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Die Herausforderung

der Postmoderne-Diskussion
für die Theologie der Gegenwart

Inaugural - Dissertation

zur
Erlangung der Doktorwürde
der
Evangelisch-theologischen Fakultät
der Eberhard-Karls-Universität
Tübingen

vorgelegt von
Matthias Schnell
aus Weidenau/Sieg
Juni 1994
Dekan:

Berichterstatter:

Mitberichterstatter:

Tag der mündlichen Prüfung:


Versicherung

Ich versichere, daß die vorliegende wissenschaftliche


Abhandlung selbständig und ohne fremde Hilfe verfaßt
worden ist. Die Arbeit lag keiner anderen Fakultät als
Dissertation vor und diente auch nicht bei einer
theologischen Dienstprüfung als Prüfungsarbeit. Es
wurden keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel
verwendet. Wörtliche Zitate sind als solche
gekennzeichnet.

Tübingen, den 30. 6. 1994


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne


Der Anlaß: Ein Gespenst geht um
Der Grund: Die Unübersichtlichkeit der Postmoderne-Diskussion
Das Motiv: Eine kritische Analyse der theologischen Postmoderne-Diskussion
Zur Methodik und Struktur der Arbeit

Erster Hauptteil
Die Diskussion um die Postmoderne
in den verschiedenen Bereichen der Kultur

I. Architektur
1. Die Krise der modernen Architektur
Komplexität und Widerspruch in der Architektur: Robert Venturi
Form Follows Fiasco: Peter Blake
2. Die Anfänge der postmodernen Architektur: Charles Jencks
Die Postmoderne als neue Epoche in der Architekturgeschichte
Die Sprache als Paradigma postmoderner Architektur
3. Die Stuttgarter Neue Staatsgalerie als Beispiel postmoderner Architektur
Die Synthese von Form und Funktion
Die Transformation historischer Architekturstile
Der Erlebnischarakter postmoderner Architektur
Der Eklektizismus postmoderner Architektur
4. Die Biennale von Venedig 1980
5. Die Kritik an der postmodernen Architektur
Postmoderne als neuer Historismus und Konservatismus
Postmoderne als Fluchtbewegung aus der Moderne
Postmoderne als fauler Kulissenzauber
Postmoderne als Pseudourbanität
6. Nach der Kritik: Definitionen postmoderner Architektur
Die Mehrfachkodierung der postmodernen Architektur: Charles Jencks
Die narrative Funktion der postmodernen Architektur: Heinrich Klotz
Die Radikalisierung der modernen Architektur: Albrecht Wellmer
Die »offene Ganzheit« der postmodernen Architektur: Wolfgang Welsch
Der Regionalismus der postmodernen Architektur: Hans-Peter Schwarz
7. Dekonstruktive Architektur als postmoderne Architektur
Die Dekonstruktion der modernen Architektur: Mark Wigley
Architektur zwischen An- und Abwesenheit: Peter Eisenman
8. Zusammenfassung
Inhaltsverzeichnis II

II. Literatur und Literaturwissenschaft


1. Postmoderne Literatur: Herausforderung oder Verfallserscheinung?
Die neuen Herausforderungen für die Schriftsteller
Die Nachkriegsliteratur als Erscheinung der Dekadenz
2. Die positive Neubewertung der postmodernen Literatur: Leslie Fiedler
Die Versöhnung von elitärer und populärer Literatur
Der Schriftsteller als Doppelagent
3. Umberto Ecos »Der Name der Rose« als Beispiel postmoderner Literatur
Die Collage als literarisches Prinzip
Die Verwirrung und Zerstreuung der Zeichen
4. Der Poststrukturalismus und die Dekonstruktion der Texte
Vom Strukturalismus zur Dekonstruktion
Die Sprache als System unendlicher Verweisungen: Jacques Derrida
Die prinzipielle Inadäquatheit von Zeichen und Bedeutung: Paul de Man
5. Die Kritik an der Dekonstruktion: George Steiner
Der Bruch des Kontraktes zwischen Wort und Welt
»Reale Gegenwart« als Gegenmodell zur Dekonstruktion
6. Heidegger und die Konsequenzen für die postmoderne Literaturkritik
Die Hermeneutik der Enthüllung: William Spanos und Richard Palmer
Der Pluralismus als Problem der Literatur: Ihab Hassan
Der selbstreflexive und der zelebrierende Postmodernismus: Gerald Graff
7. Das Verschwinden der Bedeutung und das katastrophische Bewußtsein
Das Verschwinden der Bedeutung in der postmodernen Literatur
Das katastrophische Bewußtsein der Postmoderne
8. Zusammenfassung

III. Philosophie
1. Heterogenität, Dissens, Widerstreit: Jean François Lyotard
Die Krise der »großen Erzählungen«
Das Problem der Gerechtigkeit ohne Konsens
Der Widerstreit
2. Die Kritik an Lyotards Postmoderne-Konzeption
Der Affekt gegen das Allgemeine
Das ungelöste Problem einer Gerechtigkeit ohne Konsens
Neoliberaler Pluralismus oder frühmoderner Sozialdarwinismus?
Prinzipielle Heterogenität aller Diskursarten?
3. Der Pluralismus als Grundproblem der Postmoderne: Wolfgang Welsch
Die transversale Vernunft
Der prinzipielle Pluralismus der Postmoderne
Die religiösen Implikationen postmodernen Denkens
Inhaltsverzeichnis III

4. Die analytische Philosophie im Übergang zur Postmoderne


Von der analytischen Philosophie zum Pragmatismus: Richard Rorty
Die Rückbesinnung auf die humanen Traditionen: Hilary Putnam
Mögliche Perspektiven einer postmodernen Sozialphilosophie: Wayne Hudson
Die globale Kartographie der Wahrnehmung: Frederic Jameson
5. Die Bedeutung Nietzsches für die Postmoderne
6. Postmoderne als Verwindung der Moderne: Gianni Vattimo
7. Postmoderne als neuer Essentialismus und Holismus
Die ganzheitliche Betrachtung der Wirklichkeit: Robert Spaemann
Die Wiedergewinnung aller Wissensformen des Menschen: Peter Koslowski
Die Synthese von wissenschaftlicher und mythischer Erfahrung: Kurt Hübner
8. Postmoderne als kritische Theorie der Mobilmachung: Peter Sloterdijk
Der kopernikanische Schock und die moderne Mobilmachung
Ptolemäische Abrüstung und postmoderne Demobilisierung
9. Das unvollendete Projekt der Moderne: Jürgen Habermas
Die Postmoderne als neokonservatives Projekt
Die Fortsetzung des »modernen Projektes«
Die kommunikative Vernunft
Die friedliche Koexistenz von Philosophie und Religion
10. Zusammenfassung

IV. Soziologie
1. Die postmoderne Gesellschaft
Die Transformation der modernen zu einer aktiven Gesellschaft: Amitai Etzioni
Die Ausrichtung der Gesellschaft auf die Bedürfnisse der Menschen
Der Spätkapitalismus und die postmoderne Gesellschaft: Jürgen Habermas
Der Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft als Krise der Moderne
2. Die postindustrielle Gesellschaft
Die Freizeitmentalität und die außen-geleitete Lebensweise: David Riesman
Das Modell einer Gesellschaft der sozialen Entwicklung: Alain Touraine
Von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft: Daniel Bell
Der Primat des Wissens und der Information
Der Wertewandel und die kulturelle Krise der Moderne
3. Die postmoderne Kultur: Peter Koslowski
Die Überwindung des kulturellen Pluralismus
Die Religion als Konstante der postmodernen Kultur
Das Plädoyer für eine neue Wirtschafts- und Unternehmenskultur
4. Die unbewältigten Sozialwissenschaften: Friedrich Tenbruck
Der Verlust der säkularen Glaubensüberzeugungen
Die Entwicklungsideologie und der Weltwohlfahrtsstaat
5. Die Bedeutung der Religion für die postmoderne Gesellschaft
Die »funktionale Mehrdimensionalität« der Religion: Franz-Xaver Kaufmann
Die Religion in der nachaufgeklärten Gesellschaft: Hermann Lübbe
Das »diffuse Phänomenknäuel« der »Neuen Religiösität«: Walther Zimmerli
Inhaltsverzeichnis IV

6. Perspektiven einer postmodernen Soziologie


Die Kritik an der modernen Soziologie: Friedrich Tenbruck
Nicht Abschaffung, sondern Bewältigung der Sozialwissenschaften!
Die Kritik an der modernen Religionssoziologie: Franz-Xaver Kaufmann
Postmoderne Soziologie als hermeneutische Wissenschaft: Zygmunt Bauman
7. Zusammenfassung

V. Die Kritik der Postmoderne-Diskussion


1. Der Konsens über die Intentionen und Folgen der Moderne
2. Der Dissens: Die unterschiedlichen Deutungen der Moderne
Universalistische Moderne gegen pluralistische Postmoderne
Ausdifferenzierte Moderne gegen ganzheitliche Postmoderne
3. Postmoderne: Neues Zeitalter oder Revision der Moderne?
Postmoderne als Bewußtseinsveränderung
Postmoderne als immanente Kritik der Moderne
Postmoderne als neue Epoche
4. Die Kritik an der ästhetischen Postmoderne-Diskussion
Die moderne und die postmoderne Ästhetik
Die Frage nach den Kriterien postmoderner Kunst
Der verengte Blick der postmodernen auf die moderne Architektur
Anfragen an die postmoderne und die dekonstruktive Architektur
5. Die Kritik an der literarischen Postmoderne-Diskussion
Das Problem der Unterscheidung von moderner und postmoderner Literatur
Die Kritik an der Dekonstruktion
6. Die Kritik an der philosophischen Postmoderne-Diskussion
Kontextueller Pragmatismus: Philosophie als Kulturbetreuung?
Die Kritik an den ganzheitlichen Postmoderne-Konzeptionen
Jenseits von Beliebigkeitspluralismus und Relativismus
Philosophische Beerbung der Religion?
7. Die Kritik an der soziologischen Postmoderne-Diskussion
Die postmoderne Kultur
Wiederkehr der Religion?
Der Ideologieverdacht gegen die Sozialwissenschaften
8. Welchen Sinn hat es, von Postmoderne zu reden?
»Postmoderne«: Neuer Stil oder Indikator eines epochalen Wandels?
»Postmoderne«: Immanente Kritik der oder neue Epoche nach der Moderne?
9. Das Problem: Die Widersprüchlichkeit der Postmoderne-Konzeptionen
Keine Lösung: Relativismus und Fundamentalismus
Die Aufgabe: Anerkennung der Pluralität und Suche nach Konsensen
Inhaltsverzeichnis V

Zweiter Hauptteil
Die Diskussion um die Postmoderne
in der Theologie

I. Christlicher Glaube im Pluralismus


Überblick
1. Die Auseinandersetzung mit den philosophischen Pluralismus-Theorien
Einheit und Vielheit als theologisches Problem: Rainer Bucher
Radikaler Pluralismus und postmoderne Theologie: Sigurd Daecke
Christliche Orientierung im Pluralismus: Hans Joachim Türk
Protestantismus und Pluralismus: Hans-Martin Barth
2. Religion in der Postmoderne: Trutz Rendtorff
Postmoderne als vertieftes und gereiftes Verständnis der Moderne
Moderne und Postmoderne in der evangelischen Theologie
Renaissance der Religion?
»Einheit in der Verschiedenheit« als Modell des theologischen Pluralismus
3. Theologie für eine postmoderne Welt: Diogenes Allen
Der Verlust der modernen Glaubensüberzeugungen
Der christliche Glaube als Orientierungshilfe in einer pluralistischen Welt
4. Pluralität der Sprachen und Ambiguität der Geschichte: David Tracy
Die Unhintergehbarkeit der Pluralität
Das Verhältnis von Theologie und Pluralismus
Die hermeneutische Konfliktsituation
5. Zusammenfassung

II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion


Überblick
1. Das »Schweigen des Realen«: Charles Winquist
Die Erschütterung des Glaubens an die Sprache als »Spiegel der Natur«
Die Krise der Bedeutung in der theologischen Sprache
Dekonstruktive Theologie als »theologische Tropologie«
2. Das Sein Gottes, wenn Gott nicht Gott ist: Robert Scharlemann
Der Umbruch von der Moderne zur Postmoderne nach dem Ersten Weltkrieg
Gibt es einen Zugang zu »transzendentalen Signifikaten«?
Dekonstruktion als Erinnerung des Ungedachten
3. Postmoderne A/Theologie: Mark Taylor
Der »Tod Gottes« als Ausgangspunkt aller Theologie
Dekonstruktive Theologie als »irrende A/Theologie«
Der Tod des transzendenten Gottes und die Konsequenzen
Umrisse einer dekonstruktiven A/Theologie
Inhaltsverzeichnis VI

4. Die Kritik an der dekonstruktiven Theologie


Die dekonstruktive Theologie und ihr parasitäres Verhältnis zur Tradition
Die unterschwellige »Ethik des Widerstandes«
Dekonstruktive Theologie: Modern oder postmodern?
Die Kritik an Mark Taylors »Erring. A Postmodern A/Theology«
5. Postmoderne als »postliberale Theologie«: George Lindbeck
Das vorliberale und das liberale Modell religiöser Symbolbildung
Das postliberale Modell religiöser Symbolbildung
Die Inkommensurabilität der religiösen Erfahrungen
6. Die Kritik an der »postliberalen Theologie«
Lindbecks Rückfall in den Konfessionalismus
Der vernachlässigte Zusammenhang von Grammatik und Rhetorik
Von der Intratextualität zur Vielsprachigkeit
7. Postmoderne als »ästhetische Theologie«: Hermann Timm
Postmoderne als »ästhetische Weisheit«
Postmodernisierung der Religion: Reinszenierung des Heiligen
8. Zusammenfassung

III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie


Überblick
1. Whitehead und die postmoderne Theologie: John Cobb
Eine ganzheitliche Sicht des Menschen und der Welt
2. Die Prozeßtheologie als postmoderne Theologie: David Griffin
Das Ende des modernen und die Entstehung des postmodernen Weltbildes
Der »natürliche Theismus« als Grundlage postmoderner Theologie
Die theologischen Konsequenzen des »natürlichen Theismus«
Die postmoderne Theologie: Eine »christlich-natürliche Theologie«
3. Die Kritik an der Prozeßtheologie
Defizite der Prozeßtheologie
Griffins Metaphysik: Modern oder postmodern?
4. Die Befreiungstheologie als postmoderne Theologie: Harvey Cox
Die Kritik an der modernen Theologie
Die integrative Synthese von christlichem Leben und christlicher Spiritualität
5. Ganzheitliche Agenden für eine postmoderne Welt: Ted Peters
Fragmentierte Moderne gegen ganzheitliche Postmoderne
Der auferstandene Christus als Symbol der versöhnten Ganzheit
6. Postmoderne als Anbruch des ökumenischen Zeitalters: Hans Küng
»Postmoderne«: Ein heuristischer Begriff
Das postmoderne Projekt: Planetarische Verantwortung
Postmoderne Perspektiven für die Theologie
7. Zusammenfassung
Inhaltsverzeichnis VII

IV. Die Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion


1. Konvergenzen und Divergenzen in der Postmoderne-Diskussion
Die Übereinstimmungen mit der allgemeinen Postmoderne-Diskussion
Die Unterschiede zur allgemeinen Postmoderne-Diskussion
2. Karl Barth und der theologische Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg
Der theologische Wandel im Kontext unterschiedlicher Umbruchserfahrungen
Karl Barths »Kirchliche Dogmatik«: Modern oder postmodern?
3. Wiederkehr der Religion?
Die Erschöpfung der Religionskritik und die neue Offenheit für Religion
»Wiederkehr der Religion« oder »religiöse Indifferenz«?
4. Die Kritik der theologischen Pluralismus-Diskussion
Das Verhältnis von christlichem Glauben und kulturellem Pluralismus
Der theologische Pluralismus und die Einheit des Glaubens
5. Die Kritik der dekonstruktiven Theologie
Berechtigte Anliegen und kritische Intentionen der dekonstruktiven Theologie
Einwände gegen eine »Theologie der Abwesenheit Gottes«
Postliberale Theologie: Rückzug ins konfessionelle Getto?
»Aisthesis« als Grundlage postmoderner Theologie?
6. Die Kritik der »ganzheitlichen« Postmoderne-Konzeptionen
Die Abhängigkeit der Prozeßtheologie von der Metaphysik Whiteheads
Theologische Bedenken gegen den »natürlichen Theismus«
Die Befreiungstheologie: Postmodern?
Christliche Theologie als Rahmen eines ganzheitlichen Lebensmodells
Eine »kritisch ökumenische Theologie« als Paradigma postmoderner Theologie

Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion


»Postmoderne« – mehr als nur ein heuristischer Begriff?
Die Herausforderung der Pluralismusdiskussion
Die Herausforderung der Dekonstruktion
Die Herausforderung der Ganzheitlichkeits-Diskussion

Bibliographie
Anhang: Abbildungen
Einleitung:
Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne
First, you know, a new theory is attacked as absurd; then it is admitted to be
true, but obvious and insignificant; finally, it is seen to be so important that its
adversaries claim that they themselves have discovered it.
William James, Pragmatism.

La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent, la moité de l’art,


dont l’autre moité est l’éternel et l’immuable.
Charles Baudelaire, La peintre de la vie moderne

Der Anlaß: Ein Gespenst geht um


Am 18. Oktober 1981 warnte die französische Tageszeitung Le Monde ihre Leser vor einem
Gespenst, das in Europa umgehe: dem Gespenst der Postmoderne.1 Und da sich Gespenster
bekanntermaßen gerne im Unbestimmten aufhalten, müsse man wohl – so Le Monde weiter –
von einem Gespenst reden, denn im Lichte der Debatten und Polemiken, die sich von Ameri-
ka nun auch auf Europa ausgedehnt und dabei allerlei heterogene und widersprüchliche Kon-
zeptionen hervorgebracht haben, werde es fast unmöglich, diesen Terminus zu definieren.
Ausgehend von der Architekturtheorie habe sich die Postmoderne auch in der Literatur, der
Philosophie, den Sozialwissenschaften und der bildenden Kunst ausgebreitet und schicke sich
nun an, auf die Straße herunterzusteigen, um zu einer öffentlichen Angelegenheit und Mode-
erscheinung zu werden. Was aber – so die skeptische Frage des Autors – soll man mit dem
Neologismus »Postmoderne« anfangen, wenn sich hinter diesem Wort nur antagonistische
Konzepte verbergen und es sich einer präzisen Bestimmung widersetzt?2 Mit anderen Worten:
Welchen Sinn hat es, von »Postmoderne« zu reden?

Der Grund: Die Unübersichtlichkeit der Postmoderne-Diskussion


Glaubt man dem Gießener Philosophen Odo Marquard, so verdankt sich die Rede von der
Postmoderne dem »geschichtlichen Zäsurbedarf des modernen Menschen«: Weil nämlich – so
die These Marquards – die »Dominanz des religiösen Grenzverständnisses« in der Neuzeit
durch ein raum-zeitliches Grenzverständnis immer mehr »verdiesseitigt« wurde, muß der mo-
derne Mensch, der sich von Gott emanzipiert hat und der sich nun seiner selbst erst vergewis-
sern muß, seinen »Abgrenzungsbedarf« durch die »räumliche und zeitliche Abgrenzung« von

1 »Un spectre hante l’Europe: le post-modernisme. Il faut bien parler d’un spectre, car, à la lumière des
débats et des polémiques qui se déroulent aux Etat-Unis depuis une dizaine d’années et qui ont brusque-
ment fait rage ces derniers temps en Italie, il est de plus en plus délicat de comprendre quels sont les fon-
daments et les acceptions de ce terme qui fait fortune à des titres divers sinon contradictoires«. G.-G.
LEMAIRE: Le spectre du post-modernisme, S. XIV. Daß das Umgehen von Gespenstern Konjunktur in Eu-
ropa hat seit Karl Marx und Friedrich Engels im Februar 1848 in ihrem Manifest der Kommunistischen
Partei »alle Mächte des alten Europa«, den Papst und den »Czar, Metternich und Guizot, französische Ra-
dikale und deutsche Polizisten« zu »einer heiligen Hetzjagt« gegen das Gespenst des Kommunismus sich
verbünden sahen (K. MARX – F. ENGELS: Manifest der Kommunistischen Partei, S. 3), belegt eindrücklich:
T. R. STEININGER: Konfession und Sozialisation, S. 50-52.
2 G.-G. LEMAIRE: Le spectre du post-modernisme, S. XIV.
Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 2

anderen Menschen decken.3 Im »räumlichen Entdeckungsdenken« findet der moderne Mensch


den »konkreten Raum der Erde als Chance für Länder- und Einflußbereichsgrenzen« und im
»zeitlichen Entwicklungsdenken« erfährt er die »konkrete Zeit als Chance für Temporalgren-
zen d. h. Epochenschwellen«.4 Doch weil die Raumgrenzen durch die Globalisierungstenden-
zen mehr und mehr relativiert worden sind, gewinnen die »historischen Zäsuren« und Zäsur-
verschiebungen zunehmend an Bedeutung. In der Rede von der Postmoderne kündigt sich eine
solche Zäsurverlagerung an: von der »Mittelalter-Neuzeit-Zäsur« hin zur »Neuzeit-Nachneu-
zeit-Zäsur«.5
Aber – so Marquard weiter – unsere Zeit hat nicht nur einen, sondern viele Namen: »Sie
gilt als ›Industriezeitalter‹ oder ›Spätkapitalismus‹ oder ›Zeitalter der wissenschaftlich-tech-
nischen Zivilisation‹ oder ›Atomzeitalter‹; sie gilt als Zeitalter der ›Arbeitsgesellschaft‹ oder
›Freizeitgesellschaft‹ oder ›Informationsgesellschaft‹; sie gilt als Zeitalter der ›funktionalen
Differenzierung‹ oder ›Epoche der Epochisierung‹ oder ›postkonventionelles Zeitalter‹ oder
einfach als ›Moderne‹ oder auch schon als ›Postmoderne‹ und so fort. Diese Vielnamigkeit ist
indirekte Anonymität: unsere Zeit und Welt befindet sich – scheint es – auch deswegen in
einer Orientierungskrise, weil sie zunehmend nicht mehr weiß, mit welcher dieser Kennzeich-
nungen sie sich identifizieren muß«.6 Jürgen Habermas bezeichnet darum – im Unterschied zu
einer sich ihrer selbst gewissen Moderne – die gegenwärtige Situation als »neue Unübersicht-
lichkeit«7 und trifft damit sicher das Gefühl vieler Zeitgenossen. Wie aber läßt sich nun in all
dieser Unübersichtlichkeit eine Übersicht gewinnen?
Einiges spricht für den Begriff Postmoderne, nicht nur weil er der von den Zeitanalytikern
am meisten diskutierte Begriff ist, sondern vor allem, weil sich unter »Postmoderne« viele der
partikularen Gegenwartsbezeichnungen subsumieren lassen.8 Doch das Problem mit diesem
»Zeitzeichenwort«9 besteht darin, daß gerade dadurch, daß »Postmoderne« als Sammelbecken
für verschiedene, teilweise auch sich gegenseitig ausschließenden Programme fungiert, eine
exakte Definition mit der zunehmenden Anlagerung und Überlagerung heterogener Konzepte
immer schwieriger wird: »Postmoderne« wird zu einem »Passepartoutbegriff«, in den sich
Beliebiges einordnen läßt.10 Der Bamberger Philosoph Wolfgang Welsch spricht darum auch
von einem »diffusen Postmodernismus«: »Das Credo dieses diffusen Postmodernismus
scheint zu sein, daß alles, was den Standards von Rationalität nicht genügt oder Bekanntes
allenfalls verdreht wiedergibt, damit auch schon gut, ja gar gelungen sei, daß man den Cock-

3 O. MARQUARD: Temporale Positionalität, S. 343, 345. Drastischer formuliert Peter Sloterdijk die Kon-
sequenzen der Verdiesseitigung in der modernen Kultur: »Eine neuheidnische Kultur, die an ein Leben
nach dem Tod nicht glaubt, muß es darum vor diesem suchen«. P. SLOTERDIJK: Kritik der zynischen Ver-
nunft, S. 10.
4 O. MARQUARD: Temporale Positionalität, S. 345.
5 A.a.O., S. 348.
6 O. MARQUARD: Apologie des Zufälligen, S. 76.
7 J. HABERMAS: Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, S. 147.
8 Nach Hermann Kurzke mag das Wort Postmoderne unglücklich gewählt sein, doch es hat »den entschei-
denden Platzvorteil, daß es schon da ist. Eine neuzubildende Vokabel, die den Geist unserer Zeit treffend
markieren könnte, müßte dagegen erst durchgesetzt werden«. H. KURZKE: Die Postmoderne frißt ihre Re-
volution, S. 30.
9 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 311.
10 Vgl. U. ECO: Nachschrift zum »Namen der Rose«, S. 77.
Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 3

tail nur ordentlich mixen und mit reichlich Exotischem versetzen müsse. Man kreuze Libido
mit Ökonomie, Digitalität und Kynismus, vergesse Esoterik und Simulation nicht und gebe
auch noch etwas New Age und Apokalypse hinzu – schon ist der postmoderne Hit fertig. Sol-
cher Postmodernismus der Beliebigkeit, des Potpourri und der Abweichung um jeden (eigent-
lich um keinen) Preis erfreut sich gegenwärtig großer Beliebtheit und Verbreitung«.11
Die Proklamation der Postmoderne hat daher auch zahlreiche Kritiker auf den Plan geru-
fen, die die Rede vom Anbruch einer »Post-Moderne« aus verschiedenen Gründen für verfehlt
halten. Der prominenteste Kritiker der Postmoderne, Jürgen Habermas, hält die Postmoderne
für ein neokonservatives und antimodernes Projekt und die Rede von der Postmoderne darum
für unbegründet, weil sich die postmoderne Rationalitätskritik in Selbstwidersprüche ver-
strickt, wenn sie meint, die Vernunft durch Argumente liquidieren zu können: ihr Dilemma
ist, daß sie den Ast, auf dem sie sitzt, abzusägen beabsichtigt.12 Für den Literaturwissenschaft-
ler Dieter Borchmeyer macht die Ausrufung der Postmoderne deswegen keinen Sinn, weil
sich »die meisten vermeintlich essentiellen Distinktiva« der Postmoderne alle schon in der
literarischen Moderne dieses Jahrhunderts nachweisen lassen.13 Und dem Kulturwissenschaft-
ler Richard Münch zufolge kann nur derjenige vom »Ende der Moderne und von der Postmo-
derne« reden, der den »Sinn der Moderne nicht begriffen hat«, daß nämlich jede Veränderung
»nur eine neue Konkretisierung der Idee der Moderne« ist und damit jede Theorie der Post-
moderne dem Innovationsprinzip der Moderne verhaftet bleibt.14 Der unaufmerksame Zeitge-
nosse – so der Bayreuther Politologe Michael Zöller – mag das Wort »Postmoderne« für eine
»Werbeidee des Postministers« halten, doch dieses Wort zeigt an, »daß ein neues Zeitalter
angesagt ist: die Postmoderne«.15 Zöller zeigt sich jedoch skeptisch hinsichtlich des
Gebrauchswertes von »Postmoderne«, weil die Vorsilbe »das Neue« nur dadurch zu beschrei-
ben weiß, daß es nicht mehr »das Alte« sei.16
Es ist das Verdienst Wolfgang Welschs, daß er mit seinem 1987 erschienenen Buch Un-
sere postmoderne Moderne, das mittlerweile zu einem Standardwerk für die Postmoderne-
Diskussion im deutschsprachigen Raum geworden ist, den Versuch unternommen hat, einer-
seits den feuilletonistischen und diffusen Postmodernismus in einen veritablen, präzisen und
effizienten Postmodernismus zu überführen und andererseits der gegen das postmoderne Pro-
jekt gerichteten Kritik die Grundlage zu entziehen. Dies ist ihm in wesentlichen Punkten auch
gelungen. Gleichwohl hat auch er – trotz brillanter Rhetorik – weder diejenigen Stimmen, die
die Postmoderne nicht durch »radikale Pluralität« sondern durch »Ganzheitlichkeit« charakte-
risiert sehen wollen, noch diejenigen, die die Postmoderne nicht als »exoterische Alltagsform
der einst esoterischen Moderne«, sondern durchaus als eine neue Epoche verstehen wollen,
zum Verstummen bringen können.17 Dennoch bleiben Welschs Systematisierungs- und Klä-

11 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 2.


12 J. HABERMAS: Zwischen Heine und Heidegger, S. 124; J. HABERMAS: Die Krise des Wohlfahrtsstaates und
die Erschöpfung utopischer Energien, S. 145; J. HABERMAS: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt,
S. 444, 464.
13 D. BORCHMEYER: Postmoderne, S. 312.
14 R. MÜNCH: Die Kultur der Moderne, S. 855.
15 M. ZÖLLER: Die Gnosis der Yuppies, S. 27.
16 Ebd.
17 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 4, 202.
Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 4

rungsversuche auf den verschiedenen Gebieten der Postmoderne-Diskussion – nicht zuletzt


auch die von ihm formulierten Implikationen für das religiöse Denken18 – wegweisend.
So haben dann auch Theologen im deutschsprachigen Raum die von Welsch formulierte
Frage, ob die »Verabschiedung des Einen« und »der Übergang zu radikaler Vielheit, in der das
Eine nur eines neben Anderen ist, theologisch fruchtbar, ja überhaupt mitgemacht werden«
kann,19 als Herausforderung für die Theologie aufgenommen. Doch beschäftigen sich Theolo-
gen nicht erst seit dem Bekanntwerden von Welschs Publikationen mit dem Thema Postmo-
derne: In den USA sind seit Anfang der achtziger Jahre neben zahlreichen Zeitschriftenbeiträ-
gen auch etliche Monographien erschienen, die sich dezidiert mit dem Thema Postmoderne
auseinandersetzen.20 Allerdings erhält die theologische Postmoderne-Diskussion in Amerika
ihre wesentlichen Impulse nicht von der von Lyotard und Welsch initiierten Pluralismus-
Diskussion, sondern entweder von den sprachphilosophischen Theorien des Poststrukturalis-
mus und der Dekonstruktion oder von den Holismustheorien philosophischer oder physikali-
scher Provenienz. Somit ist die theologische Postmoderne-Diskussion insgesamt ebenfalls
durch eine Vielzahl unterschiedlicher Programme, Konzeptionen, Positionen und Entwürfe
gekennzeichnet, die auf je unterschiedliche Weise auf die Herausforderungen der allgemeinen
Postmoderne-Diskussion zu antworten versuchen.

Das Motiv: Eine kritische Analyse der theologischen Postmoderne-Diskussion


Das Anliegen dieser Arbeit besteht nun aber weder darin, den zahlreichen Postmoderne-
Theorien eine weitere hinzuzufügen, noch darin, eine Apologie des Begriffs »Postmoderne«
zu betreiben, sondern darin, die vorhandene Unübersichtlichkeit der theologischen Postmo-
derne-Diskussion zu strukturieren und die einzelnen theologischen Programme einer kriti-
schen Analyse zu unterziehen, um dann auch weiterführende Perspektiven für die Theologie
aufzeigen zu können. Weil die Beiträge zur theologischen Postmoderne-Diskussion jedoch
zumeist von den ästhetischen, sprachwissenschaftlichen, philosophischen, und soziologischen
Postmoderne-Konzeptionen unmittelbar abhängen, ist eine angemessene Bewertung der theo-
logischen Programme ohne eine eingehende Analyse der Postmoderne-Diskussion in den ver-
schiedenen Bereichen der Kultur nicht möglich: Mark Taylors »postmoderne A/Theologie« ist
ohne die sprachphilosophischen Grundlagen des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion
gar nicht denkbar, und Hermann Timms Programm einer »Postmodernisierung der Religion«
basiert in wesentlichen Punkten auf den ästhetischen Postmoderne-Konzeptionen aus der Ar-
chitektur und der Literaturwissenschaft; das Anliegen von Lindbecks »postliberaler Theolo-
gie« läßt sich zwar durchaus auch ohne Lyotards Sprachspielkonzeption verstehen, doch das
gemeinsame Anliegen (das alles andere als zufällig ist) wird erst in der Zusammenschau von
philosophischer und theologischer Postmoderne-Diskussion deutlich; in der theologischen

18 Vgl. dazu: W. WELSCH: Religiöse Implikationen und religionsphilosophische Konsequenzen ›postmo-


dernen‹ Denkens.
19 A.a.O., S. 128.
20 Daß sich in den USA schon seit längerem eine theologische Postmoderne-Diskussion etabliert hat, wird
von den deutschsprachigen Theologen, die sich mit dem Thema Postmoderne beschäftigen, nur teilweise
wahrgenommen. Insofern schließt die vorliegende Arbeit eine Informationslücke und bietet damit gleich-
zeitig einen Einblick in einen Teilbereich der amerikanischen Gegenwartstheologie.
Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 5

Diskussion um Pluralismus und Postmoderne wird nicht nur explizit auf die Pluralismustheo-
rien von Lyotard und Welsch Bezug genommen, sondern die Antworten auf die Herausforde-
rungen dieser Diskussion werden auch bewußt in Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung
zu diesen Konzeptionen entworfen; ebenso setzen die Entwürfe einer »ganzheitlichen« Theo-
logie die philosophischen Holismustheorien voraus. Aufgrund dieser Dependenz der theologi-
schen von der ästhetischen, philosophischen und soziologischen Postmoderne-Diskussion
schien es notwendig, die vorliegende Arbeit von vornherein möglichst interdisziplinär zu kon-
zipieren.
Der Gießener Systematiker Konrad Stock hat in einem Aufsatz über die Lage der Syste-
matischen Theologie in der Gegenwart die theologische Aufgabe folgendermaßen bestimmt:
»Ob progressiver oder konservativer Provenienz – die Proklamation einer Postmoderne hat
Anhalt an den ambivalenten Resultaten der Modernisierungsprozesse, die den Alltag spätin-
dustrieller Gesellschaften bestimmen. Es fragt sich jedoch, worauf Zeitdiagnosen ihre Plausi-
bilität und Überzeugungskraft gründen und unter welchen Bedingungen sie zum Formelement
in der Darstellung theologischer Erkenntnis gemacht werden können. Nachdem die Systemati-
sche Theologie die Zeitdiagnose lange Zeit auf eine vergleichsweise intuitive Art praktiziert
hat, scheint es mir an der Zeit zu sein, die Bedingungen für eine sachgemäße, dem Gegenstand
der Theologie entsprechende Verknüpfung von theologischer Argumentation und Zeitdiagno-
se zu thematisieren und in eine zusammenhängende Diskussion zu überführen«.21
Dazu will die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten. Allerdings soll hier nicht der Zu-
sammenhang von »theologischer Argumentation« und »Zeitdiagnose« theoretisch aufgearbei-
tet werden. Die Intention der vorliegenden Arbeit besteht vielmehr darin, die verschiedenen
Zeitdiagnosen der Postmoderne-Diskussion einerseits auf ihre »Plausibilität und Überzeu-
gungskraft« hin zu überprüfen und andererseits die theologische Postmoderne-Diskussion
systematisch daraufhin zu befragen, ob ihre »Verknüpfung von theologischer Argumentation
und Zeitdiagnose« dem »Gegenstand der Theologie« entspricht. Dies ist jedoch – im Gegen-
satz zu einer bloß oberflächlichen und eklektischen Aneignung des Themas Postmoderne, die
sich bei Theologen (aber nicht nur bei Theologen) großer Beliebtheit erfreut – nur über eine
umfassende und kritische Analyse der allgemeinen Postmoderne-Diskussion möglich.

Zur Methodik und Struktur der Arbeit


Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Hauptteil werden die verschiedenen Postmoderne-
Konzeptionen zuerst ausführlich referiert, um dann in den kurzen Zusammenfassungen am
Ende eines jeden Kapitels eine erste Konzentration der einzelnen Standpunkte zu erreichen.
Nach der Darstellung folgt dann in den Auswertungskapiteln am Ende eines jeden Hauptteiles
eine kritische Analyse der jeweiligen Postmoderne-Diskussion. Diese Trennung von Darstel-
lung und Kritik ist notwendig, um zunächst die durchgängigen Strukturen und übergreifenden
Argumentationsmuster zwischen den verschiedenen Bereichen der Postmoderne-Diskussion
in den Blick zu bekommen, um dann anschließend eine angemessene Bewertung der einzelnen
Positionen sowie der Postmoderne-Diskussion insgesamt vornehmen zu können.

21 K. STOCK: Das Denken des Glaubens, S. 78.


Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 6

Der Erste Hauptteil der Arbeit hat die Aufgabe, die Genese des Begriffs »Postmoderne«
innerhalb der verschiedenen Bereiche der Kultur (Architektur, Literaturwissenschaft, Philoso-
phie und Soziologie) nachzuzeichnen, die wichtigsten Postmoderne-Konzeptionen vorzustel-
len, die Beziehungslinien zwischen den verschiedenen Sektoren herauszuarbeiten und eine
kritische Analyse der einzelnen Positionen vorzunehmen, um erstens einen detaillierten Über-
blick der Diskussion zu gewinnen und zweitens eine fundierte Grundlage für die theologische
Postmoderne-Diskussion zu erarbeiten:
 In der Diskussion um die postmoderne Architektur geht es zunächst darum, die Krisenphä-
nomene der modernen Architektur herauszuarbeiten, um dann zu einer ersten Definition
postmoderner Architektur vorzustoßen, die anschließend am Beispiel der Stuttgarter Neuen
Staatsgalerie konkret erläutert wird. Nach der Kritik an der postmodernen Architektur, die
schon sehr bald nach den ersten Manifesten postmoderner Architektur laut wurde, werden
schließlich verschiedene Definitionen und Richtungen postmoderner Architektur vorge-
stellt (Kapitel I).
 Nachdem schon in den späten fünfziger und den sechziger Jahren das Prädikat »postmo-
dern« zur Charakterisierung verschiedener Literaturrichtungen sporadisch verwendet wur-
de, werden in der Literaturwissenschaft dann zum einen die formal-ästhetischen Besonder-
heiten von Umberto Ecos Roman Der Name der Rose und zum anderen die
sprachphilosophischen Implikationen dieses Romans ins Zentrum der Analyse gerückt: die
Verwirrung und Zerstreuung der Zeichen, die vom französischen Poststrukturalismus und
der amerikanischen Dekonstruktion sprachtheoretisch begründet werden. Der Auseinander-
setzung mit Poststrukturalismus und Dekonstruktion folgen dann noch einige Alternativ-
vorschläge zur Definition der postmodernen Literatur (Kapitel II).
 Die Präsentation der philosophischen Postmoderne-Diskussion gilt zunächst der Darstel-
lung von Lyotards Postmoderne-Konzeption, seiner Sprachspieltheorie und seiner Theorie
der Gerechtigkeit, dann aber auch den Weiterentwicklungen seines Programms und den
Gegenkonzeptionen: Welschs Modell einer »transversalen Vernunft«, Rortys »Neopragma-
tismus«, Vattimos »schwachem Denken«, Sloterdijks »kritischer Theorie der Mobilma-
chung« und den Gegenkonzeptionen von Koslowski, Hübner und Spaemann, die die Post-
moderne durch eine Suche nach »Ganzheitlichkeit« charakterisiert sehen. Schließlich
kommt auch der avancierteste Kritiker der Postmoderne und gegenwärtige Projektleiter des
unvollendeten Projektes der Moderne zu Wort: Jürgen Habermas (Kapitel III).
 In der soziologischen Postmoderne-Diskussion konzentriert sich die Abgrenzung zur Mo-
derne auf die Begriffe »postmoderne Gesellschaft«, »postindustrielle Gesellschaft« und
»postmoderne Kultur«, die aus je unterschiedlicher Perspektive eine grundlegende Trans-
formation der modernen Gesellschaft und Kultur anzeigen. Zugleich aber werden auch die
Grundlagen der modernen Soziologie in Frage gestellt: Zum einen wird gegen die Religi-
onssoziologie der Verdacht erhoben, Religion auf ein gesellschaftliches Phänomen zu re-
duzieren und sie allein um ihrer Nützlichkeit willen zu akzeptieren, und zum anderen wird
gegen die gesamten Sozialwissenschaften der Verdacht erhoben, daß diese mit ihren Me-
thoden ein technisches Herrschaftswissen liefern, um neben der technischen Beherrschung
der Natur nun auch die Beherrschung der Gesellschaft in den Griff zu bekommen (Kapitel
IV).
Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 7

 Das Auswertungskapitel am Ende des Ersten Hauptteiles hat dann die Aufgabe, die Dis-
kussion zunächst zu bündeln und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der
Bestimmung von »Moderne« und »Postmoderne« in den verschiedenen Bereichen heraus-
zuarbeiten, um danach die einzelnen Konzeptionen auch einer detaillierten Kritik unterzie-
hen und weiterführende Perspektiven formulieren zu können (Kapitel V).
Angesichts der unzähligen internationalen Monographien, Sammelbände und Aufsätze zum
Thema Postmoderne, die seit Beginn der achtziger Jahre erschienen sind, ist es notwendig,
sich im Ersten Hauptteil auf die vier Hauptbereiche der Postmoderne-Diskussion (Architektur,
Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie) zu konzentrieren. Die eher peripheren Be-
reiche wie Musik, Kunst, Film und Tanz, die die in den vier Hauptbereichen entwickelten
Konzepte auf ihre Disziplinen anwenden und fortschreiben, können leider in der Darstellung
nicht berücksichtigt werden.22 Aber auch innerhalb der vier Hauptbereiche ist eine Selektion
derjenigen Positionen, die im Haupttext dargestellt werden sollen, unumgänglich: Randthe-
men und Nebenschauplätze der Postmoderne-Diskussion können nicht ausführlich behandelt
werden.23 Auf diese wird in den Anmerkungen mit zahlreichen Literaturangaben hingewiesen,
um dem interessierten Leser eine weiterführende Lektüre zu ermöglichen.24
Der Zweite Hauptteil ist ganz dku theologischen Postmoderne-Diskusssion gewidmet.
Wie im Ersten Hauptteil sind auch hier Darstellung und Kritik voneinander getrennt: Nach der
Darstellung der drei thematischen Schwerpunkte, die sich in der theologischen Diskussion
herauskristallisieren, schließt sich auch hier in einem vierten Kapitel eine Kritik der theologi-
schen Postmoderne-Diskussion an:
 Ausgelöst durch die architekturtheoretische, literaturwissenschaftliche, philosophische und
soziologische Postmoderne-Diskussion stellen sich einige Theologen der Frage, welche
Konsequenzen sich aus dem »radikalen« gesellschaftlichen, kulturellen, ethischen und äs-
thetischen Pluralismus der Postmoderne für Theologie und Kirche ergeben und wie mit
dem Pluralismus innerhalb von Theologie und Kirche umgegangen werden soll (Kapitel I).

22 Vgl. zur Postmoderne in der Musik: S. CONNOR: Postmodernist Culture, S. 184-198; H. DANUSER: Die
Musik des 20. Jahrhunderts, S. 392-415; P. KEMPER: Flucht nach vorn oder Sieg des Vertrauten?; W.
KONOLD: Komponieren in der »Postmoderne«; L. SAMAMA: Neoromantik in der Musik; im Film:
TH. ELSAESSER: American Graffiti und Neuer Deutscher Film; G. BRUNO: Ramble City; im Tanz:
R. COPELAND: Postmodern Dance/Postmodern Architecture/Postmodernism; L. UTRECHT: Postmoderne-
Tanz; in der Kunst: S. SCHMIDT-WULFFEN: Auf der Suche nach dem postmodernen Bild; F. FEHÉR: Der
Pyrrhussieg der Kunst im Kampf um ihre Befreiung; C. BÜRGER: Das Verschwinden der Kunst;
P. BÜRGER: Der Alltag, die Allegorie und die Avantgarde; A. MARTIS: Die Verantwortung der Bilder;
W. CH. ZIMMERLI: Wie autonom kann Kunst sein? Vgl. zu den genannten und weiteren Bereichen der
Postmoderne-Diskussion die ausführliche Bibliographie in: W. WELSCH (Hrsg.): Wege aus der Moderne,
S. 275-315.
23 Das in dieser Arbeit vorgestellte Material stellt deswegen auch lediglich einen begrenzten Ausschnitt und
eine subjektive Auswahl aus den vielfältigen Möglichkeiten, die Postmoderne-Diskussion zu beschreiben,
dar. Gleichwohl ist diese Selektion weder zufällig noch beliebig: Zum einen sollte ein möglichst breites
Spektrum von Positionen und Programmen aufgenommen werden, um sich nicht von vornherein auf nur ei-
ne Strömung der Postmoderne-Diskussion festzulegen, und zum anderen sollten primär diejenigen Beiträge
vorgestellt werden, die in der Diskussion die nachhaltigsten Wirkungen hervorgerufen haben.
24 Um bei den zahlreichen Literaturhinweisen Unübersichtlichkeit, mögliche Verwechslungen und falsche
Bezüge zu vermeiden, wird die Literatur in den Anmerkungen immer mit dem Namen des Autors und mit
einem Kurztitel aber ohne Erscheinungsort angegeben. Die ausführlichen Literaturangaben finden sich in
der Bibliographie am Ende der Arbeit. »A.a.O.« und »ebd.« werden nur dann verwendet, wenn diese sich
auf das in der unmittelbar vorausgehenden Anmerkung zitierte Werk eines Autors beziehen.
Einleitung: Zum Verhältnis von Theologie und Postmoderne 8

 Auf dem Hintergrund der sprachphilosophischen und literaturwissenschaftlichen Postmo-


derne-Diskussion beschäftigen sich dann vor allem amerikanische Theologen mit den Imp-
likationen, die die poststrukturalistische Sprachphilosophie und die Dekonstruktion auf die
Theologie – insbesondere die theologische Rede von Gott – haben (Kapitel II).
 Einen dritten Diskussionsschwerpunkt bildet das aus der philosophischen und soziologi-
schen Postmoderne-Diskussion bekannte Stichwort »Ganzheitlichkeit«, das von einigen
Theologen aufgegriffen und theologisch rezipiert wird: Zum einen wird gefragt, welchen
Beitrag der christliche Glaube zu einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen und der
Welt leisten kann, und zum anderen, wie eine »ganzheitliche« Theologie konzipiert werden
könnte (Kapitel III).
 Ein abschließendes Kapitel ist der kritischen Analyse der theologischen Postmoderne-Dis-
kussion gewidmet: Hier werden zunächst Konvergenzen und Divergenzen von allgemeiner
und theologischer Postmoderne-Diskussion herausgearbeitet, dann einige übergreifende
Themen der theologischen Diskussion erörtert und anschließend die einzelnen Positionen
besprochen (Kapitel IV).

Wie im Ersten Hauptteil sollen auch hier die Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapi-
tels eine Kurzinformation über die wichtigsten Themen der Diskussion ermöglichen. Den drei
ersten Kapiteln im Zweiten Hauptteil ist darüber hinaus auch jeweils ein kurzer Überblick
vorangestellt, der zum einen die Funktion hat, die Beziehungslinien und Anknüpfungspunkte
zur allgemeinen Postmoderne-Diskussion anzudeuten, und zum anderen über die Problemstel-
lungen zu informieren, die von den Theologen als Herausforderungen der Postmoderne-
Diskussion wahrgenommen werden.
Im Epilog wird dann der Versuch unternommen, die theologische Postmoderne-Diskus-
sion zu bilanzieren und Prospektiven für die Theologie zu entwickeln. Das Anliegen besteht
aber weder darin, die verschiedenen theologischen Konzepte zu synthetisieren, noch darin,
eine weitere theologische Postmoderne-Konzeption zu entwickeln. Vielmehr soll nach den
Chancen und Grenzen der einzelnen Beiträge zur theologischen Postmoderne-Diskussion ge-
fragt werden und die bleibenden Herausforderungen der Postmoderne-Diskussion für Theolo-
gie und Kirche benannt werden.
Erster Hauptteil

Die Diskussion um die Postmoderne in den


verschiedenen Bereichen der Kultur
I. Architektur
Ein großes Zeitalter ist angebrochen.
Ein neuer Geist ist in der Welt.
Die Industrie, ungestüm wie ein Fluß, der seiner Bestimmung zustrebt, bringt
uns die neuen Hilfsmittel, die unserer von dem neuen Geist erfüllten Epoche
entsprechen. (...)
Die Großindustrie muß sich des Bauens annehmen und die einzelnen Bauele-
mente serienmäßig herstellen.
Es gilt, die geistigen Voraussetzungen für den Serienbau zu schaffen.
Die geistige Voraussetzung für die Herstellung von Häusern im Serienbau.
Die geistige Voraussetzung für das Bewohnen von Serienhäusern.
Die geistige Voraussetzung für den Entwurf von Serienhäusern.
Le Corbusier, Ausblick auf eine Architektur, 1922.

Gropiusstadt, das sind Hochhäuser für 45000 Menschen, dazwischen Rasen


und Einkaufszentren. Von weitem sah alles neu und sehr gepflegt aus. Doch
wenn man zwischen den Hochhäusern war, stank es überall nach Pisse und
Kacke. Das kam von den vielen Hunden und den vielen Kindern, die in Gropi-
usstadt leben. Am meisten stank es im Treppenhaus. Meine Eltern schimpften
auf die Proletenkinder, die das Treppenhaus verunreinigten. Aber die Proleten-
kinder konnten meist nichts dafür. Das merkte ich schon, als ich das erste Mal
draußen spielte und plötzlich mußte. Bis endlich der Fahrstuhl kam und ich im
11. Stockwerk war, hatte ich in die Hose gemacht. Mein Vater verprügelte
mich. Als ich es ein paar mal nicht geschafft hatte, von unten rechtzeitig in un-
ser Badezimmer zu kommen, und Prügel bekam, hockte ich mich auch ir-
gendwo hin, wo mich niemand sah. Da man aus den Hochhäusern fast in jede
Ecke sehen kann, war das Treppenhaus der sicherste Platz.
Christiane F., Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, 1978.

1. Die Krise der modernen Architektur


Der Begriff Postmoderne wird in Verbindung mit der Architektur zum ersten Mal von dem
amerikanischen Architekten Joseph Hudnut in einem Aufsatz mit dem Titel The Post-Modern
House (1945) verwendet.1 In diesem Artikel kritisiert er die moderne Architektur als un-
menschlich, denn nach Hudnut hat die Moderne zwar eine neue, durchaus ästhetische, archi-
tektonische Sprache entwickelt – den Funktionalismus –, aber diese Architektur hat den Men-
schen aus dem Blick verloren, weil sie zu sehr auf den Geist der Technik fixiert ist.2 Dagegen
fordert Hudnut, daß die technischen Möglichkeiten der modernen Architektur in den Dienst
der Menschen gestellt werden müssen.3
Einer der frühesten und radikalsten Kritiker der modernen Architektur, der Soziologe und
Architekturhistoriker Lewis Mumford, setzt die Kritik Hudnuts fort, wenn er der modernen
Architektur vorwirft, daß sie die Funktionalität eines Bauwerkes über die menschlichen Be-
dürfnisse stellt: Statt die moderne Technik als Hilfsmittel für menschliches Bauen einzuset-
zen, ist sie selbst zum Selbst- und Endzweck der Architektur geworden.4 Mumford fordert –

1 J. HUDNUT: The Post-Modern House, S. 74. Vgl. zur Genealogie der postmodernen Architektur: CH.
JENCKS: Genealogy of Post-Modern Architecture, S. 270-271; P. GOLDBERGER: Post-Modernism, S. 256-
260; L. HUTCHEON: A Poetics of Postmodernism, S. 22-36; G. KÄHLER: Die Krypto-Postmoderne in ihren
Anfängen, S. 1068-1071; ST. VON MOOS: Verwandlungen der modernen Architektur, S. 117-149.
2 J. HUDNUT: The Post-Modern House, S. 73, 75.
3 »We have to defend our houses not only against the new techniques of construction but also against the
aesthetic forms which they engender. We must remember that techniques have no inherent values as ele-
ments of expression; their competence lies in the way we use them«. A.a.O., S. 73.
4 L. MUMFORD: The Case Against »Modern Architecture«, S. 73-83.
I. Architektur 11

wie Hudnut – eine menschlichere Form des Bauens, weil die modernen Architekten meinten,
sie könnten die menschlichen Gefühle und Interessen einfach ignorieren.5 Vor allem aber gilt
seine Kritik dem Trend zur »Megalopolis«, der zwecklosen Expansion der Städte, die sich von
jeder menschlich erstrebenswerten Zielsetzung immer weiter entfernt.6
Ausgelöst durch diese Kritik findet am 11. Februar 1948 im New Yorker Museum für
Modern Art ein Symposion zur Lage der modernen Architektur statt. Walter Gropius räumt in
seinem Beitrag ein, daß der Funktionalismus oft zu materiell aufgefaßt worden ist, und plä-
diert für einen größeren Formenreichtum in der Architektur.7 Andere Stimmen gehen deutlich
weiter: Um eine »Vermenschlichung« der Architektur zu erreichen, ist ein Rückgriff auf die
Stilmittel der Tradition und eine Rücksichtnahme auf den regionalen Kontext eines Gebäudes
notwendig.8
Am 4. Juli 1958 verliest der Wiener Maler Hundertwasser sein subversiv-ironisches
Pamphlet gegen die moderne Architektur, das »Verschimmelungs-Manifest«, in der Abtei Se-
ckau. Er wünscht der modernen Architektur eine »schöpferische Verschimmelung«, damit sie
aus dem Gefängnis der geraden Linien befreit werden kann.9 Die funktionale Architektur hat
sich danach als Irrweg erwiesen, weil sie die Menschen »wie die Hendeln und die Kaninchen«
in ihren Stall pfercht und darüber die Seele der Menschen zugrunde geht.10 Das Lineal und die
daraus resultierenden geraden Linien sind unmoralisch, denn sie führen zu einer sterilen men-
schenfeindlichen Architektur: »In ihr wohnt weniger Gott und menschlicher Geist als viel-
mehr die bequemheitslüsterne, gehirnlose Massenameise«.11 Hundertwasser fordert den Abriß
der modernen Gebäude, so wie die Modernen einst die Jugendstilhäuser abgerissen haben, um
»ihre leeren Gebilde hinzupflanzen«.12 Stattdessen sollen die Menschen ihre Häuser selber
bauen: »Jeder soll bauen können und bauen müssen und so die wirkliche Verantwortung tra-
gen für die Wände, in denen er wohnt«.13

Komplexität und Widerspruch in der Architektur: Robert Venturi


Den Reichtum und die Vieldeutigkeit moderner Lebenserfahrung soll nach Robert Venturi ei-
ne in sich komplexe und widersprüchliche Architektur ausdrücken. Sein weithin beachtetes

5 »The rigorists placed the mechanical functions of a building above its human functions; they neglected the
feelings, the sentiments, and the interests of the person who was to occupy. Instead of regarding enginee-
ring as a foundation for form, they treated it as an end«. Lewis Mumford in: What is Happening to Modern
Architecture, S. 2.
6 L. MUMFORD: Die Stadt, S. 666. Vgl. auch: L. MUMFORD: Megalopolis, S. 29-32; L. MUMFORD: The Ur-
ban Prospect, S. 128-141.
7 Vgl. den Symposionsbeitrag von Walter Gropius, in: What is Happening to Modern Architecture?, S. 11.
8 Vgl. dazu die Symposionsbeiträge von Gerhard Kallmann, Talbot Hamlin und Lewis Mumford: A.a.O.,
S. 16-19.
9 U. CONRADS (Hrsg.): Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, S. 152.
10 A.a.O., S. 149.
11 A.a.O., S. 151.
12 A.a.O., S. 152.
13 A.a.O., S. 149.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 12

Buch Complexity and Contradiction in Architecture (1966)14 ist ein Manifest für eine bezie-
hungsreiche Architektur, die sich nicht mehr den puritanisch-moralischen Dogmen der mo-
dernen Architektur unterwirft: »Die orthodoxen unter den modernen Architekten neigten dazu,
Vielfalt als etwas Unbefriedigendes bzw. in sich Widersprüchliches zu betrachten. In ihrem
Versuch, mit allen Traditionen zu brechen und von Grund auf neu zu beginnen, idealisierten
sie das Primitive und Elementare auf Kosten des Gestaltungsreichen und Intellektuellen. Sie
verstanden sich als Teil einer revolutionären Bewegung und beriefen sich auf das absolut
Neue der modernen funktionalen Notwendigkeiten; sie ignorierten dabei jedoch die darin ein-
geschlossenen Schwierigkeiten«.15
Dagegen vertritt Venturi eine komplexe, vielfältige, lebendige und widersprüchliche Ar-
chitektur: »Gute Architektur spricht viele Bedeutungsebenen an und lenkt die Aufmerksam-
keit auf eine Vielzahl von Zusammenhängen: ihr Raum und ihre Elemente sind auf mehrere
Weisen gleichzeitig erfahrbar und benutzbar. Eine Architektur der Komplexität und des Wi-
derspruchs hat aber auch eine besondere Verpflichtung für das Ganze: ihre Wahrheit muß in
ihrer Totalität – oder in ihrer Bezogenheit auf diese Totalität – liegen. Sie muß eher eine Ver-
wirklichung der schwer erreichbaren Einheit im Mannigfachen sein als die leicht reproduzier-
bare Einheitlichkeit durch die Elimination des Mannigfachen«; und in Umkehrung des von
Mies van der Rohe formulierten Dogmas »weniger ist mehr« fügt Venturi hinzu: »mehr ist
nicht weniger!«16 Er plädiert für eine »mehrdeutige« und »spannungsreiche« Architektur, die
»eher den Reichtum der Aussage als ihre Klarheit« fördert.17
Aus dem Spannungsreichtum und der Mehrdeutigkeit folgt eine Architektur des »Sowohl-
als-auch«, die »ein paradoxes Gegeneinander verschiedener Formen des Gegensatzes zwi-
schen Form und Funktion in der Architektur« signalisiert.18 Venturi grenzt sich aber von einer
pittoresken, ornamentalen oder nur oberflächlich beziehungsreichen Architektur ab. Diese
»falsche Vielfalt« ist bloßer Formalismus, »der mit der Erfahrung ebensowenig vermittelt ist
wie der vorhergehende Kult der Einfachheit«.19 Vielheit und Einheit sind für Venturi keine
absoluten Gegensätze. Gegen die moderne Einfachheit und gegen eine zu leichte, beliebige
Vielheit sieht er die Möglichkeit einer »schwierigen Einheit«, die nicht um der Einfachheit
willen die Komplexität eliminiert, sondern die widersprüchliche Vielheit im Sinne einer ganz-
heitlichen Einheit akzeptiert.20 Auch wenn das Wort »postmodern« bei Venturi noch nicht

14 »Es ist ein Buch, das sich schnell in der ganzen angelsächsischen Welt verbreitete und oft mit ›Vers une
architecture‹ von Le Corbusier verglichen wurde, weil es einer neuen Sensibilität den Weg bahnte und den
Architekten – wie seiner Zeit Le Corbusier – ein Reservoir von zu entdeckenden und zu nützenden Erfah-
rungen und Werten aufzeigte«. P. PORTOGHESI: Ausklang der modernen Architektur, S. 78. Vgl. zur Be-
deutung von Venturis Buch auch: H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 147.
15 R. VENTURI: Komplexität und Widerspruch in der Architektur, S. 25. In den sechziger Jahren beginnt sich
der Widerstand gegen die moderne Architektur massiv zu artikulieren. Vgl. z. B. Mitscherlichs »Pamphlet«
von 1965: A. MITSCHERLICH: Die Unwirtlichkeit unserer Städte, oder: W. J. SIEDLER – E. NIGGEMEYER –
G. ANGRESS: Die gemordete Stadt (1964). Vgl. auch W. J. SIEDLER: Stuck an den Fassaden, S. 54.
16 R. VENTURI: Komplexität und Widerspruch in der Architektur, S. 24. Vgl. dazu auch: F. JAMESON: Post-
moderne – Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, S. 46.
17 R. VENTURI: Komplexität und Widerspruch in der Architektur, S. 34.
18 A.a.O., S. 35.
19 A.a.O., S. 28.
20 A.a.O., S. 27-28.
I. Architektur 13

auftaucht – er kann als der Wegbereiter der postmodernen Architektur angesehen werden, da
viele seiner Ideen später aufgenommen und fortgeführt werden.

Form Follows Fiasco: Peter Blake


Peter Blake, amerikanischer Architekturkritiker, veröffentlicht 1977 ein Buch mit dem provo-
zierenden Titel Form Follows Fiasco, der das Louis Sullivan zugeschriebene21 erste Dogma
der modernen Architektur – »form follows function« – karikiert. Blakes Pamphlet ist dann
auch eine schonungslose Abrechnung mit der modernen Architektur: »Die moderne Bewe-
gung – das Glaubensbekenntnis, mit dem wir groß geworden sind und dem wir uns in Unter-
tanentreue verpflichtet fühlten – hat das Ende ihres Weges erreicht«.22
Bevor Blake in einem feierlichen Moratorium am Ende seines Buches neue Wege für die
Architektur aufzeigt, kritisiert er die »Phantastereien« der modernen Architektur. So bestreitet
er, daß in der modernen Architektur wirklich die Form der Funktion folgt: Die Form wird
schlichtweg ausgeblendet oder übergangen!23 Auch der Funktionalismus bleibt von seiner Kri-
tik nicht unberührt: Die moderne Architektur bezeichnet sich zwar selbst als funktionalisti-
sche Architektur, in den meisten Fällen ist ihre Architektur jedoch alles andere als wirklich
funktionell.24 Die modernen Büro- und Wohnkomplexe kritisiert er als menschenfeindlich,
weil sie ein ungünstiges psychologisches Klima erzeugen (Anonymität, Entfremdung, Krimi-
nalität etc.).25 Die zunehmende Technisierung, Industrialisierung, Rationalisierung, Automati-
sierung und Uniformierung in der modernen Architektur führt zur Entfremdung des Menschen
von seiner Umwelt (vor allem in den Städten) und zur Zerstörung der gewachsenen Stadt-
strukturen.26 Die aus dem modernen technizistischen Geist entworfene Stadt ist in verschiede-
ne Zonen (Wohnviertel, Produktionsstätten, Einkaufszentren, Freizeit- und Sportanlagen) zer-
stückelt, durch die die Menschenströme von der Bürokratie wie auf einem Schachbrett gelenkt
werden. Wohnblöcke und Trabantenstädte für die Massen sind, so Blake, nur zum Wohle der
Spekulanten, der Regierung und der Bürokratie geplant worden – nicht zum Wohle der betrof-
fenen Menschen.27
Auch die moderne Innnenarchitektur hat sich nicht nach den Bedürfnissen der Menschen
gerichtet. Polemisch schreibt Blake, daß man den »rot-blauen-Sessel« von Gerrit Rietveld
nicht ohne die Hilfe eines Orthopäden verlassen kann.28 Der Funktionalismus ist nicht funkti-
onell, sondern Ausdruck eines menschenfeindlichen Technizismus: Das Problem, das die Mo-

21 Vgl. dazu: P. PORTOGHESI: Ausklang der modernen Architektur, S. 26.


22 P. BLAKE: Form Follows Fiasco, S. 163. Zitiert nach: CH. SCHÄDLICH: Postmodernismus, S. 340.
23 P. BLAKE: Form Follows Fiasco, S. 13-48, 133-144.
24 A.a.O., S. 28. Ähnlich auch Mark Wigley: »Die Modernisten legten dar, daß die Form der Funktion folgt
(...) und daß funktional leistungsfähige Formen notwendigerweise eine reine Geometrie besitzen. Ihre rati-
onale Ästhetik mißachtete die ungeordnete Realität tatsächlicher funktionaler Erfordernisse«. PH. JOHNSON
– M. WIGLEY: Dekonstruktivistische Architektur, S. 19.
25 P. BLAKE: Form Follows Fiasco, S. 67-96.
26 A.a.O., S. 49-66.
27 A.a.O., S. 107-132.
28 A.a.O., S. 139. Rietvelds rot-blauer-Sessel von 1917 scheint ein beliebtes Spottobjekt für die »Funktiona-
lität« des modernen Designs zu sein. Vgl. dazu auch: G. BROADBENT: Functionalism VS Post-Modernism,
S. 73, 75.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 14

derne wirklich lösen wollte, ist nach dem, was sie bis heute geleistet hat, die störende Anato-
mie des Menschen. Nichts kann wirklich funktionieren – gemäß Bauhaus –, solange die Män-
ner nicht kubusförmig und die Frauen kugelförmig neu entworfen werden.29
Seit etwa 1960 – so Blake – befindet sich diese moderne Architektur in der Krise. Sie hat
ihre Glaubwürdigkeit und Kompetenz verloren und die Welt der Postmoderne liegt nun vor
uns: Sie ist nicht von den revisionistischen Kritikern erfunden worden. Sie ist von denselben
Meistern der Moderne geschaffen worden und viel auch durch ihr Scheitern. Und jetzt, welche
Alternativen gibt es?30 In seinem Moratorium fordert er von den Architekten, daß sie das sinn-
lose Abreißen von Gebäuden aufgeben, daß sie umweltverträgliche Baumaterialien verwen-
den, daß sie die Städte nicht mehr in monofunktionale Zonen aufteilen sollen. Er schlägt vor,
einen Katalog menschlicher Bedürfnisse an die gebaute Umgebung aufzustellen und die Nut-
zer der Häuser mit in die Planungen einzubeziehen. Für die Ausbildung der Architekten for-
dert er, daß nicht mehr die Spezialisierung im Vordergrund steht, sondern mehr Wert auf All-
round-Fähigkeiten der Architekturstudenten gelegt werden soll. Die Architektur soll
insgesamt darauf verzichten, sich selbst in Meisterwerken verewigen zu wollen. Sie soll den
Wünschen, Bedürfnissen und Hoffnungen der Menschen dienen.31

2. Die Anfänge der postmodernen Architektur: Charles Jencks


Von 1959-1963 baut der englische Architekt James Sterling das Engineering Building der U-
niversität von Leicester, das aus dem architektonischen Rahmen der Moderne herausfällt, weil
Sterling einen für die Moderne ungewöhnlichen Formenreichtum verwendet. Der englische
Architekturkritiker und engagierter Vertreter der Moderne Nikolaus Pevsner, kritisiert dann
unter anderen auch Sterlings Gebäude als Abfall von der reinen Lehre der modernen Architek-
tur. Polemisch bezeichnet er Sterling und andere Architekten als »Anti-Pioniere« und »Neo-
Expressionisten« und ihre Architektur als »post-modern«, weil sie in seinen Augen hinter den
durch die Moderne gewonnenen Fortschritt in der Architektur zurückfallen.32 »Post-Modern«
wird von Pevsner ausschließlich als Schimpfwort gebraucht. Für ihn ist die moderne Architek-
tur noch genauso aktuell wie 1930.33 Dennoch kann er als Historiker die Existenz einer neuen
Architektur nicht leugnen und muß die Legitimität dieser Architektur für die fünfziger und
sechziger Jahre anerkennen.34

29 P. BLAKE: Form Follows Fiasco, S. 144.


30 A.a.O., S. 150.
31 A.a.O., S. 150-161.
32 N. PEVSNER: Architecture in our time, S. 953, 955. Vgl. auch: W. WELSCH: Unsere postmoderne Moder-
ne, S. 18, 102; H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 332-333.
33 »Are we in the end entitled altogether to accept the existence of a historical contrast between 1930 and
1960 such as I have so far all the time presupposed? Can we say, as the young tend to say, 1930 was 1930
and belongs to the past? Surely we cannot; 1930 is very much alive and kicking«. N. PEVSNER: Architectu-
re in our time, S. 9.
34 »But I am a historian, and the fact that my enthusiasms cannot be roused by Ronchamp or Chandigarh, by
Churchill College and the Physicians, does not blind me to the existence today of a new style, successor to
my International Modern of the nineteen-thirties, a post-modern style, I would be tempted to call it, but the
legitimate style of the nineteen-fifties and nineteen-sixties«. A.a.O., S. 955.
I. Architektur 15

Die Postmoderne als neue Epoche in der Architekturgeschichte


Im gleichen Jahr wie Blakes Form Follows Fiasco (1977) erscheint auch das Buch des engli-
schen Architekten und Architekturhistorikers Charles Jencks The Language of Post-Modern
Architecture, das schnell zum Standardwerk über postmoderne Architektur wird und in weni-
gen Jahren mehrere Auflagen erreicht.35 »Dieses Buch und sein langatmiger Titel haben eine
ungewöhnliche Geschichte, die einer Erklärung bedarf. Die Architektur ist in den vergangenen
zwanzig Jahren in eine Situation geraten, aus der sich jetzt sehr schnell ein neuer Stil und eine
neue Auffassung entwickeln (...) Diese Entwicklung wird heute allgemein als Postmoderne
bezeichnet. Der Begriff ist weit genug, um die Vielfalt der Ausgangspunkte zu erfassen, und
weist dennoch auf seine Herkunft von der Moderne hin. Wie diese (...) ist die Postmoderne
dem Engagement für zeitgemäße Erscheinungen, der Veränderung der Gegenwart verpflichtet,
aber im Gegensatz zur Avantgarde verzichtet sie auf die Vorstellung von der ständigen Inno-
vation oder der unaufhörlichen Revolution«.36
Die Postmoderne, so Jencks, muß als eine neue Epoche nach der Moderne verstanden
werden, weil sie eben nicht mehr wie die avangardistische, sich selbst überholende Moderne
etwas völlig Neues bringt, sondern eine Gleichzeitigkeit schafft, in der alle architektonischen
Traditionen – einschließlich der Modernen – verfügbar und miteinander kombinierbar sind.37
Dies führt zu einem Eklektizismus bezüglich der verwendeten Stilformen und zu einer plura-
listischen Architektur, in der es nicht mehr einen vorherrschenden Stil gibt. Jencks Analyse
zahlreicher Gebäude der sechziger und siebziger Jahre läßt ihn zu dem Schluß kommen, daß
der Eklektizismus »das natürliche Ergebnis einer Kultur der Wahlmöglichkeiten ist«.38 Jencks
will jedoch keinen »schwachen Eklektizismus« wie er in der Zeit von 1870-1910 vorherrschte,
sondern einen »radikalen Eklektizismus«, der »die semantischen Hintergründe eines jeden
Stils in ihrer engsten funktionalen Bedeutung darstellt«.39

35 Schon 1975 hatte sich Jencks mit dem Beginn eines postmodernen Paradigmas von Architektur in einem
Aufsatz beschäftigt: »There are many historical movements countering the trend toward an abstract and
supposedly universal architecture. Each one is relatively minor, but taken as a whole they amount to a
strong movement awaiting formulation as a new paradigm. It would be premature to name this paradigm;
perhaps because of its inherent pluralism it can never be named or reduced to a synthesis«. CH. JENCKS:
The Rise of Post Modern Architecture, S. 6.
36 CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen Architektur, S. 6. Vgl. zur Innovationsproblematik der mo-
dernen Kunst: F. MEYER: Postmoderne, Innovation und der Nutzen der Kunst, S. 163-169.
37 CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen Architektur, S. 8. Den Tod der modernen Architektur weiß
Jencks genau zu datieren: »Die moderne Architektur starb in St. Louis/Missouri am 15. Juli 1972 um 15.32
Uhr, als die berüchtigte Siedlung Pruitt-Igoe oder vielmehr einige ihrer Hochhäuser den Endgültigen Gna-
denstoß durch Dynamit erhielten. Vorher waren sie durch ihre farbigen Bewohner verschandelt, beschädigt
und entstellt worden. Und obgleich Millionen Dollar hineingepumpt worden waren bei dem Versuch, sie
am Leben zu erhalten (für Reparatur der Aufzüge, Ersatz zerbrochener Fenster, Anstriche), wurde sie
schließlich von ihrem traurigen Dasein erlöst«. A.a.O., S. 9.
38 A.a.O., S. 127. Ganz ähnlich argumentiert auch: H. LÜBBE: Die Aufdringlichkeit der Geschichte, S. 61-63.
Vgl. auch den Überblick über die architektonischen Stilrichtungen in den siebziger Jahren von:
V. M. LAMPUGNANI: Architektonische Avantgarden, S. 2027-2045.
39 CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen Architektur, S. 129.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 16

Die Sprache als Paradigma postmoderner Architektur


Architektur soll nun vielmehr als Sprache verstanden werden: Mit dem semiotischen Mittel
der Kombination von verschiedenen Stilen und Formen sollen neue Bedeutungszusammen-
hänge in der Architektur erschlossen werden. »Der Fehler der modernen Architektur war es«,
so Jencks, »daß sie sich an eine ästhetische Elite richtete. Die Postmoderne versucht, den An-
spruch des Elitären zu überwinden, nicht durch aufgeben desselben, sondern durch eine Er-
weiterung der Sprache der Architektur in verschiedene Richtungen – zum Bodenständigen,
zur Überlieferung und zum kommerziellen Jargon der Straße. Daher die Doppelkodierung der
Architektur, welche die Elite und den Mann auf der Straße anspricht«.40 Die postmoderne Ar-
chitektur soll viele Sprachen sprechen und sich so den verschiedenen Betrachtern und Nutzern
auf verschiedene Weisen verständlich machen. Deswegen wendet sie sich auch nicht prinzi-
piell gegen die moderne Architektur, sondern schließt deren formale und bautechnische Lö-
sungen ebenso ein wie die der anderen architekturgeschichtlichen Epochen: »Während die
Moderne so exklusiv ist wie die Architektur Mies van der Rohes, ist die Postmoderne so total
inklusiv, daß sie sogar ihrem Gegensatz einen Platz einräumt, wo es sich rechtfertigen läßt«.41
Die Auswahl aus dem vielfältigen Formenreichtum der Architekturgeschichte soll nun
aber nicht beliebig erfolgen und auch nicht vom Architekten allein getroffen werden, sondern
in einem Prozeß geschehen, bei dem Architekt und Nutzer gemeinsam durch ein komplexes
Wechselverhältnis von Form, Funktion, Metaphorik, Symbolik und regionalem Kontext eine
dem Menschen und der Umgebung entsprechende Architektur entwickeln, die kommunikative
Prozesse zwischen dem Objekt und dem Betrachter ermöglicht. Architektur – als Ausdruck
einer Lebensweise – soll für die Menschen gemacht werden und nicht über deren Köpfe hin-
weg. Postmoderne Architektur ist nach Jencks im Kern humane Architektur.

3. Die Stuttgarter Neue Staatsgalerie als Beispiel postmoderner Architektur


Diese von Charles Jencks entwickelte Definition postmoderner Architektur soll nun an einem
konkreten Beispiel veranschaulicht werden, denn die Stuttgarter Neue Staatsgalerie des engli-
schen Architekten James Sterling, die 1984 fertiggestellt wurde, gilt übereinstimmend als Bei-
spiel der postmodernen Architektur, weil hier eine komplexe, transformative Vielsprachigkeit
in einem Baukwerk verwirklicht worden ist.42

40 A.a.O., S. 8. Vgl. auch S. 131-132. Hier spürt man deutlich den Einfluß von Leslie Fiedlers »Versöhnung
von elitären und populären Elementen«. Vgl. Erster Hauptteil, II. 2.
41 A.a.O., S. 7-8. Vgl. auch: CH. JENCKS: Was ist Postmoderne?, S. 50-57.
42 Vgl. zu Sterling und der Staatsgalerie: ST. BARTHELMESS: Das postmoderne Museum als Erscheinungs-
form der Architektur, S. 61-85; CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 211-213; W. WELSCH:
Unsere postmoderne Moderne, S. 117-118; O. K. WERCKMEISTER: Zitadellenkultur, S. 64-71; M. MÜL-
LER: Schöner Schein, S. 11-13. Eine umfassenden Überblick über die Werke postmoderner Architektur bie-
ten folgende Bildbände: CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen Architektur; CH. JENCKS: Die Post-
moderne; CH. JENCKS: Architektur heute; H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne. Ausführliche
(internationale) Literaturhinweise zur postmodernen Architektur finden sich in folgenden Bibliographien:
T. N. DAHLE: Post-Moderne; U. STARK: Post-Moderne – Theorie, Grundlagen; U. STARK: Post-Moderne
– Beispiele im Ausland; U. STARK: Postmoderne – Beispiele in der Bundesrepublik Deutschland. Einen
Überblick über die Postmoderne-Diskussion im Spiegel maßgeblicher Architekturzeitschriften bietet:
D. DANNER: Spiegelungen der Postmoderne, S. 62-188.
I. Architektur 17

Die Synthese von Form und Funktion


Das zentrale Dogma der modernen Architektur, »form follows function«, wird in der postmo-
dernen Architektur durch eine Synthese von Form und Funktion ersetzt. Dies zeigt sich an den
Eingängen der Staatsgalerie (Abb. 1, 2, 3)43: Während die modernen Vordächer der bloßen
Funktion wegen nur aus einem Beton-Flachdach bestanden, haben die Vordächer von James
Sterling neben ihrem funktionalen Charakter – die schlangestehenden Besucher vor Regen zu
schützen – auch einen narrativen Wert. Sie sprechen verschiedene Sprachen, oder in Jencks’
Terminologie – sie sind doppel- oder mehrfachkodiert:
– Die Giebelform ist eine Anspielung auf die griechisch-römische Tempeldachform und die
klassizistische Museumsarchitektur (»Schinkelarchitektur«, »Portikustempel«), die hier –
verfremdet – zitiert werden.44
– Die Materialien spielen auf die moderne Architektur an: die Stahl-T-Träger als Inbegriff
der modernen Bauindustrie, die Stahl-Glas-Verbindung in den Dächern als Reminiszenz an
die moderne Hochhausarchitektur, die roten Rohre und die mächtigen Schrauben (die als
Verankerungspunkt des Vordaches dienen) symbolisieren den technischen Geist der Mo-
derne.
– Die Farbgebung rot-blau-schwarz (und teilweise auch gelb, Abb. 3), die an die moderne
niederländische Künstlerbewegung de Stijl anspielt, wiederholt sich an allen Eingängen.
Die Farbgebung ist damit einheitsstiftendes Element innerhalb der verschiedenen, pluralen
Architektur-Sprachen. Die hellblauen und rosafarbenen Geländer an den Aufgängen bilden
einen Anklang an die Farben der Pop-Architektur und stehen in einem widersprüchlichen
Kontrast zu der monumentalen, klassizistisch anmutenden Sandsteinarchitektur.45 Einen
ähnlichen Kontrast bilden die zwei monumentalen Luftansaugrohre (Abb. 4) am oberen
Eingang der Staatsgalerie: Sie sind von Sterling als Hommage an das Centre Pompidou in
Paris und das Engineering Building in Leicester gedacht.46

Die Transformation historischer Architekturstile


Die postmoderne Architektur läßt die Verwendung historischer Architekturstile wieder zu.
Doch im Gegensatz zu einem bloß imitativen Historismus soll die Tradition nicht einfach nur
zitiert, sondern transformiert werden. Wenn die Postmoderne traditionelle Elemente wieder
aufnimmt, dann in verfremdeter, komplexer, sperriger Form, um damit neue Architekturerfah-
rungen zu provozieren.
Diese Transformation von Architektur-Traditionen wird an dem Rundbogenfenster neben
dem Haupteingang (Abb. 5) besonders deutlich. Auf den ersten Blick erscheint es wie ein ro-
manisches Fenster an romanischen Kirchen oder mittelalterlichen Burgen, doch die Symmet-
rie stimmt hier nicht: Das Fenster ist viel zu schmal und viel zu hoch für ein romanisches
Fenster, der Rundbogen viel zu breit. Außerdem ist der Rundbogen nur angedeutet, denn er

43 Die Abbildungen finden sich im Anhang am Ende der Arbeit.


44 Vgl. W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 117.
45 Vgl. CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 212.
46 Vgl. ST. BARTHELMESS: Das postmoderne Museum als Erscheinungsform der Architektur, S. 75.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 18

wird offensichtlich nicht von den unteren Blöcken gestützt. Eine weitere Verfremdung wird
durch das Spiegelglas erzeugt, das die äußere Realität widerspiegelt, aber keine Durchsicht in
das Innere des Gebäudes zuläßt. Das »Voutengesims«, das die Staatsgalerie im Dachbereich
abschließt, ist ebenso eine Reminiszenz an die ägyptische Architektur wie der Durchgang zum
Parkhaus im Eingangsbereich der Staatsgalerie (Abb.1).47

Der Erlebnischarakter postmoderner Architektur


Postmoderne Architektur soll Erlebnisarchitektur sein. Sie soll auch unterhaltsam, witzig und
ironisch sein und sich über sich selbst lustig machen. Die Quader der unteren Mauer (Abb. 6),
hinter denen sich ein großes Parkhaus verbirgt, sind nicht zufällig aus der Wand gefallen, son-
dern von Sterling bewußt so plaziert worden: Die Blöcke, die auf dem Boden liegen, sind aus
massivem Sandstein. Sie suggerieren, daß die ganze Staatsgalerie aus massivem Sandstein ge-
baut ist. Die Staatsgalerie ist jedoch – ganz in der Tradition der modernen Architektur – eine
Stahlbetonkonstruktion: Alle Mauern und Wände haben einen Betonkern, der nur mit Sand-
steinplatten verkleidet ist (Abb. 7). Der Betrachter wird bewußt getäuscht. Sterling spielt hier
mit Sein und Schein, Wirklichkeit und Täuschung, und doch sind die Löcher in der Mauer
nicht nur Spielerei: Sie haben die Funktion, für die gesetzlich vorgeschriebene Entlüftung des
Parkhauses zu sorgen.48

Der Eklektizismus postmoderner Architektur


Im Zentrum der Staatsgalerie befindet sich eine Rotunde, die von außen unsichtbar ist, an der
man aber nicht vorbeikommt, ob man nun die Staatsgalerie von außen begeht, oder im Inneren
die Austellungsräume besichtigt: Durch einen leicht steigenden Aufgang gelangt man vom un-
teren Eingang der Staatsgalerie zum oberen (Abb. 8). Unter diesem Weg befindet sich im In-
neren ein Arkadengang, der als Verbindungsgang zwischen den Ausstellungsräumen konzi-
piert ist (Abb. 9). Die Rotunde erinnert an die römischen Amphitheater-Ruinen in Arles und
Nimes, aber auch an das Kolosseum in Rom. Diesen Eindruck unterstreichen auch die im Hof
aufgestellten Skulpturen. Die Mauer der Rotunde wirkt mit ihren Durchbrüchen wie eine Ku-
lisse für ein (antikes) Theater, oder zusammen mit dem Bewuchs auch wie eine (mittelalterli-
che) Ruine (Abb. 10+11). Postmoderne Architektur bedient sich historischer Vorbilder – ohne
sie jedoch bloß zu imitieren oder zu kopieren – mit dem Ziel, den Betrachter mit der Architek-
tur in Beziehung zu setzen und ihm verschiedene Assoziationen zu ermöglichen.
Die von Jencks entwickelte Definition der postmodernen Architektur, die hier am Beispiel der
Stuttgarter Neuen Staatsgalerie veranschaulicht wurde, blieb nicht ohne Kritik. Heftig wurde
diese Kritik nach der Biennale von Venedig (1980), der ersten Ausstellung, die der postmo-
dernen Architektur gewidmet war, laut.

47 Vgl. a.a.O., S. 76.


48 Vgl. CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 212. Vgl. zur spielerischen Seite der postmodernen
Architektur auch: H. RELLEKE: Der Glaselefant.
I. Architektur 19

4. Die Biennale von Venedig 1980


In Venedig fand 1980 die erste Architektur-Biennale unter dem Titel The Presence of the Past
statt, die ein breites Echo in der Öffentlichkeit und in der Fachpresse hervorgerufen hat.49 Ur-
sprünglich sollte der Titel schlicht Post-Modernism heißen, aber da man sich nicht auf diesen
Titel verständigen konnte, wurde schließlich die Überschrift Die Gegenwart der Vergangen-
heit gewählt.50 Dieses in den Augen moderner Architekten provozierende Motto weckt
Assoziationen, die von Neo-Historismus bis Neo-Klassizismus reichen. Und in der Tat: Die
meisten Ausstellungsfassaden der Strada Novissima sind dann auch an antiken oder
klassizistischen Vorbildern orientierte Kulissen.51 Seither ist die postmoderne Architektur den
Ruf eines reproduktiven Historismus und Klassizismus nicht mehr losgeworden.
In diesem Zusammenhang war es auch wenig glücklich, daß Charles Jencks in seinem
Rückblick auf die Biennale von einer »Gegenreformation« spricht. Er vergleicht die Geschich-
te der Architektur in diesem Jahrhundert mit der Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts:
Nach der Reformation durch Gropius, Le Corbusier und Mies van der Rohe im Jahre 1927
(Jencks spielt hier auf die gemeinsame Bautätigkeit der drei bei der Werkbundausstellung in
Stuttgart an) ist nun mit der Ausstellung in Venedig die Zeit der Gegenreformation und des
Konzils von Trient gekommen.52 Auch wenn Jencks die Postmoderne von einem billig repro-
duzierten Historismus abzugrenzen versucht und ihr primäres Anliegen in verstärkter Kom-
plexität und Kommunikation sieht,53 ist die Gegenreformations-Metapher für die Vertreter der
Moderne eindeutig negativ besetzt. »Restauration statt Reformation« drängt sich als Pro-
gramm der Postmoderne geradezu auf. Boris Podreccas Kritik an der Biennale fällt dann auch
nicht besonders wohlwollend aus: Die »in der ganzen Ausstellung spärlich vorkommenden
systematischen Direktiven einer zwar komplexen, doch ›modernen‹ Architekturrealität, wer-
den im allgemeinen durch Architekturposen, die vom glatten Post-Modern bis zum Prä-Antik
reichen, abgedeckt«.54 Auch Kenneth Framptons Kritik fällt nicht besser aus: Für ihn ist die
Postmoderne nichts anderes als »Populärrevisionismus«.55 Die Biennale von Venedig, die er
als eine Art »Wasserscheide« versteht, hat gezeigt, »daß die Vergangenheit ohne weiteres als
Simulation wieder vorgeführt (re-präsentiert) werden kann«.56

49 Vgl. K. FRAMPTON: Kritischer Regionalismus, S. 154; B. PODRECCA: Modern – Post-Modern – Prä-Antik,


S. 22; W. PRIGGE – F. HERTERICH: Skyline, S. 304.
50 Vgl. zur Vorgeschichte der Architekturbiennale: CH. JENCKS: Counter-Reformation, S. 4-5; CH. JENCKS:
Towards Radical Eclecticism, S. 30-37; P. PORTOGHESI: The End of Prohibitionism, S. 9; B. SCHMIDT:
Strategien des Vergessens, S. 187-189; V. SCULLY: How things got to be the way they are now, S. 15-20.
51 Allerdings sind diese Kulissen keine bloßen Reproduktionen klassischer Vorbilder, sondern stark verwan-
delte, transformierte Kulissen, die die Tradition zwar aufnehmen, aber verfremden und weiterentwickeln.
Dies wurde von den meisten Kritikern übersehen. Einen guten Überblick über die Objekte der Ausstellung
bietet der offizielle Ausstellungskatalog: P. PORTOGHESI – V. SCULLY – CH. JENCKS – CH. NORBERG-
SCHULZ: The Presence of the Past.
52 CH. JENCKS: Counter-Reformation, S. 4.
53 A.a.O., S. 5.
54 B. PODRECCA: Modern – Post-Modern – Prä-Antik, S. 19.
55 K. FRAMPTON: Kritischer Regionalismus, S. 154.
56 A.a.O., S. 155. »Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Realität hinter der Kulisse ist der Prüfstein der
Postmoderne: ein Zeichen des desillusionierten westlichen Intellekts, der vor der Aussicht auf eine ideale
Aufklärung, die unwiederbringlich verloren ist, in sardonischer Reflexion versteinert«. Ebd.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 20

Infolgedessen ist das Jahrzehnt nach der Biennale von Venedig davon geprägt, daß die
Verfechter der modernen Architektur versuchen, die Postmoderne in Mißkredit zu bringen
und als antiaufklärerisches Unternehmen zu entlarven, während ihre Verteidiger einen veritab-
len und effizienten Begriff von Postmoderne zu entwickeln versuchen, der die puristische
Moderne transformiert und erweitert, ohne dabei in einem bloßen Neo-Historismus aufzuge-
hen.57

5. Die Kritik an der postmodernen Architektur


Von den Kritikern wird die postmoderne Architektur nun mit den Schlagworten »Antimoder-
ne«, »Prä-Moderne«, als ein »Zurück hinter die Aufklärung« gekennzeichnet. Der moderne
Fortschrittsglaube – so der Vorwurf – wird durch einen Rückschritt in eine überholte Vergan-
genheit ersetzt: »Seitdem der Begriff Postmoderne um sich greift, scheint unsere jüngste ge-
schichtliche Erfahrung aufgeteilt zu werden in eine soeben vergangene Moderne und in eine
sogleich anschließende Postmoderne, in eine fortschrittliche Vergangenheit einerseits und in
eine reaktionäre Gegenwart andererseits. Seitdem die Baumalleen wieder im Marschtritt
wachsen, die Säulen als Kolonnen neu erstehen, die Häuser eine eingebaute Hierarchie in sich
schließen und wie im Selbstversicherungsreflex auf der einen Seite symmetrisch wiederholen,
was auf der anderen Seite auch schon ist, seitdem sich Kapitelle, Gesimse und Ornamente
wieder dekorativ über die Flächen breiten und der horror vacui dort ausgebrochen scheint, wo
eben noch die Nüchternheit der aufgeklärten Leere und Sparsamkeit herrschte, seitdem scheint
der große Rückfall in ein historisch ausstaffiertes und nostalgisch verklärtes Kulissendasein
vollzogen. Mit der Heraufkunft der Postmoderne geht auch die Wahrheit dahin. Alles scheint
mit einem Mal verloren: die Moderne, die Menschlichkeit, die Demokratie und die Moral«.58

Postmoderne als neuer Historismus und Konservatismus


Jürgen Habermas setzt 1980 bei seiner Adorno-Preis-Rede die postmoderne Architektur mit
Blick auf die Biennale von Venedig mit einem neuen Historismus und Konservatismus gleich
und belegt sie mit den pauschalen Titeln »Antimoderne« und »Tendenzwende«.59 Im postmo-
dernen Stilpluralismus sieht er eine »vor sich selbst fliehende Gegenwart«, die sich mit »gelie-
henen Identitäten« kostümiert.60 Habermas kritisiert zwar auch die »seelenlose Behälterarchi-
tektur« der Nachkriegszeit, aber diese Architektur stellt für ihn eine Verfälschung des »wahren
Geistes« der modernen Architektur dar:61 »Während die moderne Bewegung die Herausfor-

57 Vgl. W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 3.


58 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 13. Eine solche Kritik findet sich z. B. auch in dem Sammel-
band: G. FISCHER U.A.: Abschied von der Postmoderne.
59 J. HABERMAS: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt, S. 444, 464. Habermas bezieht sich hier auf einen
Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Vgl. W. PEHNT: Die Postmoderne als Lunapark.
60 J. HABERMAS: Moderne und postmoderne Architektur, S. 13. Ähnliche Kritik am Stilpluralismus übt auch:
F. JAMESON: Postmoderne, S. 64. Gert Kähler spricht in bezug auf den Art Tower Mito des japanischen
Architekten Arata Isozaki von einer postmodernen »babylonischen Stilverwirrung«. G. KÄHLER: Ein Turm
will hoch hinaus, S. 104.
61 J. HABERMAS: Moderne und postmoderne Architektur, S. 14-15.
I. Architektur 21

derungen des qualitativ neuen Bedarfs und der neuen technischen Gestaltungsmöglichkeiten
erkennt und im Prinzip richtig beantwortet, begegnet sie den systemischen Abhängigkeiten
von Imperativen des Marktes und der planenden Verwaltung eher hilflos«.62 Die postmoderne
Architektur ist als Opposition zur Moderne eine Fluchtbewegung, die sich »kompensatori-
schen Bedürfnissen verdankt« und »die den architektonisch nicht mehr gestaltbaren System-
zusammenhängen immerhin in Chiffren Ausdruck zu verleihen sucht«.63 Durch diese
chiffrenhafte Architektur treten aber Form und Funktion wieder auseinander (indem z. B.
Kaufhäuser in eine mittelalterliche Häuserzeile verwandelt werden), die ungelösten Probleme
der Moderne werden zu Stilfragen erklärt, dadurch überspielt und letztlich verdrängt.64

Postmoderne als Fluchtbewegung aus der Moderne


Die postmoderne Architektur wird auch als Fluchtbewegung aus der modernen Entfremdung
und Fragmentierung in eine ästhetische Versöhnung der Widersprüche der Moderne interpre-
tiert.65 Für den Kunst- und Architekturhistoriker Michael Müller ist die postmoderne Archi-
tektur nur »schöner Schein«, denn ihre Ästhetik läuft »auf eine Entpolitisierung des kulturel-
len Modernisierungsprozesses hinaus«, und so verbindet sich dann »neokonservativer
politischer Wendegeist« mit »voravantgardistischer« Kunst.66 Am Beispiel von Hans Holleins
Museum Abteiberg in Mönchengladbach (für das Hollein 1983 immerhin den deutschen Ar-
chitekturpreis erhielt) exemplifiziert Müller seine These vom »schönen Schein« der Postmo-
derne: Weil die Konzeption dieses Museums sich von der aufklärerisch-reformatorischen Mu-
seumspolitik der frühen siebziger Jahre absetzt und weil man die Kunstwerke wieder als
»absolute Unikate«, die »allein aus sich heraus wirken und sich vor allem über das Auge mit-
teilen«, versteht, kann diese Ästhetik nur als reaktionär und antiaufklärerisch bezeichnet wer-
den.67
Die Lösungen der Postmoderne, so Müller, sind keine: Der Schein ist nicht einmal mehr
das, was er vorgaukelt zu sein, »nämlich die Versöhnung mit der Geschichte, der pauschale
Ausweg aus den ungelösten Problemen des Verlustes urbaner Identität und die Rückgewin-
nung authentischer Erfahrung und konfliktfreier Kommunikation«.68 Die postmoderne Archi-
tektur errichtet Inseln der »ästhetischen Bildung und Erhabenheit« – wie das Frankfurter Mu-
seumsufer –, statt sich mit den wirklichen sozialen Problemen der Stadtbebauung
auseinanderzusetzen.69 Die Postmoderne weigert sich, Programme für eine »zukünftige, ver-
nünftige Welt zu entwerfen, wie es so nachhaltig die künstlerischen Avantgarden gewollt ha-

62 A.a.O., S. 22.
63 A.a.O., S. 26-27.
64 A.a.O., S. 26.
65 M. MÜLLER: Schöner Schein, S. 8-9, 19-20, 23, 53; Vgl. auch M. MÜLLER: Die Architektur des schönen
Scheins, S. 6-7.
66 M. MÜLLER: Schöner Schein, S. 19-23.
67 A.a.O., S. 43. Ganz ähnlich auch die Kritik von Kenneth Frampton: Die Postmoderne paßt nicht nur genau
in das neokonservative politische Klima, »sondern auch zu den breiten und zynischen Absichten des inter-
nationalen Monopolkapitals: Optimierung des Konsums und imperialistischer Triumph des Monetarismus«.
K. FRAMPTON: Kritischer Regionalismus, S. 154.
68 M. MÜLLER: Schöner Schein, S. 53-54.
69 A.a.O., S. 73.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 22

ben«.70 Eben damit gibt sie die Arbeit am Projekt der Moderne auf und flüchtet in einen fort-
schrittslosen Ästhetizismus.

Postmoderne als fauler Kulissenzauber


Postmoderne Architektur wird darüber hinaus auch als bloßer »Kulissenzauber« abqualifiziert:
Sie ist das »Erinnern«, das »Indirekte«, das »Sich-nicht-Meinende«, ein »›Look-Charakter‹
(Aussehen wie), den wir in der Mode schon lange haben; dort trainiert, ist er auch im Bauen
nicht aufzuhalten«, so Dieter Koll.71 Sie ist nur Schein, nur Verkleidung, weil ihr Bezug – der
Zusammenhang von Form und Inhalt – verlorengegangen ist. Übriggeblieben ist allein die
Form und manchmal auch die Trauer über den verlorengegangenen Inhalt. Damit sinkt die Ar-
chitektur auf ein ornamentales Niveau zurück und »beschert uns nun die Restauration als
Stil«.72 Koll gesteht der Postmoderne zwar als legitimes Anliegen zu, daß sie »von der Eintö-
nigkeit des Nachkriegsbauens wegkommen will«, aber die Strukturlosigkeit des Bauens nach
dem Zweiten Weltkrieg darf nicht den Vätern der Moderne angelastet werden.73 Sein Fazit der
postmodernen Architektur: Das Schlimme an der Postmoderne ist »der Riß zwischen Sein und
Sein-Wollen, feststellbar an der zunehmenden Bereitschaft, Gegenwart hinter den Fassaden
der Geschichte verschwinden zu lassen«.74

Postmoderne als Pseudourbanität


Sachlicher und kompetenter als Kolls Kritik ist die der Frankfurter Stadtsoziologen Walter
Prigge und Frank Herterich, die sowohl die moderne als auch die postmoderne Architektur
kritisch analysieren. Nach Prigge und Herterich wollte die moderne Architektur durch ihre Äs-
thetik die moderne Industriegesellschaft angemessen ausdrücken: Die »industrielle Serienpro-
duktion als Basis des Bauens« sollte die »äußere Egalität der bürgerlichen Gesellschaft« zum
Ausdruck bringen; allerdings war dabei »die Vorstellung von der Machbarkeit der Welt« eng
mit der »Idee von der Gliederbarkeit des städtischen Raums« verknüpft.75 Für Prigge und Her-
terich ist es deswegen eine noch offene Frage, ob die »Krämerseele der Ökonomie« die mo-
derne Architektur »vulgarisiert oder auf den Punkt gebracht hat«.76
Die postmoderne Architektur setzt sich aber mit den Problemen, die die Moderne unge-
löst hinterlassen hat, nicht auseinander, sondern überspielt sie, indem sie einen »opulenten
Formenkanon« als die »eigentliche Überwindung der Moderne« ansieht.77 So gewinnt zwar

70 A.a.O., S. 8. Vgl. dazu auch: M. MÜLLER: Architektur und Avantgarde, S. 13-32.


71 D. KOLL: Hochbetrieb im Leihhaus der Geschichte, S. 62.
72 Ebd. Ähnlich auch Kenneth Frampton: Die Postmoderne bietet einen »szenographischen Eklektizismus für
den (kleinen) Mann der Straße« und einen »Neo-Baux-Arts-Pastiche-Historismus für die Fassaden groß an-
gelegter kommerzieller Projekte und für vereinzelte Häuser der Elite« an. K. FRAMPTON: Kritischer Regio-
nalismus, S. 154.
73 D. KOLL: Hochbetrieb im Leihhaus der Geschichte, S. 62.
74 Ebd.
75 W. PRIGGE – F. HERTERICH: Skyline, S. 313.
76 Ebd.
77 A.a.O., S. 314. Ähnlich äußert sich auch: D. BARTETZKO: Sehnsucht ohne Angst, S. 520-523.
I. Architektur 23

die Stadt ihre »sinnliche Sphäre« zurück, aber es fragt sich, ob »die Postmoderne wirklich von
der Vielfalt der Kulturen und Geschichte« erzählt oder ob Kultur und Geschichte lediglich als
Fundus dienen, der »zur beliebigen Aneignung« geplündert werden darf.78 Die postmoderne
Architektur schafft keine wirklich urbanen Räume, sondern Enklaven, Symbole der Urbanität:
»Man ist nicht urban, aber man fühlt sich so«.79 Über die zukünftigen Probleme der Stadtent-
wicklung und der Stadtbebauung (Verkehrschaos, Trennung der verschiedenen Lebenssphä-
ren, ökologische Probleme etc.) hat die Postmoderne bisher zu wenig nachgedacht: »Verliebt
in ihre Bilder und Histörchen, hat sie keine substantielle Kritik der Moderne zu leisten ver-
mocht, sondern nur deren Schein aufs Korn genommen«.80

6. Nach der Kritik: Definitionen postmoderner Architektur


Gegenüber diesen kritischen Stimmen versuchen nun die Theoretiker der postmodernen Ar-
chitektur diese so zu definieren, daß die Anklagen (Antimodernismus, Neo-Historismus, Be-
liebigkeits-Eklektizismus, Kulissenarchitektur) gegenstandslos werden. Allen gemeinsam aber
ist die Überzeugung, daß sich die Postmoderne längst in der Realität durchgesetzt hat: »Wäh-
rend der Streit andauert und die Modernisten und Postmodernisten sich konfrontieren, als gel-
te es, erst noch eine Entscheidung zu fällen, hat die Geschichte schon entschieden. Ein neues
Bauen hat sich durchgesetzt, das sich vom Neuen Bauen der zwanziger Jahre von Grund auf
unterscheidet. Wo immer während des vergangenen Jahrzehnts ein neuer Gedanke gedacht
und eine schöpferische Architekturform gefunden wurde, geschah das zumeist gegen den Gel-
tungsanspruch der Moderne«.81

Die Mehrfachkodierung der postmodernen Architektur: Charles Jencks


Charles Jencks sah sich nach der Veröffentlichung seines Buches Die Sprache der postmoder-
nen Architektur zahlreichen Angriffen seiner Kollegen ausgesetzt.82 Anläßlich eines 1985 ver-
anstalteten CIVITAS-Symposions versucht er deshalb, den Begriff Postmoderne zu präzisie-
ren und gegen Mißverständnisse abzugrenzen.
Im Rückblick auf die letzten zehn Jahre der Architektur stellt er fest, daß sich die Post-
moderne in der Architektur deswegen durchgesetzt hat, weil die moderne Architektur ihre
Glaubwürdigkeit verloren hat.83 Weder war sie in der Lage, »eine echte Verständigung mit
den Letztbenutzern zustande zu bringen«, noch »eine wirkliche Verbindung mit der bestehen-

78 W. PRIGGE – F. HERTERICH: Skyline, S. 315. »Während die Moderne mit dem hybriden Versuch scheiterte,
der Stadt die Ordnung der Vernunft angedeihen zu lassen, hat sich die Postmoderne umstandslos auf die
Verabreichung ihrer ästhetischen Psychopharmaka verlegt. Oder sollte heute nur mehr eine Scheinwelt die
einzig erträgliche aller Welten sein?« Ebd.
79 A.a.O., S. 317.
80 A.a.O., S. 322-323.
81 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 13.
82 CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 205-208. Einige dieser Angriffe auf die postmoderne Ar-
chitektur sind dort dokumentiert. Vgl. auch: CH. JENCKS: Was ist Postmoderne?, S. 12-14. Jencks spricht
hier von der »protestantischen Inquisition«, womit er die Verteidiger der modernen Architektur meint.
83 CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 208.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 24

den Stadt und ihrer Geschichte« herzustellen.84 Die moderne Architektur hat vor allem sozial
versagt: Die Probleme haben sich in den Wohnsilos der Trabantenstädte verschlimmert statt
verbessert, weil die moderne Architektur soziale Probleme mit technischen Lösungen zu the-
rapieren versuchte.85 Die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Bewohner wurden
hingegen ignoriert. Die grundlegende Idee der Moderne, eine einheitliche Architektur für alle
sozialen Schichten zu entwerfen, war wohl von ihrem demokratischen Ansatz her gut ge-
meint, kam jedoch einer Vergewaltigung der Bewohner gleich.
Demgegenüber betont Jencks noch einmal die »Doppelkodierung« der postmodernen Ar-
chitektur: sie integriert elitäre und populäre, alte und neue Architektur, wendet zeitgemäße
Techniken an und setzt sich mit der sozialen Realität auseinander, sie spricht verschiedene
Sprachen, richtet sich nach den Bedürfnissen der verschiedenen Menschen in ihren kulturellen
Kontexten und muß von daher eine prinzipiell pluralistische Architektur sein, um an einem
bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit ihrem Anliegen gerecht werden zu können.86
Diese Ausdifferenzierung muß unweigerlich zu einem Eklektizismus führen, und folglich
kann es auch nicht einen einzigen oder den postmodernen Stil geben.87
Jencks versucht dann, über eine Differenzierung der Begriffe »modern«, »spätmodern«
und »postmodern« sein Verständnis der postmodernen Architektur zu präzisieren. Im Blick
auf die modernen Avantgarde-Bewegungen des 19. Jahrhunderts beschreibt Jencks die Mo-
derne »als die erste große ideologische Antwort auf die Krise«, die durch den »Zusammen-
bruch einer allen gemeinsamen Religion« verursacht wurde.88 Unter den Prämissen einer au-
tonomen, post-christlichen Gesellschaft definieren nun die modernen Intellektuellen und die
»schöpferische Elite« ihre Aufgabe neu: Sie wollen die »Spaltungen und Risse innnerhalb der
Gesellschaft wieder schließen«, indem sie eine neue, von der Religion unabhängige, ästhe-
tisch-moralische und politische Grundordnung zu entwickeln versuchen.89 In der Architektur
kommt dieses Bewußtsein erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Durchbruch, nachdem die
industrielle Revolution und die Fortschrittsideologie den Boden für die moderne Architektur
bereitet haben: »Wir können also die moderne Architektur als den universalen internationalen
Stil betrachten, der von neuen Konstruktionsmaterialien bestimmt und einer neuen industriel-
len Gesellschaft adäquat ist und der die Transformation der Gesellschaft zum Ziel hat, ihren
Geschmack und ihren sozialen Aufbau«.90
Seit den sechziger Jahren gibt es nach Jencks eine Abkehr von den Idealen der »klassi-
schen« Moderne. Zum einen den »Spätmodernismus« und zum anderen den »Postmodernis-
mus«: Während der Spätmodernismus die ästhetischen Ideale der Moderne jedoch ins Extre-
me steigert, bricht der Postmodernismus mit der Moderne, indem er die architektonische

84 A.a.O., S. 209-210.
85 A.a.O., S. 210.
86 A.a.O., S. 210-214.
87 A.a.O., S. 214. »There are new themes; populism and pluralism; not only one style, but many styles«.
A. L. HUXTABLE: The Troubled State of Modern Architecture, S. 16.
88 CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 222.
89 A.a.O., S. 223.
90 A.a.O., S. 221.
I. Architektur 25

Sprache durch einen tranformatorischen Rückgriff auf die Geschichte erneuert.91 Die Aufgabe
für die Zukunft muß es nach Jencks sein, »›eine allen gemeinsame symbolische Ordnung von
der Art, wie sie Religion stiftet‹« zu finden, »jedoch ohne Religion«.92 Allerdings gibt Jencks
keine Auskunft darüber, wie diese symbolische Ersatzreligion gestaltet werden soll.93

Die narrative Funktion der postmodernen Architektur: Heinrich Klotz


Heinrich Klotz, ehemaliger Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt und der-
zeitiger Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, bemüht sich be-
sonders darum, die von Jencks hervorgerufenen Mißverständnisse des Eklektizismus und
Neo-Historismus auszuräumen.94 Auch wenn sich die postmoderne Architektur mittlerweile
längst durchgesetzt hat, bleibt es, so Klotz, dennoch Aufgabe der Architekturkritik, den Beg-
riff präzise zu definieren und Kriterien zu entwickeln, um zwischen moderner und postmo-
derner Architektur unterscheiden zu können.95 Den Wechsel von der modernen zur postmo-
dernen Architektur setzt Klotz zu Beginn der sechziger Jahre an: »Als das entscheidende
Stichjahr haben wir das Jahr 1960 herausgehoben, als bereits die ersten Bauten Venturis und
Charles Moores im Entstehen begriffen und bald darauf die wichtigsten Projekte von Aldo
Rossi und Oswald Mathias Ungers ausformuliert waren. Das Jahrzehnt zwischen 1960 und
1970 war das Jahrzehnt der ersten Setzungen der Postmoderne. In einer Zeit also, als die Mo-
derne ihre allgemeinste Verbreitung gefunden hatte und mit dem ›Laborstil‹ und der internati-
onalen Geltung Mies van der Rohes zu einer geradezu kanonischen Ausprägung moderner
Sachlichkeit gelangt war, begann sich bereits eine völlig neue Auffassung von Kunst durchzu-
setzen, die mit vielen Voraussetzungen der Moderne brach«.96
Postmoderne Architektur wird in erster Linie als Sprache verstanden, die bestimmte Be-
deutungen vermittelt. Daß in der Architektur überhaupt wieder von Bedeutungen gesprochen
wird, ist nach Klotz der tiefgreifendste Wandel in der Architekturdiskussion seit dem Zweiten
Weltkrieg, denn jahrzehntelang spielten die Formen und ihre Bedeutungen keine Rolle.97 Der
Kontinuitätsbruch zur modernen Architektur zeigt sich gerade darin, daß die postmoderne Ar-

91 A.a.O., S. 226-227, 231. Für Jencks sind dann einige Bauwerke, die sich mit dem Etikett »postmodern«
schmücken auch nur »spätmodern«. Ebenso sind für ihn die »relativistischen Bewegungen« (Foucault, Der-
rida, Lyotard), die sich vom modernitätskritischen Nihilismus Friedrich Nietzsches herleiten, nur »spätmo-
dern«, weil es sich bei diesen Bewegungen um eine ins Extrem gesteigerte Moderne handelt, die im Rah-
men der immanenten Logik der Moderne bleiben. A.a.O., S. 226-232, 235.
92 A.a.O., S. 235. Jencks bezieht sich hier auf den Kunstkritiker Peter Fuller. Vgl. P. FULLER: Images of God,
S. XIII.
93 Es fragt sich allerdings, ob Jencks hier nicht ein längst gescheitertes Programm zu reanimieren versucht,
denn: Ästhetik als Ersatz für die verlorengegangene, gemeinschaftsstiftende Religion war ja schon das Pro-
gramm der modernen Kulturideologie. Vgl. zur Kritik an Jencks auch: H. STRIFFLER: Über das Zeitgemäße
in der Architektur, S. 123-125.
94 Vgl. H. KLOTZ: »Post-Moderne«?, S. 7-9.
95 Vgl. H. KLOTZ: Postmoderne, S. 172-181. Schon 1979 hat Klotz in einem Gespräch mit Wolfgang Pehnt
über Charles Jencks’ Buch Die Sprache der postmodernen Architektur Unterscheidungskriterien gefordert.
Vgl. H. KLOTZ – W. PEHNT: Die Sprache der postmodernen Architektur, S. 110, 112.
96 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 423.
97 Architektur ist nach Klotz immer Träger von Bedeutungen, auch wenn sie – wie der Vulgär-Funktiona-
lismus der Nachkriegszeit – nichtssagend bleibt und eben damit nur »gleichförmige Monotonie« signali-
siert. A.a.O., S. 14. Ähnlich auch: L. MUMFORD: Symbol and Function in Architecture, S. 95.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 26

chitektur nicht mehr den Gesetzen »der größtmöglichen Vereinfachung der Grundformen«
und der »Funktionserfüllung« gehorcht, sondern Inhalte zu veranschaulichen versucht.98
Postmoderne Architektur kann daher auch als eine Architektur der »narrativen Inhalte« be-
zeichnet werden.99 Aber natürlich – und hier zeigt sich auch die Kontinuität zur Moderne –
soll die Architektur auch funktional bleiben. Klotz bringt den Umbruch von der modernen zur
postmodernen Architektur auf die Formel »Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion!«100 Ei-
ne erzählerische Architektur wird aber nicht durch einfache Stilkombinationen erreicht. Sie
sind nur Mittel zum Zweck: »Der Stilpluralismus ist nicht die Erklärung in sich selbst, son-
dern er ist die Voraussetzung dafür, eine neue Sprachfähigkeit der Architektur zu entwickeln,
um die ästhetische Fiktion zu ermöglichen. Die ›Stile‹ stellen das Vokabular zur Verfügung,
durch das die erzählende Gestaltung möglich wird«.101
Sinn und Bedeutung der Architektur ergeben sich aber nicht allein aus dem Empfang der
Zeichen, also aus der bloßen Rezeption, sondern aus dem Zusammenhang der Zeichen im
Rahmen der Kunst. Das heißt, der Betrachter erlebt die Architektur als Kunst, indem er durch
die Zeichen hindurch zu einem Gesamtverständnis eines bestimmten Gebäudes vordringt: »Es
ist die Eigenart des Fiktiven im Unterschied zum bloß Symbolischen, daß es durch die Erzäh-
lung zugänglich macht und nicht starre Zeichen der Geltung setzt«.102 In Anlehnung an die
dekonstruktive Sprachphilosophie spricht Klotz hier von einer »Verwicklung mit dem
Text«.103
Postmoderne erfüllt sich nach Klotz eben nicht in einer Wiederbelebung der Geschichte,
also im Historismus, weil dieser nicht an den Inhalten interessiert ist, sondern allein an dem
zitierbaren Formenmaterial.104 Gegenüber dem gängigen (Miß-)Verständnis der Postmoderne
als Eklektizismus, Stilpluralimus und Neo-Historismus stellt Klotz acht Kriterien für die
postmoderne Architektur auf:105
– an die Stelle des Internationalismus ist der Regionalismus getreten;
– an die Stelle der Abstraktion die Fiktion;106
– Architektur wird nicht mehr ausschließlich unter funktionalen Gesichtspunkten betrachtet,
sondern auch als Kunst;

98 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 16.


99 A.a.O., S. 134.
100 A.a.O., S. 423. Ähnlich auch Frederic Jameson: »Aus der neuesten Architekturtheorie ist bekannt, daß häu-
fig Anleihen bei der Erzählfiktion gemacht werden (...) Als Besucher sind wir aufgefordert, diese Architek-
tur der dynamischen Wege und narrativen Paradigmen mit unserem eigenen Körper und unseren Bewegun-
gen zu erfüllen und sie zu vervollständigen«. F. JAMESON: Postmoderne – Zur Logik der Kultur im
Spätkapitalismus, S. 87.
101 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 136. Vgl. zum Problem des Pluralismus in der Postmoderne
auch: H. KLOTZ: Die Idee des Gesamtkunstwerks im Pluralismus der Medien, S. 299.
102 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 422.
103 A.a.O., S. 421.
104 Ebd. Vgl. auch: H. KLOTZ: Die Historie und das Bauen, S. 7-11.
105 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 422-423. Die acht Punkte sind dort wesentlich ausführlicher be-
handelt.
106 Mittlerweile hat Klotz die »Fiktion« auch für andere Bereiche der Ästhetik fruchtbar gemacht. Vgl. dazu:
H. KLOTZ: Die Idee des Gesamtkunstwerks im Pluralismus der Medien, S. 302.
I. Architektur 27

– keine Maschinenmetapher-Architektur, sondern eine Architektur der Vielfalt von Bedeu-


tungen in narrativer Gestalt;107
– keine Architektur des technizistischen Fortschrittsglaubens, sondern eine Architektur der
Phantasie;
– keine Architektur des sterilen Perfektionismus, sondern eine Architektur der Improvisation
und Spontaneität;
– keine Befreiung von der Geschichte, sondern interessante und ironische Erinnerung der
Geschichte;
– keine unantastbare, allgemeine Geltung der Form, sondern Kompromißbereitschaft und
Ausgleich zwischen Altem und Neuem.

Die Radikalisierung der modernen Architektur: Albrecht Wellmer


Die Postmoderne soll dem Konstanzer Philosophieprofessor Albrecht Wellmer zufolge nicht
als Abkehr von der Moderne verstanden werden, sondern als deren immanente Kritik. Die
postmoderne Architektur partizipiert an der Zweideutigkeit verschiedener Bewegungen, die
sich gegen die Moderne richten. Auf der einen Seite sind dies Bewegungen, die »gegenüber
einer technokratisch pervertierten Moderne auf die Verteidigung kommunikativer Strukturen,
semantischer Potentiale, ökologischer Gleichgewichte (...) ausgerichtet sind«.108 Auf der ande-
ren Seite ist die Abkehr von der technokratischen Moderne nur allzuoft mit einem Ausstieg
aus der Moderne überhaupt, mit Irrationalismus, Partikularismus, dem »Kult des Bodenstän-
digen« und der Regression verbunden. Jencks und die postmoderne Architektur müssen viel-
mehr im Sinne einer »radikalen Moderne« verstanden werden: als Moderne, die sich wieder
auf ihre Wurzeln und positiven Potentiale rückbesinnt. Die Postmoderne soll keine Kritik an
der Aufklärung sein, sondern »Teil einer ›Kritik der instrumentellen Vernunft‹«.109
Die frühen Vertreter der modernen Architektur waren – so Wellmer – keineswegs un-
schuldig daran, daß sich die moderne Architektur mit den ökonomischen und technischen In-
teressen verbunden hat.110 Das Programm des Deutschen Werkbundes (der sich selbst als
Spitze der industriellen Entwicklung verstand) zielte darauf ab, den »technologischen und äs-
thetischen Modernismus langfristig zu einer Art von Konvergenz zu bringen«.111 Die beab-
sichtigte Versöhnung von Nützlichkeit und Schönheit fand aber nicht statt, so daß für die heu-

107 Vgl. zur »Architektur des Maschinenzeitalters«: R. BANHAM: Die Revolution in der Architektur, S. 280-
284.
108 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 127.
109 A.a.O., S. 128.
110 A.a.O., S. 117. Ganz ähnlich auch Hans Peter Schwarz: »Es ist nicht nur der immer wieder beschworene
Zeitgeist, der die Degeneration der Architektur nach dem 2. Weltkrieg verschuldet hat. Korrumpierbarkeit
und Anfälligkeit gegenüber einer Instrumentalisierung durch die Bauwirtschaft sind grundsätzlich in der
modernen Architektur selbst angelegt. In der unkritisch-euphemistischen Apologie von Industrie und Tech-
nik, in dem Verzicht auf historische Begründungszusammenhänge und vor allem in dem anmaßenden An-
spruch des Architekten, als Demiurg der ›Neuen Gesellschaft‹ zu wirken«. H.-P. SCHWARZ: Architektur als
Zitat-Pop?, S. 255-256. Vgl. zum Beleg dieser These: U. CONRADS (Hrsg.): Programme und Manifeste zur
Architektur des 20. Jahrhunderts, S. 30-35, 56-59, 62-63, 70, 76-77, 103-106, 119-128, 146.
111 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 117. Vgl. dazu auch einige neuere Unter-
suchungen zur Werkbundgeschichte: J. CAMPELL: Der Deutsche Werkbund; L. BURCKHARDT: Der Deut-
sche Werkbund in Deutschland, Österreich und der Schweiz; K. JUNGHANS: Der Deutsche Werkbund.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 28

tige Avantgarde die technische Modernisierung »vielfach zu einem Synonym für Umwelt- und
Traditionszerstörung geworden« ist.112 Das Programm der architektonischen Avantgarde hat
sich im Nachhinein als idealistische Illusion herausgestellt, weil der propagierte Funktiona-
lismus nur allzugut mit den Gesetzen der Industrie und der kapitalistischen Marktwirtschaft
harmonierte. Hatte der Funktionalismus zunächst eine ideologiekritische Legitimation (gegen
den Historismus, den Industriekitsch, den Eklektizismus, die Fassadenarchitektur) so schlug
der »Vulgärfunktionalismus« in die Hypostasierung der technologischen Entwicklung um.113
Auch wenn der Funktionalismus – und dies muß bei aller Kritik auch gesehen werden – eine
Steigerung des Wohnkomforts mit sich gebracht hat (sanitäre Anlagen in jeder Wohnung,
Zentralheizung, »Luft, Sonne, Licht«), so ging doch »die Stadt als öffentlicher Raum, als
Durchdringung einer Mannigfaltigkeit von Funktionen und Kommunikationsformen« durch
die »Geschichtslosigkeit moderner Nomadensiedlungen« verloren.114 Der Funktionalismus
krankte von Anfang an daran, daß er sich mit dem technokratischen Zeitgeist der Moderne i-
dentifizierte.115
Die moderne Architektur ist durch den Verlust der Sprache kommunikationsunfähig ge-
worden, und deswegen ist es für Wellmer die große Tat der postmodernen Architektur, daß sie
die sprachliche Dimension der Architektur wiederentdeckt hat.116 Wellmer hält Jencks Kritik
an der »Univalenz«, der »Eindimensionalität des Zeichensystems« der modernen Architektur,
für völlig berechtigt, weil die Voraussetzung für eine stilistisch homogene Architektur nicht
mehr gegeben ist, weil es eine solche »nur in Gesellschaften mit einem allgemein-
verbindlichen ›Signifikationssystem‹ geben« kann, »also in traditionalen Gesellschaften«.117
Wellmer kritisiert aber den postmodernen Eklektizismus, der »es zu einer eigenen Spra-
che nicht mehr bringen kann« und der aus der »Not der eigenen Sprachlosigkeit« die Tugend
eines willkürlichen Spiels mit Sprachformen der Vergangenheit macht.118 Jencks »authenti-
scher« Eklektizismus ist für Wellmer zutiefst zweideutig: »Schaut man sich aber die Produkte
der ›real existierenden‹ postmodernen Architektur an – so wie ja die Postmodernen auf die
Produkte des real existierenden Funktionalismus verweisen – so kommt neben Avantgardisti-

112 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 118. »In dem Maße, in dem der Prozeß der
Modernisierung die tiefsten Schichten überkommener – städtischer wie ländlicher – Lebensformen an-
zugreifen beginnt, in dem Maße, in dem er die ökologischen Gleichgewichte und damit die Naturbasis des
menschlichen Lebens bedroht, in dem Maße sind auch die zerstörerischen Folgen des industriellen Fort-
schritts allgemein sichtbar geworden. Heute liegt ein Bündnis zwischen Kunst und Ökologie näher als eines
zwischen Kunst und Industrie«. Ebd.
113 A.a.O., S. 120.
114 A.a.O., S. 122. Nach Michael Dennis muß die Wiederbelebung der Stadt durch öffentliche Bereiche der
Kommunikation und Begegnung die Aufgabe postmoderner Architektur sein: »Die Ferne der modernen
Architektursprache von der traditionellen Stadt war Absicht. Und da dies in der Zerstörung der Stadt gip-
felte, muss es unsere Aufgabe sein, eine architektonische Sprache zu entwickeln, die diese wieder aufbauen
hilft. Das erneute Interesse am traditionellen Städtebau und die Suche nach einem entsprechend erweiterten
Architekturvokabular sind Zeichen einer neuen Sensibilität, die sonst ungleiche Gruppierungen von Archi-
tekten und Städteplanern vereint«. M. DENNIS: Architektur und die City der Postmoderne, S. 56.
115 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 121. Vgl. auch: U. CONRADS (Hrsg.): Pro-
gramme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, S. 30-35, 56-59, 62-63, 70, 76-77, 103-106,
119-128, 146.
116 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 123.
117 A.a.O., S. 124.
118 Ebd.
I. Architektur 29

schem auch viel Verschnuckeltes, Manieristisches, Pseudo-Bodenständiges und Neo-


Gemütliches zum Vorschein«.119 Die postmoderne Architektur muß demgegenüber zu einer
Architektur werden, »die weder in funktionalen Relationen aufgeht noch in selbstherrlich äs-
thetischen Gesten sich verliert«.120 Sie muß eine Architektur der »kommunikativen Rationali-
tät« sein, denn gegen die Uniformität auf Technik reduzierter Zeichensysteme läßt sich kein
einheitliches Bedeutungssystem mehr aufbieten, sondern nur ein aus der Freisetzung kommu-
nikativer Potentiale resultierender Pluralismus von Werten, Normen, Bedeutungen und Le-
bensformen.121 Dieser Pluralismus beinhaltet keinen Eklektizismus der Beliebigkeit oder des
bloßen Zitats, sondern einen »Eklektizismus der Vergegenwärtigung«, der »Vergangenheits-
spuren zum Leben« erweckt.122

Die »offene Ganzheit« der postmodernen Architektur: Wolfgang Welsch


Die moderne Architektur vertritt nach Wolfgang Welsch, Philosophieprofessor in Bamberg
und führender Theoretiker der Postmoderne in Deutschland, einen Ausschließlichkeits- und
Absolutheitsanspruch, weil sie sich zwar vom Zwang traditioneller Vorgaben befreit, diesen
aber gegen einen neuen Zwang eintauscht: »den der Ausschließlichkeit des jetzt geltenden
Bodens«.123 Durchgesetzt hat sich in der modernen Architektur der Internationale Stil, der
zum »Einheitsstil der modernen Weltzivilisation« geworden ist und der wirkliche Innovation
ausschließt.124 Auch die »funktionalistische Doktrin« erweist sich nach Welsch beim näheren
Hinsehen als hohle Phrase, denn der Funktionalismus ist kein wirklicher Funktionalismus,
sondern ein verkappter Formalismus, »der sich nicht an Funktionen orientiert, sondern gänz-
lich funktions-indifferent bloß den Look von Funktionalität suggeriert«.125 Das Stahl-Glas-
Raster der modernen Architektur z. B. war bloße Form ohne funktionalistische Legitimation.
Ein totalitärer und reduktionistischer Funktionalismus stellt sich als uniformalistischer Tech-
nizismus heraus.126

119 A.a.O., S. 57
120 A.a.O., S. 125.
121 A.a.O., S. 126.
122 Ebd.
123 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 93.
124 Ebd. »Zwar stellt die Ausbildung eines neuen, funktionalen Paradigmas von Architektur einen gewaltigen
Innovationsschritt dar; was aber danach folgt, ist gerade nicht mehr Innovation, sondern entfaltet und ver-
ficht eben dieses eine grundlegende Paradigma. Von einer Innovationsdynamik oder einem Innova-
tionsroulette kann nicht die Rede sein«. W. WELSCH: Postmoderne: Tradition und Innovation, S. 95.
125 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 96. Den gleichen Vorwurf macht auch Geoffrey Broadbent
der modernen Architektur: Er vergleicht das als typisch modern geltende Seagram Building von Mies van
der Rohe mit dem als postmodern geltenden AT&T Building von Philip Johnson (beide Gebäude stehen in
New York) und kommt zu dem Ergebnis, daß das AT&T Building wesentlich funktioneller ist als das
Seagram Building, obwohl dieses wesentlich funktioneller aussieht. Für ihn ist der Funktionalismus ein
bloßer »look«. Vgl. G. BROADBENT: Functionalism VS Post-Modernism, S. 74. Ganz anders dagegen das
Urteil von Ada Louise Huxtable über das AT&T Building: »But do eclectic designs like these really
respond to the rich lessons to be found in other cultures and viewpoints, or do they simply divorce form
from content for easy decorative effects?« A. L. HUXTABLE: The Troubled State of Modern Architecture,
S. 14.
126 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 98. Vgl. dazu auch die vom technizistischen Geist gepräg-
ten Zitate von Le Corbusier, Mies van der Rohe, Walter Gropius, Bruno Taut und Willi Baumeister bei
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 30

Die Postmoderne zeichnet sich dagegen grundsätzlich durch ein anderes Verhältnis zur
Tradition aus: »Sie läßt Tradition wieder undogmatisch zu«.127 Im Gegensatz zum Historis-
mus aber geschieht dieser Rückgriff auf die Tradition nicht imitativ, sondern transformativ:
»Mehr-Sprachigkeit, nicht Applikations-Unwesen und Zitate-Salat sind für ihren Begriff ver-
bindlich. Wenn die Postmoderne Tradition aufnimmt, dann im Modus der Verwandlung und
modernen Artikulation. Tradition bedeutet auch für die Postmoderne ›nicht bloße Konservie-
rung, sondern Übertragung‹, und das ›schließt ein, daß man nichts unverändert und bloß kon-
servierend beläßt, sondern daß man ein Älteres neu sagen und erfassen lernt‹«.128 Eine Säule
macht eben noch keine Postmoderne.129 Die Postmoderne ist keine Antimoderne, sondern sie
bereichert die Moderne, indem sie ihren Horizont durch die Elemente der Tradition erweitert.
Außerdem hat sie ein anderes Geschichtsbewußtsein als die Moderne: kein traditionsfeindli-
ches, das die Vergangenheit vergangen sein läßt, um der stets fortschreitenden Gegenwart
nachzulaufen, sondern ein die Tradition transformierendes, das Traditionspotentiale er-
schließt, verschüttete Stränge der Moderne wieder aufnimmt und sich gegen eine durch
»Selbstverkürzung verkommene Moderne« wendet.130
Die Moderne hatte mit ihrem Internationalen Stil versucht, eine »Einheitssprache« in der
Architektur durchzusetzen.131 Die Postmoderne hingegen läßt die »Vielheit« als Ausdrucks-
möglichkeiten des Humanen zu: »Das Nebeneinander verschiedener Möglichkeiten ist nicht
bloß zuzulassen, sondern – als Grundverfassung der Gegenwart – an öffentlichen Gebäuden
bewußt zum Ausdruck zu bringen. An ihnen ist das Nebeneinander in ein Miteinander und In-
einander« zu überführen.132 Allerdings stellt sich für die postmoderne Architektur das Prob-
lem, wie die verschiedenen realisierten Formen der Pluralität bewertet werden sollen, wenn
nicht jede Art des Bauens a priori als gleichwertig gelten soll. Für Welsch ist die Piazza
d’Italia, die von 1977-1978 von Charles Moore in New Orleans errichtet wurde und die als
Beispiel postmoderner Architektur gern zitiert wird, ein schlechtes Beispiel für die Postmo-
derne, weil die Tradition (die klassische Architektur Italiens) hier nur kulissenartig zusam-
mengesetzt wird, ohne daß sie wirklich etwas zu sagen hat.133 Dagegen erfüllt James Stirlings
Stuttgarter Neue Staatsgalerie Welschs Vorstellungen von der Postmoderne, weil hier die
Transformation der Tradition (inklusive der modernen) »verschiedene Sprachen wirklich als
––––––––––––––––––––––––––
Welsch auf den Seiten 97-101. Vgl. auch: U. CONRADS (Hrsg.): Programme und Manifeste zur Architektur
des 20. Jahrhunderts, S. 30-35, 56-59, 62-63, 70, 76-77, 103-106, 119-128, 146.
127 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 103.
128 A.a.O., S. 105. Welsch zitiert hier: H. G. GADAMER: Die Aktualität des Schönen, S. 64. Daß dieses trans-
formative Verständnis der Tradition von Anfang an für den Begriff der Postmoderne verbindlich war, be-
legt eindrücklich der Architekt Robert Stern: »My attitude toward form, based on a love for, and a know-
ledge of history, is not concerned with accurate replication. It is eclectic and uses collage and juxtaposition
as techniques to give a new meaning to familiar shapes and, in so doing, to cover a new ground. Mine is a
confidence in the power of memory (history) combined with the action of people (function) to infuse de-
sign with richness and meaning«. R. STERN: At the Edge of Post-Modernism, S. 286.
129 W. WELSCH: Nach welcher Moderne?, S. 241.
130 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 106-107.
131 A.a.O., S. 114. »Der Einheitstraum ist die Anmaßung – weniger gegenüber einem Gott als vielmehr gegen-
über der Vielheit des Humanen«. Ebd.
132 A.a.O., S. 115. Vgl. dazu auch: G. BROADBENT: Die Sprache der postmodernen Architektur, S. 273.
133 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 115-117. Genau entgegengesetzt argumentiert Ada Louise
Huxtable: »This eclecticism is symbolic and aesthetic on several levels of meaning«. A. L. HUXTABLE: The
Troubled State of Modern Architecture, S. 14.
I. Architektur 31

Sprachen erscheinen« läßt und »nicht bloß Wortfetzen und Versatzstücke beliebig appliziert
werden«.134 Der Dialog der verschiedenen Sprachen, »die einander kommentieren, bestreiten,
umdeuten, ergänzen, ohne daß eine einzige den Sieg davontrüge«, ist für Welsch das unauf-
gebbare Kennzeichen einer plural verfaßten postmodernen Architektur.135 Die Pluralität darf
kein bloßes »Nebeneinander von Verschiedenem« sein, sondern muß eine anspruchsvolle,
komplexe, spannungsreiche und irritierende Pluralität sein.136
Durch den beziehungsreichen Dialog der verschiedenen Sprachen ist das Problem der ar-
chitektonischen Einheit aber noch nicht gelöst. Welsch verwirft die Vorstellung einer »sub-
stantiellen Einheit«, weil sie – wie die Moderne gezeigt hat – immer die »Erhebung eines Par-
tikularen zum Universalen« und ein »Mechanismus der Tyrannei« ist.137 Er ersetzt den Begriff
der Einheit durch den der Ganzheit. Eine »offene Ganzheit« tritt der Pluralität entgegen, um
der Indifferenz eines Beliebigkeitspluralismus vorzubeugen: »Die gebotene Mittellage besteht
darin, das Viele so aufeinander zu beziehen, daß Austauschprozesse und Dialoge in Gang
kommen, aber so, daß dieser dialogische Charakter nicht in einer definitiven Ganzheitssetzung
erstickt wird«.138 Ganzheit ist als Komplementärbegriff zur Pluralität zu verstehen: Ganzheit
entsteht durch Pluralität, ohne daß sie von vornherein gesetzt werden kann, weil sie sich durch
den dialogischen Prozeß erst entwickelt. Mit der »Befreiung der Vielheit« aber beginnt die
Postmoderne – auch die postmoderne Architektur.139

Der Regionalismus der postmodernen Architektur: Hans-Peter Schwarz


Hans-Peter Schwarz, Kunsthistoriker und Kustos am Deutschen Architekturmuseum in Frank-
furt, stellt wie Klotz fest, daß es sich bei der postmodernen Architektur längst um »gebaute
Realität« handelt, auch wenn die deutschsprachigen Kritiker den Begriff Postmoderne be-
kämpfen und ihn als »Häresie der reinen Lehre« verstehen.140 Der Paradigmenwechsel von der
modernen zur postmodernen Architektur hat längst stattgefunden und zwar schon in der Mitte
des Jahrhunderts.141

134 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 118.


135 A.a.O., S. 119. Vgl. dazu auch: W. WELSCH: Postmoderne. Zwischen Indifferenz und Pluralismus, S. 27-
28.
136 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 121. »Nicht das eklektische Puzzle und die willkürliche
Deformation – mögen sie noch so weit verbreitet sein – repräsentieren den Kern der Postmodernität, son-
dern die reibungsvolle Kombination unterschiedlicher Modelle (...) Jeder Blick über den Architektur-
Diskurs hinaus auf die Gesamtsituation der Postmoderne (...) lehrt, daß ein solch zugespitzter, mit irritie-
render Kombinatorik arbeitender Pluralismus für die Postmoderne verbindlich ist. Man kann diesen Typus
als agonale Komplexität bezeichnen«. Ebd. Vgl. zum Begriff der »agonalen Komplexität« auch W.
WELSCH: Nach welcher Moderne?, S. 248-249.
137 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 126.
138 Ebd.
139 A.a.O., S. 127.
140 H.-P. SCHWARZ: Architektur als Zitat-Pop?, S. 253.
141 A.a.O., S. 254. Der Paradigmenwechsel von der modernen zur postmodernen Architektur wird auch von
Rosalind Krauss in den späten fünfziger Jahren angesetzt. Vgl. R. KRAUSS: Death of a Hermeneutic Phan-
tom, S. 166. Ein Zeichen für diesen Paradigmenwechsel ist nach Ada Louise Huxtable auch darin zu sehen,
daß die großen Werke der modernen Architektur jetzt unter Denkmalschutz gestellt werden, wie z. B. das
Haus von Walter Gropius in Lincoln (Massachusetts), das von der »Society for the Preservation of New
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 32

Nachdem sich die moderne Architektur des International Style nach dem Zweiten Welt-
krieg überall (inklusive der Entwicklungsländer) durchgesetzt und etabliert hat, setzt nach
Schwarz Mitte der sechziger Jahre eine Gegenbewegung ein, die sich »gegen das modernisti-
sche Establishment« wendet und für eine »Grenzüberschreitung zwischen Trivialem und Elitä-
rem« eintritt.142 Diese Bewegung bildet den Ausgangspunkt der Postmoderne.143 Die Überfüh-
rung der Kunst in Lebenspraxis wird nicht mehr – und hier sieht Schwarz den eigentlichen
Paradigmenwechsel – als direkte gesamtgesellschaftliche Veränderung verstanden: Architek-
ten wie Robert Venturi, Charles Moore, Robert Stern und Michael Graves sehen ihre Aufgabe
vielmehr darin, durch den »Rekurs auf die Alltagserfahrung«, durch die »Akzeptanz des Trivi-
alen« und durch die Planung im regionalen Kontext lebensnahes, humanes Bauen zu verwirk-
lichen.144
Die postmoderne Kritik an der Moderne geht aber noch weiter: Sie bricht mit den zwei
Hauptdogmen der modernen Architektur, Mies van der Rohes »less is more« und Louis H.
Sullivans »form follows function«, um der Architektur wieder zu einer differenzierten Sprache
zu verhelfen.145 Die moderne Architektur war zu Beginn des Jahrhunderts mit dem Programm
angetreten, das »Unbehagen an der aus den Fugen geratenen Formsprache des Historismus«
zu überwinden.146 Für die moderne Avantgarde waren die Formen des Fin-de-siècle-
Historismus nichts als Phrasen, bloße Ornamente ohne Inhalt und Funktion.147 Die historisie-
rende Formensprache sollte die gesellschaftlichen Zwänge und Widerprüche kaschieren und
durch einen Rückgriff auf die Antike Bedeutungen suggerieren, die in Wirklichkeit gar nicht
vorhanden waren.148 Die Formensprache der Moderne mußte deshalb eine ganz neue sein, ei-
ne unverbrauchte und abstrakte, die der »komplexen Gesellschaftserfahrung des frühen 20.
Jahrhunderts angemessen war«.149 Die Tragik der modernen Architektur liegt darin, daß ihre
Formensprache nicht verstanden wurde, ja letztlich bedeutungsleere Abstraktion war. Es ist
das Verdienst von Venturi und Jencks, daß sie der Architektur zu einer Sprache verholfen ha-
ben, die wieder verstanden wird und die sich nicht in bloßen Phrasen erschöpft.
Die postmoderne Architektur sieht Schwarz vor allem durch zwei Motive bestimmt: zum
einen durch das »Interesse am konkreten historischen Ort des Bauwerks« (Regionalismus) und
zum anderen durch das Interesse, die zeitgenössische Architektur mittels architekturhistori-

––––––––––––––––––––––––––
England Antiquities« (!) nun geschützt wird. A. L. HUXTABLE: The Troubled State of Modern Architecture,
S. 8.
142 H.-P. SCHWARZ: Architektur als Zitat-Pop?, S. 257. Schwarz bezieht sich hier auf Fiedler und Susan Son-
tag.
143 Ebd.
144 A.a.O., S. 258.
145 A.a.O., S. 263.
146 Ebd.
147 Vgl. dazu A. LOOS: Ornament und Verbrechen, S. 79-92. Loos wendet sich in seinem berühmten Vortrag
(1908) gegen jegliche ornamentale Ausschmückung der menschlichen Umgebung. Vgl. zu Loos auch:
R. BANHAM: Die Revolution in der Architektur, S. 69-79; B. SCHMIDT: Die Wiederkehr des Ornaments?,
S. 241-248.
148 H.-P. SCHWARZ: Architektur als Zitat-Pop?, S. 264.
149 Ebd.
I. Architektur 33

scher Erfahrungen beredsamer zu machen.150 Die zentralen Motive der Postmoderne liegen
eben gerade nicht im »nostalgischen Zitat-Pop«.151

7. Dekonstruktive Architektur als postmoderne Architektur


In der amerikanischen Architekturdiskussion der achtziger Jahre wird auch die dekonstruktive
Architektur als postmodern bezeichnet. Die postmoderne Architektur, so der Achitekturtheo-
retiker Christian Norberg-Schulz, hat damit ein janusköpfiges Gesicht: Zum einen blickt die-
ses Gesicht zurück und hofft, aus der architektonischen Tradition heraus eine neue Sprache
bedeutungsvoller Formen zu finden, und zum anderen blickt es nach vorn, in ein »Nichts«, in
dem alle Formen als Teil eines seduktiven Spieles kommen und gehen und sich das abendlän-
dische Konzept festgefügter, bedeutungsvoller Formen auflöst. Beide Gesichter – das erste
durch die theoretischen Arbeiten von Charles Jencks und das zweite durch die Theorie der
Dekonstruktion repräsentiert – können als Reaktionen auf die moderne Architektur verstanden
werden und haben darum einen gemeinsamen Kopf.152
Das theoretische Konzept der dekonstruktiven Architektur läßt sich von zwei unterschied-
lichen Traditionen herleiten: einmal von der vorrevolutionären russischen Avantgarde, den
Konstruktivisten (Kasimir Malewitsch, Wladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko, Wladimir
Krinski, Ivan Leonidow, Gregorij Jakulow),153 und dann auch von der französisch-amerikani-
schen Dekonstruktionstheorie, die von Derrida selbst, vor allem aber von dem bekannten New
Yorker Architekten Peter Eisenman aus der Sprachphilosophie in die Architektur übertragen
wurde.154

Die Dekonstruktion der modernen Architektur: Mark Wigley


Nach Mark Wigley, der die Beziehungen zwischen den russischen Konstruktivisten und den
Architekten der Dekonstruktion anläßlich einer Ausstellung des Museum of Modern Art in
New York (Juli 1988) untersucht hat, irritieren die dekonstruktiven Architekten die moderne
Architektur von innen her, indem sie die streng geliederte Struktur der modernen Bauwerke –
anders als die Konstruktivisten – destabilisieren.155 Das de-konstruktive dieser Architektur be-

150 A.a.O., S. 268.


151 A.a.O., S. 267, 273.
152 CH. NORBERG-SCHULZ: The Two Faces of Post-Modernism, S. 11.
153 Vgl. dazu: I. BOHNING: Behnisch und die Dekonstruktivisten, S. 150-156; C. COOKE: The Lessons of the
Russian Avant-Garde, S. 12-15; PH. JOHNSOHN – M. WIGLEY: Dekonstruktivistische Architektur, S. 10-20;
G. KÄHLER: Die Dekonstruktion des Dampfermotivs, S. 144; B. RUSSELL: Architecture and Design, S. 91.
154 Vgl. J. DERRIDA – E. MEYER: Labyrinth und Archi/Textur, S. 95-106; J. DERRIDA: Am Nullpunkt der Ver-
rücktheit, S. 215-232; A. BENJAMIN: Derrida, Architecture and Philosophy, S. 8-11; P. EISENMAN: Mis-
reading, S. 167-186; CH. JENCKS: Deconstruction, S. 16-31; J. SHEEHAN: Deconstruction, S. 22-23. Vgl.
zur Dekonstruktion auch: Erster Hauptteil, II. 4-5; Zweiter Hauptteil, II. 1-3.
155 PH. JOHNSOHN – M. WIGLEY: Dekonstruktivistische Architektur, S. 16. »Im frühen Schaffen [der Konstruk-
tivisten] ging es nicht um eine Destabilisierung der Struktur. Es ging im Gegenteil um deren fundamentale
Reinheit. Die unregelmäßige Geometrie wurde als eine dynamische Beziehung zwischen Formen aufgefaßt,
die im Raum treiben, und nicht so sehr als ein instabiler struktureller Zustand dieser Form selbst«. A.a.O.,
S. 15.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 34

steht für Wigley darin, daß die Dekonstruktivisten durch eine unregelmäßige, »schiefe« Geo-
metrie die Formen und Strukturen traditioneller Architektur deformieren, verzerren und so die
stabile, kohärente Identität der »reinen Form« moderner Architektur unterminieren: In den
Entwürfen dekonstruktiver Architektur werden Türme auf die Seite umgelegt, Brücken wer-
den so sehr schräg gestellt, daß sie zu Türmen werden, Wände zersplittern, der Boden bricht
auf, Dächer bersten, regelmäßige Fensteröffnungen gibt es nicht mehr und die Fähigkeit zu
umhüllen bricht ebenso zusammen wie die Trennung von innen und außen.156
Im Unterschied zur modernen Avantgarde, die die Tradition nur »von außen« provozierte,
indem sie die »reine Form« gegen das Ornamentale der klassizistischen Architektur setzte,
problematisiert die dekonstruktive Architektur die Tradition von ihrer Wurzel her, indem sie
das abendländische Konzept von »Struktur« und »Form« sprengt: durch De-formation, wie
Treppen, die ins Nichts führen, sich nach unten verjüngende oder schräggestellte Wände oder
Kuben, Säulen, die – ihrer tragenden Funktion beraubt – von der Decke hängen, aber nicht bis
zum Boden reichen, Löcher im Fußboden und labyrinthartige Grundrisse.157

Architektur zwischen An- und Abwesenheit: Peter Eisenman


Um eine Rezeption der sprachphilosophischen Dekonstruktionstheorie für die Architektur hat
sich besonders der New Yorker Architekt Peter Eisenman bemüht. Ausgangspunkt seiner Ar-
chitekturtheorie bilden Überlegungen zur Intertextualität der Architektur: Wie jeder Text, so
besitzt auch die Architektur eine »physische Präsenz«. Diese Präsenz hat ihren Anfang und ihr
Ende jenseits ihrer selbst und bringt aus sich selbst Dinge hervor, die etwas anderes als sie
selbst sind.158 Im Wechselspiel zwischen dem Anwesenden und dem Abwesenden entfalten
sowohl Texte als auch die Architektur einen Reichtum an möglichen Bedeutungen: Das, was
anwesend ist, verweist stets auf das, was abwesend ist.159 Das Spiel von Anwesenheit (das,
was physisch da ist) und Abwesenheit (alle in den Texten/Bauwerken enthaltenen
Möglichkeiten) bildet das Zentrum von Eisenmans dekonstruktiver Architekturtheorie.160

156 A.a.O., S. 17-18. Einen instruktiven Einblick in die Projekte dekonstruktiver Architektur bieten folgende
Bildbände, in denen die dekonstruktive Theorie durch Photos und Skizzen veranschaulicht wird: PH.
JOHNSOHN – M. WIGLEY: Dekonstruktivistische Architektur; A. PAPADAKIS (Hrsg.): Dekonstruction in Ar-
chitecture; CH. JENCKS: Die Neuen Modernen. Zu den denkonstruktiven Architekten werden hier Peter Ei-
senman, Bernhard Tschumi, Zaha Hadid, Frank O. Gehry, Rem Koolhaas, Daniel Libeskind und das Wie-
ner Architektenteam »Coop Himmelblau« gezählt.
157 PH. JOHNSOHN – M. WIGLEY: Dekonstruktivistische Architektur, S. 18-19. Vgl. zu den angeführten Bei-
spielen: P. EISENMAN: An Architectural Design Interview by Charles Jencks, S. 50; P. EISENMAN: Wexner
Center for the Visual Arts, S. 62-63; CH. JENCKS: Architektur heute, S. 250-269; PH. JOHNSOHN –
M. WIGLEY: Dekonstruktivistische Architektur, S. 30-33, 35, 37, 43, 79, 82-91; B. RUSSELL: Architecture
and Design, S. 72-73, 78-80, 83; M. TAFURI: Peter Eisenman, S. 173-174.
158 P. EISENMAN: Misreading, S. 186. Die Verbindung von Text und Architektur macht Jacques Derrida fol-
gendermaßen deutlich: »Von hier aus können wir zurückkommen auf das, was die Dekonstruktion mit der
Schrift verbindet, und das ist ihre Verräumlichung (...) Diese Schrift ist in der Tat labyrinthisch, weil sie
weder Anfang noch Ende hat. Man ist immer unterwegs (...) Man wohnt in der Schrift. Schreiben ist eine
Art Wohnen«. J. DERRIDA – E. MEYER: Labyrinth und Archi/Textur, S. 101.
159 P. EISENMAN: Misreading, S. 186.
160 »Obviously, architecture is tied to fundamental conditions of shelter. However, shelter must be understood
both physically and metaphysically. It exists in both the world of the real and the world of the idea. This
means that architecture operates as both a condition of presence and a condition of absence«. P. EISENMAN:
Blue Line Text, S. 7-8. Vgl. auch: P. EISENMAN: Misreading, S. 167, 182-183.
I. Architektur 35

Eisenmans Interesse richtet sich dabei auf »das Andere«, das Abwesende, das
Unterdrückte, das Marginalisierte in der modernen Architektur: In seinem Projekt »House III«
dekonstruiert er die strukturelle und formale Architekturästhetik der Moderne, indem er dem
realen Haus ein imaginäres, konzeptuelles, bloß kognitives Haus implementiert.161 Die klare,
selbstreferentielle Syntax der modernen Architektur wird in einen neuen referentiellen Rah-
men gestellt, der die »Anwesenheit des Abwesenden« zeigen soll.162 Das Bauwerk wird da-
durch zu einem Vexierbild: Die Strukturen sind so aufgelöst, daß sich das Abwesende nicht
mehr von dem Anwesenden unterscheiden läßt. Dekonstruktive Architektur ist nach Eisenman
eine Architektur des »Dazwischen« (»betweeness«): zwischen dem Anwesenden und dem
Abwesenden.163
Peter Eisenman versteht seine Architektur selbst als postmodern.164 Freilich nicht im Sin-
ne einer Bereicherung der modernen Architekturästhetik durch einen transformativen Rück-
griff auf vormoderne Architekturtraditionen,165 sondern in Sinne einer Problematisierung, De-
formation, De-konstruktion, De-zentralisierung der Strukturen moderner Architektur und ei-
ner Präsentation des unterdrückten »Anderen« der modernen Architektur.166
Die moderne Architektur wurde nach Eisenman erst durch das veränderte Verständnis
von Gott, Welt und Mensch ermöglicht: Bis zum 15. Jahrhundert repräsentierte die Architek-
tur die Überlegenheit Gottes über den Menschen, der seine Identität aus Gott schöpfte und der
sich als von Gott abhängig sah. Mit der wachsenden Selbst-Bewußtwerdung des Menschen
begann er nun seine Identität in sich selbst zu suchen und selbst die zentrale Position in der
Welt zu besetzen. Während in der theozentrischen Welt die Architektur die Ehre Gottes feier-

161 Vgl. P. EISENMAN: An Architectural Design Interview by Charles Jencks, S. 59; P. EISENMAN – R. KRAUSS
– M. TAFURI: PETEREISENMANHOUSESOFCARDS, S. 60-61, 100-101, 204-213. Vgl. zum Einfluß der
Sprachphilosophie auf Eisenman auch: CH. JENCKS: Deconstruction, S. 26-31.
162 »The referent of system II is, then, a conceptual house, conceptual on three counts. First, because it is a vir-
tual object, one that is ›present‹ in conception rather than in fact. Second, because it is the indicator of a set
of laws that generated it (...). Third, because along the way it presents aspects of architecture from within a
set of normative statements«. R. KRAUSS: Death of a Hermeneutic Phantom, S. 176.
163 P. EISENMAN: An Architectural Design Interview by Charles Jencks, S. 54, 59; P. EISENMAN: Misreading,
S. 185. Die für die Dekonstruktion typische Vorstellung der betweeness wird in der Theologie von Mark C.
Taylor aufgenommen. Vgl. Zweiter Hauptteil, II. 3.
164 P. EISENMAN: An Architectural Design Interview by Charles Jencks, S. 54-55. Charles Jencks hält Peter
Eisenmans Architektur jedoch nicht für postmodern, sondern für spät-modern, weil sie den Elitismus und
die Abstraktion der modernen Architektur nur ins Extreme steigert. CH. JENCKS: Deconstruction, S. 17.
165 Eisenman wendet sich ernergisch gegen jede Form von Nostalgie. P. EISENMAN: An Architectural Design
Interview by Charles Jencks, S. 54-55.
166 »That there is no origin, no ›architecture itself‹, that there is no autonomous, fully defined architecture,
suggests the possibilities of architecture’s open-ended capacity for displacement, for new possibilities of
meaning. The attempt at autonomy was a dream of illusory presence, of the denial of absence, of the ›o-
ther‹«. P. EISENMAN: Misreading, S. 182.
Was Peter Eisenman unter der Präsentation des »Anderen« der modernen Architektur versteht, kommt sehr
gut in einem Interview mit Charles Jencks zum Ausdruck:
»PE My work attacks the concept of occupation as given. It is against the traditional notion of how to oc-
cupy a house.
CJ Right, and the holes in the floor in the room attack the notion of how you occupy and how you step ac-
ross the living room?
PE And having a column in the middle of the bedroom so you could not put a bed in it certainly attacked
the notion of how you occupy a bedroom«. P. EISENMAN: An Architectural Design Interview by Charles
Jencks, S. 50.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 36

te, zelebriert in der anthropozentrischen Welt sich nun der Mensch selbst.167 In der modernen
Architektur spiegelt sich der Wunsch des modernen Menschen wider, die Natur und sich
selbst zu beherrschen, Angst und Unsicherheit jedoch zu verdrängen. Nach Hiroshima aber
sieht sich der Mensch mit einer unsicheren Zukunft konfrontiert, die das Projekt menschlicher
Naturbeherrschung zutiefst in Frage stellt.168 Die dekonstruktive Architektur versucht nun,
diesen fragilen Zustand des modernen Bewußtseins, die Unsicherheit und Orientierungslosig-
keit des modernen Subjektes mit architektonischen Mitteln darzustellen, indem sie die klare
strukturelle und formale Ästhetik der modernen Architektur erst zerschlägt und dann zu einer
»verunstalteten Perfektion« (»violated perfection«) wieder zusammensetzt.169

8. Zusammenfassung

1. Zunächst einmal besteht ein breiter Konsens – und dies sowohl bei den Kritikern wie Be-
fürwortern der postmodernen Architektur – darüber, daß der »Vulgär-Funktionalismus«
(Klotz) der Nachkriegszeit mit seiner »seelenlosen Behälterarchitektur« (Habermas) als
Fehlentwicklung der modernen Architektur anzusehen ist. Zwar wurde durch die »Traban-
tenstädte« und die Geschäftszentren schnell und billig Wohn- und Arbeitsraum geschaffen,
aber diese Architektur und die moderne Stadtplanung verursachten letztlich mehr Probleme
als sie zu lösen vermochten.
2. Der Dissens besteht darin, ob diese Entwicklung als Vulgarisierung, Degeneration und
Verrat der modernen Architektur anzusehen ist (Habermas, Müller, Frampton, Koll) oder
aber von Anfang an in der modernen Architekturtheorie schon angelegt war (Blake,
Schwarz, Wellmer, Welsch, Jencks, Klotz). Aus der unterschiedlichen Bewertung des Vul-
gärfunktionalismus resultiert das jeweils verschiedene Verhältnis zur Moderne: Während
die Verteidiger der modernen Architektur eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen
»wahren Ideale« der modernen Architektur fordern, favorisieren die Vertreter der Postmo-
derne einen Bruch mit den Idealen der modernen Architektur.
3. Daß der Paradigmenwechsel von der modernen zur postmodernen Architektur längst statt-
gefunden hat, ist Konsens bei den Theoretikern der Postmoderne. Der Bruch ist zu Beginn
der sechziger Jahre geschehen (Blake, Klotz, Jencks, Schwarz), als die Architekten James
Sterling, Aldo Rossi, Charles Moore, Paolo Portoghesi, Robert Venturi, Michael Graves,
Robert Stern und andere sich von den formalen und technischen Idealen der modernen Ar-
chitektur abzusetzen begannen. Endgültig durchgesetzt hat sich die postmoderne Architek-
tur erst in den achtziger Jahren, in denen kaum noch Gebäude errichtet wurden, die als ty-
pisch modern angesehen werden können. Die technizistische »Maschinenmetapherarchitek-

167 »For the several centuries prior to the fifteenth century, God dominated as mediator between nature and
man. Man looked to God for understanding and identity, and his architecture reflected God’s supremacy. In
the late fourteenth century, man, in his growing self-awareness, began looking to himself for his identity.
He redirected his focus toward the power of his own mind. God was displaced, and man assumed a central
position. Whereas the architecture of the theocentric world had been a celebration of God, the anthropo-
centric world now celebrated man«. P. EISENMAN: Misreading, S. 170.
168 A.a.O., S. 172.
169 P. EISENMAN: An Architectural Design Interview by Charles Jencks, S. 58.
I. Architektur 37

tur« (Klotz) – als Sinnbild für den modernen technischen Fortschrittsglauben – hat endgül-
tig ihre Legitimität und Plausibilität verloren.
4. Ob die postmoderne Architektur jedoch als neue Architekturepoche oder als Fortsetzung
der modernen Architektur verstanden werden soll, ist bei den Befürwortern der postmoder-
nen Architektur umstritten: Während Wellmer und – eingeschränkt – auch Welsch die
Postmoderne als immanente Kritik und transformative Fortsetzung der Moderne verstehen,
betonen Blake, Klotz, Schwarz und Jencks sehr deutlich die Diskontinuität und den Bruch
mit der Moderne. Einig ist man sich jedoch darin, die Postmoderne – bei aller Diskontinui-
tät – nicht als Anti-Moderne zu verstehen. Die Postmoderne bewahrt durchaus die Fort-
schritte der modernen Architektur: die technischen Baumethoden, den demokratischen Im-
puls, den »offenen Grundriß«, »Licht, Sonne, Luft«. Niemand sehnt die feuchte Kälte
vormoderner Häuser wieder herbei.
5. Auch wenn sich eine einheitliche Definition der postmodernen Architektur noch nicht
durchgesetzt hat, so lassen sich doch einige Kriterien für die Postmoderne benennen. Post-
moderne Architektur ist demnach:
 eine humane Architektur, die für diejenigen Menschen geplant wird, die darin leben sol-
len. Insofern sie sich nach den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen richtet und
für die verschiedenen Funktionen verschiedene formale und technische Lösungen anbie-
tet, ist sie wirklich funktionale Architektur;
 eine regionale Architektur, die den jeweiligen sozialen, kulturellen, ökologischen und
geographischen Gegebenheiten Rechnung trägt und sich in die unterschiedlichen Kon-
texte auf verschiedene Art und Weise einfügt;
 eine doppelkodierte, mehrdeutige, grenzüberschreitende, kommunikative und inklusive
Architektur, die der pluralistischen gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht wird, die
mehrere Sprachen zugleich spricht, für die verschiedenen Betrachter durchaus unter-
schiedliche »Geschichten« erzählt und die darum auch nicht einen einheitlichen, eindeu-
tig identifizierbaren »Stil« entwickelt;
 eine die Geschichte transzendierende Architektur, die die Geschichte nicht eklekti-
zistisch reproduziert und einem bloßen Stilpluralismus huldigt, sondern die verschiede-
nen Stile der Architektur-Geschichte vergegenwärtigt, verfremdet, übersetzt und kom-
plex und widersprüchlich aufeinander bezieht. Insofern sie die verschiedenen
Möglichkeiten architektonischer Gestaltung und Sprache integriert, kann sie auch als
»ganzheitliche«, umfassende Architektur verstanden werden.
II. Literatur und Literaturwissenschaft
»Demnach habt ihr nicht eine einzige Antwort auf alle Fragen?«
»Lieber Adson, wenn ich eine hätte, würde ich in Paris Theologie lehren.«
»Und in Paris haben sie immer die richtige Antwort?«
»Nie«, sagte er fröhlich, »aber sie glauben sehr fest an ihre Irrtümer.«
»Und Ihr«, bohrte ich weiter mit kindischer Impertinenz, »Ihr begeht nie Irrtü-
mer?«
»Oft«, strahlte er mich an, »aber statt immer nur ein und denselben zu konzi-
pieren, stelle ich mir lieber viele vor und werde so der Sklave von keinem.«
Ich hatte allmählich den Eindruck, daß William überhaupt nicht ernsthaft an
der Wahrheit interessiert war, die bekanntlich nichts anderes ist als die Adae-
quatio zwischen den Dingen und dem Intellekt. Statt dessen amüsierte er sich
damit, so viele Wahrheiten wie möglich zu ersinnen!
Umberto Eco, Der Name der Rose

Es entstand auf diese Weise ein unendliches System von Zusammenhängen, in


dem es unabhängige Bedeutungen, wie sie das gewöhnliche Leben in einer
groben ersten Annäherung den Handlungen und Eigenschaften zuschreibt, ü-
berhaupt nicht mehr gab; das scheinbar Feste wurde darin zum durchlässigen
Vorwand für viele andere Bedeutungen, das Geschehende zum Symbol für et-
was, das vielleicht nicht geschah, aber hindurch gefühlt wurde, und der
Mensch als Inbegriff seiner Möglichkeiten, der potentielle Mensch, das unge-
schriebene Gedicht seines Daseins trat dem Menschen als Niederschrift, als
Wirklichkeit und als Charakter entgegen.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

1. Postmoderne Literatur: Herausforderung oder Verfallserscheinung?


Die Diskussion um die Postmoderne in der Literaturwissenschaft beginnt 1959 mit dem Auf-
satz Mass Society and Post-Modern Fiction von Irving Howe.1 Ausgangspunkt seiner Überle-
gungen ist ein von ihm festgestellter, tiefgreifender Wandel in der amerikanischen Gesell-
schaft, der auch Auswirkungen auf die Schriftsteller hat, weil die modernen Gesellschaftsthe-
orien stillschweigende Voraussetzung ihrer Werke waren. Der partielle Zusammenbruch die-
ser Gesellschaftstheorien bringt für die jungen Autoren neue Schwierigkeiten, aber auch neue
literarische Möglichkeiten mit sich.2 Nach Howe haben in der »Massengesellschaft« die tradi-
tionellen Autoritäten ihre Verbindlichkeit für den Menschen verloren, Passivität gegenüber
der Politik ist der Normalfall, Meinungen werden über die Medien verbreitet und nicht mehr
durch Literatur gebildet, die »Ära der Begründungen« geht zu Ende, Erfahrungen werden nur
noch aus zweiter Hand gemacht, die Zahl der Ereignisse multipliziert sich mit zunehmender
Geschwindigkeit und die Agnostiker entwickeln eine Nostalgie für den Glauben. So be-
schreibt Howe die amerikanische »Massengesellschaft« in der Zeit nach dem Zweiten Welt-
krieg.3

1 Vgl. dazu: A. HUYSSEN: Postmoderne, S. 13. Vgl. zur Genealogie des Begriffs Postmoderne: W. WELSCH:
»Postmoderne« Genealogie und Bedeutung eines umstrittenen Begriffs; F. JAMESON: The Politics of Theo-
ry. Über die Entwicklung des Terminus in der Literaturwissenschaft informieren: INGEBORG HOESTEREY:
Verschlungene Schriftzeichen; M. KÖHLER: »Postmodernismus«; A. EYSTEINSSON: The Concept of Moder-
nism, S. 103-142; H. BERTENS: Die Postmoderne und ihr Verhältnis zum Modernismus; G. HOFFMANN –
A. HORNUNG – R. KUNOW: »Modern«, »Postmodern« und »Contemporary«; L. HUTCHEON: A Poetics of
Postmodernism.
2 I. HOWE: Mass Society and Post-Modern Fiction, S. 426.
3 A.a.O., S. 427-428. Einen Epochenumbruch stellt auch Peter F. Drucker in der amerikanischen Nachkriegs-
gesellschaft fest. 1957 schreibt er in seinem Buch Landmarks of Tomorrow: »An irgendeinem unmarkierten
Punkt der letzten zwanzig Jahre haben wir, ohne es zu merken, die ›Neuzeit‹ verlassen und sind in ein neues,
II. Literatur und Literaturwissenschaft 39

Howe zieht daraus fünf Konsequenzen für die zukünftige Gesellschaft, der sich die
Schriftsteller stellen müssen: Möglich ist, daß wir in eine »stille Wüste« der Eintönigkeit hi-
neingehen, in der die Menschen die moralische und geistige Leidenschaft verloren haben, die
die westliche Gesellschaft bisher charakterisierte, daß der Mensch, nicht mehr länger Don
Quichote oder Faust, ein gelehriger Schüler der automatisierten Kultur wird, daß die »Aura
des Menschlichen« durch einen »Nihilismus der Sattheit« ersetzt wird, daß die Hauptfrage
nicht mehr die nach den Bedingungen des menschlichen Lebens ist, sondern nach dem Über-
leben der Menschheit überhaupt und daß die »Hochkultur«, so wie wir sie bisher kennen, zu-
nehmend problematisch wird und an Bedeutung verliert.4

Die neuen Herausforderungen für die Schriftsteller


Aus diesen Veränderungen resultiert das Problem der Schriftsteller: Sie wissen nicht mehr,
was sie schreiben sollen, weil es für die Gesellschaft keine einheitliche Zielsetzung mehr gibt
und sich die Maßstäbe für soziale Gedanken wie für literarische Konventionen aufgelöst ha-
ben.5 Die modernen Schriftsteller seit Henry James waren auf der Suche nach »festen Wer-
ten«. Die leitende Frage war: »Wie sollen wir leben?« Für die zeitgenössischen Schriftsteller
entfällt diese Aufgabe, da alle Werte fließend geworden sind und die Zeit der »soliden Cha-
raktere« vorbei zu sein scheint.6 Wenn es aber keinen verbindlichen Moralkodex mehr gibt,
gegen den sich eine literarische Figur auflehnen kann, dann kann es auch keinen »klassischen
Helden« mehr geben, der gerade erst durch seinen Widerstand oder seine Unkonventionalität
an Statur gewinnt.7
Für Howe sind Bernard Malamuds The Assistant, Herbert Golds The Man Who Was Not
With It, J. D. Salingers The Catcher in the Rye, Saul Bellows The Adventures of Augie March
typische Beispiele für die postmoderne Nachkriegsliteratur: In ihrer Distanz gegenüber festge-
fügten gesellschaftlichen Kategorien und ihrem Interesse für die methodischen Implikationen
dieser Distanz werden in diesen Romanen sowohl die veränderten gesellschaftlichen Verhält-
nisse abgebildet als auch neue literarische Wege beschritten.8

Die Nachkriegsliteratur als Erscheinung der Dekadenz


Ein Jahr nach Howes Mass Society and Post-Modern Fiction folgt Harry Levins Aufsatz What
Was Modernism? Für den Harvard-Komparatisten Levin ist die postmoderne Literatur – an-
ders als für Howe, der in der veränderten Situation auch neue Herausforderungen für die
––––––––––––––––––––––––––
bisher noch namenloses Zeitalter eingetreten«. P. F. DRUCKER: Das Fundament für Morgen, S. 7. Weil er
noch keinen Namen für dieses neue Zeitalter weiß, behilft er sich mit dem Arbeitstitel »post-modern«. Nach
der modernen Epoche, an deren Ende der Mensch das Wissen erlangt hat, »sich physisch und moralisch
selbst zu vernichten«, sieht Drucker nun ein Zeitalter kommen, in dem sich die Wissenschaft selbst be-
schränken, in dem die Politik wirklich verantwortbar betrieben werden und in dem die Macht einer strengen
Selbstkontrolle unterliegen muß. A.a.O., S. 329-345.
4 I. HOWE: Mass Society and Post-Modern Fiction, S. 436.
5 A.a.O., S. 428.
6 A.a.O., S. 422-423.
7 Ebd. Vgl. auch: H. SCHEFFEL: Auf der Suche nach dem Subjekt, S. 86-87.
8 I. HOWE: Mass Society and Post-Modern Fiction, S. 433.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 40

Schriftsteller sieht – nur eine Verfallserscheinung der Moderne.9 Zwar konstatiert auch er ge-
sellschaftliche Veränderungen im Nachkriegsamerika (Reproduzierbarkeit von Kunst und
Musik, allgemeine Diffusion der Kultur, Protestgeneration als Subkultur), aber diese Erschei-
nungen sind in seinen Augen Ausdruck einer Dekadenz.10 Die modernen Schriftsteller der ers-
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Joyce, Eliot, Lawrence, Woolf, Mann, Kafka, Proust, Valéry)
waren Menschen, die noch im modernen Geist des 19. Jahrhunderts aufgewachsen waren.
Dieser erlaubte einen maximalen Spielraum an Individualität, erzog die Menschen sehr gründ-
lich, sammelte Kunst, förderte die Wissenschaft und kultivierte die menschlichen Beziehun-
gen.11 Die modernen Schriftsteller waren Kosmopoliten – wie die Architekten des Internatio-
nal Style. Ihre künstlerische Arbeit verstanden sie wie eine religiöse Berufung und ihre Werke
waren von »kompromißloser Intellektualität«.12 Für die postmodernen Schriftsteller hingegen
ist nur ein Organ Tabu: das Gehirn. Die Verstandlosigkeit ist nach Levin bei postmodernen
Schriftstellern nun allenthalben anzutreffen, ob es sich nun um die »gutherzigen Dussel« bei
John Steinbeck, die »Schlampen« bei Tennessee Williams, oder um die »analphabetischen
Gladiatoren« beim älteren Hemingway handelt.13

2. Die positive Neubewertung der postmodernen Literatur: Leslie Fiedler


Nach dieser vernichtenden Kritik Harry Levins kommt es Mitte der sechziger Jahre zu einer
positiven Neubewertung der postmodernen Literatur. Die ausschließliche, rückwärtsgewandte
Orientierung an den »Klassikern der Moderne« wird nun aufgegeben. Der amerikanische Lite-
raturkritiker Leslie Fiedler versucht, die spezifischen Qualitäten der Gegenwartsliteratur wahr-
zunehmen und zu verteidigen.14 Die aufkommende Pop- und Protestkultur wird nicht mehr –
wie noch bei Levin – als Verfallserscheinung, sondern als vielversprechender Neubeginn
interpretiert. Während die moderne Literatur einen elitären Charakter hatte und nur die
intellektuelle Oberschicht erreichte, wird nun die schriftstellerische Leistung von Autoren wie

9 Vgl. zur unterschiedlichen Bewertung der postmodernen Literatur bei Howe und Levin: I. HOESTEREY: Ver-
schlungene Schriftzeichen, S. 133.
10 H. LEVIN: What Was Modernism?, S. 615. »Lacking the courage of their convictions, much in our arts and
letters simply exploits and diffuses, on a large scale and at a popular level, the results of their experimental-
ism«. A.a.O., S. 613.
Nach Levin ist das im englischsprachigen Sprachraum weit verbreitete Werk des britischen Universalge-
schichtlers Arnold Toynbee A Study of History Ausgangspunkt der heutigen Diskussion um die Postmoderne
(H. LEVIN: What Was Modernism?, S. 612). Bei Toynbee bezeichnet »Post-Modern« die letzte, noch andau-
ernde Phase der abendländisch-westlichen Kultur. Er diagnostiziert einen Epochenumbruch in der Zeit um
1875. Kennzeichnend für diesen Wandel von der Moderne zur Postmoderne ist der Übergang vom national-
staatlichen Denken zu einer Politik der globalen Interaktion. Vgl. A. TOYNBEE: A Study of History, S. 14-
15. Eine Tabelle zur Unterteilung der verschiedenen Epochen findet sich in der von D. C. Somervell erstell-
ten, einbändigen Kurzausgabe auf S. 39.
11 H. LEVIN: What Was Modernism?, S. 620. Vgl. zur Definition der »modernen Literatur«: G. HOFFMANN –
A. HORNUNG – R. KUNOW: »Modern«, »Postmodern« und »Contemporary«, S. 9-21.
12 H. LEVIN: What Was Modernism?, S. 623, 627-628.
13 A.a.O., S. 627.
14 Vgl. L. FIEDLER: The New Mutants, S. 517-521.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 41

Boris Vian, Norman Mailer, John Barth und Leonard Cohen darin gesehen, daß sie es verste-
hen, die Verbindung von Elite- und Massenkultur herzustellen.15

Die Versöhnung von elitärer und populärer Literatur


Programmatisch kommt dies bei Leslie Fiedler in dem 1969 erschienenen Aufsatz Cross the
Border – Close the Gap zum Ausdruck. Die literarische Moderne, die nach Fiedler »kurz vor
dem ersten Weltkrieg begann und kurz nach dem zweiten endete«, zielte auf Achtbarkeit,
Vornehmheit und Akademismus ab.16 Analyse, Rationalität und eine antiromantische Dialek-
tik waren Kennzeichen dieser Literatur, deren bedeutendste Vertreter in der Prosa Mann, Joy-
ce, Proust und in der Lyrik Eliot und Valéry waren. Die Epoche dieser Literatur ist endgültig
vorbei, denn »wir leben jetzt in einer sehr anderen Zeit – apokalyptisch, antirational, offen
romantisch und sentimental; einer Zeit freudvoller Misologie und prophetischer Verantwor-
tungslosigkeit, mißtrauisch gegen die Ironie als Selbstschutz und allzu große Bewußtheit von
sich selbst«.17 Eine Literaturkritik der Zukunft wird sich in erster Linie nicht mehr mit der
Struktur, Diktion oder Syntax literarischer Werke beschäftigen, sondern mit den Wörtern im
Kopf, mit der Verknüpfung von tausend Zusammenhängen im Bewußtsein des Lesers durch
die ekstasis des Lesens. Es gilt, aus der »Kulturreligion des Modernismus« auszubrechen und
mit den Dogmen der modernen Literaturkritik zu brechen: »Es ist höchste Zeit fürs Sakrileg!
Die Art von Kritik, die die Zeit erfordert, ist Tod-der-Kunst-Kritik«.18 Die Vorhersage Mat-
thew Arnolds, »daß die Literatur als Heilige Schrift in einer Welt entstehen würde, die die ü-
berkommene Religion ablegt«, traf wohl für die moderne Literatur zu, »aber das Leben der
neuen Schrift und der neuen Religion war kürzer, als er hätte vermuten können. Bevor der
Mensch in der westlichen Gesellschaft aufhörte, die Bibel als zentrales Bezugsorgan seines
Lebens zu betrachten, war sie für ihn schon ein Buch unter anderen geworden; dieser Sach-
verhalt hat wohl die Arnoldianer in die Irre geführt, die sich eine Zeit nicht vorstellen konn-
ten, wo nicht nur das Buch seinen Einfluß auf die Menschheit einbüßte, sondern Bücher über-
haupt. So ist es aber nun mal – zumindest was alle Bücher anlangt, die sich als Kunst – nach
der Abschaffung der Bibel – verstehen; und deswegen muß der wirklich Neue Roman anti-
künstlerisch und anti-seriös sein«.19 Die exakte Funktion des heutigen Romans muß die Über-
brückung der Kluft zwischen Elite- und Massenkultur sein. Nach Fiedler ist es gerade Boris
Vian in seinem Roman I’ll Spit On Your Grave gelungen, »einen Fuß über die Grenzlinie zu
setzen, wenn nicht gar eine Lücke zu schließen zwischen hoher Kultur und niederer, belles-
lettre und pop-art«.20

15 Vgl. dazu auch: S. SONTAG: Against Interpretation And Other Essays, S. 285, 297-302; J. PEPER:
Postmodernismus, S. 185-187.
16 L. FIEDLER: Überquert die Grenze, schließt den Graben!, S. 57. Vgl. zu Leslie Fiedlers Postmoderne-
Konzeption auch: A. HUYSSEN: Postmoderne, S. 13, 17-22; H. E. HOLTHUSEN: Heimweh nach der Ge-
schichte, S. 903-908.
17 L. FIEDLER: Überquert die Grenze, schließt den Graben!, S. 58.
18 A.a.O., S. 59.
19 A.a.O., S. 60-61.
20 A.a.O., S. 61-62.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 42

Der Schriftsteller als Doppelagent


Das Schließen diverser »Klüfte« wird bei Fiedler dann zum Programm: Der Künstler wird
zum »Doppelagenten«, der die Grenzen zwischen dem Wunderbaren und dem Wahrscheinli-
chen ebenso überschreitet wie die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen der
Realität und dem Mythischen, zwischen verschiedenen Genres und künstlerischen Aus-
drucksmöglichkeiten.21 Der postmoderne Schriftsteller schließt aber auch die Kluft zwischen
Kritiker und Publikum, zwischen Amateuren und Profis, weil das junge Massenpublikum heu-
te selbst über »Geschmacksfragen« entscheidet und alternde Kritiker aus ihrem Elitestatus
verdrängt. In der Pop-Kultur kommen durch die Moderne verdrängte menschliche Erfah-
rungsmöglichkeiten wieder zu ihrem Recht: Träume, Visionen, Ekstase und die »Mythen des
Alltags« sind die Themen dieser Literatur.22
Nach Fiedler erleben wir heute eine große »religiöse Renaissance«, die von den offiziel-
len Sprechern der etablierten Kirchen noch kaum bemerkt worden ist, weil sie eine ganz ande-
re Sprache spricht: »Diejenigen, für die Religion Sicherheit bedeutet, sollen sich freilich in
acht nehmen; denn da wird keine etablierte Kirche gegründet; und ihre Priester sind keine
Kirchensäulen wie Lutheraner oder Anglikaner, sondern Rabulisten, Enthusiasten, Dionysier,
Anabaptisten; heilige Schwärmer, die den Frieden der Frommen stören«.23 Sie sind die »Neu-
en Juden«, heilige Überbleibsel, die durch die Wüste der inneren Öde wandern und ausziehen
aus dem ägyptischen Exil der Selbstentfremdung in ein gelobtes Land, das sich noch niemand
vorstellen kann. Die Zeiten, in der die Pop-Kultur eine schäbige Slumkirche war, sind vorbei.
In einer Zeit der Überbrückung von Abgründen wird die Literatur wieder prophetisch. Die
Propheten der neuen Verkündigung können es sich leisten »weder manierlich noch leisetrete-
risch zu sein; und sie schreien, wie ihr alttestamentarisches Vorbild, in Verzweiflung: ›Ich bin
ein Mann mit unreinen Lippen (...) inmitten eines Volkes von unreinen Lippen‹«.24
Fiedlers Postmoderne-Programm ist ganz vom Enthusiasmus der Protestbewegung am
Ende der sechziger Jahre geprägt.25 Durch seine Ablehnung alles Seriösen und seine Charak-
terisierung der Postmoderne als apokalyptisch, antirational, romantisch und sentimental hat
Fiedler allerdings auch mit dazu beigetragen, daß der Begriff Postmoderne oft mit Anti-
Moderne und Irrationalität identifiziert wird.26 Fiedlers Theorie des »Doppelagententums« und
»Überschreitens der Grenzen« wird in der Postmoderne-Diskussion jedoch immer wieder auf-

21 A.a.O., S. 69-70. Vgl. zur Versöhnung kultureller Antagonismen unter Berufung auf Fiedler: F. JAMESON:
Postmoderne, S. 46; D. BARTETZKO: Sehnsucht ohne Angst, S. 523-527.
22 L. FIEDLER: Überquert die Grenze, schließt den Graben!, S. 72.
23 A.a.O., S. 73. Vgl. zur Wiederkehr des Religiösen in der deutschen Gegenwartsliteratur: J. BLEICHER: Die
Wiederkehr der Religion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, S. 79-102; W. NETHÖFEL: Litera-
risch-Religiöse Reflexion der Gegenwart, S. 11-42.
24 L. FIEDLER: Überquert die Grenze, schließt den Graben!, S. 73. Fiedler zitiert hier aus der Berufungsge-
schichte Jesajas (Jes 6,5). Vgl. zu Fiedlers unorthodox-literarischer Religiosität: W. WELSCH: Religiöse
Implikationen und religionsphilosophische Konsequenzen »postmodernen« Denkens, S. 120-121.
25 Vgl. zur intellektuellen Pop-Kultur der sechziger Jahre und zum Einfluß Marshall McLuhans auf Leslie
Fiedler und Umberto Eco: T. HOLERT: Ich bin ein intellektueller Gangster, S. 58. Die modernitätskritischen
Tendenzen dieser »Jugendkultur« haben die Soziologen Peter L. Berger, Brigitte Berger und Hansfried
Kellner analysiert. P. L. BERGER – B. BERGER – H. KELLNER: Das Unbehagen in der Modernität, S. 173-
184.
26 Vgl. z. B.: F. SCHIRRMACHER: Die Indianer Europas, S. 25.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 43

genommen,27 unter anderem auch von dem italienischen Schriftsteller und Semiotiker Umber-
to Eco, dessen Roman Der Name der Rose übereinstimmend als postmoderner Roman be-
zeichnet wird – sowohl von Eco selbst als auch von vielen Literaturkritikern.

3. Umberto Ecos »Der Name der Rose« als Beispiel postmoderner Literatur
Für Eco ist die Postmoderne zunächst einmal eine Gegenbewegung zur modernen Avantgarde,
die eben »mit der Vergangenheit abrechnen, sie erledigen« will.28 Die moderne Avantgarde
versucht, die Vergangenheit zu zerstören und zu verneinen, »es kommt jedoch der Moment,
da die Avantgarde (also die Moderne) nicht mehr weitergehen kann, weil sie inzwischen eine
Metasprache hervorgebracht hat, die von ihren unmöglichen Texten spricht (die Concept Art).
Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, daß die
Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum
Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie, ohne Unschuld«.29

Die Collage als literarisches Prinzip


Der Name der Rose spielt dann auch ironisch mit Zitaten aus der Literaturgeschichte: »Es
handelt sich um einen Text, der fast vollständig aus anderen Texten gemacht ist, aus Ge-
schichten, die schon einmal erzählt wurden, aus Namen, die entweder bekannt sind oder so
klingen, als müßten sie uns aus der Literar- und Kulturgeschichte eigentlich bekannt sein. Es
ist ein Text, der ein Potpourri aus berühmten Passagen und obskuren Zitaten vorstellt und der
ein Fachvokabular, viele Subcodes (narrative, ikonographische, literarische, architektonische,
bibliographische, pharmazeutische etc.) und schließlich Figuren versammelt, die wirken, als
ob sie einer Universalenzyklopädie entnommen worden wären«.30 Eco bedient sich einer brei-
ten Palette literarischer Gattungen und Genres aus verschiedenen Zeiten und webt sie zu ei-
nem neuen Text zusammen, in dem Altes und Neues, Originalität und Plagiat unentwirrbar
verflochten sind. Inspiriert von John Barth und Leslie Fiedler will Eco die Grenzen zwischen
elitärer und populärer Literatur, zwischen Autor und Leser und zwischen Fiktion und Realität
überwinden,31 indem er zum Beispiel Texte von Kirchenvätern mit zeitgenössischen Texten
französischer Philosophen verknüpft und das Ganze mit der »Ikonographie von Comic Strips
und der liturgischen Kadenz von Litaneien«32 kombiniert. Alle literarischen Genres, alle histo-
rischen Zeiten, alle Diskurse sind zugleich verfügbar und werden in einem Text miteinander

27 Vgl. Erster Hauptteil, I. 2; I. 6; II. 6.


28 U. ECO: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, S. 76.
29 Ebd.
30 TH. DE LAURETIS: Das Rätsel der Lösung, S. 255-256.
31 U. ECO: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, S. 77. Eco bezieht sich hier auf zwei theoretische Aufsät-
ze John Barths, der einige seiner literarischen Werke ebenfalls als postmodern ansieht. Vgl. J. BARTH: »The
Literature of Exhaustion« und J. BARTH: »The Literature of Replenishment: Postmodern Fiction«. Ebenso
wie Eco auch: U. ARLART: ›Exhaustion‹ und ›Replenishment‹, S. 100-117; H. R. JAUSS: Der literarische
Prozeß des Modernismus von Rousseau bis Adorno, S. 243-244.
32 TH. DE LAURETIS: Das Rätsel der Lösung, S. 259. Vgl. auch: U. ECO: Postmodernismus, Ironie und Ver-
gnügen, S. 77-78.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 44

verknüpft. Eco: »Und während ich schrieb, die Texte kunterbunt um mich her, fuhr ich mit
den Augen ständig von einem zum anderen, holte mir da ein Zitat und dort ein Zitat und ver-
schweißte jedes sofort mit dem nächsten«.33 Die Collage, das vergnügliche Spiel mit den Tex-
ten, wird zum Muster postmoderner Schriftstellerei, in der der Autor als Bastler nicht mehr
eine bestimmte Botschaft an den Leser übermitteln, sondern den Leser unterhalten und in das
Spiel der Texte mit einbeziehen will:34
– Schon die Vorgeschichte des Buches (S. 7-12), die Umstände der Entstehung des Buches,
sind reine Fiktion. Es gibt keine Handschrift des Mönches Adson von Melk aus dem 14.
Jahrhundert, keinen Schriftsteller, dem am 16. August 1968 eine französische Übersetzung
dieser Handschrift in die Hände gefallen ist, keine bibliographischen Werke, in denen die-
ses Manuskript erwähnt wird. Dies alles sind Erfindungen von Eco, die aber so plausibel
formuliert sind, daß der Leser diese Angaben für authentisch hält, obwohl sie es nicht
sind.35
– Nach dem »Prolog« des Adson von Melk (S. 17-27), der stilistisch stark an ein kirchen-
oder theologiegeschichtliches Kompendium erinnert, fängt der Roman mit folgenden Wor-
ten an: »Es war ein klarer spätherbstlicher Morgen gegen Ende November..«. (S. 31). Mit
diesen Worten beginnen auch die Comic Strips der Peanuts-Serie.36
– Die Romanfigur »William von Baskerville« setzt sich aus zwei verschiedenen Figuren zu-
sammen: Zum einen erinnert der Name des Detektivs – William von Baskerville – an Co-
nan Doyles Der Hund von Baskerville. Vergleicht man Ecos Der Name der Rose mit Doy-
les Der Hund von Baskerville, so findet man bei William von Baskerville nicht nur diesel-
be Struktur des Nachforschens und Schlußfolgerns wie bei Sherlock Holmes, sondern auch
das gleiche Verhältnis von Detektiv und Gehilfe (William – Adson; Sherlock – Watson;
Adson – Watson als Wortspiel), die gleiche Art trockenen Humors, die gleiche Art der Be-
schreibung von Örtlichkeiten und Charakteren. Zum anderen spielt der Vorname und die
Herkunft Williams auf einen weiteren Briten an: Wilhelm von Ockham, jenen englischen
Franziskaner, der als kritischer, »modernistischer« Theologe von Papst Johannes XXII., der
das Armutsideal der Franziskaner für häretisch erklärt hatte, nach Avignon zitiert wurde,
von dort 1328 floh und am Hofe Ludwigs von Bayern Schutz erhielt.37

33 U. ECO: Nachschrift zum »Namen der Rose«, S. 51. Diese Schreibtechnik wendet Eco auch in seinem Ro-
man Das Foucaultsche Pendel an, in dem Eco mystische, magische, alchemistische, hermetische und okkul-
te Texte aller Kulturkreise miteinander verbindet und zu einer Universalgeschichte des Geheimwissens
kombiniert, in der alles mit allem unentwirrbar zusammenhängt.
34 Vgl. dazu auch: R. BARTHES: Die Lust am Text; I. HASSAN: Postmoderne heute, S. 52. Daß Der Name der
Rose bei den Lesern ein vergnügliches, teilweise auch absurdes Verwirrspiel erzeugt hat, belegt eindrücklich
die Sammlung: B. KROEBER (Hrsg.): Zeichen in Umberto Ecos Der Name der Rose. So wollen Mediävisten
herausgefunden haben, daß William von Baskerville eine reale Person des 14. Jahrhunderts war. Ein Londo-
ner Antiquariat inserierte für 950$ das beinahe 1327 in Piemont verbrannte, dann aber doch gerettete Frag-
ment des Zweiten Buchs der Poetik des Aristoteles. Vgl. B. KROEBER: Einleitung, S. 10-11.
35 U. ECO: Nachschrift zum »Namen der Rose«, S. 28.
36 A.a.O., S. 27.
37 Vgl. TH. DE LAURETIS: Das Rätsel der Lösung, S. 256-257. Vgl. zur Modernität Wilhelm von Ockhams:
O. AICHER – G. GREINDL – W. VOSSENKUHL: Wilhelm von Ockham, S. 124-127; Ansätze zu einem Ver-
gleich Wilhelm von Ockhams mit William von Baskerville bieten: C. A. RUBINO: Der unsichtbare Wurm,
S. 302-313; TH. VAN VELTHOVEN: Zeichen, Wahrheit, Macht, S. 276-296; M. THOMAS: Die mystischen E-
lemente und ihre Funktion im Roman ›Der Name der Rose‹, S. 140-148. Die Unterschiede herausgearbeitet
hat: G. WIELAND: Gottes Schweigen und das Lachen der Menschen, S. 105-121.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 45

– Die Figur des blinden Jorge von Burgos, des Mönches, der für die Bibliothek zuständig ist
und der alle Bücher auswendig kennt, spielt auf den Schriftsteller Jorge Luis Borges an, der
nach seiner Erblindung Mitte der fünfziger Jahre nicht nur den Inhalt seiner eigenen Bü-
cher, sondern auch die Werke vieler anderer Schriftsteller, die er irgendwann gelesen hatte,
auswendig zitieren konnte.38 Die Verbindung von Borges und der labyrinthartigen Biblio-
thek ist ebenso deutlich: Eco spielt hier auf Borges’ Erzählung Die Bibliothek von Babel
an.39
– Die Idee eines weltabgelegenen schwer zugänglichen Ortes, an dem viele Gespräche statt-
finden, hat Eco von Thomas Manns Zauberberg ebenso übernommen wie die Erzählper-
spektive des Greisen Adson von Melk, der als achtzigjähriger über das schreibt, was er als
achtzehnjähriger erlebt hat, von Thomas Manns Erzähler Serenus Zeitblom in Doktor
Faustus.40
Der Name der Rose kennt darüber hinaus keine Stimme des Autors. Er ist im Sinne Ecos ein
offenes Kunstwerk, ein offener Text.41 Der Roman enthält keine »Botschaft«, außer der, daß
es keine Botschaft, keine Eindeutigkeit der Zeichen, keine Wahrheit und keinen Sinn mehr
gibt. Im Epilog sagt Adson von Melk:
Je öfter ich in meiner Sammlung lese, desto klarer wird mir, daß sie ein Produkt des Zufalls ist und
keine Botschaft enthält (...) Und es ist hart für einen greisen Mönch an der Schwelle des Todes,
nicht zu wissen, ob die Lettern, die er geschrieben hat, einen Sinn enthalten, oder auch mehr als ei-
nen, viele gar, oder keinen.42

Eco wünscht sich einen Leser, »der bereit ist, den Text wie ein Labyrinth mit vielen Eingän-
gen zu behandeln«. In seiner Nachschrift zum Namen der Rose schreibt Eco: »Ein Roman ist
eine Maschine zur Erzeugung von Interpretationen«.43 Die poetische Wirkung eines Textes
definiert er als die Fähigkeit, immer neue Lesarten zu erzeugen: »Ein Titel soll die Ideen ver-
wirren, nicht ordnen«.44

Die Verwirrung und Zerstreuung der Zeichen


Als postmodern gilt dieser Roman auch deshalb, weil er sowohl auf der formalen wie auf der
inhaltlichen Ebene die Verwirrung und Zerstreuung der Zeichen beschreibt:45 Nachdem Willi-

38 Vgl. dazu: E. R. MONEGAL: Jorge Luis Borges, S. 433-440, 457-466.


39 Vgl. dazu: W. E. STEPHENS: Ec(h)o in fabula, S. 141-150; U. WYSS: Die Urgeschichte der Intellektualität
und das Gelächter, S. 100.
40 U. ECO: Nachschrift zum »Namen der Rose«, S. 38, 41.
41 A.a.O., S. 55. Vgl. auch: U. ECO: Das offene Kunstwerk. Vgl. dazu auch: U. SCHICK: Erzählte Semiotik oder
intertextuelles Verwirrspiel?, S. 128.
42 U. ECO: Der Name der Rose, S. 633-634.
43 U. ECO: Nachschrift zum »Namen der Rose«, S. 9-10.
44 A.a.O., S. 11.
45 Deshalb wird er auch in die Nähe zur postmodernen Philosophie und Dekonstruktion gerückt. Vgl. dazu: H.-
M. SCHÖNHERR: Die Technik und die Schwäche, S. 147-176; TH. DE LAURETIS: Das Rätsel der Lösung,
S. 262-263. Andere sehen dagegen mehr Verbindungslinien zu Wittgenstein. Vgl. A. K. TREMML: Selbst-
verständnis und Verhängnis der modernen Wissenschaft in Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose«,
S. 1310; M. THOMAS: Die mystischen Elemente und ihre Funktion im Roman ›Der Name der Rose‹, S. 143-
144.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 46

am herausgefunden hat, daß die Verbrechen nicht durch einen gezielten Plan geschahen, daß
es keinen Schlüssel für die Morde gab (etwa nach den sieben Siegeln der Apokalypse = sieben
Morde an sieben Tagen) wie er – und der Leser – vermutet hatten, erkennt er, daß er den Zei-
chen die falsche Bedeutung gegeben hat:
»Es gab keine Intrige«, sagte William, »und ich habe sie aus Versehen aufgedeckt.« (...)
»Ich habe nie an der Wahrheit der Zeichen gezweifelt, Adson, sie sind das einzige, was der
Mensch hat, um sich in dieser Welt zurechtzufinden. Was ich nicht verstanden hatte, war die
Wechselbeziehung zwischen den Zeichen. Ich bin zu Jorge gelangt, indem ich einem apokalypti-
schen Muster folgte, das dem Verbrechen zu unterliegen schien, und dabei war es ein Zufall. Ich
bin zu Jorge gelangt, indem ich einen Urheber aller Verbrechen suchte, und dabei haben wir nun
entdeckt, daß im Grunde jedes Verbrechen einen anderen Urheber hatte, beziehungsweise keinen.
Ich bin zu Jorge gelangt, indem ich dem Plan eines perversen, wahnhaften, aber methodisch den-
kenden Hirns nachging, und dabei gab es gar keinen Plan, beziehungsweise Jorges ursprünglicher
Plan hatte sich selbständig gemacht und eine Verkettung von Ursachen eingeleitet, von Haupt- und
Neben- und Gegenursachen, die sich auf eigene Rechnung weiterentwickelten, indem sie Wechsel-
beziehungen eingingen, denen kein Plan unterlag. Wo ist da meine ganze Klugheit? Ich bin wie ein
Besessener hinter dem Anschein von Ordnung hergelaufen, während ich doch hätte wissen müssen,
daß es in der Welt keine Ordnung gibt.«
»Aber indem Ihr Euch falsche Ordnungen vorgestellt habt, habt Ihr schließlich etwas gefun-
den...«
»Da hast du etwas sehr Schönes gesagt, Adson, ich danke dir. Die Ordnung, die unser Geist
sich vorstellt, ist wie ein Netz oder eine Leiter, die er sich zusammenbastelt, um irgendwo hinauf-
zugelangen. Aber wenn er dann hinaufgelangt ist, muß er sie wegwerfen, denn es zeigt sich, daß sie
zwar nützlich, aber unsinnig war. ›Er muoz gelîchesame die leiter abewerfen, sô er an ir ufgesti-
gen‹... Sagt man so?«46
»So klingt es in meiner Sprache. Wer hat das gesagt?«
»Ein Mystiker aus deiner Heimat, er hat es irgendwo niedergeschrieben, ich weiß nicht mehr,
wo... Und daher ist es auch nicht notwendig, daß eines Tages jene griechische Handschrift wieder-
gefunden wird. Die einzigen Wahrheiten, die etwas taugen, sind Werkzeuge, die man nach dem
Gebrauch wegwirft.«47

William von Baskerville ähnelt hier nicht einem mittelalterlichen Philosophen, sondern eher
einem desillusionierten Semiotiker, für den die Wahrheit nicht faßbar ist, weil alle Zeichen –
als Zeichen von Zeichen – immer wieder nur auf andere verweisen. Umberto Eco legt in sei-
nem Roman Der Name der Rose William von Baskerville zahlreiche Äußerungen in den
Mund, die auch von einem Theoretiker der dekonstruktiven Sprachphilosophie stammen
könnten. Eco macht aus seinem im Mittelalter angesiedelten Roman einen »postmodernen
Spiegel der Moderne«.48 Weiter heißt es:
»Es fällt schwer den Gedanken zu akzeptieren, daß es in der Welt keine Ordnung geben kann, da
sie den freien Willen Gottes und seine Allmacht einschränken würde. So gesehen ist die Freiheit
Gottes unsere Verdammnis, oder jedenfalls die Verdammnis unserer Hoffart.«
Zum ersten und letzten Male in meinem Leben wagte ich eine theologische Konklusion: »Aber
wie kann ein notwendiges Wesen existieren, das ganz aus Möglichkeiten besteht? Was ist dann der

46 Das Zitat, das Eco hier ins Mittelhochdeutsche zurückübersetzt, stammt von Ludwig Wittgenstein, der am
Ende des »Tractatus logico-philosophicus« das Leiter-Gleichnis verwendet: »Meine Sätze erläutern dadurch,
daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie
hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er an ihr aufgestiegen ist.) Er muß
diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man
schweigen«. L. WITTGENSTEIN: Tractatus logico-philosophicus, S. 83, Nr. 6.54, 7. Der plagiative Charakter
von Ecos Werk kommt hier besonders gut zum Vorschein.
47 U. ECO: Der Name der Rose, S. 624-626. Vgl. auch S. 265, 391-392.
48 So jedenfalls: B. HELLER: Krise des Denkens, S. 63.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 47

Unterschied zwischen Gott und dem ursprünglichen Chaos? Zu behaupten, daß Gott absolut all-
mächtig ist und seinen eigenen Entscheidungen gegenüber absolut frei, heißt das nicht zu beweisen,
daß Gott nicht existiert?«
William sah mich an, ohne daß seine Züge irgendein Gefühl verrieten, und sagte: »Wie könnte
ein Wissender sein Wissen weiterhin mitteilen, wenn er deine Frage mit einem Ja beantworten
würde?« Ich begriff den Sinn seiner Worte nicht. »Wollt ihr damit sagen«, fragte ich, »daß kein
mitteilbares Wissen mehr möglich ist, wenn das Grundkriterium der Wahrheit entfiele, oder daß ihr
nicht mehr mitteilen könntet, was ihr wißt, weil die anderen es euch nicht gestatten würden?«49

William von Baskerville beantwortet diese Frage nicht mehr, aber es bleibt zu vermuten, daß
er zumindest die erste Vermutung Adsons bejaht hätte: William bestreitet die Wahrheit der
Zeichen nicht, aber die Bedeutung die diese Zeichen haben, vermag niemand genau zu
bestimmen.50 Deswegen kann es nicht die Wahrheit geben, sondern immer nur Interpretatio-
nen von Zeichen. Williams pessimistisch-heiteres Fazit:
»Vielleicht gibt es am Ende nur eins zu tun, wenn man die Menschen liebt: sie über die Wahrheit
zum Lachen zu bringen, die Wahrheit zum Lachen zu bringen, denn die einzige Wahrheit heißt:
lernen, sich von der krankhaften Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien.«51

Williams Affekt gegen die »krankhafte Leidenschaft für die Wahrheit« führt nun geradewegs
zum zentralen Thema der poststrukturalistischen Sprachphilosophie (in den USA besser be-
kannt als Deconstruction), die den Zusammenhang von Zeichen und Bedeutung problemati-
siert und die Frage nach der in Texten enthaltenen Wahrheit für obsolet erklärt.

4. Der Poststrukturalismus und die Dekonstruktion der Texte


Poststrukturalismus und Dekonstruktion werden immer wieder in einen engen Zusammenhang
mit dem Thema Postmoderne gerückt und dann als Spielarten einer postmodernen Literatur-
theorie verstanden.52 Nach dem amerikanischen Komparatisten Jonathan Culler wird die De-
konstruktion, die sich vom französischen Poststrukturalismus herleitet und die in den USA ein
breites Echo an den literaturwissenschaftlichen Fakultäten gefunden hat, aber ganz verschie-
den präsentiert: »als philosophische Position, als politische oder intellektuelle Strategie oder
als ein bestimmter Modus der Lektüre«.53 Entsprechend vielfältig fallen die Theorien über die

49 U. ECO: Der Name der Rose, S. 626.


50 Die beliebige Interpretierbarkeit von Zeichen treibt Eco in seinem Roman Das Foucaultsche Pendel in amü-
santer Weise auf die Spitze: Das mysteriöse Fragment einer vermeintlich templerischen Geheimbotschaft
aus dem 14. Jahrhundert wird einmal als »Reiseführer« für die im Untergrund lebenden Templer, ein ande-
res Mal als Wäscheliste eines lokalen Textilhändlers gedeutet. Vgl. U. ECO: Das Foucaultsche Pendel,
S. 449-451, 627-630.
51 U. ECO: Der Name der Rose, S. 624. Vgl. zur Interpretation dieser Schlußszene die gelungene Analyse von:
K.-J. KUSCHEL: Lachen, S. 76-84.
52 Vgl. zum Zusammenhang von Poststrukturalismus/Dekonstruktion und Postmoderne: M. FRANK: Die Un-
hintergehbarkeit von Individualität, S. 7-9; W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 143-149;
A. HUYSSEN: Postmoderne, S. 30; HAL FOSTER: (Post)Modern Polemics; P. KOSLOWSKI: Supermoderne
oder Postmoderne, S. 91-97; P. ENGELMANN: Einführung, S. 5-32; W. MÜLLER-FUNK: Die Enttäuschungen
der Vernunft, S. 115-128; N. F. CANTOR: Twentieth-Century Culture, S. 345-369.
53 J. CULLER: Dekonstruktion, S. 95. Vgl. zum Spektrum der verschiedenen Dekonstruktionstheorien: R. C.
DAVIS – R. SCHLEIFER: Contemporary Literary Criticism, S. 205-261; D. P. MICHELFELDER – R. E. PALMER
(Hrsg.): Dialogue and Deconstruction; CH. NORRIS: Deconstruction; CH. NORRIS: What’s Wrong With De-
construction; RAJNATH (Hrsg.): Deconstruction.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 48

Dekonstruktion aus. Dennoch gibt es einige grundlegende Einsichten, die von den meisten
Vertretern der Dekonstruktion geteilt werden.

Vom Strukturalismus zur Dekonstruktion


Die Dekonstruktion kann als Fortführung der strukturalistischen Sprachphilosophie verstan-
den werden. Im Unterschied zur traditionellen Interpretationstheorie konzentriert der Struktu-
ralismus sich nicht darauf, den »wahren« Sinn eines Werkes oder Textes zu ermitteln, sondern
auf die Strukturen, die Sinn und Bedeutung erzeugen. Grundlegend für den Strukturalismus ist
die auf Ferdinand de Saussure zurückgehende Unterscheidung von Signifikant (das Bezeich-
nende) und Signifikat (das Bezeichnete), die zusammengenommen ein sprachliches Zeichen,
einen Code, definieren.54 Für den Strukturalismus sind zunächst einmal alle »Interpretationen«
gleichermaßen gültig, weil es nicht auf den Inhalt eines Werkes ankommt, sondern auf die
Codes und Konventionen, »die Form und Bedeutung linguistischer Sequenzen determinie-
ren«.55 Dadurch wird die herkömmliche Hermeneutik, die durch historische, psychologische
und soziologische Methoden den Zusammenhang von Text und Autor zu erhellen versuchte,
unterminiert.56 Bedeutung und Sinn der Texte entstehen nicht durch eine in den Texten enthal-
tene Wahrheit, sondern sind »Effekte« des Spieles mit der Sprache: »Sprachen und Strukturen
und nicht das Selbst oder das Bewußtsein des Autors werden zur Hauptquelle der Erklä-
rung«.57 Nicht die »Botschaft« eines Autors soll herausgearbeitet werden, sondern die Bedin-
gung der Möglichkeit des Verstehens von Texten durch den jeweiligen Leser.
Die Dekonstruktion radikalisiert nun die Ergebnisse des Strukturalismus, indem sie das
Differenzdenken auf die metaphysischen Grundlagen der Sprache anwendet. Stark vereinfacht
könnte man sagen, daß die Dekonstruktion das Vertrauen des Strukturalismus in eine rationale
Erklärbarkeit der Sprache zerschlägt: »Strukturalisten nehmen die Linguistik als Modell und
versuchen, ›Grammatiken‹ zu entwickeln – systematische Inventarien von Elementen und ih-
rer Kombinationsmöglichkeiten –, aus denen die Form und die Bedeutung literarischer Werke
ableitbar ist; Poststrukturalisten untersuchen die Art, wie ein solches Projekt durch die Arbeit
am Text selbst subvertiert wird. Strukturalisten sind davon überzeugt, daß systematisches
Wissen möglich ist; Poststrukturalisten behaupten die Unmöglichkeit eines solchen Wis-
sens«.58

54 Vgl. F. DE SAUSSURE: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 139-140. Vgl. zu Saussure:


R. C. DAVIS – R. SCHLEIFER: Contemporary Literary Criticism, S. 143-168; R. SELDEN: A Reader’s Guide
to Contemporary Literary Theory, S. 52-54; P. RICOEUR: Hermeneutik und Strukturalismus, S. 41-45. Vgl.
zur aktuellen Semiotik auch: U. ECO: Semiotik und Philosophie der Sprache, S. 44-45; U. ECO: Über Spie-
gel und andere Phänomene.
55 J. CULLER: Dekonstruktion, S. 19.
56 Vgl. dazu: K. R. SCHERPE: Dramatisierung und Entdramatisierung des Untergangs, S. 271-273.
57 J. CULLER: Dekonstruktion, S. 20.
58 A.a.O., S. 21. Auf eine genaue Abgrenzung von Strukturalismus, Poststrukturalismus und Dekonstruktion
kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu: J. CULLER: Dekonstruktion, S. 18-29; 244-245; 247-
251; P. HÖLZLE: Delirium des Denkens, S. 73-75; I. HOESTEREY: Verschlungene Schriftzeichen, S. 197-208;
G. SCHIWY: Poststrukturalismus und »neue Philosophen«, S. 19-105; M. FRANK: Wörter, Wörter, Wörter,
S. 74; E. DAUK: Alte Mißverständnisse neue Hoffnungen. Der Poststrukturalismus wird auch »Neostruktura-
lismus« genannt. Vgl. M. FRANK: Was ist Neostrukturalismus?, S. 30-40; besonders S. 31.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 49

Die Sprache als System unendlicher Verweisungen: Jacques Derrida


Als Initialschriften der Dekonstruktion können Heideggers Schriften Sein und Zeit (1927) und
Identität und Differenz (1957) angesehen werden, in denen Heidegger deutlich macht, daß die
europäische Philosophie seit Plato überwiegend auf das Eine, das Identische ausgerichtet ist
und das Andere, das Viele und das Verschiedene von diesem her zu denken versucht.59 Hei-
deggers »metaphysikkritische Unterwanderung des okzidentalen Rationalismus«60 läutet – so
die Auffassung der poststrukturalistischen Sprachphilosophen – das Zeitalter nach dem Ende
der Metaphysik ein.61 Im Anschluß an Heideggers »Destruktion der Geschichte der Ontolo-
gie« ist der führende Kopf dieser sprachphilosophischen Richtung, Jacques Derrida, davon
überzeugt, daß die gesamte abendländische Tradition des Denkens durch das Paradigma einer
»Metaphysik der Präsenz« bestimmt wird: Der Phonozentrismus, der die Schrift als bloßes
Supplement der Rede ansieht und der von einem unmittelbaren Bezug von selbstpräsenter Re-
de und entstehendem Sinn ausgeht, ist mit dem Logozentrismus der Metaphysik verbunden,
einer Ausrichtung des Denkens auf »transzendentale Signifikate« (Denken, Logik, Wahrheit,
Vernunft).62 Nach Derrida ist Saussures Begriff des Zeichens in seiner Unterscheidung als
Signifikat und Signifikant fundamental metaphysisch: »Er erfüllt die klassischen Forderungen
nach einem ›transzendentalen Signifikat‹, das von seinem Wesen her nicht auf einen Signifi-
kanten verweist, sondern über die Signifikantenkette hinausgeht, und das von einem bestimm-
ten Zeitpunkt an nicht mehr die Funktion eines Signifikanten hat. In dem Augenblick dagegen,
wo man die Möglichkeit eines solchen transzendentalen Signifikats in Frage stellt und wo
man erkennt, daß jedes Signifikat auch die Rolle eines Signifikanten spielt, wird die Trennung
von Signifikat und Signifikant – das Zeichen – von ihrer Wurzel her problematisch«.63 In der
Inyertextualität der Sprache verweisen die Signifikanten nur noch aufeinander, aber nicht
mehr auf (transzendentale) Signifikate: »Es gibt kein Signifikat, das dem Spiel aufeinander
verweisender Signifikanten entkäme, welches die Sprache konstituiert, und sei es nur, um ihm
letzten Endes wieder anheimzufallen«.64

59 Vgl. H. KIMMERLE: Derrida zur Einführung, S. 8; CH. NORRIS: Derrida, S. 203-205; M. FRANK: Was ist
Neostrukturalismus?, S. 130-134. M. FRANK: Das Sagbare und das Unsagbare, S. 477. Vgl. zur (Wieder-)
Entdeckung Heideggers in der französischen Sprachphilosophie: PH. RIPPEL: Souveränität und Revolte,
S. 121-125; W. SCHIRMACHER (Hrsg.): Zeitkritik nach Heidegger.
60 J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 158.
61 Vgl. dazu: W. WELSCH: Postmoderne und Postmetaphysik, S. 118-121.
62 J. DERRIDA: Grammatologie, S. 26. Vgl. zu Derridas Metaphysikkritik auch: J. CULLER: Dekonstruktion,
S. 102-104; M. FRANK: Eine fundamental-semiologische Herausforderung der abendländischen Wissen-
schaft, S. 1-16; H. U. GUMBRECHT: Dékonstruction Deconstructed, S. 13; J. HÖRISCH: Wunderlicher Bruch,
S. 990-991. Zu Derrida generell: R. C. DAVIS – R. SCHLEIFER: Contemporary Literary Criticism, S. 229-
248; R. SELDEN: A Reader’s Guide to Contemporary Literary Theory, S. 87-92; H. J. SILVERMAN (Hrsg.):
Derrida and Deconstruction; P. TEPE: Postmoderne/Poststrukturalismus, S. 147-225.
63 J. DERRIDA: Positionen, S. 56-57. Vgl. auch: J. DERRIDA: Grammatologie, S. 276. Hier zeigt sich deutlich
der Unterschied zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus: Während der Strukturalismus von einer
zeichenbildenden Einheit von Signifikat und Signifikant ausgeht, sprengt der Poststrukturalismus diese Ein-
heit, indem er die Möglichkeit eines »transzendentalen Signifikats« bestreitet und eine unendliche Verwei-
sung der Signifikanten behauptet. Vgl. dazu auch: J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 245-246;
P. HÖLZLE: Delirium des Denkens, S. 73-74; J. HÖRISCH: Wunderlicher Bruch, S. 991; K. R. SCHERPE:
Dramatisierung und Entdramatisierung des Untergangs, S. 272; R. PIEPMEIER: Finis Hominis?, S. 132-
140; ausführlich: M. FRANK: Was ist Neostrukturalismus?, S. 30-115.
64 J. DERRIDA: Grammatologie, S. 17. Vgl. zur Intertextualität: I. HOESTEREY: Verschlungene Schriftzeichen,
S. 164-192. Die vieldiskutierte Frage, ob Derrida damit die Möglichkeit eines translinguistischen Referenten
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 50

Aufgabe der Dekonstruktion ist es nach Derrida daher, die »Metaphysik der Präsenz«
(phonozentrisches und logozentrisches Denken)65 zu de-konstruieren: Destruiert wird der me-
taphysische Charakter des logozentrischen Denkens durch das Denken in Differenzen, und
konstruiert wird durch einen ständigen Wechsel der Perspektiven (indem der blinde Fleck im
Auge des Sehenden aufgespürt wird) ein Gegenlesen und Wi(e)derlesen der Texte.66 Derrida:
»Es kommt also dazu, daß die Gegenwart – und besonders das Bewußstsein, das Beisichsein
des Bewußtseins – nicht mehr als absolute Matrixform des Seins, sondern als eine ›Bestim-
mung‹ und ein ›Effekt‹ gesetzt wird. Bestimmung oder Effekt innnerhalb eines Systems, das
nicht dasjenige der Gegenwart, sondern das der différance ist«.67 Die Differenz wird zum
grundlegenden Prinzip der Sprache; die Präsenz ist nur abgeleitet, weil sie die positiv verstan-
dene Kehrseite der Abwesenheit ist.68 Wenn es aber in einem linguistischen System nur Diffe-
renzen und keine positiven Wesenheiten, die zusammen ein System bilden, gibt, dann gibt es
nichts, »weder in den Elementen noch im System, das irgendwann oder irgendwo einfach an-
wesend oder abwesend wäre. Es gibt durch und durch nur Differenzen und Spuren von Spu-
ren«.69 Sprache hat folglich niemals eine unmittelbar gegenwärtige Bedeutung, sondern er-
zeugt immer nur die Illusion einer Bedeutung. Sie hinterläßt die »Spur« einer Bedeutung, wel-
che tatsächlich in der nie endenden Referenz des Zeichens unendlich verschoben ist. Demnach
ist die Sprache ein System unendlicher Verweisungen: »Kein Element kann je die Funktion
eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu
verweisen, sei es auf dem Gebiet der gesprochenen oder auf dem der geschriebenen Sprache.
Aus dieser Verkettung folgt, daß sich jedes ›Element‹ – Phonem oder Graphem – aufgrund
der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert.
Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines ande-
ren Textes hervorgeht«.70
––––––––––––––––––––––––––
nun bestreitet oder nicht, läßt sich nicht eindeutig entscheiden, weil Derrida selbst widersprüchliche Antwor-
ten auf diese Frage gegeben hat: Zum einen gibt es in der Grammatologie den Hinweis, daß es nichts außer-
halb des Textes gibt (J. DERRIDA: Grammatologie, S. 274-275), und zum anderen hat sich Derrida verwun-
dert darüber gezeigt, daß oft die Behauptung aufgestellt wird, die Dekonstruktion leugne die Möglichkeit ei-
nes Referenten, es gebe nichts »hinter« der Sprache, wir seien im Gefängnis der Sprache eingeschlossen.
Gegenüber diesen Mißverständnissen betont Derrida, daß die Kritik des Logozentrismus ja gerade die Suche
nach »dem Anderen«, dem »Anderen der Sprache« impliziert (J. DERRIDA: Deconstruction and the other,
S. 123).
65 Vgl. zum Zusammenhang von phonozentrischem und logozentrischem Denken: H. KIMMERLE: Derrida zur
Einführung, S. 27, 51; CH. NORRIS: The Deconstructive Turn, S. 13-33.
66 J. DERRIDA: Grammatologie, S. 16-18. »Dekonstruktion meint: ein Niederreißen des Mauerwerks abendlän-
discher Metaphysik nicht in der Absicht, es zu zerstören, sondern es neu und anders wieder aufzubauen (re-
construire). Genauer gesagt, meint ›Dekonstruktion‹: in dem Diskurs, als welches das Abendland sich dar-
bietet, das Gespräch mit dem aufzuspüren, was Heidegger das Sein und Lévinas und Lacan gern ›das Andere
(l’Autre)‹ nennen«. M. FRANK: Was ist Neostrukturalismus?, S. 281.
67 J. DERRIDA: Randgänge der Philosophie, S. 42. Derrida vereint in seiner Wortschöpfung différance die
Doppelbedeutung des französischen Wortes »différer« (»aufschieben«, »verzeitlichen« und »nicht identisch
sein«, »anders sein«) in einem Wort, um den polysemantischen Charakter der Sprache deutlich zu machen.
Vgl. dazu: J. DERRIDA: Die différance, S. 76-113; H. KIMMERLE: Derrida zur Einführung, S. 75.
68 Vgl. dazu auch: J. KÖHLER: Sprachkritik statt Ideologiekritik, S. 49; J. KÖHLER: Der weggewischte Hori-
zont, S. ZB 3.
69 J. DERRIDA: Positionen, S. 67.
70 A.a.O., S. 66-67. Vgl. auch: U. ECO: Semiotik und Philosophie der Sprache, S. 39-48; H.-J. FREY: Der un-
endliche Text, S. 7-23; H.-J. HEINRICHS: Das Unbewußte und das Fremde, S. 59-81; F. JAMESON: Postmo-
derne, S. 71; J. C. SCHÜTZE: Aporien der Literaturkritik, S. 204-205.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 51

Die prinzipielle Inadäquatheit von Zeichen und Bedeutung: Paul de Man


Paul de Man, einer der bedeutendsten Vertreter der amerikanischen Deconstruction, zieht aus
Derridas sprachphilosophischen Ergebnissen die Konsequenzen für die Literaturwissenschaft:
Für ihn kann es keine adäquate Interpretation von Texten geben, weil es aufgrund der prinzi-
piellen Inadäquatheit von Zeichen und Bedeutung immer nur möglich ist, Protokolle eines be-
stimmten Lektüreprozesses nachzuzeichnen.71 Der Vorgang des Lesens und die Untersuchung
des narrativen Publikums, das heißt, die Erfahrungen eines Lesers beim Lesen eines Textes,
werden nun in das Zentrum der Analyse gerückt. Weil die Leser aufgrund ihrer unterschiedli-
chen Erfahrungen unterschiedliche Erfahrungen mit einem Text machen, zieht de Man daraus
die Konsequenz, daß es den Text gar nicht gibt, sondern der Text erst durch den Leser konsti-
tuiert wird.72 Der Erfahrungsprozeß des Lesens, der an die Stelle der Interpretation tritt, kann
nie mehr als eine narrative Darstellung des Lektürevorgangs sein. Ob eine Lektüre gelingt,
kann nie von vornherein gesagt werden. Der Akt des Verstehens kann weder beobachtet wer-
den, noch in irgendeiner Art und Weise beschrieben oder gar verifiziert werden.73
Die Dekonstruktion bemüht sich nun darum, das Zusammenspiel von »Blindheit«
(»blindness«) und »Einsicht« (»insight«) beim »Lesen« von Texten nachzuzeichnen. Das »clo-
se reading«74 der dekonstruktiven Lektüre hat die Freisetzung des Bedeutungspotentials litera-
rischer Sprache zum Ziel: Die Analyse rhetorischer Sprachformen soll den bedeutungsillusio-
nären Charakter der Sprache und der Texte enthüllen. Durch die Analyse des Lektüreprozes-
ses versucht die Dekonstruktion zu zeigen, daß aufgrund der Inadäquatheit von Zeichen und
Bedeutung ganz unterschiedliche Lektüren des Textes möglich sind, daß der Text eben für
verschiedene Leser verschiedene Bedeutungen haben kann. »Nutzlos sind alle Versuche, mit-
tels Kritik die ursprüngliche Sinn- oder Bedeutungseinheit eines Werkes rekonstruieren zu
wollen, wenn es sich jeder erschöpfenden Auslegung entzieht, stets mehr Bedeutungen besitzt,
als die Interpretation zu erfassen vermag«.75 Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, mit Si-
cherheit zu sagen, was ein Autor dem Leser mitteilen will. Das Lesen eines Textes ist nicht
»unser« Lesen, weil der Leser nur die linguistischen Elemente, die vom Text her vorgegeben
sind, nutzt. Die Unterscheidung zwischen Autor und Leser ist nach de Man eine der falschen
Bestimmungen, die der Leser offenbar macht.76 Aus dem einheitlichen literarischen Kunst-
werk wird ein »Text«, der durch die verschiedenen Lektüren zunehmend differenziert wird:
»Das Kunstwerk ist nicht länger einheitlich oder organisch, sondern praktisch eine Wundertü-

71 P. DE MAN: Blindness and Insight, S. 108. Vgl. zu Paul de Man: R. C. DAVIS – R. SCHLEIFER: Contempora-
ry Literary Criticism, S. 249-261; J. DERRIDA: Mémoires; CH. NORRIS: Paul de Man. Vgl. zur amerikanis-
chen Dekonstruktion und zur »Yale-Schule« (Paul de Man, Geoffrey Hartman, J. Hillis Miller, Harold
Bloom): J. ARAC – W. GODZICH – M. WALLACE (Hrsg.): The Yale Critics; J. H. MILLER (Hrsg.): Decons-
truction and Criticism; CH. NORRIS: Deconstruction, S. 90-129; R. SELDEN: A Reader’s Guide to Contem-
porary Literary Theory, S. 92-100.
72 P. DE MAN: Allegories of Reading, S. 17. Vgl. zu Paul de Mans Allegories of Reading: R. GASCHÉ: Setzung
and Übersetzung, S. 220-250.
73 P. DE MAN: Blindness and Insight, S. 107.
74 »Für Paul de Man erfordert close reading genaueste Aufmerksamkeit für das, was für das Verstehen neben-
sächlich zu sein oder ihm zu widerstehen scheint«. J. CULLER: Dekonstruktion, S. 274.
75 J. C. SCHÜTZE: Aporien der Literaturkritik, S. 208.
76 P. DE MAN: Allegories of Reading, S. 17.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 52

te oder Rumpelkammer voller zerstückelter Subsysteme, zusammengewürfeltem Rohmaterial


und Impulse[n] aller Art«.77
Die theoretischen Überlegungen der Dekonstruktion werden oft als »harmloses akademi-
sches Spielchen« abgetan.78 Doch steht hier mehr auf dem Spiel, weil die Dekonstruktion
weitreichende Konsequenzen für den Umgang mit Texten hat: Jede Erkenntnisgewißheit über
den Aussagegehalt eines Textes wird unsicher.79 »Aus der objektiven Perspektive bedeutet das
Aufgeben der Möglichkeit, der Erkenntnis eine feste Basis zu schaffen, das in der französi-
schen Philosophie so oft deklamierte Ende des Logozentrismus. Erkenntnis hat jetzt einen me-
taphorischen Charakter, sie ist eine Interpretation (Text) von Interpretationen (Texten). Speku-
lationen über die Verbindung von Texten und einer ›Wirklichkeit‹, die niemand zeigen und
schon gar nicht begrifflich bestimmen kann«, werden von vornherein ausgeschlossen.80 Die
»Interpretation« eines Textes wird zum bloßen Spiel der Perspektiven und Relationen, und
Konsense über den Inhalt eines Textes werden prinzipiell ausgeschlossen (jeder Leser liest
den Text eben aus einer anderen Perspektive). Das literarische Werk wird zu einem »uner-
schöpflichen Bedeutungsuniversum, das seine Gestalten wechselt und unzählige Lektüren
herausfordert, für die kein vernünftiges Telos existiert«.81

5. Die Kritik an der Dekonstruktion: George Steiner


Die profilierteste und eigenständigste Kritik hat der renommierte englische Literaturwissen-
schaftler George Steiner (Cambridge) mit seinem ausführlichen Essay Real Presences (Von
realer Gegenwart) vorgelegt, der in der deutschen Übersetzung den bezeichnenden Untertitel
Hat unser Sprechen Inhalt? trägt, denn – so die provozierende These Steiners – jedes sinnvol-
le Sprechen muß »letztlich auf der Annahme einer Gegenwart Gottes beruhen«.82 Und dies
darum, weil das Vertrauen darauf, »daß Verstehen und Erwiderung möglich sind, wenn eine
menschliche Stimme sich an eine andere richtet, wenn wir in Kunst oder Musik uns Text und
Werk gegenübersehen, und das heißt, wenn wir dem anderen in seinem Zustand der Freiheit
begegnen – ein Setzen auf Transzendenz ist«.83 Eine auf Korrespondenz und Wahrheitswerte
gegründete Semantik, so macht Steiner deutlich, ist untrennbar mit dem Postulat einer theolo-
gisch-metaphysischen Transzendenz verbunden, und folglich ist der »Ursprung des Axioms

77 F. JAMESON: Postmoderne, S. 75. Vgl. auch: ST. FISH: Literature in the Reader, S. 123-162.
78 So jedenfalls einige Kritiker de Mans. Vgl. P. DE MAN: Allegories of Reading, S. X.
79 »Wahrheit ist nur als diese Unendlichkeit innersprachlicher Verweisungen und Bezüge zugänglich, als ein
unerreichbarer Gegenstand, der immer umschrieben und umgeschrieben werden muß«. J. C. SCHÜTZE: Apo-
rien der Literaturkritik, S. 205.
80 W. VAN REIJEN: Miss Marx, Terminals und Grands Récits, S. 541. Ähnlich auch: A. HAVERKAMP: Einlei-
tung in die Theorie der Metapher, S. 24-27.
81 J. C. SCHÜTZE: Aporien der Literaturkritik, S. 206-207. Vgl. dagegen: H. TH. LEHMANN: Paul de Man: De-
konstruktionen, S. 447-552. Der Historiker Georg Schmid wendet die Dekonstruktion auch auf die Ge-
schichtsschreibung an, die nach seiner Definition nicht nur Rekonstruktion, sondern immer auch Konstrukti-
on ist: »Im Sinne einschlägiger Metaphoriken ist dann also die ›Welt als Text‹ zu betrachten; das Universel-
le der Geschichte erscheint demzufolge als unüberblickbarer ›Kontext‹, auf dem die ›Texte‹ in ihren gegen-
seitigen polylogischen Abhängigkeitsverhältnissen beziehbar sind«. G. SCHMID: Die Spur und die Trasse,
S. 12. Vgl. auch: G. SCHMID: Geschichtsbilder und die »unendliche Schreibbarkeit«, S. 293-309.
82 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 13.
83 A.a.O., S. 14.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 53

der Bedeutung und des Gottesbegriffes« auch ein gemeinsamer.84 Ohne dieses Vertrauen, oh-
ne das fundamentale Zutrauen in die Transzendenz der Sprache gäbe es keine Beziehung zwi-
schen Wort und Welt, »keine Geschichte, wie wir sie kennen, keine Religion, keine Metaphy-
sik, Politik oder Ästhetik«.85 Dieser Akt des semantischen Vertrauens, den Steiner als »Ver-
trag zwischen Wort und Gegenstand« bezeichnet, bestimmte die abendländische Kultur bis
spät ins 19. Jahrhundert hinein und wurde – auch von den Skeptikern – nie ernsthaft in Frage
gestellt.86

Der Bruch des Kontraktes zwischen Wort und Welt


Der Bruch dieses Kontraktes zwischen Wort und Welt, der in der »Krise der Bedeutung des
Bedeutens« sichtbar wird, markiert nach Steiner den Beginn der literarischen Moderne und
kann als eine der »wenigen echten geistigen Revolutionen in der Geschichte des Westens« an-
gesehen werden.87 Auch wenn sich die tieferen Gründe für diese Revolution unserem Ver-
ständnis weitgehend entziehen, so läßt sich doch der Bruch selbst genau beschreiben. In »Mal-
larmés Loslösung der Sprache von äußerer Referenz und in Rimbauds Dekonstruktion der
Ersten Person Singular« wird der Bruch besonders deutlich: Mallarmé münzt die zentrale The-
se einer »realen Gegenwart« in die einer »realen Abwesenheit« um, wenn er in dem Wort
»Rose«, »jener willkürlichen Ansammlung zweier Vokale und zweier Konsonanten«, »l’ab-
sence de toute rose« konstatiert, und nach Rimbauds Diktum »Je est un autre« ist das Ich
nicht mehr länger es selbst, denn er stellt »in das nun freigewordene Zentrum des Bewußtseins
die zersplitterten Bilder anderer und nur zeitweiliger Manifestationen des ›Selbst‹«.88
Die Epoche nach dem Bruch des Vertrages charakterisiert Steiner als das Zeitalter »nach
dem Wort« oder als Zeitalter des »Epilogs«.89 In einer solchen Zeit, in der die »göttliche Ga-
rantie« für den Vertrag zwischen Wort und Welt unhaltbar geworden ist, »muß eine Kritik wie
die der Dekonstruktion formuliert werden«.90 Wenn der Satz »Am Anfang war das Wort«
nicht mehr gilt – und die Dekonstruktion bestreitet einen solchen Anfang –, stellt sich das
Problem der Bedeutung von Bedeutung in seiner ganzen Radikalität: »Es kann weder Evange-
lium in irgendeinem authentischen Sinne geben noch folglich eine Wahrheit des Evangeli-
ums«, weil die Garantie der Gegenwart Gottes – die die Behauptung, daß »etwas ist an dem,

84 A.a.O., S. 161.
85 A.a.O., S. 123.
86 A.a.O., S. 124-126.
87 A.a.O., S. 126-127.
88 A.a.O., S. 129-135. In Bezug auf Rimbaud urteilt Steiner weiter: »Die Provokation ist absichtlich und eine
notwendig anti-theologische. Wie immer ist bei Rimbaud das Ziel Gott. Doch ist dieses Ziel keine persönli-
che Verschrobenheit oder zufällige Rhetorik. Jede konsequente Dekonstruktion der Individuation des
menschlichen Sprechens oder der persona ist im Kontext westlichen Bewußtseins eine Leugnung der Mög-
lichkeit von Theologie und des logos-Begriffs, der für diese Möglichkeit der Angelpunkt ist. ›Je est un
autre‹ ist eine kompromißlose Negierung der höchsten Tautologie, des grammatikalischen Aktes grammati-
kalischer Selbstdefinition in Gottes Wort: ›Ich bin der ich bin‹«. A.a.O., S. 135. Vgl. zur Dekonstruktion des
Namens Gottes von theologischer Seite: R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being
God, S. 104-107.
89 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 128, 138, 161. Vgl. zur Postmoderne als dem Zeitalter des Epilogs
auch: P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 266-277.
90 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 161.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 54

was wir sagen«, glaubwürdig macht – nicht mehr gegeben ist und weil jeder Wahrheitsan-
spruch von der Textualität, in die er eingebettet ist, aufgelöst wird.91 Weil – so die
dekonstruktive Theorie – die Zeichen keine »Gegenwärtigkeiten« transportieren, sondern viel-
mehr für die Abwesenheit des Bezeichneten stehen, weil sie den Gegenständen, die sie be-
zeichnen, auch nicht »ähnlich« sind, weil sie nur eine »diakritische« Funktion haben (indem
sie sich von anderen Zeichen im System der Sprache unterscheiden) und weil ihre Bedeutung
niemals völlig und abschließend erfaßt werden kann, ist Bedeutung immer ein Flackern im
Zwielicht von Anwesenheit und Abwesenheit, Fülle und Leere.92 Daraus folgt eine Marginali-
sierung des dichterischen Werkes und eine Vergewaltigung der Texte: Das, was die Texte ver-
schweigen, »das Abwesende«, wird zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand der De-
konstruktion. Das dekonstruktive Programm, so Steiner, kann als »poststrukturalistische Ge-
gentheologie der Abwesenheit« verstanden werden, die jede naive Vorstellung eines bedeu-
tungshaften Universums, eines lesbaren »Textes der Welt« zerstreut.93 Für die »gegenwärtigen
Meister der Leere« ist das Spiel mit den Texten eben nur ein Spiel, das keine Konsequenzen
nach sich zieht; ein »Satyrspiel«, das immer »hinterher« kommt und Ausdrucksform einer
Kultur ist, in der man sich »cool« gibt.94
Eine Antwort auf die »negative Epistemologie« des a-logischen und der »Annulierung des
logos« läßt sich, so Steiner, nicht in einer linguistischen oder literarischen Theorie finden,
denn »die geschleifte Festung des Bewußtseins« läßt sich nicht restaurieren oder sturmsicher
machen, »indem man diesen oder jenen herabgefallenen Ziegelstein ersetzt«.95 Eine mögliche

91 A.a.O., S. 162, 163, 165. Steiner betont, daß die Annahme einer »Gegenwart Gottes« immer die explizite
oder implizite Voraussetzung für die Bedeutsamkeit der Sprache in der logozentrischen Ordnung der westli-
chen Tradition war: »Westliche Theologie und deren bedeutendere Fußnoten wie Metaphysik, Epistemolo-
gie und Ästhetik sind ›logozentrisch‹. Das bedeutet, daß sie den Begriff einer ›Gegenwart‹ als fundamental
und von überragender Wichtigkeit zum Axiom erheben. Es kann die Gegenwart Gottes sein (letzlich??muß
es sie sein); die der ›Ideen‹ Platons; die der aristotelischen und thomistischen Essenz. Es kann die kartesia-
nischer Selbsterkenntnis sein; die der transzendentalen Logik Kants oder die Heideggerschen ›Wesens‹. Es
sind diese Drehpunkte, zu denen die Speichen des Bedeutens hinführen«. A.a.O., S. 163.
92 A.a.O., S. 162-164.
93 A.a.O., S. 164. Botho Strauß bemerkt in seinem Nachwort zu Steiners Buch Von realer Gegenwart zur Me-
thode der Dekonstruktion: »In ihren Diskursen ist jede Begrenzung des Kommentars durch die Scheu vor
dem Schöpfungsakt, dem Werk längst gefallen. Die Schutzhülle des Textes ist zur Flechte des Parasiten ge-
worden, der seinen Wirt zersetzt und überwuchert«. B. STRAUSS: Der Aufstand gegen die sekundäre Welt,
S. 312.
94 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 159, 178, 235. Eine solchermaßen zugespitzte Kritik trifft sicher
nicht auf Jacques Derrida zu, der sich z. B. explizit für die Beibehaltung der Idee der »Gerechtigkeit« ausge-
sprochen hat, die zwar immer ein »Vielleicht« und letztlich »undarstellbar« bleibt, weil bei fast allen Ent-
scheidungen das Gefühl der Ungerechtigkeit zurückbleibt, die aber dennoch notwendig sind, weil die Dring-
lichkeit, schreiendes Unrecht hier und jetzt zu bekämpfen, nach einer Entscheidung verlangt: »In dem Maße,
in dem sie nicht einfach ein juridischer oder politischer Begriff ist, schafft darum vielleicht Gerechtigkeit zu-
künftige Offenheit für eine Verwandlung, eine Umgestaltung oder eine Neu(be)gründung des Rechts und der
Politik«; die Gerechtigkeit ist darum »der Zukunft geweiht, es gibt Gerechtigkeit nur dann, wenn sich etwas
ereignen kann, was als Ereignis die Berechnungen, die Regeln, die Programme, die Vorwegnahmen usw.
übersteigt. Als Erfahrung der absoluten Andersheit ist die Gerechtigkeit undarstellbar, doch darin liegt die
Chance des Ereignisses und die Bedingung der Geschichte«. J. DERRIDA: Gesetzeskraft, S. 56-57.
95 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 178. So läßt sich z. B. nach Steiner die Kritik, die auf die mindere li-
terarische Qualität dekonstruktiver Arbeiten, wie sie bisher von den »akademischen Fabriken« geliefert
wurde, abhebt, nicht gegen das dekonstruktive Anliegen selbst ins Feld führen. Unangreifbar ist auch der
dekonstruktive Rekurs auf »Abwesenheit«, weil die »Gegenwärtigkeit der Gegenwart« nicht bewiesen wer-
den kann: »Nur durch Mittel indirekter Aussage wie Metapher, Tropen, rhetorische Figuren und polysemi-
II. Literatur und Literaturwissenschaft 55

Antwort kann nur von einem Gebiet »jenseits des Empirischen« ins Auge gefaßt werden: »Wir
müssen unsere Kultur fragen«, ob irgendein Modell des Verstehens haltbar ist »im Licht oder,
wenn man so will, in der Dunkelheit der nihilistischen Alternative«.96 Einen gangbaren Weg
sieht Steiner darin, das berechtigte Anliegen der Dekonstruktion aufzunehmen, ohne ihre ra-
dikalen Folgerungen mitzumachen: Die Zweifel der Dekonstruktion sind dort gerechtfertigt,
»wo sie die Möglichkeit einer systematischen, erschöpfenden Hermeneutik bestreiten, wo sie
bestreiten, daß Interpretation jemals zu einer stabilen, nachweisbaren Einzigartigkeit der Be-
deutung gelangen kann«, aber zwischen dem »illusorischen Absoluten« und dem »interpreta-
torischen Nonsens«, der »aufgrund seiner Beliebigkeit selbst despotisch ist, liegt der reiche,
legitime Boden des Philologischen«.97 Daß die »Akte der Rezeption und des Verstehens«
Fiktionen, »Mythen der Vernunft«, sein können, ist spätestens seit Kierkegaard bekannt.98
Dies rechtfertigt aber keineswegs die Leugnung jeglicher Bedeutungshaftigkeit: Das
dekonstruktive Postulat von der »Bedeutungsleere« ist genauso dogmatisch und
reduktionistisch »wie es die positivistischen Gleichsetzungen des archivarischen Historismus
waren«.99

»Reale Gegenwart« als Gegenmodell zur Dekonstruktion


Ausgangspunkt von Steiners Gegenmodell einer »realen Gegenwart«, das nicht die de-
konstruktive Theorie widerlegen, sondern lediglich ein Alternativentwurf zur nihilistischen
Position der Dekonstruktion sein will, sind die kommunikativen Strukturen zwischen Kunst-
werk und Rezipient: Gerade weil es in diesem Verhältnis keine 1:1 Entsprechung gibt, sind
Deuten und Mißdeuten »Garant für die erlebte ›Andersheit‹ – für die dem Gedicht, dem Ge-
mälde, dem Musikstück innewohnende Freiheit, zu sein oder nicht zu sein, in einen geistigen
Austausch mit uns zu treten oder nicht«.100 In Musik, Kunst und Literatur tritt die »lebendige«
– und das heißt »freie« – Gegenwart des »Anderen« mit uns in eine persönliche Beziehung,
wenn wir den Fremden willkommen heißen und ihm eine Heimstatt bereiten. »Was uns besu-
chen, ›uns heimzusuchen kommt‹«, hat oft den Charakter des Geheimnisvollen, und so setzt
sich der, der über diese Begegnung reden will, dem Riskio der (oftmals verdienten) Lächer-
lichkeit und Peinlichkeit aus.101 In Musik, Kunst und Literatur begegnen wir Spuren einer Ge-
genwart, Überresten einer prä-logischen, prä-grammatischen Ablagerung von Motiven und
Bildern, die dem Bewußtsein und der Rationalität vorausgehen, und über die sich deswegen so
schwer reden läßt. Denn auf die Frage, wie z. B. Musik von uns Besitz ergreift, »haben wir
keine glaubhafte, geschweige denn substantiell überprüfbare Antwort«.102 Die ästhetische Er-
––––––––––––––––––––––––––
schen Gebrauch von Diskurs, kann selbst der klassischste unter den Schriftstellern oder Künstlern flüchtig
andeuten, was er uns ›in Wirklichkeit‹ zu sagen versucht«. A.a.O., S. 174.
96 A.a.O., S. 178. Steiner räumt allerdings auch ein, daß eine Antwort vielleicht nur noch in »Floskeln von
Nostalgie und Pathos« fomuliert werden kann, daß es tatsächlich einen »Endpunkt« in unserem »gewohn-
heitsmäßigen, opportunistischen Behaustsein in der Bedeutung« gibt. A.a.O., S. 179.
97 A.a.O., S. 218.
98 A.a.O., S. 229. Steiner beruft sich hier auf Kierkegaards Diktum von den »Wunden der Möglichkeit«, die
immer offen bleiben.
99 A.a.O., S. 231.
100 A.a.O., S. 232.
101 A.a.O., S. 235-236.
102 A.a.O., S. 260.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 56

fahrung postuliert eine »irreduzible Subjektivität, die Endlichkeit eines Selbst, dessen Freiheit,
dessen cortesia die Erkenntnis des anderen ermöglichen«, und die gerade darum eine so leich-
te Beute für die Dekonstruktion wie für den Positivismus ist.103
Die Bedeutung von Bedeutung, die Annahme von Schöpfertum, von Bedeutungshaftig-
keit in der Begegnung mit dem Text, ist ein transzendentales Postulat, ein »metaphysischer
und letztlich theologischer« Akt, denn die »Erfahrung bedeutungshaltiger Form« in der Rezep-
tion von Kunst läßt sich »logisch, formal oder von der Evidenz her nicht beweisen«.104 Kunst
und Literatur nehmen ihren Anfang zwar in der Immanenz, in der Stofflichkeit, in der sie ge-
schaffen werden, aber sie bleiben nicht dort stehen: Die poiesis öffnet sich in Richtung auf das
Religiöse und Metaphysische und »die Fragen: ›Was ist Dichtung, Musik, Kunst?‹, ›Wie kön-
nen sie nicht sein?‹, ›Wie wirken sie auf uns?‹ sind letzlich theologische Fragen«.105 In der
Dekonstruktion ist nicht ein »Vergessen« dieser Zusammenhänge am Werk, sondern ein »ne-
gativer Theismus, ein besonders lebhaftes Gefühl der Abwesenheit Gottes«, die eine Leere
hinterlassen hat, »in der noch die Schwingung des Abschieds nachhallt«.106 Die Dekonstrukti-
on erkundet nun »das Nichts, die Freiheit der Lücke, die durch den Rückzug (Deus abscondi-
tus) des Messianischen und des Göttlichen« entstanden ist.107 Die »Dichte der Abwesenheit
Gottes«, wie sie in »Kafkas Parabeln, in den Benennungen von Golgatha in Becketts Endspiel,
in den Psalmen an niemanden von Paul Celan« spürbar wird, »ist keine leere dialektische
Verdrehung«, sondern der konsequente Ausdruck eines Zeitalters »nach dem Wort«, aber die
Frage, die sich für die Zukunft stellt, ist die, ob wir nach dem Samstag, der die Ungerechtig-
keit, den Schmerz, das Leiden und die Vergänglichkeit symbolisiert, noch die Hoffnung auf
einen Sonntag haben: »In der utopischen Vollkommenheit des Sonntags wird es für das Ästhe-
tische vermutlich weder Logik noch Notwendigkeit mehr geben. Die erkennenden Wahrneh-
mungen und Gestaltungen im Spiel metaphysischer Vorstellung, im Gedicht und in der Mu-
sik, die von Schmerz und Hoffnung sagen, vom Fleisch, das nach Asche schmeckt, und von
dem Geist, der den Geruch des Feuers hat, sind immer des Samstags. Philosophisches Den-
ken, poetisches Schaffen sind Samstagskinder. Sie sind der Unermeßlichkeit des Wartens und
Erwartens entsprungen. Gäbe es sie nicht, wie könnten wir ausharren?«108

6. Heidegger und die Konsequenzen für die postmoderne Literaturkritik


Anfang der siebziger Jahre haben sich um die Zeitschrift Boundary 2. A Journal of Postmo-
dern Literature, die vom Department of English der State University of New York at Bing-
hampton herausgegeben wird, einige Literaturwissenschaftler formiert, die versuchen, eine ei-
genständige – von der Dekonstruktion unabhängige – Postmoderne-Theorie auf dem Hinter-
grund der Philosophie Heideggers zu entwickeln.109 Wie für die Dekonstruktion so spielt Hei-

103 A.a.O., S. 260-261.


104 A.a.O., S. 280, 282.
105 A.a.O., S. 295-296.
106 A.a.O., S. 298.
107 Ebd.
108 A.a.O., S. 299, 301-302.
109 Vgl. zu dieser Richtung der literaturwissenschaftlichen Postmoderne: J. ARAC: Introduction, S. X-XII.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 57

degger auch für diese am hermeneutischen Verfahren interessierten Literaturkritiker eine


wichtige Rolle.110 Doch sind auch die Unterschiede unübersehbar: Für die Literaturkritiker
William Spanos, Ihab Hassan, Richard Palmer, Allen Wilde und Gerald Graff folgt aus Hei-
deggers Dezentrierung der Welt keineswegs ein Zustand nach der Geschichte, wie bei den
französischen Poststrukturalisten. Deswegen grenzen sie sich von diesen – besonders von
Derrida – ab, weil – so der Vorwurf – die radikale Geschichtlichkeit des menschlichen Da-
seins von den Poststrukturalisten nicht ernst genommen wird.111

Die Hermeneutik der Enthüllung: William Spanos und Richard Palmer


William Spanos und Richard Palmer versuchen, die Implikationen von Heideggers Denken
auf die Literatur anzuwenden. Die postmoderne Literatur soll im Gegensatz zur modernen, die
sich aus der existentiellen Zeit in die ewige Gleichzeitigkeit vollkommener Kunst zurückzog,
die Kontingenz des geschichtlichen Daseins akzeptieren.112 Die postmoderne Literaturkritik
soll durch eine »Hermeneutik der Enthüllung« eine Beziehung zwischen »Interpretation« und
»Welt« herstellen.113 Durch eine dialogisch-simultane Beziehung von Text, Literaturgeschich-
te und allgemeiner Geistesgeschichte soll der Interpret von Literatur in die Lage versetzt wer-
den, die vergessenen Wahrheiten der Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft
fruchtbar zu machen.114 Für den postmodernen Leser folgt daraus, daß er zu einem »Entde-
cker« werden muß, zu einem Homo viator, der in den Texten die Fragen nach dem »Sein«
entdeckt.115
Aus Heideggers Denken, aus seiner Kritik der Abstraktion und der Eindimensionalität der
modernen wissenschaftlichen Objektivität, ergeben sich für Richard Palmer neue Perspektiven
für die Postmoderne: Die Zeit könnte »rund und ganzheitlich« verstanden werden, indem Ver-
gangenheit und Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen; der Raum könnte »multi-
perspektiv« werden, so daß sich für den Menschen wieder Beziehungen zu größeren Mächten
und größerem Sinn ergeben könnten.116 Darüber hinaus könnten sich auch die metaphysischen
Grundlagen der literarischen Ästhetik verändern: Eine postmoderne »Hermeneutik der Darbie-
tung« könnte den »Akt deutender Vermittlung« an einem ganz anderen Ort ansiedeln als dem,
den er in der modernen Epoche besetzt hielt; sie könnte dem Deutenden vielleicht sogar die

110 W. SPANOS: Martin Heidegger and the Question of Literature, S. XVII.


111 A.a. O., S. XVI.
112 W. SPANOS: The Detective and the Boundary, S. 158-166.
113 W. SPANOS: Breaking the Circle, S. 442-446.
114 »I mean a literary hermeneutics which is simultaniously a dis-covering or dis-closing (present) of what has
been covered over or closed-off and forgotten by the meta-physical imagination (past), and a care-ful explo-
ration of or opening oneself to terra incognita (future): or, more literary, a hermeneutics which makes the
interpreter a being-in-the-world in dialogic relationship with a particular literary text and, since the text en-
ters history on being written, with the ›text‹ of literary history, and, beyond that, with the ›text‹ of the history
of Western man«. W. SPANOS: Heidegger, Kierkegaard, and the Hermeneutic Circle, S. 136-137.
115 A.a.O., S. 139.
116 R. E. PALMER: Towards a Postmodern Hermeneutics of Performance, S. 27-29. »When one has explored in
some detail the way in which Heidegger’s thinking moves beyond objectivity, beyond ›humanism‹, beyond
technological rationality, beyond traditional concepts of language, truth, and thinking as such, one cannot
escape the sense that this is a path resolutely outside and beyond the general horizons of the modern
thought«. R. E. PALMER: The Postmodernity of Heidegger, S. 88.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 58

alten schamanisch-hermeneutischen Kräfte wieder verleihen, die das Versteckte enthüllen, das
Verständnis verwandeln und die Seele heilen.117

Der Pluralismus als Problem der Literatur: Ihab Hassan


Ihab Hassan, amerikanischer Literaturwissenschaftler und Philosoph, bemüht sich seit den
sechziger Jahren um die Entwicklung einer neuen Hermeneutik, die die Literaturkritik des
herrschenden New Criticism ablösen soll.118 Mit seinem 1967 erschienenen Buch The Litera-
ture of Silence119 beginnt sein Weg einer generellen Hinterfragung der Grundlagen moderner
Literaturkritik: Sie muß mehr sein als eine »Erklärung« der Literatur.120 Literatur – so Hassan
– existiert nicht in einem literarischen Vakuum, sondern in sozialen, psychischen, ästheti-
schen, mystischen und mythischen Zusammenhängen. Um diesen Zusammenhang herzustel-
len, benötigt die Literaturkritik neue Methoden und eine Neudefinition ihrer Funktion. Des-
wegen fordert Hassan eine von der Literaturkritik ausgehende Kulturkritik, die den Zusam-
menhang von Literatur, Literaturkritik und gelebtem Leben wiederherstellen soll.121
Für Hassan ist der erkenntnistheoretische und kulturelle Pluralismus das Grundproblem
der Postmoderne wie der gegenwärtigen Literatur: In unserer »pluralistischen Gegenwart sind
alle Formen dialektisch verfügbar, in einer Wechselwirkung zwischen Jetzt und Nicht-Jetzt,
zwischen dem Selben und dem Anderen. Somit wird im Postmodernismus das Heideggersche
Konzept der ›Gleichzeitigkeit‹ tatsächlich zu einer Dialektik der Gleichzeitigkeit, was eine
neue Relation zwischen historischen Elementen darstellt, ohne die Vergangenheit zugunsten
der Gegenwart zu diskriminieren«.122 Angesichts dieser Gleichzeitigkeit stellt sich die Frage,
ob es irgendetwas in unserer Zeit gibt, »das in der Lage wäre, einen breiten Diskurskonsens zu
begründen«.123 Denn seit Nietzsche »erschallt der Ruf des Nihilismus: ›Die Wüste wächst.‹
Gott, König, Vater, Vernunft, Geschichte, Humanismus – sie alle hatten ihre Zeit, obschon ih-
re Macht noch immer in einigen Glaubenszirkeln auftaucht (...) Wir haben unsere Götter um-
gebracht (...), doch wir bleiben Kreaturen, die dem Willen, der Begierde, der Hoffnung und

117 R. E. PALMER: Towards a Postmodern Hermeneutics of Performance, S. 30-31. Vgl. zu Palmer auch:
W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 207-208.
118 Vgl. zu Hassans Postmoderne-Theorie: I. HOESTEREY: Verschlungene Schriftzeichen, 133-135.
119 Das »Schweigen« wird bei Hassan zur Metapher für eine Literatur, die an sich selbst verzweifelt und die
deswegen verstummen muß. Orpheus, der auf einer Leier ohne Saiten spielt, wird zum Sinnbild für die
postmoderne Literatur. Vgl. I. HASSAN: Literature of Silence, S. 15; I. HASSAN: The Dismemberment of Or-
pheus, S. 5-7. Für George Steiner hingegen ist die »Aufwertung des Schweigens« in der Epistemologie von
Wittgenstein, in der Ästhetik von Webern und Cage, in der Poetik von Beckett und Rilke »eine der origi-
nellsten und bezeichnendsten Äußerungen moderner [!] Geisteshaltung«. G. STEINER: Sprache und Schwei-
gen, S. 89.
120 I. HASSAN: Literature of Silence, S. 17.
121 A.a.O., S. 48. Notwendig ist dafür ein neues, unmittelbares, literarischen Bewußtsein, das Hassan auch als
»neuen Gnostizismus« bezeichnet. I. HASSAN: The New Gnosticism, S. 560-564. Vgl. auch: I. HASSAN: Plu-
ralismus in der Postmoderne, S. 163-164; I. HASSAN: The postmodern Turn, S. 92-93; CH. RUSSELL: The
Vault of Language, S. 356.
122 I. HASSAN: Pluralismus in der Postmoderne, S. 162. Vgl. dazu auch: CH. BÜRGER: Das Verschwinden der
Kunst, S. 39.
123 I. HASSAN: Pluralismus in der Postmoderne, S. 174.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 59

dem Glauben unterworfen sind. Und jetzt haben wir nichts (...) auf das wir unseren Diskurs
gründen könnten«.124
Hassan sieht nur die eine Möglichkeit, den Diskurs – wie William James – auf »Glau-
bensüberzeugungen« aufzubauen. James schlägt eine pragmatische, empirische Autorität vor,
die pluralistische Anschauungen erlaubt und die »einen kontinuierlichen Ausgleich von Ver-
nunft und Interesse, eine Vermittlung von Begierden und Manifestationen von Macht oder
Hoffnung« ermöglicht.125 Diese Autorität soll durch »Glaubensüberzeugungen« begründet
werden, die für James die »interessantesten, wertvollsten Züge des Menschen« sind.126 Die
Aufgabe der Postmoderne ist demnach die Suche nach Glaubenskonsensen, denn die »gesam-
te Verflüchtigung unseres Wissens und unserer Handlungen gedeiht aufgrund nicht vorhande-
ner Glaubenskonsense (...) Ich weiß nicht, wie man verhindern kann, daß der kritische Plura-
lismus in Relativismus oder beliebigen Perspektivismus abgleitet, ausgenommen man fordert
Wissenskonstituenten, gemeinsame Werte, Traditionen, Hoffnungen und Ziele. Ich weiß
nicht, wie wir unsere ›Wüste‹ ein wenig grüner machen können, außer, wenn wir Enklaven
genialer Autorität herbeiwünschen, deren Hauptaufgabe es sein müßte, zivile Verantwortung,
tolerante Überzeugungen und kritische Sympathie wiederherzustellen«.127

Der selbstreflexive und der zelebrierende Postmodernismus: Gerald Graff


Die kulturelle Krise der Moderne ist für die amerikanischen Literaturkritiker Gerald Graff und
Allen Wilde der Grund für das Entstehen einer postmodernen Literatur. In der postmodernen
Literatur spiegelt sich die tiefe kulturelle Krise der Moderne wieder: Der Verlust einer bedeu-
tungsvollen äußeren Realität und die Normalisierung der Entfremdung bilden den gemeinsa-
men Ausgangspunkt für die Literatur der Gegenwart.128 Die postmodernen Schriftsteller wei-
gern sich, Kunst im hergebrachten Sinne ernst zu nehmen, weil sie den Verdacht hegen, daß
die gesamte Kunsttradition des Westens als eine Art rationaler Imperialismus mit der bürger-
lich-kapitalistischen Aggressivität verwandt ist.129 Die Entfremdung von den Grundlagen der
Moderne, die in den Romanen von Alain Robbe-Grillet, John Barth und Donald Barthelme zu
spüren ist, führt dazu, daß in der postmodernen Literatur die handelnden Personen wie die äu-
ßere Realität verschwinden.130 Die Postmoderne ist dadurch gekennzeichnet, daß alle moder-

124 Ebd.
125 A.a.O., S. 175; W. JAMES: Der Wille zum Glauben und andere popularphilosophische Essays, S. XII. Vgl.
zu den theologischen Implikationen von James’ Pluralismuskonzeption auch: N. A. SCOTT, JR: The House of
Intellect in an Age of Carnival, S. 40-41; D. TRACY: The Question of Criteria for Inter-Religous Dialogue,
S. 248-256.
126 I. HASSAN: Pluralismus in der Postmoderne, S. 175. »Die Bedeutung des Glaubens für die Erkenntnis im
allgemeinen und für Konventionen im besonderen wird von Denkern verschiedenster Richtungen anerkannt,
auch wenn sie in Fragen nach dem Wesen der Wahrheit, des Realismus und des Genre geteilter Meinung
sind«. A.a.O., S. 181, Anm. 34.
127 A.a.O., S. 177.
128 G. GRAFF: Literature Against Itself, S. 62.
129 A.a.O., S. 31. Graff bezieht sich hier auf Leslie Fiedler und Susan Sontag.
130 A.a.O., S. 53. Ganz ähnlich auch die Analyse Richard Wassons: In den Werken von Iris Murdoch, Alain
Robbe-Grillet, John Barth und Thomas Pynchon wird der moderne ontologische Zweifel, der von den mo-
dernen Dichtern noch unter Kontrolle gehalten werden konnte, radikalisiert. An die Stelle des modernen
Glaubens an die Einheit tritt bei diesen Dichtern – so Wasson – die Skepsis gegenüber allen Versuchen,
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 60

nen Versuche, eine monistische Welt zu konstituieren, aufgegeben werden: Eine reparaturbe-
dürftige Welt wird abgelöst durch eine, die nicht mehr zu reparieren ist.131 Und weil der
Schriftsteller erkennt, daß die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Moderne willkürlich
sind, parodiert er sie.132
Die modernen Schriftsteller seit Henry James waren von dem Gedanken geleitet, daß
Kultur und Kunst menschliche Ordnung in das nichtmenschliche Chaos bringen können. Nach
dem Zusammenbruch der Religion im 19. Jahrhundert trat die Literatur als Ersatzreligion das
Erbe der etablierten Religion an, mit dem Versprechen, »Sinn« und »Bedeutung« auch weiter-
hin zu garantieren.133 Diese moderne »Kulturreligion« ist nun entmythologisiert worden: Seit
sich Nietzsches relativistische Philosophie in den Köpfen festgesetzt hat, sind die Begriffe
»Sinn« und »Bedeutung« verlorengegangen.134 Zwei verschiedene Reaktionen auf diese Situa-
tion analysiert Graff bei den postmodernen Schriftstellern: Er unterscheidet zwischen einem
»selbstreflexiven« und einem »zelebrierenden« Postmodernismus:
– Den selbstreflexiven Postmodernismus sieht er im Werk von Jorge Luis Borges verkörpert:
Dessen Geschichten zeigen mit den Techniken der Reflexivität und der Selbstparodie eine
Welt auf, in der menschliches Bewußtsein unfähig ist, seine eigenen Mythologien zu trans-
zendieren. Dieser Zustand der Gefangenschaft wird von einem tragischen oder tragikomi-
schen Standpunkt aus dargestellt.135
– Der zelebrierende Postmodernismus drückt hingegen eine ganz andere Geisteshaltung aus:
Hier gibt es kein Bedauern über den Verlust einer »bedeutungsvollen äußeren Realität« o-
der einer »objektiven Ordnung der Werte«.136 Ihr Verschwinden wird als Befreiung von ei-
ner repressiven Vergangenheit angesehen. Die Auflösung von Ich-Grenzen wird als erfri-
schende Form der Bewußtseinserweiterung und als Vorspiel des Wachstums angesehen. In
den Werken von Whitman und Williams, aber auch im Living Theatre, in Happenings und
in der Pop Art manifestiert sich die Literatur als »Feier der Energie« und als »physische
Kraft«, aber nicht mehr als »Kritik des Lebens«.137

––––––––––––––––––––––––––
durch höhere Diskurse ein einheitliches Weltbild zu entwerfen. Die Einheit von Ich und Welt wird zur Illu-
sion, eine Einheit von Subjekt und Objekt gibt es nicht. R. WASSON: Notes on a New Sensibility, S. 463-
464, 475-476; R. WASSON: From Priest to Prometheus, S. 1200-1202.
131 A. WILDE: Horizons of Assent, S. 131.
132 G. GRAFF: Literature Against Itself, S. 55.
133 A.a.O., S. 34.
134 A.a.O., S. 62.
135 A.a.O., S. 55-56. Auch für Hans Robert Jauß ist Borges »eine der Gründerfiguren der literarischen Postmo-
derne«. H. R. JAUSS: Studien zum Epochenwandel der ästhetischen Moderne, S. 13.
136 G. GRAFF: Literature Against Itself, S. 57.
137 A.a.O., S. 58. Allen Wilde unterscheidet zwischen einer »selbstreflexiven« und einer »engagierten« Strö-
mung. Er kritisiert die selbstreflexive Literatur, weil die Vertreter dieser Richtung im Chaos der Welt
schwelgen, vor den Herausforderungen der Welt kapitulieren, ausschließlich destruktiv wirken und sich
nicht für die Welt engagieren. Zwar akzeptieren auch die Vertreter der »engagierten« Richtung den »Primat
der Oberfläche« und die Kontingenz der Welt, aber diese Anerkennung beinhaltet weder Resignation noch
Verzweiflung, weil sie die Hoffnung hegen, bescheidene Wahrheitsgehalte erzeugen zu können. Gegen den
ontologischen Zweifel engagieren sich diese Schriftsteller für ein »positives Wissen«, wie lokal, begrenzt
und vorläufig es auch immer sein mag. Vgl. A. WILDE: Strange Displacements of the Ordinary, S. 192;
A. WILDE: Horizons of Assent, S. 137-141, 148, 151.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 61

Die postmoderne Literatur ist laut Graff unfähig, verbindliche Maßstäbe für das soziale Han-
deln aufzustellen. Für diese Kapitulation vor der Normativität macht Graff – wie Irving Howe
– die Massengesellschaft verantwortlich, die eine Verwirrung und Desorientierung mit sich
gebracht hat, die es dem Schriftsteller schwer macht, klare, kohärente und überzeugende Mo-
delle des menschlichen Zusammenlebens zu entwerfen.138 Weil die postmoderne Literatur
keinen Weg mehr sieht, eine kritische Funktion in der Gesellschaft wahrnehmen zu können,
flüchtet sie sich in die Satire.139

7. Das Verschwinden der Bedeutung und das katastrophische Bewußtsein


Auf dem Hintergrund von Poststrukturalismus, Dekonstruktion und der amerikanischen Post-
moderne-Diskussion versuchen in den achtziger Jahren auch im deutschsprachigen Raum Li-
teraturwissenschaftler, postmoderne Tendenzen in der deutschsprachigen Literatur zu analy-
sieren.140 Zwei Motive werden in der Diskussion als typisch für die postmoderne Literatur
angesehen: das »Verschwinden der Bedeutung« in den literarischen Texten und ein
»katastrophisches Bewußtsein«.

Das Verschwinden der Bedeutung in der postmodernen Literatur


»Die moderne Literatur hatte sich einer Situation gestellt, die durch das Fehlen sinnhafter Er-
fahrung im Leben charakterisiert ist. Sie war aber an der Möglichkeit einer Sinnsetzung nicht
verzweifelt. Von Prousts Suche nach der verlorenen Zeit bis zu Sartres Der Ekel wird dem
Kunstwerk gerade die Funktion der Sinnstiftung zugewiesen. Vielleicht ließe sich als postmo-
dern dagegen eine Literatur bezeichnen, die auf den Versuch der Sinnsetzung überhaupt ver-
zichtet«.141 Das »Verschwinden der Bedeutung« wird nach Peter Bürger, Professor für ver-
gleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bremen, zum Charakteristikum postmo-
derner Literatur.142 Dies exemplifiziert Bürger anhand von Michel Tourniers Erlkönig, Botho
Strauß’ Theorie der Drohung und Peter Handkes Langsame Heimkehr.143 Im Erlkönig wird

138 »If the novel has been floundering in the postwar decades (and I believe it has been), one reason may be,
that novelists have simply not had much of importance to say about the way we live now, a deficiency which
cannot be indefinitly concealed by the theory that fiction has no obligation to offer such statements. If this
deficiency exists, then one reason for it may be that the kind of mass society has grown up in the last three
decades, our personal relationship, public values, and the connections between the two have become so dis-
oriented, scrambled, and confused that writers, as well as everyone else, have found it peculiar difficult to
arrive at clear, coherent, and convincing generalizations«. G. GRAFF: Babbit at the Abyss, S. 307.
139 »Postmodern satire illustrates an apparent escape from this dead end by converting the deterioration of lan-
guage into the basis of its social criticism and its reconstructed typology of individual charakter«. A.a.O.,
S. 335.
140 Vgl. zur deutschen Literatur und Literaturwissenschaft in den achtziger Jahren: I. HOESTEREY: Verschlun-
gene Schriftzeichen, S. 164-192; H. KREUZER: Pluralismus und Postmoderne, S. 7-22; K. RIHA: Literatur
der achtziger Jahre, S. 225-241.
141 P. BÜRGER: Das Verschwinden der Bedeutung, S. 301.
142 Ebd. Bürger bezieht sich hier auch auf das Auseinandertreten von Signifikant und Signifikat.
143 Vgl. zu Handkes und Strauß’ Postmodernität auch: H. BERTENS: Postmodern Characterization and the
Intrusion of Language, S. 141-153; I. HOESTEREY: Verschlungene Schriftzeichen, S. 101-124, 145, 164-
192; A. HORNUNG: Reading One/Self, S. 180-181.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 62

die geschichtliche Realität in ein Netz von Beziehungen verwoben, »in dem alles auf alles ver-
weist« und eine Zuweisung einer Bedeutung gerade vermieden wird.144 In der Theorie der
Drohung wird das Ich des Erzählers zur »Durchgangsstation für andere Texte«, das nur noch
Texte plagiativ (re-)produziert und damit auf den Anspruch einer Weltdeutung verzichtet.145
Langsame Heimkehr suggeriert einen Überschwang an Bedeutungen, aber weil alle Zeichen
mehr oder weniger die gleiche Bedeutung haben, erweist sich die Bedeutungsfülle als deren
Gegenteil.146
In Wolfgang Koeppens Jugend, Elfriede Jelineks Roman Die Klavierspielerin und Ge-
dichten von Ernst Jandel analysiert der Germanist Dietmar Voss, daß das, was einmal Erzähl-
sprache war, in der Vielheit der gesprochenen Sprachen, in einem polyphonen Sprachkonzert,
in den oberflächlichen Bildern des alltäglichen Ichs aufgeht.147 Kennzeichen der Postmoderne
ist für ihn die Ununterscheidbarkeit von Wirklichem und Scheinhaftem, von Sein und Schein,
von Realem und Imaginärem in der digitalisierten Lebenswelt der westlichen Kultur.148 Die
Behauptung einer spezifisch metaphorischen Redeweise der literarischen Sprache gegenüber
der »realen« Alltagssprache wird aufgegeben: »An die Stelle der heruntergewirtschafteten Tie-
fe tritt in ästhetischer Prosa eine eigentümliche literarische Wiederherstellung von gesproche-
ner, performativer Sprache«.149

Das katastrophische Bewußtsein der Postmoderne


Klaus Scherpe, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Freien Universität
Berlin, versucht, in Franz Kafkas Der Prozeß, Thomas Manns Doktor Faustus, Alexander
Kluges und Oskar Negts Geschichte und Eigensinn, Peter Sloterdijks Kritik der zynischen
Vernunft, Ulrich Horstmanns Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht
sowie Gerd Bergfleths Zur Kritik der palavernden Aufklärung postmoderne Tendenzen aufzu-
spüren. Allen genannten Werken gemeinsam ist das Interesse an einem apokalyptischen Un-
tergangsszenario, das zwar ganz verschieden präsentiert und bewertet wird, aber »unverzicht-
bar zum Erscheinungsbild der Postmoderne« gehört.150
Das »schamlose Lächeln« des Malers Titorelli in Kafkas Der Prozeß kann – so Scherpe –
als Zeichen einer »längst zur Realität gewordenen Entleerung der humanen und sozialen Qua-
litäten ausgelegt« werden.151 In der Figur des Titorelli ist »das ›schamlose Lächeln‹ der Indif-
ferenz zur absoluten Gewißheit geworden, zu einer Gewißheit ohne Schmerz allerdings, wäh-

144 P. BÜRGER: Das Verschwinden der Bedeutung, S. 303.


145 A.a.O., S. 307.
146 A.a.O., S. 310.
147 D. VOSS: Metamorphosen des Imaginären, S. 243.
148 A.a.O., S. 232-233.
149 A.a.O., S. 241.
150 K. R. SCHERPE: Dramatisierung und Entdramatisierung des Untergangs, S. 275.
151 A.a.O., S. 283.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 63

rend in Kafkas Texten der Schmerz über den Realitätsverlust des Humanum die treibende
Kraft ist«.152
Thomas Mann inszeniert in Doktor Faustus die Höllenfahrt des bürgerlichen Humanis-
mus. In Adrian Leverkühns spöttischem Lächeln zeigt sich die grauenhafte Souveränität des
Künstlers, der das Humane vernichtet, »um im Spiel einer freigesetzten Rationalität und Funk-
tionalität der Kunst eine andere ›Natur‹ und eine andere ›Freiheit‹ zu schaffen«.153 Mann ver-
sinnbildlicht in Leverkühns Kunst die Zeichen der Zeit: »Das Gelingen des künstlerischen
Werkes in einer in sich vollendeten technischen Rationalität fordert die Preisgabe der künstle-
rischen Individualität und menschlichen Identität«.154 So wie Leverkühn sein Werk nur um
den Preis der Selbstvernichtung vollenden kann, so kann auch der gesellschaftliche Neuanfang
nur durch eine »vernichtende Befreiung« bewerkstelligt werden.155 Für den bürgerlichen
Schriftsteller Thomas Mann wird die historische Notwendigkeit der Zerstörung zur Hoffnung
auf die »reinigende Wiedergeburt des Humanum«:
»Nein, dies dunkle Tongedicht läßt bis zuletzt keine Vertröstung, Versöhnung, Verklärung zu. A-
ber wie, wenn der künstlerischen Paradoxie, daß aus der totalen Konstruktion sich der Ausdruck –
der Ausdruck als Klage – gebiert, das religiöse Paradoxon entspräche, daß aus tiefster Heillosig-
keit, wenn auch als leiseste Frage nur, die Hoffnung keimte? Es wäre die Hoffnung jenseits der
Hoffnungslosigkeit, die Transzendenz der Verzweiflung, – nicht der Verrat an ihr, sondern das
Wunder, das über den Glauben geht.«156

Die Moderne überläßt der Postmoderne einen doppelten Blick auf den Untergang: einen
»dramatischen«, der angesichts rationalistischer und funktionalistischer »Verdichtung« der ge-
sellschaftlichen Prozesse auf expressive und explosive Momente des »Ausbruchs« und
»Durchbruchs« zurückgreift und einen entdramatisierten, der das »schamlose Lächeln« der
»pervertierten gesellschaftlichen Vernunft aushält« und sich in ein ästhetisches Bewußtsein
der »Indifferenz« zurückzieht.157
In Ulrich Horstmanns Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht und
Gerd Bergfleths Zur Kritik der palavernden Aufklärung zeigt sich – so Scherpe weiter – ein
dramatisch-affirmativer Blick auf den Untergang, ja geradezu eine apokalyptische Sehnsucht,
während sich in Peter Sloterdijks Kritik der zynischen Vernunft, Alexander Kluges und Oskar
Negts Geschichte und Eigensinn die Krämpfe der Angst wie der Hoffnung sich im still
betrachtenden Lächeln entspannen.158 Für Thomas Mann wie für Franz Kafka war das
schamlos-spöttische Lächeln der Künstler noch ein »Menetekel des Grauens und des
Schreckens«, dem sie eine geläuterte Humanität entgegensetzen wollten.159 Im Zeichen von
Dekonstruktion und Poststrukturalismus wird die Illusion des erlösenden Untergangs
152 Ebd. Für Wiebrecht Ries reicht Kafka deswegen »tief in die Postmoderne« hinein, weil er durch sein Spiel
mit den »gleitenden Signifikanten« seine Prosa ständig zurücknimmt und damit »Bedeutung« verweigert.
Vgl. W. RIES: Aufklärung und Postmoderne im Blick auf Nietzsche und Kafka, S. 53.
153 K. R. SCHERPE: Dramatisierung und Entdramatisierung des Untergangs, S. 285.
154 Ebd.
155 A.a.O., S. 286.
156 TH. MANN: Doktor Faustus, S. 490.
157 K. R. SCHERPE: Dramatisierung und Entdramatisierung des Untergangs, S. 287.
158 A.a.O., S. 288-297. Vgl. zum apokalyptischen und katastrophischen Bewußtsein der (literarischen) Postmo-
derne auch: J. DERRIDA: Apokalypse; U. ECO: Apokalyptiker und Integrierte; H.-J. HEINRICHS: Die
kastastrophale Moderne; K. LAERMANN: Von der Apo zur Apokalypse, S. 207-230; V. LILIENTHAL: Irrlich-
ter aus dem Dunkel der Zukunft, S. 193-224; W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 146-148.
159 K. R. SCHERPE: Dramatisierung und Entdramatisierung des Untergangs, S. 293.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 64

Poststrukturalismus wird die Illusion des erlösenden Untergangs verabschiedet, »um Einkehr
zu halten in das ›Diesseits‹ der ›katastrophischen Logik‹ des Systems«.160 Weil durch die mo-
dern-technizistische Logik die Apokalypse längst zur realen Möglichkeit geworden ist, wird
sie nicht mehr als endzeitliches »Ereignis« aufgefaßt, sondern als alltägliche Bedrohung. Die
selbstzerstörerische Logik der Moderne zeigt sich deswegen nirgendwo deutlicher als in der
Erfindung der Atombombe: »Die Bombe ist keine Spur böser als die Wirklichkeit und um
kein Haar destruktiver als wir. Sie ist nur unsere Entfaltung, eine materielle Darstellung unse-
res Wesens (...) Wir sind sie«.161

8. Zusammenfassung
1. Der Begriff Postmoderne bezeichnet einen kulturellen Wandel, der sich in der Literatur und
der Literaturwissenschaft widerspiegelt: Die Schrecken des Ersten und Zweiten Weltkrie-
ges (Massenvernichtung, Atombombe) haben ein Bewußtsein erzeugt, das die grundlegen-
den Werte der Moderne (Aufklärung, Vernunft, Funktionalität, Fortschritt etc.) zutiefst an-
zweifelt (Mann, Kafka, Sloterdijk, Horstmann, Bergfleth). Aber nicht nur die Möglichkei-
ten menschlicher (atomarer oder ökologischer) Selbstvernichtung verändern das Bewußt-
sein, sondern auch die gravierenden Verschiebungen innerhalb der westlichen Kultur: der
Zusammenbruch traditioneller Autoritäten wie Religion und Familie (Howe, Hassan), die
Simulation von »Erfahrung« durch die Digitalisierung der Massenkultur (Howe, Voss), die
»Beschleunigung« geschichtlicher Ereignisse durch globale Information und Interaktion,
die Polyzentrierung der Welt durch den interkulturellen Austausch, das Überschreiten tra-
ditioneller Grenzen innerhalb der Kultur (Fiedler, Hassan) und eine Pluralisierung der Le-
benswelten (Graff).
2. Diesen veränderten Rahmenbedingungen korrespondieren Verschiebungen im Denken: der
»ontologische Halt« wird instabil und gesicherte Erkenntnisse erscheinen unmöglich (Has-
san, Graff, Palmer), das Subjekt erkennt die Kontingenz des geschichtlichen Daseins an
(Spanos, Palmer), die Hoffnung auf die Begründbarkeit der Welt wird aufgegeben (Howe),
das Vertrauen in die Vernunft als Ordnungsprinzip der Wirklichkeit geht verloren (Graff),
das auf »Einheit« ausgerichtete moderne Denken wird abgelöst durch ein pluralistisch-
differenzielles Denken (Derrida, de Man) und die Religion wird als menschliche Erfah-
rungsmöglichkeit wiederentdeckt (Howe, Fiedler, Hassan).
3. Aus diesen Denkverschiebungen werden jedoch sehr unterschiedliche Schlüsse für die
Postmoderne gezogen:
 Für den Poststrukturalismus und die Dekonstruktion folgt aus der »Zerrüttung des Ei-
nen« eine Dezentrierung und Pluralisierung der Welt: die Wahrheitsfrage wird suspen-
diert und die Beliebigkeit der Perspektiven affirmiert. Dieses postmoderne Denken ak-
zeptiert eine kontingente, fragmentierte und unbegründbare Welt, während die Moderne
sich dieser Einsicht widersetzte und ihre ganzen Bemühungen darauf richtete, mittels

160 A.a.O., S. 296.


161 P. SLOTERDIJK: Kritik der zynischen Vernunft, S. 259.
II. Literatur und Literaturwissenschaft 65

der Vernunft ein absolutes System zu errichten, um dem Menschen einen festen Orien-
tierungsrahmen für sein Denken und Handeln zu geben.
 Andere Kritiker wie Fiedler, Hassan, Spanos, Palmer und Graff gehen zwar von der
gleichen Situation aus, wollen aber nicht der Beliebigkeit das Feld überlassen: Gegen
das reduktionistische und exklusive Denken der Moderne proklamieren sie ein umfas-
sendes, inklusives Denken für die Postmoderne. Die in der Moderne verdrängten
menschlichen Erfahrungsmöglichkeiten (Intuition, Mystik, Spiritualität, Unmittelbar-
keit) sollen ein »neues Bewußtsein« schaffen, das die inneren Spaltungen der Moderne
überwindet und eine »ganzheitliche« Sicht auf die Wirklichkeit zulassen soll.
 Für Steiner ist schon die literarische Moderne durch den Bruch des »Kontraktes zwi-
schen Wort und Welt« gekennzeichnet (Mallarmé, Rimbaud). Im »Zeitalter des Epilogs«
führt die Dekonstruktion deswegen den Weg des modernen »negativen Theismus der
Abwesenheit« nur zu seinem logischen Ende. Eine Alternative für die Zukunft sieht
Steiner in einer »realen Gegenwart«, die sich auf einen »Akt des semantischen Vertrau-
ens« (des Vertrauens darauf, daß es Bedeutung gibt) gründet und die in den Kunstwer-
ken enthaltenen Möglichkeiten zur Transzendenz »willkommen« heißt.
4. Eine Bestimmung der postmodernen Literatur hängt davon ab, ob man von der formal-
ästhetischen Seite eine Definition versucht oder von der inhaltlichen Ebene her eine Beg-
riffsbestimmung vornimmt:
 Die formal-ästhetische Definition postmoderner Literatur: Der Bruch mit dem
innovatorischen Anspruch der modernen Avantgarde, Collage, Potpourri, Zitat, Plagiat,
»Doppelagententum«, Mehrfachkodierung, das Überschreiten literarischer
Gattungsgrenzen, die Vielheit der gesprochenen Sprachen, die Auflösung der
literarischen Formen und des einheitlichen Werkcharakters sowie der ironische Blick
auf die Literaturgeschichte werden als formale Kennzeichen postmoderner Literatur
angesehen. Bestes Beispiel für solch eine postmoderne Literatur ist dann Umberto Ecos
 Die
Der Name
inhaltliche Definition postmoderner Literatur: Die Auflösung des Helden im Ro-
der Rose.
man, der Verlust einer bestimmbaren äußeren Realität, die Ununterscheidbarkeit von
Sein und Schein, der Verlust von Sinn und Bedeutung oder das Spiel mit den Bedeutun-
gen der Sprache, inhaltliche Pluralität, Relativität und Perspektivität, sowie der Verzicht
auf normative Inhalte können als Kriterien einer inhaltlichen Definition von postmoder-
ner Literatur aufgezählt werden. Die Werke von John Barth, Donald Barthelme, Boris
Vian, aber auch von Allain Robbe-Grillet, Michel Tournier oder von Botho Strauß und
Peter Handke können exemplarisch für eine solchermaßen charakterisierte postmoderne
Literatur genannt werden.
III. Philosophie
Zu den vielen Unduldsamkeiten und Beschränktheiten, deren die Vorkriegszeit
eine Fülle besaß und deren wir uns heute mit Recht schämen, gehört wohl auch
das gänzliche Unverständnis gegenüber allen Phänomenen, die auch nur ein
wenig außerhalb einer sich völlig rational dünkenden Welt lagen. Und weil
man damals gewöhnt war, bloß die abendländische Kultur und ihr Denken als
verpflichtend anzusehen, alles übrige aber als minderwertig abzutun, so war
man leichthin geneigt, alle Phänomene, die der rationalen Eindeutigkeit nicht
entsprachen, der Kategorie des Unter-Europäischen und Minderwertigen zuzu-
rechnen. Und trat nun gar ein solches Phänomen, wie etwa die Heilsarmee, im
kleinen Gewand des Friedens und der flehentlichen Bitte auf, da war des Spot-
tens kein Ende. Man wollte Eindeutiges und Heroisches, mit anderen Worten
Ästhetisches sehen, man glaubte, daß dies die Haltung des europäischen Men-
schen sein müsse, man war gar in einem mißverstandenen Nietzscheanismus
befangen, mochten auch die meisten den Namen Nietzsche niemals vernom-
men haben, und der Spuk fand erst ein Ende, als die Welt so viel Heroismus zu
sehen bekam, daß sie ihn vor lauter Heroismus nicht mehr zu sehen vermochte.
Hermann Broch, Die Schlafwandler

Seit je hat die Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens


das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren
einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen
Unheils.
Max Horkheimer – Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung.

1. Heterogenität, Dissens, Widerstreit: Jean François Lyotard


Mit Jean François Lyotards Buch La condition postmoderne (1979) beginnt die Diskussion
um die Postmoderne in der Philosophie. Seither hat dieses Buch ein breites, internationales
Echo gefunden. Das postmoderne Wissen, so der deutsche Titel des Buches, ist ein »Bericht
über das Wissen in den höchstentwickelten Gesellschaften«, den Lyotard im Auftrag des Uni-
versitätsrates der Regierung von Québec angefertigt hat und den er selbst eher als eine »Gele-
genheitsarbeit« ansieht.1

Die Krise der »großen Erzählungen«


Bei Lyotard bezeichnet Postmoderne den »Zustand der Kultur nach den Transformationen,
welche die Regeln der Spiele der Wissenschaft, der Literatur und der Künste seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts getroffen haben«.2 Auslöser für diese Transformationen ist eine »Krise
der Erzählungen«, die sich spätestens seit den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts zeigt, in
der Zeit, in der »die Gesellschaften in das sogenannte postindustrielle und die Kulturen in das
sogenannte postmoderne Zeitalter eintreten«.3 Natürlich geht dieser Wandel nicht in allen Be-
reichen der Kultur und in den verschiedenen Ländern gleichschnell voran: »daher die generel-
le Dischronie, die nicht leicht ein Gesamtbild abgibt«.4 Dennoch: Die Krise der modernen

1 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 13, 17. Vgl. zum Gesamtwerk Lyotards: W. REESE-SCHÄFER:
Lyotard zur Einführung.
2 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 13.
3 A.a.O., S. 13, 19.
4 A.a.O., S. 19.
III. Philosophie 67

Kultur ist evident und die Entwicklungen und Transformationen lassen sich – wenn auch nur
bedingt – erkennen.5
Grundlegend für die Situation der Postmoderne ist eine Skepsis gegenüber den modernen
Metaerzählungen.6 Weil die neuzeitlich-moderne Wissenschaft einen Anspruch auf Wahrheit
erhob, mußte sie einen Metadiskurs, einen Legitimationsdiskurs führen, um die Spielregeln
für die Wissenschaft zu begründen.7 Doch aus der postmodernen Perspektive betrachtet, besit-
zen die modernen Gesellschaftsmodelle, die »großen Erzählungen«, keinen Erklärungswert
mehr, weil sie den Wandlungen, die durch die »Informatisierung der Gesellschaft« geschehen,
nicht gerecht werden: So verlieren Institutionen, gesellschaftliche Klassen, Parteien, Vereini-
gungen und Berufsverbände zunehmend an Anziehungskraft, das Wissen liegt ausschließlich
in den Händen von Experten, Identifizierungen mit »Heroen« werden schwieriger, die sozialen
Bänder und Lebenswelten zerfallen und die Gesellschaft ist in viele kleine Grüppchen und
Zirkel zersplittert.8 In dieser »Zerstreuung« löst sich das soziale Subjekt auf, das soziale Band
wird zerschnitten: Das »Selbst« hat keinen festgefügten Platz mehr in der Gesellschaft, aber es
ist auch nicht isoliert, denn »es ist in einem Gefüge von Relationen gefangen, das noch nie so
komplex und beweglich war«.9
Das Resultat ist eine Krise der metaphysischen Philosophie und ihrer legitimierenden
Funktion für Wissenschaft und Gesellschaft. Eine stabile Kombination der verschiedenen
Sprachspiele10 ist nicht mehr möglich. Deshalb wird die kommende Gesellschaft aus einer
Vielzahl heterogener Sprachspiele bestehen, die mosaikartig nebeneinander stehen, ohne
durch das einigende Band eines Metadiskurses verbunden zu sein.11 Ein gesellschaftlicher
Konsens erscheint unmöglich, denn: Wie sollen die verschiedenen Sprachspiele zusammen-
gehalten werden, wenn eine einheitsstiftende Metaerzählung nicht mehr vorhanden ist? Auch
ein Konsens, der durch Diskussion erzielt wird, erweist sich als nicht wünschenswert, weil er
der Heterogenität der Sprachspiele Gewalt antut. Für Lyotard gibt es nur die Möglichkeit, die
Heterogenität der Sprachspiele anzuerkennen und ihre Inkommensurabilität zu ertragen. Die
entscheidende Frage für Lyotard ist nun: Ist eine Legitimation des sozialen Bandes, ist eine

5 A.a.O., S. 19-20.
6 A.a.O., S. 14. Vgl. zu den »Großen Erzählung« auch: J. F. LYOTARD: Zeit heute, S. 161-162.
7 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 13-14. Der Legitimationsdiskurs wurde nicht zuletzt auch
deswegen notwendig, weil die legitimierende Funktion religiöser Weltbilder durch die Vernunft des auto-
nomen Subjektes und das wissenschaftliche Denken ersetzt wurde. Lyotard verweist dazu auf den amerika-
nischen Soziologen Robert Lynd. J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 43, Anm. 38. Vgl. R. S.
LYND: Knowledge for What?, S. 239.
8 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 52-54. Die hier von Lyotard beschriebenen Veränderungen
wurden schon Anfang der siebziger Jahre von den Soziologen Peter L. Berger, Hansfried Kellner und Bri-
gitte Berger analysiert und werden auch von neueren soziologischen Studien zum gesellschaftlichen Wan-
del bestätigt. Vgl. dazu: P. L. BERGER – B. BERGER – H. KELLNER: Das Unbehagen in der Modernität,
S. 59-74; 157-163; B. GIESEN: Die Entdinglichung des Sozialen, S. 112-144; U. BECK: Risikogesellschaft,
S. 113-160; Erster Hauptteil, IV. 2.
9 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 54-55.
10 Lyotards grundlegende Methode zur Beschreibung gesellschaftlicher Gegebenheiten ist die auf Ludwig
Wittgenstein zurückgehende Sprachspieltheorie, die Lyotard freilich in modifizierter Weise verwendet
(vgl. dazu: W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 228, Anm. 6). Nach Lyotard besteht der beob-
achtbare soziale Zusammenhang aus verschiedenen Sprachspielen, die durch jeweils verschiedene Regeln
bestimmt werden und die durch Spielzüge in Kommunikation zueinander stehen. Vgl. J. F. LYOTARD: Das
postmoderne Wissen, S. 36-41.
11 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 14-15.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 68

gerechte Gesellschaft ohne den Rekurs auf eine Metaerzählung praktikabel?12 Das postmo-
derne Wissen verfolgt die Lösung dieser Frage.

Das Problem der Gerechtigkeit ohne Konsens


Die »Informatisierung der Gesellschaft« bewirkt, daß »Wissen« nicht mehr in einem
unauflöslichen Zusammenhang mit der individuellen »Bildung des Geistes« gesehen wird,
sondern in »neutraler Form« als Information konsumiert wird: Wissen wird
kommerzialisiert.13 Da Wissen auch immer mit Macht verbunden ist, ergibt sich eine
Koppelung von Politik und Wissenschaft: »Wer entscheidet, was Wissen ist und wer weiß,
was es zu entscheiden gilt?«14 In den traditionalen Gesellschaften legitimierte sich das Wissen
selbst: als narratives Wissen durch den Mythos.15 Unter den Bedingungen der Moderne
hingegen bedarf das wissenschaftliche Wissen der Legitimation (Wer beweist den Beweis?
Wer entscheidet über die Bedingungen des Wahren? Wer darf am wissenschaftlichen Diskurs
teilnehmen?).16 Durch Kants Unterscheidung von Erkennen und Wollen und durch die Idee,
daß die wahre Wissenschaft nach gerechten Zielen strebt, wird das Wissen zur Voraussetzung
des ethischen Handelns. Das Wissen ist nicht mehr Subjekt, es dient diesem. Seine Legitimität
ergibt sich aus seiner Nützlichkeit.17 Die wissenschaftliche Frage lautet nicht mehr: »Ist das
wahr? sondern: Wozu dient es?«18
Dadurch ist die Wissenschaft jedoch auf die Stufe einer Ideologie, eines Machtinstru-
ments, zurückgesunken, weil »der Diskurs, der sie legitimieren sollte, selbst, wie eine ›ge-
wöhnliche‹ Erzählung, von einem vorwissenschaftlichen Wissen abhängig erscheint«.19 Der
subversive Blick Nietzsches offenbart, »daß der ›europäische Nihilismus‹ aus der Selbstan-
wendung des wissenschaftlichen Wahrheitsanspruchs auf diesen Anspruch selbst resultiert«.20
Indem der metawissenschaftlich-spekulative Diskurs zerbricht und die Wissenschaften sich
aus der enzyklopädischen Verkettung emanzipieren, kommt es zur Delegitimierung: »Die
›Krise‹ des wissenschaftlichen Wissens, deren Anzeichen sich bereits seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts vervielfachen, entstammt nicht einer zufälligen Wucherung der Wissenschaften,
die selbst die Wirkung des Fortschritts der Techniken und der Ausbreitung des Kapitalismus
wäre. Sie ergibt sich aus der inneren Erosion des Prinzips der Legitimität des Wissens«.21 Statt
einer »Hierarchie der Wahrheiten« macht sich nun ein »flaches Netz« von Forschungen breit,

12 A.a.O., S. 16.
13 A.a.O., S. 24, 30. »Die Vermittlung des Wissens erscheint nicht mehr dazu bestimmt, eine Elite zu bilden,
die fähig ist, die Nation in ihre Emanzipation zu führen, sondern sie versorgt das System mit Spielern, die
in der Lage sind, ihre Rolle auf den pragmatischen Posten, deren die Institutionen bedürfen, erwartungsge-
mäß wahrzunehmen«. A.a.O., S. 142.
14 A.a.O., S. 35.
15 A.a.O., S. 63-75.
16 A.a.O., S. 76-86.
17 A.a.O., S. 108-109.
18 A.a.O., S. 150.
19 A.a.O., S. 114.
20 A.a.O., S. 115. Vgl. zur geschichte des Nihilismus: K.-H. HILLMANN: Nihilismus, S. 156-161.
21 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 116. Ähnlich auch: A. GEHLEN: Studien zur Anthropologie
und Soziologie, S. 318-320.
III. Philosophie 69

in dem die wissenschaftlichen Erkenntnisse den Wert von bloßen Informationen haben.22 Dies
führt zu der postmodernen Einsicht, daß die Wissenschaft weder sich selbst noch die anderen
Sprachspiele legitimieren kann.23 Die Zersplitterung des Wissenschaftssystems kann leicht zu
einem Pessimismus führen, wie im Wiener Kreis um die Jahrhundertwende, als deutlich wur-
de, daß es keine universelle Metasprache für all die verschiedenen Sprachspiele gibt. Während
der Wiener Kreis in einen Positivismus flüchtete, kann – so Lyotard – die »Trauerarbeit« über
die verlorengegangenen Illusionen als abgeschlossen betrachtet werden: »Die Sehnsucht nach
der verlorenen Erzählung ist für den Großteil der Menschen selbst verloren«.24
Lyotard zufolge basiert die moderne Wissenschaft auf einem falschen Determinismus, der
von einem stabilen Zustand des In- und Outputs von Systemen ausgeht. Die Katastrophen-
theorie und die Chaosforschung belegen jedoch eindrücklich, daß es nur »Inseln des Determi-
nismus« geben kann und die Evolution eher diskontinuierlich, paradox und katastrophisch
verläuft.25 Deswegen legt sich ein Legitimationsmodell durch »Paralogie« nahe, doch die ent-
scheidende Frage ist die, »ob eine Legitimierung allein durch Paralogie möglich« ist.26 Der
Rekurs auf die großen Erzählungen scheidet jedenfalls aus. Auch Habermas’ Theorie des
kommunikativen Handelns hat an Überzeugungskraft eingebüßt, weil sie auf zwei nichtevi-
denten Voraussetzungen beruht: erstens, daß sich alle Mitspieler über die Metapräskriptionen
einig werden, mit denen gespielt werden soll und zweitens, daß das Ziel des Dialoges der ge-
sellschaftliche Konsens ist.27 Nicht besser steht es mit Luhmanns Systemtheorie, die vom
Prinzip her terroristisch ist, weil der Performativität und Systemoptimierung alles untergeord-
net wird: Wer nicht mitspielt, wird eliminiert.28 Demgegenüber muß die Betonung auf den
Dissens gelegt werden, denn »die Forschungen, die unter der Vorherrschaft eines Paradigmas
gemacht werden, streben danach, sie zu stabilisieren (...) Aber man ist erstaunt, daß immer
jemand kommt, um die Ordnung der ›Vernunft‹ zu stören«.29
Dissense, Paradigmenwechsel und Paralogien im System herauszufinden, ist nach Lyo-
tard die einzige Möglichkeit, Wissen zu legitimieren und neues Wissen hervorzubringen.30 Da
ein universeller Konsens aller »vernünftigen« Subjekte nicht zu erwarten ist, stellt sich für
Lyotard die Frage, wie man zu »einer Idee und einer Praxis der Gerechtigkeit gelangen« kann,
»die nicht an jene des Konsens gebunden ist«.31 Zwei Richtungsanzeiger gibt Lyotard für die-
sen Weg an: »Das Erkennen der Heteromorphie der Sprachspiele ist ein erster Schritt in diese

22 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 116-117. Vgl. zur horizontalen Struktur heutigen Wissens
auch: F. JAMESON: Postmoderne, S. 58.
23 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 119.
24 A.a.O., S. 122. Vgl. zur Wiener Moderne auch: W. WELSCH: Unsere Postmoderne Moderne, S. 187, 194-
195; J. LE RIDER: Das Ende der Illusion; G. GABRIEL: Solipsismus; U. GAIER: Krise Europas um 1900;
W. SCHMIDT-DENGLER: Wien 1918.
25 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 173.
26 A.a.O., S. 176
27 A.a.O., S. 189-190. Vgl. zum Problem des »Konsenses« bei Lyotard und Habermas auch: M. FRANK: Das
Sagbare und das Unsagbare, S. 574-589; R. RORTY: Habermas and Lyotard on Post-Modernity, S. 32-44.
28 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 184.
29 A.a.O., S. 177. Lyotard bezieht sich hier auf Thomas Kuhns Paradigmenwechseltheorie. Vgl. TH. S. KUHN:
Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen.
30 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 187.
31 A.a.O., S. 190. Für Lyotard ist das Problem der Gerechtigkeit das zentrale philosophische Problem. Vgl.
J. F. LYOTARD – J. L. THÉBAUD: Au Juste, S. 52-53.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 70

Richtung«, der zum Verzicht auf Terror und Totalitarismus führt und demokratische Struktu-
ren fördert; »der zweite ist das Prinzip, daß, wenn es einen Konsens über die Regeln gibt, die
jedes Spiel und die darin gemachten ›Spielzüge‹ definieren, so muß dieser Konsens lokal sein,
das heißt von gegenwärtigen Mitspielern erreicht und Gegenstand eventueller Auslösung«.32

Der Widerstreit
Die in La condition postmoderne vorgelegte Theorie hat Lyotard in den folgenden Jahren ü-
berarbeitet, ergänzt und in einzelnen Punkten auch widerrufen. Schon sehr früh wollte Lyotard
»Postmoderne« nicht mehr als Epochen- und Periodisierungsbegriff verstanden wissen.33 Als
postmodern soll vielmehr derjenige »Gemüts- oder Geisteszustand« verstanden werden, der
sich der Pluralität der Sprach-, Denk- und Lebensformen bewußt ist.34 Gleichzeitig wendet er
sich gegen eine diffuse Postmoderne der Beliebigkeit, des »alles ist erlaubt« und des »zyni-
schen Eklektizismus«.35 Stattdessen plädiert er für eine »achtenswerte Postmoderne«36, die er
in seinem 1983 erschienenen Hauptwerk Le différend zu präzisieren versucht. Der Wider-
streit, so der deutsche Titel, führt dann auch die im postmodernen Wissen grundgelegte Theo-
rie weiter aus.37
Im gesellschaftlichen Zusammenleben muß es zu sprachlichen Konflikten, zu einem
sprachlichen Wettkampf kommen, weil es eine alle Sprachspiele verbindende, gemeinsame
Sprache nicht gibt, sondern nur heterogene und inkompatible Diskurstypen.38 Und weil es
nach dem Ende der Metaphysik keinen einheitlichen und übergeordneten Gesichtspunkt, kei-
nen Metadiskurs mehr gibt, der einen Widerstreit zu schlichten erlaubt, schlägt Lyotard vor,
diesen Widerstreit der unterschiedlichen Sprachspiele zu affirmieren statt ihn beseitigen zu
wollen.39 Denn nach Lyotard entsteht der Terror gerade daraus, daß man versucht, das Eine,
das Allgemeine, das Absolute gegen das Viele, das Heterogene durchzusetzen.40

32 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 191.


33 J. F. LYOTARD: Die Moderne redigieren, S. 213. Vgl. auch: J. F. LYOTARD – J. L. THÉBAUD: Au Juste,
S. 33, Anm. 1.
34 J. F. LYOTARD: Philosophie und Malerei im Zeitalter des Experimentierens, S. 97.
35 J. F. LYOTARD: Beantwortung der Frage: »Was ist postmodern?«, S. 197; J. F. LYOTARD: Immaterialität
und Postmoderne, S. 30, 38. Ebenso: J. F. LYOTARD: Beantwortung der Frage: »Was ist postmodern?«,
S. 195, 197. Die Polemik bezieht sich hier auf Charles Jencks.
36 J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 12.
37 Vgl. zu Lyotards Der Widerstreit auch: M. FRANK: Die Grenzen der Verständigung, S. 35; B. H. F. TAU-
RECK: Bücher, S. 715-716.
38 J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 53-54. »Es gibt keine ›Sprache‹ [langage] im allgemeinen, es sei denn
als Gegenstand einer Idee«. A.a.O., S. 10. Vgl. auch: J. F. LYOTARD: Postmoderne für Kinder, S. 99-102;
J. F. LYOTARD: Grabmahl des Intellektuellen, S. 86. Vgl. zu Lyotards Der Widerstreit: H.-P. KRÜGER:
Postmoderne als das kleinere Übel, S. 203-221.
39 J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 11-13.
40 J. F. LYOTARD: Beantwortung der Frage: »Was ist postmodern?«, S. 203. »Das 19. und 20. Jahrhundert
haben uns das ganze Ausmaß dieses Terrors erfahren lassen. Wir haben die Sehnsucht nach dem Ganzen
und Einen, nach der Versöhnung von Begriff und Sinnlichkeit, nach transparenter und kommunizierbarer
Erfahrung teuer bezahlt. Hinter dem allgemeinen Verlangen nach Entspannung und Beruhigung vernehmen
wir nur allzu deutlich das Raunen des Wunsches, den Terror ein zweites Mal zu beginnen, das Phantasma
der Umfassung der Wirklichkeit in die Tat umzusetzen. Die Antwort darauf lautet: Krieg dem Ganzen,
zeugen wir für das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens«.
Ebd.
III. Philosophie 71

Auch die Frage nach der Gerechtigkeit wird nun wieder aufgenommen. Weil es kein Prin-
zip mehr gibt, nach dem Recht gesprochen werden kann, fallen richterliche Instanzen als
Schiedsstelle für die Widerstreite aus.41 Um zu einer Grechtigkeitskonzeption zu gelangen,
die nicht mehr im Namen eines übergeordneten, allgemeinen Prinzips eine Entscheidung zu-
gunsten des einen und zu Lasten des anderen fällt, sind zwei Schritte notwendig: Zum einen
muß theoretisch der Widerstreit offengelegt werden, zum anderen muß praktisch nach Mög-
lichkeiten gesucht werden, um einer im Diskurs an den Rand der Sprachlosigkeit gedrängten
Gruppe zur Artikulation zu verhelfen.42 Gegen die faktische Ungerechtigkeit in der Welt soll
so auf Gerechtigkeit hingearbeitet werden.43

2. Die Kritik an Lyotards Postmoderne-Konzeption


Die philosophische Diskussion um die Postmoderne ist vor allem von dem für und wider der
von Lyotard vorgelegten Theorie geprägt.44 Kritisiert werden vor allem Lyotards emphatisches
Plädoyer für den Pluralismus, seine Theorie der Gerechtigkeit, die sprachphilosophischen Prä-
missen seiner Kommunikationstheorie, aber auch die ethischen Konsequenzen, die sich aus
seiner Ablehnung einer Metainstanz zur Schlichtung von Streitfällen ergeben.

Der Affekt gegen das Allgemeine


Lyotard wird von dem Frankfurter Philosophen Axel Honneth vorgeworfen, daß seine Per-
spektive, von der aus er die Moderne betrachtet, verengt ist, weil er die phänomenologische
Denktradition und den amerikanischen Pragmatismus ausblendet, die sich nicht über eine spe-
kulative Geschichtsphilosophie legitimieren, sondern »in den praktischen, präreflexiven Welt-
bezügen des Menschen selbst die kognitiven Wurzeln für die methodischen Leistungen der
Wissenschaft« sehen.45 Der »Affekt gegen das Allgemeine« und den »Universalismus« über-
haupt sitzt bei Lyotard so tief, daß seine gesamte Konstruktion in Mitleidenschaft gezogen
wird, denn es ist keineswegs so selbstverständlich wie Lyotard glauben machen will, daß die
Sprachspiele absolut heteromorph sind.46 Durch diese Präsupposition vergibt er sich die Mög-
lichkeit, erst einmal auszuprobieren, wie weit man im diskursethischen Verfahren zur »inter-

41 J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 11.


42 A.a.O., S. 32-36, 236-237. Vgl. dazu auch: CH. BÜRGER: Moderne als Postmoderne, S. 125.
43 Vgl. zur praktischen Durchführung einer solchen Konzeption von Gerechtigkeit als »philosophische Poli-
tik«: W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 241-245. Vgl. zur Adaption von Lyotards Postmoder-
ne-Konzeption von politikwissenschaftlicher Seite: F. FECHNER: Politik und Postmoderne; ST. K. WHITE:
Political Theory and Postmodernism.
44 Vgl. zur Diskussion um Lyotard: E. ANGEHRN: Krise der Vernunft; H.-L. OLLIG: Der Streit um die Moder-
ne; W. WELSCH – CH. PRIES (Hrsg.): Ästhetik im Widerstreit; P. TEPE: Postmoderne/Poststrukturalismus,
S. 109-146; W. REESE-SCHÄFER – B. H. F. TAURECK (Hrsg.): Jean François Lyotard; A. HÜTTER –
TH. HUG – J. PERGER (Hrsg.): Paradigmenvielfalt und Wissensintegration. Von theologischer Seite: W. A.
BEARDSLEE: Christ in the Postmodern Age, S. 63-80.
45 A. HONNETH: Der Affekt gegen das Allgemeine, S. 898.
46 A.a.O., S. 900-901. »Das ist die unbefragte Prämisse in der Argumentation Lyotards«. A.a.O., S. 901. Vgl.
zum »Affekt gegen das Allgemeine« auch: K.-O. APEL: Diskurs und Verantwortung, S. 154-178.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 72

subjektiven Einigung auf soziale Normen« kommt.47 Lyotard muß sich in seinen eigenen Prä-
missen letztlich verfangen: Wie soll die Gleichheit aller Sprachspiele begründet werden, wenn
man auf jede allgemeine, spezifische Normen übergreifende Regelung des gesellschaftlichen
Miteinanders verzichtet? So leicht, wie Lyotard glaubt, läßt sich das »universalistische Gedan-
kengut der Moderne« nicht verabschieden.48

Das ungelöste Problem einer Gerechtigkeit ohne Konsens


Der Konstanzer Philosoph Albrecht Wellmer stimmt Lyotard darin zu, daß die Sprachspiele in
»irreduzibler Pluralität« ineinander verschachtelt sind, daß aber das Problem einer »Gerech-
tigkeit ohne Konsens« bei Lyotard ungelöst bleibt.49 Zwar ist ein alles umfassender Metadis-
kurs im Sinne einer Großtheorie oder Letztbegründung ebenso unmöglich wie ein allgemeiner
und universaler Konsens. Die Naivitäten der liberalistischen und anarchistischen Tradition
wiederholen sich jedoch bei Lyotard, denn – so die entscheidende Frage – wie sollen sich die
»Freiheitskämpfe der unterdrückten Völker, ja letztlich alle Konflikte und Krisen der indus-
triellen Gesellschaft« anders lösen lassen als durch kommunikatives Handeln im Sinne von
Habermas?50 Die postmoderne Situation ist zwar dadurch gekennzeichnet, »daß es weder letz-
te Legitimation noch letzte Lösungen« gibt, aber dies ist noch nicht die Lösung des Prob-
lems.51 Daraus ergibt sich gerade erst als Aufgabe für die Postmoderne, »daß der moralisch-
politische Universalismus der Aufklärung, daß die Ideen individueller und kollektiver Selbst-
bestimmung, und daß die Vernunft und die Geschichte neu gedacht werden müssen«.52

Neoliberaler Pluralismus oder frühmoderner Sozialdarwinismus?


Für die amerikanische Philosophin Seyla Benhabib ist Lyotard ein »desillusionierter Marxist«,
der erkennt, daß der Rekurs auf die großen Metaerzählungen der Geschichte zu einer »fal-
schen Ganzheit der Moral« geführt hat. Der Terror beginnt für Lyotard nicht bei der Französi-
schen Revolution, bei Stalin oder Pol Pot, sondern bei Kant und Hegel.53 Von daher ist Lyo-
tards Insistieren auf dem Inkommensurablen, dem Heterogenen und der Agonistik, das davor
bewahren soll, den Terror des Absoluten zu installieren, durchaus nachzuvollziehen. Dennoch
bleibt Lyotards Entwurf ambivalent, denn »die Aktivierung von Differenzen muß nicht unbe-
dingt zu demokratischer Anerkennung der Daseinsberechtigung des ›Anderen‹ führen, son-
dern kann auch als konservativer Appell aufgefaßt werden, der den anderen wegen seiner An-
dersheit aus den Schranken unserer gemeinsamen Humanität und Verantwortung

47 A. HONNETH: Der Affekt gegen das Allgemeine, S. 901.


48 A.a.O., S. 902.
49 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 105. Eine zwischen Moderne und Postmo-
derne dialektisch vermittelnde Position nimmt auch Gérard Raulet ein. Vgl. G. RAULET: Gehemmte Zu-
kunft, S. 122-172.
50 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 106.
51 Ebd.
52 A.a.O., S. 108. Vgl. dazu auch: R. BAUMGART: Postmoderne, S. 68.
53 S. BENHABIB: Kritik des ›postmodernen Wissens‹, S. 118-119.
III. Philosophie 73

herausgedrängt«.54 Daher steht zur Debatte, ob Lyotards Konzept des Polytheismus und der
Agonistik radikal-demokratische Vorgänge fördert, oder eher – »unter der Tarnung Postmo-
derne« – behindert.55
Politisch ergeben sich nach Benhabib aus Lyotards Epistemologie zwei Alternativen: »ein
vage definierter neoliberaler Pluralismus und ein kontextueller Pragmatismus«.56 Der neolibe-
rale Pluralismus bleibt solange naiv, bis geklärt ist, wie die sozialen und kulturellen
Ungerechtigkeiten in einer Gesellschaft beseitigt werden können. Der Vorschlag, der
»Öffentlichkeit freien Zugang zu den Speichern und Datenbanken«57 zu geben, reicht nicht
aus, denn so ist wohl »kaum die hoffnungslose Lage derer zu beseitigen, für die allein die
Forderung nach Demokratisierung der Information schon ein Luxus darstellt, da sie als
Randgruppen unserer Gesellschaft nicht einmal Zugang zu Organisationsmöglichkeiten
geschweige denn zu Informationsquellen haben«.58 Letztlich ist Lyotards Konzept eines
»glücklichen Polytheismus der Sprachspiele« blauäugig und gefährlich, denn es gibt Zeiten,
»in denen die Philosophie es sich nicht leisten kann, eine ›fröhliche Wissenschaft‹ zu sein, da
die Realität todernst wird. Es ist zynisch zu leugnen, daß Sprachspiele zu einer Frage von
Leben und Tod werden können und daß der Intellektuelle, statt Diener mehrerer Herren zu
sein,Der
Stellung beziehen
Tübinger muß«.59
Philosophieprofessor Manfred Frank kritisiert an Lyotards Theorie, daß So-
zialdarwinismus und Vitalismus unvermeidlich sind, wenn es keine Schlichtungsinstanz für
divergierende Geltungsansprüche mehr gibt.60 Während Lyotard seinen Gegnern vorwirft, mit
dem »Diskurs des Überzeugens« den Gegner nur übers Ohr hauen zu wollen, führt der
»agonale Diskurs« Lyotards zu einer Reprise der »frühliberalistischen
Konkurrenzgesellschaft«, in der der Stärkere die Macht hat, weil es keine übergeordnete
Metainstanz mehr gibt, an die man appellieren könnte.61 In Lyotards Theorie des Widerstreites
entdeckt Frank einen performativen Widerspruch: Wenn der Widerstreit bestehende
Ungerechtigkeiten entdecken und bewußt machen soll, so impliziert die Kategorie der
Gerechtigkeit einen Geltungsanspruch, der mit der prinzipiellen Heterogenität aller
Diskursarten
Der Publizistin
unvereinbar
Jutta ist.
Georg-Lauer
62 zufolge besteht Lyotards Selbstwiderspruch darin, daß
Lyotard einerseits behauptet, die Zeit der »großen Erzählungen« sei abgelaufen, selbst aber
(sowohl im postmodernen Wissen als auch im Widerstreit) auf eine genuin-abendländische

54 A.a.O., S. 120.
55 A.a.O., S. 119.
56 A.a.O., S. 120. Ähnlich auch die Kritik von: B. DIETSCHY: Gebrochene Gegenwart, S. 285.
57 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 192.
58 S. BENHABIB: Kritik des ›postmodernen Wissens‹, S. 121.
59 A.a.O., S. 122. Ähnlich auch die Kritik von Klaus Hedwig: »Die Tortur, durch die ein Mensch zerbrochen
wird, läßt sich nicht in den ›Widerstreit‹ (différend) konkurrierender Diskursarten einfügen. Wenn über-
haupt, dann hat die Ethik im Verbot dieser und vergleichbarer Handlungen strikt auf Universalität zu be-
stehen«. K. HEDWIG: Die philosophischen Voraussetzungen der Postmoderne, S. 17.
60 M. FRANK: Die Grenzen der Verständigung, S. 15.
61 A.a.O., S. 19-20. Frank weist darauf hin, daß es zwischen der »neufranzösischen« Philosophie und der
deutschen Kulturkritik aus der ersten Jahrhunderthälfte (Klages, Spengler, Benjamin, Schmitt, Horkheimer
und Adorno) zahlreiche Parallelen gibt, die die meisten Franzosen allerdings noch nicht bemerkt haben.
M. FRANK: Zweifacher Auftritt, S. 33.
62 M. FRANK: Die Grenzen der Verständigung, S. 60-62.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 74

große Erzählung rekurriert: auf die Idee der Gerechtigkeit.63 Daraus folgt dann noch eine wei-
tere metaphysische Annahme, daß nämlich die Idee der Gerechtigkeit sinnvoll sein muß, denn
»woher sollte auch die Möglichkeit für einen Begriff von Verantwortung oder Gerechtigkeit
kommen, wenn es keinen Sinn in all diesen Abläufen gibt. Für wen und wofür?«64

Prinzipielle Heterogenität aller Diskursarten?


Für den Bamberger Philosophen Wolfgang Welsch ist Lyotard der Philosoph der Postmoder-
ne, weil kein anderer »vergleichbar früh, vergleichbar präzis und vergleichbar nachhaltig ei-
nen philosophischen Begriff von Postmoderne entfaltet« hat.65 Lyotards Werke sind von »mo-
ralischer Inspiration« und »grundlegend anti-totalitär«, er deckt die Übergriffe und
Verabsolutierungen einer rationalistischen, einheitsorientierten und damit – zumindest poten-
tiell – totalitären Philosophie auf und macht sie »sprachphilosophisch durchschaubar und kri-
tisierbar«.66 Durch sein Plädoyer für eine »radikale Pluralität« schärft Lyotard das Bewußtsein
für Konfliktsituationen und für die damit verbundenen Ungerechtigkeiten.67 Welsch beklagt,
daß im deutschsprachigen Raum Lyotards Konzeption der Postmoderne oft verzerrt, »ober-
flächlich, ignorant oder gezielt diskriminierend«68 dargestellt und besonders Lyotards philoso-
phisches Hauptwerk Le différend nicht zur Kenntnis genommen wird.69
Trotz der Bedeutung, die Welsch der Konzeption Lyotards beimißt, übersieht er nicht die
Schwächen von dessen Theorie. Er diagnostiziert bei Lyotard einen »Sprachobjektivismus«
und »anti-anthropologischen Affekt«, weil Lyotard die Sprache dem menschlichen Subjekt
vorordnet: »Nicht der Mensch ist der Herr der Sprache, sondern die Sprache ist strukturell wie
ereignishaft vorgängig«.70 Dies ist nach Welsch unhaltbar, weil die Herausbildung neuer Idi-
ome in der Sprache nicht ohne die Erfindungsgabe des Menschen denkbar ist: »Gefordert ist
eine Theorie, die den Menschen nicht bloß als Exekutor vorgegebener Spielzüge, sondern
auch als Erfinder neuer Spiele zu verstehen vermag«.71
Das grundlegende Problem in Lyotards Theorie ist die Annahme einer ursprünglichen He-
terogenität aller Diskurstypen, aus der die Aporien und Selbstwidersprüche in Lyotards Kon-

63 J. GEORG-LAUER: Das »postmoderne Wissen« und die Dissens-Theorie von Jean François Lyotard,
S. 202. »Unausgewiesen bleibt dieses Verfahren insoweit, als Lyotard nicht begründen kann, wieso aus der
sprachphilosophischen Kritik an einem Metasprachspiel folgt, daß die Sprachspiele in Form der Differenz
aufeinander bezogen sein sollen. Ist in dieser Figur nicht wiederum ein Drittes formuliert, das allen Sprach-
spielen ebenso äußerlich wie gemeinsam ist?« A.a.O., S. 200.
64 A.a.O., S. 203.
65 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 35.
66 A.a.O., S. 37.
67 A.a.O., S. 36-37.
68 A.a.O., S. 171.
69 W. WELSCH: Heterogenität, Widerstreit und Vernunft, S. 183.
70 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 249. »Du aber bist nichts als seine Ankunft, Empfänger o-
der Sender oder Referent oder gar Bedeutung oder mehrere dieser Instanzen zusammen, dargestellt im U-
niversum des Satzes, der kommt, der geschieht. Er wartet nicht auf dich. Du kommst, wenn er geschieht«.
J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 197. Hier unterscheidet sich Lyotard deutlich von Wittgenstein, der die
Sprache durch den menschlichen Gebrauch definierte. Vgl. L. WITTGENSTEIN: Philosophische Untersu-
chungen, S. 460, Nr. 569-570.
71 W. WELSCH: Heterogenität, Widerstreit und Vernunft, S. 174.
III. Philosophie 75

zeption resultieren. Entweder nimmt man eine prinzipielle Heterogenität und Inkommensu-
rabilität an, »dann sind aber nicht erst ›Gerichte‹ unmöglich, sondern dann ist schon die Hoff-
nung auf Gerichte falsch«, oder man hält an der Idee und der Hoffnung auf Gerechtigkeit fest,
»dann darf man aber die Parteien nicht als radikal heterogen ansetzen«.72 Lyotards »Problem-
lösung« – den Widerstreit offenzulegen und den Unterdrückten zur Sprache zu verhelfen – ist
nur scheinbar eine Lösung, weil die Agonistik jede Lösung verunmöglicht.73 Welsch schlägt
deswegen der neufranzösischen Philosophie vor, »mit dem Dogma des radikalen Bruchs zu
brechen«, statt in nachträglichen Manövern die Aporien zu mildern, denn die Autonomie der
Satz-Regelsysteme und Diskursarten ist keineswegs so absolut wie Lyotard unterstellt, weil
die Sprachspiele immer schon aufeinander bezogen sind und weil die Sprechhandlungen auf
intragenerischen Relationen beruhen und mit diesen arbeiten.74

3. Der Pluralismus als Grundproblem der Postmoderne: Wolfgang Welsch


Wolfgang Welsch, der sich mit Lyotard und der französischen Postmoderne in Deutschland
am intensivsten auseinandergesetzt hat, kritisiert an Lyotard vor allem das Heterogenitätsaxi-
om, das Übergänge zwischen den verschiedenen Diskurstypen von vornherein ausschließt.75
Das Feld der Sprache aber – so Welschs zentrale These – läßt sich nicht ohne solche Über-
gänge beschreiben und schon gar nicht verstehen.76 Seine eigene Konzeption knüpft an die-
sem Punkt an: »Man muß Lyotards Ansatz mit einer Explikation von Vernunft verbinden, die
solche transgressiven Momente thematisierbar und verständlich macht«.77
Der Modernisierungsprozeß hat zu einer Ausdifferenzierung sektoriell unterschiedlicher
Rationalitätsformen (kognitive, ästhetische, religiöse, ethische und technische Rationalität)
geführt, die in ihren Bereichen einen spezifischen Geltungsanspruch erheben, aber im inter-
sektoriellen Bezug eine Pluralität konkurrierender Paradigmen freisetzen.78 Aus diesem Plura-
lismus entstehen auf der transsektoriellen Ebene unvermeidliche Konflikte: Die verschiedenen
Paradigmen grenzen sich gegeneinander ab, sind aber dadurch auch immer schon aufeinander
bezogen.79 Die unterschiedlichen Rationalitätsformen sind binnensektoriell aber ebenfalls
nicht homogen, sondern mit Elementen aus anderen Bereichen durchsetzt, kurz: Es gibt zahl-
reiche Übergänge, Verflechtungen, Bezüge und Verweise innerhalb und außerhalb verschie-
dener Rationalitätsgattungen.80

72 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 254; W. WELSCH: Heterogenität, Widerstreit und Ver-
nunft, S. 176-177. »Die Position des Richters, die nur als Metaposition sinnvoll wäre, ist verunmöglicht.
Der Ruf nach dem Gericht hat die Ablehnung des Tribunals schon zu ihrer Kehrseite. Die absolute Hetero-
genität führt zur paradoxen Doppelfigur der Konstitution von Parteien und der Verunmöglichung von Ge-
richten«. W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 253-254.
73 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 255, 310, 312.
74 W. WELSCH: Heterogenität, Widerstreit und Vernunft, S. 178.
75 A.a.O., S. 181.
76 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 258, 310.
77 A.a.O., S. 261.
78 A.a.O., S. 295, 297. Vgl. zur Pluralisierung der Rationalität auch: G. RAULET: Singuläre Geschichten und
pluralische Ratio, S. 275-292.
79 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 299-300.
80 A.a.O., S. 300-303.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 76

Die transversale Vernunft


Welsch versucht mit dem Modell der »transversalen Vernunft« (einer die »Gegensätze über-
schreitenden Vernunft«), die Übergänge zwischen verschiedenen Vernunftformen zu be-
schreiben und praktisch-philosophisch fruchtbar zu machen. Denn die Vernunft, so Welsch,
bringt nicht fertige Maßstäbe mit, sondern expliziert, artikuliert und vergleicht die »internen
Ansprüche vorgegebener Rationalitäten«, um »Selbstmißverständnisse einzelner Rationalitäts-
formen zu korrigieren wie andererseits auch Lücken im Rationalitätsprofil aufzudecken und
die Ausarbeitung weiterer Rationalitätsfelder anzuregen und voranzutreiben«.81 Eine im »gän-
gigen Sinn« vernünftige Praxis entsteht dort, wo die Vernunft »nicht bloß die Konsequenz ei-
nes einzigen Rationalitätstyps verfolgt, sondern auch das Umfeld im Blick hat und regulativ
zur Geltung bringt«.82 Um eine solche Praxis handelt es sich bei der »transversalen Vernunft«.
Für die Konfliktlösung bedeutet dies: Weder der Dissens (gegen Lyotard) noch der Konsens
(gegen Habermas) ist das Ziel transversaler Vernunft.83 Sie leistet die »Klärungsarbeit« und
geht mit Differenz und Identität so um, daß sie sich nicht a priori auf eine Seite schlägt, son-
dern beide Möglichkeiten für die konkrete Praxis gelten läßt.84 Transversale Vernunft muß als
das Geschehen begriffen werden, das in »offener Prozessualität« die »vielen Lichter« über-
prüft, ohne allerdings teleologische Vorgaben zu präjudizieren.85
Für Welsch ist die Konzeption transversaler Vernunft mit den anti-totalitären Impulsen
postmodernen Denkens eng verbunden, weil sie einen prinzipiellen Pluralismus affirmiert und
produktive Übergänge in Konfliktfällen ermöglicht.86 Sie versteht sich als ein Mittelweg zwi-
schen Moderne (im Sinne von Habermas) und Postmoderne (im Sinne von Lyotard), denn
»einerseits wendet sie sich gegen die Totalitätsaporien der Moderne und trägt dem postmo-
dernen Differenzierungsinteresse Rechnung, indem sie grundsätzlich nicht auf Totalität, son-
dern auf Übergänge verpflichtet (...) Andererseits korrigiert sie das absolute Heterogenitäts-
Dogma des rigiden Postmodernismus und trägt so zu dem Verbindungsinteresse moderne-
bezogener Positionen Rechnung, ohne deren Tendenz zu Reduktion und Nivellierung der Dif-
ferenzen zu verfallen«.87 Gleichzeitig garantiert sie die Einheit, die die Subjekte im Umgang
mit der postmodernen Pluralität und Polyperspektivität brauchen: Einheit nicht mehr als herr-
schende, totalitäre Einheitlichkeit verstanden, sondern als das eine Vermögen der Vernunft,
Übergänge zwischen verschiedenen Regelsystemen vollziehen zu können.88

81 A.a.O., S. 305.
82 A.a.O., S. 306.
83 W. WELSCH: Heterogenität, Widerstreit und Vernunft, S. 184-185.
84 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 306-307.
85 A.a.O., S. 308.
86 A.a.O., S. 312-313. Vgl. zur Kritik an Welschs »dogmatischem Pluralismus«: P. KOSLOWSKI: Wirtschaft
als Kultur, S. 70.
87 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 314; W. WELSCH: Postmoderne: Tradition und Innovation,
S. 107.
88 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 316-317; W. WELSCH: Die Philosophie der Mehrsprachig-
keit, S. 58-68; W. WELSCH: Vielheit ohne Einheit?, S. 111-114; W. WELSCH: Die Postmoderne in Kunst
und Philosophie und ihr Verhältnis zum technologischen Zeitalter, S. 51. Vgl. zum Problem von »Einheit
und Vielheit« auch die Ergebnisse des XIV. Deutschen Kongresses für Philosophie (Gießen, 21.-26. Sep-
tember 1987) mit gleichlautendem Thema: O. MARQUARD (Hrsg.): Einheit und Vielheit.
III. Philosophie 77

Der prinzipielle Pluralismus der Postmoderne


Der Begriff Postmoderne verweist nach Welsch auf eine »Bestimmungskrise«, wo eine »alte
Signatur nicht mehr greift« und eine neue noch nicht eindeutig bestimmbar ist: »Man spürt,
daß die überkommenen Strategien nicht mehr gemäß sind und daß es von ihnen abzurücken
gilt. Dazu will der Terminus anhalten. Er hat Signalfunktion«.89 Postmodern ist die neue Qua-
lität des Pluralismus, der gegenüber der Moderne »vielfältiger und einschneidender« gewor-
den ist.90 Im modernen Pluralismus versuchte jeder seine Vision der Einheit gegen die der an-
deren durchzusetzen.91 Postmodern ist die Einsicht, daß es aussichtslos ist, sich der
Pluralisierung entgegenzustellen. Welsch sieht aber auch die Gefahren des Pluralismus: Be-
liebigkeit und Oberflächlichkeit.92 Durch die Kombination, Verkreuzung und Durchdringung
soll das bloße Nebeneinander verschiedener Positionen überschritten und die Beliebigkeit des
»alles geht« (»Anything goes«)93 verhindert werden. Gefordert ist vielmehr eine Hybridbil-
dung, die durch Mehrfachkodierung Irritationen erzeugt.94 Ein »Grenzbewußtsein« für das
Wißbare und das Unwißbare gehört ebenfalls zum postmodernen Bewußtsein: »Die alte Defi-
nition des Weisen – daß zu seinem Wissen auch das Wissen um sein Nicht-Wissen gehört –
bleibt wichtig (...) Nur der Unwissende traut und spricht sich Zugriff aufs Ganze zu, der Wei-
se hingegen wehrt solcher Totalisierung und bringt durch seine Praxis exemplarisch vor Au-
gen, daß das Ganze zu bewahren ist, indem ein Horizont von Unfaßlichkeit erhalten bleibt«.95

Die religiösen Implikationen postmodernen Denkens


»Krise der Rationalität – Wiederkehr der Religion« ist für Welsch eine charakteristische Dop-
pelfigur postmodernen Denkens, die er allerdings gegen zwei extreme Auslegungen abzugren-
zen versucht: zum einen gegen eine »Totalverwerfung« der Rationalität zugunsten einer
»schrankenlosen Affirmation alles Religiösen, Mythischen, Magischen, Esoterischen, Okkul-

89 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 319.


90 A.a.O., S. 320; W. WELSCH: »Postmoderne« Genealogie und Bedeutung eines umstrittenen Begriffs,
S. 32-33.
91 Auch für den amerikanischen Literaturwissenschaftler und Philosophen Matei Calinescu ist der Pluralismus
an und für sich kein neues, postmodernes Phänomen, sondern schon für die Moderne charakteristisch. Die
Moderne war allerdings prinzipiell monistisch ausgerichtet. Da jedoch verschiedene Theorien der Wirk-
lichkeit entwickelt wurden, führte dies dazu, daß eine Pluralität sich gegenseitig ausschließender Monismen
entstand. Der postmoderne Pluralismus erkennt dagegen an, daß es viele irreduzible Prinzipien und daher
viele Welten gibt. M. CALINESCU: From the One to the Many, S. 263-284; M. CALINESCU: Ways of Look-
ing at Fiction, S. 160.
92 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 322.
93 Das in der Postmoderne-Diskussion immer wieder zitierte »Anything goes« geht auf den Wissenschaftsthe-
oretiker Paul Feyerabend zurück. Er verwendet diesen Ausdruck in den siebziger Jahren als Plädoyer für
einen prinzipiellen wissenschaftlichen Methodenpluralismus: »Der einzige Grundsatz, der den Fortschritt
nicht behindert, lautet: Anything goes (Mach, was du willst)«. P. FEYERABEND: Wider den Methoden-
zwang, S. 35. Später hat Feyerabend diesen Satz präzisiert. Vgl. dazu: P. FEYERABEND: Irrwege der Ver-
nunft, S. 413-417. Ganz ähnlich wie Feyerabend auch: H. F. SPINNER: Pluralismus als Erkenntnismodell,
S. 228.
94 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 324-325. Matei Calinescu votiert für einen »dialogischen
Pluralismus«, der zwischen den verschiedenen kulturellen Bereichen vermitteln, »positives Wissen« und
Konsense ermöglichen soll, um ethische Unterscheidungen auch in einer pluralistischen Situation noch be-
gründen zu können. M. CALINESCU: From the One to the Many, S. 263-284.
95 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 326.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 78

ten« und zum anderen gegen gegen die Rede von einem »Wiedereintritt in ein christliches
Zeitalter«, ein »neues Mittelalter«.96 Vielmehr kommt es darauf an, die Rationalitätskritik auf
der »Linie wissenschaftlicher Kritik« gegen die Totalanmaßungen der Vernunft zur Geltung
zu bringen, um von daher eine »neue Zuwendung zu religiösen und mythischen Dimensionen
der Wirklichkeit« zu versuchen.97
Für Welsch ergibt sich aus der Kritik moderner Totalitätsanmaßungen das Plädoyer für
einen prinzipiellen Pluralismus. Deswegen stellt er – im Hinblick auf die theologische Dis-
kussion des Themas Postmoderne – folgende Frage: »Kann die Verabschiedung des Einen,
kann der Übergang zu radikaler Vielheit, in der das Eine nur eines neben Anderen ist, theolo-
gisch fruchtbar, ja überhaupt mitgemacht werden? Und sind alle Religionen dazu gleicherma-
ßen in der Lage? Oder wäre gerade hierzu eine bestimmte Religion – etwa die christliche – in
besonderer Weise befähigt?«98 Diese von Welsch gestellte Frage haben verschiedene Theolo-
gen aufgegriffen.99

4. Die analytische Philosophie im Übergang zur Postmoderne


Im amerikanischen Kontext wird die Postmoderne oft mit einer Absetzbewegung von der ana-
lytischen Philosophie in Zusammenhang gebracht: »Die gegenwärtige analytische Philosophie
ist im Übergang befindlich und öffnet sich einem breiten Spektrum gesellschaftlicher und kul-
tureller Probleme, bricht mit ihrer historischen Amnesie und entdeckt die Geschichte der Phi-
losophie und die Geschichtlichkeit der Philosophie wieder neu«.100 Besonders Richard Rorty
und Hilary Putnam haben sich von der positivistisch geprägten analytischen Philosophie los-
gesagt und sich zu Postmodernisten erklärt. Ihre Arbeiten stehen im Mittelpunkt der Diskussi-
on, weil – so Wayne Hudson – »zwei Kardinäle der strengen analytischen Philosophie aus der
Kirche ausgetreten zu sein scheinen«.101

Von der analytischen Philosophie zum Pragmatismus: Richard Rorty


Richard Rorty fordert eine grundsätzliche Neuorientierung der Philosophie: Sie soll ihre
transzendentalen Ambitionen aufgeben, sie soll restlos säkularisiert werden und sich von ih-
rem theologischen Rest freimachen, sie soll einsehen, daß sie die grundlegenden Fragen der
Menschheit nicht beantworten kann, sie soll aufhören, sich selber als Wissenschaft zu verste-
hen, Wissensansprüche zu beurteilen und die Kultur mit Letztbegründungen versorgen zu
wollen, sie soll den kontingenten Charakter philosophischer Axiome anerkennen und die Su-

96 W. WELSCH: Religiöse Implikationen und religionsphilosophische Konsequenzen »postmodernen« Den-


kens, S. 119, 177.
97 A.a.O., S. 118.
98 A.a.O., S. 128.
99 Vgl. dazu: Zweiter Hauptteil, I. 1.
100 W. HUDSON: Zur Frage postmoderner Philosophie, S. 148. Vgl. zur gegenwärtigen analytischen Philoso-
phie auch: R. BUBNER: Wohin tendiert die analytische Philosophie?, S. 257-281; L. KOLAKOWSKI: Horror
metaphysikus, S. 8-15. L. NAGL – R. HEINRICH (Hrsg.): Wo steht die Analytische Philosophie heute?
101 W. HUDSON: Zur Frage postmoderner Philosophie, S. 132. Vgl. zu Rortys und Putnams »postmoderner
Wende« auch: J. STOUT: A Lexicon of Postmodern Philosophy, S. 18-22.
III. Philosophie 79

che nach der Wahrheit aufgeben, sie soll sich vielmehr auf immanente, finite und historische
Fragen beschränken.102 Aus diesen Imperativen folgt nach Rorty eine pragmatische Philoso-
phie, die Wissen, Wissenschaft, Wahrheit, Rationalität als dialogische, intrahistorische und
sozialimmanente Kategorien auffaßt.103 Aufgabe dieser Philosophie ist eine Art »Kultur-
betreuung«: Sie soll Pseudofragen aufdecken, überkommene »Sprachregister« und Hand-
lungsmaximen bloßstellen und angemessenere vorschlagen.104 Diese Philosophie macht letzt-
lich nichts anderes als »ihre Zeit in Gedanken zu fassen«.105
Postmodern an diesem Reformprogramm ist für Rorty der Verzicht auf die Metaerzäh-
lungen, der eine »Enttranszendentalisierung« der Philosophie bewirkt.106 In bewußter Anleh-
nung an Lyotard führt Rorty aus, daß der Rationalität das Einverständnis abverlangt wird, daß
es keine zwingenden Argumente für ein universalistisches, tranzendentalphilosophisches Sys-
tem oder eine Metaerzählung gibt.107 Daraus folgt aber nicht, daß die Kultur – wie Lyotard
postuliert – aus lauter Paralogien und Diskontinuitäten bestehen muß. Auf der anderen Seite
bedarf es aber auch nicht einer kommunikativen Theorie mit dem Ziel eines Konsenses wie
Habermas meint.108 Die Philosophie ist seit Descartes eine Reihe falscher Wege gegangen,
weil sie Aufgaben übernommen hat, die sie nicht erfüllen konnte.109 Eine postmoderne Philo-
sophie soll das »Gespräch der Menschheit« fortsetzen, das heißt, für jede neue Entwicklung
einer demokratisch-pluralistischen Kultur offen sein.110 Dies impliziert auch einen Verzicht
auf normativ-ethische Theorien: Moralische Legitimation kann es nur in Form von Konversa-
tion, historischer Erzählung, Vergleich und Kontrast geben, denn Werte haben keine objekti-
ve, rationale Grundlage, sondern basieren auf einem Netz von Überzeugungen, Wünschen und
Emotionen.111 Moral ist Loyalität gegenüber dem historisch gewachsenen Gemeinwesen und
gegenüber dem einzelnen Menschen: Die westliche Kultur jedenfalls enthält Elemente der jü-
disch-christlichen Tradition, die auch ein Atheist (und als solcher versteht sich Rorty selbst)
nicht leugnen kann und die mehr moralische Kraft enthalten als eine »bloß« philosophische
Moral im Sinne Kants und Hegels.112

102 R. RORTY: Philosophy and the Mirror of Nature, S. 373-379; R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?,
S. 5-6; R. RORTY: Consequences of Pragmatism, S. 167-168.
103 R. RORTY: Consequences of Pragmatism, S. XXXVII-XLIV, 162-166.
104 A.a.O., S. 142-153.
105 R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?, S. 5.
106 R. RORTY: Postmodernist Bourgeois Liberalism, S. 585, 588.
107 R. RORTY: Habermas and Lyotard on Post-Modernity, S. 41. Vgl. auch: R. RORTY: Beyond Realism and
Anti-Realism, S. 115.
108 R. RORTY: Habermas and Lyotard on Post-Modernity, S. 33-34; R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?,
S. 8-9. Vgl. zur Diskussion um die gegensätzlichen Positionen von Lyotard und Habermas: G. RAULET:
From Modernity as One-Way Street To Postmodernity as Dead End, S. 156-162.
109 R. RORTY: Philosophy and the Mirror of Nature, S. 131-139.
110 A.a.O., S. 389-394. Vgl. zu Rortys »narrativer Philosophie« und zu seinen Vorstellungen einer postmoder-
nen Kultur: CH. NORRIS: The Contest of Faculties, S. 139-166.
111 R. RORTY: Postmodernist Bourgeois Liberalism, S. 585, 587. »Was man unter einem anständigen Men-
schen versteht, ist relativ zu historischen Bedingungen, hängt ab von einem kurzzeitigen Konsens darüber,
welche Einstellungen normal und welche Handlungsweisungen gerecht oder ungerecht sind«. R. RORTY:
Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 305.
112 R. RORTY: Postmodernist Bourgeois Liberalism, S. 588. Vgl. dazu von theologischer Seite auch: W. D.
ROBINSON: Reason, Truth and Theology, S. 93-103.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 80

Rorty vertritt als Programm für die Postmoderne einen sozialimmanenten, bürgerlichen
Liberalismus, der einen zweckdienlichen, traditionsbezogenen Pragmatismus zur Folge hat.113
Dieser Pragmatismus ist in Rortys Sicht keine »Philosophie der Verzweiflung«, sondern eine
»Philosophie der Solidarität«.114 Eine objektive Epistemologie kann es dagegen nach Rorty
nicht mehr geben: »Das beste Argument, das wir Parteigänger der Solidarität gegen die realis-
tischen Parteigänger der Objektivität ins Feld führen können, ist Nietzsches Argument, wo-
nach die in der Tradition des Abendlandes verankerte metaphysisch-erkenntnistheoretische
Art der Festigung unserer Gewohnheiten einfach nicht mehr funktioniert. Sie erfüllt ihre Auf-
gabe nicht«.115 Es bleibt die Hoffnung, »daß eine Überzeugung auch dann noch das Handeln
regulieren, auch dann wert sein kann, daß man das Leben für sie läßt, wenn die Träger dieser
Überzeugung dessen gewahr sind, daß sie durch nichts anderes verursacht ist als kontingente
historische Bedingungen«.116

Die Rückbesinnung auf die humanen Traditionen: Hilary Putnam


Nach Hilary Putnam ist die analytische Philosophie an ihr Ende gelangt: »Die analytische
Philosophie hat in der Tat große Erfolge zu verzeichnen; aber diese Erfolge sind negativer
Natur. Ebenso wie der logische Positivismus (der ja selbst auch nur Zweig der analytischen
Philosophie ist) hat es die analytische Philosophie geschafft, eben dasjenige Projekt zu
zerstören, mit dem sie begann«.117 Die analytische Philosophie war in ihrer Ablehnung der
Tradition, in ihrem Szientismus und Progressismus ein typisch modernes Projekt, aber ihre
Suche nach dem »wirklich Existierenden« oder der »wahren Welt« hat sich als Illusion
erwiesen.118 Putnam sieht nun die Postmoderne in der Philosophie kommen, weil die
vollmundige Ablehnung alles »Traditionellen« ebenso vergeblich wirkt wie die große
Hoffnung, daß die Menschheit einer großen Zukunft entgegengeht.119 Die Philosophie soll
endlich aufhören, die Welt aus »God’s eye view« zu betrachten. Stattdessen soll sie ein
rationaleres Konzept von Rationalität entwickeln, das die anthropologischen, historischen und
kulturellen Grenzen menschlicher Erkenntnis akzeptiert.120 Sie soll sich als
Geisteswissenschaft verstehen, sich kulturellen, alltäglichen Belangen öffnen und ihre
Eingebundenheit in die kulturellen Traditionen stärker reflektieren. Aufgabe der
postmodernen Philosophie ist es fortan, Verfahrensprobleme der alltäglichen Kultur zu
durchleuchten und unter Rückgriff auf die humanen Traditionen die anstehenden Probleme zu
lösen.121

113 R. RORTY: Postmodernist Bourgeois Liberalism, S. 585. Vgl. auch: R. RORTY: Solidarität oder Objektivi-
tät?, S. 27-28.
114 R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?, S. 31. Vgl. zur Kritik an Rortys Pragmatismus: K.-O. APEL: Dis-
kurs und Verantwortung, S. 393-412.
115 R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?, S. 31. Vgl. zur Metaphysikkritik des 19. und 20. Jahrhunderts:
P. KONDYLIS: Die neuzeitliche Metaphysikkritik, S. 361-561.
116 R. RORTY: Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 306.
117 H. PUTNAM: After Ayer, after Empiricism, S. 273.
118 H. PUTNAM: Realism and Reason, S. 180.
119 A.a.O., S. 302-303.
120 A.a.O., S. 301. Vgl. auch: H. PUTNAM: After Ayer, after Empiricism, S. 272.
121 H. PUTNAM: Realism and Reason, S. 183.
III. Philosophie 81

Mögliche Perspektiven einer postmodernen Sozialphilosophie: Wayne Hudson


Rorty und Putnam machen dem australisch-niederländischen Philosophen Wayne Hudson zu-
folge methodologische Entwicklungen deutlich, die über die moderne Philosophie hinauswei-
sen können: »Rorty und Putnams Beitrag besteht darin, unseren Blick dahingehend zu schär-
fen, daß die moderne Philosophie größtenteils die zentralen Themen unter dem Einfluß der
Erkenntnistheorie in der Tat schlecht behandelt hat (Rorty) und daß wir das Problem des
menschlichen Projektionsdenkens nicht einmal ansatzweise verstehen (Putnam)«.122 Aller-
dings liefern weder Rorty noch Putnam ein Programm, das der politischen, ökonomischen und
sozialen Gesamtsituation gerecht wird. Bei beiden zeigt sich in krasser Weise, wie weit sie
von einem Denken in globalen Zusammenhängen entfernt sind, das »einige Propheten der
Postmoderne voraussehen«.123
Der Transzendentalismus muß nicht abgeschafft, sondern unter den Bedingungen der Ge-
genwart neu interpretiert werden. Es geht nicht darum die »harte« Philosophie durch eine
»weiche« oder »schwache« zu ersetzen, sondern darum, eine Sozialphilosophie zu entwerfen,
die Rationalität, Autonomie und Freiheit neu zu denken versucht, weil sich die modernen Ge-
sellschaftsphilosophien für die globalen zeitgenössischen Probleme als inadäquat erweisen.124
Vor allem ist es notwendig, Verantwortung für das zu übernehmen, was die Menschen der
Welt und einander zufügen. Voraussetzung ist allerdings das Eingeständnis, »daß diese Ver-
antwortung inter alia die Erweiterung der bestehenden Formen menschlicher Rationalität und
Reflexion erforderlich macht«.125 Eine postmoderne Sozialphilosophie muß dabei »jedoch
weder die Form eines reaktionären Angriffs auf die Moderne« »noch die Form eines Rückzugs
in historische Wiederbelebungen« annehmen, sondern kann durch eine kritische Revision der
kulturellen und gesellschaftlichen Prinzipien neue Perspektiven aufzeigen und auf diese Wei-
se über die der Moderne hinausgehen.126

Die globale Kartographie der Wahrnehmung: Frederic Jameson


Die Forderung Hudsons nach einer Neuorientierung unseres Erfahrungshorizontes nimmt der
amerikanische Komparatist Frederic Jameson auf, wenn er eine »globale Kartographie unserer
Wahrnehmung und Erkenntnis« fordert, die die zur Zeit herrschende »räumliche und gesell-
schaftliche Konfusion« lichten und den Standort für die individuellen und kollektiven Subjek-
te neu bestimmen könnte.127 Eine »globale Kartographie« der Wahrnehmung könnte der
postmodernen Verwirrung abhelfen, Denkstrukturen durchschaubar und Orientierung möglich
machen.128

122 W. HUDSON: Zur Frage postmoderner Philosophie, S. 149.


123 A.a.O., S. 150.
124 A.a.O., S. 153.
125 A.a.O., S. 152.
126 A.a.O., S. 153.
127 F. JAMESON: Postmoderne, S. 100.
128 Ebd. Vgl. zur Rezeption von Jamesons Postmoderne-Theorie in den USA: D. KELLNER (Hrsg.): Postmo-
dernism/Jameson/Critique.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 82

Die grundlegende Frage nach einer wie auch immer verstandenen Postmoderne ist nach
Frederic Jameson, ob sich die kulturellen Veränderungen seit Ende der fünfziger Jahre grund-
legend von den »periodisch auftauchenden Stil- und Modewechseln« der Moderne unterschei-
den.129 In umfangreichen Untersuchungen der verschiedenen kulturellen Sektoren versucht
Jameson zu zeigen, daß Postmoderne nicht als Stilrichtung verstanden werden sollte, sondern
als »kulturelle Dominante«, die eine historische Periodisierung von Moderne und Postmoder-
ne möglich macht: »Selbst wenn alle konstitutiven Merkmale der Postmoderne mit denen der
Moderne identisch oder aus ihr hervorgegangen wären – eine Position, von der ich glaube, daß
sie nachweislich falsch ist, die aber nur in einer ausführlichen Analyse der Moderne selbst zu
widerlegen ist –, so wären beide in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Funktion dennoch
deutlich voneinander zu unterscheiden«.130 Konstitutive Merkmale der Postmoderne sind nach
seiner Analyse:
– Der »Verlust von Historizität« führt zu einer »neuen Oberflächlichkeit«, und mit den neuen
Informationstechnologien geht eine Globalisierung der Wirtschaft und des kapitalistischen
Systems einher.131
– Weil das »große, globale, multinationale und dezentrierte Kommunikationsgeflecht« den
Orientierungsrahmen der individuellen Subjekte überschreitet, besteht eine grundlegende
Desorientierung.132
– Darüber hinaus macht die Herrschaft der Bilderkultur, des Simulakrums, des Pastiches und
das Schwinden der kritischen und utopischen Potentiale der Moderne praktisch jeden
»Glauben an eine bestimmbare Zukunft und ein kollektives Ziel« unmöglich.133
– Die Rolle des Kulturkritikers und Moralisten wird obsolet, weil auch er in den postmoder-
nen Raum so tief versunken ist, daß die »entrüstete moralische Verurteilung des Gegners
gar nicht mehr zu haben ist«.134
– Weil ein »archimedischer Punkt« und eine »kritische Distanz« aufgrund der Verräumli-
chung nicht mehr lokalisierbar sind, wird die Kritik »auf irgendeine Weise heimlich ent-
waffnet« und vom System absorbiert.135

5. Die Bedeutung Nietzsches für die Postmoderne


Im Zusammenhang mit der philosophischen Postmoderne wird immer wieder auf Nietzsche
rekurriert, der oft als Urvater der Postmoderne angesehen wird.136 Von Anfang an war die

129 F. JAMESON: Postmoderne, S. 45.


130 A.a.O., S. 49.
131 A.a.O., S. 50.
132 A.a.O., S. 89.
133 A.a.O., S. 91. Vgl. zum Schwinden utopischer Potentiale auch: J. HABERMAS: Die Krise des Wohlfahrts-
staates und die Erschöpfung utopischer Energien, S. 141-163.
134 F. JAMESON: Postmoderne, S. 92.
135 A.a.O., S. 94.
136 Vgl. J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 104-129; J. F. LYOTARD: Das postmo-
derne Wissen, S. 115; M. FRANK: Die Unhintergehbarkeit von Individualität, S. 8-9; G. VATTIMO: Jenseits
vom Subjekt, S. 36-64; W. VAN REIJEN: Post-scriptum, S. 19-24; H. MANSCHOT: Nietzsche und die Post-
moderne in der Philosophie, S. 478; H.-M. SCHÖNHERR: Irrationalismus oder »Zweite Aufklärung«,
III. Philosophie 83

Postmoderne mit dem Namen Nietzsches verknüpft. Schon im Ersten Weltkrieg wird der Beg-
riff von Rudolf Pannwitz verwendet. In seinem Buch Die Krisis der europäischen Kultur re-
flektiert er den Zusammenbruch der liberalen, bürgerlichen Kultur im Ersten Weltkrieg und
die damit verbundene Umbruchserfahrung. Er sieht nun den »postmodernen Menschen«
kommen, der aus der Dekadenz der modernen Kultur und der europäischen Revolution des
Nihilismus hervorgeht.137
Heute ist vor allem in Frankreich eine Nietzsche-Renaissance zu beobachten. Philoso-
phen wie Barthes, Bataille, Blanchot, Deleuze, Derrida, Klossowski, Lyotard und Foucault
haben über Nietzsche geschrieben und ihn vor allem sprach- und kulturphilosophisch rezi-
piert.138 Aber auch für Jürgen Habermas beginnt die Postmoderne mit Nietzsche: »Für Nietz-
sche ist die Ausgangssituation klar. Einerseits verstärkt die historische Aufklärung nur die in
den Errungenschaften der Moderne fühlbar gewordenen Entzweiungen; die in Gestalt einer
Bildungsreligion auftretende Vernunft entfaltet keine synthetische Kraft mehr, welche die ver-
einigende Macht der überlieferten Religion erneuern könnte. Andererseits ist der Moderne der
Weg zurück in die Restauration verlegt. Die religiös-metaphysischen Weltbilder der alten Zi-
vilisation sind selber schon ein Produkt der Aufklärung, zu vernünftig also, um der radikali-
sierten Aufklärung der Moderne noch etwas entgegensetzen zu können«.139
Was die Theoretiker der Postmoderne aber besonders an Nietzsche interessiert, sind seine
Untersuchungen der Sprache und seine Erkenntnis, daß der durch und durch metaphorische
Charakter der Sprache in der westlichen Kultur verdrängt wurde, weil diese »Kultur von der
Idee durchdrungen ist, daß das Wahre das Maß und die Matrix aller Dinge ist, auch der Spra-
che«.140 Wenn es aber nun keine adaequatio intellectus et rei gibt, wenn sich die Bezeichnun-
gen und die Dinge nicht decken, wenn die Sprache nicht auf eine außer ihr selbst liegende Re-
alität verweist, wird – so Nietzsche in seinem Traktat Ueber Wahrheit und Lüge im
aussermoralischen Sinne – die Wahrheit zur Illusion: »Wahrheiten sind Illusionen, von denen
man vergessen hat, dass sie welche sind, Methaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos ge-
worden sind«.141 Für die Philosophie ergibt sich dadurch eine grundlegend neue Situation:
»Das Neue an unserer jetzigen Stellung zur Philosophie ist eine Überzeugung, die noch kein
Zeitalter hatte: daß wir die Wahrheit nicht haben. Alle früheren Menschen ›hatten die Wahr-
heit‹: selbst die Skeptiker«.142 Daß wir die Wahrheit nicht haben, scheint sich heute als Kon-
sens in der Philosophie durchgesetzt zu haben. Dieser Konsens vereinigt sowohl Kritiker wie
––––––––––––––––––––––––––
S. 1107-1108; L. FERRY: Homo aestheticus, S. 199-325; I. FORBES: Nietzsche, Modernity and Politics,
S. 218-225; R. SPAEMANN: Die christliche Religion und das Ende des modernen Bewußtseins, S. 268;
W. W. FUCHS: Post-modernism is not a scepticism, S. 395-398; P. R. HINLICKY: The Human Predicament
in Emergent Post-Modernity, S. 169; K. WELLNER: Aufklärung und Moral, S. 82-89.
137 R. PANNWITZ: Die Krisis der europäischen Kultur, S. 64. Pannwitz’ postmoderner Mensch läßt sich weit-
gehend mit Nietzsches »Übermensch« identifizieren.
138 Vgl. PH. RIPPEL: Souveränität und Revolte, S. 105-121; H. MANSCHOT: Nietzsche und die Postmoderne in
der Philosophie, S. 478-479.
139 J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 107-108. Vgl. zur Konstruktion und Ablösung
von Weltbildern: G. DUX: Die Logik der Weltbilder; N. GOODMAN: Weisen der Welterzeugung. Vgl. zu
den Transformationen des Vernunftbegriffs: H. POSER (Hrsg.): Wandel des Vernunftbegriffs.
140 H. MANSCHOT: Nietzsche und die Postmoderne in der Philosophie, S. 484. Ähnlich auch: W. RIES: Aufklä-
rung und Postmoderne im Blick auf Nietzsche und Kafka, S. 45-48.
141 F. NIETZSCHE: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, S. 374-375.
142 F. NIETZSCHE: Umwertung aller Werte, S. 607, Nr. 566.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 84

Befürworter der Postmoderne. Nietzsches Einsicht in das metaphorische Wesen der Sprache
hat zum »Linguistic turn« in der Philosophie geführt.143 In der Nachfolge Nietzsches wird
Wahrheit nunmehr nur noch als »ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthro-
pomorphismen kurz [als] eine Summe von menschlichen Relationen« verstanden, »die, poe-
tisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem
Gebrauch einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken«.144 Weil aber Schein und
Sein, Wahrheit und Irrtum nicht mehr voneinander unterschieden werden können,145 wird die
Wahrheitsfrage von der philosophischen Tagesordnung suspendiert: Philosophie wird zur Phi-
lologie, das Paradigma Bewußtsein durch das Paradigma Sprache ersetzt.146
Neben den sprachphilosophischen Abhandlungen gilt ein besonderes Interesse aber auch
Nietzsches Schriften Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben und Menschliches,
Allzumenschliches, die zu einer Revision des modernen Fortschrittsglaubens und seines linea-
ren Geschichtsverständnisses nötigen.147 Danach kann es nach Nietzsche nur noch zur ewigen
Wiederkehr des Gleichen kommen, ein Zustand nach der Geschichte also, der in Frankreich
Posthistoire genannt wird und den Gianni Vattimo für den postmodernen hält.148

6. Postmoderne als Verwindung der Moderne: Gianni Vattimo


In Italien hat Gianni Vattimo, Professor für Philosophie an der Universität Turin, ein eigen-
ständiges, auf Nietzsche und Heidegger aufbauendes und von der französischen Posthistoire
inspiriertes Konzept der Postmoderne vorgelegt. Im Unterschied zum »starken Denken« der
auf Herrschaftswissen ausgerichteten Moderne soll das von Vattimo entwickelte postmoderne
Denken ein »schwaches Denken« (»pensiero debole«) sein, dessen Anliegen vor allem die

143 Vgl. dazu R. RORTY (Hrsg.): The Linguistic Turn; M. FRANK: Was ist Neostrukturalismus, S. 124, 282;
ANDREAS HUYSSEN: Postmoderne, S. 109; J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 12. J. HABERMAS: Nach-
metaphysisches Denken, S. 15; 52-57.
144 F. NIETZSCHE: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, S. 374. Vgl. dazu auch: J.
HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 168.
145 »Bei allem Werthe, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wäre mög-
lich, dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben
höherer und grundsätzlicherer Werth zugeschrieben werden müsste«. F. NIETZSCHE: Jenseits von Gut und
Böse, S. 10-11.
146 Vgl. S. BENHABIB: Kritik des ›postmodernen Wissens‹, S. 109; J. HABERMAS: Der Philosophische Diskurs
der Moderne, S. 219-247; J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 15.
147 Vgl. zur Genese des Kollektivsingulars »Fortschritt« im 19. Jahrhundert: R. KOSELLECK: ›Neuzeit‹, S. 279-
292.
148 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 16; G. VATTIMO: Das Ende der Geschichte, S. 171. Vgl. zur Ge-
nese und Theorie des »Posthistoire«: W. SCHULZE: Ende der Moderne?, S. 76-78; A. GEHLEN: Einblicke,
S. 115-133, besonders S. 126; A. GEHLEN: Studien zur Anthropologie und Soziologie, S. 311-328;
A. GEHLEN: Ende der Geschichte?, S. 61-75; L. NIETHAMMER: Posthistoire, S. 7-12; D. KAMPER: Nach
der Moderne, S. 163-174; J. BAUDRILLARD: Agonie des Realen, S. 29-51. Vgl. zur kritischen Auseinander-
setzung mit dem Posthistoire-Theorem und der Abgrenzung zum Postmoderne-Begriff: W. WELSCH: Unse-
re postmoderne Moderne, S. 149-154; H. BÖHRINGER: Die Ruine in der Posthistoire, S. 368-374;
NORBERT BOLZ: Der ewige Friede als Farce. S. 22-27; K. LAERMANN: Das rasende Gefasel der Gegen-
aufklärung, S. 215-216; R. ZUR LIPPE: Sinnenbewußtsein Post-Moderne, S. 104-115; R. GÖRNER: Das En-
de der Postmoderne; B. WARTMANN: »No Future« post-moderner Avantgarde, S. 29-32; L. NIETHAMMER:
Posthistoire – zur Wiederkehr der Diagnose, daß die Geschichte zu Ende sei, S. 9-22.
III. Philosophie 85

Kritik der Herrschaft und der Metaphysik ist.149 Ausgangspunkt in seinem Buch La fine della
modernità ist Nietzsches Gedanke der »ewigen Wiederkehr« und Heideggers »Verwindung
der Metaphysik«.150 Das »Post« der Postmoderne will Vattimo so verstanden wissen, daß es
sich auf einen Zustand nach der Moderne und ihres linearen Fortschrittsglaubens bezieht, auf
einen Zustand, in dem die Geschichte in das Bewußtsein von Geschichten aufgelöst ist.151 Die
Postmoderne soll aber gerade nicht als Überholung der Moderne verstanden werden (eine sol-
che »Überholung« würde der immanenten Logik der Moderne verhaftet bleiben), sondern – im
Sinne Heideggers – als »Verwindung der Moderne«: weder ein »Hintersichlassen« der Ver-
gangenheit noch eine »dialektische Aufhebung«, sondern eine andere Aneignung, ein An-
denken der Moderne.152
Die Menschen – so Vattimo – sind nach dem Ende der Moderne nicht mehr in der Lage,
etwas Neues zu schaffen, sie können bloß noch aus dem Fundus der Vergangenheit schöpfen,
sie leben in einer Zeit nach dem »Ende der Geschichte« (Posthistoire).153 Damit erscheint der
Nihilismus auf der Bühne, den Nietzsche und Heidegger als neue Chance gesehen haben:
Nietzsche in seiner Philosophie der Morgenröthe, in der der Genesende gelernt hat, auf eine
ursprüngliche Wahrheit zu verzichten und Heidegger in seinem Gedanken einer »Verwindung
der Metaphysik«, in der die Erfahrung der Grundlosigkeit allen Seins es erlaubt, das »Dasein«
als »Geschick«, als neue Chance zu begreifen.154
Für Vattimo ist das postmoderne philosophische Denken wesentlich »Denken des Genus-
ses« (»pensiero della fruizione«) und »Denken der Kontamination« (»pensiero della contami-
nazione«) sowie ein »Denken des Ge-stells«.155 Das »Denken des Genusses« zeichnet sich
durch eine »Ethik der Güter« ohne Rekurs auf Ziele, Imperative und Fortschritte aus; das
»Denken der Kontaminierung« drückt die hermeneutische Möglichkeit einer »schwachen«
Wahrheit aus, die ohne Metaphysik Wahrheiten aus der Vielfalt des zeitgenössischen Wissens
zu erkennen vermag: »Eine solche – in der Dimensionenvielfalt gewonnene – Einheit hätte
nichts mehr von der Einheit eines dogmatischen philosophischen Systems an sich und wiese

149 Vgl. zum »schwachen Denken« auch den Sammelband: G. VATTIMO – P. A. ROVATTI (Hrsg.): Il pensiero
debole.
150 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 5; G. VATTIMO: Vorwort, S. 15. Vgl. zu Vattimos Buch La fine
della modernità auch die Rezensionen von: R. CAPURRO: Das Ende der Moderne, S. 205-209 und
J. FRÜCHTL: (Post-)Metaphysik und (Post-)Moderne, S. 242-250. Vgl. zur Postmoderne-Diskussion in
Italien: A. VILLANI: Le »chiavi« del postmoderno; S. NICOLOSI: La storia della filosofia come problema la
filosofia contemporanea tra antimoderno e post-moderno; ST. ROSSO: Postmodern Italy, S. 79-92 (mit
ausführlichem Literaturverzeichnis).
151 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 14. Vgl. auch: G. VATTIMO: Le futur passé, S. 50-52.
152 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 178-197; G. VATTIMO: Nihilismus und Postmoderne in der Philo-
sophie, S. 233; G. VATTIMO: Hermeneutics as Koine, S. 406-408. Capurro verdeutlicht Vattimos Ver-
ständnis der »Verwindung« folgendermaßen: »Wir verwinden etwas indem wir uns einfügen, die Krankheit
etwa als Möglichkeit für eine Änderung unseres bisherigen Verhaltens hinnehmen. Wir stellen uns also
nicht gegen sie, sondern nutzen ihre Kraft (...), um ihre Bewegung in eine für uns günstige Wende bzw.
›Windung‹ zu nutzen«. R. CAPURRO: Aufklärung am Ende der Moderne, S. 133-135.
153 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 9-16.
154 A.a.O., S. 183-192. Vgl. auch: G. VATTIMO: Nihilismus und Postmoderne in der Philosophie, S. 233-243;
G. VATTIMO: Vorwort, S. 18-19.
155 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 192-197; G. VATTIMO: Nihilismus und Postmoderne in der Philo-
sophie, S. 243-246. Vgl. zu Vattimos Verständnis des »Ge-stells«: R. CAPURRO: Aufklärung am Ende der
Moderne, S. 133.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 86

auch keinen der starken Züge der metaphysischen Wahrheit mehr auf«.156 Das »Denken des
Ge-stells« wirkt »verwindend«, indem es einen Bezug zwischen der technischen Rationalität
und der abendländischen Tradition herstellt, allerdings so, daß das »Ge-stell« (die technisch-
rationalisierte Welt) seinen metaphysischen Charakter verliert und zu »schwingen« anfängt: In
einer solch »schwingenden« Welt der totalen Vermittlung aller Erfahrungen wird die Ontolo-
gie hermeneutisch, daß heißt, die metaphysischen Begriffe von Subjekt und Objekt, von Rea-
lität und Wahrheit verlieren ihren Gehalt.157
Vattimo verzichtet auf die Suche nach einer originären Struktur des Seins: Wir leben in
einer endlichen Welt, die sich uns nur sprachlich erschließt. Hermeneutik ist deshalb bei Vat-
timo keine Methode des Verstehens, sondern freies Vernehmen des Seins und der Welt.158
Dieses »schwache Denken« führt zu einer »Ethik der Interessenlosigkeit und Asketismus«, die
einen partikularen Standpunkt für unhintergehbar hält und deswegen eine Ethik der Werte und
der Imperative zurückweisen muß. Statt dessen soll eine Güter- und Mitleidsethik die Ge-
schichte des Seins durch eine Reduktion von Aggressivität und Weltbeherrschung entfalten.159

7. Postmoderne als neuer Essentialismus und Holismus


Gegen die pluralistischen und die überwiegend an Nietzsche orientierten Postmoderne-Kon-
zeptionen hat sich eine Opposition formiert, die nicht den Pluralismus und die generelle er-
kenntnistheoretische und ethische Orientierungslosigkeit als Kennzeichen der Postmoderne
ansieht, sondern eine neue »ganzheitliche« Sicht des Menschen und der Welt als postmodern
proklamiert. Daß sich die moderne wissenschaftliche Vernunft in der Krise befindet und die
gegenwärtige Situation vor allem durch einen vielfältigen weltanschaulichen und kulturellen
Pluralismus gekennzeichnet ist, wird nicht bestritten, aber diese Symptome werden nicht als
»postmodern«, sondern als »spätmodern« bezeichnet, weil sie – so die Argumentation – der
immanenten Logik der Moderne verhaftet bleiben und das Ergebnis einer an sich selbst zwei-
felnden Moderne sind.

Die ganzheitliche Betrachtung der Wirklichkeit: Robert Spaemann


Eine Überwindung der Moderne – so der Münchner Philosoph Robert Spaemann – muß derart
angelegt werden, daß die »echten Gehalte humaner Selbstverwirklichung, die wir der Moder-
ne verdanken«, bewahrt und gegen die »immanente Tendenz zur Selbstaufhebung« verteidigt

156 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 195.


157 A.a.O., S. 196-197. Vgl. zum Metaphysikproblem im Zusammenhang der Postmoderne-Diskussion auch:
H.-L. OLLIG: Das unerledigte Metaphysikproblem, S. 55-68; E. CORETH (Hrsg.): Metaphysik in Un-
metaphysischer Zeit.
158 G. VATTIMO: Jenseits vom Subjekt, S. 130-138; Vgl. zu Vattimo auch: H.-M. SCHÖNHERR: Die Technik
und die Schwäche, S. 141-145; H.-M. SCHÖNHERR: Irrationalismus oder »Zweite Aufklärung«, S. 1107-
1108.
159 G. VATTIMO: Vorwort, S. 20. Vattimo beruft sich hier auf Kant und Schopenhauer. Vgl. auch:
G. VATTIMO: Gibt es eine europäische Kultur?, S. 467-471.
III. Philosophie 87

werden.160 Die Moderne soll nicht einfach abgelöst werden, auch geht es nicht um eine »Über-
holung« der Moderne, sondern eher um eine unspektakuläre, »fast unmerkliche Haltungsände-
rung gegenüber der Moderne, ohne den Willen, sie entweder zu überholen, oder aber ihre Er-
rungenschaften einfach preiszugeben«.161 Die Krise der Moderne besteht nach Spaemann in
dem Selbstzweifel des durch die moderne Wissenschaft geprägten Bewußtseins: Der Szien-
tismus als Herrschaft des Menschen über die Natur hat sich als Irrweg erwiesen, weil sich
heute die Grenzen des Projektes progressiver Naturbeherrschung zeigen. Der »Preis des Fort-
schritts« erscheint vielen als zu hoch: »Der Eindruck verstärkt sich, daß wir hinsichtlich des
Reichtums der Welt längst begonnen haben, vom Kapital statt von den Zinsen zu leben«.162
Und weil das neue ökologische Bewußtsein das »Projekt Moderne« fraglich werden läßt, löst
sich auch der moderne Zusammenhang von Fortschritt und Hoffnung auf: An die Stelle des
Fortschritts treten Fortschritte, »deren Parameter wir jeweils gesondert zu bewerten und die
wir mit Rückschritten, d. h. Verschlechterungen in anderen Hinsichten abzuwägen haben«.163
Zwar gibt es auch weiterhin technische Fortschritte, aber gleichzeitig wächst auch das Unbe-
hagen, daß die »Grenzen des Humanen« von der Technik längst überschritten sind.164 Für
Spaemann zeichnet sich ein neues Bewußtsein ab, das ein »neues Ethos der Solidarität«, eine
»neue Bescheidenheit«, eine »holistische Betrachtung unserer Wirklichkeit« und eine »Hal-
tung des Seinlassen« beinhaltet.165
Von der erkenntnistheoretischen Perspektive her gesehen führt dieses Bewußtsein zu ei-
ner Relativierung des »wissenschaftlich experimentellen Erfahrungstypus« mit seiner speziel-
len Axiomatik der Wiederholbarkeit und Allgemeinheit der durch das Experiment gewonne-
nen Erkenntnis: Weil wir nur eine Welt haben, die wir schützen müssen, wird die Welt nun
als »begrenztes Ganzes« erlebt und die Einmaligkeit eines jeden Dinges, eines jeden Men-
schen, einer Situation, des Universums wird zur Grunderfahrung dieses neuen Bewußtseins.166
Dieser »integrale« Erfahrungsbegriff ist mit der Axiomatik der Wiederholbarkeit des wissen-
schaftlichen Experimentes inkommensurabel und setzt eine »nichtmediatisierbare, unverwalt-
bare und nicht funktionalisierbare Unbedingtheit« voraus, eine Unbedingtheit des Religiösen,
des Sittlichen und des Künstlerischen.167 Gegen Habermas weist Spaemann darauf hin, daß
angesichts der objektiven Bedingungen des menschlichen Überlebens auf diesem Planeten der

160 R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 20. Vgl. zur Kritik an Spaemanns, Koslowskis und Hübners
»metaphysischer Kulturkritik«: H. BRUNKHORST: Die Komplexität der Kultur, S. 399.
161 R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 20.
162 A.a.O., S. 31. Vgl. auch: R. SPAEMANN: Die christliche Religion und das Ende des modernen Bewußtseins,
S. 254-268. Ähnlich auch der Religionsphilosoph Nathan Rotenstreich: »Post-modernity can be viewed as
an emotional reaction against the technological civilization, if that civilization is indeed based upon the no-
tion of mastering the universe via knowledge.« N. ROTHENSTREICH: Religion, Modernity and Post-
Modernity, S. 41.
163 R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 31-32. Vgl. zur ökologischen Krise als dem möglichen Ende
der Moderne: R. MAURER: Ein möglicher Sinn der Rede von Postmoderne im Spannungsfeld zwischen
Technologie und Ökologie, S. 101-106.
164 R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 33. Spaemann nennt hier als Beispiele den atomaren Holo-
caust, die künstliche Verlängerung des menschlichen Lebens und die Möglichkeiten der Gentechnologie.
Ein ähnliches Krisenszenario entwirft: W. D. REHFUS: Die Vernunft frisst ihre Kinder, S. 15-69.
165 R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 34.
166 A.a.O., S. 35-36.
167 A.a.O., S. 36.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 88

Konsens nicht mehr als letzte Instanz in den Fragen des menschlichen Handelns angesehen
werden kann. Der Konsens kann auf Irrtum beruhen und eventuell tödlich sein. Ob er auch
wirklich letal wirkt, »wird durch Tatsachen entschieden und nicht durch Diskurse«.168

Die Wiedergewinnung aller Wissensformen des Menschen: Peter Koslowski


Auch für Peter Koslowski, Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, der
sich in zahlreichen Publikationen mit dem Thema Postmoderne auseinandergesetzt hat,169 ent-
steht die Krise der Moderne aus dem Zusammenbruch des Wachstums- und Fortschrittsge-
dankens, der durch die Studien des »Club of Rome« Die Grenzen des Wachstums und Die
sozialen Grenzen des Wachstums ausgelöst wurde.170 Das Ende der unbeschränkten
Herrschaft des Menschen über die Natur und das damit einhergehende Ende der utopischen
Hoffnungen der Neuzeit zeigt den Beginn einer nachneuzeitlichen, postmodernen Epoche
an.171Gegen Habermas’ Vollendung des modernen Projektes führt Koslowski an, daß Haber-
mas nicht von der historisch gewordenen Moderne im Sinne der Neuzeit ausgeht, sondern von
einem »modernen Projekt« im Sinne der Aufklärung.172 Aber die Aufklärung war ein sehr
vielschichtiges Gebilde mit idealistischen, materialistischen und deistischen Strömungen, die
nicht so recht zu Habermas’ eigenem Projekt passen: Habermas verwendet einen idealisierten
und reduktionistischen Begriff von Moderne, der die negativen Seiten der historischen Mo-
derne eliminiert oder als Dekadenz und Abfall vom eigentlichen Programm wertet. Koslowski
wirft Habermas vor, daß »das Projekt der gegenwärtigen Projektleiter der Moderne in
Deutschland« widersprüchlich und restaurativ ist: widersprüchlich, weil die Moderne nun mal
nicht mehr »modern« ist, restaurativ, weil sie versucht, Vergangenes (den Linkshegelianis-
mus) am Leben zu erhalten.173 Demgegenüber bedeutet die Postmoderne Befreiung von den
Singularen der Moderne: des einen Diskurses aller vernünftigen Subjekte, des einen Fort-
schritts in eine immer bessere Zukunft, der einen universalen Geschichte aller Menschen, der
einen Evolution der Menschheit. »Die absolute Vernunftherrschaft ist ein verfehltes Projekt
der Moderne«.174
Postmodernes Denken ist im Gegensatz dazu ein Denken der Vielheit, das die »Wieder-
gewinnung der gesamten geistigen Vermögen und Wissensformen« des Menschen anstrebt.175
Gegen die Auflösung des Seienden in Relationen und Funktionen durch die analytische Ver-

168 A.a.O., S. 38. Ähnlich auch: K. HEDWIG: Die philosophischen Voraussetzungen der Postmoderne, S. 317-
318.
169 Vgl. dazu auch: Erster Hauptteil, IV. 3. Dort wird Koslowskis Position ausführlicher behandelt.
170 P. KOSLOWSKI: Baustellen der Postmoderne, S. 2-3. Koslowski bezieht sich hier auf: D. MEADOWS –
D. MEADOWS: Die Grenzen des Wachstums und F. HIRSCH: Die sozialen Grenzen des Wachstums.
171 P. KOSLOWSKI: Baustellen der Postmoderne, S. 3. Ähnlich bestimmt auch Hans-Joachim Höhn den An-
fangspunkt der Postmoderne: »Das gesellschaftliche Sein und weniger sein intellektueller Widerschein muß
als Forum und Antriebskraft kultureller Veränderungen in den Blick genommen werden. Hier ist die eigent-
liche Zäsur zwischen Moderne und Postmoderne zu suchen«. H.-J. HÖHN: Ende oder Wende der Moder-
ne?, S. 115.
172 P. KOSLOWSKI: Baustellen der Postmoderne, S. 4.
173 A.a.O., S. 6. Ähnlich auch: F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 48, Anm. 38.
174 P. KOSLOWSKI: Baustellen der Postmoderne, S. 4.
175 A.a.O., S. 8.
III. Philosophie 89

nunft »setzt das postmoderne Denken den Primat der essentialen und entelechialen Gestalt
und der in Raum und Zeit instantiierten Einmaligkeit«.176 Dieser postmoderne Essentialismus
überwindet die Trennungen und Ausdifferenzierungen der Moderne, indem er die drei Berei-
che der geistigen Lebenswelt (Kunst, Wissenschaft und Religion) reintegriert.177 Es bietet sich
heute, so Koslowski, die Chance, zu einer neuen Synthese von Glauben und Wissen, Religion
und Philosophie zu gelangen, weil die moderne Vernunftgläubigkeit keine Barrieren gegen
den »Willen zur Macht« zu installieren vermochte. 178 Ohne »messianische Hoffnung auf das
Absolute«, ohne »Eingedenken der Natur« und ohne die »Selbstbehauptung und Unverletz-
lichkeit eines Personenzentrums« aber sind keine Dämme gegen den Systemzwang der totali-
sierenden Vernunft zu errichten.179 Denn eine Geschichte ohne Concursus divinus ist defizi-
tär: »Wir werden nicht durch Diskurse geboren und sterben nicht durch unseren eigenen
Diskurs«.180

Die Synthese von wissenschaftlicher und mythischer Erfahrung: Kurt Hübner


Der Kieler Philosoph Kurt Hübner, der vor allem durch seine Studie Die Wahrheit des Mythos
(1985) bekannt geworden ist, sieht im Umbruch von der Moderne zur Postmoderne vor allem
eine Revolte gegen den naiven Glauben an den wissenschaftlichen und technischen Fort-
schritt: »Die Post-Moderne, die ich heraufkommen sehe, könnte also darin bestehen, daß jen-
seits von trotziger Ablehnung, blindem Aktionismus und irrationalem ›Aussteigertum‹ eine
Weltdeutung entsteht, die in ihren Grundlagen ebenso umfassend und rational einleuchtend
wie diejenige der Wissenschaft ist und gleichzeitig dem Gefühl des Mangels abhilft, das wis-
senschaftliche Vernunft erzeugt«.181 Hübner vertritt die Ansicht, daß das, was man in der
Aufklärung für notwendige Vernunfteinsichten hielt, letztlich auch nur historisch entstandene
Annahmen waren.182 In dem Aufbegehren gegen die wissenschaftliche Vernunft drückt sich
nach Hübner die Sehnsucht nach etwas Verlorenem aus, das die Moderne nicht zu ersetzen
vermochte: Es ist die Sehnsucht nach Religion und Mythos, ohne die auf die Dauer keine Le-
benswirklichkeit bewältigt werden kann.183 Beide Erfahrungssysteme (Wissenschaft und My-
thos) stimmen formal darin überein, daß sie apriorisches Wissen behaupten, faktisch aber nur

176 A.a.O., S. 11.


177 Ebd.
178 P. KOSLOWSKI: Religion, Philosophie und die Formen des Wissens in der Gesellschaft, S. 4.
179 P. KOSLOWSKI: Baustellen der Postmoderne, S. 15.
180 Ebd.
181 K. HÜBNER: Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne, S. 66. Vgl. zur aktuellen Mythos-Diskussion:
H. BLUMENBERG: Arbeit am Mythos; O. BAYER (Hrsg.): Mythos und Religion; K. H. BOHRER (Hrsg.): My-
thos und Moderne; M. FRANK: Der kommende Gott; M. FRANK: Gott im Exil; M. FRANK: Kaltes Herz,
Unendliche Fahrt, Neue Mythologie, S. 93-118; A. GRABER-HAIDER: Strukturen des Mythos; ST. GREIF:
Der Mythos, S. 103-115; K. HÜBNER: Die moderne Mythos-Forschung, S. 8-21; P. KEMPER (Hrsg.):
Macht des Mythos; O. MARQUARD: Lob des Polytheismus, S. 91-116; H. POSER: Mythologie als Logo-
mythie, S. 165-186; B. SCHMIDT: Postmoderne, S. 255-269.
182 K. HÜBNER: Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne, S. 72. Vgl. auch: K. HÜBNER: Kritik der wis-
senschaftlichen Vernunft, Kap. VIII; K. HÜBNER: Die Wahrheit des Mythos, S. 3-6, 239-284.
183 K. HÜBNER: Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne, S. 73-74. Vgl. zum Verhältnis von Wissen-
schaft und Religion auch: F. H. TENBRUCK: Wissenschaft und Religion.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 90

historische Gültigkeit beanspruchen können.184 »Der Versuch, alles Mythische ins Reich der
Fabel, der bloßen Phantasie oder gar des Aberglaubens zu verweisen, ist also theoretisch e-
benso gescheitert wie der Versuch, der Wissenschaft alleinigen Zugang zur Wahrheit zuzu-
weisen. Die Post-Moderne aber wird zwangsläufig in dieser theoretischen Einsicht einen An-
satz erkennen, des Zwiespaltes Herr zu werden, von dem die Moderne geprägt ist. Schon darin
wäre ja ein Bewußtseinswandel zu sehen, daß der naive Glaube an Wissenschaft und Technik
ebenso verschwindet wie deren weitgehend nur emotionale Zurückweisung«.185 Die Aufgabe
der Postmoderne ist es dagegen, die beiden in der Moderne als gegensätzlich betrachteten Er-
fahrungsweisen miteinander zu versöhnen und zu einem sowohl theoretisch wie praktisch
Ganzen werden zu lassen.186

8. Postmoderne als kritische Theorie der Mobilmachung: Peter Sloterdijk


Peter Sloterdijk, Philosoph und Literaturwissenschaftler, fällt aus dem Rahmen der deutschen
Intellektuellenlandschaft. Schon mit seinem 1983 publizierten Werk Die Kritik der zynischen
Vernunft machte er Furore, weil er dort – gut 200 Jahre nach dem Erscheinen von Kants Kritik
der reinen Vernunft – zu einem großen Schlag gegen die neuzeitliche, aufklärerische Vernunft
ausholte und sie als zynisch zu entlarven versuchte. In Kopernikanische Mobilmachung und
ptolemäische Abrüstung (1987) und in Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik
(1989) versucht der in München lebende freie Schriftsteller nun den postmodernen Zeitgeist
geistreich in Worte zu fassen, denn der Zeitgeist ist für Peter Sloterdijk das, was die Spatzen
von den Dächern pfeifen.187 Das Spatzenkonzert auf dem Dach pfeift heute die Melodie der
Postmoderne. Sie ist ein Zeichen dafür, daß viele Spatzen auf den Dächern nicht mehr einse-
hen, warum sie ihren Schnabel noch halten sollen: »Die Postmoderne ist ein autopoietisches
System, das sich zu stabilisieren beginnt, sobald eine kritische Masse von Spatzen anfängt,
von den Dächern zu singen, daß sie nicht mehr einsehen, warum sie nicht auch so von den
Dächern singen sollten, wie man ihnen beigebracht hat, daß sie nicht singen sollten«.188 Was
aber nun pfeifen die Spatzen heute, was sie früher nicht gepfiffen haben?

Der kopernikanische Schock und die moderne Mobilmachung


Der »kopernikanische Schock«, der das ptolemäische Weltbild ablöste und die Menschen in
einer dezentrierten Welt zurückließ, in der wir die Wirklichkeit gegen den Eindruck der Sinne

184 K. HÜBNER: Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne, S. 75-77. Vgl. zu Hübner und zu den Unter-
schieden von Mythos und Wissenschaft auch: R. LÖW: Ontologische Aspekte der Postmoderne, S. 79-85.
185 K. HÜBNER: Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne, S. 78.
186 K. HÜBNER: Meditationen zur Schöpfungsgeschichte als Beispiel für das künftige Verhältnis von Mythos,
Religion und Wissenschaft, S. 43-58. Für eine Partnerschaft von Vernunft und Mystik im Zeichen der
Postmoderne plädiert: R. MARGREITER: Mystik, S. 126-127.
187 P. SLOTERDIJK: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. 9. Vgl. zu Sloterdijks
Philosophie: J. BELLMANN: Religion als Opfer oder Kritik der zynischen Vernunft?; K. LAERMANN: Von
der Apo zur Apokalypse, S. 207-230; J. HABERMAS: Zwischen Heine und Heidegger, S. 121-124;
G. HOFMANN: Was die Spatzen nicht von den Dächern pfeifen, S. 57-58; B. HELLER: Krise des Denkens,
S. 51. Zur ketzerischen Tradition Sloterdijks: E. TIMM: Ketzer und Dichter, S. 103-114.
188 P. SLOTERDIJK: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. 11.
III. Philosophie 91

denken müssen, ist bis heute nicht abgeklungen.189 Mit der Moderne breitete sich die koperni-
kanische Schockwelle auf alle Gebiete der menschlichen Erfahrung aus. Die moderne Philo-
sophie wachte mit ihrer Rationalität über die unvermeidlichen Selbsttäuschungen und mußte
zu den Weltbildern auf Distanz gehen, die solche Täuschungen zur Voraussetzung hatten. Sie
mußte zwischen Schein und Sein differenzieren, auf ptolemäische Trugbilder und Mythen ver-
zichten und mit der »kopernikanischen Reflexionsbrille« zu sehen beginnen.190 Heute aber
wirft das Licht der Aufklärung lange Schatten auf die Folgen technologischer Potentiale und
die Werke der anthropozentrischen Perfektion: Die Naturwissenschaften sind längst auf dem
Weg ins Unheimliche und es öffnet sich ein Bezirk, »in dem nur Schwindelgefühle dem, was
sich zeigt, noch angemessen sind«.191 Dadurch löst sich auch der Zusammenhang von Fort-
schritt und Lernen auf: »Im Grunde glaubt kein Mensch mehr, daß heutiges Lernen ›Proble-
me‹ von morgen löst; fast sicher ist vielmehr, daß es sie auslöst«.192 Heute ist es nicht mehr
möglich, den Modernisierungsprozeß als Ganzes zu überblicken, »ja es ist nicht einmal mehr
möglich, sich eine Übersicht über das reale Ausmaß ihrer Unübersichtlichkeit zu verschaf-
fen«.193
Die kopernikanische Revolution zieht eine Mobilmachung, eine Beschleunigung der Welt
und der Weltbilder nach sich, bis zu dem Punkt, wo alles möglich wird. Das moderne Subjekt
ist dabei zugleich Täter als auch Opfer der modernen Entfesselung kinetischer Energien:
»Wenn es heute schon einen philosophischen Postmodernismus nicht nur aus nostalgischen
Posen und scharfgemachten Launen, sondern aus Einsichten geben kann, dann deswegen, weil
uns angesichts des Weltlaufs starke Argumente zu verstehen geben, daß die kinetische Utopie
der Moderne geplatzt ist. Es sind Dinge ins Rollen gekommen (auch andere als Rolltreppen),
die man keinesfalls vorhergesehen hat und von denen man vernünftigerweise bezweifeln muß,
ob sie je wieder von einem menschlichen Handeln eingefangen und in nichtfatale Bahnen um-
gelenkt werden können«.194
Die moderne Mobilmachung zielt auf eine Abschaffung und Überholung des Selbstver-
ständlichen: Die alten Gewohnheitsrechte müssen sich sagen lassen, »daß die Zeit ihrer unan-
gefochtenen Geltung vorüber ist, alle Ursprungsvokabulare werden aus dem Verkehr gezogen
und die alten Evidenzen argwöhnisch daraufhin überprüft«, ob sie die neuen Machthaber auf

189 A.a.O., S. 56.


190 A.a.O., S. 59.
191 A.a.O., S. 16-17.
192 P. SLOTERDIJK: Kritik der zynischen Vernunft, S. 13. Sloterdijk vergleicht die Postmoderne daher mit einer
»Rolltreppenkultur«: »Seit der Fortschritt selbstläufig geworden ist, hat sich der Zukunftsoptimismus in
Prozeßmelancholie verwandelt. Wir fahren nicht mehr von Genua aus in die Neuzeit. Wir rollen auf einem
Förderband ins Unabsehbare. Dabei zählt unsere Eigenbewegung kaum noch im Verhältnis zur Totalität
der Bewegungsmasse, und die Schritte, die der einzelne auf seinem Rolltreppenabschnitt tun kann, ver-
schwinden fast spurlos im rollenden Ganzen«. P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 269-270.
193 P. SLOTERDIJK: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. 63.
194 P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 24-26. Daß die moderne »Hoffnung auf Erlösung durch Beschleunigung«
auf den Autobahnen stirbt, versucht Sloterdijk auf ironisch-amüsante Weise am Phänomen des Autostaus,
dem »kinetischen Karfreitag«, zu zeigen: »Unabhängig vom Niveau ihrer Schulabschlüsse kommt in den
Insassen der Fahrzeuge die Ahnung auf, daß dies nicht mehr lange so weitergehen kann. Ein anderes ›Zeit-
alter‹ wirft seine Schatten voraus. Auch wer das Wort Postmoderne noch nie gehört hat, ist an diesen
Nachmittagen im Stau bereits mit der Sache vertraut gemacht worden«. A.a.O., S. 43.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 92

dem Thron stützen können oder nicht.195 Die Postmoderne zitiert nun ihrerseits die Moderne
auf den Prüfstand: »Die Moderne muß es sich gefallen lassen, daß man ihre eigenen Fragen
noch einmal an sie richtet«.196 Die Postmoderne ist außerdem ein Anzeichen dafür, »daß wir
beginnen, die erkenntnistheoretische und kulturelle Rechnung des Kopernikanismus zu be-
gleichen«.197 Denn mit Kopernikus hat die Exklusion des kosmologisch Selbstverständlichen
begonnen: Wir wissen zwar, daß es sich um eine Erddrehung handelt, wenn die Sonne auf-
geht, aber auch nach Kopernikus erleben wir den »Sonnenaufgang in seiner archaischen
Schönheit und erhabenen Ereignishaftigkeit. So wären vielleicht die Sonnenaufgänge die na-
türlichen Alliierten von postmoderner Ästhetik und Philosophie«.198 Sloterdijk schlägt darum
eine »ptolemäische Abrüstung« vor, die einen bewußten Rückgang aus dem »kopernikani-
schen Vorstellungswirbel« in die Sphäre einer »ptolemäischen Vernunft«, einer Vernunft der
Naivität, in der »die Welt gegen die Weltbilder wieder zu ihrem Recht kommt«.199 Wenn die
strategische, informatische, industrielle und kognitive »Weltverdampfung« einsetzt, wenn Au-
tonomie und Verzweiflung Synonyme werden, wird die kopernikanische Wahrheit unwahrer
als die ptolemäische Illusion.200 Deswegen bricht die ptolemäisch-postmoderne Vernunft mit
dem Selbstüberholungszwang der modernen Technik und Kultur und erhebt das »Unterlassen«
und »Verzichten« zu ihren Kardinaltugenden.201

Ptolemäische Abrüstung und postmoderne Demobilisierung


Nach Sloterdijk zeichnet sich heute ein anderer »philosophischer Diskurs der Moderne« ab,
der nicht mit konkurrierenden Diskursen agiert, sondern – zunächst theorielos – mit Aufmerk-
samkeit die permanente Selbstaktualisierung und Selbstüberbietung der Moderne analysiert.202
Indem dieser Diskurs die Arena der kämpfenden Bewußtseine beobachtet und mit dem wirkli-
chen Geschehen rückkoppelt wird er zu einer »kritischen Theorie der Mobilmachung«.203 Sie
kritisiert die Aufrüstung, Akkumulation und Mobilmachung der »weltbeherrschenden Brutali-
tätskerne, gleichgültig, ob diese als Kapitale, als Nationalstaaten, als Forschungen oder als
Verkündigung in Erscheinung treten«.204 Die kritische Theorie der Mobilmachung tritt für ei-

195 P. SLOTERDIJK: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. 50-51.


196 A.a.O., S. 51.
197 A.a.O., S. 56-57.
198 A.a.O., S. 59.
199 A.a.O., S. 65, 68.
200 A.a.O., S. 66.
201 A.a.O., S. 70-71.
202 Zugleich zwingt das Gerede von der Postmoderne, »das anfangs nur schneidig für Abwechslung sorgen
sollte«, die Moderne dazu, »sich als Endzeit zu bekennen, das heißt als Ära, die keinen Zwischenzeitcha-
rakter mehr haben will, sondern in die dauernde Gegenwart einer unbegrenzt perfektiblen Nachgeschichte
übergegangen ist. Für die Moderne ist der bloße Gedanke an eine Postmoderne illegitim und schockierend,
weil ihrem Selbstverständnis gemäß, der Nachfolger der Moderne nie ein anderer sein darf als wiederum
die Moderne«. P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 290-291.
203 P. SLOTERDIJK: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. 124.
204 A.a.O., S. 125-126.
III. Philosophie 93

ne »Kultur der Wahrnehmung« ein, in der die Aufklärung durch ein »waches Dabeisein und
Darinsein« geschieht.205
Dabei sieht Sloterdijk den Übergang von der Moderne zur Postmoderne vor allem darin,
daß überall dort, »wo entfesselte Selbstbewegungen Stauungen« bilden, »die Ansätze zu Er-
fahrungen entstehen, in denen das moderne Aktiv ins postmoderne Passiv übergeht«.206 Gegen
den modernen Mobilisierungswahn des historischen Bewußtseins und gegen »die von Ernst
Bloch grandios auf den Begriff gebrachte Ontologie des Noch-nicht-Seins«, die einen
unstillbaren »Hunger nach Zukunft« hervorruft, weil sie das »Schon-Eingetretene« durch das
»Noch-nicht-Erfüllte« stetig tilgt, setzt Sloterdijk auf eine »Demobilisierung« durch ein
anderes Zeitverständnis, das von einem »neu verstandenen Geist der Utopie« ausgehen
könnte: In der präsentischen Existenz, im »Noch-Sein weht der wahre Geist der Utopie«.207
Und so setzt Sloterdijk »gegen das Prinzip Hoffnung« »das Prinzip des Lebens jetzt und hier«,
denn »in unseren besten Augenblicken, wenn vor lauter Gelingen auch das energischste Tun
im Lassen aufgeht und die Rhythmik des Lebendigen spontan uns trägt, kann sich der Mut
plötzlich melden wie eine euphorische Klarheit oder ein wunderbar in sich gelassener Ernst.
Er weckt in uns die Gegenwart«.208

9. Das unvollendete Projekt der Moderne: Jürgen Habermas


Jürgen Habermas hat sich in der Postmoderne-Diskussion der achtziger Jahren für eine Fort-
setzung des »Projektes der Moderne« ausgesprochen, die Entwürfe der Postmoderne immer
wieder als »neokonservativ« kritisiert und damit die Postmoderne zu diskreditieren und als an-
tiaufklärerisches Unternehmen zu entlarven versucht.209 Habermas teilt zwar partiell die Kri-
tik der Postmoderne an der Moderne, aber das »Projekt der Moderne«, die ursprünglichen
Intentionen der Aufklärung, sollen in jedem Fall bewahrt werden. Aber auch an Habermas
sind die achtziger Jahre nicht spurlos vorübergegangen: In Legitimationsprobleme des
Spätkapitalismus (1973) geht Habermas noch davon aus, daß der Atheismus der Massen die
Religion, die ohnehin nur noch als Privatsache eine Rolle spielte, abgelöst hat.210 Über Die
Moderne – ein unvollendetes Projekt (1981), Die Neue Unübersichtlichkeit (1985) und Der
philosophische Diskurs der Moderne (1985) kommt er in Nachmetaphysisches Denken (1988)
zu dem Schluß, daß nach der modernen Emanzipation der Philosophie von der Religion die
Neubestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Religion – als gegenseitige
205 A.a.O., S. 126.
206 P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 43. Vgl. auch: A.a.O., S. 53-54.
207 A.a.O., S. 329, 338. Unter der Überschrift »Zwischenzeit – oder: Die Geburt der Geschichte aus dem Geist
des Aufschubs« weist Sloterdijk darauf hin, daß das abendländische Geschichtsverständnis auf dem »mes-
sianischen Geschichtsdenken« beruht: »Wenige Historiker legen sich mit der nötigen Ausdrücklichkeit dar-
über Rechenschaft ab, daß nicht nur die frühe abendländische Geschichte, sondern auch die Neuzeit ein-
schließlich der jüngsten Gegenwart durch die Überlieferung und Abwandlung messianischer und
eschatologischer Motive modelliert worden ist. Was aber das seit Marx und Dilthey offene Programm einer
Kritik der historischen Vernunft angeht, so dürfte es keinen Zweifel daran geben, daß die Messianologie,
wie sie aus jüdischer Tradition hervorging und in christlicher Abwandlung Geschichte machte, ihr Kern-
stück bilden muß«. A.a.O., S. 277, 279.
208 P. SLOTERDIJK: Kritik der zynischen Vernunft, S. 199, 953.
209 Vgl. zu den kulturpolitischen Folgen von Habermas’ Kritik: I. HOESTEREY: Verschlungene Schriftzeichen,
S. 149-157.
210 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 113. Vgl. auch: Erster Hauptteil, IV. 1.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 94

stimmung des Verhältnisses von Philosophie und Religion – als gegenseitige Ergänzung in
friedlicher Koexistenz – heute unumgänglich ist.

Die Postmoderne als neokonservatives Projekt


»Das moderne Zeitalter steht vor allem im Zeichen subjektiver Freiheit«.211 Die religiösen
Kräfte sozialer Integration sind dadurch weitgehend erlahmt. Dieser Lernprozeß ist sowenig
rückgängig zu machen, wie er willkürlich ausgelöst worden ist. Die Aufklärung ist irreversi-
bel. Zwar sind auch der Aufklärung Defizite eigen, aber diese sind nur durch »radikalisierte
Aufklärung« wettzumachen.212 Deswegen müssen Hegel und seine Schüler die Hoffnung in
eine »Dialektik der Aufklärung« setzen.213 Doch mit Nietzsche verändert sich die Argumenta-
tion von Grund auf: Nachdem die Versuche einer dialektisch verstandenen Aufklärung ge-
scheitert sind, gibt Nietzsche die Arbeit am Projekt auf.214 Damit verzichtet er aber auch auf
den emanzipatorischen Gehalt der Moderne.215
So lautet – stark verkürzt – Habermas’ Beschreibung des modernen Projektes. Wie aber
soll an diesem »unvollendeten Projekt« nun weitergearbeitet werden? Für Habermas ist jeden-
falls das, was sich postmodern nennt, nicht geeignet, die Aporien der Moderne zu überwinden.
Die »programmatische Verabschiedung der Moderne« und die Ausrufung der Postmoderne ist
für ihn ein anti-modernes, vor-modernes und neokonservatives Projekt, weil es mit dem kon-
servativen Ruf zur Rückbesinnung auf ein »gesundes Traditionsbewußtsein« einhergeht.216
Die »einfachen Wahrheiten« des »common sense«, der Geschichte und vor allem der Religion
sind für ihn Triebkräfte einer neokonservativen Opposition gegenüber der Moderne: »Daß die
Aufklärung sich über sich selbst, auch über das von ihr angerichtete Unheil aufklärt, gehört zu
ihrer eigenen Natur. Nur wenn man das verdrängt, kann sich die Gegenaufklärung als Aufklä-
rung über die Aufklärung empfehlen«.217
Habermas räumt allerdings ein, daß die Aufklärung das Bedürfnis nach Trost nicht zu
stillen vermocht hat. Und auch die zentrale Frage, warum die Moderne nicht mehr als eine
»universalistische Verantwortungsethik« nach dem Zerfall der religiösen Weltbilder hat retten

211 J. HABERMAS: Der Eintritt in die Postmoderne, S. 752. Vgl. zu Habermas’ Bewertung von Moderne und
Postmoderne: U. MÜLLER: Hermeneutik als Modernität, S. 209-221; A. GIDDENS: Modernism and post-
modernism, S. 15-18; P. BÜRGER: The Significance of the Avant-Garde for Contemporary Aesthetics,
S. 19-22.
212 J. HABERMAS: Der Eintritt in die Postmoderne, S. 752.
213 J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 34-58. Vgl. zu Habermas’ Der philosophische
Diskurs der Moderne: L. NAGL: Zeigt die Habermassche Kommunikationstheorie einen »Ausweg aus der
Subjektphilosophie«?, S. 346-372. Vgl. zur »Dialektik der Aufklärung« im Zusammenhang der Postmoder-
ne-Diskussion: H. KUNNEMAN – H. DE VRIES (Hrsg.): Die Aktualität der ›Dialektik der Aufklärung‹.
214 J. HABERMAS: Der Eintritt in die Postmoderne, S. 753-754; J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der
Moderne, S. 104-120.
215 J. HABERMAS: Der Eintritt in die Postmoderne, S. 760.
216 J. HABERMAS: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 49-51.
Daß die alten Dichotomien »konservativ« und »progressiv« in der gegenwärtigen Situation nicht mehr grei-
fen, macht Andreas Huyssen deutlich. Vgl. A. HUYSSEN: Postmoderne, S. 41.
217 J. HABERMAS: Die neue Intimität zwischen Politik und Kultur, S. 64.
III. Philosophie 95

können, ist bisher unbeantwortet geblieben.218 Darum behält auch die rhetorische Kraft der re-
ligiösen Rede solange ihr Recht, bis für die in ihr konservierten Erfahrungen eine neue Spra-
che gefunden worden ist.219 Doch die neokonservative Indienstnahme der Religion als »Kon-
tingenzbewältigungspraxis« hat nur die »sozialintegrative Funktion der
Glaubensüberlieferung« im Blick, um gegen die kulturelle Moderne konservative Werte abzu-
sichern.220

Die Fortsetzung des »modernen Projektes«


Habermas hält auch darum die »These vom Anbruch der Postmoderne« für unbegründet, weil
man nicht so leicht aus dem Diskurs der modernen Rationalität aussteigen kann, wie dies die
Postmodernen zu tun können glauben, denn wer sich an dem Diskurs der Moderne beteiligt,
nimmt die Vernunft immer schon in Anspruch.221 Von daher verstrickt sich die postmoderne
Rationalitätskritik in Selbstwidersprüche, wenn sie meint, die Vernunft durch Argumente li-
quidieren zu können. Es ist das Dilemma der Rationalitätskritik von Nietzsche bis Foucault,
daß sie den Ast, auf dem sie sitzt, abzusägen beabsichtigt.222 Oder die Rationalitätskritik gibt
die Argumentation auf und verabschiedet sich aus der »Kommunikationsgemeinschaft der
Vernünftigen«. Das ist dann der Fall Sloterdijk.223 Auch die Beschränkung der Philosophie
»aufs narrative Geschäft« im Zuge des Linguistic turn lehnt Habermas ab, weil hier im Namen
einer »Kultur der Vieldeutigkeit« auf argumentative Konsensbildung verzichtet wird: »Das
Lob des Vielen, der Differenz und des Anderen mag heute auf Akzeptanz rechnen können;
aber eine Stimmungslage ersetzt noch keine Argumente«.224 Das gilt auch für Richard Rortys
Kontextualismus und Pragmatismus, der das Streben nach objektiver Erkenntnis durch ein
Streben nach Solidarität in einer Sprachgemeinschaft, der man zufällig angehört, ersetzt. Die-
se ethnozentrische Position drückt sich – wie alle kontextuellen Handlungsmodelle – um die
Einsicht herum, daß das eigentliche Problem im Aufeinanderprallen widerstreitender Rationa-
litätsstandards besteht. Der Kontextualismus gibt die eigentliche Arbeit am Rationalitätsprob-
lem auf, indem er den Interpretationshorizont der eigenen Sprachgemeinschaft privilegiert,
ohne dafür eine nicht-zirkuläre Rechtfertigung angeben zu können.225 Die Arbeit am Projekt

218 J. HABERMAS: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 52;
J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 167. Vgl. zu Habermas’ Vollendung des
modernen Projektes auch: D. ASHLEY: Habermas and the Completion of ›The Project of Modernity‹, S. 88-
107.
219 J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 34.
220 J. HABERMAS: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 44-53.
Habermas hat hier vor allem Lübbe und Schelsky im Visier, die seiner Ansicht nach verlorengegangene
Traditionen zum Leben erwecken wollen, was Habermas für ein ohnehin aussichtsloses Unterfangen hält.
221 J. HABERMAS: Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, S. 145;
J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 69, 74. Ebenso auch: W. WELSCH: Unsere
postmoderne Moderne, S. 171. Gegen eine Verabschiedung der Moderne wendet sich mit ähnlichen Argu-
menten auch: A. BAUMGARTNER: Postmoderne als babylonische Sprachverwirrung, S. 892.
222 J. HABERMAS: Zwischen Heine und Heidegger, S. 124. Vgl. auch: J. HABERMAS: Der philosophische Dis-
kurs der Moderne, S. 352-357.
223 J. HABERMAS: Zwischen Heine und Heidegger, S. 123.
224 J. HABERMAS: Die Einheit der Vernunft in der Vielheit ihrer Stimmen, S. 9-10.
225 A.a.O., S. 11.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 96

Moderne fortsetzen heißt dagegen für Habermas, den Rationalitätsdiskurs der Moderne wei-
terzuentwickeln.

Die kommunikative Vernunft


Um die Arbeit am Projekt Moderne fortzusetzen, entwickelt Habermas das Konzept einer
»kommunikativen Vernunft«, die weder auf einem »extramundanen Standpunkt eines entwelt-
lichten Subjektes« im Sinne einer universalistischen Geschichtsphilosophie Hegelscher Prä-
gung noch auf einem ethnozentrischen Kontextualismus basiert.226 Sie macht vielmehr durch
die sprachliche Verständigung einen Begriff von Vernunft deutlich, der zugleich kontextab-
hängige und transzendierende Geltungsansprüche erhebt: »Die für Propositionen und Normen
beanspruchte Geltung transzendiert Räume und Zeiten, aber der Geltungsanspruch wird je-
weils hier und jetzt, in bestimmten Kontexten erhoben und mit faktischen Handlungsfolgen
akzeptiert oder zurückgewiesen«.227 Die kommunikative Vernunft ertrinkt nicht im Meer der
Kontingenzen, rekurriert aber auch auf nichts Absolutes. Weder affirmiert sie das, was die
Metaphysik das »All-Eine« nannte, noch ergeht sie sich in einer negativen Metaphysik, für die
alles kontingent und kontextuell ist und für die es keinen Trost in dieser Welt gibt: »Die
kommunikative Vernunft inszeniert sich nicht in einer ästhetisch gewordenen Theorie als das
farblose Negativ trostspendender Religionen. Weder verkündet sie die Trostlosigkeit der gott-
verlassenen Welt, noch maßt sie sich an, irgend zu trösten. Sie verzichtet auch auf Exklusivi-
tät. Solange sie im Medium begründender Rede für das, was Religion sagen kann, keine bes-
seren Worte findet, wird sie sogar mit dieser, ohne sie zu stützen, enthaltsam koexistieren«.228
Aus der kommunikativen Vernunft läßt sich nach Habermas aber zumindest die Idee ei-
ner »unversehrten Intersubjektivität« entwickeln: »Diese Idee darf nicht zur Totalität einer
versöhnten Lebensform ausgemalt und als Utopie in die Zukunft geworfen werden«.229 Sie
enthält nicht mehr und nicht weniger als die notwendigen Bedingungen für ein gelungenes
Leben, ist im Kern humanistisch, nicht abstrakt, sondern geschichtlich situiert. Der Humanis-
mus der unversehrten Intersubjektivität findet seinen Ausdruck in den Ideen eines selbstbe-
wußten Lebens, der authentischen Selbstverwirklichung und der Autonomie der Subjekte.230
Auf diese Weise kann nach Habermas das moderne Projekt subjektiver Freiheit fortgesetzt
werden.231

226 A.a.O., S. 12.


227 Ebd.
228 A.a.O., S. 13. Frank plädiert dagegen für eine nicht-religiöse Beerbung der Religion: »Die Substanz religi-
öser Legitimation unter Bedingungen der Irreligion retten, kann nur heißen: ihre Funktion erhalten, ohne
ihre tradierte Form zu übernehmen. Die Funktion aber der Religion scheint mir zu sein, daß sie die mensch-
liche Vernunft vor der Überforderung schützt. Dabei wird an ein ›extra nos‹ appelliert, das, wie die Erfah-
rungen der Hoffnung und der Verpflichtung lehren, nicht notwendig ein Transzendentes sein muß«.
M. FRANK: Zwei Jahrhunderte Rationalitätskritik und ihre »postmoderne« Überbietung, S. 113; Vgl. auch:
M. FRANK: Die Rettung des Individuellen.
229 J. HABERMAS: Die Einheit der Vernunft in der Vielheit ihrer Stimmen, S. 14.
230 Ebd.
231 Vgl. zur Fortsetzung des modernen Projektes im Sinne von Habermas auch: U. JAEGGI: Modernität und
Aufklärung, S. 7-10. Franz-Xaver Kaufmann bemerkt dazu kritisch: »Wenn die noch aktiven Vertreter der
Frankfurter Schule mit nach wie vor guten Gründen gegenüber dem Verwirrspiel der Post-Moderne auf den
normativen Ansprüchen der Aufklärung beharren, so scheint solcher Argumentation doch hoffnungstiftende
III. Philosophie 97

Habermas versucht seinen Vernunftbegriff gegen die Aporien der modernen Rationalität
auf zweierlei Weise abzusichern. Auf der einen Seite hält er am Geschichtsbezug der Vernunft
fest: Die kommunikative und intersubjektive Vernunft ist nicht nur ein subjektives Vermögen
im Sinne einer überhistorischen, anthropologischen Grundkategorie, sie ereignet sich vielmehr
in Raum und Zeit und ist an einen konkreten geschichtlichen Ort gebunden. Auf der anderen
Seite ist sie aber auch nicht etwas Fertiges im Sinne einer »objektiven Teleologie, die sich in
Natur und Geschichte manifestiert«, sondern ein Lernen, das sich in übersubjektiven, ge-
schichtlichen Bildungsprozessen niederschlägt.232

Die friedliche Koexistenz von Philosophie und Religion


Nachdem die Philosophie aufgehört hat, erste Wissenschaft oder Enzyklopädie zu sein, muß
ihre Aufgabe neu bestimmt werden: Ihre Rolle ist die eines Interpreten, »der zwischen den
Expertenkulturen von Wissenschaft und Technik, Recht und Moral einerseits, der kommuni-
kativen Alltagspraxis andererseits vermittelt – und zwar auf eine ähnliche Weise wie die Lite-
ratur- und Kunstkritik zwischen Kunst und Leben vermittelt«.233 Sie muß dem privilegierten
Zugang zur Wahrheit und der Heilsbedeutung der Theorie absagen, ihre metaphysischen Hori-
zonte abstreifen, sich auf die Verfahrensrationalität der Erfahrungswissenschaften einlassen
und ihre universalistischen Fragestellungen in den diskursiven Prozeß einbringen.234 Die Phi-
losophie nach dem Ende der Metaphysik muß sich darauf beschränken, als kritische Instanz
die Deformationen der Lebenswelt zu Bewußtsein zu bringen, denn eine »affirmative Theorie
des richtigen Lebens« hat sie nicht mehr zur Hand.235
Diese neue Bescheidenheit der Philosophie ermöglicht auch eine Neubestimmung des
Verhältnisses von Philosophie und Religion. Während die Philosophie sich in der Moderne
von der Religion emanzipierte und diese ablösen zu können meinte,236 ist auch die vollends
profanisierte Lebenswelt gegen den Einbruch außeralltäglicher Ereignisse keineswegs immun
geworden: »Die ihrer Weltbildfunktion weitgehend beraubte Religion ist, von außen betrach-
tet, nach wie vor unersetzlich für den normalisierenden Umgang mit dem außeralltäglichen im
Alltag. Deshalb koexistiert auch das nachmetaphysische Denken noch mit einer religiösen
Praxis (...) Die fortbestehende Koexistenz beleuchtet sogar eine merkwürdige Abhängigkeit
einer Philosophie, die ihren Kontakt mit dem Außeralltäglichen eingebüßt hat. Solange die re-
ligiöse Sprache inspirierende, ja unaufgebbare semantische Gehalte mit sich führt, die sich der
Ausdruckskraft einer philosophischen Sprache (vorerst?) entziehen und der Übersetzung in
––––––––––––––––––––––––––
Überzeugungskraft weitgehend abhanden gekommen zu sein«. F.-X. KAUFMANN: Kirche in der Gesell-
schaft von morgen, S. 25.
232 J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 69. Vgl. zum Gegensatz von »zweckratio-
nalem Handeln« und »kommunikativer Vernunft« auch: J. HABERMAS: Technik und Wissenschaft als Ideo-
logie, S. 48-65.
233 J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 46. Vgl. zur Auseinandersetzung mit Habermas’ nachme-
taphysischem Denken: H.-L. OLLIG: Das unerledigte Metaphysikproblem, S. 31-41, 60-68.
234 J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 45-46, 57.
235 A.a.O., S. 59. Diese Einsicht teilt Habermas mit Rorty. Vgl. R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?,
S. 31.
236 Vgl. zum Emanzipationsprozeß der Moderne von der Religion und zu der daraus entstandenen »Illusion
von der menschlichen Allmacht«: H. E. RICHTER: Der Gotteskomplex, S. 19-126.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 98

begründende Diskurse noch harren, wird Philosophie auch in ihrer nachmetaphysischen Ges-
talt Religion weder ersetzen noch verdrängen können«.237

10. Zusammenfassung
1. Ein breiter Konsens in der Diskussion um Moderne und Postmoderne besteht darin, daß
das Projekt der modernen Rationalität, das von der Aufklärung begründet wurde und das
seine Fortsetzung im logischen Positivismus und der analytischen Philosophie fand, in die
Krise gekommen ist. Nach Nietzsche wird der Verdacht, daß die wissenschaftliche Ver-
nunft keine allgemeingültigen, unbedingten, objektiven Erkenntnisse und universalen Gel-
tungsansprüche formulieren kann, zur Gewißheit. Die leitende Idee der Moderne – durch
die autonome Vernunft der menschlichen Subjekte technischen, ökonomischen, sozialen
und moralischen Fortschritt sichern zu können – hat sich als Illusion, als moderner Mythos
herausgestellt. Diese Einsicht vereint so unterschiedliche Philosophen wie Lyotard,
Welsch, Spaemann, Koslowski, Hübner, Rorty, Putnam, Habermas und Sloterdijk.
2. Wenn der Rekurs auf große Erzählungen (Lyotard), normativ-ethische Theorien und trans-
zendentale Systeme (Rorty), metaphysische Letztbegründungen (Wellmer), einen
archimedischen Punkt (Jameson), eine universalistische Geschichtsphilosophie (Habermas)
nicht mehr möglich ist, stellt sich die Frage, wie menschliche Erkenntnis und soziales
Handeln dann legitimiert werden können. Die Antworten auf diese Frage fallen sehr
unterschiedlich aus:
 Lyotard und die französische Postmoderne erweisen sich als treue Schüler Nietzsches:
Die großen Ideen der metaphysischen Tradition (Wahrheit, Vernunft, Logik etc.) werden
sprachphilosophisch aufgelöst und »nur noch« als Metaphern, Metonymien und Anthro-
pomorphismen aufgefaßt: Eine Erkenntnis ist so wahr wie jede andere und eine Hand-
lungsmaxime so gut wie jede andere. Dissens, Heterogenität, Paralogie und Inkommen-
surabilität werden nun zu Schlüsselbegriffen.
 Nach dem Ende der transzendentalen und der analytischen Philosophie bleibt für Rorty
nur ein sozialimmanenter Pragmatismus übrig, der die kulturellen Gewohnheiten – ohne
jeden festen Maßstab allein aus den Maximen der jeweiligen Kultur – kritisch sichtet.
Putnam besteht immerhin darauf, ein rationaleres Konzept von Rationalität zu entwi-
ckeln, und unter Rückgriff auf die humanen Traditionen die anstehenden Probleme zu
lösen.
 Ein solch rationaleres Konzept von Rationalität versuchen Welsch und Habermas zu
entfalten, während Sloterdijk schlicht die alte »ptolemäische Vernunft« für zukunftswei-
send hält. Welschs »transversale Vernunft« soll in einer Situation des radikalen Plura-
lismus Übergänge zwischen verschiedenen Rationalitätstypen ermöglichen und zur ge-
genseitigen Verständigung beitragen, ohne jedoch den Konsens zum Ziel zu haben.

237 J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 60. Die Kurskorrektur gegenüber früheren Äußerungen ü-
ber Religion (»Die Religion ist heute nicht einmal mehr Privatsache«. J. HABERMAS: Legitimationsproble-
me im Spätkapitalismus, S. 113) ist hier unübersehbar. Vgl. zu Habermas’ Theorie der Religion die Beiträ-
ge in dem Sammelband: E. ARENS (Hrsg.): Habermas und die Theologie.
III. Philosophie 99

Mittels der »kommunikativen Vernunft« will Habermas auf intersubjektivem Wege auf
Konsens und »kommunikatives Handeln« hinarbeiten.
 Spaemann, Koslowski und Hübner dagegen versuchen, die moderne Rationalität durch
eine integrative Synthese von vormoderner und moderner Rationalität zu überwinden.
3. Ein Konsens besteht auch hinsichtlich der gegenwärtigen Situation in den westlichen Kul-
turen: Sie sind durch einen politischen, weltanschaulichen, sozialen, ethischen und religiö-
sen Pluralismus geprägt, der durch die moderne Ausdifferenzierung der Lebensbereiche
und ihrer verschiedenen Rationalitätstypen entstanden ist. Lyotard, Rorty, Vattimo, Well-
mer und Welsch stimmen darin überein, daß die Moderne – wie die gesamte abendländi-
sche Tradition – auf das »eine Wahre« ausgerichtet ist, das es gegen das »eine Wahre« der
anderen durchzusetzen gilt. Postmodern soll dagegen die Affirmation eines prinzipiellen
Pluralismus sein, der nicht mehr auf das »eine Wahre« rekurriert. Koslowski, Spaemann
und Hübner betrachten dagegen den faktischen Pluralismus aus der kumulativen Perspekti-
ve: Sie wollen alle positiven Inhalte der pluralistisch verfaßten Kultur fruchtbar machen
und zu einer integrativen Synthese verbinden.
4. Ein grundlegender Dissens besteht zwischen den pluralitätsbetonenden und den holisti-
schen Postmoderne-Konzeptionen hinsichtlich der Bewertung der Moderne:
 Während die differenzbetonenden Postmoderne-Theorien (Lyotard, Welsch, Wellmer,
Vattimo) die Moderne aus erkenntnistheoretischer und sprachphilosophischer Perspek-
tive analysieren – indem sie die Vernunfts- und Wahrheitsansprüche moderner Erkennt-
nis kritisch sichten –, betrachten Spaemann und Koslowski die Moderne aus praktisch-
philosophisch-ethischer Perspektive – indem sie die pathologischen Folgen des Moder-
nisierungsprozesses analysieren und von dort her das wissenschaftliche Weltbild der
Moderne zu kritisieren und therapieren versuchen.
 Während Lyotard, Welsch und der Poststrukturalismus die Moderne durch metaphysisch
begründete, totalisierende Absolutsetzungen (die Wahrheit, die Vernunft etc.) kenn-
zeichnen und dagegen Heterogenität, Differenz und Pluralität setzen, sehen Spaemann,
Koslowski und Hübner die Moderne durch Ausdifferenzierung, Spaltung und Fragmen-
tierung geprägt, der es ein holistisches Weltbild und einen neuen Essentialismus entge-
genzusetzen gilt.
5. Vieles spricht dafür, daß sich das Verhältnis von Philosophie und Religion zu entspannen
begonnen hat, weil die Grenzen wissenschaftlicher Vernunft zunehmend deutlich werden:
Die moderne Rationalität hat es nicht vermocht, das Bedürfnis nach Sinn und Trost abzu-
schaffen oder positive Sinnsetzungen zu formulieren (Habermas); sie war nicht in der La-
ge, die Lücke, die die Religion hinterlassen hatte, auszufüllen (Hübner); die Gehalte der jü-
disch-christlichen Religion in der westlichen Kultur sind so elementar, daß auch der
Atheist nicht an ihnen vorbeisehen kann (Rorty); das Unbedingte ist notwendig, um die
Grundrechte, Menschenrechte und einen Basiskonsens in der Gesellschaft zu begründen
(Spaemann).
6. Die fundamentale Einsicht Nietzsches, daß jede universale Begründung der Ethik hinfällig
wird, wenn die Normen nicht im Unbedingten verankert werden, scheint sich heute als
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 100

Konsens durchgesetzt zu haben. Lyotard, Rorty, Vattimo und Welsch affirmieren Nietz-
sches Einsicht und verzichten konsequent auf jede metaphysische Begründung der Ethik,
ja, nicht nur auf die Begründung einer Ethik, sondern auf eine materiale Ethik überhaupt.
An die Stelle einer expliziten Ethik treten strukturelle und strategische Überlegungen zur
Konfliktregelung. Spaemann, Koslowski und Hübner ziehen aus Nietzsches Erkenntnis die
umgekehrte Konsequenz, nämlich die Religion als Weltdeutungsmodell,
Kontingenzbewältigungspraxis und Sinnstiftungsinstanz zur Bewältigung des individuellen
Daseins und zur Normenbegründung zu rehabilitieren.
IV. Soziologie
Die uralte Funktion der Religion – inmitten all der Schwierigkeiten des
menschlichen Lebens eine letzte Sicherheit zu gewährleisten – ist zutiefst er-
schüttert worden. Wegen der religiösen Krise in der modernen Gesellschaft ist
die soziale »Heimatlosigkeit« metaphysisch geworden – sie ist zur »Heimatlo-
sigkeit« im Kosmos geworden.
Peter L. Berger, Das Unbehagen in der Modernität

Früher sind die Menschen in die Verhältnisse, die sie vorgefunden haben, hi-
neingewachsen, und das war eine verläßliche Art, in der sie zu sich gekommen
sind; aber heute, bei der Durcheinanderschüttelung, wo alles von Grund und
Boden gelöst wird, müßte man schon sozusagen auch bei der Erzeugung der
Seele die Überlieferung des Handwerks durch die Intelligenz der Fabrik erset-
zen.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

1. Die postmoderne Gesellschaft


»Nach dem Zweiten Weltkrieg endete die moderne Zeit mit der radikalen Transformation der
Kommunikations-, Wissens- und Energietechnologien. Ihr zentrales Merkmal war die konti-
nuierliche Zunahme der Effizienz der Produktionstechnologie, die eine wachsende Herausfor-
derung für den Primat jener Werte bedeutete, denen diese Mittel dienen sollten. Die postmo-
derne Zeit, deren Beginn wir mit dem Jahr 1945 festsetzen können, wird entweder eine
weitere und noch weitgehendere Bedrohung des Status dieser Werte durch den Ansturm der
Technologien oder die Wiederherstellung ihrer normativen Priorität erleben. Welche der Al-
ternativen sich durchsetzt, wird darüber entscheiden, ob die Gesellschaft Diener oder Meister
der von ihr erzeugten Instrumente sein wird«.1 So beginnt das 1968 erschienene Buch The Ac-
tive Society. A Theory of Societal and Political Processes des renommierten amerikanischen
Soziologen Amitai Etzioni. Dieses umfangreiche Werk verfolgt das Ziel, die Bedingungen der
Möglichkeit einer postmodernen, »aktiven Gesellschaft« theoretisch zu begründen und Wege
für ein makroskopisches Handeln aufzuzeigen.2

Die Transformation der modernen zu einer aktiven Gesellschaft: Amitai Etzioni


Die postmodernen Gesellschaften sind – so Etzioni – durch den schnellen Aufstieg der Wis-
senstechnologien entstanden und unterscheiden sich von den modernen Gesellschaften da-
durch, daß gesamtgesellschaftliche Kontrollen eine größere Rolle spielen, Flexibilität und
Transformationspotentiale ansteigen und kybernetische Prozesse die gesellschaftliche Ent-
wicklung bestimmen.3 Weil keine Gesellschaft dem Einfluß der neuen Technologien ent-
kommen ist, sind alle Gesellschaften mehr oder weniger in das postmoderne Zeitalter einge-
treten. Es ist allerdings noch nicht abzusehen, ob diese Veränderungen zu einer authentischen
Partizipation eines größeren Teils der Gesellschaftsmitglieder oder zu größerer Machtkonzent-

1 A. ETZIONI: Die aktive Gesellschaft, S. 7.


2 Ebd. Vgl. zu Etzioni auch: H. LENK: Postmodernismus, Postindustrialismus, Postszientismus, S. 169-170.
3 A. ETZIONI: Die aktive Gesellschaft, S. 7. Vgl. zur Bedeutung des Wissen in der postmodernen Gesell-
schaft: A.a.O., S. 223-226.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 102

ration in den Händen einiger weniger führen wird.4 Die Aufgabe der postmodernen Gesell-
schaft ist es, die moderne Erfahrung der Entfremdung und Unauthentizität (das Gefühl des
»Nichtdazugehörens«, der »Manipuliertheit«, des »Nichtdurchschauens«, der »Fremdbestim-
mung«, des »Abgeschnittenseins«, der »Gefangenheit«), die durch die Industrialisierung, Bü-
rokratisierung und den Primat der instrumentellen Rationalität entstanden ist und die sich
durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht, zu überwinden.5

Die Ausrichtung der Gesellschaft auf die Bedürfnisse der Menschen


Eine Rückkehr zu vormodernen Gesellschaftsformen lehnt Etzioni hingegen ab: »Wir können
die Wissenschaft nicht abschaffen, und wir können ebensowenig in ein vornukleares oder vor-
industrielles Zeitalter zurückkehren, wie Adam den halbgegessenen Apfel an den Baum des
Wissens zurückgeben konnte. Illusionen über den glücklichen Handwerker in der mittelalter-
lichen Gilde oder den glücklichen Eingeborenen im Busch sind nicht aufrechtzuerhalten.
Selbst wenn es die Option gäbe, zurückzukehren, würden die meisten Menschen dies nicht
wollen«.6 Etzioni entwirft dagegen das Modell einer offenen, aktiven, transparenten und au-
thentischen Gesellschaft, die den Menschen ernstnimmt und in der das Individuum sich inner-
halb der Gesellschaft maximal entfalten kann. Auch wenn vollkommene Sicherheit und Au-
thentizität letztlich nicht möglich sind – weil die Befriedigung einiger Bedürfnisse die
Fähigkeit verringert, andere zu befriedigen – gibt es doch einige Grundbedürfnisse, die von
der Gesellschaft befriedigt werden können: das Bedürfnis nach Zuwendung, nach Kontext,
nach wiederholter Gratifikation, nach Stabilität und nach Vielfalt innerhalb der gesellschaftli-
chen Struktur.7
Diese »gesamtgesellschaftliche Bedürfnissensibilität« erfordert eine authentischere Betei-
ligung am Arbeitsprozeß, adäquatere öffentliche Dienste und Einrichtungen, mehr materielle
und rechtliche Gleichheit. Die Transformation der Gesellschaft kann aber nicht ohne Aktivie-
rung ihrer Mitglieder geschehen.8 Der Wandel zu einer aktiven Gesellschaft setzt verschiede-
ne »Projekte« voraus:
– persönliche Projekte: Erweiterung des Wissens und des Bewußtseins, Verkürzung der Dis-
tanz zwischen privater und öffentlicher Identität und Zuführung persönlicher Energien zu
gesamtgesellschaftlichem Handeln;9
– kollektive Projekte: Es bedarf einiger Vordenker, die die gesellschaftstransformierenden
Projekte einleiten und denen sich andere dann anschließen können. Kollektivierung ist die

4 A.a.O., S. 34.
5 A.a.O., S. 625-627. Vgl. zur »Unmöglichkeit von Rationalität«: A.a.O., S. 285-295; zur »Unauthentizität«
in personaler, sektoraler und globaler Perspektive: A.a.O., S. 641-655.
6 A.a.O., S. 33.
7 A.a.O., S. 631-634.
8 A.a.O., S. 655. Vgl. zur »gesellschaftlichen Mobilisierung«: A.a.O., S. 406-438; zur »aktiven Orientie-
rung«: A.a.O., S. 324-325.
9 A.a.O., S. 658. Vgl. zur Bewußtseinsbildung: A.a.O., S. 244-265.
IV. Soziologie 103

Voraussetzung der Mobilisierung, der Protest der Wenigen aktiviert die zuschauende
Mehrheit;10
– gesamtgesellschaftliche Projekte: Verschmelzung aktivierter Subgruppen zu einer Gesell-
schaft, die die Fähigkeit entwickelt, durch einen hohen Mobilisierungsgrad und eine aktive
Selbstveränderung die Ziele zu verwirklichen, die durch einen authentischen gesellschaftli-
chen Konsens getragen werden.11
Diese verschiedenen Projekte bauen aufeinander auf, wirken aber – wenn der Mobilisie-
rungsprozeß erfolgreich verlaufen ist – auch in umgekehrter Richtung.12 Sie vermindern die
Unauthentizität, indem sie eine Synthese des Wissens, eine Synthese der Emotionen und Wer-
te und eine umfassende Sicht der Anwendung von Macht herstellen.13 Die an und für sich
notwendige Differenzierung, Pluralität und Fragmentierung der Gesellschaft wird durch die
Mobilisierung und Aktivierung re-integriert, das heißt, zu einem ganzheitlichen gesellschaftli-
chen Prozeß zusammengeschlossen, dem auf der persönlichen Ebene eine holistische Erzie-
hung und aktive Erfahrungsmöglichkeiten zur Seite stehen.14 Diejenigen, die neue öffentliche
Identitäten entwickeln, sie auf andere übertragen und zur Basis für gesamtgesellschaftliches
Handeln machen, sind Träger der Hoffnung auf die Transformation zu einer aktiven Gesell-
schaft.15

Der Spätkapitalismus und die postmoderne Gesellschaft: Jürgen Habermas


Jürgen Habermas, der in den achtziger Jahren so vehement gegen die Postmoderne polemi-
siert, hat den Begriff »postmoderne Gesellschaft« zu Beginn der siebziger Jahre verwendet,
um Krisentendenzen in spätkapitalistischen Gesellschaften aufzuspüren und ein neues gesell-
schaftliches Organisationsprinzip zu beschreiben.16
Habermas unterscheidet die Gesellschaft nach Lebenswelt und System. Betrachtet man die
Lebenswelt, so werden die normativen Strukturen (Werte, Institutionen, Weltbilder) einer Ge-
sellschaft analysiert, während aus der Systemperspektive die Steuerungsmechanismen und
Erweiterungsspielräume einer Gesellschaft thematisiert werden.17 Der Modernisierungsprozeß
ist durch eine funktionale Ausdifferenzierung des gesellschaftlichen Systems und durch eine

10 A.a.O., S. 658-659.
11 A.a.O., S. 659-660. Vgl. zu Etzionis Konsenstheorie: A.a.O., S. 202-206; zur freiwilligen Selbstkontrolle:
A.a.O., S. 130-148. Eine »kooperative Gesellschaft« unter starker Berücksichtigung der individuellen »Ei-
genleistung« fordert auch: H. LENK: Eindeutig vieldeutig, S. 74-75.
12 »Wenn Arbeiter, die bis dahin nicht im Parlament eines Landes vertreten waren, auf kollektiver Ebene mo-
bilisiert werden und gesamtgesellschaftliche Anerkennung erringen, können sie ihre neue politische Macht
dazu verwenden, Bildung und Erziehung weiterzuverbreiten und das politische System ›neutraler‹ zu ma-
chen, was wiederum die Mobilisierung von Arbeitern erleichtert«. A. ETZIONI: Die aktive Gesellschaft,
S. 661.
13 A.a.O., S. 663. Vgl. zum Umgang mit der Macht: A.a.O., S. 370-400.
14 A.a.O., S. 663-664.
15 A.a.O., S. 665. Vgl. zum gesellschaftlichen Wandel auch den Sammelband: A. ETZIONI – E. ETZIONI-
HALEVY (Hrsg.): Social Change. In dieser Studie finden sich grundlegende soziologische Analysen zu den
Veränderungen in den westlichen Gesellschaften.
16 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 31. Vgl. dazu: D. ASHLEY: Habermas and
the Completion of ›The Project of Modernity‹, S. 93-95.
17 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 14.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 104

Enttraditionalisierung der Lebenswelt gekennzeichnet. Diese moderne Gesellschaft aber be-


findet sich heute in einer tiefen Legitimationskrise.18 Durch Legitimationskrisen verändern
sich die Gesellschaftssysteme: Sozial- und Herrschaftssysteme werden neu organisiert und die
Gesellschaftssteuerung wird von anderen Parametern bestimmt. Dadurch ändern sich aber
auch die normativen Strukturen, die Werte, Institutionen und Weltbilder. Die Entwicklung der
Weltbilder von den vorhochkulturellen, über die traditionalen, dann modern-kapitalistischen
zu den postmodernen Gesellschaften folgt nach Habermas einem bestimmten Muster: Der
Profanbereich dehnt sich gegenüber der sakralen Sphäre aus; die Weltbilder verlieren dadurch
an kognitivem Gehalt; das wiederum führt zu verstärkter Autonomie, zu universalistischen
und zugleich individuellen Orientierungen; der Glaubensmodus wird zunehmend reflexiv
(vom Mythos als unmittelbares Orientierungs- und Erfahrungssystem über die Offenbarungs-
religion zur Vernunftreligion und zuletzt zur Ideologie).19
Dem Organisationsschema einer Gesellschaft entspricht ein bestimmter Krisentypus, der
gesellschaftliche Transformationen und Evolutionen auslöst: In vorhochkulturellen
Gesellschaften, die nach Verwandtschaftsbeziehungen organisiert sind, werden Krisen durch
äußere Einflüsse (Kriege, Naturkatastrophen) ausgelöst; in traditionalen Gesellschaften, die
durch politische Klassen geprägt werden, führen intern angelegte Identitätskrisen
(Bauernaufstände, Revolutionen) zum Wandel; in liberalkapitalistischen Gesellschaften, die
durch ökonomische Klassen bestimmt sind, lösen Systemkrisen gesellschaftliche
Veränderungen
Heute zeichnet
aus.20sich gegenüber diesen »klassischen« Krisentypen ein neuer Krisentypus
ab. Die rapiden Wachstumsprozesse spätkapitalistischer Gesellschaften und die globalen
Probleme, die aus diesem Wachstum entstehen, lassen sich nicht mehr als nur systemspezifi-
sche Krisenerscheinungen interpretieren: »Die ökologischen Gleichgewichte bezeichnen eine
absolute Grenze des Wachstums; die weniger handgreiflichen anthropologischen Gleichge-
wichte bezeichnen eine Grenze, die nur um den Preis einer Veränderung der soziokulturellen
Identität gesellschaftlicher Systeme überschritten werden kann. Die selbstdestruktive Gefähr-
dung des internationalen Gleichgewichts schließlich ist ein Folgeproblem des Wachstums de-
struktiv verwendbarer Produktivkräfte«.21

Der Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft als Krise der Moderne


Nach Habermas befinden sich die westlichen Gesellschaften in einem Prozeß der Delegitimie-
rung des bestehenden politischen Systems, der durch ökonomische Krisen (Staatsfinanzen,
Verschuldung, Inflation, Disparität zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum), po-
litische Krisen (mißlingende Steuerung der Wirtschaft durch administrative Maßnahmen), so-
ziokulturelle Krisen (Gegensatz zwischen den Anforderungen des Staatsapparates und den

18 J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 234. Vgl. zur Ausdifferenzierung und Pluralisierung der
modernen Gesellschaft auch: P. L. BERGER – B. BERGER – H. KELLNER: Das Unbehagen in der Moderni-
tät, S. 59-74.
19 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 23.
20 A.a.O., S. 32-41. Vgl. zu den gesellschaftlichen Veränderungen auch: J. HABERMAS: Technik und Wissen-
schaft als Ideologie, S. 65-102.
21 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 61. Vgl. zu den gegenwärtigen Krisenphä-
nomenen auch: J. HABERMAS: Die neue Intimität zwischen Politik und Kultur, S. 65.
IV. Soziologie 105

Bedürfnissen und Erwartungen der Gesellschaftsmitglieder) ausgelöst wird.22 Die soziokultu-


relle Krise ergibt sich aus dem Zerfall der modernen, säkularisierten, bürgerlichen Ideologie,
die nur von ihrer eigenen Substanz lebt, sich an keine traditionellen Weltbilder anlehnt und
die deswegen gegenüber den Grundrisiken der persönlichen Existenz keine Hilfen für kontin-
genzüberschreitende Deutungsmuster bietet. Sie ist angesichts individueller Heilsbedürfnisse
hilflos, ermöglicht keinen humanen Umgang mit der verobjektivierten Natur, entwickelt keine
Solidarität unter Gruppen und zwischen Individuen und ist unfähig, eine wirklich politische
Ethik zu entwerfen.23
Drei Trends scheinen Habermas für die strukturellen Veränderungen charakteristisch zu
sein. Erstens diffundiert der kognitive Anspruch, die Totalität der Wirklichkeit erfassen zu
können. Zweitens sind die verinnerlichten und privatisierten Glaubensvorstellungen noch ein-
mal subjektivistisch gebrochen worden: »Der liberale Habitus eines Fürwahrhaltens, das sich
am Fürwahrhalten heterodoxer Auffassung von Anbeginn relativiert, entspricht der Anerken-
nung eines Pluralismus unentschieden um Wahrheit konkurrierender Glaubensmächte:
praktische Fragen sind nicht mehr wahrheitsfähig, Werte irrational«.24 Drittens sind Moralvor-
stellungen weithin von theoretischen Deutungsmustern abgekoppelt. Der Begründungszu-
sammenhang des rationalen Naturrechts ist gebrochen, es herrscht die Ethik des »common
sense«: »Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist dieser Prozeß als ›Aufhebung‹ von Religion und
Philosophie bewußt geworden – ein höchst ambivalenter Vorgang. Die Religion ist heute
nicht einmal mehr Privatsache, aber im Atheismus der Massen drohen auch die utopischen
Gehalte der Überlieferung unterzugehen. Die Philosophie ist ihres metaphysischen Anspruchs
entkleidet, aber im herrschenden Szientismus sind auch die Konstruktionen zerfallen, vor de-
nen eine schlechte Realität sich rechtfertigen muß«.25

22 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 66-73. Vgl. auch: J. HABERMAS: Die neue


Intimität zwischen Politik und Kultur, S. 59.
23 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 109-110. Vgl. zum Verfall der bürgerlichen
Ideologie auch: J. HABERMAS: Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 176-198. Für Panajotis Kondylis ist
der Paradigmenwechsel von der Moderne zur Postmoderne ebenfalls durch die Ablösung der »bürgerlichen
Denkfigur« gekennzeichnet: die »synthetisch-harmonisierende Denkfigur« der bürgerlichen Gesellschaft
»war grundsätzlich bestrebt, das Weltbild aus einer Vielfalt von unterschiedlichen Dingen und Kräften zu
konstruieren, die zwar isoliert betrachtet sich im Gegensatz zueinander befinden (können), doch in ihrer
Gesamtheit ein harmonisches und gesetzmäßiges Ganzes bilden, innerhalb dessen Friktionen oder Konflik-
te im Sinne übergeordneter vernünftiger Zwecke aufgehoben werden«. In der »analytisch-kombinatorischen
Denkfigur« der massendemokratischen Postmoderne dagegen gibt es »keine Substanzen und keine festen
Dinge« mehr, sondern nur noch »letzte Bestandteile, Punkte oder Atome, deren Wesen und Existenz ei-
gentlich nur in ihrer Funktion besteht, d. h. in ihrer Fähigkeit, zusammen mit anderen Punkten oder Atomen
immer neue Kombinationen einzugehen (...) Alles kann und darf im Prinzip mit allem kombiniert werden,
denn alles befindet sich auf der gleichen Ebene, und es gibt keinen ontologischen Hintergrund, der den
Vorrang bestimmter Kombinationen vor anderen sicherstellen würde«. P. KONDYLIS: Der Niedergang der
bürgerlichen Denk- und Lebensform, S. 15-16.
24 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 113.
25 Ebd. Die Rede von einem Verschwinden, Überflüssigwerden, ja einem Ende der Religion war noch in der
Soziologie der siebziger Jahre ein beliebter Topos (vgl. z. B.: G. DUX: Religion, Geschichte und sozialer
Wandel in Max Webers Religionssoziologie, S. 328-331). Allerdings gab es auch damals schon andere Ein-
schätzungen namhafter Soziologen: »Das gegenwärtige Wiederaufleben religiöser Strömungen deutet nicht
nur auf eine mögliche Umkehr des Säkularisierungstrends hin, sondern läßt sich auch als eine spezifische
Manifestation des Entmodernisierungsimpulses verstehen«. P. L. BERGER – B. BERGER – H. KELLNER: Das
Unbehagen in der Modernität, S. 171-172.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 106

Die Naturwissenschaften haben nach Habermas ein Interpretationsmonopol für die äußere
Wirklichkeit übernommen, und im Bereich des sozialen Zusammenlebens sind mit wachsen-
der Komplexität Kontingenzen erzeugt worden, ohne daß die Fähigkeit zu deren Bewältigung
mitgewachsen wäre. Die Sozialwissenschaften können Weltbildfunktionen aber nicht über-
nehmen, weil sie kein kontingenzbeherrschendes Wissen hervorbringen. Vielmehr tragen sie
zu einer Steigerung der Kontingenzen bei. Eine Theorie, die die Faktizität von Einsamkeit,
Schuld, Krankheit und Tod weginterpretieren könnte, ist undenkbar. Habermas zieht daraus
die Konsequenz, daß »die Kontingenzen, die an der körperlichen und der moralischen Verfas-
sung des einzelnen unaufhebbar hängen, sich nur als Kontingenz ins Bewußtsein heben las-
sen: mit ihnen müssen wir, prinzipiell trostlos, leben«.26

2. Die postindustrielle Gesellschaft


Der Begriff »postindustrielle Gesellschaft« geht auf den amerikanischen Soziologen David
Riesman zurück, der ihn Ende der fünfziger Jahre gebraucht, um die Veränderungen in den
Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg zu beschreiben.27 »Postindustrielle Gesell-
schaft« wird in der Diskussion um die Postmoderne meist synomym mit dem Begriff »post-
moderne Gesellschaft« gebraucht.28 Einige Soziologen geben jedoch dem Begriff »postindus-
trielle Gesellschaft« den Vorzug, weil er genauer die Transformation von der modern-
industriellen zu einer postmodern-postindustriellen Gesellschaft bezeichnet.29

Die Freizeitmentalität und die außen-geleitete Lebensweise: David Riesman


David Riesman macht auf zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse in der amerikanischen Ge-
sellschaft der Nachkriegszeit aufmerksam: Erstens bildet sich – vor allem unter den gut aus-

26 J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 165. Vgl. auch: J. HABERMAS: Die Kultur-


kritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 49-51. J. HABERMAS: Nachmeta-
physisches Denken, S. 185-186. Vgl. zur Kontingenz des menschlichen Daseins und zur Kontingenzbewäl-
tigung auch: O. MARQUARD: Apologie des Zufälligen, S. 117-135; R. GUMPPENBERG: Gegenlicht, S. 18-
20.
27 D. RIESMAN: Leisure and Work in Post-Industrial Society, S. 363-364. Vgl. dazu auch: W. WELSCH: Unse-
re postmoderne Moderne, S. 27.
28 So jedenfalls: J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 19; K. LÜSCHER: Familie und Familienpolitik
im Übergang zur Postmoderne, S. 15-16; H.-G. VESTER: Die Thematisierung des Selbst in der postmoder-
nen Gesellschaft, S. 12-28. Daniel Bell hingegen propagiert die postindustrielle Gesellschaft, wendet sich
aber polemisch gegen die gegenwärtige, von ihm als »postmodern« bezeichnete »Porno-Pop-Kultur«. Vgl.
dazu: D. BELL: Sociological Journeys, S. 300.
29 Siegfried Rosner wendet sich gegen den Begriff »postmoderne Gesellschaft«, weil dieser kein zutreffender
Begriff für die sozialstrukturellen Veränderungen der westlichen Gesellschaft sei. Die Begriffe »postindus-
trielle Gesellschaft« und »postmoderne Kultur« haben für ihn einen größeren Erhellungswert: »Insgesamt
scheint es mir allenfalls sinnvoll, von einer postmodernen Kultur, nicht aber von einer postmodernen Ge-
sellschaft zu sprechen«. S. ROSNER: Gesellschaft im Übergang?, S. 71.
Ein weiterer Versuch, den gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandel zu beschreiben, kommt von Helmut
Klages: Gegen die Begriffe »Risikogesellschaft« und »Postmoderne«, die seiner Meinung nach die gesell-
schaftlichen Verhältnisse nicht adäquat genug beschreiben, bezeichnet Klages die gegenwärtige Gesell-
schaft als »Wertewandelsgesellschaft«, weil er diesem Begriff ein »überlegenes analytisches Potential« und
einen umfassenderen »Orientierungsgehalt« zumißt. H. KLAGES: Traditionsabbruch als Herausforderung,
S. 10.
IV. Soziologie 107

gebildeten Menschen – eine Überfluß- und Freizeitmentalität aus, und zweitens bringen die
Massenmedien eine Vereinheitlichung der Kultur mit sich, die Traditionen verblassen läßt und
den Hedonismus fördert.30 Die Konsumentenhaltung wird zum typischen Reaktionsmuster
und eigentlichen Lebenssinn der Menschen.31 Der Wert »Arbeit« – in der modernen Industrie-
gesellschaft von zentraler Bedeutung – wird durch den Wert der »Freizeit« ersetzt.32 Die post-
industrielle Gesellschaft ist für Riesman deshalb vor allem eine Freizeitgesellschaft. Die Ent-
wicklung zur postindustriellen Gesellschaft beschreibt Riesman als Abfolge verschiedener
Gesellschaftssysteme, denen er ein bestimmtes menschliches Orientierungsverhalten zuordnet:
– In den vorindustriellen Gesellschaften orientiert sich der Mensch an den hergebrachten
Verhaltensregeln, die ein relativ festes gesellschaftliches Gefüge garantieren. Der vorindus-
triellen Gesellschaft entspricht eine »traditions-geleitete« Verhaltensweise.33
– Die moderne Industriegesellschaft ist durch ein hohes Maß an sozialer Mobilität gekenn-
zeichnet. Sie bietet dem Menschen größere Chancen und Wahlmöglichkeiten, verlangt aber
zugleich, ein Leben ohne selbstverständliche Traditionslenkung zu führen. Der industriel-
len Gesellschaft entspricht somit eine »innen-geleitete« Verhaltensweise.34
– Der postindustriellen Gesellschaft, in der Dienstleistungen wichtiger werden als die indus-
trielle Produktion, Massenkonsum für breite Schichten der Bevölkerung zur Selbstver-
ständlichkeit gehört und die Massenmedien die öffentliche Meinung prägen, entspricht eine
»außen-geleitete« Verhaltensweise: »Das gemeinsame Merkmal der außen-geleiteten Men-
schen besteht darin, daß das Verhalten des Einzelnen durch die Zeitgenossen gesteuert
wird; entweder von denjenigen, die er persönlich kennt, oder von jenen anderen, mit denen
er indirekt durch Freunde oder durch die Massen-Unterhaltungsmittel bekannt ist (...) Die
von dem außen-geleiteten Menschen angestrebten Ziele verändern sich jeweils mit der sich
verändernden Steuerung durch die von außen empfangenen Signale«.35
Mit dem Wandel von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft und dem Wandel
vom »innen-geleiteten« zum »außen-geleiteten« Menschen korrespondiert ein Wandel vom
individuell-prinzipiellen zum sozialen Gewissen: Unbedingt-ethische Maßstäbe werden durch
Opportunismus und ein »So-wie-die-anderen-sein-Wollen« ersetzt.36

30 D. RIESMAN: Leisure and Work in Post-Industrial Society, S. 364. Vgl. zur Entwicklung der Massenkultur
auch: A. HUYSSEN: After the Great Divide, S. 3-62; P. KONDYLIS: Der Niedergang der bürgerlichen Denk-
und Lebensform, S. 167-296.
31 D. RIESMAN: Die einsame Masse, S. 237-256. Vgl. dazu auch: F. JAMESON: Postmodernism and Consumer
Society, S. 55-77.
32 D. RIESMAN: Leisure and Work in Post-Industrial Society, S. 367-379. Vgl. zur Freizeitgesellschaft auch:
E. KÜNG: Arbeit und Freizeit in der nachindustriellen Gesellschaft, S. 187-245; H. GLASER: Das Ver-
schwinden der Arbeit.
33 D. RIESMAN: Die einsame Masse, S. 38-43.
34 A.a.O., S. 43-48.
35 A.a.O., S. 55.
36 A.a.O., S. 117-140.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 108

Das Modell einer Gesellschaft der sozialen Entwicklung: Alain Touraine


Der französische Soziologe Alain Touraine reflektiert in seinem 1969 erschienenen Buch La
société post-industrielle die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich am Ende der sechziger
Jahre in den westlichen Gesellschaften beobachten lassen. Nach Touraine entstehen nun
Gesellschaften eines neuen Typs, die er als »postindustriell« bezeichnet, um die Entfernung zu
den vorausgegangenen industriellen Gesellschaften zu markieren.37 In der postindustriellen
Gesellschaft genießen die Industrie, die Ökonomie und das Kapital nicht mehr die zentrale
Stellung. Zwar ist die Gesellschaft nach wie vor durch wirtschaftliches Wachstum geprägt, die
Entwicklung aber hängt jetzt vom Wissen und der Kreativität ihrer Mitglieder ab.38 Die For-
men der sozialen Herrschaft werden dadurch verändert: Klassenschranken verschwinden, aber
gleichzeitig wachsen die Anforderungen der Gesellschaft an den einzelnen, weil die sozialen
Milieus nicht mehr festgefügte Identitäten vorgeben; jeder einzelne hat nun eine Vielzahl von
unterschiedlichen Rollen in der Gesellschaft zu bewältigen; Mobilität, Flexibilität, Erziehung
und Bildung werden zunehmend wichtig, wenn die gesellschaftliche Entwicklung gesichert
werden soll.39
Weil der einzelne aber in funktionalistischer Absicht ins System integriert und vom Sys-
tem manipuliert wird, entsteht eine Entfremdung, die einen Konflikt hervorruft, sobald sich
Gruppen gegen diese Funktionalisierung wehren. Die Studentenrevolte und die Protestbewe-
gung am Ende der sechziger Jahre wenden sich gegen die Funktionalisierung des Wissens und
der Universität für das technokratische System und diejenigen Mächte, die es stabilisieren.40
Der Protest richtet sich auch gegen den bloß technologisch verstandenen Fortschritt, gegen die
Kreativität der Effizienz und gegen die nur »abhängige Partizipation« an der Gesellschaft.41
Der Unterschied zu den kapitalistischen Industriegesellschaften besteht nach Touraine darin,
»daß der soziale Konflikt sich nicht mehr innerhalb eines grundlegenden ökonomischen Me-
chanismus definiert«, sondern alle gesellschaftlichen und kulturellen Tätigkeiten in diesen
Konflikt verwickelt sind.42
Touraine fordert eine Transformation der technokratisch-ökonomischen Gesellschaft in
eine »Gesellschaft der sozialen Entwicklung«, die nicht »abhängige Partizipation«, Integrati-
on, Effektivität und Anpassung, sondern eine schöpferische Infragestellung der bestehenden
Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen, eine Kontestation, fördert.43 Daraus ergibt sich für
Touraine auch eine veränderte Aufgabenbestimmung für die Soziologie: Allzuoft wurden in
der Soziologie alle Elemente des gesellschaftlichen Lebens ausschließlich aus der funktiona-
listischen Perspektive gesehen, das heißt, nach dem Beitrag zur Integration und zum Überle-
ben des Ganzen beurteilt.44 Die Soziologie soll aber keine Daten zur Perfektionierung und

37 A. TOURAINE: Die postindustrielle Gesellschaft, S. 7.


38 A.a.O., S. 9.
39 A.a.O., S. 10-13; 33-34; 43-44; 50-53; 222-224.
40 A.a.O., S. 54-61;
41 A.a.O., S. 14-25.
42 A.a.O., S. 30.
43 A.a.O., S. 31.
44 A.a.O., S. 27.
IV. Soziologie 109

besseren Anpassung des Systems liefern, sondern den Kampf zwischen systemkonformer An-
passung und Kontestation in der Gesellschaft analysieren.45

Von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft: Daniel Bell


Der bekannte amerikanische Soziologe und Kulturwissenschaftler Daniel Bell veröffentlicht
1973 sein Buch The Coming of Post-Industrial Society, das den Begriff der »postindustriellen
Gesellschaft« international bekannt macht.46 Während sich viele Entwicklungsländer noch in
der vorindustriellen oder industriellen Aufbauphase befinden, stehen – so Bell – die höchst-
entwickelten Gesellschaften der Ersten Welt bereits am Ende der industriellen und am Anfang
der postindustriellen Phase.47 Bells Anliegen ist es nun, diejenigen Veränderungen in der
sozialen Struktur zu untersuchen, die durch den wirtschaftlichen Wandel, die Verschiebungen
innerhalb der Berufsgliederung und die Entwicklungen eines neuen Verhältnisses von Wis-
senschaft und Technologie entstehen.48 Den Wandel von der industriellen zur postindustriel-
len Gesellschaft beschreibt Bell anhand von fünf Indikatoren:
– Auf dem wirtschaftlichen Sektor läßt sich ein Übergang von einer güterproduzierenden zu
einer Dienstleistungsgesellschaft beobachten. Landwirtschaftliche und industrielle Produk-
tion verlieren an Bedeutung, während der Dienstleistungsbereich ständig an Bedeutung
gewinnt.49
– Daraus ergibt sich eine Änderung der Berufsstruktur: Höher qualifizierte, technische, aka-
demische Berufe gewinnen zunehmend an Bedeutung.50
– In der Dienstleistungsgesellschaft resultiert aus der veränderten Berufsstruktur ein Primat
des theoretischen Wissens als Quelle der Innovation. In den modernen Industriegesellschaf-
ten des 18. und 19. Jahrhunderts wurden die meisten Innovationen noch von »begabten
Bastlern« hervorgebracht. Die »intelligenten Technologien« dagegen setzen theoretisch
fundiertes Grundlagenwissen voraus, ohne das heute kaum mehr Innovationen gelingen
können.51
– Durch fundiertes Grundlagenwissen zeichnet sich heute die Möglichkeit ab, den techni-
schen Fortschritt bewußt zu lenken und schädliche Nebenwirkungen zu vermeiden. In der
modernen Gesellschaft wurden technische Neuerungen unkontrolliert eingeführt, da dem
technischen Fortschritt oberste Priorität eingeräumt wurde, ohne die Auswirkungen zweiter
Ordnung zu berücksichtigen. Politische Instanzen und eine Technologiefolgenabschätzung

45 A.a.O., S. 31.
46 Schon Mitte der sechziger Jahre hatte sich Bell als Vorsitzender der »Kommission für das Jahr 2000« mit
dem Strukturwandel in den westlichen Gesellschaften befaßt. Vgl. dazu: D. BELL: Das Jahr 2000, S. 14-
26.
47 D. BELL: Die nachindustrielle Gesellschaft, S. 12.
48 A.a.O., S. 29-31, 114-120.
49 A.a.O., S. 32-33. Vgl. zur empirischen Untermauerung dieses Wandels für Europa: R. INGLEHART: The Si-
lent Revolution in Europe, S. 991-1017. Vgl. zum Wertewandel im Europa der siebziger und achtziger Jah-
ren: R. INGLEHART: Kultureller Umbruch.
50 D. BELL: Die nachindustrielle Gesellschaft, S. 33-36.
51 A.a.O., S. 36-41. Ebenso: D. BELL: Die dritte technologische Revolution und ihre sozioökonomischen
Konsequenzen, S. 29-39.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 110

können den technischen Wandel kontrollieren und zukunftsorientierte Kriterien für die
technische Innovation festlegen.52
– Das Aufkommen einer »intelligenten Technologie« (die »dritte technologische Revoluti-
on«) eröffnet eine neue Dimension der technologischen Entwicklung. Nach der ersten tech-
nologischen Revolution im 18. Jahrhundert (Einführung der Dampfkraft und der Mechani-
sierung und Maschinisierung der menschlichen Produktion) und der zweiten
technologischen Revolution im 19. Jahrhundert (Elektrizität und Chemie) steht nun die
dritte technologische Revolution bevor: Übergang aller mechanischen und elektrischen in
elektronische Systeme, Miniaturisierung, Digitalisierung, Computerisierung und Informati-
sierung der Technik, Dezentralisierung von Produktionsstätten, Handel und Märkten sowie
eine Vernetzung und Vergleichzeitigung der Information durch die Telekommunikation.53

Der Primat des Wissens und der Information


Das Hauptproblem für die postindustrielle Gesellschaft sieht Bell im Primat des Wissens: Die
soziale Gruppe der Wissenschaftler bildet die neue Elite in der nachindustriellen Gesellschaft,
die zugleich auch die größte politische Macht hat, weil die Politik auf Experten angewiesen
ist, ohne die kaum noch politische Entscheidungen gefällt werden. Weil »Können« – verstan-
den als technische Kompetenz – zur Conditio sine qua non für Rang und Stellung innerhalb
der Gesellschaft wird, löst sich die moderne »Klassengesellschaft« auf.54 In der industriell-
kapitalistischen Gesellschaft war Privateigentum die treibende Kraft der technologischen
Entwicklung. In der postindustriellen Gesellschaft wird es das Wissen sein.55 Mit dem Wandel
von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft sind aber auch zahlreiche neue Prob-
leme verbunden:
– Während in der modernen Gesellschaft das Kapital der dominierende Machtfaktor war,
zeichnet sich durch die Expertenkultur eine Unterordnung der Ökonomie unter die Politik
ab. Die »Verteilung der Güter«, die Bewertung der fachlichen Qualifikation und der indivi-
duellen Leistung werden zu einem wichtigen Problem einer postindustriellen Gesell-
schaftsordnung.56
– Es könnte so eine »meritokratische Gesellschaft« entstehen, in der jeder nach Leistung und
Verdienst für die Gesellschaft seine gesellschaftliche Position erhält.57 Problematisch er-
scheint allerdings in diesem Zusammenhang, wie die Chancengleichheit als Ausgangspunkt
für den meritokratischen Prozeß verwirklicht werden kann.58
– Die moderne ökonomische Theorie ging von einer »Knappheit der Güter« aus. Dem Man-
gel sollte durch Steigerung der industriellen Produktion abgeholfen werden. Dies ist in den

52 D. BELL: Die nachindustrielle Gesellschaft, S. 42-43.


53 A.a.O., S. 43-49. D. BELL: Sociological Journeys, S. 34-65. Ähnlich auch: G. RAULET: Leben wir im Jahr-
zehnt der Simulation?, S. 165-188.
54 D. BELL: Die nachindustrielle Gesellschaft, S. 257-261.
55 A.a.O., 115.
56 A.a.O., S. 271-272.
57 A.a.O., S. 299-302.
58 A.a.O., S. 316-322.
IV. Soziologie 111

westlichen Industriegesellschaften durch die richtige Kombination von Maschinen und


Rohstoffen, Technik und natürlichen Ressourcen auch erreicht worden. Heute deutet sich
eine andere Knappheit an: die Begrenztheit von Rohstoffen und natürlichen Ressourcen.59
– Die komplexe postindustrielle Gesellschaft sieht sich aber auch vor kybernetische Proble-
me gestellt: Probleme der Information (Quantität, Qualität, Verarbeitung, Bewertung),
Probleme der Koordination gesellschaftlicher Prozesse (Partizipation, Interaktion, Ab-
wicklung, Planung, Regulierung) und Probleme der Zeit (Arbeitszeit, Freizeit, Rationali-
sierung).60
– Die Umformung der industriellen in eine postindustrielle Gesellschaft betrifft aber nicht
nur die Sozialstruktur sondern auch den kulturellen Sektor. Das Problem besteht darin, daß
Gesellschaftsstruktur (Wirtschaft, Technologie, Berufssystem) und Kultur (symbolischer
Austausch von Sinngehalten) in einen immer größer werdenden Widerstreit zueinander ge-
raten sind:61 Die Technologie macht zwar ständig Fortschritte, aber die kulturellen Kräfte
der Moderne haben sich erschöpft.62

Der Wertewandel und die kulturelle Krise der Moderne


Bell versteht die Gesellschaft nicht wie Etzioni als integrales Ganzes sondern als disjunktives
Phänomen. Den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft entsprechen verschiedene Normen-
und Wertesysteme, deren Wandel durch entgegengesetzte axiale Prinzipien gesteuert wird.63
Dies führt zu einem Antagonismus dreier verschiedener Sphären: In der technisch-ökono-
mischen Sphäre dominieren funktionale Rationalität und Effizienz; die Kultur ist dagegen auf
Selbstverwirklichung und Genuß aus; die politische Sphäre ist auf Gleichheit und Recht aus-
gerichtet.64 Die industrielle Gesellschaft wurde von einer transzendentalen protestantischen
Arbeitsethik zusammengehalten, die im Laufe des Modernisierungsprozesses erst zurückge-
drängt und dann durch einen Hedonismus ersetzt wurde.65 Der kulturelle Hedonismus führt zu
wachsenden Ansprüchen im Konsumbereich und vermindert die Bereitschaft, für die Gesell-
schaft Opfer zu bringen.66

59 A.a.O., S. 352-353.
60 A.a.O., S. 353-361.
61 A.a.O., S. 362-363. Ausführlicher: D. BELL: Die Zukunft der westlichen Welt, S. 49-143.
62 »Ich glaube, daß wir in den westlichen Gesellschaften an einem Scheideweg angelangt sind: Wir sind Zeu-
gen vom Ende des bürgerlichen Denkens – jener Auffassung von menschlicher Handlung und sozialen Be-
ziehungen, insbesondere vom Tauschverkehr –, das die Moderne während der letzten 200 Jahre geformt
hat. Und ich glaube auch, daß wir den Niedergang des schöpferischen Impulses und der ideologischen Ü-
berzeugungskraft des Modernismus erleben, der als kulturelle Bewegung unsere symbolischen Ausdrucks-
formen während der letzten 125 Jahre geprägt hat«. D. BELL: Die Zukunft der westlichen Welt, S. 16. Vgl.
auch: D. BELL: Zur Auflösung der Widersprüche von Modernität und Modernismus, S. 21-67.
63 D. BELL: Die Zukunft der westlichen Welt, S. 19. Vgl. auch: D. BELL: Sociological Journeys, S. 154-
164, 329-354.
64 D. BELL: Die Zukunft der westlichen Welt, S. 19-23.
65 A.a.O., S. 30.
66 A.a.O., S. 35. Vgl. Zur Kritik an Bells kulturpessimistischer Position: J. HABERMAS: Die Moderne – ein
unvollendetes Projekt, S. 449; H. BRUNKHORST: Die Komplexität der Kultur, S. 395; H. LENK: Eindeutig
vieldeutig, S. 71-72.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 112

Die Moderne hat eine kulturelle Krise ausgelöst, in der die gesellschaftliche Sinnsetzung
zum zentralen Problem geworden ist: »Das wahre Problem des Modernismus ist das Glau-
bensproblem«.67 Der kulturelle Modernismus hat den Nihilismus mit sich gebracht, weil sich
das diesseitige System von Sinngehalten als Illusion erwiesen hat. Literatur und Kunst als Re-
ligionsersatz haben es nicht vermocht, eine durchgehende gesellschaftliche Sinnsetzung zu e-
tablieren. Bell sieht in der Rückkehr zu einer religiösen Sinnsetzung die Lösung des gesell-
schaftlichen Antagonismus: »Die Religion kann die Kontinuität der Generationen
wiederherstellen; sie verweist auf die existentiellen Kategorien, welche die Grundlage der Be-
scheidenheit und Achtung für andere bilden«.68 In den vorindustriellen Gesellschaften
umschloß die Religion als Idee und Institution die Lebensgesamtheit des einzelnen. In der
modern-industriellen Gesellschaft zerbrachen die Idee und Institution der Religion an Säkula-
risierung und Profanisierung.69 Die Kultur ist dadurch zusammenhanglos geworden. Alles
wird möglich, weil nichts mehr heilig ist.70 »Das Problem der modernen Gesellschaft liegt
darin, daß Freiheit und Freisetzung bis zur Schrankenlosigkeit getrieben worden sind«.71 In
der postindustriellen Gesellschaft – so das Programm Bells – soll die Religion ein Bewußtsein
von Transzendenz schaffen, das »zu einer neuen Konzeption vom Selbst als moralischer In-
stanz« führt und das auf die religiöse Tradition zurückgreift, um die Kontinuität moralischer
Sinngehalte zu gewährleisten.72

3. Die postmoderne Kultur: Peter Koslowski


Neben den Entwürfen einer postmodernen und postindustriellen Gesellschaft hat sich vor al-
lem Peter Koslowski in seinen zahlreichen Publikationen unter gesellschaftstheoretischen Ge-
sichtspunkten mit dem Thema Postmoderne beschäftigt. In seinem Buch Die postmoderne
Kultur versucht er, das Panorama einer nachmodernen Kultur zu entwerfen.

Die Überwindung des kulturellen Pluralismus


Koslowski ist der Überzeugung, daß wir uns im Übergang von der modernen in die postmo-
derne Kultur befinden und weiß die Konstanten der neuen Kultur auch schon zu benennen:73

67 D. BELL: Die Zukunft der westlichen Welt, S. 38.


68 A.a.O., S. 39. Vgl. auch: D. BELL: The Return of the Sacred, S. 188-195.
69 D. BELL: The Return of the Sacred, S. 195-201.
70 D. BELL: Die Zukunft der westlichen Welt, S. 200.
71 A.a.O., S. 204.
72 A.a.O., S. 203. Vgl. zur Kritik an Bells funktionalistischem Religionsbegriff: W. WELSCH: Unsere post-
moderne Moderne, S. 26-31; F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 52-53; G. STAUTH –
B. S. TURNER: Nostalgia, Postmodernism, and the Critique of Mass Culture, S. 517-519; B. S. TURNER:
Periodization and Politics in the Postmodern, S. 2-3; ST. MARTELLI: La religione nella società post-
moderna.
73 Allerdings wird bei Koslowski nie ganz deutlich, ob es sich um die Beschreibung der gegenwärtigen Situa-
tion handelt oder um ein erst noch einzulösendes Programm. Vgl. H.-L. OLLIG: Philosophische Zeitdia-
gnose im Zeichen des Postmodernismus, S. 363-364. Vgl. zur Kritik an Koslowskis Postmoderne-
Programm auch: M. HENNEN: Zur Betriebsfähigkeit postmoderner Sozialentwürfe, S. 62-64; M. ZÖLLER:
Die Gnosis der Yuppies, S. 27.
IV. Soziologie 113

»Das Vorherrschen ökonomisch-technischer Theorien und Lösungen wird in der Gesellschaft


durch dasjenige kontextueller und kultureller Lösungen ersetzt«.74 Konkret heißt das: Die mo-
derne Entzweiung von Wissenschaft und Religion wird aufgehoben; das technomorphe Welt-
bild der Moderne wird durch das anthropomorphe der Postmoderne ersetzt; die kausalanalyti-
sche Methode in der modernen Wissenschaft wird durch eine Pluralität von Methoden
abgelöst; der moderne Monismus, der die Gesamtwirklichkeit aus nur einem Prinzip abzulei-
ten versucht, wird durch einen »gegliederten Trialismus« (mechanische Kausalität, Naturteleo-
logie, Geistteleologie) überwunden; das »Selbst«, das in seinen Beziehungen zur Welt und zur
Gesellschaft nicht völlig aufgeht, wird nicht mehr funktional-relational gedeutet, sondern me-
taphysisch-substantiell, als »entelechiale Monade«.75
Das »gegenwärtige Kulturbewußtsein« ist nach Koslowski vom Pluralismus geprägt, der
allerdings nicht zum Programm erhoben werden darf, weil er die Frage nach dem Sinn der
Kultur nicht beantwortet und den Kulturwillen in die Beliebigkeit des »Anything goes« auf-
löst.76 Gegen die »Vielfalt einer lebendigen Kultur« hat er nichts einzuwenden, aber die Viel-
falt ist nicht der Anfang und der letzte Zweck der Kultur.77 Auch eine pragmatische Haltung
gegenüber dem Pluralismus, die auf eine letzte Sinnsetzung der Kultur verzichtet, hält er für
nicht ausreichend, weil der Pragmatismus bloß doktrinär wird, wenn es keine inhaltlichen
Vorgaben für das Handeln in Politik und Kultur mehr gibt: »Kulturpolitik muß mehr sein als
Durchwursteln und weniger als Utopie. Sie fordert eine ganzheitliche Theorie der Gesellschaft
und den Willen, die Wirklichkeit als ganze zu gestalten«.78 Die Gesellschaft kann auf ganz-
heitliche kulturelle Normsetzungen nicht verzichten.79 »Die Aufgabe einer Kultur ist es, eine
Mitte zwischen Beliebigkeit und zwanghafter Vereinheitlichung zu finden«.80 Das gilt insbe-
sondere für den europäischen Einigungsprozeß. Das Schlagwort »multikulturelle Gesell-
schaft« scheint Koslowski in diesem Zusammenhang irreführend: »Der Prozeß der Nation-
werdung Europas muß vielmehr, ebenso wie es die Prozesse der Nationwerdung der
europäischen Teilstaaten waren, zu einem Prozeß der kulturellen Einigung und Einheit wer-
den, der den unbefragten multikulturellen Pluralismus, wie er sich aus dem Antagonismus der
Nationalkulturen ergeben hat, zu einer neuen zwangfreien Synthese zu überwinden trachtet«.81

74 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 32. Vgl. zur »postmodernen Kultur« auch: D. HARVEY: The
Condition of Postmodernity, S. 3-118.
75 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 33-53, 48, 88, 98; P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 96-
98. Vgl. zum »Selbst« in der postmodernen Gesellschaft auch: P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 54-
68; H.-G. VESTER: Verwischte Spuren des Subjekts, S. 189-201; W. HÜBENER: Der dreifache Tod des mo-
dernen Subjekts, S. 101-127; W. VAN REIJEN: Das unrettbare Ich, S. 373-400; M. FRANK: Subjekt, Person,
Individuum, S. 7-28.
76 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 152. Vgl. dazu auch: P. KOSLOWSKI: Religion, Philosophie
und die Formen des Wissens in der Gesellschaft, S. 5; P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 68-72.
77 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 153. Vgl. auch: P. KOSLOWSKI: Die Prüfungen der Neuzeit,
16-17, 72-89.
78 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 153.
79 A.a.O., S. 155.
80 P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 79.
81 A.a.O., S. 188. Koslowski spricht in diesem Zusammenhang auch von der »Idee einer europäischen
Kulturnation«. A.a.O., S. 191.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 114

Die Religion als Konstante der postmodernen Kultur


Konstitutiv für die postmoderne Kultur ist nach Koslowski die Einbeziehung der christlichen
Religion: »Die Denkbewegung des 20. Jahrhunderts widerlegt die These von der Erledigung
von Religion und Philosophie durch Wissenschaft«.82 Weil die Weltbildfunktion der moder-
nen Wissenschaft instabil geworden ist und kein wissenschaftliches Weltbild mehr den An-
spruch auf Totalität erhebt, setzt das postmoderne Denken religiöse Wissens- und Erfahrungs-
formen wieder in ihre Rechte ein.83 Die Religion ist für das Überleben der Menschheit
deswegen wichtig, weil eine religionslose, autonomisierte Wissenschaft – ohne Berücksichti-
gung der Menschenrechte, der religiösen Werte der Person und der Schöpfung – »zu einer in-
humanen Welt und zur Vernichtung des Menschen durch seine eigenen technischen und wis-
senschaftlichen Werke zu führen droht«.84 Außerdem setzt die Bewältigung der
unausweichlichen Risiken und Kontingenzen des Lebens die Fähigkeit voraus, das Leiden an
dieser Welt verarbeiten zu können. Kultur und Religion dürfen deshalb nicht voneinander ge-
trennt werden, weil ohne die Religion die Kontingenzbewältigungsfähigkeit verkümmert. Die
Religion hat zwar auch eine eigene Sphäre, aber sie erbringt für die Kultur Leistungen, die nur
sie erbringen kann.85

Das Plädoyer für eine neue Wirtschafts- und Unternehmenskultur


Die postmoderne Gesellschaft erfordert auch eine neue Wirtschafts- und Unternehmenskultur,
die Koslowski in seinem Buch Wirtschaft als Kultur zu beschreiben versucht: Technische und
wirtschaftliche Zwecke müssen auf die Zwecke der Umgebung abgestimmt und auf ihre Ne-
ben- und Wechselwirkungen hin überprüft werden. Diese neue Wirtschaftskultur entsteht
nicht aus dem modernen Effizienzdenken, »sondern aus der ganzheitlichen Ausrichtung auf
eine Steigerung der Unternehmenskultur«, denn ebenso wie die politische muß die ökonomi-
sche Macht verantwortet werden.86 Grundlegend dafür ist eine auf der Gerechtigkeit basieren-
de Unternehmensethik: eine »Sachgerechtigkeit« gegenüber dem eigenen Unternehmen und
den Mitarbeitern und eine »Tauschgerechtigkeit« gegenüber den Geschäftspartnern.87 Gegen-
über der modernen ökonomischen Rationalität, die die Ökonomie von der Ästhetik und Öko-
logie trennt, fordert Koslowski eine postmoderne »Durchdringung« von ökonomischer, ästhe-
tischer und ökologischer Rationalität, die auf eine Humanisierung von Wissenschaft und

82 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 34.


83 P. KOSLOWSKI: Religion, Philosophie und die Formen des Wissens in der Gesellschaft, S. 2.
84 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 161.
85 A.a.O., S. 168. Klaus Podak vertritt die entgegengesetzte Position: Er ist der Meinung, daß sowohl das In-
dividuum als auch die Gesellschaft als ganze sehr gut ohne sinnstiftende Religion auskommen können. Vgl.
dazu: K. PODAK: Renaissance der Religiosität?, S. 824-826; K. PODAK: Plädoyer für die Vernunft. Vgl.
gegen Koslowski auch: F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 86.
86 P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 82, 106. Vgl. auch: P. KOSLOWSKI: Religion, Ökonomie, Ethik,
S. 76-87; P. KOSLOWSKI: Die Kultivierung des Unternehmens.
87 A.a.O., S. 84,110-116.
IV. Soziologie 115

Technik zielt.88 Die postmoderne Kultur zeichnet sich somit durch die gesellschaftliche Ver-
schiebung von einer technisch geprägten zu einer künstlerischen Kultur aus.89

4. Die unbewältigten Sozialwissenschaften: Friedrich Tenbruck


Die moderne Gesellschaft – so der Tübinger Soziologe Friedrich H. Tenbruck – basiert auf
dem Glauben an den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft. Sie ist auf dem Legitimationsver-
sprechen der Wissenschaft – die wahre Ordnung der Dinge in Natur, Religion, Politik, Gesell-
schaft und Moral aufzudecken – errichtet worden. Der Elan der Moderne speist sich aus die-
sem säkularen Glauben, der den religiösen Glauben abgelöst hat.90 Tenbruck untersucht in
seinen Schriften Die unbewältigten Sozialwissenschaften (1984) und Die kulturellen Grund-
lagen der Gesellschaft (1989) die Gründe, die für den Verlust dieses säkularen Glaubens ver-
antwortlich sind.

Der Verlust der säkularen Glaubensüberzeugungen


Nachdem sich einige Irrtümer zeigten und »die wachsende Problematisierung der Wirklichkeit
immer mehr Entscheidungen über ihre Einrichtung verlangte«, begann der Glaube an die mo-
derne Wissenschaft abzubröckeln: »Es ist jener Zeitpunkt, an dem die Wissenschaft erstens
darauf verzichtete, die Dinge in ihrer Wahrheit zu erkennen und sich als perspektivische Er-
kenntnis deklarierte, welche an den Dingen nur Aspekte erkennt, und als sie zweitens einge-
stand, daß sie zur Aufstellung irgendwelcher normativer Anweisungen, irgendwelcher letzter
Werte, irgendwelcher legitimer Ordnungen nicht in der Lage sei. Diese von Max Weber um
die Jahrhundertwende gezogenen Konsequenzen sind nicht bloß methodologische Positionen
gewesen; sie bezeichnen das Ende einer Epoche der Wissenschaft und damit auch eine neue
Konstellation der Gesellschaft«.91 Die moderne Wissenschaft hat zwar mit ihren Leistungen
über alle traditionellen Autoritäten triumphiert, aber letztlich keine neuen begründen können.
Seither befindet sich die wissenschaftliche Zivilisation in einer »weglosen Vergeblichkeit«,
weil sie einerseits das in Gang gebrachte »Räderwerk ihrer Organisationen« weiter betreiben
muß, andererseits aber ohne den Glauben an die »Verwirklichung einer richtigen und gültigen
Ordnung« auskommen muß.92

88 A.a.O., S. 85-87, 98. Diese »Durchdringung« gilt auch für den postmodernen Staat: »Im Staat der Postmo-
derne durchdringen sich der soziale, kulturorientierte und territoriale Zweck des Staates, wobei für den
postmodernen Staat vor allem die wechselseitige Durchdringung der sozialen und kulturellen Zwecke des
Staatshandelns von Bedeutung sind«. A.a.O., S. 143. Vgl. auch: P. KOSLOWSKI: Die Kultivierung des Un-
ternehmens; P. KOSLOWSKI: Prinzipien der Ethischen Ökonomie, S. 15-19.
89 P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 97. Vgl. zu einem neuen ökonomischen Paradigma und zu einer
neuen Wirtschaftsethik auch: A. ETZIONI: The Moral Dimension, S. 1-19; P. H. WEHRHAHN: Paradigmen-
wechsel, S. 70-72; R. LAY: Zwischen Wirtschaft und Christentum, S. 29-67,78-92; R. LAY: Ethik für Ma-
nager, S. 104-244; K.-W. DAHM: Auf drei Stufen zum Guten, S. 74-77.
90 F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 130-136. Tenbruck hat die »Glau-
bensgeschichte der Moderne« schon früher einer eingehenden Analyse unterzogen: Vgl. F. H. TENBRUCK:
Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 52-100. Vgl. zur politischen Situation der Postmoderne:
A. HELLER – F. FEHÉR: The Postmodern Political Condition; F. FECHNER: Politik und Postmoderne.
91 F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 136.
92 A.a.O., S. 136-137.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 116

Wie Lyotard ist auch Tenbruck der Ansicht, daß der Glaube an die Legitimationskraft der
Wissenschaft geschwunden ist und die großen Ideen der Moderne aufgebraucht sind.93 Aus
dem Konkurs dieser Ideen läßt sich, so Tenbruck, vielleicht noch ein Gewinn an individueller
Freizügigkeit und pluralistischer Liberalität ziehen, die gesellschaftlichen Glaubensverluste
wiegen hingegen schwerer, denn die Demokratie gründet sich nun auf rein äußere Interessen,
und die Gesellschaft ist zu einem Streit der Gruppen geworden, in welchem das eigentliche
Legitimationsproblem keine Rolle mehr spielt: »Unser Denken beruht längst auf der Annah-
me, daß die Welt sehr wohl auf pragmatischen Rädern zu laufen vermag«.94
Der Zusammenbruch der modernen wissenschaftlichen Glaubenstradition zeigt aber nicht
nur Konsequenzen innerhalb der Gesellschaft, sondern geht mit einer Veränderung der globa-
len Situation einher: War die Moderne im Kern ein europäisches Unternehmen, so wurde die
kulturelle Einheit Europas mit dem Aufstieg der einstigen europäischen Randkulturen – Sow-
jetunion und Vereinigte Staaten – zerstört und der Kulturimperialismus Europas durch die i-
deologische »Weltkulturmission« der Supermächte ersetzt. Hinzu kommt, daß durch den U-
nabhängigkeitsprozeß der Kolonialstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg die »alten und neuen
Nationalkulturen in eine durchgängige und allseitige Beziehung getreten sind, in der sie ein-
ander präsent sind und einander durchdringen«.95 Wanderungsströme, Vertreibungen,
Asylbewegungen, Transport- und Kommunikationsmittel haben mit dazu beigetragen, daß so
eine völlig neue Weltsituation entstanden ist, in der »alle Kulturfragen in den Horizont einer
globalen Weltkultur getreten« sind.96 Angesichts dieser Situation stellt sich, so Tenbruck, die
Frage, woran sich die Menschen und die Gesellschaften orientieren sollen, wenn sie in die
Internationalisierungs- und Globalisierungsvorgänge hineingerissen werden.

Die Entwicklungsideologie und der Weltwohlfahrtsstaat


Tenbrucks Grundthese – daß allen gesellschaftlichen Entwicklungen kulturelle Ideen zugrun-
de liegen – gilt ebenso für die Globalisierungsvorgänge, auch wenn dieser Prozeß heute oft
nur als Resultat unausweichlicher Entwicklungen angesehen wird.97 Diese Vorgänge basieren
auf der Idee der »Einen Welt«, der Solidargemeinschaft freier Völker in einem Weltwohl-
fahrtsstaat. Diese Überzeugung zeigt sich besonders dort, wo von »Entwicklung« die Rede ist:
»Wo es um Entwicklung geht, steht im Hintergrund unvermerkt die Vision einer brüderlichen
Weltordnung«.98 Der Traum von einer »säkularen Ökumene« war es, der in der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg den Grundstein für eine neue Weltgesellschaft legte. Er wurde vor allem
von den USA getragen, weil hier die »Säkularisate« der christlichen Geschichtstheologie »Zü-

93 A.a.O., S. 137.
94 A.a.O., S. 138.
95 A.a.O., S. 274.
96 A.a.O., S. 275. Vgl. zum theoretischen Rahmen von Globalisierungsprozessen und zu den Möglichkeiten
einer postmodernen Weltordnung: A. GIDDENS: The Consequences of Modernity, S. 63-78; 163-178.
97 F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 276, 297-298, 300. Tenbruck entwickelt
diese These in Teil I seines Buches. Vgl. a.a.O., S. 15-92. Vgl. zur Rolle der Intellektuellen und der Ideen
in der modernen Gesellschaft: F. H. TENBRUCK: Repräsentative Kultur, S. 41-46.
98 F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 292.
IV. Soziologie 117

ge der eigenen Berufung und Sendung« trugen.99 Auf dem Weg der Kolonialisierung haben
sich die Ideen Europas um die Erde verbreitet, »und diese Ideen kehren sich nun mit der For-
derung nach Gleichheit und Umverteilung gegen ihre Urheber zurück«.100
Die Entwicklungsideologie verheimlicht allerdings das zentrale Problem eines »globalen
Kulturkampfes« in der entstehenden Weltzivilisation, denn die einzelnen Kulturen werden zu-
nehmend in den Kampf um Selbstbehauptung verstrickt.101 Begriffe wie »sozialer Wandel«
und »Entwicklung« verschweigen, daß sich einige Kulturen auf Kosten der anderen durchset-
zen: »Wo immer ›Entwicklung‹ zum Geschichtsprogramm wird, da erhebt sich die Frage nach
ihren Wegen und Zielen«.102 Aus dem Gewirr der Ideologien, Religionen, Völker und
Sprachen ergibt sich im Zeitalter der elektronischen Massenmedien der Umriß eines globalen
Kulturkampfes, dessen Ausgang noch offen ist: »Wir alle aber benötigen, hineingestellt in die
globale Durchmischung und Konfrontation der Kulturen, den eigenen Halt, denn niemand
kann, ohne Schaden zu nehmen, allen Kulturen dienen, wenn er sie auch alle gelten lassen
muß«.103 Den Kulturwissenschaften kommt in diesem Prozeß eine besondere Rolle zu: Mit ih-
rer Hilfe »werden jetzt die neuen Völker ihre eigene Geschichte schreiben, ihre eigenen Fra-
gen entwickeln, ihre eigenen Wertstandpunkte zu Gehör bringen«.104

5. Die Bedeutung der Religion für die postmoderne Gesellschaft


In der soziologischen Diskussion um die Postmoderne wird immer wieder auf ein neu erwach-
tes Interesse an Religion rekurriert.105 Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Beobachtung,
daß sich mit der Transformation der modernen zu einer postmodernen Kultur auch das Ver-
hältnis der Menschen zu religiösen Überzeugungen ändert.

Die »funktionale Mehrdimensionalität« der Religion: Franz-Xaver Kaufmann


Der Bielefelder Soziologe Franz-Xaver Kaufmann hat sich in seiner Studie Religion und Mo-
dernität (1989) intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Bedeutung die Religion in den
westlichen Gesellschaften heute hat: »Seit Mitte der siebziger Jahre ist in zahlreichen Ländern
der westlichen Welt ein erneutes Interesse an Religion zu beobachten. Dieses gesellschaftliche
und intellektuelle Interesse an Religion scheint mit dem Bewußtsein wacher Zeitgenossen zu-

99 A.a.O., S. 299. Vgl. auch: F. H. TENBRUCK: Die Sozialwissenschaften als Mythos der Moderne, S. 23.
100 F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 301.
101 A.a.O., S. 304.
102 A.a.O., S. 305.
103 A.a.O., S. 306.
104 F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 317.
105 Vgl. dazu neben der zitierten Literatur auch folgende Sammelbände: P. KOSLOWSKI (Hrsg.): Die religiöse
Dimension der Gesellschaft; W. OELMÜLLER (Hrsg.): Wiederkehr von Religion?; W. OELMÜLLER (Hrsg.):
Wahrheitsansprüche der Religion heute; CH. ELSAS (Hrsg.): Religion; W. OELMÜLLER – R. DÖLLE-
OELMÜLLER – J. EBACH – H. PRZYBYLSKI (Hrsg.): Diskurs: Religion; F. BÖCKLE – F.-X. KAUFMANN –
K. RAHNER – B. WELTE (Hrsg.): Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft; W. KERN (Hrsg.): Aufklä-
rung und Gottesglaube.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 118

sammenzuhängen, sich in einer Übergangsphase zu befinden«.106 Dieses Übergangsbewußt-


sein – so die These Kaufmanns – drückt sich zum einen in der Rede von der »Krise der Mo-
derne« und zum anderen durch das Präfix »Post« in den neueren Gesellschaftsanalysen aus.
Das Nachdenken über ein Ende der Moderne zeigt dann auch das Ende jener Selbstverständ-
lichkeit an, »mit der bisher über Religion im Horizont der Moderne nachgedacht wurde«.107
Das in der Moderne erwartete Absterben der Religion ist zwar nicht erfolgt, aber die Religion
hat – so Kaufmann – einen Teil ihrer Funktionen verloren. Dadurch hat sich nicht nur die Re-
ligion selbst verändert sondern auch ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft.108
Die Moderne ist nach Kaufmann vor allem durch die Beschleunigung des sozialen Wan-
dels und die »Legitimation dieses Wandels als Bestands- oder Entwicklungsnotwendigkeit«
geprägt.109 Fortschritt, Wachstum, Evolution, Mobilität und Innovation sind die tragenden I-
deen der Moderne, alle traditionalen Elemente der Gesellschaft stehen daher prinzipiell zur
Disposition.110 Das Subjekt irrt orientierungslos zwischen den verschiedenen Weltauffassun-
gen umher, und weil der einzelne in heterogen strukturierte soziale Zusammenhänge einge-
bunden ist, wird es zunehmend schwierig, einen sinnhaften Lebenszusammenhang und eine
eigene, nicht vorgegebene Identität aufzubauen.111 Die »Plurireferentialität von Wirklichkeit«
wird zur kulturellen Selbstverständlichkeit, und die Leitbilder des »guten Lebens« werden
immer vielfältiger und unbestimmter.112 An die Stelle einer normativen Ethik tritt die
»Mode«, der »gerade aktuelle Lebensstil, dessen Vergänglichkeit zunehmend einkalkuliert
wird«.113 Weil die Moderne auf eine kosmologische Erklärung der Welt unter der Prämisse et-

106 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 32.


107 A.a.O., S. 34
108 A.a.O., S. 23-28, 214.
109 A.a.O., S. 41. Vgl. zur Charakterisierung der Moderne auch: F.-X. KAUFMANN: Wiederkehr der Religion?,
S. 23. Vgl. zum Zusammenhang von Beschleunigung und Weltentfremdung in der modernen Gesellschaft:
O. MARQUARD: Apologie des Zufälligen, S. 80-87; B. GIESEN: Die Entdinglichung des Sozialen, S. 113;
H. LÜBBE: Im Zug der Zeit, S. 216-224.
110 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 47. Vgl. auch: F.-X. KAUFMANN: Kirche und Religion un-
ter den Bedingungen von Modernität, S. 5-26.
111 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 20-21. Peter L. Berger beschreibt dieses Phänomen als den
»Zwang zur Häresie«: Weil sich der moderne Mensch aus den traditionalen Zusammenhängen löst, muß er
zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Lebensgestaltung wählen. Vgl. P. L. BERGER: Der Zwang
zur Häresie, S. 14-45.
112 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 22. Der Konstanzer Soziologe Kurt Lüscher bestätigt diese
Beobachtungen in der Entwicklung familialer Lebensformen. Vgl. K. LÜSCHER: Die »postmoderne« Fami-
lie, S. 1209-1217. Vgl. dazu auch den Tagungsband eines Symposions zum Thema »Familiale Lebensfor-
men und Familienpolitik im Übergang zur Postmoderne« (Konstanz 6.- 11. 7. 1986): K. LÜSCHER –
F. SCHULTHEIS – M. WEHRSPAUN (Hrsg.): Die »postmoderne« Familie. Vgl. zur »Plurireferentialität von
Wirklichkeit« auch: P. L. BERGER – B. BERGER – H. KELLNER: Das Unbehagen in der Modernität, S. 59-
74
113 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 23. Diese Beobachtung deckt sich mit David Riesmans Be-
schreibung einer »außen-geleiteten« Verhaltensweise des Menschen in der postindustriellen Gesellschaft.
Vgl. D. RIESMAN: Die einsame Masse, S. 55. Neuere soziologische Untersuchungen zur Orientierung – vor
allem der Jugend – in der »Massenkultur« bestätigen diese Entwicklung. Vgl. U. ECO: Apokalyptiker und
Integrierte, S. 37-58; W. FERCHHOFF: Abschied vom Mythos Jugend, S. 1001-1018; W. FERCHHOFF –
G. NEUBAUER: Jugend und Postmoderne; H. KUPFFER: Pädagogik in der Postmoderne, S. 9-19;
B. GUGGENBERGER: Sein oder Design, S. 73-77; B. GUGGENBERGER: »Liebt, was euch kaputtmacht!«,
S. 3-20; H. GLASER: Aus den Trümmern zur Post-Moderne, S. 94-110; D. BAACKE – A. FRANK – J. FRESE
– F. NONNE (Hrsg.): Am Ende – postmodern?; TH. JUNG – K.-D. SCHEER – W. SCHREIBER (Hrsg.): Vom
Weiterlesen der Moderne.
IV. Soziologie 119

si deus non daretur verzichtet, wird der Kosmos profanisiert, die Welt »entzaubert« und die
Religion in den Bereich des Privaten und Irrationalen verbannt.114 Die Religion verliert ihren
Öffentlichkeitscharakter und wird zu einem gesellschaftlichen Teilsystem, »das den gesell-
schaftlichen Gesamtzusammenhang weder zu symbolisieren noch zu verbürgen vermag«.115
Wäre die kosmologische Funktion die einzige Funktion von Religion, so hätte die Religi-
on wohl kaum eine Überlebenschance in der modernen Gesellschaft gehabt. Die Persistenz
von Religion muß also noch in anderen Funktionen begründet sein.116 Nach Kaufmann kann
die Religion bei folgenden Problemen des menschlichen Lebens zu einer Lösung beitragen:
– bei dem Problem der Affektbindung oder Angstbewältigung,
– bei dem Problem der Handlungsführung im Außeralltäglichen,
– bei dem Problem der Verarbeitung von Kontingenzerfahrungen,
– bei dem Problem der Legitimation von Gemeinschaftsbildung und sozialer Integration,
– bei dem Problem der Kosmisierung von Welt,
– bei dem Problem der Distanzierung von den gegebenen sozialen Verhältnissen, der Ermög-
lichung von Widerstand und Protest gegen einen als ungerecht oder unmoralisch erfahre-
nen Gesellschaftszustand.117
Zwar können einige dieser Funktionen auch von nichtreligiösen Institutionen übernommen
werden (z. B. der Psychoanalyse und Psychotherapie), und auf der Ebene des Vergleichs ein-
zelner Funktionen scheint der Unterschied zwischen religiösen und nichtreligiösen Phänome-
nen eingeebnet zu sein, aber die »funktionale Mehrdimensionalität« der Religion erfüllt viele
dieser Leistungen zugleich: »Viel spricht nämlich dafür, daß die spezifisch religiöse Qualität
solcher Deutungsmuster gerade in der gleichzeitigen Erfüllung mehrerer solcher Leistungen
liegt«.118 Nach Kaufmann ist das Kriterium zur Bestimmung von religiösen Phänomenen in
der Gesellschaft, ob und für wen und mit welcher Dauerhaftigkeit partikulare Gruppen in der
Gesellschaft mehrere der genannten sechs Funktionen zugleich erfüllen können.119 Dieses Kri-
terium kann allerdings nur die gesellschaftlichen Funktionen von Religion orten, nicht aber
die Religion als solche deuten. Die religiöse Grunderfahrung – die Begegnung mit dem Gött-
lichen – ereignet sich im Glauben des Individuums und ist deshalb für die Soziologie ohnehin
nicht erfaßbar.120
Die gegenwärtige Situation ist allerdings für die Religion ambivalent: »Einerseits ist die
aufklärerische Selbstgewißheit im Schwinden, mit der die Religion in die Vorgeschichte einer
mündig gewordenen Menschheit zurückverwiesen wurde. Andererseits zerfließen die Kontu-
ren dessen, was heute unter Religion verstanden werden kann, bei näherem Zusehen immer
mehr (...) Gleichzeitig hat die soziale Wirksamkeit religiöser Virulenzen offenkundig wieder

114 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 50. Vgl. zur Entzauberung der modernen Welt auch:
M. WEBER: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, S. 94-95.
115 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 61. Ebenso: P. L. BERGER – B. BERGER – H. KELLNER:
Das Unbehagen in der Modernität, S. 73-74, 157-161.
116 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 82.
117 A.a.O., S. 84-85. Vgl. dazu auch: G. SINGER: Sozio-Kulturelle Determinanten religiöser Orientierungen,
S. 173-175.
118 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 87.
119 A.a.O., S. 88.
120 A.a.O., S. 202.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 120

zugenommen«.121 Das zentrale Thema der Postmoderne-Diskussion sieht Kaufmann in der


Frage, »ob und wie die Pluralität kultureller, struktureller und alltäglicher Wirklichkeiten noch
sinnhafte Lebensmöglichkeiten bereithält, oder ob der Verzicht auf den Anspruch einer ein-
heitsstiftenden Vernunft notwendigerweise zur Beliebigkeit und zum Irrationalismus« führen
muß.122 Für den christlichen Glauben besteht die Herausforderung der Postmoderne-
Diskussion dann im besonderen darin, »ob und wie das Christentum als Element einer plura-
listischen und plurireferentiellen Kultur noch jene Gottes- und Heilserfahrung zu vermitteln
vermag, die Inhalt seiner Botschaft ist«.123 Auf jeden Fall aber hat sich die Erkenntnis durch-
gesetzt, daß es keinen Grund gibt, in einem multiperspektivischen Raum der Religion einen
geringeren Stellenwert einzuräumen als der Ökonomie, der Wissenschaft oder der Kunst.124

Die Religion in der nachaufgeklärten Gesellschaft: Hermann Lübbe


Hermann Lübbe, Philosoph und engagierter Kulturkritiker, wendet sich mit seinem Buch Re-
ligion nach der Aufklärung (1986) gegen diejenigen, die die Religion als obsolet gewordenes
Kulturgut betrachten oder Religion mit Gegenaufklärung identifizieren. Gegen die erste Posi-
tion führt er an, daß das erwartete Absterben der Religion darum nicht erfolgt ist, weil die
Säkularisierung den Kern der Religion nicht wirklich tangiert hat; gegen die zweite Position
macht er geltend, daß die durch die Aufklärung hindurchgegangene Religion heute gerade die
Hüterin und eigentliche Kraft der Aufklärung geworden ist.125
Der moderne Säkularisierungsprozeß, so Lübbe, ist kein innerreligiöser, sondern ein so-
ziologischer Vorgang, der zwar eine Abschwächung, nicht aber den Zerfall der Religion be-
wirkt hat.126 Auf der anderen Seite hat aber auch die verfassungsrechtlich verankerte Säkulari-
sierung – zumindest in den USA – »die Entfaltung des religiösen Lebens im Pluralismus einer
freien Kultur begünstigt«.127 Selbst die »historische Brechung« des modernen religiösen Be-
wußtseins läßt den Geltungsanspruch der Religion unberührt: Zwar impliziert das moderne
Geschichtsverständnis eine universelle historische Relativität und Kontingenz, die viele Ele-
mente der Religion arbiträr erscheinen lassen, aber als historisch gewordenes Gebilde verkör-
pert die Religion – ebenso wie jede andere Kulturform – die »Einheit von Kontingenz und

121 A.a.O., S. 235. Dieser ambivalente Befund wird auch durch die treffende Analyse des Religionssoziologen
Karl Gabriel bestätigt, der den religiös-kulturellen Umbruch seit den späten sechziger Jahren eingehend un-
tersucht hat. Vgl. K. GABRIEL: Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 60-68, 157-163.
122 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 23. Diese Frage haben verschiedene Theologen aufgenom-
men. Vgl. dazu: Zweiter Hauptteil, I. 2; I. 4; I. 5; I. 7.
123 Ebd. Ähnlich auch: K. GABRIEL: Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 150-153.
124 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 237.
125 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 9-18, 31-38, 73. »Der Titel ›Religion nach der Aufklärung‹
setzt voraus, daß wir die religiöse Aufklärung hinter uns haben, nicht aber die Religion«. H. LÜBBE: Reli-
gion nach der Aufklärung (1978), S. 315. Vgl. zur politischen Philosophie Lübbes: H. KLEGER –
G. KOHLER (Hrsg.): Diskurs und Dezision.
126 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 91-106. Vgl. auch: H. LÜBBE: Vollendung der Säkularisie-
rung, S. 145-158
127 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 106. Vgl. zu den religiösen Unterschieden zwischen den USA
und Europa: TH. LUCKMANN: Die unsichtbare Religion, S. 63-76.
IV. Soziologie 121

Unausweichlichkeit«.128 Jeder Mensch muß zwischen verschiedenen Weltdeutungsmodellen


wählen, und er weiß, daß jede Wahl letztlich kontingent ist. Weil die historische Perspektive
auch zur Binnenperspektive der Religion geworden ist, ist die Teilhabe an ihr »ebenso kontin-
gent wie nichtbeliebig«.129
Gegen die moderne Religionskritik (Marx und Freud) argumentiert Lübbe, daß Religion
keine illusionäre Pseudokompensation des Unvermögens zur Selbstverwirklichung und auch
kein »infantiler Rückzug in zwangsneurotisch befestigte Wunschwelten«,130 sondern wesent-
lich »Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren« oder »Kontingenzbewältigungspraxis« ist.131
Während in normalen Lebenszusammenhängen der Zufall – durch Korrektur der Erwartungen
oder der Handlungsziele – nachträglich in Sinn transformiert wird, erkennt die Religion von
vornherein die absolute Kontingenz des Daseins an. Religion ist diejenige Lebenspraxis, mit
der sich der Mensch auf die absolute Kontingenz so bezieht, daß es zu einer Einstellungsände-
rung zum Unverfügbaren kommt. Sie hat ihre Auswirkung darin, daß sie den Menschen in der
Anerkennung der Kontingenz »lebensfähig« macht, indem sie ihm einen »Lebenssinn« (einen
»religiösen Sinn«) vermittelt.132 In der Teilnahme am Leben der Religion wird diese Anerken-
nung bezeugt und vollzogen.133
Die funktionale Religionstheorie stellt zwar nach Lübbe kein Kriterium bereit, um die
Wahrheitsansprüche einer bestimmten Religion oder Konfession zu prüfen, aber auch wenn
sie keine Handhabe zur Beurteilung positiver Religiosität hat, so gibt es doch ein allgemeines
Kriterium, um zwischen »wahrer« und »unwahrer« Religion, zwischen Glaube und Aberglau-
be zu differenzieren: »Als Kriterium dient vielmehr zumeist die Lebensdienlichkeit religiöser
Orientierung – ob sie befreie oder beenge, ob sie uns zum Fanatismus führe, die Heuchelei
begünstige oder, auf der anderen Seite, uns zu einem pragmatischen Umgang mit Wahrheits-

128 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 125. Vgl. zum gegenwärtigen Wandel des Geschichtsver-
ständnisses: H. LÜBBE: Der verkürzte Aufenthalt in der Gegenwart, S. 145-155.
129 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 125. »Die historische Kontingenz unserer Religionen ist nicht
beliebig, aber eben auch nichts, anstelle dessen wir eine rekonstruierte Notwendigkeit setzen könnten. Sie
ist vielmehr faktisch unumgänglich, und dieses Verhältnis faktischer Unumgänglichkeit ist es, in das der
Historismus der religiösen Aufklärung uns strukturell der Religion gegenüber versetzt hat« H. LÜBBE: Re-
ligion nach der Aufklärung (1978), S. 333. Vgl. auch: H. LÜBBE: Historismus oder die Erfahrung der Kon-
tingenz religiöser Kultur, S. 75.
130 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 145.
131 A.a.O., S. 149. Diese funktionale Bestimmung der Religion hat Lübbe einige Kritik eingetragen: Vgl.
E. ANGEHRN: Religion als Kontingenzbewältigung?, S. 287-288; D. LANGE: Hermann Lübbe, S. 330.
Lübbe ist sich jedoch sehr wohl bewußt, daß er die Religion damit bloß funktionalistisch definiert. Deswe-
gen betont er, daß sich Religion natürlich nicht in dieser Definition erschöpft, weil z. B. das Selbstver-
ständnis religiöser Menschen damit noch gar nicht getroffen ist. H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung
(1978), S. 326.
132 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 195. »Bewältigte Kontingenz ist anerkannte Kontingenz«.
A.a.O., S. 166. Auch Karl Gabriel betont angesichts wachsender Kontingenzen im kulturellen Pluralismus
postmoderner Gesellschaften das Kontingenzbewältigungspotential der Religion: »Auf der individuellen
Ebene dominiert das Kriterium der Brauchbarkeit zur Angst und Lebensbewältigung (...). Auf der gesell-
schaftlichen Ebene produziert der Überschuß an Kontingenzen und die Entzauberung des Fortschrittsmy-
thos die Suche nach einer neuen Beheimatung der Welt in einem übergreifenden Makrokosmos. Die Reli-
gion soll die Welt wieder als sinnvolles Ganzes erscheinen Lassen«. K. GABRIEL: Christentum zwischen
Tradition und Postmoderne, S. 158-159.
133 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 219.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 122

ansprüchen befähige, ob sie uns, zusammenfassend gesagt, zu einem guten Leben tauglich
mache oder nicht«.134
Lübbe hält die Religion für die nachaufgeklärte Gegenwartskultur für unentbehrlich: Die
Wahrheitsansprüche der Wissenschaften, Ethik und Recht, der Sozialstaat, die Grundlagen des
kulturellen Naturverständnisses und die unbedingte Geltung der Menschenrechte sind ohne re-
ligiöse Verankerung auf Dauer nicht institutionalisierbar.135 Auch wenn im Zuge der Aufklä-
rung die spezifisch religiösen Gehalte in einen allgemeinen Kulturzusammenhang diffundiert
sind, so basiert die Aufklärung doch auf Voraussetzungen, »die sie nicht selber garantieren
kann, und zu diesen Voraussetzungen gehört Kulturreligion«.136 Die liberale nachaufgeklärte
Gesellschaft – wie die politische Kultur überhaupt – basiert auf einer Zivilreligion, die als re-
ligiöser Universalkonsens in den Präambeln der Länderverfassungen ebenso zu finden ist wie
in Gerichtssälen, Schulen und bei den Akten staatlicher Selbstdarstellung.137 Die liberale poli-
tische Ordnung ist nach Lübbe aus einer verfassungspolitischen Neutralisierung religiöser
Geltungsansprüche hervorgegangen: »Die Aufklärung ist in der Tat ein religionspolitischer
Emanzipationsprozeß gewesen. Aber nach der Aufklärung scheint die Religion selbst zu den
kulturellen Bedingungen der politischen Erhaltungsfähigkeit ihrer Errungenschaften zu gehö-
ren«.138

Das »diffuse Phänomenknäuel« der »Neuen Religiösität«: Walther Zimmerli


Der Bamberger Ethiker Walther Ch. Zimmerli hält die Rede von einer »Wiederkehr« der Re-
ligion für unbegründet, denn: Religion war immer – auch in der modernen Gesellschaft – prä-
sent.139 Das Erstaunen über die »Neue Religiosität« wird durch die Erwartung eines Abster-
bens der Religion erzeugt. Diese Erwartung aber beruht auf einer phylogenetisch gestützten

134 A.a.O., S. 251. Scharfe Kritik übt in diesem Zusammenhang Günter Rohrmoser: »Faktisch wird der Be-
stand gelebter Religion auf einen ganz blassen, abstrakten und entleerten Vorsehungsglauben bei Lübbe re-
duziert, auf die Empfehlung, Gott dort walten zu lassen, oder doch seiner eingedenk zu sein, wo unsere
Macht zu walten endet«. G. ROHRMOSER: Religion und Politik in der Krise der Moderne, S. 69.
135 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 257-306. Vgl. dazu auch P. KOSLOWSKI: Die postmoderne
Kultur, S. 157-163. Koslowski vertritt hier die These, daß die Menschenrechte nur religiös begründet wer-
den können. Vgl. zur Unmöglichkeit einer philosophischen Begründung der Menschenrechte: A.
MACINTYRE: Der Verlust der Tugend, S. 97-99.
136 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 281.
137 A.a.O., S. 306-316. Lübbe geht hier ausführlich auf die Diskussion um die »politische Theologie« und »Zi-
vilreligion« ein. Vgl. dazu: J. MOLTMANN: Das Gespenst einer neuen »Zivilreligion«, S. 70-78; E. W.
BÖCKENFÖRDE: Stellung und Bedeutung der Religion in einer »Civil Society«, S. 586-597; H. LÖWE: Kir-
che in der Kultur, S. 27; W. PANNENBERG: Civil Religion?, S. 63-75; R. SCHIEDER: Civil Religion, S. 29-
43; H. KLEGER – A. MÜLLER (Hrsg.): Religion des Bürgers.
138 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 327. Auch für Hugo Staudinger garantieren »religiöse Wert-
orientierungen« gerade die freiheitlich-pluralistische Gesellschaftsordnung. Daher wäre das Schwinden re-
ligiöser Grundüberzeugungen gleichbedeutend mit dem Abbau der freiheitlichen Staats- und Gesellschafts-
ordnung. H. STAUDINGER: Pluralistische Gesellschaft und religiöse Wertorientierungen, S. 122.
139 W. CH. ZIMMERLI: Wie neu ist die neue Religiosität?, S. 12, 23. Ganz ähnlich auch Wolfgang Welsch:
»Nicht von Rationalität als solcher wendet man sich ab, sondern von deren Überschätzung und Hypertro-
phie. Umgekehrt ist auch ›Wiederkehr des Religiösen‹ ein zu pauschaler Titel. Nicht nur, weil Religion
faktisch nie verdrängt war, sondern weil nicht alles, was unter diesem Wiederkehr-Titel subsumiert wird, in
einem anspruchsvollen Sinn als ›Religion‹ zu bezeichnen, geschweige denn auf Dauer zu schätzen ist«.
W. WELSCH: Religiöse Implikationen und religionsphilosophische Konsequenzen ›postmodernen‹ Den-
kens, S. 117.
IV. Soziologie 123

Projektion ontogentischer Erfahrungen: »Da (wenigstens unter den Bedingungen der tech-
nisch-wissenschaftlich aufgeklärten modernen Welt) jeder einzelne Mensch die Erfahrung
macht, daß sein Kinderglaube durch die Konfrontation mit der ›Realität‹ schwindet, läßt sich
auch annehmen, daß jeder Mensch unter ähnlichen Bedingungen diese Erfahrung verallge-
meinert und sie als Absterben von Religion schlechthin auf die Geschichte projiziert. Diese
Projektion wird unterstützt durch Theorien der Phylogenese, die das Dysfunktionalwerden von
Hochreligionen in der Phase der Ablösung konventioneller durch postkonventionelle Identität
beinhalten«.140
Die sogenannte »Neue Religiosität« stellt sich als »diffuses Phänomenknäuel« dar, »das
weder den Kriterien wissenschaftlicher Erkenntnis unterliegt noch an bestimmte institutionelle
Formen gebunden ist«.141 Daß Religion – allerdings nicht mehr nur die christliche – Auftrieb
erhält, erklärt sich dadurch, daß die in der Moderne vollzogene Trennung von Glauben und
Wissen und die damit verbundene Dominanz des wissenschaftlichen Weltbildes durch einen
allgemeinen Relativismus (Historismus, Nietzsche) abgelöst worden ist, in welchem die Wis-
senschaft keine »grundsätzlich gediegenere Weltauffassungsform« mehr darstellt.142 Die Ü-
berkomplexität der spätmodernen Gesellschaft und die »Verschmutzungsnebeneffekte« der
modernen Wissenschaft und Technik verlangen nach einer neuen, religiös begründeten Ethik
und nach einer neuen »Unmittelbarkeit«, wie sie die Friedens- und Ökologiebewegung for-
dern.143

6. Perspektiven einer postmodernen Soziologie


Neben der Analyse der gesellschaftlichen Umbrüche befassen sich Soziologen aber auch mit
der Frage, welche Konsequenzen aus den gesellschaftlichen Veränderungen für die Soziologie
und die Sozialwissenschaften selbst zu ziehen sind: Friedrich Tenbruck beschäftigt sich mit
den Möglichkeiten einer »Bewältigung« der modernen Sozialwissenschaften, Franz-Xaver
Kaufmann wirft der modernen Religionssoziologie vor, daß sie, nachdem sie die Religion als
Mythos entlarvt hat, sich selbst an deren Stelle gesetzt hat, und Zygmunt Bauman möchte die
Soziologie von einer empirischen in eine hermeneutische Wissenschaft überführen.144

Die Kritik an der modernen Soziologie: Friedrich Tenbruck


Nach Friedrich Tenbruck ist der Begriff »Gesellschaft« wie die Inhalte, die mit diesem Begriff
verbunden werden, in der Moderne entstanden: »Diese Karriere der ›Gesellschaft‹ zum globa-
len Schlüsselbegriff ist von dem Aufstieg der Soziologie zur Schlüsselwissenschaft nicht zu

140 W. CH. ZIMMERLI: Wie neu ist die neue Religiosität?, S. 15.
141 A.a.O., S. 12. Diese »nebulöse« Religiosität ist nach Françoise Champion als Reaktion auf die Atomisie-
rung der modernen Gesellschaft zu verstehen. Vgl. F. CHAMPION: Les sociologues de la post-modernité re-
ligieuse et la nébuleuse mystique-ésotérique, S. 155.
142 W. CH. ZIMMERLI: Wie neu ist die neue Religiosität?, S. 20-21.
143 A.a.O., S. 22, 24.
144 Vgl. zum Spektrum einer solchen postmodernen Soziologie: S. LASH (Hrsg.): Post-Structuralist and Post-
Modernist Sociology.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 124

trennen«.145 Die Trennung von Staat und Gesellschaft, die Ausdifferenzierungen innerhalb der
modernen Gesellschaft und die damit verbundene Spezialisierung der einzelnen Wissenschaf-
ten soll durch die Soziologie erforscht werden, mit dem Ziel, die Wirklichkeit vorhersehen
und lenken zu können. Die Soziologie versteht sich von Anfang an als positive Wissenschaft,
in dem Glauben, daß sich ihr Untersuchungsobjekt wie in den Naturwissenschaften durch ge-
setzmäßige Zusammenhänge beschreiben und wirklich erfassen läßt.146
So kommt es zur »Geburt der Gesellschaft aus dem Geist der Soziologie«, zur »mécani-
que sociale« (Saint-Simon), die die Zusammenhänge des menschlichen Lebens aus soziologi-
schen Theorien und Modellen zu verstehen versucht. Damit schafft sich die Soziologie ihr ei-
genes Weltbild, in welchem die konkreten Lebensverhältnisse der Menschen ihr Eigenrecht
verlieren und das »Soziale« nur aus dem »Sozialen« erklärbar ist, jede Gesellschaft sich also
nur aus sich selbst heraus entwickelt.147
Insbesondere die moderne Sozialforschung nimmt ideologische Züge an, weil sie von der
säkularen Utopie getragen wird, neben der technischen Beherrschung der Natur auch die Be-
herrschung der Gesellschaft in den Griff zu bekommen.148 Sie wurde in kürzester Zeit zum
Lieferanten technischen Herrschaftswissens, auf das weder Politiker, Parteien und Gewerk-
schaften noch Verbände, Unternehmen und Kirchen verzichten wollen.149 Die »Abschaffung
des Menschen als Person« ist kein »momentaner Trend« oder ein »bedenklicher Auswuchs« in
der Soziologie, sondern prinzipiell in ihrem Weltbild verankert, weil der Mensch durch die
Daten, Fakten, Kategorien, Funktionen, Rollen und Verhaltensmuster aufgelöst wird, »bis nur
ein sozial determinierter Verhaltensmechanismus übrigbleibt und übrigbleiben soll«.150 Die
»unausrottbare Rationalitätsphantasie« des modernen »Intellektuellen-Szientismus« zeichnet
dafür verantwortlich, daß in den Sozialwissenschaften für den Menschen mit Gewissen, Ver-
antwortung, Verfehlung, Verbindlichkeit, Schuld, Vergebung, Freiheit, Selbstbestimmung und
Willen kein Raum mehr bleibt.151 Die Würde und Unantastbarkeit des Menschen wird durch
die Sozialwissenschaften mißachtet, weil sie die Fähigkeit des Menschen, seinem Dasein Sinn
und Ziel zu geben und seinem Handeln Bedeutung zu verleihen, außer acht läßt und ihn statt-
dessen nur als »Rollenträger«, »Positionsinhaber« und »Funktionsstelle« sieht und ihn damit
verobjektiviert.152

145 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 196.


146 A.a.O., S. 200.
147 A.a.O., S. 201.
148 A.a.O., S. 204. Vgl. auch: F. H. TENBRUCK: Die Sozialwissenschaften als Mythos der Moderne, S. 11-16.
149 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 206.
150 A.a.O., S. 233.
151 Ebd. Der Soziologe Karl Otto Hondrich macht darauf aufmerksam, daß Motivationen und Triebkräfte der
Menschen von den soziologischen Großtheorien unberücksichtigt bleiben und spricht deswegen von einem
»Versagen der Soziologie« hinsichtlich der dringendsten gesellschaftliche Probleme: »Was immer man den
verschiedenen Soziologen-Schulen an Erkenntnissen abgewinnen kann, am Ende stünde die Ernüchterung:
Sie haben zu dem, was die Welt heute bewegt, nichts zu sagen. Krieg und Gewalt, Völker und Nationen,
die leidenschaftlichen Wir-Gefühle von Wertegemeinschaften kommen nicht vor. Die Frage nach den
Triebkräften der Sozialität haben wir Soziologen durch die nach Kommunikation ersetzt, und unsere Theo-
rien orientieren sich mehr am Selbstbild von Gesellschaften als an dem, was es ausblendet«.
K. O. HONDRICH: Wovon wir nichts wissen wollten, S. 68.
152 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 235. Vgl. auch: F. H. TENBRUCK: Die Sozi-
alwissenschaften als Mythos der Moderne, S. 24-27
IV. Soziologie 125

Die löbliche Absicht der Sozialwissenschaften, sich jeder ethischen Wertung zu enthal-
ten, führt dazu, den Menschen als handelndes Subjekt abzuschaffen und sein Verhalten nur
noch in den Kategorien »konform« oder »abweichend« zu klassifizieren.153 Person und Kultur
(Religion, Ethos, Literatur, Kunst, Feste etc.) werden in dem auf »gesellschaftliche Verhält-
nisse« reduzierten Weltbild der Sozialwissenschaft eliminiert.154 Indem die moderne Soziolo-
gie alle Probleme sowie deren Lösung aus gesellschaftlichen Prozessen abzuleiten versucht,
schafft sie bestimmte neue Standards. Aus »objektiven« gesellschaftlichen Verhältnissen wer-
den dann aber plötzlich normative Forderungen: »Denn überall und unvermeidlich werden da
aus den ›Tatsachen‹ Lebensanweisungen hervorgezaubert, die zwar bewußt nur als pragmati-
sche Selbstverständlichkeiten, nicht als sittliche Gebote auftreten, aber dennoch und deswegen
die Gewissen unter Druck setzen«.155

Nicht Abschaffung, sondern Bewältigung der Sozialwissenschaften!


Neben aller Kritik an der modernen Soziologie und ihrem Weltbild sieht Tenbruck aber auch,
daß es nicht um die Abschaffung der Sozialwissenschaften gehen kann, sondern daß es um ei-
ne »Bewältigung«, eine prinzipielle Neuorientierung in der Bestimmung dessen, was Soziolo-
gie leisten kann und soll, gehen muß. Diese Bewältigung geschieht nun nach Tenbruck nicht
durch irgendeine neue »Theorie der Gesellschaft«, sondern durch den Verzicht auf eine end-
gültige Theorie der Gesellschaft.156 Statt einer derartigen Theorie sollen die konkreten
menschlichen Lebensverhältnisse in ihrer Bedeutung aufgeschlüsselt werden: Weil keine em-
pirische Wissenschaft objektiv zu entscheiden vermag, was bedeutend ist, muß die Soziologie
unter Berücksichtigung der kulturellen und geschichtlichen Lebensformen verschiedene Be-
deutungsmöglichkeiten herausarbeiten und sie dann bewerten.157 Und da der Soziologie kein
Interpretationsmonopol der Wirklichkeit zukommt, muß sie sich im Zusammenhang mit den
anderen Wissenschaften um die Erhellung der Fragen der Zeit bemühen.158 Aufgabe der So-
ziologie ist es dann, die Wirklichkeit so zu analysieren, »daß wir selbst dadurch die Bedeu-
tung dieser Tatsachen für die Verwirklichung menschlicher Daseinsmöglichkeiten verstehen
und deshalb in freier Verantwortung Stellung nehmen können«.159 Sie fördert dadurch jenen
Austausch unter den Menschen und Institutionen der Gesellschaft, »ohne den wohl kaum eine
säkulare Gesellschaft bestand haben wird«.160

153 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 236-237.


154 A.a.O., S. 238. Vgl. dazu auch: F. H. TENBRUCK: Repräsentative Kultur, S. 49-51.
155 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 254. Tenbruck führt hier als Beispiel an, daß
die Überzeugung, daß »die Kriminalität die Folge der Unvollkommenheit der Gesellschaft sei und der Tä-
ter erst durch gesellschaftliche Stigmatisierung zum Verbrecher« wird, natürlich die moralische Aufforde-
rung impliziert, den Täter von aller persönlichen Schuld freizusprechen. A.a.O., S. 252.
156 A.a.O., S. 305. Vgl. zur Krise der modernen Soziologie auch: J. WEISS: Die Soziologie und die Krise der
westlichen Kultur, S. 133-136.
157 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 308.
158 A.a.O., S. 310, 312-313
159 A.a.O., S. 311.
160 A.a.O., S. 314.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 126

Die Kritik an der modernen Religionssoziologie: Franz-Xaver Kaufmann


Franz-Xaver Kaufmann kritisiert die moderne Religionssoziologie, weil sie von einem archai-
schen (wenn überhaupt inhaltlich geklärten) Religionsbegriff ausgeht und religiöse Phänome-
ne allein aus der funktionalistischen Perspektive deutet.161 In der Tradition von Auguste Com-
te und Émile Durkheim wird die Religion ausschließlich als gesellschaftsintegrierende Kraft
angesehen, während gesellschaftskritische und desintegrative Potentiale – die zumindest in
der christlichen Religion auch enthalten sind – nicht in den Blick kommen:162
– Religion vermittelt nach Émile Durkheim zwischen der gesellschaftlichen und übernatürli-
chen Ordnung, indem der soziale Zusammenhang durch die Religion metaphysisch abgesi-
chert wird.163
– Für Talcott Parsons hat die Religion im Zuge der Moderne ihre gesellschaftsintegrierende
Kraft verloren, besteht aber als »Zivilreligion« fort, die die ethischen Grundlagen der
Gesellschaft verbürgt.164
– Nach Niklas Luhmann und Peter Berger hat die Religion Kosmisierungsfunktion: Die Un-
bestimmtheit und Unbestimmbarkeit der Welt wird durch die Religion tragbar gemacht.165
– Hermann Lübbe betrachtet die Religion als individuelle Kontingenzbewältigungspraxis:
Religion hilft dem Menschen, schicksalhaft erfahrene Ereignisse zu kompensieren.166
In den modernen Sozialwissenschaften spiegelt sich die Indifferenz gegenüber der Religion
wider: Religion wird auf ein gesellschaftliches Phänomen reduziert und nur um ihrer gesell-
schaftlichen Nützlichkeit willen akzeptiert.167 Indem die modernen Sozialwissenschaften die
Religion nicht mehr auf Gott, sondern auf die Gesellschaft beziehen, produzieren sie eine
neue Mythologie, ein voraussetzungsloses Vorstellungssystem, in welchem die Sozialwissen-
schaften den Maßstab für die Wirklichkeit setzen.168 Die Soziologie aber wird damit zur Kon-

161 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 17-18, 65, 70-71. Vgl. zur inhaltlichen Entleerung des Re-
ligionsbegriffs: A.a.O., S. 53-61; F.-X. KAUFMANN: Christentum im Westen, S. 410-413. Vgl. zum gegen-
wärtigen Stand religionssoziologischer Forschung: K.-F. DAIBER – TH. LUCKMANN (Hrsg.): Religion in
den Gegenwartsströmungen der deutschen Soziologie; J. WÖSSNER (Hrsg.): Religion im Umbruch;
L. VASKOVICS: Vorwort, S. 5-22.
162 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 12-13, 18, 202-204. Vgl. zur unzureichenden Definition re-
ligiöser Phänomene durch die modernen Religionssoziologen und Religionshistoriker auch: R. VAN
DÜLMEN: Religion und Gesellschaft, S. 215-220.
163 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 74. Vgl. É. DURKHEIM: Die elementaren Formen des reli-
giösen Lebens, S. 27-42, 556-597. Vgl. zur Kritik an Durkheim auch: F. H. TENBRUCK: Die kulturellen
Grundlagen der Gesellschaft, S. 187-207.
164 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 74-75. Vgl. T. PARSONS: Religion in Postindustrial Ameri-
ca, S. 193-225.
165 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 16, 75-76. Vgl. N. LUHMANN: Funktion der Religion,
S. 187-224; N. LUHMANN: Society, Meaning, Religion, S. 5-20; N. LUHMANN: Die Organisierbarkeit von
Religionen und Kirchen, S. 250-251; P. L. BERGER: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. V-VI,
3-51; P. L. BERGER: Der Zwang zur Häresie, S. 69. Ähnlich wie Kaufmann auch: TH. LUCKMANN: Das
Problem der Religion in der modernen Gesellschaft; A. KREINER: Religionssoziologie zwischen Theorie,
Apologie und Kritik der Religion.
166 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 76. Vgl. H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 160-
178.
167 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 202-203.
168 A.a.O., S. 204.
IV. Soziologie 127

kurrentin der Religion, wenn es um die Auslegung des Sinns menschlichen Daseins geht.169
Deshalb wird der Mythos der Moderne von den Sozialwissenschaften ebenso getragen wie
diese von ihm abhängen: »Mythologisch wird die Rede von der Moderne dort, wo diese zur
Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse hypostasiert oder auch nur als umfassendes
Denkmodell der neuzeitlichen Gesellschaftsentwicklung postuliert und gleichzeitig mit be-
stimmten normativen Prämissen (›Projekt der Moderne‹) aufgeladen wird«.170 Die moderne
Wissenschaft erhebt den Anspruch, die Kosmisierungsleistung der Religion übernehmen zu
können, doch das Ende der Moderne und die Ausrufung der Postmoderne sind Anzeichen da-
für, daß diese moderne Mythologie in sich zusammenfällt.171 Vor allem stellt sich aber nach
Kaufmann heute die Frage, inwieweit das »Programm einer von den Ideen der Aufklärung ge-
prägten Moderne trägt, wenn sich dieses von seiner christlichen Herkunft löst«.172

Postmoderne Soziologie als hermeneutische Wissenschaft: Zygmunt Bauman


Postmoderne, das ist dem englischen Soziologen Zygmunt Bauman zufolge vor allem die Ein-
sicht in die Sinnlosigkeit des modernen Universalismus. Während die Moderne den »western
mode of life« durch die Wissenschaften zum universalen Weltbild erhob, ist die Postmoderne
durch einen irreduziblen und unhintergehbaren Pluralismus der Kulturen, Ideologien, sozialen
Traditionen und Lebensweisen gekennzeichnet.173 Diese veränderte Situation erfordert nun
Konsequenzen für die intellektuelle Arbeit generell und für die soziologische und philosophi-
sche Forschung insbesondere.174
Die moderne empirische Soziologie hat in erster Linie die totale Administration der Ge-
sellschaft im Blick: Weil der komplexe moderne Staat ein hohes Maß an »sozialem Manage-
ment« braucht, stellen ihm die Soziologen das Wissen dafür zur Verfügung. Dadurch hat sich
die Soziologie auf geschickte Methoden zur Steuerung der Massen, statistische Untersuchun-
gen und die Sammlung von Informationen über die Trends in der Gesellschaft spezialisiert,
um dem Staat bei der »Integration« (sprich: Konformisierung) und »dem Markt« bei der »Ver-
führung« der Massen behilflich zu sein.175 Weil sich die Sozialwissenschaften als treue Diener
der Machthaber und Produzenten verdingt haben, müssen die Bedingungen soziologischer
Forschung neu formuliert werden: Die Soziologie muß sich ihrer ideologiekritischen Aufgabe
bewußt werden und zu einer hermeneutischen Wissenschaft werden, die die Erfahrungen der
Menschen in ihrem jeweiligen sozialen Kontext interpretiert, statt sie in vermeintlicher Ob-

169 A.a.O., S. 18.


170 A.a.O., S. 34. Vgl. zur Kritik an den modernen Sozialwissenschaften auch: D. BELL: Die Sozialwissen-
schaften seit 1945, S. 102-129; B. GIESEN: Die Postmoderne als Herausforderung der Gesellschaftstheo-
rie, S. 27-35; von theologischer Seite: T. RENDTORFF: Gesellschaft ohne Religion?, S. 7-24.
171 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 65.
172 A.a.O., S. 255; F.-X. KAUFMANN: Christentum im Westen, S. 413.
173 Z. BAUMAN: Is There a Postmodern Sociology?, S. 219-226. Vgl. auch: Z. BAUMAN: Gesetzgeber und
Interpreten, S. 480-481.
174 Z. BAUMAN: Is There a Postmodern Sociology?, S. 227. Für Bauman ist gerade auch der Holocaust ein
Anlaß, um über den Verlauf des modernen Zivilisationsprozesses nachzudenken. Vgl. dazu Z. BAUMAN:
Modernity and the Holocaust, S. 1-30.
175 Z. BAUMAN: Is There a Postmodern Sociology?, S. 228-229.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 128

jektivität bloß empirisch festzustellen.176 Weil es auch in den Sozialwissenschaften keine ob-
jektiv feststellbare Wahrheit gibt, sondern nur Interpretationen derselben, ist die größte Auf-
gabe, Expertisen für eine angemessene Interpretation sozialer Wirklichkeit zu erstellen.
Die Soziologie könnte so die Freiheit von den staatlichen oder ökonomischen Abhängig-
keiten gewinnen, anstatt sich zu einer administrativen Ordnungswissenschaft verzwecken zu
lassen. In diesem Zusammenhang stellt sich für Bauman auch die Frage, wer soziologisches
Wissen verwendet und für welchen Zweck, denn die Beantwortung dieser Frage ist keines-
wegs irrelevant.177 Wenn die Soziologie die gesellschaftlichen Erfahrungen der Menschen
ernst nimmt und sie nicht nur als empirisches Material betrachtet, könnte sie als hermeneuti-
sche Wissenschaft auch zur wahrhaft »humanen« Wissenschaft werden.178

7. Zusammenfassung
1. Übereinstimmung besteht in der Soziologie darin, daß sich die westlichen Gesellschaften
seit dem Zweiten Weltkrieg in einem tiefgreifenden Transformationsprozeß befinden:
Durch das Aufkommen der Wissens- und Informationstechnologien (Computer, Telekom-
munikation, elektronische Medien), die »dritte technologische Revolution« (Bell), entsteht
eine postindustrielle Gesellschaft, in der sich der Schwerpunkt von der industriellen Pro-
duktion auf die Dienstleistungen verlagert (Bell), in der die wirtschaftliche Entwicklung
nicht mehr vom Kapital, sondern vom »Wissen« abhängig ist (Etzioni, Touraine, Bell) und
in der die »Freizeit« einen höheren Stellenwert einnimmt als die »Arbeit« (Riesman).
2. Diese sozio-ökonomischen Strukturverschiebungen gehen mit einem sozio-kulturellen
Wandel in der Gesellschaft einher. Sie bewirken vor allem eine Veränderung im Orientie-
rungsverhalten der Menschen: In der von den Medien bestimmten Massengesellschaft ori-
entieren sich die Individuen nicht mehr an inneren Grundüberzeugungen, sondern an den
jeweils vorherrschenden Moden und an durch die Medien vermittelten »Lebensstilen«
(Riesman, Kaufmann). Durch den Zusammenbruch der modernen bürgerlichen Ideologie
(Habermas), den Zerfall des modernen wissenschaftlichen Weltbildes und der modernen
Glaubensüberzeugungen (Tenbruck) – ausgelöst durch die Einsicht, daß die Totalität der
Wirklichkeit nicht erfaßbar ist, Werte und Normen letztlich rational nicht begründbar sind
und ein Weltdeutungssystem so gut oder schlecht wie jedes andere ist – kommt es zu einer
grundlegenden Orientierungskrise, in der sich die Maßstäbe und Kriterien individuellen
und sozialen Handelns auflösen.
3. Parallel zum inneren Wandel der Gesellschaften läßt sich aber seit dem Zweiten Weltkrieg
auch die Aufkommen einer »Weltgesellschaft« beobachten. Durch den Unabhängig-
keitsprozeß der Kolonialstaaten, Bevölkerungsverschiebungen, Transport- und Kommuni-
kationsmittel ist eine völlig neue globale Gesamtkonstellation entstanden. Die soziologi-

176 A.a.O., S. 229-230. Vgl. auch: Z. BAUMAN: Intimations of Postmodernity, S. 216-217.


177 Z. BAUMAN: Is There a Postmodern Sociology?, S. 233.
178 A.a.O., S. 230-232. Vgl. zur Hermeneutisierung der Soziologie auch: Z. BAUMAN: Hermeneutics and So-
cial Science, S. 7-47. Vgl. zum soziologischen Ansatz von Bauman auch: B. S. TURNER: Periodization and
Politics in the Postmodern, S. 5-6; M. FEATHERSTONE: Auf dem Weg zu einer Soziologie der postmoder-
nen Kultur, S. 215-218, 241.
IV. Soziologie 129

sche Perspektive verschiebt sich dadurch immer mehr von der National-Gesellschaft zur
Global-Gesellschaft, zu einer »säkularen Ökumene« (Tenbruck).
4. Während in der Analyse der Transformationen von der modern-industriellen zur post-
modern-postindustriellen Gesellschaft ein breiter Konsens besteht, weichen die einzelnen
Entwürfe im Programm sehr voneinander ab: Etzioni setzt auf eine aktive Gesellschaft, in
der die aktivierten Mitglieder ein authentischeres Leben führen können, nach Bell muß der
Antagonismus zwischen technisch-ökonomischer Sphäre und hedonistischer Kultur mittels
einer religiös-konservativen Neuorientierung aufgehoben werden, Touraine möchte die per-
manente soziale Revolution einführen und Koslowski schließlich möchte auf eine ganzheit-
lich-kulturelle Normsetzung nicht verzichten und findet diese in einer essentialistischen,
religiös-gnostischen Natur- und Geistteleologie.
5. Auch wenn die Religion durch den modernen Säkularisierungs- und Emanzipationsprozeß
ihre Weltbild-Funktion verloren hat und weitgehend zur »Privatsache« (Habermas) gewor-
den ist, so ist doch die Religion faktisch nicht verdrängt worden (Zimmerli) und schon gar
nicht abgestorben, wie die moderne Religionskritik annahm. Nachdem die moderne Wis-
senschaftsgläubigkeit selbst als mythologisch entlarvt worden ist (Tenbruck, Kaufmann)
und das Subjekt nun zwischen verschiedenen gleichberechtigten und kontingenten Welt-
deutungsmustern wählen muß (Lübbe) – dem »Zwang zur Häresie« unterliegt (Berger) –,
läßt sich in den westlichen Gesellschaften ein neues Interesse an Religion beobachten
(Kaufmann, Zimmerli), da sie für die Kultur Leistungen erbringt, die nur sie leisten kann
(Koslowski, Kaufmann): Ohne den Rekurs auf Religion lassen sich weder die (vorrechtli-
chen) gesellschaftlichen Grundlagen begründen (Lübbe) noch unbedingte Normen für das
individuelle wie soziale Handeln aufstellen.
6. Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen verändert sich aber nicht zuletzt auch die Soziolo-
gie selbst (Tenbruck, Bauman). Sie muß sich auf die postmoderne gesellschaftliche Situati-
on einstellen (Bauman), aber auch ihre eigenen Prämissen überprüfen: Eine Soziologie, die
beansprucht, die Wirklichkeit allein aus den sozialen Verhältnissen objektiv deuten zu
können, wird zur Ideologie. Im Zusammenhang mit den anderen Wissenschaften kann sie
jedoch als interpretierende Wissenschaft zur Erhellung der Wirklichkeit beitragen (Bau-
man).
V. Die Kritik der Postmoderne-Diskussion
Man hat gewisse Fragen dem Menschen aus dem Herzen genommen. Man hat
für hochfliegende Gedanken eine Art Geflügelfarm geschaffen, die man Philo-
sophie, Theologie oder Literatur nennt, und dort vermehren sie sich in ihrer
Weise immer unübersichtlicher, und das ist ganz recht so, denn kein Mensch
braucht sich bei dieser Ausbreitung mehr vorzuwerfen, daß er sich nicht per-
sönlich darum kümmern kann.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

In mancher Hinsicht ist daher die Geschichte von Moderne und Postmoderne
wie die vom Igel und vom Hasen. Der Hase kann nicht gewinnen, weil es im-
mer schon mehr als nur einen Igel gibt. Dennoch ist der Hase der bessere Läu-
fer. Die Apologeten eines postmodernen Bruchs mit der Moderne sehen immer
nur einen Igel und glauben daher, sie hätten die Wette schon gewonnen. Die
Kritiker der Postmoderne aber halten es meist mit den Igeln und vergessen, daß
der Hase längst einen Haken geschlagen hat und in ganz anderer Richtung da-
vonhoppelt. Er mag die Wette verlieren, aber er hat die Geschichte auf seiner
Seite.
Andreas Huyssen, Postmoderne

1. Der Konsens über die Intentionen und Folgen der Moderne


Über die grundlegenden Intentionen und praktischen Folgen der Moderne besteht in der Dis-
kussion um die Postmoderne ein weitgehender Konsens: daß Vernunft-, Wissenschafts- und
Fortschrittsgläubigkeit als Kennzeichen des modernen Bewußtseins angesehen werden kön-
nen, daß die Moderne einen Pluralismus hervorgebracht hat, daß die »seelenlose Behälterar-
chitektur« der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre ein Irrweg der Architektur war, wird
von niemand bestritten. Dieser Konsens zieht sich quer durch alle Bereiche der Postmoderne-
Diskussion und vereinigt so unterschiedliche Positionen wie die von Lyotard, Jencks, Klotz,
Wellmer, Welsch, Spaemann, Koslowski und selbst Habermas. Doch vorweg vier Beobach-
tungen zu dem Begriffspaar »Moderne/Postmoderne«, die für die Diskussion um Moderne und
Postmoderne chrakteristisch sind:
 Der Begriff »Post«-Moderne steht in einem parasitären Verhältnis zu dem Begriff, dem er
seine Herkunft verdankt: der Moderne.1 Da aber »Moderne« kein eindeutig definierter Beg-
riff ist, impliziert jede Definition der Postmoderne zuallererst eine Bestimmung der Mo-
derne. Und weil die Postmoderne stets auf die Moderne verwiesen bleibt, ist die Postmo-
derne-Diskussion auch unvermeidlich eine Diskussion um die Moderne, ja der Begriff
»Moderne« erhält gerade erst durch die Diskussion um die Postmoderne seine eigene Defi-
nition.2
 Das Bild, das die Theoretiker der Postmoderne von der Moderne zeichnen, ist überwiegend
mit negativen Konnotationen versehen. Postmoderne ist dagegen der mit positiven Vorzei-
chen versehene Gegenbegriff zur Moderne. Insofern ist die Anfrage an die Postmoderne-
Diskussion, ob nicht jede Theorie der Postmoderne dem modernen Fortschrittsdenken und

1 So: M. ZÖLLER: Die Gnosis der Yuppies, S. 27.


2 Dies betonen auch: W. CH. ZIMMERLI: Das antiplatonische Experiment, S. 15 und B. HELLER: Krise des
Denkens, S. 52.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 131

seiner Überholungsdynamik verhaftet bleibt, nicht so leicht von der Hand zu weisen wie
die Theoretiker der Postmoderne dies bisweilen zu tun können glauben.3
 Die Perspektive, aus der die Botschafter der Postmoderne die Moderne betrachten, ist se-
lektiv und stellt lediglich eine Auswahl aus den vielfältigen Möglichkeiten, die Moderne zu
beschreiben, dar.4 Strömungen der Moderne, die – wie die Romantik – schon sehr früh Kri-
tik an dem exklusiven Erfahrungsbegriff der Aufklärung üben und die nicht so recht in das
Bild der Moderne passen, werden ausgeblendet.5 Die Frage, ob die Postmoderne deswegen
überhaupt als neue Epoche verstanden werden kann oder ob sie nicht vielmehr als
immanente Kritik der Moderne, die die Moderne immer wie ein Schatten begleitet hat,
angesehen werden sollte,6 ist darum durchaus berechtigt.
 Die Theoretiker der Postmoderne zeichnen ein Bild der Moderne, das eher zu einer Moder-
ne im Sinne der Neuzeit, der Aufklärung und der bürgerlichen Gesellschaft paßt als zur äs-
thetischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Wer heute also theoretische Überlegungen über
die Postmoderne anstellt, geht davon aus, daß die Grundannahmen des modernen Denkens,
die in der Neuzeit von der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt wurden7 und
die im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Allgemeingut der westlichen Welt geworden sind,
nicht mehr in gleicher Weise das gegenwärtige Denken bestimmen. Einig ist man sich auch
darin, daß die fundamentale Krise des modernen Denkens mit Nietzsche einsetzt, uneinig
aber darüber, ob Nietzsche als Protopostmoderner anzusehen ist oder ob er die Moderne
nur konsequent auf den Punkt bringt.8
Gleichwohl ergibt sich aus der Diskussion um die Postmoderne ein weitreichender Konsens
über die Moderne, der sowohl von den Befürwortern wie den Gegnern der Postmoderne ge-
tragen wird und der in folgenden fünf Punkten zusammengefaßt werden kann:

3 So etwa: K. LAERMANN: Das rasende Gefasel der Gegenaufklärung, S. 215-216; W. WEHLE: Endspiel der
Moderne?, S. 219-221; B. DIETSCHY: Gebrochene Gegenwart, S. 28; R. MÜNCH: Die Kultur der Moderne,
S. 11-13, 855-856.
4 Jeder Versuch, ein objektives Bild von der Moderne zu entwerfen, dürfte von vornherein zum Scheitern ver-
urteilt sein, weil der Blick auf die Moderne immer schon durch deren faktische Entwicklung und ihre positiv
oder negativ gewerteten Folgen affiziert ist. Ein Rückblick auf die Moderne wird von daher immer gleich-
zeitig eine Interpretation der Moderne sein. Vgl. dazu auch: K. SONTHEIMER: Auf der Suche nach der Post-
moderne in der zeitgenössischen Politik, S. 187-192; G. FIGAL – R.-P. SIEFERLE: Vorwort, S. 8;
P. WEHLING: Die Moderne als Sozialmythos, S. 59-74.
5 Vgl. zur Kritik der Romantik an der Moderne: K. H. BOHRER: Die Kritik der Romantik, S. 7-19; H. U.
GUMBRECHT: Zum Wandel des Modernitäts-Begriffes in Literatur und Kunst, S. 376; M. FRANK: Zwei
Jahrhunderte Rationalitätskritik und ihre »postmoderne« Überbietung, S. 109-111; B. GIESEN: Die Post-
moderne als Herausforderung der Gesellschaftstheorie, S. 35.
6 So: D. BORCHMEYER: Postmoderne, S. 308; W. WELSCH: Postmoderne oder Ästhetisches Denken, S. 246-
247; H.-J. HÖHN: Das Erbe der Aufklärung, S. 21-23.
7 Vgl. zur Diskussion um den Beginn der Moderne: R. KOSELLECK: Das achtzehnte Jahrhundert als Beginn
der Neuzeit; R. KOSELLECK: ›Neuzeit‹, S. 266-299. H. R. JAUSS: Der literarische Prozeß des Modernismus
von Rousseau bis Adorno, S. 250-252; O. MARQUARD: Der angeklagte und der entlastete Mensch in der
Philosophie des 18. Jahrhunderts, S. 39-66; R. KOSELLECK (Hrsg.): Studien zum Beginn der modernen
Welt; ST. TOULMIN: Kosmopolis, S. 21-33; P. HENRICI: Die Modernität und das Christentum, S. 289-292;
R. VIERHAUS (Hrsg.): Frühe Neuzeit – frühe Moderne?
8 Vgl. dazu: J. HABERMAS: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 104-129; J. F. LYOTARD: Das post-
moderne Wissen, S. 115; R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?, S. 30-31; M. FRANK: Die Unhintergeh-
barkeit von Individualität, S. 8-9; G. VATTIMO: Jenseits vom Subjekt, S. 36-64; H. MANSCHOT: Nietzsche
und die Postmoderne in der Philosophie, S. 478; G. DUX: Denken vom Vorrang der Welt, S. 207-212.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 132

 Das wissenschaftlich-technische Weltbild der Moderne: Die Moderne wird von der Über-
zeugung geleitet, die Erklärung der Gesamtwirklichkeit aus der wissenschaftlichen Ver-
nunft ableiten, die wahre Ordnung der Dinge in Natur, Religion, Politik, Gesellschaft und
Moral objektiv feststellen und universal geltende Werte, Normen und Verfahrensweisen
begründen zu können. Die modernen Wissenschaften maßen sich ein Interpretationsmono-
pol der Wirklichkeit an, indem sie den empirischen Erfahrungsbegriff absolut setzen und
andere Möglichkeiten menschlicher Erfahrung als nicht-wissenschaftlich ausschließen.
 Das wissenschaftliche Weltbild als Religionsersatz: Das moderne Denken ist aufgrund des
Primates der technisch-empirischen Rationalität durch einen Gegensatz von Glauben und
Wissen, von Religion und Wissenschaft gekennzeichnet. Die moderne Wissenschaft
verzichtet zwar auf eine kosmologische Erklärung der Welt, erhebt aber den Anspruch, die
Kosmisierungsleistung, die vor der Moderne durch die Religion garantiert war, überneh-
men zu können. Die Moderne unternimmt den Versuch, durch Kunst und Kultur auch wei-
terhin »Sinn und Bedeutung« für das menschliche Leben zu garantieren. Religion wird als
für den modernen Menschen unnötig, überflüssig, wenn nicht gar schädlich betrachtet, weil
der Mensch durch die Religion in seiner Unmündigkeit gefangen bleibt.
 Der Zusammenhang von Fortschritt und Hoffnung: Die Ablehnung der Tradition ist durch
ein säkularisiertes christlich-eschatologisches Geschichtsverständnis motiviert, das der Ge-
genwart und der Zukunft eine Priorität vor der Vergangenheit einräumt. Aus diesem linear-
progressiven Geschichtsverständnis folgt ein optimistischer Fortschrittsglaube, durch den
die Moderne sich stets selbst überholen und Innovation, Selbstaktualisierung und perma-
nente Selbstüberbietung zum Prinzip erheben muß. Dieser Fortschrittsglaube wird von der
Hoffnung getragen, daß die Menschheit einer großen Zukunft entgegengeht.
 Die Situation des Menschen in der modernen Gesellschaft: Fortschritt, Wachstum und In-
novation als tragende Werte der Moderne und das Bewußtsein für die grundsätzliche Ver-
änderbarkeit aller Dinge erfordern eine ständige Anpassung des Menschen an die sich ver-
ändernde Situation und führen zu einer Beschleunigung des sozialen Wandels. Das
Individuum ist in heterogen strukturierte soziale Zusammenhänge eingebunden, die es ihm
schwierig machen, einen sinnhaften Lebenszusammenhang zu finden und eine eigene, nicht
vorgegebene Identität zu entwickeln. Zwar hat der Mensch in der modernen Gesellschaft
größere Wahlmöglichkeiten in bezug auf seine Weltanschauung und die Verwirklichung
seiner Lebensmöglichkeiten, unterliegt aber dadurch auch dem Zwang zur Auswahl aus
dem vielfältigen Angebot und ist zu einem Leben ohne selbstverständliche Traditionslen-
kung gezwungen.
 Die Krise des modernen Denkens: Die Krise der Moderne ist durch den Zerfall der bürger-
lichen Ideologie ausgelöst worden, die gegenüber den Grundrisiken der persönlichen Exis-
tenz keine Hilfen für die Kontingenzbewältigung anbieten konnte, die angesichts individu-
eller Heilsbedürfnisse hilflos war, die keinen humanen Umgang mit der verobjektivierten
Natur ermöglichte und die unfähig war, eine überzeugende politische, gesellschaftliche und
individuelle Ethik zu entwerfen. Auch Philosophie, Literatur und Kunst haben es nicht ver-
mocht, gesellschaftliches Zusammenleben verbindlich zu strukturieren und kollektive wie
individuelle Sinnsetzungen zu etablieren. Darüber hinaus haben die Schrecken des Ersten
und Zweiten Weltkrieges sowie der atomaren und ökologischen Bedrohung, die die Apoka-
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 133

Apokalypse zur realen Möglichkeit werden lassen, den Glauben an die Wünschbarkeit des
technischen Fortschritts um jeden Preis erschüttert. Der Zusammenhang von Fortschritt
und Hoffnung hat sich dadurch aufgelöst.9

2. Der Dissens: Die unterschiedlichen Deutungen der Moderne


Der Dissens in der Postmoderne-Diskussion ergibt sich aus den unterschiedlichen Deutungen
der Moderne: Um die Frage, ob der »Vulgärfunktionalismus« der Nachkriegszeit schon in der
modernen Architekturtheorie angelegt war oder als Entfernung von den »wahren« Idealen der
modernen Architektur anzusehen ist, wird in der Diskussion ebenso gestritten wie um die Fra-
ge, ob die Moderne durch die Suche nach dem »einen Wahren« zutreffend charakterisiert wird
oder durch Ausdifferenzierung, Fragmentierung und Entfremdung. Von den verschiedenen In-
terpretationen der Moderne hängen die einzelnen Postmoderne-Konzeptionen ab, die sich
spiegelbildlich zu dem jeweils verwendeten Moderne-Begriff verhalten.10

Universalistische Moderne gegen pluralistische Postmoderne


Vielen Theoretikern der Postmoderne zufolge war es die grundlegende Intention der Moderne,
ein universales und einheitliches Prinzip zu finden, mit dem sich die »wahre Ordnung der
Dinge« feststellen läßt und das dem sittlichen Handeln und dem ästhetischen Schaffen eine
feste Grundlage gibt. Diese Sicht der Moderne wird von Rorty, Lyotard, Jameson, den De-
konstruktivisten, Putnam, Calinescu, Vattimo, Kaufmann, Tenbruck, Bauman, aber auch von
so verschiedenen Philosophen wie Habermas und Sloterdijk geteilt. Sie findet sich in der Lite-
raturwissenschaft genauso wie in der Architektur, der Philosophie und der Soziologie. Die
Perspektive, aus der hier die Moderne betrachtet wird, hat ausschließlich die epistemologi-
schen Grundüberzeugungen der Moderne im Blick, nicht aber die gesellschaftlichen und indi-
viduellen Auswirkungen des Modernisierungsprozesses. Dieser Punkt muß deswegen so be-
tont werden, weil sich die Postmoderne-Konzeptionen, die »Ganzheitlichkeit« als Programm
für die Postmoderne vertreten, gerade an den pathologischen Folgen des Modernisierungspro-
zesses orientieren, nicht aber an den ursprünglichen Intentionen der Moderne.
Gegen eine Moderne metaphysisch begründeter, totalisierender Absolutsetzungen (die
Wahrheit, die Vernunft, die Wirklichkeit, die Geschichte) wehren sich vor allem Lyotard und
die Anhänger der Dekonstruktion, die mit Pluralität, Inkommensurabilität, Heterogenität, Dif-

9 Daß der »Fortschrittsglaube« durch ein »Risikobewußtsein« abgelöst worden ist, belegt nicht nur Ulrich
Becks Studie »Risikogesellschaft« eindrücklich (vgl. U. BECK: Risikogesellschaft, S. 12-21, 95-99), sondern
auch eine soziologische Untersuchung aus der Schweiz: »Zukunft gewinnt Gestalt nicht mehr als kollektive
Verheissung, sondern erscheint nur noch als Raum des Möglichen. In Absetzung zum Fortschrittsglauben
wird Modernität erfahren als ewige Revision des Gegebenen. An die Stelle des Fortschrittsglaubens tritt das
Risikobewußtsein. Die Zukunft prägt sich in die Gegegenwart ein als Risiko der jetzt zu treffenden Ent-
scheidung. Zukunft ist keine blosse Fortsetzung der Gegenwart mehr, sondern wird anders sein; sie ist offen
und unbestimmt. Die Vervollkommnung der Gegenwart wird nicht mehr als gewiss vorausgesetzt«.
A. DUBACH: Nachwort, S. 297. Ähnlich auch W. KLEMS: Die unbewältigte Moderne, S. 191-218; E. M.
CIORAN: Die negative Seite des Fortschritts, S. 660-667; H. LÜBBE: Fortschritts-Reaktionen.
10 Vgl. dazu: W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 53-57.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 134

ferenz und Paralogie deutliche Kontrapunkte gegen diese Moderne setzen.11 Der Moderne
werfen sie vor, durch die Erhebung eines Partikularen zum Universalen Tyrannei und Terror
erzeugt zu haben. Dieser Terror soll durch die sprachphilosophisch und erkenntnistheoretisch
begründete Einsicht, daß sich die Wahrheit nie eindeutig erfassen läßt, von einem prinzipiel-
len Pluralismus der Postmoderne überwunden werden.12 Aufgabe der Postmoderne ist es nach
Lyotard, die »Widerstreite« ausfindig zu machen und die unterschiedlichen Positionen deut-
lich zu kennzeichnen, nicht aber, die Dissense in einen Konsens zu überführen oder in einer
Synthese zu versöhnen.13
Die Position, die von Welsch, Wellmer, aber auch Jencks und Klotz vertreten wird, ist
wesentlich vermittelnder: Sie kritisieren »das absolute Heterogenitätsdogma des rigiden
Postmodernismus«14 und wenden dagegen ein, daß Übergänge zwischen den verschiedenen
Rationalitätsgattungen und Diskursarten möglich sind und eine Verständigung per Konsens
nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Zwar ist auch für sie ein radikaler Plura-
lismus für die Postmoderne signifikant, gegen einen Beliebigkeitspluralismus aber vertreten
sie einen Pluralismus, der das Viele so aufeinander bezieht, daß Austauschprozesse und Dia-
loge in Gang kommen, nicht um den Pluralismus – der nicht in einer definitiven Ganzheitsset-
zung erstickt werden soll – zu überwinden, sondern um Verständigung und Konsens in er-
kenntnistheoretischer und praktischer Hinsicht zu verwirklichen.15

Ausdifferenzierte Moderne gegen ganzheitliche Postmoderne


Die andere Strömung der Postmoderne sieht die Moderne vor allem durch Ausdifferenzierung,
Fragmentierung und Entfremdung charakterisiert. Mit dieser soziologisch-kulturellen Interpre-
tation der Moderne korrespondiert ein Postmoderne-Programm, das die Erfahrung der Ent-
fremdung, der Orientierungslosigkeit und Fragmentierung im Lebenszusammenhang des mo-
dernen Menschen in eine neue, »ganzheitliche« Synthese hinein aufheben will. Die
Zerstreuung, Ausdifferenzierung und Heterogenität der modernen Gesellschaft soll dadurch
überwunden werden, daß die verschiedenen Sektoren der sozialen Lebenswelt und die man-
nigfaltigen Dimensionen menschlicher Erfahrung (wissenschaftliche, ästhetische und religiöse
Erfahrung) miteinander versöhnt werden. Gegen die exklusive Moderne setzen Palmer, Spae-
mann, Koslowski, Hübner und Etzioni eine inklusive Postmoderne: Hübner will die wissen-
schaftliche Rationalität mit der mythischen Erfahrung versöhnen; Etzionis Anliegen ist es, die
Menschen durch eine holistische Erziehung und Aktivierung zu einer ganzheitlichen Gesell-
schaft anzuleiten; Spaemann strebt die Entwicklung eines integralen Erfahrungsbegriff durch

11 Vgl. zu den »Vielheits- oder Pluralisierungsphilosophien« der Postmoderne auch: O. MARQUARD: Einheit
und Vielheit, S. 2-3.
12 Vgl. dazu: J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 14-16, 176, 189-190; J. F. LYOTARD: Philosophie
und Malerei im Zeitalter des Experimentierens, S. 97; J. DERRIDA: Randgänge der Philosophie, S. 42; P. DE
MAN: Allegories of Reading, S. X,17.
13 J. F. LYOTARD: Der Widerstreit, S. 32-36, 236-237. Vgl. zur Kritik an Lyotards Dissensbetonung: K.-O.
APEL: Diskurs und Verantwortung, S. 411.
14 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 314.
15 Vgl. W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 126, 253-257, 261, 295-326; A.WELLMER: Zur Dialek-
tik von Moderne und Postmoderne, S. 105-106, 124-126; CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen Ar-
chitektur, S. 127-129; H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 136.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 135

die Unbedingtheit des Religiösen, des Sittlichen und des Künstlerischen an und Koslowski
fordert eine ganzheitliche Theorie der Gesellschaft, die die Ausdifferenzierung und Fragmen-
tierung der modernen Gesellschaft als eine zu überwindende Fehlentwicklung ansieht.16
Der erkenntnistheoretische und kulturelle Pluralismus der Gegenwart wird auch von den
ganzheitlichen Postmoderne-Konzeptionen – als Ausdruck der Möglichkeiten menschlicher
Erfahrung – prinzipiell affirmiert. Spaemann, Koslowski, Etzioni und Hübner wenden sich
aber gegen einen Pluralismus der Anarchie, des Widerstreits und des »alles ist erlaubt«. Sie er-
teilen dem radikalen, unversöhnlichen Pluralismus der »französischen« Postmoderne (Lyo-
tard, Dekonstruktion) eine klare Absage, weil dieser die moderne Fragmentierung nicht über-
windet, sondern nur verschärft.

3. Postmoderne: Neues Zeitalter oder Revision der Moderne?


In der Diskussion um die Postmoderne wird der Streit um die Frage, ob die Postmoderne als
neue Epoche nach der Moderne verstanden werden soll oder vielmehr als deren immanente
Kritik, heftig und nicht ohne Polemik geführt.17 Die Beantwortung dieser Frage hängt aber
weder von den verschiedenen Postmoderne-Programmen ab, noch von dem Bereich, von dem
aus eine Beantwortung der Frage versucht wird, sondern vielmehr davon, inwieweit sich die
Autoren den »positiven Errungenschaften« der Moderne verpflichtet fühlen. Wesentliches
Kriterium für eine Entscheidung in dieser Frage ist auch, ob man sich eher an einzelnen, kon-
kreten Veränderungen und Umbrüchen im Denken orientiert oder ob man den Schwerpunkt
mehr auf eine Zusammenschau aller umbruchsrelevanten Parameter legt.

Postmoderne als Bewußtseinsveränderung


Die Ansicht, daß sich die moderne von der postmodernen Situation nicht grundlegend unter-
scheidet, findet sich in der Dekonstruktion ebenso wie in den pluralitätsbetonenden Postmo-
derne-Konzeptionen: Der Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne besteht dann
»nur« in der unterschiedlichen Reaktion auf die prinzipiell gleiche Situation. In der Diskussi-
on läßt sich immer wieder folgendes Argumentationsschema beobachten: Die Moderne war
stets auf der Suche nach dem Einen, dem Wahren, der Wirklichkeit, aber hervorgebracht hat
sie nur einen Pluralismus sich gegenseitig ausschließender und relativierender epistemologi-
scher, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und ethischer Modelle. Postmodern ist dagegen
dann die Affirmation der prinzipiellen Erkenntnis- und Handlungsunsicherheit, die sich seit
Nietzsche in den Köpfen von immer mehr Menschen festgesetzt hat. Deswegen trauert die
Postmoderne den verlorengegangenen Totalitäts- und Einheitsvisionen der Moderne auch
nicht mehr länger nach.

16 Vgl. K. HÜBNER: Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne, S. 78; R. E. PALMER: Towards a Postmo-
dern Hermeneutics of Performance, S. 27-29. A. ETZIONI: Die aktive Gesellschaft, S. 631-634, 663-664;
R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 36; P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 153.
17 Vgl. zur Diskussion G. RAULET: Zur Dialektik der Postmoderne, S. 130-135; W. WELSCH: Postmoderne
oder Ästhetisches Denken, S. 246-247.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 136

Der »Umbruch« von der Moderne zur Postmoderne wird hier nicht anhand von gesell-
schaftlichen oder kulturellen Parametern bestimmt, sondern als eine Veränderung des Be-
wußtseins, als eine andere Haltung gegenüber der prinzipiell gleichen Situation von Moderne
und Postmoderne interpretiert.18 Vattimo spricht in diesem Zusammenhang von einer anderen
Aneignung der Moderne, einer Transformation der Moderne, die er vor allem darin sieht, daß
die Postmoderne das moderne, lineare, fortschrittsorientierte Geschichtsverständnis in einen
Zustand umwandelt, in dem die Geschichte in das Bewußtsein von Geschichten aufgelöst
ist.19 Deswegen kann es auch nicht um eine »Überwindung« der Moderne gehen, sondern – im
Sinne Heideggers – um eine »Verwindung der Moderne« mittels des »schwachen Denkens«.

Postmoderne als immanente Kritik der Moderne


Von vielen Theoretikern wird die Postmoderne als immanente Kritik der Moderne aufgefaßt –
keine Abkehr von der Moderne, keine Anti-Moderne, keine »Überwindung« der Moderne,
schon gar keine Rückkehr zur Vormoderne, sondern: Revision der Moderne. Nach Welsch
verabschiedet die Postmoderne nur die Neuzeit inklusive ihrer Projekte der wissenschaftlichen
Weltbeherrschung und der universalen Heilsschaffung, nicht aber die einst elitäre (ästheti-
sche) Moderne des 20. Jahrhunderts, als deren exoterisch-populäre Einlösung sich die Post-
moderne versteht.20 Postmoderne ist dann die gegenwärtige Phase der Moderne. Folglich
wendet sich Welsch auch im Vorwort zur dritten Auflage von Unsere postmoderne Moderne
vehement gegen die »Epochen-Suggestion in Sachen Postmoderne«, die nur das »trivialste
Mißverständnis von Postmoderne« gewesen sei: »In Wahrheit ging es um eine Durcharbeitung
und Verwandlung der Moderne, in der zwar manche Züge dieser Moderne verabschiedet, an-
dere aber erhalten und weiterentwickelt werden sollten«.21
Zu denjenigen, die die Postmoderne teils als Bewahrung teils als Überwindung der Mo-
derne betrachten, gehört auch Spaemann. Den besten Weg, die Moderne zu überwinden, sieht
er darin, die Moderne gegen die ihr immanente Tendenz zur Selbstaufhebung zu schützen, in-
dem die positiven Errungenschaften der Moderne – die Gehalte humaner Selbstverwirkli-
chung – in der Postmoderne bewahrt, die pathologischen Folgen des modernen (natur-
)wissenschaftlichen Weltbildes jedoch überwunden werden. Dabei geht es nicht um eine Ü-
berholung, um eine Modernisierung der Moderne, sondern um eine kritische Distanz und dif-
ferenzierte Bewertung der Moderne hinsichtlich ihrer positiven, bewahrenswerten Momente
und ihrer negativen, zu überwindenden Fehlentwicklungen.22 Nach Wellmer kritisiert die
Postmoderne die moderne, instrumentelle Vernunft und protestiert gegen eine technokratisch

18 Vgl. M. CALINESCU: From the One to the Many, S. 263-264; J. F. LYOTARD: Die Moderne redigieren,
S. 213; A. WILDE: Horizons of Assent, S. 131; G. HOFFMANN – A. HORNUNG – R. KUNOW: »Modern«,
»Postmodern« und »Contemporary«, S. 10-11.
19 G. VATTIMO: Das Ende der Moderne, S. 14, 178-197.
20 W. WELSCH: Postmoderne oder Ästhetisches Denken, S. 246-247. Ähnlich auch: CH. BÜRGER: Das Ver-
schwinden der Kunst, S. 40; A. GIDDENS: The Consequences of Modernity, S. 48-49.
21 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne (1991), S. XIV.
22 R. SPAEMANN: Das Ende der Modernität?, S. 20.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 137

pervertierte Moderne. Gegen diese Moderne soll sich die Postmoderne auf die radikale Mo-
derne und ihre positiven Potentiale zurückbesinnen.23

Postmoderne als neue Epoche


Eine Bestimmung der Postmoderne als neues Zeitalter findet sich in der Architektur besonders
häufig, weil hier die Absetzbewegung von den ästhetischen Idealen der modernen Architektur
besonders greifbar scheinen. Die Postmoderne ist nach Jencks deswegen als neue Epoche
nach der Moderne zu verstehen, weil sie eben nicht mehr wie die avantgardistische, sich
selbst überholende Moderne etwas völlig neues bringt, sondern eine Gleichzeitigkeit schafft,
in der alle architektonischen Traditionen – einschließlich der modernen – verfügbar und mit-
einander kombinierbar sind.24 Der Kontinuitätsbruch zur modernen Architektur zeigt sich für
Klotz besonders darin, daß die postmoderne Architektur nicht mehr den Gesetzen der moder-
nen Ästhetik folgt, sondern neue ästhetische Wege beschreitet.25 Schwarz sieht einen
Epochenumbruch darin, daß die postmodernen Architekten die elitäre Ästhetik der Moderne
aufgeben und stattdessen versuchen, durch den Rekurs auf die Alltagserfahrung lebensnahes,
humanes Bauen zu verwirklichen.26
Die Postmoderne wird aber auch deshalb als neue Epoche betrachtet, weil sich die gesell-
schaftliche Situation gegenüber der Moderne grundlegend verändert hat. Neben den Verände-
rungen, die mit dem inneren Umbau der Gesellschaft verbunden sind (postindustrielle Gesell-
schaft, Freizeitgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft etc.) werden vor allem
Verschiebungen der globalen Situation, die auch Veränderungen im Bewußtsein der Men-
schen nach sich ziehen, für den Anbruch einer neuen Zeit angeführt.27 Dabei ist es nach Jame-
son unerheblich, ob sich konstitutive Merkmale der Moderne auch in der Postmoderne wie-
derfinden oder nicht. Wichtig ist die Gesamtkonstellation der Überzeugungen, Werte, Normen
und Verfahrensweisen und die Bedeutung und Funktion einzelner Anschauungen in ihrem ge-
genseitigen und gesamtgesellschaftlichen Bezug. Moderne und Postmoderne lassen sich da-
durch unterscheiden, daß sich nicht nur einzelne Überzeugungen von der Moderne zur Post-
moderne verschoben haben, sondern der Bezugsrahmen insgesamt.28 Ähnlich wie Jameson ist

23 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 127.


24 CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen Architektur, S. 8. Diese Behauptung geht allerdings logisch
nicht ganz auf: Zwar bricht die Postmoderne mit dem Novismusprinzip der Moderne, indem sie die Gleich-
zeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart propagiert. Sie bleibt jedoch dem immanenten Prinzip der mo-
dernen Avantgarde verhaftet, wenn sie dieser Gleichzeitigkeit den Charakter des Neuen zuweist. Vgl. dazu
auch: W. SCHÄFER: Die Krankheit der Vernunft, S. 65; K. LAERMANN: Das rasende Gefasel der Gegenauf-
klärung, S. 215-216.
25 H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 16.
26 H.-P. SCHWARZ: Architektur als Zitat-Pop?, S. 258.
27 Vgl. F. H. TENBRUCK: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, S. 274; A. ETZIONI: Die aktive Gesell-
schaft, S. 641-655; W. HUDSON: Zur Frage postmoderner Philosophie, S. 150. Globale Veränderungen, die
über die immanenten Veränderungen der modernen Gesellschaft hinausgehen, diagnostiziert auch:
J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 61.
28 F. JAMESON: Postmoderne, S. 49. Ähnlich auch John Gibbins: »Postmodernism indicates the belief that a
new age has begun which transcends the modern and which both explains contemporary behaviour and atti-
tudes and offers a radically new set of experiences, practices and life worlds for its inhabitors«. J. R.
GIBBINS: Contemporary Political Culture, S. 14.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 138

auch Bürger der Überzeugung, daß die Postmoderne nur dann ernst zu nehmen ist, wenn man
sie nicht als stringente Theorie betrachtet, sondern als Ausdruck einer epochalen Befindlich-
keit.29

4. Die Kritik an der ästhetischen Postmoderne-Diskussion


Für die postmoderne Ästhetik – darin sind sich die Verkünder der Postmoderne einig – sind
vor allem Mehrfachkodierung, Eklektizismus, Gleichzeitigkeit und freie Verfügbarkeit aller
Stile, virtuoses Spiel mit den Traditionen, Zitat, Plagiat, Collage, Bricolage (Bastelei), Ironie
und Vergnügen, Täuschung, Fiktion und Wirklichkeit verbindlich. Dies gilt sowohl für die
postmoderne Literatur als auch für die postmoderne Architektur, die zahlreiche Übereinstim-
mungen und wechselseitige Abhängigkeiten aufweisen: Für Eco wie für Jencks sind z. B. die
Zitat- und Collagetechniken für die Postmoderne ebenso obligat wie der Eklektizismus und
das virtuose Spiel mit verschiedenen Traditionen. Beide haben nicht nur die Idee der »Doppel-
kodierung« von Fiedler übernommen, sondern auch sein Konzept der Versöhnung des Elitären
mit dem Populären.30

Die moderne und die postmoderne Ästhetik


Die Negativfolie der Überlegungen zu einer postmodernen Ästhetik bildet die moderne A-
vantgarde des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die – aus der Perspektive
der Postmoderne betrachtet – vor allem mit der Vergangenheit abrechnen und sie erledigen
wollte; die den innovatorischen Anspruch künstlerischer Produktion zum Dogma erhob; die
alles Traditionelle, Plagiative und Epigonale unter Verdikt stellte; die einen einheitlichen
Werkcharakter als Ideal anstrebte; die eine Überführung der Kunst in Lebenspraxis versuchte
(aber nie verwirklichen konnte); die der Überzeugung war, der Kunst müsse eine progressive
Weltsicht zugrunde liegen; die Programme für eine vernünftige, zukünftige Welt zu entwi-
ckeln versuchte; die sich als Opposition zur herrschenden Kultur definierte und diese mit den
Mitteln des Schocks zu provozieren versuchte und die eine Versöhnung von Schönheit und
Nützlichkeit anstrebte, omnn aber in das Fahrwasser ökonomischer Gesetzmäßigkeiten geriet
und letztlich nur dem Markt in die Hände arbeitete.31
Postmoderne Ästhetik wird dagegen als »transavantgardistische« Ästhetik bezeichnet.
Dem italienischen Kunsttheoretiker Achille Bonito Oliva zufolge gibt es in der Transavant-
garde keine einheitliche Entwicklungsrichtung der Kunst mehr, Altes und Neues durchdringen

29 P. BÜRGER: Der Alltag, die Allegorie und die Avantgarde, S. 198. Ähnlich auch: A. KILB: Die allegorische
Phantasie, S. 85; A. HUYSSEN: Postmoderne, S. 30.
30 Vgl. U. ECO: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, S. 77-78; CH. JENCKS: Die Sprache der postmoder-
nen Architektur, S. 8.
31 Vgl. zu dieser (postmodernen) Interpretation der modernen Avantgarde: U. ECO: Postmodernismus, Ironie
und Vergnügen, S. 76; R. A. BERMAN: Konsumgesellschaft, S. 57-59; A. KILB: Die allegorische Phantasie,
S. 84-88. I. HOESTEREY: Die Moderne am Ende?, S. 19-32; I. SANDLER: Modernism, Revisionism, Plura-
lism, and Post-Modernism, S. 345-347; H. E. HOLTHUSEN: Heimweh nach der Geschichte, S. 909-911;
A. HUYSSEN: The Search for Tradition, S. 23-40. Vgl. zur modernen Avantgarde: P. BÜRGER: Theorie der
Avantgarde; zur gegenwärtigen Ästhetik-Theorie: H. PAETZOLD: Ästhetik der neueren Moderne.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 139

einander, den Mittelpunkt bildet allein das Kunstwerk. Das Dogma, immer neue Experimente
mit neuen Materialien und Techniken auszuprobieren, wird von einem Rückgriff auf traditio-
nelle handwerkliche Methoden abgelöst. Charakteristisch für die Transavantgarde ist der
Gebrauch verschiedener Techniken und Stile, das Spielen mit Bedeutungsebenen und die Auf-
lösung des einheitlichen Werkcharakters. Gegen die »internationalistische Utopie« der moder-
nen Kunst versucht die Transavantgarde, nationalen oder regionalen Gegebenheiten Rechnung
zu tragen.32

Die Frage nach den Kriterien postmoderner Kunst


Darüber, daß sich das Prinzip der modernen Avantgarde endogen erschöpft hat, besteht ein
Konsens nicht nur bei den Vertretern der Postmoderne, sondern auch bei den Verteidigern der
Moderne.33 Wenn aber das innovatorische Prinzip der modernen Ästhetik durch das Prinzip
der gleichzeitigen Verfügbarkeit aller Traditionen und Stile ersetzt wird, wenn Mehrfachko-
dierung, Collage, Zitat und Plagiat zu Kennzeichen postmoderner Ästhetik werden und das
Epigonale zum Wesensprinzip der Postmoderne erhoben wird, wenn der Unbegrenztheit des
Materials eine Beliebigkeit der Deutungen entspricht, stellt sich die Frage nach der Begründ-
barkeit ästhetischer Urteile um so dringlicher. Denn: Wie soll der Eklektizismus der Beliebig-
keit, jenes vielzitierte »Anything goes«,34 verhindert werden, wenn alles erlaubt, alles verfüg-
bar und jeder Stil möglich ist? Wie soll zwischen gelungenen und nicht-gelungenen Werken
postmoderner Kunst differenziert werden – falls überhaupt noch ein Interesse an solchen Dif-
ferenzierungen besteht?35
In der Diskussion um die Postmoderne fällt auf, daß sich die meisten Autoren gegen ei-
nen ästhetischen Beliebigkeitspluralismus heftig zur Wehr setzen. Welsch, Jencks, Wellmer
und Klotz sehen in einer transformativen Verarbeitung verschiedener Traditionen, Materialien
und Stile zu einem komplexen, schwierigen und offenen Ganzen zumindest ein Kriterium, um
eine »zu leichte« Postmoderne auszuschließen. Ecos Roman Der Name der Rose und die Neue
Stuttgarter Staatsgalerie von James Sterling können in diesem Sinne als gelungene Werke
postmoderner Ästhetik angesehen werden. Hans Robert Jauß schlägt folgende Kriterien zur

32 A. B. OLIVA: Die italienische Trans-Avantgarde, S. 126-130.


33 »Wenn der Schock Schulfach wird, wenn Kunststudenten im Proseminar Dada üben und die Akademie als
Diplomsurrealisten verlassen, so hat sich ein tragendes Prinzip des Modernismus endogen erschöpft«.
P. SLOTERDIJK: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, S. 21. »Wo der Modernis-
mus zur legitimen Kultur geworden ist, wird ›Tradition‹ zur Avantgarde«. CH. BÜRGER: Das Verschwinden
der Kunst, S. 39. Ähnlich auch: M. LANGER: Das Neue in der Kunst, S. 5-6. Vgl. zur modernen Avantgarde
und zu einer postmodernen Ästhetik auch: H. R. JAUSS: Guillaume Apollinaire, S. 263; I. HOESTEREY
(Hrsg.): Zeitgeist after Babel; J. C. SCHÜTZE: Aporien der Literaturkritik, S. 214; H. FOSTER (Hrsg.): The
Anti-Aesthetic.
34 P. FEYERABEND: Wider den Methodenzwang, S. 35.
35 Welsch versucht durch die Betonung der »Verbindlichkeit« postmodernen ästhetischen Denkens eine Lö-
sung dieses Problems. Doch auch diese »Lösung« bleibt recht vage: »Nicht Verbindlichkeit generell wird
aufgelöst, sondern nur deren universalistische Emphase wird abgelegt und hervor tritt spezifische Verbind-
lichkeit, also Verbindlichkeit in einer Art Mittellage zwischen Singularität und Universalität, Verbindlich-
keit auf dem Niveau begrenzter Allgemeinheit und somit genau der Typ von Verbindlichkeit, der zu radika-
ler Pluralität paßt und ihr als innere Bedingung auch zugehört, denn Pluralität existiert nur, wenn die
spezifischen Möglichkeiten Eigenregeln und Eigenverbindlichkeiten haben und diese auch beachtet wer-
den«. W. WELSCH: Postmoderne oder Ästhetisches Denken, S. 266.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 140

Bestimmung eines postmodernen ästhetischen Paradigmas vor: »die Wendung vom esoteri-
schen Experiment eines asketischen Modernismus zur exoterischen Bejahung von sinnlicher
Erfahrung und verstehendem Genießen, von satirischem Überschwang und subversiver Ko-
mik; der Umschlag vom proklamierten Tod des Subjekts in die Erfahrung der Entgrenzung
des Bewußtseins; die Preisgabe des autonomen Kunstwerks, der selbstreferentiellen Poetik,
für eine Öffnung der Künste auf die Gegenwart der hochindustrialisierten Welt und ihre neuen
Medien; sodann die freieste Verfügung über alle vergangene Kultur (›Intertextualität‹); die
Verlagerung des ästhetischen Interesses auf Rezeption und Wirkung; nicht zuletzt eine unbe-
fangene Verschmelzung von Hoch- und Massenkultur, die das Fiktive, Imaginäre, Phantasti-
sche als Medium der Kommunikation zu nutzen und gegen die Informationsflut unserer tech-
nisierten Welt aufzubieten sucht«.36 Allerdings bilden diese »Kriterien« auch nur wenig mehr
als eine kumulative Beschreibung postmoderner Ästhetik. Ob sich jedoch mit ihrer Hilfe mo-
derne und postmoderne Kunst unterscheiden lassen und ob diese Kriterien zur Bewertung
postmoderner Kunst ausreichen, bleibt eine offene Frage.37

Der verengte Blick der postmodernen auf die moderne Architektur


Die Perspektive, aus der die Theoretiker der Postmoderne die Moderne betrachten, ist oft se-
lektiv und verengt: Die moderne Architektur wird zum monolithischen Block stilisiert, weil
innerhalb der modernen Architektur keine Differenzierungen vorgenommen werden.38 Die
Vergleiche von modernen mit postmodernen Bauwerken machen die Verzerrung der Perspek-
tive deutlich: Moderne Hochhaussiedlungen werden mit postmodernen Museen verglichen,
moderne Bürohochhäuser mit postmodernen Villen, schlechte Beispiele moderner mit guten
Beispielen postmoderner Architektur.39 Die Kritik an den Meistern der Moderne geschieht mit
ähnlicher Selektivität. Das Beispiel Le Corbusier macht dies besonders deutlich: Sein Entwurf
einer perfekten, reißbrettartig konstruierten Ville contemporaine (Plan Voisin, 1922/25)40 und
sein Plädoyer für eine Maschinenarchitektur41 werden als Beispiel nicht nur für Le Corbusiers
Gesamtwerk, sondern auch als Intention der gesamten modernen Architektur verallgemei-
nert.42 Andererseits wird dem Vorwurf an die postmoderne Architektur, bloße Fassadenarchi-
tektur zu sein, mit dem Argument begegnet, daß auch Le Corbusiers Villa Savoie (Poissy bei

36 H. R. JAUSS: Studien zum Epochenwandel der ästhetischen Moderne, S. 13-14. Jauß entwickelt dieses Para-
digma postmoderner Ästhetik am Beispiel von Italo Calvino. A.a.O., S. 267-302.
37 So ist die Piazza d’Italia des amerikanischen Architekten Charles Moore für Klotz und Jencks ein gutes
Beispiel für die Postmoderne, während Welsch dieses Bauwerk für mißlungen hält. Vgl. W. WELSCH: Unse-
re postmoderne Moderne, S. 115-116.
38 Vgl. dazu: B. SCHMIDT: Strategien des Vergessens, S. 193-198.
39 Vgl. A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 57.
40 Vgl. dazu: ST. VON MOOS: Verwandlungen der modernen Architektur, S. 118-121.
41 Allerdings darf auch nicht übersehen werden, daß die plakativen Manifeste der zwanziger Jahre, die von den
modernen »Wohnmaschinen« schwärmen, sehr wohl für die sozialen Probleme moderner Trabantenstädte
mitverantwortlich sind. Vgl. dazu auch die beiden Zitate zu Beginn des Architekturkapitels (Erster Haupt-
teil, I).
42 Wolfgang Welsch zum Beispiel erwähnt Le Corbusier stets im technizistischen Kontext. Vgl. W. WELSCH:
Unsere postmoderne Moderne, S. 71, 90, 94, 97-99, 101-102. Vgl. zum vielfältigen und widersprüchlichen
Werk Le Corbusiers: V. M. LAMPUGNANI: Extremist der Baukunst, S. 59.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 141

Paris, 1931) Fassadenarchitektur sei, weil er hinter der funktionalistischen Fassade im Inneren
eine sehr reiche Formensprache zulasse.43

Anfragen an die postmoderne und die dekonstruktive Architektur


Die Hauptanfrage an die verschiedenen Theorien postmoderner Architektur muß wohl darin
gesehen werden, ob die opulente Formenvielfalt wirklich zu einem komplexen und wider-
sprüchlichen Ganzen wird oder ob sie sich nicht in einem oberflächlichen Spiel der Formen
und einem mehr oder weniger beliebigen Eklektizismus erschöpft.44 Die von Welsch, Klotz
und Jencks entwickelten Kriterien für »veritable« Werke postmoderner Architektur scheinen
jedenfalls – wie die Kontroverse um Charles Moores Piazza d’Italia in New Orleans zeigt –
zu wenig konkret und präzise zu sein.45 Aber auch die Stuttgarter Staatsgalerie läßt sich
durchaus unterschiedlich beurteilen: Positiv kann man dieses Gebäude als äußerst komplexes
und wegen seiner Vielsprachigkeit gelungenes Bauwerk ansehen, negativ als eine zu bunte
Ansammlung von Stilen und Anklängen werten, die das Museum überkodieren und das des-
wegen gar nicht mehr spricht. Angesichts des »Verschnuckelten, Manieristischen, Pseudo-
Bodenständigen und Neo-Gemütlichen«46 der postmodernen Architektur stellt sich die Frage,
ob die Postmoderne in den verwirklichten Projekten wirklich ihrem eigenen Anspruch eines
transformativen Rückgriffs auf die Tradition gerecht wird oder ob nicht doch einfach nur Tra-
dition appliziert wird.
Die postmoderne Architektur bemüht sich um ein humanes, sozial verträgliches und äs-
thetisch anspruchsvolles Bauen. Aber auch wenn die Postmoderne sich für eine den menschli-
chen Bedürfnissen gerecht werdende Architektur einsetzt, die die regionalen Kontexte ebenso
berücksichtigt wie die Bedürfnisse der späteren Bewohner, so hat sie es bis jetzt doch nicht
vermocht, wirklich alternative Konzepte zur modernen Stadtplanung vorzulegen. Bei Blake,
Venturi, Jencks und Welsch finden sich zwar einige Ansätze zu einer postmodernen Stadtpla-
nung (Einbindung der Gebäude in den jeweiligen städtischen Kontext, Aufhebung der mono-
funktionalen Zonen, Belebung urbaner Räume durch öffentliche Bereiche), doch haben die
Vertreter der postmodernen Architektur bisher noch kein tragfähiges Konzept entwickelt, um
die durch die moderne Raumplanung verursachten Probleme zu lösen. Die Zukunft der post-
modernen Architektur wird nicht zuletzt auch davon abhängen, ob sie es schafft, mehr als nur
ein neuer Stil in der Architekturgeschichte zu sein und ob sie andere aktuelle Architekturkon-
zepte (ökologisches Bauen, partizipatorisches Bauen, Regionalismus) in ihren theoretischen
Rahmen zu integrieren versteht.47
Das Problem der dekonstruktiven Architektur ist, daß sie zu dem Objekt, das sie dekon-
struieren will, in einem parasitären Verhältnis steht. Die dekonstruktive Architektur hat zwar
durchaus eine eigene Ästhetik hervorgebracht, die – insofern sie die strukturellen Grenzen der
modernen Architektur sprengt – auch als postmodern bezeichnet werden kann, aber sie hängt

43 So: H. KLOTZ: Zurück zur Fassade!, S. 129.


44 Vgl. dazu: J. H. FISCHER: Die Krise der Ausdrucksformen, S. 1170, 1178.
45 Vgl. dazu: Erster Hauptteil, II. 6.
46 A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 57.
47 Vgl. dazu: H. PAETZOLD: Profile der Ästhetik, S. 161-170.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 142

mit ihrer Bedeutung an dem, gegen das sie sich wendet: Sie ist ohne die Polemik gegen die
moderne Architektur nicht denkbar. Von daher fragt es sich, ob sich ihre anti-moderne Attitü-
de nicht erschöpft, sobald ihre »Provokation« zur Kenntnis genommen wird.48

5. Die Kritik an der literarischen Postmoderne-Diskussion


Unbestritten ist in der Diskussion um die Postmoderne, daß die Epoche der frühmodernen,
aufklärerischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende ge-
gangen ist.49 Seither spiegelt die Literatur das gebrochene Bewußtsein, die Krise der Moderne
wider: in Thomas Manns Der Zauberberg oder Doktor Faustus, Erich Kästners Fabian, Ro-
bert Musils Der Mann ohne Eigenschaften, James Joyces Ulysses oder Hermann Brochs Die
Schlafwandler. Überall wird der Verlust des aufklärerischen Impulses, die Auflösung fester
Orientierungspunkte, kurz: die Krise der modernen bürgerlichen Gesellschaft deutlich. Einig-
keit besteht auch darin, daß sich in der amerikanischen, französischen und italienischen
Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg die Entfremdung von den Grundlagen der Moderne in
den Romanen von Alain Robbe-Grillet, Boris Vian, John Barth und Donald Barthelme, aber
auch von Saul Bellow, Bernard Malamud und Italo Calvino gegenüber der Moderne der
zwanziger und dreißiger Jahre nochmals erheblich verstärkt hat und schließlich auch, daß sich
in der Gegenwartsliteratur (Peter Handke, Botho Strauß, Elfriede Jelinek, Wolfgang Koeppen,
Paul Auster) das orientierungslose Irren der Subjekte im gesellschaftlichen und sprachlichen
Labyrinth des 20. Jahrhunderts widerspiegelt.50 Was aber unterscheidet nun die moderne von
der postmodernen Literatur?

Das Problem der Unterscheidung von moderner und postmoderner Literatur


Eine Bestimmung der postmodernen Literatur erweist sich als besonders schwierig, da post-
moderne Literatur und postmoderne Literaturwissenschaft oft nicht sorgfältig unterschieden
werden. Im Zuge des Linguistic turn verschwimmen die Grenzen zwischen Literatur, Litera-
turwissenschaft, Sprachwissenschaft und Philosophie zusehends.51 Fiedler und Eco versuchen

48 Vgl. dazu: CH. JENCKS: Deconstruction, S. 18.


49 Vgl. F. MARTINI: »Modern, die Moderne«, S. 414. Vgl. zum Bruch des modernen Bewußtsein in den zwan-
ziger und dreißiger Jahren, der »Weimarer Zeit«: P. SLOTERDIJK: Kritik der zynischen Vernunft, S. 699-953;
GÉRARD RAULET (Hrsg.): Weimar ou l’explosion de la modernité; W. FALK: Franz Kafka und die Expressi-
onisten im Ende der Neuzeit. Vgl. zur Epochen-Problematik in der Literaturwissenschaft: H. U.
GUMBRECHT – U. LINK-HEER (Hrsg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur-
und Sprachhistorie.
50 Vgl. zum »Kanon« der postmodernen Literatur: M. PÜTZ – P. FRESSE (Hrsg.): Postmodernism in American
Literature; LARRY MCCAFFERY: Postmodern Fiction; G. HOFFMANN (Hrsg.): Der zeitgenössische amerika-
nische Roman; D. FOKKEMA – H. BERTENS (Hrsg.): Approaching Postmodernism; H. R. JAUSS: Studien
zum Epochenwandel der ästhetischen Moderne, S. 267-302; J. MAZZARO: Postmodern American Poetry;
MALCOLM BRADBURY: Modernism/Postmodernism; M. ALEXANDER: Flights from Realism; P. K. KURZ:
Keine Wartezeit. Vgl. zur literarischen Postmoderne in Frankreich, Norwegen, Osteuropa, England, Kanada,
Lateinamerika, den Niederlanden und in Italien die Beiträge in dem Sammelband: TH. D’HEAN –
H. BERTENS (Hrsg.): Postmodern Fiction in Europe and the Americas.
51 Vgl. dazu J. C. SCHÜTZE: Aporien der Literaturkritik, S. 204-214; W. A. KORT: »Religion and Literature«
in Postmodernist Contexts, S. 576.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 143

eine Bestimmung unter formal-ästhetischen Gesichtspunkten: Die ungenierte und kaum ver-
deckte Benutzung von Zitat- und Collagetechniken, die Verbindung von elitären und populä-
ren Codes, das vergnügliche Spiel mit den Texten unter Verwendung von Plagiaten sollen
Kennzeichen der postmodernen Literatur sein.52 Doch auch hier stellt sich die Frage, ob diese
Bestimmung ausreicht, um moderne und postmoderne Literatur zu unterscheiden. Auch hier
muß gefragt werden, ob sich die postmoderne Literatur auf das Feld der Unterhaltung und der
gutgemachten Täuschung beschränken kann, ob das bloß Plagiative und Epigonale als forma-
les Prinzip der postmodernen Literatur auf Dauer ausreicht oder ob es sich ebenso endogen er-
schöpft wie das Prinzip der formalen Innovation.53
Die Verwirrung und Zerstreuung der Zeichen, die Intertextualität aller Zeichen in einem
unerschöpflichen Bedeutungsuniversum, die Selbstreferentialität und Selbstreflexivität, die
Auflösung der Realität, die Ununterscheidbarkeit von Sein und Schein und das Schwinden der
– oder das Spiel mit den – Bedeutungen werden darüber hinaus oft als inhaltliche Kennzei-
chen postmoderner Literatur benannt.54 Aber: Erwächst aus dieser Literatur »eine dauerhafte
und substanzhaltige Möglichkeit von Kunst«55 oder erschöpft sich eine solche Literatur nicht
selbst, weil ihre semantischen Potentiale unerschließbar werden und sich in einem spieleri-
schen »Nichts« am Ende auflösen?56
Im Hinblick auf Ecos Roman »Der Name der Rose« ist darüber hinaus zu fragen, ob die-
ser Roman wirklich als Vorbild einer postmodernen Ästhetik dienen kann, denn in diesem
Roman – so Hermann Kelber – verbleibt »alles im Bereich des Unverbindlichen ohne meta-
physische Wucht und ohne moralische Verpflichtung«.57 Und die »Botschaft« dieses Romans,
daß es keine mitzuteilende »Botschaft« mehr gibt, ist darum keine »frohe« Botschaft, weil –
so der Philosoph Georg Wieland – »die Welt des Lachens« Abschied genommen hat »von den
Ideen des Wahren, des Guten, des Gerechten«: »William und seine Welt haben die Naivitäten
der Aufklärung hinter sich gelassen. Der Glaube an die Erkenntnis der Wahrheit und an die
Befreiung des Menschen von Abhängigkeiten ist verloren. Was bleibt, ist eine unverbindliche
Ästhetisierung des Weltverhältnisses«.58

52 In der literaturwissenschaftlichen Postmoderne-Diskussion wird eine Bestimmung postmoderner Literatur


fast ausschließlich auf dem Gebiet der Prosa vorgenommen. Die Poesie wird nur am Rande thematisiert.
Vgl. zur postmodernen Lyrik: A. EASTHOPE: Poetry and Phantasy, S. 188-195; J. H. PETERSEN: Moderne,
Postmoderne und Epigonentum im deutschen Gedicht der Gegenwart, S. 7-25; M. PERLOFF: Poetic Licen-
ce; CH. ALTIERI: From Symbolist Thought to Immanence, S. 605-641; D. ANTIN: Modernism and Postmo-
dernism, S. 98-133; U. REICHARDT: Innenansichten der Postmoderne, S. 11-19.
53 Anzeichen dafür gibt es – und zwar schon bei Eco selbst: Im Roman Das Foucaultsche Pendel wird das
Prinzip von Collage und Bricolage oft soweit strapaziert, daß manche Passagen ermüdend und mit fort-
schreitender Lektüre langweilig wirken. Dies gilt besonders für die bunte Durchmischung esoterischer, ok-
kulter und geheimbündlerischer Texte. Vgl. U. ECO: Das Foucaultsche Pendel, S. 582-595.
54 Vgl. dazu: H.-M. SCHÖNHERR: Die Technik und die Schwäche, S. 147-176; TH. DE LAURETIS: Das Rätsel
der Lösung, S. 262-263; P. BÜRGER: Das Verschwinden der Bedeutung, S. 301.
55 D. VOSS: Metamorphosen des Imaginären, S. 246.
56 Vgl. dazu: H. EBELING: Ästhetik des Abschieds, S. 144-146, 172-173.
57 H. KELBER: Der Autor und sein Roman, S. 57.
58 G. WIELAND: Gottes Schweigen und das Lachen des Menschen, S. 121.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 144

Die Kritik an der Dekonstruktion


Die meisten Axiome der dekonstruktiven Theorie sind unbestritten: Daß es keinen archimedi-
schen Ausgangspunkt der Sprache gibt, weil die Sprache ein offenes System der Selbstunter-
scheidung ist, daß Zeichen keine »ursprüngliche« Bedeutung haben, sondern ihre Bedeutung
nur dadurch erhalten, daß sie sich von anderen Zeichen unterscheiden, ist ebenso Allgemein-
gut der Sprachwissenschaft wie die daraus abgeleitete Folgerung, daß es aufgrund der Uner-
schöpflichkeit und Unbestimmtheit der Bedeutung von Zeichen keine abschließende Deutung
des Kunstwerkes geben kann, das Werk also mit den zunehmenden Deutungen wächst. An-
ders verhält es sich dagegen mit den Konsequenzen, die die Dekonstruktion aus diesen
sprachphilosophischen Prämissen ableitet und die keineswegs so selbstverständlich sind wie
die Theoretiker der Dekonstruktion glauben machen wollen: Der Bruch des »Kontraktes zwi-
schen Wort und Welt«59 besteht zwar insofern der Verweiszusammenhang zwischen Bezeich-
nendem und Bezeichnetem nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, aber
die Behauptung einer realen, ursprünglichen »Abwesenheit« des Bezeichneten ist ebenso we-
nig beweisbar wie die gegenteilige Annahme einer »realen Gegenwart«.60 Die Frage, ob unser
Sprechen Inhalt hat, ob es eine »Bedeutung von Bedeutung« gibt, läßt sich nicht verifizieren
oder falsifizieren, sondern ist letztlich eine Frage des semantischen Vertrauens bzw. Mißtrau-
ens in die Transzendenz der Sprache: »Es gäbe keine Geschichte, wie wir sie kennen, keine
Religion, Politik oder Ästhetik, wie sie unser Leben bestimmt haben, ohne einen anfänglichen
Akt des Vertrauens, des Zutrauens, der fundamentaler, der weitaus axiomatischer ist als jeder
›Gesellschaftsvertrag‹«.61
Aus diesem Grund läßt sich die Dekonstruktion – darin ist George Steiner recht zu geben
– auch nicht widerlegen, sondern nur hinsichtlich ihrer Konsequenzen kritisieren: Wenn man
aus der Not der Vielfalt von Bedeutungen in literarischen Texten die Tugend eines fröhlichen
»Satyrspieles«62 macht und durch das Postulat der Ununterscheidbarkeit zwischen Kunstwerk
und Rezipient die Einebnung der Unterschiede von Literatur und Literaturkritik vorantreibt,
dann muß es auch nicht weiter stören, daß das Werk nicht mehr von seiner Interpretation und
der Text nicht mehr vom Leser unterschieden werden kann. Auch daß sich damit die Litera-
turkritik nicht nur ihrer ersten Aufgabe, nämlich Literatur zu beurteilen, enthebt, sondern sich
auch letztlich selbst für überflüssig erklärt, ist innerhalb des Rahmens dekonstruktiver Theo-
rie durchaus konsequent.63
Das bloße Spiel mit den Perspektiven und Relationen von Texten reicht allerdings nicht
aus, wenn man auch in Zukunft noch über Texte sprechen und nicht von vornherein der Belie-
bigkeit das Feld überlassen will. Sicher sind die Zweifel der Dekonstruktion dort gerechtfer-
tigt, »wo sie die Möglichkeit einer systematischen, erschöpfenden Hermeneutik bestreiten, wo
sie bestreiten, daß Interpretation jemals zu einer stabilen, nachweisbaren Einzigartigkeit der
Bedeutung gelangen kann«.64 Daß Texte eine Fülle semantischer Möglichkeiten in sich ber-

59 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 127.


60 Vgl. a.a.O., S. 280.
61 A.a.O., S. 14, 123, 160-163.
62 A.a.O., S. 159.
63 Vgl. J. C. SCHÜTZE: Aporien der Literaturkritik, S. 208.
64 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 218
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 145

gen, ist allerdings nicht erst eine Erkenntnis der Dekonstruktion, doch daß man infolgedessen
einen Konsens über den Inhalt eines Textes prinzipiell ausschließt (selbst wenn dieser »nur«
auf sprachlichen Konventionen beruhen sollte), ist jedoch nicht die Lösung des hermeneuti-
schen Problems.65

6. Die Kritik an der philosophischen Postmoderne-Diskussion


Die massive Kritik an Lyotards Theorie verwundert nicht, steht bei ihm doch mehr auf dem
Spiel als nur ein philosophisches Programm: nämlich die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit ei-
nes gesellschaftlichen und ethischen Konsenses. Zugleich ist aber auch die Heftigkeit der
Auseinandersetzung um Lyotards Position ein Indikator dafür, daß hier ein zentrales Problem
gegenwärtiger Philosophie angesprochen ist: Seine Beschreibung des Ist-Zustandes der ge-
genwärtigen Kultur – die Heterogenität und Inkommensurabilität aller theoretischen Diskurse
nach dem Ende der »großen Erzählungen« – mag aus erkenntnistheoretischer Perspektive für
viele plausibel sein,66 aber die Affirmation dieser Situation als Soll-Zustand und sein Pro-
gramm einer Gerechtigkeit ohne richterliche Instanz scheinen Vielen ungeeignet, um die
komplexen Probleme der Gegenwart zu lösen.67 Lyotards Affirmation des Widerstreits immu-
nisiert zwar sehr wohl gegen jegliche Form des Totalitarismus, aber Gerechtigkeit – so die
Kritiker – entsteht dadurch noch nicht.68
Aus dem Problem des modernen Relativismus wird bei Lyotard die Tugend eines »post-
modernen« Liberalismus, der allzuleicht – darin muß man wohl Manfred Frank recht geben –
zu einem frühmodernen Sozialdarwinismus werden kann, in welchem einfach nur der Stärkere
seine Macht durchsetzt.69 Der fröhliche »Polytheismus von Sprachspielen« ist darum gefähr-
lich, weil die »stattfindenden Auseinandersetzungen« eben nicht nur »Spiele« sind: Es gibt Si-
tuationen, in denen die »Sprachspiele zu einer Frage auf Leben und Tod werden können« und
der Intellektuelle, statt mehreren Herren zu dienen, »Stellung beziehen muß«.70 Selbst wenn es
aufgrund der Heterogenität der Sprachspiele nicht mehr möglich sein sollte, allgemeingültige
und unbedingte Normen theoretisch zu begründen, so kann sich doch eine praktische Philoso-
phie nicht von der Aufgabe, Unterscheidungskriterien für das Handeln zu entwickeln, selbst
dispensieren. Denn: Konflikte auf nationaler wie internationaler Ebene müssen gelöst werden,
politische, rechtliche und persönliche Entscheidungen müssen tagtäglich gefällt werden. Das
Programm eines radikalen Pluralismus dürfte aber kaum ausreichen, um die ökologischen,

65 Vgl. C. FALCK: Myth, Truth and Literature, S. 147-170.


66 Vgl. dazu: H. U. GUMBRECHT – K. L. PFEIFFER (Hrsg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche.
67 So z. B. die Kritik Vittorio Hösles an Lyotards Programm: »Daß man nicht mehr an die große Weltre-
volution glaubt, ist zweifelsohne ein Fortschritt – aber es ist ein Rückschritt, daß man überhaupt keine Nor-
men mehr anerkennt, daß man es nicht etwa für eine absolute Pflicht hält, diesen Planeten auch für zukünfti-
ge Generationen noch bewohnbar zu halten«. V. HÖSLE: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung
der Philosophie, S. 35-36.
68 So bleibt dann auch bei Frank Fechners Versuch, Lyotards Postmoderne-Theorie für die Politikwissenschaft
fruchtbar zu machen, nicht viel mehr übrig als die etwas vage Hoffnung, daß das »radikal-demokratische Po-
tential« im Zuge der Postmodernisierung wachsen möge. F. FECHNER: Politik und Postmoderne, S. 131.
69 M. FRANK: Die Grenzen der Verständigung, S. 15. Ähnlich auch: A. WELLMER: Zur Dialektik von Moderne
und Postmoderne, S. 106.
70 S. BENHABIB: Kritik des ›postmodernen Wissens‹, S. 122.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 146

ökonomischen, politischen, sozialen und ethischen Probleme in einer friedlosen Welt zu lösen
und den Bellum omnium contra omnes zu verhindern. Die demokratische und pluralistische
Gesellschaft braucht einen verfassungsrechtlichen, politischen und ethischen Minimalkonsens,
der zumindest den Bestand eben dieser pluralistischen Gesellschaft garantiert.71
Lyotard hält die Suche nach einem gesellschaftlichen und ethischen Konsens für aus-
sichtslos, weil kein allgemeingültiges, theoretisches Mittel mehr zur Verfügung steht, um
strittige Fragen eindeutig zu entscheiden. Denkbar wäre jedoch auch ein Konsens – zumindest
in Fragen des sozialen und politischen Handelns –, der ganz unterschiedlich motiviert ist und
von den einzelnen Konsenspartnern auch ganz verschieden begründet wird.72 Skepsis ist des-
wegen auch gegenüber Vattimos »schwachem Denken« und seiner »Ethik der Interessenlosig-
keit« angebracht, weil er die Aufgabe dieser Ethik lediglich in einer Reduktion von Aggressi-
vität und Weltbeherrschung sieht.73 Der eigentliche Denkfehler des »gegenwärtigen Ethik-
Defätismus« – darauf hat Walther Zimmerli hingewiesen – liegt jedoch in einer »Einheit-
Vielheit-Ebenenverwechslung«: »Diese besteht darin, dass angenommen wird, Einheit und
Vielheit schlössen sich so aus, dass die Pluralität von Wertsystemen die Einheit eines Konsen-
ses nicht zuliesse. Indessen ist das genaue Gegenteil der Fall (...): Die Pluralität von Wertvor-
stellungen erster Stufe lässt einen Konsens auf zweiter Stufe (darüber, dass Pluralität zugelas-
sen sein möge) nicht nur zu, sondern setzt ihn geradezu voraus«.74

Kontextueller Pragmatismus: Philosophie als Kulturbetreuung?


Nachdem die analytische Philosophie die Unmöglichkeit ihres Unternehmens selbst bewiesen
hat, fordert Rorty eine pragmatische Philosophie, die Wissen, Wissenschaft, Wahrheit, Ratio-
nalität als dialogische, intrahistorische und sozialimmanente Kategorien auffaßt. Handlungs-
maximen sollen nur noch aus dem jeweiligen kulturellen Kontext abgeleitet werden.75 Ver-
langt Rorty damit aber nicht das, was Sloterdijk längst praktiziert: geistreich-aphoristische
Kommentierung des Status quo,76 heiteres Sichgehenlassen, Rückzug in die Perspektive des

71 Vgl. zu den staatsrechtlichen und gesellschaftlichen Problemen der pluralistischen Demokratie: J. DETJEN:
Neopluralismus und Naturrecht; E. FRAENKEL: Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-
rechtsstaatlichen Demokratie; R. HERZOG: Pluralismus, pluralistische Gesellschaft, Sp. 2543-2547;
CH. GUSY: Legitimität im demokratischen Pluralismus; W. HUBER: Gewalt gegen Mensch und Natur,
S. 42-46; CH. BÖHR – J. FUCHS – R. KOCH (Hrsg.): Pluralismus im Widerstreit; F. NUTSCHELER –
W. STEFFANI (Hrsg.): Pluralismus; H. OBERREUTER (Hrsg.): Pluralismus; A. UTZ – H. B. STREITHOFEN
(Hrsg.): Die christliche Konzeption der pluralistischen Demokratie.
72 Daß für einen Konsens eine einheitliche Begründung nicht unbedingt notwendig ist, weil verschiedene Be-
gründungsstrukturen zu den gleichen Folgerungen führen können, macht John Rawls deutlich. Vgl.
J. RAWLS: Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 426, 629-633.
73 G. VATTIMO: Vorwort, S. 20. Vgl. zu Vattimos Ethik auch: P. CRUYSBERGHS: Van modern tot postmodern,
S. 117-118; J. FRÜCHL: (Post-)Metaphysik und (Post-)Moderne, S. 245-256.
74 W. CH. ZIMMERLI: Wider den Defätismus, S. 15-16.
75 R. RORTY: Consequences of Pragmatism, S. XXXVII-XLIV, 142-153, 162-166. Rorty will allerdings an der
»liberalen Utopie« einer Gesellschaft festhalten, »in der die Anklage ›wegen Relativismus‹ gegenstandslos,
in der die Vorstellung von ›etwas hinter der Geschichte‹ unverständlich geworden ist, aber der Sinn für So-
lidarität intakt bleibt«. R. RORTY: Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 306.
76 »Seit einem Jahrhundert liegt die Philosophie im Sterben und kann es nicht, weil ihre Aufgabe nicht erfüllt
ist. So muß sich ihr Abschied quälend in die Länge ziehen. Wo sie nicht in bloßer Gedankenverwaltung
zugrunde ging, schleppt sie sich dahin in einer glitzernden Agonie, in der ihr einfällt, was sie zeitlebens zu
sagen vergaß. Angesichts des Endes möchte sie ehrlich werden und ihr letztes Geheimnis preisgeben. Sie
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 147

Beobachters, Ausstieg aus der modernen Mobilmachung in die postmoderne Passivität?77»Im


Zwielicht der Spätaufklärung«, so Sloterdijk, »gewinnt die Einsicht an Profil, daß unsere
›Praxis‹, die wir stets für das legitimste Kind der Ratio hielten, in Wahrheit den Zentralmy-
thos der Moderne darstellt. Die damit fällig werdende Entmythologisierung der Praxis er-
zwingt radikale Korrekturen im Selbstverständnis der praktischen Philosophie. Diese muß
sich jetzt klar werden, wie sehr sie dem Mythos des Aktiven verfallen war und wie blind sie
sich ihrem Bündnis mit dem rationalen Aktivismus und Konstruktivismus überlassen hatte. In
dieser Blendung konnte die praktische Vernunft nicht einsehen, daß der höchste Verhaltens-
begriff nicht Tun lautet, sondern Lassen«.78 Rorty dagegen hat noch die Hoffnung, »daß eine
Überzeugung auch dann noch das Handeln regulieren, auch dann wert sein kann, daß man das
Leben für sie läßt, wenn die Träger dieser Überzeugung dessen gewahr sind, daß sie durch
nichts anderes verursacht ist als kontingente historische Bedingungen«.79
Der amerikanische Philosoph Alisdair MacIntyre führt diese Krise der praktischen Philo-
sophie auf eine moralische Krise zurück, die daraus entsteht, daß viele Philosophen heute kei-
ne Möglichkeit mehr sehen, eine theoretische oder praktische Ethik zu begründen. Das Projekt
der Aufklärung – so MacIntyre – mußte scheitern, weil ein unaufhebbarer Widerspruch zwi-
schen den Konzeptionen moralischer Vorschriften und der menschlichen Natur bestand und
weil ein Telos des Moralsystems nach dem Wegfall religiöser Unbedingtheit letztlich nicht
mehr bestimmt werden konnte.80 Blickt man auf Rorty und Sloterdijk, dann scheint es in der
Tat so zu sein, daß nach Nietzsche die in der »Tradition des Abendlandes verankerte metaphy-
sisch-erkenntnistheoretische Art der Festigung unserer Gewohnheiten«81 wirklich nicht mehr
funktioniert. Doch die Frage, wie gesellschaftliches, politisches und persönliches Handeln
heute begründet werden soll, bleibt bestehen, auch wenn sich einige Philosophen bezüglich
dieser Frage für inkompetent erklärt haben. Lyotard, Rorty und Sloterdijk scheinen jedenfalls
keine überzeugende Antwort auf diese Frage zu haben,82 denn die Fragen des kollektiven und
individuellen Handelns werden wohl kaum durch die Enthaltsamkeit von jeder praktischen

––––––––––––––––––––––––––
gesteht: die großen Themen, das waren Ausflüchte und halbe Wahrheiten. Diese vergeblich schönen Höhen-
flüge – Gott, Universum, Theorie, Praxis, Subjekt, Objekt, Körper, Geist, Sinn, Nichts – das alles ist es
nicht. Das sind Substantive für junge Leute, für Außenseiter, Kleriker, Soziologen«. P. SLOTERDIJK: Kritik
der zynischen Vernunft, S. 7. Ähnlich auch: D. KAMPER: Die Katastrophe des Sinns, S. 1310. Gegen die
Selbstabdankung und Selbstverspottung der Philosophie wenden sich energisch: L. KOLAKOWSKI: Horror
metaphysikus, S. 7-15; V. HÖSLE: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, S. 13-
38.
77 Vgl. dazu die Analyse von: H. CZUMA: Philosophische Satire oder postmoderner Stil. Vgl. zum »postmo-
dernen Beliebigkeitskult« auch: H. GLASER: Von der Protestkultur zur postmodernen Beliebigkeit, S. 93-95.
78 P. SLOTERDIJK: Kritik der zynischen Vernunft, S. 939.
79 R. RORTY: Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 306.
80 A. MACINTYRE: Der Verlust der Tugend, S. 15, 17-18, 75-76, 79-80. Vgl. zu Alasdair MacIntyres »Der
Verlust der Tugend« und zu seinem Ansatz einer »postmodernen« Ethik: E. TUGENDHAT: Probleme der E-
thik, S. 10-32; J. HÜLLEN: Ethik und Menschenbild der Moderne, S.169-169; von theologischer Seite:
N. MURPHY – J. W. MCGLENDON, JR.: Distinguishing Modern and Postmodern Theologies, S. 203-204;
W. C. PLACHER: Revisionist and Postliberal Theologies and the Public Character of Theology, S. 416;
T. RENDTORFF: Ethik in der Postmoderne, S. 129-131.
81 R. RORTY: Solidarität oder Objektivität?, S. 31.
82 Vgl. auch: H. J. TÜRK: Zeitenwende in der Philosophie, S. 154.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 148

Philosophie, durch den Verzicht auf ethische Begründungen und durch die Abstinenz von mo-
ralphilosophischen Theorien gelöst.83

Die Kritik an den ganzheitlichen Postmoderne-Konzeptionen


Wenn im Zusammenhang der Postmoderne-Diskussion von »Ganzheitlichkeit« die Rede ist,
so ist damit meistens eine Kritik der instrumentellen Vernunft und des exklusiven, empirisch-
naturwissenschaftlichen Erfahrungstyps der Moderne verbunden, die für die pathologischen
Folgen des Modernisierungsprozesses verantwortlich gemacht werden. Ein »ganzheitliches
Bewußtsein« soll dagegen auch andere Dimensionen menschlicher Erfahrung (religiöse, intui-
tive, mythische Erfahrung) einschließen und eine Synthese der verschiedenen Erfahrungsmodi
des Menschen erreichen.
Das Unternehmen, die Einseitigkeiten moderner Rationalität überwinden zu wollen, trägt
durchaus sympathische Züge, doch es bleibt fraglich, ob die »Wiedergewinnung der gesamten
geistigen Vermögen und Wissensformen«84 des Menschen eine wirkliche Alternative zu der
als einseitig kritisierten modernen instrumentellen Vernunft darstellt: Selbst wenn mythisches
Wissen und wissenschaftliches Wissen als gleichberechtigte Formen menschlicher Erkenntnis
anerkannt werden, ist die Frage, wie dieses Wissen miteinander vermittelt werden soll, noch
nicht beantwortet. Das Problem der ganzheitlichen Postmoderne-Konzeptionen besteht darin,
daß sie zwar eine Synthese aller Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten propagieren, aber
weder Kriterien angeben können, wie dabei Wissen von Pseudo-Wissen unterschieden werden
kann, noch zeigen können, wie sich diese Synthese praktisch verwirklichen läßt.85 Die Frage,
inwiefern dieser »Holismus« etwas anderes als nur die Summe seiner Bestandteile ist, wird
letztlich weder von Hübner noch von Koslowki oder Spaemann überzeugend beantwortet.
»Ganzheitlichkeit« bleibt allzuoft lediglich ein Schlagwort, eine (leere) Chiffre.86

Jenseits von Beliebigkeitspluralismus und Relativismus


Für Welsch ist zwar der »radikale Pluralismus« das Kennzeichen der Postmoderne, aber seine
vehemente Inschutznahme der Postmoderne gegen jede Form der Beliebigkeit führt ihn fast
zwangsläufig dazu, dem Pluralismus den Komplementärbegriff »Ganzheit« zur Seite zu stel-

83 Und diese Fragen werden wohl auch kaum durch eine »Ethik der Heiligenerzählungen« gelöst, wie sie Edith
Wyschogrod für die Postmoderne vorschlägt: Nachdem sich in der Moderne gezeigt hat, daß moralische
Theorien nicht unbedingt zu einem moralischen Handeln führen, soll nun auf Theorien ganz verzichtet wer-
den und stattdessen das Erzählen der »Heiligengeschichten« der verschiedenen Religionen zum altruisti-
schen Handeln anleiten. E. WYSCHOGROD: Saints and Postmodernism, S. XIII-XXVII.
84 P. KOSLOWSKI: Die Baustellen der Postmoderne, S. 8.
85 So räumt dann auch Kurt Hübner ein, daß das »wirklich vermittelte Miteinander« von Mythos, Religion und
Wissenschaft eine Vision für die Zukunft bleibt. K. HÜBNER: Meditationen zur Schöpfungsgeschichte als
Beispiel für das künftige Verhältnis von Mythos, Religion und Wissenschaft, S. 58.
86 Dies gilt insbesondere auch für die behauptete »Ganzheitlichkeit« der New Age-Bewegung, die sich bei nä-
herer Betrachtung als »eklektische Collagen-Metaphysik« entpuppt: Die Wirklichkeitsinterpretation der
New Age-Bewegung basiert auch nur auf einer Auswahl möglicher Beschreibungen der Wirklichkeit. Auch
hier wird ein Partikulares zum Ganzen erhoben. Vgl. zur Ganzheitlichkeitstheorie der New Age-Bewegung:
CH. SCHORSCH: Die New Age-Bewegung, S. 31-38; CH. SCHORSCH: Utopie und Mythos der Neuen Zeit; H.-
J. RUPPERT: New Age, S. 68-74; W. HOCHKEPPEL: Nebelwerfer als Aufklärer, S. 831-842.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 149

len.87 Ganzheit soll gerade durch die Vielheit entstehen, indem in einem dialogischen Prozeß
das Viele so aufeinander bezogen wird, daß ein multiversales Beziehungsnetz entsteht, in wel-
chem dann durch Übergänge und Grenzüberschreitungen Allianzen und Konsense erreicht
werden können. Doch wie und aufgrund welcher anthropologischen Konditionen die Vernunft
diese Übergänge zwischen verschiedenen Denkweisen leisten soll, bleibt – Welsch gibt es
selbst zu – »rätselhaft«.88
Ähnlich auch die Konzeption von Calinescu: Ein »dialogischer Pluralismus« soll die
kulturellen Dichotomien der Moderne überwinden und ethische Unterscheidungen und
Konsense für ein gemeinsames Handeln ermöglichen.89 Die Aufgabe, sich auch in einer
Situation, in der kein erkennbares, allgemeines Prinzip mehr zur Verfügung steht, auf das man
den Diskurs gründen könnte, noch um gesellschaftliche und ethische Konsense zu bemühen,
wird von Welsch und Calinescu – im Gegensatz zu Lyotard und der Dekonstruktion – nicht
aufgegeben.90 Doch die Frage ist, ob ein solcher, bloß formaler »dialogischer Pluralismus«
ausreicht, um »in dieser Vielheit von Lebensformen miteinander ohne Fäuste, Fahrradketten,
Brechstangen, Messer, Revolver, Bomber und Raketen«91 auszukommen. Denn »so
verständlich Welschs Bemühen um eine konkrete Ethik jedoch auch ist, trotzdem stellt sich
die Frage, ob die globalen sozialen Herausforderungen, denen die Menschheit sich heute
gegenüber sieht, ohne eine universalistisch verfahrende Makroethik zu bewältigen ist«.92

Philosophische Beerbung der Religion?


Wenn es zutrifft, daß die moderne Philosophie durch ein überwiegend ablehnendes oder zu-
mindest kritisches Verhältnis zur Religion bestimmt war, so scheint sich heute ein anderes
Verhältnis von Philosophie und Religion abzuzeichnen: Bei Spaemann, Hübner und Koslow-
ski spielt Religion ohnehin eine zentrale Rolle, aber auch Welsch, Rorty, Frank, Sloterdijk
und selbst Habermas setzen – statt auf Konfrontation – auf eine Kooperation von Religion und
Philosophie. Das bedeutet allerdings noch kein generelles Plädoyer für Religion, gar für eine
bestimmte Religion, sondern eher eine friedliche Koexistenz von Religion und Philosophie:
entweder im Sinne von Habermas, für den die Religion »unaufgebbare semantische Gehalte
mit sich führt, die sich der Ausdruckskraft einer philosophischen Sprache (vorerst?) entzie-
hen« oder im Sinne von Manfred Frank, der die Funktion der Religion – die Hoffnung auf ein

87 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 60-63, 126, 322-326; W. WELSCH: Religiöse Implikationen
und religionsphilosophische Konsequenzen »postmodernen« Denkens, S. 128; W. WELSCH: Postmoderne
oder Ästhetisches Denken, S. 263-265.
88 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 307.
89 M. CALINESCU: From the One to the Many, S. 275.
90 Inwieweit sich allerdings die Konzepte des »dialogischen Pluralismus« und der »transversalen Vernunft«
noch von Habermas’ »Theorie des kommunikativen Handelns« unterscheiden, wäre eigens zu untersuchen.
Vermutlich aber sind die Übereinstimmungen größer als die Unterschiede. Vgl. zu den Gemeinsamkeiten
nachkantischer Rationalitätskonzeptionen: H. M. BAUMGARTNER: Endliche Vernunft, S. 172-180.
91 H.-P. KRÜGER: Postmoderne als das kleinere Übel, S. 196.
92 H.-L. OLLIG: Philosophische Zeitdiagnose im Zeichen des Postmodernismus, S. 357.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 150

sinnerfülltes Leben – gerne übernehmen möchte, allerdings ohne deren tradierte Form und ih-
re materialen Inhalte.93
Ob eine solche nichtreligiöse, bloß funktionalistische Beerbung der Religion gelingen
kann, ist jedoch fraglich, denn gerade die »Erschöpfung der utopischen Energien«94 zeigt
doch, daß die säkularen Hoffnungsentwürfe der Moderne sowohl auf der sozialen und politi-
schen als auch auf der individuellen Ebene letztlich nicht zu tragen vermögen. An Habermas
ist außerdem die Frage zu richten, ob es neben einer friedlichen Koexistenz nicht auch noch
andere Formen der Beziehungen zwischen Religion und Philosophie geben könnte: Vielleicht
ergäben sich ja gerade in den Fragen der gesellschaftlichen Praxis ganz neue Allianzen, wenn
man sich auch zu einer Zusammenarbeit mit der Religion durchringen könnte.

7. Die Kritik an der soziologischen Postmoderne-Diskussion


Zahlreiche der von Riesman, Bell, Habermas, Etzioni, Tenbruck und Touraine diagnostizier-
ten strukturellen Veränderungen innerhalb der westlichen Gesellschaften sind unbestreitbar:
der Umbau der modernen Industriegesellschaft zu einer postindustriellen Dienstleistungsge-
sellschaft, die Umgestaltungen in der Berufsstruktur, der Primat des Wissens etc. Bezüglich
dieser Veränderungen von der modernen zu einer postmodernen oder postindustriellen Gesell-
schaft, die sich auch empirisch relativ leicht verifizieren lassen, besteht in der Diskussion ein
weitreichender Konsens. Anders sieht es dagegen mit den kultur- und gesellschaftspolitischen
Folgerungen aus diesem Wandel aus: Zwischen Touraines Forderung nach einer »Gesellschaft
der sozialen Entwicklung«, Etzionis Modell einer »aktiven Gesellschaft« und Bells Rückkehr
zu einer Kultur der »religiösen Sinnsetzungen« bestehen große Unterschiede.
Die Aufgabe der postindustriellen Gesellschaft besteht für Touraine in einer Kontestation
gegen die herrschenden Strukturen und in der »schöpferischen Infragestellung« der bestehen-
den Gesellschaftsformen. Diese Aufgabenbestimmung konvergiert mit Etzionis Modell der
»aktiven Gesellschaft«, in der die Aktivierung ihrer Mitglieder zu größerer Authentizität füh-
ren soll. Ganz anders dagegen das Programm von Bell, der den Antagonismus zwischen
ökonomisch-technischer und hedonistisch-kultureller Sphäre durch eine Rückkehr zu
religiösen Sinnsetzungen überwinden will: Der nihilistisch-hedonistischen
Verweigerungshaltung in der gegenwärtigen Kultur sollen traditionelle Werte entgegengesetzt
werden.95 Bell fixiert Religion aus der funktionalistischen Perspektive des Sozialhygienikers:
Religion erscheint lediglich als kontinuitätsgarantierende Kraft und private Kondition zur
besseren Anpassung an das System. Daß von Religionen auch gesellschaftskritische oder
revolutionäre Impulse ausgehen können, wird von Bell nicht wahrgenommen. Wenn
93 J. HABERMAS: Nachmetaphysisches Denken, S. 60; M. FRANK: Zwei Jahrhunderte Rationalitätskritik und
ihre »postmoderne« Überbietung, S. 113.
94 J. HABERMAS: Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, S. 141-163.
95 Bell polemisiert gegen die »postmoderne Laune« der heutigen »Porno-Pop-Kultur«: »But the postmodern
mood denies the self as a being created by history and culture. By insisting on the reality of the primal,
erotic, diffuse, and polymorph-perverse undifferentiated instincts, it obliterates the line between body and
mind, physical and spiritual, self and other«. D. BELL: Sociological Journeys, S. 300. Ähnliche Tiraden ge-
gen die Gegenwartskultur finden sich in: D. BELL: Zur Auflösung der Widersprüche von Modernität und
Modernismus, S. 48-52. Vgl. zu den (kultur-)politischen Implikationen von Bells Theorie: C. OFFE: Post-
industrielle Gesellschaft, S. 882-883; J. O’NEILL: Religion and Postmodernism, S. 493-497; B. S. TURNER:
From Postindustrial Society to Postmodern Politics, S. 199-207; A. HUYSSEN: Postmoderne, S. 28-29.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 151

können, wird von Bell nicht wahrgenommen. Wenn Habermas die »Postmoderne« mit dem
Prädikat »Neokonservatismus« belegt, hat er Positionen wie die Bells im Blick: Bewahrung
der technokratischen Moderne und Abschaffung der kulturellen Moderne.96

Die postmoderne Kultur


Die gegenwärtige Kultur ist nach Peter Koslowski von einen zusammenhanglosen Pluralismus
geprägt, der aber nicht Ziel der Kultur sein kann, weil er die Frage nach dem Sinn der Kultur
nicht beantwortet.97 Ein »ganzheitliches Bewußtsein« soll dagegen die in der Moderne ausei-
nandergedrifteten kulturellen Bereiche wieder miteinander versöhnen. Skepsis ist jedoch
gegenüber dem Versuch Koslowskis angebracht, die fragmentierte moderne Kultur in eine
»ganzheitliche« überführen zu wollen: Koslowski spricht zwar viel von »kultureller Sinnset-
zung« und der »richtigen Gesellschaft und Kultur«, aber was das Richtige ist und wie diese in-
tegrative Synthese möglich werden soll, ohne daß ein Partikulares zum Ganzen gemacht wird,
ohne daß das Eine die Anderen dominiert, bleibt undeutlich.98 Zweideutig bleibt auch Kos-
lowskis Plädoyer für die Vielheit als Ausdruck einer lebendigen Kultur, wenn die »Normalität
einer kulturellen Gestalt des Lebens« andere »Lebensordnungen und Daseinsdeutungen« nur
»duldet«.99 Wer entscheidet anhand von welchen Kriterien über die »abweichenden kulturellen
Muster«, die zwar zur Kultur, nicht aber zur »normalen Gestalt der Kultur« gehören sollen?100

Wiederkehr der Religion?


Neben einigen Philosophen (Spaemann, Hübner) erwarten auch einige Soziologen die »Wie-
derkehr der Religion« in der Postmoderne. Doch die von Bell, Koslowski und Lübbe ausgege-
bene Parole ist vor allem in zweierlei Hinsicht diffenzierungsbedürftig:101
 Welsch und Zimmerli weisen darauf hin, daß die Religion zwar einen Teil ihrer
gesellschaftlichen Funktionen im Zuge der Säkularisierung verloren hat, faktisch aber auch
in den modernen Gesellschaften der westlichen Welt, in Kirchen, Universitäten, Verbänden
und politischen Organisationen immer präsent und nicht einfach abwesend war.102 Deshalb

96 Vgl. J. HABERMAS: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 35-39.
97 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 152. Vgl. auch: P. KOSLOWSKI: Religion, Philosophie und die
Formen des Wissens in der Gesellschaft, S. 5; P. KOSLOWSKI: Wirtschaft als Kultur, S. 68-72.
98 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 152-153. Auch Michael Zöller kritisiert, daß Koslowski in sei-
nem Buch Die postmoderen Kultur zwar ständig Parolen ausgibt, diese aber nicht mit Inhalt gefüllt werden.
Vgl. M. ZÖLLER: Die Gnosis der Yuppies, S. 27. Hans-Ludwig Ollig kritisiert außerdem, daß der Begriff
Postmoderne bei Koslowski »oft lediglich thetisch« gebraucht wird, »ohne daß eine eingehende Begründung
für die mit dem Stichwort Postmoderne verbundenen Thesen geliefert würde«. H.-L. OLLIG: Philosophische
Zeitdiagnose im Zeichen des Postmodernismus, S. 360.
99 P. KOSLOWSKI: Die postmoderne Kultur, S. 155.
100 A.a.O., S. 156. Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten eines »gesamtheitlichen« Denkens auch: W.
WELSCH: Religiöse Implikationen und religionsphilosophische Konsequenzen »postmodernen« Denkens,
S. 128.
101 Weitere Differenzierungen zum Schlagwort »Wiederkehr der Religion« werden im Kontext der theologi-
schen Postmoderne-Diskussion vorgenommen. Vgl. Zweiter Hauptteil, IV. 3.
102 Vgl. W. CH. ZIMMERLI: Wie neu ist die neue Religiosität?, S. 12, 23; W. WELSCH: Religiöse Implikationen
und religionsphilosophische Konsequenzen ›postmodernen‹ Denkens, S. 117.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 152

ist die von den Soziologen diagnostizierte, empirisch nicht zu bestreitende Zunahme »reli-
giöser Virulenzen«, die seit den siebziger Jahren in den westlichen Gesellschaften zu beo-
bachten ist, unter dem pauschalen Stichwort »Wiederkehr« der Religion nicht zutreffend
charakterisiert.103
 In dem »diffusen Phänomenknäuel« der sogannten »neuen Religiosität« kehren zwar längst
vergessen geglaubte okkulte, esoterische, mystische, gnostische und enthusiastische Phä-
nomene wieder, aber nicht alle dieser Erscheinungen können im engeren Sinne als »Religi-
on« qualifiziert werden.104 Dadurch zerfließen die »Konturen dessen, was heute unter Reli-
gion verstanden werden kann«, bei näherem Hinsehen immer mehr.105 Aus diesem Grund
trifft die simplifizierende Rede von der Wiederkehr »der« Religion nicht den komplexen
Sachverhalt höchst unterschiedlicher religiöser, quasi-religiöser, psycho-religiöser und
pseudo-religiöser Phänomene.
Gleichwohl kann die Zunahme »religiöser Virulenzen« in den westlichen Gesellschaften als
Indiz dafür gewertet werden, daß die These von der Erledigung und dem Überflüssigwerden
der Religion, wie sie die moderne Religionskritik vertreten hat, nicht mehr zu halten ist.106
Der Kontext, in dem heute in der Soziologie über Religion nachgedacht werden muß, hat sich
grundlegend verschoben: Aufgrund der fortdauernden öffentlichen Präsenz der Religion kann
diese nicht länger als marginalisierbare gesellschaftliche Größe angesehen werden, sondern
muß als gesellschaftliche Konstante von der Soziologie in ihrer Theorie der sozialen Verhält-
nisse berücksichtigt werden.

Der Ideologieverdacht gegen die Sozialwissenschaften


Die verschiedenen Funktionen der Religion sind in der soziologischen Diskussion nicht um-
stritten: Daß Religion die Funktion einer individuellen (Lübbe) oder kosmologischen (Luh-
mann, Berger) Kontingenzbewältigungspraxis hat und als Civil religion eine staats- und ge-
sellschaftsstabiliserende Funktion (Parsons, Lübbe, Bell) besitzt, ist vom empirischen Befund
her ebenso unumstritten wie die »Nützlichkeit« der Religion für die Gesellschaft und das In-
dividuum. Die gesellschaftspolitischen Folgerungen, die aus diesem Befund abgeleitet wer-
den, werfen jedoch tiefe Gräben auf: Habermas wirft Bell und Lübbe vor, daß sie die »sozial-
integrative Funktion der Glaubensüberlieferung« deswegen so betonen, weil sie die Menschen
systemtauglich machen und gegen die kulturelle Moderne konservative Werte absichern wol-
len.107 Diese Kritik von Habermas, der solche »neokonservativen« Tendenzen überall ausfin-
dig zu machen weiß, trifft wohl auf Bell zu, nicht aber auf Lübbe, denn gerade er betont, daß
die durch die Aufklärung hindurchgegangene Religion als »Hüterin der Aufklärung«, der De-

103 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 235.


104 W. CH. ZIMMERLI: Wie neu ist die neue Religiosität?, S. 12; W. WELSCH: Religiöse Implikationen und reli-
gionsphilosophische Konsequenzen ›postmodernen‹ Denkens, S. 117.
105 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 235. Vgl. auch: H. KNOBLAUCH: Die Verflüchtigung der Re-
ligion ins Religiöse, S. 19-33; TH. LUCKMANN: Die unsichtbare Religion, S. 166-178.
106 Vgl. auch: H.-J. HÖHN: Distanz und Dissens, S. 11-12.
107 J. HABERMAS: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 44-53.
Ähnlich auch: F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 17-18, 65, 70-71.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 153

mokratie, der liberalen politischen Ordnung und der Grundwerte angesehen werden kann.108
Diese kultur- oder zivilreligiöse Funktionsbestimmung der Religion muß nicht unbedingt als
»konservativ« angesehen werden, zumal sich Lübbe – genau wie Kaufmann – sehr wohl be-
wußt ist, daß die Religion sich nicht in einer funktionalen Definition erschöpft, ja, die religiö-
se Grunderfahrung des Individuums von der Soziologie überhaupt nicht erfaßt werden
kann.109 Wie in den meisten religionssoziologischen Forschungen findet allerdings auch bei
Lübbe das gesellschaftskritische, »prophetische« Potential – zumindest der christlichen Reli-
gion – zu wenig Beachtung.
Eine funktionale Bestimmung der Religion – so Franz-Xaver Kaufmann – hat ihr Recht,
solange die Religion nicht ausschließlich aus der funktionalistischen Perspektive gedeutet
wird. Genau dies aber wirft er der modernen Religionssoziologie vor: Religion wird auf ein
gesellschaftliches Phänomen reduziert und allein um ihrer Nützlichkeit willen akzeptiert.110
Aus dieser Funktionalisierung der Religion folgt dann – wie bei Bell – eine Ideologisierung
der Religion: Religion wird zur Durchsetzung politischer Zwecke funktionalisiert. Insofern
sich die Religionssoziologie über die politischen Implikationen ihrer Theoriebildung bisher
nur unzureichend Rechenschaft abgelegt hat, scheint das Anliegen einer ideologiekritischen
Überprüfung der Funktionalisierung von Religion, die von Habermas und Kaufmann gefordert
wird, nicht nur berechtigt, sondern dringend geboten.
Touraine, Tenbruck und Bauman gehen aber noch einen Schritt weiter: Sie fordern eine
ideologiekritische Überprüfung der Sozialwissenschaften insgesamt. Ihr Vorwurf: Die moder-
ne Sozialforschung nimmt ideologische Züge an, weil sie von der säkularen Utopie getragen
wird, neben der technischen Beherrschung der Natur nun auch die Beherrschung der Gesell-
schaft in den Griff zu bekommen. Als Lieferant »technischen Herrschaftswissens« betreibt sie
die »Abschaffung des Menschen«, der auf einen »gesellschaftlichen Rollenträger« reduziert
und damit verobjektiviert wird.111 Ihr Vorschlag zur »Bewältigung der Sozialwissenschaften«:
Die postmoderne Soziologie muß zu einer hermeneutischen Wissenschaft werden, die die Er-
fahrungen der Menschen in ihrem jeweiligen sozialen Kontext interpretiert, statt sie in ver-
meintlicher Objektivität bloß empirisch festzustellen und funktionalistisch auszuschlachten.112

8. Welchen Sinn hat es, von Postmoderne zu reden?


Wie auch immer man zum Begriff Postmoderne steht – ob man ihn als für die Gegenwart er-
hellend ansieht oder als überflüssig und unsinnig ablehnt –, so ist eines jedoch in der Postmo-

108 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 9-18, 31-38, 73; 327.
109 H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung (1978), S. 326; F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität,
S. 202.
110 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 17-18, 65, 70-71; J. HABERMAS: Die Kulturkritik der Neo-
konservativen in den USA und in der Bundesrepublik, S. 52-53.
111 F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten Sozialwissenschaften, S. 204. Vgl. auch: F. H. TENBRUCK: Die Sozial-
wissenschaften als Mythos der Moderne, S. 11-16.
112 Vgl. Z. BAUMAN: Is There a Postmodern Sociology?, S. 229-230; F. H. TENBRUCK: Die unbewältigten So-
zialwissenschaften, S. 308; A. TOURAINE: Die postindustrielle Gesellschaft, S. 27-31. Vgl. auch: R. J.
BERNSTEIN: Beyond Objectivism and Relativism, S. 30-34. Eine »hermeneutische Wende« in den Sozialwis-
senschaften diagnostiziert auch: J. W. FOWLER: Praktische Theologie und Sozialwissenschaften in den USA,
S. 155-169.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 154

derne-Diskussion unbestritten: daß sich nämlich gegenüber der frühen Neuzeit, der Aufklä-
rung und den optimistischen, auf Fortschritt und Hoffnung angelegten Ideologien des 18. und
19. Jahrhunderts sowohl die intellektuelle Grundstimmung als auch die gesellschaftliche und
kulturelle Situation in den westlichen Gesellschaften grundlegend verändert hat. Dieser Kon-
sens vereint sowohl die Kritiker als auch die Verteidiger der Postmoderne und kann als der
kleinste gemeinsame Nenner gegenwärtiger Zeitdiagnosen angesehen werden. Die nach wie
vor umstrittene Frage ist jedoch, ob man deswegen von einer Postmoderne reden muß oder ob
man auf diesen Terminus auch verzichten kann.

»Postmoderne«: Neuer Stil oder Indikator eines epochalen Wandels?


Viele Beschreibungen der Postmoderne kranken daran, daß nur einzelne Themen aus der Dis-
kussion aufgegriffen und dann zum Ganzen erklärt werden. Dazu gehören vor allem diejeni-
gen Bestimmungen der Postmoderne, die nur von einem Sektor aus eine Theorie der Postmo-
derne zu entwerfen versuchen: Postmoderne erscheint dann lediglich als ein neuer Stil in der
Architektur oder Literatur, als philosophische oder literaturwissenschaftliche Strategie oder
Theorie, als Geisteshaltung oder Gemütszustand.113 Die Kritik derjenigen, die die Rede von
der Postmoderne darum für unbegründet halten, weil sich die meisten der vermeintlichen
Distinktiva der Postmoderne schon in den verschiedenen Bewegungen in der Moderne selbst
finden lassen, hat insofern ihre Berechtigung. Denn wenn man die postmoderne Literatur z. B.
bloß durch das Collageverfahren (in Abgrenzung zum einheitlichen Werkcharakter der mo-
dernen Literatur) charakterisiert sieht, wird die Kritik sicher einen modernen Schriftsteller
finden, der diese Technik auch schon angewendet hat. Solche begrifflichen Engführungen sind
nicht zuletzt auch deswegen wenig hilfreich, weil die vermeintliche Bestimmtheit des Begriffs
durch den Definitionspluralismus wieder aufgehoben und die Unschärfe des Begriffs Postmo-
derne dadurch lediglich potenziert wird.
Gegenüber einer solchen, an Einzelphänomenen orientierten Abgrenzung des Begriffs
Postmoderne verspricht eine Definition der Postmoderne, die auf einer umfassenden Analyse
der gesellschaftlichen, ästhetischen, philosophischen Transformationen basiert, weit mehr Er-
folg: Denn »selbst wenn alle konstitutiven Merkmale der Postmoderne mit denen der Moderne
identisch oder aus ihr hervorgegangen wären«, so unterscheiden sich die einzelnen Anschau-
ungen sowohl in ihrer Bedeutung und Funktion als auch in ihrem gegenseitigen und gesamt-
gesellschaftlichen Bezug doch grundlegend.114 Mit anderen Worten: Im Hinblick auf eine De-
finition des Begriffs Postmoderne kommt es neben der Bestimmung der einzelnen
Veränderungen und der Untersuchung ihrer Interdependenz vor allem auf die Analyse der
Rahmenbedingungen an, die einen Wandel der Gesamtkonstellation von Überzeugungen,
Werten, Normen und Verfahrensweisen signalisieren.

113 »Eins jedoch macht diese ganze [!] Diskussion klar. In der Debatte um die Postmoderne geht es nicht bloß
um einen neuen Stil, um eine neue Ausdrucksform, die sich von der klassischen Moderne absetzt. Es geht
vielmehr um ein gesamtgesellschaftliches, kulturelles und politisches Problemfeld, in das die geistige Situa-
tion unserer Zeit sich einschreibt und auf dem es Stellung zu beziehen gilt«. A. HUYSSEN: Postmoderne,
S. 30.
114 F. JAMESON: Postmoderne, S. 49.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 155

Eine derartige Verschiebung des Interpretationsrahmens läßt sich exemplarisch an der I-


dee des Fortschritts zeigen: Immer wieder wird in der Postmoderne-Diskussion darauf verwie-
sen, daß die Auflösung des modernen Glaubens an einen permanenten Fortschritt zum Besse-
ren ein Kennzeichen für den Beginn der Postmoderne sei. Diejenigen, die unter anderem aus
diesem Grund die Rede von der Postmoderne für verfehlt halten, werden dagegenhalten, daß
die meisten Menschen auch heute noch sowohl technologischen als auch wissenschaftlichen
Fortschritt erwarten. Demgegenüber kann aber geltend gemacht werden, daß sich die Konno-
tationen, die mit diesem Begriff verbunden sind, sehr wohl geändert haben: An die Stelle des
euphorischen und optimistischen Fortschrittsglaubens als »kollektive Verheissung« an eine
durch Forschung und Technologie sich ständig verbessernde Welt ist das »Risikobewußtsein«
getreten, das sich vor allem in der skeptischen Frage ausdrückt, ob das technisch Machbare
auch das in jedem Fall Wünschbare ist und ob die Wissenschaftler auch all das tun dürfen,
was sie tun können.115 Das aber heißt: Nicht die Idee des Fortschritts als solche hat sich aufge-
löst, sondern der Bezugsrahmen hat sich grundlegend verschoben. An die Stelle von Hoffnung
ist Skepsis getreten.116
Erst im intersektoriellen Vergleich gewinnt die Postmoderne eine Relevanz, die über die
einer bloßen Modeerscheinung des feuilletonistischen Kulturbetriebs hinausgeht, erst dann
werden die Verschiebungen im Denken und Bewußtsein, die Beziehungslinien und gegensei-
tigen Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Bereichen sichtbar. Sieht man die Postmo-
derne-Diskussion vor allem als Indikator dafür an, daß sich der Bezugsrahmen des Denkens
im Vergleich zur Moderne insgesamt verschoben hat, wird die Kritik, daß sich »die meisten
vermeintlich essentiellen Distinktiva«117 der Postmoderne schon in der ästhetischen Moderne
dieses Jahrhunderts nachweisen lassen, ebenso hinfällig wie die Kritik, daß es gar keine Post-
moderne geben könne, weil die Moderne eben auch schon »von Gegenaufklärung, Irrationa-
lismus und Antimoderne durchsetzt«118 gewesen sei.

»Postmoderne«: Immanente Kritik der oder neue Epoche nach der Moderne?
Den Kritikern des Begriffs Postmoderne ist auch darin recht zu geben, daß die Rede von einer
Postmoderne nicht zwingend notwendig ist, denn die epochalen und intellektuellen Zäsuren,
die gesellschaftlichen Veränderungen und die weltpolitischen Umwälzungen in diesem Jahr-
hundert können durchaus heruntergespielt und unter das moderne Prinzip der permanenten

115 Vgl. A. DUBACH: Nachwort, S. 297; U. BECK: Risikogesellschaft, S. 254-299.


116 Vgl. P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 269-270.
117 D. BORCHMEYER: Postmoderne, S. 312.
118 B. HÜBNER: Der de-projizierte Mensch, S. 17. Ähnlich auch Panajotis Kondylis: »Der ideologische Charak-
ter der Konstruktionen von der Moderne und der Postmoderne wird im Lichte der elementaren geistesge-
schichtlichen Feststellung sichtbar, daß holistische und atomistische Betrachtung, ›Identität‹ und ›Diffe-
renz‹, Einheitsträume der Vernunft und relativierende Skepsis von Anfang an im Schoße des neuzeitlichen
Rationalismus nebeneinander existiert und sich gegenseitig bedingt haben; gerade deswegen können beide
Konstruktionen fast beliebig in die geistesgeschichtliche Vergangenheit hineinprojiziert werden, was auch
getan wird, wenn dies aus Legitimationsgründen zweckmäßig erscheint«. P. KONDYLIS: Der Niedergang der
bürgerlichen Denk- und Lebensform, S. 6. Auch diese Kritik erscheint in einem anderen Licht, wenn die
Begriffe Moderne und Postmoderne nicht einfach nur durch simple, schematische Begriffe wie »Identität«
und »Differenz« auf den Punkt gebracht, sondern durch eine Vielzahl unterschiedlicher Charakteristika
möglichst präzise beschrieben werden.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 156

Selbstüberholung oder die »Dialektik der Aufklärung« subsumiert werden. Aus diesem Grund
verstricken sich auch diejenigen Positionen in Widersprüche, die die Postmoderne – aus
Angst, sich dem Vorwurf, man betreibe eine Abschaffung der Moderne, ausgesetzt zu sehen –
lediglich als »immanente Kritik der Moderne« oder als »postmoderne Moderne« verstehen
wollen: Das »Post« der »Post«-Moderne wird sinnlos, wenn dieses Präfix keinen zeitlichen
Abstand oder eine wie auch immer zu bestimmende Zäsur zur Moderne mehr markiert. Gegen
das Programm einer »Durcharbeitung und Verwandlung der Moderne, in der zwar manche
Züge dieser Moderne verabschiedet, andere aber erhalten und weiterentwickelt werden«119
sollen, ist an und für sich nichts einzuwenden, nur sollte man dann besser nicht von »Post«-
Moderne reden. Aporetisch sind deswegen auch die Positionen, die allen Nachdruck darauf
legen, Postmoderne nicht als Epochenbegriff zu verstehen, sondern lediglich als eine »Strate-
gie«, als »Bewußtseinsveränderung«, als »innere Haltung«, als »Revision der Moderne«. Denn
dann stellt sich die Frage, worin noch der Unterschied zu der Position von Jürgen Habermas
besteht, der ja nicht einfach blind die Moderne verteidigt, sondern das »Projekt« ebenfalls mit
einem revidierten Programm fortsetzen will.
Auf der anderen Seite wird von denen, die die Postmoderne als neue Epoche nach der
Moderne verstehen wollen, der Frage, wann und wodurch der Wandel von der Moderne zur
Postmoderne eingeleitet wurde, zu wenig Beachtung geschenkt. Sicher ist jedenfalls, daß der
Umbruch von der Moderne zur Postmoderne nicht erst in den siebziger und achtziger Jahren
beginnt, denn die Absetzbewegung von den grundlegenden Überzeugungen der Aufklärung
wurde schon in Nietzsches Philosophie und in der Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre
spürbar.121 Sicher ist aber auch, daß dieser Umbruch weder einfach nur durch Nietzsches phi-
losophische und philologische Studien noch allein durch den Zusammenbruch des »bürgerli-
chen Zeitalters« und den damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Veränderun-
gen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ausgelöst wurde.122 Weder ist er allein aus den
Schrecken zweier Weltkriege und der Atombombe zu erklären noch aus dem Bewußtsein für
die katastrophalen Folgen menschlicher Naturbeherrschung. Weder ist er allein aus gesell-
schaftlichen oder politischen noch aus intellektuellen Gründen begreiflich zu machen. Der
Umbruch von der Moderne zur Postmoderne sollte – im Gegensatz zu allen monokausalen
Erklärungsversuchen – vielmehr als langfristiger Prozeß verstanden werden, der viele ver-
schiedene soziale, politische und intellektuelle Ursachen hat.

119 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne (1991), S. XIV.


120 Vgl. dazu: O. HÖFFE: Kategorische Rechtsprinzipien, S. 351.
121 Romano Guardini diagnostizierte Ende der vierziger Jahre die Auflösung des neuzeitlichen Weltbildes, weil
die Ideen einer »in sich ruhenden Natur«, eines völlig »autonomen Persönlichkeitssubjektes« und einer aus
»eigenen Normen schaffenden Kultur« im Schwinden begriffen sind. Vgl. R. GUARDINI: Das Ende der Neu-
zeit, S. 59. Vgl. zur Guardinis Neuzeitkritik auch: L. BÖRSIG-HOVER: Zeit der Entscheidung; P. FONK: Das
Ende der Neuzeit, S. 72-84. Eine Wandlung Guardinis von der Moderne zur Postmoderne bemerkt Silvano
Zucal. Vgl. S. ZUCAL: Romano Guardini e la metamorfosi del »religioso« tra moderno e post-moderno,
S. 22-25.
122 Auch wenn die Krisenphänomene dieser Zeit für einen epochalen Umbruch sprechen, ist die folgende mo-
nokausale Sicht doch wohl zu einfach: »Wenn man unter ›Postmoderne‹ den Ruf nach einer Überwindung
der Moderne versteht, dann war kaum eine Zeit so postmodern wie die Zeit unmittelbar nach dem ersten
Weltkrieg. Die katastrophale Selbstzerfleischung der Alten Welt hatte mit einem Schlag dem Fortschritts-
glauben des 19. Jahrhunderts ein Ende gemacht«. P. NICKL: Jacques Maritain, S. 73.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 157

9. Das Problem: Die Widersprüchlichkeit der Postmoderne-Konzeptionen


Die Theoretiker der Postmoderne haben zwar zahlreiche Veränderungen gegenüber dem mo-
dernen Denken ausgemacht, die in der Diskussion auch nicht umstritten sind,123 doch werden
diese überwiegend negativ bestimmt. Wodurch sich jedoch die »geistige Situation der Zeit«124
positiv auszeichnet, ist nach wie vor ungeklärt. Die Diagnosen hängen von den unterschiedli-
chen Interpretationen der Moderne125 und den daraus resultierenden Wegbeschreibungen für
die Postmoderne ab: Für Lyotard, Welsch und die Dekonstruktivisten sind vor allem Plurali-
tät, Heterogenität, Inkommensurabilität und Intertextualität Kennworte für das postmoderne
Bewußtsein – für Koslowski, Spaemann und Hübner ist hingegen »Holismus« das »S(ch)ibbo-
leth« für die Postmoderne. Diese beiden Konzepte von Postmoderne aber schließen sich ge-
genseitig aus.126 So besteht also das Desiderat der Postmoderne-Diskussion nicht in erster Li-
nie darin, daß die Vertreter der Postmoderne die konkreten Veränderungen nicht zu benennen
wüßten,127 sondern in der unterschiedlichen Bestimmung dessen, was nun als postmodern an-
gesehen werden soll und was nicht.128
Die drängenden Probleme der Gegenwart lassen sich – soviel ist sicher – weder dadurch
lösen, daß man die Verabschiedung jeglicher Verbindlichkeit propagiert noch dadurch, daß
man das von Feyerabend wissenschaftstheoretisch gemeinte »Anything goes«129 zum postmo-
dernen Prinzip schlechthin erhebt. Theo Sommer, einer der Herausgeber der Wochenzeitung
Die Zeit, hat anläßlich der politischen Korruptionsaffären auch denjenigen Intellektuellen ins
Gewissen geredet, die sich in der Kritik von allem und jedem ergehen, ohne jedoch konkrete
Vorschläge zur Bewältigung der geistigen Situation der Zeit machen zu können: »Viele von
ihnen haben die Selbstverwirklichung bis zum Exzeß gepredigt; haben Tugend, Anstand, Stil
verlacht; haben die postmoderne Beliebigkeit eine Zeitlang so weit getrieben, daß nach der
Devise ›Alles geht‹ nichts mehr verpönt war. So wurde die Gemeinschaft auf dem Altar der
Gesellschaft geopfert. Die Maßstäbe lösten sich im ätzenden Säurebad der Kritik auf. Die in-
tellektuelle Steuerhinterziehung – ›Verweigert dem Kaiser, was des Kaisers ist!‹ – war nicht
minder gravierend als die finanzielle«.130 Gegenüber der »Egozentrik des zurückliegenden
Vierteljahrhunderts« – der »Eigenbrötelei der Achtundsechziger-Rebellen« ebenso wie der

123 Vgl. Erster Hauptteil, V. 1.


124 K. JASPERS: Die geistige Situation der Zeit.
125 Vgl. Erster Hauptteil, V. 2.
126 Vgl. zu diesen gegensätzlichen Programmen: P. TEPE: Postmoderne/Poststrukturalismus, S. 23-102.
127 Obwohl natürlich auch hier noch einmal kritisch zurückgefragt werden muß, inwieweit die ausgemachten
Veränderungen wirklich die Gegenwart bestimmen. Daß z. B. die kulturelle Pluralität eine Signatur der Zeit
ist, läßt sich wohl kaum bestreiten, daß Pluralität »zur allgemeinen Grundverfassung« geworden ist
(W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 5), dagegen schon, denn der globale Trend zur technischen
Uniformierung – darauf weist Walther Zimmerli hin – ist ebenfalls eine Signatur der Gegenwart, die gerade
erst den Wunsch nach kultureller Vielfalt hervorruft (vgl. W. CH. ZIMMERLI, Das antiplatonische Experi-
ment, S. 13-35).
128 Hans-Ludwig Ollig kommt in seiner Analyse der Postmoderne-Konzeptionen von Welsch, Sloterdijk und
Koslowski zu dem Ergebnis, daß der Begriff Postmoderne bei keinem der drei eine feste Kontur erhält, son-
dern als Indikator für eine Suchbewegung fungiert, »die über die Moderne hinausführt, aber das, was nach
der Moderne kommen wird, noch nicht exakt benennen kann«. H.-L. OLLIG: Philosophische Zeitdiagnose im
Zeichen des Postmodernismus, S. 354.
129 P. FEYERABEND: Wider den Methodenzwang, S. 35.
130 TH. SOMMER: Ein Abgrund von Doppelmoral, S. 1.
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 158

»Selbstsucht der Achtziger-Yuppies« – fordert Sommer einen neuen »Gemeinsinn«, »der wie-
der Raum schafft für einen Minimalkonsens über bürgerliche Tugend und individuelle Hal-
tung«.131

Keine Lösung: Relativismus und Fundamentalismus


Die Konzeptionen, die – wie Lyotard, Rorty, Sloterdijk und die Dekonstruktivisten – keine
Möglichkeit mehr sehen, gesellschaftliches, politisches und individuelles Handeln zu begrün-
den und zu einem Konsens in ethischen Fragen vorzustoßen, zeigen letztlich keine Perspekti-
ven auf, die über die von Nietzsche formulierten Aporien des modernen Denkens hinausge-
hen: Indem sie der Moderne den Spiegel ihrer eigenen Selbsttäuschungen vorhalten, bleiben
sie doch der immanenten Logik der Moderne verhaftet, weil sie deren impliziten, teilweise
uneingestandenen Relativismus nun explizit zum Programm erheben und damit letztlich nur
die Konsequenzen aus dem modernen Denken ziehen.132 Charles Jencks hat deshalb nach-
drücklich vorgeschlagen, diese Positionen nicht als »post-modern« sondern als »spät-modern«
zu bezeichnen.133
Problematisch erscheinen auch diejenigen Positionen, die eine Tilgung des Pluralismus
anstreben. Auch wenn sich Koslowski für Vielfalt ausspricht, so zielt sein Programm doch auf
eine uniforme kulturelle Sinnsetzung, die »das Andere« bloß neben sich »duldet«. »Holismus«
scheint bei Koslowski eher das Tarnwort für eine totalitäre Einheitsoption zu sein, die auf-
grund seines Plädoyers für einen neuen »Essentialismus« auch deutlich vor-moderne Züge an-
nimmt.134 Totalitäre Züge zeigen sich auch in Bells Polemik gegen die moderne, angeblich ni-
hilistisch-hedonistische Kultur, der es traditionelle, religiöse Sinnsetzungen entgegenzuhalten
gilt, um die Menschen für ihre Funktionstauglichkeit in der Gesellschaft zu konditionieren.
Darum ist einer Postmoderne, die der Beliebigkeit von allem und jedem das Wort redet, eben-
so eine Absage zu erteilen wie einer vermeintlichen Postmoderne, die unter der Parole des
»Post« eine Prä-Moderne zu (re-)etablieren versucht.
Zwei Denkschemata, die sich auch in der Postmoderne-Diskussion finden lassen, können
als typisches Reaktionsmuster auf den modernen Pluralismus angesehen werden: Relativismus
und Fundamentalismus.135 Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Beide erweisen sich als Irrwe-

131 Ebd.
132 So jedenfalls: G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 177; C. ROSSET: Kurze Anmerkung zur sogenannten
»Post-Modernität«, S. 422-423. Vgl. zu den Aporien des modernen Relativismus: H. J. WENDEL: Moderner
Relativismus. Für einen Weg jenseits von Objektivismus und Relativismus plädiert: R. J. BERNSTEIN: Bey-
ond Objectivism and Relativsm, S. 8-16.
133 CH. JENCKS: Post-Modern und Spät-Modern, S. 227-232.
134 Eine antimoderne Tendenz läßt sich auch in den Publikationen von Robert Spaemann finden. Rainer Bucher
hat darauf hingewiesen, daß die »negative Modernitätsdiagnose« von Spaemann mit den modernitätskriti-
schen lehramtlichen Traditionen der katholischen Kirche im 19. und frühen 20. Jahrhundert in wesentlichen
Punkten konvergiert. R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 185. Vgl. R. SPAEMANN:
Die christliche Religion und das Ende des modernen Bewußtseins, S. 254-270; R. SPAEMANN: »Wir müssen
die menschliche Lebenserfahrung wieder zur Sprache bringen«, S. 170-179.
135 Fundamentalismus ist nicht nur ein religiöses Phänomen. Neuere Studien über weltweite fundamentalistische
Tendenzen haben gezeigt, daß politischer, ökologischer, wissenschaftlicher und religiöser Fundamentalis-
mus auf den gleichen Denkvoraussetzungen basieren und als Gegenbewegungen zu den weltweiten Moder-
nisierungsprozessen verstanden werden müssen. Vgl. zum Zusammenhang von Moderne und Fundamenta-
lismus die ausführlichen Studien von: TH. MEYER: Fundamentalismus, S. 15-50, 65-154; G. KEPEL: Die
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 159

ge, wenn es darum geht, die Probleme, die die Moderne zu ihrer Bewältigung hinterlassen hat,
zu bearbeiten: Der Fundamentalismus immunisiert sich gegen die Erkenntnis, daß die Pro-
klamation einer vermeintlich absoluten Gewißheit immer nur eine Stimme unter vielen bleibt
und der Pluralismus dadurch nur um eine weitere Option erweitert wird.136 Der Relativismus
verstrickt sich in einem Selbstwiderspruch, wenn er Relativität mit ethischem Relativismus
verwechselt: »Daraus, dass in einer pluralistischen Gesellschaft evidentermassen unterschied-
liche Wertvorstellungen synchron koexistieren und sich diachron ablösen, folgt zwar in der
Tat, dass alle Wertvorstellungen nur relativ zu dem System, in das sie gehören, Gültigkeit ha-
ben. Das aber bedeutet, dass sie innerhalb dieses Wertsystems absolut gelten müssen. Aus e-
thischer Relativität (die ein Faktum ist) folgt eben nicht ethischer Relativismus«.137

Die Aufgabe: Anerkennung der Pluralität und Suche nach Konsensen


Die fruchtbarsten Impulse der Postmoderne-Diskussion dürften darum von denjenigen ästheti-
schen, philosophischen und soziologischen Postmoderne-Konzeptionen ausgehen, die den po-
litischen, kulturellen, ästhetischen, ethischen und weltanschaulichen Pluralismus nicht zu ü-
berwinden trachten, sondern als Signatur der Gegenwart anerkennen und die gleichzeitig die
Suche nach gesellschaftlichen, ethischen und ästhetischen Konsensen nicht aufgeben. Eine
solche Position vertreten Welsch, Hassan, Jameson, Klotz und Jencks, aber auch Habermas.
Auch wenn die Begründungen für die verschiedenen ethischen, politischen, sozialen und äs-
thetischen Optionen keine absolute Geltung beanspruchen können, so ist doch die Suche nach
Konsensen nicht a priori aussichtslos: Der Konsens ist noch lange kein »veralteter und su-
spekter Wert«, nur weil sich die Hoffnung, daß alle vernünftig denkenden Subjekte auch zu
den gleichen Ergebnissen kommen müssen, als Illusion herausgestellt hat.138

––––––––––––––––––––––––––
Rache Gottes, S. 14-28; B. B. LAWRENCE: Defenders of God, S. 105-226. Vgl. auch: TH. MEYER (Hrsg.):
Fundamentalismus in der modernen Welt; K. KIENZLER (Hrsg.): Der neue Fundamentalismus;
J. NIEWIADOMSKI (Hrsg.): Eindeutige Antworten?; A. GRABNER-HAIDER – K. WEINKE (Hrsg.): Angst vor
der Vernunft; W. HUBER: Der Protestantismus und die Ambivalenz der Moderne, S. 44, 47-48;
J. MOLTMANN: Fundamentalismus und Moderne. Weitere Literatur findet sich in: J. R. KLEINER: Untersu-
chungen über den gegenwärtigen Fundamentalismus, S. 719-722.
136 »Die wahre Quelle der fundamentalistischen Gewißheit ist immer der Schopf des Freiherrn von Münchhau-
sen«. TH. MEYER: Fundamentalismus, S. 163. »Fundamentalistisches Selbstverständnis reagiert auf die in
der neuzeitlichen Moderne faktisch angelegte und in der Postmoderne radikalisierte Pluralität und deren in-
dividual- und sozialpsychologische Zumutungen mit einem in seiner Substanz kritikimmunisierten Einheits-
denken, das Gewißheit und Eindeutigkeit zu garantieren verspricht«. TH. R. STEININGER: Konfession und
Sozialisation, S. 73.
137 W. CH. ZIMMERLI: Wider den Defätismus, S. 16. Im Vorwort zur dritten Auflage von Unsere postmoderne
Moderne äußert sich auch Wolfgang Welsch ganz im Sinne Zimmerlis: »Während die Aufmerksamkeit auf
einschneidende Differenzen die Pluralität wahrt und verteidigt, führt die Ankurbelung des Oberflächen-
Pluralismus zu ihrer Tilgung. Hier verläuft eine klare Scheidelinie zwischen postmodernen und pseudo-
postmodernen Konzeptionen«. W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. XV. Vgl. auch: W. WELSCH:
Postmoderne – Pluralität als ethischer und politischer Wert, S. 25-28, 38.
138 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 190. So scheinen sich parlamentarische Demokratie, Rechts-
staat, (soziale) Marktwirtschaft, politischer und kultureller Pluralismus zumindest auf der nördlichen Hemi-
sphäre als faktischer Konsens einer breiten Mehrheit im Osten und Westen durchgesetzt zu haben. Gleich-
wohl basiert dieser Konsens »nur« auf der Überzeugung von Millionen Menschen, daß diese Wirtschafts-,
Staats- und Gesellschaftsform die beste der gegenwärtig möglichen ist, nicht aber auf einer allgemein ein-
sichtigen, theoretischen Begründung. Vgl. zum Problem der Begründung von Grundwerten in einer pluralis-
tischen Gesellschaft: A. GEHLEN: Moral und Hypermoral, S. 10; B. IRRGANG – M. LUTZ-BACHMANN
Erster Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in den verschiedenen Bereichen der Kultur 160

Voraussetzung dieser Position muß indes die Überzeugung sein, daß nicht einfach der
Stärkere die Macht behalten darf, und der Wille, den Diskurs auch in einer Situation, in der ein
archimedischer Punkt nicht mehr zur Verfügung steht, noch weiterzuführen.139 Nur so können
intradisziplinäre und interdisziplinäre Gespräche fortgesetzt, Konsense erreicht, Probleme ge-
löst und die Aporien des Fundamentalismus, Totalitarismus und Relativismus vermieden wer-
den. Unverzichtbar für die Situation der Postmoderne ist somit eine »Dialogkultur«, die in ei-
ner offenen Gesellschaft Übergänge und Verbindungen zwischen verschiedenen Positionen,
kulturellen Bereichen, wissenschaftlichen Disziplinen, Gruppierungen, Parteien und Verbän-
den herstellt. Durch eine offene, dialogisch strukturierte Gesellschaft, durch ein umfassendes
Netz von Dialogen und durch eine Partizipation möglichst Vieler an diesen Dialogen können
totalitäre Positionen ebenso vermieden werden wie der Rückzug in die innere Emigration der
Gleichgültigkeit.
Doch vor allem im Hinblick auf die globalen ökologischen und ökonomischen Probleme
und die zahlreichen politischen und militärischen Konflikte überall auf der Welt ist eine Hal-
tung gefordert, die sich nicht mit einem bloß passiven, fatalistischen oder zynischen Blick auf
die sich anbahnenden Katastrophen begnügt,140 sondern sich der Verantwortung für den
Planeten, für Umwelt, Mitwelt und Nachwelt stellt. Dabei dürfte die Welt wohl kaum ohne
einen verbindenden und verbindlichen Minimalkonsens auskommen, wenn die gravierenden
Ungerechtigkeiten beseitigt, internationale Konflikte gelöst und das Überleben der
Menschheit gesichert werden soll. Gerade im Hinblick auf die globalen Aufgaben – darauf
macht der Berliner Politologe Hans-Peter Krüger aufmerksam – bedürfen wir
»soziokultureller Lernprozesse zwischen nationalen und kontinentalen, klassen- und
schichtspezifischen Lebensweisen und der Partizipation der Individuen an allen
gesamtgesellschaftlich relevanten Subsystemen. Auf einem anderen als diesem Wege
öffentlich kommunikativer Lernprozesse können nicht jene universalisierbaren
soziokulturellen Zweck- und Maßbestimmungen herausgebildet werden, die sich der globalen
Vernetzung in ökologischer, ökonomischer und politischer Hinsicht gewachsen zeigen«.141
Besonderes Gewicht dürfte dabei gerade auch den Religionen der Welt zukommen, weil
sie das Verhalten großer Teile der Weltbevölkerung normieren und darum zahlreiche Konflik-
te nur mit ihnen, nicht aber an ihnen vorbei gelöst werden können. Die Religionsgemeinschaf-
ten, so der Pädagoge Johannes Lähnemann, stehen dabei vor der Aufgabe, »ihre Sinn, Werte
und Ethos vermittelnden Traditionen elementarisierend zu aktualisieren, so daß sie den He-
––––––––––––––––––––––––––
(Hrsg.): Begründung von Ethik; G. BRUNNER: Grundwerte als Fundament der pluralistischen Gesellschaft,
S. 141-156; H. M. BAUMGARTNER – B. IRRGANG (Hrsg.): Am Ende der Neuzeit?
139 Leidenschaftlich hat sich Richard Kearney gegen das Unentscheidbarkeitspathos der Dekonstruktion und für
die Notwendigkeit ethischer Entscheidungen ausgesprochen: »We reach a point in the endless spiral of un-
decidability where each one of us is obliged to take an ethical decision, to say here I stand (...) Here and
now in the face of the postmodern logic of interminable deferment and infinite regress, of floating signifiers
and vanishing signifieds, here and now I face an other who demands of me an ethical response (...) Contest-
ing the cult of imitation without origin, it presents us with an image which does indeed refer to something:
the ethical reality of the human right to exist as an other, the right to be recognized as a particular person
whose very otherness refuses to be reduced to an empty mimicry of sameness. Beyond the mask there is a
face«. R. KEARNEY: Ethics and Postmodern Imagination, S. 42-43.
140 Vgl. P. SLOTERDIJK: Eurotaoismus, S. 269-270.
141 H.-P. KRÜGER: Postmoderne als das kleinere Übel, S. 199. Vgl. zum interreligiösen und interkulturellen
Lernen auch die zahlreichen Beiträge in dem Sammelband: J. LÄHNEMANN (Hrsg.): Das Wiedererwachen
der Religionen als pädagogische Herausforderung.
V. Kritik der Postmoderne-Diskussion 161

ranwachsenden in verständlicher und einladender Weise Halt, Orientierung und Anleitung


zum Handeln geben können – und dieses ›ökumenisch‹, d. h. in zusammenwirkender, den
Welthorizont bedenkender und alle Partikularismen überwindender Weise. Voraussetzung da-
für ist, daß die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften selbst noch ihre ›Hausaufga-
ben‹ im Bereich umfassender aktiver Toleranz angehen und allen Versuchen und Versuchun-
gen politisch-religiöser Fanatisierung entgegentreten«.142

142 J. LÄHNEMANN: »Das Projekt Weltethos« und die Aufgabe der Erziehung, S. 70.
Zweiter Hauptteil

Die Diskussion um die Postmoderne


in der Theologie
I. Christlicher Glaube im Pluralismus
Du lieber Gott, die Wissenschaft, die Wahrheit! Von Geist und Ton dieses
Ausrufs waren die dramatischen Ausmalungen der Plaudernden beherrscht. Sie
konnten sich nicht genugtun im Amusement über das verzweifelte Anrennen
von Kritik und Vernunft gegen den durch sie ganz unberührbaren, völlig un-
verletzlichen Glauben und wußten mit vereinten Kräften die Wissenschaft in
ein solches Licht komischer Ohnmacht zu setzen, daß selbst die »schönen
Prinsen« sich auf ihre kindliche Weise glänzend dabei unterhielten.
Thomas Mann, Doktor Faustus

Ulrich fühlte sich an diesen fast stündlich wachsenden Leib von Tatsachen und
Entdeckungen erinnert, aus dem der Geist heute herausblicken muß, wenn er
irgendeine Frage genau betrachten will. Dieser Körper wächst dem Inneren da-
von. Unzählige Auffassungen, Meinungen, ordnende Gedanken aller Zonen
und Zeiten, aller Formen gesunder und kranker, wacher und träumender Hirne
durchziehen ihn zwar wie Tausende kleiner empfindlicher Nervenstränge, aber
der Strahlpunkt, wo sie sich vereinen, fehlt.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Überblick
In diesem ersten Kapitel des Zweiten Hauptteils werden die Positionen verschiedener Theolo-
gen vorgestellt, die sich im Kontext der Postmoderne-Diskusssion von theologischer Seite mit
dem Problem des Pluralismus auseinandersetzen. Schon im Ersten Hauptteil wurde verschie-
dentlich das Problem des gesellschaftlichen, kulturellen, ethischen und ästhetischen Pluralis-
mus erörtert: In der Architektur stellt sich die Frage, wie der Stilpluralismus der postmodernen
Architektur zu einem widersprüchlichen Ganzen werden kann, ohne in die Beliebigkeit oder
einen bloß immitativen Historismus abzugleiten; in der Philosophie wird heftig darüber ge-
stritten, ob nicht jede Begründung der Ethik aufgrund der Heterogenität und Inkommensurabi-
lität der verschiedenen Sprachspiele von vornherein aussichtslos ist; in der Soziologie gewinnt
zunehmend die Frage an Gewicht, wie die Gesellschaft nach der Pluralisierung und Ausdiffe-
renzierung in der Moderne noch zusammengehalten werden und inwieweit das Individuum in
einer solchen Gesellschaft noch einen sinnvollen Lebenszusammenhang entwickeln kann.
Diese Problemstellungen werden nun von einigen Theologen aufgegriffen und theologisch
konkretisiert:
 Zum einen stellt sich für Theologen die Frage nach dem Verhältnis von christlichem Glau-
ben und pluralistischer Gesellschaft: Wie kann der christliche Glaube in der pluralistischen
Gesellschaft angemessen verkündigt werden? Wie kann sich der christliche Glaube auf
dem Markt der Möglichkeiten behaupten, ohne sich einfach in den Pluralismus der Post-
moderne einebnen zu lassen? Wie kann konsequent gedachte und gelebte Pluralität mit der
Unbedingtheit und Verbindlichkeit des christlichen Glaubens vereinbart werden? Wie kann
das Verhältnis zu den anderen Religionen in einer Welt religiöser Pluralität gestaltet wer-
den? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine zukünftige Theologie?
 Zum anderen wird dann aber auch die Frage nach dem theologischen Umgang mit dem
innerkirchlichen und innertheologischen Pluralismus gestellt: Wie kann die Einheit der
Theologie trotz aller disziplinären und diskursiven Ausdifferenzierung noch in den Blick
kommen? Wie können die synchrone und diachrone Vielfalt theologischer Lehre und
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 164

kirchlichen Lebens mit der Einheit der Kirche und des christlichen Glaubens zusammenge-
dacht werden? Welche Kriterien stehen zur Verfügung, um in einer hermeneutischen Kon-
fliktsituation die Angemessenheit einer Interpretation des christlichen Glaubens zu beurtei-
len?
Doch die Postmoderne-Diskussion wird von Theologen nicht nur rezipiert und weitergeführt,
sondern auch kritisiert: Die Kritik richtet sich in erster Linie gegen solche Positionen, die der
bunten Vielfalt und fröhlichen Beliebigkeit von allem und jedem das Wort reden, aber auch
gegen den postmodernen Ausstieg aus der Kommunikationsgemeinschaft der Vernünftigen
und gegen einen zwar postmodern gewendeten, aber dennoch altbekannten Antimodernismus.

1. Die Auseinandersetzung mit den philosophischen Pluralismus-Theorien


In der theologischen Postmoderne-Diskussion haben sich einige Theologen mit den philoso-
phischen Pluralismus-Theorien auseinandergesetzt und haben die von Wolfgang Welsch ge-
stellte Frage, ob der Übergang zu radikaler Vielheit theologisch fruchtbar, ja von der Theolo-
gie überhaupt mitgemacht werden kann,1 als Herausforderung aufgenommen und auf je
unterschiedliche Weise unter theologischen Gesichtspunkten diskutiert.

Einheit und Vielheit als theologisches Problem: Rainer Bucher


Intensiv hat sich der katholische Theologe Rainer Bucher mit der von Welsch vorgelegten
Postmoderne-Konzeption auseinandergesetzt. Welschs »optimistischem Plädoyer«, die »Situa-
tion der unhintergehbaren Pluralität als Chance zu begreifen und den verlorengegangenen Ein-
heitsträumen nicht länger nachzutrauern«, möchte sich Bucher gerne anschließen, wenn da
nicht die Befürchtung wäre, daß danach die Probleme eigentlich erst richtig beginnen: »Denn
das heitere Spiel der Pluralitäten garantiert vielleicht die Freiheit der Spielenden (was viel ist),
vielleicht auch noch die Lösung der immanenten Probleme dieses Spiels selbst, noch nicht
aber die Lösung der Grund- und Existenzprobleme des ganzen Spiels. Die Probleme des Ge-
samt-Spiels ›industrielle Weltzivilisation‹ aber sind mittlerweile so erdrückend bewußt, daß es
schon unnötig geworden ist, sie hier noch ein weiteres Mal aufzuführen«.2 Bucher kritisiert an
Welschs Programm, daß sich aus der Befreiung von den Einheitsvisionen der Moderne nicht
zwangsläufig Handlungsperspektiven für die Postmoderne ergeben: Wohl ist die Trauerarbeit
über die von Nietzsche aufgezeigte Hinfälligkeit der alten Deutungssysteme bei Welsch abge-
schlossen, sein Modell einer »transversalen Vernunft« rekurriert aber doch letztlich wieder auf

1 Vgl. W. WELSCH: Religiöse Implikationen und religionsphilosophische Konsequenzen »postmodernen«


Denkens, S. 128. Vgl. auch: Erster Hauptteil, III. 3. Diese Frage hat Welsch auf einem »Forum« des
25. Deutschen Evangelischen Kirchentages in München (1993) zu einer konkreten Forderung erweitert: Ge-
genüber Wolfgang Huber, der sich für eine »überzeugte Toleranz« gegenüber nicht-christlichen Positionen
ausspricht, fordert Welsch nicht nur eine Toleranz, eine Duldung von Andersdenkenden und -glaubenden,
sondern die wirkliche Anerkennung anderer Positionen, denn nur eine falsch und rigoros verstandene christ-
liche Identität werde durch den postmodernen Pluralismus gefährdet. Vgl. dazu den Bericht von: M.
STRAUSS: Wende der Herzen, S. 395.
2 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 183.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 165

eine transzendentalphilosophische Begründung von Rationalität – nur »interrationalitäts-


kommunikativ« gewendet.3
Für die Theologie stellt sich angesichts der »innertheologischen Auseinandersetzung um
die Aufklärung« und »einer allgemeinen fundamentalistischen Renaissance« die Frage, ob die
Theologie in der Postmoderne nicht tatsächlich vor neuen Themen steht.4 Die von Welsch
aufgeworfene Frage einer »irreduziblen Pluralität« jedenfalls stellt eine »Problematisierungs-
herausforderung« für die Theologie dar, wenn man Theologie und Glauben nicht nur in ein
Außenverhältnis zur Postmodernethematik bringt, sondern Pluralität auch als internes Prob-
lem des theologischen Diskurses ansieht: »Diese Pluralität scheint ein zwar weithin hinge-
nommenes, in seiner Radikalität nicht aber hinlänglich realisiertes Phänomen« zu sein, ja
»Pluralität ist eine unentdeckte Realität von Theologie und Glaube selbst«.5 So stellt sich die
Frage der Pluralität für die Theologie in zweierlei Hinsicht: Die Ausdifferenzierung und Des-
integration der theologischen Disziplinen und Diskurse ist nur die äußere, formale Seite der
modernen Differenzierungsstrategie; die inhaltliche Seite »ist das zentrale theologische Prob-
lem selbst: die Gottesfrage«.6 Gerade die moderne Theologie kann als Versuch angesehen
werden, Differenzen dort auszumachen, wo die theologische Tradition Identität schlechthin
vermutete, im Gottesbegriff selbst: »Die historisch-kritische Exegese – eine einzige Strategie
der Differenz, der Entdeckung verborgener Unterschiede – hat den Gottesbegriff in seiner
diachronen Vielfalt durch die Offenbarungsgeschichte hindurch sichtbar gemacht«.7 Die neu-
zeitliche Theologie leitete eine erstaunliche Ausdifferenzierung des theologischen Diskurses
und eine derartige Pluralisierung des Wissens ein, daß die »Einheit der Theologie« – aus
Furcht vor dem Verlust der eigenen Autonomie durch Reintegration in den einen dogmati-
schen Diskurs – zu einem »Nicht-Thema« wurde.8
Insofern aber die Theologie als »Anwalt des Ganzen, des Totalen, des Umfassenden und
des Absoluten« aufzutreten gewillt war, »bekam sie in der Moderne massive Konstitutions-
probleme«.9 Schließlich konnte sie »nicht einmal mehr ihre eigene Pluralität integrieren«, und
so blieb ihr nur das Dilemma zwischen einer »integralistischen Perspektivenreduktion« und
einer »isolationistischen Perspektivenheterogenität«; ein Dilemma, das auf diskursiver Ebene
nur den »pastoralen Zielkonflikt« der Kirche in der modernen Gesellschaft widerspiegelt: Soll
die »Kirche ihre Identität in der dauernden Selbstvergewisserung innerhalb eines
homogenisierten Binnenraums organisieren oder in der missionarischen Präsenz in den vielen,
sich ständig neu strukturierenden gesellschaftlichen Feldern zu finden hoffen?«10

3 Ebd.
4 A.a.O., S. 186-187.
5 A.a.O., S. 187-188. Ebenso: I. U. DALFERTH: Kombinatorische Theologie, S. 5.
6 R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 55. Bucher bezieht sich hier auf Eberhard
Jüngels Bemerkung, daß das »aporetische Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander« ein si-
cheres Indiz dafür ist, »daß die theologische Fakultät sich um den Streit der Fakultäten drückt. Wo immer
die Theologie meint, auf diesen Streit verzichten zu können, gesteht sie ein, daß sie sich selbst nicht mehr
versteht«. E. JÜNGEL: Das Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander, S. 38.
7 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188. Vgl. dazu auch: R. M. BUCHER: Die Theo-
logie, das Fremde, S. 302-312.
8 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188.
9 R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 56.
10 Ebd.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 166

Theologie und Kirche stehen deshalb nicht nur in einem wie auch immer zu bestimmen-
den Verhältnis zur Moderne, sondern »sie befinden sich auch mitten in ihr« und »sind nicht
nur Institutionen in der Moderne, sondern auch der Moderne«.11 Trotz anhaltender fundamen-
talistischer und fideistischer Widerstände hat die (katholische) Kirche die »Pluralisierung ih-
res eigenen Theoriesystems mitgetragen«, »weil sie durch die Kirchengeschichte ihre diachro-
ne, in ihrer eigenen Missionstätigkeit aber ihre synchrone Pluralität so nachdrücklich
nahegebracht bekam, daß universalistische Tendenzen zwar als Versuchung permanent droh-
ten, nie aber wirklich den pluralisierenden Lauf der Kirchen- und Theologiegeschichte ver-
hindern konnten«.12 Dieser Entwicklung trägt das Zweite Vatikanische Konzil in der »Erklä-
rung über die Religionsfreiheit« Rechnung, weil diese die Pluralität im Religiösen
festschreibt: »nicht als Relativierung des Wahrheitsanspruchs des eigenen Glaubens, sondern
als Wissen um die in ihm gegebene Freiheit auch noch einmal ihm selbst gegenüber«.13
Einen Lösungsansatz für das Problem, wie Einheit und Vielheit zusammengedacht wer-
den können, ohne das Einheit totalitär und Vielheit zur Beliebigkeit wird, sieht Bucher im
christlichen Gottesbegriff, »wo Menschliches absolut (Christus als zweite göttliche Person),
aber auch Göttliches relativ (Jesus als Gottes unüberbietbarer Christus) zu denken ist«, »denn
die christliche Theologie hat gegen alle permanent drohenden totalitären Gefahren auf der
Nichteliminierbarkeit der Einheit zugunsten der Vielheit oder der Vielheit zugunsten der Ein-
heit bestanden«.14 Von daher stellt sich für Bucher die Frage, ob nicht angesichts moderner
Totalitarismen im christlichen Gottesverständnis jene »›Orientierungs- und Widerstandsreser-
ven‹«15 liegen, »welche moderne Zeiten im Stadium ihrer postmodernen Selbstreflexion,
Theologie und Kirche aber zur Kritik ihrer eigenen Totalitarismen benötigen«.16 Für den
christlichen Gottesbegriff, der stets das Andere Gottes, die Schöpfung, mitbedenken kann und
muß, ist Pluralität Reichtum, totalisierte Partialität hingegen Sünde, denn nur Gott ist das Eine
und zugleich Viele. Christliche Theologie weiß um die ungeahnte Freiheit des Menschen im
Glauben, die den Glaubenden aus der Notwendigkeit befreit, »seine eigene Subjektivität so
krampfhaft – modern – zu behaupten, daß er vor ihr – postmodern – als dem neuen, dem un-
gnädigen Gott erschrickt«.17

11 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 189. Ähnlich auch Bruno Heller: »Die christliche
Welt muß sich dem postmodernen Pluralismus nicht erst als von außen kommender Anfechtung stellen; sie
trägt ihn längst in sich«. B. HELLER: Krise des Denkens, S. 131.
12 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188.
13 A.a.O., S. 189. Gegen die Bestrebungen von lehramtlicher Seite, den theologischen und kirchlichen Plura-
lismus innerhalb der katholischen Kirche zu tilgen (vgl. etwa die Instruktion über die kirchliche Berufung
des Theologen vom 24. Mai 1990), wenden sich energisch: P. M. ZULEHNER: (Wider) Die Pluralismusangst
in der Kirche, S. 86-105; O. FUCHS: Zwischen Wahrhaftigkeit und Macht, S. 195-241. Zulehner weist dar-
auf hin, daß in dem Konzilsdokument Dignitatis Humanae über die Religionsfreiheit »ziemlich genau das
Gegenteil« von dem Syllabus Pius’ IX. (1864) behauptet wird. P. M. ZULEHNER: Neokonservatismus,
S. 274.
14 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 189. Insofern erspart die Postmoderne der Theo-
logie natürlich nicht die Auseinandersetzung mit der Moderne, sondern macht sie endgültig unausweichlich:
Denn in der Postmoderne greift nunmehr die Moderne selbst das grundlegende, ungelöste Problem der Mo-
derne auf, wie nämlich »Einheit und Vielheit, Ganzheit und Partialität, unbedingter Anspruch und histori-
sche Relativität zu vereinbaren seien«. R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 45.
15 Bucher zitiert hier: J. B. METZ: Theologie gegen Mythologie, S. 193.
16 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 190.
17 A.a.O., S. 191.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 167

Für die christliche Theologie stellt sich angesichts der postmodernen Situation zudem
»erneut und verschärft die Frage, ob sie eine dualistische Metaphysik braucht, um ihren Gott
zu denken«, denn spätestens seit Nietzsche war die Theologie gezwungen, »nicht-dualistische
Konzepte ihrer selbst vorzulegen«.18 Die Diskussion um die Postmoderne hat diese Frage
nicht rückgängig gemacht, sondern verschärft, und so plädiert Bucher dann auch für eine
»postmetaphysische Theologie«, die den biblischen Gott als den denkt, der sich auf die be-
grenzte Zeit der Welt einläßt, der »schwach gerade in seinem Christus« ist, der darauf besteht,
»wie wenig er, das Ganze, dort ist, wo man das Ganze sucht«, der vielmehr dort ist, »wo man
sich dem Anderen des Ganzen öffnet: dem Leiden, dem Scheitern«.19 Der christliche Gottes-
begriff impliziert zwar einen umfassenden Horizont von Welt und Geschichte, aber keine tota-
lisierende Partialität, die den Menschen als un-menschliches Absolutes knechtet, denn in Je-
sus Christus hat »Gott vielmehr seine eigene Menschlichkeit und Relativität bewiesen«.20

Radikaler Pluralismus und postmoderne Theologie: Sigurd Daecke


Für den evangelischen Theologen Sigurd Daecke, Professor an der Technischen Hochschule
Aachen und Redakteur der Zeitschrift Evangelische Kommentare, ist die Postmoderne – wie
für Bucher – in erster Linie mit einem geschärften Bewußtsein für den kulturellen Pluralismus
verbunden. In seinem Aufsatz Glaube im Pluralismus versucht er auf dem Hintergrund der
von Wolfgang Welsch ausgelösten Pluralismusdiskussion, mögliche Rahmenbedingungen
einer postmodernen Theologie auszuloten.21 In seiner Bilanz der bisherigen Postmoderne-
Diskussion drückt er sein Bedauern darüber aus, daß sich bisher noch kein einheitlicher Post-
moderne-Begriff durchgesetzt hat. An Welschs Programm kritisiert er, daß dieser mit seinem
»radikalen Pluralismus« aus der Not eine Tugend und aus dem Defizit ein Programm macht.
Alles soll gleichermaßen gültig sein: in der Architektur alle Stile, in der Philosophie alle Posi-
tionen und im Supermarkt der Religionen alle Götter und Glaubensweisen zur »gefälligen
Selbstbedienung«.22

18 A.a.O., S. 190. Vgl. zur Anpassung der Theologie an die Metaphysik der Neuzeit und zur gegenwärtigen
Relativierung der metaphysischen Fragestellungen: G. NOLLER: Metaphysik und theologische Realisation.
19 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 190. Im Zusammenhang von Dekonstruktion und
Postmoderne-Diskussion besteht die Aufgabe einer »nachmetaphysischen Theologie« nach Joachim Valen-
tin darin, »den Menschen im Durchleben seiner alltäglichen Lebenssituation ernst zu nehmen und den Wert
des materiellen Kontextes für eine Lehre von jenem Gott neu auszuloten, der in der Tradition allzusehr mit
dem zeit- und materielosen Logos identifiziert wurde«. J. VALENTIN: Dekonstruktion, S. 22.
20 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 191.
21 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 629. Neben dem Beitrag von Sigurd Daecke sind in der Zeit-
schrift Evangelische Kommentare weitere Aufsätze erschienen, die sich mit der Verhältnisbestimmung von
christlichem Glauben und pluralistischer Kultur auseinandersetzen und die die Herausforderung der Post-
moderne-Diskussion für Theologie und Kirche aufzunehmen versuchen. Vgl. dazu: H. N. JANOWSKI: Glau-
be im Pluralismus; H. HEMMINGER: Weltanschauung im Pluralismus; T. RENDTORFF: Epoche in der Ge-
schichte des Christentums; R. SCHLOZ: Glaube in der Kultur; M. HONECKER: Popanz Postmoderne; M.
STRAUSS: Journalismus in der Postmoderne.
22 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 629. Diese Kritik an Welsch erfolgt freilich gegen dessen Selbst-
verständnis, denn Welsch versucht gerade nicht der Beliebigkeit das Wort zu reden. Vgl. W. WELSCH: Un-
sere postmoderne Moderne, S. 115-127, 324-325; W. WELSCH: Postmoderne oder Ästhetisches Denken,
S. 264-265.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 168

Die Ressentiments der Theologie gegen eine solche Postmoderne – so Daecke – sind des-
halb nicht verwunderlich. Theologische Modernitätskritik erfolgte bisher eher vom Stand-
punkt der Prämoderne aus, aber die postmoderne Beliebigkeit, der implizite oder explizite
Eklektizismus und der Synkretismus – etwa die bunte Vielfalt des New Age-Syndroms – er-
scheinen für die Kirche noch bedrohlicher als die moderne Religionskritik. Statt kritischer
Aufklärung scheint heute wieder Religiosität gefragt zu sein, aber man stellt mit Erschrecken
fest, daß die »Absolutheit des kirchlichen Bekenntnisses« um so weniger gefragt ist: Der
christliche Glaube an einen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, »paßt nicht in das
pluralistische Schema, er scheint weder modern noch postmodern zu sein«.23
Die Theologie der Neuzeit sah sich mit dem Gegensatz von Glauben und Wissen, Religi-
on und Naturwissenschaft, »Entheiligung der Natur« und »Verweltlichung der Welt« sowie
der rationalistischen Kritik an der Offenbarung und den kirchlichen Dogmen konfrontiert. Sie
antwortete mit der historisch-kritischen Bibelauslegung und mit der Entmythologisierung der
Heiligen Schrift. Außerdem reagierte sie auf die Herausforderung der Moderne mit der Kon-
zentration auf das menschliche Subjekt oder auf die menschliche Existenz und dem Primat
des Handelns vor dem Glauben.24 Heute zeigen sich dagegen zahlreiche Verschiebungen im
kollektiven Bewußtsein der westlichen Welt: Statt einer bloß rationalen, materialistischen
Auffassung von der Natur macht sich heute ein ökologisches Welt- und Naturverständnis
breit, das die verobjektivierte Natur als »Schöpfung« vor der Zerstörung retten will; Fort-
schrittsgläubigkeit und Zukunftsoptimismus werden durch die ernste Sorge um die ökologi-
schen Folgen von Naturwissenschaft und Technik abgelöst; bei den Naturwissenschaftlern ist
eine neue Gesprächsbereitschaft über religiöse Fragen zu beobachten und der Mythos wird als
Möglichkeit religiöser Aussagen rehabilitiert.25
Für Daecke stellt sich angesichts dieses Wandels die Frage, ob hier nur verschüttete vor-
moderne Traditionen wiederaufgenommen werden oder ob sich hier ein neues Bewußtsein
abzeichnet, welches als postmodern bezeichnet werden kann. In den diagnostizierten Verände-
rungen sieht er eine Suche nach »Einheit« und »Ganzheit« angesichts der komplexen und un-
übersichtlichen Vielfalt.26 Modern erscheinen die Gegensätze von Einheit ohne Vielfalt (To-
talitarismus) und Vielfalt ohne Einheit (Relativismus). Eine mögliche Perspektive wäre
demgegenüber eine die »Vielfalt bewahrende Einheit und die nach Einheit strebende Viel-
falt«.27 Für die Theologie könnten sich aus einem solchen Denken folgende Konsequenzen
ergeben:

23 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 630. Daecke bezieht sich hier auf einen Aufsatz von Manfred
Josuttis. Dieser vertritt die These, daß die Postmoderne mit der »selbstverständlichen Integration von Reli-
gion« ein »Gift« geschluckt hat, das für sie nicht so leicht zu verdauen sein wird, weil in den Lebensquellen
des christlichen Glaubens kritische Impulse stecken, die aller pluralistischen Beliebigkeit eine Absage ertei-
len. M. JOSUTTIS: Religion – Gefahr der Postmoderne, S. 16-19.
24 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 630. Vgl. zum Zusammenhang von Subjektivität und Protestan-
tismus auch: J. MOLTMANN: Protestantismus als »Religion der Freiheit«, S. 18-22.
25 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 630-631. Hans Martin Müller kritisiert das von Daecke gezeich-
nete »Schreckenskabinett moderner Anschauungen« als »heillos dualistisch«, dessen Vorschläge für eine
postmoderne Theologie als eine »Karikatur der evangelisch-theologischen Postmoderne«. H. M. MÜLLER:
Die Postmoderne und die Konfessionen, S. 374.
26 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 631.
27 Ebd.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 169

– Das sich in den Naturwissenschaften abzeichnende ganzheitliche Weltbild, das die Natur
als Mitwelt des Menschen und den Menschen als Teil der Natur ansieht, könnte zu einem
Frieden mit der Natur führen. Aufgabe der Theologie wäre es dann, die Immanenz Gottes
als Schöpfer, als Fleischgewordernem und als Geist herauszustellen, damit die Ganzheit
von Natur, Mensch und Gott wieder gedacht werden kann.
– Konstitutiv für die Postmoderne ist auch eine religiöse Orientierung, denn sie gehört zur
Ganzheit des Menschen ebenso wie zur Gesellschaft. Allerdings darf der lebensweltliche
Bezug der Religion nicht verlorengehen, und darum muß sie auch weiterhin rational ver-
antwortet werden. Insofern ist der weltflüchtigen, esoterischen New Age-Spiritualität und
dem Irrationalismus eine Absage zu erteilen.
– Durch den Dialog zwischen den Religionen wird die religiöse Einheit gerade in der Vielfalt
der geschichtlichen Ausprägungen sichtbar. Der interreligiöse Dialog erkennt das Recht der
anderen Religionen an. Christliche Theologie hat dabei deutlich zu machen, welche Bedeu-
tung die Offenbarung Gottes in Jesus Christus in einer multireligiösen Welt hat.
– Neben der historisch-kritischen Bibelexegese müßten andere Zugänge zur Bibel anerkannt
werden: tiefenpsychologische Auslegung, Symboldidaktik, Bibliodrama, narrative Ausle-
gung. Postmodern könnte die Integration von erwecklich-pneumatischer, rational-kritischer
und symbolisch-tiefenpsychologischer Bibelauslegung sein, um so zu einem möglichst um-
fassenden Bibelverständnis zu gelangen.
– Einseitigkeiten und Verengungen der modernen Theologie könnten durch eine vielseitige
und doch einheitliche Schau, die den ganzen Menschen in all seinen Dimensionen und die
ganze Wirklichkeit umfaßt, vermieden werden: »Der Erste und Dritte Artikel, die Lehren
von der Schöpfung und dem Geist, müssen aus dem Schatten der Christologie wieder her-
vortreten, wenn die Isolierung des christlichen Glaubens gegenüber den Religionen und
Weltanschauungen, gegenüber Naturwissenschaft und Medizin überwunden werden
soll«.28

Christliche Orientierung im Pluralismus: Hans Joachim Türk


Auch für Hans Joachim Türk, Professor für Sozialethik an der Fachhochschule in Nürnberg,
ist die Postmoderne vor allem durch einen radikalen weltanschaulichen Pluralismus gekenn-
zeichnet. In seiner Einführung in die Postmoderne-Diskussion geht er – wie Bucher und Dae-
cke – von einem überwiegend aus der Sicht von Wolfgang Welsch gewonnenen Postmoder-
nebegriff aus und versucht, aus der theologischen Perspektive eine Antwort auf die
Herausforderung des Pluralismus zu formulieren. Dieses Anliegen ist nicht zuletzt durch den
Erscheinungsort seines Buches motiviert: Das Buch mit dem Titel Postmoderne ist in der
Reihe Unterscheidungen. Christliche Orientierung im Religiösen Pluralismus erschienen, die
sich von einem christlichen Standpunkt her mit den neuen religiösen und weltanschaulichen
Entwürfen der Gegenwart auseinandersetzen und dem Christen »Hilfen zur Unterscheidung
und zur Entscheidung« in der pluralistischen Gesellschaft geben will.29

28 A.a.O., S. 632. Dieses Anliegen vertritt ebenfalls: J. MOLTMANN: Der Geist des Lebens, S. 13-23.
29 J. SUDBRACK: Christliche Orientierung im religiösen Pluralismus, S. 7. Diese Reihe wird in ökumenischer
Zusammenarbeit vom (katholischen) Matthias-Grünewald-Verlag und dem (evangelischen) Quell-Verlag
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 170

»Postmoderne« ist für Türk ein Zeitbegriff, der einen Epochenumbruch signalisiert und
hinter dem sich säkularisierte apokalyptische und eschatologische Vorstellungen aus dem Al-
ten und Neuen Testament verbergen.30 Die Entscheidung darüber, ob wir uns in einer Zeiten-
wende von der Moderne zur Postmoderne befinden, ist zwar keine originäre Aufgabe der
Theologie, aber »bei näherem Zusehen steht der Christ auch hier vor der Notwendigkeit, im
Namen des Glaubens Unterscheidungen vorzunehmen«.31 Allerdings steht es dem Christen
nicht zu, die Geschichte in Heils- und Unheilszeiten einzuteilen. Deshalb besteht nach Türk
für den Gläubigen auch kein Anlaß, die Postmoderne als Wende- und Erlösungszeit ü-
berschwenglich zu begrüßen.32
Türk vertritt in Anlehnung an Welsch die doppelte These, daß Postmoderne eine Reali-
sierung dessen ist, was in der avantgardistischen Moderne des 20. Jahrhunderts schon angelegt
war und daß die Pluralität der Werte und Wahrheiten, die Vielfalt der Lebenswelten und Ori-
entierungsmuster eine faktisch legitimierte Gegebenheit der Gegenwartskultur ist: Die Post-
moderne trauert der verlorengegangenen Einheit im Denken und Leben der klassischen Mo-
derne nicht mehr länger nach, »sondern begreift die radikale Pluralität eher als Chance für
Freiheit und Humanität«.33 Wenn jedoch radikale Pluralität, die Gleichberechtigung aller Ori-
entierungsmuster und das Aufgeben jedes Absolutheitsanspruchs Kennzeichen des postmo-
dernen Bewußtseins und Signatur unserer Zeit sind, so hat dies nach Türk weitreichende Fol-
gen für den christlichen Glauben: »Wie kann konsequent gedachte und gelebte Pluralität mit
der Unbedingtheit und Verbindlichkeit des christlichen Glaubens vereinbart werden? Oder
bleibt nur die entschiedene Wahl zwischen Glauben und postmodernem Geist?«34
Basis einer angemessenen Antwort auf die Herausforderung der Postmoderne muß die
Anerkennung einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Pluralität sein, weil diese Situati-
on nun einmal die Gegenwart bestimmt. Glaubensüberzeugungen und religiöse Institutionen
haben keine andere Wahl, als sich dem »Markt aller Möglichkeiten« ungeschützt zu stellen.35
Allerdings kann über »die Wahrheit von Ideen und Werten« nicht einfach demokratisch abge-
stimmt werden.36 Vielmehr fordert die postmoderne Situation, den rationalen Diskurs fortzu-
setzen, »um das Wahre und Richtige, das Gesollte und Gewollte mit Begründungen, die ver-
mittelbar sind, ausfindig zu machen«, wenn man die Option für »Kommunikation,
––––––––––––––––––––––––––
publiziert und von Reinhart Hummel und Josef Sudbrack herausgegeben. Der Band Postmoderne ist der
achte in der Reihe nach »Reinkarnation«, »Mystik«, »Okkultismus«, »Satanismus«, »Pierre Teilhard de
Chardin«, »Astrologie«, »Krise des Denkens«.
30 H. J. TÜRK: Postmoderne, S. 17-34. Türk versucht in diesem ersten Kapitel seines Buches zu zeigen, wie die
heilsgeschichtlichen Erwartungen des Christentums säkularisiert worden sind.
31 A.a.O., S. 14.
32 A.a.O., S. 35. Türk grenzt sich deswegen besonders von den Propheten des New Age ab, die oft im Fahrwas-
ser der Postmoderne mitschwimmen und die eine Zeit verheißen, in der alles besser werden soll. Vgl.
A.a.O., S. 11-14.
33 A.a.O., S. 115. »Von allen Abgrenzungs-, Einleitungs- und Definitionsversuchen zur Postmoderne erscheint
nur einer als gelungen: Die Zahl der Menschen, die über die Künstler und Intellektuellen hinaus die radikale
Pluralität unseres Denkens, Tuns und Lebens bejahen, nimmt zu. Nur das soll hier noch als Postmoderne be-
zeichnet werden«. A.a.O., S. 119. Türk gewinnt sein Panorama der Postmoderne überwiegend aus Welschs
zahlreichen Publikationen zum Thema Postmoderne. Andere Positionen kommen zwar in den Blick, werden
aber überwiegend aus der Perspektive Welschs gesehen.
34 A.a.O., S. 15.
35 A.a.O., S. 129.
36 A.a.O., S. 126.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 171

Gemeinsamkeit und Verständigung unter den Menschen«, die nun allerdings nicht mehr
selbstverständlich ist, noch für notwendig und sinnvoll erachtet.37 Nur so können die »aus der
modernen Zeitepoche überkommenen orientierenden und regulierenden Vernunftideen wie
Gerechtigkeit, Freiheit, Menschenwürde und -rechte« aufrechterhalten werden, wenn sie nicht
einfach der postmodernen »Vielfalt und Gleichwertigkeit geopfert werden« sollen.38
Im Zuge der postmodernen Problematisierung universaler Rationalität sollten Christen
nicht der Versuchung erliegen, im Namen einer christlichen Höherbewertung von Glaube,
Hoffnung und Liebe eine Allianz mit dem gesellschaftsfähig gewordenen Irrationalismus ge-
gen die »Weisheit dieser Welt« einzugehen.39 Auch eine Flucht zu vermeintlich »festen Fun-
damenten« kann nicht als adäquate Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen ange-
sehen werden, weil die vorgebliche Sicherheit absolut gesetzter Fundamente durch andere
Optionen wieder relativiert wird.40 »Christlicher Glaube«, so Türk, »darf weder im irrationa-
len Fundamentalismus versteinern und damit aus der Kommunikation aussteigen noch sich als
ein Mosaiksteinchen neben vielen anderen in die postmoderne Vielfarbigkeit einebnen las-
sen«.41 Christlicher Glaube kann sich nicht einfach »mit einer bestimmten Zeitepoche identifi-
zieren«, sondern muß jeweils neu aus dem Eigenen heraus unterscheiden, annehmen und ver-
werfen.42
Die Anerkennung und Bejahung der pluralistischen Gesellschaft und der christliche An-
spruch auf die allgemeine Geltung von Wahrheit und Heil im Glauben »wollen und können
zugleich gedacht und gelebt werden«, weil sie zwar Spannungen, aber keine unlösbaren Wi-
dersprüche enthalten: Zum einen spiegelt sich im Christentum selbst der gesellschaftliche Plu-
ralismus wider, weil das Christentum in sich selbst pluralistisch verfaßt ist, und zum anderen
bleibt die kritische Distanz des Glaubens, der weder modern noch postmodern ist, sondern
durch vernunftgetragene Argumente sein Anliegen zu allen Zeiten vertreten hat und auch wei-
terhin vertreten muß.43 Ohne einen »solchen Vernunftgebrauch bliebe das Christentum eine
nur irrational begründete und vereinte Sondergruppe am Rande der Geschichte«.44

Protestantismus und Pluralismus: Hans-Martin Barth


Der evangelische Theologe Hans-Martin Barth (Marburg) sieht die Postmoderne ebenfalls
primär durch einen Abschied von dem hypothetischen, absoluten Einheitsdenken der Moderne
gekennzeichet: »Die postmodernen Autoren haben die Ansprüche des zwar unartikulierbaren,

37 A.a.O., S. 123.
38 Ebd.
39 A.a.O., S. 127.
40 A.a.O., S. 128. Türk bezieht sich hier auf die Fundamentalismusanalyse von Thomas Meyer. Vgl. TH.
MEYER: Fundamentalismus, S. 157. Die innere Widersprüchlichkeit der fundamentalistischen Position be-
tont auch der katholische Religionssoziologe Karl Gabriel: »Wie die postmoderne Utopie insgesamt, so
mündet heute auch der sich aus vielen Quellen speisende katholische Fundamentalismus in einen innerkatho-
lischen Pluralismus ein und verschärft ihn gerade gegen seine eigenen Intentionen«. K. GABRIEL: Christen-
tum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 180.
41 H. J. TÜRK: Postmoderne, S. 129.
42 Ebd.
43 A.a.O., S. 132. Türk zitiert hier: W. PANNENBERG: Christlicher Glaube und Gesellschaft, S. 119-121.
44 H. J. TÜRK: Postmoderne, S. 132.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 172

aber autoritär artikulierten Einen noch allzu deutlich vor Augen – nämlich in seiner mittelal-
terlichen Gestalt in der Weise des Glaubens und in seiner aufgeklärten Gestalt in der Weise
des Wissens. Sie insistieren daher auf der radikalen Unartikulierbarkeit des hypothetischen
Einen und postulieren die prinzipielle Pluralität des Artikulierbaren«.45 Deshalb zeichnet sich
für Barth eine Spannung zwischen den pluralitätsbetonenden Postmoderne-Konzeptionen und
denjenigen Konfessionen ab, die sich den reformatorischen particulae exclusivae verpflichtet
fühlen: »Hat sich der Protestantismus historisch zusammen mit der Moderne, sachlich aber
aufgrund seines Ansatzes in der particula exclusiva erledigt?«46 Barth sieht die Herausforde-
rung der Postmoderne-Diskussion gerade in der Frage, wie eine mögliche Neuinterpretation
der evangelischen particulae exclusivae aussehen und welche Mission gerade dem Protestan-
tismus in der pluralistischen Situation der Postmoderne zukommen könnte.47
Das reformatorische sola scriptura bezieht sich nach Barth nicht auf eine festgelegte Me-
thode der Exegese, wie Luthers Umgang mit der Schrift verdeutlicht: »Sein Insistieren auf
dem Literalsinn hat ihn nicht gehindert, bis an sein Lebensende die allegorische Schriftausle-
gung zu üben, sofern sie nur das Evangelium allein von Jesus Christus deutlich zu machen
vermochte«.48 Anders die moderne historisch-kritische Exegese: Sie versteht es zwar, das Ke-
rygma von Jesus Christus nach Form und Inhalt aus den biblischen Texten herauszuarbeiten,
aber gleichzeitig droht sie zu einer »rationalistischen Reduktion bei der Wahrnehmung des
Kerygmas zu führen, die erst durch das Kerygma selbst immer wieder aufgebrochen werden
muß«.49 Unter den Bedingungen der Postmoderne erscheint dies als »groteske Selbstbe-
schränkung«, weil das rational orientierte Bewußtsein die biblische Botschaft gar nicht adä-
quat erfassen kann. Deswegen fordert Barth, die reformatorische Formel sola scriptura aus
der modernen, durch die historisch-kritische Methode bedingten Engführung herauszuholen,
indem der historisch-kritischen Bibelexegese andere (materialistische, feministische, psycho-
logische, sozialgeschichtliche, bibliodramatische etc.) Methoden zur Seite gestellt werden.50
Das reformatorische sola scriptura verlangt von sich aus nach einem möglichst umfassenden
und vielfältigen Umgang mit dem biblischen Zeugnis, eingebettet in die Gemeinde und den
sakramentalen Charakter des Wortes. Daher könnte die postmoderne Herausforderung von der
evangelischen Theologie durch den Entwurf und die Erprobung einer postmodernen, umfas-
send-integrativen Hermeneutik aufgenommen werden, »die sich ihres genuin reformatorischen
Ansatzes erinnert und sowohl die Wirklichkeit des Sakraments als auch die Erfahrung und den
Lebensvollzug von Gemeinde in den Auslegungsvorgang einbezieht. Die Auslegung der Hei-

45 H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 109. Barth bezieht
sich hier vor allem auf Lyotard und Welsch.
46 H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 109.
47 Ebd. Barth behandelt im folgenden drei der vier particulae exclusivae. Das sola gratia wird nicht eigens
thematisiert, da es – so Barth – den anderen fundamental zugrunde liegt.
48 A.a.O., S. 110.
49 Ebd. Vgl. dazu auch: G. EBELING: Hermeneutik zwischen der Macht des Gotteswortes und seiner Entmach-
tung in der Moderne, S. 89-92.
50 H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 110. Der Züricher
Neutestamentler Hans Weder hat auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die mit den »neuen« Methoden der
Bibelexegese verbunden sind: Als Ergänzung zur historisch-kritischen Exegese sind z. B. psychologische,
soziologische, semiotische und linguistische Methoden – werden sie behutsam angewendet – durchaus zu
begrüßen; werden sie jedoch verabsolutiert, sind Einseitigkeiten und Verzerrungen der biblischen Texte un-
vermeidlich. H. WEDER: Zu neuen Ufern?, S. 141-144.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 173

ligen Schrift darf nicht allein den Exegeten überlassen werden! Sie muß wieder zu einer Auf-
gabe aller theologischen Disziplinen und zu einer Sache der ganzen Gemeinde werden«.51
Das reformatorische solus Christus wird in der postmodernen Perspektive eine Vielfalt
von Wahrnehmungsmöglichkeiten der Gestalt Jesu zeigen, die allerdings nicht anders als tri-
nitarisch begründet werden können: Die postmoderne Herausforderung besteht gerade darin,
von der christologischen Konzentration aus eine »Theologie der Geschöpflichkeit« und eine
»Theologie der Wirksamkeit des Geistes« zu gewinnen.52 Das trinitarisch explizierte »Chris-
tus allein« macht deutlich, »daß der Gott Jesu Christi nicht nur der Gott derjenigen ist, die an
Christus glauben. Vielmehr ist Gott als ihr Schöpfer auch denjenigen gegenwärtig, denen er
als ihr Erlöser noch nicht bewußt ist, denen er aber in der Kraft seines Geistes vollendend ge-
genwärtig werden will. Partikularität, Pluralität und Universalität lassen sich so einander zu-
ordnen, ja sie bedingen einander gegenseitig: Das partikulare Handeln Gottes in Christus al-
lein muß notwendig als Element eines pluralen Handelns Gottes verstanden werden, wenn
Gott als universal handelnd erfaßt werden soll. Ausgangspunkt für die Erkenntnis des auf plu-
rale Weise universal handelnden Gottes bleibt aber sein partikulares Handeln in Christus –
und insofern bleibt das ›Christus allein‹ tatsächlich in Geltung«.53
Das sola fide kann nicht unabhängig von den anderen particulae verstanden werden: Die
schöpferische Kraft des Glaubens ergibt sich erst dadurch, daß der Glaube die Präsenz des
Geglaubten schafft (»Christus allein«, wie er in der »Heiligen Schrift allein« bezeugt wird).54
Diese Grundentscheidung ist nach Barth für das postmoderne Denken durchaus nachvollzieh-
bar: »Gelingen menschlichen Lebens ist nicht erreichbar über das Handeln, sondern über das
Sein (...) Der Glaube – und das könnte gerade eine postmoderne Wahrnehmung an ihm her-
ausarbeiten – transzendiert seine eigene Verrechenbarkeit als rational beschreibbare Lebens-
perspektive oder als emotional ausweisbare Funktionalität«.55 Der Rückgriff auf das
reformatorische sola fide bliebe aber unvollständig ohne den Hinweis auf die mit dem
Glauben verbundene Liebe und die daraus erwachsende Hoffnung, die den Menschen zum
Handeln in der Welt befähigt: »Indem ich handle und hoffe, eigne ich mir hoffend und
handelnd an, was ich glaube, erfasse ich es in der Ganzheitlichkeit meiner Existenz«.56
Die Herausforderung der Postmoderne-Diskussion für den Protestantismus besteht nach
Barth darin, die particulae exclusivae in ihrer inklusiven Bedeutung zu explizieren, ohne ihren
exklusiven Anspruch aufzugeben. Indem die inklusive Bedeutung der particulae exclusivae
hervorgehoben wird, kann postmodernes Denken manche Engführungen der modernen Theo-
logie überwinden: »die Gefährdung, in der Heiligen Schrift ›allein‹ das historische Dokument,
in Christus ›allein‹ den Menschen, im Glauben ›allein‹ die intellektuelle Zustimmung und die
ethische Konsequenz zu vermuten«.57 In der postmodernen Perspektive könnte die umfassen-
de Dimension des christlichen Glaubens wieder zur Geltung kommen, indem die Ganzheit-

51 H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 110.
52 A.a.O., S. 111.
53 Ebd.
54 A.a.O., S. 111-112.
55 A.a.O., S. 112.
56 Ebd.
57 Ebd.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 174

lichkeit des Menschen auf die Fülle des dreieinigen Gottes bezogen wird, d. h. indem der
»ganze Gott« dem »ganzen Menschen« begegnet. Aber selbst wenn die reformatorischen par-
ticulae exclusivae in diesem ganzheitlichen Sinne verstanden werden, so sind sie doch selbst
nicht pluralisierbar. Ihr exklusiver Anspruch gegenüber anderen Wahrheitsansprüchen bleibt.
Daher sind auch in der postmodernen Situation Standpunkte unumgänglich, denn sonst könnte
es auch zu echter Pluralität gar nicht kommen, weil die Pluralität gerade dadurch ihre Be-
standsgarantie erhält, daß auf das undenkbare, aber denknotwendige Absolute nicht verzichtet
wird.58

2. Religion in der Postmoderne: Trutz Rendtorff


Im Unterschied zu Bucher, Daecke, Türk und Barth ergibt sich für den Münchener Theologen
Trutz Rendtorff die Beschäftigung mit dem Thema Postmoderne nicht aus der von Welsch
ausgelösten Pluralismus-Diskussion, sondern aus der anhaltenden philosophischen und (reli-
gions-)soziologischen Diskussion über die Chancen und Risiken der Moderne. In zahlreichen
Aufsätzen hat er sich mit dem Problem der »Theologie in der Moderne« und mit den kulturel-
len und gesellschaftlichen Veränderungen in Richtung auf eine – noch nicht endgültig be-
stimmte – Postmoderne auseinandergesetzt. Rendtorffs Anliegen ist es, erstens die Herausfor-
derungen der Postmoderne-Diskussion aufzunehmen und die »Umstrittenheit der Moderne«
von daher neu in den Blick zu bekommen, und zweitens die Konsequenzen, die sich aus die-
ser veränderten Diskussionslage ergeben, für die Theologie zu bestimmen.

Postmoderne als vertieftes und gereiftes Verständnis der Moderne


Unter dem Stichwort »Postmoderne« versammeln sich nach Rendtorff zwei unterschiedliche
Strömungen der Modernekritik: zum einen der »altbekannte Antimodernismus«, der allerdings
jetzt im Gewand einer »futurisierten Modernekritik« auftritt und zum anderen ein »vertieftes
und gereiftes Verständnis der Moderne selbst, ein Denken über die Moderne, wie es erst durch
sie und an ihr spruchreif geworden ist«.59 Auch wenn die unter dem Begriff »Postmoderne«
versammelte Modernekritik durchaus diffus und die »Umstrittenheit der Moderne« keines-
wegs neu, sondern »vielmehr selbst deren Signatur« ist,60 lassen sich doch einige gemeinsame
Merkmale dieser »vertieften und gereiften« Kritik der Moderne bestimmen:
– Eine zentrale Anfrage an die Moderne ist, ob die Idee des kulturellen Fortschritts, den die
Moderne selbst hervorgebracht hat, noch länger adäquat ist oder ob Pluralismus, Wider-
sprüche und Gegenläufigkeiten des Modernisierungsprozesses zu einer »réécriture«, zu ei-

58 Ebd. Ähnlich auch Robert Spaemann: »Pluralismus heißt nicht, daß das Christentum selbst sich zu relativie-
ren bereit sei. Es versteht sich als eine durch keine weltliche Macht durchsetzbare, auf den weltlichen Arm
verzichtende Wahrheit, die allein dem Pluralismus seine unbedingte Basis geben und ihn deshalb an seiner
Selbstaufhebung hindern will«. R. SPAEMANN: Die christliche Religion und das Ende des modernen Be-
wußtseins, S. 269.
59 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 302.
60 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 313.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 175

ner Revision der Moderne nötigen.61 Bestritten wird jedenfalls die moderne Auffassung,
daß sich die »Geschichte im Sinne eines notwendigen, gerichteten und insofern auch ver-
nunftgeleiteten Prozesses vollziehe und vollziehen müsse, an dessen Ziel, Ende dann die
›Vollendung der Moderne‹ stünde«.62
– Bestritten wird darüber hinaus der Universalitätsanspruch des modernen Rationalitätsbeg-
riffs, gegen den die Pluralität der individuellen Subjekte geltend gemacht wird. Gegen das
moderne Universalitätsdenken wird das postmoderne Differenzdenken gesetzt und das
»Eigenrecht des Besonderen, Individuellen stark gemacht: Vive la différence!«63 Das Ar-
gument der Postmodernen gegenüber den avanciertesten Verfechtern der Moderne und den
Rettern des »modernen Projektes« lautet, daß es gar nicht einzusehen ist, »kraft welcher
Norm sich die Individuen überhaupt dem Zwang zur Bildung eines Ganzen von Gesell-
schaft in universal gedachte Kommunikation unterwerfen sollten«.64 Deswegen ist »Plura-
lismus« ein wichtiges Kennwort für die »Stimmung und Einstellung« der Postmoderne:
Gegen den modernen Universalismus wird der »Pluralismus der Sprachen, der Lebensvoll-
züge, der Leitbilder und der Ausdrucksformen« gesetzt.65
– Die Kritik der Postmoderne an der Moderne, die nicht der emphatischen Verabschiedung
der Moderne das Wort redet und insofern als »zeitgemäße Sicht der Moderne« verstanden
werden kann, besteht nach Rendtorff aber vor allem in der Rückfrage, »ob das Ge-
genstandsbewußtsein die notwendige und zureichende Bedingung des Selbstbewußtseins
sei«.66 Denn die Moderne ist gerade durch die »Wendung zum Subjekt« gekennzeichnet:
Das Subjekt wird als »Referenzpunkt für alle Wirklichkeitserfahrung und Wirklichkeits-
deutung« angesehen. Das Charakteristische des neuzeitlichen Bewußtseins besteht gerade
darin, daß die Welterfahrung primär im Medium der Selbsterfahrung geschieht: Alle Wirk-
lichkeit erhält ihren Sinn und ihre Bedeutung nur durch das menschliche Subjekt und hat
Sinn und Bedeutung auch nur für das menschliche Subjekt.67 Dieses subjektzentrierte
Weltbild der Moderne wird heute hinterfragt, weil sich der Verdacht, daß das »Ende der
uns bekannten Welt« nicht durch Naturkatastrophen, sondern durch die Weltbemächtigung
des Menschen verursacht wird, zu einer »gezielten Verdächtigung verdichtet« hat.68 Die le-
bensbedrohlichen Folgen der modernen wissenschaftlich-technischen Weltbeherrschung
rühren an das Grunddogma der neuzeitlichen Aufklärung: die moralische Selbstbestim-
mung, die Autonomie des Menschen, die von daher zutiefst fragwürdig wird.

61 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 302.


62 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 313.
63 Ebd. Rendtorff bezieht sich vor allem auf Lyotard, Derrida, Welsch und Rorty.
64 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 144. Rendtorff spielt hier auf die Debatte zwischen Haber-
mas und Lyotard an. Vgl. Erster Hauptteil, IV. 1.
65 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 313.
66 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 302.
67 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 312.
68 A.a.O., S. 315. Ähnlich auch Wolfgang Huber: »Nicht nur die außerordentlichen Ereignisse wie Kriege,
kollektive Verbrechen und Völkermorde haben in unserem Jahrhundert den Glauben an den Fortschritt de-
savouiert. Sondern die alltäglichen Auswirkungen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung und ihrer
industriellen Nutzung wecken Zweifel an der Vernünftigkeit des Fortschritts«. W. HUBER: Der Protestan-
tismus und die Ambivalenz der Moderne, S. 39.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 176

Zusammenfassend hält Rendtorff fest, daß für ihn die Diskussion um die Postmoderne im
Kern eine Auseinandersetzung mit der Moderne ist, die der »sachliche und historische Be-
zugspunkt« eben dieser Diskussion ist: Die »heutige Debatte ist hermeneutisch und inhaltlich
eine Auslegung und Interpretation dessen, wozu sie post festum Stellung nimmt: Die Umstrit-
tenheit derjenigen Epoche, die die Grundlinien für die heutige Auseinandersetzung vorge-
zeichnet und vorgeschrieben hat«.69

Moderne und Postmoderne in der evangelischen Theologie


Die Notwendigkeit einer theologischen Beschäftigung mit dem Thema Moderne/Postmoderne
ergibt sich für Rendtorff daraus, daß das Christentum und die Neuzeit nicht nur durch die his-
torische Entwicklung miteinander verbunden sind, sondern sich auch das moderne Bewußt-
sein im Verhältnis zur Religion gebildet hat und durch dieses Verhältnis bestimmt wird. Die
Moderne ist darum nicht etwas, was sich »außerhalb« der Theologie befindet. Die Relation
von Christentum und Moderne ist vielmehr eine wechselseitige: So wie die Moderne »Be-
standteil des Selbstverständnisses der Theologie« ist, schließt auch Theologie eine Interpreta-
tion der Moderne ein.70 Und weil die Moderne Teil der Geschichte des Christentums ist, ha-
ben sich auch immer wieder Theologen – von Schleiermacher bis Lindbeck – mit dem Thema
Moderne auseinandergesetzt.71 Allerdings weisen schon die Umbruchserfahrungen nach dem
Ersten Weltkrieg, wie sie von Max Weber, Ernst Troeltsch, Paul Tillich und natürlich von
Karl Barth, Rudolf Bultmann und Friedrich Gogarten gemacht wurden, auf ein Krisenbewußt-
sein hin, das sich von dem Optimismus des 19. Jahrhunderts grundlegend unterscheidet: Was
heute mit dem Begriff »Postmoderne« bezeichnet wird, läßt sich »rückblickend auf das Epo-
chenbewußtsein anwenden, wie es in jener Zeit zur Herrschaft gelangt«.72
Troeltschs und Webers Arbeiten können in »gewisser Weise« schon als »postmodern«
bezeichnet werden, weil sie nicht mehr von der »konstruktiv-positiven Funktion des Christen-
tums« im kulturellen Prozeß der Neuzeit überzeugt sind und nicht mehr von der Selbstgewiß-
heit getragen werden, daß die »Neuzeit das ungebrochene Erbe der Geschichte des Christen-
tums sei«.73 Postmoderne Tendenzen diagnostiziert Rendtorff auch schon bei Paul Tillich.
Sowohl in seiner Kritik des vergegenständlichenden Religionsbegriffs und des Kulturprotes-

69 T. RENDTORFF: Die umstrittene Moderne in der Theologie, S. 375. Ähnlich auch: W. NETHÖFEL: Theologi-
sche Hermeneutik, S. 249.
70 T. RENDTORFF: Der Wandel der Moderne im Bewußtsein der Theologie, S. 224-225.
71 A.a.O., S. 225-246.
72 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 294. Vgl. auch: T. RENDTORFF: Der Wandel der Mo-
derne im Bewußtsein der Theologie, S. 239; T. RENDTORFF: Die umstrittene Moderne in der Theologie,
S. 375. Vgl. zu Tillichs Umbruchserfahrung auf den Schlachtfeldern von Verdun: H. ZAHRNT: Der gläubige
Realist, S. 32.
73 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 296; T. RENDTORFF: Die umstrittene Moderne in der
Theologie, S. 374-377. Vgl. zu Troeltschs Diagnose der Neuzeit und zur geistigen Situation in der Zeit um
den ersten Weltkrieg auch: H. RENZ – F. W. GRAF (Hrsg.): Umstrittene Moderne; F. W. GRAF: Kulturpro-
testantismus wieder aktuell; R. VOM BRUCH – F. W. GRAF – G. HÜBINGER: Kultur und Kulturwissenschaf-
ten um 1900. Vgl. zu Max Webers ambivalenter Haltung zur Moderne: D. J. K. PEUKERT: Max Webers Di-
agnose der Moderne, S. 7-8, 55-69.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 177

tantismus wie in seiner Forderung, die Autonomie für die Theonomie zu öffnen:74 »Nicht
bürgerliche Autonomie, aber auch nicht kirchliche Heteronomie – beides gehört zusammen –,
sondern Theonomie, freie Hinwendung der zeitlichen Formen zum Ewigen ist das Ziel«.75
Am nachhaltigsten hat sich jedoch die theologische Neuzeitkritik in der Dialektischen
Theologie der zwanziger Jahre ausgedrückt: Vor allem »Karl Barths Absage an die Neuzeit«
hat »wie keine andere Stellungnahme in dieser Kontroverse« nach dem Ersten Weltkrieg »Ge-
schichte gemacht«.76 Seine Kritik an der liberalen und der natürlichen Theologie zielt auf das
Selbstverständnis des modernen Menschen, denn – so der Vorwurf Barths – die natürliche
Theologie ist im »Kern die Selbstbehauptung der menschlichen Subjektivität, ihrer Autono-
mie gegen Gott« und damit zutiefst anthropozentrisch.77 Doch muß an Barth die Frage gestellt
werden, ob er mit seinem Insistieren auf der »erkenntnistheoretischen Exklusivität der Chris-
tusoffenbarung« die Theologie nicht in ein »distanzloses Selbstgespräch ›intra muros ecclesi-
ae‹« zurückführt.78 Der Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens ist mit der »Diskus-
sionslosigkeit der Offenbarung« zwar »intratextuell« gesichert, aber die Theologie kann dann
auch »keine externen Ansprüche« mehr stellen.79
Damit stellt sich dann aber auch die Frage, ob Barths Theologie dort zu ihrer »postmo-
dernen Form findet, wo ihr theoretischer Anspruch singulärer Totalität sich als ›narrative
Theologie‹ darstellt«.80 Denn die postmoderne Kritik an der Moderne, wie sie von den Philo-
sophen Lyotard, Derrida und Rorty vorgetragen wird, ist für Rendtorff primär durch eine
»sprachtheoretisch aufgebaute Konzeption des Narrativen« charakterisiert: »Im lockeren An-
schluß an Wittgensteins ›Sprachspiele‹ wird hier gegen eine ›metanarrative‹ Theorie der
Wirklichkeit das Leben gestellt, wie es sich in einer je besonderen und eigenen, erzählbaren
Geschichte verwirklicht, die für ihre eigene Wahrheit und Plausibilität nicht des Anschlusses

74 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 302. Besonders scharfe Kritik übt Tillich am »Kultur-
protestantismus«, »in dem eine in sich bleibende Endlichkeit religiös geweiht, aber nicht vom Ewigen her
durchbrochen wurde« und »der zwar viel von Moral, aber wenig von der Erschütterung der Kultur durch das
Ewige weiß«. P. TILLICH: Die religiöse Lage der Gegenwart, S. 133, 143.
75 P. TILLICH: Die religiöse Lage der Gegenwart, S. 150. Den Weg zu einer Überwindung der »bürgerlichen
Geisteslage« sieht Tillich dann auch in einem »gläubigen Realismus« jenseits von bürgerlicher Gesellschaft
und orthodoxer Kirchlichkeit. A.a.O., S. 152. Vgl. zu Tillichs Verhältnis zur Moderne auch: H. FISCHER
(Hrsg.): Paul Tillich; F. W. GRAF: Theologie der Moderne?
76 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 128. Rendtorff beruft sich hier vor allem auf die Untersu-
chung: K. G. STECK: Karl Barths Absage an die Neuzeit.
77 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 134.
78 A.a.O., S. 141, 143.
79 A.a.O., S. 145.
80 A.a.O., S. 144. Einen interessanten Versuch, Karl Barths Kirchliche Dogmatik aus der postmodernen Per-
spektive zu lesen, hat Dietrich Korsch unternommen. Wie Rendtorff sieht er einen Zusammenhang zwischen
den »Sprachspielkonzeptionen« der Postmoderne und der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths, insofern diese
Dogmatik sich als kirchliche Dogmatik bewußt an ihr eigenes Sprachspiel, die Gemeinde Jesu Christi, wen-
det. Aber: Diese »Gemeinde, von der Barth redet, verhält sich nicht überheblich gegenüber der Welt (...) Sie
begreift, daß sie selber Welt ist und zur Welt gehört, so wahr Jesus Christus Herr der Welt ist. Mit ihrer
Kenntnis von der Wahrheit wendet sie sich nicht auf sich zurück und überläßt sich nicht der Logik ihrer Ei-
gengesetzlichkeit; sie spielt nicht nur ihr zugleich internes und exklusives Sprachspiel. Sie bemüht sich
vielmehr darum, Brücken zu bauen zu anderen kulturellen und ökonomischen Gesellschaftsformationen, um
dadurch auf eine befriedete menschliche Lebenswelt vorauszudeuten«. Die Autonomie des »kirchlichen
Sprachspiels« wird so von Barth anerkannt, ohne allerdings den Zusammenhang zu den anderen Sprachspie-
len zu verlieren wie in Lyotards Konzeption der »Heterogenität aller Sprachspiele«. D. KORSCH: Postmo-
derne Theologie?, S. 253, 255. Korsch bezieht sich in seinen Ausführungen auf: K. BARTH: Kirchliche
Dogmatik, Bd. IV/3.2, S. 879-906.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 178

an eine universal kommunizierbare Totalität bedarf, weil hier gleichsam Totalität im Einzel-
fall als Faktum in sich selbst existiert«.81 Einen »Entwurf in diese Richtung« hat nach Rend-
torff jedenfalls George Lindbeck versucht,82 der eine rein intratextuelle Theologie entwickelt,
allerdings um den Preis, daß sich eine solche narrative Theologie notwendigerweise in ein
»ekklesiales Reservat« zurückziehen muß. Für Rendtorff stellt sich deswegen primär die Fra-
ge, ob der Rückzug in ein theologisches und kirchliches Getto die postmoderne Antwort auf
das theologische Problem der Neuzeit sein kann.83

Renaissance der Religion?


Die Postmoderne-Diskussion ist für Rendtorff aber auch ein Indikator dafür, daß sich heute
die Einstellung zur Religion gegenüber der Neuzeit grundlegend verändert hat: Daß die Mo-
derne die »Religion aus ihrem angestammten Platz« verdrängen und die »Wissenschaft als
Szepterträger der aufgeklärten Kultur« einsetzen könnte, galt lange Zeit als ausgemacht. Von
daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die Geschichte der Moderne von der »ständigen
Klage über den Verfall, den Rückgang, das Verschwinden der Religion« begleitet ist.84 Das
Stichwort »Wiederkehr der Religion« wäre dagegen ein »Zeitzeichen dafür, daß tragende
Grundannahmen der neuzeitlichen Aufklärung ihre paradigmatische Leitfunktion wieder ab-
geben oder doch zumindest mit anderen teilen müssen«.85 Das »Zeitzeichenwort Postmoder-
ne« verweist jedenfalls nicht ins »Vokabular der Religionskritik«, sondern ins »Vokabular der
Kritik der Moderne«, oder »um es kurz zu sagen: Nicht Religionskritik ist gegenwärtig aktu-
ell, sondern Aufklärungskritik«.86
Allerdings ist der Zusammenhang von »Postmoderne« und »Wiederkehr der Religion«
(besser: »Wiederentdeckung«)87 nicht ganz unproblematisch: Aus der »erneuten Aufmerk-
samkeit für Religion« und der »bemerkenswerten Renaissance für organisierte religiöse Un-
mittelbarkeit« folgt nicht zwangsläufig das »Ende der Aufklärung«, denn für eine »Kultur, die
so tief und so vielseitig historisch wie thematisch mit der Religion, genauer: mit dem Chris-
tentum verzahnt ist, wie das für die Aufklärung und die neuzeitliche Moderne gilt«, ist »in
jedem Fall die Annahme zwingend, daß Geschichte und Dasein der Religion einerseits und
Geschichte und gegenwärtiger Status der Moderne andererseits nicht einfach auseinanderdivi-
diert werden können«.88 Außerdem hat die Theologie seit der Aufklärung mit der historisch-

81 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 144. Diesen Zusammenhang von Postmoderne und »narra-
tiver Theologie« sieht auch: B. FORTE: Gedächtnis, Prophetie und Begleitung, S. 26-40.
82 Vgl. zu Lindbecks Theologie: Zweiter Hauptteil, II. 5 und II. 6.
83 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 145.
84 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 310.
85 Ebd.
86 A.a.O., S. 311.
87 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 301-302. Rendtorff macht hier darauf aufmerksam, daß
es sich bei der »Wiederentdeckung der Religion« keinesfalls um eine »Novität des ausgehenden zwanzigsten
Jahrhunderts« handelt: »Zutreffender wäre es, davon zu sprechen, daß die Ungewißheiten über die präsenti-
sche Geltung der Religion in der modernen Gesellschaft sich nun auf den Gesamtbestand der Neuzeitdeu-
tung ausgeweitet haben. Auf diesem Wege holt die Frage nach der Entstehung der Moderne aus der Religion
mit ihren kritischen Folgen für das Religionsverständnis nun die Moderne selbst ein«. A.a.O., S. 302.
88 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 310-311.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 179

kritischen Bibelwissenschaft »frühzeitig analog und durchaus konvergent« ihr eigenes »Pro-
jekt der Moderne« formuliert.89 Wenn sich nun aber die Maßstäbe für die Beurteilung wissen-
schaftlicher Rationalität und der ihr folgenden Weltbemächtigung verändert haben, stellt sich
die Frage, welche Konsequenzen sich daraus für die Theologie, für eine »Theologie nach der
Aufklärung« ergeben.90

»Einheit in der Verschiedenheit« als Modell des theologischen Pluralismus


Für Rendtorff ist das »Projekt der Moderne« in erster Linie ein Projekt der Aufklärung, die
damit ihr »Einheitsideal verfolgte, nämlich alle menschlichen Angelegenheiten dem Singular
der Vernunft zu unterwerfen«.91 Von der Postmoderne-Diskussion her wird jedoch deutlich,
daß das unterdrückte Andere dieses Aufklärungsprozesses stets gegenwärtig bleibt, daß es
eine »Gleichzeitigkeit des bleibend Verschiedenen« gibt und daß der »synchrone Pluralismus«
in keine Diachronik hinein aufgehoben werden kann.92 Im Rückblick auf die Moderne kann
deshalb gesagt werden, daß »Modernität pluralisiert« und sie darum von der »Partei der Ein-
deutigen« auch nicht geschätzt wird: »Daß die Welt pluralitätsgemäß eingerichtet werden
muß, das ist die Wahrheit der Moderne«, auch wenn diese Einsicht nicht mit ihren ursprüngli-
chen Intentionen kongruiert.93
Theologie und Philosophie haben zumeist ein gespanntes Verhältnis zu diesem Pluralis-
mus entwickelt, obwohl doch jeder Theologe oder Philosoph um die anderen Theologien oder
Philosophien neben sich weiß. Bestes Beispiel aus diesem Jahrhundert von theologischer Sei-
te: die Ökumene. Hier läßt sich studieren, wie »Pluralismus sich vollzieht und Gestalt an-
nimmt«, denn nicht der Pluralismus ist das Ziel der ökumenischen Bewegung, sondern die
Einheit.94 Damit drängt sich die Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit auf: Soll
die Ökumene nach dem Grundsatz »Einheit statt Verschiedenheit« oder nach dem Grundsatz
»Einheit in der Verschiedenheit« betrieben werden? Das einzig sinnvolle Programm ist nach
Rendtorff »Einheit in der Verschiedenheit«, denn der Skandal der Kirchentrennung »besteht
dann nur darin, diese nach dem Muster unmittelbarer und exklusiver Einheit gedeutet und
praktiziert zu haben, als gegenseitigen Ausschluß, Kampf, Abschaffung«.95
Der Pluralismus fordert die Anerkennung von Verschiedenheit, die zwar ebenso trivial
wie schwierig, aber wohl unumgänglich und lebensnotwendig ist.96 Wie schwierig eine solche
Anerkennung ist, zeigt sich heute in den Versuchen, die affirmative Haltung zum Pluralismus
durch ein neues »Einheitsdenken« zu überspielen: durch die sogenannten »Überlebensfragen«,
denen alle Lebensfragen untergeordnet werden und für die jedes Opfer gerechtfertigt er-

89 A.a.O., S. 312. Rendtorff erinnert hier besonders an Bultmanns Entmythologisierungsprogramm als typi-
sches »Projekt der Moderne«. A.a.O., S. 313-315.
90 Vgl. zum theologischen Erbe der Aufklärung auch die »Hauptvorträge« (Nr. 1-4) des Symposionbandes:
T. RENDTORFF (Hrsg.): Glaube und Toleranz.
91 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 321.
92 Ebd.
93 T. RENDTORFF: Postmoderne Ansichten über modernes Christentum, S. 324.
94 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 319.
95 A.a.O., S. 321.
96 Ebd.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 180

scheint. »Vor dem Überleben, das also über das konkret bestimmte Leben hinausgeht, gibt es
keine Unterschiede mehr, nur das Ja oder Nein«.97 Hier wird die Geschichte der Aufklärung
mit den (negativen) Folgen menschlicher Naturbeherrschung in eins gesetzt und die Frage
nach dem Überleben auf diesem Planeten zur allein relevanten Frage verabsolutiert.
Die Theologie sollte sich davor hüten, sich dieser Kritik anzuschließen. Vielmehr sollte
sie diese »Überlebensfragen« in konkrete »Lebensfragen« verwandeln: Religion »muß und
will je davon bestimmt sein, dem Leben einen guten, vertrauenswürdigen Sinn zu bereiten, in
dem, was es heute ist, nicht, was es morgen sein soll oder auch sein könnte. Dies mag denn
auch dem geschärften Bewußtsein der Moderne als Postmoderne und der Religion in der
Postmoderne einen erörterungsfähigen Sinn geben, dem eine Theologie nach der Aufklärung
ihren Dienst zu widmen hätte«.98

3. Theologie für eine postmoderne Welt: Diogenes Allen


Wie für Rendtorff ist auch für Diogenes Allen, Professor am Princeton Theological Seminary,
die gesellschaftliche und intellektuelle Umbruchssituation ein Anlaß, die grundlegenden Ü-
berzeugungen der Moderne einer Revision zu unterziehen. Nach Allen befinden wir uns heute
in einer Situation, in der sich die intellektuelle Kultur grundlegend verändert, weil die Funda-
mente der modernen Welt heute ernsthaft in Frage gestellt werden und sich eine massive intel-
lektuelle Revolution abzeichnet, die vielleicht mit den geistigen Umwälzungen vom Mittelal-
ter zur Moderne vergleichbar ist.99 In seinem Buch Christian Belief in a Postmodern World
versucht er die konkreten Veränderungen zu analysieren und die Implikationen, die diese für
die Theologie haben könnten, herauszuarbeiten.

Der Verlust der modernen Glaubensüberzeugungen


Der Prozeß der Entfremdung von dem optimistischen Pathos der Aufklärung und des fort-
schrittsgläubigen 19. Jahrhunderts kennzeichnet die geistige Bewegung des 20. Jahrhunderts.
Durch diese Entfremdung sind die Grundpfeiler der Moderne zunehmend ins Wanken geraten,
und dies in viererlei Hinsicht:
– Die moderne These von einem aus sich selbst hervorgegangenen Universum kann heute
nicht mehr als selbstverständlicher philosophischer und wissenschaftlicher Konsens vor-
ausgesetzt werden. Die moderne Wissenschaft hat zwar die Frage nach Gott in den priva-
ten, existentiellen Bereich abzuschieben versucht, die Frage »Warum existiert dieses Uni-
versum überhaupt?« aber weder zum Verstummen bringen noch befriedigend beantworten
können. Mit den über sich selbst hinausweisenden Fragen des Menschen nach seinem Ur-
sprung und seinem Ziel, hat die moderne Wissenschaft den Menschen allein gelassen. Die

97 Ebd.
98 A.a.O., S. 322.
99 D. ALLEN: Christian Belief in a Postmodern World, S. 2. Ähnlich auch: R. N. BELLAH: Christian Faithful-
ness in a Pluralist World, S. 77-78; J. B. MILLER: The Emerging Postmodern World, S. 8-10.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 181

Frage nach Gott ist folglich keineswegs obsolet, sondern im Gegenteil, von unverminderter
Aktualität.100
– Der zweite Indikator für den Zusammenbruch der modernen Welt resultiert aus der Ein-
sicht, daß es die moderne Rationalität nicht geschafft hat, eine sichere Basis für die Ethik
zu begründen. Der moderne Optimismus, daß aus der Erkenntnis des Wahren auch das
richtige Handeln folgt, hat sich ebenso als Illusion erwiesen wie der Versuch, eine autono-
me, universalistische Ethik zu begründen. Heute scheint es statt dessen so wie in Zeiten der
alttestamentlichen Richter zu sein: »Und jeder tat, was ihm recht dünkte«.101
– Auch der moderne Glaube an den zwangsläufigen Fortschritt der Menschheit durch Wis-
senschaft und Technologie hat seinen Glanz verloren. Es hat sich gezeigt, daß Aufklärung,
Erziehung, Bildung, Wissen und die Beherrschung der Natur nicht zwangsläufig zu besse-
ren Lebensverhältnissen führen müssen. Heute sind wir mit solch gravierenden ökologi-
schen, ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen konfrontiert, daß es fraglich ist, ob
sie überhaupt noch gelöst werden können.102
– Die Vierte Säule der Moderne, die heute in Frage gestellt wird, ist der Glaube, daß das
Wissen aus sich heraus gut ist. Der Diskurs über die Verwendung des wissenschaftlichen
Wissens wurde in der Moderne gar nicht oder nur am Rande geführt. Die wissenschaftliche
Forschung hat dem Menschen jedoch erschreckende Möglichkeiten an die Hand gegeben,
die – wie im Falle der Genmanipulation – nicht nur positive sondern auch äußerst destruk-
tive Wirkungen haben können.103
Die Krise in der westlichen Kultur hat – so Allen – ihren Grund im Verlust der Grundüber-
zeugungen der Aufklärung und der modernen Welt. In dem Maße, in dem die Gewißheiten der
Aufklärung diffundiert sind, haben sich auch Pluralismus und Relativismus ausgebreitet. Plu-
ralismus und Relativismus aber stellen viele Menschen, einschließlich vieler Christen, vor das
große Problem, daß sie nicht wissen, wie sie sich in einer Kultur, in der die verschiedenen
Deutungsmodelle der Wirklichkeit alle den gleichen Stellenwert haben, orientieren sollen.
Neben den verschiedenen nicht-religiösen Optionen, die in unserer Kultur existieren, stellt
sich nicht zuletzt auch angesichts des weltweiten religiösen Pluralismus die Frage, wie der
christliche Glaube in einer post-modernen und nach-aufgeklärten, pluralistischen Welt adä-
quat vertreten werden kann.104

Der christliche Glaube als Orientierungshilfe in einer pluralistischen Welt


Nach dem Verlust der modernen säkularen Glaubensüberzeugungen gewinnt der – von der
Moderne verdrängte – christliche Glaube eine neue Relevanz für die postmoderne Welt: bei

100 D. ALLEN: Christian Values in a Post-Christian Context, S. 21-23. Im dritten und vierten Kapitel seines
Buches Christian Belief in a Postmodern World greift Allen das Argument der »natürlichen Theologie« auf,
daß die Existenz und die Ordnung der Welt zwar Gott nicht beweisen können, aber die Möglichkeit Gottes
zumindest nahelegen. D. ALLEN: Christian Belief in a Postmodern World, S. 3-4, 50-84.
101 D. ALLEN: Christian Values in a Post-Christian Context, S. 23-24. Vgl. zu den Umrissen einer »postmo-
dernen Moral«: HERMANN RINGELING: Konturen einer postmodernen Moral.
102 D. ALLEN: Christian Belief in a Postmodern World, S. 4-5.
103 A.a.O., S. 5.
104 A.a.O., S. 1.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 182

den fundamentalen Fragen menschlicher Existenz ebenso wie in den Diskussionen über die
Grundlagen von Gesellschaft und Moral.105 Wie aber kann die Bedeutung des christlichen
Glaubens heute deutlich gemacht werden?
In der Aufklärung wurden Wissenschaft und Religion als Gegensätze betrachtet: Die (Na-
tur-)Wissenschaften lösten sich zunehmend von einer religiösen Weltdeutung, Religion wurde
für obsolet erklärt und die nun autonom gewordenen Wissenschaften als einziger Weg zur
Wirklichkeit und Wahrheit in Natur und Gesellschaft zugelassen. Diese Entgegensetzung von
Wissenschaft und Religion ist, so Allen, heute überholt, weil sich gezeigt hat, daß weder die
Philosophie noch die Naturwissenschaften einen letzten, endgültigen Zugang zur Wahrheit
und zur Wirklichkeit haben. Die Frage des Verhältnisses von Naturwissenschaften, Erkennt-
nistheorie und Religion steht damit heute erneut zur Debatte. Die Fraglichkeit des Univer-
sums, der Welt und der Existenz des Menschen aber weisen auf die Möglichkeit Gottes hin.106
Auch wenn das »Buch der Natur« (»the book of nature«) nur Zeuge (nicht Beweis) der Mög-
lichkeit Gottes sein kann, so ist die Frage nach Gott nicht nur von spekulativem Interesse,
sondern eine wichtige und dringende Frage menschlicher Existenz. Die bloße Möglichkeit
Gottes führt zwar nicht zur Überzeugung von Gottes Wirklichkeit, aber sie führt zur Suche
nach einer ersten-letzten Wirklichkeit, zur Suche nach Gott.
Die Aufgabe der Theologie besteht darin, die Frage nach Ursprung und Ziel der Welt und
des Menschen als Suche nach Gott zu deuten und auf die Möglichkeit Gottes hinzuweisen.107
Eine Antwort auf die Frage des suchenden Menschen kann dann darin bestehen, das, was die
Bibel über Gottes Verhältnis zu den Menschen und zur Welt zu sagen hat, in einem durchaus
vernünftigen, glaubenden Vertrauen nachzuvollziehen und eben damit die Erfahrung der gött-
lichen Gnade zu machen.108 Gerade in einer pluralistischen Kultur kann der christliche Glaube
Orientierung bieten und damit vor einer gleichgültigen und relativistischen Haltung schützen.

4. Pluralität der Sprachen und Ambiguität der Geschichte: David Tracy


Einen weithin beachteten Beitrag zur theologischen Diskussion um die Postmoderne hat der
renommierte amerikanische Theologe David Tracy von der Chicago Divinity School vorge-
legt. Wie für Rendtorff und Allen ist auch für Tracy die veränderte philosophische und sozio-
logische Diskussionslage Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Post-
moderne. Charakteristisch für die postmoderne Situation ist nach Tracy das Bewußtsein für
die radikale Pluralität und Ambiguität der modernen intellektuellen Traditionen. Schon in
Blessed Rage for Order (1975) und The Analogical Imagination (1981) hatte sich Tracy mit
dem Problem des innerchristlichen, kulturellen und religiösen Pluralismus und dem Thema
Postmoderne auseinandergesetzt.109 In Plurality and Ambiguity. Hermeneutics, Religion, Ho-

105 A.a.O., S. 5-6.


106 A.a.O., S. 23-84.
107 A.a.O., S. 4.
108 A.a.O., S. 19. Allens Theologie darf nicht als »natürliche Theologie« mißverstanden werden, denn er wendet
sich explizit gegen eine natürliche Gotteserkenntnis: die Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes ist nur
durch die Erfahrung der göttlichen Gnade, wie sie in der Schrift und der Gemeinschaft der Glaubenden be-
zeugt wird, möglich. Vgl. ebd.
109 Vgl. D. TRACY: Blessed Rage for Order, S. 3-21; D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 446-455.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 183

pe (1987), das 1993 auch in deutscher Sprache erschienen ist (Theologie als Gespräch. Eine
postmoderne Hermeneutik), versucht er nun, die Grundlagen für eine systematische Theologie
in der Postmoderne zu entwickeln. Den Begriff »Postmoderne« hält Tracy zwar für vage, am-
bivalent und wenig originell, aber er scheint der einzige Begriff zu sein, der zur Beschreibung
der Gegenwart wirklich brauchbar ist.110 Anders als für die ästhetischen Postmodernetheorien
(Architektur, Literaturwissenschaft) sind »Moderne« und »Postmoderne« für Tracy dann auch
keine enggefaßten Stilbegriffe, sondern »kulturelle Beschreibungen« (»cultural descripti-
ons«).111

Die Unhintergehbarkeit der Pluralität


Tracy beginnt seine Situationsanalyse mit der Diagnostizierung einer hermeneutischen Krise
hinsichtlich der Interpretation unserer eigenen westlichen Tradition: Nach der wissenschaftli-
chen Revolution im 17. Jahrhundert, der Aufklärung und der Französischen Revolution im
18. Jahrhundert, der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, finden wir uns am Ende des
20. Jahrhunderts in einer Situation wieder, in der die menschengemachte Apokalypse Wirk-
lichkeit werden könnte. In dieser Krise – die nach Tracy mit der Augustins am Ende der Anti-
ke und mit der Schleiermachers zu Beginn der Moderne vergleichbar ist – verblassen die her-
kömmlichen Weisen des Verstehens, Interpretierens und Handelns. Wie Augustin und
Schleiermacher müssen wir heute neue Wege der Interpretation unserer selbst und unserer
Traditionen finden.112
Ein erstes Anzeichen für eine Wende von der Moderne zur Postmoderne sieht Tracy in
der »linguistischen Wende«, die in den Wissenschaften zur Entdeckung der radikalen Plurali-
tät von Sprache, Wissen und Wirklichkeit geführt hat.113 Der positivistische Anspruch der
modernen Wissenschaften, durch Daten und Fakten Realität erzeugen zu können, hat sich als
hermeneutisches Unternehmen, als Interpretation von Wirklichkeit herausgestellt: Die Wirk-
lichkeit ist weder »dort draußen« noch »hier drinnen«, sondern sie »wird konstituiert durch die
Interaktion zwischen einem Text, sei es ein Buch oder eine Welt, und einem fragenden
Interpreten«.114 Sie wird nie einfach nur gefunden, sondern bleibt immer sprachlich vermittelt.
Alle Interpretationen der Wirklichkeit können deswegen auch immer nur als Annäherungen an
die Realität selbst betrachtet werden: Interpretationen der Wirklichkeit sind gegenüber der
Wirklichkeit selbst immer nur »relativ angemessen«, ja die Wirklichkeit ist eigentlich das,
»was wir unsere beste Interpretation nennen«.115

110 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 115. »To argue that our age is better characterized as postmodern
than as modern is admittedly to solve little. But it is to acknowledge that radical plurality and a heightened
sense of ambiguity, so typical of all postmodern movements of thought with their refusal of premature clo-
sure and their focus upon the categories of the ›different‹ and the ›other‹ are here to stay«. D. TRACY: The
Uneasy Alliance Reconceived, S. 550.
111 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 115.
112 A.a.O., S. 20-21. Vgl. auch: D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 78-79.
113 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 73. Tracy bezieht sich hier auf: R. RORTY (Hrsg.): The Linguistic
Turn. Vgl. zum Linguistic turn: Erster Hauptteil, III. 5, III. 9.
114 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 74.
115 Ebd.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 184

Ein zweites Merkmal der Postmoderne sieht Tracy im Bewußtsein für die radikale Ambi-
guität des neuzeitlichen Geschichts- und Vernunftverständnisses. Der Optimismus hinsicht-
lich der Vernünftigkeit der modernen Vernunft und des Fortschritts der Menschheit im Laufe
ihrer Geschichte, ist durch die Massaker des 20. Jahrhunderts (Hiroshima, Holocaust, Gulag)
von dem Bewußtsein einer »systematischen Verzerrung« abgelöst worden: »Den Unterschied
zwischen einem Irrtum und einer systematischen Verzerrung zu verstehen, heißt, einen we-
sentlichen Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne zu begreifen. Das moderne Be-
wußtsein ist dadurch modern, daß es all seine Hoffnung auf das rationale Bewußtsein setzt«,
während das postmoderne Bewußtsein den »fragilen Charakter des modernen rationalen Be-
wußtseins« erkennt.116 Das optimistische Selbstvertrauen der frühen Moderne hat dem Zwei-
fel, den Widersprüchen der Zerstreuung und dem Konflikt Platz gemacht. Eine zentrale Ein-
sicht der Postmoderne ist, daß ein absoluter Standpunkt nicht möglich ist, weil jede Erfahrung
und jedes Verstehen hermeneutisch ist.117
Mit dem Begriff Postmoderne verbindet sich für Tracy aber vor allem die Einsicht, daß
der Glaube an die Selbsttransparenz des Bewußtseins abhanden gekommen ist: Realität,
Wahrheit und Wissen können nur noch als Metaphern verstanden werden, und es drängt sich
der Verdacht auf, daß auch das Bewußtsein selbst radikal intertextuell ist.118 »Das neuzeitliche
Denken hat immer danach gesucht, sich selbst zu begründen. Seit Descartes sehnt die Moder-
ne sich danach, feste Grundlagen zu finden in einem vermeintlich reinen Bewußtsein und in
einer vermeintlich sicheren Identität«, doch »der Traum von vollständiger Präsenz ist ausge-
träumt«, weil das moderne Subjekt »gerade infolge seiner Anmaßung gestorben« ist, »alle
Realität in sich selbst begründen zu wollen«.119 Das postmoderne Subjekt ist dagegen von
dem Bewußtsein geprägt, daß jeder Weg zur Realität, zur Wahrheit und zum Wissen immer
durch die radikale Pluralität unterschiedlicher Sprachen und die Ambiguität all unserer Ge-
schichten bedingt ist.120 Die synchrone Vielfalt der verschiedenen Theorien, Handlungs- und
Lebensmodelle ergibt sich für Tracy aus dem Gebrauch der Sprache, denn: »Sprache als Dis-
kurs untersuchen heißt Pluralität entdecken; heißt die Kontingenz und Ambiguität von Ge-
schichte und Gesellschaft wiederentdecken«.121 Dieser Pluralismus ist unhintergehbar und
kann durch keinen neuen Monismus abgelöst werden.

116 A.a.O., S. 100, 109, 113.


117 A.a.O., S. 114. Vgl. auch: D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 346.
118 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 115-116. Vgl. zum Begriff »Intertextualität«: Erster Hauptteil, II. 4.
119 D. TRACY: Der Gegenwart einen Namen geben, S. 51; D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 88. Tracy
analysiert hier die linguistischen Untersuchungen von de Saussure, Lévi-Strauss und Derrida, um die Impli-
kationen von Strukturalismus und Poststrukturalismus für eine postmoderne theologische Hermeneutik aus-
zuloten. Vgl. D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 79-91. Vgl. dazu auch: P. RICOEUR: Hermeneutik und
Strukturalismus, S. 123-135.
120 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S.121. Richard Bernstein wendet gegenüber Tracy kritisch ein, daß
dieser hier nicht deutlich genug zwischen dem modernen und postmodernen Subjekt unterscheidet. Vgl.
R. J. BERNSTEIN: Radical Plurality, Fearful Ambiguity, and Engaged Hope, S. 89-90.
121 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 97.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 185

Das Verhältnis von Theologie und Pluralismus


Das Wissen um den fragilen Charakter des modernen Bewußtseins hat einerseits die Grenzen
des neuzeitlichen Rationalitätsmodells deutlich gemacht andererseits aber auch die Aufmerk-
samkeit für die religiösen Widerstandspotentiale gegen die Selbstüberschätzung des modernen
Menschen geschärft. Darum bestimmt Tracy das Verhältnis von Religion und Postmoderne
auf doppelte Weise: Auf der einen Seite verbindet die Kritik an der Hybris des modernen
Menschen Religion und säkulare Postmoderne, auf der anderen Seite widersteht die Religion
der Versuchung mancher Postmodernisten, nur die Probleme zu sehen, aber keine zukunfts-
weisenden Wege aufzuzeigen.122 Religionen, die nicht der Erhaltung des Status quo oder dem
selbstwidersprüchlichen Willen zur Macht dienen, können durch ihr Wissen um die Sünde
und Fehlbarkeit des Menschen die radikale Pluralität und Ambiguität aller Traditionen – in-
klusive ihrer eigenen – deutlich machen.123
In der Theologie schafft die Perspektive des Pluralismus zunächst ein Bewußtsein für die
Vielheit innerhalb der christlichen Religion: für die Diversität schon der neutestamentlichen
Schriften, die Vielfalt christlicher Traditionen in der Kirchengeschichte und die verschiedenen
Formen gegenwärtiger Theorie und Praxis; dann aber auch für die Vielfalt der Religionen: für
die verschiedenen muslimischen, jüdischen, buddhistischen und hinduistischen Traditionen
und nicht zuletzt für die verschiedenen religiösen und nichtreligiösen Interpretationen der
gegenwärtigen Situation.124 Dieser Pluralismus wird aber von den meisten Theologen ge-
fürchtet, weil er mit einer Erosion der Autorität, mit einer Verflüssigung des Absoluten und
einem Entzug der fundamentalen Überzeugungen gleichgesetzt wird. Gegenüber dieser ängst-
lichen Haltung sieht Tracy im Pluralismus einen positiven »Wert«, der das Unternehmen einer
systematischen Theologie bereichert, indem er dazu einlädt, andere Weisen des christlichen
Glaubens kennenzulernen und sich durch neue Erfahrungen verändern zu lassen.125
Allerdings darf die Affirmation eines prinzipiellen Pluralismus nicht zu einer indifferen-
ten, passiven oder bloß konsumistischen Haltung gegenüber den vielfältigen Möglichkeiten
führen. Wer den Pluralismus nicht zu »gedankenloser Freundlichkeit« oder »repressiver Tole-
ranz« verkommen lassen will,126 sondern sich für einen wahrhaftigen Pluralismus einsetzt,
muß Kriterien für eine »relative Angemessenheit« der Interpretation zu ihrem Gegenstand

122 A.a.O., S. 123. Gegenüber dieser »postmodernen« Passivität zeigen gerade die Lebenswege Martin Luther
Kings und Mahatma Gandhis für Tracy sehr deutlich, daß das Vertrauen in eine »letzte Hoffnung« reale
Möglichkeiten glaubbarer Hoffnung aufzeigen und dazu beitragen kann, neue Handlungsweisen auf ethi-
schem, politischem und religiösem Gebiet zu entdecken, wie auch immer die »letzte Wirklichkeit« genannt
wird. A.a.O., S. 124.
123 A.a.O., S. 122-123.
124 D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 254, 447-448; Vgl. auch: D. TRACY: Theologie als Gespräch,
S. 132-142.
125 »The reality of pluralism is a value: a value to enrich each by impelling new journeys into both particularity
and ecumenicity – a journey into a particular personal and traditional way whose very vulnerability and self-
exposure to other ways of being Christian promises to transform all; a journey where, for the Christian, each
and all will be transformed together in witnessing to the proclamation and manifestation of the event of Je-
sus Christ«. D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 254. Vgl. zum Zusammenhang von kulturellem Plu-
ralismus und der Transformation des Glaubens auch: J. M. ROVIRA BELLOSO: Pluralismo cultural y trans-
misión de la fe, S. 161-184; J. DUCRUET: La foi chrétienne dans une situation de pluralisme culturel, S. 32-
58.
126 D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 101.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 186

entwickeln.127 Die Konzeption des Pluralismus muß so angelegt sein, daß ein einfacher, billi-
ger Eklektizismus ausgeschlossen wird: Wahrhaftiger Pluralismus verlangt das Gespräch, er-
wartet den Konflikt und entwickelt Kriterien, die den Vergleich mit anderen Optionen ermög-
lichen, die die Überprüfung auf Kohärenz oder Inkohärenz einer jeden Option erlauben und
mit denen die Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft abgeschätzt werden
können.128
In der Methode der »wechselseitig kritischen Korrelation« zwischen der biblischen Bot-
schaft und der gegenwärtigen Situation, die Tracy im Anschluß an Tillich,129 Gadamer und
Ricoeur entwickelt, sieht Tracy ein Mittel, um »einen verantwortlichen Pluralismus in der
gesamten theologischen Forschungsgemeinschaft sicherzustellen«,130 denn jeder theologische
Akt der Interpretation schließt eine Interpretation der beiden Konstanten mit ein: »Jeder Theo-
loge muß eben als Interpret die Tradition für eine konkrete Situation und in einer konkreten
Situation auslegen. Insofern er dies tut, interpretiert er sowohl die Tradition als auch die Situa-
tion der Jetztzeit. Als christlicher Theologe interpretiert er die Situation, indem er versucht,
eine christliche Auslegung dieser Situation (...) zu liefern. Solche Wahrnehmungen führen ihn
wiederum dazu, die Tradition selbst erneut auszulegen«.131
Doch trotz der vielen Unterschiede, die in der heutigen Theologie bestehen, garantiert die
Methode der wechselseitig kritischen Korrelation auch einen fundamentalen Konsens in der
theologischen Wissenschaft: Die »hermeneutische Reflexion in der Theologie macht wie in

127 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 132. Vgl. auch: D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 366,
Anm. 22. Vgl. zu Tracys Konzept einer »relativen Angemessenheit« von Interpretationen und zu den Krite-
rien für den interreligiösen Dialog: D. TRACY: Blessed Rage for Order, S. 64-87; D. TRACY: The Question
of Criteria for Inter-Religous Dialogue, S. 248-261; T. PETERS: David Tracy, S. 301-303.
128 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 132. Tracy weist darauf hin, daß europäische Kommentatoren die
anglo-amerikanische Vorstellung des Pluralismus oft nicht recht einschätzen können: »European commenta-
tors (including theologians) seem unable to note the radicality of the Anglo-American notion of pluralism
which they often mistake for an anticonflictional, ›one-dimensional‹ eclecticism just as they mistake the An-
glo-American notion of ›experiental‹ for ›empiricist‹«. D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 366,
Anm. 22.
129 Paul Tillich bestimmt das Verhältnis von Theologie und Kirche zur jeweiligen Situation in der Einleitung zu
seiner Systematischen Theologie folgendermaßen: »Ein theologisches System muß zwei grundsätzliche Be-
dürfnisse befriedigen: Es muß die Wahrheit der christlichen Botschaft aussprechen, und es muß diese Wahr-
heit für jede neue Generation neu deuten. Theologie steht immer in der Spannung zwischen zwei Polen: der
ewigen Wahrheit ihres Fundamentes und der Zeitsituation, in der diese Wahrheit aufgenommen werden soll.
Die meisten Theologien genügen nur einer von diesen beiden Grundbedingungen. Entweder opfern sie Teile
der Wahrheit, oder sie reden an der Zeit vorbei«; deswegen geht es darum, »eine theologische Methode zu
finden, bei der Botschaft und Situation auf eine solche Weise aufeinander bezogen sind, daß keine von bei-
den beeinträchtigt wird. Läßt sich eine solche Methode finden, dann kann die Frage nach dem Christentum
und dem modernen Geist mit viel besseren Aussichten als bisher angegangen werden. Das folgende System
ist ein Versuch, mit Hilfe der ›Methode der Korrelation‹ Botschaft und Situation zu vereinigen.« P. TILLICH:
Systematische Theologie, S. 9, 15. Vgl. auch a.a.O., S. 73-79.
130 D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 101. Vgl. zu Tracys Methode der
»wechselseitig kritischen Korrelation« zwischen der biblischen Botschaft und der gegenwärtigen Situation
auch schon: D. TRACY: Blessed Rage for Order, S. 32-34, 43-63; D. TRACY: The Analogical Imagination,
S. 64. Die von Tracy entwickelte Methode der »wechselseitig kritischen Korrelation« fand nicht nur auf
dem internationalen Symposion Ein neues Paradigma von Theologie (vgl. H. KÜNG – D. TRACY (Hrsg.):
Theologie – wohin?; H. KÜNG – D. TRACY (Hrsg.): Das neue Paradigma von Theologie) große Zustim-
mung, sondern auch beim internationalen Symposion Practical Theology and Contemporary Culture, das
1990 in Blaubeuren veranstaltet wurde. Vgl. dazu die Beiträge von: D. BROWNING: Auf dem Wege zu einer
Fundamentalen und Strategischen Praktischen Theologie; K. E. NIPKOW: Praktische Theologie und ge-
genwärtige Kultur; J. W. FOWLER: Praktische Theologie und Sozialwissenschaften in den USA.
131 D. TRACY: Abschließende Gedanken zur Konferenz, S. 237.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 187

anderen Disziplinen den de facto Grundkonsens explizit, der trotz der wirklichen Unterschie-
de zwischen den modernen Theologien bereits besteht«.132 Theologen dürfen darum auch für
jede Methode offen sein, die den Horizont ihrer theologischen Arbeit erweitert: für die histo-
risch-kritische Methode ebenso wie für sozialwissenschaftliche, semiotische, strukturalisti-
sche und poststrukturalistische Methoden und ebenfalls für eine hermeneutische Diskursana-
lyse, um mögliche Verzerrungen der traditionellen Interpretation einer Religion
aufzudecken.133 Ein »Rückzug aus der Hermeneutik« käme hingegen einem Rückzug in den
Fundamentalismus gleich, der sich einem Nachdenken über die hermeneutischen Implikatio-
nen in bezug auf die Interpretation der christlichen Tradition konsequent verweigert.134

Die hermeneutische Konfliktsituation


Sollen die durch die Korrelationsmethode gewonnenen Interpretationen nicht nur zusammen-
hanglos nebeneinander stehenbleiben, sondern auch miteinander ins Gespräch gebracht wer-
den, müssen Kriterien für die Angemessenheit einer Interpretation entwickelt werden. Weil
aber in einer Situation radikaler Pluralität eine Metaposition zur Beurteilung der Angemes-
senheit einer Interpretation nicht möglich ist, kann nur über das »Gespräch«135 aller Interpre-
ten, die um die vielfältigen interpretativen und religiösen Konflikte wissen, ein Konsens über
die Angemessenheit einer Interpretation erreicht werden.136 Allerdings können theologische
Interpretationen einer bestimmten Religion – wie alle Interpretationen – immer nur relativ
angemessen sein.137 Deswegen ist für Tracy nicht der Konsens das Wesentliche, sondern das
»Gespräch« an sich, denn schon bevor ein Konsens sich abzeichnet, verändert das »Gespräch«
– der Dialog von Text und Interpret oder der Dialog zwischen zwei Interpreten – die Interpre-
ten. Jede Interpretation der »religiösen Klassiker«138 – ob von Gläubigen oder Nichtgläubigen
– birgt das »Risiko« einer Veränderung: Die alten Interpretationen werden relativ inadäquat,
aber auch die gegenwärtigen können wieder transformiert werden, wenn neue Gesichtspunkte
auftauchen.139
Häufig befinden wir uns jedoch inmitten einer ambivalenten Konfliktsituation, aus der oft
kein Ausweg möglich scheint: »Wir erhaschen heute einen flüchtigen Blick von der Pluralität
innerhalb einer jeden Tradition und lassen zugleich die Ambiguität jeder Religion zu: befrei-

132 D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 101.


133 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 141.
134 D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 101. Tracy weist auch darauf hin, daß
jede vermeintliche Sicherheit über die Bedeutung religiöser Texte – ob sie nun von den Kritikern der Reli-
gion oder von fundamentalistischer Seite formuliert werden – immer eine Reduktion und Selektion der »re-
ligiösen Klassiker« bedeutet. D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 144-145.
135 Vgl. zu Tracys Theorie des »Gesprächs«: D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 33-57, 141-144; D. TRA-
CY: The Analogical Imagination, S. 446-455; CH. E. WINQUIST: Analogy, Apology, and the Imaginative
Pluralism of David Tracy, S. 307-319. Werner Jeanrond hat auf die Ähnlichkeit der »Gesprächs«-
Konzeptionen von Jürgen Habermas und David Tracy hingewiesen. Vgl. W. G. JEANROND: Plurality and
Ambiguity, S. 219, 221.
136 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 142.
137 A.a.O., S. 141.
138 Vgl. zur religiösen und nichtreligiösen Interpretation der »religiösen Klassiker«: D. TRACY: Theologie als
Gespräch, S. 25-32, 142-144, 161; D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 99-154.
139 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 144.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 188

ende Möglichkeiten, die es wiederzugewinnen gilt; Irrtümer, die es zu kritisieren gilt; unbe-
wußte Verzerrungen, die es zu entlarven gilt«.140 Der Interpret befindet sich – ob er will oder
nicht – in einer schwierigen Lage: Er kann der Frage nicht ausweichen, wie das Phänomen
»Religion« überhaupt adäquat zu interpretieren ist und wie die Konflikte zwischen den Reli-
gionen und innerhalb der Religionen gelöst werden können. Aus diesen
Interpretationskonflikten kann weder der religiöse noch der nichtreligiöse Interpret einfach
aussteigen.
In dieser
141 Situation kann der Interpret aber auch weiterhin Hoffnung in das westliche Kon-

zept der Vernunft setzen. Nur wird diese Hoffnung – »infolge der Entdeckung der Pluralität
von Sprache und Wissen sowie der Ambiguität aller Geschichte (einschließlich der Geschich-
te der Vernunft selbst)« – eine bescheidenere Hoffnung als in der Moderne sein müssen.142
Eine andere Hoffnung könnte darin bestehen, daß all diejenigen, die die gegenwärtige Situati-
on interpretieren, trotz ihres Wissens um die Konflikte, die damit verbunden sind, auch wei-
terhin die Interpretation der klassischen Texte aller Traditionen riskieren. Vielleicht können
auch die gegenwärtigen Überlegungen zur Interpretation mit ihrer Betonung der Pluralität und
Ambiguität, die gewohnten Denkweisen verändern und Widerstand und Hoffnung fördern.143
Die Flucht aus dem Konflikt der Interpretationen in das kurzlebige Vergnügen der Ironie ist
jedoch ebensowenig ein Ausweg wie die Flucht in Verzweiflung und Zynismus. Zumindest
für den Christen, der an einen Gott glaubt, der den Menschen zum Widerstehen, zum Denken
und zum Handeln geschaffen hat, ist Apathie keine Lösung,144 denn der Glaube an Gott ist der
Grund für die Hoffnung.145 Auch in einer prinzipiell pluralistischen Situation verlangt der
christliche Glaube nach Verstehen und einem Handeln, das aus der Hoffnung auf den lebendi-
gen Gott erwächst.146

140 A.a.O., S. 160. Den »Konflikt der Interpretationen« betont auch Oswald Bayer: »Theologie kann sich über-
haupt nicht in einem Binnenraum bewegen. Sie ist konstitutiv Konflikt- und Kontroverswissenschaft. Darin
wiederholt sich nur der Charakter der biblischen Texte, vor denen sie sich bildet. Sie sind in sich selber Ver-
arbeitung von Konflikten – wie beispielhaft an der biblischen Urgeschichte oder an den Korintherbriefen
abzulesen ist. Jedes Thema der Theologie stellt sich nur in der Kontroverse, zumindest in der Spannung von
philosophisch-allgemeinmenschlicher und theologischer Fassung.« O. BAYER: Autorität und Kritik, S. 17.
141 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 160. »Eben als Interpretation der Tradition darf es keine naive For-
derung nach Unmittelbarkeit und nach Gewißheit geben«. D. TRACY: Abschließende Gedanken zur Konfe-
renz, S. 234.
142 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 160.
143 A.a.O., S. 161.
144 A.a.O., S. 162.
145 »Ich glaube, daß der Glaube an die letzte Wirklichkeit zu einem Leben in Widerstand, Hoffnung und Aktion
erst wirklich befähigt. Ich glaube an Gott. Es ist dieser Glaube, der mir, wie ich gestehe, Hoffnung gibt«.
A.a.O., S. 157. Nach Maurice Wiles ist bei Tracy nicht ganz klar, ob diese Hoffnung eine Folge des Glau-
bens oder schon seine Voraussetzung ist. Vgl. M. WILES: Plurality and Ambiguity, S. 223.
146 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 162. »Wir streben nicht nach Gewißheit, sondern nach Verstehen.
Und wir streben nach diesem Verstehen mit dem Wissen, daß sich auch unsere Interpretationen als unzurei-
chend erweisen werden, denn alles ist Interpretation«. D. TRACY: Abschließende Gedanken zur Konferenz,
S. 235.
I. Christlicher Glaube im Pluralismus 189

5. Zusammenfassung
1. Der Begriff Postmoderne wird – wie in den Disziplinen, die im Ersten Hauptteil vorgestellt
wurden – auch in der theologischen Diskussion unterschiedlich aufgefaßt, ohne daß sich
freilich die verschiedenen Begriffsbestimmungen gegenseitig ausschließen:
 Einmal im Sinne einer Bewußtseinsveränderung: Postmoderne wird hier mit dem Ab-
schied von dem Einheitsdenken der Moderne und einem geschärften Bewußtsein für den
gesellschaftlichen, kulturellen, ethischen, ästhetischen und religiösen Pluralismus identi-
fiziert (Bucher, Daecke, Barth, Tracy).
 Dann als Epochenbegriff: Postmoderne wird als Zeitbegriff verstanden, der den An-
bruch einer neuen Epoche signalisiert (Rendtorff) und hinter dem sich (säkularisierte)
eschatologische Vorstellungen aus dem Alten und Neuen Testament verbergen (Türk).
2. Ein weitgehender Konsens besteht in der Diskussion darüber, daß die gegenwärtige Situa-
tion in den westlichen Gesellschaften durch einen vielfältigen Pluralismus gekennzeichnet
ist und daß das Grundproblem für Theologie und Kirche darin besteht, wie konsequent ge-
dachte und gelebte Pluralität mit der Unbedingtheit und Verbindlichkeit des christlichen
Glaubens vereinbart werden kann. Über die zu vermeidenden Fehlschlüsse und grundle-
genden Lösungsansätze besteht ebenfalls Einmütigkeit: Daß die Flucht zu vermeintlich fes-
ten Fundamenten nicht als adäquate Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen an-
gesehen werden kann, weil eine solche Flucht nicht nur in ein kulturelles Getto führt,
sondern auch eine Reduktion der christlichen Botschaft impliziert, ist ebenso unumstritten
wie die Überzeugung, daß der christliche Glaube sich nicht einfach in den Pluralismus der
Postmoderne einebnen lassen darf, sondern der Universalitätsanspruch des Evangeliums
vielmehr aufrechterhalten werden muß.
3. Die konkreten Vorschläge zur Lösung des Spannungsverhältnisses von Pluralimus und der
Verbindlichkeit des Glaubens sehen dann allerdings sehr unterschiedlich aus:
 Einen Lösungsansatz für das Problem, wie Einheit und Vielheit zusammengedacht wer-
den können, ohne daß Einheit totalitär und Vielheit zur Beliebigkeit wird, sehen Bucher
und Hans-Martin Barth im christlichen Gottesbegriff, denn Partikularität, Pluralität und
Universalität des Handelns Gottes verschränken sich im Christusgeschehen: Das parti-
kulare Handeln Gottes in Christus muß notwendig als Element eines pluralen Handelns
Gottes verstanden werden, wenn Gott als universal handelnd erfaßt werden soll. Aus-
gangspunkt für die Erkenntnis des auf plurale Weise universal handelnden Gottes bleibt
aber sein partikulares Handeln in Christus.
 Daecke favorisiert eine Theologie, die den ersten und dritten Artikel, die Lehren von der
Schöpfung und dem Geist, wieder stärker reflektiert, um eine Isolierung des christlichen
Glaubens gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen, gegenüber Naturwis-
senschaft und Medizin, kurz, gegenüber der gesamten pluralistischen Kultur zu vermei-
den.
 Nach Türk haben Theologie und Kirche keine andere Wahl, als sich dem Markt der
Möglichkeiten ungeschützt zu stellen und den rationalen Diskurs fortzusetzen, um das
Wahre und Richtige herauszufinden.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 190

 Für Rendtorff ist der theologische Pluralismus vor allem mit dem Problem der Ökumene
gegeben, und die einzig sinnvolle Strategie, mit der Pluralität der verschiedenen Ausges-
taltungen des Christlichen umzugehen, ist für ihn das Modell der »Einheit in der Ver-
schiedenheit«.
 Nach Allen können der christliche Glaube und die Erfahrung der göttlichen Gnade gera-
de in einer pluralistischen Kultur Orientierung ermöglichen und vor Beliebigkeit und
Relativismus schützen.
 In einer Zeit, in der kein archimedischer Punkt zur Beurteilung von Wahrheitsansprü-
chen mehr gegeben ist, läßt sich nach Tracy die hermeneutische Konfliktssituation nicht
auflösen, doch vielleicht kann eine dialogisch strukturierte Theologie trotz aller Plurali-
tät und Ambiguität die gewohnten Denkweisen verändern und Widerstand und Hoff-
nung fördern.
4. Die verschiedenen Antworten auf die Herausforderung der Postmoderne-Diskussion hän-
gen dabei sehr stark davon ab, wie das Problem des Pluralismus wahrgenommen wird: Die
Beiträge, die die Pluralismus-Thematik überwiegend in einem Außenverhältnis zur Theo-
logie sehen (Türk, Allen), entwickeln keine Vorstellungen zu einer postmodernen Theolo-
gie, sondern reflektieren lediglich das Verhältnis von kulturellem Pluralismus und christli-
chem Glauben, während die Theologen, die auch die Innenperspektive sehen (Bucher,
Daecke, Hans-Martin Barth, Rendtorff, Tracy), darüber nachdenken, welche Konsequenzen
dieser Pluralismus für Theologie und Kirche hat.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie,
Ästhetisierung der Religion
Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner
des anderen Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Län-
der, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel,
weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zer-
streut hat in alle Länder.
Genesis 11, 7-9.

Ein anderes [Buch] (das in dieser Zone sehr gefragt war), ist ein bloßes Laby-
rinth von Buchstaben, aber auf der vorletzten Seite steht: O Zeit, deine Pyra-
miden. Man ersieht daraus: auf eine einzige verständliche Zeile oder eine tref-
fende Anmerkung entfallen Meilen sinnloser Kakophonien, sprachlichen
Kauderwelschs oder zusammenhanglosen Zeugs. (Ich weiß von einer Region,
in der die Bibliothekare die abergläubische und eitle Jagd nach dem Sinn in
Büchern verschmähen und sie auf die gleiche Stufe mit Traumdeuterei und
Handlesekunst stellen ... Sie geben zwar zu, daß die Erfinder der Schrift die
fünfundzwanzig Natursymbole nachgeahmt haben; sie behaupten jedoch, daß
sie in der Anwendung zufällig seien und die Bücher an sich nichts bedeuteten.
Diese Auffassung geht, wie man sehen wird, nicht völlig fehl.)
Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel

Überblick
Die Beiträge, die in diesem Kapitel dargestellt und diskutiert werden, rezipieren die aus der
Architektur, Philosophie und Literaturwissenschaft bekannte Dekonstruktionstheorie. Anders
aber als in der Pluralismusdiskussion wird hier nicht zwischen einer Außen- und Innenper-
spektive unterschieden, denn die Dekonstruktion wird als Metatheorie verstanden, die alle
Disziplinen, die mit Texten arbeiten, gleichermaßen betrifft. Deswegen besteht für die De-
konstruktion kein prinzipieller, sondern nur ein thematischer Unterschied zwischen Literatur,
Architektur, Philosophie und Theologie. In all diesen Disziplinen versteht sich die De-
konstruktion als »Diskurs dritter Ordnung«, der sich parasitär an die Primär- und Sekundärtex-
te anhängt und sie auf ihr »Anderes« hin analysiert: auf das, was die Texte verschweigen, auf
ihr unausgeschöpftes semantisches Bedeutungspotential und ihre labyrinthische Struktur, mit
dem subversiven Ziel, das festgefügte semantische Netzwerk der Texte aufzubrechen, um zu
zeigen, daß jeder Text stets ein lockeres, offenes Gewebe ist, in dem alle Bedeutungen zwi-
schen Anwesenheit und Abwesenheit flackern und um deutlich zu machen, daß sich die Texte
jeder endgültigen Festlegung ihrer Bedeutung entziehen.
Im Zentrum des theologischen Interesses an der Dekonstruktion steht die Frage nach den
Konsequenzen, die eine Anwendung der dekonstruktiven Theorie auf die theologische Spra-
che für das christliche Gottesverständnis mit sich bringt: Führt der metaphorische und meto-
nymische Charakter der Sprache notwendig dazu, daß der metaphysische Gottesbegriff der
theistischen Tradition durch einen rein intralinguistischen ersetzt werden muß? Muß folglich
Gott allein in der Sprache gesucht, quasi »verschriftlicht« werden, wenn es keinen Zugang zu
einem extralinguistischen Referenten der Sprache gibt? Oder bleibt die Möglichkeit eines
transzendenten Gottesbildes bestehen, selbst wenn der Referent theologischer Sprache immer
nur in und als Sprache gegeben ist? Dies sind spannende Fragen, die in der Diskussion unter-
schiedlich beantwortet werden.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 192

Neben den Entwürfen einer dekonstruktiven Theologie1 werden in diesem Kapitel aber
auch noch zwei mit der dekonstruktiven Thematik verwandte Konzeptionen präsentiert: zum
einen George Lindbecks intratextuelles Modell religiöser Symbolbildung, das auf dem Hinter-
grund von Wittgensteins Sprachspieltheorie und den anthropologischen und soziologischen
Forschungen von Peter L. Berger und Clifford Geertz eine »postliberale Theologie« zu entwi-
ckeln versucht und zum anderen das Experiment Hermann Timms, durch die Einführung des
Collage- und Zitatstils aus der ästhetischen Postmoderne (Architektur, Literatur) eine Ästheti-
sierung von Religion und Theologie einzuleiten und den Schwerpunkt der theologischen Ar-
beit von der Erkenntniswahrheit auf Lebenswahrheit zu verlagern.

1. Das »Schweigen des Realen«: Charles Winquist


Charles E. Winquist, Professor für Religious Studies an der Syracuse University (New York),
versteht »Postmoderne« nicht als Epochenbegriff, der den Anbruch einer neuen Zeit markiert,
sondern als intellektuelle Strategie im Gefolge der (post-)strukturalistischen Sprachwissen-
schaft.2 Für Winquist bezeichnet Postmoderne eine bestimmte Weise des Denkens in der
»Tradition des Verdachtes«, als deren Gründer Freud, Nietzsche und Marx (»the evangelists of
suspicion«) angesehen werden können.3 Weil aber die Täuschung immer weiter als der Ver-
dacht geht, wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts die vertikale Phantasie, immer »tiefer« nach
Sinn und Bedeutung graben zu können, ständig vom »horizontalen« Spiel der Vielfältigkeit
unterminiert. Die intellektuelle Arbeit ähnelt nun mehr der eines Bastlers (»bricoleur«) als der
eines Archäologen, und das, was einst als selbstevidenter Grund für das Denken galt, erweist
sich bei näherem Hinsehen als sekundäre Entwicklung: das Selbst und die nicht hinterfragte
Subjektivität, die nun selbst zur Frage geworden ist.4

Die Erschütterung des Glaubens an die Sprache als »Spiegel der Natur«
Der Traum des modernen Rationalismus, daß die Sprache dem Subjekt ein wahrhaftiges Ab-
bild der Natur liefern kann, ist – so Winquist – ausgeträumt und zu einer Wunde geworden,
die nicht mehr geheilt werden kann.5 Die Einsicht, daß jede Theorie des Subjektes mit der
Theorie der Sprache so verknüpft ist, daß die eine Theorie zur Interpretation der anderen wird,

1 Vgl. zum Spektrum theologischer Rezeption der Dekonstruktionstheorie: R. DETWEILER: Story, Sign, and
Self; C. A. RASCHKE: Theological Thinking; sowie die Sammelbände: TH. J. J. ALTIZER U.A.: Deconstruc-
tion and Theology; R. P. SCHARLEMANN (Hrsg.): Theology at the End of the Century; R. P. SCHARLEMANN
(Hrsg.): Negation and Theology.
2 Vgl. zur Abgrenzung von Strukturalismus und Poststrukturalismus: Erster Hauptteil, II. 4.
3 CH. E. WINQUIST: The Silence of the Real, S. 15; CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 58. Zur Be-
deutung von Marx, Freud und Nietzsche vgl. auch: CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 21, 33, 92.
Auch in der spanischen und holländischen Postmoderne-Diskussion wird von theologischer Seite vor allem
Nietzsche als Vorläufer der Postmoderne angesehen. Vgl. dazu: J. D. MURUGARREN: Postmodernidad y
cristianismo, S. 139-145; J. M. MARDONES: Postmodernidad y cristianismo, S. 80-83; J. VAN DER VLOET:
Het geloof voor de uitdaging van het postmodernisme, S. 139.
4 CH. E. WINQUIST: The Silence of the Real, S. 15-16. Vgl. zur »Subversion und Transzendenz des Subjektes«
auch: CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 1-17.
5 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 52.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 193

macht jede gesicherte Ausgangsbasis für das Denken a priori unmöglich.6 Das Konzept, eine
»verborgene Ordnung der Dinge« zu denken, beruht auf der falschen Voraussetzung, daß das
Subjekt in einer definierbaren und unmittelbaren Relation zum Objekt steht.7 Denn das be-
wußte Bild von den »Dingen wie sie sind« ist immer eine sprachlich vermittelte Repräsentati-
on und nie eine Präsentation: Das »Bild« ist nicht die Wirklichkeit selbst. Wenn aber das
»Bild« nicht als identisch mit der äußeren Realität betrachtet werden kann, wenn das erken-
nende Subjekt mittels der Sprache nicht die objektive äußere Realität abbildet, sondern sie zu-
allererst konstituiert, dann muß das »Bild« als Ergebnis der Imagination, als »Werk«, als
»Konstruktion« angesehen werden und nicht als Spiegel der Wirklichkeit.8 Aus dieser Grund-
einsicht der Dekonstruktion folgert Winquist, daß das Hauptaugenmerk auf die konstruktive
Kraft der Sprache und damit auf die Texte selbst gelegt werden muß.
Nach Winquist ist die Dekonstruktion darum auch keine Erfindung unterbeschäftigter In-
tellektueller, sondern mit dem Problem des »Textes« selbst gegeben: mit seinem Ursprung im
Diskurs und Schreiben, mit der »Materialität seiner Präsenz« (»materiality of its presence«)
und mit seinen Beziehungen zu den Realitäten, die er repräsentiert.9 Deshalb hat die De-
konstruktion Konsequenzen für all diejenigen Disziplinen, die mit Texten arbeiten: Die apore-
tische Undurchsichtigkeit der Texte affiziert ebenso die Arbeit von Theologen, Philosophen
und Sozialwissenschaftlern wie die der Literaturkritiker und kann nicht einfach als Problem
anderer beiseite geschoben werden.10 Winquist faßt das Thema der Dekonstruktion wie das
der dekonstruktiven Theologie in zwei miteinander verknüpften Problemkreisen zusammen:
(1) Das dekonstruktive Problem ist das Problem des Textes, weil wir immer schon im »Text«
sind und es uns nicht möglich ist, einfach außerhalb, neben oder hinter den Text zu treten. (2)

6 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 40.


7 CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 59.
8 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 65, 70-71. Winquist bezieht sich hier auf den Titel eines Bu-
ches von Richard Rorty. Vgl. R. RORTY: Philosophy and the Mirror of Nature. Eine auf Rorty und Derrida
aufbauende postmoderne Theologie hat auch Don Cupitt zu entwerfen versucht. Vgl. dazu: D. CUPITT:
Creation Out of Nothing; D. CUPITT: Only Human; D. CUPITT: The Long-Legged Fly. Vgl. zur Kritik an
dieser postmodernen Theologie: S. COWDELL: All This, and God Too?, S. 267-271.
9 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 48. Subjekt, Text und Welt sind dabei für Winquist in
einem »Drama der Ambivalenz« aufs engste miteinander verknüpft: »The interpretive power of the text resi-
des in the calling of nonrealized possibilities into the proximity of the concept of the subject, thereby re-
constituting both the showing of the world and the meaning of the subject that emerges as a correlate of
conscious intentionality. The text, the subject, and the world are implicated in a drama of ambivalence that
is ›lightning-conceiling-releasing.‹ The disclosure of the subject is now also an announcement that there re-
mains a hiddenness of meaning because the subject is revealed in its connectedness to the power of the text
and the meaning of the world«. CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 15.
10 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 48. Daß die Dekonstruktion auch Implikationen für die
Exegese hat, haben im englischen Sprachraum einige Bibelwissenschaftler wahrgenommen, und so hat sich
neben der systematisch-theologischen Diskussion auch eine Diskussion über die Möglichkeiten einer de-
konstruktiven biblischen Hermeneutik etabliert. Gegen die moderne historisch-kritische Konzentration auf
die Texte wird hier – in der Nachfolge Paul de Mans und unter dem Stichwort »Reader-Response-Criticism«
– der Schwerpunkt auf das Verhältnis von Text und Leser gelegt. Vgl. dazu: E. V. MCKNIGHT: Postmodern
Use of the Bible; M. I. WALLACE: Postmodern Biblicism; W. A. KORT: »Religion and Literature« in Post-
modernist Contexts, S. 575-585; M. COLERIGDE: In Defence of the Other; ST. D. MOORE: Postmodernism
and Biblical Studies; ST. D. MOORE: Literary Criticism and the Gospels; R. M. FOWLER: Postmodern
Biblical Criticism; G. AICHELE: On Postmodern Biblical Criticism and Exegesis; ST. PRICKETT (Hrsg.):
Reading the Text.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 194

Weil das theologisches Denken notwendigerweise Texte produziert, ist die Theologie in diese
Problematik eingebunden.11

Die Krise der Bedeutung in der theologischen Sprache


Für die Theologie ergibt sich nach Winquist nicht zuletzt deswegen ein spezielles Interesse an
der dekonstruktiven Problematik, weil es seit den sechziger Jahren eine anhaltende Diskussion
über die Voraussetzungen und Möglichkeiten theologischer Sprache gibt.12 Dabei wird nicht
so sehr nach der Gültigkeit theologischer Sprache gefragt, sondern in erster Linie nach der Be-
deutsamkeit oder Bedeutungslosigkeit theologischer Sprache.13 Die Theologie wird auf ihr
semantisches Bedeutungspotential hin befragt, weil eine sinnvolle Verbindung von theologi-
scher Rede und der Welt, die sie zu deuten versucht, abhanden gekommen zu sein scheint: Die
Diskrepanz zwischen der theologischen Rede von Gott und ihres öffentlichen Verhallens wird
als »Krise der Bedeutung« schmerzhaft erfahren.14 Doch diese »Krise der Bedeutung« ent-
springt dem Prozeß des Denkens selbst und besteht eben in der Erschütterung des Glaubens,
daß die Sprache als »Spiegel der Natur« angesehen werden kann: Weil die Sprache die Wirk-
lichkeit nicht abbildet, sondern »imaginiert«, ist und bleibt jeder Diskurs – auch der theologi-
sche – immer metaphorische Rede.15 In dem Augenblick, in dem die Theologie den metapho-
rischen Charakter ihrer Sprache realisiert, muß sie erkennen, daß sie eine »konstruktive« und
keine »deskriptive« Aktivität ist.16
Die de-konstruktive Strategie besteht nun darin, die theologischen Konstruktionen bis in
ihre Anfänge hinein zurückzuverfolgen: Sie fragt nach der Genese dieser Konstruktionen, dem
»Spiel der Kräfte«, die in diesen Texten wirksam sind und versucht, die »metaphorischen

11 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. XI.


12 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 49. Winquist führt hier vor allem die »Gott-ist-tot-
Theologie« der sechziger Jahre an. Nach Langdon Gilkey, den Winquist hier zitiert, versuchte diese Theolo-
gie vor allem eine Antwort auf die folgende Frage zu finden: »Is there in experience any transcendent di-
mension for which religious or theological language is necessary and in relation to which it makes sense?«
L. GILKEY: Naming the Whirlwind, S. 13. Vgl. zur Diskussion um die Problematik theologischer Sprache
auch: TH. J. J. ALTIZER: Total Abyss and Theological Rebirth, S. 169-172; J. B. COBB, JR.: Deconstruction
and Reconstruction of »God«, S. 163; I. U. DALFERT: Religiöse Rede von Gott; E. JÜNGEL: Gott als Ge-
heimnis der Welt, S. 1-16.
13 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 49. Ebenso auch Theodore Jennings: »Can we any longer
speak meaningfully and responsibly of God? This question has become something of an obsession for aca-
demic theology in the last three decades (...) It has become virtually self-evident that upon this inquiry and
its results depends the whole enterprise of theology«. TH. W. JENNINGS: Beyond Theism, S. 3. Vgl. zu Win-
quist und Jennings auch: R. P. SCHARLEMANN: Recent Works in Postmodern Theology, S. 312-314.
14 »A suspicion has surfaced within the academic community of theologians that the theological use of langua-
ge is a play of signifiers without any determined or determinable reference outside its own play«. CH. E.
WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 56.
15 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 49. Vgl. zur metaphorischen Sprache der Theologie
auch: E. JÜNGEL: Metaphorische Wahrheit; P. RICOEUR: Philosophische und theologische Hermeneutik;
P. RICOEUR: Die lebendige Metapher; S. MCFAGUE: Metaphorical Theology, S. 1-29; M. SCHRAMA: De-
constructie en verlangen naar geloofsverstaan; D. TRACY: Metaphor and Religion; A. HAVERKAMP (Hrsg.):
Theorie der Metapher; J.-P. VAN NOPPEN (Hrsg.): Erinnern, um Neues zu sagen; SH. SACKS (Hrsg.): On
Metaphor.
16 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 50. Winquist zitiert hier: G. D. KAUFMAN: An Essay on
Theological Method, S. 35-37. Vgl. zur Konstruktion des Gottesbildes auch: G. D. KAUFMAN: The Theolo-
gical Imagination, S. 21-57.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 195

Wurzeln« der Texte offenzulegen. Als Teil einer »Hermeneutik des Verdachts« untergräbt der
dekonstruktive Diskurs innerhalb der Theologie das horizontale semantische Netzwerk, auf
das sich die theologischen Konstruktionen »erster und zweiter Ordnung« gründen.17 Insofern
kann die Dekonstruktion als »Theologie dritter Ordnung« (»third-order theology«) oder als
Hermeneutik verstanden werden, die die Theologien »erster Ordnung« (die religiösen Texte)
und »zweiter Ordnung« (die systematische Reflexion dieser Texte) auf die Berechtigung ihrer
Aussagen hin befragt.18 Dabei verfolgt die Dekonstruktion nicht das Ziel, eine einheitliche
und abschließende Interpretation der Texte zu finden, denn eine solche »Lösung« wäre unwei-
gerlich eine Reduktion des Textes, weil »das Abwesende«, »das Andere«, das ebenfalls in den
Texten enthalten ist, verdrängt, der metaphorische Charakter theologischer Texte geleugnet
und das freie »Spiel der Kräfte« unterdrückt würde.19 Jeder Text muß vielmehr zugleich als
»Rest« des Prozesses seiner Hervorbringung und als »Prä-Text« für weitere, zukünftige Texte
aufgefaßt werden, denn jeder Text weist stets über sich selbst hinaus – in die Vergangenheit
ebenso wie in die Zukunft.20

Dekonstruktive Theologie als »theologische Tropologie«


Für den theologischen Diskurs folgert Winquist daraus, daß die systematische Theologie nie
zum Abschluß kommen, nie vollendet werden kann, weil der Referent theologischer Sprache
nur in und als Sprache gegeben ist.21 Die Sprache arbeitet immer gegen die Vollendung eines
Systems, weil sie immer im Fluß ist und sich in einem dialektischen Prozeß zu dem »Ande-
ren« ihrer selbst ständig transformiert: Das Anwesende, das Bewußte, das Gegenwärtige er-
scheint nur für kurze Zeit aus der Dunkelheit, leuchtet immer nur als »Schatten einer ver-
schwindenden Spur« auf und verweist stets auf das Abwesende, auf das Andere, das
Unbewußte und Unterbewußte.22 Postmoderne Theologie muß deshalb für Winquist vor allem
eine »theologische Tropologie« sein, die ihr Selbstverständnis aus der fließenden Sukzession
der Bilder bezieht.23
Eine solche postmoderne Theologie hat zwangsläufig einen experimentellen Charakter.
Sie kann dadaistisch werden. Das ist ihr Risiko. Auf der anderen Seite steht die Theologie in
der Gefahr, keine kritische Kraft mehr zu entfalten, weil ihre Stimme nicht mehr gehört und

17 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 51. Ebenso auch: G. P. GLEESON: Deconstructing the
Concept of God, S. 64.
18 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 76-77, 102-103.
19 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 54. Eine »gewisse« Affinität der Dekonstruktion »zu be-
freiungstheologischen und feministischen Denkbewegungen« diagnostiziert Joachim Valentin: »Auch diese
Bemühen sich darum, befreiende Tendenzen aus einer ambivalenten theologischen und glaubenspraktischen
Tradition herauszulösen, indem sie vor allem marginalisierte, vernachlässigte oder verschollene Texte aus-
findig zu machen versuchen (...) Befreiung auf gesellschaftlicher Ebene setzt eine Dekonstruktion in den
Köpfen und in den Texten voraus, und umgekehrt bewirken die tatsächlichen Befreiungsakte eine veränderte
Lektüre der überlieferten Texte«. J. VALENTIN: Dekonstruktion, S. 24.
20 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 55.
21 CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 65. Winquist beruft sich hier auf: R. P. SCHARLEMANN: The
Being of God When God Is Not Being God, S. 104.
22 CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 60. Vgl. zum Einfluß der Psychoanalyse auf Strukturalismus
und Dekonstruktion: P. RICOEUR: Hermeneutik und Psychoanalyse, 9-35.
23 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. X-XI.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 196

ihre Sprache nicht mehr verstanden wird.24 Die dekonstruktive Theologie birgt dagegen
durchaus kritische Ressourcen gegenüber dem öffentlichen Diskurs: Indem sie die festen
Denkgewohnheiten und Denktraditionen dekonstruiert, kann sie Freiräume für neue Bedeu-
tungen schaffen und von den christlichen Texten her Alternativen zum alltäglichen Denken
aufzeigen.25

2. Das Sein Gottes, wenn Gott nicht Gott ist: Robert Scharlemann
Wie für Charles Winquist ist auch für Robert Scharlemann, Professor für Religious Studies
and der University of Virginia (Charlottesville), die Problematisierung der unhinterfragten
Subjektivität des modernen Bewußtseins der Ausgangspunkt für die Postmoderne. Im Unter-
schied zu Winquist aber hat der Begriff Postmoderne für Scharlemann durchaus auch eine
zeitdiagnostische Funktion: als Indikator dafür, daß die Grundlagen des modernen Denkens
zunehmend in Frage gestellt werden. Nach Scharlemann basiert die Moderne auf drei wesent-
lichen Traditionen der abendländischen Kultur: auf der griechisch-römischen Zivilisation, der
christlichen Religion und dem Prinzip der Autonomie des Subjektes, das in der Renaissance
entdeckt und von der Reformation ausgebaut wurde und das in der Aufklärung seinen Höhe-
punkt erreichte. Die Autonomie des Subjektes und die Überzeugung, daß eine objektive Er-
kenntnis der Dinge möglich ist, führte zu einer Spaltung von Subjekt und Objekt, die die
Grundlage für die Industrialisierung und Entwicklung der modernen Gesellschaft bildete.

Der Umbruch von der Moderne zur Postmoderne nach dem Ersten Weltkrieg
Dieser Rahmen wurde nach dem Ersten Weltkrieg von der Dialektischen Theologie (Barth,
Bultmann, Gogarten, Tillich) und der hermeneutischen Ontologie (Heidegger), aber auch von
der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik in Frage gestellt.26 Insofern sind diese Um-
denkprozesse für Scharlemann – wie für Rendtorff – auch schon Signale für den Beginn der
Postmoderne.27 Die Dialektischen Theologen der zwanziger Jahre, insbesondere Barth und
Bultmann, brechen mit der abendländisch-theistischen Tradition, indem sie die Möglichkeiten
menschlicher Rede von Gott problematisieren und damit die Aufmerksamkeit auf die Bedin-
gung der Möglichkeit menschlicher Rede von Gott lenken. Die vollen Konsequenzen dieses
Umbruchs, die ihren Ursprung in Heideggers »Destruktion der Geschichte der Ontologie« ha-
ben, werden jedoch heute erst sichtbar.28

24 A.a.O., S. XI.
25 A.a.O., S. 94.
26 R. P. SCHARLEMANN: The Forgotten Self and the Forgotten Divine, S. 85-86. Ähnlich auch: J. B. MILLER:
The Emerging Postmodern World, S. 9-10.
27 R. P. SCHARLEMANN: The Forgotten Self and the Forgotten Divine, S. 55-56, 83; Vgl. zu Barth und Tillich
auch: R. P. SCHARLEMANN: Inscription and Reflections. S. 109-124. Die Bedeutung der Umbruchssituation
nach dem Ende des Ersten Weltkriegs für Heideggers Sein und Zeit wie für Barths Römerbrief betont auch:
G. STEINER: Martin Heidegger, S. 9-21.
28 R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 79-81. Vgl. zu den theologischen
Implikationen einer »Verwindung« der metaphysischen Tradition: J. S. O’LEARY: Questioning Back, S. 6-
48.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 197

Auch wenn das Konzept der Postmoderne noch nicht endgültig definiert werden kann, so
sind einige Grundpositionen für Scharlemann doch schon in Umrissen erkennbar: Die Post-
moderne ist von dem Bewußtsein einer tiefen Unsicherheit über das Sein des Selbst und über
die Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis geprägt.29 Grundlegend dafür ist die Einsicht, daß
die volle Selbsttransparenz des Subjektes zu sich selbst, die Descartes als unbezweifelbaren
Grund des Seins annehmen konnte, nicht gegeben ist, weil das Bewußtsein immer vom Un-
und Unterbewußtsein affiziert ist.30 Daraus resultiert die Erkenntnis, daß es kein »reines«, uni-
formes oder universales Selbst (das »transzendentale Ego« Kants) geben kann, sondern allen
rationalen Ideen und empirischen Wahrnehmungen kulturelle Konditionierungen zugrunde
liegen: Die Struktur der Subjektivität kann nicht unabhängig von dem linguistischen Milieu,
in dem die Worte »Ich« und »Selbst« erscheinen, bestimmt werden.31 Wenn es aber keine vol-
le Transparenz des Selbst gibt, welche als Grundlage für eine theoretische und praktische Be-
herrschung der Welt dienen könnte, dann gibt es auch keinen »archimedischen Punkt«, keine
absolute, unhintergehbare Basis des Denkens, dann hängen vielmehr alle Wahrnehmungen der
Wirklichkeit und der Wahrheit von den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten einer bestimm-
ten Kultur ab.32

Gibt es einen Zugang zu »transzendentalen Signifikaten«?


Auf diesem erkenntnistheoretischen Hintergrund versucht nun die Dekonstruktion, die Struk-
turen des Denkens unter linguistischen Gesichtspunkten zu analysieren und bis in ihre Anfän-
ge hinein zurückzuverfolgen, indem sie den Prozeß der sprachlichen Konstruktion von Wirk-
lichkeit umkehrt und die Regeln zu finden versucht, nach denen in einem linguistischen
System »Sinn« und »Bedeutung« erzeugt werden.33 Die grundlegende These der Dekonstruk-

29 R. P. SCHARLEMANN: Introduction, S. 6. Ähnlich die Analyse des Kieler Theologen Wolfgang Nethöfel:
»Im Poststrukturalismus enthüllt sich nun die Zitathaftigkeit der Postmoderne als begriffene Intertextualität
des Subjektes. So wie der Poststrukturalismus die Anwendung der strukturalen Analyse auf den Vorgang der
strukturalen Analyse selbst ist, so ist die Postmoderne die Fortsetzung der modernen Konstitution des Selbst
in der zitathaften Vergegenwärtigung der Diskurse, mit denen es sich ursprünglich von Natur und Geschich-
te distanziert hat«. W. NETHÖFEL: Theologische Hermeneutik in der Postmoderne, S. 220. Vgl. auch:
G. J. PERCESEPE: The Unbearable Lightness of Being Postmodern, S. 124-126.
30 R. P. SCHARLEMANN: Introduction, S. 2. Vgl. auch: R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is
Not Being God, S. 84-85; R. P. SCHARLEMANN: The Reason of Following, S. 4-6. Ebenso: Y. LABBÉ:
Réceptions théologiques de la »postmodernité«, S. 397; CH. E. WINQUIST: The Silence of the Real, S. 29.
31 R. P. SCHARLEMANN: Introduction, S. 3. »Sprache« und »Dasein« müssen als Spiegel des jeweils anderen
verstanden werden: »We can see what our acts of thinking-being are by their expression in language, and we
can understand language by an awareness of our acts of thinking being. Dasein is a thinking that is a being,
as language is a thing that is thought«. R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being
God, S. 87.
32 R. P. SCHARLEMANN: Introduction, S. 4-6. Daß Wahrheit und Realität Konstruktionen menschlicher Phan-
tasie sind, macht auch George Aichele deutlich: »Postmodern thought centers upon a fantastic, generic inde-
terminacy, the non-identity and self-referentiality inherent in language, which makes decisive thruth-claims
impossible. Insofar as one can continue to speak of reality at all, it is generically indeterminate, fantastic«.
G. AICHELE: Literary Fantasy and Postmodern Theology, S. 328.
33 R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 81, 87. Vgl. zur Polarität von
»Sinn« und »Bedeutung« auch: P. RICOEUR: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik, S. 359-
360. John Thiel bringt das Anliegen der Dekonstruktion folgendermaßen auf den Punkt: »Deconstruction
calls into question the very notion of truth as reference that has characterized the Platonic heritage of Wes-
tern intellectual culture. Such a metaphysical understanding of reality presupposes a separation between the
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 198

tion besagt, daß es keinen Zugang zu den »Dingen an sich« gibt, weil jedes von einem linguis-
tischen Zeichen Bezeichnete selbst wieder von anderen Zeichen abhängig ist.34 Scharlemann
veranschaulicht dies an einem konkreten Beispiel: Das Wort »Baum« ist nicht der Baum
selbst. Der Gegenstand der Natur, ob er nun als »Baum«, »tree«, »arbor« oder anders bezeich-
net wird, ist von dieser Bezeichnung unabhängig. Die Bedeutung (»Signifikat«) des Wortes
»Baum« ergibt sich aus der Beziehung des Wortes (»Signifikant«) zu seinem Referenten35
(dem Gegenstand der Natur): Das Wort »Baum« verweist nur auf einen Gegenstand der Natur.
Dieses, von der »klassischen« Semiotik und dem Strukturalismus entwickelte Konzept von
Bedeutung wird von der Dekonstruktion (deswegen auch »Post-Strukturalismus« genannt) je-
doch noch einmal hinterfragt. Das Problem besteht nämlich darin, daß das Wort »Baum« nicht
von sich aus auf einen »realen« Gegenstand verweist, sondern seine Bedeutung nur dadurch
bekommt, daß es mit anderen Worten beschrieben wird, die ihrerseits wiederum nur Worte
sind, die durch andere Worte beschrieben werden. So entsteht ein Netz unendlich aufeinander
verweisender Worte, eine unendliche »Signifikantenkette«.36
Die Dekonstruktion zielt darum auf einen anderen Punkt: Während sich im Falle des Bau-
mes durchaus von einem »extralinguistischen Referenten« sprechen läßt (weil es sich um
einen Gegenstand der sichtbaren Natur handelt), bestreitet Derrida den Zugang zu »transzen-
dentalen Signifikaten« (»transcendental signified«). Das heißt: Er bestreitet, daß es einen un-
mittelbaren, verifizierbaren Zugang zu »metaphysischen Begriffen« wie Gott, Wahrheit,
Wirklichkeit, Gerechtigkeit, Denken, Logik, Vernunft etc. gibt.37 Nach Scharlemann heißt
dies aber nicht, daß es keinen »realen« Referenten der Sprache gibt, daß Gott, Wahrheit,
Wirklichkeit, Logik, Vernunft bloße Illusionen sind, sondern eben nur, daß es keinen nicht-
sprachlich vermittelten Zugang zur intelligiblen Welt gibt.38 Doch welche theologischen Fol-
gerungen ergeben sich nun für Scharlemann aus der Dekonstruktion?

––––––––––––––––––––––––––
signifier and the signified, the former serving as a conveyer of the latter’s meaning. Underlying this notion
of signification as reference is what Derrida calls the ›transcendental signified‹, the assumption of a compre-
hensive meaning which unites and defines the entire system of meaning«. J. E. THIEL: Theological Authors-
hip, S. 35.
34 Vgl. dazu und zum folgenden auch: Erster Hauptteil, II. 4 und II. 5.
35 Vgl. zur Geschichte und Problematik des Begriffs »Referent« und zur »Referenzsemantik«: U. ECO: Zei-
chen, S. 108-165; TH. LEWANDOWSKI: Linguistisches Wörterbuch, S. 827-830.
36 R. P. SCHARLEMANN: Deconstruction, S. 186. Vgl. auch: R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When
God Is Not Being God, S. 100; J. E. HORSTMAN: Postmodern Christianity, S. 19.
37 Scharlemann weist darauf hin, daß der Begriff »transcendental signified« im theologischen Kontext miß-
verständlich ist, weil er als Chiffre für Gott verstanden werden könnte. Doch die Dekonstruktion verwendet
ihn in einem anderen Sinn: »Derrida’s denial of a transcendental signified, which occurs in connection with
a critique of Saussure’s structuralism and of Husserl’s notion of phenomenological intuition, has a different
intention. What it means is that there is no access to what is signified by linguistic signs which does not it-
self in turn have to make use of linguistic signs«. R. P. SCHARLEMANN: Deconstruction, S. 186. Vgl. zur
Kontroverse um einen außerlinguistischen Referenten der Sprache in Derridas Theorie: Erster Hauptteil, II.
4, Anm. 64.
38 R. P. SCHARLEMANN: Deconstruction, S. 187. Ähnlich auch George Aichele: »We can never escape from li-
teral, alphabetic su[r]face and its endless dissemination to an ideal, conceptual realm; the fantastic fictionali-
ty of language undercuts every attempt to refer to an extratextual reality«. G. AICHELE: Literary Fantasy and
Postmodern Theology, S. 328.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 199

Dekonstruktion als Erinnerung des Ungedachten


Die theologische Problematik wird nach Scharlemann dadurch verkompliziert, daß in der bib-
lischen Tradition und der Theologie, die dieser Tradition folgt, das Wort Gott auf das Wort
Wort und umgekehrt das Wort Wort auf das Wort Gott verweist: Das Wort ist hier – anders als
in der Alltagssprache – zugleich der Referent, ohne daß aber die Differenz zwischen dem
Wort und dem Objekt, das es bezeichnet, aufgehoben ist.39 Das Wort Gott bedeutet in diesem
Sinne »Zeichen von etwas« und zugleich »Hinweis auf etwas«.40 Anders gesagt: Das Wort
Gott hat die Bedeutung von »nicht-Ich« und von »nicht-dies«; Gott ist das Negative, das die
»Andersheit« Gottes bezeichnet, weil Gott weder als benennendes Subjekt noch benanntes
Objekt noch als Einheit der beiden qualifiziert werden kann. Andererseits ist aber auch das
Wort Gott die Realität Gottes, so wie die Worte Ich und dies die Realitäten von Subjekt und
Objekt sind. Der Referent des Wortes Gott ist also ein »doppelt-andersartiger«: Zum einen
verweist Gott auf die Andersheit von Ich und dies, und zum anderen verweist Gott auf das an-
dere Wort, nämlich das Wort Wort oder die Sprache selbst.41
Insofern also der Referent theologischer Sprache immer nur in und als Sprache gegeben
ist, ist die Frage nach einem extralinguistischen Referenten des theologischen Diskurses ne-
bensächlich: Um die Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch zu verstehen, ist
es nicht nötig, die historischen und biographischen Hintergründe oder die chemischen und
physikalischen Prozesse dieses Ereignisses zu rekonstruieren. Viel wichtiger ist die Frage
nach dem intralinguistischen Referenten: Die Beschreibung der Einheit von »Sein« und
»nicht-Sein« im brennenden aber nicht ver-brennenden Busch ist die Art und Weise, in der die
Geschichte die Andersheit erzählt, die der wahre Referent der Geschichte ist.42 Die Offenba-
rung des Gottesnamens (»Ich bin der ich bin«) ist nur einmal am Sinai geschehen, aber sie
kann auch weiterhin verstanden und erinnert werden: Immer da, wo die Worte »Ich bin« oder
»Ich bin ich« oder »Ich bin der ich bin« wiederholt werden, repräsentieren sie die Anwesenheit
des abwesenden Gottes.43
Die Einheit von Abwesenheit und Anwesenheit Gottes in der Zeit, die in dem Namen Got-
tes intendiert ist, hinterfragt das via eminentiae und via negationis gewonnene theistische Got-
tesbild der metaphysischen Tradition: Der metaphysische Gott (als das höchste Sein) ist nicht
mehr länger Gott, weil etwas Größeres gedacht werden kann: nämlich die Unterscheidung

39 Das Verstehen einer Sprache ergibt sich nach Scharlemann nicht aus dem Klang der Worte an sich, sondern
aus der Bedeutung, die die Worte tragen: »In that sense, every word is a sign, a pointer-to. It points to the
meaning it carries, and that meaning, in turn, points to the referent that is signified. So, for example, when
we hear the word tree (in the context of an intelligible discourse), we understand that the word, though it is
different from the object, is of the object. This ›being of‹ while ›not being‹ is the structure of a sign (or of
what, today, is usually called a ›symbol‹ in theology). It links words with things without eliminating the dif-
ference between the two«. R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 101.
40 R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 102.
41 A.a.O., S. 103. Manche sehen die dekonstruktive Theologie deswegen auch in der Tradition der negativen
Theologie. Vgl. dazu: K. HART: The Trespass of the Sign, S. 3-104, 207-269; D. E. KLEMM: Open Secrets,
S. 8-22; W. LESCH: Wer hat Angst vor Dekonstruktion?, S. 31; E. WYSCHOGROD: How to Say No in French,
S. 51-54.
42 R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 104.
43 A.a.O., S. 105.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 200

zwischen »Gott« und dem »Sein an sich«.44 Die Dekonstruktion des theistischen Gottesbildes
zeigt, wie die »Zeitlichkeit« und das »Anderssein« Gottes in der metaphysischen Tradition
ungedacht geblieben sind und ermöglicht, Gott so zu denken wie es in der theistischen Tradi-
tion nicht möglich war: nicht als transtemporal existierende Gottheit oder metaphysische Enti-
tät, sondern als Aktualität im Leben und in der Geschichte.45

3. Postmoderne A/Theologie: Mark Taylor


Den radikalsten und umstrittensten Beitrag zur dekonstruktiven Theologie hat Mark Taylor,
Professor für Religion am Williams College (Williamstown/Mass.), mit seinem 1984 erschie-
nenen Buch Erring. A Postmodern A/Theology vorgelegt. Dieses Werk basiert auf zwei Tradi-
tionen: auf der Gott-ist-tot-Theologie der amerikanischen Theologen um Thomas J. J. Altizer
und auf der französisch-amerikanischen Dekonstruktionstheorie.46 Einige sprachphilosophi-
sche Vorstudien zu Erring hat Taylor in seinem 1982 publizierten Buch Deconstructing Theo-
logy niedergelegt.47 In der Nachfolge der französischen Sprachphilosophie (Strukturalis-
mus/Poststrukturalismus)48 unternimmt Taylor mit Erring den Versuch, eine Theologie
anhand der linguistischen Prämissen der Dekonstruktion zu entwickeln.

Der »Tod Gottes« als Ausgangspunkt aller Theologie


Nach Taylor wurden die meisten theologischen Antworten auf die Herausforderungen des
modernen Denkens auf dem Hintergrund der jeweiligen zeitgenössischen Philosophien entwi-
ckelt. In diesem Jahrhundert war die Symbiose von philosophischem und theologischem Den-
ken oft sehr fruchtbar: Heidegger, Bloch, Wittgenstein und Whitehead lieferten die Voraus-

44 A.a.O., S. 105-106. Ähnliche Kritik am Gottesbegriff der metaphysischen Tradition äußert auch Eberhard
Jüngel: »Das Sein des zur Welt kommenden Gottes könnte ja nur gar zu sehr als das Sein einer Gottheit beg-
riffen werden, die definiert wäre durch den Besitz der ins Maximum gesteigerten Vorzüge und durch den
Ausschluß aller Mängel der Welt. Eine solche via eminentiae und via negationis vollzogene theologische
Metaphernbildung beherrschte die christliche Tradition – sehr zu ihrem Schaden. Demgegenüber ist das
Sein des zur Welt kommenden Gottes von der Geschichte des zur Welt gekommenen Gottes her zur Sprache
zu bringen«. E. JÜNGEL: Metaphorische Wahrheit, S. 150-151.
45 R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 106-107. Vgl. auch: R. P.
SCHARLEMANN: Fides Quaerens Intellectum as Basis of Pluralistic Method, S. 243-245.
46 Deswegen ist die Dekonstruktion für Carl Raschke auch nichts anderes als »the death of God put into wri-
ting«. C. A. RASCHKE: The Deconstruction of God, S. 27. Vgl. zu Altizer und der »Gott-ist-tot-Theologie«:
TH. J. J. ALTIZER (Hrsg.): Toward a New Christianity; J. B. COBB, JR.: Christlicher Glaube nach dem Tode
Gottes; W. HAMILTON: The New Essence of Christianity; D. SÖLLE: Stellvertretung; TH. J. J. ALTIZER –
W. HAMILTON: Radical Theology and the Death of God. Vgl. zum Ursprung und zur Kritik der Rede vom
»Tod Gottes«: O. BAYER: Leibliches Wort, S. 289-305; E. JÜNGEL: Gott als Geheimnis der Welt, S. 55-137;
E. JÜNGEL: Vom Tod des lebendigen Gottes; J. MOLTMANN: Theologie der Hoffnung, S.150-155; H. KÜNG:
Existiert Gott?, S. 169-170, 782-783.
47 »Deconstruction, that movement of thought which today is commanding so much attention, might best be
understood as post-modernism raised to method. By developing insights of Nietzsche, this movement appa-
rently provides a way out of our impasse by offering a respectable, indeed a pleasurable transformation of
necessity into virtue. To dialectical vision, however, this ›gay wisdom‹ appears to be a variation of the un-
happy consciousness that seems to be the fate of post-modern man«. M. C. TAYLOR: Deconstructing Theo-
logy, S. 102.
48 Vgl. dazu: Erster Hauptteil, II. 4.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 201

setzungen für zahlreiche theologische Neuformulierungen des christlichen Glaubens, die dann
in der Existentialtheologie, der Theologie der Hoffnung, der hermeneutischen Theologie, der
Prozeßtheologie und der Befreiungstheologie konkrete Gestalt angenommen haben. Aller-
dings stellt sich, so Taylor, angesichts der postmodernen Erfahrung die Frage, ob diese philo-
sophischen und theologischen Entwürfe heute noch tragen, ob die »Revisionen« weit genug
gegangen sind.49
In den letzten Jahren ist eine philosophische Bewegung in Erscheinung getreten, die nach
Taylor als postmodern bezeichnet werden kann: die Dekonstruktion, die in der Philosophie,
Kunst, Literatur, Linguistik und Psychologie des frühen 20. Jahrhunderts wurzelt und die dar-
um Konsequenzen für die Religionsphilosophie und die Theologie hat, weil sie – in der Nach-
folge Nietzsches – mit linguistischen Mitteln die »Geschichte des Todes Gottes in der Moder-
ne« erzählt, der den »Tod des Subjektes« nach sich zog.50 Ausgangspunkt aller theologischen
Reflexion im 20. Jahrhundert muß dann auch der Tod Gottes im Denken des modernen Men-
schen sein.51 Die Dekonstruktion ist darum für Taylor auch eine »Hermeneutik des Todes
Gottes«, die die etablierten Bedeutungen theologischer Begriffe auf den Kopf stellt und alles,
was bisher als heilig galt, untergräbt.52
Taylor räumt allerdings ein, daß die erklärtermaßen atheistische Dekonstruktionsmethode
als unvereinbar mit dem theologischen Denken erscheinen muß. Für ihn ergeben sich jedoch
gerade aus der Gegenüberstellung von theologischem Denken und (atheistischer) Dekonstruk-
tion fruchtbare Assoziationen, weil in der Dekonstruktion die Bedeutung des Todes Gottes für
das heutige Denken deutlicher wird als in den meisten zeitgenössischen Philosophien und
Theologien.53 Taylor selbst sieht sich als Teil einer wachsenden Gruppe von Menschen, die
sich »zwischen« Glauben und Unglauben bewegen, die permanent an der Grenze zwischen ei-
nem Festhalten und Verwerfen von beidem – Glauben und Unglauben – entlanggehen und die
sich in einem Zustand zwischen dem Verlust der alten Sicherheiten und der Entdeckung neuer
Überzeugungen befinden.54

Dekonstruktive Theologie als »irrende A/Theologie«


Die Dekonstruktion, so wie sie Taylor versteht, zeichnet sich durch ein nomadisches Denken
aus,55 das keine festen Standpunkte einnimmt, sondern im ständigem Wechsel der Perspektive
die vielfältigen Möglichkeiten von Argumenten und Aussagen auslotet: Sie schlüpft durch die
Löcher im theologisch geordneten System, nimmt mal diese, mal jene Position ein, sie ist we-

49 M. C. TAYLOR: Erring, S. 5.
50 A.a.O., S. 6.
51 »The death of God was the disappearance of the Author who had inscribed absolute truth and univocal mea-
ning in world history and human experience«. M. C. TAYLOR: Deconstructing Theology, S. 96.
52 M. C. TAYLOR: Erring, S. 6. Vgl. zum Zusammenhang von Taylors hermeneutischer Theorie und den Kon-
sequenzen für den christlichen Glauben auch: M. C. TAYLOR: Deconstructing Theology, S. 67-81; beson-
ders S. 80-81.
53 M. C. TAYLOR: Erring, S. 6.
54 A.a.O., S. 5.
55 M. C. TAYLOR: Erring, S. 13. Auch für Charles Winquist beinhaltet das dekonstruktive theologische Den-
ken ein nomadisches Wandern. CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 62.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 202

der hier noch da, wandert rastlos von einem Punkt zum nächsten, ergreift immer die Oppo-
sition, hängt sich parasitär an ihren Wirt; sie stellt die Kohärenz, Integrität und Klarheit theo-
logischen Denkens in Frage, opponiert gegen jeden Anspruch auf Endgültigkeit, dementiert
sich aber auch ständig selbst in der permanenten Transformation jeglicher Aussagen und er-
zeugt so eine neue Offenheit für die religiöse Imagination.56
Eine solche Theologie kann nach Taylor am besten als »irrende A/Theologie« bezeichnet
werden.57 Von dem Wort »irrend« (»erring«) her ergibt sich aufgrund seiner Bedeutungsviel-
falt ein Initialblick auf die Wege und Möglichkeiten einer postmodernen A/Theologie: eine ir-
rende, eine umherirrende, eine sich verirrende, eine wandernde und vagabundierende, eine
fehlbare, eine fehlerhafte Theologie.58 Das »irrende Denken« ist für Taylor weder rein theolo-
gisch noch nicht-theologisch, weder völlig theistisch noch atheistisch, weder primär religiös
noch säkular zu verstehen. Der irrende, nomadisch denkende A/Theologe sieht nicht zurück
zu einem absoluten Anfang oder voraus auf ein definitives Ende: Für ihn ist der
a/theologische Text ein gewebtes Tuch aus endlos gesponnener Wolle, stets offen, immer in
der Mitte und nie zu Ende.59
Taylor ist sich durchaus bewußt, daß eine solche postmoderne A/Theologie als häretisch
angesehen werden muß, aber gerade durch das verwirrende Spiel mit den Worten, durch das
revolutionäre Wi(e)derlesen der biblischen Texte eröffnet die Dekonstruktion neue Lesarten
der Schrift. Das Spiel mit den Texten kulminiert in der paradoxen (A)Logik des Kreuzes: Der
martervolle Weg nach Golgatha ist auch der Weg des Wortes.60

Der Tod des transzendenten Gottes und die Konsequenzen


Im ersten Teil seines dichten und wohlstrukturierten Buches verfolgt Taylor die Auswirkun-
gen, die der »Tod Gottes« in der Moderne für »das Selbst«, »die Geschichte« und »das Buch«
hatte. Dieser Parforceritt durch die inneren Öden des modernen Bewußtseins läuft dann auch
bezeichnenderweise auf das Verschwinden des Selbst, das Ende der Geschichte und das
Schließen des Buches hinaus.
Taylor beginnt seine Analyse mit dem Tode Gottes, wie er in eben jenem typisch moder-
nen »humanistischen Atheismus« der modernen Religionskritik in Erscheinung getreten ist:
Der »humanistische Atheist« verneint Gott im Namen des »Selbst«, indem er die Attribute des

56 M. C. TAYLOR: Erring, S. 10-11. Den subversiven Charakter der Dekonstruktion betont auch Carl Raschke:
Die Dekonstruktion kann als Revolte gegen den modernen anthropologischen Reduktionismus und linguisti-
schen Formalismus verstanden werden. Beide sind Facetten der modernen Illusion, daß der Mensch sich
seine eigene Welt mit den Mitteln der Selbstbeobachtung und der rationalen Analyse konstruieren und sich
darin dann bequem einrichten kann. Aber weder die Sprache noch das Selbstbewußtsein haben eine Bezie-
hung zu den Dingen »wie sie wirklich sind«. C. A. RASCHKE: The Deconstruction of God, S. 4. Ähnlich
auch: J. D. MURUGARREN: Postmodernidad y cristianismo, S. 134-139; W. LESCH: Wer hat Angst vor De-
konstruktion?, S. 33-34.
57 »If it [a/theology] must be described in classical terms, it might be defined as something like a nonnegative
negative theology that nonetheless is positive.« M. C. TAYLOR: Disfiguring, S. 316.
58 M. C. TAYLOR: Erring, S. 11-12. Taylor belegt diese Bedeutungen durch eine ausführliche Ethymologie des
Wortes »err«, indem er die Geschichte des Wortes und seiner Derivate in verschiedenen Sprachen sowie die
Zusammenhänge und idiomatischen Wendungen, in denen dieses Wort vorkommt, untersucht.
59 A.a.O., S. 13, 183.
60 A.a.O., S. 13.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 203

vormals heiligen Schöpfers nun der menschlichen Kreatur zuordnet. Dadurch wird die klassi-
sche Theologie in die moderne Anthropologie transformiert.61 Der humanistische Atheismus
drückt sich in einer »Psychologie der Beherrschung« aus, in der die Selbstbehauptung, das
Autonomie- und Herr-schaftsstreben des modernen Menschen, die Negation des »Anderen«
nach sich zieht.62 Die »Psychologie der Be-herr-schung« und die »Herr-schaft der Ökonomie«
drücken den Versuch des modernen Menschen aus, »das Andere«, nämlich den Tod zu ver-
drängen. Beide sind narzistische Masken des modernen Subjektes, das sich selbst besitzen
will: Nachdem der Mensch Gott ermordet hat, ist er dazu verdammt, durch das unendliche
Nichts seines eigenen Egos zu wandern und sich selbst zu suchen.63 Damit aber erscheint der
Nihilismus auf der Bühne der Moderne: Die Selbstbehauptung des modernen Menschen ge-
genüber Gott ist letztlich seine Selbst-Zerstörung. Der Tod Gottes gipfelt ironischerweise im
Verschwinden des Selbst.64
Die Geschichte der westlichen Konzeption des »Selbst« spannt sich nach Taylor von Au-
gustins Confessiones bis zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Innerhalb dieses Systems ist
das Wissen des Selbst abhängig von dem Wissen um Gott: Geschaffen als Bild Gottes reflek-
tiert das menschliche Subjekt die göttliche Subjektivität. Der transzendente Gott kann in der
christlichen Tradition aber nur vermittelt, über Jesus Christus, der die Präsenz Gottes im Men-
schen repräsentiert, erkannt werden. Das menschliche Subjekt erfährt also seine volle Reali-
sierung als imago Dei nur in der imitatio Christi.65 Die Präsenz Gottes in Jesus Christus ist die
Voraussetzung für die Selbst-Präsenz, die Selbst-Sicherheit, das Selbst-Bewußtsein des Men-
schen. Für die abendländische (theologische und philosophische) Tradition war die Frage nach
dem Selbst aber immer auch mit der Frage nach der Zeit verbunden: Der Prozeß der Verge-
wisserung des selbst-präsenten Subjektes ist unlösbar mit der Erinnerung (Vergangenheit) und
der Erwartung (Zukunft) verknüpft.66
Taylor behauptet nun im Anschluß an Derrida, daß dieses Modell der Selbst-Präsenz an
sein Ende gelangt ist, weil Präsenz und Identität nie total sein können, sondern immer flüchtig
bleiben: Sie verschwinden in dem Augenblick, in dem sie erscheinen. Der »Besitz« des
»Selbst« ist immer nur temporär, die Differenz ist immer schon in der Identität und die Abwe-
senheit immer schon in der Anwesenheit enthalten. Es gibt darum immer nur eine »Spur« von

61 »Since the consciousness of God is really human self-consciousness, all theology is actually anthropology«.
A.a.O., S. 25. Vgl. zum Zusammenhang von Selbstbewußtsein und Selbsterhaltung in der Moderne: H.
EBELING (Hrsg.): Subjektivität und Selbsterhaltung.
62 M. C. TAYLOR: Erring, S. 13-14, 19-25. Schon für Derrida ist das Ende des Herrschaftswunsches Aus-
gangspunkt der Postmoderne: »Wenn sich Moderne durch das Streben nach der absoluten Herrschaft aus-
zeichnet, so ist die Postmoderne vielleicht die Feststellung oder die Erfahrung ihres Endes, des Endes dieses
Plans zur Beherrschung«. J. DERRIDA – E. MEYER: Labyrinth und Archi/Textur, S. 105. Vgl. zu der für die
Dekonstruktion typischen »End-Metaphorik« auch: A. M. OLSON: Postmodernity and Faith, S. 40.
63 M. C. TAYLOR: Erring, S. 29-30.
64 A.a.O., S. 30-33. »Patricide has to be followed by suicide«. A.a.O., S. 104. Ähnlich auch: M. A. MYERS:
Toward What Is Religious Thinking Underway?, S. 125. Vgl. zur Diskussion um den »Tod des Subjekts«
auch: H. NAGL-DOCEKAL – H. VETTER (Hrsg.): Tod des Subjekts?; M. FRANK – G. RAULET – W. VAN
REIJEN (Hrsg.): Die Frage nach dem Subjekt; W. MÜLLER-FUNK: Die Enttäuschungen der Vernunft, S. 129-
140; J. B. METZ: Wohin ist Gott, wohin denn der Mensch?, S. 139-143.
65 M. C. TAYLOR: Erring, S. 34-40.
66 A.a.O., S. 40-49. »To be is to be present, and to exist fully is to be present totally (...) Instead of being an i-
solated point or punctual Now, the present is constituted by three modes, which, though distinguishable, are,
nonetheless, all present«. A.a.O., S. 49.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 204

Selbst-Gegenwart, weil diese ständig von der Abwesenheit bedroht ist. Diese »Spur« ist der
Platz, wo sich Identität und Differenz, Anwesenheit und Abwesenheit ständig »kreuzen«:
Anwesenheit ist immer vom Tod gezeichnet, immer von Abwesenheit bedroht. Wenn aber die
Präsenz nur die positive Kehrseite der Absenz ist, affiziert dies auch die abendländische Vor-
stellung der Zeit: sie wird »spatialisiert«, »verräumlicht«, wenn sie als Wechselspiel zwischen
Anwesenheit und Abwesenheit verstanden wird.67
Die Verräumlichung der Zeit hat natürlich auch Auswirkungen auf das westlich-abend-
ländische Verständnis von »Geschichte«, das von den christlichen Vorstellungen eines defini-
tiven Anfangs (Schöpfung), einer definierbaren Mitte (Christusereignis) und von der Erwar-
tung eines Endes (Erlösung) geprägt ist. Für das Christentum – wie für die gesamte
abendländische Tradition – ist dieses lineare, progressive Geschichtsverständnis verbindlich.
Diese »Geschichte« ist zutiefst logo-zentrisch, weil Christus der Logos ist, in dem sich An-
fang und Ende konzentrieren. Nach dem Tode Gottes aber kann das moderne Projekt einer
umfassenden Deutung der Zeit als »Geschichte« nur der Versuch sein, die Zeit (Chronos) zu
beherrschen und ihr Sinn und Bedeutung zu verleihen.68 Geschichte wird dadurch zu einem
Werk »kreativer Imagination«, zu einer Erzählung, in der die analysierten »Fakten« zu der ei-
nen »Geschichte« synthetisiert werden.69 Mit der Konstruktion »Geschichte« versucht der
Mensch, die Zeit zu »humanisieren«: Um mit dem Trauma der zerstreuten Ereignisse fertig zu
werden, webt der Mensch sie zu einem geschlossenen Tuch zusammen. Er sucht sich eine si-
chere Heimat in der Geschichte, weil er den Gedanken einer ziellosen Wanderschaft nicht er-
tragen kann. Doch der Mensch, der Gott ermordet hat, irrt ziellos durch das Labyrinth der
Zeit, und er versucht Geschichten zu erzählen, um die Zeit, die nun ihr »Endspiel« hat (weil
sie ihres Anfangs und Endes beraubt ist), totzuschlagen.70
Aus dem Ende der Geschichte aber folgt das Schließen des Buches,71 das in seiner enzy-
klopädischen Form die persönliche wie soziale Geschichte re-präsentiert. »Das Buch« spielt
eine zentrale Rolle sowohl im Christentum als auch in der gesamten westlichen Kultur: In
»dem Buch« (egal ob als »Bibel« oder als »Enzyklopädie«) versucht der Mensch ebenso wie in
»der Geschichte«, durch eine umfassende Systematisierung der Dinge »wie sie wirklich sind«,
die Totalität der Wirklichkeit (mit einem Anfang und einem Ende: von Alpha bis Omega oder
von A bis Z) zu erfassen und seine Herrschaft über sie zu errichten.72 Dieses Unternehmen
schlägt jedoch fehl, weil das »Meisterstück« und die »Tradition«, die sich gegenseitig konsti-
tuieren und die die geschichtlichen Erfahrungen im »Buch« zu rationalisieren versuchen, nie

67 A.a.O., S. 49-51. Vgl. auch: TH. J. J. ALTIZER: History as Apokalypse, S. 156-157.


68 M. C. TAYLOR: Erring, S. 52-65. Auf den christlichen Ursprung des abendländischen Geschichtsverständ-
nisses macht auch Peter Sloterdijk aufmerksam. Vgl. P. SLOTERDIJK: Nach der Geschichte, S. 286-271.
69 »As a result of the imaginative activity through which chronology assumes narrative coherence, history is ir-
reducible literary and inescapable artistic. The interplay of typology, tropology, and history suggests that
history itself is a trope«. M. C. TAYLOR: Erring, S. 68.
70 A.a.O., S. 68-72. Taylor zitiert hier: S. BECKETT: Endgame, S. 48-49.
71 Wenn Taylor hier von »dem Buch« spricht, so meint er nicht irgendwelche Bücher, sondern die maßgebli-
chen Meisterstücke (»masterpieces«), die eine bestimmte Tradition konstituieren und die umgekehrt von ei-
ner bestimmten Tradition festgelegt werden. »Das Buch« dient ihm hier als Metapher für »Weltan-
schauung«, für ein bestimmtes religiöses oder philosophisches Paradigma. Wenn Taylor also vom
»Schließen des Buches« redet, entspricht dies in etwa dem, was Lyotard mit dem »Ende der großen Erzäh-
lungen« bezeichnet.
72 M. C. TAYLOR: Erring, S. 14-15, 76-82.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 205

alle Erfahrungen wirklich total erfassen können.73 Aus diesem Grund kann es statt »des Bu-
ches« nur einen »offenen Text« geben, dessen Bedeutungen nie vollständig anwesend sind
und dessen vielfältige Bedeutungen sich nie vollständig ausschöpfen lassen.

Umrisse einer dekonstruktiven A/Theologie


Im zweiten Teil seines Buches versucht Taylor nun, die Umrisse einer dekonstruktiven
A/Theologie zu entwerfen, indem er die im ersten Teil de-konstruierten Punkte unter linguisti-
schen Gesichtspunkten neu zu konstruieren versucht, um dann so zu einer nicht-theistischen
Konzeption des Göttlichen zu gelangen: In dieser Neu-Konstruktion erscheinen nun Gott als
Schreiben (die Schrift als die göttliche Mitte), das Selbst als Selbst-Verlust (als Kreuzigung
des individuellen Selbst), die Geschichte als umherirrendes Wandern (als Realisierung einer
labyrinthischen Gnade), das Buch als endlos gesponnener Text (als sprachliches Labyrinth).
Der transzendente Gott der theistischen Tradition wird von Taylor durch eine »radikale
Christologie« verschriftlicht, indem er »Inkarnation« mit »Inskription« gleichsetzt: Weil der
Logos »Fleisch« wird und das »inkarnierte Wort« – wie alles Schreiben – transgressiv ist, wird
er in das unendlich wiederkehrende Spiel der Interpretationen verflochten.74 Die »Verkörpe-
rung« Gottes in der Schrift aber ist der Tod des (transzendenten) Gottes und zugleich die Ver-
göttlichung der Schrift: Das Wort »Gott« verweist auf das Wort »Wort« und das Wort »Wort«
verweist auf das Wort »Gott«. Gott und Wort werden dadurch identisch, Gott wird zur Schrift
oder zum »Schreiben«.75 Taylor versucht wie Scharlemann – auf den er sich hier beruft – die-
se These sprachphilosophisch zu begründen: Ein Wort verweist nicht etwa auf eine hinter ihm
verborgen liegende Realität und erhält seine Bedeutung nicht aus sich selbst heraus. Jedes
Wort ist in ein differentielles Netzwerk eingebunden und erhält seine Funktion nur dadurch,
daß es sich von einem anderen Wort unterscheidet: Die Differenz von einem anderen ist
zugleich auch seine Relation zu einem anderen.76 Deswegen verweisen alle Worte immer wie-
der nur auf ein anderes Wort, alle Worte sind Metamorphosen eines anderen Wortes und alle
Zeichen sind Zeichen von Zeichen. Der Tod Gottes ist letztlich der Tod des »transzendentalen
Signifikats«, der das theologische Zeitalter des Zeichens schließt und das unendliche, freie
Spiel des a/theologischen »Schreibens« eröffnet.77

73 A.a.O., S. 14-15, 82-90.


74 A.a.O., S. 103-104. Den Zusammenhang von Tod Gottes und Inkarnation/Inskription betont auch Carl
Raschke: »Deconstruction, which must be considered the interior drive of twentieth-century theology rather
than an alien agenda, is in final analysis the death of God put into writing, the subsumption of the ›Word‹ by
the ›flesh‹, the deluge of immanence«. C. A. RASCHKE: The Deconstruction of God, S. 3. Vgl. zum Ende des
theistischen Gottesbildes auch: TH. W. JENNINGS: Beyond Theism, S. 13-28, 43-57, 127-132, 212-217.
75 M. C. TAYLOR: Erring, S. 103-104.
76 A.a.O., S. 106-108. »The incarnate word is not self-contained; it is itself only by becoming other than it-
self«. A.a.O., S. 141.
77 A.a.O., S. 104-106; Vgl. auch: TH. J. J. ALTIZER: History as Apokalypse, S. 156. Dieses »Schreiben« ist für
Taylor dann – wie für Carl Raschke – auch zugleich das Ende aller (dogmatischen) Theologie.
M. C. TAYLOR: Nothing Ending Nothing, S. 55-72; C. A. RASCHKE: Theological Thinking, S. 127-138. Vgl.
auch: R. P. SCHARLEMANN: A Response, S. 127-129; DAVID E. KLEMM: Toward a Rhetoric of Postmodern
Theology, S. 460. Gleichwohl darf die Rede vom »Ende der Theologie« nicht zu wörtlich genommen wer-
den: Taylor zufolge geht die theologische Arbeit natürlich weiter, nur daß der transzendente Gottesbegriff
von einem radikal immanenten Gottesverständnis abgelöst wurde. Vgl. M. C. TAYLOR: The End(s) of Theo-
logy, S. 239.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 206

Innerhalb dieses endlosen, freien Spiels der Differenzen gibt es keinen Logos mehr, nur
noch »Hieroglyphen«, heilige Zeichen, und insofern das Schreiben »hiero-glyphisch« (»hiero-
glyphic«) ist, kann die Schrift oder »das Schreiben« als die »göttliche Mitte« (»divine milieu«)
bezeichnet werden, in der alle »Dinge« erscheinen – und wieder vergehen.78 In dieser »gött-
lichen Mitte« gibt es keinen Anfang und kein Ende mehr, sondern nur noch Bewegung, ein
Kommen und Gehen, in der sich stets das Eine in das Andere verwandelt: Identität in Diffe-
renz, Differenz in Identität, Anwesenheit in Abwesenheit, Abwesenheit in Anwesenheit etc. In
der Zerstreuung (»dissemination«) des Wortes wird die sterile Stabilität und Univokation der
hierarchisch geordneten und sich gegenseitig ausschließenden Oppositionen der christlichen
Tradition (Zeit/Ewigkeit, Gott/Welt, Geist/Leib etc.) aufgelöst und durch eine kreative Instabi-
lität und Equivokation ersetzt.79 Wenn aber die »göttliche Mitte« überall und immer schon ist,
müssen Vergehen und Verschwinden nicht mehr länger unterdrückt werden, können Kommen
und Gehen als konstruktive/destruktive Kräfte, als »kontinuierliche Schöpfung« willkommen
geheißen werden.80
So wie aus der Inskription der Tod (des transzendenten) Gottes folgt, folgt aus der Zer-
streuung der Worte die Kreuzigung des individuellen Selbst (»crucifixion of the individual
self«).81 In der westlichen Tradition mußte sich das Subjekt immer vor der »Invasion des An-
deren« schützen, um mit sich selbst identisch zu sein. Weil aber Identität zugleich auch immer
Differenz beinhaltet, ist das Subjekt notwendig auf andere Subjekte verwiesen. Ein Subjekt
unterscheidet sich von anderen Subjekten aber nur durch seine Eigenschaften, durch Prädika-
te, die einem Subjekt zugewiesen werden. Das »Selbst« ist darum letztlich nichts anderes als
ein generatives Spiel der Eigenschaften.82 In diesem akzidentiellen Spiel der Prädikate aber
verliert sich das Subjekt selbst.83 Doch der Tod des Selbst84 führt nicht zur Destruktion des

78 M. C. TAYLOR: Erring, S. 112-115. Mit der englisch/französischen Wortschöpfung »divine milieu« spielt
Taylor auf Hegels Begriff der »Krafft« als »allgemeines Medium« an: »Dieses wahrhaffte Wesen der Dinge
hat sich itzt so bestimmt, daß es nicht unmittelbar für das Bewußtseyn ist, sondern daß dieses ein mittelbares
Verhältniß zu dem Innern hat, und als Verstand durch diese Mitte des Spiels der Kräffte in den wahren Hin-
tergrund der Dinge blickt. Die Mitte, welche die beyden Extreme, den Verstand und das Innere, zusammen-
schließt, ist das entwickelte Seyn der Krafft, das für den Verstand selbst nunmehr ein Verschwinden ist«
(G. W. F. HEGEL: Phänomenologie des Geistes, S. 85, 88). Dieses »Spiel der Kräfte« wird dann von Taylor
als »›universal medium [Mitte]‹« oder als »divine milieu« interpretiert: »This wavering vibration, piercing
force, and irrestible medium (Mitte or milieu) in which everything arises and passes away but which does
not itself arise and pass away, is the ›ever-never-changing-same‹«. M. C. TAYLOR: Erring, S. 112-113.
79 M. C. TAYLOR: Erring, S. 116-118. Vgl. zur »Zerstreuung« des Wortes auch: J. DERRIDA: La Disséminati-
on; M. C. TAYLOR: Text as Victim, S. 70-75.
80 »The Crucified is the cruciform word that is always already inscribed in the eternal recurring play of the di-
vine milieu. Scripture marks the via crucis in which all creation involves dismemberment and every solution
presupposes dissolution. When die Mitte ist überall, transitoriness and passage no longer need repressed.
Arising and passing can be welcomed as ›productive and destructive force, as continual creation‹«. M. C.
TAYLOR: Erring, S. 118.
81 A.a.O., S. 120. »The eternal cross(ing) of forces brings the death of transcendent originality and marks the
end of any solitary causa sui (...) While the embodiment of the word enacts the death of God, the extension
of the incarnation through the dissemination of the word realizes the death of the self«. A.a.O., S. 141.
82 A.a.O., S. 131-133. Taylor verdeutlicht die »Relativität der Eigenschaften« am Beispiel der Farbe(n): Far-
ben sind nicht aus sich heraus Farben (gäbe es nur eine Farbe, würde sie gar nicht als solche wahrgenommen
werden). Farben werden erst durch ihre Relation zu anderen Farben innerhalb eines Spektrums zu Farben.
Farben sind folglich abhängig von anderen Farben, die nicht sie selbst sind.
83 »Kenosis is a self-emptying that becomes actual in the crucifixion of independent individuals. This kenotic
process is not a once-and-for-all event, confined to the distant past. It occurs repeatedly in and through the
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 207

Selbst: Die Selbst-Aufopferung des Subjektes sprengt vielmehr die festgefügten Grenzen des
Selbstseins und eröffnet das Spiel »zwischen« Selbst-Negation und Selbst-Affirmation, An-
wesenheit und Abwesenheit, Leben und Tod. Mangel, Unvollkommenheit und Tod müssen
nun nicht mehr als das zu unterdrückende »Andere« des Selbst angesehen werden, sondern
können als gleichursprünglich wie »Fülle« und »Leben« akzeptiert werden. Das Selbst, das
sich selbst nicht mehr besitzt, bricht mit dem Streben nach Herrschaft, Besitz, Macht und
Konsum. Aus dem Verlust des Selbst entsteht eine Freude, die die Freude am Verlieren und
sich-selbst-Verlieren ist.85
Aus dem Tode Gottes, dem Verschwinden des Selbst und dem Ende der Geschichte86
folgt nach Taylor das »umherirrende Wandern« (»errant wandering«) eines von sich selbst
losgelösten, seines Ursprungs beraubten, dezentrierten und entleerten Selbst.87 Der nomadi-
sche Wanderer, der sich nicht mehr sicher sein kann, woher er kommt, wo er steht und wohin
er geht, ist für immer entwurzelt und heimatlos. Weil Ursprung und Vollendung der ontoteleo-
logischen Geschichte im Spiel zwischen Abwesenheit und Anwesenheit abhanden kommen,
gibt es auch keine Hoffnungen und Erwartungen mehr. Diese Hoffnungslosigkeit führt aber
nicht zur Verzweiflung, sondern überwindet das »unglückliche Bewußtsein« durch eine Be-
freiung von der obsessiven Fixierung auf Vergangenheit und Zukunft.88 Das Subjekt wird statt
dessen in ein groteskes, frivoles, karnevalistisches Spiel verwickelt: in ein Spiel, in dem hinter
jeder Maske immer nur wieder eine neue Maske erscheint, in ein Spiel mit wechselnden Iden-
titäten und festlichen Feiern.89
Der Tod Gottes, das Verschwinden des Selbst und das Ende der Geschichte sind nach
Taylor die Realisierung einer »labyrinthischen Gnade« (»mazing grace«), die den Menschen in
der Mitte eines sprachlichen Labyrinthes plaziert, aus dem es keinen Ausweg gibt.90 Jeder »a-

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dissemination of the word. The word is spread through the crucifixion of the self. Here lies the unavoidable
passion of writing«. A.a.O., S. 142.
84 Die von der Vertretern der Dekonstruktion so geliebte Rede vom »Tod des Subjektes« oder vom »Ver-
schwinden des Selbst« darf ebenfalls nicht zu wörtlich genommen werden (»It seems clear that selfhood has
not literally come to an end«. A.a.O., S. 129). In diesen Metaphern versuchen die Dekonstruktionisten zu
zeigen, daß das cogito ergo sum, die moderne Auffassung von der vollen Selbstpräsenz und unanzweifelba-
ren Selbstvergewisserung des denkenden Subjektes, so nicht zu halten ist: »The deconstruction of the self
depicts the individual person as a product of social, political and economic systems. The belief that the self
can be distinguishable from these systems is taken as a product of social, economic, and political projection,
an illusion«. W. A. KORT: »Religion and Literature« in Postmodernist Contexts, S. 579.
85 M. C. TAYLOR: Erring, S. 141-148.
86 Vgl. zum »Ende der Geschichte« auch: TH. J. J. ALTIZER: History as Apokalypse, S. 168-176. Das von der
Dekonstruktion behauptete »Ende der Geschichte« bezeichnet nicht etwa einen Stillstand der Ereignisse,
sondern vielmehr den Verlust einer bedeutungvollen, linear-progressiv fortschreitenden, teleologisch ge-
deuteten Zeit. Im »Ende der Geschichte« löst sich der Kollektivsingular der einen Geschichte in die vielen
Geschichten auf, deren Beziehungen nur ihre eigenen Differenzen sind. Vgl. L. NIETHAMMER: Posthistoire,
S. 8.
87 M. C. TAYLOR: Erring, S. 150-154.
88 A.a.O., S. 155-157.
89 A.a.O., S. 158-168. Vgl. zum »Karnevalistischen Zeitalter« auch: N. A. SCOTT: The House of Intellect in an
Age of Carnival, S. 41-42; C. A. RASCHKE: Fire and Roses, S. 672-673; D. KELLNER: Jean Baudrillard,
S. 93-121.
90 M. C. TAYLOR: Erring, S. 168-169. Beispiel für den labyrinthischen und unerschöpflichen Charakter der
Sprache ist für Taylor Jorge Luis Borges Erzählung Die Bibliothek von Babel. A.a.O., S. 74-76. Vgl. zu
Borges auch: U. ECO: Die Bibliothek, S. 7-12; G. STEINER: After Babel, S. 67-71. Den labyrithischen Cha-
rakter theologischer Sprache betont auch Winquist: »Perhaps theology always knew that it was metaphorical
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 208

riadnische Faden«, der einen Ausweg verspricht, verwirrt sich im komplexen Gewirr der Rela-
tionen, in dem alles immer nur wieder auf ein anderes verweist.91 In der Intertextualität und
Interrelationalität aller Texte ist der Schreiber immer schon ein Leser, und der Leser wird
notwendig zu einem Schreiber. Das endlose Wortspiel produziert einen offenen Text, in dem
es immer nur »Spuren« und Transformationen von Bedeutungen geben kann, nicht aber eine
feste und unumstößliche Wahrheit.92 Schreiben ist darum immer irrend und unbeständig, Be-
deutung immer in Formierung, Deformierung und Reformierung begriffen. Die produktiven
Leser erweitern die »heilige Schrift« und dehnen sie unendlich aus. Das unendliche nomadi-
sche Wandern im Gewirr der Texte öffnet die »labyrinthische Gnade«, die auf ewig in dem
Kreuz der Schrift eingeschrieben ist.93

4. Die Kritik an der dekonstruktiven Theologie


Die provozierenden Thesen und »Sprachspiele« der dekonstruktiven Theologie haben Wider-
stand unter zahlreichen Theologen in den USA hervorgerufen, die die sprachphilosophischen
Prämissen dieser Theologie ebenso kritisieren wie die theologischen Folgerungen, die aus die-
sen gezogen werden. Vor allem Taylors Unternehmen einer De-konstruktion der modernen
Begriffe von Gott, Selbst, Geschichte und Buch hat erbitterte Gegner – aber auch begeisterte
Anhänger – gefunden.94

Die dekonstruktive Theologie und ihr parasitäres Verhältnis zur Tradition


Für John Cobb führt die dekonstruktive Theologie, die mit den »postmodernen« Bewegungen
in der Philosophie, der Literaturkritik und der Physik aufs engste verbunden ist, unausweich-
lich zu einem Nihilismus, denn sie »widersetzt sich jeder Vorstellung, daß es eine nicht-
sprachliche Realität gibt, die der Sprache in irgendeinem Sinn korrespondiert oder nicht kor-

––––––––––––––––––––––––––
as it led readers through the labyrinth of a dark night of the soul, or up the sides of magical mountains or in-
to the complexities of an inner verbum«. CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 49.
91 »To maze is to bewilder, perplex, confuse, daze, or stupefy. To be mazed is to be delirious, deluded, or
wander in mind. By extension, a maze is a delirium, delusion, vain amusement, dissipation, trick, or decep-
tion. A maze, of course, is also a structure consisting of a network of winding and intercommunicating path
and passages. In this sense of the word, a maze is a labyrinth«. M. C. TAYLOR: Erring, S. 168.
92 M. C. TAYLOR: Text as Victim, S. 61.
93 M. C. TAYLOR: Erring, S. 170-182.
94 Letztere haben sich bei einem Symposion mit dem Thema On Deconstructing Theology: A Symposion on
Erring: A Postmodern A/Theology der Zeitschrift Journal of the American Academy of Religion hinter Tay-
lor gestellt und sich wie z. B. Altizer überwiegend positiv über Taylors Erring geäußert: »Although the na-
me of Karl Barth does not appear in this book, his spirit is fully present even in his absence, as once again a
theology of the Word establishes itself only by erasing all traces of the words of Scripture. Yet Taylor’s pro-
ject is far more radical than Barth’s, and perhaps more deeply christian, for he seeks a pure revelation of
Word which can only be a total erasure of word. That erasure is deconstruction, a deconstruction that has al-
ready occured, and occurred in the very transition to postmodernity, a transition ending all unique and singu-
lar meaning and identity«. TH. J. J. ALTIZER: The Triumph of the Theology of the Word, S. 525. Vgl. zur po-
sitiven Resonanz auch die Beiträge: A. LINGIS: The Self Itself; E. WYSCHOGROD: Foreword, S. 523-524;
E. WYSCHOGROD: Crossover Dreams, S. 543-547; und Taylors Antwort: M. C. TAYLOR: Masking, S. 547-
555.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 209

respondiert«.95 Die sprachphilosophischen Nachfolger der »Radikaltheologie« und der »Gott-


ist-tot-Theologie« der sechziger Jahre begrüßen die Selbstzerstörung des abendländischen
Geistes als »die paradoxe Ankunft der Erlösung« und hoffen, daß sich in einer sprachlichen
coincidentia oppositorum die totale Bedeutungslosigkeit in totale Bedeutung verwandeln
wird.96 Die dekonstruktive Theologie verkörpert zwar Energie und Authentizität, diese aber
»kommen hauptsächlich aus der Kraft zu entlarven, was evident erschien, und in Frage zu
stellen, was als selbstverständlich galt«.97 Insofern leistet die dekonstruktive Theologie einen
wichtigen Beitrag zur Erhellung der Problematik theologischer Sprache. Ihr methodischer An-
satz macht jedoch jede systematische Theologie unmöglich, weil sie die theologische Sprache
soweit auseinandernimmt, bis am Ende nichts mehr übrigbleibt. Cobb schätzt die Bedeutung
dieser Theologie aufgrund ihres bloß parasitären Verhältnisses zur Tradition und aufgrund ih-
rer Unfähigkeit, etwas Relevantes für die gegenwärtige Situation zu sagen, dann auch eher ge-
ring ein.98
Gegen die linguistischen Prämissen der Dekonstruktion führt Cobb an, daß die Sprache
zwar die »Beziehung des Menschen zu der ihn umgebenden Matrix menschlicher und nicht-
menschlicher Ereignisse« vermittelt, daß es aber darüber hinaus in der menschlichen Erfah-
rung auch vorsprachliche Ereignisse gibt (z. B. Schmerz oder Liebe), die das Kriterium für die
Genauigkeit und Angemessenheit der Sprache bilden, denn zwischen den Worten oder Sätzen
und den Erwartungen, die sie hervorbringen, besteht ein enger referentieller Zusammenhang.99
Natürlich muß dann auch gefragt werden, ob ein Satz wahr ist, ob er der Wirklichkeit ent-
spricht oder nicht, aber diese Frage ist eher peripher, weil die Sprache in erster Linie eine
pragmatische Funktion hat: »Eine Einsicht muß nicht absolut und unzweideutig wahr sein, um
Gedanken und Handlungen in eine neue und wirkungsvolle Richtung zu lenken«.100 Verstehen
geschieht immer nur annäherungsweise, und deswegen kommt es nicht so sehr darauf an, ob
die Sprache eine letzte Wahrheit ausdrückt, sondern ob sie die kreative Integration von neuen
Einsichten und altem Verstehen ermöglicht.101

Die unterschwellige »Ethik des Widerstandes«


David Tracy zufolge liegt der Dekonstruktion eine unterschwellige »Ethik des Widerstandes«
zugrunde.102 Diese steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu »den postmodernen Überle-
gungen über die Unmöglichkeit irgendwelcher Bestimmtheit«, und so bleibt »der an sich löb-

95 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 210.


96 A.a.O., S. 206.
97 Ebd.
98 Ebd. Ähnlich auch Leonard Sweet: »Deconstructivist potential as a postmodern theology seems limited to
intramural gambits and gamesmanship among intellectuals in university religious studies departments«.
L. I. SWEET: Straddling Modernism and Postmodernism, S. 164.
99 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 211.
100 Ebd. Vgl. auch: J. B. COBB, JR.: In Defense of Realism, S. 183-188.
101 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 212.
102 D. TRACY: Der Gegenwart einen Namen geben, S. 51. Vgl. dazu auch Joachim Valentin und Walter Lesch,
die gerade in der ethischen Motivation der Dekonstruktion den fruchtbaren Ansatz für eine theologische Re-
zeption der Dekonstruktion sehen: J. VALENTIN: Dekonstruktion, S. 15; W. LESCH: Wer hat Angst vor De-
konstruktion?, S. 44-47.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 210

liche Widerstand« gegen sämtliche Formen der modernen Selbstillusion ein Unterfangen, »bei
dem dem Widerstand eine Hoffnung beigegeben wird, die letztendlich wenig mehr ist als ein
Nihilismus mit happy end«.103 Zwar ist es das Verdienst der Dekonstruktion, dem Marginali-
sierten, dem Anderen des neuzeitlichen Diskurses eine Stimme zu geben, aber nachdem sie
dem modernen Subjekt ein Ende bereitet hat, steht sie nun »vor der Versuchung, die gesamte
Wirklichkeit in den spottenden Abgrund eines nunmehr zentrum- und subjektlosen, aber im-
mer noch sehr westlichen Labyrinthes zu stoßen«.104 Die Frage, die die Dekonstruktion nicht
beantworten kann, ist die folgende: »Wie kann ein Widerstand Halt und Kontinuität finden,
ohne daß es einen konkreten Träger dieses Widerstandes gibt?«105
Der dekonstruktive Widerstand gegen jede Form von Totalität und Gewißheit verunmög-
licht zudem jede konkrete Hoffnung, die »irgendjemanden auf Dauer motivieren könnte«,
»sich auf verantwortliche Weise ethisch-politisch, geschweige denn prophetisch und eschato-
logisch« zu engagieren.106 Deswegen fragt es sich, ob sich der Widerstand nur »in der Form
des Bruches mit einer leeren Gegenwart«, »in einem Abgrund der Unbestimmtheit mittels Iro-
nie und Spott und Exzeß« vollziehen kann oder ob der Widerstand nicht doch auf eine »ent-
schiedene, Veränderung schaffende Hoffnung der Leidenserinnerung an die Lebenden und die
Toten« angewiesen ist.107

Dekonstruktive Theologie: Modern oder postmodern?


Weil sich die Dekonstruktion selbst in den Zusammenhang einer »postmodernen Bewegung«
einreiht, stellt sich für Cobb die Frage, inwiefern die Dekonstruktion überhaupt als postmo-
dern bezeichnet werden kann. Wenn der Begriff Moderne mit der Aufklärung, mit dem Be-
kenntnis zur Vernunft und mit einer positiven Zukunftserwartung gleichgesetzt wird, dann –
so Cobb – kann die Dekonstruktion in der Tat als postmodern angesehen werden, denn sie
verstärkt und radikalisiert eine lange Tradition der Vernunftkritik. Wenn man jedoch die Tra-
dition der Vernunftkritik selbst der Moderne zurechnet, dann ist die Dekonstruktion ein ex-
tremer Modernismus, ja dann findet die Moderne in der Dekonstruktion ihren radikalsten
Ausdruck. Die entscheidende Frage ist, ob die Dekonstruktion »das Prinzip des Modernismus
zu ihrem logischen Ende führt oder ob mit ihr etwas anderes beginnt«.108 Aus der Perspektive
Whiteheads, welcher sich Cobb anschließt, ist die Dekonstruktion allerdings nicht als post-
modern anzusehen, denn »Whitehead verstand die Moderne selbst als eine Revolte gegen die
Vernunft«.109
Auch für einen weiteren Prozeßtheologen, David Griffin, Professor für Religionsphiloso-
phie an der Universität Claremont (Kalifornien) und neben John Cobb Kodirektor des Zent-

103 DAVID TRACY: Der Gegenwart einen Namen geben, S. 52-53.


104 A.a.O., S. 55.
105 A.a.O., S. 52.
106 A.a.O., S. 55. Darauf, daß eine solche Kritik zumindest nicht eindeutig auf Jacques Derrida zutrifft, wurde
schon im Ersten Hauptteil verwiesen. Vgl. Erster Hauptteil, II. 5, Anm. 94.
107 A.a.O., S. 53.
108 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 207.
109 Ebd.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 211

rums für Process Studies, ist die Sache klar: Die Dekonstruktion und die von ihr abhängige
dekonstruktive Theologie führen lediglich die Prämissen des modernen Denkens zu ihrem re-
lativistischen und nihilistischen Ende, indem sie die Moderne von innen untergraben und ihre
grundlegenden Selbsttäuschungen bloßlegen.110 So kritisiert die Dekonstruktion z. B. die Illu-
sion des modernen atheistischen Humanismus, den transzendenten Gott durch das souveräne
Selbst ersetzen zu können, aber die Dekonstruktion entwickelt nicht etwa eine alternatives
Verständnis der modernen Begriffe von Gott, Selbst, Geschichte, Bedeutung, Wahrheit etc.,
sondern dekonstruiert sie und verstärkt damit in der Nachfolge Nietzsches nur die Zweifel der
Moderne an sich selbst.111 Die Dekonstruktion »überwindet« zwar das moderne Weltbild, aber
nur durch ein »Anti-Weltbild«, indem sie die Elemente, die für ein Weltbild notwendig sind,
entfernt: Eliminiert wird die Idee Gottes, der Wahrheit, des Selbst, der Geschichte und die
Möglichkeit eines translinguistischen Referenten der Sprache. Darum bezeichnet Griffin die
dekonstruktive Postmoderne als »eliminative Postmoderne«, die eigentlich nicht »post«-mo-
dern sondern eher »ultra«-modern ist und die deswegen auch besser als »mostmodern« be-
zeichnet werden sollte.112
Dem widerspricht der australische Religionsphilosoph A. T. Nuyen: Sein Argument ge-
gen die Kritiker der dekonstruktiven Theologie – insbesondere gegen Griffin – lautet, daß die-
se Kritik auf einem Mißverständnis der poststrukturalistischen/postmodernen Philosophie be-
ruht.113 Wenn Griffin Taylor vorwirft, er eliminiere nicht nur das klassische Gottesbild,
sondern auch sonst alles, was als Basis für eine Reflexion über das Heilige dienen könnte, ü-
bersieht er dabei, daß die Dekonstruktion bei Taylor nur der erste Schritt einer Konzeption des
»Göttlichen« ist. Weil wir linguistisch determinierte Kreaturen sind und es nichts »außerhalb«
des Textes gibt, lokalisiert Taylor das Heilige im »Schreiben« und kommt so zu einer nicht-
theistischen Konzeption des Göttlichen: Das Göttliche ist die kreative und produktive Kraft
im »Schreiben«, und deswegen müssen wir es in dem »Raum« zwischen den Worten, in dem,
was Derrida die »différance« nennt, suchen.114
Außerdem, so Nuyen, kann Taylors A/Theologie durchaus als postmodern verstanden
werden, weil sie jenseits von klassischem Theismus und modernem Atheismus, der das Selbst

110 D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology and A/theology, S. 29. Nach Carl Raschke bezeichnet die Dekonstruk-
tion nicht einen neuen »Trend« oder eine neue Entwicklung innerhalb der Theologie oder den Geisteswis-
senschaften, sondern eine »Bewegung« innerhalb der ganzen westlichen Kultur. Die Dekonstruktion betreibt
die Offenlegung der unausgesprochenen und verdrängten Selbsttäuschungen der Moderne: Was einst Doxo-
logie war, ist nun ein Gemurmel im Dunkeln, und die Halelujas des (modernen) österlichen Sonnenaufgangs
haben sich längst in eine (postmoderne) Verblüffung vor dem leeren Grab verwandelt. C. A. RASCHKE: The
Deconstruction of God, S. 2.
111 D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology and A/theology, S. 31-32. So auch: G. L. COMSTOCK: Is Postmodern
Religious Dialogue Possible?, S. 189-197.
112 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 8 (»It could better be called mostmodern the-
ology«). Ebenso urteilen auch: N. MURPHY – J. W. MCGLENDON, JR.: Distinguishing Modern and Postmo-
dern Theologies, S. 212: »Taylor’s sceptical conclusion, drawn from the insupportability of a cor-
respondence theory of truth, is even less novel; it is simply and typically modern«; C. A. RASCHKE: Fire and
Roses, S. 676: »The crypto-modernism of what purports to be post-modernism can be inferred from the ide-
ological continuity between ›deconstructionism‹ and the late Sixties death-of-God theology, which in turn
derives from the post-war fashions of European religious existentialism«; ST. D. MOORE: The »Post-« Age
Stamp, S. 549: »Deconstructive a/theology does not mark a funeral (...) so much as a rebirth: that of aesthe-
tic modernism as (post)theological discourse«.
113 A. T. NUYEN: Postmodern Theology and Postmodern Philosophy, S. 65, 67.
114 A.a.O., S. 70.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 212

an die Stelle Gottes setzte, angesiedelt ist und auf eine Dekonstruktion sowohl des transzen-
denten Gottesbildes als auch des absolut gesetzten, vergöttlichten Subjektes aus ist.115 Auch
den Einwand, die Dekonstruktion sei nihilistisch und relativistisch, weil sie die völlige Bedeu-
tungslosigkeit proklamiere, läßt Nuyen nicht gelten: Anders als der moderne Skeptizismus
und Relativismus, die dem menschlichen Erkenntnisvermögen einen Zugang zu Wahrheit und
Bedeutung absprechen, ist die Dekonstruktion davon überzeugt, daß alle Werte und Bedeu-
tungen, die wir konstruieren, auch wahre Bedeutungen und Werte sind, nicht unvollendete
Kopien der »wahren«.116 Doch es lohnt sich, auf die Kritik an Taylor noch genauer einzuge-
hen.

Die Kritik an Mark Taylors »Erring. A Postmodern A/Theology«


Griffins Kritik an Erring bezieht sich vor allem auf die Selbstwidersprüchlichkeit Taylors. An
folgenden Punkten macht Griffin die Widersprüchlichkeit von Taylors dekonstruktiver Theo-
logie fest:
– Taylor bestreitet, daß das Selbst eine Möglichkeit zur Selbst-Determination hat. Das Selbst,
so die Folgerung, konstituiert sich vielmehr durch das generative Spiel der Eigenschaften.
Dem widerspricht aber, daß Taylor durchaus davon überzeugt zu sein scheint, ein selbst-
präsentes »Ich« und ein mitteilbares Anliegen zu haben, das er zudem auch selbst verant-
worten zu können glaubt.117
– Die Argumentation für die These, daß es keine Verbindung zwischen einem linguistischen
Zeichen und einem translinguistischen Referenten gibt, ist in sich selbst widersprüchlich,
wenn Taylor einerseits sagt, daß das Bewußtsein immer nur mit Zeichen operiert, die
»Dinge an sich« jedoch nie erreicht, andererseits aber durchaus glaubt, uns über die »wahre
Natur« des Bewußtseins exakt Auskunft geben zu können. Taylor rekurriert damit – unein-
gestanden – doch immer wieder auf die traditionelle Idee der Wahrheit als adaequatio in-
tellectus et rei, als Übereinstimmung zwischen Interpretation und Wirklichkeit.118
– Taylor bestreitet zwar die Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen dem Guten und dem
Bösen, ist aber dennoch von der Leidenschaft besessen, die negativen Konsequenzen des
modernen westlichen Denkens zu überwinden. Der Versuch, die moderne »Psychologie der
Beherrschung« dadurch zu überwinden, daß man alles, was als Basis für ein mögliches
Zentrum des Denkens dienen könnte (Gott, Selbst, Geschichte etc.), unterminiert, ist je-
doch zum Scheitern verurteilt. Deswegen besteht bei Taylors Unternehmen eine große Lü-
cke zwischen dem Anliegen und dem Effekt.119

115 Ebd.
116 A.a.O., S. 74-75. Ähnlich auch: W. W. FUCHS: Post-modernism Is Not a Scepticism, S. 393, 400.
117 D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology and A/theology, S. 36.
118 A.a.O., S. 37-38.
119 A.a.O., S. 39, 57-58. Ebenso: D. E. KLEMM: Toward a Rhetoric of Postmodern Theology, S. 461. James
Breech kritisiert an den Dekonstruktionisten, daß sie eine illusionslose Lebensweise proklamieren und eben
damit aus einer an Zielen ausgerichteten Lebensweise in eine pikareske und episodische Lebenshaltung
flüchten, die derjenigen, die in Jes 22, 13 und 1. Kor 15, 32 (»lasset uns essen und trinken, denn morgen
sind wir tot«) kritisiert wird, zum verwechseln ähnlich sieht. J. BREECH: Jesus and Postmodernism, S. 68.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 213

Darüber hinaus ist Griffin davon überzeugt, daß Taylors Theologie kaum als Leitfaden für die
Praxis geeignet ist, denn den Entscheidungen, die tagtäglich überall getroffen werden, liegt
durchaus die Überzeugung zugrunde, daß eine Welt jenseits des Systems linguistischer Zei-
chen existiert, daß die Wahrheit zumindest teilweise erkannt werden kann und daß bestimmte
Optionen besser sind als andere.120 Taylors Theorie dagegen ist kontraproduktiv, denn Freiheit
wird nicht durch Skeptizismus und Zufriedenheit nicht durch Nihilismus gefördert, und ein
»schrecklicher Sinn« kann nicht durch ein »Vakuum an Sinn« ersetzt werden, sondern nur
durch einen »besseren Sinn«.121
Die Kritik des amerikanischen Religionsphilosophen John Caputo ist zurückhaltender als
die Griffins, weil er die Intentionen der Dekonstruktion gegen Taylors radikalisierende Miß-
verständnisse zu verteidigen versucht.122 Für Taylors dekonstruiertes, zerstückeltes Selbst, das
als sich nicht selbst besitzendes »Nicht-Selbst« ohne festen Grund in sich selbst leben muß,
hat Caputo sogar einige Sympathie, weil es sich für ihn durchaus mit dem christlichen Gedan-
ken des auf Gott angewiesenen Selbst deckt. Er bezeichnet darum Taylors Botschaft auch –
nicht ohne ironischen Unterton – als eine Art »post-strukturalistischer Bergpredigt«.123 Doch
entdeckt auch er einen Widerspruch in Taylors Buch Erring, das ironischerweise von seiner
Struktur her überhaupt nicht irrend ist: Trotz Taylors Proklamation eines »herumirrenden
Wanderns« fällt dieser selbst (»o felix culpa«) immer wieder in Klarheit und Ordnung zu-
rück.124
Die Hauptkritik Caputos richtet sich jedoch auf Taylors inkonsistente (sprach-)philoso-
phische Prämissen. So leugnet Taylor die Möglichkeit eines extralinguistischen Referenten
der Sprache und geht damit viel weiter als sein Lehrer Derrida, der solche Ansichten wie die,
daß es nichts jenseits der Sprache gibt, als »Dummheiten« (»stupidities«) bezeichnet hat.125
Derrida bestreitet, so Caputo, nur den unmittelbaren, direkten Zugang zu den Dingen, nicht

120 D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology and A/theology, S. 39. Ähnlich auch die Kritik von Joseph Prabhu, für
den Taylors Unternehmen dem Versuch gleicht, das Badewasser zu retten, nachdem man es mit dem Kind
ausgeschüttet hat: »If there is no criterion of value, the possibility of meaningful social change is quite limi-
ted. If overthrowing one form of oppression, guided by an interest in what we consider at any point of time
to be justice and freedom, only leads to another form of oppression, and if theoretically it is impossible to
adjudicate between them, then the question arises, why do anything at all?« J. PRABHU: Blessing the
Bathwater, S. 541.
121 D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology and A/theology, S. 52.
122 Einen solchen Versuch unternimmt ebenfalls Joey Earl Horstmann: »Some have argued that postmodernism
denies God’s existence: since it denies human access to anything outside the lingustic system, it must also
claim that nothing exists outside the system. But postmodernism makes no such claim. Rather than denying
transcendent existence – reality outside the system – it simply denies our ability to perceive and understand
whatever is out there«. J. E. HORSTMAN: Postmodern Christianity, S. 20.
123 J. D. CAPUTO: Book Reviews, S. 110-111.
124 »The book is bound up tight from the beginning to end; it has a skillfully crafted symmetry, a message to de-
liver (no destinerrance), and quite a story to tell. Despite his own best efforts to be mazing and erring, Tay-
lor lapses repeatedly into clarity, falls constantly into orderliness. O felix culpa«. A.a.O., S. 108. Taylor ist
sich allerdings des Widerspruchs zwischen seiner als »irrend« bezeichneten Theologie und der klar struktu-
rierten Form seines Buches sehr wohl bewußt: »No critic, of course, is ever completly free. One always re-
mains bound in, to, and by the network one is trying to unreval. For example, the writer who attempts to rai-
se the question of meaning and significance of the book is still caught within the form he is criticizing«.
M. C. TAYLOR: Erring, S. 16.
125 J. D. CAPUTO: Book Reviews, S. 111. Caputo zitiert hier J. DERRIDA: Deconstruction and the other, S. 123.
Vgl. zur Kontroverse um einen außerlinguistischen Referenten der Sprache in Derridas Theorie: Erster
Hauptteil, II. 4, Anm. 64.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 214

aber – wie Taylor – die Referenz (»reference«) der Sprache überhaupt. Darum basiert auch
Taylors Identifizierung von Gott und Schrift auf einem Mißverstehen Derridas, denn nach
Derrida ist das Wort »Gott« zwar sehr wohl ein »Effekt« der différance, weil »Gott« als ein
»Wort« aufgrund von écriture gesagt und gedacht werden kann, aber eben nicht die Schrift
selbst.126 Die différance, die uns in eine Situation stellt, in der es schwierig wird, zwischen
Glauben und Vernunft, Glauben und Verrücktheit, Glauben und Nicht-Glauben zu unterschei-
den, wird von Taylor aufgehoben, weil er die Unentscheidbarkeit dieser Fragen nicht wahrt,
sondern Gott und Schrift unzulässigerweise gleichsetzt.127
Darüber hinaus wird Taylor seinem eigenen Anliegen, sich »zwischen« Glauben und Un-
glauben zu bewegen, nicht gerecht, denn er schafft es nicht, sich »zwischen« Theis-
mus/Atheismus zu plazieren, sondern steigert lediglich noch den modernen humanistischen
Atheismus, wenn er dem »Tod Gottes« auch den »Tod des Selbst« folgen läßt: Aus dem »hu-
manistischen Atheismus« wird ein viel radikalerer »atheistischer Atheismus«.128 Taylor ver-
sucht mit seiner Version der Dekonstruktion, die onto-theo-logischen Feuer, die nach der ers-
ten Runde der Gott-ist-tot-Theologie immer noch brennen, endgültig zu löschen. Wo die
Dekonstruktion jedoch vorsichtig agiert und sich ihrer eigenen Grenzen bewußt bleibt, bestrei-
tet sie weder die Existenz eines transzendenten Gottes noch transformiert sie Gott in den
Menschen oder die Schrift. Sie versucht lediglich zu zeigen, daß jeder Diskurs über Gott auf
einer differentiellen Matrix beruht und einer Kette aufeinander verweisender Signifikanten
verhaftet bleibt: Gott/ Welt, Gott/Mensch, Schöpfer/Geschöpf, Transzendenz/Immanenz
etc.129 In dieser Richtung – nicht in der Taylors – kann die Dekonstruktion theologisch frucht-
bar gemacht werden.130

5. Postmoderne als »postliberale Theologie«: George Lindbeck


In seinem Buch The Nature of Doctrine. Religion and Theology in a Postliberal Age (1984),
das eine breite Diskussion über die Chancen einer postmodernen Theologie in den USA aus-
gelöst hat, versucht George Lindbeck, Professor der Divinity School an der angesehenen Yale
University (New Haven), unter Rekurs auf die neueren linguistischen und anthropologischen
Forschungen, eine postmoderne oder postliberale kulturell-linguistische Theorie der Religion
und ihrer Lehrsätze zu entwickeln. Dabei verknüpft Lindbeck die »Theorie der Religion« aufs

126 J. D. CAPUTO: Book Reviews, S. 112.


127 A.a.O., S. 113. »Undecidability is not indecision, not the opposite of decision, but the condition of
im/possibility of decision. The undecidability which invades things sees to it that the hermeneutic situation
is never quite clear, that it is beset by a kind of principled ambiguity, which means, as Kierkegaard says, that
›deliberation‹ will never end, never reach a ›resolution‹«. J. D. CAPUTO: Hermeneutics and Faith, S. 168.
Ebenso wie Caputo bezweifelt auch Robert Gall die sachgemäße Interpretation Derridas durch Taylor und
Winquist. Vgl. R. S. GALL: Of/From Theology and Deconstruction, S. 430.
128 J. D. CAPUTO: Book Reviews, S. 113. Ebenso auch die Wertung von Leonard Sweet: »Dekonstruction is one
of the most blatantly atheistic theologies produced by the modern era«. L. I. SWEET: Straddling Modernism
and Postmodernism, S. 163.
129 J. D. CAPUTO: Book Reviews, S. 113. Die differentielle Matrix beschreibt Caputo folgendermaßen: »If you
call God Father, that is said only relative to a son, and cannot be what God is. If you call him creator, that is
said only relative to a creature, and that cannot be what God is. If you call him First Cause, that is said rela-
tive to an effect, and that cannot be what God is«. A.a.O., S. 114.
130 A.a.O., S. 114.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 215

engste mit der Frage nach der »Natur der Dogmen«, denn die Beantwortung der Frage, wel-
chen Wahrheits- und Informationswert die zentralen Lehrsätze (»doctrines«) einer Religion
besitzen, hängt nach Lindbeck eben davon ab, wie das Phänomen religiöser Symbolbildung
überhaupt verstanden wird.
Lindbeck fühlt sich dabei mit dem Anliegen der Dekonstruktion durchaus im Einklang,
denn das intratextuelle Modell religiöser Symbolbildung behandelt – wie die Dekonstruktion
– Texte nicht als abgeschlossene »ästhetische Objekte« oder »verbale Ikonen«, sondern als
»Medien der Interpretation«: Texte konstituieren ein Universum, innerhalb dessen alles exis-
tiert oder konstruiert werden kann.131 Doch im Unterschied zur Dekonstruktion richtet sich
Lindbecks Interesse nicht auf die theologische Sprache selbst, sondern auf die Mechanismen
der sprachlichen Konstruktion des religiösen Symbolsystems. Lindbeck bezeichnet seine
Theologie als »postliberal«, weil sie sich vor allem gegen den Religionsbegriff der »liberalen«
Theologie und der modernen Religionswissenschaft wendet. Gleichwohl ist Lindbeck selbst
der Ansicht, daß seine Theologie auch »postmodern« genannt werden kann.132 Dies hat die
amerikanische Gegenwartstheologie dann auch getan.133

Das vorliberale und das liberale Modell religiöser Symbolbildung


Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Unzufriedenheit mit den herkömmlichen Mitteln
und Wegen, Genese und Funktionsweise von Glaubensaussagen und religiösen Überzeugun-
gen zu beschreiben.134 Lindbeck wendet sich gegen drei theologische Richtungen, die seiner
Meinung nach sowohl das Wesen der Religion als auch die »Natur der Lehrsätze« verfehlen:
die (vormoderne) kognitiv-propositionalistische Position, die (moderne) erfahrungsbezogen-
expressive und – als dritte – eine Mischung aus den beiden vorhergenannten Positionen.
– Beim kognitiv-propositionalistischen Verständnis der Dogmen liegt der Akzent auf der ko-
gnitiven Seite der Dogmen: Die Lehrsätze werden als informative Propositionen oder als
Wahrheitssätze über eine objektive Realität aufgefaßt.135 Die kognitiv-propositionalistische
Interpretation der Lehrsätze basiert auf einer Korrespondenztheorie, nach der die Dogmen
der göttlichen Realität – ohne Equivokation – exakt entsprechen. Folglich werden die Lehr-
sätze als Ausdruck fester ontologischer Realitäten angesehen, die per definitionem ewig,
unfehlbar und unveränderlich sind. Daraus wird dann ein Superioritätsanspruch gegenüber
anderen Religionen abgeleitet: Die eigenen Dogmen sind immer und überall wahr und alle

131 »First, intratextualism, like deconstructionism, does not share the traditional literary emphasis on a text as
that which is to be interpretet, wether (...) as a self-contained aesthetic object or ›verbal icon,‹ or as mimetic,
or as expressiv, or as pragmatic (...) Instead, intratextualism treats texts (...) as ›mediums of interpretation‹,
and thus shares the deconstructionist emphasis on texts as constituting the (or a) world within which eve-
rything is or can be construed«. G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 136, Anm. 5.
132 A.a.O., S. 135, Anm. 1.
133 Vgl. z. B.: J. E. THIEL: Theological Authership, S. 34; R. J. NEUHAUS: The Catholic Moment, S. 151-158.
SH. G. DAVANEY: Options in Post-Modern Theology, S. 198; D. LIECHTY: Theology in Postliberal Perspec-
tive, S. XI; »Thus Lindbeck’s theology (...) is through and through postmodern« N. MURPHY –
J. W. MCGLENDON, JR.: Distinguishing Modern and Postmodern Theologies, S. 207. Vgl. zur Unterschei-
dung von »postmodern« und »postliberal«: R. LINTS: The Positivistic Choice, S. 655-674.
134 G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 7.
135 A.a.O., S. 24.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 216

anderen unwahr. Repräsentanten dieser kognitiven Richtung sind die vormodernen (prote-
stantischen und katholischen) Orthodoxien, die außerdem das Fürwahrhalten der christli-
chen Lehrsätze der religiösen Erfahrung des Individuums vorordnen.136
– Das moderne erfahrungsbezogen-expressive Modell, das durch Schleiermacher initiiert
wurde, hat nach Lindbeck die gesamte liberale Theologie bis hin zu Paul Tillich und David
Tracy geprägt und ist auch zum beherrschenden Paradigma der modernen Religionswissen-
schaft (Rudolph Otto, Mircea Eliade) geworden.137 Nach diesem Modell werden die Dog-
men nicht als Aussagen mit einem objektiven Wahrheitsanspruch angesehen, sondern als
nicht-informative, nicht-diskursive Symbole des inneren Erlebens oder als existentielle O-
rientierungen. In Umkehrung des kognitiv-propositionalistischen Modells wird hier die
vor-reflexive religiöse Erfahrung des Individuums den Dogmen und Glaubensüberzeugun-
gen religiöser Gemeinschaften konsequent vorgeordnet.138 Wie auch immer die einzelnen
Theologien und Religionstheorien dieses Modell variieren, nach Lindbeck basieren sie stets
auf der Grundannahme, daß sie das, was in einer Religion letztlich entscheidend ist, auf ei-
ne präreflexive Erfahrung des Selbst zurückführen und die öffentlichen oder äußeren Cha-
rakteristika einer Religion als expressive Objektivierung der inneren Erfahrung auffas-
sen.139 Dementsprechend werden die Dogmen in dieser Tradition als verschiedene
Symbolisierungen der einen, grundlegenden, universalen Erfahrung der letzten Wirklich-
keit betrachtet, und deswegen kann dann auch der interreligiöse Dialog als Bereicherung
der religiösen Erfahrungswelt begrüßt werden.140
– Die dritte Position, für die Karl Rahner und Bernhard Lonergan stehen, kombiniert das
kognitiv-propositionalistische und das erfahrungsbezogen-expressive Modell: Mit der mo-
dernen liberalen Theologie akzeptieren beide die moderne Subjektivität und die kulturelle
und historische Pluralität und Relativität, aber darüber hinaus postulieren sie eine Quelle
»transzendenter Erfahrung«, zu der alle Religionen einen Zugang haben, sowie eine Quelle
»kategorischer Offenbarung«, zu der nur wenige Religionen einen Zugang haben. Danach
haben alle Religionen einen gewissen Anteil an der offenbarten Wahrheit, aber nur die Re-
ligion, die als normativ anerkannt wird (die christliche), hat die volle, endgültige, proposi-
tionelle Wahrheit.141

Das postliberale Modell religiöser Symbolbildung


Lindbecks kulturell-linguistische Religionstheorie, die auf den anthropologischen Forschun-
gen von Clifford Geertz, den soziologischen Analysen von Peter L. Berger und der Sprachphi-
losophie Ludwig Wittgensteins aufbaut,142 wendet sich gegen die liberale, erfahrungsbezogen-

136 A.a.O., S. 16, 51.


137 A.a.O., S. 21, 31-32.
138 A.a.O., S. 16.
139 A.a.O., S. 21.
140 A.a.O., S. 23.
141 A.a.O., S. 16, 24. Lindbeck bezieht sich hier auf: K. RAHNER: Bemerkungen zum Begriff der Offenbarung,
S. 11-24; K. RAHNER: Das Christentum und die nichtchristlichen Religionen.
142 G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 20. Lindbeck beruft sich hier auf: W. D. HUDSON: Wittgenstein
and Religious Belief; C. GEERTZ: Dichte Beschreibung, S. 44-95.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 217

expressive Interpretation der Religion, indem sie die Beziehung von Lehrsätzen und religiöser
Erfahrung umkehrt: Die Symbolbildung der Religionen ist gerade die Bedingung der Mög-
lichkeit religiöser Erfahrung und eben nicht die nachträgliche, expressive Objektivierung einer
vorreflexiven religiösen Erfahrung. Religionen – so Lindbeck – sind »umfassende Interpreta-
tionsschemata«, die durch die in ihnen enthaltenen Erzählungen, Mythen und Riten die
menschliche Erfahrung strukturieren und das Selbst- und Weltverständnis des Menschen defi-
nieren.143 Sie sind – wie die Kultur und die Sprache – ein Rahmen, der das Denken und Han-
deln des religiösen Menschen prägt und formt.144 Darüber hinaus behandeln sie die Fragen,
die sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft von eminenter Wichtigkeit sind:
die ersten und letzten Fragen nach Tod und Leben, nach dem Wahren und Unwahren, Chaos
und Ordnung sowie die Frage nach der Bedeutung von Welt und Mensch. Durch ihre Ge-
schichten, Lehren und Riten geben die Religionen Antworten auf diese Fragen der Menschen
und prägen damit nicht nur das bewußte Denken, sondern auch das individuelle und kulturelle
Unterbewußtsein.145
Der Prozeß religiöser Sozialisation ist mit dem Erlernen einer Sprache oder der Aneig-
nung kultureller Verhaltens- und Erfahrungsmuster vergleichbar: als Internalisierungsprozeß
eines religiösen Weltbildes, das immer schon durch Glaubenstraditionen vordefiniert und da-
mit dem Subjekt strukturell vorgängig ist.146 Religion ist deshalb auch nicht primär als eine
Sammlung von Glaubensaussagen oder als Symbolisierung von grundlegenden Anschauun-
gen, Gefühlen und Empfindungen zu verstehen, sondern als »Idiom«, das die Beschreibung
der Wirklichkeit, die Formulierung von Überzeugungen, die Erfahrung von inneren Einstel-
lungen und die Ausbildung eines sinnvoll geordneten Lebenszusammenhangs ermöglicht und
strukturiert.147 Unabdingbare Voraussetzung religiöser Erfahrung ist die Sprache, denn sie
konstituiert und konditioniert die religiöse Erfahrung durch die spezifisch kulturellen und lin-
guistischen Formen einer bestimmten religiösen Gemeinschaft. Religiöse Erfahrungen sind
und bleiben daher immer an einen bestimmten sprachlichen und kulturellen Kontext gebun-
den.148
Aus diesem Grund sind die Lehrsätze einer Religion auch weder als Wahrheitsaussagen
über die Wirklichkeit noch als symbolische Expressionen der inneren Erfahrung anzusehen,
sondern als »Regeln«, die in einer bestimmten religiösen Gemeinschaft verbindliche Glau-
bensüberzeugungen und Handlungsmaximen festlegen und andere dadurch ausschließen.149
Wenn aber die Lehrsätze als Regulative und nicht als Wahrheitsaussagen über die Wirklich-
keit verstanden werden, stellt sich die Frage, welcher Wahrheitsgehalt den Lehrsätzen zu-

143 »In the account that I shall give, religions are seen as comprehensive interpreting schemes, usually embodied
in myths or narratives and heavily ritualized, which structure human experience and understanding of self
and world«. G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 32.
144 Lindbeck bezieht sich hier auf Wittgensteins Sprachspieltheorie: »Lastly, just as a language (or ›language
game,‹ to use Wittgenstein’s phrase) is correlated with a form of life, and just as a culture has both cognitive
and behavioral dimensions, so it is also in the case of religious tradition«. A.a.O., S. 33.
145 A.a.O., S. 40.
146 A.a.O., S. 22, 34-35. Lindbeck bezieht sich hier auf Wittgensteins Beobachtung, daß eine »Privatsprache«,
die sich als von jedem partikularen Sprachspiel unabhängig wähnt, logisch unmöglich ist. A.a.O., S. 38.
147 A.a.O., S. 33, 47-48.
148 A.a.O., S. 34.
149 A.a.O., S. 74.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 218

kommt. Für Lindbeck sind die Lehrsätze einer Religion dann wahr, wenn sie adäquate, das
heißt bedeutungsvolle Kategorien zur Bestimmung dessen, was für real, wahr und richtig
gehalten wird, bereitstellen.150 Weil aber jede Religion ganz spezifische Kategorien (»Gram-
matiken« oder »Spielregeln«) für die Adäquatheit ihrer Lehrsätze ausbildet, steht kein gemein-
samer Rahmen für den Vergleich der Wahrheitsansprüche verschiedener Religionen zur Ver-
fügung. Zumindest ist die von der liberalen Religionswissenschaft angenommene allgemeine,
allen gemeinsame religiöse Grunderfahrung nicht verifizierbar, denn die Vorstellungen von
der Wahrheit, von der Erfahrung und von der kategorialen Angemessenheit (»categorial ade-
quacy«) differieren durch ihre kulturelle und sprachliche Fassung so sehr, daß sie – so Lind-
beck sehr vorsichtig – vermutlich inkommensurabel sind.151 Folglich können die Lehrsätze
immer nur innerhalb eines bestimmten religiösen Systems »wahr« sein.152
Im Gegensatz zum propositionalistischen oder erfahrungsbezogen-expressiven Verständ-
nis religiöser Symbolbildung, das auf eine extratextuelle Wahrheit bzw. Erfahrung rekurriert,
ist das kulturell-linguistische »intrasemiotisch« oder »intratextuell«, denn die Bedeutung reli-
giöser Lehrsätze ergibt sich nach diesem Modell aus dem Gebrauch einer bestimmten Sprache
und ihres linguistischen Potentials. Nur innerhalb eines sprachlichen Verweiszusammenhangs
hat ein bestimmter Lehrsatz einen genau festgelegten Sinn: Um z. B. das zu bestimmen, was
das Wort »Gott« in einer bestimmten Religion meint, müssen der Stellenwert dieses Wortes
innerhalb des symbolischen Systems einer Religion eruiert und die Auswirkungen auf die
Wirklichkeitssicht und den Erfahrungsraum sowohl der religiösen Gemeinschaft als auch des
gläubigen Menschen untersucht werden. Die Bedeutung des Wortes »Gott« ergibt sich folg-
lich aus seiner Funktion in einem partikularen System religiöser Symbole.153

Die Inkommensurabilität der religiösen Erfahrungen


Lindbeck ist sich sehr wohl bewußt, daß sein linguistisch-kulturelles Modell religiöser Sym-
bolbildung durchaus als relativistisch verstanden werden kann, weil es nicht – wie das erfah-
rungsbezogen-expressive – auf eine universal-religiöse Erfahrung rekurriert, sondern von der
Inkommensurabilität der verschiedenen religiösen Erfahrungen ausgeht. Vom Standpunkt der
liberalen Theologie aus betrachtet, deren Anliegen ebenso die Suche nach fundamentalen, u-
niversalen Strukturen oder Prinzipien menschlicher und religiöser Existenz wie die Überset-
zung traditioneller Glaubensinhalte in zeitgemäße, intelligible Formen ist, muß das intratex-

150 »Adequate categories are those which can be made to apply to what is taken to be real, and which therefore
make possible, though they do not guarantee, propositional, practical, and symbolic truth«. A.a.O., S. 48.
151 A.a.O., S. 49. Vgl. zum Zusammenhang von Inkommensurabilität und Intratextualität in Lindbecks Theolo-
gie: T. W. TILLEY: Incommensurability, Intratextuality, and Fideism, S. 87-111.
152 Lindbeck unterscheidet »ontologische« (»first-order«) und »intrasystematische« (»second-order«) Wahrhei-
ten: »For al rule theory, in short, doctrines qua doctrines are not first order propositions, but are to be
construed as second order ones: they make (...) intrasystematic rather than ontological truth claims«.
G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 80.
153 A.a.O., S. 114-115. Um die Grundkonstanten des christlichen Glaubens adäquat eruieren zu können, plädiert
Lindbeck – der Tradition des reformatorischen scriptura sui ipsius interpres folgend – auch für eine intra-
textuelle Hermeneutik hinsichtlich der biblischen Texte: Der theologische Interpretationsrahmen muß von
der literarischen Struktur der Texte selbst abgeleitet werden und darf nicht von außen appliziert werden. Die
Exegese der biblischen Texte hat deswegen bei der Entwicklung christlicher Lehrsätze Vorrang vor z. B.
Spekulationen über die innergöttlichen Vorgänge, von denen die Texte nicht sprechen. A.a.O., S. 119-120.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 219

tuelle Modell wie ein Rückzug ins intellektuelle Getto und als Hindernis für das Überleben
der Religion in einer pluralistischen Situation erscheinen, weil die Wahl einer Religion als e-
benso kontingent erscheint wie sie blinden Glauben voraussetzt. Wie aber – so Lindbecks Ge-
genargument – kann der Glaube »glaubbar« gemacht werden, wenn es weder die von der libe-
ralen Theologie angenommene religiöse Grunderfahrung noch universale Formen
menschlicher Vernunft gibt?154
Die postliberale Theologie – so Lindbeck – ist sowohl gegenüber allen Übersetzungsver-
suchen religiöser Erfahrung als auch gegenüber universalen Normen der Vernünftigkeit skep-
tisch: Religionen – wie Sprachen – können nur in ihrer eigenen Terminologie adäquat ver-
standen werden und nicht durch Übersetzungen in andere religiöse
Erfahrungszusammenhänge (»fremde Sprachen«), und die Frage nach einer universalen Ratio-
nalität ist nicht eigentlich die, ob es eine solche überhaupt gibt, sondern ob sie in einer neutra-
len, »rahmenunabhängigen« Sprache ausgedrückt werden kann. Nach den wissenschaftstheo-
retischen Forschungen von Thomas S. Kuhn und den sprachphilosophischen von Ludwig
Wittgenstein scheinen jedenfalls erhebliche Zweifel an einer universalen Geltung der Ver-
nunft angebracht: Die Standards von Rationalität sind nicht nur in den verschiedenen Wis-
sensgebieten höchst unterschiedlich, sondern scheinen auch von Epoche zu Epoche so vielfäl-
tig zu sein, daß sie nicht in einer generellen Theorie der Vernunft und des Wissens
zusammengefaßt werden können.155
Der Verzicht der postliberalen Theologie auf ein festes Fundament, auf ein unhintergeh-
bar Absolutes muß aber keineswegs bedauert und als Relativismus verstanden werden, denn
die Glaubwürdigkeit einer Religion hängt von ihrer Überzeugungsfähigkeit und Leistungsfä-
higkeit ab und nicht von einer Theorie oder unabhängig formulierten Kriterien: Die Vernünf-
tigkeit einer Religion ist wesentlich eine Funktion ihrer assimilativen Kraft, also der Fähig-
keit, eine verständliche Interpretation ihrer eigenen Lehrsätze für die verschiedenen
Situationen und wechselnden Realitäten ihrer Anhänger bereitzustellen.156 Die liberale Theo-
logie sieht ihre Aufgabe vor allem darin, eine Antwort auf die Frage »Wie kann das Evangeli-
um in der säkularisierten Welt verkündigt werden?« zu finden.157 Doch orientiert sich die
postliberale Theologie bei der Beantwortung dieser Frage mehr an den Formen altkirchlicher
Katechese als an der modernen Übersetzungsstrategie: an der Unterweisung in der Lehre des
christlichen Glaubens im Rahmen der christlichen Gemeinde. Denn – so Lindbecks Argument
– die Entscheidung, den christlichen Glauben anzunehmen, wird eher durch den sozialen Kon-
takt zu einer lebendigen christlichen Gemeinschaft motiviert als durch das »Verstehen« der
christlichen Botschaft.158
Letztlich aber kann das kulturell-linguistische, intratextuelle Modell der Bildung religiö-
ser Lehrsätze nur präsentiert, nicht aber bewiesen werden. Der Erfolg dieser Sichtweise hängt
– wie der anderer Theorien – von ihrer Darstellung und ihrer Überzeugungskraft ab: Wenn das
postliberale Verständnis religiöser Symbolbildung – nämlich die kirchlichen Lehren als Re-

154 A.a.O., S. 128-129.


155 A.a.O., S. 130.
156 A.a.O., S. 131.
157 A.a.O., S. 132.
158 A.a.O., S. 132.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 220

gelprinzipien innerhalb eines kulturell-linguistischen Systems zu betrachten – sich als kraft-


volle, praktikable und nützliche Konzeption erweisen sollte, wird sich die postliberale Theo-
logie durchsetzen. Die Ergebnisse der ökumenischen Diskussion über das Wesen und die
Funktion der christlichen Dogmen können jedenfalls besser im kulturell-linguistischen als in
jedem anderen Rahmen verstanden werden. Vielleicht könnte sich aber – so Lindbecks Hoff-
nung – gerade durch diese Perspektive ein ökumenischer Konsens über das Verständnis der
christlichen Lehrsätze ergeben.159

6. Die Kritik an der »postliberalen Theologie«


Wie die dekonstruktive Theologie so hat auch Lindbecks »postliberale Theologie« Zustim-
mung und Kritik gefunden. Neben den üblichen Rezensionen widmeten die Zeitschriften Mo-
dern Theology160 und The Thomist161 ein ganzes Heft der Diskussion über Lindbecks The Na-
ture of Doctrine. Das Trinity Institute (New York) veranstaltete 1987 ein Symposion mit dem
Thema The Church in a Postmodern Age, in dem diese Diskussion aufgenommen und in ei-
nem Symposionsband mit dem Titel Postmodern Theology. Christian Faith in a Pluralist
World einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.162 Die Kritik an Lindbeck
entzündet sich vor allem an seinem künstlich aufgebauten »Feindbild« der »liberalen Theolo-
gie«: Lindbeck wird – sicher zu Recht – oft vorgeworfen, daß er die durchaus differenzierten
Positionen der »liberalen« Tradition zu pauschal betrachtet.163

Lindbecks Rückfall in den Konfessionalismus


So hat vor allem David Tracy Lindbecks Sicht der liberalen Tradition als pauschal und undif-
ferenziert kritisiert: Das Problem von Lindbecks Beschreibung des »erfahrungsbezogen-
expressiven Modells« religiöser Symbolbildung besteht nicht darin, daß er die Probleme der
Tradition von Schleiermacher zu Tillich, Eliade, Rahner, Lonergan und anderen falsch dar-
stellt, sondern daß seine Kritik auf die meisten seiner Adressaten nicht zutrifft, weil diese in
den letzten fünfzehn Jahren den romantischen Erfahrungsbegriff selbst problematisiert haben
(was Lindbeck völlig entgangen zu sein scheint) und sich mit dem dialektischen Verhältnis

159 A.a.O., S. 135.


160 Vgl. die Beiträge von: G. E. MICHALSON: The Response to Lindbeck; G.. WAINWRIGHT: Ecumenical Di-
mensions of Lindbeck’s ›Nature of Doctrine‹; D. Z. PHILLIPS: Lindbeck’s Audience; L C. BARRETT: Theolo-
gy as Grammar; ST. WILLIAMS: Lindbeck’s Regulative Christology; K. SURRIN: Many Religions and the
One True Faith.
161 Vgl. die Beiträge von: W. C. PLACHER: Revisionist and Postliberal Theologies and the Public Character of
Theology; C. E. O’NEILL: The Rule Theory of Doctrine and Propositional Truth; J. J. BUCKLEY: Doctrine
in the Diaspora; D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology.
162 Vgl. F. B. BURNHAM (Hrsg.): Postmodern Theology. Christian Faith in a pluralist World.
163 Gordon Michalson kritisiert darüber hinaus, daß Lindbeck die liberale Theologie als eine reine »Marketing-
Strategie« karikiert, die dem modernen Menschen den Glauben schmackhaft machen soll. Vgl. G. E.
MICHALSON: The Response to Lindbeck, S. 117.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 221

von Erfahrung und Sprache sehr intensiv auseinandergesetzt haben.164 In der hermeneutischen
Theologie wurde – in der Tradition von Gadamer und Ricoeur – der Revision des Erfahrungs-
begriffs große Aufmerksamkeit geschenkt: Der alte romantisch-expressive Erfahrungsbegriff
wurde von einem breiteren und reicheren Verständnis von Erfahrung abgelöst, indem die Be-
ziehungen zwischen Erfahrung und Sprache, Geschichte und Gesellschaft neu durchdacht
wurden, ohne allerdings die Dialektik zwischen diesen Begriffen aufzuheben, wie Lindbeck
dies tut, wenn er »Erfahrung« einfach durch grammatische Regeln und sprachliche Codes er-
setzt.165
Doch Tracy geht noch einen Schritt weiter: Lindbecks Problem mit der »liberalen« Tradi-
tion ist weniger ein methodologisches oder formales – wie seine Paradigmen-Analyse glauben
machen will –, sondern ein substantielles oder materiales, denn seine Position – die Berufung
auf Barth und seine Kollegen von der Yale University, Frei und Holmer, belegen es – ist eine
methodologisch aufgeblasene Version des Barthschen Konfessionalismus. Die Hände mögen
die von Wittgenstein und Geertz sein, aber die Stimme ist die von Karl Barth.166 Wie Karl
Barth so haben auch Lindbeck und seine Kollegen theologische Probleme mit der »liberalen«
Tradition, denn Theologie soll ausschließlich innerhalb des Rahmens der »bekennenden Ge-
meinschaft« entwickelt werden und nicht mit »korrelativen« oder »dialektischen« Methoden
wie denen von Tillich, Rahner oder Lonergan. Solange sich Lindbeck aber weigert, die leicht
zugänglichen Texte der »hermeneutisch-politischen Theologie« zur Kenntnis zu nehmen, hat
seine Konstruktion des erfahrungsbezogen-expressiven Modells ebensowenig Überzeugungs-
kraft wie sein theologischer Aufruf zu einem neuen Konfessionalismus.167

Der vernachlässigte Zusammenhang von Grammatik und Rhetorik


In Bezug auf Lindbecks »linguistisch-kulturelles Modell« religiöser Symbolbildung stellt sich
für Tracy zunächst die Frage, ob dieses Modell auch wirklich eine den Dogmen adäquate
Sichtweise zuläßt und ob es der theologischen Aufgabe voll gerecht wird. Tracy gesteht Lind-
beck zu, daß seine Ausführungen über die linguistische Natur der Dogmen durchaus erhellend
und kohärent sind, aber Theologen benötigen mehr als nur eine Untersuchung der Funktion
von narrativen oder symbolischen Codes: sie brauchen ebenso eine rhetorische Analyse, eine
zeitgemäße Hermeneutik, um zu einer adäquaten Interpretation der unterschiedlichen Erzäh-
lungen, Symbole und Dogmen zu kommen. Das interaktive Verhältnis von Grammatik und
Rhetorik aber wird von Lindbeck zu wenig reflektiert.168

164 D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 462-463. Vgl. zu den Gemeinsamkeiten und Unter-
schieden zwischen Lindbeck und Tracy: ST. L. STELL: Hermeneutics in Theology and the Theology of Her-
meneutics, S. 680-696.
165 D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 464.
166 »As his frequent references to Barth and his colleagues at Yale, H. Frei and P. Holmer, make clear, Lind-
beck’s substantive theological position is a methodologically sophisticated version of Barthian confessiona-
lism. The hands may be the hands of Wittgenstein and Geertz but the voice is the voice of Karl Barth«.
A.a.O., S. 465. Dieser Kritik schließt sich auch Trutz Rendtorff an: T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neu-
zeit, S. 144-145. Vgl. auch: Zweiter Hauptteil, I. 7.
167 D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 465-467.
168 A.a.O., S. 468-469.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 222

Die entscheidende Frage jedoch lautet: Wie können Theologen die Wahrheitsansprüche
der verschiedenen Traditionen bewerten, wenn diese ausschließlich grammatikalisch analy-
siert werden? Lindbeck ist sich dieses Problems wohl bewußt und versucht, durch die Unter-
scheidung einer »intrasystematischen Wahrheit der Kohärenz« und einer »performativen onto-
logischen Wahrheit« diesem Dilemma zu entgehen, doch sowohl sein »epistemologischer
Realismus« als auch die »Neutralität« seiner Theorie zementieren entweder die relativistische
Position, nach der sich die Wahrheit nicht feststellen läßt, oder den altbekannten Konfessiona-
lismus mit seiner ad hoc Apologetik.169
Eine Parallele zu Lindbecks Position sieht Tracy im Pragmatismus von William James,
der den religiösen Glaubensüberzeugungen lediglich einen privaten Charakter – als »Möglich-
keit der Selbst-Erhellung« – zuschreibt und für den die religiöse Überzeugung nicht unbedingt
im Einklang mit dem stehen muß, was wir sonst wissen, praktizieren und glauben. Um eine
solche Spaltung des Bewußtseins zu vermeiden, plädiert Tracy für die kritisch-korrelative Me-
thode, die die Interpretation von Bedeutung und Wahrheit in der christlichen Tradition zu der
Interpretation von Bedeutung und Wahrheit der gegenwärtigen Situation in Beziehung
setzt.170 Auch wenn diese Methode nur eine heuristische Funktion hat, so ermöglicht sie doch
einen Mittelweg zwischen dem von Lindbeck kritisierten Verständnis der Dogmen als Aus-
druck des »inneren Fühlens« und Lindbecks rein grammatikalischer Bestimmung der Aufgabe
von Theologie.171

Von der Intratextualität zur Vielsprachigkeit


Gegenüber dem Theologen David Tracy und anderen Kritikern verteidigt der Soziologe Ro-
bert Bellah von der Universität Berkeley (Kalifornien) Lindbecks Theologie, die nicht not-
wendig zu einer sektiererischen Abgeschlossenheit führen muß, wenn die Christen in einer
pluralistischen Gesellschaft mit vielen Sprachen zu sprechen lernen. Der Unterschied zwi-
schen Moderne und Postmoderne besteht für Bellah darin, daß die Moderne mit ihrer wissen-
schaftlich-universalen Metasprache eine absolute Wahrheit für sich in Anspruch nahm, der al-
le anderen kulturellen und religiösen Sprachen untergeordnet wurden, während sich in der
Postmoderne ein Bewußtsein für die Relativität der wissenschaftlichen Metasprache durchge-
setzt hat, so daß wir heute in einer Situation leben, in der es einen wirklichen Pluralismus ver-
schiedener Sprachspiele gibt, ohne daß eines die anderen dominieren kann.172 Die Aufgabe für
die christliche Gemeinschaft – und hier geht Bellah über Lindbeck hinaus – besteht darin,
wahrhaft »multilingual« zu werden und die Sprachen der Wissenschaft, der Gesellschaft und
der Psychologie ebenso gut zu sprechen wie die Sprache der Bibel.173
Lindbecks Theologie schließt weder die Auseinandersetzung mit dem Pluralismus noch
den Dialog mit den Weltreligionen aus: So wie wir andere Sprachen lernen können, ist es

169 A.a.O., S. 469-470.


170 A.a.O., S. 470. Vgl. zu Tracys kritisch-korrelativer Methode: Zweiter Hauptteil, I. 5.
171 A.a.O., S. 470-471.
172 R. N. BELLAH: Christian Faithfulness in a Pluralist World, S. 75, 89.
173 A.a.O., S. 89. Ähnlich auch der Vorschlag von Mark McLeod, der den modernen, eindimensionalen »Com-
mon Sense Realism« durch einen postmodernen »Multi-world Realism« ersetzen will. Vgl. M. S. MCLEOD:
Making God Dance, S. 291-292.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 223

auch möglich, etwas über die Praxis und die Überzeugungen anderer Glaubensrichtungen zu
lernen, auch wenn wir immer nur Gäste im Haus der anderen bleiben werden. Um aber in ei-
ner pluralen, vielsprachigen Welt wahrhaft christlich leben zu können, ist es notwendig, die
christliche Sprache und Praxis stets neu zu entdecken und sich des Ursprungs christlicher I-
dentität in der Königsherrschaft Gottes immer wieder neu zu erinnern. Andernfalls wird die
christliche Botschaft in der Wüste verfallender Traditionen marginalisiert werden und keinen
authentisch christlichen Beitrag zum Pluralismus leisten können. Lindbecks intratextuelles
Modell religiöser Symbolbildung fördert in dieser Hinsicht nicht nur die Selbstvergewisserung
der christlichen Identität, sondern auch den intra- und interkulturellen sowie den interreligiö-
sen Dialog.174

7. Postmoderne als »ästhetische Theologie«: Hermann Timm


»Postmoderne, was ist sie denn? Dichtung oder Wahrheit? Wunsch oder Wirklichkeit? A-
vantgarde oder Archäologie? Bis darüber höheren Ortes durch die demissionierte Weltge-
schichte entschieden ist, wird man mimetisch erproben, was der kombinatorische Denkstil
und die akkumulierende Drehbewegung um eine vakante Mitte herum Weiterführendes
erbringen kann«.175 Dieser programmatische Satz stammt von dem Münchener Theologen
Hermann Timm, für den der Begriff Postmoderne neben dem gegenwartserhellenden Wert vor
allem ästhetische Qualitäten hat. Timm versteht die Postmoderne ganz im Sinne Umberto E-
cos und Charles Jencks’: Er rezipiert deren theoretische Überlegungen einer ästhetisch ver-
standenen Postmoderne (Mehrfachkodierung, Verwirrung der Zeichen, Collage, Eklektizis-
mus etc.) und wendet diese auf die Theologie an. Timms Buch Das ästhetische Jahrzehnt. Zur
Postmodernisierung der Religion ist dafür selbst das beste Beispiel: Timm geht es weder um
präzise theologische Argumentation noch um eine philosophisch-literaturwissenschaftliche
Theorie wie sie die Dekonstruktion präsentiert, sondern um ein theologisch-ästhetisches Spiel
mit Assoziationen und (Sprach-)Bildern.176 Damit erprobt Timm praktisch, was die De-
konstruktion theoretisch vorgibt: die fließende Sukzession der Bilder.177

174 R. N. BELLAH: Christian Faithfulness in a Pluralist World, S. 90-91. Auch Kenneth Surin betont die Prakti-
kabilität von Lindbecks Theologie im interreligiösen Dialog. Er sieht den Vorteil von Lindbecks intratex-
tuellem Modell religiöser Symbolbildung darin, daß es eine Interpretation der »Fakten« verschiedener Reli-
gionen ermöglicht, ohne zu dem religiösem Synkretismus des »religiösen Pluralismus« – wie er von John
Hick und Wilfred Cantwell Smith vertreten wird – zu führen. Vgl. K. SURIN: Many Religions and the One
True Faith, S. 189-190, 205.
175 H. TIMM: Wie modern ist die Welt?, S. 212-213.
176 »Abschied ist angesagt, Verabschiedung des metaphysischen Ernstes, der einst mit dem Monotheismus etab-
liert wurde und der per Säkularisierung das Vernunftideal des Abendlandes bis zum Modernismus der
Nachkriegsgeneration terrorisiert hat«. A.a.O., S. 199.
177 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. X-XI. Vgl. dazu auch die Rezension von Gerhard Marcel
Martin: »Seine [Timms] Texte teilen selbst etwas mit von dem, was sie postmodern und postpostmodern all-
überall entdecken (wollen): ›Grenzenlose Endlichkeit‹ und ›kritisch-synkretistischen Zitatstil‹ (S. 18). Die-
ser ist brillant und pendelt zwischen Wortspiel, Wortmagie, präzis-stolzierenden Programmtiteln mitten im
laufenden Text«. G. M. MARTIN: Nachprotestantisches Weichbild, S. 761.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 224

Postmoderne als »ästhetische Weisheit«


Timm unternimmt in seinem Buch Das ästhetische Jahrzehnt den Versuch, die »Suchrichtung
des laufenden Sinnenwandels« anzugeben.178 Dieser besteht in einem »Pluralisierungsschub«
in den westlichen Gesellschaften: »Vielfalt prägt die Signatur der Gegenwart, Diversifikation
ist ihr Trumpf, Freude am Individualisierungsreichtum ihre Grundstimmung, multiversale
Kultur ihr Ideal und Kritik am unitären Denkzwang der Vergangenheit ihr Ehrgeiz«.179 Aber
nicht die »Beliebigkeitsattitüde« des Meinungsmarktes ist das Kennzeichen der Postmoderne,
sondern die gleichberechtigte Koexistenz der verschiedenen Wissensformen, die den Blick für
das, was möglich ist, schärfen, indem sie eine »explosive Bedeutungskraft« freisetzen, über
die niemand mehr verfügen kann.180
Gleichzeitig gewinnt der Begriff »ästhetische Erfahrung« durch den »Realitätshunger« der
siebziger Jahre und das »Naturerwachen« nach dem Ökologieschock eine neue Bedeutung:
nicht mehr bürgerlich-elitäres »L’art pour l’art«, sondern »aisthesis«, unmittelbare Erfahrung
im »Sinnenkosmos des Ästhetischen«, »Geistes-Gegenwart«, »sinnvolles Hiersein«.181 Die
Postmoderne, die zu ihrem Selbstverständnis Anleihen bei der Collagetechnik der modernen
Malerei macht, ist also zum einen durch die Koexistenz unterschiedlichster Denk- und Le-
bensstile charakterisiert, zum anderen durch einen »rückerweiterten Ästhetikbegriff«, der sich
einem umfassenden Weisheitswissen verpflichtet fühlt. Timm assoziiert darum mit dem Beg-
riff Postmoderne vor allem »ästhetische Weisheit«.182

Postmodernisierung der Religion: Reinszenierung des Heiligen


Nachdem die (marxistisch) orientierte Religionskritik mittlerweile Geschichte geworden ist,
endet mit dem Historischwerden der Religionskritik auch das Loyalitätsgefühl gegenüber der
modernen akademischen Theologie und Religionswissenschaft, die einst als Antwort auf die
Religionskritik entworfen worden waren: »›Laien‹ beginnen wieder, sich auf eigene Faust der
spirituellen Ressourcen anzunehmen«.183 Diese Veränderungen in der Kultur führen zu einer
»Postmodernisierung der Religion«, zu einer »Reinszenierung des Heiligen«.184 Es sieht so

178 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 15. Vgl. auch: H. TIMM: Gegenwartsreligion – Geistesreligion,
S. 38.
179 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 11-12. »Mit der postmodern genannten Pluralisierung der Kulturen
und Religionen, Werte und Stile, Theorien und Praktiken hat unsere Einsicht in die Zufälligkeit des eigenen
Standpunkts drastisch zugenommen«. H. TIMM: Christentum im Angebot, S. 25.
180 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 12.
181 A.a.O., S. 12-13. Auch für Wolfgang Welsch ist aisthesis ein Schlüsselbegriff postmodernen Denkens. Vgl.
W. WELSCH: Die Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst, S. 34-37; W.
WELSCH: Schlüsselfunktionen der Kunst für die postmoderne Kultur und Gesellschaft, S. 140.
182 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 14.
183 A.a.O., S. 15. Timm bezieht sich hier auf: H. LÜBBE: Religion nach der Aufklärung, S. 127-144.
184H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 14. »Philosophen und Ethnologen, Kulturwissenschaftler, Ästhetiker
und Journalisten nehmen sich auf eigene Weise der Religion wieder an, ohne der fehlenden Lizensierung
seitens der Gottesgelehrsamkeit lange nachzutrauern. Sie halten das Thema für zu wichtig, um es den Dog-
matikern allein überlassen zu dürfen. Am Markt gefragt ist es allemal, wenn auch nicht primär am Theolo-
genmarkt. – Wer die florierende Deutungskonkurrenz nur im Vokabular antikapitalistischer Kulturkritik als
Konsumismus abkanzelt, muß befürchten, wie ein neidisch gewordener Monoplist von gestern dazustehen«.
H. TIMM: Christentum im Angebot, S. 23.
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 225

aus, als ob auf die »postreligiöse Moderne« nun eine »postmoderne Religion« folgt.185 Diese
postmoderne Religion macht sich die Pluralisierungsstrategie zunutze: Das Religiöse will
nicht nur gedacht, sondern auch »leibhaft gespürt, geschmeckt, gefühlt, geahnt, geliebt und
gefürchtet, geehrfürchtet sein, um seiner Wahrheit mit allen Fasern der inkarnierten Vernunft
inne zu werden«.186
Postmoderne Theologie ist demnach ästhetische Theologie, die aus dem reichen Schatz
der Symbolwelt religiöse – auch spezifisch christliche Gedanken – auszudrücken versucht.187
Zur Begründung dieser ästhetischen Theologie gibt Timm an, daß sich das Interesse an Reli-
gion heute schwerpunktmäßig von der Vertikalen in die Horizontale verlagert hat: Das Inte-
resse richtet sich nicht mehr in erster Linie auf Erkenntniswahrheit, sondern auf Lebenswahr-
heit. Es zeigt sich heute eine Verschiebung weg von »gotteskundlicher Letztbegründung« hin
zur »anthropokosmologischen Reinszenierung«, ein »leibhaftes In-Aktion-Setzen« und »ganz-
heitliches Teilhaben« an der Welt.188 Gefordert ist eine Erweiterung des Religiösen über das
bloß Kognitive und Moralische hinaus. Vier Fragenkreise bedürfen nach Timm in der post-
modernen Situation besonderer Beachtung:
– Wenn Postmoderne »Abbau substantialistischer Eindeutigkeit« und Verlust einer für alle
verbindlichen Mitte bedeutet, muß nach neuen Ordnungsbildern für einen gemeinsamen
Diskurs Ausschau gehalten werden;
– wenn Postmoderne wesentlich »Zitatkultur« ist, stellt sich die Frage, welcher »kritisch-
synkretistische Zitatstil« geeignet wäre, »die spätabendländischen gesammelten Werke der
Menschheit wieder lesbar zu machen«, um eine »intellektuelle Ökumene« auch weiterhin
zu gewährleisten;
– angesichts der oft beklagten »Tradierungskrise des Glaubens« ist eine neue »Wahrneh-
mungswissenschaft« nötig, die konkrete »Heiligtümer inmitten heutiger Alltagswirklichkeit
aufzuweisen vermag«;
– die bio- und geotopische Situation des Menschengeschlechts gibt dazu Anlaß, über eine
neue Realpräsenz des Heiligen nachzudenken – vielleicht in der Form einer »tellurischen
Anamnese« durch den Schöpfergeist, »damit neu gesagt werden kann, warum ›post Chris-
tum natum‹ (nicht mortuum) datiert wird«.189

185 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 15. Nach Timm kann die Theologie der Postmoderne auch deswe-
gen »viel Gutes abgewinnen«, weil die Diskussion um diesen Terminus »eine Möglichkeit bietet, Ureigenes
im Licht aktueller Traditionskritik zu reformulieren«. H. TIMM: Gegenwartsreligion – Geistesreligion,
S. 41. Ähnlich auch: L. E. CADY: Resisting the Postmodern Turn, S. 81.
186 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 16. »Wir sind mit der Aufgabe, den Kulturschaden der metaphysi-
schen Denktradition in überlebensfähigen Grenzen zu halten, hoffnungslos überfordert. Was wir bräuchten,
um bestehen zu können, um der Sinn-, der Orientierungs- und Beglaubigungskrise der Gegenwart erfolg-
reich zu begegnen, wäre ein sensibleres Denken, wie man sagt: eine aus der sinnlichen Rezeptivität heraus
gebildete Denkgesittung«. A.a.O., S. 67.
187 A.a.O., S. 45-65.
188 A.a.O., S. 16. Vgl. auch: H. TIMM: Diesseits des Himmels, S. 11-16.
189 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 18-19.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 226

8. Zusammenfassung

1. Wie im vorhergehenden Kapitel so werden dem Begriff Postmoderne auch hier unter-
schiedliche Qualitäten zugeschrieben:
 Für Winquist und Taylor ist Postmoderne – wie für Lyotard, Welsch und Derrida – kein
Zeitbegriff zur Bezeichnung einer neuen Epoche, sondern eine intellektuelle Strategie:
Als postmodern wird hier eine bestimmte Weise des Denkens in der »Tradition des Ver-
dachtes« bezeichnet.
 Im Unterschied zu Winquist und Taylor hat der Begriff Postmoderne für Scharlemann
durchaus auch eine zeitdiagnostische Funktion: Die Diskussion um die Postmoderne
kann als Indikator dafür gesehen werden, daß die Grundlagen des modernen Denkens
zunehmend in Frage gestellt werden.
 Für Timm ist Postmoderne dagegen – wie in der Architektur und Literaturwissen-
schaft – ein ästhetischer Begriff: Kennzeichen der Postmoderne ist für Timm die freie
Verfügbarkeit und gleichberechtigte Koexistenz der verschiedenen Wissensformen,
Denk- und Lebensstile.
2. In der Bewertung der dekonstruktiven Theologie gibt es keine Übereinstimmung, sondern
einige eifrige Advokaten, die die Dekonstruktion als die avantgardistischste aller Text- und
Sprachtheorien glorifizieren (Winquist, Taylor, Altizer, Nuyen), aufgebrachte Gegner, die
mit dieser Theorie das Ende jeglicher »Theo«-logie kommen sehen (Cobb, Griffin), und
ausgleichende Positionen, die sich um eine differenzierte Bewertung und kritische Rezepti-
on der Dekonstruktion bemühen (Scharlemann, Caputo, Tracy). Die Befürworter und Kri-
tiker der dekonstruktiven Theologie sind sich lediglich in der Problemstellung einig: Daß
es seit langem eine anhaltende Diskussion über die Voraussetzungen und Möglichkeiten
der theologischen Sprache gibt, ist ebenso unumstritten wie die Diagnose einer »Krise der
Bedeutung«, die vor allem in der »Diskrepanz zwischen der theologischen Rede von Gott
und ihres öffentlichen Verhallens« (Winquist) besteht.
3. Aber auch innerhalb der dekonstruktiven Theologie gibt es gravierende Unterschiede. Auf-
grund der unterschiedlichen sprachphilosophischen Grundannahmen differieren dann auch
die theologischen Folgerungen, die aus den sprachphilosophischen Prämissen gezogen
werden.
Die sprachphilosophischen Differenzen ergeben sich aus unterschiedlichen Interpretationen
von Derridas Sprachphilosophie:
 Die einen berufen sich auf Derridas bekanntes Diktum, daß es außerhalb der Sprache
nichts gibt. Folglich kann es auch keine »transzendentalen Signifikate« geben, sondern
nur eine unendliche Signifikantenkette, in der alle Worte immer wieder nur auf andere
Worte verweisen. Der Raum »hinter« der Sprache bleibt leer (Taylor, Altizer).
 Die anderen machen dagegen geltend, daß Derrida nicht die Referenz der Sprache über-
haupt sondern nur den Zugang zu »transzendentalen Signifikaten« bestreitet. Dann ist es
aber sehr wohl möglich, eine Realität jenseits der Sprache anzunehmen (Scharlemann,
Caputo).
II. Dekonstruktion, postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion 227

Entsprechend dieser grundlegenden Prämissen fallen dann die theologischen Folgerungen


aus:
 Für die einen folgt aus der sprachphilosophischen Dementierung transzendentaler Signi-
fikate der »Tod des transzendenten Gottes«: Weil der Logos zum »inkarnierten Wort«
wird, wird er in das unendlich wiederkehrende Spiel der Interpretationen verflochten.
Dadurch, so der Schluß, wird Gott verschriftlicht: Gott und Schrift werden identisch,
Inkarnation und Inskription austauschbar (Taylor).
 Für die anderen ist zwar der Referent theologischer Sprache auch nur in und als Sprache
gegeben, doch wird hier aus dem Ende der metaphysischen Theologie nicht die Identifi-
kation von Gott und Schrift gefolgert, sondern die Einheit von Anwesenheit und Abwe-
senheit Gottes betont: In der Erinnerung und Anrufung seines Namens ereignet sich die
Anwesenheit des abwesenden Gottes immer wieder neu (Scharlemann).
4. Lindbeck dagegen wählt einen ganz anderen Ausgangspunkt für seine »postliberale« Theo-
logie. Für ihn ergibt sich eine postmoderne Theologie aus der Abgrenzung zur modernen,
»liberalen« Theologie: Die Symbolbildung der Religionen ist zuallererst die Bedingung der
Möglichkeit religiöser Erfahrung und nicht – wie in der liberalen Theologie – eine nach-
trägliche Objektivierung einer vorreflexiven religiösen Erfahrung. Das religiöse Symbol-
system ist darum auch nicht als äußerer Ausdruck von grundlegenden Erfahrungen, Gefüh-
len und Empfindungen zu verstehen, sondern als »Sprache«, die die Beschreibung der
Wirklichkeit ermöglicht und strukturiert.
5. Timms Postmodernisierung (sprich: Ästhetisierung) der Religion kann als Versuch gedeu-
tet werden, die theoretischen Überlegungen der Dekonstruktion in die Praxis umzusetzen:
Die Verlagerung der theologischen Arbeit von den Wahrheitsfragen auf die Weisheitsfra-
gen führt bei Timm zu einem fröhlichen Spiel mit den Versatzstücken religiöser Erfahrung
und entspricht damit nicht nur Winquists Forderung einer »theologischen Tropologie«,
sondern auch Taylors Programm eines »nomadischen Wanderns« im Gewirr der Texte.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie
Die Künste sind höchst wunderbar im Substantiellen verwurzelt, im menschli-
chen Körper, im Stein, im Pigment, im Schwirren von Darm oder im Luftzug
an Schilfrohr. Alle gute Kunst und Literatur nehmen in der Immanenz ihren
Anfang. Doch bleiben sie nicht dort stehen. Was ganz einfach heißt, daß es
Anliegen und Privileg des Ästhetischen ist, das Kontinuum zwischen Zeitlich-
keit und Ewigkeit, zwischen Materie und Geist, zwischen dem Menschen und
dem »anderen« zu erleuchteter Gegenwart zu erwecken.
George Steiner, Von realer Gegenwart

Und während der in die Ordnung der theologischen Vernunft gebrachte Glaube
überall einen argen Kampf mit Zweifel und Widerspruch der heute herrschen-
den Vernunft zu bestehen hat, scheint es, daß sich in der Tat das nackte, aller
überkommenen Glaubenshüllen entschälte, von den alten religiösen Vorstel-
lungen losgelöste, vielleicht kaum noch ausschließlich religiös zu nennende
Grunderlebnis des mystischen Erfaßtwerdens ungeheuer ausgebreitet hat, und
es bildet die Seele jener vielförmigen irrationalen Bewegung, die wie ein
Nachtvogel, der sich in den Tag verloren hat, durch unsere Zeit geistert.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Überblick
»Ganzheitlichkeit« war das Stichwort, mit dem schon in der Philosophie Kurt Hübner, Robert
Spaemann und Peter Koslowski und in der Soziologie neben Peter Koslowski auch Amitai Et-
zioni die Postmoderne charakterisiert wissen wollten. Auch wenn es hier – anders als in den
vorhergehenden Kapiteln – keine unmittelbare Abhängigkeit der theologischen Entwürfe von
diesen Positionen gibt, so lassen sich doch bei Philosophen, Soziologen und Theologen ganz
ähnliche Argumentationsstrukturen beobachten: Die Ausdifferenzierung, Pluralisierung, Frag-
mentierung der modernen Gesellschaft und die Abwertung religiöser Erfahrungen sollen
dadurch überwunden werden, daß die verschiedenen Sektoren der sozialen Lebenswelt mit-
einander verknüpft und die verschiedenen Dimensionen menschlicher Erfahrung (wissen-
schaftliche, ästhetische und religiöse Erfahrung) als gleichberechtigt anerkannt werden. Ge-
genüber der als exklusiv verstandenen Moderne soll die Postmoderne nun inklusiv sein: Wis-
senschaftliche Rationalität und religiöse Erfahrung sollen einander nicht mehr ausschließen,
sondern miteinander versöhnt werden.
Wie im ersten Kapitel dieses Hauptteils bestimmen auch hier zwei Suchrichtungen die
theologische Diskussion, ohne daß diese jedoch immer deutlich getrennt werden:
 In der Außenperspektive wird vor allem danach gefragt, welchen Beitrag der christliche
Glaube zu einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen und der Welt leisten kann: Wie
könnte ein ganzheitliches Weltbild unter Einschluß der religiösen Dimension des Men-
schen aussehen? Wie kann die moderne Subjekt-Objekt-Spaltung überwunden, Mensch
und Natur wieder zusammengedacht werden? Wie kann die Bedeutung des christlichen
Glaubens im Rahmen einer vertieften Selbstinterpretation des Menschen neu zur Geltung
gebracht werden? Und inwiefern könnte dieser Rahmen als Option für ein ganzheitliches
Lebensmodell dienen?
 In der Innenperspektive stellt sich für die Theologen dann vor allem die Frage, wie eine
postmoderne Theologie, die einen Interpretationsrahmen für ein ganzheitliches Verständnis
von Welt und Mensch bereitstellen will, beschaffen sein müßte: Welche theologischen
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 229

Traditionen eignen sich besonders für eine solche Theologie? Welchen christlichen Lehr-
stücken kommt hier besondere Bedeutung zu? Wie kann nach der Ausdifferenzierung der
modernen Theologie in die verschiedenen Disziplinen »das Ganze« der Theologie noch in
den Blick kommen?

1. Whitehead und die postmoderne Theologie: John Cobb


Schon 1964 verwendete der amerikanische Theologe John Cobb das Wort »post-modern« in
seinem Aufsatz From Crisis Theology to the Post-Modern World. Dort charakterisiert Cobb
die gegenwärtige Welt als eine, in der Gott tot ist und sich die einstmals festen Vorstellungen
von Wahrheit und Realität in einen diffusen Relativismus aufgelöst haben. Dennoch hofft er,
daß aus der Krise der modernen Welt eines Tages eine postmoderne geboren wird.1 25 Jahre
später blickt Cobb in seinem Aufsatz Theologie in den Vereinigten Staaten: Woher und Wohin
(1989) auf die theologischen Entwicklungen der letzten 40 Jahre in den USA zurück und dis-
kutiert die theologischen Entwürfe, die sich nun postmodern nennen.2 Dabei stellt er einen
Gegensatz zwischen zwei verschiedenen Richtungen in der Theologie fest, die sich zwar beide
mit dem Prädikat »postmodern« schmücken, sich aber in ihren philosophischen Vorausset-
zungen und theologischen Konsequenzen grundlegend widersprechen: auf der einen Seite die
dekonstruktive Theologie, die sich auf die Ergebnisse der französischen Sprachphilosophie
stützt, und auf der anderen Seite die Prozeßtheologie, die auf der Metaphysik Alfred North
Whiteheads basiert.

Eine ganzheitliche Sicht des Menschen und der Welt


Im Unterschied zur Dekonstruktion, die den Linguistic turn3 genommen hat und nun die Spra-
che selbst kritisch hinterfragt, resultiert das Prozeßdenken aus einem Realismus, der das
»Substanzdenken« hinter sich gelassen und sich auf das »Ereignisdenken« verlagert hat: Der
»Whiteheadsche Postmodernismus versucht, Einsicht in die unerschöpfliche Realität der Ge-
samtheit der Ereignisse zu gewinnen, wo immer diese Einsicht gefunden werden kann«.4 Ziel
des Prozeßdenkens Whiteheads ist, eine alternative Sicht von Natur und Gesellschaft, von der
Welt und dem menschlichen Leben zu entwickeln: eine »Sicht, die überzeugend den
traditionellen Natur- und Wirtschaftswissenschaften, der Politik, dem Rechts- und
Erziehungssystem, der Psychotherapie und der religiösen Erziehung und Praxis gegenüber
gestellt werden kann«.5 Die Philosophie Whiteheads sucht unter Rekurs auf die in der
Moderne verdrängten organischen und kosmologischen Traditionen nach einer neuen,
integrativen Synthese der verschiedenen Wissensformen des Menschen: Viele verschiedene
1 »We may refuse the modern world not by defending the past but in the name of the new world which may be
born. We cannot even know whether our decision for it may help it to be born. But we can affirm it, and in
doing so we can repudiate the modern world in the name of the world we will to be the post-modern world«.
J. B. COBB, JR.: From Crisis Theology to the Post-Modern World, S. 245.
2 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 206-213.
3 Vgl. zum Linguistic turn: Erster Hauptteil, II. 5.
4 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 212.
5 A.a.O., S. 209.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 230

schiedenen Wissensformen des Menschen: Viele verschiedene Methoden ermöglichen ganz


unterschiedliche Einsichten in die Realität und bilden zusammen ein Netz für eine möglichst
umfassende, ganzheitliche Sicht von Welt und Mensch.6 Die Aufgabe dieser Theologie be-
steht nach Cobb darin, die Vergangenheit kreativ anzueignen, Elemente verschiedener,
scheinbar gegensätzlicher Traditionen aufzugreifen »und sie in einen Kontrast zu transformie-
ren, der das beste von beiden bewahrt«.7
Inwiefern aber kann nun dieses Prozeßdenken als »postmodern« bezeichnet werden?
Cobb räumt ein, daß aus der Perspektive der Dekonstruktion das Prozeßdenken eher wie eine
Rückkehr zu vorkantischen Modellen der Erkenntnis anmutet, weil der Versuch, ein Weltbild
in Theorie oder Praxis zu konstruieren, das Vertrauen in den menschlichen Geist und die
menschliche Sprache voraussetzt, das die Dekonstruktion ja gerade zerstören will. Das Pro-
zeßdenken kann aber insofern als »post«-modern bezeichnet werden, als durch eine umfassen-
de Revision der Moderne die bewahrenswerten von den zu korrigierenden Elementen der Mo-
derne unterschieden werden: die Selbstkritik der Moderne, ihr Eintreten für persönliche Rech-
te, ihr Engagement für menschliche Freiheit im allgemeinen und für die Freiheit der For-
schung im besonderen sollen bewahrt werden; zurückgewiesen werden soll dagegen der Indi-
vidualismus der Moderne, ihr materialistischer Atomismus, ihr Anthropozentrismus, ihr Idea-
lismus, die Fragmentierung des Wissens in akademische Disziplinen, der Nationalismus, der
Eurozentrismus und ihre nihilistische Tendenz. Die alten Dualismen von Materie und Geist,
Leib und Seele, Natur und Geschichte, Naturwissenschaft und Religion, Individuum und Ge-
sellschaft sollen aufgehoben und miteinander versöhnt werden.8
Cobb ist sich außerdem bewußt, daß das Prädikat »postmodern« gerade im Zusammen-
hang mit Whiteheads Philosophie, die unter anderem auch auf von der Moderne lächerlich
gemachte »organische Traditionen« zurückgreift, eine Rückkehr zur Vormoderne suggeriert,
doch er ist davon überzeugt, daß das konstruktive Ziel des Prozeßdenkens, nämlich die ver-
schütteten westlichen Traditionen sowohl mit den neuesten Ergebnissen der Naturwisssen-
schaften als auch mit den afrikanischen, südamerikanischen und südostasiatischen Philoso-
phien in Beziehung zu setzten, etwas völlig Neues ist.9

2. Die Prozeßtheologie als postmoderne Theologie: David Griffin


Wie sein Lehrer John Cobb wurde auch David Griffin vom Prozeßdenken der Philosophen
Alfred North Whitehead und Charles Hartshorne geprägt. Zusammen mit John Cobb veröf-
fentlichte er 1976 eine Einführung in die Prozeßtheologie, die auch in die deutsche Sprache

6 Vgl. zur »ganzheitlichen Theologie« John Cobbs auch: TH. J. J. ALTIZER: A Holistic, Non-Alienated Theo-
logian, S. 1-4.
7 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 210. Cobb weist darauf hin, daß in diesem Prozeß
auch ein implizit dekonstruktives Element vorhanden ist, weil das geistesgeschichtliche Erbe erst einmal als
problematisch erkannt werden muß, bevor Offenheit für radikal neue Konzeptionen möglich ist. Gleichwohl
ist das Ziel der Prozeßtheologie konstruktiv. A.a.O., S. 206.
8 A.a.O., S. 208. Vgl. zur Postmodernität des Prozeßdenkens auch: M. WELKER: Dogmatische Theologie und
postmoderne Metaphysik, S. 311-326.
9 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 209.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 231

übersetzt wurde.10 Das Wort »post-modern« hat er nach eigenen Angaben ebenfalls von John
Cobbs Aufsatz From Crisis Theology to the Post-Modern World (1964) übernommen und in
seinem Aufsatz Post-Modern Theology for a New Christian Existence (1972) weiterentwi-
ckelt.11 Darüber hinaus ist Griffin der Gründer des Center for a Postmodern World in Santa
Barbara und seit 1988 auch der Herausgeber der Reihe Constructive Postmodern Thought, in
der laufend Beiträge zur postmodernen Theologie veröffentlicht werden.12

Das Ende des modernen und die Entstehung des postmodernen Weltbildes
Die Beschäftigung mit dem Thema Postmoderne ergibt sich für Griffin daraus, daß die Mo-
derne heute nicht länger als absoluter Maßstab und Norm für die menschliche Gesellschaft
angesehen werden kann. Das moderne Weltbild, das ja eigentlich das letzte und endgültige
Weltbild sein sollte, wird heute – genauso wie jedes andere Weltbild vor der Moderne – in
Frage gestellt. Das wachsende Wissen um den Zusammenhang zwischen modernem Weltbild
und Ausbeutung und Zerstörung der Natur hat den Glauben an dieses Weltbild zerstört.13 Die
praktischen Folgen des modernen Denkens haben gezeigt, daß das moderne Weltbild ökolo-
gisch, wissenschaftlich, sozial und spirituell destruktiv wirkt. Darüber hinaus steht zu befürch-
ten, daß unter Fortdauer des modernen Denkens das Überleben auf diesem Planeten gefährdet
ist.14
Aus dem Ende des modernen Weltbildes folgt aber keine Rückkehr zu vormodernen
Weltbildern: Griffin grenzt sich von den rückwärtsgewandten Postmoderne-Konzeptionen e-
benso ab wie von der Dekonstruktion und der Potpourri-Metaphysik der New Age-Bewe-
gung.15 Gegen die dekonstruktive Postmoderne wendet Griffin ein, daß die Aufgabe nicht dar-
in besteht, nach dem verkündeten Ende des modernen Weltbildes auf die Idee von Weltbil-
dern überhaupt zu verzichten, sondern darin, das exklusive Weltbild der Moderne zu revidie-
ren und eine neue, ganzheitliche Synthese von wissenschaftlicher, ethischer, ästhetischer und
religiöser Sphäre herzustellen.16

10 »Die Position, die wir gemeinsam vertreten, ist allgemein als ›Prozeßphilosophie‹ bekannt, und die von ihr
beeinflußte theologische Richtung nennt sich dementsprechend ›Prozeßtheologie‹«. J. B. COBB – D. R.
GRIFFIN: Prozess-Theologie, S. 7.
11 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 147-148, Anm. 5. Darüber hinaus beruft
Griffin sich auf den Religionsphilosophen Frederick Ferré, der schon 1976 in einer Remythisierung der Na-
tur den Anbruch der postmodernen Zeit diagnostiziert. Vgl. F. FERRÉ: Shaping the Future, S. 68-122.
12 Vgl. dazu Griffins Einführung in die Serie: D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World,
S. IX-XII.
13 A.a.O., S. IX.
14 A.a.O., S. XI.
15 A.a.O., S. X. Weil der Begriff Postmoderne auf verschiedene, der Moderne kritisch gegenüberstehenden
Denkrichtungen bezogen wird, hält Griffin diese Abgrenzung für besonders wichtig. D. R. GRIFFIN: Intro-
duction: Varieties of Postmodern Theology, S. 3-7. Vgl. auch: D. R. GRIFFIN: Post-Modern Theology for a
New Christian Existence, S. 15.
16 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. XI. Ähnlich auch Douglas Bowman: »We
›moderns‹ are destroying the earth (...) The word modern is used to denote the way of thinking and its atten-
dant images that have dominated the Western world since the seventeenth century. Postmodern is used to
denote a new view of reality that can move us beyond our present limitations by expanding our modern in-
tellectual and imaginative horizons in ways that will enable us to live upon this earth without destroying it«.
D. C. BOWMAN: Beyond the Modern Mind, S. IX-X.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 232

Daraus ergibt sich Griffins eigenes Postmoderne-Programm: revisionistisch und konstruk-


tivistisch. Revisionistisch, weil die Postmoderne das moderne Weltbild ebenso wie das vor-
moderne auf seine Prämissen hin kritisch überprüft; konstruktivistisch, weil die Postmoderne
in einer kreativen Synthese aus vormodernen und modernen Wahrheiten, Werten und Ideen
eine neue Einheit von wissenschaftlicher, ethischer, ästhetischer und religiöser Intuition zu
entwickeln versucht.17 Gleichwohl darf dieses revisionistische und konstruktivistische Pro-
gramm nicht als naive Utopie zur Lösung aller globalen Probleme, aller sozialen Konflikte
und der ökologischen Zerstörung angesehen werden, denn der kulturübergreifende Hang des
Menschen zum Bösen kann nicht einfach durch eine neue soziale, politische, ökonomische
und ökologische Ordnung überwunden werden. Unter diesem Vorbehalt besteht die Aufgabe
dennoch darin, nach einer besseren als der modernen »Ordnung der Dinge« zu suchen.18
Die Grundüberzeugung dieses revisionistischen und konstruktivistischen Programms ist,
daß religiöse Intuitionen bei der Konstruktion eines Weltbildes das gleiche Gewicht haben wie
mathematische, logische, sensitive und daß Religion für das öffentliche und private Leben e-
ben nicht irrelevant, sondern im Gegenteil unentbehrlich ist.19 Weil die Entstehung des
postmodernen Weltbildes mit einem neuen Interesse an einer religiösen Spiritualität als
Grundlage des sozialen wie des individuellen Lebens einhergeht, könnte die Theologie in das
Zentrum der öffentlichen Diskussion zurückkehren.20 Die entscheidende Aufgabe für Griffin
ist, eine Theologie zu entwickeln, die auf die Herausforderungen der heutigen Situation
zufriedenstellend antworten und einen Beitrag zur Überwindung des defizitären modernen
Weltbild leisten kann.21

17 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. X-XI.


18 A.a.O., S. XII.
19 A.a.O., S. X. Eine mit Griffin der Intention nach verwandte, doch nicht von Whiteheads Prozeßphilosophie
abhängige Position vertritt der amerikanische Religionswissenschaftler Huston Smith, der sich in seinem
1982 erschienenen Buch Beyond The Post-Modern Mind sowohl gegen das exklusivierende, wissenschaftli-
che Weltbild der Moderne als auch gegen eine dekonstruktivistische Postmoderne wendet. Im Unterschied
zu Griffin aber sieht Smith die Aufgabe darin, die in der Moderne »vergessenen Wahrheiten« wieder in ihr
Recht einzusetzen, mit dem Ziel, ein vormodernes, ganzheitliches Weltbild mit religiösem Profil zurückzu-
gewinnen. Vgl. H. SMITH: Beyond the Post-Modern Mind, S. 9, 32-56. Vgl. auch: H. SMITH: Before Silence
Descends, S. 153; H. SMITH: Postmodernism’s Impact on the Study of Religion, S. 661; H. SMITH: Forgot-
ten Truth; H. SMITH: Is There a Perennial Philosophy?; H. SMITH: Philosophy, Theology, and the Primor-
dial Claim; D. R. GRIFFIN – H. SMITH: Primordial Truth and Postmodern Theology. Vgl. zur Kritik an Hus-
ton Smiths Weltbildrekonstruktion: T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 294-295;
R. P. SCHARLEMANN: The Forgotten Self and the Forgotten Divine, S. 82-83; sehr ausführlich:
D. R. GRIFFIN: Premodern and Postmodern Philosophical Theology, S. 17-60. Vgl. auch Smiths Replik:
H. SMITH: The Process Critique of Perennialism, S. 61-86.
20 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 3. Als Protagonisten dieses postmodernen
Weltbildes sieht Griffin vor allem Henri Bergson, William James, Charles Sanders Peirce, Teilhard de
Chardin und eben Alfred North Whitehead und Charles Hartshorne an. A.a.O., S. 63-64. Vgl. dazu auch: D.
R. GRIFFIN u. a. (Hrsg.): Founders of Constructive Postmodern Philosophy.
21 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. XIV. Für die Neubelebung der Kosmologie-
Diskussion auf dem Hintergrund der erkenntnistheoretischen Prämissen eines »postmodernen Wissen-
schaftsverständnis« setzt sich auch Stephen Toulmin ein. Die alte Debatte um eine »natürliche Theologie«
wird hier mit den neueren Ergebnissen der Wissenschaftstheorie fortgeführt. Vgl. ST. TOULMIN: The Return
to Cosmology, S. 210-213, 254-262.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 233

Der »natürliche Theismus« als Grundlage postmoderner Theologie


Elementar für Griffins postmoderne Theologie ist ein »natürlicher Theismus«, der durch eine
nicht-sinnliche Wahrnehmung, durch Gefühle und Intuitionen die alle Menschen verbindende
religiöse Erfahrung erforscht.22 Dieser natürliche Theismus wendet sich gegen die moderne
Axiomatik, nach der sich die Wissenschaften per definitionem ausschließlich mit natürlichen
und nicht mit göttlichen Dingen beschäftigen dürfen und nach der Evolution und Theismus
unvereinbar sind.23 Ziel des natürlichen Theismus ist es, das kausale, mechanistische Weltbild
der Moderne durch einen »radikalen Empirismus« abzulösen.24
Erkenntnistheoretisch setzt der natürliche Theismus die Annahme eines vor- oder nicht-
sinnlichen Wahrnehmungsvermögens des Menschen voraus. Diese vor- oder nicht-sinnliche
Erkenntnistheorie, die sich auf Whiteheads Begriff »prehension«25 beruft, fordert das moderne
Denken heraus, weil die Moderne nur die sinnliche Wahrnehmung als Weg zuläßt, diejenigen
Realitäten, die außerhalb unserer selbst liegen, zu erfassen.26 Im Gegensatz zur Dekonstrukti-
on verwirft Griffin die Auffassung, daß alle Erfahrung durch kulturelle, insbesondere sprach-
liche Filter affiziert ist, und behauptet demgegenüber, daß es sehr wohl eine Erfahrung gibt,
der keine kulturelle Konditionierung zu Grunde liegt und die deshalb allen Menschen gemein-
sam ist.27 Voraussetzung dafür ist die Idee des »panexperientialism«, die Idee einer »kosmi-
schen Seele«, einer alles einschließenden göttlichen Erfahrung in der Natur, die die ontologi-
sche Basis für den natürlichen Theismus bildet: Wenn die Welt als Teil des universalen natür-
lichen Evolutionsprozesses verstanden wird, dann sind alle Erfahrungen aus diesem Prozeß
hervorgegangen und daher als »natürlich« anzusehen.28

22 »Naturalistic theism believes by contrast that the relation between God and the world is a natural relation,
given in the nature of things (...) Put otherwise, what exists eternally is God-and-a-world, God and a plurali-
ty of finite existents. God is not the external creator of a wholly contigent world; God is essentially the soul
of the universe«. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 77. Vgl. zu Whiteheads Na-
turbegriff, auf den Griffin sich hier bezieht: A. N. WHITEHEAD: Der Begriff der Natur.
23 »Postmodern theology rejects the modern assumption that evolution and the theistic doctrine of creation are
necessarily antagonistic to each other«. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 5.
Vgl. zur Konvergenz von Evolution und »postmodernem Theismus«: A.a.O., S. 69-82.
24 Das mechanistische Weltbild der Moderne ist – so Griffin – nicht aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse,
sondern aus ideologischen Gründen entstanden, denn die damaligen naturwissenschaftlichen Ergebnisse leg-
ten nicht notwendigerweise ein mechanistisches Weltbild nahe. A.a.O., S. 63. Vgl. auch: D. R. GRIFFIN:
Introduction: The Reenchantment of Science, S. 2-17. Vgl. zum »radikalen Empirismus«: W. JAMES: Das
pluralistische Universum, S. 23.
25 Vgl. A. N. WHITEHEAD: Process and Reality, S. 27-28. Griffin versucht mit dem Begriff »prehension« eine
vor-sinnliche Beziehung des Menschen zur Welt zu konstruieren: »Sense-perception presupposes a more
fundamental relationship, which Whitehead called prehension. The reception by the soul of sensory infor-
mation about external objects from its body’s sensory channels presupposes the soul’s relation to and know-
ledge of its body. The soul’s relation to its body is a prehensive relation«. D. R. GRIFFIN: God and Religion
in the Postmodern World, S. 143.
26 Die Behauptung einer nicht-sinnlichen Wahrnehmung außerhalb unserer selbst liegender »Realitäten« belegt
Griffin vor allem mit parapsychologische Phänomenen wie Telepathie, Psychokinese, Clairvoyance etc.
D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 92-94.
27 A.a.O., S. 4.
28 Griffin identifiziert diese »kosmische Seele« mit Gott als der höchsten »Macht« des Universums: »In post-
modern theism, which understands God as the all-inclusive soul of the universe, divine influence is the ulti-
mate example of the influence of the whole upon its partially autonomous parts«. A.a.O., S. 79. Vgl. zu
Whiteheads »Prinzip des Prozesses«: A. N. WHITEHEAD: Prozeß und Realität, S. 66, 385-398; A. N.
WHITEHEAD: Wissenschaft und moderne Welt, S. 206-209; H. HOLZ – E. WOLF-GAZO (Hrsg.): Whitehead
und der Prozeßbegriff.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 234

Ein anderer Schlüsselbegriff des natürlichen Theismus ist Kreativität, die das grundle-
gende Prinzip hinter dem natürlichen Theismus ist: Sie ist als die »letzte Wirklichkeit« (»ulti-
mate reality«) in allen Dingen, von Gott bis zu den Elektronen, enthalten. Gott wird hier nicht
mehr als der alleinige Besitzer kreativer Macht gesehen (wie im traditionellen Theismus),
sondern als »letzte Aktualität« (»ultimate actuality«) der kreativen Energie, die in allen Din-
gen wirkt.29 Griffin ist der Überzeugung, daß durch dieses evolutionäre Kreativitätsverständ-
nis auch das »Problem des Bösen«, das für den Theismus die zentrale Aporie war, gelöst wird,
denn vom Standpunkt einer universalen Kreativität (»universal creativity«) aus betrachtet sind
das Chaos und das Böse keine Überraschung, sondern vielmehr die Ordnung und das Gute.30
Eine Theologie der universalen Kreativität kann Gott als uneingeschränkt »gut« denken, weil
dem Kreativitätsprozeß selbst das »Böse« inhärent ist und die Greueltaten und Massaker dem
Menschen, der aus diesem Prozeß hervorgegangen ist, angelastet werden müssen.31

Die theologischen Konsequenzen des »natürlichen Theismus«


Aus den epistemologischen Rahmenbedingungen des natürlichen Theismus folgt nach Griffin
ein neues Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft: Evolution und die Theologie der
Schöpfung können nun als theistische Evolution zusammen gedacht werden.32 Postmoderne
Theologie impliziert deswegen auch eine konsequente Ökologie: Zwar ist die Natur nicht als
Ganzes göttlich beseelt, aber die geschaffene Natur hat ihren eigenen – vom Menschen unab-
hängigen – Wert; Tiere genauso wie Pflanzen und vielleicht auch Steine und Elektronen. Da-
mit bietet der natürliche Theismus eine Alternative sowohl zur supranaturalistischen Schöp-
fungstheologie als auch zum atheistisch fundierten Darwinismus.33 Der natürliche Theismus
sieht das Ziel der Menschheit nicht in einer Beherrschung der Natur – wie der moderne Mate-
rialismus –, sondern in einer friedlichen Koexistenz und Symbiose aller Kreaturen. Er ist von
Grund auf »friedlich« (»pacific«), weil er den Gegensatz zwischen dem aktiven Menschen und
der nicht-beseelten, passiven Natur überwindet und zu einer Ethik führt, in der allen Lebewe-
sen eine respektable, wertvolle Erfahrung zugeschrieben wird.34

29 »Creativity is not God, but creativity is the ultimate reality, which God and the most trivial puff of existence
in far-off space both exemplify (...) God does not create creativity, but neither does creativity generate God.
Each equally presupposes the other«. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 41.
Ähnlich auch: L. A. MURAY: Confessional Postmodernism and the Process-Relational Vision, S. 89-90.
30 Griffin thematisiert das »Problem des Bösen« (ausgehend vom Holocaust) und seine prozeßtheologische Lö-
sung in seinem Buch: D. R. GRIFFIN: Evil Revisited, S. 22-26, 41-54, 96-143.
31 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 43.
32 A.a.O., S. 6. Gegen die moderne Verdrängung der Natur aus dem christlichen Grunddiskurs wendet sich
auch Wolfgang Nethöfel: »In der Postmoderne fragt jetzt alles ›Ungeschichtliche‹ und fragen moderne
Theologen nach der kosmologischen Erschließungskraft von Rechtfertigung und Erlösung. Zu Recht, denn
unsere Texte sind sowohl Ursprungsmythen unseres Rechtfertigungsglaubens als auch kosmologische Mo-
delle. Von ihnen her gewinnen wir vielleicht theologisch einen Zugang zur postmodernen Erkenntnis, daß
unsere Geschichte untrennbar vom Prozeß der Evolution ist und sich innerhalb des Paradigmas ›Geschichte‹
nicht hinreichend begreifen läßt«. W. NETHÖFEL: Theologische Hermeneutik, S. 258.
33 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 6. Vgl. zum Konzept einer »ökologischen
Postmoderne« auch: CH. SPRETNAK: States of Grace, S. 19-22, 222-232.
34 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 47. Griffin versucht pacific und pacifistic zu
unterscheiden: pacifism ist für Griffin ein ethisches Prinzip, während pacific eine Haltung der Seele aus-
drückt: »Pacific souls are those that want to live in peace with their fellow creatures, who will therefore na-
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 235

Die postmoderne Theologie hat für Griffin auch eine eminent praktische Seite, die er
nicht von der theoretischen getrennt wissen will, denn die Ausdifferenzierung der modernen
Theologie in systematische und philosophische Theologie einerseits und in praktische Theo-
logie und Sozialethik andererseits hat oft unfruchtbare Auswirkungen gehabt: Auf der einen
Seite sind die Wahrheiten der Theologen nur allzuoft abstrakt und gegenüber dem konkreten
Übel machtlos gewesen, und auf der anderen Seite haben die Strategien und Prinzipien der
Ethiker bisweilen jeden Bezug zu einer theologischen Begründung verloren. Postmoderne
Theologie soll dagegen als ganzheitliche, Theorie und Praxis integrierende Theologie die
Wahrheit des Glaubens als befreiende Wahrheit zum Ausdruck bringen.35 Freiheit vor allem
von den modernen dämonischen Mächten des Imperialismus, der progressiven Naturbeherr-
schung, der nuklearen Bedrohung und des Militarismus.36
Eine weitere Konsequenz des natürlichen Theismus ist die Überwindung des Gegensatzes
von liberaler und fundamentalistischer Theologie, die beide als Reaktionen auf die Herausfor-
derung des modernen Weltbildes angesehen werden können: Die liberale Theologie des
19. Jahrhunderts folgt ganz den Prämissen des modernen, auf Vernunft und sinnlicher Wahr-
nehmung basierenden Weltbildes, während die fundamentalistische Theologie gegen diese
Prämissen ganz auf der Autorität der heiligen Schrift oder der kirchlichen Tradition aufbaut
und der Moderne damit die Gefolgschaft verweigert. Beide Richtungen erweisen sich jedoch
als defizitär: Die rationalistischen Voraussetzungen der liberalen Theologie führen zu einer
»dünnen« Theologie, die weder eine adäquate Basis für persönliches und politisches Ethos
bilden kann noch eine Antwort auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens und den persönli-
chen und globalen Tragödien hat; die supranaturalistischen Implikationen der fundamentalisti-
schen Theologie hingegen führen zu einem Antagonismus zwischen dem neuzeitlichen Ver-
nunftverständnis und dem wortwörtlichen Fürwahrhalten der in der Bibel bezeugten Ereignis-
se. Der natürliche Theismus dagegen überwindet sowohl die liberale Theologie, indem er die
Erkenntnisprämissen des modernen Denkens erweitert als auch die fundamentalistische Theo-
logie, indem er Vernunft, Wissenschaft und die Aussagen der biblischen Texte als gleichbe-
rechtigte Zugänge zur vielfältig sich zeigenden Wirklichkeit zuläßt.37

Die postmoderne Theologie: Eine »christlich-natürliche Theologie«


Griffin ist sich sehr wohl bewußt, daß seine postmoderne Theologie sich grundlegend von der
traditionellen christlichen Theologie unterscheidet. Zum einen stellt sich – auch für Griffin
selbst – die Frage, ob das Prädikat »postmodern« nicht nur ein neuer Name für die Prozeßthe-

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turally seek forms of social order that promote peaceable relations, and will naturally seek peaceful resoluti-
ons of the inevitable conflicts that remain«. A.a.O., S. 8.
35 Zu dieser praktischen Seite postmoderner Theologie gehört auch eine spirituelle Dimension: Im Gegensatz
zum atheistischen Materialismus der Moderne, der keinen Raum mehr für Spiritualität übrig läßt, ist für den
natürlichen Theismus »spirituelle Disziplin« weder unmöglich noch irrelevant, sondern Grundbedingung je-
der nicht-sinnlichen menschlichen Erfahrung. A.a.O., S. 120-125.
36 Griffin versucht zu zeigen, wie sowohl Supranaturalismus als auch moderner Materialismus diese »dä-
monischen Kräfte« gefördert und unterstützt haben: Der Supranaturalismus unter Berufung auf die Schöp-
fungsordnung Gottes, der moderne Materialismus im Namen des universalen Fortschritts der Menschheit.
A.a.O., S. 127-138.
37 A.a.O., S. 6-7.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 236

ologie ist und zum anderen, ob es sich bei seiner postmodernen Theologie überhaupt um eine
christliche Theologie handelt oder nicht vielmehr um eine natürliche oder philosophische
Theologie. Griffin räumt ein, daß seine postmoderne Theologie durchaus als Prozeßtheologie
charakterisiert werden kann, daß aber umgekehrt nicht alles, was sich Prozeßdenken nennt, als
postmodern qualifiziert werden kann, weil sich erstens nicht alle Prozeßdenker mit dem The-
ma Vormoderne, Moderne, Postmoderne auseinandersetzen und zweitens einige Philosophen
das Prozeßdenken Whiteheads programmatisch – unter der Formel »Whitehead ohne Gott« –
modernisiert haben.38
Seine postmoderne Theologie versteht Griffin dann auch nicht primär als christliche
Theologie, sondern als philosophische oder christlich-natürliche Theologie, die eine mög-
lichst breite Aufnahme religiösen Gedankengutes affirmiert und die für möglichst viele Reli-
gionen nachvollziehbar sein soll.39 Der natürliche Theismus soll ein Rahmen sein, in welchem
verschiedene religiöse Traditionen ihre eigenen, partikularen Erfahrungen angemessen aus-
drücken können. Sie ist aber auch deswegen zunächst eine philosophische Theologie, weil sie
sich auf keine spezielle Offenbarung oder Tradition beruft und weil sie zuerst wissenschaftli-
chen und philosophischen Kriterien genügen will: den Kriterien der Selbstkonsistenz, der An-
gemessenheit zu den relevanten Fakten und der erhellenden Kraft ihrer Aussagen.40
Weil aber die holistische, unpartielle Perspektive nur dem göttlichen Zentrum der Realität
möglich ist, ist jede menschliche Erkenntnisperspektive notwendigerweise ebenso partikular,
selektiv und entstellend wie unumgänglich. Griffin bezeichnet seine postmoderne Theologie
darum auch als christliche Theologie, weil sie eben von einem partikularen christlichen Stand-
punkt ausgeht und in ihren Konzepten und Beurteilungen christliche Anliegen vertritt. Griffin
selbst versteht sich durchaus als christlicher Theologe, weil er davon überzeugt ist, daß sich
das Göttliche in Jesus Christus ganz besonders manifestiert hat. Auch im Rahmen des na-
türlichen Theismus ist es – so Griffin – durchaus möglich, Jesus als die entscheidende Offen-
barung Gottes an die Menschen zu verstehen, jedoch nicht in einem metaphysischen oder on-
tologischen Sinn: Der natürliche Theismus kann Jesus nicht als »zweite Person der Trinität
auf Erden« denken. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus muß vielmehr in der Verkündi-
gung Jesu, in seinem Leben und seinem Weg nach Golgatha gesucht werden.41

3. Die Kritik an der Prozeßtheologie


Griffins Theologie hat im Gegensatz zu Tracys, Taylors oder Lindbecks Theologie keine gro-
ße Resonanz gefunden. Während zu Lindbecks The Nature of Doctrine, Taylors Erring und
Tracys Plurality and Ambiguity zahlreiche Zeitschriftenartikel erschienen sind, wird Griffins
Theologie außerhalb prozeßtheologischer Kreise kaum zur Kenntnis genommen. Dies liegt
zum einen daran, daß in der theologischen Postmoderne-Diskussion in den USA »Postmo-
derne« weitgehend mit der dekonstruktiven Thematik gleichgesetzt wird und zum anderen an

38 A.a.O., S. 10-11.
39 Vgl. zur »christian natural theology«: D. R. GRIFFIN: Post-Modern Theology for a New Christian Existence,
S. 12-15.
40 D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 8-9.
41 A.a.O., S. 10-11, 142.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 237

den prozeßphilosophischen Voraussetzungen von Griffins »Theologie«, mit denen Griffins


»natürlicher Theismus« steht und fällt. Die Kritik an Griffins »postmoderner« Theologie ent-
zündet sich dann auch an den Defiziten der Prozeßtheologie und an der – so die Kritiker – un-
gerechtfertigten Inanspruchnahme des Prädikats »postmodern«.

Defizite der Prozeßtheologie


Ausgangspunkt für die Kritik von Leonard Sweet ist die Frage, warum die beiden »Basis-
formen« postmoderner Theologie, dekonstruktive Theologie und Prozeßtheologie, so wenig
Einfluß auf die theologische Ausbildung und die kirchliche Theologie (gehabt) haben. Die de-
konstruktive Theologie, die lediglich die moderne Gott-ist-tot-Theologie, die nie ein breites
Echo in der theologischen Gemeinschaft gefunden hat, sprachphilosophisch ins Extrem stei-
gert, sollte – darin ist sich Sweet mit Cobb und Griffin einig – besser als »hypermodern« be-
zeichnet werden.42 Doch die Frage, warum die Prozeßtheologie so wenig Auswirkungen auf
die Erneuerung der Theologie gehabt hat, obwohl die Prozeßtheologen wie John Cobb zu den
herausragenden amerikanischen Theologen der Nachkriegszeit zählen, ist damit noch nicht
beantwortet.43 Vier grundlegende Probleme macht Sweet für das »Versagen« der Prozeßtheo-
logie verantwortlich:44
– Wenn es eine Gemeinsamkeit der verschiedenen postmodernen Theologien gibt, dann ist es
die Kritik des modernen agnostischen Wissenschaftsverständnises, der sich auch Cobb und
Griffin anschließen. Diese modernitätskritische Interpretation von Whiteheads Philosophie,
die einen postmodernen Realismus und Mystizimus zu entwickeln versucht, ist allerdings
nur eine Strömung in der Rezeption von Whiteheads Philosophie, denn daneben gibt es
auch eine modernitätsfreundliche, in der ein idealistisches und rationalistisches Denken
dominiert. Das Prozeßdenken ist aber insgesamt mehr von der modernistischen Seite Whi-
teheads geprägt als von den mystischen und ästhetischen Ursprüngen seines Denkens in der
Philosophie von Henri Bergson und William James. Weil aber die meisten Prozeßphilo-
sophen den modernen Prämissen der Logik zu folgen gewillt sind und andere Zugänge zu
einer »letzten Wirklichkeit« ablehnen, fällt es den meisten Theologen schwer, sich mit die-
sem Denken anzufreunden.45
– Die Prozeßtheologie gründet in der strengen Terminologie der modernen Wissenschaft und
hat dadurch die ästhetische Seite der theologischen Arbeit vernachlässigt: Die meisten
Werke der Prozeßtheologie sind spröde geschrieben, und vielen Prozeßtheologen fehlt die
innovative künstlerische Kreativität.
– Ein weiteres Problem für die Rezeption der Prozeßtheologie ist ihr »hermetischer Elitis-
mus«: Die Herausforderung der Theologie besteht doch darin, Brücken zum jeweils ge-
genwärtigen Denken zu bauen, so daß das Evangelium die wogenden Strömungen der Zei-
ten überqueren kann, ohne selbst weggespült zu werden. Die Prozeßtheologie ist jedoch so

42 L. I. SWEET: Straddling Modernism and Postmodernism, S. 163.


43 A.a.O., S. 160.
44 A.a.O., S. 161-162.
45 A.a.O., S. 161. Sweet beruft sich hier auf die Untersuchungen von: T. INBODY: Bernard Meland: A Rebel
Among Process Theologians und T. INBODY: How Empirical is Wieman’s Theology?
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 238

sehr in ihrer idealistisch-spekulativen Sprache gefangen, daß ihr dieser Brückenschlag


nicht gelingt und ihr Denken unzugänglich bleibt.
– Im Gegensatz zu ihrem Versprechen, sowohl die modernen »Genitiv-Theologien« (Theolo-
gie der Hoffnung, Theologie der Befreiung etc.) als auch die Ausdifferenzierung der ver-
schiedenen theologischen Disziplinen durch eine integrative, ganzheitliche Synthese bibli-
schen Denkens und Glaubens zu überwinden, hat sich die Prozeßtheologie in abstraktem
Denken und blindem Spezialistentum verloren. Weil sie ihrem eigenen Anspruch nicht ge-
recht wird, verliert sie mögliche Sympathien und Sympathisanten.

Griffins Metaphysik: Modern oder postmodern?


Weit entfernt davon, postmodern zu sein, ist das, was gegenwärtig in der Theologie als
»postmodern« firmiert, für Carl Raschke im besten Fall modern und im schlechtesten Fall vor-
modern: Der Krypto-Modernismus der Dekonstruktion ist nicht post- sondern spät-modern
und Huston Smiths Programm schlicht vor-modern.46 Die Inanspruchnahme des Prädikats
»postmodern« durch einige theologische Schriftsteller ist nicht viel mehr als ein Schattenbal-
lett: Wenn Griffin »postmoderne Theologie« dadurch definiert, daß sie sowohl den extremen
Voluntarismus des modernen supranaturalistischen Theismus wie des atheistischen Natura-
lismus durch einen »natürlichen Theismus« ersetzt, so entwirft er nicht wirklich eine »post-
moderne« Theologie, sondern gibt damit nur dem, was in Amerika als »empirische Theologie«
seit Generationen hinlänglich bekannt ist, ein neues, modisches Etikett. »Postmoderne« wird
bei Griffin zu einem Wortgeklingel für eine Art »New Age-Utopie«, die der kalifornischen
Gegenkultur der sechziger Jahre entspringt und die heute in ihren wesentlichen Punkten als
überholt zu betrachten ist.47 Griffins Programm ist dann auch nur wenig mehr als Prozeßden-
ken: eine moderne Metaphysik, die mit ein wenig Politik und dem »Öko-Mystizismus« der
späten sechziger Jahre angereichert wurde.48
Auch William Dean sieht eines der größten Probleme von Griffins Theologie darin, daß
Griffin den Begriff »postmodern« für seine Theologie adoptiert, sich aber von dem weithin
akzeptierten Gebrauch des Begriffes (für Dekonstruktion und Neopragmatismus) abgrenzt und
damit einige Verwirrung stiftet.49 Natürlich hat Griffin das Recht, den Begriff umzumünzen
und für sich selbst in Anspruch zu nehmen, doch es fragt sich, ob der ganze rhetorische Auf-
wand die Kosten dieser Begriffsverwirrung deckt. Aber schlimmer noch: Griffin versäumt ei-
ne ernsthafte Auseinandersetzung mit den Theorien des dekonstruktiven Postmodernismus, zu
der seine Terminologie doch einzuladen scheint, denn durch simple Behauptungen wie »nie-
mand kann unter den Bedingungen eines absolut relativistischen und nihilistischen Weltbildes
leben«50 werden die ernstzunehmenden Argumente der Dekonstruktion nicht aus dem Weg

46 C. A. RASCHKE: Fire and Roses, S. 676.


47 A.a.O., S. 680.
48 A.a.O., S. 676.
49 W. DEAN: David Ray Griffin: God and Religion in the Postmodern World, S. 210.
50 Dean zitiert hier: D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 62.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 239

geräumt.51 Gleiches gilt auch für den von Griffin rigoros verteidigten »metaphysischen Rea-
lismus«, der die neueren naturwissenschaftlichen Forschungen, die nicht von einer alles
lenkenden Macht in der Natur ausgehen, völlig ignoriert: Wie kann man nach Thomas Kuhn
und Paul Feyerabend, die den soziologischen und probabilistischen Charakter der
wissenschaftlichen Wahrheit herausgestellt haben, noch metaphysisch-religiöse Behauptungen
durch (natur-)wissenschaftliche Ergebnisse abzusichern versuchen, so als könne die
Wissenschaft ein objektives Fundament für die Metaphysik liefern?52
Ein weiteres, grundsätzliches Problem von Griffins Buch God and Religion in the Post-
modern World ist die Tendenz, die nicht erfaßbare, religiöse Wahrheit auf eine vorzeigbare
metaphysische Wahrheit zu reduzieren und damit zu objektivieren: Während z. B. für William
James und seine theologischen Jünger der »radikale Empirismus« gerade zeigt, daß keine Me-
taphysik den tiefsten und wichtigsten Grund unseres Bewußtseins erfassen kann, daß immer
eine Art Mysterium bleibt, ist Griffins »radikaler Empirismus« darauf ausgerichtet, ein objek-
tives Wissen zu sichern, das sowohl der physikalischen, sozialen und kulturellen Relativität
als auch dem Mysterium der Kontingenz von Welt und Mensch entkommt. Griffins Sicht der
Dinge ist zudem äußerst einseitig, denn er läßt jegliches Problembewußtsein für die Ambiva-
lenz, Komplexität und Geschichtlichkeit des Denkens, die doch heute überall zur Diskussion
stehen, vermissen.53
Griffins Anliegen, die negativen Konsequenzen des modernen Denkens durch einen »na-
türlichen Theismus« zu überwinden, hat durchaus sympathische Züge, doch Griffins Problem
besteht nicht zuletzt darin, daß sich alle gegenwärtigen Theologien, die dekonstruktive ebenso
wie die hermeneutische, narrative, empirische und phänomenologische, gegenüber dem Ver-
such, Gott in der natürlichen Welt zu lokalisieren, ebenso skeptisch zeigen wie die meisten
Naturwissenschaftler.54

4. Die Befreiungstheologie als postmoderne Theologie: Harvey Cox


Harvey Cox, Professor an der Harvard Divinity School, wurde durch sein 1965 publiziertes
Buch The Secular City bekannt. Er beschäftigt sich in diesem Buch aus theologischer Perspek-
tive mit dem Problem der Religion in einer säkularisierten, überwiegend atheistisch geprägten
Gesellschaft. Mit seinem 1984 erschienenen Buch Religion in the Secular City. Toward a
Postmodern Theology vollzieht er eine grundlegende Wende: Jetzt geht er von einer Wieder-
belebung der Religion als sozialer und politischer Kraft aus und stellt fest, daß die Theologie
für eine postmoderne Welt – eine Welt des religiösen Pluralismus – völlig neu entworfen

51 W. DEAN: David Ray Griffin: God and Religion in the Postmodern World, S. 210. Dean weist darauf hin,
daß Richard Rorty diese Sicht des Relativismus für ein »straw man«-Argument (»Strohmann«-Argument)
hält, denn niemand vertritt die relativistische Ansicht, daß jede Überzeugung hinsichtlich einer bestimmten
Frage so gut wie jede andere ist. Vgl. R. RORTY: Consequences of Pragmatism, S. 166.
52 W. DEAN: David Ray Griffin: God and Religion in the Postmodern World, S. 211.
53 Ebd.
54 A.a.O., S. 209, 211.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 240

werden muß.55 Cox’ Interesse am Terminus »Postmoderne« ist vor allem dadurch motiviert,
daß er – nachdem er in The Secular City ein weitgehendes Desinteresse an religiösen Fragen
in der modernen westlichen Kultur diagnostiziert hatte – nun von der Erfahrung ausgeht, daß
in den religiös motivierten Befreiungsbewegungen und im Fundamentalismus der christliche
Glaube eine neue Kraft entfaltet.56 Aus diesem Grund sind das neuerwachte Interesse an reli-
giöser Orientierung und der Hunger nach einer ganzheitlichen Lebensorientierung für ihn
deutliche Zeichen für den Beginn einer postmodernen Epoche.57

Die Kritik an der modernen Theologie


Nach Harvey Cox brauchen wir eine neue Theologie, um mit dem Wiederaufleben der Religi-
on fertig zu werden: Nicht der Tod Gottes, sondern die Wiederkehr der Götter, nicht der
Skeptizismus, sondern das neue Gefühl für das Heilige sind die gegenwärtigen
Herausforderungen. Allerdings ist dieser Trend nicht nur positiv zu sehen: Das Aufleben des
islamischen Fundamentalismus ist genauso mit Sorge zu betrachten wie die Allianz von
christlichem Fundamentalismus und Farbfernsehen in den USA. Diese können als dunkle
Kehrseite eines erwachenden globalen, religiös inspirierten Bewußtseins für Solidarität,
atomare Abrüstung und Ökologie angesehen werden.58
In der Theologie kommen die größten Impulse heute von den Rändern her: von den Welt-
religionen, den Dritte-Welt-Theologien, den Befreiungstheologien und von der zweideutigen
Macht der Volksfrömmigkeit, des Fundamentalismus und der Zivilreligion.59 Das, was die
moderne Theologie erreicht hat, soll aber nicht einfach aufgegeben werden: Geschichtsbe-
wußtsein, kritische Sensibilität und begriffliche Klarheit sind unverzichtbar. Die Antworten
der modernen Theologie, die in bemerkenswerter Weise auf die Fragen des modernen Welt-
bildes zu antworten wußte, sind zwar nicht überholt, aber an die Theologie werden heute an-
dere Fragen gerichtet: Der Anspruch der modernen Theologie, Gott, Welt und Mensch in einer
universalen Systematik zu beschreiben, wird von den Menschen in der Dritten Welt, aber auch
von den Frauen und den Minderheiten in den westlichen Ländern in Frage gestellt.60 Der mo-
dernen Theologie wird vorgeworfen, eine Theologie zu betreiben, die weiß, westlich, männ-

55 H. COX: Religion in the Secular City, S. 20-21, 222. Vgl. auch: H. COX: Theologien für eine postmoderne
Welt, S. 183-184. Vgl. zu Cox’ Postmoderne-Begriff auch: D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology as Libera-
tion Theology, S. 81-94; T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 223-225.
56 Vgl. zu dieser grundlegenden Kehrtwendung bei Cox: M. C. TAYLOR: The End(s) of Theology, S. 234-235.
57 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 183-184. Ähnlich auch Wolfgang Nethöfel: »In Wahrheit
stehen wir Theologen aber als Moderne einigermaßen fassungslos vor dem Phänomen der neuen Religiosi-
tät, vor dem Wiedererstarken der Religion in Ländern, die schon den Anschluß an die Moderne gefunden zu
haben schienen, und vor den sich immer mehr verdichtenden Phänomenen der Civil Religion sowie der zu-
nehmenden Remythologisierung der Politik in den modernen westlichen Industrienationen. Gurus führen
durch Mythen, wo wir uns gerade zur Entmythologisierung der biblischen Botschaft und dazu durchgerun-
gen haben, deren Ergebnisse im herrschaftsfreien Diskurs gesellschaftlich zu vermitteln«. W. NETHÖFEL:
Theologische Hermeneutik in der Postmoderne, S. 218.
58 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 186.
59 H. COX: Religion in the Secular City, S. 24-26, 222-239.
60 A.a.O., S. 176-178; vgl. auch: H. COX: Göttliche Spiele, S. 177-195.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 241

lich und bürgerlich geprägt ist.61 Gegenüber dieser universalistisch orientierten, modernen
Theologie wird eine partikulare, regionale, dezentralisierte Theologie gefordert, die die Got-
tes- und Welterfahrungen verschiedener Menschen und Gruppen in den verschiedenen Regio-
nen der Welt aufnimmt und ernstnimmt.62

Die integrative Synthese von christlichem Leben und christlicher Spiritualität


Die postmoderne Theologie wird demnach von den verschiedenen Befreiungstheologien ge-
bildet werden, die sich von den vorherrschenden Schulen der Theologie in Europa und Nord-
amerika zu lösen versuchen. Die kommende Theologie wird vermutlich nicht so kohärent und
systematisch sein wie sie es in der europäischen Denktradition war. Die existentiellen Prob-
leme der Menschen, »die in unterdrückten und beherrschten Sektoren irgend einer Gesell-
schaft leben«, werden Vorrang vor einer universalen Systematik des christlichen Glaubens ha-
ben.63 Die Struktur der Kirchen wird basisdemokratisch sein und sich von unten nach oben
aufbauen. Ihr Organisationsstil betont die Gemeinschaft, nicht den Individualismus. Solidari-
tät wird das grundlegende ethische Prinzip sein. Spirituell wird sich eine Umorientierung vom
Geist zum Leib ergeben.64
Postmoderne Theologie, so Cox, wird anders als die liberale, moderne Theologie nicht
versuchen, »allen überall alles zu sein«, sondern in bewußter Partikularität und Regionalität
eine integrative Synthese von christlichem Leben und christlicher Spiritualität suchen.65 Doch
eine im wesentlichen von den verschiedenen Befreiungsbewegungen geprägte, postmoderne
Theologie wird nur sehr wenig erreichen, wenn sie sich nicht das Vermächtnis der modernen
liberalen Theologie aneignet und in ihre Theologie einbaut. »Nur eine Theologie, welche die
Neuzeit ernst genommen hat, wird fähig sein, das ernst zu nehmen, was danach kommt. Nie-
mand kann über die ›Secular City‹ hinausgehen, der nicht durch sie hindurch gegangen ist«.66

5. Ganzheitliche Agenden für eine postmoderne Welt: Ted Peters


Der Lutheraner Ted Peters, Professor am Pacific Lutheran Theological Seminary und an der
Graduate Theological Union der Universität Berkeley (Kalifornien), versucht unabhängig von
der Prozeßtheologie und Griffins »natürlichem Theismus«, die Möglichkeiten für eine ganz-

61 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 185. Vgl. auch: H. COX: Religion in the Secular City,
S. 179.
62 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 186-187. Ein ähnliches Unternehmen – allerdings in
scharfer Abgrenzung zu jeder Art von Postmoderne – verfolgt Kuno Füssel: Gegen die »Aufforderung des
Postmodernismus, die unterstellte Perspektivenlosigkeit zukünftiger Geschichte und selbstbewirkter Chan-
cenlosigkeit aufgeklärter Vernunft einfach hinzunehmen und sich im Posthistoire einzurichten«, fordert Füs-
sel auch für Westeuropa ein »Bündnis von Politischer Theologie und Marxismus« nach dem Vorbild der Be-
freiungstheologie, »um damit aus der tödlichen Unverbindlichkeit hinauszuführen« und »eine radikale Sys-
temveränderung« durchzuführen. K. FÜSSEL: Kritik der postmodernen Verblendung, S. 122, 125, 128.
63 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 189.
64 H. COX: Religion in the Secular City, S. 209-215; H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 187-
188.
65 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 189.
66 A.a.O., S. 190.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 242

heitliche, postmoderne Theologie zu erkunden. In den achtziger Jahren hat er sich um eine
theologische Rezeption und Kritik der als postmodern geltenden (natur-)wissenschaftlich-
philosophischen Holismustheorien67 bemüht und diese mit seinem Anliegen zu verbinden ge-
sucht.68 In zahlreichen Aufsätzen versucht er, den Umbruch von der Moderne zur Postmoder-
ne zu analysieren, die konstitutiven Merkmale der Postmoderne zu bestimmen und die syste-
matisch-theologischen Implikationen, die sich aus diesem Wandel ergeben, zu reflektieren.

Fragmentierte Moderne gegen ganzheitliche Postmoderne


Das Grundproblem der Moderne ist nach Peters, daß sie die menschliche Subjektivität von der
physischen, objektiven Welt abgespalten hat: Das menschliche Subjekt wird als autonomes
Selbst gedacht, das seine Werte selbst setzt, während die Natur, der ganze Kosmos, als gottlos
oder gar sinnlos verstanden wird. Das moderne Denken hat darüber hinaus das Wissen in
zahllose Disziplinen fragmentiert, so daß niemand mehr einen Überblick über »das Ganze«
haben kann.69 Die moderne Welt ist eine geteilte, gespaltene, gebrochene Welt.70 Eine bedeu-
tungsvolle Einheit von Mensch und Welt ist im modernen Weltbild nicht mehr möglich, weil
die ontologische Kontinuität zwischen dem Wissenden und dem Gewußten durch die Subjekt-
Objekt-Spaltung verloren gegangen und eine Entfremdung zwischen Subjekt und Objekt ein-
getreten ist. Das autonome Subjekt hat jedoch einen Preis für seine Freiheit bezahlen müssen:
Die Verobjektivierung der Natur hat den Menschen vergessen lassen, daß er doch selbst als
Teil der Natur von dieser abhängig ist.71
Die Theoretiker der Postmoderne, zu denen Peters etwa David Bohm, Arthur Koestler,
Willis Harman, Fritjof Capra und Marylin Ferguson zählt, versuchen nun, die ontologische
Kontinuität zwischen dem wissenden Subjekt und der gewußten Objektwelt neu zu denken.
Dabei stellt sich allerdings das Problem, daß ein solches Unternehmen nicht einfach auf eine
vormoderne Kosmologie zurückgreifen kann, denn die Erkenntnisse der modernen Naturwis-
senschaften können ebensowenig ignoriert werden wie das kritische Denken der »Hermeneu-
tik des Verdachtes«. Daher plädieren die Protagonisten der Postmoderne für eine Erweiterung
des modernen empirischen Erfahrungsbegriffs, den sie als zu eng empfinden. Durch einen er-
weiterten Begriff von Realität und einen wachsenden Sinn für die Gemeinschaft des Men-
schen mit der Natur soll ein neues, ganzheitliches Bewußtsein entstehen, welches das moder-
ne mechanistische Weltbild der Moderne überwindet und zu einem friedlicheren Umgang mit

67 Hier sind vor allem zu nennen: D. BOHM: Die implizite Ordnung; D. BOHM: Postmodern Science and a
Postmodern World, S. 57-68; A. KOESTLER: Janus; K. WILBER (Hrsg.): Das holographische Weltbild;
CH. BIRCH: The Postmodern Challenge to Biology, S. 69-78; F. FERRÉ: Religious World Modeling and
Postmodern Science, S. 87-97; F. FERRÉ: Shaping the Future; R. SHELDRAKE: The Laws of Nature as Ha-
bits, S. 79-86; ST. TOULMIN: The Return to Cosmology, S. 12-13, 16-17. Vgl. zur theologischen Rezeption
der ganzheitlichen Kosmologien auch: S. MCFAGUE: Cosmology and Christianity.
68 Vgl. T. PETERS: Post-Modern Religion; T. PETERS: Toward 2010; T. PETERS: David Bohm, Postmoder-
nism, and the Divine; T. PETERS: Toward Postmodern Theology.
69 T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 221.
70 »The modern mind so fragments knowledge into separate disciplines that no one any longer has a vision of
the whole. Everyone specializes. No one integrates. Modern medicine treats the body like a machine that
occasionally needs repair; it fails to think the totality of what makes a person a person. It is not wholistic.
The modern world is a divided world, a broken world.« Ebd.
71 A.a.O., S. 223.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 243

der Natur befähigen soll.72 Doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Theolo-
gie?

Der auferstandene Christus als Symbol der versöhnten Ganzheit


Nach Peters können einige der theologischen Entwürfe, die die Herausforderungen der Post-
moderne-Diskussion aufnehmen, kaum als hilfreich angesehen werden: Mark Taylors
A/Theologie bleibt der Agenda moderner Skepsis und Differenzierung verhaftet, Huston
Smith orientiert sich an der Vormoderne, Harvey Cox arbeitet mit einem widersprüchlichen
Begriff von Postmoderne, weil das »Konzept der Befreiung« (»the concept of liberation«) zur
Agenda des modernen und nicht des postmodernen Denkens gehört, und David Griffins Theo-
logie, deren Intentionen Peters durchaus teilt, steht und fällt mit der spekulativen Metaphysik
Whiteheads. Für Peters ist es höchst zweifelhaft, ob diese Entwürfe überhaupt der Aufgabe
christlicher Theologie, die Botschaft von Jesus Christus für die heutige Zeit authentisch zu in-
terpretieren, gerecht werden.73 Gegen diese vermeintlich »postmodernen« Entwürfe der Theo-
logie gibt Peters sechs Richtungsanzeiger für eine postmoderne Theologie an:74
– Postmoderne Theologie muß auf einer Hermeneutik basieren, die nicht versucht, metaphy-
sische Wahrheiten aus der Bibel abzuleiten. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, die alten
Symbole, wie sie sich in der Bibel finden, mit der Erfahrung der heutigen Menschen in
Verbindung zu bringen. Es geht nicht darum, die Wahrheit der biblischen Texte zu erwei-
sen und darauf ein schlüssiges dogmatisches System zu errichten, sondern darum, die in
den Texten enthaltenen Glaubenserfahrungen zu reflektieren, um sie für heute zu aktuali-
sieren.
– Postmoderne Theologie hat immer hypothetischen Charakter: Die »Hermeneutik des Ver-
dachtes« und des systematischen Zweifels sind zum Kennzeichen für »intellektuelle Red-
lichkeit« geworden. Deswegen gibt es auch kein Zurück zu den festen Wahrheiten einer
vormodernen Naivität, kein Zurück zu einem fundamentalistischen oder dogmatischen
Wahrheitsfanatismus. Die Aufgabe der Theologie ist es, die Bedeutung des christlichen
Glaubens als Rahmen einer vertieften Selbstinterpretation des Menschen zu erarbeiten und
diesen Rahmen als Option für ein ganzheitliches Lebensmodell den Menschen anzubieten.
– Die christliche Heilskonzeption muß von einer ganzheitlichen Perspektive her angelegt
werden: Das Symbol des Gottesreiches kann als ganzheitlicher Rahmen des christlichen
Glaubens angesehen werden, denn der göttliche Heilsplan zielt nach dem Neuen Testament
auf die universelle kosmische Vollendung und die Integration aller Menschen in diesen
Prozeß. In der Erfahrung der Gnade Gottes gewinnt der Mensch Anteil an dem Prozeß der
Integration.
– Die Quelle, aus der dieser Prozeß seine Kraft bezieht, ist das Evangelium von Jesus Chris-
tus, jenem Auferstandenen, der jedem von uns versprochen ist, für unsere Zukunft und für
die Zukunft des Kosmos. Auch wenn das Kreuz die Gebrochenheit zwischen Gott und

72 Ebd.
73 A.a.O., S. 225, 293.
74 A.a.O., S. 296.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 244

Mensch symbolisiert, wenn Sünde, Unterdrückung und Leiden die gegenwärtige Realität
des Menschen konstituieren, so ist doch der auferstandene Christus Symbol der wahren
versöhnten Ganzheit.75
– Im Glauben an ihn haben wir Anteil an diesem neuen ganzheitlichen Leben – vorläufig
zwar nur erst An-teil, aber in der Hoffnung einmal vollendet zu werden und die ganze Fülle
des Lebens zu erhalten. Im Bewußtsein, daß es sich hier um einen eschatologischen Prozeß
handelt, soll die Theologie in Antizipation dieses Adventes schon jetzt verbindend, integ-
rierend und versöhnend in der noch geteilten, gebrochenen und verfeindeten Welt wirken.76
– Das Gottesreich soll aber nicht als Jenseitsvertröstung mißverstanden werden. Vielmehr
ergibt sich aus der Hoffnung eine proleptische Ethik, die die Maßstäbe für das Handeln in
dieser noch gebrochenen Welt aus der Vision des künftigen Gottesreiches abzuleiten ver-
sucht. Diese Ethik muß die Wunden und Trennungen der Welt zu heilen versuchen, indem
sie sich für die Einheit der Menschen, für Kooperation, für Kommunikation und für eine
solidarische Gemeinschaft unter den Menschen einsetzt.
So sehr Peters von der Notwendigkeit einer Neuformulierung des christlichen Glaubens für
die Situation der Postmoderne überzeugt ist, verkennt er doch nicht die Gefahren, die mit ei-
nem solchen Unternehmen verbunden sind: Im Hinblick auf die Gleichzeitigkeit der unter-
schiedlichen Ausdrucksweisen christlichen Glaubens wäre es völlig verfehlt, irgendeine post-
moderne Theologie als das Nonplusultra gegenwärtiger Theologie zu verabsolutieren und alle
vormodernen oder modernen theologischen Entwürfe auf die Müllhalde der Geschichte zu
werfen.77 Die Aufgabe der Theologie besteht vielmehr darin, aufmerksam darauf zu achten,
welche neuen Einsichten sich aus dem postmodernen Bewußtsein ergeben und dann – auf dem
Hintergrund der vormodernen und modernen theologischen Traditionen – nach neuen Wegen
und Explikationen für das Evangelium von Jesus Christus zu fragen.78

6. Postmoderne als Anbruch des ökumenischen Zeitalters: Hans Küng


Hans Küng, Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für Ökumenische
Forschung der Universität Tübingen, hat sich in den achtziger Jahren intensiv mit dem Thema
Postmoderne auseinandergesetzt. Anläßlich des Tübinger Symposions Ein neues Paradigma
von Theologie (1983) formuliert Küng mögliche Dimensionen eines postmodernen Paradig-
mas von Theologie.79 In seinem 1987 erschienenen Buch Theologie im Aufbruch versucht er

75 »The wholeness between God and the creation is a broken wholeness, and the cross symbolizes this broken-
ness«. T. PETERS: Toward 2010, S. 178.
76 Letztlich – und darauf hat der christliche Glaube nach Peters hinzuweisen – kann »Ganzheit« immer nur an-
tizipiert werden: »At the present moment the totality of reality does not exist anywhere in its completeness.
We can only anticipate it. In fact, that is what we do. In isolated moments of meaningfulness, we can impli-
citly anticipate the completed whole, the total reality which will finally put all things in their respective pla-
ce. To see meaning in the present moment is an act of unconscious faith. It is an act of trust that the future
will confirm and extend the meaning we presently perceive and experience«. T. PETERS: David Bohm,
Postmodernism, and the Divine, S. 214.
77 T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 226.
78 A.a.O., S. 297.
79 Dieses Symposion, gemeinsam organisiert von der Internationalen Theologischen Zeitschrift »Concilium«,
dem Institute for the Advanced Study of Religion (University of Chicago Divinity School) und dem Institut
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 245

dann mit dem Instrumentarium der Paradigmenwechselanalyse die Grundlagen für eine öku-
menische Theologie im Übergang von der Moderne zur Postmoderne zu entwickeln. In Pro-
jekt Weltethos (1990) unternimmt er den Versuch einer Zeitanalyse mit dem Ziel, die Not-
wendigkeit eines globalen Ethos für eine postmoderne Welt zu begründen.80

»Postmoderne«: Ein heuristischer Begriff


Für Küng ist Postmoderne ein heuristischer Begriff, ein »›Such-Begriff‹ zur Analyse dessen,
was unsere Epoche von der Moderne unterscheidet«.81 Postmoderne ist für ihn kein primär äs-
thetischer oder philosophischer, sondern ein welthistorischer Begriff, der eine Veränderung
der globalen Gesamtkonstellation anzeigt.82 Deswegen wendet er sich ebenso gegen die Kon-
struktion »falscher Gegensätze« (etwa nach der Art »Moderne gleich Rationalität« – »Postmo-
derne gleich Irrationalität«) wie gegen eine »kosmologische Überhöhung der Zeitenwende«
(etwa als »Wassermann-Zeitalter«) oder eine »ästhetische Engführung« zur Bezeichnung »ei-
nes eher kurzlebigen künstlerischen Stils in Literatur oder Architektur«.83 Küng geht es dage-
gen um eine »nüchterne Analyse des Zeitalters und Zeitwandels, des Epochenwandels und
Epochenumbruchs, in dem wir uns gegenwärtig mitten drin zu befinden scheinen, kurz: um
einen epochalen Paradigmenwechsel«.84
Den grundlegenden Epochenumbruch von der Moderne zur Postmoderne sieht Küng –
wie auch Scharlemann und Rendtorff – schon im Zusammenbruch der bürgerlichen Gesell-
schaft und der eurozentrischen Welt in der Zeit um den Ersten Weltkrieg, der von vielen Zeit-
genossen wie den Schriftstellern Thomas Mann und Hermann Hesse, aber auch von den Phi-
losophen Ludwig Wittgenstein, Karl Jaspers und Ernst Bloch sowie den Theologen Karl
Barth, Rudolf Bultmann und Paul Tillich damals schon wahrgenommen wurde.85 Durch die
Schrecken des Ersten Weltkrieges wurde die moderne Fortschrittsideologie entzaubert,
schwand das Vertrauen in die Vernunft als oberste Richterin in allen sozialen, wissenschaftli-
chen, wirtschaftlichen und politischen Fragen. Die modernen Großideologien des 18. und 19.
Jahrhunderts, die in ihrem Anspruch als »wissenschaftliche Totalerklärungen« quasireligiösen
Charakter annahmen, haben ihre Glaubwürdigkeit zunehmend verloren, weil die weltweiten,
»inhumanen Folgen« des wissenschaftlichen Fortschrittsdenkens (Bedrohung durch atomare
Waffen, Zerstörung der natürlichen Umwelt, Destabilisierung sozialer Lebenswelten etc.) die

––––––––––––––––––––––––––
für Ökumenische Forschung der Universität Tübingen, fand vom 23. - 26. 5. 1983 in Tübingen statt. Vgl.
zu den Ergebnissen die beiden Symposionsbände: H. KÜNG – D. TRACY (Hrsg.): Theologie – wohin?;
H. KÜNG – D. TRACY (Hrsg.): Das neue Paradigma von Theologie.
80 Vgl. zu diesem »Projekt« auch: H. KÜNG – K.-J. KUSCHEL (HRSG.): Erklärung zum Weltethos.
81 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 21.
82 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 67.
83 A.a.O., S. 67-68.
84 A.a.O., S. 68.
85 A.a.O., S. 68. Der Umbruch in der Zeit um den Ersten Weltkrieg betraf aber nicht nur Westeuropa: »Für
Mittel- und Osteuropa brachte er den Zusammenbruch des 1000jährigen deutschen Kaisertums und des Za-
renreiches, des 400jährigen protestantischen Staatskirchentums und der modernen liberalen Theologie; ne-
ben dem Untergang des Habsburgerreiches brachte die Zeitenwende den Zusammenbruch des Ottomani-
schen Reiches und des chinesischen Kaiserreiches«. H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 21. Vgl. auch:
H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 19-20.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 246

Selbstzerstörung der modernen Fortschrittsgesellschaft zur realen Bedrohung haben werden


lassen.86
In der Theologie wird dieser Umbruch am deutlichsten in der Theologie Karl Barths, der
nach Küng als »Initiator eines postmodernen Paradigmas von Theologie« angesehen werden
kann.87 Als einer der »schärfsten Kritiker« des »aufgeklärt-modernen Paradigmas« hat Barth
nach dem Ersten Weltkrieg »früher als andere – in theologischer Ideologiekritik – die despo-
tisch-destruktiven Kräfte neuzeitlicher Rationalität durchschaut, hat den Absolutheitsanspruch
aufklärerischer Vernunft relativiert und das Selbstbewußtsein des modernen Subjekts mit sei-
nen Selbsttäuschungen konfrontiert; kurz, seine Theologie hat früher als andere die ›Dialektik
der Aufklärung‹ erkannt und eine Aufklärung über die Aufklärung betrieben«.88 Gegen alle
»Diffusion des Christlichen ins allgemein Menschliche, Historische« macht sich Barth für eine
neue »christologische Konzentration« stark, gegen alle »kulturprotestantische Anpassung« be-
tont er die »gesellschaftskritische Provokation des Evangeliums«.89
Nach den zwei Weltkriegen in diesem Jahrhundert setzt sich der epochale Wandel von
der Moderne zur Postmoderne jetzt auch im Bewußtsein der Massen durch: ein neues Makro-
paradigma, eine neue Gesamtkonstellation, von Überzeugungen, Werten, Normen und Ver-
fahrensweisen wird sichtbar.90 Postmoderne ist für Küng ein provisorischer Name für das
kommende Zeitalter, das sich – »trotz aller Gegenbewegungen, abweichenden Trends und zu
erwartenden Krisen«91 – in einigen Dimensionen schon positiv bestimmen läßt:
– Auf der globalen Ebene zeichnet sich eine posteurozentrische Welt mit verschiedenen
Zentren in Nordamerika, Europa und Ostasien ab. Im Verhältnis der Staaten zueinander
entwickelt sich eine postkolonialistische und postimperialistische Weltgesellschaft interna-
tional kooperierender Staaten, »oder positiv formuliert eine (durch moderne Kommunikati-
onstechnologien immer enger vernetzte und möglicherweise friedlichere) polyzentrische
Welt«.92
– Im kulturellen Bereich ergibt sich eine postideologische und im umfassenden Sinne plura-
listische Kultur. Indikator für den kulturpolitischen Umbruch ist die »Relativierung der
dominanten Mächte der modernen europäischen Kultur«, ein grundlegender Wertewandel:
Die unbeschränkte Herrschaft des Menschen über die Natur wird heute ebenso in Frage ge-

86 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 32-33.


87 H. KÜNG: Karl Barth und die katholische Theologie, Sp. 569. Vgl. auch: H. KÜNG: Große christliche Den-
ker, S. 241-247. Freilich ist Barth für Küng nur der »Initiator«, nicht aber der »Vollender« dieses postmo-
dernen Paradigmas, denn der in der Kirchlichen Dogmatik erfolgte Rückgriff auf die protestantische Ortho-
doxie, die Scholastik und Patristik – unter weitgehender Ausblendung der modernen Kritik – hat »unfreiwil-
lig doch zu einer Art Neo-Orthodoxie geführt«. A.a.O., Sp. 571, 574.
88 A.a.O., Sp. 569, 571.
89 A.a.O., Sp. 571.
90 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 39-40. Küngs Überlegungen basieren auf der von Thomas S. Kuhn entwi-
ckelten Paradigmenwechseltheorie, die für ihn die Schlüsseltheorie zur Analyse epochaler Umbrüche in den
Religionen ist. Vgl. zu Küngs Interpretation der Paradigmenwechseltheorie: H. KÜNG: Theologie im Auf-
bruch, S. 153-207; H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 176-177, Anm. 26; H. KÜNG: Die Funktion der Religion
zur Bewältigung der geistigen Situation, S. 139-153. Vgl. zu ihrer Anwendung auf die Religionen: H. KÜNG
– J. VAN ESS – H. VON STIETENCRON – H. BECHERT: Christentum und Weltreligionen; H. KÜNG: Theologie
im Aufbruch, S. 253-273; H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 151-166; H. KÜNG: Das Judentum.
91 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 40.
92 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 69.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 247

stellt wie eine »ethikfreie Naturwissenschaft«, eine »omnipotente Großtechnologie«, eine


»umweltzerstörende Industrie« und eine bloß »formal-rechtliche Demokratie«. Vor allem
aber ist der Glaube an den »höchsten Gott der Moderne erschüttert worden: der Glaube an
den ewigen, allmächtigen, allvernünftigen, allweisen, allgültigen – Fortschritt«.93
– Dieser Weltgesellschaft entspricht im wirtschaftlichen Sektor eine postkapitalistische und
postsozialistische Wirtschaftsordnung, eine öko-sozial ausgerichtete Marktwirtschaft. Bei
aller Bejahung von Naturwissenschaft, Technologie und Industrie wird doch das wachsen-
de Interesse an einer »ethisch verantwortbaren Wissenschaft«, einer »der Menschlichkeit
des Menschen dienenden Technologie« und einer »die wahren Interessen und Bedürfnisse
der Menschen fördernde, umweltschützende Industrie« erkennbar.94
– Sozialpolitisch gesehen entwickelt sich eine postindustrielle Gesellschaft, in der Dienstleis-
tungen und Kommunikation Vorrang vor der industriellen Produktion haben und in der
sich ein postpatriarchales, partnerschaftliches Verhältnis von Mann und Frau abzeichnet.
Eine neue Einstellung zu den von der modernen Demokratie Benachteiligten, Vernachläs-
sigten, Unterdrückten wird heute ebenso spürbar wie eine Orientierung an postmaterialisti-
schen Werten: ein »geschärfter Sinn für Schutz und Pflege der natürlichen Lebenswelt«, ei-
ne »wachsende Überzeugung von der Notwendigkeit einer allgemein verpflichtenden Ethik
um des Überlebens der Menschheit willen«, eine »erhöhte Sensibilität für die verletzbaren
personalen Beziehungen« und eine »gesteigerte soziale Wahrnehmungsfähigkeit«.95
– Religionspolitisch gesehen entwickelt sich eine postkonfessionelle und interreligiöse Welt,
eine multikonfessionelle ökumenische Weltgemeinschaft. Die neue Konstellation der
Postmoderne ist getragen von der Hoffnungsvision auf die »Einheit der christlichen Kir-
chen«, den »Frieden unter den Religionen und die Gemeinschaft der Nationen« sowie der
Hoffnung auf eine »offene, psychisch wie sozial befreiende, zukunftsorientierte, eine
wahrhaft humane Religion und Religiosität«.96

Das postmoderne Projekt: Planetarische Verantwortung


Die Postmoderne soll nach Küng keine Antimoderne aber auch keine Ultramoderne sein: Eine
Rückkehr zu vormodernen, gegenaufklärerischen oder uniformen Denkmustern (etwa im Sin-
ne des von Peter Koslowski vertretenen »neuen Essentialismus« oder »Neoaristotelimus«)
lehnt er ebenso ab wie eine bloße Modernisierung, eine Steigerung und Potenzierung der Mo-
derne (etwa im Sinne der von Lyotard oder Welsch proklamierten radikal-pluralistischen
»postmodernen Moderne«), weil die grundlegende Krise der Moderne mit diesen Programmen
nicht gelöst wird.97 Beliebigkeit und die »Mischung von allem und jedem« können aber eben-
sowenig Signatur der Postmoderne sein wie das »methodologische ›Anything goes‹« und das

93 Ebd.
94 A.a.O., S. 70-71.
95 A.a.O., S. 71-72.
96 A.a.O., S. 75-76.
97 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 43-45. Küng bezieht sich hier auf: W. WELSCH: Unsere postmoderne Mo-
derne, S. 4-5 und P. KOSLOWSKI: Die Baustellen der Postmoderne, S. 1-16. Vgl. auch: H. KÜNG: Theologie
im Aufbruch, S. 20-22.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 248

»moralische ›alles ist erlaubt‹«.98 »Radikale Pluralität«, so Küng, ist eher Kennzeichen für ei-
ne »desintegrierte Spätmoderne« als für die »Postmoderne« und eben deswegen kein geeigne-
tes Programm, weil »ohne einen Basiskonsens in bestimmten menschlichen Grundwerten und
Grundrechten« keine Demokratie auf Dauer Bestand haben kann.99 Gegen Habermas wendet
Küng ein, daß »nicht jede Kritik der Moderne als Konservatismus denunziert werden darf«,
denn eine »schlichte Modernisierung der Moderne« kann die Lösung auch nicht sein: Die
»Grunddefizienzen der Wissenschaft und Großschäden der Technik lassen sich nicht bloß
durch noch mehr Wissenschaft, durch noch mehr Technik beheben«.100 Ein angemessenes
Verhältnis zur Moderne besteht vielmehr darin, die »kritische Kraft der Aufklärung« zu be-
wahren, den spirituell-religiösen »Reduktionismus« und die »selbstzerstörerischen Kräfte«
(Nationalismus, Kolonialismus, Imperialismus) jedoch zu negieren, um die Moderne so in ein
neues, postmodernes Paradigma hinein aufzuheben.101
Die von Küng entwickelte Postmoderne-Konzeption strebt »einen neuen Grundkonsens
von integrierenden humanen Überzeugungen an, auf den gerade die demokratisch-
pluralistische Gesellschaft unbedingt angewiesen ist, wenn sie überleben will«.102 Grundlage
der Postmoderne ist nach Küng ein ganzheitliches Denken: »Gefordert ist heute (...) eine
ganzheitliche (›holistische‹) Sicht der Welt und des Menschen in seinen verschiedenen Di-
mensionen. Denn zusammen mit der ökonomischen, sozialen und politischen gibt es nun ein-
mal auch die ästhetische, ethische und religiöse Dimension des Menschen und der Mensch-
heit«.103 Zu diesem ganzheitlichen Denken rechnet Küng auch eine »planetarische Verantwor-
tung«, eine Verantwortung für die »Mitwelt, Umwelt, aber auch für die Nachwelt«, die in ei-
ner »Koalition der Glaubenden und Nichtglaubenden« von den Vertretern aller Weltreligio-
nen, Weltregionen und Weltideologien wahrgenommen werden sollte.104
In der polyzentrischen, transkulturellen, postmodernen Welt gewinnt der Dialog der Welt-
religionen darum ein völlig neues Gewicht: »Diese postmoderne Welt braucht um ihres Frie-
dens willen mehr denn je auch die globale religiöse Verständigung, ohne die eine politische
Verständigung letztlich nicht möglich sein wird«.105 Während in der Moderne die Religion
überwiegend im »Modus der Verdrängung« eine Rolle spielte und mancher ihr nahes Abster-
ben erwartete, ist in der heutigen Welt ein neues Interesse an Religion zu beobachten, das sich
– trotz aller »funktionalistischen Religionstheorien von einer Privatisierung der Religion« –
auch öffentlich von den progressiven und konservativen Tendenzen in den westlichen Län-
dern und den Ostblockstaaten bis zu den religiösen Konflikten im Nahen Osten äußert.106 Al-

98 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 43.


99 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 70.
100 A.a.O., S. 74.
101 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 24-25.
102 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 44.
103 A.a.O., S. 42.
104 A.a.O., S. 51-53, 58-62.
105 A.a.O., S. 167. Daß Religionen jedoch auch nicht immer für den Frieden arbeiten, sondern – im Gegenteil –
den Krieg manchmal auch schüren, ist Küng sehr wohl bewußt. Deswegen spricht er vom »Doppelgesicht
der Religionen«, das den intrareligiösen wie den interreligiösen Dialog um so dringlicher macht. A.a.O.,
S. 98-103.
106 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 21, 23. Küng betont hier allerdings die notwendige Infragestellung ei-
nes unaufgeklärten »Kinderglaubens« durch die moderne Philosophie, Soziologie und Psychologie und ver-
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 249

lerdings artikuliert sich diese neue Sensibilität für Religion oft »außerhalb der institutionellen
Religionen und Kirchen« in einer mehr oder weniger diffusen Religiosität.107 »Wiederkehr der
Religion« ist deswegen nicht identisch mit einem »Wiedererwachen der Kirchen«.108 Dennoch
wird immer mehr Menschen deutlich, »daß es ohne ›das ganz Andere‹, ohne ›Theologie‹, oh-
ne den Glauben an Gott, keinen die pure Selbsterhaltung transzendierenden Sinn im Leben
gibt« und »daß ohne Religion letztlich keine begründete Unterscheidung zwischen Wahr und
Falsch, Liebe und Haß, Hilfsbereitschaft und Profitgier, Moral und Unmoral gefunden werden
kann«.109
Für das zukünftige ökumenische Zeitalter ergeben sich gewaltige neue Aufgaben: Zum
einen fordert Küng einen »interreligiösen Dialog auf allen Ebenen und in allen Formen«, um
nach allen »heißen und kalten Kriegen« zu einer »konstruktiven Proexistenz« und »friedenstif-
tenden Kooperation« der Religionen zu gelangen, die dann in allen nationalen und internatio-
nalen Konflikten auf gegenseitiges Verstehen und Versöhnung hinarbeiten könnten.110 Zum
anderen ist ein intensiverer philosophisch-theologisch-religionswissenschaftlicher Dialog, der
die religiöse Pluralität ernstnimmt und die Herausforderung der anderen Religionen annimmt,
notwendig.111 Neben gegenseitiger Information ist vor allem die wissenschaftlich-
theologische Aufarbeitung der Grundlagenprobleme, die bisher in noch zu geringem Umfang
geleistet wurde, gefordert.112

Postmoderne Perspektiven für die Theologie


Für die Theologie, die – wie die katholische – lange Zeit kein positives Verhältnis zur Moder-
ne hat finden können, besteht zunächst einmal überhaupt kein Anlaß, sich »jetzt nachträglich
mit der Parole vom ›Tod der Moderne‹« für die moderne Parole vom »Tode Gottes« zu revan-
chieren.113 Selbstkritik ist gerade angesichts des »römischen Traditionalismus«, der im Namen
des »›wahren katholischen Glaubens‹ wieder die vormodern-feudalen, verrechtlichten und
zugleich mystifizierten Organisations- und Lehrstrukturen durchsetzen will«, durchaus ange-
bracht.114 Aber auch der protestantische Fundamentalismus und Pietismus, der »unter der irre-
führenden Parole ›Kein anderes Evangelium‹ Gehorsam gegenüber dem Buchstaben der Bibel
statt ihrem Geist fordert«, kann kaum als zukunftsfähig für die Herausforderungen der Post-

––––––––––––––––––––––––––
wahrt sich gegen jede gegenaufklärerische, kirchliche Restaurationspolitik. Vgl. auch: H. KÜNG: Projekt
Weltethos, S. 44.
107 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 26.
108 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 72.
109 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 25.
110 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 169-170. Der »interreligiöse Dialog auf allen Ebenen« beinhaltet sowohl na-
tionale wie internationale, bilaterale wie multilaterale, offizielle wie inoffizielle, wissenschaftliche wie spiri-
tuelle, äußere wie innere Dialoge. A.a.O., S. 169-171.
111 Vgl. zu Theorie und Praxis des interreligiösen Dialogs: H. KÜNG – P. LAPIDE: Jesus im Widerstreit; H.
KÜNG – J. VAN ESS – H. V. STIETENCRON – H. BECHERT: Christentum und Weltreligionen; H. KÜNG – J.
CHING: Christentum und Chinesische Religion; H. KÜNG: Das Judentum; H. KÜNG – K.-J. KUSCHEL
(Hrsg.): Weltfrieden durch Religionsfrieden; H. KÜNG – K.-J. KUSCHEL (Hrsg.): Erklärung zum Weltethos.
112 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 170-171.
113 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 22.
114 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 73.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 250

moderne angesehen werden.115 Postmoderne meint eben nicht Gegenmoderne, und so ist »jede
Form programmatischer Gegen-Aufklärung und kirchlicher Restauration« abzulehnen.116
Chancen für die Zukunft hat nur eine solche Theologie, die sich dem heutigen »Erfah-
rungshorizont« stellt, die ihre »Gettomentalität« ablegt und die in »größtmöglicher Toleranz
gegenüber dem Außerkirchlichen« die »Herausarbeitung des spezifisch Christlichen« be-
treibt.117 Postmoderne Theologie kann für Küng nur eine kritische ökumenische Theologie
sein, die sich bei aller ökumenischer Weite – für den Bereich der innerchristlichen Ökumene
genauso wie für den Bereich der außerchristlichen – dem »wissenschaftlichen Wahrheitsethos,
der methodologischen Disziplin und der kritischen Überprüfung all ihrer Problemstellungen«
in Freiheit und Wahrhaftigkeit verpflichtet weiß.118 Und dies in beständiger Konzentration auf
die biblische Botschaft, das Evangelium von Jesus Christus, das stets der Maßstab christlicher
Theologie sein muß.119 So ergibt sich für Küng eine Theologie, die zugleich »katholisch« (um
die »ganze«, die »universale« Kirche bemüht) und »evangelisch« (streng auf die Schrift bezo-
gen) ist, die zugleich »traditionell« (vor der christlichen Tradition verantwortet) und »zeitge-
nössisch« (die Fragen der Gegenwart aufgreifend) ist, die zugleich »christozentrisch« (ent-
schieden und unterschieden christlich) und »ökumenisch« (auf alle Kirchen, alle Religionen
ausgerichtet) ist, die zugleich theoretisch-wissenschaftlich (mit der Lehre befaßt) und prak-
tisch-pastoral (um Leben, Erneuerung und Reform bemüht) ist.120

7. Zusammenfassung

1. Die theologischen Konzeptionen in diesem Kapitel orientieren sich bei der Bestimmung
des Begriffs Postmoderne – wie diejenigen Philosophen und Soziologen, die »Ganzheit-
lichkeit« als Programm für die Postmoderne vertreten – überwiegend an den pathologi-
schen Folgen des Modernisierungsprozesses:
 Die praktischen Folgen des modernen Denkens zeigen nach Griffin, daß das moderne
Weltbild ökologisch, wissenschaftlich, sozial und spirituell versagt hat und außerdem
befürchtet werden muß, daß unter Fortdauer des modernen Denkens das Überleben auf
diesem Planeten gefährdet ist.
 Für Peters ist eine bedeutungsvolle Einheit von Mensch und Welt im modernen Welt-
bild nicht mehr möglich, weil die ontologische Kontinuität zwischen dem Wissenden
und dem Gewußten durch die Subjekt-Objekt-Spaltung verloren gegangen ist: Durch die
Verobjektivierung der Natur hat der Menschen vergessen, daß er doch selbst als Teil der
Natur von dieser abhängig ist.
 Nachdem die modernen Großideologien im 18. und 19. Jahrhundert in ihrem Anspruch
als »wissenschaftliche Totalerklärungen« quasireligiösen Charakter annahmen, haben

115 A.a.O., S. 73.


116 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 73.
117 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 242.
118 A.a.O., S. 246.
119 Vgl. A.a.O., S. 203-207.
120 A.a.O., S. 248.
III. Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie 251

sie, so Küng, ihre Glaubwürdigkeit im 20. Jahrhundert zunehmend verloren, weil die
weltweiten, »inhumanen Folgen« des wissenschaftlichen Fortschrittsdenkens die Selbst-
zerstörung der modernen Gesellschaft zur realen Bedrohung haben werden lassen.
2. Übereinstimmung besteht auch darin, das Profil der Postmoderne aus einer Revision der
Moderne zu gewinnen: die Selbstkritik der Moderne, ihr Eintreten für die Menschenrechte
und ihr Engagement für menschliche Freiheit sollen bewahrt werden; zurückgewiesen wer-
den soll dagegen ihr Anthropozentrismus, ihr Idealismus, die Fragmentierung des Wissens
in akademische Disziplinen, ihr Eurozentrismus und ihre nihilistische und atheistische
Tendenz. Das exklusive Weltbild der Moderne soll durch das inklusive der Postmoderne
abgelöst werden: In der Postmoderne sollen die wissenschaftliche, ethische, ästhetische
und religiöse Sphäre in einer neuen, ganzheitlichen Synthese versöhnt werden.
3. Auch wenn diese grundlegenden Intentionen die theologischen Entwürfe verbinden, so
weichen die theologischen Programme aufgrund der unterschiedlichen Ausgangspunkte
doch erheblich voneinander ab:
 Cobbs und Griffins Verständnis der Postmoderne basiert auf einer »ganzheitlichen« In-
terpretation der Prozeßphilosophie Whiteheads: Unter Rekurs auf die in der Moderne
verdrängten organischen und kosmologischen Traditionen sucht diese Richtung der Pro-
zeßphilosophie nach einer neuen, integrativen Synthese der verschiedenen Wissensfor-
men des Menschen. Die Aufgabe der Prozeßtheologie sehen Cobb und Griffin darin, E-
lemente verschiedener, scheinbar gegensätzlicher, christlicher und nicht-christlicher,
vormoderner und moderner Traditionen aufzugreifen und zu einer Theologie zu synthe-
tisieren, die das beste von allem bewahrt.
 Für Cox sind die unterschiedlichsten religiösen Bewegungen (Fundamentalismus, Be-
freiungstheologie) sicheres Indiz für den Beginn der Postmoderne. Aber nur die ver-
schiedenen Befreiungsbewegungen, die in bewußter Partikularität und Regionalität eine
integrative Synthese von christlichem Leben und christlicher Spiritualität suchen, kön-
nen als Ausgangspunkt einer postmodernen Theologie ernst genommen werden.
 Nach Peters ist es die Aufgabe einer postmodernen Theologie, die Selbstentfremdung
des modernen Menschen zu überwinden, den christlichen Glaubens als Rahmen einer
vertieften Selbstinterpretation des Menschen zu erarbeiten und als Option für ein ganz-
heitliches Lebensmodell den Menschen anzubieten.
 Die Postmoderne fordert für Küng – anders als die desintegrierte Moderne – eine ganz-
heitliche Sicht des Menschen und der Welt in globaler Perspektive. Postmoderne Theo-
logie kann für Küng darum nur eine kritisch-ökumenische Theologie sein, die bei
größtmöglicher ökumenischer Weite und Offenheit im Kontext der verschiedenen Reli-
gionen und Kulturen das spezifisch Christliche herauszuarbeiten versucht.
IV. Die Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion
Die [Höhergestellten] wollen ihr Leben gemäß der Wissenschaft und allein mit
dem Verstande gerecht gestalten, nicht mehr, wie es früher war, mit Christus,
und sie haben bereits verkündet, es gebe kein Verbrechen, es gebe keine Sünde
mehr. In ihrer Weise haben sie auch recht: denn wenn es keinen Gott gibt, wie
könnte es dann ein Verbrechen geben?
Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow

Politisch, vielleicht auch moralisch findet sich nur weniges, sehr weniges in
diesem 20. Jahrhundert – einem der Jahrhunderte in menschlicher Geschichte,
in denen am meisten Grausamkeiten begangen, am meisten Hoffnungen zu-
nichte gemacht wurden –, das einem Veranlassung gäbe zu sagen, man »könne
Gott vergessen«.
George Steiner, Von realer Gegenwart

1. Konvergenzen und Divergenzen in der Postmoderne-Diskussion


Die kontroverse theologische Diskussion um die Postmoderne kann als Spiegelbild der allge-
meinen Diskussion um die Postmoderne angesehen werden, weil nicht nur die verschiedenen
Definitionen von »Moderne« und »Postmoderne« und viele Argumente der literaturwissen-
schaftlichen, philosophischen, architekturtheoretischen und soziologischen Postmoderne-Dis-
kussion in der theologischen Debatte wiederaufgenommen werden, sondern auch die theologi-
schen Entwürfe zu einem Großteil auf den verschiedenen Postmoderne-Programmen beruhen:
Die sprachphilosophisch begründeten und literaturwissenschaftlich erprobten Strategien des
Poststrukturalismus werden von Winquist, Scharlemann und Taylor fast unverändert auf die
Theologie übertragen; die theologische Pluralismusdiskussion erhält ihre Impulse überwie-
gend aus der Debatte um die Philosophien von Lyotard und Welsch; Timm nimmt mit seinem
Programm einer Ästhetisierung der Religion Motive der ästhetischen Postmoderne-Diskussion
(Literaturwissenschaft, Architektur) auf; die Modelle einer ganzheitlichen Theologie rekurrie-
ren auf die Holismustheorien philosophischer (Cobb, Griffin) oder physikalischer (Peters)
Provenienz, und Lindbeck baut seine »postliberale Theologie« auf den sprachphilosophischen
Untersuchungen von Wittgenstein und den anthropologischen Analysen von Geertz auf. Al-
lerdings finden sich in der theologischen Diskussion auch einige Beiträge, die einen eigenen
Ansatz entwickeln: Cox versucht die Befreiungstheologie als postmoderne Theologie zu in-
terpretieren und für Küng ist Postmoderne in erster Linie ein heuristischer Begriff, der eine
Veränderung der globalen Gesamtkonstellation und damit auch neue Herausforderungen für
die Theologie anzeigt.

Die Übereinstimmungen mit der allgemeinen Postmoderne-Diskussion


Doch werden hier keineswegs fremde Fragestellungen in das theologische Gespräch einge-
führt, denn die grundlegenden Fragen der philosophischen, soziologischen, literaturwissen-
schaftlichen und architekturtheoretischen Diskussion konvergieren durchaus mit der theologi-
schen Sachproblematik:
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 253

 Das Problem von Einheit und Vielheit, das sich durch die moderne Ausdifferenzierung der
Wissenschaften, der Gesellschaft, der Kultur und durch die Pluralisierung der Weltan-
schauungen und Denkstrukturen gegenüber früheren Zeiten radikal verschärft hat, betrifft
die Theologie ebenso wie etwa die Architektur, Philosophie oder Literaturwissenschaft. Für
die Theologen stellt sich darum zunächst die Frage nach dem Verhältnis von christlichem
Glauben und pluralistischer Gesellschaft, dann aber auch die Frage, wie die synchrone und
diachrone Vielfalt theologischer Lehre und kirchlichen Lebens mit der Einheit der Kirche
und des christlichen Glaubens zusammengedacht werden können.1
 Die Frage nach den Strukturen, die in einem bestimmten sprachlichen System Sinn und
Bedeutung erzeugen, affiziert – darin muß man Winquist recht geben – nicht nur die Arbeit
von Philosophen, Sozialwissenschaftlern und Literaturkritikern, sondern ebenfalls all die-
jenigen Disziplinen, die mit Texten arbeiten, also auch die Arbeit von Theologen.2 Die
Theologie – und auch darin ist Winquist recht zu geben – ist unzweifelhaft in die de-
konstruktive Problematik eingebunden, weil das theologische Denken notwendigerweise
Texte produziert und es nicht möglich ist, einfach außerhalb, neben oder hinter den Text zu
treten.
 Nachdem Naturwissenschaft und Glaube in der Moderne als antagonistisch angesehen wur-
den, wird die Suche einiger Naturwissenschaftler nach einem neuen, ganzheitlichen Welt-
bild, in dem die verschiedenen Weisen menschlicher Erfahrung miteinander versöhnt wer-
den, von Cobb, Griffin und Peters willkommen geheißen, weil sich dadurch auch neue Per-
spektiven für die Theologie ergeben: Cobb und Griffin versuchen auf dem Hintergrund der
Philosophie Whiteheads die Naturwissenschaften in den theologischen Diskurs zu in-
tegrieren; Peters versucht dagegen den christlichen Glauben selbst als Rahmen eines ganz-
heitlichen Lebensmodells zu interpretieren: Im Symbol des Gottesreiches, in der Verhei-
ßung einer allumfassenden kosmischen Vollendung, sieht er den Ausgangspunkt für eine
ganzheitliche Theologie.
Aufgrund des Dependenzverhältnisses bildet sich in der theologischen Postmoderne-
Diskussion eine der allgemeinen Diskussion entsprechende Gesprächslage heraus. Wie in der
Philosophie, der Literaturwissenschaft und der Soziologie beanspruchen auch in der theologi-
schen Diskussion zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Konzepte das Prädikat »postmo-
dern«: zum einen die Entwürfe, die die Dekonstruktion auf die Theologie anwenden, und zum
anderen die Programme, die unter dem Stichwort »Ganzheitlichkeit« eine Synthese von (na-
tur-)wissenschaftlicher und religiöser Erfahrung anstreben. Besonders deutlich wird der Ge-
gensatz dieser theologischen Positionen in der Vehemenz, mit der Griffin gegen die de-
konstruktive Theologie polemisiert.3
Auch wenn sich umgekehrt keine Polemik findet, weil die Vertreter der dekonstruktiven
Theologie entweder die Publikationen von Cobb, Griffin, Peters und Cox nicht zur Kenntnis

1 Vgl. dazu: H. J. TÜRK: Postmoderne, S. 15; D. ALLEN: Christian Belief in a Postmodern World, S. 1-4;
R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 186-188; S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus,
S. 631; H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 110-112;
D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 254.
2 CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 48.
3 Vgl. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 8.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 254

nehmen oder die Auseinandersetzung für unwichtig erachten, so ergeben sich doch insgesamt
die gleichen Frontstellungen wie in der allgemeinen Diskussion um die Postmoderne: Wie
Hübner, Koslowski, Spaemann und Etzioni orientieren sich Cobb, Griffin, Peters und Küng
bei der Bestimmung des Begriffs Postmoderne an den destruktiven Folgen des Modernisie-
rungsprozesses, während Winquist, Scharlemann und Taylor, aber auch Bucher, Daecke,
Türk, Hans-Martin Barth, Timm und Rendtorff die Universalitäts- und Einheitsvisionen der
Moderne wie Derrida, Lyotard und Welsch gegen die Vielstimmigkeit der Postmoderne aus-
spielen.
Da die theologische Postmoderne-Diskussion aus den Quellen der allgemeinen Diskussi-
on gespeist wird, finden sich auch die unterschiedlichen Begriffsbestimmungen von Postmo-
derne in der theologischen Diskussion wieder. Postmoderne wird in der theologischen Diskus-
sion als Epochen- oder welthistorischer Begriff, dann als Veränderung des Bewußtseins oder
intellektuelle Revolution, als ästhetischer Begriff, als eine bestimmte Art des Denkens und
schließlich als ein von der Moderne unterschiedenes, neues Weltbild verstanden:
 Postmoderne als Epochen- oder welthistorischer Begriff: Für Rendtorff, Scharlemann und
Türk signalisiert der Begriff Postmoderne den Anbruch einer neuen Epoche, welche die
moderne Epoche, die mit der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert begann und deren Auflö-
sungserscheinungen seit dem Zusammenbruch des bürgerlichen Zeitalters in der Zeit um
den ersten Weltkrieg zunehmend spürbar werden, ablöst.4 Für Küng ist Postmoderne kein
primär ästhetischer oder philosophischer, sondern ein »welthistorischer« Begriff, der einen
epochalen Paradigmenwechsel anzeigt.5
 Postmoderne als Bewußtseinsveränderung oder intellektuelle Revolution: Postmoderne
wird von Bucher, Daecke, Hans-Martin Barth, Tracy und Timm mit dem Abschied von
dem Einheitsdenken der Moderne und einem geschärften Bewußtsein für den gesellschaft-
lichen, kulturellen, ethischen, ästhetischen und religiösen Pluralismus identifiziert.6 Nach
Allen verändert sich die geistige Situation in der westlichen Kultur so grundlegend, daß
von einer intellektuellen Revolution gesprochen werden kann, die mit der vom Mittelalter
zur Moderne vergleichbar ist.7
 Postmoderne als ästhetischer Begriff: Die Postmoderne ist für Timm durch die freie Ver-
fügbarkeit und gleichberechtigte Koexistenz der verschiedenen Wissensformen, Denk- und
Lebensstile und durch einen erweiterten Ästhetikbegriff gekennzeichnet. Postmoderne ist
darum für Timm vor allem »ästhetische Weisheit«.8
 Postmoderne als eine bestimmte Art des Denkens: Für Winquist und Taylor bezeichnet
Postmoderne eine bestimmte Art des Denkens auf dem Hintergrund der poststrukturalisti-
schen Sprachwissenschaft und der »Tradition des Verdachtes«: Postmodernes Denken öff-
net den Blick dafür, daß das Vertrauen in die Sprache als Spiegel der Natur und in die

4 Vgl. T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 294; R. P. SCHARLEMANN: Forgotten Self, Forgot-
ten Divine, S. 55-56, 83; H. J. TÜRK: Postmoderne, S. 11.
5 Vgl. H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 67.
6 Vgl. R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 183; S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus,
S. 631; H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 109;
D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 115-121; H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 11-12.
7 Vgl. D. ALLEN: Christian Belief in a Postmodern World, S. 2.
8 Vgl. H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 14.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 255

Selbstpräsenz des modernen Subjektes unwiderruflich verloren ist und schließt deshalb die
Trauerarbeit über diesen Verlust ab.9
 Postmoderne als neues Weltbild: Nach Cobb, Griffin und Peters wird das moderne, kausale,
mechanistische und technizistische Weltbild in Frage gestellt, weil der Zusammenhang
zwischen modernem Weltbild und Ausbeutung und Zerstörung der Natur den Glauben an
dieses Weltbild zerstört hat. Aufgabe der Postmoderne ist es, das exklusive Weltbild der
Moderne zu revidieren und eine neue, ganzheitliche Synthese von wissenschaftlicher, ethi-
scher, ästhetischer und religiöser Sphäre herzustellen.10
Die verschiedenen Definitionen des Begriffs Postmoderne schließen sich gegenseitig nicht
unbedingt aus, sondern ergänzen sich zum Teil sogar, denn für diejenigen, die – wie z. B.
Küng – Postmoderne in erster Linie als Epochenbegriff verstehen, geht Postmoderne durchaus
mit Veränderungen des Bewußtseins und der kulturellen und gesellschaftlichen Situation ein-
her.11 Auch Timms vorwiegend ästhetische Qualifizierung des Begriffs Postmoderne schließt
einen epochalen Bewußtseinswandel als Signatur der Postmoderne nicht aus.12 Taylor, der –
wie Derrida, Lyotard und Welsch – eine bestimmte Art des Denkens als postmodern bezeich-
net, hat jedoch wenig Sympathien für »Postmoderne« als Epochenbegriff,13 auch wenn sich
eine scharfe Polemik wie die Welschs und Lyotards gegen Postmoderne als Epochenbegriff
bei Taylor nicht findet.14

Die Unterschiede zur allgemeinen Postmoderne-Diskussion


Obwohl die Themen der theologischen Postmoderne-Diskussion von der allgemeinen Diskus-
sion weitgehend vorgegeben sind, zeigen sich auch gravierende Unterschiede der Postmoder-
ne-Diskussionen: So zeigen sich diejenigen Theologen, die sich mit dem Problem des Plura-
lismus auseinandersetzen, gegenüber dem Programm eines »radikalen Pluralismus«, aber auch
gegenüber dem ästhetisch-literarischen Collageprinzip überwiegend kritisch, weil bei diesen
Positionen das Problem von Einheit und Vielheit nicht gelöst wird, sondern – so der Vorwurf

9 Vgl. CH. E. WINQUIST: The Silence of the Real, S. 15; M. C. TAYLOR: Erring, S. 6.
10 Vgl. J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 209; D. R. GRIFFIN: God and Religion in the
Postmodern World, S. IX-XI; H. SMITH: Beyond the Post-Modern Mind, S. 32-56; T. PETERS: Toward
Postmodern Theology, S. 223.
11 Vgl. H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 69-76; H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 38-45.
12 Vgl. H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 11-13, 16.
13 »Confusion is compounded because what is usually understood as postmodernism is actually an extension of
modernism. Postmodernism sensu strictissimo subverts both modernism and ›modernist‹ postmodernism as
if from within. (...) Instead of approaching these epochs as historical periods, it is more fruitful to understand
them as three alternative strategies of disfiguring«. M. C. TAYLOR: Disfiguring, S. 6.
14 Vgl. W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne (1991), S. XIV; J. F. LYOTARD: Die Moderne redigieren,
S. 213. Eine solche Polemik findet sich allerdings bei Gert Scobel, der unter Berufung auf Welsch gegen
Küng einwendet, »daß Post-Moderne weder ein ›Programm‹ (...) noch ein Projekt und erst recht keine Epo-
che ist.« G. SCOBEL: Postmoderne für Theologen?, S. 199. Scobels Kritik ist nicht zuletzt deswegen in sich
widersprüchlich, weil er gegen seine eigene Intention (»Postmoderne Philosophie benennt diese Wider-
sprüchlichkeit und Brüchigkeit, die alle totalitären Ansprüche oder Legitimierungsversuche notwendig auf-
werfen«. A.a.O., S. 200) doch wieder seine partikulare Position absolut setzt. Wesentlich mehr Problembe-
wußtsein zeigt dagegen Rainer Bucher, der sich darüber im klaren ist, daß er, wenn er den Postmoderne-
Analysen von Welsch folgt, »bestenfalls einer bestimmten Interpretation einer bestimmten Postmoderneva-
riante, näherhin der Lyotards«, folgt. R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 46.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 256

– aus der Not der fehlenden Konsense die Tugend der Beliebigkeit gemacht wird.15 Umge-
kehrt trachten diejenigen Theologen, die die Postmoderne durch das Entstehen eines ganzheit-
lichen Weltbildes charakterisiert sehen, keineswegs danach, den Pluralismus durch eine defi-
nitive kulturelle Sinnsetzung zu überwinden.
Statt dessen ergibt sich in der theologischen Diskussion – zumindest partiell – eine Kon-
vergenz von Pluralismus- und Holismusdiskurs, denn auf der einen Seite betonen einige der
an der Pluralismusdiskussion beteiligten Theologen die ganzheitliche Dimension des christli-
chen Glaubens als Gegenmodell zu einem Beliebigkeitspluralismus und auf der anderen Seite
erkennen auch die an der Holismusdiskussion beteiligten Theologen den Pluralismus als irre-
versible Gegebenheit der gegenwärtigen Situation an:
 Die komplexe und unübersichtliche Vielfalt, in der eine Orientierung für den einzelnen
immer schwieriger wird, führt nach Daecke auch zu einer verstärkten Suche nach »Einheit«
und »Ganzheit«, die sich unter anderem in dem sich ausbreitenden ökologischen Welt- und
Naturverständnis ausdrückt.16
 Das Spannungsverhältnis von pluralismusbetonenden Postmoderne-Konzeptionen und den
reformatorischen particulae exclusivae versucht Hans-Martin Barth zum einen durch ein
inklusives, umfassendes Verständnis der particulae exclusivae zu lösen und zum anderen
dadurch, daß er die Ganzheitlichkeit des Menschen zu der Fülle des dreieinigen Gottes in
Beziehung setzt.17
 In einer Welt des religiösen Pluralismus kommt denjenigen Bewegungen nach Cox eine
besondere Bedeutung zu, die – wie die verschiedenen Befreiungsbewegungen – eine ganz-
heitliche Synthese von christlicher Lehre, christlichem Handeln und christlicher Spirituali-
tät suchen, denn diese überwinden nicht nur die Fixierung der modernen Theologie, Gott,
Welt und Mensch in einer universalen Systematik beschreiben zu wollen, sondern stellen
darüber hinaus auch eine authentische Lebensform christlichen Glaubens dar.18
 Auch wenn »radikale Pluralität«, Beliebigkeit und die »Mischung von allem und jedem«
weder Signatur noch Programm der Postmoderne sein können,19 weil »ohne einen Basis-
konsens in bestimmten menschlichen Grundwerten und Grundrechten« keine Demokratie
auf Dauer Bestand haben kann,20 so erkennt Küng doch die »Vielheit heterogener Lebens-
entwürfe, Handlungsmuster, Sprachspiele, Lebensformen, Wissenschaftskonzeptionen,
Wirtschaftssysteme, Sozialmodelle und Glaubensgemeinschaften« an.21

15 Vgl. dazu: R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 183-184; S. M. DAECKE: Glaube im
Pluralismus, S. 629; H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne,
S. 109. Eine Ausnahme bildet hier Hermann Timm, der sich sehr wohl mit den Collage- und Zitattechniken
der ästhetisch-literarischen Postmoderne anfreunden kann, obwohl auch er nicht die Beliebigkeit als Kenn-
zeichen der Postmoderne verstanden wissen will. Vgl. H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 12.
16 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 631.
17 H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 112.
18 H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt, S. 185; H. COX: Religion in the Secular City, S. 176-178.
19 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 43.
20 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 70.
21 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 43. Vgl. auch: H. KÜNG: Was meint Paradigmenwechsel, S. 19; H. KÜNG:
Die Hoffnung bewahren, S. 39-52.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 257

2. Karl Barth und der theologische Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg
Im Ersten Hauptteil wurde die Frage, wann der Beginn der Postmoderne anzusetzen sei, von
denen, die mit diesem Terminus einen epochalen Umbruch verbinden, unterschiedlich beant-
wortet: Für die einen fällt der Beginn der Postmoderne schon mit Nietzsches philosophischen
und philologischen Schriften zusammen;22 andere verbinden den Anbruch der Postmoderne
mit dem Zusammenbruch des bürgerlichen Zeitalters nach dem Ersten Weltkrieg;23 einige
sehen in der Entstehung der Massengesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg den entschei-
denden Wandel;24 und wieder andere sehen die »Wendezeit« erst mit den sechziger oder sieb-
ziger Jahren25 kommen. Anders als in den anderen Disziplinen wird in der theologischen Dis-
kussion übereinstimmend der Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg als die theologische Um-
bruchszeit im 20. Jahrhundert gesehen.

Der theologische Wandel im Kontext unterschiedlicher Umbruchserfahrungen


Rendtorff, Scharlemann und Küng stimmen mit anderen Theologen darin überein, daß mit der
Theologie Karl Barths eine grundlegende Neuorientierung der Theologie eingeleitet wurde,
die sich in der Abgrenzung von der modernen Theologie des 19. Jahrhunderts vollzog.26 Trotz
dieses Konsenses werden die theologischen Veränderungen in der Zeit nach dem Ersten Welt-
krieg von den einzelnen Theologen in einen unterschiedlichen Kontext eingebunden:
 Nach Rendtorff weist nicht nur das Krisenbewußtsein Karl Barths und der anderen dialekti-
schen Theologen auf die Umbruchserfahrung nach dem Ersten Weltkrieg hin. Die Krisen-
stimmung, die sich vom Optimismus des 19. Jahrhunderts grundlegend unterscheidet, wird
auch bei Max Weber und Ernst Troeltsch deutlich, weil sie von der positiven Funktion des
Christentums im kulturellen Prozeß der Neuzeit nicht mehr überzeugt sind. In »gewisser
Weise« können deswegen schon Troeltschs und Webers Arbeiten als »postmodern« be-
zeichnet werden.27
 Scharlemann sieht den theologischen Umbruch im Kontext der naturwissenschaftlichen
Revolutionen. Relativitätstheorie und Quantenmechanik stellen die moderne Mechanik

22 Vgl. R. PANNWITZ: Die Krisis der europäischen Kultur, S. 64; H. MANSCHOT: Nietzsche und die Postmo-
derne in der Philosophie, S. 478-479; I. FORBES: Nietzsche, Modernity and Politics, S. 218-225.
23 Vgl. J. HABERMAS: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 109-110; P. KONDYLIS: Der Niedergang
der bürgerlichen Denk- und Lebensform, S. 15-16.
24 Vgl. D. RIESMAN: Leisure and Work in Post-Industrial Society, S. 363-364; I. HOWE: Mass Society and
Post-Modern Fiction, S. 426-428; J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 19.
25 Vgl. D. BELL: Die nachindustrielle Gesellschaft, S. 257-261; CH. JENCKS: Die Sprache der postmodernen
Architektur, S. 6; H. KLOTZ: Moderne und Postmoderne, S. 423.
26 Vgl. zur Diskussion dieser These: E. BUSCH: Karl Barths Lebenslauf, S. 93-95, 127-128; K. G. STECK: Karl
Barths Absage an die Neuzeit; K.-J. KUSCHEL: Geboren vor aller Zeit?, S. 72-100; P. EICHER: Offenba-
rung, S. 242-250; CHR. GESTRICH: Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie; D.
LÜTZ: Homo viator, S. 47-48.
27 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 296. Anders urteilt dagegen Hans Martin Müller im
Hinblick auf die Theologie der zwanziger Jahre: »Indes, was sich hier als Ablösung oder Überwindung der
Moderne empfiehlt, kann man nicht als Postmoderne bezeichnen; denn es trägt alle Züge der Repristination
vorneuzeitlicher, zumindest vormoderner Strebungen an sich«. H. M. MÜLLER: Die Postmoderne und die
Konfessionen, S. 368.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 258

Newtons in Frage, indem sie die Trennung zwischen dem beobachtenden Subjekt und dem
beobachteten Objekt problematisieren: Jedes experimentell gewonnene Resultat muß in ei-
nem untrennbaren Zusammenhang mit dem Messenden und dem Gemessenen verstanden
werden. Ebenso wird in der dialektischen Theologie die Trennung von Gottes Wort und
Menschenwort in Frage gestellt: In aller Fehlbarkeit des menschlichen Wortes kommt zu-
gleich Gottes Wort, welches nicht das Wort des Menschen ist und über das der Mensch
nicht verfügen kann, zur Sprache; in der Rede des Selbst tritt das Andere, das nicht dieses
Selbst ist, in Erscheinung.28
 Küng rückt das Krisenbewußtsein Barths in den Zusammenhang der Umbruchserfahrungen
zeitgenössischer Schriftsteller und Philosophen: Der Zusammenbruch der bürgerlichen Ge-
sellschaft in der Zeit um den Ersten Weltkrieg wurde auch von Thomas Mann und Her-
mann Hesse, Ludwig Wittgenstein, Karl Jaspers und Ernst Bloch wahrgenommen.29 Als
einer der »schärfsten Kritiker« des »aufgeklärt-modernen Paradigmas« hat Barth jedoch
früher als andere die »destruktiven Kräfte neuzeitlicher Rationalität durchschaut«, die
»Dialektik der Aufklärung« erkannt und eine »Aufklärung über die Aufklärung« betrie-
ben.30 Gegen die »Diffusion des Christlichen ins allgemein Menschliche« plädiert Barths
Theologie für eine neue »christologische Konzentration«, gegen die »kulturprotestantische
Anpassung« betont sie die »gesellschaftskritische Provokation des Evangeliums«.31

Karl Barths »Kirchliche Dogmatik«: Modern oder postmodern?


Ein Konsens besteht ebenfalls darin, daß diese Umbruchszeit lediglich den Beginn der Post-
moderne markiert, da die Konsequenzen dieses »gesamtkulturellen Einbruchs«32 heute erst in
ihrem vollen Umfang erkannt werden. Ebenso werden auch die theologischen Innovationen in
der Theologie der zwanziger Jahre lediglich als Beginn einer grundlegenden theologischen
Neuorientierung gewertet. So bricht nach Scharlemann die dialektische Theologie zwar mit
der abendländisch-theistischen Tradition, indem sie die Möglichkeiten menschlicher Rede von
Gott problematisiert und damit die Aufmerksamkeit auf die Bedingung der Möglichkeit
menschlicher Rede von Gott lenkt, aber erst durch Heideggers »Destruktion der Geschichte
der Ontologie«, durch Strukturalismus und Poststrukturalismus wird die Problematik mensch-
licher Rede von Gott in ihrer ganzen Radikalität erfaßt.33
Uneinigkeit besteht allerdings in der Frage, ob Karl Barths Kirchliche Dogmatik als
»postmodern« bezeichnet werden kann. Für Küng ist Barth nur der »Initiator«, nicht aber der
»Vollender« eines postmodernen Paradigmas von Theologie, weil der in der Kirchlichen Dog-
matik erfolgte Rückgriff auf die protestantische Orthodoxie, die Scholastik und Patristik –
unter weitgehender Ausblendung der modernen Kritik – unfreiwillig doch zu »einer Art Neo-

28 R. P. SCHARLEMANN: The Forgotten Self and the Forgotten Divine, S. 85-86.


29 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 68.
30 H. KÜNG: Karl Barth und die katholische Theologie, Sp. 569, 571.
31 A.a.O., Sp. 571.
32 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 68.
33 R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God Is Not Being God, S. 79-81.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 259

Orthodoxie geführt« hat.34 Anders dagegen Dietrich Korsch: Er versucht, Karl Barths Kirchli-
che Dogmatik aus der postmodernen Perspektive zu interpretieren, indem er die von Lyotard
aufgeworfene Frage, ob es einen »partikularen Ort« geben kann, »der in der Lage ist, seine
eigenen Grenzen zu überschreiten, ohne dabei zugleich die Teilnehmer« anderer Sprachspiele
zu terrorisieren, von der Kirchlichen Dogmatik her zu beantworten versucht.35
Korsch sieht in Barths Bestimmung des Verhältnisses von Jesus Christus und seiner Ge-
meinde eine »Beziehung von Affinität und Differenz«, die einen Horizont eröffnet, in wel-
chem die Kirche in der Lage ist, ihr Zeugnis abzulegen, »ohne sich zu isolieren oder noch
einmal die Gesellschaft dominieren zu wollen«: »Aus ihrer eigenen Perspektive gesehen, be-
zeugt die Gemeinde ihren Herrn als Herrn der Welt. Dieses Zeugnis aber kommt, anders be-
trachtet, selbst schon von der objektiven Voraussetzung her, daß Jesus Christus selbst sich
zugleich der Kirche und der Welt vorstellt als derjenige, der von den Toten auferstanden
ist«.36 Auf ontische Weise ist er so »überall dort präsent, wo er unter Christen erkannt wird«,
doch bleibt er von der Kirche auch unterschieden, insofern er zugleich der Retter der Welt
ist.37
»Auf diese Weise«, so Korsch, »kann man im Rückgriff auf einen zentralen Gedanken
des alten Karl Barth eine Antwort auf die offene Frage der Postmoderne ausarbeiten, wie man
die jeweilige Autonomie der unterschiedlichen Sprachspiele realisieren kann, ohne allen Zu-
sammenhang zu verlieren«.38 Darüber hinaus wird von Barths Kirchlicher Dogmatik zum ei-
nen ein Weg sichtbar, der die »Autonomie der Kirche« sichert und zugleich »an der modernen
Idee einer universellen Versöhnung« festhält, und zum anderen ergibt sich aus Barths Interpre-
tation »von innerer Bestimmtheit und äußerer Beziehung der Kirche« ein »Differenzierungs-
reichtum«, dank dessen sich die Kirchliche Dogmatik einem »dogmatischen Pluralismus« öff-
net, »weil sie von der Last befreit, jeden theologischen Gedanken – sei es affirmativ sei es
kritisch – auf die Imperative der Moderne zu beziehen«.39
Wie Korsch bemerkt auch Rendtorff eine Affinität von Lyotards Sprachspielkonzeption
und Kirchlicher Dogmatik: Lyotard setzt gegen eine »›metanarrative‹ Theorie der Wirklich-
keit« das Leben, »wie es sich einer je besonderen und eigenen, erzählbaren Geschichte
verwirklicht«, die zur Behauptung ihrer eigenen »Wahrheit und Plausibilität« nicht auf
»universal kommunizierbare Totalität« angewiesen ist.40 Eine solche Konzeption des
Narrativen macht eine Interpretation der Theologie Barths möglich, bei der die
»›Diskussionslosigkeit‹ der Offenbarung« intratextuell abgesichert ist: »Fragen, die ›von
außen‹ gestellt werden und auf Grenzüberschreitung einer in ihrer eigenen narratio sich selbst
34 H. KÜNG: Karl Barth und die katholische Theologie, Sp. 569, 571, 574.
35 D. KORSCH: Postmoderne Theologie?, S. 251. Für Korsch besteht die Postmoderne in der weit verbreiteten
Strategie, die »modernen Differenzierungen« hinzunehmen, »ohne eine Theorie des universellen Zusam-
menhanges aufzubauen, die diese Differenzen noch einmal vereinheitlichen könnte.« A.a.O., S. 249.
36 A.a.O., S. 254-255. Korsch bezieht sich hier auf: K. BARTH: Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/3.2, S. 899-906.
37 D. KORSCH: Postmoderne Theologie?, S. 254.
38 A.a.O., S. 255. Eine Anwendung dieses Modells auf philosophische Probleme bleibt Korsch allerdings
schuldig, und so bleibt zu vermuten, daß sich nicht jeder »Widerstreit« durch eine »Beziehung von Affinität
und Differenz« lösen läßt, weil mit der Inkommensurabilität heterogener Sprachspiele zumindest gerechnet
werden muß, auch wenn man nicht – wie Lyotard – von der prinzipiellen Inkommensurabilität aller Sprach-
spiele ausgeht.
39 A.a.O., S. 255-256.
40 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 144.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 260

Grenzüberschreitung einer in ihrer eigenen narratio sich selbst evidenten Wahrheit zielen,
können von denen, die ›in‹ dieser besonderen narratio zu Hause sind, als für sie irrelevant
abgewiesen werden, ohne daß die Wahrheit intern einen Legitimationsverlust erleiden müß-
te«.41 Deswegen stellt sich für Rendtorff im Zusammenhang von Lyotards sprachtheoretisch
aufgebauter »Konzeption des Narrativen«, von Jüngels »Erwägungen zu einer narrativen
Theologie« und Lindbecks »postliberaler Theologie« die Frage, ob Barths Theologie »dort zu
ihrer, nun nicht neuzeitlichen, sondern eben postmodernen Form findet, wo ihr theoretischer
Anspruch singulärer Totalität sich als ›narrative Theologie‹ darstellt«.42
Anders aber als Korsch, der gerade in der Theologie Barths ein Modell sieht, das den Zu-
sammenhang verschiedener Sprachspiele gewährleistet, ohne deren Autonomie zu gefährden,
ist Rendtorff der Auffassung, daß eine »narrative Theologie« zwangsläufig die Verbindung zu
anderen Sprachspielen verliert, weil sie keine »externen Ansprüche« mehr stellen kann und
sich deswegen in ein »ekklesiales Reservat« zurückziehen muß.43 Doch sind hier sowohl ge-
genüber Korsch als auch gegenüber Rendtorff Differenzierungen angebracht: Korsch ist gegen
Rendtorff insofern zuzustimmen, als die analysierte »Beziehung von Affinität und Differenz«
zwischen Christus, seiner Gemeinde und der Welt in der Tat einen Horizont eröffnet, in wel-
chem die Kirche in der Lage ist, ihr Zeugnis abzulegen, »ohne sich zu isolieren oder noch
einmal die Gesellschaft dominieren zu wollen«.44 Von daher muß eine »narrative Theologie«
– auch wenn sie sich ihres partikularen Ortes stets bewußt bleibt – nicht notwendig zu einer
»Tribalisierung« des christlichen Glaubens und der Theologie führen, wie Korsch zu Recht
gegenüber Rendtorff deutlich macht.45 Mit Rendtorff ist hingegen zu fragen, ob die Kirchliche
Dogmatik mit dieser Bestimmung die Grenzen ihres eigenen Sprachspiels wirklich überschrei-
tet. Die Frage, die an Korsch zu richten wäre, ist die, ob hier innerhalb der Grenzen eines
Sprachspiels (in diesem Fall: des theologischen) wirklich ein »Übergang« zu einem anderen
Sprachspiel sichtbar wird; und wenn ja, inwiefern es sich bei der von Korsch analysierten Be-
ziehung um einen der von Welsch – gegen Lyotards Inkommensurabilitätsaxiom – geforderten
»Übergänge«46 handelt.

3. Wiederkehr der Religion?


Schon in der philosophischen und soziologischen Postmoderne-Diskussion wurde verschie-
dentlich das Stichwort von einer »Wiederkehr der Religion« mit dem Thema Postmoderne in
einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht.47 Einige notwendige Differenzierungen dieser
These wurden bereits in der Kritik der soziologischen Postmoderne-Diskussion vorgenom-
men: Erstens wurde darauf hingewiesen, daß die Religion trotz der in der Moderne erfolgten

41 A.a.O., S. 145.
42 A.a.O., S. 144-145. Rendtorff bezieht sich hier auf: J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen; E. JÜNGEL:
Metaphorische Wahrheit; G. LINDBECK: The Nature of Doctrine.
43 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 145.
44 D. KORSCH: Postmoderne Theologie?, S. 255.
45 A.a.O., S. 258.
46 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 258, 310.
47 Vgl. Erster Hauptteil, III. 3, III. 7, IV. 2, IV. 3, IV. 5.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 261

Säkularisierung faktisch immer präsent und nicht einfach abwesend war, und zweitens darauf,
daß in dem »diffusen Phänomenknäuel« der sogenannten »neuen Religiosität« zwar längst
vergessen geglaubte okkulte, esoterische, mystische, gnostische und enthusiastische Phäno-
mene wiederkehren, aber nicht alle dieser Erscheinungen im engeren Sinne als »Religion«
qualifiziert werden können.48

Die Erschöpfung der Religionskritik und die neue Offenheit für Religion
Die nicht unumstrittene These, die Postmoderne gehe mit einer »Wiederkehr« oder »Wieder-
entdeckung« der Religion einher, wird in der theologischen Diskussion von einigen Theolo-
gen – und zwar unabhängig von den verschiedenen Postmoderne-Programmen – aufgenom-
men, nun aber weiteren Differenzierungen unterzogen und unterschiedlich akzentuiert.49 Neben
Daecke, der vor allem bei Naturwissenschaftlern eine neue Gesprächsbereitschaft für religiöse
Fragen entdeckt haben will, und Cox, der nicht den Skeptizismus, sondern das neue Gefühl
für das Heilige als gegenwärtige Herausforderung ansieht,50 haben sich vor allem Timm,
Rendtorff und Küng mit dieser Parole eingehend auseinandergesetzt:
 »Wiederkehr der Religion« bedeutet für Timm eine »Postmodernisierung der Religion«, die
er vor allem in einer »Reinszenierung des Heiligen« sieht.51 Weil sich mit dem Historisch-
werden der Religionskritik auch das Loyalitätsgefühl gegenüber einer einst als Antwort auf
die modernen Herausforderungen entworfenen Theologie gelockert hat, hat sich auch das
Interesse an Religion schwerpunktmäßig von der Vertikalen in die Horizontale verlagert
(von der Erkenntniswahrheit zur Lebenswahrheit): Es zeigt sich heute eine Erweiterung des
Religiösen über das bloß Kognitive und Moralische hinaus, eine Verschiebung weg von
»gotteskundlicher Letztbegründung« hin zur »anthropokosmologischen Gestaltdynamik«.52
 Nach Rendtorff erweitert das Stichwort von der »Wiederkehr der Religion« die Ungewiß-
heit über die Geltung der Religion in der modernen Gesellschaft auf den Gesamtbestand
der Moderne: Die »bemerkenswerte Renaissance für organisierte religiöse Unmittelbarkeit«
ist »Zeitzeichen dafür, daß tragende Grundannahmen der neuzeitlichen Aufklärung ihre pa-
radigmatische Leitfunktion wieder abgeben oder doch zumindest mit anderen teilen müs-
sen«.53 Damit »holt die Frage nach der Entstehung der Moderne aus der Religion mit ihren
kritischen Folgen für das Religionsverständnis nun die Moderne selbst ein«.54
 Während in der Moderne die Religion überwiegend im »Modus der Verdrängung« eine
Rolle spielte und mancher ihr nahes Absterben erwartete, ist nach Küng in der heutigen
Welt ein neues Interesse an Religion zu beobachten, das sich – trotz aller »funktiona-

48 Vgl. Erster Hauptteil, V. 7.


49 Vgl. zu den Problemen und den notwendigen Differenzierungen einer Rede von der »Wiederkehr der Reli-
gion«: D. RÖSSLER: Wiederkehr von Religion, S. 170-180.
50 Vgl. S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 630-631; H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt,
S. 183-184.
51 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 14.
52 A.a.O., S. 16.
53 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 310.
54 T. RENDTORFF: In Richtung auf das Unbedingte, S. 302.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 262

listischen Religionstheorien von einer Privatisierung der Religion« – auch öffentlich von
den progressiven und konservativen Tendenzen in den westlichen Ländern und den Ost-
blockstaaten bis zu den religiösen Konflikten im Nahen Osten äußert.55 Allerdings artiku-
liert sich diese neue Sensibilität für Religion oft »außerhalb der institutionellen Religionen
und Kirchen« in einer mehr oder weniger »diffusen Religiosität«.56 »Wiederkehr der Reli-
gion« ist von daher nicht identisch mit einem »Wiedererwachen der Kirchen«.57
Trotz der verschiedenen Akzentsetzungen decken sich die grundlegenden Intentionen von
Timm, Rendtorff und Küng: Alle drei stimmen (mit Bell, Koslowski, Kaufmann und Lübbe)58
darin überein, daß sich mit dem Ende der modernen Großideologien auch die Polemik der
modernen atheistischen Religionskritik erschöpft hat und dadurch ein Orientierungsvakuum
hervorgerufen wird, das eine neue Offenheit für Religion – zumindest prinzipiell – begüns-
tigt.59 Ebenso teilen sie die Ansicht, daß die »Wiederkehr der Religion« nicht mit einer Rück-
kehr zu traditionellen Formen der Religion und des christlichen Glaubens identifiziert werden
kann.

»Wiederkehr der Religion« oder »religiöse Indifferenz«?


Die verstärkte Suche nach religiöser Orientierung, die sich seit den siebziger Jahren beobach-
ten läßt, kann empirisch nicht bestritten werden.60 Doch auch wenn gerade von der Postmo-
derne-Diskussion her deutlich wird, daß es keinen Grund gibt, in einem multiperspektivischen
Raum der Religion einen geringeren Stellenwert einzuräumen als der Ökonomie, der Wissen-
schaft oder der Kunst,61 so führt das, was Lyotard als die »Krise der Erzählungen«62 bezeich-

55 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 21, 23. Küng betont hier allerdings die notwendige Infragestellung
eines unaufgeklärten »Kinderglaubens« durch die moderne Philosophie, Soziologie und Psychologie und
verwahrt sich gegen jede gegenaufklärerische, kirchliche Restaurationspolitik. Vgl. auch: H. KÜNG: Projekt
Weltethos, S. 44.
56 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 26. Ähnlich auch: H.-J. HÖHN: Das Erbe der Aufklärung, S. 22;
D. TRACY: Der Gegenwart einen Namen geben, S. 48.
57 H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 72.
58 Vgl. Erster Hauptteil, IV. 2, IV. 3, IV. 5.
59 C.-F. GEYER: »Neue Mythologie« versus Religion und Wissenschaft, S. 104. Ähnlich auch die Einschätzung
von Eugen Biser: »Eine zeitbewußte Theologie kann nicht länger an der Tatsache vorbeigehen, daß der po-
lemische und militante Atheismus der Nachkriegszeit einem zusehends verstummenden Unglauben gewi-
chen ist, der auf eine ähnliche Weise in die gesellschaftlichen und geistigen Strukturen zurücktrat, wie dies
dem von der Woge des Säkularismus überfluteten Christentum widerfahren war. Denn dadurch erwächst ihr
erstmals die Chance, seine Einwände nicht mehr apologetisch, sondern dialogisch aufzuarbeiten.« EUGEN
BISER: Welcher Zukunft geht die Theologie entgegen?, S. 546.
60 Symptomatisch für diese »religiösen Virulenzen« sind nicht nur die zahlreichen religiösen Gruppen, Zirkel
und Sekten, die sich seit den frühen siebziger Jahren zunehmend ausbreiten (vgl. M. J. SEIFERT: Jugendsek-
ten in modernen Industriegesellschaften; D. POLLACK: Vom Tischrücken zur Psychodynamik), sondern auch
der publizistische Erfolg esoterischer, okkulter und magischer Literatur. Vgl. dazu kritisch: B.-A. BOHNKE:
Esoterik; J. F. GRÜN: Die Fische und der Wassermann; E. HABERER: Herausforderung New Age;
H. HEMMINGER (Hrsg.): Die Rückkehr der Zauberer; M. KEHL: New Age oder Neuer Bund?;
CH. SCHORSCH: Die New Age Bewegung; H.-J. RUPPERT: New Age; J. SUDBRACK: Die vergessene Mystik
und die Herausforderung des Christentums durch New Age; J. SUDBRACK: Neue Religiosität;
J. WICHMANN: Die Renaissance der Esoterik.
61 So jedenfalls: F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 237.
62 J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 13.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 263

net, nicht notwendig zu einer umfassenden Renaissance religiöser Orientierungsmuster. Die


gegenwärtige Lage ist darum zutiefst ambivalent, weil das Schwinden der aufklärerischen
Selbstgewißheit und der Verlust des Vertrauens in das Erklärungsmonopol der modernen
Wissenschaften nicht nur zu einer stärkeren Hinwendung zu religiösen Sinn-Angeboten, son-
dern auch zu einer zunehmenden »religiösen Indifferenz« führt. Denn die Diskussion um die
Postmoderne macht ebenfalls deutlich, daß das gleichberechtigte Nebeneinander unterschied-
licher Weltanschauungen, Lebensmodelle und Religionen eine indifferente oder relativistische
Geisteshaltung zwar nicht zwangsläufig nach sich zieht, sich aber doch für viele zumindest
nahelegt.63 In einer Situation, in der das »alle Menschen überwölbende Spruchband«64 abhan-
den gekommen ist und in der kein archimedischer Punkt zur Beurteilung unterschiedlicher
Geltungsansprüche mehr zur Verfügung steht, besteht jedenfalls für die Philosophen Lyotard,
Rorty und Sloterdijk, aber auch für die Poststrukturalisten und die Repräsentanten der De-
konstruktion kein Anlaß, der Religion irgendeine Präferenz vor anderen Wirklichkeitsdeutun-
gen einzuräumen. Die Gleichung »Ende der Moderne gleich Wiedererwachen der Religion«
stimmt deswegen nur sehr eingeschränkt.
»Wiederkehr der Religion« ist aber auch insbesondere für die christliche Theologie und
die Kirchen ein ambivalentes und problematisches Schlagwort, weil neuere religionssoziolo-
gische und religionspädagogische Studien zeigen, daß sich einerseits die neue Sensibilität für
Religion weitgehend außerhalb traditioneller Formen der Religion und des christlichen Glau-
bens artikuliert und daß andererseits in einer pluralistischen Kultur, »deren Werte untereinan-
der nicht mehr in eine Bedeutungshierarchie gebracht werden können«65, die »religiöse Indif-
ferenz« und die Ablösung von traditionellen Orientierungsmustern gefördert wird, konfessio-
nelle und dogmatische Kernbestände des christlichen Glaubens zunehmend nivelliert und mit
Elementen anderer Weltanschauungssysteme verschmolzen werden:
 So kommt Franz-Xaver Kaufmann in seiner Auswertung der Studie über Ethos und Reli-
gion bei Führungskräften66 zu dem Ergebnis, daß »Distanz und Gleichgültigkeit gegenüber
kirchlichen Angeboten offensichtlich zunehmen«.67 Symptomatisch für diese »religiöse In-
differenz« ist der Befund, daß es »eine zwar weitverbreitete Akzeptanz von Religion und
Religiosität im allgemeinen« gibt, diese »jedoch weder mit persönlichem religiösem Enga-
gement noch mit Kirchlichkeit identisch ist«.68 In einem Vier-Stufen-Schema stellt Kauf-
mann neben einer kirchlichen und konfessionellen Indifferenz (»Entkirchlichung«) auch ei-

63 Empirisch belegt wird dieser Befund durch die neue religionssoziologische Studie aus der Schweiz: »In
einer Gesellschaft radikaler Pluralität stehen alle Orientierungsmuster gleichberechtigt nebeneinander, und
jeder Absolutheitsanspruch wird als illegitim betrachtet. Ein absoluter Geltungsanspruch wird von den be-
fragten Schweizerinnen und Schweizern – eine bescheidene Minderheit ausgenommen – keiner Konfession
mehr zugesprochen (...) Deutungsmuster, Wertmassstäbe, Lebensmuster verlieren in einer Gesellschaft, in
der alles ›auch anders möglich‹ ist, ihre unhinterfragte Geltung. Fortan steht Wahrheit im Plural«.
A. DUBACH: Nachwort, S. 299.
64 M. HONECKER: Popanz Postmoderne, S. 263.
65 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 169.
66 Vgl. F.-X. KAUFMANN – W. KERBER – P. M. ZULEHNER: Ethos und Religion bei Führungskräften.
67 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 146.
68 A.a.O., S. 156. Daß sich nur noch ein sehr geringer Teil der Bevölkerung in der Bundesrepublik und der
Schweiz mit den zentralen Inhalten des christlichen Glaubens identifiziert, belegen die Studien von Andreas
Feige und Michael Krüggeler. Vgl. A. FEIGE: Erfahrungen mit der Kirche, S. 89-111, 412-417; M.
KRÜGGELER: Inseln der Seligen, S. 119-129.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 264

ne Indifferenz gegenüber »christlichen Sinngehalten« (»Entchristlichung«) und »kollekti-


ven Bedeutungshierarchien« (»Religionsverlust«) sowie gegenüber »jeglicher Verbindlich-
keit« (»praktischer Nihilismus«) fest.69
 Der Religionssoziologe Karl Gabriel weist in seiner Untersuchung Christentum zwischen
Tradition und Postmoderne darauf hin, daß die Vermittlung essentiell christlicher
Glaubensinhalte in einer dezidiert pluralistischen Kultur schwieriger geworden ist: Weil
der gesellschaftliche Pluralismus mit seiner unabgeschlossenen Perspektivenvielfalt eine
Pluralisierung der christlichen Tradition bewirkt, »nehmen die biographisch geprägten
Religionsstile immer individuellere Formen an«.70 Während auf der institutionellen Ebene
eher eine »organisatorisch-formelle Absicherung und Verhärtung« zu beobachten ist, sind
auf der »Ebene gesellschaftlicher Kulturmuster« zunehmend »synkretistische Formen von
Massenreligiosität« auszumachen, »und auf der individuellen Ebene« schließlich »nehmen
die Religionsstile immer mehr die Form von in Eigenregie gewebten Strickmustern an«.71
 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Alfred Dubach in der Schweizer Repräsentativbefra-
gung Jede(r) ein Sonderfall? Religion in der Schweiz: »Synkretismus erweist sich als die
gesellschaftlich verbreitetste Form des Umgangs mit religiöser Pluralität. Wenn der einzel-
ne von den Werten, Normen und Idealen in Kirche und Gesellschaft das übernimmt, was er
zur Gestaltung und Rechtfertigung seines Lebens braucht, hat dies in der Mehrheit der Fäl-
le eine bunte, meist sehr labile Mischung von Meinungen zur Folge, von denen ein Teil
durchaus den institutionellen Mustern der Kirche entspricht, daneben aber auch Teile ande-
rer Weltanschauungssysteme enthält«.72 Die religiöse »Bricolage« wird zur »dominanten
Sozialform von Religion«, weil »aus dem Angebot objektiv bereitstehender Sinndeutungs-
muster« das angenommen wird, »was für die subjektive Lebensführung aufgrund der eige-
nen individuellen Situation wichtig und nützlich ist«.73
 In seiner Untersuchung Erwachsenwerden ohne Gott? kommt der Religionspädagoge Karl
Ernst Nipkow zu dem Ergebnis, daß die Antworten einer Umfrage unter Jugendlichen zwar
»die christliche Herkunft« der Frage nach Gott noch erkennen lassen, sich die Antworten
aber immer mehr von der christlichen Tradition ablösen: »Bei den Facetten der Gottesfrage
kommen die spezifisch christlich-kirchlichen Glaubensinhalte so gut wie gar nicht mehr
von selbst in den Blick. Die Gottesfrage ist im Begriff, sich von ihrem überkommenen

69 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 158-160.


70 K. GABRIEL: Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 153.
71 A.a.O., S. 152-153.
72 A. DUBACH: Nachwort, S. 304. Ähnlich auch: H. HEMMINGER: »Religiöse Angebote dienen als zusätzliche
Dekoration des Lebens«, S. 345-349; M. KRÜGGELER: Inseln der Seligen, S. 104-124.
73 A. DUBACH: Nachwort, S. 305. Den Befund religiöser »Bastelei« bestätigt auch Klaus Nientiedt: »Die Reli-
gion teilt inzwischen das Schicksal aller großen Orientierungssysteme in den Industrieländern: Die totale, al-
le Lebensbereiche integrierende und in kirchlicher Gemeinschaft ausgeübte und kultivierte religiöse Aus-
richtung verliert an Bedeutung. Nicht nur, daß der einzelne Gläubige in bestimmten Fragen von der amtlich
verkündeten kirchlichen Lehre abweichende Auffassungen vertritt oder daß die Biographien religiöser Men-
schen an volkskirchlicher Gradlinigkeit einbüßen: der Umgang mit religösen Traditionsbeständen wird viel-
fältiger, unübersichtlicher, beliebiger, ohne daß dies von den unmittelbar Betroffenen als problematisch an-
gesehen würde«. K. NIENTIEDT: Religion zum Wohlfühlen?, S. 97-98.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 265

christlich-kirchlichen Deutungsrahmen abzukoppeln«.74 Statt dessen wird »die Wirklich-


keit Gottes« von vielen Jugendlichen »psychologisch reduziert« und »der Name Gottes
sprachlich instrumentalisiert«: Dabei wird »aus Gott als dem Inbegriff erfahrener Wirklich-
keit ein bloßer Ausdruck, ein bloßes Wort für ein psychisches Erlebnis oder einen seeli-
schen Zustand«.75
 Der Theologe Thomas Steininger sieht in seiner Dissertation Konfession und Sozialisation
das Charakteristikum der »postmodern-christlichen Religiosität« darin, daß das »Verhältnis
Jugendlicher und junger Erwachsener zu Religion und Kirche« wesentlich durch Pluralität
und selektive Affirmation geprägt ist: Das »pluralistische Wirklichkeitsverständnis«, das
»mentalitätsbildend« wirkt, führt dazu, daß der alltäglich gewordene »Zwang zur Häresie«
»folgerichtig auch auf die Bereiche Religion und Kirche angewendet« wird.76 »Hierbei
wird deutlich, daß sich der individuelle Zugriff auf christliche Traditionen zur Orientierung
und Deutung der eigenen Biographie sowie der Planung des auf Zukunft entworfenen Le-
bensentwurfs vom traditionellen Christentum insofern gelöst hat, als der veränderte Um-
gang mit der christlichen Tradition einen definierten und verbindlichen Alleingültigkeits-
anspruch für die untersuchten Gruppen nicht mehr zuläßt. Der ›Steinbruch Christentum‹
wird, je nach Bedarf, mal hier mal dort behauen und auf seine Praxis- und Handlungsrele-
vanz hin geprüft und verwertet«.77
Zu einer emphatischen, unreflektierten Begrüßung der »Wiederkehr von Religion« besteht
also gerade für die christliche Theologie und die Kirchen kein Anlaß. Angesichts der »neuen
Religiosität« einerseits und des »umfassenden Enttraditionalisierungsprozeßes«78 andererseits
stehen diese vielmehr vor zwei unterschiedlichen Herausforderungen: Zum einen muß danach
gefragt werden, warum die Kirchen von der neuen Offenheit für Religion so wenig profitieren
und warum sich diese überwiegend außerhalb des christlichen und kirchlichen Rahmens arti-
kuliert, und zum anderen muß nach adäquaten Antworten auf die »religiöse Indifferenz«, die
»subjektive Multiperspektivität«79 und die Entprofilierung essentiell christlicher Glaubensin-

74 K. E. NIPKOW: Erwachsenwerden ohne Gott?, S. 89. »Für Viele ist die Gottesfrage von der biblisch-
christlichen Überlieferung abgekoppelt: Sie fragen noch nach Gott, aber die christlichen Antworten fallen
ihnen nicht mehr ein«. A.a.O., S. 9.
75 A.a.O., S. 68. Besonders charakteristisch für diese funktionalisierte, von christlichen Glaubensinhalten ab-
gelöste Frage nach Gott ist hier die Äußerung eines Gymnasiasten, den Nipkow als Beispiel zitiert: »›In ei-
ner Welt voller Elend, Verzweiflung, Unmenschlichkeit und Konkurrenzkampf braucht jeder Mensch etwas,
an das er glauben kann, auf dem seine Wünsche und Hoffnungen beruhen. Diese ›Funktion‹ nimmt mehr
und mehr Gott ein. Man spricht zwar von der immer größer werdenden Gottlosigkeit auf unserer Welt, doch
insgeheim suchen doch viele Menschen die Hilfe Gottes. Wenn die Mittel und Möglichkeiten der Menschen
nicht mehr genügen, sucht man Gott, ob ›er‹ nun existiert oder nicht (...) Diese ›Funktion‹ Gottes gilt nicht
nur für unsere christliche Religion. Sie läßt sich beliebig [!] auf andere Religionen mit anderen ›Göttern‹
übertragen. Und gerade weil Gott oft die letzte Hoffnung eines Menschen ist, kann man nie sagen, ›er‹ sei
sinnlos. Die Frage der Existenz Gottes sei hier dahingestellt – seine große Bedeutung in dieser Welt ist aber
unbestreitbar‹«. A.a.O., S. 70-71. Vgl. dazu auch: K. E. NIPKOW: Ökumenisches Lernen, S. 314;
K. E. NIPKOW: Die Gottesfrage bei Jugendlichen, S. 236-247. Eine »Pychologisierung religiöser Erfahrung«
stellt auch Michael Krüggeler fest. Vgl. M. KRÜGGELER: Inseln der Seligen, S. 119.
76 TH. R. STEININGER: Konfession und Sozialisation, S. 63.
77 Ebd.
78 K. GABRIEL: Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, S. 195. Vgl. auch: E. FEIFEL – W. KASPER
(Hrsg.): Tradierungskrise des Glaubens.
79 K. LÜSCHER: Familie und Familienpolitik im Übergang zur Postmoderne, S. 33.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 266

halte gesucht werden.80 Damit ist auch eine Fragestellung gewonnen, die als ein Bezugspunkt
für die nun folgende Beurteilung der Beiträge zur theologischen Postmoderne-Diskussion he-
rangezogen werden kann.

4. Die Kritik der theologischen Pluralismus-Diskussion


Daß die synchrone und diachrone Pluralität innerhalb des Christentums ein »zwar weithin
hingenommenes, in seiner Radikalität nicht aber hinlänglich realisiertes Phänomen« zu sein
scheint, ist eine These Rainer Buchers.81 Ungeachtet dessen, ob man diese Einschätzung teilt
oder nicht,82 erzeugt die allgemeine Postmoderne-Diskussion, vor allem aber die durch Wolf-
gang Welsch inszenierte Pluralismusdiskussion, eine erhöhte Sensibilität für den ethischen,
ästhetischen, religiösen und schließlich auch für den theologischen und kirchlichen Pluralis-
mus: Das Problem, wie Vielheit und Einheit zusammengedacht werden können, wird von den
meisten Theologen ebenso wahrgenommen wie das Problem der Ausdifferenzierung und Des-
integration der theologischen Disziplinen und Diskurse. Darüber hinaus besteht bei den Theo-
logen ein grundsätzliches Einverständnis darüber, den allgemeinen Pluralismus als unhinter-
gehbare Verfassung der Gegenwart zu affirmieren und die Vielfalt theologischer Entwürfe als
unterschiedliche Ausgestaltungen des einen christlichen Glaubens anzuerkennen.

Das Verhältnis von christlichem Glauben und kulturellem Pluralismus


Rainer Bucher entwickelt eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von pluralistischer
Kultur und christlichem Glauben ausschließlich aus der theologischen Perspektive: Das affir-
mative Verhältnis des christlichen Glaubens sowohl zum gesellschaftlichen als auch zum
theologischen und kirchlichen Pluralismus wird von Bucher über den christlichen Gottesbeg-
riff – »wo Menschliches absolut (Christus als zweite göttliche Person), aber auch Göttliches
relativ (Jesus als Gottes unüberbietbarer Christus) zu denken ist« – begründet. In diesem Got-
tesbegriff sieht er ein mögliches Modell, wie angesichts der modernen Totalitarismen Einheit
und Vielheit zusammengedacht werden können, ohne daß Einheit totalitär und Vielheit zur
Beliebigkeit wird. Und weil die christliche Theologie gegen die permanent drohende Gefahr
der Totalisierung immer auf der »Nichteliminierbarkeit der Einheit zugunsten der Vielheit

80 Rainer Volp sieht das Problem in der evangelischen Kirche vor allem dadurch begründet, daß sie sich in der
Moderne mehr und mehr aus der Kunst zurückgezogen hat und unfähig war, eine eigenständige »religiöse
Kultur« zu entwickeln. R. VOLP: Lebenskunst und Kunstbetrieb, S. 66-68.
81 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188.
82 Im Hinblick auf die Fülle der in Anm. 130 aufgeführten Literatur zur Pluralismusthematik in Theologie und
Kirche scheint jedoch eine solche Einschätzung fragwürdig. Zumindest Karl Rahner hat das Problem des
theologischen Pluralismus schon 1969 klar formuliert: Der Hinweis auf die theologische Schulbildung, die
es schon immer gegeben hat, täuscht über die wahren Probleme des theologischen Pluralismus hinweg: »Be-
vor man erkennt, daß gewissermaßen aus einer quantitativen Häufung dieses Pluralismus von früher in ei-
nem qualitativen Sprung ein ganz anderer Pluralismus entstanden ist, sieht man an dem eigentlichen Prob-
lem und an der neuen Schwierigkeit, die für die Kirche und die Wahrung ihres einen Bekenntnisses entstan-
den ist, vorbei«. K. RAHNER: Der Pluralismus in der Theologie und die Einheit des Bekenntnisses in der
Kirche, S. 12. Hinter diesem Problembewußtsein bleibt allerdings Hans Urs von Balthasar zurück: Das Plu-
ralismusproblem »war seit Anfang des Christentums aktuell, und das heutige Pluralismusproblem ist letzt-
lich nur eine neue Variante davon«. H. U. VON BALTHASAR: Die Wahrheit ist symphonisch, S. 41.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 267

oder der Vielheit zugunsten der Einheit bestanden«83 hat, stellt sich für Bucher die Frage, ob
im christlichen Gottesbegriff jene »Widerstandsreserven« liegen, »welche moderne Zeiten im
Stadium ihrer postmodernen Selbstreflexion, Theologie und Kirche aber zur Kritik ihrer eige-
nen Totalitarismen benötigen«.84 Die entscheidende Frage für die »Praxis der Kirche« sieht
Bucher darin, wie sie die Unbedingtheit des Glaubens »an den Gott Jesu Christi konkret reali-
siert: ob sie diese als interne wie gesellschaftliche Pluralitätsreduktion meint verstehen zu
müssen« oder ob sie »die in der unbedingten Liebe Gottes garantierte Annahme des Men-
schen« als »totalitätskritische« und »anti-totalitäre« Praxis verstehen kann.85
Im christlichen Gottesbegriff, darin wird man Bucher zustimmen müssen, liegen sicher
antitotalitäre Widerstandsreserven gegenüber der »Verabsolutierung des Relativen und Vor-
läufigen«,86 doch es bleibt fraglich, ob sich die konkreten Probleme des theologischen und
kirchlichen Pluralismus allein über den Rückgriff auf den christlichen Gottesbegriff, die trini-
tätstheologische Dialektik von Einheit und Vielheit und die schöpfungstheologisch begründete
Vielfalt des Menschlichen lösen lassen. Hinsichtlich der oben formulierten Problemstellung
fragt es sich aber auch, ob es ausreicht, die Herausforderung der Postmoderne-Diskussion
allein darin zu sehen, »wie es mit der Pluralität in der Theologie selber steht«,87 ohne die
Probleme, die sich aus einer immer weiter pluralisierenden Kultur für den christlichen Glau-
ben ergeben, ebenfalls zu thematisieren und im Zusammenhang zu diskutieren.
Diogenes Allen sieht die Herausforderung der Postmoderne-Diskussion vor allem darin,
daß, nachdem die tragenden Säulen der Moderne ins Wanken geraten sind und darum eine
Orientierung für die Menschen in einer pluralistischen Kultur immer schwieriger wird, dem
christlichen Glauben eine neue Rolle zur individuellen und kollektiven Identitätsfindung zu-
kommt. Es fragt sich aber, ob der Orientierungslosigkeit der Menschen in einer pluralistischen
Kultur mit dem bloßen Hinweis auf die Möglichkeit Gottes begegnet werden kann,88 denn die
Postmoderne-Diskussion zeigt ja gerade, daß das Orientierungsvakuum nach dem Ende der
modernen Metaerzählungen nicht zwangsläufig zu einer Suche nach religiöser Orientierung
führt. Auch wenn der Verlust des Vertrauens in das Erklärungsmonopol der modernen Wis-
senschaften vielleicht zu einer stärkeren Hinwendung zu religiösen Sinn-Angeboten führt, so
kann doch die These, der Verlust der modernen säkularen Glaubensüberzeugungen biete neue
Chancen für den christlichen Glauben, nur dann wirklich überzeugen, wenn gleichzeitig auch
plausibel aufgezeigt wird, wie der christliche Glaube in eine multiperspektivische und multire-
ligiöse Kultur hinein vermittelt werden soll.
Für Sigurd Daecke ist es die prinzipielle Pluralität der Postmoderne, die Probleme für den
christlichen Glauben mit sich bringt: Während die synkretistische, aus den unterschiedlichsten
Elementen zusammengesetzte Religiosität etwa der New Age-Bewegung durchaus in das plu-
ralistische Schema paßt, läßt sich die »Absolutheit des kirchlichen Bekenntnisses«, der christ-
liche Glaube an einen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, nicht einfach in den Plura-

83 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 189.


84 A.a.O., S. 190.
85 A.a.O., S. 190-191.
86 A.a.O., S. 191.
87 R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 54.
88 D. ALLEN: Christian Belief in a Postmodern World, S. 4.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 268

lismus einpassen.89 Deswegen formuliert er die Frage, ob wir uns entscheiden müssen zwi-
schen dem christlichen Glauben wie ihn Theologie und Kirche verstehen und »der Selbstbe-
friedigung durch eine gefällige esoterische und gnostische Religiosität, die ein jeder sich indi-
viduell aus dem vielfältigen Angebot zusammenstellt«.90 Eine mögliche Antwort auf diese
Frage sieht er in einer grundlegenden theologischen Neuorientierung: Um die Einseitigkeiten
und Verengungen der modernen Theologie und die daraus entstandene »Isolierung des christ-
lichen Glaubens gegenüber den Religionen und Weltanschauungen, gegenüber Naturwissen-
schaften und Medizin« zu überwinden, müssen die Lehre von der Schöpfung und vom Geist
wieder aus dem Schatten der Christologie hervortreten.91 Diesem Anliegen schließt sich auch
Hans-Martin Barth an: »Die postmoderne Herausforderung könnte seitens der evangelischen
Theologie erst einmal aufgenommen werden durch Entwurf und Erprobung« einer postmoder-
nen, umfassenden und integrativen Hermeneutik, »die sich ihres genuin reformatorischen An-
satzes erinnert und sowohl die Wirklichkeit des Sakraments als auch die Erfahrung und den
Lebensvollzug von Gemeinde in den Auslegungsvorgang einbezieht«.92 Von der »christologi-
schen Konzentration« ausgehend soll die evangelische Theologie eine »Theologie der Ge-
schöpflichkeit« und der »Wirksamkeit des Geistes« entwickeln, um bestimmte Engführungen
der modernen Theologie zu überwinden.93
Die Strategie, die Daecke und Barth hier entwickeln, zielt darauf ab, durch Ausweitung
und Vervielfältigung der theologischen Themen, Methoden und Diskurse zu einer ganzheitli-
chen Sicht des Menschen und der Wirklichkeit zu gelangen, die gegen die modernen Gegen-
sätze von »Vielfalt ohne Einheit« (Relativismus) und »Einheit ohne Vielfalt« (Totalitarismus)
eine die »Vielheit bewahrende Einheit« und eine »nach Einheit strebende Vielfalt« setzt.94
Doch trotz der sympathischen Formeln bleiben auch bei diesem Lösungsversuch Fragen offen,
die einer weiteren Klärung bedürfen: Zunächst muß gefragt werden, wie die Einheit des
christlichen Glaubens angesichts der vielfältigen, konkreten Ausgestaltungen des Christlichen
in den Blick kommen kann, und dann müßten auch Kriterien zur Unterscheidung von
authentischen und nicht-authentischen Interpretationen christlichen Glaubens benannt werden,
wenn der Methodenpluralismus nicht in Beliebigkeit aufgehen soll. Das durchaus zu
begrüßende Programm einer umfassenden Ausschöpfung der Dimensionen christlichen
Glaubens mittels einer »integrativen Hermeneutik« steht überdies – wie die philosophischen
Ganzheitlichkeitskonzeptionen – in der Gefahr, »Ganzheitlichkeit« lediglich aus der
kumulativen Perspektive zu betrachten, ohne daß deutlich gemacht werden kann, wie sich
diese verschiedenen Dimensionen zu einem »Ganzen« zusammenfügen lassen.95 Was ist,
wenn sich die verschiedenen Interpretationen des christlichen Glaubens nicht einfach
harmonisieren lassen, sondern in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen oder sich

89 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 630.


90 Ebd.
91 A.a.O., S. 632.
92 H.-M. BARTH: Der Protestantismus und die Pluralitätskonzeption der Postmoderne, S. 110.
93 A.a.O, S. 112.
94 S. M. DAECKE: Glaube im Pluralismus, S. 631.
95 Das dem »gegenwärtigen Harmoniebedürfnis« entgegenkommende gleichberechtigte Nebeneinander aller
Methoden und Positionen ohne Kriterien zur Wahrheitsfindung kritisiert auch: H. M. MÜLLER: Die Postmo-
derne und die Konfessionen, S. 374.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 269

nem Spannungsverhältnis zueinander stehen oder sich sogar widersprechen?96 Wie kann der
Konflikt der Interpretationen dann gelöst werden?
Wie Daecke sieht auch Hans Joachim Türk die entscheidende Frage darin, ob eine »kon-
sequent gedachte und gelebte Pluralität mit der Unbedingtheit und Verbindlichkeit des christ-
lichen Glaubens vereinbart werden« kann oder ob sich diese beiden Optionen gegenseitig aus-
schließen.97 Der christliche Glaube, so der Lösungsversuch Türks, soll zwar »weder im Fun-
damentalismus versteinern« noch sich als ein »Mosaiksteinchen« in die bunte Vielfarbigkeit
der Postmoderne einebnen lassen, doch es fragt sich, ob der Hinweis, daß sich der christliche
Glaube dem »Markt aller Möglichkeiten« ungeschützt stellen muß, nicht faktisch einer sol-
chen Einebnung gleichkommt.98 Und auch die an sich richtige Feststellung, daß sich der
christliche Glaube nicht einfach »mit dem Geist einer bestimmten Zeitepoche identifizieren«
kann, sondern jeweils neu »aus dem Eigenen heraus« unterscheiden, annehmen und verwerfen
muß, wird dann problematisch, wenn keine Richtlinien bestimmt werden, nach denen unter-
schieden, angenommen und verworfen werden muß.99 Türk betont ferner, daß der christliche
Glaube als solcher weder modern noch postmodern ist und daß er darum Elemente beider »E-
pochen bzw. Geistesarten in kritischer Läuterung« annehmen oder abweisen muß,100 doch
Rendtorff, Bucher und Tracy weisen darauf hin, daß der christliche Glaube nicht so unabhän-
gig von beiden Epochen steht, daß er dies aus der kritischen Distanz heraus einfach so tun
könnte.101
Im Unterschied zu Türks Gegenüberstellung von christlichem Glauben und kulturellem
Pluralismus, macht auch Tracy deutlich, daß es keine von einem historischen Standort unab-
hängige Interpretation des christlichen Glaubens gibt, weil jede Interpretation der christlichen
Botschaft durch die Situation des Interpreten mit bestimmt ist.102 Mit seiner Methode der
»wechselseitig kritischen Korrelation« zwischen der christlichen Botschaft und der gegenwär-
tigen Situation bietet Tracy darüber hinaus ein hermeneutisches Modell an, das nicht nur eine
theoretische Aufarbeitung des Pluralismusproblems bietet, sondern auch einige der oben
formulierten Desiderate löst. Der hermeneutische Ansatz ermöglicht es Tracy, das Problem
des Pluralismus viel radikaler, nämlich von seinen Ursprüngen her, in den Blick zu
bekommen: Weil jede Erfahrung und jedes Verstehen hermeneutisch ist und weil jeder Weg
zur Realität, zur Wahrheit, zum Wissen immer durch die radikale Pluralität unterschiedlicher
Sprachen und die Ambiguität all unserer Geschichten bedingt ist, kann es nicht nur einen
absoluten Standpunkt geben, sondern muß es notwendig eine Vielzahl unterschiedlicher
Interpretationen der Wirklichkeit und der Wahrheit geben.103 Und weil es eben darum weder
96 In dem von der Arnoldshainer Konferenz verabschiedeten Papier Pluralismus in der Kirche wird das Prob-
lem deutlicher gesehen: »Das später erwachende historische Bewußtsein erstreckt sich mit seinen Auswir-
kungen auch auf das Verständnis der biblischen Texte und der dogmatischen Traditionen der Kirche. Die
Folgen sind in Spannung zueinander stehende Interpretationen des christlichen Glauben und eklektische An-
eignung seiner Wirkungsgeschichte«. THEOLOGISCHER AUSSCHUSS DER ARNOLDSHAINER KONFERENZ: Plu-
ralismus in der Kirche, S. 83.
97 H. J. TÜRK: Postmoderne, S. 15.
98 A.a.O., S. 129.
99 Ebd.
100 A.a.O., S. 132.
101 Vgl. R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 189; T. RENDTORFF: Religion in der Post-
moderne, S. 310-311.
102 Vgl. D. TRACY: Abschließende Gedanken zur Konferenz, S. 237.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 270

Wirklichkeit und der Wahrheit geben.103 Und weil es eben darum weder den christlichen
Glauben noch die gegenwärtige Situation gibt, kann die Aufgabe des Theologen nur darin
bestehen, beide Konstanten in einer »wechselseitig kritischen Korrelation« jeweils neu zu in-
terpretieren, um zu einer möglichst angemessenen Interpretation der christlichen Botschaft für
die heutige Zeit zu gelangen.104 Wenn aber der kulturelle wie der theologische Pluralismus
nicht zu einem bloßen Nebeneinander beliebiger Möglichkeiten verkommen soll, müssen Kri-
terien für eine »relative Angemessenheit« einer Interpretation entwickelt werden, die den Ver-
gleich mit anderen Optionen ermöglichen und eine Überprüfung auf Kohärenz oder Inkohä-
renz einer jeden Option erlauben.105 Die Entwicklung einer solchen Kriteriologie und ein
möglicher Konsens über die Angemessenheit einer Interpretation ist für Tracy aber nur über
das »Gespräch« möglich, weil in einer Situation der radikalen Pluralität eine Metaposition zur
Beurteilung der Angemessenheit einer Interpretation nicht zur Verfügung steht.106
Auch wenn Tracy keine konkreten Kriterien benennt und die Methode der »wechselseitig
kritischen Korrelation« lediglich ein formales System zur Regelung von Interpretationsprozes-
sen bleibt, kann dieses hermeneutische Modell doch als das im Vergleich tragfähigste Kon-
zept angesehen werden, weil es erstens eine theoretische Durchdringung des Pluralismusprob-
lems bietet, zweitens eine hermeneutisch-sprachphilosophische Begründung des theologischen
Pluralismus liefert,107 drittens eine differenzierte Verhältnisbestimmung von christlichem
Glauben und kulturellem Pluralismus ermöglicht und viertens durch die Gesprächskonzeption
auch eine Beziehung zwischen den verschiedenen Interpreten bzw. Interpretationen herzustel-
len vermag. Aber auch an Tracy sind Fragen zu richten, da sein hermeneutisches Modell allein
auf demokratisch und pluralistisch verfaßte Systeme zugeschnitten zu sein scheint, in der jede
der Konfliktparteien auf ein Macht- oder Interpretationsmonopol freiwillig verzichtet, weil sie
um die Relativität der eigenen Positionen weiß.108 Welche wirksamen Widerstandsreserven
aber bietet Tracys Modell dann noch, wenn der »Konflikt der Interpretationen« überhaupt

103 Vgl. D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 114-116, 121.


104 Die Bestimmung dieser Relation als »wechselseitig kritische« erlaubt es, sowohl mögliche Verzerrungen in
der christlichen Botschaft zu kritisieren als auch Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen zu üben. Aller-
dings muß hier kritisch zurückgefragt werden, ob die beiden Konstanten wirklich gleich gewichtet werden
dürfen: »Then modernity would function critically insofar as it searches through the plurality of historical in-
terpretations of Scripture until it finds the one which suits it. The critical function of modernity would then
apply to scriptural interpretations without dissolving the normative function of Scripture itself«. T. PETERS:
David Tracy, S. 302. Hans Küng betont gegenüber Edward Schillebeeckx, der ähnlich wie Tracy von einer
»kritischen Korrelation zwischen den beiden Quellen der Theologie« (»der christlichen Erfahrungstradition«
und »unseren heutigen Erfahrungen«) ausgeht (E. SCHILLEBEECKX: Die Auferstehung Jesu als Grund der
Erlösung, S. 62), ebenfalls die Normativität der spezifisch christlichen Erfahrungen. Vgl. H. KÜNG: Theolo-
gie im Aufbruch, S. 147-151.
105 Vgl. D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 132.
106 A.a.O., 142.
107 Der Ursprung der theologischen Pluralität im Neuen Testament und in der Kirchengeschichte wird in der
Tradition überwiegend schöpfungstheologisch begründet: Der Pluralismus in allen Dimensionen menschli-
chen Daseins wurzelt in der Kreatürlichkeit, in der Geschichtlichkeit und in der Freiheit des Menschen. Plu-
ralismus »ist der Index der Kreatürlichkeit: nur in Gott ist alles eins; im Endlichen ist der Antagonismus der
Wirklichkeiten unaufhebbar«. K. RAHNER: Pluralismus, Sp. 566. Vgl. auch: A. LÄPPLE: Aufbruch der
Glaubensverkündigung, S. 29-30; H. U. VON BALTHASAR: Die Wahrheit ist symphonisch, S. 49-51.
108 Tracy scheint sich dieser Problematik bewußt zu sein, wenn er schreibt: »Nur ein ausführliches Gespräch
zwischen allen Religionsinterpreten, die den Interpretationsanforderungen nachkommen und sich der man-
nigfaltigen Interpretationskonflikte über Religion wie auch Interpretation bewußt sind, dürfte so etwas wie
einen verantwortbaren Konsens erzielen«. D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 141-142.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 271

nicht zugelassen wird, wenn eine Partei die andere aufgrund ihrer überlegenen Macht zu ver-
drängen oder gar zu eliminieren versucht, wie dies immer wieder von seiten des Vatikans mit
unliebsamen Theologen passiert? Wie also soll mit totalitären, traditionalistischen oder fun-
damentalistischen Positionen umgegangen werden, die ihre partikularen Standpunkte verabso-
lutieren und sich dem Dialog, dem »Gespräch« über die Angemessenheit einer theologischen
Interpretation, verweigern, weil sie davon ausgehen, daß sie allein die richtige Interpretation
haben? Damit ist dann auch die Frage nach dem Umgang mit dem innertheologischen Plura-
lismus aufgeworfen, die nun im folgenden Abschnitt behandelt werden soll.

Der theologische Pluralismus und die Einheit des Glaubens


Daß die neuzeitliche Theologie eine so erstaunliche Ausdifferenzierung des theologischen
Diskurses und eine derartige Pluralisierung des Wissens einleitete, daß die »Einheit der Theo-
logie« zu einem »Nicht-Thema« wurde, ist ebenfalls eine These Rainer Buchers.109 Doch das
»aporetische Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander«110 ist nur die äußere,
formale Seite der modernen Differenzierungsstrategie; die inhaltliche Seite, so Bucher weiter,
»ist das zentrale theologische Problem selbst: die Gottesfrage«,111 denn gerade die in der Mo-
derne entwickelte historisch-kritische Exegese »hat den Gottesbegriff in seiner diachronen
Vielfalt durch die Offenbarungsgeschichte hindurch sichtbar gemacht«.112 Und neben der dia-
chronen betonen Tracy und Rendtorff auch die synchrone Pluralität innerhalb des Christen-
tums, die die christliche Religion von Anfang an begleitet hat und die in keine Diachronik
hinein aufzuheben ist: Die Perspektive des Pluralismus schafft ein Bewußtsein für die Diversi-
tät schon der neutestamentlichen Schriften,113 dann aber auch für die Vielfalt christlicher Tra-
ditionen in der Kirchengeschichte und schließlich für die verschiedenen Formen gegenwärti-
ger Theorie und Praxis.114

109 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188.


110 E. JÜNGEL: Das Verhältnis der theologischen Disziplinen untereinander, S. 38. Vgl. dazu ebenfalls: K.
RAHNER: Grundkurs des Glaubens, S. 18-20.
111 R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 55.
112 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188. Martin Honecker sieht die Ursache des theo-
logischen Pluralismus vor allem darin, daß auch in Theologie und Kirche das »Ende der Meta-Erzählungen,
das Ende der großen, einen Leitideen und Leitmotive gekommen« ist: »in der Exegese hat die historisch-
kritische Methode das Monopol der Auslegung verloren«; an deren Stelle ist ein Pluralismus unterschied-
lichster Methoden getreten, so daß ein »einheitliches Schriftverständnis« nur noch als Postulat existiert; in
der systematischen Theologie hat sich der Verdacht erhärtet, daß »auch der Rückgriff auf Jesus Christus als
die Offenbarung des einen Wortes Gottes« keinen »Ausweg aus der Pluralität« bietet, weil das Offenba-
rungsverständnis selbst pluralistisch geworden ist. M. HONECKER: Popanz Postmoderne, S. 265.
113 Vgl. zum Spannungsverhältnis von Einheit und Vielfalt im Neuen Testament und den Problemen, die sich
daraus für das Schriftverständnis und die Ekklesiologie ergeben: E. KÄSEMANN: Begründet der Neutesta-
mentliche Kanon die Einheit der Kirche?; E. KÄSEMANN (Hrsg.): Das Neue Testament als Kanon;
K. HAENDLER: Schriftprinzip und theologischer Pluralismus; H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 87-109;
H. LÖWE: Über Pluralismus und Pluralität in der Kirche; HEINRICH SCHLIER: Einheit der Kirche;
THEOLOGISCHER AUSSCHUSS DER ARNOLDSHAINER KONFERENZ: Pluralismus in der Kirche; O. FUCHS:
Zwischen Wahrhaftigkeit und Macht.
114 Vgl. D. TRACY: The Analogical Imagination, S. 254, 447-448; T. RENDTORFF: Religion in der Postmod-
erne, S. 321. Ingolf Dalferth bringt das Problem folgendermaßen auf den Punkt: »Keine theologische Kon-
zeption ist unter den Bedingungen der Gegenwart noch in der Lage, übergreifende, allgemein verbindliche
und akzeptierte kollektive Deutungsmuster unserer Wirklichkeit an die Hand zu geben. Die Vielfalt ist
längst schon irreversibel geworden, auch in der Theologie«. I. U. DALFERTH: Kombinatorische Theologie,
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 272

Die Anerkennung des theologischen und kirchlichen Pluralismus zeichnet alle Beiträge
der am Pluralismusdiskurs beteiligten Theologen aus. Dabei läßt sich auch ein bemerkenswer-
ter Konsens zwischen den evangelischen und den katholischen Theologen feststellen, der ge-
rade darum nicht selbstverständlich ist, weil (1.) Protestantismus und Katholizismus im 19.
Jahrhundert ein sehr unterschiedliches Verhältnis zur Moderne entwickelt haben und weil es
(2.) auch heute sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche immer wieder
Bestrebungen gibt, den kirchlichen und theologischen Pluralismus zu tilgen:
1. Während der Protestantismus »eine grundsätzlich positive Haltung zu den als modern
bezeichneten Bestrebungen in Wissenschaft und Kultur«115 einnahm, mit der historisch-
kritischen Methode »frühzeitig analog und durchaus konvergent«116 sein eigenes »Projekt
der Moderne« formulierte und damit die Ausdifferenzierung und Pluralisierung seines
eigenen Theoriesystems selbst vorangetrieben hat, hat der Katholizismus »eine
geschlossene Abwehrfront gegen nahezu sämtliche geistigen und politischen
Grundpositionen der Aufklärung und deren Verwirklichungsformen aufgebaut«.117 Durch
»die neuscholastisch-thomistische Renaissance« wurde ein »innerkirchlicher Zentralismus
zum Blühen gebracht«, der auch eine verstärkte »Uniformierung der Theologie und der
Glaubensverkündigung« bewirkte.118 Doch weil die katholische Kirche durch die
Kirchengeschichte ihre diachrone und durch die eigene Missionstätigkeit ihre synchrone
Pluralität so »nachdrücklich nahegebracht bekam«, haben diese zentralistischen und
uniformierenden Tendenzen, so Bucher, den »pluralisierenden Lauf der Kirchen- und
Theologiegeschichte« nicht wirklich aufhalten können.119

–––––––––––––––––––––––––––
S. 5. Die Pluralität kirchlicher Gruppierungen zeigt sich exemplarisch auf den Kirchentagen. Vgl. dazu:
A. FEIGE: Kirchenmitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschland, S. 328-339; A. FEIGE – I. LUKATIS:
The Religio-political Functions of the Present-day ›Kirchentags‹ in West-Germany in the Context of Post-
modern Societies, TH. R. STEININGER: Konfession und Sozialisation, S. 65-66.
115 H. M. MÜLLER: Die Postmoderne und die Konfessionen, S. 367. Daß sich jedoch auch im deutschen Protes-
tantismus – vom amerikanischen Fundamentalismus ganz zu schweigen – bis auf den heutigen Tag eine
nicht unbedeutende Minderheit der Moderne verweigert hat, sollte dabei nicht unerwähnt bleiben. Die Pub-
likationen der Konferenz Bekennender Gemeinschaften belegen eindrücklich die antimoderne Einstellung
bestimmter Gruppen innerhalb der evangelischen Kirche: Gegen »die Unterwanderung der Kirche« durch
den »modernistischen Zeitgeist« (AUFRUF DER BEKENNTNISBEWEGUNG »KEIN ANDERES EVANGELIUM« ZUR
PASSIONS- UND OSTERZEIT 1970, S. 124), den »Einbruch der Irrlehrenflut eines theologischen Modernis-
mus« (W. KÜNNETH: Das Bekenntnis der Väter und unser Bekenntnis, S. 100) und die »ideologische Ver-
seuchung vitaler Bereiche öffentlicher Verantwortung« wird zu einem »zweiten Kirchenkampf« aufgerufen
(R. BÄUMER – P. BEYERHAUS – F. GRÜNZWEIG (Hrsg.): Geleitwort, S. 13), um »eine Angriffsfront gegen
die Entstellung der christlichen Botschaft und der christlichen Lebensformen zu bilden« (AUFRUF DER
BEKENNTNISBEWEGUNG »KEIN ANDERES EVANGELIUM« ZUR PASSIONS- UND OSTERZEIT 1970, S. 125).
116 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 312. Vgl. auch: T. RENDTORFF: Die Religion in der Mo-
derne, S. 273-290.
117 E.-W. BÖCKENFÖRDE: Kirche und modernes Bewußtsein, S. 118.
118 A. LÄPPLE: Aufbruch der Glaubensverkündigung, S. 24-25. Vgl. zum Antimodernismus in der katholischen
Kirche auch: J. MAUSBACH: Der Eid wider den Modernismus und die theologische Wissenschaft;
H. MYNAREK: Das Verhältnis von Religion und Kirche zur Aufklärung, S. 197-215; F. PADINGER: Die En-
zyklika »Pascendi« und der Antimodernismus; H. KÜNG – N. GREINACHER (Hrsg.): Katholische Kirche –
wohin?; N. TRIPPEN: Theologie und Lehramt im Konflikt.
119 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188. Daß sich die katholische Kirche allerdings
bis Mitte des 20. Jahrhunderts gegenüber nahezu allen geistigen und politischen Grundüberzeugungen der
Moderne verschlossen hat, wird von Bucher zu wenig betont. Ernst-Wolfgang Böckenförde, den Bucher hier
zitiert, sieht die Probleme der katholischen Kirche bei der Anerkennung individueller und kollektiver Frei-
heit schärfer: »Weder Theologie noch kirchliches Lehramt haben sich bisher um eine Aufarbeitung des Wi-
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 273

2. Nachdem sich die Katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil in vielen Berei-
chen der Theologie einer grundlegenden Neuorientierung geöffnet hatte und die vor »jener
Zeit mit allen Mitteln unterdrückte alte katholische Pluralität der Theologien«120 wieder
sichtbar geworden war, 121 zeigten sich schon bald nach dem Konzil die ersten Tendenzen,
den Pluralismus einzuschränken: So warnte Papst Paul VI. 1972 vor einer »Zweideutigkeit
in Sachen des Pluralismus, den man für die freie Deutung der Lehren und das ungestörte
Nebeneinanderbestehen widersprüchlicher Auffassungen« beanspruche und mit dem man
die »Auflösung des kirchlichen Lehramtes« beabsichtige.122 Und auch die von einer Inter-
nationalen Theologenkommission im Auftrag der Kongregation für die Glaubenslehre er-
stellte Studie Die Einheit des Glaubens und der theologische Pluralismus (1973)123 ordnet
die als prinzipiell legitim anerkannte Pluralität der verschiedenen Theologien dem »Glau-
ben der Kirche« unter. Ebenso verfährt die Instruktion über die kirchliche Berufung des
Theologen124 vom 24. Mai 1990, die die Theologie bzw. den Theologen unter das kirchli-
che Lehramt zu knechten versucht. Doch auch in der evangelischen Kirche polemisieren
bestimmte Gruppen in scharfer Form gegen den theologischen und kirchlichen Pluralismus.
So heißt es in dem Aufruf der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« zur Passi-
ons- und Osterzeit 1970 unter anderem: »Die Kirchenleitungen dürfen nicht mehr alles ge-
schehen lassen und den peinlichen Eindruck erwecken, als ob auch die Kirche zu einer plu-
ralistischen Gesellschaft geworden sei, in der jeder nach eigenem Ermessen verkündigen
und lehren kann, was er will«, denn »die echte Treue zu Schrift und Bekenntnis verbietet

–––––––––––––––––––––––––––
derspruchs zwischen der lehramtlich ausgesprochenen Ablehnung der Religionsfreiheit bis zum Ende des
19. Jhs., die dem Topos des Vorrangs der objektiven Wahrheit vor der Freiheit folgte, und ihrer naturrecht-
lich begründeten Anerkennung durch das Zweite Vatikanische Konzil bemüht. Offenbar herrscht die Mei-
nung vor, darüber lasse man am besten Gras wachsen«. E.-W. BÖCKENFÖRDE: Kirche und modernes Be-
wußtsein, S. 125.
120 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 130.
121 Hier sind vor allem die Dokumente »Gaudium et Spes«, »Lumen Gentium«, »Nostra Aetate« und »Ad Gen-
tes« zu nennen. Beispiele für die Anerkennung der theologischer Vielfalt finden sich aber auch in den Reden
Papst Paul VI. unmittelbar nach dem Ende des Konzils. Vgl. dazu: PH. DELHAYE: Einheit des Glaubens,
S. 141-165.
122 Papst Paul VI. in seiner Ansprache an das Kardinalskollegium vom 23. Juni 1972. Zitiert nach: PH.
DELHAYE: Einheit des Glaubens, S. 149.
123 Nachdem in These VI die Kirche als das »umfassende Subjekt, in dem die Einheit der neutestamentlichen
Theologien wie die Einheit der Dogmengeschichte gegeben ist« bestimmt wurde, wird in These VII der
»Glaube der Kirche« als Maßstab zur Unterscheidnung zwischen »wahrem und falschem Pluralismus« defi-
niert, um dann in These VIII das »Recht« und die »Pflicht« der Kirche zu formulieren, jede »mit dem kirch-
lichen Glauben unvereinbare« Darstellung der christlichen Lehre aus der Kirche zu eliminieren. Vgl.
INTERNATIONALE THEOLOGENKOMMISSION: Die Einheit des Glaubens und der theologische Pluralismus,
S. 36, 42, 48.
124 Die Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen verschärft noch die Forderung nach Überein-
stimmung des Theologen mit dem kirchlichen Lehramt: »Wenn das Lehramt der Kirche unfehlbar und feier-
lich ausspricht, eine Lehre sei in der Offenbarung enthalten, ist die Zustimmung mit theologalem Geist ge-
fordert« (Nr. 23). Und selbst »bei an sich nicht irreformablen Dingen« muß die loyale Zustimmung »die Re-
gel« sein (Nr. 24). Doch schlimmer noch: Das »subjektive Gewissen« (Nr. 28) des Theologen soll sich in
»schweigendem und betendem Leiden« (Nr. 31) der kirchlichen Autorität fügen, denn »der theologische
Pluralismus ist nur in dem Maße berechtigt, wie er die Einheit des Glaubens in seiner objektiven Bedeutung
wahrt« (Nr. 34). Unerträglich schließlich ist die Drohung, daß der Theologe »die Verbindung mit Christus
unwiderruflich aufs Spiel« setzt, wenn er sich »von den Hirten trennt, die die apostolische Überlieferung le-
bendig halten« (Nr. 38). SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ (Hrsg.): Instruktion über die
kirchliche Berufung des Theologen, S. 14-19.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 274

eine falsche Toleranz gerade um der Wahrheit und auch um der Liebe willen«.125 Diese
»Liebe« zur Wahrheit wird dann – im Hinblick auf den »überbordenden Pluralismus« der
evangelischen Kirchentage – in der Forderung konkret, »solche Referenten gar nicht erst
einzuladen, deren Lehre nicht dem biblischen Evangelium von Jesus Christus und den Be-
kenntnissen der Reformation gemäß ist«.126
Angesichts der synchronen Pluralität in Theologie und Kirche und der »anhaltenden funda-
mentalistischen und fideistischen Widerstände«127 gegen den kirchlichen und theologischen
Pluralismus stellt sich nun in der Tat die Frage, wie die Einheit des christlichen Glaubens, die
im Neuen Testament immer wieder angemahnt wird128 und an der die christliche Tradition
immer festgehalten hat,129 mit der Vielfalt der konkreten Ausgestaltungen des christlichen
Glaubens zusammengedacht werden kann.130
Zunächst fällt auf, daß sich alle Theologen gegen einen »postmodernen« Pluralismus der
Beliebigkeit aussprechen – sowohl hinsichtlich des gesellschaftlichen als auch des theologi-
schen Pluralismus. Die theologischen Bestimmungen zur »Einheit des Glaubens« bleiben
dann jedoch zumeist abstrakt und werden theologisch wie strategisch kaum konkretisiert. Ex-
emplarisch ist dies bei Bucher zu beobachten, der die Dialektik von Einheit und Vielheit
durch den Rückgriff auf den trinitarischen Gottesbegriff zu lösen versucht. Doch mit einer
Relationsbestimmung von Einheit und Vielheit ist die von Bucher selbst formulierte Aufgabe,

125 AUFRUF DER BEKENNTNISBEWEGUNG »KEIN ANDERES EVANGELIUM« ZUR PASSIONS- UND OSTERZEIT 1970,
S. 125.
126 W. KÜNNETH – R. SCHEFFBUCH: Erklärungen zu Kirchentagen, S. 274. Walter Künneth weiter: »Der Kir-
chentag ist massiv durch einen kirchlich-theologischen ›Pluralismus‹ gekennzeichnet. Dieser Begriff stellt
kein billiges Schlagwort, sondern ein für die Kirche Jesu Christi auf Erden geradezu tödliches Phänomen
dar«. W. KÜNNETH: Weshalb ein »Nein« zum Kirchentag 1973?, S. 277. Zu den Theologen, die nicht einge-
laden werden sollen, gehören Ernst Käsemann, Friedrich-Wilhelm Marquardt, Dorothee Sölle, Heinz
Zahrnt, Dietrich Stollberg, Walter Hollenweger und Albert van den Heuvel. Vgl. a.a.O., S. 278-285. Vgl.
auch: W. KÜNNETH: Wider den Strom, S. 66-68. Ernst Käsemann hat hierzu das Notwendige gesagt: Die
Gemeindefrömmigkeit »öffnet sich zwar gerade auch im pietistischen Bereich dem technischen Zeitalter oh-
ne Hemmung, ist jedoch historisch und theologisch im 18. Jahrhundert stehengeblieben«. E. KÄSEMANN:
Zum gegenwärtigen Streit um die Schriftauslegung, S. 281.
127 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188.
128 Vgl. Röm 12, 16; 15, 1-13; 1 Kor 1, 10-17; Eph 4, 1-16; Phil 1, 27 - 2, 4.
129 Vgl. dazu: L. BOUYER: Die Einheit des Glaubens und die Vielheit der Theologien, S. 167-176; O. KARRER:
Einheit im Glauben, Sp. 757-758; K. PÖNNIGHAUS: Pluralismus, S. 977; THEOLOGISCHER AUSSCHUSS DER
ARNOLDSHAINER KONFERENZ: Pluralismus in der Kirche, S. 84-86; H. VOLK: Einheit der Kirche, Sp. 754-
755.
130 Das Problem von Einheit und Vielheit wäre hier sowohl in bezug auf die Theologie als auch die Kirche in
vielerlei Hinsicht zu differenzieren. Aus Platzgründen muß jedoch auf eine umfassende Behandlung des
Themas verzichtet werden. Vgl. zu den verschiedenen Dimensionen des theologischen und kirchlichen Plu-
ralismus neben der schon zitierten Literatur: W. BÖHME (Hrsg.): Wie pluralistisch darf die Kirche sein?;
M. J. COALTER – J. M. MULDER – L. B. WEEKS: The Pluralistic Vision; J. B. COBB, JR.: Christ in a Plura-
listic Age; E. JÜNGEL: Kirche im Sozialismus – Kirche im Pluralismus; C. KEMPER – K. KREMKAU (Hrsg.):
Pluralität und Einheit der Kirche in der heutigen westlichen Gesellschaft; K. KOCH: Christliche Identität
im Widerstreit heutiger Theologie; H. LÖWE: Über Pluralismus und Pluralität in der Kirche; H. LÖWE:
Zwischen allen Stühlen; H. MAY – K. LORENZ (Hrsg.): Pluralismus und Profil; J. MEHLHAUSEN: Pluralis-
mus, pluralistische Gesellschaft; W. RIESS: Glaube als Konsens; D. RÖSSLER: Die Einheit der Praktischen
Theologie; THEOLOGISCHER AUSSCHUSS DER ARNOLDSHAINER KONFERENZ: Pluralismus in der Kirche;
M. M. THOMAS: Risking Christ for Christ’s Sake; H. MAY: Streit um Wahrheit und Wirklichkeit; H.
KREMERS: Die leidige Vielfalt.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 275

daß die Theologie »ihr eigenes Pluralitätsproblem theologisch aufzuarbeiten« habe, noch nicht
ausreichend geleistet.131
Bei Allen und Türk kommt das Problem des innerchristlichen Pluralismus nicht in den
Blick, und Barth und Daecke versuchen das Problem durch eine »integrative Hermeneutik« zu
lösen, bei der allerdings – darauf wurde oben schon hingewiesen – offen bleibt, wie sich die
verschiedenen Teile zu einer »Einheit« zusammenfügen lassen. Und auch bei Rendtorff, der
das Problem des Pluralismus primär mit der innerchristlichen Ökumene gegeben sieht, bleibt
die Lösung schematisch und formelhaft: Wegen der »Gleichzeitigkeit des bleibend Verschie-
denen«, dem in keine Diachronik hinein aufzuhebenden synchronen Pluralismus, kann das
einzig sinnvolle Programm der Ökumene »Einheit in der Verschiedenheit« nicht aber »Einheit
statt Verschiedenheit« sein.132
Tracy weist zunächst darauf hin, daß »jede verantwortungsbewußte pluralistische Einstel-
lung« mit der »lobenswerten Affirmation von Pluralität beginnt, keineswegs jedoch schon
damit endet«.133 Denn wo immer der Pluralismus »lediglich zur passiven Reaktion auf mehr
und mehr Möglichkeiten« führt, verdient er Mißtrauen, weil ein solcher Pluralismus die be-
queme Verwirrung verschleiert, »in der man versucht, die Lust an der Differenz zu genießen,
ohne sich je auf eine bestimmte Vision der Hoffnung und des Widerstandes festzulegen«.134
Deswegen ist es die Aufgabe einer jeden Wissenschaftsgemeinschaft – also auch der theologi-
schen – »Kriterien für jedes Urteil von relativer Angemessenheit« zu entwickeln und durch
das »Gespräch« auf einen »verantwortbaren Konsens« hinzuarbeiten.135 Doch wird dieses
hermeneutische Unternehmen wahrscheinlich nicht zu einer totalen Einheitlichkeit der Theo-
logie führen, denn »wie im Fall der Interpretation der heutigen Erfahrung« wird sich auch
kaum eine auf einer »partikularen Interpretation der christlichen Botschaft« beruhende Positi-
on durchsetzen.136 Dennoch kann die hermeneutische Aufgabenbestimmung der Theologie
das »Verständnis von Theologie als einer Forschungsgemeinschaft, die auf einem gemeinsa-
men Engagement beruht, verstärken« und den de facto Grundkonsens, der trotz der Unter-
schiedlichkeit der heutigen Theologien schon besteht, deutlich machen.137
Damit entwickelt Tracy ein prozessuales Verfahren, in welchem der hermeneutische
Grundkonsens (die wechselseitig kritische Korrelation zwischen der christlichen Botschaft
und der gegenwärtigen Situation) ein »Gespräch« zur Evaluierung von Kriterien für die »rela-
tive Angemessenheit« einer theologischen Position ermöglicht. Sind diese Kriterien dann ge-

131 R. M. BUCHER: Die Theologie in Moderne und Postmoderne, S. 56-57.


132 T. RENDTORFF: Religion in der Postmoderne, S. 321. Konrad Raiser hat im Hinblick auf die »Schwie-
rigkeiten, Einheit und Vielfalt in ihrer Spannung gleichzeitig festzuhalten«, die Frage gestellt, ob man in der
ökumenischen Diskussion »wegen des mißverständlichen und statisch-abstrakten Charakters« nicht besser
auf den Begriff »Einheit der Kirche« verzichten und statt dessen lieber von »Gemeinschaft« reden sollte:
»Die biblische Vorstellung der ›Gemeinschaft‹ in ihrer vertikalen Dimension als Teilhabe an der Wirklich-
keit Gottes durch Jesus im Heiligen Geist, wie in ihrer horizontalen Dimension als solidarisches Miteinan-
derteilen des Lebens ist geeigneter, der ökumenischen Bewegung Orientierung zu geben«. K. RAISER: Öku-
mene im Übergang, S. 120-121.
133 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 132. Tracy beruft sich hier auf: W. JAMES: Die Vielfalt religiöser
Erfahrung.
134 D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 131-132.
135 A.a.O., S. 132, 141-142.
136 D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 98.
137 A.a.O., S. 101.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 276

wonnen, können in einem zweiten Schritt auch inhaltliche Übereinstimmungen erzielt wer-
den.138 Dieses Verfahren erlaubt es nicht nur, den theologischen Pluralismus zu affirmieren
und zugleich Grenzen der Pluralität aufzuzeigen, sondern auch, Einheit und Vielfalt so auf-
einander zu beziehen, daß Pluralismus nicht zur Beliebigkeit und Einheit nicht zur Totalität
führt: Indem die verschiedenen Entwürfe durch die Gesprächskonzeption aufeinander bezogen
werden, wird dem zusammenhanglosen Nebeneinander einzelner Positionen ebenso eine Ab-
sage erteilt wie der Verabsolutierung einzelner partikularer Standpunkte oder Theologien.
Außerdem wird die Wahrheitsfrage nicht von der theologischen Tagesordnung suspendiert,
sondern vielmehr in die Suche nach Kriterien zur Beurteilung der »relativen Angemessenheit«
einer Interpretation eingebunden.
Freilich bleiben auch hier Fragen offen: Neben den oben formulierten Fragen nach den
diskursorganisatorischen Voraussetzungen dieses hermeneutischen Verfahrens wären vor al-
lem Konkretisierungen hinsichtlich möglicher Kriterien zur Beurteilung der »relativen Ange-
messenheit« von Interpretationen der christlichen Botschaft wünschenswert.139 Problematisch
erscheint auch der Begriff »relative Angemessenheit« selbst, denn wenn alle Interpretationen
der christlichen Botschaft immer nur »relativ« adäquat sein können, wird dann nicht jeder
Status confessionis unmöglich, weil eine bestimmte Lehre dann auch nur als »relativ« inadä-
quat bezeichnet werden kann?140 Ist die Bezeichnung einer bestimmten Theologie als »relativ«
inadäquat nicht selbst ein »inadäquates« Mittel, wenn – wie in der Theologie der »Deutschen
Christen« – die zwei Konstanten der Theologie so interpretiert werden, daß aus dem jüdischen
Jesus der Evangelien eine arische Erlösergestalt wird?

138 A.a.O., S. 97. Karl Rahner hat allerdings nachdrücklich betont, daß die Vergewisserung der Einheit des
Bekenntnisses nicht bloß durch »eine Feststellung der Gleichheit begrifflicher Bewußtseinsinhalte« ge-
schieht, sondern sich in der »leibhaftigen Gemeinschaft« konkretisiert: »Konkretes Tun (im weitesten Sinn)
ist als gemeinsames nicht nur die Konsequenz einer im voraus schon ergriffenen gemeinsamen Überzeu-
gung, sondern die Weise, in der eine solche gemeinsame Überzeugung sich vollzieht und zu sich selber und
ihrer Gewißheit kommt. In der Pluralität der Theologien ist somit die Aufrechterhaltung der Einheit des Be-
kenntnisses und die Vergewisserung darüber auch (nicht nur!) davon abhängig, daß Gemeinsamkeit und
Einheit vollzogen werden, die nicht einfach bloß in der Dimension des begrifflichen Wortes als solchen lie-
gen«. K. RAHNER: Der Pluralismus in der Theologie und die Einheit des Bekenntnisses in der Kirche, S. 30-
31.
139 Das Votum der Arnoldshainer Konferenz zu den Chancen und Grenzen des Pluralismus in der Kirche ver-
sucht in sehr vorsichtiger Weise, Kriterien für die Grenzen des Pluralismus zu formulieren: »Ein Kriterium
für die Legitimität pluraler Glaubensaussagen wird es sein, daß in ihnen bei aller Unterschiedlichkeit der
Denkweise, Begrifflichkeit und Vorstellungswelt die Kontinuität des Glaubens über die Jahrhunderte und
Kontinente hinweg gewahrt bleibt. Wo alte, zentrale Aussagen christlicher Theologie übergangen, in ihrer
Substanz umgedeutet und entleert oder nur oberflächlich interpretiert und rezipiert werden, liegt die Vermu-
tung nahe, die Grenze des Pluralismus sei überschritten«. THEOLOGISCHER AUSSCHUSS DER
ARNOLDSHAINER KONFERENZ: Pluralismus in der Kirche, S. 89. Doch auch hier bleibt die Frage offen, wer
anhand welcher Kriterien entscheiden soll, ob eine Glaubensaussage die Substanz des christlichen Glaubens
wahrt oder nicht wahrt.
140 Vgl. dazu kritisch: T. PETERS: David Tracy, S. 301-302. Auch die Arnoldshainer Konferenz fordert, daß
Grenzüberschreitungen, »durch die der Glaube in seiner Substanz preisgegeben oder entstellt wird«, nicht
schweigend von der Kirche hingenommen werden dürfen: »Soll die Berufung auf den Auftrag ihres Herrn
glaubwürdig bleiben, kann sie sich der Aufgabe nicht entziehen, mit der Christus-Botschaft unvereinbare
Auffassungen festzustellen und abzuweisen«. THEOLOGISCHER AUSSCHUSS DER ARNOLDSHAINER
KONFERENZ: Pluralismus in der Kirche, S. 91. Es werden allerdings keine Aussagen darüber gemacht, auf
welche Art und Weise die Grenzüberschreitungen abgewiesen werden sollen.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 277

5. Die Kritik der dekonstruktiven Theologie


Während in der theologischen Postmoderne-Diskussion ein weitgehender Konsens über die
Chancen und Grenzen des kulturellen und innertheologischen Pluralismus zu beobachten ist,
werden sowohl die sprachphilosophischen Prämissen als auch die theologischen Folgerungen
der dekonstruktiven Theologie – vor allem aber Taylors dekonstruktive A/Theologie – leiden-
schaftlich kritisiert. Um zu einer angemessenen Beurteilung dieser Diskussion zu gelangen,
erscheint es zunächst notwendig, die berechtigten Anliegen und kritischen Intentionen der
dekonstruktiven Theologie gegen eine allzu vorschnelle Kritik zu verteidigen, um dann aller-
dings auch einige grundlegende Bedenken gegen die dekonstruktive Theologie zu formulie-
ren. Eigens zu behandeln sein werden dann Lindbecks kulturell-lingustisches Modell religiö-
ser Symbolbildung und Timms Projekt einer Ästhetisierung der Religion.

Berechtigte Anliegen und kritische Intentionen der dekonstruktiven Theologie


Man muß nicht gleich – wie John Caputo – bezüglich Taylors Analyse des dezentrierten mo-
dernen Selbst von einer Art »post-strukturalistischer Bergpredigt«141 reden, doch hat Caputo
damit einen wesentlichen Aspekt von Taylors Gedankengang im ersten Teil seines Buches
erfaßt: Taylors »Erzählung« vom »Tode Gottes« in der Moderne, der das »Verschwinden des
Selbst«, das »Ende der Geschichte« und das »Schließen des Buches« nach sich zog, dient Tay-
lor nicht nur als Ausgangsbasis für seine dekonstruktive A/Theologie, sondern ist zugleich
auch als Kritik der Selbst-Überschätzung, Selbst-Behauptung und Selbst-Verwirklichung des
modernen Menschen und seines Wunsches, Zeit und Raum zu beherrschen, zu lesen. Die kri-
tische Stoßrichtung der Dekonstruktion wie der dekonstruktiven Theologie besteht darin, die
Selbsttäuschungen und Illusionen des modernen Menschen, seiner vermeintlichen Selbst-
Sicherheit – als Voraussetzung seiner Weltbemächtigung – mit sprachphilosophisch-psycholo-
gischen Mitteln zu kritisieren: Wenn es keine volle Transparenz des Selbst gibt, welche als
Grundlage für eine theoretische und praktische Beherrschung der Welt dienen könnte, wenn
jede Theorie des Subjektes mit der Theorie der Sprache so verknüpft ist, daß die eine Theorie
zur Interpretation der anderen wird und wenn das Subjekt nicht in einer unmittelbaren Relati-
on zum Objekt steht, dann hängen alle Wahrnehmungen der Wirklichkeit und der Wahrheit
von den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten einer bestimmten Kultur ab, dann wird jede
gesicherte Ausgangsbasis für das Denken a priori unmöglich und dann ist der Traum des mo-
dernen Rationalismus, daß die Sprache dem Subjekt ein wahrhaftiges Abbild der Natur liefern
kann, ausgeträumt.142

141 J. D. CAPUTO: Book Reviews, S. 110-111. Taylors dekonstruiertes Selbst, das als sich nicht selbst besitzen-
des »Nicht-Selbst« ohne festen Grund in sich selbst leben muß, deckt sich durchaus – darin muß man Caputo
recht geben – mit dem christlichen Gedanken des auf Gott angewiesenen Selbst, doch darf man dabei nicht
übersehen, daß Taylor dieses Selbst nicht auf Gott rückbezieht, sondern den Menschen, der Gott ermordet
hat und der nun ziellos durch das Labyrinth der Zeit irrt, zum Ausgangspunkt seiner dekonstruktiven Theo-
logie macht.
142 CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 40; CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 52;
R. P. SCHARLEMANN: Introduction, S. 4-6.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 278

Auf diese Weise radikalisiert die Dekonstruktion aber nicht nur die lange Tradition neu-
zeitlicher Vernunftkritik,143 sondern bestreitet damit auch die theoretische Basis aller exklusi-
ven Wahrheitsansprüche und totalitären Weltanschauungen. Auch wenn die Dekonstruktion
die Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen »gut« und »böse« negiert, ist sie dennoch –
Griffin144 weist darauf hin – von der Leidenschaft besessen, das moderne Projekt progressiver
Weltaneignung der Kritik zu unterziehen. Darum konvergiert die Moderne-Kritik der De-
konstruktion durchaus mit den philosophischen Modernitätsdiagnosen von Spaemann, Hübner
und Koslowski und auch denen von Cobb, Griffin, Peters und Küng, doch wird aus dieser
Kritik eine völlig andere ethische Haltung abgeleitet: Für den modernen Menschen, der Gott
ermordet hat und der nun zwischen den zerstreuten Ereignissen ziellos umherirren muß, kann
es keinen wirklichen Grund für Hoffnungen und Erwartungen mehr geben; darum kann das
losgelöste, seines Ursprungs beraubte, dezentrierte und entleerte »post-moderne« Selbst auch
nur mit dem Wunsch nach Herrschaft, Besitz, Macht und Konsum brechen und sich in ein
groteskes, frivoles, karnevalistisches Spiel mit wechselnden Identitäten und festlichen Feiern
verwickeln lassen, aus dem dann die Freude am Sich-Selbst-Verlieren und eine »Ethik des
Widerstandes«, in der alle Maximen immerwährend negiert werden, erwächst.145
Ob man diese auf Nietzsches Kritik der »modernen Ideen«146 basierende Theologie des-
wegen als post-modern bezeichnen will oder nicht, hängt in der Tat – Cobb weist darauf hin –
davon ab, ob man den Begriff Moderne mit der Aufklärung, mit dem Bekenntnis zur Vernunft
und mit einer positiven Zukunftserwartung gleichsetzt oder ob man die Tradition der Ver-
nunftkritik der Moderne selbst zurechnet: Im ersten Fall wird man die dekonstruktive Theolo-
gie als postmodern bezeichnen müssen, im zweiten Fall wird man jedoch in der dekonstrukti-
ven Theologie einen radikalisierten Modernismus sehen müssen.147
Auch wenn man die extremen Folgerungen von Taylors dekonstruktiver A/Theologie
nicht mitzuvollziehen gewillt ist, so sind doch die Problemanzeigen der dekonstruktiven
Theologie zur Problematik theologischer Sprache nicht von der Hand zu weisen – selbst wenn
diese nicht so neu sind wie die Vertreter der Dekonstruktion bisweilen glauben machen wol-
len.148 Denn wenn es richtig ist, daß es keinen nicht-sprachlich vermittelten Zugang zu den
»Dingen an sich« gibt,149 daß die Sprache nicht als »Spiegel der Natur« angesehen werden
kann, daß die Sprache nicht die objektive Realität abbildet, sondern sie zuallererst konstitu-
iert, konstruiert und imaginiert,150 und wenn dann auch die Konsequenz richtig ist, daß alle
Worte immer wieder nur auf andere Worte verweisen und darum auch der Referent theologi-

143 So: J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 207.


144 Vgl. D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology and A/theology, S. 39, 57-58 (Anm. 60).
145 M. C. TAYLOR: Erring, S. 141-148, 150-154, 158-168; M. C. TAYLOR: Disfiguring, S. 318. John Thiel
bemerkt dazu, daß Taylors A/Theologie auch zugleich eine A/Anthropologie ist, weil er dem »Tode Gottes«
auch den »Tod des Selbst« folgen läßt. Vgl. J. E. THIEL: Imagination and Authority, S. 150.
146 F. NIETZSCHE: Jenseits von Gut und Böse, S. 17.
147 Vgl. J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 207.
148 So ist der metaphorischen Charakter jeder Sprache nicht erst von der Dekonstruktion entdeckt worden, son-
dern spätestens seit Nietzsches Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne bekannt. Vgl.
dazu: B. ALLEMANN: Die Metapher und das metaphorische Wesen der Sprache, S. 30-31; E. JÜNGEL: Me-
taphorische Wahrheit, S. 115-118.
149 Vgl. R. P. SCHARLEMANN: Deconstruction, S. 187.
150 Vgl. CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 65.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 279

scher Sprache immer nur in und als Sprache gegeben ist,151 so ergeben sich daraus weitrei-
chende Konsequenzen für die theologische Rede von Gott: Die Theologie muß sich mit dem
gegen sie erhobenen »Verdacht« auseinandersetzen, daß ihr Gebrauch der Sprache ein Spiel
von Signifikanten ist, das keinen bestimmbaren Bezug zu einem Referenten außerhalb ihres
eigenen Sprach-Spieles besitzt, sondern vielmehr als selbstreferentielles System immer nur
wieder auf sich selbst verweist.152 Oder anders gesagt: Die Theologie muß sich mit dem »Ver-
dacht« auseinandersetzen, daß ihre Rede von Gott immer metaphorische Rede ist und bleibt,
daß es keinen Zugang zu »Gott an sich« gibt, daß sie nicht Spiegel der göttlichen Welt ist und
darum auch keine direkte Relation zwischen theologischen Sätzen und der Realität, die sie zu
re-präsentieren beanspruchen, bestimmt werden kann.153 Diese von der dekonstruktiven Theo-
logie formulierten Problemstellungen sind alles andere als nebensächlich, und man kann The-
odore Jennings nur beipflichten, daß von den Antworten auf die Frage, wie wir noch länger
bedeutungsvoll von Gott reden können, das ganze Unternehmen der Theologie abhängt.154
Um so wichtiger ist es dann, die systematisch-theologischen Schlußfolgerungen, die die de-
konstruktive Theologie aus ihren sprachphilosophischen Prämissen ableitet, aufmerksam zu
beobachten.

Einwände gegen eine »Theologie der Abwesenheit Gottes«


Die einzelnen Entwürfe dekonstruktiver Theologie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich
ihrer sprachtheoretischen Grundlagen als auch hinsichtlich ihrer theologischen Konsequenzen
grundlegend. Während Winquist und Scharlemann nur den unmittelbaren Zugang zu »trans-
zendentalen Signifikaten« bestreiten und den kritischen Impuls der dekonstruktiven Strategie
darin sehen, daß diese die metaphorischen Wurzeln theologischer Sprache offenzulegen ver-
sucht und damit jeder definitiven Festlegung der Bedeutung theologischer Texte entgegenar-
beitet, ist Taylors Ansatz viel radikaler: Ausgehend vom Tod des transzendenten Gottes im
Denken des modernen Menschen entwickelt Taylor eine rein intratextuelle, dekonstruktive
A/Theologie, die jede transzendente Dimension theologischer Sprache bestreitet und die dar-
um Gott auch allein in der Sprache suchen muß, was dann letztlich zu einer Apotheose der
»Schrift« oder des »Schreibens« führen muß. Während Scharlemann und Winquist die Unent-
scheidbarkeit der Frage nach einer »hinter« der Sprache verborgenen Realität wahren,155 setzt
Taylor »Gott« und »Schrift« gleich und hebt damit die fundamentale Differenz, die zwischen

151 Vgl. CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 65; R. P. SCHARLEMANN: The Being of God When God
Is Not Being God, S. 104.
152 Vgl. CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 56.
153 Vgl. CH. E. WINQUIST: Body, Text, and Imagination, S. 49-50. »The task of theology has been distorted if
we understand it to be the establishment of an objective science about God, faith, doctrine, or any other reli-
gious phenomenon. Religious language is symbolic because it participates in the determination of the emer-
gent subject-superject. It is part of the becoming of the reality to which it refers«. CH. E. WINQUIST: The
Transcendental Imagination, S. 84.
154 Vgl. TH. W. JENNINGS: Beyond Theism, S. 3.
155 Es lassen sich allerdings auch bei Winquist Tendenzen feststellen, jegliche Realität jenseits der theolo-
gischen Sprache zu bestreiten: »The most elaborate theological constructions are empty of everything but
their own material presence«. CH. E. WINQUIST: Epiphanies of Darkness, S. 79; »Theology is one of the
most consistent and self-conscious examples of representational discourse without an external reference«.
A.a.O., S. 99.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 280

Welt und Gott, zwischen dem Wort »Gott« und Gott selbst besteht, unzulässigerweise auf.156
Man kann diese von Taylor vertretenen Auffassungen, daß es keine »transzendentalen Signifi-
kate«, daß es nichts außerhalb der Sprache gibt, mit Derrida als »Dummheiten« (»stupidi-
ties«)157 bezeichnen, oder aber darauf hinweisen, daß die Frage nach einem extralinguistischen
Referenten transzendentaler Signifikate weder endgültig verifiziert noch falsifiziert werden
kann und deswegen »Gott« auch nicht notwendig auf die kreative oder produktive Kraft im
»Schreiben« reduziert werden muß.158
Trotz aller Beteuerungen Taylors, sich zwischen Glauben und Unglauben, zwischen The-
ismus und Atheismus zu bewegen, wird man wohl mit Tracy, Caputo, Griffin und Cobb zu
dem Urteil gelangen müssen, daß Taylor letztlich nur den modernen humanistischen A-
theismus verschärft, indem er die Kritik der Selbst-Bewußtseins-Illusionen des modernen
Menschen zum Ausgangspunkt seiner Theologie macht und daraus dann einen radikal imma-
nenten, sprachphilosophisch fundierten Nihilismus ableitet: Das seiner Selbst-Gewißheit be-
raubte Nicht-Selbst irrt nun ohne »ariadnischen Faden« durch das sprachliche Labyrinth des
endlos gesponnenen Textes, in dem es keinen Anfang und kein Ende, keine Hoffnung und
keine Erlösung mehr gibt, sondern nur die »Wüste« der inneren Leere.159
Taylors A/Theologie ist allerdings nur eine – wenn auch die radikalste – Spielart de-
konstruktiver Theologie. John Cobbs Kritik an der dekonstruktiven Theologie ist dagegen viel
grundsätzlicher: Die Dekonstruktion richtet ihre ganzen Bemühungen auf den Nachweis, daß
die Sprache die Wirklichkeit nicht einfach abbildet, doch ist diese Problematik – so Cobb –
eher peripher, weil die Sprache in erster Linie eine pragmatische Funktion hat.160 Natürlich
darf auch danach gefragt werden, ob ein Satz wahr ist, ob er der Wirklichkeit entspricht oder
nicht, aber auch unabhängig von der Beantwortung dieser Frage besteht zwischen den Sätzen
und den Erwartungen, die diese aufgrund des Anredecharakters der Sprache erzeugen, ein
enger, referentieller Zusammenhang.161 Cobb räumt ein, daß Verstehen in der Tat immer nur
annäherungsweise gelingt, doch gerade deswegen kommt es nicht so sehr darauf an, ob die
Sprache eine letzte Wahrheit ausdrückt, sondern ob sie die den Menschen umgebende Matrix
menschlicher und nichtmenschlicher Ereignisse in für ihn sinnvoller Weise zu beschreiben
vermag.162 Mit Cobb sind also weniger die sprachphilosophischen Grundeinsichten der de-

156 Jüngel weist darauf hin, »daß für den christlichen Glauben nur dann von Gott geredet wird, wenn dabei eine
fundamentale Differenz von Gott und Welt mitgesagt ist« (E. JÜNGEL: Metaphorische Wahrheit, S. 145).
Diese fundamentale Differenz aber wird von Taylor aufgehoben, und folglich bringt seine Theologie auch
nicht »Gott« sondern nur »Welt« zur Sprache. Vgl. dazu auch: E. JÜNGEL: Anthropomorphismus als Grund-
problem neuzeitlicher Hermeneutik, S. 130-131.
157 J. DERRIDA: Deconstruction and the other, S. 123.
158 Vgl. zum Problem von Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit religiöser Rede von Gott: I. U. DALFERTH:
Religiöse Rede von Gott, S. 502-507.
159 Diese »Wüste« müssen wir nach Taylor auch nicht erst aufsuchen, weil sie uns immer schon dort erwartet,
wo wir gerade sind: »We need not travel to find the desert, for it always approaches us where we are, to dis-
locate us from within. In the desert that has become our world, there is only exile – chronic exile – without
beginning and without ending. Beginning never begins and ending never ends. Thus, all time is the mean-
time of the always already, and all space is the nonsite of the between that is no where. Forever under way in
the absence of the Way, every arrival is a departure and every location is a dis-location«. M. C. TAYLOR:
Disfiguring, S. 319.
160 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 211.
161 Ebd.
162 A.a.O., S. 210.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 281

konstruktiven Theologie zu kritisieren als vielmehr die Konsequenzen, die daraus gezogen
werden. Letztlich entscheidet sich alles daran, ob aus dem metaphorischen Charakter theolo-
gischer Sprache, aus der Anwesenheit des abwesenden Gottes im Wort »Gott«, die »reale«
Abwesenheit Gottes wie bei Taylor oder die »reale« Anwesenheit Gottes in eben diesem Wort
wie bei Scharlemann gefolgert wird. Oder anders gesagt: Es kommt darauf an, ob das Wort
»Gott« als bloßes Wort, als »leere Chiffre«, als Tod (des transzendenten) Gottes verstanden
wird oder als diejenige Realität, in der Gott zur Welt und zur Sprache kommt, ohne daß da-
durch allerdings die Differenz zwischen Gott und Schrift aufgehoben wird.163 Darauf, daß
eine Entscheidung für die eine oder die andere Option einen fundamentalen Akt des Mißtrau-
ens bzw. Vertrauens in die Transzendenz der Sprache impliziert, wurde schon in der Kritik am
Ende des Ersten Hauptteiles hingewiesen.164
Winquists und Taylors Folgerungen aus dem metaphorischen Charakter der Sprache ba-
sieren letzten Endes auf Nietzsches Abwertung der Wahrheit als einem beweglichen »Heer
von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen«165, mit dem dieser gegen den traditio-
nellen Begriff der Wahrheit als adaequatio intellectus et rei polemisierte. Folglich wird dann
auch bei Taylor – wie bei Nietzsche – Wahrheit zur Metapher degradiert, als Illusion entlarvt
und schließlich verabschiedet. Diese Konsequenz ist jedoch nicht zwingend, denn diese die
Wahrheit herabsetzende Einsicht kann auch »positiv« gewendet werden, weil die Metapher
selbst »als Geschehen von Wahrheit« gedacht werden kann.166 Wenn man nämlich mit Eber-
hard Jüngel »der Metapher den Wert eigentlicher Redeweise nicht abzusprechen bereit ist«,
sondern die metaphorische Rede vielmehr als »besonderes Genus eigentlicher Rede« versteht,
kann die Metapher selbst als die Realität aufgefaßt werden, in der Gott zur Sprache kommt;
dann markiert das Wort »Gott« eben nicht die Abwesenheit des Bezeichneten, nämlich Gottes
selbst, sondern dessen Gegenwart in dem Wort, das den Menschen eben dort anspricht, »wo er
die Freiheit gewinnen kann, Gott zu vertrauen«, denn »Gott läßt sich so entdecken, daß sich
im Ereignis des Entdeckens auch schon Gottvertrauen einstellen kann«.167 Gegen den negati-
ven Theismus der Dekonstruktion, gegen das »Evangelium« von der Abwesenheit Gottes, das
die Apostel der Leere zu verkünden versuchen, kann eine Theologie, die das Vertrauen in die
Transzendenz der Sprache eben darum nicht verloren hat, weil sie sich von dem Wort »Gott«

163 Vgl. zur Problematik religiöser Sprache auch die Beiträge in den Sammelbänden: R. P. SCHARLEMANN –
G. E. M. OGUTU (Hrsg.): God in Language; R. P. SCHARLEMANN (Hrsg.): Naming God.
164 Vgl. Erster Hauptteil, V. 5.
165 F. NIETZSCHE: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, S. 374.
166 E. JÜNGEL: Metaphorische Wahrheit, S. 140. Beda Allemann hat gegen Nietzsches »skeptizistische Sprach-
theorie« eingewendet, daß die »Wirklichkeit zwangsläufig« verfälscht wird, wenn man »den fundamentalen
metaphorischen Vorgang zwischen den Dingen einerseits, den Worten andererseits ansetzt«, denn dann sind
»die wirklichen Dinge und Sachverhalte« »überhaupt nie angemessen zu erfassen«, weil die einzelnen Worte
lediglich als isolierte Zeichen betrachtet werden. »Die Bedingung der Möglichkeit von Sprache«, so Alle-
mann weiter, liegt vielmehr darin, »daß die Wörter ungetrennt von ihren Bedeutungen zueinander in Bezie-
hung treten können. In diesem Bereich, in dem, was sich zwischen den Wörtern und im Rahmen einer Wort-
sequenz abspielt, findet die fundamentale Übertragung statt. In diesem Vorgang wird die immer schon vor-
handene Bedeutung der Wörter aktualisiert und präzisiert, so daß sie einen sinnvollen Zusammenhang erge-
ben. In diesem Vorgang scheint mir die entscheidende metaphorische Qualität der Sprache zu liegen«.
B. ALLEMANN: Die Metapher und das metaphorische Wesen der Sprache, S. 42.
167 E. JÜNGEL: Metaphorische Wahrheit, S. 108, 133, 149-150. Vgl. zu den notwendigen Differenzierungen
hinsichtlich der »Möglichkeit metaphorischer Rede von Gott im Horizont des christlichen Glaubens« und
zum Anredecharakter der Sprache: A.a.O., S. 145-153.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 282

angesprochen weiß, auch weiterhin die Geschichte des zur Welt kommenden Gottes, die »von
der Geschichte des zur Welt gekommenen Gottes her zur Sprache zu bringen«168 ist, erzählen.

Postliberale Theologie: Rückzug ins konfessionelle Getto?


Lindbecks kulturell-linguistisches Modell religiöser Symbolbildung wendet sich wie die de-
konstruktive Theologie gegen ein kognitiv-propositionalistisches Verständnis der Dogmen,
das die religiösen Lehrsätze als informative Propositionen oder als Wahrheitssätze über eine
objektive Realität auffaßt. Doch im Unterschied zur Dekonstruktion richtet sich Lindbecks
primäres Interesse nicht auf die Untersuchung der theologischen Sprache selbst, sondern auf
die Frage nach den sprachlichen Voraussetzungen religiöser Erfahrung. Erklärter Gegner von
Lindbecks »postliberaler« Theologie ist dann auch die gesamte moderne liberale Theologie
(von Schleiermacher über Tillich bis zu Tracy), die – so Lindbecks These – die Lehrsätze ei-
ner Religion als äußere Objektivierungen einer allen Menschen gemeinsamen inneren Erfah-
rung versteht.169 Lindbeck versucht dagegen aufzuzeigen, daß die Symbolbildung der Religio-
nen gerade erst die Bedingung der Möglichkeit religiöser Erfahrung ist und eben nicht die
nachträgliche Objektivierung einer vorreflexiven religiösen Erfahrung.170
Die pauschale, schematische und undifferenzierte Beschreibung »liberaler« Theologie hat
Lindbeck viel Kritik eingebracht. Gegen Lindbeck wird vor allem der Verdacht geäußert, daß
er aus Schematisierungsgründen das »Feindbild« der »liberalen Theologie« künstlich aufbaut,
um dann sein Modell um so deutlicher von dieser Position abheben zu können. Daß Lind-
becks Beschreibung des erfahrungsbezogen-expressiven Modells religiöser Symbolbildung
schon auf Schleiermacher so nicht zutrifft, macht Brian Gerrish deutlich,171 und David Tracy
sieht das Problem von Lindbecks Beschreibung des erfahrungsbezogen-expressiven Modells
primär darin, daß die Kritik auf die meisten seiner Adressaten gar nicht zutrifft, weil diese den
romantischen Erfahrungsbegriff der liberalen Theologie selbst problematisiert haben.172 Die-
ser Kritik zufolge besteht das Manko von Lindbecks The Nature of Doctrine darin, daß seine
Konstruktion des erfahrungsbezogen-expressiven Modells vielleicht auf einige Religionswis-
senschaftler zutreffen mag,173 die die konkreten Lehrsätze einer bestimmten Religion wirklich
als Ausdruck einer allen Menschen gemeinsamen, allgemeinen und universalen religiösen
Erfahrung verstehen, nicht aber auf die meisten der von ihm genannten Theologen, die Lind-
beck zudem auch völlig undifferenziert der liberalen Theologie zuordnet.

168 A.a.O., S. 151.


169 G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 21.
170 A.a.O., S. 32.
171 Vgl. B. A. GERRISH: The Nature of Doctrine, S. 89-90.
172 D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 462-463. Ebenso auch die Kritik von William Pla-
cher: »For thoughtful revisionists, the relations between experience and language are more dialectical than
Lindbeck sometimes admits«. W. C. PLACHER: Revisionist and Postliberal Theologies and the Public Char-
acter of Theology, S. 397.
173 Kenneth Surin ist jedenfalls der Überzeugung, daß Lindbecks Polemik gegen das erfahrungsbezogen-ex-
pressive Modell in erster Linie als Kritik einer synkretistischen Religionswissenschaft (John Hick, Wilfred
Cantwell Smith) verstanden werden muß, auch wenn sich Lindbeck nicht explizit mit dem »Religiösen Plu-
ralismus« auseinandersetzt. K. SURIN: Many Religions and the One True Faith, S. 189-190, 205.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 283

Aber auch Lindbecks linguistisch-kulturelles Modell religiöser Symbolbildung ist nicht


ohne Widerspruch geblieben, wobei sich die Kritik weniger auf die Theorie an sich bezieht,
sondern auf die Defizite und unreflektierten Probleme dieser Theorie. So gestehen die meisten
Kritiker Lindbeck zu, daß seine Ausführungen über die linguistische Natur der Dogmen
durchaus erhellend und kohärent sind,174 doch die theologische Aufgabe ist mit der Untersu-
chung der Funktion narrativer oder symbolischer Codes noch nicht hinreichend beschrieben,
denn neben einer rein grammatikalischen Analyse religiöser Lehrsätze braucht die Theologie
auch eine zeitgemäße Hermeneutik, um zu einer adäquaten Interpretation der unterschiedli-
chen Erzählungen, Symbole und Dogmen zu kommen. Das interaktive Verhältnis von Gram-
matik und Rhetorik aber wird – darin wird man Tracy zustimmen müssen – von Lindbeck zu
wenig reflektiert.175 Die »Neutralität« von Lindbecks Theorie ist zugleich deren Stärke und
deren Schwäche, denn sie gleicht der Neutralität eines Mathematikers oder Formallogikers:
sie ist zwar unanfechtbar, aber sie hilft bei den konkreten inhaltlichen Problemen der Dog-
meninterpretation nicht weiter.176
Allerdings wird die religiöse Erfahrung bei Lindbeck nicht einfach durch grammatische
Regeln und sprachliche Codes ersetzt und damit die Dialektik zwischen religiöser Erfahrung
und den Lehrsätzen einer Religion aufgehoben – wie David Tracy177 meint –, denn die religiö-
se Erfahrung wird zwar von Lindbeck sehr wohl den linguistischen Möglichkeiten einer be-
stimmten Religion nachgeordnet, aber dennoch – so Lindbeck – ist dieses Verhältnis nicht
unilateral sondern dialektisch, weil auch andere, nicht aus dieser Religion selbst entstandene
Muster der Erfahrung die konkrete Gestalt einer Religion beeinflussen können.178 Lindbeck
hat außerdem gegen die Annahme einer nicht-sprachlichen oder vor-sprachlichen religiösen
Erfahrung nichts einzuwenden, denn die Fähigkeit des Menschen zu einer solchen vor-
sprachlichen Erfahrung ist gerade die Bedingung der Möglichkeit religiöser Erfahrung, nur
daß diese Erfahrung selbst dann eine nicht-reflektierte und nicht-schematisierte Erfahrung ist;
sobald aber diese Erfahrung ausgedrückt und beschrieben wird, geschieht dies immer im Me-
dium einer bestimmten Sprache.179

174 William Placher weist allerdings darauf hin, daß Lindbecks Sicht der religiösen Glaubensüberzeugungen
keineswegs neu ist, denn Anthropologen und Soziologen haben die Religion immer als ein System gemein-
schaftlicher Sprache und Handlung verstanden. Vgl. W. C. PLACHER: Revisionist and Postliberal Theolo-
gies and the Public Character of Theology, S. 402.
175 D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 468-469. Lindbecks einseitige Betonung der
Grammatik nährt für Dewi Phillips den Verdacht, daß er nur den Schwierigkeiten im ökumenischen Dialog
aus dem Weg gehen will: »He seems to think that recognising that doctrinal statements are grammatical
statements makes it easier to see, in ecumenical discussions, how there can be doctrinal reconciliation with-
out capitulation«. D. Z. PHILLIPS: Lindbeck’s Audience, S. 146.
176 Vgl. C. E. O’NEILL: The Rule Theory of Doctrine and Propositional Truth, S. 421-422. Ebenso: L. C.
BARRETT: Theology as Grammar, S. 162-167.
177 D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 464. Ähnlich auch die Kritik von Geoffrey Wain-
wright: G. WAINWRIGHT: Ecumenical Dimensions of Lindbeck’s ›Nature of Doctrine‹, S. 124.
178 Vgl. G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 33. Indem Lindbeck den Einfluß nichtreligiöser Erfahrun-
gen auf die religiöse Symbolbildung zugibt, zeigt er zumindest eine gewisse Offenheit für eine dialektische
Verhältnisbestimmung von gegenwärtiger Erfahrung und religiöser Symbolbildung. Tracys Kritik an Lind-
beck ist darum in ihrer Schärfe nicht ganz berechtigt. Gleichwohl – darin hat Tracy sicher recht – wird der
gegenseitige Einfluß von nichtreligiöser Erfahrung und religiöser Erfahrung in Lindbecks Theorie zu wenig
reflektiert.
179 A.a.O., S. 36.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 284

Zu verteidigen ist Lindbeck auch gegen den von Tracy und Rendtorff erhobenen Vorwurf,
seine intratextuelle, narrative Theologie führe zwangsläufig in die Isolation eines konfessio-
nellen Gettos, weil sie sich sowohl gegenüber allen Übersetzungsversuchen religiöser Erfah-
rung als auch gegenüber universalen Normen von Vernünftigkeit skeptisch zeigt.180 Lindbeck,
der sich dieser Gefahr sehr wohl bewußt ist, weist darauf hin, daß die Spannweite einer
intratextuellen Theologie, ihr Interesse an Geschichte, Anthropologie, Psychologie, Soziologie
und Philosophie, den Kontakt zu anderen Disziplinen fördert, mit dem Ziel, die eigene
Religion besser verstehen zu können.181 Man wird aber mit Bellah noch einen Schritt über
Lindbeck hinausgehen müssen, der gegen Lindbecks Inkommensurabilitätsaxiom geltend
macht, daß eine intratextuelle Theologie nicht notwendig zu einer sektiererischen
Abgeschlossenheit führen muß, wenn Christen mit vielen Sprachen zu sprechen lernen, denn
so wie das Erlernen anderer Sprachen möglich ist, kann auch etwas über die Praxis und die
Überzeugungen anderer Glaubensrichtungen gelernt werden. Um in einer pluralen,
vielsprachigen Welt wahrhaft christlich leben zu können, ist es zunächst notwendig, die
christliche Sprache und Praxis stets neu zu entdecken und sich des Ursprungs christlicher
Identität zu vergewissern, dann aber auch offen für andere Überzeugungen zu sein, wenn die
christliche Botschaft nicht in der Wüste verfallender Traditionen marginalisiert werden soll.182
Interessant ist nicht zuletzt auch die Frage, inwiefern Lindbecks kulturell-linguistisches
Modell religiöser Symbolbildung mit Lyotards Sprachspielkonzeption konvergiert.183 Ohne
dies hier bis in die Einzelheiten verfolgen zu können, sei auf einige grundlegende Gemein-
samkeiten hingewiesen. Grundlegend für beide Konzeptionen ist die Einsicht, daß die Stan-
dards von Rationalität nicht nur in den verschiedenen Wissensgebieten sondern auch von E-
poche zu Epoche so unterschiedlich sind, daß sie nicht in einer generellen Theorie der Ver-
nunft und des Wissens zusammengefaßt werden können. Folglich steht auch kein allgemeiner,
allen Sprachspielen gemeinsamer Rahmen für den Vergleich unterschiedlicher Wahrheitsan-
sprüche zur Verfügung, und demgemäß können dann alle Wahrheitsansprüche auch immer
nur innerhalb eines bestimmten sprachlichen Systems kategorial angemessen oder »wahr«
sein.184 Auffallend ähnlich sind auch die Konsequenzen, die beide aus dieser Erkenntnis zie-

180 Vgl. D. TRACY: Lindbeck’s New Programm for Theology, S. 465-467; T. RENDTORFF: Karl Barth und die
Neuzeit, S. 144-145; Ähnlich auch: J. E. THIEL: Imagination and Authority, S. 160-161. Walter Kasper ver-
teidigt in diesem Punkt Lindbeck gegenüber Tracy: Lindbecks Theologie führt nicht zu einem neuen Kon-
fessionalismus, wohl aber »zu einer Neubewertung der Kirchlichkeit der Dogmatik gegenüber der in der li-
beralen Theologie einseitig betonten Öffentlichkeit und Weltlichkeit der Theologie. Damit entspricht Lind-
becks Anliegen in der Tat in vieler Hinsicht auch einem Grundanliegen, welches Joseph Ratzinger immer
wieder geltend macht: das Wir der Kirche als Subjekt des Glaubens und der Theologie«. W. KASPER: Post-
moderne Dogmatik?, S. 302.
181 Vgl. G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 129. Ob diese Wissenschaften jedoch nur als Hilfsdiszip-
linen der Theologie zuarbeiten dürfen oder ob sie als gleichberechtigte Gesprächspartner akzeptiert werden,
bleibt bei Lindbeck (wohlweislich?) offen.
182 Vgl. R. N. BELLAH: Christian Faithfulness in a Pluralist World, S. 75, 89. Ähnlich auch: M. ROOT: Truth,
Relativism, and Postliberal Theology, S. 178-180.
183 Vgl. dazu: T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 144-145.
184 Vgl. G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 49, 130; J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 14-
16. Lindbeck behauptet allerdings nicht die prinzipielle Inkommensurabilität verschiedener Sprachspiele,
sondern lediglich die Möglichkeit der Inkommensurabilität: »In short, the cultural linguistic approach is
open to the possibility that different religions and/or philosophies may have incommensurable notions of
truth, of experience, and of categorical adequacy«. G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine, S. 49 (Hervor-
hebungen: M. S.).
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 285

hen: Für Lyotard ist die Suche nach Konsensen aufgrund der Inkommensurabilität der ver-
schiedenen Sprachspiele ein von vornherein aussichtsloses Unternehmen, und für Lindbeck
folgt aus der Inkommensurabilität der religiösen Erfahrungen, daß diese nur innerhalb des
sprachlichen Rahmens einer bestimmten religiösen Gemeinschaft adäquat verstanden werden
können.185 Das Problem beider Theorien besteht aber darin, daß ihre Skepsis hinsichtlich der
Kommensurabilität der verschiedenen Sprachspiele einen fruchtbaren hermeneutischen An-
satz zum Verständnis anderer Überzeugungen nicht gerade fördert.186 Gegen die damit dro-
hende Gefahr einer Isolierung und des Rückzugs in die Grenzen des eigenen partikularen
Sprachspiels muß Lindbeck und Lyotard die Frage gestellt werden, ob es nicht fruchtbarer
wäre, mehr Vertrauen in die Übersetzbarkeit von Erfahrungen und die Erreichbarkeit eines
Konsenses zu setzen und ob nicht zumindest der Versuch gemacht werden sollte, in Dialog-
konzeptionen – wie denen von Habermas, Welsch oder auch Tracy – nach Verständigung und
Übereinkunft zu suchen, statt die Möglichkeit eines Konsenses in strittigen philosophischen,
ethischen oder politischen Fragen a priori auszuschließen (Lyotard) oder die Unübersetzbar-
keit religiöser Erfahrungen einfach zu postulieren (Lindbeck).

»Aisthesis« als Grundlage postmoderner Theologie?


Mit zeitdiagnostischer Sensibilität nimmt Hermann Timm den gegenwärtigen Sinnenwandel
wahr, denn seit Schamanen aus Sibirien »Kurse über körperloses Fliegen« halten, Indianer-
häuptlinge »ökologischen Animismus« predigen und Medizinmänner lehren, »was Heilung
mit Heil zu tun hat«, beginnen auch die theologischen »Laien« wieder, »sich auf eigene Faust
der spirituellen Ressourcen anzunehmen«.187 Und weil sich mit dem Historischwerden der
Religionskritik auch das Loyalitätsgefühl gegenüber der modernen akademischen Theologie
und Religionswissenschaft, die einst als Antwort auf die moderne Religionskritik entworfen
worden waren, erledigt hat, soll nun – so Timm – die Theologie zu einer ästhetischen Wissen-
schaft werden, die das Religiöse und das Heilige ästhetisch reinszeniert.188 Denn nachdem
sich das Interesse von der Erkenntniswahrheit auf die Lebenswahrheit verlagert hat, ist heute
eine Erweiterung des Religiösen über das bloß Kognitive und Moralische hinaus gefordert:
Statt »gotteskundlicher Letztbegründung« wird von der Theologie »aisthesis«, unmittelbare
Erfahrung im »Sinnenkosmos des Ästhetischen«, »Geistes-Gegenwart«, »sinnvolles Hiersein«
erwartet.189
Timm trifft mit seiner Beschreibung des gegenwärtigen Sinnenwandels sicher eine weit
verbreitete Stimmungslage innerhalb der westlichen Kultur, doch es fragt sich, ob diese Ten-

185 Vgl. J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 190-191; G. A. LINDBECK: The Nature of Doctrine,
S. 129-130.
186 Wolfhart Pannenberg hat an Wittgenstein kritisiert, daß in dessen Sprachspieltheorie das »hermeneutische
Problem« unberücksichtigt bleibt, denn nach Wittgenstein versteht man nur, »wenn man an dem betreffen-
den Sprachspiel schon teilnimmt, an der Lebensform partizipiert, in der die Sprache so gebraucht wird«
(W. PANNENBERG: Wissenschaftstheorie und Theologie, S. 182). Und weil auf dieser Voraussetzung auch
Lyotard und Lindbeck aufbauen, wird der Prozeß einer möglichen Verständigung über die Sprachspielgren-
zen hinweg auch bei ihnen zu keinem zentralen Thema.
187 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 15.
188 Vgl. a.a.O., S. 15-16.
189 A.a.O., S. 12-13, 16.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 286

denzen wirklich das gegenwärtige Kulturbewußtsein dominieren: So wird zwar auch von der
philosophischen und soziologischen Postmoderne-Diskussion her eine Erschöpfung der mo-
dernen atheistischen Religionskritik deutlich,190 doch kann daraus wohl kaum gefolgert wer-
den, daß sich alle Anfragen der Religionskritik einfach erledigt hätten. Die Diagnose einer
Wiederkehr des Religiösen und Spirituellen im weitesten Sinne ist zwar ebenfalls ein Indiz für
eine Schwerpunkt- und Interessenverlagerung, aber noch kein Argument für das »Historisch-
werden der Religionskritik«. Außerdem muß in diesem Zusammenhang an Timm die Frage
gestellt werden, ob er mit seiner Analyse der »Reinszenierung des Heiligen« nicht die
gegenläufige Tendenz einer zunehmenden religiösen Indifferenz völlig ausblendet, denn
neben einer verstärkten Nachfrage nach Spiritualität läßt sich – dies wurde oben schon
deutlich – auch gleichzeitig eine wachsende Distanz und Gleichgültigkeit gegenüber
religiösen Angeboten beobachten.191
Hinsichtlich der theologischen Folgerungen, die Timm aus seiner Gegenwartsanalyse
zieht, stellt sich primär die Frage, ob aus der – wohl berechtigten192 – Kritik an der Vernach-
lässigung der ästhetischen Dimensionen christlichen Glaubens in der modernen Theologie die
Forderung abgeleitet werden kann, den Schwerpunkt theologischer Arbeit von der gotteskund-
lichen Letztbegründung auf eine anthropokosmologische Reinszenierung des Heiligen zu ver-
lagern. Timms Anliegen einer Erweiterung des Religiösen über das bloß Kognitive und Mora-
lische hinaus verdient durchaus Unterstützung, doch es bleibt fraglich, ob »ästhetisches, kos-
moästhetisches Denken« als dritte »Reflexionskultur« neben dem »Dogmatischen und Ethi-
schen« wirklich die geeignete Antwort der Theologie auf die Herausforderungen der Postmo-
derne-Diskussion sein kann:193 Denn eine Theologie, die das »ästhetisch-religiöse Themensor-
timent« als »dominant und obligatorisch« betrachtet,194 läuft nicht nur Gefahr, die beiden an-
deren theologischen Diskurse zu marginalisieren, sondern auch ihr kritisches und propheti-
sches Potential zugunsten einer bloß ästhetischen Theologie zu verspielen, die darum unver-
bindlich zu bleiben droht, weil die dogmatischen und ethischen Sachprobleme ästhetisch ü-
berspielt werden.

6. Die Kritik der »ganzheitlichen« Postmoderne-Konzeptionen


Wie in der philosophischen Postmoderne-Diskussion wenden sich auch diejenigen theologi-
schen Entwürfe, die das Stichwort »Ganzheitlichkeit« aufnehmen, gegen den als einseitig kri-
tisierten Erfahrungs- und Vernunftbegriff der modernen Wissenschaft, welche die religiöse
Dimension menschlicher Erfahrung aus ihrem Weltverständnis ausklammert. Primäres Inte-
resse der philosophischen wie der theologischen Postmoderne-Konzeptionen ist dann auch die
Versöhnung von wissenschaftlicher Rationalität und religiöser Erfahrung und die Entwicklung

190 Vgl. Erster Hauptteil, V. 6-7.


191 Vgl. dazu das unter Punkt 3 in diesem Kapitel Ausgeführte.
192 So etwa auch: R. BOHREN: Glaube und Ästhetik; S. 1; A. GRÖZINGER: Praktische Theologie und Ästhetik,
S. 16-26; A. GRÖZINGER: Es bröckelt an den Rändern, S. 126-142; E. VON WEDEL: Die vergessene Kultur,
S. 54-63; R. VOLP: Lebenskunst und Kunstbetrieb, S. 66-76.
193 H. TIMM: Das ästhetische Jahrzehnt, S. 111.
194 A.a.O., S. 12.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 287

eines »ganzheitlichen« Verständnisses von Welt und Mensch. Darüber hinaus verstehen sich
diese (philosophischen wie theologischen) Postmoderne-Konzeptionen als Opposition gegen
die dekonstruktiven und relativistischen Postmoderne-Programme, die – so die Kritik – nicht
nur die Prämissen des modernen Denkens zu ihrem relativistischen und nihilistischen Ende
führen, sondern auch die moderne Zersplitterung, Entfremdung und Fragmentierung des mo-
dernen Menschen wie der modernen Gesellschaft verschärfen.

Die Abhängigkeit der Prozeßtheologie von der Metaphysik Whiteheads


Nach Einschätzung des amerikanischen Theologen Leonard Sweet hat die Prozeßtheologie in
den USA (ebenso wie in Europa) nur ein relativ geringes Echo gefunden.195 Spricht dies an
und für sich noch nicht gegen die Prozeßtheologie, so weist dieser Sachverhalt doch auf eine
fundamentale Schwierigkeit der Prozeßtheologie hin: auf ihre Abhängigkeit von der spekula-
tiven, neuhegelianischen Metaphysik Alfred North Whiteheads.196 So führt dann Whiteheads
Unterscheidung der zwei Naturen Gottes, der »Urnatur« (in der die »Kreativität einen uran-
fänglichen Charakter« erlangt) und der »Folgenatur« (die »konsequent aus dem kreativen Fort-
schreiten der Welt« folgt),197 David Griffin zu der Annahme eines universalen evolutiven
Kreativitätsprozesses, in welchem Gott dann als letzte Aktualisierung der kreativen Energie,
die in allen Dingen wirkt, verstanden wird.198 Und aus Whiteheads Begriff »prehension«199
folgert Griffin den »panexperientialism«, die Annahme einer alles einschließenden göttlichen
Erfahrung in der Natur und die Annahme eines vor- oder nicht-sinnlichen Wahrnehmungs-
vermögen des Menschen, das wiederum Voraussetzung der Annahme einer allen Menschen
gemeinsamen religiösen Erfahrung ist.200
Ein weiteres Problem der Adaption des Prozeßdenkens, wie es Cobb und Griffin präsen-
tieren, besteht für die Theologie darin, daß die Prozeßtheologie sich selbst nicht in erster Linie
als christliche Theologie versteht, sondern als philosophische Theologie, die sich auf keine
spezielle Offenbarung oder Tradition beruft, sondern eine möglichst breite Aufnahme religiö-
sen Gedankengutes affirmiert und die für möglichst viele Religionen nachvollziehbar sein
soll.201 Auf dem »unvorstellbar weiten Feld von Ereignissen«202 droht aber in der Prozeßtheo-

195 Dies gilt nach Leonard Sweet nicht so sehr für die Universitätstheologie, sondern in erster Linie für die
kirchliche Theologie, auf die die Prozeßtheologie kaum Auswirkungen gehabt habe. L. I. SWEET: Straddling
Modernism and Postmodernism, S. 160.
196 Karl Popper hat an Whiteheads Philosophie kritisiert, daß sie sich – wie alle spekulativen neuhegelianischen
Philosophien – der »dogmatischen Methode« bedient, das heißt, sie stellt eine »Philosophie ohne Argumen-
te« dar: »Wir können sie annehmen oder ablehnen. Aber wir können sie nicht diskutieren«. K. POPPER: Die
offene Gesellschaft und ihre Feinde, S. 291. Darauf, daß Whitehead seine Philosophie selbst als eine speku-
lative Metaphysik verstanden hat, weist Ingolf Dalferth hin. Vgl. I. U. DALFERTH: Die theoretische Theolo-
gie der Prozeßphilosophie Whiteheads, S. 127. Vgl. zur Kritik an Whiteheads Gottesbegriff auch: H. KÜNG:
Existiert Gott?, S. 206-211; M. WELKER: Universalität Gottes und Relativität der Welt, S. 130-137.
197 A. N. WHITEHEAD: Prozeß und Realität, S. 614, 616.
198 Vgl. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 4-5, 41, 79, 143.
199 A. N. WHITEHEAD: Process and Reality, S. 27-28.
200 Vgl. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 4-5.
201 Vgl. J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 209; D. R. GRIFFIN: God and Religion in the
Postmodern World, S. 8-9. »Die Prozeßtheologie ist eine philosophische Theologie«. J. B. COBB, JR. –
D. R. GRIFFIN: Prozess-Theologie, S. 159.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 288

logie das Christusereignis als ein Ereignis unter die unendliche Anzahl anderer Ereignisse
subsumiert zu werden. Cobb und Griffin, die sich dieser Gefahr allerdings bewußt sind, wei-
sen deswegen darauf hin, daß es auch im Rahmen der Prozeßtheologie möglich ist, Jesus als
die entscheidende Offenbarung Gottes an die Menschen zu verstehen: Zum einen kommt in
»Jesu authentischen Reden« »eine Existenz zum Ausdruck, die das Göttliche nicht als ein An-
deres erlebt«, und zum anderen wird die »Wirksamkeit Christi« in uns erhöht, »wenn wir Je-
sus als Gottes entscheidende Offenbarung annehmen und daher Gott als schöpferisch-
erwidernde Liebe denken«.203
Das Problem der Prozeßtheologie – darin wird man wohl Ted Peters zustimmen müssen –
besteht jedoch darin, daß Whitehead selbst sein Gottesverständnis ohne Bezug zur christlichen
Offenbarung konstruiert hat und dieses Gottesbild darum auch ein rein philosophisches Got-
tesbild bleibt, das allein zur Abstützung seines metaphysischen Systems dient und nicht, um
auf die Gnade Gottes, wie sie sich in dem Sterben und der Auferstehung Jesu Christi offenbart
hat, hinzuweisen.204 Die Prozeßchristologien – so Peters weiter – haben darum das Problem,
daß sie wie unnötige Anhänge an einem schon vollendeten metaphysischen System wirken.205
Von daher wäre mit Michael Welker zu fragen, ob es nicht fruchtbarer wäre, statt eine Fusion
von Whiteheads Kosmologie und christlicher Theologie voranzutreiben, die erstens zu einer
Überforderung von Whiteheads Theorie und zweitens zu einer Verkürzung der theologischen
Rede von Gott führt, der Kosmologie Whiteheads eine »begrenzte Funktion« in der theologi-
schen Arbeit einzuräumen, um der »Verkümmerung sachgemäßen kosmologischen Denkens
in der Theologie entgegenzuwirken«.206

Theologische Bedenken gegen den »natürlichen Theismus«


Gegen die allzu harsche Kritik Carl Raschkes, Griffins »natürlicher Theismus« sei nur wenig
mehr als ein Wortgeklingel für eine Art »New-Age Utopie«, angereichert mit dem »Öko-
Mystizismus« der kalifornischen Gegenkultur der späten sechziger Jahre,207 müssen doch
Griffins Intentionen zunächst klar gesehen werden: Das exklusive, rationalistische und in-
strumentalistische Weltbild der Moderne, das zur Ausbeutung und Zerstörung der Natur ge-
führt hat, soll durch einen »natürlichen Theismus« überwunden werden, der das Ziel der
Menschheit nicht in einer Beherrschung der Natur – wie der moderne Materialismus – sieht,
sondern in einer friedlichen Koexistenz und Symbiose aller Kreaturen.208 Gegen dieses Unter-
nehmen dürfte kaum etwas einzuwenden sein, und in der Tat ermöglicht Griffins »natürlicher

–––––––––––––––––––––––––––
202 J. B. COBB, JR.: Theologie in den Vereinigten Staaten, S. 210.
203 J. B. COBB, JR. – D. R. GRIFFIN: Prozess-Theologie, S. 104.
204 Vgl. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 295. Ähnlich auch Ingolf Dalferth: »Erst ihre Theorie der
Welt nötigt die Prozeßphilosophie zu ihrer Theorie Gottes. Wie bei Aristoteles ist daher auch bei Whitehead
die theoretische Theologie eine systematisch notwendige Konsequenz der Kosmologie. Zum anderen aber
nötigt der kosmologische Gebrauch von Whiteheads Selbstreferenz-Metaphysik nicht etwa zur Rede von
Gott, sondern zum Rekurs auf ein Prinzip, das er Gott nennt«. I. U. DALFERTH: Gott, S. 172.
205 Vgl. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 295.
206 M. WELKER: Universalität Gottes und Relativität der Welt, S. 201.
207 C. A. RASCHKE: Fire and Roses, S. 676, 680.
208 Vgl. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 8, 47.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 289

Theismus«, den ganzen Kosmos als friedliches Miteinander aller Kreaturen zu denken. Doch
das Problem von Griffins Metaphysik besteht in deren hypothetischer Begründungsstruktur –
in der Annahme einer »theistischen Evolution« und in der Idee des »panexperientialism«, ei-
ner alles einschließenden göttlichen Erfahrung in der Natur –, denn die meisten Theologen
zeigen sich gegenüber dem Versuch, Gott in der natürlichen Welt zu lokalisieren, ebenso
skeptisch wie die meisten Naturwissenschaftler.209 William Dean hat darum gegenüber Griffin
geltend gemacht, daß sich das moderne, naturwissenschaftliche Weltbild, das nicht von einer
alles lenkenden, kreativen Kraft in der Natur ausgeht, nicht so einfach von einer spekulative
Metaphysik ablösen läßt wie sich auch umgekehrt metaphysisch-religiöse Behauptungen nicht
einfach durch naturwissenschaftliche Ergebnisse absichern lassen.210 So vermag dann auch
Griffins Unternehmen, die Ergebnisse der Evolutionstheorie und der modernen Naturwissen-
schaften aus dem Rahmen des mechanistischen Weltbildes herauszulösen, um sie dann in den
Rahmen eines »natürliches Theismus« wieder einzubauen, weder naturwissenschaftlich noch
theologisch zu überzeugen. Gegenüber Griffins Versuch, die negativen Folgen wissenschaftli-
cher und technologischer Modernisierungsprozesse durch eine spekulative Metaphysik zu
überwinden, wäre theologisch zu fragen, ob sich nicht von der christlichen Schöpfungstheolo-
gie her Perspektiven für ein verändertes Verhältnis von Mensch und Natur entwickeln lassen,
ohne daß dabei auf ein problematisches philosophisches System zurückgegriffen werden müß-
te.
Für die christliche Theologie ergeben sich aus Griffins »christlich-natürlicher Theologie«
zudem Schwierigkeiten sowohl hinsichtlich der Trinitäts- und Gotteslehre als auch der
Christologie: Die Idee einer universalen, alles umfassenden, kreativen Energie, die das grund-
legende Prinzip und die »letzte Wirklichkeit« (»ultimate reality«) in allen Dingen ist, wird
Gott vorgeordnet, der hier nicht mehr als der alleinige Besitzer kreativer Macht gesehen wird,
sondern als »letzte Aktualität« (»ultimate actuality«) dieser kreativen Energie.211 Der biblische
Gott, der nach alttestamentlichem Zeugnis der Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs ist und der
sich nach dem Zeugnis des Neuen Testaments endgültig in Jesus Christus offenbart hat, droht
bei Griffin – aufgrund seiner prozeßphilosophischen Prämissen – zu einem kosmischen Prin-
zip umgedeutet zu werden: Gott wird dann als die ultimative Aktualisierung der kosmischen
Kreativität verstanden, die sich allerdings in ganz besonderer Weise im Leben des Menschen
Jesus von Nazareth manifestiert hat – jedoch nicht in einem metaphysischen oder ontologi-
schen Sinn, denn Griffin betont, daß der »natürliche Theismus« Jesus nicht als zweite Person
der Trinität auf Erden denken kann und deshalb die Offenbarung Gottes in Jesus vielmehr in
seiner Verkündigung suchen muß.212 Auch wenn Griffin von daher Jesus als die »höchste In-
karnation« (»supreme incarnation«) und »entscheidende Offenbarung« (»decisive revelation«)
Gottes bestimmen kann,213 ist die Christologie doch nicht ein konstitutives Element von Grif-

209 Vgl. W. DEAN: David Ray Griffin: God and Religion in the Postmodern World, S. 211.
210 Vgl. ebd.
211 Vgl. D. R. GRIFFIN: God and Religion in the Postmodern World, S. 41.
212 Vgl. a.a.O, S. 10, 142. »A naturalistic christology could not describe Jesus as a second person of trinity in a
human body or, less crudely, as in any manner involving a divine mode of presence or agency that differed
metaphysically from that in all other people. Such an interruption of the normal God-world relation is pre-
cisely what naturalistic theism rules out«. A.a.O., S. 10.
213 A.a.O., S. 142.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 290

fins »natürlichem Theismus«, sondern – dies sieht Ted Peters zutreffend214 – ein nicht-
notwendiges Supplement seiner philosophischen Theologie.

Die Befreiungstheologie: Postmodern?


Für Harvey Cox ist das Wiederaufleben der Religion das Hauptkennzeichen der Postmoderne.
Doch während der Fundamentalismus als Revolte gegen die Moderne angesehen werden muß,
geht die Befreiungstheologie über die moderne liberale Theologie hinaus, indem sie die Tren-
nung zwischen Religion und Politik und den radikalen Individualismus durch ein gemein-
schaftliches, ganzheitliches Verständnis des Heils überwindet.215 Cox’ Definition der postmo-
dernen Theologie als Befreiungstheologie geht jedoch nach Ted Peters und David Griffin
deswegen fehl, weil die modernen Konzepte der »Befreiung« und der »Emanzipation« von
Cox lediglich erweitert werden.216 Zwar bestreiten auch Peters und Griffin nicht, daß von der
Befreiungstheologie einige wichtige Impulse – vor allem von ihrem basiskirchlichen Ver-
ständnis der christlichen Gemeinde – für eine postmoderne Theologie ausgehen, doch die Be-
freiungstheologie verdankt ihre grundlegenden Intentionen den unverkennbar modernen Ideen
der Gleichheit, der Freiheit und der Brüderlichkeit, und ihr System ist zu einem nicht geringen
Teil von den modernen sozialistischen Theoriebildungen beeinflußt.217 Die bloße Existenz
von Basisgemeinden in Lateinamerika oder anderswo zeugt auch noch nicht eo ipso von ei-
nem »postmodernen« Bewußtsein, denn – so Ted Peters – die kommunitären Formen dieser
Basisgemeinden entspringen zu einem Großteil der langen Tradition monastischen Lebens.218
Die Befreiungstheologie, die die politische Abstinenz westlicher Theologie ebenso kritisiert
wie deren Individualismus219, kann sehr wohl – darin ist Cox recht zu geben – als Korrektiv
zu einer westlichen, weißen, universalistischen und nur auf den einzelnen Menschen bezoge-
nen Theologie angesehen werden, kaum aber als die »postmoderne« Theologie schlechthin.
Verwirrend sind Cox’ Äußerungen hinsichtlich der modernen, liberalen, universalen, wei-
ßen, westlichen und männlichen Theologie, die er gegen eine postmoderne, partikulare, regio-
nale, dezentralisierte und solidarische Theologie ausspielt: Auf der einen Seite fordert er eine
»Demodernisierung« des Christentums, die er vor allem in einer Umorientierung vom Geist
zum Leib sieht, auf der anderen Seite aber sollen die Errungenschaften der liberalen Theologie
(Geschichtsbewußtsein, kritische Sensibilität und begriffliche Klarheit) nicht über Bord

214 Vgl. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 295.


215 Vgl. H. COX: Religion in the Secular City, S. 210-215; H. COX: Theologien für eine postmoderne Welt,
S. 187-188.
216 Vgl. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 221; D. GRIFFIN: Postmodern Theology as Liberation
Theology, S. 92.
217 Vgl. dazu: B. KERN: Theologie im Horizont des Marxismus; P. ROTTLÄNDER (Hrsg.): Theologie der Befrei-
ung und Marxismus.
218 T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 225. Peters weist hier darauf hin, daß Cox’ Paradebeispiel, die
Kommune Ernesto Cardenals, sich zunächst ganz in der Tradition der monastischen Lebensweise befand, bis
die politischen Dringlichkeiten dieses friedvolle Inselleben unterbrochen haben.
219 Vgl. zur individualistischen »Umdeutung« evangelischer Freiheit im Rahmen des modernen Protestantismus:
W. HUBER: Der Protestantismus und die Ambivalenz der Moderne, S. 57-65.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 291

Bord geworfen werden.220 Doch wie diese beiden Ansätze zu einer fruchtbaren Synthese fin-
den sollen, bleibt weitgehend offen. Vor allem stellt sich jedoch in diesem Zusammenhang die
Frage, ob sich eine postmoderne Theologie im Hinblick auf die zunehmenden wissenschaftli-
chen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Globalisierungstendenzen mit Partikularität
und Regionalität begnügen kann oder ob nicht der Schwerpunkt vielmehr auf weltweite öku-
menische Lern- und Verständigungsprozesse gelegt werden müßte, vielleicht nach dem Vor-
bild der Ökumenischen Versammlung von Basel »Frieden in Gerechtigkeit für die ganze
Schöpfung«.221 Einem solchen ökumenischen Prozeß könnte die Befreiungstheologie gewiß
wichtige Impulse geben, und so wäre dann an Cox die Frage zu richten, ob es nicht lohnender
wäre, den Beitrag der Befreiungstheologie zu einem postmodernen Paradigma von Theologie
präzise herauszuarbeiten, statt die Befreiungstheologie zur postmodernen Theologie schlecht-
hin zu erklären.

Christliche Theologie als Rahmen eines ganzheitlichen Lebensmodells


Das grundlegende Problem der Moderne sieht der Lutheraner Ted Peters darin, daß im Welt-
bild der Moderne eine bedeutungsvolle Einheit von Mensch und Welt verloren gegangen ist:
Das menschliche Subjekt wird als autonomes Selbst gedacht, das nur in sich selbst gründet,
während die Natur, der ganze Kosmos, als gottlos oder gar sinnlos verstanden wird.222 Für die
Theologie folgert Peters daraus, daß die in der Moderne vernachlässigte kosmische Dimension
des christlichen Glaubens neu zur Geltung gebracht werden muß: Ähnlich wie Cox fordert
Peters eine Schwerpunktverlagerung von einem individualistischen Heilsverständnis – das
allerdings keineswegs aufgehoben, sondern vielmehr erweitert werden soll – zu einem umfas-
send-ganzheitlichen Heilsverständnis.223
Dabei greift Peters auf den neutestamentlichen Begriff der Königsherrschaft Gottes zu-
rück, dem er eine entscheidende Bedeutung zumißt: Das Symbol des Gottesreiches kann als
ganzheitlicher Rahmen des christlichen Glaubens interpretiert werden, denn der göttliche
Heilsplan zielt nach dem Neuen Testament auf die universelle kosmische Vollendung und die
Integration aller Menschen in diesen Prozeß. Quelle, Kraft und Norm dieses Prozesses ist das
Evangelium von Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn, der jedem von
uns versprochen ist, für unsere Zukunft und für die Zukunft des ganzen Kosmos. Symbolisiert
auch das Kreuz die Gebrochenheit zwischen Gott und Mensch, so ist doch der auferstandene
Christus Symbol der wahren versöhnten Ganzheit. Im Glauben an diesen auferstandenen
Christus gewinnt der Mensch An-teil an diesem neuen ganzheitlichen Leben.224
Der große Vorteil von Peters’ »ganzheitlicher« Interpretation des christlichen Glaubens
besteht darin, daß er sich nicht von den Zwängen bestimmter philosophischer Systeme abhän-

220 Vgl. H. COX: Religion in the Secular City, S. 21, 209, 268. Auch David Griffin beklagt die Inkohärenz von
Cox’ Postmoderne-Programm. Vgl. D. R. GRIFFIN: Postmodern Theology as Liberation Theology, S. 85-92.
221 Vgl. KIRCHENAMT DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hrsg.): Frieden in Gerechtigkeit für die
ganze Schöpfung, S. 36-48, 71-78.
222 Vgl. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 221.
223 Ähnliche Intentionen verfolgen auch: W. NETHÖFEL: Theologische Hermeneutik, S. 248; M. FOX: Vision
vom Kosmischen Christus, S. 193-231.
224 Vgl. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 296; T. PETERS: Toward 2010, S. 178.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 292

gig macht, sondern auf dem Hintergrund der dogmatischen Tradition das umfassende Ver-
ständnis des christlichen Heilsgedankens vor einem »postmodernen« Bewußtseinshorizont
neu zur Sprache zu bringen versucht. Doch es stellt sich die Frage, worin eigentlich das
»postmoderne« dieses Ansatzes besteht, denn die Dogmatik hat immer an der umfassenden,
kosmischen Dimension des Heils festgehalten, auch wenn diese Dimension in der Reformati-
on und der ihr nachfolgenden Tradition zugunsten eines eher individualistischen Heilsver-
ständnisses zurückgetreten sein mag. Peters weist damit auf eine vielleicht vernachlässigte
Dimension moderner Theologie hin, doch sagt er damit kaum etwas grundlegend Neues. Dies
ist allerdings auch nicht unbedingt Peters’ Anspruch, geht es ihm doch nicht darum, das Was-
ser der Taufe über die Postmoderne zu schütten, sondern darum, aufrichtig danach zu fragen,
welche neuen Akzente sich für die theologische Arbeit aus den gegenwärtigen Bewußtseins-
veränderungen ergeben, um von daher neue Perspektiven für die Auslegung des Evangeliums
zu gewinnen.225

Eine »kritisch ökumenische Theologie« als Paradigma postmoderner Theologie


Für Küng ist Postmoderne kein ästhetischer oder philosophischer, sondern ein welthistorischer
Begriff, der eine Veränderung der globalen Gesamtkonstellation anzeigt, die »Ausdruck eines
tiefgreifenden Epocheneinbruchs ist, der bereits mit dem Ersten Weltkrieg einsetzte«.226 Das
heraufkommende Zeitalter der Postmoderne sieht er dabei vor allem durch eine
postkolonialistische, postimperialistische und postindustrielle Weltgesellschaft, eine
postkapitalistische und postsozialistische Wirtschaftsordnung, eine öko-soziale
Marktwirtschaft, eine postideologische, im umfassenden Sinne pluralistische Kultur und
durch eine postkonfessionelle und multireligiöse ökumenische Weltgemeinschaft
charakterisiert.227 Aufgrund dieses (welt-)historisch orientierten Postmoderne-Begriffs kommt
es Küng – wie Peters – auch nicht so sehr auf die Entwicklung einer post-modernen
Theologie, die sich dezidiert von der modernen Theologie absetzt, an, sondern auf eine
Theologie, die den veränderten globalen Rahmenbedingungen der postmodernen
Gesamtkonstellation Rechnung trägt: eine kritische ökumenische Theologie, die sich bei aller
ökumenischen Weite beständig auf die biblische Botschaft, das Evangelium von Jesus
Christus, das stets der Maßstab aller Theologie sein muß, konzentriert, eine Theologie in
»evangelischer Katholizität«, die zugleich »traditionell« und »zeitgenössisch«, »christozen-
trisch« und »ökumenisch«, »theoretisch-wissenschaftlich« und »praktisch-pastoral« ist.228
Unabhängig davon, ob nun wirklich alle der von Küng genannten Parameter die postmo-
derne Situation bestimmen oder nicht, können Küngs Forderungen an eine Theologie, die den

225 »Our task is not simply to throw baptismal water over postmodernity and use it to chastise and scold every
previous school of thought as not having arrived at our avant garde level of authentic understanding. Let us,
by all means, avoid the temptation to the proud arrogance of the first child in the neighborhood to get the
envied new toy. But, with some humility, we must ask honestly what new accents the new consciousness is
offering which draw us toward new insight. Then, conserving and enhancing the treasures bequeathed us by
the premodern and modern past, we must seek new directions for the explication of the Christian evangel of
our time«. T. PETERS: Toward Postmodern Theology, S. 296-297.
226 H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 20.
227 Vgl. H. KÜNG: Religion im Epochenumbruch, S. 69-76; H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 40-41.
228 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 102, 207, 248.
IV. Kritik der theologischen Postmoderne-Diskussion 293

veränderten Rahmenbedingung der Postmoderne Rechnung trägt, als durchaus richtungswei-


send angesehen werden: Gegen alle fundamentalistischen und traditionalistischen Widerstän-
de erfordert die postmoderne Situation eine umfassende Theologie, die sich dem ganzen heu-
tigen »Erfahrungshorizont« stellt, die ihre »Gettomentalität« ablegt und die in »größtmögli-
cher Toleranz gegenüber dem Außerkirchlichen« die »Herausarbeitung des spezifisch Christ-
lichen« betreibt, die die religiöse Pluralität ernstnimmt und die Herausforderung der anderen
Religionen annimmt, die den »interreligiösen Dialog auf allen Ebenen und in allen Formen«
praktiziert, um zu einer »konstruktiven Proexistenz« und »friedenstiftenden Kooperation« der
Religionen zu gelangen, und die einen intensiven Dialog mit anderen Wissenschaften und – so
weit wie möglich – auch mit Literatur und Kunst führt.229
Grundlage dieser theologischen Aufgabenbestimmung ist Küngs hermeneutisches Mo-
dell, das er im Anschluß an Paul Tillichs »Methode der Korrelation«230 und Tracys Methode
der »wechselseitig kritischen Korrelation« entwickelt und in dem er die »wesentlichen Struk-
turen eines neuen Paradigmas von Theologie« sieht.231 Doch im Unterschied zu Tracys
»wechselseitig kritischer« Konkretisierung der zwei Konstanten bestimmt Küng die erste
Konstante als den »Horizont« der Theologie (die »gegenwärtige Erfahrungswelt in all ihrer
Ambivalenz, Kontingenz und Veränderlichkeit«), die zweite Konstante (die »christliche Bot-
schaft«, »das Evangelium«, »Jesus Christus selber«) aber als »Grundnorm einer kritischen
ökumenischen Theologie«.232
Diese Definition der zwei Konstanten ist jedoch nicht ganz unproblematisch: Tracy gibt
zu bedenken, daß das »Evangelium« (oder »Jesus Christus selber«) als Kriterium nicht unmit-
telbar zur Verfügung steht, sondern immer schon durch die erste Konstante bestimmt und
deswegen auch schon immer in den »Konflikt der Interpretationen« involviert ist.233 Küng
sieht freilich dieses Problem und setzt deswegen auf die historisch-kritische Interpretation des
Christuszeugnisses: »Mitte der Schrift, die christliche Botschaft, das Evangelium ist in Person
er selber – der von der ersten Christengemeinde als der Christus erfahrene und im Neuen
Testament ursprünglich bezeugte lebendige Jesus, wie er steht für Gott und Mensch. Und
deshalb ist und bleibt für Christen das – heute historisch-kritisch zu interpretierende –
ursprüngliche Zeugnis von diesem Christus, also das Neue Testament, die normierende Norm
(›norma normans‹) für alle nachbiblische Tradition«.234 Auch wenn dieses Kriterium nur ein
hermeneutisches Kriterium, ein immer wieder durch Interpretation erst zu gewinnendes
Kriterium sein kann, so präzisiert Küng damit doch gegenüber Tracy das Verhältnis der zwei
Konstanten: »Denn wenn biblische und zeitgenössische Erfahrung sich fundamental
widersprechen, wenn uns zeitgenössische ›Erfahrungen‹ wie im Dritten Reich wieder einmal
von rechts (oder von links) einen ›Führer‹« oder »irgendeine politische ›Heilsbewegung‹
bescheren«, wenn die »kritische Korrelation« also die Gestalt einer »kritischen Konfrontation«
229 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 242; H. KÜNG: Projekt Weltethos, S. 169-171.
230 Vgl. Zweiter Hauptteil, I. 4.
231 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 206.
232 H. KÜNG: Paradigmenwechsel in der Theologie, S. 72, 75.
233 D. TRACY: Hermeneutische Überlegungen im neuen Paradigma, S. 94-98. Unabhängig von Tracy bestimmt
Eberhard Jüngel darum auch »das Evangelium von dem in Jesus Christus zur Welt gekommenen Gott« als
hermeneutisches Kriterium, an dem »sich jede auf Gott berufende Aussage wird messen lassen müssen«.
E. JÜNGEL: Anthropomorphismus als Grundproblem neuzeitlicher Hermeneutik, S. 131.
234 H. KÜNG: Theologie im Aufbruch, S. 151.
Zweiter Hauptteil: Die Diskussion um die Postmoderne in der Theologie 294

»kritische Korrelation« also die Gestalt einer »kritischen Konfrontation« annimmt, sollen die
»biblischen Erfahrungen« den Ausschlag »in den entscheidenden letzten und ersten Fragen des
Menschen und der Menschheit« geben.235

235 H. KÜNG: Paradigmenwechsel in der Theologie, S. 74-75.


Epilog:
Die bleibende Herausforderung der
Postmoderne-Diskussion
Das rasend-unbedachte Zersplittern und Zerfasern aller Fundamente, ihre
Auflösung in ein immer fliessendes und zerfliessendes Werden, das
unermüdliche Zerspinnen und Historisiren alles Gewordenen durch den
modernen Menschen, die grosse Kreuzspinne im Knoten des Weltall-Netzes –
das mag den Moralisten, den Künstler, den Frommen, auch wohl den
Staatsmann beschäftigen und bekümmern; uns soll es heute einmal erheitern,
dadurch dass wir dies alles im glänzenden Zauberspiegel eines
p h i l o s o p h i s c h e n P a r o d i s t e n sehen, in dessen Kopfe die Zeit über sich
selbst zum ironischen Bewußtsein, und zwar deutlich »bis zur Verruchtheit«
(um Goethisch zu reden), gekommen ist.
Friedrich Nietzsche, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

Vermutlich ist Paulus der erste Mensch, der prinzipiell in Eile lebte, weil es
ihm darauf ankam, in der vermeintlich kurzen Frist seinen universal verstan-
denen Missionsauftrag zu erfüllen. Im Inhalt der Mission liegt für ihn die um-
stürzende Neuheit jedes Lebens nach Christus. Wie weit die epochemachende
Gewalt dieses Einschnitts reicht, wird nicht zuletzt daran deutlich, daß auch
die gegenwärtigen Gerüchte von einer Postmoderne ohne die paulinische
Postantike gegenstandslos wären. Ohne den großen Wurf des Paulus gäbe es
kein Christentum als Weltreligion, und ohne dieses nicht die Periodisierung
der Geschichte, deren Auflösung heute die Gemüter bewegt.
Peter Sloterdijk, Eurotaoismus

»Postmoderne« – mehr als nur ein heuristischer Begriff?


Schon am Ende des Ersten Hauptteiles wurde die Frage nach dem Ertrag der Postmoderne-
Diskussion und dem Erklärungswert des Begriffs Postmoderne gestellt. Dabei wurde deutlich,
daß zwar ein weitgehender Konsens darin besteht, daß sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ein
fundamentaler Wandel in den Grundüberzeugungen der westlichen Kultur ereignet hat, daß
aber, weil diese Veränderungen sehr unterschiedlich bestimmt werden, auch ganz unterschied-
liche Konsequenzen daraus gezogen und eine Vielzahl divergierender Konzepte abgeleitet
werden, so daß sich der Begriff »Postmoderne« nicht mehr präzise bestimmen läßt und seine
Bedeutungen zunehmend verschwimmen oder sich sogar gegenseitig ausschließen.1 Im Rück-
blick auf die theologische Postmoderne-Diskussion kommt man zu einem ähnlichen Ergebnis:
Daß nach dem Ersten Weltkrieg mit der »dialektischen Theologie« und der Theologie Karl
Barths eine grundlegende Neuorientierung der Theologie einsetzte, die sich in deutlicher Ab-
grenzung zur Theologie des 19. Jahrhunderts vollzog, ist zumindest in der theologischen
Postmoderne-Diskussion nicht umstritten, doch wird dann zum einen die Frage nach den
Konsequenzen dieses Umbruchs sehr unterschiedlich beantwortet, und zum anderen ergeben
sich dadurch auch sehr unterschiedliche Perspektiven für die Theologie der Gegenwart.
Von daher stellt sich im Hinblick auf die gesamte Postmoderne-Diskussion die Frage, ob
»Postmoderne« wirklich mehr als ein heuristischer Begriff sein kann, der auf eine »Bestim-
mungskrise« verweist, »wo eine alte Signatur nicht mehr greift, eine neue aber noch nicht ein-
deutig in Sicht ist«.2 Der Vorteil des Begriffs »Postmoderne« gegenüber anderen Gegenwarts-

1 Vgl. dazu: Erster Hauptteil, V. 9.


2 W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 319.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 296

bezeichnungen (z. B. postindustrielle Gesellschaft, Freizeitgesellschaft, Infomationszeitalter


etc.) liegt sicher darin, daß dieser Terminus nicht nur einzelne Teilaspekte der Gegenwart be-
zeichnet, sondern – in der Auseinandersetzung mit und in der Abgrenzung zur Moderne –
darauf angelegt ist, partikulare Perspektiven zu überwinden und übergreifende Strukturen
sichtbar zu machen. Zugleich ist dieser Vorteil aber auch ein Nachteil: Die Weite verhindert
eine deutliche Profilierung, so daß Postmoderne zu einem Passpartout-Begriff wird, in dessen
Rahmen sich (fast) Beliebiges einordnen läßt. Und auch die Definitions- und Abgrenzungs-
versuche verschiedener Theoretiker der Postmoderne waren nur bedingt erfolgreich: So hat
zwar der publizistische Erfolg von Welschs Buch Unsere Postmoderne Moderne im deutsch-
sprachigen Raum für eine weitgehende Festlegung der Postmoderne- auf eine Pluralismus-
Diskussion gesorgt – weswegen auch die theologische Postmoderne-Diskussion in diesem
Raum fast ausschließlich von der Pluralismusthematik geprägt ist –, andererseits aber auch
eine Polarisierung und Polemisierung der Diskussion bewirkt, welche besonders deutlich an
der Pluralismuskritik Koslowskis abzulesen ist.3 Ebenso wird im englischen Sprachraum
immer noch über die Frage nach der »wahren« Postmoderne debattiert: Während die einen
»Postmoderne« nach wie vor mit der »Dekonstruktion« identifizieren oder sogar gleichsetzen,
wird diese von Charles Jencks nicht als »post«- sondern als »spät«-modern und von David
Griffin als »ultra«-modern bezeichnet.4
Nach den notwendigen Differenzierungen zur Frage der Möglichkeit einer sinnvollen Re-
de von Postmoderne am Ende des Ersten Hauptteiles5 und in Abgrenzung zu jeglichen exklu-
siven Besitzansprüchen auf den Begriff Postmoderne – die nur zu unsachlichen und polemi-
schen Debatten führen und die wohl in erster Linie diskursiven Machtinteressen dienen
dürften –, wird man zu dem Ergebnis kommen müssen, daß es für die Zukunft fruchtbarer sein
dürfte, sich auf die Sachthemen zu konzentrieren, anstatt sich in überhitzten Debatten um die
»richtige« Definition des Terminus Postmoderne zu streiten.6 Vor allem aber in der Theologie
ist wenig damit gewonnen, bestimmten Theologien (oder Theologen) das Etikett postmodern
aufzudrücken – oder zu verweigern –, denn schließlich sagt eine solche Etikettierung noch
nichts über die Qualität einer Theologie aus. Sinnvoller – und der Sache der Theologie ange-
messener – dürfte es dagegen sein, zunächst danach zu fragen, welche Herausforderungen sich
aus der Postmoderne-Diskussion für die Theologie und die kirchliche Praxis ergeben, um
dann in einem zweiten Schritt die Frage nach den möglichen Konsequenzen für Theologie und
Kirche zu stellen. Denn in der Postmoderne-Diskussion werden durchaus Themen erörtert, die
– das hat der Zweite Hauptteil gezeigt – für die Theologie von belang sind und über die die
Theologie nicht einfach hinwegsehen kann. Darum zum Schluß – als Rückblick und Ausblick
– einige zusammenfassende Stichpunkte zur bleibenden Herausforderung der Postmoderne-
Diskussion für die Theologie.

3 Vgl. dazu: Erster Hauptteil, IV. 3


4 Vgl. dazu: Erster Hauptteil, V. 9; Zweiter Hauptteil, II. 4.
5 Vgl. dazu: Erster Hauptteil, V. 8.
6 So auch Wolfgang Welsch: »Als unglücklich wurde der Terminus von Anfang an bezeichnet, als miß-
verständlich wurde er erwiesen, als verzichtbar dargetan. Man muß nicht auf den Ausdruck, sondern auf die
Sache achten.« W. WELSCH: Unsere postmoderne Moderne, S. 319.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 297

Die Herausforderung der Pluralismusdiskussion


Die große Anziehungskraft der philosophischen und soziologischen Pluralismusanalysen liegt
gewiß darin, daß sie eine überzeugende Darstellung der Situation in den westlichen Gesell-
schaften anbieten. Unbestreitbar ist, daß durch die »Plurireferentialität von Wirklichkeit«, die
Vielfalt individueller Orientierungsmuster und Weltanschauungen die Leitbilder des »guten
Lebens« immer vielfältiger und unbestimmter werden und daß es dadurch für das Individuum
auch immer schwierig wird, einen sinnhaften Lebenszusammenhang zu entwickeln und eine
eigene, nicht vorgegebene Identität aufzubauen.7 Und wohl kaum bestreitbar ist ebenfalls, daß
auf der institutionellen Ebene durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft die sozialen Bän-
der und Lebenswelten zerfallen und dadurch eine Atomisierung der Gesellschaft eintritt, die
eine kollektive Zielbestimmung schwierig macht.8 Die Herausforderungen, die sich aus dieser
Situation für Theologie und Kirche ergeben, liegen – das hat die theologische Pluralismusdis-
kussion gezeigt – zum einen darin, daß die christliche Religion »unnachgiebig in ein
Konkurrenzverhältnis hineingezogen«9 wird, theologische Wahrheitsansprüche »in den Be-
reich eines partikularen Sprachspiels verwiesen«10 werden und die religiöse und weltanschau-
liche »Monopolstellung des Christentums«11 unwiderruflich verloren geht, und zum anderen
darin, daß die Pluralismusdiskussion das Bewußtsein für den innerchristlichen Pluralismus,
die Vielfalt der christlichen Überlieferungen und Traditionen aber auch der gegenwärtigen
theologischen Positionen und deren kirchliche Ausprägungen schärft.12
Problematisch erscheint jedoch eine theologische Adaption der Postmoderne-Diskussion,
die sich bereitwillig der postmodernen Kritik der säkularen Moderne anschließt, um sich dann
entweder selbst als »Remedium vor den ungewollten Folgen des Projekts Aufklärung«13 zu
empfehlen oder um von der Prämoderne direkt in die Postmoderne überzuwechseln, weil man
ohnehin nie ein positives Verhältnis zur Moderne hat finden können.14 Die Theologie muß
sich dann des Verdachtes erwehren, daß sie die Postmoderne nicht um ihrer selbst willen ver-
teidigt, sondern – so der Philosoph Carl-Friedrich Geyer – »einen anderen (vormodernen)
Diskurs zu etablieren« versucht, um die Postmoderne von »hinten« aufzurollen: Die »Vertei-
diger traditionalen Christentums« »übertragen die These vom Verlust der Verbindlichkeit, ein
beliebtes postmodernes Etikett, einseitig auf die Überwindung der Vernunftvergottung, der

7 Vgl. F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 20-22.


8 Vgl. J. F. LYOTARD: Das postmoderne Wissen, S. 52-54.
9 TH. STEINIGER: Konfession und Sozialisation, S. 62.
10 Ebd.
11 W. CH. ZIMMERLI: Religion, Wissenschaft und Technik, S. 198.
12 Nach Peter Berger läßt sich der Pluralismus »als eine Herausforderung mit sehr positiven Möglichkeiten
betrachten«: »Er bietet die Gelegenheit, den Glauben als lebendige Möglichkeit neu zu erleben, in einer rei-
neren Form, wie sie in den Selbstverständlichkeiten einer traditionellen Ordnung eben nicht oder nur sehr
selten vorkommt«; und in der Auseinandersetzung mit Pluralismus »bietet sich uns die Gelegenheit, immer
wieder das Wagnis des Glaubens zu üben, aber auch die Freude zu erleben, daß der, an den wir glauben, in
all diesem Durcheinander immer schon da ist«. P. L. BERGER: Wenn die Welt wankt, S. 15.
13 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 188.
14 Symptomatisch für die letztere Gefahr sind die Versuche Reinhard Frielings, George William Rutlers und
Joe Hollands Papst Johannes Paul II. für postmodern zu erklären. Vgl. R. FRIELING: Der »postmoderne«
Papst, S. 1-2; G. W. RUTLER: Beyond Modernity, S. 190-208; J. HOLLAND: The Cultural Vision of Pope
John Paul II, S. 95.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 298

Diktatur des Allgemeinen, und sehen im Auseinandertreten des einen Diskurses in eine Viel-
zahl von Diskursen gerade auch eine Möglichkeit für den religiösen Diskurs, z. B. in der Ges-
talt der Theologie«.15 Hermann Krings hat gegenüber derartigen vor- und antimodernen Res-
taurationsbestrebungen betont, daß man erst dann postmodern werden wollen sollte, »wenn
man die Moderne (...) in einem Prozeß geistig-konstruktiver Auseinandersetzung und Aufar-
beitung realisiert hat«, denn der »Versuch, postmodern zu werden, lediglich um den üblen
Folgen einer desorientierten Moderne zu entgehen, wird scheitern«.16
Für Theologie und Kirche ergibt sich im Zusammenhang der Pluralismusdiskussion zu-
nächst die Frage, wie konsequent gedachte und gelebte Pluralität mit der Unbedingtheit und
Verbindlichkeit des christlichen Glaubens vereinbart werden kann, dann aber auch die Frage,
wie mit dem innerkirchlichen und innertheologischen Pluralismus umgegangen werden soll,
und schließlich die Frage, wie Theologie und Kirche diese Situation bewältigen können, ohne
in einen »erneuten theologischen oder ekklesiologischen Totalitarismus«17 zurückzufallen.
Oder mit den Worten des Religionssoziologen Franz-Xaver Kaufmann formuliert: Die grund-
legende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion für den christlichen Glauben besteht
darin, »ob und wie das Christentum als Element einer pluralistischen und plurireferentiellen
Kultur noch jene Gottes- und Heilserfahrung zu vermitteln vermag, die Inhalt seiner Botschaft
ist«.18
Ein Konsens der theologischen Pluralismus-Diskussion, der wohl unter den meisten
Theologen Zustimmung finden dürfte, besteht darin, daß eine Antwort auf die Herausforde-
rung der Postmoderne nicht im Rückzug in ein »ekklesiales Reservat«19 oder ein theologi-
sches und kirchliches Getto liegen kann und auch nicht in einem »Rückzug in die Vormoder-
ne«, wie er einmal im protestantischen Fundamentalismus sichtbar wird, der durch ein
einheitliches, wörtliches Schriftverständnis und die »Einigung auf unantastbare fundamentale
Glaubenswahrheiten« den Pluralismus in Theologie und Kirche zu überwinden versucht, und
dann auch im katholischen »Traditionalismus«, der auf die »postmoderne Vielfalt zunehmend
mit der Forderung nach Uniformität« und »Zwangsmaßnahmen« reagiert.20
Geht man allerdings der Frage nach, welche konkreten Strategien für den Umgang mit
dem kulturellen und gesellschaftlichen Pluralismus entwickelt werden, so drängt sich im
Rückblick auf die theologische Pluralismusdiskussion doch die Frage auf, ob das Spannungs-
verhältnis zwischen dem Unbedingtheitsanspruch des christlichen Glaubens und einer plura-
listischen, multiperspektivischen Gesellschaft durch einen Rückgriff auf die Trinitätstheolo-
gie, den Hinweis, daß sich der christliche Glaube dem Markt der Möglichkeiten ungeschützt
stellen muß, oder allein durch eine integrative Hermeneutik wirklich gelöst wird.21 Neben der

15 C.-F. GEYER: »Neue Mythologie« versus Religion und Wissenschaft, S. 101.


16 H. KRINGS: Zur Modernitätskritik der Kirchen, S. 134-135.
17 M. HONECKER: Popanz Postmoderne, S. 266.
18 F.-X. KAUFMANN: Religion und Modernität, S. 23.
19 T. RENDTORFF: Karl Barth und die Neuzeit, S. 145.
20 M. HONECKER: Popanz Postmoderne, S. 265. Ähnlich auch Hartmut Löwe: »Wer neue christliche Lebens-
stile und veränderte Überzeugungen des Glaubens nicht mit den aus der Geschichte überkommenen vermit-
telt, ist ursächlich beteiligt an der Entstehung eines neuen Fundamentalismus als voreilige Antwort auf einen
nicht mehr bewältigten Pluralismus«. H. LÖWE: Zwischen allen Stühlen, S. 652.
21 Vgl. Zweiter Hauptteil, IV. 4.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 299

theologischen Klärung des Verhältnisses von christlichem Glauben und gesellschaftlichem


Pluralismus, die in der theologischen Pluralismusdiskussion einen breiten Raum einnimmt,
wären dann allerdings auch überzeugende Vorschläge wünschenswert, wie in einer pluralisti-
schen, multikulturellen, multireligiösen und weitgehend von den Medien beherrschten Öffent-
lichkeit der christliche Glaube angemessen vertreten und der Gefahr einer Marginalisierung
des Christentums entgegengewirkt werden kann. Oder anders gesagt: Eine bleibende Heraus-
forderung der Postmoderne-Diskussion besteht darin, daß in der Theologie und in den Kirchen
intensiver als bisher darüber nachgedacht werden müßte, mit welchen strukturellen Verände-
rungen Theologie und Kirche auf die veränderten Rahmenbedingung der »Postmoderne« rea-
gieren können. Dies erscheint besonders vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Informa-
tisierungs- und Globalisierungstendenzen (den Migrationsbewegungen, der zunehmenden
Mediatisierung etc.) dringlich, die auch für Theologie und Kirche Herausforderungen mit sich
bringen, mit denen sie bisher nicht konfrontiert waren.
Hinsichtlich des innerchristlichen Pluralismus besteht ebenfalls ein weitgehender Kon-
sens darin, daß es notwendig eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen nicht nur der
Wirklichkeit, sondern auch der christlichen Botschaft geben muß, weil erstens jede Erfahrung
und jedes Verstehen hermeneutisch ist, zweitens jeder Weg zur Realität, zur Wahrheit und
zum Wissen immer durch die Pluralität unterschiedlicher Sprachen und Erfahrungen bedingt
ist und deswegen drittens auch weder einfach der christliche Glaube noch die gegenwärtige
Situation als fixe, handhabbare Größen gegeben sind.22 Und weil die diachrone und synchrone
Pluralität somit ein unhintergehbares und konstitutives Merkmal der christlichen Religion ist,
stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der Vielfalt unterschiedlicher Theologien, kirchli-
cher wie individueller Glaubensweisen. Zwei Richtlinien bestimmen dabei die Diskussion:
Einerseits wird immer wieder darauf hingewiesen, daß eine theologische Rezeption der Post-
moderne nicht zu einem zusammenhanglosen Nebeneinander der verschiedenen Positionen
und zu einem theologischen »Anything goes« führen dürfe, andererseits darauf, daß in der
Situation der Postmoderne weniger die Fähigkeit gefragt sei, »einen theologischen Standpunkt
als den einzig wahren und zulässigen, den ›richtigen‹ Standpunkt unbeirrbar behaupten und
durchsetzen zu können, als vielmehr das Vermögen, unterschiedliche Sichtweisen und An-
sprüche abzuwägen und dialogisch aufnehmen zu können«.23
Diese allgemeinen Richtungsanzeiger markieren einen Weg zwischen Beliebigkeit und
Totalitarismus, doch ergeben sich aus der Postmoderne-Diskussion weitere konkrete Fragen,
deren Klärung für die Zukunft von Theologie und Kirche nicht unwichtig sein dürften, vor
allem dann, wenn die These Rainer Buchers, daß Pluralität ein in Theologie und Kirche »zwar

22 Vgl. Zweiter Hauptteil, I. 4.


23 M. HONECKER: Popanz Postmoderne, S. 266. Ähnlich auch Thomas Steininger: »Religiös-kirchliche Sozia-
lisation bedeutet unter den Bedingungen der Postmoderne den endgültigen Abschied von verordneter Christ-
lichkeit. Das eigentliche Problem ist hierbei nicht die Sorge um die Qualität der Inhalte eines postmodern-
christlich geglaubten Glaubens, der Frage also, ob das, was sich in den Vorstellungen und Positionen Ju-
gendlicher und junger Erwachsener zeigt, überhaupt noch christlich sei, sondern die Frage, wie eine sinnvol-
le und handlungsorientierte Hilfe aussehen kann, die die postmoderne Kernerfahrung radikaler Pluralität
ernst nimmt und sie weder diskriminiert noch verdrängt. Gefordert ist eine kommunikative Kompetenz, die
sich am Leitbild der Emanzipation und Herrschaftsfreiheit orientiert und sich einer diffusen ›Anything
goes‹-Postmodernität entgegenzustellen vermag, ohne selbst antipluralistisch zu werden«. TH. STEINIGER:
Konfession und Sozialisation, S. 71.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 300

weithin hingenommenes, in seiner Radikalität nicht aber hinlänglich realisiertes Phänomen«24


zu sein scheint, zutreffen sollte:
 Welche Strategien, Qualitäten und Tugenden sind erforderlich, um in einer Situation des
religiösen und weltanschaulichen Pluralismus einerseits die christliche Botschaft angemes-
sen zur Sprache bringen zu können und andererseits die Sackgassen des Fundamentalismus
und der völligen Profillosigkeit zu vermeiden?
 Wie kann trotz aller notwendigen disziplinären und diskursiven Ausdifferenzierung und
Spezialisierung das zusammenhanglose Nebeneinander oder Gegeneinander verschiedener
theologischer Richtungen vermieden werden?
 Wo liegen die Grenzen des theologischen Pluralismus? Wer entscheidet in einer hermeneu-
tischen Konfliktsituation anhand welcher Kriterien, ob eine bestimmte theologische
Interpretation noch dem Gegenstand der Theologie angemessen ist?
 Wie soll mit traditionalistischen oder fundamentalistischen Positionen innerhalb der Kirche
umgegangen werden, die ihre partikularen Standpunkte verabsolutieren, sich dem Dialog
verweigern oder zu einem Kreuzzug gegen eine andere Partei oder einzelne Personen in-
nerhalb der Kirche aufrufen?
Daß diese Fragen nach wie vor auf eine Lösung warten, zeigen nicht nur die theologischen
Auseinandersetzungen um Frieden und (Ab-)Rüstung in den fünfziger und achtziger Jahren25
und die sich periodisch wiederholenden Diskussionen um den Ausschluß bestimmter Gruppen
von den Kirchentagen,26 sondern auch die Debatten um die Legitimität von Lehrzuchtverfah-
ren in der evangelischen und katholischen Kirche.27

Die Herausforderung der Dekonstruktion


Wenn ein Berufsfachschüler in der schon im vorhergehenden Kapitel erwähnten Untersu-
chung von Karl Ernst Nipkow Erwachsenwerden ohne Gott? zu dem Schluß kommt, »›Gott‹,
das ist ein Wort nichts anderes«,28 dann ist dies nicht nur ein Beleg dafür, daß die De-
konstruktion keineswegs nur ein akademisches Sandkastenspiel29 ist, sondern auch dafür, daß
das, was die Dekonstruktion auf sprach-theoretischer Ebene behandelt, sich längst in breiten
Bevölkerungsschichten durchgesetzt hat: der Verdacht nämlich, daß die religiöse Sprache
immer selbstreferentiell bleibt, daß sie immer nur wieder auf sich selbst und nicht auf eine
irgendeine »dahinterliegende« Wirklichkeit verweist. »Gott«, das ist eben nur ein Wort – nicht
mehr.

24 R. M. BUCHER: Die Theologie in postmodernen Zeiten, S. 187.


25 Vgl. dazu: B. KLAPPERT – U. WEIDNER (Hrsg.): Schritte zum Frieden.
26 Vgl. dazu: B. AFFELD – L. V. PADBERG: Umstrittener Kirchentag.
27 Vgl. dazu: W. JENS (Hrsg.): Um nichts als die Wahrheit; N. GREINACHER – H. HAAG (Hrsg.): Der Fall
Küng; E. DREWERMANN: Worum es eigentlich geht; H.-J. RICK (Hrsg.): Dokumentation zur jüngsten Ent-
wicklung um Dr. Eugen Drewermann; H. SCHMOLL: Frauenblut, Männerblut; H. MEESMANN: Vom Blut
der Frauen und der Männer.
28 K. E. NIPKOW: Erwachsenwerden ohne Gott, S. 70.
29 So jedenfalls: L. I. SWEET: Straddling Modernism and Postmodernism, S. 164.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 301

Zweifelsohne besteht die Stärke der dekonstruktiven Theologie – wie der Dekonstruktion
insgesamt – darin, daß sie die Problematik menschlicher Sprache – insbesondere ihres Refe-
renzcharakters – zu erhellen weiß. Darüber hinaus dürften die grundlegenden Axiome der
dekonstruktiven Theorie, die überwiegend auf den lange etablierten Forschungen der Linguis-
tik und Sprachphilosophie beruhen, auch nicht zu bestreiten sein, doch heißt dies noch nicht,
daß man deswegen auch alle Konsequenzen der dekonstruktiven Theologie mitvollziehen
muß. Ein Problem der dekonstruktiven Theologie, das eine breite Rezeption dieser »Theolo-
gie« erschwert, ist sicherlich, daß sie lediglich in einem parasitären Verhältnis zu den übrigen
theologischen Diskursen steht und sich als unfähig erweist, wenn es darum geht, etwas Rele-
vantes für die gegenwärtige Situation zu sagen: Die dekonstruktiven Analysen theologischen
Sprechens und Interpretierens führen am Ende doch immer wieder zu dem gleichen Ergebnis,
daß sich nämlich der Zusammenhang zwischen den theologischen Aussagen und der Wirk-
lichkeit, die sie zu repräsentieren beanspruchen, nicht verifizieren läßt. Damit scheint jedoch
auch schon die dekonstruktive Aufgabe erschöpft zu sein, und es stellt sich die Frage, was wir
tun sollen, nachdem wir die frohe Botschaft der Leere gehört haben: Rückzug in einen pessi-
mistischen oder heiteren Nihilismus, der gelernt hat, »sich von der krankhaften Leidenschaft
für die Wahrheit zu befreien«,30 oder in einen fröhlichen Karnevalismus, der sich in originel-
len Kostümierungen, wechselnden Masken und fröhlichen Feiern ergeht, oder aber weiterhin
der Transzendenz, der Bedeutungs- und Sinnhaftigkeit, der kreativen und verändernden Kraft
der Sprache vertrauen? Eine Theologie, die sich von »Gott« angesprochen weiß und die darum
auch von »Gott« reden muß, wird jedenfalls entschieden die letzte Möglichkeit wählen.
Das Hauptproblem der dekonstruktiven Theologie – zumindest in ihrer radikalsten Spiel-
art, Taylors A/Theologie – besteht jedoch darin, daß sie die Unentscheidbarkeit der Frage
nach einem extralinguistischen Referenten transzendentaler Signifikate nicht wahrt, sondern
negativ beantwortet, und daß sie auf den Wahrheitsbegriff der metaphysischen Tradition fi-
xiert bleibt, auch wenn sie diesen als illusionär kritisiert und daraufhin nicht nur das Konzept
»Wahrheit«, sondern auch alle anderen transzendentalen Begriffe verabschieden zu müssen
meint. Ihre sprachtheoretische Skepsis und ihre Fixierung auf den Wahrheitsbegriff der meta-
physischen Tradition verunmöglichen es der dekonstruktiven Theologie außerdem, einerseits
die Sprache selbst als Geschehen von Wahrheit zu denken und andererseits – unabhängig von
dem Wahrheitsgehalt der Sprache – die pragmatische Funktion der Sprache in den Blick zu
bekommen: ihre kreative und transformative Kraft, ihren Anrede- und Ereignischarakter.
Doch trotz aller Vorbehalte fordert die Dekonstruktion ihrerseits die Theologie heraus,
sich über den Charakter theologischer Rede ebenso Rechenschaft abzulegen wie über die
Möglichkeiten und Grenzen theologischer Hermeneutik:
 Auch wenn die These, daß durch den Bruch des Kontraktes zwischen Wort und Wirklich-
keit eine sinnvolle Verbindung von theologischer Rede und der Welt, die sie zu deuten ver-
sucht, abhanden gekommen sei und dies zu einer »Krise der Bedeutung« in der theologi-
schen Sprache geführt habe,31 so pauschal vielleicht nicht zutrifft, so kann doch die Frage
nach dem Bedeutungsgehalt theologischer Rede nicht von der Hand gewiesen werden. Da-

30 U. ECO: Der Name der Rose, S. 624.


31 Vgl. CH. E. WINQUIST: The Surface of the Deep, S. 56.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 302

bei ist der Dekonstruktion insofern zuzustimmen, daß die theologische Sprache nicht den
Anspruch erheben kann, die göttliche Wirklichkeit abzubilden oder in einer 1:1 Entspre-
chung zu spiegeln. Die Aufgabe der theologischen Sprache muß vielmehr darin gesehen
werden, das Evangelium von Jesus Christus immer wieder neu so an-sprechend zur Spra-
che zu bringen, daß es für die Angesprochenen zu einem alles verändernden Ereignis wer-
den kann.32
 Die Dekonstruktion kann überzeugend darlegen, daß die Sprache des christlichen Glaubens
wie jede religiöse Sprache einen durch und durch metaphorischen Charakter hat. Doch statt
daraus nun die Konsequenz zu ziehen, den Gottesbegriff der theistischen Tradition durch
einen rein intralinguistischen zu ersetzen, gilt es vielmehr, die metaphorische Redeweise
als »eine besondere Weise eigentlicher Rede« zu begreifen und eine »theologische Me-
taphorologie« auszuarbeiten, die – darin wird man Eberhard Jüngel zustimmen müssen –
»sowohl für die Dogmatik als auch für die Praktische Theologie ein dringendes Desiderat«
ist.33
 Mit George Steiner ist darauf hinzuweisen, daß die Zweifel der Dekonstruktion dort ge-
rechtfertigt sind, »wo sie die Möglichkeit einer systematischen, erschöpfenden Hermeneu-
tik bestreiten, wo sie bestreiten, daß Interpretation jemals zu einer stabilen, nachweisbaren
Einzigartigkeit der Bedeutung gelangen kann«.34 Und weil darum auch alle theologischen
Interpretationen – darin ist David Tracy recht zu geben – immer nur relativ angemessen,
vorläufig und niemals endgültig sein können,35 muß die Theologie nach Kriterien für die
Angemessenheit einer theologischen Interpretation suchen, wenn sie nicht der theologi-
schen Beliebigkeit das Feld überlassen will.

Die Herausforderung der Ganzheitlichkeits-Diskussion


Das Stichwort »Ganzheitlichkeit« wird in der Postmoderne-Diskussion immer wieder gegen
die Einseitigkeiten, Verengungen und Exklusivitätsansprüche der Moderne, aber auch gegen
diejenigen Postmoderne-Konzeptionen, die der fröhlichen Beliebigkeit eines
zusammenhanglosen Pluralismus das Wort reden, angeführt: In der philosophischen
Postmoderne-Diskussion geht es in erster Linie um eine Kritik der instrumentellen Vernunft
und des exklusiven, empirisch-naturwissenschaftlichen Erfahrungstyps der Moderne, dem ein
»ganzheitliches Bewußtsein« entgegengesetzt werden soll, das andere Dimensionen
menschlicher Erfahrung (religiöse, intuitive, mythische) als gleichberechtigt anerkennt; in der
soziologischen geht es vor allem um die Frage, wie die Ausdifferenzierung, Fragmentierung
und Zersplitterung der modernen Gesellschaft überwunden werden kann, und in der
theologischen wird zum einen unter Rekurs auf die in der Moderne verdrängten organischen
und kosmologischen Traditionen nach einer neuen, integrativen Synthese der verschiedenen
Wissensformen des Menschen gesucht, und zum anderen wird neben einer »integrativen
Hermeneutik«, die sowohl die Zersplitterung der theologischen Disziplinen als auch die
Fixierung auf die historisch-kritische Exegese überwinden soll, auch eine
32 Vgl. dazu: E. JÜNGEL: Metaphorische Wahrheit, S. 156.
33 A.a.O., S. 153, 157.
34 G. STEINER: Von realer Gegenwart, S. 218.
35 Vgl. D. TRACY: Theologie als Gespräch, S. 141-142.
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 303

Exegese überwinden soll, auch eine Schwerpunktverlagerung von einem individualistischen


Heilsverständnis zu einem umfassend-ganzheitlichen Heilsverständnis verlangt.
Somit bilden die verschiedenen Holismustheorien eine Gegenbewegung zu den Pluralis-
muskonzeptionen und der Dekonstruktion, und insofern sie einen radikalen, unversöhnlichen
Pluralismus der Beliebigkeit und des »alles ist erlaubt« kritisieren, bilden sie auch ein wichti-
ges Korrektiv zu diesen Postmoderne-Theorien. Das Problem der Holismustheorien besteht
aber darin, daß sie nicht konkret und schlüssig aufzeigen können, wie die verschiedenen hete-
rogenen Diskurse, der Pluralismus, die Fragmentierung und Zersplitterung der Gesellschaft
oder die Ausdifferenzierung der theologischen Diskurse zu einem harmonischen »Ganzen«
werden können und wie eine Integration der verschiedenen Wissensformen des Menschen
gelingen kann. Von daher wäre zu überlegen, ob man nicht besser auf den Begriff »Ganzheit-
lichkeit« verzichtet und stattdessen von einem »umfassenden Denken« oder einem »mehrdi-
mensionalen Denken« sprechen sollte. Diese Termini sind zwar auch nicht präziser, immerhin
aber nicht so problembeladen wie der Begriff »Ganzheitlichkeit«. Die Konzepte »Ganzheit-
lichkeit« und »Pluralismus« müßten dann auch nicht gegeneinander ausgespielt oder in Ge-
gensatz zueinander gebracht werden: Wie in den Gesprächsmodellen von Habermas, Welsch
und Tracy vorgesehen, könnten die verschiedenen Sprachspiele oder die verschiedenen Erfah-
rungsmöglichkeiten des Menschen in einem dialogischen Prozeß so aufeinander bezogen wer-
den, daß durch Übergänge und Grenzüberschreitungen ein mehrdimensionales, umfassendes
Beziehungsnetz entsteht, das einem zusammenhanglosen Pluralismus der Beliebigkeit ebenso
entgegenwirkt wie einer totalisierenden Ganzheitssetzung, die das möglicherweise Inkom-
mensurable kommensurabel zu machen versucht. Die Erprobung und praktische Durchfüh-
rung solcher Strategien stellt nicht nur eine Herausforderung für die ästhetischen, wissen-
schaftlichen, gesellschaftlichen und politischen, sondern in gleicher Weise auch für die
theologischen und kirchlichen Kommunikationsprozesse dar.
Neben diesen eher grundsätzlichen Erwägungen ergeben sich aber auch ganz konkrete
Impulse aus der Ganzheitlichkeits-Diskussion für die Zukunft von Theologie und Kirche:
 Im Zusammenhang der Postmoderne-Diskussion wird von verschiedenen Seiten die Forde-
rung erhoben, die Exegese der biblischen Texte aus der durch die historisch-kritische Me-
thode bedingten Engführung herauszuholen. Die historisch-kritische Bibelexegese soll
durch die Integration anderer Methoden erweitert werden, um so zu einem möglichst um-
fassenden Schriftverständnis zu gelangen. Zur Durchführung einer solchen »integrativen
Hermeneutik« müßte dann aber zunächst geklärt werden, inwiefern sich die einzelnen Me-
thoden gegenseitig ergänzen und inwieweit sie miteinander überhaupt kompatibel sind.
 In der Prozeßtheologie und den naturwissenschaftlichen Kosmologie-Diskussionen werden
Möglichkeiten deutlich, die in der Moderne vielleicht vernachlässigte kosmische Dimensi-
on des christlichen Glaubens neu zur Geltung zu bringen: Weil der göttliche Heilsplan
nach dem Neuen Testament nicht nur auf das individuelle Heil, sondern auch auf die uni-
verselle kosmische Vollendung zielt, wird eine Schwerpunktverlagerung von einem indivi-
dualistischen Heilsverständnis – das keineswegs aufgehoben, sondern vielmehr erweitert
werden soll – zu einem umfassenden Heilsverständnis gefordert.
 Damit korrespondiert das Anliegen, im Rahmen einer ökologischen Neuorientierung, die
die Natur nicht mehr nur als Um-welt, sondern primär als Mit-welt des Menschen zu den-
Epilog: Die bleibende Herausforderung der Postmoderne-Diskussion 304

ken versucht, die Schöpfungslehre und die Theologie des Heiligen Geistes aus dem Schat-
ten der Christologie herauszuholen, um so die Theologie aus ihrer christologischen Eng-
führung zu befreien.
 Ein wichtiger Impuls der Befreiungstheologie kann darin gesehen werden, daß sie die kol-
lektiven Dimensionen der christlichen Botschaft gegenüber der eher auf das Individuum
ausgerichteten modernen Theologie neu akzentuiert, indem sie die politischen und gesell-
schaftlichen Implikationen des Evangeliums als konstitutiven Bestandteil ihrer Theologie
ansieht und indem sie den Schwerpunkt auf das solidarische Eintreten der Christen fürein-
ander – auf den praktischen Vollzug evangeliumsgemäßen Lebens – legt.
 Angesichts der Gleichzeitigkeit von neuen religiösen Bewegungen, die sich neben den e-
tablierten christlichen Kirchen gebildet haben und die offensichtlich eine verbreitete Nach-
frage nach »ganzheitlicher« Spiritualität befriedigen, einerseits und der zunehmenden
Gleichgültigkeit gegenüber kirchlichen Angeboten andererseits, stellt sich für die Theolo-
gie und die Kirchen die schwierige Frage, welche Konsequenzen sich aus dieser Situation
für die theologische Arbeit und die kirchliche Praxis ergeben. Theologie und Kirche wer-
den jedoch weder einfach diesen »Trends« nachlaufen noch die damit verbundene Heraus-
forderung ignorieren können.

Inwiefern die unterschiedlichen Ansätze und Vorschläge der theologischen Postmoderne-Dis-


kussion zu tragen vermögen und wirkliche Neuorientierungen in der Theologie ermöglichen
können, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Dies wird die Zukunft zeigen. Zu er-
warten ist jedoch, daß »Postmoderne« auch weiterhin als ein Suchbegriff zur Kennzeichnung
wesentlicher kultureller, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Veränderungen gebraucht
werden wird. Und insofern er diese Signalfunktion hat, bietet die Postmoderne-Diskussion
auch für Theologie und Kirche die Chance, sich der gegenwärtigen Situation, in die hinein sie
die frohe Botschaft verkünden wollen, zu vergewissern, sich in die laufenden Diskussionen,
Debatten und Diskurse einzuschalten und sich so den gegenwärtigen gesellschaftlichen und
intellektuellen Herausforderungen zu stellen.
Bibliographie

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 Interviews erscheinen unter dem Namen des Interviewten.

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Zusammenfassung der Dissertation:
Die Herausforderung der Postmoderne-Diskussion für die Theologie der
Gegenwart

Seit Anfang der achtziger Jahre beschäftigen sich Theologen in den USA mit
dem Thema "Postmoderne", und auch im deutschsprachigen Raum sind neben
zahlreichen Zeitschriftenbeiträgen etliche Monographien erschienen, die sich
dezidiert mit dem Thema Postmoderne auseinandersetzen. Doch die
theologische Postmoderne-Diskussion ist - wie die achitekturtheoretische,
literaturwissenschaftliche, philosophische und soziologische Postmoderne-
Diskussion - durch eine Vielzahl unterschiedlicher Programme, Konzeptionen,
Positionen und Entwürfe gekennzeichnet, die auf je unterschiedliche Weise auf
die Herausforderungen der Gegenwart zu antworten versuchen.

Das Anliegen meiner Dissertation besteht nun aber weder darin, den
zahlreichen Postmoderne-Theorien eine weitere hinzuzufügen, noch darin, eine
Apologie des Begriffs "Postmoderne" zu betreiben, sondern darin, die
vorhandene Unübersichtlichkeit der theologischen Postmoderne-Diskussion zu
strukturieren und die einzelnen theologischen Programme einer kritischen
Analyse zu unterziehen, um dann auch weiterführende Perspektiven für die
Theologie aufzeigen zu können.

Ziel der Abhandlung ist es, die verschiedenen Zeitdiagnosen im Zeichen der
Postmoderne einerseits auf ihre Plausibilität und Überzeugungskraft hin zu
überprüfen und andererseits die theologische Postmoderne-Diskussion
systematisch daraufhin zu befragen, ob ihre Verknüpfung von theologischer
Argumentation und Zeitdiagnose dem Gegenstand der Theologie entspricht.
Weil die Beiträge zur theologischen Postmoderne-Diskussion jedoch zumeist
von den ästhetischen, sprachwissenschaftlichen, philosophischen, und
soziologischen Postmoderne-Konzeptionen unmittelbar abhängen, ist eine
angemessene Bewertung der theologischen Programme ohne eine eingehende
Analyse der Postmoderne-Diskussion in den verschiedenen Bereichen der
Kultur nicht möglich. Aufgrund der Dependenz der theologischen von der
allgemeinen Postmoderne-Diskussion schien es notwendig, die vorliegende
Arbeit von vornherein möglichst interdisziplinär zu konzipieren. Diesem
Umstand trägt der Aufbau der Arbeit Rechnung:

 Der Erste Hauptteil der Arbeit hat die Aufgabe, die Genese des Begriffs
"Postmoderne" innerhalb der verschiedenen Bereiche der Kultur
("Architektur", "Literaturwissenschaft", "Philosophie" und "Soziologie")
nachzuzeichnen, die wichtigsten Postmoderne-Konzeptionen
vorzustellen, die Beziehungslinien zwischen den verschiedenen Sektoren
herauszuarbeiten und eine kritische Analyse der einzelnen Positionen
vorzunehmen, um erstens einen detaillierten Überblick der Diskussion zu
gewinnen und zweitens eine fundierte Grundlage für die theologische
Postmoderne-Diskussion zu erarbeiten.
 Der Zweite Hauptteil ist ganz der theologischen Postmoderne-
Diskusssion gewidmet. Wie im Ersten Hauptteil sind auch hier
Darstellung und Kritik voneinander getrennt: Nach der Darstellung der
drei thematischen Schwerpunkte ("Christlicher Glaube im Pluralismus";
"Dekonstruktion", postliberale Theologie, Ästhetisierung der Religion";
"Postmoderne Theologie als ganzheitliche Theologie"), die sich in der
theologischen Diskussion herauskristallisieren, schließt sich auch hier in
einem vierten Kapitel eine Kritik der theologischen Postmoderne-
Diskussion an.
 Im Epilog wird dann der Versuch unternommen, die theologische
Postmoderne-Diskussion zu bilanzieren und Prospektiven für die
Theologie zu entwickeln. Das Anliegen besteht aber weder darin, die
verschiedenen theologischen Konzepte zu synthetisieren, noch darin,
eine weitere theologische Postmoderne-Konzeption zu entwickeln.
Vielmehr wird hier nach den Chancen und Grenzen der einzelnen
Beiträge zur theologischen Postmoderne-Diskussion gefragt und die
bleibenden Herausforderungen der Postmoderne-Diskussion für
Theologie und Kirche benannt.

Als Ergebnis der Untersuchung kann festgehalten werden, daß es aufgrund der
Widersprüchlichkeit der verschiedenen Postmoderne-Konzeptionen in Zukunft
fruchtbarer sein dürfte, sich auf die Sachthemen zu konzentrieren, statt sich um
die richtige Definition des Begriffs Postmoderne zu streiten. Dann allerdings
bietet die Postmoderne-Diskussion auch für Theologie und Kirche die Chance,
sich der gegenwärtigen Situation zu vergewissern, sich in die laufenden
Diskussionen, Debatten und Diskurse einzuschalten und sich so den
gegenwärtigen gesellschaftlichen und intellektuellen Herausforderungen zu
stellen.
Umfang der Dissertation: 304 S. Text und Anmerkungen, 45 S.
Bibliographie, 3 S. Anhang (Abbildungen)
Eingereicht an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität
Tübingen am 30. Juni 1994.
Erstgutachter: Prof. Dr. Eberhard Jüngel
Zweitgutachter: Prof. Dr. Hans Küng
Tag der mündlichen Prüfung: 21. Februar 1995

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