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Mitteilungen
der
^Deutschen Orienf-Sesellscfiaft
zu Berlin.
1. Vereinsnachrichten.
In diesem Jahre haben wir, wie gelegentlich auch früher,
aus Ersparnisrücksichten davon abgesehen, den in der
Hauptversammlung am 2. Mai erstatteten Jahresbericht
drucken zu lassen; wir hoffen auf das Einverständnis unserer
Mitglieder mit dieser Abweichung von den sonstigen Ge¬
pflogenheiten.
In den Vo r s t a n d ist Herr Staatssekretär Professor
Dr. C. H. Becker als ständiger Vertreter des Ministeriums
für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung neu eingetreten.
Sein Vorgänger, Herr Staatsminister Dr. F. Schmidt-Ott
ist als gewähltes Mitglied dem Vorstande erhalten geblieben.
Außerdem hat die Hauptversammlung den Direktor der
Orieritbank, Herrn Dr. E. Alexander in den Vorstand neu
berufen.
Seit dem Krieg und dein Umsturz richtet die Deutsche
Orient-Gesellschaft all ihre Kraft darauf, die Veröffentlichung
der Ergebnisse ihrer Ausgrabungen sicherzustellen.
Von den „hettitischen" Texten aus Boghazköi
in autographierter Keilschrift sind nach langer Pause zwei
von Herrn Professor Dr. F. Hrozn^ in Prag hergestellte Hefte
2 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.
waren in der archaischen Zeit, die wir bis ins Ende des dritten
Jahrtausends gehen lassen, verhältnismäßig klein. Ihr Ruinen-
zustand ist verwickelt. Aber eine ungewöhnlich große Menge
von Einzelfunden und -beobachtungen schenkte uns eine
Kette von Entwicklungen und Einblicke in bisher dunkle
Kulturabschnitte. Der Stoff ist so reich, daß ich gezwungen
war, den archaischen Teil von dem ebenso reichen jüngeren
zu trennen und diesen einer späteren Herausgabe vorzu¬
behalten, deren wichtigster Abschnitt durch den König
Tukulti-Ninurta I (1260—1238) bezeichnet wird.
Mit den archaischen Ischtar-Tempeln kommen wir in
jene Zeiten, die wir den Beginn der Geschichte zu nennen
pflegen, weil sich da zum ersten Male Menschen durch Schrif¬
ten mitteilen und durch Bilder, die mit Stil und Inhalt schon
weit über die stammelnden Versuche der vorgeschichtlichen
Zeit hinausgehen. Die Zeit, in der es in dieser Weise hell
zu werden beginnt, liegt im mesopotamischen Tiefland wie
bei uns in Assur um die Wende des 4. und 3. Jahrtausends.
Unten in Babylonien waren schon zahlreiche Inschriften und
Bildwerke bekannt, die aus so tiefen Schichten stammen
müssen, aber eigentlich nie im Zusammenhang mit ihnen beob¬
achtet waren. Selbst die französischen Grabungen in Tello,
denen man den Hauptanteil daran verdankt, geben kein
geschlossenes lüli! einer Stadt, eines Palastes oder Hauses,
in denen jene Menschen der Frühzeit gewandelt sind. Man
drang zwar allmählich ein in ihre Geistesart, in gewisse Ab¬
schnitte ihrer politischen Geschichte, in ihren Handel und
Wandel, aber mit was für Dingen sie sich umgaben, blieb
unter dem Schutte der Ruinen zum großen Teil verborgen.
Aus Assyrien kannte man vor den Ausgrabungen in Assur
kaum ein einziges Stück, das man neben diese alten Funde
aus Babylonien hätte stellen können. Das ist jetzt anders
geworden., und zwar hauptsächlich durch die Funde in den
archaischen Ischtar-Tempeln.
Hier war an einem Querschnitt die Schichtenfolge vom
gewachsenen Felsen bis hinauf zur Hügcloberfläche im Zu¬
sammenhang mit mannigfach durcheinandergeschachtelten
10 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.
Abb. 6 u. 7. Tonbilder der stehenden und der silzenden Frau. >/2 d. nat.Gr.
Amurru östlich des Libanon die Sprache des Hofes das Lu¬
vische gewesen zu sein. Das Semitische — in Betracht
kommt nur das Amurrische — spielt für Nord syrien noch
gar keine Rolle. Demnach scheinen die Luvier bereits in
frühen Zeiten als verhältnismäßig einheitliches Volk das
ganze Gebiet vom Adriatischen Meer über Griechenland
und Kleinasien bis nach Westpersien besetzt zu haben
unter Verdrängung der Urbevölkerung in die Gebirge.
Die Landschaft Balä, nach der die B a 1 ä e r ihren Namen
haben, muß nach einer Gesetzesstelle ein größeres Land ge¬
wesen sein. Deshalb möchte ich meine frühere Annahme
verwerfen, nach der sie ihren Namen von der Land¬
schaft Balä in den Gebirgen westlich des heutigen Sivas er¬
halten haben, sondern vermuten, daß sie nach einer gleich¬
namigen Landschaft in Paphlagonien heißen, ja, daß der
Name der Paphlagonier nichts als eine griechische volks¬
etymologische Umgestaltung ihres Landesnamens ist, der
etwa Palaonia heißen müßte. Aus einem kleinen Anzeichen
ist zu erschließen, daß sie wahrscheinlich, wie die Protohattier
eine präfigierende Sprache hatten, d. h. eine Sprache, die
die grammatischen Formen eines Wortes nicht durch Endun¬
gen, sondern durch Vorsilben bildet. Ist dies richtig, dann
sind auch sie erst von den Luviern aus den westlichen Teilen
Kleinasiens in das Gebirge gedrängt worden. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß Balä Landschaften des Westrandes von
Kleinasien mit einschließt.
Zweifellos erst spätere Einwanderer sind von Westen
her die Kanisier, von Osten her die H a r r i e r 1. Der
Letzteren Einwanderung erfolgte nicht aus dem Kaukasus,
sondern aus Iran und von da aus erst auch in den Kaukasus.
Am Antitaurus und im mittleren Syrien hat ihre Einwande¬
rung ein Ende gefunden. Sie scheinen in dem ganzen Gebiet
von Armenien, Mesopotamien und Syrien die Zusammen¬
setzung der Bevölkerung nicht nachhaltig beeinflußt zu haben.
Die Kanisier schließlich sind wie später die Phryger
') Ich behalte diese Forin mit a statt wahrscheinlicher mit o beir
Iiis ich für letztere den sicheren Beweis erbringen kann.
Mitteilung No. 61, Dezember 1991 25
3. , [Ur-Idg^
2. , IWestldg^T
I
[Ost-Idg
I
L . West-Idg. Ost-Idg
28 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.
5. Religion.
Nach hattischer Anschauung sind alle irdischen Vor¬
gänge nur die Wirkung von göttlichen. Wenn die Gasgäer
den Hattiern Land und Festungen weggenommen haben, so
geschieht dies nur, weil die gasgäischen Götter sich gegen
die hattischen empört haben und diesen das Land entrissen
haben. So geht natürlich auch alles Unglück, Krankheit
und Krieg auf die Götter zurück. Durch Opfer und Gebete,
wenn sie von den nötigen Versprechungen begleitet sind, kann
der Wille der Götter beeinflußt werden, und die Hattier
haben es mit der Einhaltung selbst sehr großer Versprechun¬
gen sehr genau genommen. In allen möglichen Vorzeichen
kündigt sich die Zukunft an. Wenn daher etwas besonders
Merkwürdiges geschieht, werden die Schriftgelehrten nach
der Bedeutung dieses Ereignisses gefragt, ob sie günstig oder
ungünstig sei. Das setzt natürlich eine genaue Statistik
dieser kausalen Zusammenhänge in der Vergangenheit voraus-
So besitzen wir Werke, die für jede Einzelheit des Feldzuges
den Ausfall des Vogel- bzw. Eingeweide-Vorzeichens buchen.
Der Glaube an die Götter ist unbedingt. Bei Streitfällen
beschwören die Beteiligten ihre Aussage bei den Göttern und
die Beweisaufnahme ist erledigt. Alle Staatsverträge wer¬
den durch den Eid bei allen Göttern der beteiligten Länder
erhärtet. Aber die Politik hält sich nicht immer an die be¬
schworenen Verträge, und so können wir vonseiten der
Hattier sowohl als auch ihrer Vertragspartner eine ganze
Reihe von Vertragsbrüchen feststellen. Und als eine durch
ägyptische Gefangene eingeschleppte Seuche sich über ganz
Hatti verbreitete und 20 Jahre lang viele Opfer forderte,
da schlug dem König von Hatti (Mursiiis) das Gewissen: er
suchte unter allen seinen eigenen Sünden und denen seiner
Vorgänger und fand auch wirklich einen schweren Vertragsbruch,
für den er dann von den Göttern mildernde Umstände erbat.
Außer den Göttern werden Gebirge, Flüsse, Brunnen
und das Meer als göttlich verehrt. Die Inschriften sprechen
von den 1000 Göttern des Hatti-Reiches, doch bleibt diese
Zahl weit hinter der Wirklichkeit zurück. In jedem Orte
38 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.
ist ein Tempel, in dem sich die Götterbilder befinden oder
vermutlich ein freier Platz, auf dem die Malsteine stehen,
die den Göttern zugeordnet sind, die hier verehrt werden.
Außer den göttlich verehrten Flüssen, Brunnen und Gebirgen
der Umgegend finden wir ein merkwürdiges Gemisch aus¬
wärtiger Götter, deren Kult aus den verschiedensten
Gegenden gerade an diesen Ort verpflanzt wurde. Als Bei¬
spiel sei das wahrscheinlich im Gebiet mit hauptsächlich
harrischer Bevölkerung gelegene Dorf Sapagurvantas an
geführt. Dort gibt es 21 Malsteine folgender Götter': Xin
kigal (sumerisch), Huvadissis (luvisch?), 7-7-bi (sumerisch),
Wettergott von Harana (protohattisch), Brunnen Aldamissa-
vantas, Brunnen Sanijas, Brunnen Wassantatais, Wetter¬
gott vonNerig (protohattisch), Wettergott von Gastama (proto¬
hattisch), Bihaimis (luvisch), Iskus, Wettergott Ur-Sag
(babylonisch), Istar von Ninua (harrisch), Wettergott harsi-
harsi, Ijarris, Istar von Kar-Dunias (= Babylonien), Irus,
Wettergott von Assur, Wettergott des Landes Azzi, Wetter¬
gott Kar-anza, Wettergott Lil. Für jeden dieser Götter
werden zwei Feste gefeiert, das Winter- und das Sommer¬
fest. Der Wettergott von Assur stammt vielleicht aus der
Zeit der altassyrischen Kolonisierung, der Wettergott des
Landes Azzi wohl aus der kurz voraufgegangenen Zeit, wo Azzi
Eroberungen gemacht hatte. Die Istar von Kar-Dunias ist wohl
von einem babylonischen Kaufmann hier eingeführt worden.
Noch größer ist das Gemisch der Götterkulte in den
großen Städten und dort werden ihnen entsprechend mehr
Feste gefeiert.
Ein Versuch, die Bedeutung der wichtigsten Götter
festzustellen, stößt auf die größten Schwierigkeiten. Denn
so einheitlich die materielle und geistige Kultur des Hatti-
Reiches auf kanisischer Grundlage auch ist, und so sehr auch
die Formen des Kultus die gleichen sind, so ist doch die Aus¬
gestaltung der einzelnen Götterkreise Sache der einzelnen
Nationalitäten geblieben, so sehr sie auch stellenweise durch-
einandergehen. So hat dieselbe Göttergestalt bei den ver¬
schiedenen Völkern verschiedene .Nauien und ihre Ideo-
Mitteilung No. Ol, Dezember 1921. 39