Sie sind auf Seite 1von 2

Jeder Tag könnte ein Welttag sein

31. Oktober 2007 Manfred Weise

Genau vor 60 Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den
ersten Welttag genehmigt. Nämlich einen Welttag für sich selber. Mittlerweile
sind die Gedenktage zur Inflation und Plage geworden

Als die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 31. Oktober 1947 den
Welttag für die UN per Resolution genehmigte, war klar: Diesen Tag sollten
Mitgliedstaaten alljährlich feiern und gleichzeitig die UN bekannt machen, vielleicht
sogar eine Identifikation schaffen, nachdem mit dem UN-Vorläufer, dem Völkerbund,
alles nur Erdenkliche schief gegangen war. Als UN-Jahrestag wurde der 24. Oktober
auserkoren, eigentlich sollte es der 26. Juni sein, doch beharrte 577+ein
brasilianischer UN-Vertreter auf Oktober, weil die Schüler der nördlichen Hemisphäre
erst dann Schulferien hätten. Damals ahnte niemand, dass die Vereinten Nationen
und ihre Unterorganisationen 60 Jahre später um die 70 Welt- und Internationale
Tage feiern.

Ein paar Beispiele gefällig? Anfang des Monats war der Welttag für die älteren
Menschen, am 3. Oktober Welttag des Wohn- und Siedlungswesens, am 5. Oktober
war der Weltlehrertag, kürzlich Welternährungstag und der Internationale Tag für die
Beseitigung der Armut. Einige der 70 Welttage sind recht bekannt wie der Frauentag
am 8. März oder der Aidstag am 1. Dezember, andere blieben eher unbekannt wie
der Welttag der Poesie (21. März), der Tag des audiovisuellen Erbes (27. Oktober)
oder der Welttag der Industrialisierung Afrikas (20. November).

Die UN kennt aber nicht nur den Welttag, sondern auch die Woche, das Jahr und die
Dekade - sozusagen Welttage, die über einen längeren Zeitraum laufen. Ein Beispiel
ist die alljährliche Abrüstungswoche (24.−30. Oktober). 2005 hatte die UN zum
Internationalen Jahr der Physik erklärt, ebenfalls 2005 war das Internationale Jahr der
Kleinstkredite und auch das Internationale Jahr des Sports und des Sportunterrichts.
2007 ist übrigens das Jahr der Delphine, außerdem befinden wir uns in den UN-
Dekaden „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, „Wasser − Quelle des Lebens“ und
die „Zweite Internationale Dekade für die Beseitigung des Kolonialismus“.

Nachahmer überall

Findige Köpfe in allerlei Organisationen und PR-Agenturen haben die Welttage


bemerkt. Aber nicht, um in Ruhe über die Themen nachzudenken und zu räsonieren.
Nein, sie haben eigene Welttage ins Leben gerufen. So kennt die Katholische Kirche
den Welttag der sozialen Kommunikationsmittel. Andere begehen die Welttage der
Feuchtgebiete, der Fremdenführer und des Schlafes. Später kam die nationale PR auf
den Geschmack: Hierzulande wird etwa alljährlich der Tag des Bieres gefeiert, in der
1
Schweiz werden nationale Tage der Akupunktur, der Hochstamm-Obstbäume und
der Atemtherapie begangen, meist orchestriert durch Preisvergaben. Jeder Verband,
jede Mini-Vereinigung kämpft mittlerweile mit einem Jahrestag um mediale
Aufmerksamkeit − und findet wenigstens Erwähnung in den Gratisblättern, die für
jeden Gratisbeitrag dankbar sind.

Zurück zum Globalen: Da fehlt nur noch ein Welttag für PR-Bla-Bla. Aber auch das
gibt es schon. „Die Welt erlebt eine starke und andauernde Krise der
Selbstzerstörung. Die Mehrheit der Menschen möchte in Frieden und Würde leben. Es
ist an der Zeit, mit Macht zu beweisen, dass unsere Chorfamilie durch Musik dazu
beiträgt, die künstlichen Schranken niederzureißen, die Politik, unterschiedliche
Ideologien und Religionen und Rassenhass geschaffen haben." So verkauft die
International Federation for Choral Music (IFCM) den Tag des Internationalen
Chorgesangs: Also der nächste Chortag ist am 10. Dezember (ebenso wie der Tag der
Menschenrechte) und dann singen wir alle. Und alles wird gut.

Bloßes Ritual

Obwohl die wichtigeren Welttage ein bisschen Aufmerksamkeit in der


weltöffentlichen Kommunikation absorbieren, finden die Anliegen bei den
Weltmassen kaum Gehör − geschweige denn sind sie zu einer Art Weltkultur
geworden. Die Zahl der internationalen Gedenktage ist ganz einfach zu groß (und
auch die Zahl der Trittbrettfahrer), als dass man sich merken könnte, welcher Welttag
welchem Thema zugeordnet ist. So gehen sie meist im Des- und Halbinteresse unter
und bleiben ein politisches Ritual, das Niemandem weh tut, den Eindruck des
Handelns erzeugt und dennoch nichts verändert.

Ein Beispiel, dass die vier Milliarden erwachsenen Erdenmenschen (von Kant schon
1795 in „Zum Ewigen Frieden“ zum Weltbürger geadelt) nicht eben höllisch
aufpassen: Trotz Abrüstungswoche sind die Rüstungsausgaben im Jahr 2006 auf
einen Rekordwert von 900 Milliarden Euro gestiegen. Kurzum: In 50 Jahren werden
wir auch weiter den Weltflüchtlingstag und den „Welttag für die Bekämpfung von
Wüstenbildung und Dürre“ feiern. Ob da ein Nachdenk-Welttag „Warum hat ein
Welttag noch nie etwas bewirkt?“ überhaupt etwas nützt? (Manfred Weise)

https://www.heise.de/tp/features/Jeder-Tag-koennte-ein-Welttag-sein-3415940.html [22.02.2021]

Das könnte Ihnen auch gefallen