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Ludwig Tieck, Das Buch über Shakespeare. Handschriftliche Auf-
zeichnungen. Herausgegeben von Henry Lüdeke (Halle: Niemeyer
1920).
Er war zerfallen mit sich und seiner Art zu sein, der Gegenwart
überdrüssig, ohne Hoffnung für die Zukunft. Leicht würde eine zarte
Natur wie die seine Schwereres ertragen haben, wenn sie sich einig
geworden wäre; an diesem quälenden Widerspruch ging sie zu
Grunde. Seine Gesundheit wankte; er kränkelte, es entwickelte sich
ein Nervenfieber. Am 13. Februar 1798 starb er fünfundzwanzig Jahre
alt. Es war ihm gegeben, unter Kampf und Streit die höchsten Ent-
zückungen der Kunst in sich zu erleben, er hatte sie ausgesprochen,
dann war er gestorben. Sein Leben war ein kurzes, aber darum nicht
schmerzenfreies; doch war es still, rein und voll künstlerischen Glau-
bens gewesen, wie das jener alten Meister, von deren Bild seine Seele
erfüllt war.2
2
Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen
mündlichen und schriftlichen Mitteilungen. Herausgegeben von Ru-
dolf Köpke, 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1855) l, 224.
lichte.3 Die erste Auflage enthielt auch einige Zusätze von Tieck,
wobei es sich um die Abschnitte An den Leser dieser Blätter,
Sehnsucht nach Italien, Ein Brief des jungen Florentinischen
Malers Antonio an seinen Freund Jacobo in Rom und Brief eines
jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg
handelt.
Wenn man sich allein auf Wackenroders Text konzentriert
und die von Tieck stammenden Stücke nicht berücksichtigt,
zeigen die Herzensergießungen eine strukturierte Komposition.
Von den 14 einzelnen Abschnitten bildet der siebte, Ehrenge-
dächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers, das
Zentrum. Er wird von zwei Abschnitten umgeben, die ebenfalls
eine zentrale Stellung für die hier dargestellte Kunstwelt haben:
Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe
und Von zwei wunderbaren Sprachen, und deren geheimnisvoller
Kraft. Die erste Hälfte besteht hauptsächlich aus Erzählungen
über italienische Maler, die mit Raffael, dem Künstler höchsten
Grades, den Anfang machen. Die folgenden zeigen weitere Ver-
wirklichungen der Malerkunst. Unmittelbar vor dem Abschnitt
Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe
gibt Wackenroder zwei Gemäldebeschreibungen: Die heilige
Jungfrau mit dem Christuskinde; und der kleine Johannes und
Die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenlande. Offenbar
nimmt der Klosterbruder an, daß die Schönheit dieser Gemälde
durch eine Prosadarstellung beleidigt würde und verwendet des-
halb einfache Verse, die den Stil alter Chronikenschreiber nach-
zuahmen suchen. Nach der zentralen Sektion über Dürer fährt
der Text mit Erzählungen über italienische Maler fort, bei denen
diesmal Michelangelo eine ausgezeichnete Stellung einnimmt. Die
Bildnisse der Maler bringt einen Vergleich von Gemälden der
Künstler Leonardo da Vinci, Dürer, Michelangelo und Raffael,
3
Es handelt sich um den Vorabdruck des Abschnitts Ehrengedächtnis
unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers, den Reichardt mit
dem Zusatz veröffentlichte: Vo« einem kunstliebenden Klosterbruder.
Die Bezeichnung Klosterbruder wurde Lessings Nathan der Weise
entlehnt. Der Begriff Herzensergießungen wurde bei der Buchveröf-
fentlichung wahrscheinlich von Tieck hinzugefügt.
4
Giorgio Vasari, Vite de' piü eccelenti pittori, scultori ed architetti
(Florenz: Giunti 1550).
5
Joachim von Sandrart, Deutsche Akademie der edlen Bau-, Bild- und
Malerkünste, 2 Bde. (Nürnberg: Sandrart 1675-1679).
6
Rudolf Haym, Die romantische Schule, 119-128.
7
Bramante, genauer Donato d'Angelo (1444—1514), ein berühmter
italienischer Archtitekt, der ursprünglich ein Maler war.
8
Baldaserre Graf Castiglione (1448 - 1529), ein berühmter italienischer
Staatsmann dieser Zeit.
9
Johann Joachim Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung der
griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, in: Deutsche
Literaturdenkmale, Band 20 (Heilbronn: Henninger 1885).
10
J.J. Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung, 14.
Wenn man diese Texte auf eine Theorie der Malerkunst hin
durchgeht, kommt freilich herzlich wenig aus ihnen heraus. Meist
beschreibt Wackenroder seine Bewertungen der Kunst und be-
dient sich dabei der Malerei als dem bevorzugten Medium der
Darstellung. Die Perioden, die dabei hervortreten, sind die ita-
lienische Renaissance des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhun-
derts und die sogenannte altdeutsche Schule der Malerei, wie sie
von Albrecht Dürer während desselben Zeitraums repräsentiert
wurde. Wackenroder beschreibt diese Jahrhunderte aber so, als
lägen sie im Mittelalter, d. h. einer Epoche unbezweifelten Glau-
bens und einer ungebrochenen Beziehung mit dem Göttlichen.
Seine Beschreibungen des Ursprungs der Kunst in den großen
Malern dieser Periode nehmen deshalb einen stark religiösen Ton
an, wie dies bereits in seiner Behandlung von Raffaels Brief an
den Grafen Castiglione hervorgetreten ist. Was in den Theorien
der Jenaer Frühromantiker als gestaltende Kraft der schöpfen-
(ib.). Durch seine Arbeit zeigte er, daß ein „Maler sich allgemein
machen solle, und nicht alle Dinge nach einem einzigen ange-
wöhnten Handgriff, sondern ein jedes nach seiner besonderen
Eigentümlichkeit darstellen müsse" (WA, 75). Der „forschende
Geist der ernsthaften Wissenschaften" und der „bildende Geist
der Kunst" waren gleicherweise sein Genius (WA, 78). Wacken-
roder bezieht sich auf die „Vorstellung des heiligen Abendmales
in dem Refektorium der Dominikaner zu Mailand" und „das
Bildnis der Lisa del Giocondo" (WA, 79) und ist damit in diesem
Abschnitt spezifischer als in den meisten anderen. Gegen Ende
läßt er den Klosterbruder sich fragen, ob er Leonardo da Vinci
„als den vortrefflichsten, und als das Haupt aller Maler aufstel-
len" wollte (WA, 89). Die Antwort lautet natürlich, „man könne
Geister von sehr verschiedener Beschaffenheit, die beide große
Eigenschaften haben, beide bewundern". Jedoch ist die Antwort
nicht so leicht, weil wenn das „Losungswort Schönheit" ertönt,
unser Geist spontan und unwillkürlich reagiert. Wenn Leonardo
und jener andere Maler, den der Klosterbruder „der Göttliche"
nennt, in einen Vergleich treten, setzen sich spontane Bevorzu-
gungen in Bewegung. Der Abschnitt schließt mit den Worten:
„Dergleichen Phantasien, die uns in den Sinn kommen, verbreiten
oftmals auf wunderbare Weise ein helleres Licht über einen
Gegenstand, als die Schlußreden der Vernunft; und es liegt neben
den sogenannten höheren Erkenntniskräften ein Zauberspiegel
in unsrer Seele, der uns die Dinge manchmal vielleicht am kräf-
tigsten dargestellt zeigt" (WA, 81).
Der Abschnitt Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und
Menschenliebe in der Kunst bestätigt dies Ergebnis aus einer
anderen Betrachtungsweise. Der Schöpfer dieser Welt vermag
mit einem Blick die unendlich verschiedenartigen Erscheinungen
in seiner Schöpfung zu umfassen. Er hört die Menschen „in
verschiedenen Zonen und in verschiedenen Zeitaltern verschie-
dene Sprachen reden, und hört, wie sie miteinander streiten und
sich nicht verstehen", wohingegen sich ihm „alles in Harmonie"
auflöst (WA, 86-87). Auch die Kunst erhebt sich auf der Erde
in „ewig wechselnder Gestalt", wobei dem himmlischen Schöpfer
„der gotische Tempel so wohlgefällig als der Tempel der Grie-
chen" und die „rohe Kriegsmusik der Wilden" genauso lieblich
11
Wackenroder bezieht sich auf das Schloß Weißstein bei Pommersfel-
den in Oberfranken, wo er die Gemäldegalerie besichtigte, als er
Student an der Universität Erlangen war.
12
Es handelt sich um die Stücke Schilderung wie die alten deutschen
Künstler gelebt haben: wobei zu Exetnpeln angeführt werden Al-
brecht Dürer, nebst seinem Vater Albrecht Dürer dem Alten und Die
Peterskirche.
13
Tiecks Beiträge bestehen in den letzten vier Abschnitten: Unmusi-
kalische Toleranz, Die Töne, Symphonien, Der Traum. Eine Alle-
gorie.
ment „war dem nackten Heiligen das sausende Rad der Zeit
verschwunden" und seine „unbekannte Sehnsucht war gestillt":
„Die Gestalt des Heiligen war verschwunden, eine engelsschöne
Geisterbildung, aus leichtem Dufte gewebt, schwebte aus der
Höhle, streckte die schlanken Arme sehnsuchtsvoll zum Himmel
empor, und hob sich nach den Tönen der Musik in tanzender
Bewegung von dem Boden in die Höhe" (WA, 204).
Um die „Wunder der Tonkunst" zu erklären, womit der näch-
ste Abschnitt überschrieben ist, verwendet Wackenroder eine
große Anzahl von Gleichnissen, aber das überzeugendste besteht
für ihn in der Überlegung des Tonmeisters, der fragt: „Ist nicht
das ganze Leben ein schöner Traum? eine liebliche Seifenblase?
Mein Tonstück desgleichen" (WA, 205). Eine andere Erklärung
dieses Wunders besteht in der Frage, wie der Mensch diese Kunst
erworben hat. Offensichtlich wollte der Mensch seine angeneh-
men Empfindungen aufbewahren und erschuf sich zu diesem
Zweck die schönen Künste. Die Musik ist aber die „wunderbarste
dieser Erfindungen, weil sie menschliche Gefühle auf eine über-
menschliche Art schildert". Alle „Bewegungen unsers Gemüts"
werden von ihr „unkörperlich" dargestellt. Sie spricht eine Spra-
che, „die wir im ordentlichen Leben nicht kennen". (WA, 207).
Damit ist sie auch die Kunst, welche „uns die echte Heiterkeit
der Seele einflößt" (WA, 208). In dem Abschnitt Von den ver-
schiedenen Gattungen in jeder Kunst, und insbesondere von
verschiedenen Arten der Kirchenmusik entwickelt Wackenroder
eine vergleichende Kunsttheorie und wendet sich verschiedenen
Kunstformen zu, wie sie in der Poesie, der Malerei und der
Musik zum Zwecke einer Verehrung des Göttlichen bestehen.
Seiner Ansicht nach kommen diese drei Künste in ihrem Wett-
streit dem göttlichen Thron so nah wie möglich. Die Musik ist
aber die „allerdreisteste und verwegenste im Lobe Gottes", weil
sie „in einer fremden, unübersetzbaren Sprache, mit lautem
Schalle, mit heftiger Bewegung, umd mit harmonischer Vereini-
gung einer ganzen Schar lebendiger Wesen, von den Dingen des
Himmels zu sprechen wagt" (WA, 211). Die Sektion Das eigent-
liche innere Wesen der Tonkunst, und die Seelenlehre der heu-
tigen Instrumentalmusik ist Wackenroders direktester Versuch,
die Natur und die besondere Anziehung der Musik zu bestimmen.
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Tieck berichtet im Vorwort, daß er einen unvollendeten Aufsatz über
Rubens sowie eine Kantate nicht aufgenommen habe, mit denen
Wackenroder „selber unzufrieden war" (WA, 149).