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Caspar David Friedrich

EWS
Welt der Kunst Angelo Walther

Caspar David Friedrich


Mit sechzehn farbigen Tafeln und fünf­
undvierzig einfarbigen Abbildungen

Henschelverlag
Kunst und Gesellschaft-Berlin 1990
Frontispiz: Georg Friedrich Kersting.
Der Maler Caspar David Friedrich in seinem Atelier.
51x40 cm. Öl auf Leinwand. 1819.
Berlin (West), Schloß Charlottenburg, Galerie der Romantik

ISBN 3-362-00496-2

© Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, DDR - Berlin 1983


Caspar David Friedrich, der am 7. Mai 1840 fünfundsechzigjährig in wurde. Dabei traten gegenüber dem Rationalismus der Aufklärungs­
Dresden starb, war schon vor seinem Tode vergessen. Erst die deut­ zeit nun die Kräfte des Gefühls, der Phantasie und Intuition in den
sche Jahrhundertausstellung 1906 in Berlin, die der Kunst zwischen Vordergrund.
1775 und 1875 gewidmet war und 40 Arbeiten von ihm zeigte, brachte Das subjektive Empfinden des Einzelmenschen, der sich in die großen
seinem Werk wieder merkliche Beachtung. Seitdem wird Friedrich in kosmischen Bewegungen, in das ewige Werden und Vergehen der Na­
wachsendem Maße verehrt als Erneuerer der deutschen Landschafts­ tur einbezogen fühlte, wurde zum Ausgangspunkt des Welterlebnis­
malerei, der zugleich in vorher ungekannter Weise das Kunstwerk ses, und der von gesellschaftlichen Bindungen befreite Künstler wurde
zum Mittel persönlicher Aussage erhob. selbst zum Maß seiner Kunst. Getrieben von einer unstillbaren Sehn­
Friedrichs Leben verlief in einer bewegten, weithin durch nationale sucht nach dem Wunderbaren, wofür die »Blaue Blume« zum Symbol
wie innenpolitische Freiheitsbestrebungen bestimmten Zeit, auf die geworden ist, suchten die Romantiker im Endlichen den Abglanz des
seine Kunst eine Antwort gab. Er wurde am 5. September 1774 Unendlichen, »zwischen Heimweh und Fernweh hin- und hergeris­
als Sohn eines Seifensieders im damals zu Schweden gehörigen sen« (A. Hauser). So kam es zu dem großen Aufschwung in der Land­
Greifswald geboren und erhielt bei dem Universitätszeichenlehrer schaftsmalerei, wie er sich in Friedrichs (Euvre manifestiert.
Quistorp, einem Schüler Anton Graffs, die erste künstlerische Ausbil­ Die Romantik, die eine christlich-religiöse, bürgerlich-demokratische
dung. Von 1794 bis 1798 besuchte er die Akademie in Kopenhagen und damit patriotische Grundhaltung hatte, verlief zeitlich zum Teil
und ließ sich dann in Dresden nieder, wo er bald eine ganz eigenstän­ parallel mit dem antik-heidnischen, kosmopolitischen und gesell­
dige, völlig unakademische künstlerische Auffassung entwickelte. schaftlich etwas indifferenten Klassizismus, dem sie in den formalen
1816 wurde er zum Mitglied und 1824 zum außerordentlichen Profes­ Mitteln in gewissem Umfang ähnlich und verpflichtet war. Obwohl
sor der dortigen Kunstakademie ernannt, ohne jedoch das ersehnte die zwei Strömungen einander bekämpften und der Klassizismus , der
Lehramt als Leiter der Landschaftsklasse zu erlangen. Seit er 1808 mit die Akademien beherrschte, auch zum Stil an den Fürstenhöfen
dem »Kreuz im Gebirge« erstmals in stärkerem Maße Aufmerksam­ wurde, richteten sich doch beide als Ausdrucksformen des revolutio­
keit erregt hatte, war seine Kunst eine Zeitlang Gegenstand des Inter­ nären Bürgertums gegen das feudalistische Rokoko. Während die Ro­
esses und der Auseinandersetzung. Schon bald nach dem Ende der mantik sich besonders dem christlichen Mittelalter zuwandte und des­
Freiheitskriege aber wurde es wieder still um diesen Künstler, der sen nationale kulturelle Werte erschloß, rezipierte der Klassizismus
auch bis dahin »immer nur ein kleines Publikum« hatte, »weil er . . . die Antike und hatte damit ebenfalls nostalgischen Charakter.
etwas zur Anschauung brachte, was die meisten Menschen fliehen, Stand die Romantik mit ihrer Gefühlsbetontheit im Gegensatz zur
nämlich die Einsamkeit« - wie es der ihm befreundete Maler Wilhelm Aufklärung, so war sie doch zugleich von dieser wie auch von der Be­
von Kügelgen in seinen »Jugenderinnerungen« vereinfachend gedeu­ wegung des Sturm und Drang vorbereitet worden. Mit seiner Lehre
tet hat. Andere, beschaulichere und stärker anekdotische Kunstäuße­ von der Autonomie des Einzelmenschen, der Bedeutung des Gefühls
rungen, wie die biedermeierlichen Idyllen Ludwig Richters oder die und der Forderung nach Rückkehr zur Natur als der das Gleichge­
Historienmalerei der Düsseldorfer Schule, zogen den Blick auf sich. wicht der Welt bewirkenden Universalmacht wurde Jean-Jacques
So waren die letzten Jahre Friedrichs, der sich von einem 1835 erlitte­ Rousseau zum hervorragenden Ideologen der Französischen Revolu­
nen Schlaganfall nie mehr ganz erholte, nicht nur von Krankheit, son­ tion. Die der Umwälzung vorausgehenden Jahrzehnte erscheinen als
dern auch von Verbitterung und selbst Armut überschattet. Sein ein »Zeitalter der Empfindsamkeit«, eines Gefühlskultes, der beson­
Werk, das wegen seiner Neuartigkeit den meisten Zeitgenossen im ders in der sentimentalen Natursehnsucht seinen Ausdruck fand. Das
Wesen verschlossen blieb, ist für uns inzwischen weithin zum Gegen­ Landschaftserlebnis der Romantik wurde vorbereitet in den von Eng­
stand tiefen Erlebens geworden. land ausgehenden, von ostasiatischer Gartenkunst beeinflußten Land­
Caspar David Friedrichs Name ist untrennbar mit der Romantik ver­ schaftsgärten, die als scheinbar ursprüngliche Natur die streng sym­
bunden, die als eine vom Bürgertum getragene, überaus vielschichtige metrisch architektonisierten Barockparks ablösten und der allgemei­
Stilbewegung nach Vorstufen seit dem Ausgang des 18. bis gegen die nen Tendenz zum Natürlichen, Ungekünstelten und Gefühlsbetonten
Mitte des 19. Jahrhunderts das europäische Geistesleben entscheidend entsprachen. Sie wurden zur Stätte innerer Einkehr, wehmutsvoller
bestimmt hat. Sie war gekennzeichnet durch eine pantheistische Ver­ Besinnung und Erinnerung, zumal sie auch Bauwerke und Denkmäler
herrlichung der als Schöpfung verstandenen Natur, zu der die als Träger von Gefühlswerten einbezogen, häufig in Form von Rui­
menschliche Existenz in sentimentaler Reflexion in Beziehung gesetzt nen, die sowohl antikische wie mittelalterliche - meist gotische, aber

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auch romanische - Stilformen nachahmten. Die Ausstattung des engli­ gebung, den berühmten Kunstsammlungen und einer angesehenen
schen Gartens macht deutlich, wie sehr die Antiken- und Renaissance­ Malerakademie denkbar günstige Voraussetzungen. Die alten Traditio­
rezeption des Klassizismus der romantischen Wiederbelebung des nen in der Kunstpflege bedingten eine kulturelle Regsamkeit, die frei­
Mittelalters - in Gestalt von Neugotik und Neuromanik - entsprach. lich inzwischen zum wesentlichen Teil vom Hof auf private Kreise
Das neue enge Verhältnis zur Landschaft und der damit verbundene bürgerlicher und adliger Kunstfreunde übergegangen war. Hier fand
Aufschwung ihrer künstlerischen Darstellung in der Romantik ent­ auch der nationale Gedanke seine Anhängerschaft, wenngleich die po­
sprangen nicht nur der pantheistischen Weitsicht und der Verknüp­ litische Aufgeschlossenheit sonst gering war. Man folgte im allgemei­
fung des Landschaftlichen mit emotionalen Werten. Es offenbart sich nen untertänig dem »landesväterlichen« Walten Friedrich Augusts,
darin vielmehr zugleich das Erwachen des Nationalbewußtseins und der als Preis für seine Erhöhung vom Kurfürsten zum König von
des Gefühls für Heimat und Vaterland. Entsprechend war die roman­ Sachsen schließlich in völlige Abhängigkeit von Napoleon geriet.
tische Bewegung eng mit der Auflehnung gegen die napoleonische Dresden zog zu Beginn des 19. Jahrhunderts zahlreiche bedeutende
Fremdherrschaft verbunden und empfing ihrerseits aus dem Wider­ Persönlichkeiten des deutschen Geisteslebens an und wurde zum Ort
stand gegen diese wesentliche Impulse. So erklärt sich denn auch ihre vieler wichtiger Begegnungen. Nach Friedrich fand sich 1801 für
Hinwendung zum christlichen Mittelalter nicht nur daraus, daß sie zweieinhalb Jahre auch sein norddeutscher Landsmann Philipp Otto
dort ihre eigenen sittlichen und religiös-weltanschaulichen Ideale ver­ Runge als der zweite führende Maler der deutschen Frühromantik hier
wirklicht zu sehen glaubte. Es offenbart sich vielmehr auch hier das ein. Mit Kersting und dem Norweger Dahl folgten 1808 und 1818
aufkommende Nationalgefühl, das sich angesichts der herrschenden noch zwei weitere Schüler der Kopenhagener Akademie in die sächsi­
nationalen Erniedrigung und Zersplitterung auf eine Zeit vermeint­ sche Residenz nach. Zu den romantischen Dichtern, deren Biographie
licher nationaler Einheit und Stärke besann und darin sein geschicht­ sich mit Dresden verbindet, gehören die Geschwister Schlegel, von
liches Vorbild suchte. Das führte zu dem Bestreben, längst überwun­ denen August Wilhelm und Caroline 1798 die Gespräche über Bilder
dene Formen gesellschaftlichen und politischen Lebens zu restaurie­ der Dresdener Galerie veröffentlichten, weiterhin Novalis, Jean Paul
ren, brachte aber zugleich die Wiederentdeckung und Neubelebung und Heinrich von Kleist, der 1808/09 mit Adam Müller in Dresden die
lange verschüttet gewesenen Kulturgutes an Literatur, Musik und bil­ Kunstzeitschrift »Phoebus« herausgab. 1806 kam für einige Jahre der
dender Kunst, alten Sagen, Märchen und Volksliedern ebenso wie Naturphilosoph Gotthilf Heinrich von Schubert. Gebürtiger Dresdener
vieler über lange Zeit hinweg unbeachtet gebliebener mittelalterlicher war Theodor Körner, dessen Vaterhaus am Kohlmarkt, der späteren
Werke der Baukunst, Plastik und Malerei. In Verbindung mit der Re­ Körnerstraße in der Neustadt, eine gerühmte Pflegestätte nicht nur
flexion über den ewigen Wandel der Dinge und die Zeitlichkeit der des geistigen Lebens - auch Schiller genoß hier Gastfreundschaft -,
menschlichen Existenz kam es zur Herausbildung des historischen sondern auch patriotischer Bestrebungen war, bis der Konsistorialrat
Denkens und des Geschichtsbewußtseins und damit der Geschichts­ Gottfried Körner nach dem Soldatentod Theodors 1815 nach Berlin
wissenschaften wie der Anfänge der Denkmalpflege. Darin offen­ ging. 1813/14 wirkte in Dresden der Musiker-Dichter E. T. A. Hoff-
baren sich wichtige Errungenschaften dieser Epoche, die auch fort­ mann als Musikdirektor der Secondaschen Schauspielgesellschaft.
wirkten, als die Romantik ihre revolutionären Züge schon weitgehend 1817 wurde Carl Maria von Weber als Hofkapellmeister berufen, der
verloren hatte und nach 1815 das deutsche Bürgertum sein Ziel der Er­ in Dresden mit dem - 1821 in Berlin uraufgeführten - »Freischütz« die
richtung eines Nationalstaates aufgeben mußte. Sie spiegeln sich auch romantische Oper schuf und damit zugleich der deutschen Oper ge­
in den Auffassungen Caspar David Friedrichs. genüber der italienischen zum Durchbruch verhalf. Nach wiederhol­
Es ist kein Zufall, daß Friedrich gerade Dresden zum Wohnort er­ ten früheren Aufenthalten, zuerst 1798, kam 1819 Ludwig Tieck als
wählte. Diese Stadt, die während der ersten Hälfte des 18. Jahrhun­ Dramaturg des Hoftheaters. Schon 1814 war als Professor und
derts unter den Kurfürsten und Polenkönigen August II. (dem Direktor an der Geburtshilflichen Klinik der Arzt, Naturforscher und
Starken) und August III. zu einer »nach Norden vorgeschobenen Philosoph Carl Gustav Carus von Leipzig in die Residenz übersiedelt,
Kolonie der Künste« geworden war, entwickelte sich nach Überwin­ wo er bald zu einer zentralen Gestalt des geistigen Lebens wurde. Als
dung der Folgen des Siebenjährigen Krieges (1756—1763) mit Beginn autodidaktischer Maler folgte er dem eng befreundeten Caspar David
des neuen Jahrhunderts zum bedeutendsten Zentrum der deutschen Friedrich, von dessen Werk ausgehend er in seinen 1815 bis 1824 ver­
Frühromantik. Für eine künstlerische Existenz romantischer Prägung faßten »Briefen über Landschaftsmalerei« grundlegende Theorien
bot die Elbestadt mit der anregenden Schönheit ihrer Lage und Um­ über die romantische Kunst entwickelte.

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Die Landschaftsmalerei war im vorausgegangenen, vorwiegend dem
Bildnis gewidmeten Jahrhundert nicht hoch bewertet und wenig ge­
pflegt worden und infolge ihrer Erstarrung in barocken und klassizi­
stischen Kompositionsformeln auf die Stufe einer bestenfalls »feineren
Tapetenmalerei« hinabgesunken. »Ein paar dunkle manierierte Bäume
zu beiden Seiten des Vordergrundes, einige Ruinen alter Tempel oder
ein Stück Felsen daneben, dann im Mittelgründe einige Staffage zu
Fuß oder zu Pferde, womöglich mit einem Flusse oder einer Brücke
und einigem Vieh, eine Partie blaue Berge hinter all diesem und einige
tüchtige Wolken darüber, das war so ungefähr, was dazumal als eine
Landschaft gelten durfte« - so hat Carus die Lage treffend gekenn­
zeichnet, um von daher die Bedeutung Friedrichs hervorzuheben.
Dabei boten sich gerade in Dresden günstige Voraussetzungen für eine
Wiederbelebung dieses Kunstgenres. Hier hatte von 1747 bis 1767 der
Venezianer Bernardo Bellotto genannt Canaletto eine neue, vom
Geist der Aufklärung bestimmte realistische Landschaftsdarstellung
gepflegt, und es ist kein Zweifel, daß seine Veduten andere Künstler
zum Erfassen landschaftlicher Eigenarten entscheidend anregen
konnten. Die Fülle interessanter Motive in der Umgebung bewirkte
ein übriges. Schon früher hatte der Hofmaler Johann Alexander Thiele
neben anderen Gebieten auch das Elbsandsteingebirge für die Kunst
zu entdecken begonnen. Die beiden Schweizer Anton Graff und
Adrian Zingg, die 1766 an die neugegründete Kunstakademie berufen
worden waren, gaben dieser Landschaft den Namen »Sächsische
Schweiz«. Graff, der vor allem durch seine menschlich schlichten, auf
die Geistigkeit der Dargestellten gerighteten Porträts bekannt gewor­
den ist, hat in gleicher Unmittelbarkeit auch eine Anzahl kleinformati­
ger Landschaftsbilder gemalt. Er gehörte beim Erscheinen Friedrichs
zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Dresdener Malerwelt. Fried­ Selbstbildnis mit aufgestütztem Arm. 26,7x21,5 cm. Graphit, Feder.
richs Auftreten wurde aber vor allem durch Johann Christian Klengel Um 1802. Hamburg, Kunsthalle
vorbereitet, den Runge 1801 als einen der größten lebenden Land­
schaftsmaler pries. Klengel schilderte in einer neuartigen Stimmungs­
malerei die heimatliche Natur und überwand die noch bei Thiele sah er voll frommer Ergriffenheit »das Göttliche«, so daß ihm nichts
bestehende Abhängigkeit von niederländischen Vorbildern. Friedrich als Bildgegenstand zu gering erschien, um damit »Erhebung des Gei­
verdankt ihm bedeutsame Anregungen. Mit der Einrichtung einer stes und religiösen Aufschwung zu bewirken«. In einem verinnerlich­
Klasse für Landschaftsmalerei im Jahre 1800 reagierte auch die Dres­ ten Sehen nahm er nicht nur die optischen Eindrücke in sich auf, son­
dener Kunstakademie auf die neue Entwicklung. Klengel wurde zum dern lauschte auch den seelischen Regungen nach, die diese bei ihm
Lehrer für diese Fachrichtung berufen und blieb es bis zu seinem Tode hervorriefen. So wird seine Person im Prozeß der Entstehung des
1824. Friedrich bemühte sich vergeblich um die Nachfolge. Kunstwerkes zum Gegenpol der Natur, und es kommt zwischen bei­
Daß Caspar David Friedrich die Landschaft zum alleinigen Gegen­ den zu einer Wechselwirkung. Der Anblick der Landschaft löst in der
stand seiner Kunst machte, geschah mit einem zutiefst philosophi­ aufnahmebereiten Seele des Künstlers mannigfaltige Empfindungen
schen Anliegen. Als Romantiker hatte er ein ganz persönliches, ly­ und Gedanken aus, die im Bilde ihre Widerspiegelung finden und von
risch bestimmtes Verhältnis zur Natur, in die er sich voller Andacht da aus auch beim Betrachter geweckt werden sollen. Runges Forde­
vertiefte. In allen ihren Erscheinungsformen, »auch im Sandkorn«, rung, die Malerei solle das seelische Leben des Menschen, »in welchem

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sein Zusammenhang mit Gott gegeben ist«, durch die Natur darstel­ dergegeben: im Licht der Morgenfrühe und des Mittags, des Sonnen­
len, ist hier verwirklicht. Mit dem von der Romantik vertretenen untergangs und des heraufsteigenden Mondes, bei Nebel und bei
Recht des Künstlers, seiner Individualität zu folgen, hat Friedrich die Sturm, nach dem Gewitter unter dem Regenbogen, im Glanz des
Landschaft zum »Ausstrahlungsfeld« seiner eigenen Gefühle ge­ Frühlings wie im Schnee eines hellen oder düsteren Wintertages. Der
macht. Naturleben und Seelenleben, Stimmungen der Atmosphäre Himmel als wesentlicher Träger der Stimmungen wie auch als ideelle
und Stimmungen des Gemüts werden gleichgesetzt - wie Carus es er­ Sphäre ist dabei immer von ganz besonderer Bedeutung. Ihm hat
läuterte. Naturerscheinungen erhalten tieferen Sinn als Gleichnisse für Friedrich größte Aufmerksamkeit und viel Raum in seinen Bildern ge­
menschliches Fühlen und Denken, für Leiden und Freuden, Kämpfe widmet; wenn er ihn malte, durfte niemand das Zimmer betreten.
und Hoffnungen und werden damit romantisiert. Im Sinne der Er­ Caspar David Friedrich fand seine Motive in Dresden und dessen nä­
schütterung und inneren Erhebung durch die Natur als ein auf den herer und weiterer Umgebung, im Plauenschen Grund wie im Elbtal
Menschen beziehbares dramatisches Schauspiel hat Friedrich »die und in der Sächsischen Schweiz. Andere Bilder führen hinüber ins
Tragödie der Landschaft entdeckt«, wie es der französische Bildhauer Böhmische Mittelgebirge oder entstanden nach der Wanderung von
David d’Angers vor Friedrichs Bildern in Dresden formulierte. Dabei 1810, die ihn gemeinsam mit seinem Freund Kersting über den Oybin,
ist diese Malerei nicht nur in ganz neuartiger Weise persönliches Be­ das Zittauer und Isergebirge bis zur Schneekoppe im Riesengebirge
kenntnis, sondern erschließt zugleich eine Fülle neuer objektiver Be­ führte. Auch der Harz erscheint, das Ziel einer anderen Wanderung
obachtungswerte, die den Charakter der verschiedenen Landschaften mit dem Bildhauer Kühn im Sommer 1811. Immer wieder aber zog es
in ihrer Ganzheitlichkeit, die Bodenformationen und Pflanzen, die at­ den Maler in seine alte Heimat an der Ostseeküste, nach Greifswald
mosphärischen Erscheinungen zu den verschiedenen Jahres- und Ta­ und hinüber auf die Insel Rügen. Die damals noch fast unberührte
geszeiten unter dem Wandel der Gestirne und die damit verbundenen norddeutsche Landschaft sprach ihn in ihrer Herbheit besonders an.
Gesamtstimmungen umfassen. Daneben hat Friedrich aber auch eine Anzahl von Motiven wiederge­
Weil dieser Maler in der Natur vor allem die ewige Bewegung suchte, geben, die er nicht aus eigener Anschauung kannte. Das gilt besonders
zogen ihn die Grenzsituationen zwischen Tag und Nacht besonders für seine Bilder von den Alpen. Es ist verständlich, daß die elementare
an. »Die Dämmerung war sein Element«, wie Carus berichtet, wie es und großartige Erscheinungsform der Hochgebirgsnatur - ähnlich
aber auch aus der Häufigkeit solcher Darstellungen zu erkennen ist. wie das Meer - den Künstler stark beschäftigen mußte. Friedrich
Zugleich ist jedoch die Natur in den verschiedensten Zuständen wie­ folgte damit einem allgemeinen Interesse, das die Zeit für die Gebirgs-

Der Königsstuhl bei Stubbenkammer.


Bezeichnet links unten: den 20t Juni 1801.
23,6x36,7 cm. Feder, Sepia laviert. 1801.
Leipzig, Museum der bildenden Künste

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weit entwickelte und dem auch die Erschließung des Elbsandstein­ »politisches Programm für die Gegenwart« verfaßte, hat den befreun­
gebirges, der »Sächsischen Schweiz«, mit zu danken ist. deten Maler »zu einem politischen Menschen« gemacht, »bei dem man
Ausgangspunkt der Kunst Friedrichs war das intensive Erleben der von dem Toben der äußeren politischen Stürme am öftesten etwas
Natur, das der Maler auf seinen meist einsamen Wanderungen und hören konnte«. Eine ganze Anzahl von Friedrichs Gemälden verste­
Spaziergängen immer von neuem suchte. Leidenschaftlich drang er in hen sich als Appelle gegen die französische Fremdherrschaft und zur
die Natur ein, ging ganz in ihr auf und vergaß darüber sich selbst. nationalen Besinnung.
Rügener Fischer, wie der Naturphilosoph Gotthilf Heinrich von Hatte Friedrich die Natur draußen in sich aufgenommen, so vollzog
Schubert berichtet, sahen ihn mit Sorge um sein Leben an der Steil­ sich der eigentliche Schöpfungsprozeß daheim in der mönchisch kah­
küste herumklettern und vermuteten wohl gar einen Selbstmörder in len Malerstube, worin Friedrich nach den Schilderungen Wilhelm von
ihm; sein Tun mußte ihnen unverständlich bleiben. »Wenn der Sturm Kügelgens nichts duldete als die Staffelei, einen Stuhl und einen Tisch,
am kräftigsten war und die Wogen, mit Schaum bedeckt, am höchsten um nicht abgelenkt zu werden. »Schließe dein leibliches Auge, damit
heranschlugen, da stand er, von dem spritzenden Schaume oder auch du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zu­
von einem plötzlichen Ergüsse des Regens durchnäßt, hinschauend tage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von
wie einer, der sich an solcher gewaltigen Lust der Augen nicht satt­ außen nach innen«, so hat Friedrich gefordert und damit seine eigene
sehen kann. Wenn ein Gewitter mit Blitz und Donner über das Meer Schaffensweise charakterisiert.
daherzog, dann eilte er ihm wie einer, der mit diesen Mächten einen »Ein Bild muß nicht erfunden, sondern empfunden sein«, war sein
Freundschaftsbund geschlossen, entgegen auf den Felsensaum der Leitsatz. So lauschte er seinen Empfindungen nach, um sie im Bilde
Küste oder ging ihnen nach in den Eichenwald, wo der Blitz den sichtbar zu machen und an andere fühlende Menschen weiterzuver­
hohen Baum zerspaltete, und murmelte da sein halblautes »wie groß, mitteln. Es war das Neue bei Friedrich und kennzeichnet die Kunst­
wie herrlich, wie mächtige« Friedrich nahm wie ein Geschenk auf, auffassung der Romantik im ganzen, daß er anstelle allgemeinverbind­
was andere in die Stuben flüchten ließ. Meist war es eine einsame licher ästhetischer Regeln sein eigenes Gefühl zum Gesetz der Kunst
Zwiesprache mit der Natur, wenngleich - wie Carus mitteilt - Fried­ erhob, allein »das Herz des Künstlers« als deren »einzig wahre
rich die Begleitung eines Freundes nicht ungern gesehen haben soll. Quelle« gelten ließ. Seine persönlichen Regungen angesichts der Natur
Indem der Maler sich dermaßen in seine Motive einlebte, sie gleichsam waren der eigentliche Inhalt seiner Bilder, die er nicht als artistische
mit dem Herzen studierte, kam er ihrer Eigenart so nahe, daß bei der Leistungen, sondern als Selbstbekenntnisse verstand. »Wenn man der
Wiedergabe die Konventionen der alten Landschaftsmalerei sich von Welt etwas Brauchbares hinterlassen will, so müssen es Konfessionen
selbst verloren. So entstanden Bilder, die bei aller ideellen Verall­ sein«, hat Goethe gesagt, und Friedrich als sein Zeitgenosse hat dem
gemeinerung als überzeitlich gültige Landschaftsinterpretationen mit entsprochen. Wohl wissend: »Jedes Bild ist mehr oder weniger eine
ihrem hohen Realitätsgehalt vor der Wirklichkeit immer wieder auf Charakterstudie dessen, der es gemalt«, und »keiner ist Maßstab für
die Probe gestellt werden können. alle, jeder nur Maßstab für sich und für die mehr oder weniger ihm
Eine wesentliche Grundlage dieses Charakterisierungsvermögens war verwandten Gemüter«, hoffte Friedrich - wie auch schon Runge -,
die persönliche Verbundenheit Friedrichs mit den wiedergegebenen »daß der andere das gleiche Gefühl in sich haben möchte«. Um aber
Landschaftsmotiven, die ihn auch den Italiendrang seiner Zeitgenos­ seiner Vermittlermission gerecht werden zu können, stellte er an sich
sen ablehnen ließ. »Denen Herren Kunstrichtern genügen unsere teut- selbst hohe sittliche Anforderungen, »denn nur ein reiner Spiegel gibt
sche Sonne, Mond und Sterne, unsere Felsen, Bäume und Kräuter, ein reines Bild«.
unsere Ebenen, Seen und Flüsse nicht mehr. Italienisch muß alles sein, Friedrich war sich auch der historischen Bedingtheit aller Kunst, der
um Anspruch auf Größe und Schönheit machen zu können«, äußerte Abhängigkeit des Künstlers von seiner Zeit voll bewußt. Jedes Jahr­
er erbittert über den herrschenden klassizistischen Geschmack. Aus hundert solle sich selber schaffen und sich nicht in knechtischer Nach­
der patriotischen Liebe zu seinem Lande resultierte auch seine leiden­ äffung verlieren, forderte er und wandte sich damit vor allem gegen die
schaftliche Anteilnahme an der Befreiungsbewegung gegen Napo­ Nazarener, die in reinem Epigonentum eine Erneuerung der Malerei
leon, die um so höher zu bewerten ist, als es in Sachsen infolge des un­ Dürers und der italienischen Renaissance herbeiführen wollten.
entwickelten politischen Denkens 1813 trotz der Aufrufe der Preußen »Wenn auch in unserer Zeit wiederum ein Raffael oder sonst ein aus­
und Russen nicht zu einer allgemeinen Erhebung kam. Vor allem gezeichneter Künstler . . . aufstünde . . . , er würde dennoch nicht
Kleist, der 1808 in Dresden sein Drama »Die Hermannsschlacht« als wie jene malen. Seine Werke würden und müßten immer das Gepräge

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seiner Zeit an sich tragen.« Friedrich läßt eine beachtliche Einsicht in Füchse und Wölfe« mit solcher Art von Landschaftsmalerei »zum
die Dialektik der Entwicklung erkennen, wenn er sagt: » . . . wo in Heulen bringen«, schrieb Clemens Brentano in den »Berliner Abend­
der Welt sich etwas Neues gestalten will, und wäre es auch noch so blättern« und stellte außerdem die Wahrhaftigkeit der Darstellung
entschieden wahr und schön, wird es dennoch vom Alten, Bestehen­ hinter die der Holländer zurück. Friedrich aber hat Pionierarbeit ge­
den bekriegt, und nur durch Kampf und Streit kann sich das Neue leistet. Wir haben mit seinen Augen sehen gelernt, und heute gehört
Platz machen und behaupten, bis es wieder verdrängt dem Neueren für nicht wenige Menschen der Anblick des einsamen, vielleicht stür­
weichen muß.« mischen Meeres zu den großen Erlebnissen.
War das tragende Gefühl bei Friedrich die Ehrfurcht vor der Schöp­ Caspar David Friedrich hat die Möglichkeiten zu Gedanken- und
fung, so ist in seinen Werken doch seit jeher und schon von den Zeit­ Gefühlsverbindungen noch erweitert, indem er den Charakter der
genossen ein melancholischer Grundzug erkannt worden, den Tieck Landschaft, wie er ihn auffaßte, durch symbolhafte Zufügungen un­
als »feierliche Wehmut« bezeichnete und der nicht nur aus den Fried­ terstrich. Ein Kreuz oder Kruzifix auf hohem Berggipfel ist Zeichen
hofsbildern spricht, sondern ebenso aus den Darstellungen des abend­ der Erlösung und Verheißung. Auf den Meeresbildern erscheint als
lichen Scheidens der Sonne, der Düsternis herbstlicher Tage oder der Metapher für die menschliche Lebensfahrt alter Tradition gemäß das
Starre des Winters. Friedrich ist darum zweifellos zu Recht als Melan­ Schiff, als Ziel dieser Fahrt der Hafen, während der Anker Hoffnung
choliker bezeichnet worden. Sein schwermütiges Wesen wurde nicht verbürgt. Kahle oder abgestorbene Bäume sind Ausdruck der Ver­
zuletzt aus dem traurigen Kindheitserlebnis erklärt, da sein jüngerer gänglichkeit, doch können die öfters auftretenden wetterharten
Bruder Christoph beim Schlittschuhlaufen vor seinen Augen unter Eichen auch Beständigkeit andeuten, und das entlaubte Gebüsch im
dem Eis versank, nachdem dieser ihn selbst vorm Ertrinken gerettet Schnee weist tröstlich auf die überdauernden Lebenskräfte und den
hatte. Dabei blieb Friedrich aber schon durch seinen christlichen Erlö­ neuen Frühling hin.
sungsglauben vor selbstquälerischer Hoffnungslosigkeit und frucht­ Häufig wiederkehrende Stimmungsträger als Vergänglichkeitssym­
loser Resignation bewahrt. Fern jedem philosophischen Pessimismus, bole sind die zumeist den gotischen Bauten von Eldena, Oybin oder
empfand er zwar zutiefst die Begrenztheit und Vergänglichkeit alles auch Meißen ähnlichen Kirchenruinen, deren Wiedergabe in solchem
menschlichen Seins und vertraute sich damit seiner Kunst an. Daß er Sinne auf die Einbeziehung derartiger Bauwerke in die sentimentalen
aber im Innersten glücklich war, bestätigt seine schriftliche Äußerung Landschaftsparks zurückgeht, aber noch tiefer in den Vanitasdarstel­
über einen Maler XX, die wir sicherlich auf ihn selbst beziehen dürfen: lungen der Barockzeit wurzelt. In Jacob van Ruisdaels »Judenfried­
Die Freunde möchten jenen nötigen, heitere Gegenstände zu malen, hof« der Dresdener Galerie fand Friedrich ein berühmtes Vorbild
was ihm aber schwerfällt, während er die düsteren Dinge frohen dafür. Seine Ruinendarstellungen bezeugen zugleich das von der
Herzens schildert. »Oh, ihr Gutmütigen«, ruft er aus, »die ihr so ganz Romantik entwickelte neue Interesse für die mittelalterliche Kultur.
und gar nicht das innere Drängen und Treiben der Seele erkennet!« Symbole der Zeitlichkeit menschlichen Wirkens und Lebens sind auch
Demgemäß offenbaren Friedrichs Bilder auch dort, wo ein melancho­ die Bilder von Gräbern und Grabmälern - vom Gedanken an den Tod
lischer Ton anklingt, stets eine tiefe Freude an der Natur. Viele Werke aber nur dort eindeutig beherrscht, wo sie im Bereich des Friedhofs
sind erfüllt von stillem Jubel, vom Ausdruck froher Erwartung, Hoff­ auftreten. An anderer Stelle, wie in den »Grabmalen alter Helden«
nung und Zuversicht im Anblick der Morgenfrühe oder des hellen oder dem »Grab Huttens«, bedeuten die Grabstätten und Gedenk­
Tages, von Abendfrieden, Heimkehrstimmung und dem gläubigen steine Mahnung zum nationalen Aufbruch im Geiste dieser Toten,
Wissen um Geborgenheit, wenn der Tag sich neigt oder der Mond sein und auch die Hünengräber als Zeugen germanischer Vorzeit sollten in
mildes Licht über das Land aussendet. Bis heute haben diese zuerst echt romantischer Auffassung angesichts der herrschenden nationalen
von Friedrich so anschaulich gemachten Sinnbezüge ihre Gültigkeit Ohnmacht die Hoffnung auf das Wiedererstehen alten Heldengeistes
behalten, wirkt in solcher Erlebnisfähigkeit ein Erbe der Romantik erwecken. Der verschlüsselte patriotische Gehalt wurde von den an
fort, ohne daß uns dies im allgemeinen bewußt wäre. Friedrich hat uns solche Ausdrucksformen gewöhnten Zeitgenossen auch richtig er­
für den möglichen Bedeutungsgehalt vieler Erscheinungsformen der kannt, wie es etwa von Dahl bestätigt worden ist.
Natur erst den Blick geöffnet. Neben diesen Symbolbezügen können noch manche anderen gesehen
Sein Gemälde »Der Mönch am Meer«, das wie kaum ein anderes die werden, läßt sich etwa ein ins Bild führender Weg als Lebensweg, ein
Größe und Erhabenheit der Natur erahnen läßt, wirkte in seiner Ein­ Sturzacker als Gleichnis vergänglichen Erdendaseins, die im Hinter­
samkeit auf die Zeitgenossen noch bedrückend: »Man könnte die grund erscheinende Stadt als Zukunftsvision deuten. Es ist weithin

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Elbschiff im Frühnebel.
22,5x31,8 cm. Öl auf Leinwand.
Um 1820-1822.
Köln, Wallraf-Richartz-Museum

üblich geworden, Friedrichs Bilder nach solchen Metaphern gleich­ Kompositioneil zeigen Friedrichs Bilder nicht mehr das bis dahin übli­
sam abzusuchen und damit zuweilen symbolisch allzusehr zu befrach­ che Schema mit den das Hauptmotiv kulissenartig rahmenden Bäu­
ten. Das kann dazu führen, diese Kunst zu vordergründig als eine men oder Felsen. Bei den Zeitgenossen riefen sie daher Verwunderung
»Gedankenmalerei« zu interpretieren, ihren hohen Grad an Realis­ und Unbehagen hervor. Bezeichnend ist die Empfindung, die Bren­
mus zu unterschätzen und ihre aus der emotional bestimmten An­ tano und Kleist zu dem Gemälde »Der Mönch am Meer« mit den
schauung hervorgegangene Ganzheitlichkeit zu verkennen. Es ist aber Worten äußerten: » . . . Da es in seiner Einförmigkeit und Uferlosig-
nicht zu bezweifeln, daß Friedrich ganz entscheidend von der sicht­ keit nichts als den Rahmen zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man
baren Wirklichkeit ausging, sonst würden wir uns nicht so oft vor der es betrachtet, als wenn einem die Augenlider weggeschnitten wären.«
Natur an seine Bilder erinnert fühlen. Ähnlich wie dieses Bild, wenn auch nicht immer in so ausgeprägter
Eine besondere Funktion kommt bei Caspar David Friedrich der Form, sind auch zahlreiche andere Werke durch solche Horizontalen
menschlichen Gestalt zu, die der Maler ebenso sparsam eingesetzt hat, bestimmt, in denen die verschiedenen Pläne der Landschaft-Himmel
wie es ihm vor allem um das Erlebnis der einsamen Natur ging. Zuwei­ und Erde, Land und Wasser, Vorebene und Gebirge, Vorder- und
len ist der Mensch als anwesend zu denken, ohne sichtbar zu sein, Hintergrund - voneinander geschieden werden. Man konnte von den
etwa als Schiffsbesatzung. Wo er erscheint, einzeln oder auch in der alten Sehgewohnheiten her dem Maler hier nur schwer folgen, und
Gruppe, nicht selten im Sinne eines gedachten Dialogs zu zweien, ist auch Goethe nahm daran Anstoß, weil es ihm schien, als ob die Bilder
er niemals nur belebende, Maßstab und Tiefenwirkung schaffende um einen Mittelpunkt drehbar wären und auf den Kopf gestellt
Staffage, sondern soll eine unmittelbare Beziehung zur Landschaft werden könnten.
vermitteln. Uns mit ihm zu identifizieren, sind wir als Betrachter vor Friedrich hat den Vordergrund häufig dunkel gehalten und - indem er
allem dort veranlaßt, wo er sich als Rückenfigur der Landschaft zu­ den Mittelgrund durch Überschneidungen stark verkürzte - nicht sel­
wendet und uns durch diese Vorgabe der Blick- und Gedankenrich­ ten zu einer Raumschranke gemacht, über der die Ferne als das eigent­
tung als Medium verstärkt den Zugang zum Motiv erschließt. liche Ziel des Schauens hell aufsteigt. In religiös-allegorischem Sinne

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ist diese darum als lichte Vision und Symbol für das ersehnte jen­ res Colorit«, »gefällige Beleuchtung« und »Formen der schönen
seitige, als unbetretbar gedachte Reich des Friedens und der Freude Natur« und war der Meinung, daß der Maler sich »wegen Vernachläs­
interpretiert worden. Es ist aber zu bemerken, daß Friedrich sich auch sigung der Kunstregeln mit allen seinen Geschmacksgenossen . . . im
hier offenbar weitgehend von ästhetisch-gestalterischen Erwägungen gleichen Nachteil« befände - ein Urteil, das deutlich von der klassizi­
leiten ließ. »Auge und Phantasie fühlen sich im allgemeinen mehr von stischen Kunstauffassung geprägt erscheint. »Sehr einfach, ärmlich,
der duftigen Ferne angezogen als von dem, so nah und klar vor Augen ernst und schwermutsvoll, glichen Friedrichs Phantasien . . . den
liegt«, äußerte er im Wissen um die psychologischen Wirkungen Liedern jenes alten Keltensängers, deren Stoff nichts ist als Nebel,
künstlerischer Mittel und warnte davor, Luft und Ferne zu dunkel Bergeshöhe und Heide«, schrieb Wilhelm von Kügelgen, und die
anzufangen, weil sonst »im Mittelgrund schon alle Kraft und Saft der Malerin Caroline Bardua bezeugte: »Wie er in seinem Wesen erschien:
Farben verwendet ist und für den Vordergrund nichts übrigbleibt«. still, verschlossen, weltscheu, absonderlich, tief denkend, voll war­
Die Farbe in Friedrichs Bildern überwindet in feingestimmten Akkor­ mer Liebe für Kunst und Natur - so waren auch seine Bilder: wunder­
den von größter Zartheit, Transparenz und Helligkeit restlos die vor­ bar einfach, melancholisch, eigentümlich, voll geistreicher religiöser
dem üblich gewesene Tonigkeit. Von ihr gehen zum großen Teil die Bedeutung«.
Stimmungswerte aus, und somit ist diese Malerei ein Exempel auf die Bei aller Selbstgewißheit und Entschiedenheit des Wollens war Fried­
Bemühungen Runges um eine symbolische Interpretation der Farben rich gegen sich selbst stets kritisch bis zum Zweifel am eigenen Kön­
zur Belebung der Landschaftsmalerei, aber ebenso auf die Farbenlehre nen und gleichzeitig zur Anerkennung der Leistungen anderer bereit,
Goethes, die der psychologischen Bedeutung der Farben nachgeht. ein Mensch »von strenger Rechtlichkeit, Geradheit und Abgeschlos­
Friedrich zeichnete seine Kompositionen mit höchster Sorgfalt in den senheit . . . , aller Ostentation fremd wie jeder luxuriösen Gesellig­
Umrissen auf, legte sie mit einer monochromen Untermalung an und keit«. Bescheidenheit bestimmte seinen Lebensstil, und auch die über­
arbeitete dann mit leuchtenden Lasuren. Wie Carus mitteilt, sahen raschende Heirat mit Caroline Bommer, einer »einfachen und stillen
seine Bilder in jedem Stadium bestimmt und geordnet aus, wie es Frau, die ihm nach und nach einige Kinder gebar«, änderte sein Wesen
seiner Lauterkeit und eher biedermeierlichen Ordnungsliebe ent­ und Leben kaum, wie wir von Carus erfahren.
sprach. Bei fast aquarellartiger Wirkung hat Friedrich die feinsten Daß Caspar David Friedrich sich mit seiner Kunstauffassung völlig
Tonabstufungen erzielt und mit ihrer Hilfe atmosphärische Situatio­ von den Traditionen der Akademie löste, mußte ihm schließlich zum
nen in einer Differenzierung wiederzugeben vermocht wie kein Nachteil gereichen. Da er die Kunst als Sprache der persönlichen
Künstler je zuvor. Was er beim intensiven Naturstudium an Form-, Empfindung ansah und somit auch zu ganz persönlichen, nicht über­
Licht- und Farbwerten aufnahm, wurde beim Malen aus der Vorstel­ tragbaren Gestaltungsmitteln fand, konnte er als Lehrer nicht geeignet
lung der Bildidee untergeordnet. Um die feinen atmosphärischen erscheinen. Solche Äußerungen wie: »Nicht unterwiesen zu sein, ist
Schwebezustände und die damit verbundenen Stimmungswerte sicht­ oft für geistig begabte Menschen ein Glück. Das viele Lehren und Un­
bar zu machen, mußte der Maler die Materialität der Dinge oft bis zur terweisen ertötet nur zu leicht das Geistige im Menschen«, stellten den
Schemenhaftigkeit zurückdrängen - wie es auch der optischen Realität Wert von Kunstschulen schließlich überhaupt in Frage. Friedrichs
entspricht. So enthalten Friedrichs Bilder für den, der sie nicht von Kunst hat ebenso außerhalb der Akademie und im Widerspruch zu
ihrer Stimmung her zu erfassen vermag, rein quantitativ in der Tat nur dieser gestanden wie etwa die große französische Malerei des 19. Jahr­
wenig. Sie sind nicht pittoresk und dekorativ, sondern eher karg und hunderts von Delacroix und der Schule von Barbizon über Courbet
spröde, fern jeder artistischen Routine, vielmehr oft von scheinbarer bis zu den Impressionisten. Mit der an sich logischen Begründung - in
Zaghaftigkeit und Naivität. Selbst Carus verstand wohl ihre unge­ richtiger Erkenntnis der entschiedenen Subjektivität seines Schaffens -,
wohnte Schönheit nicht völlig, wenn er schreiben konnte: »Die Dinge daß Friedrich seine Höhe weniger seinem Studium als seinem Genie
geben dem Sinn nur wenig, dem Geist das meiste« und von einem zwar verdanke, wurde ihm die ersehnte Professur an der Landschaftsklasse
»tiefpoetischen, doch oft auch etwas finsteren und schroffen Stil der verweigert. Hier liegt ein Teil der Tragik dieses Malers: Gerade er,
Landschaft« sprach. Goethe, der ihn übrigens beachtlich gefördert dem es um den sittlichen Einfluß der Kunst so ernst war, konnte die
hat, nannte die Gedanken der Arbeiten Caspar David Friedrichs Möglichkeit für ein Wirken in die Breite nicht gewinnen. Daß Caspar
»zart, ja fromm, aber in einem strengeren Kunstsinne nicht durch­ David Friedrich nicht im engeren Sinne schulbildend wurde und kaum
gängig zu billigen«, lobte die »bewunderungswürdig sauber getusch­ unmittelbare Nachfolger fand - ausgenommen Carl Gustav Carus und
ten Landschaften«, vermißte aber »wohltuende Befriedigung«, »wah­ in gewissem Maße den in der Motivik seiner Werke sehr ähnlichen

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Der Morgen im Gebirge. 135x170 cm. Öl auf Leinwand. 1822/23. Leningrad, Staatliche Ermitage

Norweger Johan Christian Clausen Dahl, mit dem Friedrich zwei Jahr­ Friedrichs revolutionierende Auffassung, seine künstlerischen Prinzi­
zehnte lang in einem Hause wohnte, weiterhin den mehr biedermeier­ pien wie der Schatz seiner überaus eigenständigen Ausdrucksmöglich­
lichen Georg Friedrich Kersting und Ernst Ferdinand Oehme lag keiten haben die Malerei der Folgezeit wesentlich bereichert, ohne daß
freilich mehr in der Unwiederholbarkeit dieser Kunst begründet. sie im einzelnen daraus zu lösen wären.

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Der Künstler und seine Zeit Novalis' (gest. 1801) hinterlassene Schriften werden von Tieck und
Friedrich Schlegel herausgegeben.
1803 Im Mai erste Wanderung durch Nordböhmen.
Seit etwa 1750 Neugotik in England. 1804 Napoleon krönt sich zum Kaiser der Franzosen.
1755 Das Nauener Tor in Potsdam, erstes neugotisches Bauwerk in Schiller schreibt sein Drama »Wilhelm Teil« als Aufruf zur nationalen
Deutschland. Einigung und Befreiung.
1760—1763 Der schottische Dichter Macpherson gibt die »Lieder des 1805 Friedrich gewinnt mit zwei Sepiablättern beim Preisausschrei­
Ossian« heraus, sentimental-romantische Nachahmungen alter gäli- ben der Weimarer Kunstfreunde unter Goethe die Hälfte des Preises.
scher Volksdichtung. Goethe schreibt über ihn im Neujahrsprogramm 1806 der »Jenaischen
1761/62 Jean-Jacques Rousseau veröffentlicht seine Abhandlung über Allgemeinen Literaturzeitung«.
den »Gesellschaftsvertrag« und seine Romane »Julie« und »Emile«, 1806 Reise nach Greifswald. Im Juni und Juli auf Rügen.
die wesentliche philosophische Grundlagen der Romantik enthalten. Napoleon besiegt Preußen bei Jena und Auerstedt. Sachsen schließt mit
Seit 1764 Der Wörlitzer Park bei Dessau als erster großer Naturpark Frankreich Frieden, tritt dem Rheinbund bei und wird dafür von
nach englischem Vorbild in Deutschland wird angelegt. Napoleon zum Königreich erhoben.
1774 Caspar David Friedrich am 5. September als Sohn des Seifen­ Ernst Moritz Arndts Hauptwerk »Geist der Zeit« (Bd. I) erscheint.
sieders Adolph Gottlieb Friedrich in Greifswald geboren. 1806—1808 Achim von Arnim und Clemens Brentano veröffentlichen
1778 Johann Gottfried Herder beginnt mit der Veröffentlichung sei­ die Volksliedersammlung »Des Knaben Wunderhorn«.
ner Sammlung von Volksliedern. 1807 Neuerliche Wanderung Friedrichs durch Nordböhmen.
1789 Ausbruch der Großen Französischen Revolution. Der Frieden von Tilsit bringt für Preußen harte Bedingungen.
Seit 1790 Friedrich erhält ersten Zeichenunterricht bei dem Universi­ Fichte hält in Berlin seine »Reden an die deutsche Nation«.
tätszeichenmeister Dr. Johann Gottfried Quistorp, einem Schüler Joseph Görres gibt »Die teutschen Volksbücher« heraus.
Anton Graffs, in Greifswald. 1808 Friedrich findet in Dresden zunehmend freundschaftlichen An­
1794—1798 Studium an der Kunstakademie Kopenhagen, u. a. bei schluß bei bedeutenden Vertretern des geistig-künstlerischen Lebens,
Nicolai Abraham Abildgaard, dem Hauptvertreter des dänischen unter ihnen Heinrich von Kleist, der Naturforscher und Natur­
Klassizismus. philosoph Gotthilf Heinrich von Schubert, der Publizist Adam
1797 Wackenroders »Herzensergießungen eines kunstliebenden Müller, der Maler und spätere Akademieprofessor Franz Gerhard von
Klosterbruders« und Schellings »Ideen zu einer Philosophie der Natur« Kügelgen, der Friedrich auch wirtschaftlich fördert, und der Maler
erscheinen. Georg Friedrich Kersting. Friedrich findet endgültig seine persönliche
1798 Ludwig Tieck veröffentlicht seinen Roman »Franz Sternbalds künstlerische Ausdrucksweise. Das »Kreuz im Gebirge«, sein erstes
Wanderungen«. größeres Ölgemälde, entsteht. Die Kritik des Freiherrn von Ram-
Friedrich kehrt im Mai nach Greifswald zurück. Nach einem Aufent­ dohr, im Januar 1809 in der »Zeitschrift für die elegante Welt« veröf­
halt in Berlin ist er seit Oktober in Dresden nachweisbar. fentlicht, führt zum »Ramdohrstreit«, einer grundsätzlichen Ausein­
1798 — 1800 Die Brüder Schlegel geben die Zeitschrift »Athenäum« andersetzung um die romantische Kunst.
heraus, worin Friedrich Schlegel mit seinen »Fragmenten« die roman­ Heinrich von Kleist schreibt sein Drama »Die Hermannsschlacht« und
tische Ästhetik begründet. Novalis veröffentlicht im »Athenäum« gibt zusammen mit Adam Müllerin Dresden die Zeitschrift »Phoebus«
seine »Fragmente« »Blütenstaub« und »Glaube und Liebe«. heraus. Goethes »Faust« Teil I erscheint.
1799 Schleiermachers Werk »Über die Religion« erscheint. 1809 Besuch in Greifswald. Tod des Vaters.
1801 Im Frühjahr in Greifswald Begegnung mit dem ebenfalls von der 1810 Im Sommer Wanderung mit dem Maler Kersting über das Zit­
Kopenhagener Akademie kommenden Philipp Otto Runge (1777 tauer Gebirge bis zur Schneekoppe im Riesengebirge. Am 18. 9. be­
bis 1810), der sich von Juni 1801 bis November 1803 an der Dresdener sucht Goethe Friedrich im Atelier. Auf der Herbstausstellung der
Kunstakademie weiterbildet. Friedrich empfängt von ihm bedeutsame Berliner Kunstakademie werden Friedrichs Gemälde »Der Mönch am
Anregungen. Im Juni und August ist er auf Rügen nachweisbar. Meer« und »Abtei im Eichwald« vom Kronprinzen Friedrich Wilhelm
Im Sommer erste Rügenwanderung. von Preußen angekauft. Im Zusammenhang damit wird Friedrich zum
1802 Im Mai neuerliche Rügenwanderung. Auswärtigen Mitglied der Berliner Akademie ernannt.

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1811 Im Sommer Fußwanderung durch den Harz mit dem Bildhauer 1819 Geburt der Tochter Emma.
Gottlob Christian Kühn. Besuch bei der Malerin Caroline Bardua in Erlaß der Karlsbader Beschlüsse als Maßnahme der Reaktion gegen
Ballenstedt und auf der Rückreise bei Goethe in Jena. alle freiheitlichen Bewegungen.
1812 Friedrichs Gemälde »Morgen im Riesengebirge« auf der Ber­ 1820 Peter von Cornelius und Karl Förster sowie der spätere Zar Nikolaus I.
liner Akademieausstellung vom preußischen Kronprinzen erworben. mit Staatsrat Shukowski besuchen Friedrich im Atelier.
Napoleons »Große Armee« wird in Rußland fast völlig aufgerieben. Beginn einer bescheidenen privaten Lehrtätigkeit.
1812-1814 Mit Bildern von patriotischem Gehalt schließt sich Fried­ 1823 Geburt der Tochter Agnes Adelheid.
rich der nationalen Erhebung an. Einige davon werden 1814 auf der Beethoven schreibt seine 9. Sinfonie.
vom russischen Generalgouverneur Repnin veranstalteten Akademie­ 1824 Friedrich wird zum außerordentlichen Professor der Kunst­
ausstellung gezeigt. akademie Dresden ernannt, doch bleibt ihm auch nach dem Tode
1812-1815 Die Brüder Grimm geben die »Kinder- und Haus­ Klengels im gleichen Jahr die Leitung der Landschaftsklasse verwehrt.
märchen« heraus. Sein Gesundheitszustand ist angegriffen. Geburt des Sohnes Adolf,
1813 Während der französischen Besetzung Dresdens zieht sich der sich später als Tiermaler einen gewissen Ruf erwirbt.
Friedrich von März bis November ins Elbsandsteingebirge zurück. 1826 Nach Krankheit im Juni Kuraufenthalt auf Rügen.
Im Frühjahr beginnt in Preußen die nationale Befreiungsbewegung, Der erste Band der »Monumenta Germaniae historica«, der wichtig­
ln Sachsen kommt es nicht zu einer allgemeinen nationalen Erhebung. sten Sammlung mittelalterlicher Quellen zur deutschen Geschichte,
Theodor Körner und der Maler Kersting nehmen in den Reihen der und Eichendorffs Novelle »Aus dem Leben eines Taugenichts« er­
Lützower Schwarzen Schützen am Befreiungskampf teil; Körner fällt. scheinen.
Nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig im 1828 Im Mai Aufenthalt in Teplitz. Friedrich wird Mitglied des neugegrün­
Oktober wird der sächsische König Friedrich August 1. als Verbündeter deten Sächsischen Kunstvereins.
Napoleons gefangengesetzt und Sachsen erst unter russische, dann 1830 Besuch des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen im
unter preußische Verwaltung gestellt. März in Friedrichs Atelier.
1815 Im August und September Aufenthalt in Greifswald. Die Pariser Julirevolution führt auch in Sachsen zu revolutionären
Napoleon wird bei Waterloo von den Engländern und Preußen ge­ Erhebungen.
schlagen und muß endgültig abdanken. Der Wiener Kongreß unter 1831 Der Ständestaat Sachsen wird in eine konstitutionelle Monarchie
Metternich macht die Hoffnung der deutschen Patrioten auf eine na­ umgewandelt und erhält eine Verfassung.
tionale Einigung zuschanden. 1833 Sachsen schließt sich an den preußisch-hessischen Zollverein an,
1816 Friedrich wird zum Mitglied der Dresdener Akademie ernannt, der als »Deutscher Zollverein« die Grundlage der wirtschaftlichen
bleibt aber ohne Lehramt. Einheit Deutschlands bilden wird.
1817 Beginn der Freundschaft mit dem Arzt, Philosophen und Maler 1834 Der französiche Bildhauer David d’Angers besucht im Herbst
Dr. Carl Gustav Carus, der in seinen 1831 veröffentlichten »Briefen Friedrich im Atelier.
über Landschaftsmalerei« eine grundlegende Analyse der Kunst 1835 Ein Schlaganfall lähmt Friedrichs rechte Hand. Kuraufenthalt in
Friedrichs gibt. Teplitz, 1836 erneut. In seinen letzten Lebensjahren ist Friedrich zu
Das Wartburgfest der deutschen Studenten wird zur Demonstration künstlerischer Tätigkeit nicht mehr fähig.
für ein geeintes Deutschland. Die erste deutsche Eisenbahn Nürnberg-Fürth wird eröffnet.
Carl Maria von Weber kommt als Kapellmeister der Deutschen Oper 1836 Der »Bund der Gerechten« als erste deutsche Arbeiterorgani­
nach Dresden und schreibt hier seine Oper »Der Freischütz«. sation wird in Paris gegründet.
1816-1818 Die Brüder Grimm geben die gesammelten »Deutschen Sagen« Ludwig Richter wird Lehrer an der Dresdener Akademie.
heraus. 1836/37 Die Ausstellung der Düsseldorfer Malerschule findet in Dres­
1818 Friedrich heiratet Caroline Bommer aus Dresden. Reise mit der jun­ den großen Anklang.
gen Gattin zu den Verwandten nach Neubrandenburg, Greifswald, Stral­ 1839 Die Eisenbahn Leipzig-Dresden wird eröffnet.
sund und Rügen. Beginn der Freundschaft mit dem norwegischen Maler 1840 Friedrich stirbt am 7. Mai in Dresden und wird am 10. Mai auf
Johan Christian Clausen Dahl, der 1818 nach Dresden kommt und 1823 mit dem Trinitatisfriedhof in Dresden-Johannstadt beigesetzt.
in Friedrichs Haus An der Elbe 33 zieht. 1844 Aufstand der schlesischen Weber.

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1 Das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar) Kreuz auf den Felsen als Symbol des festen Glaubens und die immer­
grünen Tannen als Zeichen der Hoffnung auf Christus interpretiert.
115x110,5 cm (ohne Rahmen). Öl auf Leinwand. 1808. Der nach seinem Entwurf vom Bildhauer Kühn geschaffene Rahmen
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister bekräftigt diesen Gehalt: Im Sockel leuchtet zwischen Weizengarbe
und Weinrebe, die auf Brot und Wein des Abendmahls hinweisen, das
Dieses Bild wurde von dem Grafen Thun-Hohenstein für den Altar Strahlenauge Gottes als Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit. Die Palm­
seiner Hauskapelle auf Schloß Tetschen (Böhmen) in Auftrag gegeben blätter des abschließenden Bogens, von dem Kinderengel herab­
und von Friedrich zu Weihnachten 1808 im Atelier öffentlich zur schauen, sind Zeichen des Sieges über den Tod, Zeichen des Friedens
Schau gestellt. Der Dresdener Kunstgelehrte Basilius von Ramdohr und der Gerechtigkeit.
bedachte es daraufhin in der »Zeitung für die elegante Welt« mit einer In dem Gemälde »Morgennebel im Gebirge« ist das Motiv der in den
abwertenden Kritik, die - von den Anhängern des Malers erwidert - Himmel ragenden, von einem Kreuz gekrönten Felsspitze aus größe­
zum »Ramdohrstreit« führte. rer Entfernung gesehen, zusätzlich dramatisiert durch die meisterlich
Sie richtete sich vor allem dagegen, daß die christliche Lehre hier nicht erfaßte atmosphärische Erscheinung, wie sich unter den Strahlen der
wörtlich vorgetragen, sondern in eine Allegorie gekleidet wurde, und Sonne der Nebel lichtet.
daß die Landschaftsmalerei damit anmaßend »in die Kirchen schlei­ Auch wenn Friedrich damit vielleicht einen politisch-patriotischen
chen und auf die Altäre kriechen« wolle. Ramdohr lehnte es ab, das Sinngehalt verband, so beeindruckte ihn doch wohl vor allem das Na­
Verständnis einer religiösen Idee, wie hier des Erlösungsgedankens, turereignis. In einer schriftlichen Äußerung gegen die Ablehnung von
vom subjektiven Empfinden des Betrachters abhängig zu machen, Winter- und Nebelbildern nannte er arm an Phantasie den, der »im
wobei doch gerade das von den Romantikern zum Ausgangspunkt des Nebel nichts als grau sieht«, denn »wenn eine Gegend sich in Nebel
Kunstschaffens und -erlebens erhoben wurde. Friedrich hat selbst den hüllt, erscheint sie größer, erhabener und erhöht die Einbildungskraft
Gekreuzigten im Abendrot als Vermittler des göttlichen Lichtes, das und spannt die Erwartung gleich einem verschleierten Mädchen«.

Morgennebel
im Gebirge.
71 x 104 cm.
Öl auf
Leinwand.
Um 1807/08.
Rudolstadt,
Staatliches
Museum Schloß
Heidecksburg
2 Hünengrab im Schnee mehr ein zur nationalen Befreiung ersehnter tapferer Geist beschwo­
ren werden. Dabei hat Friedrich das Motiv aber gewiß nicht zuletzt
61,5x80 cm. Öl auf Leinwand. Um 1807. auch wegen seiner ästhetischen Schönheit und der von ihm ausgehen­
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister den Stimmungswerte gewählt. Das Astwerk der kahlen, vom Sturm
gezeichneten Eichen ist von höchstem graphischem Reiz und die
Mit den in Friedrichs norddeutscher Heimat häufigen jungsteinzeit­ winterliche Atmosphäre mit dem den Talgrund erfüllenden, nach
lichen Hünengräbern als vermeintlichen Zeugen germanischer Früh­ oben sich aufhellenden Dunst der Frostluft von den zartesten Valeurs
zeit verband sich in der Romantik die Vorstellung von Heldentum, die bestimmt. Vermutlich handelt es sich hier um das Hünengrab bei
sich wohl nicht nur aus den noch sehr unklaren Vorgeschichtskennt­ Gützkow unweit Greifswald, das nach 1825 abgetragen wurde.
nissen herleitete, sondern vielleicht noch mehr von der monumentalen Das allein schon in der Zufälligkeit des Ausschnitts überaus realisti­
Form dieser wie von Riesen aus gewaltigen Megalithen aufgetürmten sche Bild einer »Felspartie im Harz« läßt keinen besonderen Symbol­
Grabmale erzeugt wurde. So sollte mit ihrer künstlerischen Darstel­ gehalt erkennen. Mit der Tendenz zur Monochromie und einer gewis­
lung in der Zeit der französischen Fremdherrschaft wohl auch weniger sen Flächenhaftigkeit weist es fast auf den Sezessionsstil voraus, der
die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens symbolisiert als viel­ gegen 1900 das lyrische Naturverhältnis der Romantik übernahm.

Felspartie im Harz. 32x45 cm. Öl auf Leinwand. 1811. Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister
3 Der Sommer den Gestalten der meisten anderen Bilder Friedrichs nicht in die Na­
turbetrachtung vertieft, sondern mit sich selbst beschäftigt. Friedrich
71,5x103,5 cm. Öl auf Leinwand. 1808. München, ist hier noch der idealen Landschaft des Klassizismus nahe.
Neue Pinakothek Klassizistisch beeinflußt erscheint auch die »Gartenterrasse«, ein Ge­
mälde, bei dem das Motiv der Raumschranke in architektonischer
Das Gemälde gehörte wie das 1931 verbrannte »Der Winter« zu einem Form ausgebildet ist. Über der Parkmauer öffnet sich die Aussicht auf
nicht vollendeten Zyklus der Jahreszeiten, die in ihrem Symbolgehalt bewaldete Höhen, in denen von Grundmann (1931) das Isergebirge
den seit dem Mittelalter bekannten Darstellungen der Lebensalter ver­ erkannt wurde. Durch die überschneidende Rahmung wird der Fern­
wandt sind. Schon hier ist ein für Friedrich wesentliches Kompo­ blick erst recht zum Erlebnis. Dem im französischen Stil angelegten
sitionsprinzip zu erkennen: Der vordere Hügelzug überschneidet den Park vorn gegenüber dem vielleicht als Freiheitsvision aufgefaßten
Mittelgrund und rahmt damit den Blick in die hellere Ferne, der die Hintergrund eine negative Bedeutung im Sinne einer antifranzösi­
romantische Sehnsucht vor allem gilt. Dem Liebespaar in der Blüten­ schen Gesinnungskundgebung beimessen zu wollen erscheint indes­
laube am Fuß einer hohen Birke liegt die anmutige Landschaft gleich­ sen gewagt, zumal der Vordergrund um die Gestalt der jungen Frau an
sam zu Füßen, doch sind die zwei jungen Menschen im Gegensatz zu der beglückenden Gesamtstimmung wesentlichen Anteil hat.

Gartenterrasse. 53,5x70 cm. Öl auf Leinwand. 1811/12. Potsdam-Sanssouci, Staatliche Schlösser und Gärten
4 Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer links. Die transparente Helligkeit der Ferne und des zart abgestuften
seidigen Himmels wird durch den dunkel gehaltenen Vordergrund ge­
71x104 cm. Öl auf Leinwand. 1810/11. steigert. Jubel über die Schönheit der Natur klingt aus diesem Bild, ein
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister Loblied auf die Schöpfung, die sich dem Maler im aufgehenden Mor­
gen offenbarte.
Auf Wanderungen hat Friedrich auch 1807 die Landschaft des vulka­ Durch die Zeichnung vom Mai 1803 mit dem Jeschken bei Reichen­
nischen böhmischen Mittelgebirges kennengelernt und sie danach in berg (Liberec) von Süden her ist Friedrichs erste Wanderung durch
mehreren Gemälden in ihrem fast südlich anmutenden Charakter wie­ Nordböhmen ausgewiesen. Fein differenzierte Tonwerte und lineare
dergegeben. Im silbrigen Licht des Sommermorgens breitet das Land Überschneidungen vermitteln ein ausgewogenes, starkes Raum­
sich aus, zum Wandern einladend. Es atmet eine köstliche Frische, gefühl. Wegen des Kreuzes auf der Kapelle ist hier - wie für einige
und wir glauben den Frühtau zu spüren. Verstreute Bäume und ein ähnlich ausgestattete Arbeiten - von Sumowski der Begriff eines
Weg führen den Blick in die Tiefe hin zur höchsten Erhebung des »christlich zentrierten Pantheismus« in Anwendung gebracht wor­
Gebirges, dem südöstlich von Teplitz gelegenen Milleschauer rechts den. Dabei ist freilich zu bedenken, daß solche Kreuze im katholi­
im Bild, und dem etwas niedrigeren, aber näher gelegenen Kletschen schen Böhmen allerorten zu finden waren.

Böhmische Landschaft mit Brücke und Kapelle. Bezeichnet links oben: den 9t May 1803 C. D. Friedrich.
11,4x17,8 cm. Feder, Sepia, laviert. 1803. Dresden, Kupferstichkabinett
5 Der Mönch am Meer ten Wasserfläche unter dem hohen, in der Tiefe bedrohlich verdüster­
ten Himmel ist nicht mehr zu überbieten: Das Bild ist nur durch die
110x171,5 cm. Öl auf Leinwand. 1808/09. zwei horizontalen Trennungslinien zwischen Himmel, Meer und
Berlin-Charlottenburg, Staatliche Schlösser und Gärten Land gegliedert. Mit dem in der ungeheuren Weite verloren wirken­
den Mönch läßt Friedrich den Betrachter die Unendlichkeit des Uni­
Dieses Bild, das zu Friedrichs bekanntesten Werken gehört, war erst­ versums erleben.
mals auf der Berliner Kunstausstellung von 1810 zu sehen und muß Kaum weniger eindrucksvoll als diese Seelandschaft ist die Schilde­
nach den von Kleist, Clemens Brentano und Achim von Arnim in den rung der Mondnacht über dem Gebirge, die von einem quer über das
»Berliner Abendblättern« vom 13. Oktober 1810 veröffentlichten Firmament gespannten imaginären Lichtbogen magisch erhellt wird.
Dialogen den Betrachtern befremdlich erschienen sein. Man sah sich Der Vordergrund mit dem bei einem Felsen auf grünem Plateau ver­
an die Apokalypse - Prophezeiung des Weltuntergangs - und Youngs weilenden Wanderer - Friedrich selbst - ist aus der Dunkelheit her­
»Nachtgedanken« - Inbegriff der melancholischen Dichtung jener ausgerissen: Ausdruck göttlicher Verheißung, die der Maler hier auf
Zeit - erinnert. Die Einfachheit der Komposition mit der unbegrenz­ sich bezog.

Gebirgslandschaft mit Regenbogen. 70x102 cm. Öl auf Leinwand. 1809/10. Essen, Museum Folkwang
6 Winterlandschaft Kirche« bestätigt, wirkt aber zugleich wie die Vision einer vom Krieg
verwüsteten Landschaft, mit der die Schrecken der damals unmittel­
33x46 cm. Öl auf Leinwand. 1811. bar bevorstehenden Jahre des großen Sterbens, besonders im Ruß­
Schwerin, Staatliches Museum landfeldzug Napoleons, prophezeit sind.
In Schnee und Kälte erstarrt und feindlich zeigt sich die Welt auch in
Ein blauschwarzer Himmel lastet über der weiten Schneewüste. Wo dem Gegenstück, der »Winterlandschaft mit Kirche«. Beim Bild des
einst starke Bäume standen, ragen wie anklagend nur noch Stümpfe Gekreuzigten aber findet der umherirrende Mensch sein Ziel. Er hat
auf. Zwei verstümmelte Eichen entgingen der Axt, aber auch sie sind die Krücken von sich gestoßen und ist anbetend niedergesunken, und
morsch und zum Sterben verurteilt. Hoffnungslos irrt ein Mensch in wie als Antwort auf diese Selbstaufgabe im vertrauenden Glauben tau­
der Einöde umher und scheint in der Weglosigkeit bei hereinbrechen­ chen als Jenseitsverheißung die schlanken Türme des Gotteshauses aus
der Nacht verloren. Das Bild ist vielleicht als Ausdruck von Verlassen­ dem Nebel auf. Der Tod und seine Schrecken sind überwunden, wie
heit gemeint, wie es das Gegenstück der »Winterlandschaft mit es auch die immergrünen Tannen symbolisieren.

Winterlandschaft mit Kirche. 33,3x45,7 cm. Öl auf Leinwand. 1811. Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloß Cappenberg
7 Der Chasseur im Walde Furcht nachzuempfinden, die ihn in der ausweglosen Einsamkeit bei
hereinbrechender Nacht beschleicht. Unabhängig von diesem kon­
65,7x46,7 cm. Öl auf Leinwand. 1813/14. Privatbesitz kreten historischen Bezug, dessen Kenntnis unsere Sicht von dem Ge­
mälde natürlich beeinflußt, hat Friedrich hier im höchsten Maße über­
»Einem französischen Chasseur, der einsam durch den beschneiten zeugend mit monochromen bräunlichen Tönen einen spezifischen
Tannenwald geht, singt ein auf einem alten Stamm sitzender Rabe das Zustand winterlicher Natur erfaßt. Die menschliche Gestalt als Rük-
Sterbelied«, war in der »Vossischen Zeitung« über dieses Bild zu kenfigur wird auch hier zum Medium, durch das sich dem Betrachter
lesen, als es im März 1814 auf der »Ausstellung patriotischer Kunst« in die Landschaft erst recht erschließt.
Dresden gezeigt wurde. Es gehört zu den Werken Friedrichs, die ein­ In einem kompositioneil zwar ähnlichen, aber des historischen Gehal­
deutig auf das politische Geschehen seiner Zeit Bezug nahmen. Der tes entkleideten sowie auf ein frostiges Grün, Weiß des Schnees und
Maler hat mit den ihm gemäßen Mitteln, ohne seiner künstlerischen Hellblau des Himmels abgestimmten und damit eher heiteren Bild hat
Eigenart untreu zu werden, seine vaterländische Gesinnung bekun­ Friedrich wohl anderthalb Jahrzehnte später das Motiv noch einmal
det: Das Bild ist ein Gleichnis auf den Untergang der Armee Napo­ aufgenommen. Wenn der ins Waldesdunkel eintauchende Weg als
leons 1812 in Rußland. Den Schritt verhaltend, lauscht der versprengte Lebensweg zu deuten ist, wäre auch hier eine Beziehung zur mensch­
französische Infanterist in die Waldesstille, und wir vermögen die lichen Existenz gegeben.

Frühschnee.
43,8x34,5 cm. Öl auf Leinwand.
Um 1828.
Hamburg, Kunsthalle
8 Segelschiff ist. Um so mehr wird die Kraft spürbar, die den Segler vorwärtstreibt.
Hier offenbart sich die romantische Begeisterung des von der Küste
71 x49,5 cm. Öl auf Leinwand. Um 1815 (?). gebürtigen und mit der Sphäre der Seefahrt vertrauten Malers über die
Karl-Marx-Stadt, Städtische Kunstsammlung Erfindungskraft und Kühnheit des Menschen, der sich die Elemente
dienstbar macht. Demgemäß ist das Schiff auch als Sinnbild tätigen
Friedrich hat den mit vollen Segeln über das Meer dahinrauschenden Lebens wie des erhofften nationalen Aufbruchs gedeutet worden.
Dreimastsegelschoner mit solcher Detailtreue wiedergegeben, daß In der Federzeichnung von 1826 hat Friedrich in überraschender Sicht
über die sonst meist nur symbolhaft verallgemeinernde Einbeziehung das große Segelschiff zu den in die Strandebene geduckten Fischerhäu­
von Schiffsdarstellungen hinaus ein deutliches Interesse am Gegen­ sern und zu der flachen Küstenlandschaft in Beziehung gesetzt. Indem
stand selbst hervortritt. Das Schiff beherrscht in seiner fast unwahr­ Masten und Takelage die Horizontalen durchbrechen, wird die Bewe­
scheinlich wirkenden Höhenerstreckung das Bildformat, wobei das gung spürbar, die sich in dem Schiff verkörpert und die dem Beharren
optische Übergewicht der Segel gegenüber dem Schiffsrumpf durch des festen Landes entgegengesetzt ist, verbunden mit dem ganz eige­
dessen perspektivische Verkürzung zusätzlich zur Wirkung gebracht nen Erlebnisbereich romantischer Fahrenslust.

Segelschiff
in der
Wiecker Bucht
bei Greifswald.
13,3x 18,1 cm.
Feder
in Schwarz.
Um 1826.
Dresden,
Kupferstich­
kabinett
9 Greifswalder Hafen der Lebensreise des Menschen, die christlicher Hoffnung gemäß in
einer ewigen Heimat ihr Ziel findet. Das wie mit vielfachen Kreuzes­
90x71 cm. Öl auf Leinwand. 1815/16. zeichen in den verglühenden Abendhimmel aufstrebende zarte Linea­
Potsdam-Sanssouci, Staatliche Schlösser und Gärten ment der Masten, Rahen und Taue verleiht dem von abendlichem
Frieden erfüllten Seestück eine fast sakrale Feierlichkeit.
Die Potsdamer Inventarakten von 1840 verzeichnen als dargestellten In einer späteren Phase der Dämmerung und des aufkommenden
Ort Stralsund, während das Bild heute zumeist mit der Stadt Greifs­ Mondlichts, da die goldenen Farbtöne des Sonnenuntergangs schon
wald verbunden wird. Das Fehlen unverwechselbarer topographi­ verblaßt sind und auch das zarte Rosa über dem Horizont immer mehr
scher Einzelheiten schließt jedoch eine zuverlässige Bestimmung aus, dem Blau der herniedersteigenden Nacht weicht, erscheint im Hinter­
und es bestätigt sich auch hier, daß es Friedrich weniger um veduten- grund des Osloer Bildes die Stadt Greifswald von Westen her - abwei­
hafte Treue als um die Wiedergabe von Stimmungen und die Anre­ chend von der wirklichen topographischen Situation - wie eine Vision
gung zu Empfindungen ging. Mit den Segelschiffen, die nach langer, über dem Meer. Umgestürzte Fischerboote, große Steinblöcke und
beschwerlicher Fahrt in den Hafen heimgekehrt sind und hier Ruhe besonders die Girlande der auf Pfählen über dem Wasser ausgespann­
gefunden haben, verband sich für die Romantik gleichermaßen die ten Netze leiten den Blick in die Tiefe, die fernen zarten Umrisse der
Sehnsucht nach der Ferne und der Heimat sowie die Vorstellung von Stadt noch weiter entrückend.

Greifswald
im Mondschein.
22,5x30,5 cm.
Öl auf
Leinwand.
1816/17.
Oslo,
Nationalgalerie
10 Auf dem Segler eine rasche Fahrt vermittelt. Es hat den Anschein und wird auch durch
die ähnlich kenntnisreiche Wiedergabe der Einzelheiten bei dem
71x56 cm. Öl auf Leinwand. 1818/19. Segelschiff auf dem um 1815 entstandenen Bild bestätigt, daß der
Leningrad, Staatliche Ermitage Maler von der technischen Leistung beeindruckt war.
Zu den figürlichen Darstellungen der frühen Zeit Friedrichs gehört
Das Bild wird mit der 1818 erfolgten Eheschließung Friedrichs mit diese Federzeichnung aus dem sogenannten Mannheimer Skizzen­
Caroline Bommer in Verbindung gebracht und als Gleichnis für die buch. Die sitzende junge Frau weist einen deutlichen Bezug zur - sei­
begonnene gemeinsame Lebensfahrt gedeutet. tenverkehrt erscheinenden - Gestalt der »Melancholie« in dem von
Zwar ist ein solcher Sinn scheinbar wieder in Frage gestellt, weil der Christian Friedrich nach dem Entwurf seines Bruders geschaffenen
Maler wohl seine junge Frau erkennbar wiedergegeben hat, doch nicht Holzschnitt auf. Auch hier schaut die Frau mit abschirmend über die
auch sich selbst. Es könnte aber in seiner Absicht gelegen haben, die Augen gehaltener Hand in die Abendsonne, über die melancholische,
Darstellung auf diese Weise zu verallgemeinern. Ungewöhnlich ist die meditative Versenkung zu sich selbst findend.
überaus kühne Perspektive, die das Fahrzeug in suggestiver Nahsicht Die Vermittlerrolle zwischen Betrachter und Landschaft, wie sie
anschneidet und durch die starke Verkürzung, die den Mast mächtiger späterhin Friedrichs Gestalten überwiegend zufallen wird und auch
erscheinen läßt als die Menschen auf dem Vorderdeck, das Gefühl für das Paar auf dem Segler bestimmt, ist hier bereits angedeutet.

Sitzende Frau
auf einem Felsblock am Baum.
Bezeichnet rechts unten:
den 5t Oktober 1801.
18,6x 12 cm. Feder über Graphit,
Sepia, laviert. 1801.
Dresden, Kupferstichkabinett
11 Zwei Männer in Betrachtung des Mondes mitzuteilen. In seiner Äußerung »Die machen demagogische Um­
triebe« gegenüber einem Atelierbesucher, dem Maler Peter von Cor­
35x44 cm. Öl auf Leinwand. 1819. nelius, hat Friedrich solche Regungen politisch-ironisch überspielt.
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister Das Bild kam 1840 aus dem Besitz Dahls in die Dresdener Galerie.
Caspar David Friedrich hat uns seine Erscheinung auch in einer An­
Das Motiv des nächtlich am Himmel stehenden Mondes begegnet uns zahl von Selbstbildnissen überliefert, von denen das hier abgebildete
in der Romantik häufig, in der Literatur und Musik ebenso wie in der wohl das typischste und aufschlußreichste ist. Zur Zeit seiner Entste­
Malerei. In diesem Gestirn, das scheinbar zum Greifen nahe, doch hung hatte der Maler gerade seine volle künstlerische Ausprägung er­
unendlich fern seine Bahn zieht, fand das romantische Allgefühl, die langt und die besten Jahre seiner Laufbahn begonnen. Die Zeichnung
Sehnsucht nach der Begegnung mit den ewigen Kräften der Schöp­ bestätigt, was der befreundete Carl Gustav Carus mit der Sachlichkeit
fung so recht ihr Ziel. Als eine ganz schmale Sichel steht der zuneh­ des Wissenschaftlers erfaßte und beschrieb: »Gebürtig vom Strande
mende Mond über einem Hang im Walde, zu dieser Abendstunde der Ostsee, eine recht scharf gezeichnete norddeutsche Natur, mit
schon wieder im Untergehen begriffen, und verzaubert die Nacht mit blondem Haar und Backenbart, einem bedeutenden Kopfbau und von
einem rötlichen Schimmer, einem magischen Licht, in dem die Natur hagerem, stark knochigem Körper, trug er einen eigenen, melancholi­
voller Geheimnisse erscheint. Die beiden Männer, wohl der Maler schen Ausdruck in seinem meist bleichen Gesicht, dessen blaues
selbst mit seinem Lieblingsschüler August Heinrich, haben auf ihrem Augenpaar so tief unter dem stark vorspringenden Orbitalrande und
Spaziergang innegehalten und geben sich der Betrachtung des stillen buschigen, ebenfalls blonden Augenbrauen verborgen lag, daß darin
Schauspiels hin, das sie ergreift und zueinanderführt. Die Szene ist be­ der Blick des die Lichtwirkung im höchsten Grade konzentrierenden
zeichnend für Friedrichs Verlangen, sich gleichgestimmten Seelen Malers sehr charakteristisch sich erklärt fand.«

Selbstbildnis.
23x18,2 cm. Kreide. Um 1810.
Berlin, Kupferstichkabinett und Sammlung der Zeichnungen
12 Frau am Fenster grün durchleuchteten Gehölz am anderen Ufer und dem mit weißen
Wölkchen besetzten Himmel. Das Gemälde mit seiner Spannung zwi­
44x37 cm. Öl auf Leinwand. 1822. schen Drinnen und Draußen, zwischen der Enge des Zimmers und der
Berlin (West), Nationalgalerie lockenden lichten Weite der Natur ist eines der schönsten Fenster­
bilder der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts. Friedrichs Woh­
In der weiblichen Gestalt ist die 1793 geborene Caroline Bommer zu nung befand sich zu dieser Zeit, seit August 1820, im Haus An der
vermuten, mit welcher der fast 20 Jahre ältere Caspar David Friedrich Elbe 33.
1818 die Ehe schloß. Indem jedoch das Gesicht abgewandt bleibt, ver­ Zu den wenigen Personen, die Caspar David Friedrich porträtiert hat,
liert die Darstellung sich nicht ins Private. Die Rückenfigur ist von der gehört sein Vater. Mit dieser Kreidezeichnung wollte der junge
für Friedrich bezeichnenden fast puppenhaften Steifheit, die auch Künstler nach Abschluß der Kopenhagener Akademiezeit womöglich
durch das nach der antikisierenden Mode hochgegürtete Kleid be­ vor seinen Angehörigen einen Beweis vom Erfolg seines Studiums und
wirkt wird. Mit der Erscheinung der jungen Frau in dem kahlen Inte­ eine Art Nutzanwendung seines Könnens geben. Das Gesicht ist in
rieur verbindet sich der Geist von Lauterkeit, Ordnungsliebe und Be­ zarten, tonig zusammenwachsenden Strichlagen modelliert, während
scheidenheit, was auch die Nähe des Malers selbst spürbar werden Körper und Mütze in ziemlich kräftigen, weitgehend schematischen
läßt. Da aber hier drinnen bis auf die zwei Flaschen mit Malmitteln Schraffuren und Strichlagen behandelt sind. Wenn hier auch noch die
keine Einzelheiten unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, so Abhängigkeit von einer erlernten Manier zu spüren ist, so
ist das eigentliche Ziel unseres Blickes - dem der Frau folgend - die entspricht diese Porträtkunst doch durchaus dem Wesen des Dar­
Landschaft mit dem von Booten belebten Fluß - der Elbe -, dem hell­ gestellten.

Der Vater des Künstlers, Adolph Gottlieb Friedrich.


25x20,5 cm. Kreide. Um 1798.
Greifswald, Städtisches Museum
13 Wiesen bei Greifswald die Schönheit des Sommermorgens andachtsvoll verherrlicht wird.
Noch scheint die Stadt kaum vom Schlaf erwacht, sind ihre Umrisse
35x48,9 cm. Öl auf Leinwand. Um 1820 — 1822. vom Frühdunst zart verschleiert. Auch die Natur ist noch von Stille
Hamburg, Kunsthalle erfüllt, und der Zauber morgendlicher Unberührtheit wird durch die
Pferde auf dem Wiesenplan eher verstärkt als gestört.
Friedrich hat mit diesem Bild seiner Vaterstadt eine ihm gemäße Hul­ Mit größter topographischer Treue hat Friedrich den Markt seiner
digung dargebracht. Hatte schon 70 Jahre zuvor Bellotto als Hofmaler Vaterstadt wiedergegeben, und der Einfluß der Werke Bernardo
in Dresden besonders bei seinen Ansichten von Pirna die Stadtarchi­ Bellottos genannt Canaletto ist hier augenscheinlich. Er zeigt sich
tektur zunehmend in die Landschaft eingebettet, so ist hier in echt auch darin, wie die Stadt in der Verbindung von Architektur und
romantischer Weise eine vollkommene Wechselbeziehung zwischen Menschen als lebender Organismus aufgefaßt ist. Ohne Zweifel wurde
beiden erreicht. Von Nordwesten her schweift der Blick über weite Friedrich von Bellottos Bild des Marktplatzes zu Pirna angeregt, das
grüne Wiesen, die sich wie ein Teppich vor dem noch mittelalterlich motivlich mit diesem Aquarell weitgehend übereinstimmt. Rathaus
geschlossenen Ort ausbreiten. Greifswald erscheint als typische nord­ und Ratsapotheke und der zwischen beiden im Hintergrund aufragende
deutsche Küstenstadt, deren weithin sichtbare Türme der Schiffahrt Turm der Nikolaikirche sowie die in die Tiefe führende Langenstraße
den Weg zeigten. Deutlich sind die gedrungene Marienkirche links, in Greifswald finden dort eine fast völlige Entsprechung. Die Arbeit
das Rathaus mit seinem Dachreiter, St. Nikolai und St. Jakobi zu er­ ist zudem biographisch von besonderem Interesse, weil in den Perso­
kennen. Alle Details aber fügen sich zur Stimmungslandschaft, in der nengruppen vorn Friedrichs Greifswalder Verwandte porträtiert sind.

Der Marktplatz
von Greifswald.
54,5x67 cm.
Aquarell. 1818.
Greifswald,
Städtisches
Museum
14 Klosterfriedhof im Schnee nehmen. Zugleich aber kündet das zarte Licht, das von oben her den
Nebel aufhellt, die Hoffnung auf ein ewiges Leben. Der Maler war als
121x170 cm. Öl auf Leinwand. 1819. ein tiefreligiöser Mensch von ihr erfüllt.
Ehemals Berlin, Nationalgalerie (Kriegsverlust) Es ist bezeichnend für die Stetigkeit der Anschauungen und Aus­
drucksmittel Friedrichs, daß seine Bildinhalte nicht selten in mehre­
Winterlich erstorben ist die Natur, und die alten Eichen recken ihre ren, zeitlich oft weit auseinanderliegenden Fassungen Vorkommen. So
kahlen Aste in den Himmel. Die Denksteine und Grabkreuze auf dem geht dem »Klosterfriedhof im Schnee« das Gemälde »Abtei im Eich-
Friedhof sind schief geworden oder schon umgestürzt - die Zeit löscht wald« von 1809/10 voraus und diesem wiederum die knappere Dar­
die Erinnerungen aus. In Trümmer gesunken ist der hochragende stellung des »Winters« aus dem unvollständig gebliebenen Jahreszei­
gotische Kirchenbau, und das dünngliedrige Skelett des Chores er­ tenzyklus (das Gegenstück »Der Sommer«, Tafel 3). Friedrich dürfte
scheint in der nebligen Luft nur mehr wie eine Vision. Durch das durch Ruisdaels klassische Vergänglichkeitsschilderung in dem
Ruinenportal bewegt sich ein Zug von Mönchen mit einem Sarg dem Gemälde »Der Judenfriedhof« in der Dresdener Galerie Anregungen
Altar entgegen, wo der Priester für den verstorbenen Bruder das zu diesem Thema erhalten haben. Vorbild für die Architektur war wie
Totenamt halten wird. Das offene Grab wird die irdische Hülle auf­ bei der »Abtei« die Ruine Eldena bei Greifswald.

Winter. 73x106 cm. Öl auf Leinwand. 1808. Ehemals München, Neue Pinakothek (1931 verbrannt)
15 Hünengrab im Herbst ewig wie Sonne und Wolken ist der Schlaf der Toten. So wird die Dar­
stellung herbstlicher Natur zugleich zum eindringlichen Sinnbild der
55x71 cm. Öl auf Leinwand. Um 1820. Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, aber der helle Schein, der
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister hoch droben das Gewölk durchbricht, läßt den gläubigen Menschen
hoffen.
Mit diesem als Rezeptionsbild zur Aufnahme in die Kunstakademie Die Vorstellung von Ewigkeit, von einem unendlich weit über die
gemalten Werk hat Friedrich eine Landschaft von ungewöhnlicher Dauer eines menschlichen Lebens hinausreichenden und somit recht
Dramatik geschaffen. Indem er das Hünengrab aus unmittelbarer eigentlich unbegreiflichen Zeitmaß, wie sie die Felsblöcke der Hünen­
Nähe und von einem tiefliegenden Augenpunkt aus wiedergab, füllt gräber bei dem dafür empfänglichen Betrachter hervorzurufen vermö­
der gewaltige Megalith einen großen Teil der Bildfläche aus und be­ gen, hat für Friedrich wohl auch bei dem unten abgebildeten Blatt eine
rührt sich in spannungsvoller Gegensätzlichkeit mit dem von Sturm­ Rolle gespielt. In den Steinquadern verkörpern sich ebenso Natur­
wolken bedeckten, vom elementaren Widerstreit zwischen Licht und gewalten wie in den - in der Struktur ähnlichen - Packeisschollen, die
bedrohlicher Düsternis bestimmten Herbsthimmel. Der Gedanke, dem Segelschiff zum Verhängnis werden (Tafel 20). Die Zeichnung
wie viele Generationen das Hünengrab überdauert hat, läßt den erleb­ folgt mit nur zwei Tagen Abstand dem Blatt mit der Felsspitze (Abb.
nisbereiten Betrachter erschauern. Ewig wie die Naturgewalten, wie zu Tafel 23) und entstand in einem der Sandsteinbrüche an der Elbe bei
der Sturm, der durch die Lüfte fährt und das Eichengebüsch peitscht, Krippen, vielleicht in Posteiwitz.

Steinbruch bei Krippen in der Sächsischen Schweiz.


Bezeichnet links unten: Krippen den 19t Juli 1813.
16x12,6 cm (Bildgröße). Graphit, aquarelliert. 1813.
Berlin, Kupferstichkabinett und Sammlung der Zeichnungen
16 Der Morgen Gefühlsstimmungen; sie bestätigen unsere Abhängigkeit vom Ge­
schehen in der Natur. So zeigt sich der Morgen als die Zeit hoffnungs­
22x30,5 cm. Öl auf Leinwand. Um 1820/21. frohen Erwachens: Die Nebel steigen, die Fesseln der Nacht sind ge­
Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum löst, und der Mensch beginnt mit frischem Mut sein Tagewerk.
Auf dem Gegenstück »Der Abend« nimmt mit einem letzten Licht­
Friedrich hat das Thema der Tageszeiten mehrfach gestaltet, weil er in streifen über dem Horizont der Tag wieder Abschied. Vom Walde her
ihrer Abfolge mit dem Wandel der Beleuchtung und der atmosphäri­ breitet sich die Nacht aus und umfängt auch die beiden einsamen
schen Zuständlichkeit das gesetzmäßige Walten der Naturkräfte ver­ Spaziergänger mit Dunkelheit und Stille. Es ist die Zeit des Ausruhens
anschaulichen und zugleich in differenzierender Gegenüberstellung von des Tages Mühen, die Zeit des Vergessens, aber auch des Sichbe-
seine künstlerischen Ausdrucksmittel erproben konnte. In der vorlie­ sinnens und vertrauensvollen Höffens, wie es etwa auch Friedrichs
genden Bildreihe, die wohl Reiseeindrücke aus dem Harz widerspie­ Zeitgenosse Matthias Claudius (1740-1815) in dem von gleichem
gelt, erscheinen die feinfühlig realistischen Landschaftsdarstellungen Geiste zeugenden Abendlied »Der Mond ist aufgegangen« zum Aus­
ohne alle symbolhaltigen Beifügungen als Träger allgemeingültiger druck gebracht hat.

Der Abend. 22,3x31 cm. Öl auf Leinwand. Um 1820/21. Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum
17 Der Nachmittag lung gegeben. Bei aller scheinbaren Zufälligkeit des von einem milden
kühlen Licht bestimmten, ganzheitlich empfundenen Landschaftsaus­
22x31 cm. Öl auf Leinwand. Um 1820 — 1822. schnitts erschöpft sich das Bild jedoch nicht in positivistischer Wie­
Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum dergabe des optisch Wahrnehmbaren, sondern ist durchdrungen vom
verinnerlichten Erleben dieser heimatlichen Gefilde.
Mit dieser parkähnlich durch Büsche und Baumgruppen gegliederten Trotz einiger Ähnlichkeit zum Gegenstück ist die Landschaft im
Landschaft, die den Blick über blühende Wiesen zu sanft geschwunge­ Gemälde »Der Mittag« offener und weiter, beherrscht von der Ebene
nen waldigen Höhenzügen schweifen läßt, hat Caspar David Fried­ und weniger verstellt als bei den Bildern von »Nachmittag« oder gar
rich eine besonders anmutige, nur im Zyklus der Tageszeiten gleich­ »Abend«, so wie ja auch der Tag hier noch zu einem größeren Teil vor
nishafte, in sich aber von symbolischen Bezügen freie Naturdarstel­ uns liegt.

Der Mittag. 22x30 cm. Öl auf Leinwand. Um 1820—1822. Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum
18 Mondaufgang am Meer von komplementären Farben mit goldenem bis weißlichem Gelb, Vio­
lett und kaltem Blau bestimmten zauberischen Helldunkelkontrast er­
55x71 cm. Öl auf Leinwand. 1822/23. zeugt. Wir erleben dieses Lichtschauspiel mit den Augen der drei
Berlin-Charlottenburg, Staatliche Schlösser und Gärten Menschen, die sich auf den rundgeschliffenen Felsblöcken am Ufer
niedergelassen haben. Durch ihre dunklen Umrisse erscheint der
Das mondbeschienene Meer ist von Friedrich wiederholt gemalt wor­ Glanz über Himmel und Meer noch gesteigert. Geisterhaft ziehen
den. Die weite Wasserfläche beginnt im Widerschein des nächtlichen zwei Segelschiffe auf der Wasserfläche ihre Bahn.
Gestirns wie von selbst zu leuchten, sie nimmt gleichsam den Glanz In dem kleinen, um 1830 entstandenen Mondscheinbild hat Friedrich
des Himmels auf - Einheit und Größe des Universums werden spür­ im Gegensatz zu den anderen Meeresdarstellungen den Uferstreifen
bar. Friedrich hat in seinen Mondnachtbildern fast immer einen von weggelassen und den Eindruck von kosmischer Polarität damit ver­
Wolken belebten Himmel wiedergegeben, so daß die Lichtwirkungen stärkt. Das einsame Segelboot erwächst in dunkler Silhouette aus dem
in stets neuer Weise differenziert, gesteigert und dramatisiert werden. Lichtkreis auf dem nächtlichen Meer und ragt in die Wolkenbänke
So ist auch hier die Scheibe des Vollmonds hinter den Wolkenbänken hinein, die den Mondschein dämmen. Das einst von der Barockmale­
über dem Horizont nur zum Teil sichtbar und das Mondlicht nicht rei entwickelte Kompositionsprinzip des Helldunkels erscheint nun
gleichmäßig im Himmelsraum zerstreut, sondern in einem Bereich ge­ nicht mehr als Kunstmittel, sondern als reale, faszinierende Natur­
sammelt, so daß es wie aus einem Wolkentor hervorbricht und einen erscheinung.

Mondschein
auf dem Meer.
25x31 cm.
Öl auf
Leinwand.
Um 1830.
Leipzig,
Museum
der bildenden
Künste
19 Huttens Grab der Personifikation der christlichen Kirche, sind als Symbole einer
vergangenen Epoche zu verstehen, indessen »aus dem zertrümmerten
Beschriftet auf dem Postament des Helms »Hutten«, Ganzen eine andere Zeit und ein anderes Verlangen nach Klarheit und
auf den Feldern des Sarkophags »Jahn 1813«, »Arndt 1813«, Wahrheit hervorgegangen« sind - wie es Friedrich zu einem ähnlichen
»Stein 1813«, »Görres 1821«, »D . . . 1821« und »F. Scharnhorst«. Bild selbst dargelegt hat. Auch die von ihm dort genannten Sinnbilder
93x73 cm. Öl auf Leinwand. Um 1823/24. der dem Schutt entwachsenen immergrünen hohen Fichten fehlen hier
Weimar, Kunstsammlungen nicht, und so ist die Darstellung wohl als Ausdruck der teils mit Resi­
gnation, teils mit Hoffnung verbundenen Erkenntnis von der Unauf-
Friedrich malte dieses Bild anläßlich des 300. Todestages Ulrich von haltsamkeit des Geschichtsablaufs zu werten.
Huttens († 1523), des humanistischen Vorkämpfers für den nationalen In schwerer Zeit nationaler Unterdrückung beschwor der Maler mit
Gedanken in der Reformationszeit. Die Inschriften beschwören aber seinen »Grabmalen alter Helden« die Erinnerung an den Germanen­
zugleich die Erinnerung an zeitgenössische Patrioten und an die Völ­ fürsten Armin den Cherusker, der einstmals die römische Fremdherr­
kerschlacht bei Leipzig von 1813. Der junge Mann in der altdeutschen schaft überwand, beschwor aber auch den Geist gefallener Helden der
Tracht der Burschenschaftler, der sinnend an Huttens Sarg steht, be­ Befreiungskriege gegen Napoleon. Zwei französische Soldaten am
zeugt den Fortbestand dieser freiheitlichen nationalen Bestrebungen. Höhleneingang und die blau-weiß-rote Schlange auf dem eingestürz­
Die nach dem Vorbild der Klosterkirchenruine auf dem Oybin bei ten Arminiusgrabmal im Vordergrund verdeutlichen den aktuellen
Zittau gestaltete Chorruine und die halbzerstörte Statue der Ecclesia, politischen Bezug.

Grabmale
alter Helden.
49,5x70,5 cm.
Öl auf
Leinwand.
1812.
Hamburg,
Kunsthalle
20 Das Eismeer (Die »Hoffnung« im Eis) geschaffen und dabei sicherlich auch Eindrücke von dem schweren
Eisgang auf der Elbe im Winter 1820/21 verarbeitet. Nachrichten von
96,7x126,9 cm. Öl auf Leinwand. 1823/24. Hamburg, Kunsthalle den seit 1818 wieder aufgenommenen gefahrvollen Nordpolexpedi­
tionen des Engländers Sir William Edward Parry zur Auffindung der
Das Bild trug den Titel »Die Hoffnung im Eis«, bis man bemerkte, nordwestlichen Durchfahrt mögen ihn zusätzlich angeregt haben. Das
daß der symbolische Name an diesem gescheiterten Schiff gar nicht zu Motiv eines im Eismeer gescheiterten Schiffes wurde von ihm bereits
lesen ist, sondern von einem anderen, verschollenen Gemälde übertra­ 1798 gestaltet, wobei der novellistische Charakter noch stark an nie­
gen wurde. Dennoch ist der Sinn der gleiche, ist auch hier die mensch­ derländische Marinebilder des 17. Jahrhunderts erinnerte.
liche Hoffnung, die jedes hinausfahrende Schiff begleitet, an den Na­ Das Bild »Nordische See im Mondlicht« gibt nach Mitteilung des
turkräften zuschanden geworden, gescheitert: Unerbittlich haben Friedrich-Forschers Aubert eine norwegische Schärenlandschaft wie­
diese der Bark den Untergang bereitet. Die Ohnmacht des Menschen der und gründet sich vielleicht auf Zeichnungen des Dresdener Geolo­
gegenüber der Allmacht Gottes, die sich in solchen Kräften offenbart, gen Karl Friedrich Naumann. Das Mondlicht mit seiner durch die
wird sichtbar. Friedrich hat hier ein Werk von dramatischer Wucht Wolken gesteigerten Helldunkelwirkung entfaltet hier seinen Zauber.

Nordische See im Mondlicht. 22x30,5 cm. Öl auf Leinwand. 1824. Prag, Nationalgalerie
21 Der Watzmann 1800 der Großglockner - bestiegen worden. Zudem hatten die von der
Französischen Revolution verkündeten gesellschaftlichen Ideale in
133,5x 170,5 cm. Öl auf Leinwand. 1825. Verbindung mit der romantischen Natursehnsucht die Vorliebe für
Berlin-Charlottenburg, Staatliche Schlösser und Gärten die majestätische Bergwelt als einen Ort der Freiheit und Wahrheit
noch gefördert. Hier werden die von Norden gesehenen Gipfel des
Friedrich konnte zwar auch ganz bescheidenen Motiven starke Wir­ Großen und Kleinen Watzmann aus den Berchtesgadener Alpen im
kungen abgewinnen, doch zog ihn die als Ausdruck göttlichen Wal- Glanz der Sonne vor dem transparenten lichtblauen Himmel zu einer
tens verehrte Natur vor allem in ihren erhabenen Erscheinungsformen fast visionären Erscheinung und zum Ziel romantischer Sehnsucht.
an. So hat er ebenso wie das ihm heimatlich vertraute Meer auch das Besondere Anziehungskraft hatte die Schweiz, die als ein Land erstre­
Hochgebirge gemalt, obgleich er dieses niemals kennengelernt hatte benswerter altväterlicher Zustände galt. Wie von zahlreichen anderen
und das eigene Erlebnis doch sonst der Ausgangspunkt seines Schaf­ Reisenden wurde sie auch von Carus und Dahl aufgesucht, und Fried­
fens war. Die Hinwendung zu diesem Bildgegenstand war aber eine rich hat sich bei seiner Hochgebirgsdarstellung vom Mont Blanc bei
allgemeine Erscheinung der Zeit. Das 18. Jahrhundert hatte den Be­ Chamonix (Abbildung unten) auf Zeichnungen des befreundeten
ginn des Alpinismus gebracht, und es waren erstmals mehrere hohe Arztes gestützt. Drohend und unausweichlich verstellt das Felsmassiv
Gipfel - wie 1786 der Mont Blanc, der höchste Berg Europas, und das tief eingeschnittene Gebirgstal.

Hochgebirge.
131x167 cm.
Öl auf
Leinwand.
Um 1824.
Ehemals Berlin,
Nationalgalerie
(Kriegsverlust)
22 Friedhof im Schnee mauer, die nach dem Winter von neuem grünen werden, symbolisie­
ren die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode und fügen zur Trauer
31x25,3 cm. Öl auf Leinwand. Datiert am rechten Holzkreuz: 1826. den Trost.
Leipzig, Museum der bildenden Künste Vielleicht noch ergreifender ist das Friedhofsbild zum Gedächtnis
eines verstorbenen Kindes. Hinter einem der Torpfeiler, die denen am
In kaum einem anderen Gemälde hat Caspar David Friedrich den Eingang zum damals gerade angelegten Dresdener Trinitatisfriedhof
Gedanken der Zeitlichkeit des menschlichen Daseins so eindringlich gleichen, stehen ein Mann und eine Frau, wohl die Eltern des Kindes,
zum Ausdruck gebracht wie in der Darstellung dieses winterlichen und blicken in scheuer Zurückhaltung auf den Gottesacker wie auf ein
Friedhofswinkels mit den schief in der Erde steckenden Grabkreuzen unbetretbares Gefilde, und im Nebel über den Gräbern wird die in
und dem frisch ausgehobenen Grab. Das Bild wurde wahrscheinlich zarten weißen Linien angedeutete Gestalt eines Engels sichtbar, der
von Maximilian Speck von Sternburg in Lützschena bestellt und hat wohl die Seele des Kindes für den Himmel empfängt. Hier sind es die
einen noch nicht erforschten persönlichen Bezug, wie die Jahreszahl über dem Tor angebrachten Nachbildungen der Leidenswerkzeuge
1826 auf dem größten Grabmal ausweisen dürfte - als Datierung wäre Christi - Dornenkrone, Rohr mit Essigschwamm und Lanze - die
diese sonst bei Friedrich einmalig. Die Bäume hinter der Friedhofs­ dem Gläubigen in Christus die Auferstehung verheißen.

Friedhofseingang.
143 x110 cm. Öl auf Leinwand. 1825.
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister
23 Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge romantischer Oper »Der Freischütz« denken, die auch in Dresden ent­
stand. Das Bild steht im Zusammenhang mit einem Aquarell in der Ermi­
94x73 cm. Öl auf Leinwand. 1823. Wien, Kunsthistorisches Museum tage und zeigt das Neurathener Tor unweit der noch in Resten vorhan­
denen alten Burganlage hoch über dem an der Elbe gelegenen idylli­
Die Erschließung des Elbsandsteingebirges oberhalb Dresdens schen Dörfchen Rathen. Durch die starke Plastizität des Vordergrundes
erfolgte hauptsächlich in der Romantik, und an seiner malerischen gewinnt das Motiv im Gemälde eine seltene theatralische Wirkung.
Entdeckung war auch Caspar David Friedrich wesentlich beteiligt. Caspar David Friedrich nahm in der Sächsischen Schweiz auch zeit­
Um mit dieser Landschaft vertraut zu werden, hat er sogar einmal eine weilig Aufenthalt, als er sich im Jahre 1813 vor der französischen Be­
Woche lang im Uttewalder Grund bei Wehlen »zwischen Felsen und setzung aus Dresden zurückzog. Aus verschiedenen Studienblättern
Tannen« einsam gehaust, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen. geht hervor, daß er sich damals längere Zeit in der Gegend von Krip­
In dem Wiener Bild ist der wildromantische Charakter der »Sächsi­ pen gegenüber von Bad Schandau aufhielt. Er hat mit sicherem Blick
schen Schweiz« besonders dramatisch erfaßt: Geisterhaft wallt der die charakteristischen Erscheinungsformen dieses ungewöhlichen
Nebel aus tiefen Schluchten, über denen bizarre Felsgebilde in den Gebirges zeichnerisch erfaßt, so die häufig zu mehreren nebeneinander
Himmel ragen. Ein gewaltiger Nadelbaum ist gestürzt und hängt dro­ steil aufragenden Felsentürme und -nadeln, oft bis zum obersten Pla­
hend über dem Abgrund, zugleich ein Symbol der Vergänglichkeit, teau begleitet, umrahmt und in ihren Umrissen reizvoll aufgelöst von
und wie Schlangen kriechen Wurzeln über den Boden. Die Szenerie schlanken Birkenbäumchen, die in jeder Felsspalte Halt und Nahrung
läßt an die verwunschene Wolfsschlucht in Carl Maria von Webers finden.

Berg mit Felsspitze in der Sächsischen Schweiz.


Bezeichnet links in der Mitte: den 16t und 17t Juli 1813.
10,6x10,8 cm. Graphit. 1813.
Dresden, Kupferstichkabinett
24 Ruine im Riesengebirge Gedanken über die Vergänglichkeit des Lebens und der Werke des
Menschen hervorzurufen. Die Berge aber überdauern die Zeiten, und
103x73 cm. Öl auf Leinwand. Um 1830—1834 (?). ihre erhabene Erscheinung bestärkt die Jenseitshoffnung der Gläubi­
Greifswald, Städtisches Museum gen. - Caspar David Friedrich hat das Riesengebirge im Juli 1810 mit
seinem Malerfreund Georg Friedrich Kersting durchwandert; die ein­
Caspar David Friedrich hat nicht selten die Landschaft, wie er sie vor­ samen Höhen in ihrer Kargheit müssen ihn sehr beeindruckt haben.
fand, durch symbolhaltige Hinzufügungen modifiziert und in ihren Die »Riesengebirgslandschaft mit aufsteigendem Nebel« geht auf eine
Sinnbezügen bereichert. So verband er hier das Panorama des Riesen­ Bleistiftstudie vom 10. Juli 1810 zurück und zeigt von einem Stand­
gebirges mit der Ansicht der bei Greifswald gelegenen Klosterruine punkt gegenüber der Elbfallbaude aus von rechts nach links die Berge
Eldena. Durch das davorstehende Bauernhaus wird diese nicht nur Planitz, Ziegenrücken, Silberkamm und Schneekoppe. Im zarten
zusätzlich in ihrer Herkunft ausgewiesen, sondern auch kompositio­ Licht des Morgens schimmern die Kammhöhen als leuchtendes Ziel
neil vorbereitet und in ihrer nicht unbeträchtlichen, aber doch gegen­ der Ferne. Das weithin überschaubare Gebirgsrelief, gesteigert durch
über dem Gebirge gering erscheinenden Größe bestimmt. Als Zeugnis die atmosphärischen Erscheinungen, offenbart sich als Natur von ele­
einer längst vergangenen Kultur vermag ihr Anblick wehmutsvolle mentarer Größe.

Riesengebirgs­
landschaft mit
aufsteigendem
Nebel.
54,9x70,3 cm.
Öl auf
Leinwand.
1819/20.
München, Neue
Pinakothek
25 Sturzacker am Abend Die Gestalt des einsamen Wanderers, der dem Dorf zustrebt, wird
bald in der sich ausbreitenden Nacht versinken. Das Scheiden des
34,6x47,6 cm. Öl auf Leinwand. 1830—1835. Hamburg, Kunsthalle Tages löst ein wehmütiges Gefühl des Abschieds wie auch der Sehn­
sucht nach Heimat und Heimkehr aus.
Es bedarf kaum noch der gegenständlichen Formgebung, um mit der Das Motiv des umgebrochenen Ackers, der als Symbol der Vergäng­
Farbskala dieses Bildes die Vorstellung einer herbstlichen Abenddäm­ lichkeit verstanden worden ist, wiederholt sich in dem Bild »Hügel
merung zu assoziieren - ein Beweis für die große Bedeutung der Farbe mit Bruchacker bei Dresden«. Von Osten her sind hinter dem Hügel
in Friedrichs Bildern, wie er immer von neuem angetreten werden mit den Türmen von Kreuzkirche, Schloß und Katholischer Hof-
kann. Golden versinkt die Sonne, rötet mit ihren letzten Strahlen den kirche und der Kuppel der Frauenkirche dazwischen die charakteristi­
Himmel und läßt die Wolken sanft erglühen. In komplementärem schen Bauten Dresdens zu erkennen. Mit den Krähen auf dem herbst­
Grauviolett erscheinen nicht nur die Wolkenstreifen, sondern abge­ lichen Feld und der Reihe kahler Apfelbäume, die den Blick zunächst
stuft auch die Hügel, fernen Felder, Büsche und Bäume. Immer mehr aufhalten, ist diese Vedute der Elbestadt eine der ungewöhnlichsten
geht die Eigenfarbigkeit der Dinge in der violetten Überschattung auf. und eindrucksvollsten.

Hügel mit Bruchacker bei Dresden. 22,2x30,5 cm. Öl auf Leinwand. 1824. Hamburg, Kunsthalle
26 Wald im Spätherbst chen haben könnte, weil er erkannte, daß die mit diesem an sich unfer­
tigen Zustand erreichte Ausdruckskraft nicht weiter zu steigern war.
35x44 cm. Öl auf Leinwand. Um 1835 (?). Erfurt, Angermuseum Beabsichtigt oder nicht, wird das Unvollendete zur künstlerischen
Form. In der Vorwegnahme von Gestaltungsmitteln erscheint das
Mit feinfühligem Wirklichkeitssinn und in überraschender Ausschnitt- Bild vergleichbar mit Ferdinand von Rayskis Dresdener Studie zum
haftigkeit des Motivs sind hier die linearen Strukturen und die Ton­ Wermsdorfer Jagdbild von 1859 mit der Wiedergabe eines lichten
werte eines herbstlich kahlen Sumpfwaldes erfaßt. Durch das Dickicht Herbstwaldes. Sein Wert ist auch daran zu messen, daß es nach Fried­
von Stämmen und Astwerk schimmert ein blasser Himmel, dessen richs Tod von Johan Christian Clausen Dahl erworben wurde.
Licht durch die dunstige Atmosphäre im Waldesinnern gedämpft Die Darstellung der »Schwäne im Schilf« ist vielfach im Sinne der alten
wird. Das Bild ist lasierend monochrom nur angelegt, und dement­ Symbolbedeutung des Schwanes als eine Todesvision aufgefaßt wor­
sprechend wurde es - wie Sumowski nachgewiesen hat - im Nachlaß­ den. Friedrichs Äußerung dazu gegenüber Cornelius: »Das Göttliche
verzeichnis der Werke Friedrichs vom Dezember 1843 als »Waldpar­ ist überall, auch im Sandkorn, da habe ich es einmal im Schilf dar­
tie im Herbst. Untermalung« bezeichnet. Das schließt nicht aus, daß gestellt«, läßt freilich von der Absicht, hier Todeserwartung zum
der Künstler die Arbeit daran ganz bewußt an dieser Stelle abgebro­ Ausdruck zu bringen, zunächst nichts erkennen.

Schwäne
im Schilf.
34x44 cm.
Öl auf
Leinwand.
Um 1832.
Leningrad,
Staatliche
Ermitage
27 Die Lebensstufen Erwachsenen jedoch auch als Vater und Mutter der zwei Kinder ange­
sehen werden und die Rückenfigur als der Großvater, womit wirklich
72,5x94 cm. Öl auf Leinwand. Um 1835. drei Generationen repräsentiert wären. Den fünf Menschen entspricht
Leipzig, Museum der bildenden Künste die gleiche Zahl von Schiffen, von denen die zwei kleinen in Ufernähe
den Jüngsten zugeordnet werden könnten, die zwei kühn hinausfah­
Die Darstellung der Lebensalter zur Veranschaulichung des mensch­ renden großen den im besten Alter Stehenden - was für deren Zusam­
lichen Erdenwandels war schon im Mittelalter verbreitet. Friedrich mengehörigkeit als Eltern sprechen würde - und das von langer Reise
hat sie hier in ein Familienbild gefaßt, das vor dem Hintergrund des heimkehrende Schiff dem gealterten Mann. Der Standpunkt des Ma­
abendlichen Meeres zusätzlich bedeutungsvoll wird. Nach neuerer lers war der »Utkiek« in Wieck bei Greifswald.
Auffassung gelten der Junge mit dem schwedischen Fähnchen - Als »Sinnbild für die Endstation der Lebensfahrt« mag das für den
Greifswald war lange schwedisch - und das Mädchen als Friedrichs Baron Maximilian Speck von Sternburg in Lützschena bei Leipzig ge­
Sohn Gustav Adolf und Tochter Agnes, anscheinend ermahnt von malte Bild »Schiffe im Hafen am Abend« interpretiert werden; die
ihrer älteren Schwester Emma. Der jüngere Mann im Zylinder wird als Aufschrift »Maxn v. Speck« am Heck des Bootes vorn weist den Auf­
Friedrichs Neffe Johann Heinrich gedeutet, der ältere als der schon traggeber aus. Mit dem stillebenhaften Ensemble ist dies eines der
betagte Maler selbst. Entgegen dieser Auffassung könnten die beiden schönsten Hafenbilder Friedrichs.

Schiffe
im Hafen
am Abend.
76,5x88 cm.
Öl auf
Leinwand.
Um 1828.
Dresden,
Gemäldegalerie
Neue Meister
28 Das Große Gehege bei Dresden während er in der Höhe immer mehr in ein kühles, durchsichtiges
Blau übergeht. Reglos stehen in dichten Reihen die alten Laubbäume
73,5x102,5 cm. Öl auf Leinwand. Um 1832. hinten in den Flußwiesen. Der verspätete Lastkahn auf dem Wasser
Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister läßt die abendliche Stille und Einsamkeit noch stärker empfinden. Die
Stimmungswerte der Landschaft in ihrem Bezug zur menschlichen
Caspar David Friedrich hat seine Dresdener Motive nicht wie der Gefühlswelt sind in diesem Werk aus der späten Schaffenszeit des
Vedutenmaler Bellotto genannt Canaletto und viele andere nach ihm Meisters mit letzter Tiefe erfaßt. So, wie der Himmel der Erde seinen
im Ensemble der Bauwerke gesucht, sondern stets am Rande der Abglanz verleiht, offenbart sich die romantische Vorstellung von der
Stadt, wo die Zeugen menschlichen Wirkens gegenüber der freien Na­ zwischen beiden bestehenden Polarität, der Einheit in der Spannung,
tur zurücktreten. Das gilt auch für die Darstellung des Großen Ostra- und so wird dieses Bild in ganz besonderem Maße zum Träger von
Geheges, eines bogenförmig von der Elbe umflossenen, damals von Sehnsucht und Hoffnung und zu einem Vermächtnis des Malers.
Alleen durchzogenen Auengeländes im Nordwesten des alten Stadt­ Als Ausdruck der persönlichen Zueignung Friedrichs an das von ihm
kerns, das seinen Namen nach dem im 17. Jahrhundert hier angelegten zur Heimat erwählte, wesentlich von der Elbe geprägte Dresden und
Jagdgehege erhielt und zu Friedrichs Zeit noch unberührt war. zugleich wie ein Abschied von diesem erscheint das Bild mit dem
Die Sonne ist schon untergegangen. Über dem Horizont leuchtet der abendlichen Blick von der Brühlschen Terrasse über den Strom und
Himmel noch in warmem Gelb hinter einer blaugrauen Wolkenbank, die vielbogige alte Augustusbrücke hin zu den Höhen der Lößnitz.

Die Augustus­
brücke
in Dresden.
28x35,2 cm.
Öl auf
Leinwand.
Um 1820-1830.
Ehemals
Hamburg,
Kunsthalle
(verbrannt)
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Irma Emmrich: Caspar David Friedrich. Weimar 1964 ISBN 3-362-00496-2
Deutsche Romantik. Gemälde - Zeichnungen. Katalog der Ausstellung in den
Staatlichen Museen Berlin. Berlin 1965 3. Auflage. Lizenz-Nr. 414.235/77/90. L.SV-Nr. 8126. Gestaltung:
Willi Geismeier: Zur Bedeutung und zur entwicklungsgeschichtlichen Stellung von Henry Götzelmann, Potsdam. Printed in the German Democratic Republic.
Naturgefühl und Landschaftsdarstellung bei C. D. Friedrich. Phil. Diss. Reproduktion: Druckerei Fortschritt Erfurt, Druck: Magdeburger Druckerei
Berlin 1966 626 119 3 DDR 19,50 M
Selbstbildnis.
42x27,6 cm.
Schwarze Kreide.
1800.
Kopenhagen,
Statens Museum
for Kunst

Caspar David Friedrich über die Kunst


»Die einzig wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen
kindlichen Gemütes. Ein Gebilde, so nicht aus diesem Borne entsprungen,
kann nur Künstelei sein. Jedes echte Kunstwerk wird in geweihter Stunde
empfangen und in glücklicher geboren, oft dem Künstler unbewußt aus in­
nerem Drange des Herzens ...
Nicht die treue Darstellung von Luft, Wasser, Felsen und Bäumen ist die
Aufgabe des Bildners, sondern seine Seele, seine Empfindung soll sich darin
widerspiegeln. Den Geist der Natur erkennen und mit ganzem Herzen und
Gemüt durchdringen und aufnehmen und wiedergeben ist die Aufgabe
eines Kunstwerkes.«

Zeitgenossen über Caspar David Friedrich


»Einer der originalsten, eigentümlichsten Menschen und Künstler, die ich
gekannt, der nicht seinesgleichen fand und auch nicht sobald wieder zu fin­
den sein wird. Viele haben ihn nachgeahmt, doch noch keiner hat verstan­
den, jenes stille Naturleben wiederzugeben, das für Friedrichs Kunst so
eigentümlich war und seinen scheinbar oft steifen Bildern einen eigenen
Reiz gibt.« (Johan Christian ClausenDahl)
»Auch in seinen Bildern ist nichts Schwärmerisches; im Gegenteil, sie gefal­
len durch ihre Wahrheit, denn ein jedes erweckt in der Seele die Erinnerung
an etwas Bekanntes; wenn man in ihnen mehr findet, als die Augen sehen,
so ist der Grund der, daß der Maler auf die Natur nicht wie ein Artist sieht,
der in ihr nur ein Motiv für den Pinsel sucht, sondern wie ein Mensch mit
Gefühl und Phantasie, der überall in ihr ein Symbol des menschlichen Le­
bens findet. Friedrich kümmert sich wenig um Kunstregeln; er malt seine
Bilder nicht für Kenner der Malerei, sondern für Freunde der Natur; die
Kritiker können mit ihm unzufrieden sein, aber der beste Kritiker, das un­
voreingenommene Gefühl, ist immer auf seiner Seite.« (W. A. Shukowski)

Auf der Vorderseite: Kreidefelsen auf Rügen. 90,5x71 cm. Öl auf Lein­
wand. Um 1820. Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart

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