Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
1
Siehe Olga Ragusa, „Romantico, Romanticismo", Romantic and its
Cognates. The European History of a Word (Toronto: University of
Toronto Press 1972), 297-98, 310-11.
2
Hans Juretschke, Origen doctrinal y genesis del romanticistno es-
panol (Madrid 1954).
3
Siehe Conrad Bursian, Geschichte der klassischen Philologie in
Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart (München-Leipzig
1883).
4
Siehe den Sammelband The Nineteenth-Century Rediscovery of Eu-
ripides. Herausgegeben von William M. Calder. Sonderband der
Greek-Roman- and Byzantine Studies 27 (1986).
gesetzt hatte, erscheint das Moderne oder der moderne Geist der
Literatur als eine neben dem romantischen Stil bestehende Aus-
drucksform, die reflektiert, im hohen Maße kritisch ist, aber den
Schmelz des Romantischen nicht hat, der aus der Beziehung zum
Unendlichen und der Vermischung des Realen und Idealen her-
vorgeht. In diesem Sinne ist Goethe auf eminente Weise modern,
aber überhaupt nicht romantisch. 5 Während der moderne Stil
epochengebunden und zeitlicher Natur ist, sprengt das Roman-
tische gelegentlich jeden zeitlichen Rahmen und wird gleichbe-
deutend mit dem höchsten Poetischen.6 Diese Nuancen sind bei
einer Erörterung der Schlegelschen Unterscheidung von Antike
und Moderne, Klassik und Romantik zu berücksichtigen.
Bei der Herausarbeitung dieser Unterschiede durch Friedich
Schlegel macht sich noch ein besonderes Gedankenmodell be-
merkbar, das für den Ansatz von Wichtigkeit zu sein scheint und
der Unterscheidung eine zusätzliche philosophische Dimension
verleiht. Dieser Punkt läßt sich am besten auf der Grundlage des
Athenäum-Fragments 149 entwickeln, das Winckelmann und
dem Projekt einer „materialen Altertumslehre" gewidmet ist. Das
Fragment beginnt mit der Feststellung: „Der systematische Win-
ckelmann, der alle Alten gleichsam wie Einen Autor las, alles im
ganzen sah, und seine ganze Kraft auf die Griechen konzentrierte,
legte durch die Wahrnehmung der absoluten Verschiedenheit des
Antiken und Modernen, den ersten Grund zu einer materialen
Altertumslehre" (KFSA 2, 188-89). Worauf es hier ankommt,
ist die „Wahrnehmung der absoluten Verschiedenheit des Antiken
und Modernen" als erster Schritt einer sich aufbauenden Lite-
raturwissenschaft. Erst nachdem diese Wahrnehmung so scharf
wie möglich vollzogen ist, läßt sich der letzte Schritt, nämlich
die „absolute Identität des Antiken und Modernen" konzipieren,
womit „der Kontur der Wissenschaft fertig" ist (KFSA 2, 189).
Wie bei dem Projekt einer Vereinigung von Poesie und Philoso-
5
KFSA 16, 108, 113, 133; 3, 138.
6
Am emphatischsten im Athenäum-Fragment 116: „Die romantische
Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dicht-
kunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie
romantisch sein" (KFSA 2, 183).
Schicksals, und zwang sie wieder abwärts zu gehn auf der vor-
gezeichneten Bahn, nach ewigen Gesetzen eines großen Kreis-
laufs" (KFSA l, 537). Dieser Absturz von der höchsten Höhe der
Kunst und dieses Zurücksinken in sich selbst ist für Schlegel
völlig „natürlich, notwendig", denn der Trieb, „welcher die Grie-
chische Bildung lenkte, ist zwar ein mächtiger Beweger, aber ein
blinder Führer". Allein auf dies Prinzip angewiesen, mußte der
„Versuch der natürlichen Bildung mißglücken" (KFSA l, 316,
231). Der Fall der griechischen Literatur manifestiert sich in der
„Leidenschaftlichkeit der entarteten Tragödie", im „Leichtsinn
der Komödie" und in der „Üppigkeit der späteren Lyrik" (KFSA
l, 324). Diese „verunglückte natürliche Bildung" war die Vor-
bedingung und bildete die direkte Veranlassung für die Moderne,
d. h. die künstliche Bildung. Denn wenn der Mensch auf dem
Wege der Natur sein Ziel hätte erreichen können, „so wäre ja
die Hülfe der Kunst ganz überflüssig", und man vermöchte nicht
einzusehen, „was ihn bewegen sollte, einen neuen Weg einzu-
schlagen" (KFSA l, 231).
Im Gegensatz zur kreisförmigen Bewegungsrichtung der na-
türlichen Bildung ist die künstliche Bildung der modernen in
einer unendlichen Progression auf ein höchstes und unerreich-
bares Ziel hin begriffen. Dieser unendliche Strebenscharakter
erscheint in Schlegels Darstellung literarischer Modernität als ihr
grundlegender Wesenszug und wird nach den im Studium-Auf-
satz jeweils vorherrschenden rhetorischen Nuancen entweder im
Vergleich mit den Alten als ein Mangel7 oder als der große
Vorzug ihnen gegenüber hingestellt.8 Der eigentliche Grund aber,
warum diese ästhetische Bildung von Schlegel im Gegensatz zur
natürlichen der Alten eine künstliche genannt wird, besteht darin,
daß hier die Theorie den Primat vor der poetischen Praxis hat
und der Verstand ein „oberstes lenkendes Principium ist" (KFSA
l, 231). Auch dies Phänomen wird von Schlegel je nach seiner
7
KFSA l, 223: „Das Faß der Danaiden bleibt ewig leer."
8
KFSA l, 255: „Die erhabne Bestimmung der modernen Poesie ist also
nichts geringeres als das höchste Ziel jeder möglichen Poesie, das
Größte was von der Kunst gefordert werden, und wonach sie streben
kann."
9
KFSA l, 232: „das lenkende Prinzip der ästhetischen Bildung war
aber nicht der Trieb, sondern gewisse dirigierende Begriffe."
10
Ib.: „Daß aber der Mensch nach diesen Begriffen sich selbst be-
stimmte, den gegebnen Stoff ordnete, und die Richtung seiner Kraft
determinierte; das war ein freier Aktus des Gemüts."
schrieben hatte. Von der Idee der Schönheit aus entwickelt stellt
sich der Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt als
Differenz zwischen ästhetischer Haltung („freies Spiel ohne be-
stimmten Zweck") und „philosophischem Interesse" dar, so daß
das „philosophisch Interessante letzter Zweck" der modernen
Poesie ist (KFSA l, 241—45). Für diese besondere Natur der
modernen Poesie verwandte Schlegel auch den Begriff der „cha-
rakteristischen Poesie". Mit der Einfügung dieses Terminus hat
er auch versucht, die Unterschiede zwischen der alten und mo-
dernen Poesie parallel zu dem Begriffspaar „ästhetisch-philoso-
phisch" als „schön-charakteristisch" zu erfassen (KFSA l,
245 — 46). In der Vorrede zum Studium-Aufsatz hat er aber selbst
zugegeben, daß es sich hierbei nicht um eine sehr glückliche
Begriffsprägung handelte und diese dann durch den Gegensatz
„objektiv-interessant" zu ersetzen versucht (KFSA l, 215).
Es ist offensichtlich, daß sich in diesen wandelnden begriffli-
chen Formulierungen die Gegenüberstellung der klassischen und
romantischen Literatur anbahnt, die seit 1798 „ihren Siegeszug
durch die Welt antrat"12 und auch im Studium-Aufsatz schon
gelegentlich auftritt. Wie bereits hervorgehoben, ist der Begriff
der romantischen Poesie jedoch mit dem der modernen nicht
kongruent, sondern bildet die prominenteste Tradition in ihr, die
von der klassizistischen Theorie zurückgedrängt wurde. Mit der
Konzentration auf diese romantische Tradition ändern sich viele
der im Studium-Aufsatz noch stark kritisch klingenden Bezeich-
nungen für die Charaktereigenschaften der modernen Poesie. Der
ganze Entwurf gewinnt eine ausgeglichenere Balance im Sinne
der absoluten Ebenbürtigkeit bei absoluter Verschiedenheit der
klassischen und romantischen Literatur. Kurz nachdem er im
Spätsommer 1796 in Jena eingetroffen war, hatte Friedrich Schle-
gel das Gefühl, daß er in Dresden, wo er seinen Studium-Aufsatz
und den Großteil seiner griechischen Arbeiten ausgeführt hatte,
auf dem besten Wege gewesen war, „sich im Studium der Antiken
zu petrifizieren" (KFSA 23, 332).
Was den Begriff der Schönheit im modernen Zeitalter anbe-
trifft, so bleibt noch nachzutragen, daß für Friedrich Schlegel
12
Hans Eichner in KFSA 2, XLIX.
13
Siehe hierzu Günter Oesterle, „Entwurf einer Monographie des
ästhetisch Häßlichen. Die Geschichte einer ästhetischen Kategorie
von Friedrich Schlegels Studium-Aufsatz bis zu Karl Rosenkranz'
Ästhetik des Häßlichen als Suche nach dem Ursprung der Moderne,"
Zur Modernität der Romantik. Herausgegeben von Dieter Bänsch
(Stuttgart: Metzler 1977), 217-297.
14
Aus dem Heft „Studien des Altertums", Nr. 11: im Druck für Bd. 15
der KFSA.
15
A.W. Schlegel, Spanisches Theater, 2 Bde. (Berlin: Reimer 1803-09)
und A.W. Schlegel, „Über das spanische Theater", Europa. Eine
Zeitschrift, hg. von F. Schlegel (Frankfurt: Wilmans 1803-05) l, 2,
72 — 87. Diese Texte erschienen zusammen in der 2. Aufl. von A.W.
Schlegel, Spanisches Theater, 2 Bde., hg. von Eduard Böcking (Leip-
zig: Weidmann 1845). Siehe ebenfalls A.W. Schlegel, Blumensträuße
Italienischer, Spanischer und Portugiesischer Poesie (Berlin: Reimer
1804).
16
Z. B. „Drei vorherrschende Gattungen: \. Tragödie bei den Griechen;
2. Satire bei den Römern; 3. Roman bei den Modernen" (KFSA 16,
88). - »Wie unsre Dichtkunst mit dem Roman, so fing die der
Griechen mit dem Epos an und löste sich wieder darin auf" (KFSA
2, 335). - Siehe Hans Eichner, Friedrich Schlegel (New York: Twayne
1970), 53 — 54: „aufgrund seiner Überzeugung von der dominierenden
Rolle des Romans in der Literatur der letzten tausend Jahre —
nämlich dem gereimten Epos in einer modernen Mundart, der Ro-
manze, dem Roman, und selbst bestimmten Formen des Dramas, die
alle als Varianten ein und derselben literarischen Form aufgefaßt
wurden - bezeichnete Schlegel das Wesen dieser Literatur als ,ro-
mantisch'".
Poetischen und setzte sich von dem früheren Begriff der moder-
nen Poesie ab, der den Gegensatz zur antiken Poesie bezeichnet.
Das Moderne drückt einen bestimmten Typ der Literatur aus,
der in seiner Komposition durchaus kunstvoll und in der Art
seiner dichterischen Gestaltung auch von Reflexion durchdrun-
gen ist, aber den dichterischen Schmelz des Romantischen ver-
missen läßt. Je mehr sich die Brüder Schlegel mit der Erforschung
der romantischen Tradition, insbesondere mit Autoren wie
Dante, Boccaccio, Petrarca, Cervantes, Shakespeare und Calde-
ron beschäftigten, desto anspruchsvoller und exklusiver wurde
ihr Begriff des wahrhaft Poetischen und desto schärfer wurde
die Grenzlinie zwischen dem Romantischen und dem Modernen
in einem allgemeinen Sinne gezogen. Die moderne Literatur
umschloß für sie nicht allein die Autoren des Klassizismus und
der tragedie classique, nicht nur Schriftsteller wie Voltaire und
Pope, sondern bald auch Lessing, wenigstens in seinen drama-
tischen Hervorbringungen (KFSA 2, 335) und sogar Goethe
(KFSA 16, 108, 113, 133; 3, 138).l7
Fragt man aber, worin denn das wahrhaft Romantische im
Gegensatz zum bloß Modernen für die Brüder Schlegel bestanden
hat, dann ist vielleicht keine Qualität bedeutender als ein gewisser
fluoreszierender, scheinender Charakter des literarischen Werkes,
mit dem es den notwendigerweise begrenzten Umkreis der
menschlichen Sprache transzendiert und einen Ausblick in das
Unendliche gewährt. Tatsächlich scheint dieser Bezug zum Un-
endlichen den Unterschied zwischen der romantischen und mo-
dernen Literatur zu bezeichnen, insofern die moderne in zwar
höchst kunstvoller Weise auf die Sphäre des menschlichen Sub-
jekts beschränkt ist, wogegen die romantische die bloß mensch-
liche Welt übersteigt und ein Bild „von dem unendlichen Spiele
der Welt" erschafft (KFSA 2, 324). Dies bedeutet kein Nachlassen
im strengen Gestaltungswillen strukturaler „Verknüpfung", wie
er im Rahmen der griechischen Poesie als Prinzip der Dichtung
aufgestellt worden war, sondern fügt diesem eine neue Dimension
18
Z. B. die „romantische, d. h. eigentümlich moderne" Literatur: AWS
V 2,4.
A.W. Schlegel bezieht sich dabei auf die Darstellung der Weiblichkeit
in der bildenden Kunst und der Poesie.
20
Josef Körner, Die Botschaft der deutschen Romantik an Europa
(Augsburg: Filser 1929).
21
Rene Bray, Chronologie du romantisme (Paris 1932), 10.
22
Siehe Rene Wellek, A History of Modern Criticism, Bd. 2 (New
Haven: Yale University Press 1955), 152.
23
Margaret Alterton, Origins of Poe's Critical Theory (University of
Iowa Studies: Humanistic Studies II, 3, 1925).
24
Siehe die umfassende Einleitung von Giovanni Vittorio Amoretti zu
dessen Ausgabe von August Wilhelm von Schlegels Vorlesungen über
dramatische Kunst und Literatur, 2 Bde. (Bonn: Schroeder 1923),
Bd. l, IX-CVII.
15
Johann Dornhof, J.N. Bohl von Faber (Hamburg 1925); C. Pitollet,
La quereile Calderonienne de J.N. Bohl von Faber et ].]. de Mora
(Paris 1909); Josef Körner, „J.N. Bohl von Faber und A.W. Schlegel",
Die neueren Sprachen (1929).
26
Siehe zum folgenden Josef Körner, Die Botschaft der deutschen
Romantik an Europa, 73 — 74.
27
Siehe Josef Körner, 74.