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Einleitung

Frühromantik als literaturgeschichtliches Phänomen

Bei dem unter dem Namen Frühromantik vorgestellten Kreis von


Schriftstellern handelt es sich um eine eigentümliche, nicht mit
den üblichen Maßstäben der Historiographie zu erfassende Er-
scheinungsform der Literatur- und Geistesgeschichte. Eigentlich
hat dieser Kreis nicht länger als fünf Jahre existiert und innerhalb
dieser Zeit nur zwei, drei Jahre lang seine volle Wirkung entfaltet.
Dabei handelt es sich um die Zeit vom Sommer 1796 bis zum
Sommer 1801. Der Anfang dieser Begebenheit ist darin zu er-
blicken, daß sich August Wilhelm Schlegel zusammen mit seiner
Frau Caroline im Juni 1796 in Jena niederließ und an der dortigen
Universität eine Professur in den Literaturwissenschaften über-
nahm. Ihr Haus am Löbdergraben wurde der Versammlungsort
einer Gruppe junger Schriftsteller und Dichter, alle noch in ihren
zwanziger Lebensjahren, die man später als „romantische Schule"
oder „frühromantische Schule" bezeichnet hat. Bereits im August
1796 folgte August Wilhelm Schlegels jüngerer Bruder Friedrich
diesem nach Jena, wo er sich als freier Schriftsteller betätigte.
Friedrich Schlegel war seit seiner Studienzeit in Leipzig mit
Novalis, dem Freiherrn Friedrich von Hardenberg, eng befreun-
det, der inzwischen seine Examina abgeschlossen hatte und im
nahegelegenen Weißenfels als Salzbergwerksingenieur wirkte.
Novalis kam häufig nach Jena, zumal seine Verlobte Sophia von
Kühn in der dortigen Universitätsklinik behandelt wurde, und
war von Anfang an eine zentrale Gestalt dieses Kreises. Als
Friedrich Schlegel im Sommer 1797 wegen Zwistigkeiten mit
Schiller seinen Wohnsitz vorübergehend nach Berlin verlegte, trat
er dort mit einer anderen Gruppe von Schriftstellern in Verbin-
dung, zu denen Johann Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck
und Friedrich Schleiermacher gehörten. Hier lernte er auch Do-

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10 Einleitung

rothea (damals noch Brendel) Veit, die Tochter Moses Mendels-


sohns, kennen, die seine Geliebte und später seine Frau wurde.
Diese Ausweitung des Kreises der Frühromantiker nach Berlin
ist auch deshalb von Wichtigkeit, weil hier die Zeitschrift Athe-
näum (1798 -1800) begründet wurde, die das bedeutendste Mit-
teilungsorgan der Frühromantik war, an dem fast alle Angehö-
rigen des Kreises mitgearbeitet haben. Als Friedrich Schlegel im
Herbst 1799 nach Jena zurückkehrte, folgten ihm bald Dorothea
und Tieck mit seiner Frau Amalie nach. Wackenroder war bereits
Anfang 1798 gestorben, und Schleiermacher kam wegen seiner
beruflichen Verpflichtungen als Prediger an der Charite in Berlin
nie nach Jena. Aus diesen Persönlichkeiten bestand die frühro-
mantische Schule. Auf deren gemeinschaftliches Philosophieren
und Dichten bezieht sich das Athenäum-Fragment 125, in dem
Friedrich Schlegel sagt: „Vielleicht würde eine ganz neue Epoche
der Wissenschaften und Künste beginnen, wenn die Symphilo-
sophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde, daß es
nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehre sich gegenseitig ergän-
zende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten" (KFSA 2, 185).
Alle männlichen Mitglieder hatten an Universitäten studiert:
August Wilhelm Schlegel alte und neue Literatur in Göttingen;
Friedrich Schlegel alte und neue Literatur und Jurisprudenz in
Göttingen und Leipzig; Novalis Jurisprudenz und Geschichte in
Jena, Leipzig und Wittenberg; Wackenroder Jurisprudenz und
moderne Literatur in Bamberg und Göttingen; Tieck alte, jedoch
meist neue Literatur in Halle, Bamberg und Göttingen; und
Schleiermacher Theologie, Philosophie und alte Literatur im
herrnhutischen Seminar zu Barby und an der Universität Halle.
August Wilhelm Schlegel, Novalis, Wackenroder und Schleier-
macher hatten ihre Studien mit den damals üblichen Examina
abgeschlossen. Friedrich Schlegel erwarb im Sommersemester
1800 den philosophischen Doktorgrad der Universität Jena, wo
er sich gleichzeitig in der Philosophie habilitierte. Die beiden
Frauen hatten durch ihr Elternhaus eine vorzügliche geistige
Ausbildung erhalten. Caroline Schlegel war die Tochter des Göt-
tinger Orientalisten Johann David Michaelis. Dorothea Schlegel
war von ihrem Vater Moses Mendelssohn sogar persönlich, nach
einem eigenen Plan erzogen worden und zeichnete sich gegenüber

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Einleitung 11

der vornehmlich humanistischen, d. h. literarischen Bildung der


meisten anderen Frühromantiker durch ihre ausgezeichneten
Kenntnisse in der Musik und Malerei aus.
Andere Vertreter des damaligen Geisteslebens waren mit dem
Romantikerkreis verbunden, zeitweise sogar eng darin verfloch-
ten, ohne aber wegen ihrer andersartigen, auf spezielle Themen
oder akademische Fächer eingeschränkten Interessen in das Gei-
stesleben der Frühromantiker zu passen, das durch eine Wech-
selwirkung zwischen den Disziplinen, eine „Vermischung" der
Talente gekennzeichnet war. Dazu gehören die Philosophen Jo-
hann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling,
die beide an der Universität Jena tätig waren; der Pädagoge
August Ludwig Hülsen, der unabhängig von der Universität in
Jena wirkte und dort ein Erziehungsinstitut unterhielt; und der
in Berlin tätige Sprachtheoretiker August Ferdinand Bernhardi.
Hülsen und Bernhardi haben sogar zum Athenäum beigetragen,
aber für die Ausbildung der Frühromantik sind sie Randfiguren
geblieben. Fichte und Schelling sind gedanklich, vor allem phi-
losophisch, eng mit der Frühromantik verbunden gewesen. In
der Vereinigung von Poesie, Philosophie, Rhetorik, Kritik (Phi-
lologie), Gesellschaft, Sprache, Kommunikation usw. (KFSA 2,
182) geht die Frühromantik jedoch über deren Versuche zur
Neubegründung einer reinen Philosophie weit hinaus.
Nachdem 1800 der letzte Band des Athenäum erschienen war,
beginnt im Jahre 1801 deutlich die Auflösung dieses Zusammen-
wirkens. Jeder der Frühromantiker fängt an, seine eigenen Wege
zu gehen, die sie in weit auseinanderliegende Richtungen führen.
Aber jeder von ihnen erinnert sich noch in späten Jahren dieses
geistigen Gemeinschaftslebens als einer besonderen Errungen-
schaft in ihrem Leben. Friedrich Schlegel spricht von der „Ver-
einigung von Kenntnissen" und dem „Zusammenwirken von
Talenten", durch das ihre damalige Tätigkeit gekennzeichnet war
und meinte, daß sich hier ein „neuer Geist" einstellte (KFSA l,
573). August Wilhelm Schlegel charakterisierte den Geist, der
diesen „heitren geselligen Kreis" bestimmte, als „große Vielsei-
tigkeit" und sah in der „immer erneuerten Betrachtung vollen-
deter Geisteswerke", vor allem auch der „in Vergessenheit ge-
ratenen Urkinder des Genius" ihre damalige „Lieblingsbeschäf-

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12 Einleitung

tigung". Er sagte: „Ich habe seitdem in den geistreichsten und


gebildetsten Kreisen gelebt, viele der merkwürdigsten Zeitgenos-
sen in Deutschland und im Ausland kennengelernt: aber jener
freien und fruchtbaren Gemeinschaft der Geister in dem hoff-
nungstrunknen Lebensalter wendet sich meine Erinnerung noch
oft mit Sehnsucht zu" (AWS SW 11, 144-145). Tieck richtete
sich an August Wilhelm Schlegel, als er rückblickend in der
Einleitung zum Phantasus schrieb: „Es war eine schöne Zeit
meines Lebens, als ich Dich und Deinen Bruder Friedrich zuerst
kennenlernte; eine noch schönere, als wir und Novalis für Kunst
und Wissenschaft vereinigt lebten, und uns in mannigfaltigen
Bestrebungen begegneten" (LT S 6, 9— 10). Schleiermacher bezog
sich zu Anfang seiner Rede vor der Preußischen Akademie der
Wissenschaften von 1829 Über den Begriff der Hermeneutik auf
diese Zeit, insbesondere auf seine gemeinschaftliche Tätigkeit
mit Friedrich Schlegel, durch die der neue Begriff des Verstehens
und der Interpretation entstand und von ihnen gemeinschaftlich
entwickelt wurde (FDES SW 3, 3, 344-45).
August Wilhelm Schlegel begab sich im Sommer 1801 nach
Berlin, nachdem seine Ehe mit Caroline auseinanderzubrechen
begann. Zwar beschäftigten sich die dort von ihm gehaltenen
Vorlesungen Über schöne Literatur und Kunst (1801 — 1804) mit
der Thematik der Frühromantik, ja er wollte darin sogar die
Summe des von ihr Geleisteten ziehen. Aber damit stellt er sich
gleichzeitig außerhalb dieses Kreises und wird dessen erster Hi-
storiograph. Novalis war am 25. März 1801 in Weißenfels ge-
storben. Tieck und Friedrich Schlegel brachten 1802 in zwei
Bänden die erste Ausgabe seiner Sämtlichen Schriften heraus,
unter denen solch wichtige Texte wie der erste Teil des Romans
Heinrich von Ofterdingen in Erscheinung traten. Bei der Veröf-
fentlichung dieser Ausgabe befanden sich Friedrich und Dorothea
Schlegel aber bereits auf dem Weg nach Paris, während Tieck
seinen Aufenthalt auf dem Gut Ziebingen bei Frankfurt an der
Oder genommen hatte. Nach Vollzug der Scheidung von August
Wilhelm Schlegel im Mai 1803 ging Caroline mit Schelling nach
Würzburg, wo auch für sie ein ganz neuer Lebensabschnitt be-
gann. Seit dem Sommer 1801 läßt sich also nicht mehr von einer
früromantischen Schule sprechen, obwohl in der kurz danach

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Einleitung 13

folgenden Zeit immer noch Wirkungen von dem ehemaligen


Kreis ausgehen.
Obwohl sie das Bewußtsein erfüllte, etwas Neues zu bewirken
und literarische Modernität im höchsten Sinne zu repräsentieren,
haben sich die Frühromantiker selbst nicht als „früh" gesehen.
Das war ihnen schon deshalb nicht möglich, weil sie nicht wissen
konnten, daß es nach ihnen noch andere Formen der Romantik
geben würde, die man in der Geschichtsschreibung als Heidel-
berger Romantik, Hochromantik, Spätromantik, politische Ro-
mantik usw. bezeichnet hat. Frühromantik ist ganz offensichtlich
eine späte, aus der rückschauenden Perspektive des Historikers
geprägte Bezeichnung und keine Kategorie des Selbstverständ-
nisses gewesen. Es sollte damit zu Beginn oder noch vor dem
Einsatz der romantischen Bewegung ein Zeitraum abgehoben
werden, in dem sich der Charakter der Romantik bereits abzu-
zeichnen begann, nämlich der große Epochenbruch mit dem
vorhergehenden System des Rationalismus und Klassizismus,
ohne daß aber die Eigenarten der späteren Romantik im Sinne
einer völkischen, nationalen Interessenrichtung, einer politischen
Restauration und einer religiösen Anschlußnahme an die Kirche
und Orthodoxie zum Ausdruck kamen. Vielmehr waren hier
anstelle des Nationalismus ein Kosmopolitismus und ein weltli-
terarisches Bewußtsein, anstelle des politischen Konservativismus
eine Bejahung der Revolution sowie der Modernität und anstelle
einer kirchengebundenen Erlöserreligion der Pantheismus einer
progressiven Humanitätsreligion vorherrschend.
Der Epochenbruch mit dem System des Rationalismus und
Klassizismus, das Europa bis dahin bestimmt hatte, läßt sich auf
verschiedene Weisen charakterisieren, je nachdem, ob man seinen
Blickpunkt auf den Wandel im philosophischen Denken (Kant),
in der politischen Wirklichkeit (Französische Revolution) oder
in der Literatur und der Literaturtheorie (Sturm und Drang,
Goethe, Schiller) richtet. Für die Frühromantiker lassen sich diese
Bereiche nicht voneinander trennen, und indem er sie im Begriff
des neuen Zeitalters zusammenschließt, sagt Friedrich Schlegel:
„Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und
Goethes Meister sind die drei größten Tendenzen des Zeitalters"
(KFSA 2, 198). Sucht man aber dennoch im Bereich der Literatur

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14 Einleitung

und der Literaturtheorie den Bruch mit dem Klassizismus als


gesondertes Phänomen in der Frühromantik hervorzuheben,
dann läßt er sich wohl auf kürzeste Weise als Abkehr vom Prinzip
der Nachahmung, der Repräsentation, der Mimesis bezeichnen.
In der klassischen und klassizistischen Tradition von Platon und
Aristoteles bis zu Boileau, Pope und Gottsched wurde die Auf-
gabe der Literatur, wie aller Kunst, darin gesehen, eine vorge-
gebnene Realität abzubilden - die uns umgebende Natur, die
großen Ereignisse der Geschichte, die Gestalten und Sagen der
Mythologie, die Offenbarungen oder Legenden des Christen-
tums, oder die großen Werke der Vergangenheit. Die Kunst hatte
diesen festen Referenzpunkt und wurde in diesem Sinne als
Nachahmung, Repräsentation, Mimesis verstanden.
Vielleicht hat sich kein klassischer oder klassizistischer Autor
je so einseitig für diese Auffassung der Kunst ausgesprochen.
Nicht einmal Platon könnte auf diese Lehre reduziert werden.
Er hat dem Dichter natürlich vorgeworfen, ein Nachahmer und
zudem ein schlechter zu sein.1 Sein Hauptvorwurf gegen den
Dichter richtet sich aber gegen dessen Fähigkeit, die Leidenschaf-
ten seiner Zuhörer zu entfachen 2 , was wenig mit Nachahmung
zu tun hat. Platon nahm ebenfalls an, daß der Dichter sein Werk
nicht im Zustand der Nüchternheit und Gleichmütigkeit, sondern
in dem der Ekstase, der Trunkenheit und des Wahnsinns her-
vorbringe3, was ebenfalls von Nachahmung grundlegend ver-
schieden ist und eher wie eine Inspirationstheorie klingt. Aristo-
teles verteidigte die Literatur gegenüber Platon als eine völlig
natürliche und legitime Form der Nachahmung. 4 Wenn er die
Tätigkeit des Dichters jedoch näher beschreibt, kommen Züge
zum Ausdruck, die ebenfalls mit der Nachahmung wenig zu tun
haben. Aristoteles vergleicht den Dichter zum Beispiel mit dem
Geschichtsschreiber5, der wirkliche Geschehnisse beschreibt, wo-
hingegen der Dichter seine Werke im Bereich des Möglichen,

1
Hauptsächlich in der Republik, Buch X.
2
Hauptsächlich in der Republik, Buch III.
3
Der frühe Dialog Ion ist das beste Beispiel hierfür.
4
In der Poetik I, 2; IV, 2.
5
In der Poetik IX, l - 2.

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Einleitung 15

d. h. des Imaginativen hervorbringt. Wenn Aristoteles sagt, daß


ein literarisches Werk Anfang, Mitte und Ende haben muß 6 ,
scheint er zum Ausdruck zu bringen, daß der Dichter in bezug
auf seine Materialien eine Auswahl treffen soll, daß er sein Werk
zu strukturieren hat, was von einer bloßen Nachahmung tief-
greifend verschieden ist. Ähnliche Ansichten ergeben sich aus
seinen Begriffen des menschlichen Maßes und der menschlichen
Größenordnung, nach denen der Dichter verfahren soll.7 Lon-
ginus sah das Wesentliche der Dichtkunst in der Hervorbringung
des erhabenen Stils, der auf Grund seiner Vehemenz die Seele
bewegt und den Geist inspiriert. 8 Dante und Boccaccio unter-
schieden zwischen den wörtlichen und allegorischen Bedeutungs-
dimensionen eines literarischen Textes und nahmen eine Mehr-
heit von Bedeutungen, eine Vielheit von Sinn in ihm an. 9 Selbst
ein klassizistischer Dramatiker wie Corneille, der die Regeln der
Nachahmung einhalten wollte, mußte sie oft verletzen, um grö-
ßere Schönheiten für seine Zuschauer schaffen zu können. 10 Trotz
dieser und anderer Abweichungen läßt sich die klassische und
klassizistische Sehweise der Literatur aber als eine Theorie der
Nachahmung bezeichnen. Das Kriterium dafür liegt in der An-
nahme einer vorgegebenen Realität für die Poesie, eines in der
wirklichen Welt präexistierenden Beziehungspunktes.
Die Frühromantik führte einen absoluten Wandel in diesen
Relationsverhältnissen der Kunst herbei, der von anderen und
bereits früher stattgefundenen Auseinandersetzungen mit der
Nachahmungstheorie so tiefgreifend verschieden ist, daß wir
wirklich von einem Wendepunkt, einem Epochenbruch, einem
Paradigmenwechsel, einer Revolution sprechen können. Wie be-
reits erwähnt, führte Kant in der Philosophie auf analoge Weise
eine „Kopernikanische Wende", eine Revolution im Denken her-
bei, als er die philosophische Nachforschung von einer Betrach-

6
In der Poetik VII, 1-2.
7
In der Poetik VII, 4-7.
8
In der Schrift Über das Erhabene.
9
Dante im Brief an Can Grande delta Scala von 1319 und Boccaccio
im Leben Dantes.
10
Besonders in seinen Diskursen über die dramatische Poesie von 1660.

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16 Einleitung

tung der äußeren, uns umgebenden Welt auf Strukturen a priori


des menschlichen Bewußtseins umlenkte, welche die Erfahrung
der äußeren Welt erst möglich machen und somit die „Bedin-
gungen ihrer Möglichkeit" sind. Wenn wir für diese Ereignisse
den Begriff Revolution verwenden, 11 borgen wir ihn natürlich
von der Französischen Revolution von 1789, die einen anderen
entscheidenden Wandel im damaligen Leben hervorbrachte, näm-
lich in den Regierungsverhältnissen und im Sozialbewußtsein.
Die romantische Revolution führte zu einer völlig neuen Kon-
zeption des literarischen Werkes. Dieses wurde nicht mehr in
Beziehung auf eine vorgegebene Wirklichkeit verstanden, son-
dern als eine Gegebenheit gesehen, die in einem schöpferischen
Prinzip des menschlichen Geistes ihren Ursprung hat, der Ein-
bildungskraft, der Kraft des Genies, die eigene Werke hervor-
zubringen vermag. Natürlich nimmt die Dichtung ihre Materia-
lien, ihren Stoff, aus der äußeren Welt, wie sie uns umgibt. Aber
sie erschafft daraus eine eigene Welt, die von der wirklichen
verschieden ist und sich von dieser auf eine höchst sinnvolle
Weise abhebt. Diese Welt hat ihre eigene Ordnung von Ort und
Zeit, von Mitteilungsfähigkeit und Wahrheit, und ist überdies
auf höchst bewußte Weise hervorgebracht. Bei dieser Art von
Schöpfung schafft der Dichter ein einheitlich gestaltetes Werk,
in das eine Vielheit von widerstreitenden und sogar gegensätz-
lichen Elementen eingegangen ist, die aber ein strukturiertes und
zusammenhängendes Ganzes bilden. Der englische Romantiker
Samuel Taylor Coleridge, der hier stark von August Wilhelm
Schlegel abhängig ist, verwandte für diese Art von Tätigkeit die
Begriffe „künstlerisches Urteil" (aesthetic judgment) oder „voll-
kommenes Urteil", Vollkommenheitsentscheidung (consummate
judgment) und sagte in seiner Biographia Literana mit bezug auf

11
Bereits Zeitgenossen verwandten hierfür den Begriff der Revolution.
So spricht Adam Müller in seinen Schriften in bezug auf die Früh-
romantik wiederholt von einer „kritischen Revolution", oder er be-
zieht sich auf „die durch Schlegel bewirkte Revolution": Adam Mül-
ler, Kritische, ästhetische und philosophische Schriften. Herausge-
geben von Walter Schroeder und Werner Siebert (Neuwied: Luchter-
hand, 1967), Band l, 23, 38, 39, 41.

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Einleitung 17

Shakespeare als Dichter: „Ich zögerte nicht, meine absolute Über-


zeugung auszudrücken, daß das Vollkommenheitsurteil Shake-
speares mich nicht nur in der allgemeinen Konstruktion, sondern
auch in jedem Detail seiner Dramen mit mehr Erstaunen erfüllte,
als die Macht seines Genies oder die Tiefe seiner Philosophie."12
Dies ist der frühromantische Begriff einer bewußten Kunst. Nach
der klassizistischen Kunsttheorie des achtzehnten Jahrhunderts
wurde Shakespeare als ein wildes Ungeheuer aufgefaßt, das we-
der Geschmack noch Urteilskraft besaß und seine Werke wie
Naturschöpfungen durch natürliches Wachsen, wie Bäume, her-
vorbrachte. Nach der frühromantischen Vorstellung ist das
Kunstwerk das Resultat eines bewußten Schaffens, über das der
Dichter völlige Kontrolle ausübt.
Hier muß man freilich sehr vorsichtig formulieren, da sich die
frühromantische Theorie nicht einfach als Gegenschlag oder Ge-
gensatz zu der klassizistischen bestimmen läßt, sondern ihren eige-
nen Duktus hat. Kein Frühromantiker hat die Theorie des bewuß-
ten Schaffens so apodiktisch vertreten, wie sie gerade zum Aus-
druck gebracht wurde. Wenn man genauer untersucht, stellt man
eine feine Zwischenlinie zwischen bewußtem und unbewußtem
Schaffen fest, insofern Absicht zum Instinkt und Instinkt zur Ab-
sicht erhoben werden sollen (KFSA 2, 172-73). Dieser Antago-
nismus zwischen bewußtem und unbewußtem Schaffen zeigt sich
bereits bei Kant, wo er freilich als ungelöstes, unbewältigtes Pro-
blem auftritt, insofern Kant an einer Stelle seines Werkes die Kunst
als Werk des Genies und an einer anderen das Genie als „Günstling
der Natur" bezeichnet (KA 5, 307). In Schelling setzt sich die Be-
stimmung der künstlerischen Produktivität in diesen gegensätzli-
chen Begriffen fort, wohingegen die Frühromantiker aus dieser
Antinomie eine „Wechselbeziehung" und eine „Wechselbestim-
mung" machten, nach der Kunst zur Natur und Natur zur Kunst
gemacht werden sollten.13 In späteren avantgardistischen Theorien

12
Samuel Taylor Coleridge, Biographia Literaria. Herausgegeben von
J. Showcross, 2 Bde. (Oxford: Oxford University Press, 1907), Band
1,22.
13
Siehe hierzu meinen Aufsatz „Natur und Kunst in der frühromanti-
schen Theorie des Schönen", Athenäum 2 (1992), 7 — 32.

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18 Einleitung

wie l'art pour l'art und poesie pure (Baudelaire, Mallarme), die
aber bereits in den Theorien des Novalis über die absolute Poesie
ihr Vorbild finden, treten diese Bezüge zur Natur zurück und wer-
den sogar eine Verlegenheit, die überwunden werden soll, ohne
daß sie jedoch ihre Bedeutung je ganz verlieren. Trotz dieses be-
stehenbleibenden Bezugs zur Natur können wir aber von der früh-
romantischen Kunsttheorie in Begriffen der schöpferischen Her-
vorbringung und des „Kunsturteils" sprechen, weil ganz gleich,
was die Beziehung der Dichtung zur äußeren Welt und zur Natur
auch sein mag, diese nicht mehr als eine sich auf eine vorgegebene
Realität ausrichtende gedacht wurde, um deren Repräsentation
sich die Dichtung zu bemühen hatte oder nach deren Maßstab
geschaffen werden sollte.
Ebensowenig wie der Begriff Frühromantik wurden aber von
den Vertretern dieser Neuerung die Bezeichnungen Romantik, ro-
mantisch oder Romantiker für ihre eigenen Bemühungen ver-
wandt. Zur Zeit des Entstehens der frühromantischen Schule treten
diese Wörter in den Vokabularen der europäischen Länder mit
einer großen Bedeutungsvielheit auf und beziehen sich gewöhnlich
auf Phänomene der Literatur („wild Romantick Tales"), der Land-
schaft oder des natürlichen, nicht nach Ornamenten angelegten
englischen Gartens {„in shapes romantic"), auf Gefühlsweisen
(„amour romanesque") oder ekzentrisches Verhalten („romanti-
scher Charakter"). 14 Die grundlegende Bedeutung in all diesen
verschiedenen Ausdrucksweisen war aber „mit dem auflockernden
Effekt verbunden, den die Literaturgattung der Romanzen auf die
Einbildungskraft ihrer Leser hervorrief". 15 Daher rührt die Bedeu-
tung des Wortes romantisch im Sinne des „,wie in einer Romanze',
einem Roman, ,zur Romanze gehörig'" oder „wie in einer Romanze

H
Siehe hierzu meinen Aufsatz „Kritische Gedanken zum Begriff der
europäischen Romantik", Ernst Behler, Studien zur Romantik und
zur idealistischen Philosophie (Paderborn: Schöningh, 1988),
86-115.
15
Raymond Immerwahr, ,,,Romantic' and its Cognates in England,
Germany, and France before 1790", „Romantic, and its Cognates.
The European History of a Word". Herausgegeben von Hans Eichner
(Toronto: University of Toronto Press, 1972), 18.

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Einleitung 19

und nicht wie im wirklichen Leben", womit das Wort die Bedeu-
tung von „,fiktiv',,unwahr',,extravagant', unwahrscheinlich', ja
,absurd'" annimmt. 16 Die Romanzen, an die man in diesem Zu-
sammenhang dachte, waren die des König Arthur und die seine
Ritter umgebenden Legenden, aber die Bezeichnung schloß auch
die vielen „rein fiktiven Nachahmungen" dieser Legenden ein, wel-
che die Buchdruckerei damals in ein Massenmedium umgewandelt
hatte, „das jedem zur Verfügung stand, der lesen konnte und einen
bescheidenen Preis zu zahlen vermochte".17
Wenn man sich innerhalb dieser breiten Verwendungen des Wor-
tes auf die fiktionale Bedeutungsnuance konzentriert, stellt man
fest, daß sie sich auf eine Literatur bezieht, die damals unter Kri-
tikern und Theoretikern noch nicht genügend Beachtung gefunden
hatte und nicht Teil des etablierten Kanons der europäischen Lite-
ratur war. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die Literatur,
die von Autoren wie Dante, Boccaccio, Petrarca, Cervantes, ja auch
Shakespeare vertreten wurde, der ebenfalls von der klassizistischen
Theorie zurückgewiesen worden war. In diesem Sinne spricht Boi-
leau in seiner Art poetique von 1674 ziemlich verächtlich von der
Literatur „jenseits der Pyrenäen", die im exotisch Wunderbaren
schwelgt, oder den „glänzenden Prachtbauten" der Italiener oder
der „Bedeutungslosigkeit" der „Helden des Romans".18 Auf prä-
zisere Weise bezieht die große Enzyklopädie von 1751 —72 das
Romantische auf alles, was zum Roman gehört, d. h. auf Dinge
und Personen wie: „Eine romantische Leidenschaft; romantische
Ideen; einen romantischen Kopf; eine romantische Reise; ein ro-
mantisches Werk" (E 29, 376). Dabei ist von Bedeutung, daß das
Wort „romantisch" in der französischen Sprache direkt auf das
Wort für den Roman (roman) bezogen ist, während dieser Bezug
in der englischen Sprache, in welcher der Roman als novel bezeich-
net ist, durch das Wort romance besteht. Diese semantische Bezie-

16
Hanz Eichner, „Germany: Romantisch-Romantik-Romantiker", Ro-
mantik and its Cognates, 100.
17
Raymond Immerwahr, .„Romantik' and its Cognates in England,
Germany, and France before 1790", 19.
18
Nicolas Boileau-Despreaux, Oeuvres completes (Paris: Bibliotheque
de la Pleiade, 1966), 170, 158. 171.

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20 Einleitung

hung zwischen dem Adjektiv romantisch und dem Substantiv Ro-


man oder Romanze fehlt in der deutschen Sprache völlig, in der es
zwar „etablierte Adjektive für die drei klassischen Gattungen gibt
— episch, lyrisch und dramatisch'1, aber keine solche Bezeichnung
für den Roman. Wie Hans Eichner herausgearbeitet hat, ist es
wahrscheinlich, daß um 1800 romantisch auf eine Weise verwandt
wurde, mit der diese Lücke gefüllt werden sollte. In einem ent-
sprechenden Kontext konnte das Wort so verstanden werden, „als
hätte es dieselbe semantische Beziehung zum Roman wie drama-
tisch zum Drama".19 Dieser Wortgebrauch hat sich aber nicht
durchgesetzt und blieb hauptsächlich eine terminologische Extra-
vaganz der Frühromantiker. Wegen der ungewöhnlich breiten Be-
deutung ihres eigenen Begriffs des Romans, der praktisch die ge-
samte Literatur umfaßte, war dieser Wortgebrauch auch von ge-
ringer Bedeutung für ihre eigene Theorie.
Allgemein gesprochen machen sich zwei Hauptbedeutungen des
Begriffs romantisch in der Literaturkritik des ausgehenden acht-
zehnten Jahrhunderts bemerkbar, eine chronologisch-historische
und eine typologische. Die chronologische bezieht sich auf eine
literarische Tradition, die im Mittelalter entstanden war und das
literarische Schreiben im modernen Europa durchzog, aber vom
Klassizismus geringgeschätzt und auch nicht in den literarischen
Kanon aufgenommen wurde. Die typologische bezog sich auf be-
stimmte exotische Charakterzüge der Literatur, einschließlich
kompositionsmäßiger und strukturalistischer Merkmale, die ur-
sprünglich in der Literatur der Romanzen angetroffen werden, aber
nun überall gefunden werden konnten. Friedrich Schlegel ver-
wandte das Wort romantisch in diesen beiden Bedeutungen, wobei
jedoch die Bewertungen, die sich mit ihnen verbinden, einen tiefen
Wandel durchlaufen haben. Die typologische Bedeutung des Be-
griffs, der sich aus einer Mischung der Stile herleitet, zeigt sich in
der Feststellung: „Denn nach meiner Ansicht und nach meinem
Sprachgebrauch ist eben das romantisch, was uns einen sentimen-
talen Stoff in einer fantastischen Form darstellt" (KFSA 2, 333).
Der chronologische Charakter des Begriffs wird bemerkbar, wenn

19
Hans Eichner, „Germany: Romantisch-Romantik-Romantiker", 102.

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Einleitung 21

Schlegel in Bezug auf die nachmittelalterliche Literatur sagt: „Da


suche und finde ich das Romantische, bei den altern Modernen,
bei Shakespeare, Cervantes, in der italienischen Poesie, in jenem
Zeitalter der Ritter, der Liebe und der Märchen, aus welchem die
Sache und das Wort selbst herstammt" (KFSA 2, 325).
Es gibt zahlreiche Stellen, an denen das Wort romantisch der
Position der Frühromantiker so nahe wie möglich kommt, seinen
chronologischen und historischen Bezeichnungscharakter für die
nachmittelalterliche Literatur verliert und mit dem Poetischen
gleichbedeutend wird. Dies zeigt sich, wenn das Romantische als
ein wesentliches Element der Poesie beschrieben wird, wie zum
Beispiel im Gespräch über die Poesie, in dem einer der Gesprächs-
partner sagt, „daß das Romantische nicht sowohl eine Gattung ist
als ein Element der Poesie, das mehr oder minder herrschen und
zurücktreten, aber nie ganz fehlen darf" (KFSA 2, 325). Er fährt
dann mit der Feststellung fort, daß nach seiner Ansicht alle Poesie
romantisch sein solle (ib.). Der berühmteste Text für diesen Über-
gang des Romantischen ins allgemein oder absolut Poetische ist
das Athenäum-Fragment 116. Von Anfang an ignoriert Friedrich
Schlegel in diesem Fragment die chronologische Ansicht der Dicht-
kunst nach Epochen oder Phasen und sagt: „Die romantische Poesie
ist eine progressive Universalpoesie" (KFSA 2, 182). Wir werden
dann mit dem universalen Prozeß der romantischen Poesie bekannt
gemacht, die im Verlauf ihrer Entwicklung zu einer Synthese oder
Sättigung der größten Antithesen gelangt — der von Poesie und
Philosophie, Poesie und Prosa, Poesie und Rhetorik, sowie der
Poesie mit dem gesellschaftlichen Leben, ferner des Genies mit der
Arbeit der Kritik, der Kunstpoesie mit der Naturpoesie. Dieser
Prozeß einer universalen Integration bewegt sich auf immer hö-
heren Ebenen, auf denen schließlich die „Aussicht auf eine gren-
zenlos wachsende Klassizität eröffnet wird." Die romantische Poe-
sie ist mit anderen Worten ein Prozeß, der uns selbst in seinen
Verlauf aufnimmt und Teil davon werden läßt. Dies ist vor allem
deshalb der Fall, weil die Bewegung nicht auf ein letztes Ziel hin
verläuft, an dem die romantische Poesie ihre Natur vollenden und
ihre Objektivierung finden würde, um sich dann zur Ruhe setzen
zu können. Eine solche Vervollkommnung und ein solches Auf-
hören gilt nur für die „ändern Dichtarten", wie zum Beispiel für

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22 Einleitung

die klassische und klassizistische, die „fertig" sind und nun „voll-
ständig zergliedert" werden können. Die romantische Dichtung
dagegen bleibt stets im Werden, so fährt Schlegel fort und sagt: „ja
das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie voll-
endet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden,
und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal cha-
rakterisieren zu wollen". An dieser Stelle kommt Schlegel am dich-
testen an eine Identifizierung der romantischen Poesie mit der Dich-
tung als solcher und damit auch seiner eigenen heran, besonders
wenn er abschließend sagt, daß die romantische Dichtart die ein-
zige ist, „die mehr als Art und gleichsam die Dichtkunst selbst ist:
denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch
sein"(KFSA2, 183).
Bei den Frühromantikern macht sich aber immer ein Abstand
zwischen der Bezeichnung romantisch und ihrer eigenen Position
bemerkbar, insofern sie diese nie direkt auf sich selbst anwand-
ten. Die gebräuchlichste zeitgenössische Bezeichnung für sie war
die der „Schule", insbesondere mit den Zusätzen „neue Schule"
oder „Schlegelsche Schule der Poesie". Die Bezeichnung roman-
tisch ist erst viel später dazu getreten, zum Beispiel in Heinrich
Heines berühmten Buch von 1835 Die romantische Schule. Zu
diesem Zeitpunkt hatte der Begriff romantisch seine Bedeutung
tiefgreifend verändert und war eine satirische, herabsetzende,
karikierende Bezeichnung geworden. Dieser Bedeutungswandel
vollzog sich freilich nicht mehr mit Bezug auf die Jenaer Früh-
romantiker, sondern auf die Heidelberger Romantiker, Autoren
wie Clemens Brentano, Achim von Arnim, Josef Görres und
Friedrich Creuzer. Als Johann Heinrich Voß, der Übersetzer
Homers und Dichter von Idyllen, im Jahre 1805 nach Heidelberg
kam, trat er in einen scharfen Gegensatz zu dieser Gruppe von
Schriftstellern, die er und seine Anhänger als „unsere Romanti-
ker" verspotteten. 20 Er griff also eine bislang für einen älteren
Stil der europäischen Literatur (Dante, Cervantes, Shakespeare)
verwandte Bezeichnung auf, die sicherlich ein Lieblingswort im

20
Siehe hierzu Rene Wellek, „The Concept of Romanticism in Literary
History", Rene Wellek, Concepts of Criticism (New Haven: Yale
University Press, 1963), 128-198.

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Einleitung 23

Munde dieser Schriftsteller geworden war, und gab ihr eine


satirische Wendung, indem er sie auf diese selber anwandte. Die
Bezeichnung diente nun auch dazu, die christlichen und vor allem
die katholischen Tendenzen unter diesen Autoren zu ridikülisie-
ren. Eine neue, von dem Verleger Johann Friedrich Cotta in
Heidelberg gegründete Zeitschrift, das Morgenblatt für gebildete
Stände, diente als Sprungbrett für diese satirischen Angriffe.
Gegen Ende des zweiten Jahrzehnts im neunzehnten Jahrhunderts
hatte das Wort „romantisch" deutlich eine zeitgenössische Be-
deutung angenommen, die zwar aus einer polemischen Tendenz
entstanden war, aber dann nicht notwendigerweise satirisch oder
polemisch ausgerichtet sein mußte. Als Friedrich Bouterwerk,
der keineswegs den Romantikern freundlich gewogen war, zum
elften Band seiner Geschichte der neueren Poesie und Beredsam-
keit kam, sprach er von der „neuen Schule, die nun einmal in
Ermanglung eines anderen Namens die romantische heißen
mag". Eichendorff versuchte in seinen literaturhistorischen
Schriften genauer zu sein und sprach von einer „modernen",
„zeitgenössischen" oder „zweiten" Romantik. 21
Zu diesem Zeitpunkt nahm der Begriff aber eine völlig ne-
gative Bedeutung an und bezeichnete eine von Natur aus reak-
tionäre Geisteshaltung. Genau in der Mitte des vorigen Jahrhun-
derts beklagte Hermann Hettner in seiner Schrift Die romanti-
sche Schule in ihrem inneren Zusammenhange mit Goethe und
Schiller von 1850, daß bereits seit einigen Jahren „bei uns der
Begriff der Romantik ein reines Parteiwort geworden" sei, wo-
nach der Romantiker schlechthin ein „Reaktionär, aber nicht ein
einfacher Reaktionär kurzweg, sondern ein Reaktionär aus Dok-
trin und Bildung" sei. Dabei war Hettner selbst keineswegs ein
Fürsprecher der romantischen Ideen. Vielmehr zielte sein ganzes
Buch darauf ab, die „Keime und geschichtlichen Bedingungen
der romantischen Schule" aus der „poetischen Anschaungsweise
Goethes und Schillers" herzuleiten, ja die Romantik als extreme
Abart und extravagante Abweichung von dieser Position zu
charakterisieren. Aber Hettner erblickte eine große Ungerechtig-

21
Historisch-kritische Gesamtausgabe Band 8, 5.

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24 Einleitung

keit darin, daß man dazu übergegangen war, „romantisch und


reaktionär so ohne weiteres identisch zu setzen". Rudolf Haym
zeigte in seinem Buch Die romantische Schule von 1870 eine
ähnliche Einstellung. In seiner Einleitung legte er dar, daß die
romantische Schule zur Zeit seiner Darstellung in Deutschland
„keinerlei Gunst" mehr genoß (RS, 3). Die Stimmung, die gegen
diese vorherrschte, war zwar nicht mehr jene, in der man „mit
Leidenschaft und Haß dem Romantischen den Krieg machte und
sich desselben gleichsam mit Feuer und Schwert glaubte erwehren
zu müssen". Das war der „Kampf der vierziger Jahre" gewesen,
d. h. eine Periode der deutschen Geschichte, „in welcher Wissen-
schaft, Staat und Kirche sich von einer durch die Macht gestütz-
ten Invasion romantisch aufgefärbter freiheitsliebender Ideen
bedroht sahen". Der Grund dafür lag darin, daß die „Gründer
und Jünger des romantischen Literaturgeistes offenkundig Sym-
pathie mit dem Mittelalter, mit dessen Glaubensdünkel, dessen
lockeren Staatszuständen, dessen wild aber poetisch wucherndem
Idealismus hatten". Das Romantische wurde mit einem Wort mit
dem Reaktionären gleichgesetzt. Ein Romantiker hieß nach
Haym damals „jeder, der, der neugewordenen Zeit zum Trotz,
sich auf eine vergangene Bildungsform versteifte, um sie durch
künstliche Mittel wieder ins Leben zu rufen". Was freilich diesen
Kampf gegen die Romantik in Hayms Augen „noch parteiischer"
machte, lag in dem Umstand, daß die Verfechter des freien Geistes
in ihrem Bestreben, sich an den „Irrtümern ihrer eigenen Ver-
gangenheit zu rächen", von den romantischen Voraussetzungen
mit „all ihrer Logik und all ihrem Radikalismus" selbst durch-
drungen waren (ib.).
Unter diesen eingefleischten Gegnern der Romantik während
der dreißiger und vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts
finden wir die Vertreter des Jungen Deutschland, Autoren wie
Heinrich Heine, Arnold Rüge, Theodor Echtermeyer, sogar den
jungen Kierkegaard der Schrift Über den Begriff der Ironie (1841).
Heine war der erfolgreichste Satiriker bei der Anprangerung der
„reaktionären" Tendenzen der Romantik. „Was war aber die
romantische Schule?", fragte er und antwortete: „Sie war nichts
anders als die Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters, wie
sie sich in dessen Liedern, Bild- und Bauwerken, in Kunst und

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Einleitung 25

Leben manifestiert hatte. Diese Poesie aber war aus dem Chri-
stentum hervorgegangen, sie war eine Passionsblume, die dem
Blute Christi entsprossen" (HH 3, 361). Heine wußte natürlich,
daß seine Charakteristik entstellend war und auf die Frühro-
mantik überhaupt nicht zutraf, aber seine Formulierungen er-
wiesen sich als ungemein geeignet dafür, die Bezeichnung reak-
tionär anzubringen und einzubürgern. Ein anderes Wort, das in
dieser Kampagne gegen die Romantik prominent wurde, stammt
von Goethe, der gesagt hatte: „Das Klassische nenne ich das
Gesunde, und das Romantische das Kranke" (GOE 24, 332).
Goethe verwandte diese Begriffe nicht als zeitgenössische Klas-
sifikationen, sondern noch im alten Sinne als allgemein ästheti-
sche Maßstäbe und Kategorien. Aber schon bald wurde sein
Wort auf die Romantiker seiner Zeit bezogen, insbesondere auf
Novalis, dessen Lebenslauf Goethes Feststellung zu bestätigen
schien und dessen Kunst nun als dekadent, als entartet erklärt
wurde. Eine weitere wichtige Quelle für den Kampf gegen die
Romantik der dreißiger und vierziger Jahre war Hegel, der sich
an hervorragenden Stellen seiner Philosophie mit großer Animo-
sität gegen die Romantik gewandt hatte und in ihr einen bin-
dungslosen, unfolgsamen und verantwortungslosen Typus von
Subjektivität erblickte, die er mit einem monströsen Wort als
„höchste Spitze der sich als das Absolute wissenden Subjektivi-
tät" bezeichnete, die sich von der „einigenden Substanz" abschei-
det (HEG 20, 415-18). Diese Kritik wurde 1830 in dem anti-
romantischen Manifest von Arnold Rüge und Theodor Echter-
meyer Der Protestantismus und die Romantik. Zur Verständi-
gung über die Zeit und ihre Gegensätze breit ausgeführt.
Mit Erleichterung erklärte Haym von dieser antiromantischen
Kampagne aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts:
„Diese Zeit, wie gesagt, liegt hinter uns" (RS, 4). Dieser Kampf
erschien ihm „wie ein Kampf, den wir abgeschüttelt haben", und
er dachte an ihn zurück wie an einen bösen Traum. Es gehörte
nun zu den Forderungen der Zeit, jene Romantik, „die doch nur
das Gespenst einer einst wohl berechtigten Bewegung war",
durch ein adäquateres Bild zu ersetzen. Die Veranlassung dafür
bestand in dem „wie durch ein Wunder errungenen Boden macht-
stolzer nationaler Selbstständigkeit". Es gehörte nun zu den

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26 Einleitung

„Pflichten dieser fortschrittslustigen Zeit, sich volle Klarheit über


die Vorbedingungen ihrer Entwicklung, über die aus früheren
Tagen ihr überkommene geistige Erbschaft zu verschaffen". In
dieser „wunderbaren Geschichte" hob sich nun aber ihr „klein-
ster Teil", nämlich das „Auftreten jener jüngeren Idealisten"
hervor, die „an der Scheide des achtzehnten und neunzehnten
Jahrhunderts die Phantasie- und Gedankenbewegung der Goethe-
Schillerschen Poesie und der Kant-Fichteschen Philosophie er-
griffen, um sie in radikaler Entwicklung zu vollenden und fort-
zuleiten" (RS, 5). Damit wurde der Name „Schule" für die
historische Wiederentdeckung der Frühromantik gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts maßgebend, an der ebenfalls Wilhelm Dil-
they, Oskar Walzel, Karl von Holtei, Georg Waitz und J.M.
Raich beteiligt waren. Haym nahm den Begriff der Schule in den
Titel seines Werkes Die romantische Schule auf, das sich aus-
schließlich mit der Frühromantik befaßt. Er hatte eine klare
Vorstellung von der besonderen Position der Frühromantik ge-
genüber der „ganzen Richtung" der als deutsche Romantik be-
zeichneten Bewegung und wollte sie von dieser breiteren Erschei-
nung abheben.
Freilich war der Name romantische Schule zu dieser Zeit
immer noch mit dem Beiklang belastet, der ihm aus der Zeit des
Kampfes gegen die Romantik in den dreißiger und vierziger
Jahren anhaftete. Selbst bei Haym kommt diese „Stimmung"
noch deutlich zum Ausdruck. Im Verlauf seiner Darstellung
werden die Frühromantiker wiederholt an Maßstäben gemessen
(Hegel, Goethe, Schiller), die von vornherein ihre Untauglichkeit
für die „Geschichte des deutschen Geistes" erweisen mußten.
Jedenfalls hat sich dieser Schulbegriff nicht durchgesetzt, sondern
wurde zu Beginn unseres Jahrhunderts bis weit in die erste Hälfte
hinein durch die breiteren der Romantik und des Romantikers
verdrängt. Unter diesen wenig spezifischen Namen hat sich die
ungemein lebhafte Diskussion der Romantik zu Beginn des Jahr-
hunderts bei ihren Gegnern (Richard Huch, Carl Schmitt, Georg
Lukäcs) und ihren Fürsprechern (Oskar Walzel, Josef Körner,
Paul Kluckhohn) vollzogen. Es scheint, daß die Bezeichnung
Frühromantik aus diesen Debatten hervorgegangen ist, um die
Sonderstellung dieser Form der Romantik in ihrer enzyklopädi-

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Einleitung 27

sehen Orientierung, ihrem kollektiven Charakter, ihrer revolu-


tionären Gesinnung und ihrem gegen jedes System gewendeten
Geist von anderen Manifestationen der Romantik abzuheben.
Dieser Name hat damals schnell Fuß gefaßt und erschien in der
Beibehaltung der deutschen Formen Frühromantik, Frühroman-
tiker auch in ausländischen Schriften (Benedetto Croce, Arthur
O. Lovejoy), in denen er sich zunächst ungemein fremd ausnahm.
Der Vorteil gegenüber der Bezeichnung romantische Schule
scheint aber auf der Hand zu liegen und den Erfolg dieses
Namens zu erklären, der sich erst in der zweiten Hälfte unseres
Jahrhunderts breiter durchzusetzen begann, freilich auch heute
noch keineswegs eine fest eingebürgerte Kategorie ist. Er besteht
in der Unbelastetheit von ideologischen Auseinandersetzungen,
welche die alte Bezeichnung romantische Schule mit sich
schleppt. Diese Unbelastetheit hat bei der Generation nach dem
Zweiten Weltkrieg die sogenannten Aktualisierungen der Früh-
romantik veranlaßt, mit denen diese wie keine andere Phase der
deutschen Geschichte in die eigene Zeit projiziert wurde und als
zeitgenössisch anerkannt ist.22
Die gerade erwähnten Namen Croce und Lovejoy geben Ver-
anlassung, auf die ungewöhnlich intensive Rezeption der Früh-
romantik in Europa und der Neuen Welt zu verweisen. Während
in Deutschland die Kampagne gegen die Romantik auf ihrem
Höhepunkt stand, vollzog sich eine Aufnahme des frühroman-
tischen Ideengutes, die bis zur Identifizierung der dabei Beteilig-
ten mit den hier vollzogenen Unterscheidungen des Klassischen
und Romantischen ging und sich mit dem dabei in Erscheinung
tretenden Bewußtsein literarischer Modernität verband. Nach
einem Wort Goethes ging die Schlegelsche Differenzierung des
Klassischen und Romantischen bald um die ganze Welt (GOE
24, 405 — 6), und in ihr haben sich Generationen junger Kritiker
und Dichter in den mediterranen, skandinavischen und slawi-
schen Nationen Europas wiedererkannt. Durch Samuel Taylor
Coleridge fand die frühromantische Theorie eine intensive Auf-

11
Siehe Die Aktualität der Frühromantik. Herausgegeben von Ernst
B'ehler und Jochen Hörisch (Paderborn: Schöningh, 1987).

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28 Einleitung

nähme in England, von wo aus sie auf Nordamerika, vor allem


auf Edgar Allen Poe einwirkte. Madame de Stael, Coleridge und
Poe sind für diese Wirkungsgeschichte der Frühromantik im
neunzehnten Jahrhundert die repräsentativsten Namen, und
durch sie wurde ihr eine lebendige Präsenz in vielen Teilen der
Welt gesichert.
Die Darstellung eines solch komplexen Gebildes, wie es die
Frühromantik war, ist schon immer ein Problem bei der Beschäf-
tigung mit ihr gewesen und hat auch in der vorliegenden Arbeit
Berücksichtigung gefunden. Es besteht leicht die Tendenz, die
Frühromantik auf Lehrinhalte, auf Doktrinen hin festzulegen
und diese als ein spezielles Kapitel in die allgemeine Geschichte
der deutschen Nationalliteratur einzubringen, das um die Wende
vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert herum zwischen
Goethe und Schiller einerseits und dem Entstehen der „eigentli-
chen" Romantik andererseits anzusiedeln wäre. Einen solchen
zusammenhängenden Lehrzusammenhang hat es aber in der
Frühromantik nicht gegeben. Sie ist nicht das abgeschlossene
Produkt und Resultat eines einzelnen Kopfes, sondern ein offener,
fragmentarischer, sich stets wandelnder Gedankenprozeß, an
dem Autoren verschiedener Herkunft und Interessenrichtungen
beteiligt waren. Theorie und Dichtung haben hier keine Unab-
hängigkeit, insofern sie sich voneinander trennen ließen, vielmehr
ist die Theorie oft höchst poetisch wie die Poesie manchmal
zutiefst theoretisch ist. Der wichtigste Charakterzug der Früh-
romantik, was ihre Darstellung anbetrifft, besteht jedenfalls
darin, daß sie sich letztlich nicht auf kohärente Weise bezeichnen
und darstellen läßt, obwohl man natürlich ständig dazu geneigt
ist. Bei allen Texten handelt es sich um Gebilde, die von einer
selbstkritischen Doppelreflexion durchdrungen sind und sich da-
mit einer eindeutigen Festlegung entziehen, dafür aber den Leser,
ganz gleich welcher Zeit, auf eigentümliche Weise in die Konsti-
tuierung dieser Texte einbeziehen, die dann natürlich zeitgenös-
sischen Charakter annehmen. Wie Novalis es formuliert, handelt
es sich bloß um „Anfänge interessanter Gedankenfolgen — Texte
zum Denken", die sich zudem mit dem Bild der „schönen Zeit"
einer „zukünftigen Literatur" (NO 3, 276) vor jeder Fixierung
schützen. Nach Friedrich Schlegel ist die romantische Poesie, die

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Einleitung 29

natürlich ihre Theorie einschließt, ein Prozeß, der „ewig nur


werden, nie vollendet sein kann" (KFSA 2, 183). Im Athenäum-
Fragment 426 hat er die Gültigkeit seiner Gedanken mit der
Annahme von „Zeitgenossen einer späteren Epoche" in Frage
gestellt, die, wie er sagt, „wohl bei weitem nicht so groß von
uns denken wie wir selbst, und vieles, was jetzt bloß angestaunt
wird, nur für nützliche Jugendübungen der Menschheit halten"
(KFSA 2, 249). In diesem Sinne leitet die Frühromantik kein
neues Kapitel in der Literaturgeschichte ein, sondern manifestiert
sich als eine grundsätzliche Reflexion über die Natur der Dich-
tung, die den als unmittelbar Beteiligten darin einbezieht, der
sich mit ihr zu beschäftigen beginnt.
In der vorliegenden Darstellung wird diesem Umstand dadurch
Rechnung zu tragen versucht, daß aus dem Geflecht des früh-
romantischen Denk- und Dichtungszusammenhanges jeweils ver-
schiedene Themen hervorgehoben sind, in denen sich die Per-
spektiven der einzelnen Gesprächspartner ausdrücken, diese aber
nicht als in sich abgeschlossene Gebilde auffaßt, sondern als
Stadien einer stets fortgehenden Reflexion, die ihrer Natur nach
nicht zu einem Abschluß gelangt. Friedrich Schlegel hat dieser
Ordnung des frühromantischen Diskurses mit seinem Gespräch
über die Poesie am besten Ausdruck gegeben. Er sagt dort zu
Anfang: „Nie wird der Geist, welcher die Orgien der wahren
Muse kennt, auf dieser Bahn bis ans Ende dringen, oder wähnen,
daß er es erreicht: denn nie kann er eine Sehnsucht stillen, die
aus der Fülle der Befriedigungen selbst sich ewig von neuem
erzeugt" (KFSA 2, 284-85).

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