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Alchemie

Eng mit dem Hintergrund der Homöopathie verbunden ist die Alchemie. Inzwi-
schen ist es durchaus nicht mehr so, dass die Beschäftigung mit diesem Begriff ver-
pönt ist; alchemistisches Gedankengut kehrt wieder ein in ganzheitliches Da-Sein.

Ich erinnere mich, dass meine Großmutter mir, als noch kleinem Jungen, erzählte:
Es gibt vier Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erde und ich damals schon dachte,
was für dummes Zeugs, hatte ich doch in meines Vaters Labor schon verschiedene
chemische Elemente kennen gelernt und wusste es somit besser als die alte Groß-
mutter.

Die landläufige Vorstellung von der Alchemie beinhaltet ist etwa: Gold machen, o-
der durch den Stein der Weisen Krankheiten heilen, oder das Leben verlängern, o-
der die magische Beschäftigung mit chemischen Stoffen.

Es gibt auch ein Märchen, welches der Volksmeinung über das Phänomen Alche-
mie deutliche Ausdruck verleiht: das Märchen vom Rumpelstilzchen. Rumpelstilz-
chen ist nicht nur ein Goldmacher, er ist auch ein Sinnbild des Intellektuellen, ein
zwergenhaft verkrüppelter Geist. Der Intellektuelle, der für seine dubiose Leistung
auch noch was haben will. Hier beginnt die Hybris des Intellektuellen, und zwar mit
dem Vorsatz, sich durch bloßes Nachdenken Vorteile zu verschaffen (es hat aus
Stroh Gold gemacht). Eigentlich bedarf es schwere Mühe und harten Kampf, bis
ein Batzen Gold erschaffen ist. Und wohin sind wir durch das viele Nachdenken
gekommen ? Riesige Industrien, ungeheure Konzentration von Reichtum und
Macht sind eine Folge von Denkvorgängen !

Zurück zu meinem Vater. Tatsächlich machte mein Vater damals Gold. Es war
Nachkriegszeit und die Leute brachten ihren Schmuck, ihre Ringe, Zahngold usw.
zu meinem Vater, der dann aus den Legierungen das Feingold herstellte und zwar
in der Wohnung in einem Teil der Küche, mit Knallgasgebläse und Königswasser (5
Teile konzentrierte Salzsäure und 1 Teil konzentrierte Salpetersäure waren schon im
Mittelalter unter dem Namen Königswasser bekannt, weil es den König der Me-
talle, Gold auflöste). Das Ganze natürlich heimlich und hinter verhängten Fenstern.
Und dieses Feingold war dann Zahlungsmittel auf dem Schwarzmarkt. Mein Vater
behielt dann etwas davon ein, als Lohn für seine Arbeit. Ich habe heute noch eine
starke Affinität zu Feingold: Selbst unser Ehering ist aus 999 Feingold hergestellt.
Zum Thema Aurum kommen wir ja im Herbst.

Die Naturwissenschaften beruhen auf den Beobachtungen der Natur. Und so war
im Mittelalter schnell herausgefunden, dass ein Teil der Erscheinungen im Bereich
des Stofflichen und des Wägbaren anzusiedeln ist, wir nennen dies Materie und ein
weiterer Teil befasste sich mit den die inneren und äußeren Veränderungen der Ma-
terie bewirkenden Energie.

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In beiden Bereichen erweiterten sich die menschlichen Kenntnisse und damals
wurde eine systematische Trennung vorgenommen: Die Lehre von der Materie -
Chemie - wurde abgesondert von der Lehre der Energie, der Physik, weil man
eben die Beobachtung der Vorgänge entweder auf die Materie o d e r die Energie
lenkte.

In frühgeschichtlicher Zeit waren bereits chemische Kenntnisse der Kulturvölker


vorhanden. Die Chaldäer kannten die Brechwirkungen des Antimonkelches, die
chinesischen Ärzte verabreichten Medizin in Antimonkelchen, um Erbrechen her-
beizuführen. Der Antimonkelch enthielt Spießglanz und dies ist heute bekannt un-
ter Antimonium crudum, welches Erbrechen im Arzneimittelbild hatte.

Die Ägypter verabreichten den Trank des Schweigens, hergestellt aus bitteren Man-
deln, die Blausäure enthalten. Viel ist von den Ägyptern in dieser Beziehung nicht
erhalten geblieben, jedoch traten die Araber das Erbe der ägyptischen Priester des
Nillandes an. Das Nilland mit seiner schwarzen Erde hieß in der koptischen Spra-
che Chemi und Chemi bedeutet soviel wie "das Schwarze". Hinzu kam der arabi-
sche Artikel "al" und so entstand aus der Bedeutung der ägyptischen Kunst, Metalle
aus Erzen zu gewinnen, die Alchemie.

Wir sehen jetzt schon den Zusammenhang zur "schwarzen Kunst" und erkennen,
woher diese Bezeichnung stammt. In der Folgezeit versuchte man dann aus uned-
len Materialien Gold herzustellen, insbesondere aus dem glänzenden Eisenkies (Py-
rit) oder auch die Verwandlung von Messing oder Kupfer in Gold. Nebenbei wur-
den natürlich auch andere Dinge erfunden bzw. entdeckt, wie z.B. Mischungen aus
Schwefel, Salpeter und Kohle, was dann im 13. Jahrhundert zu Schießpulver verar-
beitet wurde.

Als man das Gold vor über 5000 Jahren in Nubien aus der Erde holte, war es etwas
Heiliges: Es war die Sonne auf Erden, und die Sonne war Gott. Sonne und Mond
(Silber) waren die Augen des ägyptischen Gottes Horus. Kein Wunder, daß der Kö-
nig die Hand auf die seiner schwarzen Erde entrungene Sonne legte und daß die
Rezepte zur Gewinnung des Goldes Geheimnis der Priester blieben.
Die runde Form der Goldmünzen weist auf ihre himmlischen Vorbilder hin.

Die Goldmacher hatten die Vorstellung, dass Gott das Geheimnis nur demjenigen
schenken würde, der den höchsten Grad menschlicher Reinheit erreicht habe.
Es wurde eine Welt der Symbole geschaffen: die Schlange Uruboros (Hauptsymbol
der Alchemisten) , die sich in den Schwanz beißt, das Einhorn, der alchemistische
Zwitter, weil er Männliches und Weibliches in sich trägt, der Vogel Phönix, der aus
der Asche steigt.

Theophilos hat im Jahr 389 das Serapeion, das die alchemistischen Geheimlehren
enthielt, als Teil der Alexandrinischen Bibliothek verbrennen lassen. Von da an stüt-
zen sich die Alchemisten auf die Lehren der Kirche, sie waren ab da keine Kon-
kurrenz mehr zur Kirche.

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Nach der Unterdrückung und Vertreibung der Araber breiteten sich die Kenntnisse
von Spanien aus nach Europa. Hier kamen dann mystisch - religiöse Vorstellungen
hinzu und es kam die Zeit der Magister, wie zum Beispiel Albertus Magnus, Basilius
Valentinus, Roger Baco oder Raymundus Lullus. Sie suchten nach der Quinta essen-
tia, Quintessenz, nach der Weisheit aus den vorher genannten vier Elementen. Es
müsste doch ein Lebenselixir geben, zur Verlängerung des Lebens oder zumindest
zur Verjüngung des Alters, es müsste doch den Stein der Weisen geben, mit dem
man unedle Metalle in Gold verwandeln kann.

Hieraus entwickelte sich dann die Richtung der Iatrochemie (iatros = griech =
Arzt), die die Heilkunde als angewandte Chemie auffasste und die aber auch unter
den Zeitgenossen von Agricola, Paracelsus und Glauber genau wie die schwarze
Kunst auf den praktischen Gewinn ausgerichtet war.

Die forschenden Männer des Mittelalters suchten und strebten nach Erkenntnis
und sie standen noch der griechischen und römischen Philosophie näher. Aristote-
les' Aufbau der Welt aus den vier Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde; das Un-
teilbare, das Atom des Demokritos oder die Lehre vom Wesen oder auch den
Ideen, die wir bei Plato finden. Bei den Römern war das die Quinta essentia, das
Wesen einer Sache, den wirksamen Bestandteil einer Substanz überhaupt, der Ur-
stoff, aus der alles geschaffen wurde. Wobei auch diese Lehre dem Aristoteles zuge-
schrieben wird.

Heute ist man fast wieder an der Stelle, daß alles eines ist, es findet die Annäherung
der modernsten Quantenphysik statt an die Philosophien des Altertums oder der
östlichen Weisheiten. Nur sprechen wir heute von morphogenetischen Feldern, dis-
sipativen Strukturen oder holistischem Weltbild. Alles ist eines - eines ist alles, das
könnte eine Maxime der Einsteinschen Relativitätstheorie sein.

Damals war tatsächlich ein geisteswissenschaftlicher Anteil in der Alchemie. Eine


Lehre von der Zusammensetzung der Körper, ihren Grundbestandteilen, deren Mi-
schung und Verwandlung im gesamten Kosmos. Die Zusammenhänge und Ent-
sprechungen zwischen den himmlischen und irdischen Elementen gehörte dazu.
Also die Vorgänge in irdischen Organismen in Parallelität zu Vorgängen in der Ster-
nenwelt; wir haben hierüber schon bei der Astrologie gesprochen. Und man hat
sich tatsächlich ernsthaft um einen Urstoff bemüht, dem Stein der Weisen bzw.
dem "philosophischen Mercurius", gemeint war die geistige Essenz des Quecksil-
bers.

Ich möchte damit ganz sanft überleiten zum nächsten Arzneimittel. Wir sollten die
Bedeutung der Stoffe, die sie in unserer Kultur haben oder hatten, nicht außer acht
lassen. Bei meinem Vortrag über die Strukturen der Arzneimittel sprach ich z.B.
vom Wesen der Schlange, was im Arzneimittel Lachesis enthalten ist. Und analog
hierzu gibt es das mythologische Wesen solcher gewaltiger Stoffe wie Natrium
muriaticum, Mercurius, Sulfur und Aurum, welches wir im Herbst behandeln. Die
Bedeutung, die wir den Stoffen über Jahrtausende hinweg geben, ist zu ihrem un-
trennbaren Wesensbestandteil geworden. Und dieses in Jahrtausenden genährte
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Feld, von Sheldrake morphogenetisches, gestaltbildendes Feld genannt, hat im-
mense, abrufbare Kräfte gespeichert, wie wir uns alle beim Einsatz dieser großen
Arzneimittel überzeugen können.

Schwefel wurde schon im Altertum verwendet und in der Alchimie ist der Schwefel
der Geist - das nichtbrennende Feuer - , das männliche feurige Prinzip.

Es gibt in der Alchimie eine Dreiheit der Stoffe, nämlich Salz, Quecksilber und
Schwefel, Sal, Mercur und Sulfur. Und Aurum trägt in sich diese Dreiheit der Alche-
mie: Sal, das erdhafte, Sulfur, das kosmisch - lichthafte und Mercur, das zwischen
den beiden vermittelnde Prinzip

Während Salz für den physikalischen und festen Körper (auch des Menschen) steht,
und Quecksilber für Verdampfung, so erzeugt Schwefel Verbrennung. Schwefel ist
der Geist, das männliche, feurige Prinzip. Der Schwefel fixiert das flüchtige Queck-
silber (Zinnober, HgS). Schwefel und Quecksilber sind in der Alchemie die beiden
fundamentalen Zeugungskräfte des Universums, die dadurch, daß sie auf einander
einwirken, flüchtig werden und sich so in Geist verwandeln.

Im Christentum wird der Schwefel mit Hölle und Teufel in Verbindung gebracht.

Dem Sulfur wurde in der Alchemie eine Doppelnatur zugesprochen: Nämlich Ma-
terie und Geist. Den groben oder gewöhnlichen Schwefel bezeichnete man als
Dreck der Erde, körperlich, dicht, zäh, Abschaum, Abfall von üblem Geruch und
schwacher Kraft, die Essenz des Verfalls, der Korruption und der Fäulnis und die
Quelle der Unvollkommenheit, die die Verfinsterung einer jeden Arbeit bewirkt. Er
hieß Sulfur crudum (roh, ungekocht, noch blutig) und vulgare (gemein, gewöhnlich).

Die andere Natur des Sulfurs wurde als ein geistiges Prinzip beschrieben, Träger
des Lichtes und des Feuers, die Seele aller Wesen der Natur, das Prinzip der zeu-
genden Kraft der Sonne, Geist des Lebens, Licht der Natur, Schöpfer von tausend
Dingen, das Prinzip des Verlangens und der Aggressivität.

Interessant ist, daß Sulfur sowohl als "Medicina" (Medizin) als auch als der "Medi-
cus" (Arzt) dargestellt wird. Also der Mythos des Göttlichen Heilers, der stets die
Krankheit erleidet, die er heilt. Die Gottheit schickt die Krankheit, die Gottheit ist
die Krankheit und die Gottheit ist die Arznei, die die Krankheit heilt. Sulfur verkör-
perte das Prinzip der universellen Krankheit und deren Heilungspotential. Hahne-
mann sprach von Sulfur als "König der Antipsorika".

Wir sehen, wie vielfältig Sulfur schon bei den Alchemisten war, und es ist durchaus
kein Widerspruch, wenn ich hier ein geistiges Prinzip erwähne, einen materiellen
Aspekt, einen männlich - feurigen Anteil, eine kosmisch - lichthafte Natur.

Genausowenig wie es ein Widerspruch ist, wenn ein Handwerker ein Ingenieurstu-
dium ablegt, sich dann mit Betriebswirtschaft beschäftigt und später die Heilprakti-
kerprüfung ablegt.
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Ein berühmter Alchemist war GEBER, der Hauschemiker von Harun al Raschid, ei-
nem Abbassiden - Kalif. Von Geber stammt das Schwefel-Quecksilber-Prinzip, das
bis ins 17. Jahrhundert unbestritten galt. Nach seiner Auffassung sind alle Metalle
unter dem Einfluss der Planeten gewachsen, und zwar durch Vereinigung des hypo-
thetischen Schwefels mit dem hypothetischen Quecksilber. Dabei handelt es sich
nicht um natürlichen Schwefel und natürliches Quecksilber. Der hypothetische
Schwefel ist für GEBER jener Stoff, der die heiße und trockene Natur am reinsten
enthält, wie das hypothetische Quecksilber die kalte und feuchte Natur. Die Verei-
nigung des geistigen Schwefels mit dem geistigen Quecksilber ist die "Chymische
Hochzeit", das mysterium conjunctionis.

Der aus Teheran stammende RAZI geht weiter als GEBER. Er bringt ein drittes Prin-
zip, das des Salzes, hinzu. Wenn der Schwefel den Geist repräsentiert und das
Quecksilber die Seele, so bildet das Salz - die Kristallisation - den Körper.

Es scheint unmöglich, in die Bilderwelt der Alchemie System zu bringen und ich
kann hier abschließend die sieben Stufen des sogenannten Großen Werkes aufzäh-
len:

1. Calcination: Glühen und Brennen eines Körpers im offenen Feuer, Mercurius


und Merkur zugeordnet.
2. Putrefaction. Verwesung, Prozeß der belebten Natur, Blei und Saturn zugeord-
net.
3. Sublimation. Verflüchtigung. Trockene Destillation von festen Körpern durch
Verdampfen. Zuordnung Zinn und Jupiter.
4. Solution. Lösung. Nicht unbedingt die Auflösung eines Körpers in einem Lö-
sungsmittel, auch die Umwandlung eines festen Körpers in einen flüssigen durch
Schmelzen. Zuordnung Silber und Mond.
5. Distillation. Der unaufhörliche Wechsel von Verdampfen und Kondensieren von
Flüssigkeiten. Regiert von Kupfer und Venus.
6. Coagulation. Gerinnung, Verfestigung, Kristallisation. Eisen und Mars zugeord-
net.
7. Extraktion. Darstellung der Tinktur aus dem im sechsten Prozeß gewonnenen
Körper, regiert von Gold und Sonne.
Es geht dann noch weiter, etwas komplizierter, was diesen Rahmen sprengen würde
bis zur zwölften Stufe, wobei diese Prozesse jeweils einem Tierkreiszeichen zuge-
ordnet werden.

Einige dieser Vorgänge finden wir noch heute in der Spagyrik.

Hermes Trismegistos, dem geistigen Vater der Alchemisten, wird folgende Aussage
zugeschrieben: "Scheide die Erde vom Feuer, das Feine vom Groben. Zieh die Es-
senz aus der Materie, bemächtige dich des innersten Kerns, des wesenhaften Golds,
dann steigt es von der Erde zum Himmel - dann wächst es ! Aber wie vollbringst
du das Werk ? Sanft und mit großem Spürsinn ...". - Und jetzt sind wir wieder bei

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der Homöopathie: indem wir die Essenz der Mittel erkennen, fließt uns deren wah-
res, wesenhaftes Gold zu.

Die Alchemie von heute, in ihrer homöopathischen Ausprägung, ist von der
schwarzen zur weisen, weißen Kunst geworden, der Kunst, mit den weißen Globuli
alchemistisch umzugehen. Sie strebt - wie vor 500 Jahren - nach Erkenntnis.

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