Sie sind auf Seite 1von 2

Es wurden einmal zwei Kinder geboren.

Paul war groß und Nils klein.

Nach der Geburt sagte die Mutter zu Paul: „Du musst gut essen, damit du noch größer wirst.
Sonst sind dein Vater und ich traurig.“ Paul wurde einen Zentimeter kleiner.

Nils Mutter sagte: „Ich freue mich, dass du bei uns bist, wir werden gemeinsam wachsen.“
Nils wuchs einen Zentimeter.

Als sie nach Hause kamen, wachten beide Kinder in der Nacht mehrmals auf.

Pauls Mutter sagte: „Das geht aber nicht, dass du Nachts aufwachst.
Du bist so groß und sollst nachts schlafen.“ Paul wurde wieder einen Zentimeter kleiner.

Nils Mutter sagte: „Es ist nicht einfach, nachts so allein zu sein, nachdem du so lange in meinem
Bauch warst“. Sie nahm Nils mit in ihr Bett und er wuchs um einen Zentimeter.

Pauls Mutter bestimmte, wann Paul sein Essen bekam und wann Zeit zum Spielen war.
Paul schrumpfte wieder einen Zentimeter.

Nils Mutter richtete sich nach ihrem Sohn und freute sich,
dass sie seine Bedürfnisse immer deutlicher erkannte. Nils wuchs wieder einen Zentimeter.

Beide Väter waren stolz auf ihre Söhne.

Pauls Vater sagte, als Paul sich am Tisch anstieß: „Das war doch nicht so schlimm.
Deshalb musst du doch nicht weinen.“ Paul wurde wieder einen Zentimeter kleiner.

Nils Vater sagte als Nils sich am Tisch anstieß: „Da hast du dich aber erschrocken und weh getan
hat es dir wohl auch. Komm her, ich tröste dich.“ Nils wuchs wieder einen Zentimeter.

Die Großeltern der beiden Kinder liebten diese sehr und wollten sie bei einem Besuch auf den Arm
nehmen. Dies wollten weder Paul noch Nils.

Pauls Mutter sagte: „Stell dich nicht so an. Das ist deine Oma. Du bleibst auf ihrem Arm,
auch wenn du weinst.“ Paul wurde wieder kleiner.

Nils Mutter sagte: „Sind dir Oma und Opa fremd, dann bleib auf meinem Arm und schau sie dir
von dieser sicheren Basis an.“ Nils wuchs weiter.

So ging es weiter. Pauls Eltern wachten über ihm und entschieden, was er zu tun hatte.
Er war meist traurig und unsicher. Er konnte nicht er selbst werden.

Nils wurde fröhlich und selbstbewusst. Er sprühte vor Lebenslust.


Sein Eifer steckte auch andere an, die solchen Mut gebrauchen konnten.
Er wurde erwachsen und groß und viele Leute freuten sich, wenn sie ihn sahen.

Paul aber blieb klein und unscheinbar, seine Augen waren trüb und seine Seele voller Trauer.
Ob das noch zu ändern war? Da war kaum noch Hoffnung.

Es sei denn, er würde einmal Nils begegnen. Dessen Lebensfreude war so groß,
dass sie auch für zwei reichte.
Liesel Polinski nach einem Text von Gottfried Roller

Das könnte Ihnen auch gefallen