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der Orpheus unsrer Zeiten

Eine literarische Collage von


Michael Kämmle
Begleittext zur CD Friends of the Lute
© Michael Kämmle 2013 1
2 © Michael Kämmle 2013
Seit dem Bekanntwerden der Tatsache, dass es sich bei Bachs Trio BWV 1025
um die erweiterte Bearbeitung einer Suite des Dresdner Lautenisten Sylvius
Leopold Weiss handelt, gab es verschiedene Versuche, die Entstehungsgeschichte
dieses Werkes zu erklären. Zu den wissenschaftlichen Deutungen, die in der
entsprechenden Literatur nachgelesen werden können, gesellt sich auf der CD
Friends of the Lute eine eher künstlerisch empfundene, aber aufgrund der
Quellenlage recht plausible weitere Möglichkeit, die im folgenden literarischen
Text neben anderen Apekten der Aufnahme weniger erklärt, als in der Manier
der Empfindsamkeit abgeschildert wird. Es handelt sich dabei um einen fiktiven
Briefwechsel zwischen der in Leipzig lebenden Dichterin Luise Adelgunde
Gottsched und einer ihrer ebenso fiktiven Freundinnen, in dem zwar zahlreiche
Zitate aus den im Anhang nachgewiesenen Quellen Eingang fanden, vieles aber
auch frei erfunden und so frei wie poetisch formuliert ist.
Eine von Wilhelm Friedemann Bach herbeigeführte Begegnung zwischen Bach,
Weiss und Kropffgans hat im Sommer 1739 tatsächlich stattgefunden: ob aber
die Gottschedin, die eine so begeisterte wie virtuose Spielerin der Barocklaute war
und nicht nur Kontakt zu Weiss pflegte, sondern auch durchaus im Hause
Bachs verkehrte, aber Zeugin der geschilderten Szene wurde und wie dieses
Treffen in Wirklichkeit verlief sei dahingestellt ...

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Luise Adelgunde Gottsched an Frau von W*** in B***
Leipzig, den
Hochwohlgeborene und Hochzuehrende Frau,
Die Höflichkeit, so Sie mir bisher erzeiget haben, ist so ausnehmend
groß, daß ich solche unmöglich mit Stillschweigen übergehen kann.
Ich danke Ihnen, gütigste Frau, mit gerührtem Herzen dafür und
suche nichts als eine Gelegenheit, Sie in eben dem Grade zu
verbinden; alsdenn, und nicht eher, werden Sie die Empfindungen
meines Herzens recht lebhaft erfahren.
Aber kein geschriebenes Wort mag in der Lage sein, in demselben
Maße zu zeigen, wie sehr ich Ihnen ergeben bin, als ich es durch alle
Töne meiner Laute einstimmig versichern könnte: und so ist es
meinem Herzen vor allem eine besondere Freude, daß auch Eurer
Seele die Klänge dieses incomparablen Instrumentes so nahe gehen,
daß auch Euren zarten Hände dessen Applicatur – von der es wohl
heißt, sie sey so überaus schwer zu beherrschen, daß kaum noch ein
wahrer Meister darauf zu finden sey – nicht fremd ist. Ja, die Laute
ist ganz für gefühlvolle Gemüter wie die unsrigen gemacht, man mag
auf ihr auch Gesänge freudiger Liebe begleiten, aber ihre eigentliche
Natur ist: schwermüthige Liebe, stille Seufzer in schweigender Nacht
ausgehauchet, Ausbruch des klagenden Herzgefühls bis hin zu
Thränen ...
Unser Monsieur Weiss aus Dresden ist vielleicht der größte
Lautenist, der jemals gelebet hat, und man kann ihn einigermaßen
den Vater der Laute in unserer Zeit nennen: denn sie hat unter ihm
eine ganz andere Gestalt gewonnen. Am meisten aber thun sich
seine Compositionen vor allen anderen, die man kennet, hervor. Sie
werden zwar von einigen schwer genennet, aber nur von denen, die
zu flüchtig, oder zu alt sind; oder sonst eine Neigung zu einem
andern Instrumente haben: wiewohl sie auch sehr schwer zu
bekommen sind, indem der Weiss sehr schwierig ist, sie aus den
Händen zu lassen. Wer also eine starke Sammlung davon besitzet,
muß diesselbe als einen Schatz ansehen und hochhalten. Als Zeichen
meiner Werthschätzung und Empfindung Euch gegenüber

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übersende ich Ihnen eine kleine Fantasia, welche mir als von seiner
Composition stammend überlassen wurde, und die ich mit eigener
Hand abgeschrieben habe: möge sie Euer Herz erfüllen und an eine
gleichgestimmte Seele gemahnen.
Ich thue für Ihr Wohl die aufrichtigsten Wünsche. Sie haben mir
die Erlaubnis gegeben, Ihnen oft zu schreiben, und ich werde mich
dieser bedienen, denn ich kann Ihnen nicht oft genug die
vollkommenste Hochachtung versichern, mit welcher ich beständig
seyn werde

E. H.
gehorsamste Dienerin
Gottsched.

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Frau von W*** an Luise Adelgunde Gottsched
B***, den
Sehr werthgeschätzte Freundin,
Nichts hätte mir angenehmer seyn können, als daß ich von Ihrem
Wohlseyn und zwar durch Ihre eigene Feder versichert werde: wie
viel mehr freute mich Ihr leidenschaftlicher Brief, der mir den
seltenen Gleichklang unserer Gemüther so recht vor meine Seele
stellte: ich bitte Sie, geliebte Freundin, laßt in Euren künftigen
Briefen alle Hemmungen, wie sie vielleicht der Unterschied unserer
Geburt Eurer Feder eingeben mag, bey Seite, und nennt auch mich
Eure Freundin, wie ich sie für den Rest meiner Tage, ja auf ewig
seyn will.
Eine besondere Freude machte mir auch die von Euch so liebevoll
beigelegte Fantasia: denn stellt Euch vor, eben jenes Stück hatte
bereits mein Herz berührt als ich es hörte gespielt – von jenem
Lautenisten Baron, den unser Kronprinz Friedrich vor einiger Zeit in
seine kleine Kapelle geholt hat. Baron mag sich vielleicht nicht mit
Eurem Weiss vergleichen, aber auch er spielt die Laute auf eine sehr
anrührende Art: und hält sich dabei für einen wahren Orpheus
unserer Zeiten, wovon eine Episode zeugen mag, die ihm in seiner
Studienzeit begegnet sein soll.
Baron hatte eine unbegrenzte hohe Idee von der Schönheit und
Macht seiner Kunst; alle die fabelhaften Geschichten von Arion und
Amphion &c. wollte er für wahre Begebenheiten angesehen wissen,
und man konnte ihn nicht böser machen, als wenn man der Musik
unserer Zeit die Kraft und Wirkung absprach, welche die alte
hervorzubringen vermocht habe. Dies war auch einmal der Fall in
einer zahlreichen Gesellschaft, bey welcher auch der berühmte und
unglückliche Dichter Günther zugegen war. Dieser fordert seinen
Landsmann Baron auf, seine Behauptungen zu beweisen, und zu
zeigen, wie weit er mit seiner Kunst kommen möge; der Virtuose
läßt seine Laute holen, setzt sich mitten in den Kreis der
aufmerksamen Zuhörer, spielt und sucht durch alle möglichen Mittel
das Gefühl der Liebe auszudrücken; wirklich auch scheint der

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Eindruck, den er auf die um ihn gelagerten Zuhörer macht,
wunderbar, allmächtig; es hatten sich diese in Liebe umschlungen
und die freudigste Rührung spricht sich aus auf den Gesichtern; da
geht Baron aber auf einmal über durch enharmonischen Wechsel in
die bizarresten Tonweisen, spannt alle Segel seiner Kunst und malt
den Zorn in den rauschendsten Accorden; bald springen alle
Anwesenden auf von ihren Sitzen; je länger er spielt, je höher steigt
die Raserei, Stühle, Tische, Gläser, Pfeifen, alles wird zerschlagen, die
Degen fahren aus den Scheiden, es entsteht ein Handgemenge,
Baron ist überglücklich ob der Wirkung seines Spiels, aber seine
Laute wird zertrümmert und er muß die Flucht ergreifen. Auf der
Straße angekommen hört er ein lautes Gelächter, er kehrt um und
erfährt nun zu seinem größten Schrecken, daß die muthwilligen
Musensöhne alles das vorher verabredet haben, und den
gutmüthigen Orpheus, den leichtgläubigen, von seiner Kunst
eingenommenen Baron nur einmal zum Besten haben wollten.
Baron ging beschämt und voller Ärger nach Hause, wurde aber am
andern Morgen für den Spaß mit einer ungleich schöneren und
besseren Laute erfreut, als seine frühere war.
Um Euch also Euer Geschenk mit Gleichem zu entgegnen und
Euer Herz zu erfreuen wie Ihr es mit dem meinem gethan habt
sende ich Euch zusammen mit diesem Schreiben ein kleines
Concerto unseres hiesigen Virtuosen, in welchem der Laute auf
höchst commode Weise eine Flöte beigesellt ist: Denn – wie Euer
unvergleichlicher Gatte einst gereimt hat – fällt nicht jedes Haberrohr /
Gleich jedem angenehm ins Ohr?
Ich umarme Sie und bin Zeitlebens mit zärtlichster Freundschaft
Ihnen ergeben
W***

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Luise Adelgunde Gottsched an Frau von W*** in B***
Leipzig, den
Beste Freundin,
Denn mit diesem Namen will ich Sie nunmehr anreden, der Himmel
lasse es Ihnen auf immer so wohl gehen, als ich es wünsche: so
werden Sie die glücklichste Frau seyn. Auch ich bin mit Zärtlichkeit
und Hochachtung, beydes in dem Grad, da Sie es verdienen, Ihnen
ganz ergeben.
Aber diesmal will ich Ihnen etwas von Leipzig und seinen
Annehmlichkeiten sagen. Es ist ein angenehmer, schöner Ort; so
klein er ist, so viel reizendes hat er in seiner Ringmauer sowohl als
außer derselben. Die schönsten Gärten gehören den hiesigen
Kaufleuten, und ein Spaziergang längst der Pleiße ist einer der
angenehmsten um die Stadt. Die Leipziger sind sehr bescheidene,
gesittete Leute; alle, bis auf die geringste Art Menschen, besitzen ein,
ich weiß nicht, was, das man an andern Orten nicht findet, und das
nur den Sachsen eigen seyn soll. Der Handel ist in großem Flor, und
es fehlet dieser Stadt nichts als ein schiffbarer Fluß, um mit den
größten Handelsstädten um den Vorzug streiten zu können. Gleich
wie in den größten Städten Europas findet sich auch hier ein Caffe-
Haus, welches dem Herrn Zimmermann gehört; und in dessen
Garten finden unter der Leitung des stets etwas grimmigen Cantor
Bach die schönsten Musiken statt. Zu meinem größten Vergnügen
hörte ich hier unlängst ein Concerto a Cembalo concertato, bey dem das
Accompagnement nebst einigen Violinen auch aus zwey Fiauti a bec
bestand: so wußte ich also einen Musicus, der jenes heut zu Tage
wohl nicht mehr allseits übliche Haberrohr handzuhaben vermochte,
welches mir zur Begleitung in dem von Euch mir so freundlich
übersandten anmutigen kleinen Werk von Baron nötig war.
Übrigens hat Euch Euer Gedächtnis ein wenig im Stich gelassen;
denn mein Gatte reimte eher zu Ungunsten der in Wahrheit doch
recht angenehm zu hörenden blasenden Instrumente: Der Musik
geweihte Seelen / Sind sehr ekel im Erwählen: / Denn nicht jedes Haberrohr /
Fällt gleich angenehm ins Ohr. Aber wie alle gelehrten Männer ist auch

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meinem Gatten der Vergleich zu Orpheus schnell bey der Hand, und
unser Weiss scheint ihm werth zu seyn, mit dem antiken Sänger
gleichgesetzt zu werden:
Neuer Orpheus deiner Zeiten!
Dessen wundervolle Seyten,
Ohn ein sonderlich Bemühn,
Bäum und Felsen nach sich ziehn
Deine süßen Harmonien
Nehmen Ohr und Herzen ein.
Und was klingt so ungemein,
Als die sanften Melodien?
Welche trösten und entzücken,
Schrecken, dräuen und erquicken.
Sey dem, wie es mag: Eure Erzählung von Baron hat mich sehr
erfreut, und wenn Ihr noch mehr dergleichen in Eurem geistigen
Vorrathe habt, so teilt es mir doch unverzüglich mit. Bis dahin leben
Sie wohl, liebste Freundin! und denken Sie oft an
Ihre
Gottsched.

Das Zimmermannsche
Caffe-Haus

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Frau von W*** an Luise Adelgunde Gottsched
B***, den
Meine liebste Freundin,
Wie sehr freut es mich, daß ich Ihnen mit meinen kleinen Sendungen
einige frohe Augenblicke bereiten konnte. Ich hoffe, daß es Ihnen
eben so wohl ergeht, wie mir, und daß Sie am Strand der Pleiße stets
ausreichend von den Musen verwöhnt werden.
Ihrem Wunsch nach weiteren Mittheylungen aus dem Leben
unserer Musikheiligen komme ich um so lieber nach, als ich aus dem
Kreise unseres Prinzen – dessen Schwester einst den Unterricht
Ihres Dresdener Meisters genossen hat – eine Szene aus Weissens
Jugend vernommen habe, die ich Ihnen im Folgenden gerne
übermitteln möchte.
Der schon damals weit berühmte Lautenist gieng nämlich an
einem schönen Sommerabend, auf einer Promenade zu Breslau, in
tiefen Gedanken auf und ab, als er einige Schritte vor sich eine
weibliche Figur vorüber eilen sah, über deren Wuchs und Bildung er
alles Meditiren vergaß, und einen unaufhaltsamen Drang fühlte, sie
näher kennen zu lernen. Mit einigen Sprüngen war er bey der
Schönen, macht ihr ein Compliment, bot ihr seinen Arm zur
Begleitung an, und fragte sie, ob sie verheyrathet wäre?
Sie. Um Vergebung, mein Herr, welchen Antheil könnten Sie daran
nehmen dieses zu wissen?
Er. Weil ich wünschte, daß Sie es nicht seyn möchten.
Sie. Seltsam genug! Indessen ich bin es nicht.
Er. So würde ich mich glücklich schätzen, der Ihrige zu werden.
Sie. Mein Herr, ich habe Eltern, deren Einwilligung ...
Er. Bey selbigen nehme ich es auf mich, die gehörige Einwilligung
zu suchen.
Sie. So kommen Sie denn zu uns, morgen oder übermorgen, wann
sie wollen.
Er. Annoch heute Abend, mein Engel. Aber zuvor – – zuvor
wünschte ich wohl zu wissen, ob wir einer mit dem andern zufrieden
seyn werden. Da wünschte ich wohl, daß Sie mir vergönnten – –

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Sie. Was wollen Sie mit dem zufrieden seyn, und mit dem
vergönnen sagen?
Beyde vertieften sich in einen weitläufigen Discurs über das
zufrieden seyn und vergönnen, als sie unvermerkt an einen Garten
kamen, in welchem Weiss bekannt war. Er führte die Schöne hinein,
näherte sich mit ihr einer Rasenbank, die von Bäumen beschattet
war, auf welchen sich eine lockende Nachtigall hören ließ. Sie waren
beyde daselbst allein. Der Liebhaber fieng an etwas dreister zu
werden, die Schöne nachgebender, und endlich von Stufe zu Stufe –
––

Die Amors lächelten, und Sie – – ließ es geschehen.

Er. Nun mein Kind, wollen wir einander näher kennen lernen! ich
bin der Lautenist Weiss.
Sie. Und ich bin die Tochter eines Weinhändlers.
Weiss begleitete die Schöne zu ihren Eltern, die keinen Anstand
nahmen, den raschen Entschluß der beyden Verliebten zu
genehmigen, und die Folge davon ist eine der vergnügtesten und
glücklichsten Ehen.
Da auch Sie wohl in einer glücklichen Ehe leben überlasse ich Sie
nun Ihrem Gatten und bleibe auf immer Ihre zärtlichste Freundin
W***

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Luise Adelgunde Gottsched an Frau von W*** in B***
Leipzig, den 11. Aug: 1739
Geliebte Seele,
Mein Gemüth jubelt, wenn ich an das zurückdenke, was ich erleben
durfte, als etwas extra feines von Music im Haus des Cantor Bach
passirte. Sein Sohn von Dreßden war über vier Wochen zu Besuch
gewesen und hatte von dort Herrn Weissen nebst seinem schon
beinahe eben so fertigen Schüler – denn weil die Weissianische Art,
unser Instrument zu tractiren, vor die Beste, Reellste, Gallanteste
und Vollkommenste gehalten wird, so wollen sich viele nach dieser
neuen Methode bilden, gleichwie die Argonauten das goldene Vließ
der Kunst und Geschicklichkeit zu erlangen getrachtet haben –
Herrn Kropffgans mitgebracht, die auch mich aufsuchten, aber sich
besonders in Bachs Hause etliche male haben hören lassen.
Vor allem eine dieser musicalischen Unterhaltungen will ich Euch
abschildern, damit Ihr Euch in Eurem soldatischen B*** vorstellen
mögt, wie vergnügt die Muse etwa an der Pleiße lebt. Wir waren als
eine kunstsinnige Gesellschaft in einem der stets ein wenig düsteren
und wegen der vielen dort befindlichen Claviere etwas beengten
Räume in Bachs Wohnung neben der Thomaskirche versammelt.
Herr Weiss entnahm seine wundervolle Laute ihrem Futteral, und
schon in seiner ganz eigenen Art, sie zu stimmen, offenbarte sich
aufs Neue seine unvergleichliche Meisterschaft:
Wie Weiss, der Orpheus unsrer Zeit,
Eh er die Zauberlaute rühret,
Mit ungemeiner Achtsamkeit
Der Seyten Klänge prüft, und durch die Töne führet;
Er faßt die Wirbel, horcht und stimmt,
Bis er den Mishall nicht vernimmt,
Der anfangs sein Gehör durch falschen Laut verletzet;
Die Rechte läuft durch manchen Gang,
Bis ihm ein fehlerfreyer Klang
Das zarte Meisterohr mit reinem Ton ergetzet.
Nachdem er so ein weniges praeludiret hatte warf Weiss Herrn

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Kropffgans einen beinahe schelmischen Blick zu, und dieser holte
ein merkwürdiges kleines Instrument hervor: welches in seiner
muschelförmigen Gestalt und mit seinem aus gebogenen
Holzspänen gebildeten Bauche ganz wie eine für einen Zwerg
gemachte kleine Laute anmuthete, über deren dünnen, am Ende mit
einem Drachenkopf verzierten Hals jedoch nur sechs Seytenchöre
führten. Kropffgans fühlte sich, während er diese mit einem
Federkiele leise berührte und ebenfalls stimmte, bemüßigt, der etwas
rathlos wirkenden Gesellschaft einige erklärende Worte zukommen
zu lassen: und so erfuhr ich, daß jenes Instrument Mandoline oder
von einigen auch Mandora oder Pandure genannt werde; und etwa
zuweilen in der Dreßdner Oper bereits zur Begleitung des Gesanges
verwendet worden sey. Der ebenfalls sehr virtuose Bruder unseres
Weiss habe sich mit überaus großem Erfolg auf der Mandoline in
London hören lassen, und Kropffgans zeigte sich höchst erfreut
darüber, daß er erst einige Tage zuvor in der Büchersammlung eines
Leipziger Bürgers eine Handschrift mit zahlreichen anmuthigen Airs
in einer Tabulatur für dieses Instrument gefunden habe.
Während dieser etwas langathmigen Ansprache zeigte sich Weiss
zusehends ungeduldig und begann schließlich aufs Neue zu
praeludiren und offenbar in eine Komposition hineinzuführen: denn
Kropffgans zog eilends ein Notenblatt hervor, und so begannen die
beyden Meister ein zauberhaftes Duetto, in dem der hellere und
beynahe silbrige Klang der Mandoline das mehr erdige und
nachdenkliche Timbre der Laute fein umschmeichelte und
schließlich fast zum Himmel emporhob.
Dem strengen Bach schienen diese warm und südlich
anmuthenden Klänge weniger zu gefallen, denn er begab sich an
eines der aufgeschlagenen großen Clavicymbel und sprach, nachdem
die letzten Accorde des Duetto verweht waren, und alle anderen
Hörer noch unter deren wie aus einer anderen Welt gefallenen
Zauber standen, mit seiner rauen Stimme in die Stille: Nun,
Monsieur Weiss, seyd Ihr nach diesem Geplänkel bereit, wieder
einmal mit mir in die Wette zu phantasieren und Fugensätze und

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anderes ernsthaftes nach meinem Vorbilde auszuführen? Und Weiss
erwiderte: Ein kleiner Wettstreit käme mir wohl recht, aber ich
meyne, dieser sollte heute eher auf Eure Kosten gehen. Denn habt
Ihr nicht erst unlängst behauptet, Ihr könntet aus dem Stehgreife zu
jedem meiner Stücke eine Stimme hinzu erfinden? Erinnert Ihr
Euch, fuhr Weiss fort, nachdem Bach zum Zeichen seines
Einverständnisses leicht sein Haupt geneigt hatte, jener Galanterie-
Partie, mit der ich Euch vor einigen Tagen ein wenig erfreuen
konnte, da Ihr solcher nicht sogleich jegliche Wirkung und
kompositorische Kunstfertigkeit absprechen wolltet? Ich werde Euch
zu gefallen diese Musik nochmals spielen, und Ihr könnt dazu ganz
nach Eurem Belieben und zur Freude unserer Gesellschaft
extemporieren.
Wieder praeludirte Weiss ein weniges und begann darauf seine
Partie mit einem Entrée; nach nur zwey Thönen folgte ihm Bach auf
seinem Clavicymbel, imitierte, accompagnierte, füllte auf, wo Weiss
Komposition ihm zu leer schien: kurz, vor unseren Ohren und
Augen entstand wie aus dem Nichts ein überaus erstaunliches Werk,
vollstimmig und vollkommen, als hätte ein Meister lange daran in der
Einsamkeyt seiner Stube gearbeitet. Die beyden Künstler wirkten, als
wären sie eins und würden in jedem Moment von einer höheren
Kraft beseelt: aber je länger die zwey spielten, um so mehr schienen
sie einander aufzuschaukeln, und als sie schließlich nach einem
Menuet in ein rasendes Allegro eilten, in dem Bach den Lautenisten
mit immer wilderen Läufen umeilte, vermochte mein Gehör der
Musik kaum mehr zu folgen, und ich staunte nur mehr angesichts
der Fähigkeit, derartiges im Augenblick zu erfinden.
Am Ende des Allegros wirkte Bach doch recht erschöpft, während
Weiss unsere aufgewühlten Gemüther mit einer seiner innigen
Chaconnes beruhigte: und nach der rauschenden Musik war sein
Anschlag sehr sanft, man hörete ihn und wußte nicht, wo die Töne
herkamen. In solchem Fantasieren ist Weiss unvergleichlich, das
Piano und Forte hat er vollkommen in seiner Gewalt, kurz, er ist
Herr seines Instrumentes mit dem er alles machen kann, was er will.

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Um Euch aber ein besseres Bild von Weiss Spiel zu geben, als es
meine schwachen Worte vermögen, setze ich Euch noch einige Verse
her, die der Dreßdener Hofpoet König auf unseren Meister
gedichtet hat:
Es soll nur Silvius die Laute spielen,
Der so spielt, wann er spielt, daß es die Herzen fühlen.
Er ist an Aendrungen ganz unerschöpflich reich,
Und sich in seiner Kunst nur einzig selber gleich.
Wann er nachlässig seine Seyten
Mit leichter Hand nur obenhin berührt,
Und, nach unzähligen Annehmlichkeiten
Alsdenn verstärkt durch ein hellklingend Streiten,
Den Wohllaut und die Kunst in solchen Lustkampf führt,
Daß selbst sein thönend Holz davon sich muß erschüttern,
So bebt das Herz vor Lust, wie seine Saiten zittern.
Wann aber denn der Thon ersterbend sich verliehrt,
Er auch, durch klägliche verliebte Schmeicheleyen,
Durch immer wechslende stets fremde Zaubereyen,
Durch manchen falschen Gang des Hörers Ohr betrügt,
Und selbst durch den Betrug noch künstlicher vergnügt,
Bald seufzend bebt, bald schwebend stille liegt;
Und oft den Klang erst schärft, indem er scheint zu schweigen,
So hält man bey sich selbst den Athem ängstlich an,
Damit den Ohren ja kein Thon entwischen kann.
Oft überrascht er uns durch unverhofften Fall,
Oft überfällt er uns durch wunderschnelles Steigen,
Antwortet oft sich selbst mit nachgeahmtem Schall,
Und macht durch sanftern Griff den schönsten Wiederhall.
Will aber er den Klang verdoppeln und vermehren,
So weiß, wie ihm geschieht, der Hörer nicht:
So mißtraut man selbst dem Gesicht,
Und glabt hier mehr als einem Zuzuhören.
Kurz: Zwischen Lust, Verwunderung und Ruh,
Vergißt man sich, und hört ihm zu.

16 © Michael Kämmle 2013


Ich wünsche Euch, daß Ihr in B*** ähnliches erleben mögt, als es
mir hier in Leipzig widerfahren ist: aber da in der Kapelle Eures
Erbprinzen wie ich höre neben Baron auch ein Sohn unseres Bach
und einige wundervolle Geiger wirken mag es wohl sein, daß auch
Eure Stadt dereinst zu einem Sitz der Musen wird. Gebe Gott, daß
ich Euch dann in B*** in die Arme schließen werde, bis dahin bleibe
ich Euch immer in aufrichtiger Liebe ergeben.
Ihre
Gottsched.

© Michael Kämmle 2013 17


Quellen:

Baron, Ernst Gottlieb: Historisch-theoretisch und practische Untersuchung des


Instruments der Lauten. Nürnberg 1727
Gerber, Ernst Ludwig: Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler. Zweyther
Theil. Leipzig 1792
Gottsched, Johann Christoph: Herrn Johann Christoph Gottscheds Gedichte. Leipzig
1736
Gottsched, Johann Christoph: Herrn Prof. Gottscheds Neueste Gedichte. Regensburg
1749
Gottsched, Johann Christoph: Ode auf das Dritte Jahrhundert der Buchdruckerkunst.
Leipzig 1740
Gottsched, Johann Christoph und Gottsched, Luise Adelgunde Victoria: Handlexicon
oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste.
Leipzig 1760
Gottsched, Luise Adelgunde Victoria: Briefe. Erster und zweyther Theil. Dresden 1771
König, Johann Ulrich von: Des Herrn von Königs Gedichte. Dresden 1745
Marpurg, Friedrich Wilhelm: Legende einiger Musikheiligen. Cölln am Rhein 1786
Mattheson, Johann: Das neu-eröffnete Orchestre. Hamburg 1713
Mattheson, Johann: Lautten-Memorial. In: Der neue Göttingische ... Ephorus. Hamburg
1727
Odrich, Evelin und Wollny, Peter (Hg.): Die Briefentwürfe des Johann Elias Bach (1705-
1755). Zweite, erweiterte Auflage. Hildesheim, Zürich und New York 2005
Reichardt, Johann Friedrich: Autobiographie. In: Berlinische Musikalische Zeitung.
Herausgegeben von Johann Friedrich Reichardt. Erster Jahrgang. Berlin 1805
Schilling, Gustav (Hg.): Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften,
oder Universal-Lexicon der Tonkunst. Zweite Ausgabe. Erster Band. Stuttgart
1840
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst. Wien 1806

Sekundärliteratur zur Entstehungsgeschichte von Bachs Trio BWV 1025:

Wolff, Christoph: Das Trio A-Dur BWV 1025: eine Lautensonate von S. L. Weiss
bearbeitet und erweitert von Johann Sebastian Bach, in: BJb 1993, 47-67
Schröder, Karl-Ernst: Zum Trio A-Dur BWV 1025, in BJb 1995, 47-60

18 © Michael Kämmle 2013


Im kreativen Umgang mit Quellen und Literatur des 18.
Jahrhunderts Neues entstehen zu lassen ist das Ziel des Autors und
Musikers Michael Kämmle. Als Travers- und Blockflötist
ausgebildet spielt er nicht nur in verschiedenen Orchestern und
Ensembles der Alten Musik, sondern arbeitet intensiv daran, neben
der musikalischen auch in die literarische Sprache von
Empfindsamkeit und Aufklärung einzutauchen, was sich neben
zahlreichen Texten für Musikfestivals, CD-Booklets und
Zeitschriften auch in musikalisch-poetischen Projekten wie dem
Singspiel Wenn ich auf dem Fluge bin oder (gemeinsam mit Axel Wolf)
in der musikalischen Novelle Friedrichs Finte niederschlägt.

Weitere Texte von Michael Kämmle finden Sie unter www.musica-franconia.de/lexikon.html

Fragen und Anregungen zum Text können Sie unter michael.kaemmle@t-online.de


loswerden.

© Michael Kämmle 2013 19


Leipzig 1736

20 © Michael Kämmle 2013

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