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New Heroes

I, I can remember
Standing, by the wall
And the guns, shot above our heads
And we kissed, as though nothing could fall
And the shame, was on the other side
Oh we can beat them, for ever and ever
Then we could be Heroes, just for one day

– Heroes, David Bowie

Statistiken, die die Auswirkungen der Klimakrise darlegen, gibt es viele. So abgestumpft man mit
der Zeit dagegen ist, manche Meldungen vermögen doch noch zu schockieren. Dass die anthro-
pogene Masse die Biomasse seit 2020 übersteigt, ist so eine Nachricht.1 Und einmal mehr fragt
man sich, was wir tun können. Re ektierte Individuen scheinen zu schwanken zwischen euphori-
schem Aufbau hauseigener Photovoltaikanlagen (heute abgelöst durch Elektroautokauf) sowie
Begeisterung für die vegane Lebensweise einerseits und einer resignierten „was kann ich schon
bewirken?“-Haltung andererseits. Angesichts des CO2-Ausstoßes von China oder der Ökobilanz
der Landwirtschaft scheint die mögliche Ein ussnahme Einzelner doch verschwindend gering. Und
wenn wir über Verantwortung diskutieren, kommen wir schnell an die Grenze der individuellen Ver-
antwortung und zu der gesellschaftlichen Verantwortung. Was also können wir tun?

Als Architekt*innen sind wir in der privilegierten Position, tatsächlich einen großen Unterschied zu
machen. Um im vorigen Beispiel zu bleiben: „Pro Woche erzeugt der Mensch etwa so viel neues
anthropogenes Material wie er selbst wiegt“2 und ein Großteil davon sind Produkte aus der Bau-
masse.3 Ein weiteres Bild besagt, dass wenn die Zementproduktion für die Herstellung von Beton
eine Nation wär, sie der drittgrößte CO2-Verursacher nach China und den USA wäre.4
Mit dem Privileg, einen Unterschied zu machen, kommt aber auch eine enorme Verantwortung
für die Architekturschaffenden. Denn der Ein uss, den wir haben, kann sich auch ins Negative ver-
kehren, wenn wir nicht umsichtig und verantwortungsbewusst planen und bauen.

In einem Vortrag der Schwarzbrotreihe im Januar 2021 wurde ein Gebäude vorgestellt, das kom-
plett in Ortbeton ausgeführt worden war. Es handelte sich um das Wohnhaus der Architekt*innen
und auf die nicht gerade nachhaltige Materialwahl angesprochen, antworteten sie: „Es ist ja eben

1 Vgl. Maddie Stone: „Menschengemachte Masse auf der Erde bald schwerer als Biomasse“, in: National Geographic, 10.12.2020, URL:
https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/12/menschengemachte-masse-auf-der-erde-bald-schwerer-als-biomasse (Stand:
10.02.2021).

2Robert Klatt: „Menschengemachte Technosphäre übertri t Biomasse der Erde“, in Forschung und Wissen, 10.12.2020, URL: https://ww-
w.forschung-und-wissen.de/nachrichten/umwelt/menschengemachte-technosphaere-uebertri t-biomasse-der-erde-13374450 (Stand:
10.02.2021).

3 Vgl. Stone 2020 (wie Anm. 1).

4 Vgl. Kristin Langen: „Bauwirtschaft und Klimaschutz. Stahl, Beton und Zement verschlingen Energie“, in: Deutschlandfunk Kultur,
09.07.2019, URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/bauwirtschaft-und-klimaschutz-stahl-beton-und-zement.976.de.html?dram:arti-
cle_id=453432 (Stand: 10.02.2021).

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unser Haus, wir müssen darin wohnen, uns soll es gefallen.“5 Architektur schaffen beinhaltet immer
den Umgang mit einem Dilemma.6 Es bedeutet ständiges Abwägen – von den Bedürfnissen des
Individuums auf schönen Wohnraum und dem Recht der Gesellschaft und nachfolgender Genera-
tionen auf eine lebenswerte Umwelt. Man kann nicht gestalten, ohne politisch zu sein, denn als die
künstlerisch-schöpferische Disziplin, der sich niemand entziehen kann,7 ist Architektur gesellschafts-
bildend. Trotzdem scheinen es sich viele Architekturschaffende in einer wenig hinterfragenden Positi-
on bequem gemacht zu haben. Der Verlegenheit, dass man einerseits populär sein möchte und
Gebäude erschaffen will, die gefallen, und andererseits kreative Ansätze im besten Fall Innovation
bringen, im schlechtesten an den Rand der Gesellschaft verbannen, wird mit Passivität begegnet.
Es wird kein Risiko eingegangen und Gestaltungskompetenz wird auf ästhetische Aspekte reduziert.
Und natürlich ist es ein Ansatz, von Nachhaltigkeit zu sprechen, wenn schöne Gebäude derart ge-
fallen und gut funktionieren, dass sie für lange Zeit nicht abgerissen werden. Meiner Meinung nach
geht das aber nicht weit genug.

Martin Ostermann sagt, wir stecken heute in einer Bauweise fest, die Jahrzehnte alt sei.8 Die Mo-
derne war eine heroische Zeit für Architekten.9 Aus einem Fortschrittsgedanken heraus wollte man
die schlechte Gegenwart für eine bessere Zukunft überwinden.10 Aber was passiert, wenn diese
Zukunft wieder Vergangenheit wird und der Fortschritt neue, womöglich unbequeme Narrative for-
dert? Wenn die Bauaufgaben für eine Gesellschaft der Individuen immer weiter ausdifferenziert
werden und gleichzeitig ein großes ‚universelles‘ Thema – die Frage nach dem nachhaltigen Bauen
angesichts der Klimakrise – als Elefant im Raum steht? Wie imaginiert man neue Nutzungswelten,
wenn man gleichzeitig in DIN-Normen gefangen ist, die hinter dem Zeitgeist herhinken?
Markus Allmann nennt die Architektur eine Disziplin, die empfänglich sei für Selbstüberhöhung.11
Andererseits ist in den letzten Jahren immer wieder zu hören, der Beruf der Architekt*in stecke in
der Krise. Das gesellschaftliche Ansehen schwindet und in den Augen Vieler könnte die Arbeit der
Architekt*in auch ausschließlich von Ingenieur*innen und Handwerker*innen übernommen werden
und ist somit redundant. Eine Studie der Vereinten Nationen sagt voraus, dass in den nächsten
Jahren 230 Milliarden Quadratmeter an Brutto-Geschoss-Fläche neu gebaut werden. Fatih Birol,
Executive Director der International Energy Agency, verdeutlichte 2017: „Over the next 40 years,
the world is expected to build 230 billion square metres in new construction – adding the equivalent

5Zitat frei nach Tom-Philipp Zoll und Johanna Maibach-Zoll vom Architekturbüro Zoll Architekten im Livestream der Schwarzbrotreihe am
20.01.2021 im Wintersemester 2020/21 an der Universität Stuttgart.

6Vgl. Markus Allmann im Vortrag „Kreativer Entwurfsprozess und gesellschaftliche Verantwortung“ am 25.11.2020 in der Ringvorlesung „Ar-
chitektur und Verantwortung II“ im Wintersemester 2020/21 an der Universität Stuttgart.

7 Allmann 2020 (wie Anm. 6).

8Vgl. Martin Ostermann im Vortrag „Bauen f rs Verschwinden“ am 20.01.2021 in der Ringvorlesung „Architektur und Verantwortung II“ im
Wintersemester 2020/21 an der Universität Stuttgart.

9Vgl. Christa Kamleithner im Workshop „Modernediskurs“ am 09.11.2019 im Rahmen der ARCH+-Konferenz vom 08.-09.11.2019 im HKW
Haus der Kulturen der Welt in Berlin zum Forschungsprojekt „Innovationsgeschichte im Spiegel der Zeitschrift ARCH+“. Mitschnitt wird im April
2021 verö entlicht.

10Vgl. Angelika Schnell im Workshop „Modernediskurs“ am 09.11.2019 im Rahmen der ARCH+-Konferenz vom 08.-09.11.2019 im HKW
Haus der Kulturen der Welt in Berlin zum Forschungsprojekt „Innovationsgeschichte im Spiegel der Zeitschrift ARCH+“. Mitschnitt wird im April
2021 verö entlicht.

11 Vgl. Allmann 2020 (wie Anm. 6).


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of Paris to the planet every single week.”12 Das ist vier mal so viel Fläche, wie die ganze Moderne
geschaffen hat. Achim Menges fragt, wer diese ultimative Formung der Gesellschaft also ausführe,
ob es Architekt*innen seien, oder Google und andere Akteur*innen im Silikon Valley.13 Ich frage
mich, was „Architektur schaffen“ also heute bedeutet im postheroischen Zeitalter. Und ob ich damit
Antworten nde auf meine Frage nach neuen Narrativen.

Zurück zum Dilemma der ambivalenten Kreativität, die nach Kant „guter Genius oder Dämon“14
sein kann. Wenn jede*r Einzelne ‚nur für dieses eine Herzensprojekt’ die Prinzipien über Bord wirft
und damit die eigene persönliche Entfaltung über die Gesellschaft stellt, zeigt sich, dass individuelle
und gesellschaftliche Verantwortung nicht getrennt betrachtet werden können. Kreativität durch
den Einzelne*n kann leichter zu Missbrauch führen, als wenn eine Rückkopplung in einer autokor-
rektiven Gruppe gegeben ist. Architekturbüros, die im Team operieren, sind also aufgrund ihrer
Notwendigkeit der Konsensfindung eher imstande, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.15
Auch das oben beschriebene Abwägen ist im Team einfacher und diese kleinstdemokratischen
Prozesse können der Grundstein für eine politische Beteiligung auf mehreren Ebenen sein. Gleich-
zeitig sollte ein gesellschaftlich-politischer Rahmen geschaffen werden, der mehr Kreativität und
Spielraum zulässt.
„If the climate were a bank, it would have been saved by now“16, lässt sich regelmäßig auf
Fridays for Future-Demoplakaten lesen. Offenbar fehlt der politische Wille, etwas an der Situation
der Bauwirtschaft zu ändern und auch ihre Akteur*innen mehr in die Verantwortung zu nehmen.
Die erwähnten veralteten DIN-Normen sind hier ein Beispiel aber auch die überholte Wettbewerbs-
norm, die zu 60 Prozent geschlossene Fassaden vorschreibt, als sei das ein Garant für energieef -
ziente Gebäude17 oder die Preislage nachhaltiger, weil nachwachsender Baumaterialien im Vergleich
zu Stahl und Beton, welche die Ökobilanz ausklammert. Meiner Meinung nach sollten es die Ak-
teur*innen selbst sein, die sich für die politischen Veränderungen einsetzen. Denn wenn sich die
Architekturschaffenden dieser Verantwortung entziehen, sägen sie langfristig gesehen an dem Ast
auf dem sie sitzen (so wie die Autoindustrie, die gegen die Abschaffung des Verbrennungsmotors
agiert, anstatt ihn selbst zu überwinden). Architektur bedeutet eben nicht nur planerisches Gestalten
sondern auch gesellschaftspolitisches, und jede vermeintlich unpolitische Entwurfsentscheidung
zementiert im wahrsten Sinne des Wortes die bestehenden Verhältnisse.
Die Bedingungen zu schaffen in denen neue Narrative entstehen können, ist eine gesamtgesell-
schaftliche Angelegenheit, die Planer*innen und Politik, aber auch die einzelnen Individuen fordert.

12 Fatih Birol zitiert in: „Time running out for construction sector to cut energy use, meet climate goals – UN“, in: UN News, 12.12.2017, URL:
https://news.un.org/en/story/2017/12/639212-time-running-out-construction-sector-cut-energy-use-meet-climate-goals-un (Stand:
05.01.2020).

13Vgl. Achim Menges im Workshop „Digitalisierung“ am 09.11.2019 im Rahmen der ARCH+-Konferenz vom 08.-09.11.2019 im HKW Haus
der Kulturen der Welt in Berlin zum Forschungsprojekt „Innovationsgeschichte im Spiegel der Zeitschrift ARCH+“. Mitschnitt wird im April 2021
verö entlicht.

14Immanuel Kant: „Fortsetzung über das sinnliche Dichtungsvermögen“, in: Benno Erdmann (Hrsg.): „Re exionen Kants zur Anthropologie.
Aus Kants handschriftlichen Aufzeichnungen“, Leipzig 1882, S. 97-100, hier: S. 100.

15 Vgl. Allmann 2020 (wie Anm. 6).

16 Siehe https://twitter.com/immykaur/status/1096495012077027329 (Stand 22.02.2021).

17„Man hat bei Architekturwettbewerben immer die Vorgabe, dass man 60 Prozent des Hauses zumachen soll. So eine dumme sinnlose
Vorgabe, die erst mal nur reaktiv ist, als ob das Heil darin liegt, dass ich ein Haus ohne Fenster baue und dann ist es energiewirtschaftlich am
Besten. Das ist ein grober Unfug, ist aber im Moment Status Quo, erst mal reaktiv zu denken – proaktiv ist sehr viel schwieriger.“ – Allmann
2020 (wie Anm. 6).
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Laut Martin Ostermann werden fast alle Bauwerke irgendwann abgerissen; trotzdem werden
Neubauten in der Regel nicht als temporäre Gebäude gedacht. Grund dafür ist auch, dass „wir in
harten anorganischen Räumen leben wollen“18 und als ‚Konsument*innen‘ sozusagen den Markt
mitbestimmen. Die dringliche Aufgabe, die Klimakrise zu bezwingen, kann nur angegangen wer-
den, wenn alle Zahnrädchen ineinenandergreifen und sich die unterschiedlichen Disziplinen nicht
ausbremsen.

Vielleicht ist das eine Antwort auf die Frage, was Architektur in einer postheroischen Zeit sein kann
und ob der Beruf redundant geworden ist. Was Architekt*innen auszeichnet, ist das Generalist*in-
nentum und die Arbeit an der Schnittstelle zwischen den einzelnen Gewerken und Akteur*innen.
Dieses integrative Denken ist heute mehr denn je gefordert. Zwar nicht mehr in Form heroischer
‚alter weißer Männer‘, welche die Welt mit den Geniestreichen ihrer Entwürfe beschenken aber als
diverse vielseitige Teams, die sich ihrer Verantwortung für die Leute, für die sie und die Umwelt, in
der sie bauen, bewusst sind. Nicht die Umwelt sollte gegen den Menschen ausgespielt, sondern
beides sollte zusammen gedacht werden,19 und möglicherweise ist beides zu vereinen, der Hero-
ismus unserer Gegenwart.
Lebenslanges ‚Stararchitektentum‘ hat in der heutigen schnelllebigen Zeit als Mythos ausge-
dient und stirbt mit seinen (durch ihn unsterblich gewordenen) Vertretern langsam aus. Denn viel-
seitige Teams können deutlich exibler auf neue gesellschaftliche, sozial- oder umweltpolitische
Anforderungen, aber auch auf Krisen oder Digitalisierungsschritte reagieren. Ich denke, es ist gut,
dass der alte Mythos unseres Berufsstands, der eine sehr einseitige Sichtweise20 hochgelobt
reproduzierte, ausläuft und ihn verschiedenartigere, intersektionale Perspektiven ablösen, welche
Gegensätze aushalten und gesellschaftliche Vielfalt repräsentieren. Wir kennen diese neuen Hero*in-
nen nicht mehr unbedingt namentlich und ihnen wohnt mitunter eine gewisse Kurzlebigkeit inne,
was aber eine natürliche Gesellschaft im Wandel abbildet, statt an starren Narrativen festzuhalten.
Anstatt uns einen überholten überhöhten Blick auf unsere Profession zurückzuwünschen, sollten
wir also unsere Verantwortung annehmen und proaktiv die Gesellschaft, in der wir leben und für die
wir bauen, mitgestalten. Then we could be Heroes, just for one day.21

Vera Krimmer

18 Ostermann 2021 (wie Anm. 8).

19Vgl. Leonie Fischer im Vortrag „St dtische Gr n chen und Verantwortung: Priorisierung Natur oder menschliche Bed rfnisse?“ am
02.12.2020 in der Ringvorlesung „Architektur und Verantwortung II“ im Wintersemester 2020/21 an der Universität Stuttgart.

20Es handelt sich um eine meist eurozentrische, weiße, hegemoniale, androzentrische, allo-dyacis-heteronormative, able-bodied/nicht kör-
perlich-psychisch beeinträchtigte Perspektive.

21 David Bowie: “Heroes”, auf: “Heroes”, 1977, RCA Victor, PB 1121, UK (7”/ Single).
Ich ho e, ihr hattet, während ihr diesen Essay gelesen habt, die ganze Zeit einen Ohrwurm!
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