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Hans-Christian Pfohl
Logistiksysteme
Betriebswirtschaftliche Grundlagen
1C
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl
Technische Universität Darmstadt
Rechts und Wirtschaftswissenschaften
Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik
Hochschulstraße 1
64289 Darmstadt
Deutschland
pfohl@bwl.tu-darmstadt.de
Die neue Auflage wurde umfassend aktualisiert und erweitert. Dies betrifft insbe-
sondere die statistischen Daten, aber auch wesentliche technologische Entwick-
lungen, die in verschiedenen Bereichen für die Logistik relevant sind. Dazu zählen
z. B. RFID- und Scannertechnologie und die daraus erwachsenden Möglichkeiten
für Warenwirtschaftssysteme oder moderne Systeme zur Automatisierung von
Prozessen der Intralogistik. Wichtige Aspekte stellen außerdem aktuelle Trends
der Logistik dar, die an verschiedene Stellen die weitere Entwicklung skizzieren.
Darüber hinaus wurden viele Abbildungen überarbeitet oder neu dargestellt und
Fallbeispiele aktualisiert. Die Literaturquellen wurden ebenfalls aktualisiert.
Für die Unterstützung bei der Überarbeitung dieser Auflage danke ich ganz
herzlich meiner Mitarbeiterin, Frau M. Sc. Xin Shen und meinem Mitarbeiter,
Herrn Dipl.-Wirtsch.-Inform. David Thomas.
Für die Unterstützung bei der Überarbeitung dieser Auflage danke ich ganz
herzlich meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Wirtsch.-Ing. Alexander Koldau, sowie
für ihr ganz besonderes Engagement bei der Fertigstellung der Druckvorlage Frau
stud.-wirtsch.-ing. Tanja Schlag.
Literatur ........................................................................................365
Sachverzeichnis.............................................................................389
Abbbildungsverzeichnis
2 Charakterisierung der
1 Logistikbegriff 3 Bedeutung der Logistik
Logistikkonzeption
1.2 Logistikprozesse
und Arten der 2.2 Systemdenken 3.2 Kostendruck
Gütertransformation
1.3 Begriffliche
2.3 Gesamt- oder
Abgrenzung der 3.3 Marktdruck
Totalkostendenken
Logistik
1.4 Betrachtungsebenen
3.4 Stellenwert im
und Umfang von 2.4 Servicedenken
Unternehmen
Logistiksystemen
2.5 Logistisches
Effizienzdenken
1 Logistikbegriff
1 Zur Herleitung der Transfer- oder Überbrückungsbedarfe und -leistungen aus der Arbeitstei-
ligkeit, der Dislozierung und der Zeitstrukturen der Sektoren der Güterbereitstellung und Gü-
terverwendung vgl. Ihde, 2001, S. 1f. und S. 57.
4 A.1 Logistikbegriff
in in in
oder oder
Güterfluss
a
Die rechtliche Transformation der Güter bei der Güterverteilung bleibt in der Darstellung unberücksichtigt.
oder abgenutzt. Die Verknüpfung zwischen der Güterbereitstellung und der Gü-
terverwendung bildet die Güterverteilung. Sie vollzieht sich durch Transformati-
onsprozesse (Bewegungs- und Lagerprozesse), die die Güter nicht qualitativ, son-
dern raumzeitlich verändern. Systeme zur raumzeitlichen Gütertransformation
sind Logistiksysteme; die in ihnen ablaufenden Prozesse demnach Logistikprozes-
se. Sie laufen in sogenannten Logistikunternehmen ab. Das sind Dienstleistungs-
unternehmen, deren Unternehmenszweck Raum- und Zeitüberbrückung ist. Sie
laufen aber auch in Industrie-, Handels- oder Dienstleistungsunternehmen ab, bei
denen die Raum- und Zeitüberbrückung lediglich eine Teilaufgabe zur Erfüllung
des eigentlichen Unternehmenszweckes darstellt.
1.1 Logistiksysteme im Systemverbund der Gütertransformation 5
Durch Logistikprozesse wird der Güterfluss hervorgerufen, der die Systeme der
Güterbereitstellung und Güterverwendung miteinander verbindet. In allen drei
Systemen gibt es Rahmenbedingungen, die auf den Ablauf der Logistikprozesse
großen Einfluss haben. Beispielsweise werden sich die Logistikprozesse bei der
Produktion von Schütt- oder Stückgütern, bei der Verteilung von Gütern in einem
Land mit einem gut oder schlecht ausgebauten Straßennetz oder bei einer Güter-
verwendung, für die eine schnelle Raumüberbrückung von großer oder von gerin-
ger Bedeutung ist, jeweils sehr unterscheiden.
Auflösungspunkt
(Break-bulk point)
Lieferpunkt Empfangspunkt
(Güter- (Güter-
bereitstellung) verwendung)
direkter Güterfluss
einstufiges System Lieferpunkt Empfangspunkte
Konzentrationspunkt
(Consolidation point)
Logistikprozesse
Um-
Transpor-
Gütertransformation schlagen Aufträge
tieren, Umschla-
(Zusam- Verpacken, übermitteln
Lagern Umschla- gen
menfassen Signieren und
gen (Hand- (Sortieren)
und bearbeiten
haben)
Auflösen)
Zeitänderung
Raumänderung
Mengenänderung
Sortenänderung
Änderung der
Transport-, Umschlags-
und Lagereigen-
schaften
Änderung der
logistischen
Determiniertheit des
Gutes
Güterfluss Informations-
fluss
Abb. A.3 Logistikprozesse und die durch sie bewirkte Gütertransformation (Quelle: Ent-
nommen mit Änderungen und Ergänzungen aus Jünemann, 1980, S. 2)
Logistische Aufgabenbereiche
Um einen Eindruck von den Logistikaufgaben zu bekommen, die im Zusammen-
hang mit der Planung, Steuerung, Realisierung und Kontrolle von Logistikprozes-
sen wahrzunehmen sind, sind in der Abb. A.4 wichtige logistische Entscheidungs-
tatbestände zusammengestellt. In Anlehnung an die ablaufenden Logistikprozesse
werden hierbei logistische Aufgabenbereiche unterschieden. Beim Lagern werden
die Entscheidungstatbestände, die die Lagerbestände betreffen, unter dem Begriff
Lagerhaltung zusammengefasst. Der Begriff Lagerhaus beinhaltet die Entschei-
dungstatbestände, die festlegen, wo gelagert und wie ein- oder ausgelagert wird.
10 A.1 Logistikbegriff
10 Vgl. Pfohl, 1972, S. 17ff.; Behrendt, 1977, S. 23ff.; Kapoun, 1981, S. 123ff.; Schary, 1984,
S. 7ff.; Kummer, 1992, S. 20ff.; Dogan, 1994, S. 25ff.; Isermann, 1998a, S. 21ff. und die
dort aufgeführte Literatur.
11 Vgl. Pfohl, 1972, S. 28ff.
12 Council of Supply Chain Management Professionals, o. J., S. 2. Übersetzung durch den Ver-
fasser.
1.3 Begriffliche Abgrenzung der Logistik 13
ribution bis zum endgültigen Kunden mit dem Ziel der Befriedigung der Anforde-
rungen des Marktes bei minimalen Kosten und minimalem Kapitalaufwand.“13
Ein zweiter Definitionsansatz kann als lebenszyklusorientierte Definition der
Logistik bezeichnet werden. Sie baut auf dem Lebenszyklus eines Erzeugnisses im
Sinne seiner Lebensdauer auf.14 Dem Begriff des Lebenszyklus liegt der Gedanke
zugrunde, dass ein Produkt – allgemeiner ein System – durch Maßnahmen der
Planung, des Entwurfs und der Entwicklung entsteht und nach einer Periode des
Betriebs schließlich stillgelegt oder verschrottet wird. Als Lebenszyklusphasen
werden z. B. die Initiierungs-, Planungs-, Realisierungs-, Betriebs- und Stillle-
gungsphase unterschieden. Logistische Aktivitäten beziehen sich dann auf die Un-
terstützung der Transformationsaktivitäten in den verschiedenen Lebenszyklus-
phasen. Die international tätige Logistikgesellschaft THE INTERNATIONAL
SOCIETY OF LOGISTICS (SOLE) – früher SOCIETY OF LOGISTICS ENGINEERS – de-
finiert dementsprechend:
Logistik ist „das unterstützende Management, das während des Lebens eines
Produkts eine effizientere Nutzung von Ressourcen und die adäquate Leistung lo-
gistischer Elemente während aller Phasen des Lebenszyklus sicherstellt, so dass
durch rechtzeitiges Eingreifen in das System eine effektive Steuerung des Res-
sourcenverbrauchs gewährleistet wird.“15
Ein dritter Definitionsansatz kann schließlich als dienstleistungsorientierte De-
finition der Logistik bezeichnet werden. Sie baut auf dem Gedanken auf, dass eine
Dienstleistung einem Kunden nur optimal zur Verfügung gestellt werden kann,
wenn alle Aktivitäten zur Produktion in koordinierter Weise erbracht werden. Die
Definition lautet:
Logistik ist „der Prozess zur Koordination aller immateriellen Aktivitäten, die
zur Erfüllung einer Dienstleistung in einer kosten- und kundeneffektiven Weise
vollzogen werden müssen.“16 Der Schwerpunkt dieser Aktivitäten liegt in den fol-
genden drei Gebieten: Minimierung der Wartezeiten (der Auftragsabwicklungszei-
ten), Management der Dienstleistungskapazität und Bereitstellung der Dienstleis-
tung durch einen Distributionskanal.17
13 European Logistics Association, 1993, S. 1. Übersetzung durch den Verfasser. Diese Defin-
tion wird heute von der ELA zur Definition des Supply Chain Managements genutzt.
14 Zu diesem Begriff vgl. Pfohl/Wübbenhorst, 1983, S. 144ff. Siehe dazu ebenso Fin-
kelstein/Guertin, 1988.
15 Coyle/Bardi/Langley, 1992, S. 8. Übersetzung durch den Verfasser.
16 Arthur D. Little/The Pennsylvania State University, Center of Logistics Research, 1991, S.
XXII. Übersetzung durch den Verfasser.
17 Vgl. Arthur D. Little/The Pennsylvania State University, Center of Logistics Research, 1991,
S. 34ff. Einen anderen, umfassenderen dienstleistungsorientierten Begriff der Logistik ver-
treten die Banken, die unter logistischer Führung die Schaffung einer zweckmäßigen Infra-
struktur verstehen, mit der das gesamte Versorgungssystem in den Dienst der Führung der
Geschäftsfront gestellt wird. Die Logistik umfasst neben der Erfüllung von Dienstleistungs-
funktionen auch die Hilfegewährung für alle anderen Bereiche. Zur logistischen Führung ei-
ner Bank gehören das finanzielle und betriebliche Rechnungswesen, Informatik und EDV,
Kontrolle und Revision, bankeigene Forschung und Entwicklung, Immobilien und Sicherheit
14 A.1 Logistikbegriff
sowie Personalführung und Ausbildung. Zum Logistikbegriff der Banken vgl. Lohmann,
1998, S. 76ff.; Pfohl, 2003.
18 Vgl. Pfohl, 1974, S. 73ff. und die dort zitierte Literatur sowie die Ansätze zur institutionellen
Abgrenzung bei Felsner, 1980, S. 18; Endlicher, 1981, S. 29.
19 Der Meta-Begriff wird hier nicht im Sinne einer Meta-Wissenschaft gebraucht, vgl. Raffée,
1995, S. 17ff.
1.4 Betrachtungsebenen und Umfang von Logistiksystemen 15
Logistik
Logistik
Krankenhaus- Unternehmens-
Militärlogistik sonstiger
logistik logistik
Organisationen
Dienst- Kooperation
Industrie- Handels- Kooperation Kooperation Logistikunter-
leistungs-
logistik logistik verladende Logistik- nehmen und
logistik
Wirtschaft unternehmen verladende
Wirtschaft
Logistik sonst.
inner- zwischen- inner- zwischen- Logistik-
Dienst-
betriebliche betriebliche betriebliche betriebliche unter-
leistungs-
Logistik Logistik Logistik Logistik nehmen
unternehmen
werden. Die Unternehmenslogistik lässt sich nach der von einem Unternehmen am
Markt zu erfüllenden Aufgabe (Unternehmenszweck, Betriebszweck) in Indust-
rie-, Handels- und Dienstleistungslogistik untergliedern. Zwischen den Begriffen
Unternehmen und Betrieb wird häufig die Unterscheidung getroffen, dass man mit
Unternehmen die rechtliche, finanzielle Einheit einer Betriebswirtschaft und mit
Betrieb die technische Einheit bezeichnet in der die Produktions- und Logistikpro-
zesse ablaufen. Ein Unternehmen kann demnach durchaus mehrere Betriebe ha-
ben. Bei der Industrie- und Handelslogistik ist es sinnvoll, noch zwischen einer
innerbetrieblichen und einer zwischenbetrieblichen Logistik zu unterscheiden. Die
Dienstleistungslogistik ist in Abhängigkeit davon weiter zu untergliedern, ob die
hauptsächlich von einem Unternehmen am Markt zu erfüllende Aufgabe, seine
Primärleistung, eine logistische Leistung ist (z. B. im Falle von Speditionen oder
Verpackungsunternehmen) oder ob die Logistikleistungen, wie auch im Fall von
Industrie- und Handelsunternehmen, lediglich Sekundärleistungen sind, die im
Zusammenhang mit der Erfüllung der eigentlichen Marktaufgabe erbracht werden
müssen (wie z. B. im Falle von Banken oder Versicherungen).20 Die Unterneh-
men, bei denen wie im ersten Fall der Hauptzweck in der Erbringung logistischer
Leistungen besteht, somit also logistische Funktionen dominieren, 21 bezeichnet
man als logistische Betriebswirtschaften oder Logistikunternehmen oder auch – da
häufig zwischen Unternehmen und Betrieben nicht unterschieden wird – als Lo-
gistikbetriebe oder aber als logistische Dienstleister.
Systeme der Metalogistik können danach unterschieden werden, welche Unter-
nehmen bei der Erfüllung logistischer Aufgaben kooperieren. Eine Kooperation ist
möglich unter Unternehmen der verladenden Wirtschaft. Beispielsweise können
Verlader aus verschiedenen Branchen, aber auch derselben Branche ein gemein-
sames Warenverteilsystem benutzen. Die Kooperation zwischen Logistikunter-
nehmen kann z. B. zwischen regional spezialisierten Speditionen oder zwischen
Straßentransportunternehmen und der Bahn erfolgen. Eine Kooperation zwischen
Logistikunternehmen und der verladenden Wirtschaft liegt z. B. vor, wenn ein
Verlader die Auslieferung seiner Produkte einem Logistikunternehmen überträgt.
mit der Instandhaltung auf der Beschaffungsseite und dem Kundendienst auf der
Distributionsseite von Bedeutung sein.
Die hier aufgeführten Logistiksysteme können unter dem Begriff Unterneh-
menslogistik zusammengefasst werden. Die Unternehmenslogistik ist in Abb. A.6
am Beispiel eines Industrieunternehmens untergliedert. Im Falle eines Handelsun-
ternehmens ist die Produktionslogistik nicht vorhanden und der Güterfluss besteht
lediglich aus Handelsware und Betriebsstoffen. In Dienstleistungsunternehmen
schließlich gibt es nur eine Beschaffungslogistik und der Güterfluss besteht nur
aus Betriebsstoffen.
Zu einer weiteren funktionellen Abgrenzung von Logistiksystemen kann auf
die Abb. A.4 zurückgegriffen werden. Die dort aufgeführten logistischen Teilsys-
teme sind in Abb. A.7 nochmals zusammengefasst. Sie geben die verrichtungsori-
entierten Inhalte der Aufgaben wieder, die im Logistiksystem zu erfüllen sind.27
Man erhält dann die verrichtungsspezifischen Subsysteme der Logistik. Diese sind
betriebswirtschaftliche Teilsysteme wie andere betriebswirtschaftliche Teilsyste-
me (man spricht auch von betriebswirtschaftlichen Funktionen wie etwa Absatz,
Produktion, Forschung und Entwicklung, Einkauf, Finanzierung, Personalwesen,
Informationswesen), in denen Produktionsfaktoren zum Zweck der betrieblichen
Leistungserstellung und -verwertung eingesetzt werden. Der bewertete Einsatz an
Produktionsfaktoren in Logistiksystemen stellt die Logistikkosten dar. Kosten sind
als Systeminput betriebswirtschaftlich immer nur dann gerechtfertigt, wenn ihnen
entsprechende Leistungen als Systemoutput gegenüberstehen. Der Output des Lo-
gistiksystems lässt sich durch die im vorangegangenen Abschnitt erwähnten vier R
der Logistik charakterisieren, nämlich das richtige Gut, im richtigen Zustand, zur
richtigen Zeit, am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Die von einem Logistik-
system zu erzeugende Leistung wird auch als Service bezeichnet. Sind es Roh-,
Hilfs- und Betriebsstoffe oder Kaufteile, die für den Produktionsprozess zur Ver-
fügung gestellt werden müssen, dann ist die Logistikleistung der Versorgungsser-
vice. Sind es Fertigfabrikate, Ersatzteile oder Handelsware, die beim Kunden zur
Verfügung zu stellen sind, bezeichnet man die Logistikleistung als Lieferservice.
Die Pfeile zwischen den einzelnen logistischen Teilsystemen sollen deutlich
machen, dass bei der Erfüllung der Logistikaufgaben die Interdependenzen zwi-
schen diesen Teilsystemen zu beachten sind. Damit ist schon die Charakterisie-
rung der Logistikkonzeption angesprochen.
Marketinglogistik
Materiallogistik
1.4
Güterfluss
Entsor-
gungs-
markt
Entsorgungslogistik
Betrachtungsebenen und Umfang von Logistiksystemen
19
Produktionsfaktoren Versorgungs-/Lieferservice
(Arbeit, Betriebsmittel, (das richtige Gut, im richtigen
Material einschließlich Zustand, zur richtigen Zeit,
Energie, Informationen) am richtigen Ort)
Logistiksystem
Lagerhaltungssystem
Lagerhaussystem
Transportsystem
Auftrags-
Input Output
abwicklungssystem
Verpackungssystem
Logistikkosten Logistikleistungen
Abb. A.7 Funktionelle Abgrenzung von Logistiksystemen nach den Inhalten von Logistik-
aufgaben
Wirtschaftliche Tätigkeit
Logistik
gung der Bedürfnisse (Lösung der Probleme) beim Kunden bewirken.30 Für die
Wertschöpfung ist der in Abb. A.9 dargestellte Unterschied von Eignungs- und
Gebrauchswert eines Gutes von Bedeutung. Ein Gut hat erst dann Gebrauchswert
im System der Güterverwendung, wenn es sich nicht nur für die Befriedigung ei-
nes Bedürfnisses eignet, sondern auch dort verfügbar ist. Die Verfügbarkeit eines
Gutes unterscheidet den Eignungswert vom Gebrauchswert. Um Wert im System
der Güterverwendung zu bekommen, muss ein Gut also über zwei Eigenschaften
verfügen: Erstens muss es die im System der Güterbereitstellung erzeugte Eignung
zur Bedürfnisbefriedigung (Problemlösung) beim Kunden haben. Zweitens muss
die Verfügbarkeit beim Kunden gewährleistet sein. Die im System der Verteilung
erzeugte Verfügbarkeit hat zwei Dimensionen, die faktische und die rechtliche
Verfügbarkeit. Die faktische Verfügbarkeit ist gegeben, wenn ein Gut im System
der Güterverwendung zum gewünschten Zeitpunkt am gewünschten Ort genutzt
werden kann. Die rechtliche Verfügbarkeit ist gegeben, wenn der Kunde das für
den speziellen Gebrauch des Gutes notwendige Verfügungsrecht erhält. Ist die
rechtliche, aber nicht die faktische Verfügbarkeit gegeben, so liegt der zugesicher-
te Gebrauchswert eines Gutes vor. Der Kunde hat dann ein Verfügungsrecht im
Sinne eines Anspruchs auf die Erzeugung und Bereitstellung eines Gutes. Der zu-
gesicherte Gebrauchswert im Sinne eines Leistungsversprechens ist insbesondere
für Dienstleistungen von Bedeutung, auf deren Erzeugung im Folgenden noch nä-
her eingegangen wird.
Die Ausführungen zum Wertschöpfungsdenken zeigen, dass Logistikaktivitäten
zur Erzeugung des Gebrauchswertes eines Gutes notwendig sind. Der Gebrauchs-
wert kann nicht nur durch eine bessere Eignung der Güter, sondern auch durch ei-
ne bessere Verfügbarkeit der Güter erhöht werden. Die faktische Verfügbarkeit
kann verbessert werden, indem die Leistung bei den schon bisher vom Anbieter
eines Gutes wahrgenommenen Logistikaktivitäten verbessert oder durch ihn zu-
sätzliche Logistikaktivitäten vom Kunden übernommen werden. Abb. A.10 zeigt
ein Beispiel für die Übernahme solcher bisher vom Kunden wahrgenommenen
wertschöpfenden Aktivitäten.
Die Übernahme solcher wertschöpfenden Aktivitäten durch das anbietende Un-
ternehmen ist dann sinnvoll, wenn die bisher vom Kunden erbrachten Logistikleis-
tungen zu niedrigeren Logistikkosten angeboten werden oder bei gleichen Logis-
tikkosten höhere Leistungen erbracht werden können.31
Rechtliche
Zugesicherter
Verfügbarkeit Gebrauchswert
Gebrauchswert
gegeben
Rechtliche
Verfügbarkeit Eignungswert Eignungswert
nicht gegeben
Abb. A.9 Verfügbarkeit als konstituierende Eigenschaft des Gebrauchswertes (Quelle: Mit
geringfügigen Änderungen entnommen aus Large, 1995, S. 27)
2 Wareneingangskontrolle
Materialzusammenstellung/
Lieferant
3
-bereitstellung
6 Beschaffungsmanagement
Abb. A.10 Übernahme wertschöpfender Logistikaktivitäten des Kunden durch den Lieferanten
(Quelle: In Anlehnung an Gopal/Cypress, 1993, S. 197)
24 A.2 Charakterisierung der Logistikkonzeption
32 Vgl. Meffert, 1994, S. 521f. Zu berücksichtigen ist, dass die folgenden Ausführungen für
den größten Teil der Dienstleistungen zutreffen. Es gibt aber auch Dienstleistungen, die we-
gen ihrer Eigenschaften ähnlich wie Sachgüter produziert werden. Ebenso gibt es Sachgüter,
die sehr den hier charakterisierten Dienstleistungen ähneln.
33 Vgl. Corsten, 1993, Sp. 765f.
34 Vgl. Corsten, 1993, Sp. 767f. Zur Charakterisierung des logistischen Leistungsprozesses als
zweistufigen Kombinationsprozess vgl. Isermann, 1998a, S. 26ff.
2.2 Systemdenken 25
durch, dass man möglichst Kapazitäten mit solchen Eigenschaften aufbaut, welche
die quantitative, zeitliche und intensitätsmäßige Anpassung an die möglichen
Nachfrageschwankungen erleichtern. Andererseits wird der Leistungsbereitschaft
auch zugebilligt, einen Nutzen zu stiften, der sich in die Komponenten Beanspru-
chungsnutzen und Bereitstellungsnutzen untergliedern lässt. „Während der Bean-
spruchungsnutzen über die Inanspruchnahme der abgegebenen Leistung entsteht
und folglich für den Abnehmer greifbar ist, stellt das Empfinden des Bereitstel-
lungsnutzens ein latentes Problem dar, das dem potentiellen Nutzer häufig erst
durch negative Erfahrungen bewusst wird, nämlich dann, wenn die Leistungsbe-
reitschaft zum Zeitpunkt der Nachfrage nicht oder nicht in ausreichender Menge
oder Qualität vorhanden ist.“35
Aufgrund des immateriellen Charakters von Dienstleistungen und der Tatsache,
dass der Produktionsakt im Sinne der Endkombination und der Konsumakt zur
Bedürfnisbefriedigung zusammenfallen, kann der Kunde die Qualität der Leistung
vor dem Kauf nicht beurteilen. Daraus resultiert der Vertrauenscharakter von
Dienstleistung und eine Veränderung der Risikowahrnehmung beim Kunden in
Richtung Erhöhung des wahrgenommenen Risikos. Beide Faktoren erklären die
überragende Bedeutung psychographischer Zielgrößen wie Image und Kompetenz
beim Angebot von Dienstleistungen.36
2.2 Systemdenken
Ganzheitliche Betrachtungsweise
Die im ersten Abschnitt unter dem Begriff Logistik zusammengefassten Aufgaben
werden selbstverständlich schon immer in einem Unternehmen wahrgenommen
und nicht erst, seit es den Logistikbegriff gibt. Insofern stellt sich die Frage, ob
Logistik lediglich ein Modewort ist und Logistiker damit beschäftigt sind, alten
Wein in neue Schläuche abzufüllen. Eine Frage übrigens, die immer beim Auftau-
chen neuer Konzeptionen in der Betriebswirtschaftslehre gestellt wird, so z. B. bei
der Marketingkonzeption und der Controllingkonzeption. Bei der Beantwortung
dieser Frage ist davon auszugehen, dass es nicht darauf ankommt, ob Aufgaben im
Unternehmen schon immer wahrgenommen wurden oder nicht, sondern nur dar-
auf, wie diese Aufgabe wahrgenommen werden. Eine neue Konzeption beinhaltet
eine neue Betrachtungsweise der Probleme in Unternehmen und ermöglicht neue
Problemlösungen.
Grundlegend für die Logistikkonzeption ist die systemtheoretische Betrach-
tungsweise oder kürzer das Systemdenken. 37 Das Systemdenken hat seinen Ur-
sprung in der Biologie und wurde von dort in die Wirtschaftswissenschaften über-
nommen. Man versteht allgemein unter einem System eine Menge von miteinan-
der in Beziehung stehenden Elementen. Kennzeichnend für das Systemdenken ist
die ganzheitliche Betrachtungsweise sowie die Erkenntnis, dass für die Erklärung
der Ganzheit die Erklärung ihrer Elemente nicht ausreicht, sondern dass dazu die
Erklärung der Beziehungen zwischen den Elementen treten muss. Systemdenken
ist ein Denken in komplexen, vernetzten Zusammenhängen. Bei der Koordination
der Elemente bzw. Subsysteme werden als Grundtypen die Interaktionsmodelle
lose Kopplung, Kooperation und Vereinigung unterschieden.38
Bei der losen Kopplung beeinflussen sich die miteinander agierenden Subsys-
teme gegenseitig nicht oder nur sehr gering. Sie handeln weitgehend autark, ob-
wohl sie voneinander abhängig sind. Die Kommunikation zwischen den Subsys-
temen ist schwach ausgeprägt, was letztlich zu einem suboptimalen Einsatz von
Ressourcen und Unstimmigkeiten im Gesamtsystem führt. Bei der Kooperation
wird diese Schwäche durch eine verbesserte Abstimmung der aus den individuel-
len Zielen der beteiligten Subsysteme resultierenden Ressourcen- und Infrastruk-
turbedarfe ausgeglichen. Dazu wird auch das Informations- und Kommunikati-
onsverhalten verbessert, so dass die einzelnen Interaktionspartner jeweils besser
über die Erfordernisse der übrigen Subsysteme informiert sind. Bei der Vereini-
gung geben die Subsysteme ihre Eigenständigkeit vollständig auf. Es kommt zur
Abstimmung der langfristigen Ziele und Visionen. Ziel ist es, gemeinsame Res-
sourcen und Infrastruktur optimal zu nutzen und auf individuelle Reservekapazitä-
ten zu verzichten.
Die Zusammenhänge zwischen den Elementen eines Systems lassen sich prin-
zipiell als Input-Output-Beziehungen interpretieren, durch die die Beziehungs-
struktur, z. B. des Netzwerkes eines Logistiksystems, hergestellt wird. Betont man
den Prozesscharakter dieser Beziehungen beim Austausch der Objekte zwischen
den Systemelementen, so kommt der Zeit als Systemdimension eine besondere
Bedeutung zu. Die Dimension Zeit unterscheidet die Prozessstruktur von der Be-
ziehungsstruktur der Systeme. KLAUS sieht in dem im Systemansatz der Logistik
allerdings schon enthaltenen Prozessansatz eine Erweiterung des Denkrahmens
der Logistik. Entsprechend des Prozessansatzes betrachtet er Logistiksysteme als
ein „Gewebe von Flüssen und Prozessen.“39 Dieses Fließprinzip wird aber neben
dem Prinzip der ganzheitlichen Betrachtungsweise bereits lange explizit als Inhalt
der Logistikkonzeption genannt.40
Der von WEBER41 der Logistikkonzeption als das eigentliche Neue zugeordnete
Koordinationsansatz ist ebenfalls schon im Systemansatz enthalten. Die abge-
stimmte, koordinierte Gestaltung von Güterflüssen ist die grundlegende Forderung
der theoretischen Logistikkonzeption, unabhängig von ihrer Umsetzung in der
42 Zur Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis vgl. Meyer, 1993, S. 269.
43 Vgl. Fey, 1989, S. 111ff.
28 A.2 Charakterisierung der Logistikkonzeption
Wenn durch die Analyse der Beziehungsstruktur eines Systems die sachlichen
Zusammenhänge zwischen verschiedenen logistischen Teilsystemen erfasst wer-
den, hat dies zur Folge, dass Logistikentscheidungen unter Berücksichtigung der
Ressourceninterdependenzen, also bestehender Engpässe (knappe Logistikkapazi-
täten quantitativer und qualitativer Art) oder freier Potentiale (freie Logistikkapa-
zitäten quantitativer und qualitativer Art) getroffen werden können. Das System-
denken ermöglicht es also, Engpass- und Synergieeffekte in die Entscheidungen
einzubeziehen.
Wenn durch die Analyse der Prozessstruktur des Systems die zeitlichen Zu-
sammenhänge zwischen den verschiedenen Abschnitten der logistischen Kette des
Güterflusses erfasst werden, hat das zur Folge, dass Logistikentscheidungen unter
Berücksichtigung der Prozessinterdependenzen, also bestehender Autonomiekos-
ten (Abpufferung der Teilabschnitte der logistischen Kette durch Bestände schafft
Dispositionsfreiräume in diesen Abschnitten) und Koordinationskosten (Kopplung
der Teilabschnitte der logistischen Kette durch Informationsaustausch – Kommu-
nikationsbeziehungen – fördert die Berücksichtigung der Abhängigkeiten zwi-
schen den Abschnitten aufgrund von Leistungsverflechtungen), getroffen werden
können. Das Fluss- oder Prozessdenken ermöglicht durch Substitution von Auto-
nomiekosten durch Koordinationskosten kurze Durchlaufzeiten der Güter in der
Logistikkette und damit flexible Reaktionen auf Lieferserviceanforderungen. Das
Flussdenken als Ausprägung des Systemdenkens betont die Dimension der Zeit
gegenüber der Dimension der Kapazität im Logistiksystem.
Eng mit dem Systemdenken verbunden sind das Gesamtkosten- oder Totalkos-
tendenken und das Servicedenken. Denn wie aus Abb. A.7 hervorgeht, können die
Logistikkosten als Systeminput und der Service als Systemoutput aufgefasst wer-
den. Logistikentscheidungen sind im Hinblick auf die Input- und Outputwirkung
zu treffen.
der Kostenrechnung üblichen Gebrauch im Sinne von Selbst- oder Vollkosten. Als
relevant für eine Entscheidung sind die Kosten zu bezeichnen, die nur dann anfal-
len, wenn eine Entscheidungsalternative realisiert wird und wegfallen, wenn diese
Entscheidungsalternative nicht realisiert wird.
Abb. A.11 gibt einen Überblick über die aufgrund des logistischen Gesamt-
oder Totalkostendenkens zu berücksichtigenden Kosten. Dies sind zunächst die in
den – wie in Abb. A.4 und Abb. A.7 zusammengestellt und gekennzeichnet –
funktionellen logistischen Subsystemen entstehenden Logistiksystemkosten.47 Sie
werden verursacht durch den Einsatz von Produktionsfaktoren in den logistischen
Subsystemen. Die Produktionsfaktoren können als primäre Kostenarten und die
logistischen Subsystemkosten als sekundäre Kostenarten bezeichnet werden. Zu-
sätzlich zu diesen Logistiksystemkosten müssen aber noch Kosten berücksichtigt
werden, die mit den Logistiksystemkosten unmittelbar zusammenhängen. Zum ei-
nen gehören dazu die Serviceniveaukosten, die durch ein niedrigeres Serviceni-
veau verursacht werden. Im Falle eines zu niedrigen Lieferserviceniveaus gehören
dazu z. B. die in Form von Fehlmengenkosten erfassten verlorengegangenen Auf-
träge und Kunden oder die bei der Bearbeitung von Reklamationen entstehenden
Kosten. Im Falle eines zu niedrigen Versorgungsservice sind es die durch Be-
triebsunterbrechungen oder Umrüsten entstehenden Kosten. Zum anderen gehören
dazu die Loskosten, die mit der Anzahl der von der Produktion zu fertigenden
oder vom Lieferanten zu liefernden Lose variieren. Im Falle von Produktionslosen
sind es die in der Produktion entstehenden auflagenfixen Rüstkosten. Im Fall von
Bestelllosen ist es der dem Einkauf – und nicht der logistischen Auftragsabwick-
lung – zuzurechnende Anteil der Bestellkosten.
Zielkonflikt
Das Gesamt- oder Totalkostendenken ist für Logistikentscheidungen von großer
Bedeutung, weil Logistiksysteme von einer Vielzahl von Kostenkonflikten ge-
kennzeichnet sind. Kostensenkungen in einem Teilsystem bewirken deshalb häu-
fig Kostensteigerungen in einem anderen Teilsystem. So führen beispielsweise
niedrigere Lagerbestandskosten zu höheren Transportkosten, weil häufiger gelie-
fert werden muss. Weiter Beispiele für Zielkonflikte sind:48
x Verpackungskosten und Kosten durch Transportschäden,
x Auftragsabwicklungskosten und Transportkosten durch ungünstige Routenpla-
nung,
x Lagerbestandskosten und Produktionskosten durch kleine Losauflagen,
x Lagerbestandskosten und Kosten des Einkaufs durch häufigere und kleinere
Bestellungen.
Serviceniveau-
kosten
Auftrags-
Lagerbestands-
abwicklungs-
kosten
kosten
unmittelbar zusammen zu
mit den Logistikkosten
Logistiksystemkosten
betrachtende Kosten
Verpackungs-
kosten
Transport-
Lagerhauskosten
kosten
Loskosten
Lagerhaltungskosten Lagerhaltungskosten
Fehlmengenkosten Rüstkosten
Lagerbestand Fertigungslosgröße
Abb. A.12 Typische Kostenverläufe im Logistiksystem (Quelle: Siehe auch Ballou, 2004,
S. 46)
man z. B. allein die Frachtkosten, so ist die Verwendung von Luftfracht sicher nur
für sehr wenige Güter gerechtfertigt. Berücksichtigt man jedoch die Wirkung der
Luftfracht auf die gesamten Logistikkosten, so ergibt sich für ihren Einsatz ein
wesentlich günstigeres Bild.
Wie aus Abb. A.7 hervorgeht, ist jedoch Logistikdenken niemals nur Kosten-,
sondern auch Leistungsdenken. Das Entstehen von Logistikkosten ist nur dann ge-
rechtfertigt, wenn sie durch entsprechende Logistikleistungen verursacht werden.
Den Forderungen nach niedrigen Logistikkosten stehen Forderungen nach hohen
Logistikleistungen gegenüber.
2.4 Servicedenken
Kundenorientierung
In den 90er Jahren rückte mit der Kundenorientierung ein eigentlich altes Schlag-
wort in den Blickpunkt der betriebswirtschaftlichen Forschung und Lehre. Durch
ständig steigende Kundenanforderungen auf vielen Märkten wurde es für anbie-
tende Unternehmen immer wichtiger, sich beim Angebot von Produkten und
Dienstleistungen zunehmend an den Wünschen und Forderungen der Kunden zu
2.4 Servicedenken 33
Servicekomponenten
Der Lieferservice setzt sich im Wesentlichen aus Lieferzeit, Lieferzuverlässigkeit,
Lieferungsbeschaffenheit und Lieferflexibilität zusammen.54
Unter Lieferzeit (Auftragsperiode) ist die Zeitspanne zwischen der Ausstellung
des Auftrags durch den Kunden bis zum Erhalt der Ware zu verstehen. Sie ist für
den Kunden wichtig, weil kürzere Lieferzeiten bei ihm niedrigere Lagerbestände
und eine kurzfristigere Disposition ermöglichen. In Abb. A.13 wird ein Beispiel
für die Zusammensetzung der Lieferzeit gegeben.55 Alle dort angegebenen Teilzei-
ten – auch die Zeiten für Tätigkeiten, die nicht vom Lieferanten oder einem Drit-
ten, sondern vom Kunden selbst ausgeführt werden – kann der Lieferant beein-
flussen. Er kann etwa durch geeignete Auftragsformulare auf die Zeit für die
Ausfertigung des Auftrags durch den Kunden Einfluss nehmen. Die Zeit für die
Einlagerung der Ware beim Kunden ist insofern vom Lieferanten beeinflussbar,
als durch eine Abstimmung der Transport-, Verpackungs- und Lagererfordernisse
zwischen Lieferanten und Kunden die Warenannahme und -prüfung, der Transport
ins Kundenlager und die Unterbringung im Kundenlager sehr erleichtert werden
können.
Der Begriff Lieferzeit wird hier zur Bezeichnung des Outputs von Logistiksys-
temen, also im Sinne einer allein von der Logistik abhängigen Lieferzeit, ge-
braucht. Davon zu unterscheiden ist die Lieferzeit, für deren Länge nicht die Lo-
gistik allein, sondern auch andere Unternehmensbereiche, wie z. B. die
Produktion, verantwortlich sind.56
Unter Lieferzuverlässigkeit (Liefertreue, Termintreue) versteht man die Zuver-
lässigkeit (Wahrscheinlichkeit), mit der die Lieferzeit eingehalten wird. Sie ist für
den Kunden wichtig, weil sie niedrigere Lagerbestände ermöglicht und Störungen
im Betriebsablauf vermeiden hilft. Die Lieferzuverlässigkeit hängt von folgenden
zwei Einflussfaktoren ab:
x Zuverlässigkeit des Arbeitsablaufs,
x Lieferbereitschaft.
Die Einhaltung der zugesagten Lieferzeit wird zunächst dadurch bestimmt, wie
zuverlässig die Teilzeiten eingehalten werden, aus denen sie sich zusammensetzt.
Die in den einzelnen Phasen der Lieferzeit anfallenden Arbeitsabläufe müssen
planmäßig in der dafür vorgesehenen Zeit realisiert werden. Bei der Auftragsbear-
beitung kann es etwa geschehen, dass eingehende Aufträge unbearbeitet liegen-
bleiben oder beim Transport ist es möglich, dass ein Spediteur die versprochenen
Transportzeiten nicht einhält. Die Zuverlässigkeit der Lieferzeit wird also von ih-
rer unzuverlässigsten Phase bestimmt!
54 Vgl. Pfohl, 1972, S. 177ff. und 1977, S. 241f.; Bender, 1976; LaLonde/Zinszer, 1976,
S. 148; Havighorst 1980, S. 58ff.; Stock/Lambert, 2001, S. 117f.
55 Vgl. Heskett/Glaskowsky/Ivie, 1973, S. 246f.
56 Vgl. Wagner, 1978b. Auf die Lieferzeit wird außerdem in Kap. C, Abschn. 2.3 zu Subsyste-
men der Produktionslogistik in eingegangen.
36 A.2 Charakterisierung der Logistikkonzeption
1 3 Auftrag bearbeiten
zentrale Auftragsbearbeitung ½ 3½
½ 4
2 6
Zusammenstellen
Auslieferungslager und verpacken
beladen ½ 6½
2 8½ Verladen und
Transportmittel transportieren
entladen ½ 9
Einlagern der Ware
Kunde 1 10 beim Kunden
Abb. A.13 Beispiel für den zeitlichen Verlauf einer 10-tägigen Lieferzeit
relevant angesehen, wie häufig die Nachfrage nicht vom Lager befriedigt werden
kann, sondern es ist wesentlich, welcher Prozentsatz der Nachfrage nicht vom La-
ger zu erfüllen ist. Die Nachfrage kann hierbei mengen- oder wertmäßig erfasst
werden. Mengenangaben sind im allgemein jedoch nur sinnvoll, wenn der Wert
der verschiedenen Artikel eines Auslieferungslagers ungefähr gleich ist. Jedes Un-
ternehmen wird letztlich die Definition zu wählen haben, in der das Auftreten von
Fehlmengen in der Weise berücksichtigt wird, wie es ihrer Wirkung auf den Ab-
satz auch tatsächlich entspricht.57
Durch die Lieferungsbeschaffenheit wird erfasst, inwieweit die Lieferung selbst
dem Kunden Grund zur Beanstandung gibt. Das hängt wiederum von zwei Fakto-
ren ab:
x Liefergenauigkeit,
x Zustand der Lieferung.
Durch die Liefergenauigkeit wird angegeben, inwieweit die bestellten Produkte
in gewünschter Art und Menge ausgeliefert werden. Kann der Lieferant das be-
stellte Produkt nicht liefern, so sollte er dem Kunden ersatzweise nur dann ein an-
deres Produkt ausliefern, wenn er zuvor dessen Zustimmung eingeholt hat. Ande-
renfalls riskiert der Lieferant, den Kunden zu verärgern und u. U. zu verlieren.
Außerdem können ihm zusätzliche Kosten für die Behandlung der Kundenbe-
schwerde und der Rücknahme der Ware entstehen. Der Kunde hat auch die von
ihm bestellte Menge zu erhalten. Denn wenn größere Mengen als die bestellten
angeliefert werden, erhöhen sich die Lagerkosten des Kunden. Werden kleinere
Mengen angeliefert, so können dadurch Fehlbestände im Kundenlager entstehen.
Der Zustand der Lieferung hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Um-
fang die Verpackung ihrer Schutzfunktion bei der Auslieferung der Güter gerecht
wird. Eine Beschädigung der Güter während der Auslieferung führt zu Kundenbe-
schwerden und/oder zu zusätzlichen Kosten durch Retouren bzw. zu gewährende
Preisnachlässe.
Die Lieferungsbeschaffenheit wird daran gemessen, wie oft die Lieferungen
von Kunden beanstandet werden und kann damit ebenfalls durch Prozentangaben
erfasst werden.
Unter Lieferflexibilität ist zu verstehen, ob das Auslieferungssystem des Liefe-
ranten es gestattet auf besondere Bedürfnisse des Kunden einzugehen oder ob sich
der Kunde mit seiner Beschaffungslogistik nach starr vorgegebenen Regeln der
Distributionslogistik des Lieferanten zu richten hat. Die Lieferflexibilität hängt im
Wesentlichen von folgenden drei Einflussfaktoren ab:
x Auftragsmodalitäten,
x Liefermodalitäten,
x Information des Kunden.
Abb. A.14 Formeln zur Berechnung der Lieferbereitschaft (Quelle: Steinbrüchel, 1971, S. 27)
2.5 Logistisches Effizienzdenken 39
Effizienzdenken
Logistiksysteme sind effizient, wenn bei ihrer Gestaltung die Logistikkosten (In-
put) und die Logistikleistungen (Output) als Gestaltungsziele berücksichtigt wur-
den. Das Effizienzdenken verlangt bei der Lösung logistischer Probleme weder
eine einseitige Ausrichtung an dem Ziel der Kostenminimierung noch eine einsei-
tige Ausrichtung am Ziel der Servicemaximierung, sondern einen Kompromiss
zwischen diesen Zielen.
Das Effizienzziel entspricht zunächst dem bekannten Produktivitätsziel, das
durch das Verhältnis Output/Input (z. B. Anzahl der umgeschlagenen Palet-
ten/Arbeitsstunde) gemessen wird. Das Effizienzdenken ist also auf die technolo-
gische Dimension des Logistiksystems anzuwenden, die ein Denken in Mengen
40 A.2 Charakterisierung der Logistikkonzeption
und Qualitäten verlangt.58 Dieses Denken befasst sich mit Problemen der Leis-
tungsfähigkeit (quantitative und qualitative Kapazität sowie betriebstechnische
Elastizität) und mit Problemen der Leistungsbereitschaft (Störanfälligkeit und Be-
nutzerfreundlichkeit) von Logistiksystemen. Zur Leistungsbereitschaft i. w. S.
zählt auch die Zeit für die Planung und Realisierung des Logistiksystems. Denn es
ist häufig besser, Systeme mit befriedigender Leistungsfähigkeit rechtzeitig im
Einsatz zu haben, als Systeme mit maximaler Leistungsfähigkeit erst nach langer
Zeit im Einsatz zu haben. Häufig wird noch als besonderes Problem die Flexibili-
tät im Sinne der Anpassungsfähigkeit von Systemen herausgestellt. So wird z. B.
unterschieden zwischen der kurzfristigen Effizienz als Produktivität unter konstan-
ten Bedingungen und der Anpassungsfähigkeit als Produktivität unter wechseln-
den Bedingungen.59 Die Anpassungsfähigkeit ist für Logistiksysteme insofern von
großer Bedeutung, als Veränderungen in der Höhe, Zusammensetzung und geo-
graphischen Verteilung der Nachfrage zu Güterflüssen führen, die sehr unter-
schiedlichen Anforderungen an die Logistiksysteme stellen.
Das Effizienzdenken kann sich jedoch auch auf die ökonomische Dimension
des Unternehmens beziehen. Diese verlangt ein Denken in Werten. In ihrem Mit-
telpunkt stehen Probleme der Preise sowie von Umsatz und Kosten. Neben der be-
sonderen Problematik der Zurechnung von Logistikkosten zu Logistikleistungen,
die wegen der einseitigen Ausrichtung der Kosten- und Leistungsrechnung in vie-
len Unternehmen ungelöst ist, stellt sich hier auch das Problem der Erfassung der
Auswirkung des Lieferservice auf den Umsatz. In Abb. A.15 sind typische Kos-
ten- und Marktreaktionsfunktionen über dem Serviceniveau aufgetragen. Eine
eingehende Diskussion dieser Kurven erfolgt in dem Band Logistikmanagement
dieser Reihe. Hier genügt es, darauf zu verweisen, dass der stark progressive Kos-
tenanstieg mit steigendem Serviceniveau grundsätzlich charakteristisch für Logis-
tiksysteme ist. Die Verbesserung eines schon sehr guten Serviceniveaus um noch
einige wenige Prozent verursacht – wenn man von einer Verschiebung der Kos-
tenkurve durch Prozessinnovation absieht – einen weit überproportionalen Kos-
tenanstieg. Für die Umsatzerlöskurve lassen sich keine in gleicher Weise empi-
risch abgesicherten Aussagen machen. Doch hat sich in einigen Fällen der
Kurvenverlauf der Abb. A.15 nachweisen lassen. Interessant ist hier vor allem das
auch bei anderen Marktreaktionsfunktionen zu beobachtende Sättigungsphäno-
men. Die Erhöhung eines bereits guten Lieferservice um einige Prozent führt nur
noch zu einem stark unterproportionalen Anwachsen des Umsatzes. Daraus ergibt
sich, dass der größte Gewinnbeitrag des Lieferservice keineswegs bei einem ma-
ximalen Serviceniveau liegt. Auf der ökonomischen Ebene entspricht also das Ef-
fizienzdenken dem bekannten Rentabilitätsziel, das durch die Relation Ge-
winn/Kapital gemessen wird. Die Inputgröße ist in diesem Fall das Kapital, das in
Logistiksystemen gebunden ist, die Outputgröße der Gewinnbeitrag, der von Lo-
gistiksystemen geleistet wird.
Umsatzerlöse/
Kosten/
Gewinnbeitrag
Umsatzerlöse
Kosten
Gewinnbeitrag
93 95 100
Serviceniveau in %
Abb. A.15 Auswirkung des Serviceniveaus auf den Gewinn (Quelle: Mit Änderungen ent-
nommen aus Buxton, 1975, S. 35)
Technisch-wirtschaftliches Denken
Bei der Erläuterung des Effizienzdenkens wurde deutlich, dass das Effizienzden-
ken sowohl technisch als auch wirtschaftlich orientiert ist. Damit soll jedoch nicht
ausgedrückt werden, dass die soziale und ökologische Dimension des Unterneh-
mens im Logistikbereich keine Rolle spielen würde. Soziale Ziele wie etwa die
Zufriedenheit oder die langfristige Erhaltung der Gesundheit der Mitarbeiter ha-
ben für den Logistikbereich dieselbe Bedeutung wie für die anderen Bereiche des
Unternehmens. Das gilt auch für die ökologischen Ziele zum Schutz der Umwelt.
Insofern unterscheidet sich der Logistikbereich bezüglich des sozialen und ökolo-
gischen Denkens nicht von den übrigen Unternehmensbereichen. Dagegen ist die
besondere Verquickung technischen und wirtschaftlichen Denkens, wie sie für die
Logistik charakteristisch ist, für die anderen Unternehmensbereiche nicht immer
in gleicher Weise typisch.
Die Logistik liefert ein ausgezeichnetes Beispiel für einen Unternehmensbe-
reich, in dem sich technische und wirtschaftliche Probleme überschneiden. Ein
Logistikmanager muss in der Lage sein, die Möglichkeiten, die der technische
Fortschritt im Verpackungs-, Transport- und Lagerwesen für den Güterfluss eröff-
net, zu beurteilen und auszunutzen. Er muss aber auch dazu fähig sein, Kosten und
Service gegeneinander abzuwägen und mit den oft nur entweder in wirtschaftli-
chem oder in technischem Denken geschulten Führungskräften der Bereiche Be-
schaffung, Produktion und Absatz zusammenzuarbeiten. Führungspositionen im
Logistikbereich verlangen also in besonderem Maße eine Kombination von wirt-
schaftlichem und technischem Denken. Damit sind aber auch schon die Konse-
quenzen des Logistikdenkens für das Unternehmen angesprochen.
42 A.2 Charakterisierung der Logistikkonzeption
Funktionelle Konsequenzen
Das für die Logistikkonzeption charakteristische Systemdenken verlangt, die lo-
gistischen Aufgaben im Gesamtzusammenhang, die Logistik als einen in sich ge-
schlossenen Aufgabenbereich des Unternehmens zu sehen. In der Betriebswirt-
schaftslehre kennzeichnet man häufig einen solchen Aufgabenbereich als eine
betriebswirtschaftliche Funktion, die in jedem Unternehmen wahrgenommen wer-
den muss. Die Logistik tritt damit als Funktion neben die anderen im Unterneh-
men zu verrichtenden Funktionen, wie etwa Beschaffung oder Finanzierung. Nach
herrschender Meinung geht man dabei vom Querschnittscharakter oder übergrei-
fenden Charakter der Logistikfunktion aus.61
Betrachtet man die unmittelbar aus der Marktaufgabe abzuleitenden Funktio-
nen Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion und Absatz als be-
triebswirtschaftliche Grundfunktionen62, so lassen sich aus ihnen eine Reihe be-
triebswirtschaftlicher Querschnittsfunktionen (Servicesleistungen) ableiten, die
notwendigerweise neben diesen Grundfunktionen wahrgenommen werden müs-
sen. Außer der Logistikfunktion zählt man dazu insbesondere die in Abb. A.16
aufgeführten Funktionen, die sich mit Personal, Finanzen und Informationen be-
fassen. Bezeichnet man diese Funktionen als Serviceleistungen, so hebt man ihren
dienenden Charakter gegenüber den betriebswirtschaftlichen Grundfunktionen
hervor. Spricht man dagegen von Querschnittsfunktionen, so wird damit betont,
dass sie die betriebswirtschaftlichen Grundfunktionen durchdringen. Schon an
dieser Stelle ist hervorzuheben, dass mit dem Begriff Serviceleistungen keine
Betriebswirtschaftliche Grundfunktionen
Forschung
und Beschaffung Produktion Absatz Entsorgung
Entwicklung
Betriebswirtschaftliche Querschnittsfunktionen
Personal
(Serviceleistungen)
Finanzen
Information
Logistik
Instrumentelle Konsequenzen
Verbindet man mit der Logistikkonzeption eine instrumentelle Dimension, so wird
die Logistik zunächst als ein Instrument zur Planung, Steuerung und Kontrolle von
Güterflüssen verstanden. Das Logistikdenken kann Auswirkungen auf viele Berei-
che dieser als Softwaretechnologie zu bezeichnenden Instrumente der Informati-
onsverarbeitung haben, sowohl bei der Unterstützung der logistischen Entschei-
dungsprozesse als auch bei den Auftragsabwicklungsprozessen, der
Materialsteuerung oder dem Bestandsmanagement. Beispielsweise legt es das Lo-
gistikdenken nahe, schwerpunktmäßig nicht Optimierungsmodelle des Operations
Institutionelle Konsequenzen
Der Einsatz neuer Instrumente bedingt im Allgemeinen im Unternehmen zunächst
nur ablauforganisatorische Veränderungen. Nicht immer lässt sich jedoch die Lo-
gistikkonzeption ohne institutionelle Veränderung, d. h. ohne intraorganisatori-
sche Änderung der bestehenden Verteilung von Aufgaben, Kompetenzen, Ver-
antwortung und Macht in Systemen der Mikrologistik realisieren. Denn bei einer
Aufsplitterung logistischer Aufgaben in der Organisationsstruktur sind erstens die
logistischen Systemzusammenhänge schwerer zu erkennen. Zweitens wird die
Verfolgung von Logistikzielen durch die Interessengegensätze der verschiedenen
Organisationseinheiten, die Logistikaufgaben wahrnehmen, erschwert. Offensicht-
2.6 Konsequenzen des Logistikdenkens 45
64 Vgl. Pfohl, 1983, S. 721; Pfohl, 2004a, S. 54ff. und die dort aufgeführte Literatur.