historistischen Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Ausgehend von
»wechselnden Ausdrucksformen der Kunst«, die »von Zeit und Ort und Tempera-
ment des Künstlers abhängig« seien, betrachtete es J. als Hauptaufgabe einer Wissen-
schaft von der Kunst, »das was uns vom Kunstwerk trennt, Zeit und Raum und die
Fremdheit der Künstlerpersönlichkeit zu beseitigen«, das heißt, der Kunsthistoriker
betätigt sich als Dolmetscher zwischen Vergangenheit und Gegenwart; er wendet
sich allen Zeiten und Völkern in gleicher Weise zu. Durch seine »geschichtliche
Erläuterung« bestimmt er den Standpunkt, »von dem aus das Kunstwerk die in ihm
geborgene Schönheit in voller Kraft auszustrahlen vermag«; nur wenn er sich »hi-
storisch« verhalte, sich »auf den Boden des Künstlers« stelle, könnten dessen Schöp-
fungen angemessen bewertet werden. Diesen Relativismus empfahl J. auch seinen
Zeitgenossen; er sollte sie in die Lage versetzen, sich nicht nur in der Weltkunstge-
schichte, sondern auch in dem immer vielfältiger und unüberschaubarer werdenden
aktuellen Kunstgeschehen zurechtzufinden und sich mit ihm produktiv auseinan-
derzusetzen.
J. kann zum Umfeld der Wiener Schule gezählt werden. Geboren in Öster-
reichisch-Schlesien, studierte er in Graz Geschichte, Philosophie und Literaturge-
schichte und wurde 1877 Mitarbeiter  Eitelbergers am Österreichischen Museum
für Kunst und Industrie. 1878 habilitierte er sich an der Wiener Universität, nach-
Janitschek 207

dem er sich 1874–77 in Italien aufgehalten und dort sein Forschungsfeld gefunden
hatte. Eitelberger förderte seine Studien zur italienischen Kunst. Er regte die Edi-
tion der Alberti-Schriften von 1877 an; sie erschienen in seinen Quellenschriften für
Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance.
Neben dem strengen Empiriker Eitelberger übte  Burckhardt starken Einfluß
auf den jungen J. aus. Die Lektüre von Die Kultur der Renaissance (1860) wurde für
ihn zu einem Schlüsselerlebnis. Anstelle einer geplanten Monographie über Alberti
entstand als erste größere Veröffentlichung J.s zunächst eine sozial- und kulturge-
schichtliche Arbeit über die Renaissance, die, obwohl bescheidener in Umfang und
Anspruch, ihrem Vorbild nicht unwürdig ist. Was für den Junggesellen Burckhardt
nur ein Randproblem gewesen sein mag, hob der mit der Dichterin Maria Tölk
verheiratete J. als konstituierend für die Kultur der Renaissance hervor, die neue
soziale Stellung der Frau: »Durch den Einfluß der Frau also haben alle Lebensfor-
men an Schönheit gewonnen, die ästhetische Empfindung des Genießenden wie
die des Produzierenden hat sich veredelt.« Eine Ergänzung zu diesen mehr genera-
lisierenden Betrachtungen zur Renaissance stellen fünf Beiträge zu  Dohmes
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit (1879) dar; J. schrieb die Texte
über Giovanni Bellini, Sarto, Tintoretto, Veronese und die Carracci.
1879 erhielt J. – nicht zuletzt durch eine Empfehlung von Burckhardt – eine a.o.
und 1880, als Nachfolger  Woltmanns, eine o. Professur in Prag. Schon ein Jahr
später ging er nach Straßburg, wieder als Nachfolger Woltmanns, der kurz zuvor
gestorben war. Mit ihm hatte J. 1879/80 das Repertorium für Kunstwissenschaft betreut.
Einer Freundespflicht genügte er durch seine Hilfe bei der Vollendung des 2. Ban-
des von Woltmanns Geschichte der europäischen Malerei.
Neben seiner umfangreichen Lehrtätigkeit arbeitete J. seit 1883 an einer Ge-
schichte der deutschen Malerei von den Anfängen im frühen Mittelalter bis zu
Menzel, Böcklin und Uhde, der ersten ihrer Art überhaupt, veröffentlicht als 3.
Band einer Gesamtdarstellung der deutschen Kunstgeschichte, an der auch Dohme,
 Bode,  Lützow und  Falke beteiligt waren.  Tschudi spricht in diesem
Zusammenhang von dem »nationalen Zug, der die deutsche Kunstgeschichtsschrei-
bung ergriffen hatte«. J., der auf diese große Aufgabe kaum vorbereitet war, sah in
ihrer Erfüllung zweifellos eine patriotische Pflicht, die Sache selbst aber hielt er von
Ideologie weitgehend frei. Disziplinhistorisch wichtig ist das Mittelalter-Kapitel. J.
erkannte mit einer Klarheit wie kaum einer vor ihm die kunstgeschichtliche Füh-
rungsrolle, die die Buchmalerei über viele Jahrhunderte gespielt hatte.
1892 folgte der schwerkranke J. noch einem Ruf auf  Springers Lehrstuhl in
Leipzig. In seiner Antrittsvorlesung (Die Kunstlehre Dantes und Giottos Kunst) bekräf-
tigte er seine Auffassung, daß die Kunstwissenschaft im Verein mit der »Geschichte
der Religion, der Literatur, der wirtschaftlichen Verhältnisse und der politischen
Geschichte zur wirklichen Kenntnis« eines Volkes und einer Zeit beitrage, aber –
und dies war neu und berechtigte J., sich auch einen Schüler Springers zu nennen
– er betonte ebenso die Verschiedenheit von Kunst- und Kulturgeschichte. Die
Kunstgeschichte gehe vom konkreten Kunstwerk aus und sei bei dessen Erkenntnis
sowohl auf kennerschaftliche Analyse als auf historische Einordnung und Ableitung
angewiesen. Seine Kritiker haben J. den Vorwurf gemacht, daß er in seinen Arbeiten
diese Synthese meist nicht vollzogen habe.
208 Janitschek

Werke: Zur Charakteristik der palermitani- in: Straßburger Festgruß an Anton Springer
schen Malerei der Renaissance-Zeit. Antonio zum 4. 5. 1885, Bln/Stg 1885; Die Trierer Ada-
Crescenzo und seine Schule, in: RfKw, 1, Handschrift, Lpz 1889; Rudolf Eitelberger, in:
1876, 353–374 u. 3, 1880, 144–155; Einige RfKw, 8, 1885, 398–404; Geschichte der deut-
Randglossen des Agostino Carracci zu Vasari, schen Malerei, Bln 1890; Die Kunstlehre
in: ebd., 2, 1879, 26–34; Die Gesellschaft der Dantes und Giottos Kunst, Lpz 1892; Anton
Renaissance in Italien und die Kunst, Stg Springer als Kunsthistoriker, in: Anton Sprin-
1879; Kunstgeschichtliche Notizen aus dem ger, Aus meinem Leben, Bln 1892, 358–382
Diarium des Landucci, in: RfKw, 3, 1880, Literatur: Tschudi, Hugo von: H.J., in:
377–386; Das Kapitolinische Theater vom RfKw, 18, 1894, 1–7; Vybíral, Jindich: H.J.
Jahre 1513, in: ebd., 5, 1882, 259–270; Alberti- Zum 100. Todesjahr des Kunsthistorikers, in:
Studien, in: ebd., 6, 1883, 38–53; Zwei Studien KChr, 47, 1994, 237–244
zur Geschichte der karolingischen Malerei, PB

Jantzen, Hans
Geb. 24. 4. 1881 in Hamburg; gest. 15. 2. 1967 in Freiburg i.Br.

In einem gegen Ende 1942 geschriebenen Literaturbericht, in dem J. nicht ohne


Genugtuung auf zehn Jahre deutsche »Kunstgeschichtswissenschaft« unter dem
Nationalsozialismus zurückblickte, reflektierte er auch seinen eigenen Standort. Als
einschneidende disziplingeschichtliche Zäsur der jüngeren Vergangenheit betrach-
tete er den Ersten Weltkrieg. Bis zu seinem Beginn habe die formanalytische Stil-
geschichte dominiert; sie habe aber »ihre großen Erfolge mit einer Einseitigkeit der
Aussage insofern erkauft, als das Kunstwerk vorwiegend nach einzelnen formalen
Eigenschaften unter Preisgabe der künstlerischen Gesamtwirkung, unter Vernach-
lässigung der dargestellten Inhalte und nur unter gelegentlicher Berücksichtigung
der Verbindungen des Kunstwerks zum geschichtlichen Boden untersucht wurde«.
J. selbst hatte dieser Einstellung Tribut gezollt und in seiner vielbeachteten Disser-
tation das »Raumproblem« in der niederländischen Architekturmalerei untersucht.
Solche Fragestellungen sollten auch weiterhin erlaubt sein, aber nach 1914 habe die
Kunstforschung einen prinzipiell anderen Weg beschritten: Sie »bemüht sich um
eine neue Ganzheitsauffassung des Kunstwerks als eines anschaulichen Gebildes von
vielschichtiger Struktur, deren verschiedene Schichten in ihrem Bedeutungsverhält-
nis zueinander und zum Ganzen ins Bewußtsein zu erheben sind. Das Formproblem
ist dadurch verwickelter, reicher, aber auch fruchtbarer geworden«.  Kurt Bauch
würdigte 1967 in seiner Trauerrede den verehrten Lehrer als einen Kunsthistoriker,
dem das »Künstlerische am Kunstwerk in Worte zu fassen« am wichtigsten war; es
sei ihm weder um Form- noch um Geistesgeschichte, sondern allein um Kunst-
Geschichte gegangen. Der geistesgeschichtlichen Kunstgeschichtsschreibung wird
man J. aber dennoch zurechnen müssen; allerdings erhielt unter dem Einfluß von
Edmund Husserls Phänomenologie und Martin Heideggers Existenzial-Ontologie
(Der Ursprung des Kunstwerkes, 1935) das individuelle Kunstwerk und dessen Deu-
tung in J.s Denken einen höheren Stellenwert, als es ihn in  Dvoáks »Kunstge-
schichte als Geistesgeschichte« und anderen älteren Ansätzen besessen hatte.
J. studierte zunächst Jura, dann Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie.
Seine wichtigsten Lehrer waren  Wölfflin in Berlin und  Goldschmidt in Halle.
Jantzen 209

1908 promovierte er über Das niederländische Architekturbild; die Habilitation folgte


vier Jahre später, ebenfalls in Halle, mit einer Untersuchung zur Farbenwahl und
Farbengebung in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Beide Arbeiten sind dis-
ziplingeschichtliche Marksteine geworden; ebenso  Heidrichs Rezension von
1912, die J.s an  Riegl orientierte »Problemgeschichte«, die Reduzierung der
Geschichte der holländischen Malerei auf die Raumdarstellung, als formalistisch
ablehnte und in eine Richtung wies, die J. später selbst einschlagen sollte: einer
Kunstgeschichte »erlebter Anschauung«. Der junge J. dachte sich die Haupttrieb-
kraft der Kunstgeschichte noch als eine in ihr gesetzmäßig wirkende »Absicht«,
ähnlich Riegls »Kunstwollen«, die auch die Entwicklung der Farbengebung, den
»Farbenstil«, der holländischen Malerei bestimmt habe. In seiner Habilitationsschrift
und einem vielbeachteten Vortrag auf dem Ästhetik-Kongreß 1913 in Berlin unter-
suchte J. den strukturellen Zusammenhang zwischen der Raumauffassung der
Holländer und ihrem Umgang mit dem Gestaltungsmittel Farbe; er führte die Be-
griffe »Eigenwert« und »Darstellungswert« in die kunsthistorische Terminologie ein
und formulierte so etwas wie ein Entfaltungsgesetz der nachmittelalterlichen Male-
rei: »Die Entwicklung der Prinzipien der Farbengebung ist bedingt gemäß der
Absicht, Raumdarstellung durch immer neue Eroberung von Darstellungswerten
der Farben zu vereinen mit intensiven Eigenwerten der Farbe.«
1916 wurde J., der zu dieser Zeit als Soldat an der Westfront stand, als Nachfolger
 Vöges an die Universität Freiburg i.Br. berufen. Bis 1931 hat er dort in enger
Nachbarschaft und teilweise freundschaftlicher Verbundenheit mit den Archäologen
Ernst Buschor und Ludwig Curtius und den Philosophen Husserl und Heidegger
gewirkt, nun dem deutschen Mittelalter zugewandt. In Deutsche Bildhauer des 13.
Jahrhunderts (1925) hallt noch die durch den Weltkrieg aufgeheizte bittere Kontro-
verse zwischen den französischen und deutschen Kunsthistorikern über die Gotik
nach. Mit dem »nationalsozialistischen Umbruch 1933« traten, wie J. auch in jenem
Rückblick von 1942 feststellte, die Fragen »nach den Wesenszügen deutscher Kunst,
nach der Bindung aller Kunst an die völkische Substanz« verstärkt hervor. Mit die-
sem »Sich-Besinnen auf die eigenen Werte« hing für ihn zusammen, daß nach der
»entwicklungsgeschichtlichen« Kunstgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts
»nun die Fragen [...] nach den beharrenden Kräften, dem Bleibenden in der Kunst
des Volkes«, also eine nicht-historische, systematische Betrachtungsweise an Gewicht
gewonnen hätten. In seinem Buch über die Bildhauer von Straßburg, Bamberg,
Magdeburg und Naumburg von 1941 grenzte J. deren Kunst als christlich-mittelal-
terlich und deutsch von Antike und Renaissance ab und bescheinigte ihr im Ge-
gensatz zum »rhetorischen Wohllaut« der »zu klassischer Prägnanz« gestalteten Er-
scheinung der französischen Kathedralskulptur eine »ganz andere Intensität« und
einen »aus größerer geistiger Tiefe emporsteigenden« Gehalt.
Während der Freiburger Zeit griff J. das Thema des architektonischen Raumes
wieder auf. In einem dem Gotikverständnis neue Wege weisenden Aufsatz (Über den
kunstgeschichtlichen Raumbegriff, 1938) interpretierte er das Mittelschiff der französi-
schen Kathedale als einen Innenraum, umgeben von »diaphanen« Wänden, einer
»phantastisch-reliefartigen Gitterwand, die in verschiedener Tiefenschichtung mit
optischem Dunkelgrund oder farbigem Lichtgrund unterlegt ist«. Zusammengefaßt
210 Jantzen

hat J. diese Forschungen später in Kunst der Gotik (1957), neben  Sedlmayrs Die
Entstehung der Kathedrale (1950) und  von Simsons Die gotische Kathedrale (1968)
einer der profiliertesten deutschsprachigen Beiträge zur Gotik-Forschung nach dem
Zweiten Weltkrieg.
Seinen Ruf als einer der großen Männer der Kunstgeschichte im Nachkriegs-
deutschland verdankte J. auch der 1947 erschienenen Monographie über die otto-
nische Kunst. Die Vorarbeiten reichten bis in die frühen 1930er Jahre zurück, als J.
nach dem Freiburger Ordinariat an den Universitäten in Frankfurt/Main (1931–35)
und – als Nachfolger  Pinders, der nach Berlin gewechselt war – in München
(1935–51) wirkte (Ottonische Kunst, 1935). Als erster Kunsthistoriker betrachtete J.
die Zeit der ottonischen Kaiser und Könige als eine selbständige Kunstepoche, als
den Anfang einer genuin deutschen Kunstgeschichte, und hob besonders ihren
Spiritualismus hervor: »Drei Grundzüge sind es, die ihr das Gepräge geben: 1. die
Gottnähe, 2. die gültige Wirklichkeit des Allgemeinen und Ewigen, 3. das Schaffen
rein aus dem Geiste.« Im Denken des späten J. erhielt das Kunstwerk zunehmend
eine geistige Qualität; so behauptete er in einem für seinen Idealismus charakteri-
stischen Aufsatz über Wert und Wertung des Kunstwerks (1957), daß der künstlerischen
Qualität nichts Objektives entspreche, sondern daß sie ein »geistiger Wert« und eine
geistige Leistung des Betrachters sei.
J. war seit 1936 Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und lei-
tete 1948–52 den Verband Deutscher Kunsthistoriker. Nach seiner Emeritierung
1951 nahm ihn die Freiburger Universität als Honorarprofessor wieder auf.

Werke: Das niederländische Architekturbild, 1939/40, 441–454; Deutsche Plastik des 13.
Diss. HaS 1908 (Lpz 1910); Die Raumdarstel- Jh.s, Mü 1941; Deutsche Kunstgeschichtswis-
lung bei kleiner Augendistanz, in: ZfÄaK, 6, senschaft 1933–1942, in: FuF, 18, 1942, 35/36,
1911, 119–123; Rembrandt, Bie/ Lpz 1911; 341–348; Ottonische Kunst, Mü 1947; Bur-
Niederländische Malerei im 17. Jh., Lpz 1912; gundische Gotik, Mü 1948; Die Einheit Eu-
Michelangelo, Bie/Lpz 1912; Farbenwahl und ropas in der Geschichte seiner Kunst, in: Gei-
Farbengebung in der holländischen Malerei stige Welt, 3, 1948/49, 115–117; Über den go-
des 17. Jh.s, HaS 1913; Über Prinzipien der tischen Kirchenraum und andere Aufsätze,
Farbgebung in der Malerei, in: 1. Kongreß f. Bln 1951; Wert und Wertung des Kunstwerks,
Ästhetik u. allg. Kunstwiss. in Berlin 1913 in: FS Kurt Bauch, Bln 1957, 9–20; Kunst der
(Bericht), Stg 1914, 322–327; Altchristliche Gotik. Klassische Kathedralen Frankreichs.
Kunst, Bie/Lpz 1914; Der Meister der Ma- Chartres, Reims, Amiens, Reinbek 1957; Die
donna von St. Ulrich im Schwarzwald, in: FS Naumburger Stifterfiguren, Stg 1959; Die
Adolph Goldschmidt, Lpz 1923, 52–60; Deut- Gotik des Abendlandes. Idee und Wandel,
sche Bildhauer des 13. Jh.s, Lpz 1925; Zur Be- Köln 1962; Der Bamberger Reiter, Stg 1964;
urteilung der gotischen Architektur als Die Hagia Sophia des Kaisers Justinian in
Raumkunst, in: KBLit, 1927, 12–18; Über den Konstantinopel, Köln 1967
gotischen Kirchenraum, FrB 1928; Das Mün- Literatur: Heidrich, Ernst: Rez. von »Das
ster zu Freiburg, Burg b. Magdeburg 1929; niederländische Architekturbild«, in: ZfÄaK,
Rez. von Alois Riegl, Gesammelte Aufsätze 8, 1913, 117–131; Bauch, Kurt: H.J., in: DWdK,
(1929), Au/Wien, in: KBLit, 1930/31, 65–74; 2, 1941, 1–3; Schürenberg, Lisa: Rez. von »Ot-
Das Münster zu Straßburg, Burg b. Magde- tonische Kunst«, in: Hist. Jb., 1949, 765–768;
burg 1933; Ottonische Kunst, in: FS Heinrich Gall, Ernst: dass., in: ZfKg, 12, 1949, 106–108;
Wölfflin, Dr 1935, 96–110; Geist und Schick- FS für H.J., Bln 1951; Bibliographie H.J., in:
sal der deutschen Kunst, Köln 1935; Über den ZfKg, 14, 1951, 184–186; Bauch, Kurt: Prof.
kunstgeschichtlichen Raumbegriff, Mü 1938; Dr. H.J. 85 Jahre alt, in: Freiburger Universi-
Giotto und der gotische Stil, in: DWdK, 1, tätsblätter, 1966, 13–15; Einem, Herbert von:
Jantzen 211

H.J. zum Gedächtnis, in: KChr, 20, 1967, 144– 200 Jahre Kunstgeschichte in München, Mü
146; Erinnerung an H.J. Wort der Freunde 2003, 154–167; Held, Jutta: Kunstgeschichte
zum Freund in die Abgeschiedenheit gespro- im Dritten Reich. Wilhelm Pinder und H.J.
chen bei der Totenfeier am 20. 2. 1967 (darin: an der Münchener Universität, in: dies.
Reden von Kurt Bauch u. Martin Heideg- (Hrsg.), Kunstgeschichte an den Universitä-
ger), FrB 1967; Müller, Theodor: H.J. in: Jb- ten im Nationalsozialismus, Gö 2003, 17–59;
BAdW, 1967, 202–205; Hüttinger 1992, 118– Helten, Leonhard: H.J. und das niederländi-
124; Paul, Jürgen: H.J. Skizze einer wissen- sche Architekturbild, in:Wolfgang Schenkluhn
schaftlichen Biographie, in: Bruno Klein (Hrsg.), 100 Jahre Kunstgeschichte an der
(Hrsg.), FS Antje Middeldorf, Dr 2002, 555– Martin-Luther-Universiät Halle-Wittenberg,
577; Held, Jutta: H.J. an der Münchener Uni- HaS 2004, 41–50
versität (1935–45), in: Christian Drude (Hrsg.), PB

Jordan, Max
Geb. 19. 6. 1837 in Dresden; gest. 11. 11. 1906 in Berlin

Als einer der Gründerväter der Nationalgalerie, an der er mehr als zwei Jahrzehnte
tätig war, ist J. der Nachwelt in Erinnerung geblieben. Er gehörte wie  Woer-
mann oder  Lichtwark zu jenen ersten Direktoren staatlicher Kunstmuseen, die
sich nicht mehr aus dem Kreis der akademischen Künstler rekrutierten, sondern
professionelle Kunsthistoriker waren. 1874 wurde ihm, als Nachfolger des Histori-
enmalers Eduard Daege (1805–83), eine der zentralen kulturellen Institutionen im
kaiserlichen Deutschland anvertraut, die, wie es in der Bestallungsurkunde hieß,
»dem Ziele einer umfassenden Verherrlichung der deutschen Kunst und der großen
Männer und Ereignisse des 19. Jahrhunderts durch die Kunst« verpflichtet war.
Das Studium der Philologie und Geschichte 1856–60 in Jena, Berlin, Bonn und
Leipzig schloß J. mit einer Gustav Droysen gewidmeten kirchengeschichtlichen
Promotion ab. Zu seinen namhaften Lehrern gehörten neben Droysen Leopold von
Ranke, Otto Jahn, August Boeckh, Carl Wilhelm Goettling, August Schleicher. In
der folgenden Zeit hielt sich J. häufig in Italien auf, wo er den Weg zur Kunstge-
schichte fand. Er befreundete sich dort mit Künstlern wie Friedrich Preller d.J. und
Peter Cornelius – den er als »Haupt der deutschen Phantasiekunst« des 19. Jahrhun-
derts verehrte – und mit den beiden Pionieren der italienischen Kunstgeschichte,
Joseph Crowe und Giovanni Battista Cavalcaselle, deren Werke er bald darauf in
deutscher Sprache herausgab (6 Bde., Lpz 1869–76; 2 Bde., Lpz 1877). 1872 habili-
tierte sich J. in Leipzig in »neuerer« Kunstgeschichte über das Malerbuch Leonardo
da Vincis; die Probevorlesung galt der Stellung Giorgiones in der italienischen
Kunst. Vorlesungen über italienische Kunst hielt er 1876–79 auch an der Berliner
Universität, nachdem ihm dort, auf Empfehlung von  Herman Grimm und dem
Archäologen Ernst Curtius, 1875 die venia legendi verliehen worden war. J. besaß
eine hinreißende Rednergabe; er war noch der auf den deutschen Idealismus zu-
rückgehenden Überzeugung, daß der Kern eines Kunstwerks, den der kunsthistori-
sche Diskurs herausschälen würde, literarischer Natur sei.
J.s besondere Bemühungen galten der jüngsten deutschen Kunstgeschichte und
dem Kunstschaffen seiner Gegenwart. Dies und die tiefe Überzeugung, daß »wir
[...] in Deutschland die ideale Kunst so notwendig [brauchen], wie die klassische
212 Jordan

Bildung, damit wir nicht in Teutonismus oder öde Fremdsucht verfallen«, prädesti-
nierten ihn für die Leitung der Nationalgalerie. Vorher hatte er als Nachfolger Al-
bert von Zahns und  Herman Riegels seit 1871 dem städtischen Museum in
Leipzig vorgestanden – als erster mit dem Amtstitel »Direktor« –, dort die Verwal-
tung reformiert sowie die Sammlung neu geordnet und erweitert.
Vor einer ungleich größeren Herausforderung stand J. in Berlin. 1876 konnte er
mit der Einrichtung des repräsentativen Neubaus der Nationalgalerie auf der Ber-
liner Museumsinsel beginnen, wobei ihn vor allem ästhetische Aspekte leiteten.
Gemeinsam mit  Dohme erarbeitete er den ersten wissenschaftlichen Bestandska-
talog nach den vom Wiener kunsthistorischen Kongreß 1873 aufgestellten Kriterien.
Besondere Verdienste erwarb sich J. durch seine Erwerbungstätigkeit; er versuchte,
den ihm anvertrauten Bestand sowohl zu komplettieren als auch durch Neuerwer-
bungen von Werken prominenter Künstler der Zeit zu bereichern. So gelang es ihm
gleich zu Anfang seiner Amtszeit, der Nationalgalerie zwei Hauptwerke Menzels,
das Flötenkonzert von 1852 und das 1875 gemalte Eisenwalzwerk, zu sichern. 1888
kamen 1200 Zeichnungen und 50 Gouachen dazu. Weitere Erwerbungen betrafen
Johann Heinrich Tischbein, Anton Graff , Johann Gottfried Schadow, Friedrich
Overbeck, Julius Schnorr von Carolsfeld, Christian Daniel Rauch, Ludwig Richter,
Karl Spitzweg und nicht zuletzt den fast vergessenen Berliner Landschaftsmaler
Carl Blechen. Während einer Reise nach Italien im Jahre 1877 führte J. erste Ver-
handlungen über die von Cornelius,Veit, Overbeck und Wilhelm Schadow 1816/17
gemalten Josephs-Fresken im römischen Palazzo Zuccaro, der sogenannten Casa
Bartholdy, deren Zukunft unsicher geworden war. 1886 wurden sie vom preußi-
schen Staat angekauft und 1887 nach Berlin überführt. Diese Rettungstat galt einem
bedeutenden Denkmal der »vaterländischen« Kunstgeschichte, der sich J. nicht nur
durch sein Amt, sondern aus Überzeugung verpflichtet fühlte.
Er setzte sich auch vehement für solche noch verkannten und offiziell abgelehn-
ten Künstler wie Arnold Böcklin, Max Liebermann und Max Klinger ein. Böcklin
erhielt 1878 durch J.s Fürsprache den Auftrag zu einem Gemälde für die National-
galerie (Die Gefilde der Seligen, Kriegsverlust), mit dem der Grundstein der reichen
Böcklin-Sammlung gelegt wurde. Insgesamt vermehrte J. den Bestand der Natio-
nalgalerie um 300 Gemälde, 30 Kartons und 80 Bildhauerwerke.
Neben seiner Tätigkeit an der Nationalgalerie hatte J. von 1880 bis zu seiner
Pensionierung 1895 auch das Amt des Vortragenden Rates für Kunstangelegenhei-
ten im Kultusministerium inne; dort war er unter anderem für die Pflege der archi-
tekturgebundenen Malerei und Plastik und sämtliche Kunst- und Musikschulen in
Preußen zuständig.
Werke: Das Königtum Georgs von Podbrad. 5, 1870, 1–19; Satura. Kompositionen von
Ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklung Buonaventura Genelli in Umrissen gestochen
des Staates gegenüber der katholischen Kir- von H. Merz, H. Schütz und A. Spiess, Lpz
che, Lpz 1861; Buonaventura Genelli, Lpz 1871; Das Malerbuch des Leonardo da Vinci.
1867; Aus Julius Schnorrs Lehr- und Wander- Untersuchung der Ausgaben und Hand-
jahren, in: ZfbK, 2, 1867, 285–298; Landschaf- schriften, Lpz 1873; Die Odyssee in Prellers
ten und Szenen aus dem Leben der Psyche. Darstellung, Lpz 1873; Große Fresko-Male-
Temperabilder von Heinrich Gärtner, in: reien in der östlichen Loggia des städtischen
ebd., 81–86; Buonaventura Genelli, in: ZfbK, Museums zu Leipzig, Lpz 1873; Die Musen
Jordan 213

im Kgl. Schauspielhaus zu Berlin, Bln/Lpz galerie zu Berlin, Bln 1901; Friedrich Preller
1877; Berlin, Nationalgalerie. Beschreibendes d.J. Tagebücher des Künstlers, Mü 1904; Das
Verzeichnis der Kunstwerke in der Kgl. Na- Werk Adolph Menzels 1815–1905, Mü 1905;
tionalgalerie, Bln 1878; Pietro Perugino, in: Friedrich Geselschap, Bie/Lpz 1906
Robert Dohme, Kunst und Künstler Italiens Literatur: Donop, Lionel von: Zur Erinne-
bis um die Mitte des 18. Jh.s, Bd. 1, Lpz 1878, rung an M. J., in: JbPK, 1907, V–X; ders.: M. J.
3–40; Tizian, in: ebd., Bd. 3, Lpz 1879, 3–52; Ein Lebensbild, Bln 1907; Honisch, Dieter:
Der vermißte Traktat des Piero della Fran- M.J., in: Die Nationalgalerie Berlin, Reck-
cesca über die fünf regelmäßigen Körper, in: linghausen 1979, 17–19; Peters, Dorothea: »die
JbPK, 1880, 112–118; Das Werk Adolph Men- Theilnahme für Kunst im Publikum zu stei-
zels. Eine Festgabe zum 80. Geburtstag des gern«. Photographische Kunstreproduktion
Künstlers, Mü 1895; Die Wandgemälde im nach Werken der Nationalgalerie in der Ära
Kaiserhaus zu Goßlar von Prof. Hermann J., in: JbPKB, 37, 2000, 207–250
Wislicenus, Goßlar 1901; Max Koner, Bie/ CF
Lpz 1901; Katalog der Königlichen National-

Justi, Carl
Geb. 2. 8. 1832 in Marburg; gest. 9. 12. 1912 in Bonn

Unter den zahlreichen Künstlerbiographien, die die deutsche Kunstgeschichts-


schreibung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat, nehmen J.s
Werke über Velázquez (1888) und Michelangelo (1900/09) sowie über  Winckel-
mann (1866/72) eine Sonderstellung ein: Sie dokumentieren exemplarisch den all-
gemeinen Entwicklungsgang der Gattung von einer kulturgeschichtlich-milieu-
theoretischen zu einer psychologischen Sichtweise, und sie stellen dank ihrer
sprachlichen Prägnanz und souveränen Materialbeherrschung kunsthistoriographi-
sche und literarische Meisterleistungen dar. Wie alle bedeutenden Historiker fühlte
J. den Puls der Zeit, hielt zwischen seinem Gegenstand und der Gegenwart jedoch
stets Distanz; seine Bücher sind noch heute lesbar, weil ihnen keine Ideologie bei-
gemischt ist. J. lehnte jede Art von weltanschaulicher, philosophischer Fundierung,
etwa durch die Hegelsche Geschichtsmetaphysik, ab. Die Geschichte als Entwick-
lungsprozeß interessierte ihn kaum; nicht anonyme irdische oder überirdische
Kräfte bewegten nach seiner Auffassung das Weltenrad, sondern der große, von Ta-
lent, Schicksal und – hier zeigt sich die Nähe zu Schopenhauer – Willenskraft ge-
formte Mensch. Diese Begeisterung für das außerordentliche Individuum speiste
sich aus einem dichterischen Schaffensdrang. J. sah sich in erster Linie als Schrift-
steller, der über »Fachschreiberei« hinaus zu einer Synthese gelangen wollte, die
auch das »Menschliche« enthielt. J.s Bücher sind auch Erzählungen mit fiktiven
Elementen: den Dialog über die Malerei und jenen Brief im Velázquez, den der
Künstler angeblich 1630 aus Rom schrieb, hat J. erfunden, nicht um den Leser zu
täuschen, sondern um gleichsam auf dem Wege einer künstlerisch intuitiven Aus-
deutung des Faktischen ein komplexeres Bild von Velázquez und seinem intellektu-
ellen Umfeld zu entwerfen. Da J. als freier Schriftsteller nicht sein Auskommen
finden konnte, schlug er die Universitätslaufbahn ein, obwohl er sich nicht zum
Pädagogen berufen fühlte und, wie er sagte, keine Lust verspürte, die Menschen zu
bessern und zu belehren. Er wäre weder »ein richtiger Theologe noch ein Kunst-
214 Justi

professor. Wahrscheinlich gehöre [er] nirgendwohin in diesem verzwickten und


aufgeblasenen deutschen Wissenschaftsbetrieb«. Auch lag es ihm nicht, Vorlesungen
vor großem Publikum zu halten.
Der Pastorensohn studierte seit 1850 zunächst Theologie und Philosophie in
Marburg und Berlin. 1859 erfolgten Promotion und Habilitation; der Gegenstand
der schriftlichen Arbeit war Platon und der des Vortrags Arthur Schopenhauer. Der
erste Band des Winckelmann (1862) verschaffte J. 1867 eine a.o., 1869 eine o. Profes-
sur für Philosophie mit Lehrauftrag in Archäologie in Marburg. Nach ausgedehnten
Studienreisen durch Italien, die der Vorbereitung des zweiten Teils (Winckelmann in
Rom) galten, wurde J. 1871 auf den Lehrstuhl Wilhelm Diltheys nach Kiel und
schon ein Jahr später als o. Professor für Kunstgeschichte und Nachfolger  Sprin-
gers nach Bonn berufen, wo er bis zu seiner Pensionierung 1901 wirkte. 1872 begab
sich J. zum erstenmal nach Spanien, elf weitere Reisen folgten. Wiederholt besuchte
er England und 1875 St. Petersburg.
J., der im Todesjahr  Goethes geboren wurde, wuchs im Geist des deutschen
Idealismus auf. Seine erste große Arbeit widmete er dem Begründer der Kunstwis-
senschaft, was einer Wiederentdeckung Winckelmanns gleichkam – zu einer Zeit,
als sich die Kunstgeschichte als Wissenschaft zu etablieren und sich ihrer eigenen
Geschichte zu erinnern begann.
1867 hatte J. im Palazzo Doria Pamphili in Rom seine erste, folgenreiche Begeg-
nung mit Diego Velázquez, mit dem Bildnis des Papstes Innozenz X.; fast zur glei-
chen Zeit, 1865, entdeckte Manet im Prado den angeblich größten Maler aller
Zeiten für die moderne Kunst. Zwei Dezennien später erschien J.s dickleibiges
Werk über den Hofmaler Philipps IV., ein Meilenstein in der deutschsprachigen
Spanien-Forschung. In Velázquez sah und bewunderte J. die einzigartige Ausprä-
gung eines gleichsam zum malerischen Sehen geborenen Künstlertyps und den im
Gegensatz zu Rubens’ Pathos nüchternen, scharfen Beobachter der Wirklichkeit.
Auf der Suche nach Vorläufern stieß er auf El Greco, ohne diesen bedeutendsten
spanischen Künstler des 16. Jahrhunderts schon würdigen zu können. El Grecos
künstlerische Entwicklung faßte J. wie folgt zusammen: »Das Entsetzen vor jener
versteinerten Kunst des Orients hatte ihn zum Impressionisten gemacht; nun wird
der künstlerische Anarchismus sein Trumpf, die Emanzipation nicht bloß von kirch-
licher Tradition und Konventionalismus, auch von der Naturwahrheit, den Gesetzen
der Schwere und selbst des Anstands. In ihm hatte das Nervensystem ein unheimli-
ches Übergewicht, gegen Geschmack,Verstand und Methode.« Das spanische Kapi-
tel in J.s Gelehrtenleben schloß eine weniger umfangreiche Biographie zu Murillo
(1892) ab.
Seit 1861 hatte J. Studien über Michelangelo getrieben, aber sich lange nicht zu
einer Publikation entschließen können. Während er Winckelmann und Velázquez
noch als in ihre Zeit eingebunden auffaßte, stehen nun für ihn die Kunstschöpfun-
gen Michelangelos im Vordergrund: die Decke der Sixtinischen Kapelle, das Julius-
Grabmal und im 2. Band die Jugendwerke, die Fassade von San Lorenzo, das Jüngste
Gericht. Lediglich zwei Schlußkapitel behandeln übergreifende Zusammenhänge.
J.s Absicht war die »freie Diskussion der einzelnen Werke, ungeniert durch die üb-
liche Einschaltung in die Erzählung seiner Lebensgeschichte«. Von ihr erwartete J.
Justi 215

ohnehin keine Aufklärung; er versuchte dem Geheimnis dieser Werke durch die
psychologische Analyse ihres Schöpfers näherzukommen. Dabei zeichnete er ein
neues, ein dämonisches, dunkles und zerklüftetes Michelangelo-Bild. In Michelan-
gelo sah J. auch den modernen Künstler vorgebildet: »Auch für einen Michelangelo
war verhängnisvoll ein Zuviel von Freiheit, das ihm sein beispielloses Ansehen ver-
schaffte. Diese Wahnvorstellung der Künstlersouveränität, und die von der Gleich-
gültigkeit des Inhalts sind das Verhängnis der neueren Kunst.« Diese Kritik richtete
sich vor allem gegen den Impressionismus, den J. wegen seiner angeblichen Form-
und Inhaltslosigkeit vehement ablehnte. Dezidiert hat J. zur Kunst seiner Gegenwart
in einem öffentlichen Vortrag 1902 in Bonn Stellung genommen (Amorphismus in
der Kunst).
Werke: Die ästhetischen Elemente in der Bonn 1922; Spanische Reisebriefe, Bonn
platonischen Philosophie. Ein historisch-phi- 1923
losophischer Vergleich, Mar 1860; Dante und Literatur: Willers, Heinrich:Verzeichnis der
die Göttliche Komödie, Stg 1862; Winckel- bis zum 2. 8. 1912 erschienenen Schriften
mann. Sein Leben, seine Werke und seine C.J.s, Bonn 1912; Knapp, Fritz: C.J., in: PJbb,
Zeitgenossen, 2 Bde., Lpz 1866/72; Sulle rela- 1915, 27–50; Waetzoldt 1924, 239–277; Glück,
zioni del Winckelmann colla repubblica lette- Gustav: C.J., in: ZfKg, 1, 1932, 227–232; Cle-
raria di Roma, in: Bolletino dell’Instituto di men, Paul: C.J. Gedächtnisrede zur 100. Wie-
corrispondenza archeologica, 1868, 3–11; Die derkehr seines Geburtstages, Bonn 1933; Cur-
Verklärung Christi. Gemälde Raffaels in der tius, Ludwig: C.J. und sein »Winckelmann«,
Pinakothek des Vatikan, Lpz 1870; Die Ent- in: C.J., Winckelmann und seine Zeitgenos-
deckung der Stadt Herculaneum, in: PJbb, sen, Bd. 1, Lpz 1943 (4. Aufl.), V–XXXIII;
1870, 127–148; Raffael Mengs, in: ebd., 1871, Gaya Nuño, J.A.: Después de J. Mediosiglo de
109–131; William Hogarth, in: ZfbK, 7, 1872, estudios velazquistas, in: Velázquez y su siglo,
1–8, 44–54; Rubens und der Kardinal Infant Madrid 1953; Hamann-MacLean, Richard:
Ferdinand, in: ebd., 15, 1880, 225–234, 261– C.J. Zur 50. Wiederkehr seines Todestages,
269; Jan van Scorel, in: JbPK, 1881, 193–210; Mar 1964; Pieper, Paul: C.J.s »Winckelmann«,
Die Reiterstatue Philipp IV. in Madrid von in: Boreas, 5, 1982, 259–265; Olbrich, Harald:
Pietro Tacca, in: ZfbK, 18, 1883, 305–315, 387– Annäherung an J., in: Diego Velázquez und
400; Diego Velázquez und sein Jahrhundert, sein Jahrhundert, Lpz 1983, 419–441; Beyer,
Bonn 1888 (engl. 1889, span. 1906/08); Die Andreas: Leben in Gegenwart des Vergange-
portugiesische Malerei des 16. Jh.s, in: JbPK, nen. C.J., Jacob Burckhardt und Ferdinand
1888, 137–159 u. 227–238; Die Werke des Gregorovius in Rom vor dem Hintergrund
Hieronymus Bosch in Spanien, in: ebd., 1889, der italienischen Einigung, in: Conrad Wie-
121–144;Anfänge der Renaissance in Granada, dermann (Hrsg.), Rom-Paris-London, Stg
in: ebd., 1891, 173–192; Estudios sobre el re- 1988, 289–300; Hellwig, Karin: Neu und un-
nacimiento en España, Barcelona 1892; Die erforscht. C.J. entdeckt Spanien für die deut-
kölnischen Meister an der Kathedrale von sche Kunstgeschichte 1872–92, in: Gisela
Burgos; Murillo, Lpz 1892; Domenico Theo- Noehles-Doerk (Hrsg.) Kunst in Spanien im
tocopuli von Kreta, in: ZfbK, 32 (8), 1897, Blick des Fremden, Frf 1996, 201–219; Wag-
177–184, 257–262 u. 33 (9), 1898, 213–218; ner, Monika: Augenblick und Zufall. C.J. sieht
Michelangelo. Beiträge zur Erklärung der Vélazquez, in: Peter K. Klein (Hrsg.), FS Kon-
Werke und des Menschen, Lpz 1900; Amor- rad Hoffmann, Bln 1998, 217–224; Raimondi,
phismus in der Kunst, Bonn 1902; Raffaels Ezio: Warburg, J. e la »prima sostanza«, in:
heilige Cäcilia, in: ZfchK, 17, 1904, 129–144; Marco Bertozzi (Hrsg.), Aby Warburg e le
Miscellaneen aus drei Jahrhunderten spani- metamorfosi degli antichi dèi, Modena 2002,
schen Kulturlebens, 2 Bde., Bln 1908; Michel- 86–98; Rößler, Johannes: Poetik der Kunstge-
angelo. Neue Beiträge zur Erklärung seiner schichte. Zur ästhetischen Begründung der
Werke, Bln 1909; Bonner Vorträge, Bonn 1912 deutschen Kunstwissenschaft bei Anton
(darin: Margaretha von Österreich, 1889; Springer und C. J., Diss. Berlin 2006
Die Peterskirche, 1897); Briefe aus Italien, PB
216 Justi

Justi, Ludwig
Geb. 14. 3. 1876 in Marburg; gest. 19. 10. 1957 in Potsdam

Mit einer Berufsauffassung, die heute auf viele altmodisch wirken mag, sah sich J.
»im Dienste der Kunst« stehend, um deren Werte wenigstens den Gebildeten und
Bildungswilligen einseh- und erlebbar zu machen. Dazu setzte er sowohl seine au-
ßergewöhnliche Fähigkeit zum sinnfällig wirksamen Ausstellen von Kunstwerken
im Museum und eine umfangreiche und einleuchtende publizistische Erziehung
zum Sehen ein, als auch diplomatisches Geschick im Umgang mit den Mächtigen
in vier aufeinanderfolgenden politischen Systemen, von denen seine Möglichkeiten,
für die Kunst zu wirken, abhingen.
J. kam aus einer alten Gelehrtenfamilie, war dichterisch und musikalisch begabt
und vielseitig gebildet. Sein Vater war Professor für Literatur- und Sprachwissen-
schaft. Er studierte 1894–98 zunächst klassische Philologie, dann Kunstgeschichte,
Archäologie, Geschichte, auch Nationalökonomie bei  Clemen und seinem On-
kel  Carl Justi in Bonn und in Berlin. 1898 promovierte er in Bonn über Jacopo
de’Barbari und Albrecht Dürer, betrieb dann Studien in Italien und wurde 1900 Volon-
tär, später »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« am Kupferstichkabinett und in der von
 Bode geleiteten Gemäldegalerie der Berliner Museen, wo er über italienische
Renaissancekunst arbeitete. 1901 habilitierte er sich in Berlin mit Konstruierte Figu-
ren und Köpfe unter den Werken Albrecht Dürers, wurde 1903 Professor in Halle, über-
nahm aber schon im Folgejahr die Direktion des Städelschen Kunstinstituts in
Frankfurt/Main, dessen Sammlung er neu ordnete, in Dutzenden von Zeitungsar-
tikeln propagierte und um ein Hauptwerk Rembrandts bereicherte. Weil er sein
Museumskonzept nicht durchsetzen konnte, ging er aber bereits nach einem Jahr,
1905, nach Berlin zurück – als Erster Ständiger Sekretär der Akademie der Künste.
Damit rückte die neueste Kunst als Arbeitsgebiet in den Vordergrund, während er
gleichzeitig eine neue Sicht auf Giorgione vorlegte, die er 1926 überarbeitet bekräf-
tigte: Das schon 1914 im wesentlichen abgeschlossene Buch »beruht ausschließlich
auf Anschauung und soll zu Anschauung führen. Alles ist an den Gemälden selbst
gesehen, vor ihnen niedergeschrieben, in den Galerien, auf immer wiederholten
Reisen; zu Hause nur schriftstellerisch geglättet«.
1909 wurde J. Direktor der Nationalgalerie, was bald auch zu Funktionen im
preußischen Kultusministerium und im Landtag führte. Berufungen nach Mün-
chen, darunter die zum Generaldirektor der Staatsgemäldesammlungen, lehnte er
ab, eine gleichartige nach Dresden zog die sächsische Regierung auf Wunsch der
preußischen wieder zurück. Es gelang J. rasch, Wilhelm II. von einer neuen Kon-
zeption für die Nationalgalerie zu überzeugen. Diese wurde organisatorisch wieder
von den anderen Königlichen Museen getrennt, die Abhängigkeit von den in der
Landeskunstkommission tonangebenden akademischen Künstlern und Beamten
abgeschüttelt. Die nur politisch belangvollen Porträts kamen 1913 in eine Bildnis-
sammlung im Haus der Bauakademie, die Schlachtengemälde und Ähnliches ins
Zeughaus. Obwohl er national-konservativ eingestellt war und unter »all dem Un-
glück und der Schmach unseres Vaterlands« litt, nutzte J. die Gründung der Repu-
blik sofort, um 1919 die Überweisung des bisherigen Kronprinzenpalais zu erwirken
Justi 217

und dort – auch mit Leihgaben aus Privatbesitz – eine Abteilung für neueste Kunst
einzurichten. In ihr hat sich dann »das Bild der deutschen Kunst des 20. Jahrhun-
derts geformt« ( Hentzen, 1958), das jahrzehntelang für Publikum und Wissen-
schaft weithin maßgeblich wurde. Das bewirkten Erwerbungen, zahlreiche Ausstel-
lungen und Publikationen, die an Hand der Sammlungsbestände, auch denen von
Kunst des 19. Jahrhunderts im Stammhaus der Nationalgalerie, ins Verständnis der
Kunstentwicklung einführten. Als »Museum der Lebenden« wurde das Kronprin-
zenpalais international bis hin zum Museum of Modern Art in New York als Vorbild
akzeptiert.
Wegen seines Eintretens für die moderne Kunst wurde J. 1933 abgesetzt, obwohl
er, wie einige andere, zum Beispiel  Schardt, noch versuchte, den Expressionis-
mus als nordische und nationale Leistung vor dem Makel der »Entartung« zu be-
wahren. Nominell in der Kunstbibliothek beschäftigt und 1941 pensioniert, lebte
er zurückgezogen in Potsdam. 1946 ernannte der Berliner Magistrat den 70jähri-
gen zum Generaldirektor der Berliner Museen, deren Bestände allerdings großen-
teils von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs in Verwahrung genommen
waren. In der Schloßruine inszenierte er eine anrührende Ausstellung Wiedersehen
mit Museumsgut und mühte sich in der Folgezeit um die Überwindung der Kriegs-
schäden. Nach der Spaltung Berlins und der Museen 1948 nur noch für deren
Ostberliner Teil zuständig, konnte er 1956 die Umbenennung des ehemaligen Kai-
ser-Friedrich-Museums in »Bode-Museum« erwirken. In Erinnerung geblieben
sind auch die von J. 1950 aus dem verbliebenen Bestand der Nationalgalerie kunst-
voll zusammengestellte Schule des Sehens (1950) und seine inspirierte und inspirie-
rende Darbietung der aus der Sowjetunion zurückgekehrten Gemälde der Dresd-
ner Galerie (1955) im Stammhaus der Nationalgalerie auf der Berliner
Museumsinsel.
J. war anfangs in damals besonders lebhaft bearbeitete Forschungsfelder eingestie-
gen: die Kunst Dürers, die er anders sah als  Wölfflin, und die italienische Früh-
renaissance. An Dürer hob er das lineare Konstruieren der Gestalten und den ge-
danklichen Ausgangspunkt des Arbeitens für ein »durchaus nicht rein-künstlerisch
disponiertes Publikum« hervor, wobei der Künstler häufig »fertige Stücke [Bildmo-
tive, d.Verf.] zu einem inhaltlichen, nicht künstlerischen Zusammenhang« zusam-
mengestellt habe (Über Dürers künstlerisches Schaffen, 1903). Die Trennung des eigent-
lich Künstlerischen vom Inhaltlichen wie von der Bezugnahme auf die Erwartungen
der Mehrzahl der Betrachter blieb für J.s Kunstbegriff bestimmend. Er war immer
in erster Linie am einzelnen Künstler als schöpferischer Persönlichkeit interessiert
und ging vom einzelnen, eingehend angeschauten Werk aus, um strikt über das
Sehen zum Erleben des geistigen Gehalts der Form zu gelangen. Dabei zielte er
stets auf ein geistesgeschichtlich aufgefaßtes Gesamtbild der europäischen Kunstge-
schichte und komponierte für die Museumsbesucher auch die ganze Sammlung
und ihre Teilabschnitte als »ästhetisches Kunstwerk«. Im Einklang mit vielen ande-
ren Kunsthistorikern seiner Zeit postulierte er für die Kunst bis zum 18. Jahrhundert
eine – heute als idealisiert erkannte – Einheitlichkeit von Kunstauffassung und
Kunstverstand bei Schaffenden und Empfangenden und seit der Wende zum 19.
Jahrhundert eine schroffe Scheidung zwischen dem »Schaffen für äußere Zwecke«,
218 Justi

bei dem der Inhalt den Ausschlag gibt und das auf Beifall und Verkauf berechnet ist,
»der Entstehung nach ein Teil der Volkswirtschaft«, von dem »Schaffen aus innerem
Zwang«, das allen Ansprüchen des bürgerlichen oder gar »sozialdemokratischen«
Publikums absagt und allein zu künstlerisch Wertvollem führt – »in ganz anderem
Sinne Geistesgeschichte« (Deutsche Malkunst im neunzehnten Jahrhundert, 1920). Zum
künstlerisch Wertvollen zählte J. dabei nicht nur Menzel oder Manet, sondern wür-
digte auch beispielsweise Hans Thoma ebenso wie den Expressionismus und, mit
Einschränkungen, den Kubismus. Das führte zu tiefreichenden Divergenzen mit
Max Liebermann, der ihm auch das Taktieren mit Wilhelm II. nie verzieh, und vor
allem zu einem unversöhnlichen publizistischen »Berliner Museumskrieg« mit
 Scheffler, dem Redakteur der angesehenen Zeitschrift Kunst und Künstler.
Werke: Jacopo de’Barbari und Albrecht Dü- Deutsche Malkunst im 19. und 20. Jh. Ein
rer, in: RfKw, 21, 1898, 346–374, 439–458; Vi- Gang durch die National-Galerie, Bln 1931;
scher-Studien, in: RfKw, 24, 1901, 36–53; Georg Kolbe, Bln 1931; Von Runge bis
Konstruierte Figuren und Köpfe unter den Thoma. Deutsche Malkunst im 19. und 20.
Werken Albrecht Dürers, Lpz 1902; Giovanni Jh. Ein Gang durch die National-Galerie, Bln
Pisano und die toskanischen Skulpturen des 1932; Giorgiones Bilder zur Ekloge Tebal-
14. Jh.s im Berliner Museum, in: JbPK, 1903, deos, in: DWdK, 1, 1939/40, 455–481; AKat.
247–283; Über Dürers künstlerisches Schaf- Wiedersehen mit Museumsgut, Bln 1946;
fen, in: RfKw, 26, 1903, 447–475; Dürers Aufbau der Berliner Museen, in: ZfK, 1, 1947,
Dresdner Altar, Lpz 1904; Rembrandts »Tri- 20–36, 71; Otto Nagel, Pd 1947; Nachruf auf
umph der Dalila« im Städelschen Kunstinsti- Heinrich Wölfflin, in: JbAdW, 1951, 182–184;
tut, in: ZfbK (Beilage), 40 (16), 1904/05, 401– Leonardo der Künstler, in: Leonardo da Vinci.
404; Die Neuordnung der Gemälde-Galerie Der Künstler und seine Zeit, Bln 1952, 19–56;
im Städelschen Kunstinstitut zu Franfurt/ Zeichnungen deutscher Meister vom Klassi-
Main, in: Museumskunde, 1, 1905, 205–215; zismus bis zum Impressionismus, 3 Bde., Bln
Dürers Dresdner Skizzenbuch, in: RfKw, 28, 1955; Meisterwerke der Dresdner Galerie,
1905, 365–372; Rez. von Heinrich Wölfflin, ausgestellt in der National-Galerie. Anregun-
Die Kunst Albrecht Dürers (1905) in: MfKw, gen zum genauen Betrachten, Bln 1955; Wer-
2, 1906, 1–5; Rez. von Werner Weisbach, Der den, Wirken, Wissen. Lebenserinnerungen
junge Dürer (1906), in: RfKw, 29, 1906, 369– hrsg. v. Thomas W. Gaehtgens und Kurt
377; Giorgione, 2 Bde., Bln 1908; Die italieni- Winkler, Bln 1999
sche Malerei des 15. Jh.s, Bln 1909; Die Zu- Literatur: Schaeffer, Emil: Rez. von »Gior-
kunft der National-Galerie, Bln 1910; Der gione«, in: RfKw, 32, 1909, 540–548; Wick-
Ausbau der National-Galerie, Bln 1913; Der hoff, Franz: dass., in: KA, 5, 1909, 34–40;
Umbau in der National-Galerie, Bln 1914; Woermann, Karl: dass., in: ZfbK (Beilage), 43
Offener Brief an Karl Scheffler, in: ZfbK (19), 1908, 513–519; Schubring, Paul: dass., in:
(Beilage), 54 (30), 1918/19, 613–619; Deutsche RfKw, 47, 1925, 63–65; Bercken, Erich von
Zeichenkunst im 19. Jh., Bln 1919; Deutsche der: dass., in: ZfbK (Beilage), 59 (35), 1926,
Malkunst im 19. Jh., Bln 1920; Habemus Pa- 50–52; L.J. Im Dienste der Kunst, hrsg. v. Al-
pam! Bemerkungen zu Schefflers Bannbulle fred Hentzen, Paul Ortwin Rave, Ludwig
»Berliner Museumskrieg«, Bln 1921; Hans Thormaehlen, Br 1936 (m. Texten von L.J. u.
Thoma. Hundert Gemälde aus deutschem Bibliogr.); Bibliogr., in: FuB, 1, 1957, 11–29;
Privatbesitz, Bln 1922; Max Liebermann als Hentzen, Alfred: L.J., in: KChr, 11, 1958, 257–
Maler, in: ZfbK (Beilage), 57 (33), 1922, 694– 260; Hamann, Richard: Nachruf auf L.J., in:
697; Verzeichnis der Schack-Galerie (Vor- JbAdW, 1958, 109–113; Hühns, Erik: Doku-
wort), Mü 1923; Corinth als Maler, in: ZfbK mentation zum Wiederaufbau der Staatlichen
(Beilage), 58 (34), 1923, 718–722; Giorgione, 2 Museen zu Berlin nach der Befreiung vom
Bde., Bln 1926; Overbecks Meisterwerk »Eins Faschismus, in: FuB, 20/21, 1980, 27–42 (33–
ist Not«, in: FS Paul Clemen, Dü 1926, 471– 34 eigener Lebenslauf L.J.s, 1946); März, Ro-
476; Die Landschaften des Velázquez, in: land: »Berliner Museumskrieg« 1921. Karl
RfKw, 48, 1927, 81–104;Von Corinth bis Klee. Scheffler contra L.J. Der Streit um die mo-
Justi 219

derne Kunst in der Nationalgalerie, in: Kunst- in: Eugen Blume/Dieter Scholz (Hrsg.),
verhältnisse. Ein Paradigma kunstwissen- Überbrückt. Ästhetische Moderne und Na-
schaftlicher Forschung, Bln 1988, 99–104; tionalsozialismus. Kunsthistoriker und Künst-
Winkler, Kurt: L.J. – der konservative Revo- ler 1925–37, Köln 1999, 59–64; Wendland
lutionär, in: Henrike Junge (Hrsg.), Avant- 1999, 341–348; Winkler, Kurt: Museum und
garde und Publikum, Köln/ Wei/Wien 1992, Avantgarde. L. J.s Zeitschrift »Museum der
173–185; Blume, Eugen: L.J. – Im Dienste der Gegenwart« und die Musealisierung des Ex-
Kunst.Vom Kaiserreich bis zur zweiten deut- pressionismus, Opladen 2002
schen Diktatur, in: MusJ, 6, 1992, 1, 5–9; PHF
Bärnreuther, Andrea: L.J. und das Völkische,

Kallab,Wolfgang
Geb. 5. 7. 1875 in Proßnitz (Prostějov, Tschechien); gest. 27. 2. 1906 in Wien

Obwohl K.s schmales Gesamtwerk nur aus »mehr oder weniger vollendeten Torsi«
( Schlosser) besteht, gebührt ihm ein fester Platz in der Disziplingeschichte. Mit
seinen postum veröffentlichten Vasaristudien – nach Schlosser »auch in ihrer Bruch-
stückhaftigkeit das Werk eines die bisherigen Kritiker Vasaris weit überragenden
Geistes« – steht er in der Tradition der Wiener Schule und ihrer systematischen
Quelleneditionen seit 1871 ( Eitelberger, Schlosser).
Auf Wunsch seines Vaters begann K. 1894 in Berlin Jura zu studieren. Nebenbei
hörte er Vorlesungen bei Ernst Curtius, Wilhelm Dilthey,  Gurlitt und  Gold-
schmidt. 1896 wechselte er endgültig zur philosophischen Fakultät und ging an die
Universität Graz, um sich ganz der Kunstgeschichte zu widmen. 1897 setzte er seine
Studien in Wien bei  Wickhoff fort und promovierte 1899 mit einer Arbeit über
die Toskanische Landschaftsmalerei im 14. und 15. Jahrhundert. 1900–01 war K. Stipen-
diat des Österreichischen Historischen Instituts in Rom, wo er bei seinen archiva-
lischen Forschungen auf bis dahin ungedruckte kunsttheoretische Quellen aus der
zweiten Hälfte des 16. und dem 17. Jahrhundert stieß. Über das Studium der Schrif-
ten des päpstlichen Arztes und Kenners Giulio Mancini (1558–1630) gelangte er
schließlich zu Giorgio Vasari.
K. setzte für die Vasari-Forschung neue Maßstäbe, da er erstmalig die verwickelte
Entstehungsgeschichte der »Viten« nachzeichnete und zu klären versuchte, auf wel-
chen Wegen der historische Stoff zur Kenntnis Vasaris gelangt sein könnte und in
welcher Tradition das überlieferte Wissen gestanden hatte. K. sah den besonderen
Wert von Vasaris Kunstanschauungen in der Vielfältigkeit der Urteile und Durch-
kreuzung der Wertungsweisen. Seine Tendenz zur Theorie jedoch habe nicht immer
der »logischen Durchbildung der Abstraktion« entsprochen; man dürfe die ästheti-
schen und kunsttheoretischen Anschauungen Vasaris nicht als ein System betrachten,
sondern müsse sie als »verallgemeinerte Beobachtungen, als praktische Kunstregeln,
als apodiktische Sätze« lesen. Bei der Untersuchung der Textgeschichte nahm K.
einzelne Termini und Kategorien von ihrem ersten Auftreten in der italienischen
Kunstliteratur an philologisch-kritisch in den Blick; einen ähnlichen, wenngleich
weitaus weniger gründlichen Ansatz hatte 1867 der Engländer John Grace Freeman
(The maniera of Vasari) verfolgt.Vasari von der literaturhistorischen Seite zu betrach-
220 Kallab

ten und wie später der Italiener Ugo Scoti-Bertinelli (Giorgio Vasari scrittore, 1905)
linguistische Beweisführungen in den Vordergrund zu stellen, lehnte K. ab. Er for-
derte von der Kunstwissenschaft intensive Quellenforschung, wie sie in den Nach-
bardisziplinen Geschichte und Archäologie üblich war, um sowohl der reinen Fak-
tenfeststellung als auch dem spekulativen Denken zu entgehen. Die von K.
angestrebte Quellennähe kennzeichnete auch das ehrgeizige Projekt Karl Freys
(1857–1917), die gesamte Kunsthistoriographie des Mittelalters und der Renaissance
bis zu Vasari nach dem Vorbild der Monumenta Germaniae Historica systematisch auf-
zuarbeiten; der 1911 erschienene erste Band seiner reich kommentierten Vasari-
Ausgabe fand jedoch keine Fortsetzung. Auch K.s Plan einer mehrbändigen kriti-
schen Ausgabe der Schriften Mancinis, des Verbindungsgliedes zwischen Vasari und
der Vitensammlung Giovanni Bagliones (1642) und eine wichtige Quelle zu den
Carracci und Caravaggio, blieb unausgeführt.
Während seiner kurzen Schaffenszeit beschäftigte sich K. auch mit Michelangelo
und den Manieristen sowie mit Caravaggio, wovon zwei Aufsätze zeugen. Statt des
Nachweises kompositioneller Schemata oder literarischer Quellen im Sinne »iko-
nographischer Bilderschnüffler« (Schlosser) verstand er seine Arbeiten als Beitrag
zur Psychologie dieser Künstler, da er nach der Art der geistigen und künstlerischen
Prozesse fragte, aus denen sie ihre Inspirationen bezogen hatten.
Noch während seiner römischen Stipendiatenzeit erhielt K. 1901 eine Berufung
an das Kunsthistorische Museum in Wien, wo er bis zu seinem Unfalltod als Assi-
stent tätig war.
Werke: Friedrich Kallmorgen, in: GrK, 22, Vasaristudien, hrsg. v. Julius von Schlosser,
1899, 91–96; Die toskanische Landschaftsma- Wien/Lpz 1908
lerei im 14. und 15. Jh., ihre Entstehung und Literatur: Wickhoff, Franz: W.K., in: MI-
Entwicklung, in: JbkSAK, 1900, 1–90; Die fÖG, 28, 1907, 206–208; Steinmann, Ernst:
Deutung von Michelangelos Jüngstem Ge- W.K., in: ZfbK (Beilage), 41 (17), 1906, 326–
richte, in: FS Franz Wickhoff, Wien 1903, 327; Schlosser, Julius von: Dem Andenken W.
138–153; Rez. von Henri Thode, Michelan- K.s. Mit einem Fragment aus K.s literari-
gelo und das Ende der Renaissance, I (1902), schem Nachlaß über Caravaggio, in: JbkSAK,
in: KA, 1, 1904, 2–11; Rez. von Hugo Spitzer, 1906/1907, 255–271 (Nd. in: Vasaristudien,
Hermann Hettners kunstphilosophische An- Wien/Lpz 1908, XI–XLIII); Gronau, Gustav:
fänge und Literarästhetik (1903), in: ebd., Rez. von »Vasaristudien«, in: Mfkw, 3, 1910,
84–94; Rez. von Ugo Segré, Luigi Lanzi e le 26–30
sue opere (1904), in: ebd., 2, 1905, 23–32; Ca- CF
ravaggio, in: JbkSAK, 26, 1906/1907, 272–292;

Kauffmann, Hans (Johannes)


Geb. 30. 3. 1896 in Kiel; gest. 15. 3. 1983 in Bonn

Fraglos bedeutende Künstler und Werke aus vielen Epochen der europäischen
Kunstgeschichte bis zum Klassizismus waren die Forschungs- und Lehrgegenstände
von K., einem charakteristischen und maßgeblichen Vertreter der deutschen Uni-
versitätskunstwissenschaft im zweiten und dritten Viertel des 20. Jahrhunderts, der
ohne systemerfindenden Ehrgeiz oder polemischen Eifer seine zahlreichen Schüler
Kauffmann 221

in Stilanalyse und Ikonologie ausbildete und sich vielfältig für das Gesamtinteresse
des Faches einsetzte.
Der Sohn eines Germanistikprofessors studierte in München, in Berlin bei
 Goldschmidt – dort schloß er Studienfreundschaft mit  Panofsky – und Kiel,
wo er nach Militärdienst im Ersten Weltkrieg 1919 bei  Haseloff über Rembrandts
Bildgestaltung promovierte, nachdem er bereits seine Fähigkeiten zu Bildanalyse
und Schriftquellenauswertung in bemerkenswerten Aufsätzen bewiesen hatte. Mit
einem Stipendium der Universität Kiel reiste er zu Museumsstudien nach London
und Wien. Nach einem kurzen Volontariat bei  Bode an der Berliner Gemälde-
galerie wurde er 1920–22 am Kupferstichkabinett in Den Haag Assistent von Cor-
nelis Hofstede de Groot (1863–1930), der Kapazität für niederländische Malerei des
17. Jahrhunderts. Zu diesem Gebiet verfaßte er dann zahlreiche Arbeiten und Re-
zensionen. Über Albrecht Dürers rhythmische Kunst habilitierte er sich 1922 bei Gold-
schmidt in Berlin und wurde Privatdozent. 1924 war er Stipendiat am Deutschen
Kunsthistorischen Institut in Florenz. 1929 wurde er in Berlin nichtbeamteter a.o.
Professor für niederländische Kunstgeschichte. Er half das Schrifttum zur deutschen
Kunst begründen und gab es 1934–35 selbst heraus. In der Kunstgeschichtlichen
Gesellschaft zu Berlin war er zeitweise Schriftführer. 1936–56 hatte K. als Nachfol-
ger  Brinckmanns das Ordinariat in Köln inne und war zuletzt Rektor wie auch
Korrespondierendes Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Forschung, der späteren
Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf, ehe er 1957
nach Berlin zurückkehrte, um an der Freien Universität im Westteil der Stadt das
Kunsthistorische Institut bis zur Emeritierung 1964 zu leiten. Unter den 87 bei ihm
in Köln und Berlin abgeschlossenenen Dissertationen sind die von  Bandmann,
Hilda Lietzmann, Tilmann Buddensieg, Matthias Winner, Helmut Börsch-Supan,
Brigitte Klesse, Martin Warnke. 1952–60 war K. Vorsitzender des Verbandes Deut-
scher Kunsthistoriker. Er leitete das Kuratorium der Bibliotheca Hertziana in Rom
und das des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München wie den Verein zur
Förderung des Kunsthistorischen Instituts in Florenz und wurde Fellow der Royal
Society of Arts in London. In Gastvorlesungen in Leningrad und Moskau sprach er
über frühe deutsche Graphik und über Bernini. Nach Übergabe seines Lehrstuhls
an  Otto von Simson ging K. 1965 ans Institute for Advanced Study in Princeton
und nahm 1966 eine Gastprofessur an der Harvard University in Cambridge/MA
wahr, um neben anderen Arbeiten sein Buch über Bernini abzuschließen. Seit Mitte
der 1970er Jahre lebte er in Bonn. Sein Sohn Georg Kauffmann (geb. 1925) folgte
dem Vater im Beruf des Hochschullehrers für Kunstgeschichte nach.
In K.s Ehrfurcht vor dem großen Kunstwerk klang nicht zuletzt  Fiedlers Idea-
lismus nach. Er wollte aber niemals reine Formgeschichte treiben; er wußte zu gut
über die Rolle Bescheid, die auch der »lehrhafte Inhalt der Bilderstoffe« (Matthias
Winner) gespielt hatte, den die  Warburg-Schüler untersuchten. Er hob hervor,
wie schöpferische Künstler aus Form- wie Inhalttraditionen neue »Bildgedanken«
formulierten. Er wollte sie, mitunter in gehobener Sprache, doch immer mit sorg-
samer Anführung von Detailvergleichen, als Persönlichkeiten aus einem Guß auf-
fassen und dem Leser vorstellen.
Dürers Begegnung mit Italien und italienischer Kunst habe ihn nicht auf einen
222 Kauffmann

Irrweg geführt. Er habe dort nicht nur Muster der Körper- und Raumgestaltung
gefunden, sondern Anregungen für seine »Zeitphantasie« erfahren. An Gruppen-
und Bewegungsdarstellungen suchte K. zu zeigen, daß Dürer noch besser als Rodin
seinen Figuren Beweglichkeit einzuflößen vermocht habe. »Dürer adelte den Roh-
stoff der Natur durch die Kunstform des Rhythmus,« das heißt »eine stetige Ord-
nung verschiedener, aber gleichförmiger Glieder«, durch Wiederkehr des Gleichen
und Wechsel, Eurhythmie und rhythmische Perioden. In Abgrenzungen zu  Lud-
wig Justi,  Max J. Friedländer und Panofsky und teilweiser Anlehnung an
 Springer hob er hervor, daß es Dürer nicht um die Schönheit, sondern die Mor-
phologie der Natur gegangen sei. »Sein Rhythmus ist also die Kunst, die Dürer aus
der Natur ›herausgerissen‹ hat, eine Kunstform, die das Doppelgesetz der Natur,
Verkehrung und Vergleichung, ins Reich der Anschauung erhebt« (Albrecht Dürers
rhythmische Kunst, 1924). Auch bei Donatello wollte K. ausdrücklich in dessen Bil-
dern wie in dessen Denken einführen und zeigen, wie Traditionsbeziehungen mit
gestalterischen Neuschöpfungen verbunden waren. Durch Vergleich mit den
Naumburger Stifterfiguren wird eine Verwurzelung in der nordischen Hochgotik
bei gleichzeitiger neuer Dynamik des zeichnerischen Vortrags, des »disegno«, ein-
sichtig gemacht, was allerdings für andere, zum Beispiel Horst W. Janson, nur einen
sehr persönlichen »Donatello Kauffmannensis« ergab.
Den Beziehungen Rembrandts zu den Literaten und Humanisten vom Muider-
kring (1920) widersprach Hofstede de Groot, während später Clotilde Brière-Misme
(in GBA, 42, 1953 und 43, 1954) zustimmend darauf zurückkam. K.s Ableitung des
Manierismus in holländischer Malerei aus der Schule von Fontainebleau (1923)
fand seit  Stechows Kritik keine Anhänger mehr.
Zu Bernini brachten K.s kenntnisreiche Aufdeckungen ikonographischer und
stilistischer Traditionen neue Einsichten in die »sichtbare Form und den gedankli-
chen Inhalt« der monographisch behandelten einzelnen figürlichen Arbeiten des
Künstlers, ohne daß daraus eine geschlossene, den Leser mitreißende Monographie
wie bei  Wittkower wurde. Es bleiben Erkenntnisse wie die zum Zusammenhang
von Formensprache, Künstlerpersönlichkeit und Bildbegriff. Zu Apollo und Daphne
in der Galleria Borghese merkte K. an: »Berninis ›malerische‹ Vortragsweise wurzelt
in seiner erzählerischen Beredsamkeit und ist der Schilderung dienstbar«(Giovanni
Lorenzo Bernini. Die figürlichen Kompositionen, 1970).
Werke: Ein Selbstporträt Rogers van der Werke der hervorragendsten holländischen
Weyden auf den Berner Trajansteppichen, in: Maler des 17. Jh.s., Bd. 8, 1923, 1–350; Jan van
RfKw, 39, 1916, 15–30; Eine Vorzeichnung der Heyden, in: ebd., 351–459; Rembrandts
Rembrandts zur Dresdner Saskia von 1641, Berliner »Susanna«, in: JbPK, 1924, 72–80; Al-
in: RfKw, 41, 1919, 34–56; Rembrandt und brecht Dürers rhythmische Kunst, Lpz 1924;
die Humanisten vom Muiderkring, in: JbPK, Rez. von Friedrich Rintelen, Giotto und die
1920, 46–81; Rembrandts Bildgestaltung. Ein Giotto-Apokryphen (2. Aufl. 1923), in: DLZ,
Beitrag zur Analyse seines Stils, Stg 1922; Die 46, 1925, 2489–2496; Florentiner Domplastik,
Farbkunst des Aert van der Neer, in: FS in: JbPK, 1926, 141–167, 216–237; Die Wand-
Adolph Goldschmidt, Bln 1923, 106–110; Der lung des Jacob Jordaens, in: FS Max J. Fried-
Manierismus in Holland und die Schule von länder, Lpz 1927, 191–216; Frans und Willem
Fontainebleau, in: JbPK, 1923, 184–204; Jan van Mieris, in: Cornelis Hofstede de Groot,
van Goyen, in: Cornelis Hofstede de Groot, Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der
Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der Werke der hervorragendsten holländischen
Kauffmann 223

Maler des 17. Jh.s., Bd. 10, 1928, 1–230; Nach- Frf/Wien 1963, 51–82; Zweckbau und Mo-
wort, in: Jacob Burckhardt, Erinnerungen aus nument. Zu Friedrich Schinkels Museum am
Rubens, Lpz 1928, 181–189; Donatello. Eine Lustgarten, in: FS Ernst Hellmut Vits, Frf
Einführung in sein Bilden und Denken, Bln 1963, 135–166; Das Florenzbild der Deut-
1935; Albrecht Dürers Dreikönigsaltar, in: schen, in: FS Herbert von Einem, Bln 1965,
WRJb, 1938, 100–178; Über »rinascere«, »ri- 101–116; Die »Aeneas und Anchises«-Gruppe
nascità« und einige Stilmerkmale der Quat- von G.L. Bernini in der Galleria Borghese, in:
trocento-Baukunst, in: Concordia decenalis, FS Theodor Müller, Mü 1965, 281–291; Die
FS der Universität Köln zum 10jährigen Be- Schützenbilder des Frans Hals, in: FS Walter
stehen des deutsch-italienischen Kulturinsti- Friedländer, Bln 1965, 100–112; Friedrich
tuts Petrarcahaus, Köln 1941, 123–146; Ru- Schinkel und seine Stellung in der Architek-
bens und Mantegna, in: Köln und der Nord- turgeschichte, in: AIKB, Bln 1967, 1, 29–45;
westen, Köln 1941, 99–111; Die fünf Sinne in Rez. von Rudolf Wittkower, G.L. Bernini (2.
der niederländischen Malerei des 17. Jh.s, in: Aufl. 1966), in ZfKg, 30, 1967, 326–335; Erwin
FS Dagobert Frey, Br 1943, 133–157; Tilman Panofsky, in: KChr, 21, 1968, 260–266; Gio-
Riemenschneider, Köln 1943; Albrecht Dürer vanni Lorenzo Bernini. Die figürlichen Kom-
als denkender Künstler, Bonn 1944; Die Köl- positionen, Bln 1970; Albrecht Dürer. Um-
ner Domfassade, in: Der Kölner Dom, FS zur welt und Kunst, in: AKat. Albrecht Dürer, Nü
700-Jahr-Feier, Köln 1948, 78–137; Jan van 1971, 18–25; Anmerkungen zu Rembrandts
Eycks »Arnolfinihochzeit«, in: Geistige Welt, Potipharbildern, in: Neue Beiträge zur Rem-
4, 1949/50, 45–53; Rubens und Isabella Brant brandt-Forschung, hrsg. v. Otto von Simson
in der Geißblattlaube, in: FS Otto Schmitt, u. Jan Kelch, Bln 1973, 50–57; Albrecht Dürer
Stg 1950, 257–274; Bewegungsformen an Mi- »Vier Apostel«, o.O. 1973; Rembrandts »Bel-
chelangelostatuen, in: FS Hans Jantzen, Bln sazar«, in: FS Wolfgang Braunfels, Tü 1977,
1951, 141–151; Dürers »Nemesis«, in: FS Wil- 167–176; Probleme griechischer Säulen, Op-
helm Ahlmann, Bln 1951, 135–159; Stephan laden 1975; Peter Paul Rubens. Bildgedanke
Lochner, Bonn 1952; Romgedanken in der und künstlerische Form. Aufsätze und Re-
Kunst Berninis, in: Jb. d. Max-Planck-Ges., den, hrsg. v. Tilmann Buddensieg u. Otto von
1953/54, 55–80; Albrecht Dürer in der Kunst Simson, Bln 1976
und im Kunsturteil um 1600, in: Vom Nach- Literatur: Panofsky, Erwin: Albrecht Dürers
leben Dürers, AGNM 1940–53, 1954, 18–60; rhythmische Kunst (anläßl. von K.s Buch), in:
Die Renaissance in Bürger- und Fürstenstäd- JbKw, 1926, 136–192: Jahn, Johannes: Rez.
ten, in: KChr, 7, 1954, 126–128; Berninis Ta- von »Albrecht Dürers rhythmische Kunst«, in:
bernakel, in: KChr, 8, 1955, 94–97; Peter Paul ZfbK (Beilage), 59 (35), 1925/26, 19–20;
Rubens im Licht seiner Selbstbekenntnisse, Stechow, Wolfgang: Rez. von »Der Manieris-
in: WRJb, 1955, 181–188; Arthur Haseloff, in: mus in Holland und die Schule von Fon-
KChr, 9, 1956, 111–115; Kölnische Kunst um tainebleau«, in: KBLit, 1927, 54–64; Middel-
die Jahrtausendwende, Krefeld 1956; Die dorf, Ulrich: Rez. von »Donatello«, in: ArtB,
Maßwerkhelme des Freiburger Münsters und 18, 1936, 570–585; Kunstgeschichtliche Stu-
des Kölner Doms, in: FS Kurt Bauch, Mü/ dien für H.K. zu seinem 60. Geburtstag, Bln
Bln 1957, 117–125; Zum 90. Geburtstag Max 1956 (Bibliogr.); Munuscula discipulorum.
J. Friedländers, in: KChr, 10, 1957, 208–209; Kunsthistorische Studien, H.K. zum 70. Ge-
Die »Staalmeesters«, in: KChr, 10, 1957, 125– burtstag, Bln 1968; Hibbard, Howard; Rez.
127; Nachruf auf Richard Hamann, in: Sber- von »Bernini. Die figürlichen Kompositio-
KgG, 9, 1961, 9–11; Jacob Burckhardts »Cice- nen«, in: ArtQu, 36, 1973, 414–416; Simson,
rone«, in: JbBM, 1961, 94–116; Bildgedanke Otto von: H.K., in: SberKgG, 31, 1982/83,
und künstlerische Form, in: SV-Schriften- 15–18; Bloch, Peter: H.K., in: ZDVKw, 37,
reihe zur Förderung der Wissenschaft, 11, 1983, S. 156; Winner, Matthias: H.K., in: ZfKg,
1962, 6, 3–24; Berliner Baukunst von Schlüter 49, 1986, 424–436
bis Schinkel, in: Berliner Geist. Fünf Vorträge PHF
der Bayer. Akad. d. Schönen Künste, Bln/
224 Kaufmann

Kaufmann, Emil
Geb. 28. 3. 1891 in Wien; gest. 3. 7. 1953 in Cheyenne/WY (USA)

Das Lebenswerk K.s galt in erster Linie dem Ziel, in einigen neuen Vorstellungen
von Architektur, die im späten 18. Jahrhundert in Frankreich aufkamen, einen völ-
ligen Bruch mit lange Zeit gültigen Traditionen sowie die ersten Offenbarungen
einer Baugesinnung, die sich erst im 20. Jahrhundert durchsetzen konnte, nachzu-
weisen. K. prägte dafür den zuvor nur beiläufig verwendeten Begriff »Revolutions-
architektur« und hob diese von der gleichzeitigen klassizistischen Baukunst ab. Er
stellte als erster die volle kunsthistorische Bedeutung der Bauten und vor allem der
unrealisiert gebliebenen utopischen Bauentwürfe von Claude-Nicolas Ledoux so-
wie dessen Lehrer Etienne-Louis Boullée und von Jean-Jacques Lequeu heraus und
trug viel Material zu vergleichbaren künstlerischen Bestrebungen in Italien und
England und den sie tragenden Theoriedebatten zusammen.
K. studierte in Innsbruck und Wien und promovierte 1920 bei dem von ihm
bewunderten  Dvoák mit einer erst 1923 veröffentlichten Arbeit, in der er den
Unterschied zwischen der Architekturtheorie der französischen Klassik des 17. Jahr-
hunderts und der des Klassizismus um 1800 hervorhob. Geistesgeschichtlich den-
kend, formulierte er: »Die Ideen, bei deren Erwachen die Revolution ausgebrochen
ist, bilden die Grundlagen der neuen Kunstanschauung.« Die Absichten der Theorie
im 18. Jahrhundert, entscheidend in die Kunstentwicklung einzugreifen, nannte er
aber einen unhaltbaren Gedanken: »Zwischen Kunstlehre und Kunstübung besteht
kein kausales Verhältnis, sondern Parallelismus«. Die Kunsttheorie sei nur ein »selb-
ständiges Dokument des Kunstwollens ihrer Zeit«.
Da K. keine Anstellung als Wissenschaftler fand, mußte er seinen Lebensunterhalt
als Bankangestellter verdienen und konnte nur in der Freizeit seinen Forschungen
nachgehen. Nachdem er den Artikel über Ledoux für das  Thieme-Beckersche
Künstlerlexikon verfaßt hatte, stellte er ausführlich dessen Pläne für die Stadt Chaux
vor, in denen er einen Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, den Untergang ei-
ner Jahrtausende alten Tradition und die Geburtsstunde einer neuen Geistigkeit sah:
den Primat des vom Zweck ausgehenden und nicht von Formkonventionen be-
stimmten Planes und die Übertragung des neuen Prinzips der Autonomie – auch
aller Teile im Rahmen eines Ganzen – in das Architektonische. Die formbestim-
menden Motive (Ideen, Triebkräfte) festzustellen sei für die Forschung ungleich
wichtiger als der notwendige, vorbereitende Formenvergleich (Die Stadt des Archi-
tekten Ledoux, 1933). In Von Ledoux bis Corbusier unterstrich er gleichzeitig, wie
schon in einem Aufsatz von 1929/30, die Gültigkeit der rationalen, isolierenden und
abstrakten Gestaltungsprinzipien für das Neue Bauen im 20. Jahrhundert, ohne
wissen zu können, daß später Corbusier auch ganz andere Formen verwenden
sollte.
Obwohl K. ganz im Geiste Ledoux’ den Zusammenhang der Architektur mit
»Kunst[auffassung], Sitten und Gesetzgebung«, also gesellschaftlicher und politischer
Entwicklung im Auge hatte, konzentrierte er sich darauf, die Gestaltungsprinzipien
zu analysieren und die Autonomie ihrer Entwicklung zu behaupten. Er berief sich
dabei auf Gedanken  Frankls wie auch  Schmarsows und  Pinders. Renais-
Kaufmann 225

sance- und Barockarchitektur bildeten für ihn, abweichend von anderen Forschern,
eine prinzipielle Einheit; er bestritt die Existenz eines manieristischen Stils, die
 Wittkower und andere in den 1920er und 1930er Jahren nachzuweisen suchten.
Der Manierismus sei nur eine Negation der Renaissance gewesen, und aus einer
solchen könne kein selbständiger Stil entstehen. Ebenso lehnte er den Stilbegriff
»Empire« ab. K. unterschied die auf Bildungstraditionen beruhende, daher seiner
Meinung nach »heteronome« Verwendung antikischer Formen in der Architektur
von dem gegen 1800 aufkommenden Streben nach reinen, stereometrischen For-
men. In diesem erblickte er ein neues Ethos, einen »Willen zur Norm, Wunsch nach
dem wahren Gesetz, nach der Wahrheit selber« (Klassizismus als Tendenz und als
Epoche, 1930–32). Über diese Krise der Baukunst um 1800 wollte er 1933 beim 13.
Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte in Stockholm referieren. Da er nicht
teilnehmen konnte, wurde nur sein Exposé gedruckt. In der Emigration, zu der er
als Jude 1938 nach der Okkupation Österreichs durch die Nazis gezwungen war,
erwuchs daraus ein Gesamtbild von der Architektur im Zeitalter der Vernunft, an
der ihn neben anderem die »großen Möglichkeiten der unausgewogenen Kompo-
sition« besonders faszinierten. Seither würde der Kampf für die Verwirklichung der
neuen Ideale von Form, Muster, Konfiguration geführt: »Sie hatten keine Chance,
jemals zu vollkommener Erfüllung zu gelangen« (Architecture in the Age of Reason,
1955). K. war 1940 in die USA gelangt, wo er abermals ohne feste Anstellung in
äußerst ärmlichen Verhältnissen leben mußte und nur mit gelegentlichen Förder-
mitteln der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft und dem Fulbright-
Committee unbeirrt seine Studien betrieb. Eine Ausgabe von Filaretes Trattato
dell’architettura (1460–64) blieb unvollendet. Auch eine englische Übersetzung des
Thieme-Beckerschen Künstlerlexikons gelangte nicht über erste Überlegungen
hinaus. Die Architecture in the Age of Reason, an der K. neun Jahre lang in der Biblio-
thek der Columbia University in New York gearbeitet hatte, und deren Vorwort
»Paris, Mai 1951« datiert ist, erschien erst nach seinem Tode, der ihn während einer
Fahrt nach Kalifornien ereilte. Zuvor hatte er Boullée, Ledoux und Lequeu in Three
Revolutionary Architects (1952) gesondert behandelt. Gegen seine Ansicht und Me-
thode wurde eingewandt, daß er Vorstufen der neuen Architekturauffassung unter-
schätze, die Chronologie zu wenig beachte und nicht genügend mit anderen Bau-
künstlern vergleiche. Die »Revolutionsarchitekten« hätten – im Unterschied zur
frühen englischen Industriearchitektur – keinen Einfluß auf die ins 20. Jahrhundert
führende Entwicklung gehabt (Fiske Kimball). Die Kategorien »heteronom« und
»autonom« hatte Meyer Schapiro schon zuvor als inadäquat verworfen. K. habe bei
seiner Konzentration auf reine Formen die Rolle mißachtet, die das Bildhafte auch
in der modernen Architektur spiele. Die Beschäftigung mit der französischen »Re-
volutionsarchitektur« nahm seit den 1960er Jahren in Auseinandersetzung mit K.s
zugespitzten und teilweise allzu »formalistischen« Interpretationen oder auch ihrer
Ignorierung einen großen Aufschwung. Als die zuerst in den USA gezeigte, dann
erweiterte Ausstellung »Revolutionsarchitektur. Boullée, Ledoux, Lequeu« 1970–71
nach Baden-Baden, Hamburg, München, Düsseldorf und Berlin (West) kam, ver-
merkte der Katalog, daß eine deutsche Ausgabe von K.s 1963 auch französisch er-
schienenem »Basiswerk« von 1955 immer noch ausstehe.
226 Kaufmann

Werke: Die Architekturtheorie der französi- 3, 431–564, Phi 1952; Taliesin Drawings. Re-
schen Klassik und des Klassizismus, in: RfKw, cent Architecture of Frank Lloyd Wright, NY
44, 1923, 197–237; Architektonische Entwürfe 1952; Piranesi, Algarotti, Lodoli. A Contro-
aus der Zeit der Französischen Revolution, versy in 18th-Century Venice, in: GBA, 97,
in: ZfbK, 63 (39), 1929/30, 38–46; Klassizis- 1955, 21–28; Architecture in the Age of Rea-
mus als Tendenz und als Epoche, in: KBLit, son. Baroque and Post-Baroque in England,
3/4, 1930/1932, 201–214; Die Stadt des Archi- Italy, and France, Cam/MA 1955; Frank Lloyd
tekten Ledoux. Zur Erkenntnis der Autono- Wright. Writings and Buildings (mit B. Rae-
men Architektur, in: KF, 2, 1933, 131–160;Von burn), NY 1960
Ledoux bis Le Corbusier. Ursprung und Ent- Literatur: Hoeltje, Georg: Rez. von »Von
wicklung der Autonomen Architektur, Wien Ledoux bis Le Corbusier«, in: DLZ, 56, 1935,
1933 (Nd. 1985); Die Krise der Baukunst um 1696–1701; Schapiro, Meyer: Rez. von »Die
1800 (Französische Revolutionsarchitektur), Stadt des Architekten Ledoux«, in: ArtB, 18,
in: ACISt, 2, 184–186; Claude-Nicholas Le- 1936, 265–266; Grote van Derpool, James:
doux. The Inauguration of a New Architec- E.K., in: JSAH, 12, 1953, 3, S. 32; Horn-Onk-
tural System, in: JSAH, 3, 1943, Nr. 3; At an ken, Alste: Rez. von »Three Revolutionary
Eighteenth Century Crossroads. Algarotti Architects«, in: KChr, 6, 1953, 163–166; Kim-
versus Lodoli, in: ebd., 4, 1944, 23–29; Rez. ball, Fiske: dass., in: ArtB, 36, 1954, S. 77; Scha-
von Marcel Hubert Raval, Claude-Nicholas piro, Meyer: E.K., in: CArtJ, 13, 1954, S. 144;
Ledoux (1948), in: ArtB, 30, 1948, 288–291; Whiffen, Marcus: Rez. von »Architecture in
Jean-Jacques Lequeu, in: ArtB, 31, 1949, 130– the Age of Reason«, in: JSAH, 15, 1956, 4,
135; Three Revolutionary Architects. Boullée, 30–31; Wendland 1999, 360–362
Ledoux, and Lequeu, in: Transactions of the PHF
American Philosophical Society, N.S., 42, H.

Kautzsch, Rudolf
Geb. 5. 12. 1868 in Leipzig; gest. 26. 4. 1945 in Berlin

Neben  Gall,  Pinder und  Jantzen gehörte K. zu den führenden Historikern


der deutschen Architektur des Mittelalters in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts;
besonders verdient gemacht hat er sich um die großen Kaiserdome am Rhein, die
in den 1920er und 1930er Jahren ein prominentes Thema in der deutschen Kunst-
geschichtsforschung waren. Sein Hauptwerk Kapitellstudien (1936) stellte einen
wegweisenden Beitrag zur Kunstgeschichte der Spätantike dar; es beschrieb, in ent-
schiedener Opposition zum traditionellen Romzentrismus, die Entwicklung des
korinthischen Kapitells zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert im Nahen Osten und
der Türkei. Charakteristisch für K.s Arbeiten ist eine formalanalytisch-entwick-
lungsgeschichtliche Betrachtungsweise, die einen Stilwechsel nicht als scharfe Zäsur,
sondern als allmählichen Übergangsprozeß auffaßt. Einen besonderen Akzent legte
er auf die äußere Gestalt des Kunstwerkes, so daß die geistige Haltung des Künstlers
und seiner Zeit nur am Rande Beachtung fanden.
K. studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Philologie an den Universitäten
Halle, Freiburg i.Br., Berlin und zuletzt Leipzig, wo er 1894 promovierte und an-
schließend als Assistent arbeitete; 1898–1903 leitete er das Leipziger Buchgewerbe-
museum. An der Universität Halle lehrte K. seit 1896 als Privatdozent und seit 1903
als erster a.o. Professor für Kunstgeschichte. Noch im gleichen Jahr folgte er einem
Ruf als o. Professor an die Technische Hochschule Darmstadt. 1911 wechselte er
nach Breslau und 1915 nach Frankfurt/Main, wo er bis zu seiner Emeritierung 1930
Kautzsch 227

als Lehrstuhlinhaber tätig war. Auf Vorschlag  Warburgs hatte er 1912 auf dem
internationalen Kunsthistorikerkongreß in Rom den Vorsitz geführt.
Nach der mustergültigen Beschreibung des Mainzer Doms von Friedrich
Schneider (1836–1907) aus dem Jahr 1886 bot K. mit seiner Arbeit Der Mainzer Dom
und seine Denkmäler (1925) einen neuen Ansatz, indem er die Hauptetappen der
Baugeschichte, die Gestalt und Ausdehnung des ottonischen Vorgängers und den
umfassenden Neubau der Salierzeit mit der allgemeinen Kunstgeschichte verknüpfte
und anhand von ausgewählten Beispielen die Mainzer Plastik von der karolingi-
schen Zeit bis zum Klassizismus in ihren Hauptlinien mitbehandelte. In der reichen
Bauornamentik und gewissen Gliederungselementen fand er wie schon am Dom
von Speyer aus Oberitalien importiertes Formengut wieder. Anders als  Weigert
(Die Kaiserdome am Mittelrhein. Speyer, Mainz und Worms, 1933), der in Kapitellfor-
men, Gliederungssystemen und Grundrißformen »Regungen spezifisch deutschen
Geistes« zu entdecken glaubte, ging es K. nicht darum, den Mainzer Dom einer
spezifischen nationalen Kultur zuzuschreiben. Bei der Plastik des Doms, die mit den
beiden Westportalen und dem Westlettner zwischen 1235 und 1239 ihren künstleri-
schen Höhepunkt erreicht habe, erkannte K. mannigfaltige stilistische Einflüsse aus
Bamberg, Naumburg und Reims.
Nachdem zum korinthischen Kapitell in den 1920er Jahren mehrere Einzelun-
tersuchungen (Edmund Weigand, Margarete Gütschow, Konstantin Ronczewski)
erschienen waren, veröffentlichte K. nach ausgedehnten Reisen durch Griechen-
land, Kleinasien, Syrien, Ägypten und Italien 1936 mit seinen Kapitellstudien eine Art
Handbuch, nach den Landschaften geordnet, in denen das korinthische Kapitell in
der Spätantike verbreitet gewesen war: Salona, Alexandria, Kairo, Konstantinopel,
Jerusalem. Jüngere Kapitelltypen behandelte er morphologisch nach ihren unter-
schiedlichen Blattformen. Aufgrund der großen Datierungsschwierigkeiten ordnete
K. die Kapitelle in entwicklungsgeschichtlichen Reihen und stellte dabei eine auf-
fällige Verwandtschaft zwischen einzelnen Gruppen fest, was ihm Beweis für einen
dauernden Kontakt und Austausch der Werkstätten untereinander war. An die Stelle
der organisch-plastischen Komposition sei im Laufe der Jahrhunderte das tektonisch
einfache Kämpferkapitell getreten, als dessen Ursache K. nicht nur statische Erwä-
gungen, sondern einen Wandel des künstlerischen Empfindens annahm. K. focht
mit ebensolcher Leidenschaft wie  Strzygowski für die Überlegenheit der östli-
chen, besonders der byzantinischen Kunst gegenüber der westlichen und ging mit
seinem Wiener Kollegen – trotz mancher Unterschiede – darin konform, daß die
abendländische Entwicklung weniger schöpferische Leistungen als der Osten her-
vorgebracht habe. Die in Rom während der Spätantike verbauten Kapitelle seien
entweder überlieferte oder byzantinische Typen, Import aus dem Osten oder Er-
zeugnisse eingewanderter Werkstätten. Während sich Bildnerei, Malerei und Mosaik
noch auf einem gewissen Niveau hielten, sah K. die Baudekoration im 4. Jahrhun-
dert langsam verkümmern; so seien für St. Peter und S. Paolo fuori le mura keine
neuen Kapitelltypen geschaffen worden. Ferner vertrat K. die These, daß das in
Rom überreich vorhandene antike Erbe die Architekten der frühchristlichen Basi-
liken der Notwendigkeit enthoben hätte, neue Wege zu gehen, daß sie aus »Spolien
zusammengesetzte Werke aus zweiter Hand« hinterlassen hätten.
228 Kautzsch

Werke: Einleitende Erörterungen zu einer oberrheinischen Baukunst im 12. Jh., FrB


Geschichte der deutschen Handschriftenillu- 1927; Mittelalter- und Renaissance-Baukunst
stration im späteren Mittelalter, Str 1894; im Elsaß. Reiseaufnahmen eines Architekten,
Diebolt Lauber und seine Werkstatt in Hage- Frf 1929; Wandlungen in der Schrift und in
nau, Lpz 1895; Die Handschriften von Ulrich der Kunst, Mainz 1929; Das frühchristliche
Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, Kapitell im Osten, in: MKhIF, 4, 1932–34,
Hei 1895; Die Holzschnitte der Kölner Bibel 252–253; Der Meister des Westchors am Dom
von 1479, Str 1896; Notiz über einige elsässi- zu Worms, in: ZDVKw, 1, 1934, 2–15; Kapi-
sche Bildhandschriften aus dem ersten Viertel tellstudien. Beiträge zu einer Geschichte des
des 15. Jh.s, o.O. 1896; Planetendarstellungen spätantiken Kapitells im Osten vom 4. bis ins
aus dem Jahre 1445, in: RfKw, 20, 1897, 32–40; 7. Jh., Bln 1936; Rez. von Joseph Gantner,
Die neue Buchkunst im In- und Ausland, Kunstgeschichte der Schweiz, Bd. 1, (1936),
Wei 1902; Die Holzschnitte zum Ritter vom in: ZfKg, 6, 1937, 337–339; Der Dom zu
Turn, Str 1903; Die deutsche Illustration, Lpz Worms, Bln 1938; Die römische Schmuck-
1904; Die bildende Kunst und das Jenseits, kunst in Stein vom 6.–10. Jh., in: RJbKg,
Jena 1905; Ein Beitrag zur Geschichte der 1939, 3–73; Die langobardische Schmuck-
deutschen Malerei in der ersten Hälfte des 14. kunst in Oberitalien, in: RJbKg, 5, 1941, 1–48;
Jh.s, in: FS August Schmarsow, Lpz 1907, 73– Kämpfer und Kapitell der Krypta zu Unter-
94; Der Begriff der Entwicklung in der regenbach, in: MarJb, 1944, 85–92; Die gro-
Kunstgeschichte, Frf 1917; Antwort auf Émile ßen Erzähler in der deutschen Plastik des
Mâle, in: Otto Grautoff (Hrsg.), Émile Mâle. Mittelalters, in: FS Otto Schmitt, Stg 1950,
Studien über die deutsche Kunst. Mit Ent- 9–42
gegnungen v. Paul Clemen, Kurt Gersten- Literatur: Clemen, Paul: Rez. von »Diebolt
berg, Adolf Götze, Cornelius Gurlitt, Arthur Lauber und seine Werkstatt in Hagenau«, in:
Haseloff, R.K., Heinrich Alfred Schmid, Josef RfKw, 18, 1895, 445–448; Hoeber, Fritz: Rez.
Strzygowski, Geza Supka, Oskar Wulff, Lpz von »Der Begriff der Entwicklung in der
1917, 97–102; Der Dom zu Mainz (mit Ernst Kunstgeschichte«, in: ebd., 41, 1919, 186–189;
Neeb), Da 1919; Die Kunstdenkmäler in Noack, Werner: Rez. von »Der Dom zu
Wimpfen am Neckar, Wimpfen 1920; Die Mainz«, in: ebd., 43, 1922, 328–331; Giese,
bildende Kunst der Gegenwart und die Kunst Leopold: Rez. von »Der Mainzer Dom und
der sinkenden Antike. Eine Parallele, Frf 1920; seine Denkmäler«, in: ZfbK (Beilage), 60 (36),
Der Dom zu Speyer, in: StJb, 1921, 75–108; 1926/1927, 6–8; Giesau, Hermann: Rez. von
Die Entstehung der Frakturschrift, Mainz »Romanische Kirchen im Elsaß«, in: Ober-
1922; Die romanischen Dome am Rhein, Lpz rheinische Kunst, 2, 1926/27, 27–33; Schlunk,
1922; Frankreich und der Rhein. Beiträge zur Helmut: Rez. von »Kapitellstudien«, in: ZfKg,
Geschichte und geistigen Kultur des Rhein- 6, 1937, 381–388; Weigand, Edmund: dass.,
landes, Frf 1925; Der Mainzer Dom und seine in: DLZ, 59, 1938, 1026–1033; Krautheimer,
Denkmäler, 2 Bde., Frf 1925; Die bildende Richard: dass., in: ArtB, 21, 1939, 403–408;
Kunst der Gegenwart und die Kunst der sin- Scharfe, Siegfried: Rez. von »Der romanische
kenden Antike, in: Belvedere, 9, 1926, 1–14; Kirchenbau im Elsaß«, in: ZfK, 2, 1948, 268–
Der Meister der Ostteile des Doms zu Worms, 269; Meyer, Jean-Philippe: R. K. et l’architec-
in: StJb, 1926, 99–114; Die ältesten deutschen ture romane de l’Alsace, in: Revue d’Alsace,
Kreuzrippengewölbe, in: FS Paul Clemen, 131, 2005, 379–399
Bonn 1926, 304–308; Romanische Kirchen CF
im Elsaß. Ein Beitrag zur Geschichte der

Keller, Harald
Geb. 24. 6. 1903 in Kassel; gest. 5. 11. 1989 in Frankfurt/Main

Die in ihren Anfängen bis auf  Winckelmann zurückreichende Kunstgeographie


– eine kunstwissenschaftliche Denkweise, die von einer territorialen Prägung des
künstlerischen Schaffens ausgeht – fand im 20. Jahrhundert in K. einen ihrer bedeu-
Keller 229

tendsten Vertreter. In seiner umfangreichen Arbeit über die italienischen Kunstland-


schaften von 1960 unternahm er den Versuch, die Regionen des Landes als Kunst-
räume mit einem konstanten individuellen Charakter zu definieren und aus den
landschaftlichen Gegegebenheiten kunstgeschichtliche Tatsachen abzuleiten. Er
hielt es aus dieser Sicht für zwangsläufig, daß die Frührenaissance in der Toskana, die
Hochrenaissance dagegen in Rom entstand. Umbrien schien ihm für den Zentral-
bau prädestiniert, und nur in Venedig hätte sich ein Tizian entfalten können. K.
betrachtete die Kunstgeographie jedoch als eine die Kunstgeschichte nur unterstüt-
zende, nicht sie beherrschende Methode und handhabte sie mit Bedacht, wohl
wissend, daß gesellschaftliche Faktoren die Kunstproduktion nicht weniger bestim-
men als lokale Traditionen.
K.s Forschungsgebiet umfaßte deutsche, italienische und französische Kunstge-
schichte vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Er war einer von jenen Kunsthi-
storikern, die Leben und Forschen nicht trennen und auch über das Fach hinaus
wirken wollen. Von K.s Schriften richten sich nicht wenige an ein breiteres Publi-
kum, wie die Beiträge zum Kunstbrief (Der Engelspfeiler im Straßburger Münster, 1947),
zu den Blauen Büchern (Michelangelo, 1966), der Umbrien-Bildband (1959) und die
Bücher zur Renaissance und zum 18. Jahrhundert (1969, 1971) belegen.
Nach Schulbesuch in Kassel studierte K. 1923–29 Kunstgeschichte, Philologie,
Geschichte und Archäologie in Leipzig, Heidelberg und München. Anschließend
promovierte er zu einem von  Pinder angeregten Thema, mit dem er – anknüp-
fend an  Wölfflin,  Panofsky und  Hetzer – einen wertvollen Beitrag zu der
noch jungen Barockforschung leistete (Das Treppenhaus im deutschen Schloß- und
Klosterbau des Barock, 1929). K. untersuchte als erster eine »Raumform« der deut-
schen Architektur zwischen 1690 und 1750, fand bestimmte Grundtypen heraus,
teilte ihre Stilgeschichte in eine »tektonisch-plastische« und eine »dynamisch-opti-
sche« Phase und erklärte die große Bedeutung der Binnentreppe für den Barock
sowohl stilistisch aus dessen immanentem Bewegungsdrang als auch soziologisch
aus repräsentativen Bedürfnissen der feudalabsolutistischen Gesellschaft.
Nach kurzer Tätigkeit 1929/30 als Assistent von  Heise am Lübecker Sankt
Annen-Museum wechselte K. 1930 an die Bibliotheca Hertziana in Rom, wo er
zunächst als Stipendiat, später als Assistent bis 1935 arbeitete. In den Mittelpunkt
traten italienische Themen, zunächst die toskanische Plastik an der Wende vom
Mittelalter zur Frührenaissance. 1935 habilitierte sich K. bei  Jantzen in Frankfurt/
Main über Giovanni Pisano, dessen Werk bis dahin nur partiell untersucht worden
war. K. hielt den Künstler für den zentralen Vermittler zwischen der französisch-
gotischen Kathedralplastik und dem in der spätbyzantinischen Kunst aufbewahrten
antiken Erbe; er habe die toskanische Plastik aus der Enge der spätromanischen
Lokalschulen zu europäischer Geltung geführt. Sowohl Giovanni Pisano als auch
sein Vater Niccolò hätten die mittelalterliche Werkstatt verlassen und Kunstwerke
im »ästhetischen Sinne« geschaffen (Giovanni Pisano, 1942).
Seine Tätigkeit als Privatdozent für mittelalterliche und neuere Kunstgeschichte
an der Universität München seit 1937 unterbrachen Militärdienst und Krieg. 1947
wurde K. zum Ordinarius für Kunstgeschichte nach Frankfurt/Main berufen. Über
seine Emeritierung 1971 hinaus wirkte er dort noch mehrere Jahre als akademischer
Lehrer.
230 Keller

Aus der facettenreichen Forschungstätigkeit der Frankfurter Jahre treten die bei-
den Bücher über die Kunstlandschaften Italiens und Frankreichs hervor (1960,
1963). Vorausgegangen war der disziplingeschichtlich wichtige Beitrag Kunstge-
schichte und Milieutheorie (1950), in dem K. seinen Standpunkt zu bestimmen suchte.
Der Begriff »Kunstlandschaft« beruhte auf der für ihn offensichtlichen Tatsache, daß
sowohl die physische Beschaffenheit als auch der ethnische Charakter der Bevölke-
rung einer Region – für K. keine »rassische«, sondern eine »soziale« Tatsache – im
Kunstschaffen Niederschlag findet, allerdings auf eine sich historisch wandelnde
Weise und meist von zentralen wirtschaftlichen und politischen Triebkräften über-
lagert. Die Geltung der Kunstgeographie beschränkte sich für K. im wesentlichen
auf die mittelalterliche Kunstgeschichte, als einzelne Territorien noch eine stärkere
Rolle spielten als in späterer Zeit. Nirgendwo schien ihm der Zusammenhang zwi-
schen Kunst und Landschaft aufgrund einer einzigartigen Oberflächengestalt so
offensichtlich und zum Verständnis kunstgeschichtlicher Vorgänge so unerläßlich zu
sein wie auf der italienischen Halbinsel. Auf das schon im 13. Jahrhundert dem
Zentralstaat zustrebende Frankreich angewendet, erwies sich diese Methode als
weniger fruchtbar. Die sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte immer mehr auf
Paris und Versailles konzentrierende Kunstproduktion führte nach K.s Auffassung
zu einer Verarmung, zu einer »schmerzlichen Spannung zwischen der offiziösen
Hofkunst und der privaten Schaffenssphäre der Genies und der großen Talente«.
In seinen letzten Lebensjahren wandte sich K. noch einem ganz neuen Thema zu:
Seit 1986 hielt er Vorlesungen über die französischen Impressionisten und schrieb
ein erst posthum erschienenes Buch, mit dem er anknüpfend an die Arbeiten John
Rewalds einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Entstehung und Auflösung
dieser Künstlergruppe und ihres neuen Stils sowie zum Verständnis der »drei Gro-
ßen« Degas, Renoir und Monet leistete, die den Impressionismus lange überlebten
und, wie der greise K. anmerkt, die »Bitterkeit« des Alters erfahren mussten.
Werke: Das Treppenhaus im deutschen kräfte in der abendländischen Geistesge-
Schloß- und Klosterbau des Barock, Mü 1929 schichte. Denk- und Erinnerungsgabe an
(erw. Ausg. 1936); Der Bildhauer Arnolfo di Walter Goetz, Mar 1948, 49–124; Kunstge-
Cambio und seine Werkstatt, in: JbPK, 1934, schichte und Milieutheorie, in: FS Carl Ge-
205–228 u. 1935, 22–43; Die Wandgemälde org Heise, Bln 1950, 31–54; Bamberg, Bln/
des Fritzlarer Domes und sein Umkreis, in: Jb. Mü 1950; Zur Entstehung der sakralen Volks-
d. Denkmalpflege im Regierungsbezirk Kas- skulptur in der ottonischen Zeit, in: FS Hans
sel, 1936, 53–66; Die Bauplastik des Sieneser Jantzen, Bln 1951, 71–91; Zur Entstehung der
Doms. Studien zu Giovanni Pisano und sei- Reliquienbüste aus Holz, in: FS Hans Kauff-
ner künstlerischen Nachfolge, in: KJbBH, mann, Bln 1956, 71–80; Salzburg, Bln/Mü
1937, 141–221; Die Risse der Orvietaner 1956; Bildhauerzeichnungen Pisanellos, in: FS
Domopera und die Anfänge der Bildhauer- Kurt Bauch, Mü 1957, 139–152; Rez. von
zeichnung, in: FS Wilhelm Pinder, Lpz 1938, Hans Sedlmayr, J.B. Fischer von Erlach (1956),
195–222; Die Entstehung des Bildnisses am in: KChr, 10, 1957, 188–192; Rückblick auf
Ende des Hochmittelalters, in: RJbKg, 1939, das Fischer von Erlach-Jahr, in: KChr, 10,
227–354; Das Geschichtsbewußtsein des 1957, 188–192;Veit Stoß. Der Bamberger Ma-
deutschen Humanismus und die bildende rien-Altar, Stg 1959; Umbrien. Landschaft
Kunst, in: HJbGG, 1940, 644–684; Giovanni und Kunst, Wien/Mü 1959 (engl. 1961); Die
Pisano, Wien 1942; Der Engelspfeiler im Kunstlandschaften Italiens, Mü 1960; Ein frü-
Straßburger Münster, Bln 1947; Oberbayeri- her Entwurf des Pietro da Cortona für SS.
sche Stadtbaukunst des 13. Jh.s, in: Lebens- Martina e Luca in Rom, in: Miscellanea Bi-
Keller 231

bliothecae Hertzianae (Röm. Forschungen FrB/Basel/Wien 1970; Die Kunst des 18. Jh.s,
der Bibliotheca Hertziana, Bd. 16), Mü 1961, Bln 1971; Michelangelo. Leben und Werk in
375–384; Ein neues Bildnis Karls des Küh- Daten und Bildern, Frf 1975; Michelangelo.
nen?, in: FS Paul Kirn, Bln 1961, 245–254; Bildhauer, Maler, Architekt, Frf 1976; Die ost-
Edgar Degas. Die Familie Bellelli, Stg 1962; deutsche Kolonialstadt des 13. Jh.s und ihre
Venezianische Renaissance, Bln/Da/Wien südländischen Vorbilder, Wb 1979; Zur Ent-
1962; Die Kunstlandschaften Frankreichs, Wb stehung der barocken Prunktreppe, in: Kunst
1963; Deutsches Rokoko. Epochen und For- in Hessen und am Mittelrhein, 22, 1982, 87–
men, Gö 1963; Zur inneren Eingangswand 91; Das alte Europa. Die hohe Kunst der
der Kathedrale von Reims, in: Gedenkschrift Stadtvedute, Stg 1983; Römische Brunnen,
Ernst Gall, Bln 1965, 235–254; Michelangelo. Dortmund 1984; Blick vom Monte Cavo.
Gemälde, KöT 1966; Michelangelo. Plastik, Kleine Schriften, Frf 1984; Dresden in den
Architektur, KöT 1966; Das Stadtbild von Ansichten von Canaletto, Dortmund 1985;
Florenz im Zeitalter Dantes, in: Dante Ali- Französische Impressionisten, Frf/Lpz 1993
ghieri, Würzburg 1966, 135–167; Italien und Literatur: FS H.K. zum 60. Geburtstag,
die Welt der höfischen Gotik, Wb 1967; Ent- Da 1963; Fuhrmeister, Christian: Optionen,
stehung und Blütezeit des Freundschaftsbil- Kompromisse und Karrieren. Überlegungen
des, in: Essays presented to Rudolf Wittkower, zu den Münchener Privatdozenten Hans
Bd. 2, Lo 1967, 161–173; The Renaissance in Gerhard Evers, H.K. und Oskar Schürer, in:
Italy. Painting, Sculpture, Architecture, NY KgNS 2005, 219–242
1969; Das Nachleben des antiken Bildnisses PB
von der Karolingerzeit bis zur Gegenwart,

Kinkel, Gottfried
Geb. 11. 8. 1815 in Oberkassel (heute Bonn); gest. 13. 11. 1882 in Unterstraß (Schweiz)

Die schillernde Gestalt des Predigers, Dichters, Politikers und Kunstschriftstellers K.


ist in gewisser Weise typisch für die Frühphase der Disziplingeschichte. Seine Fix-
punkte waren  Kugler und  Schnaase; ihm ging es aber nicht um ein »register-
mäßiges« Erfassen kunsthistorischer Tatsachen, auch wollte er nicht über den
Kunstprozeß philosophieren, sondern eine »allgemein verständliche Sprache« spre-
chen und mit einer »gefälligen Darstellung gebildete Deutsche auf historischem
Wege zur Freude an der Kunst führen«. K.s Leistung lag daher weniger auf dem
Feld der Forschung als dem der Lehre und Publizistik. Dennoch machte er sich um
die Ikonographie verdient, zu der ihn seine theologischen Studien geführt hatten:
»Wenn man immer bloß meldet, wer gemalt hat und wie gemalt worden ist, so
bleibt die Kunstgeschichte einseitig; ihr Zusammenhang mit dem Leben, ihr kultur-
historischer Hintergrund kann nur dann aufgehellt werden, wenn wir auch zusehen,
was gemalt worden ist, und zu welcher Zeit bestimmte neue Gegenstände in die
Malerei eingedrungen sind«.
Der Sohn eines Pastors studierte 1831–36 evangelische Theologie in Bonn und
Berlin, unternahm 1837/38 eine Reise nach Frankreich und Italien und wurde an-
schließend Dozent an der theologischen Fakultät in Bonn; daneben war er als
Religionslehrer und Hilfsprediger tätig. Durch seine Heirat mit der geschiedenen
Katholikin Johanna Mathieux 1843 und deren Übertritt zum Protestantismus An-
feindungen und gesellschaftlicher Isolation ausgesetzt, wandte sich K. von der
Theologie ab und habilitierte sich 1845 ein zweitesmal an der philosophischen Fa-
232 Kinkel

kultät, die ihn 1846 zum a.o. Professor für die »Fächer der neueren Kunst, Literatur
und Kulturgeschichte« ernannte.
K. versuchte Theologie und Kunstgeschichte miteinander zu verbinden; eine
besondere Vermittlerrolle spielte für ihn dabei die Kirchengeschichte. In seiner Ge-
schichte der bildenden Kunst bei den christlichen Völkern vom Anfange unserer Zeitrechnung
bis auf die Gegenwart (1845) thematisierte K. die kulturhistorische Bedeutung des
Christentums, das er neben dem antiken Mythos für die »kunstfähigste Religion«
hielt. Es habe durch das »phantastische Element« die Ausdrucksmöglichkeiten der
Kunst erweitert und durch die Hochschätzung des Individuums der Genremalerei
den Boden bereitet. K.s Arbeit blieb unvollendet; behandelt wurde nur das erste
Jahrtausend. Am überzeugendsten gelangen ihm jene Passagen, in denen er aus ei-
gener Anschauung über die christliche Kunst Roms oder des Rheingebietes spre-
chen konnte.  Burckhardt, der während seines Bonner Semesters 1841 zu K.s
Freundeskreis und dessen »Maikäferbund« gehört hatte, rezensierte die erste Liefe-
rung von K.s Text 1845 in der Kölnischen Zeitung. Als Ziel des Verfassers würdigte er
die »möglichste Anschaulichkeit der kunstgeschichtlichen Entwicklungen, vermit-
tels beständiger Hinweisungen auf die Kultur- und Kirchengeschichte«; es sei jenem
gelungen, »sowohl das Trockene einer notizenhaften Behandlung [...] als das einsei-
tig Spekulative der ästhetischen völlig zu vermeiden«.
Zunächst schien es, als hätte K. in der akademischen Lehre die ihm adäquate
Lebensaufgabe gefunden. Die Revolution von 1848 bewirkte jedoch, daß er sein
Betätigungsfeld mehr auf die politische Publizistik verlagerte; unter seiner Redak-
tion profilierte sich die Bonner Zeitung zu einem revolutionären Presseorgan. Wie
viele Gebildete seiner Zeit schloß sich K. dem liberalen Lager an, wurde 1848 in die
preußische Zweite Kammer gewählt und beteiligte sich am badisch-pfälzischen
Aufstand. Er wurde gefangengenommen und zu lebenslanger Festungshaft verur-
teilt, die der König jedoch zu einer Zuchthausstrafe milderte. Mit Hilfe seines
Freundes Carl Schurz konnte K. 1850 auf abenteuerliche Weise nach England ent-
kommen.
Während seines 16jährigen Exils verdiente K. seinen Lebensunterhalt hauptsäch-
lich durch Unterrichts- und Vortragstätigkeit. Die britische Regierung beauftragte
ihn 1861, Vorträge über ältere und neuere Kunstgeschichte im South Kensington
Museum und im Kristallpalast zu halten. Weitere Vortragsreihen organisierte K. in
dem 1864 von ihm mitbegründeten Verein für Wissenschaft und Kunst. Zudem
unterrichtete er als Dozent für deutsche Sprache und Literatur am Hyde Park Col-
lege.
Erst in seinem dritten Lebensabschnitt, den 1866 ein Ruf an das Eidgenössische
Polytechnikum Zürich einleitete, konnte sich K. vollends der Kunstgeschichte wid-
men. Er gründete ein Kupferstichkabinett und war neben seiner Lehrtätigkeit –
zeitweise auch an der Universität Zürich – wieder rastlos als Vortragsreisender un-
terwegs; er wurde wohlhabend. Beim ersten kunstwissenschaftlichen Kongreß 1873
in Wien war er unter den Rednern.
Sein Mosaik zur Kunstgeschichte (1876) vereinigte so unterschiedliche Themen wie
Stonehenge, die Hagia Sophia in Konstantinopel, das Mausoleum von Halikarnassos
und den Kupferstecher Wenzel Hollar. In den beiden Essays über die Gerechtig-
Kinkel 233

keitsbilder des Rogier van der Weyden und über bemalte Möbel in Italien und
Deutschland zeigte K., daß es in der Vergangenheit möglich gewesen war, auch
massenhaft hergestellten Gebrauchsgegenständen künstlerische Qualität zu verlei-
hen. K.s besonderes Interesse für reproduzierbare Kunst und seine Absicht, »das
Auftreten des Sozialismus« in der Genremalerei des 16. Jahrhunderts nachzuweisen,
deuten darauf hin, daß sein Verständnis von Kunstgeschichte von einem sozialen
und politischen Weltbild geprägt war. Eine Wissenschaft um ihrer selbst willen war
dem auf Breitenwirkung bedachten K. fast ein Greuel. Überzeugt davon, daß der
Ursprung aller Kunst in einem geistigen Bedürfnis liege, begriff er den Fortschritt
der Kunst in untrennbarer Abhängigkeit vom allgemeinen Fortschritt der Mensch-
heit.
Werke: Geschichte der bildenden Künste bei stand des Fortschrittlichen Vereins Waldeck,
den christlichen Völkern vom Anfange unse- Bln 1883; Stern, Adolf: G.K., in: WMh, 10,
rer Zeitrechnung bis auf die Gegenwart, 1883, 22–36; Joesten, Joseph: G.K. Sein Leben,
Bonn 1845; Die Ahr. Landschaft, Geschichte Streben und Dichten für das deutsche Volk,
und Volksleben, Bonn 1845; Otto der Schütz, Köln 1904; Bollert, Martin: G.K.s Kämpfe um
Stg 1846; Weltschmerz und Rokoko, in: Dt. Beruf und Weltanschauung bis zur Revolu-
Monatsschrift f. Politik, Wissenschaft, Kunst tion, Bonn 1913; Enders, Carl (Hrsg.): G.K.
u. Leben, 7, 1850, 182–202; Nimrod, Ha 1857; im Kreise seiner Kölner Jugendfreunde, Bonn
Die Brüsseler Rathausbilder des Rogier van 1913; Stemplinger, Eduard: Nachromantiker
der Weyden, Zü 1867; Polens Auferstehung, (K., Redwitz, Roquette, Carrière, Boden-
Wien 1868; Gedichte, Stg 1868; Die Gemäl- stedt), Lpz 1938; Bebler, Emil: Conrad Ferdi-
degalerie in Darmstadt, Da 1870; Die Gipsab- nand Meyer und G.K., Zü 1949; Ennen,
güsse der Archäologischen Sammlung des Edith: Unveröffentlichte Jugendbriefe G.K.s
Polytechnikums Zürich, Zü 1871; Die Male- 1835–38, in: Bonner Geschichtsblätter, 9, 1955,
rei der Gegenwart, Basel 1871; Euripides und 37–121; Braubach, Max: Verzeichnis der Bei-
die bildende Kunst. Ein Beitrag zur griechi- träge G.K.s in der Bonner Zeitung und
schen Literatur- und Kunstgeschichte, Bln Neuen Bonner Zeitung, in: ders., Bonner
1871; Der Grobschmied von Antwerpen, Stg Professoren und Studenten in den Revoluti-
1872; Die italienischen Reisebücher von onsjahren, Köln 1967, 136–141; Schmidt,
Gsell-Fels. Nebst einigen Nachträgen zur Hans-Martin: G.K. und die Gemäldegalerie
Kunstgeschichte von Mailand, in: ZfbK, 8, in Darmstadt, in: Kunst in Hessen und am
1873, 50–57; Peter Paul Rubens, Basel 1874; Mittelrhein, 11, 1971, 107–114; Beyrodt, Wolf-
Mosaik zur Kunstgeschichte, Bln 1876; Ma- gang: G.K. als Kunsthistoriker. Darstellung
caulay. Sein Leben und sein Geschichtswerk, und Briefwechsel, Bonn 1979; Roesch-Son-
Basel 1879; Tanagra, Bschw 1883; Selbstbio- dermann, Hermann: G.K. als Ästhetiker, Poli-
graphie 1838–48, hrsg. v. Richard Sander, tiker und Dichter, Bonn 1982; Berg, Angelika:
Bonn 1931 G.K. Kunstgeschichte und soziales Engage-
Literatur: Strodtmann, Adolph: G.K., Wahr- ment, Bonn 1985; Cervelli, Innocenzo: »Vita
heit ohne Dichtung, 2 Bde., Hbg 1850/51; activa« e »vita contemplativa« nel XIV secolo.
Zimmermann, Wilhelm (Hrsg.): König und A proposito di G. K. e Jacob Burckhardt, in:
Dichter. Stimmen der Zeit. Ein K.-Album, Jacob Burckhardt. Storia della cultura, storia
Stg/Wildbach 1851; Henne am Rhyn, Otto: dell’arte, hrsg. v. Maurizio Ghelardi, Venedig
G.K. Ein Lebensbild, Zü 1883; G.K. Gedächt- 2002, 213–257
nisrede von Robert Schmeichel, hrsg. v. Vor- CF
234 Klotz

Klotz, Heinrich
Geb. 20. 3. 1935 in Worms; gest. 1. 6. 1999 in Karlsruhe

In seinen unvollendeten Lebenserinnerungen (Weitergegeben, 1999) gestand sich der


vielseitige Kunsthistoriker selbst ein, »schwer zu fassen« und »kaum auf eine The-
matik« festlegbar zu sein. K. war in der Tat kein »Faktengräber«, kein Spezialist,
sondern bewegte sich vom deutschen Mittelalter und der italienischen Renaissance
bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts auf vielen kunstgeschichtlichen Feldern, im-
mer auch die großen Zusammenhänge im Blick. Und er war »verwickelt«, kämpfte
für kunstpolitische und künstlerische Positionen, indem er nicht zuletzt zum
»Gründer« von inzwischen etablierten Bildungs-, Erziehungs- und Forschungsein-
richtungen wurde: dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/Main (1979)
sowie in Karlsruhe dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (1989), der
Hochschule für Gestaltung (1991) und dem Museum für Neue Kunst (1999).
K. studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie 1956–63 in Frank-
furt/Main, Freiburg i.Br. ( Bauch), Heidelberg ( Paatz) und Göttingen (Heinz
Rosemann) und promovierte 1963 mit einer Arbeit über die Stiftskirche St. Peter
und Paul in Wimpfen im Tal. Anschließend ging er mit einem Forschungsstipen-
dium an das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und das Kunsthistori-
sche Institut in Florenz. 1968 folgte in Göttingen die Habilitation über das Früh-
werk von Brunelleschi und 1969/70 eine Gastprofessur an der Yale University, wo
K. sein »Paulus-Erlebnis« hatte: Er begriff angesichts der postmodernen Bauten von
Robert Venturi und Charles Moore, daß es die »alten Helden« nicht mehr gab –
Mies van der Rohe und Walter Gropius starben beide 1969 – und die »durchgängige
Tradition der Moderne gebrochen war«.
Als der Angriff auf die Moderne Anfang der 1970er Jahre auf breiter Front ein-
setzte, leitete K. das kunsthistorische Institut in Marburg (1972–79), reorganisierte
und sanierte das berühmte Bildarchiv und las neben alter Architekturgeschichte
auch über Architektur und Kunst der Gegenwart. Disziplingeschichte gemacht hat
auch sein Seminar zur Marburger Altstadtsanierung, die nicht zuletzt durch diese
Einmischung von außen ein Erfolg wurde, weil sie alte Bausubstanz und neue Be-
dürfnisse zu verbinden suchte. Während dieser Zeit leitete K. zwei Symposien des
Internationalen Designzentrums in Berlin: Das Pathos des Funktionalismus (1974) und
Berlin – Alt und Neu (1975), an denen auch Architekten wie Aldo Rossi, Robert
Venturi, Denise Scott Brown, Charles Moore und Oswald M. Ungers teilnahmen
und die als erste bedeutende Manifestationen der Postmoderne gelten dürfen.
Ganz im Zeichen der Postmoderne stand das Wirken von K. als Gründungsdi-
rektor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt/Main (1979–89). Seine
erste Ausstellung (Die Revision der Moderne, 1984) demonstrierte an Modellen und
Zeichnungen die Postmoderne als dritten Weg zwischen einer konservativ gewor-
denen Moderne und einer »Fülle von Errungenschaften«, die noch immer gültig
schienen. Das Motto sollte hinfort lauten: »Nicht nur Funktion, sondern auch Fik-
tion!«
Gleichzeitig mit der Eröffnung des neuen Museums am Frankfurter Schaumain-
kai publizierte K. seine erste Monographie zur Architektur der Gegenwart, die eine
Klotz 235

gültige Definition der Postmoderne versucht und mit dieser abschließt; die zweite
große Arbeit zu diesem Thema zehn Jahre später konstatiert bereits eine neue Ent-
wicklungsphase, eine »Zweite Moderne«, die die fiktionale Distanz zum Leben
beibehalte, die aber gleichzeitig die »historischen und neo-figuralen Hilfskonstruk-
tionen« der Postmoderne überwinde und nach einer »neuen Abstraktion« strebe
(Kunst im 20. Jahrhundert. Moderne, Postmoderne, Zweite Moderne, 1994). Zu diesem
Zeitpunkt hatte K. die »Propaganda-Küche« der Postmoderne, wie das Frankfurter
Architekturmuseum gern von seinen Kritikern genannt wurde, bereits verlassen
und leitete seit 1989 als dessen erster Direktor das Zentrum für Kunst und Medien-
technologie in Karlsruhe, welches das Ziel verfolgte, die traditionellen Künste und
die neuen Medien in Theorie und Praxis zusammenzuführen.
Unter den letzten Arbeiten von K. befinden sich auch zwei gewichtige Bände zu
einer insgesamt dreiteiligen Geschichte der deutschen Kunst – Band 2 über Renais-
sance und Barock schrieb Martin Warnke –, die ihre Existenz nicht zuletzt der
Postmoderne verdanken: ihrer Rückgewinnung der Erinnerung und des »Regiona-
len«. K. gesteht der deutschen Kunstgeschichte – immer im Rahmen der europä-
ischen – ein eigenes Existenzrecht und eine eigene Schönheit zu; er erzählt sie
anhand von exemplarischen Werken unter Aufgabe der Gattungsgrenzen aus künst-
lerischer und historischer Sicht und setzt bewusst »wertende Akzente«. Die im
dritten Band behandelte Neuzeit von 1750 bis 2000, die für K. unausweichlich auf
die Moderne und den Abstraktionismus hinausläuft, scheint, je näher sie der Gegen-
wart kommt, zunehmend aus kunstkritischer, d. h. postmoderner Perspektive ge-
sehen. Bei einem solcherart aus aktuellen Interessen abgeleiteten Geschichtsbild
bleibt die Kunstgeschichte des Dritten Reiches und der DDR fast vollständig un-
beachtet.
Werke: Ein Bildwerk aus der Hütte des Gio- 1960–80, Bschw/Wb 1984; Revision der
vanni Pisano, in: JbBM, VII, 1965, 157–174; Moderne. Postmoderne Architektur 1960–80,
Deutsche und italienische Baukunst im Tre- Mü 1984 (AKat.); Vision der Moderne. Das
cento, in: MKhIF, XII, 1966, 171–206; Jacopo Prinzip Konstruktion, Mü 1986 (AKat.); Der
della Quercias »Zyklus der Vier Tempera- Hang zur Architektur in der Malerei der Ge-
mente« am Dom zu Lucca, in: JbBM, IX, genwart, Stg 1988 (mit Andrea Gleiniger);
1967, 81–99; Der Ostbau der Stiftskirche zu Mies van der Rohe, Stg 1987; Architektur des
Wimpfen im Tal. Zum Frühwerk des Erwin 20. Jh.s, Stg 1989; Anmerkungen zur architek-
von Steinbach, Mü 1967; L.B. Albertis »De re turgeschichtlichen Bedeutung des Domes
aedificatoria« in Theorie und Praxis, in: ZfKg, von Speyer, in: MarJb, 22, 1989, 9–14; Die
XXXII, 1969, 93–103; Die Frühwerke Bru- Postmoderne. Ein Epochenumbruch, in:
nelleschis und die mittelalterliche Tradition, Friedrich Möbius (Hrsg.), Stil und Epoche,
Bln 1970; Die röhrenden Hirsche der Archi- Dr 1989, 198–208; Filippo Brunelleschi, Stg
tektur. Kitsch in der modernen Baukunst, 1990; Postmoderne. Ende der Moderne?, in:
Luzern 1977; Gestaltung einer neuen Um- Beat Wyss (Hrsg.), Bildfälle, 1990, 170–181;
welt. Kritische Essays zur Architektur der Ge- Von der Urhütte zum Wolkenkratzer, Mü
genwart, Luzern/Frf 1978; Post-Moderne?, 1991; Zentrum für Kunst und Medientech-
in: Jb. für Architektur. Neues Bauen, 1980/81, nologie Karlsruhe, Kr 1992; Kunst im 20. Jh.
7–9; Florentiner Stadtpalast. Zum Verständnis Moderne, Postmoderne, Zweite Moderne,
einer Repräsentationsform, in: Friedrich Mö- Mü 1994; Anfang der Kunstgeschichte. Ein
bius/Ernst Schubert (Hrsg.), Architektur des Fach noch immer auf der Suche nach sich
Mittelalters, Wei 1983, 307–343; Die Neuen selbst, in: Anne-Marie Bonnet/Gabriele
Wilden in Berlin, Stg 1984; Moderne und Kopp-Schmidt (Hrsg.), Kunst ohne Ge-
Postmoderne. Architektur der Gegenwart schichte?, Mü 1995, 38–49; Eine neue Hoch-
236 Klotz

schule für neue Künste, Stg 1995; Architektur. »Der Ostbau der Stiftskirche Wimpfen im
Texte zur Geschichte, Theorie und Kritik des Tal«, in: KChr, 31, 1968, 268–271; Jonak, Ulf:
Bauens, Ostfildern-Ruit 1996 (Hrsg.); Die Rez. von »Moderne und Postmoderne. Ar-
Zweite Moderne. Eine Diagnose der Kunst chitektur der Gegenwart 1960–80«, in: Archi-
der Gegenwart, Mü 1996 (Hrsg.); Der Stil des these, 14, 1984, 64–65; Warnke, Martin: H.K.,
Neuen. Die europäische Renaissance, Stg in: Museumskunde, 64, 2/99, 109–110;Vögele,
1997; Die Entdeckung von Catal Höyük. Der Markus (Hrsg.): Für H.K., Kr 2000; Brenk,
archäologische Jahrhundertfund, Mü 1997; Beat: Rez. von »Geschichte der deutschen
Kunst der Gegenwart, Mü 1997; Geschichte Kunst«, Bd. 3, in: JKg, 5, 2001, 14–21; Terra
der deutschen Kunst. Bd. 1, Mittelalter 600– nostra – unsere Erde. Gewidmet H. K., dem
1400, Mü 1998; Fabrizio Plessi, Mainz 1998; Gründer des Deutschen Architektur-Muse-
Der Turm zu Babel, Bln 1999; Weitergegeben. ums, in: Architektur-Jb., 2001, 17–23; Feist,
Erinnerungen, Köln 1999; Architektur der Peter H.: Rezension von »Geschichte der
Zweiten Moderne, Stg 1999; Kunst im 20. deutschen Kunst«, Bd. 3, in: JKg, 6, 2002, 43–
Jh., Mü 1999; Geschichte der deutschen 48; Flagge, Ingeborg/Schneider, Romana
Kunst, Bd. 3, Neuzeit und Moderne, 1750– (Hrsg.): Revision der Postmoderne. In me-
2000, Mü 2000; Orte der Kunst in Deutsch- moriam H.K., Hbg 2004
land, Stg/Lpz 2001 PB
Literatur: Becksmann, Rüdiger: Rez. von

Kohlhaussen, Heinrich
Geb. 29. 5. 1894 in Rauisch-Holzhausen; gest. 25. 7. 1970 in Lorsch

K. gilt bis heute als einer der profunden Kenner des von der Fachdisziplin oft »mit
Überheblichkeit übergangenen« Kunsthandwerks. Er verstand darunter »alles von
Hand für einen bestimmten Gebrauchszweck geschaffene künstlerisch veredelte
Gerät«. Bedingt durch diese doppelte Funktion sei es in der Vergangenheit stets
enger mit dem realen Lebensprozeß der Menschen verbunden gewesen als die bil-
denden Künste, seit dem 19. Jahrhundert aber immer mehr auf »Inseln im Meere
einer kunstfremden Technifizierung« zurückgedrängt worden. In K. fand das Kunst-
handwerk einen beredten Anwalt, der durch die Erschließung dieser »Quelle ästhe-
tischen Vergnügens« vor allem für die Jugend das allgemeine Bedürfnis nach schöp-
ferischer manueller Arbeit zu fördern hoffte.
K. studierte seit 1914 zunächst in Marburg, dann in Berlin Kunstgeschichte,
wurde jedoch zum Kriegsdienst eingezogen und konnte erst ab 1918 wieder die
Universität besuchen. Er promovierte 1921 mit einer Arbeit über den Elisabeth-
schrein bei  Hamann in Marburg. Ab 1922 war er zunächst als wissenschaftlicher
Mitarbeiter, dann als Assistent von  Sauerlandt am Hamburger Museum für Kunst
und Gewerbe tätig, bis er 1933 zum Direktor der Kunstsammlungen der Stadt Bres-
lau berufen wurde. In den 1920er Jahren begann sich K. für die Formensprache von
mittelalterlichen Minnekästchen zu interessieren; er veröffentlichte Aufsätze und
1928 eine grundlegende Arbeit zu diesem Thema. Durch Verknüpfung mit der Min-
nelyrik suchte er diese bislang wenig beachteten Zeugnisse mittelalterlichen Kunst-
handwerks, die als Braut- und Hochzeitsgeschenke, als Freundschafts- und Liebes-
gaben weit verbreitet waren, in ihrem kulturellen Kontext, »im geistigen
Werdensprozeß«, zu beleuchten. Methodisch konzentrierte sich K. dabei im we-
Kohlhaussen 237

sentlichen auf Stilvergleiche, auf die Feststellung eines zeitbedingten Stilwillens, der
auf Goldschmiede- und Elfenbeinkunst, Kathedralplastik oder Bildteppiche jeweils
wechselnden Einfluß ausgeübt habe.
Als Quintessenz von K.s Nachdenken und Forschen über das Kunsthandwerk
kann der innerhalb der sechsteiligen Bruckmann-Kunstgeschichte (1949–58) er-
schienene Band über das deutsche Kunsthandwerk angesehen werden, die bedeu-
tendste Arbeit zu diesem Thema seit  Falkes bahnbrechender Leistung von 1888.
Gegliedert in Stilepochen – die Entwicklung einzelner Gattungen (Fayence, Por-
zellan, Möbel, Goldschmiedekunst) wird aber nur im Barock und Rokoko behan-
delt –, bettet sie ihren Gegenstand in einen weitgreifenden historischen Kontext.
Geschichte des deutschen Kunsthandwerks war für K. nur »als Teil eines großen
Ganzen« möglich; sie gehöre sowohl der allgemeinen Kunstgeschichte an, wie das
»Aufleuchten so vieler großer Namen [...] von Syrlin, Dürer, Holbein, Riemen-
schneider bis zu Permoser und Schinkel« andeute, als auch der politischen und so-
zialen Geschichte. Soziale Spannungen artikulierten sich nach K.s Überzeugung
nicht nur in den sogenannten freien Künsten, sondern auch in Mobiliar und ande-
rem Hausrat.
1937–45 war K. Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.
Besondere Verdienste erwarb er sich dort durch die Neuorganisation der Sammlung,
die Einführung eines strafferen und übersichtlicheren Ausstellungskonzepts, und
ihre Erweiterung vor allem im kunsthandwerklichen Bereich, wo er Lücken beim
Handwerkszeug, beim Porzellan, bei Fayencen und Gläsern schloß. Ähnliche Auf-
gaben standen vor K. auch auf der Veste Coburg, deren Kunstsammlungen er seit
1950 leitete. Er reorganisierte verschiedenartige Sachgruppen und faßte sie nach
kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten zu einem didaktischen Ausstellungskonzept
zusammen. 1959 ging K. in den Ruhestand. Seine Forschungen galten nun vor-
nehmlich der Nürnberger Goldschmiedekunst. Ihr Resultat war eine umfangreiche,
äußerst vielfältige Materialsammlung, die alle gesicherten Goldschmiedewerke,
darunter 110 gemarkte Stücke, enthielt, die seit den Anfängen im 13. Jahrhundert bis
zum Ende der Dürerzeit entstanden waren: Siegel, Buchbeschläge, Kelche, Pokale,
Monstranzen, Tischbrunnen, Silberschiffe. Von allgemeinem kunstgeschichtlichen
Interesse ist dieses bis heute gültige Standardwerk durch seine Querverbindungen
zur bildenden Kunst; zur Sprache kommen unter anderem die stilistischen Bezie-
hungen zwischen den figürlichen Darstellungen der Siegel und der Nürnberger
Bauhüttenplastik und der Beitrag Dürers zum Kunsthandwerk.

Werke: Der Schrein der heiligen Elisabeth 1940; Die Minne in der deutschen Kunst des
zu Marburg, Mar 1921; Holländisches Kunst- Mittelalters, in: ZDVKw, 9, 1942, 145–172;
gewerbe, Hbg 1924; Romanische Figuren- Der Kampf des deutschen Kunstschutzes um
schlüssel, Hbg 1926; Minnekästchen im Mit- die Erhaltung europäischer Kulturwerte.
telalter, Bln 1928; Islamische Kleinkunst, o.O. Maßnahmen gegen den angelsächsischen
1930; Gotisches Kunstgewerbe, in: Geschichte Bombenterror, Prag 1944; Eine Landschaft
des Kunstgewerbes aller Zeiten und Völker, des Hans Süß von Kulmbach für Willibald
hrsg. v. Helmuth Theodor Bossert, Bd. 5, Bln Pirkheimer, in: ZfKw, 1, 1947, 107–110; Un-
1932, 367–480; Die Reichskleinodien, Bre- veröffentlichte frühe deutsche Schmuck- und
men/Bln 1939; AKat. Die Schrift als deutsche Minnekästchen, in: ZfKw, 3, 1949, 1–14; Ge-
Kunst, Germanisches Nationalmuseum, Nü schichte des deutschen Kunsthandwerks, Mü
238 Kohlhaussen

1955; Neuerwerbungen der Kunstsammlun- Literatur: Kurth, Betty: Rez. von »Minne-
gen 1950–55, Coburg 1956; Rembrandt-Ra- kästchen im Mittelalter«, in: ZfbK (Beilage),
dierungen auf der Veste Coburg, Coburg 63 (39), 1929/1930, 128–129; Duverger, Jean:
1957; Zum Zuwachs der Kunstsammlungen Rez. von »Geschichte des deutschen Kunst-
1956–59, Sonderdruck aus: Jb. der Coburger handwerks«, in: Artes textiles, 3, 1956, 173–174;
Landesstiftung, Coburg 1960; Der Doppel- Stengel, Walter: dass., in: ZfKg, 19, 1956, 222–
kopf. Seine Bedeutung für das deutsche 223; Meyer, Erich: dass., in: KChr, 11, 1958,
Brauchtum des 13. bis 17. Jh.s, in: ZfKw, 14, 195–197; Brunner, Herbert: Rez. von »Nürn-
1960, 24–56; Alte Apothekengefäße (mit berger Goldschmiedekunst des Mittelalters
Günther Schiedlausky u. Heinz Stafski), Bi- und der Dürerzeit 1240–1540«, in: Pantheon,
berach a.d. Riss 1960; Bedeutung des Muse- 27, 1969, 524–525; Stafski, Heinz: H.K., in:
ums für unsere Zeit, in: FS Eduard Traut- Museumskunde, 11, 1970, 172–173; Mende,
scholdt, Köln 1962, 8–14; Altdorferisches in Matthias: H.K., in: Mitt.en d. Vereins f. Ge-
der Nürnberger Goldschmiedekunst, in: schichte d. Stadt Nürnberg, 58, 1971, 337–
ZDVKw, 19, 1965, 185–188; Nürnberger Gold- 338
schmiedekunst des Mittelalters und der Dü- CF
rerzeit 1240–1540, Bln 1968; Europäisches
Kunsthandwerk, 3 Bde., Frf 1969–72

Kolloff, Eduard
Geb. 1811 (?) in Tarnow (Tarnów, Polen); gest. 11. 6. 1879 in Paris

Mit seinem Rembrandt-Aufsatz von 1854 sicherte sich K. trotz der räumlichen
Distanz – er war zeit seines Lebens in Paris tätig – einen festen Platz in der deutsch-
sprachigen kunstwissenschaftlichen Literatur. Der »Positivist des Auges« ( Waet-
zoldt), der mit Delacroix und anderen zeitgenössischen Künstlern persönlich be-
kannt war und die Anfänge der neueren französischen Malerei miterlebte, bot mit
der Entdeckung des koloristischen Elementes in Rembrandts Kunst einen neuen
Forschungsansatz und trug entschieden zur Revision unzutreffender biographischer
Angaben und Legenden über den Künstler bei.
K.s Lebensweg ist kaum zuverlässig zu rekonstruieren; auch von seiner intellek-
tuellen Entwicklung sind nur wenige Eckdaten bekannt. Noch in jungen Jahren
verließ er Deutschland und lebte wohl seit 1834 ständig in Paris. Dort befreundete
er sich mit Ludwig Börne, durch den er vermutlich in Kontakt zum »Jungen
Deutschland« kam, einer oppositionellen Gruppe von Literaten, die im Zuge der
Revolution von 1830 nach Frankreich gelangt waren. In den Jahren 1834–40 schrieb
er unter dem Namen Ed. Collow kürzere Aufsätze und Notizen über das Pariser
Baugeschehen, über Museen und Kunstausstellungen. Nach der Februarrevolution
von 1848 stellte ihn der neue Direktor der Bibliothèque du Louvre, Philippe-Au-
guste Jeanron, als »Conservateur de la Bibliographie« ein. Gemeinsam machten sie
sich um die Reorganisation der Bibliothek verdient. K. unterstützte Jeanron auch
bei dessen Vasari-Übersetzung. Als Jeanron 1849 entlassen wurde, wurde auch K.
gekündigt. Erst 1853 erhielt er zunächst eine befristete, ab 1855 eine feste Anstellung
am Kupferstichkabinett der Bibliothèque Nationale, zu dessen Direktor er 1858
ernannt wurde. Als  Bode ihm 1872 den gleichen Posten in Berlin anbot, lehnte
K. unter Hinweis auf sein fortgeschrittenes Alter ab; die ihn im Hinblick auf seine
Kolloff 239

fachlichen Kompetenzen zumeist unterfordernde Tätigkeit in Paris – eine seiner


Aufgaben bestand darin, für die Zeichnerinnen der Modejournale alte Vorlagen
herauszusuchen – hatte ihn resignieren lassen. 1877 wurde er auf eigenen Wunsch
in den Ruhestand versetzt.
Schon 1840 erschien in Raumers Historischem Taschenbuch K.s forschungsgeschicht-
lich interessanter Beitrag Die Entwicklung der modernen Kunst aus der antiken bis zur
Epoche der Renaissance, in dem er die vor allem von den Romantikern vertretene
Annahme bestritt, daß zwischen der Zeit Konstantins des Großen und dem 13.
Jahrhundert eine »Kunstfinsternis« geherrscht und erst das Christentum eine Er-
neuerung der Künste gebracht habe. K. unterstrich hingegen die Kontinuität der
künstlerischen Entwicklung und bezeichnete das Mittelalter als »vorbereitendes
Zwischenglied«. Mit seiner Ablehnung von »Verfallsperioden« in der Kunstge-
schichte formulierte K. im Ansatz schon, was später die Grundüberzeugungen der
Wiener Schule, vor allem  Riegls, werden sollten. Für ihn, dem sich Epochen
keineswegs so streng wie Begriffe schieden, waren Bezeichnungen wie Mittelalter
und Renaissance »terminologische Zwangsstiefel«, erdacht für die »Folterbank der
Systeme«, jedoch ungeeignet für die Beurteilung von Kunstwerken: »Wir glauben,
man täte besser daran, ganz einfach zu sagen, wie die Dinge in der Kunst sich ge-
stalten, die anspruchslose Beobachtung und Betrachtung würde immer noch viel
Anziehendes und Lehrreiches darbieten.«
Dieses Denken liegt auch K.s Aufsatz über Rembrandt (1854) zugrunde, der er-
sten wissenschaftlichen Würdigung und kunsthistorischen Positionsbestimmung
von dessen Lebenswerk. K. stellte sich entschieden gegen klassizistische Biographen,
insbesondere Arnold Houbraken (1660–1719), der versucht hatte, Rembrandts
Kunst aus dessen sozialem Milieu und Lebensweise abzuleiten. Auch revidierte er
die seit  Sandrart vorherrschende Meinung, daß sich der Künstler nur an der
Natur gebildet, die Regeln der Kunst (Perspektive, Proportion, Anatomie) nicht
beachtet und die Kunstakademien bekämpft habe. An Rembrandts Genredarstel-
lungen wies er ein genaues Studium von Vorbildern wie Lastman und Elsheimer
nach; K. war überhaupt der erste Kunstforscher, der feststellte, daß Rembrandt häu-
fig Motive aus der älteren Bildtradition, insbesondere aus deutschen und niederlän-
dischen Werken, entlehnt hatte. So habe der Künstler für seine Radierung des Ecce
Homo Lucas van Leydens Version zum Vorbild genommen, ebenso seien Motive aus
Werken von Schongauer und Dürer bei ihm zu finden. Was den malerischen Duk-
tus betraf, ordnete K. Rembrandt in die große Tradition der Koloristen von Tizian
bis Rubens, Murillo und Velázquez ein. Trotz formaler und ikonographischer Über-
nahmen habe Rembrandt einen von seinen Vorgängern unabhängigen Stil entwik-
kelt und versucht, Historien-Motive neu zu fassen. K. zeigte durch mehrere Neu-
deutungen von Historienbildern – darunter Hochzeit Simsons und Simson droht
seinem Schwiegervater –, daß Rembrandt eine genaue Kenntnis der biblischen Ge-
schichten besaß, deren Veranschaulichung sein künstlerisches Anliegen war. K.s
Verzeichnis der Hauptwerke des Künstlers, das er mit einer kritischen Biographie
verband, gründete auf präzisen Quellenvergleichen und der Auswertung gerade erst
bekannt gewordener Urkunden, womit er die »Lästerchronikenschreiber der Kunst-
geschichte« zu widerlegen hoffte. In seinen Analysen erörterte er neben Rembrandts
240 Kolloff

Verhältnis zur älteren Bildtradition auch die Bedeutung des dem jeweiligen Thema
zugrundeliegenden Textes und der dargestellten Handlung. Mit diesem innovativen
Ansatz leistete K. auch einen Beitrag zu der sich in jener Zeit als Zweig der Kunst-
geschichte formierenden Ikonographie.
Werke: Das gesellige Leben vor und nach 275–346; Beschreibung der kgl. Museen und
der Schreckenszeit in Paris, Lpz 1830; Leben Privatgalerien zu Paris, Pforzheim 1841;
und Wirken des Teufels, Lpz 1830; Über die Schloß und Schule von Fontainebleau. Ein
vorzüglichsten Leistungen der Malerei und Beitrag zur Geschichte der Renaissance in
Bildnerei in Frankreich, von 1832 bis zur Frankreich, Lpz 1846; Rembrandts Leben
Ausstellung 1833 einschließlich, und den ge- und Werke, nach neuen Aktenstücken und
genwärtigen Zustand der französischen Gesichtspunkten geschildert, in: Historisches
Schule, in: Kbl, 1834, H. 16, 17; Über christli- Taschenbuch, hrsg. v. Friedrich von Rau-
che Kunst, in: ebd., H. 25, 26; Briefe über die mer, 5, 1854, 401–582; Paris. Reisehandbuch,
Kunstausstellung in Paris 1834, in: ebd., H. Bschw 1855; Der evangelische Sagenkreis. Ein
31–57; Über einige Monumente zu Paris, in: Beitrag zur Geschichte der religiösen Dich-
ebd., H. 59–61; Pariser Kunst-Arabesken, in: tung und Kunst des Mittelalters, Lpz 1860;
ebd., H. 87, 102; Das historische Museum in Die sagenhafte und symbolische Tierge-
Versailles, in: ebd., 1835, H. 14; Der Pariser Sa- schichte des Mittelalters, Lpz 1867
lon im Jahre 1835, in: ebd., H. 28, 32, 33, 34, Literatur: Bode, Wilhelm von: Erinnerun-
35, 38, 40, 42; Über die Bildhauerarbeiten an gen an E.K., in: ZfbK (Beilage), 58 (34),
dem Triumphbogen vor der Barrière de 1922/23, 740–741; Waetzoldt, Wilhelm: E.K.,
l’Etoile zu Paris, in: ebd., 1836, 84, 87, 88, 89; in: ZfbK (Beilage), 58, 1923, 647–654; Waet-
Der Triumphbogen de l’Etoile in Paris, in: zoldt 1924, 95–106; Tümpel, Christian: K.s
ebd., 1837, H. 1; Der Pariser Salon im Jahre Leben, Bedeutung und Methode, in: E.K.,
1837, in: ebd., H. 41–48; Ingres und die jetzige Rembrandts Leben und Werke. Nach neuen
französische Malerschule, in: ebd., H. 59, 60; Aktenstücken und Gesichtspunkten geschil-
Kunst und Kunstausstellungen in Lyon, in: dert, hrsg. v. Christian Tümpel, Hbg 1971, 1–
ebd., H. 81–84; Über die neueste Malerei zu 14; Stierle, Karlheinz: Drei Deutsche in Paris:
Paris, in: ebd., H. 94, 96–104; Der Fronton des E.K., Ludwig Börne, Heinrich Heine, in:
Pantheon in Paris, in: ebd., H. 99; Restaura- ders., Der Mythos von Paris. Zeichen und
tion im Schloß von Fontainebleau, in: ebd., Bewußtsein der Stadt, Mü 1993, 288–293;
H. 100, 101; Die neueröffneten Säle des Lou- Zell, Michael: E.K. and the Historiographic
vre, in: ebd., 1838, H. 25–29, Pariser Kunstbe- Romance of Rembrandt and the Jews, in: Si-
richt. Ausstellung 1838, in: ebd., H. 37, 46, 48, miolus, 28, 2000/01, 181–197: Kaiser, Gerhard
58–62; Das neue spanische Museum im Lou- R.: E.K., Walter Benjamin. Paris – Mikroskop
vre, in: ebd., H. 38–40 u. 93–95; Schilderun- der Gegenwart, in: Schönheit, welche nach
gen aus Paris, 2 Bde., Hbg 1839; Der Pariser der Wahrheit dürstet. Beiträge zur deutschen
Salon im Jahre 1840, in: Kbl, 1840, H. 33–36, Literatur von der Aufklärung bis zur Gegen-
44, 49, 52, 66, 67; Die Entwicklung der mo- wart, hrsg. v. Gerhard R. Kaiser u. Heinrich
dernen Kunst aus der antiken bis zur Epoche Macher, Hei 2003, 203–228
der Renaissance, in: Historisches Taschen- CF
buch, hrsg. v. Friedrich von Raumer, 1, 1840,

Kraus, Franz Xaver


Geb. 18. 9. 1840 in Trier; gest. 28. 12. 1901 in San Remo (Italien)

K. kam wie  Kinkel von der Theologie zur Kunstgeschichte. Als Kirchenhistoriker
bis heute umstritten, leistete er einen bahnbrechenden Beitrag zur Erforschung der
christlichen Kunst und zur christlichen Archäologie, der er eine streng historische
Basis gab und den Weg zu einer autonomen Fachdisziplin ebnete. Er gehörte außer-
Kraus 241

dem zu den bedeutendsten Dante-Forschern. Als erster Vorsitzender seines Förder-


vereins erwarb sich K. große Verdienste um das 1897 gegründete Deutsche Kunst-
historische Institut in Florenz.
Ursprünglich hatte K. ein geistliches Amt angestrebt und war 1858 in das Trierer
Priesterseminar eingetreten. Schon nach zwei Jahren brach er dort das Studium ab
und wurde Hauslehrer in belgischen und französischen Adelsfamilien. Nach
Deutschland zurückgekehrt, promovierte K. 1862 zum Dr. phil. und 1865, nachdem
er ein Jahr vorher die Priesterweihe empfangen hatte, zum Dr. theol. in Freiburg
i.Br., ohne jemals ein Universitätsstudium absolviert zu haben. Beide Promotions-
schriften waren dem Neuplatoniker Synesius von Cyrene gewidmet. Hoffnungen
auf eine Professur im Priesterseminar zerschlugen sich aufgrund von gravierenden
Differenzen mit dem Trierer Erzbischof, der an K.s erster wissenschaftlicher Arbeit
Der Heilige Nagel in der Domkirche zu Trier Anstoß genommen hatte. In dieser Schrift
opponierte K. entschieden gegen den Trierer Reliquienkult und wies nach, daß
eine kostspielige, vom Domkapitel angekaufte Elfenbeintafel in keinerlei Bezug
zum Trierer Dom stand.
1870 unternahm K. eine längere Reise nach Italien. In Rom lernte er den Ar-
chäologen Giovanni Battista de Rossi (1822–94) kennen, dessen Werk Roma sotter-
ranea (1864–77), eine erste Bestandsaufnahme der Ausgrabungen in den römischen
Katakomben, er bearbeitete und einem größeren Leserkreis in Deutschland bekannt
machte.
Auf Betreiben des Trierer Dompropstes Karl Josef Holzer, der über beträchtlichen
politischen Einfluß verfügte, wurde K. 1872 auf eine a.o. Professur für christliche
Archäologie an die neugegründete Universität Straßburg berufen, wo er nach
 Springers Weggang 1873 auch die Verwaltung des Fachbereichs Kunstgeschichte
übernahm. Von 1878 bis zu seinem Tod hatte er als Nachfolger seines Doktorvaters
Johannes Alzog eine Kirchengeschichtsprofessur in Freiburg i.Br. inne, wo er zur
beherrschenden Persönlichkeit der theologischen Fakultät wurde.
Noch in Straßburg begann K. mit der Abfassung seines monumentalen Werkes
Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen (1877–92), das ein Meilenstein der Denkmä-
lerinventarisation in Deutschland wurde. Diese erste wissenschaftliche Kunsttopo-
graphie war noch weitgehend von inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmt; K. be-
tonte den »inneren Gehalt« der Monumente, während er später stärker stilkritisch
vorging. Zur gleichen Zeit arbeitete er an seiner Realenzyklopädie der christlichen
Altertümer (1882–86), einer umfassenden Kulturgeschichte der ersten sechs nach-
christlichen Jahrhunderte, die monumentale wie literarische Quellen aus dem Be-
reich des Rechts, des privaten Lebens und der Kunst zusammenfaßte. Das Vorbild
dafür war das Dictionaire des Antiquités Chretiennes (1865) von Joseph-Alexandre
Martigny, der Rossis Forschungen nach Frankreich vermittelt hatte. Zentrale Be-
deutung für die Interpretation der Monumente maß K. dem liturgischen Zeremo-
niell bei, dessen genaue Kenntnis er Kunsthistorikern wie Archäologen besonders
empfahl. Er verstand sein Lexikon als Materialsammlung für »Theologen, Archäolo-
gen und Freunde der Kunst- und Kulturgeschichte« sowie als Hilfsmittel für die
fortschreitende Spezialforschung, die nach der Entdeckung der römischen Kata-
komben einen Aufschwung genommen hatte.
242 Kraus

Nach 1880 trat der Kunsthistoriker K. immer deutlicher in den Vordergrund. Er


beschäftigte sich mit Inschriften und Ausstattungsprogrammen von Kirchen des
rheinischen und des badisch-süddeutschen Raumes, mit frühmittelalterlicher Buch-
malerei (Miniaturen des Codex Egberti, 1884), den Wandgemälden der St. Georgskir-
che auf der Reichenau (1884) und den Fresken von S. Angelo in Formis/Capua.
Nach seiner Auffassung war der von den Malerschulen auf der Reichenau und im
süditalienischen Kloster Montecassino entwickelte Stil von Byzanz weitgehend
unabhängig; in Übereinstimmung mit  Kugler,  Waagen und  Schnaase stellte
er ein starkes Nachwirken römischer Traditionen fest.
Als Synthese seines archäologischen, kirchen- und kunsthistorischen Wissens läßt
sich K.s Geschichte der christlichen Kunst begreifen, die von Josef Sauer (1872–1949)
fortgeführt wurde. Es ist der Versuch einer Gesamtdarstellung der christlichen Kunst,
die K. im Rahmen der allgemeinen Kunstgeschichte erforschte, um die sachliche
Kenntnis von Liturgie und Dogmatik für ein genaueres Verständnis der Kunstwerke
fruchtbar zu machen. Bei der Genese und Entwicklung der byzantinischen Kunst
ging K. mit Springer konform: Die gesamte altchristliche Kunst habe einen wesent-
lich einheitlicheren Charakter besessen als die byzantinische, erst nach Justinian
könne von einer als byzantinisch abzugrenzenden Kunst gesprochen werden. Die
Zeit von Giotto bis Raffael nannte K. eine »vita nuova der Menschheit«, in der die
»lehrhafte Kunst des Mittelalters« von innerlich Erlebtem ersetzt und die christliche
Kunst den »abgebrochenen Faden« zum Schönen, Idealen und Guten wieder auf-
nehmen würde, eine Verbindung, die Platon erstrebt, die jedoch ohne das Christen-
tum nicht habe erreicht werden können. Alle künstlerischen Äußerungen nach
Raffael betrachtete K. als »heidnischen Sensualismus«, als Verfall der christlichen
und Triumph der profanen Kunst.
Dante war für K. der Repräsentant des »idealen Katholizismus«. Ihm widmete er
1892 eine Arbeit über Signorellis Illustrationen zur Göttlichen Komödie, in der er
dem Einfluß des Dichters auf die bildende Kunst nachging. In der 1897 erschiene-
nen literatur- wie kulturhistorisch angelegten Dante-Biographie erweiterte er dieses
Thema, indem er andere florentinische Künstler wie Orcagna und Fra Angelico
einbezog; in Dantes Werk kündigte sich für ihn das »Werden des neuen modernen
Menschen«, die Renaissance, an. Zu seiner Zeit galt K.s Arbeit weithin als der beste
deutsche Beitrag zur Danteforschung.
Unter dem Pseudonym »Spectator« schrieb K. 1895–99 für die Beilage der
Münchner Allgemeinen Zeitung die Kirchenpolitischen Briefe, glänzende Essays über die
Lage der katholischen Kirche in Europa und ihre Verflechtung mit der Politik.
Werke: Observationes criticae in Synesii Spottkruzifix vom Palatin und ein neu ent-
Cyrenaei epistolas, Sulzbach 1863; Die Blut- decktes Graffito, FrB 1872; Über den gegen-
ampullen der römischen Katakomben, Frf wärtigen Stand der Frage nach den römischen
1868; Die Kunst bei den alten Christen, Frf Blutampullen, FrB 1872; Roma sotterranea.
1868; Der heilige Nagel in der Domkirche zu Die römischen Katakomben. Eine Darstel-
Trier. Zugleich ein Beitrag zur Archäologie lung der neuesten Forschungen, FrB 1873;
der Kreuzigung Christi, Trier 1868; Die Über das Studium der Kunstwissenschaft an
christliche Kunst in ihren frühesten Anfän- den deutschen Hochschulen, Str 1874; Mei-
gen, Lpz 1872; Lehrbuch der Kirchenge- ster Erwin von Straßburg und seine Familie,
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Kraus 243

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1876, 243–245; Urkunden zur Baugeschichte »Die Miniaturen des Codex Egberti in der
des Straßburger Münsters, in: RfKw, 1, 1876, Stadtbibliothek zu Trier«, in: RfKw, 7, 1884,
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ringen, 4 Bde., Str 1877–92; Weißenburgs schichte der christlichen Kunst«, in: ZfbK, 32
Kunstdenkmäler, Str 1877; Über Begriff, (8), 1897, 148–152; Hürbin, Josef: F.X.K. zum
Umfang, Geschichte der christlichen Archäo- 60. Geburtstag, in: Katholische Schweizer-
logie und die Bedeutung der monumentalen Blätter, 1900, 267–271; Fogolari, Gino: Rez.
Studien für die historische Theologie, FrB von »Geschichte der christlichen Kunst«, in:
1879; Beiträge zur christlichen Archäologie L’arte, 4, 1901, 117–118; Schemann, Ludwig:
und Kunstgeschichte, in: JbPK, 1880, S. 276; F.X.K., in: Dt. Monatsschrift f. das gesamte
Realenzyklopädie der christlichen Altertü- Leben der Gegenwart, 1, 1901/1902, 864–870;
mer, 2 Bde., FrB 1882–86; Synchronistische Wingenroth, Max: F.X.K., in: RfKw, 25, 1902,
Tabellen zur christlichen Kunstgeschichte, 1–8; Braig, Karl: Zur Erinnerung an F.X.K.,
FrB 1880; Straßburger Münsterbüchlein, Str FrB 1902; Bill, Karl: Erinnerungen an F.X.K.,
1881; Altchristliche Inschrift in Remagen, in: in: Freie Dt. Blätter, 1902, 30–34, 41–47, 65–
Bonner Jbb., 1883, 180–181; Die Miniaturen 68, 78–92; Blennerhassett, Charlotte: F.X.K.,
des Codex Egberti in der Stadtbibliothek zu in: ByzZ, 11, 1902, S. 302; Haseloff, Arthur:
Trier, FrB 1884; Die Wandgemälde der St.Ge- F.X.K., in: Die Zeit. Nationalsoziale Wochen-
orgskirche zu Oberzell auf der Reichenau, schrift, 1902, S. 502; Hauviller, Ernst: F.X.K.
FrB 1884; Ein Diptychon der Abtei St. Maxi- Ein Lebensbild aus der Zeit des Reformka-
min in Trier, in: Westdt. Ztschr. f. Geschichte tholizismus, Colmar 1904; Siebert, Klara: Ge-
u. Kunst, 4, 1885, 138–157; Badischer Epitaph danken und Aussprüche von F.X.K. Aus sei-
in der Kirche zu Rodemachern, in: Ztschr. f. nen Werken zusammengestellt, in: Das 20. Jh.,
die Geschichte des Oberrheins, 1, 1886, 112– 52, 1906, 615–619; Baum, Julius: Rez. von
113; Die Kunstdenkmäler des Großherzog- »Geschichte der christlichen Kunst«, in:
tums Baden, 6 Bde., FrB 1887–1904; Die Mi- MfKw, 1, 1908, S. 1036; Laros, Matthias: F.X.K.
niaturen der Manesseschen Liederhandschrift, Ein Gedenkblatt zu seinem 100. Geburtstag,
Str 1887; Die Schätze St. Blasiens in der Abtei Köln 1941; Schiel, Hubert: Im Spannungsfeld
St. Paul in Kärnten, in: Ztschr. f. die Ge- von Kirche und Politik. F.X.K., Gedenk-
schichte des Oberrheins, 4, 1889, 46–68; Die schrift zum 50. Todestag, Trier 1951; ders.:
christlichen Inschriften der Rheinlande, 2 F.X.K., sein Lebenswerk und sein Charakter
Bde., FrB 1890–94; Die Restauration des im Spiegel der Briefe an Anton Stück, in: Ar-
Freiburger Münsters, FrB 1890; Luca Signo- chiv f. mittelrhein. Kirchengeschichte, Bd. 3,
rellis Illustrationen zu Dantes Divina Com- 1951, 218–239; ders.: Die letzten Lebenstage
media, FrB 1892; Die Wandgemälde von S. von F.X.K. in San Remo. Neue Berichte, in:
Angelo in Formis, Bln 1893; Die mittelalter- Trierisches Jb., 1952, 41–49; Bauer, Clemens:
lichen Wandgemälde im Großherzogtum Ba- Die Selbstbildnisse des F.X.K., in: Hochland,
den, Da 1893; Synchronistische Tabellen zur 52, 1959, 101–121; Köhler, Oskar: Daß man
Kirchengeschichte, Trier 1894; Essays, 2 Bde., die Kirche nicht durch Politik retten kann.
Bln 1896–1901; Geschichte der christlichen Aus dem Tagebuch eines Historikers nach
Kunst, 2 Bde., hrsg. v. Josef Sauer, FrB 1896– dem Besuch des Grabes von F.X.K., in: ders.,
1908; Dante. Sein Leben und sein Werk, sein Bewußtseinsstörungen im Katholizismus, Frf
Verhältnis zur Kunst und zur Politik, Bln 1972, 225–238; Schiel, Hubert (Hrsg.): Liberal
1897; Über die Gründung eines kunsthistori- und integral. Der Briefwechsel zwischen F.
schen Institutes in Florenz. Denkschrift des X.K. und Anton Stöck, Mainz 1974; Arnold,
Vorstandes, FrB 1899; Die Erhebung Italiens Claus: Katholizismus als Kulturmacht. Der
im 19. Jh., Cavour, Mainz 1902; Die Wandge- Freiburger Theologe Josef Sauer und das Erbe
mälde der St. Sylvesterkapelle zu Goldbach des F.X.K., Pad 1999; Graf, Michael: Liberaler
am Bodensee, Mü 1902; Tagebücher, hrsg. v. Katholik – Reformkatholik – Modernist?
Hubert Schiel, Köln 1957 (Bibliogr.); Liberal F.X.K. zwischen Kulturkampf und Moder-
und integral. Der Briefwechsel zwischen F. nismus, Münster 2003
X.K. und Anton Stöck, hrsg. v. Hubert Schiel, CF
244 Krautheimer

Krautheimer, Richard
Geb. 6. 7. 1897 in Fürth; gest. 1. 11. 1994 in Rom

Einen großen Teil seines Gelehrtendaseins widmete K. der Baugeschichte Roms.


Der weite Bogen seiner Untersuchungen spannt sich von den frühchristlichen
Basiliken über Architektur, Kunst und Kunsttheorie der Renaissance bis zu den
Planungen Papst Alexanders VII. für ein »Neues Rom« um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts.
K. betrachtete Bauwerke als »gebaute Mitteilungen« an die Nachlebenden: »Ein
Bau, den konnte man beschreiben, dafür gab es eine feste Terminologie, man konnte
die Baufolge lesen, er war geplant für einen bestimmten Ort, für bestimmte Aufga-
ben, Religionsübung, Repräsentation – und das zog ihn in Bereiche jenseits bloßen
Bauens. Er wurde Geschichtsquelle; und überdies war er, obwohl nicht immer, ein
Kunstwerk.«
Nach dem Kriegsdienst nahm K. in München ein Jurastudium auf und hörte
nebenbei Kunstgeschichte bei  Wölfflin, auch Geschichte und Literaturwissen-
schaft. Die Vorlesungen und Übungen  Frankls zur mittelalterlichen und zur
Renaissancearchitektur gaben den entscheidenden Anstoß zum Fachwechsel. K.
ging nach Berlin und wurde Schüler von  Goldschmidt. Nach einem Semester in
Marburg promovierte er über Die Kirchen der Bettelorden in Deutschland bei Frankl in
Halle. Im Winter 1923–24 arbeitete K. als Praktikant für den Preußischen Denkmal-
dienst in Erfurt. 1924/25 bereiste er zusammen mit seiner Frau Italien und ver-
brachte acht Monate in Rom. Dort widmete sich K. dem Studium der Hauptwerke
von Michelangelo, Raffael, Bramante, Bernini und Borromini und knüpfte auch
Kontakte zur Bibliotheca Hertziana und ihrem damaligen Direktor Ernst Stein-
mann. Nach Deutschland zurückgekehrt, habilitierte er sich über Mittelalterliche
Synagogen bei  Hamann in Marburg und erhielt eine Privatdozentur. Wenige Mo-
nate nach Hitlers Machtergreifung wurde K. wegen seiner jüdischen Herkunft auf
Lebenszeit beurlaubt. Er ging 1933 nach Italien, um den schon länger gehegten Plan
eines Handbuchs zur konstantinischen Architektur Roms zu verwirklichen. Stein-
mann hatte ihm schon Ende der 1920er Jahre angeboten, die frühchristlichen Basi-
liken für die Bibliotheca Hertziana zu bearbeiten. Der erste Band des Corpus Basi-
licarum Christianarum Romae, in Rom noch in der Muttersprache niedergeschrieben,
erschien 1937 in englischer und italienischer Übersetzung. Nach 50jähriger graben-
der, aufmessender und rekonstruierender Arbeit an den Kirchen Roms wurde 1977
der fünfte und letzte Folioband publiziert.
Als sich auch in Italien die politische Lage immer schwieriger gestaltete, emi-
grierte K. 1935 in die USA, wo er zunächst in Louisville/KY, ab 1937 am Vassar
College in Poughkeepsie und seit 1952 am Institute of Fine Arts in New York
Kunstgeschichte lehrte. Englisch wurde fortan die Sprache, in der er schrieb und
unterrichtete. In Amerika entstanden jene Abhandlungen über Ikonographie und
Traditionsbildung in der christlichen Baukunst, die K.s Ruf als bahnbrechender
Architekturhistoriker begründeten. Sie markierten den Beginn einer neuen For-
schungsrichtung, die mit  Bandmann in Deutschland einen der ersten prominen-
ten Nachfolger fand. In Introduction to an Iconography of Medieval Architecture (1942)
Krautheimer 245

entwickelte K. eine  Panofskys Ikonologie im Ansatz verwandte Methode der


Architekturinterpretation. Er ging unter anderem der Frage nach, warum christli-
che Baptisterien die gleiche architektonische Grundstruktur wie spätantike Mauso-
leen aufweisen und vertrat den Standpunkt, daß im Bewußtsein des frühchristlichen
und mittelalterlichen Gläubigen die Vorstellung von Geburt, Tod und Auferstehung
nebeneinander existierten. Im Unterschied zur modernen Architekturkopie habe
das Mittelalter den im Vorbild gegebenen Zusammenhang zumeist aufgelöst und
die einzelnen Elemente entsprechend ihres Gewichts neu gruppiert.
In Amerika begann auch K.s »fünfzehnjährige Liebelei mit der Renaissance«.
Neben zahlreichen Aufsätzen veröffentlichte er 1956 zusammen mit seiner Frau
Trude Krautheimer-Hess eine große Ghiberti-Monographie, in der er nach
 Schlossers heroisierendem Werk, das Ghiberti als Gelehrten, Historiographen
und Humanisten bekannt gemacht hatte, vor allem den künstlerischen Ursprüngen
von Ghibertis Stil nachging und eine direkte Beeinflussung durch die nordfranzö-
sische Goldschmiedekunst des ausgehenden 14. Jahrhunderts nachwies.
Nach dem Krieg verbrachte K. jeden Sommer und jedes Freisemester in Rom
als Gastdozent der American Academy.Viele dieser Aufenthalte standen im Zeichen
intensiver Grabungen, die er mit dem Architekten Wolfgang Frankl, dem Sohn
seines Lehrers Paul Frankl, durchführte. Schon 1938 hatten sie unter dem Hof der
Cancelleria Reste eines frühchristlichen Baus entdeckt, die 50 Jahre später als die
Kirche San Lorenzo in Damaso identifiziert wurden. Grabungen an San Lorenzo
fuori le mura führten Ende der 1950er Jahre zur Aufdeckung eines konstantinischen
Riesenbaus, mit dem sich K. immer wieder beschäftigte.
In den 1950er und 1960er Jahren knüpfte er wieder Kontakte zu deutschen
Kunsthistorikern. Durch Wolfgang Lotz (1912–81), der seit der gemeinsamen Lehr-
tätigkeit in New York zu K.s engstem Freundeskreis zählte, kam eine erneute Ver-
bindung zur Bibliotheca Hertziana zustande. Nach seiner Emeritierung in New
York ging er 1971 zurück nach Rom, wo er an der Hertziana forschend seinen
Lebensabend beschloß. Seine Publikationstätigkeit riß auch im Ruhestand nicht ab.
Die letzten großen Arbeiten Rome. Profile of a City. 312–1308 und The Rome of Alex-
ander VII. rekonstruierten die Entwicklung Roms von der Zeit Konstantins des
Großen bis zum Auszug der Päpste nach Avignon und unter dem glanzvollen Papst
Alexander VII.; über Ferdinand Gregorovius’ berühmte Geschichte der Stadt Rom im
Mittelalter (1859–72) hinausgehend, erschloß K. aus den materiellen Überresten das
architektonische Erscheinungsbild des christlichen, mittelalterlichen und des barok-
ken Rom, wobei er die Bauten und die sie schmückende Kunst im Kontext sich
wandelnder Wirklichkeiten und konkurrierender Ideen von Päpsten, fremden Kai-
sern und römischen Bürgern beschrieb.
Werke: Die Kirchen der Bettelorden in 21–52; San Nicola in Bari und die apulische
Deutschland, Köln 1925; Mittelalterliche Syn- Architektur des 12. Jh.s, in: WJbfKg, 1934, 5–
agogen, Bln 1927; Die Anfänge der Kunstge- 42; Santo Stefano Rotondo a Roma e la
schichtsschreibung in Italien, in: RfKw, 50, chiesa del Santo Sepolcro a Gerusalemme, in:
1929, 49–63; Zur venezianischen Trecento- RACr, 12, 1935, 51–102; Die Doppelkathe-
plastik, in: MarJb, 1929, 193–212; Plastik aus drale in Pavia, in: Richard Salomon, Opicinus
Holz und Stein. 14. Jh., in: AKat. Religiöse de Canistris. Weltbild und Bekenntnisse eines
Kunst aus Hessen und Nassau, Mar 1928, avignonesischen Klerikers des 14. Jh.s, Lo
246 Krautheimer

1936, 323–337; Corpus Basilicarum Christia- 121–139; Roma Alessandrina, Vassar College,
narum Romae, 5 Bde., Vatikanstadt 1937–77; Poughkeepsie, NY 1982; Three Christian Ca-
Ghibertiana, in: BM, 71, 1937, 68–80; The Be- pitals. Rome, Constantinople, Milan, Berke-
ginnings of Early Christian Architecture, in: ley 1983; Il Porton di questo giardino. An
The Review of Religion, 3, 1939, 127–148; Urbanistic Project for Rome by Alexander
Recent Discoveries in Churches in Rome VII 1655–1667, in: JSAH, 42, 1983, 35–42;
(mit Wolfgang Frankl), in: American Journal Alexander VII and Piazza Colonna, in: RJbKg,
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Vincoli and the Tripartite Transept in the Rom 1985; The Rome of Alexander VII
Early Christian Basilica, in: Proceedings of 1655–1667, Pr 1985; Ausgewählte Aufsätze zur
the American Philosophical Society, 84, 1941, europäischen Kunstgeschichte, Köln 1988;
353–429; Introduction to an Iconography of The Building Inscriptions and the Dates of
Medieval Architecture, in: JWCI, 5, 1942, 1– Construction of Old St. Peter’s. A Reconsi-
33; The Carolingian Revival of Early Chris- deration, in: RJbKg, 1989, 1–23; And gladly
tian Architecture, in: ArtB, 24, 1942, 1–38; did he learn and gladly teach, in: Rome. Tra-
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Krautheimer 247

307; Kroß, Matthias: K.s Rom, in: KB, 18, nus, in: In memoriam R.K. Relazioni della
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dobaldi, Federico: Ricordo di R.K., in: RACr, Vatikan. Akten des Internat. Kongresses zu
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ByzZ, 88, 1995, 359–362; Adams, Nicholas: In Winner, Bernard Andreae u. Carlo Pietran-
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NY 1997, 317–325; Winner, Matthias: Ebreo ebd., 65–72
tedesco di nascita, emigrato, libero cittadino CF
degli Stati Uniti, cosmopolita, Civis Roma-

Kugler, Franz Theodor


Geb. 19. 1. 1808 in Stettin (Szczecin, Polen); gest. 18. 3. 1858 in Berlin

Eine mehr und mehr Material anhäufende empirische Kunstforschung, die sich
auch die außereuropäische Kunst Indiens, Persiens, des Vorderen Orients, Ägyptens
und der beiden Amerikas anzueignen begann, und das neue Geschichtsverständnis
des deutschen Idealismus, namentlich das Hegels, schufen in den 1830er Jahren des
19. Jahrhunderts die Voraussetzungen für die Entstehung einer universalen Kunsthi-
storiographie, die die Kunstgeschichte als einen alle Kunstgattungen sowie alle
Länder und Zeiten umfassenden Prozeß verstand. Neben  Schnaase, von dessen
Geschichte der bildenden Künste der 1. Band 1843 erschien, gehört K. zu den Begrün-
dern einer »allgemeinen«, ihre Fixierung auf Europa und die Antike überwindenden
Kunstgeschichte, die diesen Namen tatsächlich verdient. Im Unterschied zu
Schnaase, der, wie  Burckhardt 1845 in seinem Artikel Kunstgeschichte für das
Brockhaus-Lexikon sagt, »weniger auf vollständige Aufzählung, als auf tiefsinnige
geschichts-philosophische Begründung der Stile und Übergänge gerichtet ist«,
wurde in Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte »das ungeheure Material in einer
großen Übersichtlichkeit zusammen[ge]faßt und den weltgeschichtlichen Epochen
unter[ge]ordnet«. In seinen kompakten Handbüchern beschrieb K. die Weltkunst-
geschichte als eine Entwicklungsgeschichte der Stile.
Ehe K. zur Kunstgeschichte kam, studierte er 1826/27 in Berlin und Heidelberg
deutsche Literaturgeschichte und besuchte gleichzeitig die Berliner Bauakademie,
wo er 1829 das Feldmesserexamen ablegte. 1831 promovierte er bei Ernst Heinrich
248 Kugler

Toelken (1785–1869) über eine mittelalterliche Bilderhandschrift und habilitierte


sich, ebenfalls an der Berliner Universität, zwei Jahre später. Den Beginn einer
»ernstlicheren wissenschaftlich-literarischen Tätigkeit« datierte K. selbst auf das Jahr
1835, als er seine erste große kunstgeschichtliche Studienreise nach Italien unter-
nahm und zum Professor an der Akademie der Künste ernannt wurde. In die 1830er
Jahre fallen mehrere bedeutende Veröffentlichungen zur heimatlichen Kunstge-
schichte Berlins, Brandenburgs, Pommerns und des Harzvorlandes, in denen er sich
als empirisch arbeitender Kunstforscher zeigt, aber auch als Patriot, der dem deut-
schen Volk bisher unbeachtet gebliebene Zeugnisse seiner Kultur- und Kunstge-
schichte vor Augen führen möchte, »ein kolossales Museum von eigentümlichster
und großartigster Bedeutung«. Im Mittelpunkt dieser Arbeiten steht die Architektur,
zu der K. durch seine bautechnische Schulung eine besondere Beziehung hatte und
von der seine unvollendet gebliebene dritte universale Gesamtdarstellung handelt
(Geschichte der Baukunst, 1856–59).
Von seinem Friedrich Wilhelm IV. gewidmeten Handbuch der Kunstgeschichte
(1842) sagt K., es sei im Vergleich zu früheren Versuchen, »über das Ganze der
Kunstgeschichte« zu schreiben, etwas völlig Neues; hier stehe die Kunstgeschichte
zum erstenmal im »Dienste der allgemeinen Geschichte«. K. gliederte den Verlauf
der Weltkunstgeschichte in vier Hauptperioden, eine Vorstufe, die die gesamte au-
ßereuropäische und die sogenannte vorgriechische Kunst umfaßt, eine klassische
(griechische und römische Antike), eine romantische (Mittelalter einschließlich des
Islam) und eine moderne (von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert). Jede die-
ser Entwicklungsstufen habe ihre »eigentümliche Bedeutung in sich« und sei not-
wendiges »Glied eines Ganzen«, dessen Erforschung ständig voranschreite und
dessen Darstellung immer nur provisorischen Charakter haben könne. Es ist klar,
daß ästhetische Werturteile für eine solche historistische Kunst-Wissenschaft kaum
noch eine Rolle spielen konnten; der Rangstreit zwischen Antike und Renaissance
auf der einen und dem Mittelalter auf der anderen Seite hatte sich ohnehin über-
lebt. Für den Barock war jedoch, wie man auch sehen kann, die Zeit noch nicht
reif: K. nennt beispielsweise Borrominis Bauten »Fratzengebilde der Architektur«.
Dem Handbuch der Kunstgeschichte war ein anderes Überblickswerk vorangegan-
gen: eine »erste Universalgeschichte der Malerei« (1837). Im Vorwort bezichtigte
sich K. der Kompilation, verwies aber, und damit wollte er sich zweifellos von
 Fiorillos Geschichte der zeichnenden Künste abgrenzen, auf seine »eigentümliche
Ansicht und Auffassungsweise«, die sich hier in einem noch stärker ausgeprägten
Wertrelief ausdrückte: K. widmete Raffael etwa 100, Dürer nicht einmal halb so
viele und Rembrandt weniger als 10 Druckseiten.
Beide Handbücher führten bis in die Gegenwart, deren Kunstäußerungen K. als
Kritiker für das Kunstblatt, für das von ihm 1833 gegründete Museum (bis 1838) und
das Deutsche Kunstblatt (seit 1850) mit Aufmerksamkeit verfolgte (Christian Daniel
Rauch, 1858). Während er in jungen Jahren noch der Romantik und dem Idealismus
der Nazarener angehangen hatte, trat er später für eine wirklichkeitsbezogene,
»volkstümliche« Kunst ein.
Neben dem Gelehrten K. verdienen auch der Verwaltungsbeamte, der Historiker
und der Dichter Aufmerksamkeit. Seit 1843 arbeitete K. als Kunstreferent im preu-
Kugler 249

ßischen Kultusministerium, eine Tätigkeit, die er in dem Bewußtsein einer großen


Verantwortung des Staates, der »höchsten Kulturintelligenz«, gegenüber Kultur und
Kunst und den drängenden Problemen der Gegenwart (Über den Pauperismus auch in
der Kunst, 1845) ebenso ernst nahm wie die wissenschaftliche Arbeit, ohne aber
seine teilweise weitreichenden, von den bürgerlich-demokratischen Bestrebungen
der 1830er und 1840er Jahre inspirierten Pläne verwirklichen zu können. In der
Erinnerung der Nachwelt lebt K. vor allem durch seine »anschauliche« Geschichte
Friedrichs des Großen (1840) weiter, zu der auf seine Veranlassung hin Adolph Menzel
die Illustrationen zeichnete, und durch sein Gedicht An der Saale hellem Strande, das
zum Volkslied geworden ist.
Werke: Denkmäler der bildenden Kunst des ten und Studien zur Kunstgeschichte, 3 Bde.,
Mittelalters in den preußischen Staaten, Bln Stg 1853–54; Grundbestimmungen für die
1830; Die Bilderhandschrift der Eneidt. Ein Verwaltung der Kunstangelegenheiten im
Beitrag zur Kunstgeschichte des 12. Jh.s, Bln preußischen Staate, Bln 1859; Geschichte der
1834; Von den ältesten Kunstbildungen der Baukunst, 5 Bde., Stg 1856–73 (mit Jacob
Christen, Bln 1834; Über die Polychromie Burckhardt u. Wilhelm Lübke); Christian Da-
der griechischen Architektur und Skulptur niel Rauch, in: DtKbl, 1858, 33–45
und ihre Grenzen, Bln 1835; Albrecht Dürer. Literatur: Schnaase, Karl: Rez. von »Hand-
Seine Vorgänger und Nachfolger, in: Mu- buch der Kunstgeschichte«, in: Kbl, 1841, H.
seum. Blätter für bildende Kunst, 4, 1836, 97–99; Eggers, Friedrich: F.Th.K. Eine Le-
58ff.; Handbuch der Geschichte der Malerei bensskizze, in: F.K., Handbuch der Geschichte
von Konstantin dem Großen bis auf die neu- der Malerei seit Konstantin dem Großen, 3.
ere Zeit, 2 Bde., Bln 1837 (2. Aufl. 1847, bearb. Aufl., Bd. 1, Lpz 1867, 3–34; Waetzoldt 1924,
v. Jacob Burckhardt); Beschreibung und Ge- 143–172; Kaletta, Ehrenfried: F.Th.K. 1808–
schichte der Schloßkirche in Quedlinburg, 58. Dichtungen, Br 1937; Kaphahn, Friedrich:
Bln 1838 (mit C.F. Ranke); Beschreibung der Jacob Burckhardts Neubearbeitung von K.s
Kunstschätze von Berlin und Potsdam, 2 Malereigeschichte, in: HZ, 166, 1942, 24–56;
Bde., Bln 1838; Pommersche Kunstgeschichte, Rehm, Walter: Jacob Burckhardt und F.K., in:
in: Baltische Studien, St 1840; Geschichte BZfGA, 41, 1942, 155–252; Treue, Wilhelm: F.
Friedrichs des Großen, Lpz 1840; Handbuch Th.K. – Kulturhistoriker und Kulturpolitiker,
der Kunstgeschichte, Stg 1842 (2. Aufl. 1848, in: HZ, 175, 1953, 483–526; Scheyer, Ernst: F.
bearb. v. Jacob Burckhardt; engl. Ausg. 1842, K., der musische Geheimrat, in: Aurora. Ei-
bearb. v. Charles L. Eastlake); Über Ferdinand chendorff-Almanach, 22, 1962, 45–73; Ko-
Kobell und seine Radierungen, Stg 1842; Ge- schnick, Leonore: F.K. (1808–58) als Kunst-
schichte der deutschen Kunst im Mittelalter kritiker und Kulturpolitiker, Diss. Bln 1985;
(Literaturbericht), in: Kbl, 1842, H. 69–73; Locher, Hubert: Das »Handbuch der Kunst-
Karl Friedrich Schinkel, Bln 1842: Über den geschichte«. Die Vermittlung kunsthistori-
Pauperismus auch in der Kunst, in: Kbl., 1845, schen Wissens als Anleitung zum ästhetischen
H. 71ff.; Über die Anstalten und Einrichtun- Urteil, in: Wessel Reinink (Hrsg.), Memory
gen zur Förderung der bildenden Künste und & Oblivion, Dordrecht 1999, 69–87; Heck,
zur Konservation der Kunstdenkmäler in Klian: Die Bezüglichkeit der Kunst zum Le-
Frankreich und Belgien, Bln 1846; Vorlesung ben. F.K. und das erste akademische Lehrpro-
über das Historische Museum zu Versailles, gramm der Kunstgeschichte, in: MarJb, 32,
Bln 1846; Über die Kunst als Gegenstand der 2005, 7–15
Staatsverwaltung, Bln 1847; Belletristische PB
Schriften, 8 Bde., Stg 1851–52; Kleine Schrif-
250 Kühn

Kühn, Herbert
Geb. 29. 4. 1895 in Beelitz (Mark); gest. 25. 6. 1980 in Mainz

In Deutschland hat sich besonders der Prähistoriker K. darum bemüht, daß die
bildhaften Darstellungen aus der Ur- und Frühgeschichte der Menschheit und die
»Stammeskunst« der sogenannten Naturvölker in den universalen Zusammenhang
der Kunstgeschichte einbezogen und von der Kunstgeschichtswissenschaft uneinge-
schränkt mitbehandelt wurden. Er fußte dabei auf einer antiklassizistisch geprägten
Kunstauffassung, die sich in der Wissenschaft seit  Riegl und im Einklang mit der
Kunstpraxis seit dem Übergang zur Moderne durchgesetzt hatte, wie auf den über-
raschenden Entdeckungen vor allem der paläolithischen, »eiszeitlichen« Höhlenma-
lereien in Frankreich und Spanien. Von denen waren zu Beginn seiner Arbeit etwa
zehn, darunter die in Altamira, fünfzig Jahre später aber bereits hundertzwanzig mit
jedesmal vielen einzelnen Bildern bekannt; in Lascaux, das 1940 entdeckt wurde,
sind es sogar über tausend. K. wollte das rasch wachsende Material an »prähistori-
scher und ethnographischer Kunst« aus allen Erdteilen nicht nur positivistisch ne-
beneinanderstellen und im allgemeinen Wissensstand verankern, sondern an ihm
generell gültige Stilentwicklungen von den Anfängen des künstlerischen Gesche-
hens her ausmachen und diese vorwiegend geistesgeschichtlich erklären. Damit
ging er über die Betrachtungsweise hinaus, wie sie beispielsweise in dem bemer-
kenswert umfassenden Überblick in  Woermanns Geschichte der Kunst aller Zeiten
und Völker (2. Aufl., 1915) vorlag, und löste sich bald von der ihn anfänglich leiten-
den materialistischen Erklärung des Stoffes durch den Österreicher Moritz Hoernes
(Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa, Wien 1898, sowie spätere Arbeiten).
Nach einem durch den Ersten Weltkrieg unterbrochenen Studium der Ge-
schichte in Berlin, München und Jena promovierte der Beamtensohn K. 1918 bei
dem Philosophen Rudolf Eucken in Jena über psychologische Grundlagen der
Stilbewegung in der modernen Kunst. Nach einem Studium der Vorgeschichte in
Berlin bei Gustaf Kossinna, dem Altmeister deutschnationaler Germanenforschung,
habilitierte er sich 1923 in Köln mit dem als bahnbrechend angesehenen Buch Die
Malerei der Eiszeit (1921). Als Privatdozent für Vor- und Frühgeschichte und nicht-
beamteter a.o. Professor seit 1929 las er in Köln, bis er 1935 aus politischen Gründen
entlassen wurde und in Berlin als Privatgelehrter weiterarbeitete. 1925–1976 gab er
gemeinsam mit ausländischen Gelehrten die 24 Bände des Jahrbuchs für prähistorische
und ethnographische Kunst (IPEK) heraus, das neben grundsätzlichen Studien und
Erfassungen bestimmter Werkgruppen neue Funde in aller Welt verzeichnete, und
in dem vor allem K. selbst unermüdlich die internationale Literatur rezensierte. Er
studierte Höhlenmalereien und andere Objekte jeweils am Ort und besuchte 1931,
wie nochmals nach 1945, auf zwei Reisen um die Erde die einschlägigen Museen
in Europa, Afrika, Asien und Amerika. Seit Ende der 1920er Jahre beschäftigte er
sich stärker auch mit der germanischen und keltischen Kunst. 1946–59 war K. o.
Professor an der Universität Mainz, wo er auch Mitglied der Akademie der Wissen-
schaften und der Literatur wurde. Zahlreiche Überblickswerke, von denen einige in
mehrere Sprachen übersetzt wurden, und Beiträge zu Sammelwerken festigten seine
fachliche Autorität, wenngleich seine Thesen auch heftigen Widerspruch erfuhren.
Kühn 251

1959–60 lehrte er als Gastprofessor an der Wayne State University in Detroit und
1963 an der University of California in Berkeley. In seinen letzten Jahren veröffent-
lichte er eine monumentale Wissenschaftsgeschichte seines Faches.
K. knüpfte an die verbreitete Neigung in der Kunstgeschichtswissenschaft am
Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert (Riegl,  Wölfflin,  Schmarsow,
 Worringer,  Wulff) an, alle künstlerischen Gestaltungsweisen auf polare Grund-
typen zurückzuführen und schlug seinerseits die Kategorien »sensorisch« und »ima-
ginativ« vor. Den vielen Kunsthistorikern und Kunstschriftstellern, die sich im
Umkreis des Expressionismus für »primitive« Kunst begeisterten, hatte er größere
Sachkenntnis voraus. Er widersprach besonders Worringers Konzept, daß die Ab-
straktion am Anfang der Kunst stehe, und betonte, daß die Kunst mit Naturwieder-
gabe begonnen habe.
K. betonte immer wieder, daß die Kunst der – sei es in der Frühgeschichte oder
in der Gegenwart – »primitiv« lebenden Menschen selbst nicht primitiv sei. In
seinem Buch Die Kunst der Primitiven (1923), dessen Kapitel ausdrücklich zwischen
Paläolithikum, Bronzezeit, Mykene,Völkerwanderungszeit und Azteken, Inkas sowie
Buschmännern, Eskimos, Schwarzafrikanern in Benin wechseln, unterstrich er Ge-
setzmäßigkeiten in Stilbildung und Stilentwicklung und begründete sie unter Be-
rufung auf Marx und Engels mit den ökonomischen Verhältnissen. »Das Ökonomi-
sche ist der Urgrund, es bildet das Anders-Sein, es bedingt den Wandel.« Ideologie
ist an die Basis gebunden. »Hier liegt das Gesetz der Kunst [...]. Jedesmal ist der Stil
der notwendige Ausdruck des Lebens.« K. unterschied »unistisch« denkende Völker
oder Gesellschaften mit »parasitärer« Wirtschaft und »sensorischer« Kunst (vom Pa-
läolithikum über die Griechen bis zu Europa seit der Renaissance) vom »Dualis-
mus« der »symbiotisch« lebenden, kollektivistischen Gemeinschaften (Neger, frühe
Christen, Gotik, moderne Kartelle mit gesicherten Arbeiterrechten) und schloß mit
einer emphatischen Definition der Kunst: »Am Endlichen zu bilden das Ewige.
Und das ist Gott.«
Den letztgenannten Gesichtspunkt verfolgte er später weiter, nunmehr den Mar-
xismus ablehnend, indem er schon für die früheste Höhlenkunst den magischen,
kultischen, religiösen Zweck hervorhob und diesen dann auch in der Kunst des 20.
Jahrhunderts wiederfand. Die Vorstellung von einer ewig gleichen, zwischen zwei
gleichwertigen Tendenzen wechselnden Kunst ließ ihn in der NS-Zeit die ethni-
sche Konstanz und Bodenständigkeit der arischen Völker (Germanen wie auch
Kelten) im Norden hervorheben, in den seit der älteren Steinzeit niemals ein neues
Volk gekommen sei. »Es ist immer derselbe Mensch, der im Norden lebte, von der
Eiszeit bis zur Gegenwart« (Die vorgeschichtliche Kunst Deutschlands, 1935). Dieselbe
Stilabfolge (linearer, malerischer, schwingender Stil), die von Romantik über Im-
pressionismus bis Nachimpressionismus zu beobachten sei, ließe sich »unbezweifel-
bar« auch in der Kunst der Eiszeit erkennen und ebenso der abschließende Wechsel
zur abstrakten Kunst der Nacheiszeit (Der Stil des späten Magdalénien, 1960). Dabei
habe es hervorragende Meister, Bildung von Schulen, Weitergabe des Könnens von
Generation zu Generation, Wanderungen von Menschen und Austausch von Wer-
ken der Kleinkunst über große Entfernungen gegeben (Felsbilder Europas, 1952).
Daß die Stilentwicklung damals Jahrtausende brauchte, und ob und wieso Men-
252 Kühn

schen vielleicht in Abständen von Jahrhunderten die magischen Tierbilder in ein


und derselben Kulthöhle ergänzten und erneuerten, blieb merkwürdigerweise un-
erörtert.
Werke: Die Malerei der Eiszeit, Mü 1921; zeitmenschen, Wb 1950; Das Problem des
Die Kunst der Primitiven, Mü 1923; Kunst Urmonotheismus, Wb 1951; Die Felsbilder
und Kultur der Iberer, in: Mannus, 5. Ergän- Europas, Stg 1952; Die Kunst Alteuropas, Stg
zungsbd. 1927, 145–158; Die Entstehung der 1954; Das Erwachen der Menschheit, Frf/
germanischen Flechtbandornamentik, Man- Hbg 1954; Der Aufstieg der Menschheit, Frf/
nus, 6. Ergänzungsbd. 1928, 368–375; Kunst- Hbg 1955; Abstrakte Kunst der Vorzeit, Mü/
gewerbe der Eiszeit, in: Helmuth Theodor Ha 1956; Germanische Kunst der Völkerwan-
Bossert (Hrsg.), Geschichte des Kunstgewer- derungszeit, Mü/Ha 1956; Die Entfaltung der
bes aller Zeiten und Völker, Bd. 1, Bln 1928, Menschheit, Frf 1958; Der Stil des späten
1–17; Das Kunstgewerbe der Völkerwande- Magdalénien, in: FS Otto H. Förster, Köln
rungszeit, in: ebd., 69–100; Kunst und Kultur 1960, 37–42;Vorgeschichte der Menschheit, 3
der Vorzeit Europas. Das Paläolithikum, Bln/ Bde., Köln 1962–66; Das Antlitz Indiens, Ba-
Lpz 1929; Buschmannkunst. Felsmalereien sel 1963; Eiszeitkunst. Die Geschichte ihrer
aus Südwestafrika (mit Hugo Obermaier), Erforschung, Gö/Bln/Frf 1965; Geschichte
Mü 1930; Die vorgeschichtliche Kunst der Vorgeschichtsforschung, Bln/NY 1976
Deutschlands, Bln 1935; Die germanischen Literatur: Weigert, Hans: Rez. von »Kunst
Bügelfibeln der Völkerwanderungszeit in der der Primitiven«, in: ZfbK (Beilage), 58 (34),
Rheinprovinz, 2 Bde., Bonn 1940; Die Her- 1924/25, 135–136; Jenny, Wilhelm v.: Rez. von
kunft des Reichsadlers, in: Geistige Arbeit, 7, »Die Vorgeschichtliche Kunst Deutschlands«,
1940, Nr. 7, 1–2; Die älteste Kunst der Erde, in: Prähistor. Ztschr., 26, 1935, 292–296; Burg-
in: ZfK, 1, 1947, 3, 4–8; Vom Sinn der Vorge- staller, Ernst: Univ.Prof. Dr. H.K. gestorben,
schichte, Mainz 1948; Gegenwart und Vorzeit, in: Mannus, 47, 1981, 51–54
Wb 1948; Tat und Versenkung. Europa und PHF
Asien, Mainz 1948; Auf den Spuren des Eis-

Kühnel, Ernst
Geb. 26. 10. 1882 in Neubrandenburg; gest. 5. 8. 1964 in Berlin

K. studierte seit 1901 in Paris, Wien und München zunächst Rechtswissenschaft


und Philosophie, wandte sich dann den orientalischen Sprachen und schließlich in
Heidelberg der Kunstgeschichte zu. 1906 promovierte er dort bei  Thode mit
einer Arbeit über den florentinischen Maler Francesco Botticini (1446–97). Eine
anschließende Reise nach Italien, Spanien und Nordafrika weckte sein Interesse für
die islamische Kunst und mündete in populärwissenschaftlichen Publikationen über
die Kunst dieser Region. Seit 1909 an den Berliner Museen und seit 1911 in der
Islamischen Abteilung beschäftigt, war er an der Durchführung und der Abschluß-
publikation der großen Ausstellung Meisterwerke muhammedanischer Kunst 1910 in
München beteiligt. Für den Aufbau der Islamischen Abteilung und für ihre Wir-
kung in der Öffentlichkeit leistete er – seit 1922 als Kustos und ab 1931 in der
Nachfolge von Friedrich Sarre (1865–1945) als Direktor – Wesentliches für die
Konzeption der Dauerausstellung, die 1932 im Pergamon-Museum eröffnet wurde.
Um die Abteilung zu einer Forschungseinrichtung zu profilieren, wurden eine
Studiensammlung sowie ein Studiensaal mit Bibliothek und Bildarchiv eingerichtet.
1928/29 nahm K. an der amerikanisch-deutschen Ausgrabung der sassanidischen
Kühnel 253

Hauptstadt Ktesiphon teil, 1931/32 als ihr Leiter. Von 1930 bis zu seiner Emeritie-
rung 1954 unterrichtete er als Honorarprofessor und seit 1946 als o. Professor auch
an der Berliner Humboldt-Universität. 1936–52 lehrte er mehrfach als Gastprofessor
an der Universität Kairo.
Nach dem Krieg leitete K. die mühevolle Wiederherstellung der Sammlung auf
der Museumsinsel, bis er 1951 in den Ruhestand trat. Danach war er noch am
Aufbau einer ständigen Ausstellung in Berlin-Dahlem beteiligt, in die jene Bestände
der Islamischen Abteilung eingingen, die während des Krieges in die westlichen
Teile Deutschlands ausgelagert worden waren.
Vorwiegend aus der Beschäftigung mit den Sammlungsobjekten entstand eine
Vielzahl von Büchern und Artikeln zu einzelnen Kunstwerken, chronologisch oder
regional fixierbaren Gruppen oder spezifischen Fragen der islamischen Kunst; die
Liste der Arbeiten K.s umfaßte insgesamt über 400 Titel. Mit seinem systematischen
und universalistischen Herangehen trug er entscheidend dazu bei, ein Grundgerüst
für die Kunstgeschichte des islamischen Kulturraums zu erarbeiten. Die Detailun-
tersuchungen bildeten die Basis für zusammenfassende Darstellungen zu bestimm-
ten Zweigen der islamischen Kunst (Teppiche, Miniaturmalerei, Kleinkunst,
Schriftkunst) und für Studien zu Herausbildung und Wesen ihrer charakteristischen
Erscheinungsformen (Moschee, Arabeske), die als Standardwerke zum Teil noch
nach Jahrzehnten Neuauflagen erfuhren. Die Kenntnis aller Phasen und regionalen
Ausprägungen der islamischen Kunst und seine Einsicht in wesentliche Zusammen-
hänge machten K. nicht nur zu einem gesuchten Diskussionspartner für Fachkolle-
gen, sondern versetzten ihn auch in die Lage, zum Verständnis der islamischen Kunst
in weiten Kreisen beizutragen. Auf Grund seiner Spezialkenntnisse wurde er auch
zur Bearbeitung von Beständen des Textile Museum in Washington herangezogen.
Mit Kunst des Orients gründete K. 1950 eine Zeitschrift, die sich speziell der
Publikation von Forschungsergebnissen zur orientalischen Kunst des Mittelalters
widmete. Sie erschien bis 1979 und war die einzige ihrer Art im geteilten Deutsch-
land.
Werke: Francesco Botticini, Str 1906; Mau- zur Geschichte der spanisch-maurischen Ke-
rische Kunst, Bln 1909; Granada, Lpz 1909; ramik, in: JbAsKunst, 1925, 170–180; Islami-
Algerien, Lpz 1909; Die Ausstellung moham- sche Stoffe aus ägyptischen Gräbern in der
medanischer Kunst, Mü 1910, in: MJbbK, Islamischen Kunstabteilung und in der Stoff-
1910, 209–251; Das mohammedanische sammlung des Schloßmuseums, Bln 1927;
Kunsthandwerk und die Ausstellung Mün- Die Islamische Kunst, in: Anton Springer,
chen 1910, in: Kunst und Kunsthandwerk, 13, Handbuch der Kunstgeschichte, Bd. 6 (Die
1910, 441–450; Vorderasiatische Knüpfteppi- außereuropäische Kunst), Lpz 1929, 371–548;
che aus älterer Zeit, Lpz 1914 (mit Wilhelm Die islamische Kunstabteilung, in: Gesamt-
von Bode); Miniaturmalerei im islamischen führer durch die Staatlichen Museen zu Ber-
Orient, Bln 1922; Nordafrika. Tripolis, Tunis, lin, Bln 1930, 99–112; Die Baysonghur-Hand-
Algier, Marokko, Baukunst, Landschaft,Volks- schrift der islamischen Kunstabteilung, in:
leben, Bln 1924; Kunst des Orients, Pd 1924; JbPK, 1931, 133–152; Die Ausstellung persi-
Indische Buchmalereien aus dem Jahangir- scher Kunst in London, in: KtKtler, 29, 1931,
Album der Staatsbibliothek zu Berlin, Bln 229–237; Indische Miniaturen aus dem Be-
1924 (mit H. Goetz); Vom maurischen Orna- sitze der Staatlichen Museen zu Berlin, Bln
ment, in: KtKtler, 22, 1924, 94–102; Datierte 1937; Die Sammlung türkischer und islami-
persische Fayencen, in: JbAsKunst, 1924, 42– scher Kunst im Tschinili Köschk, Bln/Lpz
52; Islamische Kleinkunst, Bln 1925; Daten 1938; History of Miniature Painting and Dra-
254 Kühnel

wing, in: A Survey of Persian Art, 3, Ox 1939, ZDMG, 31, 1956, 78–92;The Textile Museum.
1829– 1897; Zwei Mosulbronzen und ihr Cairene Rugs and Others Technically Rela-
Meister, in: JbPK, 1939, 1–20; Hn ‚Alam und ted, Wa 1957 (mit L. Bellinger); Persische Mi-
die diplomatischen Beziehungen zwischen niaturmalerei, Bln 1959; Malernamen in den
Djahngir und Schah ‚Abbs, in: ZDMG, 96, Berliner »Saray«-Alben, in: KuOr, 3, 1959,
1942, 171–186; Islamische Schriftkunst, Bln/ 66–77; Die sarazenischen Olifanthörner,
Lpz 1942; Das Qazwini-Fragment der Islami- JbBM, 1959, 33–50; Die Kunst des Islam, Stg
schen Abteilung, in: JbPK, 1943, 59–72; Die 1962; L’Art de l’Orient islamique. Collection
Moschee. Bedeutung, Einrichtung und de la Fondation Calouste Gulbenkian, Lissa-
kunsthistorische Entwicklung der islamischen bon 1963 (mit B. Gray); Die islamischen El-
Kultstätte, Bln 1949; Die Arabeske. Sinn und fenbeinskulpturen 8.–13. Jh., Bln 1971
Wandlung eines Ornaments, Wb 1949; Der Literatur: Erdmann, Kurt: Bibliographie
mamlukische Kassettenstil, in: KuOr, 1, 1950, E.K., in: ArsOr, 1, 1954, 195–208; Aus der Welt
58–68; Drachenportale, in: ZfKw, 4, 1950, 4– der islamischen Kunst. FS E.K., Bln 1959 (Bi-
18; The Textile Museum. Catalogue of Dated bliogr.); Babinger, Franz: E.K., in: JbBAdW,
Tiraz Fabrics. Umayyad, Abbasid, Fatimid, Wa 1965, 175–182; ders.: E.K., in: ZDMG, 115,
1952 (mit L. Bellinger); The Textile Museum: 1965, 1–13 (Bibliogr.); Ettinghausen, Richard:
Catalogue of Spanish Rugs, Wa 1953 (mit L. E.K., in: Madrider Mitt., 6, 1965, 215–236
Bellinger); Moghul-Malerei, Bln 1955; Die (Bibliogr.); Anthes, Rudolf: E.K., in: JbPKB,
osmanische Tughra, in: KuOr, 2, 1955, 59–82; 1964/65, 33–37
Die Kunst Persiens unter den Buyiden, in: KR

Ladendorf, Heinz
Geb. 29. 6. 1909 in Leipzig; gest. 15. 8. 1992 in Köln

Sorgfältige Detailuntersuchungen und die Zusammenführung außergewöhnlich


vieler Beispiele und Literaturnachweise zum jeweils behandelten Gegenstand wußte
L. mit Herausforderungen der Fachdisziplin zu verbinden, indem er ungewohnte
Fragen stellte, auf Erweiterung ihres Gegenstandsbereichs drängte und neue Me-
thoden, vor allem die Motivkunde, anwandte. Unzufrieden mit dem Zustand der
Kunstwissenschaft in den 1950er Jahren, wollte er bewußt machen, daß die Kunst-
geschichte keineswegs bereits »ausstudiert« sei.
L. beendete 1933 das Studium bei Leo Bruhns (1884–1957) in Leipzig mit einer
umfänglichen, aus den Quellen gearbeiteten Dissertation über den barocken Bild-
hauer und Baumeister Andreas Schlüter, die der Deutsche Verein für Kunstwissen-
schaft wegen der Fülle neuer Erkenntnisse aufwendig veröffentlichte. Für eine
breitere Leserschaft folgte 1937 eine schwungvolle Würdigung des »Schöpfers und
der Seele des aus Armut und dunklem Ernst, aus Schwerblütigkeit und Festigkeit
geborenen preußischen Stils«. Auch die Behandlung Schlüters in  Thieme-
Beckers Künstlerlexikon wurde dem jungen L. übertragen, der 1936–45 in der Ver-
waltung der preußischen Schlösser und Gärten in Berlin als Direktor der Schloß-
bibliothek arbeitete und 1939 am Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte in
London teilnahm. Die bibliothekarische Tätigkeit und die zeitbedingte Unmög-
lichkeit, Kunstwerke im Ausland aufzusuchen, beeinflußten die weitgehend auf
umfassende Auswertung der Fachliteratur und Abbildungen gestützte Habilitations-
schrift über Antikenstudium und Antikenkopie, aufgrund deren L. 1948 Dozent an der
Universität seiner Heimatstadt Leipzig wurde. Als Nachfolger  Beenkens und als
Ladendorf 255

ein anspruchsvoller und pädagogisch intensiver Lehrer leitete er – seit 1952 als a.o.
Professor, seit 1954 als Ordinarius, 1955 auch Mitglied der Sächsischen Akademie
der Wissenschaften – das kunsthistorische Institut, bis er 1958 mit den politisch-
ideologischen Verhältnissen in Leipzig brach und nach Köln ging. Auch dort nahm
er bis zur Emeritierung 1977 die Aufgaben des Hochschullehrers sehr ernst, wie
sein 1964–76 immer wieder bearbeiteter Leitfaden für Studienanfänger Zum Stu-
dium der Kunstgeschichte ausweist, der allerdings in der 9. Auflage ein düsteres Bild
von beruflichen Perspektiven zeichnete und sich vehement gegen die sozialwissen-
schaftlich ausgerichteten theoretisch-methodologischen Ansätze, die nach 1968
aufkamen, wandte.
L. wollte, daß die Kunstgeschichtsforschung, deren höchstes Ziel eine »Wertlehre«
sei, grundsätzlich alle Zeiten und Räume ins Auge fasse, damit ein neues Gesamt-
bild von der Kunstgeschichte gewonnen werde, doch war er sich bewußt, daß dafür,
zum Beispiel für außereuropäische Kunst, auch verschiedene Wissenschaften mit
unterschiedlichen Methoden unerläßlich seien. Er umriß dies 1955 in dem kompri-
mierten Beitrag Kunstwissenschaft für das Sammelwerk Universitas Litterarum, das
voller Hinweise auf die Disziplingeschichte, auf Querverbindungen, Fehlstellen und
Zukunftsaufgaben der Forschung steckt. Er bestand auf Beziehungen zur Ge-
schichtswissenschaft, weil er die vielfältigen praktischen Funktionen von Kunstwer-
ken im Leben der Menschen nicht ignorierte. Frühe Arbeiten galten der »histori-
schen Bildkunde«, dem künstlerischen Quellenmaterial, das die Historiographie
nutzen solle. Geistesgeschichtlich herangehend und in schroffer Gegnerschaft zum
Marxismus fragte L. aber nicht nach etwaigen Wirkungen der Gesellschaftsstruktur
oder der Produktivkräfte auf die Stilgeschichte. Er drang auf Öffnung zu anderen
Wissenschaften, etwa zur Volkskunde, und eine dem eigenen Fach angepaßte Nut-
zung ihrer Ergebnisse und Methoden. Wesentliche Anstöße gab er der Motivkunde,
die ähnlich der Typologie (beispielsweise von Baugliedern), die Formenlehre und
die herkömmliche Ikonographie und Ikonologie durch wichtige Erkenntnismög-
lichkeiten ergänzt. Er bestand darauf, daß »parallel zur Stilgeschichte der Formen
und Sehweisen eine Stilgeschichte der Inhalte, letztlich eine Stilgeschichte der
Denkformen läuft«, daß Formen eine Grundbedeutung haben und daß auch in
bescheiden oder alltäglich erscheinenden Gegenständen der Realität eine über sie
hinausweisende Bedeutung liegt, derentwegen sie ein Künstler in ein Werk hinein-
nimmt (Fragen der Motivuntersuchung, 1956 – am Beispiel der Seifenblase behandelt).
L. wies die Bedeutung der Wiederaufnahme von Gestaltungselementen längst ver-
gangener Perioden nach, noch bevor sich in der Kunstwissenschaft eine neue Auf-
merksamkeit für historisierende Kunst, besonders des 19. Jahrhunderts, auszubreiten
begann. Ihn interessierte die kaum beachtete »Beschauerforschung«  Strzygowskis,
ehe die ihr vergleichbare Rezeptionsästhetik aufkam. Wie ergiebig L.s Betrach-
tungsweise sein konnte, ergaben die Fallstudien und zusammenfassenden Erwägun-
gen in Antikenstudium und Antikenkopie. Die etwas abseits veröffentlichte Arbeit, die
neues Licht auf anscheinend wohlbekannte Werke und kunsthistorische Vorgänge
warf, blieb nach dem Schlüter-Buch die einzige größere Publikation L.s. In der
Folgezeit legte er sein Konzept von der Geschichte der Kunst, von der Art, wie man
zu einem Verständnis von ihr gelange, und von der tiefen, in der Gegenwart gefähr-
256 Ladendorf

deten Bedeutung der Kunst im Geistesleben nur noch in kürzeren Einzelstudien


dar. Die Aufsätze Zur Frage der künstlerischen Phantasie (1960) mit einer umfänglichen
Bibliographie zur Kunstpsychologie und Geographie, Kartographie und neuere Kunst
(1962) sind Beispiele dafür. Ein geographischer Raum, den L. – auch mit aktuellen
politischen Implikationen – stärker ins Blickfeld der deutschen Forschung rücken
und in seinen künstlerischen Leistungen neu würdigen wollte, war Osteuropa, ein-
schließlich Rußlands. Schon bald nach Ausbruch des Kalten Krieges verblüffte er
den Deutschen Kunsthistorikertag 1951 in Berlin (West), indem er stalinistische
Hochhausentwürfe mit altrussischen Kirchen verglich (Zur nachmittelalterlichen
Kunstgeschichte Osteuropas). Die UdSSR-Exkursion seines Kölner Instituts 1965 war
damals immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Die Renaissance (Cranach und der
Humanismus, 1953), Grünewald (1966), den er den bedeutendsten deutschen Maler
seiner Zeit und einen Künstler ersten europäischen Ranges nannte, beschäftigte ihn
stark, ebenso das 19. Jahrhundert, das keineswegs die Zeit einer »vermeintlich wahl-
losen Stilhetze« gewesen sei. Kein Kunsthistoriker hatte bisher über Der Duft und die
Kunstgeschichte (1959) geschrieben. L. schlug dazu auf 20 Seiten einen gehaltvollen
Bogen von Altägypten und China bis zum Kinopalast der Gegenwart und zu »des-
odorisierenden Stoffen und Lotionen, die den neutralisierten Menschen einer un-
ersetzlichen Eigenschaft berauben«. Seine Annahme, daß Kunst aus jüngster Vergan-
genheit noch nicht gerecht beurteilt werden könne, weil sie bis zu 90 Jahre lang in
einem »Dunkelfeld« für das Verstehen liege, entfremdete L. den Fachkollegen, die
gerade damals für eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Gegenwartskunst
durch die Universitätskunstwissenschaft eintraten, und seine Ablehnung der kriti-
schen jüngeren Kunstwissenschaftler nach 1968 bewirkte, daß diese nur wenige
seiner Beobachtungen und Fragen aufgriffen.
Werke: Der Bildhauer und Baumeister An- nung der Ausstellung in der Nationalgalerie,
dreas Schlüter. Beiträge zu seiner Biographie in: ebd., 43–54; Die Motivkunde und die
und zur Berliner Kunstgeschichte seiner Zeit, Malerei des 19. Jh.s, in: DLZ, 78, 1957, 178–
Bln 1935; Zur Historischen Bildkunde, in: 179; Der Duft und die Kunstgeschichte, in:
Forschungen zur Brandenburgisch-Preußi- FS Erich Meyer, Hbg 1959, 251–273; Zur
schen Geschichte, 47, 1935, 378–385; Histo- Frage der künstlerischen Phantasie, in: FS
rische Bildkunde, in: JbbdG, 1935 (1936), Otto H. Förster, Köln 1960, 21–35; Museum
148–152, 1937 (1938), 171–174, 1938 (1939), und Universität, in: Museumskunde, 29, 1960,
177–183; Andreas Schlüter, Bln 1937; Wieder- 73–92; Ästhetische Kritik in Karikaturen zur
aufnahme von Stilformen in der bildenden bildenden Kunst, in: Actes du 4e Congrès In-
Kunst des 15. bis 19. Jh.s, in: FuF, 25, 1949, ternational d’ Esthétique, Athen 1960, 806–
98–101; Zur nachmittelalterlichen Kunstge- 808; Leo Bruhns, in: Jb. d. Sächs. AdW 1957–
schichte Osteuropas, in: KChr, 4, 1951, 270– 1959, Bln 1961, 345–350; Andreas Schlüter.
271; Antikenstudium und Antikenkopie. Vor- Das Denkmal des Großen Kurfürsten, Stg
arbeiten zu einer Darstellung ihrer Bedeu- 1961; Kafka und die Kunstgeschichte, in:
tung in der mittelalterlichen und neueren WRJb, 1961, 293–326 u. 1963, 227–262; Geo-
Zeit, Bln 1953; Cranach und der Humanis- graphie, Kartographie und neuere Kunst, in:
mus, in: Lucas Cranach. Der Künstler und ebd., 1962, 381–392; Gerhard Marcks, Alber-
seine Zeit, Bln 1953, 82–98; Kunstwissen- tus Magnus 1955, Stg 1962; Denkmäler und
schaft, in: Universitas Litterarum. Hdb. d. Mahnmale seit 1945, in: Monumenta Judaica.
Wissenschaftskunde, hrsg. v. Werner Schuder, 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden
Bln 1955, 605–634; Fragen der Motivuntersu- am Rhein, Köln 1963, 656–667; Das Laby-
chung, in: WZHU, 5, ges.- u. sprachwiss. R., rinth in Antike und neuerer Zeit, in: JbDAI,
1955/56, 161–166; Adolph Menzel. Zur Eröff- 1963, 761–796; Fragen der europäischen
Ladendorf 257

Kunstgeschichte im mittleren und östlichen des 19. Jh.s, in: Deutsche in der Habsburger
Europa. Ansprache zur Eröffnung der Aus- Monarchie, hrsg. v. Hans Rothe, Köln/Wien
stellung »Konturen der Mitte«, Bocholt 1964; 1989, 153–160
Die Motivkunde und die Malerei des 19. Jh.s, Literatur: Boeck, Wilhelm: Rez. von »Der
in: FS Eduard Trautscholdt, Hbg 1965, 173– Bildhauer und Baumeister Andreas Schlü-
188; Grünewald, in: Neue Deutsche Biogra- ter« in: ZfKg, 5, 1935, 165–170; Hinterkeuser,
phie, Bd. 7, Bln 1966, 191–197; Einwirkungen Guido: dass., in: Jkg, 2, 1998, 253–256; FS
der Renaissance auf die russische Kunst, in: H.L., Köln/ Wien 1970 (mit Bibliogr.); Magi-
Beiträge zu den europäischen Zügen der rius, Heinrich: Nachruf H. L., in: Jb. Sächs.
Kunst in Rußland, Gießen 1979, 1–12; Deut- AdW, 1991–92, 307–313; Kratzke, Christine:
sche Künstler in Rußland im 19./20. Jh., in: Das Kunsthistorische Institut der Universität
ebd., 71–86; Der alte Mensch in der Kunst, in: Leipzig von 1945 bis 1958, in: Kunst und Po-
Walter Göpfert (Hrsg.), Metanoeite, Dü 1983, litik, 8, 2006, 51–92
55–68; Leonardo da Vinci und die Wissen- PHF
schaften, Köln 1984; Die ungarische Malerei

Lehrs, Max
Geb. 24. 6. 1855 in Berlin; gest. 12. 11. 1938 in Dresden

Die Verdienste von L., der neben  Bartsch,  Lützow,  Singer,  Lippmann
und Kurt Zoege von Manteuffel bis heute zu den unangefochtenen Autoritäten der
Kupferstichforschung gehört, liegen in seinen wegweisenden Arbeiten zu den An-
fängen des ältesten graphischen Tiefdruckverfahrens im 15. Jahrhundert. Er enga-
gierte sich aber auch für die Graphik seiner Zeit und vertrat die für einen Kunst-
historiker ungewöhnliche Auffassung: »Die Erziehung zur Kunst, das heißt zum
Kunstempfinden und Kunstgenießen, kann und soll nur von ihr [der Kunst der
Zeit] ausgehen und nicht, wie die Kunstgelehrten uns weismachen möchten, um-
gekehrt von der alten Kunst.«
Nachdem L. 1873–80 zunächst im Buch- und Kunsthandel und 1870 für kurze
Zeit als Bibliothekar am Schlesischen Museum in Breslau tätig gewesen war, wurde
er 1883 Assistent am Dresdner Kupferstichkabinett. 1886 promovierte er bei
 Springer in Leipzig über den Meister mit den Bandrollen. 1904 holte ihn  Bode
an die Berliner Museen. Als Nachfolger Lippmanns leitete er 1905–08 das Kupfer-
stichkabinett, dessen Bestand er systematisch ergänzte, unter anderem 1906 durch
die Erwerbung der Sammlung Felix Boix, die die Goya-Kollektion des Berliner
Kabinetts weitgehend komplettierte. Zur Betreuung der Graphik des 19. Jahrhun-
derts und der Gegenwart wurde eigens eine Direktorialassistentenstelle geschaffen,
die Johannes Sievers einnahm; auf seine Initiative begann der Aufbau einer Koll-
witz- und Slevogt-Sammlung. Am Ende der Berliner Zeit von L. stand die Publika-
tion des ersten Bandes seines Hauptwerkes im Verlag der Wiener Gesellschaft für
vervielfältigende Kunst, einer Geschichte mit kritischem Katalog des frühen deut-
schen, niederländischen und französischen Kupferstichs (ein ergänzendes Corpus
zum italienischen Kupferstich von Arthur M. Hind erschien 1938–48 in London).
Anders als die älteren, meist einer inneren Ordnung entbehrenden Materialsamm-
lungen ruhte dieses neunbändige Werk auf dem Fundament einer ausgefeilten
Stilkritik und einem sicheren Empfinden für künstlerische Qualität. Über viele
258 Lehrs

Jahre hinweg hatte L. alle großen und kleinen Kupferstichsammlungen in ganz


Europa durchgearbeitet und sich eine Materialkenntnis erworben, die es ihm nicht
nur erlaubte, die Œuvres der Stecher des 15. Jahrhunderts zu rekonstruieren, son-
dern die einzelnen Abdrucke auch als Individuen zu behandeln. Er vermerkte von
jedem Exemplar den Standort, darüber hinaus Abbildungen in der Literatur und
Auktionspreise.
1908 kehrte L. an das Dresdner Kupferstichkabinett zurück und leitete es bis
1923. Wie schon in Berlin schenkte er dem aktuellen Geschehen in der Graphik
große Aufmerksamkeit. Mit sicherem Gespür erkannte er früh – nach dem Zeugnis
des befreundeten Dresdner Architekten Fritz Schumacher verkehrte L. gern mit
jungen Künstlern – die bedeutenden unter den deutschen Graphikern der Jahrhun-
dertwende, kaufte ihre Arbeiten für das Kabinett an und trat publizistisch für sie ein.
Als einer der ersten wurde er auf die junge Käthe Kollwitz aufmerksam. Er ent-
deckte Emil Orlik und Otto Greiner und stellte für Karl Stauffer-Bern 1907 ein
mustergültiges Werkverzeichnis zusammen; auch engagierte er sich für die lange
umstrittenen Klinger, Thoma und Böcklin. Aus Mangel an Selbstzeugnissen wissen
wir nichts über L.s Einschätzung der Expressionisten, Kubisten oder gar Dadaisten,
sie dürften ihm aber ferngestanden haben. L. schrieb auch Feuilletonbeiträge und
Gedichte und gab die Lebenserinnerungen Ludwig Richters heraus. Unter seinen
Zeitungsartikeln finden sich aufmerksame Beschreibungen des alten Berlin und
Dresden mit kunsthistorischen und zeitkritischen Reminiszenzen. Mit seiner welt-
gewandten, an kunstpolitischen Fragen interessierten Ehefrau führte L. ein gastliches
Haus, das im Dresdner Kulturleben eine nicht unbedeutende Rolle spielte und vor
allem Künstlern offenstand.
Werke: Zu Dürers Studium der Antike, in: besgärten. Ein Beitrag zur Geschichte des äl-
MIfÖG, 2, 1881, 281–286; Die ältesten deut- testen Kupferstichs in den Niederlanden, Dr
schen Spielkarten des Kgl. Kupferstichkabi- 1893; Der Meister WA, ein Kupferstecher der
nets zu Dresden, Dr 1886; Der Meister mit Zeit Karls des Kühnen, Dr 1895; Max Klin-
den Bandrollen. Ein Beitrag zur Geschichte gers »Brahms-Phantasie«, in: ZfbK, 30 (6),
des ältesten Kupferstiches in Deutschland, Dr 1895, 113–118; Arnold Böcklin. Ein Leitfaden
1886; Über die Passion des Meisters ES, in: zum Verständnis seiner Kunst, Mü 1897; Bil-
RfKw, 9, 1886, 150–155; Katalog der im Ger- der und Zeichnungen vom Meister des
manischen Museum befindlichen deutschen Hausbuches, in: JbPK, 1899, 173–182; Der
Kupferstiche des 15. Jh.s, Nü 1887; Der Mei- Meister der Berliner Passion, in: ebd., 1900,
ster PW von Cöln, in: RfKw, 10, 1887, 254– 135–159; Der Meister der Boccaccio-Bilder,
270; Der deutsche und niederländische Kup- in: ebd., 1902, 124–141; Otto Greiner, in: GrK,
ferstich des 15. Jh.s in den kleineren Samm- 26, 1903, 93–107; Käthe Kollwitz, in: ebd.,
lungen, in: RfKw, 11, 1888, 47–65, 213–239; 55–67; Über einige Holzschnitte des 15. Jh.s
12, 1889, 19–38, 250–276, 339–357; 13, 1890, in der Stadtbibliothek zu Zürich, Str 1906;
39–54; 14, 1891, 9–20, 102–116, 204–216, 384– Karl Stauffer-Bern 1857–1891. Ein Verzeichnis
409; 15, 1892, 110–146, 422–426, 472–505; 16, seiner Radierungen und Stiche, Dr 1907; Die
1893, 28–56, 309–343; 17, 1894, 185–195, 348– dekorative Verwendung von Holzschnitten
365; Wenzel von Olmütz, Dr 1889; Die Spiel- im 15. u. 16. Jh., in: JbPK, 1908, 183–194; Ge-
karten des Meisters E.S. 1466 in heliographi- schichte und kritischer Katalog des deut-
schen Nachbildungen, Bln 1891; Italienische schen, niederländischen und französischen
Kopien nach deutschen Kupferstichen des 15. Kupferstichs im 15. Jh., 9 Bde., Wien 1908–34;
Jh.s., in: JbPK, 1891, 125–136; Über gesto- Holzschnitte der 1. Hälfte des 15. Jh.s im Kgl.
chene Vorlagen für gotisches Kirchengerät, in: Kupferstichkabinett zu Berlin, Bln 1908; Aus-
ZfchK, 6, 1893, 65–74; Der Meister der Lie- stellung von deutschen und niederländischen
Lehrs 259

Holzschnitten des 15. Jh.s im Kgl. Kupfer- (Briefe), Mü 1981; Braun, Ernst (Hrsg.): Der
stichkabinett im Neuen Museum, Bln 1908; Briefwechsel zwischen M.L. und Max Lie-
Zur Geschichte des Dresdner Kupferstichka- bermann, in: JbKDr, 1990, 81–106; ders.:
binetts, in: Mitt. aus d. sächs. Kunstsammlun- Einige Anmerkungen zum Briefwechsel
gen, 3, 1913, 84–95; Schongauer-Zeichnungen zwischen M. L. und Max Liebermann, in:
in Dresden, in: ebd., 5, 1914, 6–17; Slevogts Dresdener Kunstblätter, 34, 1990, 2, 44–53;
Bilder aus Ägypten in der Dresdner Galerie, Achenbach, Sigrid: Das Berliner Kupferstich-
in: ZfbK, 50 (26), 1915, 217–220; Daguerroty- kabinett und die französische Kunst unter
pen, in: ebd., 52 (28), 1917, 181–196; Der Mei- Friedrich Lippmann und M.L., in: AKat. Ma-
ster LCz und der Meister WsB. Nachbildun- net bis van Gogh, Mü 1996, 318–331; Berndt,
gen ihrer Kupferstiche, Bln 1922; Gesammel- Iris: Wissenschaftler für alte deutsche Kunst.
tes, FrB 1924 M.L. und seine Mitarbeiter, Peter Halm, Wer-
Literatur: Rosenthal, Erwin: Verzeichnis ner Schade, in: Dresdener Kunstblätter, 48,
der Schriften von M.L., Mü 1915; Weixlgärt- 2004, 1, 38–41
ner, Arpad: M.L., in: GrK, 3, 1938, 156–159; JZ
Orlik, Emil: Malergrüße an M.L. 1898–1930

Lichtwark, Alfred
Geb. 14. 11. 1852 in Reitbrook (heute Hamburg); gest. 13. 1. 1914 in Hamburg

Die von L. propagierte »Gymnastik der Sammeltätigkeit« war nicht nur charakteri-
stisch für sein langjähriges Direktorat an der Hamburger Kunsthalle, sie verwies
darüber hinaus in einem viel allgemeineren Sinn auf die angestrebte künstlerische
Bildung breiter Volksschichten, für die er, Sohn mittelloser Eltern, zeitlebens eintrat.
In der Überzeugung, daß Kunst nicht intellektuellen oder ständischen Eliten ge-
höre, sondern Teil des kollektiven Besitzes einer Nation sei, nutzte er seine Position,
um das Museum als Ort der Volksbildung fest in der städtischen Kultur Hamburgs
zu verankern. Damit folgte er den Vorstellungen  Sempers, der schon im Zuge der
Londoner Welt-Ausstellung von 1851 die öffentlichen Sammlungen und Denkmäler
als die »wahren Lehrer eines freien Volkes« gepriesen hatte.
L. beobachtete bei seinen deutschen Landsleuten einen im Vergleich zu Englän-
dern und Franzosen unterentwickelten Sinn für Schönheit und suchte dem auf
vielfältige Weise entgegenzuwirken. In zahlreichen Aufsätzen für die Jahrbücher
Hamburgischer Kunstfreunde regte er zu schöpferischer Tätigkeit an, zu häuslicher
Weberei und Stickerei, Schneiden in Holz und Papier, zu Blumenpflege und Gar-
tenkunst sowie Beschäftigung mit dem neuen Medium der Photographie. Das
Sammeln von Graphik erschien ihm als eine besonders geeignete Form, Zugang
zur bildenden Kunst zu finden. In der Begegnung mit dem Kunstwerk hoffte L.,
den unvoreingenommenen, fachlich unbelasteten Betrachter zu begeistern und
seine Fähigkeit zum Kunstgenuß zu wecken. Sein kunstpädagogisches Wirken zielte
nicht darauf ab, unteren sozialen Schichten die bürgerlich bestimmte Hochkultur
aufzunötigen. Er betrachtete das Sammeln als einen Versuch, die Kluft zwischen
Künstlern und Publikum zu verringern und ein als soziale Verpflichtung verstande-
nes Mäzenatentum zu entwickeln.
L.s methodisches Vorgehen wurzelte primär in der Beschreibung, im spontanen,
von keinen vorgegebenen Regeln eingeschränkten Sehen. Der »Hydra ästhetischer
260 Lichtwark

Formeln« trat er mit einem ausgeprägten Sinn für künstlerische Qualität entgegen.
Das Kunstwerk allein war ihm Ausgangs- und Endpunkt seiner Betrachtungen. Alle
seine Tätigkeiten waren durchdrungen von einem nahezu obsessionsartigen päd-
agogischen Eifer, der sich schon früh bemerkbar machte. Nach dem Schulabschluß
unterrichtete L. als Hilfslehrer und 1871–75 als regulärer Lehrer an der Jacobikir-
chenschule in Hamburg. Wegweisend für seine Entwicklung war die Begegnung
mit Justus Brinckmann (1843–1915), dem Direktor des Museums für Kunst und
Gewerbe, wo sich L. mit kleineren Tätigkeiten ein Zubrot verdiente. Brinckmann
erkannte die außergewöhnliche Begabung seines Zöglings und förderte dessen
kunstgeschichtliche Privatstudien, so daß der 27jährige ab 1880 ohne Abitur Kunst-
geschichte und Philosophie in Leipzig studieren konnte. Schon nach einem Jahr
wurde er Assistent und 1884 Bibliothekar an dem von Julius Lessing (1843–1908)
geleiteten Berliner Kunstgewerbemuseum; in der Hauptstadt knüpfte er wertvolle
Kontakte zum Hof, zur Aristokratie, zum Kunsthandel und zur Künstlerschaft. 1885
promovierte er bei  Springer in Leipzig mit einer Arbeit über Die Kleinmeister als
Ornamentisten. 1886 wurde er zum Direktor der Hamburger Kunsthalle berufen.
Wie die Berliner »Museumsmacher«  Tschudi und  Bode trug L. maßgeblich
zur Entwicklung von Grundformen musealer Arbeit bei, die bis heute praktiziert
werden. Aus dem ungeordneten, gesichtslosen und eher provinziellen Museum, das
er bei seinem Amtsantritt in Hamburg vorfand, entwickelte sich unter seiner Lei-
tung in nur wenigen Jahren eine der renommiertesten öffentlichen Kunstsammlun-
gen in Deutschland. Seine 20 Bände umfassenden Briefe an die Kommission für die
Verwaltung der Kunsthalle geben ein eindrucksvolles Beispiel seiner enormen Ar-
beitsleistung.
L. verstand es, Weltläufigkeit mit lokalen Interessen in Einklang zu bringen.
Besondere Aufmerksamkeit widmete er der hamburgischen und niederdeutschen
Kunst- und Kulturgeschichte. Er erwarb Hauptwerke der spätmittelalterlichen
Hamburger Maler Meister Bertram und Meister Francke und entriß Philipp Otto
Runge, den er als »bewußten Lichtmaler im modernen Sinn« verstand, der Verges-
senheit. Zu Runges Gemälden, die auf der von L. mitangeregten Berliner »Jahrhun-
dertausstellung« von 1906 große Beachtung fanden, gesellten sich bald auch signifi-
kante Werke Caspar David Friedrichs wie 1905 Das Eismeer. L. hatte eine besondere
Vorliebe für das 19. Jahrhundert; in seinen letzten Jahren bereicherte er die Samm-
lung durch Werke französischer Künstler (Manet, Monet, Renoir, Courbet, Sisley).
Wie sein Berliner Kollege Tschudi gehörte L. zu den gerngesehenen Besuchern in
den Künstlerateliers und Salons des In- und Auslandes.
Seit 1894 vergab die Kunsthalle auf Initiative L.s in lockerer Folge Aufträge zu
Bildern von Hamburg und seiner Umgebung sowie zu Porträts seiner bekanntesten
Bürger, anfangs an einheimische Künstler, dann an Berühmtheiten wie Liebermann,
Corinth und Slevogt; auch die Franzosen Edouard Vuillard und Pierre Bonnard, die
im Sommer 1913 einige Wochen in Hamburg verbrachten, malten jeder ein Bildnis
und mehrere Landschaften. L.s Absicht bei diesem Projekt lief weniger auf eine
»Hamburgensia«-Sammlung als auf eine Hebung des Kunstgeschmacks und auf die
Förderung der zeitgenössischen Kunst hinaus.
Besonders am Herzen lag L. die Kunsterziehung der Jugend. 1896 gründete er
Lichtwark 261

»Die Hamburger Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung in den


Schulen«.

Werke: Berliner Neubauten, in: Die Gegen- deutschen Jahrhundert-Ausstellung, in: Jb-
wart, 23, 1883, 268–270; Rembrandt und die GHK, 1906, 49–113; Entwicklung und Ein-
holländische Kunst, in: Stiche und Radierun- fluß der künstlerischen Photographie in
gen von Schongauer, Dürer, Rembrandt, Bln Deutschland, in: Fritz Matthies-Masuren,
1885, o.S. (mit Julius Janitsch); Moderne Gar- Künstlerische Photographie, Bln 1907, 8–18;
tenkunst, in: Die Gegenwart, 28, 1885, 326– Park- und Gartenstudien, Bln 1909; Der
328; Zur Organisation der Hamburger Kunst- junge Künstler und die Wirklichkeit, in: Jb-
halle. Die Aufgaben der Kunsthalle. Die Kunst GHK, 1909, 43–73; Eine Alsterstadt, in: ebd.,
in der Schule, Hbg 1887; Der Ornamentstich 1910, 35–44; Städtebau. Die drei Entwick-
der deutschen Frührenaissance nach seinem lungsphasen des deutschen Städtebaus. Der
sachlichen Inhalt, Bln 1888; Hamburger hamburgische Städtebau im 19. Jh., in: ebd.,
Kunsthalle. Zur Wiedereröffnung am 23. De- 1911, 21–37; Der rheinische Bismarck (mit
zember 1890, Mü 1890; Denkschrift über die Walter Rathenau), Bln 1912; Eine Lebensge-
innere Ausstattung des Hamburger Rathau- meinschaft der Hansestädte, in: Die Tat, 5,
ses, Hbg 1891; Hermann Kaufmann und die 1913/14, Bd. 1, 213–223; Eine Auswahl aus
Kunst in Hamburg von 1800–50, Mü 1893; seinen Schriften, hrsg. v. Wolf Mannhardt, 2
Makartbouquet und Blumenstrauß, Mü 1894; Bde., Bln 1917; Briefe an Gustav Pauli, Hbg
Wege und Ziele des Dilettantismus, Mü 1894; 1946; Briefe an Max Liebermann, Hbg 1947;
Philipp Otto Runge, Hbg 1895; Briefe an die Briefe an Leopold Graf von Kalckreuth, Hbg
Kommission für die Verwaltung der Kunst- 1957; Erziehung des Auges. Ausgewählte
halle, 20 Bde., Hbg 1896–1920; Palastfenster Schriften, hrsg. v. Eckard Schaar, Frf 1991
und Flügeltür, in: Pan, 2, 1896/97, 57–60; Stu- Literatur: Schiefler, Gustav: Gesellschaft
dien, 2 Bde., Hbg 1896/97; Vom Arbeitsfeld Hamburgischer Kunstfreunde. Gedenkrede
des Dilettantismus, Dr 1897; Übungen in der A.L. zu Ehren, Hbg 1914; Schulenburg, Wer-
Betrachtung von Kunstwerken, Hbg 1897; ner von der: L., in: Hamburgische Monats-
Künstlerische Erziehung, in: Die Zukunft, 21, schrift, 1, 1914, 3–6; Mönckeberg, Carl: L. als
1897, 34–39; Hamburger Kunsthalle. Die Politiker, in: ders., Hamburg vor und nach
Sammlung von Bildern aus Hamburg, Hbg dem Kriege. Hanseatische Studien, Stg/ Bln
1897; Deutsche Königsstädte. Berlin-Pots- 1917, 75–81; Scheffler, Karl: A.L., in: A.L. Eine
dam-Dresden-München-Stuttgart, Dr 1898; Auswahl aus seinen Schriften, Bln 1917, Bd. 1,
Das Bildnis in Hamburg, 2 Bde., Hbg 1898; VII–XXVIII; Heise, Carl Georg: Das Erbe
Die Aufgaben einer Gesellschaft zur Förde- L.s. Betrachtungen zur Eröffnung des Neu-
rung der Blumenpflege, in: Dt. Wochenblatt, baus der Hamburger Kunsthalle, in: ZfbK
12, 1899, Bd. 1, 285–292; Die Seele und das (Beilage), 54 (30), 1918/19, 785–791; Zerom-
Kunstwerk. Böcklinstudien, Bln 1899; Mei- ski, Anna von: A.L., ein Führer zur deutschen
ster Francke, Hbg 1899; Matthias Scheits als Zukunft, Jena 1924;Waetzoldt,Wilhelm:Trilo-
Schilderer des Hamburger Lebens 1650– gie der Museumsleidenschaft. Bode-Tschudi-
1700, Hbg 1899; Justus Möser und die Kunst, L., in: ZfKg, 1, 1932, 5–12; Gebhard, Julius:
in: JbGHK, 1900, 39–54; Die Erziehung des A.L. und die Kunsterziehungsbewegung in
Farbensinnes, Bln 1901; Aus der Praxis, Bln Hamburg, Hbg 1947; Hentzen, Alfred: Die
1902; Drei Programme, Bln 1902; Kunsthalle Entstehung der Bildnisse des Historikers
zu Hamburg. Bildniskunst, Hbg 1904; Mu- Eduard Meyer von Lovis Corinth in der
seen als Bildungsstätten, in: Die Museen als Hamburger Kunsthalle. Dargestellt anhand
Volksbildungsstätten. Ergebnisse der 12. Kon- der Briefe von A.L., Lovis Corinth und
ferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Wohl- Eduard Meyer, in: JbHK, 1961, 117–142;
fahrtseinrichtungen, Bln 1904, 6–12; Deut- Klausch, Helmut: Beiträge A.L.s zu einer
sche Kunst, in: Weltausstellung in St. Louis neuen Gartenkunst in seiner Zeit, Diss. Ha
1904. Amtlicher Kat., Ausstellung des Deut- 1971; Dibbern, Margrit: Frankfurter Kunst
schen Reiches, Bln 1904, 151–158; Meister und Leben um die Jahrhundertwende aus
Bertram, Hbg 1905; Der Deutsche der Zu- den Briefen von A.L., Frf 1974; Below, Irene:
kunft, Bln 1905; Die Hamburger auf der Probleme der Werkbetrachtung – L. und die
262 Lichtwark

Folgen, in: dies. (Hrsg.), Kunstwissenschaft Köln 1993, 202–214; Nehls, Margrit: Die
und Kunstvermittlung, Gießen 1975, 83–135; Hamburger Kunsthalle und ihr Direktor A.L.,
Beckers, Edgar: Das Beispiel A.L. Eine Studie Hbg 1993; Tschudis Wirken aus der Sicht
zum Selbstverständnis der Reformpädagogik, A.L.s, in: AKat. Manet bis van Gogh, Natio-
Diss. Köln 1976; Kayser, Werner: A.L., Hbg nalgalerie Berlin u. Neue Pinakothek, Mü
1977; Dibbern, Margrit: Die Hamburger 1997, 274–281; Kay, Carolyn: Art and the Ger-
Kunsthalle unter A.L. Entwicklung der man Bourgeoisie. A.L. and Modern Painting
Sammlung und Neubau, Diss. Hbg 1980; in Hamburg, Toronto 2002; Großkopff, Ru-
Präffke, Hans: Der Kunstbegriff A.L.s, Hil/ dolf: A.L., Hbg 2002; AKat. A.L.s Sammlung
Zü/NY 1986; Junge, Henrike: A.L.s Einfluß von Bildern aus Hamburg, hrsg. v. Ulrich
auf die Graphikrezeption und -produktion in Luckhardt u. Uwe Schneede, Hamburger
Hamburg, in: dies., Wohlfeile Kunst, Mainz Kunsthalle, Hbg 2002; Pflugmacher, Birgit
1989, 131–170; dies.: A.L. und die »Gymnastik (Hrsg.): Der Briefwechsel zwischen A.L. und
der Sammeltätigkeit«, in: Sammler, Stifter und Max Liebermann, Hil 2003
Museen, hrsg. v. Ekkehard Mai/ Peter Paret, CF

Lippmann, Friedrich
Geb. 6. 10. 1838 in Prag; gest. 20. 10. 1903 in Berlin

Für L. war Kunstgeschichte gleichbedeutend mit Kunstkennerschaft im Dienste des


Museums. Das Berliner Kupferstichkabinett profilierte er durch systematische Er-
werbungen zu einer der bedeutendsten Graphiksammlungen der Welt. In seinen
Schriften behandelte L. vorwiegend das von ihm zusammengetragene Material:
Druckgraphik und Zeichnungen von Schongauer, Dürer, Cranach d.Ä. und Rem-
brandt und die 1882 erworbenen Zeichnungen Botticellis zu Dantes Göttlicher Ko-
mödie.
L. studierte 1856–60 Staats- und Rechtswisenschaften in Prag; danach bereiste er
längere Zeit England und Frankreich – als Kind hatte er schon Italien kennenge-
lernt –, wo er vor allem Kunstsammlungen besuchte und eine immer bestimmtere
Neigung zur bildenden Kunst entwickelte. Nach Wien zurückgekehrt, kam er in
Kontakt mit Gustav Heider und  Eitelberger; letzterer ernannte ihn 1867 zum
»Korrespondenten«, später zum Kustos des von ihm gegründeten Österreichischen
Museums für Kunst und Industrie. 1873 verließ L. das Museum, arbeitete kurze Zeit
für die Denkmalpflege (Zentrale Kommission für die Erhaltung der Kunstdenk-
male), für die er in der Steiermark und in Tirol unterwegs war, und konzipierte für
die Wiener Weltausstellung eine Präsentation von Gemälden alter Meister. L. war
außerdem Mitglied des Vorbereitungskomitees des ersten kunstwissenschaftlichen
Kongresses 1873 in Wien. Auf  Bodes Initiative wurde L. 1876 zum Direktor des
Berliner Kupferstichkabinetts berufen. Obgleich er seine wissenschaftliche Kompe-
tenz bereits unter Beweis gestellt hatte – er gehörte zu den Initiatoren der Quellen-
schriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance (1870ff.)
sowie zu den Unterzeichnern der Kunsthistoriker-Erklärung im »Holbeinstreit«
1871 –, mußte L. in Berlin seine Doktorarbeit nachholen, um auch die formalen
Voraussetzungen für sein Amt zu erfüllen. Mit einer in nur wenigen Wochen ver-
faßten Arbeit über Die Anfänge der Formschneidekunst und des Bilddrucks, die seine
beste werden sollte, promovierte er 1876 an der Universität Tübingen.
Im Vordergrund von L.s Erwerbungstätigkeit für das Berliner Kabinett, deren
Lippmann 263

Richtlinien er wenige Monate nach Amtsantritt in einer Denkschrift dargelegt


hatte, standen Dürer, Schongauer und Rembrandt. Was trotz aller Bemühungen
seinen Vorgängern Wilhelm Eduard Schorn (1831–57) und  Hotho versagt geblie-
ben war, dem Berliner Kupferstichkabinett einen soliden Grundstock von hochka-
rätigen Blättern alter Meister zu verschaffen, gelang L. mit dem Ankauf der Dürer-
Sammlung Posonyi-Hulot (1877), in der sich die Kohlezeichnung von Dürers
Mutter befand, der Schongauer-Sammlung Felix (1885), der Rembrandt-Sammlung
des Herzogs von Buccleugh, der Ornamentstich-Sammlung Destailleur und der
Botticelli-Zeichnungen aus der Sammlung des Duke of Hamilton (1882). Außer-
dem erwarb er illuminierte Bücher des 15., 16. und 18. Jahrhunderts und die über
3000 europäischen Handzeichnungen der Sammlung von Beckerath. Nicht minder
pflegte er die großen Malerradierer des 17. Jahrhunderts, die Stecher und Holz-
schneider der Rubensschule und Chodowiecki.
Eine besondere Aufgabe sah L. in der Veröffentlichung der »ihm anvertrauten
Schätze«, obwohl er »von Natur wenig Neigung zu literarischer Produktion«
(Richard Schöne) hatte. Besonders verdienstvoll war seine zusammen mit der Gro-
teschen Verlagsbuchhandlung unternommene Veröffentlichung der Handzeichnun-
gen Dürers. Er gab außerdem Nachdrucke der Vorlagensammlungen Hans Brosa-
mers und Peter Flötners sowie von Holbeins Totentanz-Holzschnittzyklus nach den
Exemplaren im Kupferstichkabinett heraus. Von den Möglichkeiten der modernen
Reproduktionstechnik begeistert, engagierte er sich in der Internationalen Chalko-
graphischen Gesellschaft und arbeitete mit der Berliner Reichsdruckerei zusammen.
Seit 1889 erschien die dort hergestellte und verlegte Sammlung der »Reichsdrucke«,
auch Lippmannscher Atlas genannt, die zehn Jahre später mit einem Umfang von 500
Blättern zu einem vorläufigen Abschluß gelangte.
Zu organisatorischen und konzeptionellen Fragen des Kupferstichkabinetts äu-
ßerte sich L. 1881 in einer Denkschrift über die Errichtung eines Museums für Graphische
Kunst. Er zeigte sich darin als weitsichtiger Museumsmann, der die Entwicklung des
Faches Kunstgeschichte aufmerksam verfolgte und den Veränderungen in der
Künstlerausbildung Rechnung trug. Sein Ziel war es, eine umfassende graphische
Sammlung unter Einschluß der Photographie, »gewissermaßen als Archive des Ab-
bildungsmaterials auf dem Gebiete der bildenden Kunst«, einzurichten, die sowohl
den Künstlern als auch den Kunstforschern zur Verfügung stehen sollte. Spätere
Entwicklungen, vor allem das gewandelte Verständnis vom eigenständigen graphi-
schen Kunstwerk, insbesondere der Handzeichnung, standen der Verwirklichung
dieses Projekts entgegen. L. erkannte die besondere Qualität der von ihm erworbe-
nen Destailleur-Sammlung und setzte zu deren und ähnlicher Sammlungen Betreu-
ung einen Mitarbeiter ein. In diesem Sinne sprach er sich auch für die Eingliederung
der Ornamentstichsammlung des Kunstgewerbemuseums in das geplante neue Mu-
seum aus.
L.s reiche private Sammlung illustrierter Bücher des 15. Jahrhunderts ging nach
seinem Tod in den Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts über.
Werke: Die Ausstellung des Domschatzes in Weltausstellung, in: ebd., 3, 1868, 65–74, 117–
Prag im Mai 1866, in: MÖMKI, 1, 1866, 150– 120, 161–163; Die kirchlichen Altertümer des
154; Die Histoire du Travail auf der Pariser Welfenschatzes, in: ebd., 4, 1869, 369–372,
264 Lippmann

Über Fälschung alter Kunstgegenstände, in: stich, Bln 1893 (engl. 1906); Lucas Cranach.
ebd., 5, 1869, 17–24; Eine Studie über chine- Sammlung von Nachbildungen seiner vor-
sische Email-Vasen, Wien 1870; Alte Wand- züglichsten Holzschnitte und seiner Stiche,
malereien in Olmütz, in: MkkZk, 1, 1875, Bln 1895; Internationale Chalkographische
56–58; Über die Anfänge der Formschneide- Gesellschaft. Die sieben Planeten, Bln 1895;
kunst und des Bilddrucks, in: RfKw, 1, 1876, Zeichnungen von Sandro Botticelli zu Dan-
215–248; Denkschrift über die Errichtung tes Göttlicher Komödie. Verkleinerte Nach-
eines Museums für Graphische Kunst in Ber- bildungen der Originale im Kupferstichkabi-
lin, Bln 1881; Raffaels Entwurf zur Madonna nett zu Berlin und in der Bibliothek des Vati-
del Duca di Terranova und zur Madonna kans, Bln 1896
Staffa-Connestable, in: JbPK, 1881, 62–66; Literatur: Wickhoff, Franz: Rez. von
Der italienische Holzschnitt im 15. Jh., in: »Zeichnungen alter Meister« u. »Zeichnun-
ebd., 1882, 3–13, 167–189 u. 1884, 3–26, 179– gen Albrecht Dürers in Nachbildungen«, Bd.
207, 305–326 (engl. 1888; Nd. 1969); Zeich- 1, in: ZfbK, 19, 1884, 164–167; Bode, Wilhelm:
nungen alter Meister im Kupferstichkabinett F.L. Direktor des Berliner Kupferstichkabi-
der Kgl. Museen zu Berlin, Bln 1882; Die netts, in: ZfbK (Beilage), 39 (15), 1904, 81–88;
Zeichnungen des Sandro Botticelli zur Gött- Schöne, Richard: Dr. F.L., in: JbPK, 1904,
lichen Komödie, in: JbPK, 1883, 63–72; III–VIII; Achenbach, Sigrid: Das Berliner
Zeichnungen von Albrecht Dürer in Nach- Kupferstichkabinett und die französische
bildungen, 5 Bde., Bln 1883–1905 (Bd. 5 u. 7 Kunst unter F.L. und Max Lehrs, in: AKat.
hrsg. v. Friedrich Winkler 1927/29); Kupfer- Manet bis van Gogh, Mü 1996, 318–331
stiche und Holzschnitte alter Meister in JZ
Nachbildungen, Bln 1889–99; Der Kupfer-

Löffler, Fritz
Geb. 12. 9. 1899 in Dresden; gest. 15. 5. 1988 in Dresden

L.s Passion für seine Heimatstadt erinnert an die Anfänge der Kunsthistoriographie
in Italien, als Vasari und dessen Vorläufer immer auch als stolze Florentiner, Sienesen
oder Römer über die Künstler ihrer Stadt berichteten. Rückschauend bekannte L.
anläßlich seines 85. Geburtstages, daß er sich »als glücklicher Vermittler für das [ge-
sehen habe], was ich für unserer aller gemeinsames Anliegen tun durfte [...], nämlich
unsere Stadt Dresden und deren schöpferische Kräfte zu rühmen«. Er, der »Dresd-
nerischste aller Dresdner«, wie ihn der Künstlerfreund Willy Wolff auf einer Glück-
wunschkarte zum Jahreswechsel 1981/82 titulierte, tat dies als Historiker der städte-
baulichen Entwicklung Dresdens, einzelner Bauwerke und der Dresdner Kunst
vom Mittelalter bis zur Gegenwart; er verfaßte mehrere Künstlermonographien,
darunter eine über Otto Dix, und trat für die Dresdner Kunst als Kritiker ein. In
seinem langen Leben verließ L. Dresden nur selten; die Bombennacht vom 13. zum
14. Februar 1945, der die gesamte Altstadt zum Opfer fiel, verbrachte er jedoch auf
einer Dienstreise in Bautzen. Durch dieses Ereignis wurde L. zum Denkmalpfleger,
der sich mit dem Untergang des barocken Dresden nicht abfinden wollte und – be-
sonders in den 1950er und frühen 1960er Jahren oft im Widerspruch mit dem »so-
zialistischen Zeitgeist« – buchstäblich um jeden Stein kämpfte. 1993 wurden in
Dresden eine Straße und ein Platz nach L. benannt.
Der Apothekerssohn L. studierte nach dem Militärdienst seit 1919 eine breite
Palette von Fächern, neben Kunstgeschichte auch Germanistik, Musikgeschichte,
Romanistik, Theatergeschichte und Archäologie in Jena, Berlin, Greifswald und
Löffler 265

München, 1920/21 mehrere Monate auch in Florenz und Rom und promovierte
1927 in München mit einer Arbeit über den Dichter Eduard von Keyserling. An-
schließend wurde er Mitarbeiter der Städtischen Kunstsammlungen in Dresden.
Die literarische Ausrichtung trat allmählich in den Hintergrund, L. schloß Freund-
schaft mit Otto Dix und wurde Mitglied der Dresdner Sezession. Die fristlose
Entlassung aus dem Museumsdienst 1937 erfolgte wegen Förderung »linksgerichte-
ter, meist kommunistischer Künstler«. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den L. 1939–41
an der Westfront erlebte, konnte er an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren,
um ihn zwei Jahre später wegen »reaktionärer« Anschauungen erneut räumen zu
müssen. Von 1951 bis zu seiner Pensionierung 1968 gehörte L. dem Institut für
Denkmalpflege an.
Im Auftrag des Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst der Deutschen
Bauakademie und unterstützt von seiner Dienststelle schrieb L. Anfang der 1950er
Jahre sein bis 1992 in 11 Auflagen erschienenes Memento des alten Dresden, das die
Baugeschichte der Stadt – auch unter Berücksichtigung der im Laufe der Jahrhun-
derte wieder verschwundenen Bauten – von den Anfängen bis zur Zerstörung im
Februar 1945 darstellte; ein Register vermerkte den aktuellen Zustand und fixierte
die Ausgangslage einer, wie L. sie sich wünschte, umfassenden Wiederherstellung
der barocken Innenstadt. Während diese historistische Konzeption nicht unwider-
sprochen bleiben konnte, stand die Restaurierung des Zwingers nie in Frage. Ihm
widmete L. 1957 eine Monographie, die dessen Wiederauferstehung feierte. Denk-
malpflege verstand L. als »Zukunftsplanung«, und so war es auch das Anliegen einer
Publikation über die spätmittelalterlichen Stadtkirchen zwischen Görlitz, Leipzig
und Plauen, das öffentliche Bewußtsein kunsthistorisch zu sensibilisieren und die
vermeintlich sozialistische Umgestaltung der Städte in der DDR in der überliefer-
ten Substanz zu verankern. Dies war auch eines der Motive für L., in den Jahren
1953–88 die auch wissenschaftlich wertvolle Reihe Das christliche Denkmal heraus-
zugeben.
Wenn man von Canaletto absieht, über dessen Veduten L. 1985 ein Buch veröf-
fentlichte, galt sein Interesse ausschließlich den Zeitgenossen unter den Dresdner
Malern und Zeichnern, vor allem Dix, der in ihm seinen ersten Biographen (1960)
und den ersten Verfasser eines Œuvreverzeichnisses der Gemälde (1981) fand. Schon
1949 hatte L. die erste Dresdner Dix-Ausstellung seit 1933 veranstaltet und im Ka-
talog geschrieben: »Er geht wirklich den Weg vom Himmel durch die Welt zur
Hölle, nichts ist ihm fremd geblieben, kein Thema hat er gescheut anzugreifen.«
Kein anderer deutscher Künstler habe über eine »ähnliche Spannweite der Mittel
verfügt«. L. trat für Dix zu einer Zeit ein, als weder die Verfechter des sozialistischen
Realismus noch der abstrakten Kunst eine gerechte Würdigung des Künstlers zulie-
ßen. Nach L.s Auffassung offenbarte dessen Lebenswerk trotz scheinbarer Brüche
eine innere Folgerichtigkeit; Dix war für ihn unbedingt ein »moderner« Künstler,
selbst wenn er im »Atomzeitalter nicht an der Existenz der gegenständlich optischen
Realität« zweifeln wollte, und er begleitete ihn bis in die letzten Lebensjahre (Bilder
zur Bibel und zu Legenden, zu Vergänglichkeit und Tod, 1986). Neben zahlreichen Arti-
keln und Aufsätzen über Dresdner Künstler veröffentlichte L. größere Arbeiten über
Josef Hegenbarth (1959), Hans Jüchser (1964), Hans Theo Richter (1970) und Bern-
hard Kretzschmar (1985).
266 Löffler

Auch als Sammler Dresdner Kunst verdient L. Erwähnung. Der ältere Bestand, zu
dem 1934 aus dem Nachlaß Theodor Däublers bedeutende Werke gekommen wa-
ren, verbrannte zum großen Teil 1945. In den folgenden Jahren brachte L. wieder
eine reichhaltige Kollektion zusammen, die er 1988 – kurz vor seinem Tod – den
Staatlichen Kunstsammlungen stiftete. Seinen schriftlichen Nachlaß übergab L. der
Sächsischen Landesbibliothek.
Werke: Das epische Schaffen Eduard von tholischen Hofkirche in Dresden, in: Unum
Keyserlings, Mü 1927; Das Körnerhaus in in veritate et laetitia. Bischof Dr. Otto Spül-
Dresden, Dr 1936; Theodor Körner. Dichter beck zum Gedächtnis, Lpz 1970, 345–366;
und Freiheitsheld, Dr 1938; AKat. Otto Dix. Dresden so wie es war, Dü 1972; Die Stadt-
Malerei, Zeichnung, Graphik, Dr 1949; kirchen in Sachsen, Bln 1973 (mit Karlheinz
Schloß und Park Pillnitz, Dr 1951; Hubert Blaschke u. Heinrich Magirius); Die sächsi-
Georg Ermisch. Der Zwinger in Dresden, schen Stadtkirchen, Bln 1974; Einführung, in:
Bln 1952 (Hrsg.); Das alte Dresden. Ge- AKat. Dresdner Sezession 1919–25, Mü 1977,
schichte seiner Bauten, Dr 1955; Die Monu- 1–7; Otto Dix. Graphik aus fünf Jahrzehnten,
mentalmaler des Barock in Dresden, in: Jb. Lpz 1978; Stadtkreis Dresden, in: Schicksale
zur Pflege der Künste, Dr 1956, 1–23; 250 deutscher Baudenkmale im 2. Weltkrieg, Bd.
Jahre Dresdner Gemäldegalerie, in: Jb. zur 2, Bln 1979, 372–442; Otto Dix 1891–1969.
Pflege der Künste, Dr 1975, 5–31; Der Zwin- Œuvre der Gemälde, Recklinghausen 1981;
ger. Ein Denkmal des Dresdner Barock, Dr Der Zwinger zu Dresden, Dr 1981; Bernardo
1957; Theodor Däubler. Der neue Stand- Bellotto genannt Canaletto. Dresden im 18.
punkt, Dr 1957 (Hrsg.); Josef Hegenbarth, Dr Jh., Lpz 1985; Bernhard Kretzschmar, Dr 1985;
1959; Otto Dix. Leben und Werk, Dr 1960 Otto Dix. Bilder zur Bibel und zu Legenden,
(engl. 1982); Hans Jüchser. Bildnis eines zu Vergänglichkeit und Tod, Bln 1986; Dres-
Künstlers, Bln 1964; Kunst des Mittelalters in den. Vision einer Stadt, hrsg. u. eingeleitet v.
Sachsen, Wei 1967 (Hrsg.); Dresdner Bilder- Ingrid Wenzkat, Dr 1995
buch, Dr 1968 (mit Zeichnungen von Ernst Literatur: AKat. F.L. Freund der Künstler.
Hassebrauk); Konsolfiguren in der Busmann- Die Schenkung Slava und F.L., Kupferstich-
Kapelle der ehemaligen Franziskaner-Kirche Kabinett Dresden 1988; Walther, Sigrid
in Dresden, in: ZDVKw, 22, 1968, 139–147; (Hrsg.): F.L. (1899–1988). Ein Leben für Kunst
Hans Theo Richter. Zeichnungen, Lpz 1970; und Denkmalpflege in Dresden, Dr 1999
Die farbige Ausgestaltung des Innern der Ka- PB

Lorck, Karl von


Geb. 20. 8. 1892 in Schleswig; gest. 6. 6. 1975 in München

Der Danziger Kunsthistoriker  Drost und der 1927–45 in Königsberg tätige


Rechtsanwalt L. gelten als die beiden namhaften Vertreter der norddeutschen Rich-
tung innerhalb der kunstwissenschaftlichen Strukturforschung der 1920er und
1930er Jahre. L. wurde nicht müde, diese Methode als einen Durchbruch in der
Kunstforschung und einen Beitrag zur modernen Wissenschaft herauszustellen,
denn ihre »Pioniere« – genannt werden die Philosophen Spengler, Spranger, Key-
serling, der Soziologe Sombart, die Biologen Driesch und Uexküll, der Ästhetiker
Croce und der Romanist Vossler Рseien ȟberall darauf aus, den Erscheinungen
Sinn und Bedeutung zu geben«. Um das breite Publikum einzubeziehen, gründete
L. die Kanter-Bücher und verfaßte selbst 31 Texte über Riemenschneider, Dürer,
Friedrich, Neumann, Runge, Schinkel, Goya, Chodowiecki und den Pergamon-
Altar.
Lorck 267

Bei der Strukturanalyse Drostscher und L.scher Prägung handelt es sich um eine
Deutungslehre zur bildenden Kunst, die auf der Annahme beruht, daß nichts am
Kunstwerk zufällig, »kein einziger Zug« der »materiellen« Form »ohne Sinn« sei.
Dieser strenge Determinismus hat nicht zuletzt ihre Akzeptanz erschwert, besonders
L.s Interpretationen haben nicht selten etwas Willkürliches, dem Kunstwerk Unan-
gemessenes. Seinen theoretischen Überlegungen läßt sich jedoch eine beachtliche
disziplinhistorische Relevanz nicht absprechen.
L., der bis zu seiner Pensionierung 1960 als Jurist arbeitete, studierte in München,
London, Berlin, Straßburg und Königsberg, kehrte schwerverwundet aus dem Er-
sten Weltkrieg zurück und promovierte 1921 mit einer Arbeit über Namensrecht.
Bald darauf wurde er Syndikus im Potsdamer Athenaion-Verlag, wo seit 1913 das
Handbuch der Kunstwissenschaft, an dem er mitarbeitete, und 1926 seine Grundstruk-
turen des Kunstwerks herauskamen. Er nannte das schmale Büchlein den Entwurf einer
Physiognomik der bildenden Kunst, die auf »klaren, lehrbaren Grundsätzen« beruhe.
Dieser systematische Ansatz schloß eine historische Betrachtungsweise für L. vorerst
aus; bevor die Kunstwerke nicht analysiert waren, hielt er Kunstgeschichte weder
für möglich noch für erforderlich. Er distanzierte sich ausdrücklich von  Riegls
und  Wölfflins stilgeschichtlicher Betrachtungsweise, verkannte vollkommen die
genetische Dimension der überlieferten Kunstwerke, zwischen denen seiner Auffas-
sung nach nur insofern ein Zusammenhang bestand, als sie an der »menschlichen
Weltgestaltung«, am Weltbild eines Künstlers und einer Epoche, partizipierten. Eine
autonome Geschichte der Kunst konnte nach L.s Überzeugung »lediglich Ge-
schichte der Materie in angeblichen Entwicklungen« sein. Dem Entwurf von 1926
folgte 1941 ein umfangreiches Lehrbuch zur »Strukturforschung« und 1965 noch
einmal eine Kurzfassung der »neuen Lehre«, jenem vermeintlich »hochempfindli-
chen Meßinstrument« in der Hand des Kunstforschers.
Von großem Dokumentationswert sind L.s Veröffentlichungen über die während
des Zweiten Weltkrieges vernichteten Schlösser und Gutshäuser Ostpreußens. In
Herrenhäuser Ostpreußens (1933), der ersten Veröffentlichung zu diesem Thema, wird
nach dem »Kulturgehalt« gefragt, der sich in der »preußischen Struktur« dieser Ar-
chitektur widerspiegele, in der »Klarheit und Disziplin der Haltung, Zuordnung
aller Teile zu einem zusammenfassenden Ganzen unaufdringlicher Herrschaft eines
zentralen Mittelpunktes und nicht zuletzt in einer klassischen Strenge und Einfach-
heit«. Diese Merkmale glaubte L. in der gesamten Kunst des Ostens ausmachen zu
können, der für ihn unter Einschluß Preußens, Schlesiens, des Baltikums und sogar
Teilen Englands und Skandinaviens zu einer großen Kulturlandschaft verschmolz,
in der über die Zeiten hinweg stets ein »latenter Klassizismus« geherrscht habe. L.
behauptete weiter, daß Langhans, Gilly, Schinkel und der Klassizismus primär nicht
auf französische oder italienische Einflüsse zurückgingen, vielmehr sei um 1790 von
Osten her eine »neue Strukturtendenz« in das friderizianische Rokoko eingebro-
chen. Auch in seinem Schinkel-Buch von 1939 ist von »preußischer Schlichtheit«
und Preußens »ewiger Klassizität« die Rede. Schinkel habe die griechische Kunst
nicht nachgeahmt, sondern gleichsam wiedererkannt und lediglich preußische We-
senszüge zur Entfaltung gebracht. L. verstieg sich – wie auch  Strzygowki – zu
der Vermutung, daß es Verbindungen zwischen Preußen und nördlichen Völker-
268 Lorck

stämmen gäbe, die in grauer Vorzeit nach Griechenland gezogen wären und dort
die hellenische Kultur begründet hätten. Diese Mutmaßungen zum Klassizismus als
»latente Grundstruktur« der preußischen Architektur und Kunst lassen die Nähe der
Strukturanalyse zur Kunstgeographie ( Gerstenberg,  Grisebach,  Frankl, Paul
Pieper) deutlich werden.
L.s Schriften sind eine Apotheose Preußens und seines Stammlandes im Osten,
das der Wahlostpreuße 1945 verlassen mußte. Er kam nach Schleswig-Holstein zu-
rück, wo er geboren war, und wirkte in den folgenden Jahren in Kiel als Amtsge-
richtsrat, Landgerichtsdirektor und Senatspräsident beim Oberlandgericht sowie
beim Reichserstattungsgericht in Celle und Herborn.
Werke: Nacktheit als Lebensausdruck in der zu Königsberg, Würzburg 1954, 57–80; Die
bildenden Kunst, 2 Bde., Bln 1923/25; Bildnisse Karl Friedrich Rumohrs, in: Kunst
Grundstrukturen des Kunstwerks. Entwurf in Schleswig-Holstein, Jb. d. Schleswig-Hol-
einer Physiognomik der bildenden Kunst, Pd steinischen Landesmuseums Schleswig/Schloß
1926; AKat. Handzeichnungen alter Meister. Gottorp, 1954, 108–124; Kastelle, Paläste und
Sammlung Fürst Dohna-Schlobitten und Villen in Italien, Frf 1961; Burgen, Schlösser
Kunstsammlungen der Stadt Königsberg, Kö und Gärten in Frankreich, Frf 1962; Dome,
1929; Die deutschen Herrenhäuser, 2 Bde. Kirchen und Klöster in Ost- und Westpreu-
(Ostpreußen u. Württemberg), Kö 1933/1940; ßen, Frf 1963; Preußisches Rokoko, Olden-
Deutschland in Schinkels Briefen und Zeich- burg/Hbg 1964; Grundstrukturen. Struktur-
nungen, Dr 1937; Groß Steinort. Der Bauvor- analyse des Kunstwerks. Ein Abriß für das
gang eines Barockschlosses im deutschen Kunststudium, Bln 1964; Schloß Finckenstein.
Osten, Pillkallen 1937; Venedig. Briefe, Be- Ein Bauwerk des preußischen Barock im
richte und Bilder aus vier Jahrhunderten, Dr Osten, Frf 1966; Die Klassik und der Osten
1938; Ferdinand Gregorovius. Sizilien, Dr Europas. Vom Ursprung und Wesen des Klas-
1938; Karl Friedrich Schinkel, Bln 1939; Fer- sizismus, Oldenburg/Hbg 1966; Vom Geist
dinand Gregorovius. Idyllen vom Baltischen des deutschen Ostens, Bln 1967; Ost- und
Ufer, Kö 1939; Ferdinand Gregorovius. Idyl- Westpreußen mit Danzig, Frf 1967; Neue
len vom Lateinischen Ufer, Kö 1941; Fünf Forschungen über die Landschlösser und
neuentdeckte Bilder von Caspar David Fried- Gutshäuser in Ost- und Westpreußen, Frf
rich, in: KfA, 56, 1941, 145–150; Wie erkenne 1969; Landschlösser und Gutshäuser in Ost-
ich das Kunstwerk? Die neue Lehre von der und Westpreußen, Frf 1972
Strukturforschung in der Bildkunst, Dr 1941; Literatur: Wahlert, Gerd von: K.v. L. Cen-
Von der Kunst zu sehen, Kö 1943; Expressio- turio rerum nitentium, Frf 1962; Wahlert,
nismus. Einführung in die europäische Kunst Gerd von: K.v.L. in: Ostpreußenblatt, 18, 1967,
des 20. Jh.s, Lübeck 1947; Romantik. Von der S. 10; Hager, Luisa: Rez. von »Schloß Finken-
Graphik der Romantiker. 40 Handzeichnun- stein«, in: DKDpf, 27, 1969, 86–88; Forstreu-
gen, Holzschnitte und Radierungen, Lübeck ter, Kurt: K.v.L., in: Preußenland, 14, 1976,
1948; Ostpreußische Gutshäuser, Kitzingen 58–59
1953; Immanuel Kant und die Bildkunst sei- PB
ner Epoche, in: Jb. der Albertus-Universität

Lübke,Wilhelm
Geb. 27. 1. 1826 in Dortmund; gest. 5. 4. 1893 in Karlsruhe

Ihre seit der Jahrhundertmitte wachsende öffentliche Anerkennung verdankte die


junge Kunstwissenschaft nicht zuletzt einem Kunsthistoriker, der wegen seiner
immensen Produktivität innerhalb der »Zunft« nicht unumstritten war, dessen bis
weit ins 20. Jahrhundert immer wieder neuaufgelegten Handbücher in ihrer gesell-
Lübke 269

schaftlichen und disziplinhistorischen Bedeutung aber der sogenannten seriösen


Sachforschung nicht nachstehen. Der mit L. befreundete Theodor Fontane sah das
Verdienst des Grundrisses der Kunstgeschichte darin, »daß erst seit dem Erscheinen
dieses und verwandter L.scher Bücher auf den speziellen Gebieten der Plastik und
Architektur ein allgemeines Sichkümmern der Gebildeten um diese Dinge und
Fragen Platz gegriffen hat. Diese (im besten Sinne) Popularisierung des Stoffes war
L.s vorgesetztes Ziel [...]. Die raschen Erfolge waren allerdings nur dadurch mög-
lich, daß das Verlangen nach Orientierung über diese Dinge allmählich immer le-
bendiger geworden war [...]. Diese Bücher erschienen zur rechten Stunde«.
L. sah sich und die moderne Kunstgeschichtsschreibung im Dienste der »Volks-
pädagogik«: Wenn auch die Kunstwerke von einzelnen Künstlern hervorgebracht
werden, könne das »Schöne« doch nur aus dem »Volksgeist« kommen; die ästheti-
sche Bildung, die dafür die Voraussetzung sei, erwachse auch aus der Beschäftigung
mit den Kunstwerken der Vergangenheit, allerdings »nicht aus frivoler Genußsucht,
[...] sondern auf dem Grunde einer ernsten wissenschaftlichen Betrachtung«. L.
verbreitete kunsthistorisches Wissen auch vom Katheder, nicht an Universitäten,
sondern als einer der ersten Kunsthistoriker an technischen Lehranstalten, der Ber-
liner Bauakademie (seit 1857) und dem Polytechnikum von Zürich (seit 1861),
Stuttgart (seit 1866) und Karlsruhe (seit 1885). Als ein besonderes Verdienst wird
man ihm anrechnen müssen, daß an seinen Vorlesungen, wenigstens als Hospitantin-
nen, auch Frauen teilnehmen durften.
L., der Sohn eines armen Lehrers, verdankte der Kunstgeschichte seinen sozialen
Aufstieg. Er wurde zu ihrem wohl bekanntesten deutschen Vertreter im 19. Jahrhun-
dert und erhielt sogar – ein Novum bis heute – nach seinem Tode in Karlsruhe ein
Denkmal. Begonnen hatte diese einmalige Karriere in Bonn, wo L. Philologie,
Philosophie, Literaturgeschichte und Geschichte studierte und durch  Kinkel mit
der Kunstgeschichte in Berührung kam. Auf einer seiner Rheinwanderungen wurde
ihm die romanische Doppelkapelle von Schwarzrheindorf zu einem Schlüsselerleb-
nis. In Berlin setzte er 1846 das Studium fort und legte 1848 das Lehrerexamen ab.
Seit 1850 lebte er von freier Kunstschriftstellerei, besonders für das Deutsche Kunst-
blatt. Die Entscheidung für die Kunstgeschichte hatte nicht zuletzt der Kontakt mit
der Berliner Kunsthistorikerelite, mit  Waagen,  Hotho,  Schnaase,  Kugler
und  Burckhardt, befördert.
In Kugler und Schnaase sah L. seine großen Vorbilder, und ihnen ist seine erste
größere wissenschaftliche Arbeit (Die mittelalterliche Kunst in Westfalen, 1853) gewid-
met. Kugler habe in seinem Handbuch der Kunstgeschichte (1842) den Zusammenhang
nachgewiesen, in welchem die einzelnen Kunstwerke »von den ältesten Zeiten bis
auf unsere Tage untereinander verbunden sind«, und Schnaase sei in seiner Geschichte
der bildenden Künste (1843) den »Kulturverhältnissen jedes Volkes, seiner Religion,
Sprache und Sitte« und der Kunst »als feinster Blüte und Spitze dieser gesamten
Verhältnisse« nachgegangen. Beide Betrachtungsweisen wollte L. in seinen univer-
salen Gesamtdarstellungen zur Architektur und zur Plastik (1855, 1863), der ersten
ihrer Art überhaupt, und im Grundriß der Kunstgeschichte (1860) zusammenführen.
Dies lief für ihn darauf hinaus, »das geistige Leben der Völker, wie es sich in den
Schöpfungen der bildenden Kunst spiegelt, zum Verständnis zu bringen«, woraus
270 Lübke

deutlich wird, daß er Schnaase näher stand. Die Kunstgeschichte betrachtete L.


noch als »eine notwendige Ergänzung der allgemeinen Geschichte« und einen
»Zweig der Kulturgeschichte«.
Zu den gattungsorientierten Übersichtswerken kommen drei nationale Kunstge-
schichten, in denen dem kulturgeschichtlichen Kontext noch mehr Raum gegeben
ist: eine Geschichte der Renaissance-Architektur in Frankreich und Deutschland
(1867, 1873) als die Bände 4 (Teil 2) und 5 der Kuglerschen Geschichte der Baukunst,
eine Kaiser Wilhelm I. gewidmete Geschichte der italienischen Malerei des Mittel-
alters und der Renaissance und, das Lebenswerk L.s abschließend, eine deutsche
Kunstgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart (1890). Während letztere, ein
voluminöses Opus, heute nur noch wegen seiner Ausfälle gegen den Naturalismus
und den Impressionismus ein gewisses Interesse verdient – aus dem einstigen »Re-
publikaner« von 1848 war längst ein guter Preuße und Bismarck-Verehrer geworden
–, haben die beiden anderen Bücher einer selbständigen, aus dem Schatten von
Antike und Mittelalter heraustretenden Renaissance-Forschung mit den Weg geeb-
net. Die Architektur der mittel- und westeuropäischen Renaissance war bis dahin
so gut wie unbekannt. L. kann daher als einer ihrer Entdecker gelten. Da er sie
technisch und stilistisch als vorbildhaft für die zeitgenössische Architektur erachtete,
wurde er auch zu einem Propagandisten der Neurenaissance. Diese Überzeugung
brachte ihn in Konflikt mit den Neugotikern, vor allem mit August Reichensper-
ger, einem von L.s schärfsten Kontrahenten. Einig wußte sich L. aber mit Burck-
hardt, dessen Kultur der Renaissance in Italien (1860) ihm eine »wahre Erquickung«
bedeutete, und dem er sich als »standhaften Freischärler« empfahl, der »mit dem
Feldgeschrei ›Hie Renaissance‹ immer auf dem Platz« sein wollte. Bis zu seiner er-
sten Italienreise 1858/59 zusammen mit Karl Schnaase und Karl von Lützow hatte
sich L. vor allem zur Kunst des Mittelalters hingezogen gefühlt, später bekannte er
sich zur Bürgerkunst der Renaissance.
Werke: Vorschule zur Geschichte der Kir- sicht des Entwicklungsganges der bildenden
chenbaukunst des Mittelalters, Lpz 1851 (ab 5. Künste von den frühesten Werken bis auf die
Aufl. 1866:Vorschau zum Studium der kirch- neuere Zeit (Volksausgabe), Stg 1864 (Ergän-
lichen Kunst des deutschen Mittelalters); zung zum »Grundriß der Kunstgeschichte«, 2.
Wandmalereien im neuen Museum zu Berlin, Aufl.); Geschichte der Renaissance in Frank-
in: DtKbl, 1852, 108–110, 127–129; Die mittel- reich, Stg 1867 (Bd. 4.2 der »Geschichte der
alterliche Kunst in Westfalen, 2 Bde., Lpz Baukunst« von Franz Kugler); Über Richard
1853; Geschichte der Architektur von den äl- Wagner, Bln 1869; Kunsthistorische Studien,
testen Zeiten bis auf die Gegenwart, Lpz Stg 1869; Zur italienischen Kunstgeschichte,
1855; Rez. von Anton Springer, Handbuch in: ZfbK, 5, 1870, 292–300, 355–365; Otto
der Kunstgeschichte (1855), in: DtKbl, 1856, Mündler, in: ebd., 6, 1871, 1–7; Geschichte
76–78; Der romanische Baustil in Österreich, der Renaissance in Deutschland, Stg 1873;
in: MZk, 3, 1858, 141–144; Reisenotizen über Zur Geschichte der holländischen Schützen-
mittelalterliche Kunstwerke in Italien, in: und Regentenbilder, in: RfKw, 1, 1876, 1–27;
MZk, 5, 1860, 112–120, 160–173, 191–203, Geschichte der italienischen Malerei vom 4.
222–231; Grundriß der Kunstgeschichte, Stg bis ins 16. Jh., 2 Bde., Stg 1878/79; Karl
1860 (engl., frz., dän., schwed. Übersetzun- Schnaase. Biographische Skizze, Stg 1879;
gen); Der Totentanz in der Marienkirche zu Gottfried Kinkel, in: ZfbK (Beilage), 18, 1880,
Berlin, Bln 1861; Geschichte der Plastik. Von 177–187; Der Dom von Aquileja, in: MZk, 10,
den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, 1884, 47–53; Bunte Blätter aus Schwaben.
Lpz 1863; Denkmäler der Kunst. Zur Über- 1866–1884, Stg 1885 (darin: Die heutige Kunst
Lübke 271

und die Kunstwissenschaft, 1866; Die Kunst- Handbücher [...] in Stuttgart, Ha 1874;
geschichte und die Universitäten, 1871; Die Pietsch, Ludwig: W.L., in: Nord und Süd,
Darmstädter Madonna Hans Holbeins und Okt. 1877, 268–280; Pfau, Ludwig: Zur Cha-
das Dresdener Exemplar, 1871); Kunstwerke rakteristik des Herrn L., Stg 1884; Gurlitt,
und Künstler, Br 1886; Geschichte der deut- Cornelius: W.L., in: Die Gegenwart, 37, Nr.
schen Kunst von den frühesten Zeiten bis zur 18, 3. 5. 1890, 280–282; Lützow, Karl von:
Gegenwart, Stg 1890; Lebenserinnerungen, W.L., in: ZfbK (Beilage), 28 (4), 1893, 337–
Bln 1891; Altes und Neues. Studien und Kri- 340; Rohling, Ludwig: L., in: Robert Stuppe-
tiken, Br 1891; Briefe an Hermann Kestner rich (Hrsg.), Westfäl. Lebensbilder, Bd. 6,
aus den Jahren 1846–1859, Kr 1895; Abriß der Münster 1957, 147–165; Meier, Nikolaus: W.
Geschichte der Baustile, 3 Bde., Lpz 1867/68 L., Jacob Burckhardt und die Architektur der
(3. Aufl.) Renaissance, in: BZfGA, 85, 1985, 151–211
Literatur: Riegel, Herman: Dem Herrn W. PB
L., Verfasser mehrerer kunstgeschichtlicher

Lützeler, Heinrich
Geb. 27. 1. 1902 in Bonn; gest. 13. 6. 1988 in Bonn

Das Arbeitsgebiet L.s umfaßte so unterschiedliche Gebiete wie die Malerei der
Moderne und den deutschen Kirchenbau der Gegenwart, die außereuropäische
Kunst sowie die Kunst der Naturvölker und frühen Hochkulturen. Diese Vielfalt
kennzeichnet auch seine Schriften, die kunstphilosophische, soziologische, stil- und
gattungsspezifische Problematisierungen und Erörterungen über das Verhältnis von
Kunst und Religion, Kunst und Literaturwissenschaft und nicht zuletzt die ver-
schiedenen Arten und Motivationen der Begegnung des Menschen mit Werken der
bildenden Kunst behandeln.
Neben Kunstgeschichte und Germanistik bei  Clemen,  Worringer und Paul
Hankamer in Bonn studierte L. seit 1919 Philosophie in Köln bei Max Scheler. In
ihm fand er einen Lehrer, den er als Genie – »das einzige, das ich im Laufe meines
Lebens traf« – verehrte. L. promovierte 1924 in Bonn mit einer Arbeit über Formen
der Kunsterkenntnis. Die schon hier angestrebte Verknüpfung von Kunstwissenschaft
und Philosophie sowie der strenge Phänomenbezug, der das Einzelwerk in den
Mittelpunkt der Betrachtungen rückte, sollten für seine weiteren Arbeiten bestim-
mend werden. L. selbst hat immer wieder auf die theoretische Verankerung seiner
Texte in der Existenzphilosophie hingewiesen, weil diese nach der Bedeutung der
Kunst für das menschliche Dasein frage. Mit Martin Heidegger stimmte er darin
überein, daß Kunst weder in ästhetizistischer noch stilkritischer oder formalistischer
Reduktion zu verstehen sei. Eine seiner Grundüberzeugungen war, daß Kunst
»Wahrheit ins Werk« setze. Dieser Wahrheit suchte er durch akribisch genaue Ana-
lysen der äußeren, ein Kunstwerk konstituierenden Merkmale – Form, Farbe, Flä-
che, Proportion, Volumen, Raum – auf die Spur zu kommen, um das formal Ein-
zigartige und Eigenständige als den »Wesenskern« eines Werkes erfahrbar zu
machen.
Immer wieder taucht bei L. die Frage auf, ob die Kunst als wissenschaftlicher
Gegenstand einer begründenden »Vorgabe«, sei sie theologischer, psychologischer,
philosophischer oder soziologischer Natur, bedürfe. Ihm war jede werkfremde
272 Lützeler

Kunsttheorie problematisch; ikonologischen oder geistesgeschichtlichen Interpreta-


tionen hat er stets mißtraut. Obwohl auch seinen Analysen ein hermeneutischer
Dreischritt von »Erkennen«, »Erklären« und »Verstehen« zugrunde liegt, der auf den
ersten Blick  Panofskys dreistufigem Interpretationsmodell ähnelt, unterscheidet
sich L.s strenger Phänomenbezug erheblich von Panofsky, der gerade auf der dritten
Ebene (»Verstehen«) das konkrete Einzelwerk vernachlässigte, indem er sich
bemühte, den Zusammenhang mit Zeitströmungen und epochentypischen Geistes-
haltungen herzustellen. Um jedwedem Schematismus generalisierender Stilfor-
schungen zu entgehen, betonte L. die prinzipielle Gleichrangigkeit aller Erkennt-
nisformen, auch der nichtwissenschaftlichen. Frank-Lothar Kroll hat in diesem
Zusammenhang auf die anthropologische Dimension hingewiesen, die L. die in
einem Kunstwerk realisierten Möglichkeiten zu erforschen erlaube und die in der
Überzeugung gründe, daß unterschiedliche Formen der Kunsterfahrung auf unter-
schiedliche menschliche Haltungen zurückzuführen seien. Diese pluralistische
Auffassung, die unterschiedliche Wege zur Kunst – so einer von L.s Buchtiteln – an-
erkennt, entsprach seiner dezidierten Forderung eines Austausches zwischen Kunst-
wissenschaft und Nachbardisziplinen, um anthropologische Aspekte der behandelten
Werke zu erhellen. L.s »Kunst im Kontext«, seine Einbeziehung philosophischer,
theologischer oder literaturwissenschaftlicher Problemstellungen, meinte weder
bloße Addition disziplinärer Kompetenzen, noch verstand sie sich als »Reparatur-
phänomen«, das immer dann zum Zuge kam, wenn einzelwissenschaftliche Per-
spektiven nicht weiterführten. Ihm ging es vielmehr darum, die vielfältigen Konno-
tationen eines Werkes zu erschließen, »um in solcher Umschau zu erweisen, was
eigentlich des Menschen ist«. Statt kleinteiliger Spezialforschung erprobte L. den
Weitblick universaler Kunstbetrachtung, da für ihn nur so der Zusammenhang zwi-
schen Kunst und gesellschaftlichem Leben verständlich wurde. Aus der Fülle des
Gesamtwerkes dokumentieren seine Weltgeschichte der Kunst (1959), die Wege zur
Kunst (1967) und das methodologische Hauptwerk Kunsterfahrung und Kunstwissen-
schaft (1975) exemplarisch diesen Anspruch. Auch hier beschränkte sich der Autor
keinesfalls auf die Kulturlandschaft Europa, er verwahrte sich vor der Übertragung
»abendländisch« gebundener Kunst- und Schönheitsideale auf außereuropäische
Kulturkreise. L. breitete sein enzyklopädisches Wissen als ein »vielstimmiges Sym-
posion« (Aler) aus, wobei er die ästhetische Sphäre des künstlerischen Schaffens und
die geschichtliche Sphäre gesellschaftlichen Daseins konzise aneinanderband: »Man
versteht ein Kunstwerk nicht zu Genüge, wenn man es nur stilkritisch, das heißt
von einigen Formzügen her beurteilt. Ein Kunstwerk verstehen, heißt, seine Leben-
digkeit aufschließen. Der Leser darf nirgendwo das Gefühl haben, im historischen
Schutt umzukommen, zwischen dem toten Gestein ihm gleichgültiger Fakten um-
herzuirren.«
Seiner Maxime »Wege zur Kunst und zum Menschen« blieb L. auch unter für
ihn schwierigen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen treu. Nachdem er
1930 Assistent am Bonner Kunsthistorischen Institut geworden war und sich 1934
über die Grundstile der Kunst habilitiert hatte, entzog man dem zentrumsnahen Ka-
tholiken bereits im gleichen Jahr die materielle Existenz, 1940 wegen mangelnder
Konformität mit dem Naziregime die venia legendi. L. hielt weiterhin unerschrok-
Lützeler 273

ken privat Vorträge, zumeist in katholischen Vereinigungen im Rheinland, aber auch


in Ostpreußen, Schlesien, Pommern und in Süddeutschland. Seit 1946 war er Pro-
fessor für Kunstgeschichte und Ästhetik in Bonn. Später richtete L. ein eigenes In-
stitut für islamische Kunstgeschichte ein, wo er bis zu seinem Tod allwöchentlich
unterrichtete. 1946 wurde L. Mitglied, 1954 Vorsitzender der Bau- und Grund-
stückskommission der Bonner Universität und trug in dieser Eigenschaft zum
Wiederaufbau des Hauptgebäudes bei. Als Herausgeber betreute er seit 1947 die
Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft und gründete zusammen mit
 Einem die Bonner Beiträge zur Kunstwissenschaft. In beiden veröffentlichte er
1950–71 zahlreiche Beiträge zur Kunstkritik.
Werke: Formen der Kunsterkenntnis, Bonn 1954, 118–124; Rom, Bonn 1955; Nördliches
1924; Die Deutung der Gotik bei den Ro- Frankreich, Bonn 1957; Süd- und Mittel-
mantikern, in: WRJb, 1925, 9–33; Über den frankreich, Bonn 1958; Weltgeschichte der
Sinn der Plastik, in: Hochland, 24, 1926/27, Kunst, Gü 1959; Christliche Bildkunst der
152–170; Christliche Plastik, in: ebd., 25, 1928, Gegenwart, FrB 1962; Wissenschaft in der
586–606; Zu Max Schelers Persönlichkeit, in: Karikatur, in: Jb. d. Stifterverbandes f. d. dt.
ebd., 26, 1929, 413–418; Edvard Munch und Wissenschaft, 1963, 9–122; Die Kunst Asiens,
die vorreligiöse Kunst, in: Die Schildgenos- Mü 1965; Das Unvollendete in der Kunst
sen, 10, 1930, 511–530; Zur Religionssoziolo- Ostasiens, in: FS Herbert von Einem, Bln
gie deutscher Barockarchitektur, in: Archiv f. 1965, 151–161; Vom Werden des Kunstwerkes.
Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik, 66, 1931, Zur Kunsttheorie Joseph Gantners, in: ZfÄaK,
557–584; Kunsttheorie und Kunstgeschichte 11, 1966, 1, 87–108; Wege zur Kunst. Gattun-
heute, in: Neue Jbb. f. Wissenschaft u. Jugend- gen der Kunst, FrB 1967; Die Bonner Uni-
bildung, 1931, 162–174; Der Bildhauer Peter versität, Bonn 1968; Europäische Baukunst
Terkatz, in: Hochland, 28, 1931, 190–192; Otto im Überblick. Architektur und Gesellschaft,
Dix, in: Hochland, 29, 1931/32, 380–383; Die FrB 1969; Kunst und Literatur um 1960, in:
christliche Kunst des Abendlandes, Bonn FS Gert von der Osten, Köln 1970, 243–256;
1932; Der Wandel der Barockauffassung, in: Die Eisenbahn in der Malerei, Bonn 1971;
DVjS, 11, 1933, 618–636; Grundstile der Kunst, Zur Bewertung abstrakter Kunst, in: FS für
Bln/Bonn 1934; Einführung in die Philoso- Franz Graf Wolff von Metternich, Neuss
phie der Kunst, Bonn 1934; Der deutsche 1974, 84–86; Kunsterfahrung und Kunstwis-
Mensch in der katholischen Kunst, Dü 1934; senschaft, 3 Bde., FrB/Mü 1975; Zur Theorie
Der deutsche Kirchenbau der Gegenwart, der Kunstforschung. Beiträge v. Günter Band-
Dü 1934; Die christliche Kunst Deutschlands, mann, in: Gedenkschrift für Günter Band-
Bonn 1936; Über die kunstphilosophische mann, hrsg. v. Werner Busch u. a., Bln 1978,
Bedeutung des Briefwechsels Storm-Keller- 551–572; Wozu eigentlich Kunst? Eine Ant-
Mörike, in: PhJb, 1936, 63–71; Führer zur wort für jedermann, Bergisch Gladbach 1980;
Kunst, FrB 1938; Das Bonner Stadttheater, in: Viel Vergnügen mit dem Kitsch, FrB 1983;
Theater der Welt, 2, 1938, 208–210; Bild Chri- Ornament. Ein Vergleich zwischen europä-
sti, FrB 1939; Unser Heim (mit Marga L.), ischer und islamischer Kunst, in: Kunst und
Bonn 1939; Die Kunst der Völker, FrB 1940; Ornament. Ein Forschungsbericht, hrsg. v.
Vom Beruf des Hochschullehrers. Abschieds- Masoe Yamamoto, Tokio 1986, I–XV; Deut-
vorlesung vom 29. 2. 1940, Bonn 1940; Die sche Kunst. Einsicht in die Welt und in den
Gestalt des Heiligen, FrB 1943; Die Plastiken Menschen. Von der Frühzeit bis zur Gegen-
im Domparadies zu Münster, FrB 1946; Mei- wart, Bonn 1987; Sitt 1990, 221–242
ster der Plastik. Deutsche Kunst der romani- Literatur: Jahn, Johannes: Rez. von »For-
schen Zeit, Essen 1947; Bonn. Versuch eines men der Kunsterkenntnis, in: ZfbK, 60, 1926,
Porträts, Bonn 1948; Meister der Plastik, 3 72–73; Der Mensch und die Künste. FS H.L.
Bde., Essen 1948; Das Verstehen von Kunst- zum 60. Geburtstag, Dü 1962; Gantner, Josef/
werken, in: Ci, 1, 1949, 1–16; Bildwörterbuch Aller, Jan: Zum 75. Geburtstag von H.L. am
der Kunst, Bonn 1950; Zur Ikonologie des 27. Januar 1977, in: ZfÄaK, 21, 1976 143–
Pferdes, in: FS Karl Lohmeyer, Saarbrücken 144; Perpeet, Wilhelm: Ästhetik im Mittelal-
274 Lützeler

ter. H.L. zum 75. Geburtstag, FrB 1977; Her- und zum Menschen. FS H.L. zum 85. Ge-
mann, Rolf-Dieter: Rez. von »Kunsterfah- burtstag, Bonn 1987 (Bibliogr.); Kroll, Frank-
rung und Kunstwissenschaft«, in: JAAC, 35, Lothar: Erinnerungen an H.L., in: ZfÄaK, 32,
1977, 489–490; Aler, Jan: H.L. zum 75. Ge- 1987, 7–19; Dittmann, Lorenz: H.L. und die
burtstag, in: Lier en Boog, 2, 1977, 128–134; Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine
Gosebruch, Martin: H.L. Kunsterfahrung und Kunstwissenschaft, in: ZfÄaK, 32, 1987, 20–25;
Kunstwissenschaft, in: Unmittelbarkeit und In memoriam H.L., hrsg. v. Siegfried Kross
Reflexion. Methodologische Beiträge zur u. a., Bonn 1989
Kunstgeschichtswissenschaft, hrsg. v. Joachim CF
Poeschke, Mü 1979, 145–156; Wege zur Kunst

Lützow, Karl von


Geb. 25. 12. 1832 in Göttingen; gest. 22. 4. 1897 in Wien

Als Vertreter der positivistischen Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts,


die statt einer ästhetischen Betrachtung umfassendes kunsthistorisches und kunst-
technisches Wissen einforderte, das auf Sehen und Vergleichen, auf durch Beobach-
tung gewonnenen Tatsachen gründete, strebte L. nicht nach kleinteiliger Spezialisie-
rung auf bestimmte Künstler und Epochen; er suchte vielmehr in Überblicksdar-
stellungen und Handbüchern die Fülle des bis dahin von der Kunstforschung
angehäuften Materials zu ordnen sowie alle gewonnenen Erkenntnisse zu gliedern
und durch sachlich-objektive Präsentation einem breiteren Publikum zugänglich zu
machen.
L. begann sein Studium der Philologie, Archäologie und Philosophie 1848 in
Göttingen und wechselte 1854 nach München, wo er 1856 über antike Keramik
promovierte. Um seine Studien zur Antike zu vertiefen, ging er nach Berlin und
kam dort mit  Kugler,  Lübke und  Schnaase in Berührung. Eine Studienreise
nach Italien, die L. in Begleitung Lübkes und Schnaases 1858 unternahm, weckte
seine Begeisterung für die mittlere und neuere Kunstgeschichte sowie den Wunsch,
sich mit ihr wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Die Kunst des Altertums trat je-
doch nicht vollständig in den Hintergrund; 1859 habilitierte sich L. mit einer Arbeit
über Ornamentik auf griechischen Tongefäßen und lehrte seitdem als Privatdozent
für klassische Archäologie an der Universität München. Dort hielt er Vorlesungen
über griechische Kunstgeschichte und Lyrik, über antikes Drama und antike My-
thologie sowie die Skulpturen der Münchner Sammlung, woraus in den Jahren
1861–69 seine Münchner Antiken erwuchsen.
1863 ging L. nach Wien, lehrte an der Universität Geschichte und Archäologie
und war Sekretär und Bibliothekar der Akademie der bildenden Künste. Es gelang
ihm, sich auch als Kunstkritiker einen Namen zu machen. Er wurde zunächst Mit-
herausgeber der 1862–65 erscheinenden Rezensionen und Mitteilungen über bildende
Kunst. 1866 gründete er als deren Nachfolgeorgan zusammen mit dem Leipziger
Verleger Seemann die Zeitschrift für bildende Kunst, für die er bis zu seinem Tod
herausgeberisch tätig war. Als Mitarbeiter der ersten Stunde konnte L. u.a. Lübke,
 Jordan und  Julius Meyer sowie  Pecht,  Springer,  Waagen gewinnen.
Erklärtes Ziel der Zeitschrift war, ihrer Leserschaft die »schwierige Kunst des Se-
hens« zu vermitteln. Neben der Redaktionsarbeit und seiner Universitätsstelle
Lützow 275

übernahm L. 1864 zusätzlich die Dozentur für Kunstgeschichte an der Akademie


der bildenden Künste. 1867 folgte die Berufung zum a.o. Professor für Architektur-
geschichte ans Polytechnikum, wo L. über griechische Plastik, italienische Malerei
und Quellenschriften zur Architekturgeschichte (Vitruv, Alberti, Serlio, Filarete) las.
Zahlreiche Aufsätze in Fachblättern, Artikel in der Tagespresse sowie Buchpubli-
kationen bezeugen L.s Gewandtheit in der Behandlung verschiedenster Kunstge-
genstände. Wenn L. über die Antike (1858, 1861–69), die Kunstschätze Italiens (1882),
Dürers Holzschnitte (1882), Cornelius (1884), Feuerbach (1893) oder Makart (1879,
1886) schrieb, vermittelte er nicht nur kunst- und kulturgeschichtliches Wissen,
sondern gab seinen Lesern »Orientierungsbehelfe« bei der Entwicklung ihres
Schönheitssinnes. Zu wichtigen Quellen für die neuere Historismusforschung wur-
den L.s Publikationen über die Neubauten der Wiener Ringstraße (1876, 1877,
1886, 1890).

Werke: De vasis fictilibus antiquis more ar- vielfältigenden Künste, 4 Bde., Wien 1886–
chaico pictis, Mü 1856; Denkmäler der Kunst 1903; Friedrich von Amerling. Ein Lebensbild
von ihren ersten künstlerischen Versuchen bis (mit Ludwig August Frankl), Wien 1889; Die
zu den Standpunkten der Gegenwart (mit Kunst in Wien unter der Regierung seiner
Wilhelm Lübke), Stg 1858; Zur Geschichte Kaiserlich Königlich Apostolischen Majestät
des Ornaments an den bemalten griechischen Franz Joseph I., Wien 1889; Kataloge der Ge-
Tongefäßen, Mü 1858; Denkmäler der Archi- mäldegalerie in der k.k. Akademie der bil-
tektur, Stg 1860; Denkmäler der Malerei, Stg denden Künste, Wien 1889; Raffaels Bil-
1860; Denkmäler der Skulptur, Stg 1860; dungs- und Entwicklungsgang, Wien 1890;
Münchner Antiken, Mü 1861–69; Die Mei- Die Kunst für alle. Eine Sammlung der vor-
sterwerke der Kirchenbaukunst, Lpz 1862; züglichsten Kupferstiche, Radierungen und
Die Findung Mosis, in: ZfbK, 2, 1867, 29–32; Holzschnitte des 15.–18. Jh.s, Stg 1890; Wie-
Ergebnisse der Dresdner Holbein-Ausstel- ner Neubauten und ihr Schmuck, in: ZfbK,
lung, in: ebd., 6, 1871, 349–355; Aus Joseph 25 (1), 1890, 46–52; Geschichte des deutschen
Anton Kochs Jugendzeit, in: ZfbK, 9, 1874, Kupferstiches, Bln 1891; Österreichische For-
65–72; Kunst und Kunstgewerbe auf der Wie- schungen im Süden Kleinasiens, in: ZfbK, 26
ner Weltausstellung, Lpz 1875; Schönbrunn, (2), 1891, 225–231; Feuerbachs Deckenge-
in: ZfbK, 10, 1875, 225–229; Wiener Neubau- mälde für die Aula der Wiener Akademie, in:
ten, Wien 1876; Wien. Katalog der Gemälde- ebd., 28 (4), 1893, 43–48, 73–76; Die Mäzene
galerie, Wien 1876; Geschichte der k.k. Aka- der bildenden Künste im Hause Habsburg.
demie der bildenden Künste. FS zur Eröff- Deckengemälde von Julius Berger im Kunst-
nung des neuen Akademiegebäudes, Wien historischen Hofmuseum zu Wien, in: ebd.,
1877; Makarts Entwürfe für den Wiener Fest- 145–151; Das Achilleion der Kaiserin Elisa-
zug und deren künstlerische Ausführung, in: beth auf Korfu, in: ebd., 30 (6), 1895, 119–122;
ZfbK, 14, 1879, 193–197; Die Galerie der k.k. Der Kunsthistorische Kongreß in Budapest
Akademie der bildenden Künste zu Wien in 1896, in: ebd., 32 (8), 1897, 167–174
einer Auswahl ihrer alten Meisterwerke, Lpz Literatur: Krsnjavi, Isidor: Rez. von »Die
1880; Die neugefundene Kopie der Parthe- Galerie der k.k. Akademie der bildenden
nos, in: ZfbK, 16, 1881, 237–243; Die Kunst- Künste zu Wien«, in: ZfbK, 16, 1881, 62–64;
schätze Italiens in geographisch-historischer Lübke, Wilhelm: Rez. von »Albrecht Dürers
Übersicht, Stg 1882; Albrecht Dürers Holz- Holzschnittwerk in Auswahl«, in: ebd., 17,
schnittwerk in Auswahl, Nü 1882; Heinrich 1882, 97–100; Lübke, Wilhelm: Rez. von »Die
Freiherr von Ferstel. Ein Gedenkblatt, Son- Kunstschätze Italiens«, in: ebd., 18, 1883, 96–
derdruck der ZfbK, Lpz 1884; Zur Erinne- 99; Frimmel, Theodor: Rez. von »Kataloge
rung an Peter von Cornelius, in: ZfbK, 19, der Gemälde in der k.k. Akademie der bil-
1884, 1–8, 38–45; Die k.k. Gemäldegalerie in denden Künste«, in: RfKw, 14, 1891, 76–87;
Wien, Wien 1886; Hans Makart, in: ebd., 21, K.v.L., in: ZfbK, 32, 1897, 233–238
1886, 181–193, 214–222; Geschichte der ver- CF
276 Martin

Martin, Kurt
Geb. 31. 1. 1899 in Zürich; gest. 27. 1. 1975 in Bad Wiessee

Nach dem Zweiten Weltkrieg leistete M., einer der führenden Museumsleute seiner
Generation – 15 Jahre leitete er den Internationalen Museumsrat –, einen rich-
tungsweisenden Beitrag zur Gestaltung der deutschen Museumslandschaft. Als Di-
rektor der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe und später als Generaldirektor der
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München ordnete er die durch den
Krieg dezimierten Bestände neu und versuchte, die Lücken durch Ankäufe und
Stiftungen weitgehend wieder zu schließen. M. hatte weitreichende Interessen; er
publizierte Aufsätze und Bücher zur deutschen Malerei des Mittelalters und der
Renaissance sowie zur französischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Als ihr entschie-
dener Parteigänger verfaßte er zahlreiche kleinere Arbeiten zur Moderne, für die er
sich auch im Arbeitsausschuß der Documenta in Kassel engagierte.
Der Sohn eines angesehenen Anthropologen an der Universität Zürich begann
nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Studium der Philosophie und Kunstgeschichte
in Freiburg i.Br., wo er bei Martin Heidegger, Edmund Husserl und  Hans Jant-
zen hörte. Mit dem Hauptfach Kunstgeschichte setzte er sein Studium in München
fort und promovierte 1924 über Nürnberger Steinplastik im 14. Jahrhundert als letzter
Doktorand bei  Wölfflin. M., dem schon als Student eine Museumslaufbahn vor-
schwebte, wurde zunächst Volontär an der Kunsthalle Mannheim, deren damaliger
Direktor  Hartlaub ihn zur zeitgenössischen Kunst hinführte. Von Mannheim
ging M. für einige Jahre ans Badische Landesmuseum nach Karlsruhe, zunächst als
»wissenschaftlicher Hilfsarbeiter«, später als Konservator. 1931 war er an der vielbe-
achteten Heidelberger Ausstellung Deutsche Dichter als Maler und Zeichner maßgeb-
lich beteiligt, 1933 verfaßte er das erste vollständige Inventar der Kunstdenkmäler
Schwetzingens.
1934 wurde M. als Nachfolger des Thoma-Epigonen Hans Adolf Bühler zum
Direktor der Karlsruher Kunsthalle ernannt; der für die graphische Sammlung zu-
ständige Mitarbeiter war sein ehemaliger Studienkollege Peter Halm. Nach einer
umfassenden Restaurierung und Neuordnung wurde die Kunsthalle im Sommer
1939 mit einer Gedächtnisausstellung zum 150. Geburtstag Hans Thomas wiederer-
öffnet, wegen der drohenden Kriegsgefahr wenige Wochen später jedoch erneut
geschlossen und geräumt. Neben der Kunsthalle unterstand M. seit 1934 auch das
Badische Armeemuseum, dessen Bestände er mit Oberst Erich Blankenhorn zu-
sammengetragen hatte und die den Grundstock des späteren Heeresgeschichtlichen
Museums im Rastatter Schloß bilden sollten.
Während des Krieges wurde M. die neugeschaffene Generaldirektion der Ober-
rheinischen Museen mit Sitz in Straßburg übertragen, der die Sicherheit des gesam-
ten öffentlichen Kunstbesitzes im Elsaß oblag. Verdienste erwarb sich M. auch um
den kirchlichen Kunstbesitz, den er an seinen Auslagerungsorten photographieren
und katalogisieren ließ. Mit Unterstützung der Besatzungsmächte konnte M. schon
im Sommer 1945 mit dem Wiederaufbau der Karlsruher Kunsthalle beginnen; eine
Auswahl von Hauptwerken wurde bereits 1947 in St. Gallen gezeigt. Nach der
Wiedereröffnung des Hauses 1951 gelangen M. eine Reihe von aufsehenerregenden
Martin 277

Ausstellungen zur Malerei und Plastik des Mittelalters, zur klassischen Moderne
(Klee, Kirchner, Braque, Léger) und zur französischen Malerei der Gegenwart. Als
Beitrag zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich hatte M. die denk-
würdige Ausstellung Des Maîtres de Cologne à Albert Dürer 1950 in Paris konzi-
piert.
1948 präsentierte M. im Auftrag des Auswärtigen Amtes, mit dem er auch in
späteren Jahren zusammenarbeitete, deutsche Kunst in den USA. Begeistert von
dem amerikanischen Modell einer engen Zusammenarbeit von Schulen, Museen
und anderen Bildungseinrichtungen, gliederte er der Karlsruher Kunsthalle 1951
eine museumspädagogische Abteilung an und verfaßte mit seinen Mitarbeitern ei-
nen mehrbändigen Kunstatlas für den Schulunterricht. 1956–57 leitete M. die Aka-
demie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Als Generaldirektor der Münchner Ge-
mäldesammlungen (1957 bis zur Pensionierung 1964) hatte er maßgeblichen Anteil
an der Einrichtung einer Reihe von Sekundärgalerien in mehreren Städten Bay-
erns, die mit Leihgaben der Alten und Neuen Pinakothek bestückt wurden; die
Münchner Sammlungen erweiterte er um Werke der Gegenwartskunst.
Werke: Die Nürnberger Steinplastik im 14. Mädchen von Hans Baldung Grien, in: Mitt.
Jh., Bln 1927; Deutsche Dichter als Maler des Hist. Vereins der Pfalz, 58, 1960, 263–266;
und Zeichner, Mü 1931; Die Kunstdenkmäler Die Ottonischen Wandbilder der St. Georgs-
des Großherzogtums Baden, 10. Bd., Kr 1933; kirche in Reichenau-Oberzell, Konstanz
Jakob Burckhardt und die Karlsruher Galerie, 1961; HAP Grieshaber. Holzschnitte, Köln
Kr 1941; Bildnisse der Familie von Hans 1962; Die Alte Pinakothek, Mü 1962; Die
Thoma. Bilder und Selbstzeugnisse, Bln 1947; Tschudi-Spende. Hugo von Tschudi zum
Grünewalds Kreuzigung der Karlsruher Ga- Gedächtnis, Mü 1962; Albrecht Dürer. Die
lerie in der Beschreibung von Joris Karl vier Apostel, Stg 1963; Grünewalds Kreuzi-
Huysmanns, Mainz 1947; AKat. Malerei und gungsbilder in der Beschreibung von Joris
Plastik des Mittelalters aus Südwestdeutsch- Karl Huysmanns, Mainz 1966; Die Alexan-
land, FrB 1947; Die Erschießung Kaiser Ma- derschlacht von Albrecht Altdorfer, Mü 1969;
ximilians von Mexiko von Edouard Manet, Erinnerungen an die französische Kulturpo-
Bln 1948; Die Meister französischer Malerei litik in Freiburg nach dem Krieg, Sigmarin-
der Gegenwart (mit Maurice Jardot), BB gen 1974
1948; Gegenstandslose Malerei in Amerika, Literatur: Müller, Theodor: K.M. zur Voll-
BB 1948; Hans Baldung Grien. »Karlsruher endung von 70 Lebensjahren, in: Pantheon,
Skizzenbuch«, Basel 1950; AKat. Des Maitres 27, 1969, S. 77; Distelberger, Rolf: Rez. von
de Cologne à Albert Dürer, primitifs de »Grünewalds Kreuzigungsbilder in der Be-
l’école allemande, Paris 1950; Minnesänger, 2 schreibung von Joris Karl Huysmanns«, in:
Bde., BB 1953; AKat. Karl Hofer, Kunsthalle ÖZKP, 23, 1969, S. 96; Lauts, Jan: K.M., in:
Karlsruhe, Mh 1954; August Macke. Reise KChr, 28, 1975, 206–216; Eggenberger, Chri-
nach Kairouan, BB 1954; Kunst des Abend- stoph: Rez. von »Die ottonischen Wandbilder
landes (Kunstatlas), 4 Bde., 1955–62; Führer der St. Georgskirche Reichenau-Oberzell«,
durch das Hans Thoma-Museum, Kr 1957; ZSchAK, 33, 1976, S. 172; Feger, Robert: dass.,
Schloß und Garten Schwetzingen, Kr 1957; in: Badische Heimat, 57, 1977, 290–291;
Rede auf Karl Hofer, Kr 1957; Edouard Ma- Thouvenin, Elodie: K.M. et les musées alsa-
net. Aquarelle und Pastelle, Stg 1958; Das ciens pendant l’Occupation (1940–44), in:
»Wundermädchen« Margaretha Weiss aus Cahiers alsaciens d’archéologie, d’art et
Roth bei Speyer und die Silberstiftzeichnun- d’histoire, 45, 2002, 165–177
gen nach einem zwölfjährigen krankhaften CF
278 Mayer

Mayer, August Liebmann


Geb. 27. 10. 1885 in Darmstadt; gest. 12. 3. 1944 in Auschwitz

In den 1920er Jahren erwarb sich M. durch wegweisende Kataloge der Œuvres von
El Greco, Velázquez und Goya internationales Ansehen als einer der besten Kenner
spanischer Kunst, deren genuin nationale Elemente er herausarbeitete, ohne dabei
die vielfältigen europäischen Einflüsse zu übersehen. Obwohl M. sich auch mit
deutscher und italienischer Kunstgeschichte befaßte, galt sein Hauptinteresse zeitle-
bens Spanien, das er auf ausgedehnten Studienreisen kennengelernt hatte. Neben
Fachpublikationen – insgesamt 21 Bücher und weit über 100 Aufsätze – verfaßte er
auch populärwissenschaftliche Darstellungen zur spanischen Kunst und Kultur und
arbeitete gelegentlich als Übersetzer. M.s regionale Klassifizierungen, seine Beiträge
zur historischen Lokalisierung der Künstler sowie seine chronologischen Ord-
nungseinheiten der wichtigsten Phasen neuzeitlicher spanischer Malerei haben der
Spanien-Forschung in Deutschland entscheidenden Auftrieb gegeben. In der El
Greco-Forschung waren ihm  Carl Justi (Die Anfänge des Greco, 1908) und
 Meier-Graefe (Spanische Reise, 1910) vorangegangen, die in dem manieristischen
Künstler noch einen »Impressionisten« zu erkennen meinten. M. hingegen sah in El
Greco eine der eigenwilligsten Künstlerpersönlichkeiten der Kunstgeschichte und
in dessen Abstraktion der körperlichen Erscheinung, in der visionären Übersteige-
rung der gesamten Gegenstandswelt, Merkmale der expressionistischen Kunst seiner
Zeit vorweggenommen. M. widmete den mystischen Bildwelten El Grecos detail-
lierte Stilanalysen. Er arbeitete vor allem die formalen Unterschiede zur veneziani-
schen Malerei, namentlich der Tintorettos, heraus. El Grecos Pinselstrich, seine
Betonung des Linearen, die Behandlung der Silhouette, die nicht, wie in der italie-
nischen Malerei, scharf umrissen sei, sondern in ein einheitliches Gewebe mit dem
Hintergrund verschmelze, waren ihm Beweis für eine »uneuropäische Durchgeisti-
gung« und »Entkörperlichung der Gesamtdarstellung«.
Mit seiner Goya-Studie von 1923 legte M. nicht nur einen kritischen Katalog der
Gemälde und Handzeichnungen vor, sondern etablierte den Künstler auch als einen
der großen europäischen Maler – er verglich ihn mit Masaccio und Rembrandt –
und als einen Bahnbrecher der Moderne. Er schied Goyas Schaffen in zwei große
Entwicklungsphasen: in der ersten dominiere noch der traditionelle Formenschatz,
während sich in der zweiten seit Beginn der 1790er Jahre eine Formensprache
entwickle, die Impressionistisches und Expressionistisches spannungsvoll vereine.
Während die spanische Forschung, herausragend vertreten durch Aureliano de Be-
ruete (1876–1922), den späten Goya als Vorläufer, zuweilen sogar als »Erfinder« des
französischen Impressionismus verteidigte, betonte M. (wie auch Meier-Graefe)
jedoch das expressionistische Element, das er vor allem in der Zeichnung der Hände
und Köpfe in den Caprichos und den Desastres de la guerra, die fast an karikaturhafte
Darstellung grenze, zu erkennen glaubte. M. sah die moderne Malerei, ihre Monu-
mentalität, dekorative Kraft und Spannung in Goyas Spätwerken bereits angelegt.
Während er aber bei vielen expressionistischen Malern seiner Zeit »Brutalität« und
»Primitivismus« konstatierte, befand er, daß Goya »kraft seiner Malerei [...] alle diese
Dissonanzen doch zu einer Harmonie zu vereinigen« gewußt habe.
Mayer 279

M. war ein typischer Vertreter der kennerschaftlichen Kunstgeschichte. Seine


Schriften charakterisieren präzise Objektbeschreibungen und eine sorgfältig abwä-
gende, quellengestützte Stilkritik. Ein besonderes Anliegen war es ihm, jeweils die
individuelle künstlerische Ausdrucksweise unter Berücksichtigung des historischen
Kontextes herauszuarbeiten. Dies zeigt sich deutlich in seiner Velázquez-Monogra-
phie von 1924, in der er wichtige Werke dem Meister zuschreibt und mehrere
Porträts der Infantin Maria Teresa identifiziert, die Justi noch für Bildnisse der Kö-
nigin Mariana von Habsburg gehalten hatte.
M. hatte 1904–08 in München und Berlin Kunstgeschichte, Archäologie und
Germanistik studiert und bei Wölfflin mit einer Arbeit über Jusepe de Ribera
promoviert. Anschließend arbeitete er zunächst als unbezahlter wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Alten Pinakothek in München, wo er 1914 zum Kustos, 1920
zum Hauptkonservator ernannt wurde. Zugleich bekleidete er eine a.o. Professur an
der Universität München und gab 1928–33 die Zeitschrift Pantheon heraus. M., der
sich in europäischen Galerien und Privatsammlungen eine außerordentliche Ken-
nerschaft erworben hatte, war in den 1920er Jahren ein gefragter Gutachter für den
Kunsthandel. Diese private Tätigkeit führte zu »dienstrechtlichen Konflikten« und
1931 zur Entlassung aus dem bayerischen Staatsdienst. 1936 zog M. mit seiner Fami-
lie nach Frankreich, weil er sich nicht der NS-Diktatur dienstbar machen wollte
und frühzeitig erkannte, daß freie wissenschaftliche Tätigkeit für ihn als Juden bald
ein Ende nehmen würde.
Er lebte zunächst in Paris, dann in Cannes als freier Schriftsteller und veröffent-
lichte weiterhin wissenschaftliche Aufsätze zu Goya, Velázquez, Murillo und El
Greco in ausländischen Fachzeitschriften und verfaßte zwei weitere Bücher über
Velázquez (1936, 1940). Anfang 1941 wurde M.s Familie in ein Internierungslager in
der Nähe von Toulouse verbracht. Ihm selbst gelang die Flucht nach Monte Carlo.
Am 3. Februar 1944 verhaftete ihn die Gestapo in Nizza; von dort wurde er über
das KZ Drancy nach Auschwitz deportiert.
Werke: Jusepe de Ribera, Bln 1908; Die Expressionistische Miniaturen des deutschen
Meisterlieder des Hans Folz, Bln 1908; Der Mittelalters, Mü 1918; Grünewald, Mü 1919;
Racionero Alonso Cano und die Kunst von Goyas Expressionismus, in: ZfbK (Beilage), 54
Granada, in: JbPK, 30, 1909, 89–102; Pablo (30), 1919, 370–373; Alt-Spanien, Mü 1921;
Legote, in: RfKw, 33, 1910, 389–399; Toledo, Mittelalterliche Plastik in Spanien, Mü 1922;
Lpz 1910; Die Sevillaner Malerschule, Lpz Der spanische Nationalstil des Mittelalters.
1911; El Greco, Mü 1911; Juan de Ruelas, in: Der Mudejarstil, Lpz 1922; Meisterwerke der
MfKw, 4, 1911, 51–72; Geschichte der spani- Gemäldesammlung des Prado in Madrid, Mü
schen Malerei, 2 Bde., Lpz 1913; Murillo, Mü 1922; Francisco de Goya, Mü 1923; Tintoretto
1913; Kleine Velázquez-Studie, Mü 1913; Se- (mit Erich von der Bercken), 2 Bde., Mü
govia, Avila und El Escorial, Lpz 1913; Greco 1923; Mittelalterliche Plastik in Italien, Mü
und Bassano, ein Beitrag zu ihren künstleri- 1923; Anthonis van Dyck, Mü 1923; Diego
schen Beziehungen, in: MfKw, 7, 1914, 211– Velázquez, Bln 1924; The Education of the
213; Ein Porträt des Herzogs Maximilian Virgin by Zurbaràn, in: BM, 44, 1924, S. 212;
Philipp von Bayern, in: ebd., 339–342; Bild- Domenico Theotocopuli El Greco. Kritischer
nisse aus dem Kreis des jungen Goya, in: ebd., Katalog, Mü 1926; Zum malerischen Werk
385–389; An Unknown Portrait by Murillo, Goyas, in: MJbbK, 1926, 137–142; Bemerkun-
in: BM, 24, 1914, 231–232; Über einige Veláz- gen zum Werk des Velázquez, in: ebd., 1927,
quez zu Unrecht zugeschriebene Stilleben 71–83; Die Darmstädter Pessach-Haggadah,
und Genrebilder, in: MfKw, 8, 1915, 124–127; hrsg. v. Bruno Italiener, Aron Freimann, A.
280 Mayer

L.M., Adolf Schmidt, Lpz 1927/28; Gotik in lerschule«, in: ebd., 35, 1912, 463–464; ders.:
Spanien, Lpz 1928; Ein Gruppenbildnis des Rez. von »Geschichte der spanischen Male-
Greco, in: Pantheon, 2, 1928, 348–350; Gli an- rei«, in: MfKw, 7, 1914, 235–237; Saxl, Fritz:
tichi pittori spagnoli della collezione Con- Rez. von »Domenico Theotocopoli El
tini-Bonacossi (mit Roberto Longhi), Rom Greco«, in: KBLit, 1, 1927/28, 86–96; Fröh-
1930; El Greco, Bln 1931; Velázquez. A Cata- lich-Bum, Lili: Rez. von »El Greco« (1931),
logue Raisonné of the Pictures and Drawings, in: Belvedere, 10, 1931, 65–67; Wendland 1999,
Lo 1936; Velázquez, Paris 1940; New Docu- 429–437; Possada Kubissa,Teresa: A.L.M. – ein
ments and Attributions. From the Strasbourg Experte der spanischen Kunst in München,
Museum to the Venice Palazzo Ducale, in: in: Christian Drude, 200 Jahre Kunstge-
GBA, 27, 1945, 83–92 schichte in München, Mü/Bln 2003, 120–
Literatur: Friedländer, Max J.: Rez. von 130
»Jusepe de Ribera«, in: RfKw, 32, 1909, 91–92; CF
Kühnel, Ernst: Rez. von »Die Sevillaner Ma-

Meder, Joseph
Geb. 10. 6. 1857 in Lobeditz (Zlovědice, Tschechien); gest. 14. 1. 1934 in Wien

An der Wende zum 20. Jahrhundert fand die Zeichenkunst in M. ihren bahnbre-
chenden Forscher und ersten bedeutenden Spezialisten. Wie  Bartsch, der 100
Jahre früher eine ähnliche Rolle für die Druckgraphik gespielt hatte, erwarb M.
seine Kennerschaft in der Wiener Albertina im täglichen Umgang mit einem rei-
chen Bestand. Seine zwölfbändige Materialpublikation Handzeichnungen alter Meister
(1895–1908), die neben der Albertina auch andere wichtige europäische Sammlun-
gen erschloß, bildete lange Zeit das Fundament vergleichender Forschung zur
Kunstgattung der Zeichnung. Wegweisend wurden auch M.s Untersuchungen zur
Konservierung und Restaurierung graphischer Blätter.
M., von Haus aus Germanist, promovierte 1883 in Wien mit einer Arbeit über
den mittelhochdeutschen Dichter Konrad von Würzburg. 1884 kam er an die Wie-
ner Universitätsbibliothek und 1889 als »Official« Erzherzog Albrechts von Habs-
burg an die Albertina, wo er einen wesentlichen Beitrag zur Inventarisierung der
Zeichnungen (seit 1895) und der Druckgraphik (seit 1897) leistete. 1905–23 leitete
er die Albertina als Direktor. Während dieser Zeit schrieb M. sein Standardwerk Die
Handzeichnung (1919). Nachdem sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Zeichnung
als eigenständige Kunstäußerung neben der Malerei etablieren konnte, Forscher wie
 Passavant,  Morelli,  Springer,  Woltmann und  Thausing die »Meister-
zeichnung« entdeckt hatten, wagte M. als erster eine zusammenfassende, sowohl
systematische als auch historische Monographie über die Zeichenkunst: ihre forma-
len Mittel, deren Erzeugung und schulmäßige Anwendung; die zeichnerische Schu-
lung des Künstlers, seine Ausbildung vom Malerknaben zum Gehilfen und Meister;
die Körper- und Raumgestaltung in ihrem historischen Wandel und schließlich
auch die Praxis des Sammelns von Zeichnungen. Als wichtigste Quellen dienten M.
die Schriften von Vasari, Cennini, Leonardo und Karel van Mander. Der besondere
Reiz einer Zeichnung lag seiner Auffassung nach darin, daß sie trotz ihres linear
abgekürzten und unvollendeten Gepräges doch das Wesentliche wiedergebe und
eine »Impression des Ganzen« erzeuge. In der »Urform aller Flächenkunst«, in der
Meder 281

Zeichnung, sah er die »Vorarbeit zu einem höheren Ganzen« sowie den »steten
Vorboten« aller neuen Kunstbewegungen.
In die Fachgeschichte eingegangen ist M. auch durch seinen kritischen Katalog
zur Druckgraphik Albrecht Dürers (1932). Auf der Grundlage von  Max J. Fried-
länders und  Tietzes Dürer-Werken (1921, 1928) unterzog M. die in vielen
Sammlungen verstreuten Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen des Künst-
lers einer eingehenden Prüfung auf Echtheit, Zustand, Wasserzeichen, Erhaltung.
Wie Bartsch gruppierte er sein Material nicht chronologisch, sondern nach The-
men. Ein gesonderter technischer Teil zu den Platten und Stöcken listete die im
Laufe der Jahrhunderte vorgenommenen Abdrucke und Ausgaben systematisch
auf.
Die letzten Dienstjahre M.s standen im Zeichen grundlegender Veränderungen
innerhalb und außerhalb der Albertina. Im Juni 1919 schrieb er: »Das Haus völlig
verändert. Neue Menschen und neue Erscheinungen in jedem Raum. Die Halle ist
ein großes Möbellager, zwischendurch sich drängende Käufer, bis hinauf in den
ersten Stock. Sämtliche unteren Räume des Augustinerklosters müssen geräumt
werden, weil Parteien einziehen wollen.« Nach dem Zusammenbruch der Habs-
burger-Monarchie 1918 gelangte die Sammlung in Staatsbesitz und wurde 1920 mit
der Kupferstichsammlung der ehemaligen Kaiserlichen Hofbibliothek vereinigt.
Dabei gingen sämtliche Erwerbungen, die M. 1895–1918 noch für Erzherzog Fried-
rich getätigt hatte, für die Albertina verloren: die Sammlung ergänzende und kom-
plettierende Zeichnungen und Druckgraphik von Schwind, Menzel, Liebermann,
Klinger, Klimt, Delacroix, Burne-Jones. M. versuchte mit geringen Mitteln, die zum
Teil aus den 1922 beginnenden Verkäufen von Graphik-Doubletten flossen, den
Bestand an moderner deutscher, österreichischer und französischer Graphik auszu-
bauen. Kurz vor seiner Pensionierung konnte er noch den 650 Barock-Zeichnun-
gen umfassenden Nachlaß des Wiener Kunsthistorikers Oswald Kutschera von
Woborsky erwerben.
Für M. war es immer ein zentrales Anliegen, in weiten Kreisen der Bevölkerung
Freunde für die Zeichenkunst zu gewinnen. Auf seine Initiative wurden seit 1899
an der Albertina regelmäßig Ausstellungen veranstaltet, beginnend mit Dürer, ge-
folgt von Rubens (1900), Raffael (1903), Rembrandt (1906). Nach dem Krieg
wurde zunehmend moderne Kunst gezeigt, Zeichnungen und Graphik von Picasso,
Gauguin, Matisse, Schiele, Kokoschka, Munch, Nolde, Kirchner und Pechstein. Der
Popularisierung des Bestandes dienten auch die seit 1922 herausgegebenen Alber-
tina-Facsimile in Lichtdrucken, die auf dem Gebiet der Kunstreproduktion neue
Maßstäbe setzten.
Werke: Die Geschichte der Lithographie in 53–69; Albrecht Altdorfers Donaureise im
Österreich-Ungarn, in: GrK, 4, 1895, 47–68; Jahre 1511, in: Mitt. d. Ges. f. vervielfältigende
François Boucher, Wien 1895; Watteau, Lan- Kunst, 23, 1902, 9–12; Zwei Kartonzeichnun-
cret und Pater, Wien 1895; Handzeichnungen gen von Giulio Romano, in: ebd., 25, 1904,
alter Meister aus der Albertina und anderen 80–84; Zeichnungen Albrecht Dürers in der
Sammlungen (mit Joseph Schönbrunner), 12 Albertina zu Wien, Bln 1905; Die »Grüne
Bde., Wien 1896–1908; Katalog der Zeich- Passion« und die Tier- und Pflanzenstudien
nungen alter Meister, Wien 1896; Neue Bei- Dürers in der Albertina, in: RfKw, 30, 1907,
träge zur Dürerforschung I, in: JbkSAK, 1902, 173–182; Eine Porträtzeichnung Paul Potters
282 Meder

von Bartholomäus van der Helst, in: OH, 26, dam/Wien 1923; Dürers »Grüne Passion« in
1908, 18–20; Das Büchlein vom Silbersteft, der Albertina, Mü 1923; Über Fälschungen
Wien 1909; Neue Beiträge zur Dürerfor- der Druckgraphik, in: Belvedere, 7, 1925, 105–
schung II, in JbkSAK, 1912, 183–227; Leben 114; Aphorismen, Wien 1927; Albertina-Facsi-
und Meinungen eines Bauernjungen. Le- mile. Albrecht Dürer-Mappe als Ergänzung
benserinnerungen, Wien 1918; Die Hand- der Mappe »Deutsche Meister«, Wien 1927;
zeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Von der Scholle herauf. Lebenserinnerungen,
Wien 1919; Adam von Bartsch zum 100. To- Wien 1928; Drawings by Italian Masters of
destag, in: Der Kunstwanderer, 1, 1921, 467– the Fifteenth–Seventeenth Centuries, Lo
469; Rez. von Wilhelm Fraenger, Die Radie- 1930; Dürer-Katalog. Ein Handbuch über Al-
rungen des Hercules Seghers (1922), in: Bel- brecht Dürers Stiche, Radierungen und
vedere, 2, 1922, 48–50; Albertina-Facsimile. Holzschnitte, deren Zustände, Ausgaben und
Handzeichnungen französischer Meister des Wasserzeichen, Wien 1932; Dürers Ellipsen-
16.–18. Jh.s, Wien 1922; Albertina-Facsimile. zirkel, in: ZDVKw, 3, 1936, 4–6; Der Meister
Handzeichnungen deutscher Meister des 15.– der Mariazeller Wunder – ein Maler, in: ebd.,
16. Jh.s, Wien 1922; Ein Jean Clouet?, in: Bel- 3, 1936, 8–10
vedere, 1, 1922, 1–5; Handzeichnungen aus Literatur: Gray, Basil: Rez. von »Drawings
der Albertina und aus Privatbesitz,Wien 1922; by Italian Masters of the Fifteenth–Seven-
Albertina-Facsimile. Handzeichnungen italie- teenth Centuries«, in: BM, 56, 1930, 323–324;
nischer Meister des 15.–18. Jh.s, Wien 1923; Leporini, Heinrich: Hofrat Dr. J.M., in: Pan-
Albertina-Facsimile. Handzeichnungen flä- theon, 13, 1934, S. 64; Benesch, Otto: Dem
mischer und holländischer Meister des 15.–18. Andenken J.M.s, des erfolgreichen Förderers
Jh.s, Wien 1923; Die Liechtenstein-Galerie und Wegbereiters der Dürerforschung, in:
und die Albertina, in: Neu-Österreich. Das ZDVKw, 3, 1936, 2–4 (Bibliogr., 11–13)
Werk des Friedens von St. Germain, Amster- CF

Meier-Graefe, Julius
Geb. 10. 6. 1867 in Resita (Rumänien); gest. 5. 6. 1935 in Vevey (Schweiz)

»Ganze Kapitel der Kunstgeschichte haben wir alle durch seine Augen gesehen –
auch wenn wir glaubten, es wären unsere eignen«, würdigte  Worringer, obwohl
er selbst ein ganz anderes Bild von der Kunstentwicklung entworfen hatte, den
Sechzigjährigen. Der werde heute kaum noch gedruckt und sehr selten zitiert,
meinte 1987 Henry Schumann, während Ron Manheim 1990 auf erstaunlich viele
Neuausgaben seiner Bücher verwies. M.-G., dessen Rolle in einer folgenreichen
Umbewertung des 19. Jahrhunderts unbestritten ist, bleibt offenbar ein Streitfall für
die Wissenschaftsgeschichte und die Debatte um die sachgemäßeste wissenschaftli-
che Beschäftigung mit der Kunst. Der begeisterungsfähige und visuell besonders
feinfühlige Autodidakt begleitete die Kunst seiner Zeit anfangs avantgardistisch,
sehr bald jedoch mit kulturkritischer Skepsis und schrieb von dieser Funktion her
über Kunstgeschichte.
Sein Vater war ein an wechselnden Orten tätiger Ingenieur und erfolgreicher
Industriemanager, sein Großvater ein Altphilologe aus jüdischer Familie und zeit-
weilig Rektor der Universität Halle. M.-G. sollte auch Ingenieur werden, gab dieses
Studium nach einer ersten Parisreise zur Weltausstellung 1889 aber auf und besuchte
ab 1890 geisteswissenschaftliche Vorlesungen in Berlin. In einem Kreis naturali-
stisch-impressionistischer und von Nietzsche beeinflußter Dichter wurde er zum
Schriftsteller und »Kunstschreiber«. Seinem Vatersnamen fügte er den Mädchenna-
Meier-Graefe 283

men seiner Mutter hinzu, die bei seiner Geburt verstorben war. 1893 lernte er in
London William Morris und Oscar Wilde kennen. Im selben Jahr kaufte er ein Bild
van Goghs. Sein erster Aufsatz über bildende Kunst galt Edvard Munch, mit dem er
sich befreundet hatte. 1894 half er die Literatur- und Kunstzeitschrift Pan zu grün-
den und reiste nach Paris, wo er Toulouse-Lautrec begegnete. Eine Lithographie
dieses Künstlers, die er im Pan veröffentlichen wollte, führte schon 1895 zum Bruch
mit der Zeitschrift. M.-G. übersiedelte nach Paris, wo er bis 1913 Kunstberichte für
Maximilian Hardens neue politische Wochenschrift Die Zukunft, die Bismarck ge-
gen Wilhelm II. unterstützte, und Hans Rosenhagens Nachrichtenblatt Das Atelier
schrieb sowie gemeinsam mit Samuel Bing im Handel mit ostasiatischer und Art
Nouveau-Kunst tätig wurde. Er lernte Henry van de Velde kennen, reiste durch
Westeuropa und setzte sich energisch für die neue Umweltgestaltung ein. Dazu
gründete er 1897 mit Hugo Bruckmann die Zeitschrift Dekorative Kunst, die er samt
ihrer französischen Ausgabe L’Art décoratif bis 1899 leitete, und betrieb dann 1899–
1903 die Pariser Kunsthandlung »La Maison Moderne«. In der neuen Leipziger
Zeitschrift Die Insel veröffentlichte er 1899/1900 seinen umfänglichsten kunsttheo-
retischen Text Beiträge zu einer modernen Ästhetik. Er bemerkte bald, daß der Jugend-
stil nicht die erhoffte Lebensreform brachte; das Fiasko dieser Kunstrichtung bei der
Ersten internationalen Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin (1902)
führte zum verlustreichen Konkurs seiner Pariser Galerie. M.-G. wandte sich nun
der Malerei und dabei vorrangig dem französischen Impressionismus zu. Er organi-
sierte ihm 1903 eine große Ausstellung in der Wiener Sezession. Erste kurze Dar-
stellungen nahm  Muther in seine preiswerte Buchreihe Die Kunst auf.
1904 kehrte M.-G. nach Berlin zurück, besuchte Skandinavien und St. Peters-
burg. Im selben Jahr erschien seine Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, die
auch die Beiträge von 1899/1900 enthielt. Sie löste Muthers Geschichte der Malerei im
19. Jahrhundert (1893/94) als modernste meinungsbildende Darstellung ab und stand
im schroffen Gegensatz zu  Adolf Rosenbergs Geschichte der modernen Kunst
(1884–89). M.-G.s Kunstauffassung und Kunstgeschichtsbild trat ebenfalls in der
Streitschrift Der Fall Böcklin (1905) zutage, die einen zuvor von ihm noch geschätz-
ten Heros der symbolistischen Malerei stürzen sollte. Den neuen Kunstbegriff ver-
anschaulichte im Folgejahr die »Jahrhundertausstellung« der Berliner Nationalgale-
rie (»Ein Jahrhundert deutscher Kunst, 1775–1875«), die M.-G. gemeinsam mit
 Lichtwark und  Tschudi konzipierte. Teilprobleme dieser Neuorientierung
behandelten eine Umbewertung Menzels und die 1904 in Angriff genommene
Hervorhebung der einsamen Leistung des Malers Hans von Marées, dessen Œu-
vrekatalog M.-G.s exakteste wissenschaftliche Arbeit werden sollte. Seine Buchpu-
blikation galt aber von nun an in erster Linie den französischen Impressionisten und
ihren Vorläufern, sowie den Nachimpressionisten van Gogh und Cézanne. Als er
1908 während einer Spanienreise, die eigentlich Velázquez gelten sollte, auf den erst
kürzlich wiederentdeckten El Greco stieß, wurde er dessen wirkungsvollster Propa-
gator in Deutschland, ironisch »Meier-Greco« genannt.
Die nach 1900 aufgekommenen Gestaltungsweisen beurteilte M.-G. seit 1913
distanziert. Im Weltkrieg geriet er als Sanitäter in russische Gefangenschaft und kam
bis nach Omsk in Sibirien, konnte aber nach neun Monaten im Austausch zurück-
284 Meier-Graefe

kehren und 1916 mit dem Verlag Piper die Marées-Gesellschaft zur Verbreitung
neuer Graphik gründen. 1917–21 war er in Dresden ansässig. Mit  Hausenstein
gab er 1919–25 das Literatur- und Kunstjahrbuch Ganymed heraus. Hoffnungen auf
eine bessere Gesellschaft als Nährboden neuer Kunst und Kunstverhältnisse, die ihn
1906 auch in den Sozialistischen Monatsheften über van Gogh und 1915 in Franz
Pfemferts Die Aktion sowie nach 1918 in Carl von Ossietzkys Weltbühne publizieren
ließen, wurden enttäuscht. Er reiste viel, 1925 nach Ägypten, Palästina und Grie-
chenland, 1928 in die USA. 1910–34, besonders ab 1925, schrieb er zahlreiche Artikel
für die Frankfurter Zeitung, seit 1922 für Der Querschnitt, seit 1928 für das Berliner
Tageblatt. Aus Gesundheitsgründen übersiedelte er 1930 nach Frankreich (Saint-Cyr
bei Toulon), wo er sich nach dem Machtantritt Hitlers um die Einbürgerung be-
warb.
M.-G.s Denken und Wirken stand im Zeichen von Widersprüchen, die nicht
allein ihn betrafen. Qualitätvollste Kunst, die oft im Widerstreit gegen unverständige
Zeitgenossen geschaffen wurde, sollte jedermann nahestehen, blieb aber doch nur
das Anliegen relativ weniger. Vergangene Verhältnisse, die einer Kunst für alle gün-
stiger gewesen seien, ließen sich nicht wiederherstellen, nur sehnsuchtsvoll erinnern.
Die gegenwärtige Kultur und ihre gesellschaftliche Grundlage befriedigten nicht;
eine Alternative dazu vermochte M.-G. nicht zu formulieren. Für die Kunstge-
schichte entwarf er keine systematische Theorie, wie es gleichzeitig  Wölfflin
unternahm. Dafür erhob er nach Meinung von  Richard Hamann und Jost Her-
mand »zum erstenmal die vergleichende Bildbetrachtung zum obersten Prinzip der
kunstwissenschaftlichen Analyse«. Er achtete nur, was seinen eigenen visuellen Sinn
als gestaltetes und dadurch schönes Ganzes ansprach, und ließ von älterer Kunst nur
gelten, was in dieser Hinsicht noch gegenwärtig lebendig wirkte. Dieses betont auf
die Form konzentrierte Werturteil löste er allerdings nicht von der Bewertung eines
ideellen Gehalts der Werke ab, der den Menschen dienlich sein sollte. Darum wurde
Renoir für ihn bedeutsamer als Monet, und darum stellte er van Gogh heraus. Ihm
wurde klar, daß die Kunst ihre einst selbstverständliche soziokulturelle Rolle zu-
nehmend eingebüßt hatte. Nur kurze Zeit meinte er, die umfassende »dekorative«
Gestaltung der Lebensumwelt könne solche Bedeutung wiederherstellen. Er ver-
folgte den Umgang von Malern mit der Farbe und sah dafür den Impressionismus
als Vollendung an. Die nachfolgende Aufhebung des bisherigen Bildbegriffs und die
Rückgriffe auf »Primitives« erschienen ihm nicht als eine Höherentwicklung. M.-
G. lag nun daran, die ästhetischen und kulturellen Werte der ihm teuren Tradition
durch viele Bücher, Reiseberichte und eine Überarbeitung seiner Entwicklungsge-
schichte im Bewußtsein des Publikums zu halten. Humanistische Kultiviertheit, Li-
beralität, Herkunft und Abscheu vor deutschtümelndem Nationalismus trennten
ihn dabei unüberbrückbar von vergleichbaren Absichten reaktionärer Ideologen.
Am Schluß seiner Entwicklungsgeschichte zitierte er 1924 die ermordete Rosa Lu-
xemburg.
Was ihm an starken Künstlern begrenzt erschien, kreidete er weniger ihrem eige-
nen Versagen als den ungünstigen Bedingungen der Kultur- und Stilgeschichte an.
Von den expressionistischen Künstlern ermunterte er – mit kritischen Einwänden
– solche, die sich mit dem großen figurativen Erbe auseinandersetzten wie Beck-
Meier-Graefe 285

mann, Kokoschka, Hofer. Kunst dürfe den Realitätsbezug und die Vermittlung von
Ideen nicht preisgeben. Darum brachte er kein Verständnis für ungegenständliche
Kunst auf. Für seinen künstlerischen »Konservatismus« attackierten ihn Wortführer
der neuesten Kunst wie  Einstein und  Westheim; er selbst griff  Ludwig Justi
und dessen Arbeit an der Nationalgalerie an. Die für M.-G. unlösbar gebliebene
Schwierigkeit, das Wechselverhältnis politischer und künstlerischer Fehlentwick-
lungen zu erkennen, die er nur als »unzeitgemäß« ansah, offenbarte sich in seiner
ebenso hellsichtigen wie irrenden Kritik an Emil Nolde: Dieser »wird von keinem
Imperialismus aus germanisch heidnischer Urzeit getragen, sondern von einer Art
Sozialismus« (Das Nolde-Fest in Dresden, Frankfurter Zeitung, 21. 2. 1927).
Werke: Edvard Munch, Geleitwort zu einer Lpz 1929 (Nd. Frf 1994, Nachw. v. Andreas
Mappe mit acht Radierungen, Bln 1895; Die Beyer); Corot, Bln 1930; Geschichten neben
Träger der Kunst früher und heute. Beiträge der Kunst, Bln 1933; Grundstoff der Bilder,
zu einer modernen Ästhetik, in: Die Insel, 1, Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Carl Linfert,
Bd.1, 1899, 65–91, 181–204, 257–273, Bd. 2, Mü 1959; Das Fest der Farben. Über Maler
1900, 92–105, 203–227, 351–374, Bd. 3, 1900, und Malerei von Delacroix bis van Gogh,
199–223; Edouard Manet und sein Kreis, Bln hrsg. v. Wolfgang Tenzler, Bln 1986; Kunst-
1902; Der moderne Impressionismus, Bln Schreiberei, Essays und Kunstkritik, hrsg. v.
1902; Entwicklungsgeschichte der modernen Henry Schumann, Lpz/Weimar 1987; Kunst
Kunst. Vergleichende Betrachtung der bil- ist nicht für Kunstgeschichte da. Briefe und
denden Künste als Beitrag zu einer neuen Dokumente, Gö 2001
Ästhetik, 3 Bde., Stg 1904, (Nd. 1966, 1987, Literatur: Schmid, Heinrich Alfred: M.-G.
Nachw. v. Hans Belting, engl. 1908); Der Fall contra Böcklin, in: KfA, 20, 1905, 432–436;
Böcklin und die Lehre von den Einheiten, Deri, Max: Der Fall Böcklin von J.M.-G., in:
Stg 1905; Corot und Courbet, Lpz 1905; AKat. ZfÄaK, 2, 1907, 128–142; Piening, August:
Ein Jahrhundert deutscher Kunst, 1775–1875, Der Kunstapostel J.M.-G. und seine Partei-
Bln 1906; Der junge Menzel, Mü 1906; Van gänger. Ein Beitrag zum deutschen Künstler-
Gogh, in: Sozialistische Monatshefte, 55, 1906, streit, Bremen 1908; Worringer, Wilhelm:
145–157; Impressionisten (Guys, Manet, van Rez. von »Hans von Marées«, in: ZfÄaK, 6,
Gogh, Pissarro, Cézanne), Mü 1907; William 1911, 317–332; Einstein, Carl: M.-G. und die
Hogarth, Mü 1907; Die großen Engländer, Kunst nach dem Kriege, in: DKbl, 7, 1923,
Mü 1908; Hans von Marées, 3 Bde., Mü 185–187; Westheim, Paul, in: ebd., 8, 1924,
1909–10; Paul Cézanne, Mü 1910 (1923);Vin- 317–318; J.M.-G., Widmungen zu seinem 60.
cent van Gogh, Mü 1910; Spanische Reise, Geburtstage, Mü 1927; Jedlicka, Gotthard: Er-
Bln 1910 (Nd. 1922); Auguste Renoir, Mü innerung an J.M.-G., in: ders., Wege zum
1911; Hans von Marées, Mü 1912; Edouard Kunstwerk, Mü 1960, 247–271; Moffett, Ken-
Manet, Mü 1912; Eugène Delacroix, Mü 1913; worth: M.-G. as Art Critic, Mü 1973 (Bi-
Camille Corot, Mü 1913; Wohin treiben wir? bliogr.); Ettlinger, Leopold D.: J.M.-G. An
Zwei Reden über Kultur und Kunst, Bln Embattled German Critic, in: BM, 117, 1975,
1913; Cézanne und sein Kreis, Mü 1918; Edgar 672–674; Altmeister 1990, 95–115; Krahmer,
Degas, Mü 1920; Gustave Courbet, Mü 1920; Catherine: M.-G.s Weg zur Kunst, in: Hof-
Vincent, 2 Bde., Mü 1921 (engl. 1922); Die mannsthal-Jb., 4, 1996, 169–226; dies.:Tschudi
doppelte Kurve. Essays, Wien 1924; Max und M.-G., in AKat. Manet bis van Gogh,
Beckmann, in: Curt Glaser/Wilhelm Fraen- Bln/Mü 1996–97, 371–376; Koldehoff, Stefan:
ger/Wilhelm Hausenstein/M.-G., Max Beck- M.-G.s van Gogh. Wie Fiktionen zu Fakten
mann, Mü 1924; Renoir, Bln 1925; Pyrami- werden, Nördlingen 2000
den und Tempel, Bln 1927; Auguste Renoir, PHF
286 Merck

Merck, Johann Heinrich


Geb. 11. 4. 1741 in Darmstadt; gest. 27. 6. 1791 in Darmstadt

M. war eine der interessantesten und vielseitigsten Persönlichkeiten des Sturm und
Drang. Er betätigte sich als Schriftsteller, Kunstgelehrter, Naturwissenschaftler,
Kaufmann und Beamter und beeinflußte auf mancherlei Weise Herder, Wieland,
Lavater und Nicolai; berühmt wurde er durch seine Freundschaft mit  Goethe.
M.s kunsthistorische Hinterlassenschaft besteht nur aus wenigen Aufsätzen und
Rezensionen im Teutschen Merkur sowie den Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Von
disziplinhistorischer Bedeutung ist seine Schrift Einige Rettungen für das Andenken
Albrecht Dürers (1780), in der er sich als einer der ersten Kunstgelehrten gegen die
herkömmliche Abwertung »altdeutscher« Kunst wandte; auch die holländisch-flä-
mische Malerei des 17. Jahrhunderts verteidigte er gegen den auf Nachahmung der
Antike und Raffaels ausgerichteten Zeitgeschmack.
M. begann zunächst in Gießen ein Theologiestudium, ging 1759 ohne festes
Berufsziel nach Erlangen und schließlich 1762 an die Dresdner Kunstakademie, wo
er drei Semester lang von  Hagedorn im Malen und Zeichnen unterrichtet
wurde. Als sich die Hoffnungen auf eine Anstellung in Dresden zerschlugen, kehrte
er 1764 nach Darmstadt zurück und arbeitete als Übersetzer.
Von 1767 an war M. Beamter des Darmstädter Hofes, wurde 1768 zum Zahlmei-
ster ernannt und erhielt 1774 den Titel eines Kriegsrates. Reisen, auf denen er auch
kunsthändlerische Aktivitäten entfaltete, führten ihn an benachbarte Höfe, vor al-
lem nach Kassel und Weimar. In den folgenden Jahren richtete M. sein Hauptinter-
esse auf die bildende Kunst. 1772 übernahm er die Schriftleitung der Frankfurter
Gelehrten Anzeigen, zu deren Mitarbeitern Goethe, Herder und Johann Georg
Schlosser zählten, und publizierte seit 1776 regelmäßig im Teutschen Merkur über
Kunstsammlungen, Ausstellungen, Kunstreisen und über kunstgeschichtliche und
ästhetische Themen wie die Landschaftsmalerei (1777) und die Kunstkritik. In Briefe
über Maler und Malerei an eine Dame (1779) vertrat M. den Standpunkt, daß nur
derjenige Kunst beurteilen könne, der über Fähigkeiten im Zeichnen und Malen
verfüge. Dies war auch das Fazit eines erdachten kunstphilosophischen Gesprächs
(Über die Schönheit, 1776) zwischen Edmund Burke und William Hogarth, in das am
Ende der Maler Anton Raphael Mengs eingriff, der über alles theoretische Reflek-
tieren die künstlerische Praxis und das Studium der Natur stellte. 1778, ein Jahr
nach  Heinses Gemäldebriefen, erschien M.s Bericht über Eine malerische Reise nach
Köln, Bensberg und Düsseldorf. Er enthält auch kurze Beschreibungen der Rubens-
Gemälde der Düsseldorfer Galerie, in denen M. vor allem die Ordnungselemente
und Kompositionsmerkmale hervorhob, die bei Heinses künstlerpsychologischem
Ansatz keine Berücksichtigung gefunden hatten. M. lehnte es ausdrücklich ab, »ein
Feuerwerk von Gefühl und Kunstsprache abzubrennen«. M.s »Ehrenrettung« Dürers
ist nicht nur eine warmherzige Bekenntnisschrift, sondern auch der Versuch, die
unklassische Eigenart des Künstlers zu beschreiben und historisch zu erklären: »Man
wirft Dürer n in seiner Zeichnung eine plumpe, gemeine Natur vor. Es ist wahr, ihn
inspirierte keine andere Gestalt, als diejenige, die ihn umgab; er zeichnete sie aber
nach aller Wahrheit der Temperamente, der Lebensart, des Standes und Alters, mit
Merck 287

einer Treue und Bestimmtheit, die seine Figuren noch immer zu schätzbaren Zeug-
nissen seines großen Suchens macht. Sein Zeitalter und Klima brachte aber nicht
die seelenvollen Gesichter und den Abdruck einer hohen Denkart hervor, die unter
einem milderen Himmel Raffaeln in großen Mengen begegnen mußten.« Dürer
ließ »seinen Weibern die Zeichen einer vielmaligen Schwangerschaft in den Hän-
gebäuchen und die mageren Arme und Schenkel [...]. Allein ich weiß nicht, ob ich
dies nicht lieber dulden will, als [...] ein Gericht von 500 Römern, die von unsern
Antiquastern alle wie Kugeln aus einer Form gegossen werden«.
M., der auch Kunst sammelte, besaß ein ausgeprägtes Qualitätsgefühl. Er beriet
Herzog Karl August von Sachsen-Weimar bei Kunstkäufen; auch die Höfe von
Darmstadt und Kassel schätzten sein Kennerurteil. Er setzte sich für den jungen
Wilhelm Tischbein ein und verteidigte als Kritiker aktueller Kunst »schöpferische
Leistung gegenüber der nur Erfahrung an Erfahrung reihenden Kompilation«
( Waetzoldt).
In den 1780er Jahren verebbte M.s Interesse an der bildenden Kunst. Er versuchte
sich kurzzeitig als Geschäftsmann und gründete 1778 eine Baumwollspinnerei und
Kattunfabrik. M. reiste 1791 nach Paris, wo er sich für die Französische Revolution
begeisterte und durch Vermittlung Jacques-Louis Davids in den Jacobinerklub auf-
genommen wurde. Kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1791 setzte er
seinem Leben mit einer Pistolenkugel ein Ende.
Werke: J.H.M. Ausgewählte Schriften, Ol- ich im Blute. Fabeln, Satiren, Essays, hrsg. v.
denburg 1840; J.H.M.s Schriften und Brief- Hedwig Voegt, Bln 1973
wechsel, Lpz 1909; J.H.M. Werke, Frf 1968; J. Literatur: Zimmermann, Georg: J.H.M.,
H.M. Briefe, Frf 1968; Briefe an J.H.M. von seine Umgebung und seine Zeit, Frf 1871;
Goethe, Herder, Wieland und anderen be- Bräuning-Oktavio, Hermann: J.H.M. als Mit-
deutenden Zeitgenossen, Da 1835; Briefe aus arbeiter an Wielands »Teutschem Merkur« in
dem Freundeskreis von Goethe, Herder, den Jahren 1773–91, in: Archiv f. d. Studium
Höpfner und M., Lpz 1847; J.H.M.s Briefe an d. neueren Sprachen u. Literaturen, 131, 1913,
die Herzogin-Mutter Anna Amalia und an 24–39, 285–304; Haenel, Erich: J.H.M. Die
den Herzog Karl August von Sachsen-Wei- Lucrezia und die deutsche Renaissance, in:
mar, Lpz 1911 Karl Koetschau. Beiträge zur Kunst-, Kultur-
Franz Hutchesons Untersuchung unserer Be- und Literaturgeschichte, hrsg. v. Paul Clemen,
griffe von Schönheit und Tugend in zwo Ab- Dü 1928, 62–66; Ludewig, Maria: J.H.M. als
handlungen, Frf/Lpz 1763; Pätus und Arria. Kritiker, Diss. Münster 1929; Pfeiffer, Her-
Eine Künstlerromanze, Freystadt 1775; P.S. mann: Goethe und M. im Darmstädter
Pallas Reise durch verschiedene Provinzen Freundeskreis, Da 1932; Prang, Helmut: J.
des russischen Reiches, in einem ausführli- H.M. Ein Leben für andere, Wb 1949; Bräu-
chen Auszuge, 3 Bde., Frf 1776–78; Über die ning-Oktavio, Hermann: J.H.M. als Drucker,
Schönheit, in: TM, 1, 1776, 131–141; Ge- Verleger, Kupferstecher und Mäzen, in: Phi-
schichte des Herrn Oheim, in: ebd., 1, 2, 4, lobiblon, 13, 1969, 99–122, 165–208; ders.:
1778, 30–48, 51–65, 27–37; Eine malerische Goethe und J.H.M.; J.H.M. und die Franzö-
Reise nach Köln, Bensberg und Düsseldorf, sische Revolution, Da 1970; ders.: Christian
in: ebd., 3, 1778, 113–128; Einige Rettungen Gottlob Heynes Vorlesungen über die Kunst
für das Andenken Albrecht Dürers gegen die der Antike und ihr Einfluss auf J.H.M., Da
Sage der Kunstliteratur, in: ebd., 3, 1780, 3–14; 1971; Haas, Norbert: Spätaufklärung. J.H.M.
Herrn Oheim der Jüngere, eine wahre Ge- zwischen Sturm und Drang und Französi-
schichte, in: ebd., 4, 1781, 144–166; Beschrei- scher Revolution, Kronberg 1975; Ebner,
bung der vorzüglichsten Gärten um Darm- Fritz: Lichtenberg und M. Zwei Bürgersöhne
stadt, in: Hessisch-Darmstädischer Staats- und des 18. Jh.s, in: FS Hans Tümmler, Köln 1977,
Adresskalender, 1781, 9–19; Galle genug hab 241–253; Hein, Jürgen:Vom »guten, gesunden
288 Merck

Alltagsleben«. Die idyllischen Utopien bei gedichte von J.H.M. und Ernst Droem, in: FS
J.H.M., in: Hiltrud Gnüg (Hrsg.), Literarische Berhard König, Tü 1993, 311–318; Schübler,
Utopieentwürfe, Frf 1982, 158–172; Grieger, Walter: J.H.M., 1741–91, Wien 2001; Bertsch,
Astrid: J.H.M.s Kunstauffassung. Seine Schrif- Markus: J.H.M. und die Anfänge der Gra-
ten zur bildenden Kunst im ästhetisch-theo- phiksammlung von Herzog Carl August, in:
retischen Kontext, Tü 1988; J.H.M. Ein Leben ders. (Hrsg.), Räume der Kunst, Gö 2005,
für Freiheit und Toleranz, AKat. Kunsthalle 47–75
Darmstadt, Da 1991; Pabst, Walter: Den Ma- CF
nen Michelangelos. Vergessene Huldigungs-

Metz, Peter
Geb. 26. 9. 1901 in Mainz; gest. 15. 5. 1985 in Berlin

Das Hauptforschungsfeld von M. war die mittelalterliche Plastik in allen ihren Er-
scheinungsformen. Daneben beschäftigte er sich mit mittelalterlicher Architektur,
Buchmalerei und dem Kunstgewerbe; als langjähriger Direktor betreute er die
Skulpturensammlung der Staatlichen Museen in Berlin-Dahlem.
M. studierte 1920–24 Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte an den Uni-
versitäten Frankfurt/Main, München, Göttingen, Köln und schließlich Gießen, wo
er mit einer Arbeit über Mainzer Rokokoplastik promovierte. Anschließend inventa-
risierte er Kunstdenkmäler in Hessen und richtete das Dom- und Diözesanmuseum
in Mainz ein. 1925–28 war er Assistent am kunsthistorischen Institut der Universität
Gießen; während dieser Zeit konzipierte er die Ausstellung Alte Kunst am Mittelrhein
im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt (1927), deren Katalog noch heute ein
Standardwerk ist. 1928 ging M. als wissenschaftliche Hilfskraft an die Staatlichen
Museen Berlin, wo er zunächst in der Kunstbibliothek und im Kupferstichkabinett
tätig war, bis er 1930 in die sogenannte Abteilung der Bildwerke der christlichen
Epochen wechselte. 1931–32 hielt sich M. als Stipendiat des Deutschen Kunsthisto-
rischen Instituts in Florenz auf; 1933 kam er als Bibliothekar an die Staatliche Gold-
schmiedeschule in Hanau, wurde jedoch 1935 aus politischen Gründen entlassen.
Trotz finanzieller Not lehnte er im gleichen Jahr das Direktorat des Historischen
Museums in Frankfurt/Main ab, um nicht in die NSDAP eintreten zu müssen.
Darauf ging M. in die Skulpturenabteilung der Berliner Museen zurück, wiederum
als Hilfskraft. Nach dem Krieg wurde er dort Kustos und 1949 Direktor. Da er für
eine freie Forschung keine Zukunft sah, verließ er 1950 Berlin (Ost) und trat eine
Stelle als Konservator am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg an. 1955
kehrte er als Direktor der Skulpturenabteilung der Stiftung Preußischer Kulturbe-
sitz nach Berlin (West) zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung 1966 tätig war.
1966 konnte er noch einen Erweiterungsbau der Galerie in Dahlem eröffnen, den
er zusammen mit dem Architekten Wils Ebert konzipiert hatte. Seit 1948 lehrte M.
auch Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität und – seit 1951 als Privatdo-
zent, seit 1960 als a.o. Professor – in Erlangen, wo er bis 1967 Übungen an Origi-
nalen des Germanischen Nationalmuseums zu Nürnberg abhielt.
Wie andere Fachkollegen ( Pinder,  Kautzsch,  Jantzen) befaßte sich M.
Ende der 1920er und in den 1930er Jahren mit der Architektur der Kaiserdome am
Metz 289

Rhein und mit den Skulpturenzyklen des Naumburger Doms. Versuchen, die Kai-
serdome als erste »selbständige und eigenwillige Schöpfungen der deutschen Kul-
tur« ( Weigert, 1933) anhand von Kapitellformen, Gliederungssystemen und
Grundrißtypen zu belegen und im Sinne einer »völkischen« Kunstgeschichtsschrei-
bung zu vereinnahmen, stand er jedoch ablehnend gegenüber. Das Wesen der deut-
schen Kunst gerade dieser Zeit lag für ihn im »absolut Geistigen« begründet. Ange-
sichts des Mainzer Doms, der ihm auch als Musterbeispiel für das traditionsgebundene
Schaffen des mittelalterlichen Menschen galt, sprach er von »hochmittelalterlicher
erdgebunden-mystischer Irrationalität«; dem »dämonisch-sinnlichen Naturalismus«
des 13. Jahrhunderts sei eine »psychisch überreizte Entkörperlichung« im 14. Jahr-
hundert gefolgt. M. bemühte sich, die Kunstwerke des Mittelalters aus dessen »Geist«
zu verstehen. Psychologische Deutungen der Naumburger Figuren, wie sie Herbert
Küas (Die Naumburger Werkstatt, 1937) versucht hatte, schienen ihm ebensowenig
geeignet, Bedeutung und Anordnung der Skulpturen zu klären, wie eine Suche
nach literarischen Vorlagen. M. hielt die Anschauungswelt des Mittelalters für leben-
dig und differenziert genug, um aus einem bleibenden Grundbestand an Bildern
und Sinngehalten bei »jeweils neuen Aufgaben auch neue Gestalten und Verbindun-
gen hervorzutreiben«.
Während seiner Tätigkeit am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg
schrieb M. 1956 eine Arbeit über das dort befindliche Goldene Evangelienbuch von
Echternach. Nach den Untersuchungen von Carl Nordenfalk und Albert Boeckler in
den 1930er Jahren, die vorwiegend kompositionelle und ikonographische Probleme
erörtert hatten, berücksichtigte M. stärker die unmittelbaren formalen Faktoren –
Linie, Fläche, Körper, Farbe – und stellte die stilistischen Unterschiede der einzelnen
Blätter heraus. Durch Vergleiche suchte der in Theologie versierte M. den Beweis
zu führen, daß die Nürnberger Handschrift, deren liturgisches Programm er eben-
falls erörterte, im Echternacher Mutterkloster St. Maximin oder an einem anderen
Ort im Trierer Raum gefertigt sein könnte.
Publikationen wie Abstrakte Kunst und Kirche (1954) und die Berliner Ausstellung
Christliche Kunst Europas (1958) bezeugten das Engagement von M. für den katho-
lischen Glauben. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) opponierte er
entschieden gegen den Linksklerikalismus.
Werke: Mainzer Rokokoplastik, Gießen Hans Weigert, Die Kaiserdome am Mittel-
1924; Der Dom zu Mainz, Au 1927; AKat. rhein. Speyer, Mainz und Worms (1935), in:
Alte Kunst am Mittelrhein, Da 1927; Alte ZfKg, 4, 1935, 334–340; Das Ostportal der
Kunst am Mittelrhein, I. Plastik und Kunstge- ehemaligen Mainzer Liebfrauenkirche um
werbe, in: Ci, 19, 1927, 463–473; Ein Wandge- die Mitte des 13. Jh.s, in: JbPK, 1936, 109–129;
mälde im Stile Grünewalds, in: ebd., 21, 1929, Eine mittelrheinische Statuette im Deutschen
281–286; Der Trikonchos und andere Fragen Museum, in: BMB, 59, 1938, 59–62; Die Flo-
des Mainzer Doms. Zugleich eine Erwide- rentiner Domfassade des Arnolfo di Cambio,
rung, in: JbKw, 1930, 84–89; Das Kunstge- in: JbPK, 1938, 122–160; Die Figur eines En-
werbe von der Karolingerzeit bis zum Beginn gels im Mainzer Dommuseum. Ein Beitrag
der Gotik, in: Geschichte des Kunstgewerbes zum Problem der Bildhauer Hiernle und Za-
aller Zeiten und Völker, hrsg. v. Helmuth mels, in: FS Georg Lenhart, Mainz 1939, 178–
Theodor Bossert, Bd. 5, Bln 1932, 197–366; 194; Zehn deutsche Dome, Bln 1939; Zur
Die Muttergottes an der Korbgasse in Mainz, Deutung der Meißener und Naumburger
in: Pantheon, 14, 1934, 334–336; Rez. von Skulpturenzyklen des 13. Jh.s, in: ZfKg, 9,
290 Metz

1940, 145–174;Toskanische Inkrustationskunst FS für Bischof Dr. Albert Stohr, Mainz 1960,
der vorgotischen Zeit. Ein Versuch zur Erklä- Bd II, 290–323; Elfenbein der Spätantike, Mü
rung ihrer formalen Wandlungen, Bln 1946; 1962; Vom Geiste mittelalterlicher Kunst, Mü
Der Stifterchor des Naumburger Doms, Bln 1963; Skulpturenabteilung mit frühchristlich-
1947; Wiedersehen mit Museumsgut, in: byzantinischer Sammlung, in: JbPKB, 1962,
ZfKg, 10, 1947, 45–58; AKat. Meisterwerke 196–205; Die Grundlegung der Kunst des
deutscher Bildhauer und Maler, Bln 1947; Ein Mittelalters im Abendland, in: Weltkunstge-
holzgeschnitzter Kreuzweg des Bildhauers schichte, 2 Bde., Bln/Da/Wien 1964, 91–130;
Hanns Schrott-Fiechtl, Bln 1948; Idee und Bildwerke der christlichen Epochen von der
Erscheinungsform des Kunstwerkes, Sa 1953; Spätantike bis zum Klassizismus, Mü 1966;
Abstrakte Kunst und Kirche. Eine Studie Echt oder falsch? Eine Studie über Grund-
über die Kunst in der Heilsgeschichte, Nü sätzliches, in: FS Karl Oettinger zum 60. Ge-
1954; Ein Relief von Anton Feuchtmayer, in: burtstag, Erlangen 1967, 465–477; Ein auto-
BMB, 5, 1955, 8–11; Das goldene Evangelien- matisches Tafelspielzeug der Renaissance, in:
buch von Echternach im Germanischen Na- JbBM, 1970, 5–33; Kunst und Liturgie, in:
tionalmuseum zu Nürnberg, Mü 1956; AKat. Mitteilungsblatt der Priesterschaft St. Pius X.
Europäische Bildwerke von der Spätantike für den deutschen Sprachraum, 22, 1984, 33–
bis zum Rokoko, Mü 1957; Eine neuerwor- 41
bene Bildnisbüste des Barons Philipp von Literatur: Kautzsch, Rudolf: Rez. von
Stosch von Edme Bouchardon, in: BMB, 7, »Dom zu Mainz«, in: JbKw, 1928, 213–215;Vi-
1957, 19–20; Das Marmorbildnis der Doro- etta, Egon: Rez. von »Das goldene Evangeli-
thea von Rodde-Schlözer von Jean-Antoine enbuch von Echternach«, in: Ktw, 11, 1957/58,
Houdon, in: ebd., 8, 1958, 2–14; Spätgotische S. 44; Schramm, Percy Ernst: dass., in: HZ,
Reminiszenzen in der Plastik des deutschen 185, 1958, 376–380; Elbern,Victor H.: dass., in:
Barock, in: FS Friedrich Winkler, Bln 1958, Das Münster, 11 1958, 224 f.; FS P.M., Bln
330–339; Ottonische Buchmalerei, Evangeliar 1965 (Bibliogr.); Bloch, Peter: Nachruf auf
Otto III., Perikopenbuch Heinrich II., Mü P.M., in: BMB, III, 1985, o.S.
1959; Der Königschor im Mainzer Dom, in: CF

Meyer, Erich
Geb. 29. 10. 1897 in Berlin; gest. 4. 11. 1967 in Hamburg

Auf dem Gebiet des Kunstgewerbes gehörte M. zu den weltweit anerkannten Au-
toritäten; er war vor allem ein herausragender Kenner des mittelalterlichen Bronze-
gusses. Nicht zuletzt war es seiner umsichtigen Leitung zu verdanken, daß das
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe nach dem Krieg bald zur Normalität
und als eine einstmals führende Einrichtung ihrer Art in die internationale Muse-
umswelt zurückfand.
M. studierte Kunstgeschichte bei  Wölfflin in München, wechselte aber schon
bald nach Berlin, wo er 1924 mit einer Arbeit über Sächsische Monumentalplastik bis
zum Ende des 12. Jahrhunderts bei  Goldschmidt promovierte. Seine finanzielle
Unabhängigkeit gestattete ihm in den folgenden Jahren ausgedehnte Studienreisen
durch Europa. 1927 wurde M. wissenschaftlicher Assistent, 1941 Kustos am Berliner
Schloßmuseum. Als Assistent Otto von Falkes wurde sein Interesse schon früh auf
die Bronzegeräte des Mittelalters gelenkt, deren Erforschung noch ausstand. 1935
erschien zu diesem Thema der erste Band einer Monographie, die zum erstenmal
ein für die Kunst- und die Liturgiegeschichte gleichermaßen wichtiges Material
vollständig katalogisierte sowie chronologisch und nach Herstellungsorten ordnete;
Meyer 291

von Falke hatte die romanischen Leuchter, Kreuzständer und Gießgefäße, M. die
Gießgefäße in Tierform bearbeitet. Ein zweiter Band sollte unter anderem Türgriffe,
Wassereimer und Rauchgefäße behandeln; während des Krieges ging jedoch das
über Jahre gesammelte Material verloren.
Das in diesem Corpuswerk abgesteckte Terrain, das Grenzgebiet zwischen Plastik
und Kunstgewerbe, blieb M.s eigentliches Forschungsthema. Nachdem er in den
1930er Jahren von Berlin aus an der Einrichtung der Museen in Prenzlau, Halber-
stadt, Danzig und Minden beteiligt gewesen war und während des Krieges als Ku-
stos die Mittelalter-Abteilung des Schloßmuseums betreut hatte, wurde er 1947
zum Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg berufen. Dank
der Stiftung zur Förderung der Hamburger Kunstsammlungen gelang ihm in nur
wenigen Jahren eine immense Bereicherung des Bestandes. In Fortsetzung seiner
Berliner Gepflogenheiten war M. daran gelegen, wertvolle Einzelstücke mit dem
»Charakter des Einmaligen« anzukaufen. Zu den Sammelgebieten gehörten – ne-
ben der Mittelalter-Abteilung und den Goldschmiedearbeiten – die europäische
Textilkunst, insbesondere Bildteppiche, vorderasiatische Knüpfteppiche und islami-
sche Keramik. Während seiner Amtszeit gelangten mehrere Brüsseler Tapisserien aus
dem 17. und 18. Jahrhundert und drei seltene Arbeiten der Berliner Gobelinmanu-
faktur von Charles Vigne in die Sammlung. Seit 1950 setzte M. neue, für ein Kunst-
gewerbemuseum ungewöhnliche Akzente. Dem seit  Sauerlandts Zeit vorhande-
nen Bestand an deutscher Renaissance-Kleinplastik fügte er durch den Ankauf der
Sammlung Carl von Weinbergs einige großformatige Bildwerke hinzu, denen wei-
tere Einzelstücke europäischer Großskulptur des 12. bis 18. Jahrhunderts folgten. Als
durch den Kunsthandel frühmittelalterliche und islamische Töpferkunst vor allem
aus dem Iran nach Europa kam, erregte M. Aufsehen mit einigen Ankäufen vorwie-
gend jüngerer persischer und türkischer Keramik. Trotz Umbauarbeiten am Mu-
seum fanden während der 1950er Jahre zahlreiche Ausstellungen statt, auch von
zeitgenössischer Kunst wie französische Wandteppiche (1950/60) oder Plastik und
Kunsthandwerk des Expressionismus (1960).
Neben seiner Museumstätigkeit in Hamburg war M. Kuratoriumsmitglied des
Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und des Zentralinstitutes für Kunst-
geschichte in München, seit 1937 Geschäftsführer und Schriftleiter des Deutschen
Vereins für Kunstwissenschaft und seit 1960 Mitherausgeber der Zeitschrift Pan-
theon. 1961 wurde M., der seit 1948 auch Honorarprofessor an der Universität
Hamburg war, aus Gesundheitsgründen vorzeitig pensioniert.

Werke: Sächsische Monumentalplastik bis sechs Jahrhunderten, Museum für Kunst und
zum Ende des 12. Jh.s, Bln 1924; Michael Klar Gewerbe Hamburg, Hbg 1953; Frühgotische
d.Ä. Sein Leben und Werk, Br 1931; Bronze- Bronzen im Erzbistum Trier, in: Kunstge-
geräte des Mittelalters. Bd. 1: Romanische schichtliche Studien für Hans Kauffmann,
Leuchter und romanische sowie gotische Bln 1956, 106–111; Über Höchster Fayencen,
Gießgefäße (mit Otto von Falke), Bln 1935; in: JbHK, 1958, 113–136; Zur neuen Aufstel-
Das Dommuseum Halberstadt, Halberstadt lung der Sammlungen, in: ebd., 1959, 221–
1938; Über einige niedersächsische Bronzen 230; Der gotische Kronleuchter in Stans. Ein
des 13. Jh.s, in: ZDVKw, 6, 1939, 251–260; Beitrag zur Geschichte der Dinanderie, in: FS
Bildnis und Kronleuchter Kaiser Friedrich Hans R. Hahnloser, Basel/Stg 1959, 151–184;
Barbarossas, Bln 1946; AKat. Bildteppiche aus Romanische Bronzen der Magdeburger Gieß-
292 Meyer

hütte, in: FS Friedrich Winkler, Bln 1959, Theodor: E.M., in: Pantheon, 25, 1967, S. 201;
22–28; Mittelalterliche Bronzen, Hbg 1960 Rückert, Rainer: E.M., in: KChr, 20, 1967,
Literatur: FS E.M. zum 60. Geburtstag, 168–171; Möller, Lise Lotte: E.M., in: JbHKh,
Hbg 1959; FS E.M. zu seinem 65. Geburtstag, 1968, 7–12
Hbg 1964; Hahnloser, Hans R.: Prof.Dr. E.M. CF
1897–1967, in: UKd, 18, 1967, 15–17; Müller,

Meyer, Johann Heinrich


Geb. 16. 3. 1760 in Zürich; gest. 14. 10. 1832 in Weimar

Eine mehr als 40jährige Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit  Goethe sicherte
M. nicht nur einen Platz in der Literaturgeschichte, sie brachte auch den bedeuten-
den Kunstgelehrten hervor, der, obwohl tief verwurzelt im Kunstverständnis des
Klassizismus, den Weg der Kunstgeschichtsschreibung zu einer historisch-kritischen
Wissenschaft ebnen half. Die für M. schicksalhafte Begegnung fand am 2. Novem-
ber 1786 in Rom statt. Er beeindruckte Goethe mit seinem gewinnenden Wesen
und reichen kunstgeschichtlichen Wissen. In der Italienischen Reise notierte der
Dichter später rückblickend: M. »hat eine himmlische Klarheit der Begriffe und
eine englische Güte des Herzens [...]. Ich habe keine Worte, die stille wache Selig-
keit auszudrücken, mit der ich nun die Kunstwerke zu betrachten anfange«.
M., von Haus aus Künstler, Schüler des klassizistischen Malers Johann Caspar
Füßli, kam 1784 nach Rom, wo er sich bald intensiven kunstgeschichtlichen Stu-
dien widmete. 1791 ließ er sich für den Rest seines Lebens in Weimar nieder. Auf
Empfehlung Goethes hatte ihn Herzog Karl August zum Professor (seit 1806 Direk-
tor) an der Zeichenakademie ernannt. Neben diesen offiziellen kunstpädagogischen
Verpflichtungen fiel M. im engeren Kreis um Goethe die bildende Kunst und die
Kunstgeschichte als Arbeitsgebiet zu. Nachdem er 1794 die Dresdner Kunstschätze
studiert hatte, reiste M. 1795 erneut nach dem Süden, um für ein geplantes großes
Gemeinschaftswerk mit Goethe, dessen kunstgeschichtlichen Teil er bearbeiten
wollte, auf der Grundlage »einer unmittelbaren Anschauung« die Monumente zu
zeichnen und – nicht zuletzt – zu beschreiben und zu bewerten; Kunstgeschichts-
schreibung verbanden sich für M. und Goethe auch mit ästhetischer Kritik. Dabei
bediente sich M. der sogenannten tabellarischen Methode, nach der jedes Werk
unter Zuhilfenahme von Kategorien aus der traditionellen klassizistischen Kunst-
theorie wie Erfindung, Komposition, Zeichnung analysiert wurde – ein Verfahren,
das schon bald auf heftige Ablehnung bei den Romantikern stieß, die das Kunst-
werk als etwas Organisches und Ganzheitliches betrachteten. Als sich jenes Italien-
projekt zerschlug, weil Goethe sich wieder stärker der Dichtkunst und ästhetischen
Problemen zugewandt hatte, kehrte M. 1797 über die Schweiz, wo er mit Goethe
zusammentraf, nach Weimar zurück – als einer der besten lebenden Kenner der
Antike und der italienischen Kunst von Cimabue und Giotto bis zu Raffael und
Michelangelo.
Für M. und Goethe zielte jede Art von kritischer oder historischer Kunster-
kenntnis auf die Gegenwart; ihre »Kunsterfahrungen« sollten den Künstlern und
dem Kunstpublikum zugutekommen. 1798 riefen sie die Zeitschrift Propyläen ins
Meyer 293

Leben; M. veröffentlichte dort seine wichtigsten Aufsätze. In Über die Gegenstände


der bildenden Kunst, einem für ihn besonders charakteristischen Text, behandelte er
ein Thema, das auch Goethe und Schiller sehr beschäftigte: Er unterzog sich der
Aufgabe, nach einem wohl von Goethe ausgearbeiteten Schema das kunstgeschicht-
liche Material nach ikonographischen Mustern zu durchforschen und nach ihrer
Eignung für die künstlerische Praxis zu beurteilen, wobei sein Hang zur dogmati-
schen Vereinfachung und zum Kunstrichter deutlich wurde.
Als Kunsthistoriker war M. innerhalb des durch die klassizistische Ästhetik auf
Antike und Renaissance eingegrenzten Betätigungsfeldes ein rastloser Arbeiter.
Goethe bewunderte die »Genauigkeit mit welcher M. die Kunstschätze der alten
und mittleren Zeit rezensiert hat« und feierte ihn als »neuen Pausanias«. Sein
Hauptwerk, eine dreibändige Geschichte der antiken Kunst, unterschied sich von
dem  Winckelmannschen Vorbild nicht zuletzt durch ihren umfangreichen Appa-
rat aus Anmerkungen, Sach-, Orts- und Künstlerregister und Bibliographie. Neu
war, daß M. alle älteren Versuche, die griechische Kunstblüte aus dem Klima, den
politischen Verhältnissen, der Religion oder den Sitten zu erklären, als spekulativ
ablehnte. M. wollte nur »melden, wann, wie und an welchen Orten die fröhliche
Kunstblüte stattgefunden« habe. Über Winckelmann hinaus ging M. auch insofern,
als er seine Kunstgeschichte nicht mit der Spätantike enden ließ, sondern das Mit-
telalter, wenn auch nur als grobe Skizze, bis zum 13. Jahrhundert, als sich die Re-
naissance anzukündigen begann, in seine antike Kunstgeschichte einbezog. In M.s
Nachlaß befand sich eine von den Griechen bis ins 18. Jahrhundert reichende euro-
päische Kunstgeschichte, die erst vor wenigen Jahren veröffentlicht wurde.
M. war auch der Verfasser einer gemeinsam mit Goethe konzipierten program-
matischen Schrift, die einen Höhepunkt in den Auseinandersetzungen zwischen
Klassizismus und Romantik darstellte. In Neudeutsche religiös-patriotische Kunst (1817)
griff er  Wackenroder,Tieck sowie die  Brüder Schlegel, die literarischen Köpfe,
und die Nazarener Pforr, Cornelius, Overbeck, aber auch Runge und Friedrich an;
M. konnte nicht begreifen, warum bei diesen vielen »wackern Künstlern und geist-
reichen Kunstfreunden eine leidenschaftliche Neigung zu dem ehrenwarten, naiven,
doch etwas rohen Geschmack, in welchem die Meister des vierzehnten und fünf-
zehnten Jahrhunderts verweilten«, bestand. Am Ende wußte er nichts weiter zu
empfehlen als das »Studium der alten griechischen Kunst«. M., der nur wenige
Wochen nach Goethe starb, geriet schnell in Vergessenheit. Die ersten Bemühun-
gen, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, datieren vom Ende des 19. Jahrhun-
derts, als das Verdikt der Romantiker, voran das der Schlegels, seine Überzeugungs-
kraft verloren hatte.
Werke: Ideen zu einer künftigen Geschichte zeit von seiten der Kunst betrachtet, Dr 1810;
der Kunst (Horen, 1795); Über die Gegen- Über die Altargemälde von Lucas Cranach in
stände der bildenden Kunst (Propyläen, 1798); der Stadtkirche zu Weimar, Wei 1813; Neu-
Raffaels Werke besonders im Vatikan (Propy- deutsche religiös-patriotische Kunst (Kunst
läen, 1798); Über Lehranstalten zugunsten der und Altertum, 1817); Geschichte der bilden-
bildenden Künste (Propyläen, 1799); Masac- den Künste bei den Griechen von ihrem Ur-
cio (Propyläen, 1800); Entwurf einer Kunst- sprunge bis zum höchsten Flor, 2 Bde., Dr
geschichte des 18. Jh.s (Winckelmann und 1824; Geschichte der bildenden Künste bei
sein Jh., 1805); Die Aldobrandinische Hoch- den Griechen und Römern. Zeit ihres Ab-
294 Meyer

nehmens, hrsg. v. F.W. Riemer, Dr 1836; Pfeiffer-Belli, Wolfgang: Goethes Kunstmeyer


Kleine Schriften zur Kunst, Stg 1886; Goe- und seine Welt, Zü/Stg 1959; Einem, Herbert
thes Briefwechsel mit H.M., hrsg. v. Max von: Ein ungedrucktes Manuskript J.H.M.s
Hecker, 4 Bde., Wei 1917–32; Geschichte der über Michelangelo, in: JbGoe, 1977, 256–285;
Kunst, hrsg. v. Helmut Holtzhauer und Rei- Gombrich, Ernst H.: Goethe and the History
ner Schlichting, Wei 1974 of Art. The Contribution of J.H.M., in: Pu-
Literatur: Meyer-Ochsner, Heinrich: Le- blications of the English Goethe Society, N.S.
ben des Hofrathes H.M. von Zürich, Zü 60, 1989–1990 (1991), 1–19; Hölter, Achim:
1852; Dürr, Alphons: J.H.M. in seinen Bezie- Goethe, M. und der Kunsthistoriker Johann
hungen zu Goethe, in: ZfbK, 20, 1885, 25–35, Dominik Fiorillo, in: JbGoe, 1992, 115–130;
59–71; Harnack, Otto: Goethe und H.M., in: Klauß, Jochen: Der »Kunschtmeyer«. J.H.M.,
PJbb, 1889, 529–543; Waetzoldt 1921, 179–199; Freund und Orakel Goethes, Wei 2001
Federmann, Arnold: J.H.M. Goethes Schwei- PB
zer Freund 1760–1832, Frauenfeld/Lpz 1936;

Meyer, Julius
Geb. 26. 5. 1830 in Aachen; gest. 16. 12. 1893 in München

Mit M.s Namen verbindet sich eine wegweisende Geschichte der modernen französi-
schen Malerei, vor allem aber das Allgemeine Künstlerlexikon von Nagler und dessen
Neubearbeitung seit 1869. In Erinnerung geblieben ist M. auch als einer der bedeu-
tenden Museumsmänner seiner Zeit und langjähriger Direktor der Königlichen
Gemäldegalerie in Berlin.
M. studierte zunächst Jura in Göttingen, wechselte jedoch nach einigen Seme-
stern an die Universität Heidelberg, um sich seinen philosophischen und ästheti-
schen Interessen zu widmen. 1852 promovierte er mit einer Arbeit über Die Ge-
schichte der deutschen Ästhetik seit Kant. Auf ausgedehnten Reisen im europäischen
Ausland und bei wiederholten Besuchen in Paris, wo er schon 1850–51 gelebt hatte,
entwickelte M. eine immer bestimmtere Neigung für die bildende Kunst. Er zog
nach München, um von den dortigen Kunstsammlungen profitieren und sich mit
Künstlern und Gelehrten austauschen zu können.
M.s schriftstellerische Tätigkeit begann mit Aufsätzen über Architektur und Ma-
lerei, die in den 1860er Jahren unter anderem in der von  Lützow gegründeten
Zeitschrift für bildende Kunst erschienen. Während dieser Zeit arbeitete er auch an
seiner umfänglichen Geschichte der modernen französischen Malerei (1867). Im Vorwort
verwies M. selbst auf seine methodische Vorgehensweise, die er auch in späteren
Arbeiten beibehielt: Im »goldenen Rahmen der Kunst« meinte er die einem Jahr-
hundert eigentümlichen Züge zu erkennen; die Kunst war ihm Spiegel des gesam-
ten Kulturlebens. Die französische Kunst schien ihm in besonderem Maße nicht
nur das nationale Leben der Franzosen, sondern auch die »allgemeine Anschauung
und Gesittung des Jahrhunderts« zu reflektieren. In Kapiteln über das Verhältnis von
Revolution und Kunst, das Kulturleben der Epoche und seine Darstellung im Bild
oder das militärische Sittenbild versuchte M. die Wechselwirkung zwischen Kunst
und gesellschaftlichem Leben zu erhellen. Dabei äußerte er die Überzeugung, daß
die Beziehung des Menschen zur Kunst eine zeitgemäße sein müsse, daß jedoch ein
moderner Kunstbegriff erst noch zu finden sei.
Meyer 295

Neben der zeitgenössischen Kunst beschäftigte sich M. auch mit der älteren Ma-
lerei, namentlich der italienischen. Sein Buch über Correggio (1871), das sich auf bis
dahin unbekanntes Urkundenmaterial stützt und neben einer kritischen Beschrei-
bung der Gemälde ein Verzeichnis der Reproduktionsstiche enthält, war eine Pio-
nierleistung in der Correggio-Forschung.
Als M. von dem Leipziger Verleger Wilhelm Engelmann mit der Überarbeitung
des Allgemeinen Künstlerlexikons (1835–52) von Georg Kaspar Nagler beauftragt
wurde, nahm er ein äußerst ehrgeiziges Projekt in Angriff. Geplant war eine Neu-
ausgabe in 12 bis 15 Bänden mit ausführlichen Künstlermonographien, Œuvrever-
zeichnissen sowie Nachweisen über Wanderungen, Beschädigungen und eventuellen
Restaurierungen der Werke. Falsche Vorstellungen über Umfang und Proportion
der Artikel ließen jedoch das Lexikon, an dem mehr als 50 prominente Fachvertre-
ter des In- und Auslandes mitarbeiteten, nicht über den dritten Band hinauskom-
men, der 1885 erscheinen konnte. Nachdem auch Versuche des Mitherausgebers
 Tschudi gescheitert waren, das Projekt durch eine Verschlankung zu retten,
wurde 1888 die Arbeit eingestellt.
1872 übernahm M. die Leitung der Berliner Gemäldegalerie. Während seiner fast
18jährigen Amtszeit – und der nicht spannungslosen Zusammenarbeit mit seinem
späteren Nachfolger  Bode – erfolgte ein durchgreifender Umbau des Alten Mu-
seums, an dessen Nordseite Oberlichtsäle entstanden; der alte Bestand wurde neu
geordnet; durch ein kritisches Verzeichnis, an dem auch Bode und Tschudi mit-
wirkten, und durch Beschriftungen der Bilder trug M. dazu bei, die Sammlung dem
Publikum näherzubringen. Mit seinem Ankauf der Sammlung Suermondt kamen
Bildnisse Holbeins und Velázquez’ sowie Jan van Eycks Mann mit den Nelken in den
Besitz der Gemäldegalerie.
Aus Gesundheitsgründen quittierte M. 1890 seinen Dienst und ging zurück nach
München. Eine Geschichte der venezianischen Malerei blieb unvollendet.
Werke: Die Geschichte der deutschen Äs- schreibendes Verzeichnis der Gemälde der
thetik seit Kant, Hei 1852; Die französische Kgl. Museen zu Berlin (mit Wilhelm Bode u.
Malerei seit 1848, in: ZfbK, 2, 1867, 13–23, Ludwig Adolf Scheibler), Bln 1883; Aus der
32–41, 56–60, 119–127; Ingres, in: ebd., 170– Gemäldegalerie der Kgl. Museen. Das Hie-
176; Die bildende Kunst auf der Weltausstel- ronymus Holzschuher-Bildnis von Albrecht
lung, in: ebd., 211–216, 245–249, 271–276; Dürer, in: JbPK, 1885, 101–106; Das Frauen-
Geschichte der modernen französischen Ma- bildnis des Sebastiano del Piombo aus Schloß
lerei seit 1789 zugleich in ihrem Verhältnis Blenheim, in: ebd., 1886, 58–72; Die Gemäl-
zum politischen Leben, zur Gesittung und degalerie der Kgl. Museen zu Berlin, Bln
Literatur, Lpz 1867; Das Kunstgewerbe auf 1888–1909; Zur Geschichte der Florentiner
der Weltausstellung von 1867, in: ZfbK, 3, Malerei des 15. Jh.s. Sandro Botticelli in der
1868, 14–18, 38–45; Das neue Polytechnikum zweiten Periode seiner Tätigkeit, Filippino
zu München und die moderne Stilfrage, in: Lippi, Raffaelino del Garbo, Piero di Cosimo,
ebd., 149–155; Allgemeines Künstlerlexikon. in: JbPK, 1890, 3–35; Zur Geschichte und
Zweite, gänzlich bearbeitete Auflage von Kritik der modernen deutschen Kunst. Ge-
Naglers Künstlerlexikon, 3 Bde., Lpz 1870– sammelte Aufsätze, hrsg. v. Konrad Fiedler,
85; Correggio, Lpz 1871; Kgl. Museen Berlin. Lpz 1895
Beschreibendes Verzeichnis der während des Literatur: Lützow, Karl von: Rez. von »All-
Umbaus ausgestellten Gemälde (mit Wilhelm gemeines Künstlerlexikon«, Bd. 1, in: ZfbK, 5,
Bode), Bln 1878; Neptun und Amphitrite 1870, 155–157; J.J.: Rez. von »Beschreibendes
von Rubens, in: JbPK, 1881, 113–130; Be- Verzeichnis der Gemälde der Königlichen
296 Meyer

Museen zu Berlin«, in: DLZ, 5, 1884, 514–516; modernen Malerei« aus dem Jahr 1867, in:
Bode, Wilhelm: J.M., in: RfKw, 17, 1894, 87– Gotthard Jedlicka. Eine Gedenkschrift, Zü
89; Bode, Wilhelm/Jordan, Max/Lippmann, 1974, 71–77
Friedrich (Hrsg.): J.M., in: JbPK, 1894, 61–64; CF
Lüthy, Hans A.: Zu J.M.s »Geschichte der

Morelli, Giovanni (Lermolieff, Iwan)


Geb. 25. 2. 1816 in Verona; gest. 28. 2. 1891 in Mailand

Die M.sche Methode – von ihrem Erfinder »Experimentalmethode« genannt – stellt


den für die naturwissenschaftlich ausgerichtete Denkweise des 19. Jahrhunderts
bezeichnenden Versuch dar, die Autorschaft eines Kunstwerkes aus seiner formalen
Struktur exakt und überprüfbar abzuleiten. Seine Behauptung, daß die Kunstge-
schichte bis dahin eher ein »unschuldiges Amusement« als eine seriöse Fachwissen-
schaft gewesen sei, fiel dem Außenseiter M. um so leichter, als er, von der Medizin
kommend, unbelastet von Fachwissen und traditionellen Denkschemata war. Nur
so konnte er fordern, eine der großen Errungenschaften der noch jungen Kunstge-
schichtsschreibung, die Einbeziehung der geschriebenen Dokumente der Vergan-
genheit in den kunsthistorischen Erkenntnisprozeß, wieder über Bord zu werfen
und nur das Kunstwerk selbst als Wissensquelle anzuerkennen: »Mit bloßen Doku-
menten« tue man »keinen Schritt vorwärts in der Kunstwissenschaft [...]. Der ein-
zige Weg der aus diesem Kunstchaos heraushelfen kann [...] ist eben das Studium
der Form.«
M.s Familie stammte aus Südfrankreich, lebte wegen ihres protestantischen Glau-
bens später in der Schweiz und schließlich in Verona und Bergamo. Da für ihn ein
Schulbesuch im katholischen Italien unmöglich war, schickte man den Zehnjähri-
gen 1826 auf die Kantonsschule in Aarau. Seine Ausbildung im deutschen Sprach-
raum setzte er 1834–38 an den Universitäten von München und Erlangen fort.
Großen Einfluß über die Medizin hinaus übte auf ihn der Anatom und Physiologe
Ignaz Döllinger aus, ein Anhänger der Schellingschen Naturphilosophie. 1836 legte
M. sein medizinisches Examen ab, ohne aber jemals als Arzt zu praktizieren; unter
dem Pseudonym Iwan Lermolieff verdiente er seinen Lebensunterhalt als freier
Autor. Seine weitgespannten Interessen brachten M. früh mit Philosophen, Litera-
ten und Künstlern in Berührung, mit Baader, Görres, Brentano, Schelling, mit
Cornelius, Kaulbach und Bonaventura Genelli. 1838 hielt er sich in Berlin auf, 1839
in Paris, wo er zum erstenmal Otto Mündler, einen der großen Gemäldekenner der
Zeit, traf; mit ihm war er später oft in Italien auf den Spuren der alten Meister
unterwegs. 1840 kehrte er nach Italien zurück und ließ sich in Bergamo nieder. Seit
1848 nahm M. aktiv an der italienischen Unabhängigkeitsbewegung teil, schrieb
Flugblätter, kämpfte mit der Waffe gegen die Österreicher, ging als Gesandter zur
Frankfurter Nationalversammlung, vertrat seit 1861 die Stadt Bergamo im Parla-
ment und wurde 1873 Senator. Von 1874 bis zu seinem Tode lebte er in Mailand.
Bevor sich M. ganz der bildenden Kunst zuwandte, schrieb er Theaterstücke,
übersetzte einen Aufsatz Schellings über Dante und verfaßte zahlreiche Artikel über
Morelli 297

Politik, Wissenschaft und Kultur in Italien für deutsche Blätter. Wie überliefert ist,
soll M. die für seinen weiteren Lebensweg entscheidende Entdeckung in den Uffi-
zien gemacht haben: Bei einem Gemälde von Botticelli fiel ihm auf, »daß bei den
zahlreichen Figuren in ein und demselben Bilde sowohl die Hand als auch das Ohr
in auffällig übereinstimmender Weise gebildet ist« (Jean Paul Richter). Im Gegensatz
zur bis dahin üblichen Kunstbetrachtung, die »bloß auf die Intuition und auf das
schriftliche Dokument Gewicht« gelegt habe, hielt M. den Gesamteindruck eines
Kunstwerkes für unerheblich; viel charakteristischer für einen Künstler sei die Form,
die individuelle Handschrift, die Art, wie er Einzelheiten (Ohren, Haare, Fingernä-
gel) ausbilde. Auf diese kennerschaftliche Methode wollte M. die moderne Kunst-
wissenschaft gegründet sehen; dem künftigen Kunstgeschichtsschreiber sollte die
»zentrale Idee seines Geschichtswerkes« in der »Pinakothek und nicht etwa in der
Bibliothek aufgehen«.
Wie alle Kunstkenner war M. viel auf Reisen; vor allem in den 1860/70er Jahren
besuchte er die großen Galerien in Italien, Deutschland, Frankreich, England und
Spanien. Gegenstand seiner Autopsien war ausschließlich die italienische Malerei.
Die Resultate publizierte er in den dreibändigen Kunstkritischen Studien über italieni-
sche Malerei (1890–93), die, wie der Titel sagt, im Vorfeld der Kunstgeschichtsschrei-
bung stehen. M. sah sich nie als Kunsthistoriker, eher noch als Kunsthändler, denn
Kennerschaft hatte für ihn auch eine praktische Seite.
Seine Kritiker ( Springer, Berenson,  Bode,  Max J. Friedländer) haben M.
nicht zu Unrecht seine Mißachtung der schriftlichen Quellen und des Kunstwerkes
als bedeutungsvolle, gestaltete Ganzheit vorgeworfen. In der Disziplingeschichte
kommt ihm aber insofern ein gesicherter Platz zu, als er in der Zeit der Hochblüte
der kulturhistorisch orientierten Kunstgeschichtsschreibung das Bewußtsein für das
»Sehen« und die »Form« wachhielt; er war einer der Vorbereiter der formanalyti-
schen Kunstgeschichtsauffassung  Riegls und  Wölfflins. Den stärksten Wider-
hall fand die M.sche Methode in England (Charles Eastlake, Austen Henry Layard)
und in der Wiener Schule, aber auch bei Nichtkunsthistorikern wie Sigmund Freud,
der in seiner Schrift Der Moses des Michelangelo (1914) auf sie zu sprechen kam.
Werke: Die Galerien Roms. Ein kritischer ital. 1893, 1897); Kunstkritische Studien über
Versuch von I.L. Die Galerie Borghese, in: italienische Malerei. Die Galerien zu Mün-
ZfbK, 9, 1874, 1–11, 73–81, 171–178, 249– 253; chen und Dresden, Lpz 1891; Kunstkritische
10, 1875, 97–106, 206–211, 264–273, 329–334; Studien über italienische Malerei. Die Gale-
11, 1876, 132–137, 168–173; Die Werke italie- rie zu Berlin. Nebst einem Lebensbilde G.
nischer Meister in den Galerien von Mün- M.s, hrsg. v. Gustav Frizzoni, Lpz 1893
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der Abwehr von I.L., in: ZfbK, 16, 1881, 243– M. Cenni necrologia, in: Archivo storico
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Muther, Richard
Geb. 25. 2. 1860 in Ohrdruf; gest. 28. 6. 1909 in Wölfelsgrund (Miedzygòrze)
bei Glatz (Kłodzko, Polen)

Der durchaus zukunftsträchtige Versuch, als Kunsthistoriker auch im aktuellen


Kunststreit entschieden Partei zu ergreifen, schlug M. nicht zuletzt wegen subjekti-
ver Schwächen gründlich fehl. Während eine Zeitlang sehr viele künstlerisch Inter-
essierte die Schriften dieses nach Meinung von  Richard Hamann und Jost
Hermand »beliebtesten Antiakademikers unter den Kunsthistorikern« begeistert
lasen, ächteten ihn die meisten Fachkollegen.
M. studierte 1877–78 in Heidelberg und promovierte – nach einem Italienauf-
enthalt – 1881 in Leipzig bei  Springer mit einer lange Zeit maßgeblich gebliebe-
nen Monographie über Anton Graff . 1883 wurde er Privatdozent in München,
nachdem er sich mit Die ältesten deutschen Bilderbibeln habilitiert hatte, und wirkte ab
1885 als 2. Konservator am dortigen Kupferstichkabinett. 1890 konkurrierte er mit
 Wölfflin um eine Münchner Professur, die aber Berthold Riehl (1858–1911) er-
hielt. M. hatte da bereits begonnen, für die viel gelesenen Münchener Neuesten Nach-
richten seines thüringischen Landsmanns, des Verlegers Georg Hirth, zu schreiben
und die rückständige Kunstszene sowie die älteren Kunsttheoretiker und -kritiker
wie Moriz Carrière (1817–1895) und  Pecht zu attackieren. Bei Hirth, der ihn
jahrelang zu Ausstellungsbesprechungen auch ins Ausland schickte, veröffentlichte
er popularisierende Museumsführer, wobei ihm  Bode, der ihn später verachtete,
noch »in liebenswürdigster Weise entgegenkam«. 1893–94 erschien dann die drei-
bändige Geschichte der Malerei im 19. Jahrhundert, die erstmals fast alle europäischen
Muther 299

Länder berücksichtigte und durch ihre neuen Wertungen und ihre Schreibweise
großen Anklang bei jüngeren Künstlern und Kunstfreunden fand. Sie wurde bald in
Rußland, England und in den USA übersetzt. Hugo von Hofmannsthal lobte sie,
Rilke wollte bei M. promovieren. Obwohl  Dehio seine Arbeitsweise vehement
kritisierte, wurde M., unter anderem auf Vorschlag des Juristen Felix Dahn, besser
bekannt als Autor des Romans Ein Kampf um Rom, 1895 o. Professor in Breslau. Sein
Streben, in Berlin  Grimms Nachfolger zu werden, scheiterte, nachdem ein spek-
takulärer Streit seinen Ruf ruiniert hatte. Der Magdeburger Museumsdirektor
Theodor Volbehr und der Verlag Seemann beschuldigten ihn 1896 des Plagiats, was
zu einer Mißbilligung durch die Fakultät und einem Ehrengericht des Regiments,
in dem M. Reserveoffizier war, führte. M., der sich heftig gegen die »Mutherhetze«
verteidigte, blieb im Amt und ein gefragter Vortragsreisender, veröffentlichte noch
zahlreiche Bücher, steigerte seine Arbeit für Zeitungen, zu denen jetzt Die Zeit
(Wien), die Neue Deutsche Rundschau, Der Morgen und andere gehörten, und gab ab
1902 die Reihe Die Kunst. Sammlung illustrierter Monographien heraus, kurze, ver-
ständlich geschriebene Taschenbücher über alte und neue Kunst, unter denen auch
 Meier-Graefes erste Schriften über französischen Impressionismus waren. Die
größere und aktualisierte Fassung einer 1900 erstmals vorgelegten Geschichte der
Malerei beendete er wenige Wochen vor seinem frühen Tod.
M. besaß ein Gespür dafür, wie ein größeres Publikum mit der Malerei umgehen
wollte. Er erschloß alte Kunst für moderne Sehweisen, zeigte andererseits, wie viele
respektable Traditionen auch in neuesten, noch umstrittenen Kunsterzeugnissen
weiterwirkten. Er wertete das Ältere konsequent nach aktuellen ästhetischen Krite-
rien, dazu mit einem polemischen Vergnügen an einer Verschiebung bisheriger
Rangordnungen. Einen vollständigen »Leitfaden« oder ein Handbuch strebte er so
wenig an wie schwerfällige Gelehrsamkeit oder eine geschlossene Theorie der
Kunstgeschichte. Überdruß an aufgebrauchten künstlerischen Problemlösungen
genügte ihm als Ursache für Stilwandel. M. stand zwischen der kulturhistorisch
vorgehenden und der psychologisch interpretierenden, auf subjektive Anmutungen
konzentrierten Richtung, zwischen gründerzeitlichem Wohlgefallen an der mög-
lichst pikanten, nicht zuletzt erotischen Anekdote und dem impressionistischen
Sinn für das Flüchtige und Fragmentarische. Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen
hatte er für Nationalismus nichts übrig: »Ein künstlerischer Stil gehört nie einem
Volke, nur einer Zeit [...]. Alle europäischen Stile seit den Zeiten des Urchristen-
tums waren [...] international« (Aufsätze, 3, 1914). Er war einer der ersten, die El
Greco wie auch die französischen Impressionisten, Cézanne und van Gogh schätz-
ten und die Rolle der gestalterischen Anregungen durch japanische Kunst begriffen,
würdigte aber auch die »sozialistische Tendenzmalerei«.
In seinem Bild der Kunstgeschichte blieben allerdings viele Lücken, er irrte sich
in Fakten und überschätzte oberflächliche Maler. Genaue Zeitangaben machte er
selten. Er prägte griffige Formulierungen, wurde aber noch häufiger unangenehm
effekthaschend. M. war rastlos, hatte überall Bekannte. Hirth schickte ihn zeitweise
zweimal jährlich nach Paris; er schrieb seine Aufsätze noch während der Bahnfahrt.
Den Blickwechsel, den Meier-Graefe und die »Jahrhundertausstellung« von 1906
einleiteten, vollzog er nicht mit. Er beharrte, nicht ganz zu Unrecht, darauf, daß
300 Muther

diejenigen als »die Träger der geschichtlichen Entwicklung« zu gelten haben, »die
nach dem Urteil der Besten ihrer Zeit das Beste schufen«, weshalb er Makart den
»Klassiker einer ganzen Epoche« nennen konnte (Geschichte der Malerei, 1909).
 Paulis Nachruf kennzeichnete ihn letztlich treffend als »klug ohne Tiefe, gewandt
ohne Feinheit«.
Werke: Anton Graff, Lpz 1881; Die ältesten einem »Jungen«, in: PJbb, 1894, 122–133;
deutschen Bilderbibeln, Mü 1883; Die deut- Volbehr, Theodor: Ein Originalaufsatz Dr.
sche Bücherillustration der Gotik und Früh- R.M.s, Professor an der Universität Breslau,
renaissance, Mü 1884; Der Cicerone in der Lpz 1896; Matthäi, Adelbert: M. und die
Kgl. Älteren Pinakothek zu München, Mü deutsche Kunstwissenschaft. Ein Beitrag zur
1888; Der Cicerone in der Kgl. Gemäldegale- Klärung der »Muther-Hetze«, in: Grenzbo-
rie in Berlin (Einl. v. Georg Hirth), Mü/ Lpz ten, 55, 1896, 29, III, 122–128; Gronau, Georg:
1889; Geschichte der Malerei im 19. Jh., 3 Rez. von »Geschichte der englischen Male-
Bde., Mü 1893–94; Die Muther-Hetze. Ein rei«, in: KtKtler, 1, 1903, 407–408; Pauli, Gu-
Beitrag zur Psychologie des Neides und der stav: R.M., in: KtKtler 7, 1908/09, 517–519;
Verleumdung, Mü/Lpz 1896; Geschichte der Woermann, Karl: Rez. von »Geschichte der
Malerei, 5 Bde., Lpz 1900; Studien und Kriti- Malerei«, in: DLZ, 31, 1910, 261–266; Stahl,
ken, 2 Bde., Wien 1900–01 (darin: Gurlitt und August: Rilke und R.M. Ein Beitrag zur Bil-
ich; Die Denkmalseuche); Ein Jahrhundert dungsgeschichte des Dichters, in: Ekkehard
französischer Malerei, Bln 1901; Lucas Mai u. a. (Hrsg.), Ideengeschichte und Kunst-
Cranach, Bln 1902; Geschichte der englischen wissenschaft, Philosophie und bildende Kunst
Malerei, Bln 1903; Courbet, Bln 1908; Die im Kaiserreich, Bln 1983, 223–251; Hüttinger,
belgische Malerei im 19. Jh., Bln 1909 (frz. Eduard: R.M. – eine Revision, in: JbSchIKw
1904); Geschichte der Malerei, 3 Bde., Lpz 1984–86, 1986, 9–24; Hüttinger 1992, 22–56;
1909; Aufsätze über bildende Kunst, 3 Bde., Schleinitz, Rotraud: R.M. Ein provokativer
Bln 1914 (darin: An Kaiser Wilhelm; Tschudis Kunstschriftsteller zur Zeit der Münchner
Rücktritt); Studien, Bln 1925 (Vorw. v. Hans Sezession. Die »Geschichte der Malerei im
Rosenhagen) 19. Jh.«, Kunstgeschichte oder Kampfge-
Literatur: Dehio, Georg: Die Malerei des schichte?, Hil 1993
neunzehnten Jahrhunderts, beleuchtet von PHF

Neumann, Carl
Geb. 1. 7. 1860 in Mannheim; gest. 9. 10. 1934 in Heidelberg

Mit seinem Rembrandt-Buch von 1902 steht N. in der vorderen Reihe der großen
Künstlerbiographen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, neben
 Grimm (Michelangelo, 1860/63; Raffael, 1872),  Thausing (Dürer, 1875),  Carl
Justi (Velázquez, 1888) und  Thode (Michelangelo, 1902–12). Auch für N. führte der
Weg zur Kunst über den einzelnen Künstler. Die Vorstellung von einer Kunstge-
schichte als einem anonymen, objektiven Prozess ist ihm zeitlebens fremd geblieben;
in einer Besprechung von  Tietzes Methode der Kunstgeschichte hat er sie heftig
angegriffen. Anders als jene älteren Biographen wollte N. jedoch den Lebenslauf
eines Künstlers nicht als eine zu Reife und Vollendung aufsteigende Stufenfolge
sehen, sondern in einer eher diskontinuierlichen Betrachtung jeden einzelnen Le-
bensabschnitt und dessen schöpferische Äußerungen als etwas verstehen, das »durch
keinen Wert« einer »früheren oder späteren Lebenstufe ersetzt oder außer Kurs
gesetzt werden« kann.
Neumann 301

Dieses zergliedernde Biographie-Verständnis, mit dem N. zu seiner Zeit nicht


alleinstand, lenkte die Aufmerksamkeit der Kunstgeschichtsschreibung auf einzelne
Schaffensphasen wie die Früh- und Spätwerke. Bei N. machte es sich besonders in
seiner letzten großen Arbeit, der ersten zusammenfassenden Monographie über
 Burckhardt von 1927 geltend. Den Jugendjahren widmet sie ein eigenes, grund-
legendes Kapitel, in dem N. den Schlüssel für das Verständnis  Burckhardts sucht
– eine Antwort auf die für ihn brennende Frage, wie Burckhardt sich vom deut-
schen Mittelalter trennen und zur Renaissance hinwenden konnte.
N. kam von der Geschichte und der Philologie zur Kunstgeschichte; dankbar
erinnerte er sich – wie  Dehio – der strengen Schulung durch Georg Waitz, den
Herausgeber der Monumenta Germaniae Historica. N. studierte zunächst in Berlin
und dann in Heidelberg; dort promovierte er 1882 über Bernhard von Clairvaux.
Anschließend ging er für ein Jahr nach Basel, wo ihn Burckhardt in seinen Bann
zog. Von da an traten Kunst und Kultur für ihn immer mehr in den Vordergrund,
zunächst die antike und byzantinische, zu deren Studium sich N. in München und
dann alljährlich in Italien aufhielt. 1890/92 bereiste er Ägypten, Palästina, Syrien
und die Türkei. 1893 folgte die Heidelberger Habilitation über Die Weltstellung des
byzantinischen Reiches vor den Kreuzzügen. N.s Vorlesungstätigkeit als Privatdozent für
Kunstgeschichte stand jedoch zunächst im Zeichen der Gegenwart, was sich 1896
in einer von Grimm gelobten Publikation (Kampf um die neue Kunst) niederschlug.
Rückblickend auf das der Geschichte und den Naturwissenschaften verfallene 19.
Jahrhundert konstatierte N. einen von der Französischen Revolution verursachten
allgemeinen Niedergang der Kunst, weil diese die »Fühlung mit dem innersten
Geist des zeitgenössischen Lebens« verloren habe, nicht mehr wie im Mittelalter
»Ausdruck des deutschen Volksgeistes« gewesen sei. Hoffnung auf eine Wende gaben
ihm Künstler wie Feuerbach, Kalckreuth, Thoma und Klinger, nicht aber Manet
oder Monet. Als N. 1906 mit  Tschudi durch die »Jahrhundertausstellung« in der
Berliner Nationalgalerie ging und dieser nur ein Achselzucken für Leibls Drei Frauen
in der Kirche übrig hatte, fand er, daß dieser begabte junge Kollege »völlig unter dem
Terrorismus« des französischen Impressionismus stehe. Für N. dagegen lebte in Leibl
die »altdeutsche« Kunst weiter.
In die zweite Hälfte der 1890er Jahre fiel auch N.s fast religiöses Rembrandter-
lebnis, das, wie er immer wieder sagte, sein Leben von Grund auf veränderte. Bis
dahin hatte er, seinem verehrten Lehrer Burckhardt folgend, in »romanisch-antik-
klassizistischen Gewässern« geplätschert, nun offenbarte sich ihm die Seelenkunst
Rembrandts, die mehr war als Form und die »etwas zu sagen« hatte. Seitdem reiste
N. nicht mehr nach Italien, sondern wallfahrtete nach Holland und schrieb sein
Klinger und Kalckreuth gewidmetes Bekenntnisbuch über Rembrandt. In der hol-
ländischen Kultur und Kunst des 17. Jahrhunderts sah N. einen Gegenentwurf zur
Renaissance, ihrem Paganismus, Aristokratismus, Rationalismus und Individualismus
sowie ihrem Kult der Form: »Mit einer unbeschreiblichen Ruhe und Standhaftig-
keit, mit einer Glaubensechtheit und einem Genius sondergleichen sind dort die
Wege einer Neuen Kunst gewiesen« worden. In Rembrandt, dem nordisch-deut-
schen christlichen Künstler, verehrte er nicht nur den Propheten einer Kunst der
Zukunft, sondern auch den »großen« Menschen, der einen Ausweg aus jener angeb-
302 Neumann

lichen gesellschaftlichen Fehlentwicklung seit der Renaissance gewiesen hatte. N.


meinte ein neues Kapitel der Rembrandt-Forschung aufgeschlagen zu haben; an-
ders als seine Vorgänger, die wie Carel Vosmaer, Émile Michel,  Bode oder
 Seidlitz sich um die Erfassung des Œuvres bemüht hatten, war N. auf der Suche
nach dem Künstler: »Die Künsterpersönlichkeit wächst über den Werken empor,
und es entsteht der unsägliche Reiz, diese Persönlichkeit zu fassen [...] und als das
eigentlich Wahre zum Leben und Sprechen zu bringen.« N. sah sich eher in der
französischen Tradition der Rembrandt-Deutung von  Kolloff , Théophile Bür-
ger-Thoré und Eugène Fromentin; soweit es die weltanschaulichen Grundlagen
betraf, ließ er auch Julius Langbehn gelten, der in seinem 1890 anonym erschiene-
nen, vielgelesen Pamphlet Rembrandt als Erzieher gegen Materialismus und Kapita-
lismus polemisiert und zu einer »Wiedergeburt von innen« aufgerufen hatte.
Die erste Veröffentlichung, die sich ausdrücklich mit der Renaissance-Frage be-
faßte, erschien erst 1903, im Jahr des Abschieds von Heidelberg. In einem Aufsatz
über Byzantinische Kultur und Renaissancekultur opponierte N. gegen Burckhardts
These von der Renaissance als der Mutter der modernen Kultur und von den Ita-
lienern als dem ersten modernen Volk, indem er zu bedenken gab, daß bis 1204
auch Byzanz auf römischem Fundament geruht habe und »hundertfältige Ähnlich-
keiten mit der Renaissance« bestanden hätten, und trotzdem sei es dort zu keiner
Kulturblüte wie in Italien im 15./16. Jahrhundert gekommen. Auch die Renaissance
selbst verdanke ihre Existenz nicht einer Wiederbelebung der Antike, sondern dem
»Reifwerden mittelalterlicher Kultur«. Diese auch von Thode vertretene Auffassung
vom Mittelalter als dem »Mutterschoß der modernen Kultur« fand innerhalb der
»Zunft« nur ein geteiltes Echo ( Hager, 1934), sie hat aber zweifellos zu einem
differenzierteren Verständnis europäischer Kulturgeschichte beigetragen.
1903 ging N. nach Göttingen und schon ein Jahr später an die Universität Kiel.
1911 wurde er als Nachfolger Thodes, der über diese Wahl nicht glücklich war, auf
den Heidelberger Lehrstuhl berufen (bis 1929). Neben Rembrandt blieb Jacob
Burckhardt, über den er seit dessen Tod 1897 geschrieben hatte, für ihn weiterhin
ein zentrales Thema, mit dem er sich auch kritisch auseinandersetzte: der Aristokrat
Burckhardt hatte das »gemeine Gesicht« Rembrandts verabscheut und sich zu Ru-
bens, dem Vollender der Renaissance im Norden, hingezogen gefühlt, während N.
für eine nationale Volks-Kunst wie die holländische des 17. Jahrhunderts und eine
nationale Kunstgeschichtsschreibung eintrat.
Werke: Bernhard von Clairvaux und die Bln/Stg 1902; Byzantinische Kultur und Re-
Anfänge des zweiten Kreuzzuges, Hei 1882; naissancekultur, Bln/Stg 1903; Rembrandt
Griechische Geschichtsschreiber und Ge- und wir, Kiel 1906; Heidelberg als Stadtbild,
schichtsquellen im 12. Jh., Lpz 1888; Deut- Hei 1914; Briefwechsel zwischen Jacob
sche Geschichte im Mittelalter. Rez. von Karl Burckhardt und Heinrich von Geymüller,
W. Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes Mü 1914; Von ältester deutscher Kunst, in:
(1883–85), in: PJbb, 1890, 215–224; Rez. von PJbb, 1916, 305–323; Rez. von Hans Tietze,
Carl Justi, Velázquez (1888), in: HZ, 66, 1890, Die Methode der Kunstgeschichte (1913), in:
63–68; Die Markuskirche in Venedig, in: PJbb, HZ, 116, 1916, 484–494; Drei merkwürdige
1892, 612–656, 737–759; Die Weltstellung des künstlerische Anregungen bei Runge, Manet,
Byzantinischen Reiches vor den Kreuzzügen, Goya. Mit einem Beitrag v. Wilhelm Fraen-
Hei 1894 (frz. 1905, Nd. 1959); Der Kampf ger, in: Sber. der Heidelberger AdW, 7, 1916,
um die neue Kunst, Bln 1896; Rembrandt, Nr. 4, 3–20; Die Wahl des Platzes für Michel-
Neumann 303

angelos David in Florenz im Jahre 1504, in: Mittelalter, in: DVjS, 9, 1931, 201–239; Ranke
RfKw, 38, 1916, 1–27; Rembrandt. Hand- und Burckhardt und die Geltung des Begriffs
zeichnungen, Mü 1918; Aus der Werkstatt Renaissance, insbesondere für Deutschland,
Rembrandts, Hei 1918; Vom Glauben an eine in: HZ, 150, 1934, 485–496; Ende des Mittel-
kommende nationale Kunst, Hei 1919; Jacob alters?, in: DVjS, 12, 1934, 124–171; Zur Ge-
Burckhardt, Deutschland und die Schweiz, schichte und zum Charakter des Otthein-
Gotha 1919; Zum Tode von Ernst Troeltsch, richsbaus, Hei 1936
in: DVjS, 1, 1923, 161–171; Über den Zusam- Literatur: Grimm, Herman: Rez. von »Der
menhang von Wissenschaft und Leben, in: Kampf um die neue Kunst«, in: DLZ, 17,
Jahn 1924, 33–44; Rembrandt betreffend, in: 1896, 1458–1462; Hager, Werner: C.N., in:
RfKw, 44, 1924, 294–305; Hans Thoma, Hei Pantheon, 14, 1934, S. 386; Meinecke, Fried-
1925; Rheinische Kunst durch die Jahrhun- rich: C.N., in: HZ, 151, 1934, S. 221; Goetz,
derte, in: RfKw, 46, 1925, 157–175; Neue Walter: C.N., in: ArchKg, 25, 1935, 129–133;
Kunstliteratur besonders zur spätgotischen Madera-Fink, Andrea: C.N. (1860–1934), Frf
Zeit, in: DVjS, 4, 1926, 270–314; Der Maler 1993
Anselm Feuerbach, Hei 1929; Der unbe- PB
kannte Jacob Burckhardt. Burckhardt und das

Neumeyer, Alfred
Geb. 7. 1. 1901 in München; gest. 24. 1. 1973 in Oakland/CA (USA)

»Aus dem Geiste der deutschen Kunstgeschichte geboren« nannte N. seine Unter-
suchung Der Blick aus dem Bilde, die er in den USA auf englisch geschrieben hatte,
aber in Deutschland auf deutsch veröffentlichte, und die Geschichte der amerikanischen
Malerei, sein unvollendet gebliebenes letztes Buch, sollte, wie sein Freund  Hager
im Vorwort schrieb, für die »weltumspannend orientierte deutsche Kunstgeschichts-
schreibung eine Lücke ausfüllen«, indem N. ihr die Kunst des Landes zuführte, dem
er sein Überleben und Weiterarbeiten verdankte. Er beharrte, obwohl US-Bürger
geworden, auf seiner Zugehörigkeit zu den Deutschen, die ihn als Juden ausgesto-
ßen hatten.
Der Sohn eines Professors der Rechtswissenschaft kam aus einer wohlhabenden,
gebildeten, bayerisch-königstreuen Familie und war so konservativ eingestellt, daß
er sich dem Freikorps Epp anschloß, um gegen die »rote Gefahr« zu kämpfen. Ab
1920 studierte er, neben Philosophie bei Eduard Spranger und Archäologie, Kunst-
geschichte in Berlin und in München bei  Wölfflin, dem »größten Lehrer des
Sehens«. Nach einem Studienaufenthalt am Deutschen Kunsthistorischen Institut in
Florenz, wo er  Beenken wie auch Bernard Berenson kennenlernte und von den
Fresken Masaccios beeindruckt wurde – Jan van Eycks Genter Altar sah er hingegen
erst 35 Jahre später zum erstenmal –, promovierte er 1926 bei  Goldschmidt über
die Neugotik des 18. Jahrhunderts. Er hatte diese in Potsdam kennengelernt, wo er
zu Beginn seines Studiums wohnte. Zuletzt lebte er im Haushalt Goldschmidts als
eine Art persönlicher Hilfsassistent. Während eines Volontariats 1926/27 an der
Kunsthalle in Hamburg nahm er am letzten Seminar  Warburgs teil, der ihn zur
Beschäftigung mit dem Romantiker Ramboux anregte. Über ihn habilitierte er
sich 1931 bei Goldschmidt. Als Volontär bei  Max J. Friedländer am Berliner Kup-
ferstichkabinett wurde N., der sich seit dem Studium, nachhaltig durch den älteren
Freund  Heise angeregt, auch für Gegenwartskunst interessierte, dem Reichs-
304 Neumeyer

kunstwart Edwin Redslob zugeteilt, um 1928 die deutsche Ausstellung anläßlich


der Olympischen Spiele in Amsterdam zu konzipieren. Er stellte Georg Kolbe und
Renée Sintenis ins Zentrum. Aus einem Stipendiatenaufenthalt 1928/29 an der
Bibliotheca Hertziana in Rom ging ein Aufsatz über Michelangelo hervor, der
zugleich ein Beitrag zur Manierismus-Diskussion war. Danach wurde N. 1930–33
Leiter der Pressestelle der zu dieser Zeit um das Pergamon- und Deutsche Museum
erweiterten Berliner Museen und 1931 Privatdozent an der Universität. Nebenher
betätigte er sich literarisch; ein symbolistisch-expressives Theaterstück wurde 1932
gegen seine Absichten durch Jürgen Fehlings Inszenierung mit roten Fahnen am
Berliner Schillertheater zu einem politischen Skandal. 1934 entzog man ihm die
Dozentur. Er ging auf vergebliche Stellungssuche in Brüssel und Paris, konnte 1935
zwei Monate am Courtauld Institute in London lehren und erhielt durch Vermitt-
lung eines Kollegen einen unerwarteten Ruf an das Mills College in Oakland. An
dieser angesehenen Hochschule nur für Studentinnen war er damals wohl der ein-
zige Kunsthistoriker an einer höheren Lehranstalt im Westen der USA, 1935–66 o.
Professor und 1938–62 Leiter der angeschlossenen Kunstsammlung, für die er unter
anderem moderne deutsche Graphik erwarb und jährlich etwa 20 Ausstellungen
vorbereitete. Ihm lag daran, das »kulturelle Kontinuum« mit Europa zu demonstrie-
ren. 1952 kehrte er erstmals nach Deutschland zurück, von Edwin Redslob als
Gastprofessor an die Berliner Freie Universität berufen und 1957 zum Emeritus
ernannt. 1958 war er auch in Heidelberg Gastprofessor und veröffentlichte und
lehrte nun wieder häufig in Deutschland.
Während N. einmal schrieb, daß er erst in den USA ein wirkliches Verständnis für
soziale und politische Fragen gewonnen habe, war er doch durch seine Lehrer
Goldschmidt und Warburg schon auf die Einbindung der Kunst in die umfassende
Kulturgeschichte gelenkt worden und entwickelte dann aus seinen persönlichen
Lebenserfahrungen heraus eine kritische Einstellung sowohl gegenüber dem Kapi-
talismus als auch und besonders gegenüber den faschistischen und kommunistischen
Diktaturen und deren Wirkungen auf die Kunst. Sowohl seine frühen Arbeiten zur
Neugotik wie zur Renaissance als auch die anschließenden Arbeiten zu den Anfän-
gen der nordamerikanischen Malerei behandelten Kunstprozesse in Umbruchszei-
ten. Später vertiefte sich sein Bewußtsein, in einer Zeit der moralischen Katastrophe
und des allgemeinen Chaos zu leben. Maßgeblich für sein Verständnis der Kunst
und ihrer Geschichte und seine wissenschaftliche Methode wurde die von Warburg
erkannte »Zeichensprache künstlerischer Motive«. In der auf die gesamte Kunstge-
schichte ausgedehnten motivgeschichtlichen Untersuchung Der Blick aus dem Bilde
(1964) ging er der nach seiner Meinung im frühen 20. Jahrhundert endenden
»Bildintention« nach, das Kunstwerk durch illusionistische Gestaltungsmittel zu ei-
nem Teil der Wirklichkeit zu machen und dennoch dessen Eigenbedeutung auf-
rechtzuerhalten. Schon das Kind wisse um die spielerische Doppeldeutigkeit des
Bildes: »Das Bild als Sprache ist eine Form menschlicher Mitteilung.« N. verwies auf
viele Beispiele für die Rolle von Figuren in Bildern, die als »Zeiger« und Mittler
zum Betrachter fungieren, und skizzierte, wie sich seit der Renaissance mit der
wachsenden Einsicht in die subjektive Qualität aller Erfahrungen die Mitteilungs-
weisen änderten. In Arbeiten zu Cézanne zeigte N., daß eine großartige, von der
Neumeyer 305

Naturerscheinung ausgehende Bildkunst auf der Suche nach einem neuen Arkadien,
das stets einer der edelsten Topoi abendländischer Malerei gewesen war, durch die
einer echten Klassik feindliche Epoche in tragische Unvollendung führen müsse.
In einem zu wenig beachteten Versuch, die Kunst in unserer Zeit zu deuten, bi-
lanzierte N. 1961 Verluste und Gewinne der modernen Kunst, indem er besonders
ihre Funktion in der Gesellschaft reflektierte. Er lehnte es ab, wie  Sedlmayr eine
grundsätzliche Krise der Kunst durch einen »Verlust der Mitte« anzunehmen, sprach
aber von einer Verkümmerung der Kunst und ihrer »Welthaltigkeit«. In der Atomi-
sierung in Kunstwelten, die nur noch vom Künstler selbst und nicht von den An-
forderungen einer sozialen Trägerschicht bestimmt werden, im »Verzicht auf ein
Erfahrungsuniversum, dem wir alle angehören«, durch Preisgabe allgemeiner Ver-
ständlichkeit sah er eine Gefahr. Die wirklichkeitsabbildende Kunst, die einem
»Wirklichkeitsanspruch der Massen,« einem vitalen und außerästhetischen Instinkt
der Lebenssicherung antworte, führe vorläufig nur noch Rückzugsgefechte. Um der
Freiheit der Kunst willen meinte er aber, auch von der ihn nicht befriedigenden
gegenstandslosen Kunst sagen zu müssen: »Da sie ist, muß sie sein.«
Eine detaillierte und sozialgeschichtlich fundierte Werkanalyse in der Art  Ra-
phaels lehnte er bei aller Hochachtung vor dessen Leistung und Persönlichkeit ve-
hement ab. Das Kunstwerk, das N. begeistert zu empfinden vermochte, müsse sich
in einem einzigen Anblick als Einheit von Form und Inhalt, die zusammen seinen
Gehalt ausmachen, eröffnen. Es sei stets einmalig und über seinen Schöpfer, den es
hinter sich zurücklasse, hinausgewachsen (Glanz des Schönen).

Werke: Zur Raumpsychologie der Neuen 14th Century Illusionism, in: GBA, 50, 1957,
Sachlichkeit, in: ZfbK, 61 (37), 1927/28, 66– 305–310; El Greco. Das Begräbnis des Grafen
72; Zum Problem des Manierismus in der Orgaz, Stg 1958; Cézanne’s Drawings, NY/
bildenden Kunst der Romantik, in: ebd., 62 Lo 1958; Paul Cézanne. Die Badenden, Stg
(38), 1928/29, 184–188; Die Erweckung der 1959; Glanz des Schönen. Gespräche mit Bil-
Gotik in der deutschen Kunst des späten 18. dern, Hei 1959; Die Kunst in unserer Zeit.
Jh.s, in: RfKw, 49, 1928, 75–123; Deutsche Versuch einer Deutung, Stg 1961; Ein Col-
Landschaftskunst seit Hans Thoma, in: KtKt- lege-Museum im Fernen Westen. Die Mills
ler, 26, 1927–28, 237–238; Jacob Burckhardts College Art Gallery, in: Museumskunde, 31,
Weltgeschichtliche Betrachtungen, in: DVjS, 1962, 186–191; Der Blick aus dem Bilde, Bln
7, 1929, 103–123; Michelangelos Fresken in 1964; Lichter und Schatten. Eine Jugend in
der Cappella Paolina des Vatikan, in: ZfbK, 63 Deutschland, Mü 1967; Art History without
(39), 1929/30, 173–182; Albrecht Dürer, Paris Value Judgements, in: CArtJ, 29, 1970, 415–
1929; Die präraffaelitische Malerei im Rah- 421; Rez. von Max Raphael, The Demands of
men der Kunstgeschichte des 19. Jh.s, in: Art (1968), in: Pantheon, 28, 1970, 80–81; Carl
DVjS, 11, 1933, 67–77; Rez. von Friedrich Georg Heise zum 80. Geburtstag, in: ebd., S.
Knapp, Grünewald (1935), in: ZfÄaK, 30, 245; Geschichte der amerikanischen Malerei.
1936, 302–304; Albrecht Dürer. Weiblicher Von der kolonialen Frühzeit bis zur naiven
Akt mit Stab (1498), in: OMD, 13, 1938, 16– Malerei im 18. und 19. Jh., Mü 1974; Gesam-
17; The Early Historical Paintings of Benja- melte Schriften, Mü 1977
min West, in: BM, 93, 1938, 10, 162–165; Cle- Literatur: Arnheim, Rudolf: Rez. von »Die
mente Orozco, in: FS Carl Georg Heise, Bln Kunst in unserer Zeit«, in: JAAC, 22, 1963/64,
1950, 223–241; John Singleton Copley. Knabe 339–342; Braunfels, Wolfgang: A.N. zum Ge-
mit Eichhörnchen, in: FS Edwin Redslob, denken, Mü 1973; Heise, Carl Georg: A.N.,
Bln 1954, 136–140; The Meaning of the Bal- in: KChr, 26, 1973, 155–156; Wendland 1999,
cony Scene at the Church of Muehlhausen in 459–463
Thuringia. A Contribution to the History of PHF
306 Novotny

Novotny, Fritz
Geb. 10. 2. 1903 in Wien; gest. 16. 4. 1983 in Neunkirchen (Österreich)

Eine große Figur in der Geschichte des Modernismus nannte ihn 1995 der Ameri-
kaner Joseph J. Rishel wegen seiner auch in ihrer sprachlichen Präzision unüber-
troffenen Formanalysen der Gemälde Cézannes. Diese hatten schon den jungen N.
in ihren Bann gezogen, und mit Cézanne und das Ende der wissenschaftlichen Perspek-
tive (1938) trug er entscheidend dazu bei, die Bedeutung dieses Malers für die Ge-
schichte der neueren Kunst zu verstehen. Von dessen Bildern her entwickelte er
Kriterien zu einer Kennzeichnung des kunstgeschichtlichen Prozesses vom 18. bis
20. Jahrhundert, die jahrzehntelang paradigmatische Geltung besaß.
Begonnen hatte N. auf einem anderen Gebiet. Er studierte in Wien bei  Strzy-
gowski, promovierte 1927 über die romanische Bauplastik der Kirche von Schön-
grabern und arbeitete 1928–39 als Assistent am kunsthistorischen Institut der Uni-
versität. In seinem Buch Romanische Bauplastik in Österreich konnte er bis dahin
allenfalls oberflächlich behandelte Denkmäler durch stilkritische Analysen genauer
datieren und in überregionale Zusammenhänge einordnen. Er hielt sich aber von
der Konstruktion eines umfassenden Kunstgeschichtsbildes, wie es Strzygowski
vorschwebte, zurück. 1939 wurde N. Kurator an der Österreichischen Galerie in
Wien, der er dann 1961–68 als Direktor vorstand, und lehrte gleichzeitig ab 1938 als
Privatdozent, seit 1948 als a.o. Professor an der Universität. 1970 wurde er korre-
spondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Die Museumsarbeit veranlaßte ihn auch zu monographischen Arbeiten über ei-
nige österreichische Maler. Anton Romako, einer schwierigen Persönlichkeit, die
zwischen verschiedenen Strömungen gestanden hatte, verschaffte er eine neue
Wertschätzung als »Frühexpressionist«. Gustav Klimt charakterisierte er als den Er-
ben eines Dualismus zwischen Naturalismus und Anaturalismus, der im ganzen 19.
Jahrhundert bestanden habe. Weiter ausgreifende Darstellungen widmete er nur der
französischen impressionistischen Malerei sowie der europäischen Malerei und Pla-
stik des 19. Jahrhunderts.
In Painting and Sculpture in Europe 1780 to 1880 ging N. ausdrücklich den gemein-
samen Zügen in der Entwicklung der künstlerischen Auffassung stärker nach als
den nationalen Unterschieden. Er beachtete allerdings die einzelnen Länder nicht
in gleichem Maße; Rußland blieb aus Europa ausgeschlossen – im Gegensatz zu
 Zeitlers wenige Jahre später erschienenem Band der neuen Propyläen-Kunstge-
schichte (1966), für den N. den Impressionismus, auf Frankreich beschränkt, bearbei-
tete. Gegensätze wie Zusammenhänge der einzelnen Richtungen beschrieb N.
einprägsam, wobei er ideengeleitete Kunst (Idealismus) deutlich zurücksetzte, im
Histori(zi)smus nur ein Signum der Schwäche des Jahrhunderts sah und seine Un-
terscheidung von Realismus (Courbet) und Naturalismus (Menzel, der Naturalist
par excellence) nicht theoretisch begründete. N. konzentrierte sich immer auf die
sichtbare Form der Werke. Die Gestaltungsweise besaß für ihn eine gleiche und
selbständige kulturgeschichtliche Bedeutung wie die Philosophie. So konnte er
Kants Kritik der reinen Vernunft und Cézannes reifen Stil als die zwei »kopernikani-
schen« geistigen Wenden zu neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten verstehen, zwi-
Novotny 307

schen denen keine andere Neuerung eine ebenso umfassende Bedeutung gehabt
habe. Die Zeit dazwischen war für ihn das Jahrhundert des Naturalismus, der Wie-
dergabe des visuellen Bildes der aktuellen, materiellen Welt, die im Impressionismus
gipfelte.Von diesem trennte er, entgegen herkömmlicher Auffassung, wie gleichzei-
tig auch der Ungar Karl von Tolnai (Charles de Tolnay, 1899–1981) Cézanne ent-
schieden ab. Dieser habe die Bildkonstruktion mittels der »wissenschaftlichen Per-
spektive«, die seit der Renaissance üblich war, durch eine seither maßgebliche
Bildauffassung ersetzt, die Maler und Betrachter von den dargestellten Dingen di-
stanziert und Form und Farbe einen Eigenwert zuerkennt. Außerkünstlerische, ge-
sellschaftliche wie auch biographische Ursachen dafür lehnte N. ab. Er vertrat eine
strikte, »formalistische« Immanenz künstlerischer Entscheidungen. Cézanne habe
mit der emotionalen gegenständlichen Bedeutung des Dargestellten Schluß ge-
macht. Die daher an seinen Bildern zu beobachtende Erkaltung und Erstarrung
wertete N. aber im Gegensatz zu  Sedlmayr positiv, als Voraussetzung für das Ent-
stehen von eigenständigen Abbildern und Sinnbildern der Weltordnung.
Werke: Paul Cézanne, in: Belvedere, 8, 1929, Stil, in: Universitas, 15, 1960, 413–420; AKat.
440–450; Romanische Bauplastik in Öster- Cézanne (Einführung), Wien 1961; Der Im-
reich, Wien 1930; Das Problem des Menschen pressionismus, in: Rudolf Zeitler, Die Kunst
Cézanne im Verhältnis zu seiner Kunst, in: des 19. Jh.s, Bln 1966, 129–135; Gustav Klimt,
ZfÄaK, 26, 1932, 268–298; Paul Cézanne, Sa 1967 (mit Johannes Dobai); Über das »Ele-
Wien/NY 1937; Cézanne und das Ende der mentare« in der Kunstgeschichte und andere
wissenschaftlichen Perspektive, Wien 1938; Aufsätze, Wien 1968; Die »Große« und die
Adalbert Stifter als Maler, Wien 1941; Wil- »Kleine« Form in der Malerei des Naturalis-
helm Busch als Zeichner und Maler, Wien mus. Bemerkungen zur Kunst Wilhelm Leibls,
1949; Cézanne als Zeichner, in: WJbfKg, 1950, in: WJbfKg, 1972, 276–284; The Late Lands-
225–240; Die großen französischen Impres- cape Paintings, in: AKat. Cézanne. The Late
sionisten. Ihre Vorläufer und ihre Nachfolger, Work, NY 1977, 107–111
Wien 1952; Der Maler Anton Romako, Literatur: Hanfstaengl, Eberhard: Rez. von
Wien/Mü 1954; AKat. Cézanne (Einleitung), »Anton Romako« in: KschH, 53, 1954/55,
Mü 1956; Klassizismus und Klassizität im Anh., S. 12; Eitner, Lorenz: Rez. von »Pain-
Werk Adalbert Stifters (Bei Betrachtung sei- ting and Sculpture in Europe« in: ArtB, 43,
ner späten Landschaftsbilder), in: FS Karl M. 1961, 351–356; Ettlinger, Leopold David: dass.,
Swoboda, Wien/Wb 1959, 193–211; Painting in: BM, 104, 1962, S. 84 f.; Bazin, Germain:
and Sculpture in Europe 1780–1880, Har- dass., in: GBA, 64, 1964, S. 252
mondsworth 1960; Paul Cézanne und sein PHF

Osten, Gert von der


Geb. 17. 5. 1910 in Otterndorf; gest. 30. 11. 1983 in Brühl

Der mit zahlreichen Publikationen zur Kunst des Mittelalters, besonders der Refor-
mationszeit, hervorgetretene O. war ein brillanter Museumsmann mit einem weiten
Interessenspektrum, in dem der zeitgenössischen Kunst ein besonderer Platz einge-
räumt war; er beteiligte sich intensiv an der Neuordnung des deutschen Museums-
wesens in der Nachkriegszeit. Nach seiner Pensionierung widmete er sich fast
ausschließlich dem künstlerischen Schaffen Hans Baldung Griens.
O. begann 1928 Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte in Berlin zu stu-
dieren, verbrachte einige Gastsemester in München und Marburg, bis er schließlich
308 Osten

1933 in Halle/Saale mit einer Arbeit zur Ikonographie des Schmerzensmannes bei
 Frankl promovierte. Nach einem Volontariat an den Berliner Museen wurde O.
1938 zum Kustos der Landesgalerie in Hannover ernannt. Krieg und Gefangen-
schaft bereiteten seiner erfolgversprechenden Museumslaufbahn jedoch ein vorläu-
figes Ende. Erst 1948 konnte er seine Tätigkeit in Hannover wieder aufnehmen;
1951 erhielt er eine Privatdozentur an der Technischen Hochschule, und 1954 berief
man ihn zum Direktor der Landesgalerie.
Mit seiner Ausstellung Bildwerke in der Niedersächsischen Landesgalerie und ihrem
wegweisenden Katalog von 1957 knüpfte O. an die große Zeit der Plastikforschung
in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen, an  Pinder,  Baum, Philipp
M. Halm (1866–1933) und Theodor Demmler (1879–1944) an. Auf der Grundlage
einer aus den 1930er Jahren stammenden, nie veröffentlichten Arbeit von  Einems,
damals wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landesmuseums, nahm er wichtige Neu-
bestimmungen vor und gab einen konzisen Überblick über die bis dahin noch nie
im Zusammenhang ausgestellten Werke vor allem des niederdeutschen Kulturrau-
mes. Einen Höhepunkt der niederdeutschen Plastik des 18. Jahrhunderts sah O. in
den Marmorfiguren des Chronos und den Allegorien der Zeit von Johann Fried-
rich Ziesenis, die seiner Auffassung nach einem Vergleich mit süddeutschen Werken
durchaus standhielten. Obwohl auch in Hannover der Sammlungsschwerpunkt auf
mittelalterlichen Holzbildwerken lag, die vornehmlich aus Niedersachsen, Westfalen
und den thüringischen Randgebieten stammten, ergänzt um einige süddeutsche
Stücke von Riemenschneider und Stoß, gruppierte O. – in diesem Punkt ging er
entschieden über die mittelalterzentrierte ältere Forschung und die bisherige Mu-
seumspraxis hinaus – Arbeiten von Degas, Rodin, Calder, Marini hinzu und initi-
ierte so einen neue Perspektiven eröffnenden Dialog zwischen Mittelalter und
Moderne.
1960 trat O. das Amt des Generaldirektors der Kölner Museen und zugleich des
Direktors des Wallraf-Richartz-Museums an, das er bis zu seiner Pensionierung
innehatte. Seine vordringliche Aufgabe sah er in der planmäßigen Erweiterung der
Bestände, wobei er den Schwerpunkt auf Bildwerke vom Beginn des 19. Jahrhun-
derts bis zur Gegenwart legte. Zu den wichtigsten Ankäufen in seiner Amtszeit
gehörten das Rendezvous des amis von Max Ernst, das Stilleben mit Birnen von
Cézanne, das Spargel-Stilleben von Manet sowie Tableaux I von Mondrian.
Unter O.s Leitung wurde das Wallraf-Richartz-Museum zu einem zentralen Ort
für zeitgenössische Kunst und konnte in den 1960er Jahren Rekordbesucherzahlen
verzeichnen. 1968 gelang es O., die Sammlung moderner Kunst des Aachener Ehe-
paares Peter und Irene Ludwig nach Köln zu holen, wodurch die Voraussetzungen
für das spätere Museum Ludwig geschaffen wurden. Während seiner Amtszeit wur-
den außerdem die Neubauten des Römisch-Germanischen Museums, des Museums
für Ostasiatische Kunst und die Kunsthalle konzipiert und fertiggestellt.
Für seinen Werkkatalog zu Hans Baldung Grien, den ersten überhaupt, trug O.
alle den Künstler betreffenden Dokumente zusammen und nahm Autopsien seiner
Gemälde in Sammlungen der ganzen Welt vor; dabei gelangen ihm eine Reihe
ikonographischer Neudeutungen. O. zählte Baldung zu den leidenschaftlichsten
und widersprüchlisten Meistern seiner Zeit, wobei er dessen scharfe Farbkontraste
als deutliches Unterscheidungsmerkmal zu Dürer herausstellte.
Osten 309

Werke: Der Schmerzensmann. Typenge- ment of a Devotional Image, in: JWCI, 16,
schichte eines deutschen Andachtsbildes von 1953, 153–158; Katalog der Gemälde in der
1500 bis 1600, Lpz 1933; Wandgestaltung, in: Niedersächsischen Landesgalerie Hannover,
Monatshefte f. Baukunst u. Städtebau, 17, Ha 1954; AKat. Max Liebermann, Landesga-
1933, 561–568; Ein Schüler des Veit Stoß am lerie Hannover, Ha 1954; Lovis Corinth, Mü
Oberrhein, in: ZDVKw, 2, 1935, 430–452; 1955; Die Neuerwerbungen der Städtischen
Südostdeutsche Schmerzensmänner und Galerie, Ha 1956; Nachrichten aus dem Mu-
böhmische Marienklagen, in: ZDVKw, 2, seumswesen in Hannover. Die Erwerbung
1935, 519–529; Die Heilig-Kreuzkirche zu des Welfenmuseums, Herrenhausen-Museum,
Schwäbisch-Gmünd, in: Deutsche Kunst, 1, in: KChr, 9, 1956, 67–71; Katalog der Bild-
1935, 18–19; Eine Zeichnung des Johann An- werke in der Niedersächsischen Landesgale-
wander, in: BMB, 57, 1936, 73–76; Nicolaus rie Hannover, Mü 1957; Lovis Corinth. Zehn
Gerhaert. Bildnisbüste eines Mannes, in: Bilder von Lovis Corinth, Oberlenningen
Kunst und Volk, 4, 1936, 250–251; AKat. Han- 1958; Gemälde und Kartons in Aquarell,
noversches Rokoko. Johann Friedrich, Jo- Gouache, Pastell und verwandten Techniken
hann Georg und Elisabeth Ziesenis (mit Fer- in der Niedersächsischen Landesgalerie in
dinand Stuttmann), Landesmuseum Hanno- Hannover (mit Reinhold Behrens), Ha 1959;
ver, Ha 1937; Sechs Ausstattungsentwürfe des Ein Ott-Heinrich-Bildnis von Wolf Huber,
rheinisch-fränkischen Rokoko, in: JbPK, 1937, in: Pantheon, 18, 1960, 145–149; Plastik des
205–216; Zwei neuerworbene Entwürfe für 19. Jh.s in Deutschland, Österreich und der
die Würzburger Residenz, in: BMB, 58, 1937, Schweiz, KöT 1961; 100 Jahre Wallraf-
17–20; Die Bildwerke aus Pöhlde, Hi 1938; Richartz-Museum – Stiftungen und Erwer-
AKat. Spätmittelalterliche Bildschnitzerei bungen zum hundertjährigen Bestehen des
zwischen Weser und Elbe (mit Ferdinand Museums, Köln 1961; Studien zu Jan Gos-
Stuttmann), Landesmuseum Hannover, Ha saert, in: FS Erwin Panofsky, NY 1961, Bd. 1,
1938; Neueres Schrifttum über deutsche 454–475; Plastik seit 1800 in Deutschland,
Königspfalzen, in: ZfKg, 7, 1938, 238–250; Österreich und der Schweiz, KöT 1962; Lovis
Spätmittelalterliche Bildschnitzerei zwischen Corinth, Bln/Da/Wien 1963; Zur Ikonogra-
Weser und Elbe. Zu der Ausstellung im Lan- phie des Hans Baldung Grien, in: FS Herbert
desmuseum Hannover, in: ZfKg, 8, 1939, 169– von Einem, Bln 1965, 179–187; Zu Benedikt
179; Niedersächsische Bildschnitzerei des spä- Dreyer und seinem Umkreis, in: FS Peter
ten Mittelalters (mit Ferdinand Stuttmann), Metz, Bln 1965, 305–314; Zur Ikonographie
Bln 1940; Der Meister von Rethen und die des ungläubigen Thomas angesichts eines
Celler Skulpturen, in: ZDVKw, 7, 1940, 197– Gemäldes von Delacroix, in: WRJb, 1965,
216; Der Manierismus in der deutschen 371–388; Studien zu Conrad Faber von
Kunst, Bln 1941; Das Frühwerk des Hans Creuznach, in: FS Wolfgang Fritz Volbach,
Witten, in: JbPK, 1942, 90–104; Verzeichnis Mainz 1966, 415–424; Wallraf-Richartz-Mu-
der Kunstwerke nach 1800 im Landesmu- seum Köln, Bd. 2, Köln 1966; Painting and
seum Hannover, Ha 1950; AKat. Lovis Co- Sculpture in Germany and the Netherlands
rinth. Gedächtnisausstellung zur 25. Wieder- 1500–1600 (mit Horst Vey), Harmondsworth
kehr seines Todestages, Niedersächsisches 1969; Kunst der 60er Jahre, Sammlung Lud-
Landesmuseum, Ha 1950; Zum Wiederaufbau wig. Hundert Werke im Wallraf-Richartz-
des Landesmuseums Hannover, in: KChr, 3, Museum, Köln 1969; Manets Spargelbündel
1950, 117–119; Bildwerke Bernd Notkes für bei Liebermann jetzt in Köln, in: WRJb, 1969,
Lüneburg, in: ZfKg, 14, 1951, 113–117; Lüne- 135–148; Lukas Furtenagel in Halle, in: ebd.,
burger und Lübecker Bildschnitzer um 1500, 1972, 105–118; Noch ein Bildnis eines Man-
in: Niedersächs. Jb. f. Landesgeschichte, 1951, nes vor freiem Himmel von Wolf Huber, in:
89–115; AKat. Max Slevogt. Gemälde, Hand- ebd., 1973, 207–226; Über Brüggemanns St.
zeichnungen, Graphik, Niedersächsisches Jürgengruppe aus Husum in Kopenhagen, in:
Landesmuseum, Ha 1952; Die hundertjährige ebd., 1975, 65–84; Ein Altar des Hans Baldung
Geschichte des Niedersächsischen Landes- Grien aus dem Jahre 1511 und eine Frage
museums, in: Hundert Jahre Niedersächsi- nach verschollenen Werken des Malers, in:
sches Landesmuseum Hannover 1852–1952, ZDVKw, 31, 1977, 51–66; Über die Schwie-
Ha 1952, 7–26; Job and Christ. The Develop- rigkeit, eine datierte Renaissance-Madonna
310 Osten

von Hans Baldung Grien zeitlich anzusetzen, Haase, Max: dass., in: KChr, 13, 1960, 20–23;
in: WRJb, 1982, 127–132; Hans Baldung Einem, Herbert von: Der lernende G.v.d.O.,
Grien. Gemälde und Dokumente. Jahresgabe in: FS G.v.d.O., Köln 1970, 11–12; Hillebrecht,
des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft Rudolf: G.v.d.O. zum 60. Geburtstag, in: ebd.,
1981/82, Bln 1983 7–10; Keller, Horst: G.v.d.O. schreibend, in:
Literatur: Heise, Carl Georg: Rez von »Lo- ebd., 13–16; Budde, Rainer: In memoriam
vis Corinth«, in: KChr, 11, 1958, 26–29; Ger- G.v.d.O., in: WRJb, 1983, 7–9; Wirth, Jean:
stenburg, Kurt: Rez. von »Katalog der Bild- Rez. von »Hans Baldung Grien«, in: KChr, 37,
werke in der Niedersächsischen Landesgale- 1984, 175–183; Bloch, Peter: G.v.d.O., in:
rie Hannover«, in: ZfKg, 21, 1958, 279–280; ZDVKw, 38, 1984, S. 123
Bier, Justus: dass., in: ArtB, 41, 1959, 342–344; CF

Paatz,Walter
Geb. 10. 3. 1902 in Burg bei Magdeburg; gest. 2. 11. 1978 in Heidelberg

Im Vorwort zu seiner Abhandlung über mittelalterliche Universitätsszepter, dem 2.


Band der von ihm 1952 neugegründeten Heidelberger Kunstgeschichtlichen Abhandlun-
gen, bekennt sich P. in kritischer Distanz zur formanalytischen, geistesgeschichtlichen
und »intuitiven« Richtung zu einer Kunstwissenschaft, die, sich der Kluft zwischen
dem heutigen Betrachter und der Kunst der Vergangenheit wohl bewußt, lediglich
als »Mittler« und »Kommentator« fungieren will, dabei gegenüber allen Methoden
offen bleibt und bemüht ist, sich das gesamte Wissen über die Kultur anzueignen, in
der das Kunstwerk wurzelt. Seinen idealen Gegenstand fand diese Einstellung zum
Fach im spätgotischen Flügelaltar, als dessen Wesen P. die Einheit aus Architektur,
architektonischem Dekor, Skulptur und Malerei verstand. Im Geist von  Burck-
hardts kulturgeschichtlicher Betrachtungsweise verfaßte P. auch seine zahlreichen
Arbeiten zur italienischen Renaissance. Sein zentrales Anliegen war es immer, die
materiellen und ideellen Bedingungen zu beschreiben, unter denen Kunst entsteht.
P. gehörte zu jenen Kunsthistorikern, denen sich vordrängendes Virtuosentum fern-
liegt. Jene »nüchtern scheinende, aber tiefgründige Sachlichkeit«, die er an  Gold-
schmidt bewunderte, war auch ihm eigen.
Der Sohn eines Ingenieurs studierte seit 1920 in Würzburg, München und Göt-
tingen. 1923 promovierte er bei  Vitzthum über die hochgotische Skulptur des
Magdeburger Doms. Nach einem Volontariat 1923–25 am Kaiser-Friedrich-Mu-
seum in Berlin kam er an das Sankt Annen-Museum in Lübeck, wo ihn  Heise
unter seine Fittiche nahm und auf die Architektur und Kunst des deutschen Spät-
mittelalters, besonders Lübecks und des Ostseeraumes, hinlenkte. P. entdeckte dort
für sich den damals noch fast unbekannten Lübecker Bildschnitzer und Maler Bernt
Notke (1430/40–1509). Ihm und seinem Umkreis widmete er später eine vom
Deutschen Verein für Kunstwissenschaft publizierte zweibändige Monographie mit
Werkkatalog (Bernt Notke und sein Kreis, 1939).
1927/28 hielt sich P. als Stipendiat am Kunsthistorischen Institut in Florenz auf,
um sich, wie er selbst sagte, »mit Italien vertraut zu machen«. Es wurde eine Bin-
dung auf Lebenszeit. Seinen Ruf als einer der bedeutendsten Kenner der italieni-
schen Renaissancekunst in der neueren deutschsprachigen Kunstwissenschaft be-
Paatz 311

gründete P. mit einem Handbuch der Kirchen von Florenz, an dem er zusammen
mit seiner späteren Frau Elisabeth Valentiner seit 1929 arbeitete, dessen 6. und letzter
Band durch die Kriegswirren aber erst 1954 erscheinen konnte. 1935 habilitierte
sich P., wieder bei seinem Lehrer Graf Vitzthum in Göttingen, mit einer Arbeit
über die bis dahin wenig geschätzte italienische Architektur der Gotik. P. setzte sich
mit der von  Schnaase,  Dehio und Adolfo Venturi (1856–1941) vertretenen
Auffassung auseinander, daß sie keine echte Gotik wie die französische oder deut-
sche sei, vielmehr eine Störung der italienischen Kunstentwicklung auf ihrem Wege
zur Renaissance hin; P. zeigte dagegen, wobei er sich auf  Kugler,  Burckhardt
und Heinrich von Geymüller (1839–1909) berief, daß Architekten wie Niccolò und
Giovanni Pisano, Arnolfo di Cambio und Giotto mit ihrem aus gotischen und an-
tiken Elementen bestehenden Baustil »etwas ganz Neues« geschaffen und die Re-
naissance vorbereitet hatten. Die Renaissance selbst ist Gegenstand einer 1948 in
wenigen Wochen geschriebenen Arbeit, mit der P. an Burckhardt anknüpfte. Sie war
ein neuer Versuch, die italienische Renaissance zusammenfassend darzustellen, wo-
bei P. vor allem an Burckhardts Baukunst der Renaissance in Italien (1867) mit ihrer
systematischen Gliederung »nach Aufgaben« dachte. Auch ihn interessierte der ent-
wicklungsgeschichtliche Aspekt nur am Rande. Nach der Begriffsdefinition, der
zeitlichen Eingrenzung und der Klärung des Verhältnisses der Renaissance zu den
Proto-Renaissancen des Mittelalters und zur Spätgotik – nur die Italiener des
15./16. Jahrhunderts hätten »bei ihren Bemühungen um die Natur die Antike zur
Norm gemacht« – führt P. lehrbuchhaft sämtliche Kunstgattungen und ihre politi-
schen, gesellschaftlichen und weltanschaulichen Grundlagen vor, wobei der Leser
den Eindruck gewinnt, hier mit einer Kunst konfrontiert zu sein, die Anspruch auf
überzeitliche exemplarische Geltung erhebt.
P.s akademische Laufbahn begann in Frankfurt/Main, wo er auch das Amt des
Kustos der Skulpturensammlung im Liebieghaus bekleidete, führte ihn anschließend
nach Freiburg i.Br. und 1942 nach Heidelberg. Dort wirkte er als Ordinarius, un-
terbrochen von Kriegsdienst und Gefangenschaft, bis zu seiner Emeritierung im
Jahre 1967.
In den 1950er und 1960er Jahren erhielt die spätgotische Skulptur in P.s Denken
wieder eine gewisse Dominanz. Ausgehend von  Jantzens Deutsche Bildhauer des
13. Jahrhunderts (1925) und seinem zentralen Begriff »Säulenfigur«, der Auffassung
von P. nach ein die gotische Skulptur in ihrer Ganzheit charakterisierender Begriff,
kritisierte er in der wichtigen theoretischen Arbeit Von den Gattungen und vom Sinn
der gotischen Rundfigur (1951) die zergliedernde, sich auf Kopftypen, Körper- und
Bewegungsformen oder Gewandfalten beschränkende stilkritische Methode; unter
der »primären Schicht von Stilformen« befinde sich »die Schicht der Formengat-
tungen«, der strukturellen Zusammenhänge beispielsweise zwischen Skulptur und
Architektur, die Kategorien wie »Säulenfigur« oder, von P. hinzugefügt, »Nischenfi-
gur« und »Tabernakelfigur« gedanklich abbilden. In den Süddeutschen Schnitzaltären
der Spätgotik (1963) kam P. auf ein Thema zurück, das ihn schon als Student 1920 in
Würzburg, wo er zum erstenmal Riemenschneiders Werk begegnet war, beschäftigt
hatte. In diesem Alterswerk faßte er die Entwicklung des Altar-Retabels südlich des
Mains zusammen, in einer Region, wo in den Werkstätten des Niederländers Nico-
312 Paatz

laus Gerhaert, von Multscher, Herlin, Pacher, Syrlin, Stoß, Riemenschneider und
anderen Meistern die bedeutendsten Flügelaltäre entstanden waren, im Unterschied
zu der noch typisierten mittelalterlichen Retabel-Produktion der Zeit vor 1450
Gebilde von höchster Vielfalt und Individualität.
1958 betraute die Heidelberger Akademie der Wissenschaften P. mit der Leitung
des Forschungsprojekts »Corpus Sceptrorum«, zu dem er noch eine systematische
Untersuchung der akademischen Szepter und Stäbe als Ergänzung des von Günter
und Inge Vorbrodt zusammengestellten kritischen Werkkatalogs beitrug, deren Ver-
öffentlichung aber nicht mehr erlebte.
Werke: Studien zur Geschichte der Magde- kertagung (1948), Bln 1950, 16–27; Die Ge-
burger Skulptur des 13. Jh.s, Gö 1923; Die stalt Giottos im Spiegel einer zeitgenössischen
Magdeburger Plastik um die Mitte des 13. Urkunde, in: FS Carl Georg Heise, Bln 1950,
Jh.s, in: JbPK, 1925, 91–120; Die Marienkir- 85–102; Von den Gattungen und vom Sinn
che zu Lübeck, Burg b. Magedeburg 1926; der gotischen Rundfigur, Hei 1951; Die Kunst
Der Meister der lübeckischen Steinmadon- der Renaissance in Italien, Stg 1953; Scep-
nen, in: JbPK, 1926, 168–183; Die lübecki- trum Universitatis. Die europäischen Univer-
schen Steinskulpturen der ersten Hälfte des sitätsszepter, Hei 1953; Stammbaum der goti-
15. Jh.s, Lübeck 1929; Ein unbekanntes Al- schen Alabasterskulptur 1316–1442, in: FS
terswerk von Bernt Notke, in: JbPK, 1929, Hans Kauffmann, Bln 1956, 127–135; Prole-
256–260; Die lübeckische Bronzeproduktion gomena zu einer Geschichte der deutschen
des 15. und 16. Jh.s, in: RfKw, 51, 1930, 67–92; spätgotischen Skulptur im 15. Jh., Hei 1956;
Zur Baugeschichte des Palazzo del Podestà Mit einem gemalten Band, in: FS Kurt Bauch,
(Bargello) in Florenz, in: MKhIF, 3, 1931, 287– Bln 1957, 126–138; Münster, Bremen und
321; Die gotische Badia in Florenz und ihr Lübeck. Ein Beitrag zur Geschichte der Bild-
Erbauer Arnolfo di Cambio (mit Ulrich hauerkunst des 15. Jh.s, in: FS Martin Wacker-
Middeldorf), in: MKhIF, 3, 1932, 492–517; nagel, Köln/Graz 1958, 75–81; Giorgione im
Una Natività di Paolo Uccello e alcune con- Wetteifer mit Mantegna, Leonardo und Mi-
siderazioni sull’arte del Maestro, in: RdA, 16, chelangelo, Hei 1959; Nicolaus Gerhaert van
1934, 111–148; Die gotische Kirche S. Trinità Leyden, in: HeiJbb, 1959, 68–94; Selbstbiogra-
in Florenz, in: FS Adolph Goldschmidt, Bln phie, in: Sber. d. Heidelberger AdW, Jahres-
1935, 113–118; Werden und Wesen der Trecen- hefte 1943/55, 1959, 92–94; Süddeutsche
toarchitektur in Toskana, Burg b. Magdeburg Schnitzaltäre der Spätgotik, Hei 1963; Ver-
1937; Bernt Notke und sein Kreis, 2 Bde., Bln flechtungen in der Kunst der Spätgotik zwi-
1939; Die Hauptströmungen in der Florenti- schen 1360 und 1530, Hei 1967; Bericht über
ner Baukunst des frühen und hohen Mittel- die Entwicklung des kunsthistorischen Insti-
alters und ihr geschichtlicher Hintergrund, tuts der Universität Heidelberg in den Jahren
in: MKhIF, 6, 1940, 35–72; Die Kirchen von 1942–67, Hei 1969; Die akademischen Szep-
Florenz, 6 Bde., Frf 1940–54 (mit Elisabeth ter und Stäbe in Europa. Systematische Un-
P.); Italien und die künstlerischen Bewegun- tersuchungen zu ihrer Geschichte und Ge-
gen der Gotik und Renaissance, in: RJbKg, stalt, Hei 1979
1941, 163–222; Bernt Notke, Wien 1944; Der Literatur: Stechow, Wolfgang: Rez. von
deutsche Anteil an der hochmittelalterlichen »Die Kirchen von Florenz«, in: ArtB, 35, 1953,
Kunst Skandinaviens, Mü 1944; Renaissance 313–315; Belting, Hans: Zum Gedenken an
oder Renovatio? Ein Problem der Begriffs- W.P., in: Ruperto Carola, 31, 1979, 116–117;
bildung in der Kunstgeschichte des Mittelal- Riedl, Peter Anselm: W.P., in: ZfKg, 43, 1980,
ters, in: Beiträge zur Kunst des Mittelalters. 115–117; Hüttinger 1992, 164–168
Vorträge der Ersten Deutschen Kunsthistori- PB
Pächt 313

Pächt, Otto
Geb. 7. 9. 1902 in Wien; gest. 17. 4. 1988 in Wien

Im Alter unterschied der österreichische Kunsthistoriker P. »Entwicklungshistori-


ker« und »Museumsleute«. Er gehörte vor allem zur erstgenannten Spezies, besaß
aber auch die Qualitäten der zweiten. P. studierte 1920–25 in Wien bei  Dvoák
und dessen Assistenten  Swoboda, zuletzt bei  Schlosser, dazu ein Semester bei
 Goldschmidt in Berlin.  Pinder kam er bei Besuchen in Leipzig nahe. Der
junge P. wollte gemeinsam mit einigen anderen, vor allem  Sedlmayr, den ein-
drucksvollen Beitrag zum Verständnis der Kunstentwicklung, den besonders die
Wiener Schule an der Jahrhundertwende erbracht hatte ( Riegl), mit methodi-
scher und begrifflicher Strenge weiter ausbauen. Er forschte lebenslang und mit
wichtigen Ergebnissen zur deutschen und speziell österreichischen sowie zur nie-
derländischen Malerei und Plastik des 15. und 16. Jahrhunderts. Kühn kritisierte er
1927 das »impressionistische«, kennerschaftliche Vorgehen einer solchen Autorität
wie  Max J. Friedländer in Berlin, der jede Methode und jede Suche nach einer
übergreifenden Entwicklungsgeschichte ablehnte. Er wandte sich auch gegen intui-
tive Werkbeschreibungen, die er bei  Fraenger oder  Lützeler fand. Stilanalyse
müsse zu beweisbaren Erkenntnissen führen, und nur sie könne ermitteln, vor wel-
chen besonderen, zeittypischen gestalterischen Problemen, vor welcher »histori-
schen Aufgabe« ein Künstler gestanden habe. Moderne Erkenntnistheorie und die
neue Gestaltpsychologie zwangen ihn dabei, die Forderung nach Objektivität tiefer
zu durchdenken. Ein Kunsthistoriker müsse sich erst die spezifische Einstellung
erarbeiten, die sein historisches Untersuchungsobjekt ihm abfordere, um das seiner-
zeit andere Sehen nachvollziehen und selbst »verstehend sehen« zu können – eine
zentrale Kategorie für P.
In der methodologisch profiliertesten Zeitschrift jener Jahre, den Kritischen Be-
richten zur kunstgeschichtlichen Literatur, die  Antal und P.s Freund Bruno Fürst
(1896–1978) redigierten, sowie 1931–33 als Herausgeber der Kunstwissenschaftlichen
Forschungen wirkte P. für dieses Ziel. Um eine feste Anstellung zu finden, habilitierte
er sich 1933 in Heidelberg, konnte aber als Jude unter dem NS-Regime keine
Lehrtätigkeit aufnehmen. Von Wien aus begleitete er 1935 seinen Freund, den
Schriftsteller Robert Musil, zum antifaschistischen Kongreß zur Verteidigung der
Kultur nach Paris und ging dann nach London, wo er 1936–41 Gastvorlesungen
halten konnte. Der Auftrag, mittelalterliche illuminierte Handschriften der Bodleian
Library in Oxford zu bearbeiten, gab ihm 1941–63 eine Existenzgrundlage. Obwohl
dieses neue Arbeitsgebiet ihm innerlich eher fernstand, wurde er dennoch zu einer
anerkannten Kapazität. An der Universität Oxford gab er sein Spezialwissen weiter.
1963 holte ihn die Wiener Universität als Institutsvorstand (bis 1972) zurück, und ab
1969 leitete er die Edition von Handschriften der Österreichischen Nationalbiblio-
thek.
Von seiner weit ausholenden, methodisch bahnbrechenden Arbeit über Michael
Pacher (1931) bis zu den späten Gesamtdarstellungen der niederländischen Malerei
des 15. Jahrhunderts, der Buchmalerei des Mittelalters und der Kunst Rembrandts,
die auf sorgfältigen Vorlesungsmanuskripten des ausgezeichneten Pädagogen beruh-
314 Pächt

ten, ging es P. darum, das jeweilig Besondere und den Rang von Kunstwerken aus
ihrer Stellung innerhalb eines bestimmten kunstgeschichtlichen Zusammenhangs
zu erklären und auch durch ständige Vergleiche erfahrbar zu machen. Er unterschied
das Verstehen vom stets von heute aus erfolgenden und subjektiven Werten. Dabei
beharrte P. auf dem Erkenntnisgewinn durch die Analysen nur der formalen Werk-
strukturen und wandte sich entschieden gegen die Erklärungsmuster der Ikonolo-
gie, die  Panofsky aufgebracht hatte, dem er im übrigen Hochachtung nicht ver-
weigerte. P. bezweifelte auch nicht die Zusammenhänge der Kunstentwicklung mit
der politischen und der von seinem Lehrer Dvoák hervorgehobenen Geistesge-
schichte, unterstrich aber die Eigenständigkeit und innere Logik in der Abfolge
künstlerischer, speziell die Wirklichkeitsdarstellung betreffender Problemstellungen
und -lösungen, die wir freilich stets nur vorläufig und zeitgebunden erkennen wür-
den. Für manche Lösung einer Frage sei die Wissenschaft noch nicht reif. Aus deren
Entwicklung ergebe sich erst, »was in einer bestimmten Forschungssituation sinn-
voll gefragt werden kann und was nicht«. Seine Lebenserfahrungen trugen dazu bei,
daß P. den Einfluß politischer, religiöser oder sozialer Ideen auf die Kunst verklei-
nerte oder für verhängnisvoll hielt und daß er sich vor allem gegen soziologische
wie naturwissenschaftliche, zum Beispiel maltechnische Erklärungen der Kunstge-
schichte sowie jede politische Dienstbarkeit der Kunstwissenschaft aussprach.

Werke: Rez. von Max J. Friedländer, Die 1966–73 (mit Jonathan J.G. Alexander); Ty-
altniederländische Malerei, Bd. 3 (1925), in: penwandel im Werk des Hugo van der Goes,
KBLit, 1/2, 1927/28, 1928/29, 37–54; Öster- in: WJBfKg, 1969, 43–58; Die illuminierten
reichische Tafelmalerei der Gotik, Au 1929; Handschriften und Inkunabeln der Öster-
Das Ende der Abbildtheorie, in: KBLit, 3/4, reichischen Nationalbibliothek. Französische
1930/31, 1931/32, 1–9; Die historische Auf- Schule, 4 Bde., Wien 1975 (mit Dagmar
gabe Michael Pachers, in: KF, 1, 1931, 95–132; Thoss), Holländische Schule, 2 Bde., Wien
Gestaltungsprinzipien der westlichen Malerei 1975 (mit Ulrike Jenni), Flämische Schule, 4
des 15. Jh.s, in: KF, 2, 1933, 75–100; Rez. von Bde., Wien 1983–90 (mit Ulrike Jenni, Dag-
G.A.S. Snijder, Romeinsche kunstgeschiede- mar Thoss); Methodisches zur kunsthistori-
nis (1925), in: KBLit, 6, 1937, 3–15; Jean Fou- schen Praxis. Ausgewählte Schriften, Mü 1977
quet. A Study of his Style, in: JWCI, 4, (Bibliogr.); Buchmalerei des Mittelalters. Eine
1940/41, 85–102; The Master of Mary of Bur- Einführung, Mü 1984; Van Eyck. Die Be-
gundy, Lo 1948; Byzantine Illumination, Ox gründer der altniederländischen Malerei, Mü
1952; Rez. von Erwin Panofsky, Early Nether- 1989; Rembrandt, Mü 1991; Altniederländi-
landish Painting (1953), in: BM, 98, 1956, sche Malerei.Von Rogier van der Weyden bis
110–116, 267–279; The St. Alban’s Psalter, Lo Gerard David, Mü 1994
1960 (mit C.R. Dodwell u. Francis Wormald); Literatur: Kunsthistorische Forschungen.
The »Avignon Diptych« and its Eastern O.P. zu seinem 70. Geburtstag, Sa 1972 (Bi-
Ancestry, in: FS Erwin Panofsky, NY 1961, bliogr.); Clausberg, Karl: Zwei Antipoden der
Bd. 1, 402–421; The Rise of Pictorial Narra- Kunstwissenschaft und ein versunkener Kon-
tive in 12th Century England, Ox 1962; Die tinent. Zum Methodischen von P., Panofsky
Gotik der Zeit um 1400 als gesamteuropä- und Wygotski, in: KB, 6, 1978, 3, 5–12; Nor-
ische Kunstsprache, in: AKat. Europäische denfalk, Carl: Rez. von »Methodisches zur
Kunst um 1400, Wien 1962, 52–65; Alois kunsthistorischen Praxis«, in: ZfKg, 42, 1979,
Riegl, in: BM, 105, 1963, 188–193; Vita Sancti 79–80; ders.: Rez. von »Buchmalerei des Mit-
Simperti, Bln 1964; Künstlerische Originalität telalters«, in: KChr, 38, 1985, 558–566; O.P. in
und ikonographische Erneuerung, in: AIKB, memoriam, in: RA, 1988, 82–83; Bibliogra-
Bln 1967, 3, 262–271; Illuminated Manuscripts phie O.P., in: Kunsthistoriker, 5, 1988, 314, S.
in the Bodleian Library Oxford, 3 Bde., Ox 15 f.; Sitt 1990, 25–61; Châtelet, Albert: Rez.
Pächt 315

von »Van Eyck«, in: Kunsthistoriker, 7, 1990, Marta O.: Rez. von »Altniederländische Ma-
Sonderh., 97–98; Alexander, Jonathan: O.P., lerei«, in: KChr, 49, 1996, 451–460; Wendland
in: Proceedings of British Acad., 80, 1991, 1999, 470–479
453–472; Hüttinger 1992, 154–157; Renger, PHF

Panofsky, Erwin
Geb. 30. 3. 1892 in Hannover; gest. 14. 3. 1968 Princeton/NJ (USA)

Die Wirkung P.s auf das kunstgeschichtliche Denken des 20. Jahrhunderts kann
kaum überschätzt werden. Er gehörte neben  Warburg,  Saxl,  Wind und
anderen zu den Begründern der Ikonologie, die durch ihn ihre theoretische Grund-
lage erhielt und die er beispielgebend praktizierte. Der nach dem Zweiten Weltkrieg
einsetzende Siegeszug dieser bis heute vieldiskutierten kunstwissenschaftlichen In-
terpretationsmethode war unlösbar mit dem Wirken dieses universalen Gelehrten
und Humanisten verbunden. P.s Arbeitsfeld umfaßte theoretische und methodolo-
gische Fragen des Faches; sein historisches Interesse galt der Kunstentwicklung von
der Spätantike bis zum 17. Jahrhundert, besonders der Renaissance und dem Nach-
leben der Antike in der europäischen Kunst. Seine Hauptwerke (Studies in Iconology,
1939; Albrecht Dürer, 1943; Early Netherlandish Painting, 1953; Renaissance and Renas-
cences in Western Art, 1960) erschienen in englischer Sprache – nationalsozialistischer
Rassenwahn hatte ihn 1934 ins Exil getrieben – und fanden weltweite Verbrei-
tung.
Einer wohlhabenden jüdischen Arztfamilie entstammend, besuchte P. das ihn
intellektuell prägende Joachimsthalsche Gymnasium in Berlin, die Quelle seiner
Textgelehrsamkeit, begann anschließend ein Jura-Studium in Freiburg i.Br., wech-
selte bald zur Kunstgeschichte über und wurde Schüler von  Vöge, bei dem er
1914 über Die Kunstlehre Albrecht Dürers promovierte. Durch einen Reitunfall zum
Kriegsdienst untauglich, ging er noch für einige Semester zu  Goldschmidt nach
Berlin, dessen Einfluß seinen Niederschlag in dem wichtigen Beitrag P.s zur Erfor-
schung der deutschen romanischen Plastik (1924) gefunden hat. 1916 heiratete er
Dora Mosse, die seine Mitarbeiterin wurde (Pandora’s Box, 1956). Der Habilitation
schloß sich 1921 eine Privatdozentur an der neugegründeten Hamburger Universi-
tät an, deren kunsthistorisches Seminar P., seit 1926 als o. Professor, bis zur Amtsent-
hebung 1933 leitete. In Hamburg pflegte er einen regen Gedankenaustausch mit
dem Warburg-Kreis und dem neukantianischen Philosophen Ernst Cassirer, dessen
Symboltheorie (Philosophie der symbolischen Formen, 1923–29) für P.s Ansatz grundle-
gend wurde. Nachdem er bereits 1931/32 und 1933 Gastvorlesungen in New York
gehalten hatte, siedelte P. 1934 in die USA über; seit 1934 in Princeton ansässig,
lehrte er bis zur Emeritierung 1963 an der School of Historical Studies des Institute
for Advanced Study, danach noch als Samuel Morse Professor am Institute of Fine
Arts der Universität New York.
In P.s frühen Arbeiten stehen kunsttheoretische Themen im Vordergrund. Auf
 Wölfflins Vortrag vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften im Jahre
1911 über das Stilproblem antwortete er 1915 in der renommierten Zeitschrift für
316 Panofsky

Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft und machte geltend, daß es keine »doppelte
Wurzel« des Stils geben könne, weil künstlerische Formen, ob individuelle oder
allgemeine, immer Ausdruck eines bestimmten Verhältnisses zur Welt seien: »Daß
die eine Epoche linear, die andere malerisch ›sieht‹, ist nicht Stil-Wurzel oder Stil-
Ursache, sondern ein Stil-Phänomen, das nicht Erklärung ist, sondern der Erklärung
bedarf.« Mit Wölfflin – auch mit zahlreichen anderen Kunsthistorikern der Zeit wie
 Schmarsow,  Riegl,  Wulff , Wind,  Frankl,  Brinckmann – ging P. in der
Auffassung konform, daß die Kunstwissenschaft zu ihrer Weiterentwicklung eines
Systems von Grundbegriffen bedürfe; er berief sich bei seinen Bemühungen aber
vor allem auf Riegl (Der Begriff des »Kunstwollens«, 1920; Über das Verhältnis der
Kunstgeschichte zur Kunsttheorie, 1925), weil sich dessen Begriffe »haptisch« und »op-
tisch« auf »grundsätzliche Möglichkeiten« der künstlerischen Gestaltung bezögen,
nicht auf stilistische Charakteristika wie diejenigen Wölfflins. Wie Riegl ging P.
davon aus, daß jedes Kunstwerk eine Lösung von überzeitlichen künstlerischen
Grundproblemen darstelle, die, von der Kunsttheorie in apriorische Begriffe gefaßt,
der empirisch arbeitenden Kunstgeschichtsschreibung als »Leitbegriffe« bei der Er-
fassung historischer Tatsachen dienten; um nicht »leer« zu sein, müßten sich die
kunsttheoretischen Begriffe aber auf die Ergebnisse der Kunstgeschichte beziehen.
Die Wechselbeziehung von Kunsttheorie und Kunstgeschichte beruhte für P. auf
der Tatsache, daß das Kunstwerk wie alle Hervorbringungen des »formenden Gei-
stes« zwei Eigenschaften habe, nämlich »im Strom des geschichtlichen Werdens sich
zu erzeugen, und dennoch in die Sphäre des übergeschichtlichen Geltens hineinzu-
ragen«. Kunsttheorie und Kunstgeschichte verbinden sich so zu einer »Kunstge-
schichte als Interpretationswissenschaft«, die das »Kunstwollen« erkennt, den »end-
gültigen letzten Sinn« im »künstlerischen Phänomen«.
P. und der Warburg-Kreis sahen in den Kunstwerken vor allem Bedeutungsträger,
»symbolische Formen« (Cassirer), in denen sich Sinngebungen des sich die Welt
aneignenden Menschen manifestierten. Der Deutung dieser Inhalte sind die mei-
sten von P.s historischen Arbeiten gewidmet, beginnend mit Dürers Melencolia (1923,
in Zusammenarbeit mit Saxl), Perspektive als »symbolische« Form (1927), Herkules am
Scheidewege (1930). Anfang der 1930er Jahre entwickelte P. ein Interpretationsmodell
(Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst,
1932), das in modifizierter Form auch in der Einleitung zu seinem bekanntesten
Buch, den Studies in Iconology, dargelegt ist. Es stellt eine Art Synthese dar aus der
Formanalyse Riegls und Wölfflins, der traditionellen Ikonographie und der geistes-
geschichtlich orientierten Kunstgeschichtsschreibung, wie sie  Dvoák vertrat,
und besteht aus drei Stufen: vorikonographische Beschreibung, ikonographische
Analyse und ikonologische Deutung. Ausgangspunkt jeder Interpretation ist nach P.
die Analyse der Form, die mit der Bezeichnung des Gegenständlichen verschränkt
ist: Unsere »vitale Daseinserfahrung« läßt uns in der Regel einen »Stein«, einen
»Menschen«, einen »Felsen« erkennen. Über dieser ersten Sinnschicht, dem »Phäno-
mensinn«, lagert eine zweite, der »Bedeutungssinn«, der sich aufgrund eines litera-
risch überlieferten Wissens erschließt; die Lektüre der Bibel zum Beispiel macht die
in der europäischen Kunst häufig dargestellten christlichen Themen verständlich. In
der Erhellung der dritten Sinnschicht findet die »ikonologische« Interpretation
Panofsky 317

schließlich ihr Ziel, welches sie dann erreicht, »wenn sie die Gesamtheit der Wir-
kungsmomente (also nicht nur das Gegenständliche und Ikonographische, sondern
auch die rein ›formalen‹ Faktoren der Licht- und Schattenverteilung, der Flächen-
gliederung, ja selbst der Pinsel-, Meißel- oder Stichelführung) als ›Dokumente‹ ei-
nes einheitlichen Weltanschauungssinnes erfaßt und aufgewiesen hat«. Die Quelle,
aus der der Interpret sein Wissen für die ikonologische Deutung schöpft, ist sein
»eigenes weltanschauliches Urverhalten«, seine »synthetische Intuition«, seine »Ver-
trautheit mit den wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes«. Als objektives
Korrektiv, wie die Stil- und Typengeschichte bei der Analyse des Phänomen- und
des Bedeutungssinns, dienen hier die Tatsachen der allgemeinen Geistesgeschichte,
die darüber belehren, welche Gehalte zu einer bestimmten Zeit überhaupt »weltan-
schaulich möglich« waren. Sie kann verhindern, daß die kunstwissenschaftliche In-
terpretation subjektiver Willkür unterworfen wird.
P.s ikonologische Methode war besonders auf die Renaissance, sein Hauptfor-
schungsgebiet, zugeschnitten. Wesensbestimmend für die nachantike Kunstge-
schichte war für ihn die Tatsache, daß klassische Formen und Themen durch das
ganze Mittelalter hindurch Verwendung fanden, wenn auch getrennt voneinander
in unterschiedlichen Traditionszusammenhängen, die erst die Renaissance wieder
zusammenführte, allerdings ohne zur Antike zurückzukehren. Die Renaissance
»mußte eine neue Form des künstlerischen Ausdrucks finden, die sich stilistisch und
inhaltlich von der antiken und der mittelalterlichen unterschied, doch diese aufgriff
und schöpferisch verarbeitete«. Die Ikonologie sollte beides, Stil und ikonographi-
sche Bedeutung, interpretierend zusammenfassen und dadurch den »Gehalt« ent-
hüllen. In der Praxis folgte P. seinem Modell jedoch nur mit Einschränkungen, er
stellte die Ikonographie in den Mittelpunkt seines Forschens.
Nach den Studies in Iconology befaßte er sich nur noch beiläufig mit Theorie und
Methodologie. In großen historischen Büchern untersuchte er in den 1940er und
1950er Jahren die frühe niederländische Malerei und ihren kunst- und geistesge-
schichtlichen Ort; er zeigte, wie der Symbolismus des Mittelalters und der an der
Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert aufkommende neue Wirklichkeitssinn zur »ars
nova« der Brüder van Eyck, des Meisters von Flémalle und Rogiers van der Weyden
verschmolzen. In Renaissance and Renascenses, hervorgangen aus einem Vorlesungszy-
klus an der Universität Uppsala 1952, erörterte P. das »Renaissanceproblem« und
kam zu dem Schluß, daß die Einzigartigkeit der italienischen Renaissance gegen-
über allen Wiederbelebungsversuchen, die die Antike im Mittelalter erfahren habe,
in dem »schmerzhaften Bewußtsein der Entfernung und gleichzeitig in der Gewiß-
heit der Nähe« bestanden habe. Zu seinen Anfängen zurückgekehrt war P. 1943 mit
einem Buch über Dürer, der einzigen Künstlermonographie, die er geschrieben hat.
Ihr besonderer Wert liegt in einer Fülle von überraschenden Einsichten in die viel-
schichtige Bilder- und Ideenwelt dieses Künstlers, der schon den Zwanzigjährigen
fasziniert hatte. In seiner überragenden, bis heute sachlich nicht übertroffenen Dok-
torarbeit hatte P. in Dürers Kunst einen ihm persönlich nicht fremden Widerstreit
gesehen »zwischen dem Gedanken der Renaissance und seinem [Dürers] eigenen,
durchaus unrenaissancistischen Weltgefühl [...]; sie ist ein wunderbares Symbol für
die zugleich starke und unharmonische Persönlichkeit dieses niemals befriedigten
318 Panofsky

deutschen Künstlers, in dessen Denken sich die Anschauungen zweier Völker und
zweier Epochen begegnen mußten«.
Werke: Korrespondenz 1910–68, 5 Bde., nannten Vier Apostel, in: MJbbK, 1931, 1–48;
hrsg. v. Dieter Wuttke, Wb 2001 f. Zum Problem der Beschreibung und Inhalts-
Die theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers, deutung von Werken der bildenden Kunst, in:
Bln 1914; Dürers Kunsttheorie, vornehmlich Logos, 21, 1932, 103–119; Classical Mythology
in ihrem Verhältnis zur Kunsttheorie der Ita- in Medieval Art (mit Fritz Saxl), in: Metropo-
liener, Bln 1915; Das perspektivische Verfah- litan Museum Studies, 4, 1932/33, 228–280;
ren Leone Battista Albertis, in: ZfbK (Bei- Jan van Eyck’s »Arnolfini« Portrait, in: BM,
lage), 50 (26), 1915, 505–516; Das Problem des 64, 1934, 117–127; Et in Arcadia ego. On the
Stils in der bildenden Kunst, in: ZfÄaK, 10, Conception of Transience in Poussin and
1915, 460–467; Raffael und die Fresken in der Watteau, in: Philosophy and History. Essays
Dombibliothek zu Siena, in: RfKw, 37, 1915, presented to Ernst Cassirer, Ox 1936, 223–
267–291; Die Scala Regia im Vatikan und die 254; On Movies, in: Princeton University.
Kunstanschauungen Berninis, in: JbPK, 1919, Department of Art and Archaeology. Bulletin,
241–278; Der Begriff des Kunstwollens, in: 1936, 5–15; The First Two Projects of
ZfÄaK, 14, 1920, 321–339; Dürers Darstellun- Michelangelo’s Tomb of Julius II, in: ArtB, 19,
gen des Apollo und ihr Verhältnis zu Barbari, 1937, 561–579; Style and Medium in the Mo-
in: JbPK, 1920, 359–377; Der Westbau des ving Pictures, in: Transition, 26, 1937, 121–133;
Doms zu Minden, in: RfKw, 42, 1920, 51–77; Studies in Iconology. Humanistic Themes in
Die Entwicklung der Proportionslehre als the Art of the Renaissance, NY 1939 (dt.
Abbild der Stilentwicklung, in: MfKw, 14, 1980); Reintegration of a Book of Hours
1921, 188–219; Dürers »Melencolia I«. Eine executed in the Workshop of the »Maître des
quellen- und typengeschichtliche Untersu- Grandes Heures de Rohan«, in: Medieval
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Passavant, Johann David


Geb. 18. 9. 1787 in Frankfurt/Main; gest. 12. 8. 1861 in Frankfurt/Main

Unter den zahllosen Literaten, Kritikern und Historikern, die über Raffael, den
noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein gerühmten »göttlichen« Meister, nachge-
dacht und geschrieben haben, nimmt P. einen besonderen Platz ein. Sein dreibändi-
ges Werk Raffael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi ist eine Monographie mit
kritischem Werkverzeichnis, die schon modernen wissenschaftlichen Ansprüchen
genügt. Neben  Rumohr,  Waagen oder dem Engländer Charles L. Eastlake
(1793–1865), den er in Italien kennenlernte, gehört P. zu den ersten »Kennern«
unter den Kunsthistorikern. Sein Weg zu Raffael führte über die Autopsie der
Werke. Diese Haltung zur Kunst, die nur das authentische Original gelten läßt,
brachte ihn folgerichtig ins Museum und zum Kunstsammeln. Als Inspektor des
Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt/Main profilierte sich P. zu einem der ersten
wissenschaftlich ausgerichteten Museumsdirektoren.
Nach dem Willen des Vaters sollte P. Tuchhändler werden. 1803–13 absolvierte er
eine Lehre im elterlichen Haus und in den letzten vier Jahren in einer Pariser Bank.
Prägend wurde für ihn die Begegnung mit den Meisterwerken der europäischen
Kunst im Musée Napoleon; dort lernte er die frühe italienische, deutsche und nie-
derländische Malerei und nicht zuletzt Raffael kennen. Durch eine Jugendfreund-
schaft (1792/93) mit Franz Pforr stellten sich früh Kontakte zum Lukasbund und
Passavant 321

den deutschen Künstlern in Rom her. Den Schritt ins Künstlerdasein tat P. jedoch
in Paris; 1815–17 studierte er in den Ateliers von Jacques-Louis David und Antoine
Gros. 1817 reiste er nach Italien. In Rom schloß er sich den Nazarenern an, malte
anfangs noch einige Gemälde, verlegte sich aber immer mehr auf das Schreiben;
1821 wurde er auf Empfehlung Rumohrs Korrespondent des  Schornschen
Kunstblattes. Seine erste größere, aus Anlaß der Kunstausstellung im Palazzo Caffa-
relli 1819 geschriebene Arbeit trägt den weitschweifigen Titel Ansichten über die bil-
denden Künste und Darstellung des Ganges derselben in Toskana. Zur Bestimmung des
Gesichtspunktes, aus welchem die neudeutsche Malerschule zu betrachten ist. Von einem
deutschen Künstler in Rom. Ihre Bedeutung liegt in den Aussagen zur Gegenwarts-
kunst. P. erweist sich hier als Propagandist, als der »heimliche Parteisekretär«
( Waetzoldt) der Nazarener und ihrer Kunstanschauungen.
In Italien wurde aus dem Künstler ein Gelehrter. Ein intensives Studium der
Werke  Winckelmanns weckte das kunsthistorische Interesse, und von Einfluß
dürfte auch die Vorliebe der nazarenischen Malerfreunde für die Kunst des Spätmit-
telalters und der Frührenaissance gewesen sein. Das Methodische lernte P. von
 Rumohr, der ihn auch in die italienische Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts
einführte, und der Historiker Johann Friedrich Böhmer machte ihn mit den schrift-
lichen Quellen vertraut.
1824 kehrte P. nach Frankfurt zurück. 1829 begannen seine 10jährigen Raffael-
Forschungen, die mit ausgedehnten Reisen nach Berlin, Dresden, Paris, London
und einem zweiten Italienaufenthalt 1834–36 verbunden waren: P. wollte jedes er-
reichbare Werk mit eigenen Augen gesehen haben; nur so schien das Ziel erreichbar,
die authentischen von den vermeintlichen Werken des Meisters zu scheiden. Allein
die Zeichnungen Raffaels reduzierte P. um 1000 Blätter. Das Resultat dieser stilkri-
tischen Arbeit fand seinen Niederschlag im 2. Band, wo die Gemälde, die Zeich-
nungen, die Kupferstiche nach Raffael und die ihm zugeschriebenen Werke in einer
bis dahin unbekannten Ausführlichkeit und Präzision aufgeführt und kommentiert
sind. Während hier nur die Fakten sprechen, beschreibt P. im 1. Band Leben und
künstlerische Entwicklung Raffaels; er interpretiert und wertet. Der Ton ist wärmer,
die Aussage subjektiver. Hier begründet P. sein Engagement: »Raffael Santi aus Ur-
bino ist anerkannt der schönste Genius der modernen Kunst; daher denn auch kein
Künstlerleben jener Epoche, in der er leuchtete, ein höheres Interesse für die Kul-
tur- und Kunstgeschichte darbietet, als das seine.« Aus den Forschungen für das
Verzeichnis der graphischen Reproduktionen nach Raffaels Gemälden erwuchs das
zweite Hauptwerk P.s Le peintre-graveur, das, als eine Ergänzung des gleichnamigen
21bändigen Vorgängers (1821) von  Bartsch gedacht, ein eigenständiges Standard-
werk zur europäischen Druckgraphik des 15./16. Jahrhunderts geworden ist.
Während seiner Amtszeit als Leiter des Städelschen Kunstinstituts von 1840 bis zu
seinem Tod gab P. der Kunstsammlung ein neues, kunstgeschichtliches Profil. Un-
ter seinen teilweise spektakulären Erwerbungen fallen besonders die Zeichnungen
von Mantegna, Raffael, Schongauer, Dürer, Holbein, Rembrandt, Poussin ins Ge-
wicht.
322 Passavant

Werke: Ansichten über die bildenden Kün- Santi, 3. Teil. Mit fünf Abbildungen, Lpz 1858;
ste und Darstellung des Ganges derselben in Raphael d’Urbin et son père Giovanni Santi,
Toskana. Zur Bestimmung des Gesichtspunk- 2 Bde., Paris 1860 (engl. 1872, ital. 1882); Le
tes, aus welchem die neudeutsche Maler- peintre-graveur, 6 Bde., Lpz 1860–64
schule zu betrachten ist.Von einem deutschen Literatur: Eastlake, Charles L.: Rez. von
Künstler in Rom, Hei/Speyer 1820; Über ei- »Raffael von Urbino und sein Vater Giovanni
nige in England befindliche Werke von Leo- Santi«, in: The Quarterly Review, 1840, 1–48;
nardo, Michelangelo und Raffael, in: Kbl, Cornill, Adolph: J.D.P. Ein Lebensbild, Frf
1832, H. 66–74; Kunstreise durch England 1864/65; Waetzoldt 1924, 14–29; Schröter,
und Belgien nebst einem Bericht über den Elisabeth: Raffael-Kult und Raffael-For-
Bau des Domturms zu Frankfurt am Main, schung. J.D.P. und seine Raffael-Monogra-
Frf 1833; Beiträge zur Geschichte der alten phie im Kontext der Kunst und Kunstge-
Malerschulen in der Lombardei, in: Kbl, 1938, schichte seiner Zeit, in: KJbBH, 1990, 303–
H. 66–75; Raffael von Urbino und sein Vater 399; Scarpati, Maria Antonietta/Tarditi, Laura:
Giovanni Santi. In zwei Teilen mit vierzehn Raffaello nella critica d’arte ottocentesca at-
Abbildungen (2 Textbde., 1 Tafelbd.), Lpz traverso l’opera di J.D.P., in: Raffaello e
1839; Beiträge zur Kenntnis der altniederlän- l’Europa. Atti del IV Corso Internazionale di
dischen Malerschule des 15. und 16. Jh.s, in: Alta Cultura, Rom 1990, 757–782; Beyrodt,
Kbl, 1841, H. 3–5, 9–13; Beiträge zur Kenntnis Wolfgang: Kunstreisen durch England. An-
der alten Malerschulen in Deutschland vom merkungen zu J.D.P. und Gustav Friedrich
13. bis in das 16. Jh., in: Kbl, 1841, H. 87–104; Waagen, in: ZDVKw, 46, 1992, 55–58; AKat.
Beiträge zur Kenntnis der altniederländischen Von Kunst und Kennerschaft. Die Graphi-
Malerei bis zur Mitte des 16. Jh.s, in: Kbl, sche Sammlung im Städelschen Kunstinstitut
1843, H. 54–63; Verzeichnis der öffentlich unter J.D.P. 1840–61, Städelsches Kunstinstitut
ausgestellten Kunst-Gegenstände des Städel- und Städtische Galerie (Graphische Samm-
schen Kunstinstituts neu bearbeitet, Frf 1844; lung), Frf 1995; MacGregor, Neil: P. and Lady
Die christliche Kunst in Spanien, Lpz 1853; Eastlake. Art History, Friendship and Ro-
Eine Wanderung durch die Gemäldesamm- mance, in: FS Margret Stuffmann, Mainz
lung des Städelschen Kunstinstituts, Frf 1855; 1996, 166–174
Raffael von Urbino und sein Vater Giovanni PB

Pauli, Gustav
Geb. 2. 2. 1866 in Bremen; gest. 18. 7. 1938 in München

Als einer der Erneuerer im Museumswesen wie in der Auffassung von der Kunst-
geschichte des 19. Jahrhunderts, die am Beginn des vorigen Jahrhunderts aktiv
wurden, wird P. stets, wenn auch gleichsam in der zweiten Reihe, genannt. Aufge-
schlossenheit für die Entfaltung der bürgerlichen Kultur und Abneigung gegen
Umwälzungen, die das 20. Jahrhundert mit sich brachte, Bejahung von Rationalität
und Anfälligkeit für romantischen Irrationalismus, Hochachtung für französische
Malerei bis zum Impressionismus, von dem er freilich annahm, er werde nie eine
breite Zustimmung finden, und andererseits nationalistische Ideen über Rassenge-
gensätze führten bei ihm zu widersprüchlichen Einstellungen.
Dem Angehörigen des hanseatischen Patriziats kamen immer wieder Standesbe-
ziehungen zugute, die er auch für seine Bemühungen um die Kunstpflege zu nutzen
wußte. Sein Vater, ein kalvinistischer Rechtsanwalt, wurde 1872 in den Bremer Se-
nat gewählt. Er holte bei  Springer Rat ein wegen des Studiums seines Sohnes,
das dieser 1885 bei  Janitschek in Straßburg aufnahm und bei Springer in Leipzig,
Pauli 323

einschließlich eines Semesters bei  Burckhardt in Basel, bis 1889 fortsetzte. P. pro-
movierte über Bremer Renaissancearchitektur, wozu er auch Studienreisen nach
Belgien und Italien unternahm. 1890 wurde er »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« am
Kupferstichkabinett in Dresden und begann sich mit der Graphik der Behams zu
beschäftigen. Militärdienst und eine Tbc, die er vier Jahre lang in Sanatorien ausku-
rieren mußte, beendeten diese Tätigkeit. 1894–97 betreute er die Bibliothek der
Dresdner Kunstakademie und 1897–99 die hervorragende Graphiksammlung des
Prinzen Georg von Sachsen sowie die Bibliothek des Königs Albert. Zu jährlichen
Italienreisen kamen solche nach Paris ab 1895 (nach Kriegsausbruch 1914 nie wie-
der!) und nach London ab 1897 hinzu.
Der Kunstverein seiner Heimatstadt berief ihn 1899 zum Direktor der Kunst-
halle, für die ein Erweiterungs- und Neubau im Gange war. Er erwirkte die finan-
zielle Förderung des Senats für dieses Museum, dessen Sammlung er, nicht zuletzt
durch die Gewinnung von Stiftern, qualitätsbewußt um regionale, vor allem Worps-
weder, deutsche und auch französische Kunst erweiterte. Er trug zur Aufstellung
öffentlicher Plastik von Hildebrand und Tuaillon in Bremen bei, setzte sich für ge-
schmacksbildende Kunsterziehung, auch durch Lichtbildervorträge für Arbeiter ein,
war 1904 an der Gründung des Deutschen Künstlerbundes und an der Auswahl für
die »Jahrhundertausstellung« 1906 in der Berliner Nationalgalerie beteiligt. Jeden
Sommer unterrichtete er sich in allen deutschen Kunstzentren über die aktuelle
Kunst. Er schrieb ständig über neuere wie ältere Kunst und kulturpolitische Streit-
fragen in Fachzeitschriften, besonders in Kunst und Künstler und redigierte ab 1908
das neue Jahrbuch der bremischen Sammlungen. Seine Erwerbung eines Gemäldes von
van Gogh, in dem er einen germanischen Künstler erblickte, löste 1912 den berüch-
tigten Protest deutscher Künstler gegen Überfremdung und Benachteiligung aus, den
der von ihm mehrmals ausgestellte »Heimatkünstler« Carl Vinnen organisiert hatte,
und nach einer vielstündigen Diskussion gegen die Künstlerbund-Ausstellung von
1912 in seiner Kunsthalle mußte er eine Beleidigungsklage des Mannheimer
Rechtsanwalts und Kunstbuchautors Theodor Alt (Die Herabwertung der deutschen
Kunst durch die Parteigänger des Impressionismus, 1911) abwehren.
Der befreundete Maler Leopold von Kalckreuth überredete P., 1914 die Nach-
folge  Lichtwarks als Leiter der Hamburger Kunsthalle anzutreten und dessen
Museums- und Bildungsarbeit fortzuführen. Er verlagerte die Akzente allerdings
von der hamburgischen Kunst stärker auf die gesamtdeutsche und internationale
und katalogisierte mit seinen Mitarbeitern die Graphische Sammlung. Die Standes-
gleichheit erleichterte ihm das gute Verhältnis zu  Aby Warburg und dessen kul-
turwissenschaftlicher Bibliothek wie zu  Panofsky, die er beide noch 1936, unbe-
rührt vom staatsoffiziellen Antisemitismus, in seinen Erinnerungen würdigte. Der
Ankauf von Manets Bild Nana, das Konservativen immer noch zu frivol, zu formlos,
undeutsch und zu teuer war, kostete ihn 1924 beinahe die Stellung. Mit retrospek-
tiven Ausstellungen deutscher Kunst schlug er 1922 und 1930 Brücken nach Stock-
holm und Helsinki. Für die Propyläen-Kunstgeschichte bearbeitete er 1925 Klassizismus
und Romantik, und 1928 las er ein Semester in Harvard. 1933 pensioniert, vollen-
dete er eine seit langem geplante Geschichte der deutschen Kunst des 19. Jahrhun-
derts in Gestalt eines 4. Bandes zu  Dehios Darstellung der älteren Perioden, und
324 Pauli

1935 führte den fast 70jährigen P. ein wahrer Parforceritt von Vorträgen durch 21
Bundesstaaten der USA, wo er die Wolkenkratzer und in San Francisco Diego Ri-
veras Fresken bewunderte.
An P.s Alterswerk, der flüssig geschriebenen, die einzelnen Werke einprägsam
kennzeichnenden und entschiedene Wertungen nicht scheuenden Darstellung der
deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, treten Vorzüge und Grenzen seines wissen-
schaftlichen Profils noch einmal zutage. Er ordnete sein Material nach Klassizismus,
Romantik und Naturalismus als durchgehende Richtungen, die er allesamt schätzte,
widmete aber der »Kunstpflege«, den Einwirkungen der verschiedenen sozialen
Schichten auf den Verlauf der Kunstgeschichte eine damals noch ungewöhnliche
Beachtung. Er räumte auch Phänomenen, die er nicht guthieß, sei es das Kommuni-
stische Manifest von Marx und Engels, sei es der Kunstdespotismus Wilhelms II., hi-
storische Bedeutung ein. Münchner Kunst und Kunstleben kamen bei ihm immer
besser weg als Berlin, aber er nannte Menzel die zentrale Persönlichkeit der deut-
schen Malerei des Jahrhunderts und hob Liebermann wie auch Käthe Kollwitz
hervor. Anton von Werner würdigte er keiner Abbildung. Obwohl sein Thema das
19. Jahrhundert war, führte er die Darstellung fast bis zur Gegenwart. Der letzte
bildende Künstler, den er eingehend behandelte, war Barlach, in dem er einen wie-
dererstandenen Romantiker sah, und er kreidete es der »Zerfahrenheit einer ihrer
selbst nicht mehr bewußten Kultur« an, daß dieser in seiner Heimat als Fremdling
angefeindet wurde. Wie bei seinen Ankäufen für die Hamburger Kunsthalle akzep-
tierte er mit sicherem Urteil auch vom grundsätzlich abgelehnten Expressionismus
das Beste. Wenn er auch stets die »Massen« verabscheute, rang er doch mit sich selbst
um Verständnis dafür, daß in Deutschland, Italien und Rußland der »sogenannte
vierte Stand«, Bauern und Arbeiter, gesiegt hätten und »die Epoche einer liberalen
individualistischen Kultur schicksalhaft von einer kollektivistischen Epoche abgelöst
wird«. Skeptisch gegenüber der bildenden Kunst setzte er, der mit Architekturge-
schichte angefangen hatte, nun seine Hoffnung auf die Rationalität der Architektur,
die wie in früheren Zeiten wieder den Vorrang errungen habe, und der er bis zu
Bruno Taut, Gropius und Mies van der Rohe zustimmend nachging.
Werke: Jakob Burckhardt, in: ZfbK, 33 (9), Frf 1914/15; Der Krieg und die deutsche
1898, 97–101; Raffael und Manet, in: MfKw, Kunst, Hbg 1915; Philipp Otto Runge im
1, 1908, 53–55; Hans Sebald Beham. Ein kri- Spiegel unserer Zeit, in: KtKtler, 14, 1915/16,
tisches Verzeichnis seiner Kupferstiche, Ra- 433–449; Philipp Otto Runges Zeichnungen
dierungen und Holzschnitte, Str 1901 (Nd. und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu
1974); Die dekorativen Skulpturen der Re- Hamburg, Bln 1916; Werden und Vergehen
naissance am Bremer Rathause und ihre Vor- des Impressionismus, in: ZfbK, 54 (30),
bilder, in: Jb. d. brem. Slg.n, 1908, 2, 26–33; 1918/19, 45–67; Paula Modersohn-Becker,
Die moderne Galerie, in: KtKtler, 9, 1910/11, Lpz 1919; Die Kunst und die Revolution, Bln
297–300; Barthel Beham. Ein kritisches Ver- 1921; Dürer, Italien und die Antike, in: VBW
zeichnis seiner Kupferstiche, Str 1911; Die (1921/22), 1923, 51–68; Klassizismus und Ro-
Denkmäler von Bismarck und Moltke in mantik, Bln 1925; Der Barbara-Altar des Mei-
Bremen, in: Jb. d. brem. Slg.n, 1911, 1, 20–34; ster Francke, in: ZfbK, 59 (35), 1925/26, 106–
Max Liebermann, Stg/Lpz 1911; Die Aufga- 115; Das neunzehnte Jahrhundert (Bd. 4 der
ben des modernen Kunstmuseums, Bremen »Geschichte der deutschen Kunst« von Georg
1912; Venedig, Lpz 1913; Zeichnungen alter Dehio), 2 Bde., Bln/Lpz 1934; Erinnerungen
Meister in der Kunsthalle zu Bremen, 2 Bde., aus sieben Jahrzehnten, Tü 1936
Pauli 325

Literatur: Dirksen, Viktor: G.P., in: Muse- moderne Kunstmuseum, in: Henrike Junge
umskunde, 10, 1938, 135–139; Heise, Carl Ge- (Hrsg.), Avantgarde und Publikum. Zur Re-
org: G.P. zum Gedächtnis, in: JbHK, 1966, 7– zeption avantgardistischer Kunst in Deutsch-
14; Tolnay, Charles de: Erinnerung an G.P. land 1905–33, Köln/Wei/Wien 1992, 235–242;
und an meine Hamburger Jahre, in: JbHK, Wendland 1999, 497–504
1974, 7–12; Salzmann, Siegfried: G.P. und das PHF

Pecht, Friedrich
Geb. 2. 10. 1814 in Konstanz; gest. 24. 4. 1903 in München

Als einer der produktivsten und damit wirksamsten deutschen Kunstkritiker seiner
Zeit war P. neben Ludwig Pietsch (1824–1911) und in Konkurrenz zu dem jüngeren
 Adolf Rosenberg auch meinungsbildend für die beginnende Kunstgeschichts-
schreibung über das 19. Jahrhundert, ehe diese durch  Gurlitt,  Muther,
 Meier-Graefe und andere eine Wendung nahm. Seiner Ausbildung nach Maler
und Zeichner, hielt er es immer für ein Unglück, daß die Kunstkritik in den Hän-
den von Nichtkünstlern liege, die dem Werdenden in der Kunst nur selten Verständ-
nis entgegenbrächten. Er übersah dabei, daß er selbst feststellte, »wie wenig die
Künstler jemals die Kritik anders denn persönlich aufzufassen oder überhaupt nur
unbefangen zu lesen verstehen«.
P. arbeitete schon als Kind in der lithographischen Anstalt seines aus der Schweiz
stammenden Vaters mit. 1833 studierte er den Steindruck an der Akademie in Mün-
chen, arbeitete dann in der Firma von Franz Hanfstaengl, für die er, um Porträts
wichtiger Zeitgenossen zu zeichnen, 1836 nach Dresden und Berlin, 1837–39 nach
Leipzig ging. 1839–41 studierte er Malerei bei Paul Delaroche in Paris. Er wechselte
häufig den Wohnsitz zwischen München, Leipzig und Dresden, reiste 1847 erstmals
nach Italien, meinte in den Revolutionstagen 1848 auswandern zu müssen, besuchte
aber nur London, um dann in der Frankfurter Paulskirchenversammlung Porträts
und Karikaturen zu zeichnen. Alles das trug ihm viele Bekanntschaften ein. Seit
1854 lebte er im wesentlichen in München, obwohl er auch in Karlsruhe künstleri-
sche Aufträge erhielt und 1866 badischer Hofmaler wurde. 1883 stellte er das Malen
ein. Ab 1885 gab er die neue, weit verbreitete Zeitschrift Kunst für Alle heraus.
Ein Reisebuch über Italien in Briefform (Südfrüchte) trug dazu bei, daß P. 1854
von der Augsburger Allgemeinen Zeitung, dem wichtigsten überregionalen Blatt, mit
der Kunstberichterstattung betraut wurde. Nach 1861 kamen Beiträge für weitere
Zeitungen, auch in Leipzig, später Berlin, und für Fachzeitschriften wie Recensionen
(Wien), Zeitschrift für bildende Kunst, Deutsches Kunstblatt hinzu, die zum Teil in Bro-
schüren zusammengefaßt oder in den Sammelbänden Deutsche Künstler des neun-
zehnten Jahrhunderts (1877–85) nachgedruckt wurden und die Grundlage zu einigen
Büchern bildeten. Die von Michael Bringmann erarbeitete Bibliographie P.s führt
1660 Titel auf.
P. ging nicht in Archive, sondern stützte sich nur auf seine Beobachtung des
Ausstellungswesens oder Baugeschehens, die umtriebige Teilnahme am Kunstleben,
im Münchener Kunstverein und ab 1876 im Bayerischen Kunstgewerbeverein, so-
326 Pecht

wie auf Gespräche und Korrespondenz mit Künstlern. Er nahm leidenschaftlich


Partei gegen Klassizismus und Romantik, einschließlich der Düsseldorfer Schule,
und verstand sich zunächst als »literarischer Vertreter« des neuen Realismus, den er
allerdings in Piloty verkörpert sah. Energisch trat er, auch aus Lokalpatriotismus, in
den 1870er Jahren für das Münchener Kunstgewerbe ein. Anfängliche Sympathie
für die Revolution von 1848 – er war mit Richard Wagner und Heinrich Heine
befreundet – war in Enttäuschung, Nationalismus, Franzosenverachtung, Antisemi-
tismus und Abscheu vor der Sozialdemokratie umgeschlagen. Zu Preußen und dem
Reich von 1871 gewann er allerdings nur zögernd ein positives Verhältnis, das stets
reserviert blieb. Dies alles beeinflußte seinen nicht sehr präzisen Kunstbegriff und
seine Ansicht von der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. So meinte er, daß Kunst
eine sittliche und versöhnende Wirkung haben müsse und Kunstgenuß heutzutage,
1864, »vorzugsweise die Form für den Gottesdienst der Gebildeten« sei. Er ließ
Naturalismus und Impressionismus nicht gelten und machte in dieser Hinsicht erst
nach 1885, zum Beispiel hinsichtlich Fritz von Uhdes, sowie durch Aufnahme auch
abweichender Meinungen in seine Zeitschrift Kunst für Alle gewisse Zugeständ-
nisse.
Werke: Südfrüchte. Skizzenbuch eines Ma- der Münchner Kunst im 19. Jh., Mü 1888;
lers, 2 Bde., Lpz 1853; Über Idealismus und Aus meiner Zeit. Lebenserinnerungen, 2
Realismus in der deutschen Kunst, in: WMh, Bde., Mü 1894; Die deutsche Kunst an der
2, 1857, 441–451;Venedigs Kunstschätze, Triest Wende des Jh.s., in: Die Kunst, 1, 1900, 157–
1860; Deutsche Künstler des 19. Jh.s. Studien 161, 169–172, 539–549
und Erinnerungen, Nördlingen 1877–85; Et- Literatur: Bringmann, Michael: F.P., Maß-
was über moderne Profanhistorienmalerei, in: stäbe der deutschen Kunstkritik zwischen
DtKbl, 1, 1881/82, 2–4; Die Kgl. Pinakothek 1850 und 1900, Bln 1982 (Bibliogr.); Koch,
älterer Meister zu München in Photogra- Michael: Rez. von Michael Bringmann, F. P.,
phien, Mü 1882; Geschichte der neueren in: ZfKg, 47, 1984, 141–148
deutschen Kunst, hrsg. v. Franz Reber, 2. PHF
Aufl., 3. Bd., Lpz 1884 (204–477); Geschichte

Pevsner, Sir Nikolaus


Geb. 30. 1. 1902 in Leipzig; gest. 18. 8. 1983 in London

Vielfältige Leistungen zur Verbreitung einer höheren Wertschätzung für alte wie
moderne Kunst und damit auch für die Bewahrung von Kunstwerken machen P.s
große Bedeutung in der jüngeren Geschichte des Faches aus. Da ihn das NS-Re-
gime aus Deutschland vertrieb, kam seine staunenswerte Arbeitskraft in erster Linie
der Kunstwissenschaft und der Öffentlichkeit in England zugute.
Der in jungen Jahren zum Protestantismus konvertierte Sohn eines wohlhaben-
den russisch-jüdischen Pelzhändlers und einer kultivierten Mutter studierte Kunst-
geschichte in München, Berlin, Frankfurt und vor allem in Leipzig, wo er 1924 bei
 Pinder, den er auch später hochachtete, über Leipziger Barockarchitektur pro-
movierte, um anschließend als Assistent in der Dresdner Gemäldegalerie zu arbeiten.
Obwohl er sich besonders mit Renaissance- und Barockmalerei befaßte und dafür
intensiv in Italien reiste, schrieb er 1926 im Dresdner Anzeiger auch 14 Artikel über
Pevsner 327

die gerade stattfindende Internationale Ausstellung von Gegenwartskunst. 1928 er-


schien bereits sein Beitrag zum Handbuch der Kunstwissenschaft. Nach der Habilita-
tion bei  Graf Vitzthum in Göttingen wurde er dort 1929 Privatdozent und be-
gann, sich auch mit der Kunst des 19. Jahrhunderts sowie der Architektur der
Gegenwart zu beschäftigen. In Deutschland trotz teilweiser Zustimmung zur
NS-Politik entlassen, hielt er 1933–34 Gastvorlesungen über Barockmalerei am
Courtauld Institute in London, bekam eine Stelle als Forschungsassistent am Wirt-
schaftswissenschaftlichen Institut der Universität Birmingham, um über die Entste-
hungsgeschichte des Industriedesigns zu arbeiten, entschloß sich aber erst 1935 zur
Emigration. Ein Aufsatz erschien noch 1936 in Deutschland, gleichzeitig kam be-
reits in London und New York das Buch Pioneers of the Modern Movement heraus, das
später mehrmals überarbeitet wurde und seinen Weltruhm begründen sollte. Den
Lebensunterhalt seiner fünfköpfigen Familie sicherte ein Beratervertrag für eine
Möbelfirma. Bei Kriegsausbruch wurde P. kurzzeitig als feindlicher Ausländer inter-
niert, konnte aber dann nicht nur als Luftschutzwart wirken und in den Wartezeiten
zwei stofflich weitausgreifende Bücher schreiben, die ebenfalls zu seinen Hauptlei-
stungen zählen, sondern begann 1942, zunächst in Abendkursen, eine Lehrtätigkeit
am Birkbeck College der Universität London und wurde vertretungsweise mit der
Redaktion der Architectural Review betraut.
Nach dem Krieg lehrte P. auch zeitweise in Cambridge, hielt viele Vorträge im
Rundfunk, gab seit 1953 die Pelican History of Art heraus, die international an die
Stelle des deutschen Handbuchs der Kunstwissenschaft aus den 1920er/1930er Jahren
trat und mit der bald darauf erscheinenden neuen Propyläen-Kunstgeschichte wettei-
ferte, widmete sich aber seit 1951 vor allem den 46 Bänden der Buildings of England,
von denen er bis 1974 selbst 38 bearbeitete, 2 bis 3 pro Jahr. Sie waren – nach dem
Vorbild von  Dehios Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – die erste Kurzinven-
tarisierung des Landes und sowohl für Wissenschaftler als auch für interessierte
Laien gedacht. Nach Vorbereitung durch Mitarbeiter suchte P. die Kirchen, Land-
häuser und andere Denkmäler auf und schrieb noch am gleichen Abend seine
treffenden Wertungen. Die Aufmerksamkeit für schützenswertes Erbe sollte auch
die von ihm mitbegründete und 1963–76 geleitete Victorian Society wachhalten. P.
war ein wichtiger kritischer Partner in der in den 1960er Jahren einsetzenden Dis-
kussion über eine Neubewertung des eklektisch-historisierenden Bauschaffens im
späteren 19. Jahrhundert. Die Moderne, zum Beispiel das Bauhaus, die er weiter
verteidigte, wurde seit den 1970er Jahren, unter anderem von David Watkin, einem
seiner vielen Schüler, als Instrument eines totalitären Gesellschaftsmodells angegrif-
fen. P.s umfassende Kenntnis der Architekturgeschichte und seine flüssige, bildhafte,
das Wesentliche präzise erfassende Schreibweise bewährten sich auch noch in der
Fülle seiner Artikel im Penguin Dictionary of Architecture (1966), das für die deutsche
Ausgabe als Lexikon der Weltarchitektur (1971) stark erweitert wurde. Das Jahr 1969
brachte die Emeritierung am Birkbeck College und die Erhebung in den Adels-
stand, doch die Arbeit ging weiter. Erst die letzten Lebensjahre waren von schwerer
Krankheit überschattet.
Als der 26jährige P. die erste zusammenfassende Darstellung der Italienischen Ma-
lerei vom Ende der Renaissance bis zum ausgehenden Rokoko abschloß, für die er die
328 Pevsner

meisten Werke an ihrem Ort aufgesucht hatte, ging er stil- und geistesgeschichtlich
vor und beteiligte sich maßgeblich an der lebhaften Diskussion um die Kennzeich-
nung des Manierismus als eines eigenen Stils zwischen Renaissance und Barock,
den er im Gegensatz zu  Weisbach der Gegenreformation zuordnete. Ein charak-
teristischer Satz für P.s schon damals ausgeprägte Art, mit überraschenden Formu-
lierungen zu neuen Überlegungen anzuregen, steht am Ende seiner Ausführungen
zu Tiepolo: »Aber Voltaire ist nur die eine Seite des Rokoko, Bach die andere.« Kurz
danach wandte er sich den Problemen zu, die ihn von da an vorwiegend beschäf-
tigten: der Herausbildung der Moderne seit dem 19. Jahrhundert. Verstärkt ging er
auf gesellschaftsgeschichtliche Zusammenhänge der Kunstentwicklung ein und
bekannte sich zu einer »Kunstwissenschaft, die von vornherein das Ästhetische und
das Außerästhetische am Kunstwerk gleichmäßig berücksichtigt und sich damit
bereitwillig zum dienenden Gliede – allerdings einem nach eigenen Methoden
vorgehenden und kraft der einzigartigen Sinnfälligkeit ihrer Gegenstände höchst
bedeutsamen Gliede – einer lebendigen Geschichtswissenschaft macht, [...] die
nicht nur der reinen Erkenntnis, sondern durch diese zugleich der eigenen Gegen-
wart zu dienen gewillt ist« (Rez. zu Michalski, 1933).
In England entstanden neben der Untersuchung zur industriellen Formgebung
seit William Morris zahlreiche Aufsätze zu einzelnen Architekten des 18.–20. Jahr-
hunderts, zur Entstehung und kunstgeschichtlichen Bedeutung des englischen
»picturesque« Landschaftsgartens sowie das Standardwerk zur Geschichte der Kunst-
akademien (1940) und eine Geschichte der europäischen Architektur (1942), die in
späterer Erweiterung in mindestens 7 Sprachen übersetzt wurde. P.s Fähigkeit und
Freude, die wissenschaftliche Erkenntnis in einer zugleich allgemeinbildenden Weise
voranzutreiben, erwies sich in seinen Rundfunkvorträgen über The Englishness of
English Art (1956), ein Thema, das vorher nur  Frey (während des Krieges, aber
laut P. »völlig frei von feindseligen Bemerkungen«) behandelt hatte. P. sah den Na-
tionalcharakter, der weder ein Prokrustesbett noch eine Wünschelrute sei, als Ge-
genstand der Kunstgeographie an und maß dem historischen Wandel eine größere
Bedeutung als den Konstanten bei. »Stilgeschichte wie Kulturgeographie kann nur
dann [...] sich der Wahrheit nähern, wenn sie mit dem Begriff der Polarität arbeitet,
also einander anscheinend entgegengesetzte Eigenschaften paart.« Ein eindrucks-
volles Zeugnis für seine außerordentlichen Kenntnisse von der Weltgeschichte des
Bauens legte P. zum Abschluß seines Schaffens noch mit der History of Building Types
(1976) ab.
Werke: Gegenreformation und Manieris- koko, Pd 1928; Die Lehrjahre des Caravaggio,
mus, in: RfKw, 46, 1925, 243–262; Die Ge- in: ZfbK, 62 (38), 1928/29, 278–288; Gemein-
mälde des Giovanni Battista Crespi, gen. Ce- schaftsideale unter den bildenden Künstlern
rano, in: JbPK, 1925, 259–285 u. 1928, 48–49; des 19. Jh.s, in: DVjS, 9, 1931, 125–154; Die
Leipziger Barock. Die Baukunst der Barock- Wandlung um 1650 in der italienischen Ma-
zeit in Leipzig, Dr 1928; Beiträge zur Stilge- lerei, in: WJbfKg, 1932, 69–92; Rationelle Be-
schichte des Früh- und Hochbarock, in: bauungsweisen, in: ZfÄaK, 27, 1933, 86–89;
RfKw, 49, 1928, 225–246; Eine Revision der Rez. von Ernst Michalski, Die Bedeutung
Caravaggio-Daten, in: ZfbK, 61 (37), 1927/28, der ästhetischen Grenze (1932), in: ZfKg 2,
386–392; Die italienische Malerei vom Ende 1933, 40–44; Rez. von Aby Warburg, Gesam-
der Renaissance bis zum ausgehenden Ro- melte Schriften (1932), in: Theologische Lite-
Pevsner 329

raturzeitung, 58, 1933, 465–470; Zur Kunst 1965 (mit Maurice Besset, Hans Gerhard
der Goethezeit. Übersicht über das Schrift- Evers, Ludwig Grote); The Penguin Dictio-
tum des letzten Jahrzehntes, in: DVjS, 12, nary of Architecture (mit John Fleming u.
1934, 306–327; Some Notes on Abraham Hugh Honour), Harmondsworth 1966 (dt.
Janssens, in: BM, 69, 1936, 120–130; William 1971); L’Inghilterra e il Manierismo, in:
Morris, C.R. Ashbee und das 20. Jh., in: DVjS, L’ambiente spirituale del Manierismo, in:
14, 1936, 536–562; Pioneers of the Modern BPall, 9, 1967, 304–309; Studies in Art, Archi-
Movement from William Morris to Walter tecture, and Design, 2 Bde., Lo 1968 (dt.
Gropius, Lo 1936 (dt. 1957); An Enquiry into 1971); Some Architectural Writers of the Ni-
Industrial Art in England, Cam 1937; George neteenth Century, Ox 1972; The Genesis of
Walton. His Life and Work, in: Journal of the the Hotel, in: NKJb, 1977, 431–441; The Anti-
Royal Institute of British Architects, 46, 1939, Rationalists, Lo 1973 (mit J.M. Richards);
537–548; Academies of Art. Past and Present, The Picturesque Garden and its Influence
Cam 1940 (dt. 1984); An Outline of European outside the British Isles, Wa 1974; A History
Architecture, Harmondsworth 1942 (dt. 1957); of Building Types, Lo 1976
The Genesis of the Picturesque, in: Architec- Literatur: Concerning Architecture. Essays
tural Review, 96, 1944, 139–146; Richard on Architectural Writers and Writing presen-
Payne Knight, in: ArtB, 31, 1949, 293–320; ted to N.P., Lo 1968 (Bibliogr.); Barr, John
High Victorian Design. A Study of the Exhi- R.: Sir N.P. A Bibliography, Charlottesville
bits of 1851, Lo 1951; Schinkel, in: Journal of 1970 (mit Autobiogr.); N.P. A Symposium of
the Royal Institute of British Architects, 59, Tributes, in: Architectural Review, 174, 1983,
1952, 1, 89–96; The Englishness of English Nr. 1040, 4–5; Middleton, Robin: Sir N.P., in:
Art, Lo 1956 (dt. 1974); Palladio and Europe, BM, 126, 1984, S. 234, 237; Clifton-Taylor,
in: Arte Veneta, 10, 1956, 81–94; The Egyptian Alec: N.P., in: Architectural History, 28, 1985,
Revival, in: Architectural Review, 119, 1956, 1–6; Altmeister 1990, 189–202; Irace, Fulvio
242–254; Christopher Wren, Mailand 1958; (Hrsg.): N.P. La trama della storia, Mailand
Grünewald, NY/Lo/Zü 1958 (mit Michael 1992; Watkin, David: Sir N.P. A Study in »His-
Meier); Les sources du XXe siècle, Paris 1961 toricism«, in: Apollo, 136, 1992, 169–172;
(mit Jean Cassou u. Émile Langui); Modern Wendland 1999, 506–517; Games, Stephan: P.
Architecture and the Historian or the Return on Art and Architecture. The Radio Talks, Lo
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tute of British Architects, 68, 1961, 238–240 Aldershot 2004
(dt. in: Deutsche Bauzeitung, 66, 1961, 757– PHF
764); Historismus und bildende Kunst, Mü

Pinder,Wilhelm
Geb. 25. 6. 1878 in Kassel; gest. 3. 5. 1947 in Berlin

Sein Nationalismus und ein ideologisch geprägtes Wissenschaftsverständnis ließen P.


zu einem Mitläufer des Nationalsozialismus werden und verdunkeln seinen Ruf als
Kunsthistoriker. In einem 1935 verfaßten Artikel (Pflicht und Anspruch der Wissen-
schaft) trat er für eine Kunstgeschichte ein, die Volk und Staat dient und deren
Fragestellung »national sein muß«. Allerdings sollte die Kunstwissenschaft »ihrem
Wesen leben« dürfen; sobald die Forschungsrichtung bestimmt sei, könne es nur um
die Erkenntnis der Wahrheit gehen.
Eine Verletzung dieser Prämissen kann P. eigentlich nicht vorgeworfen werden,
wohl aber hat er sich nach 1930 von der Erkenntnisgewinnung zurückgezogen und
eine Verpflichtung darin gesehen, die deutsche Kunstgeschichte »umzuschreiben«,
das heißt, nach den ideologischen Bedürfnissen der Gegenwart zu deuten und zu
bewerten. Aber nicht erst sein umstrittenes spätes Hauptwerk (Vom Wesen und Wer-
330 Pinder

den deutscher Formen) wandte sich auch an den »Nichtfachmann«. Der über eine
große Wortgewalt gebietende P. hat als einer der meistgelesenen deutschsprachigen
Kunsthistoriker die Welt der Kunst für das große Publikum anziehend gemacht. Die
in der Reihe Blaue Bücher seit 1912 (Deutscher Barock) erschienenen Texte P.s er-
reichten eine Auflage von zwei Millionen Exemplaren. Sie waren sämtlich der
deutschen Kunst gewidmet. P. hat über kein anderes Thema geschrieben. So kritisch
man dieser Obsession und ihren Resultaten auch begegnen muß, bis dahin hatte die
Kunstgeschichtsforschung fast ausschließlich im Zeichen von Antike und Renais-
sance gestanden und die deutsche Kunst mit den Augen des »Klassischen« gesehen.
Bald nach der Jahrhundertwende bemühten sich  Dehio,  Heidrich,  Worrin-
ger,  Glaser,  Gerstenberg und nicht zuletzt P. um einen Neuansatz, der der
deutschen Kunst und ihrer Spezifik besser gerecht werden sollte. P. richtete sein
Augenmerk vor allem auf die spätmittelalterliche Plastik, die in ihm einen einfühl-
samen Interpreten fand.
In einem merkwürdigen Widerspruch zu seiner Neigung zum Künstlerischen
und Spirituellen stand P.s wacher Sinn für theoretische und methodologische Fra-
gen des Faches. Er stellte gegen die in kunstgeschichtlichen Büchern übliche einli-
nige Stilfolge, den »Gänsemarsch der Stile«, eine polyphone, in einem mehrdimen-
sionalen »Zeit-Raum« sich ereignende Kunstgeschichte. Ausgehend von der
formanalytischen Denkweise  Wölfflin-  Rieglscher Prägung verstand P. das
Kunstwerk als Form-Gebilde, jedoch nicht nur als das Resultat eines Sehvorganges,
sondern – dies verbindet ihn mit der geistesgeschichtlichen Kunstgeschichte – vor
allem als Objektivierung einer Gesinnung. Kunstgeschichte war für P. »Haltungsge-
schichte«. Positiv zu Buche schlägt auch P.s Engagement für die institutionellen
Belange des Faches. Er gehörte zu den Mitbegründern der Kritischen Berichte zur
kunsthistorischen Literatur (1927–38); seit 1933 leitete er den 1908 gegründeten Deut-
schen Verein für Kunstwissenschaft.
Seit 1896 studierte P. Kunstgeschichte in Göttingen, München und Berlin. 1903
promovierte er bei  Schmarsow in Leipzig, den er verehrte, über Innenräume
romanischer Kirchen in der Normandie. Nach der Habilitation 1905 zum selben
Thema begann eine 40jährige Universitätslaufbahn, die P. nach Würzburg (1905–11),
Darmstadt (bis 1916), Straßburg (1918), Breslau (1920/21), Leipzig (bis 1927), Mün-
chen (bis 1935) und schließlich auf den »Olymp« nach Berlin führte. 1945 wurde P.
vom Dienst suspendiert. Angebote der Universitäten Göttingen und Hamburg
konnte er nicht annehmen, da ihn die alliierten Behörden in Berlin festhielten.
Aufgrund einer Verwechslung mußte er für kurze Zeit ins Gefängnis, wo seine
Gesundheit so schweren Schaden nahm, daß er bald darauf starb.
Bis zu seiner Leipziger Zeit lag der Schwerpunkt von P.s Forschungsarbeit auf
der deutschen spätmittelalterlichen Bildhauerkunst. Wegweisend wurde eine 1911
erschienene Arbeit über die Würzburger Plastik des wenig geschätzten 14. Jahrhun-
derts, deren eigentümliche künstlerische Qualität P. als erster Kunsthistoriker sinn-
fällig machen konnte; er erkannte ihre entwicklungsgeschichtliche Bedeutung als
künstlerisch höchst aktive Übergangsphase vom »plastischen« Stil der Hochgotik
zum »malerischen« der Spätgotik. In den beiden Bänden des zwischen 1914 und
1928 in Lieferungen erschienenen Handbuchs der Kunstwissenschaft zum gleichen
Pinder 331

Thema (Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance)
versuchte P. die deutsche Gesamtentwicklung zu fassen. Dabei ging er streng form-
analytisch von den Objekten aus und interpretierte sie sowohl eingebunden in eine
immanente, eigendynamische Formentwicklung als auch in Korrelation zur psychi-
schen Befindlichkeit der Zeit. Auch hier stand das nach P.s Auffassung für die deut-
sche Kunstgeschichte fundamentale 14. Jahrhundert im Mittelpunkt, in dem sich
eine höchst eigenständige, gefühlsbetonte, bürgerliche Kunst herausbildete, die P. als
vollkommenen Ausdruck des deutschen Volkscharakters empfand.
Mit seiner wichtigen theoretischen Schrift Das Problem der Generation in der
Kunstgeschichte Europas (1926) leitete P. eine Debatte ein, die in den folgenden Jah-
ren alle Geisteswissenschaften erfaßte. Seine Hauptthese von der »Ungleichzeitigkeit
des Gleichzeitigen« lief auf eine Gliederung der Kunstgeschichte nach Generations-
abfolgen hinaus. Während er die Stilgeschichte als bloße Konstruktion, eine »sub-
jektive Perspektive«, hinstellte, plädierte er für eine generationsgeschichtliche Be-
trachtungsweise, die als »eine objektive Biologie« auf die »wirklichen Lebewesen«,
auf die »Biographien der Generationen«, abzielte. Diese würde sowohl die »reine
Künstlergeschichte« als auch die »allzu ›klare‹ Scheinordnung der einfachen Stil-
Folge« überwinden.
P. zufolge determinieren den Kunstprozeß relativ stetige (Kultur, Nation, Stamm,
Typus, Geographie) und zeitliche Faktoren; zu den letzteren, denen er ein inneres
aktives Prinzip, eine »Entelechie« zuschreibt, die »in geheimnisvollen Naturvorgän-
gen geboren« werden, zählt P. die »Künste«, das »Sprachliche«, die »Stile«, den »Ein-
zelnen«, die »Nation« und die »Generation«. Der Generationsfrage gilt hier zwar
sein Hauptaugenmerk, das Fazit lautet jedoch, »daß das kunstgeschichtliche Leben«
aus dem Zusammenwirken aller dieser »Entelechien« resultiert, die sich an den
äußeren Einflüssen, den konstanten Faktoren, reiben. P. sieht in der Kunstgeschichte
einen dem organischen Leben vergleichbaren Vorgang, ständig in Wandlung begrif-
fen, rätselhaft und nicht erklärbar oder ableitbar, nur durch Anschauung zu erfas-
sen.
P. war ein Hermeneutiker par excellence. Künstlerisch sehr begabt, besonders
musikalisch, und geprägt von der Lebensphilosophie und vom Neuidealismus, stand
er von Anfang an in Opposition zu einer an den Naturwissenschaften orientierten
Denkweise, auch lag ihm empirische Kärrnerarbeit nicht sonderlich. Im Lauf der
Jahre trat seine Neigung zum »Verstehen« und Deuten immer mehr in den Vorder-
grund. In seiner bereits erwähnten vierbändigen Geschichte der deutschen Kunst
mit dem programmatischen Titel Vom Wesen und Werden deutscher Formen. Geschicht-
liche Betrachtungen bekannte er freimütig, keine neuen Tatsachen zu bieten, sondern
die alten im Lichte der Gegenwart neu interpretieren zu wollen. Der große Kunst-
historiker P. verkommt zum Prediger und Propagandisten einer »gläubig [erwarte-
ten] Wiedergeburt Deutschlands«.
P. gehörte nicht zu denen, die Deutschland verließen oder sich in die »innere
Emigration« der reinen Sachforschung zurückzogen. Lange Zeit hielt er den Natio-
nalsozialismus für eine »nationale Bewegung« und »im Kern für echt«, für fähig, die
gesellschaftlichen Widersprüche, die Deutschland zu zerreißen drohten, zu lösen.
Der extremen Rechten blieb er allerdings seit seinem Eintreten für die Expressio-
332 Pinder

nisten verdächtig. Er mußte es sich gefallen lassen, von der SS-Wochenzeitung Das
schwarze Korps kritisch unter die Lupe genommen zu werden. Sein Buch Wesenszüge
deutscher Kunst (1940) interpretierte man als eine »verstohlen heimliche Verneigung
vor dem Artfremden«; es messe der »Christianisierung und dem mit ihr verbunde-
nen Kultureinfluß des Südens« eine zu große Bedeutung für die deutsche Ge-
schichte mit ihrem »nordischen Wesen« bei.
Werke: Einleitende Voruntersuchung zu ei- schichte, in: Deutsche Wissenschaft. Arbeit
ner Rhythmik romanischer Innenräume in und Aufgabe, Lpz 1939, 11–13; Wesenszüge
der Normandie, Str 1904; Zur Rhythmik ro- deutscher Kunst. Lpz 1940; Deutsche Wasser-
manischer Innenräume in der Normandie. burgen, KöT/Lpz 1940; Das Straßburger
Weitere Voruntersuchungen, Str 1905; Deut- Münster, Bln 1941; Georg Kolbe – Zeichnun-
sche Dome des Mittelalters, Dü/Lpz 1910; gen, Bln 1942; Sonderleistungen der deut-
Mittelalterliche Plastik Würzburgs. Ein Ver- schen Kunst. Festrede, Bln 1942; Rembrandts
such einer lokalen Entwicklungsgeschichte Selbstbildnisse, KöT/ Lpz 1943; Sonderlei-
vom Ende des 13. bis zum Anfang des 15. Jh.s, stungen der deutschen Kunst, Mü 1944; Von
Würzburg 1911; Deutscher Barock. Die gro- den Künsten und der Kunst, Bln/Mü 1948;
ßen Baumeister des 18. Jh.s, Dü/Lpz 1912; Aussagen zur Kunst, Köln 1949
Deutsche Burgen und feste Schlösser aus al- Literatur: Landsberger, Franz: Rez. von
len Ländern deutscher Zunge, KöT/Lpz 1913; »Das Problem der Generation«, in: KBLit, 1,
Große Bürgerbauten aus vier Jahrhunderten 1927/28, 33–37; Roh, Franz: dass., in: Ci, 19,
deutscher Vergangenheit, KöT/Lpz 1915; Die 1928, 521–522; Schrader, Hans: dass., in: DLZ,
deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter 49, 1928, 373–382; Eberlein, Karl Kurt: dass.,
bis zum Ende der Renaissance, 2 Bde., Pd in: HZ, 137, 1928, 257–266; Grisebach, Au-
1924/29; Die dichterische Wurzel der Pietà, gust: dass., in: RfKw, 49, 1928, 247–250; FS
in: RfKw, 42, 1920, 146–163; Die Pietà, Lpz W.P. zum 60. Geburtstag, Lpz 1938 (mit Bei-
1922; Der Naumburger Dom und der Meister trägen von Sedlmayr, Hetzer, Weigert, Groß,
seiner Bildwerke, Bln 1924; Der deutsche Keller, Heydenreich, Vöge); Jantzen, Hans:
Park, vornehmlich des 18. Jh.s, KöT/Lpz Nachruf auf W.P., in: ZfKw, 1, 1947, 73–76;
1926; Kunstgeschichte nach Generationen, in: Jantzen, Hans: In memoriam W.P., in: Jb-
Zwischen Philosophie und Kunst. Johannes BAdW, 1948, 178–179; Hamann, Richard:
Volkelt zum 100. Lehrsemester, Lpz 1926, 1– Nachruf auf W.P., in: JbAdW, 1950, 213–216;
16; Das Problem der Generation in der Kunst- Irmscher, Waltraud: Der ideologische Gehalt
geschichte Europas, Bln 1926 (Nd. 1961); Der der Geschichtskonzeption W.P.s, in: EGA, Bln
Bamberger Dom und seine Bildwerke, Bln 1975, Teil 1, 104–109; Irmscher, Waltraud: Der
1927; Zur Physiognomik des Manierismus, in: ideologische Gehalt der Geschichtsauffassung
FS Ludwig Klages, Lpz 1932, 148–156; Deut- W.P.s und seine Stellung innerhalb der bür-
sche Barockplastik, KöT/Lpz 1933; Das deut- gerlichen Kunstwissenschaft, Diss. Bln 1976;
sche Statuenportal des hohen Mittelalters, in: Lies, Dagmar Editha: Plastik als Gestaltung.
ACISt, 152–158; Was ist deutsch in der deut- W.P.s Aussagen zur deutschen Plastik in den
schen Kunst? Zu der Schrift von K.K. Eber- Jahren 1914–30, Bonn 1980; Halbertsma,
lein, in: ZfKg, 2, 1933, 405–407; Reden aus der Marlite: W.P. en de Duitse Kunstgeschiedenis,
Zeit, Lpz 1934;Vom Wesen und Werden deut- Groningen 1985 (dt. 1992); Suckale, Robert:
scher Formen. Geschichtliche Betrachtungen, W.P. und die deutsche Kunstwissenschaft
4 Bde., Lpz/Köln 1935–51 (Die Kunst der nach 1945, in: KB, 14, 1986, 4, 5–17; Dilly,
deutschen Kaiserzeit bis zum Ende der staufi- Heinrich: Rez. von Marlite Halbertsma, W.P.
schen Klassik, 1935; Die Kunst der ersten en de Duitse kunstgeschiedenis (1985), in:
Bürgerzeit bis zur Mitte des 15. Jh.s, 1937; Die KChr, 40, 1987, 444–450; Meyer, Klaus-Hein-
deutsche Kunst der Dürerzeit, 1939; Holbein rich: Der Deutsche W.P. und die Kunstwis-
der Jüngere und das Ende der altdeutschen senschaft nach 1945. Antwort auf Robert
Kunst, 1951); Georg Kolbe. Werke der letzten Suckale »W.P. und die deutsche Kunstwissen-
Jahre, Bln 1937; Gesammelte Aufsätze aus den schaft nach 1945«, in: KB, 15, 1987, 1, 41–48;
Jahren 1907–35, Lpz 1938; Deutsche Kunstge- Lersch, Thomas: Der Taufstein der Anti-
Pinder 333

Kunst. W.P. schüttelt den Flaschentrockner Kunstgeschichte an den Universitäten im


(26. Juni 1914), in: KChr, 42, 1989, 691–703; Nationalsozialismus, Gö 2003, 17–59; Hal-
Altmeister 1990, 235–248; Halbertsma, Mar- bertsma, Marlite: W.P. und das Problem der
lite: W.P. und die deutsche Kunstgeschichte, Generation in der Kunstgeschichte Europas,
Worms 1992; Held, Jutta: Kunstgeschichte im in: Christian Drude (Hrsg.), 200 Jahre Kunst-
Dritten Reich. W.P. und Hans Jantzen an der geschichte in München, Mü 2003, 139–145
Münchener Universität, in: dies. (Hrsg.), PB

Raczynski, Athanasius Graf


Geb. 2. 5. 1788 in Posen (Poznań, Polen); gest. 21. 8. 1874 in Berlin

Auch nach den Maßstäben des frühen 19. Jahrhunderts, als das Berufsbild des
Kunsthistorikers noch unscharf war, muß R. als Dilettant gelten, der Kunstge-
schichte nur nebenbei ohne wissenschaftlichen Anspruch trieb und sich dazu auch
bekannte. Wenn sich daher seine Geschichte der neueren deutschen Kunst mit der pro-
fessionellen Kunstgeschichtsschreibung der Zeit, der eines  Rumohr,  Kugler
oder  Schnaase, nicht messen kann, darf sie trotzdem einen Platz in der Disziplin-
geschichte beanspruchen, denn zum erstenmal fand hier die deutsche Kunstent-
wicklung vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende der Romantik eine zu-
sammenfassende Darstellung. Darüber hinaus kommt dem opulenten, reich
illustrierten Werk als historische Quelle zur Kunstentwicklung der 1820/30er Jahre,
die R. als Zeitzeuge begleitete, keine geringe Bedeutung zu.
R. war ein in Polen geborener erzkonservativer Aristokrat, der sich in jungen
Jahren sein Vaterland stark und frei wünschte; dann wurde er Wahlberliner und
preußischer Diplomat. Seit 1834 wohnte er mit seiner Kunstsammlung Unter den
Linden, seit 1847 in einem von Heinrich Strack entworfenen Palais am Branden-
burger Tor. Mit König Friedrich Wilhelm IV., der ihm freundschaftlich zugetan war,
teilte R. die Überzeugung von der staatstragenden Funktion der Kunst und ein
tiefes Misstrauen gegenüber jedem künstlerischen Neuerertum, das die traditionel-
len akademischen Normen in Frage stellte.
Zu Beginn seiner Sammeltätigkeit kaufte R. vor allem italienische Meister der
Renaissance, seit 1820 auch Werke von zeitgenössischen Künstlern wie dem »nor-
dischen Phidias« Bertel Thorvaldsen und den Nazarenern Peter Cornelius, Friedrich
Overbeck und Wilhelm Schadow, später auch von Kaulbach, Böcklin, Makart und
den führenden europäischen Historienmalern Delaroche und Gallait. In seiner
Sammlung wird man aber fast alle Namen vergeblich suchen, die aus heutiger Sicht
dem frühen 19. Jahrhundert das kunstgeschichtliche Profil gaben: Friedrich, Runge,
Delacroix. Auch Goya fehlt; was nicht verwundert, selbst wenn man bedenkt, dass
R., als er 1848–52 in Madrid lebte, seiner Kunst räumlich sehr nahe war.
R. schrieb sein auf eigene Kosten publiziertes Kunstgeschichtswerk in der Ab-
sicht, die geistigen Prämissen seines Kunstsammelns darzulegen und ein das Ver-
ständnis der Kunstwerke förderndes Wissen zu verbreiten; als Adligen leitete ihn
aber auch das Bestreben – dies war der Grund, warum gleichzeitig eine deutsche
und eine französische Ausgabe erschienen –, zur Verbreitung eines konservativen,
die politischen Verhältnisse stabilisierenden Kunstideals in Europa beizutragen.
334 Raczynski

Normative, zeitlose Gültigkeit erkannte R. der Antike und der Renaissance zu,
ihre Kunst verkörperte das »positiv Schöne«: »In diesen beiden Zeitaltern und in
diesen beiden vorbildlichen Richtungen der Kunst ist die Ausführung, selbst wenn
der Gedanke des Künstlers einen kühnen Aufschwung nimmt, niemals durch
Nachlässigkeit und Anmaßung entstellt. In einer Zeit, wie die unsrige, wo der
Hochmut, die Ungeduld, der Mangel an Ausdauer und Stetigkeit, der reißende
Strudel des Wahnes, der Abscheu vor jeglichem Zwange und Zaume so groß sind,
dürften diese Vorbilder den Künstlern und Kunstlehrern nicht genug zu empfehlen
sein.« So sehr R. davon überzeugt war, eine neue Kunstblüte zu erleben, beschwor
er als echter Konservativer immer wieder das Schreckensbild einer liberalen bürger-
lichen Gesellschaft, die die Kunst sich selbst überläßt, die sie aus ihrer dienenden
Rolle entlassen hat.
Im Mittelpunkt von R.s Publikation stehen die Kunstzentren Düsseldorf, Mün-
chen und Berlin mit ihrem weiteren Umfeld und ihren führenden Künstlern Wil-
helm Schadow, Kaulbach und Schinkel, ergänzt durch verschiedene Exkurse über
die zeitgenössische Kunst in Paris, in Italien, West- und Osteuropa, sogar in den
USA, sowie über Künstlerausbildung und Literatur. Für diese Beiträge engagierte
R. kompetente Fachleute wie  Förster,  Rumohr und Wilhelm Schadow, was
zeigt, daß er Wissenschaft und Erkenntnis mit Kunstgeschichtsschreibung nicht für
völlig unvereinbar hielt. Auch in seinem Kunsturteil war R. kein Doktrinär; er war
fähig, Künstler wie Blechen anzuerkennen, die jenseits seiner Wertmaßstäbe stan-
den, und es hat ihn offenbar nicht die feine Ironie gestört, mit der auf dem von
Menzel gestalteten Titelblatt des dritten Bandes die Antike, die Renaissance und die
in deren Bahnen wandelnde »neue deutsche Kunst« bedacht worden sind.
Nach dem Erscheinen seines Werkes wandte sich R. wieder der Diplomatie zu.
Nachdem er 1830–1834 Preußen in Kopenhagen vertreten hatte, tat er dies nun in
Portugal und Spanien, ohne allerdings die Kunstgeschichte aufzugeben. 1852 zog
sich R. in das Privatleben zurück. Sein Palais am Brandenburger Tor mußte 1883
dem Reichstagsgebäude weichen; die Sammlung gelangte für zwanzig Jahre in die
Nationalgalerie. Heute befindet sie sich in Poznań.

Werke: Geschichte der neueren deutschen 1788–1874, in: Mysl o sztuce, Warszawa 1976,
Kunst, 3 Bde., Bln 1836–41 (Histoire de l’art 235–251; Büttner, Frank: Athanasius Graf R.
moderne en Allemagne, 3 Bde., Paris 1836– als Apologet der Kunst seiner Zeit, in: AKat.
41); Les arts en Portugal, Paris 1846; Ge- Sammlung Graf R. Malerei der Spätromantik
schichtliche Forschungen von Athanasius R., aus dem Nationalmuseum Poznań, hrsg. v.
2 Bde., Bln 1860–63; Noch ist Polen nicht Konstanty Kalinowski u. Christoph Heil-
verloren. Aus den Tagebüchern des Athana- mann, Mü 1992, 45–60; R., Joseph Anton
sius R. 1788–1818, hrsg. v. Jozeph A. R., Bln Graf: Athanasius R., »Mitglied der europä-
1984 ischen Gesellschaft«, ebd., 11–17; Zuchowski,
Literatur: Börsch-Supan, Helmut: Die Tadeusz: Karl Friedrich Schinkel und Atha-
»Geschichte der neueren deutschen Kunst« nasius Graf R. Der Künstler und der Kunst-
von Athanasius Graf R., in: Beiträge zur Re- kenner, in: Lothar Hyss (Hrsg.), Schinkel in
zeption der Kunst des 19. und 20. Jh.s, Mü Schlesien, Königswinter 1995, 173–181
1975, 15–26; Dobrzycka, Anna: Atanazy R. PB
Raphael 335

Raphael, Max
Geb. 27. 8. 1889 in Schönlanke (Trszianka, Polen); gest. 14. 7. 1952 in New York

Außerhalb der institutionalisierten Fachdisziplin und schwer beeinträchtigt durch


das politische Geschehen während seiner Lebenszeit konnte R. sein weitausgreifen-
des wissenschaftliches Bemühen nur unvollständig verwirklichen. Ihm ging es nach
Anfängen unter dem Einfluß der idealistischen Lebensphilosophie zunehmend
darum, die Funktion von Kunst in der Gesellschaft sowohl praktisch gewichtiger zu
machen, als auch für die Vergangenheit dadurch genauer zu bestimmen, daß er die
Marxsche Methode des dialektischen Materialismus in selbständiger Weise auf seine
Gegenstände anwandte und damit fachspezifisch präzisierte. Erst nach seinem Tode
erweckten seine damit gewonnenen neuen Einsichten und seine Auffassung vom
Beruf des Kunstwissenschaftlers die verdiente größere Aufmerksamkeit.
Seit 1900 wuchs R. in Berlin auf. Er studierte nicht Jura, wie sein Vater wollte,
sondern in München und Berlin Kunstgeschichte und Philosophie, vor allem bei
 Wölfflin und Georg Simmel, dazu Nationalökonomie und Wirtschaftsgeschichte.
Er reiste nach Italien und Holland, befreundete sich um 1910 mit Künstlern wie
Max Pechstein, mit dem er sofort brach, als dieser sich 1914 für den Krieg begei-
sterte, und ging dann nach Paris, wo er sowohl – durch Vermittlung Simmels – Ro-
din, über den er ein Buch schreiben wollte, als auch Picasso, Matisse, Purrmann,
Laurens, deren Kunst ihn stärker anzog, kennenlernte. Bei Émile Mâle (1862–1954)
studierte er Kunstgeschichte des Mittelalters und bei Henri Bergson (1859–1941)
Philosophie. Seine in Paris erarbeitete kunsthistorisch-ästhetische Untersuchung
Von Monet zu Picasso lehnte  Wölfflin, dem diese Kunst fremd blieb, als Disserta-
tion ab; damit war R. eine akademische Laufbahn verschlossen. Er mußte 1915–17
Militärdienst leisten, konnte währenddessen aber intensiv forschen und publizieren
und 1917 lungenkrank in die Schweiz übersiedeln. In den Zeitschriften Deutsche
Kunst und Dekoration und vor allem ab 1917 in  Westheims Das Kunstblatt äußerte
er sich zur Gegenwartskunst und zu theoretisch-methodischen Prinzipien des
Kunsturteils, einschließlich der Frage, wie Museen besser zum Verstehen von Kunst-
werken beitragen sollten. Mit dieser Frage begann er auch sein Büchlein Idee und
Gestalt. Ein Führer zum Wesen der Kunst (1921).
1920 hörte R. abermals in Berlin Vorlesungen, nun aber über Mathematik und
Physik, um in den exakten Wissenschaften ein methodisches Fundament für die
Kunstwissenschaft zu suchen. 1925–32 hielt er als Dozent an der sozialdemokratisch
orientierten Berliner Volkshochschule Vorlesungen sowohl über Philosophie als
auch über Kunstgeschichte und übte mit seinen Hörern das Analysieren von Kunst-
werken im Museum. Er drang jetzt in die marxistische Denkweise ein, die in der
Universitätskunstwissenschaft kaum Anhänger besaß. Nach Studienreisen nach Süd-
italien veröffentlichte er 1930 eine größere Arbeit über den dorischen Tempel und
gleichzeitig eine soziologisch fundierte Auseinandersetzung mit der zeitgenössi-
schen Architektur Le Corbusiers. 1932 erschien die erste Fassung einer Studie Zur
Kunsttheorie des dialektischen Materialismus, deren Manuskript der einflußreiche mar-
xistische Ästhetiker Georg Lukács (1885–1971) unzulänglich fand. R. gab zur selben
Zeit seine politisch nicht mehr genehme Tätigkeit an der Volkshochschule auf und
336 Raphael

ging in Erkenntnis der Bedrohung für ihn als Juden und Marxisten über die Schweiz
ins Exil nach Paris, wo er sich mit Vorträgen und Veröffentlichungen ein schmales
Auskommen verschaffte. Nun arbeitete er seine kunstsoziologisch fundierte »Me-
thodenästhetik« weiter aus und kritisierte die stalinistische Architektur, wie später
auch Picassos Gemälde Guernica. Nach Beginn des Krieges interniert, gelangte er
1941 über Lissabon in die USA. Dort veröffentlichte er noch zwei Bücher über
prähistorische Anfänge des Kunstgebrauchs und arbeitete vorwiegend an methodo-
logischen Texten, die erst postum und zum Teil unvollendet und bearbeitet heraus-
gegeben wurden. Eine 1947 angebahnte Berufung an die Universität Leipzig lehnte
er ab. Die Veröffentlichung von Aufsätzen scheiterte 1951; sie erschienen erst 1968
(The Demands of Art) und deutsch erst 1984, »fast ein halbes Jahrhundert nach dem
Zeitpunkt, an dem sie ihre Wirkung hätten entfalten sollen«, wie Hans Belting 1995
schrieb. Am 163. Jahrestag der Französischen Revolution schied R. freiwillig aus
dem Leben. Seit den 1970er Jahren wurde sein Nachlaß schrittweise in die Diskus-
sion neuer sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze eingebracht.
R., den Wölfflin nicht akzeptiert hatte, befand 1917 selbstbewußt, »daß eine
Kunstgeschichte als Wissenschaft überhaupt nicht existiert« (Über dem Expressionis-
mus). Er strebte lebenslang danach, eine solche zu Wege zu bringen. Dazu wollte er
eine Methode finden, wie sich die Subjektivität des künstlerischen Schaffensprozes-
ses, die ihm durch seine Nähe und Zuneigung zu modernen Künstlern vertraut
und wertvoll war, und die Einzigartigkeit jedes Kunstwerks, das niemals bloß Bei-
spiel für eine Objektklasse ist, mit möglichst umfassenden und objektiven Gesetz-
mäßigkeiten sowohl der ästhetischen Wirkung von Kunstwerken als auch der ge-
schichtlichen Entwicklung der Kunst beweisbar verbinden lassen. Dabei ging es
ihm zunehmend darum, eine möglichst große Zahl von Menschen, also auch die
Arbeiter, in die Lage zu versetzen, sowohl neue wie alte Kunstwerke als Werte für
ihr Leben zu begreifen und kritisch zu beurteilen, um die eigene, vom Kapitalismus
verursachte »Selbstentfremdung« zu überwinden. Er wollte erkennen, wie die Ge-
schichte der Klassengesellschaften fördernd und begrenzend auf das Entstehen
dieser Werke eingewirkt hatte. Es drängte ihn als Philosophen zur Systembildung,
wobei die »Vorstellung des Idealgegenstands ›Kunstwerk‹ und der Idealmethode
›künstlerisches Schaffen‹ nur von der Weltkunst, das heißt den Werken aller Zeiten
und Völker« empirisch abzuleiten sei. Gleichzeitig sei die Besonderheit jeder Epo-
che hinsichtlich der drei unlösbar miteinander verwobenen Faktoren »der gesamt-
geschichtlichen Bedingungen, des vorherrschenden und zielsetzenden Klassenbe-
wußtseins und des individuellen Talents, des Müssens, Wollens und Könnens«
(Arbeiter, Kunst und Künstler) genau zu erforschen, wobei er als vermittelnden Faktor
die etwas unbestimmt bleibende Kategorie der »ästhetischen Gefühle« heranzog,
und dies müsse sich am einzelnen Kunstwerk zeigen lassen. Subtile, von der Form
ausgehende Werkanalysen wie die Monographie eines Bildes: Corots »Römische Land-
schaft« (wohl 1937/38 entstanden und in Arbeiter, Kunst und Künstler 1975 erstmals
veröffentlicht) und die sechs Studien zu Giotto, Rembrandt, Degas, Cézanne und
Picasso (The Demands of Art, 1968) wurden zu R.s hauptsächlichen Leistungen und
ertragreichsten Beiträgen zur Wissenschaftsentwicklung.
R. widersprach als Materialist der Vorstellung von einer »immanenten Kunstent-
Raphael 337

wicklung« wie dem biologistischen Modell von Jugend, Reife und Tod einer Kultur,
und für ihn als Dialektiker gab es auch keinen geradlinigen Fortschritt. Sein Bemü-
hen, die Kunst und die Kunstgeschichte von den Grundgedanken von Marx, Engels
und Lenin und deren wenigen speziellen Überlegungen zur Kunst her zu erklären,
führte auch zu kurzschlüssigen Vereinfachungen der Beziehungen zwischen Klassen
und Kunst. R. blieb aber unduldsam gegenüber Defiziten des Marxismus und be-
sonders seiner dogmatischen Erstarrung in der Sowjetunion. Für ihn war zwar »die
Kunst eine Waffe im Klassenkampf«, aber »die soziale Funktion der Kunst wird
nicht nur (und nicht einmal am wirksamsten) durch die Propagierung eines be-
stimmten parteipolitischen Inhaltes erfüllt, sondern durch den Gestaltungsakt und
seine unmittelbare Folge: die von ihm ausgelöste Befreiung« (Arbeiter, Kunst und
Künstler).
Werke: Werke, hrsg. v. Hans-Jürgen Heinrichs, Kunst und Künstler. Beiträge zu einer marxi-
Frf/Paris/NY 1983–88 (darin: Lebenserinne- stischen Kunstwissenschaft, Frf 1976 u. Dr
rungen. Briefe, Tagebücher, Skizzen, Essays, 1978; Für eine demokratische Architektur.
1985); Erw. Neuausg. in 11 Bd., Frf 1989 Kunstsoziologische Schriften, Frf 1976; Das
Von Monet zu Picasso. Grundzüge einer Äs- schöpferische Auge oder die Geburt des Ex-
thetik und Entwicklung der modernen Ma- pressionismus. Die frühen Schriften 1910–
lerei, Mü 1913; Der Tastsinn in der Kunst, in: 1913, hrsg. v. Patrick Henley u. Hans-Jürgen
DKuD, 35, 1914, 145–157; Die Wertung des Heinrichs, Wien 1993. Prähistorische Höh-
Kunstwerkes, in: ebd., 36, 1915, 84–99; Über lenmalerei. Aufsätze, Briefe, hrsg. mit Essay v.
die Arbeit des Künstlers, in: ebd., 37, 1915, Werner E. Drewes, Köln 1993
61–74; Die Idee des Schöpferischen, in: ebd., Literatur: Beck, Ernst Louis: M.R., in:
38, 1916, 308–316; Über dem Expressionis- Kunstwerk, 6, 1952, S. 56; Kern, Walter: M.R.,
mus. Offener Brief an Herrn Prof. Dr. in: Werk, 39, 1952, 145–146; Neumeyer, Alfred:
Richard Hamann, in: DKbl, 1, 1917, 122–126; Rez. von »The Demands of Art«, in: Pan-
Das Erlebnis Matisse, in: ebd., 145–154; Das theon, 28, 1970, 80–81; Verheyen, Egon: dass.
moderne Museum, in: ebd., 225–230; Max in: KChr, 24, 1971, 324–331; Truitt, Willis H.:
Pechstein, in: ebd., 2, 1918, 161–175; Die Ge- Towards an Empirical Theory of Art. A Re-
staltung des Menschen in der Malerei, in: trospective Comment on M.R.’s Contribu-
ebd., 3, 1919, 76–83; Ernesto de Fiori, in: ebd., tion to Marxian Aesthetics, in: BJAe, 11, 1971,
4, 1920, 183–185; Idee und Gestalt. Ein Führer 227–236; Frank, Tanja: M.R.s Beitrag zur
zum Wesen der Kunst, Mü 1921; Über Gustav marxistischen Kunstwissenschaft, in: EGA,
Wolff, in: Ci, 15, 1923, 741–747; Der dorische Bln 1975, Teil 1, 155–163; Heinrichs, Hans-
Tempel, dargestellt am Poseidontempel zu Jürgen (Hrsg.): Wir lassen uns die Welt nicht
Paestum, Au 1930; Das Werk von Le Corbu- zerbrechen. M.R.s Werk in der Diskussion,
sier, in: Der Kreis, 7, 1930, 286–289; Zur Frf 1988; Frank, Tanja: M.R. zum 100., Be-
Kunsttheorie des dialektischen Materialismus, richt vom M.-R.-Kongreß in Hamburg, in:
in: Phil. Hefte, 3, 1932, 125–152; Proudhon, BK, 38, 1990, S. 53; Schaefer, Claude: Der
Marx, Picasso, Paris 1933; Zur Erkenntnis- Freund, Lehrer und Kritiker, in: ebd., 54–56;
theorie der konkreten Dialektik, Paris 1934 Frank, Tanja: Methodenästhetik. M.R.s Bei-
(überarb. Neuausg. als: Theorie des geistigen trag zur marxistischen Kunsttheorie, in: ACIS,
Schaffens auf marxistischer Grundlage, Frf Str 1992, 5, 111–120; Hornig, Dieter: M.R.
1974); Prehistoric Cave Painting, Pr 1945; Théorie de la création et production visuelle,
Prehistoric Pottery and Civilization in Egypt, in: Revue germanique internationale, 1994, 2,
Pr 1947; The Demands of Art. Introduction 165–178
by Herbert Read, Pr 1968 (dt. 1984); Arbeiter, PHF
338 Rave

Rave, Paul Ortwin


Geb. 10. 7. 1893 in Elberfeld; gest. 16. 5. 1962 in Idar-Oberstein

»Der größte Baumeister Berlins war kein gebürtiger Berliner. Seine Wiege stand
nicht in der Stadt, der vornehmlich seine Lebensarbeit galt [...]«, schrieb R. über
Karl Friedrich Schinkel, dem er einen beträchtlichen Teil seines Lebenswerkes wid-
mete. In gleicher Weise ließe sich der gebürtige Rheinländer R. charakterisieren,
dem Berlin Arbeits- und Lebensstätte wurde. Neben dem kapitalen Schinkel-Lebens-
werk, zu dem er einige Bände beisteuerte, gehörten Menzel, Blechen, Johann Gott-
fried Schadow und Wilhelm von Humboldt zu seinen Themen aus der Berliner
Kunstgeschichte.
R. studierte 1918–22 an der Bonner Universität Kunst- und Literaturgeschichte,
Philosophie und Archäologie, verbrachte einige Gastsemester in Berlin, München
und Köln, bis er 1922 mit einer Arbeit über den Emporenbau in romanischer und
frühgotischer Zeit bei  Clemen promovierte. Nach kurzer Tätigkeit im Bonner Amt
für Denkmalpflege folgte er noch im Dezember 1922 einem Ruf  Ludwig Justis
an die Berliner Nationalgalerie, wo er ein für ihn ideales Betätigungsfeld fand. R.s
besondere Vorliebe galt Klassizismus und Romantik. In seiner Monographie über
Carl Blechen veröffentlichte er erstmalig ein über 2000 Nummern umfassendes
Verzeichnis aller bekannten Bilder, Zeichnungen und Aquarelle dieses Berliner
Malers zwischen Romantik und Realismus; auf diesem Fundament ruht die Ble-
chen-Forschung noch heute. Mit einer Fülle von Aufsätzen und Buchpublikationen
würdigte R. das Gesamtwerk Schinkels, eines der »wesenhaftesten deutschen Künst-
ler«, der die »geschwisterliche Verbundenheit der Künste« – Bildhauerei, Malerei,
Baukunst – im Geiste des Idealismus kongenial umgesetzt habe. Als 1931 zum 150.
Geburtstag des Künstlers das Schinkel-Museum als eine Abteilung der Nationalga-
lerie eröffnet wurde, nahm R.s schon länger gehegter Plan einer großangelegten
Bearbeitung der Schinkelschen Hinterlassenschaft Gestalt an. Nach der umfassen-
den Schinkel-Bibliographie begann R. im Auftrag der Akademie des Bauwesens
1939 mit der Edition des Schinkelschen Œuvres. Mit kleineren Arbeiten rundete er
das Gesamtbild ab, so mit einer bibliophilen Publikation über die Reliefs an der
Bauakademie (Genius der Baukunst, 1942) und einem Band über Wilhelm von
Humboldt und sein Schloß zu Tegel (1950). Diese beiden Texte sind besonders
schöne Zeugnisse von R.s literarischer Begabung; seine Formulierfreude konnte
sich ins Hymnische steigern, wenn er von Schinkel sprach, vom »roten Bau unter
preußisch blauem Himmel« der Bauakademie, an der er immer »unter Glücksschau-
ern« vorbeigehe.
Während sich R. in seinen frühen Publikationen vorwiegend mit baugeschicht-
lichen Problemen befaßt hatte, näherte er sich in Berlin auch der Gegenwartskunst.
In den Jahren 1927–31 war er – neben  Hentzen und Ludwig Thormaelen
(1889–1956) – als einer der engsten Mitarbeiter Ludwig Justis maßgeblich an Aus-
stellungen der Nationalgalerie beteiligt (1927: Edvard Munch, Arnold Böcklin; 1929:
Vincent van Gogh; 1931: Lyonel Feininger). Die NS-Diktatur mit ihrer restriktiven
Kulturpolitik machte dieser idealen Arbeitsgemeinschaft im Dienste der Moderne
ein Ende. Nachdem Justi bereits 1933 beurlaubt und Thormaelen versetzt worden
Rave 339

war, erhielt R. unter dem neuen Direktor Eberhard Hanfstaengl (1886–1973) eine
Kustodenstelle; nach Hanfstaengls Ausscheiden 1937 wurde ihm die provisorische
Leitung der Nationalgalerie während des dunkelsten Kapitels ihrer Geschichte
übertragen. Anfangs hatten sich R. und Hanfstaengl noch bemüht, alle umstrittenen
Künstler von Corinth bis Klee wenigstens durch einige Werke präsent zu halten. Im
Sommer 1937 erfolgte jedoch die Beschlagnahmung von 435 Gemälden, darunter
Meisterwerke von Beckmann, Dix, Marc, Macke, Kandinsky und Feininger. Seine
1949 publizierte, noch auf schlechtem Nachkriegspapier gedruckte Abrechnung mit
der Kunstdiktatur im Dritten Reich stellt ein eindringliches Dokument dieser Vor-
gänge dar, die nicht nur den privaten und öffentlichen Besitz an moderner Kunst
in Deutschland empfindlicher dezimierten als die Kriegsereignisse, sondern auch
eine hochentwickelte, innovationsfreudige Museumslandschaft fast vernichteten. R.
hatte für seine Arbeit eine Vielzahl von Quellen herangezogen, darunter die in der
sowjetischen Besatzungszone aufbewahrten Akten des ehemaligen Reichspropa-
ganda-Ministeriums.
Nach der Spaltung der Nationalgalerie im Jahre 1948 gab R. aufgrund des poli-
tischen Drucks der sowjetischen Besatzungsmacht das ihm 1945 übertragene Direk-
torat 1950 endgültig auf, um sich fortan seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu
widmen. 1954 kehrte er noch einmal in den Staatsdienst zurück und leitete die
Kunstbibliothek in Berlin (West) bis zu seiner Pensionierung 1961.
Werke: Romanische Baukunst am Rhein, Anfänge preußischer Kunstpflege am Rhein,
Bonn 1922; Der Emporenbau in romanischer in: WRJb, 1936, 181–204; Deutsche Land-
und frühgotischer Zeit, Bln 1924; Griechi- schaft in fünf Jahrhunderten, Bln 1938; Joseph
sche Tempel, Mar 1924; Die Reiseskizzen Anton Koch 1768–1839. Gemälde und Zeich-
Schinkels vom Rhein, in: FS Paul Clemen, nungen, Bln 1939; Karl Blechen. Leben, Wür-
Dü 1926, 477–484; Gustav Blaeser und sein digungen, Werk, Bln 1940; Gärten der Goe-
Kölner Heumarktdenkmal, in: WRJb, 1928, thezeit, Lpz 1941; Karl Friedrich Schinkel.
119–155; Deutsche Bildnerkunst von Scha- Lebenswerk, 1. Bd., Teil 1, Bauten für die
dow bis zur Gegenwart. Ein Führer zu den Kunst-Kirchen-Denkmalpflege, Bln 1941;
Bildwerken der Nationalgalerie, Bln 1929; Genius der Baukunst. Eine klassisch-romanti-
Paul Adolf Seehaus. Briefe und Aufzeichnun- sche Bilderfolge an der Berliner Bauakade-
gen, Bonn 1930; Das Rauch-Museum in der mie von Karl Friedrich Schinkel, Bln 1942;
Orangerie des Charlottenburger Schlosses, Kleve. Ein niederrheinisches Kapitel aus der
Bln 1930; Das Schinkel-Museum und die Geschichte der Gartenkunst, in: FS Wilhelm
Kunstsammlungen Beuths, Bln 1931; Schin- Worringer, Kö 1943, 199–211; Schinkels Pläne
kels Skizzenbücher, in: ZfKg, 1, 1932, 125–148; für Kressendorf bei Krakau, in: Die Burg, 5,
Schinkel als Beamter. Ein Abschnitt preußi- 1944, H. 1; Deutsche Malerei des 19. Jh.s, Bln
scher Bauverwaltung, in: Zentralblatt d. Bau- 1945; Handzeichnungen großer Meister des
verwaltung, 62, 1932, 88–94; Schinkels Traum 19. Jh.s aus dem Besitz der Nationalgalerie,
von einem Königspalast auf der Akropolis zu Bln 1945; Das Antlitz der Romantik. Deut-
Athen, in: Atlantis, 6, 1934, 129–141; Die sche Künstlerbildnisse, Stg 1946; Karl Fried-
Wandgemälde der deutschen Romantiker im rich Schinkel. Blick in Griechenlands Blüte,
Casino Massimo zu Rom (mit Kurt Gersten- Bln 1946; Thorwaldsen, Bln 1947; William
berg), Bln 1934; Schinkel-Schrifttum, in: Hogarth. Die Parlamentswahlen, Bln 1947;
Schrifttum zur deutschen Kunst, Beiheft, Bln Vision der christlichen Kirche, in: ZfK, 1,
1935, 1–16; Die Anfänge der Denkmalpflege 1947, 4–7; Schinkels Stadtbaupläne für Berlin,
in Preußen, in: DKDpf, 1935, 34–44; Urkun- in: Die neue Stadt, 2, 1948, 207–211; Karl
den zur Gründung und Geschichte des Friedrich Schinkel. Lebenswerk, 1. Bd., Teil 2,
Schinkel-Museums, in: JbPK, 1935, 234–249; Stadtbaupläne-Brücken-Straßen-Tore-Plätze,
340 Rave

Bln 1948; Erich Heckel, Lpz 1948; Das gei- 1965; Die Geschichte der Nationalgalerie,
stige Deutschland im Bildnis. Das Jahrhun- Bln 1968; Schriften über Künstler und Kunst,
dert Goethes, Bln 1949; Kunstdiktatur im hrsg. v. Stephan Waetzoldt (Bibliogr.), Stg
Dritten Reich, Hbg 1949; Wilhelm von 1994
Humboldt und das Schloß zu Tegel, Bln/Lpz Literatur: Glück, Heinrich: Rez. von »Der
1950; Gärten der Barockzeit. Von der Pracht Emporenbau in romanischer und frühgoti-
und Lust des Gartenlebens, Stg 1951; Berlin. scher Zeit«, in: Belvedere, 7, 1925, 125–126;
Vor der Zerstörung aufgenommen von Otto Gall, Ernst: Rez. von »Genius der Baukunst«,
Hagemann, Bln 1952; Karl Friedrich Schin- in: ZfKg, 10, 1941/42, 331–332; Heise, Carl
kel, Mü 1953 (Nd. 1981); AKat. Adolph von Georg: P.O.R. 1893–1962, in: KChr, 15, 1962,
Menzel aus Anlaß seines 50. Todestages, Bln 329–331; Ruhmer, Eberhard: P.O.R., in: Pan-
1955; Holzschnitte zu den Werken Friedrichs theon, 20, 1962, S. 256; Brauer, Heinrich: Ge-
des Großen von Adolph Menzel, Bln 1955; denkstunde für P.O.R., in: SberKgG, 1961/62,
Jahrhundertwende und Jahrhundertausstel- 15–18; Hentzen, Alfred: P.O.R., in: Kunst in
lung, in: FS Edwin Redslob, Bln 1955, 161– Berlin, Bln 1965, 189–200; Hederer, Oswald:
168; Adolph Menzel. Das Flötenkonzert Rez. von »Karl Friedrich Schinkel«, in: Pan-
Friedrichs des Großen, Stg 1957; Berlin in der theon, 23, 1965, 118–119; Börsch-Supan, Hel-
Geschichte seiner Bauten, Bln 1960; Kunst- mut: Rez. von »Die Geschichte der National-
geschichte in Festschriften (mit Barbara galerie Berlin«, in: Museumskunde, 37, 1968,
Stein), Bln 1962; Karl Friedrich Schinkel. Le- 130–131; Honisch, Dieter: P.O.R., in: Die Na-
benswerk, 1. Bd., Teil 3, Bauten für Wissen- tionalgalerie Berlin, Recklinghausen 1979,
schaft, Verwaltung, Heer. Wohnbau und 53–54
Denkmäler, Bln 1962; Kunst in Berlin, Bln CF

Reidemeister, Leopold
Geb. 7. 4. 1900 in Braunschweig; gest. 11. 6. 1987 in Berlin

Alles schien darauf hinzudeuten, daß R., ein Großneffe  Bodes und seit Studen-
tentagen mit dem Spitznamen »Nebode« bedacht, eine Karriere an der Berliner
Gemäldegalerie anstrebte. Er entschied sich jedoch für einen anderen Weg und
ging, wohl auch um sich zu distanzieren, auf Anraten  Glasers an die ostasiatische
Abteilung der Berliner Museen. Sein zweites Hauptforschungsgebiet wurde der
Expressionismus, dem er sich nach seinen Direktoraten in Köln und Berlin aus-
schließlich widmen sollte.
Den Plan, Kunstgeschichte zu studieren, hegte R. schon in frühester Jugend.
Nach der Rückkehr aus dem Krieg begann er 1918 zunächst ein Architekturstu-
dium an der Technischen Hochschule Braunschweig, wechselte aber schon nach
einem Jahr an die Universität Berlin zu  Goldschmidt. Um sich ein Zubrot zu
verdienen, arbeitete er in der Galerie van Diemen, die von Eduard Plietzsch (1886–
1961), einem ehemaligen Assistenten Bodes an der Gemäldegalerie, geleitet wurde.
Der vertraute Umgang mit Kunstwerken wurde ihm hier zur Selbstverständlichkeit;
auch konnte R. vielfältige Kontakte zu jungen Künstlern knüpfen, die ihm später,
besonders im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, für seine Erwerbungen
und Ausstellungen in Köln und Berlin hilfreich waren.
Nach dem Studium war R. seit 1924 zunächst Volontär, dann Kustos an der
ostasiatischen Sammlung. Er bezog noch einmal die Universität, um Chinesisch zu
lernen, und unternahm eine achtmonatige Studienfahrt durch China, Korea und
Japan. R. näherte sich seinem zu jener Zeit noch wenig betretenen Sammel- und
Reidemeister 341

Forschungsgebiet, indem er sich in privaten und öffentlichen Sammlungen des In-


und Auslands eine umfangreiche Materialkenntnis verschaffte, die er zum Teil pu-
blizierte (1928, 1929, 1935). Einen ersten Höhepunkt erreichten diese Forschungen
zur ostasiatischen Kunst 1929, als in einer von R. konzipierten Ausstellung chinesi-
scher Kunst mehr als 1000 Objekte aus Museen und Privatsammlungen Europas
und Amerikas gezeigt wurden, darunter als Leihgaben aus der Sowjetunion Gra-
bungsfunde aus Noin-ula in der Mongolei. Nach 1933 mußte R. erleben, wie die
außereuropäische Kunst aus dem öffentlichen Bewußtsein allmählich verschwand.
Im Herbst 1945 wurde R. zum Direktor des Kölner Wallraf-Richartz-Museums
ernannt; seine Hauptaufgabe war der Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Ge-
bäudes. Seine vielfältigen Beziehungen zu emigrierten Künstlern und Kollegen, die
Nationalsozialismus und Krieg überdauerten, halfen, in die internationale Muse-
umswelt zurückzufinden und in Köln den Grundstein für eine Sammlung moderner
Kunst zu legen. Unmittelbar nach der Einweihung des Neubaus ging R. zurück
nach Berlin (West), wo er 1957–65 das Amt des Generaldirektors der Staatlichen
Museen und – ein Novum in der Geschichte der Berliner Museen – auch das des
Direktors der Nationalgalerie (West) innehatte. Seine Tätigkeit kam auch hier einem
Neubeginn gleich, da die von den Briten und Amerikanern konfiszierten Bestände
gerade erst zurückgekommen waren. Mit seinem entschiedenen Engagement für
die klassische Moderne unterschied sich R. grundlegend von seinen Vorgängern
Eberhard Hanfstaengl (1886–1973) und  Rave, deren Interesse vornehmlich dem
19. Jahrhundert gegolten hatte. Seine Erwerbungen von Werken Manets, Picassos,
Renoirs, van Goghs und expressionistischer Künstler trugen dazu bei, die während
der Nazi-Herrschaft gerissenen Lücken der Sammlung notdürftig zu schließen.
Zu den Glanzpunkten von R.s Amtszeit zählten die thematischen Ausstellungen,
die nicht nur den bewährten Museumsmann, sondern auch den erfahrenen Kultur-
politiker erkennen ließen. Mit der 1960 für die Ruhrfestspiele in Recklinghausen
konzipierten, später auch in Berlin (West) gezeigten Ausstellung Berlin – Ort der
Freiheit für die Kunst sowie mit Der Sturm. Herwarth Walden und die europäische Avant-
garde 1910–1932 (1961) dokumentierte er den Kampf um künstlerische Freiheit von
Munch über die Sezessionisten, die Novembergruppe bis hin zur Gegenwart und
verwies damit auf die bedeutende Rolle, die Berlin einst als Kulturstadt hatte und
die wiederherzustellen er als eine seiner wichtigsten Aufgaben betrachtete. Nach
zwei Reisen in die Ile de France 1962/63 veröffentlichte R. eine vielbeachtete, an
die Forschungen von Lionello Venturi und John Rewald anknüpfende topographi-
sche Arbeit zur französischen Malerei von Corot bis zu den Fauves, in der zum
erstenmal die Sujets vieler bekannter Landschaftsdarstellungen identifiziert wurden
(Auf den Spuren der Maler der Ile de France, 1963). In gleicher Weise stellte R. Gemälde
und Photos in der Neuen Nationalgalerie gegenüber – eine aufsehenerregende
Ausstellung, mit der er auch einen Beitrag zur Kunsterziehung, die ihm immer am
Herzen gelegen hatte, zu leisten hoffte.
Nach seiner Pensionierung 1967 widmete sich R. dem Aufbau des Berliner
Brücke-Museums, für das er den gesamten künstlerischen Nachlaß Karl Schmidt-
Rottluffs, zahlreiche Arbeiten Erich Heckels sowie einen Großteil des zeichneri-
schen Werkes Ernst Ludwig Kirchners erwerben konnte.
342 Reidemeister

Werke: Besitz des Herrn Edgar Gutman, in Karl-Marx-Stadt und ein Besuch in Rott-
Berlin. Ost- und südostasische Kunst (mit luff, in: Brücke-Archiv, 7, 1974, 22–25; Ein
William Cohn), Bln 1928; Sammlung Theodor chinesisches Blauweiß-Porzellan der frühen
Ernst Simon, Berlin. Chinesische Kunstge- Ming-Zeit, in: Pantheon, 32, 1974, 127–129;
genstände, Bln 1929; Gesicherte Möbel von AKat. Das Aquarell der Brücke, Brücke-Mu-
Johann M. Hoppenhaupt, in: Pantheon, 14, seum, Bln 1975; AKat. Schmidt-Rottluff. Das
1934, 308–310; Ming-Porzellane in schwedi- nachgelassene Werk seit den 20er Jahren. Ma-
schen Sammlungen, Bln/Lpz 1935; Die Be- lerei, Plastik, Kunsthandwerk, Bln 1977; AKat.
stände der Firma Dr. Otto H. Burchard und Ernst Ludwig Kirchner. Die Handzeichnun-
Co, Berlin in Liquidation. Chinesische Kunst, gen, Aquarelle und Pastelle in seinem Besitz,
Bln 1935; August Macke. Gedächtnis-Ausstel- Brücke-Museum, Bln 1978; AKat. Die Brücke
lung, Köln 1947; Lovis Corinths Walchensee- im Aufbruch, Bln 1980; Das Brücke-Museum
Panorama, in: WRJb, 1953, 233–234; AKat. in Berlin und seine Geschichte, in: Meister-
Cézanne, Wallraf-Richartz-Museum, Köln werke des Expressionismus aus Berliner Mu-
1956; Französische Malerei von Manet bis seen, hrsg. v. Peter Krieger, Bln 1982, 16–17;
Matisse aus der Sammlung Emil G. Bührle, AKat. Karl Schmidt-Rottluff. Zwei Ausstel-
Bln 1958; AKat. Der junge Pechstein. Tri- lungen zum 100. Geburtstag des Künstlers,
umph der Farbe, Nationalgalerie, Bln 1959; Bln 1984; Erinnerungen an das Berlin der
Max Pechstein. Erinnerungen, Wb 1960; zwanziger Jahre, in: Wissenschaften in Berlin,
AKat. Berlin – Ort der Freiheit für die Kunst, hrsg. v. Tilmann Buddensieg, Kurt Düwell u.
Recklinghausen 1960; AKat. Der Sturm. Her- Klaus-Jürgen Sembach, Bln 1987, Bd. 3, 186–
warth Walden und die europäische Avant- 194
garde 1910–32, Nationalgalerie, Bln 1961; Literatur: Foucart, Jacques: Rez. von »Auf
AKat. Die Nationalgalerie und ihre Stifter, den Spuren der Maler der Ile-de-France«, in:
Bln 1961; Auf den Spuren der Maler der Ile L’oeil, 112, 1964, S. 49; Honisch, Dieter: L.R.,
de France, Bln 1963; Museum und Öffent- in: Nationalgalerie Berlin, Recklinghausen
lichkeit, in: JbPKB, 1963, 55–58; AKat. Der 1979, 61–62; Knopp, Werner (Hrsg.): 80. Ge-
Japonismus in der Malerei und Graphik des burtstag L.R.s, in: JbPKB, 1980, 27–31; Knopp,
19. Jh.s., Bln 1965; Das Brücke-Museum. In- Werner: In memoriam L.R., in: ebd., 1987,
nerer und äußerer Aufbau, Bln 1970; AKat. 27–29; Goepfert, Peter Hans: Zum Tode von
Max Kaus. Gemälde von 1917 bis 1970, Bln L.R., in: Weltkunst, 57, 1987, S. 1848
1971; Künstler der Brücke in Berlin 1908–14, CF
Bln 1972; Die Schmidt-Rottluff-Ausstellung

Riegel, Herman
Geb. 27. 2. 1834 in Potsdam; gest. 13. 8. 1900 in Braunschweig

Die »wahrhaft angemessene Weise, Kunstwerke zu betrachten«, bestand für den


Kunsthistoriker und Schriftsteller R. in der »völlig freien, rückhaltlosen und selbst-
tätigen Hingabe an den Gegenstand«. Als den eigentlichen Ursprung der Kunst
bezeichnete er den »innersten Drang« in der Seele des Menschen, den Geist erfül-
lende Vorstellungen in sinnlich-konkrete Erscheinungen umzusetzen. Seinen Na-
men machten vor allem Arbeiten über Asmus Jakob Carstens und Peter Cornelius
bekannt, Künstler, zu denen er eine besondere Beziehung hatte. Mit seinem Grund-
riß der bildenden Künste (1875) – entstanden zu einer Zeit, als die Fachdisziplin noch
jung war – verfaßte er eine Art enzyklopädisches Handbuch, in dem er künstleri-
sche und kunsttechnische Probleme ebenso wie ästhetische und philosophisch-hi-
storische behandelte.
Riegel 343

R. begann mit dem Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie


in Berlin. Nach einigen Jahren als freier Schriftsteller und zahlreichen Studienfahr-
ten durch das europäische Ausland übernahm er 1868 die Leitung des städtischen
Museums in Leipzig. Nach der Habilitation an der dortigen Universität folgte er
drei Jahre später einem Ruf an das Herzogliche Museum und die Technische
Hochschule in Braunschweig. Als Museumsdirektor veröffentlichte er 1885 Die
vorzüglichsten Gemälde des Herzoglichen Museums zu Braunschweig, die erste zusam-
menhängende Publikation des Bestandes einer deutschen Galerie in Lichtdrucken.
Nach 26 Jahren Lehr- und Museumstätigkeit trat R. 1897 mit dem Titel eines Ge-
heimen Hofrates in den Ruhestand.
Im strengen Klassizismus der großangelegten Kartonzeichnungen, die Asmus Ja-
kob Carstens zu allegorischen und mythologischen Themen geschaffen hatte, sah R.
die »neue deutsche Kunst« begründet; er widmete dem Künstler eine dreibändige
Werkausgabe (1868–84). Carstens habe das »Tor zur klassischen Kunst« geöffnet und
Thorvaldsen und Schinkel den Weg gewiesen. R. verglich ihn in seinem Verhältnis
zu diesen »Genien« mit dem von Andrea Mantegna zu den Künstlertitanen Raffael
und Michelangelo.
Als umfassende Erneuerung der deutschen Malerei im Sinne einer Wiedergeburt
der klassischen Kunst erschien R. jedoch erst die Lebensleistung von Peter Corne-
lius, dem es gelungen sei, Carstens’ Rückgriff auf das griechische Altertum mit
Friedrich Overbecks Anlehnung an das mittelalterliche Christentum zu einer neuen
Synthese zu führen. In seinem Bestreben, Cornelius mit Schinkel und Thorvaldsen
auf eine Stufe zu stellen und ihn an deren Ruhm teilhaben zu lassen, gerieten R.s
idealistische Interpretationen der Werke von Cornelius, zu dem er auch in enger
freundschaftlicher Beziehung stand, nicht selten zu panegyrischen Lobgesängen.
Anders als  Grimm (Cornelius und die ersten fünfzig Jahre nach 1800, 1875), der den
künstlerischen Wert der Kartons von Cornelius zwar durchaus schätzte, in den
Wandbildern jedoch lediglich »farbige Wiederholungen« sah, erhöhte R. den
Künstler zu einer geradezu mythischen Persönlichkeit, die die Freskomalerei neu
begründet habe.
Neben seiner Museums- und Lehrtätigkeit engagierte sich R. für den Allgemei-
nen Deutschen Sprachverein, dessen Gründer und Vorsitzender er war. In dieser
Funktion setzte er sich für die Pflege der deutschen Sprache ein und redigierte
1885–93 die Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins. Mit Schilderungen sei-
ner Reisen machte er sich in Italienische Blätter (1871) und Unter dem Striche. Bunte
Bilder aus beiden Welten (1890) auch als Reiseschriftsteller einen Namen.
Werke: Cornelius, der Meister der deutschen Über das Elsaß und seine Kunstdenkmale, in:
Malerei, Ha 1866; Carstens’ Leben und Werke Dt. Monatshefte, 16, 1872, 652–668; Über Art
von Karl Ludwig Fernow, Ha 1867; Deutsche und Kunst, Kunstwerke zu sehen, Bln 1874;
Kunststudien, Ha 1868; Carstens’ Werke in Dem Herrn Wilhelm Lübke,Verfasser mehre-
ausgewählten Umrißstichen, 3 Bde., Lpz rer kunstgeschichtlicher Handbücher und
1868–84; Über die Darstellung des Abend- dergleichen mehr in Stuttgart. Offener Brief,
mahls besonders in der toskanischen Kunst. Ha 1874; Grundriß der bildenden Künste im
Ein Beitrag zur vergleichenden Kunstge- Sinne einer allgemeinen Kunstlehre und als
schichte, Ha 1869; Schinkel, in: Europa, 22, Hilfsbuch beim Studium der Kunstgeschichte,
1869, 676–678; Italienische Blätter, Ha 1871; Ha 1875; Geschichte des Wiederauflebens der
344 Riegel

deutschen Kunst im 18. und im Anfang des bendes und kritisches Verzeichnis der Gemäl-
19. Jh.s, Ha 1876; Die Anfänge der neueren desammlung, Bschw 1900
Kunst in Berlin, Bln 1877; Kunstgeschichtli- Literatur: Bode, Wilhelm: Rez. von »Bei-
che Vorträge und Aufsätze, Bschw 1877; Bei- träge zur niederländischen Kunstgeschichte«,
träge zur niederländischen Kunstgeschichte, in: DLZ, 4, 1883, 379–381; Scheibler, Ludwig
Bln 1882; Peter Cornelius. FS zu des großen Adolf: dass., in: RfKw, 6, 1883, 189–199; Bode,
Künstlers 100. Geburtstag, Bln 1883; Herzog- Wilhelm: Rez. von »Herzogliches Museum
liches Museum zu Braunschweig. Führer zu Braunschweig. Führer durch die Samm-
durch die Sammlungen, Bschw 1883; Die lungen«, in: ebd., 420–421; Valentin, Veit: Rez.
vorzüglichsten Gemälde des Herzoglichen von »Peter Cornelius. FS zu des großen
Museums zu Braunschweig, Bschw 1885; Künstlers 100. Geburtstag«, in: ebd., 7, 1884,
Neue Nachrichten über Werke von Carstens, 355–357; Lücke, Hermann: Rez. von »Car-
in: RfKw, 13, 1890, 73–79; Unter dem Striche. stens’ Werke in Umrißstichen«, Bd. 3, in:
Bunte Bilder aus beiden Welten, Bln 1890; ZfbK, 20, 1885, 50–51; Anonyme Rez. von
Herr Geheimer Regierungsrat Professor »Die vorzüglichsten Gemälde des Herzogli-
Franz Reuleaux und sein Treiben im Allge- chen Museums zu Braunschweig«, in: ebd.,
meinen deutschen Sprachverein, Bschw 1893; 217–218; Zimmermann, Paul: H. R., in:
Die bildenden Künste, Frf 1895; Beiträge zur Braunschweigisches Magazin, 23, 1900, 177–
Kunstgeschichte Italiens, Lpz 1898; Braun- 189
schweig. Herzogliches Museum. Beschrei- CF

Riegl, Alois
Geb. 14. 1. 1858 in Linz; gest. 19. 6. 1905 in Wien

Wie seine Generationsgefährten  Schmarsow und  Wölfflin beeinflußte R. be-


sonders nachdrücklich die theoretischen Grundlagen und demzufolge auch die
Methodik kunsthistorischer Arbeit. Vor allem sein Konzept vom »Kunstwollen«
wird bis heute immer wieder diskutiert, und seine Bestimmung von Denkmalschutz
blieb weitgehend gültig.
Der Beamtensohn wuchs in Galizien auf; der habsburgische Vielvölkerstaat prägte
seine Persönlichkeit. Im Gegensatz zu anderen reagierte er aber nicht nationalistisch
auf dessen Probleme. Ein Vormund veranlaßte ihn zum Jurastudium in Wien, er
wechselte jedoch bald zur Philosophie und zur Geschichte, in die ihn der Univer-
salhistoriker Max Büdinger einführte, und dann zur Kunstgeschichte am Institut für
Österreichische Geschichtsforschung bei  Eitelberger und  Thausing. Nach der
Promotion 1883 arbeitete er über mittelalterliche Buchillustration. Als Volontär seit
1886, Kustosadjunkt 1887 und bis 1897 Leiter der Textilabteilung des Österreichi-
schen Museums für Kunst und Industrie war er Nachfolger  Wickhoffs, neben
dem er auch seit 1889, zunächst als Privatdozent, an der Universität lehrte. 1894
wurde er a.o. Professor, 1897 o. Professor. Studienreisen machten ihn mit der euro-
päischen Kunst vertraut. Das Ausscheiden aus dem Museum empfand er zunächst
als den Verlust seines eigentlichen Berufes. Anders als viele Museumskustoden nutzte
er jedoch seine spezialisierte Vertrautheit mit vielen einzelnen Objekten zur Kon-
struktion von theoretisch systematisierten Erklärungen weitreichender geschichtli-
cher Zusammenhänge. Dabei hielt er Kontakt auch zur zeitgenössischen Kunst,
ohne sich kritisch einzumischen und wandte sich in Zeitungen mit wichtigen Auf-
sätzen an ein breiteres Publikum: 1902 erschien als Beilage der Wiener Zeitung der
Riegl 345

grundsätzliche Aufsatz Eine neue Kunstgeschichte, eine Rezension von  Gurlitts


Geschichte der Kunst. Am Ende verfaßte er »die unwahrscheinlichste Einleitung zu
einem Denkmalpflegegesetz« (Kemp, 1990), den Text Der moderne Denkmalkultus
(1903). 1902 zum Generalkonservator der Zentralkommission für Kunst- und histo-
rische Denkmale berufen, begann R. die Denkmalpflege neu zu orientieren. Sie
sollte nicht mehr aktuellen ästhetischen Vorlieben folgen, sondern den Eigenwert
jeder in der Vergangenheit aufgetretenen Kunstform achten und bewahren. Schon
mit 47 Jahren starb R. an Krebs. Wichtige seiner Gedanken wurden erst 1966 durch
die Edition seiner Vorlesungsmanuskripte von 1897–99 allgemein zugänglich.
R.s Auffassung von Kunst und Geschichte knüpfte an einzelnes Älteres an, zum
Beispiel an  August Wilhelm Schlegel und  Schnaase; insgesamt vollzog er, der
für Hermann Bauer »der erste moderne Kunsthistoriker« war, einen Paradigmen-
wechsel zu einer Kunstgeschichtsschreibung, die durch »formalistische« Konzentra-
tion auf eine selbständig verlaufende »Stilgeschichte« gegenüber den anderen histo-
rischen Wissenschaften autonom wurde. Um objektiv bleiben zu können, meinte er
laut  Dvoák, daß der beste Kunsthistoriker der sei, der keinen persönlichen Ge-
schmack besitze. Seine Gesichtspunkte und Methoden wechselten durchaus, nicht
zuletzt je nach Forschungsgegenstand. Obwohl er sich mit erkenntnistheoretischem
Idealismus gegen den vorherrschenden mechanisch-materialistischen Positivismus
wandte, nannte er sich selbst einen Positivisten, wohl um sein vorurteilsfreies Aus-
gehen von den Objekten zu kennzeichnen.
In seinem ersten Hauptwerk Stilfragen gab er 1893 eine neue Erklärung für Cha-
rakter und Herkunft von Ornamenten auf den orientalischen Teppichen in der von
ihm betreuten Sammlung, weitete dies aber sofort zu grundsätzlichen kunsttheore-
tischen Behauptungen aus. Es war ungewöhnlich, die Kunstwissenschaft von einem
geringgeschätzten Randgebiet ihrer Forschungsgegenstände her revolutionieren zu
wollen, doch fiel das zeitlich mit dem gesteigerten Interesse der Jugendstilkünstler
an angewandter Kunst und dekorativer Gestaltung zusammen. Obwohl R.  Sem-
per gegen die Verwässerung seiner Gedanken durch Nachfolger in Schutz nahm,
widersprach er grundsätzlich dessen materialistischer Ableitung von Kunstformen
aus Gebrauchszweck, Rohstoff und Technik. Stattdessen beschrieb er die gesetzmä-
ßige, stufenweise Entwicklung von (Ornament-)Formen. Alles werde stets durch
Vorheriges determiniert. Für R. behielt der Entwicklungszusammenhang stets mehr
Gewicht als Einzelwerke oder subjektive Gestaltungsentscheidungen.
Nachdem er 1894 in Volkskunst, Hausfleiß, Hausindustrie Differenzierungen bei
einer Materie vorgenommen hatte, der ebenfalls ein neu aufgetretenes starkes Inter-
esse galt, nämlich dem »Laienschaffen«, erfüllte er einen Auftrag des Österreichi-
schen Archäologischen Instituts, der noch mit seiner Arbeit am Museum zusam-
menhing, auf die erstaunlichste Weise. Er verwandelte, die bisherige Archäologie
kritisierend, eine aufwendige Übersichtsdarstellung über ein zum großen Teil be-
reits veröffentlichtes Material von »Kleinkunst«, das allerdings weithin neu zu ord-
nen und zu datieren war, in die »Aufzeigung der leitenden Gesetze der Entwick-
lung«, die für alle vier Kunstgattungen gemeinsam seien: Architektur, Plastik,
Malerei, Kunsthandwerk (damals »Kunstindustrie« genannt). Er behandelte also in
Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1901) nur einen
346 Riegl

Teil dieser Funde, trug dafür aber neue Meinungen zu Basiliken, Zentralbauten,
Reliefs, Katakombenmalereien, Mosaiken und anderem aus den damals noch
»dunklen Jahrhunderten« von Spätantike und Mittelalter vor. Zur selben Zeit faßte
er seine Vorstellungen vom Gesamtverlauf der Kunstgeschichte bis zum Barock in
den unvollendet gebliebenen Buch- und Vorlesungsmanuskripten Historische Gram-
matik der bildenden Künste zusammen. Wenn er »Schönheit und Lebenswahrheit die
beiden Zielpunkte alles bildenden Kunstschaffens« nannte, dachte er durchaus tra-
ditionell, rückte aber in den Vordergrund, daß zu Zeiten beides auch auf eine Weise
angestrebt wurde, die nach klassischen Auffassungen häßlich und leblos war. Wenn
er bloßes »Ertäuschenwollen der Natur« als eigentlich unkünstlerisch abtat, das
Kunstschaffen hingegen »ein Wettschaffen mit der Natur« nach übereinstimmenden
Grundgesetzen nannte, dachte er wie Cézanne, der genau gleichzeitig vom Kunst-
werk als einer »Harmonie parallel zur Natur« sprach. R.s Hauptanliegen war, nicht
nur für die spätrömische Kunst darzulegen, daß sie »Fortschritt und nichts als Fort-
schritt bedeutet« und es »Verfall [...] tatsächlich in der Geschichte nicht gibt«. Ge-
schichtliche Katastrophen und »Barbarisierung« erkannte er nicht an. Vielmehr än-
dere sich in großen Etappen und auch von Volk zu Volk die Auffassung von den
dargestellten Dingen zwischen den Polen »haptisch« (anfangs »taktisch« genannt)
oder nahsichtig und »optisch« oder fernsichtig. Dabei lehnte er sich an eine damals
bereits veraltete Wahrnehmungspsychologie an. Künstler hätten immer das erreicht,
was sie und ihre Zeitgenossen wollten. Kunstwerke und ihre stilistische Eigenart,
die er feinfühlig zu analysieren wußte, wären immer »das Resultat eines bestimmten
und zweckbewußten Kunstwollens«. Dieser unübersetzbare, unscharfe, bei R. selbst
variierend bestimmte Begriff, für den auch »Kunstideale« oder sogar »Geschmack«
stehen konnte, machte die Anziehungskraft wie die Anfechtbarkeit seiner Auffas-
sung von Kunstgeschichte aus. Für Walter Passarge war 1930 R.s »Definition des
Kunstwollens noch heute das Fundament aller kunstgeschichtsphilosophischen Be-
trachtung«. Eine Verknüpfung des Kunstwollens mit Weltanschauung, die auch in
religiösen oder philosophischen Lehren und Literatur faßbar werde, hob R. in der
Historischen Grammatik stärker hervor als in der Spätrömischen Kunstindustrie.
In seiner dritten großen Arbeit Das holländische Gruppenporträt (1902) gab R. dann
den Zweckbestimmungen der Gemälde, politisch-sozialen Voraussetzungen und
Bezugnahmen auf die Betrachter, wie sie später die Rezeptionsästhetik untersuchte
(Wolfgang Kemp, 1990), eine größere Bedeutung für die Entwicklungsstufen der
Figurenkomposition.
R.s Kunstgeschichtsbild und Methodik wurden von seinen Schülern Dvoák,
 Pächt,  Frey modifiziert weiterverfolgt, von  Schmarsow,  Heidrich,
 Tietze, Guido von Kaschnitz-Weinberg,  Panofsky, später  Gombrich in
wesentlichen Punkten kritisiert, besonders von  Sedlmayr – bei starken Ein-
wänden – als wertvoll angesehen und abgewandelt und von Willibald Sauerländer
(geb. 1924), Margaret Olin und Wolfgang Kemp (geb. 1946) neu in ihrer Zeitgebun-
denheit wie Produktivität gewürdigt. Bemerkenswert ist, daß Walter Benjamin
(1892–1940), der ganz andere Auffassungen vom Zusammenhang von Kunst und
Gesellschaft entwickelte, R. wegen dessen Methode seinen »geistigen Ziehvater«
nannte.
Riegl 347

Werke: Altorientalische Teppiche, Lpz 1892; und die Entstehung der autonomen Kunstge-
Stilfragen. Grundlegungen zu einer Ge- schichte am Fin de Siècle, in: Roger Bauer,
schichte der Ornamentik, Bln 1893; Volks- u. a. (Hrsg.), Fin de Siècle. Zur Literatur und
kunst, Hausfleiß, Hausindustrie, Bln 1894; Kunst der Jahrhundertwende, Frf 1977, 125–
Die spätrömische Kunstindustrie nach den 136; Iversen, Margaret: Style as Structure. A.
Funden in Österreich-Ungarn, 1. Teil, Wien R.s Historiography, in: ArtHist, 2, 1979, 62–
1901 (Spätrömische Kunstindustrie, Wien 72; Rosenauer, Artur: Zur Wechselbeziehung
1927, Nd. Bln 2000, Nachw. v. Wolfgang von Methode und Forschungsgegenstand am
Kemp); Das holländische Gruppenporträt, in: Beispiel einiger Schriften A.R.s, in: ACIB,
JbkSAK, 1902 (und Wien 1931, Nd. 1997); Bologna 1982, 10, 55–62; Busse, Hans-
Der moderne Denkmalkultus, sein Wesen, Berthold: Kunst und Wissenschaft. Untersu-
seine Entstehung, Wien 1903; Die Entstehung chungen zur Ästhetik und Methodik der
der Barockkunst in Rom, Wien 1908; Ge- Kunstgeschichtsschreibung bei R., Wölfflin
sammelte Aufsätze, Einleitung von Hans und Dvoák, Mittenwald 1981; Loh, Dietrich
Sedlmayr, Wien 1927 (Nd. 1996; darin: Kunst- von: A.R. und die Hegelsche Geschichtsphi-
geschichte und Universalgeschichte, 1898; losophie, Diss., Bln 1983; Viani, Simone: R. a
Möbel und Innendekoration des Empire, un bivio, in: Paragone, 35, 1984, 57–69; Olin,
1898; Die Stimmung als Inhalt der modernen Margaret: Spätrömische Kunstindustrie. The
Kunst, 1899; Zur kunsthistorischen Stellung Crisis of Knowledge in Fin-de-Siècle-Vi-
der Becher von Vafio, 1900; Naturwerk und enna, in: AIKW, Wien 1984–86, Bd. 1, 29–36;
Kunstwerk, Teil 1 und 2, 1901; Eine neue Oberhaidacher, Jörg: R.s Idee einer theoreti-
Kunstgeschichte, 1902; Jacob van Ruisdael, schen Einheit von Gegenstand und Betrach-
1902; Zur Entstehung der altchristlichen Ba- ter und ihre Folgen für die Kunstgeschichte,
silika, 1903; Der moderne Denkmalkultus,
in:WJbfKg, 1985, 199–218; Scarocchia, Sandro:
sein Wesen, seine Entstehung, 1903; Über an-
Studi su A.R., Bologna 1986; Loh, Dietrich
tike und moderne Kunstfreunde, 1904; Salz-
von: A.R. und die Hegelsche Geschichtsphi-
burgs Stellung in der Kunstgeschichte, 1904);
losophie. Ein Beitrag zur Entstehung der
Historische Grammatik der bildenden Kün-
Formanalyse in der Kunstgeschichte, Linz
ste, Graz/Köln 1966
1986; Olin, Margaret: Forms of Respect. A.
Literatur: Strzygowski, Josef: Rez. von »Die
R.s Concept of Attentiveness, in: ArtB, 71,
spätrömische Kunstindustrie«, in: ByzZ, 11,
1902, 263–266; Dvoák, Max: A.R., in: MZk, 1989, 285–299; Altmeister 1990, 37–60; Olin,
4, 1905, 255–275; Wickhoff, Franz: A.R., in: Margaret: Forms of Representation in A.R.s
MJföG, 27, 1906, 203–204; Panofsky, Erwin: Theory of Art, University Park 1992; Iversen,
Der Begriff des Kunstwollens, in: ZfÄaK, 14, Margaret: A.R., in: Art History and Theory,
1920, 321–229; Sedlmayr, Hans: Die Quintes- Cam/Lo 1993; Bacher, Ernst (Hrsg.): A.R.
senz der Lehren R.s, in: A.R., Gesammelte Kunstwerk oder Denkmal? A.R.s Schriften
Aufsätze, Au/Wien 1929 (auch in H.S.: Kunst zur Denkmalpflege, Wien 1995; Horat, Heinz:
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Weinberg, Guido von: Rez. von »Spätrömi- ZSchAK, 53, 1996, 61–78; Woodfield, Richard
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449–454; Sedlmayr, Hans: R.s Erbe, in: Hist, 25, 2002, 358–379; Reichenberger, An-
HkSUMü, 4, Mü 1959; Pächt, Otto: A.R., in: drea: Kunstwollen. R.s Plädoyer für die Frei-
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Betthausen, Peter: Zur Kunsttheorie von A. Kulturgeschichte, FrB 2004; Gubser, Michael:
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L’histoire de l’art d’A.R., un formalisme tac- von Denkmalen bei Georg Dehio und A.R.,
tique, in: Critique, 31, 1975, 940ff.; ders.: A.R. in: Brandenburg. Denkmalpflege, 15, 2006, 1,
Art, Value and Historicism, in: Daedalus, 305, 5–11
1976, 177–188; Sauerländer, Willibald: A.R. PHF
348 Rintelen

Rintelen, Friedrich
Geb. 20. 2. 1881 in Berlin; gest. 4. 5. 1926 in Catania (Italien)

Der Generation der Expressionisten angehörend, gleichaltrig mit  Heidrich,


 Jantzen und  Worringer, trat R. mit seiner Auffassung von Kunstwissenschaft in
scharfe Opposition zum kulturgeschichtlich orientierten Historismus des 19. Jahr-
hunderts. Die geforderte »gute Geschichtsschreibung« sei nicht darauf aus, »alle
möglichen Aspekte ihres Gegenstandes zu geben«; sie dulde »noch weniger die Auf-
lösung des Charakters der einzelnen Phänomene in allgemeinen ›entwicklungsge-
schichtlichen‹ Begriffen«, sondern versuche, »den gegebenen Stoff unter einigen
wesentlichen Gesichtspunkten nach seiner Besonderheit und seiner Bedeutung mit
aller möglichen Intensität ins Licht zu stellen«. So R. 1911 im Vorwort seines Buches
über Giotto, das, die Forschungen  Rumohrs, Crowes und Cavalcaselles, Freys,
Ruskins, Tikkanens,  Vöges und  Thodes fortführend, ein neues Kapitel in der
Rezeptionsgeschichte des Künstlers aufschlug und zu einer der bedeutendsten Publi-
kationen der Zeit avancierte. Gegenstand der Untersuchung waren der Maler Giotto
und seine Bilder, nicht verstanden als Elemente einer Klasse, einer Schule, eines Stils,
sondern als »mit den Sinnen und mit dem Verstand genossene [...] einzelne Kunst-
werke«. R. wollte jenes »Stück« Geschichte der Malerei schreiben, das von der unver-
wechselbaren Individualität dieses einen Künstlers geprägt worden war. Diese Auffas-
sung zieht sich durch R.s Lebenswerk, das ein früher Tod schmal bleiben ließ.
R. studierte zunächst Philosophie und promovierte 1902 in München über Leib-
niz. Seit 1903 befaßte er sich mit kunsthistorischen Fragen, arbeitete 1904–06 als
Assistent am Kunsthistorischen Institut in Florenz, anschließend am Museum in
Posen und habilitierte sich 1909 bei  Wölfflin in Berlin. 1912 wurde er a.o. und
1914 als Nachfolger Heidrichs o. Professor für Kunstgeschichte in Basel, daneben
nahm er seit 1925 das Amt eines Konservators an den Baseler Kunstsammlungen
wahr. Seine Vorlesungen und öffentlichen Vorträge, Demonstrationen vollendeter
Beherrschung der Sprache und sensibelster Einfühlung in die Meisterwerke der
Kunstgeschichte, fanden begeisterte Zuhörer.
R. betrachtete Giotto mit den Augen des Künstlers. Der Zugang zu dessen Wer-
ken, wie zur Kunst der Vergangenheit überhaupt, führte für ihn über die moderne
Kunst. Cézanne galt ihm als ihr bisheriger Höhepunkt und Marées, dem R. einen
seiner ersten Aufsätze (1909) widmete, als ein Vorläufer. Die Nähe Wölfflins und
 Fiedlers in diesen frühen Jahren ließ ihn Marées’ Kunst als »bewußte Gestaltung«,
als »eine Art geformter Erkenntnis« begreifen. In einem Cézanne-Vortrag heißt es:
»Ich teile den Glauben nicht, daß das Was in der Kunst nicht viel zu bedeuten habe,
aber ich glaube, die Kunst müsse dahin gelangen, den Gegenstand vergessen zu
machen; eben indem sie uns ganz durch ihn hindurchführe.« Im Giotto-Buch geht
es zuallererst um die Bilder als »Gefüge«, um die Darstellung des Raumes und der
menschlichen Figuren darin. R. macht aber auch die Verschränkung von formaler
Gestaltung und Erzählweise der biblischen Geschichten bewußt. Die künstlerische
Qualität von Giottos Werken zeigt sich für ihn nicht zuletzt darin, »daß das Spiel
der künstlerischen Mittel, des bildmäßigen Rhythmus in voller Kongruenz mit
dem Thema der Darstellung entwickelt ist«.
Rintelen 349

R. wollte Giottos Œuvre von allem befreien, was ihm fälschlicherweise zuge-
schrieben worden war. Dabei unterliefen ihm Irrtümer, die nur zu verstehen sind,
wenn man sich die Rolle Cézannes und der Kunst der Jahrhundertwende bei der
Formung von R.s Giotto-Bild vergegenwärtigt.  Gosebruch konnte nachweisen,
daß R. selbst einwandfreie Quellen vernachlässigte, wenn sie seinen Vorstellungen
im Wege standen; auf diese Weise ist der Stefaneschi-Altar (früher Rom, St. Peter,
heute Vatikanische Pinakothek) unter die »Apokryphen« gelangt (Gosebruch,
1979).
R. interessierte vor allem Giottos Individualität, von der er ein homogeneres Bild
als seine Vorgänger zu entwerfen suchte. Im Mittelpunkt seines Buches stehen die
Fresken der Arena-Kapelle in Padua; sie erscheinen als die Quintessenz von Giottos
Schaffen.  Dvoák kritisierte in seiner sonst überschwenglich lobenden Rezen-
sion, daß R. versäumt habe, diese Kunst auch »als ein allgemeines entwicklungsge-
schichtliches Phänomen zu betrachten«. R. seinerseits hielt den stil- und kulturge-
schichtlichen wie auch den in jenen Jahren oft zitierten völkerpsychologischen
Hintergrund für nebensächlich. In jenem Cézanne-Vortrag von 1914 oder 1915
sprach er zwar unbestimmt einmal von »Volkstum«, aus dem auch der große Künst-
ler hervorgehe, verfolgte diesen Gedanken aber nicht weiter.
Im Ersten Weltkrieg, an dem er aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen
mußte, verlor er seinen Freund Heidrich, dem er einen verzweifelten Nachruf wid-
mete, und wohl auch die emotionale und intellektuelle Hochstimmung, in der er
vorher gelebt hatte.Von seiner letzten bedeutenden Veröffentlichung, einem Aufsatz
über Piero della Francesca (1920), gehen Resignation und Weltabgewandtheit aus.
Für Piero, sagt er, sei »die Welt ganz Traum und ganz Logik« gewesen. Auch bei
diesem Künstler sei die »Sichtbarmachung des Raumes« der Schlüssel zum Ver-
ständnis seines Wesens, und dieses Raumbild des Piero wolle uns sagen: »Nicht zu
dauern, sondern zu vergehen ist der Mensch bestimmt. In heiterer Gleichgültigkeit
wird er sich fern von jenen Beziehungen halten, die den Keim dramatischer Erre-
gungen in sich bergen; mit phrasenloser Größe wird er sein unsicheres Dasein be-
haupten; er ist frei von jeder Illusion.« In dieser Interpretation, die jeder empirischen
Grundlage entbehrt, scheinen der Dichter und Künstler den Wissenschaftler über-
wältigt zu haben.
Werke: Leibnizens Beziehungen zur Schola- cesca, in: Basler Nachrichten, 24. 10. 1920;
stik, Mü 1902; Rez. von Georg Graf Vitzt- Hans Purrmann, in: ebd., 14./15. 11. 1925;
hum, Bernardo Daddi (1903), in: KA, 3, 1906, Reden und Aufsätze, Basel 1927
33–45; Hans von Marées, in: ZfbK, 44 (20), Literatur: Dvoák, Max: Über R.s Giotto,
1909, 173–184; Giotto und die Giotto-Apo- in: KA, 7, 1911, 90–98; Dvoák, Max: Zur Dis-
kryphen, Mü 1912; Dante über Cimabue (I), kussion über Cimabue, in: KA, 9, 1913, 75– 83
in: MfKw, 6, 1913, 200–204; Nachruf auf Ernst (Entgegnung auf »Dante über Cimabue I«,
Heidrich, in: Basler Nachrichten, 22. 11. 1914; 1913); Hager, Werner: F.R., in: KtKtler, 24,
Über Tischbeins Goethe-Porträt, in: ZfbK, 51 1926, 369–370; Schmidt, Georg: F.R., in: Das
(27), 1916, 97–104; Dante über Cimabue (II), Werk, 13, 1926, 198–204
in: MfKw, 10, 1917, 97–113; Piero della Fran- PB
350 Rosenberg

Rosenberg, Adolf
Geb. 30. 1. 1850 in Bromberg (Bydgoszcz, Polen); gest. 26. 2. 1906 in Berlin

Autoren wie R. bestimmten zu ihrer Zeit weithin das Grundwissen über die west-
europäische Kunst seit der Renaissance und die Gesichtspunkte ihrer Bewertung.
Danach richteten sich Museums- und Ausstellungsbesucher wie auch heranwach-
sende Fachwissenschaftler oder Künstler. Idealistische Verehrung bestimmter großer
Meister, Neigung zu einem überheblichen Nationalismus auch in Kunstfragen, ein
gewisses Unbehagen gegenüber manchen sozialen und kulturellen Prozessen und
eine Kunstauffassung, die Wirklichkeitsabbildung mit veredelnder Schönheit und
phantasievoller Erfindung vereint sehen wollte, stießen im späten 19. Jahrhundert
auf große Zustimmung und wirken vielfach noch heute nach. Für die Kunst, be-
sonders die Malerei des 19. Jahrhunderts und ihre damalige Bewertung bleibt R.
eine ergiebige Quelle.
Der Kaufmannssohn aus der Provinz kam als Gymnasiast nach Berlin, wo er
klassische Philologie und Archäologie studierte, 1872 promovierte und – abgesehen
von einer Tätigkeit 1901–03 als Chefredakteur der Deutschen Verlagsanstalt in
Stuttgart – als Kunstschriftsteller ansässig blieb. 1873–99 war er Mitarbeiter, zuletzt
Mitredakteur, der angesehenen Zeitschrift für bildende Kunst und ihres Beiblattes
Kunstchronik, seit 1874 Kunstberichterstatter und 1875–97 Feuilletonredakteur der
Berliner Zeitung Die Post. Daneben schrieb er für andere Zeitschriften, darunter
die bismarcktreuen Grenzboten, sowie Sammelwerke wie  Robert Dohmes Kunst
und Künstler, redigierte die Zeitschrift Berliner Architektenwelt, lieferte seit 1881 lau-
fend Beiträge für Meyers Konversationslexikon und gab zuletzt die populären Klassiker
der Kunst heraus; er selbst verfaßte die Bände über Raffael, Rembrandt und Rubens.
Außer Überblicksdarstellungen zur bildenden Kunst und zur Architektur des 19.
Jahrhunderts sowie Texteditionen veröffentlichte er seit 1875 und besonders in sei-
nem letzten Lebensjahrzehnt achtzehn Künstlermonographien – von Ghiberti bis
zu Lebenden wie Gustav Eberlein – für eine breite Leserschaft.
R. informierte ausführlich, ließ aber dabei Vorlieben und Abneigungen deutlich
werden. Er versuchte, dem zeitgenössischen eklektischen Historismus entsprechend,
ganz unterschiedliche Künstler zu würdigen, sowie verständlich zu machen, warum
die Entwicklung zu gegebener Zeit über bestimmte künstlerische Auffassungen
hinausgegangen war. Für ihn nahm ein Künstler wie Raffael dank der »ruhigen
Klarheit seines Geistes« an Kunsteindrücken nur an, »was seinem innersten Wesen
zusagte«, so daß er »an Michelangelos titanischer Kraft zunächst ehrfurchtsvoll, aber
ohne innere Anteilnahme vorüberging. Er wußte, daß er dazu noch nicht reif genug
war« (Raffael, 1906). Nach R.s Meinung entwickelte sich die Münchner Malerei des
19. Jahrhunderts »beständig in aufsteigender Linie«, und die »neue Naturauffassung«
dürfte »nach menschlicher Voraussicht das kommende Jahrhundert beherrschen«
(Münchner Malerschule, 1887). Die Reihenfolge, in der R. die Gattungen der Malerei
und die Strömungen und lokalen Schulen des 19. Jahrhunderts behandelte, folgte
dem akademischen Brauch und seiner eigenen Vorliebe für erzählende und erzie-
hende Kunst, der die Landschaftsmalerei nachgeordnet blieb. Rang und internatio-
nale Bedeutung der französischen Kunst räumte er ein, suchte sie aber ethisch ge-
Rosenberg 351

genüber der deutschen herabzusetzen. Ihn ärgerten zwar die »flauen Ideale des
weichherzigen Bildungspublikums«, für das er doch schrieb (Berliner Malerschule,
1879), und das »wüste Jahrmarktstreiben der Gegenwart« im Kunstbetrieb, in dem
er doch publizistisch agierte (Münchner Malerschule), aber in erster Linie focht er
gegen eine Beteiligung von Kunst an politischer Revolution wie bei Jacques-Louis
David, Delacroix oder gar Courbet. Er lobte Piloty wie Menzel als Realisten (Ge-
schichte der modernen Kunst, Bd. 3, 1889), konnte sich aber auch gegen den »nivellie-
renden Ansturm des gedankenlosen Realismus« aussprechen (Berliner Malerschule).
Die französischen Impressionisten (»man hat sie auch ›Tachisten‹ genannt«) nahm er
1884 wohl wahr, mokierte sich aber darüber, »daß diese Art von Malerei in Papagei-
enfarben [gemeint ist Renoir, d. Verf.] ihre Verehrer findet« (Geschichte der modernen
Kunst, Bd. 1, 1884). Während er Uhdes religiöse Malerei schätzte, ignorierte er Lie-
bermann nahezu völlig.
Mit dem Auftreten  Muthers 1893/94 und danach besonders  Meier-Graefes
wurde R.s Sicht der Kunst des 19. Jahrhunderts weitgehend abgetan.
Werke: Sebald und Barthel Beham. Zwei Neuzeit, 5 Bde., Bln 1892–98 (mit Hugo
Maler der deutschen Renaissance, Lpz 1875; Licht); Teniers d.J., Bie/Lpz 1895; Anton von
Die Architektur Berlins, Sammlung hervorra- Werner, Bie/Lpz 1895; Watteau; Thorwaldsen;
gender Bauten der letzten zehn Jahre, Bln Defregger (alle Bie/Lpz 1896); Terborch und
1877 (mit Hugo Licht); Ghiberti und Dona- Jan Steen; Vautier (alle Bie/Lpz 1897); Leo-
tello, Lpz 1878; Palma Vecchio, Lpz 1878; Die nardo; Lenbach (alle Bie/Lpz 1898); Eduard
Berliner Malerschule 1819–79. Studien und von Gebhardt, Bie/Lpz 1899; Adriaen und
Kritiken, Bln 1879; Rubensbriefe, Lpz 1881; Isaack van Ostade; Friedrich August von
Geschichte der modernen Kunst, 3 Bde., Lpz Kaulbach (alle Bie/Lpz 1900); Hugo Prell,
1884–89; Rude, Lpz 1884; Géricault und Dela- Bie/Lpz 1901; Handbuch der Kunstgeschichte,
croix, Lpz 1885; Die Düsseldorfer Schule, Lpz Bie/Lpz 1902; Gustav Eberlein, Bie/Lpz 1903;
1886; Die Münchener Malerschule in ihrer Peter Paul Rubens, Stg/Lpz 1905; Raffael,
Entwicklung seit 1871, Ha/ Lpz 1887; Die Stg/Lpz 1906; Rembrandt, Stg/Lpz 1906
Rubensstecher, Wien 1888; Aus der Düssel- Literatur: Gensichen, Otto Franz: A.R., ein
dorfer Malerschule. Studien und Skizzen, Lpz Gedenkblatt, in: ZfbK (Beilage), 41 (17),
1889; Architektur der Gegenwart. Übersicht 1905/06, 273–275
der hervorragendsten Bauausführungen der PHF

Rosenberg, Jakob
Geb. 5. 9. 1893 in Berlin; gest. 7. 4. 1980 in Cambridge/MA (USA)

Als profunder Kenner der deutschen und niederländischen Malerei und Graphik
genoß R. weltweites Ansehen. Am Beginn seiner Laufbahn stand eine Arbeit zu
Martin Schongauer als Zeichner (1923). Mit einem Verzeichnis der Gemälde Lucas
Cranachs d.Ä., an dem auch  Max J. Friedländer beteiligt war, leitete er 1932 ein
neues Kapitel der Rezeptionsgeschichte dieses neben Dürer und Grünewald be-
deutendsten deutschen Renaissancemalers ein. Daneben galt R.s Interesse vor allem
der niederländischen Kunst, insbesondere Rembrandt, dem er später in den USA
eine umfassende Monographie widmete.
R. studierte Kunstgeschichte an den Universitäten Bern, Zürich, Frankfurt/
Main und München, wo er 1922 mit einer Arbeit über die Handzeichnungen
352 Rosenberg

Martin Schongauers bei Wölfflin, dessen formanalytischer Methode er treu


bleiben sollte, promovierte. 1923–30 war er unbezahlter wissenschaftlicher Mitar-
beiter und 1930–35 Kustos am Kupferstichkabinett in Berlin, wo er an der Erstel-
lung des großen Katalogwerkes der niederländischen Zeichnungen beteiligt war.
Nach einer »Schonfrist« – R. hatte am Ersten Weltkrieg als Frontsoldat teilgenom-
men – wurde er 1935 als Jude entlassen. Auf Veranlassung von  Goldschmidt
konnte er jedoch in die USA reisen und zunächst an der Harvard Summer School,
ohne jemals unterrichtet zu haben, als Lehrer arbeiten. 1937 erfolgte die endgültige
Emigration. 1937–39 war R. Research Fellow und Lecturer, 1940–47 a. o. Professor
und von 1947 bis zu seiner Emeritierung 1964 o. Professor am Department of Fine
Arts der Harvard University. Seit 1939 arbeitete er auch als Kurator des der Uni-
versität angegliederten Fogg Art Museum, für das er eine der bedeutendsten
Sammlungen expressionistischer Graphik aufbaute. Diese Verbindung von Lehre
und Kunstpflege machte es möglich, Museumskunde als ein neues Fach in Harvard
zu etablieren.
Schon R.s Erstlingswerk über die Schongauer-Zeichnungen ließ die stilkritische
Prägung durch seinen Lehrer  Wölfflin erkennen. Anknüpfend an  Lehrs’ Arti-
kel über die Dresdner Blätter in den Mitteilungen aus den sächsischen Kunstsammlungen
(1914) gründete R. seine Arbeit auf den gesicherten Kupferstichen, wobei er ver-
schiedene Stilphasen konstatierte, die von der »Verworrenheit der spätgotischen
Formen« zu der »Klarheit und Kraft einer neuen Kompositionsweise« geführt hät-
ten. Auch im Cranach-Werk (1932) versuchte R., durch Stilkritik die einzelnen
Hände voneinander zu scheiden und mit Hilfe der authentischen Werke die charak-
teristischen Züge der malerischen und graphischen Kunst Cranachs herauszuarbei-
ten. Gemeinsam mit Friedländer nahm R., der für den Katalog zuständig war, eine
Neuordnung des Gesamtwerkes vor, die, aufbauend auf Eduard Flechsigs Forschun-
gen (Cranach-Studien, 1900), dem Künstler klare Konturen verlieh.
In späteren Jahren wandte sich R. auch dem Zeichner Cranach zu (Die Zeichnun-
gen Lucas Cranachs d.Ä., 1960). In Übereinstimmung mit  Glasers Arbeit von 1921
deutete er den zierlichen Figurenstil als Wiederaufleben gotischen Empfindens und
eigenwilligen Widerstand gegen die italienische Renaissancekunst. Er identifizierte
nicht mehr als 92 eigenhändige Zeichnungen, neben Porträt- und Tierzeichnungen
vor allem direkte Vorarbeiten für Gemälde.
Als R. in den 1920er Jahren den Auftrag erhielt, im Rahmen des Gesamtkatalogs
der flämischen und holländischen Zeichnungen des 17. Jahrhunderts den reichen
Bestand an Rembrandt-Zeichnungen des Berliner Kupferstichkabinetts zu bearbei-
ten, nahm seine Beschäftigung mit dem Künstler ihren Anfang. Sie wurde gekrönt
von der 1948 erschienenen zweibändigen Monographie, die von einem profunden
technischen, formanalytischen und ikonographischen Wissen sowie einem in lang-
jähriger Forschung erworbenen komplexen Verständnis des historischen Hinter-
grundes zeugt.
Wie das Gros der emigrierten Kunsthistoriker war auch R. bemüht, die in
Deutschland erworbene Methodenkompetenz den Verhältnissen des amerikanischen
Wissenschaftsbetriebes anzuverwandeln. Wie sehr er aber der deutschen Tradition
der Kunstgeschichte innerlich verbunden blieb, wurde noch einmal deutlich, als er
Rosenberg 353

1972 den mit seinem Schüler, dem Frans Hals-Spezialisten Seymour Slive, und mit
Engelbert Hendrik Ter Kuile verfaßten Band Dutch Art and Architecture, 1600–1800
der Pelican History of Art dem Andenken  Bodes und dessen Studien zur Geschichte
der holländischen Malerei widmete.
Werke: Martin Schongauer. Handzeichnun- and Architecture, 1600–1800 (mit Seymour
gen, Mü 1923; Jacob van Ruisdael, Bln 1928; Slive u. Engelbert Hendrik Ter Kuile), Har-
Die Sammlung Oscar Huldschinsky (mit mondsworth 1966; Lucas Cranach the Elder.
Ernst Bange, Hans Huth u. Grete Ring), Bln A Critical Appreciation, in: Record of the Art
1928; Ein unbekanntes Selbstbildnis des Lucas Museum Princeton University, 28, 1969, 27–
Cranach, in: WRJb, 1930, 157–160; Die nie- 53; Berlin und die Rembrandt-Forschung, in:
derländischen Meister. Beschreibendes Ver- Neue Beiträge zur Rembrandt-Forschung,
zeichnis sämtlicher Zeichnungen (mit Elfried hrsg. v. Otto von Simson u. Jan Kelch, Bln
Bock), in: Staatliche Museen zu Berlin. Die 1973, 9–11; Adam und Eva von Lucas Cranach
Zeichnungen im Kupferstichkabinett, hrsg. v. d.Ä., in: Pantheon, 34, 1976, 17–21; Rem-
Max J. Friedländer, Bln 1930; Eine Rubens- brandt, Life and Work, NY 1980
Zeichnung nach einer Tierbronze des 16. Jh.s, Literatur: Friedländer, Max: Rez. von
in: Pantheon, 7, 1931, 105–106; Dürer hat »Martin Schongauer. Handzeichnungen«, in:
Cranach gezeichnet, in: JbPK, 1932, 204–206; JbKw, 1925, S. 73; Meder, Joseph: dass., in:
Die Gemälde von Lucas Cranach (mit Max J. Belvedere, 9, 1926, 98–100; Stechow, Wolf-
Friedländer), Bln 1932; Govaert Flinck, in: gang: Rez. von »Rembrandt«, in: ArtB, 32,
OMD, 10, 1935/36, 46–48; Ein frühes Selbst- 1950, 252–256; Boström, Kjell: Rez. von
bildnis von Gerard Terborch, in: OH, 53, 1936, »Rembrandt«, I–II, in: Ktid, 20, 1951, 93–94;
137–141; Rembrandt’s Technical Means and Schade, Werner: Rez. von »Die Zeichnungen
their Stylistic Significance, in: Technical Stu- Lucas Cranachs d.Ä.«, in: Pantheon, 19, 1961,
dies in the Field of Fine Arts, 8, 1940, 193– 310–311; Blankert, Albert: Rez. von »Dutch
206; Holland. List of Monuments and Objects Art and Architecture«, in: Simiolus, 1, 1966/67,
of Cultural Importance, Cam/MA 1943; List 116–120; Fremantle, Katharine: dass., in: JSAH,
of Monuments in Belgium and Luxembourg, 26, 1967, 221–222; Bloch,Vitale: dass., in: OH,
Cam/MA 1943; Rembrandt, 2 Bde., Cam/ 83, 1968, 68–70; Heilmann, Christoph: Rez.
MA 1948; Notes on Old and Modern Dra- von »On Quality in Art«, in: Pantheon, 28,
wings, Rembrandt and Mantegna, in: ArtQu, 1970, S. 358; Alpers, Svetlana: dass., in: ArtB,
19, 1956, 153–161; Die Rembrandt-Ausstel- 54, 1972, 110–113; Bruyn, Jean-Pierre de: Rez.
lungen in Holland, in: KChr, 9, 1956, 345–354; von »Dutch Art and Architecture, 1600–1800«,
Friedländer und die Berliner Museen, in: Ter in: ebd., 54, 1972, 219–222; Shenker, Israel:
ere van zijn negentigste verjaardag, Amster- J.R. The Systematic Connoisseur, in: Art
dam 1957, 19–26; Great Draughtsmen from News, 75, 1976, H. 4, 38–43; Slive, Seymour:
Pisanello to Picasso, Cam/MA 1959; Fried- J.R., in: BM, 124, 1982, 31–32; Shenker, Israel:
laender and the Berlin Museums, in: BM, J.R. Connoisseur, Scholar, Teacher, in: Draw-
101, 1959, 83–89; Die Zeichnungen Lucas ing, 16, 1994, H. 3, 53–55; Wendland 1999,
Cranachs d.Ä., Bln 1960; Rembrandt, Lo 567–571
1964; On Quality in Art. Criteria of Ex- CF
cellence, Past and Present, Pr 1964; Dutch Art

Rumohr, Karl Friedrich von


Geb. 6. 1. 1785 in Reinhardsgrimma; gest. 25. 7. 1843 in Dresden

Zu seinen Lebzeiten galt R. als der bedeutendste Kunstforscher nach  Winckel-


mann. Hegel zitierte ihn in seiner Ästhetik (1835) wiederholt als die einzige Autori-
tät in allen die nachantike Kunstgeschichte betreffenden Fragen. Den »gründlichen
Kenner« Italiens und seiner Kunst schätzten auch  Goethe, die Brüder Humboldt
354 Rumohr

und  Schlegel, Ludwig Tieck, Schelling, Steffens und Bettina von Arnim. Wilhelm
von Humboldt sagte von den Italienischen Forschungen, sie seien das erste Werk über
Kunstgeschichte, »in echt historischem und künstlerischem Geist geschrieben«; R.s
prominentester Kritiker war der gesellschaftlich einflußreiche, aber von der intel-
lektuellen Elite wenig geschätzte Berliner Archäologe Aloys Hirt (1759–1837). Enge
Beziehungen hatte R. auch zu Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Christian
VIII. von Dänemark, denen er in Italien zeitweilig als Führer diente.
Auf R. als ihren Ahnherrn beriefen sich die jungen Kunsthistoriker, die seit den
1830er Jahren die Kunstgeschichte als empirische Wissenschaft zu etablieren began-
nen:  Waagen,  Hotho,  Schnaase,  Kugler, später  Grimm,  Vischer,
 Wickhoff ,  Schlosser,  Lorck. Schlosser pries R. im Jahre 1920 als den Ahnen
eines neuen, die »Kunst als Schöpfung« begreifenden Kapitels der Kunstwissen-
schaft, der »nach der jetzt noch überwiegenden, aber schon in Übersteigung und
Auflösung begriffenen rein entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung der Wegwei-
ser in die Zukunft zu sein scheint«. R.s disziplingeschichtliche Bedeutung ist auch
heute noch unbestritten – Kultermann nennt R. »eine entscheidende Schlüsselfigur
für die Entstehung der Kunstgeschichte« –, seine Stellung zwischen der Kunstfor-
schung des 18. und der Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wird jedoch
in ihrer Widersprüchlichkeit differenzierter gesehen (Müller-Tamm, 1991). Außer-
halb der Fachwelt hat man sich vor einigen Jahren wieder des Kochkünstlers R.
erinnert (Geist der Kochkunst, 1822; Nd. 1966).
R.s Denken entwickelte sich in der kritischen Auseinandersetzung mit Winckel-
manns klassizistischer Kunstgeschichte der Antike und der idealistischen Ästhetik
Hegels. Im Gegensatz zu Hegels Vorstellung von bildender Kunst als »Offenbarung
der absoluten Idee« wollte R. das Spezifische der bildenden Künste »nicht in Be-
griffen, sondern in Anschauung auffassen«; es sei »das Unterscheidende der Kunst,
die Dinge nicht, wie der Verstand, nach ihren Teilen und einzelnen Eigenschaften,
vielmehr sie im Ganzen und nicht fortschreitend, sondern augenblicklich sowohl
aufzustellen, als darzustellen«. Diese Akzentverlagerung von der Idee und vom Stoff
zur sinnlichen Wahrnehmung bahnte den Weg zur Kennerschaft, die auf der
Voraussetzung beruht – und dies hat R. als erster deutlich gesehen –, daß sich das
Wesen des Kunstwerkes und die künstlerische Individualität in der Form bekunden.
Mit der Kunstlehre von Klassizismus und Romantik brach R. auch insofern, als er
die Natur und nicht fremde Muster aus der Kunstgeschichte als Quelle des Kunst-
schaffens bezeichnete. Ebenso entkleidete er den Stilbegriff seines qualitativen As-
pektes, wie er für Winckelmann und Goethe selbstverständlich gewesen war. R.s
Bemühen, die Kunstforschung aus ihrer literarisch-ästhetischen Bindung zu be-
freien, zeigt sich am deutlichsten in der von ihm begründeten philologisch-histori-
schen Methode.
R. gehörte einer alten holsteinischen Adelsfamilie an. Sein Vater hinterließ ihm
ein stattliches Vermögen, so daß er sich materiell sorgenlos seinen Interessen hinge-
ben konnte. R. studierte in Göttingen Sprachen und Geschichte und nahm bei dem
Universitätszeichenmeister  Fiorillo Kunstunterricht, der auch Kunstgeschichte
eingeschlossen haben dürfte. 1803/04 hielt er sich in Dresden auf, wo er mit Runge
und Tieck in Kontakt kam und aus seinem damals romantischen Denken und Füh-
Rumohr 355

len heraus zum Katholizismus übertrat. Die Meisterwerke der Gemäldegalerie


hinterließen bei R. einen unauslöschlichen Eindruck; die Begegnung mit Raffaels
Sixtinischer Madonna hat zweifellos seinem Leben und Forschen mit die Richtung
gewiesen. Noch 1804 unternahm R. seine erste Italienreise; weitere folgten 1816–21,
1828/29, 1837, 1841. Die zweite wurde zur wichtigsten: In Rom trat R. in den Kreis
der deutschen Künstler um Koch, Reinhart und die Lukasbrüder (Cornelius, Veit,
Overbeck, Schadow), wo zunehmend auch die Malerei vor Raffael, das Trecento
und Quattrocento, geschätzt wurde, und er lernte den Historiker Barthold Georg
Niebuhr kennen, der ihn darin bestärkte, seine kunstgeschichtlichen Studien auf das
solide Fundament der schriftlichen Quellen zu gründen. R. durchforschte die Ar-
chive von Rom, Florenz, Mailand, Siena, Perugia und Mantua und begann, sich
kritisch mit der italienischen Kunstliteratur, vor allem mit Vasari, auseinanderzuset-
zen. Aus dem Plan einer kritischen deutschsprachigen Neuausgabe der Viten wur-
den schließlich die Italienischen Forschungen, eine mit dem frühen Mittelalter einset-
zende und in Raffael kulminierende Geschichte der italienischen Malerei. Die Zeit
nach 1530 betrachtete R. als Zeit des Verfalls, sie lag jenseits seines Interesses. Diese
Verquickung von ästhetischem Urteil und Gegenstandsdefinition, die im Wider-
spruch zu R.s distanziertem, sachlichem Umgang mit den Kunstwerken stand, ist
nicht der einzige konservative Zug in seinem Denken; dem historischen Teil der
Italienischen Forschungen sind drei systematische Kapitel vorangestellt, in denen sich
R. mit der klassizistischen Kunstlehre und Ästhetik auseinandersetzt und seine
theoretischen Positionen darlegt.Vom 18. Jahrhundert, für das nach einem Wort von
Winckelmann Kunstgeschichtsschreibung immer auch hieß, ein »Lehrgebäude der
Kunst« zu errichten, unterscheidet sich R. allerdings dadurch, daß er den theoreti-
schen vom historischen Teil trennt.
R. war ein vielseitiger und – wie die Zeitgenossen einhellig sagen – auch son-
derbarer Mann. In den 1830er Jahren, nachdem sich der Wunsch, an die Spitze der
Berliner Gemäldegalerie gerufen zu werden, nicht erfüllt hatte, widmete sich R.
mehr seinem literarischen Schaffen und der Landwirtschaft. Seit 1835 lebte er auf
dem Gut Rothenhausen und seit 1842 in Lübeck; gern hielt er sich in Dresden im
Kreis von Ludwig Tieck auf. Beachtung verdient R. auch als Zeichner und Radie-
rer und als Kunst-, vor allem Graphiksammler sowie als Förderer junger Künstler;
der bekannteste von ihnen war Friedrich Nerly.
Werke: Sämtliche Werke, Hil 2003 (Nd.) des Mittelalters, Bln/ St 1831; Über Raffael
Über die antike Gruppe Kastor und Pollux und sein Verhältnis zu den Zeitgenossen, Bln/
oder von dem Begriffe der Idealität in Kunst- St 1831; Drei Reisen nach Italien, Lpz 1832;
werken, Hbg 1812; Über die florentinische Deutsche Denkwürdigkeiten. Aus alten Pa-
Baukunst, in: Kbl, 1820, H. 52–53; Über die pieren, 4 Bde., Bln 1832; Novellen, 2 Bde.,
Entwicklung der ältesten italienischen Male- Mü 1833/35; Schule der Höflichkeit für Jung
rei, in: Kbl, 1821, H. 7–9, 11–12; Geist der und Alt, Stg/Tü 1834; Geschichte der kgl.
Kochkunst, Stg 1822 (Nd. 1966); Über den Kupferstichsammlung zu Kopenhagen, Lpz
Stil in der bildenden Kunst, in: Kbl, 1825, H. 1835 (mit J.M. Thiele); Hans Holbein d. J. in
297–300; Über die Besitzlosigkeit der Kolo- seinem Verhältnis zum deutschen Form-
nen in Toskana, Hbg 1830; Italienische For- schnittwesen, Lpz 1836; Zur Geschichte und
schungen, 3 Bde., Bln/St 1827–31; Über den Theorie der Formschneidekunst, Lpz 1837;
gemeinschaftlichen Ursprung der Bauschulen Reise durch die östlichen Bundesstaaten, Lü
356 Rumohr

1838; Untersuchung der Gründe für die An- Schlosser, Julius von: K.F.R. als Begründer
nahme, daß Maso di Finiguerra [...] auf ge- der neueren Kunstforschung, in: K.F.R., Ita-
ätztem Papier abzudrucken, Lpz 1841; Über lienische Forschungen, Frf 1920, VII–XXX-
den Einfluß der Literatur auf die neueren VIII; Tarrach, Antonie: Studien über die Be-
Kunstbestrebungen der Deutschen, in: Atha- deutung K.F.v.R.s für Geschichte und Me-
nasius Raczynski, Geschichte der neueren thode der Kunstwissenschaft, in: MfKw, 1,
deutschen Kunst, Bd. 3, Bln 1841, 371–382; 1921, 97–138;Waetzoldt 1921, 292–318; Rehm,
R.s Briefe an Bunsen über Erwerbungen für Walter: R.s Geist der Kochkunst und der
das Berliner Museum, hrsg. v. Friedrich Stock, Geist der Goethezeit, in: FS Eduard Berend,
in: JbPK, 1925, 1–76; Briefe R.s an Otfried Weimar 1959, 210–234; Schiff, Gert: K.F.v.R.,
Müller und andere Freunde, hrsg. v. Friedrich in: Kunst um 1800 und die Folgen, Mü 1988,
Stock, in: ebd., 1933, 1–44; Briefe R.s Eine 200–205; Dilk, Enrica Yvonne: K.F.v.R. e la
Auswahl, hrsg. v. Friedrich Stock, in: ebd., novellistica italiana, in: Rapporti fra lettera-
Beiheft, 1943, 1–136; K.F.R.s Briefe an Jo- tura tedesca e italiana nella prima metà
hann Georg Rist, hrsg. v. Gerhard Kegel, dell’Ottocento, Mailand 1990, 107–159; Mül-
Buchholz 1993 ler-Tamm, Pia: R.s »Haushalt der Kunst«. Zu
Literatur: Schorn, Ludwig: Stil und Motive einem kunsttheoretischen Werk der Goethe-
in der bildenden Kunst. An Herrn Baron K. Zeit, Hil/Zü/NY 1991; Schönwälder, Jürgen:
F.R., in: Kbl, 1825, H. 1–4; Schorn, Ludwig: Johann Dominicus Fiorillo und C.F.R., in:
Über den Stil in der bildenden Kunst II. Ant- Antje Middeldorf Kosegarten (Hrsg.), Johann
wort an Herrn Baron v.R., in: Kbl, 1825, H. Dominicus Fiorillo, Gö 1997, 388–401; Hueck,
301–304; Hirt, Aloys: Rez. von »Italienische Irene: Archivforschungen zu einer Geschichte
Forschungen«, Teil 1 u. 2, in: Jbb. f. wiss. Kri- der italienischen Kunst. C.F.R., Johannes
tik, 1827, 227–232; Toelken, Ernst Heinrich: Gaye, Karl Frey, in: Max Seidel (Hrsg.), Storia
dass., Teil 1 u. 2, in: BKbl, 1828, 183–187; Hirt, dell’arte e politica culturale intorno al 1900,
Aloys: dass., Teil 3, in: Jbb. f. wiss. Kritik, 1831, Venedig 1999, 119–129; Dilk, Enrica Yvonne:
Nr. 112–114; Schulz, Heinrich Wilhelm: K. Ein »practischer Aesthetiker«. Studien zum
F.v.R. Sein Leben und seine Schriften. Nebst Leben und Werk C.F.R.s, Hil 2000; Bicken-
einem Nachwort über die physische Konsti- dorf, Gabriele:Visualität und Narrativität. R.s
tution und Schädelbildung sowie über die »Italienische Forschungen« in einem metho-
letzte Krankheit R.s von C.G. Carus, Lpz dischen Spannungsfeld, in: Margit Kern
1844; Frenzel, I.G.A.: Die Kunstsammlung (Hrsg.), Geschichte und Ästhetik, Mü 2004,
des Freiherrn K.F.v.R., Lü 1846; Vischer, 362–375; Espagne, Michel: Pour une »econo-
Robert: R. und Giotto, in: ders., Studien zur mie de l’art«. L’itinéraire de C.F.R., Paris
Kunstgeschichte, Stg 1886, 58–90; Stock, 2004
Friedrich: Aus dem Briefwechsel Friedrich PB
Wilhelms IV. mit K.F.R. in: JbPK, 1914, 1–84;

Sandrart, Joachim von


Geb. 12. 5. 1606 in Frankfurt/Main; gest. 14. 10. 1688 in Nürnberg

In die Annalen der Kunstgeschichtsschreibung ist S. durch seine dreibändige, im


gewichtigen Folioformat gedruckte Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mah-
lerey-Künste (1675–79) eingegangen. Von Haus aus war er Maler und genoß als sol-
cher dank seiner weltmännischen Eleganz, stilistischen Anpassungsfähigkeit und
technischen Virtuosität europäisches Ansehen. Ausgebildet in Straßburg, Nürnberg,
Prag und von Gerard Honthorst in Utrecht, lebte er nach einem kurzen Aufenthalt
in London (1627/28) 1629–35 in Italien, wo seine Auffassungen von der Kunst und
vom Künstler dauerhaft geprägt wurden. 1635 ging er nach Frankfurt, ließ sich
wegen der Kriegswirren aber schon bald in Amsterdam nieder. 1645–70 lebte S. auf
Sandrart 357

seinem Gut Stockau bei Ingolstadt, 1670–73 in Augsburg und seit 1674 in Nürn-
berg. 1653 war er vom Kaiser geadelt worden.
S. vertrat exemplarisch den Typ des neuzeitlichen, von mittelalterlichen Zunft-
zwängen befreiten akademischen Künstlers. An der Gründung der Nürnberger
Kunstakademie im Jahre 1662, der er später vorstand, war er maßgeblich beteiligt.
Der Akademiegedanke lag auch seinem Wirken als Theoretiker und Historiograph
zugrunde. Die Teutsche Academie war das erste in deutscher Sprache geschriebene
und bis ins 19. Jahrhundert einzige Werk, das, anders als die allein auf praktische
Werkstattbedürfnisse zugeschnittene mittelalterliche Kunstliteratur, ein enzyklopä-
disches,Theorie, Geschichte und Praxis gleichermaßen umfassendes Wissensgebäude
der Architektur und der bildenden Künste darstellte, verfaßt für Sammler und Ken-
ner und nicht zuletzt für die nach Bildung und sozialem Aufstieg strebenden Künst-
ler selbst. Als Vorbilder und Quellen dienten S. vor allem Giorgio Vasaris Le vite de’
piu eccellenti architetti, pittori, e scultori italiani (1550) und Karel van Manders Het Schil-
der-Boeck (1604). Einem theoretischen Teil, der Architektur, Skulptur und Malerei
systematisch behandelt, folgen etwa 600 nach Ländern geordnete Künstlerbiogra-
phien von der Antike bis zum 17. Jahrhundert – fast ausschließlich von Malern – und
ein teilweise später angefügter Quellen-Teil, der unter anderem eine Übersetzung
der von van Mander bearbeiteten Metamorphosen des Ovid enthält. Die Fakten zu
den Lebensbeschreibungen übernahm S., fast immer unkritisch, meist von älteren
Autoren, vor allem von Vasari; aus seiner eigenen Feder stammen etwa 70. Von be-
sonderem Quellenwert sind die Nachrichten über Zeitgenossen wie Domenichino,
Honthorst, Rubens, Dou, Rembrandt, Schönfeld, Liss, Lorrain, Poussin und über
den Autor selbst sowie über eine Reihe von deutschen Künstlern wie Schongauer,
Cranach, Grünewald, Holbein d.J. und den besonders geschätzen Dürer; an diese
Verehrung der »alten teutschen Meister« sollten sich später die Romantiker erin-
nern ( Wackenroder).
Das mit mehr als 100 in Kupfer gestochenen Illustrationen und Künstlerbildnis-
sen üppig ausgestattete Kompendium erwuchs nicht nur aus einem in Deutschland
bis dahin seltenen Künstlerstolz, sondern auch aus einem neuen nationalen Selbst-
gefühl. Seiner ästhetischen Gesinnung und individuellen Kultur nach Klassizist, der
Antike und der Renaissance zugewandt, sah es S. jedoch als erwiesen an – was »alle
Nationen haben müssen bekennen –, daß unsere Eingeborne nicht sind rar, unge-
schickt und barbarisch, sondern von gutem Geist [...]«. Er dachte dabei an die Blüte
der deutschen Kunst im 15. und 16. Jahrhundert, der der Dreißigjährige Krieg ein
Ende bereitet hatte. Mit seinem Werk wollte S. auch einen Beitrag zu ihrer Wieder-
belebung leisten, indem er seine deutschen Leser mit den fortgeschritteneren Kunst-
anschauungen des Auslandes vertraut machte, indem er ihnen die Baukunst der
Antike und der Renaissance, die Meisterwerke der antiken Plastik sowie das Leben
großer Künstler vor Augen führte; nicht zuletzt vermittelte er Bildungswissen wie
Ovids Metarmophosen – »der Maler Bibel genennet« – oder eine Ikonologie der
antiken Götter, aus der die zeitgenössische Kunst in Italien, Frankreich und den
Niederlanden einen großen Teil ihrer Themen bezog.
358 Sandrart

Werke: L’Academia Tedesca della Architec- Mahlerey-Künste, Nü 1675–80, Nördlingen


tura, Scultura et Pittura: Oder Teutsche Aca- 1995 (Nd.), 9–32; Becker, Jochen: Die ikono-
demie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey- graphischen Schriften S.s und ihre Quellen,
Künste, Nü 1675 (Nd. 1995); Der Teutschen in: J.v.S., Teutsche Academie der Bau-, Bild-
Academie zweyter und letzter Haupt-Teil, und Mahlerey-Künste. Die ikonographischen
von der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey- Schriften, Nü 1679/80, Nördlingen 1995
Künste, Nü 1679 (Nd. 1995); Iconologia (Nd.), 7–16;Tacke, Andreas: »Der Kunst-Feind
deorum, oder Abbildung der Götter welche Mars«. Die Auswirkungen des Krieges auf
von den Alten verehret worden, Nü 1680 Kunst und Künstler nach Sandrarts »Teut-
(Nd. 1995); Sculpturae veteris admiranda, Nü scher Academie«, in: Klaus Bußmann (Hrsg.),
1680; Academia nobilissimae Artis pictoriae, 1648. Krieg und Frieden in Europa, Mü 1998,
Nü 1683; Des Alten und Neuen Roms gro- 245–252; Möseneder, Karl: Ars docta. J.v.S.s
ßer Schau-Platz, Nü 1685 Teutsche Academie, in: Hartmut Laufhütte
Literatur: Sponsel, Jean-Louis: S.s Teutsche (Hrsg.), Künste und Natur in Diskursen der
Academie kritisch gesichtet, Dr 1896; Kutter, Frühen Neuzeit, Wb 2000, 157–213; Gerstl,
Paul: J.v.S. als Künstler. Nebst Versuch eines Doris: J.v.S.s Teutsche Academie der Edlen
Katalogs seiner noch vorhandenen Arbeiten, Baü-, Bild- und Mahlerey-Künste. Zur Ge-
Str 1907; Waetzoldt 1921, 24–42; Peltzer, Ru- nese, in: ebd., 883–898; Stewering, Roswitha:
dolf Arthur: S.-Studien, in: MJbbK, 1925, Ornamental Initial Letters in J.v.S.s Teutsche
103–165; Bohmert, Friedrich: J.v.S. Teutsche Academie of 1675, in: Nurith Kenaan-Kedar
Academie der Bau-, Bild- und Mahlereykün- (Hrsg.), The Metamorphosis of Marginal
ste, 1675 und 1679, Diss. FrB 1949; Gersten- Images, Tel Aviv 2001, 119–126; Heck,
berg, Kurt: J.v.S. Deutscher und Europäer, in: Michèle-Caroline: Vingtcinq règles pour les
Mitt. d. Vereins f. Geschichte d. Stadt Nürn- peintres dans la Teutsche Academie de J.v.S.,
berg, 50, 1960, 352–373; Grote, Ludwig: J.v.S. in: RA, 132, 2001, 43–50; Heck, Michèle-Ca-
und Nürnberg, in: AGNM (Barock in Nürn- roline: La Teutsche Academie de J.v.S.-Une
berg 1600–1750), Nü 1962, 10–21; Krahmer, compilation ou une relecture de Vasari et de
Catherine: J.v.S., peintre et historien d’art du van Mander?, in: dies. (Hrsg.), Théorie des
17e siècle, Diss. Paris 1966; Redenbacher, arts et création artistique dans l’Europe du
Fritz: S.s Teutsche Academie. Kunstgeschichte Nord du XVIe au début du XVIII siècle,Vil-
im Barockzeitalter, in: Jb. f. fränk. Landesfor- leneuve d’Ascq 2002, 241–253; Meier, Esther:
schung, 1975, 309–323; Nicopoulos, Annette: J.v.S.s Lebenslauf. Dichtung oder Wahrheit?,
Die Stellung J.v.S.s in der europäischen in: MarJb, 31, 2004, 205–239; Mazzetti Di Pie-
Kunsttheorie, Diss. Kiel 1976; Salvini, tralata, Cecilia: Novità sulla presenza del S. a
Roberto: L’eredita del Vasari storiografo in Roma. Riflessioni, disegni e documenti in-
Germania J.v.S., in: ACIF, Fl 1976, 759–771; editi, in: Paragone/Arte, 56, 2005, 63–79;
Klemm, Christian: S. à Rome, in: GBA, 93, Heck, Michèle-Caroline: Théorie et pratique
1979, 153–166; Klemm, Christian: J.v.S. Kunst- de la peinture. S. et la Teutsche Academie, Pa-
werke und Lebenslauf, Bln 1986; Klemm, ris 2006
Christian: Pfade durch S.s Teutsche Academie, PB
in: Teutsche Academie der Bau-, Bild- und

Sauerlandt, Max
Geb. 6. 2. 1880 in Berlin; gest. 1. 1. 1934 in Hamburg

Durch seinen offenen Brief an  Bode im Jahre 1914, in dem er dessen Vorwürfe,
die junge Generation der Museumsleiter verschwende für den Ankauf von Kunst-
werken der »neuen Richtung« Millionensummen, entschieden zurückwies, stellte
sich S. demonstrativ in die erste Reihe der Wortführer der künstlerischen Avant-
garde. Er war davon überzeugt, daß ein Museum, um lebendig zu bleiben, der
»zündenden Sprengkraft einer neuen Idee« bedürfe. Die Auseinandersetzung mit
Sauerlandt 359

den konservativen Kräften der wilhelminischen Ära hielt er für seine Pflicht. S.s
langjährige Tätigkeit am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe stand unter
dem Leitmotiv der »Einheit des Künstlerischen«, der Überwindung der akademi-
schen Trennung von »freier« und »angewandter« Kunst.
S. studierte Kunstgeschichte in Marburg, München und Berlin und promovierte
1903 mit einer Arbeit über die Bildwerke des Giovanni Pisano bei  Wölfflin. Im
Anschluß daran war er in Leipzig für den »Thieme-Becker« tätig, bis er als Assistent
von Justus Brinckmann 1905 nach Hamburg an das Museum für Kunst und Ge-
werbe ging. 1908 wurde er Direktor des Städtischen Museums in der Moritzburg
in Halle. Seine Ankäufe – Bilder von Nolde, Rohlfs, Kirchner, Heckel, Schmidt-
Rottluff , Kokoschka und Picasso – verhalfen dem Museum zu einer der modernsten
Sammlungen in Deutschland. Nach Kriegsdienst 1914–18 wurde S. als Nachfolger
Brinckmanns 1919 zum Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Ham-
burg berufen.
Nichts lag S. ferner, als sein Museum zum Ort einer Pretiosensammlung des
Kunstgewerbes zu degradieren; seine Bemühungen galten den ästhetischen For-
mungen aller Lebensbereiche, vereint in einem »Gesamtkunstwerk Museum«. Durch
die Sammlungen sollte ein historischer Prozeß als gegenwärtig erlebt werden. S.
begann, das Material nach historischen und formgeschichtlich zusammengehörigen
Gruppen zu ordnen und richtete Räume ein, in denen Bilder, Plastiken und kunst-
gewerbliche Gegenstände vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert derart plaziert
wurden, daß sich jeweils ein geschlossener Eindruck einer Kulturepoche ergab.
Dem Gedanken von der Einheit alles Künstlerischen Rechnung tragend, ließ er in
diesen Räumen bei Veranstaltungen Musik aus der jeweiligen Zeit spielen, im
Louis-seize-Saal und in den klassizistischen Räumen Händel, Mozart und Schubert
und in der mit Bauhausmöbeln ausgestatteten Aula zeitgenössische Kompositionen.
Auch war S. der Auffassung, daß Künstler und Kunstwerk nicht voneinander zu
trennen seien. Er selbst unterhielt persönliche Kontakte zu Max Liebermann, Wil-
helm Trübner und Max Beckmann. Mit seinem Diktum, daß das Museum »nicht
bis gestern, sondern bis übermorgen« reiche, verwies er darauf, daß es an die Stelle
der Mäzene und Auftraggeber früherer Zeiten getreten sei.
Für die moderne Abteilung seines Hamburger Museums erwarb S. Plastiken und
Skulpturen der Brücke-Künstler, auch einen Bildteppich nach einem Entwurf von
Ernst Ludwig Kirchner. Einen zweiten dieser Art ließ er in der Hamburger Landes-
kunstschule, deren Direktor er seit 1930 war, nach einem Entwurf von Schmidt-
Rottluff weben. Überdies besaß S. ein für seine Zeit ungewöhnliches Verständnis für
den Jugendstil. Als andere Museen Jugendstil-Objekte magazinierten oder verkauf-
ten, nutzte er die Gelegenheit, die Hamburger Sammlungen um Arbeiten von van
de Velde, Behrens und Riemerschmid zu erweitern. Daneben galten seine Bemü-
hungen auch den außereuropäischen Kulturen; sein Blick richtete sich auf China
und Japan, ebenso auf amerikanische Frühkulturen und die Kunst der Südsee, die
bislang nur unter völkerkundlichem Aspekt Beachtung gefunden hatten. S. war
durchdrungen von der erzieherischen Aufgabe des Museums; er veranstaltete Füh-
rungen und Vorträge und hielt mit seinen Studenten – als Direktor des Museums
war er zugleich Honorarprofessor der Universität – Übungen vor Originalen ab.
360 Sauerlandt

Im April 1933 wurde S. als Museumsdirektor und als Leiter der Landeskunst-
schule wegen seines Eintretens für die Moderne vom NS-Regime beurlaubt. Das
Angebot, sein Direktorat unter der Bedingung zurückzuerhalten, keine moderne
Kunst mehr zu erwerben, lehnte er entschieden ab. Sein letztes Kolleg nach der
Amtsenthebung, das zu einer Art Rechenschaftsbericht wurde, hielt er an der Ham-
burger Universität über Die Kunst der letzten 30 Jahre, womit er sich einmal mehr als
Sachwalter der Moderne zu erkennen gab. Der Vorlesungstext wurde nach S.s Tod
gedruckt, das Buch jedoch kurz nach dem Erscheinen 1935 verboten.
Werke: Über die Bildwerke des Giovanni Literatur: Schmitz, Hermann: Rez. von
Pisano, Bln 1903; Griechische Bildwerke, »Die deutsche Plastik des 18. Jh.s«, in: RfKw,
Dü/Lpz 1907; Der stille Garten. Deutsche 51, 1930, S. 206; Heise, Carl Georg: Ars una.
Maler der ersten Hälfte des 19. Jh.s, Dü/Lpz Zum Gedächtnis M.S.s, in: FS Erich Meyer,
1908; Deutsche Plastik des Mittelalters, Dü/ Hbg 1959, 331–335; Hüneke, Andreas: Zum
Lpz 1909; Michelangelo Buonarotti, Dü 1912 100. Geburtstag von M.S. am 6. 2. 1980, in:
(Nd. 1960); Halle an der Saale, Lpz 1913; Emil Galeriespiegel, Staatl. Galerie Moritzburg
Nolde, Mü 1921; Kinderbildnisse aus fünf Halle, 5, 1980, H. 1, 12–13; ders.: M.S. Zum
Jahrhunderten der europäischen Malerei von 50. Todestag des Kunsthistorikers, in: BK, 32,
etwa 1450 bis etwa 1850, KöT 1921; Die Mu- 1984, H. 4, 186–187; ders., Das Kunstwerk im
sik in fünf Jahrhunderten der europäischen Museum – das Museum als Kunstwerk. Zur
Malerei von etwa 1450 bis etwa 1850, Lpz Museumskonzeption bei M.S. und Alois
1922; Norddeutsche Barockmöbel, Elberfeld Schardt, in: AKat. Im Kampf um die moderne
1922; Deutsche Porzellanfiguren des 18. Jh.s, Kunst. Das Schicksal der Sammlung in der 1.
Köln 1923; Deutsche Bildhauer um 1900.Von Hälfte des 20. Jh.s, HaS 1985, 60–64; ders.,Von
Hildebrandt bis Lehmbruck, KöT/ Lpz 1925; der Verantwortung des Museumsdirektors –
Die deutsche Plastik des 18. Jh.s, Lpz 1926; M.S., in: Henrike Junge (Hrsg.), Avantgarde
Werkformen der Kunst, KöT 1926; Aufbau und Publikum, Köln/Wei/Wien 1992, 261–
und Aufgabe des Hamburgischen Museums 268; Baumann, Beatrice: M.S. Das kunstkriti-
für Kunst und Gewerbe, Hbg 1927; Kleinpla- sche Wirkungsfeld eines Hamburger Muse-
stik der deutschen Renaissance, KöT 1927; umsdirektors zwischen 1919 und 1933, in:
Edelmetallfassungen in der Keramik, Bln JbMKGH, NF, 17/19, 1998/2000, 35–176;
1929; Das Museum für Kunst und Gewerbe Winkler, Kurt: M.S. Das expressionistische
in Hamburg. Neuerwerbungen aus den Jah- Museum und die konservative Revolution,
ren 1919–27, Hbg 1929; Das Sofabild oder die in: Überbrückt. Ästhetische Moderne und
Verwirrung der Kunstbegriffe. Original und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und
Faksimilereproduktion. Die deutschen Mu- Künstler 1925–1937, hrsg. v. Eugen Blume,
seen und die deutsche Gegenwartskunst, Hbg Köln 1999, 65–79; Wendland 1999, 581–585;
1930; Die deutschen Museen und die deut- Hüneke, Andreas: Die Einheit der künstleri-
sche Gegenwartskunst, in: Museum der Ge- schen Anschauung. M.S. und das plastische
genwart, 1, 1930/31, 4–16; Holzbildwerke von und kunsthandwerkliche Schaffen der
Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff im ›Brücke‹-Künstler, in: Nur für ihre Frauen.
Hamburgischen Museum für Kunst und Ge- Schmuck von Karl Schmidt-Rottluff, Emil
werbe, in: ebd., 101–111; Die Kunst der letz- Nolde, Erich Heckel und Ernst Ludwig
ten 30 Jahre, hrsg. v. Harald Busch, Bln 1935; Kirchner, hrsg. v. Katja Schneider, HaS 2003,
Im Kampf um die Moderne. Briefe 1902–33, 51–62; Gründig, Rita: M.S.s Forschungen zu
Mü 1957; AKat. Emil Nolde. Seebüll III, Nol- den mitteldeutschen Fayencen. Die Fayence-
demuseum, Flensburg 1961; Ausgewählte Manufaktur in Halle a.d. Saale, in: Keramos,
Schriften, 2 Bde., Hbg 1974; Die Pflege 185, 2004, 63–68
künstlerischer Erkenntnis. Schriften aus der CF
Hallenser Zeit 1908–19, Hbg 1995
Saxl 361

Saxl, Fritz (Friedrich)


Geb. 8. 1. 1890 in Wien; gest. 22. 3. 1948 in London

S.s Lebenswerk war engstens mit Warburg und dessen kulturwissenschaftlicher


Bibliothek verbunden. Er begegnete dem Hamburger Gelehrten schon zu Beginn
seiner Laufbahn als Kunst- und Kulturwissenschaftler. Ihr gemeinsames Interesse an
der Renaissance als historisch-paradigmatischer Periode, die Beschäftigung mit
Astrologie und Mythologie, sodann der Versuch, philosophische und bildliche Be-
trachtungsweisen zu verknüpfen, hatte sie zueinandergeführt. S. ging es wie Warburg
um eine Erweiterung des Kunstbegriffs, denn Kunstwerke dokumentierten für ihn
symbolisch die Gesetze des geschichtlichen Verlaufs, was sie über den künstlerischen
Gehalt hinaus als religions- und wissenschaftsgeschichtliche Quellen lesbar machte.
Ebenso wie Warburg weigerte sich S., die Grenzen akademischer Disziplinen anzu-
erkennen: Kunstwerke sollten im Gesamtkontext ihrer Kultur studiert und histori-
sche Prozesse durch Bilder und Bildeindrücke interpretiert werden.
Der hochbegabte und humanistisch gebildete S., der schon als Kind Latein, Grie-
chisch, Hebräisch und Sanskrit lernte, absolvierte sein Studium der Kunstgeschichte
und Archäologie 1908–12 in Wien und Berlin. Weder die Wiener Schule um
 Dvoák noch Wölfflin hatten ihn in ihren Bann ziehen können. Nachdem er
1912 mit einer Arbeit über Rembrandt promoviert worden war und als Stipendiat
des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung ein Jahr in Rom verbracht
hatte, wurde er 1913 in Hamburg als Nachfolger von Waetzoldt Bibliothekar und
Mitarbeiter Warburgs. Er mußte jedoch 1914–18 Kriegsdienst in der österreichi-
schen Armee leisten, und 1918/19 war er als Lehrer und Ausstellungsorganisator in
Wien beschäftigt. 1919 kehrte S. nach Hamburg an die Bibliothek zurück, die er
während Warburgs Krankheit (1920–24) kommissarisch leitete und zu einem Forum
internationaler Gelehrsamkeit und interdisziplinärer Forschung umgestaltete. Ne-
ben der Anlegung eines neuen Katalogs und Signatursystems – hier arbeitete S. eng
mit  Bing zusammen – begründete er zwei neue Publikationsreihen, die Vorträge
und Studien der Bibliothek Warburg.
Obwohl S.s Forschungsrichtung stark durch das um die Antike kreisende Den-
ken Warburgs bestimmt wurde, war er kein bloßer Epigone seines Mentors. Die
Spannweite seiner Forschungen reichte von den Sumerern und Hethitern über
Mithras und indogermanische Gottheiten bis zu den Naturwissenschaften des Mit-
telalters und der Kosmologie der Renaissance. In seinen Untersuchungen zu Dürers
Kupferstich Melencholia I beispielsweise befragte er die Quellen- und Typenge-
schichte, um den Engpässen einer rein formalistischen Lesart zu entkommen und
um Bilddokumente im Spiegel der Ereignisse der Zeitgeschichte zu betrachten.
Voraussetzung für dieses Verfahren war die Annahme, daß Kunstwerken eine Fülle
von Informationen über die Mentalität einer Epoche inhärent sei. Mit dieser in der
Nachfolge  Burckhardts erarbeiteten kulturwissenschaftlichen Methode suchte S.
Funktionsgesetze und Strukturzusammenhänge der abendländischen Formge-
schichte insgesamt zu erhellen. Anders als Warburg, für den die florentinische Früh-
renaissance das Hauptarbeitsfeld blieb, dehnte S. seine Forschungen auf das Mittel-
alter und das 17. Jahrhundert aus. Er beschäftigte sich immer wieder mit Rembrandt
362 Saxl

und hatte eine besondere Vorliebe für Norditalien und Venedig, vor allem für die
Kunst Giovanni Bellinis und Tizians.
1922/23 war S. Privatdozent, 1923–33 a. o. Professor an der Universität Hamburg,
wo er eng mit  Panofsky und Wind zusammenarbeitete. 1929 übernahm er
nach Warburgs Tod das Direktorat der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek. Neben
 Bing ist es vor allem S. zu verdanken, daß die Kulturwissenschaftliche Bibliothek
Warburg 1933 die vom NS-Regime erzwungene Emigration nach London über-
stand und im angelsächsischen Geistesleben Fuß fassen konnte. »The Warburg Insti-
tute« wurde auch Anlaufstelle und Vermittler für viele aus Deutschland geflohene
Kunst- und Geisteswissenschaftler. S. war für viele ein Wegbereiter, so gab er z. B.
 Pächt den Anstoß zur Beschäftigung mit den in London und Oxford aufbewahr-
ten illuminierten Handschriften. Neben seinen administrativen Pflichten und den
großen Editionsprojekten wie der Bibliographie zum Nachleben der Antike und der
Picatrix-Handschrift, einem Kompendium hellenistisch-orientalischer Zauberpraktik,
widmete sich S. der mittelalterlichen Kunst Englands; ein besonderes Interesse hatte
er für Siegel, die er im Hinblick auf die Stilgeschichte der Plastik untersuchte. 1939
wurde S. englischer Staatsbürger, 1941 Mitglied der British Academy und 1944 – im
Zuge der Angliederung des Instituts an die Londoner Universität – Professor für
History of the Classical Tradition.
Werke: Zu einigen Handzeichnungen Rem- Introduction, Lo 1938; The Literary Sources
brandts, in: RfKw, 31, 1908, 227–240 u. 336– of the »Finiguerra Planets«, in: JWCI, 2,
352; Verzeichnis astrologischer und mytholo- 1938/39, 72–82; Pagan Sacrifice in the Italian
gischer illustrierter Handschriften des lateini- Renaissance, in: ebd., 346–367; Rembrandt‘s
schen Mittelalters I/II, in: Sber. d. Sacrifice of Manoah, Lo 1939; The Battle
Heidelberger AdW, phil.-hist. Kl., 1915/27; Scene without a Hero, in: JWCI, 3, 1939/40,
Die Bibliothek Warburg und ihr Ziel, in: 70–87; The Classical Inscription in Renais-
VBW, 1, 1921/22, 1–10; Rinascimento dell’ sance Art and Politics, in: JWCI, 4, 1939/41,
Antichità, in: RfKw, 43, 1922, 220–272; Dü- 19–46; A Spiritual Encyclopaedia of the later
rers »Melencholia I«. Eine quellen- und ty- Middle Ages. With Appendices by Otto Kurz,
pengeschichtliche Untersuchung (mit Erwin in: JWCI, 5, 1942, 82–142; The Ruthwell
Panofsky), Bln/Lpz 1923; Antike Götter in Cross, in: JWCI, 6, 1943, 1–19; »The Quaker‘s
der Spätrenaissance, Bln/Lpz 1923; Frühes Meeting«, in: ebd., 214–216; British Art and
Christentum und spätes Heidentum in ihren the Mediterranean (mit Rudolf Wittkower),
künstlerischen Ausdrucksformen, Wien 1925; Lo 1948; English Sculpture of the Twelfth
Antike Götter in der Spätrenaissance, Bln/ Century, Lo 1954; Lectures, 2 Bde., hrsg. v.
LPz 1927;Vorschläge zu einer internationalen Gertrud Bing, Lo 1957; Saturn and Melan-
Bibliographie der Kunstgeschichte, Hbg 1930; choly. Studies in the History of Natural Phi-
Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek War- losophy, Religion and Art (mit Raimund
burg in Hamburg, in: Forschungsinstitute. Klibansky u. Erwin Panofsky), Lo 1964; La
Ihre Geschichte, Organisation und Ziele, Bd. storia delle immagini, Bari 1965; A Heritage
2, Hbg 1930, 355–358; Mithras. Typenge- of Images. A Selection of Lectures by F.S., Lo
schichtliche Untersuchungen, Bln 1931; La 1970; La fede negli astri. Dall’antichità al Ri-
fede astrologica di Agostino Chigi, Rom nascimento, Turin 1985
1934; A Marsilio Ficino Manuscript written Literatur: Wittkower, Rudolf u. a. (Hrsg.):
in Bruges in 1475, in: JWCI, 1, 1937, 61–62; A F.S., in: JWCI, 10, 1947; Webb, Geoffrey: F.S.,
Scene from the Hypnerotomachia in a Paint- in: BM, 90, 1948, 209–210; Gombrich, Ernst
ing by Garofalo, in: ebd., 169–171; A Heathe- H.: F.S. zum Gedächtnis, in: Neue Auslese, 3,
nish Fountain in St. Wolfgang, in: ebd., 182– 1948, 126–127; Grodecki, Louis: Rez. von
183; Classical Antiquity in Renaissance Paint- »English Sculptures of the Twelfth Century«,
ing. Twenty-Four Reproductions, with an in: Bm, 112, 1954, 397–399; Cramer, Frederick
Saxl 363

H.: Rez. von »Catalogue of Astrological and gungen in Wort und Bild zu Luthers Zeiten«,
Mythological illuminated Manuscripts of the in: Art History as Cultural History. Warburg’s
Latin Middle Ages«, in: Speculum, 29, 1954, Projects (Critical Voices in Art, Theory and
816–818; Schnitzler, Hermann: Rez. von Culture), hrsg. v. Richard Woodfield, NY
»English Sculpture of the Twelfth Century«, 2001, 93–120; Tagebuch der Kulturwissen-
in: WRJb, 1956, S. 275; F.S. 1890–1948. A Vo- schaftlichen Bibliothek Warburg. Mit Einträ-
lume of Memorial Essays from his Friends in gen von Gertrud Bing und F.S., hrsg. v. Karen
England, hrsg. v. Donald James Gordon, Lo Michels u. Charlotte Schoell-Glass, Bln 2001;
1957; Bing, Gertrud: F.S., in: ebd., 1–46; Badt, Lange, Wolf-Dieter: Rez. von »Tagebuch der
Kurt: Rez. von »Lectures«, in: KChr, 13, 1960, Kulturwissenschaftlichen Bibliothek. Mit
70–77; Grolle, Joist: Percy Ernst Schramm – Einträgen von Gertrud Bing und F.S.«, in:
F.S. Die Geschichte einer zerbrochenen ZfKg, 65, 2002, 584–592; McEwan, Dorothea
Freundschaft, in: AWar, 95–114; Lippincott, (Hrsg.): Wanderstraßen der Kultur. Die Aby
Kristen: Aby Warburg, F.S. and the Astrologi- Warburg – F.S. Korrespondenz 1920–29,
cal Ceiling of the Sala di Galatea, in: ebd., Hbg/Mü 2004; McEwan, Dorothea: F.S. und
213–232; Erste Kontakte S. – Warburg, in: Aby Warburg. Würdigung einer Zusammen-
Dorothea McEwan (Hrsg.), Ausreiten der Ek- arbeit, in: Wiener Schule. Erinnerung und
ken. Die Aby Warburg – F.S. Korrespondenz Perspektiven, hrsg. v. Maria Theisen, Wien
1910–1919, Hbg 1998, 17–20; Wendland 1999, u. a. 2004, 139–151; Stimili, Davide: Rez. von
586–592; Röll, Johannes: Das Problem ist das »Wanderstraßen der Kultur. Die Aby Warburg
Nachleben der Antike. F.S. 1890–1948, in: Pe- – F.S. Korrespondenz 1920–1929«, in: ArtB,
gasus, 1, 1999, 27–32; McEwan, Dorothea: 87, 2005, 723–724
Making a Reception for Warburg. F.S. and CF
Warburg’s Book »Heidnisch-antike Weissa-

Schardt, Alois Jakob


Geb. 28. 12. 1889 in Frickhofen; gest. 24. 12. 1955 in Los Alamos/NM (USA)

Die Widersprüche in der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts und ihrer Interpre-
tation wie in den weltanschaulichen Grundlagen kunsthistorischen Denkens traten
im Schaffen Sch.s mit besonderer Schärfe hervor. Er war als Museumsdirektor und
Autor einer der entschiedensten Förderer expressionistischer Kunst mit sicherem
Qualitätsurteil, »hohem Idealismus und durch und durch integrem Charakter«
( Alfred Hentzen, 1970). Er stand ganz im Banne geistesgeschichtlicher und völ-
kisch-rassenpsychologischer Anschauungen, lehnte sich gegen die nur materiell
orientierten kapitalistischen Verhältnisse seit dem 19. Jahrhundert wie gegen die
Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg auf und ersehnte als ein Bewunderer
schöpferischer künstlerischer Individualität deren Aufgehen in einer Volksgemein-
schaft. Er scheiterte mit dem Versuch, das NS-System für eine geisterfüllte und ak-
tivistische moderne Kunst zu gewinnen.
Sch. studierte 1911–14 in Marburg, München, Würzburg außer Kunstgeschichte
auch Philosophie, Literaturgeschichte, Geschichte und Archäologie und promo-
vierte nach Kriegsdienst 1917 in Würzburg über Der menschliche Ponderationstypus.
Seine Bedeutung für die Kunst, insbesondere für die ägyptische und griechische Plastik, wo-
bei er nach national oder rassisch bedingter körperlicher Konstitution fragte. 1918
kam er an die Berliner Museen, arbeitete zunächst in der Ägyptischen Sammlung
und im Kaiser-Friedrich-Museum, dann 1920 als Assistent  Ludwig Justis in der
Abteilung für Gegenwartskunst der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais. Er
364 Schardt

knüpfte persönliche Beziehungen zu Künstlern und schrieb Kunstkritiken für die


Deutsche Allgemeine Zeitung. 1923–25 baute er an der kulturreformerischen Theater-,
Tanz- und Erziehungseinrichtung in Dresden-Hellerau eine Galerie zeitgenössi-
scher Kunst auf. 1926 wurde er als Nachfolger  Sauerlandts Direktor des städti-
schen Museums in der Moritzburg in Halle/Saale. Nach seiner Auffassung konnten
die Ausstellungsstücke in einem Museum drei Arten von Gefühlserlebnissen auslö-
sen: Pietät, ein an das Dargestellte geknüpftes inhaltliches Erleben oder das Erlebnis
des »Wie« der Darstellung, die den Einzelfall des Lebens zur symbolhaften Bedeu-
tung umwandelt. Nur Werke, die das Letztgenannte bewirken, gehörten für Sch. in
ein Kunstmuseum. Ihm gelangen Erwerbungen wie die von Kokoschkas Auswande-
rer (heute München, Staatsgemäldesammlungen) und Marcs Tierschicksale (heute
Basel, Kunstmuseum) sowie die Bereitstellung von Leihgaben durch Künstler, die
zusammen mit der Art, wie er sie anordnete und an farbig raffiniert behandelten
Wänden ausstellte, das kleine Museum zu »einem der schönsten für neuere Kunst in
Deutschland« (Hentzen) machten. Lyonel Feininger konnte er den Auftrag zu einer
Reihe von eindrucksvollen Darstellungen alter hallescher Bauten erteilen. Während
die Gegner von »entarteter« Kunst dies wütend bekämpften und auch manche
Fachkollegen wie  Rave (Die Geschichte der Nationalgalerie Berlin, 1968) Sch.s
Kunstdeutung einseitig, »fast esoterisch« und seinen Maßstab für die Wertung mo-
derner Kunst »weit extremer als sonst üblich« fanden, verehrten laut Justi »führende
Meister in ihm einen der besten Kunstfreunde in der Museumswelt«. Da Sch. ein
führendes Mitglied der Hallenser Ortsgruppe des von Alfred Rosenberg geleiteten
nazistischen »Kampfbundes für deutsche Kultur« war, hielt ihn der Museumsreferent
im Preußischen Kultusministerium im Juli 1933 für geeignet, die Nachfolge des
abgesetzten Justi an der Nationalgalerie zu übernehmen. Sch. schlug für die Dauer-
ausstellung im Kronprinzenpalais eine völlig veränderte Anordnung vor und legte
seine Auffassung in einem aufsehenerregenden Vortrag Was ist deutsche Kunst? dar.
Der Minister genehmigte die Eröffnung der Neueinrichtung nicht, und Sch.s kom-
missarisches Direktorat endete nach vier Monaten. Auch in Halle konnte der Für-
sprecher der Moderne sein Amt nicht weiter ausüben, verteidigte aber seinen Be-
amtenstatus bis zur Pensionierung 1936. Seine in diesem Jahr veröffentlichte
Monographie über Franz Marc wurde bald darauf aus dem Verkehr gezogen. Sch.
konnte noch zwei Bücher über mittelalterliche Kunst herausbringen; als das zweite
erschien, war er längst, im November 1939, mit seiner Familie in die USA emigriert.
Er konnte einzelne Vorträge halten und Aufsätze veröffentlichen und wurde 1946
Leiter des Art Department der Olive Hill Foundation in Los Angeles und Dozent
für Ästhetik der dortigen Universität von Südkalifornien.
In jedem Menschen sei ein Urwille zu erkennen, und für die Kunst sei nur der
Künstler verantwortlich, schrieb Sch. in seiner Monographie über Marc, dessen Tod
zu einer Feierstunde des siegreichen Geistes geworden sei. Die Auflösung des Volkes
in bürgerliche Einzelwesen hätte keinen »einheitlich gerichteten Gesamtheitswil-
len« für die Kunst mehr ergeben. »Kunst aber ist nicht dazu da, um bestimmten,
entarteten, absolutistischen Instinkten zu gefallen, sondern trägt ihr Gesetz in sich
selbst, in ihrer Aufgabe für das Volksganze.« Als ihm nicht mehr gestattet wurde, dies
an der Kunst von der Romantik über Hans von Marées bis zu Marc, Feininger und
Schardt 365

Klee zu demonstrieren, wandte er sich kenntnisreich, obwohl er betonte, dafür kein


Spezialist zu sein, der mittelalterlichen Kunst zu. Die Publikationsform – ohne
Anmerkungen – erlaubte ihm, ohne Stellungnahme zu mißliebig gewordenen jüdi-
schen Autoren durchzukommen. Er versuchte zunächst, in Das Initial Wesensunter-
schiede zwischen südländischen und nordischen Menschen darzulegen und Worte
von hohem Alter und höchster Bedeutung als Wesensträger, Buchstaben als sichtbar
gemachte Worte zu erläutern und in ihrer Form zu deuten. Den Angehörigen ein-
zelner Völker schrieb er einen bestimmten Stilwillen zu, beispielsweise dem Angel-
sachsen »Sinn für architektonische Zusammenhänge«. Für die unübersehbare Tatsa-
che, daß Vorbilder aus der spätantiken oder byzantinischen Kunst übernommen
wurden, nahm er einen »seelischen Willen« des Übernehmenden, den »Willen zu
einem neuen Daseinszustand« in der Karolingerzeit als Ursache an. Das gewichtige,
aufwendig illustrierte Buch über Die Kunst des Mittelalters in Deutschland suchte
ebenfalls die »seelische Richtungskonstante« nachzuweisen, die innerhalb eines
Volkes vorhanden sei. Es setzte dazu im 4. Jahrhundert, in der Spätantike und Völ-
kerwanderungszeit ein, während  Weigert ein Jahr später in seiner Geschichte der
deutschen Kunst sogar bis ins Paläolithikum zurückging. Sch. analysierte auch mittel-
alterliche Kunstwerke als Schöpfungen individueller Meister. An der Hildesheimer
Bernwardstür hob er hervor: »Die psychologische Weisheit des Künstlers ist außer-
ordentlich.« Die Bedeutung sozialer Wandlungen sah er wohl; die Gesinnung, die
zur Gotik führte, entspreche einer neuen, bürgerlichen Schicht. Seine Darstellung
endete aber mit der Gegenüberstellung von Grünewald und Dürer als zwei gleich-
wertigen Menschentypen, dem »Gewissensmensch«, der der Stimme seines Innern
folgt, und dem Mensch, »der als sein größtes Vorrecht den Besitz der Vernunft er-
kennt«, und faßte die beiden Typen zugleich als Repräsentanten des Mittelalters
und der Neuzeit auf. Seine Wertung blieb merkwürdig offen, wenn er den Text mit
dem Satz beendete: »Die kommenden Jahrhunderte sollten nicht mehr von Gewis-
sen, Gefühlserlebnis und Glauben, sondern von der Tageshelligkeit der neu erwach-
ten Vernunft regiert werden.«
Werke: Museum und Museumsbesucher, in: konzeption bei Max Sauerlandt und A.Sch.,
Halle als Kultur- und Wirtschaftszentrum, in: AKat. Im Kampf um die moderne Kunst.
HaS 1927, 75–76 (Nd. in AKat. Im Kampf um Das Schicksal der Sammlung in der 1. Hälfte
die moderne Kunst, HaS 1985, S. 47); Das des 20. Jh.s, HaS 1985, 60–64; ders.: Pondera-
Hallische Stadtbild. Seine künstlerische Wie- tion – das schöne Gleichgewicht. Zum 100.
dergabe in Vergangenheit und Gegenwart, Geburtstag des Kunsthistorikers A.J.Sch., in:
HaS 1931; Kunst und Museum, in: Volk im BK, 38, 1990, 52–57; ders.: Im Takt bleiben
Werden, 13, 1934, 330–345; Franz Marc, Bln oder taktieren? A.J.Sch., in: Henrike Junge
1936; Das Initial. Phantasie und Buchstaben- (Hrsg.), Avantgarde und Publikum, Köln/
malerei des frühen Mittelalters, Bln 1938; Die Wei/Wien 1992, 283–290; Wendland 1999,
Kunst des Mittelalters in Deutschland, Bln 599–601; Schneider, Katja: Jede Museumsge-
1941; Lyonel Feininger, in: AKat. Lyonel Fei- staltung hat vom Kunstwerk auszugehen. A.S.
ninger, Marsden Hartley, NY 1944 und die Museumskunde in Halle, in: Halle-
Literatur: Schrade, Hubert: Rez. von »Das sche Beiträge zur Kunstgeschichte, 5/6, 2004,
Initial«, in: DWdK, 1, 1939–40, S. 103; Hü- 151–162
neke, Andreas: Das Kunstwerk im Museum – PHF
das Museum als Kunstwerk. Zur Museums-
366 Scheffler

Scheffler, Karl
Geb. 27. 2. 1869 in Eppendorf (heute Hamburg); gest. 25. 10. 1951 in Überlingen

»Nur bedingt war ich ein Kunsthistoriker, der durch Forschung Tatsachen ermittelt,
nur bedingt auch Kunstphilosoph, der das Verhältnis des Phänomens Kunst zum
Ganzen des Lebens erforscht, und bedingt endlich nur ein Publizist, der weltan-
schaulich polemisch denkt. Mein Interesse vor den Kunstwerken galt zumeist den
Fragen: ist das Werk gut oder weniger gut und aus welchen Gründen ist es dieses
oder jenes?« So kennzeichnete sich – in seiner Autobiographie – Sch., der den be-
rufsmäßigen Kunsthistorikern distanziert gegenüberstand, weil viele ihn, den Auto-
didakten, abschätzig behandelten. Er konnte nie an einer Universität oder einem
Museum arbeiten und trug dennoch wie sein Generationsgefährte  Meier-Graefe,
der Sch.s Anfänge förderte, nachhaltig zu einer Sicht vornehmlich auf die neuere
Kunstgeschichte bei, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch für die
»zünftige« Kunstwissenschaft maßgeblich war. Ohne ein anderes Amt als das des
Redakteurs einer ziemlich elitären Zeitschrift, stolz auf seine Einsamkeit, aber in
Kontakt mit zahllosen Akteuren des Kunstprozesses, wurde er durch feinfühlige und
treffend formulierte Werkanalysen zu einem einflußreichen Lehrer von Kunstver-
ständnis.
»Aus handwerklicher Tiefe zur Lebensaufgabe emporsteigend« ( Max J. Fried-
länder), wurde der Realschüler Sch. dazu ausgebildet, die bescheidene Stubenma-
lerfirma seines Vaters zu übernehmen. 1888 kam er zur Fortbildung im Muster-
zeichnen und Entwerfen von Tapeten an die Kunstgewerbeschule in Berlin.
Anschließend arbeitete er in einer Berliner Tapetenfabrik, begann aber 1897, zu-
nächst nur nebenbei in Hans Rosenhagens Zeitschrift Das Atelier, die sich vorwie-
gend an Künstler wandte, und Meier-Graefes Zeitschrift Dekorative Kunst über die
neuen Fragen der kunstgewerblichen Bewegung zu schreiben und ab 1899 in Ma-
ximilian Hardens Die Zukunft auch die wilhelminische Kulturpolitik anzugreifen.
Erste kleine Bücher erschienen. 1905 trug ihm der Verleger Bruno Cassirer die
Redaktion der Zeitschrift Kunst und Künstler an, die Sch. 1906–33 zur »besten, an-
regendsten, lebendigsten Kunstzeitschrift, die es je in deutscher Sprache gegeben
hat« werden ließ (Günter Busch, 1970). Er selbst verfaßte mehrere hundert Artikel
und Rezensionen. Daneben und danach entstanden über fünfzig kleinere und grö-
ßere Bücher. Zusammen mit dem Museumskustos und Kunstkritiker  Glaser gab
er 1921–32 im Insel-Verlag die Monographien-Reihe Deutsche Meister heraus, die
aber trotz namhafter Autoren nicht den erhofften Erfolg hatte.
Nachdem er sich anfangs für die nachimpressionistische »Stilkunst«, zum Beispiel
Henry van de Veldes, eingesetzt hatte, trat Sch. vor allem für die im Impressionismus
gipfelnde, von Naturanschauung ausgehende und in gediegenem Handwerk zum
Schönen führende Malerei ein, das heißt die schon zu Ende gehende Kunst einer
Spätzeit, wie er bald erkannte. Das brachte ihn in zunehmenden Gegensatz zu den
Anhängern des Expressionismus, Kubismus, Konstruktivismus. Mit seinem zeittypi-
schen Buch Der Geist der Gotik (1917) zerbrach eine bis dahin vorhandene partielle
Übereinstimmung mit dem jüngeren  Worringer. Der Parteigänger der Sezessi-
onskunst von Max Liebermann erblickte in den Ausstellungen der Freien Sezession
Scheffler 367

von 1919 den »Bankrott unserer Kunst«, nicht zuletzt, weil das Ausstellungswesen
nun das Sensationelle, den »Schlager«, den »revolutionären Kitsch« geradezu hervor-
bringe. Die Bestrebungen des Bauhauses lehnte er weitgehend ab. Er würdigte nur
zögernd das Streben von Ernst Ludwig Kirchner, später auch von Paul Klee, dem er
dennoch wünschte, er möge sich wie schon Picasso wieder mehr der Natur zuwen-
den, anstatt »Kunstkonfekt« für die »Salons der Intellektuellen« zu schaffen. Im
»Berliner Museumskrieg« (1921) griff er rüde  Ludwig Justis Konzept für das
»Museum der Gegenwart« im Berliner Kronprinzenpalais an, wofür dieser den
»Philosophaster« als »Kunstpapst« verspottete. 1933 fielen beide Kontrahenten glei-
chermaßen unter das Verdikt des NS-Regimes und seiner Kulturpolitik.
Sch. konnte in der Folgezeit, auch ohne sich zu kompromittieren, einige Bücher
und Zeitungsartikel veröffentlichen, seit 1942 auch in der schweizerischen Zeit-
schrift Das Werk. Im Krieg zog er sich an den Bodensee zurück. Dem 75jährigen
wurde gestattet, 1944 die Ehrendoktorwürde in Zürich anzunehmen, für die sich
besonders Gotthard Jedlicka (1899–1965), ein Spezialist für französische Malerei,
eingesetzt hatte. Erst nach dem Krieg ehrte auch die Technische Hochschule Stutt-
gart den Autodidakten, der vieles Hellsichtige über Architektur und Städtebau ge-
schrieben hatte, mit dem Doktorgrad. Er vollendete noch einige ins Grundsätzliche
zielende Bücher, eine Neufassung seiner Liebermann-Monographie und vor allem
gleich nach dem Ende der NS-Zeit den zweiten Teil seiner Autobiographie (Die
fetten und die mageren Jahre), die eine Fundgrube an Details aus dem Kunstleben und
an Charakterisierungen von Gelehrten und Museumsleitern ist und beachtenswerte
kunst- und kunstgeschichtstheoretische Ansichten enthält.
Sch. verknüpfte seine Kunsturteile von Anfang an mit weitausgreifenden Äuße-
rungen nicht nur zu Literatur, Theater und Musik, sondern auch zur geschichtli-
chen, sozialökonomischen und politischen Entwicklung und zur Lebensweise ins-
gesamt. Er benannte das Widersprüchliche in allem, was sich seit der Französischen
Revolution und im Kapitalismus vollzog, und stellte dem eine idealistische Hoff-
nung auf Verbesserung durch eine neue Ethik entgegen (Idealisten, 1909). Kunst-
theoretisch setzte er auf die »Empfindung« der Natur durch unbeeinflußte, starke
Persönlichkeiten, die nur ihrem Gewissen und ihrer inneren Stimme folgen (L’art
pour l’art, 1929). Die künstlerische Qualität, obwohl sie nicht beweisbar sei und auch
von ihm nicht genau definiert wurde, erschien ihm als »eine unerschütterliche
Wirklichkeit«, die nicht durch irgendeine »Gesinnung« aufzuwiegen sei, wie er das
zum Beispiel  Worringer vorhielt. Im Expressionismus sah Sch. trotz teilweiser
Achtung seines Bestrebens nur einen »manieristischen Ausläufer des Impressionis-
mus«, in ihm und anderen Ismen sogar einen geradezu wahnsinnigen Trieb zur
Selbstvernichtung, der die rücksichtslose Reaktion des Nationalsozialismus und
seiner »Animierkunst«, die Sch. uneingeschränkt ablehnte, zwangsläufig herbeige-
führt habe. In der Bewertung nationaler Züge der Kunst schwankend, betonte er
dennoch sogar zu Kriegsbeginn (Der Deutsche, 1914/15) und ebenso 1935 den euro-
päischen Zusammenhang. »Die Geschichte eines Jahrtausends lehrt, daß keine Na-
tion ihr Schicksal kulturell vom großen europäischen Schicksal ablösen kann [...].
Eine neue Baukunst wird nur aus europäischem Lebensgefühl hervorgehen« (Deut-
sche Baumeister). Das einzelne Kunstwerk war für ihn immer wichtiger als der Stil,
368 Scheffler

wie man in der Kunst die von der Geschichte bewirkten Ideen, die die Gemein-
schaft angehen, nenne. »Es gab nicht zuerst einen Barockstil, der sich Künstler erzog,
sondern es waren zuerst Künstler da, deren gemeinsames Formgefühl später barock
genannt wurde« (Die fetten und die mageren Jahre). Methodisch interessierten Sch.
trotz seiner kultur- und geistesgeschichtlichen Neigungen weder die gesellschafts-
politische Rolle von Kunstwerken noch die Ikonologie, deren Schöpfer  Panofsky
seinerseits 1929 eine Hamburger Ehrenpromotion Sch.s wegen dessen »antiwissen-
schaftlicher« Arbeitsweise ablehnte.
Unerwartet spekulativ waren Sch.s Konstrukte von weltgeschichtlichen Kunst-
entwicklungen und ihrer Periodizität, für die er in großen Zeiträumen dachte.
Schon in Der Geist der Gotik (1917) hatte er eine »gotische« Formenwelt, für die er
unübliche Kennzeichen ausmachte, auch in paläolithischen Höhlenmalereien, in
Ägypten, Babylon, Rom, Ostasien und im Barock sehen wollen, und in Das Phä-
nomen der Kunst (postum 1952 veröffentlicht) erwartete er eine Renaissance des
gotischen Geistes nach Ablauf von 1000 Jahren. Sein Bestes hatte Sch. mit der
Würdigung der realistischen und impressionistischen Malerei, und zwar vor allem
in Deutschland, gegeben. Sein mehrmals bearbeitetes, für  Carl Georg Heise
(1949) unübertroffenes Menzel-Buch unterstützte die voraufgegangenen Arbeiten
Meier-Graefes und  Tschudis in ihrer neuen Sicht auf die Kunst dieses Malers,
und ebenso lange förderte er das Verständnis der Kunst Liebermanns, an dessen
Grab er 1935 als einer von wenigen gestanden und eine würdigende Rede gehal-
ten hatte.

Werke: Unterricht im Kunstgewerbe, in: und Plastik, 2 Bde., Bln 1926–27; Der junge
Dekorative Kunst, 10, 1902, 365–384; Ludwig Tobias. Eine Jugend und ihre Umwelt, Lpz
von Hofmann, Bln 1902; Constantin Meu- 1927; L’art pour l’art, Lpz 1929; Holland, Lpz
nier, Bln 1903; Die moderne Malerei und 1930; Berlin. Wandlungen einer Stadt, Bln
Plastik, Bln 1904; Max Liebermann, Mü/Lpz 1931; Die impressionistische Buchillustration
1906; Moderne Baukunst, Bln 1907; Der in Deutschland, Bln 1931; Deutsche Baumei-
Deutsche und seine Kunst. Eine notgedrun- ster, Bln 1935; Deutsche Kunst in Vergangen-
gene Streitschrift, Mü 1907; Kunst und Indu- heit und Gegenwart, in: Österr. Rundschau,
strie, in: KtKtler, 6, 1907/08, 430–434; Die 3, 1937, 206–218; Michael Pacher. Altar von St.
Frau und die Kunst, Bln 1908; Paris, Lpz 1908; Wolfgang, KöT/Lpz 1938; Form als Schicksal,
Deutsche Maler und Zeichner im 19. Jh., Lpz Erlenbach/Zü/Lpz 1939; Max Slevogt, Bln
1909; Idealisten, Bln 1909; Berlin. Ein Stadt- 1940; Meister des schönen Handwerks, Wien
schicksal, Bln 1910; Max Liebermann als 1941; Die großen französischen Maler des 19.
Zeichner, in: KtKtler, 9, 1911/12, 342–353; Jh.s, Mü 1942; Andreas Schlüter. Denkmal des
Die Nationalgalerie zu Berlin. Ein kritischer Großen Kurfürsten, Bln 1942; Die fetten und
Führer, Bln 1912; Italien. Tagebuch einer die mageren Jahre. Ein Arbeits- und Lebens-
Reise, Lpz 1913; Die Architektur der Groß- bericht, Lpz/Mü 1946 (Bibliogr.); Max Lie-
stadt, Bln 1913; Henry van de Velde. Vier Es- bermann zum 100. Geburtstag, Hbg 1947;
says, Lpz 1913; Der Deutsche, in: KtKtler, 13, Grundlinien einer Weltgeschichte der Kunst,
1914/15, 49–51; Adolph Menzel, der Mensch, Bln 1947; Verwandlungen des Barocks in der
das Werk, Bln 1915; Deutsche Kunst, Bln 1915; Kunst des 19. Jh.s, Wien 1947; Lebensbild des
Bildnisse aus drei Jahrhunderten der altdeut- Talents, Bln 1948; Kunst ohne Stoff, Überlin-
schen und niederländischen Malerei, KöT gen 1950; Das Phänomen der Kunst. Grund-
1916; Der Geist der Gotik, Lpz 1917; Talente, sätzliche Betrachtungen zum 19. Jh., Mü
Bln 1917; Die Zukunft der deutschen Kunst, 1952; Max Liebermann, Wb 1953 (m. Vorw. v.
Bln 1920; Berliner Museumskrieg, Bln 1921; Carl Georg Heise); Eine Auswahl seiner Es-
Die europäische Kunst im 19. Jh., Malerei says aus Kunst und Leben 1905–50, Hbg 1969;
Scheffler 369

Der Architekt und andere Essays über Bau- 4, 1951, 320–321; Nemitz, Fritz: In memoriam
kunst, Kultur und Stil, Basel u. a. 1993 K.Sch., in: KschH, 50, 1951/52, Anhang, S. 62;
Literatur: Justi, Ludwig: Habemus Papam! Meunier, F./Leitl, A.: K.Sch. ist kürzlich ge-
Bemerkungen zu Sch.s Bannbulle »Berliner storben, in: Baukunst und Werkform, 4, 1951,
Museumskrieg«, Bln 1921; Westheim, Paul: 4–6; Utitz, Emil: Rez. von »Liebermann«, in:
Broschürenkrieg. Nachträgliche Anmerkun- DLZ, 76, 1955, 927–930 u. in: BK, 4, 1956,
gen zu Sch.s »Museumskrieg«, in: DKbl, 5, 671–673; Busch, Günter: Qualität. K.Sch.
1921, S. 314; Goering, Max: Rez. von »Die (1970), in: ders., Hinweis zur Kunst. Aufsätze
großen französischen Maler des 19. Jh.s«, in: und Reden, Hbg 1977, 235–238; März, Ro-
Pantheon, 15, 1942, S. 146; Eckstein, Hans: K. land: »Berliner Museumskrieg« 1921. K.Sch.
Sch. zum 80. Geburtstag, in: ZfK, 3, 1949, contra Ludwig Justi. Der Streit um die mo-
69–70; Heise, Carl Georg: K.Sch. zum 80. derne Kunst in der Nationalgalerie, in: Kunst-
Geburtstag (1949), in: ders., Der gegenwär- verhältnisse. Ein Paradigma kunstwissen-
tige Augenblick. Reden u. Aufsätze, Bln 1960, schaftlicher Forschung, Bln 1988, 99–104
85–86; Friedländer, Max J.: K.Sch., in: KChr, PHF

Schlegel, August Wilhelm/Schlegel, Friedrich


Geb. 8. 9. 1767 in Hannover; gest. 12. 5. 1845 in Bonn
Geb. 10. 3. 1772 in Hannover; gest. 11. 1. 1829 in Dresden

Die Brüder Sch. waren Dichter, Übersetzer, Philosophen. In ihrer geistigen Welt
gehörte der bildenden Kunst und der Kunstgeschichte nur ein Außenbezirk, von
dem jedoch starke Impulse auf die Disziplingeschichte ausgegangen sind. Während
sich  Wackenroder, der erste Kunstforscher der Romantik, zur Gotik noch halb-
herzig bekannte, ihm die italienische Kunst der Hochrenaissance über allem gestan-
den hatte, überschritten die Brüder Sch. die Schwelle zum Mittelalter tatsächlich;
nicht nur, daß sie sich mit Werken der Malerei vor Dürer – der deutschen und der
niederländischen – auseinandersetzten, sie entdeckten diese Kunst auch mit ihrem
Herzen, und noch nie zuvor hatte jemand den historischen Aspekt der Kunster-
kenntnis so deutlich gesehen wie sie. Wie alle Kunstgeschichte seit Vasari ankerte
auch die Sch.sche in den großen Künstlern, deren Hervorbringungen, die Kunst-
werke, aber nun eine weitaus stärkere Beachtung fanden als bisher. Verglichen mit
den Gemäldebeschreibungen des 18. Jahrhunderts tritt dabei ein erstaunlich ent-
wickelter Sinn für die bildspezifische Form zutage.
In den für die Literaturgeschichte bedeutenden 1790er Jahren, als sich in Dres-
den, Jena und Berlin unter aktiver Mitwirkung der Brüder Sch. die Frühromantik
formierte, galten in der bildenden Kunst noch weitgehend die Anschauungen
 Winckelmanns als verbindlich. Nach dem Muster seines epochalen Werkes über
die antike Kunst plante Friedrich Sch. eine Geschichte der griechischen und römi-
schen Dichtkunst (1. Teil, 1798). Ganz konform mit dem klassizistischen Kunstideal
ging auch noch August Wilhelm Sch. in seinem 1799 für das Athenäum geschriebe-
nen Text Die Gemälde. Gespräch, in dessen Mittelpunkt Raffael und die Hochrenais-
sance stehen. Neu war indessen die Methode. Die im 18. Jahrhundert weitverbreitete
Form der poetischen Kunstbeschreibung eines  Winckelmann, Mengs, Lessing,
Forster oder  Heinse geriet im Sinne der romantischen Gemeinschaftsidee hier
zum vertrauten, intensiven Dialog zwischen Gleichgesinnten, die sich nicht nach
370 Schlegel

den »abstrakten und hohlen Theorien« der akademischen Kunstkritik richteten,


sondern sich auf ihre Augen und ihre Intuition verließen. Das Gemälde-Gespräch
in der Dresdner Galerie kommt weitgehend ohne den kunstgeschichtlichen Rekurs
aus, was auf einen Mangel an Wissen, einen begrenzten historischen Horizont, aber
auch auf eine besondere Neigung zum Systematischen zurückzuführen ist.
Anders als sein jüngerer, geschichtsbewußterer Bruder hat August Wilhelm Sch.
deshalb kaum Bedeutung für die Kunstgeschichtsschreibung erlangt, wohl aber für
die kunstwissenschaftliche Hermeneutik und dank seiner Vorlesungen über schöne
Literatur und Kunst, die er 1801–04 in Berlin hielt, auch für Theorie und Methodo-
logie der Kunstwissenschaft. Hier von Interesse ist der systematische erste Teil, die
sogenannte Kunstlehre; in Teil 2 und 3 behandelt er die Literaturgeschichte der
Antike, des Mittelalters und der Neuzeit. Ausgehend von Winckelmann, Herder,
nicht zuletzt Schelling und seinen Jenenser und Berliner Mitstreitern entwickelt er
eine Kunstphilosophie, die in sich Theorie, Geschichte und als vermittelndes Glied
Kritik begreift und die für alle Künste, eingeschlossen Architektur, Plastik und Ma-
lerei, Geltung beansprucht. Der Grundgedanke ist, daß die Kunstgeschichtsschrei-
bung, will sie sich nicht »in zwecklose und ermüdende Überhäufung« von Tatsachen
verlieren, einer sie leitenden Theorie bedarf, die Aussagen über das Wesen der Kunst
macht, die zum Beispiel die Kunstgattungen in ein System bringt, Prinzipien der
Tatsachenauswahl und Gesetze der Kunstentwicklung aufstellt. August Wilhelm
Sch. behauptet, wie fast 100 Jahre später wieder  Riegl und  Wölfflin, daß die
Kunstgeschichte immanenten Gesetzen gehorcht: Auf die Ilias sagt er, habe, als ihr
poetischer Gegensatz die Odyssee »folgen müssen«. Oder: »Der tragische Stil des
Aischylos weist bestimmt auf den des Sophokles hin«, das heißt, »die Erscheinungen
im Gebiete der Kunst sind also objektiv notwendig«; jedoch setzten sich diese Ge-
setze in der Wirklichkeit zufällig durch. Diese Vorgänge zu beschreiben, sei nun
Aufgabe der Kunstgeschichte, die sich allerdings nur »im Ganzen [...] auf eine Idee«
beziehen solle, »in den einzelnen Teilen muß die vollkommenste Empirie herr-
schen«. Die Ergebnisse der empirischen Kunstgeschichtsforschung seien umgekehrt
insofern für die Theorie wichtig, als sie das konkrete Material zur Verfügung stellen.
Bei der Kunstkritik schließlich arbeiten Theorie und Geschichte Hand in Hand.
Das wirkliche Kunstwerk zu erleben und zu begreifen, stand für August Wilhelm
Sch. obenan. Die Kunstgeschichte hatte bei ihm noch dienende Funktion, ehe sie
im Schlepptau des Historismus im Verlaufe des 19. Jahrhunderts die Alleinherrschaft
innerhalb der kunstwissenschaftlichen Disziplinen eroberte und das einzelne Werk
zum historischen Dokument reduzierte.
Nach Auflösung des Jenenser Romantikerkreises versuchte August Wilhelm Sch.
sein Glück in Berlin, der Bruder Friedrich ging über Dresden, wo er Philipp Otto
Runge kennenlernte, 1802 nach Paris. Hier trat die bildende Kunst in seinen Ge-
sichtskreis und verfaßte er für die auf seine Anregung gegründete Zeitschrift Europa
vier Aufsätze über Gemälde des Musée Napoleon, vorerst über italienische Meister
des 16. Jahrhunderts, dann auch über die von Wackenroder noch unberücksichtigte
vorraffaelische Malerei und die der deutschen und niederländischen Meister des
Spätmittelalters. Er gab dabei als einer der ersten dem bis dahin »dunklen« Zeitalter
zwischen Antike und Renaissance eine erkennbare historische Gliederung. Auch
Schlegel 371

rückte er die Malerei endgültig aus dem Schatten der Plastik; Malerei hieß für ihn
nicht Kontur und Volumen, sondern vor allem Farbe. Im Mittelpunkt seines Inter-
esses stand zwar immer noch das Einzelwerk, aber im Unterschied zu dem Ge-
mälde-Gespräch seines Bruders von 1799 spielten kunstgeschichtliche Zusammen-
hänge für ihn eine weitaus größere Rolle. Hier wurde in die Praxis umgesetzt, was
dieser in seinen Berliner Vorlesungen gefordert hatte. Andererseits ließ Friedrich
Sch. keinen Zweifel daran aufkommen, daß Kunstwerke nur »nach einer bestimm-
ten eigentümlichen Ansicht der Kunst« beurteilt werden können. Seine Theorie
sollte jedoch keine »willkürlich ersonnene« sein, sondern eine »geschichtliche«, die
sich auf die »ersten und vorzüglichen italienischen und deutschen Maler gründet«.
Damit war an die Stelle der obsolet gewordenen klassizistischen eine neue, roman-
tische Kunstnorm getreten. Während August Wilhelm Sch. die heidnische Antike
und das christliche Mittelalter als zwei gleichwertige »Möglichkeiten« angesehen
hatte, erhob auf Schelling fußend Friedrich Sch. die Kunst der Gotik oder des
Mittelalters – für ihn waren beide Begriffe gleichbedeutend – zum Maß aller Dinge.
In bewußter Polemik gegen Winckelmann kehrte er dessen fragwürdige These vom
positiven Einfluß des südlichen Klimas auf die Kunstblüte der Antike ins Gegenteil:
Gerade wegen seiner Kargheit sei »das arme nördliche Europa auch das eigentliche
Land der Kunst«.
Sein Interesse für die Architektur des Mittelalters weckten die  Brüder Boisse-
rée, die Friedrich Sch. 1803 in Paris zum erstenmal traf und mit denen er 1804/05
eine denkwürdige Reise unternahm: von Paris nach St. Denis, Cambrai, Brüssel,
Löwen, Lüttich, Aachen, Neuß, Düsseldorf, Köln, den Rhein hinauf nach Straßburg,
nach Basel, Bern, Lyon und wieder zurück nach Paris. Die in Köln verfaßten Briefe
auf einer Reise durch die Niederlande, Rheingegenden, die Schweiz und einem Teil von
Frankreich zeugen von Verständnis nicht nur für die gotische, sondern auch die ro-
manische Architektur. Friedrich Sch. interessiert sich für die historische Entwick-
lung von Bauformen, den Zusammenhang zwischen Material und Gestalt, zwischen
der Struktur der gotischen Kathedrale und der sie schmückenden Skulpturen, und
er schließt begrifflich die Lücke zwischen der Renaissance und der Antike, indem
er die mittelalterliche Baukunst in eine »altchristliche«, die er auch »neugriechische«
und »neurömische« nennt, und eine »romantische« Periode untergliedert – nach
heutiger Terminologie in Romanik und Gotik.
Friedrich Sch. versuchte, mit seinen Auffassungen von Kunst und Kunstgeschichte
auf das aktuelle Kunstgeschehen Einfluß zu nehmen. Die aus dem Geist der christ-
lichen Religion hervorgegangene Kunst des Mittelalters empfahl er als nachstre-
benswertes Vorbild. Hoffnungsvolle Ansätze schienen ihm bei den deutschen Naza-
renern in Rom, zu denen auch sein Stiefsohn Philipp Veit gehörte, gegeben. 1819
trat er anläßlich einer Ausstellung zu Ehren des österreichischen Kaisers mit einem
programmatischen Aufsatz in den Wiener Jahrbüchern für Literatur für sie öffentlich in
die Schranken. Es war ein Engagement für eine neue Kunst, die – dies deutete sich
in den Europa-Aufsätzen bereits an – ihre schwer erstrittene Autonomie aufgeben
und sich wieder in den Dienst der christlichen Religion begeben sollte.
372 Schlegel

Werke: August Wilhelm Sch.: Kritische Dt. Museum, Bd. 1, 1812, 248–287; Schloß
Schriften, 2 Bde., Bln 1828; Sämtliche Werke, Karlstein bei Prag, in: ebd., Bd. 2, 1812, 357–
12 Bde., Lpz 1846/47 (Bd. 9 über Malerei, bil- 365; Über die deutsche Kunstausstellung zu
dende Künste und Theater); Die Kunstlehre, Rom im Frühjahr 1819 und über den gegen-
in: Kritische Schriften und Briefe, Bd. 2, Stg wärtigen Stand der deutschen Kunst in Rom,
1963; Kritische Ausgabe der Vorlesungen, in: Neue Wiener Jbb., Bd. 7, Juli–Sept. 1819,
Pad/Mü/Wien/Zü 1989ff. Anzeigenblatt für Wiss. u. Kunst, Nr. 7, 1–16;
Vorlesungen über philosophische Kunstlehre Die hl. Cäcilia von Ludwig Schnorr, in: Ar-
(Jena 1798–99); Die Gemälde. Gespräch, in: chiv f. Geschichte, Statistik, Literatur und
Athenäum, 1799, 2/1, 39–151; Über Zeich- Kunst, Bd. 14, 28. 3. 1823, Nr. 38, 197–199;
nungen zur Geschichte und John Flaxman’s Pagine su Raffaello, hrsg. v. Rosario Assunto,
Umrisse, in: ebd., 1799, 2/2, 193–246; Vorle- Urbino 1973; Gemälde alter Meister, Da
sungen über schöne Literatur und Kunst 1984
(Berlin 1801–04); Über die Berlinische Kunst- Literatur: Minor, Jakob: F.Sch. 1794–1802,
ausstellung von 1802, in: Zeitung f. d. ele- Wien 1882; Pichtos, Nikolaus Michael: Die
gante Welt, 1803, Nr. 4–9; Über das Verhältnis Ästhetik A.W.Sch.s in ihrer geschichtlichen
der schönen Kunst zur Natur. Über Täu- Entwicklung, Bln 1894; Sulger-Gebing, Emil:
schung und Wahrscheinlichkeit. Über Stil Die Brüder Sch. und ihr Verhältnis zur bil-
und Manier. Aus Vorlesungen, in: Prometeus, denden Kunst, Mü 1897; Lederbogen, Fried-
1808, H. 5/6, 1–28; Rez. von Johann Joachim rich: F.Sch.s Geschichtsphilosophie, Lpz 1908;
Winckelmann, Werke, Bd. 1–4 (1808–11), in: Waetzoldt 1921, 232–272; Besenbeck, Alfred:
Heidelbergische Jbb. d. Literatur, 1812, Nr. Kunstanschauung und Kunstlehre A.W.Sch.s,
5–7, 65–112; Johann von Fiesole. Nachricht Bl 1930; Emmersleben, August: Die Antike in
von seinem Leben und Beschreibung seines der romantischen Theorie. Die Gebrüder
Gemäldes »Mariä Krönung und die Wunder Sch. und die Antike, Bln 1937; MacMahon,
des hl. Dominikus«, in: Mariä Krönung und John F.: F.Sch. and Winckelmann, NY 1962;
die Wunder des hl. Dominikus, gezeichnet Woldrich, Ingrid: F.Sch. und Johann Joachim
von Wilhelm Ternite, Paris 1817; Vorerinne- Winckelmann, Diss. Innsbruck 1971; Klein,
rung zu dem Verzeichnis von d’Altons Ge- Ursula: Der Beitrag F.Sch.s zur Entwicklung
mäldesammlung und ausführliche Beurtei- der frühromantischen Kunstanschauung, in:
lung dieser darin befindlichen Bilder, in: WB, 20, 1974, 80–101; Pochat, Götz: A.W.Sch.
Verzeichnis einer von Eduard d’Alton hinter- als Vorläufer einer hermeneutischen Kunstge-
lassenen Gemäldesammlung, Bonn 1840 schichte, in: ACIB, Bologna 1982, 45–53;
Friedrich Sch.: Sämtliche Werke, 10 Bde., Schanze, Helmut (Hrsg.): F.Sch. und die
Wien 1822–25; Sämtliche Werke, 15 Bde., Kunsttheorie seiner Zeit, Da 1985; Nimmen,
Wien 1846; Kritische Ausgabe, 35 Bde., Mü/ Jane van: F.Sch.s Response to Raphael in Pa-
Pad/Wien 1958ff.; Ansichten und Ideen von ris, in: The Documented Image.Visions in Art
der christlichen Kunst, in: Kritische Ausgabe, History, Syracuse 1987, 319–333; Rose, Ulrich:
Bd. 4, 1959 F.Sch. und die Nazarener, in: Gerd-Helge Vo-
Nachrichten von den Gemälden in Paris, in: gel (Hrsg.), Julius Schnorr von Carolsfeld und
Europa, 1/1, 1803, 108–157; Vom Raffael, in: die Kunst der Romantik, Greifswald 1996,
ebd., 1/2, 1803, 3–19; Nachtrag italienischer 232–238; Telesko, Werner: F.Sch. und die
Gemälde, in: ebd., 2/1, 1803, 96–116; Zweiter Konzeption der Kunst als »Reliquie der göttl.
Nachtrag alter Gemälde, in: ebd., 2/2, 1805, Offenbarung«, in: Kunst-Jb. der Stadt Linz,
1–41; Dritter Nachtrag alter Gemälde, in: 1996/97 (1998), 10–24; Zelle, Carsten: Ästhe-
ebd.; Briefe auf einer Reise durch die Nie- tik des Hässlichen. F.Sch.s Theorie und die
derlande, Rheingegenden, die Schweiz und Schock- und Ekelstrategien der ästhetischen
einem Teil von Frankreich, in: Poet. Taschen- Moderne, in: Silvio Viette (Hrsg.), Ästhetische
buch für das Jahr 1806, Bln 1806, 257–390 Moderne in Europa, Mü 1998, 197–233; Bek-
(unter dem Obertitel »Grundzüge der goti- ker, Claudia: Naturgeschichte der Kunst. A.
schen Baukunst« in »Ansichten und Ideen W.Sch.s ästhetischer Ansatz im Schnittpunkt
von der christlichen Kunst«, dem 6. Band der zwischen Aufklärung, Klassik und Frühro-
Gesamtausgabe, 1822–25); Aussichten für die mantik, Mü 1998; Schröter, Elisabeth: Raffael
Kunst in dem österreichischen Kaiserstaat, in: und der Heilige Lukas. A.W.Sch.s »Legende
Schlegel 373

vom Heiligen Lukas«, in: ZfKg, 62, 1999, 418– und Religion bei A.W.Sch., Friedrich Schlei-
431; Herding, Klaus: F.Sch. und Eugène Dela- ermacher und Johann Michael Sailer, in: Bei-
croix, in: Olivier Christin (Hrsg.), Crises de träge zur Geschichte des Bistums Regens-
l’image religieuse, Paris 1999, 191–212; Tele- burg, 35, 2001, 299–304; Wegner, Reinhard:
sko, Werner: F.Sch. und die Frühgeschichte Der geteilte Blick. Empirisches und imaginä-
des Historismus zum Verhältnis von Religion res Sehen bei C. D. Friedrich und A.W.Sch.,
und Geschichte in der bildenden Kunst des in: ders. (Hrsg.), Kunst – die andere Natur,
19. Jh.s, in: Kunsthist. Jb. Graz, 27, 2000, 40– Gö 2004, 13–33
60; Kohlhäufl, Michael: Das höchste Kunst- PB
werk. Die Verhältnisbestimmung von Kunst

Schlosser, Julius Alwin (Ritter von)


Geb. 23. 9. 1866 in Wien; gest. 1. 12. 1938 in Wien

Gründliche Erschließung von Schriftquellen und intensive Arbeit an Kunstwerken


in Museen, zwei Hauptanliegen der sich in den 1860er Jahren formierenden Wiener
Schule der Kunstwissenschaft, verknüpfte Sch., der einer ihrer ersten Chronisten
wurde, in der zweiten Hälfte seines langen Arbeitslebens vor allem mit der Verbrei-
tung einer hegelianischen Kunst- und Kunstgeschichtstheorie. Nationalitätenpro-
blematik – Sch. war teils deutscher, teils italienischer Herkunft – und konservative
Distanz zu sozialen und politischen Entwicklungen in Österreich vor allem nach
1918 trugen zur Eigenart seiner introvertierten, nach der stillen Studierstube drän-
genden Persönlichkeit und zu Widersprüchen in seinem Lebenswerk bei.
Das Studium in Wien machte Sch., wie er sagte, zum »Urschüler«  Wickhoffs,
von dem er die damals virulente Problematik des Übergangs von der Antike zum
Mittelalter übernahm. Mit der Dissertation von 1888 über Klosteranlagen im Früh-
mittelalter begann seine am Institut für Österreichische Geschichtsforschung bei
Theodor von Sickel erlernte Auswertung von Schriftzeugnissen. Seine überragen-
den Kenntnisse dieses Materials schlugen sich in einer dichten Folge von Veröffent-
lichungen nieder. Als Zusammenfassung erschien 1924 Die Kunstliteratur, eine bis
zur Frühromantik reichende, vor allem Italien berücksichtigende Gesamtdarstel-
lung, die ein Standardwerk blieb. Nach einem halbjährigen Studienaufenthalt in
Rom arbeitete Sch. 1889–1922 im Wiener Kunsthistorischen Museum, erst im
Münzkabinett, dann in der »kunstindustriellen« Abteilung und seit 1901 als Direktor
der Sammlung für Plastik – seine »Lieblingskunst« – und Kunstgewerbe. Er habili-
tierte sich 1892, erhielt 1901 den Professorentitel, wurde 1909 korrespondierendes
und 1914 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften sowie 1913 Hof-
rat. Eine Berufung 1903 nach Prag lehnte er ab. Nach  Dvoáks vorzeitigem Tod
wollte er  Pinder für dessen Nachfolge gewinnen, übernahm dann in »Soldaten-
pflicht« 1922 selbst den II. Lehrstuhl, um die Wickhoff-Tradition der Wiener Schule
gegen den seit 1909 lehrenden  Strzygowski zu verteidigen. Er bedauerte, nie
einen Ruf an eine deutsche Universität erhalten zu haben.
Sch. befaßte sich viel mit kunsthandwerklichen »Randgebieten« der Kunstge-
schichte und mit der außerkünstlerischen Bedeutung von Kunsterzeugnissen. Er
erforschte grundlegend das vormuseale Sammeln von Kunst und anderen Objekten
374 Schlosser

seit der Urgeschichte und die kultisch begründete, extrem naturnachahmende, im


Panoptikum mündende Porträtbildnerei in Wachs. Der leidenschaftliche Cellospie-
ler zog nicht nur häufig Vergleiche zwischen bildender Kunst und Musik, sondern
bearbeitete auch wissenschaftlich die Wiener Sammlung alter Musikinstrumente.
Philosophie und Belletristik waren ihm vertraut. So war er eigentlich für ein Ver-
ständnis der Kunstgeschichte als Teil einer umfassenden Kulturgeschichte disponiert
und konnte zumindest der geistesgeschichtlichen Sicht Dvoáks nahekommen, weil
seiner Auffassung zufolge immer »der immanente Geist die primäre Tat« und zum
Beispiel Immanuel Kants »Weltdenken« viel wirksamer als die »bloß äußerliche«
Französische Revolution gewesen sei (Die Kunst des Mittelalters, 1923). Dennoch
lehnte er L’art pour l’art ausdrücklich ab. Interdisziplinäre Gemeinschaftsarbeit und
Forschungsorganisation wurden ihm vergällt, weil sein Feind Strzygowski sie er-
folgreich betrieb.
Sch. nahm sein kulturgeschichtliches Interesse immer mehr zurück, seit ihm ab
1902 die Philosophie, Geschichtstheorie und Ästhetik des gleichaltrigen Hegelianers
Benedetto Croce (1866–1952), des »einsamen neapolitanischen Denkers«, als weg-
weisend für einen neuen Kunstbegriff erschienen. Darin stimmte er mit dem ein-
flußreichen Romanisten Karl Vossler überein, der sein Freund wurde. Sch. übersetzte
wichtige Arbeiten Croces ins Deutsche und pries ihn in allen eigenen Schriften.
Mit Croce und Vossler unterschied er wertvolle Kunstwerke, die schöpferischer
Eigenausdruck eines Individuums seien, »Stil« aufwiesen und monadenhaft keiner
Entwicklung angehörten, vielmehr gemeinsam die »ars una« bildeten, die nur erlebt,
nicht begrifflich erklärt werden könne, von der geläufigen Kunstproduktion, die
nur »Sprache«, nicht aber »Poesie« sei. Allenfalls für diese Sprachgeschichte ließ er
außerkünstlerische Triebkräfte oder Erklärungen zu.
Er bekämpfte besonders den »soziologischen Irrgarten« (»Stilgeschichte« und
»Sprachgeschichte« der bildenden Künste, 1935) wie auch die »widerwärtige nationali-
stische und rassenhafte Geschichtsauffassung der neuesten Zeit«, aber ebenso die
allzu intellektuellen »Abstraktionen«  Riegls, das »ganz unpersönlich begriffsreali-
stisch geformte concetto seines ›Kunstwollens‹« (Ein Lebenskommentar, 1924), wie
den »Unfug der moralisierenden [Kunst-]Betrachtung« (Vorwort zur Übersetzung
von Croces Zur Theorie und Kritik der Geschichte der bildenden Kunst, in: WJbfKg,
1926) und die Historisierung des Kunstbegriffs durch Dvoák. »Zeitstile« hielt er für
eine Fiktion. Die »angebliche Entwicklung der Kunst« ließe sich nicht beschreiben;
möglich seien nur Monographien von Individuen und deren innerer Entwicklung.
Dies leistete Sch. für Lorenzo Ghiberti, mit dem er sich seit 1896 befaßte. Ghibertis
Commentarii, die auch einen Anfang der Kunstgeschichtsschreibung ausmachten,
edierte er 1912 mustergültig; die unvollständige Monographie ohne jede stilge-
schichtliche Einordnung ins italienische Umfeld vollendete er kurz vor seinem
Tode. Dazwischen erschien 1920 eine kleine, »der deutschen Heimat« gewidmete
Übersetzung Ghibertis; ihr Vorwort bebt vor Zorn auf »unsere angeblichen Besie-
ger« und »unverlöschlicher Hoffnung« auf die Heimkehr der »uralten deutschen
Ostmark« zu ihrer »wahren und einzigen Heimat« Deutschland, will aber zugleich
Brücken zum »guten« Italien schlagen, das er so liebte. Er fügte seinem Namen den
seiner Mutter, Magnino, hinzu.
Schlosser 375

In Einzelstudien charakterisierte und wertete Sch. einige Künstler des Quattro-


cento sehr subjektiv. Seine gelehrten Schriften, die stets voller Abschweifungen und
weitreichender Verweise sind, setzten immer fachkundige Leser voraus, polemisier-
ten rücksichtslos gegen Fachkollegen und Ästhetiker mit anderen Auffassungen und
nahmen regelmäßig, meistens scharf ablehnend, auf zeitgenössische Kunst Bezug. In
der für einen breiteren Kreis von Gebildeten gedachten Kunst des Mittelalters (1923),
einer »Einführung in die Kunstsprache des Mittelalters«, die zum inneren Erleben
des Stils hinführen will, findet sich kaum ein genaues Datum für ein einzelnes Werk,
dafür – ähnlich wie kurz zuvor bei  Worringer – mancher Vergleich mit der
Antike wie auch mit Ferdinand Hodler.
Sch.s Bewunderung für den schönlinig gestaltenden Ghiberti, den erst die Zeit
des Jugendstils wieder aufwertete, deuteten einige auch als Gegenposition zur Vor-
liebe für den »naturalistischen« Donatello bei Sch.s Berliner Konkurrenten um
 Bode. Die Abneigung gegen den im Umfeld Dvoáks wieder geschätzten Ma-
nierismus führte selbst im Ghiberti-Buch von 1912 zu einer verächtlichen Bemer-
kung über El Greco, »die letzte Neuheit der literarischen Commis-voyageurs«,
womit er vor allem  Meier-Graefe meinte. Den Begriff »Armeleutekunst« griff
Sch. 1921 ironisch auf, um mit Erkenntnissen zu Arbeitsdarstellungen in der Re-
naissance aktuellen Tendenzen einer sozialkritischen Kunst zu widersprechen.
Der gelehrte Humanist alten Stils mit elitärem Kunstbegriff kämpfte zuletzt ver-
unsichert gegen ein Endzeitbewußtsein an. Obwohl er ein unpädagogischer Lehrer
war, regten sein enzyklopädisches Wissen und sein künstlerisches Feingefühl vor
Originalen eine Reihe bedeutender Schüler wie  Gombrich,  Hahnloser,
 Pächt,  Sedlmayr und Otto Kurz zu unterschiedlichen eigenen Leistungen für
die Entwicklung des Faches an.
Werke: Die abendländische Klosteranlage sätze, Bln 1927; Ein Künstlerproblem der Re-
des frühen Mittelalters, Wien 1889; Schrift- naissance. L.B. Alberti, in: Sber. d. AdW in
quellen zur Geschichte der karolingischen Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 210, 2. Abh., 1929; In
Kunst, Wien 1892; Die Bilderhandschriften memoriam Wilhelm von Bode, in: MKhIF,
König Wenzels I., in: JbkSAK, 1893, 214–317; 3, 1919–32, 150–159; Künstlerprobleme der
Die Kunst- und Wunderkammern der Spät- Frührenaissance, II–IV, in: ebd., Bd. 214, 5.
renaissance. Ein Beitrag zur Geschichte des Abh., Wien/Lpz 1933; Die Wiener Schule der
Sammelwesens, Lpz 1908; Werke der Klein- Kunstgeschichte. Rückblick auf ein Säkulum
plastik, Wien 1910; Geschichte der Porträt- deutscher Gelehrtenarbeit in Österreich, in:
bildnerei in Wachs. Ein Versuch, in: JbkSAK, MIfÖG, Erg.-Bd. 13, H. 2, 1934; »Stilge-
1910/11, 171–258 (Nd. 1993); Die Sammlung schichte« und »Sprachgeschichte« der bilden-
alter Musikinstrumente. Beschreibendes Ver- den Künste. Ein Rückblick, in: Sber.Bayer.
zeichnis, Wien 1920; Lorenzo Ghibertis AdW, phil.-philolog. u. hist. Abt., 1935, H. 1;
Denkwürdigkeiten (I Commentarii), 2 Bde., Leben und Meinungen des florentinischen
Bln 1912; Denkwürdigkeiten des florentini- Bildners Lorenzo Ghiberti, Basel/Mü 1941
schen Bildhauers Lorenzo Ghiberti, Bln 1920; Literatur: Tietze, Hans: J.Sch. zum 60. Ge-
»Armeleutekunst« alter Zeit, in: Jb. f. Kunst- burtstag, in: Belvedere, 9/10, 1926, 167–172;
sammler, 1921, 47–66; Unsere Musikinstru- FS für J.Sch. zum 60. Geburtstag, Zü/Lpz/
mente. Eine Einführung in ihre Geschichte, Wien 1927; Kurz, Otto: J.v.Sch. Personalità,
Wien 1922; Die Kunst des Mittelalters, Pd metodo, lavoro, in: CdA, 2, 1955, 402–419; Po-
1923; Die Kunstliteratur. Ein Handbuch zur dro, Michael: Against Formalism. Sch. on Stil-
Quellenkunde der neueren Kunstgeschichte, geschichte, in: AlKW, 1/1, 37–43; Seiler, Mar-
Wien 1924; Ein Lebenskommentar, in: Jahn tin: Aspekte theoretischer Kongruenz von
1924, 95–134; Präludien. Vorträge und Auf- Wiener Schule und Warburg-Kreis. Edgar
376 Schlosser

Wind und J.v.Sch., in: Kunsthistoriker, 5, 177–162; Kornmeier, Uta: Rez. von »Ge-
1987, 10–12; Johns, Karl T.: J.v.Sch., in: KB, 16, schichte der Porträtbildnerei in Wachs«, in:
1988, 4, 47–64; Frodl-Kraft, Eva: Eine Aporie KB, 24, 1996, 2, 40–42; Lönne, Karl Egon
und der Versuch ihrer Deutung, Josef Strzy- (Hrsg.): Carteggio Croce-Sch., Bologna
gowski – J.v.Sch., in: WJbfKg, 1989, 7–52; Alt- 2003
meister 1990, 151–162; Hofmann, Werner: PHF
Bode und Sch., in: JbBM, 1996 (Beiheft),

Schmalenbach, Fritz
Geb. 13. 7. 1909 in Köln; gest. 27. 6. 1984 in Lübeck

Die nicht sehr zahlreichen und meistens recht kurzen Veröffentlichungen Sch.s
gelten vorwiegend der Kunst des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts und
hartnäckigen Bemühungen um schärfere Definitionen einzelner Stile wie des
Kunstbegriffs überhaupt. Dabei, wie im Urteil über einige Künstler, widersprach
Sch. mehrmals den vorherrschenden Auffassungen. Er fand Gauguin ziemlich banal,
Corbusier und das Bauhaus historisch sekundär oder epigonal.
Der Sohn eines Ökonomieprofessors studierte in Berlin bei  Brinckmann, in
Freiburg i.Br., Köln, Basel und Münster, wo er Anfang 1934 über den Jugendstil
promovierte. Da er nach der Rassenideologie der Nationalsozialisten ein Halbjude
war, emigrierte er im selben Jahr in die Schweiz und beschäftigte sich bald auch mit
der Kunst dieses Landes. Er referierte beim 14. Internationalen Kongreß für Kunst-
geschichte, der 1936 in mehreren Städten der Schweiz stattfand, hielt Vorträge und
arbeitete zu Fragen der Gegenwartskunst. 1945 wurde er Assistent und 1950 Kurator
am Museum in Bern und 1956–74 Direktor des Museums für Kunst und Kulturge-
schichte in Lübeck sowie 1970 Honorarprofessor an der Universität Kiel. Sein
jüngerer Vetter Werner Schmalenbach (geb. 1920) begann gleichzeitig seine erfolg-
reiche Laufbahn als Museumsdirektor in Hannover und Düsseldorf.
Als Sch. sich – mit »der ersten grundlegenden Untersuchung des Phänomens«
(Hans H. Hofstätter, 1963) – dem Jugendstil zuwandte, wurde dieser von der Kunst-
wissenschaft noch wenig beachtet und vom Zeitgeschmack abschätzig behandelt.
Sch. gehörte mit Ernst Michalski, Dolf Sternberger,  Pevsner und Friedrich Ah-
lers-Hestermann zu denen, die den Blick von der verflachten Massenproduktion
weg und hin zu den originalen Anfangsleistungen lenkten, die er allerdings zu sehr
nur in ihren deutschen Beispielen beachtete. Er definierte die Merkmale des Ju-
gendstils nicht nur für das Kunstgewerbe, sondern auch, wie als erster  Hamann,
dem er sich anschloß, für Werke der Malerei. Er theoretisierte über das Verhältnis
von Fläche und Raum wie über die Bindung des Jugendstils an den Historismus.
Margarete Riemschneider-Hoerner vermißte in einer Rezension die Untersuchung
des manieristischen Charakters des Jugendstils. Sch. ging es aber bald mehr um
andere Probleme, ihn beschäftigten die Herausbildung einer »sachlichen« Kunst
bereits um die Jahrhundertwende und der »Frühexpressionismus« in der sonst vor-
wiegend »Nachimpressionismus« genannten Malerei nach 1885.
Seine Begriffsklärung, deren Eigensinn mit den Vorschlägen  Georg Schmidts
vergleichbar ist, trieb er am weitesten in dem Kongreßvortrag von 1936 Jugendstil
Schmalenbach 377

und Neue Sachlichkeit, den er später nur in wenigen Punkten revidierte, und in dem
kleinen Aufsatz »Gegenständliche« Malerei, den er 1939 für eine Broschüre der Baseler
Künstlervereinigung »Gruppe 1933« verfaßte. Den komplizierten Texten ist der
Wunsch abzulesen, vom »heutigen Kunstformalismus« loszukommen, »an die Stelle
der wurzellosen und totgeborenen Willkür des Formschöpferischen das Gesetzliche
der Sachgegebenheit zu rücken, das allein etwas Sinnvolles ergibt und das allein die
Dauer des organisch Gewachsenen verspricht«. Er hatte dabei besonders das Bauen
und die Schaffung von »Zweckgegenständen« im Sinn. Den von  Hartlaub einge-
führten Begriff Neue Sachlichkeit hielt er für unzutreffend. In »Gegenständliche«
Malerei hob er vor allem hervor, daß »sachlich« die Lösung einer Aufgabe, beispiels-
weise eines Porträts, nicht aber eine Darstellungsweise sei. Der Gegensatz dazu sei,
wenn die Malerei selbst zum »Gegenstand« werde wie seit der impressionistischen
Landschaftsmalerei und besonders in der neuen abstrakten, besser »konkret« zu
nennenden Malerei. In Die Malerei der Neuen Sachlichkeit (1973) versuchte er, nicht
nach ideologisch »links« oder »rechts«, sondern nach dem Anteil von Abstraktion
und noch besser nach »gefülltem oder leerem Realismus« zu gliedern und auch von
der »Sinn-Hohlheit des heutigen Photo-Realismus« abzugrenzen. Gleichzeitig
machte er darauf aufmerksam, daß die Kunstgeschichte beweise, daß »Bild« und
»Kunstwerk« nicht dasselbe seien. Im Jugendstil habe ein Stuhl zur freien Kunst-
schöpfung werden können; ein gegenstandstreues, realistisches Bild könne ein Ge-
brauchsding sein. Wichtig war Sch. auch, zwischen der »Verselbständigung des Bil-
des« als einem spezifischen Ausdruck des »formalistischen Prinzips« und der
»Verzerrung der Natur« zu unterscheiden, die »naturalistisch« bleiben könne wie
bei van Gogh und dem von ihm besonders geschätzten Kokoschka (Grundlinien des
Frühexpressionismus).
Werke: Jugendstil. Ein Beitrag zur Theorie such einer Systematisierung, in: WRJb, 1966,
und Geschichte der Flächenkunst, Würzburg 145–158; Die Frage einer Jugendstilmalerei,
1935; Jugendstil und Neue Sachlichkeit, in: in: Mitt. d. Österr. Galerie, 10, 1966, 53–68;
Das Werk, 24, 1937, 129–134; The Term Neue Oskar Kokoschka, KöT 1967; Der junge Ko-
Sachlichkeit, in: ArtB, 22, 1940, 161–165; koschka, in: FS Kurt Badt, Köln 1970, 386–
Kunsthistorische Studien, Basel 1941 (darin: 400; Studien über Malerei und Malereige-
Jugendstil und Neue Sachlichkeit; Der Name schichte, Bln 1972; Die Malerei der Neuen
Neue Sachlichkeit; »Gegenständliche« Male- Sachlichkeit, Bln 1973
rei; Grundlinien des Frühexpressionismus); Literatur: Riemschneider-Hoerner, Mar-
AKat. Oskar Kokoschka, Einleitung, Basel garete: Rez. von »Jugendstil«, in: ZfÄaK, 30,
1947; Käthe Kollwitz. 83 Wiedergaben, Bern 1936, 193–196; Dingelstedt, Kurt: dass., in:
1948/Zü 1949; Zur Geschichte von Hodlers DLZ, 57, 1936, 287–288; Hope, Henry: Rez.
»Auserwähltem«, in: Ber. d. Gottfried-Keller- von »Kunsthistorische Studien«, in: ArtB, 25,
Stiftung, 1952–53, 84–100; Neue Studien über 1943, 2, 174–176; Heise, Carl Georg: Rez. von
Malerei des 19. und 20. Jh.s, Bern 1955 (darin: »Käthe Kollwitz«, in: KChr, 5, 1952, 157–158
Die Struktur der Schweizer Malerei im 19. PHF
Jh.; Ferdinand Hodler); Impressionismus. Ver-
378 Schmarsow

Schmarsow, August
Geb. 26. 5. 1853 in Schildfeld; gest. 19. 1. 1936 in Baden-Baden

Um 1870 bahnte sich in der Disziplingeschichte eine Neuorientierung an. An die


Stelle einer kulturgeschichtlich ausgerichteten Kunstgeschichtsschreibung im Rah-
men der allgemeinen Geschichtsforschung trat eine Kunst-Wissenschaft, die nach
theoretischer und methodologischer Selbständigkeit strebte und sich wieder philo-
sophischen und ästhetischen Fragen öffnete. Für Sch. hatte die spekulative Kunst-
philosophie Hegels längst ihren Schrecken verloren; er konnte wieder unbefangen
über das Wesen der Kunst nachdenken und eine »Verbindung ästhetischer und hi-
storischer Erkenntnis der Kunst« anmahnen. Unter den Schlüsselwerken dieser
neuen Kunstwissenschaft, zu denen  Riegls Spätrömische Kunstindustrie (1901) und
 Wölfflins Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (1915) gehören, nimmt sich Sch.s
Grundbegriffe der Kunstwissenschaft eher wie ein philosophisches oder psychologisches
Buch aus. Daraus resultiert eine gewisse Abstraktheit, die Sch.s Arbeiten allgemein
eigen ist.Vielleicht liegt darin der Grund, daß Sch. im Unterschied zu seinen beiden
Zeitgenossen heute fast vergessen ist. In Leipzig hat man ihm jedoch stets ein eh-
rendes Andenken bewahrt.  Johannes Jahn, einer seiner Schüler und Nachfolger
an der Universität, sprach 1936 von Sch. als einem, der »das Ganze seiner Wissen-
schaft in sich getragen [habe], soweit das einem Menschen möglich ist. Das bedeutet
nicht nur umfassendes Tatsachenwissen und Tatsachenforschung, sondern immer
wieder vollzogene Besinnung auf die Grundlagen dieser Wissenschaft, immer neues
Durchdenken dessen, was Kunst ist und wie und nach welchen Gesetzen diese
Uranlage des Menschen sich formt«.
Sch.s intellektuelle Entwicklung stand noch im Zeichen der Kulturgeschichte;
schon als Gymnasiast in Rostock hegte er den allerdings nicht erfüllten Wunsch, bei
 Burckhardt in Basel zu studieren. 1873 ging Sch. nach Straßburg, anschließend
nach Bonn, wo er sich in den Fächern Archäologie, Germanistik und Philosophie
umtat. Sein erster und einziger Lehrer in Kunstgeschichte wurde  Carl Justi in
Bonn. 1877 promovierte Sch. in Straßburg über ein literaturgeschichtliches Thema
(Leibniz und Schottelius). Das Tor zur Kunstgeschichte öffnete im selben Jahr ein Ruf
an das Berliner Kupferstichkabinett, wo er als »wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« am
Aufbau einer Zentralstelle für Kunstphotographie mitwirkte, aus der später die
preußische Meßbildanstalt hervorging, und wo ihm im Umgang mit einer großen
graphischen Sammlung die Anfangsgründe der Museumsarbeit vermittelt wurden.
Nach einem Studienurlaub in Italien habilitierte sich Sch. 1881 in Göttingen mit
Raffael und Pinturicchio in Siena (1880). Das Quattrocento blieb in den 1880er Jahren
sein Hauptforschungsfeld. Noch ganz im Geiste der kulturgeschichtlichen Künst-
lerbiographie ist sein frühes Hauptwerk über Melozzo da Forli (1886) geschrieben,
den er als Vorläufer Leonardos, Raffaels und Michelangelos verstand. Auch die zum
500. Geburtstag des Künstlers publizierte Studie über Donatello (1886) galt der
italienischen Frührenaissance.
Als Dozent in Göttingen, seit 1882 als a.o. Professor, lehrte Sch. italienische und
deutsche Kunstgeschichte, zunehmend aber auch Ästhetik und Architekturtheorie.
1885 erhielt er als Nachfolger  Robert Vischers eine Berufung an die Universität
Schmarsow 379

Breslau. Dort schrieb Sch., der mit Leib und Seele Hochschullehrer war, eine als
Dokument der Disziplingeschichte bisher wenig gewürdigte Broschüre über die
Kunstgeschichte als Lehr- und Forschungsfach an den deutschen Universitäten.
Sein Anliegen faßte Sch. später so zusammen: »Kunstwissenschaft [habe] sich immer
[...] um die künstlerischen Gesichtspunkte zu kümmern, auch bei der Geschichte
der bildenden Künste stets das Wesen der einzelnen klar im Auge zu behalten und
gerade ihre Unterschiede auf der einen, ihre Gemeinschaft oder ihre Vermischung
auf der anderen Seite zu beachten. Dazu gehört dann freilich eine ästhetische Er-
ziehung und eine philosophische Schule, die unsere jüngeren Kunsthistoriker nicht
besaßen und deshalb oft ablehnten oder gar befeindeten.«
Für ihn untragbare Verhältnisse an der Breslauer Universität veranlaßten Sch.
1888 zur Niederlegung seiner Professur; mit einigen seiner Studenten – unter ihnen
 Warburg – ging er nach Florenz, um dort den Unterricht fortzusetzen, auch um
die Einrichtung eines deutschen kunsthistorischen Instituts nach dem Vorbild des
archäologischen in Rom anzuregen. 1893 beendete die Berufung auf den kunstge-
schichtlichen Lehrstuhl der Leipziger Universität diese italienischen Aktivitäten. In
seiner Antrittsvorlesung (Das Wesen der architektonischen Schöpfung) entwickelte Sch.
seine gegen den Historismus gerichtete These von der Architektur als »Raumgestal-
tung«. Nicht die Einzelformen und die materielle Hülle seien das Wesentliche an
der Architektur, sondern der gestaltete Raum; in ihm spreche sich der Stil einer
Zeit aus. Kunsttheoretische Fragen wie diese traten in Leipzig immer stärker in den
Vordergrund. Sch. spielte eine zentrale Rolle in der in den 1880er Jahren aufkom-
menden Diskussion über den Barock und den Begriff des »Malerischen«. Als Bei-
träge erschienen zu diesem Thema drei Arbeiten: Zur Frage nach dem Malerischen, sein
Grundbegriff und seine Entwicklung außerdem Barock und Rokoko. Eine kritische Ausein-
andersetzung über das Malerische in der Architektur, die gegen Wölfflin polemisierte, und
Plastik, Malerei und Reliefkunst. Sch.s Anliegen war es, die Kunstwissenschaft auf ein
philosophisches Fundament zu stellen und mit einem Apparat fest umrissener Be-
griffe zu versehen.
Die Grundbegriffe der Kunstwissenschaft (1905) bildeten in diesem Bemühen einen
gewissen Abschluß. Im Vorwort bezeichnet Sch. den lebendigen Menschen als
»schöpferisches wie als genießendes Subjekt« als den »letzten einheitlichen Grund
aller Erklärung«. In der physischen und psychischen Konstitution des Menschen lag
für ihn der Schlüssel zu den Gesetzen des Kunstschaffens. Die Begründung einer
Kunstwissenschaft als strenge Gesetzeswissenschaft war damit nicht gemeint; Sch.
faszinierte jedoch die Möglichkeit einer kunstwissenschaftlichen Theorie als »Kom-
paß für Entdeckerfahrten auf unbekannten Meeren« der Kunstgeschichte.
Seine Grundbegriffe exemplifizierte Sch. an der Übergangszeit zwischen Spätan-
tike und frühem Mittelalter, die trotz der Forschungen  Wickhoffs und Riegls
damals immer noch als eine dunkle Periode der Kunstgeschichte angesehen wurde.
Sch. hingegen zogen solche »Perioden des Werdens und des Suchens« an, die, wie
er glaubte, eine »innere Verwandtschaft« mit der Gegenwart verband. Neben der
Spätantike galt Sch.s besonderes Interesse der Spätgotik in Italien und Deutschland;
zwei große Arbeiten widmete er dem Manieristen Federico Barocci, einem dieser
bisher »Verdammten und Gemiedenen«, und in seiner Studie über das Malerische
380 Schmarsow

in der Architektur (1897) kam er zu einer völlig neuen Beurteilung des Rokoko, das
er nicht mehr als Endphase des Barock, sondern als »eignen Stil« verstanden wissen
wollte.
Da für Sch. die Kunst »an die letzten Überzeugungen des denkenden Menschen
rührt und zugleich in die geheimsten Gründe unseres Fühlens hineingreift«, emp-
fand er eine tiefe Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft und forderte von Kunst-
historiker, »seine Wissenschaft im Dienste der werdenden Zeit zu verwerten«. Er sei
der Vermittler »jenes festen Bestandes unantastbarer Meisterwerke [...]. Es sind die
Ideale der europäischen Kulturarbeit, in den vollkommensten Leistungen der bil-
denden Kunst verkörpert, die so den ethischen Halt gewähren, dessen gerade die
bildsame Jugend bedarf«.
Werke: Raffael und Pinturicchio in Siena, Ein Versuch zur Verständigung, in: ZfÄaK, 2,
Stg 1880; Melozzo da Forli. Ein Beitrag zur 1907, 305–339, 469–500; Erläuterungen und
Kunst- und Kulturgeschichte Italiens im 15. Kommentar zu Lessings Laokoon, Lpz 1907;
Jh., Bln/Stg 1886; Donatello. Eine Studie Das Kunsthistorische Institut, in: FS zur Feier
über den Entwicklungsgang des Künstlers des 500jährigen Bestehens der Universiät
und die Reihenfolge seiner Werke, Br 1886; Leipzig. Hrsg. v. Rektor und Senat, Lpz 1909,
Die Kunstgeschichte an unseren Hochschu- IV, 1, 173–178; Federico Barocci. Ein Begrün-
len, Bln 1891; Das Wesen der architektoni- der des Barockstils in der Malerei, Lpz 1909;
schen Schöpfung, Lpz 1894; Masaccio, der Federico Baroccis Zeichnungen. Eine kriti-
Begründer des klassischen Stils der italieni- sche Studie, Lpz 1909; Anfangsgründe jeder
schen Malerei, 5 Bde., Ka 1895–1900; Zur Ornamentik, in: ZfÄaK, 5, 1910, 191–215,
Frage nach dem Malerischen, sein Grundbe- 321–355; Raumgestaltung als Wesen der ar-
griff und seine Entwicklung, Lpz 1896; Über chitektonischen Schöpfung, in: ZfÄaK, 9,
den Wert der Dimensionen im menschlichen 1914, 66–95; Peruginos erste Schaffensperi-
Raumgebilde, in: Ber. über d. Verhandlungen ode, Lpz 1915; Kompositionsgesetze in der
d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss.n zu Leipzig, philo- Kunst des Mittelalters, 4 Bde., Bonn/Lpz
log.-hist. Kl., Lpz 1896, 44–61; Barock und 1915–22; Kunstwissenschaft und Kulturphilo-
Rokoko. Eine kritische Auseinandersetzung sophie mit gemeinsamen Grundbegriffen, in:
über das Malerische in der Architektur, Lpz ZfÄaK, 13, 1919, 165–190, 225–258; Gotik in
1897; Plastik, Malerei und Reliefkunst, Lpz der Renaissance, Stg 1920; Zur Lehre vom
1899; Reformvorschläge zur Geschichte der Ornament, in: ZfÄaK, 16, 1922, 511–526;
deutschen Renaissance, in: Ber. über d. Ver- Sandro del Botticello, Dr 1923; Rückschau
handlungen d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss.n zu beim Eintritt ins siebzigste Lebensjahr, in:
Leipzig, philolog.-hist. Kl., Lpz 1899, 41–76; Jahn 1924, 135–156; Hubert und Jan van Eyck,
Über die Grenze der Renaissance gegen die Lpz 1924; Italienische Kunst im Zeitalter
Gotik, in: ZfbK (Beilage), 35 (11), 1900, 417– Dantes, Au 1928; Im Stifterchor zu Naum-
422; Zur Beurteilung der sogenannten Spät- burg, in: ZfKg, 3, 1934, 1–17
gotik, in: RfKw, 23, 1900, 290–298; Unser Literatur: Wickhoff, Franz: Rez. von
Verhältnis zu den bildenden Künsten. Sechs »Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«
Vorträge über Kunst und Erziehung, Lpz (1905), in: KA, 2, 1905, 103–106; Wulff, Oscar:
1903; Die oberrheinische Malerschule um Zu A.Sch.s Rücktritt, in: ZfbK (Beilage), 55
1430–60, Lpz 1903; Zu Hans Multscher, in: (31), 1919/20, 318–324; Wulff, Oscar: A.Sch.
RfKw, 26, 1903, 496–507; Der Kuppelraum zum 80. Geburtstag, in: ZfKg, 2, 1933, 207–
von Santa Costanza in Rom und der Licht- 209; Jahn, Johannes: A.Sch. zum Gedächtnis,
gaden altchristlicher Basiliken, Lpz 1904; in: ZfÄaK, 30, 1936, 179–182; Ullmann, Ernst:
Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, am A.Sch., in: Max Steinmetz, (Hrsg.), Bedeu-
Übergang vom Altertum zum Mittelalter kri- tende Gelehrte in Leipzig, Bd. 1, Lpz 1965,
tisch erörtert und systematisch dargestellt, 109–115; Giordani, Silvana: Pevsner, Sch. e
Lpz/Bln 1905; Konrad Witz und die Biblia Gropius. Note per un dialogo a distanza, in:
Pauperum, in: RfKw, 28, 1905, 340–350; Fulvio Irace (Hrsg.), Nikolaus Pevsner, Mai-
Kunstwissenschaft und Völkerpsychologie. land 1993, 93–106; Hubert, Hans W.: A.Sch.,
Schmarsow 381

Herman Grimm und die Gründung des culturale intorno al 1900, Venedig 1999, 339–
Kunsthistorischen Instituts in Florenz, in: 358
Max Seidel (Hrsg.), Storia dell’arte e politica PB

Schmid, Heinrich Alfred


Geb. 19. 7. 1863 in Basel; gest. 1. 4. 1951 in Basel

In Sch.s wissenschaftlichem Gesamtwerk nehmen drei Künstlerpersönlichkeiten


eine Sonderstellung ein: Grünewald, Holbein d.J. und Böcklin. Zur Erforschung
ihres Entwicklungsganges und zur Definition ihres Œuvres leistete der schweizeri-
sche Kunsthistoriker einen grundlegenden Beitrag. Noch im hohen Alter setzte er
1945–48 mit einer umfassenden Arbeit neue Maßstäbe für die Holbein-Forschung,
an der er sich 60 Jahre lang rege beteiligt hatte. Für das  Thieme-Beckersche
Künstlerlexikon verfaßte Sch. die Texte zu allen drei Künstlern sowie den zu
Burgkmair.
Nach seiner Münchner Dissertation über den Augsburger Maler Hans Burgkmair
(1888), in der er auch dessen Verhältnis zu Holbein untersucht hatte, habilitierte sich
der  Burckhardt-Schüler Sch. in Würzburg mit einer Arbeit über die frühesten
Werke Holbeins. 1892–96 war er in Würzburg, 1897–1901 in Berlin Privatdozent
und Mitarbeiter an der Nationalgalerie, bis er 1901 eine a.o. Professur in Basel er-
hielt. 1904 folgte eine o. Professur in Prag, 1912 in Göttingen. 1919 ging Sch. zurück
nach Basel, wo er an der Seite  Rintelens, 1926–38 als dessen Nachfolger, deut-
sche Kunstgeschichte lehrte und zugleich Leiter der Öffentlichen Kunstsammlung
war. Zu seinen Doktoranden gehörten Elfried Bock, Hanns Floerke,  Werner
Hager und Walter Ueberwasser.
Sch.s konsequente Anwendung der stilkritischen Methode führte auch bei seiner
Beschäftigung mit Grünewald zu einer Fülle neuer Einsichten. Er machte auf die
Verwandtschaft der Frühwerke Grünewalds mit Holbein d.Ä., insbesondere im
Kolorit und in der Modellierung der Gesichter, aufmerksam und verglich ihn in
seinem Bestreben, der menschlichen Figur einen immer größeren Raum auf der
Bildfläche einzuräumen, mit Dürer. Sch. konnte nachweisen, daß sich Grünewald
beim Malen geometrischer Hilfsmittel bedient hatte; er fand Nadelspuren im Mal-
grund, die sich als Fluchtpunkte einer perspektivischen Raumkonstruktion deuten
ließen. Mit seiner grundlegenden Publikation von 1907/11, in der die Gemälde und
Zeichnungen des Künstlers zum erstenmal systematisch geordnet und exakt datiert
wurden, leitete Sch. einen neuen Abschnitt in der Grünewald-Forschung ein.
Am umfänglichsten aber arbeitete Sch. die künstlerische Persönlichkeit von Hans
Holbein d.J., dessen Verhältnis zu seinem Bruder und besonders zu seinem Vater,
heraus. Vor dem Hintergrund zahlreicher Spezialstudien gelang es ihm nicht nur,
die Reihenfolge und Datierung der Baseler Frühwerke zu bestimmen, sondern
auch die Fassadenmalereien am Hertensteinhaus in Luzern, die Bilder im Baseler
Rathaus, den dortigen Abendmahlsaltar sowie den originalen Rahmen des Darm-
städter Madonnenbildes, von dem Sch. annahm, daß Holbein ihn selbst entworfen
habe, zu rekonstruieren. Er konnte belegen, daß Holbeins Holzschnittfolge mit den
382 Schmid

Bildern zum Alten Testament, die sogenannten Icones, sowie die Scheibenrisse mit
der Passion in Basel nicht schon während des zweiten Baseler Aufenthaltes, sondern
erst nach der ersten englischen Reise entstanden waren. Ferner untersuchte Sch.
eingehend Holbeins englischen Bildnisstil, die späten Entwürfe für Tafelgerät, Waf-
fen und Schmuck und sein Verhältnis zur italienischen Renaissancekunst. Durch
prägnante Stilanalysen wies er den Einfluß Mantegnas und Leonardos nach, deren
Auffassung der menschlichen Gestalt sich Holbein für seinen Triumphzug am Lu-
zerner Hertensteinhaus zum Vorbild genommen hatte. In Ergänzung seiner Stilana-
lysen befaßte sich Sch. in kulturwissenschaftlichen Exkursen mit den gesellschaftli-
chen Verhältnissen in Basel zur Zeit der beginnenden Reformation sowie mit der
politischen Lage in England, um Holbeins Arbeit auch im historischen Kontext zu
verankern.
In seinen zahlreichen Publikationen über Böcklin, darunter ein lange Zeit gülti-
ges Werkverzeichnis, opponierte Sch. entschieden gegen das vor allem von  Meier-
Graefe in Der Fall Böcklin (1905) vertretene negative Urteil über den Künstler.
Dieses gründete sich seiner Auffassung nach auf einer falschen Voraussetzung, näm-
lich auf dem impressionistischen Verständnis von Malerei, während Böcklins Kunst
und ihre neuen formalen Spannungswerte viel eher in eine mehr spezifisch deut-
sche Tradition gehörten. Böcklin sei nicht nur einer der »gebildetsten Maler seines
Jahrhunderts«, sondern – wie Dürer und Holbein – auch einer von jenen, die eine
neue deutsche Kunst geschaffen hätten.

Werke: Forschungen über Hans Burgkmair, Grünewald, 2 Bde., Str 1907–11; Die Male-
Mü 1888; Hans Holbein d.J. Entwicklung in reien Hans Holbeins d.J. am Hertenstein-
den Jahren 1515–26, I. Holbeins früheste hause in Luzern, in: JbPK, 1913, 173–206;
Werke, Basel 1892; Arnold Böcklin. Eine Aus- Deutschtum und bildende Kunst, Bln 1915;
wahl der hervorragendsten Werke des Künst- Zu der Ausstellung des Nachlasses von Ar-
lers in Photogravüre, 4 Bde., Mü 1892–1902; nold Böcklin, in: Das Kunsthaus. Blätter f.
Die Gemälde von Hans Holbein d.J. im Ba- Schweizer Kunstpflege u. Kunstleben, 6, 1916,
seler Großratssaale, in: JbPK, 1896, 73–96; 2–6; Deutsche und deutschschweizerische
Über objektive Kriterien der Kunstge- Kunst, Basel 1917; Antwort auf Émile Mâle,
schichte, in: RfKw, 19, 1896, 269–284; Arnold in: Otto Grautoff (Hrsg.), Émile Mâle. Stu-
Böcklin, in: Pan, 3, 1897, 73–80; Arnold Böck- dien über die deutsche Kunst. Mit Entgeg-
lins Skizzen, in: Pan, 4, 1898, 46–48; Die nungen von Paul Clemen, Kurt Gerstenberg,
Zeichnungen des Hans Baldung genannt Adolf Götze, Cornelius Gurlitt, Arthur Ha-
Grien von Gabriel von Térey, in: RfKw, 21, seloff, Rudolf Kautzsch, H.A.Sch., Josef
1898, 304–313; Arnold Böcklin. Zwei Auf- Strzygowski, Geza Supka, Oskar Wulff, Lpz
sätze, Bln 1899; Holbeins Darmstädter Ma- 1917, S. 103; Mit Arnold Böcklin, in: Die
donna, in: GrK, 23, 1900, 49–68; Arnold Kunst, 35, 1917, 175–178; Böcklin und die Al-
Böcklin. Sein Leben und sein Schaffen, Mü ten Meister: I. Der junge Böcklin; II. Die rei-
1901; Arnold Böcklin, in: Jb. d. bildenden fen Jahre, in: Die Kunst, 37, 1918, 126–137,
Kunst, 1902, 91–94;Verzeichnis der Werke Ar- 237–249; Arnold Böcklin Handzeichnungen,
nold Böcklins. Vervollständigter und verbes- Mü 1921; Die neu erworbenen Gemälde Ar-
serter Nachdruck, der die Nachforschungen nold Böcklins, in: Jahresber. d. Öffentl. Kunst-
bis zum Herbst 1902 enthält, Mü 1903; sammlung in Basel 1920, Basel 1921, 23–33;
Meier-Graefe contra Böcklin, in: Die Kunst, Arnold Böcklin, Basel 1922; Böcklins Früh-
11, 1904/05, 432–436; Handzeichnungen zeit und die italienischen Landschaften aus
schweizerischer Meister des 15. bis 18. Jh.s Amerika, in: RfKw, 47, 1926, 183–208; Böck-
(mit Paul Ganz), 3 Bde., Basel 1904–08; Die lin und die in Amerika entdeckten Land-
Gemälde und Zeichnungen von Matthias schaften aus der Zeit um 1850, in: ZfbK (Bei-
Schmid 383

lage), 60 (36), 1926/27, 25–26; Der junge versität Basel für das Jahr 1935, Basel 1935;
Böcklin, in: Die Ernte. Schweizer. Jb., 1927, Die Wandgemälde im Festsaal des Klosters St.
49–72; Die Basler Böcklin-Ausstellung, in: Georgen in Stein am Rhein aus den Jahren
Schweizer Monatshefte f. Politik u. Kultur, 7, 1515/16, Frauenfeld 1936; Ein unbekanntes
1927/28, 148–156; Arnold Böcklin und Jacob Gemälde von Jan van Scorel, in: OH, 56,
Burckhardt, in: Jahresber. d. Öffentl. Kunst- 1939, 274–280; Holbein-Studien, in: ZfKg, 10,
sammlung in Basel 1927, Basel 1928, 23–39; 1941/42, 1–39, 249–290; Hans Holbein d.J.
Am falschen Maßstab gemessen. Zu der Wür- Sein Aufstieg zur Meisterschaft und sein eng-
digung Arnold Böcklins durch Wilhelm lischer Stil, 3 Bde., Basel 1945–48
Barth, in: Schweizer Monatshefte f. Politik u. Literatur: Friedländer, Max J.: Rez. von
Kultur, 9, 1929/30, 181–189; Die Werke Hans »Matthias Grünewald«, in: RfKw, 17, 1894,
Holbeins in Basel, Basel 1930; Alte Meister 471–474;Winkler, Friedrich: Rez. von »Erasmi
der Basler Kunstsammlung, Zü/Lpz 1930; Roterodami Encomium Moriae i.e. Stultitiae
Erasmi Roterodami Encomium Moriae, i.e. Laus – Lob der Torheit«, in: ZfKg, 3, 1934,
Stultitiae Laus – Lob der Torheit, Basler Aus- 308–309; Ueberwasser, Walter: H.A.Sch. zum
gabe von 1515, 2 Bde., Basel 1931; Gesam- 80. Geburtstag, in: Werk, 30, 1943, 193–195;
melte kunsthistorische Schriften, Lpz/Str/Zü Baum, Julius: Rez. von »Hans Holbein d.J.«,
1933 (Bibliogr.); Kann man die Urheberschaft in: ZfKg, 13, 1950, S. 128; Ueberwasser, Wal-
Hans Holbeins d.J. nur aufgrund von Photo- ter/Gantner, Joseph: Zur Erinnerung an
graphien ablehnen?, in: JbPK, 1934, 126–138; H.A.Sch., Basel 1951
Kunstsammlungen, Kunstwissenschaft, Kunst- CF
unterricht. Das Rektoratsprogramm der Uni-

Schmidt, Georg
Geb. 17. 3. 1896 in Basel; gest. 26. 5. 1965 in Basel

Auf vielerlei Weise und stets als ein leidenschaftlicher Pädagoge im weitesten Sinn
trat der schweizerische Kunstkritiker, Kunsthistoriker und Museumsmann Sch. für
eine aufklärende und demokratische Wirksamkeit von Kunst und Kunstwissenschaft
ein. Mit soziologischen und gelegentlich auch tiefenpsychologischen Erklärungen
sowie einer bemerkenswerten Realismustheorie, deren begriffliche Logik allzu
leicht als »Holzhackerästhetik« (Hüttinger) abgetan wurde, wollte er das Verstehen
von Kunst aus den »Schummerzonen des bloßen ›Erlebnisses‹« herausführen, in dem
er nur eine selbstverständliche Voraussetzung sah, und dem Interpreten von Kunst-
werken mehr abverlangen als bloße »Einfühlung«.
Der Sohn eines Geologieprofessors studierte 1914–27 in Grenoble und bei
 Rintelen in Basel, legte 1918 ein Lehrerexamen ab und promovierte 1927 bei
Karl Joël über Johann Jakob Bachofens Geschichtsphilosophie. Zu diesem Zeitpunkt
hatte er sich schon einen Namen als Kunst- und Theaterkritiker in Baseler Zeitun-
gen (Vorwärts und Nationalzeitung) gemacht; 1922 war er Bibliothekar des Baseler
Kunstvereins (bis 1937) und Mitarbeiter der Zeitschrift Das Werk geworden. 1927–38
war er maßgeblich an 63 Wechselausstellungen des Gewerbemuseums in Basel be-
teiligt, las ab 1928 über »Stillehre« und Kunstgeschichte an der dortigen Allgemei-
nen Gewerbeschule und 1938–39 an der Volkshochschule. 1931 gründete Sch., an
dem neuen Medium interessiert, eine Organisation, ähnlich heutigen Filmclubs.
1939–61 leitete er als Nachfolger von Otto Fischer (1886–1948) das Kunstmuseum
in Basel, geriet aber in den 1950er Jahren in Konflikt mit den Behörden und der
Volksvertretung, die einen Kredit zum Erwerb eines Cézanne-Gemäldes verweiger-
384 Schmidt

ten, und bekam auch keinen Lehrauftrag an der Universität. Dafür berief ihn 1958
die Akademie der bildenden Künste in München zum Professor für Kunstgeschichte;
er konnte nun sein kunstgeschichtliches Konzept in zwei knappen Beiträgen zu
Festschriften außerhalb der eigenen Fachdisziplin rückblickend noch einmal vertei-
digen, und 1964 verlieh ihm schließlich die Eidgenössische Technische Hochschule
Zürich die Ehrendoktorwürde.
Erlebnisse in der Revolution von 1918, in der sogar in Basel auf Arbeiter geschos-
sen wurde, brachten den Studenten Sch. zur Parteinahme im Klassenkampf und
Bewunderung für Sowjetrußland, bis ihn die dortige weitere Entwicklung ent-
täuschte. Der historische Materialismus von Marx und Engels, den damals nur we-
nige Kunsthistoriker studierten, blieb ihm aber ein wichtiges wissenschaftliches
Instrument zur Erklärung der Kunstgeschichte. Damit machte er sich zum Außen-
seiter im Fach. Gegen  Wölfflins Kunstgeschichte »von oben« wollte Sch. eine
setzen, die, unter Berücksichtigung der praktischen Alltagsbedürfnisse, »von unten«
kommt. Phantasievoll in der Konzeption seiner Ausstellungen, unter denen die zur
Geschichte des Stuhls besonders bewundert wurde, setzte er sich für eine rationale
Gestaltung der Umwelt, für normierte Fertigung von Gebrauchsgütern ein. Zwar
galt in der bildenden Kunst der Gegenwart seine ganze Liebe Paul Klee, aber der
konstruktivistisch vorgehende Mondrian erschien ihm als der »fundamentalste Ma-
ler«; die späteren Entwicklungen zu »informeller Malerei« konnte er nur mit spür-
barer Distanzierung als Zeitsymptom werten. »Die Frage nach dem gesellschaftli-
chen Träger – Auftraggeber und Empfänger – der Kunst wurde für mich [...] zur
jeweils ersten (doch nie auch letzten!) Frage bei der Betrachtung einer kunstge-
schichtlichen Epoche oder eines einzelnen Künstlers«, resümierte er seine Suche
nach der »Bedingtheit« der Kunst und hielt sich dabei ausdrücklich mehr an den
»historisch kausal denkenden  Jacob Burckhardt« als an den »a-historisch statisch
denkenden Wölfflin«. Er wußte, »daß die gesellschaftliche Bedingtheit der Kunst
nicht als mechanische Zwangsläufigkeit funktioniert. Denn zwischen Kunst und
Gesellschaft, zwischen Kunst und Empfänger steht der Künstler als Schöpfer des
Kunstwerks«. Sch. hob dabei hervor, daß »von der Frührenaissance an das Kunst-
werk nur über die psychologische Bedingtheit soziologisch bedingt ist«. Als metho-
dologisches Ziel schwebte ihm, damit der Entwicklung des Fachs weit vorauseilend,
eine »funktionale Kunstgeschichte« vor. Sie »betrachtet das Kunstwerk als Funktion
im geistigen Haushalt des Kunstproduzierenden Individuums und als Funktion im
geistigen Haushalt der Kunstkonsumierenden Gesellschaft. Für die funktionale
Kunstgeschichte ist Formwandel immer nur die Folge eines geistigen Funktions-
wandels, der seinerseits entweder psychologisch oder soziologisch bedingt ist« (So-
ziologische Kunstgeschichte?, 1962).
Eine solche Fragestellung mußte ihm das Problem des Realismus wichtig ma-
chen, das immer wieder im Mittelpunkt grundsätzlicher Auseinandersetzungen
stand. Für Sch. war Realismus eine Frage der Gesinnung, als solcher der Gegenpol
zum Idealismus: »Realistische Malerei ist eine Malerei, der es im weitesten Sinn um
Erkenntnis der Wirklichkeit geht, und zwar nicht nur der äußeren, sichtbaren, son-
dern auch der inneren, unsichtbaren. Idealistische Malerei ist eine Malerei, der es
nicht um Erkenntnis, sondern um Erhöhung der Wirklichkeit geht.« Die künstle-
Schmidt 385

rischen Mittel, immer zeitbedingt, seien hingegen entweder naturalistisch oder


antinaturalistisch; daher gebe es sowohl realistischen als auch idealistischen Natura-
lismus (griechische Klassik, Renaissance, Hellenismus, stalinistische Kunst und
Kitsch), andererseits realistischen oder idealistischen Anti-Naturalismus (der späte
Rembrandt, Courbet, Mondrian, Ägypten, Byzanz, Gauguin). Immer gehe radika-
ler Realismus Hand in Hand mit radikaler demokratischer Gesinnung (Naturalismus
und Realismus, 1959). Sowohl die soziologische Methode als auch die Realismus-
konzeption lagen bereits den Publikationen über Schweizer Malerei und Zeichnung
im 15. und 16. Jahrhundert und über Meisterwerke europäischer Malerei des 15. bis 19.
Jahrhunderts von 1940 zugrunde und erhielten teilweise entschiedenen Wider-
spruch.
Für moderne, noch lebhaft umstrittene Kunst setzte sich Sch. nachdrücklich ein.
Als neuer Direktor des Baseler Museums erwarb er Spitzenwerke der von Nazi-
deutschland als »entartet« erklärten und in Luzern versteigerten Malerei. Sein
Kunsturteil zielte dabei auf die spezifischen künstlerischen Werte; er ließ sich nie
davon abhalten, deren Fehlen zu kritisieren, selbst wenn die betreffenden Künstler
schon als namhaft galten. Die genau analysierte bildschaffende Leistung mußte der
Prüfung standhalten. »In der Kunst ist im Sichtbaren alles enthalten, und aus dem
Sichtbaren kann alles gewonnen werden: das Künstlerische, das Menschliche, das
Psychologische, das Stilgeschichtliche, Geistesgeschichtliche, Gesellschaftsgeschicht-
liche – kurz alles, was in der Einheit des Kunstwerks Gestalt geworden ist«, schrieb
er 1939 an die Künstlervereinigung »Gruppe 33« (Schriften aus 22 Jahren Museumstä-
tigkeit, 1964). Die Intensität der Werkanalyse hatte er von seinem Lehrer Rintelen
mitbekommen, an dem, einem »ständig verwundeten Kämpfer«, er auch das Streiten
um die künstlerischen Dinge in der Stadt und der Gesellschaft bewunderte. Er
stimmte mit ihm darin überein, daß Beschäftigung mit der Kunst mehr eine
menschliche als bloß eine wissenschaftliche Angelegenheit sei.
Sch. schrieb nur relativ kurze, aber prägnante Texte, die sich vornehmlich an ein
breiteres Publikum richteten, beispielsweise in der Reihe der Blauen Bücher. Andere
waren zunächst Vorträge, auch über den Rundfunk. Für die Präsentation des Be-
standes im Neubau des Baseler Kunstmuseums, dessen axial-symmetrische Raum-
folge ihm eigentlich zu starr erschien, wählte er eine chronologische, aber lebendig
rhythmisierte Anordnung, die nicht nach nationalen Schulen trennte: »Die histori-
sche Abfolge ist immer noch das objektivste und dauerhafteste Prinzip [...]. Durch
Vereinigung des entwicklungsgeschichtlich Gleichzeitigen werden die nationalen
und regionalen Nuancen umso deutlicher sichtbar, und durch feinere Beachtung
der künstlerischen Chronologie soll der einheitliche Strom der europäischen
Kunstentwicklung zum Grunderlebnis eines Ganges durch die Sammlungen ge-
macht werden.« Der Katalog begleitete pädagogisch diesen Gang. In einem Nachruf
schrieb Ludwig Grote, der Sch. seit 1929 kannte: »Der Geist der Aufklärung lebte in
ihm, der Glaube an die Erziehung des Menschengeschlechts.«
Werke: Friedrich Rintelen, in: Das Werk, 13, (mit Anna Maria Cetto), Basel 1940; Meister-
1926, 198–204; Johann Jakob Bachofens Ge- werke europäischer Malerei des 15. bis 19. Jh.s
schichtsphilosophie, Mü 1929; Schweizer aus der Sammlung Oskar Reinhart, Mappe 1,
Malerei und Zeichnung im 15. und 16. Jh. Bern 1940; Ferdinand Hodler (mit Hans
386 Schmidt

Mühlestein), Erlenbach/Zü 1942; Walter Kurt mann, 1945; Gedanken zum Thema »Der
Wiemken, Basel 1942; Van Gogh, Bern 1947; Mensch in der Kunst des 20. Jh.s«, 1958;Werte
Sophie Taeuber-Arp, Basel 1948; Aquarelle und Maßstäbe in der modernen Kunst, 1959;
von Paul Cézanne, Basel 1952; Kleine Ge- Bibliogr.).
schichte der modernen Malerei. Zehn Ra- Literatur: Mohler, Armin: Rez. von
diovorträge, Basel 1955; Juan Gris und die »Schweizer Malerei« u. »Meisterwerke euro-
Geschichte des Kubismus, BB 1957; Natura- päischer Malerei«, in: Das Werk, 28, 1941,
lismus und Realismus, in: FS Martin Heideg- 254–256; Meyer, Peter: dass., in: ebd., 281–284;
ger, Pfullingen 1959, 264–275; Die Malerei in Meyer, Franz: G.Sch., in: Jahresber. d. Öffentl.
Deutschland 1900–18, KöT 1959; Die Male- Kunstsammlung Basel 1961, 47–49; Feier zum
rei in Deutschland 1918–55, KöT 1960; So- Andenken an G.Sch. im Kunstmuseum Basel,
ziologische Kunstgeschichte?, in: FS Edgar Basel 1965 (Beiträge v. Werner Schmalenbach,
Salin, Tü 1962, 98–105; Arnold Böcklin. Pan, Christoph Bernoulli); Meyer, Franz: G.Sch.,
Stg 1963; Kunstmuseum Basel. 150 Gemälde, in: JbSchIKw, 1965, 25–28; Grote, Ludwig:
12.–20. Jh., Basel 1964; Schriften aus 22 Jah- G.Sch., in: Museumskunde, 34, 1965, 190–193;
ren Museumstätigkeit, Basel 1964 (darin: Warnke, Martin: Kunst als Erziehungsauftrag.
Böcklin heute, 1951;Von Sinn und Widersinn G.Sch. (1966), in: ders., Künstler, Kunsthisto-
des Kunstmuseums in dieser Zeit, 1957);Wege riker, Museen, Luzern/Frf 1979, 69–70; Vogt,
zur Kunst unserer Zeit. Frühe Artikel aus der Adolf Max: G.Sch., in: G.Sch., Umgang mit
Nationalzeitung (1921–29), Basel 1965; Um- Kunst, Olten/FrB 1966, 311–316; Hüttinger
gang mit Kunst. Ausgewählte Schriften 1940– 1992, 338–353
63, Olten/FrB 1966 (darin: Zur Situation der PHF
deutschen Malerei im 19. Jh.; Max Lieber-

Schmitt, Otto
Geb. 13. 12. 1890 in Mainz; gest. 21. 7. 1951 in Ulm

Sch. war der Historiker der hoch- und spätmittelalterlichen Plastik des Oberrheins
und des angrenzenden Elsaß und Schwabens; besondere Verdienste erwarb er sich
um die Erforschung der Monumentalskulpturen der Straßburger und Freiburger
Münster. Sch.s Name ist außerdem mit dem Reallexikon zur Deutschen Kunstge-
schichte verbunden, das er als Herausgeber betreute.
Nach dem Studium der Kunstgeschichte, das Sch. 1918 mit der Promotion über
Das Südportal des Wormser Domes bei Christian Rauch in Gießen abschloß, begann
seine akademische Laufbahn 1919 als Privatdozent und später als o. Professor an der
Universität Frankfurt/Main, wo er auch in der Städelschen Sammlung, vor allem
aber im Liebieghaus als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Aus dieser Zeit
stammen die zusammen mit  Georg Swarzenski bearbeiteten Meisterwerke der
Bildhauerkunst in Frankfurter Privatbesitz (1921, 1924) sowie der Katalog der Barock-
skulpturen des Städelschen Instituts (1924).
1924 erschien auch Sch.s Publikation über die Gotischen Skulpturen des Straßburger
Münsters, die nach Karl Franck-Oberaspachs Buch über die Querschiffplastik (1903)
erstmalig eine Übersicht über den gesamten Bestand an plastischen Bildwerken des
13. und 14. Jahrhunderts gab. Für Sch. galt es als erwiesen, daß der Straßburger
Meister – wie der Bamberger und Naumburger – in den Bauhütten der gotischen
Kathedralen gearbeitet und sich dort die neue Kunst zu eigen gemacht hatte. So
ließen seiner Auffassung nach die Lettnerfiguren in Straßburg ihre Abstammung aus
Reims erkennen, jedoch sei mit der Neigung zu »leidenschaftlichem Vortrag und
Schmitt 387

spannender Dramatik« eine spezifisch deutsche Figurenauffassung gegeben, die


durch Häufung mächtiger Ausdrucksakzente auf schmalem Raum und durch Be-
wegungsreichtum auffalle. Einen weiteren Unterschied zwischen dem deutschen
und französischen Figurenapparat meinte Sch. an den Seitenportalen auszumachen,
die die Allegorien der die Laster überwindenden Tugenden sowie die Klugen und
Törichten Jungfrauen beherbergen. Während dieses ikonographische Programm in
Straßburg in scharfer Unterstreichung der moralischen Tendenz großer Gewändefi-
guren bedürfe, begnügten sich die französischen Kathedralen mit kleinen Reliefs
neben und unter den Laibungsstatuen. Auch suchte Sch. zu beweisen, daß von
Straßburg schulbildender Einfluß bis nach Freiburg i.Br. ausging.
Als Ergänzung zu seinen Straßburger Forschungen veröffentlichte Sch. 1924
einen zusammenfassenden Überblick zur oberrheinischen Plastik des Spätmittel-
alters und 1926 eine Spezialuntersuchung zur gotischen Bauplastik des Freiburger
Münsters. Verglichen mit  Weigerts nachfolgender Arbeit Die Stilstufen der deut-
schen Plastik 1250–1350 (1927), in die Sch.s Ergebnisse großenteils eingingen, die
jedoch über die formalen Eigenheiten hinaus dem »Gehalt« und dem »Wert« be-
sondere Aufmerksamkeit schenkte, konzentrierte sich Sch. mehr auf ikonographi-
sche Probleme und die schöpferische Künstlerpersönlichkeit. Im Falle Straßburgs
verwies er auf die Ausstrahlung Nicolaus Gerhaerts, dessen Einfluß sich auf die
gesamte oberrheinische Plastik erstreckt habe.
1925 erhielt Sch. einen Ruf nach Greifswald. Dort machte er sich um die denk-
malpflegerische Kunstforschung in Pommern verdient und inventarisierte zusam-
men mit seinem Seminar den Kreis Stralsund. Den Kolberger Dom führte er als
einen der prominentesten Hallenbauten der norddeutschen Backsteingotik über-
haupt erst in die Kunstgeschichte ein. Weitere Forschungsfelder eröffneten sich Sch.
in der Ordensbaukunst und der romantischen Landschaftsmalerei. Unter seiner
Leitung wurde die zisterziensische Klosteranlage von Eldena freigelegt. Im Zusam-
menhang damit befaßte sich Sch. mit der Ruine Eldena im Werk Caspar David
Friedrichs und der Ruinendarstellung in der Kunst im allgemeinen.
Noch in Greifswald begann Sch. 1927 mit der Konzeption des Reallexikons zur
Deutschen Kunstgeschichte, das neben dem Künstlerlexikon von  Thieme und Felix
Becker zu einem der bedeutendsten Forschungsunternehmen der deutschen Kunst-
wissenschaft wurde. Bis zu Sch.s Tod waren zwei Bände erschienen, danach führte
das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München in Zusammenarbeit mit  Gall
das immer wieder ins Stocken geratende Projekt weiter.
1935 ging Sch. nach Stuttgart, wo er bis 1951 an der Technischen Hochschule
und 1938–46 an der Akademie der Künste lehrte. Nach dem Krieg engagierte er
sich als Leiter des Planungsausschusses für den Wiederaufbau der Hochschule;
1948/49 hatte er das Amt des Rektors inne.
Werke: Führer durch die Sammlungen des furter Privatbesitz (mit Georg Swarzenski), 2
Vereins für plastische Kunst in Mainz, Mainz Bde., Frf/Bln 1921/24; Straßburg und die
1915; Das Südportal des Wormser Domes, süddeutsche Monumentalplastik im 13. und
Gießen 1918; AKat. Mittelalterliche Bild- 14. Jh., in: StJb, 1922, 109–144; Sammlung
werke aus Frankfurter Privatbesitz, Frf 1921; Götzschel. 1898–1923, Frf 1923; Gotische
Ein Bamberger Engel, in: StJb, 1921, 109–118; Skulpturen des Straßburger Münsters, 2 Bde.,
Meisterwerke der Bildhauerkunst in Frank- Frf 1924; Oberrheinische Plastik im ausge-
388 Schmitt

henden Mittelalter, Frf 1924; Barockplastik. Museum, in: WRJb, 1939, 290–295; Die
Kat. der Skulpturensammlung des Städel- Ruine Eldena im Werk von Caspar David
schen Kunstinstituts und der Städtischen Ga- Friedrich, Bln 1944; Das Heiligkreuzmünster
lerie Frankfurt/M., Frf 1924; Vom Straßbur- in Schwäbisch-Gmünd, Stg 1951
ger Münster. Das Lustrum, Frf 1925; AKat. Literatur: Dehio, Georg: Rez. von »Goti-
Elsässische Kunst des 15. bis 18. Jh.s, Städel- sche Skulpturen des Straßburger Münsters«,
sches Kunstinstitut, Frf 1925; Gotische Skulp- in: DLZ, 45, 1924, 801–802; Christ, Hans:
turen des Freiburger Münsters, 2 Bde., Frf dass., in: Oberrhein. Kunst, 1, 1925, 45–46;
1926; Ostpommern, Bln 1927; Mittelpom- Weigert, Hans: Rez. von »Oberrheinische
mern, Bln 1927; AKat. Greifswalder Maler Plastik im ausgehenden Mittelalter«, in: ZfbK
1770–1870, Greifswald 1930; Gotische Plastik, (Beilage), 60 (36), 1926/27, 79–81; Gall, Ernst:
in: Die Kunstauktion, 4, 1930, o.S.; Die Niko- Rez. von »Reallexikon zur deutschen Kunst-
laus-Kapelle am Wormser Dom, Worms 1930; geschichte«, in: ZfKg, NF, 3, 1934, S. 134;
Kunstdenkmäler des Kreises Grimmen, in: Kunstgeschichtliche Studien O.Sch. zum 60.
Unsere Heimat, Bilder und Urkunden aus Geburtstag, Stg 1950; Bühner, Karl Hans. Rez.
Geschichte und Volkstum des Kreises Grim- von »Reallexikon zur deutschen Kunstge-
men, Grimmen 1931, 17–30; Caspar David schichte«, in: Das Münster, 4, 1951, S. 375; An-
Friedrich und die Klosterruine Eldena, in: FS sprache anläßlich der akademischen Trauer-
Victor Schultze, Stettin 1931, 167–192; Zur feuer für O.Sch., Stg 1951; Jantzen, Hans:
Baugeschichte des Kolberger Domes, in: Kol- O.Sch., in: KChr, 4, 1951, 219–221; Drucken-
berg-Kösliner Heimatkalender, Kolberg 1932, müller, Alfred: Rez. von »Reallexikon zur
32–36; Aquatintablätter nach Caspar David deutschen Kunstgeschichte«, in: Bm, 111, 1953,
Friedrich, in: ZDVKw, 3, 1936, 421–433; Zur 198–199; Gall, Ernst/Heydenreich, Ludwig
älteren Gmünder Plastik, in: FS Wilhelm Pin- (Hrsg.): O.Sch., in: Reallexikon zur Deut-
der, Lpz 1938, 291–300; Ein Skizzenbuchblatt schen Kunstgeschichte, Bd. 3, Stg 1954
Caspar David Friedrichs im Wallraf-Richartz- CF

Schnaase, Karl
Geb. 7. 9. 1798 in Danzig (Gdańsk, Polen); gest. 20. 5. 1875 in Wiesbaden

Zu der wachsenden Zahl der empirisch arbeitenden Forscher und Kenner seiner
Zeit wie  Rumohr,  Waagen oder  Kugler gehörte er nicht; Sch. strebte nach
Überschau und Synthese. Sein Ziel war eine Weltkunstgeschichte, die die Kunst
aller Zeiten und Regionen in ihrer Verflechtung mit der gesamten geistigen Kultur
der Völker begreift. Kunstgeschichtsschreibung hieß für Sch. nicht, die Kunst als
Künstler- oder Stilgeschichte zu separieren, sondern sie im Strom der Geschichte
des Geistes zu verfolgen, »nicht bloß an sich, sondern auch in ihrer Beziehung nach
außen, in ihrem Verhältnis zur Natur, zur Sitte und Religion« als »das gewisseste
Bewußtsein der Völker, ihr verkörpertes Urteil über den Wert der Dinge«.
Sch., der kein Kunsthistoriker von Profession war, studierte 1816–19 in Berlin
und Heidelberg bei Friedrich Carl von Savigny und Anton Friedrich Thibaut
Rechtswissenschaft und arbeitete sein Leben lang an preußischen Gerichten in
Danzig, Marienwerder, Königsberg, Düsseldorf und Berlin. Zum prägenden Bil-
dungserlebnis der Studienjahre wurde  Hegel, den Sch. in Heidelberg über Ästhe-
tik lesen hörte und dem er 1818 nach Berlin folgte. Er glaubte, in Hegels Philosophie
einen »festen Standpunkt für das innere Leben zu finden«. Obwohl diese Hoffnung
getäuscht wurde und Sch. Zuflucht zur Religion nahm, wurde ihm Hegels Ge-
schichtsdenken zum theoretischen Leitstern. Wie  Heinrich Gustav Hotho, der
Schnaase 389

zweite bedeutende Hegelianer unter den Kunsthistorikern des 19. Jahrhunderts,


gelangte Sch. zu einer Auffassung von der Kunstgeschichte als einer historischen
Erscheinungsweise des »Weltgeistes«. Diese Integration der Kunstgeschichte in den
»notwendigen« Gang der Weltgeschichte verlieh der Kunstentwicklung selbst eine
innere Zwangsläufigkeit und dadurch jeder einzelnen Kunstepoche eine Legitima-
tion, die nicht mehr ästhetisch-normativ, sondern historisch begründet war. Einen
nicht zu unterschätzenden Einfluß auf Sch.s Denken übten auch die ästhetischen
Anschauungen von Herder und Solger sowie die sprach- und rechtshistorischen
Vorstellungen von Savigny und Wilhelm von Humboldt aus.
In seiner ersten wichtigen Publikation, den Niederländischen Briefen (1834), in der
es neben kunsthistorischen auch um geschichtsphilosophische und kunsttheoreti-
sche Fragen geht, räumt Sch. zwar ein, daß »einige Epochen [...] ›der Menschheit
Höhen‹ erreicht haben, während andere mehr oder weniger im Dunkeln bleiben«,
als Kunsthistoriker wollte er jedoch »die Kunst in ihrer Geschichte« in allen ihren
»verbindenden Stufen« verstehen. »Der Gewinn eines solchen besseren Verständnis-
ses ist dann ein doppelter. Denn zunächst ist es Genuß, auch in den Epochen zwei-
ten Ranges das Schöne zu erkennen und nachsichtiger gegen die Schattenseiten zu
werden; die wahre Frucht ist aber die vollständigere Übersicht des Ganzen, die
bisher durch das fehlende Mittelglied unterbrochen wurde.« In diesen Worten
klingt die jahrhundertelange Auseinandersetzung um das Mittelalter nach, unter die
Sch. mit den Niederländischen Briefen einen Schlußpunkt setzen wollte. Für ihn
durfte das Mittelalter den gleichen künstlerischen Rang wie Antike und Renais-
sance beanspruchen. Fast zur gleichen Zeit wie Gustav Friedrich Waagen versuchte
Sch. in dieser Publikation auch eine Ehrenrettung des Peter Paul Rubens, der da-
mals noch als einer der großen Verderber der Kunst galt. Sch. wollte ihn »in seinen
reineren Leistungen [...] verstehen«.
Seit 1829 lebte Sch. in Düsseldorf, wo er, befreundet mit Wilhelm Schadow, Karl
Immermann und Friedrich von Uechtritz, eine zentrale Rolle im Kulturleben der
Stadt spielte, unter anderem als Vorstandsmitglied des von ihm mitgegründeten
Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen. Zur Gegenwartskunst hatte er je-
doch ein zwiespältiges Verhältnis; sie rief bei ihm ein »wehmütiges Gefühl« hervor:
»Man kann sich an einigen technischen Fortschritten erfreuen, aber [die] Kunst
wird immer mehr ein hors d’œuvre, ein gleichgültiges Spiel für müßige Leute.«
Hier am Rhein schrieb er auch seine mehrbändige Geschichte der bildenden Künste,
die Franz Kugler gewidmet ist. Sch. betrachtete sein Werk als ergänzendes Pendant
zu dessen mehr faktenbezogenen Handbüchern von 1837 und 1842; es war »weni-
ger auf vollständige Aufzählung, als auf tiefsinnige geschichts-philosophische Be-
gründung der Stile und Übergänge gerichtet« ( Burckhardt).
Dem historischen Teil, der mit der »vor-griechischen« Kunst der Inder, Baby-
lonier, Assyrer, Perser und Ägypter beginnt und bis ins 15. Jahrhundert führt, ist eine
philosophisch-theoretische Einleitung vorangestellt, welche die Völker, den »Volks-
geist«, als die bewegende Kraft eines dialektischen kunsthistorischen Prozesses defi-
niert: »Auch in Beziehung auf die Kunst ist die Geschichte der Menschheit ein
zusammenhängendes Ganzes, auch hier überlieferte das eine Volk dem anderen das,
was es erreicht hatte, und das Ziel ist ein gemeinsames, nach dem alle streben«,
390 Schnaase

nämlich »die möglichst vollendete Darstellung des menschlichen Wesens«. Diese


Gerichtetheit der Kunstgeschichte war für Sch. demnach auch Ausdruck des Wir-
kens von »allgemeinen Gesetzen« der Geschichte.
Da Sch. davon ausging, daß die »eigentliche Seele des Volksgeistes« die Religion
sei und »jedes wahrhafte Kunstwerk [...] eine [...] religiöse Bedeutung« habe, erhielt
der religionsgeschichtliche Aspekt in den kulturgeschichtlichen Einleitungen zu
den einzelnen Kunstperioden ein übergroßes Gewicht, was sich jedoch bei der
Interpretation der Kunstwerke kaum ausgewirkt hat, da Sch. nur selten versuchte,
einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Kunst und dem kulturellen Kon-
text herzustellen.
1848 ließ sich Sch. in Berlin nieder und bezog eine Wohnung im Haus des
Bildhauers Friedrich Drake am Tiergarten, die bald zu einem Treffpunkt von
Künstlern und vor allem von Kunsthistorikern wurde; hier verkehrten Waagen,
Hotho, Kugler,  Lübke, Friedrich Eggers, Ferdinand von Quast. Auch in Berlin
beteiligte sich Sch. aktiv am kulturellen Leben: durch Vorträge, häufig über christli-
che Kunst (Bildung und Christentum, 1861) und durch Mitarbeit im Verein der preu-
ßischen Kunstfreunde, in der Museumskommission und in dem von ihm mitbe-
gründeten Verein für religiöse Kunst in der evangelischen Kirche. 1858 gründete
Sch. Das christliche Kunstblatt.
Eine angegriffene Gesundheit und vielleicht auch eine wachsende innere Distanz
zu den Verhältnissen in Preußen am Ende der Ära Friedrich Wilhelms IV. ließen
Sch. 1858 in den Ruhestand treten. Als nun im doppelten Sinn freier Kunsthistori-
ker blieb er weiterhin rastlos tätig, reiste 1858 erneut nach Italien, 1860/61 nach
Belgien und Österreich; es entwickelten sich enge Kontakte zur Wiener Schule, zu
Gustav Adolf von Heider und  Rudolf Eitelberger, und zu ihrem seit 1856 beste-
henden wichtigsten Publikationsorgan, den Mitteilungen der k.k. Zentralkommission
zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, wo 1862 ein wichtiger Aufsatz von
Sch. (Zur Geschichte der Österreichischen Malerei im 15. Jh.) erschien. 1869 besuchte
Sch. die internationale Kunstausstellung in München und 1871 die Holbein-Aus-
stellung in Dresden; an der Diskussion über die Madonna des Bürgermeisters Meyer,
die damals die Kunstwelt erregte, scheint er sich nicht beteiligt zu haben.
Der Mittelpunkt seines Gelehrtendaseins blieb jedoch die Geschichte der bildenden
Künste, die großen Erfolg hatte, und noch ehe die letzten Bände überhaupt erschie-
nen waren, begann Sch. mit der Neubearbeitung. Eine Stütze war ihm dabei sein
Schüler Wilhelm Lübke, der später den unvollendet gebliebenen 8. Band herausgab
(1879).

Werke: Rez. von Christian Ludwig Stieglitz, kgl. Schlosses zu München, Dü 1840; Die
Geschichte der Baukunst, Bd. 1 (1827), in: Kirche zu Ottmarsheim, in: Kbl, 1843, H. 24;
Berliner Conversationsblatt für Poesie, Litera- Die Geschichte der bildenden Künste, 7 Bde.,
tur und Kritik, 1828, Nr. 60–63, 65; Nieder- Dü 1843–64 (2. Aufl. 1866–75); Über das Or-
ländische Briefe, Stg/Tü 1834; Rez. von ganische in der Baukunst. Sendschreiben an
Heinrich Gustav Hotho, Vorstudien für Le- Prof. Dr. Kugler, in: Kbl, 1844, Nr. 58; Die
ben und Kunst (1835), in: Jbb. f. wiss. Kritik, Kirche zu Ramersdorf, in: Vom Rhein. Le-
1836, T. 2, 13–40; Der Kreuzzug Kaiser Fried- ben, Kunst und Dichtung, 1847, 191–216; Po-
richs I. Historische Erläuterungen des Frieses litischer Katechismus für das Volk, Dü 1848;
von Ludwig Schwanthaler im Festbau des Über das Verhältnis der Kunst zum Christen-
Schnaase 391

tum und besonders zur evangelischen Kirche, rich, Gregor: K.Sch.s Rezeption und Trans-
Bln 1852; Zur Baugeschichte des Kölner Do- formation berlinischen Geistes in der kunst-
mes, in: MZk, 5, 1860, 137–140; Zur Ge- historischen Forschung, in: Kunsterfahrung
schichte der Totentänze, in: ebd., 221–223; und Kulturpolitik im Berlin Hegels, Bonn
Zur Kunstgeschichte Oberitaliens, in: ebd., 1983, Beiheft 22, 263–282; Beyrodt, Wolfgang:
1–10; Bildung und Christentum, Bln 1861; Ansichten vom Niederrhein. Zum Verhältnis
Zur Geschichte der Österreichischen Malerei von K.Sch.s »Niederländischen Briefen« zu
im 15. Jh., in: MZk, 7, 1862, 205–211, 238–247; Georg Forster, in: Welt und Wirkung von
Zur Geschichte Martin Schongauers, in: ebd., Hegels Ästhetik, Beiheft 27, Bonn 1986, 169–
8, 1863, 185–189; Dante und die Schule 182; Karge, Henrik: K.Sch. Zum Verhältnis
Giottos, in: ebd., 241–244; Zur Würdigung von Ästhetik und Kunstgeschichte im 19. Jh.,
der byzantinischen Kunst, in: ZfbK, 3, 1868, Kiel 1993; ders.: Die Kunst ist nicht das Maß
137–147, 168–175; Zur Geschichte des Nic- der Geschichte. K.Sch.s Einfluß auf Jacob
colò Pisano, in: ebd., 5, 1870, 97–110 Burckhardt, in: ArchKg, 78, 1996, 393–431;
Literatur: Rosenkranz, Karl: Das Verhältnis ders.: Arbeitsteilung der Nationen. K.Sch.s
des Protestantismus zur bildenden Kunst, mit Entwurf eines historisch gewachsenen Sy-
besonderer Rücksicht auf Sch.s »Niederlän- stems der Künste, in: ZSchAK, 53, 1996, 295–
dische Briefe«, in: Preuß. Provinzialblätter, 13, 306; ders.: Das Frühwerk K.Sch.s. Zum Ver-
1835, 113–132; Kugler, Franz: Rez. von »Ge- hältnis von Ästhetik und Kunstgeschichte im
schichte der bildenden Künste«, in: Kbl, 1844, 19. Jh., in: Antje Middeldorf Kosegarten
Nr. 17f.; Burckhardt, Jacob: Sch., in: Brock- (Hrsg.), Johann Dominicus Fiorillo, Gö 1997,
haus-Konversationslexikon, 9. Aufl., Bd. 12, 402–419; ders.: Kunst als kulturelles System.
Lpz 1847, 714–715; Semper, Hans: Über Sch.s K.Sch. und Jacob Burckhardt, in: Peter Bett-
Aufsatz über Niccolò Pisano, in: ZfbK, 5, hausen/Max Kunze (Hrsg.), Jacob Burck-
1870, S. 224; Woltmann, Alfred: K.Sch., in: hardt und die Antike, Mainz 1998, 139–159;
RfKw, 1, 1876, 194–208; Lübke, Wilhelm: K. ders.: Der Kunsthistoriker als künstlerischer
Sch., Stg 1879; Waetzoldt 1924, 70–92; Mac- Mentor. K.Sch. und Johann Wilhelm Schir-
Millan, Lewis Kennedy: Die Kunst- und Ge- mer, in: Siegmar Holsten (Hrsg.), Johann Wil-
schichtsphilosophie K.Sch.s, Diss. Bonn 1933; helm Schirmer in seiner Zeit, Hei 2002,
Zeitler, Rudolf: Hegel e Sch. La storia 44–47
dell’arte, in: CdA, 27, 1958, 203–222; Stemm- PB

Schorn, Ludwig
Geb. 9. 6. 1793 in Castell; gest. 17. 2. 1842 in Weimar

Sch. ist nicht vergessen, weil sein Name untrennbar mit dem Kunstblatt, das auch das
»Schornsche« genannt wird, verbunden ist; er machte es zu einer modernen, ange-
sehenen Kunstzeitschrift, die sich mit »Abhandlungen über allgemeine Kunstgegen-
stände, Beiträgen für die ältere und neuere Kunstgeschichte, Beschreibungen und
Beurteilungen von Kunstwerken, Auszügen aus den besten Schriften über Kunst
und Kritiken derselben« sowohl an die Fachwelt als auch an die breitere Öffentlich-
keit wandte. Die Initiative ging von dem Verleger Johann Friedrich Cotta aus, dessen
Morgenblatt für gebildete Stände seit 1816 in unregelmäßigen Abständen mit einer
Kunstbeilage erschienen war. Seit 1820 unter Sch.s Leitung – empfohlen hatte ihn
 Sulpiz Boisserée – und nun selbständig, verfügte das Kunstblatt bald über Korre-
spondenten in den europäischen Kunstzentren und die besten Autoren der Zeit:
die Kunsthistoriker  Fiorillo, Boisserée,  Passavant,  Waagen,  Rumohr,
 Schnaase,  Kugler,  Kolloff ,  Eitelberger und  Burckhardt, die Archäolo-
gen und Philologen Welcker, Thiersch, Creuzer, Müller, Gerhard, Ernst Curtius und
392 Schorn

Schöll, die Philosophen  August Wilhelm Schlegel und Schelling, die Architekten
und bildenden Künstler Hittorf , Klenze, Overbeck, Ferdinand Olivier. Auch
 Goethe findet man unter ihnen. Fast die Hälfte der Beiträge schrieb jedoch Sch.
selbst.
Als Kunsthistoriker ist Sch. in zahlreichen Aufsätzen faßbar. Die Thematik reicht
von der Antike, die ihm in jungen Jahren besonders wichtig war, über das Quattro-
cento bis zur mittelalterlichen deutschen Kunst; auch zu kunstphilosophischen und
-theoretischen Fragen hat er sich geäußert. Sch.s Stärke lag indessen in der Lehre.
Seit 1826 hielt er als Professor für Ästhetik und Kunstwissenschaft Vorlesungen an
der Münchner Universität und der Kunstakademie, seit 1832 an der Zeichenschule
und am Hof in Weimar. Seine Zuhörer lobten seinen anregenden, verständlichen
Vortrag, dem er durch zeichnerische Demonstrationen besondere Anschaulichkeit
verlieh.
Sch. studierte seit 1811 zunächst in Erlangen Theologie, bis er durch Sulpiz Bois-
serée und Karl Haller von Hallerstein auf Kunstgeschichte und Archäologie gelenkt
wurde. In München, wo 1818 Sch.s erste Publikation (Über die Studien der griechischen
Künstler) erschien, kam er in Kontakt mit dem Philologen Friedrich Thiersch und
1819 in Dresden mit dem Archäologen Karl Otfried Müller. Von den Kunsthistori-
kern beeinflußte ihn besonders Rumohr, mit dem er einige Jahre später in einen im
Kunstblatt veröffentlichten Disput trat (Über Stil und Motive in der bildenden Kunst;
Über den Stil in der bildenden Kunst, 1825). Die Übernahme der Redaktion des Kunst-
blattes machte einen Umzug nach Stuttgart erforderlich. Von dort bereiste Sch.
1822/23 Italien und Frankreich; 1826 besuchte er die Niederlande und England. Im
selben Jahr erreichte ihn die Berufung nach München, wo Sch. neben seiner Vorle-
sungstätigkeit den Katalog der 1830 eröffneten Glyptothek und den 1. Band seiner
Vasari-Ausgabe, der ersten in deutscher Sprache überhaupt, bearbeitete; 1837 und
1839 folgte Band 2 in zwei Teilen. Sch. begründete das Unternehmen im Vorwort
mit dem Hinweis auf eine »größere Teilnahme«, die das »Studium der Kunstge-
schichte in Deutschland« in der zurückliegenden Zeit erfahren habe. Den Text Va-
saris wollte er trotz vieler offensichtlicher Fehler nicht antasten, die Kommentare
der bisherigen italienischen Ausgaben hielt er dagegen für erledigt, dafür sollten
jedoch die neueren Forschungsergebnisse von Lanzi, d’Agincourt, Cicognara und
Rumohr eingearbeitet werden. Respekt zollte Sch. dem »Vater der Kunstgeschichte«
auch dadurch, daß er die Holzschnitt-Künstlerbildnisse der von Vasari noch selbst
bearbeiteten 2. Auflage von 1568 reproduzieren und mitabdrucken ließ. Nach Sch.s
Tod führte  Ernst Förster die Vasari-Ausgabe weiter (Bde. 3–6 erschienen 1843–
49), zusammen mit Franz Kugler bis 1849 auch das Kunstblatt.
Nicht zuletzt Querelen mit Peter Cornelius, dem Direktor der Münchner
Kunstakademie, veranlaßten Sch., 1832 nach Weimar zu gehen, wo er die Leitung
der Zeichenschule und der Kunstsammlungen übernahm. Sein lebenslanges Enga-
gement für die Gegenwartskunst konnte sich noch einmal im Weimarer Schloß
entfalten: das von Friedrich Preller und anderen ausgeführte Bildprogramm des
Dichter-Flügels hat Sch. angeregt und mitentworfen.
Schorn 393

Werke: Über die Studien der griechischen Schlosse Christiansborg von Bertel Thor-
Künstler, Hei 1818; Über die deutsche Kunst- valdsen. Nach Zeichnungen von F. Overbeck
ausstellung zu Rom im Frühjahr 1819, in: u. a., gestochen von Prof. Samuel Amsler, Mü
Kbl, 1820, H. 10–11; Homer nach Antiken ge- 1835; Umriß einer Theorie der bildenden
zeichnet von H.W. Tischbein, Direktor der Künste, Stg 1835; Zur Geschichte der Bild-
kgl. Akademie der schönen Künste zu Nea- schnitzerei in Deutschland, in: Kbl, 1836, H.
pel, Stg/Tü 1821; Abgüsse der äginetischen 1–4; Über altdeutsche Skulptur mit besonde-
und Elginschen Marmorbilder in Stuttgart, rer Rücksicht auf die in Erfurt vorhandenen
in: Kbl, 1821, H. 88–89; Über einige weniger Bildwerke, Erfurt 1839; Kunstgeschichte und
bekannte altitalienische Malerei, in: Kbl, 1823, Periegese, in: Kbl, 1839, H. 1–2, 9–12 u. 1840,
H. 1; Über einige Gemälde von altdeutschen H. 2–5; Altdeutsche und normannische Kunst,
und altneapolitanischen Meistern in Neapel, in: (Cottas) Dt. Vierteljahrsschrift, 1841, H. 4;
in: Kbl, 1823, H. 39–40; Domenico Ghir- Über den Stil. Aus dem ungedruckten Brief-
landajo. Eine Andeutung, in: Kbl, 1824, H. 1– wechsel zwischen L.Sch. und K.F.v. Rumohr,
2; Einige Bemerkungen über den jetzigen hrsg. v. Adelheid v. Schorn, in: Deutschland.
Zustand der Historienmalerei in Frankreich, Monatsschrift f. d. gesamte Kultur, 4, 1906, H.
in: Kbl, 1824, H. 61; Freskomalereien deut- 9, 284–293
scher Künstler in Rom, in: Kbl, 1825, 25–27; Literatur: Rumohr, Karl Friedrich von:
Über Stil und Motive in der bildenden Kunst. Über den Stil in der bildenden Kunst. Ant-
An Herrn Baron K.F.v. Rumohr, in: Kbl, wort des Freiherrn von Rumohr auf das
1825, H. 1; Über Wesen, Umfang und Vortrag Schreiben vom Herausgeber in Kunstblatt
der Ästhetik. Eine Rede, in: Kbl, 1827, H. 1; Nr. 1 d.J., in: Kbl, 6, 1825, 297–300; Dahm,
Der Göttersaal in der Glyptothek in Mün- Inge: Das Sch.sche Kunstblatt 1816–49, Diss.
chen. Ein Gespräch, in: Kbl, 1828, H. 1–4; Mü 1953; Karge, Henrik: Das Kunstblatt L.
Rez. von M. Raoul-Rochette, Cours d’ ar- Sch.s als Forum der frühen deutschen Kunst-
chéologie, (1828), in: Kbl, 1829, H. 5–8; Be- geschichtsschreibung, in: Christian Drude
schreibung der Glyptothek Seiner Majestät (Hrsg.), 200 Jahre Kunstgeschichte in Mün-
des Königs Ludwig I. von Bayern, Mü 1830; chen, Mü 2003, 44–56; Feilchenfeldt, Konrad:
Über einige Bauwerke der Araber und Mau- Briefwechsel zwischen Perthes und Sch. über
ren in Spanien, in: Kbl, 1831, H. 1–6; Umriß Runges »Hinterlassene Schriften«, in: FS
einer Theorie der bildenden Künste, in: Kbl, Werner Busch, Mü 2004, 264–272
1835, H. 1–3; Alexanders des Großen Einzug PB
in Babylon. Marmorfries im kgl. dänischen

Schrade, Hubert
Geb. 30. 3. 1900 in Allenstein (Olsztyn, Polen); gest. 25. 11. 1967 in Freiburg i.Br.

Der Name des wohl engagiertesten Nationalsozialisten unter den bedeutenden


deutschen Kunsthistorikern fehlt in keiner Abhandlung zur jüngeren Disziplinge-
schichte. Sein Beitrag zur Ikonographie und Geschichte der christlichen Malerei
scheint jedoch, von jener fatalen Vergangenheit verdunkelt, in Vergessenheit geraten
zu sein; unter der immer noch anschwellenden Literatur zur Ikonologie wird man
Sch.s Hauptwerk (Ikonographie der christlichen Kunst, 1932) vergeblich suchen. Seinen
Standort innerhalb der Geschichte des Fachs sah Sch. im Vorwort der von ihm
herausgegebenen kurzlebigen, doch gehaltvollen Zeitschrift Das Werk des Künstlers
(1939–42) jenseits der rein formalen Kunstbetrachtung, wie sie  Riegl und
Wölfflin praktiziert hatten, und der geistesgeschichtlich orientierten Kunstge-
schichtsschreibung  Dvoáks, die sich »ständig in Versuchung [befand], das künst-
lerische Werk nur als beispielgebenden Beleg für Ideen zu beschreiben und zu be-
werten«. Sch.s Aufmerksamkeit sollte dagegen dem »Werk als die sinnerfüllte Gestalt
394 Schrade

bestimmter Wirklichkeit« gelten. Zum Deuter von Kunstwerken wie es  Pinder,


 Jantzen und  Sedlmayr waren, fehlte Sch. indessen die ästhetische Feinnervig-
keit. Neigung und Begabung führten ihn auf das Feld der religiösen Ideen, vor allem
der Gottesvorstellungen, und deren Verbildlichung in der Kunst, zunächst der des
Christentums und des Mittelalters; später befaßte sich Sch. auch mit dem Orient
und der Antike.
Sch. studierte Philosophie, Literatur- und Kunstgeschichte und promovierte 1922
bei  Neumann. 1929–40 lehrte er an der Heidelberger Universität, zunächst als
Privatdozent, seit 1931 als a.o. und seit 1935 als o. Professor. Nach der Entlassung
 Grisebachs, an der Sch. nicht unbeteiligt gewesen war, ernannte ihn der Reichs-
minister für Wissenschaft 1938 zum Ordinarius. Nach einer nur halbjährigen
Amtsperiode in Hamburg – 1933 war Sch. »als national gesinnter Mann« dort schon
einmal als Nachfolger  Panofskys im Gespräch gewesen – erhielt er 1940 den
Lehrstuhl im wieder deutschen Straßburg und blieb dort bis zum Untergang des
Dritten Reiches.
Sch.s Anfänge standen im Zeichen der in den 1920er Jahren florierenden Spät-
gotikforschung; er schrieb wichtige Beiträge zu Stephan Lochner und Tilman
Riemenschneider. In der an  Thodes großer Monographie von 1885 anknüpfen-
den Arbeit über Franz von Assisi und Giotto, mit der er sich 1926 habilitiert hatte,
zeigte sich bereits der ideengeschichtliche Ansatz. Seine Ikonographie der christlichen
Kunst bezeichnete er wenige Jahre später als den Versuch einer »Geschichte der
christlichen Phantasie im Gestaltungsbereich der bildenden Künste«. Nicht Stil-
und Formgeschichte wollte er schreiben, sondern in einem grundlegenden Werk
die Verwurzelung der christlichen Kunst im christlichen Mythos und deren ge-
schichtliche Entwicklung bis zum Ende des Barock darstellen. In einem ein Jahr
früher publizierten Aufsatz, einem beachtenswerten Zeugnis der damals gerade
einsetzenden Romantikforschung, hatte Sch., den durch die Aufklärung verursach-
ten Verlust jenes Mythos als »tragende Kraft der Kunst« konstatierend, in der roman-
tischen Landschaftsidee den letzten, aber gescheiterten Versuch gesehen, der christ-
lichen Kunst eine neue Lebensgrundlage zu geben. Die in den »Dienst der Bildung«
und der »reinen« Form gestellte moderne Kunst habe seit der Romantik ihren ei-
genen Weg eingeschlagen, wurde autonom und verlor ihre gesellschaftliche Not-
wendigkeit.
Die Chance, diese wieder herzustellen, sah Sch. 1933 mit dem Machtantritt der
Nationalsozialisten gekommen. In zahlreichen Schriften propagierte er in einer
martialischen Sprache die nationalsozialistische »Revolution« als den Beginn einer
in der »Volksgemeinschaft« verwurzelten neuen Kunst. Auf diesem Wege sah er die
Baukunst voranschreiten: Im Nürnberger Parteitagsgelände sei es vor allem das
Leben, »das in jener Selbsterhöhung erscheint, die wir Feierlichkeit nennen. Die
Kunst wäre überhaupt nicht da, wenn nicht zuvor das Leben zu dieser Steigerung
seiner selbst gekommen wäre«; sie habe nur insofern eine Daseinsberechtigung, als
sie sich der nationalsozialistischen Idee unterwerfe. Dies sollte auch für die Kunst-
geschichte gelten, die, abgesehen von populären und einigen kleineren Arbeiten
sowie einem Beitrag zur sogenannten Ostforschung für die Propyläen-Weltge-
schichte, nach 1933 bei Sch. in den Hintergrund trat; das auf drei Bände berechnete
Schrade 395

ehrgeizige Projekt zur Ikonographie blieb liegen. Mit seiner Parteinahme für den
Nationalsozialismus hatte sich Sch.s Auffassung von Funktion und Methode der
kunstgeschichtlichen Arbeit grundlegend geändert; seine Texte sollten von nun an
vor allem NS-Weltanschauung vermitteln.
Nach 1945 nahm Sch. den Faden zur mittelalterlichen Kunst wieder auf. Er
veröffentlichte eine zweibändige Geschichte der europäischen Malerei von ihren
frühmittelalterlichen Anfängen bis zu Giotto, die wieder der »gestalterischen Ver-
wirklichung« der großen Themen der christlichen Kunst nachspürte, und eine
umfangreiche Arbeit über die Gottesvorstellungen in Israel und im Vorderen Ori-
ent. Trotz seiner Verstrickung in die Ideologie des Dritten Reiches fand Sch. nach
einer Abstinenz von einigen Jahren noch einmal zurück zum Katheder: 1954–65
leitete er das Kunsthistorische Institut der Universität Tübingen.

Werke: Stephan Lochner, Mü 1923; Tilman nen Erziehung zum Kunstverständnis, in:
Riemenschneider, 2 Bde., Hei 1927; Über AIKBa, Basel 1938, 165–181; Zur frühen
Symbol und Realismus in der Spätgotik, in: Kunstgeschichte in den baltischen Landen, in:
DVjS, 5, 1927, 78–105; Franz von Assisi und Baltische Lande, 1, 1938, 415–432; Sinnbilder
Giotto, in: ArchKg, 17, 1927, 150–193; Loch- des Lebens in der deutschen Kunst, Mü 1938;
neriana, in: WRJb, 1928, 56–74; Frühchristli- Heidelberg und das Neckartal, Bln 1941; Rez.
che und mittelalterliche Kunst. Ein Literatur- von Georg Weise, Die geistige Welt der Gotik
bericht, in: DVjS, 6, 1928, 548–580 u. 7, 1929, und ihre Bedeutung für Italien (1939), in:
348–422; Über Mantegnas Christo in scurto DWdK, 2, 1941, 77–80; Hans Thoma. Leben
und verwandte Darstellungen. Ein Beitrag und Kunst, Mü 1941; Peter Paul Rubens, in:
zur Symbolik der Perspektive, in: NHeiJbb, DWdK, 2, 1941/42, 16–50; Ritter, Tod und
1930, 75–111; Künstler und Welt im deutschen Teufel, in: ebd., 281–372; Bilder Himmels und
Spätmittelalter, in: DVjS, 9, 1931, 1–44; Die der Erden, Tü 1948; Der verborgene Gott.
romantische Idee von der Landschaft als Gottesbild und Gottesvorstellung in Israel
höchstem Gegenstande christlicher Kunst, und im alten Orient, Stg 1949; Götter und
in: NHeiJbb, 1931, 1–94; Ikonographie der Menschen Homers, Stg 1952; Über das künst-
christlichen Kunst, Bd. 1: Die Auferstehung lerische Werturteil, in: Universitas, 12, 1957,
Christi, Bln/Lpz 1932; Der gegenwärtige 369–378; Malerei des Mittelalters. Bd. 1: Vor-
Kampf um die bildende Kunst, in: ZfdB, 9, und frühromanische Malerei. Die karolingi-
1933, 481–494; Das deutsche Nationaldenk- sche, ottonische und frühsalische Zeit, Köln
mal, Mü 1934; Die Abstimmungsurnen des 1958, Bd. 2: Die romanische Malerei. Ihre
Deutschen Reichstags. Ein Beitrag zum Maiestas, Köln 1963 (frz. 1966); Die Vita des
gegenwärtigen Problem der künstlerischen hl. Liudger und ihre Bilder, Münster 1959;
Aufgabe, in: ZfdKph, 1, 1935, 91–111; Die Einführung in die Kunstgeschichte, Stg 1966
künstlerische Leistung des deutschen Ostens, Literatur: Einem, Herbert von: Das Pro-
in: Der deutsche Osten (Propyläen-Weltge- blem des Mythischen in der christlichen
schichte), Erg.bd. 1, Bln 1936, 531–584; Kunst. Betrachtungen im Anschluß an H.
Schicksal und Notwendigkeit der Kunst, Lpz Sch.s »Ikonographie der christlichen Kunst«,
1936; Der Dom zu Naumburg, Bremen 1936; in: DVjS, 13, 1935, 260–292; Beenken, Her-
Heidelberg, Bremen 1936; Bauten des Drit- mann: Rez. von »Ikonographie der christli-
ten Reiches, Lpz 1937; Rez. von Wilhelm chen Kunst« u. zu Herbert von Einem »Das
Pinder, Die Kunst der deutschen Kaiserzeit Problem des Mythischen in der christlichen
(1935), in: ZfdB, 13, 1937, 104–107; Das deut- Kunst«, in: ZfKg, 5, 1936, 55–60; FS H.Sch.
sche Gesicht in Bildern aus acht Jahrhunder- Das Werk des Künstlers. Studien zur Ikono-
ten deutscher Kunst, Mü 1937; Die heldische graphie und Formgeschichte, Stg 1960 (Bi-
Gestalt in der deutschen Kunst, Mü 1937; bliogr.); Hille, Nicola: Das Kunsthistorische
Baum und Wald in Bildern deutscher Maler, Institut der Universität Tübingen und die Be-
Mü 1937; Sinnbilder des Reiches, Mü 1938; rufung H.Sch.s zum Ordinarius im Jahr 1954,
Möglichkeiten und Grenzen einer allgemei- in: Kunst und Politik, 8, 2006, 171–194
PB
396 Schubring

Schubring, Paul
Geb. 28. 1. 1869 in Godesberg (heute Bonn); gest. 7. 11. 1935 in Hannover

Unter Sch.s Veröffentlichungen, die großenteils der italienischen Kunstgeschichte


gewidmet sind, befinden sich Monographien über Botticelli, Donatello und Luca
della Robbia, Überblicksdarstellungen zur Renaissance sowie kunsthistorische Rei-
seführer zu Pisa, Florenz, Siena und weiteren italienischen Städten. In seiner Arbeit
über Illustrationen zu Dantes Göttlicher Komödie versuchte er, Kunst- und Literatur-
geschichte miteinander zu verbinden, die ihm unsinnig erscheinende Spezialisie-
rung innerhalb der Fachgrenzen aufzulockern und »mit Hilfe des Bildes dem
Kunstfreund Dante« näherzubringen. In den Cassoni von 1915 untersuchte Sch. ein
bis dahin kaum beachtetes Feld der italienischen Profanmalerei des 14. und 15.
Jahrhunderts, zu dessen Erhellung er weit in das gesellschaftliche Leben der Renais-
sance ausgriff.
Sch.s Laufbahn hatte nach dem Theologiestudium in Bonn 1893 zunächst mit
einer Anstellung als Lehrer an der Scuola Internazionale in Bari begonnen. 1895
kehrte er nach Deutschland zurück, wurde Vikar der deutsch-reformierten Ge-
meinde in Frankfurt/Main und begann im gleichen Jahr ein Studium der Kunstge-
schichte und Geschichte, das er 1898 mit einer Promotion über die Malerei des
Trecento abschloß. Nach einem Volontariat am Berliner Kunstgewerbemuseum war
er 1899–1902 wissenschaftlicher Assistent der Skulpturensammlung der Königlichen
Museen und 1900–05 Lehrer für Kunstgeschichte und Literatur an der Hochschule
für bildende Künste in Berlin. Anschließend lehrte Sch. als Privatdozent italienische
Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Geschichte des Kunstgewer-
bes und der dekorativen Künste sowie Stilkunde an der Technischen Hochschule.
1909 folgte er einer Berufung zum a.o. Professor für Kunstgeschichte an die Uni-
versität Basel, kehrte aber schon 1910 an die Berliner Technische Hochschule zu-
rück. 1920 wechselte er an die Technische Hochschule Hannover, wo er 1935
emeritiert wurde.
Neben  Warburg gehörte Sch. zu den ersten Kunsthistorikern in Deutschland,
die sich intensiv mit den italienischen Cassoni – Truhen mit gemalten oder relief-
artigen figürlichen Darstellungen – beschäftigten. Er betrachtete diese Möbel als
wichtige Zeugnisse einer Gebrauchskunst, die im Italien der Frührenaissance alle
Stände miteinander verband. Sch. verfolgte die Entwicklung vom schlichten, eisen-
beschlagenen Kasten, der als Reisekoffer, als Brot- und Mehlkiste diente, bis zu den
reichverzierten Hochzeitstruhen und den Prunkkästen in Kirchen und Palazzi, in
denen Gewänder, Urkunden, Schmuck und Waffen aufbewahrt wurden. Ein we-
sentlicher Teil seiner Untersuchungen galt der Ergründung des »geistigen Zusam-
menhangs«, dem die häufig mythologischen Darstellungen als lebendige Deutungen
des persönlichen Lebens, des individuellen Geschicks und der aktuellen Gegenwart
angehörten. Er zeigte, daß Sagen, Novellen, Epen und Erzählungen der Profanlite-
ratur und der Bibel im Chronikstil dargestellt wurden, als seien sie Illustrationen
zeitgenössischer Ereignisse. Lange vor den mentalitätsgeschichtlichen Studien und
Forschungen zur Alltagskultur seit den 1960er Jahren (wie die Michael Baxandalls)
gelangen Sch. mit Hilfe der Cassoni nicht nur Einblicke in das Leben der Ober-
Schubring 397

schichten, sondern auch das der Bürger und Kaufleute, der Handwerker, Dörfler
und Bauern. Im Aufkommen der Druckgraphik sah Sch. die Ursache für die Zu-
rückdrängung des episch-illustrativen Moments in der Cassone-Malerei, wies aber
gleichzeitig darauf hin, daß in abgewandelter Form einige Themen im 16. Jahrhun-
dert eine »monumentale Auferstehung« in der Freskomalerei erlebten.
Aus Sch.s langjähriger Beschäftigung mit Dante ging 1931 eine Arbeit über die
Illustrationen zur Göttlichen Kömodie vom 14. bis 16. Jahrhundert hervor, in der nicht
nur die großen Meister wie Botticelli und Signorelli, sondern auch Buchmaler
verschiedenster Qualität und über die Textillustrationen hinaus auch Darstellungen
der von Dante erwähnten Personen und Begebenheiten in römischen und pompe-
janischen Wandbildern berücksichtigt wurden. Nach dem großangelegten Dante-
Werk von  Kraus (1897) führte Sch. erneut den tiefgreifenden Einfluß der Göttli-
chen Komödie auf die bildkünstlerische Produktion vor Augen.

Werke: Altichiero und seine Schule. Ein Bei- vatbesitz, in: ebd., 47 (23), 1912, 301–308; Die
trag zur oberitalienischen Malerei im Tre- Chrysostomus-Legende, in: ebd., 48 (24),
cento, Lpz 1898; Die Fresken im Querschiff 1913, 109–112; Italienische Renaissanceplastik
der Unterkirche S. Francesco in Assisi, Bln/ in Budapest, in: ebd., 49 (25), 1914, 91–104;
Stg 1899; Schloß- und Burgbauten der Ho- Lebensbeschreibungen berühmter Männer
henstaufen in Apulien, Bln/Stg o.J. (1901); des Quattrocento, Jena 1914; Cassoni. Truhen
Das gute Regiment. Fresko von Ambrogio und Truhenbilder der italienischen Frühre-
Lorenzetti in Siena, in: ZfbK, 37 (13), 1902, naissance. Ein Beitrag zur Profanmalerei im
138–145; Pisa, Lpz 1902; Unter dem Campa- Quattrocento, Lpz 1915; Zwei Cassonetafeln
nile von S. Marco. Ein Nachruf zur Erinne- mit Apuleius’ Märchen von Amor und Psy-
rung an Venedigs stolze Tage, HaS 1902; Ein che, in: ZfbK, 51 (27), 1916, 315–320; Shake-
Passionsaltärchen von Simone Martini aus speares italienische Novellen, Bln 1920; Dan-
Avignon, in: JbPK, 1902, 141–146; Florenz, 2 tes Göttliche Komödie in Zeichnungen
Bde., 1902/03; Urbano da Cortona. Ein Bei- deutscher Romantiker, Lpz 1921; Italien.
trag zur Kenntnis der Schule Donatellos und Marmor-Intarsien und Mosaiken (mit Wal-
der Sieneser Plastik im Quattrocento, Str ther Kern), Bln 1922; Fra Angelico. Der Ma-
1903; Das italienische Grabmal der Frühre- ler und Mönch, Mü 1923; Die italienische
naissance, Bln 1904; Italienische Plastik, in: Medaille der Frührenaissance, Lpz 1923; Die
Das Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin, Kunst der Renaissance im Norden. Barock
hrsg. v. Paul Clemen u. a., Lpz 1904, 28–34; und Rokoko, Lpz 1923; Die Predella zu Raf-
Mailand und die Certosa di Pavia, Stg/Lpz/ faels Altar für S. Antonis in Perugia, Lpz 1923;
Bln 1904; Berlin I. Das Kaiser-Friedrich-Mu- Rubens, Bie 1923; Die Architektur der italie-
seum, Stg 1905; Luca della Robbia und seine nischen Frührenaissance, Mü 1923; Die italie-
Familie, Bie 1905; Matteo de Pasti, in: FS Au- nische Plastik des Quattrocento, Pd 1924; Die
gust Schmarsow, Lpz 1907, 103–114; Rem- Kunst der Hochrenaissance, Bln 1926; Neapel
brandt, Lpz 1907; Donatello. Des Meisters (mit Albert Ippel), Lpz 1927; Charakterköpfe
Werke in 277 Abbildungen, Lpz/Stg 1907; deutscher Künstler, Bln 1927; Illustrationen
Grünewald-Mappe, Mü 1907; Die Plastik zu Dantes Göttlicher Komödie. Italien, 14.–
Sienas im Quattrocento, Bln 1907; Isenhei- 16. Jh., Zü/ Wien/Lpz 1931;
mer Altar, Mü 1908; Hilfsbuch zur Kunstge- Literatur: Thode, Henry: Rez. von »Alti-
schichte. Heiligenlegenden, Mythologie, chiero und seine Schule«, in: DLZ, 20, 1899,
Technik, Zeittafeln, Bln 1909; Urbino, Lpz 278–279; Fabriczy, Cornelius von: Rez. von
1909; Die Sixtinische Kapelle, Rom 1909; »Urbano da Cortona. Ein Beitrag zur Kennt-
Gioia del Colle, in: ZfbK, 44 (20), 1909, 73– nis der Schule Donatellos und der Sieneser
82; Die Sammlung Nemes in Budapest, in: Plastik im Quattrocento«, in: L’arte, 6, 1903,
ebd., 46 (22), 1911, 29–38; Max Klingers Zy- 376–377; ders.: Rez. von »Die Plastik Sienas
klus »Vom Tode«, in: ebd., 125–128; Italieni- im Quattrocento«, in: RfKw, 31 1908, 384–
sche Renaissanceplastik aus englischem Pri- 391; Singer, Hans Wolfgang: Rez. von »Rem-
398 Schubring

brandt«, in: ebd., 29, 1908, 875–876; Sauer, ker«, in: DLZ, 43, 1922, 257–260; Italienische
Josef: Rez. von »Hilfsbuch zur Kunstge- Studien. P.Sch. zum 60. Geburtstag gewidmet,
schichte«, in: ebd., 32, 1911, 2015–2019; Wölff- Lpz 1929; Suida, Wilhelm: Rez. von »Illustra-
lin, Heinrich: Rez. von »Cassoni. Truhen und tionen zu Dantes Göttlicher Komödie«, in:
Truhenbilder der italienischen Frührenais- Belvedere, 11, 1932, 158–159; P.Sch., in: Cata-
sance«, in: ebd., 36, 1915, 958–960; Justi, Carl: logus Professorum 1831–1981. FS zum 150jäh-
dass., in: RfKw, 39, 1916, 177–181; Vitzthum, rigen Bestehen der Universität Hannover, Bd.
Georg Graf: Rez. von »Dantes Göttliche Ko- 2, Stg/Bln/Köln/Mainz 1981, S. 286
mödie in Zeichnungen deutscher Romanti- CF

Schürer, Oskar
Geb. 22. 10. 1892 in Augsburg; gest. 29. 4. 1949 in Heidelberg

Vielseitig in seinen Arbeiten und widerspruchsvoll in seinen Einstellungen zu gei-


stigen und politischen Entwicklungen, die während seiner Lebenszeit auch die
Kunstwissenschaft determinierten – so läßt sich Sch., gleich manchem seiner Gene-
rationsgefährten, charakterisieren. Seine Arbeitsgebiete waren die mittelalterliche
Architektur, die schwierige Kunstgeschichte in den von mehreren Völkern bewohn-
ten Ländern Böhmen und Slowakei und die Gegenwartskunst; er dichtete zeitweise
und war ein Hochschullehrer, der als tatkräftige Persönlichkeit und durch Werkana-
lysen in bildhafter, ausdrucksmächtig die Gestalten nachempfindender Sprache
seine Studenten stark beeindruckte.
Sch., der aus einer großbürgerlichen Familie kam, studierte 1911–14 Kunstge-
schichte und Philosophie in München (hier schloß er Freundschaft mit Hans Georg
Gadamer), Berlin und Marburg, wo er das Studium nach vier Jahren Unterbrechung
durch Kriegsdienst und kurzer Begeisterung für die Revolution 1920 bei  Ha-
mann mit der Promotion über Die Baugeschichte der Klosterkirche zu Haina abschloß.
Nach Studienreisen durch Deutschland und die Niederlande wurde er 1922–23 in
Dresden Kunstkritiker und Dozent an der lebensreformerischen Neuen Schule in
Hellerau (dort folgte ihm  Schardt nach). 1924–32 lebte er, damals mit einer
Tschechin verheiratet, als Kunstkritiker in Prag und widmete der Kultur und Kunst
dieser Stadt, in der östliche Fülle und westlicher Formwille einen unvergleichlichen
spannungsvollen Reichtum erzeugt hatten, ein großes Buch. Er untersuchte, auch
mittels Grabungen, die Burg in Eger (Cheb) und deren Doppelkapelle; diesen Bau-
typus erfaßte er erstmals systematisch. Reisen führten ihn nach Frankreich und
Italien wie nach Ungarn, Polen, der Slowakei. 1932 habilitierte er sich über die
Egerer Pfalz bei  Frankl in Halle, mit dessen Art der Architekturanalyse ihn vieles
verband, und wurde Privatdozent, der auch über Picasso und andere moderne
Kunst las.Vor allem aber unternahm er mit Studenten und technischen Helfern drei
Jahre lang Exkursionen, um für den Deutschen Verein für Kunstwissenschaft, der
sich verstärkt auch der Kunst der »Auslanddeutschen« annahm, die »von Deutschen
für Deutsche geschaffene Kunst« des Mittelalters und der Renaissance in der Zips
(Spiš), einem Teil der Slowakei, umfassend zu dokumentieren. Auch für seine Hei-
matstadt schrieb er einen Kunstführer. 1937 ging er als Privatdozent nach München,
Schürer 399

wo er neben  Jantzen 1939 a.o. Professor wurde, aber bis 1941 wieder zum Militär
mußte. 1942 erhielt er den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Technischen
Hochschule Darmstadt, wohnte jedoch seit 1944 in Aschaffenburg. Dort engagierte
er sich gleich nach Kriegsende für den Denkmalschutz, hielt Volkshochschulvor-
träge, organisierte Ausstellungen, unter anderem über den Expressionisten Ernst
Ludwig Kirchner, und versuchte, seine Forschungen über spätgotische Kunst wie-
der aufzunehmen. Schon im Mai 1946 mußte der schwer Erkrankte die Lehrtätig-
keit in Darmstadt seinem Assistenten Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth (geb.
1915) übergeben.
Für die romanischen Doppelkapellen, die Sch. als einen auf Deutschland be-
grenzten Typus von Herrschaftskapellen auf Burgen begriff, nahm er eine neue
politische Konstellation im Verhältnis weltlicher und geistlicher Fürsten zueinander,
eine »geistespolitische Höchstspannung«, als Ursache an. Nur diese rechtfertige die
ausführliche Untersuchung. Die Typentwicklung sei aber dann der »zeitstiligen
formbildenden Kraft« zu verdanken, die sich auch älterer Anregungen aus dem
spätantiken Osten bediente. Sch.s Aufmerksamkeit konzentrierte sich dann gänzlich
auf das »komplizierte Raumgefühl«, das »Raumbereicherungsstreben«. »Die Mittel-
öffnung [...] muß Raumkeim sein für die oben und unten sich ankristallisierenden
Raumkompartimente«, schrieb er, oder auch: »Die Turmenergien rücken entweder
[am Bau, d. Verf.] nach vorn [...] oder verflüchtigen sich«; am Ende zerfällt der
Bautypus.
Die Kunst in der Zips, die er gemeinsam mit Erich Wiese in Breslau, aber auch
mit Hilfe des Denkmalpflegers Václav Mencl in Bratislava, erforschte, wollte er als
»deutsches Ostschicksal« verständlich und bekannter machen, ähnlich wie  Clasen
im Deutschordensgebiet und  Frey in Schlesien. Unter Berücksichtigung der hi-
storischen Grundlagen, an denen die ungarischen Könige beteiligt gewesen waren,
analysierten die Verfasser stilkritisch die Kunst der ins Land eingewanderten Deut-
schen und erklärten ihre Eigenart aus »Grundempfindungen deutschen Wesens«.
Bestimmte konträre »Umbildungsweisen« im grundsätzlichen gestalterischen Ver-
halten wie Vereinfachung einerseits und Vervielfachung der Formen andererseits,
die als kunstgeographische Besonderheit am Material zu beobachten waren, führten
sie aber auf das Zusammentreffen und Zusammenleben mit anderen Völkern und
deren Kunstempfinden zurück.
Später hob Sch. hervor, daß die »kunstgeschichtliche Erinnerungsarbeit« eine
bedeutsame Vorarbeit zur »politischen Bewegung« in der Tschechoslowakei, was
heißen soll, der Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich und der
Errichtung eines Reichsprotektorats über Böhmen und Mähren, gewesen sei. In
einem noch 1976 wieder abgedruckten emphatischen Aufsatz von 1942 pries er die
deutsche Ostkunst als den kunstgeschichtlich bedeutendsten Zweig der deutschen
Kunst: »Der Osten ist formmächtig wie kein Stammland im Reich. Seine Kunst
befeuert das Mutterland«, im 14. Jahrhundert war Böhmen das modernste Kunst-
land im Reich, und »Barock als großer Stil erwächst in der ostdeutschen Mitte«. Mit
Denkmustern, die sich in der deutschen Kunstwissenschaft seit Anfang des Jahrhun-
derts zunehmend und zu ihrem Schaden ausgebreitet hatten, erklärte Sch. dieses
sowohl aus der politischen Geschichte, den dadurch bewirkten Lebensformen und
400 Schürer

einer ganz neuen Mischung der Stämme des deutschen Volkes im »kolonisierten«
Gebiet, als auch aus dem »Charakter der Menschen, die diese Kunst wollten«, die
sich zwar Anregungen von allen Seiten holten, aber »ihr Deutschtum ohne allen
Schutz durch Staatsgewalten wahrten allein aus der Kraft des Blutes« (Geschichte und
Eigenart deutscher Ostkunst).
Nach den Kriegszerstörungen beschwor Sch. in der Leipziger Zeitschrift für Kunst
die »anschaulich« zu begreifende »Wirkkraft« der »symbolischen Gestalten« alter
deutscher Städte, die er in ihrem unterschiedlichen Wesen wie handelnde Lebewe-
sen beschrieb, damit ihr Wiederaufbau nach der Formblindheit eines »sinnverlasse-
nen Jahrhunderts« nicht allein dem praktischen Nutzen gelten möge (Unsere alten
Städte gestern und morgen, 1947). In einer unvollendet gebliebenen letzten Analyse
eines spätgotischen Schnitzaltars (Bemerkungen zum Babenhausener Altar) erwies sich
noch einmal Sch.s Fähigkeit, den Ausdruck von Formen zu erfassen und suggestiv
zu beschreiben, »anonyme« typologische Traditionen gegen zeit-, lokal- und perso-
nalstilige Gestaltfindungen abzuwägen und verschiedene Arten und Wirkungen von
Einflüssen, das heißt von willentlich übernommenen und verarbeiteten Anregungen
zu kennzeichnen.
Werke: Die Baugeschichte der Klosterkirche Mönch am Meer von Caspar David Fried-
zu Haina, Mar 1920; Rez. von Richard Ha- rich, in: Kunst, 1, 1948, 59–62; Bemerkungen
mann, Kunst und Kultur der Gegenwart zum Babenhausener Altar, in: AschJb, 1952,
(1922), in: ZfbK (Beilage), 57 (33), 1922, 513– 124–139; Essays zur Kunstgeschichte, Mü
518; Junge tschechische Kunst, in: ZfbK, 58 1976 (darin: Geschichte und Eigenart deut-
(34), 1924/25, 114–120; Pablo Picasso, Bln/ scher Ostkunst; Bibliogr.)
Lpz 1927; Die Doppelkapelle der Kaiserpfalz Literatur: Schmoll, gen. Eisenwerth, Josef
Eger, Eger/Ka 1929; Romanische Doppelka- Adolf: O.Sch., in: Kunst im Osten und Nor-
pellen. Eine typengeschichtliche Untersu- den. Mitt. d. Nord- u. Ostabt. beim For-
chung, in: MarJb, 1929, 99–192; Prag. Kultur, schungsinst. f. Kunstgesch. Marburg, 3. Liefe-
Kunst, Geschichte, Wien/Lpz 1930; Ge- rung, 1949, Gruppe I, Untergruppe 9, S. 1–3
schichte von Burg und Pfalz Eger, Mü 1934; (hektographiert); Reuther, Hans: Zum Tode
Die Kaiserpfalz Eger, Bln 1934; Augsburg, O.Sch.s, in: ZfK, 3, 1949, S. 214; ders.: O.Sch.,
Burg b. Magdeburg 1934; Der Bildraum in in: Das Münster 3, 1950, S. 61; Gadamer, Hans
den späten Werken des Hans von Marées, in: Georg: Gedächtnisrede auf O.Sch., Da 1952;
ZfÄaK, 28, 1934, 175–183; Wohin ging Dürers Klewitz, Martin: O.Sch., in: AschJb, 1952,
»ledige Wanderfahrt«?, in: ZfKg, 6, 1937, 171– 275–277; Buran, Dušan: O. Sch. und Erich
199; Deutsche Kunst in der Zips (Slowakei), Wiese zu Meister Paul von Leutschau. Inhalt-
in: FuF, 13, 1937, 207–208; Mittelalterlicher Rhetorik-Kontext, in: Robert Born u. a.
Kirchenbau in der Zips (Slowakei), in: Dt. Ar- (Hrsg), Die Kunsthistoriographien in Ost-
chiv f. Landes- u. Volksforschung, 1, 1937, mitteleuropa und der nationale Diskurs. Bln
607–623; Deutsche Kunst in der Zips (mit 2004, 396–408; Seeger, Ulrike: O. Sch. und
Erich Wiese), Brünn/ Wien/Lpz 1938; Elias das expressionistische Lichterspiel der roma-
Holl, Bln 1938; Über Landschaftsdarstellung nischen Doppelkapelle, in: Hallesche Beiträge
in der deutschen Kunst um 1500, in: FS zur Kunstgeschichte, 516, 2004, 103–116;
Richard Hamann, Burg b. Magdeburg 1939, Fuhrmeister, Christian: Optionen, Kompro-
117–135; Michael Pacher, Bie/Lpz 1939; Das misse und Karrieren. Überlegungen zu den
alte Metz, Mü 1944; Vom inneren Aufbau. Münchner Privatdozenten H. G. Evers, H.
Drei Reden, Stg 1946; Unsere alten Städte Keller und O. Sch., in: KgNS 2005, 219–242
gestern und morgen, in: ZfK, 1, 1947, 42–48; PHF
Sedlmayr 401

Sedlmayr, Hans
Geb. 18. 1. 1896 in Hornstein (Österreich); gest. 9. 7. 1984 in Salzburg

Verlust der Mitte (1948) wirkte wie wohl keine andere kunsthistorische Veröffentli-
chung ihrer Zeit weit über die Fachkreise hinaus, weil dieses glänzend geschriebene
Buch über die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts eine grundsätzliche weltanschau-
liche und politische Beurteilung der Epoche vortrug, die zunächst ihre Leserschaft
absolut polarisierte. Mittlerweile wird sie auch von entgegengesetzten Positionen
aus differenzierend verarbeitet. S.s Lebenswerk hat das Verständnis für die Eigenart
des Künstlerischen erheblich gefördert, wobei sichtbar wird, wie interessegeleitet
jeder Forschungsansatz ist und wieviel fachspezifischer Erkenntniszuwachs durch
eine Orientierung an übergreifenden sozio-kulturellen Zielvorstellungen erreicht
werden kann.
S. war Sohn eines österreichischen Gutsverwalters und nachmaligen Ökonomie-
professors. Er studierte 1918–20 Architektur an der Technischen Hochschule Wien,
anschließend Kunstgeschichte an der Universität bei  Dvoák und dessen Nachfol-
ger  Schlosser. 1923 promovierte er über den Architekten Fischer von Erlach, dem
er noch 1956 ein weiteres Buch widmete. Als freier Autor arbeitete er zunächst über
Barockarchitektur, begann aber vor allem, die methodischen Prinzipien einer »stren-
gen Kunstwissenschaft« zu entwerfen, die bald als Neue oder Zweite Wiener Schule
bezeichnet wurde, obwohl außer  Pächt,  Antal und anderen auch die Russen
Michail Alpatov (1902–1986) und Nikolai Brunov (1898–1971) sowie  Pinder an
ihrem Organ, den Kunstwissenschaftlichen Forschungen, beteiligt waren. S. stützte sich
dabei auf die neue Gestaltpsychologie (Johannes von Allesch, Max Wertheimer, Kurt
Lewin) und konzentrierte sich auf die Analyse beispielhafter Einzelwerke. Mit Die
»macchia« Bruegels habilitierte er sich 1934 an der Technischen Hochschule, wurde im
selben Jahr an der Universität Schlossers Assistent und 1936–45 dessen Nachfolger als
Ordinarius. Weltanschaulich war er dem politischen Katholizismus im klerikal-fa-
schistischen österreichischen »Ständestaat« ab 1934 verbunden und dachte zugleich
»großdeutsch«. Er begrüßte darum 1938 den Anschluß Österreichs ans Deutsche
Reich, war jedoch bald von der Realität der NS-Diktatur und deren Ideologie eini-
germaßen desillusioniert. Wenn er von bestimmten Zügen der Barockarchitektur als
»Reichsstil« sprach, meinte er ein anderes, von Wien aus zusammengehaltenes Reich
als dasjenige Hitlers. Als Mitläufer des Nationalsozialismus nach 1945 entlassen, pu-
blizierte er zunächst unter Pseudonymen und setzte zu seiner religiös fundierten, auf
den restaurativen romantischen Philosophen Franz Xaver von Baader zurückgreifen-
den Generalabrechnung mit Aufklärung, Revolution und Moderne an. Die Kunst
war ihm »Symptom und Symbol« einer geschichtlichen Entwicklung zur gegenwär-
tigen kranken und chaotischen Situation hinab, weil die Menschen den Bezug auf
Gott als Mitte verloren hätten. 1951 wurde S. Ordinarius in München. Nach der
Emeritierung 1964 kehrte er nach Österreich zurück und war als Gast- und Hono-
rarprofessor bis 1969 Vorstand des kunsthistorischen Instituts der neugegründeten
Universität Salzburg.Vier seiner Schüler folgten ihm auf dem Lehrstuhl.
Von seinen frühesten Aufsätzen an behauptete S., indem er selbstbewußt über
 Riegl hinausging, daß ein zutreffendes und beweisbares Verständnis von Kunst-
402 Sedlmayr

werken und von »wesensnotwendigen Abläufen im [Kunst- und Kultur-] Histori-


schen« erzielt werden könne. Er vertraute auf ein »unmittelbares Verstehen« durch
das, wie er es nannte, »gestaltete« Sehen. Weil das einzelne Kunstwerk im Unter-
schied zum Geschehen unmittelbar erforscht werden könne, war es für ihn der
»primäre Forschungsgegenstand«. Ob ein Gebilde überhaupt Kunstwerk sei und
was dessen wesentliche Eigenarten seien, erschlösse sich aber nur durch eine rich-
tige Einstellung (Auffassung) des Urteilenden. Neuer Leitbegriff war der der Struk-
tur, auch der Geschehensstruktur, demzufolge sich alle einzelnen Merkmale auf
zentrale Gestaltungsprinzipien zurückführen ließen. Für S. waren daher »Struktur-
monographien« von Kunstwerken vordringlicher als Entwicklungs- und speziell
herkömmliche Stilgeschichten, und erst eine Wissenschaft vom historisch sich wan-
delnden Künstlerischen sollte das Fach zu einer wirklichen Kunstgeschichte ma-
chen. Durch vergleichende Beobachtungen festgestellte Übereinstimmungen zwi-
schen Werken verschiedener Künstler und bei der historischen Veränderung des
»Kunstwollens« (Riegl), das heißt der Gestaltungsprinzipien, führte S. auf einen
überindividuellen Geist oder Willen zurück, der auch epochenübergreifende Kon-
stanten aufweise. Warum »eine bestimmte Gruppen von Menschen, die sehr ver-
schieden groß sein kann«, gemeinsame Auffassungen habe, ließ S. jedoch zunächst
ungeklärt; weder nationale noch soziale Ursachen oder ein vager Zeitgeist reichten
ihm als Triebkräfte aus.
Die »macchia«, das Farbfleckmuster, das S. in Bildern Bruegels sah, deutete er
1933 als Symptom von chaotischem Zerfall und Entfremdung. Mit diesem und dem
Aufsatz über Michelangelos Kapitolsplatz (1931) begann die Reihe seiner gedan-
kenreichen Werkinterpretationen, die in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt er-
reichte. In dem 1933 von ihm so bezeichneten »ersten« (justinianischen) mittelalter-
lichen Architektursystem entdeckte er das Baldachin-Motiv, von dem aus er – bis
zur abschließenden Darstellung in Die Entstehung der Kathedrale (1950) – den Ge-
staltsinn der gotischen Kathedralbauten deutete. Nur wenige Architekturhistoriker
folgten ihm in dieser Erklärung. Obwohl er als Architekt ausgebildet war, vernach-
lässigte S. praktische und bautechnische Gesichtspunkte des Entwurfs- und Kon-
struktionsprozesses und »sah« Bauwerke entgegen der allgemeinen sinnlichen
Wahrnehmung. Er trug aber zum Erkenntnisfortschritt im Sinne der gleichzeitig
entstehenden Architekturikonographie ( Krautheimer,  Bandmann) bei, indem
er Architektur als eine auch abbildende und symbolische Kunst begriff.
In ihrer Ganzheit analysierte S. nur eine Epoche, die Moderne im weiteren Sinne;
das Resultat fiel fast durchweg kritisch, ablehnend und zur Umkehr mahnend aus
(Verlust der Mitte, 1948; Die Revolution der modernen Kunst, 1955; Der Tod des Lichtes,
1964). S.s Methode bestand darin, eine Vielfalt sich entfaltender Teilphänomene auf
ihre gemeinsamen Wurzeln, auf »Primärphänomene«, zurückzuführen, die ihrerseits
an »kritischen Formen«, das heißt besonders extremen, radikalen und daher meist
ausnahmehaften, auch abseitigen Gestaltungsideen wie dem Haus in Kugelform, am
besten ablesbar seien. Kenntnisreich und scharfsinnig fand S. aufschlußreiche Züge
an der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts wie das Streben nach »Reinheit« und
Autonomie der einzelnen Gattungen, den starken Einfluß von Naturwissenschaft,
Technik, rationalem Konstruieren und andererseits die Entfesselung des Chaos, vor
Sedlmayr 403

allem durch Umsturz, die Wertschätzung von Fragmentarischem und Ver-Rücktem.


Seiner moralisch wertenden, religiös fundierten, aus einem ständischen Gesell-
schaftsmodell abgeleiteten Kritik an diesen Merkmalen und ihren Ursachen stimm-
ten sowohl konservative als teilweise auch marxistische und für Realismus optie-
rende Kräfte zu; die Fürsprecher moderner Kunst widersprachen seit dem 2.
Deutschen Kunsthistorikertag in München 1949 ( Haftmann,  Heise) und dem
1. Darmstädter Gespräch 1950 (Franz Roh,  Hartlaub, Künstler wie Willi Baumei-
ster) vehement. Methodologische Einwände brachten  Beenken und  Gall vor.
Erst die postmoderne Differenzierung des Urteils über die Moderne entschärfte
diese Konfrontation.
Geblieben sind Auseinandersetzungen mit S.s subjektiver Auswahl von Tatsachen
und Schriftquellen, seinem Geschichts- und Gesellschaftsbild, seinen spekulativ-
intuitiven »Tiefendeutungen«, die mittelalterliche theologische Methoden der
Textauslegung für ein Gemälde Jan Vermeers heranzogen, wogegen sich vor allem
 Badt wandte, wie mit seiner Art, auf Gegenmeinungen nicht argumentierend
einzugehen. Stattdessen liebte er es von Anfang an, seine Ansichten als Paraphrasen
von Sätzen anderer Autoren, vorzugsweise aus anderen Wissenschaftsdisziplinen,
darzulegen, um ihre Richtigkeit zu behaupten. S.s Ideen besaßen allerdings unbe-
streitbar, »was kunsthistorischen Veröffentlichungen nicht oft eignet: geistige
Sprengkraft« (Werner Hofmann).
Werke: Gestaltetes Sehen, in: Belvedere, 8, Lo 1958); Architektur als abbildende Kunst,
1925, 10, 65–73; Fischer von Erlach d.Ä., Mü in: Sber. d. Österr. AdW, phil.-hist. Kl., 225, 3.
1925; Die Quintessenz der Lehren Riegls, in: Abh., 1948, 1–25; Kunstgeschichte als Gei-
Alois Riegl, Gesammelte Aufsätze, Au/Wien stesgeschichte. Das Vermächtnis Max Dvoáks,
1929; Österreichische Barockarchitektur, in: Wort und Wahrheit, 4, 1949, 264–277;
Wien/Mü 1930; Die Architektur Borrominis, Über die Gefahren der modernen Kunst, in:
Bln 1930; Rez. von Eduard Coudenhove-Ert- Darmstädter Gespräch. Das Menschenbild in
hal, Carlo Fontana (1930), in: KBLit, 3, unserer Zeit, Da 1950, 48–62; Die Kunstge-
1930/31, 93–95 u. 3/4, 1931/32, 146–160; Zu schichte auf neuen Wegen, in: Europa-Archiv,
einer strengen Kunstwissenschaft, in: KF, 1, 4, 1950, 2825–2828; Die Entstehung der Ka-
1931, 7–32; Zum Begriff der »Strukturana- thedrale, Zü/FrB 1950; Jan Vermeer – Der
lyse«, in: KBLit, 4, 1931/32, 146–160; Die Area Ruhm der Malkunst, in: FS Hans Jantzen, Bln
Capitolina des Michelangelo, in: JbPK, 1931, 1951, 169–177; Ursprung und Anfänge der
176–181; Das erste mittelalterliche Architek- Kunst, in: Historia Mundi, Bd. 1, Bern/Mü
tursystem, in: KF, 2, 1933, 25–62; Die »mac- 1952, 346–355; Allegorie und Architektur, in:
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schichte und Kunstgeschichte, in: MIfÖG, 50, Internazionale di Studi Umanistici, Venedig
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1937, 35/36, 418–419; Die politische Bedeu- geschichte und die Kunst des 19. Jh.s, in:
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Srbik, Mü 1938, 126–140; Vermutungen und Fischer von Erlach, Wien/Mü 1956; Die
Fragen zur Bestimmung der altfranzösischen Schauseite der Karlskirche in Wien, in: FS
Kunst, in: FS Wilhelm Pinder, Lpz 1938, 11– Hans Kauffmann, Bln 1956, 262–271; Kunst-
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lose«, in: DWdK, 1, 1939/40, 278–310; Michel- Mü 1956; Pieter Bruegel. Der Sturz der Blin-
angelo. Versuch über die Ursprünge seiner den. Paradigma einer Strukturanalyse, in:
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404 Sedlmayr

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demolierte Schönheit. Ein Aufruf zur Erhal- meers »De Schilderconst« in den Interpreta-
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Seidlitz,Woldemar von
Geb. 1. 6. 1850 in St. Petersburg; gest. 16. 1. 1922 in Dresden

In S. vereinten sich, was bis ins 20. Jahrhundert hinein selten geschah, auf harmoni-
sche Weise der Kunstforscher und der Kunstpolitiker; auch als Sammler und Mäzen
ist er namentlich in Dresden, seiner Wirkungsstätte, in Erinnerung geblieben. Diese
Vielseitigkeit war auch für das kunstgeschichtliche Interessenfeld charakteristisch: S.
befaßte sich mit dem deutschen Spätmittelalter, mit der italienischen Renaissance,
Seidlitz 405

vor allem mit Raffael und Leonardo da Vinci, arbeitete über Rembrandt und ver-
faßte die erste deutschsprachige Monographie über den japanischen Farbholz-
schnitt.
Einer estnischen Adelsfamilie entstammend, studierte S. in Dorpat (Tartu) und
später in Heidelberg zunächst Nationalökonomie und promovierte 1874 in diesem
Fach. Den Weg zur Kunstgeschichte fand er als Schüler von  Springer in Leipzig.
Nach einem anschließenden Italienaufenthalt erhielt S. 1878 eine Anstellung als As-
sistent  Lippmanns am Kupferstichkabinett der Berliner Kunstsammlungen. 1885
wurde er nach Dresden berufen und zum »Vortragenden Rat im Generaldirektorium
der Königlichen Sammlungen für Wissenschaft und Kunst«, zum ranghöchsten Mu-
seumsbeamten Sachsens, ernannt. In dieser Funktion unterstanden ihm alle staatli-
chen Museen des Landes, eingeschlossen die naturkundlichen Sammlungen. Über
Sachsen hinaus beteiligte sich S. an der Verwaltung des Germanischen Nationalmu-
seums in Nürnberg und förderte das Deutsche Kunsthistorische Institut in Florenz.
Als Forscher kann S. zu den Kunstkennern und – allerdings kritischen – Anhän-
gern der  Morellischen Methode gezählt werden. Einer seiner ersten Aufsätze
(1883) galt dem bis dahin noch konturlosen Œuvre Michael Wohlgemuts, an dessen
in wesentlichen Punkten noch heute gültigen Aussagen  Thode 1891 anknüpfen
konnte. Die Tätigkeit am Berliner Kupferstichkabinett lenkte S. zwangsläufig auf
Zeichnung und Druckgraphik. 1884 veröffentlichte er einen grundlegenden Beitrag
zu den illustrierten Gebetbüchern des 15./16. Jahrhunderts. In diese frühen Jahre
fiel auch eine spektakuläre Entdeckung: S. identifizierte Dürers erstes Selbstbildnis
(um 1490; Erlangen, Universitätsbibl.). An der Raffael-Forschung, zu der auf deut-
scher Seite bis dahin vor allem  Passavant und  Grimm beigetragen hatten, be-
teiligte sich S. mit Untersuchungen zu Zuschreibungs- und Datierungsfragen des
Frühwerks. Disziplinhistorische Bedeutung hat aber vor allem seine Leonardo-Pu-
blikation erlangt, die erste nennenswerte deutschsprachige Veröffentlichung zu
diesem Künstler, der erst fast 40 Jahre später  Heydenreichs Arbeit folgte. Die
Eigentümlichkeit von S.s Text liegt darin, daß er Leonardo als einen einsamen, von
allen sozialen Bindungen freien Künstler schildert, dessen ganzes Leben dem »Stre-
ben nach Wahrheit« gewidmet war: »Aus einem Naturtrieb, einer inneren Nötigung
ging sein Schaffen hervor, wie die Tiere Nester bauen, Netze spinnen, singen und
tanzen, ohne zu wissen, zu welchem Zweck, ohne zu fragen, aus welchem Beweg-
grund.« Diesem Verständnis vom in sich selbst gegründeten schöpferischen Künstler
entspricht die bloße zeitliche Aneinanderreihung von Ereignissen und Werken in
S.s Buch: Leonardo scheint weder vom künstlerischen noch vom gesellschaftlichen
Umfeld berührt worden zu sein. Warum er sein Werk als »Wendepunkt der Renais-
sance« bezeichnet, diese Frage beantwortet S. nicht.
Was Rembrandt angeht, beschied sich S. mit Grundlagenforschung zu den Ra-
dierungen. Sein Verzeichnis stellte einen der schon damals zahlreichen Versuche dar,
in dieses äußerst schwierige Gebiet Klarheit zu bringen. Im Vergleich zu  Bartsch,
der 375 eigenhändige Radierungen Rembrandts gezählt hatte, ließ S. nur noch etwa
270 gelten.
Sein Interesse für den Fernen Osten, besonders für den japanischen Farbholz-
schnitt, teilte S. mit den Impressionisten und verschiedenen nachimpressionistischen
406 Seidlitz

Strömungen am Ausgang des 19. Jahrhunderts. In seinem 1897 erschienenen, wie-


derholt aufgelegten Standardwerk diskutierte er weniger Zuschreibungen, als daß er
dem deutschen Leser die Entwicklungsgeschichte seines Gegenstandes vor Augen
führte und Wertakzente zu setzen versuchte. In einer Reihe von Publikationen
äußerte sich S. direkt zur Gegenwartskunst (Die Entwicklung der modernen Malerei,
1897; Über Farbengebung, 1900; Monumentalmalerei, 1912), die er auch sammelte und
zu fördern suchte; 1895–1900 arbeitete er mit  Lichtwark in der Redaktion der
Kunstzeitschrift Pan und engagierte sich über mehr als zehn Jahre bei der Organi-
sation der »Großen« Dresdner Kunstausstellungen (1899, 1901, 1904, 1908, 1912).
Die moderne Kunst hörte für S. jedoch an der Schwelle zum Expressionismus auf;
besonders schätzte er Manet, Degas, Carrière, van Gogh, Cézanne, Trübner, Lieber-
mann und Hodler.
Die Dresdner Kunstsammlungen verdanken S. zahlreiche Erwerbungen, die er
entweder vermittelte, teilweise unter riskantem Einsatz privater Mittel, wie 1904
Die Steinklopfer von Courbet (Kriegsverlust) und die mehr als 1 000 Zeichnungen
deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts umfassende Sammlung Cichorius, oder als
Schenkungen überwies, u. a. über 200 japanische Farbholzschnitte an das Kupfer-
stichkabinett.
Nach der Pensionierung im Jahre 1919 arbeitete S. im Auftrag seines ehemaligen
Ministeriums an der bis dahin noch ungeschriebenen Kunstgeschichte Sachsens,
von der er nur drei Bände vollenden konnte. In den Vordergrund stellte er das
Kunstgewerbe; vielleicht damit an seinen langgehegten, unerfüllt gebliebenen Plan
erinnernd, die Dresdner Gemäldegalerie durch ein »Fürstenmuseum«, ein Zusam-
menschluß von Grünem Gewölbe, Porzellansammlung und Historischem Museum,
zu ergänzen.
Werke: Zeichnungen alter deutscher Mei- Bln 1900; Kunstmuseen. Vorschlag zur Be-
ster in Dessau, in: JbPK, 1881, 3–24; Michael gründung eines Fürstenmuseums in Dresden,
Wolgemut. Die Wandlungen seiner Malweise, Lpz 1907; Leonardo da Vinci. Der Wende-
in: ZfbK, 18, 1883, 169–176; Bernardo Zenale, punkt der Renaissance, 2 Bde., Bln 1909;
in: Gesammelte Studien zur Kunstgeschichte. Leondardo da Vinci. Malerbuch, Bln 1910;
Eine Festgabe für Anton Springer, Lpz 1885, Regesten zum Leben Leonardos da Vinci, in:
64–84; Die gedruckten illustrierten Gebetbü- RfKw, 34, 1911, 448–458; Monumentalmale-
cher des 15. und 16. Jh.s, in: JbPK, 1884, 128– rei. Eine Einführung in die große Kunstaus-
145 u. 1885, 22–38; Bramante in Mailand, in: stellung Dresden 1912, Dr 1912; Die Kunst in
ebd., 8, 1887, 183–205; Raffaels Jugendwerke, Dresden vom Mittelalter bis zur Neuzeit, 3
Mü 1891; Raffael und Timoteo Viti. Nebst Bde., Dr 1921/22
einem Überblick über Raffaels Jugendent- Literatur: Hofstede de Groot, Cornelis:
wicklung, in: RfKw, 14, 1891, 1–8; Anton Rez. von »Kritisches Verzeichnis der Radie-
Springer, in: ZfbK, 27 (3), 1892, 1–6 u. 25–31; rungen Rembrandts«, in: RfKw, 19, 1896,
Der Illustrator des Petrarca, in: JbPK, 1891, 376–383; Lehrs, Max: W.v.S., in: ZfbK (Bei-
158–166; Zeichnungen deutscher Künstler lage), 57 (33), 1922, 335–341; Woermann, Karl:
von Carstens bis Menzel, Mü 1893; Die Ra- W.v.S., in: Ber. ü.d. Verhandlungen d. Sächs.
dierungen Rembrandts. Mit einem kritischen AdW zu Leipzig, phil.-hist. Kl., 74, 1922, H. 2,
Verzeichnis, Lpz 1894; Kritisches Verzeichnis 7–20; Holler, Wolfgang: W.v.S. Wissenschaftler,
der Radierungen Rembrandts, Lpz 1895; Die Staatsbeamter, Sammler und Förderer der
Entwicklung der modernen Malerei, Hbg Kunst, in: Dresdner Hefte, 15, 1997, 24–29
1897; Geschichte des japanischen Farbholz- PB
schnitts, Dr 1897; Über Farbengebung, Stg/
Semper 407

Semper, Gottfried
Geb. 29. 11. 1803 in Hamburg; gest. 15. 5. 1879 in Rom

Zu den Kunsthistorikern kann man S. nicht zählen; er war Architekt, neben Karl
Friedrich Schinkel der bedeutendste deutsche im 19. Jahrhundert, und dachte als
praktischer Künstler über das Wesen seines Metiers nach. Seine theoretischen
Schriften haben jedoch in der kunsthistorischen Diskussion bis ins 20. Jahrhundert
hinein nachgewirkt. Ganz im Geiste seines geschichtsbesessenen Zeitalters betrach-
tete S. die Architektur der Vergangenheit und die »Vergleichung der Monumente
aller Zeiten« als richtungsweisend für jede Bautätigkeit. Er selbst hielt die antike, vor
allem die römische, und die italienische Renaissance-Baukunst für musterhaft, wäh-
rend er die Gotik, den »geharnischten Seekrebs«, und folglich auch die Neugotik
seiner Gegenwart kritisch sah, wie auch seine eigenen Bauten belegen.
Als Theoretiker interessierte sich S. weniger für konkrete historische Entwick-
lungsabläufe; er versuchte vielmehr, eine Kunstlehre zu begründen, die die histori-
schen Tatsachen in einen systematischen Zusammenhang bringt. Als Modell
schwebte ihm dabei Cuviers vergleichende Anatomie der Tiere vor: »Wie die Natur
ihre Entwicklungsgeschichte hat, innerhalb welcher die alten Motive bei jeder
Neugestaltung wieder durchblicken, ebenso liegen auch der Kunst nur wenige
Normalformen und Typen unter, die aus urältester Tradition stammen, in stetem
Hervortreten dennoch eine unendliche Mannigfaltigkeit darbieten und gleich je-
nen Naturtypen ihre Geschichte haben« (Der Stil in den technischen und tektonischen
Künsten, 1860).
Die von S. entwickelte Typenlehre bezieht sich vorrangig auf das Bauen und
beruht auf der Annahme, daß sich lange vor dem Entstehen der eigentlichen Archi-
tektur, verursacht durch das »praktische Bedürfnis« bei der Herstellung von Texti-
lien, Keramik, Waffen und Geräten aller Art, beim Bau von Unterkünften und
Schutzvorrichtungen wie Wällen, bestimmte Grundmuster herausgebildet hätten,
welche die Architektur später aufgegriffen und in ihrer historischen Entwicklung
modifiziert habe. Bei der Realisierung jener Typen oder Grundmuster waren nach
S.s Ansicht sowohl innere, das heißt materielle (Zweck, Stoff, Technik) als auch
äußere, das heißt gesellschaftliche (ethnische, kulturelle, regionale, zeitliche) Trieb-
kräfte am Werke. Das Kunstwerk (Y) erscheint ihm so als das Produkt aus dem Typus
(F) und jenen Determinanten (x, y, z), ausgedrückt in der S.schen Formel Y = F (x,
y, z). Das Verhältnis aller dieser Faktoren zueinander bildet auch den Inhalt von S.s
Stilbegriff. Er hat einen qualitativen, einen lokalzeitlichen und einen personellen
Aspekt: er bezieht sich erstens auf eine »gewisse Vollendungsstufe der Kunstwerke«
– die dadurch erreicht wurde, daß den künstlerischen Mitteln, der »Aufgabe oder
[...] den Nebenumständen« Genüge geleistet wurde –, zweitens auf die im kunstge-
schichtlichen Sinne übergreifenden Merkmale der Kunst einer Region zu einem
bestimmten historischen Zeitpunkt und drittens schließlich auf diejenigen eines
individuellen Œuvres.
S. studierte seit 1823 in Göttingen zunächst Jura und Mathematik und hörte ar-
chäologische Vorlesungen bei Karl Otfried Müller. Der Wechsel zur Architektur
erfolgte 1825 in München. 1826/27 und 1829/30 studierte er bei Franz Christian
408 Semper

Gau und Jakob Ignaz Hittorf in Paris, wo er die Julirevolution miterlebte. 1833
führte ihn eine Studienreise nach Italien, Sizilien und Griechenland, deren Ergeb-
nisse er in seiner aufsehenerregenden ersten theoretischen Arbeit Vorläufige Bemer-
kungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten (1834) zusammenfaßte. S.
hatte an mehreren antiken Monumenten Farbreste entdeckt, die ihn auf eine ur-
sprüngliche Bemalung schließen ließen. Diese These brachte ihn in Opposition zu
traditionellen klassizistischen Auffassungen von antiker Architektur, namentlich zu
 Kugler (Über die Polychromie der griechischen Architektur und Skulptur und ihre Gren-
zen, 1835). S. stand zu dieser Zeit noch ganz im Bann der griechischen Klassik, aber
anstatt sie nachzuahmen, empfahl er, »ihren Geist einzusaugen«. Im Hinblick auf
eine für ihn trostlose Gegenwart, in der die Kunst nicht mehr das »Bedürfnis«,
sondern die »Laune des Künstlers« und die »mächtigen Kunstbeschützer« als Herrn
habe, behauptete er, daß das »organische Leben« der griechischen Antike »nur auf
dem Boden des Bedürfnisses und unter der Sonne der Freiheit« hatte gedeihen
können.
1834–49 wirkte S. als Lehrer an der Dresdner Kunstakademie, errichtete seine
ersten bedeutenden Bauten (Oper, 1838–41; Gemäldegalerie, 1847–54) und betei-
ligte sich aktiv an den Barrikadenkämpfen im Mai 1849. Nach der Niederschlagung
der Revolution flüchtete er nach Paris – erwog sogar, nach Amerika auszuwandern
– und kam 1850 nach London. Die fortgeschrittenen kapitalistischen Verhältnisse in
England und die Weltausstellung von 1851 führten ihm wie in einem Brennspiegel
den Verfall des Kunstgewerbes vor Augen, er erkannte als dessen Ursache die ma-
schinelle Produktion (Wissenschaft, Industrie und Kunst, 1851). In den Londoner
Jahren 1850–55 machte er auch die Entdeckung, »daß die Geschichte der Architek-
tur mit der Geschichte der Kunstindustrie beginnt, und daß die Schönheits- und
Stilgesetze der Architektur ihr Urbild in denjenigen der Kunstindustrie haben«.
Diesen Grundgedanken führte S. in seinem zweibändigen theoretischen Hauptwerk
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik (1860/63)
näher aus; er nannte es ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde und
betrachtete es wie seine Bauten als einen Beitrag zur Schaffung einer der modernen
Industriegesellschaft angemessenen künstlerischen Kultur. Ein geplanter dritter
Band sollte eine »Vergleichende Baulehre« zum Inhalt haben.
1855 wurde S. als Direktor für Baukunst an das Polytechnikum in Zürich beru-
fen, wo  Jacob Burckhardt und der Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer seine
Kollegen waren. 1871 übersiedelte er nach Wien und beteiligte sich an den Planun-
gen der Ringstraße. 1871–78 entstand nach seinen Plänen der Neubau der Dresdner
Oper.
Während S.s Kunsttheorie bei den Vertretern der Kunstgeschichtsschreibung des
mittleren 19. Jahrhunderts ein gewisses Interesse weckte, wurde sie später als »Kunst-
materialismus« abgelehnt.  Springer warf ihr – wie auch zwei anderen einflußrei-
chen Künstlertheorien der Zeit: Karl Böttichers Tektonik der Hellenen (1844–52) und
Viollet-le-Ducs Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle
(1859–68) – lediglich vor, keine Kunstgeschichte zu sein. Auch  Schmarsows Kri-
tik war eher milde, er entdeckte bei S. sogar einen deutlich ausgeprägten histori-
schen Sinn.  Riegl dagegen hielt dessen Anschauungen für überholt, würdigte
Semper 409

aber den Beitrag, den sie bei der Überwindung der idealistischen Kunstanschauung
der Romantik geleistet hatten. S. habe das subjektive Moment des Kunstschaffens
vernachlässigt; das »Kunstwollen« setze sich »im Kampfe mit Gebrauchszweck,
Rohstoff und Technik« durch; diesen materiellen Faktoren komme »keine positiv-
schöpferische Rolle« zu (Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Öster-
reich-Ungarn, 1901). Auch Wölfflin vertrat diese Auffassung und verwies auf ein
»bestimmtes Formengefühl«, das immer das »Primäre« sei (Renaissance und Barock, 2.
Aufl., 1907).Viele Kritiker S.s gaben vor, sich vor allem gegen die simplifizierenden
Auslegungen seiner Theorie durch die »Semperianer« zu wenden.

Werke: Vorläufige Bemerkungen über be- BK, 1979, 95–98; AKat. G.S. zum 100. Todes-
malte Architektur und Plastik bei den Alten, tag, Dr 1979; G.S. 1803–79. Sein Wirken als
Altona 1834; Über den Bau evangelischer Architekt, Theoretiker und revolutionärer
Kirchen, Lpz 1845; Das kgl. Hoftheater zu Demokrat und die schöpferische Aneignung
Dresden, Dr 1849; Die vier Elemente der seines progressiven Erbes, Dr 1979 (Schriften-
Baukunst, Bschw 1851; Wissenschaft, Indu- reihe der Sektion Architektur TU Dresden
strie und Kunst.Vorschläge zur Anregung na- AID, H. 12); Herrmann, Wolfgang: G.S. Theo-
tionalen Kunstgefühls, Bschw 1852; Über die retischer Nachlaß an der ETH Zürich, Basel
formelle Gesetzmäßigkeit des Schmuckes 1981; Quitzsch, Heinz: G.S. Praktische Ästhe-
und dessen Bedeutung als Kunstsymbol, Zü tik und politischer Kampf, Bschw 1981;
1856; Über die bleiernen Schleudergeschosse Herrmann, Wolfgang: G.S. In Search of Ar-
der Alten und zweckmäßige Gestaltung der chitecture, Cam/MA 1984; Laudel, Heidrun:
Wurfkörper im allgemeinen, Zü 1859; Der G.S. Architektur und Stil, Dr 1991; Fröhlich,
Stil in den technischen und tektonischen Martin: G.S., Mü/Zü 1991; Mallgrave, Harry
Künsten oder praktische Ästhetik. Ein Hand- Francis: G.S. Architect of the Nineteenth
buch für Techniker, Künstler und Kunst- Century, New Haven/Lo 1996; Quitzsch,
freunde, Frf 1860 (Bd. 1)/Mü 1863 (Bd. 2); Heinz: S. und Boetticher. Zur Beziehung von
Über Baustile, Zü 1869; Kleine Schriften, Architekturtheorie und Ästhetik in der Mitte
hrsg. v. Hans u. Manfred S., Bln/Stg 1884 des 19. Jh.s, in: Stilstreit und Einheitskunst-
(darin: Entwurf eines Systems der verglei- werk, Amsterdam 1998, 170–184; Recht, Ro-
chenden Stillehre, 1853) land: Viollet-le-Duc et G.S. Leurs concepti-
Literatur: Falke, Jakob: Rez. von »Der Stil ons du patrimoine monumental, in: Écrire
in den technischen und tektonischen Kün- l’histoire de l’art. France-Allemagne 1750–
sten, in: MZk, 5, 1860, 358–360; Lipsius, Con- 1920 (Revue germanique internationale, 13),
stantin: G.S. und seine Bedeutung als Archi- Paris 2000, 155–168; Moeller, Gisela: S. und
tekt, Bln 1880; S., Hans: G.S. Ein Bild seines Raffael, in: Walter Krause (Hrsg.), Neorenais-
Lebens und Wirkens, Bln 1880; Bucher, sance. Ansprache an einen Stil, Dr 2001, 83–
Bruno: G.S., in: RfKw, 3, 1880, 123–179; 102; Paul, Jürgen: G.S. als Theoretiker, in:
Prinzhorn, Hans: G.S.s ästhetische Grundan- Dresdner Hefte, 21, 2003, 27–35; Gnehm, Mi-
schauungen, Stg 1909; Waetzoldt 1924, 130– chael: Stumme Poesie. Architektur und Spra-
139; Ettlinger, Leopold: G.S. und die Antike, che bei G.S., Zü 2004; Paul, Jürgen: G.S.s
HaS 1937; Stockmeyer, Ernst: G.S.s Kunst- Nachruhm und Dresden, in: Margit Kern
theorie, Zü 1939; Quitzsch, Heinz: Die ästhe- (Hrsg.), Geschichte und Ästhetik, Mü 2004,
tischen Anschauungen G.S.s, Bln 1962; Eg- 389–399; Grammbitter, Ulrike: Die Universa-
gert, Klaus: Der Begriff des Gesamtkunst- lität G.S.s: Zur neueren Rezeption des Archi-
werks in G.S.s Kunsttheorie, in: Alte und tekten und Theoretikers, in: KChr, 58, 2005,
moderne Kunst, 20, 1975, 49–58; G.S. und die 20–26; Laudel, Heidrun: S. im Widerstreit mit
Mitte des 19. Jh.s, Basel/Stg 1976 (Sympo- der »materiellen Richtung« seiner Zeit, in:
sium d. Instituts f. Geschichte u. Theorie d. Angela Dolgner (Hrsg.),Von Schinkel bis van
Architektur an der ETH Zürich 1974); Ba- de Velde, HaS 2005, 197–212
ron, Roland: Gedanken zur Ästhetik G.S.s, in: PB
410 Simson

Simson, Otto von


Geb. 17. 7. 1912 in Berlin; gest. 23. 5. 1993 in Berlin

Das Lebenswerk S.s umfaßt alle Perioden der abendländischen Kunstentwicklung.


Seine Bücher über mittelalterliche Kunst, über Ravenna und die gotische Kathe-
drale gelten als Standardwerke. Schon früh beschäftigte sich S. mit Rubens, den er
für den »größten Erzähler in der Malerei« hielt. Zu ihm kehrte er immer wieder
zurück; sei es, um die Aneignung antiker Mythen oder christlicher Glaubensinhalte
zu klären, sei es, um die Wechselwirkung von Kunst und Politik zu untersuchen. S.
selbst wußte die Bereiche Kunst, Wissenschaft und Diplomatie im Rahmen seiner
Tätigkeit für die UNESCO, zuletzt als Präsident der deutschen Kommission,
fruchtbar miteinander zu verknüpfen. S., in dessen Familie die Beschäftigung mit
Politik und Kunst Tradition hatte, war der Urenkel des Präsidenten der Frankfurter
Nationalversammlung, Eduard von S., und der Enkel des Chemikers Franz Oppen-
heim, der im damaligen Berlin eine der schönsten Sammlungen impressionistischer
Bilder besaß. Der selbstverständliche Umgang mit Kunstwerken prädestinierte S. für
ein Studium der Kunstgeschichte, das er zum größten Teil bei  Pinder in Mün-
chen absolvierte. Schon im Alter von 23 Jahren promovierte er mit einer ikonolo-
gischen und ideengeschichtlichen Arbeit über die weltliche Apotheose im Barock
und Peter Paul Rubens (1936).
Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges emigrierte S. in die USA, wo er zunächst
an mehreren Universitäten im Staat New York arbeitete. 1945–57 lehrte er als Pro-
fessor für Kunstgeschichte an der University of Chicago. Während dieser Zeit ent-
standen Sacred Fortress. Byzantine Art and Statecraft in Ravenna (1948) und The Gothic
Cathedral (1956), zwei seiner bedeutendsten Arbeiten, in deren Mittelpunkt epochale
Architekturwerke als Ausdrucksträger normativer künstlerischer, religiöser und po-
litischer Erfahrungen stehen. In seinem Buch über die gotische Kathedrale, das tiefe
Einsichten in deren ästhetische und konstruktive Bedingungen vermittelte, konzen-
trierte sich S. auf drei Bauwerke: die Abteikirche St. Denis und die Kathedralen von
Sens und Chartres. Er stellte sie in ein komplexes, quellenmäßig belegtes Geflecht
wirtschaftlicher, politischer und geistig-kultureller Zusammenhänge und versuchte
sich so an das Verständnis ihrer Genese heranzutasten. S. näherte sich dem gotischen
Bauen, indem er bei den Bauherren ansetzte. Das Kernstück seines Buches bildet
die Schilderung der Persönlichkeit des Abtes Suger, seiner politischen und religi-
ösen Anschauungen und deren Bedeutung für die Entstehung von St. Denis. Analog
dazu versuchte S., auch die Stilhaltung der Kathedrale von Sens und der Westfassade
von Chartres als abhängig von der Einstellung ihrer Bauherren zu den Kämpfen der
Zeit zu beweisen. Für St. Denis und Suger hatte schon  Panofsky 1951 einen
ähnlichen Ansatz vorgeschlagen, indem er eine morphologische Verwandschaft zwi-
schen dem gotischen System und den Formen des scholastischen Denkens annahm.
S. dagegen lehnte es ab, die Bauwerke »nur als Glieder eines Arguments« zu inter-
pretieren und nur die Syntax der Bausprache, nicht aber die Gründe für das Entste-
hen der Bauten und den Sinn ihrer Botschaft zu analysieren. Auch  Sedlmayrs
Vorgehen, die gotische Kathedrale als Abbild der Himmelsstadt, wie sie in der Of-
fenbarung Johannis geschildert wird, zu interpretieren, schien S. zu eng; er hielt das
Simson 411

Verständnis der ursprünglichen Macht und Gegenwart jener Bauwerke neben der
stilistischen und ikonologischen Deutung für unerläßlich. Zudem mahnte er, im
Sinn einer historischen Hermeneutik, dem »Bewußtsein des Abstands« Rechnung
zu tragen, das den heutigen Betrachter von der Erlebnisweise trennt, aus der jene
Architektur einst erwachsen war.
Aus den schon in Amerika gehaltenen Vorlesungen über die deutsche Malerei des
19. Jahrhunderts entstand später Der Blick nach Innen (1986). Am Beispiel von vier
Künstlern – Caspar David Friedrich, Carl Spitzweg, Wilhelm Leibl und Ludwig
Richter – versuchte S. den Beweis zu führen, daß »Innerlichkeit«, im Unterschied
zu allen vorangegangenen Epochen, ein Wesensmerkmal der deutschen Malerei des
19. Jahrhunderts sei. Diese war ihm, abgesehen von wenigen Ausnahmen, eine
»Sprache der Einsamen«, im Falle Friedrichs und Leibls gar ein »Monolog«. S. er-
klärte dies mit dem Versiegen öffentlicher Aufträge, was auch dazu geführt habe, daß
ein bestimmter Stil nicht mehr als verbindliche Aussage einer Epoche, sondern nur
als individuelle künstlerische Handschrift verstanden wurde.
Die größte Künstlerpersönlichkeit war für S. Peter Paul Rubens. Die wissen-
schaftsgeschichtliche Bedeutung seines postum veröffentlichten Rubens-Werkes
(1996) liegt vor allem darin, daß es, entgegen der auf Einzelprobleme fixierten
Forschung der vorangegangenen Jahre, Künstler, Werk und Zeit als Einheit betrach-
tet. Nach über 60jähriger Beschäftigung mit dem Künstler deutete S. dessen Werke
als geniale Vergegenwärtigung eines vergangenen humanistischen Bildungsgutes.
Auch bei politischen Themen, wie sie der Gemäldezyklus für Maria von Medici
verlangte, habe sich Rubens Unabhängigkeit bewahrt; er sei kein Hofkünstler im
herkömmlichen Sinn gewesen. S. sah die Wirkungsmächtigkeit von dessen Werken
darin begründet, daß sie nicht nur die Tendenzen seiner Zeit ausdrückten, sondern
– als bedeutende künstlerische Interpretationen der Gegenreformation – das »Ant-
litz seiner Epoche« entscheidend mitprägten.
S. war unter den während der NS-Zeit emigrierten Kunsthistorikern nahezu der
einzige, der sich zu dauerhafter Rückkehr nach Deutschland entschloß. 1957 über-
nahm er eine Gastprofessur in Frankfurt/Main, 1964 wurde er zum Ordinarius für
Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin berufen, wo er bis zur Emeritie-
rung 1979 lehrte. Danach war er neben seiner wissenschaftlichen Arbeit als Vorsit-
zender des Vereins der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten tätig und
setzte sich nach 1989 für die wiedervereinigten Berliner Museen ein.
Werke: Zur Genealogie der weltlichen Apo- rung, Ch 1947, 1–57; Die Liturgie als heilige
theose im Barock, besonders der Medicigale- Handlung und Dichtung, in: Universitas, 3,
rie des Peter Paul Rubens, Lpz/Str/Zü 1936; 1948, 1–18; Sacred Fortress. Byzantine Art
Ferdinand von Rayski, in: Hochland, 34, 1937, and Statecraft in Ravenna, Ch 1948 (Nd.
508–511; Reformbestrebungen an den ameri- 1986); The Birth of Gothic, in: Measure, 1,
kanischen Universitäten, in: ebd., 35, 1937/38, 1950, 245–296; The Gothic Cathedral. Design
468–476; Philipp Otto Runge and the My- and Meaning, in: JSAH, 11, 1952, 6–16; Com-
thology of Landscape, in: ArtB, 24, 1942, 335– passio and Coredemptio in Roger van der
350; Leonardo and Attavante, in: GBA, 85, Weyden’s Descent from the Cross, in: ArtB,
1943, 305–312; Richelieu and Rubens, in: 35, 1953, 9–16; Wirkungen des christlichen
Review of Politics, 6, 1944, 422–451; Das Platonismus auf die Entstehung der Gotik, in:
abendländische Vermächtnis der Liturgie, in: Humanismus, Mystik und Kunst in der Welt
Deutsche Beiträge zur geistigen Überliefe- des Mittelalters, Leiden/Köln 1953, 159–179;
412 Simson

Zu den Mosaiken von S. Vitale zu Ravenna, FS Joachim Fest, Bln 1986, 231–244; Der
in: ByzZ, 46, 1953, 104–109; Abstrakte und Blick nach Innen. Vier Beiträge zur deut-
mittelalterliche Kunst, in: Hochland, 48, 1956, schen Malerei des 19. Jh.s, Bln 1986; Rubens
508–518; The Gothic Cathedral. Origins of und Homer, in: FS Hermann Josef Abs, Mainz
Gothic Architecture and the Medieval Con- 1986, 105–124; Spätzeit und Spätzeitlichkei-
cept of Order, Lo/NY 1956 (dt. 1968); Cul- ten in der Europäischen Kunstgeschichte, in:
ture and Art, in: City Invincible. Symposium ZDVKw, 44, 1990, 17–34; Bernard von Clair-
on Urbanization and Cultural Development vaux und der »dolce stil nuovo« der frühgoti-
in the Ancient Near East, Ch 1960, 419–436; schen Plastik. Ein Versuch über die Beziehung
La vita di Maria Medici nell’opera di Ru- zwischen Spiritualität und Kunst, in: FS Peter
bens, Mailand/Genf 1965; Über die Bedeu- Bloch, Mainz 1990, 31–40; Europäische Uni-
tung von Masaccios Trinitätsfresko in S. Ma- versität Erfurt, in: Die Politische Meinung, 37,
ria Novella, in: JbBM, 1966, 119–159; Rubens 1992, 59–62; Von der Macht des Bildes im
und der Merkur des Giambologna, in: FS Ul- Mittelalter. Gesammelte Aufsätze zur Kunst
rich Middeldorf, Bln 1968, 434–446; Rubens. des Mittelalters, Bln 1993; Vouet besiegt Ru-
Il ciclo di Maria de’ Medici, Mailand/Genf bens in Paris, in: FS Tilmann Buddensieg, Alf-
1968; Das Mittelalter II. Das Hohe Mittelal- ter 1993, 527–534; Biedermeier – ein bürger-
ter, Bln/Wien 1972; Gedanken zur Adams- licher Stil? (mit Hans Ottomeier), in: Das
pforte des Bamberger Domes, in: FS Inge- Kunstwerk und die Wissenschaften. Über die
borg Schröbler, Tü 1973, 424–439; Neue Bei- unterschiedliche Art, sich ein Bild zu ma-
träge zur Rembrandt-Forschung (mit Jan chen, hrsg. v. Michael Bockemühl u. a., Ostfil-
Kelch), Bln 1973; Über einige Zeichnungen dern 1994, 69–87; Peter Paul Rubens (1577–
von Karl Blechen, in: FS Margarete Kühn, 1640). Humanist, Maler, Diplomat, Mainz
Mü 1975, 247–254; Gerard Davids Gerechtig- 1996
keitsbild und der spätmittelalterliche Huma- Literatur: Braunfels, Wolfgang: Rez. von
nismus, in: FS Wolfgang Braunfels, Tü 1977, »The Gothic Cathedral«, in: KChr, 10, 1957,
349–356; Pieter Bruegel und seine Welt (hrsg. 276–281; Conant, Kenneth John: dass., in:
mit Matthias Winner), Bln 1979; Politische Speculum, 33, 1958, 154–158; FS O.v.S., Frf
Symbolik im Werk des Rubens, in: Rubens. 1977; Starace, Francesco/Montano, Pier
Kunstgeschichtliche Beiträge, Konstanz 1979, Giulio/Caterina, Paola di: Panofsky, O.v.S.,
7–35; Über die symbolische Bildstruktur ei- Wölfflin. Studi di teoria e critica dell’ar-
niger Gemälde von Caspar David Friedrich, chitettura, Neapel 1982; Hausherr, Reiner:
in: FS Jan Białostocki, Warschau 1981, 597– Worte der Trauer um O.v.S., in: SberKgG,
605; Correggios Assunta in der Domkuppel 41/42, 1992/94, 24–28; Bloch, Peter: Nachruf
zu Parma, in: RJbKg, 1983, 329–343; Das auf O.v.S., in: ZDVKw, 47, 1993, 94–95;Wend-
letzte Altarbild von Peter Paul Rubens, in: land 1999, 643–649
ZDVKw, 37, 1983, 61–72; Der Raub der Leu- CF
kippiden – Rubens begegnet der Antike, in:

Singer, Hans Wolfgang


Geb. 16. 9. 1867 in New York; gest. 30. 5. 1957 in Dresden

Das Lebenswerk S.s ist untrennbar mit Dresden und seiner weltberühmten graphi-
schen Sammlung verbunden. Er stand in der ersten Reihe der Graphikkenner seiner
Zeit. Nicht zuletzt seinem Wissen und unermüdlichem Engagement verdankte das
Kupferstichkabinett während der Direktorate von  Woermann und  Lehrs in
den Jahren 1882–1923 seine Blüte. Zu dem Kenner und Museumsmann S. gehörte
aber auch der Kunstschriftsteller und Kritiker. »Ich bin der ketzerischen Ansicht«,
heißt es in der Einleitung zur Modernen Graphik, »daß zu jedem künstlerischen
Aufschwung, zu jeder Blüteepoche, der Vermittler von fast noch größerer Bedeu-
Singer 413

tung ist als der Künstler selbst«. S. sah sich in einer solchen Vermittlerrolle. Mit sei-
nen zahlreichen Artikeln, Aufsätzen, Nachschlagewerken und historischen Abhand-
lungen meinte er auch Einfluß auf das aktuelle Kunstgeschehen nehmen zu müssen,
weniger einem idealistischen Impuls folgend – für S. hatte das Graphiksammeln
auch eine starke kommerzielle Seite –, als um einfach den »Stein ins Rollen [zu
bringen], der bei der Masse eine Begierde erregt«. S. favorisierte die sogenannte
Stilkunst zwischen Impressionismus und Expressionismus, die auch im Mittelpunkt
seines wichtigsten Ausstellungsprojekts stand: der Graphik-Abteilung der Interna-
tionalen Dresdner Kunstausstellung von 1908.
Der Sohn eines deutschen Musikers verlebte seine Kindheit und Jugend in Cin-
cinnati, ehe er 1886 nach Deutschland kam, um in München, Berlin und Leipzig
Philosophie, Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte zu studieren. 1891 promo-
vierte er bei dem Anglisten Richard Paul Wülcker über das bürgerliche Trauerspiel
in England. Noch im selben Jahr kam er an das Kupferstichkabinett in Dresden,
dem er bis zu seiner Pensionierung 1932 angehörte, zunächst als Direktorialassistent,
dann als Kustos, seit 1903 mit dem Titel eines königlich sächsischen Professors.
Seine Hoffnung, 1924 die Nachfolge von Lehrs antreten zu können, erfüllte sich
nicht.
S.s Verdienste um die Aufarbeitung der Bestände des Kupferstichkabinetts mani-
festieren sich am eindrucksvollsten in einem 19 Bände umfassenden Katalog, der
sämtliche Bildnisse historischer Personen hauptsächlich der Dresdner Sammlung
enthält. Eine Neigung zum Biographischen und Individuellen machte sich auch in
einem fünfbändigen Künstlerlexikon geltend, eine »Liebesarbeit« über sieben Jahre,
die ihm, wie er später ausrechnete, 27 Pfennige pro Seite einbrachte – »meine
Scheuerfrau erhielt 40 Pfennig für die Stunde«. Wichtig war ihm dabei, möglichst
viele zeitgenössische Künstler zu erfassen, er meinte aber, auf Literaturangaben, wie
sie wenige Jahre später für  Thieme und Becker selbstverständlich wurden, ver-
zichten zu können. Unter S.s Publikationen befinden sich nicht wenige Künstler-
monographien über Dürer, van Dyck und Rembrandt, Schnorr von Carolsfeld,
Menzel, Rossetti, Whistler und Käthe Kollwitz; besonders wertvoll sind die ersten
Œuvre-Kataloge für die Graphiker Paul Herrmann, Max Klinger und Emil Orlik.
Hinter den Katalogen und Lexika treten in S.s Gesamtwerk die rein kunstge-
schichtlichen Arbeiten etwas zurück. Die Geschichte des Kupferstichs von 1895 be-
schreibt die technische und künstlerische Entwicklung des Mediums, ohne sich in
kultur- und geistesgeschichtliche Ableitungen einzulassen. Sie kulminiert in Klin-
ger, den S. mit Richard Wagner vergleicht: er »schafft [...] eine Programmkunst, will
nicht nur unsere Sinne erfreuen, sondern unsern Geist anregen«. In Moderne Graphik
blickte S. auf die »Schwarzweißkunst« der 2. Hälfte des 19. und die ersten Jahre des
20. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika zurück, um resignierend festzustellen,
daß eine Blütezeit dieser Kunstgattung gerade an allgemeiner »Novitätssucht« zu-
grunde gegangen sei. »Der Künstler wollte überraschen und arbeitete nicht so
einfach, so stilgerecht wie Rembrandt: daher mußte er uns schneller ermüden. Wir
aber forderten von ihm, daß er neu sei, und darüber hatte er keine Zeit, gut zu
werden.« Die neue, auf dem Holzschnitt basierende Graphik des Expressionismus
nahm S. noch nicht wahr.
414 Singer

Durch seine Herkunft und Erziehung wurde S. auch zu einem Vermittler zwi-
schen dem angelsächsischen und dem deutschen Sprachraum; er publizierte in
englischer Sprache über alte und neue Kunst sowie Grundlegendes zur Graphik
(Etching, Engraving, and the other Methods of Printing Pictures, 1897) und machte die
englische Kunst des 19. Jahrhunderts, vor allem die der Präraffaeliten, in Deutsch-
land bekannt (Der Prae-Raphaelitismus in England, 1912).
Werke: Allgemeines Künstlerlexikon, 6 Bde., Darstellung für deren Freunde und Sammler,
Frf 1894–1906; Wissenschaftliches Verzeichnis Lpz 1914; Emil Orlik. Zeichnungen, Lpz 1914;
der Kupferstichsammlung Lanna, 2 Bde., Prag Das graphische Werk des Maler-Radierers
1895; Geschichte des Kupferstichs, Magde- Paul Herrmann, Bln 1914; Handbuch für
burg 1895; Etching, Engraving, and the other Kupferstichsammler, Lpz 1916; Albrecht Dü-
Methods of Printing Pictures, Lo 1897 (mit rer. Mit 80 Abb., Briefen, Auszügen aus den
W. Strang); Versuch einer Dürer-Bibliogra- Tagebüchern und Schriften, Mü 1918; Char-
phie, Str 1903; James McNeill Whistler, Bln les Meryon, in: Die Kunst, 39, 1919, 367–372;
1903; Der Kupferstich, Bie/ Lpz 1904; Dürer’s Zeichnungen der Sammlung Friedrich Au-
Drawings, Lo 1904; Dante Gabriel Rossetti, gusts II., Mü 1921; Das graphische Werk des
Bln 1904; Menzel’s Drawings, Lo 1905; Et- Maler-Radierers Ingwer Paulsen, Bln 1921;
chings by van Dyck, Lo 1905; Rembrandt. Kunstgeschichte in einer Stunde, Lpz/Bln
Des Meisters Radierungen, Stg/Lpz 1906; 1922; Französische Buchillustrationen des 18.
Dresden. Die kgl. Gemäldegalerie, Stg/Bln/ Jh.s, Mü 1923;Von Unsterblichen. Leben und
Lpz 1906; Die Kleinmeister, Bie/Lpz 1908; Wirken von 52 Unsterblichen der Kunst,
Käthe Kollwitz, Esslingen 1908; Max Klinger. Rudolstadt/Lpz 1925; Allgemeiner Bildniska-
Radierungen, Stiche und Steindrucke, Bln talog, 14 Bde., Lpz 1930–34; Dresden in Bil-
1909; Julius Schnorr von Carolsfeld, Bie/Lpz dern, Lpz 1930; Die Fachausdrücke der Gra-
1911; Unika und Seltenheiten im kgl. Kupfer- phik, Lpz 1933; Neuer Bildniskatalog, 5 Bde.,
stichkabinett in Dresden, Lpz 1911; Meister Lpz 1937/38
der Zeichnung, 6 Bde., Esslingen 1911/12; Literatur: Kristeller, Paul: Rez. von »Ge-
Zeichnungen von Anselm Feuerbach, Lpz schichte des Kupferstichs«, in: RfKw, 19, 1896,
1912; Zeichnungen von Arthur Kampf, Lpz 70–74; Glück, Gustav: Rez. von »Rembrandt.
1912; Zeichnungen von Franz von Stuck, Lpz Des Meisters Radierungen«, in: KA, 3, 1906,
1912; Zeichnungen von Lovis Corinth, Lpz 115–116; Braun, Felix: Rez. von »Die Klein-
1912; Der Prae-Raphaelitismus in England, meister«, in: KA, 5, 1909, 52–58
Mü/Bln 1912; Die moderne Graphik. Eine PB

Springer, Anton
Geb. 13. 7. 1825 in Prag; gest. 31. 5. 1891 in Leipzig

Mit der Berufung S.s zum ersten o. Professor für »neuere« und »mittlere« Kunstge-
schichte, das heißt des Mittelalters und der Neuzeit, an der Universität Bonn im
Jahre 1860 hatte sich die Kunstgeschichte als Wissenschaft von der nachantiken Kunst
endgültig an Deutschlands Universitäten etabliert. Erst diese akademische Weihe
verlieh der neuen geisteswissenschaftlichen Disziplin Ebenbürtigkeit mit Archäologie,
Ästhetik und Geschichte. Mit S. trat ein Kunsthistoriker auf die akademische Bühne,
der, in seinem Wesen eher unkünstlerisch, sich als Gelehrter fühlte, der das Kunst-
werk weniger als Individuum, sondern mehr als Exempel verstand, dem vor allem die
strenge Wissenschaftlichkeit seiner Methode am Herzen lag und der als Lehrer diese
Methode einer großen Schülerzahl vermittelte. S.s disziplingeschichtliche Bedeutung
liegt in seinem Beitrag zur Institutionalisierung der Kunstgeschichte.
Springer 415

S. studierte 1841–46 in Prag Philosophie und Geschichte, befaßte sich aber schon
während dieser Zeit schreibend und lehrend mit Kunstgeschichte. 1847 promovierte
er in Tübingen über Hegels Geschichtsphilosophie. Zurückgekehrt nach Prag, be-
tätigte er sich während der 48er Revolution als politischer Journalist; er trat für ein
föderalistisches Österreich ein und hielt mitreißende Vorträge über Revolutionsge-
schichte vor mehr als 500 Zuhörern an der Universität. Dieses politische Engage-
ment ließ ihn noch lange, auch außerhalb Österreichs, als »bedenkliches Indivi-
duum« erscheinen. 1851 hatte S., angefeindet und verfolgt, Prag für immer verlassen
und sich ein Jahr später in Bonn über Baukunst des Mittelalters habilitiert, die
Berufung zum Extraordinarius für Kunstgeschichte aber erst 1859, nach langem
Zögern im preußischen Kultusministerium, erhalten.
In den frühen Bonner Jahren entstanden das Handbuch für Kunstgeschichte (1855),
zu dem der Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer (1807–87), S.s Tübinger Lehrer,
ein Vorwort schrieb, und die Kunsthistorischen Briefe (1857), in denen die Geschichte
der Kunst noch als »Erscheinungen des Schönen in ihrer zeitlichen Bewegung«, als
»die innere notwendige Entwicklung des künstlerischen Ideals«, definiert wurde.
Wie Hegel und  Schnaase war auch S. von der Kunstfeindlichkeit der Gegenwart
überzeugt; ihr sei die »innige Beziehung zum Volksgeist«, die die Kunst in der Ver-
gangenheit gehabt habe, verlorengegangen. S. hat später in seinen Lebenserinnerun-
gen diese Lebensperiode sehr kritisch gesehen: Er habe damals »im Allgemeinen«
steckenzubleiben gedroht; »die Gefahr der Verflachung [...], die Lockung, durch
populäre Handbücher den Beifall der Halbgebildeten zu gewinnen, lagen nahe.«
An seiner Grundüberzeugung, daß die Kunstgeschichte ein Zweig der Geschichte
sei, hielt S. jedoch fest, verzichtete aber künftig auf generalisierende Darstellungen.
Er grenzte sich von oberflächlichen kulturgeschichtlichen Betrachtungen ab, wie
sie seiner Auffassung nach  Grimm in Berlin praktizierte, ebenso von einem Ken-
nertum à la  Morelli und einer von ästhetischen Werturteilen geleiteten Kunstge-
schichtsschreibung nach den Vorbild  Burckhardts. Die »Gesetze künstlerischer
Tätigkeit« waren nach S.s Ansicht »nur auf dem Wege historischer Forschung« zu
ergründen; die Kunstgeschichte bediene sich derselben historisch-kritischen Me-
thode wie die Geschichte. Sie unterschied sich für S. von der Schwesterwissenschaft
allerdings durch den Gegenstand: das verschiedenen historischen Kontexten ange-
hörende Kunstwerk. Diese Kontexte zu erhellen, war die Hauptaufgabe der Kunst-
geschichtsschreibung, die »Entwicklung des Werkes wenn möglich vom ersten
Entwurf bis zur endgültigen Gestalt« zu verfolgen; »wir fragen nach der Absicht und
dem Ziele des Schöpfers, forschen nach den Mitteln, mit deren Hilfe er seine Ab-
sicht verwirklicht und untersuchen, ob er das Ziel erreicht« hat; »aus dem Werk
heraus bemühen wir uns, seine ästhetische Bedeutung zu erfassen. Wir spüren dann
dem Eindrucke auf die Kunstgenossen nach. Fanden jene ihre Ideale in den Werken
wiedergegeben? Haben diese in ihm eine neue Seite der Auffassung oder Formge-
bung erblickt, wodurch die Kunst in andere Bahnen gelenkt wurde?«
Zur Beantwortung dieser Fragen zog S. die ganze Vielfalt der geschriebenen
Quellen einer Kultur, vor allem die literarischen Denkmäler, heran und wurde so
zu einem der Begründer der kunsthistorischen Themen- und Quellenkunde (Iko-
nographische Studien, 1860; Über die Quellen der Kunstdarstellungen des Mittelalters,
416 Springer

1879). Darüber hinaus umgab er die Kunstgeschichtsschreibung mit einem Kranz


von historischen »Hilfswissenschaften«. S. erkannte auch die kunsthistorische Be-
deutung der Handzeichnung; 1878 schrieb er in Raffael und Michelangelo: Ȁhnlich
wie der Gebrauch des Mikroskops die äußerliche Naturbeschreibung in eine orga-
nische Naturgeschichte verwandelte, so hat das Heranziehen der Handzeichnungen
zum Studium der neueren Kunstgeschichte erst erfüllt, was der Namen verheißt,
und die letztere zu einer wahrhaft historischen Disziplin gemacht.« Als Reproduk-
tionen verwendete sie S. auch im Lehrbetrieb.
In seiner von schwerer Krankheit verdüsterten Zeit als Leipziger Ordinarius seit
1873 – nach dem Weggang aus Bonn war er 1872 noch für kurze Zeit als Prorektor
an der neugegründeten Straßburger Universität tätig gewesen und hatte die Fest-
rede zu ihrer Einweihung gehalten – befaßte sich S. mit den größten »historischen
Heldengestalten«, die man damals in der europäischen Kunstgeschichte zu sehen
meinte: Raffael, Michelangelo, Dürer. Ganz im Geiste des Historismus, wonach
Geschichte letztlich von Individuen gemacht wird, hatte er schon in der Zeit der
Kunsthistorischen Briefe in der Künstlergeschichte eine notwendige Ergänzung zur
allgemeinen Kunstgeschichte gesehen; seine ersten Vorlesungen als Privatdozent in
Bonn waren Raffael und Michelangelo gewidmet gewesen. In seiner später in Leip-
zig geschriebenen Doppelbiographie verstand S. beide Künstler als ausschließlich
historische Gestalten, irrelevant für die Kunst der Gegenwart. Dem Kunsthistoriker
S. waren sie nur noch – im »reinen und scharfen« Licht der Geschichte – Gegen-
stand der Erkenntnis und Würdigung.

Werke: Die Hegelsche Geschichtsauffassung. rend der Französischen Revolution; Kunst-


Eine historische Denkschrift, Tü 1848; Ge- kenner und Kunsthistoriker); Mittelalterliche
schichte des Revolutionszeitalters (1789– Kunst in Palermo, Bonn 1869; Schnaases Ge-
1848), Prag 1849; Österreich, Preußen und schichte der bildenden Künste (Rez. von Karl
Deutschland, Lpz 1851; Die Baukunst des Schnaase, Geschichte der bildenden Künste,
christlichen Mittelalters, Bonn 1854; Hand- Bde. 3 u. 4, 1869/70, 2. Aufl.), in: ZfbK, 6,
buch der Kunstgeschichte, Stg 1855; Paris im 1871, 259–263; Raffaelstudien (Rez. von Her-
13. Jh., Lpz 1856; Kunsthistorische Briefe. Die man Grimm, Das Leben Raffaels von Urbino,
bildende Kunst in ihrer weltgeschichtlichen 1872), in: ZfbK, 8, 1873, 65–80; Über das Ge-
Entwicklung, Prag 1851–57; Die Künstlerge- setzmäßige in der Entwicklung der bilden-
schichte seit dem 17. Jh. bis auf unsere Tage, den Künste, Lpz 1873; Michelangelo in Rom
Prag 1857; Kunsthistorisches Reisehandbuch 1508–12, Lpz 1875; Geschichte der altnieder-
durch die Hauptländer Europas, Prag 1857; ländischen Malerei, Lpz 1875; Raffael und
Geschichte der bildenden Künste im 19. Jh., Michelangelo, Lpz 1878 (Bd. 2,2 von: Kunst
Lpz 1858; Ikonographische Studien, in: MZk, und Künstler des Mittelalters und der Neu-
5, 1860, 29–32, 67–74, 309–321; Raffaels Dis- zeit, hrsg. v. Robert Dohme); Textbuch zu
puta, Bonn 1860; Die Künstlermönche im Seemanns Kunsthistorische Bilderbogen, Lpz
Mittelalter, in: MZk, 7, 1862, 1–10, 36–48; Ge- 1879; Über die Quellen der Kunstdarstellung
schichte Österreichs seit dem Wiener Frieden im Mittelalter, in: Ber. ü.d. Verhandlungen d.
1809, Bonn 1863; Hans Holbein und sein kgl. sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig, 31, 1879,
neuester Biograph (Rez. von Alfred Wolt- 1–40; Die Psalter-Illustrationen im frühen
mann, Holbein und seine Zeit, 1866), in: Mittelalter, Lpz 1880; Raffaels Jugendent-
ZfbK, 2, 1867, 63–69; Bilder aus der neueren wicklung und die neue Raffaelliteratur, in:
Kunstgeschichte, Bonn 1867 (darin: Das RfKw, 4, 1881, 370–400; Die Kunst des 19.
Nachleben der Antike im Mittelalter; Das Jh.s, Lpz 1881; Das jüngste Gericht. Eine iko-
Ende der Renaissance; Rembrandt und seine nographische Studie, in: RfKw, 7, 1884, 375–
Genossen; Der Rokokostil; Die Kunst wäh- 404; Moriz Thausing, in: ebd., 8, 1885, 2–7;
Springer 417

Die Miniaturen der Manessischen Lieder- bert: A.S., in: RfKw, 14, 1891, 442–447; Waet-
handschrift, in: ebd., 9, 1887, 327–333; Rez. zoldt 1924, 106–129; Clemen, Paul: A.S.
von Robert Vischer, Studien zur Kunstge- (1893), in: ders., Gesammelte Aufsätze, Dü
schichte (1886), in: GöGA, 7, 1887, 241–256; 1948, 179–181; Horová, Andla: A.S. in Prag,
Leonardo-Fragen, in: ZfbK, 24, 1889, 141–149; in: Hundert Jahre Kunstgeschichte in Leipzig,
Geschichte der deutschen Kunst (Rez. von Lpz 1975, 37–43; Pillep, Rudolf: Gemütsre-
Hubert Janitschek, Geschichte der deutschen gungen schaffen keine Bauweise. A.S.s
Malerei, 1890), in: RfKw, 13, 1890, 311–320; Grundsätze, Ziele und Leistungen, in: EGA,
Albrecht Dürer, Bln 1892; Aus meinem Le- Bln 1975, Teil 1, 121–129; Horová, Andla: A.
ben (mit Aufsätzen von Gustav Freytag u. H.S. a metodické problémy djin umní, in:
Hubert Janitschek), Bln 1892; Die Renais- Umeí, 27, 1979, 273–295 (Bibliogr.); Espa-
sance in Italien, Lpz 1896 gne, Michel: A.S. et Hippolyte Taine. Le socle
Literatur: Seidlitz, Woldemar von: A.S., in: intercultural de l’histoire de l’art, in: Écrire
ZfbK, 27 (3), 1892, 1–6, 25–31; FS A.S., Lpz l’histoire de l’art. France-Allemagne 1750–
1885; Straßburger Festgruß an A.S. zum 4. 5. 1920 (Revue germanique internationale, 13),
1885, Bln/Stg 1885; Am Sarge von A.S. Leip- Paris 2000, 187–200
zig am 3. 6. 1891, Lpz 1891; Janitschek, Hu- PB

Stange, Alfred
Geb. 14. 8. 1894 in Glauchau; gest. 9. 9. 1968 in Tutzing

Der 1934 publizierte 1. Band seiner Geschichte der deutschen Malerei der Gotik ist
 Wölfflin und  Pinder gewidmet. In Wölfflin verehrte S. den großen, allerdings
zunehmend kritisch gesehenen Lehrer und in Pinder würdigte er den geistesver-
wandten Kollegen, der in den 1920er Jahren für die deutsche Plastik beispielhaft
geleistet hatte, was sich S. für die Malerei vorgenommen hatte: eine umfassende
Darstellung ihrer Geschichte im 14. und 15. Jahrhundert. Entstanden ist so über ei-
nen langen Zeitraum unter vielen, vor allem dem Krieg geschuldeten Schwierigkei-
ten ein Standardwerk der Kunstliteratur. Ein Jahr vor seinem Tod ließ S. gleichsam
als Ergänzung ein kritisches Verzeichnis sämtlicher vor Dürer entstandenen Tafelbil-
der folgen. Zwei von den insgesamt drei Bänden konnte er noch selbst bearbeiten.
S. studierte Kunstgeschichte 1914–21 in München, Berlin und Leipzig. Die von
Wölfflin betreute Dissertation über Deutsche Malerei und Plastik vom ausgehenden 14.
bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (1921) wies bereits in die Hauptrichtung zukünftiger
Forschungstätigkeit. Zunächst war das Interesse jedoch weitergespannt: S. schrieb
ein populäres Buch über die deutsche Plastik des Mittelalters, die ihm »aus dem
Gedächtnis ihres Volkes gelöscht« schien, und die disziplingeschichtlich wichtige
Arbeit Deutsche Kunst um 1400, in der er eine Erklärung für die Zurückhaltung der
spätmittelalterlichen deutschen Kunst gegenüber dem Studium der Natur und der
Antike zu geben versuchte. S. hielt diesen Konservativismus für eine nationale Be-
sonderheit, eine Auffassung, die er mit  Gerstenberg (Deutsche Sondergotik, 1913)
und anderen teilte; der »romanische Geist« sei »gewandter und unsteter« als der
deutsche. Während die Italiener bereits die Schwelle zur Renaissance überschritten,
befand sich seiner Auffassung nach die deutsche Kunst bis um 1450 noch in einem
Stilverbund mit dem Hochmittelalter, vergleichbar dem zwischen Renaissance und
Barock, wie Wölfflin ihn behauptet hatte, und schließlich führte S. noch eine welt-
anschauliche Determinante, die Mystik, ins Feld.
418 Stange

Dieses aus psychologischen, form- und geistesgeschichtlichen Komponenten


gebildete Erklärungsmuster wandte S. auch an, als ihn die Frage beschäftigte, warum
die nach der Entdeckung durch  Lübke (Geschichte der Renaissance in Deutschland,
1873) fast wieder vergessene und als »Bastardstil« geschmähte deutsche Baukunst
des 16. Jahrhunderts durch ihre bereitwillige »Aufnahme und Verarbeitung italieni-
scher Renaissanceformen« keine eigene Identität fand. Der psychologische Aspekt
trat hier allerdings etwas in den Hintergrund. S. sprach von einer für die deutsche
Architekturgeschichte »innerlich bedingten notwendigen« Auseinandersetzung. Die
Bedeutung dieser Epoche hätte »nicht im Künstlerischen, sondern im Historischen«
gelegen; sie habe die deutsche Kunst modernisiert, ihr eine neue Sprache gegeben.
Anders als die Spätgotik war für ihn die Renaissance ein Neuanfang, bei dem die
äußeren Faktoren eine größere Rolle gespielt hätten als die Eigendynamik der
Stilgeschichte. Als bewegendes Moment beim Übergang zur Renaissance machte S.
den Humanismus aus, und als eine gesetzesartige Aussage formulierte er: »Denn die
Vergangenheit beschließt immer nur den einen Faktor für das Schicksal einer Epo-
che in sich, der andere sind die Einflüsse und Bedingungen, die andere Kreise des
geistigen und praktischen Lebens bieten.« S. hat diese Auffassung nicht ausdrücklich
widerrufen, später jedoch Kunst und Kunstwissenschaft vornehmlich als »dienend«
in ihren gesellschaftlichen Kontext eingebunden verstanden.
Mit einer Arbeit über die deutsche Baukunst der Renaissance habilitierte sich S.
1925 bei Pinder in München, wurde Privatdozent und 1931 a.o. Professor. Seit 1934
lehrte er in Erlangen als o. Professor. 1935 erfolgte eine Berufung nach Bonn;
1939–45 wirkte er dort als Ordinarius. 1949 wurde S. in den Ruhestand versetzt
und 1962 emeritiert.
Während in den späten 1930er Jahren das politische Engagement für den Natio-
nalsozialismus auch die kunstgeschichtlichen Arbeiten (Die Bedeutung des Werkstoffes
in der deutschen Kunst, 1940) durchsetzte, befand sich S. mit Deutsche Malerei der Gotik
zu Beginn seiner akademischen Laufbahn noch auf fachwissenschaftlichem Terrain.
Er verglich sein Werk mit Crowes und Cavalcaselles kennerschaftlichen Gesamtdar-
stellungen der frühen niederländischen und der italienischen Renaissancemalerei
(1856, 1864); seine Absicht war, die gesamte mittelalterliche deutsche Wand-, Tafel-
und Buchmalerei – die Glasmalerei wurde aus Kostengründen ausgenommen – zu
sichten, die Werkstätten zu umreißen und ihre stilistische Entwicklung zu beschrei-
ben.
Für eine Festschrift führender deutscher Wissenschaftler zu Hitlers 50. Geburtstag
verfaßte S. 1939 einen Rechenschaftsbericht zur Lage der »Kunstwissenschaft« –
Pinder schrieb an gleicher Stelle über die »Deutsche Kunstgeschichte« – und kon-
statierte, daß nach Ausschaltung der »jüdischen Geschäftemacher und Kunstlitera-
ten« und einer »unnatürlich subjektivistischen Ausdeutungssucht« nun wieder die
»sachliche geschichtliche Forschung« das Feld beherrsche; im Mittelpunkt stünde
die Geschichte der deutschen Kunst. Theoretisch fundierter entwickelte S. seine
Vorstellung von Kunstwissenschaft im NS-Staat in einem 1940 verfaßten Aufsatz
über Stil, Geschichte und Persönlichkeit. Der »formalästhetischen oder geistesgeschicht-
lichen« Kunstgeschichte, die »völlig übersehe, daß ein Volk stets der Schöpfer war«,
wurde der Kampf angesagt: Die Umwälzung von 1933 habe die Augen für Inhalte,
Stange 419

Zwecke, Künstler, Auftraggeber, »das Schicksalhafte, Eingeborene, das Leben über-


haupt« und für eine »wahrhaft historische Kunstgeschichte« geöffnet.
In zwei essayartigen Büchern der frühen 1950er Jahre (Über die Einsamkeit der
modernen Kunst; Die Welt als Gestalt) setzte sich S. kritisch mit der modernen Kunst
auseinander – mit Argumenten, die nicht neu waren. Er wußte sich dabei mit
 Sedlmayr einig, dessen Verlust der Mitte (1948) er zu den »mutigsten und klügsten
Veröffentlichungen der letzten Jahre« zählte. Die mit der Aufklärung beginnende
»Gefährdung aller geistigen Werte« habe auch die Kunst, die nach S.s Überzeugung
nur zu einem Teil »eine ästhetische Angelegenheit« sei, »in die Katastrophe getrie-
ben«; sie sei mit ihrer Auflösung der Dingwelt, der Vertreibung der Menschengestalt
und ihrer formalen Willkür ein Spiegelbild des modernen Menschen, seiner Über-
heblichkeit, Torheit, Uniformität, Angst. Eine radikale Wendung sei notwendig, da-
mit die Kunst wieder eine »Funktion im Leben« erhalte.
S.s Lebenswerk beschließen die letzten Bände seiner Geschichte der gotischen
Malerei, ein kritisches Verzeichnis der deutschen Tafelbilder vor Dürer und eine
auch auf langjähriger Forschungsarbeit beruhende, bis heute gültige Monographie
zur Malerei der Donauschule.

Werke: Deutsche Malerei und Plastik vom gene und artfremde Züge im deutschen Kir-
ausgehenden 14. bis zur Mitte des 15. Jh.s, Mü chengrundriß, in: ZDVKw, 2, 1935, 229–252;
1921; Lukas Moser und Hans Multscher, Lpz Bemerkungen zur Kunst des Veit Stoß, in: FS
1922; Die Entwicklung der deutschen mittel- Heinrich Wölfflin, Dr 1935, 152–159; Zur
alterlichen Plastik, Mü 1923; Deutsche Kunst Kunstgeographie Frankens, Erlangen 1935;
um 1400. Versuch einer Darstellung ihrer Lehrstuhl und Institut der Kunstgeschichte
Form und ihres Wesens, Mü 1923; Jörg Rat- an der Universität Bonn, Bonn 1937; Kunst-
geb, zugleich ein Beitrag zur Verarbeitung wissenschaft, in: Deutsche Wissenschaft. Ar-
italienischer Formmittel in Deutschland, in: beit und Aufgabe, Lpz 1939, 9–10; Der Schles-
FS Heinrich Wölfflin, Mü 1924, 195–208; Die wiger Dom und seine Wandmalereien, Bln
deutsche Baukunst der Renaissance, Mü 1940; Die Bedeutung des Werkstoffes in der
1926; Die Gotik in der deutschen Baukunst deutschen Kunst. Mit einem Beitrag über
um 1600, in: RfKw, 49, 1928, 280–288; Bei- Stil, Geschichte und Persönlichkeit, Bie/Lpz
träge zur Kaisheimer Buchmalerei, in: FS Ge- 1940; Schicksal und Erfüllung der flämischen
org Leidinger, Mü 1930, 277–281; Zur Chro- und holländischen Malerei, Bonn 1942; Die
nologie der Kölner Tafelbilder vor dem Kla- Kunst der Goethezeit, Bonn 1942; Das früh-
renaltar, in:WRJb, 1930, 40–65; Die Bedeutung christliche Kirchengebäude als Bild des Him-
des subjektivistischen Individualismus für die mels, Köln 1950; Über die Einsamkeit der
europäische Kunst von 1750–1850, in: DVjS, modernen Kunst, Bonn 1951; Die Welt als
9, 1931, 89–124; Altdeutsche Malerei, Mü Gestalt, Köln 1952; Idee und Gestalt des
1932; Deutsche Malerei der Gotik, 11 Bde., Naumburger Westchores, Trier 1953 (mit Al-
Bln u. Mü/Bln 1934–1961 (Bd. 1: Die Zeit bert Fries); Der Hausbuchmeister, BB/Str
von 1250–1350, 1934; Bd. 2: Die Zeit von 1958; Ein Gemälde aus Dürers Wanderzeit?,
1350–1400, 1936; Bd. 3: Norddeutschland in: FS Werner Noack, Konstanz/FrB 1958,
1400–1450, 1938; Bd. 4: Süddeutschland 113–117; Alte Bilderrahmen, Da 1958 (mit
1400–1450, 1951; Bd. 5: Köln 1450–1515, 1952; Leo Cremer); Hans Holbein d.Ä., Mü/Bln
Bd. 6: Nordwestdeutschland 1450– 1515, 1954; 1960 (mit Norbert Lieb); Ein Paradiesgärtlein
Bd. 7: Oberrhein, Bodensee, Schweiz u. Mit- vom Meister der hl. Veronika, in: Pantheon,
telrhein 1450–1500, 1955; Bd. 8: Schwaben 18, 1960, 142–145; Ein Madonnenbild von
1450– 1500, 1957; Bd. 9: Franken, Böhmen, Konrad Witz, in: ebd., 19, 1961, 39–44; Vier
Thüringen-Sachsen 1400– 1500, 1958; Bd. 10: Täfelchen vom Meister des Friedrich-Altars,
Salzburg, Bayern und Tirol 1400–1500, 1960; in: ÖZKD, 15, 1961, 149–152; Malerei der
Bd. 11: Österreich 1400–1500, 1961); Artei- Donauschule, Mü 1964; Conrad von Soest,
420 Stange

KöT 1966; Kritisches Verzeichnis der deut- in: Bm, 109, 1951, 2, S. 232; Boeck, Wilhelm:
schen Tafelbilder vor Dürer, 3 Bde., Mü Rez. von »Deutsche Malerei der Gotik. Süd-
1967–78; Rueland Frueauf d.J. Ein Wegberei- westdeutschland in der Zeit von 1400–1450«,
ter der Donauschule, Sa 1971 in: ZfKg, 14, 1951, 161–165; Pieper, Paul: Rez.
Literatur: Rosemann, Heinz-Rudolf: Rez. von »Deutsche Malerei der Gotik«, Bd. 6, in:
von »Die deutsche Baukunst der Renais- KChr, 8, 1955, 230–237; Fuhrmann, Franz:
sance«, in: JbKw, 1930, 205–208; Michel, Rez. von »Deutsche Malerei der Gotik«, Bd.
Édouard: Rez. von »Deutsche Malerei der 10, in: Mitt. d. Ges. f. Salzburger Landeskunde,
Gotik«, in: Revue belge d’archéologie et 102, 1962, 279–280; Schmidt, G.: Rez. von
d’histoire de l’art, 4, 1934, 269–270; Einem, »Kritisches Verzeichnis der deutschen Tafel-
Herbert von: Rez. von »Deutsche Malerei bilder vor Dürer«, in: ÖZKD, 22, 1968, S.
der Gotik«, Bd. 2, in: ZfKg, 1937, 388–389; 125–126
Aubert, Marcel: Rez. von »La peinture alle- PB
mande du XIVe au XVIe siècle« (Paris 1951),

Stechow,Wolfgang
Geb. 5. 6. 1896 in Kiel; gest. 12. 10. 1974 in Princeton/NJ (USA)

Die große Mehrzahl seiner über 250 Veröffentlichungen widmete S. der niederlän-
dischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Am Anfang aber standen Dürer und
italienische Themen. Als junger Assistent in Göttingen katalogisierte er von den
Gemälden der Universität zuerst die italienischen des 14./15. Jahrhunderts. Zu den
italienischen Manieristen und Caravaggio fand er erst über deren niederländische
Nachfolger; S. gehörte zu den ersten Kunsthistorikern, die die Bedeutung von Cor-
nelisz van Haarlem und Hendrick Terbrugghen erkannten. Der Einfluß der mittel-
meerischen Kunst auf den Norden von der Antike bis ins 18. Jahrhundert zog sich
als ein zentrales Thema durch sein ganzes Denken; das letzte Buch galt Rubens und
der klassischen Tradition.
S. stand der Ikonologie nahe; unter den etwa 40 von ihm rezensierten Publika-
tionen befinden sich alle Hauptwerke  Panofskys. Er untersuchte immer wieder
Motive und Themen der bildenden Kunst in ihren historischen Wandlungen, räumte
aber ein, daß eine allein auf Ikonographie orientierte Forschung zu »Blindheit«
führe. Die traditionelle Stilgeschichte  Wölfflinscher Prägung, die geglaubt habe,
ohne die Ikonographie auszukommen, hielt S. für überlebt. Sein Hauptwerk über
die holländische Landschaftsmalerei gliederte er nach Bildthemen.
Entsprechend dieser kritischen Einstellung zur formanalytischen Kunstwissen-
schaft betrachtete S. den Künstler als den Dreh- und Angelpunkt der Kunstge-
schichte und der Kunstgeschichtsschreibung. Nicht auf Theorien und abstrakte
Begriffe kam es nach seiner Auffassung an, sondern auf fundiertes Wissen über die
Künstler und ihre Werke. Am meisten interessierten ihn die Holländer und Flamen,
man begegnet bei ihm aber auch Stephan Lochner und Caspar David Friedrich. Als
Musterbeispiel für ein Œuvre-Verzeichnis gilt bis heute S.s Arbeit über Salomon
van Ruisdael. Ihr Erscheinen wurde seinerzeit auch vom Kunsthandel begrüßt, zu
dem S. wie die meisten Kenner seit  Passavant und  Waagen sein Leben lang
gute Beziehungen unterhielt. Kurz vor seinem Tod ehrte ihn die Art Dealers Asso-
ciation mit einem Orden »For Excellence in Art History«.
Stechow 421

Der musikalisch hochbegabte Sohn eines Anwalts begann das Kunstgeschichts-


studium bei  Vöge in Freiburg i.Br. und setzte es nach Krieg und zweieinhalbjäh-
riger sibirischer Gefangenschaft in Göttingen fort. 1921 promovierte er bei  Graf
Vitzthum über Dürer und dessen Holzschnittfolge zur biblischen Apokalypse. Bis
zur Emigration in die USA im Jahre 1937 lehrte S. in Göttingen, seit 1926 als Pri-
vatdozent und seit 1931 als a.o. Professor. Zu seiner dauerhaften Hinwendung zur
niederländischen Kunstgeschichte trug die Mitarbeit an Hofstede de Groots kriti-
schem Verzeichnis der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts bei, für das er die
Bände 8 und 9 über Landschaftsmalerei betreute. S.s Beitrag zur Manierismusfor-
schung, deren Anfänge in Deutschland und Österreich seit etwa 1920 mit den Na-
men  Voss,  M.J. Friedländer,  Weisbach,  Kauffmann,  Dvoák verbunden
waren, befaßte sich hauptsächlich mit den sogenannten Haarlemer Manieristen; er
schrieb aber auch über Daniele da Volterra und Vasari (1928, 1939). In einer kriti-
schen Rezension zu Kauffmanns Arbeit über die Wurzeln des holländischen Manie-
rismus (1923) lehnte S. dessen Fontainebleau-These als unbegründet ab und nahm
stattdessen eine durch Bartholomäus Spranger vermittelte Beziehung zu Italien an,
verwies auch auf eine Italienreise von Hendrick Goltzius 1590/91. Dem  War-
burg-Kreis nahe kam S. mit Apollo und Daphne. Diese in den Studien der Bibliothek
Warburg veröffentlichte Arbeit zum »Nachleben« des antiken Mythos »bewegt sich
in den Bahnen einer kunstgeschichtlichen Forschungsweise, die vom Ikonographi-
schen aus einerseits zum Allgemein-Geistigen, andererseits zum Speziell-Künstleri-
schen vorzudringen versucht, unter ständiger Bindung ans Historische und unter
häufiger Beziehung auf Theoretisches«. Dieser weitgreifende Ansatz verlor sich aber
schon bald; S. praktizierte in den folgenden Jahren die Ikonographie als eine be-
schreibende, weniger eine interpretierende Methode.
Diese Denkweise charakterisiert auch die Monographie über Salomon van Ruis-
dael. S. vermied ausdrücklich »Konstruktionen von Bildtypen«, die nur die »Ge-
lehrtheit des Verfassers etablieren, sich aber der wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit«
entziehen. Sein Ziel war die Sichtung und Bestimmung eines künstlerischen Œuv-
res, das bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wenig geschätzt war, und diesem Ziel vor
allem diente die Beschreibung der Lebensumstände, der stilgeschichtlichen Situa-
tion und schließlich der »künstlerischen Persönlichkeit«.Von diesen »Konstanten« in
Ruisdaels Kunst schloß S. auch auf dessen Charaktereigenschaften: »Seine Seele
muß fleckenlos gewesen sein und seine Augen müssen die Welt so rein, so ungetrübt
widergespiegelt haben, wie seine klaren Gewässer die Bäume, die er Gottes Ge-
schöpfen ehrfürchtig nachbildete.«
Das Ruisdael-Buch mit seinen bis heute gültigen Zuschreibungen erschien 1938,
als sich der Autor bereits in den USA befand. Wegen seiner jüdischen Herkunft war
er 1936 entlassen worden, hatte aber noch im selben Jahr einen Ruf an die Univer-
sity of Wisconsin in Madison und dort 1937 eine Professur erhalten. 1940–63 lehrte
S. am College von Oberlin/OH, dessen Kunstsammlung er auch betreute und ver-
mehrte. 1950–52 gab S. das Art Bulletin und 1957–74 das Periodikum des Allen
Memorial Art Museums in Oberlin heraus.
Am Ende von S.s 40jähriger akademischer Laufbahn steht seine Monographie
über die holländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts (1966). Dieses Thema
422 Stechow

hatte ihn seit der Zusammenarbeit mit Hofstede de Groot beschäftigt. Dem Ruis-
dael-Buch waren 1947 ein Aufsatz über Esajas van de Velde, in den 1950er Jahren
über Jan Both und Meindert Hobbema und 1960 zwei nicht weniger wichtige
Texte über die Ikonographie der Winterlandschaft und des Landschaftsbildes in
Gemälde-Innenräumen gefolgt. Im Nachwort seines wohl bedeutendsten Buches
distanzierte sich S. von der in der deutschen Kunstgeschichtsschreibung lange ver-
breiteten Auffassung von holländischer Landschaftsmalerei »als einer Art Selbstver-
wirklichung« eines übergreifenden spekulativen Raumbegriffs ( Riegl,  Jantzen).
Ihm bewiesen dagegen die Fakten, daß die künstlerische Eroberung des Raumes
schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts abgeschlossen war und sich die holländischen
Künstler weit mehr um die Verfeinerung der kompositionellen Gestaltungsmittel,
um die Bildfläche, bemühten als um die Wiedergabe des Raumes, denn sie hatten
nichts, das »außerhalb des flachen Papiers und der flachen Holztafel« existierte. Die
holländische Kunstgeschichte des 17. Jahrhunderts definierte S. als einen von einzel-
nen Künstlern vorangetriebenen Prozeß, ein »komplexes empirisches Vorgehen in
vollständiger Freiheit von jeder Art Regel«. Es ist zu vermuten, daß in diese Be-
trachtungsweise Erfahrungen mit der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts einge-
gangen sind, wenngleich sich unter S.s Schriften zu diesem Thema nichts findet.
Werke: Die Chronologie von Dürers Apo- sikalischen Illustration, in: 4. Kongreß für Äs-
kalypse und die Entwicklung von Dürers thetik und allgemeine Kunstwissenschaft
Holzschnittwerk bis 1498, Gö 1921; An- Hamburg 1930. Bericht (Beilage zu Bd. 25
dachtsbilder gotischer Plastik, Bln 1923; Zwei der ZfÄaK, 1931, 118–130); Ikonographisches
Darstellungen aus Hippokrates in der hollän- und Methodisches zu Caravaggio, in: ZfbK,
dischen Malerei, in: Oudheidkundig Jaarboek, 65 (41), 1931/32, 194–199; Apollo und
4, 1924, 34–38; Zum Jugendwerk des Hans Daphne, Lpz/Bln 1932; Rez. von Erwin Pa-
Baldung Grien, in: Belvedere, 4, 1924, 195– nofsky, Hercules am Scheidewege (1930), in:
197; Italienische Bilder des 14. und 15. Jh.s in DLZ, 53, 1932, 1275–1280; Rembrandts Dar-
der Gemäldesammlung der Universität Göt- stellungen des Emmausmahles, in: ZfKg, 3,
tingen, in: ZfbK, 58 (34), 1924/25, 209–219; 1934, 329–341; Cornelis van Haarlem en de
Zum Werk des Cornelis van Haarlem, in: hollandsche laatmanieristische schilderkunst,
ZfKg, 59, 1925, 54–56; Katalog der Gemälde- in: Elsevier’s geillustreerd maandschrift, 45,
sammlung der Universität Göttingen, Gö 1935, 73–91; Salomon van Ruisdael. Eine
1926; Rez. von Hans Kauffmann, Der Manie- Einführung in seine Kunst, Bln 1938; An Al-
rismus in Holland und die Schule von Fon- tarpiece by Vasari, in: ArtQu, 2, 1939, 178–184;
tainebleau (1923), in: KBLit, 1927, 54–64; Rez. Salomon van Ruisdael’s Paintings in America,
von Erwin Panofsky, Die deutsche Plastik des in: ebd., 251–264; The Myth of Philemon and
11.–13. Jh.s (1924), in: GöGA, 1927, 54–64; Baucis in Art, in: JWCI, 4, 1940/41, 103–113;
Daniele da Volterra als Bildhauer, in: JbPK, Rembrandt and Titian, in: ArtQu, 5, 1942,
1928, 82–92; Bemerkungen zu Jan Steens 135–147; Jacob Blessing the Sons of Joseph,
künstlerischer Entwicklung, in: ZfbK, 62 (38), from Early Christian Times to Rembrandt,
1928/29, 173–179; Zu zwei Bildern des Hen- in: GBA, 23, 1943, 193–208; Rez. von Erwin
drick Terbrugghen, in: OH, 45, 1928, 277–281; Panofsky, Albrecht Dürer (1943), in: ArtB, 26,
Römische Gerichtsdarstellungen von Rem- 1944, 197–199; Georg Graf Vitzthum von
brandt und Bol, in: OH, 46, 1929, 134–139; Eckstädt, in: CArtJ, 5, 1946, 30–32; Definition
Rembrandts Darstellungen der Kreuzab- of the Baroque in the Visual Arts, in: JAAC, 5,
nahme, in: JbPK, 1929, 217–232; Der ehema- 1946, 109–115; Esajas van de Velde and the
lige Lettner des Bonner Münsters, in: WRJb, Beginnings of Dutch Landscape Painting, in:
1930, 236–240; Zur Datierung des »Dritten NKJb, 1947, 83–94; Drawings and Etchings by
Böhmischen Stils«, in: RfKw, 52, 1931, 65–69; Jacques Foucquier, in: GBA, 34, 1948, 419–
Raum und Zeit in der graphischen und mu- 434; Die Sammlung des Oberlin-College in
Stechow 423

Oberlin, in: Phoebus, 2, 1949, 116–122; Rez. American Paintings and Sculpture in the Al-
von Jacob Rosenberg, Rembrandt (1948), in: len Memorial Art Museum, Oberlin 1967;
ArtB, 32, 1950, 252–255; Lucretiae Statua, in: Rubens and the Classical Tradition, Cam/
Essays in Honor of Georg Swarzenski, Bln/ MA 1968; A Youthful Work by Stephan Loch-
Ch 1951, 114–124; Notes on the Master of the ner, in: Bulletin of the Cleveland Museum of
Sterzing Altarpiece, in: BAMAM, 7, 1951, 87– Art, 55, 1968, 306–314; Some Observations on
94; How to »Read« a Picture, NY 1953; Prob- Rembrandt and Lastman, in: OH, 84, 1969,
lems of Structure in some Relations be- 148–162; Rembrandt’s Woman with the Ar-
tween the Visual Arts and Music, in: JAAC, 11, row, in: ArtB, 53, 1971, 487–492; Alberti Du-
1953, 324–333; Rez. von Walter Paatz, Die reri Praecepta, in: AGNM, 1971/72, 11–20;
Kirchen von Florenz (1940–54), in: ArtB, 35, Some Thoughts on Rubens as a Copyist of
1953, 313–315; Pieter Bruegel the Elder, NY Portraits 1610–20, in: John Rupert Martin
1954; Jan Both and the Reevaluation of (Hrsg.), Rubens before 1620, Pr 1972, 23–44;
Dutch Italianate Landscape Painting, in: Jan Steen’s Representations of the Marriage
ACIA, Den Haag 1955, 425–432; The Early in Cana, in: NKJb, 1972, 73–83; Four Nether-
Years of Hobbema, in: ArtQu, 22, 1959, 3–18; landish Embroidered Panels, in: JbHK, 18,
The Winter Landscape in the History of Art, 1973, 43–54; Recent Dürer Studies, in: ArtB,
in: Criticism, 2, 1960, 175–189; Landscape 56, 1974, 259–270; Rembrandt and the Old
Paintings in Dutch 17th Century Interiors, Testament, in: BAMAM, 51/52, 1998, 15–57
in: NKJb, 1960, 165–184; Rez. von Erwin Pa- Literatur: Arnold, Paul: W.S. Memorial Mi-
nofsky, Renaissance and Renascences in We- nute, in: BAMAM, 32, 1974/75, 84–85; Slive,
stern Art (1960), in: Renaissance News, 14, Seymour: Address in Honor of W.S., in: ebd.,
1961, 111–113; Joseph von Arimathea or Ni- 87–93 (Bibliogr.); Gerson, Horst: W.S., in:
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Gantner, Rembrandt und die Verwandlung nography, in: ebd., 5–13; Wendland 1999, 652–
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1966, 548–552; Catalogue of European and PB

Strzygowski, Josef
Geb. 7. 3. 1862 in Biala bei Bielitz (Bielsko-Biała, Polen); gest. 2. 1. 1941 in Wien

Der Österreicher S. gab der Kunstgeschichtsschreibung entscheidende Anstöße


dazu, vordem übersehene geographische Bereiche und Vorgänge der Kunstge-
schichte zu beachten und neu zu beurteilen, war bei der Entwicklung von interdis-
ziplinärer wie internationaler Gemeinschaftsarbeit erfolgreich, verfiel aber zuneh-
mend auf so unhaltbare, vor allem rassistische Spekulationen über den Verlauf der
Weltkunstgeschichte, daß heute selbst seiner wirklichen Leistungen kaum mehr
gedacht wird. Der Sohn eines Webereibesitzers aus einer ursprünglich polnischen
Familie im damals österreichischen Schlesien erlernte zunächst den Beruf eines
Webers, studierte aber dann ab 1883 bei  Eitelberger und  Thausing in Wien
sowie  Grimm in Berlin, schließlich in München, wo er 1885 mit Die Ikonographie
der Taufe Christi promovierte. Er reiste durch Europa und unterbrach einen langen
Romaufenthalt, um sich 1887 in Wien mit Cimabue und Rom zu habilitieren;
424 Strzygowski

 Riegl und  Dehio widersprachen dieser Arbeit heftig. Nach Studienreisen


nach Griechenland, Kleinasien, Armenien, Rußland wie auch Frankreich wurde S.
1892 der erste Professor für Kunstgeschichte in Graz; 1894 und 1895 war er längere
Zeit in Ägypten. Nach Arbeiten zur frühen Buchmalerei wie zu dem damals aktu-
ellen Forschungsthema der Entstehung des Barocks eröffnete er mit Orient oder Rom
(1901) die Folge seiner Publikationen, die das Kunstgeschichtsbild der Spätantike
und des frühen Mittelalters durch die Aufwertung ostchristlicher und überhaupt
orientalischer Leistungen tiefgreifend veränderten.
Das von ihm und Mitarbeitern bei Forschungsexpeditionen erschlossene Denk-
mälermaterial wurde aufwendig publiziert. S. katalogisierte auch die koptischen
Bestände des Museums von Kairo und trug 1903 zur Verbringung der Fassade des
Wüstenschlosses von Mschatta (Jordanien) in die Berliner Museen bei, wo seine
Frühdatierung des Werkes allerdings zu Recht korrigiert wurde. Nach Ablehnung
einer Berufung nach Halle (später folgten noch weitere aus anderen Ländern)
wurde er 1904 österreichischer Hofrat. Zu den Anschauungen  Wickhoffs und
Riegls über den Verlauf der Kunstgeschichte und über Forschungsmethoden stand
S. in scharfem Gegensatz. Als er 1909 auf Wickhoffs Wiener Lehrstuhl berufen
wurde, setzten seine wissenschaftlichen Kontrahenten die Einrichtung einer »II.
Lehrkanzel« für  Dvoák durch. Von 1922 an, als  Schlosser diesem nachfolgte,
bis 1933 bestanden nebeneinander zwei getrennte, sich befehdende Institute an der
Wiener Universität.
S. erweckte durch seine neuartigen Überlegungen in Orient oder Rom wie auch
zur Forschungsmethodik und Organisation des Faches viel internationale Aufmerk-
samkeit. Schon 1907 war er Präsident des Internationalen Kunsthistorikerkongresses
in Darmstadt, ab 1931 gehörte er zeitweilig dem Internationalen Institut für geistige
Zusammenarbeit des Völkerbundes an. Er hielt häufig Vorlesungen und Vorträge im
Ausland, darunter 1922 an vielen Universitäten der USA.
Wenn er, der aus dem habsburgischen Vielvölkerstaat und einem Grenzland her-
kam, auf den Epochenumbruch um 1918 in nationalistischer Weise reagierte, lag er
in einem Trend, der auch seine wissenschaftlichen Gegner erfaßte. Er hielt höfische
wie katholische Machtkunst und die »humanistische« Traditionslinie von der Antike
und Renaissance her für eine verderbliche Fehlentwicklung der europäischen
Kunstgeschichte. Sein Denken führte ihn zur extremen politischen »Rechten«, und
er gab die methodische Sorgfalt in der Ermittlung und Beurteilung kunstgeschicht-
licher Sachverhalte zunehmend preis.
Nach S.s Emeritierung 1933 löste die klerikal-deutschnationale österreichische
Regierung sein Institut auf. Den NS-Ideologen kamen seine Theorien über »nor-
dische« und »arische« Kunst zwar entgegen, doch wurden sie nicht offiziös, weil bei
S. die Germanen nicht die Hauptrolle spielten und weil sich die NS-Kunst ande-
rerseits auch auf die klassische Antike berufen wollte.
S. korrigierte anfangs die auf Rom fixierten Auffassungen über die spätantike
und frühchristliche Kunst. Er rückte kleinasiatische, syrische, armenische und kop-
tische Bauten, Skulpturen und Ornamente ins Blickfeld. Sehr bald spitzte er aber
die Erklärung der Kunstgeschichte auf einen Gegensatz zwischen nördlichen No-
madenvölkern um »Altai und Iran«, auch mit indischem und chinesischem Erbe,
Strzygowski 425

und der mediterranen Südkunst zu. Die Holzbaukunst, wie die in Skandinavien,
zog er zur Erklärung der gotischen Architektur heran, wertete aber auch die Volks-
kunst, nicht zuletzt bei den slawischen Völkern Rußlands und des Balkans, auf. Dies
trug S. ein hohes Ansehen bei Fachkollegen dieser Länder ein.
Seine mehrfach publizierte, wegen ihrer interdisziplinären Elemente bemerkens-
werte Forschungsmethodologie blieb begrifflich unklar und wurde nur von seinen
Schülern mit unterschiedlich tragfähigen Resultaten befolgt. Auffällig daran war,
daß S. die Kunstentwicklung durch Kräfte der Beharrung (Lage, Boden, Blut), des
»umbiegenden Willens« (der politischen und geistigen Macht) und einer immanen-
ten Bewegung in der Zeit bestimmt sein ließ, und daß er unfachmännische »Be-
schauer«-Meinungen als wirksame kulturgeschichtliche Phänomene berücksichti-
gen wollte. Ausdrücklich nahm er sich der Kunsterziehung in den Schulen und der
Gegenwartskunst und -architektur an.
Mit verachtungsvoller Polemik gegen andere, von denen er sich gleichzeitig zu
Unrecht verfolgt glaubte, zog S. in einer immer irrationaler werdenden Weise
Kunstwerke und Motive ohne Rücksicht auf deren Ort und Datierung heran, um
aus ihnen Schlüsse auf transkontinentale, zum Beispiel »ameroasiatische« Kulturzo-
nen und Völkerwanderungen zu ziehen. Schon 1920 war für ihn der persische
Mazdaismus ebenso wie das europäische Mittelalter, das noch lange nicht beendet
sei, »nordisch« oder »arisch«, und 1941 waren es die Indogermanen, die in der Eis-
zeit den hohen Norden verließen, die »sowohl in Europa wie in Asien, in Hellas
wie in Iran Blütezustände herbeiführten, die unserer germanischen in der ›Gotik‹
nicht nachstehen«. S. war ein extremes Beispiel für die Fehlentwicklung eines wert-
vollen Forschungsansatzes und für Vergeudung und Verfall von wissenschaftlicher
Leistungsfähigkeit.
Werke: Ikonographie der Taufe Christi. Ein (mit Beitr. v. Max van Berchem u. Gertrud
Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Bell), Hei 1910; Der Wandel der Kunstfor-
christlichen Kunst, Mü 1885; Cimabue und schung, in: ZfbK, 50 (26), 1915, 3–11; Altai-
Rom. Funde und Forschungen zur Kunstge- Iran und Völkerwanderung. Ziergeschichtli-
schichte und zur Topographie der Stadt Rom, che Untersuchung über den Eintritt der
Wien 1888; Die Kalenderbilder des Chrono- Wander- und Nordvölker in die Treibhäuser
graphen vom Jahre 354, in: JbDAI, Erg.-H., geistigen Lebens, anknüpfend an einen
1888; Das Etschmiadzin-Evangeliar, Wien Schatzfund in Albanien, Lpz 1917; Antwort
1891; Das Werden des Barock bei Raffael und auf Émile Mâle, in: Otto Grautoff (Hrsg.),
Correggio. Nebst einem Anhang über Rem- Émile Mâle. Studien über die deutsche Kunst.
brandt, Str 1898; Orient oder Rom. Beiträge Mit Entgegnungen von Paul Clemen, Kurt
zur Geschichte der spätantiken und früh- Gerstenberg, Adolf Götze, Cornelius Gurlitt,
christlichen Kunst, Lpz 1901; Kleinasien. Ein Arthur Haseloff, Rudolf Kautzsch, Heinrich
Neuland der Kunstgeschichte, Lpz 1903; Der Alfred Schmid, J.S., Geza Supka, Oskar Wulff,
Pinienzapfen als Wasserspeier, in: MDAI, 18, Lpz 1917, S. 80; Die Baukunst der Armenier
1903, 185–206; Der Dom zu Aachen und und Europa, 2 Bde., Wien 1918; Süden und
seine Entstellung. Ein kunstwissenschaftlicher Mittelalter, in: MfKw, 12, 1919, 313–323; Ur-
Protest, Lpz 1904; Koptische Kunst. Cata- sprung der christlichen Kirchenkunst. Neue
logue générale du Musée du Caire, Wien Tatsachen und Grundsätze der Kunstfor-
1904; Mschatta. Kunstwissenschaftliche Un- schung, Lpz 1920; Die Lücken im Aufbau der
tersuchung, in: JbPK, 1904, 225–373; Die bil- Kunstgeschichte, in: ZfbK, 56 (32), 1921, 159–
dende Kunst der Gegenwart, Lpz 1907; Alt- 163; Die Landschaft in der nordischen Kunst,
christliche Kunst, in: Religion in Geschichte Lpz 1922; Die Krisis der Geisteswissenschaf-
und Gegenwart, Bd. 1, 1908, 381–397; Amida ten, vorgeführt am Beispiel der Forschung
426 Strzygowski

über bildende Kunst. Ein grundsätzlicher J.S., Klagenfurt 1933; Jantzen, Hans: J.S., in:
Rahmenversuch, Wien 1923; Grundsätzliches Sber. d. Bayer. AdW, phil.-hist. Abt. 1941, 2,
und Tatsächliches, in: Jahn 1924, 157–181; Der 48–49; Westholm, A.: J.S., in: Ktid, 9, 1941,
Norden in der bildenden Kunst Westeuropas. 47–55; Hager, Werner: Rez. von »Das indo-
Heidnisches und Christliches um das Jahr germanische Ahnenerbe des deutschen Volkes
1000, Wien 1926; Das Schicksal der Berliner und die Kunstgeschichte der Zukunft«, in:
Museen, in: PJbb, 1926, 163–190; Die altslawi- Das innere Reich, 1941/42, S. 610; Bréhier,
sche Kunst, Au 1929; Asiens bildende Kunst Louis: J.S., in: Revue historique, 193, 1942/43,
in Stichproben. Ihr Wesen und ihre Entwick- 95–96; Lemerle, Paul: J.S., in: Revue archéo-
lung, Au 1930; Spuren indogermanischen logique, 20, 1942/43, 73–78; Bissing, Fried-
Glaubens in der bildenden Kunst, planmäßig rich Wilhelm Freiherr von: Kunstforschung
vorgeführt, Hei 1936; Aufgang des Nordens, oder Kunstwissenschaft? Eine Auseinander-
Lpz 1936; Ameroasiatic and Indogermanic setzung mit der Arbeitsweise J.S.s, Mü 1951;
Art, in: BM, 68, 1936, 46–49; Das indogerma- Frodl-Kraft, Eva: Eine Aporie und der Versuch
nische Ahnenerbe des deutschen Volkes und ihrer Deutung, J.S. – Julius von Schlosser, in:
die Kunstgeschichte der Zukunft, Wien 1941: WJbfKg, 1989, 7–52; Marchand, Suzanne: The
Europas Machtkunst im Rahmen des Erd- Rhetoric of Artifacts and the Decline of
kreises, Wien 1941 Classical Humanism. The Case of J. S., in:
Literatur: Waetzoldt, Wilhelm: Rez. von History and Theory, 33, 1994, 106–130; Elsner,
»Die bildende Kunst der Gegenwart«, in: Ja: The Birth of Late Antiquity. Riegl and S.
ZfÄaK, 2, 1907, 577–581; FS J.S., Wien/Hel- in 1901, in: ArtHist, 25, 2002, 358–379
lerau 1923; FS J.S., Klagenfurt 1932; Karasek- PHF
Langer, Alfred: Verzeichnis der Schriften von

Swarzenski, Georg
Geb. 11. 1. 1876 in Dresden; gest. 4. 6. 1957 in Boston/MA (USA)

Seine weltoffene, demokratische Gesinnung und seine jüdische Herkunft zwangen


den 62jährigen S. 1938, nachdem er sich mehr als fünf Jahre vergeblich um einen
Modus vivendi bemüht hatte, dem nationalsozialistischen Deutschland den Rücken
zu kehren und in den USA Asyl zu suchen. Er kam als einer jener »noble band« von
vertriebenen deutschen Kunsthistorikern, die, wie es in einem Nachruf auf S. heißt,
das Wissen und die Weisheit der Alten Welt mit nach Amerika gebracht haben: Sie
»haben die Kultur dieses Landes unermeßlich bereichert und ihr ihren Stempel
aufgedrückt« (Rathbone, 1957). S. gehörte zu den besten Kennern der Buchmalerei
sowie der angewandten Kunst des Mittelalters und der Renaissance; er durfte sich
zu den erfolgreichsten und fortschrittlichsten Museumsleitern in Europa zählen
und war eine Zentralfigur im Frankfurter Kulturleben. An seiner zweiten Wir-
kungsstätte auf der anderen Seite des Atlantik vermochte S. schnell Fuß zu fassen.
Die lebendige Atmosphäre, die an dem noch jungen, von einer breiten Öffentlich-
keit getragenen Bostoner Museum of Fine Arts herrschte, kam seinen Vorstellungen
entgegen, und es bot sich ihm hier die einzigartige Chance, eine schnell wachsende
Sammlung mitzugestalten. In Boston, wo sich heute eine der reichsten Mittelalter-
Sammlungen der USA befindet, bewahrt man S., dem »gentle doctor«, eine dank-
bare Erinnerung.
S. studierte zunächst Jura in Leipzig und promovierte auch in diesem Fach, dann
aber Kunstgeschichte in Freiburg i.Br., Berlin, München und Wien.  Goldschmidt
lenkte ihn auf die Regensburger Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, die
Swarzenski 427

Gegenstand seiner Dissertation wurde. Er setzte sich kritisch mit  Vöge (Eine
deutsche Malerschule, 1891) auseinander, dessen Begriff »Schule« er zu abstrakt fand,
weil die so zusammengefaßten Denkmäler in keinem genetischen Zusammenhang
stünden. S. wollte keine »bloße Gruppierung« der Regensburger Handschriften,
sondern die historische Entwicklung und die sie bestimmenden Gesetze aufzeigen
– in dieser Frage sah er sich in Übereinstimmung mit  Haseloff –, wobei er, über
die reine Stilkritik hinausgehend, nach den kulturellen Bedingungen fragte, die im
Umfeld der Klosterwerkstätten geherrscht hatten. Daß die Regensburger Buchma-
lerei im 12. Jahrhundert ihre Führungsrolle an die Salzburger verlor, lag für S. im
Geistesleben und in politischen Vorgängen begründet, nicht zuletzt darin, daß Salz-
burg zu einer Stütze des Papsttums im Investiturstreit und während des Schismas
wurde (Die Salzburger Malerei, 1908/13).
Nach der Promotion arbeitete S. für kurze Zeit an den Berliner Museen. 1902/03
hielt er sich als Stipendiat-Assistent – der zweite nach Felix Becker – am Deutschen
Kunsthistorischen Institut in Florenz auf; von da an datiert sein Interesse für die
toskanische Plastik. Anschließend arbeitete er am Berliner Kunstgewerbemuseum
und hielt als Privatdozent Vorlesungen an der Universität. 1906 erfolgte seine Beru-
fung zum Direktor des Städelschen Kunstinstituts und der neugegründeten Städti-
schen Galerie in Frankfurt/Main als Nachfolger  Ludwig Justis und 1928 schließ-
lich zum Generaldirektor der Städtischen Museen. S., dem bedeutende Erwerbungen
für die Kunstsammlungen gelangen, verfolgte dabei das Ziel, zwischen alter und
moderner Kunst eine »organische Einheit« herzustellen. Neben mittelalterlicher
und Renaissancekunst kaufte er als einer der ersten Museumsleiter in Europa auch
Bilder der französischen Impressionisten, von van Gogh, Matisse, Munch und dem
befreundeten Max Beckmann, der seit 1924 ein Meisteratelier an der Städelschen
Kunstschule betrieb. Seit 1906 schrieb S. auch für die Frankfurter Zeitung über Kul-
turpolitik, Privatsammlungen, Ausstellungen wie die zum sogenannten Welfenschatz
(1929), an dessen wissenschaftlicher Bearbeitung S. beteiligt gewesen war, und über
seine große USA-Reise 1927 (Europäisches Amerika). S. betätigte sich auch als Her-
ausgeber; mit  Kautzsch,  Pinder und  Swoboda rief er 1926 die kurzlebigen,
aber bedeutenden Kritischen Berichte zur kunstgeschichtlichen Literatur ins Leben, die
 Antal redigierte.
Diese vielfältigen Tätigkeiten ließen wenig Raum für große Veröffentlichungen.
S. leistete jedoch noch einen brillanten Beitrag zu der in den 1920er Jahren einset-
zenden Pisano-Forschung, an den später  Paatz,  Keller und andere anknüpfen
konnten. In Niccolò Pisano sah er den Vater der toskanischen Renaissance, den
ersten als Persönlichkeit faßbaren nachantiken Bildhauer, und in dessen Kanzel im
Baptisterium zu Pisa ein Werk vollständig von eigener Hand, ein Zeugnis des »Rin-
gens und Suchens künstlerischer Formgestaltung, ein stärkstes Eingreifen indivi-
dueller Künstlerschaft«.
1933 wurde S. aus seinem städtischen Amt entlassen, zunehmender Druck zwang
1937 schließlich auch die Städeladministration zur Trennung. Im September des
folgenden Jahres verließ S. Frankfurt, kam zunächst nach Princeton, wo sein Sohn
am Institute for Advanced Study arbeitete, erhielt aber schon bald eine Einladung
nach Boston. Dort wirkte er, seit 1949 wieder in enger Zusammenarbeit mit seinem
Sohn  Hanns S., als Fellow for Research in Mediaeval Art and Sculpture.
428 Swarzenski

Werke: Die Regensburger Buchmalerei des 27), 1930, 22–42; Der Welfenschatz, Frf 1930
10. und 11. Jh.s, Lpz 1901; Die karolingische (mit Otto v. Falke u. R. Schmidt); Aus dem
Malerei und Plastik in Reims, in: JbPK, 1902, Kunstkreis Heinrichs des Löwen, in: StJb,
81–100; Reichenauer Malerei und Ornamen- 1932, 241–397; Arnold Böcklin. Das Bildnis
tik im Übergang von der karolingischen zur der Schauspielerin Fanny Janauschek, Frf
ottonischen Zeit, in: RfKw, 26, 1903, 389–410, 1936; Johann Friedrich Städel. Zur Entste-
476–495; Ein florentinisches Bildhaueratelier hung und Geschichte einer Stiftung, Frf 1939;
um die Wende des 13. Jh.s, in: ZfbK, 39 (15), Samson Killing the Lion. A Mediaeval Bronze
39, 1904, 99–104; Neuere Literatur über Gio- Group, in: BMFAB, 38, 1940, 67–74; The Ma-
vanni Pisano, in: KA, 2, 1905, 33–46; Romani- ster of the Barberini Panels. Bramante, in:
sche Plastik und Inkrustationsstil in Florenz, ebd., 90–97; Donatello’s »Madonna in the
in: RfKw, 29, 1906, 518–531; Cranachs Altar- Clouds« and Fra Bartolommeo, in: BMFAB,
bild von 1509 im Städelschen Kunstinstitut zu 40, 1942, 64–77; A Statue by Pompeo Leoni
Frankfurt, in: MJbbK, 1907, 49–65; Die Salz- and its Relation to Greco, in: ebd., 43, 1945,
burger Malerei von den ersten Anfängen bis 42–53; Some New Examples of French Re-
zur Blütezeit des romanischen Stils, 2 Bde., naissance Art, in: ebd., 46, 1948, 91–98; Eine
Lpz 1908/13 (Nd. 1969); Giovanni Battista Löwenmadonna in Boston, in: FS Otto
Tiepolos »Heilige aus dem Hause Grotta« im Schmitt, Stg 1950, 171–176
Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt, in: Literatur: Haseloff, Arthur: Rez. von »Die
MJbbK, 1909, 60–65; Gemälde der Sammlung Regensburger Buchmalerei des 10. und 11.
Lanz, Amsterdam. I. Die Venezianer und ihr Jh.s« (1901), in: GöGA, 165, 1903, 877–904;
Kreis, in: ebd., 9, 1914/15, 87–105; Kunstwerke Essays in Honor of G.S., Ch/Bln 1951; Rei-
als Kriegsentschädigung, in: KfA, 30, 1915, fenberg, Benno: G.S., in: Die Gegenwart, 11,
182–187; Deutsche Alabasterplastik des 15. 1956, S. 19; Rathbone, Perry T.: G.S., in: BM-
Jh.s, in: StJb, 1921, 167–213; Meisterwerke der FAB, 65, 1957, 53–55; Schilling, Edmund: G.S.,
Bildhauerkunst in Frankfurter Privatbesitz, 2 in: BM, 100, 1958, 251–252; Bismarck, Bea-
Bde., Frf 1921/24 (mit Otto Schmitt); Barto- trice von: G.S. und die Rezeption des franzö-
lomeo Veneto und Lucrezia Borgia, in: StJb, sischen Impressionismus in Frankfurt – eine
1922, 63–72; Ein Einzelblatt aus einer roma- Stadt »im Kampf um die Kunst?«, in: AKat.
nischen Apokalypse, in: StJb, 1922, 5–10; Insi- ReVision. Die Moderne im Städel 1906–37,
nuationes divinae pietatis, in: FS Adolph Frf 1991, 31–40; Hansert, Andreas: Die schöp-
Goldschmidt, Lpz 1923, 65–74; Zwei frühe ferische Betätigung der Malerei und Plastik
Tafelbilder, in: StJb, 1924, 5–8; Italienische ist ihrer Natur nach selbstherrlich – S.s skep-
Quellen der deutschen Pietà, in: FS Heinrich tischer Ästhetizismus und die Vision vom
Wölfflin, Mü 1924, 127–134; Das Auftreten modernen Gesamtkunstwerk, in: ebd., 57–74;
des Églomisé bei Niccolò Pisano, in: FS Paul Sonnabend, Martin: G.S. und das Liebighaus,
Clemen, Bonn 1926, 326–328; Venezianische Frf 1990; Maaz, Bernhard: Fahrten ins Unbe-
Glasminiaturen des Mittelalters, in: StJb, 1926, kannte und Wunderbare. G.S. in Frankfurt am
13–16; Niccolò Pisano, Frf 1926; Europäisches Main, in: AKat. Manet bis van Gogh, Bln/Mü
Amerika, Frf 1927; Kolbes Beethovendenk- 1996–97, 308–312; Wendland 1999, 677–683
mal, Bln 1928; Museumsfragen, Frf 1928; Der PB
Kölner Meister bei Ghiberti, in:VBW (1926/

Swarzenski, Hanns
Geb. 30. 8. 1903 in Berlin; gest. 22. 6. 1985 in Wielenbach

Am ehesten seinem Vater  Georg S. vergleichbar, vertrat S. exemplarisch den Typ


des Kunstkenners. Sein besonderes Interesse galt der sogenannten Kleinkunst des
frühen und hohen Mittelalters nördlich der Alpen, der Buchmalerei und jeder Art
von Kunsthandwerk. S.s letzte große Publikation über Denkmäler romanischer
Swarzenski 429

Kunst (1954) – Sauerländer vergleicht sie treffend mit der mittelalterlichen »Mira-
bilia«-Literatur – scheinen eher künstlerische als kunstgeschichtliche Gesichtspunkte
zu bestimmen: Einer kurzen, prägnanten Einleitung folgen mehr als 200 Abbildun-
gen, bei deren Auswahl weder Schulzusammenhänge noch Techniken oder Materi-
alien eine Rolle gespielt haben dürften; S. entschied sich für solche Objekte, die,
wie er selbst sagt, für sich selbst sprächen und die am wenigsten kommentarbedürf-
tig wären. Nichts anderes als ihre Schönheit und Ausdrucksmacht sollte dargeboten
werden. Die Intensität, mit der sich S. jener Objekte intellektuell und emotional zu
bemächtigen versuchte, beschrieb sein Bostoner Kollege Rathbone: »Man muß
glauben, daß das Objekt nie wieder so geliebt, verstanden, geschätzt, sogar ge-
schmeckt wurde, seit es die Künstlerwerkstatt verlassen hatte. Hanns nimmt das
Kunstwerk mit allen seinen Sinnen auf. Bevor er es nicht berührt, gestreichelt, ge-
wogen, berochen, sogar abgehört hat, kennt er es nicht« (FS, 1973).
Seine Kindheit und Jugend verbrachte S. in Frankfurt/Main, wo sein Vater das
Städel-Institut leitete. Seit dieser Zeit kannte er Max Beckmann, der ihn wiederholt
porträtierte. S. studierte Kunstgeschichte und Archäologie in Freiburg i.Br., Mün-
chen, Berlin und Bonn.  Goldschmidt,  Clemen und  Jantzen haben ihn be-
sonders beeinflußt. Bei Goldschmidt promovierte er 1927 über niederrheinische
Buchmalerei des 12./13. Jahrhunderts. Ein staatliches Stipendium ermöglichte ihm
1929/30 einen Aufenthalt am Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz, der
hinsichtlich seiner Forschungsthematik nahezu folgenlos blieb: Die italienische
Kunstgeschichte ist in S.s Schriftenverzeichnis kaum vertreten. Nach einer längeren
USA-Reise verbrachte S. die Jahre 1933–36 als Volontär an den Berliner Museen
und schrieb dort im Auftrag des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft Die latei-
nischen illuminierten Handschriften des 13. Jahrhunderts in den Ländern an Rhein, Main
und Donau. Eine vergleichbare Arbeit zur deutschen Buchmalerei an der Wende von
der Romanik zur Gotik lag bis dahin nur über den mittel- und norddeutschen
Raum ( Haseloff , 1897) vor, so daß S.s Untersuchung wegweisend wurde. Sie
beschreibt, wie sich unter dem Einfluß des in der spätbyzantinischen Kunst aufge-
hobenen antiken griechischen Erbes – einer unruhigen, scharf gebrochenen Linea-
rität – der statische Flächenstil des 12. Jahrhunderts zu einer malerischen und
räumlichen Bild- und Figurenauffassung weiterzuentwickeln vermochte.
Das Verhältnis der mittelalterlichen deutschen Kunst zur Antike gehörte auch zu
den zentralen Fragen, die S. in den fast 20 Jahre später publizierten, Goldschmidt,
Kingsley Porter und  Saxl gewidmeten Monuments of Romanesque Art behandelte.
Die aus Lehrveranstaltungen an der Princeton University 1940–42 hervorgegangene
Arbeit beschränkt sich ausdrücklich auf Objekte aus Kirchenschätzen in Nordwest-
europa (England, Artois, Ile de France, Lothringen, Moselgebiet, Mittel- und Unter-
rhein,Westfalen, Niedersachsen), weil nach S.s Überzeugung seit dem 9. Jahrhundert
in dieser Region die Antike zum Ferment einer eigenständigen Kunstentwicklung
wurde wie nirgendwo sonst und weil dort die zentralen künstlerischen Probleme
der Romanik zuerst formuliert wurden. Im 13. Jahrhundert sah S. die »Aufnahme«
bestimmter ikonographischer und stilistischer Elemente aus der byzantinischen
Kunst in ein »schöpferisches Begreifen« übergehen; diese Entwicklung machte den
ersten Höhepunkt in der deutschen Kunstgeschichte möglich; parallele Entwick-
lungen vollzogen sich in Philosophie, Dichtung und Musik.
430 Swarzenski

1938 emigrierte S. und wurde am Institute for Advanced Study in Princeton


 Panofskys Mitarbeiter – eine Verbindung zweier Antipoden, die aber fruchtbar
war und sieben Jahre währte. 1945 wechselte S. zur Nationalgalerie nach Washing-
ton und 1949 zum Museum of Fine Arts in Boston, wo er als Curator of European
Decorative Arts and Sculpture bis 1971 wirkte. In enger Kooperation mit seinem
Vater, der seit 1939 in Boston lebte, leistete er einen unschätzbaren Beitrag zur Er-
weiterung des Museumsbesitzes, vor allem an mittelalterlichem Kunsthandwerk
und an Plastik bis zur Gegenwart. Bei seinen Neuerwerbungen leiteten S. histori-
sche oder systematische Gesichtspunkte nur am Rande; seiner Kennernatur gemäß
sah er zuerst und vor allem auf Qualität und Seltenheit.
Werke: Beiträge zur niederrheinischen Buch- Carolingian Ivory, in: ebd., 50, 1952, 2–7; A
malerei in der Übergangszeit vom romani- Masterpiece of Bohemian Art, in: ebd., 64–74;
schen zum gotischen Stil, Bln 1927; Vorgoti- Monuments of Romanesque Art. The Art of
sche Miniaturen. Die ersten Jahrhunderte Church Treasures in North Western Europe,
deutscher Malerei, KöT/Lpz 1927; Die deut- Lo/Chicago 1954; Caravaggio and Still-life
schen Miniaturen des frühen Mittelalters in Painting. Notes on a Recent Acquisition, in:
amerikanischem Besitz, in: ZfbK, 63 (39), BMFAB, 52, 1954, 22–38; An Unknown
1929/30, 193–200; Eine Handschrift von Bosch, in: ebd., 53, 1955, 2–10; A Masterpiece
Gregors »Moralia in Job« in Herzogenburg of Gothic Sculpture, in: ebd., 54, 1956, 2–9;
(Niederösterreich), in: WRJb, 1930, 9–25; Dü- The Song of the Three Worthies, in: ebd., 56,
rers »Barmherzigkeit«, in: ZfKg, 2, 1933, 1–10; 1958, 30–49; Czechoslovakia. Romanesque
Zwei Zeichnungen der Martinslegende aus and Gothic Illuminated Manuscripts, NY
Tournai, in: FS Adolph Goldschmidt, Bln 1959 (mit J. Kvt); A Masterpiece of Lombard
1935, 40–42; Quellen zum deutschen An- Sculpture, in: BMFAB, 57, 1959, 31–38; A
dachtsbild, in: ZfKg, 4, 1935, 141–144; Die la- Vierge d’Orée, in: ebd., 58, 1960, 64–83; A
teinischen illuminierten Handschriften des Chalice and the Book of Kings, in: FS Erwin
13. Jh.s in den Ländern an Rhein, Main und Panofsky, NY 1961, Bd. 1, 437–444; The Role
Donau, 2 Bde., Bln 1936; Unknown Bible of Copies in the Formation of the Styles of
Pictures by W. de Brailes and Some Notes on the Eleventh Century, in: Studies in Western
Early English Bible Illustration, in: Journal of Art. Acts of the Twentieth International Con-
the Walters Art Gallery Baltimore, 1, 1938, gress of the History of Art, Bd. 1, Pr 1963, 7–
55–69; The Xanten Purple Leaf and the Ca- 18; Eine Beweinungsgruppe des Weichen Stils
rolingian Renaissance, in: ArtB, 22, 1940, 7– in Boston, in: FS Theodor Müller, Mü 1965,
24; The Berthold Missal. The Pierpont Mor- 113–117; Before and After Pisano, in: BMFAB,
gan Library Ms. 710 and the Scriptorium of 68, 1970, 178–196; Enamels and Glass. Cata-
Weingarten Abbey, NY 1943; A Madonna of logue of Medieval Objects, Museum of Fine
Humility and Quercia’s Early Style, in: GBA, Arts, Boston 1986 (mit Nancy Netzer)
30, 1946, 129–152; Max Beckmann, in: Bulle- Literatur: FS H.S., Bln 1973; Sauerländer,
tin des City Art Museum of St. Louis, 33, Willibald: H.S., in: BM, 127, 1985, 804–807;
1948, 5–9; The Anhalt Morgan Gospels, in: Rathbone, Perry T.: H.S., in: Gesta, 24, 1985,
ArtB, 31, 1949, 77–83; Der Stil der Bibel Ka- 175–176; Kötzsche, Dietrich: H.S., in: ZDVKw,
rilefs von Durham, in: FS Otto Schmitt, Stg 39, 1985, 1–4, 148–149
1950, 89–95; The Battle between Carnival and PB
Lent, in: BMFAB, 49, 1951, 1–11;An Unknown
Swoboda 431

Swoboda, Karl Maria


Geb. 28. 1. 1889 in Prag; gest. 11. 7. 1977 in Rekawinkel (Österreich)

Ein geistiger Horizont, der noch von den besonderen Erfahrungen und Problemen
des habsburgischen Vielvölkerstaates bestimmt war, und die für die Wiener Schule
der Kunstgeschichte kennzeichnenden Fragen nach großen Zusammenhängen der
Kunstentwicklung waren Merkmale des Lebenswerks von S., den seine Schüler als
großen Anreger schätzten. Er bearbeitete die genannten Fragen formanalytisch und
geistesgeschichtlich, dazu mit einer besonderen Aufmerksamkeit für Kunstgeogra-
phie.  Dvoák zog ihn wie andere böhmische Landsleute nach Wien, nachdem er
in Prag und Graz das Studium begonnen hatte. Er promovierte 1913 über das Bap-
tisterium in Florenz, an dem das Stilproblem der Protorenaissance zu behandeln
war, und wurde Assistent bei Dvoák; nach dessen Tod führte er die Seminarübun-
gen weiter, seit 1923 als Dozent. Die große Bedeutung, die antikes, vor allem
spätantikes Erbe für die mittelalterliche Kunst besaß, bewies er am Material seiner
grundlegenden Untersuchung über römische und romanische Paläste, die  Be-
nesch 1959 als S.s Hauptwerk ansah. 1952 kam S. nochmals auf dieses Thema in
Stilkontinuität vom 4. zum 11. Jahrhundert zurück, als die Frühmittelalterforschung
einen neuerlichen Aufschwung nahm.
Unter Dvoák hatte S. auch mit einem Corpus der mittelalterlichen Wandmale-
reien in Österreich begonnen, das für die vom Deutschen Verein für Kunstwissen-
schaft getragenen Denkmäler der deutschen Kunst gedacht war. Er gehörte zu den
Herausgebern der Kritischen Berichte zur kunstgeschichtlichen Literatur, die wie die
Kunstwissenschaftlichen Forschungen um den Ausbau der Methodologie zu einer
»strengen Kunstwissenschaft« ( Sedlmayr) bemüht waren. Die Berufung 1934 auf
den Lehrstuhl der Deutschen Universität in Prag versetzte ihn an einen Brennpunkt
nationaler und damit politischer Konflikte. In seiner Antrittsvorlesung Neue Aufga-
ben der Kunstgeschichte bilanzierte er sowohl die »Entfremdung von Kunst und Ge-
sellschaft«, die in der Struktur der Gesellschaft begründet sei, wie die »Krisis der
Kunstgeschichte«, deren stark erweiterter Stoff noch zu »ordnungslos« behandelt
werde und nun in »gesteigerter Planmäßigkeit« und Zusammenarbeit mit Nachbar-
wissenschaften zu einem Teil der »Wissenschaft vom Menschen« werden müsse.
Statt das Kunstwerk als bloßes Glied einer schematischen Entwicklungsreihe zu
behandeln, sei es zunächst seinem Wesen entsprechend als »ästhetisches Sinngebilde«
zu isolieren, um dann die realen, historischen Zusammenhänge von Werk zu Werk
wie zu Wirtschaft, Gesellschaft, Religion erfassen zu können. In Werkanalysen zu
byzantinischen Mosaiken, romanischen Miniaturen wie Renaissance- und Barock-
gemälden hatte S. das in Wiener Vorträgen auch einem breiteren Publikum darge-
legt.
Unter dem Einfluß von  Pinder suchte er dann, geschichtliche Bedingtheit
und ethnisch begründete Konstanten der Kunst in Böhmen und Mähren zu be-
stimmen. Er beobachtete wiederholt auftretende Formeigentümlichkeiten wie eine
Neigung zum »Schweren« bei Bildhauern von Peter Parler, dem er mehrere Arbei-
ten widmete, bis zu Josef Myslbek, Franz Metzner und Anton Hanak und erwog in
einer damals typischen Denkweise, allerdings nur zögernd, ob die Einheit dieser
432 Swoboda

Kulturlandschaft am Ostrand des Abendlandes und im Westostgefälle der europä-


ischen Kultur, in der allezeit mehr Slawen als Deutsche lebten, sogar auf eine diesen
Völkern voraufgegangene »alpine Rasse« zurückzuführen wäre. Für entscheidend
hielt S. aber, daß die »Sudetenländer« seit dem Mittelalter zur politischen Einheit
des deutschen Reiches gehörten. Die geistesgeschichtliche Erklärung, »der sehr
unreale Begriff der Weltanschauung«, genügte ihm nicht. Die politische Geschichte
erkläre zwar nicht die Stilgeschichte, »wohl aber die bestimmten Wege, die konkre-
ten Schicksale der stilgeschichtlichen Prozesse, die örtlichen und landschaftlichen
Sonderbildungen, die Verschiebungen des Schwergewichts der kunstgeschichtlichen
Führung von Ort zu Ort«. Erst die »Bildung derart realhistorischer Einheiten« wie
des Reiches unter Kaiser Karl IV. »ermöglichte es, daß das von ihren Grenzen um-
schlossene Volkstum geschichtlich wirksam wird«.
S.s Achtung für tschechische Kunst und seine Zusammenarbeit mit tschechischen
Kunsthistorikern wie Josef Cibulka und Antonín Matjek bewirkten, daß die Zu-
sammenarbeit auch nach 1945 fortgesetzt wurde, nachdem S. Prag verlassen mußte
und 1946–60 den Wiener Lehrstuhl, bald auch die korrespondierende Mitglied-
schaft in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erhielt. In den von ihm
herausgegebenen Kunstgeschichtlichen Anzeigen rezensierte er intensiv die neueste
Literatur. Er suchte jetzt noch stärker, übernationale und epochenübergreifende
Zusammenhänge darzustellen und Formanalysen zu Diagnosen seelischer Grund-
haltungen ( Demus, 1959) werden zu lassen.
Ein distanzierteres Verhältnis zur Moderne verband ihn mit Sedlmayr, der jedoch
in dem diesbezüglichen, postum gedruckten Band seiner Vorlesungen über die Ge-
schichte der Kunst nicht erwähnt wird. Für S. hatte um 1780 (nicht 1760 wie bei
Sedlmayr) eine neue Weltära begonnen; »die Grundlage [...] bot der moderne Geld-
kapitalismus«, zutiefst aber die Herrschaft der Naturwissenschaften und die anders-
artige reformatorische Religiosität. Hellsichtig initiierte S. aber eine neue Beach-
tung der historistischen Kunst des 19. Jahrhunderts, über die er früher als andere
Professoren auch Dissertationen vergab (Norbert Wibiral 1952 über den Architek-
ten Heinrich von Ferstl), und die von  Renate Wagner-Rieger und anderen
Wienern ergebnisreich ausgebaut wurde.
Ein Anzeichen für nachlassende Zuversicht, die Kunstgeschichte mit wissen-
schaftlicher Strenge erfassen zu können, ist in dem Aufsatz Das Nachleben mittelalter-
licher Bildgedanken (1969) zu finden. S. machte die wichtige Feststellung, daß »der
künstlerisch gestaltete, etwa Bild gewordene Gedanke oft stärker fortlebt als der
bloß gedachte, etwa Philosophie, Lebensbekenntnis, Wissenschaft gewordene«, daß
eine beharrlichere, »auf geschauten Formen beruhende«, visuelle Art des »Gedächt-
nisses der Völker«, die von neuem Wissen nicht beeinträchtigt werde, sogar für die
ganze neuzeitliche Kunstepoche konstitutiv war. S. verzichtete aber ausdrücklich
auf den Versuch, »das beschriebene Phänomen zu erklären«.

Werke: Das Florentiner Baptisterium, Bln Anteil an der Kunst der Sudetenländer,
1918; Römische und romanische Paläste. Eine Brünn/Lpz 1938; Studien zu Peter Parler,
architekturgeschichtliche Untersuchung,Wien Brünn/Lpz 1939 (mit Erich Bachmann); Pe-
1919; Neue Aufgaben der Kunstgeschichte, ter Parler. Der Baukünstler und Bildhauer,
Brünn/Prag/Lpz/Wien 1935; Zum deutschen Wien 1940; Über die Stilkontinuität vom 4.
Swoboda 433

zum 11. Jh., in: Neue Beiträge zur Kunstge- Literatur: FS K.M.S., Wien/Wb 1959
schichte des ersten Jahrtausends, 1. Halbbd., (darin: Benesch, Otto: K.M.S.s Stellung in
Spätantike und Byzanz, BB 1952, 21–29; Ba- der Wiener kunsthistorischen Schule; Demus,
rock in Böhmen, Mü 1964 (Hrsg.); Gotik in Otto: K.M.S. als Forscher; Schmidt, Gerhard/
Böhmen, Mü 1969 (Hrsg.); Kunst und Ge- Wagner-Rieger, Renate: K.M.S. als Lehrer);
schichte. Vorträge und Aufsätze, Wien/Köln/ Schmidt, Gerhard: K.M.S., in: KChr, 30, 1977,
Graz 1969 (darin: Das Nachleben mittelalter- 546–549; Wagner-Rieger, Renate: K.M.S., in:
licher Bildgedanken); Geschichte der bilden- MIfÖG, 85, 1977, 429–431
den Kunst, 9 Bde., Wien/Mü 1976–84 PHF

Thausing, Moriz
Geb. 3. 6. 1838 auf Schloß Tschischkowitz (Čižkovice) bei Leitmeritz (Litoměřice,
Tschechien); gest. 14. 8. 1884 in Aussig/Elbe (Ústi nad Labem, Tschechien)

Th. gehörte vor allem durch die erste solide Dürer-Monographie zu den Begrün-
dern einer positivistischen Kunstgeschichtsschreibung, die sich entschieden von der
damals normativ vorgehenden philosophischen Ästhetik absetzte. Der Maßstab der
Kunstgeschichte sei kein ästhetischer, und: »Ich kann mir die beste Kunstgeschichte
denken, in der das Wort ›schön‹ gar nicht vorkommt« (Die Stellung der Kunstgeschichte
als Wissenschaft, Wiener Antrittsvorlesung, 1873). Statt dessen unterstrich er, daß
Kunstgeschichte dank ihrer Erkenntnisquellen, der Kunstdenkmäler, ein unentbehr-
licher Teil der »Volksgeschichte«, der Kulturgeschichte, auch der Geschichte des
Sehens und der Entwicklung des Farbensinns sei. Er begeisterte sich für die neue,
um naturwissenschaftsähnliche Exaktheit bemühte Methode  Morellis. Nach
Geschichts- und Germanistikstudium in Prag studierte Th. ab 1856 in Wien Kunst-
geschichte bei  Eitelberger, vor allem am Institut für Österreichische Geschichts-
forschung, wo der Umgang mit Schriftquellen gelehrt wurde. Er promovierte in
Tübingen. Mit feuilletonistischer Begabung äußerte er sich später aber auch zu
aktuellen Kunstfragen. Seit 1862 als Bibliothekar, seit 1864 als junger Direktor der
Graphiksammlung des Erzherzogs Albrecht (Albertina) erwarb er genaue Kenntnis
von Originalen. Er leitete die Erarbeitung kritischer Bestandskataloge ein und be-
mühte sich anläßlich der Wiener Weltausstellung 1873 darum, mehr Publikum für
die Sammlung zu gewinnen. Sein Wissen und seine Methoden gab er am Institut
für Geschichtsforschung und ab 1873 als Professor an der Universität unter anderem
an  Wickhoff und  Riegl weiter. 1883 wurde er noch kommissarischer Leiter
des neuen Österreichischen Instituts für historische Forschungen in Rom, mußte
aber in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden. Geisteskrankheit und Selbst-
mord in der Elbe beendeten sein Lebenswerk vorzeitig.
Die Dürer-Monographie, die bald ins Englische und Französische übersetzt
wurde, stellte ein Verzeichnis aller von Th. ohne nähere Begründung »als echt er-
kannten« Gemälde des Meisters auf und behandelte Leben und Werk im Zusam-
menhang mit voraufgegangener Kunstentwicklung und kulturhistorischen Um-
ständen. Zuvor hatte Th. Dürers Briefe und anderes Schriftgut in Eitelbergers
Quellenschriften, jedoch sprachlich modernisiert, veröffentlicht. Terminologie und
Wertungen zeigen, daß Th. mit dem Bürgertum und der Reformation sympathi-
434 Thausing

sierte und großdeutsch dachte. Dem »Volksgeist« schrieb er zu, daß die Malerei
(»ihrem eigensten Wesen nach eine moderne Kunst«, »die reichste aller bildenden
Künste«, wozu er auch die Architektur zählte) die »Führerschaft auf dem Gebiete
der neueren Kunst« übernahm. Dürer – wie  Goethe – konnten »deutscher Ge-
fühlsweise [...] ihre reinste Gestaltung« geben, weil sie aus fränkischem Stamm
hervorgingen, der »Kern und Kitt für das vielgeteilte deutsche Volkstum« war. Th.
verband so methodisch strenge Materialerschließung mit weltanschaulicher, poli-
tisch relevant werdender Interpretation, wie sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts für
das Fach weithin kennzeichnend wurde. Seine heftige Polemik gegen andere, dar-
unter Berliner Fachkollegen, beeinträchtigte sein Andenken als einer der markanten
Kunsthistoriker seiner Generation.
Werke: Zur Kupferstichkunde, in: ZfbK, 2, nes Lebens und seiner Kunst, Lpz 1875 (2.
1867, 88–94; Dürers Triumphwagen und sein Aufl., 2 Bde., 1884); Wiener Kunstbriefe, Lpz
Anteil am Triumphzug Kaiser Maximilians I., 1884
in: MZk, 13, 1868, 135–149; Das Dürersche Literatur: Lippmann, Friedrich: Rez. von
Altarwerk zu Ober-St.-Veit bei Wien, in: »Dürer«, in: Rfkw,1, 1876, 294–295; Springer,
MZk, 16, 1871, 81–85; Dürers Briefe, Tagebü- Anton: M.T., in: RfKw, 8, 1885, 142–147; Ro-
cher und Reime, nebst Zuschriften an und senauer, Arthur: M.T. und die Wiener Schule
für Dürer (Quellenschriften für Kunstge- der Kunstgeschichte, in: WJbfKg, 1983, 135–
schichte und Kunsttechnik des Mittelalters 150 (mit Nd. der Antrittsvorlesung von 1873)
und der Renaissance, hrsg. v. Rudolf Eitel- PHF
berger, 3), Wien 1872; Dürer. Geschichte sei-

Thieme, Ulrich
Geb. 31. 1. 1865 in Leipzig; gest. 25. 3. 1922 in Leipzig

Das Allgemeine Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, das
untrennbar mit dem Namen Th.s und seines Partners Becker verknüpft ist, würdigte
 Jahn als »das größte Geschenk, das die deutsche Kunstwissenschaft der Welt-
kunstwissenschaft bisher zu bieten vermochte«. Der »Thieme-Becker« steht als eines
der umfangreichsten und wichtigsten biographischen Nachschlagewerke des 20.
Jahrhunderts am vorläufigen Ende einer Tradition, die 1704 mit dem Abecedario
pittorico des Bolognesen Pellegrino Antonio Orlandi, dem ältesten alphabetisch ge-
ordneten Künstlerlexikon, begann, von  Heineken (Nachrichten von Künstlern und
Kunst-Sachen, 1768–69) und Johann Rudolf Füßli (Allgemeines Künstlerlexikon,
1763–77, 1806–20) fortgeführt wurde und verschiedene national oder lokal be-
grenzte Varianten wie das Deutsche Künstlerlexikon von Johann Georg Meusel (1778)
oder das Niederländische Künstlerlexikon von Alfred von Wurzbach (1906–11) hervor-
brachte. Die Arbeitsleistung von Th. und Becker läßt sich erst ermessen, wenn man
bedenkt, daß die kunstgeschichtliche Bibliographie zu ihrer Zeit eher zu den ver-
nachlässigten Gebieten gehörte; das Répertoire d’art et d’archéologie setzte erst 1910
ein, die Internationale Kunstwissenschaftliche Bibliographie überdauerte den Ersten
Weltkrieg nicht, und das Schrifttum zur Deutschen Kunst erscheint erst seit 1933.
Th. studierte Kunstgeschichte in Leipzig und promovierte 1892 bei  Springer
mit einer Arbeit über Hans Schäufeleins malerische Tätigkeit. Anschließend war er als
Thieme 435

Mitarbeiter  Bodes an der Berliner Gemäldegalerie tätig, kehrte jedoch schon


bald nach Leipzig zurück, um sich ausschließlich dem von ihm seit 1898 geplanten
Lexikon zuzuwenden. Ihm zur Seite stand Felix Becker (1864–1928), der nach dem
Studium der Kunstgeschichte in Bonn und Leipzig Assistent von  Schmarsow
war. Konzeptionell stützten sich Th. und Becker auf das 1835–52 in 22 Bänden er-
schienene Künstlerlexikon des Nürnbergers Georg Kaspar Nagler sowie dessen
Neubearbeitung durch  Julius Meyer, die jedoch nur stockend vorangeschritten
und 1888 nach Erscheinen des dritten Bandes eingestellt worden war. Die Vorarbei-
ten zu diesem Meyerschen Torso gingen in den »Thieme-Becker« ein, auch fühlten
sich die beiden Herausgeber der Idee verpflichtet, ein geschlossenes Bild vom Da-
sein und Schaffen der Künstler zu geben, verzichteten jedoch bewußt auf die mo-
nographische Ausführlichkeit des Meyerschen Programms. Die Texte, die auf 15
Seiten begrenzt wurden, sollten knapp und übersichtlich sein; statt erzählerische
Breite erstrebten Th. und Becker ein Maximum an Tatsachen und ein Minimum an
Werturteilen. Die Artikel sollten aus allen nur erreichbaren Quellen möglichst neu
erarbeitet werden. Häufig waren sie Anlaß von Forschungsvorhaben – ein Grund,
weshalb der »Thieme-Becker« weniger gealtert ist als seine Vorgänger. Seine beson-
dere Stärke sind die Artikel zu den weniger bedeutenden und den weitgehend
unbekannten Künstlern, darunter auch Architekten und Kunsthandwerker, von
denen viele durch dieses Lexikon ihre erste biographische Würdigung erfuhren.
Berücksichtigt wurden Künstler aller Weltregionen von der Antike bis zum Ende
des 19. Jahrhunderts. Mit über 300 Mitarbeitern im In- und Ausland war das Lexi-
kon schon bald ein internationales Großprojekt, das – entgegen der immer stärker
werdenden Spezialisierung innerhalb der Kunstwissenschaft – Kooperationsbereit-
schaft verlangte und förderte.
Zur Vollendung ihres Werkes setzten sich Th. und Becker anfangs eine 12-Jahres-
Frist. Die Finanzierung hofften sie ohne staatliche Zuschüsse solange aus privaten
Mitteln bestreiten zu können, bis es sich selbst tragen würde. Nachdem die ersten
Bände zügig erschienen waren, gefährdeten Krieg und Inflation die Fortführung,
bis der renommierte Leipziger Verlag E.A. Seemann, der das Lexikon seit 1911 be-
treute, Finanzierung und Schriftleitung übernahm. Seit 1921 engagierte sich auch
der hochangesehene Deutsche Verein für Kunstwissenschaft für den »Thieme-Bek-
ker« und berief ein Kuratorium, dem  Bode,  Falke,  Max Friedländer,
 Goldschmidt und  Pinder angehörten. Nach Th.s Tod – Becker hatte sich aus
Krankheitsgründen schon 1910 zurückgezogen – wurde Hans Vollmer (1878–1969),
der seit 1906 zur Schriftleitung gehörte, mit der Fortführung des Projekts betraut.
1947 kamen die 36 Bände des Lexikons, in die 150 000 Biographien von Künstlern
aus 92 Ländern eingegangen waren, zum Abschluß; 1950 folgte ein Ergänzungsband
der Meister mit Notnamen und der Monogrammisten. Als Fortsetzung gab Vollmer
1953–62 das sechsbändige Allgemeine Lexikon der bildenden Künstler des 20. Jahrhun-
derts heraus, das Angaben zu Leben und Werk ergänzte, Sterbedaten und vor allem
Künstler, die nach 1870 geboren waren, insgesamt fast 48000, verzeichnete. Eine
Neubearbeitung als Allgemeines Künstlerlexikon erscheint seit 1983.
436 Thieme

Werke: Hans Leonhard Schäufeleins maleri- Max J.: U.Th., in: ZfbK (Beilage), 57 (33),
sche Tätigkeit, Lpz 1892; Sammlung Julius 1922, S. 451; Vollmer, Hans: U.Th., in: RfKw,
Otto Gottschald in Leipzig, Lpz 1901; Allge- 44, 1923/24, 108–110;Vollmer, Hans: The Fate
meines Lexikon der bildenden Künstler von of Th.-Becker, in: BM, 90, 1948, S. 174; Buch-
der Antike bis zur Gegenwart, 15 Bde., Lpz ner, Ernst: Rez. von »Meister mit Notnamen
1907–22 und Monogrammisten«, in: ZfK, 4, 1950, 308–
Literatur: Bredius, Abraham: Rez. von 322; Jahn, Johannes: Der Th.-Becker. Ein
»Sammlung Julius Otto Gottschald in Leip- Werkzeug der Kunstwissenschaft, in: FS Hans
zig«, in: RfKw, 25, 1902, 377–379; Friedländer, Vollmer, Lpz 1957, 19–22; Ladendorf, Heinz:
Max J.: Rez. von »Allgemeines Lexikon der Das Allgemeine Lexikon der bildenden
bildenden Künstler von der Antike bis zur Künstler. Th.-Becker-Vollmer, in: ebd., 1–16;
Gegenwart«, Bd. 1, Lpz 1907, in: RfKw, 31, Wichmann, Heinrich: Erinnerungen an die
1908, 354–356; Dvoák, Max: dass., in: KA, 5, Anfänge des Th.-Becker-Lexikons, in: ebd.,
1909, 29–31; Friedländer, Max J.: dass., Bd. 2 17–18
u. 3, in: RfKw, 33, 1910, 162–163; Friedländer, CF

Thode, Henry
Geb. 13. 1. 1857 in Dresden; gest. 9. 11. 1920 in Kopenhagen

Zur gleichen Zeit als  Wölfflin seine »Kunstgeschichte ohne Namen« konzipierte,
ließ Th. in einem sechsbändigen Michelangelo-Epos noch einmal eine große Epo-
che europäischer Kulturgeschichte vor dem geistigen Auge seiner Leser erstehen.
Während das neue formanalytische Paradigma die Kunstgeschichte als eine eigen-
ständige Stilentwicklung interpretierte, in die das Künstlerindividuum als vollzie-
hender Faktor eingebunden war, wollte Th. die äußeren Bedingungen zeigen, unter
denen sich ein Menschheitsgenie entfalten konnte, das aber, einmal in die Welt
entlassen, sein Zeitalter nach seinem Bilde prägte. Th. teilte die gründerzeitliche
Genieverehrung, ihm erschien Michelangelo als Mann des Schicksals für die Re-
naissance.
Mit seinen Büchern wandte sich Th. in erster Linie an das deutsche Bildungsbür-
gertum. Erkenntnis um ihrer selbst willen lag ihm fern, er wollte wirken und be-
einflussen.Th. gehörte zu den wortgewaltigen Rednern unter den Kunsthistorikern.
Seit Beginn seiner Heidelberger Zeit 1893 hielt er zahllose Vorträge, meist über
seine kunsthistorischen Spezialgebiete, die italienische und die deutsche Renais-
sance und die Gegenwartskunst, aber auch über allgemeine kulturelle und kultur-
politische Fragen und immer wieder über Richard Wagner.
Obwohl sich Th. auch mit Datierungs- und Zuschreibungsfragen befaßte, kann
man ihn eigentlich nicht als empirischen Kunstforscher bezeichnen, wie es seine
Berliner Freunde  Bode und  Lehrs waren oder der ehemalige Wiener Studien-
kollege  Wickhoff , mit dem er sich später verfeindete. Sein philosophisches und
dichterisches Naturell drängte ihn in eine andere Richtung. Wenn Th. also nicht zu
jenen gehört, die das kunstgeschichtliche Wissen vermehrt haben, so hat er sich
andere Verdienste um das Fach erworben: Er war der erste, der die Malerei im
»deutschen Florenz«, im Nürnberg vor Dürer, gründlich und im Zusammenhang
untersuchte, und er gilt als einer der Entdecker Mantegnas und Tintorettos. Die
wachsende gesellschaftliche Akzeptanz, der sich die Kunstgeschichtsschreibung seit
Thode 437

dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland erfreute, wäre ohne Th. nicht
denkbar gewesen.
Th., Sohn eines wohlhabenden Rittergutsbesitzers, studierte seit 1876 zunächst
Jura, dann Kunstgeschichte und Archäologie in Leipzig, Berlin, München und Wien.
1880 promovierte er bei  Thausing in Wien über Die Antike in den Stichen Marcan-
tons, Agostino Venezianos und Marco Dentes. Thausing weckte in Th. die Liebe zu
Dürer, der für ihn zum Inbegriff christlich-germanischer Kunst wurde, aber »ge-
heimnisvoll und unergründlich« blieb »wie das Wesen der Kunst«, das »nicht vorge-
stellt und erkannt«, nur »gefühlt« werden könne. Dieser Dürer war jedoch aufge-
schlossen für die Antike und die Kunst seiner italienischen Zeitgenossen wie Th.
selbst, der sich zur deutschen Gefühls-Kunst und zur italienischen Form-Kunst
gleichermaßen hingezogen fühlte.
Seine erste große Arbeit, mit der er sich 1886 an der Universität Bonn habili-
tierte, war der Entstehung der Renaissancekunst und ihren Wegbereitern gewidmet:
Franz von Assisi, dem Reformator des Christentums, und Giotto, von dem die neue
volkstümliche christliche Kunst ihren Ausgang genommen habe. Im gleichen Jahr
heiratete Th. Daniela Bülow, die Enkelin Franz Liszts und Tochter Cosima Wagners.
Von dieser Stunde an gehörte Th. zu Bayreuth und zu Richard Wagners glühenden
Verehrern und unermüdlichen Propagandisten.
Nach einer dreijährigen Privatdozentur in Bonn leitete Th. seit 1889 das Städel-
sche Kunstinstitut in Frankfurt. Hier schrieb er Die Malerschule von Nürnberg im 14.
und 15. Jahrhundert in ihrer Entwicklung bis auf Dürer und lernte Hans Thoma kennen.
Seine »Wagnerei« führte bald zu Spannungen und schließlich 1891 zum Bruch mit
der Administration. Nach vergeblichen Versuchen, an den Universitäten in Wien
und Straßburg Fuß zu fassen, wurde Th. 1893 zum a.o. und 1896 zum ersten o.
Professor für Kunstgeschichte nach Heidelberg berufen. Im Mittelpunkt seiner
Vorlesungen und Vorträge standen die italienische Renaissance und zunehmend
Michelangelo sowie die deutsche Kunst in Vergangenheit und Gegenwart. In die
Annalen der in Deutschland leidenschaftlich geführten Auseinandersetzungen um
die moderne Kunst ist ein im Juni 1905 gehaltener Vortrag eingegangen, in dem sich
Th. gegen den Impressionismus aussprach. Er schlug als neuen Terminus »Sensatio-
nismus« vor, denn, so behauptete er, es handele sich »um bloße Sensation, um Sinn-
lichkeit mit möglichem Ausschluß der Phantasie«. Der Impressionismus stand für
ihn im Gegensatz zur deutschen kunstgeschichtlichen Tradition, für die neben Uni-
versalismus und Naturtreue vor allem ein starker Gefühlsausdruck und Phantasie
charakteristisch seien. Der heftigste Widerspruch kam von Max Liebermann und
anderen aus Berlin, wo nach Th.s Eindruck die »Nachahmung der Franzosen« be-
sonders im Schwange war. Die deutsche Hauptstadt behagte ihm, wie später Wölff-
lin, wenig; 1910 lehnte er eine Berufung auf den Lehrstuhl  Grimms ab.
Als Reaktion auf  Meier-Graefes Streitschrift Der Fall Böcklin (1905) hielt Th.
im gleichen Jahr acht Vorträge, die unter dem Titel Böcklin und Thoma veröffentlicht
wurden. Sie sind ein Bekenntnis zum Idealismus als der künstlerischen Weltan-
schauung der großen Epochen der Kunstgeschichte und, wie er hoffte, nach Über-
windung der Krise der Gegenwart auch der Zukunft. Eine besondere Rolle dachte
er dabei der deutschen Kunst zu.
438 Thode

In seinem Cosima Wagner gewidmeten »Erbauungsbuch« (Borinski) über Mi-


chelangelo und das Ende der Renaissance schildert Th., der Jünger Schopenhauers,
die Tragödie eines der größten Geister der Geschichte, der an der »Unbefriedigt-
heit« seines »Liebesverlangens« und seines »Schaffensdranges« und der Unversöhn-
lichkeit des »antiken Schönheitskultus und der christlichen Glaubensversenkung«
leidet, der aber im Tod das Martyrium seines Lebens überwindet, dem sein Leiden
»die Erkenntnis und die Gewißheit der Erlösung gebracht hat«. Michelangelo
scheiterte an der Unmöglichkeit, »christlich modernes Wesen in plastischer Schön-
heit auszudrücken«. Die Zukunft gehörte der Malerei und der aus der Reformation
Martin Luthers hervorgegangenen neuen christlich-germanischen Kultur des Ge-
fühls und der Seele, die ihren Ausdruck unter anderem in der Malerei der Nieder-
länder und schließlich in der Musik Bachs, Beethovens und Wagners fand.
1911 nahm Th. Abschied von der Heidelberger Universität und zog sich in seine
Villa am Gardasee zurück. Als 1915 zwischen Deutschland und Italien der Krieg
ausbrach, mußte er sie unter Zurücklassung seines gesamten Hab und Guts räumen;
später hat sie Gabriele D’Annunzio bewohnt. Mit seiner zweiten Frau, einer Dänin,
führte Th., zuletzt schwerkrank, ein unstetes Wanderleben zwischen Kassel, Düssel-
dorf, Wien, Bad Homburg und Kopenhagen.
Th. war eine schillernde Persönlichkeit. Ein starker Hang zum Metaphysischen
und Irrationalen und ein mit Antisemitismus durchsetzter Nationalismus werfen ein
trübes Licht auf seine achtenswerten Leistungen als Kunsthistoriker.

Werke: Die Antike in den Stichen Marcan- 1901, 7–35, 426–447 u. 27, 1904, 24–45; Tinto-
tons, Agostino Venezianos und Marco Dentes, retto, Bie/Lpz 1901; Michelangelo und das
Lpz 1881; Die römische Leiche vom Jahre Ende der Renaissance, 3 Bde., Bln 1902–12;
1485. Ein Beitrag zur Geschichte der Renais- Wie ist Richard Wagner vom deutschen Volke
sance, in: MIfÖG, 4, 1883, 75–91; Dürers anti- zu feiern?, Hei 1903; Schauen und Glauben,
kische Art, in: JbPK, 1883, 106–119; Franz von Hei 1903; Leben oder Tod des Heidelberger
Assisi und die Anfänge der Kunst der Renais- Schlosses, Hei 1904; Böcklin und Thoma, Hei
sance in Italien, Bln 1885; Studien zur Ge- 1905; Michelangelo. Kritische Untersuchun-
schichte der italienischen Kunst im 14. Jh., in: gen über seine Werke, 3 Bde., Bln 1908–13;
RfKw, 11, 1888, 1–22; Studien zur Geschichte Somnii explanatio. Traumbilder vom Garda-
der italienischen Malerei im 13. Jh., in: RfKw, see in S. Vigilio, Bln 1909; Luther und die
13, 1890, 25–38; Rez. von I. Lermolieff (Mo- deutsche Kultur, Mü 1914; Das Wesen der
relli), Kunstkritische Studien über italienische deutschen bildenden Kunst, Lpz/Bln 1918;
Malerei (1890), in: ebd., 326–334; Die Maler- Paul Thiem und seine Kunst. Ein Beitrag zur
schule von Nürnberg im 14. und 15. Jh. in Deutung des Problems deutscher Phantastik
ihrer Entwicklung bis auf Dürer, Frf 1891; und deutschen Naturalismus, Bln 1921; Brief-
Hans Thoma, in: GrK, 15, 1892, 1–28; Drei wechsel mit Hans Thoma, Lpz 1928
Porträts von Albrecht Dürer, in: JbPK, 1893, Literatur: Springer, Anton: Rez. von »Franz
198–219; Studien zur italienischen Kunstge- von Assisi und die Anfänge der Renaissance
schichte im 14. Jh., in: RfKw, 18, 1895, 81–90; in Italien«, in: RfKw, 10, 1887, 74–78; Storck,
Mantegna, Bie/Lpz 1897; Correggio, Bie/Lpz Willy F.: H.Th., in: Original und Reproduk-
1898; Giotto, Bie/Lpz 1899; Die deutsche bil- tion, 1, 1909/10, 55–61; Borinski, Karl: Rez.
dende Kunst, in: Das deutsche Volkstum, Lpz/ von »Michelangelo und das Ende der Re-
Wien 1899, 463–524; Malerei am Mittelrhein naissance«, in: RfKw, 37, 1915, 224–230; Seid-
im 15. Jh. und der Meister der Darmstädter litz, Woldemar von: H.Th., in: ZfbK (Beilage),
Passionsszenen, in: JbPK, 1899, 59–74; Tinto- 56 (32), 1920, 165–166; Storck, Willy F.: H.
retto. Kritische Studien über des Meisters Th., in: RfKw, 43, 1921, 55–61; Schindler,
Werke, in: RfKw, 23, 1900, 427–442 u. 24, Edgar: H.Th. Lebensbild eines Kunsthistori-
Thode 439

kers, in: Nationalsozialist. Monatshefte, 14, 1993; Terraroli, Valerio: Gabriele d’Annunzio
1943, 579–615 u. 15, 1944, 42–56; H.Th. 1857– e le biblioteche d’arte presenti a Gardone Ri-
1920. Aus Anlaß des 100. Geburtstages, in: viera negli anni venti. Le biblioteche di Alex-
Ruperto Carola, 20, 1956, 51–55; AKat. Hans ander Günther e di H.Th., in: Artes, 2, 1994,
Thoma und H.Th. Aspekte einer deutschen 162–178
Freundschaft, Hei 1988; Szylin, Anna Maria: PB
H.Th. (1857–1920). Leben und Werk, Frf

Tietze, Hans
Geb. 1. 3. 1880 in Prag; gest. 11. 4. 1954 in New York

Die hochgesteckten Ziele und die Vielfalt der Arbeitsfelder der Wiener Schule der
Kunstgeschichte kennzeichneten T.s außerordentlich produktives Wirken, das erst
von den politischen Umständen in seiner zweiten Lebenshälfte beeinträchtigt
wurde. T. studierte ab 1898 in Wien Rechtswissenschaft, dann Kunstgeschichte und
Geschichte, unter anderem am Institut für Österreichische Geschichtsforschung.
Nach der Promotion 1903 und einem Studienaufenthalt in Rom wurde er  Wick-
hoffs Assistent an der Universität und arbeitete ab 1905 am Beschreibenden Verzeichnis
der illuminierten Handschriften in Österreich mit. Sehr bald wurde er jedoch in der
Zentralkommission für Denkmale verantwortlich für die von  Riegl initiierte
methodisch vorbildliche Österreichische Kunsttopographie. Schon nach einem Jahr
brachte er 1907 den ersten Band heraus; bis 1919 verfaßte er 12 Bände, eine un-
glaubliche Arbeitsleistung, mit der noch die Edition von Buchmalereien, die Anteil-
nahme an Gegenwartskunst, eine Privatdozentur ab 1909 und das Schreiben des
Lehrbuches Die Methode der Kunstgeschichte sowie einer Kunstgeschichte der Stadt
Wien einhergingen.
Nach Kriegsdienst, unter anderem beim Denkmalschutz, trat T. 1919 in den
Staatsdienst der neuen Republik Österreich ein, kämpfte für den Erhalt des Kunst-
besitzes gegen Ansprüche der Siegermächte und der Nachfolgestaaten des Habsbur-
gerreiches und organisierte 1921 die Vergrößerung der Graphiksammlung Albertina
sowie 1923 die Einrichtung des Österreichischen Barockmuseums im Wiener Bel-
vedere durch Zusammenführung von Kunstwerken, die zuvor auf mehr als zehn
Sammlungen verteilt waren. Parallel dazu lehrte er seit 1919 als a.o. Professor, grün-
dete 1918 die Zeitschrift Die bildenden Künste und 1924 eine Gesellschaft zur Förde-
rung moderner Kunst und edierte ab 1921 die populäre Bibliothek der Kunstge-
schichte.
1925 gab T. die Tätigkeit im Ministerium auf, weil er sein Ziel, die Verbesserung
der Museumsarbeit, nicht erreichen konnte. Er machte sich zusammen mit seiner
Frau  Erica Tietze-Conrat an ein Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers
(1928–38) sowie an weitere Publikationen. Die Ausdehnung der NS-Herrschaft auf
Österreich trieb T., dessen Vater ein zum Protestantismus konvertierter Jude war, zur
Emigration in die USA, wohin er schon mehrmals gereist war. Außer einer kurzen
Gastprofessur in Toledo/OH und gelegentlicher Mitarbeit an Ausstellungen in New
York blieb ihm ein angemessenes Wirkungsfeld verwehrt. Mit seiner Frau vollen-
dete er noch das Corpus venezianischer Zeichnungen der Renaissance.
440 Tietze

T.s Methode der Kunstgeschichte, im Untertitel als »ein Versuch« bezeichnet, setzte
das Bestreben seiner Lehrer Wickhoff und Riegl fort, die Kunstgeschichte als eine
historische Disziplin mit einem wichtigen eigenen Gegenstand zur Geltung zu
bringen. Weil er sich dazu an die längst etablierte allgemeine Geschichtswissenschaft
in Gestalt von Ernst Bernheims Lehrbuch der historischen Methode (1889) anlehnte
und manchmal allzu wortreich die verschiedenen Erklärungsversuche für kunstge-
schichtliche Sachverhalte Revue passieren ließ, verschwand sein Buch fast gänzlich
aus dem allgemeinen Bewußtsein. Eine gewisse Unentschiedenheit und Scheu vor
einem eigenen System wurde auch von gleichaltrigen Rezensenten kritisiert, selbst
wenn sie, wie  Hamann, mit T.s Ausgehen von aktuellen Kunstfragen sympathi-
sierten. Dabei hat der 33jährige Autor viele Probleme anregend behandelt, die noch
heute die Fachvertreter bewegen. Das gilt für das Verhältnis von Subjektivität und
Objektivität im Geschichtsbild wie im künstlerischen Werturteil, für die Bestim-
mung der Faktoren und Triebkräfte bei der Entstehung und historischen Verände-
rung formaler wie auch inhaltlicher Eigentümlichkeiten von Kunstwerken, für das
Verhältnis von »hoher« und »niederer«, avancierter und populärer Kunst, von Arte-
fakten und sonstigen Produkten. Kunstwerke würden grundsätzlich um einer Wir-
kung willen geschaffen, und Kunsthistoriker hätten ihre tatsächliche Wirksamkeit
– auch auf den späteren Verlauf der Kunstgeschichte – zu würdigen, selbst wenn sie
diese nach ihrer eigenen Kunstauffassung geringschätzten.
T. stimmte der Suche Riegls nach Gesetzmäßigkeiten künstlerischer Entwick-
lungen und nach Ermittlung eines jeweiligen »Kunstwollens« zu, stieß sich aber an
Abstraktionen, die der Komplexität des Geschehens und den individuellen Leistun-
gen nicht gerecht würden. Hellsichtig erkannte er, was viel später der amerikanische
 Panofsky-Schüler George Kubler (1912–1996) in The Shape of Time (1962, dt.
1982) systematisch entwickelte: »Jedes Kunstwerk stellt eine Synthese [von verschie-
denen] Problemreihen dar, die zu einem neuen Organismus von absoluter Einzig-
artigkeit zusammengefaßt sind.«
T., der so viel für die Bewahrung und Bestandsaufnahme alter Kunst tat, ging es
in erster Linie um »lebendige Kunstwissenschaft« (1925), die auf gegenwärtiges
Verlangen nach Kunst reagiert und es zu fördern trachtet. Deswegen war ihm die
kritische Begleitung zeitgenössischer Kunst, deren Vereinsamung im Individuellen
er bedauerte, ebenso wichtig wie populärwissenschaftliche Bildungsarbeit. Betontes
Deutschtum seit dem Ersten Weltkrieg und geistesgeschichtlicher Idealismus ver-
banden sich mit Aufmerksamkeit für die sozialen Bindungen und Verpflichtungen
des Kunstschaffens. Seine Hinneigung zum Expressionismus – er verdanke, schrieb
er 1921, Oskar Kokoschka »das Beste und Tiefste an Erkenntnis aller Kunst« – hin-
derte ihn nicht, die Verflachung dieser Strömung in eine »Art von Massenpsychose«
zu kritisieren. 1935 verfaßte er, ausdrücklich als »Nichtspezialist«, eine große Tizian -
Monographie, um »einem größeren Publikum deutlicher zu machen, worauf sein
[Tizians] Anspruch beruht, ein großer Maler und wichtiger Mensch zu heißen«.
T.s Liebe zur venezianischen Malerei ließ ihn später noch eine glänzende Tinto-
retto-Monographie verfassen. Die Kunst unserer Zeit, eine Ausstellung seines Vereins
zur Förderung moderner Kunst, versuchte 1930 – auch durch Einbeziehung von
Design – Kunst und Leben wieder zusammenzuführen, breite Schichten zu gewin-
Tietze 441

nen und einer ausschließlich formal-ästhetischen Betrachtung entgegenzutreten.


Deshalb lehnte T. auch ungegenständliche Kunst ab.
T. wollte divergierenden und gegenläufigen Tendenzen in Kunst und Theorie
(Riegl,  Dvoák,  Strzygowski,  Warburg) gerecht werden, erkannte Wider-
sprüche und sah sie letztlich als unlösbar an. In dem Zeitungsartikel Verlebendigung
der Kunstgeschichte (1925) ist sein begeistertes Wirkenwollen für die Kunst und die
Kunstwissenschaft knapp zusammengefaßt, einschließlich des emphatisch-ver-
schwommenen Rückzugs auf das »Mysterium des Künstlers« als Lösung aller Rät-
sel.
Werke: Die illuminierten Handschriften in Erica T.-Conrat); Earliest and Latest Works of
Salzburg, Lpz 1905; Annibale Carraccis Gale- Great Artists, in: GBA, 86, 1944, 273–284;
rie im Palazzo Farnese und seine römische Tintoretto. The Paintings and Drawings, Lo
Werkstätte, in: JbkSAK, 1906/07, 49–182; Die 1948; Die großen Nationalgalerien, Zü 1954
Denkmale des politischen Bezirks Krems, Literatur: Hamann, Richard: Rez. von
Wien 1907 (weitere Bde. der Österr. Kunst- »Die Methode der Kunstgeschichte«, in:
topographie 1908–19); Programme und Ent- MfKw, 9, 1916, 64–78, 103–114, 141–154;
würfe zu den großen österreichischen Ba- Rothacker, Erich: dass., in: RfKw, 41, 1919,
rockfresken, in: JbkSAK, 1911, 1–28; Die Me- 176–180; Neumann, Karl: dass., in: HZ, 116,
thode der Kunstgeschichte. Ein Versuch, Lpz 1916, 484–494; Buschbeck, Ernst H.: H.T.
1913; Die Zukunft der deutschen Kunstge- zum 50. Geburtstag, in: Belvedere, 9, 1930,
schichte, in: ZfbK, 50 (26), 1915, 285–290; 69–74; Gerstenberg, Kurt: H.T., in: KChr, 7,
Wien, Lpz 1918; Oskar Kokoschka, in: ZfbK, 1954, 171–172; Gombrich, Ernst H.: H.T., in:
53 (29), 1918, 83–97; Künstlerische und kunst- BM, 96, 1954, 289–290; Loehr, August: In me-
literarische Zeitfragen, in: ZfbK (Beilage), 56 moriam H.T., in: ÖZKD, 8, 1954, 121–122;
(32), 1921, 773–776; Albrecht Altdorfer, Lpz Swoboda, Karl Maria: H.T., in: AnK, 3, 1954,
1923; Geisteswissenschaftliche Kunstge- 60–64; Essays in Honor of H.T., NY 1958
schichte, in: Jahn 1924, 183–196; Lebendige (Bibliogr.); Frodl-Kraft, Eva: H.T. Ein Kapitel
Kunstwissenschaft. Zur Krise der Kunst und aus der Geschichte der Kunstwissenschaft,
der Kunstgeschichte, Wien 1925 (darin:Verle- der Denkmalpflege und des Musealwesens in
bendigung der Kunstgeschichte, Nd. in: WJb- Österreich, in: ÖZKD, 34, 1980, 53–63; Bog-
fKg, 1980, 7–12); Die soziale Funktion der ner, Dieter: H.T. und die moderne Kunst, in:
Kunst, in: Jb. f. Soziologie, 1925, 280–295; WJbfKg, 1980, 13–15; Krapf-Weiler, Almut:
Moderne französische Graphik in: GrK, 49, Zur Kunstpolitik des T.-Kreises, in: Geistiges
1926, 37–50; Kritisches Verzeichnis der Werke Leben im Österreich der Ersten Republik,
Albrecht Dürers, 4 Bde., Au 1928, Basel/Lpz Wien 1986, 77–103; Wendland 1999, 689–703;
1937/38 (mit Erica T.-Conrat); Tizian. Leben Krapf-Weiler, Almut: Löwe und Eule. H.T.
und Werk, 2 Bde., Wien 1936; Tizian-Studien, und E.T.-C., eine biographische Skizze, in:
in: JbkSAK, 1936, 137–192 (mit Erica T.-Con- Belvedere, 5, 1999, 1, 64–83
rat); The Drawings of the Venetian Painters in PHF
the 15th and 16th Centuries, NY 1944 (mit

Tietze-Conrat, Erica
Geb. 20. 6. 1883 in Wien; gest. 12. 12. 1958 in New York

Der Werdegang dieser Kunsthistorikerin ist ebenso eindrucksvoll wie außerge-


wöhnlich für eine Zeit, in der eigenständige wissenschaftliche Karrieren für die
meisten Frauen unerreichbar blieben. T.-C. gehörte als erste und einzige Studentin
der Ära  Riegl und Wickhoff zweifelsohne zu den Pionierinnen des Faches.
442 Tietze-Conrat

Seit ihrer Promotion hat sie nahezu kontinuierlich veröffentlicht und dabei ein
breites Forschungsspektrum abgedeckt: Kunstgeschichte, Denkmalpflege, Kunstso-
ziologie und Museumspolitik. Sie publizierte zum österreichischen Barock wie zur
deutschen, niederländischen und italienischen Kunst, zeigte sich aber auch aufge-
schlossen für künstlerische Strömungen ihrer Zeit, denen sie zahlreiche Artikel und
Rezensionen widmete (Georg Ehrlich, Joseph Floch, Oskar Kokoschka).
T.-C. entstammte einer begüterten jüdischen Familie. Johannes Brahms war ein
Freund ihres musikliebenden Vaters, der seinen ursprünglichen Namen Cohn zur
Erleichterung der Assimilation in Conrat abgeändert hatte. Nach der gymnasialen
Mädchenschule studierte T.-C. Kunstgeschichte und Archäologie bei Wickhoff und
Riegl. Mit Beiträge zur Geschichte Georg Raphael Donners wurde sie 1905 von Wick-
hoff promoviert. Der österreichischen Barockplastik blieb sie weiterhin verbunden,
veröffentlichte zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit aber auch eine Reihe
kleiner populärer Einzeldarstellungen zum Utrecht-Psalter, Gerard Dou oder Pieter
Hooch, die in der Reihe Meisterwerke der Kunst in Holland sowie der Bibliothek der
Kunstgeschichte, von Hans Tietze seit 1921 ediert, erschienen sind. Dabei versuchte
sie, auch gegenläufige Tendenzen innerhalb des Faches zu vereinen; trotz ihrer em-
pirischen Prägung durch die Wiener Schule der Kunstgeschichte schätzte sie auch
Warburgs kulturwissenschaftlichen Ansatz.
1905 heiratete T.-C. ihren Kommilitonen  Hans Tietze, mit dem sie vier Kinder
hatte. Schon bald begann das Paar gemeinsam für die Österreichische Kommission
für Denkmale zu arbeiten. Später kamen weitere gemeinsame Projekte wie das
vierbändige Kritische Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers und das große Corpuswerk
venezianischer Zeichnungen der Renaissance als ein Pendant zu Bernard Berensons
Buch über die florentinischen Maler (The Drawings of the Florentine Painters, 1903)
hinzu. Dazu durchforschten sie systematisch die wichtigsten Sammlungen in ganz
Europa, bis T.-C. bei einem Italienaufenthalt 1938 von der Annektion Östterreichs
durch das Deutsche Reich überrascht wurde. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft
und antinazistischen Einstellung war eine Rückkehr nach Österreich unmöglich.
Sie blieb zunächst in Italien, ihrem Mann gelang es, nachzukommen. Über London
emigrierten die Tietzes noch 1938 in die USA, wo sie zunächst von der durch
 Saxl vermittelten Unterstützung der Society for the Protection of Science and Learning
erst in Toledo, dann in New York in schwierigen materiellen Verhältnissen lebten;
während dieser Zeit musste ihr 1909 von Oskar Kokoschka gemaltes Doppelporträt
verkauft werden(heute im Museum of Modern Art in New York).
Nachdem T.-C. schon 1923 einen schmalen Band über Mantegna verfasst hatte,
ging sie in Amerika daran, diesen Künstler systematisch zu bearbeiten; 1955 legte sie
das erste vollständige Werkverzeichnis vor, in dem sie detailliert das florentinische
Erbe beleuchtete, aber ebenso venezianische Einflüsse sichtbar machte und zum
ersten Mal Mantegnas Rolle als Hofkünstler in Mantua thematisierte.
Als Hans Tietze 1954 seinen Lehrauftrag über venezianische Malerei an der Co-
lumbia University/New York wegen schwerer Erkrankung nicht mehr wahrnehmen
konnte, beendete T.-C. für ihn das Semester; nach seinem Tod wurde sie 1955 und
1956 zu weiteren Lehrveranstaltungen eingeladen. T.-C. publizierte in ihren letzten
Jahren weiterhin zu italienischer Malerei, insbesondere Tizian, verfaßte aber auch
Tietze-Conrat 443

anstelle ihres Mannes eine Monographie über den gemeinsamen Malerfreund Ge-
org Ehrlich. Ihr Manuskript Patterns of Suicide in Literature and Art, an dem sie wäh-
rend ihrer eigenen Todeskrankheit schrieb, ist unvollendet geblieben.

Werke: Beiträge zur Geschichte Georg nungen der deutschen Schulen bis zum Be-
Raphael Donners, Diss. Wien 1905; Eine ginn des Klassizismus, Wien 1933 (mit Hans
niederösterreichische Skulpturengruppe vom Tietze); Marietta, fille du Tintoret, peintre de
Ende des 17. Jh.s, in: JbZK, 4, 1906, 69–80; portraits, in: GBA, 76, 1934, 258–262; A Lost
Des Bildhauergesellen Franz Ferdinand Er- Michelangelo Reconstructed, in: BM, 68,
tinger Reisebeschreibung durch Österreich 1936, 163–170; Echte und unechte Tintoretto-
und Deutschland, Wien/Lpz 1907; Die Bron- Zeichnungen. Plastisches Modell und Kom-
zen der Fürstlich Liechtensteinschen Kunst- positionsbehelf, Spiegelverkehrung, Rhyth-
kammer, Wien 1918; Künstlers Erdenwallen mische Wiederholung, in: Die graphischen
im Spiegel der österreichischen Barockkunst, Künste, N.F., 1, 1936, 88–100; Tizian-Studien,
in: Die bildenden Künste, 2, 1919, 81–88; Illu- in: JbkSAK, 1936, 137–192 (mit Hans Tietze);
strierte Bücher von heute, in: ebd., 216–224; A Master Drawing by Antonio Campi, in: Art
Der Film im kunstwissenschaftlichen Unter- in America, 27, 1939, 160–162; A Rediscove-
richt, in: KChr, 31, 1919, 264–266; Öster- red Early Masterpiece by Titian, in: ebd., 29,
reichische Barockplastik, Wien 1920; Der Ut- 1941, 144–151; Was Mantegna an Engraver?,
recht-Psalter, Wien 1920; Gerard Dou. Selbst- in: GBA, 85, 1943, 375–381; Titian as a Letter
bildnis, Wien 1920; Pieter de Hooch. An der Writer, in: ArtB, 26, 1944, 117–123; The Dra-
Kellertür, Wien 1920; Erasmus von Rotter- wings of the Venetian Painters in the 15th and
dam im Bilde, Wien 1920; Die Erfindung im 16th Centuries, NY 1944 (mit Hans Tietze);
Relief. Ein Beitrag zur Geschichte der Klein- Titian’s Workshop in his Late Years, in: ArtB,
kunst, in: JbkSW, 1920, 99–176; Kleinbronzen, 28, 1946, 76–88; The Iconography of Michele
in: Die bildenden Künste, 3, 1920, 44–51; Ein Sanmicheli, in: GBA, 88, 1946, 378–382;
Modell zur Wiener Pestsäule von 1687, in: L’»Orfeo« attribuito al Bellini della National
KChr, 31, 1920, 505–510; Atalante und Hip- Gallery di Washington, in: Arte Veneta, 3,
pomenes, in: ebd., 361–366; Die Pestsäule am 1949, 90–95 (mit Hans Tietze); La xilografia
Graben in Wien, Wien 1921; Oskar Laske, di Tiziano »Il passaggio del Mar Rosso«, in:
Wien 1921; Ein unbekanntes Bildnis des Ger- Arte Veneta, 4, 1950, 110–112; Titian’s Allegory
hard van Swieten, in: OH, 39, 1921, 49–51; of Religion, in: JWCI, 14, 1951, 127–132;
Erasmus von Rotterdam im Bilde, Wien 1921; Footnote on Titian, in: GBA, 95, 1953, 117–
Die Kapuzinergruft, Wien 1922; Die Delfter 182; Due componimenti morali di Paolo Ve-
Malerschule. Carel Fabritius, Pieter de Hooch, ronese, in: Arte Veneta, 7, 1953, 93–99; Un
Jan Vermeer, Lpz 1922; Andrea Mantegna, Lpz soffitto di Tiziano a Brescia conservato in un
1923; Zur Ikonographie von Tintorettos Wie- disegno del Rubens, in: ebd., 8, 1954, 209–
ner Cassonebildern, in: KChr, 34, 1923, 33–35; 210; Mantegna. Paintings, Drawings, Engra-
Zur Datierung des hl. Sebastian von Man- vings. Complete Edition, Lo 1955; Titian as
tegna in der Wiener Galerie, in: ebd., 339–345; Landscape Painter, in: GBA, 97, 1955, 11–20;
Aert de Gelder. Abraham, die Engel bewir- Archeologia tizianesca, in: Arte Veneta, 10,
tend, Wien 1923; Der französische Kupfer- 1956, 82–89; Georg Ehrlich, Lo 1956; Dwarfs
stich der Renaissance, Mü 1925; Botticelli and Jesters in Art, Lo 1957; Das Skizzenbuch
and the Antique, in: BM, 47, 1925, 124–129; des Van Dyck als Quelle für die Tizianfor-
L’allégorie dans la peinture classique hol- schung, in: CdA, 8, 1959, 425–442; Paolo
landaise, in: GBA, 70, 1928, 1–12; Ein plasti- Veronese »armato«, in: Arte Veneta: 13/14,
sches Modell des Pontormo, in: ZfbK, 63, 1959/60, 96–99
1929, 165–168; Kritisches Verzeichnis der Literatur: Kurz, Otto u. Hilde: A Bibliogra-
Werke Albrecht Dürers, 4 Bde., Au 1929, Ba- phy of the Wiritings of Hans Tietze und E.
sel/Lpz 1937/38 (mit Hans Tietze); AKat. T.-C., in: Essays in Honour of Hans Tietze
Handzeichnungen und Aquarelle aus der 1880–1954, hrsg. v. Julius Held, Ernst H.
Sammlung Hans Tietze und E.T.-C., Wien Gombrich u. Otto Kurz, NY 1958, 439–459;
1930; Two Dürer Woodcuts and an Italian Gombrich, Ernst H.: E.T.-C., in: BM, 101,
Model, in: BM, 62, 1933, 241–245; Die Zeich- 1959, S. 149; ders.: E.T.-C., in CArtJ, 18, 1959,
444 Tietze-Conrat

S. 248; Kahr, Madlyn Miller: E.T.-C.: Produc- phische Skizze, in: Belvedere, 5, 1999, 64–83;
tive Scholar in Renaissance and Baroque Art, Soussloff, Catherine M.: Portraiture and Assi-
in: Women as Interpreters of the Visual Arts, milation in Vienna. The Case of Hans Tietze
1820–1979, hrsg. v. Claire Richter Sherman, and E.T.-C., in: Diaspora and Exiles. Varieties
Westport 1981, 301–326; Wendland 1999, of Jewish Identity, Berkeley 2002
699–703; Krapf-Weiler, Almut: Löwe und CF
Eule. Hans Tietze und E.T.-C. – eine biogra-

Tintelnot, Hans
Geb. 27. 9. 1909 in Lemgo; gest. 2. 1. 1970 in Kiel

Vor allem zur barocken Kunst, daneben aber auch zur mittelalterlichen Baukunst in
Schlesien, erweiterte T. die Denkmälerkenntnisse und verband dies mit neuen In-
terpretationen. Sie waren von einer geistesgeschichtlichen Auffassung der Kunstge-
schichte und dem in den 1930er Jahren verbreiteten Interesse an Kunstgeographie
und an nationalen oder stammesmäßigen, für konstant gehaltenen Eigenarten der
künstlerischen Gestaltung geprägt.
T. promovierte nach Studien in München und Wien 1937 bei  Frey, dem er
nach Breslau gefolgt war, und wurde dessen Assistent. Aus der Dissertation ging sein
wichtigstes Buch Barocktheater und barocke Kunst (1939) hervor, das den kunstge-
schichtlichen Beitrag zu einer interdisziplinär zu leistenden Erfassung des »Gesamt-
kunstwerks Theater« geben wollte. Auf die regionale Kunstgeschichte seines Wir-
kungsortes verwiesen, habilitierte er sich dann 1943 über Die mittelalterliche Baukunst
Schlesiens und wurde Privatdozent. Nach Kriegsende nahm ihn die Universität
Göttingen auf, wo er 1951 a.o. Professor wurde und seine Barockforschungen durch
eine Gesamtdarstellung deutscher Freskomalerei dieser Epoche fortsetzte. Seine
Kenntnisse von Bühnenbild und Bühnenkostüm wurden für den betreffenden Ar-
tikel im Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte (Bd. 3, 1954) genutzt. 1959–68 war
er Ordinarius in Kiel, was damals mit der Leitung der Kunsthalle und ihres Ausstel-
lungsprogramms verbunden war, während diese erst danach unter Jens Christian
Jensen (geb. 1928) größere Selbständigkeit gewinnen konnte. T.s Beschäftigung mit
der neueren Kunstgeschichte erlangte keine nachhaltige Bedeutung.
Die Arbeit über Barocktheater und barocke Kunst, eine Pionierleistung auf einem
seither von vielen Forschern weiter bearbeiteten Gebiet, stellte reiches Material zu
Theater- und Festdekorationen sowie Theaterbauten, Triumphpforten und -bögen,
kirchlichen Festdekorationen und »Trauergerüsten« zusammen, auch zu stilistischen
und motivischen Wechselbeziehungen zwischen Theater und bildender Kunst – wie
Aufführungsdarstellungen, Ruinenlandschaften in Bühnenbildern, Kostümporträts
und anderem – vom Ausgang der Renaissance bis zum »spätbarocken Klassizismus«.
Quellentexte wurden zitiert oder übersetzt, der Vasari-Schüler und Kunstintendant
des Medici-Hofes Bernardo Buontalenti erstmals ausführlicher gewürdigt. An der
Diskussion von Stilbegriffen wie Manierismus oder spätbarocker Klassizismus
( Giedion,  Jahn) beteiligte T. sich nicht. »Kulturhistorisch-soziologische Voraus-
setzungen« und »Wandel der kulturtragenden Kreise«, also auch die konkreten
Formen der Auftraggebung streifte er im Grunde nur; unter »Gesellschaft« wird
Tintelnot 445

gelegentlich nur die »Hofgesellschaft« verstanden. Ihm ging es darum zu zeigen:


»Erst im Barock und vielleicht nur im Barock gehören Lebensgefühl und Theater
wesenhaft zusammen, verkörpert das Theater [...] das Kunstwollen eines ganzen
Zeitalters [...]. Nirgendwo spricht sich der barocke Wille zu künstlerischer Totalität
charakteristischer aus als in der Entwicklung [...] der Oper.« Theater und das Prin-
zip der Inszenierung beeinflußten Maler wie das »Publikum« auch ganz allgemein
in den Auffassungen von Komposition wie Raumdarstellung. Die überragende
Rolle der italienischen Künstler suchte er in einer zeittypischen Denkweise mit
dem »stammesmäßigen Kunstwollen vor allem Deutschlands und Frankreichs« zu
vermitteln, um etwas verkrampft Deutschland an die Spitze bringen zu können.
Den verschwenderischen Aufwand bei höfischen Festen dürfe man nicht »plump
materialistisch« kritisieren. Dahinter stünden »von altersher im Deutschtum ver-
wurzelte Begriffe von der Würde der Majestät und [...] das durchgängig zu beob-
achtende echt deutsche Streben nach einem Sichversetzen ins Übersinnliche«. Zu
der »in diesem deutschen Sinne gesteigerten Festillusionistik der Italiener«, vor al-
lem im Dresden Augusts des Starken, heißt es: »Über alle italienischen Festpro-
gramme, ja auch über die Feste von Versailles triumphierten diese deutschen Feste
durch den Reichtum an neuen Ideen.«
Dieser besonders aus  Pinders Arbeiten bekannte nationale Hochmut fand
seine Abwandlung in Arbeiten über Schlesien, das als »rechtes Stiefkind der deut-
schen Forschung« zu den selbst von  Dehio und  Weigert »verkannten deut-
schen Kunstlandschaften« gehöre. T.s Habilitationsschrift Die mittelalterliche Baukunst
Schlesiens fiel als Buch 1944 vor der Auslieferung dem Bombenkrieg zum Opfer.
Die von der Historischen Kommission für Schlesien 1951 herausgegebene Fassung
»brauchte nicht für die neuen Zeitverhältnisse hergerichtet zu werden«, da T. keine
»propagandistischen Tendenzen« darin sah, die »Eindeutschung Schlesiens eine hohe
kulturelle Tat« zu nennen. Methodisch mußte er die schlesische Baukunst des Mit-
telalters, laut Landkarte von Sagan bis Auschwitz, die der Höhepunkte wie im
Rheinland oder Böhmen und einer dichten Fülle der Monumente entbehrte, vor
allem als »hohen Durchschnitt« mit »stammesmäßig gleichbleibender Eigenart«
behandeln, um an ihrer »Physiognomik« die »künstlerische Denkweise des koloni-
sierenden Deutschtums im Mittelalter zu erschließen«.
Auch in dem gleichzeitig herausgekommenen Buch über Die barocke Freskomale-
rei in Deutschland (1951), das heißt dem »Gebiet und Einflußbereich des alten, ersten
deutschen Kaiserreichs«, die noch niemals Gegenstand einer zusammenfassenden
Darstellung gewesen sei, verband T. das Verständnis einer kunstimmanenten Stilent-
wicklung der »illusionsbildenden und raumsteigernden Gestaltungskräfte des Ba-
rock« mit dem Eingehen auf das »Stammesproblem« und nachdrücklichen Hinwei-
sen auf die gegenüber Süddeutschland und Österreich bislang zu wenig beachteten
ost- und norddeutschen Kunstlandschaften. Was nach der von ihm gut gekannten
und bewunderten »Großmalerei« des Barock kam, beurteilte er wie  Sedlmayr
kritisch. Die »klassizistische Reaktion« durch »die moralischen Kunstverbesserungs-
absichten  Winckelmanns und seiner Gesinnungsgenossen« waren »gefährlich für
die Weiterentwicklung der urwüchsigen Triebkräfte des innerlich gesunden deut-
schen Freskostils« und »die deutsche Traumwelt der surrealistischen Landschaften
446 Tintelnot

und bukolisch-phantastischen Genreszenen«. Als »Totengräber des hohen Stils der


Deckenmalerei« wurde in erster Linie eine »stark rationalistische Tendenz« ausge-
macht, wobei tragischerweise die »einzige Bildgattung, die unsere deutsche Malerei
seit der Dürerzeit zu eigenartiger Blüte entwickelt hatte«, dann »durch ebenso we-
sensmäßig im Deutschtum begründete philosophische Bildungsfreude verdrängt«
worden sei.
Werke: Barocktheater und barocke Kunst. Kunstformen des Barockzeitalters, Bern/Mü
Die Entwicklungsgeschichte der Fest- und 1956, 13–91; Die Kunsthalle zu Kiel. Zur Ge-
Theater-Dekoration in ihrem Verhältnis zur schichte eines Museumsbaues, in: Nordelbin-
barocken Kunst, Bln 1939; Die mittelalterli- gen, 28/29, 1960, 223–242; Vorwort, in: Dag-
che Baugeschichte des Breslauer Domes und obert Frey. Eine Erinnerungsschrift, Kiel
die Wirkung der Zisterzienser in Schlesien, 1962; Vom Klassizismus bis zur Moderne, 2
in: FS Dagobert Frey, Br 1943, 248–290; Die Bde., Frf/Bln 1964; Über die Wirkung nor-
mittelalterliche Baukunst Schlesiens, Kitzin- wegischer Maler des 19. Jh.s in Deutschland,
gen 1951; Die barocke Freskomalerei in in: Nordelbingen, 34, 1965, 201–221; Über
Deutschland. Ihre Entwicklung und europä- den Stand der Forschung zur Kunstgeschichte
ische Wirkung, Mü 1951; Die Bedeutung der des Barock, in: DVjS, 40, 1966, 116–158
»fata teatrale« für das dynastische und künst- Literatur: Schlick, Johann: H.T., in: KChr,
lerische Leben im Barock, in: ArchKg, 37, 23, 1970, S. 132
1955, 336–351; Zur Gewinnung unserer Ba- PHF
rockbegriffe, in: Rudolf Stamm (Hrsg.), Die

Traeger, Jörg
Geb. 21. 1. 1942 in Rosenheim; gest. 29. 7. 2005 in München

Das umfangreiche kunsthistorische Lebenswerk T.s kreist um die italienische Hoch-


renaissance und die europäische Kunst nach der Französischen Revolution; fünf
seiner insgesamt zwölf Monographien befassen sich mit Philipp Otto Runge, Jac-
ques-Louis David und Francisco de Goya, die auch als Wegbereiter der Moderne
verstanden werden. Das 20. Jahrhundert selbst ist Gegenstand einer von T.s letzten
Publikationen (Kopfüber. Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts). Wie die meisten kunst-
wissenschaftlichen Texte T.s folgt sie einem ikonographischen Ansatz, der jedoch
über das traditionelle Verständnis von kunsthistorischer Themenkunde weit hinaus-
geht. T. steht in der Nachfolge der Ikonologie Warburgs und  Panofskys sowie
der Strukturanalyse  Drosts und  Sedlmayrs als bedeutender Vertreter einer auf
die Interpretation des Einzelwerks abzielenden Kunstwissenschaft.
Der Sohn eines Arztes studierte 1961–66 in München gleichzeitig Kunstge-
schichte an der Universität und Malerei an der Kunstakademie; nach einem Aufent-
halt an der Bibliotheca Hertziana promovierte er 1968 bei  Braunfels mit einem
Beitrag zur Ikonographie des Papsttums. 1973 folgte die Habilitation mit Studien
zum Werk von Philipp Otto Runge. Nach einer Privatdozentur wurde T. 1976 auf den
neugegründeten kunsthistorischen Lehrstuhl der Universität Regensburg berufen.
Ihm ist er trotz ehrenvoller Angebote aus Bonn (1985) und Tübingen (1994) treu
geblieben. Für seine Verdienste um Regensburg wurde T. 1991 mit der Albertus-
Magnus-Medaille ausgezeichnet.
In seiner in Form und Inhalt mustergültigen Doktorarbeit Der reitende Papst
Traeger 447

(1970) untersuchte T. einen bis dahin wenig beachteten ikonographischen Typus


unter Berücksichtigung der »insigniengeschichtlichen und zeremoniellen Gegeben-
heiten« sowie der »politischen und religiösen Tendenzen« der Zeit. Gleichsam als
Nebenprodukt entstand nur kurz danach ein bemerkenswerter Beitrag zur langen
Deutungsgeschichte des Bamberger Reiters, der in gleicher Weise vor einem weiten
Horizont argumentiert und sich auf ein umfassendes Quellenmaterial stützt.
Nach einer Arbeit über Raffaels Bildprogramm in der Stanza d’Eliodoro (1974)
erfolgte, ermuntert durch  Carl Georg Heise, der Wechsel zur deutschen Roman-
tik. 1975 erschien T.s disziplinhistorisch bedeutende Monographie über Philipp
Otto Runge, die auf dem Fundament eines musterhaften kritischen Verzeichnisses
der Werke des Künstlers deren verschlüsselte Gehalte zu deuten versucht. Die hand-
werklichen und formalen Defizite Runges, Ursache seines angeblichen Scheiterns,
erscheinen T. durch die neuartige Sprache und die »unvergleichliche Ausdrucks-
macht« seiner Bilder ausgeglichen; in ihnen und in Runges literarischer Hinterlas-
senschaft sieht er den weitgreifendsten Kunstentwurf des 19. Jahrhunderts; mehr als
jeder andere deutsche Künstler habe Runge die Kunst des 20. Jahrhunderts beein-
flußt.
Nicht zuletzt seine Berufung nach Regensburg lenkte T. auf die Walhalla, das von
Leo von Klenzes entworfene und von Ludwig I. in Auftrag gegebene deutsche
Nationaldenkmal bei Donaustauf, und ihre »Architektur der Unsterblichkeit«. Die-
sem Problemkreis entsprang eine umfassende Untersuchung über die Denkmal-
landschaft des Historismus und den aufkommenden modernen Eisenbahn-Touris-
mus (Der Weg nach Walhalla). Unmittelbar vorausgegangen war eine Arbeit über
Jacques-Louis Davids Tod des Marat, eine »Totalgeschichte« eines Einzelwerks, in der
T. wie schon ansatzweise beim Bamberger Reiter unter Heranziehung aller erreich-
baren Quellen dieses Kultbild der Französischen Revolution unter allen nur denk-
baren Aspekten ausleuchtete.
Auch in den Mittelpunkt seiner wichtigsten Publikation der 1990er Jahre stellte
T. ein Schlüsselwerk der Epoche: Raffaels Sposalizio. Von ihm ausgehend versuchte
er, entgegen der seit Winckelmann,  Burckhardt und der Ikonologie (Wind,
 Saxl,  Panofsky) weitverbreiteten Anschauung von der Renaissance als einem
»heidnischen« Zeitalter, dessen verschüttete christliche Grundsubstanz wieder ans
Licht zu bringen.
Neben dem bereits erwähnten Buch über die zeitgenössische Kunst von 2004 ist
aus T.s spätem Schaffen eine Monographie über Goya und die Kunst der Freiheit
hervorzuheben. Anknüpfend an eine Studie zu Goyas Gruppenporträt der königli-
chen Familie (Prado) versuchte sich T. hier an einer politischen Biographie des
Künstlers; er charakterisiert ihn als einen Liberalen zwischen dem königlichen Hof
und einem an Einfluß auf das Kunstschaffen zunehmenden Kunstmarkt.

Werke: Der reitende Papst, Mü/Zü 1970; ventus des Papstes, in: ZfKg, 33, 1970, 298–331;
Der Bamberger Reiter in neuer Sicht, in: Raffaels Stanza d’Eliodoro und ihr Bildpro-
ZfKg, 33, 1970, 1–21; Zur Frage eines zweiten gramm, in: RJbKg, 31, 1971, 29–100; Gerdt
Reiters im Bamberger Dom, in: Raggi, 10, Hardorff, ein früher Lehrer Runges, in: JbHK,
Nr. 2, 1970, 62–77; Der »Heuwagen« des Hie- 18, 1973, 125–154; Philipp Otto Runge und
ronymus Bosch und der eschatologische Ad- sein Werk. Monographie und kritischer Kata-
448 Traeger

log, Mü 1975; Zwei wiederentdeckte Haupt- Rinascimento dei Protestanti, in: L’Europa e
werke von Philipp Otto Runge, in: ZfKg, 38, l’arte italiana, a cura di Max Seidel, Venedig
1975, 171–186; Mittelalterliche Architektur- 2000, 530–547; Picassos Guernica. Zum
fiktion, Mü/Zü 1980; Die Walhalla, Regens- Bündnis von Avantgarde und Demokratie, in:
burg 1979; Architektur der Unsterblichkeit in Artibus et historiae, 22, 2001, 221–244; Goe-
Schinkels Epoche, in: Wiss. Ztschr. d. E.-M.- thes Vergötterung. Bilder eines Kults, in:
Arndt-Universität Greifswald. Ges.wiss.- u. Wolfgang Braungart (Hrsg.), Verehrung, Kult,
sprachwiss. Reihe, 31, 1982, 31–35; Weltland- Distanz. Vom Umgang mit dem Dichter im
schaft und Landschaftswinkel. Metamorpho- 19. Jh., Tü 2004, 93–136; Kopfüber. Kunst am
sen deutscher Landschaftsmalerei des 19. Jh.s, Ende des 20. Jh.s, Mü 2004; Il Transitus di-
in: AGNM, 1982, 92–108; Der Geist der Mar- vino. »Ave Maria a Trasbordo« di Segantini e
morgemeinde. Sakrale Verwandlungen in der il genere devozionale nel XIX Secolo, in:
Walhalla und ein theologischer Gedanke Jo- Martina Hansmann/Max Seidel (Hrsg.), Pit-
hann Michael Sailers, in: Hans Bungert tura italiana nell’Ottocento, Venedig 2005,
(Hrsg.), Johann Michael Sailer. Theologe- 279–302; Monarchie und Volkstümlichkeit.
Pädagoge-Bischof zwischen Aufklärung und Zum Kunstprogramm König Ludwigs I., in:
Romantik, Regensburg 1983, 87–113; Napo- Sigmund Bonk/Peter Schmid (Hrsg.), Kö-
leon, Trajan, Heine. Imperiale Staatsmalerei in nigreich Bayern. Facetten bayerischer Ge-
Frankreich, in: Hans Bungert (Hrsg.), Das an- schichte 1806–1819, Regensburg 2005, 49–64;
tike Rom in Europa, Regensburg 1986, 141– Der Kunsthistoriker als Künstler? Über
206; Der Tod des Marat. Revolution des Grenzgängerei und Zweigleisigkeit, in: David
Menschenbildes, Mü 1986; Der Weg nach Hiley (Hrsg.), Echo (Regensburger Kulturle-
Walhalla. Denkmallandschaft und Bildungs- ben, 2), 2006, 155–169
reise im 19. Jh., Regensburg 1987; Das Ideale Literatur: Metken, Günter: Rez. von
und das Reale. Philipp Otto Runges Bedeu- »Philipp Otto Runge und sein Werk«, in:
tung für die Kunst des 20. Jh.s, in: FS Hein- Weltkunst, 47, 1977, 932–933; Gage, John:
rich Lützler, Bonn 1987, 359–370; Die Kirche dass., in: BM, 119, 1977, 48–49; Bleyl, Mat-
der Natur. Kunst und Konfession in der ro- thias: Rez. von »Der Tod des Marat«, in: ZfKg,
mantischen Epoche, in: Christian Beutler u. a. 51, 1988, 292–296; Frings, Marcus: Rez. von
(Hrsg.), Kunst um 1800 und die Folgen, Mü »Renaissance und Religion«, in: JKg, 3, 1999,
1988, 181–199; Goyas königliche Familie. 57–63; Nagel, Alexander: dass., in: ArtB, 82,
Hofkunst und Bürgerblick, in: MJbbK, 3, 41, 2000, 773–777; Poeschel, Sabine: Rez. von
1990, 147–181; Aus Philipp Otto Runges An- »Goya. Die Kunst der Freiheit«, in: Kunst-
fängen als Maler. Eine frühe Fassung der form, 2, 2001, Nr. 3; Baum, Wolfgang: Rez.
»Ruhe auf der Flucht«, in: ZfKg, 55, 1992, von »Renaissance und Religion«, in: Mün-
463–481; Die Brüder Asam im Dom von chener Theolog. Ztschr., 52, H. 4, 2001, 381–
Freising. Was heißt Barockisierung, in: FS 382; Bedeutung in den Bildern. FS J.T. zum
Bernhard Rupprecht, Mü 1993, 263–288; 60. Geburtstag, Regensburg 2002; Stein-
Ruine und Rekonstruktion oder Theorie Kecks, Heidrun: Prof. Dr. J.T. zum Gedenken,
und Praxis, in: KChr, 47, 1994, 288–296; Der in: Das Münster, 58, 2005, 332–333; Höfler,
verschollene Name. Zur Deutungsgeschichte Janez: J.T., in: Umetnostna Kronika, 8, 2005, S.
des Bamberger Reiters, in: ZDVKw, 49/50, 31; Sauerländer, Willibald: J.T. 21.1.1942 –
1995/96, 44–76; Grenzformen der Kunst in 29.7.2005, in: JbBAdW (2005), Mü 2006,
der Goethezeit. Zur Ästhetik des Künstlichen, 347–350; Trapp, Eugen: Mit einem Wort: Es
in: Ernst Hinrichs/Klaus Zernack (Hrsg.), geht um Überlieferung. J.T. als Anwalt der
Daniel Chodowiecki. Kupferstecher, Illustra- Denkmalpflege, in: Denkmalpflege in Re-
tor, Kaufmann,Tü 1997, 181–265; Renaissance gensburg, Bd. 10, Regensburg 2006, 177–189;
und Religion. Die Kunst des Glaubens im Unger, Klemens (Hrsg.): Nachruf Prof. Dr.
Zeitalter Raffaels, Mü 1997; Goya. Die Kunst J.T., Regensburg 2006 (Bibliogr.)
der Freiheit, Mü 2000; Pagani e Nazareni. Il PB
Tschudi 449

Tschudi, Hugo von


Geb. 7. 2. 1851 auf Gut Jakobshof bei Edlitz (Österreich);
gest. 23. 11. 1911 in Bad Cannstatt

In erster Linie durch museale Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit, das heißt die
Kraft des Sichtbargemachten, daneben aber auch durch eindringliche spezialistische
wie breitenwirksame Schriften, wurde der Schweizer T., anfangs ein Fachmann für
italienische Renaissance und niederländische Malerei, in Deutschland an der Wende
zum 20. Jahrhundert zu einem der maßgeblichen Begründer einer neuen Auffas-
sung von der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts und von deren Weiterführung in
der »Moderne«.
T. war der Sohn eines weitgereisten Naturforschers und Arztes, zuletzt Diploma-
ten und Gutsherrn aus ältestem schweizerischen Adel. Sein Großvater mütterlicher-
seits war der Maler und Kustode der Wiener Belvederegalerie Ludwig Schnorr von
Carolsfeld. Er wuchs in St. Gallen auf, studierte 1870–75 in Wien Jura, daneben auch
Kunstgeschichte bei  Eitelberger. Nach zweijährigen Studienreisen durch West-
europa und Italien, wo er 1877 in den Kreis um den Maler Hans von Marées geriet,
arbeitete er 1878–79 an dem von Eitelberger geleiteten Österreichischen Museum
für Kunst und Industrie und im Institut für Österreichische Geschichtsforschung.
Erneute Reisen nach Paris und Italien brachten ihn in Kontakt mit  Konrad
Fiedler, dessen Kunstauffassung ihn beeinflussen sollte; er hörte kurze Zeit bei
 Janitschek in Straßburg und wurde 1883 von  Julius Meyer, dem Direktor der
Berliner Gemäldegalerie, für die Redaktion der Neubearbeitung von Naglers
Künstlerlexikon gewonnen.  Bode wurde auf ihn, der sich in Rom mit Quattro-
centoplastik befaßte, aufmerksam, und etwa gleichzeitig lernte er in Berlin  Licht-
wark kennen, der später sein wichtigster wissenschaftlicher Gesinnungsgefährte
wurde. Seit 1884 arbeitete er als Bodes Direktorialassistent an der Gemäldegalerie
in Berlin an den Katalogen – auch der Skulpturensammlung – mit, wohnte zuerst
mit  Thode, dann mit Bode zusammen und reiste zu vergleichenden Studien und
zur Vorbereitung von Ankäufen sehr viel, unter anderem nach Spanien (1892) und
Rußland (1893). Die bloße Auflistung der besuchten Orte füllt 41 enggedruckte
Zeilen in Ernst Schwedeler-Meyers Einleitung zu den Gesammelten Schriften. Seit
1894 gab T. mit Thode das Repertorium für Kunstwissenschaft heraus, im selben Jahr
erhielt er den Professorentitel. Die zeitgenössische Malerei zog ihn immer stärker
an, und er suchte die Nähe von Künstlern wie Max Liebermann, die sich damals in
»Sezessionen« zu organisieren begannen.
So war es konsequent, daß er, auch um der Assistententätigkeit für Bode zu
entrinnen, 1896 das Angebot annahm, Direktor der Berliner Nationalgalerie zu
werden. Er begann sofort, im Pariser Kunsthandel und dann andernorts und in
Ausstellungen französische impressionistische Bilder sowie andere neuere ausländi-
sche und deutsche Kunst zu erwerben, die er, nach Bodes Vorbild, häufig durch
Stifter bezahlen ließ. Die Auswahl dessen, was in der Galerie ständig gezeigt wurde,
und die Art der Hängung wurden energisch modernisiert. Kaiser Wilhelm II. ver-
lieh T. dafür einen Orden, der den Museumsreformer wohl mäßigen sollte, verfügte
aber 1899 nach einem heftigen Zusammenstoß eine Korrektur der Ausstellung und
450 Tschudi

die Genehmigung aller Neuzugänge durch ihn persönlich. T. war trotz einer zuneh-
mend schwerer werdenden Erkrankung an Hauttuberkulose weiter rastlos zur Be-
sichtigung von Ausstellungen auf Reisen. Er dehnte seine Beziehungen zu moder-
nen Künstlern und großbürgerlich-liberalen Sammlern und Intellektuellen weiter
aus und konnte auch die Gestaltung der Nationalgalerie wieder erneuern. Nach der
Gedächtnisausstellung 1905 für Adolph Menzel, dem er bereits wichtige Publikatio-
nen gewidmet hatte, richtete er dann 1906 gemeinsam mit Lichtwark und dem
Kunstkritiker  Meier-Graefe die »Jahrhundertausstellung« deutscher Kunst aus
der Zeit von 1775 bis 1875 aus, die das Werturteil über die neuere Kunst und ihre
Geschichte tiefgehend und folgenreich veränderte. Obwohl T. dafür zum Geheimrat
ernannt wurde, obsiegten die Abneigung Bodes, die Feindschaft des Malers und
Akademiedirektors Anton von Werner und der eitle Starrsinn des Kaisers, so daß T.
1908 beurlaubt wurde, noch eine Studienreise nach Japan unternahm und 1909 die
Berufung zum Direktor der Bayerischen Staatssammlungen in München, der kul-
turpolitischen Rivalin Berlins, annahm. Seine dortige Reorganisation der neueren
Abteilung stieß jedoch bald auf ähnliche konservative Gegnerschaft. So gelangten
erst nach seinem Tode jene Meisterwerke Manets und anderer Franzosen, die Stifter
nach T.s Wünschen vorsorglich für die Berliner Nationalgalerie bzw. die Münche-
ner Pinakothek erworben hatten, als »T.-Spende« 1912/13 in die Bayerischen Staats-
gemäldesammlungen.
T. hob an der Kunst des 19. Jahrhunderts (Die Jahrhundertausstellung der französi-
schen Kunst, 1900) das »konsequente, das ganze Jahrhundert beherrschende Ringen
nach einer über alle Tradition hinausgehenden Naturwiedergabe, die Stellung und
Lösung neuer künstlerischer Probleme« hervor. Dies gipfelte für ihn in den Bildern
der französischen Impressionisten und besonders denen Manets wie auch Renoirs.
T. war der erste Museumsdirektor überhaupt, der für eine öffentliche Sammlung ein
Bild Cézannes erwarb, indem er dafür einen Stifter gewann. Er ging in seiner Zu-
stimmung noch bis zu van Gogh und dem frühen Matisse mit; der deutsche Expres-
sionismus und die abstrakte Malerei blieben für ihn wie für Meier-Graefe und
 Scheffler außerhalb seiner ästhetischen Fassungskraft. Für entscheidend hielt er
»die wirklich künstlerischen Persönlichkeiten, jene Meister, die für die Entwicklung
der Kunst etwas zu bedeuten haben, die Verkannten, die spät Erkannten und auch
die Ungekannten«, wie etwa Friedrich, Krüger, Blechen, außerhalb Deutschlands
auch Goya und von älteren Meistern El Greco.
Unter Vernachlässigung von Thematik und kultureller Funktion der Werke be-
wog ihn allein das, was er als ihre rein malerische Qualität ansah, die durchaus auch
geistige Substanz umfaßte, zu seinen anspruchsvollen Werturteilen, deren Nachvoll-
zug er, durchaus geistesaristokratisch, nur den sachkundigen und feinnervigen Be-
rufenen zubilligte. Dementsprechend gehörte er zu denen, die Menzel anders als
bisher beurteilten: »Das Interessanteste an Menzels Bildern sind die Studien; die
Wahrheit des Einzelnen ist größer als die des Ganzen« (in der neuen Zeitschrift Pan,
1896).
Deutschnationale Standpunkte waren ihm, dem Schweizer, fremd; jedoch führte
seine Bewunderung der französischen Malerei nicht zu doktrinärer Einseitigkeit,
wie – im Gegensatz zu Meier-Graefe – seine Wertschätzung der Individualität Ar-
Tschudi 451

nold Böcklins belegte: »Nur in den schwächeren Naturen zittern alle Wandlungen
der Kunstgeschichte nach.«
Methodisch folgenreich war, daß sich T., gleichsam testamentarisch in seinem
Todesjahr, in scharfem Widerspruch zu Bode dazu bekannte, daß neue Kunst
»plötzlich unerwartete Perspektiven auf die alte Kunst« eröffnet. Auch Galerien alter
Meister sind so darzubieten, daß ihr Sammlungsmaterial »eine aufregende Aktuali-
sierung gewinnt«, wenn es »durch lebendige Fäden mit der Gegenwart verknüpft«
wird und ästhetische Werte vermittelt, für die erst unsere Zeit empfänglich gewor-
den ist.
Werke: Ein Rundgang durch das moderne Literatur: Leven, Willy (Hrsg.): H.v.T., Bln
Paris, in: ZfbK (Beilage), 11, 1876, 777–785; 1908; Fuchs, Georg, H.v.T., in: KfA, 23, 1908,
Giovanni Dalmata, in: JbPK, 1883, 169–190; 329–332; Meier-Graefe, Julius: H.v.T., in: Die
Kgl. Museen zu Berlin. Verzeichnis der im Zukunft, Bd. 68, 1909, 42, 87–90; Thode,
Vorrat der Galerie befindlichen sowie der an Henry: H.v.T., in: RfKw, 34, 1911, 473–477;
andere Museen abgegebenen Gemälde (mit Liebermann, Max: H.v.T., in: KtKtler, 10,
Wilhelm Bode), Bln 1886; Ein männliches 1912, 179–182; Bode, Wilhelm: Zur Erinne-
Bildnis von Jan van Eyck, in: JbPK, 1887, 172– rung an H.v.T., in: JbPK, 1912, I-IV; Réau,
174; Kgl. Museen zu Berlin. Beschreibung der Louis: H.v.T., in: GBA, 54, 1912, 51–58; Uhde-
Bildwerke der christlichen Epoche (mit Wil- Bernays, Hermann: Erinnerungen an T., in:
helm Bode), Bln 1888; Die altniederländische Ganymed, 3, 1921, 170–173; Waetzoldt, Wil-
Schule, in: Die Gemäldegalerie der Kgl. Mu- helm: Trilogie der Museumsleidenschaft.
seen zu Berlin, 4 Bde., Bln 1888–1909, Bd. 3, Bode, T., Lichtwark, in: ZfKg, 1, 1932, 5–12;
1–44; Die Madonna mit dem Karthäuser von Martin, Kurt: AKat. Die T.-Spende, Mü 1962;
Jan van Eyck, in: JbPK, 1889, 154–165; Die Paret, Peter: The T.-Affair, in: Journal of Mo-
Madonna mit dem Karthäuser und Heiligen dern History, 53, 1981, 589–618; Ludwig,
von Jan van Eyck, in: ebd., 1894, 65–70; Hu- Horst: Die T.-Spende, in: Kunst, Geld und
bert Janitschek, in: RfKw, 17, 1894, 1–7; Adolf Politik um 1900 in München, Bln 1986, 236–
Menzel, in: Pan, 2, 1896, 41–44; Kunst und 243; Paul, Barbara: H.v.T. und die moderne
Publikum, Bln 1899; Die Jahrhundertausstel- französische Kunst im Deutschen Kaiserreich,
lung der französischen Kunst, in: KfA, 16, Mainz 1993; Zell, Andrea: H.v.T. – Ein Weg-
1900, H. 101, 3–23, 33–47, 59–72; Die Werke bereiter der Museumsarbeit des 20. Jh.s, in:
Arnold Böcklins in der Kgl. Nationalgalerie Oberbayer. Archiv, 117/118, 1993–94, 7–83;
zu Berlin, Mü 1901; Edouard Manet, Bln Arndt, Karl: Konstellationen. Bode, T., Fried-
1902; Einleitung zum AKat. Ausstellung deut- länder, Winkler, in: JbBM, 1996 (Beiheft),
scher Kunst aus der Zeit von 1775 bis 1875 in 57–71; AKat. Manet bis van Gogh. H.v.T. und
der Kgl. Nationalgalerie zu Berlin, Mü 1906; der Kampf um die Moderne, Bln/Mü 1996–
Verzeichnis der Gemälde und Skulpturen in 97; Clegg, Elizabeth: Berlin and Munich. H. v.
der Kgl. Nationalgalerie zu Berlin, Bln 1908; T., in: BM, 139, 1997, 216–218; Beneke, Sa-
Katalog der Kgl. Älteren Pinakothek, Mü bine: H. v. T., Nationalcharakter der Moderne
1911; Vorwort zum Katalog der aus der um die Jahrhundertwende in: Claudia Rü-
Sammlung Marczell von Nemes-Budapest in ckert (Hrsg.), Der Deutschen Kunst, Dr 1998,
der Kgl. Älteren Pinakothek zu München 44–60; Maaz Bernhard: H.v.T. im Briefwech-
ausgestellten Gemälde, Mü 1911; Gesammelte sel, in: JbBM, NF 45, 2003, 157–200
Schriften zur neueren Kunst, Mü 1912 (Bi- PHF
bliogr.)
452 Vischer

Vischer, Robert
Geb. 22. 2. 1847 in Tübingen; gest. 25. 3. 1933 in Wien

Bis heute steht V. im Schatten seines Vaters Friedrich Theodor Vischer (1807–87), der
als Philosoph, Schriftsteller und Politiker eine zentrale Figur im deutschen Geistes-
leben des 19. Jahrhunderts war. Fast zwangsläufig trat er in dessen Fußstapfen und
widmete sich anfangs der Ästhetik. In seiner Doktorarbeit Über das optische Formge-
fühl (1873) leistete er einen bedeutenden Beitrag zu einem empirischen, physiolo-
gische und psychologische Faktoren in das ästhetische Erleben einbeziehenden
Ansatz, der sich gegen Hegels Auffassung von der Kunst als einer Entfaltungsphase
des »absoluten Geistes« und gegen den Formalismus der Anhänger Johann Friedrich
Herbarts, vor allem Robert Zimmermanns, wandte. »Wäre es nicht einfacher, natür-
licher und bequemer«, fragte er 1874 in Der ästhetische Akt und die reine Form, »den
Begriff der Schönheit aus dem ästhetischen Subjekte zu entwickeln? [...] Der Inhalt
eines Kunstwerks ist eben der Künstler«.
V. führte den auf Herder und die Romantik (Novalis,  Wackenroder) zurück-
gehenden Begriff »Einfühlung« in die kunstwissenschaftliche Diskussion ein, an der
bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zahlreiche Ästhetiker wie Hermann Lotze,
Theodor Lipps, Johannes Volkelt und Kunsthistoriker wie  Wölfflin,  Schmar-
sow und  Worringer beteiligt waren.
Später, nachdem ihn in Italien die Werke der großen Renaissance-Meister in
ihren Bann geschlagen hatten, wandte sich V. der Kunstgeschichte zu, die er aller-
dings als eine Wissenschaft beschreibt, die über »Katalogisieren, Datenbestimmen,
Urkundenjagd, Notizenhäufung, Technologie« bisher nicht hinausgekommen sei
(Kunstgeschichte und Humanismus, 1880). Sein Ziel war es, die »falsche Scheidewand«
zwischen empirischer Kunstgeschichtsforschung und ästhetischer Reflexion nie-
derzureißen, denn nicht alles an der Kunst sei »bloß rein historisch«, auf Quellen
und stilgeschichtliche Zusammenhänge zurückzuführen. Die Werke der Künstler
seien auch »aus ihrem positiven, eigensten Kern heraus zu fühlen und zu verstehen«,
notwendig sei »ein lebendiger, philosophisch durchklärter Empirismus«. V. sah sich
in diesem Bemühen in einer Tradition, die auf  Winckelmann zurückreichte, der
die Kunst in ihrer Geschichtlichkeit entdeckt, ihr aber den »idealen Ursprung« be-
lassen hatte. Zu seinen unmittelbaren Vorläufern zählte V.  Rumohr,  Schnaase,
 Kugler,  Semper und die Archäologen Karl Bötticher und Karl Bernhard
Stark.
V. verbrachte seine Jugend in Tübingen, wo sein Vater seit 1844 eine Professur für
Ästhetik und deutsche Literaturgeschichte innehatte. Geistig geformt haben ihn
auch Ludwig Uhland, Eduard Mörike und der Theologe David Friedrich Strauß,
die der Familie nahestanden; und stets dankbar erinnerte sich V. seines Heidelberger
Lehrers Stark. In den 1870er Jahren – zum erstenmal 1872 – reiste V. wiederholt
nach Italien. 1875 erhielt er eine Anstellung als Sekretär an der Wiener Kunstakade-
mie. Nach der Habilitation mit Luca Signorelli und die italienische Renaissance (1879)
wurde er 1880 Privatdozent in München, 1882 Extraordinarius in Breslau und 1885
o. Professor an der Technischen Hochschule in Aachen. 1892–1911 wirkte V. schließ-
lich als erster Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Göttingen.
Vischer 453

V.s Signorelli-Buch war seine erste größere kunstgeschichtliche Arbeit und zu-
gleich die erste Monographie über den Künstler mit einem Werkverzeichnis. Diese
Leistung mußte selbst  Janitschek anerkennen, der sonst kein gutes Haar an dieser
Arbeit ließ und V., der »weder Herr der Form noch der Fülle des [...] Stoffes« ge-
worden sei, Mangel an historischer Schulung und Sprachbeherrschung vorwarf;
alles sei »in die Zwangsjacke moderner Begriffe und Schlagworte« gezwängt wor-
den.
Da die Lehrverpflichtungen an der Universität auch die deutsche Kunstgeschichte
einschlossen, wandte sich V. seit 1879/80 diesem Gebiet zu, insbesondere Dürer und
der Spätgotik. Im Mittelpunkt der seinem Vater gewidmeten Studien zur Kunstge-
schichte (1886) steht ein Aufsatz über den Künstler, der zugleich eine Abrechnung
mit der philosophiefeindlichen philologisch-historischen Kunstgeschichtsschrei-
bung und eine Demonstration der V.schen Methode darstellt. An  Thausings
Dürer-Monographie (1875) bemängelte er, daß die »Betrachtung [...] fast durchweg
unfrei [sei], am einzelnen [klebe] und [sich nicht] zur Erfassung von Dürers Kunst
aufzuschwingen« vermöge.V. dagegen wollte Dürers Kunst verstehen, indem er sich
in dessen Phantasiewelt »einfühlte«; er betrachtete die spätgotischen Formen und
die Materialien, in denen sie sich verkörperten, versuchte, sie in sich aufzunehmen,
um so an Dürers Wurzeln zu gelangen. Als Vertreter der Gegenpartei antwortete
 Springer, der diesen Ansatz für subjektive Willkür hielt und erklärte, daß V. »seine
Absicht, zwischen der Kunstgeschichte und der spekulativen Ästhetik eine feste
Brücke zu schlagen, nicht erreicht« habe. V. traf diese Kritik tief. Von nun an wid-
mete er sich seiner Lehrtätigkeit und dem Nachlaß seines 1887 verstorbenen Va-
ters.
Erst viele Jahre später trat V. noch einmal mit einem kleinen Büchlein über Ru-
bens vor die Öffentlichkeit (1904). Im Vorwort bezeichnet er sich als Laien, der für
Laien schreibe, der sich vom Ballast der Professoren-Kunstgeschichte befreit habe
und nur noch »als ganzer, warmer Mensch, mit Auge, Gefühl, Phantasie, mit seiner
Seele bei der Arbeit« sei. V. schildert Rubens aus einem begeisterten Herzen, als ob
er den Maler persönlich gekannt habe. Er war für ihn der Inbegriff des sinnlichen,
vitalen Künstlers und ein Kolorist par excellence, vielleicht auch ein Vorläufer der
Impressionisten.
Werke: Über das optische Formgefühl. Ein DVjS, 5, 1927, 583–608; Über Dürers Kupfer-
Beitrag zur Ästhetik, Lpz 1873; Luca Signo- stich »Der Traum des Doktors«, in: DVjS, 7,
relli und die italienische Renaissance, Lpz 1929, 642–653
1879; Kunstgeschichte und Humanismus. Literatur: Janitschek, Hubert: Rez. von
Beiträge zur Klärung, Stg 1880; Deutsche »Luca Signorelli und die italienische Renais-
Renaissance einst und jetzt, Br 1884; Studien sance«, in: RfKw, 2, 1879, 396–399; Springer,
zur Kunstgeschichte, Stg 1886; Peter Paul Anton: Rez. von »Studien zur Kunstge-
Rubens. Ein Büchlein für unzünftige Kunst- schichte«, in: GöGA, 7, 1887, 241–256; Seidlitz,
freunde, Bln 1904; Drei Schriften zum ästhe- Woldemar von: dass., in: RfKw, 11, 1888, 179–
tischen Formproblem (Über das ästhetische 183; Koch, Carl: Zu R.V.s 80. Geburtstag, in:
Formgefühl, 1873; Der ästhetische Akt und ebd., 48, 1927, 119–122; Glockner, Hermann:
die reine Form, 1874; Über ästhetische Na- R.V. und die Krisis der Geisteswissenschaften
turbetrachtung, 1890), HaS 1927; Ein Manu- im letzten Drittel des 19. Jh.s, in: ders., F.
skript von Friedrich Th. Vischer über das Th.V. und das 19. Jh., Bln 1931, 168–271;
Buch »Der alte und der neue Glaube«, in: Croce, Benedetto: R.V. e la contemplazione
454 Vischer

della natura, in: Storia dell’ estetica per saggi, Heinrich Wölfflin und Wilhelm Worringer,
Bari 1942; Nigro Covre, Jolanda: La teoria in: Christian Drude (Hrsg.), 200 Jahre Kunst-
della Einfühlung secondo R.V., in: Ricerche geschichte in München, Mü 2003, 82–93
di storia dell’arte, 5, 1977, 3–24; Büttner, PB
Frank: Das Paradigma »Einfühlung« bei R.V.,

Vitzthum von Eckstädt, Georg Graf


Geb. 14. 5. 1880 in Oberlößnitz; gest. 16. 12. 1945 in Göttingen

Nach dem Urteil seines Schülers  von Einem waren es eine tiefe »Scheu und
Strenge«, die V. davon abhielten, über die »größten Gegenstände« der Kunstge-
schichte zu schreiben; als besonders schmerzlich empfand er, daß Rubens, dem die
letzten Vorlesungen V.s in Göttingen gegolten hatten, keine literarische Behandlung
gefunden habe.V.s schriftliche Hinterlassenschaft muß ohnehin – vergleicht man sie
etwa mit der  Pinders, des Altersgenossen und befreundeten Kollegen – eher
klein genannt werden. Er widmete sich vor allem seinem akademischen Lehramt,
das er  Goldschmidt zufolge in idealer Weise versah. V. vermittelte jedoch kein
geschlossenes Theorie- und Methodengebäude, sondern, wie von Einem sagt, eine
»Berufsauffassung«. V. forderte vom Kunsthistoriker Bescheidenheit, Wahrheitsliebe
und kritisches Denken. Über den Wert von Forschungsverfahren entschied allein,
ob sie »der Erkenntnis und dem Genuß des einzelnen Kunstwerkes« dienten. Die
bei dem »roten Grafen« (H. von Einem, 1946) während der Nazi-Zeit studierten,
bezeugen, daß seine moralische Integrität bis zum Schluß unbeschädigt blieb. Wäh-
rend die Vorlesungen fast die gesamte europäische Kunstgeschichte bis zur Roman-
tik behandelten, befassten sich die Veröffentlichungen mit Italien, Frankreich und
England zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert. Den Mittelpunkt seines kunstge-
schichtlichen Weltbildes nahm das hochgotische Frankreich ein; im »Wunderbau«
der gotischen Kathedralen sah V. »nordisches Kunstempfinden, antike Formenkraft
und kirchliches Bedürfnis« in einer unvergleichlichen, dem Altertum und der Re-
naissance ebenbürtigen Synthese vereinigt.
1903, im selben Jahr wie Pinder, promovierte V. bei  Schmarsow in Leipzig über
Bernardo Daddi, einen bis dahin wenig beachteten Giotto-Schüler.Vorausgegangen
war ein mehrmonatiger Aufenthalt in Florenz, wo er die besondere Förderung von
Heinrich Brockhaus (1858–1941), dem ersten Direktor des Deutschen Kunsthisto-
rischen Instituts, erfuhr. Bevor er sich in der Habilitationsschrift vier Jahre später
dem Norden zuwandte, veröffentlichte V. 1905 eine quellen- und stilkritische Un-
tersuchung zu den Fresken im Camposanto von Pisa, ein wichtiges Bindeglied
zwischen den Forschungen  Thodes (1888) sowie denen von Roberto Longhi
und Millard Meiss in den 1920er/1930er Jahren.
Der Wechsel von der Gotik in Italien zu ihrem Ursprungsland Frankreich führte
V. zwangsläufig von der Wandmalerei zur Buchmalerei; er wurde neben  Springer,
 Janitschek,  Goldschmidt und  Haseloff einer ihrer besten Kenner. Seine
Forschungen galten der Blütezeit der französischen Buchmalerei zwischen 1250
und 1320 und ihrem weitreichenden Einfluß bis nach Belgien, England und dem
Vitzthum von Eckstädt 455

Rheinland, wobei es ihm weniger um eine lückenlose Darstellung der erhaltenen


Handschriften unter systematischen Aspekten als um ein stilgeschichtliches »Ent-
wicklungsbild« ging, in dem jedes neugefundene Denkmal seinen Platz finden
würde.
Bis 1914 lehrte V. an der Universiät Leipzig, zunächst als Privatdozent, seit 1910
als a.o. Professor und seit 1912 neben Schmarsow als zweiter Ordinarius. Gegen
Ende dieses Lebensabschnitts entstanden jene ersten 113 Seiten des später von
 Volbach vollendeten Bandes des Handbuchs der Kunstwissenschaft über die bil-
dende Kunst des Mittelalters in Italien, die von Einem zu Recht als das Beste des
Schriftstellers V. bezeichnet hat. Die mittelalterliche Kunst erscheint hier als Erbin
der Antike: »Wer in der gotischen Gewandfigur nicht den phidiasischen Kern ent-
deckt, ist wohl nicht fähig, das Formgesetz der mittelalterlichen Kunst zu begreifen.«
Für das Mittelalter aber ebenso bestimmend hielt V. ihre Naturferne und geistige
Abstraktion, die zu einer »außerordentlichen Einheitlichkeit« und Stilhöhe geführt
habe: »Und diese Kraft der Abstraktion, der inneren geistigen Verarbeitung ist nicht
das Geringste, was sie uns Nachlebenden zu genießen gibt.« Die Gotik sei aber
nicht nur ein zeitlich begrenzter Stil gewesen, sondern – und hier berief sich V.
ausdrücklich auf  Worringer (Formprobleme der Gotik, 1911) – auch eine »künstle-
rische Gesinnung«. Er hielt sie für »Kunst der nordischen Rassen«, im »gotischen
Schwung« der Skulpturen des 13. Jahrhunderts spiegele sich eine »rein innerliche
Ausdrucksempfindung«, wie sie die Antike nicht gekannt hätte.
1914 erhielt V. eine Berufung auf den Kieler Lehrstuhl, mußte aber schon bald
darauf bis 1918 in den Krieg, den er nur mit schweren gesundheitlichen Schäden
überlebte. 1920 trat er die Nachfolge  Heinrich Alfred Schmids in Göttingen an.
Zu den Publikationen, die seitdem noch entstanden, gehört neben einem Aufsatz
über die sogenannte Navicella von Giotto – ein fast zerstörtes Mosaik in der Vor-
halle von St. Peter in Rom, das er zu rekonstruieren versuchte – eine bemerkens-
werte Rezension zu einer Monographie über den spätmittelalterlichen norddeut-
schen Meister Francke, auf die Pinder sieben Jahre später im 2. Band seiner deutschen
Kunstgeschichte (Die Kunst der ersten Bürgerzeit, 1937) noch einmal ausdrücklich
hinwies, weil er glaubte, andere Akzente setzen zu müssen: Die Autorin Bella Mar-
tens hatte gezeigt, daß Meister Francke von der französisch-burgundischen und
niederländischen Malerei ausgegangen war, was V. und Pinder ausdrücklich für eine
wertvolle Erkenntnis hielten. Die Panofsky-Schülerin, die auf den sich schon im
frühen 15. Jahrhundert anbahnenden »Realismus« fixiert schien, hatte jedoch der
Tatsache kaum Beachtung geschenkt, daß Meister Francke, wie V. feststellt, im Ver-
laufe seines Schaffens wieder zu einem »wirklichkeitsabgewandten Stil« im Sinne
des Mittelalters zurückgekehrt war. Während Pinder später Meister Francke als ei-
nem typisch deutschen Künstler huldigte, der »westliche Kunstmittel« dankbar
aufgenommen hatte, um sie dann aber völlig zu überwinden und in den Dienst
eines Ideals zu stellen, war für V. nicht die »Überwindung« des »Französischen«
durch das »Deutsche« das Wesentliche, sondern einer auf »Beobachtung der Außen-
welt gegründeten und durch sie gebundenen Kunst durch eine autonome«; Meister
Franckes Stil änderte sich später vor allem deshalb, weil sich seine »Gesinnung«
geändert hatte. Für V. war diese »Abbiegung« nicht völkerpsychologisch, sondern
456 Vitzthum von Eckstädt

geistesgeschichtlich zu verstehen. Er teilte auch nicht Pinders Vorbehalte gegenüber


dem von Panofsky geleiteten Hamburger Kunstgeschichtlichen Seminar und lobte
in seiner Rezension fast überschwenglich den »hohen Ernst« und die »vollkom-
mene Selbstverleugnung« der Autorin als vorbilhaft für alle jungen Kunsthisto-
riker.
Werke: Bernardo Daddi, Lpz 1903; Von den Giottos Navicella, in: FS Paul Schubring, Lpz
Quellen des Stils im »Triumph des Todes«, in: 1929, 144–155; Rez. von Bella Martens, Mei-
RfKw, 28, 1905, 199–226; Die Pariser Minia- ster Francke (1929), in: RfKw, 51, 1930, 247–
turmalerei von der Zeit des hl. Ludwig bis zu 253; Georg Dehio, in: Nachrichten v. d. Ges.
Philipp von Valois und ihr Verhältnis zur Ma- d. Wiss.en in Göttingen, 1931/32, 1–5; Rez.
lerei Nordwesteuropas, Lpz 1907; Die könig- von Alfred Stange, Deutsche Malerei der Go-
liche Akademie für graphische Künste und tik, Bd. 1 (1934), in: ZfKg, 4, 1935, 241–244
Buchgewerbe zu Leipzig, in: Archiv f. Buch- Literatur: Rintelen, Friedrich: Rez. von
gewerbe, 46, 1909, 1–8; Christliche Kunst im »Bernardo Daddi«, in: KA, 3, 1906, 33–45;
Bilde, Lpz 1911; Die Malerei und Plastik des Einem, Herbert von: G. Graf V. zum Gedächt-
Mittelalters in Italien, Pd 1914/24 (mit Wolf- nis, in: Die Sammlung, 1, 1945/46, 265–269;
gang Fritz Volbach); Ein Stadtbild im Bapti- Gronau, Hans Dietrich: G. Graf V., in: BM, 88,
sterium zu Castiglione d’Olona, in: FS Paul 1946, 176–179; Stechow, Wolfgang: G. Graf V.
Clemen, Bonn 1926, 401–411; Der Hochaltar von Eckstädt, in: CArtJ, 5, 1946, 30–32
der Jakobikirche in Göttingen, Gö 1927; Zu PB

Vöge,Wilhelm
Geb. 16. 2. 1868 in Bremen; gest. 30. 12. 1952 in Ballenstedt

Die Bildhauerkunst des Mittelalters fand erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
das Interesse der Kunsthistoriker. In Deutschland leistete neben  Goldschmidt vor
allem V. wegweisende Pionierarbeit. Im Blick hatte er die gesamte Epoche vom 10.
bis zum 16. Jahrhundert und, obwohl die deutschen Themen in seiner Bibliographie
überwiegen, stets auch die europäische Dimension. V. galt als »glühender Patriot«
( Heise). Sein kritisches Urteilsvermögen blieb jedoch von der nationalen Hoch-
stimmung im deutschen Kaiserreich ungetrübt. Als erster Kunsthistoriker sah er mit
aller Deutlichkeit, was die deutsche gotische Plastik der französischen verdankte. V.
ging sogar so weit, Frankreich das wichtigste Kulturland des Mittelalters zu nennen.
Deutsche Kunstgeschichte schreiben hieß für ihn daher zuerst nach Frankreich
gehen. So wurde er, fast unbeabsichtigt, durch sein Hauptwerk (Die Anfänge des
monumentalen Stiles im Mittelalter, 1894) zu einem der bedeutendsten deutschen
Kenner der französischen Plastik des 12. und 13. Jahrhunderts und zu einem Binde-
glied zwischen der Kunstgeschichtsschreibung beider Länder.
V. studierte in Leipzig bei  Springer, 1887/88 in Bonn, wo  Warburg und
 Clemen zu seinen Kommilitonen gehörten, und 1888/89 in München. 1891
promovierte er in Straßburg bei  Janitschek über ottonische Buchmalerei. Nicht
zuletzt das Erlebnis des Straßburger Münsters förderte den Wechsel des Forschungs-
gegenstandes: 1892/93 reiste V. in Frankreich von Kathedrale zu Kathedrale und
vertiefte sich in die französische Forschungsliteratur. Hilfreich waren ihm dabei
Louis Courajod (1841–96) und Eugène Müntz (1845–1902). Anders als die ikono-
graphisch orientierte französische Forschung wählte V. jedoch den moderneren
Vöge 457

stilkritischen Ansatz und zeigte überdies, daß den Darstellungsgegenstand betref-


fende Fragen oft mit formalen Aspekten aufs engste verknüpft sind: »Wo die Kunst-
produktion in Massen auftritt, also in jeder Art Blütezeit, ist die künstlerische
Überlieferung eine selbständige Macht geworden, sie ist wie ein Baum, der sich
verzweigt und vielfältige Früchte bringt, die einzelne Schöpfung entwächst nicht
mehr unmittelbar dem Boden der literarischen Kultur.«
V. betrachtete die gotische Kathedrale als ein Ganzes, dem die Bildhauerkunst
dienend eingebunden sei und deren von den »eigentümlichen Bedingungen mittel-
alterlicher Produktion« abhängige technische und ästhetische Gestalt auf den Schaf-
fensprozeß in den Bildhauerwerkstätten stärker eingewirkt habe als etwa die Welt-
anschauung des Klerus oder der Bauherren. V. wies darauf hin, daß dem
Figurenschmuck der gotischen Kathedralen, weil an die Mauer gebunden (»Mauer-
plastik«), durch Größe und Proportionen des Steinblockes Grenzen gesetzt waren.
Mit diesem »tektonischen Zwang« mußte sich der Bildhauer auseinandersetzen. In
den glücklichsten Schöpfungen, wie der Maria, der sogenannten Vierge dorée, am
südlichen Querschiffsportal der Kathedrale von Amiens, sei die Blockform in der
»Bilderscheinung«, in »reiner Form«, aufgegangen. Auch im Mittelalter habe hinter
den Kunstwerken als letzte und entscheidende Instanz eine Künstlerpersönlichkeit
gestanden. Es sei »das erste und das letzte« der Kunstgeschichtsschreibung, betont V.,
auch die Kunstwerke des Mittelalters »als Gebilde einer Künstlerhand« anzuerken-
nen und zu versuchen, »Einblick zu gewinnen [...] in den verborgenen Prozess der
Stilbildung«.
Das Vorwort zu den Anfängen des monumentalen Stiles im Mittelalter wurde wäh-
rend eines italienischen Studienaufenthalts im Mai 1894 in Rom verfaßt. In einer
ebenfalls dort geschriebenen Arbeit über Raffael und Donatello, die die Rolle der
Künstlerpersönlichkeit in der Renaissance erörtert, stellte V. die damals kühne These
auf, daß Donatellos Reliefs am Hochaltar von S. Antonio in Padua, gleichsam 50
Jahre Kunstentwicklung überspringend, in Raffaels Fresken in den Stanzen des Va-
tikan fortleben. Die zugrundeliegende theoretische Aussage, die fast wie ein Glau-
benssatz klingt, faßte V. in die von Nietzsche inspirierten Worte: »Die Idee von der
›organischen‹ Entwicklung der Kunst und unser Wissen vom Genius stehen, meine
ich, in keinem Gegensatz miteinander. Sind es doch die Größten, in denen die
›Entwicklung‹ sich darstellt, die anderen zählen kaum. Über die Häupter der übri-
gen hinweg reichen jene einander in goldenen Schalen den begeisternden Trank.«
Mit diesem Konzept einer Kunstgeschichte als Künstlergeschichte knüpfte V. an das
Denken der Gründerzeit an, an  Grimm und  Carl Justi, bei dem er in Bonn
Vorlesungen gehört hatte. Seit 1907/08 wandte er sich den spätgotischen Bildhau-
ern und Bildschnitzern zu: Konrad Meit (1908, 1927), Niclas Hagnower (1930), Jörg
Syrlin (1950).
Bevor V. 1898 seine Stelle als Mitarbeiter  Dehios an der Straßburger Universi-
tät bereits nach zwei Jahren wieder aufgab und einem Ruf an die Berliner Museen
folgte, hatte er sich intensiv mit der Kathedrale von Reims und einer der zentralen
Fragen der mittelalterlichen Kunstgeschichte, der nach dem Einfluß der Reimser
auf die Bamberger Domskulpturen, befaßt (1899, 1901, 1902); er vertrat die Auffas-
sung, daß neben einer direkten Abhängigkeit von einer gemeinsamen Wurzel aus-
458 Vöge

zugehen sei; auf die deutsche Entwicklung – wie auf die französische – habe auch
das über Byzanz vermittelte Erbe der Antike eingewirkt.
Während der Berliner Jahre 1898–1908 wandelte sich der Historiker zum Kenner.
In den Mittelpunkt von V.s Tätigkeit in der Abteilung »Bildwerke der christlichen
Epochen« trat nun das Einzelwerk. Er verfaßte »Beschreibungen« der mittelalterli-
chen Elfenbeinwerke (1900) und der deutschen Plastik (1910), beides mustergültige
Sammlungskataloge und nicht zuletzt Produkte eines unstillbaren Verlangens nach
der »Süßigkeit des Individuellen«, ein Ausdruck, der in einer Äußerung über den
Stil-Historiker  Wölfflin fällt, den V. als seinen Widerpart ansah.
Ein Zerwürfnis mit  Bode beendete das Berliner Kapitel. 1909 kehrte V. in den
Universitätsdienst zurück; in Freiburg i.Br. war eigens für ihn ein Lehrstuhl einge-
richtet worden. Unter V.s Aufsicht promovierten in den folgenden Jahren 14 später
bekannte Kunsthistoriker, unter ihnen  Winkler,  Badt und  Panofsky. Er
hinterließ jedoch keine Schule wie Goldschmidt oder Wölfflin. V. vermittelte keine
erlernbare Methode; er bezauberte seine Zuhörer durch geistreiche Improvisation,
durch eine stark persönliche, gelegentlich die Grenze zur Poesie überschreitende
Sicht der Dinge.
Eine Nervenkrankheit zwang V., 1916 sein Lehramt niederzulegen. Nach einem
Sanatoriumsaufenthalt, der wenig half, übersiedelte er in das Harzstädtchen Ballen-
stedt. Abgesehen von seinen dichterischen Versuchen, die über viele Nöte hinweg-
halfen, blieb er dort lange unproduktiv. Erst Ende der 1920er Jahre besserte sich sein
Gesundheitszustand. Die wiedergewonnene Schaffenskraft – kurz hintereinander
entstanden die bereits erwähnten Arbeiten über Meit, Hagnower und Syrlin –
machte Nationalsozialismus (»die Philosophie der Gehirnerweichung, der wir
nachgelaufen sind«), Krieg und Nachkriegszeit in der Ballenstedter »Gefangen-
schaft« erträglicher.
Mehr als anderen, als den Generationsgefährten Goldschmidt und Wölfflin zum
Beispiel, bedeutete V. sein kunsthistorisches Forschen und Arbeiten Lebenshilfe und
Selbstverwirklichung. Er war mit seiner ganzen Persönlichkeit beteiligt; die beson-
ders in späteren Jahren oft sehr subjektive Sicht entbehrte indessen nie eines soliden
Fundaments aus Tatsachen.

Werke: Eine deutsche Malerschule um die tum des Arler Porticus, in: RfKw, 25, 1902,
Wende des 1. Jahrtausends, Str 1891; Die 409–429; Die Bamberger Domstatuen, ihre
Mindener Bilderhandschriftgruppe, in: RfKw, Aufstellung und Deutung, in: ZfchK, 15, 1902,
16, 1893, 198–213; Die Anfänge des monu- 357–368; Vom gotischen Schwung und den
mentalen Stiles im Mittelalter. Eine Untersu- plastischen Schulen des 13. Jh.s, in: RfKw, 27,
chung über die erste Blütezeit französischer 1904, 1–12; Konrad Meit und die Grabmäler
Plastik, Str 1894; Raffael und Donatello. Ein in Brou, in: JbPK, 1908, 77–118; Der Meister
Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der ita- des Blaubeurer Hochaltars und seine Madon-
lienischen Kunst, Str 1896; Ein deutscher nen, in: MfKw, 2, 1909, 11–21; Beschreibung
Schnitzer des 10. Jh.s, in: JbPK, 1899, 117–124; der Bildwerke der christlichen Epochen in
Über die Bamberger Domskulpturen, in: den Kgl. Museen zu Berlin. Die deutschen
RfKw, 22, 1899, 94–104 u. 24, 1901, 195–229, Bildwerke und die der anderen zisalpinen
255–289; Beschreibung der Bildwerke der Länder, Bln 1910; Über Nicolaus Gerhaert
christlichen Epochen in den Kgl. Museen zu und Nicolaus von Hagenau, in: ZfbK, 48 (24),
Berlin. Die Elfenbeinwerke, Bln 1900; Der 1913, 97–108; Die Bahnbrecher des Naturstu-
provençalische Einfluß in Italien und das Da- diums um 1200, in: ebd., 49 (25), 1914, 193–
Vöge 459

216; Konrad Meits vermeintliche Jugend- Georg: W.V. zum Gedächtnis, FrB 1968; Dei-
werke und ihr Meister, in: JbKw, 1927, 24–38; cher, Susanne: Produktionsanalyse und Stil-
Niclas Hagnower. Der Meister des Isenhei- kritik. Versuch einer Neubewertung der
mer Hochaltars und seine Frühwerke, FrB kunsthistorischen Methode W.V.s, in: KB, 19,
1931; Der Meister des Grafen von Kirchberg, 1991, H. 1, 65–82; Brush, Kathryn: W.V. and
in: FS Wilhelm Pinder, Lpz 1938, 325–347; the Role of Human Agency in the Making of
Jörg Syrlin der Ältere und seine Bildwerke, Medieval Sculpture. Reflections of an Art
Bd. 2, Stoffkreis und Gestaltung, Bln 1950 Historical Pioneer, in: Ktid, 62, 1993, 69–83;
(Fragment); Bildhauer des Mittelalters. Ge- Brush, Kathryn: The Shaping of Art History.
sammelte Studien, Bln 1958 W.V., Adolph Goldschmidt and the Study of
Literatur: Clemen, Paul: Rez. von »Die Medieval Art, Cam/MA 1996; Niehr, Klaus:
Anfänge des monumentalen Stiles im Mittel- Rez. von Kathryn Brush, The Shaping of Art
alter«, in: ZfbK (Beilage), 30 (6), 1895, 169– History. W.V., Adolph Goldschmidt and the
171; Dehio, Georg: dass., in: RfKw, 18, 1895, Study of Medieval Art (1996), in: JKg, 1997,
279–282; Jantzen, Hans: W.V., in: KChr, 6, 5–9; Sauerländer, Willibald: W.V. und die An-
1953, 104–109; Bauch, Kurt: W.V., in: Johannes fänge der kunstgeschichtlichen Lehre in Frei-
Vincke (Hrsg.), Freiburger Professoren des burg, in: ZfKg, 61, 1998, 153–167; Markschies,
19. und 20. Jh.s, FrB 1957, 183–190; Panofsky, Alexander/Schlink, Wilhelm: Les archives
Erwin: W.V., in: Bildhauer des Mittelalters. W.V. de Fribourgen-Brisgau, in: RA, 46, 2004,
Gesammelte Studien von W.V., Bln 1958, IX– 85–88
XXXII; Butzmann, Hans: Erinnerung an PB
W.V., in: ZfKw, 12, 1958, 211–218; Heise, Carl

Volbach,Wolfgang Fritz
Geb. 28. 8. 1892 in Mainz; gest. 23. 12. 1988 in Mainz

Eine gewisse Vorliebe für die knappste Form der Veröffentlichung von Forschungs-
ergebnissen, den Katalog, wurde V. rühmend nachgesagt. Auch seine Überblicksdar-
stellungen kunstgeschichtlicher Abläufe sind eher lakonisch formuliert und legen
kein kunsttheoretisches oder methodologisches Programm explizit dar. Es muß aus
seiner Arbeit an den Objekten, an ihrer Bestimmung, Ordnung, Charakterisierung
und Bewertung abgelesen werden. Obwohl V. enge Beziehungen zur Gegenwarts-
kunst und zu Künstlern hatte, galten seine Forschungen ausschließlich der mittelal-
terlichen und besonders der spätantik-frühchristlichen und byzantinischen Kunst-
geschichte, für die er zahlreiche Werke der Malerei, Plastik und des Kunsthandwerks
stilkritisch und mit Hilfe von Ikonographie und Motivkunde datierte und lokali-
sierte, um den Verlauf künstlerischer Entwicklungen zu ermitteln. In seiner Gene-
ration wurde er zu einer international hoch geachteten Autorität auf diesem relativ
jungen Forschungsgebiet, das nicht zuletzt durch sein Wirken erst richtig bekannt
wurde.
V. interessierte sich schon als Schüler für das Römisch-Germanische Zentralmu-
seum seiner Heimatstadt, begann dann sein Studium der Kunstgeschichte in Tübin-
gen, wohin sein Vater als Professor der Musikwissenschaft berufen worden war, und
setzte es bei  Wölfflin in München und  Goldschmidt in Berlin fort. 1911 war
er in Florenz, dann Volontär am Römisch-Germanischen Zentralmuseum. 1916
promovierte er in Gießen bei Christian Rauch (1877–1976) mit einer ikonographi-
schen Arbeit über den hl. Georg, während er für ein Jahr am Museum in Wiesbaden
arbeitete. 1917–33 war er an den Berliner Museen tätig, wo er nach anfänglicher
460 Volbach

Zusammenarbeit mit  Bode vor allem  Wulff beim Aufbau der frühchristlich-
byzantinischen Sammlung als wissenschaftlicher Assistent zur Hand ging und 1927
als Kustos und Professor dessen Nachfolger wurde. Er legte wichtige Bestandskata-
loge vor, auch für das Römisch-Germanische Zentralmuseum, wirkte 1925 bei der
Vorbereitung einer Ausstellung altrussischer Kunst in Berlin mit und organisierte
1931 die bahnbrechende Ausstellung L’Art byzantin in Paris zusammen mit Georges
Salles und Georges Duthuit. Er unterrichtete auch an der von ihm 1918 mitbegrün-
deten Volkshochschule. Als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und Sohn
einer Jüdin verließ V. 1933 die Berliner Museen und übernahm nach kurzer Tätig-
keit in der Denkmälerverwaltung von Neapel 1934 die Neuordnung und Katalogi-
sierung des Museo Cristiano des Vatikans in Rom. Er hielt Vorlesungen am päpstli-
chen Archäologischen Institut und wurde Mitglied der päpstlichen Archäologischen
Akademie.
Vom Vertrauen des Vatikans und der französischen Schutzmacht getragen, wirkte
er ab 1946 in der pfälzischen Verwaltung, wurde 1949 Referent für Denkmalpflege,
Museen und Bibliotheken im Kultusministerium von Rheinland/Pfalz und 1953
Direktor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, für das er 1954
ein Jahrbuch begründete und weitere Kataloge erarbeitete. Studien- und Vortrags-
reisen führten ihn schon ab 1952 auch wieder nach Rußland. Nach seiner Pensio-
nierung lebte er abwechselnd in Rom und Mainz und setzte seine Forschungen,
Veröffentlichungen und Teilnahme an internationalen Kongressen in großem Um-
fang fort. 1963 war er wissenschaftlicher Leiter der durch weite Reisen vorberei-
teten großen Ausstellung Koptische Kunst in der Krupp-Stiftung Villa Hügel in
Essen und 1964 an der Europarat-Ausstellung byzantinischer Kunst in Athen be-
teiligt.
Für V. hatten die politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse ebenso wie
die religiösen Anschauungen eine wesentliche Bedeutung für die Funktion und den
Stil von Kunstwerken wie für den Verlauf der Kunstgeschichte. Sachlich legte er die
Unterschiede von höfischer und mönchischer Kunst oder den jeweiligen Beitrag
verschiedener Völker zum künstlerischen Geschehen in einem weit ausgedehnten
Territorium zwischen Mesopotamien, Rußland und Spanien, Äthiopien und dem
Rheinland sowie beim Umbruch vom Altertum zum Mittelalter dar. Nationalisti-
sche Wertungen oder Spekulationen in der Art  Strzygowskis waren ihm fremd.
Er sprach offen aus, was aufgrund der Lücken in Material und Schriftquellen noch
nicht beweisbar erklärt werden konnte. Er benannte auch den Verfall oder Rückfälle
von künstlerischem Gestaltungsvermögen, die allgemeinen geschichtlichen Vorgän-
gen geschuldet waren. Die Vertrautheit mit der expressionistischen Kunst seiner
Zeit ließ ihn die ästhetischen Werte – sei es koptischer Stoffe, sei es byzantinischer
Mosaiken und Ikonen – ebenso würdigen wie die Nachwirkungen antikischer
Naturnähe und Klassizität in der byzantinischen Kunst. Deren großer Beitrag zur
abendländischen Kunstgeschichte und den Traditionen des Humanismus lag ihm
besonders am Herzen.
Werke: Elfenbeinarbeiten der Spätantike deutschland mit Berücksichtigung der nord-
und des frühen Mittelalters, Mainz 1916; Der deutschen Typen bis zur Renaissance, Str
hl. Georg. Bildliche Darstellung in Süd- 1917; Einige Neuerwerbungen der frühchrist-
Volbach 461

lichen Sammlung, in: ABKK, 38, 1916/17, Campania, in: ArtB, 24, 1942, 172–180; Mo-
226– 239; Gotische Formmodel. Eine verges- saiques chrétiennes primitives du IVe au VIIe
sene Gattung der deutschen Kleinplastik (mit siècles, Paris 1943 (dt. 1943); Der Engel aus
Wilhelm von Bode), Bln 1918; Der kreuztra- Lonnig. Ein Beitrag zur Geschichte des Sam-
gende Christus in der schwäbischen Kunst, sonmeisters und seiner Schule, in: FS Otto
in: BMB, 41, 1920, 131–140; Metallarbeiten Schmitt, Stg 1950, 67–72; Elfenbeinarbeiten
des christlichen Kults in der Spätantike und der Spätantike und des frühen Mittelalters,
im frühen Mittelalter, Mainz 1921; Die alt- Mainz 1952, erw. 1976; Frühchristliche Kunst,
christlichen und mittelalterlichen byzantini- Mü 1958; AKat. Koptische Kunst. Christen-
schen und italienischen Bildwerke, Bln/Lpz tum am Nil, Essen 1963; Byzanz und sein
1923; Die Elfenbeinbildwerke, Lpz 1923; Ma- Einfluß auf Deutschland und Italien, in: By-
lerei und Plastik des Mittelalters in Italien zantine Art – A European Art, Lectures, Athen
(mit Georg Graf Vitzthum), Pd 1924; Die 1966, 89–120; Zierkünste, in: Frühzeit des
Madonna von Ettal, in: MJbbK, 1925, 40–47; Mittelalters von der Völkerwanderung bis an
Spätantike und koptische Stoffe aus ägypti- die Schwelle der Karolingerzeit (mit Jean
schen Grabfunden in den Staatlichen Museen Hubert u. Jean Porcher), Mü 1968, 207–286;
zu Berlin (mit Oskar Wulff), Bln 1926; Late Byzanz und der christliche Osten (mit Jac-
Antique, Coptic, and Islamic Textiles of Egypt queline Lafontaine-Dosogne), Bln 1968;
(mit Ernst Kühnel), Bln 1926; Mainz, Bln Zierkünste, in: Die Kunst der Karolingerzeit
1928; L’Art byzantin (mit Georges Salles u. von Karl dem Großen bis zum Ausgang des 9.
Georges Duthuit), Paris 1931; Die byzantini- Jh.s (mit Jean Hubert u. Jean Porcher), Mü
sche Ausstellung in Paris, in: ZfbK, 65 (41), 1969, 215–261; La Stauroteca di Monopoli,
1931/32, 102–113; Das christliche Kunstge- Rom 1969; Von Mainz über Europa nach
werbe der Spätantike und des frühen Mittel- Mainz, in: Walter Heist (Hrsg.), Wissenschaft
alters im Mittelmeergebiet, in: Helmuth und Turbulenz, Mainz 1972, 12–39
Theodor Bossert, Geschichte des Kunstge- Literatur: Baum, Julius: W.F.V., in: Jb. d.
werbes, Bd. 5, Bln 1932, 46–125; Spätantike Römisch-Germanischen Zentralmuseums,
und frühmittelalterliche Stoffe, 2 Bde., Mainz 1958; Böhner, Kurt: W.F.V., in: ebd., 1972 (FS
1932; Germanischer Schmuck des frühen W.F.V.), XI–XVI (Bibliogr.); Heist, Walter
Mittelalters (mit Wilhelm Albert von Jenny), (Hrsg.): Wissenschaft und Turbulenz. Der Le-
Bln 1933; Biblioteca Apostolica Vaticana, bensweg des W.F.V. aus Mainz, Mainz 1972
Museo Sacro, Rom, Guida 1, 1935, 2, 1938, 4, (darin: Richard Hamann-Mac Lean, Wegbe-
1941, 5, 1942, 6, 1943; Sculture medioevali reiter in kunstgeschichtliches Neuland; Bi-
della Campania, in: Atti della Pontificia Acca- bliogr.); King, Donald/Grönwoldt, Ruth: W.
demia Romana di Archeologia, Sec. 3, Ren- F.V., in: Textiles anciens, 66, 1988, 74–76;
diconti 12, 1936, 81–104; I tessuti del Museo Wendland 1999, 716–723
Sacro Vaticano, Cat., III, 1, Rom 1942; Orien- PHF
tal Influence in the Animal Sculpture of

Voss, Hermann
Geb. 30. 7. 1884 in Lüneburg; gest. 28. 4. 1969 in München

Mit seiner 1920 publizierten Habilitationsschrift Die Malerei der Spätrenaissance in


Rom und Florenz leitete V. die systematische Erforschung der Malerei des italieni-
schen Manierismus ein, die bis dahin nur von Luigi Lanzi (Storia pittorica della Italia,
1792, 1795/96, 1809) zusammenhängend dargestellt worden war. Anders als
 Burckhardt und  Wölfflin betrachtete V. die Zeit zwischen 1520, dem Todesjahr
Raffaels, und dem Auftreten der Carracci um 1600 als eine selbständige kunstge-
schichtliche Periode zwischen Renaissance und Barock. Als einem der glänzendsten
Vertreter einer auf Kennerschaft basierenden Kunstgeschichtsschreibung eröffnete
sich ihm hier ein weites Betätigungsfeld.
462 Voss

Philosophische Abstraktion und ästhetische Generalisierung hielt V. für unfrucht-


bar. Sein Streben war es, Kunstwerke aufzuspüren und einem Künstler zuzuordnen;
ihre Deutung stand erst an zweiter Stelle. Von den reinen »Kennern des Auges«
unterschied sich V. dadurch, daß er Quellenforschung und Stilkritik verknüpfte und
der Maxime folgte: »Feststellung dessen, was wir wissen können, wenn wir es wissen
wollen, das heißt, wenn wir uns die Mühe nehmen, das uns zur Verfügung stehende
quellenmäßige Tatsachenmaterial mit dem überkommenen Bestand an Denkmälern
methodisch zu vergleichen.«
V. machte einige aufsehenerregende Entdeckungen. Auf seiner ersten Italienreise
1907 identifizierte er die Figur eines hl. Rochus in SS. Annunziata in Florenz als ein
Werk von Veit Stoß. 1912 bereiste er die französische Provinz und fand in Rennes
und Nantes drei Nachtstücke, die er dem völlig in Vergessenheit geratenen Georges
de La Tour zuschrieb. Ihre Veröffentlichung als Lichtdrucke 1915 im Archiv für
Kunstgeschichte, einer von V. mit herausgegebenen kurzlebigen Zeitschrift, bedeutete
die »Initialzündung« der La Tour-Forschung. Auffallend häufig wandte sich V. dem
Jugendwerk bedeutender Meister des 17. und 18. Jahrhunderts zu:Vermeer van Delft
und Bernini (1910), Tiepolo (1922), Caravaggio (1923, 1927), Correggio (1926/27),
Elsheimer (1927/28), Boucher (1953). Dieses Interesse für das Unfertige und Wider-
sprüchliche der Frühstile, das mit dem expressionistischen Zeitgeist korrespondierte,
teilten auch andere Kunsthistoriker der Zeit ( Bauch).
V. studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Musikgeschichte und promovierte
1906 bei  Thode in Heidelberg über Wolf Huber und die Donauschule mit einer
entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung, die auch nach dem kulturellen und
politischen Kontext fragte. Altdorfer und Huber, die beiden Hauptmeister, vertraten
nach der Auffassung von V. »die neuen religiös-kommunistischen Utopien [...], die
in Oberdeutschland sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts mächtig ausbreiten«. Aus
manchen Werken der Donauschule sprächen »Utopien von unerhörtem Glück und
unerhörter Schönheit«. 1908 ging V. als Volontär an die Berliner Museen und wurde
bald – neben  Bode und  Max J. Friedländer – der dritte der großen Berliner
Gemäldeexperten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach einem Aufenthalt als Sti-
pendiat am Kunsthistorischen Institut in Florenz 1910/11 kam V. 1912 an das Leip-
ziger Museum und betreute, aufgeschlossen gegenüber dem Schaffen der Gegenwart
(Max Klingers neuer Radierzyklus, 1916/17), bis 1923 die neugegründete graphische
Sammlung. Die räumliche Nähe zum Seemann-Verlag brachte es mit sich, daß er
während dieser Zeit eine Reihe von Artikeln für den »Thieme-Becker« (Domeni-
chino, A. und O. Gentileschi, Guercino, La Tour, Rosa) schrieb. Auch führte er seine
Manierismus-Forschungen zu einem ersten Abschluß und legte sie der Leipziger
Universität 1919 als Habilitationsschrift vor.
In theoretischer wie methodischer Hinsicht versuchte V., hier eigene Wege zu
gehen. Der Illusion einer »objektiven« Darstellung der Kunstgeschichte stellte er
»unsere eigene intuitive Subjektivität« entgegen, und die Wölfflinsche »Kunstge-
schichte ohne Namen«, die von eigenständigen kunstgeschichtlichen Gesetzmäßig-
keiten ausging, verkannte nach seiner Auffassung, daß Kunstwerke von frei schaf-
fenden Individuen hervorgebracht werden und eine rein formale Betrachtungsweise
nicht ausreicht, die »einschneidenden Wechsel der Stile« zu erklären. Um die italie-
Voss 463

nische Malereigeschichte des 16./17. Jahrhunderts zu verstehen, schien es ihm erfor-


derlich, das »ethisch und landschaftlich Bedingte« ebenso wie die parallele Entwick-
lung der anderen Künste und des Denkens zu berücksichtigen, denn sowohl die
Renaissance als auch der Barock seien die »Resultate einer allgemeinen geistigen
Neuorientierung der italienischen Nation« gewesen. Mit Wölfflin war sich V. aller-
dings darin einig, daß der Manierismus das »verblaßte Ideal der Renaissance« war.
Nur wenige Monate später griff V. dieses Thema noch einmal auf (»Künstlerge-
schichte« oder »Kunstgeschichte ohne Namen«?, 1920), indem er auf Wölfflins Aufsatz In
eigener Sache (1920) reagierte. Auch hier polemisierte er gegen die generalisierende
Kunstgeschichte der »Synthetiker« zugunsten einer nach »Erfassung der organischen
Kontinuität« strebenden exakten Kunstgeschichte der wirklichen »Historiker«.
1923 kam V. als Kustos zurück an die Berliner Gemäldegalerie. Ein Jahr später
veröffentlichte er den zweiten Teil seiner Geschichte der italienischen Malerei (Die
Malerei des Barock in Rom). Im Vordergrund standen jetzt – eine allgemeine Tendenz
in der kunstgeschichtlichen Literatur der 1920er und 1930er Jahre – die Abbildun-
gen, die von präzisen Kommentaren sowie kurzen Texten zu den Künstlern beglei-
tet wurden. In einer Einleitung, die über den Gegenstand weit hinausgriff, äußerte
sich V. zu geschichtsphilosophischen, methodologischen und kunstgeschichtlichen
Grundfragen, wobei er sich sowohl vom Idealismus Hegelscher Prägung als auch
von der »materialistisch-kollektivistischen« Alternative distanzierte. Geschichts-
schreibung hieß für V. in erster Linie Geistesgeschichte, speziell die der Philosophie,
Religion und Kunst. Ihr Gegenstand war das Konkrete und Einzelne, der individu-
elle Denker oder Künstler und der einmalige geschichtliche Entwicklungsablauf.
Wiederholungen gab es für V. nur in der Natur.
1935 ging V. an das Nassauische Landesmuseum in Wiesbaden, nachdem er nach
dem Machtantritt der Nationalsozialisten die Emigration nach England erwogen
hatte. 1943 trat er die Nachfolge von Hans Posse (1879–1942) als Direktor der
mitten in der Auslagerung befindlichen Dresdner Galerie und als Beauftragter für
das von Hitler geplante Museum in Linz an. Seit 1945 lebte er in München. Die
erste Veröffentlichung nach dem Krieg war ein gesellschaftskritisches Buch (Deut-
sche Selbstkritik, 1947), eine Abrechnung des überzeugten Europäers mit dem deut-
schen »Sonderweg«. Auch die harsche Kritik (1950) an  Sedlmayrs Verlust der Mitte
richtete sich nicht zuletzt gegen die jüngste Vergangenheit. Sedlmayrs »schwere
methodische Verstöße«, seine unhistorische Verurteilung des 19. Jahrhunderts, gin-
gen nach der Überzeugung von V. letztlich auf das Konto des Nationalsozialismus
und dessen kunstfeindlicher Ideologie. In seiner letzten größeren Publikation (1964)
wandte sich V. – 1927 hatte er schon einmal über den Künstler geschrieben – dem
bedeutendsten deutschen Barockmaler Johann Heinrich Schönfeld zu, der, nach-
dem sein Zeitgenosse  Sandrart als erster über ihn berichtet hatte, durch V. einen
festen Platz in der Kunstgeschichte erhielt.

Werke: Rembrandt und Tizian, in: RfKw, 1907; Zwei unerkannte Werke des Veit Stoss
28, 1905, 156–162; Über Wolf Huber als Maler in Florentiner Kirchen, in: JbPK, 1908, 20–29;
und einige Meister des Donaustils, Hei 1906; Andreas Schlüters Reiterdenkmal des Gro-
Der Ursprung des Donaustils. Ein Stück Ent- ßen Kurfürsten und die Beziehungen des
wicklungsgeschichte deutscher Malerei, Lpz Meisters zur italienischen und französischen
464 Voss

Kunst, in: ebd., 137–164; Charakterköpfe des Master of the 17th Century, in: Art in Ame-
Seicento, in: MfKw, 1, 1908, 266–274, 987– rica, 17, 1929, 40–45; Zur Kritik des Veláz-
999 u. 2, 1909, 108–115; Albrecht Altdorfer quez-Werkes, in: JbPK, 1932, 38–56; Quellen-
und Wolf Huber, Lpz 1910; Über Berninis Ju- forschung und Stilkritik. Eine praktische
gendentwicklung, in: MfKw, 3, 1910, 383–389; Methodik mit Beispielen aus der spätmittel-
Berninis Fontänen, in: JbPK, 1910, 99–129; alterlichen Malerei, in: ZfKg, 2, 1933, 176–206;
Kritische Bemerkungen zu Seicentisten in Ein wiederaufgefundenes Gemälde von Par-
den römischen Galerien, in: RfKw, 33, 1910, migianino, in: JbPK, 1933, 33–37; Amtlicher
212–221 u. 34, 1911, 119–125; Antonio Amo- Katalog der Gemäldegalerie Wiesbaden, Wb
rosi, der »falsche Spanier«, in: Ci, 4, 1912, 1937; A re-discovered Picture by Alessandro
461–468; Vermeer van Delft und die Utrech- Magnasco, in: BM, 71, 1937, 171–177; Deut-
ter Schule, in: MfKw, 5, 1912, 79–83; Jacopo sche Selbstkritik, Starnberg 1947; Rez. von
Zucchi. Ein vergessener Meister der florenti- Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte (1948), in:
nisch-römischen Spätrenaissance, in: ZfbK, 48 ZfK, 4, 1950, 78–83; Caravaggios europäische
(24), 1913, 151–162; Zelt. Max Klingers neuer Bedeutung, in: KChr, 4, 1951, 287–294; Fran-
Radierungszyklus, in: ebd., 52 (28), 1917, 25– çois Boucher’s Early Development, in: BM,
32; Jacopo Amigoni und die Anfänge der Ma- 95, 1953, 81–93 u. 96, 1954, 206–210; La Cap-
lerei des Rokoko in Venedig, in: JbPK, 1918, pella del Crocifisso di Orazio Gentileschi, in:
145–170; Hans Meid als Zeichner, in: Die Acropoli, 1, 1960/61, 99–107; Die Frühwerke
Kunst, 39, 1919, 241–245; Die Malerei der von Carlo Carlone in Österreich, in: Arte
Spätrenaissance in Rom und Florenz, 2 Bde., Lombarda, 6, 1961, 238–255; Giuseppe
Bln 1920; »Künstlergeschichte« oder »Kunst- Appiani. Versuch einer Würdigung, in: Pan-
geschichte ohne Namen«? Entgegnung an theon, 21, 1963, 339–353; Johann Heinrich
Heinrich Wölfflin, in: ZfbK (Beilage), 55 (31), Schönfeld, Biberach an der Riß 1964; Die
1920, 435–438; Michele Rocca. Ein vergesse- Darstellungen des hl. Franziskus im Werk von
ner italienischer Rokokomaler, in: ZfbK, 56 Georges de La Tour, in: Pantheon, 23, 1965,
(32), 1921, 69–75; Bernini als Architekt an der 402–404
Scala Regia und an den Kolonnaden von St. Literatur: Fischer, Otto: Rez. von »Ur-
Peter, in: JbPK, 1922, 2–30; Über Tiepolos Ju- sprung des Donaustils«, in: KA, 4, 1907, 66–76;
gendentwicklung, in: KtKtler, 20, 1922, 423– Friedländer, Max J.: dass., in: RfKw, 31, 1908,
433; Caravaggios Frühzeit. Beiträge zur Kritik 392–394; Panofsky, Erwin: Zu H.V. »Bernini
seiner Werke und seiner Entwicklung, in: als Architekt an der Scala Regia und den Ko-
JbPK, 1923, 73–98; Die Malerei des Barock in lonnaden von St. Peter«. Eine Ergänzung, in:
Rom, Bln 1924; Girolamo da Carpi als Bild- ZfbK (Beilage), 57 (33), 1922, 599–602; Hom-
nismaler, in: StJb, 1924, 97–106; Studien zur mage a H.V., Str 1964 (mit Beiträgen von Giu-
venezianischen Vedutenmalerei des 18. Jh.s, seppe Fiocco, Roberto Longhi, Hans Haug,
in: RfKw, 47, 1926, 1–45; Ein unbekanntes Eduard Hüttinger, Vitale Bloch u. Bibliogr.);
Frühwerk Correggios, in: Der Kunstwande- Oertel, Robert: H.V., in: SberKgG, 17,
rer, 8, 1926/27, 89–94; Johann Heinrich 1968/69, 16–18; Ewald, Gerhard: H.V., in:
Schönfeld, in: Das Schwäbische Museum, BM, 112, 1970, 540–541; Hüttinger 1992, 98–
1927, 57–76; An Unknown Early Work by 109; Eisenlöffel, Lars: Hitlers Kurator H.V.
Caravaggio, in: BM, 51, 1927, 181–187; Ein Bodes Schüler an den Abgründen der Muse-
angebliches Jugendwerk Elsheimers, in: Der umskultur, in: JbBM, 47, 2005(2006), 117–124
Kunstwanderer, 9/10, 1927/28, 417–419; Geor- PB
ges Du Mesnil de la Tour. A Forgotten French

Waagen, Gustav Friedrich


Geb. 11. 2. 1794 in Hamburg; gest. 15. 7. 1868 in Kopenhagen

Von 1830 an, dem Jahr ihrer Gründung, leitete W. die Berliner Gemäldegalerie.
Über fast vier Dezennien galt er als führender Museumsmann und einer der besten
Kenner der europäischen Malerei. Sein Urteil war in Dresden und Wien, Brüssel
Waagen 465

und Paris, London und St. Petersburg gefragt. Die »Zunft« der Kunsthistoriker, be-
sonders die damals in Deutschland tonangebende Berliner Schule ( Schnaase,
 Hotho,  Kugler,  Lübke,  Woltmann) feierte ihn als einen Bahnbrecher der
Kunstgeschichte als Wissenschaftsdisziplin, der beispielgebend die historisch-kriti-
sche Methode auf die Kunstgeschichte übertragen hatte.
W.s Vater war Maler, seine Mutter mit Ludwig Tieck verwandt; auch Heinrich
Steffens, der romantische Naturphilosoph, gehörte zur Familie. Als W. 1818 in Hei-
delberg  Sulpiz und Melchior Boisserée besuchte, hatte er ein Empfehlungsschrei-
ben von Tieck in der Tasche, und Steffens war es, der ihm riet, Kunstgeschichte zum
Beruf zu machen. Geprägt haben ihn auch die Historiker Friedrich Christoph
Schlosser und Friedrich von Raumer, der Altphilologe Georg Friedrich Creuzer
und der Philosoph Hegel, von den Kunsthistorikern vor allem  Karl Friedrich
von Rumohr, den er 1832 vehement gegen die Angriffe des Archäologen Aloys Hirt
(1759–1837) verteidigte. Das wegbestimmende Kunsterlebnis seiner Kindheit hatte
W. 1801 in der Dresdner Galerie. 1815 kam er als junger Kriegsfreiwilliger nach
Paris, in das Musée Napoleon, wo man die Antike und die Renaissance in ihren
größten Meisterwerken studieren konnte. Einen ersten Begriff von der niederländi-
schen und deutschen Malerei des Spätmittelalters vermittelte ihm die Sammlung
der Boisserées. Bevor W. in den Krieg zog, hatte er in Breslau mit dem Studium der
Geschichte, Philosophie und Philologie begonnen, das er 1815 fortsetzte. 1818
wechselte er nach Heidelberg. Von dort unternahm W. 1819 seine erste Kunstreise
nach Köln, Aachen und in die Niederlande, auf der er das Material für sein Buch
über die Brüder van Eyck (1822), den Geniestreich seiner Jugend, sammelte.
W. war sich seines neuen Denkansatzes bei der Behandlung dieses Themas, das
die Kunstforschung seit 50 Jahren beschäftigt hatte, bewußt. In der Einleitung setzte
er sich mit ihr auseinander: »Ein Hauptfehler, den die meisten Werke über neuere
Kunstgeschichte teilen, besteht unsers Bedünkens darin, daß sie dieselbe als etwas
gänzlich Isoliertes und nicht im Zusammenhange mit dem Ganzen ihrer Zeit und
Örtlichkeit betrachten; indem doch jede Kunsterscheinung, so wie jede Verände-
rung derselben, nur aus diesem heraus, ganz verständlich ist. Es ist demnach erfor-
derlich, die politische Geschichte, die Verfassung, den Charakter des Volks, den
Zustand der Kirche, der Sitten, der Literatur endlich die Natur des Landes in so
fern zu betrachten, als diese Stücke dem Gedeihen der Kunst hinderlich oder för-
derlich gewesen und sich dieselbe so oder anders darnach gestaltet hat.« W. berief
sich bei diesem Verfahren auf  Winckelmann und auf Rumohr; sie hätten für die
Antike und die Renaissance das getan, was noch für die niederländische und deut-
sche Malerei des Spätmittelalters zu leisten war: diese Epoche »gehörig zu würdi-
gen«, das heißt, ihre Gleichrangigkeit zu begründen und ihr eine »Stelle in dem
Gebiete des [...] Verwandten anzuweisen«, womit die Eingliederung in einen ein-
maligen, unwiederholbaren historischen Prozeß gemeint war, in dem jedes Kunst-
werk Bedingtes und Bedingendes zugleich ist. Neben Winckelmann und Rumohr
hätte sich W. auch auf die Kunstgeschichtswerke der 1790er Jahre ( Johann Hein-
rich Meyer,  Fiorillo) berufen können, und nicht zuletzt war es die ganzheitliche,
inhaltsästhetische Kunstauffassung der Romantik, die sein Denken beeinflußt
hatte.
466 Waagen

W. blieb bei der deutschen und niederländischen Malerei. Zu einer Zeit, als der
Barock noch nicht sehr geschätzt wurde, veröffentlichte er einen begeisterten Auf-
satz über Rubens (1833), den er mit Beethoven verglich, und schließlich ein Hand-
buch der deutschen und niederländischen Malerschulen, das weite Verbreitung fand und
sowohl ins Englische als auch ins Französische übersetzt wurde (1860, 1863). Es ist
ein Nachschlagewerk, das nichts als »Künstler, Richtungen und Werke charakteri-
stisch und bestimmt zeichnet« (Woltmann, 1875). Sein Autor hatte sich zu einem
Spezialisten gewandelt, der sich nur noch für die Sache selbst interessierte. Dies war
der Entwicklung des Faches, die zur Jahrhundertmitte hin einen stärkeren positivi-
stischen Akzent erhielt, und der eigenen Biographie geschuldet.
1823 war W. von München nach Berlin gekommen, um bei der Planung und
Einrichtung der Gemäldegalerie mitzuwirken; seit 1829 gehörte er der von Wil-
helm von Humboldt geleiteten Museumskommission an. Durch die Berufung zum
Direktor ein Jahr später trat schließlich die kunsthistorische Basisarbeit in den Vor-
dergrund. W. verfaßte den ersten Katalog der Berliner Gemäldegalerie, der zu sei-
nem Ansehen nicht wenig beigetragen hat. Von nun an begab er sich häufig auf
Reisen, um seinen kunstgeschichtlichen Horizont zu weiten oder um Erwerbungen
– insgesamt gehen etwa 300 auf sein Konto – für das Museum zu tätigen. Auffallend
häufig zog es W. nach England (1835, 1850, 1851, 1856, 1862), gefolgt von Paris und
Italien. Unvergeßlich blieb ihm die gemeinsam mit Karl Friedrich Schinkel unter-
nommene Romreise im Jahre 1824; auf dem Rückweg hatten sie  Goethe in
Weimar besucht. 1861/62 reiste W. nach St. Petersburg und 1866 nach Spanien.
Mehrere Publikationen, die in Briefform über das Gesehene berichten, gelegentlich
auch Erlebtes mitteilen, waren die Frucht dieser Kunstfahrten, die ihn auch durch
bisher wenig beachtete Gebiete Deutschlands wie das Erzgebirge führten; er nutzte
sie auch, um wertvolle Kontakte zur internationalen Fachwelt, unter anderem zu
Charles Eastlake und Otto Mündler in London, zu knüpfen.
W.s Museumstätigkeit war gelegentlich überschattet von Unstimmigkeiten mit
dem seit 1839 amtierenden Generaldirektor Ignaz von Olfers (1793–1872), die,
nachdem die Restaurierung eines von W. 1836 in Paris erworbenen Gemäldes von
Andrea del Sarto (Thronende Madonna mit Heiligen, Kriegsverlust) während seiner
Abwesenheit missglückt war, 1867 einen skandalösen Höhepunkt mit parlamentari-
schem Nachspiel im preußischen Abgeordnetenhaus erreichten. Auch wurden
einige Irrtümer, die W. bei Zuschreibungen unterlaufen waren, schon zu seinen
Lebzeiten offenkundig; er hatte beispielsweise in einer englischen Privatsammlung
mehrere Kopien nach Claude Lorrain für Originale gehalten und in den Treasures
of Art in Great Britain (1854) publiziert. Seit 1844 hielt W. als erster a.o. Professor für
»Moderne Kunstgeschichte« an der Berliner Universität Vorlesungen – wie Zeitge-
nossen berichten, jedoch ohne besonderen Erfolg.
Durch W.s plötzlichen Tod während eines Besuches in Kopenhagen blieb ein
Thema unbearbeitet, das ihn schon in jungen Jahren gefesselt hatte, für das in der
Mitte des 19. Jahrhunderts aber noch kein Verleger zu gewinnen war: die Buchma-
lerei. Als einer der ersten hatte W. ihre zentrale Stellung in der Kunst des Mittelalters
und der Renaissance erkannt.
Waagen 467

Werke: Über die in den Sammlungen der Leonardo, Raffael, Rubens und Schinkel),
Akademie der Wissenschaften zu München Stg 1875
befindlichen Mumien und andere ägyptische Literatur: Hirt, Aloys: Herr Dr. W. und
Altertümer, Mü 1821; Über Hubert und Jo- Herr von Rumohr als Kunstkenner, Bln 1832;
hann van Eyck, Br 1822; Über das von den Schnaase, Karl: Nachruf an G.F.W., in: ZfbK,
Brüdern Hubert und Johann van Eyck zu 3, 1868, 257–261; Meyer, Bruno: G.F.W. (1868),
Gent ausgeführte Altargemälde, in: Kbl, 1824, in: ders., Studien und Kritiken, Stg 1877, 186–
H. 23–27;Verzeichnis der Gemäldesammlung 205; Woltmann, Alfred: G.F.W. Eine biogra-
des kgl. Museums zu Berlin, Bln 1830; Der phische Skizze, in: Kleine Schriften von
Herr Hofrat Hirt als Forscher über die Ge- G.F.W., Stg 1875, 1–52;Waetzoldt 1924, 29–45;
schichte der neueren Malerei in Erwiderung Stock, Friedrich: Zwei Gesuche W.s, in: JbPK,
seiner Rezension des dritten Teils der italie- 1932, 113–128; Hermann, Frank: Collecting
nischen Forschungen des Herrn K.F. von Classics. Dr. W.s Work of Art and Artist in
Rumohr, Bln/St 1832; Peter Paul Rubens, in: England, in: The Connoisseur, 1966, 173–177;
Historisches Taschenbuch, hrsg. v. Friedrich Sutton, Denys: G.F.W. First Director of the
von Raumer, 4, 1833 (engl. 1840);Verzeichnis Berlin Gallery, in: Apollo, 102, 1975, 396–403;
der Gemälde-Sammlung des Kgl. Museums Geismeier, Irene: G.F.W. – 45 Jahre Muse-
zu Berlin, Bln 1834; Kunstwerke und Künst- umsarbeit, in: FuB, 20/21, 1980, 397–419; Bik-
ler in England und Paris, 3 Bde., Bln 1837– kendorf, Gabriele: Der Beginn der Kunstge-
39; Kunstwerke und Künstler in Deutsch- schichtsschreibung unter dem Paradigma
land, 2 Bde., Lpz 1843–45; Karl Friedrich »Geschichte«. G.F.W.s Frühschrift »Über Hu-
Schinkel als Mensch und als Künstler, in: bert und Johann van Eyck«, Worms 1985;
Berliner Kalender, 18, 1844; Treasures of Art Beyrodt, Wolfgang: Kunstreisen durch Eng-
in Great Britain, 3 Bde., Lo 1854 (Nd. 1970); land. Anmerkungen zu J.D. Passavant und G.
On the Importance of Manuscripts with F.W., in: ZDVKw, 46, 1992, 55–58; G.F.W.
Miniatures in the History of Art, in: Philobi- Symposium 1994, in: JbBM, 37, 1995, 7–91
blon Society. Bibliographical and Historical (Bibliogr.); Stockhausen, Tilmann von: Ein
Miscellanies, Bd. 1, Lo 1854; Einige Bemer- Michelangelo für Berlin? Otto Mündler und
kungen über die Aufstellung, Beleuchtung G.F.W., in: KChr, 48, 1995, 177–182; White-
und Katalogisierung der kgl. Gemäldegalerie head, Christopher: G.F.W.s Museographical
zu Dresden, Bln 1858; Das Schloß Tegel und System 1853, in: Annali della Scuola Normale
seine Kunstwerke, Bln 1859; Die Kartons von Superiore di Pisa, Classe di Lettere e Filoso-
Raffael in besonderer Beziehung auf die fia, 1996, 425–440; Illies, Florian: G.F.W.,
nach denselben gewirkten Teppiche in der Prinz Albert und die Manchester Art Treasu-
Rotunde des kgl. Museums zu Berlin, Bln res Exhibition von 1857, in: Franz Bosbach
1860; Verzeichnis der Gemäldesammlung des (Hrsg.), Künstlerische Beziehungen zwischen
[...] Konsuls J.H.W. Wagener, Bln 1861; England und Deutschland in der viktoriani-
Handbuch der deutschen und niederländi- schen Epoche, Mü 1998, 120–144; Illies, Flo-
schen Malerschulen, 2. Bde., Stg 1862; Die rian: Bemerkungen zur preuß. Kunstpolitik.
Gemäldesammlung in der kaiserlichen Ere- Das Beispiel G.F.W., in: Patrick Bahners
mitage zu St. Petersburg nebst Bemerkungen (Hrsg.), Preußische Stile, Stg 2001, 180–189;
über andere dortige Kunstsammlungen, Mü Ridderbos, Bernhard: From W. to Friedlän-
1864; Die vornehmsten Kunstdenkmäler in der, in: ders. (Hrsg.), Early Netherlandish
Wien, Wien 1866–67; Kleine Schriften Painting, Amsterdam 2005, 218–251
(darin: Aufsätze über Mantegna, Signorelli, PB

Wackenroder,Wilhelm Heinrich
Geb. 13. 7. 1773 in Berlin; gest. 13. 2. 1798 in Berlin

W.s epochale romantische Bekenntnisschrift Herzensergießungen eines kunstliebenden


Klosterbruders, zu Weihnachten 1796 in Berlin anonym erschienen, half den Weg der
Kunstgeschichte zur Wissenschaft bahnen, indem sie zu einer vorurteilsfreien Sicht
468 Wackenroder

auf die Kunst aller Zeiten und Völker aufforderte, denn »nicht bloß unter italieni-
schem Himmel, unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen, auch
unter Spitzgewölben, kraus-verzierten Gebäuden und gotischen Türmen, wächst
wahre Kunst hervor«. Antike und Renaissance als allgemeinverbindliche Kunstnorm
hatte schon der Sturm und Drang ( Goethe, Herder,  Heinse) hinterfragt, sich
gegen den vom Klassizismus beherrschten Zeitgeist aber nicht durchsetzen können.
Erst W. und die Romantik befreiten das Mittelalter vom Odium des Dunklen und
Barbarischen und ebneten seiner Kunst den Weg in die Geschichtsschreibung. W.s
Büchlein wurde freundlich aufgenommen, besonders von den deutschen Künstlern
in Rom, die, unter merkwürdiger Verkennung der Neuartigkeit von W.s Kunstan-
schauungen, den Klassizisten Goethe, dessen kurzlebige Kunstzeitschrift Propyläen
zur gleichen Zeit erschien, für den Autor hielten.
W. kam aus einem Berliner Haus, wo der Geist der Aufklärung und des Rationa-
lismus herrschte. 1793/94 studierte er in Erlangen und Göttingen Jura und lebte
danach als Kammergerichtsreferendar in seiner Heimatstadt. Als höchstes Glück
seines kurzen Lebens empfand er die Freundschaft zu Ludwig Tieck, die auf dem
Gymnasium begonnen hatte. Sie schrieben sich zahllose Briefe, studierten und rei-
sten gemeinsam und formten im Dialog ihre Kunstlehre aus. In gewisser Weise kann
man die Herzensergießungen als ihr Gemeinschaftswerk bezeichnen. Tieck hatte nicht
nur die Redaktion, auch einige Kapitel stammen aus seiner Feder. 1799 gab Tieck
nachgelassene Aufsätze W.s in seinen Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst
und 1814 eine Neuauflage der Herzensergießungen unter dem Titel Phantasien über die
Kunst von einem kunstliebenden Klosterbruder heraus. In diesem Wirkungsfeld entstand
auch Tiecks Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen (1798), der ohne W. nicht
denkbar ist.
W.s Neigungen galten vor allem Dichtung und Musik, zur bildenden Kunst kam
er vergleichsweise spät. Die Anfänge standen noch im Zeichen des Klassizismus,
und das Interesse entzündete sich zuerst an antiker Plastik. Beim ersten Dresdenauf-
enthalt 1792 hatte W. noch keinen Blick für die Gemäldegalerie übrig, er besuchte
nur die Antikensammlung. Prägend wirkten die archäologischen und kunsthistori-
schen Vorlesungen von Karl Philipp Moritz an der Berliner Akademie der Künste
und die Lektüre der Schriften  Winckelmanns. Die Malerei des späten Mittelal-
ters und der Renaissance entdeckte W. 1793/94 auf mehreren Reisen, einige ge-
meinsam mit Tieck, durch Franken und Hessen, nach Nürnberg, wo er Dürers
Apostel und die Graphiksammlung des Verlegers und Kunsthändlers Johann Fried-
rich Frauenholz kennenlernte, in die »katholische Welt« Bambergs mit ihrem Dom
und zu den Gemäldegalerien von Kassel und Pommersfelden. In die Kunstliteratur
führte ihn der akademische Zeichenlehrer und Kunstforscher  Johann Dominicus
Fiorillo in Göttingen ein; W. begann dort Vasari und  Sandrart zu lesen.
W.s Herzensergießungen stehen in der Tradition der Viten-Literatur des 16. und 17.
Jahrhunderts, sie sind »ein romantischer Nachfahre der alten Künstlergeschichten«
( Waetzoldt). Wie seine Vorläufer wandte sich W. an die zeitgenössischen Künstler,
führte ihnen als nachstrebenswerte »Exempla« chronikartig Lebensläufe »alter«
Künstler, von Raffael, Michelangelo, Dürer und anderen, vor Augen. Anders aber als
Vasari und Sandrart, die sich – nicht zuletzt weil sie selbst Künstler waren – auch
Wackenroder 469

über einzelne Kunstwerke und praktische Fragen des Kunstschaffens äußerten, rich-
tete W. seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Künstler selbst, verstand die
Kunstwerke lediglich als Hinweis auf ihren Schöpfer, als Zugang zum »Künstler-
charakter«. Für W. waren die »herrlichen Werke ihrer Geweiheten« vor allem Ge-
genstand der Bewunderung und einer religiösen Verehrung; er verglich den Genuß
»der edleren Kunstwerke dem Gebet«. Gegen den Rationalismus der Aufklärung
und des klassizistischen Akademismus richtete sich auch seine Überzeugung, daß
die Kunst weder gelehrt noch gelernt werden könne. Der Künstler schöpfe nicht
aus irgendeinem technischen Können, sondern aus seiner reinen Seele. »Die leuch-
tende Sonne unter allen Malern« verkörperte für W. Raffael, den er sich als Men-
schen ebenso edel und liebenswürdig dachte wie als Künstler; in ihm hätten sich
Kunst und Religion aufs vollkommenste vereinigt.
W.s Künstlerviten beruhen nicht auf empirischen Forschungen. Sie sind poeti-
sche Produkte, vermitteln Wissen nur nebenbei und verkünden vor allem Überzeu-
gungen. Indem W. höchstes Menschsein, den schöpferischen Menschen schlechthin,
mit dem Künstler identifizierte, trug er zur Emanzipation des bildenden Künstlers
bei, der sich in Deutschland erst im 18. Jahrhundert vom zünftigen mittelalterlichen
Handwerker gelöst hatte, die gewonnene Freiheit aber schon bald wieder von den
Kunstakademien eingeschränkt sah. W.s Künstlerideal fand die stärkste Resonanz
bei den Lukasbrüdern (Overbeck, Pforr, Cornelius, Wilhelm Schadow) und ihren
Nachfolgern.

Werke: Herzensergießungen eines kunstlie- 394; Bollacher, Martin: W. und die Kunstauf-
benden Klosterbruders, Bln 1796; Werke und fassung der frühen Romantik, Da 1983;Vietta,
Briefe, 2 Bde., Jena 1910 Silvio: Vom Renaissance-Ideal zur deutschen
Literatur: Wölfflin, Heinrich: Die »Her- Ideologie. W.H.W. und seine Rezeptionsge-
zensergießungen eines kunstliebenden Klo- schichte, in: ders. (Hrsg.), Romantik und Re-
sterbruders« (1893), in: ders., Kleine Schriften naissance, Stg 1994, 140–162; Battafarano, Mi-
(1886–1933), Da 1946, 205–212; Koldewey, chele: Deutsche Romantik-Sehnsucht nach
Paul: W. und sein Einfluß auf Tieck. Ein Bei- Italien. W.s Auffassung der Kunst der italieni-
trag zur Quellengeschichte der Romantik, schen Renaissance, in: Frank-Rutger Haus-
Lpz 1904; Stöcker, Helene: Zur Kunstan- mann (Hrsg.), Italien in Germanien, Tü 1996,
schauung des 18. Jh.s. Von Winckelmann bis 352–372; Vietta, Silvio: Fiorillo und W. Ge-
W., Bln 1904; Dessauer, Ernst: W.s »Herzens- meinsamkeiten und Differenzen in der Kun-
ergießungen eines kunstliebenden Kloster- stanschauung, in: Antje Middeldorf Kosegar-
bruders« in ihrem Verhältnis zu Vasari, in: Sv- ten (Hrsg.), Johann Dominicus Fiorillo, Gö
Litg, 6, 1906, 245–270 u. 7, 1907, 204–235; 1997, 180–193; Wullen, Moritz: Systemtheore-
Waetzoldt 1921, 217–232; RobsonScott, Wil- tisches Streiflicht auf W.s Mittelalterrezeption,
liam Douglas: W. and the Middle Ages, in: The in: AGNM, 1998, 103–107; Eckel, Winfried:
Modern Language Review, 50, 1955, 156–167; Bildersturm und Bilderflut in der Literatur
Lippuner, Heinz: W., Tieck und die bildende der Romantik. Beobachtungen zu W.H.W.
Kunst. Grundlegungen der romantischen und Ludwig Tieck, in: Helmut J. Schneider
Ästhetik, Zü 1965; Kahnt, Rose: Die Bedeu- (Hrsg.), Bildersturm und Bilderflut um 1800,
tung der bildenden Kunst und der Musik bei Bie 2001, 211–228; Vosskamp, Wilhelm: »Alles
J.H.W., Mar 1969; Böttcher, Kurt (Hrsg.): W., Sichtbare haftet am Unsichtbaren«. Bilder
in: Romantik. Erläuterungen zur deutschen und Hieroglyphenschrift bei W.H.W., Lud-
Literatur, Bln 1973 (1. Aufl. 1966), 191–197: wig Tieck und Novalis, in: ders. (Hrsg.),
Bollacher, Martin:W.s Kunst-Religion. Über- Sichtbares und Sagbares, Köln 2005, 25–45
legungen zur Genesis der frühromantischen PB
Kunstanschauung, in: GRM, 30, 1980, 377–
470 Wackernagel

Wackernagel, Martin
Geb. 2. 1. 1881 in Basel; gest. 14. 1. 1962 in Cottens (Schweiz)

Längst nicht so bekannt wie seine Landsleute  Burckhardt und  Wölfflin, die zu
den Größen der europäischen Geistesgeschichte zählen, nimmt W. gleichsam als
Vertreter der dritten Schweizer Kunsthistorikergeneration mit seinen wegweisen-
den sozialgeschichtlichen Forschungen zur italienischen Renaissance dennoch ei-
nen exponierten Platz in der Disziplingeschichte ein. Während er zu Wölfflin, dem
Lehrer und Doktorvater, und dessen Konzept einer Kunstgeschichte als autonomer
Formgeschichte bald in einen unaufhebbaren Widerspruch geriet, bestand zu
Burckhardt wohl von Anfang an eine starke innere Affinität. In der Einleitung zu
seinem bekanntesten Buch Der Lebensraum des Künstlers in der florentinischen Renais-
sance (1938) ist schon nach wenigen Zeilen von der »Aufgabe« und den »Auftragge-
bern« als den »primären, grundlegenden Faktoren« des Kunstlebens die Rede.
Burckhardts Idee einer kulturgeschichtlich fundierten Kunstgeschichtsschreibung
»nach Aufgaben« wird hier als Richtpunkt erkennbar. Auf unmittelbare Vorarbeiten
konnte sich W. kaum stützen. Er erwähnt deshalb lediglich eine Arbeit  Warburgs
über das florentinische Renaissanceporträt (1902). In einer Nachbemerkung spricht
er sich in Übereinstimmung mit  von Einem (Aufgaben der Kunstgeschichte in der
Zukunft, 1936) für eine Abgrenzung von der formanalytischen und geisteswissen-
schaftlichen Methode, für eine wieder stärkere Berücksichtigung der »außerkünst-
lerischen Faktoren« aus.
Nach seiner Berliner Dissertation über Holzschnittwerke Kaiser Maximilians im
Jahr 1905 ging W. für drei Jahre als Assistent an das Deutsche Historische Institut in
Rom. Angeregt durch die Forschungen von  Haseloff und  Goldschmidt ver-
faßte er dort eine stilanalytische Arbeit zur vorstaufischen Plastik Apuliens, deren
Einleitung schon seine künftige Denkrichtung deutlich werden läßt; sie beginnt
mit dem Satz: »Die Blüte der Architektur und der mit ihr verknüpften dekorativen
Plastik findet sich stets [...] in direkter Beziehung zu den äußeren politischen und
wirtschaftlichen Verhältnissen des Landes, das sie hervorbringt.«
In den nachfolgenden Hallenser und Leipziger Universitätsjahren 1908–19, zu-
nächst als Privatdozent und ab 1917 als a.o. Professor, arbeitete W. über italienische
Themen; er übersetzte und kommentierte unter anderem den ersten Band der Va-
sari-Ausgabe von Adolf Gottschewski und Georg Gronau. Seine Leipziger Antritts-
vorlesung handelte vom italienischen Kunstleben und der Künstlerwerkstatt in der
Renaissance. In dieser Zeit schrieb W. auch seine Baukunst des 17. und 18. Jahrhunderts
in den germanischen Ländern, seit  Gurlitts bahnbrechendem Buch von 1889 die
erste zusammenfassende Darstellung zu diesem Thema und das Pendant zu
 Brinckmanns Band über die romanischen Länder (Handbuch der Kunstwissenschaft,
1917).
1920 wurde W. zum Ordinarius für Kunstgeschichte an die Universität Münster
berufen; er wirkte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1948. Nebenher leitete
er über einen langen Zeitraum den Westfälischen Kunstverein, nahm auch lebhaften
Anteil am zeitgenössischen Kunstgeschehen und pflegte einen intensiven Umgang
mit Künstlern. Wie W. im Vorwort zu seinem Hauptwerk von 1938 sagt, sei aus
Wackernagel 471

seinem Engagement für die Kunst der Gegenwart von Jugend an das Interesse an
»den Umständen des Kunstlebens und Künstlerlebens innerhalb der geschichtlichen
Vergangenheit« erwachsen. Auf die florentinische Frührenaissance sei er nicht zu-
letzt deshalb verfallen, weil dank des zur Verfügung stehenden reichen künstleri-
schen und schriftlichen Quellenmaterials an ihr die »allgemeinen Kunstumstände
eines bestimmten Kulturkreises« exemplarisch untersucht werden könnten, um
»indirekte Anhaltspunkte und Vergleichspunkte für die Lösung der uns alle heute
wieder so sehr bewegenden kulturellen und wirtschaftlichen Probleme des gegen-
wärtigen Kunstlebens« zu gewinnen.
Im ersten Abschnitt beschreibt W. die großen Aufgabenkomplexe im Florenz der
Jahre 1420–1530 (Dom, Baptisterium, S. Maria Novella, Palazzo Vecchio), kommt
dann zu den Auftraggebern, den öffentlichen und privaten, zum Publikum und
schließlich zu den Künstlern, dem Werkstattbetrieb und dem Kunsthandel. Durch
intensives Quellenstudium förderte er dabei reiches, die materiellen Grundlagen
des florentinischen Kunstbetriebes erhellendes Tatsachenmaterial zutage. Mit kriti-
schem Blick auf die Gegenwart erschienen W. jene Zustände fast ideal, weil in
Florenz unter den Bedingungen eines demokratisch verfaßten Stadtstaates ohne
allzu scharfe soziale Gegensätze ein allgemeiner, starker Kunstbedarf von einer noch
zünftisch gebundenen, aber geistig dem Mittelalter schon entwachsenen Künstler-
schaft befriedigt worden war.
Diese Rückbesinnung auf vorkapitalistische Kunstverhältnisse, die unter den
deutschen Kunsthistorikern seit Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitet war, hatte W.
schon zwei Jahre früher in einer kleinen Aufsatzsammlung (Vier Aufsätze über ge-
schichtliche und gegenwärtige Faktoren des Kunstlebens) an den Tag gelegt. Er beklagte
dort die nach 1850 vollzogene Trennung zwischen Künstler und Publikum, die dazu
geführt habe, daß sich eine kleine Elite von Künstlern und Kennern seitdem dem
L’art pour l’art verschrieben habe und die Masse des Publikums mit minderwerti-
gen Machwerken, mit Kitsch, abgespeist werde. Einzig im religiösen Bereich sah W.,
der 1921 zum Katholizismus übergetreten war, Chancen für ein zweckgerichtetes,
anspruchsvolles und von den Gläubigen getragenes Kunstschaffen.

Werke: Darstellung und Idealisierung höfi- thes sämtliche Werke, hrsg. v. Curth Notz u.
schen Lebens in den Holzschnittwerken Kai- Paul Wiegler, Bln o.J.(1914), Bd. 17, 7–75;
ser Maximilians I., Bln 1905; Un altare del Goethe und die bildende Kunst, in: ebd., Bd.
Cima a Miglionico, in: L’Arte, 10, 1907, 372– 18, 11–35; Die Baukunst des 17. und 18. Jh.s in
374; La bottega dell’»Archidiaconus Acceptus« den germanischen Ländern, Bln 1915–21; Das
scultore pugliese dell’XI secolo, in: Bolletino italienische Kunstleben und die Künstler-
d’arte del Ministero della pubblica istruzione, werkstatt im Zeitalter der Renaissance, in:
2, 1908, 4, 3–10; Sebastiano del Piombo in Wissen und Leben, 11, 1918, 20, 33–44, 73–79;
den vatikanischen Stanzen; in: MfKw, 2, 1909, Max Slevogt, Mönchen-Gladbach 1926; Die
319–328; Die Wertschätzung Raffaels von der italienische Renaissance in der kunstge-
Renaissance bis zur Romantik, in: Wissen schichtlichen Literatur der letzten sechs Jahre,
und Leben, 2, 1909, 525–543; Ferdinand Hod- in: DVjS, 6, 1928, 742–766; Westfälischer
ler, in: Hochland, 8, 1910/11, 59–63; Die Pla- Stammescharakter in der mittelalterlichen
stik des 11. und 12. Jh.s in Apulien, Lpz 1911; Kunst Westfalens, in: FS Karl Wagenfeld,
Basel, Lpz 1912; Hans Holbeins Madonnen- Münster 1929, 216–224; Der Bildhauer Kurt
darstellungen, in: Hochland, 10, 1912/13, 216– Kluge, Bln/Lpz 1930; Münster, Bln 1931; Zur
224; Goethes Künstlerbiographien, in: Goe- älteren Baugeschichte von S. Maria Novella,
472 Wackernagel

in: MKhIF, 3, 1919–32, 349–353; Giovanni Kunst, Zü 1952, 39–50; Form und Stil, in:
della Palla. Der erste Kunsthändler, in: Die ebd., 329–336; Erinnerungen an Italien, in: FS
Kunst, 37, 1936, 270–276; Vom Stiftertum in Max Wegner, Münster 1962, 143–154; Re-
der kirchlichen Kunst, in: Hochland, 35, naissance, Barock und Rokoko, 2 Bde., Frf/
1937/38, 476–487; Vier Aufsätze über ge- Bln 1964
schichtliche und gegenwärtige Faktoren des Literatur: Keller, Harald: Rez. von »Der
Kunstlebens, Wattenscheid 1936; Der Lebens- Lebensraum des Künstlers in der florentini-
raum des Künstlers in der Florentinischen schen Renaissance«, in: ZfKg, 9, 1940, 76–79;
Renaissance, Lpz 1938 (engl. 1981); Paolo FS M.W., Köln/Graz 1958 (Bibliogr.); Fiensch,
Uccello, in: Pantheon, 27, 1941, 102–110; Nino Günter: Erinnerungen an M.W., in: Westfa-
Costa. Ein italienisches Künstlerleben der Ri- len. Hefte für Geschichte, Kunst und Volks-
sorgimentozeit, in: ZfK, 2, 1948, 29–49; Der kunde, 59, 1981, 93–96; Albrecht, Uwe (Hrsg.):
Künstlerkreis des Caffé Michelangelo, in: AKat. Arthur Haseloff und M.W. Mit Maul-
ZfK, 4, 1950, 136–140; Der ideale Landsitz tier und Kamera durch Unteritalien, UB Kiel
eines christlichen Humanisten in der Renais- 2005 (Rez. dazu von Alexander Knaak, in:
sancezeit, in: FS Alois Fuchs, Pad 1950, 159– KChr, 59, 2006, 55–65)
171, Künstler über Kunst, in: Atlantisbuch der PB

Waetzoldt,Wilhelm
Geb. 21. 2. 1880 in Hamburg; gest. 5. 1. 1945 in Halle/Saale

W. war Dichter, Schriftsteller, Universitätslehrer, Kulturpolitiker und Kunstforscher.


Sein idealistisches und humanistisches Welt- und Gesellschaftsverständnis ließ ihn in
der Vermittlung von Kunst und Leben seine Hauptaufgabe erkennen. Er vertrat
eine in der Geistesgeschichte verankerte Kunstgeschichte; die Vorstellung einer
autonomen Stilentwicklung Wölfflinscher Prägung lag ihm fern. Auch hatte er
wenig Neigung und Zutrauen zu analytischen Methoden; das Kunstwerk sollte
vielmehr als eine dem Leben der Gesellschaft angehörende werthaltige Ganzheit
begriffen werden. W. verlangte daher vom Kunsthistoriker auch eine ethische Hal-
tung zur Kunst und den Künstlern. In seinem Dürer-Buch (1935) wandte er sich
gegen die positivistische Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und deren
unersättlichen Fakten-Hunger. Sie habe nur »aus wissenschaftlich sich gebärdender
Neugier« einen »hemmungslosen Biographismus« betrieben, während doch »das
berechtigte Andenken großer Männer« der menschlichen Ehrfurcht entwachsen
sollte.
W. studierte seit 1899 in Marburg und Berlin Philologie, Psychologie und Philo-
sophie und promovierte 1903 bei Wilhelm Dilthey über Hebbel; zur Kunstge-
schichte kam er durch  Goldschmidt und vor allem durch Wölfflin, der 1901–12
das Berliner kunstgeschichtliche Institut leitete. In den ersten Berufsjahren bis 1907
standen noch die Literatur und die Psychologie im Vordergrund; W. schrieb Thea-
terstücke, gab die Werke von Shakespeare (1903), Hebbel (1903) und Kleist (1907)
heraus und entwarf eine sich auf  Goethe berufende Ästhetik, die das Kunstwerk
als einen ganzheitlichen natürlichen Organismus verstand und sowohl dessen Pro-
duktion als auch Reproduktion mit den Vorgängen in der Natur verglich; auch in
der Kunstgeschichte glaubte W. einen »Kampf ums Dasein« zu erkennen. Die dem
Studienkollegen  Hamann gewidmete große Arbeit über das Porträt (1908) wollte
ebenfalls kein historisches Material ausbreiten, sondern »prinzipielle Fragen« zur
Ästhetik und Psychologie des Bildnisses erörtern.
Waetzoldt 473

Seit Herbst 1907 befand sich W. dank des Engagements von  Bode als Stipen-
diat am Kunsthistorischen Institut in Florenz. Auf diese sorglose Zeit des Forschens
und Anschauens gehen W.s letzte Veröffentlichung von 1943, eine kulturgeschichtli-
che Arbeit über Machiavelli, und sein wohl schönstes, weil persönlichstes Buch von
1927 zurück, seine Geschichte der Sehnsucht der Nord- und Mitteleuropäer nach
dem »Klassischen Land« des Südens. »Um die Auseinandersetzung mit dem italieni-
schen Erlebnis kommt keiner, dem Bildung noch ein Ziel ist, herum«, schrieb W. im
Vorwort. Seit dem späten 17. Jahrhundert, als die Kavaliersreise von der Bildungs-
reise abgelöst wurde, sei den »Nordländern« das »wesentliche Anderssein des Sü-
dens« und dessen Bedeutung als »ultramontane Ergänzung« für ihr Lebensgefühl
aufgegangen; damals sei mit dem »ästhetischen Empfinden« für Italien »ein neues
Organ der Welterfahrung und des Weltgenießens« entstanden. Aber nicht als Histo-
riker habe er sich mit diesem Thema befaßt, auch nicht, um sich von Italien bezau-
bern zu lassen, »sondern um in der Deutung fremder Art das eigene Wesen reiner
zu erkennen«.
Im Anschluß an den einjährigen florentinischen Aufenthalt arbeitete W. bis 1911
als Assistent  Warburgs in dessen Bibliothek in Hamburg.Von dort holte ihn Bode
an die Bibliothek der Berliner Museen, seine Erfahrungen sollten deren Neuord-
nung zugutekommen. 1912 trat W. in den Universitätsdienst und wurde Nachfolger
Goldschmidts in Halle. Die im selben Jahr publizierte Einführung in die bildenden
Künste, die für Studierende gedacht war, macht den tiefgreifenden Wandel deutlich:
W. führte sich mit einem systematischen Werk ein, das als Ergänzung zu den kunst-
geschichtlichen Handbüchern dienen sollte; er wollte »Vollständigkeit und Klarheit
in den Begriffen« geben.
Nach Kriegsdienst 1914–16 als Reserveoffizier führte W. bis 1920 die Lehrtätig-
keit in Halle fort. Daneben arbeitete er seit 1919 als Kunstreferent im Kultusmini-
sterium in Berlin. Während dieser Lebensphase entstanden zahlreiche kulturpoliti-
sche Schriften und eine Reihe von Aufsätzen zur Disziplingeschichte, die in ein
unübertroffenes Werk über die deutschen Kunsthistoriker von  Sandrart bis
 Carl Justi einmündeten. W. stand mit diesem Thema allerdings nicht mehr allein,
er konnte sich im Vorwort auf  Heidrich und  Schlosser berufen; ergänzend zu
nennen wären die Arbeiten von Hans Hermann Russack (1910),  Kautzsch (1917)
und  Jahn (1924).
1927–33 leitete W. die Berliner Museen; ihrem Bildungsauftrag hat sich kaum
einer der Generaldirektoren vor und nach ihm so tief verpflichtet gefühlt wie er.
Unmittelbar nach Hitlers Machtantritt wurde er mit vielen anderen Kollegen, auch
den Direktoren der Gemälde- und der Nationalgalerie  Friedlälnder und  Justi,
vom Dienst suspendiert. 1934–45 wirkte er wieder als Ordinarius in Halle. Dieser
letzte akademische Lebensabschnitt gehörte der Kunstgeschichte und den Büchern
über Dürer und Holbein. Beide Künstler faßte W. als Antipoden in der deutschen
Kunstgeschichte auf, als »Spannung und Lösung«, »Erregung und Beruhigung«,
»Einatmen und Ausatmen«. Erst zusammen »ergeben sie das volle Bild des deut-
schen Genius in der bildenden Kunst«. Diese Bücher wollten aber nicht »gelehrt«,
sondern »menschlich« sein. Wie auch die populäre Einführung in die Kunstbe-
trachtung Du und die Kunst (150 000 Exemplare, 1939 Sonderausgabe für die Hit-
474 Waetzoldt

lerjugend von 3000 Exemplaren) wandten sie sich vor allem an die Kunstfreunde
in allen Schichten der Bevölkerung, an die »unsichtbare Gemeinschaft der Gläubi-
gen«.

Werke: Hebbel und die Philosophie seiner schaft durch Christ und Winckelmann, in:
Zeit, Gräfenhainichen 1903; Zum Problem ZfÄaK, 15, 1920/21, 155–186; Bildnisse deut-
einer normativen Ästhetik, in: ZfPhK, 124, scher Kunsthistoriker, Lpz 1921; Deutsche
1904, 125–127; Das Kunstwerk als Organis- Kunsthistoriker, 2 Bde., Lpz 1921/24; Gedan-
mus. Ein ästhetisch-biologischer Versuch, Lpz ken zur Kunstschulreform, Lpz 1921; Die
1905; Kleists dramatischer Stil, in: ZfÄaK, 2, Stellung der Kunstgeschichte an deutschen
1907, 46–69; Rez. von Wilhelm Dilthey, Das Hochschulen, in: ACIR, Rom 1922, 24–32;
Erlebnis und die Dichtung (1906), in: Der Heinrich Wölfflin, in: KtKtler, 22, 1924, 239–
Säemann, 2, 1906, 187–188; Rez. von Max 243; Das Klassische Land. Wandlungen der
Dessoir, Ästhetik und allgemeine Kunstwis- Italiensehnsucht, Lpz 1927; Wilhelm von
senschaft (1906), in: ZfPhK, Erg.-H. zu Bd. Bode, in: RfKw, 50, 1929, 1–6; Die Staatli-
136, 1906, 183–206; Rez. von Josef Strzy- chen Museen 1830–1930, in: JbPK, 1930, 189–
gowski, Die bildende Kunst der Gegenwart 204; Wandlungen der Museumsidee, in: PJbb,
(1907), in: ZfÄaK, 2, 1907, 577–581; Das Pro- 1930, 235–249; Die Berliner Museen als For-
blem der Porträt-Ähnlichkeit, in: Phil. Wo- schungsstätten, Bln 1931; Die Kulturge-
chenschrift u. Literaturzeitung, 7, 1907, 268– schichte der Italienreisen, in: PJbb, 1932, 13–
276 u. 8, 1907, 53–60; Die Kunst des Porträts, 24; Dürer und seine Zeit, Wien 1935 (slovak.
Lpz 1908; Das theoretische und praktische 1943, engl. 1950); Dürers Ritter, Tod und Teu-
Problem der Farbenbenennung, in: ZfÄaK, 4, fel, Bln 1936; Hans Holbein d.J. Werk und
1909, 349–399; Einführung in die bildenden Welt, Bln 1938 (engl. 1939); Du und die
Künste, 2 Bde., Lpz 1912; Wechselwirkungen Kunst. Eine Einführung in die Kunstbetrach-
zwischen deutscher Malerei und Dichtung tung und Kunstgeschichte, Bln 1938 (span.
im 19. Jh., in: JbFDH, 1913, 13–43; Der Uni- 1941, tschech. 1942, ndld. 1950); Deutsche
versitätsbau zu Halle und Friedrich Schinkel, Kunstwerke beschrieben von deutschen
Br 1913; Die Stellung der Kunstgeschichte an Dichtern, Lpz 1940; Johann Joachim Wink-
den deutschen Hochschulen, in: Internat. kelmann, der Begründer der deutschen
Monatsschrift f. Wissenschaft, Kunst u. Tech- Kunstwissenschaft, Lpz 1940; Albrecht Dürer.
nik, 7, 1913, 637–640; Malerromane und Ge- Kupferstich-Passion und kleine Passion, Kö
mäldegedichte, in: WMh, 58, 1913/14, 735– 1941; Italienische Kunstwerke in Meisterbe-
747; Rez. von Heinrich Wölfflin, Kunstge- schreibungen, Lpz 1942; Die Italienreise als
schichtliche Grundbegriffe (1915), in: KtKtler, Kulturerlebnis, in: Jb. d. Kaiser-Wilhelm-Ge-
1915/16, 14, 468–471; Deutsche Wortkunst sellschaft zur Förderung der Wiss. 1941, Bln
und deutsche Bildkunst, Bln 1916; Die Stel- 1942, 166–189; Das italienische Volk. Wesens-
lung der Kunstgeschichte an den deutschen art und Lebensform. Schriftenreihe für un-
Hochschulen, in: ZfbK (Beilage), 52 (28), sere Soldaten, Rom 1942; Okeanos. Bemer-
1917, 121–127; Dürers Befestigungslehre, Bln kungen zur Geschichte der Meeresmalerei,
1917; Die Entwicklung des kunstgewerbli- in: FS Wilhelm Worringer, Kö 1943, 224–235;
chen Unterrichtswesens in Preußen, in: Dt. Paris. Die Umgestaltung des Stadtbildes durch
Rundschau. Halbmonatsausg., 4, 1917/18, Baron Haussmann, Lpz 1943; Niccolò Ma-
231–248 u. 376–391; Deutsche Malerei seit chiavelli, Mü 1943; Schöpferische Phantasie.
1870, Lpz 1918; Burckhardts Vorträge, in: Essais und Glossen, Wb 1947
ZfbK (Beilage), 54 (30), 1918/19, 8–15; Chri- Literatur: Schunk, Gisela: W.W. Universi-
stian Ludwig von Hagedorns »Betrachtungen tätslehrer – Kunstreferent der Weimarer Re-
über die Malerei«, in: ebd., 765–771; Ausdruck publik – Generaldirektor der Staatlichen
und Gestaltung, in: Genius, 1, 1919, 5–17; Zur Museen Berlin, in: JbPKB, 1993, 407–491;
Problematik der Kunstgeschichte, in: MfKw, Dilly, Heinrich: W.W. Der Erzieher oder über
12, 1919, 340–341; Die Anfänge deutscher den missglückten Versuch, Mitteldeutschland
Kunstliteratur, in: ebd., 13, 1920, 137–153; Die kunsthistorisch zu einen, in: AHA, 45, 2004,
Begründung der deutschen Kunstwissen- 233–241; Wiemers, Michael: Deutscher Geist
Waetzoldt 475

in der Form des dämonischen Pedanten. schichte an der Martin-Luther-Universität


Überlegungen zu W.W.s Dürer, in: Wolfgang Halle-Wittenberg, HaS 2004, 51–70
Schenkluhn (Hrsg.), 100 Jahre Kunstge- PB

Wagner-Rieger, Renate
Geb. 10. 1. 1921 in Wien; gest. 11. 12. 1980 in Wien

Mit einer schon allein dem Umfang nach außerordentlichen Arbeitsleistung brachte
sich die Österreicherin W.-R. in die erste Reihe der Architekturhistoriker, indem
sie wichtige, aber vorher zu wenig erforschte Bereiche der mittelalterlichen Bau-
kunst erschloß und vor allem entscheidend zur Neubewertung des historistischen
Schaffens im 19. Jahrhundert beitrug.
Die Tochter des technischen Direktors Rieger, der sich auch graphisch betätigte,
arbeitete anfangs als Stenotypistin, die in Abendkursen das Abitur nachholte und ihr
Kunstgeschichtsstudium ab 1942 als Sekretärin finanzierte. Nach Kriegsende war sie
Bibliothekarin am kunsthistorischen Institut in Wien, nebenbei für die Volkshoch-
schule tätig und wissenschaftliche Hilfskraft bei  Swoboda, bis sie 1947 bei ihm
über Die Fassade des Wiener Wohnhauses vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
promovierte. In erweiterter Form, mit einem Katalog aller Beispiele, erschien die
Arbeit 1957 als Buch. Als Assistentin an dem Institut, dem sie immer verbunden
blieb, konnte sie mit Stipendien Studienreisen durch Europa machen und begann
sie während der für die Wiener Schule der Kunstgeschichte traditionellen Weiter-
bildung am Institut für Österreichische Geschichtsforschung (1948–50) auch über
Renaissancearchitektur zu arbeiten. Bei Aufenthalten 1950–51 und nochmals
1955–56 am Österreichischen Kulturinstitut in Rom wandte sie sich den wenig
erforschten Anfängen der italienischen Gotik und der Rolle der Zisterzienserarchi-
tektur zu und habilitierte sich mit diesem Thema 1956 in Wien, im Jahr ihrer Heirat
mit dem Historiker Walter Wagner. Über allgemeinbildende Universitätsvorträge ab
1959 zur Wiener Architekturgeschichte kam die Privatdozentin auf die gerade an
diesem Ort qualitativ und wirkungsgeschichtlich herausragende Baukunst des 19.
Jahrhunderts, zu der gerade erste monographische Dissertationen entstanden waren.
Mit einem vielbeachteten Vortrag auf dem 21. Internationalen Kongreß für Kunst-
geschichte in Bonn (1964) legte W.-R. erstmals eine selbständige Stilgeschichte des
Historismus anstelle der bloßen Unterscheidung von Neugotik, Neurenaissance
und Neubarock vor. Die Thyssen-Stiftung betraute sie mit der Leitung eines Pro-
jekts über die Wiener Ringstraße, jenes beispielhafte urbanistische Großvorhaben
der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie gewann dazu fähige Mitarbeiter auch für die
architekturbezogene bildende Kunst. 1962 hatte sie den Titel eines a.o. Professor
erhalten und 1964 eine neu eingerichtete a.o. Professur für österreichische Kunst-
geschichte, die 1971 zum Ordinariat erhoben wurde. Der Kunst- und vor allem
Architekturgeschichte ihres Landes galten zahlreiche Beiträge zu Kunstführern,
Lexika und Sammelwerken. 1976 wählte die Österreichische Akademie der Wissen-
schaften W.-R. zum korrespondierenden Mitglied, seit 1978 leitete sie das Kunsthi-
storische Institut der Universität. Sie wurde ins Herausgebergremium der deutschen
476 Wagner-Rieger

Zeitschrift für Kunstgeschichte und in den Beirat für die Neubearbeitung des
 Thieme-Beckerschen Künstlerlexikons in Leipzig berufen. Eine Vorlesung von
1977–78 über mittelalterliche Architektur in Österreich wurde als »ein bis heute
ausständiger Überblick« postum nach ihren Notizen und der Mitschrift einer Hö-
rerin publiziert. Schon schwer krank, leitete sie im September 1980 noch eine
Sektion des Deutschen Kunsthistorikertages, ehe sie kurz vor Vollendung ihres 60.
Lebensjahres starb.
In ihrer Selbstdarstellung für die Österreichische Akademie bekannte sich W.-R.
zu »den erprobten Prinzipien der Wiener Schule der Kunstgeschichte, die immer
auf die Verankerung des Kunstwerks in den realhistorischen Gegebenheiten Wert
gelegt hat« und gleichzeitig danach strebte, »die außerkünstlerischen Aspekte nicht
über die objektnahe, kunsthistorische Betrachtung hinauswachsen zu lassen«. Nach
Vollständigkeit strebende Materialerfassung, die ihr eine entsprechend große Denk-
mälerkenntnis verschaffte, strenge Formanalyse und die Auswertung archivalischer
Quellen gaben ihren Untersuchungen Solidität und führten zu neuen Erkenntnis-
sen über Autorschaften, Datierungen und Entwicklungsverläufe. Die Vertrautheit
mit der Kunstgeschichte im habsburgischen Vielvölkerstaat, dieser »Länderagglome-
ration«, ließ sie behutsam mit der Bestimmung von konstanten künstlerischen
Eigenschaften in einem territorial definierten Bereich umgehen. Im Mittelalter
deckten sich die »stilistischen Kunstkreise« nicht mit den erst in Bildung begriffe-
nen »nationalen Kunsträumen«, vielmehr ergaben sich verschieden orientierte
Kunstlandschaften jeweils aus realhistorischen Zusammenhängen. Methodisch galt
es, die Feststellung lokaler Traditionen von den »horizontalen Bezugsfeldern« zu
unterscheiden, die von übergeordneten Instanzen oder Ideologien getragen werden,
ohne daß diese Unterscheidung ein Qualitätsurteil ergibt (Mittelalterliche Architektur
in Österreich).
Für die Wiener Architektur des 19. Jahrhunderts berücksichtigte W.-R. die jeweils
besonderen Traditionen für die einzelnen Bauaufgaben, denen sie immer große
Aufmerksamkeit zuwandte, und die zeitlichen Überlappungen der verschiedenen
stilistischen Tendenzen. Sie faßte Klassizismus und Biedermeier zusammen (ca.
1770–1830), beobachtete dabei einen »kubischen Stil« und die Anfänge von Ingeni-
eurarchitektur im Spätbiedermeier (ca. 1820–50). Für den Historismus unterschied
sie den »romantischen Historismus« (ca. 1830–60), den zwei Architektengeneratio-
nen trugen und der auch als »historisierender Klassizismus« verstanden werden
könne, vom »strengen Historismus« (ca. 1850–1880), der »einen immanenten Stil-
wandel mitmacht, der sich am besten mit den Begriffen definieren läßt, die für die
italienische Hochrenaissance erarbeitet sind«, nämlich Vorklassik (Oper), Frühklassik
(Votivkirche und  Sempers Forum) und Überklassik oder Protobarock (seit dem
Bau des Rathauses). Den »Späthistorismus« faßte sie bewußt mit der »Secession«
zusammen (ca. 1880–1914), das heißt zwei Richtungen, die in schroffstem Gegensatz
zueinander standen, weil sie zeigen konnte, daß in Wahrheit der Jugendstil den
Vertretern des Späthistorismus »durchaus eingängig« war, während sich eine sachli-
che Auffassung (Otto Wagner, Adolf Loos) davon absetzte, die mit »Protokubismus«
direkt in die Neue Sachlichkeit überleitete (Wiens Architektur im 19. Jahrhundert,
1970; Manuskript im wesentlichen 1962 abgeschlossen). Genaue Charakterisierung
Wagner-Rieger 477

von Werken und die Beachtung besonderer Umstände waren W.-R. stets wichtiger
als entwicklungstheoretische Konstrukte.

Werke: Studien zur mittelalterlichen Archi- reiche der Wiener Ringstraße, in: ÖZKD, 22,
tektur Englands, in: AnK, 2, 1953, 15–31; Siena 1968, 65–82; Einleitung, in: Die Wiener
und Ruvo. Ein Beitrag zur Baugeschichte der Ringstraße – Das Kunstwerk im Bild, Wb
beiden Dome, in: FS J. Anselm Weißenhofer, 1969, 13–45; Wiens Architektur im 19. Jh.,
Wien 1954, 97–111; Der Santo zu Padua, in: Wien 1970; Rez. von Wolfgang Krönig, Il
Christl. Kunstblätter, 53, 1955, 64–68; Islami- Duomo di Monreale u. Roberto Salvini, Il
sche Einflüsse auf die mittelalterliche Profan- Duomo di Modena (1966), in: ZfKg, 33, 1970,
architektur, in: AnK, 4, 1955, 1–23; Die Piari- 143–150; Premier art roman, in: AKbl, 41,
stenkirche in Wien, in: WJbfKg, 1956, 49–62; 1971, 27–36; Die Bautätigkeit Kaiser Fried-
Die italienische Baukunst zu Beginn der Go- rich III., in: WJbfKg, 1972, 128–153; Das Haus
tik. I: Oberitalien, II: Süd- und Mittelitalien, der Österreichischen Akademie der Wissen-
Graz/Köln 1956/57; Das Wiener Bürgerhaus schaften, Wien 1972; Geschichte der Archi-
des Barock und Klassizismus, Wien 1957; Zur tektur in Wien (mit Gerhart Egger), Wien
Typologie italienischer Bettelordenskirchen, 1973; Die Architektur des Meerscheinschlos-
in: Röm. Histor. Mitt.n, 2, 1957/58, 266–298; ses zu Graz, in: ÖZKD, 29, 1975, 34–49; Ro-
Der Chor von S. Lorenzo Maggiore in Nea- mantik und Historismus, in: Historismus und
pel, in: ACIP, Paris 1959, 139–144; Gotische Schloßbau, Mü 1975, 11–18; Gedanken zum
Kapellen in Niederösterreich, in: FS Karl fürstlichen Schloßbau des Absolutismus, in:
Maria Swoboda, Wien/Wb 1959, 273–307; Fürst, Bürger, Mensch, hrsg. v. Friedrich En-
Italienische Hallenkirchen. Zur Forschungs- gel-Janosi u. a., Wien 1975, 42–70; Architektur,
lage, in: MGvK, 12, 1960, 127–135; Die An- in: AKat. 1000 Jahre Babenberger in Öster-
fänge der klassizistischen Architektur in Wien, reich, Wien 1976, 141–154; Semper und die
in: ebd., 13, 1960, 1–6; S. Lorenzo Maggiore Wiener Architektur, in: Gottfried Semper
in Neapel und die süditalienische Architektur und die Mitte des 19. Jh.s. Symposium an der
unter den ersten Königen aus dem Hause ETH Zürich 1974, Basel/Stg 1976, 275–288;
Anjou, in: Miscellanea Bibliothecae Hertzia- Karl Maria Swoboda, in: MIfÖG, 85, 1977,
nae, Mü 1961, 131–143; Das Schloß zu Spittal 429–431; Rez. von Nikolaus Pevsner, A His-
an der Drau in Kärnten, Wien 1962; Rez. von tory of Building Types (1976), in: KChr, 30,
Bruno Grimschitz, Johann Lucas von Hilde- 1977, 534–539; Architektur, in: AKat. Gotik in
brandt (1959), in: ZfKg, 25, 1962, 177–184; der Steiermark, Graz 1978, 45–93; Der Perso-
Die Baugeschichte der Stiftskirche von Klo- nalstil Theophil von Hansens, in: Gedenk-
sterneuburg, in: Jb. d. Stiftes Klosterneuburg, schrift f. Günter Bandmann, Bln 1978, 417–
1963, 137–179; Barockarchitektur in Öster- 437; Der Stilpluralismus um 1900, in: Alte
reich. Literaturbericht, in: ZfKg, 27, 1964, und moderne Kunst 23, 1978, 160/161, 41–45;
246–271; Die Baukunst des 16. und 17. Jh.s in Eisenarchitektur im Wiener Historismus, in:
Österreich. Ein Forschungsbericht, in: WJb- Eisenarchitektur. Internat. Colloquium d.
fKg, 1965, 175–224; Die Wiener Architektur ICOMOS Bad Ems 1978, Mainz 1979, 126–
des Klassizismus, in: Alte und moderne Kunst, 131; Bildende Kunst und Architektur, in:
10, 1965, 81, 5–10; Bruno Grimschitz, in: MI- AKat. Die Zeit der frühen Habsburger, Wien
fÖG, 73, 1965, 244–246; Rez. von Edgar 1979, 103–126; Theophil von Hansen (mit
Hertlein, Die Basilika S. Francesco in Assisi Mara Reissberger), Wb 1980; Santo Spirito
(1964), in: ZfKg, 28, 1965, 159–161; Einschif- und das Spätwerk Brunelleschis, in: Kunstge-
fige Benediktinerkirchen des Mittelalters in schichtliche Studien zur Florentiner Renais-
Italien, in: FS Edoardo Arslan, Mailand 1966, sance, hrsg. v. Lars Olof Larsson u. Götz Po-
237–248; Architektur, in: AKat. Gotik in chat, Stockholm 1980, 87–143; Bildende
Österreich, Krems 1967, 330–406; Der Histo- Kunst, in: Deutschland und Österreich. Ein
rismus in der Wiener Architektur des 19. Jh.s, bilaterales Geschichtsbuch, hrsg. v. Robert A.
in: AIKB, Bln 1967, 1, 240–248 u. in: Alte und Kann u. Friedrich E. Prinz, Wien/Mü 1980,
moderne Kunst, 13, 1968, 100, 2–15; Stilwan- 288–321; Rez. von Hiltrud Kier, Die Kölner
del der städtebaulichen Komposition im Be- Neustadt (1978), in: KChr, 33, 1980, 173–178;
478 Wagner-Rieger

Palladianismus und die »Niederländische Be- ZfKg, 23, 1960, 266–275; Schmidt, Gerhard:
wegung«, in: FS Wilhelm Messerer, Köln R.W.-R., in: MIfÖG, 88, 1980, 448–450;
1980, 213–217; Die Kunst zur Zeit Maria ders.: R.W.-R., in: ZfKg, 44, 1981, 196–198;
Theresias und Joseph II., in: WJbfKg, 1981, Bacher, Ernst: R.W.-R., in: ÖZKD, 35, 1981,
7–22; Mittelalterliche Architektur in Öster- 70–77; Zádor, Anna: R.W.-R, in: AHA, 27,
reich, hrsg. v. Artur Rosenauer u. Mario 1981, 3/4, S. 374; R.W.-R., hrsg. v. Hermann
Schwarz, St. Pölten/Wien 1988 Fillitz u. a., Wb 1981 (m. Autobiogr. u. Bi-
Literatur: Krönig, Wolfgang: Rez. von »Ita- bliogr.)
lienische Baukunst zu Beginn der Gotik«, in: PHF

Waldmann, Emil
Geb. 15. 12. 1880 in Bremen; gest. 17. 3. 1945 in Würzburg

Wenn Kunstverständnis und Wertschätzung für die Tätigkeit von Kunsthistorikern


in breiteren Kreisen um sich greifen, wird dies nicht zuletzt regen, aber unspekta-
kulären Wissenschaftlern wie W. verdankt, die Museumsarbeit und das ausgedehnte
Publizieren lebendig geschriebener Texte zu vereinen vermochten und dazu beitru-
gen, für ihre Zeit einen gewissen Standard der Kunstauffassung zu festigen.
Nach dem Studium in Heidelberg, Berlin und Göttingen ging W. 1906 zu  Pauli
an die Kunsthalle seiner Heimatstadt. Durch seine Dissertation zu Dürers Graphik
(1906) war er auf die Leitung des Kupferstichkabinetts vorbereitet. Er nahm sich
aber auch der gotischen Plastik am Bremer Rathaus wie der zeitgenössischen deko-
rativen Kunst in Gestalt der Innenräume von Passagierdampfern des bremischen
Norddeutschen Lloyd an. 1910 begann er mit weiten Studienreisen, die ihn bis nach
Nordamerika führten und mit vielen Kunstsammlungen vertraut machten. Wie vor
ihm auch Pauli wurde er 1913 in Dresden Kustos der privaten Graphiksammlung
des sächsischen Königs (zu dieser Zeit Friedrich August III.) und bildete sich an
deren hervorragendem Bestand weiter. Er kehrte aber bereits 1914 an die Bremer
Kunsthalle zurück, um nach Paulis Wechsel an die Hamburger Kunsthalle deren
Direktion zu übernehmen, die er bis zu seinem Tod behielt. In wirtschaftlich
schwieriger Zeit baute er die Sammlung, die ihm über alles andere ging, mit einer
»genialen Taktik des Kaufens und Verkaufens, des Erneuerns und Abstoßens« aus, die
1948 im Rückblick der Dichter Rudolf Alexander Schröder, der Vorsitzende des
Kunstvereins, des Trägers der Kunsthalle, an ihm rühmte.Vor den Bombenangriffen
des Zweiten Weltkriegs floh W., um noch arbeiten zu können, nach Würzburg und
ertränkte sich, als die Zerstörung auch über dieses Stadtkunstwerk hereinbrach, voll
Verzweiflung gemeinsam mit seiner Frau im Main.
W. widmete nicht nur der Malerei und Graphik der italienischen und deutschen
Renaissance einführende Darstellungen, die beispielsweise Tintoretto auf neue
Weise würdigten. Der umfassend Gebildete besaß einen weiten Horizont, der an-
tike wie auch asiatische Plastik wie selbstverständlich miterfaßte. So ging er bei-
spielsweise 1911 den spezifischen Künstlerischen Problemen in der vorklassischen Plastik
Griechenlands nach, wobei er hervorhob, daß jedes Zeitalter sein besonderes Ver-
hältnis zur griechischen Plastik habe und das seine die vorklassische mehr als die
klassische schätze. Für die Veränderungen der Kunst machte er damals allgemeinge-
Waldmann 479

schichtliche und in zeittypischer Weise auch rassenbiologische Faktoren verant-


wortlich; das ständige ruhmsüchtige Debattieren auf dem Markt habe das athletisch
Agonale verdrängt. »Für die Entwicklung der Kunst war das viele Denken und
Räsonnieren [...] als ein formzerstörendes Element schädlich, es trug außerkünstle-
rische Dinge in die Kunst hinein [...]. Zudem wurde die Rasse matter [...], machte
sich die Rassenverschlechterung geltend. Die Mischung der alten aristokratischen
Bevölkerung mit Metöken und Fremden, [...] die vielen durch nationalökonomi-
sche Krisen herbeigeführten Mesalliancen können nicht ohne Einfluß auf die Ge-
staltung des Menschen geblieben sein.« W.s Forschungen und Veröffentlichungen
galten aber in erster Linie der deutschen, wie auch der französischen Kunst des 19.
Jahrhunderts. Er beurteilte sie und den Fortgang der Entwicklung ins 20. Jahrhun-
dert von einer Position aus, wie sie beispielsweise auch  Scheffler vertrat. Für
dessen Zeitschrift Kunst und Künstler wurde er seit 1910 mit über 50 Beiträgen zu
einem der produktivsten Autoren. Besonders Wilhelm Leibls Leistung für den Rea-
lismus zog ihn an; ihm widmete er grundlegende Arbeiten. Der Band Die Kunst des
Realismus und des Impressionismus im 19. Jahrhundert für die Propyläen-Kunstge-
schichte (1927) bestätigte und erhöhte W.s Autorität auf diesem Arbeitsfeld. Seine
impressionistisch gestimmte Betrachtungs- und Schreibweise verlor allerdings bei
jüngeren Kunsthistorikern nach 1945 weitgehend an Ansehen. Nach 1933 hatte W.
sich stärker auf deutsche Kunst beschränkt; in seinem Buch über Das Bild des Kindes
in der Malerei (1940) klammerte er die prekären Probleme des 19. und 20. Jahrhun-
derts einfach aus. Er schrieb aber zuletzt eine lebendige und begeisterte Würdigung
Rodins, den er noch persönlich kennengelernt hatte.
W. gründete sein Kunsturteil kennerschaftlich auf Anschauung, und in seinem
Kunstbegriff wie seinem Qualitätsmaßstab beharrte er darauf, daß ein Werk der
bildenden Kunst vom Anschauen von Realem ausgehen und sich in dem bewähren
müsse, was es sichtbar macht, nicht in irgendetwas Gedanklichem oder Programma-
tischem. Von daher hielt er auch zur Romantik Distanz. Er konzentrierte sich im-
mer mehr auf die neue »Kunstgeschichte als Geschichte der Kunstprobleme«, wie
sie das Handbuch der Kunstwissenschaft im Unterschied zur »gediegenen Vortrefflich-
keit« der nur wenig wertenden, positivistischen Kunstgeschichte  Woermanns in
Angriff genommen habe (Alte und neue Kunstgeschichte, 1915/16). Zunehmend be-
stand W. auf der Unabhängigkeit der Kunst von der Gesellschaft, wie er es 1932 in
einer Kritik der stalinistischen Kunstauffassung und -praxis darlegte, kurz bevor er
dann in Deutschland Ähnliches erfahren mußte: »Der schöpferische Künstler ist, da
er Neues schafft, kein Exponent einer Gesellschaftsschicht [...]. Er arbeitet nicht für
die Gesellschaft, sondern gegen die Gesellschaft. Keine Gesellschaft hat je einen
schöpferischen Künstler bei seinem ersten Auftreten auch nur verstanden.« Ein
Kunstwerk solle nicht ein Beweis für irgendetwas sein, »sondern das Werk eines
freien schöpferischen Geistes aus dem Reiche des Nichtmateriellen, des Nichtsozi-
alen und Nichtpolitischen«. In der Sowjetunion sei »wieder einmal zu sehen, wohin
es führt, wenn Politik, ganz gleich welcher Sorte, sich der Kunst annimmt, das heißt
sie sich dienstbar machen will« (Moskauer Ästhetik). W. wies gern auf Divergenzen
zwischen allgemeingeschichtlicher und künstlerischer Entwicklung hin: Menzel
»malte Historienbilder, als in Preußen nichts passierte. Dann aber, als, nach 1866 und
480 Waldmann

1870, in Preußen etwas passierte, gab er die Historienmalerei auf und pflegte das
reine Genrebild, die reine Wirklichkeitskunst [...]. Er wußte, daß man Schlachten
aus der Nähe gesehen künstlerisch nicht gestalten kann, daß zur künstlerischen
Freiheit solchen Stoffen gegenüber eine historische Distanz gehört« (Die Kunst des
Realismus und des Impressionismus). W. kümmerte sich wenig um theoretische Be-
gründungen oder immanente Gesetzmäßigkeiten der Kunstgeschichte und schrieb
deren Verlauf schlicht den großen Individuen zu: »In der Kunst wird das, was wir
Entwicklung nennen, bestimmt durch das Schaffen der genialen Persönlichkeiten.
Von selber wächst die Kunst nicht. Ja, ohne das periodische Auftreten schöpferischer
Kräfte verfällt sie [...]. Es muß [...] immer einmal wieder ein großer Maßstab auf-
gestellt werden, an dem sich die Talente aufrichten und ihr Vorbild nehmen« (Das
Bildnis im 19. Jahrhundert, 1921).
W.s Zustimmung zu jüngsten Kunstentwicklungen über den von ihm bewun-
derten und tief begriffenen Cézanne, über van Gogh und Hodler, den er höher als
Gauguin stellte, hinaus, erfaßte noch Kokoschka wie Lehmbruck, während er sich
gegen Nolde sperrte. Zu Matisse, der seit etwa einem Jahrfünft hervorgetreten war,
formulierte er 1913 die bemerkenswerte Besorgnis, daß die Suche nur nach Kom-
position und Rhythmus zum Verzicht auf Wichtiges im Kunstwerk führen könnte:
»Ob wir dahin kommen werden, die Klärung und Vereinfachung, die er hier treibt,
einmal nicht als Verarmung zu empfinden, bleibt abzuwarten« (Das Folkwangmu-
seum).
Werke: Lanzen, Stangen und Fahnen als sionisten, Bln 1923; Edouard Manet, Bln 1923;
Hilfsmittel der Komposition in den graphi- Deutsche Zeichner des 19. Jh.s., Lpz 1923;
schen Frühwerken des Albrecht Dürer, Str Max Slevogt, Bln 1923; Französische Malerei
1906; Die gotischen Skulpturen am Rathaus des 19. Jh.s, Br 1925; Menzel. Werke und Do-
zu Bremen und ihr Zusammenhang mit köl- kumente, Mü 1925; AKat. Honoré Daumier,
nischer Kunst, Str 1908; Moderne Schiffs- Bln 1926; Die Kunst des Realismus und des
räume des Norddeutschen Lloyd, Mü 1908; Impressionismus im 19. Jh., Bln 1927; Engli-
Bericht über amerikanische Bildersammlun- sche Malerei, Br 1927; Stätten von Einst, Bre-
gen, in: Jb. d. bremischen Sammlungen, 1910, men 1928; AKat. Leibl (Vorw.), Köln/Bln
1. Bd., 60–72; Die Nürnberger Kleinmeister, 1929, 16–27; Wilhelm Leibl, Bie 1930; Das
Lpz 1911; Künstlerische Probleme in der vor- Rathaus zu Bremen, Burg b. Magdeburg
klassischen Plastik, in: KtKtler, 10, 1911–12, 1931; Moskauer Ästhetik, in: KtKtler, 31, 1932,
41–52, 154–166; Leibl und die Franzosen, in: 182–186; AKat. Ein Halbjahrtausend deut-
ebd., 12, 1913–14, 43–52; Das Folkwangmu- scher Zeichnung, Bremen 1936; Das Bild des
seum, in: ebd., 247–262; Wilhelm Leibl. Eine Kindes in der Malerei, o.O. 1940; Raffael,
Darstellung seiner Kunst, Gesamtverzeichnis Burg b. Magdeburg 1940; Der Maler Adolf
seiner Gemälde, Bln 1914; Alte und neue Menzel, Wien 1941; Caspar David Friedrich,
Kunstgeschichte, in: KtKtler, 14, 1915–16, Almanach, Bln 1941; Albrecht Dürer, Lpz
520–522; Albrecht Dürer, 3 Bde., Lpz 1916– 1941; Wilhelm Leibl als Zeichner, Mü 1942;
18; AKat. Liebermann als Zeichner, Bln 1916; Goya, Burg b. Magdeburg 1942; Anselm Feu-
Holbein, Bilder des Todes, Lpz 1917; August erbach, Bln 1944; Auguste Rodin, Wien 1944;
Gaul, Bln 1919; Sammler und ihresgleichen, Max Slevogt. Das druckgraphische Werk, Hei
Bln 1920; Delacroix in deutschen Sammlun- 1962 (mit Johannes Sievers)
gen, in: ZfbK, 56 (32), 1921, 179–188; Wilhelm Literatur: Busch, Günter: E.W., in: ders.,
Leibl, Lpz 1921; Max Slevogt, Dr 1921; Das Hinweis zur Kunst, Aufsätze und Reden, Hbg
Bildnis im 19. Jh., Bln 1921; Tintoretto, Bln 1977, 314–316
1921; Tizian, Bln 1922; Französische Impres- PHF
Warburg 481

Warburg, Aby
Geb. 13. 6. 1866 in Hamburg; gest. 26. 10. 1929 in Hamburg

»Es kehrt nicht um, wer an einen Stern gebunden ist.« Dieses Zitat aus Leonardo
da Vincis Aufzeichnungen wählte  Panofsky 1929 als Einleitung für seinen Nach-
ruf auf W. und würdigte damit den Kunst- und Kulturhistoriker, der eine die Dis-
ziplingrenzen überschreitende, problemorientierte Bestimmung der wissenschaftli-
chen Aufgaben nicht nur ausdrücklich gefordert, sondern zeitlebens selbst so
gearbeitet hatte. Dies war ein anspruchsvolles Gegenprogramm zur spezialisierten
Fachwissenschaft der Zeit. Kunst wie ihre Geschichte stellten für W. keine eigenge-
setzliche Sphäre dar. Jeder Versuch, nur die ästhetischen Qualitäten eines Bildwerkes
zu würdigen, ohne seine Beziehungen zu Religion, Literatur und sozialem Umfeld
zu berücksichtigen, kam nach W.s Überzeugung einer »Abschnürung seiner eigent-
lichen Lebenssäfte« gleich. Er distanzierte sich damit von der rein formal-stilisti-
schen Betrachtungsweise  Wölfflins oder  Riegls und machte den Weg frei für
eine interdisziplinär arbeitende Kunstwissenschaft, die in der Nachfolge  Burck-
hardts das Kunstwerk als Ausdruck historischen Lebens deutet.
W. unterschied nicht mehr zwischen der immanenten Entwicklung der Kunst
auf der einen und der sozialen, politischen und kulturellen Entwicklung auf der
anderen Seite, sondern suchte Geschichte als Einheit zu begreifen. Dabei galt seine
Vorliebe der Renaissance, die für ihn eine Übergangszeit zur Moderne war, in der
bereits eine »verhängnisvolle Spaltung im Seelenleben des Menschen« zutage trat.
In seiner Dissertation Sandro Botticellis »Geburt der Venus« und »Frühling« (1892)
beschäftigte sich W. mit Fragen des Ausdrucks von Gebärden und Bewegungen und
fand heraus, daß der bildnerischen Gestaltung beider Werke Botticellis ein literari-
sches Zitatengeflecht (Ovid, Claudian, Angelo Poliziano) zugrunde lag und der
Künstler immer dann auf antike Formen zurückgriff, wenn es um die Gestaltung
»leidenschaftlich bewegten Lebens« ging. Mit Burckhardt stimmte W. darin überein,
daß die Rezeption der Antike in der Renaissance Beleg für ein künstlerisches Stre-
ben nach gesteigertem seelischen und körperlichen Ausdruck war. Mit der Entdek-
kung dieses bewegungs- und erregungsstiftenden Potentials antiker Kunst, das in
der Renaissance in gewissen gestischen und mimischen Ausdrucksgebärden – »Pa-
thosformeln« – wieder aufgegriffen wurde, wandte er sich von  Winckelmanns
klassizistischem Ideal der »edlen Einfalt und stillen Größe« ab und verwies mit
Nietzsche auf das Doppelantlitz der Antike: Der apollinischen Klarheit des Bewußt-
seins steht der dionysische Lebensrausch gegenüber. W.s Kunst- und Kulturver-
ständnis war so sehr wissenschaftliches Neuland, daß  Carl Justi die Betreuung
seiner Dissertation abgelehnt und ihn zu  Janitschek nach Straßburg geschickt
hatte.
W.s Studium der Kunstgeschichte begann 1886 bei Justi in Bonn, wo er auch bei
dem Altphilologen Hermann Usener und dem Historiker Karl Lamprecht hörte.
1888 ging er nach München und im gleichen Jahr zum erstenmal nach Florenz.
Nach einem Zwischenaufenthalt 1889–92 in Straßburg und der Promotion kehrte
W. nach Florenz zurück, um dort mit längeren Unterbrechungen als Privatgelehrter
zu arbeiten. Auf einer 1895/96 unternommenen USA-Reise, die ihn auch durch
482 Warburg

Neu-Mexiko führte, lernte er die Kultur der indianischen Urbevölkerung kennen,


an der er den Prozeß der Symbolbildung im Hinblick auf Parallelen zu europä-
ischen Vorgängen studierte. Seit 1904 lebte W. wieder in Hamburg. Mehrfach vor
die Wahl zwischen akademischer Laufbahn und privater Forschertätigkeit gestellt,
entschied er sich stets für seine Unabhängigkeit. Nach der Ablehnung des Hallenser
Lehrstuhls für Kunstgeschichte verlieh ihm die Stadt Hamburg 1912 den Professo-
rentitel.
Schon während seines Studiums hatte der reiche Bankierssohn W. viel Geld für
Bücherkäufe aufgewendet und später in Florenz den Plan zu einer Forschungsbi-
bliothek gefaßt. Ein erster Schritt dazu wurde getan, als die von ihm zusammenge-
tragene Büchersammlung in eine Stiftung seiner Familie umgewandelt und ab 1905
als halböffentliche Einrichtung geführt wurde. W.s Bibliothek war eine »Problembi-
bliothek« ( Saxl), deren umfangreicher und höchstspezialisierter Apparat der Er-
forschung der »menschlichen Ausdruckswerte« in der Kunst diente. Überzeugt von
der Zusammengehörigkeit aller Gebiete der Geisteswissenschaften, suchte W. die
Behandlung seines Zentralproblems, des Nachlebens antiker Formen, auch durch
die Aufstellung der Bücher nach dem »Gesetz der guten Nachbarschaft« zu verdeut-
lichen, um so Spuren zu verfolgen, die von der »Kunst zur Religion, von der Reli-
gion zur Literatur, von der Literatur zur Philosophie« führten (Saxl). Gerade dieses
nicht fest umrissene Wissenschaftskonzept und die ungewöhnliche und ideenreiche
Ordnung der Bücher wurde zu einer bedeutenden Quelle der Anregung für Ge-
lehrte unterschiedlichster Disziplinen, die, ebenso wie W., ihre Forschungen der
symbolischen Deutung der Kultur widmeten, so der Philosoph Ernst Cassirer, der
Orientalist Hellmut Ritter, der Astronomiehistoriker Franz Boll und der Kunsthi-
storiker Panofsky. Es wurden junge Wissenschaftler wie  Waetzoldt, Saxl und
später  Wind angestellt, um W. bei seinen Studien über die Funktionalität der
Kunst zu unterstützen.
Die breite kulturwissenschaftliche Orientierung der Bibliothek prägte entschei-
dend jene Methode der Kunstwissenschaft, die später als Ikonologie in die Ge-
schichte des Faches eingehen sollte. In seinem 1912 in Rom anläßlich des interna-
tionalen Kunsthistorikerkongresses gehaltenen Vortrag über die Fresken im Palazzo
Schifanoia in Ferrara demonstrierte W. erstmalig eine ikonologische Untersuchung,
indem er die bis dahin unverständlichen Bilder als astrologische Allegorien zur
Darstellung der Monate deutete und die Entwicklung der Gestaltung mythologi-
scher Figuren seit der Antike über das europäische und arabische Mittelalter bis
zum 15. Jahrhundert in Italien nachzeichnete.
Für seine akribischen Detailuntersuchungen zog W. so unterschiedliches Quel-
lenmaterial wie Testamente, Liebeszeichen, Handelskorrespondenzen,Wandteppiche,
nobilitierte Meisterwerke und volkskundliche Gebrauchsgegenstände heran. Ganz
besonders fesselte ihn die Frage, wie sich Tradition im Kraftfeld von Erinnern und
Vergessen bildet. Kunstwerke waren für ihn vor allem Teil eines größeren Zusam-
menhangs, für den er den Begriff »soziales Gedächtnis« prägte. Als Dokumente si-
tuierte er sie inmitten von magischen Kräften, und ihre Deutung beinhaltete für
ihn immer den Versuch, Gefährdungen durch das Irrationale zu bannen. Quer durch
die Jahrhunderte und Kulturen sammelte er »Urformeln« der Gebärdensprache,
Warburg 483

spürte dabei Nymphen und Viktorien im »modernen Gewand« in Werbung und


Illustrierten seiner Zeit auf, was ihm Beweis für die Existenz eines kollektiven Ge-
dächtnisses der Menschheit war, das besonders nachwirkungsfähige ikonographische
Formeln bereitstellte.
Nach überstandenem schwerem Nervenleiden, das eine psychiatrische Behand-
lung notwendig gemacht hatte, kehrte W. 1924 an die Bibliothek zurück, wo Saxl
inzwischen auch einen Vorlesungs- und Publikationsbetrieb eingeführt hatte, und
widmete seine letzten Lebensjahre dem Torso gebliebenen, erst 2000 publizierten
Mnemosyne-Atlas, mit dem er anhand von ausgewählten Beispielen des europäischen
Bildgedächtnisses die »Wanderstraßen« der vorgeprägten Erinnerungsbilder zu do-
kumentieren beabsichtigte.
Nach seinem Tod suchten besonders Saxl, Wind und  Gertrud Bing, die theo-
retischen und konzeptionellen Voraussetzungen W.s zu systematisieren und die Bi-
bliothek in seinem Geiste, »wider grenzpolizeiliche Befangenheit«, weiterzuführen.
Ihrer außerordentlichen Vertrautheit mit W.s Denken und ihrem immensen persön-
lichen Engagement ist es zu danken, daß sich die Bibliothek nach der Emigration
1933 dem Londoner Wissenschaftsbetrieb einpassen und zu einem die Entwicklung
des Faches im angelsächsischen Sprachraum fördernden Faktor werden konnte.
Werke: Matteo de’ Strozzi. Ein italienischer 129–152; Arbeitende Bauern auf burgundi-
Kaufmannssohn vor vierhundert Jahren, in: schen Teppichen, in: ZfbK, 42 (18), 1907, 41–
Hamburger Weihnachtsbuch, Hbg 1892, S. 47; Der Baubeginn des Palazzo Medici, in:
236; Sandro Botticellis »Geburt der Venus« MKhIF, 1, 1909/1911, 1909, 85–87; Über Pla-
und »Frühling«. Eine Untersuchung über die netengötterbilder im niederdeutschen Kalen-
Vorstellungen der Antike in der italienischen der von 1519, in: Jahresber. d. Ges. d. Bücher-
Frührenaissance, Hbg/Lpz 1893; I costumi freunde zu Hamburg 1908/1909, Hbg 1910,
teatrali per gli intermezzi del 1589. I disegni 45–47; Die Wandbilder im hamburgischen
di Bernardo Buontalenti e il libro di Conti di Rathaussaale, in: KtKtler, 8, 1910, 427–429;
Emilio de’ Cavalieri, in: Atti dell’Accademia Eine astronomische Himmelsdarstellung in
del R. Istituto Musicale di Firenze 1895, 133– der alten Sakristei von S. Lorenzo in Florenz,
146; Sandro Botticelli, in: Das Museum, 10, in: MKhIF, 2, 1912/1917, 1912, 34–36; Bot-
1898, 37–40; Flandrische und Florentinische tega-Buch des Marco del Buono und des
Kunst im Kreise des Lorenzo Medici um Apollonio di Giovanni, Florenz 1446–63, in:
1480, in: SberKgG, 8, 1901, 43–46; Bildnis- Paul Schubring, Cassoni, Lpz 1915, 1–8; Heid-
kunst und florentinisches Bürgertum. I. Do- nisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu
menico Ghirlandaio in Santa Trinità. Die Luthers Zeiten, Hei 1920; Italienische Kunst
Bildnisse des Lorenzo de’ Medici und seiner und internationale Astrologie im Palazzo
Angehörigen, Lpz 1902; Flandrische Kunst Schifanoia zu Ferrara, in: ACIR, Rom 1922,
und Florentinische Frührenaissance. Studien 179–193; Piero della Francescas Constantins-
I, in: JbPK, 1902, 247–266; Die Grablegung schlacht in der Aquarellkopie des Johann
Rogers in den Uffizien, in: SberKgG, 8, 1903, Anton Ramboux, in: ebd., 326–327; Gesam-
57–58; Per un quadro fiorentino che manca melte Schriften, 2 Bde., Lpz/Bln 1932; A Lec-
all’esposizione dei primitivi Francesi, in: RdA, ture on Serpent Ritual, in: JWCI, 2, 1938/39,
2, 1904, 85–86; Austausch künstlerischer Kul- 222–292 (dt. 1988); Ausgewählte Schriften
tur zwischen Norden und Süden im 15. Jh., und Würdigungen, hrsg. v. Dieter Wuttke, BB
in: SberKgG, 2, 1905, 7–12; Dürer und die ita- 1979
lienische Antike, in: Verhandlungen der 48. Literatur: Bode, Wilhelm von: Rez. von
Versammlung deutscher Philologen und »Bildniskunst und florentinisches Bürger-
Schulmänner in Hamburg 1905, Lpz 1906, tum«, in: RfKw, 25, 1902, 219–220; Wölfflin,
55–60; Francesco Sassettis letztwillige Verfü- Heinrich: dass., in: DLZ, 23, 1902, 1213–1214;
gung, in: FS August Schmarsow, Lpz 1907, Berger, Arnold E.: Rez. von »Heidnisch-an-
484 Warburg

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fried: Kulturforschung im Souterrain. A.W. des Zwischenraums. Der Schleier als Medium
und die Volkskunde, in: Themen und Theo- und Metapher, hrsg. v. Johannes Endres u. a.,
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2004; Guidi Cestelli, Benedetta/Via Cieri, Hans-Michael Schäfer, Wb 2005; Wyss, Beat:
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di Giano. A.W. fra tempo e memoria, Turin Kunstsystem, Köln 2006, 101–110; Michels,
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des Monstrums. A.W. und das Paradigma des 2007
Symptomalen, in: Bilder-Denken. Bildlich- CF

Weigert, Hans
Geb. 10. 7. 1896 in Leipzig; gest. 9. 9. 1967 in Düsseldorf

Die zweite Gesamtdarstellung der deutschen Kunstgeschichte von den Anfängen


bis zur Gegenwart, nach  Lübkes Buch von 1890, wurde von W. verfaßt, der sich
jedoch eher in der Nachfolge  Dehios und  Pinders sah; die positivistische
Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hielt er für obsolet und die Zeit für
eine Neubesinnung gekommen. Nach 1933 schien ihm dies um so dringlicher, als
er sich und das gesamte Fach zum »Dienst am Werdenden« aufgerufen fühlte. W.s
1942 publizierte Geschichte der deutschen Kunst – ihr Vorwort wurde an der Front
verfaßt – ist ein Lehrbuchbeispiel für Kunstgeschichtsschreibung im Geiste des Na-
tionalsozialismus. Nach 1945 ließ W. weitere, nunmehr weltanschaulich indifferente
Überblicksdarstellungen zur Kunstgeschichte Europas, der Ur- und Frühgeschichte,
der außereuropäischen Hochkulturen und eine Weltkunstgeschichte folgen.
W. promovierte 1924 bei Pinder in Leipzig mit einer bemerkenswerten Untersu-
chung zur Stilgeschichte der deutschen Plastik zwischen 1250 und 1350, zwischen
dem Bamberger Reiter und dem Hohenlohe-Grabmal (ebenfalls im Dom zu Bam-
berg), bezeichnenderweise an Hand von sicher datierten Werken. Aufzeigen wollte
W. »mit dem Blick [...], den Pinder erzogen hat«, den Vorgang der Formverände-
rung, die wie jeder Stilwandel einem rhythmischen Wechsel von Bindung und
Lösung unterliege. Darüberhinaus interpretierte W. den stilgeschichtlichen Prozeß
unter inhaltlichem Aspekt, fragte nach den äußeren Bedingungen und erörterte die
seit  Riegls Diktum für wissenschaftlich irrelevant gehaltene Wertfrage.
Am interessantesten aus heutiger Sicht ist W.s Arbeit über das Kapitell in der
mittelalterlichen Baukunst (1936), die dessen Wandlung vom frühromanischen Wür-
fel zum frühgotischen Zungenblatt verfolgt und unter Berufung auf die Biologie
und den lebenden Organismus auch der Kunst-Form ein immanentes Entfaltungs-
gesetz, eine Entelechie, zuerkennt: »Somit ist die Gestalt die wichtigste Ursache, die
causa efficiens im Wandel der Kunst«, den die äußeren Bedingungen nur modifizie-
486 Weigert

ren konnten. Für W. war dieser Vorgang letztlich nicht zu ergründen, was ihn zu
dem Fazit veranlaßte, daß die Kunstwissenschaft nur fruchtbar bleiben könne, wenn
sie, über den Positivismus hinausgehend, das »rationale Denken durch ein Schauen
ergänzt, nicht ein Totes seziert, sondern ein Lebendiges auffaßt«.
Dieser Begriff von Wissenschaft als nur noch partieller Erkenntnistätigkeit formte
sich zur selben Zeit, als W., der Ruhe des Hörsaals und der Kunst des Mittelalters
überdrüssig, seinen Beitrag zur »nationalsozialistischen Revolution« zu leisten ge-
dachte. 1934 und 1935 veröffentlichte er zwei Schriften zur krisenhaften Situation
in der bildenden Kunst und der Kunstwissenschaft: die eine sei seit dem Impressio-
nismus ein »kranker Leib« und die andere nach »steilem Aufstieg« im 19. Jahrhundert
nun im Niedergang, weil sie des Wissensstoffes nicht mehr Herr werde und weil sie
dem von der formalistischen Stilkritik verbreiteten Irrtum – Kritik wird besonders
an  Rintelen geübt – einer autonomen Kunstgeschichte anhänge. W. dagegen
beschwor den Geist  Winckelmanns und  Burckhardts, deren unvergängliche
Bücher »auf subjektiven und dennoch eigenen Werten ruhen [...], während die
unseren auf Objektivität gerichteten, vergänglich sind«, und er forderte eine Kunst-
wissenschaft, die das kunstgeschichtliche Geschehen im Lichte der Gegenwart
deuten und die Einseitigkeit des Positivismus, der Stilkritik und anderer Richtun-
gen überwinden sollte, weil in der Kunstgeschichte immer »Bündel von Faktoren«
wirksam seien. Diese neue Kunstwissenschaft vertrat »an Stelle des demokratischen
Prinzips der Gleichberechtigung aller historischen Fakten das aristokratische ihrer
Auswahl, die nur subjektiv von einem klar bewußten Standpunkt zu vollziehende
Scheidung von Wert und Unwert«. Die Wahrheit sah W. durch eine solcherart par-
teinehmend ausgerichtete Wissenschaft nicht bedroht.
Wie sehr er sich irrte, beweist sein dickleibiges Werk zur deutschen Kunst, wo
stellenweise nackte NS-Propaganda die Tatsachen zudeckt. W., der sich im Vorwort
zu der Behauptung versteigt, daß der »deutsche Geistesweg« in den Kunstwerken
»aller Zeiten sichtbar erhalten« sei, beginnt seine Geschichte mit der Altsteinzeit.
Die deutsche Kunst komme aus der germanischen und diese gehöre zu der der
Indogermanen, jener Rasse, »deren Expansionswille und Kulturkraft sich in der
Vorzeit Europa und in der geschichtlichen Zeit die Welt unterwarf«. Die eigentliche
deutsche Kunst sei an der Wende von der Antike zum Mittelalter entstanden, als
sich die germanische Kultur die Antike und das Christentum anverwandelte. Seit
1789 konstatierte W. Verfallserscheinungen, die ihren Höhepunkt in der »entarteten
Kunst« erreicht hätten. Faschismus und Nationalsozialismus seien zur Rettung der
Kultur angetreten. Erste Anzeichen einer Rekonvaleszenz meinte W. in den Nürn-
berger Parteitagsbauten und in der Neuen Reichskanzlei zu erkennen.  Waetzoldt,
der das W.sche Opus gleich nach seinem Erscheinen besprochen hat, hielt es für
einen wertvollen Beitrag der Geisteswissenschaften zu dem »gewaltigen Ringen um
die Erhaltung unseres kulturellen Erbes«.
In einer 1963 erschienenen Neuauflage setzte die deutsche Kunstgeschichte erst
mit Karl dem Großen ein. W. hatte die »nordische« Vorgeschichte getilgt und auch
die Schlußkapitel den neuen Gegebenheiten angepaßt, indem er jetzt die Kunst der
braunen und roten Diktaturen als »restaurativ« abtat und die Moderne als den Ver-
such pries, der »Gegenwart ein neues, eigenes Gesicht zu geben«.
Weigert 487

Werke: Rez. von Herbert Kühn, Kunst der Europas, Stg 1953; Geschichte der europä-
Primitiven (1923), in: ZfbK (Beilage), 58 (34), ischen Kunst, Stg 1951; Die Kunst am Ende
1924/25, 135–136; Kokoschka-Ausstellung in der Neuzeit, Tü 1956; Die Geburt Christi,
der Galerie Arnold in Dresden, in: ebd., 129– Wien 1959; Gotische Plastik in Europa, hrsg.
131 (Monatsrundschau); Die Stilstufen der v. Harald Busch u. Bernd Lohse, Frf 1963;
deutschen Plastik 1250–1350, in: MarJb, 1927, Geschichte der deutschen Kunst, 2 Bde., Frf
147–271; Das Straßburger Münster und seine 1963; Das Kunstwerk als zeugende Gestalt, in:
Bildwerke, hrsg. v. Richard Hamann, Bln Ferdinand Weinhandl (Hrsg.), Gestalthaftes
1928; Das Sakrale in der christlichen Bau- Sehen, Da 1978, 352–364
kunst, in: JbLiturW, 1932, 178–193; Die Kai- Literatur: Metz, Peter: Rez. von »Die Kai-
serdome am Mittelrhein. Speyer, Mainz und serdome am Mittelrhein. Speyer, Mainz und
Worms, Bln 1933; Kunst von heute als Spie- Worms«, in: ZfKg, 4, 1935, 334–340; Jahn, Jo-
gel der Zeit, Lpz 1934; Die heutigen Aufga- hannes: Rez. von »Die heutigen Aufgaben
ben der Kunstwissenschaft, Bln 1935; Das der Kunstwissenschaft«, in: ZfÄaK, 32, 1938,
Kapitell in der deutschen Baukunst des Mit- 80–81; Waetzoldt, Wilhelm: Rez. von »Ge-
telalters, in: ZfKg, 5, 1936, 7–47, 103–124; Stil- schichte der deutschen Kunst«, in: DLZ, 64,
kunde, 2 Bde., Bln 1937; Die Bedeutung des 1943, 391–393; Hartlaub, Gustav Friedrich:
germanischen Ornaments, in: FS Wilhelm Rez. von »Geschichte der europäischen
Pinder, Lpz 1938, 81–116; Die Kunstdenkmä- Kunst«, in: KChr, 5, 1952, 61–65; Heftrig,
ler des Kreises Neuwied, Dü 1940 (mit Hein- Ruth: Neues Bauen als deutscher »National-
rich Neu); Geschichte der deutschen Kunst stil«. Modernerepzeption im Dritten Reich
von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Bln 1942; am Beispiel des Prozesses gegen H.W., in:
Der Dom zu Speyer, Bln 1944; Der Dom zu KgNS 2005, 119–137
Naumburg, Bln 1946; Kleine Kunstgeschichte PB

Weisbach,Werner
Geb. 1. 9. 1873 in Berlin; gest. 9. 4. 1953 in Basel

Die Spannweite der wissenschaftlichen Gegenstände, denen sich W. mit kenntnisrei-


cher Sorgfalt teils neben-, teils nacheinander zuwandte, belegt zweierlei: Empfäng-
lichkeit für den »Zeitgeist« und den Drang eines Mannes, dem es die herrschenden
Verhältnisse immer schwermachten, dazu beizutragen, daß die Kunstgeschichtswis-
senschaft in der geistigen Kultur wirksam wurde. W. förderte die fachlichen Er-
kenntnisse vor allem über die Kunst der Renaissance, des Barockzeitalters und des
frühen und hohen Mittelalters, wurde aber nicht durch ein eigenständiges metho-
disches Konzept schulbildend.
Der Sohn eines reichen, kunstsammelnden, auch sozialpolitisch engagierten jüdi-
schen Börsenmaklers studierte nach einer ersten Italienreise mit dem Vater ab 1891
Kunstgeschichte und Archäologie in Freiburg i.Br., Berlin (bei  Grimm), Mün-
chen (bei  Wölfflin) und zuletzt Leipzig. Dort konnte 1894  Schmarsow sich
nicht mit dem Historiker Karl Lamprecht über die Beurteilung seiner Dissertation
einigen, hintertrieb dann deren Annahme durch Berthold Riehl (1858–1911) in
München und akzeptierte 1896 aber doch noch W.s Untersuchung Der Meister der
Bergmannschen Offizin und Albrecht Dürers Beziehung zur Basler Buchillustration für die
Promotion. W., in München lebend und Protestant geworden, hatte sich bereits
lebhaft für das aktuelle Kunstgeschehen interessiert. Seit 1896 wieder in Berlin,
bildete er sich in Seminaren  Goldschmidts weiter, reiste zu Studienzwecken nach
Italien, Holland, England, Paris, später auch nach Spanien, Rußland, Nordafrika,
488 Weisbach

und arbeitete 1898–99 als Volontär an den Berliner Museen. Sein sozialer Status
erleichterte ihm – auch später – viele Kontakte, so zu den Künstler- und Gelehr-
tenfamilien Lepsius und Curtius; 1903 heiratete er Eva Lepsius, eine Enkelin von
Ernst Curtius, dem Ausgräber von Olympia. Im gleichen Jahr habilitierte er sich bei
Wölfflin mit der bereits als Buch vorliegenden Arbeit Francesco Pesellino und die
Romantik der Renaissance, die dem jugendstilig-neuromantischen Wohlgefallen an
bestimmten Zügen der Quattrocentomalerei entgegenkam. Als Privatdozent las er,
ein Freund Walter Leistikows, seit 1904 über impressionistische Malerei und gab
dieser noch umstrittenen Kunst in einer gemeinverständlichen Publikation (Impres-
sionismus, 1910/11) eine weit zurückreichende Ahnenreihe. Die Beschäftigung mit
Dürer hatte er 1906 mit einem Buch abgeschlossen, wobei er sich durch kunstso-
ziologische Gesichtspunkte von Wölfflin absetzte. Auch seine Vorlesungen konkur-
rierten in der Themenwahl auffällig mit denen Wölfflins, dem er noch 1932 brieflich
seine Verehrung beteuerte, obwohl er meinte, dieser habe stets eine starke Abnei-
gung gegen ihn und seine Arbeit gehegt (Dies erschloß Bettina Kühne 1989 in einer
ungedruckten Berliner Diplomarbeit aus W.s Nachlaß). Als einer der ersten Kunst-
historiker schrieb W. anerkennend über Käthe Kollwitz, deren Bauerngestalten er
freilich als »vertierte Horde« kennzeichnete. Er äußerte sich gegen  Bode zu Fra-
gen der Museumsgestaltung und hielt Vorlesungen über Städtebau. 1912 half er
Werner Hegemann, den städtebaulich-sozialpolitischen Ausschuß »Für Groß-Ber-
lin« zu gründen. Eine angestrebte Professur in Frankfurt/Main gab man ihm nicht.
Im Ersten Weltkrieg, in der Novemberrevolution und in der Weimarer Republik
trat er öffentlich für Frieden und eine liberale Demokratie ein. Er war 1921 zum
nicht-etatmäßigen und 1926 zum etatmäßigen a.o. Professor (mit 100 Mark Mo-
natsgehalt) ernannt worden. Nervenleidend und menschlich schwierig war er
hauptsächlich in Seminaren ein zu genauem Sehen und Quellenstudium erziehen-
der Lehrer. Seine wiederholt durch weite Studienreisen gestützten Forschungen
galten nun dem Manierismus, einem Lieblingsthema der 1920er Jahre, und der Ba-
rockkunst, die er geistesgeschichtlich erklärte. Er vertrat zur kunstgeschichtlichen
Rolle der Gegenreformation eine andere Meinung als  Pevsner und trug Wichti-
ges zur Wertschätzung der Malerei der Brüder Le Nain bei.
Nachdem W. 1933 entlassen worden war, bewog ihn die zunehmende Judenver-
folgung 1935 zur Emigration nach Basel, wo er sich als Privatgelehrter nunmehr der
frühchristlichen und mittelalterlichen Kunst und zuletzt der tragischen Persönlich-
keit Vincent van Goghs zuwandte. Über frühchristliche Kunst hatte er schon 1907
in Berlin Vorlesungen gehalten. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte
er noch Gastvorlesungen in London und Cambridge geben, darunter auch über
Caspar David Friedrich und die deutsche Romantik. Seine letzten Arbeiten ent-
sprachen der in der Nachkriegszeit verbreiteten Betonung der Rolle der christli-
chen Religion und der Kunst des frühen und hohen Mittelalters. Die zweiteilige
Autobiographie ist eine reiche Quelle zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte,
voller kritischer Schlaglichter auf Fachkollegen.
W.s Kultur- und Geschichtsverständnis orientierte sich an Wilhelm Dilthey und
Georg Simmel, später an dem Religionssoziologen Ernst Troeltsch, dessen Anden-
ken er Die Kunst des Barock in der Propyläen-Kunstgeschichte widmete. Er hielt letzt-
Weisbach 489

lich nur ein Verstehen, nicht aber eine zwingende Erklärung künstlerischer Phäno-
mene für möglich. Die Kunstgeschichte sah er durch soziologische, kulturelle und
psychologische Verhältnisse bestimmt, wobei seit 1919 eine geistesgeschichtliche
Deutung die Oberhand gewann. Die einzelnen Gebiete – Politik, Philosophie,
Kunst – hätten jeweils eine eigene Entwicklung, bedingten sich aber auch gegen-
seitig. »Der Stil erweist sich [...] als Resultante eines immanenten Formdranges und
eines bestimmte kulturelle Elemente verkörpernden Ausdruckswillens« (Barock als
Stilphänomen, 1924). Der Barockstil »übernimmt es, Darstellungsmittel für die neuen
und wesentlichen Potenzen der historischen Epoche: Gegenreformation und Abso-
lutismus, zu schaffen«, zum Beispiel »die von der Kirche in bezug auf Gefühls- und
Repräsentationswerte gemachten Ansprüche in formale Ausdruckswerte zu über-
setzen« (Kunst des Barock, 1924). Dabei braucht es oft längere Zeit, »bis Ideen eines
Kulturkomplexes in entsprechenden künstlerischen Bildungen ein Äquivalent er-
halten. Die Kunst muß sich mit ihren Mitteln erst darauf einrichten, neue Ideen zu
bewältigen« (Gegenreformation-Manierismus-Barock, 1928), hat also keine eigene Vor-
lauffunktion. Im Alter war W., wie den meisten seiner forschenden Zeitgenossen,
der Begriff Entwicklung »höchst problematisch geworden« (Religiöse Reform und
mittelalterliche Kunst, 1945), und die neueste Kunst hatte er schon seit der Zeit nach
1918 in zunehmendem Maße abgelehnt (Der Manierismus, 1919; Vom Geschmack und
seinen Wandlungen, 1947).
Werke: Der Meister der Bergmannschen italienische Stadt der Renaissance, Lpz 1922;
Offizin und Albrecht Dürers Beziehung zur Die Kunst des Barock in Italien, Frankreich,
Basler Buchillustration, Str 1896; Die Basler Deutschland und Spanien, Bln 1924; Barock
Buchillustration des 15. Jh.s, Str 1896 (Nd. als Stilphänomen, in: DVjS, 2, 1924, 225–256;
1957); John Everett Millais, in: ZfbK, 34 (10), Rembrandt, Bln 1926; Gegenreformation-
1898/99, 179–183, 214–219, 246–254; Der Manierismus-Barock, in: RfKw, 49, 1928,
Meister des Carrandschen Triptychon in den 16–28; Deutsche Renaissance und Antike, in:
Uffizien, in: JbPK, 1901, 35–55; Francesco Pe- Die Antike, 4, 1928, 108–137; Et in Arcadia
sellino und die Romantik der Renaissance, ego, in: ebd., 6, 1930, 127–145; Französische
Bln 1902; Walter Leistikow, in: ZfbK, 37 (13), Malerei des 17. Jh.s im Rahmen von Kultur
1902, 281–294; Petrarca und die bildende und Gesellschaft, Bln 1932; Die klassische
Kunst, in: RfKw, 26, 1903, 265–287; Käthe Ideologie, in: DVjS, 11, 1933, 559–591; Zum
Kollwitz, in: ZfbK, 40 (16), 1905, 85–92; Der Problem des Manierismus, Str 1934; Und alles
junge Dürer, Lpz 1906; Kunstgenuß und ist zerstoben. Erinnerungen aus der Jahrhun-
Kunstwissenschaft (Zur Museumsreform), in: dertwende, Wien/Lpz/Zü 1937; Geschichtli-
PJbb, 1908, 148–158; Impressionismus. Ein che Voraussetzungen der Entstehung einer
Problem der Malerei in der Antike und Neu- christlichen Kunst, Basel 1937; Et in Arcadia
zeit, 2 Bde., Bln 1910–11; Die Städtebau-Aus- ego, in: GBA, 79, 1937, 287–291; Der Skulp-
stellung und Groß-Berlin, in: PJbb, 1912, turenschmuck der Basler Galluspforte im
109–129; Gedanken zu der Neugestaltung der Rahmen romanischer Portalprogramme, in:
Berliner Nationalgalerie, in: ZfbK, 47 (23), ZSchAK, 3, 1941, 110–130; Manierismus in
1912, 81–104; Künstlerische Eindrücke aus mittelalterlicher Kunst, Basel 1942; Religiöse
Rußland, in: PJbb, 1913, 435–453; Matthias Reform und mittelalterliche Kunst, Einsie-
Grünewald. Formales und Psychologisches, deln/Zü 1945; Das Daniel-Kapitell im Dom
in: KtKtler, 16, 1917/18, 251–273, 303–316; von Chur und der dämonische Stoffkreis der
Trionfi, Bln 1919; Renaissance als Stilbegriff. romanischen Plastik, in: Phoebus, 1, 1946,
Dem Andenken Jacob Burckhardts, in: HZ, 151–155; Vom Geschmack und seinen Wand-
120, 1919, 250–280; Der Manierismus, in: lungen, Basel 1947; Ausdrucksgestaltung in
ZfbK, 54 (30), 1919, 161–183; Der Barock als mittelalterlicher Kunst, Einsiedeln/Zü 1948;
Kunst der Gegenreformation, Bln 1921; Die Vincent van Gogh. Kunst und Schicksal, 2
490 Weisbach

Bde., Basel 1949–51; Geist und Gewalt,Wien/ patov, Michail: Rez. von »Französische Male-
Mü 1956; Stilbegriffe und Stilphänomene, rei des 17. Jh.s.«, in: KBLit, 5, 1932/33, 76–92;
Wien/Mü 1957 Franz, Heinrich Gerhard: Rez. von »Vincent
Literatur: Dörnhöffer, Friedrich: Rez. von van Gogh«, Bd. 1, in: ZfK, 4, 1950, 305–306;
»Der junge Dürer«, in: KA, 3, 1906, 79–88; Schudt, Ludwig: W.W., in: KChr, 6, 1953, 290–
Graul, Richard: Rez. von »Rembrandt«, in: 292; Wendland 1999, 728–732
ZfbK (Beilage), 62 (38), 1928/29, 83–84; Al- PHF

Weise, Georg
Geb. 26. 2. 1888 in Frankfurt/Main; gest. 31. 1. 1978 in Sorrent

Die Kunst- und Geistesgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, insbeson-
dere die Kunst Spaniens, sind die in W.s Schriftenverzeichnis immer wiederkehren-
den Themen. Zahlreiche Publikationen widmete er auch dem Aufkommen und der
Ausbreitung der Gotik sowie der Auseinandersetzung zwischen gotischem Idealstil
und werdender Renaissance. Da er überzeugt war, daß die kunstgeschichtlichen
Epochen mit den großen Abschnitten der geistesgeschichtlichen Entwicklung zu-
sammenfallen und deren Veränderungen am deutlichsten spiegeln, schien ihm die
Kunstgeschichte – unter Zuhilfenahme philologischer Methodik und Berücksich-
tigung der literarischen Quellen – für eine geistesgeschichtliche Synthese besonders
geeignet. Um Kunstgeschichte und Literaturgeschichte miteinander zu verzahnen,
suchte er nach »literarischen Ausdrucksäquivalenten« für die Inhalte und Anschau-
ungsformen der zeitgleichen bildenden Kunst.
1906–11 studierte W. Kunstgeschichte und Geschichte in Heidelberg, Gießen
und Freiburg i.Br. 1911 promovierte er mit einer Arbeit über Königtum und Bischofs-
wahl im fränkischen und deutschen Reich vor dem Investiturstreit in Gießen. Als Privatdo-
zent für Geschichte und Kunstgeschichte des Mittelalters ging er 1914 nach Tübin-
gen. 1920 wurde seine Lehrbefugnis auch auf die neuere Kunstgeschichte ausgedehnt,
er wurde zum a.o., 1921 zum o. Professor für Kunstgeschichte berufen. Während der
NS-Diktatur war W.s Stellung mehrfach gefährdet. Aufgrund des Gesetzes zur
»Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« wurde er schon im April 1933 beur-
laubt, im September des gleichen Jahres wieder eingestellt, in den folgenden Jahren
jedoch wiederholten Überprüfungen unterzogen. W. blieb auch nach dem Krieg
der Universität Tübingen treu, wo er bis zu seiner Emeritierung 1954 lehrte.
W. leistete einen der gewichtigsten deutschen Beiträge zur spanischen Kunstge-
schichte; seine Arbeiten zur Plastik (Spanische Plastik aus sieben Jahrhunderten, 1925–39;
Die spanische Plastik der Renaissance und des Frühbarock, 1956–59), die er auf zahlrei-
chen Studienfahrten systematisch erforschte, stellen eine mehrere Jahrhunderte
umfassende, nahezu vollständige photographische Inventarisation des Denkmäler-
bestandes dar. Während  Carl Justi seine Forschungen (1908) noch fast ausschließ-
lich den aus Italien berufenen oder von der italienischen Renaissancekunst beein-
flußten Meistern des 16. Jahrhunderts gewidmet hatte, versuchte W. die Entstehung
eines spezifisch spanischen Stils in der Auseinandersetzung mit der französischen
Gotik und der italienischen Renaissance zu beschreiben. Aufbauend auf gründlicher
Stilkritik und unter Heranziehung aller erreichbaren urkundlichen Nachrichten,
Weise 491

erörterte er zusammenhängende Gruppen von Kunstwerken, bestimmte die künst-


lerische Eigenart verschiedener Hände. Er stellte einige bis dahin kaum dem Namen
nach bekannte Meister vor, wodurch die Geschichte der spanischen Plastik ein ganz
neues Profil erhielt. Hatte sich die Forschung bislang primär mit den großen spät-
gotischen Skulpturenensembles am Außenbau der Kirchen befaßt, konnte W. zeigen,
daß es in Spanien sehr viele holzplastische Andachtsbilder gab, die häufig wesentlich
stärker durch die einheimische künstlerische Tradition geprägt waren. Das 16. und
17. Jahrhundert sah W. von einer klassisch-monumentalen Richtung bestimmt, die
sich an Michelangelo orientierte.
Auch für die Architektur gewann W. neue Erkenntnisse. Während ältere Autoren
wie Elie Lambert (L’art gothique en Espagne aux XIIe et XIIIe siècles, 1931) Spaniens
Gotik als einen Ableger der französischen betrachtet hatten, wandte W. auf Spanien
den von Kunsthistorikern wie  Gerstenberg auch für Deutschland beanspruchten
Begriff »Sondergotik« an. In der Kathedrale von Toledo sah er den Ausgangspunkt
für eine Transformation der französischen Gotik in eine nationale spanische Vari-
ante. Indem er Toledo und Straßburg verglich, zeigte er parallele Vorgänge auf und
wies darauf hin, daß in Deutschland die Hallenform und in Spanien der sogenannte
Staffelraum eine besondere nationale Ausprägung erfahren hätten.
Den Hallenkirchen im nördlichen und mittleren Spanien vom Spätmittelalter bis
zum 17. Jahrhundert widmete W. seine besondere Aufmerksamkeit. Er vermaß zahl-
reiche Bauten und nahm an, daß Einflüsse aus dem Norden, speziell aus den Nie-
derlanden, gewirkt hatten und wies auch Zusammenhänge mit niederrheinischen
und westfälischen sowie südfranzösischen Hallenkirchen nach.
W. gehörte nicht zu den Verfechtern einer auf Italien und die Renaissance fixier-
ten Betrachtungsweise der europäischen Kunstgeschichte, sondern unterstrich die
Rolle der eigenständigen Entwicklungen diesseits der Alpen; in bezug auf Spanien
hob er den für das 14. Jahrhundert maßgeblichen Anschluß an die französische
Hochgotik wie das lange Fortwirken der gotischen Idealformen hervor. Eine der
wesentlichen Eigentümlichkeiten der spanischen Kunst lag für ihn darin, daß die
Renaissance in Spanien keinen schroffen Bruch mit dem Mittelalter gebracht hatte,
sondern daß dort die traditionelle Kunst – insbesondere die islamische – weiterhin
Einfluß behielt. Dem von  Burckhardt geprägten Renaissance-Begriff stand er
skeptisch gegenüber; der Verlauf der künstlerischen Entwicklung schien ihm dabei
zu geradlinig gedeutet. Er selbst sah – und hier näherte er sich eher der von Johan
Huizinga (Herbst des Mittelalters, 1919) vertretenen Position – in den »Rückfällen«,
durch die eine Bewegung unterbrochen wird, besonders aussagekräftige Hinweise
auf die Struktur einer Epoche.
Werke: Die ehemalige Abteikirche von St. suchungen zur Architektur und Plastik des
Trond, in: Ztschr. f. Geschichte d. Architektur, frühen Mittelalters, Lpz 1916; Zur Archäolo-
4, 1910/11, 124–137; Der Bericht des sog. liber gie des frühen Mittelalters, in: HZ, 117, 1917,
constructionis über die ältesten Klosterbau- 253–266; Staatliche Baufronden in fränkischer
ten in St. Blasien. Eine quellenkritische Un- Zeit, in: VSWG, 15, 1919, 341–380; Beiträge
tersuchung, in: Ztschr. f. d. Geschichte d. zur Baugeschichte der Stiftskirche zu Hers-
Oberrheins, 26, 1911, 605–620; Quierzy an feld, Mar 1920; Studien über Denkmäler ro-
der Oise, die Pfalz der merowingischen und manischer Plastik am Oberrhein, in: MfKw,
karolingischen Könige, Brüssel 1916; Unter- 13, 1920, 1–18; Zur Archäologie des frühen
492 Weise

Mittelalters, in: HZ, 121, 1920, 304–314; Die Welt der Gotik, Mainz 1947; Die deutsche
gotische Holzplastik um Rottenburg, Horb und französische Kunst im Zeitalter der Stau-
und Hechingen, Tü 1921; Zwei fränkische fer, Mainz 1948; Oberschwäbische Holzbild-
Königspfalzen. Bericht über die an den Pfal- werke des Mittelalters, Saulgau 1948; Spätgo-
zen zu Quierzy und Samoussy vorgenomme- tisches Schreiten und andere Motive spätgo-
nen Grabungen, Tü 1923; Mittelalterliche tischer Ausdrucks- und Bewegungsstilisierung,
Bildwerke des Kaiser Friedrich-Museums in: MarJb, 1949, 163–194; Zisterzienserabtei
und ihre nächsten Verwandten, Reutlingen Bebenhausen, Mü 1950; Zisterzienserabtei
1924; Spanische Plastik aus sieben Jahrhun- Salem, Mü 1950; Maniera e pellegrino. Zwei
derten, 4 Bde., Reutlingen 1925–39; Das Lieblingswörter der italienischen Literatur
Schlagwort vom gotischen Menschen, in: der Zeit des Manierismus, in: Romanist. Jb.,
Neue Jbb. f. Wiss. u. Jugendbildung, 1931, 1950, 321–403; Stilphasen der architektoni-
404–437; Die spanische Kunst im Zeitalter schen Entwicklung im Bereich der deutschen
der Gegenreformation, in: Die Christliche Sondergotik, in: ZfKg, 13, 1950, 69–80; Das
Kunst, 27, 1930/31, 289–315; Deutschland und Problem der Herkunft des Rokoko-Mu-
Frankreich im Spiegel ihrer mittelalterlichen schelwerks unter besonderer Berücksichti-
Baukunst, in: ebd., 29, 1932/33, 269–286; Das gung des barocken Kunstschaffens in Schwa-
»gotische« oder »barocke« Stilprinzip der ben, in: FS Julius Baum, Stg 1952, 217–224;
deutschen und der nordischen Kunst, in: Dürer und die Ideale der Humanisten, Tü
DVjS, 10, 1932, 206–243; Der doppelte Be- 1953; Renaissance und Antike, Tü 1953; Die
griff der Renaissance, in: ebd., 11, 1933, 501– spanischen Hallenkirchen der Spätgotik und
529; Studien zur spanischen Architektur der der Renaissance, Tü 1953; Donatello und das
Spätgotik, Reutlingen 1933; Der Anteil Spa- Problem der Spätgotik, in: ZfKg, 17, 1954,
niens an der europäischen Kunstgeschichte, 79–88; Das Fortleben gotischer Ausdrucks-
in: Ibero-Amerikanisches Archiv, 7, 1933/34, und Bewegungsmotive in der Kunst des Ma-
329–349; Italien und das heroische Lebensge- nierismus (mit Georg Sigmund Graf Adel-
fühl der Renaissance, in: GRM, 22, 1934, mann), Tü 1954; Spätgotische Bildwerke der
333–343; Der Escorial als künstlerischer We- Lorenzkapelle in Rottweil, Tü 1955; Die spa-
sensausdruck der Zeit Philipps II. und der nische Plastik der Renaissance und des Früh-
Periode der Gegenreformation, in: Gesam- barock, Tü 1956; Die Plastik der Renaissance
melte Aufsätze zur Kunstgeschichte Spaniens, und des Frühbarock im nördlichen Spanien.
5, 1935, 337–360; Die geistigen und formalen Aragón, Navarra, die baskischen Provinzen
Grundlagen der Kunst des Mittelalters, in: und die Rioja, 2 Bde., Tü 1957/59;Vorbemer-
Die Welt als Geschichte, 1, 1935, 142–182; Die kungen zu einer Formengrammatik der ve-
Hallenkirchen der Spätgotik und der Renais- getabilischen Grundmotive romanischer Ka-
sance im mittleren und nördlichen Spanien, pitelldekoration, in: FS Hubert Schrade, Stg
in: ZfKg, 4, 1935, 214–222; Vom Menschen- 1960, 72–100; Il Manierismo. Bilancio critico
ideal und von den Modewörtern der Gotik del problema stilistico e culturale, Fl 1971; Il
und der Renaissance, in: DVjS, 14, 1936, 171– repertorio del barocco napoletano di Cosimo
222; Die religiösen Ausdrucksgebärden des Fanzago e il suo significato per la genesi del
Barock und ihre Verbreitung durch die italie- rococo, in: Antichità viva, 16, 1977, 42–51;
nische Kunst der Renaissance (mit Gertrud Studi sulla scultura napoletana del primo cin-
Otto), Stg 1938; Die geistige Welt der Gotik quecento, Neapel 1977
und ihre Bedeutung für Italien, HaS 1939; Literatur: Gall, Ernst: Rez. von »Zwei frän-
Das Transzendente als Darstellungsvorwurf kische Königspfalzen«, in: JbKw, 1923, 295–
der Kunst des Abendlandes, in: FS Wilhelm 296; Mayer, August Liebmann: Rez. von
Waetzoldt, Bln 1941, 65–80; Rez. von Hubert »Spanische Plastik aus sieben Jahrhunderten«,
Schrade, Die geistige Welt der Gotik und ihre Bd. 2, in: RfKw, 51, 1930, 201–203; Richert,
Bedeutung für Italien (1939), in: DWdK, 2, Gertrud: dass., Bd. 3, in: ZfKg, 1, 1932, 165–
1941, 77–80; Spätgotik als Stilbezeichnung im 167; Schlunk, Helmut: Rez. von »Studien zur
Bereich der Musikgeschichte, in: FS für Da- spanischen Architektur der Spätgotik«, in:
gobert Frey, Br 1943, 315–344; Der Begriff des DLZ, 55, 1934, 1461–1467; Diamond, Florence:
Mittelalters im Bereich der Kunstgeschichte, dass., in: ArtB, 16, 1934, 220–222; Schrade,
in: DVjS, 22, 1944, 121–137; Italien und die Hubert: Rez. von »Die geistige Welt der Go-
Weise 493

tik und ihre Bedeutung für Italien«, in: chen Spanien«, Bd. 1, in: GBA, 100, 1958,
DWdK, 2, 1941, 77–80; Chastel, André: Rez. 251–252; ders.: dass., Bd. 2, in: ebd., 103, 1961,
von »Renaissance und Antike«, in: Biblio- S. 126; Gerstenberg, Kurt: dass., in: ZfKg, 25,
thèque d’humanisme et renaissance, 16, 1954, 1962, 87–88; Abbate, Francesco: Rez. von
255–256; Kehrer, Hugo: Rez. von »Die spani- »Studi sulla scultura napoletana del primo
schen Hallenkirchen der Spätgotik und der Cinquecento«, Neapel 1977, in: Prospettiva,
Renaissance«, in: ZfKg, 18, 1955, S. 213; 13, 1978, 67–74; Graschtschenkov, Viktor N.:
Busino, Giovanni: Rez. von »L’Italia e il G.W. über die italienische Renaissance (russ.),
mondo gotico«, Fl 1956, in: Biliothèque in: Sowjetskoje iskusstvosnanie, 2, 1979, 312–
d’humanisme et renaissance, 19, 1957, S. 387; 335; Hüttinger 1992, 276–281
Bazin, Germain: Rez. von »Die Plastik der CF
Renaissance und des Frühbarock im nördli-

Weitzmann, Kurt
Geb. 7. 3. 1904 in Kleinalmerode (heute Witzenhausen);
gest. 7. 6. 1993 in Princeton/NJ (USA)

Mit strikter Spezialisierung und strenger Methode war W. ein traditioneller Kunst-
historiker, der infolge der Bedeutung der von ihm erforschten Gegenstände We-
sentliches zur generellen Entwicklung des Faches beitrug. Er war einer der wenigen,
die NS-Deutschland allein aus Überzeugung verließen, hielt jedoch als Bürger der
USA nach 1945 enge Beziehungen zu Fachkollegen in Westdeutschland aufrecht
und vererbte seine Bibliothek dem Kunsthistorischen Institut der FU Berlin.
Der Sohn eines Stadtschulrates wuchs in Gelsenkirchen auf, wurde schon als
Schüler von expressionistischer Kunst beeindruckt und studierte, nachdem er sich
Geld für den Lebensunterhalt erarbeitet hatte, 1923–29 Kunstgeschichte und Ar-
chäologie in Münster (bei Wackernagel), Würzburg, Wien (bei  Schlosser und
 Swoboda, während er Strzygowskis Rassenlehre ablehnte) und Berlin (bei
 Goldschmidt), wo er sich u. a. mit  von Einem befreundete. Er organisierte
Studentenexkursionen nach Königsberg, Gnesen und Dänemark. Seine Dissertation
erschien als erster Band des mit Goldschmidt verfaßten Corpus byzantinischer El-
fenbeinskulpturen. 1930–34 arbeitete W. im Deutschen Archäologischen Institut
und konnte durch Europa bis in die UdSSR und auf den Berg Athos reisen, um
byzantinische illuminierte Handschriften zu dokumentieren. 1932 heiratete er seine
russischstämmige Studienkollegin Josepha Fiedler (1904–2000). Weil er sich der
nazistischen Schulung künftiger Dozenten entzog, verweigerte ihm Goldschmidts
Nachfolger  Brinckmann die Habilitation. 1935 nahm er ein Angebot aus Prince-
ton an, wo er bis 1972 ständiges Mitglied des Institute for Advanced Study und 1945
Associate Professor, 1950–72 Professor an der Universität war und wichtige ameri-
kanische und ausländische Schüler hatte. Seit 1938 arbeitete er mit dem byzantini-
stischen Forschungszentrum Dumbarton Oaks in Washington zusammen. 1938 kam
auch seine Frau in die USA, die freiberuflich auf ähnlichen Gebieten wie er arbei-
tete. W. las als Gastprofessor in Yale, am Oberlin College, in Alexandria (Ägypten)
und 1962 auf Einladung  von Einems in Bonn. 1956–65 reiste er im Rahmen
eines Forschungsprojekts fünfmal zum Katharinenkloster auf dem Berg Sinai, um
494 Weitzmann

Buch-, Wand- und Ikonenmalereien zu erforschen. Jedes Jahr kam er zu Kuraufent-


halten nach Deutschland, später in die Schweiz. Er gehörte den Akademien in
Göttingen und Heidelberg an, war Ehrendoktor in Heidelberg, Chicago und an der
FU Berlin, nahm unermüdlich an Tagungen teil und besuchte bis ins hohe Alter
Museen in vielen Ländern. Er genoß durch Wissen und Charakter hohe Achtung
bei fast allen, die auf seinen Spezialgebieten forschten.
W.s Arbeit galt den Nachwirkungen antiker Kunst im Mittelalter und den Stil-
entwicklungen in der byzantinischen Kunst. Seine Methode ähnelte der literatur-
wissenschaftlichen Textkritik und er wandte sich gegen die Geringschätzung von
vermeintlich nur dekorativer Kunst. Durch Formanalysen, Feststellungen zu ikono-
graphischen und motivischen Traditionen und Transformationen sowie Kenntnis
der Schriftquellen belegte er unter anderem die Vorbildwirkungen antiker Buchil-
lustrationen für christliche Buchmalerei, besonders in seinem methodisch vorbild-
lichen Hauptwerk Illustration in Roll and Codex, die Arten und Bedeutung des Ler-
nens von antiker Kunst, die Verwendung auch von Elfenbeinreliefs als Ikonen und
die Existenz von christlicher Kunst auch unter islamischer Herrschaft im Vorderen
Orient. Besonderen Wert hatte sein Nachweis von jüdischen Wurzeln christlicher
Bildkunst. Viele Kunstwerke wurden durch ihn erstmals bekannt, analysiert oder
neu datiert.
W. verband stets Forschung und Lehre, wurde als Autorität für Kataloge großer
Ausstellungen herangezogen (Byzantine Art. A European Art, Athen 1964; The Age of
Spirituality, New York 1977), lieferte Beiträge für zahlreiche Festschriften und konnte
auch in der Ära des Kalten Krieges wissenschaftliche Zusammenarbeit über Gren-
zen hinweg bewirken. Er verzichtete auf den Entwurf eines theoretischen Systems
von Kunstgeschichte, berücksichtigte aber wie selbstverständlich allgemeinge-
schichtliche, soziale und ideologische Bedingungen sowohl für großräumige, als
auch regionale Stilgeschichte

Werke: Der Pariser Psalter Ms. Grec. 139 Illustration der Septuaginta, in: MJbbK, 3,
und die mittelbyzantin. Renaissance, in: JbKw, 1952/53, 96–120; Ancient Book Illumination,
1929, 178–194; Die byzantinischen Elfen- Cam/MA 1959; Geistige Grundlagen und
beinskulpturen des 10.–13. Jh.s, Bd. 1: Kästen, Wesen der Makedonischen Renaissance, Köln
Bln 1930; Bd. 2: Reliefs, Bln 1934 (mit Adolph 1963; Sinai. Die Ikonenmalerei des 6.–12. Jh.s,
Goldschmidt); Die armenische Buchmalerei in: K.W. u. a., Frühe Ikonen, Wien/Mü 1965,
des 10. u. beginnenden 11. Jhs., Bamberg 1933; IX–XIX; Studies in Classical and Byzantine
Probleme der mittelbyzantinischen Renais- Manuscript Illumination, hrsg. v. Herbert L.
sance, in: Archäol. Anz., 1933, Sp. 337–360; Die Kessler, Ch/Lo 1971; Illustrated Manuscripts
byzantinische Buchmalerei des 9. und 10. Jh.s, at St. Catherine’s Monastery on Mount Sinai,
Bln 1935; Illustrations in Roll and Codex. A Collegeville 1973; Sinai Icons, Pr 1974; Die
Study of the Origin and Method of Text Illu- Ikonen. Sinai, Griechenland und Jugoslawien,
stration, Pr 1947 (erw. Aufl. 1970, ital. 1983); Herrsching 1977 (mit Chatzidakis, Manolis u.
The Joshua Roll. A Work of the Macedonian Radojcic, Svetozar); Spätantike und früh-
Renaissance, Pr 1948; Greek Mythology in christliche Buchmalerei, Mü 1977; Introduc-
Byzantine Art, Pr 1951; The Fresco Cycle of tion, in: The Age of Spirituality. Late Antique
S. Maria di Castelseprio, Pr 1951; The Greek and Early Christian Art, NY 1977; Die Ikone.
Sources of Islamic Scientific Illustrations, in: 6. –14. Jh., Mü 1978; The Miniatures of the
Archaeologia Orientalia in memoriam Ernst Sacra Parallela, Paris. Gr. 923, Pr 1979; Byzan-
Herzfeld, Locust Valley 1952, 244–266; Die tine Book Illumination and Ivories, Lo 1980;
Weitzmann 495

Byzantine Liturgical Psalters and Gospels, Lo Sinai. The Illuminated Greek Manuscripts,
1980; Ikonen aus dem Katharinenkloster auf Bd. 1: From the 10th to the 12th Century, Pr
dem Berge Sinai, Bln 1980; Classical Heritage 1990 (mit Galavaris, George); Sailing with
in Byzantine and Near Eastern Art, Lo 1981; Byzantium from Europe to America. The
Art in the Medieval West and its Contacts Memoirs of an Art Historian, Mü 1994 (Bi-
with Byzantium, Lo 1982; Studies in the Arts bliogr.)
at Sinai, Pr 1982; The Genesis Mosaics of San Literatur: Bovini, Giuseppe: Rez. von »Il-
Marco and the Cotton Genesis Miniatures, in lustration in Roll and Codex«, in: RACr,
Otto Demus, The Mosaics of San Marco in 23–34, 1947–48, 389–392; Bober, Henry: dass.
Venice, Wa 1984, Bd. 2, 105–142, 253–258; in: ArtB, 30, 1948, 284–288; Rice, David T.:
Adolph Goldschmidt und die Berliner Kunst- dass., in: Byzantinoslavica, 11, 1950, 108–110;
geschichte, Bln 1985; The Illustrations in the Byzantine East, Latin West. FS K. W., Pr 1995
Manuscripts of the Septuaginta, Bd. 1: The (Bibliogr.); Kessler, Herbert L.: K.W., in:
Cotton Genesis, Pr 1986 (mit Herbert L. Dumbarton Oaks Papers, 47, 1993, XVIII–
Kessler), Bd. 2: The Byzantine Octateuchs XXIII; Belting, Hans: K. W., in: Speculum, 69,
(mit Bernabò, Massimo), Pr 1999; The 1994, 3, 952–953; Fillitz, Hermann: K.W., in:
Frescoes of the Dura Synagogue and Chri- Almanach d. österr. AdW, 145, 1994/95, 545–
stian Art, Wa 1990 (mit Herbert L. Kessler); 553; Wendland 1999, 733–742
The Monastery of Saint Catherine at Mount PHF

Westheim, Paul
Geb. 7. 8. 1886 in Eschwege; gest. 21. 12. 1963 in Berlin

Die Kunstgeschichtsschreibung, besonders die zur jüngeren Vergangenheit, bekam


wichtige Anstöße von solchen enthusiastischen Publizisten und kritischen Beglei-
tern des aktuellen Kunstgeschehens wie dem Autodidakten W., der im Rückblick
ein wenig übertreibend meinte, zunächst den »ganzen Clan der Zünftigen, die ›se-
riösen‹ Kunsthistoriker, die Museumsdirektoren« gegen sich gehabt zu haben (Wie
»Das Kunstblatt« entstand, 1951).
W. war der Sohn eines orthodox-jüdischen kaufmännischen Angestellten und
zunächst für den gleichen Beruf bestimmt. Er brach aber 1903 oder 1904 die Lehre
in Darmstadt ab, als ihn die neue Kunst auf der Mathildenhöhe beeindruckte, und
begann als Journalist für Presseagenturen zu schreiben. Nach kurzem Wirken in
Frankfurt ging er 1906 nach Berlin, wo er gelegentlich  Wölfflins öffentliche
Vorlesungen besuchte und vielleicht schon damals auch  Einstein kennenlernte.
1909 gehörte er zu den Gründern des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller und
war lange im Vorstand dieser Interessenvertretung von Autoren tätig. Anfangs be-
faßte er sich hauptsächlich mit den damals viel beachteten Fragen der angewandten
Kunst, über die er für Fachzeitschriften, das populäre Universum-Jahrbuch des Re-
clam-Verlages und die Sozialistischen Monatshefte schrieb. Auch die neuen Bestre-
bungen der Architektur behielt er immer im Blick.
1912–24 war er der Berliner »Kunstreferent« der überregionalen liberalen Frank-
furter Zeitung. 1912 besuchte er Paris und kam besonders dem Bildhauer Lehmbruck
nahe. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zollte er noch der nationalen Begeisterung
seinen Tribut, wurde dann aber bald zum Pazifisten und 1916 aus kurzem Militär-
dienst, den er vor allem in der Schreibstube leistete, entlassen. Mit dem Weimarer
Verleger Gustav Kiepenheuer und ermutigt durch Henry van de Velde entwarf er
496 Westheim

den Plan zu einer Monatszeitschrift für neueste Kunst und Kunstanschauung. Das
Kunstblatt wurde ab Januar 1917 bis März 1933 zum wichtigsten Organ für Auffas-
sungen, die über die Standpunkte von  Schefflers Kunst und Künstler (seit 1902)
und Georg Biermanns Cicerone (seit 1909) hinausgingen. 1918–22 edierte W. bei
Kiepenheuer und bis 1932 bei anderen Verlegern Mappen mit Originalgraphik
unter dem Titel Die Schaffenden sowie 1920–25 bei Wasmuth die Buchreihe Orbis
Pictus-Weltkunstbücherei, die er selbst sehr zeittypisch mit Indische Baukunst eröffnete.
Gemeinsam mit Einstein gab er 1925 den Europa-Almanach, einen lebendigen
Querschnitt durch die modernsten Tendenzen in allen Künsten, heraus (Nd. 1973,
1984). Außerdem veröffentlichte er Bücher zur Einführung in die Kunst, in denen
er auch Aufsätze aus dem Kunstblatt wiederholte, sowie die ersten Monographien
über Lehmbruck und Kokoschka und einen für expressionistische Auffassungen
charakteristischen Überblick zum Holzschnitt von den Einblattdrucken des 14.
Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Positionskämpfe auf dem Kunst- und Buchmarkt führten 1919–21 zu einem
unschönen Streit mit dem eigentlich in die selbe Richtung strebenden Herwarth
Walden, dem Herausgeber der Zeitschrift Der Sturm. W.s Ansehen nahm dadurch
Schaden. Als ihm aber 1927 die Frankfurter Zeitung kündigte und  Meier-Graefe
das Kunstreferat übertrug, weil sich der zu weit links stehende W. für das Schützen-
graben-Bild von Otto Dix eingesetzt hatte, veröffentlichten 23 Künstler und Publi-
zisten eine Solidaritätserklärung für ihn. W. organisierte ab 1927 Ausstellungen von
Gegenwartskunst unter dem Patronat der Berliner Museumsdirektoren  Waet-
zoldt und  Ludwig Justi, warf letzterem jedoch Anfang 1933 einen reaktionären
Nationalismus vor.
Im August 1933 floh W. aus dem NS-Staat nach Paris, wo er für deutschsprachige
antifaschistische Exilzeitungen schrieb,Vorträge im neugegründeten Schutzverband
Deutscher Schriftsteller hielt, 1937 den Deutschen Künstlerbund im Exil (ab 1938
Freier Künstlerbund) mitbegründete und 1938 eine Ausstellung Freie deutsche Kunst
konzipierte. 1940 wurde er in den Lagern Les Milles und Gurs interniert, konnte
aber – im Unterschied zu Einstein – 1941 über Lissabon nach Mexiko entkommen.
Er setzte seine antinazistische Publizistik fort, indem er unter anderem 1945 einen
Gedenkartikel für Käthe Kollwitz schrieb, hielt Vorträge im Heinrich-Heine-Klub
und begann rasch, sich auch in spanischer Sprache an die Menschen des Landes zu
wenden, das ihn schließlich 1953 einbürgerte. Er wurde zu einem Spezialisten für
mexikanische präkolumbianische Kunst. Zu seinen deutschen Briefpartnern nach
1945 gehörte auch  Worringer, dessen expressionistische Sicht auf ältere Kunst
ihm früh zugesagt hatte. 1963 wurde er als der erste Biograph Lehmbrucks eingela-
den, das neuerbaute Lehmbruck-Museum in Duisburg zu eröffnen, starb aber zuvor,
kurz nach seinem Eintreffen in Deutschland.
W. formulierte keine neue Kunsttheorie, und seine Methode, alte Kunst ent-
schieden im Lichte neuester künstlerischer Bestrebungen zu würdigen, entsprach
einer verbreiteten und traditionsreichen Gepflogenheit. Er handhabte diese aber
wirkungsvoll. Im Kunstblatt stellte er unter der Überschrift »Porträts« beispielsweise
zu dem Namen Lehmbruck ein Briefzitat van Goghs und eine Abbildung von
Michelangelo oder zu einer Abbildung von van Gogh ein Zitat des Romantikers
Westheim 497

 Wackenroder. Für Das Kunstblatt gewann er gute Mitarbeiter, teilweise aus dem
Autorenkreis der Sozialistischen Monatshefte wie  Hausenstein oder der Deutschen
Kunst und Dekoration wie  Raphael. W.s Meinung über die zukunftsträchtigste
Kunstrichtung konnte durchaus wechseln, wobei er das Beharren darauf, daß ein
Produkt erst durch Formung zum Kunstwerk werde, stärker als mancher andere mit
der Frage nach dem menschlichen Wert und dem sozialen Nutzen der Kunst ver-
knüpfte. Im Kern blieb sein Ideal immer eine figurativ-expressive, ideell gewichtige,
dem »Primitiven« nahestehende Kunst. An alter Kunst bewunderte er die »Synthese
des geistig Künstlerischen und des menschlich Bedeutenden« (Für und Wider, 1923).
Er war skeptisch gegenüber dem Abstraktionismus und der »Maschinenromantik«
des Konstruktivismus, einschließlich des Bauhauses, die letztlich nur dem Kapitalis-
mus zugute kämen, hingegen offen für die Neue Sachlichkeit und den Verismus; zu
diesem wichtigen Thema organisierte Das Kunstblatt 1922 eine Umfrage. Zum glei-
chen Zeitpunkt erwarb W. das bedeutende, heute verschollene Selbstbildnis An die
Schönheit von Otto Dix. In den Essays Helden und Abenteurer, die Künstler von Dürer
bis Mies van der Rohe charakterisierten und im Rundfunk vorgetragen worden
waren, fand er nicht nur treffende Kennzeichnungen wie »Böcklin – Ideenmalerei
mit Erdenschwere« oder »Dix – Steckbrief als Malmethode», sondern urteilte auch
ausgewogen über solche Künstler wie den Bildhauer Reinhold Begas, der mit sei-
nem großen Können, seiner staunenswerten Vitalität eigentlich nur ein Opfer seiner
Zeit geworden sei. Unerbittlich ablehnend blieb W. gegenüber der Kunst und
selbstverständlich der Kunstpolitik des NS-Regimes. Die Antikerezeption in den
Staatsbauten von Ludwig Troost und Albert Speer entlarvte er 1937 in der Neuen
Weltbühne scharfzüngig als bloßen »Karton mit Säulen«.

Werke: Plakatkunst, in: ZfÄaK, 3, 1907, 119– Säulen. Antifaschistische Kunstkritik, Lpz/
132; Plakate aus der deutschen Vergangenheit, Wei 1985
in: ZfBf, 12, 1908/09, 299–315; Soziale Ver- Literatur: Kinkel, Hans: Kronzeuge einer
pflichtung des Kunstgewerblers, in: DKuD, Epoche. Abschied von P.W., in: Weltkunst, 34,
1909/10, Bd. 25, 143–146; Der Künstler-Phi- 1964, 2, S. 32; Frank, Tanja: Nachw. zu P.W.,
losoph, ebd., 223–228; Der Volkswirtschaftler Karton mit Säulen, Lpz/Wei 1985; Huhn,
und die Kunst, in: DKuD, 1911, Bd. 28, 278– Rosi/Rautmann, Peter: P.W. und die Kunst-
286; Oskar Kokoschka, Pd/Bln 1918; Wilhelm Kritik im französischen Exil, in: KB, 1990, 18,
Lehmbruck, Pd 1919; Die Welt als Vorstellung. 85–99; Windhöfel, Lutz: P.W. (1886–1963) und
Ein Weg zur Kunstanschauung, Pd 1919; Indi- seine Zeitschrift »Das Kunstblatt« (1917–33),
sche Baukunst, Bln 1920; Das Holzschnitt- in: Henrike Junge (Hrsg.), Avantgarde und
buch, Pd 1921; Für und Wider. Kritische An- Publikum, Köln/Wei/Wien 1992, 329–339;
merkungen zur Kunst der Gegenwart, Pd Windhöfel, Lutz: P.W. und »Das Kunstblatt«.
1923; Architektonik des Plastischen, Bln 1923; Eine Zeitschrift und ihr Herausgeber in der
Klassizismus in Frankreich, Bln 1923; Neue Weimarer Republik, Köln/Wei/Wien 1995;
Arbeiten von Otto R. Salvisberg, Bln/Lpz Rotermund, Ines: Picasso und der Elfenbein-
1927; Helden und Abenteurer. Welt und Le- turm. Das Bild der französischen Kunst in
ben der Künstler, Bln 1931; Wie »Das Kunst- den Kunstkritiken P.W.s 1933–1940, in: Pre-
blatt« entstand, in: Vierzig Jahre Kiepenheuer nez garde à la peinture!, hrsg. v. Uwe Fleck-
1910–50. Almanach, Wei 1951, 53–57; Die ner u. Thomas Gaehtgens, Bln 1999, 341–359
Kunst Alt-Mexikos, Köln 1966 (span. Orig.- PHF
Ausg., Ciudad de Mexico 1950); Karton mit
498 Wickhoff

Wickhoff, Franz
Geb. 7. 5. 1853 in Steyr (Oberösterreich); gest. 6. 4. 1909 in Venedig

In einer kaum mehr als 20 Jahre umfassenden Wirksamkeit trug W. von Wien aus
maßgeblich zur Formierung einer wissenschaftlichen Kunstforschung bei. Dabei
beeindruckt, wie er spezialistische Präzision mit weitem kunstgeschichtlichen
Überblick und mit Theoriebildung zu verbinden wußte und aus dem Einklang mit
neuesten künstlerischen Bestrebungen heraus zu wichtigen Einsichten in die alte
Kunst kam.
Der Industriellensohn W., der auch malte und dichtete, studierte in Wien und
wurde vor allem ab 1877 am Institut für Österreichische Geschichtsforschung durch
den Historiker Theodor von Sickel, den Archäologen Alexander Conze sowie die
Kunsthistoriker  Eitelberger und  Thausing in seiner Methodik geprägt. Er
promovierte bei Thausing 1880 über Dürers Studien nach der Antike und war
1879–85 Kustos der Textilsammlung des Österreichischen Museums für Kunst und
Industrie. Seit 1882 Privatdozent, wirkte er ab 1885 als a.o. und ab 1891 als o. Pro-
fessor an der Universität, lehnte 1900 eine Berufung nach Berlin ab, wurde Hofrat
und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er förderte vor allem den nur
wenig jüngeren  Riegl, der ihm 1886 im Museum nachfolgte und seit 1893 neben
ihm an der Universität lehrte, sowie  Schlosser und  Dvoák, seinen Nachfolger
an der Universität.
Von Sickel übernahm W. eine auch die Form berücksichtigende Auswertung von
Urkunden und anderen Schriftquellen sowie die feste Bindung an die Geschichts-
wissenschaft als Grundlage kunsthistorischer Arbeit. Durch Thausing aufmerksam
gemacht, griff er 1882 als erster in Wien die Methode  Morellis auf, Zuschrei-
bungsfragen mit Hilfe solcher Details wie Ohrformen zu klären. Er begann die von
Thausing initiierte wissenschaftliche Katalogisierung der Zeichnungen in der Al-
bertina und trug – eine wichtige methodische Neuerung – so zur stärkeren Nut-
zung von Zeichnungen für das Verständnis der Kunstgeschichte bei. Kulturhistorisch
und ikonographisch orientierte Studien galten der italienischen Renaissancemalerei,
über die er auch bevorzugt Vorlesungen hielt. Seit 1904 gab er die Kunstgeschichtli-
chen Anzeigen als Beihefte zu den Mitteilungen des Instituts für Österreichische Ge-
schichtsforschung heraus.
Sein Hauptwerk, das Wissenschaftsgeschichte machte, war in mehrerlei Hinsicht
außergewöhnlich. W. weitete den kunsthistorischen Kommentar zu einer illumi-
nierten Bibelhandschrift, die sein Freund Wilhelm von Hartel, der Direktor der
Hofbibliothek, publizierte, zu einer Geschichte der antiken Kunst aus, die besonders
durch die Charakterisierung und Wertschätzung der römischen Kunst ganz neue
Akzente setzte und, wie der Archäologe Ranuccio Bianchi-Bandinelli 1960 sagen
sollte, »uns von  Winckelmann befreite« (Wiener Genesis, 1895). Er scheute sich
nicht, so berühmte Werke wie die Laokoon-Gruppe zum »herzlosen Kunststück«
abzuwerten. Er unterschied mehrere Möglichkeiten der Veranschaulichung von
Handlungsabläufen in erzählenden Bildern (kontinuierende, distinguierende, kom-
plettierende Darstellungsart) und ordnete diese verschiedenen Kulturen zu. Vor al-
lem schrieb er ausführlich auch über neuere Kunst bis zum Impressionismus, um
Wickhoff 499

den »Illusionismus« römischer Kunst zu erklären und zu würdigen und meinte


auch, die erst kürzlich entdeckte japanische Kunst lehre uns, ältere europäische,
auch altrömische, Kunst besser zu verstehen. Seine Vorstellung vom Verlauf der
Kunstgeschichte war nicht mehr geradlinig; er unterschied – wie später Benedetto
Croce und Schlosser – erstrangige Künstler, die einen neuen Kunsttypus schaffen,
von der stilistischen Gemeinsprache der meisten Künstler einer Periode. Er meinte
aber auch, daß außergewöhnliche Künstler »jedes Aufsteigen hemmen«, weil sie
Nachfolgende erst einmal zur Nachahmung zwingen. Einzelheiten, wie die Datie-
rung der Wiener Genesis, hielten späterer Forschung nicht stand. Die wagemutige
Erschließung von kunsthistorischem Neuland und die Orientierung des kunsthi-
storischen Blicks von gegenwärtigen »Interessen« aus blieben jedoch beachtenswert.
Wirkungsgeschichtlich wurde der geistig bewegliche, impulsive, gesellige W., der
ein guter Lehrer war, Vorträge über moderne Malerei hielt, die teilweise in seinen
Gesammelten Schriften abgedruckt wurden, und 1902 sogar für den nachimpressioni-
stischen Maler Gustav Klimt eintrat, durch Riegl und Dvoák in den Schatten ge-
stellt.
Werke: Die italienischen Handzeichnungen Literatur: FS F.W., Wien 1903; Dvoák,
der Albertina, 2 Bde., Beihefte zum JbkSAK, Max: Über die letzten literarischen Projekte
1891 u. 1892; Die Wiener Genesis (mit Wil- F.W.s, in: Offizieller Bericht über die Ver-
helm Hartel), Beiheft zum JbkSAK, 1895 handlungen des IX. Internationalen Kunsthi-
(engl. 1900); Giorgiones Bilder zu römischen storischen Kongresses in München, Lpz 1911,
Heldengedichten, in: JbPK, 1895, 34–43; Bei- 63–72; Dvoák, Max: F.W. (1909), in: ders.,
träge zur Geschichte der reproduzierenden Gesammelte Aufsätze zur Kunstgeschichte,
Künste. Marcantons Eintritt in den Kreis rö- Mü 1929, 299–312; Glück, Gustav: F.W., in:
mischer Künstler, in: JbkSAK, 1899, 181–194; AnK, 2, 1953, 41–45; Kalavrezou-Maxeiner,
Die Bilder weiblicher Halbfiguren aus der Ioli: F.W. Kunstgeschichte als Wissenschaft, in:
Zeit und Umgebung Franz I. von Frankreich, AIKW, Wien 1984, 1, 17–22; Rosenauer, Ar-
in: ebd., 1901, 221–245; Rez. von August tur: Giovanni Morelli und F.W., in: Giovanni
Schmarsow, Grundbegriffe der Kunstwissen- Morelli. Atti del Convegno Internazionale
schaft (1905), in: KA, 2, 1905, 103–106; Römi- Bergamo 1987, Bergamo 1993, Bd. 2, 359–370;
sche Kunst, Bln 1912; Gesammelte Schriften, Rehm, Ulrich: Wieviel Zeit haben die Bil-
hrsg. v. Max Dvoák (nur Bd. 2 u. 3 erschie- der?, in: WJbfKg, 53, 2004, 161–189
nen), Bln 1912–13 PHF

Wilpert, Josef
Geb. 22. 8. 1857 in Eiglau bei Leobschütz (Dzielów bei Glubczyce);
gest. 10. 3. 1944 in Rom

Neben Giovanni Battista de Rossi (1822–94), Louis Duchesne (1843–1922) und


Edmont-Frédéric Le Blant (1818–97), die ebenfalls ausschließlich in Rom tätig
waren, gehörte W. zu den prominentesten Vertretern der christlichen Archäologie
im ausgehenden 19. Jahrhundert. Seine Bedeutung liegt vor allem in seinen um-
fänglichen Corpus-Werken der Katakombenmalerei, der christlichen Sarkophage
sowie der kirchlichen Mosaiken und Malereien, die bis heute zu den Standardwer-
ken der christlichen Archäologie zählen.
Nach dem Studium der Theologie und Philosohie am jesuitischen Priestersemi-
500 Wilpert

nar und der Priesterweihe (1883) in Innsbruck kam W. als Stipendiat an den Campo
Teutonico in Rom, eine Bildungseinrichtung der katholischen Kirche, um neben
dem Studium der Kanonistik auch historische und archäologische Forschungen zu
betreiben. Aus einem auf zwei Jahre begrenzten Aufenthalt entwickelte sich eine
über 40jährige Tätigkeit im Dienste der christlichen Archäologie. 1897 wurde W.
zum päpstlichen Prälaten, 1903 zum apostolischen Protonotar und zum Mitglied
der Päpstlichen Kommission Christlicher Archäologie ernannt. Während des Ersten
Weltkrieges hielt sich W. in Freiburg i.Br. und Breslau auf, kehrte aber 1919 für
immer nach Rom zurück. Erst jetzt reiste er zu Denkmälderstudien auch nach
London, Frankreich, Spanien, Nordafrika. Seit 1926 hatte er eine Professur für
christliche Ikonographie am päpstlichen Institut für christliche Archäologie inne,
war seit 1930 Dekan der apostolischen Protonotare und seit 1935 Mitglied des In-
stitut de France.
W. begann mit der systematischen Untersuchung der sich meist über mehrere
Stockwerke erstreckenden Katakomben Roms. Dabei interessierten ihn weniger
die architektonischen, topographischen oder historischen Aspekte der Katakomben
als vielmehr ihre künstlerische Ausgestaltung mit farbenprächtigen Malereien. Der
Mangel an verläßlichen Abbildungen in den bisherigen Veröffentlichungen gab
schließlich den Anstoß zu W.s erstem Werk zu diesem Thema. Er machte genaue
Beschreibungen zu den Bildern und Schrifttafeln, die er anfangs noch selbst ab-
zeichnete. Später ließ er auf präpariertes Papier übertragene Photographien vor den
Originalen mit Aquarellfarben übermalen. Selbst kleinste Fragmente wurden durch
dieses aufwendige Verfahren katalogisiert, das Größenverhältnisse und Farbwirkun-
gen in bis dahin unbekanntem Maße wiedergab. W.s spektakulärste Funde waren
die Fresken mit einer Darstellung des, wie er annahm, eucharistischen Opfers in der
Cappella Greca, einer Durchgangskapelle zur Katakombe der heiligen Priscilla, und
die Katakombe der heiligen Markus und Marcellianus mit der Damasusgruft. Auf
die Erfassung der Katakombenmalerein folgte die der Fresken und Mosaiken in
frühchristlichen und mittelalterlichen Kirchen. Anschließend stellte W. das erste
Corpus der frühchristlichen Sarkophage zusammen, deren Formqualität und Iko-
nographie er, heftig gegen die protestantische Archäologie polemisierend, theolo-
gisch deutete. Er verzeichnete nicht nur römische, sondern auch gallische und
spanische Sarkophage.
W.s Überzeugung vom unbedingten Primat Roms als Zentrum der christlichen
Kunst trug ihm die erbitterte Gegnerschaft  Strzygowskis ein, der schon bei sei-
nen Fachkollegen  Wickhoff und  Riegl eine »ultramontane Richtung« beklagt
hatte, »die alles auf Rom zurückführen will«. W. hielt dem entgegen, daß die römi-
schen Katakombenmalereien und Sarkophagskulpturen »einzig« in der Welt seien,
daß Rom schon um die Mitte des 4. Jahrhunderts Bilderzyklen in Basiliken, Tauf-
kirchen und Mausoleen besessen habe, als Byzanz noch eine »obskure Stadt« war
und demzufolge keineswegs auf die altchristliche Kunst Roms eingewirkt haben
konnte. Der römische Einfluß habe sich hingegen selbst bis in die Provinzen er-
streckt, wo zum Beispiel in der Sarkophagplastik der gallischen Bildhauer so lange
gleichwertige Erzeugnisse zu finden seien, wie man sich an römischen Mustern
orientiert hätte. Diese These fand W. vor allem in Ravenna bestätigt; Kaiser Theo-
Wilpert 501

derich (um 456–526), der einige Jahre als Geisel in Byzanz verbracht hatte und
später enge Beziehungen dorthin unterhielt, habe in seiner Hauptstadt einer orien-
talischen Werkstatt das Sarkophagmonopol übertragen und auf diese Weise dem
Einfluß römischen Formengutes ein Ende bereitet.
Obwohl das romzentrierte Geschichtsbild durch neuere Einsichten und For-
schungen unter Einbeziehung jüdischer und antik-heidnischer Denkmäler des ge-
samten Mittelmeerraums revidiert wurde, haben W.s Leistungen auf dem Gebiet der
technischen Wiedergabe und Katalogisierung bis heute ihre Bedeutung nicht ver-
loren.
Werke: Ein unbekanntes Gemälde aus der Konstantin der Große und seine Zeit, Rom/
Katakombe der heiligen Domitilla und die FrB 1912, 276–296; Die Kapelle des heiligen
coemeterialen Fresken mit Darstellungen aus Nikolaus im Lateranspalast, in: FS Georg von
dem realen Leben, in: Römische Quartals- Herting, Kempten 1913, 225–233; Vision und
schrift, 1, 1887, 20–40; Prinzipienfragen der Labarum Konstantins des Großen im Lichte
christlichen Archäologie, FrB 1889; Nochmals der Geschichte und Archäologie, in: Görres-
Prinzipienfragen der christlichen Archäolo- Ges. zur Pflege der Wissenschaft im katholi-
gie. Kritik einer protestantischen Antwort auf schen Deutschland, 3, 1913, 5–17; Die römi-
römische Angriffe, in: Römische Quartals- schen Mosaiken und Malereien der kirchli-
schrift, 4, 1890, 44–60; Ein Zyklus christolo- chen Bauten vom 4. bis 13. Jh., 4 Bde., FrB
gischer Gemälde aus der Katakombe der hei- 1916 (Nd. 1976); Wahre und falsche Ausle-
ligen Petrus und Marcellianus, FrB 1891; Die gung der altchristlichen Sarkophagskulpturen,
Katakombengemälde und ihre alten Kopien. Innsbruck 1924; Seitenflügel des Altarbildes
Eine ikonographische Studie, FrB 1891; Drei in der Kathedrale von Tivoli, FrB 1924; Gna-
altchristliche Epitaphfragmente aus den rö- denbild »Maria Schnee«, FrB 1924; Le pitture
mischen Katakomben, Rom 1892; Die gott- dell’ipogeo di Aurelio Felicissimo presso il
geweihten Jungfrauen in den ersten Jahrhun- Viale Manzoni in Roma, in: Atti della Ponti-
derten der Kirche. Nach den patristischen ficia accademia romana di archeologia, Rom
Quellen und Grabdenkmälern, FrB 1892; 1924, 1–43; Le due più antiche rappresenta-
Drei altchristliche Epitaphfragmente, in: Ar- zioni della Adoratio crucis, Rom 1927; La
chäologische Ehrengabe zum 70. Geburtstage decorazione costantiniana della Basilica Late-
de Rossis, Rom 1892, 381–393; Fractio panis. ranense, in: RACr, 1929, 1–74; I sarcofagi cri-
Die älteste Darstellung des eucharistischen stiani antichi, 5 Bde., Rom 1929–36; Erleb-
Opfers in der Cappella Greca, FrB 1895; Die nisse und Ergebnisse im Dienste der christli-
Malereien der Sakramentskapellen in der Ka- chen Archäologie, FrB 1930; La fede della
takombe des heiligen Callistus, FrB 1897; Die chiesa nascente secondo i monumenti
Gewandung der Christen in den ersten Jahr- dell’arte funeraria antica, Rom 1938
hunderten. Vornehmlich nach den Katakom- Literatur: FS J.W. (RACr, 15, 1938; Bi-
ben-Malereien dargestellt, Köln 1898; Un bliogr.); Sauer, Josef: J.W., in: Das Münster, 1,
capitolo di storia del vestiario. Tre studi sul 1947, 118–122; Dassmann, Ernst: J.W. und die
vestiario dei tempi postcostantiniani, Rom Erforschung der römischen Katakomben, in:
1898; Die Malereien der Katakomben Roms, Hundert Jahre deutsches Priesterkolleg beim
2 Bde., Rom/FrB 1903; Das Grab des heili- Campo Santo Teutonica. 1876–1976 (35. Sup-
gen Petrus im Lichte der geschichtlichen plementsheft der Röm. Quartalsschrift, hrsg.
Darstellungen, in: Görres-Ges. zur Pflege der v. Erwin Gatz), Rom/FrB/Wien 1977, 160–
Wissenschaft im katholischen Deutschland, 3, 173; Nordhagen, P.J.: Working with W., in:
1907, 7–23; Beiträge zur christlichen Archäo- Acta ad Archaeologiam et Artium Historiam.
logie, Rom 1909; Die Papstgräber und die Pertinentia, 5, 1985, 247–257; Sörries, Reiner:
Cäciliengruft in der Katakombe des heiligen J.W. Ein Leben im Dienste der christlichen
Callistus, FrB 1909; Die Malereien der Grab- Archäologie. 1857–1944, Würzburg 1998
kammer des Trebius Justus aus dem Ende der CF
konstantinischen Zeit, in: Friedrich J. Dölger,
502 Winckelmann

Winckelmann, Johann Joachim


Geb. 9. 12. 1717 in Stendal; gest. 8. 6. 1768 in Triest (Trieste, Italien)

Über die klassische Archäologie hinaus, als deren Begründer er gilt, gewann W.
fundamentale Bedeutung für die Kunstgeschichtsschreibung im allgemeinen, denn
erst seit seiner Geschichte der Kunst des Altertums (1764) kann von einer historischen
Betrachtung der bildenden Kunst im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Wäh-
rend Vasari und seine Nachfolger bis ins 18. Jahrhundert nur über die großen
Künstler geschrieben hatten, stellte W. die Kunst selbst, ihren formalen und ideellen
Entwicklungsprozeß, in den Mittelpunkt. W. wollte die »verschiedenen Stile der
Völker, Zeiten und Künstler« beschreiben, wozu ihm die »übriggebliebenen Werke
des Altertums« als »Beweis« dienen sollten. Auf einen Stilhistoriker läßt sich W. in-
dessen nicht reduzieren, denn vor ihm hatte noch niemand so begeistert und begei-
sternd über Meisterwerke der antiken Kunst geschrieben, sie als ästhetische Gebilde
in ihrer ganzheitlichen Formqualität zu erfassen versucht. Er gelangte dabei zu der
Überzeugung, daß Kunstwerke stets in einen bestimmten kulturellen und gesell-
schaftlichen Kontext eingebettet sind – dies wird im zweiten Teil seiner Kunstge-
schichte durch Einstreuung von Einzelanalysen zum Herkulestorso oder zum Borghe-
sischen Fechter in den Geschichtsbericht demonstriert –, aber gleichzeitig einer
autonomen Stilgeschichte angehören, die die »äußeren Umstände« lediglich modi-
fizieren. W. war kein Kunstschriftsteller wie Vasari, der zum Ruhme einer sich
emanzipierenden Künstlerschaft schrieb, sondern ein nach Erkenntnis strebender
Gelehrter aus dem Dritten Stand, der der im Niedergang befindlichen spätfeudalen
Gesellschaft die griechische Kunst der Antike als ein ewiges Ideal entgegenhielt.
Der in Armut aufgewachsene Schuhmachersohn studierte 1738–42 in Halle und
Jena Theologie, Geschichte, alte und neue Sprachen, aber auch Medizin und Ma-
thematik. Nach einem ungeliebten Lehrerdasein in Hadmersleben und Seehausen
fand er 1748 eine Bibliothekarsstelle bei Graf Heinrich von Bünau im sächsischen
Nöthnitz. Nach einem weitausgreifenden Studium der geschichts- und kunstphilo-
sophischen Literatur vom 15. bis 18. Jahrhundert (Vasari, Bellori, Perrault, Dubos,
Piles, Montesquieu, Caylus, Richardson, Shaftesbury), unter dem lebhaften Ein-
druck der Kunstschätze, der Gemäldegalerie, der Sammlung der Antiken und der
Gipsabgüsse im nahen Dresden und im vertrauten Umgang mit dem Maler Adam
Friedrich Oeser, einem Wegbereiter des Klassizismus, verfaßte W. dort seine pro-
grammatischen Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und
der Bildhauerkunst (1755), die ihn über Nacht in ganz Europa berühmt machten. In
dieser Schrift postulierte er die ethische und ästhetische Vollkommenheit der grie-
chischen Kunst des 6. und 5. vorchristlichen Jahrhunderts, ihre »edle Einfalt« und
»stille Größe«, und forderte zu ihrer Nachahmung auf: »So wie die Tiefe des Meers
allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Aus-
druck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und ge-
setzte Seele.« Daß W. dafür als Musterbeispiel die späthellenistische Laokoon-Gruppe
(1. Jh. v. Chr., Vatikan) anführte, wirft ein Licht auf sein begrenztes Wissen von
griechischer Kunst und legt die barocken Wurzeln seines Kunsturteils bloß. Als
musterhaft unter den neueren Künstlern erschien ihm vor allem Raffael, dessen
Winckelmann 503

»vorzügliche Größe« den Griechen am nächsten käme. An der Sixtinischen Madonna


pries er das »Gesichte voll Unschuld und zugleich eine mehr als weibliche Größe«
und die »Stille, welche die Alten in den Bildern ihrer Gottheiten herrschen ließen.
Wie groß und edel ist ihr ganzer Kontur«. Seinen Zeitgenossen Anton Raphael
Mengs (1728–79), dem er die Geschichte der Kunst des Altertums widmete, betrachtete
W. als den neuen Raffael, den Erben der Antike und der Renaissance, der die Ma-
lerei ihrer barocken Verwilderung entrissen und reformiert habe. Unter den Bild-
hauern schien ihm Michelangelo – dieser »Phidias neuerer Zeiten« – der Antike am
nächsten zu stehen, während der »Kunstverderber« Bernini mit seinem angeblich
hemmungslosen Naturalismus den negativen Gegenpol zur idealischen Schönheit
der Griechen repräsentierte. In Bernini bekämpfte W. den prominentesten Vertreter
der in seinen Augen nur auf äußere Effekte bedachten Barockkunst.
1754 siedelte W. nach Dresden über, wo er in Oesers Haus wohnte, und trat in
der Hoffnung, es würde seinem Fortkommen nützen, zum Katholizismus über. 1755
traf er in Rom ein, um dort, unterstützt von Mengs, Kardinal Alberigo Archinto,
den er von Dresden her kannte, und Kardinal Alessandro Albani, dessen Bibliothek
und Kunstsammlung er bald betreuen sollte, eine der erstaunlichsten Karrieren bis
zum päpstlichen »Scriptor linguae teutonicae« und »Prefetto dell’ Antichità di
Roma« zu durchlaufen. Auf dem klassischen Boden der Ewigen Stadt sollte W. er-
kennen, daß, wie  Waetzoldt sagt, »Kunstwerke nicht nur illustrieren und monu-
mentalisieren, sondern Sinn und Wert in sich selbst tragen, und dadurch schuf er
sich aus einem Antiquar zum Kunsthistoriker um«. Von Rom aus reiste W. 1758,
1762, 1764 und 1767 nach Neapel und zu den antiken Vesuvstädten Herculaneum
und Pompeji, wo seit den 1730er Jahren Ausgrabungen stattfanden, an denen man
auch in Dresden lebhaften Anteil nahm (Sendschreiben, 1762; Nachrichten, 1764). 1758
besuchte er zum erstenmal die Tempel von Paestum, die ihn zu einer Beschäftigung
mit der griechischen Architektur anregten und den Wunsch – der sich jedoch nicht
erfüllen sollte – aufkommen ließen, Sizilien und Griechenland zu besuchen. 1758/59
hielt sich W. in Florenz auf, um die Gemmensammlung Philipp von Stoschs zu
bearbeiten. Dort kam er auch in Berührung mit der etruskischen Kunst. Anfang
1768 brach W. zusammen mit dem Bildhauer Bartolomeo Cavaceppi zu einer
Deutschlandreise auf, kehrte aber in Augsburg schon wieder um. In Triest wurde er
Opfer eines Raubmordes.
Der disziplinhistorische Stellenwert der in einer klaren und schönen Sprache
geschriebenen Geschichte der Kunst des Altertums liegt weniger im Empirischen –
schon Zeitgenossen wie W.s Göttinger Widerpart Christoph Gottlieb Heyne
(1729–1812) meldeten in dieser Hinsicht Kritik an – als in der denkerischen Kraft
der Zusammenfassung von 3000 Jahren Kunstgeschichte, die W. mit den Ägyptern,
Phöniziern und Persern beginnen und mit der spätrömischen Kunst des 6. Jahrhun-
derts enden läßt. So wie dieser weltgeschichtliche Kunstprozeß Anfang, Wachstum,
Reife und Verfall durchlaufe, beschreibe auch die Stilgeschichte bei allen Völkern
eine auf- und absteigende Kurve, am deutlichsten ausgeprägt in der griechischen
und römischen Kunstgeschichte. W. spricht vom älteren, vom hohen, vom schönen
Stil und vom Stil der Nachahmer und verleiht dieser Abfolge einen quasi gesetzmä-
ßigen Charakter. Ob und in welchem Maße sie sich jedoch entfalten und welche
504 Winckelmann

künstlerische Höhe sie erreichen könne, hing nach W.s Auffassung von natürlichen
äußeren Umständen wie Klima und physischer Beschaffenheit einer Region und
von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Die Kunst der Griechen konnte nur
deshalb zur Norm werden, weil diese als freie Bürger in einem auf Demokratie
gegründeten Staat lebten, in dem die Künstler geachtet waren und ihre Kunst im
Leben des Volkes eine zentrale Rolle spielte. Mit dieser idealistischen Auffassung
stellte sich W. auf die Seite des Bürgertums und seines Strebens nach politischer
Macht; der Kunst der Griechen nachzueifern, kam einem Aufruf zur Umwälzung
der spätfeudalen Gesellschaft gleich.
Ausgehend von der Kunstgeschichtstheorie der Renaissance (Vasari) setzte W. die
nachmittelalterliche italienische Kunstentwicklung in Parallele zur griechisch-rö-
mischen: das 15. Jahrhundert entsprach dem älteren Stil, Michelangelo und Raffael
dem hohen, Reni dem schönen und die Carracci dem Stil der Nachahmer. Die der
Antike weit unterlegene Bildhauerkunst blühte und endete mit Michelangelo und
Sansovino. Die mittel- und westeuropäische Kunstgeschichte fiel für W. aus diesem
Schema heraus. Gelegentlich erwähnte er die für ihn zweitrangigen Dürer und
Rubens, deren Defizite er mit der Ferne zur Antike und zum milden mittelmeeri-
schen Klima erklärte.
Die Nachahmung des Idealschönen und Erhabenen der griechischen Kunst, wie
sie W. auch in seiner Kunstgeschichte empfahl, verband er mit dem seit der Antike
geltenden, durch die klassizistische Kunstlehre bekräftigten ut-pictura-poesis-Kon-
zept, wie es seiner Überzeugung nach die Griechen selbst praktiziert hatten. W. wies
wiederholt darauf hin, daß es in der Antike das höchste Ziel war, »unsinnliche
Dinge« darzustellen. Aus diesem Grunde hielt er es für erforderlich, die lebenden
Künstler mit einem ikonographischen und ikonologischen Nachschlagewerk – in
der Art der Iconologia (1593) Cesare Ripas – auszustatten, in denen sie Symbole und
Allegorien zur Verbildlichung von dichterischen Ideen finden könnten. In einem
späten Aufsatz über die Allegorie, in dem er die Malerei als eine »stumme Dicht-
kunst« definierte, hat W. selbst dazu einen theoretischen Beitrag zu leisten versucht.
Mehr ins Praktische gingen die reich illustrierten Monumenti antichi inediti, die auch
als Anschauungsmaterial für Künstler gedacht waren.
W. hat nicht nur tiefgreifenden Einfluß auf klassische Archäologie und nachantike
Kunstgeschichtsschreibung ausgeübt, sondern auch auf die Kunstgeschichte selbst
– ohne ihn ist der europäische Klassizismus nicht denkbar – und darüber hinaus auf
die klassische deutsche Literatur und Philosophie (Herder, Lessing,  Goethe,
Schiller, Hegel).
Werke: Werke, hrsg. v. Carl Ludwig Fernow, Walther Rehm, Bln 1968; Unbekannte
Heinrich Meyer u. Johann Schulze, 8 Bde., Schriften. Antiquarische Relationen und die
Dr 1808–20; Briefe, hrsg. v. Friedrich Förster, Beschreibung der Villa Albani, hrsg. v. Sigrid
3 Bde., Bln 1824–25; Sämtliche Werke. Ein- von Moisy, Hellmut Sichtermann u. Ludwig
zige vollständige Ausgabe, hrsg. v. Joseph Ei- Tavernier, Mü 1986; Il manuscritto fiorentino
selein, 12 Bde., Donaueschingen 1825–29; di J.J.W. Das Florentiner W.-Manuskript, hrsg.
Kleine Schriften und Briefe, hrsg. v. Her- v. Max Kunze, Fl 1994; Schriften und Nach-
mann Uhde-Bernays, 2 Bde., Lpz 1925; Briefe, laß, hrsg. v. Stephanie-Gerrit Bruer u. Max
hrsg. v. Walther Rehm, 4 Bde., Bln 1952–57; Kunze, Mainz 1996/97 (3 Bde. bisher er-
Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe, hrsg. v. schienen)
Winckelmann 505

Gedanken über die Nachahmung der grie- Hanna: J.J.W. Sprache und Kunstwerk, Bln
chischen Werke in der Malerei und Bildhau- 1957; Kreuzer, Ingrid: Studien zu W.s Ästhe-
erkunst, Dr 1755 (frz. 1755); Erinnerung über tik. Normativität und historisches Bewußt-
die Betrachtung der Werke der Kunst, in: sein, Bln 1959; Schulz, Arthur: Ist W. heute
BschWK, 5, 1759, 1–13; Von der Grazie in noch eine lebendige Kraft?, in: Das Altertum,
Werken der Kunst, in: ebd., 13–23; Nachricht 6, 1960, 177–184; Bosshard, Walter: W. Ästhe-
von dem berühmten Stoschischen Museo in tik der Mitte, Zü/Stg 1960; Schulz, Arthur: W.
Florenz, in: ebd., 23–33; Beschreibung des und seine Welt, Bln 1962; MacMahon, John
Torso im Belvedere zu Rom, in: ebd., 33–41; F.: Friedrich Schlegel and W., NY 1962; Fon-
Anmerkungen über die Baukunst der alten tius, Martin: W. und die französische Aufklä-
Tempel zu Girgenti in Sizilien, in: ebd., 223– rung, Bln 1968; Himmelmann, Nikolaus K.:
242 (frz. 1762, ital. 1784); Description des W.s Hermeneutik, Mainz 1971; Woldrich, In-
Pierres gravées du feu Baron de Stosch, Fl grid: Friedrich Schlegel und J.J.W., Diss.
1760 (dt. 1797); Anmerkungen über die Bau- Innsbruck 1971; Ettlinger, Leopold D.: W., in:
kunst der Alten, Lpz 1762; Sendschreiben von AKat. The Age of Neo-Classicism, Lo 1972,
den Herkulanischen Entdeckungen, Dr 1762 XXX–XXXIV; Häsler, Berthold (Hrsg.):
(frz. 1764, engl. 1771); Abhandlung von der Beiträge zu einem neuen W.bild, Bln 1973;
Fähigkeit der Empfindung des Schönen in Irmscher, Johannes: Antikebild und Antike-
der Kunst und dem Unterrichte in derselben, verständnis in Goethes W.-Schrift, in: JbGoe,
Dr 1763; Geschichte der Kunst des Altertums, 1978, 85–11; Seeba, Heinrich: J.J.W. Zur Wir-
Dr 1764 (frz. 1766, ital. 1779, engl. 1849); kungsgeschichte eines »unhistorischen« Hi-
Nachrichten von den neuesten Herkulani- storikers zwischen Ästhetik und Geschichte,
schen Entdeckungen, Dr 1764; Versuch einer in: DVjS, Sonderheft, 56, 1982, 168–201; Pie-
Allegorie, besonders für die Kunst, Dr 1766; per, Paul: Carl Justis »Winckelmann«, in: Bo-
Anmerkungen über die Geschichte der Kunst reas, 5, 1982, 259–265; Potts, Alex: W.’s Con-
des Altertums, Dr 1767; Monumenti antichi struction of History, in: ArtHist, 5, 1982,
inediti spiegati ed illustrati da Giovanni W., 2 377–407; Käfer, Markus: W.s hermeneutische
Bde., Rom 1767 (dt. 1780, frz. 1788); Anmer- Prinzipien, Hei 1986; Gaehtgens, Thomas W.
kungen über die Geschichte der Kunst des (Hrsg.): J.J.W. (1717–68), Hbg 1986; Archäolo-
Altertums, Dr 1767 genbildnisse 1988, 5–7; Uhlig, Ludwig: Grie-
Literatur: Heyne, Christian Gottlob: Lob- chenland als Ideal. W. und seine Rezeption in
schrift auf W., welche bei der Hessen Kasse- Deutschland, Tü 1988; Fischer, Bernhard:
lischen Gesellschaft der Altertümer den aus- Kunstautonomie und Ende der Ikonographie.
gesetzten Preis erhalten hat, Ka 1778; Herder, Zur historischen Problematik von »Allego-
Johann Gottfried: W., Lessing, Sulzer, in: TM, rie« und »Symbol« in W.s, Moritz’ und Goe-
3, 1781, 193–210; Goethe, Johann Wolfgang: W. thes Kunsttheorie, in: DVjS, 64, 1990, 247–
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Wind, Edgar
Geb. 14. 5. 1900 in Berlin; gest. 12. 9. 1971 in London

Neben  Saxl und  Bing gehörte W. zu den engsten Mitarbeitern Warburgs,


der seine philosophische Begabung schätzte: »Ich vergesse immer, daß Sie ein ge-
schulter Kunsthistoriker sind. Sie haben es ja so nett mit dem Denken.« In der Tat
studierte W. bei herausragenden Fachvertretern sowohl Kunstgeschichte als auch
Philosophie, seit 1918 zunächst bei  Goldschmidt und Ernst Cassirer in Berlin,
ging dann nach Freiburg zu Edmund Husserl und für ein weiteres Semester nach
Wien, wo er vor allem dieVorlesungen  Schlossers,  Strzygowskis und  Dvoáks
besuchte, bis er schließlich an die Universität Hamburg wechselte, um seine Pro-
motion vorzubereiten. Die von  Panofsky und Cassirer betreute Arbeit Ästhetischer
und kunstwissenschaftlicher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte
von 1922 zeigt schon in Ansätzen die sich durch W.s Gesamtwerk ziehende Über-
zeugung, daß ein begrifflich geleiteter Zugang den Wesenskern eines Kunstwerkes
ebenso zu fassen vermag wie ein rein ästhetischer. Schon hier plädierte W. für eine
»konkrete Kunstwissenschaft«, die ein methodisches Regulativ zur Erprobung
kunstwissenschaftlicher Urteile zu entwickeln habe. Einen rein ästhetischen Ansatz
hielt er für problematisch, da Kunstwerken immer schon ein vom Künstler gestal-
Wind 507

teter Sinn inhärent sei. In Übereinstimmung mit Panofsky forderte er eine am


Stilbegriff orientierte Kunstwissenschaft, interessierte sich als Schüler Cassirers je-
doch ebenso für die Strukturen verschiedener Denkformen und der Mythen.
Nach der Promotion fand W. zunächst keine passende Anstellung, so daß er sich
1924 zu einem längeren Amerika-Aufenthalt entschloß. In New York unterrichtete
er an verschiedenen High Schools und in der Erwachsenenbildung. Die Jahre
1925–27 verbrachte er an der Universität von North Carolina, wo er als Dozent für
Philosophie Einführungen in Ethik, Ästhetik und Wissenschaftstheorie gab. In
Amerika lernte er die Schriften des Philosophen Charles Sanders Peirce kennen, die
seine Auffassung vom Symbol stark beeinflußten. Nach Hamburg zurückgekehrt
wurde W. 1927 wissenschaftlicher Assistent an der Warburg-Bibliothek, wo er seine
Forschungen zum Symbolbegriff vertiefte. Wie Warburg vertrat W. die Ansicht, daß
jedes kulturelle Symbol von einer »polaren«, d. h. spannungsreichen Grundstruktur
gekennzeichnet sei; einem affektiven, magischen Pol, der unmittelbare Reaktionen
hervorrufe, stehe ein logischer Pol rationaler Besonnenheit gegenüber, durch die
das Symbol in seinem reinen Bedeutungsaspekt, seiner veräußerten Form begriffen
werde. W. interessierte insbesondere die schon von Warburg gestellte Frage nach der
symbolischen Wiederbelebung heidnisch-antiker Mysterienkulte in der Kunst der
italienischen Renaissance. Auf dem 4. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunst-
wissenschaft verteidigte W. 1931 Warburgs kulturwissenschaftliche Methode gegen-
über einer rein formalistischen Kunstgeschichte, wie sie für ihn exemplarisch von
Wölfflin vertreten wurde.
In seinen Hamburger Jahren wandte sich W. immer mehr der Kunstgeschichte zu.
Wie alle Mitglieder des Warburg-Kreises suchte er den zeitgenössischen Kontext
der Kunstwerke zu erhellen, deren mitunter fremd gewordene Semantik zu rekon-
struieren; er konnte nachweisen, daß Raffael und Michelangelo in ihren Darstellun-
gen von allegorischen und symbolischen Figuren auf neuplatonische Philosophen
wie Marsilio Ficino und Pico della Mirandola zurückgegriffen hatten. In seiner
1958 publizierten Arbeit Pagan Mysteries in the Renaissance zeigte W. an Botticelli,
Tizian und Michelangelo auf, wie deren Werke der »Logik der in ihnen verarbeite-
ten Ideen folgen« (Buschendorf, 1981). Erst durch Kontextforschung werde die
bildliche Gliederung durchsichtig; allegorische Werke gewännen erst so an ästheti-
scher Intensität, was durch ein bloßes Wahrnehmen von Figuren und Gesten ohne
den Bedeutungszusammenhang nicht erreicht werden könne. W. bekräftigte diese
Überzeugung noch einmal in Art and Anarchy (1960), einem aus seinen Reith Lec-
tures hervorgegangenem Kompendium philosophischer Essays zu Problemen mo-
derner Kunst, in dem er formulierte, daß »unser Auge [nur] sieht, wie unser Geist
liest«.
1929 habilitierte sich W. mit Das Experiment und die Metaphysik bei Cassirer, einer
Arbeit, die sowohl seine Vertrautheit mit der geistesgeschichtlichen Tradition als
auch mit Problemen der Philosophie der Mathematik und der modernen Physik
erwies. Anschließend lehrte W. bis zum Wintersemester 1932/33 an der Universität
Hamburg Philosophie, bis er als »Nichtarier« entlassen wurde. Als sich die Lage der
Warburg-Bibliothek nach der Machtergreifung Hitlers zunehmend verschlechterte,
begann W., unterstützt von Saxl und Bing, Verhandlungen über einen Umzug nach
508 Wind

London zu führen, der noch Ende 1933 stattfinden konnte. Bis 1939 leitete W. ge-
meinsam mit Saxl, dessen Stellvertreter er war, das Warburg Institute und hatte
großen Anteil an dessen Etablierung im Londoner Wissenschaftsbetrieb. Zudem
wandte sich W. gegen Ende der 1930er Jahre zunehmend der englischen und ame-
rikanischen Malerei des 18. Jahrhunderts zu.
1939 übersiedelte W. – zunächst als befristeter Visiting Lecturer am Institute of
Fine Arts der New York University und an der Pierpont Morgan Library – in die
USA, wo insbesondere seine Vorlesungen über die Ikonographie der Renaissance-
kunst die innovative Qualität seines Ansatzes und die Methode Warburgs erkennen
ließen. 1942–44 war er Professor für Kunstgeschichte an der University of Chicago,
1944–55 lehrte er am Smith College in Northampton/MA. 1955 kehrte W. nach
England zurück und hatte bis zur Emeritierung 1967 den neueingerichteten Lehr-
stuhl für Kunstgeschichte in Oxford inne.

Werke: Ästhetischer und kunstwissenschaft- the Survival of the Classics, Bd. 2, Lo 1938;
licher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodo- »Borrowed Attitudes« in Reynolds and Ho-
logie der Kunstgeschichte, Hbg 1922; Zur garth, in: JWCI, 2, 1938/39, 182–185; An Eigh-
Systematik der künstlerischen Probleme, in: teenth Century Improvisation in a Leonardo
ZfÄaK, 18, 1925, 438–486; Theory of Art ver- Drawing, in: OMD, 13, 1939, 49–50; Hercules
sus Aesthetics, in: The Philosophical Review, and Orpheus. Two Mock-Heroic Designs by
34, 1925, 350–359; Contemporary German Dürer, in: JWCI, 2, 1938–1939, 206–218; The
Philosophy, in: The Journal of Philosophy, 22, Subject of Botticelli’s Derelitta, in: JWCI, 4,
1925, 477–493, 516–530; Warburgs Begriff der 1940/41, 114–117; The Lion Filled with Lilies,
Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für in: JWCI, 6, 1943, 222–223; The Hogarth-
die Ästhetik, in: ZfÄaK, 25, 1931 (Beilage), Constable-Turner-Exhibition, in: Art News,
163–179; Untersuchungen über die Platoni- 45, 1947, 14–17, 62–64; Sancte Pagnini and
sche Kunstphilosophie, in: ZfÄaK, 26, 1931, Michelangelo. A Study of the Succession of
349–373; Humanitätsidee und heroisiertes Savonarola, in: Mélanges Henri Focillon, in:
Porträt in der englischen Kultur des 18. Jh.s, GBA, 26, 1947, 211–246; Bellini’s Feast of the
in: England und die Antike, VBW, (1930/31), Gods. A Study in Venetian Humanism, Cam/
1932, 156–229; Mathematik und Sinnesemp- MA 1948; The Critical Nature of a Work of
findung. Materialien zu einer Whitehead- Art, in: Music and Criticism. A Symposion,
Kritik, in: Logos, 21, 1932, 239–280; Das Ex- Cam/MA 1948, 52–73; Mantegna’s Parnassus.
periment und die Metaphysik. Zur Auflösung A Reply to Some Recent Reflections, in:
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Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Study in the Symbolism of Michelangelo, in:
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nungen des Jahres 1931 (mit Hans Meier u. Symbols, in: BM, 92, 1950, 349–350; Typology
Richard Newald), Lpz/Bln 1934; The War- in the Sistine Ceiling. A Critical Statement,
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Library Association Record, 2, 1935, 193–195; gin, in: Studies in Art and Literature for Belle
Some Points of Contact between History and da Costa Greene, Pr 1954, 412–424; Pagan
Natural Science, in: Philosophy and History. Mysteries in the Renaissance, Lo/New Ha-
Essays presented to Ernst Cassirer, Ox 1936, ven 1958 (dt. 1981); Maccabean Histories in
255–264; Donatello’s Judith. A Symbol of the Sistine Ceiling, in: Italian Renaissance
Sanctimonia, in: JWCI, 1, 1937/38, 62–63; Studies. A Tribute to the late Cecilia M. Ady,
The Maenad under the Cross. 1. Comments Lo 1960, 312–327; Art and Anarchy.The Reith
on an Observation by Reynolds, in: ebd., Lectures, Lo 1960 (dt. 1979); Platonic Tyranny
70–71; Charity. The Case History of a Pat- and the Renaissance Fortuna. On Ficino’s
tern, in: ebd., 322–330; Friedrich Gundolf. Reading of Laws, in: FS Erwin Panofsky, NY
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Wind 509

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Winkler, Friedrich
Geb. 5. 3. 1888 in Prehna; gest. 23. 2. 1965 in Berlin

W.s von  Wölfflin,  Bode und  Max J. Friedländer geprägtes Verständnis von
Kunstwissenschaft gründete sich auf Anschauung und Kennerschaft; es mündete in
einer positivistisch verstandenen, auf exakten Daten aufbauenden, sorgfältigen Stil-
kritik. Ästhetische Spekulationen, wissenschaftlich-theoretische Systeme oder iko-
nographische Probleme waren W. im Grunde fremd. Seine Forschungen galten fast
ausschließlich der niederländischen und der deutschen Malerei des Spätmittelalters,
einschließlich der Buchmalerei, und der Graphik. Mit seiner Geschichte der »altnie-
derländischen« Malerei, die 1924 – im selben Jahr wie die ersten Bände von Fried-
länders Werk – erschien, erweiterte und präzisierte W. das Wissen auf diesem Gebiet
in großenteils bis heute gültiger Weise.
W. studierte Kunstgeschichte in Wien, Berlin und Freiburg i.B. und promovierte
510 Winkler

1912 bei  Vöge mit Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Danach war
er für kurze Zeit Redaktionsmitglied des  Thieme-Becker-Künstlerlexikons, für
das er über 35 Artikel verfaßte.Von Dresden, wo er als Assistent an der Gemäldega-
lerie tätig war, holte ihn Bode 1915 an die Berliner Museen. Hier wurde er zuerst
Leiter der Zentralbibliothek, die er zu einer bedeutenden Forschungsstätte für Ar-
chäologie und Kunstgeschichte ausbaute. 1933 trat W. die Nachfolge Elfried Bocks
(1876–1933) als Direktor des Kupferstichkabinetts an. Neben diesem Amt, das er bis
zu seiner Pensionierung 1957 ausübte, lehrte W. in der Nachkriegszeit an den Ber-
liner Universitäten.
W.s von Friedländer und Georges Hulin de Loo angeregte Geschichte der nie-
derländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts war die erste überzeugende
Gesamtdarstellung dieser Periode. Sie verband »die ästhetisch entwicklungsge-
schichtliche Betrachtungsweise« mit der »allgemeingeschichtlichen«, ohne die jene
unfruchtbar wäre. W. erforschte außerdem grundlegend das Werk des Justus von
Gent und das der niederländischen Romanisten Jan van Scorel und Jan Gossaert.
Am Ende seines Lebens publizierte er eine große Monographie über Hugo van der
Goes, der mit Hauptwerken in der Berliner Galerie vertreten war. Auch hier konnte
er, an Friedländer und andere anknüpfend, mit strenger Stilkritik und aufgrund von
Kopien verlorengegangene Originale die bis heute anhaltende Diskussion um die
Chronologie der Werke des Genter Malers, der nicht viel mehr als eineinhalb Jahr-
zehnte tätig war, voranbringen.
Den Ansatzpunkt zur intensiven Beschäftigung mit Dürer bildete die Herausgabe
des 6. und 7. Bandes der Zeichnungen aus dem Nachlaß  Lippmanns (1927, 1929).
Mit seiner Publikation (Die Zeichnungen Albrecht Dürers, 1936–39) bot W. eine eigene
Auswahl, die das noch bei seinem Vorgänger unübersichtlich nach Sammlungen
zusammengestellte Material chronologisch und systematisch ordnete. Für die Reihe
Klassiker der Kunst bearbeitete er die vierte Auflage des Dürer-Bandes gänzlich neu
und fügte zum Kern des gesicherten Œuvres das damals noch umstrittene Früh-
werk hinzu (1928); mit diesem Thema befaßte sich W. noch einmal in seinem 1951
erschienenen Buch Dürer und die Illustrationen zum Narrenschiff. Den Schlußpunkt
unter Dürer setzte er 1957 mit einer Monographie, in der er den Künstler – nach
Wölfflins formgeschichtlicher Arbeit (1905) und  Panofskys geistesgeschichtlich-
ikonographischer Deutung (1943) – in einer stilkritischen und positivistisch-histo-
ristischen Gesamtschau würdigte.
Wie seine Vorgänger Lippmann,  Lehrs und Friedländer bemühte sich W. um
die Vermehrung der Zeichnungen deutscher Meister des 15. und 16. Jahrhunderts
im Berliner Kupferstichkabinett. In den wenigen Jahren vor Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges gelang ihm die Erwerbung von 60 Blättern der Sammlung Ehlers mit
kostbaren Zeichnungen von Holbein d.Ä, Dürer, Grünewald, Stoß sowie einiger
Blätter aus der Braunschweiger Sammlung Blasius, darunter Dürers frühe Meister-
zeichnung Maria mit dem Kinde. 1935 entdeckte W. in der Sammlung der Zeichnun-
gen der Berliner Nationalgalerie Dürers Papstkopf, eine Pinselstudie für das Rosen-
kranzbild in Prag, die man wegen der rückwärtigen Beschriftung mit dem Namen
Overbeck lange Zeit für ein Bild des Nazareners gehalten hatte.
W. war auch als Herausgeber kunsthistorischer Periodika tätig, seit 1916 des Jahr-
Winkler 511

buchs der Preußischen Kunstsammlungen, der Amtlichen Berichte der Berliner Museen und
der Zeitschrift Pantheon; im Auftrag des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft
betreute er die Denkmäler der Deutschen Kunst und die Zeitschrift des Deutschen Vereins
für Kunstwissenschaft sowie seit 1942 die Heimbücher der Kunst des Hopfer-Verlages.
W. hatte entscheidenden Anteil an der Wiederbelebung des Deutschen Vereins für
Kunstwissenschaft und gehörte zu den aktiven Mitgliedern der Berliner Kunstge-
schichtlichen Gesellschaft.

Werke: Loyset Liédet, der Meister des golde- 175–178; Der Stifter des Lebensbrunnens und
nen Vlieses, und der Breslauer Froissart, in: andere Van-Eyck-Fragen, in: ebd., 188–193,
RfKw, 34, 1911, 222–231; Der Meister von 255–259; Jan Nagel, in: WRJb, 1933/34, 289–
Flémalle und Rogier van der Weyden. Stu- 294; Simon Marmion, in: Pantheon, 13, 1934,
dien zu ihren Werken und zur Kunst ihrer 65–72; Dürers Studie zum Kopf des Papstes
Zeit mit mehreren Katalogen zu Rogier, Str im Rosenkranzbild, in: JbPK, 1935, 1–5; Zum
1913; Gerard David und die Brügger Minia- Gedächtnis an Wilhelm von Bode, Bln 1935;
turmalerei seiner Zeit, in: MfKw, 6, 1913, Die Zeichnungen Albrecht Dürers, 4 Bde.,
271–280; Der Brügger Meister des Dresdner Bln 1936–39; Hans Baldung Grien. Ein unbe-
Gebetsbuches und seine Werke, in: JbPK, kannter Meister deutscher Zeichnung, Burg
1914, 225–244; Studien zur Geschichte der b. Magdeburg 1939; Altdeutsche Meister-
niederländischen Miniaturmalerei des 15. und zeichnungen aus der Sammlung Ehlers im
16. Jh.s, in: JbKSAK, 1915, 280–342; Ein vor- Berliner Kupferstichkabinett, Bln 1939; Ru-
italienisches Werk des Justus von Gent, in: bens. Flämisches Volkstum, flämische Land-
ZfbK, 51 (27), 1916, 321–327; Über verschol- schaft, Burg b. Magdeburg 1940; Der Kra-
lene Bilder der Brüder van Eyck, in: JbPK, kauer Behaim-Kodex. Mit einer rechts-
1916, 287–301; Cui Bono? Ein Angriff auf geschichtlichen Studie v. Johann Werner
Bode, in: ZfbK (Beilage), 54 (30), 1919, 175– Niemann, Bln 1941; Altdeutsche Tafelmalerei,
177; Reisefrüchte, in: ZfbK, 55 (31), 1919/20, Mü 1941; Die Zeichnungen Hans Süss von
195–206, 225–232, 252–256; Bibliotheksfragen Kulmbachs und Hans Leonhard Schäufeleins,
und Kunstpflege, in: ebd., 837–841; Die An- Bln 1942; Aus der Sammlung Curt Bohne-
fänge Jan Gossaerts, in: JbPK, 1921, 5–19; Die wand (mit Otto von Falke), Mü 1942; Augs-
nordfranzösische Malerei im 15. Jh. und ihr burger Malerbildnisse der Dürerzeit, Bln
Verhältnis zur altniederländischen Malerei, in: 1948; Maler und Reißer vordürerischer Zeit,
Belgische Kunstdenkmäler, Bd. 1, hrsg. v. Paul in: ZDVKw, 3, 1949, 63–70; Der sogenannte
Clemen, Mü 1923, 247–268; Die altniederlän- Doppelgänger und sein Verhältnis zu Dürer,
dische Malerei. Die Malerei in Belgien und in: MJbbK, 1, 1950, 177–186; Dürers Baseler
Holland von 1400–1600, Bln 1924; Konrad und Straßburger Holzschnitte. Bemerkungen
Meits Tätigkeit in Deutschland, in: JbPK, über den Stand der Forschung, in: ZfKw, 5,
1924, 34–61; Die flämische Buchmalerei des 1951, 51–56; Dürer und die Illustrationen zum
15. und 16. Jh.s. Künstler und Werke von den Narrenschiff, Bln 1951; Die großen Zeichner,
Brüdern van Eyck bis zu Simon Bening, Lpz Bln 1951; Der Marburger Grünewald-Fund,
1925; Neues von Hubert und Jan van Eyck, in: ZfKw, 6, 1952, 155–180; Einige Ergebnisse
in: FS Max J. Friedländer, Lpz 1927, 91–102; der Eyck-Forschung, in: ACIA, 1955, 237–246;
Zeichnungen von Albrecht Dürer in Nach- Rez. von Erwin Panofsky, Early Netherlan-
bildungen, Bd. 6 u. 7, Bln 1927/29; Dürer. dish Painting (1953), in: KChr, 8, 1955, 9–12,
Des Meisters Gemälde, Kupferstiche und 21–26; Ein unbeachtetes Eycksches Werk, in:
Holzschnitte, 4. Aufl., Stg/Bln/Lpz 1928 FS Edwin Redslob, Bln 1955, 90–95; A Sua-
(Hrsg.); Verkannte und unbeachtete Zeich- bian Artist of about 1480, in: ArtQu, 19, 1956,
nungen des Hans von Kulmbach, in: JbPK, 255–263; Albrecht Dürer. Leben und Werk,
1929, 11–44; Ein Kölnisches Gebetbuch aus Bln 1957; Hans von Kulmbach. Leben und
der Mitte des 15. Jh.s, in: WRJb, 1930, 110– Werk eines fränkischen Künstlers der Dürer-
113; Skizzenbücher eines rheinischen Mei- zeit, Kulmbach 1959; Max J. Friedländer, in:
sters um 1500, in: ebd., 123–152; Neue Werke JbBM, 1959, 161–167; Jos Ammann von Ra-
des Meisters Michiel, in: Pantheon, 7, 1931, vensburg, in: ebd., 1, 1959, 51–118; Lucas van
512 Winkler

Leyden (mit Max J. Friedländer), Bln 1963; in: BM, 107, 1965, 576–579; Anzelewsky, Fedja:
Das Werk des Hugo van der Goes, Bln 1964 F.W., in: Pantheon, 23, 1965, 185–186; Waet-
Literatur: FS F.W., Bln 1959 (Bibliogr.); zoldt, Stephan: F.W., in KChr, 18, 1965, 134–
Müller, Theodor: F.W., in: JbBAdW, 1965, 1–4; 135; Gabelentz, Hanns-Conon von der: F.W.,
Arndt, Karl: Rez. von »Das Werk des Hugo in: Kulturspiegel Altenburg, 1966, 66–67;
van der Goes«, in: DLZ, 86, 1965, 783–786; Arndt, Karl: Konstellationen. Bode, Tschudi,
Wescher, Paul: Rede auf der Gedenkfeier für Friedländer, W. – die altniederländische Ma-
F.W. am 31. 5. 1965, in: SberKg, 15, 1965, 12– lerei in den Berliner Sammlungen, in: JbBM,
15; Möhle, Hans: Gedenkrede auf F.W., in: 1996 (Beiheft), 57–71
JbBM, 1965, 5–14; Schilling, Edmund: F.W., JZ

Wittkower, Rudolf
Geb. 22. 6. 1901 in Berlin; gest. 11. 10. 1971 in New York

Als »erfolgreichsten Erforscher der neueren Architekturgeschichte von Brunellesco


und Alberti her« und »überragenden Kenner aller Kunst der Barockzeit, besonders
in Italien und England«, Autor bedeutender Untersuchungen zur Ikonologie und
zur Sozialgeschichte des Künstlers sowie maßgeblichen Anreger der Architekturfor-
schung in den USA würdigte ihn 1973  Keller. Ohne eine neue Methode vorzu-
tragen, sah W. es als das Recht und die Pflicht des Kunsthistorikers an, dem Leser
seiner Bücher die »eigene Sicht der Vergangenheit« zu unterbreiten, die sich bei ihm
auf umfassende Werk- und Quellenkenntnisse gründete, und den Verlauf der Kunst-
geschichte, auf den nach seiner Einsicht historische Umstände und Auftraggeber
erheblich einwirkten, an den wirklich wertvollen und historisch bedeutsamen Wer-
ken und größten Künstlern zu verstehen, nicht an den Hunderten, die nur deren
Echo und Abwandlungen verkörperten (Art and Architecture in Italy 1600–1750, 1958).
W.s Ziel war es, die Geschichte von Künstlern, Stilen und Techniken und die Ge-
schichte von Ideen und Konzepten, die den Kunstwerken zugrundelagen, zu ermit-
teln. Einer dogmatischen Gültigkeit von Forschungsmethoden stand er ebenso ab-
lehnend gegenüber wie einer starren Periodisierung der Kunstgeschichte.
Dem Sohn eines englischen Börsenmaklers und einer Deutschen wurde ein
nüchternes Berliner Naturell nachgesagt, wozu englische Gelassenheit trat, die ihn
Probleme konkret behandeln und offen benennen ließ. W. studierte in München
und Berlin, wo er 1923 nach ersten Italienreisen mit Untersuchungen über verone-
sische Maler der Hochrenaissance, die jahrzehntelang unübertroffen blieben, bei
 Goldschmidt promovierte und die spätere Möbeldesignerin Margot Holzmann
(1902–1995) heiratete, mit der er später auch gemeinsam publizierte. 1923–33 be-
stimmte er als Assistent und seit 1928 Institutsmitglied die Arbeitsintensität an der
Bibliotheca Hertziana in Rom und vollendete die von deren Gründungsdirektor
Ernst Steinmann (1866–1934) begonnene Michelangelo-Bibliographie. Der Archi-
tektur Michelangelos widmete er wegbahnende Untersuchungen. Als erster wandte
er den Begriff »Manierismus« auch auf die Baukunst an. Gleichzeitig begann er
seine grundlegende Erforschung der römischen Barockplastik und besonders der
Zeichnungen Berninis. Als Jude 1933 entlassen und an der Habilitation gehindert,
emigrierte W. nach London, wo er 1934–56 Mitarbeiter des  Warburg-Instituts
Wittkower 513

und Mitherausgeber von dessen Jahrbuch wurde, 1946 einen Lehrauftrag für die
»Geschichte der klassischen Tradition in der Kunst« und 1949 eine Professur für
Kunstgeschichte an der Universität erhielt. Er arbeitete seine in Rom gewonnenen
Erkenntnisse auf, wandte sich auch der englischen Architekturgeschichte und damit
den Nachwirkungen Palladios zu und vertiefte sich in ikonologische und motivge-
schichtliche Untersuchungen. Über Renaissance- und Barockarchitektur, speziell
Bernini, und Zeichnungen erschienen grundlegende Veröffentlichungen. Nach
Gastprofessuren 1954 und 1955 leitete W. dann 1956–69 das Department für Kunst-
geschichte und Archäologie an der Columbia University in New York. Bei vielen
Kongressen und den Palladio-Vorlesungen in Vicenza war er ein geschätzter Refe-
rent. Nach der Emeritierung übernahm W. Gastprofessuren 1969–70 an der National
Gallery in Washington sowie 1970–71 an der Universität Cambridge in England
zum Thema »Theorie und Praxis der Skulptur«. 1971 wurde er noch Mitglied des
Institute for Advanced Study in Princeton.
In einer frühen kritischen Bemerkung zu einer Buchbesprechung  Sedlmayrs,
des Verfechters einer strukturanalytischen »zweiten Kunstwissenschaft«, meinte W.,
die theoretische Überspitzung verbaue diesem den Zugang zum Einzelwerk und
lösche den persönlichen Stil eines Künstlers aus (1930–32). Seine Skepsis gegenüber
einer objektiven und dauerhaften Gültigkeit von Interpretationen und der Rolle
des mit einer bestimmten Theorie operierenden Kunsthistorikers und -kritikers,
dieses »Medizinmanns, der die Emotionen des modernen Stammes lenkt und häufig
Symbole [erst] erzeugt«, nahm später noch zu. Ähnlich wie sein Freund  Panofsky
benannte er in einem höchst erhellenden Aufsatz vier Sinnschichten oder Bedeu-
tungsebenen jeder Darstellung und zeigte die kulturhistorisch bedingten Grenzen
ihrer Verständlichkeit auf. Da ihm klar war, daß erst die emotionale, in einem intui-
tiven Zugang erfolgende Teilnahme an (besonders älteren) Kunstwerken »die Künste
zu einem lebendigen Erbe macht«, wies er der Wissenschaft die Aufgabe zu, die
historischen Determinanten der emotionalen Reaktionen, auch die »kaum zu un-
terschätzende Wichtigkeit kollektiver Fehlinterpretationen« zu untersuchen. »An-
statt sich nach der Funktion aller Kunst zu fragen, sollten wir bescheidener sein und
fragen: Was war oder ist die Absicht von diesem oder jenem einzelnen Kunstwerk?
[...] Tatsächlich haben die meisten Kunstwerke ebensogut potentiell magischen wie
auch ästhetischen Charakter. Ein Idol kann ein Objekt ästhetischer Betrachtung
werden und umgekehrt [...]. Aufgabe ist nicht länger die Beschreibung und Klassi-
fikation von Phänomenen, sondern die Erforschung von Funktion und Bedeutung«
(Interpretation of Visual Symbols in the Arts, 1955).
Historische Genauigkeit, die aus der Kenntnis zahlreicher, häufig erstmals über-
setzter Schriftquellen erwuchs, kennzeichnete auch die Sozialgeschichte des Künst-
lers von der Antike bis zur Französischen Revolution, die W. gemeinsam mit seiner
Frau vorlegte, um unter anderem einer ausschließlich psychoanalytischen Erklärung
des Kunstschaffens zu widersprechen und die historischen Ursachen für das Entste-
hen und die Wandlungen eines berufsspezifischen, von den anderen Zeitgenossen
»entfremdeten« Menschentypus »Künstler« aufzuhellen. Durch den quellenmäßig
belegten Nachweis von Vorgängen und Verhaltensweisen, darunter auch »unmorali-
schen« oder gewinnsüchtigen, die in der Fachliteratur gern verschwiegen wurden,
514 Wittkower

räumte er mit idealisierenden Klischeevorstellungen auf, ohne damit den Wert und
die fortwirkende Bedeutung künstlerischer Leistungen herabzusetzen (Born under
Saturn, 1963).
W.s immense Sachkenntnisse und stilanalytische Fähigkeiten ließen ihn eingefah-
rene Ansichten in Frage stellen, komplexe Sachverhalte unschematisch auffassen
und in behutsamen Formulierungen neue Verständnisansätze vorschlagen. Er be-
tonte beispielsweise die Unterschiede der italienischen Renaissance zum klassischen
Griechenland und sah in der Antikenachahmung nicht die Ursache, sondern erst
das Ergebnis eines kulturellen Wandels. Kennzeichnend für W.s Berücksichtigung
von Auftraggebern war etwa die folgende Formulierung in Art and Architecture in
Italy 1600–1750: »So etwas wie ein ›Stil Sixtus V.‹ entwickelte sich und blieb während
des Pontifikats von Clemens VIII. und sogar in gewissem Maße noch während
desjenigen von Paul V. im Schwange. Diesen Stil könnte man als akademische ultima
maniera charakterisieren, eine Manier, die nicht anti-manieristisch und revolutionär
im Sinne der neuen revolutionären Kunst von Caravaggio und den Carraccis ist,
aber dazu neigt, manieristische Komplexität aufzulösen, ohne manieristischen For-
malismus preiszugeben. Er ist oft plump und langweilig, gelegentlich sogar schrill
und vulgär, und wird doch nicht selten von einer Schattierung von verfeinertem
Klassizismus unterstützt.«
Seit W. als Student eine Vorlesung des Orientarchäologen  Herzfeld besucht
hatte, faszinierte ihn die Frage nach der Aufnahme, die außereuropäische Kunst in
der des »Abendlandes« gefunden hatte. Ihr widmete er 1969 seine letzte Vorlesung
vor der Emeritierung. Obwohl seine Beispiele von der sumerischen Kunst bis zu
Picasso reichten und er sich auf Henry Moore berief, konzentrierte er sich doch auf
Vorgänge des 15. bis 18. Jahrhunderts und ließ auch die Einwirkungen der »nordi-
schen« Kunst beiseite. Im wissenschaftlichen Streit zwischen Anhängern der Auffas-
sung von einem unabhängigen, parallelen Auftreten gleicher Formen und Motive
in verschiedenen Kulturen und den »Diffusionisten« entschied er sich eindeutig für
die letzteren. Seine »Testfälle« belegten die Existenz der verschiedenen historischen
Wege von Künstlerwanderung, Übertragung von Vorbildern und Verbreitung von
Anregungen (Selected Lectures. The Impact of Non-European Civilizations on the Art of
the West).
Werke: Studien zur Geschichte der Malerei 218; Le Bernin et le Baroque romain, in:
in Verona, I–III, in: JbKw, 1924/25, 269–289 u. GBA, 76, 1934, 327–341; Pietro da Cortonas
1927, 185–222; Die vier Apostelstatuen des Ergänzungsprojekt des Tempels in Palestrina,
Camillo Rusconi im Mittelschiff von S. Gio- in: FS Adolph Goldschmidt, Bln 1935, 137–
vanni in Laterano in Rom, in: ZfbK, 60 (36), 143; Carlo Rainaldi and the Roman Archi-
1926/27, 9–20, 43–49; Michelangelo-Biblio- tecture of the Full Baroque, in: ArtB 19, 1937,
graphie 1510–1926 (mit Ernst Steinmann), 242–313; Patience and Chance, in: JWCI, 1,
Lpz 1927; Die Zeichnungen des Gianlorenzo 1937/38, 171–177; Chance, Time, and Virtue,
Bernini (mit Heinrich Bauer), 2 Bde., Bln in: ebd., 313–321; The Drawings of Nicolas
1931; Zu Hans Sedlmayrs Besprechung von Poussin (mit Anthony Blunt u. Walter Fried-
Eduard Coudenhove-Erthals Carlo Fontana, laender), 1, Lo 1938, 2, Lo 1949; Transforma-
in: KBLit, 3/4, 1930/31 u. 1931/32, 142–145; tion of Minerva in Renaissance Imagery, in:
Miscellen. Zur Peterskuppel Michelangelos, JWCI, 2, 1938/39, 194–205; Eagle and Ser-
in: ZfKg, 2, 1933, 348–370; Michelangelo’s Bi- pent, a Study in the Migration of Symbols, in:
blioteca Laurenziana, in: ArtB, 16, 1934, 123– ebd., 293–325; A Counter-project to Bernini’s
Wittkower 515

Piazza di S. Pietro in: JWCI, 3, 1939/40, 88– Panofsky, NY 1961, Bd. 1, 497–531; Piranesi as
106; Marvels of the East. A Study in the Hi- Architect, in: AKat. Piranesi, Northampton/
story of Monsters, in: ebd., 5, 1942, 159–197; MA, 1961, 99–109; Cornacchinis Reiterstatue
Principles of Palladio’s Architecture, in: ebd., Karl des Großen in St. Peter, in: FS Leo
7, 1944, 102–122, u. 8, 1945, 68–106; Lord Bruhns, Mü 1961, 464–473; Art History as a
Burlington and William Kent, in: Archaeolo- Discipline, in: Winterthur Seminar on Mu-
gical Journal, 102, 1945, 151–164; British Art seum Operation and Connaisseurship 1959,
and the Mediterranean (hrsg. mit Fritz Saxl), Winterthur/DE 1961, 55–69; Born under Sa-
Lo 1948 (darin: Pseudo-Palladian Elements in turn (mit Margot W.), Lo 1963 (dt. 1965); La
English Neoclassical Architecture, 142–153); cupola di San Pietro di Michelangelo, Fl 1964;
Inigo Jones, »puritanissimo fiero«, in: BM, 90, Nanni di Baccio Bigio and Michelangelo, in:
1948, 50–51; Architectural Principles in the FS Ulrich Middeldorf, Bln 1968, 248–262;
Age of Humanism, Lo 1949 (dt. 1969); Death Gothic vs. Classic. Architectural Projects in
and Resurrection in a Picture of Marten de 17th Century Italy, NY 1974; Sculpture. Pro-
Vos, in: Miscellanea Leo van Puyvelde, Brüs- cesses and Principles, Lo/NY 1977; Allegory
sel 1949, 117–123; The Drawings of the Car- and the Migration of Symbols, Boulder/Lo
racci in the Collection of Her Majesty the 1977 (dt. 1984); Idea and Image. Studies in the
Queen at Windsor Castle, Lo 1952; Bernini Italian Renaissance, hrsg. v. Margot W., Lo
Studies, in: BM, 94, 1952, 68–76, u. 95, 1953, 1978; Selected Lectures: The Impact of Non-
19–22, 138–141; The Artist and the Liberal European Civilizations on the Art of the
Arts, Lo 1952; Brunelleschi and »Proportion West, Vorw. v. Margot W., Cam/MA 1989
in Perspective«, in: JWCI, 16, 1953, 275–291; Literatur: Boeck, Wilhelm: Rez. von »Gian
Rez. von Ernst Wüsten, Die Architektur des Lorenzo Bernini«, in: KChr, 9, 1956, 361–366;
Manierismus in England (1951), in: Erasmus, Essays in the History of Art, presented to
7, 1954, 614–617; Gian Lorenzo Bernini, the R.W., 2 Bde., Lo 1967 (Bibliogr.); Lewine,
Sculptor of the Roman Baroque, Lo 1955; In- Milton J.: R.W., in: CArtJ, 31, 1971/72, S. 236;
terpretation of Visual Symbols in the Arts, in: Hibbard, Howard: R.W., in: BM, 114, 1972,
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Art and Architecture in Italy, 1600 to 1750, R.W., in: KChr, 26, 1973, 341–345; Payne,
Harmondsworth 1958; The Changing Con- Alina: R.W. and Architectural Principles in
cept of Proportion, in: Daedalus, 89, 1960, the Age of Modernism, in: JSAH, 53, 1994,
199–215; Individualism in Art and Artists. A 322–342; Romano, Giovanni: Storie dell’arte.
Renaissance Problem, in: Journal of the His- Toesca, Longhi, W., Previtali, Rom 1999, 790–
tory of Ideas, 2, 1961, 291–302; The Vicissitu- 799
des of a Dynastic Monument. Bernini’s PHF
Equestrian Statue of Louis XIV, in: FS Erwin

Wölfflin, Heinrich
Geb. 21. 6. 1864 in Winterthur; gest. 19. 7. 1945 in Zürich

Fast am Ende seines Lebens, anläßlich der Aufnahme in die Österreichische Akade-
mie der Wissenschaften im Jahre 1942, umschrieb W. in einer Selbstbiographie sei-
nen Beitrag zur Kunstwissenschaft mit den schlichten Worten: »Es sind durchweg
grundsätzliche Fragen, Fragen nicht der Künstlergeschichte, sondern der Kunstge-
schichte, mit der Tendenz, dem Spezifischen in der anschaulichen Kunst nach Kräf-
ten zu seinem Recht zu verhelfen.« In kritischer Distanz zur historistischen Kunst-
geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts stehend, hieß Kunstforschung für W. über
die Künstlerpersönlichkeit und das kulturelle Umfeld, zunächst auch über die
Kunstwerke, hinauszugelangen zu einer allgemeinen Stilgeschichte, die er sich als
eine von immanenten Gesetzen bestimmte Geschichte der künstlerischen Anschau-
516 Wölfflin

ungen, der »Bildformen«, dachte. Erst vor diesem Wissenshintergrund erschien es


ihm sinnvoll, ja überhaupt möglich, Kunstwerke zu verstehen. Auf das »Erklären«
der Kunstwerke kam es W. an, und insofern stand bei ihm der Gelehrte und Theo-
retiker im Dienste des Lehrers und Erziehers. W. sah es als eine vordringliche Auf-
gabe an, seine Leser, vor allem aber seine Zuhörer, zum richtigen »Sehen« zu erzie-
hen – er konnte eine ganze Vorlesung einem einzigen Werk widmen –, und dies
hieß, nicht nur den Gegenstand und das Thema verstehen, sondern vor allem die
Form und die Struktur erfassen. W., für den sich die Kunstwissenschaft nur dadurch
legitimieren konnte, daß sie auf Bedürfnisse der Gegenwart reagierte, gehörte wie
 Riegl und  Schmarsow einer Generation von Kunsthistorikern an, die die
Emanzipation ihrer Wissenschaft zu vollenden trachteten, indem sie die Kunstge-
schichte als Formgeschichte begriffen. Dieses neue Paradigma entsprach W.s Über-
zeugung nach dem »Interesse des modernen Publikums«, das, geprägt durch die
Kunstentwicklung seit dem Impressionismus, sich »wieder mehr den eigentlichen
Fragen« zuwenden wollte (Klassische Kunst, 1899).
Seit 1875 lebte W.s Familie in Deutschland. Der Vater Eduard W., ein angesehener
Altphilologe, Herausgeber des Thesaurus linguae latinae, war Professor in Erlangen,
dann in München, wo W. 1882–86 studierte, nur unterbrochen von einigen Seme-
stern in Basel und Berlin. Von seinen Lehrern waren wegweisend: der Kulturhisto-
riker Wilhelm Heinrich von Riehl, der Literaturhistoriker Michael Bernays, die
Archäologen Heinrich Brunn, Ernst Curtius und Adolf Furtwängler, die Philoso-
phen Johannes Volkelt und Wilhelm Dilthey, der Historiker Heinrich von Treitschke
und nicht zuletzt  Burckhardt. Anfangs galt W.s besondere Zuneigung der Philo-
sophie und der Psychologie. Erst auf der Reise nach Italien und Griechenland von
1886/87 fiel die Entscheidung für die Kunstgeschichte.
Die von Volkelt angeregte Dissertation Prolegomena zu einer Psychologie der Archi-
tektur (1886) warf die Frage auf: »Wie ist es möglich, daß architektonische Formen
Ausdruck eines Seelischen, einer Stimmung sein können?« Anknüpfend an die Ein-
fühlungspsychologie Volkelts, Lotzes und  Robert Vischers meinte W., daß sich in
der Architektur die »leibliche Organisation« des Menschen ausdrücke; sie sei »die
Form, unter der wir alles Körperliche auffassen«. Nach W.s Überzeugung hatten
weder der materialistische Ansatz  Sempers noch die kulturgeschichtliche Kunst-
geschichtsschreibung  Lübkes die Stilentstehung erklären können; die Psychologie
dagegen biete dem Kunsthistoriker festen Grund, sie zeige den inneren Zusam-
menhang zwischen dem Stil und dem Körper- oder Formengefühl eines Volkes zu
einem bestimmten Zeitpunkt auf. W. hielt die Zeit für gekommen, zu den exakten
Naturwissenschaften aufzuschließen, das heißt, sich nicht länger mit dem bloßen
Konstatieren und Aneinanderreihen historischer Fakten zu begnügen, sondern mit
Hilfe der Psychologie und ihrer Theorien zu nomologischen Erklärungen vorzu-
dringen.
Mit der Habilitationsschrift (Renaissance und Barock, 1888) hatte W. sein kunstge-
schichtliches Tätigkeitsfeld, die italienische Kunst des 15.–17. Jahrhunderts, gefunden,
das er folgerichtig nicht als empirischer Forscher betrat, sondern als Theoretiker
und Methodologe, dem jene »grundsätzlichen« Fragen am Herzen lagen, wie die
nach den Gesetzen des Stilwandels und dem Wesen des Klassischen. Auch W. teilte
Wölfflin 517

noch die herkömmliche Meinung vom Barock als jenem Stil, »in den die Renais-
sance entartet« war; wichtiger war ihm jedoch, den gesetzmäßigen Charakter dieses
Stilwandels aufzuzeigen. Dabei bediente er sich einfühlungspsychologisch legiti-
mierter Charakterisierungsbegriffe – er bezeichnete den Barock als »malerischen«
und »großen« Stil und als Stil der »Massigkeit« und »Bewegung« –, aus denen später
die kunstgeschichtlichen Grundbegriffe hervorgingen. Dem theoretischen Teil des
Textes ließ W. einen historischen folgen, in dem sich deutlich der Einfluß von
Burckhardts Baukunst der Renaissance (1867) zeigt; hier analysierte er einzelne Bau-
typen nach jenen formalen Kriterien.
1888 reiste W. für längere Zeit nach Paris. Offenbar spielte er mit dem Gedanken,
nun dem französischen Barock eine größere Arbeit zu widmen; erwogen wurde
auch ein Buch über Poussin. Burckhardt, zu dem sich in den folgenden Jahren die
Beziehungen vertieften, brachte ihn davon ab. Es folgten mehrere Italienreisen. W.
wandte sich Michelangelo und der Hochrenaissance zu. 1893 wurde er Burckhardts
Nachfolger auf dem Kunstgeschichtslehrstuhl in Basel. Seine Antrittsvorlesung wid-
mete er Raffaels Sixtinischer Madonna und der Kunst der Hochrenaissance. Mit sei-
nem neuen Forschungsthema nahm W. nicht zuletzt Stellung zur Gegenwart, an der
er ein »Behagen am Unklaren« und Formlosigkeit diagnostizierte und die, was die
Kunstgeschichte betraf, mehr für die helle, muntere, naive Welt des Quattrocento
eingenommen sei als für das Cinquecento, »seine große Gebärde, [...] maßvolle
Haltung und [...] weiträumige [...] starke Schönheit«.
Sein Burckhardt gewidmetes, erstes bedeutendes Buch Die klassische Kunst (1899)
trat für Leonardo, Raffael, Michelangelo und das Klassische als ein Kunstideal ein,
das er in der Gegenwart durch Hans von Marées, Arnold Böcklin und Adolf von
Hildebrand vertreten sah. In Hildebrands Schrift Das Problem der Form (1893), auf
die sich W. im Vorwort berief, sah er eine Bestätigung seiner Auffassung von der
Form als dem spezifisch Künstlerischen des Kunstwerks. Nicht ausdrücklich er-
wähnt wird  Konrad Fiedler, ohne dessen formalistische Kunsttheorie und Lehre
vom »Anschauungsbild« aber weder diese Arbeit noch später die Grundbegriffe mit
ihren »Sehformen« oder »Anschauungsformen« vorstellbar sind. Das Quattrocento
reduzierte W. zu einer Art Präludium, betrachtete es aber als notwendige Vorausset-
zung der Hochrenaissance. Dann folgen die Formanalysen der Hauptwerke, die
bezeichnenderweise das biographische und kulturelle Umfeld unberücksichtigt
lassen. Im systematischen zweiten Teil des Buches kommt der Autor zu dem folgen-
reichen Schluß, daß »Quattrocento und Cinquecento als Stilbegriffe mit einer
stofflichen Charakteristik nicht zu erledigen [sind]. Das Phänomen hat eine dop-
pelte Wurzel und weist auf eine Entwicklung des künstlerischen Sehens, das von
einer besonderen Gesinnung und von einem besonderen Schönheitsideal im we-
sentlichen unabhängig ist«.
Ehe W. das Stilproblem weiterverfolgte, wechselte er 1901 als Nachfolger
 Grimms an die Berliner Universität. 1905 erschien sein Dürer-Buch, in dem in
bewußtem Kontrast zur bisherigen Rezeptionsgeschichte des Künstlers der Akzent
auf dem »Künstlerischen«, nicht auf dem »Biographischen« lag. Aber auch W. ver-
knüpfte mit Dürer die seit der Romantik für die deutsche Kunstgeschichtsschrei-
bung fundamentale Frage nach dem Verhältnis der deutschen Kunst und Kultur zu
518 Wölfflin

Italien. W. fand, daß Dürer, der aus innerer Notwendigkeit nach dem Süden gegan-
gen war, dort viel Kraft verloren habe. Er griff dieses Thema noch einmal in seiner
letzten größeren Arbeit (Italien und das deutsche Formgefühl, 1931) auf. In ihr wollte
er die »formpsychologischen Voraussetzungen« für das unterschiedliche Formgefühl
des Nordens und des Südens als Voraussetzung einer kunstgeschichtlichen Darstel-
lung aufzeigen und dem deutschen Italienreisenden das Verständnis für jene andere
Formenwelt erleichtern.
1910, im Jahr der Aufnahme – als erster Kunsthistoriker überhaupt – in die Preu-
ßische Akademie der Wissenschaften, erreichte W. eine Berufung an die Münchner
Universität, wo er bis 1924 »kathederte«. Hier schrieb er, anknüpfend an den Berli-
ner Akademievortrag vom 7. Dezember 1911, die Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe
(1915), das wohl meistgelesene deutschsprachige kunstgeschichtliche Buch des 20.
Jahrhunderts. W. exemplifizierte hier an Renaissance und Barock seine ausgereifte
Stiltheorie, die vom Primat der Form vor allem Ausdruckshaften und Inhaltlichen
sowie einer immanenten Gesetzmäßigkeit der Stilentwicklung ausging, zwar von
einzelnen Künstlerpersönlichkeiten vollzogen, aber nicht bestimmt. W. prägte später
das Schlagwort von der »Kunstgeschichte ohne Namen«.Von einer doppelten Wur-
zel des Stils war noch immer die Rede, aber die äußeren gesellschaftlichen Faktoren
hatten keine Bedeutung mehr. Die Stilmerkmale, die »Sehformen« der Renaissance
und des Barock, faßte W. in fünf antithetischen, wertneutralen Begriffspaaren zu-
sammen: linear-malerisch, Fläche-Tiefe, geschlosse Form-offene Form, Vielheit-
Einheit, Klarheit-Unklarheit.
Die bald nach dem Erscheinen der Grundbegriffe einsetzende, langandauernde
Diskussion, an der sich der Verfasser mit mehreren Stellungnahmen (In eigener Sache.
Zur vierten Auflage meiner »Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe«, 1920; »Kunstgeschichtli-
che Grundbegriffe«. Eine Revision, 1933) beteiligte, erfaßte die gesamte Kunstwissen-
schaft. Nennenswerte Beiträge lieferten dazu Schmarsow,  Dehio,  Voss,  Pa-
nofsky,  Schlosser,  Wulff ,  Goldschmidt,  Brinckmann,  Frankl und
Benedetto Croce.
1924 ging W. in seine Schweizer Heimat zurück. An der Universität Zürich lehrte
er bis 1934, blieb allerdings in Distanz zur Fakultät und nahm keine Doktoranden
mehr an. In seiner Antrittsvorlesung über Die geschichtliche Betrachtung der Kunst
nahm er Stellung zu  Dvoák und zur »Kunstgeschichte als Geistesgeschichte«, die
die formanalytische Methode nach dem Ersten Weltkrieg zu verdrängen begann,
und bekräftigte noch einmal seine Überzeugung, daß sich im Anschaulichen deut-
licher ein Zeitalter ausspreche als in Gedanken und Worten, daß die Kunstgeschichte
nicht von der Geschichte her verstanden werden könne, sondern umgekehrt erhelle
die Kunstgeschichte die Geschichte.
Werke: Kleine Schriften, Basel 1946; Jacob hung des Barockstils in Italien, Mü 1888 (engl.
Burckhardt und H.W. Briefwechsel und an- 1964); Salomon Geßner. Mit ungedruckten
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Eine Untersuchung über Wesen und Entste- Hans von Marées, in: ZfbK, 27 (3), 1892, 73–
Wölfflin 519

79; Florentinische Madonnenreliefs, in: ebd., Buch »Kunstgeschichtliche Grundbegriffe«,


28 (4), 1893, 107–111; Die antiken Triumph- in: ZfbK (Beilage), 51 (27), 1916, 153–160;
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in: RfKw, 17, 1894, 141–142; Wie man Skulp- 441; Rothacker, Erich: W.s kunstgeschichtli-
turen aufnehmen soll, in: ZfbK, 31 (7), 1896, che Grundbegriffe, in: RfKw, 41, 1919, 168–
224–228 u. 32 (8), 1897, 294–297; Jacob 176; Voss, Hermann: »Künstlergeschichte«
Burckhardt, in: RfKw, 20, 1897, 341–346; Ar- oder »Kunstgeschichte ohne Namen«? Ent-
nold Böcklin, in: Basler Jb., 1898, 218–229; gegnung an H.W., in: ZfbK (Beilage), 55 (31),
Die Fresken Raffaels im Vatikan, in: Das Mu- 1920, 435–438; Landsberger, Franz: H.W., Bln
seum, 3, 1899, 69–72; Die klassische Kunst. 1924; FS H.W., Mü 1924; Grisebach, August:
Eine Einführung in die italienische Renais- H.W., Br 1924; Waetzoldt, Wilhelm: H.W., in:
sance, Mü 1899 (engl. 1953); Über die Echt- KtKtler, 22, 1924, 239–243; Panofsky, Erwin:
heit von Dürers Dresdner Altar, in: JbPK, H.W. (1924), in: ders., Aufsätze zu Grundfra-
1904, 106–114; Zur Kritik von Dürers Dresd- gen der Kunstwissenschaft, Bln 1992, 45–48;
ner Altar, in: Dresdner Jb., 1905, 20–24; Die Grautoff, Otto: H.W.s Kategorienlehre, in:
Kunst Albrecht Dürers, Mü 1905 (engl. 1971); Phil. Monatshefte d. Kant-Studien, 1, 1925,
Rez. von Alois Riegl, Die Entstehung der 167–169; Schlosser, Julius von: Von H.W.s
Barockkunst in Rom (1908), in: RfKw, 31, Sendung, in: Belvedere, 12, 1934, 1–3; FS
1908, 356–357; Rembrandt, in: JbFDH, 1909, H.W., Dr 1935; Lévy, Hanna: H.W. Sa théorie,
3–10; Das Problem des Stils in der bildenden ses prédécesseurs, Rottweil 1936; Böckel-
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244; Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das 20, 1944, 142–143; Grisebach, August: H.W.
Problem der Stilbildung in der neueren Ein Gedenkzeichen, in: Die Wandlung, 1,
Kunst, Mü 1915 (engl. 1932); Die Bamberger 1945/46, 893–898; Christoffel, Ulrich: H.W.
Apokalypse, Mü 1918; Adolf von Hildebrand 1864–1945, in: Phoebus, 1, 1946, 36–39; Uhde-
zu seinem 70. Geburtstag, in: KtKtler, 16, Bernays, Hermann: H.W., in: Mittler und
1918, 6–20; Jacob Burckhardt zum 100. Ge- Meister, Mü 1948, 162–174; Baldass, Ludwig:
burtstag, in: Deutscher Wille, 1918, 100–102; Zur Bedeutung H.W.s für die Kunstge-
In eigener Sache. Zur vierten Auflage meiner schichtsschreibung, in: WJbfKg, 1949, 289–
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Erklären von Kunstwerken, Lpz 1921; Italien Wien 1949; Strich, Fritz: Zu H.W.s Gedächt-
und das deutsche Formgefühl, in: Logos, 10, nis, Bern 1956; Gantner, Joseph: Erinnerun-
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Melancholie, in: JbKw, 1923, 175–181; Goe- 1958, 129–152; Rehm, Walther: H.W. als Lite-
thes italienische Reise, in: JbGoe, 1926, 324– raturhistoriker, Mü 1960; Jedlicka, Gotthard:
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382–383; Über das Rechts und Links im Kunstwerk, Mü 1960, 215–225: Gantner, Jo-
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520 Wölfflin

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Dvoák-Kandinsky, Diss. Wuppertal 1993; PB

Woermann, Karl
Geb. 4. 7. 1844 in Hamburg; gest. 4. 2. 1933 in Dresden

Seine Amtsvorgänger an der Dresdner Gemäldegalerie, Julius Schnorr von Carols-


feld und Julius Hübner, waren, wie auch anderswo bis weit in das 19. Jahrhundert
hinein üblich, bildende Künstler. Mit W.s Berufung im Jahre 1882 gelangte die
Verwaltung einer der bedeutendsten Gemäldesammlungen der Welt – bis 1896 lei-
tete er, unterstützt von  Lehrs, auch das Kupferstichkabinett – zum erstenmal in
die Hände eines Fachgelehrten. Wie seine Kollegen an der Alten Pinakothek in
München (seit 1875 Franz von Reber), der Hamburger Kunsthalle (seit 1886
 Lichtwark), der Berliner Gemäldegalerie (seit 1890  Bode) lenkte W. sein
Hauptaugenmerk auf die wissenschaftliche Durchdringung der Sammlung. Dies
Woermann 521

betraf sowohl die Erhaltung als auch die Hängung der Bilder, vor allem aber ihre
kunsthistorische Bearbeitung. Für den Kenner W., der von der  Morellischen
Methode mehr als andere überzeugt war, lief dies auf ihre Zuweisung an einen
Meister und ein gedrucktes Verzeichnis des gesamten Galeriebesitzes hinaus. Er
sagte von sich, daß er »keine Mühe gescheut habe, die Bilderbestimmungen« seines
»neuen, großen Katalogs mit allen Mitteln der Wissenschaft auf festen Boden zu
stellen und von einer Auflage zur andern zu verbessern«.
Ehe der Hamburger Kaufmannssohn zur neueren Kunstgeschichte kam, hatte er
bis 1870 als Rechtsanwalt praktiziert, vorher in Heidelberg, Berlin, Kiel und Göt-
tingen – auch Geschichte und Archäologie bei Wilhelm Oncken und Karl Bernhard
Stark – studiert und zwei große Reisen nach Java, Indien, Ägypten und Amerika
unternommen. 1870 promovierte W. in Archäologie und Kunstgeschichte und ha-
bilitierte sich ein Jahr später in Heidelberg zum Thema Über den landschaftlichen
Natursinn der Griechen und Römer. Als Privatdozent für Archäologie und Kunstge-
schichte unternahm W. 1871/72 seine erste »ganz der Kunstforschung gewidmete
Reise« durch Italien, Griechenland und Kleinasien, immer noch mit mehr Auf-
merksamkeit für die antike Kunstgeschichte. Als Resultat dieser Forschungen veröf-
fentlichte er 1876 eine Arbeit über Die Landschaftsdarstellung der alten Völker, die, was
für die Weltoffenheit W.s bezeichnend ist, über die Griechen und Römer hinaus
auch die Ägypter, Chinesen und Japaner einbezog.
Ihren Höhepunkt und Abschluß fand die erste Phase dieses Gelehrtenlebens in
der Malerei des Altertums, die als Teil 1 im 1. Band von  Woltmanns Geschichte der
Malerei 1879 erschien. W. lebte damals seit sechs Jahren in Düsseldorf und lehrte
Kunstgeschichte an der Kunstakademie, eine Tätigkeit, durch die er viel Umgang
mit Künstlern hatte und die ihn sehr belebte.
In  Kuglers Geschichte der Malerei hatte die Antike, die man damals noch mit
Skulptur identifizierte, keine Berücksichtigung gefunden. Woltmann und W. be-
trachteten sie dagegen als notwendige Voraussetzung und über Jahrhunderte orien-
tierendes Stilmuster der christlichen Malerei; sie gingen so weit, die antike – das
hieß vor allem die griechische – Malerei als das Fundament der Renaissance und
als die »ebenbürtige zweite Blütezeit« der europäischen Malerei zu bezeichnen. Zur
Stützung dieser Behauptung stellte W. die antike Malerei nicht nur nach den erhal-
tenen Denkmälern, sondern auch nach den schriftlichen Quellen dar. Woltmann
bearbeitete das Mittelalter, starb aber beim Verfassen des Renaissance-Bandes, den
W. unter Mithilfe von  Janitschek vollendete. Als Vertreter einer auf Kennerschaft
basierenden Kunstgeschichtsschreibung hielt er es wie auch in dem abschließenden
dritten Band über Barock und Klassizismus für seine Hauptaufgabe, »die vorhande-
nen Bilder dem richtigen Meister zuzuteilen«. Die dabei angewandte Methode
nannte er »vergleichendes Bilderstudium«, welches, wie keiner besser wußte als W.,
in einem für die Forschung relevanten Umfang erst jetzt, im Zeitalter der Eisen-
bahn und der Photographie, möglich geworden war. So erweist sich sein Werk
weniger als eine Malerei-, sondern eher als eine Geschichte der großen Maler und
ihrer Schulen, und es scheint daher kein Zufall zu sein, daß W. Vasari und den ita-
lienischen Manieristen besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Im Verlauf der Arbeit an dieser Überblicksdarstellung scheint sich das klassizisti-
522 Woermann

sche Element in W.s Kunstanschauung verloren zu haben. Als ein empirisch arbei-
tender Kunsthistoriker wollte er jedes Kunstwerk bald nur noch »nach den künst-
lerischen Anschauungen seiner Zeit und seines Volkes, nach den Absichten und der
Persönlichkeit seines Schöpfers« bewerten. Diese aus dem Historismus geborene
relativistische Einstellung durchzog auch die drei-, später sechsbändige Geschichte der
Kunst aller Zeiten und Völker: »Jede Kunst, in der das Ringen einer großen Zeit zu
vollem Ausdruck gelangt, ist in ihrer Art reife und vollendete Kunst.« W. schrieb
dieses umfangreiche Werk im Auftrag des Meyerschen Bibliographischen Instituts
in Leipzig. Der Verleger Hans Meyer, auch Geograph und Weltreisender, engagierte
sich persönlich. W. fühlte sich von dem Gedanken »berauscht«, auch die bisher
vernachlässigten Naturvölker und sogar die »Kunst« der Tiere einzubeziehen. So
entstand eine Weltkunstgeschichte, die ihrem Umfang nach alles Bisherige über-
traf.
1910 nahm W. Abschied von seinen Ämtern, um sich nur noch der Kunstge-
schichte zu widmen; in Mußestunden auch der »Verskunst«, die ihn, wie er selbst
sagt, »durch das ganze Leben begleitet« habe. Zur Vorbereitung der zweiten Auflage
der Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker unternahm W. 1911/12 seine fünfte
Jahresreise, die ihn nach Griechenland zu neuen Funden aus mykenischer Zeit, zu
den Ausgrabungen in Pompeji und nach Spanien und Frankreich, zu den Höhlen-
malereien von Altamira (entdeckt 1879) und in die Dordogne, führte.
Bis ans Ende seines langen Lebens besaß W. eine erstaunliche geistige Elastizität.
Die grundlegenden Veränderungen, die sich in der Kunstwissenschaft und in der
bildenden Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ereignet hatten, entgingen ihm
nicht, und er war in der Lage, das Neue und Zukunftsweisende zu erkennen, zum
Beispiel den produktiven Ansatz der sogenannten Kunstgeschichte als Formge-
schichte, wie sie  Wölfflin paradigmatisch vertrat. Er konnte sich auch eine Welt-
kunstgeschichte vorstellen, die »von großen, an den Werken beobachteten Haupt-
zügen der Entwicklung anstatt von den Künstlern ausginge«. Aber dies wäre nicht
seine Sache gewesen, für ihn blieb die Künstlerpersönlichkeit Ausgangs- und End-
punkt der Kunstgeschichtsschreibung.

Werke: Über den landschaftlichen Natur- (Geschichte der Malerei, Bd. 3, hrsg. v. Alfred
sinn der Griechen und Römer, Mü 1871; Woltmann u. K.W.), Lpz 1888; Kirchenland-
Anathema sit (Sonette), Mü 1871; Die Land- schaften, in: RfKw, 13, 1890, 337–362; Was uns
schaft in der Kunst der alten Völker, Mü 1876; die Kunstgeschichte lehrt. Einige Bemerkun-
Neapel. Elegien und Oden, Mü 1877; Die gen über alte, neue und neueste Malerei, Dr
Odysseelandschaften vom esquilinischen Hü- 1893; Was uns die Kunstgeschichte lehrt, Dr
gel in Rom, Mü 1877; Die Malerei des Alter- 1894; Handzeichnungen alter Meister im kgl.
tums, in: Geschichte der Malerei, hrsg. v. Al- Kupferstichkabinett zu Dresden, Mü 1896–
fred Woltmann, Bd. 1, Lpz 1879; Kunst- und 98; Geschichte der Kunst aller Zeiten und
Naturskizzen aus Nord- und Südeuropa, 2 Völker, 3 Bde., Lpz/ Wien 1900–11 (2. Aufl.,
Bde., Dü 1880; Die Malerei der Renaissance 6 Bde., 1915–22);Von deutscher Kunst, Esslin-
(Geschichte der Malerei, Bd. 2, hrsg. v. Alfred gen 1907; Von Apelles zu Böcklin und weiter,
Woltmann u. K.W.), Lpz 1882 (mit Alfred Esslingen 1912; Lebenserinnerungen eines
Woltmann u. Hubert Janitschek); Neue Ge- 80jährigen, 2 Bde., Lpz 1924; Selbstbiogra-
dichte, Dü 1884; Katalog der kgl. Gemäldega- phie, in: Jahn 1924, 199–227; Shakespeare und
lerie zu Dresden, Dr 1887; Die Malerei von die bildenden Künste, Lpz 1930
der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jh.s Literatur: Posse, Hans: K.W., in: ZfbK (Bei-
Woermann 523

lage), 58 (34), 1924/25, 35–36; Hempel, Eber- riker und Künstler, in: WZUL, ges.wiss. u.
hard: K.W., in: ZfKg, 2, 1933, 209–212; Bruhns, sprachwiss. R., 12, 1963, 2, 331–336 (FS J.
Leo: K.W., in: Ber. über Verhandl. d. Sächs. Jahn)
AdW, 1933, H. 3; Menz, Henner: Kunsthisto- PB

Woltmann, Alfred
Geb. 18. 5. 1841 in Berlin; gest. 6. 2. 1880 in Mentone (Frankreich)

Während Albrecht Dürer im Bewußtsein der Nachwelt immer lebendig blieb, seit
dem ausgehenden 18. Jahrhundert fast religiöse Verehrung genoß, geriet Hans Hol-
bein d.J., der andere Fixstern unter den Meistern der deutschen Renaissancemalerei,
zwischenzeitlich fast in Vergessenheit. W. gehörte zu seinen Wiederentdeckern. Er
veröffentlichte 1866 die erste Monographie über den Künstler. Neben  Thausing,
 Lützow,  Bayersdorfer,  Lübke,  Lippmann,  Woermann,  Bode und
anderen war W. einer der Hauptakteure im sogenannten Holbein-Streit, einer jener
Kunsthistoriker, die aufgrund ihrer Kennerschaft die Frage, ob das Dresdner oder
das Darmstädter Exemplar der Madonna des Bürgermeisters Meyer das Original sei,
zugunsten des letzteren entscheiden konnten. Unter den prominenten Verlierern in
diesem Streit befand sich auch  Grimm, für W. der Repräsentant einer noch in
der Romantik verwurzelten, literaturorientierten und ästhetisierenden Kunstge-
schichtsschreibung; W. hielt ihn für einen »Spieler«, der nur mutmaßte, während es
ihm und seinen Mitstreitern auf die »wissenschaftliche Ergründung der Wahrheit«
mit Hilfe einer exakten, methodisch strengen Kunst-Wissenschaft ankam. Daß der
bald darauf stattfindende erste internationale Kunsthistorikerkongreß 1873 in Wien
das Attribut »kunstwissenschaftlich« und nicht, wie vorgesehen, »kunsthistorisch«
erhielt, geht auch auf W.s Betreiben zurück. W. vertrat jene Kunsthistorikergenera-
tion, zu der auch Thausing, Woermann und  Wickhoff gehören, die im Anschluß
an die ersten großen kunstgeschichtlichen Überblicksdarstellungen der 1840/50er
Jahre durch spekulationsfreie, reine Sach- und Spezialforschung die Emanzipation
der Kunstgeschichte als universitäre Wissenschaft vollenden wollte. Schon Zeitge-
nossen, unter ihnen Grimm und der ebenfalls geschmähte  Förster, erkannten
aber, daß dieses an der Naturwissenschaft orientierte Modell nur begrenzt auf die
bildende Kunst anwendbar sein konnte.
Bezeichnenderweise kam W., wenn man von einer flüchtigen Berührung mit der
Rechtswissenschaft seit 1860 an der Berliner und Münchner Universität absieht,
ohne Umwege über andere Fächer direkt zur Kunstgeschichte. Vorlesungen hörte
er bei Ernst Guhl (1819–62),  Lützow und dem Historiker Heinrich von Sybel.
Prägend wurde für ihn aber vor allem  Waagen, dem er später sein Holbein-Buch
widmete. Auf einer Exkursion nach Augsburg im Jahre 1861 hatte W. das Glück,
früh ein Forschungsthema zu finden, das ergiebig genug war und gleichsam in der
Luft lag, denn Interesse an den Holbeins regte sich allerorten. Bereits 1863 legte W.
eine Dissertation zu diesem Thema vor; die Habilitation erfolgte 1867, ebenfalls in
Berlin, mit dem inzwischen erschienenen Buch Holbein und seine Zeit (1866). Vor-
ausgegangen war eine Reise nach England, Paris und in die Niederlande, die den
Holbein-Forschungen gegolten hatte.
524 Woltmann

1868 wurde der 27jährige W. als Professor für Kunstgeschichte an das Polytech-
nikum in Karlsruhe berufen. Neben seiner Lehrtätigkeit ordnete er die Kunstgalerie
neu – dies war mit Konflikten verbunden – und pflegte einen lebhaften, für ihn
lehrreichen und anregenden Umgang mit bildenden Künstlern wie Karl Friedrich
Lessing, Adolph Schrödter, Hans Gude. 1869 reiste W. zum erstenmal nach Italien.
Während der Karlsruher Jahre 1868–74 entstanden zwei Bücher, deren Anlaß im
politischen Geschehen jener Zeit zu suchen ist. W. verfaßte die erste zusammenhän-
gende Baugeschichte der neuen Hauptstadt Deutschlands und beschrieb die »wich-
tigsten Pfänder unzerstörbaren deutschen Wesens«: die Kunstdenkmäler des nun
dem wilhelminischen Kaiserreich angegliederten Elsaß, die seiner Auffassung nach
der »deutschen« Kunstgeschichte angehörten. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag
indessen nach wie vor auf Holbein. Neue Forschungen und die Dresdner Ausstel-
lung von 1871, auf der die beiden Madonnen konfrontiert worden waren, hatten
eine Neubearbeitung seines Holbein-Buches erforderlich gemacht. Das Dresdner
Exemplar hatte sich als eine Kopie herausgestellt und das bisher angenommene
Geburtsjahr Holbeins d.J. 1495 ließ sich ebenfalls nicht länger halten; es mußte von
einem späteren Datum ausgegangen werden, und dies hatte Konsequenzen in bezug
auf das Frühwerk, das nun partiell Holbein d.Ä. zugeschrieben wurde. Auch die
Zeichnungen verlangten eine strengere Durchsicht, bei der manches ausgeschieden
wurde.
Auffallend, aber nicht überraschend ist, daß W. in seinem Holbein-Buch Be-
schreibungen und Interpretationen weitgehend meidet. Man erfährt fast nichts über
die künstlerische Qualität der Dresdner und Darmstädter Madonnen, aber fast alles
über die materiellen Eigenschaften der Bilder, die Begleitumstände ihrer Entste-
hung und ihre Rezeptionsgeschichte. Obwohl ihm der Titel seiner Arbeit später
nicht mehr gefiel, war er zutreffend; W. stellte das Lebenswerk Holbeins d.J. vor
einen reichen kulturhistorischen Hintergrund, den der deutschen Renaissance,
deren »geistige Erbschaft« nun die Gegenwart angetreten habe. Wie sein Widersa-
cher Grimm prophezeite W. der Kunst im deutschen Kaiserreich eine lichte Zu-
kunft: »[...] was das 16. Jahrhundert [...] entbehrte und was doch allein der Kunst
die Möglichkeit, ihr Höchstes zu leisten, gewährt, das große nationale Leben, ist für
uns aus dem Reiche des Traumes in die volle Wirklichkeit getreten.«
1874 folgte W. einer Berufung auf den neugegründeten Lehrstuhl für Kunstge-
schichte der Prager Universität. Er scheint in diesem Schritt auch eine patriotische
Pflicht gesehen zu haben und machte aus seiner »deutschen« Gesinnung keinen
Hehl. Zu Tumulten und Demonstrationen der Tschechen kam es, als die Prager
Presse über einen Vortrag berichtete, den W. am 25. November 1876 im deutschen
Schriftsteller- und Künstlerverein »Concordia« gehalten und in dem er auf die
Frage »Was ist deutsch in der künstlerischen Erscheinung dieser Stadt?« geantwortet
hatte: »Beinahe alles.« (Die deutsche Kunst in Prag, 1877). Aus seiner bedrängten Lage
wurde W. 1878 von der Straßburger Universität befreit, die ihm den seit 1873 ver-
waisten Lehrstuhl  Springers anvertraute.
In den letzten Jahren seines durch eine Lungenkrankheit früh beendeten Lebens
wandte sich W. von der Spezialforschung ab; zusammen mit seinem Freund Woer-
mann nahm er eine Geschichte der Malerei in Angriff, die, über  Kuglers als
Woltmann 525

vorbildlich geltendes Handbuch von 1837 hinausgehend, die gesamte Antike ein-
schließen und die Stilabfolge als kontinuierliche Entwicklung bis zum 18. Jahrhun-
dert beschreiben sollte. Es war W. nur vergönnt, das Mittelalterkapitel zu schreiben.
Nach seinem Tod führte Woermann das Projekt zu Ende.
W. war kein weltfremder Universitätsgelehrter. Seit den frühen 1860er Jahren
hielt er regelmäßig Vorträge vor großem Publikum und schrieb für zahlreiche Zei-
tungen und Zeitschriften wie die Spenersche Zeitung, die Nationalzeitung, die Augs-
burger Allgemeine, die Wiener Deutsche Zeitung, die Deutschen Jahrbücher, Westermanns
Monatshefte. Seit 1879 gab er mit  Janitschek das auf dem ersten internationalen
Kunsthistoriker-Kongreß 1873 in Wien beschlossene, drei Jahre später gegründete
Repertorium für Kunstwissenschaft heraus.
Werke: De Johannis Holbenii celeberrimi vier Jahrhunderten niederländisch-deutscher
pictoris, origine, adolescentia, primis operi- Kunstgeschichte, Bln 1878; Zwei Beiträge in:
bus, Br 1863; Das Augsburger Skizzenbuch Das Buch der Malerzeche in Prag,Wien 1878;
des jungen Hans Holbein, in: MZk, 8, 1863, Zur Geschichte der böhmischen Miniatur-
273–279; Holbein-Album, Bln 1864; Holbein malerei, in: RfKw, 2, 1879, 1–25, 138–140; Die
und seine Zeit, Lpz 1866 (2. Aufl., 2 Bde., Lpz Malerei des Mittelalters, in: Geschichte der
1874/76); Die deutsche Kunst und die Re- Malerei (hrsg. v. A.W.), Bd. 1, Lpz 1879; Die
formation, Bln 1867; Fürstlich Fürstenbergi- Malerei der Renaissance (Geschichte der
sche Sammlungen zu Donaueschingen, Kr Malerei, Bd. 2, hrsg. v. A.W. u. Karl Woer-
1870; Die Baugeschichte Berlins bis auf die mann), Lpz 1882 (mit Karl Woermann u. Hu-
Gegenwart, Bln 1872; Gustav Friedrich Waa- bert Janitschek)
gen. Eine biographische Skizze, in: Gustav Literatur: Thausing, Moriz: A.W., in: RfKw,
Friedrich Waagen, Kleine Schriften, Stg 1875, 3, 1880, 357–360; Meyer, Bruno: A.W., in:
1–52; Geschichte der deutschen Kunst im El- ZfbK, 15, 1880, 193–200, 242–250, 301–315;
saß, Lpz 1876; Die Gemälde von Peter Paul Griener, Pascal: A.W. and the Holbein Dis-
Rubens in Prag, in: MZk, 2, 1876, 77–80; pute. 1863–71, in: Studies in the History of
Hans Holbeins d.Ä. Silberstiftzeichnungen Art, 60, 2001, 211–225;Vybiral, Jindich: What
im kgl. Museum zu Berlin, Nü 1876; Karl is »Czech« in Art in Bohemia? A.W. and De-
Schnaase (Nekrolog), in: RfKw, 1, 1876, 194– fensive Mechanisms of Czech Artistic Histo-
208; Die deutsche Kunst in Prag, Lpz 1877; riography, in: KChr, 59, 2006, 1–7
Die Gemäldesammlung in der kaiserlichen PB
Burg zu Prag, in: MZk, 3, 1877, 25–50; Aus

Worringer,Wilhelm
Geb. 13. 1. 1881 in Aachen; gest. 29. 3. 1965 in München

Mit Abstraktion und Einfühlung, seiner Berner Dissertation (1907), schrieb der 26jäh-
rige junge Gelehrte aus dem Geist der Moderne die wohl meistgelesene Arbeit
eines Kunsthistorikers, welche nicht nur die europäische Kunstgeschichte aus einem
neuen Blickwinkel betrachtete, sondern auch zur historischen Legitimierung des
Expressionismus beitrug. Sie wurde bis in die 1980er Jahre immer wieder aufgelegt
und in rund 20 Sprachen übersetzt. W. studierte Germanistik in Freiburg i.Br. und
München, wo er sich mit der Malerin Marta, geb. Schmitz (1881–1965) verlobte,
und – nach einem Florenzaufenthalt – Kunstgeschichte in Berlin (bei  Wölfflin)
und München bei dem Schmarsow-Schüler Artur Weese (1868–1934), dem er nach
Bern folgte. Dort habilitierte er sich 1909 mit der die Dissertation fortführenden
526 Worringer

Arbeit Formprobleme der Gotik und lehrte als Privatdozent bis 1914. Nach dem
Kriegsdienst war er bis 1925 Privatdozent, 1925–28 a.o. Professor in Bonn, dann
Ordinarius in Königsberg (1928–45) und Halle (1946–50). 1948 wurde er Mitglied
der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig.
Für W. war Beschäftigung mit Kunstgeschichte ein Beitrag zum Verständnis und
zur Förderung aktueller künstlerischer, ästhetischer und philosophisch-weltan-
schaulicher Bestrebungen. Er trug seine eigenwillige Sicht auf alte Kunst und
kunstgeschichtliche Abläufe in ausdrucksvoller Sprache und essayistischer Kürze
vor. Das verschaffte seinen Ideen und dem Fach Kunstgeschichte ein starkes Echo
in der kultivierten Öffentlichkeit und bei Künstlern, machte ihn, der keine Corpus-
werke oder Handbücher mit schwerfälligem Apparat verfaßte, jedoch zum Außen-
seiter der gelehrten »Zunft«. Dabei schrieb W. nur selten direkt über einzelne zeit-
genössische Künstler. Eine der Ausnahmen war Käthe Kollwitz (1929).
W. verstand Abstraktion und Einfühlung als »Beitrag zur Stilpsychologie«. Kunst
und Geschichte psychologisch, von Dispositionen, Gefühlen und Bedürfnissen her
zu erklären, war damals ein verbreitetes Erklärungsmodell, ebenso die Aufstellung
von Gegensatzpaaren. Vom eben verstorbenen  Riegl übernahm W. den Begriff
»Kunstwollen« und auch die neue Wertschätzung der Ornamentik, in der sich das
»abstrakte Kunstwollen immer am reinsten offenbart«. In der Kunstpraxis der Zeit
hatte der Jugendstil das Ornamentale (Dekorative) entschieden aufgewertet. W.
nannte  Sempers Stil zwar eine »Großtat der Kunstgeschichte«, widersprach aber
der mechanisch-materialistischen Erklärung, wie künstlerische Formensprache ent-
stünde. W. unterschied den »Nachahmungstrieb« kategorisch und prinzipiell vom
eigentlichen Kunstschaffen und erklärte das Abstrahieren von der Erscheinung der
Natur als ein ursprüngliches und immer wieder auftretendes psychisches Bedürfnis,
sich gegen eine Beunruhigung durch die Realität zu wehren. Er behauptete, daß
die höchste Abstraktion zugleich der in seiner Gesetzmäßigkeit vollkommenste Stil
sei und in Ägypten wie in Griechenland am Beginn der Kunst stehe. Damit revi-
dierte er bisherige Entwicklungsvorstellungen und ästhetische Wertungen und ließ
sich durch die eben bekanntgewordene jungpaläolithische Höhlenmalerei (Al-
tamira) mit ihren erscheinungstreuen Darstellungen nicht beirren. Er gab damit der
zeitgenössischen Moderne, ohne von ihr zu reden, eine weltkunstgeschichtliche
Legitimation. In gleicher Richtung wirkte, daß er das Kunstbedürfnis als ein der
Religion gleichwertiges »Weltgefühl« ansah.
Seine nicht immer schlüssige Argumentation wurde lebhaft diskutiert, die feuil-
letonistische Schreibweise und die Sicht von der Gegenwartskunst her auf die Hi-
storie teilweise zurückgewiesen (Jaro Springer in MfKw, 6, 1913, 421–423). W.s be-
wußt subjektive, der »intuitiv geleiteten Spekulation« vertrauende Sicht auf die
Kunstgeschichte konnte keine methodische Erneuerung strenger kunsthistorischer
Forschung bewirken, nur das Begreifen und Erleben von Gestaltqualitäten fördern.
Der Literaturhistoriker Oskar Walzel lobte 1917 bei ihm wie bei  Schmarsow und
Wölfflin die neuen sprachlichen Mittel zur Kennzeichnung von Formcharakteren.
Die Gotik, die W. als den »letzten Stil« ansah, analysierte und deutete er einge-
hender in seinem zweiten Buch. Seiner Vorliebe für diesen Abschnitt der Kunstge-
schichte entsprangen auch mehrere kleinere Bücher zur »Linienkunst« spätgotischer
Worringer 527

Buchillustration, die im Zeitklima des Expressionismus sehr geschätzt wurde, und


eine ihm schon 1918 von  Glaser für die Reihe Deutsche Meister übertragene
umfangreichere Darstellung der Anfänge der Tafelmalerei, die dem zisalpinen Weg
zum neuzeitlichen Realismus mit Betonung der »slavischen Atmosphäre« in Böh-
men und dem Deutschordensgebiet nachspürte. In einem eigenen Buch verteidigte
er seine Kennzeichnung der von ihm bewunderten ägyptischen Kunst, die deren
Spezialisten nicht teilten. In die antike, vorderasiatische, indische, byzantinische und
altrussische Kunst griff auch seine letzte, geistreiche Konstruktion von Kunstge-
schichte aus, die den traditionellen Gegensatz von antiker und gotischer Kunst in
Frage stellte und Wesenszüge verglich, die nicht durch Einflüsse erklärbar waren
(Griechentum und Gotik). Die »geheime Gotik« schon in frühmittelalterlicher Orna-
mentik, das heißt ein »stilpsychologischer Begriff der Gotik«, war W. immer wich-
tiger als der »Schulbegriff« der historischen Gotik. Dies stimmte mit Auffassungen
anderer Autoren wie  Scheffler (1917) überein, dem er aber – nicht öffentlich –
»subalternisierten Abklatsch meiner Schriften« vorwarf.
W.s Hoffnungen auf die neue Kunst wurden durch deren Entwicklung irritiert.
Der erste Wortführer des Expressionismus (ein »Verlegenheitswort«) trat 1919 und
1921 als der erste Kritiker seiner Verflachung auf und diagnostizierte vor allem, daß
auch der Expressionismus die bildende Kunst nicht aus ihrer kulturellen und sozio-
logischen Randlage herausführen konnte und einem »elegischen Klassizismus mit
Nazarenerfärbung« gewichen sei. Aus Sympathie für das Wollen der Maler enthielt
sich W. aber einer analytischen Kritik ihrer »Bildform«, die das Angestrebte nicht
erreiche. Wie andere hielt er einen Untergang zumindest der bildenden Kunst für
möglich; das Nachdenken über sie sei gegenwärtig ergiebiger als sie selbst. Die
völker- oder auch rassenpsychologische Erklärung von Kunstwollen und sein Anti-
rationalismus schienen W. der NS-Ideologie nahezurücken. In Wirklichkeit waren
seine höhere Bewertung der orientalischen Kunstanschauung gegenüber der der
»disharmonischen« nordischen Völker und seine Würdigung slawischer Kunstlei-
stungen damit unvereinbar. Der Fürsprecher der inzwischen als »entartet« verfolgten
Moderne publizierte auch aus politischer Überzeugung zwischen 1933 und 1945
überhaupt nichts. Sein Königsberger Schüler Gerhard Strauss (1908–84) bewirkte
1946 W.s Berufung zum Nachfolger  Waetzoldts in Halle. Dort wirkte er noch-
mals über die Fachkreise hinaus in stark besuchten, einprägsam formulierten Vorle-
sungen als Erzieher zu Kunstsinn und Humanität. In Problematik der Gegenwartskunst
(Vortrag im Kunstverein Leipzig, 1948) beließ er noch entschiedener als 1921 die
Antinomie zwischen dem berechtigen Anspruch breiter Schichten auf Kunst zum
Einfühlen und dem Recht von Individuen auf ihren Ausdruck, der seit der Mo-
derne nur noch einer Elite verständlich sein könne, als unlösbar. Dem Kampf gegen
»Formalismus« in der sowjetisch besetzten Zone entzog er sich 1950 durch Über-
siedlung nach München, hielt noch Vorträge und schrieb kurze Aufsätze. Er galt
dem Fach weitgehend nur noch als widerlegter Kunsttheoretiker, nicht als bemer-
kenswerter Kunsthistoriker. Neuerdings wächst die Aufmerksamkeit für ihn wie-
der.
528 Worringer

Werke: Schriften, 2 Bde., Mü 2004 1915, 357–361; FS W.W., Kö 1943; Luzzatto,


Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Guido L.: W.W., in: Commentari, 8, 1957,
Stilpsychologie, Neuwied 1907 (als Buch Mü 138–147; Schulze, Ingrid: W.W. und die bür-
1908, Nd. 1959 mit Schlußwort von W.); Lu- gerliche Opposition gegen den großdeut-
kas Cranach, Mü 1908; Die Pietà Rondanini, schen Nationalismus auf dem Gebiet der
in: KtKtler, 7, 1908/09, 355–359; Formpro- Kunstgeschichtsschreibung, in: WZUH, ges.-
bleme der Gotik, Mü 1911; Die altdeutsche u. sprachwiss. R., 18, 1969, H. 1, 65–85; Weis-
Buchillustration, Mü 1912; Künstlerische Zu- stein, Ulrich: Rez. von »Fragen und Gegen-
kunftsfragen, in: KtKtler, 14, 1915/16, 259– fragen«, in: CArtJ, 16, 1957, 262–264; Kühn,
264; Kritische Gedanken zur neuen Kunst, in: Herbert: W.W., in: Jb. f. prähist. u. ethnograph.
Genius, 1, 1919; Künstlerische Zeitfragen, Mü Kunst, 1964/65, 106–107;Vallier, Dora: Lire W.
1921; Die Kölner Bibel, Mü 1923; Die An- Vorwort zur ersten frz. Übersetzung »Ab-
fänge der Tafelmalerei, Lpz 1924; Zur Frage straction et ›Einfühlung‹«, Paris 1978, 5–32;
der gotischen Monumentalität, in: FS Oskar Frank, Hilmar: Nachwort zu »Abstraktion
Walzel, Pd 1924, 211–223; Byzantinismus und und Einfühlung«, Lpz/Wei 1981, 118–134;
Gotik. Eine stilgeschichtliche Anregung, in: Howoldt, Jenns E.: Krise des Expressionismus.
FS Paul Clemen, Dü 1926, 329–334; Otto Anmerkungen zu vier Briefen W.W.s an C.G.
Pankok, Mü 1927; Ägyptische Kunst. Pro- Heise, in: JbHkh, 1989, 159–173; Nickel,
bleme ihrer Wertung, Mü 1927; Griechentum Heinrich: W.W., in: Jb. d. Albertus-Universität
und Gotik. Vom Weltreich des Hellenismus, Königsberg, 1994, 795–798; Donahue, Neil H.
Mü 1928; Käthe Kollwitz, Kö 1929; Proble- (Hrsg.): Invisible Cathedrals. The Expressio-
matik der Gegenwartskunst, Mü 1948; Fragen nist Art History of W.W., University Park/PA
und Gegenfragen. Schriften zum Kunstpro- 1995; Dilly, Heinrich: W.W.s hallesche Publi-
blem, Mü 1956 (Bibliogr.) kationen, in: Hallesche Beiträge zur Kunstge-
Literatur: Ernst, Paul: Rez. von »Abstrak- schichte, 5/6, 2004, 163–180; Nickel, Hein-
tion und Einfühlung«, in: KtKtler, 6, 1907/08, rich: Der Wiederbeginn nach dem zweiten
S. 529; Hamann, Richard: dass., in: ZfÄaK, 5, Weltkrieg, in: ebd., 181–190; Grebing, Helga:
1910, 276–281; Gomperz, Heinrich: dass., in: Die W.s, Bln 2004; Öhlschläger, Claudia: Ab-
KA, 6, 1910, 65–73; Stix, Alfred: Rez. von straktionsdrang. W.W. und der Geist der Mo-
»Formprobleme der Gotik«, in: KA, 7, 1911, derne, Mü 2005
71–74; Hamann, Richard: dass., in: ZfÄaK, 10, PHF

Wulff, Oskar
Geb. 6. 6. 1864 in St. Petersburg; gest. 23. 1. 1946 in Berlin

Der Baltendeutsche W., der zur Generation  Wölfflins gehörte, aber erst mit einer
gewissen Verzögerung in die Kunstwissenschaft eintrat, arbeitete auf verschiedenen
Gebieten. Eine wegbahnende und weiterwirkende Bedeutung erlangte er in erster
Linie auf dem Gebiet der ostchristlichen und russischen Kunstgeschichte, die zu
Anfang unseres Jahrhunderts dem breiteren Publikum noch weitgehend unbekannt
war, und für die W. durch seine kulturelle Herkunft und Sprachkenntnisse besonders
disponiert war. Die erlebte Rolle von Kunst motivierte ihn, der zunächst Lehrer
werden wollte, zu deren Erforschung, bei der er sorgfältig, wenn auch ohne eigene
methodische Neuerungen vorging. Dabei nahm er ausgiebig an der für seine Zeit
kennzeichnenden Suche nach einer systematischen theoretischen Bestimmung des
Wesens der Kunst und nach Gesetzmäßigkeiten ihrer geschichtlichen Entwicklung
teil und bezeichnete im Rückblick die »kunsttheoretische Forschungsrichtung« als
die Hauptlinie seiner Arbeit, die er stets verfolgt habe.
W. entstammte einer in Dorpat (Tartu, Estland) ansässigen deutschen Familie, die
Wulff 529

zeitweilig nach Petersburg gezogen war, besuchte die deutsche Domschule in Reval
(Tallinn) und studierte Jura, Philologie und Archäologie in Dorpat und Petersburg
sowie 1888/89 in Berlin, arbeitete dann als Hauslehrer in der Umgebung von Riga.
Nach der russischen Promotion in Dorpat über archäologische und mythologische
Fragen der Theseussage studierte er dann 1892–94 Kunstgeschichte in Leipzig, wo
ihn  Schmarsow, bei dem er mit einer ikonographischen Arbeit promovierte,
durch seine Kunstauffassung entscheidend prägte und in seinem Interesse an Kunst-
psychologie bestärkte. 1894 ging W. für kurze Zeit an die Berliner Museen und hielt
ein Semester lang Vorlesungen über Ästhetik der bildenden Künste an der Univer-
sität, folgte aber 1895–99 einer Einladung, als Stipendiat im neugegründeten Russi-
schen Archäologischen Institut in Konstantinopel (Istanbul) zu arbeiten, wo er
vergebens hoffte, eine Anstellung zu bekommen. Er reiste in Kleinasien, nach Chios
und dem Athos, untersuchte die Koimesiskirche in Nicäa (Isnik) und wandte sich
damit der ostchristlich-byzantinischen Kunst zu. 1899 wurde er Mitarbeiter der
Sammlung der »Bildwerke der christlichen Epochen« der Berliner Museen ein,
habilitierte sich außerdem 1902 mit jener Arbeit über die Kirche in Nicäa und
begann mit Vorlesungen vor allem über frühchristliche Kunst. Nachdem er ein
halbes Jahr Sekretär des Deutschen Kunsthistorischen Instituts in Florenz gewesen
war, wurde er 1905 Direktorialassistent und der erste Kustos der frühchristlichen
Abteilung in der Skulpurensammlung des neuen Kaiser-Friedrich-Museums in
Berlin. Er begann mit der Katalogisierung ihres wachsenden Bestandes und erhielt
dafür 1911 den Professorentitel. 1917 wurde er als Nachfolger von Karl Frey a.o.
Professor an der Berliner Universität. Seit 1912 arbeitete er an seinem Beitrag zum
Handbuch der Kunstwissenschaft, der 1935 mit einem bibliographischen Nachtrag ab-
geschlossen wurde. Als erste Zusammenfassung und persönliche Bewertung des
neuesten Standes der lebhaft in Gang gekommenen Forschung zur frühchristlichen
und byzantinischen Kunst behielten diese Bände im deutschen Sprachraum lange
Gültigkeit, während in anderen Ländern die etwa gleichzeitigen Publikationen von
Charles Diehl, Gabriel Millet und Ormond M. Dalton zunächst bestimmend wur-
den. Später hat besonders  Volbach, W.s Mitarbeiter an den Berliner Museen seit
1917, dessen Spezialgebiet aufgrund vieler neuer Funde und Ausgrabungen weiter-
entwickelt. W. begleitete seine Arbeit am Handbuch mit der Darstellung der For-
schungslage in Aufsätzen, wobei er sich  Strzygowski und vor allem Dmitrij V.
Ajnalov (1862–1939) anschloß. 1925 konnte er noch einmal in sein Geburtsland
reisen, wo er mit jüngeren Fachkollegen wie Michail Alpatov (1902–86) eng zusam-
menarbeitete und unter anderem Ikonen für das Berliner Museum erwarb. Nach
einem heftigen publizistischen Streit mit Theodor Demmler (1879–1944) über das
Konzept des Deutschen Museums und seit langem unzufrieden mit seiner Behand-
lung durch den Generaldirektor  Bode verließ der 63jährige W. 1927 vorzeitig die
Berliner Museen, reiste nochmals nach Italien, Griechenland, Istanbul und Sofia
und konzentrierte sich auf das Schreiben und den Lehrauftrag an der Berliner Uni-
versität – seit 1929 »für osteuropäische Kunstgeschichte und vergleichende Kunst-
wissenschaft«.
Seit seiner Promotion hatten W. kunsttheoretische Fragen beschäftigt, zu denen
er sich mehrmals auf den Kongressen für Ästhetik und allgemeine Kunstwissen-
530 Wulff

schaft und in der entsprechenden Zeitschrift äußerte. Nach Ausrufung der Republik
in Deutschland, einem »Wendepunkt des Kulturfortschritts«, stellte er Überlegun-
gen zur Kunsterziehung, zum Beispiel in den Volkshochschulen, und zur Künstler-
erziehung an. Von »Volkshäusern« mit Monumentalmalereien erhoffte er Beiträge
zur geistigen Überwindung der Unterschiede zwischen den Volksgruppen, der kon-
fessionellen Spaltung und der sozialen Spannungen zwischen großstädtischer Arbei-
terschaft und Bürgertum (Neue Aufgaben der öffentlichen Kunstpflege, 1920). Eine der
Fragen, die ihn beschäftigten, war die nach der Entwicklung der Darstellungs- und
Ausdrucksweise von Kindern. W. hatte das Zeichnen und Modellieren seines dritten
Sohnes aufmerksam verfolgt und sich nach der Erschütterung durch dessen Tod mit
14 Jahren daraus eine wissenschaftliche Aufgabe gemacht, die er seit 1918 in Vorle-
sungen und dann in einem Buch Die Kunst des Kindes behandelte. Es ging ihm
unter anderem um den Nachweis zweier unterschiedlicher Gestaltungstriebe
(rhythmisch – reproduktiv) und Grundrichtungen der Vorstellungsbildung (flächen-
haft – körperhaft), die auch im eigentlichen Kunstschaffen wirksam seien.
Das letzte große Vorhaben W.s, bevor er in seiner Autobiographie noch einmal
sein Lebenswerk rechtfertigte, war eine kulturgeschichtlich fundierte Darstellung
der russischen Kunst vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, die er schon vor 1914
geplant hatte und nach seiner letzten Rußlandreise verwirklichte. Er bekannte sich
in ihr zu seinen Kindheitseindrücken in Petersburger Ausstellungen, zu seinem erst
am Archäologischen Institut in Konstantinopel gewachsenen Verständnis für russi-
sche Kultur und Wesensart, die dem Baltendeutschen zuvor eher fremd gewesen
war, und zu der Rolle eines Vermittlers zwischen russischer und mitteleuropäischer
Wissenschaft.
W. verfolgte in Einzeluntersuchungen sehr genau stilgeschichtliche Forment-
wicklungen und motivgeschichtliche Zusammenhänge, auch unter Berücksichti-
gung des Bedeutungswandels einzelner Motive, doch strebte er – im Gegensatz
zum Beispiel zu  Tietze und teilweise in Übereinstimmung mit  Hamann – nach
einer Ausweitung der Kunstgeschichte zu systematischer Kunstwissenschaft als »an-
gewandter Ästhetik«, die das ästhetische Urteil zu begründen habe, von dem die
kunstgeschichtliche Untersuchung ausgehen solle (Grundlinien, 1917). Er wollte vor
allem das System Schmarsows ausbauen, dessen zu geringe Beachtung er immer
wieder, so noch 1931 bei dem im übrigen gelobten  Dagobert Frey, tadelte. Der
Philosoph Erich Rothacker nannte W. allerdings einen eitlen, pedantischen »Blind-
geborenen«, der die Psychologie ungenügend kenne oder mißverstehe und mit
tautologischer Definitionssucht dem Erbe Schmarsows einen schlechten Dienst
erweise. Für den Verlauf der Kunstgeschichte sprach W. von einer »immanenten
gesetzmäßigen, wenngleich nicht eindeutigen Kunstentwicklung«, in der sich »Stei-
gerungen und Kontrastbewegungen von sehr ungleicher Wellenlänge« abspielten,
vielgestaltige Durchkreuzungen und Verflechtungen von genetischen Reihen der
Gestaltgebung (wie sie viel später George Kubler beobachten sollte), die nicht auf
einheitliche Periodizität (wie zum Beispiel archaisch-klassisch-barock) in allen
Epochen zurückzuführen sei.
Für die altchristliche und byzantinische Kunstgeschichte bejahte W. Strzygowskis
Betonung der Rolle des Orients ebenso wie Riegls Verständnis für die ästhetische
Wulff 531

Bedeutung unterschiedlich gerichteten »Kunstwollens«. Es war zeittypisch, daß er


dafür auch mit dem »Kunstvermögen der orientalischen Rassen«, der »orientali-
schen Abstraktion« oder der »unerschöpften Kraft der griechischen Rasse« und der
»volkstümlichen griechischen Religionsauffassung mit ihrem tief eingewurzelten
Anschauungsbedürfnis« argumentierte, um Kunstgeschichte zu erklären.
Seine Auffassung von Kunst als »reproduktiver Phantasiegestaltung« und als »Le-
bensspiegelung« ließ ihn selbst an relativ naturferner spätantiker Plastik eine unbe-
fangene Beobachtung von zeitgenössischer Wirklichkeit und weitgehende Indivi-
dualisierung dargestellter Personen wahrnehmen. Sie bestimmte auch seine
nicht-modernistische Liebe zur russischen realistischen Malerei des 19. Jahrhunderts
um ihres »gesunden sinnenkräftigen Naturalismus und ihres reichen Lebensgehalts
und Lebensausdrucks« willen, die er der gedanklichen Abstraktion und Konstruk-
tion vorzog.

Werke: Cherubim, Throne und Seraphim. Alfred Schmid, Josef Strzygowski, Geza
Ikonographie der ersten Engelshierarchie in Supka, O.W., Lpz 1917, 87–96; Die altchristli-
der christlichen Kunst, Altenburg 1894; Die che Kunst von ihren Anfängen bis zur Mitte
Koimesiskirche in Nicäa und ihre Mosaiken, des ersten Jahrtausends, Bln 1918–35; Zu
nebst den verwandten kirchlichen Denkmä- August Schmarsows Rücktritt, in: ZfbK (Bei-
lern. Eine Untersuchung der byzantinischen lage), 55 (31), 1920, 318–324; Neue Aufgaben
Kunst im 1. Jahrtausend, Str 1903; Das Katho- der öffentlichen Kunstpflege, in: Internat.
likon von Hosios Lukas und verwandte by- Wochenschrift f. Wissenschaften, Kunst u.
zantinische Kirchenbauten, Bln/Stg 1903; Technik, 14, 1920, 710–734; Die byzantinische
Rez. von Dimitrij V. Ainalow, Die hellenisti- Kunst von der ersten Blüte bis zu ihrem Aus-
schen Grundlagen der byzantinischen Kunst gang, Pd 1924 (bibliogr.-krit. Nachtrag 1935);
(St. Petersburg 1900, russ.), in: RfKw, 26, Denkmäler der Ikonenmalerei in kunstge-
1903, 35–55; Zur Stilbildung der Trecentoma- schichtlicher Folge, Dr 1925 (mit Michail Al-
lerei, in: RfKw, 27, 1904, 90–112, 221–250, patov); Die psychologischen Grundlagen der
308–321; Das ravennatische Mosaik von S. plastischen und malerischen Gestaltung, in:
Michele in Affricisco im Kaiser Friedrich- ZfÄaK, 18, 1925, 1–4, 120–128; Spätantike
Museum, in: JbPK, 1904, 374–401; Die umge- und koptische Stoffe aus ägyptischen Grab-
kehrte Perspektive und die Niedersicht, in: funden in den Staatlichen Museen zu Berlin,
FS August Schmarsow, Lpz 1907, 1–40; Alt- Bln 1926 (mit W.F. Volbach); Die Kunst des
christliche und mittelalterliche byzantinische Kindes. Der Entwicklungsgang seiner zeich-
und italienische Bildwerke, 2 Bde., Bln 1909– nerischen und bildnerischen Gestaltung, Stg
11; Ein Gang durch die Geschichte der alt- 1927; Rez. von Dagobert Frey, Gotik und
christlichen Kunst mit ihren neuen Pfadfin- Renaissance (1929), in: ZfÄaK, 25, 1931, 70–
dern. Zur Kritik und Ergänzung der For- 90; Die neurussische Kunst im Rahmen der
schungen J. Strzygowskis und L.v. Sybels, in: Kulturentwicklung Rußlands von Peter dem
RfKw, 34, 1911, 281–314 u. 35, 1912, 193–240; Großen bis zur Revolution, 2 Bde., Au 1932;
Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine August Schmarsow zum 80. Geburtstag, in:
und systematische Kunstwissenschaft, in: ZfKg, 2, 1933, 207–209; Entwicklungsläufe
ZfÄaK, 9, 1914, 556–562 (Beiheft); Zwei Ta- der Basilika, in: Byzantin.-neugriech. Jbb.,
felbilder des Duecento im Kaiser Friedrich- 1936, 61–96; Lebenswege und Forschungs-
Museum, in: JbPK, 1916, 68–98; Grundlinien ziele. Eine Rückschau nach Vollendung des
und kritische Erörterungen zur Prinzipien- 70. Lebensjahres, Baden/Lpz/Prag/Brünn
lehre der bildenden Kunst, Stg 1917; Antwort 1936 (Bibliogr.); Tizians Kolorit in seiner
auf Émile Mâle, in: Otto Grautoff (Hrsg.), Entfaltung und Nachwirkung, in: ZfÄaK, 31,
Émile Mâle. Studien über die deutsche Kunst. 1937, 117–142, 225–243; Farbe, Licht und
Mit Entgegnungen v. Paul Clemen, Kurt Schatten in Tizians Bildgestaltung, in: JbPK,
Gerstenberg, Adolf Götze, Cornelius Gurlitt, 1941, 108–144, 171–200
Arthur Haseloff, Rudolf Kautzsch, Heinrich Literatur: Hamann, Richard: Rez. von »Die
532 Wulff

umgekehrte Perspektive«, in: ZfÄaK, 5, 1910, schungsziele«, in: ZfKg, 5, 1936, 334–335; Des-
469–475; Rothacker, Erich: Rez. von »Grund- soir, Max: dass., in: ZfÄaK, 31, 1937, S. 73;
linien und kritische Erörterungen zur Prinzi- Jahn, Johannes: dass., in: DLZ, 59, 1938, 199–
pienlehre der bildenden Kunst«, in: RfKw, 41, 200; Hallmann, Gerhard: Über die Bedeutung
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Zeitler, Rudolf
Geb. 28. 4. 1912 in Köln; gest. 8. 2. 2005 in Uppsala

Ein wesentlicher Beitrag zu einer neuen Sicht auf die Kunst des 19. Jahrhunderts,
die Verbreitung von Kenntnissen über skandinavische Kunst und Vorschläge zu Ge-
sichtspunkten kunsthistorischer Forschung kennzeichnen in erster Linie Z.s Rolle
in der Geschichte des Faches. Außerdem bemühte er sich um internationale Zu-
sammenarbeit zugunsten politischer Entspannung.
Der Sohn eines Ingenieurs verlor mit zehn Jahren seine Eltern, die in den Alpen
verunglückten, und wuchs beim jüdischen Vater seiner Mutter auf. Seit 1930 stu-
dierte er Kunstgeschichte und Geschichte bei  Pinder in München, in Berlin und
bei  Hamann in Marburg. Wegen seiner Abstammung und aus Überzeugung
emigrierte er 1933 nach Prag, wo er 1936 an der deutschen Universität in Ge-
schichte promovierte, und 1937 mit Hilfe einer schwedischen Stiftung weiter nach
Schweden. Er wollte zunächst Lehrer werden, promovierte aber dann nochmals in
Uppsala über Renaissancemedaillen bei Gregor Paulsson (1889–1977), der ihm Auf-
fassungen der Umweltgestaltung und der Sozialpsychologie nahebrachte, und habi-
litierte sich 1954 mit Klassizismus und Utopia in Uppsala. Dort wurde er Privatdozent
und 1964 (bis 1977) Ordinarius, nachdem er kurz eine Rückkehr nach Deutschland
erwogen hatte.
Z. hielt stets Verbindung zur Kunstwissenschaft in Deutschland, seit den 1970er
Jahren auch zu der in der DDR, und knüpfte Beziehungen nach Rußland und den
baltischen Sowjetrepubliken, obwohl er Marxismus, kommunistische Politik und
propagandistische Kunst ablehnte. Nachdem er 1946 den Schweden Albrecht Dürer
näher bringen wollte, dankte er später seiner neuen Heimat, indem er schwedische
und andere skandinavische Kunst deutschen Lesern zum Beispiel durch Reclam-
Kunstführer besser erschloß und zunächst das programmatische Buch seines Lehrers
Paulsson Die soziale Funktion der Kunst ins Deutsche übersetzte (Bern 1955).
Überzeugt von »gemeinsam-menschlichen Gründen« für die Erzeugung von
Kunstwerken wie für deren Beurteilung suchte Z. stets auch nach neuen methodi-
schen Ansätzen, wenn er eine unübliche Interpretation von Bekanntem vorschlug
oder weniger Bekanntes ins Licht hob. In Kenntnis der gesamten Theoriegeschichte
verband er in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen behutsames Fragen mit entschie-
Zeitler 533

denem eigenen Werturteil. Immer wieder unterstrich er Unterschiede zwischen


Ideengeschichte und Kunstpraxis, die Zusammenhänge des Verhaltens zur Kunst
mit Alltagserfahrungen und den Ausschluß der arbeitenden von den Gedanken und
Verhaltensmöglichkeiten der herrschenden Volksschichten. In Überlegungen zu eini-
gen allgemeinen Faktoren in der Kunstgeschichte machte er deutlich, daß sich neue ge-
stalterische Prinzipien, zum Beispiel beim Wechsel von romanischer zu gotischer
Skulptur, schon deshalb nicht aus theologischen Überlegungen ableiten lassen, weil
es dafür keine Worte gab: »Kein Mensch konnte damals verbal den Unterschied
ausdrücken, der zwischen dem erzählenden Stil von Vézelay und dem feierlich-
darstellenden von Chartres besteht.«
Es erregte Aufsehen, als Z. der Band über das 19. Jahrhundert übertragen wurde,
mit dem die neue Fassung der Propyläen-Kunstgeschichte eröffnet wurde, und wie
er seinen Gegenstand sah. Er schenkte nicht nur der akademischen, historisierenden
Kunst wieder Beachtung, womit damals auch andere Gelehrte begonnen hatten,
sondern würdigte auch den russischen Realismus. Die üblichen Auffassungen von
Entwicklung, von Stilgeschichte und von der Wirkung begrifflichen Denkens oder
politischer Ideologie auf die Kunst und ihre Geschichte wies er ab. Kunst war für
ihn ein Teil der Kultur, aber ein eigenständiger: Sie mache manches anschaulich, was
sonst unbeachtet bliebe, während viele wesentliche Züge einer Epoche sich nicht
in ihr ausdrückten. Er unterschied Kunstwerke und damit Künstler nach einer dua-
listischen oder monistischen Struktur ihres Verhaltens zur Realität, was den älteren
Systematisierungen durch  Riegl oder Wölfflin nahekam. Diese Erklärung und
Begriffswahl fand aber keine Zustimmung der Fachwelt. Der Kunst des 20. Jahr-
hunderts stand Z. zunehmend skeptisch gegenüber und zweifelte an der Möglich-
keit, sie mit den an älterer Kunst bewährten Begriffen zu erfassen. Er vermachte
seine Bibliothek der Universität Karlstad, wo auch Z.-Vorlesungen gehalten wer-
den.
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Namenregister

Mit * versehene Personen sind zusätzlich zu den hier genannten Seitenzahlen mit einem Artikel im
Lexikon vertreten.

Ackerman, James 102 Baudicour, Prosper de 9


Adorno, Theodor W. 171 *Baum, Julius 308
Agincourt, Jean Baptist Seroux d’ 94, 392 Baumeister, Willi 403
Ahlers-Hestermann, Friedrich 376 Bäumler, Alfred 72
Aischylos 370 Baxandall, Michael 396
Ajnalov, Dimitrij V. 529 *Bayersdorfer, Adolf 106, 523
Albani, Allessandro 503 Becker, Felix 23, 117, 224, 225, 254, 359, 381,
Albert von Sachsen-Teschen 9 387, 413, 427, 434, 435, 476, 510
Alberti, Leon Battista 57, 136, 207, 275, 512 Beckmann, Max 124, 125, 136, 146, 163, 168,
Albrechts von Habsburg 280 169, 285, 339, 359, 427, 429
Aldegrever, Heinrich 9 *Beenken, Hermann 152, 204, 254, 303,
Allesch, Johannes von 401 403
Alpatov, Michael 401, 529 Beethoven, Ludwig van 438, 466
Alt, Theodor 323 Begas, Reinhold 31, 497
Altdorfer, Albrecht 106, 107, 462 Beham, Barthel und Sebald 323
Alzog, Johannes 241 *Behne, Adolf 129
Amalia in Weimar 88 Behrens, Peter 359
Amiet, Cuno 154 Bellini, Giovanni 148, 185, 207, 362
Andresen, Andreas 10 Bellori, Giovanni Pietro 502
Angelico, Fra 242 Belting, Hans 336
*Antal, Friedrich 70, 136, 171, 182, 313, 401, Benesch, Eva 23
427 *Benesch, Otto 1, 431
Archinto, Alberigo 503 Benjamin, Walter 123, 346
Argan, Giulio Carlo 109 Berenson, Bernard 33, 83, 297, 303, 442
Arnim, Achim von 36, 354 Berger, John 2
Assisi, Franz von 394, 437 Bergson, Henri 170, 335
Auerswald, Alfred und Rudolf 149 Bernays, Michael 516
Bernheim, Ernst 5, 440
Baader, Franz Xaver von 296, 401 Bernini, Giovanni Lorenzo 45, 144, 185, 221,
Bach, Johann Sebastian 328, 438 222, 244, 462, 503, 512, 513
Backer, Jakob Adrianesz 11 Berthold, Gertrude 4
*Badt, Kurt 109, 135, 403, 458 Bertram, Johann Baptist 36, 37
Baglione, Giovanni 220 Beruete, Aureliano de 278
Balász, Béla 1 Beth, Ignaz 49
Baldinucci, Filippo 175 *Bezold, Gustav von 57, 111
Baldung Grien 307 Bianchi-Bandinelli, Ranuccio 498
Baldung Grien, Hans 308 Biermann, Georg 496
Baltrusaitis, Jurgis 114 *Bing, Gertrud 82, 133, 362, 483, 506, 507
*Bandmann, Günter 31, 55, 136, 221, 244, 402 Bing, Samuel 283
Barlach, Ernst 180, 188, 324 Bismarck, Otto von 139, 270, 350
Barocci, Federico 379 Blake, William 50
*Bartsch, Adam von 257, 280, 281, 321, 405 Blankenhorn, Erich 276
Bartsch, Friedrich 10 Blechen, Carl 212, 334, 338, 450
Bataille, Georges 78 *Bloch, Peter 77
Batoni, Pompeo 95 Blunt, Anthony 2
*Bauch, Kurt 7, 109, 116, 117, 151, 208, 234, Bock, Elfried 381, 510
462 Böcklin, Arnold 16, 17, 92, 120, 144, 207, 212,
Baudelaire, Pierre-Charles 168 258, 333, 338, 381, 382, 451, 497, 517
Namenregister 547

*Bode, Wilhelm von 30, 48, 58, 65, 90, 92, 269, 270, 301, 302, 310, 311, 323, 361, 378,
106, 116, 197, 207, 216, 221, 238, 257, 260, 381, 384, 389, 391, 408, 415, 447, 461, 470,
262, 295, 297, 298, 302, 340, 353, 358, 375, 481, 486, 491, 516, 517
435, 436, 449, 450, 451, 458, 460, 462, 473, *Burger, Fritz 42, 110, 123, 169
488, 509, 510, 520, 523, 529 Bürger-Thoré, Théophile 34, 302
Boeckh, August 44, 211 Burgkmair, Hans 10, 381
Boeckler, Albert 289 Burke, Edmund 286
Böhmer, Johann Friedrich 321 Burne-Jones, Edward 281
*Boisserée, Sulpiz und Melchior 128, 371, Buschhausen, Helmut 152
391, 392, 465 Buschor, Ernst 135, 209
Boll, Franz 482
Bonnard, Pierre 154, 260 Calder, Alexander 308
Börne, Ludwig 238 Callot, Jacques 9
Borromini, Francesco 144, 185, 186, 244, 248 Cambio, Arnolfo di 311
Börsch-Supan, Helmut 221 Canaletto (Bernardo Belotto) 265
Bosch, Hieronymus 98, 99, 163 Canova, Antonio 36, 89
Both, Jan 422 Caravaggio 11, 110, 220, 420, 462, 514
Botticelli, Sandro 82, 262, 263, 297, 396, 397, Carracci 95, 207, 220, 461, 504, 514
481, 507 Carrière, Moriz 298, 406
Bötticher, Karl 408, 452 Carstens, Jakob Asmus 87, 88, 89, 342, 343
Botticini, Francesco 252 Cassirer, Ernst 27, 67, 74, 125, 315, 316, 366,
Boucher, François 462 482, 506, 507
Boullée, Etienne-Louis 224, 225 Cavaceppi, Bartolomeo 503
Brahms, Johannes 442 Cavalcaselle, Giovanni Battista 17, 33, 97, 106,
Bramante, Donato 64, 197, 244 211, 348, 418
Branner, Robert 102 Caylus, Anne-Claude de 502
Braque, Georges 77, 92, 277 Cellini, Benvenuto 127
*Braunfels, Wolfgang 55, 446 Cennini, Bernardo 280
Bredius, Abraham 12, 34, 116, 117 Cézanne, Paul 1, 5, 19, 62, 92, 93, 110, 169,
Breker, Arno 72 194, 283, 299, 304, 306, 307, 308, 336, 346,
Brentano, Clemens 296 348, 349, 383, 406, 450, 480
Brieger, Peter 151 Chagall, Marc 145
Brière-Misme, Clotilde 222 Chiaveri, Gaetano 186
*Brinckmann, Albert Erich 11, 48, 49, 50, 53, Chodowiecki, Daniel 263, 266
89, 90, 185, 221, 316, 376, 470, 493, 518 *Christ, Johann Friedrich
Brinckmann, Justus 260, 359 Christian VIII., König von Dänemark 354
Bringmann, Michael 325 Cibulka, Josef 432
Brockhaus, Heinrich 454 Cicognara, Leopoldo Conte 392
Brosamer, Hans 263 Cimabue 95, 292
Brown, Denise Scott 234 Clark, Kenneth 197
Bruckner, Anton 92 *Clasen, Karl-Heinz 399
Bruegel, Pieter 98, 99, 107, 402 Claudianus, Claudius 183
Brühl, Heinrich Reichsgraf von 176 Clauß, Ludwig Ferdinand 72
Bruhns, Leo 18, 254 Claussen, Peter Cornelius 159
Brunelleschi, Filippo 64, 197, 234, 512 *Clemen, Paul 13, 216, 271, 338, 429, 456
Brunn, Heinrich 516 Cleve, Joos van 106
Brunov, Nikolai 401 Constable, John 5
Buddensieg, Tilmann 221 Conze, Alexander 33, 498
Büdinger, Max 344 Corinth, Lovis 260, 339
Bülow, Daniela 437 Cornelisz van Haarlem 420
Bünau, Heinrich Graf von 51, 502 Cornelius, Peter 75, 96, 97, 139, 211, 212, 275,
Buontalenti, Bernardo 444 293, 296, 333, 342, 343, 355, 392, 469
Burchard, Ludwig 182 Corot, Camille 16, 341
*Burckhardt, Jacob 14, 33, 103, 114, 144, 150, Correggio 295, 462
153, 174, 175, 178, 182, 196, 207, 232, 247, Courajod, Louis 456
548 Namenregister

Courbet, Gustave 16, 93, 260, 306, 351, 385, Dürer, Albrecht 10, 11, 24, 70, 75, 98, 106, 107,
406 127, 148, 163, 173, 174, 194, 195, 217, 221,
Cranach d.Ä., Lucas 51, 106, 124, 148, 262, 222, 237, 239, 248, 262, 263, 266, 275, 277,
351, 352, 357 281, 286, 287, 308, 317, 321, 351, 357, 361,
Creuzer, Georg Friedrich 391, 465 365, 369, 381, 382, 405, 413, 416, 417, 419,
Croce, Benedetto 5, 115, 266, 374, 499, 518 420, 421, 433, 434, 436, 437, 442, 453, 468,
Crowe, Joseph 33, 97, 106, 211, 348, 418 472, 473, 478, 488, 497, 498, 504, 510, 517,
Curjel, Hans 122 518, 523, 532
Curtius, Ernst 38, 84, 209, 211, 219, 391, 488, Duthuit, Georges 460
516 *Dvoák, Max 1, 2, 23, 66, 104, 109, 119, 150,
Cusanus, Nicolaus 185 173, 208, 224, 313, 314, 316, 345, 346, 349,
Cuvilliés, François de 38 361, 373, 374, 375, 393, 401, 421, 424, 431,
441, 498, 499, 506, 518
D’Annunzio, Gabriele 438 Dyck, Anthonis van 176, 413
Daddi, Bernardo 454
Daege, Eduard 211 Eastlake, Charles L. 87, 297, 320, 466
Dahn, Felix 299 *Eberlein, Kurt Karl 75, 141, 180, 187, 350
Dalton, Ormond M. 529 Ebert, Wils 288
Dante, Alighieri 138, 241, 242, 296, 396, 397 Egger, Hermann 185
Däubler, Theodor 266 Eggers, Friedrich 390
Daumier, Honoré 24 Ehrlich, Georg 442, 443
David, Jacques-Louis 89, 110, 287, 321, 351, Eichendorff, Joseph von 149
446, 447 Einbeck, Konrad von 120
Davidsohn, Robert 38 *Einem, Herbert von 7, 72, 273, 308, 454,
Degas, Edgar 230, 308, 336, 406 455, 470, 493
*Dehio, Georg 25, 71, 90, 111, 112, 119, 141, *Einstein, Carl 285, 495, 496
151, 173, 175, 185, 299, 301, 311, 323, 327, *Eitelberger, Rudolf von 33, 87, 206, 207,
330, 424, 445, 485, 518 219, 262, 344, 390, 391, 423, 433, 449, 498
Delacroix, Eugène 110, 136, 238, 281, 333, Elsheimer, Adam 66, 176, 239, 462
351 Engelmann, Wilhelm 295
Delaroche, Paul 325, 333 Engels, Friedrich 251, 324, 337, 384
Demmler, Theodor 308 Ernst, Max 308
*Demus, Otto 432 Erthal, Friedrich Karl von 178
Deri, Max 129 Essenwein, August von 26
Descartes, René 199 Ettlinger, Helen 83
Dessoir, Max 156 *Ettlinger, Leopold David
Diehl, Charles 529 Eucken, Rudolf 250
*Diez, Ernst 61, 124 Eugen von Savoyen 9
Dilthey, Wilhelm 4, 42, 66, 120, 156, 174, 214, *Evers, Hans Gerhard 6, 152
219, 472, 488, 516 Eyck, Jan und Hubert van 19, 69, 116, 295,
Dittmann, Lorenz 4 303, 317, 465
Dix, Otto 264, 265, 339, 496, 497
*Dohme, Robert 41, 58, 144, 207, 212, 350 Faensen, Hubert 92
Döllinger, Ignaz 296 *Falke, Jakob von 13, 58, 87, 90, 207, 290, 291,
Domenichino 357, 462 435
Donatello 222, 375, 378, 396, 457 Falke, Otto von 237
Donner, Georg Raphael 442 Fechheimer, Hedwig 77
Dorner, Alexander 129 Feininger, Lyonel 101, 338, 339, 364
Dou, Gerard 357, 442 *Fernow, Carl Ludwig 74
Drake, Friedrich 390 Ferstl, Heinrich von 432
*Drost, Willi 90, 266, 267, 446 Feuerbach, Anselm 92, 120, 144, 275, 301
Droysen, Gustav 5, 211 *Feulner, Adolf 41
Dubos, Jean-Baptiste 148, 502 Fichte, Johann Gottlieb 71
Duchesne, Louis 499 Ficino, Marsilio 507
Dückers, Alexander 152 Fiedler, Josepha 493
Namenregister 549

*Fiedler, Konrad 115, 201, 221, 348, 449, 517 Gebser, August Rudolph 150
Filarete 225, 275 Geiger, Moritz 117
*Fiorillo, Johann Dominicus 248, 354, 391, Genelli, Bonaventura 296
465, 468 Gent, Justus von 510
Fischart, Johann 98 Gentileschi, Artemisia und Orazio 462
Fischer, Eugen Kurt 14, 383 Georg von Sachsen 323
Fischer von Erlach, Johann Bernhard 151, Gerhaert, Nicolaus 312, 387
401 Gerhard, Eduard 391
Flaubert, Gustave 93 Gerke, Friedrich 160
Flechsig, Eduard 352 *Gerson, Horst 12
Floch, Joseph 442 *Gerstenberg, Kurt 14, 26, 53, 90, 141, 268,
Floerke, Hanns 381 330, 417, 491
Flötner, Peter 263 Geymüller, Heinrich von 311
Focillon, Henri 38, 114, 115 Ghiberti, Lorenzo 245, 350, 374, 375
Folengo, Teofilo 98 Ghirlandaio, Domenico 82
Fontane, Theodor 269 Giacometti, Giovanni 154
*Förster, Ernst 334, 392, 523 *Giedion, Sigfried 153, 205, 444
Forster, Johann Georg 369 Giesau, Hermann 129
*Fraenger, Wilhelm 163, 313 Gilly, Friedrich 267
Franck-Oberaspach, Karl 386 Giorgione 148, 211, 216
Frankfort, Henri 28 Giotto 11, 69, 128, 135, 152, 194, 195, 200, 201,
*Frankl, Paul 19, 90, 122, 185, 224, 244, 245, 242, 292, 311, 336, 348, 349, 394, 395, 437,
268, 308, 316, 398, 518 454, 455
Franz Joseph I. 80 *Glaser, Curt 77, 330, 340, 352, 366, 527
Frauenholz, Johann Friedrich 9, 468 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 177
Freeman, John Grace 219 Glück, Gustav 182
Freud, Sigmund 133, 297 Goes, Hugo van der 106, 107, 510
*Frey, Dagobert 23, 109, 220, 328, 346, 348, *Goethe, Johann Wolfgang von 37, 71, 74, 87,
399, 444, 529, 530 88, 92, 120, 136, 138, 139, 214, 286, 292, 293,
*Friedlaender, Walter 353, 354, 392, 434, 466, 468, 472, 504
Friedländer, Max 435 Goettling, Carl Wilhelm 211
*Friedländer, Max Jacob 33, 34, 222, 281, 297, Gogh,Vincent van 5, 93, 116, 179, 188, 283,
303, 313, 351, 352, 366, 421, 462, 509, 510 284, 299, 323, 338, 341, 377, 406, 427, 450,
Friedrich, Caspar David 72, 75, 162, 260, 266, 480, 488, 496
293, 333, 387, 411, 420, 450, 488 *Goldschmidt, Adolph 11, 19, 42, 52, 72, 112,
Friedrich von Österreich, Erzherzog 281 151, 156, 159, 165, 171, 179, 208, 219, 221,
Friedrich Wilhelm IV. 138, 141, 248, 333, 354 244, 290, 303, 304, 310, 313, 315, 340, 352,
Fröhlich-Bum, Lili 109 426, 429, 435, 454, 456, 458, 459, 470, 472,
Fromentin, Eugène 302 473, 487, 493, 506, 512, 518
Fruhtrunk, Günter 201 Goll, Jaroslav 68
Fürst, Bruno 1, 313 Goltzius, Hendrick 421
Furtwängler, Wilhelm 516 *Gombrich, Ernst H. 28, 82, 154, 171, 346,
Füßli, Johann Caspar 292 375
Füßli, Johann Heinrich 2 Görres, Joseph 296
Füßli, Johann Rudolf 434 *Gosebruch, Martin 4, 7, 135, 349
Gossaert, ,Jan 106, 510
Gabo, Naum 146 Gottschewski, Adolf 470
Gadamer, Hans Georg 398 Goya, Francisco José de 113, 115, 125, 257,
*Gall, Ernst 141, 226, 387, 403 266, 278, 279, 333, 446, 450
Gallait, Louis 333 Graff, Anton 149, 212, 298
*Gantner, Joseph 29, 75, 153, 154 Gramberg, Werner 109
Ganz, Paul 113 Greco, El 70, 214, 278, 279, 283, 299, 375,
Garnier, Charles 85 450
Gau, Franz Christian 408 Gregorovius, Ferdinand 245
Gauguin, Paul 93, 281, 376, 385, 480 Greiner, Otto 258
550 Namenregister

Grien, Hans Baldung 308 *Hartlaub, Gustav Friedrich 179, 276, 377,
*Grimm, Herman 36, 130, 141, 150, 196, 211, 403
299, 300, 301, 343, 354, 405, 415, 423, 437, Hartung, Hans 146
457, 487, 517, 523, 524 *Haseloff, Arthur 52, 109, 221, 427, 429, 454,
Grimm, Jacob 44, 138 470
Grimm, Ludwig Emil 138 *Hausenstein, Wilhelm 49, 77, 162, 497
Grimm, Wilhelm 138 *Hauser, Arnold 1, 3, 70, 169
Gris, Juan 77 Haverkamp-Begemann, Egbert 182
*Grisebach, August 26, 49, 90, 120, 151, 268, Heartfield, John 21
394 Hebbel, Friedrich 472
Gronau, Georg 470 Heckel, Erich 180, 341, 359
Gropius, Walter 21, 122, 234, 324 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 4, 45, 198,
Gros, Antoine 321 199, 213, 247, 353, 354, 378, 388, 415, 452,
Gross, Werner 4, 18, 20, 135 463, 465, 504
Grosse, Ernst 124 Hegemann, Werner 488
Grosz, George 77 Hegenbarth, Josef 265
Grote, Ludwig 385 Heidegger, Martin 4, 11, 12, 208, 209, 271,
Grünewald, Matthias 24, 98, 106, 107, 109, 276
256, 351, 357, 365, 381, 510 Heidenreich, Robert 204
Guardi, Francesco 107 Heider, Gustav Adolf von 80, 262, 390
Guarini, Guarino 152 *Heidrich, Ernst 209, 330, 346, 348, 349,
Gude, Hans 524 473
Guercino 462 Heine, Heinrich 326
Guhl, Ernst 139, 523 *Heineken, Carl Heinrich von 147, 434
Gundolf, Friedrich 84 *Heinse, Johann Jakob Wilhelm 286, 369,
Günther, Ignaz 90 468
*Gurlitt, Cornelius 41, 125, 152, 180, 185, 219, *Heise, Carl Georg 129, 187, 229, 303, 310,
325, 345, 470 368, 403, 447, 456
Gurlitt, Louis 143 *Held, Julius Samuel
Gütschow, Margarete 227 Helmholtz, Hermann 92
Guttuso, Renato 145, 146 Hemmel, Peter 101
*Hempel, Eberhard
Haberditzl, Franz-Martin 182 *Hentzen, Alfred 187, 217, 338, 363, 364
Hackert, Philipp 127, 128, 177 Heraklit 199
*Haftmann, Werner 403 Herbart, Johann Friedrich 452
*Hagedorn, Cristian Ludwig von 286 Herder, Johann Gottfried 71, 126, 286, 370,
*Hagen, Ernst August 14, 151 389, 452, 468, 504
*Hager, Werner 44, 201, 302, 303, 381 Herding, Klaus 152
Hagnower, Niclas 457, 458 Herlin, Friedrich 312
*Hahnloser, Hans Robert 375 Hermand, Jost 157, 284, 298
Haider, Karl 16 Herrmann, Paul 413
Hallensleben, Horst 160 *Herzfeld, Ernst 514
Haller von Hallerstein, Carl 392 Herzfelde, Wieland 77
Halm, Philipp 13, 276, 308 Herzog Albert von Sachsen-Teschen 9
Hals, Frans 353 *Hess, Walter
*Hamann, Richard 2, 18, 19, 29, 159, 169, Hesse, Hermann 77
171, 236, 244, 284, 298, 376, 398, 440, 472, Hettner, Hermann 92
530, 532 *Hetzer, Theodor 18, 204, 229
*Hamann-Mac Lean, Richard H. L. 157 Heucher, Johann Heinrich 176
Hanak, Anton 431 *Heydenreich, Ludwig Heinrich 109, 405
Händel, Georg Friedrich 359 Heyne, Christian Gottlieb 51, 503
Hanfstaengl, Franz 325, 339, 341 Hildebrand, Adolf von 17, 55, 92, 144, 201,
Hankamer, Paul 271 323, 517
Harden, Maximilian 283, 366 Hildebrandt, Hans 49, 79
Hartel, Wilhelm von 498 Hildebrandt, Johann Lucas von 151
Namenregister 551

Hillebrand, Karl 17 Jean Paul 36, 97


Hind, Arthur M. 257 Jeanron, Philipp-Auguste 238
Hirt, Aloys 354, 465 Jedlicka, Gotthard 367
Hirth, Georg 298 Jenny, Hans 154
Hitler, Adolf 72 Jenny, Wilhelm von 204
Hittorf, Jacques Ignaz 392, 408 Jensen, Jens Christian 444
Hobbema, Meindert 422 Joël, Karl 151, 383
Hodler, Ferdinand 50, 110, 154, 169, 375, 406, Johst, Hanns 77
480 *Jordan, Max 65, 274
Hoelzel, Adolf 192 Jorn, Asger 146
Hoernes, Moritz 250 Jüchser, Hans 265
Hofer, Karl 22, 285 Junecke, Hans 101
Hofmann, Werner 24, 152, 188, 403 Jung, Carl Gustav 163
Hofmannsthal, Hugo von 299 Jung, Erich 72
Hofstätter, Hans H. 376 *Justi, Carl 21, 42, 54, 55, 120, 136, 138, 150,
Hofstede de Groot, Cornelis 11, 12, 33, 34, 179, 216, 222, 278, 279, 285, 300, 338, 363,
116, 117, 221, 222, 421, 422 364, 367, 378, 473, 481, 490, 496
Hogarth, William 2, 148, 286 *Justi, Ludwig 427
Holbein d. Ä., Hans 124, 381, 510, 524 Juvarra, Filippo 42
Holbein d. J., Hans 17, 124, 148, 176, 237, 262,
263, 295, 321, 357, 381, 382, 473, 523, 524 Kahnweiler, Daniel-Henry 78
Hollar, Wenzel 9, 232 Kalckreuth, Leopold von 301, 323
Holst, Niels von 187 *Kallab, Wolfgang
Homer 138, 139 Kandinsky, Wassily 113, 146, 192, 339
Honisch, Dieter 145, 152 Kant, Immanuel 88, 92, 93, 306, 374
Honnecourt,Villard de 154 Karl August von Sachsen-Weimar 287, 292
Honthorst, Gerard 356, 357 Kaschnitz-Weinberg, Guido von 66, 346
Hooch, Pieter 442 Kasper, Ludwig 145
*Hotho, Heinrich Gustav 263, 269, 354, 388, Katzenellenbogen, Adolf 28
390, 465 *Kauffmann, Hans 7, 111, 117, 177, 221, 421
Houbraken, Arnold 175, 239 *Kaufmann, Emil
Hsieh Ho 125 Kaulbach, Wilhelm von 296, 333, 334
Huber, Wolf 107, 462 *Kautzsch, Rudolf 288, 427, 473
Hübner, Julius 112, 520 *Keller, Harald 427, 512
Huizinga, Johann 118, 491 Keményi, Alfred 21
Humboldt, Wilhelm von 338, 353, 354, 389, Kemp, Wolfgang 7, 345, 346
466 Kersting, Georg Friedrich 72
Husserl, Edmund 11, 162, 208, 209, 276, 506 Kesting, Anna Maria 152
Hüttinger, Eduard 383 Keyserling, Eduard von 265
Keyserling, Hermann Graf 266
*Imdahl, Max 4, 92, 93, 152 Kimball, Fiske 225
Immermann, Karl 389 *Kinkel, Gottfried 44, 240, 269
Kirchner, Ernst Ludwig 124, 180, 277, 281,
Jacobi, Johann Georg und Friedrich Heinrich 341, 359, 367, 399
177 Kitzinger, Ernst 28
*Jahn, Johannes 211, 378, 434, 444, 473 Klee, Paul 145, 146, 277, 339, 365, 367, 384
Jamot, Paul 109 Kleist, Heinrich von 472
*Janitschek, Hubert 55, 57, 65, 124, 165, 322, Klenze, Leo von 392, 447
449, 453, 454, 456, 481, 521, 525 Klesse, Brigitte 221
Janson, Horst 222 Klimt, Gustav 281, 306, 499
*Jantzen, Hans 11, 18, 52, 84, 129, 135, 159, Klinger, Max 212, 258, 281, 301, 413
174, 182, 192, 194, 226, 229, 276, 288, 311, *Klotz, Heinrich
348, 394, 399, 422, 429 Kobell, Ferdinand 177
Jaspers, Karl 29 Kobell, Wilhelm 10
Jauss, Hans Robert 4 Koch, Josef Anton 355
552 Namenregister

Koehler, Wolfgang 133 Leibl, Wilhelm 301, 411, 479


Kohl, Helmut 146 Leibniz, Gottfried Wilhelm 66, 176, 348
*Kohlhaussen, Heinrich Leistikow, Walter 488
Kokoschka, Oskar 70, 281, 285, 359, 364, 377, Le Nain 488
440, 442, 480, 496 Lenin, Wladimir Iljitsch 337
Kolbe, Georg 304 Lenz, Max 174
*Kolloff, Eduard 34, 302, 391 Leonardo da Vinci 34, 88, 113, 115, 127, 150,
Kollwitz, Käthe 101, 257, 258, 324, 413, 488, 196, 197, 211, 280, 378, 382, 405, 481, 517
496, 526 Lequeu, Jean-Jacques 224, 225
Koninck, Philips 117 Lessing, Gotthold Ephraim 27, 51, 84, 260,
Kossinna, Gustaf 250 369, 504, 524
*Kraus, Franz Xaver 55, 57, 397 Lewin, Kurt 401
*Krautheimer, Richard 6, 101, 402 Leyden, Lucas van 9, 239
Krautheimer-Hess, Trude 245 *Lichtwark, Alfred 211, 283, 323, 406, 449,
Kreidolf, Ernst 98 450, 520
Kretzschmar, Bernhard 265 Liebermann, Max 212, 218, 260, 281, 324,
Kricke, Norbert 201 351, 359, 366, 367, 368, 406, 437, 449
Kriegbaum, Friedrich 197 Lietzmann, Hilda 221
Kris, Ernst 133, 154 Ligne, Charles de 9
Kroll, Frank-Lothar 272 Lipchitz, Jacques 145
Krüger, Franz 450 Liphart, Karl Eduard von 17
Küas, Herbert 289 Lippi, Fra Filippo 185
Kubin, Alfred 24 *Lippmann, Friedrich 65, 106, 257, 405, 510,
Kubler, George 102, 440, 530 523
*Kugler, Franz 44, 45, 96, 97, 119, 141, 231, Lipps, Theodor 452
242, 269, 270, 274, 311, 333, 354, 388, 389, Liss, Johann 357
390, 391, 392, 408, 452, 465, 521, 524 Liszt, Franz 437
*Kühn, Herbert Lochner, Stephan 128, 394, 420
*Kühnel, Ernst *Löffler, Fritz
Kuile, Engelbert Hendrik Ter 353 Longhi, Roberto 109, 454
Kultermann, Udo 354 Loo, Georges Hulin de 510
Kurth, Willy 29 Loon, Theodor van 183
Kurz, Otto 375 Loos, Adolf 476
Kutschera von Woborsky, Oswald 281 *Lorck, Karl von 66, 354
Lorrain, Claude 9, 110, 194, 195, 357, 466
*Ladendorf, Heinz 29, 204 Lotz, Wolfgang 245
Lambert, Elie 491 Lotze, Hermann 452, 516
Lamprecht, Karl 54, 156, 169, 481, 487 *Lübke, Wilhelm 17, 65, 85, 143, 144, 274,
Lampugnani,Vittorio M. 122 390, 418, 465, 485, 516, 523
Langbehn, Julius 302 Ludwig, Peter und Irene 308
Langhans, Carl Gotthard 267 Ludwig I. von Bayern 36, 447
Lanzi, Luigi 94, 392, 461 Ludwig II. von Bayern 84, 85
Lastman, Pieter 239 Ludwig XIV. 85
La Tour, George de 462 Lukács, Georg 1, 3, 70, 171, 335
Laurens, Henri 335 Luther, Martin 438
Lavater, Johann Kaspar 286 *Lützeler, Heinrich 29, 55, 74, 114, 313
Layard, Austen Henry 297 *Lützow, Karl von 17, 58, 207, 257, 270, 294,
Le Blant, Edmont-Frédéric 499 523
Le Corbusier 38, 114, 122, 224, 335, 376
Ledoux, Claude-Nicolas 224, 225 Machiavelli, Niccolò 473
Léger, Fernand 146, 277 Macke, August 339
Lehmann, Edgar 157 Mackowsky, Hans 141
Lehmbruck, Wilhelm 4, 77, 188, 480, 495, 496 Maillol, Aristide 55
*Lehrs, Max 106, 107, 352, 412, 413, 436, 510, Makart, Hans 275, 300, 333
520 Mâle, Emile 119, 335
Namenregister 553

Mancini, Giulio 219, 220 437, 438, 468, 491, 496, 503, 504, 507, 512,
Mander, Karel van 175, 280, 357 517
Manet, Édouard 16, 214, 218, 260, 301, 308, Mies van der Rohe, Ludwig 146, 324, 497
323, 341, 406, 450 Millet, Jean François 16, 529
Manguin, Henri 154 Mirandola, Pico della 507
Mannheim, Karl 1, 171 Möbius, Friedrich 7
Mantegna, Andrea 127, 148, 158, 185, 321, 343, Modersohn-Becker, Paula 180
382, 436, 442 Mondrian, Piet 146, 308, 384, 385
Marc, Franz 49, 180, 192, 339, 364 Monet, Claude 230, 260, 284, 301
Marcks, Gerhard 188 Montesquieu 502
Marées, Hans von 17, 83, 92, 93, 169, 283, 348, Moore, Charles 234
364, 449, 517 Moore, Henry 189, 514
Mariette, Jean Pierre 9, 175, 176 Moos, Stanislaus von 123
Marini, Marino 188, 308 *Morelli, Giovanni 16, 33, 106, 280, 405, 415,
Martens, Bella 455 433, 498, 521
Martigny, Joseph-Alexandre 241 Mörike, Eduard 452
*Martin, Kurt Moritz, Karl Philipp 468
Marx, Karl 136, 171, 251, 324, 335, 337, 384 Morris, William 283, 328
Masaccio 19, 62, 278, 303 Mozart, Wolfgang Amadeus 359
Masereel, Frans 180 Müller, Friedrich 177
Matjek, Antonín 432 Müller, Karl Otfried 391, 392, 407
Matisse, Henri 281, 335, 427, 450, 480 Müller, Theodor 91
May, Ernst 114 Müller,Victor 16
*Mayer, August Liebmann Müller-Tamm, Pia 354
Mayer, Hans 120 Multscher, Hans 106, 120, 312
*Meder, Joseph Munch, Edvard 125, 180, 281, 283, 338, 341,
*Meier-Graefe, Julius 124, 278, 299, 325, 351, 427
366, 368, 375, 382, 437, 450, 496 Mündler, Otto 33, 296, 466
Meiss, Millard 1, 2, 454 Müntz, Eugène 197, 456
Meister Bertram 260 Murillo, Bartolomé Esteban 214, 239, 279
Meister Francke 179, 260, 455 Musil, Robert 313
Meister von Flémalle 106, 317 *Muther, Richard 283, 325, 351
Meit, Konrad 457, 458 Myslbek, Josef 431
Melozzo da Forli 378
Memling, Hans 106 Nadler, Josef 142
Mencl,Václav 399 Nagler, Georg Kaspar 294, 295, 435, 449
Mengs, Anton Raphael 95, 120, 148, 286, 369, Napoleon I. 36, 370
503 Nay, Ernst Wilhelm 145, 180
Menzel, Adolph 207, 212, 218, 249, 281, 283, Nerly, Friedrich 355
306, 324, 338, 351, 413, 450, 479 Nesselrath, Arnold 160
*Merck, Johann Heinrich Neumann, Balthasar 266
Merkert, Jörn 162 *Neumann, Carl 34, 71, 99, 142, 394
*Metz, Peter 29 *Neumeyer, Alfred 151
Metzner, Franz 431 Nicolai, Friedrich 148, 286
Meusel, Johann Georg 434 Niebuhr, Barthold Georg 355
*Meyer, Erich 30, 153 Niekisch, Ernst 29
Meyer, Hans 522 Nietzsche, Friedrich 44, 178, 282, 457, 481
*Meyer, Johann Heinrich 96, 126, 127, Noack, Ferdinand 151
465 Nohl, Herman 120
*Meyer, Julius 92, 274, 435, 449 Nolde, Emil 136, 145, 180, 188, 281, 285, 359,
Michalski, Ernst 376 480
Michel, André 49, 165, 302 Nordenfalk, Carl 289
Michelangelo 34, 45, 64, 75, 82, 88, 113, 115, Notke, Bernt 179, 180, 310
138, 139, 144, 148, 150, 185, 213, 214, 215, Novalis 452
220, 244, 304, 343, 350, 378, 402, 416, 436, *Novotny, Fritz
554 Namenregister

Oeser, Adam Friedrich 502, 503 Piloty, Karl Theodor von 326, 351
Olfers, Ignaz von 466 *Pinder, Wilhelm 2, 14, 18, 42, 58, 66, 71, 72,
Olivier, Ferdinand 392 84, 102, 104, 141, 152, 157, 158, 172, 187, 195,
Oncken, Wilhelm 521 203, 210, 224, 226, 229, 288, 308, 313, 326,
Oost, Jacob van 183 373, 394, 401, 410, 417, 418, 427, 431, 435,
Orcagna 242 445, 454, 455, 456, 485, 532
Orlandi, Pellegrino Antonio 434 Pisano, Giovanni und Niccolò 229, 311, 427
Orlik, Emil 258, 413 Platon 214, 242
Orozco, José Clemente 24 Plietzsch, Eduard 340
Osborn, Max 79 Pollaiuolo, Antonie und Piero 83
Ossian 127 Pollak, Oskar 185
Ossietzky, Carl von 284 Pöppelmann, Matthäus Daniel 185
*Osten, Gert von der 101 Popper, Karl 133
Osthaus, Karl Ernst 179 Porter, Arthur Kingsley 19, 120, 131, 429
Overbeck, Friedrich 72, 180, 212, 293, 333, Posse, Hans 463
343, 355, 392, 469, 510 Poussin, Nicolas 5, 109, 110, 201, 321, 357, 517
Ovid 357 Prandtauer, Jakob 151
Preetorius, Emil 168
*Paatz, Walter 180, 234, 427 Preller d. Ä., Friedrich 392
Pacher, Michael 185, 195, 312, 313 Preller d. J., Friedrich 211
*Pächt, Otto 23, 66, 151, 154, 186, 346, 362, Purrmann, Hans 335
375, 401 Puyvelde, Leo van 182
Palladio, Andrea 64, 144, 513
*Panofsky, Erwin 18, 19, 90, 107, 109, 119, Quast, Ferdinand von 390
129, 133, 196, 197, 201, 221, 222, 229, 245,
272, 314, 323, 346, 362, 368, 394, 410, 420, Rabelais, François 98
430, 440, 446, 447, 455, 456, 458, 481, 482, *Raczynski, Athanasius Graf
506, 510, 513, 518 *Raffael, Max 34, 57, 64, 82, 88, 95, 127, 138,
Parler, Peter 431 139, 148, 158, 177, 194, 242, 244, 248, 281,
Passarge, Walter 100, 162, 346 286, 287, 320, 321, 343, 350, 355, 369, 378,
*Passavant, Johann David 10, 33, 280, 391, 405, 416, 447, 457, 461, 468, 469, 502, 503,
405, 420 504, 507, 517
*Pauli, Gustav 58, 162, 179, 300, 478 Rahn, Rudolf 114
Paulsson, Gregor 532 Raimondi, Marcantonio 9
Pechstein, Max 281, 335 Rainaldi, Carlo 184, 185
*Pecht, Friedrich 274, 298 Ramboux, Johann Anton 303
Peirce, Charles Sanders 507 Ranke, Hermann 84
Permoser, Balthasar 237 Ranke, Leopold von 36, 44, 57, 139, 211
Perrault, Charles 200, 502 Raphael, Max 1, 305, 497
Perugino 82, 148 Ratgeb, Jörg 98, 99
Peters, Johann Anton 9 Rauch, Christian Daniel 31, 212, 386, 459
*Pevsner, Sir Nikolaus 109, 117, 141, 187, 376, Raumer, Friedrich von 465
488 *Rave, Paul Ortwin 71, 142, 341, 364
Pfemfert, Franz 77, 284 Read, Herbert 171
Pforr, Franz 293, 320, 469 Réau, Louis 117
Pfuhl, Ernst 151 Reber, Franz von 17, 520
Phidias 503 Redslob, Edwin 304
Philipp IV. 182 Reichensperger, August 270
Picasso, Pablo 24, 50, 77, 92, 146, 152, 160, *Reidemeister, Leopold
163, 171, 188, 192, 281, 335, 336, 341, 359, Reinhardt, Max 122
367, 398, 514 Reinhart, Johann Christian 355
Pieper, Paul 26, 120, 268 Reinle, Adolph 114
Piero della Francesca 349 Rembrandt 9, 11, 12, 23, 24, 34, 46, 66, 67, 75,
Pietsch, Ludwig 325 98, 113, 115, 116, 117, 118, 127, 148, 156, 157,
Piles, Roger de 148, 502 174, 176, 183, 194, 216, 221, 222, 238, 239,
Namenregister 555

248, 262, 263, 278, 281, 300, 301, 302, 313, 286, 302, 357, 389, 410, 411, 420, 453, 454,
321, 336, 351, 352, 357, 361, 385, 405, 413 466, 504
Reni, Guido 9, 504 Ruisdael, Salomon 420, 421, 422
Renoir, Auguste 55, 230, 260, 284, 341, 351, *Rumohr, Karl Friedrich von 36, 96, 97, 199,
450 320, 321, 333, 334, 348, 388, 391, 392, 452,
Rethel, Alfred 75 465
Rewald, John 230, 341 Runge, Philipp Otto 50, 72, 75, 260, 266,
Ribera, Jusepe de 279 293, 333, 354, 370, 446, 447
Richardson, Jonathan 148, 502 Ruskin, John 55, 348
Richter, Ludwig 72, 212, 258, 265, 297, 411 Russack, Hans Hermann 66, 473
Riedel, Friedrich Just 177
*Riegel, Herman 212 Salles, Georges 460
*Riegl, Alois 18, 24, 41, 61, 68, 69, 90, 100, *Sandrart, Joachim von 51, 148, 175, 239, 463,
115, 119, 123, 136, 143, 152, 172, 174, 184, 468, 473
191, 192, 204, 209, 239, 250, 251, 267, 297, Sansovino 504
313, 316, 330, 370, 374, 378, 379, 393, 401, Sarre, Friedrich 190, 252
402, 408, 422, 424, 433, 439, 440, 441, 442, Sarto, Andrea del 207, 466
481, 485, 498, 499, 500, 516, 526, 530, 533 Sauer, Josef 242
Riehl, Berthold 25, 101, 298, 487, 516 Sauerländer, Willibald 137, 346, 429
Riemenschneider, Tilman 120, 237, 266, 308, *Sauerlandt, Max 90, 179, 236, 291, 364
311, 312, 394 Savigny, Friedrich Carl von 388, 389
Riemerschmid, Richard 359 *Saxl, Fritz 27, 82, 109, 133, 196, 197, 315, 316,
Riemschneider-Hoerner, Margarete 376 429, 442, 447, 482, 483, 506, 507, 508
Rilke, Rainer Maria 168, 299 Schadow, Gottfried 212, 338
*Rintelen, Friedrich 136, 151, 154, 194, 195, Schadow, Wilhelm 96, 149, 212, 333, 334, 355,
381, 383, 385, 486 389, 469
Ripa, Cesare 504 Schapiro, Meyer 183, 225
Rishel, Joseph J. 306 *Schardt, Alois 217, 398
Ritter, Hellmut 482 *Scheffler, Karl 33, 218, 450, 479, 496, 527
Rivera, Diego 324 Scheibler, Ludwig 106
Robbia, Luca della 396 Scheler, Max 271
Robert-Dumesnil, A. P. F. 9 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 199,
Rodenwaldt, Gerhard 159 296, 354, 370, 371, 392
Rodin, Auguste 55, 113, 115, 222, 308, 335, Schiele, Egon 23, 24, 281
479 Schiff, Gert 2
Roh, Franz 122, 162, 403 Schiller, Friedrich 88, 127, 293, 504
Rohlfs, Christian 359 Schinkel, Karl Friedrich 36, 141, 142, 166,
Romako, Anton 306 237, 266, 267, 334, 338, 343, 407, 466
Ronczewski, Konstantin 227 *Schlegel, Friedrich 36, 95, 293, 345, 354, 392
Roosval, Johnny 14, 23 Schleicher, August Wilhelm 211
Rosa, Salvatore 462 Schlemmer, Oskar 192
Rosemann, Heinz 234 Schlosser, Johann Georg 286
Rosenberg #### 65, 116, 283, 325 *Schlosser, Julius Alwin (Ritter von) 5, 11,
*Rosenberg, Adolf 65, 283, 325 69, 132, 133, 153, 154, 219, 220, 245, 313,
*Rosenberg, Jakob 116 354, 401, 424, 465, 473, 493, 498, 499, 506,
Rosenhagen, Hans 283 518
Rosselli, Cosimo 82 Schlüter, Andreas 64, 65, 143, 254, 255
Rossetti, Dante Gabriel 413 *Schmalenbach, Fritz
Rossi, Aldo 234 Schmalenbach, Werner 376
Rossi, Giovanni Battista de 241, 499 *Schmarsow, August 2, 17, 18, 41, 66, 100,
Rothacker, Erich 530 152, 203, 224, 251, 316, 330, 344, 346, 408,
Rothko, Mark 146 435, 452, 454, 455, 487, 516, 518, 525, 526,
Roussel, Ker Xavier 154 529, 530
Rubens, Peter Paul 45, 75, 84, 85, 127, 148, *Schmid, Heinrich Alfred 151, 455
177, 182, 183, 194, 201, 214, 239, 263, 281, Schmidt, Gerhard 53
556 Namenregister

*Schmidt, Georg 169, 376, 383 Sintenis, Renée 304


Schmidt, Paul Ferdinand 79 Sisley, Alfred 260
Schmidt-Rottluff, Karl 180, 341, 359 Slevogt, Max 257, 260
*Schmitt, Otto 112, 197 Slive, Seymour 353
Schmitz, Hermann 49 Smith, Craigh Hugh 109
Schmoll gen. Eisenwerth, Josef Adolf 4, 399 Solario, Andrea 4
Schmuzer, Jakob 9 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 199, 389
*Schnaase, Karl 33, 36, 44, 45, 97, 149, 174, Solmitz, Walter 28
231, 242, 247, 269, 270, 274, 311, 333, 345, Sombart, Werner 266
354, 391, 415, 452, 465 Sophokles 370
Schneider, Friedrich 227 Speer, Albert 72, 497
Schnitzler, Hermann 29 Spengler, Oswald 71, 266
Schnorr von Carolsfeld, Julius 212, 413, 449, Spitzweg, Carl 212, 411
520 Spranger, Bartholomäus 421
Schöll, Adolf 392 Spranger, Eduard 42, 66, 151, 266, 303
Schöne, Richard 263 *Springer, Anton 34, 54, 65, 106, 130, 138,
Schönfeld, Johann Heinrich 357, 463 139, 144, 165, 203, 207, 214, 222, 241, 242,
Schongauer, Martin 11, 148, 239, 262, 263, 257, 260, 274, 280, 297, 298, 322, 405, 408,
321, 351, 352, 357 434, 453, 454, 456, 524
Schopenhauer, Arthur 92, 213, 214, 438 Springer, Jaro 526
*Schorn, Ludwig 97, 263, 321 *Stange, Alfred 120
*Schrade, Hubert 142, 151 Stark, Karl Bernhard 452, 521
Schrödter, Adolph 524 Stauffer-Bern, Karl 258
Schubert, Franz 359 *Stechow, Wolfgang 117, 222
*Schubring, Paul Steffens, Heinrich 354, 465
Schulz, Heinrich Wilhelm 166 Steinbach, Erwin von 127
Schulze-Vellinghausen, Albert 201 Steinmann, Ernst 244, 512
Schumacher, Fritz 258 Sternberger, Dolf 376
Schumann, Clara 92 Stosch, Philipp von 503
*Schürer, Oskar 84 Stoß,Veit 308, 312, 462, 510
Schurz, Carl 232 Strack, Heinrich 333
Schüssler, Ise 161 Strack, Johann Heinrich 141
Schwind, Moritz von 72, 281 Strauß, David Friedrich 452
Scorel, Jan van 510 Strauss, Gerhard 527
Scoti-Bertinelli, Ugo 220 Strixner, Johann Nepomuk 36
Séailles, Gabriel 197 *Strzygowski, Josef 11, 19, 61, 62, 63, 69, 72,
*Sedlmayr, Hans 4, 5, 6, 8, 19, 23, 38, 61, 66, 104, 120, 132, 191, 227, 255, 267, 306, 373,
74, 136, 154, 169, 186, 192, 193, 200, 210, 374, 441, 460, 493, 500, 506, 529, 530
305, 307, 313, 346, 375, 394, 410, 419, 431, Stüler, Friedrich August 141
432, 445, 446, 463, 513 Suckale, Robert 53
Seemann, Elert Artur Ernst 274 *Swarzenski, Georg 49, 109, 179, 386 , 428
*Seidlitz, Woldemar von 197, 302 *Swarzenski, Hanns 427
*Semper, Gottfried 63, 82, 92, 114, 259, 345, *Swoboda, Karl Maria 132, 313, 427, 475, 493
452, 476, 516, 526 Sybel, Heinrich 523
Serlio, Sebastiano 275 Syrlin, Jörg 237, 312, 457, 458
Serra, Richard 201
Seurat, Georges 93 Tapies, Antoni 146
Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper 502 Taut, Bruno 21, 324
Shakespeare, William 127, 138, 150, 472 Taut, Max 22
Sickel, Theodor von 68, 373, 498 Terbrugghen, Hendrik 420
Sievers, Johannes 257 *Thausing, Moriz 17, 80, 138, 150, 280, 300,
Signorelli, Luca 82, 242, 397, 453 344, 423, 437, 453, 498, 523
Simmel, Georg 77, 335, 488 Thibaut, Anton Friedrich 388
*Simson, Otto von 210, 221 *Thieme, Ulrich 23, 117, 224, 225, 254, 359,
*Singer, Hans Wolfgang 257 381, 387, 413, 476, 510
Namenregister 557

Thiersch, Friedrich 391, 392 Venturi, Robert 234


*Thode, Henry 42, 48, 71, 92, 196, 252, 300, Vermeer van Delft, Jan 5, 403, 462
302, 348, 394, 405, 449, 454, 462 Veronese, Paolo 5, 194, 207
Thoma, Hans 16, 55, 92, 144, 218, 258, 276, Vigne, Charles 291
301, 437 Vinnen, Carl 323
Thormaelen, Ludwig 187, 338 Viollet-le-Duc, Eugène Emanuel 408
Thorvaldsen, Bertel 333, 343 Vischer, Friedrich Theodor 143, 408, 415,
Thun, Graf Leo 80 452
Tieck, Ludwig 95, 293, 354, 355, 465, 468 *Vischer, Robert 162, 354, 378, 516
Tiepolo, Giovanni Battista 107, 194, 195, 328, Vitruv 275
462 *Vitzthum, Georg Graf 52, 74, 117, 146, 179,
*Tietze, Hans 5, 77, 110, 132, 281, 300, 346, 310, 311, 327, 421
442, 530 *Vöge, Wilhelm 4, 107, 109, 131, 136, 160, 165,
*Tietze-Conrat, Erica 439 179, 194, 209, 315, 348, 421, 427, 510
Tikkanen, Johan Jakob 348 *Volbach, Wolfgang Fritz 455, 529
*Tintelnot, Hans Volkelt, Johannes 452, 516
Tintoretto 207, 278, 436, 440, 478 Voll, Karl 13, 168
Tischbein, Johann Heinrich 212 Vollmer, Hans 435
Tischbein, Wilhelm 287 Voltaire 328
Tizian 148, 163, 194, 195, 229, 239, 362, 440, Volterra, Daniele da 421
442, 507 Vorbrodt, Günter und Inge 312
Toelken, Ernst Heinrich 248 Vosmaer, Carel 302
Tölk, Maria 207 *Voss, Hermann 33, 106, 109, 151, 421, 518
Tolnay, Charles de 1, 154, 307 Vossler, Karl 266, 374
Toulouse-Lautrec, Henri de 283 Vuillard, Edouard 154, 260
*Traeger, Jörg
Treitschke, Heinrich 139, 516 *Waagen, Gustav Friedrich 33, 96, 141, 198,
Troeltsch, Ernst 42, 171, 488 242, 269, 274, 320, 354, 388, 389, 390, 391,
Troost, Ludwig 497 420, 523
Trübner, Wilhelm 16, 359, 406 Wach, Wilhelm 96
*Tschudi, Hugo von 207, 260, 283, 295, 301, *Wackenroder, Wilhelm Heinrich 95, 293,
368 357, 369, 370, 452, 497
Tuaillon, Louis 323 *Wackernagel, Martin 90, 151, 166, 493
*Waetzoldt, Wilhelm 35, 74, 112, 120, 151,
Ueberwasser, Walter 381 160, 179, 238, 287, 321, 361, 468, 482, 486,
Uechtritz, Friedrich von 389 496, 503, 527
Uhde, Fritz von 144, 207, 326, 351 Wagner, Cosima 437, 438
Uhland, Ludwig 36, 452 Wagner, Otto 476
Ullmann, Ernst 102 Wagner, Richard 16, 92, 326, 413, 436, 437,
Unger, Oswald M. 234 438
Usener, Hermann 481 *Wagner-Rieger, Renate 432
Waitz, Georg 57, 301
Valentiner, Elisabeth 311 Walden, Herwarth 21, 341, 496
Valentiner, Wilhelm R. 116 *Waldmann, Emil 129
Vallotton, Felix 154 Walzel, Oskar 526
Vasari, Giorgio 36, 83, 88, 94, 95, 96, 97, 148, *Warburg, Aby 2, 4, 27, 61, 74, 81, 82, 104,
150, 151, 174, 175, 219, 220, 238, 264, 280, 107, 133, 151, 163, 172, 178, 179, 180, 183,
355, 357, 369, 392, 421, 444, 468, 470, 502, 196, 221, 227, 303, 304, 315, 316, 323, 361,
504, 521 362, 379, 396, 421, 441, 442, 446, 456, 470,
Veen, Abraham van 183 473, 506, 507, 512
Veit, Philipp 212, 355, 371 Warhol, Andy 146
Velázquez 120, 121, 213, 214, 239, 278, 279, Warnke, Martin 182, 221, 235
283, 295 Waterloo, Anthonie 9
Velde, Henry van de 283, 359, 366, 422, 495 Watkin, David 327
Venturi, Adolfo 113, 311, 341 Weese, Arthur 154, 525
558 Namenregister

Weiditz, Hans 98 *Wittkower, Rudolf 109, 151, 183, 222, 225


Weigand, Edmund 227 Woermann, Karl 49, 79, 211, 250, 412, 479,
*Weigert, Hans 151, 227, 289, 365, 387, 445 523, 524, 525
*Weisbach, Werner 38, 109, 132, 152, 328, Wohlgemut, Michael 405
421 Wolff, Christian 176, 264
*Weise, Georg *Wölfflin, Heinrich 1, 2, 5, 11, 13, 18, 21, 41,
*Weitzmann, Kurt 129, 131 42, 44, 45, 46, 52, 53, 61, 66, 77, 81, 90, 92,
Welcker, Carola 122 100, 101, 107, 109, 111, 113, 114, 115, 119,
Welcker, Friedrich Gottlieb 391 120, 122, 123, 124, 125, 131, 132, 136, 138,
Werckmeister, Otto Karl 6 140, 141, 143, 151, 152, 153, 156, 157, 172,
Werner, Anton von 324, 450 173, 174, 175, 179, 184, 185, 194, 195, 208,
Wertheimer, Max 401 217, 229, 244, 251, 267, 276, 279, 284, 290,
*Westheim, Paul 21, 77, 78, 168, 285, 335 297, 298, 303, 315, 316, 330, 335, 336, 344,
Weyden, Roger van der 19, 233, 317 348, 352, 359, 361, 370, 378, 379, 384, 393,
Whistler, James Abbott MacNeill 413 409, 417, 420, 436, 437, 452, 458, 459, 461,
Wibiral, Norbert 432 462, 463, 470, 472, 481, 487, 488, 495, 507,
Wichert, Fritz 162 509, 510, 522, 525, 526, 528, 533
*Wickhoff, Franz 68, 69, 80, 219, 344, 354, *Woermann, Karl
373, 379, 424, 433, 436, 439, 440, 441, 442, Wols 146
500, 523 *Woltmann, Alfred 17, 33, 65, 138, 139, 207,
Wieland, Christoph Martin 177, 286 280, 465, 466, 521
Wiese, Erich 399 Wolzogen, Alfred von 141
Wilde, Johannes 1, 109 *Worringer, Wilhelm 49, 52, 192, 194, 251,
Wilde, Oscar 283 271, 282, 330, 348, 366, 367, 375, 452, 455,
Wilhelm II. 166, 324 496
Wille, Johann Georg 148, 176 Wülcker, Richard Paul 413
*Wilpert, Josef *Wulff, Oskar 41, 132, 251, 316, 460, 518
*Winckelmann, Johann Joachim 50, 51, 83, Wurzbach, Alfred von 434
84, 88, 94, 95, 119, 120, 127, 147, 148, 174,
177, 178, 199, 213, 214, 228, 293, 321, 353, Zahn, Albert von 212
354, 355, 369, 370, 371, 445, 447, 452, 465, Zanotti, Eustachio 175
468, 481, 486, 498 *Zeitler, Rudolf 158, 306
*Wind, Edgar 27, 151, 315, 316, 362, 447, 482, Ziesenis, Johann Friedrich 308
483 Zille, Heinrich 21, 22
*Winkler, Friedrich 458 Zimmermann, Max Georg 17
Winner, Matthias 221 Zimmermann, Robert 452
Wittgenstein, Ludwig 4 Zoege von Manteuffel, Kurt 257

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